Die Entwicklung und Bedeutung der öffentlich-rechtlichen Blindengeldleistung als Sozialleistung [1 ed.] 9783428509720, 9783428109722

Der Autor stellt in der vorliegenden Arbeit die Entwicklung des Blindengeldrechts in Bund und Ländern dar. Sodann werden

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Die Entwicklung und Bedeutung der öffentlich-rechtlichen Blindengeldleistung als Sozialleistung [1 ed.]
 9783428509720, 9783428109722

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HERBERT DEMMEL

Die Entwicklung und Bedeutung der öffentlich-rechtlichen Blindengeldleistung als Sozialleistung

Die Entwicklung und Bedeutung der öffentlich-rechtlichen Blindengeldleistung als Sozialleistung

Duncker & Humblot . Berlin

Die Juristische Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität zu München hat diese Arbeit im Jahre 2002 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2003 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISBN 3-428-10972-4 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 @

Inhaltsverzeichnis Einleitung.............................................................................

35

A. Gang der Untersuchung .............. . .............................................

36

Erster Teil

Die Entwicklung der Blindengeldregelungen für Zivilblinde in Deutschland Vorbemerkung .......................................... . ............................

38 38

Kapitel I

Die Entwicklung bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges

39

A. Vorbemerkung ....................... . ...................................... . ......

39

B. Ausgangssituation . . .. . . . ... . . . . ... . . . . . .. . . . . . .. . . . . . . . . . ... . . . . . .. . . . . .. . . . .. . .. . .

40

I. Beginn der Blindenbildung ............ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

40

11. Erste Forderungen auf laufende Unterstützung für Blinde. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

40

1. Die Vorstellung Johann Knies ........................................ . ....

40

2. Die Forderung einer Blindenversicherung durch Friedrich Scherer. . . . . . . . .

40

3. Die Forderung einer Blindenrente durch Konrad Luthmer .................

41

C. Die Entstehung der Blindenselbsthilfe und ihre Bedeutung für die Rechtsentwicklung ................................................................................

41

I. Die Blindenfürsorgevereine ........................ .. ........................

41

11. Vereinigungen als Ort der Selbsthilfebewegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

42

1. Die Bedeutung der Vereine und Genossenschaften im 19. Jahrhundert .....

42

2. Die Gründung von örtlichen und regionalen Blindenvereinen ..............

42

a) Die Hamburger Blindengenossenschaft ................................

42

b) Die Berliner Blindengenossenschaft ....................................

43

c) Die Blindenselbsthilfebewegung in Bayern ... . ........................

43

3. Die Blindenbewegung auf Reichsebene ...................................

43

a) Der "Erste Deutsche Blindentag" ............................... . ... . ..

43

b) Die Gründung des Reichsdeutschen Blindenverbandes .................

44

6

Inhaltsverzeichnis c) Die Gründung des Deutschen Blindenverbandes .......................

45

d) Die Selbsthilfeorganisation der Kriegsblinden ........ . .......... . ......

45

e) Der Verein blinder Akademiker Deutschlands ..........................

45

D. Das Fürsorgerecht in der Weimarer Republik .......................................

45

I. Die durch den Ersten Weltkrieg veränderte Lage .............................

45

1. Armenfürsorge als Ausgangspunkt ........................................

45

2. Anpassung an die veränderte Lage durch Spezialgesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

46

11. Die Neuregelung des Fürsorgerechts .........................................

46

1. Grundlagen und Grundsätze ................ . ... . ........ . . . ... . ...... . . . ..

46

2. Die Fürsorgepflichtverordnung ............................................

46

3. Die Reichsgrundsätze über Voraussetzung, Art und Maß der öffentlichen Fürsorge ..................................................................

47

III. Die Berücksichtigung blinder Menschen .....................................

48

1. Kriegsblinde ................................. . .......... . .......... . ......

48

2. Berufsunfallblinde ........................................................

48

3. Friedens- bzw. Zivilblinde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

48

E. Das Bemühen um die Blindenrente .......... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

49

I. Die soziale Lage der Zivilblinden ............................................

49

11. Die Forderungen der Blindenorganisationen ..................................

49

1. Die Hauptforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

49

2. Die Änderung des Schwerbeschädigtengesetzes .................... . ......

50

3. Weitere Vergünstigungen auch für Zivilblinde .............................

51

4. Die Forderung nach einer Blindenrente ....................................

51

a) Die Blindenwohlfahrtskammer .........................................

51

b) Die Blindenwohlfahrtstage und der Rentenausschuß ....................

52

aa) Der erste Blindenwohlfahrtstag von 1924 und die Tätigkeit des Rentenausschusses ................................................

52

bb) Der zweite Blindenwohlfahrtstag von 1927 und die Behandlung des Rentenantrags im Reichstag ...................................

54

cc) Der dritte Blindenwohlfahrtstag und die weitere Behandlung der Rentenfrage im Reichstag .........................................

56

5. Die Bemühungen auf Länderebene ........................................

57

F. Die veränderte Situation in der Zeit des Nationalsozialismus .......................

57

I. Fortsetzung der Bemühungen um eine Blindenrente ..........................

57

11. Ablehnung durch die Reichsregierung ................ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

58

III. Veränderung der Auffassung zur Rentenfrage innerhalb der Blindenorganisationen ........................................................................

58

Inhaltsverzeichnis

7

Kapitel 2 Die Entwicklung seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges

59

A. Ausgangslage ......................................................................

59

I. Die Situation der zivilblinden Menschen .....................................

59

11. Die Blindenorganisationen nach dem Zweiten Weltkrieg .....................

59

111. Wiederaufnahme der Rentenforderungen .....................................

59

1. In den Ländern ..................................................... . ......

59

2. In der Bundesrepublik Deutschland. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

59

IV. Die Entwicklungsphasen der Blindengeldregelungen nach dem Zweiten Weltkrieg.........................................................................

60

V. Überblick über die Einführung des Blindengeldes ............................

60

B. Länderregelungen vor Einführung einer Bundesregelung durch § lU RGR .........

62

I. Die Möglichkeiten in den Ländern ...........................................

62

1. Die Entwicklung im Überblick .......................... . .......... . ......

63

a) Gesetzliche Regelungen ............................. . .......... . ......

63

b) Erhöhte Leistungen für Fürsorgeempfanger ............................

63

c) Keine Leistungen in Baden-Württemberg ..............................

63

d) Verwaltungsvorschriften in Nordrhein-Westfalen und Berlin ............

63

e) Vorgriffsregelungen in Niedersachsen, Bremen und Harnburg ..........

64

2. Die besondere Situation im Saarland ......................................

64

11. Die Entwicklung in den einzelnen Bundesländern .......... . ........ . . . . . ....

64

1. Bayern....................................................................

65

a) Antrag auf Einbeziehung in das Körperbeschädigtenleistungsgesetz ....

65

b) Antrag auf Erlaß eines Blindengeldgesetzes und Auftrag des Landtages an die Staatsregierung .................................................

65

c) Das Gesetz über die Gewährung von Blindengeld an Friedensblinde ...

65

aa) Der wesentliche Inhalt des Gesetzes ...............................

66

bb) Zur Begründung der Erforderlichkeit des Gesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . .

66

cc) Bewertung des Gesetzes .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

66

d) Änderungsgesetze .....................................................

67

aa) Erstes Änderungsgesetz ...........................................

68

bb) Zweites Änderungsgesetz .........................................

69

e) Das Zivilblindenpflegegeldgesetz von 1953 ............................

69

aa) Der wesentliche Inhalt des Gesetzes ...............................

69

bb) Bewertung des Gesetzes ...........................................

69

8

Inhaltsverzeichnis 2. Hessen ....................................................................

70

a) Das Pflegegeldgesetz von 1950 ........................................

70

aal Wesentlicher Inhalt des Gesetzes .......... . .......................

70

bb) Bewertung des Gesetzes ........ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

71

cc) Leistungseinschränkungen ........................................

71

dd) Der vorläufige Charakter des Gesetzes .......................... . .

72

b) Die Aufhebung des hessischen Blindenpflegegeldgesetzes 1954 ........

72

3. Nordrhein-Westfalen ......................................................

72

a) Der Runderlaß von 1951 ...............................................

72

b) Der wesentliche Inhalt des Runderlasses ..... . . . ........ . . . . . ........ . .

73

4. Berlin ........................................... . ............ . .......... . .

74

a) Der besondere politische Status von Berlin .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

74

b) Die Verfügung von 1950 .................................. . ............

74

c) DerSenatsbeschlußvon1951 ............................. . ............

74

d) Die Ablehnung einer gesetzlichen Regelung ... . .......... . .......... . .

75

e) Die Richtlinie von 1952 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

76

f) Das Gesetz von 1954 ..................................................

76

5. Niedersachsen .............................................................

77

a) Bemühungen um ein Landesgesetz .......... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

77

b) Die Erlasse von 1950 und 1953 ........................................

77

6. Bremen und Hamburg ........... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

78

7. Rheinland-Pfalz ...........................................................

78

a) Das Gesetz von 1953 .................... . . . ... . ...... . . . ... . ...... . . . .

78

b) Außerkrafttreten des Gesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

79

C. Die Einführung einer bundesrechtlichen Regelung durch § Ilf RGR ................

79

I. Ausgangssituation nach der Entstehung der Bundesrepublik Deutschland .....

79

H. Bestrebungen zur Schaffung eines bundesrechtIichen Blindengeldgesetzes . . . .

80

I. Initiative des Deutschen Blindenverbandes ................................

80

a) Anfrage der Bundestagsfraktion der SPD vom 12.05. 1950 ............

80

b) Antwort der Bundesregierung vom 27. 05. 1950........................

80

c) Die Auffassung des Vereins für öffentliche und private Fürsorge ..... . .

80

d) Die Argumentation des Deutschen Blindenverbandes ..................

81

e) Die Eingabe des Vereins blinder Geistesarbeiter........................

81

2. Der Initiativantrag des Deutschen Blindenverbandes vom 15.06.1951 ....

81

a) Inhalt des Gesetzentwurfes. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

81

b) Begründung des Gesetzentwurfes......................... . ........ . . . .

82

Inhaltsverzeichnis 30

9

Die weitere Behandlung der Blindengeldfrage im Deutschen Bundestag a) Die Interpellation der SPD vorn aa) Inhalt der Anfrage

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bb) Begründung der Anfrage im Bundestag .. cc) Antwort der Bundesregierung b) Kompetenzprobleme

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c) Demonstration der Blinden vorn

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d) Keine Entscheidung durch den Deutschen Bundestag

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IIIo Die Regelung im Rahmen des Fürsorgerechtsänderungsgesetzes 1. Der Regierungsentwurf ....................

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in Bonn

1951

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a) Inhalt von § 1If nach dem Regierungsentwurf ..............

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b) Begründung zu § Hf des Regierungsentwurfs .. 0.. ............ 0........ c) Stellungnahme der Blindenorganisationen 20

Verbesserungen im Gesetzgebungsverfahren

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a) Inhalt von § Hf RGR in der Endfassung ...... .. .... .. 0................ b) Beurteilung von § llfRGR ............................................ Do Die Entwicklung in den Ländern nach Einführung eines bundesrechtlichen Blindengeldanspruches durch § 11 f RGR 0

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1. Automatischer Wegfall von Landesregelungen

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Aufhebung des hessischen Blindengeldgesetzes

IIo Auswirkung auf Bayern ........................ 1. Ergänzende Leistungen nach § 11 f RGR

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a) Leistungen für Blinde vor Vollendung des

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Lebensjahres

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b) Anspruch auf ergänzende Leistungen nach § llf RGR .................. 20

Wahlrecht zwischen landes- und bundesrechtlicher Leistung

IIIo Die weitere Entwicklung 10

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Kritik des Deutschen Blindenverbandes

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Bemühungen um landesrechtliche Regelungen a) Gesetzliche Regelungen aa) Bayern

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bb) Saarland cc) Berlin

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aa) Nordrhein-Westfalen

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bb) Rheinland-Pfalz ..............................

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b) Blindengelderlasse

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I. Auswirkung auf vorläufige Regelungen ...........................

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Inhaltsverzeichnis cc) Baden-Württemberg ............................................... 101 dd) Niedersachsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 ee) Hessen ............................................................ 104 ff) Hamburg .......................................................... 105

gg) Bremen ........................................................... 106 hh) Schleswig-Holstein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . .. . . . . . . . . .. . 106 IV. Situation zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Bundessozialhilfegesetzes .... 106 E. Der Weg zur Einführung einer Blindenhilfe durch § 67 BSHG ....... . . . . . . . . . . . . . .. 107 I. Die Bemühungen im Rahmen der Rentenreform von 1957 .................... 108

1. Das Gutachten von Ernst Forsthoff ........................................ 108 2. Die Pflegegeldforderung des Deutschen Gewerkschaftsbundes und der SPD ....................................................................... 108 a) Die Haltung des Deutschen Blindenverbandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 b) Die Pflegegeldfrage in der parlamentarischen Diskussion .............. 109 c) Die Entschließung des Deutschen Bundestages vom 21. 01. 1957 ......

111

11. Das Streben nach einem eigenen Bundesblindengesetz ....................... 111 1. Ausgangslage .............................................................

111

2. Der Deutsche Fürsorgetag von 1957 ....................................... 112 3. Das Körperbehindertengesetz und das Tuberkulosehilfegesetz als Beispiele

112

4. Der Entwurf eines Bundesblindengesetzes des Deutschen Blindenverbandes ........................................................................ 113 a) Inhalt des Gesetzentwurfes. . . . .. . . .. .. . . .. .. . . . .. . . . .. . . . .. . .. .. . .. .. . . 113 b) Unterstützung durch den Bund der Kriegsblinden Deutschlands e. V. ... 113 c) Begründung des Gesetzentwurfs ....................................... 114 d) Kein Erfolg im Bundestag ............................................. 114 111. Die Neugestaltung des Fürsorgerechts durch das BSHG ...................... 115 1. Die Reformbedürftigkeit des Fürsorgerechts ............................... 115 2. Die Reformvorschläge des Bundesarbeitsministeriums .................... 116 3. Die Blindenhilfe im Regierungsentwurf eines Bundessozialhilfegesetzes .. 116 4. Veränderungen während des Gesetzgebungsverfahrens .................... 117 5. Die Blindenhilfe im Bundessozialhilfegesetz .............................. 117 a) Bewertung durch den Deutschen Blindenverband ...................... 117 b) Der wesentliche Inhalt der Regelungen für Blinde im Bundessozialhilfegesetz ............................................................. 118 IV. Bewertung ................................................................... 119

Inhaltsverzeichnis

11

F. Die Entwicklung in Bund und Ländern nach Einführung der Blindenhilfe des § 67 BSHG bis zur Wiedervereinigung .................................................. 119 I. Ausgangslage und Entwicklungsphasen ..... . ......................... . ...... 119

11. Die Zeit der Weiterentwicklung bis 1974 ..................................... 120 1. Forderung des Deutschen Blindenverbandes an die Länder................ 120 2. Die Entwicklung im BSHG ............................................... 120 a) Erstes Änderungsgesetz zum BSHG .................................... 120 b) Zweites Änderungsgesetz zum BSHG .................................. 122 c) Drittes Änderungsgesetz zum BSHG ................................... 123 3. Die Entwicklung in den Ländern.......................................... 124 a) Auswirkung des BSHG auf Blindengelderlasse . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . 124 b) Auswirkung des BSHG auf Landesblindengeldgesetze ................. 124 c) Auswirkung der ersten BSHG-Novelle ................................. 126 d) Auswirkung der zweiten BSHG-Novelle ............................... 126 e) Auswirkung der dritten BSHG-Novelle ................................ 126 4. Die Entwicklung in einzelnen Ländern.................................... 127 a) Bayern................................................................. 127 aa) Änderung durch das bayerische Ausführungsgesetz zum BSHG ... 127 bb) Neufassung des bayerischen Zivilblindenpflegegeldgesetzes von 1965 .............................................................. 128 cc) Änderungsgesetz von 1969 ........................................ 128 dd) Änderungsgesetz von 1974 ........................................ 128 b) Berlin.................................................................. 128 aa) Das Blinden- und Hilflosenpflegegeldgesetz von 1962 .......... . .. 128 bb) Das Änderungsgesetz von 1964

129

cc) Das Änderungsgesetz von 1969

129

dd) Das Änderungsgesetz von 1970

129

c) Saarland ............................................. . .......... . ...... 130 aa) Das Gesetz von 1964 .............................................. 130 bb) Das Änderungsgesetz von 1970 ................................... 130 d) Hessen................................................................. 130 e) Vorbemerkung zu weiteren Länderregelungen .......................... 131 f) Niedersachsen ......................................................... 132

aa) Das Gesetz von 1963 .............................................. 132 bb) Das Änderungsgesetz von 1965

133

cc) Das Änderungsgesetz von 1970

134

12

Inhaltsverzeichnis g) Baden-Württemberg

134

aa) Die Blindengeldrichtlinien von 1970 .............................. 134 bb) Das Landesblindenhilfegesetz von 1972 ........................... 134 h) Nordrhein-Westfalen ................................................... 135 aa) Der Runderlaß über eine Landeshilfe für hochgradig Sehbehinderte von 1962 .......................................................... 135 bb) Änderung des Runderlasses von 1965 ....... . ................ . .... 135 cc) Das Landesblindengeldgesetz von 1970 ........................... 136 i) Hamburg .............................................................. 137 j) Schleswig-Holstein .................................. . ................. 138 k) Bremen................ . . . . . .......... . ..................... . . . . . ...... 138 I) Rheinland-Pfalz ....................................................... 139 5. Bewertung ................................................................ 139 III. Die Phase der Reformbestrebungen, mit dem Bemühen, § 67 BSHG abzuschaffen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 1. Ausgangslage ............................................................. 139

2. Reformvorschläge kommunaler Spitzenverbände und des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . 140 3. Die Auffassung des Deutschen Blindenverbandes ......................... 142 4. Das Gutachten von Scholler/Krause ...................................... 142 5. Bestrebungen der Bundesregierung mit Bezug auf eine Gesamtreform des Sozialleistungssystems .................................................... 143 6. Stellungnahmen einzelner Parlamentarier..... . ............................ 144 a) Eugen Glombig (SPD) ............................................ . .... 144 b) Kurt Spitzmüller (FDP) ................................................ 145 c) Albert Burger (CDU/CSU) ............................................ 145 7. Ergebnis der Reformbestrebungen ........ . ... . ........ . ............ . ...... 145 IV. Haushaltsstrukturgesetz von 1981 ........... . ........................... . .... 146 1. Ausgangslage ............................................................. 146

2. Erste Kürzungen im Rahmen von Landesgesetzen ......................... 146 a) Berlin.................................................................. 147 b) Rheinland-Pfalz ....................................................... 147 3. Einschränkung der Blindenhilfe nach § 67 BSHG durch das zweite Haushaltsstrukturgesetz ........................................................ 148 4. Auswirkung auf die Landesblindengeldgesetze ............................ 148 5. Abweichende Entwicklung in Bayern ..................................... 151 a) Die Gesetzesänderung von 1983 ....................................... 151 b) Resolution von 1983 ............................... . ................... 151

Inhaltsverzeichnis

13

c) Die Gesetzesänderung von 1985 ....................................... 152 d) Resolution von 1987 ................................................... 152 6. Rechtsprechung zur Änderung der Blindengeldgesetze .................... 153 7. Beurteilung der Rechtsprechung und der eingetretenen Veränderungen .... 154 G. Die Auswirkung der Wiedervereinigung BRD / DDR ............................... 156 I. Ausgangslage ................................................................ 156 I. Neue Bundesländer ....................................................... 156

2. Ausgleichsleistungen für Blinde in der DDR .............................. 156 11. Der Erlaß von Landesgesetzen in den neuen Bundesländern........... . ...... 157 I. Die Bemühungen der Blindenselbsthilfeorganisationen .................... 157

2. Mecklenburg-Vorpommern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 3. Sachsen ................................................................... 158 4. Brandenburg .............................................................. 159 5. Sachsen-Anhalt ........................................................... 159 6. Thüringen................................................................. 160 7. Berlin ..................................................................... 160 III. Bewertung ................................................................... 160 H. Die Auswirkung der Einführung einer sozialen Pflegeversicherung durch das SGB XI ............................................................................ 161 I. Leistungen bei Pflegebedürftigkeit vor Erlaß des SGB XI ............. . . . . . .. 161 I. Pflegebedürftigkeit ........ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 161

2. Rechtsgrundlagen im Sozialversicherungsrecht und im sozialen Entschädigungsrecht ................................................................ 161 3. Rechtsgrundlagen im Fürsorgerecht ....................................... 161 a) Vor der Neuregelung durch das BSHG ................................. 161 b) Im Rahmen des BSHG ................................................. 162 4. Die Berücksichtigung von Blindheit im Rahmen der Hilfe zur Pflege nach dem BSHG ................................................................ 163 a) Leistungsanspruch ..................................................... 163 b) Anrechnungsregelung für das Blindengeld ............. . .......... . .... 163 11. Bestrebungen zur Absicherung des Pflegefallrisikos .......................... 164 III. Leistungen bei Schwerpflegebedürftigkeit nach dem SGB V als erster Schritt 164 I. Der Leistungsumfang ..................................................... 164

2. Die Beurteilung der Pflegebedürftigkeit bei blinden Menschen ............ 165 3. Anrechenbarkeit der Pflegeleistungen nach dem SGB V auf das Blindengeld ....................................................................... 167

14

Inhaltsverzeichnis IV. Der Weg zum Sozialgesetzbuch XI ........................................... 170 1. Die Bausteine der geplanten Pflegeversicherung ......... . . . . . . . . . . . . . . . . .. 170 2. Modelle und Anträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 171 a) Kommunale Spitzenverbände und Arbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtspflege ...................................................... 171 b) Anträge von Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz ................. 171 c) Die unterschiedlichen Konzepte........................................ 171 V. Die Einführung einer sozialen Pflegeversicherung durch das Sozialgesetzbuch XI ........................................................................... 171 1. Konzeption und Leistungen nach dem SGB XI ............................ 171 2. Blindheit und Pflegebedürftigkeit nach SGB XI ........................... 173 a) Der Begriff der Pflegebedürftigkeit nach dem SGB XI

174

b) Die Auswirkung der Blindheit auf Pflegebedürftigkeit

176

c) Stellungnahme des Deutschen Blindenverbandes ............... . . . . . . . . 177 d) Beurteilung ............................................................ 177 VI. Einführung von Anrechnungsklauseln in den Blindengeldgesetzen ........... 178 1. Anrechnungsregelungen in den Landesgesetzen ........................... 178 2. Das Gesetz zur Reform des Sozialhilferechtes vom 23. 07.1996 ........... 179 I. Eingriffe durch Spargesetze der Länder. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 I. Ursachen der Eingriffe ....................................................... 179 11. Art der Eingriffe ............................................................. 180 1. Prozentuale Absenkung des Blindengeldes ................................ 180 a) Erster Eingriff in Schleswig-Holstein .................................. 181 b) Erster Eingriff in Niedersachsen ....................................... 181 c) Folgerungen ........................................................... 181 d) Zweiter Eingriff in Niedersachsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 e) Zweiter Eingriff in Schleswig-Holstein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 2. Absenkung höherer Blindengeldbeträge ................................... 182 a) Bayern................................................................. 183 b) Berlin .................................................................. 184 c) Hessen................................................................. 185 3. Übergang auf Festbeträge ................................................. 185 a) Baden-Württemberg ................................................... 186 b) Brandenburg ....................................... . ................... 187

Inhaltsverzeichnis

15

c) Mecklenburg-Vorpommem ............................................ 188 d) Nordrhein-Westfalen ........ . .......... . . . ........ . .................... 188 e) Sachsen-Anhalt...................................................... . . 190 f) Thüringen ............................................................. 190

4. Ereignisse von Bremen .... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 111. Umstellung auf Euro ......................................................... 192 IV. Beurteilung .................................................................. 193 Kapitel 3

Zusammenfassung der geschichtlichen Entwicklung

193

Zweiter Teil

Rechtssystematische Einordnung und vergleichende Darstellung der Blindengeldgesetze

198

Kapitell

Rechtsgrundlagen und Übersicht über ihre Behandlung

198

A. Rechtsgrundlagen ................................................................. 198 B. Überblick über die Behandlung im zweiten Teil .................................... 200 Kapitel 2

Rechtssystematische Einordnung

201

A. Blindengeld als Leistung im Sozialrecht ............................................ 201 B. Der Sozialrechtsbegriff ............................................................ 204 I. Der formelle Sozialrechtsbegriff ............................................. 206

1. Inhalt .............................................................. . ...... 206 2. Stellungnahme ............................................................ 207 11. Der materielle Sozialrechtsbegriff ............................................ 208 C. Blindengeld als Leistung der sozialen Fürsorge oder der sozialen Förderung ........ 209

I. Der Bereich der sozialen Förderung .......................................... 209

11. Der Bereich der sozialen Fürsorge ... . . . .. . . . . . .. . . . . . . . .. . . .. . . . .. . . . .. . . . . .. 210 III. Die Einordnung der Blindengeldleistungen .......... .. ....................... 210

16

Inhaltsverzeichnis Kapitel 3 Blindheit oder hochgradige Sehbehinderung als grundlegende Leistungsvoraussetzung

211

A. Vorbemerkung..................................................................... 211 B. Der Begriff der Blindheit........................................................... 212 I. Zweckorientierte Blindheitsbegriffe .......................................... 212 1. Der pädagogische Blindheitsbegriff ....................................... 213

2. Der wirtschaftliche Blindheitsbegriff ...................................... 213 3. Die Orientierungsblindheit .............................. . ................. 213 4. Der sozialrechtliche Blindheitsbegriff ................... . ................. 213 11. Der Blindheitsbegriff in den Blindenge\dgesetzen ..................... . ...... 214 1. Der Wandel des Blindheitsbegriffes im Laufe der Zeit..................... 214

a) Orientierungsblindheit als Ausgangspunkt ............................. 214 b) Übergang zu objektiven Sehwerten ..................................... 215 c) Die Ausweitung des Blindheitsbegriffes ................................ 215 2. Der Blindheitsbegriff der Gegenwart im einzelnen. ... . .. . . . . .. . .. . . . .. . . .. 219 a) Lichtlosigkeit ...... . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . .. 219 b) Sehschärfe ............................................................. 219 c) Gleichzuachtende Sehstörungen..... . ........................... . ...... 221 aa) Gesichtsfeldstörungen .......... . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . .. . . . . . . . . . . .. 221 bb) Visuelle Agnosie ............... . .................................. 222 d) Dauer der Behinderung ....................................... . ........ 228

c.

Der Begriff der hochgradigen Sehbehinderung ..................................... 229

D. Bedeutung der Ursache der Erblindung oder hochgradigen Sehbehinderung ........ 232 I. Konkurrenzprobleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 232

11. Kausalität als Mittel zur Vorrangregelung

232

1. Der sozialrechtliche Kausalitätsbegriff

235

2. Behandlung des Vor- und Nachschadens sowie der mittelbaren Schädigungsfolgen ............................. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 235 a) Vorschaden ............................................................ 235 b) Nachschaden .......................................................... 236 c) Mittelbare Schädigungsfolgen ......................................... 237

Inhaltsverzeichnis

17

Kapitel 4

Die Zweckbestimmung des Blindengeldes A. Vorbemerkung

238 238

B. Ausgleich der durch die Blindheit verursachten Mehraufwendungen ................ 239

I. Blindenwarenkörbe ................................................... . ...... 240 l. Erhebungen in Nordrhein-Westfalen und Sachsen ......................... 240 2. Bewertung .............................................. . .......... . ...... 240 11. In der Literatur genannte Beispiele ........................................... 241 III. Zuordnung zu einem nach Lebensbereichen eingeteilten Ordnungsschema . . .. 241

l. Betroffene Bereiche ....................................................... 241 2. Erläuterungen zu den einzelnen Bereichen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 242 a) Pflege, Wartung, hauswirtschaftliche Versorgung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 242 b) Mobilität .............................................................. 243 c) Information ........ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 244 d) Kommunikation ....................................................... 245 e) Hilfsmittel für das tägliche Leben (lebenspraktische Fertigkeiten) ...... 245 f) Kleider- und Materialverschleiß . . . . . . .. . . . . . . . . ... ... . . . . . . . . . . . . . .. . .. 245

g) Erhöhter Wohnraumbedarf ........................... . .......... . ...... 246 h) Assistenzleistungen im Alltag. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 246 C. Ausgleich der durch die Blindheit verursachten Nachteile ........ . .......... . ...... 247

I. Allgemeines ................................................................. 247 11. Zuordnung zu verschiedenen Lebensbereichen ............................... 247

l. Beruflicher Bereich ....................................................... 247 2. Familiärer bzw. partnerschaftlicher Bereich ............................... 250 3. Lebensqualität ............................................................ 250 D. Sicherung der Eingliederung in die Gesellschaft I Rehabilitation .... . ........ . ...... 251 I. Vorbemerkung ............................................................... 251 11. Begriff der Rehabilitation .................................................... 252

l. Allgemeines .............................................................. 252 2. Das sozialrechtliche Phasenmodell ........................................ 253 a) Ziel der medizinischen Rehabilitation .................................. 253 b) Ziel der beruflichen Rehabilitation ..................................... 254 c) Soziale Rehabilitation.. . . . . . . . . .. .. . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . .. . . . . . .. 254 3. Erfordernis der dauerhaften Absicherung der Eingliederung ............... 255 2DemmeJ

Inhaltsverzeichnis

18

4. Das sozialrechtsübergreifende Schichtenmodell ........................... 255 a) Begründung eines Schichtenmodells ................................... 255 b) Grund- oder Elementarrehabilitation gezeigt am Beispiel blinder Mensehen .................................................................. 257 aa) Der Blindheitsbegriff mit Bezug auf die Rehabilitation ............ 257 bb) Die Elementarrehabilitation für blinde Menschen.................. 258 c) Maßnahmen der aufbauenden Rehabilitation ........................... 264 d) Rehabilitationssichernde Leistungen ................................... 265 e) Komplementäre Rehabilitationsmaßnahmen ........................... 266 E. Schlußfolgerung ................................................................... 267 Kapitel 5 Der Aufenthalt als Leistungsvoraussetzung A. Vorbemerkung

269 269

B. Wohnsitz und gewöhnlicher Aufenthalt................ . ............................ 269 I. Wohnsitz..................................................................... 269 11. Gewöhnlicher Aufenthalt .................................................... 271 III. Wahlrecht bei mehrfachem Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt ......... 273 C. Aufenthaltsberechtigung ........................................................... 273 I. Freizügigkeitsrecht für Deutsche ............................................. 274 1. Begriff des Deutschen ..................................................... 274 2. Aussiedler ................................................................ 274 11. Aufenthaltsberechtigung von Ausländern. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 276 I. Rechtsgrundlagen ................................... . .............. . ...... 276 2. Spezialgesetze ............................................................ 276 a) Aufenthaltsrecht für Staatsangehörige aus Mitgliedsländern der Europäischen Union ........................................................ 276 b) Rechtsstellung heimatloser Ausländer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 279 c) Rechtsstellung von Asylbewerbern..................................... 280 d) Rechtsstellung bei humanitären Hilfsaktionen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 283 e) Rechtsstellung von Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlingen .............. 284 f) Rechtsstellung von Diplomaten und anderen Personen mit besonderem

internationalen Status .................................................. 284 aa) Diplomaten ....................................................... 284

bb) Angehörige der NATO-Streitkräfte................................ 285 3. Aufenthaltsrecht sonstiger Ausländer ...................................... 286

Inhaltsverzeichnis

19

D. Räumlicher Geltungsbereich der Blindengeldgesetze

295

I. Vorbemerkung ............................................................... 295

11. Begriff der Einrichtungen .................................................... . 296 1. Anstalten, Heime und gleichartige Einrichtungen .......................... 296 2. Vollzugsanstalten für die richterlich angeordnete Freiheitsentziehung ...... 298 III. Grenzüberschreitende Wirkungen des Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthaltes ........................................................................ 299 1. Alternativen in den Landesgesetzen ....................................... 299 2. Folgen beim Aufenthalt außerhalb des Ursprungslandes ................... 300 a) Beziehungen der Länder der Alternative I ............................. 300 b) Beziehungen zwischen Hessen (Alternative 2) zu den Ländern der übrigen Alternativen ....................................................... 302 c) Beziehungen der Länder der Alternative 3

303

d) Beziehungen der Länder der Alternative 4

304

e) Beziehungen von Berlin (Alternative 5) zu den übrigen Ländern ....... 305 IV. Grenzüberschreitende Wirkungen der gesetzlichen Bestimmungen für den Aufenthalt in Einrichtungen .................................................. 305 1. Grenzüberschreitende Bestimmungen ..................................... 305 a) Die Alternativen ....................................................... 305 b) Auswirkungen ......................................................... 306 2. Einschränkende bzw. abwehrende Bestimmungen ......................... 308 a) Abwehrklausel mit Bezug auf den Aufenthalt in Anstalten, Heimen oder gleichartigen Einrichtungen ....................................... 308 b) Genereller Ausschluß von Leistungen ...................... ...... ...... 309 c) Abwehrklausel mit Bezug auf richterliche Unterbringung .............. 310 3. Auswirkung von grenzüberschreitenden Klauseln, Abwehrklauseln und bei fehlenden Bestimmungen ................................................. 311 E. Aufenthalt im Ausland ............................................................. 312 I. Leistungsanspruch bei vorhandenem Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland .................................................................... 312

1. Nach den Landesgesetzen ......................... .. ...................... 312 2. Nach § 67 BSHG . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . .. . . . . . .. . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . .. . .. 313 11. Leistungsanspruch bei fehlendem Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland .................................................................... 313 1. Nach den Landesgesetzen ................................................. 313 2. Nach dem Bundessozialhilfegesetz ........................................ 313 2*

20

Inhaltsverzeichnis Kapitel 6

Begrenzung durch das Lebensalter

316

A. Berücksichtigung des Lebensalters bei Leistungen für Blinde. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 316

I. Keine Begrenzung ........................................................... 316 11. Leistung ab Vollendung des 1. Lebensjahres .................................. 316 B. Leistungen für hochgradig Sehbehinderte .......................................... 317 C. Stellungnahme ..................................................................... 318 Kapitel 7

Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen

318

A. Landesgesetze ..................................................................... 318 B. Bundessozialhilfegesetz ............................................................ 318

I. Vorbemerkung ..................... .. ........................................ 318 11. Abhängigkeit vom Einkommen .............................................. 319 1. Einkommensbegriff ................................................ .... ... 319 2. Einkommensgrenzen ............ .. ..................... . .................. 321 III. Abhängigkeit vom Vermögen ................................................ 322 1. Vermögensbegriff ......................................................... 322 2. Schonvermögen ........................................................... 323 a) Kleinere Barbeträge ................................................... 323 b) Angemessenes Hausgrundstück ........................................ 324 c) Zur Beschaffung von Wohnraum bestimmte Mittel..................... 325 d) Vermögensschutz in Härtefallen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 326 Kapitel 8

Leistung auf Antrag oder nach Kenntnis der Behörde

327

A. Antragserfordemis in den Landesgesetzen ............ . . . .......... . ................ 327

I. Rechtsgrundlagen ............................................................ 328 11. Wirkung des Antrages. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 329 III. Anforderungen an den Antrag ................................................ 329 IV. Neuantrag beim Umzug in ein anderes Bundesland ........................... 329

Inhaltsverzeichnis

21

B. Kenntnis der Behörden im Sozialhilferecht ......................................... 330 I. Kein Antragserfordemis .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 330 11. Zweckmäßigkeit eines Antrages. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 330 111. Hinweispflicht des Sozialhilfeträgers ......................................... 330 Kapitel 9 Leistungsumfang

331

A. Höhe und Anpassung der Leistungen ............................................... 331

I. Vorbemerkung ............................................................... 331

11. Die Blindenhilfe nach dem Bundessozialhilfegesetz .......................... 331 1. Anpassungsregelung ...................................................... 331 2. Höhe der Blindenhilfe .... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 331 111. Das Blindengeld nach den Landesgesetzen ................................... 332 I. Landesgesetze mit Bezugnahme auf § 67 BSHG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 332 2. Landesgesetze ohne Bezugnahme auf § 67 BSHG ......................... 333 3. Auswirkung der unterschiedlichen Regelungen ............................ 333 IV. Differenzierung der Blindengeldleistungen nach dem Lebensalter ............ 334 I. Blindenhilfe nach § 67 BSHG ............................................. 334 2. Blindengeld nach den Landesgesetzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 335 V. Leistungen für hochgradig Sehbehinderte .................................... 336 VI. Gesamtüberblick ........................................... . . . ............ . .. 336 B. Bewertung ......................................................................... 339 I. Vereinbarkeit mit dem allgemeinen Gleichheitssatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 339 I. Inhalt des Gleichheitssatzes ............................................... 339 2. Kein Verstoß durch Unterschiede zwischen den Landesgesetzen ........... 340 3. Problem der Differenzierungen im Gesetz über Hilfen für Blinde und Gehörlose von Nordrhein-Westfalen .......................................... 341 4. Problem der altersmäßigen Differenzierung in den übrigen Landesgesetzen 343 Kapitel 10 Beginn und Ende der Leistungen A. Beginn der Leistungen

345 345

I. Landesgesetze ............................................................... 345 1. Rechtsgrundlagen ......................................................... 345 2. Ergebnis ........................................................... . ...... 346

11. Blindenhilfe nach § 67 BSHG ................................................ 346

22

Inhaltsverzeichnis

B. Ende der Leistungen

348

I. Vorbemerkung

348

11. Beendigung der Leistungen durch Erledigung ................................ 348 111. Beendigung der Leistungen durch Verwaltungsakt ............................ 348 1. Regelungen in den Landesgesetzen ....... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 349

2. Ende des Anspruches auf Blindenhilfe nach § 67 BSHG ................... 351 3. Aufhebung ursprünglich rechtmäßiger Verwaltungsakte mit Dauerwirkung

351

a) Für die Zukunft ........................................................ 352 b) Für die Vergangenheit.................................................. 352 c) Auswirkung der Bindung an Statusfeststellungen ....................... 354 4. Rücknahme eines von Anfang an rechtswidrigen Blindengeldbescheides mit Dauerwirkung ......................................................... 355 a) Fallgestaltungen ....................................................... 355 b) Auswirkungen von Statusfeststellungen ................................ 359 5. Rechtslage bei Verwaltungsakten ohne Dauerwirkung ............... . ..... 359 6. Regelungen nach Landesverwaltungsverfahrensgesetzen .................. 360 IV. Erstattung von Überzahlungen ............................................... 362 Kapitel 11 Leistungseinschränkungen und Leistungsausschliisse

362

A. Berücksichtigung anderer Leistungen ..... . ........................................ 362

I. Vorbemerkung ............................................................... 362

11. Ausdrücklicher Ausschluß des Blindengeldanspruches bei zweckgleichen Leistungen ...................................................................... 363 111. Allgemeine Anrechnungsklausel für zweckgleiche Leistungen. . . . . . . . . . . . . . .. 364 1. Rechtsgrundlagen ......................................................... 364

2. Entstehen des Anspruchs oder Erhalt der zweckgleichen Leistung ......... 364 3. Folgen der Anrechnungsklauseln .......................................... 365 a) Erstattungsanspruch ................................................... 365 b) Behandlung von Geld- und Sachleistungen ............................. 366 c) Anrechnung nur öffentlich-rechtlicher oder auch anderer Leistungen... 366 aa) Anrechnung zivilrechtlicher Schadensersatzforderungen . . . . . . . . . .. 367 bb) Berücksichtigung von Unterhaltsansprüchen ....................... 368 4. Beispiele für anrechenbare Leistungen .................................... 368 a) Anzurechnende Leistungen ............................................ 368 b) Nicht anzurechnende Leistungen ....................................... 369

Inhaltsverzeichnis

23

5. Das Ausmaß der Anrechnung ............................................. 370 a) Generelle Regelung... . . .. . . . ... . . . . . .. . . ... . . . .. ... . . . . .. . . .. . . . . . . . .. 370 b) Sonderregelung in Bayern ............................................. 370 IV. Spezielle Anrechnungsklausel für Leistungen bei häuslicher Pflege........... 371 1. Anrechnungsregelungen für Pflegeleistungen in den Landesgesetzen ...... 371

2. Auswirkung der Anrechnungsregelungen auf MindeIjährige ............... 374 a) Gesetzliche Regelungen zugunsten MindeIjähriger ..................... 374 b) Berücksichtigung der Belange MindeIjähriger durch die Rechtsprechung .................................................................. 375 c) Ergebnis............................................................... 376 3. Anrechnungsregelung in § 67 BSHG ...................................... 376 4. Bewertung ................................................................ 377 B. Leistungseinschränkungen bei stationärer Betreuung ............. . .......... . ...... 380 I. Die gesetzlichen Alternativen ................................................ 380 1. Leistungsausschluß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 380

2. Reduzierung bis zu höchstens 50% ........................................ 381 11. Grund und Zulässigkeit der Leistungseinschränkungen ....................... 383 1. Zulässigkeit von Pauschalregelungen ...................................... 383

2. Anforderungen an die Einrichtungen ...................................... 384 a) Grundsätzliche Anforderungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 384 b) Ausdrückliche Qualitätsanforderungen in einzelnen Landesgesetzen ... 386 III. Kostentragung ............................................................... 386 1. Zweckbestimmte Leistungen .............................................. 387

2. Beispiele für zweckgleiche Leistungen .................................... 387 3. Gesetzliche Krankenkassen als Leistungsträger ............................ 388 4. Leistungen durch private Pflegeversicherungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 389 a) Regelungen in den Blindengeldgesetzen ............................... 389 b) Fehlen von Regelungen in den Blindengeldgesetzen .................... 389 IV. Auswirkung von Beginn, Unterbrechung und Ende des Aufenthalts in einer Einrichtung .................................................................. 390 1. Beginn des Aufenthalts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 390

2. Unterbrechung des Aufenthalts ............................................ 392 3. Ende des Aufenthalts. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 393 V. Kürzung bei der Betreuung in teilstationären Einrichtungen .................. 395 1. Gesetzliche Regelungen ................................................... 395

2. Fehlen von gesetzlichen Regelungen ........................ . ............. 397

24

Inhaltsverzeichnis

C. Ausschluß oder Einschränkung anderer Sozialleistungen durch das Blindenge1d

397

I. Der Ausschluß von Sozialleistungen neben dem Blindengeld ................. 398

1. Einschränkungen bei der Hilfe zur Pflege außerhalb von Einrichtungen. . .. 398 2. Ausschluß eines Barbetrages nach § 21 BSHG ............................ 399 3. Kein Mehrbedarf bei ausschließlich auf Blindheit beruhender Erwerbsunfähigkeit .................................................................... 400 11. Die Einschränkung von Sozialleistungen neben Blindengeld . . . . . . . . . . . . . . . . .. 400 I. Hilfe zur Pflege bei von der Blindheit unabhängiger Pflegebedürftigkeit . .. 400 2. Bewertung................................................................ 401 D. Leistungseinschränkung bei Freiheitsentzug........................................ 401 I. Gesetzliche Grundlagen ...................... . . . . . ..................... . . . ... 401

11. Rechtsprechung .............................................................. 403 111. Ergebnis ..................................................................... 404 E. Leistungseinschränkung bei fehlender Verwendbarkeit ............................. 405 I. Rechtsgrundlagen ............................................................ 405

11. Zweck der Bestimmungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 406 111. Anwendungsbereich ......................................................... 406

F. Leistungseinschränkung oder Leistungsausschluß bei Pflichtverletzungen .......... 407 I. Vorbemerkung ............................................................... 407

11. Fehlende Erwerbsbereitschaft ............................. . .......... . ....... 408 I. Rechtsgrundlagen ...................................... . .......... . ....... 408

2. Zweck der Regelungen .................................................... 409 3. Bewertung ............................................. . .......... . ....... 409 a) Hinsichtlich der Blindenhilfe nach § 67 BSHG ......................... 409 b) Hinsichtlich des Blindengeldes nach den Landesgesetzen .............. 411 111. Unterlassung einer Therapie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 411 I. Rechtsgrundlagen ......................................................... 411

2. Grenzen der Zumutbarkeit ................................................ 412 IV. Unterlassene Geltendmachung vorrangiger Ansprüche ....................... 414 I. Grundsatz ........................................................... . ..... 414

2. Rechtsgrundlagen ........................... . .......... . .................. 415

V. Verletzung von Anzeigepflichten ............................................. 415 I. Rechtsgrundlagen in den Landesgesetzen .................................. 415

2. Mitteilungspflicht nach § 60 SGB I ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 416

Inhaltsverzeichnis

25

3. Grenzen der Mitteilungspflicht ............................................ 417 4. Folgen der Verletzung der Mitteilungspflicht .............................. 417 a) Folgen aus den Landesgesetzen ........................................ 417 b) Folgen aus dem SGB I und X .......................................... 418 c) Folgen aus Landesverwaltungsverfahrensgesetzen ..................... 420 Kapitel 12 Rückzahlungsverpflichtungen und Erstattungen

A. Vorbemerkung

420 420

B. Rückzahlungsverpflichtungen ...................................................... 421 I. Rückzahlungsverpflichtungen bei Nachzahlungen anzurechnender Leistungen 421 1. Rechtsgrundlagen ......................................................... 421 2. Erfordernis eines Aufuebungs- und Rückforderungsentscheides ........... 422 3. Besonderheiten im Sozialhilferecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 423 11. Rückzahlungsverpflichtungen bei Überzahlungen, die durch das Fehlen oder den Wegfall von Anspruchsvoraussetzungen entstanden sind ................. 426 1. Erläuternde Beispiele ..................................................... 426 2. Rechtsgrundlagen in den Landesgesetzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 426 3. Erstattung von Überzahlungen nach § 50 SGB X .......................... 428 4. Erstattung nach den Landesverwaltungsverfahrensgesetzen ................ 429 5. Erstattung bei überzahlter Blindenhilfe nach § 67 BSHG .................. 431 a) Erstattungsanspruch nach § 92a BSHG ................................. 431 b) Anwendung von § 50 SGB X im Sozialhilferecht ...................... 432

C. Erstattungsansprüche gegenüber anderen Sozialleistungsträgern .................... 433 I. Vorbemerkung ............................................. . ................. 433

11. Erstattungsansprüche nach dem SGB X ...................................... 433 1. Die Grundtatbestände ..................................................... 433 2. Die Tatbestände im einzelnen ............................................. 434 a) Erstattungsanspruch nach § 102 SGB X ................................ 434 b) Erstattungsansprüche nach den §§ 103 - 105 SGB X ................... 435 aa) Erstattungsanspruch nach § 103 SGB X ......... . ...... . . . ........ 436 bb) Erstattungsanspruch nach § 104 SGB X

436

cc) Erstattungsanspruch nach § 105 SGB X

437

dd) Ausschluß anderer Erstattungsansprüche durch die §§ 102-105 SGB X ............................................................ 439

26

Inhaltsverzeichnis III. Erstattungsansprüche bei fehlender Verweisung auf das SGB X .. . . . . . . . . . . . .. 439

1. Erstattungsanspruch aus öffentlich-rechtlicher Geschäftsführung ohne Auftrag ....................................................................... 440 2. Ausgleich aus dem Institut des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs

441

3. Begrenzung der Erstattungsansprüche ..................................... 442 IV. Erstattungsansprüche des Sozialhilfeträgers ..................... . ............ 442 1. Ansprüche gegen andere Sozialleistungsträger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 442 2. Ansprüche gegen einen anderen Sozialhilfeträger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 443 3. Ansprüche gegen Verpflichtete, auf die das SGB X nicht anwendbar ist.. .. 443 4. Erstattungsansprüche nach §§ 103 ff. BSHG ............................... 444 D. Erstattungsansprüche gegen andere Verpflichtete................................... 447 I. Ansprüche bei Anwendbarkeit des SGB X . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 447 I. Vorbemerkung ............................................................ 447

2. Forderungsübergang gegenüber Schadensersatzpflichtigen ................ 448 3. Ansprüche gegenüber privaten Pflegeversicherungen...................... 450 II. Ansprüche bei fehlender Verweisung auf das SGB X ......................... 453 I. Schadensersatzansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 453

2. Ansprüche gegenüber privaten Pflegeversicherungsträgern ................ 454 III. Erstattungsansprüche des Sozialhilfeträgers gegen andere Verpflichtete . . . . . .. 455 1. Inanspruchnahme schadensersatzpflichtiger Personen ..................... 455 2. Inanspruchnahme unterhaltspflichtiger Personen .......................... 456 3. Inanspruchnahme von Erben .............................................. 457 Kapitel13 Zugriff Dritter auf das Blindengeld

458

A. Vorbemerkung..................................................................... 458 B. Regelungen für den Todesfall ...................................................... 459 I. Sonderrechtsnachfolge oder Vererblichkeit des Anspruches auf Blindenhilfe nach § 67 BSHG ............................................................. 459 II. Regelungen in den Landesgesetzen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 460

1. Landesgesetze ohne Sonderregelungen .................................... 460 2. Landesgesetze mit Sonderregelungen zur Vererblichkeit ................... 462 C. Unzulässigkeit der Abtretung, Verpfandung oder Pfändung ......................... 463 I. Regelungen im SGB I ........................................................ 464

Inhaltsverzeichnis

27

11. Blindengeldgesetze mit Sonderregelungen ................................... 465 1. Blindenhilfe nach § 67 BSHG ............................................. 465 2. Sonderregelungen in Landesgesetzen ...................................... 465 III. Landesgesetze ohne Sonderregelungen ....................................... 466 1. Schutz der Kontenpfandung ............................................... 467 2. Schutz der Bargeldpfandung .............................................. 467 3. Schutz bei fehlender Verweisung auf das SGB I ........................... 467 IV. Zugriff auf angespartes oder nachbezahltes Blindengeld ...................... 467 D. Zugriff Unterhaltsberechtigter auf das Blindengeld ................................. 468

I. Sozialleistungen als Einkommen im Unterhaltsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 468 1. Ursprünglicher Standpunkt der Rechtsprechung ........................... 468 2. Kritik von Scholler-Fuchs ................................................. 469 11. Die gesetzliche Neuregelung durch § 1610a BGB ............... . ............ 470 Kapitel 14

Leistungen für pflegende Angehörige

471

A. Landesrechtliche Regelungen ...................................................... 471 B. Leistungen nach dem Sozialhilferecht ...................... . ....................... 473 KapitellS

Formelles Recht A. Vorbemerkung

473 473

B. Verwaltungsverfahren .............................................................. 474 I. Begriff des Verwaltungsverfahrens ........................................... 474 11. Anwendbarkeit des SGB X bzw. der Verwaltungsverfahrensgesetze .......... 474 1. Geltung des SGB X ....................................................... 474 2. Geltung der Landesverwaltungsverfahrensgesetze ......................... 474 3. Vergleich zwischen dem SGB X und den Verwaltungsverfahrensgesetzen .. 475 4. Verfahrensregelungen in den Landesgesetzen .............................. 475 a) Vom SGB X abweichende Regelungen.. . . . .. . . . . .. ... . . . . . . . .. . . ... ... 476 b) Über die Verweisung hinausgehende Regelungen ...................... 476 aa) Zuständigkeitsregelungen ......................................... 476 bb) AntragsteIlung .................................................... 478 cc) Nachweis der medizinischen Voraussetzungen..................... 478 c) Zulässigkeit der abweichenden oder ergänzenden Regelungen ... . . . . . .. 480

Inhaltsverzeichnis

28

480

C. Rechtsweg

I. Zuständigkeit der Verwaltungs- oder Sozialgerichtsbarkeit für Landesgesetze 480 1. Verwaltungsgerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 480 2. Sozialgerichtsbarkeit ...................................................... 481 11. Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte für die Blindenhilfe nach dem BSHG 481 III. Vergleich zwischen Verwaltungs- und Sozialgerichtsbarkeit .................. 482 1. Erfordernis des Vorverfahrens ............................................. 482 2. Verfahrensgrundsätze ..................................................... 482 3. Zulässigkeit der Berufung................................................. 483 4. Zulässigkeit der Revision ................................................. 484 Kapitel 16 Finanzierung der Blindengeldleistungen

488

A. Regelungen in den Landesblindengeldgesetzen ..................................... 488 B. Erstattungsansprüche ............................................................... 489

Dritter Teil

Sozialpolitische und verfassungsrechtliche Aspekte sowie Empfehlungen zur Weiterentwicklung des Blindengeldrechts

490

Kapitell Sozialpolitische Aspekte A. Vorbemerkung

490 490

B. Zielsetzungen und Merkmale des Blindengeldes .................................... 490 I. Wesentlicher Inhalt des Blindengeldanspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 490 11. Die Hilfebedürfnisse blinder Menschen ...................................... 491 1. Generelle Feststellungen .................................................. 491 2. Hilfebedarf ................................................................ 491 3. Benachteiligungen ........................................................ 492 III. Die sozialpolitische Zweckmäßigkeit des Blindengeldes ...................... 493 1. Persönliche Freiheit bei der Bedarfsdeckung .............................. 493 2. Verwaltungsvereinfachung ................................................ 493 3. Gewährleistung des sozialen Ausgleichs. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 494 4. Sicherung der notwendigen Betreuung .................................... 494 5. Bewertung ................................................................ 494

Inhaltsverzeichnis

c.

29

Übereinstimmung mit sozialpolitischen Bestrebungen .............................. 495 I. Pauschalierte Sozialleistungen ............................................... 495 11. Unabhängigkeit von Einkommen und Vermögen bei Sozialleistungen

495

Kapitel 2 Verfassungsrechtliche Aspekte

496

A. Vorbemerkung ................................. . ..................... . ............. 496 B. Verfassungskonformität des Blindengeldrechts ..................................... 496 I. Das Blindengeldrecht und das Prinzip des sozialen Rechtsstaates ............. 496

1. Inhalt des Prinzips des sozialen Rechtsstaates ............................. 496

a) Das Sozialstaatsprinzip ................................................ 496 b) Die Verschränkung mit dem Rechtsstaatsprinzip ....................... 497 2. Kein Widerspruch zwischen Blindengeld und dem Prinzip des sozialen Rechtsstaates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 498

11. Das Blindengeldrecht und der Gleichheitssatz ................................ 500 1. Vorbemerkung ............................................................ 500

2. Vereinbarkeit mit dem Gleichheitssatz ..................................... 501 a) Vereinbarkeit mit dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) 501 b) Vereinbarkeit mit dem speziellen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG) ................................................................... 503 aa) Die Aufnahme dieser Bestimmung in das Grundgesetz ............ 503 bb) Inhalt von Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG ................................... 504 cc) Rechtfertigende Auswirkung auf das Blindengeldrecht ............ 505 C. Das Problem der verfassungsmäßigen Bestandsgarantie ............ . . . . . . . . . . . . . . .. 506

I. Vorbemerkung ............................................................... 506

11. Die Bedeutung des Prinzips des sozialen Rechtsstaates für den Bestandsschutz ........................................................................ 506 1. Der GestaltungsspieIraum des Gesetzgebers ....................... . ....... 506 2. Keine konkreten Ansprüche aufgrund des Sozialstaatsprinzips ............. 507 3. Wirksamkeit des Prinzips des sozialen Rechtsstaates in Verbindung mit den Grundrechten ......................................................... 508 III. Schutz durch die Unantastbarkeit der Menschenwürde. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 509 1. Die Menschenwürde als Gegenstand des Schutzes ................. . ....... 509

30

Inhaltsverzeichnis 2. Der Umfang des Schutzbereiches nach Rechtsprechung und herrschender Lehre ..................................................................... 510 a) Der Standpunkt der Rechtsprechung ................................... 510 b) Kritik in der Litertatur ................................................. 512 3. Auswirkung auf das Blindengeld .................. . .......... . ............ 513 IV. Schutz durch die Eigentumsgarantie (Art. 14 GG) ............................ 514 1. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Eigentumsschutz sozialrechtlicher Ansprüche ............................................... 514

2. Zustimmung und Kritik in der Literatur ................................... 516 a) Die Auffassung Bogs .................................................. 516 b) Die Auffassung der herrschenden Lehre ................................ 517 aa) Kritik zum Eigentumsbegriff des Bundesverfassungsgerichts ...... 517 bb) Kritik zum Erfordernis der Existenzsicherung ..................... 519 cc) Kritik zur Ausgrenzung nicht beitragsbezogener Leistungen im Rahmen der Sozialversicherung................................... 519 dd) Kritik an der Ausgrenzung steuerfinanzierter Sozialleistungen ..... 520 ee) Kritik an der geringen Schutzwirkung ............................. 522 3. Folgerungen für das Blindengeld .......................................... 522 V. Schutz durch den Gleichheitssatz (Art. 3 GG) ................................ 523 1. Vorbemerkung ............................................................ 523

2. Schranken und Begründungspflicht durch den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) ........................................................ 524 3. Verstärkung der Begründungspflicht durch den speziellen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG) .................................................... 524 4. Die Bedeutung des Rechtsstaatsprinzips im Rahmen des Gleichheitssatzes 525 a) Vorbemerkung ...................................... . .......... . ....... 525 b) Bestands- und Vertrauensschutz ........................................ 526 c) Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ..................................... 528 5. Auswirkung auf das Blindengeld .......................................... 529 VI. Weitere sich aus dem Rechts- und Sozialstaatsprinzip ergebende Grundsätze 530 1. Erfordernis sozialer Gerechtigkeit ......................................... 530

2. Beachtung des sozialen Schonungsgebotes ................................ 530 3. Grenzen für rückwirkende Eingriffe ....................................... 531 4. Übergangsregelungen bzw. Besitzstandsklauseln .......................... 532 D. Zusammenfassung ........................ . ................................ . ....... 532

Inhaltsverzeichnis

31

Kapitel 3 Beurteilung der Blindengeldregelungen im Vergleich zueinander

533

A. Zulässigkeit unterschiedlicher Regelungen ................................. . ....... 533 I. Gesetzgebungskompetenz ............................................ . ....... 533 11. Kein verfassungsrechtlicher Harmonisierungszwang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 534 B. Gravierende Unterschiede in den Blindengeldgesetzen ............................. 534 I. Fehlende grenzüberschreitende Harmonisierung ........... . .................. 534

11. Unterschiedlicher Leistungsumfang .......................................... 534 IIl. Unterschiedliche Anrechnung anderer Sozialleistungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 535 IV. Unterschiede hinsichtlich des berechtigten Personenkreises . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 535 V. Unterschiedliches Verfahrensrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 535

c. Beurteilung .................... . ..................... . ............................. 535 Kapitel 4 Empfehlungen zur Weiterentwicklung des Blindengeldrechts

535

A. Vorbemerkung ..................................................................... 535 I. Bemerkungen zum Umbau des Sozialstaates ................................. 536

11. Denkbare Wege für eine Weiterentwicklung des Blindengeldrechtes .......... 536 B. Übergang zu einer Versicherungslösung ............................................ 537 I. Vorteile einer Versicherungslösung ........................................... 537

1. Bestandsgarantie .......................................................... 537 2. Beseitigung der Probleme des grenzüberschreitenden Geltungsbereiches ... 537 3. Einheitlicher Leistungsumfang ............................................ 537 4. Keine Bedenken wegen Unabhängigkeit von Einkommen und Vermögen .. 538 11. Realisierbarkeit ............................................. . . . .............. 538 1. Gesetzgebungskompetenz des Bundes ..................................... 538

2. Strukturmerkmale einer Versicherung ..................................... 538 IIl. Zweckmäßigkeit einer Versicherungslösung .......................... . ....... 539 1. Eigenständige Versicherung für das Lebensrisiko "Erblindung" .... . .. . . . .. 539 2. Einbindung in die soziale Pflegeversicherung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 539 a) Strukturprobleme bei Einbeziehung in die soziale Pflegeversicherung .. 540 aa) Problem der Pflegebedürftigkeit und der Zweckbestimmung ....... 540 bb) Notwendige Konsequenzen ........................................ 542

32

Inhaltsverzeichnis b) Problem der Leistungsanpassung ....................................... 545 c) Blindenhilfe nach § 67 BSHG als notwendige Ergänzung .............. 545 IV. Bewertung ................................................................... 546

C. Übergang zu einer bundesgesetzlichen Leistung bei Abschaffung der Landesgesetze 546 I. Vorteile ...................................................................... 546 11. Lösungsmöglichkeiten ....................................................... 546 111. Bewertung ................................................................... 549 D. Weiterentwicklung des bisherigen Blindengeldsystems ............................. 549 I. Weiterentwicklung der Blindenhilfe nach § 67 BSHG ........................ 549

1. Bedeutung der Blindenhilfe nach § 67 BSHG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 549 2. Änderungsvorschläge für die Blindenhilfe ................................. 550 a) Änderung der Anrechnungsregelung nach Abs. I S. 2 .......... . . . ..... 550 b) Ergänzung von Abs. 3 ................................................. 550 c) Streichung der Wohlverhaltensklausel in Abs. 4 S. 1 ................... 550 d) Änderung der Bestimmung für Minderjährige in Abs. 2 ................ 551 11. Weiterentwicklung der Landesgesetze ........................................ 551

1. Ziel einer Weiterentwicklung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 551 2. Änderungsvorschläge für die Landesgesetze ............................... 552 a) Harrnonisierung hinsichtlich der grenzüberschreitenden Regelungen ... 552 b) Leistungshöhe und Leistungsanpassung ................................ 553 c) Anrechnung der Leistungen bei häuslicher Pflege nach dem SGB XI ... 553 d) Leistungsausschluß bei stationärer Betreuung .......................... 554 e) Leistungen während eines richterlich angeordneten Freiheitsentzuges .. 554 f) Fehlende Erwerbsbereitschaft .......................................... 554

g) Einbeziehung weiterer Behindertengruppen ............................ 555 III. Schlußbemerkung ............................................................ 555 Anhang Text der Landesblindengeldgesetze

Baden-Württemberg

556 556

Bayern ................................................................................ 559 Berlin

561

Berlin

566

Inhaltsverzeichnis

33

Brandenburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 567 Bremen ............. .. . ....................... . ......................... . .............. 572 Hamburg .............................................................................. 575 Hessen ...... .......................................................................... 577 Mecklenburg-Vorpommem ........ . .......... . ........................................ 580 Niedersachsen ......................................................................... 583 Nordrhein-Westfalen ................................................................... 586 Rheinland-Pfalz ....................................................................... 588 Saarland ............................................................................... 591 Sachsen ...................................... . ........................... . ............ 594 Sachsen-Anhalt ........................................................................ 599 Schleswig-Holstein ... . ............ . .......... . ............ . ........................... 601 Thüringen ............................................................................. 603 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 607 Sachverzeichnis. . . .. . . . . .. . . . .. . . . . . .. . . . . . . . .. . .. .. . . . .. . . . .. . . . . . . .. . . .. .. . . .. .. . . .. 619

3 Demmel

Einleitung Blinde Menschen erhalten in der Bundesrepublik Deutschland zur Sicherung ihrer Eingliederung in die Gesellschaft unterschiedlichste Sozialleistungen. Soweit die Blindheit ihre Ursache in einem Sonderopfer hat, wie z. B. in einer Kriegsbeschädigung, Wehrdienstbeschädigung, Zivildienstbeschädigung, Impfschädigung oder Schädigung durch eine Gewalttat, sind die Hilfen im Bundesversorgungsgesetz (BVG) verankert. Wenn die Erblindung Folge eines Arbeitsunfalles ist, ergeben sich die Hilfeleistungen aus dem SGB VII. Ist die Erblindung Folge eines Dienstunfalles, den ein Beamter erleidet, so ist das Beamtenversorgungsgesetz einschlägig. Auch für Blinde, deren Sehverlust nicht auf einer der genannten Ursachen beruht, hält das Sozialrecht eine Fülle von Leistungen bereit. Diese finden sich, soweit es sich um medizinische Maßnahmen handelt, im SGB V (z. B. Ausstattung mit Hilfsmitteln nach § 33 SGB V), soweit es sich um die Eingliederung in das Arbeits- und Berufsleben handelt, im SGB III und im Schwerbehindertengesetz bzw. im SGB IX, dessen zweiter Teil seit 01. 07. 2001 das Schwerbehindertengesetz ersetzt hat, und im übrigen im Bundessozialhilfegesetz (BSHG) insbesondere im Rahmen der Eingliederungshilfe (§§ 39 ff. BSHG). Auch das Steuerrecht begünstigt behinderte Menschen z. B. durch die Einräumung pauschaler Abzugsbeträge nach § 33b EStG zum Ausgleich außergewöhnlicher Belastungen '. Zum Ausgleich der blindheitsbedingten Mehraufwendungen und Nachteile sehen sowohl das soziale Entschädigungsrecht (§§ 31 - Grundrente - und 35 Pflegegeld - BVG) als auch das Sozialversicherungsrecht (§ 44 Abs. 1 SGB VII) und das Beamtenrecht (§§ 34 und 35 Beamtenversorgungsgesetz) laufende Geldleistungen vor. Nach diesen gesetzlichen Bestimmungen werden solche Leistungen allerdings nicht nur für Blinde, sondern auch für andere Behinderte erbracht. Trotz der seit Anfang des 19. Jahrhunderts einsetzenden Blindenbildung und der darauf basierenden Eingliederung in die Arbeitswelt zeigte es sich, daß eine befriedigende gesellschaftliche Eingliederung nur erreicht werden konnte, wenn ein Ausgleich für die dauernden blindheitsbedingten Mehraufwendungen und Nachteile geschaffen wurde.

1 Vgl. zu den Sozialleistungen für Blinde Hennies: "Der Blinde im geltenden Recht" und zur Entwicklung des öffentlichen Blindenrechtes Scholler/Krause, S. 25 ff., zur Entwicklung des Sozialhilferechts, S. 48 ff. und zur Entwicklung der beruflichen und sozialen Rehabilitation S. 60 ff.

3*

36

Einleitung

Deshalb sind nach dem Zweiten Weltkrieg in den Bundesländern durch Landesgesetze und im Rahmen des BSHG durch § 67 BSHG (Blindenhilfe) Blindengeldregelungen auch für diejenigen Blinden erlassen worden, die keinen entsprechenden kausal begründeten Anspruch nach den oben genannten Gesetzen hatten. Diese Personen wurden als "Zivilblinde" oder "Friedensblinde" bezeichnet. Es hat sich ein aus den vorrangig eingreifenden Leistungen nach den Landesgesetzen und der ergänzend hinzutretenden Blindenhilfe nach § 67 BSHG bestehendes "Blindengeldsystem " entwickelt, das eine besondere Komplexität aufweist2 . Dieses Blindengeldsystem war und ist bis in die Gegenwart ständigen Veränderungen unterworfen. Einer Aufwärtsentwicklung mit einem starken Bestreben nach Vereinheitlichung bis zum Anfang der 80er Jahre folgten seither wiederholte Eingriffe im Rahmen des allgemein zu beobachtenden Abbaus von Sozialleistungen. Weil die Landesblindengeld- bzw. Landespflegegeldgesetze im Zusammenspiel mit der Blindenhilfe nach § 67 BSHG eine einmalige Erscheinung innerhalb des Sozialrechts darstellen, wird dieses System zum Gegenstand dieser Untersuchung gemacht.

A. Gang der Untersuchung Für eine sinnvolle Weiterentwicklung des "Blindengeldsystems" kann die Darstellung der historischen Entwicklung und ein systematischer Vergleich der Landesgesetze hilfreich sein3 . Im ersten Teil wird die Entwicklung der Blindengeldgesetze dargestellt. Im zweiten Teil folgt ein systematischer Vergleich der einzelnen Gesetze. Im dritten Teil folgt die Bewertung des gegenwärtigen Blindengeldrechts. In diesem Zusammenhang wird zunächst auf die sozialpolitischen Aspekte eingegangen, weil diese die Grundlage für das Blindengeldrecht bilden. Danach wird 2 Spezielle Leistungen für Blinde, einschließlich von Blindengeldleistungen oder Blindenrenten bzw. Zuschlägen von Renten, werden auch in anderen Ländern gewährt. Vgl. Scholler: Enzyklopädie des Blindenwesens, Belgien, S. 66; Dänemark, S. 103; Finnland, S. 212; Griechenland, S. 236; Großbritannien, S. 247; Irland, S. 280; Island, S. 281; Luxemburg, S. 325; Norwegen, S. 357; Österreich, S. 362; Schweden, S. 406; Schweiz, S. 413 und Ungarn, S. 453. Ein ausgeprägtes Blindengeldsystem, wie es in der Bundesrepublik, bedingt aufgrund des föderalistischen Staatsaufuaues, besteht, findet sich unter diesen Gesetzen nicht. 3 Hier kann nichts anderes gelten als für den internationalen Rechtsvergleich. Zur Bedeutung des Rechtsvergleichs für die Weiterentwicklung des Rechts vgl. Großfeld, S. 37. Notwendig ist eine dogmatische Durchdringung, also eine systematische Vergleichung: Großfeld, S. 23 f. Vgl. auch Maydell, Bernd v.: Sozialpolitik und Rechtsvergleich, in: FS für Zacher, S. 591 ff.; Eichenhofer: Einführung in die Sozialrechtsvergleichung, NZS, 1997, S. 97 ff.; Zacher: Vorfragen zu einer Methode der Sozialrechtsvergleichung, in: Zacher, Methodische Probleme des Sozialrechtsvergleichs, 1977, S. 21 ff.; Eichenhofer: Sozialrechtsvergleich und Sozialrechtspflege in: SGB 1997, S. 257 ff.

Einleitung

37

geprüft, inwieweit das Blindengeldrecht mit dem Verfassungsrecht konform ist. In einem weiteren Schritt wird geprüft, in welchem Umfang ein verfassungsrechtlicher Bestandsschutz besteht. Schließlich wird zu den bestehenden Unterschieden in den Landesgesetzen Stellung genommen. Aufgrund der gewonnenen Erkenntnisse schließen sich im dritten Teil Empfehlungen zur Weiterentwicklung des Blindengeldrechts an. Die Arbeit wurde im Juli 2001 abgeschlossen. Nachträglich ist noch auf die nach diesem Zeitpunkt erfolgte Gesetzesänderung in den Ländern Bremen, Schleswig-Holstein und Sachsen eingegangen worden. Außerdem wurde noch auf die Umstellung der Leistungen auf Euro zum 01. 01. 2002 hingewiesen. Bei der Untersuchung des Blindengeldrechtes wurde besonderer Wert auf die Berücksichtigung der einschlägigen Rechtsprechung bis zur Gegenwart gelegt. Dankbar bin ich den zuständigen Behörden, Gerichten und Organisationen, die meine Anfragen zur Verwaltungspraxis und zur Rechtsprechung stets rasch und bereitwillig beantwortet haben.

Erster Teil

Die Entwicklung der Blindengeldregelungen für Zivilblinde in Deutschland Vorbemerkung Rund 180.000 blinde Menschen leben in der Bundesrepublik Deutschland. Sie müssen in einer vorwiegend optisch ausgerichteten Gesellschaft zurechtkommen. "Eine Welt, die sich darauf eingerichtet hat, Informationen vorwiegend optisch zu vermitteln", erschließt sich blinden Menschen schwerer als sehenden. Für Bedürfnisse des täglichen Lebens müssen Blinde mehr aufwenden als die Sehenden. Im Arbeitsleben sind die Chancen Blinder eingeengt, ihre Zukunftsaussichten geringer l . Der Blinde muß sich "ein spezielles Informationssystem aneignen, er bedarf besonderer Ausbildung, und trotz allem bleibt er in Wettbewerbssituationen mit dem Sehenden aussichtslos zurück,,2. Der Blinde ist "weit mehr als andere Menschen auf mitmenschliche Hilfe angewiesen,,3. Vielfältige Hilfen stehen blinden Menschen im Rahmen unserer Rechtsordnung für ihre medizinische, schulische, berufliche und gesellschaftliche Eingliederung, kurzum, für ihre Rehabilitation, zur Verfügung4 . Trotz aller Eingliederungshilfen, die in der Regel vorübergehender Natur sind und mit der Erreichung des Zieles, z. B. Beendigung der Ausbildung oder Umschulung, wegfallen, bleiben blinde Menschen lebenslänglich auf Hilfen angewiesen, die es ihnen ermöglichen, die durch die Blindheit verursachten Nachteile wenigstens teilweise auszugleichen. Diesem Ausgleich dient u. a. das Blindengeld oder Blindenpflegegeld. Blindengeld oder Blindenpflegegeldleistungen werden aufgrund spezieller Versorgungssysteme erbracht, wenn die diesen Systemen entsprechende Ursache für die Erblindung maßgebend ist. Solche speziellen Versorgungssysteme sind das Bundesversorgungsgesetz und die Gesetze, die das Bundesversorgungsgesetz für entsprechend anwendbar erklären, bzw. das SGB VII für Arbeitsunfallopfer. I

2 3

4

Vgl. Hennies, S. 8 Scholler I Krause, Vierteljahresschrift für Sozialrecht, Bd. V, 1977, S. 281 ff. Hennies, a. a. O. Vgl. Hennies, S. 10 ff. und S. 18 ff.

Kap. I: Die Entwicklung bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges

39

Für Blinde, die keine Ansprüche nach diesen speziellen Versorgungssystemen haben, hat sich ein einzigartiges System, bestehend aus dem Bundessozialhilfegesetz als Bundesgesetz und Landesgesetzen, entwickelt. Daß dieses besondere System von Blindengeldgesetzen entstehen konnte, hängt mit dem föderalistischen Aufbau der Bundesrepublik und den damit zusammenhängenden Gesetzgebungskompetenzen sowie der historischen Entwicklung zusammen. Kurz zusammengefaßt gibt es gegenwärtig in sämtlichen Bundesländern der Bundesrepublik Deutschland Landesgesetze, die Blinden zum Ausgleich der blindheitsbedingten Mehraufwendungen und Nachteile eine Geldleistung (als Blindenhilfe, Blindengeld oder Blindenpflegegeld bezeichnet) gewähren. Die Leistungen sind unabhängig von Einkommen und Vermögen. Nach § 67 BSHG bekommen Blinde eine entsprechende Blindenhilfe nach diesem Gesetz, soweit sie "keine gleichartigen Leistungen nach anderen Rechtsvorschriften" erhalten (§ 67 Abs. 1 S. 1 BSHG). Die Einkommens- und Vermögensgrenzen des Bundessozialhilfegesetzes (§§ 76 ff., insbesondere § 81 Abs. 2 bzw. § 88 BSHG) sind zu beachten. Blindheit liegt sowohl nach dem BSHG als auch nach den Landesgesetzen vor, wenn das Sehvermögen auf dem besseren Auge nicht mehr als 1/50 beträgt oder wenn bei besserem Sehvermögen nicht nur vorübergehende Störungen von einem solchen Schweregrad vorhanden sind, daß das einem Sehrest von nicht mehr als 1/50 gleichkommt (§ 76 Abs. 2a Nr. 3a BSHG). Die Blindenhilfe nach § 67 BSHG tritt ein, wenn z. B. bei Wohnsitzverlegung oder Aufenthalt außerhalb eines Landes infolge fehlender Harmonisierung der Landesgesetze oder wegen niedrigerer Leistungen nach einem Landesgesetz Lücken auftreten. § 67 BSHG hat somit eine Auffangfunktion. Ein langer Weg war bis zum gegenwärtigen Stand des Blindenge1drechtes zurückzulegen. Zu unterscheiden ist die Periode bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges, in welcher die Idee einer staatlichen Blindenhilfe zwar entwickelt, aber nicht verwirklicht werden konnte, und die Zeit seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges.

Kapitell

Die Entwicklung bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges A. Vorbemerkung Die Entwicklung des öffentlichen Blindenrechts, innerhalb dessen das Blindengeld einen wesentlichen Teil bildet, hat vom mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Asyl- und Armenrechtsdenken zum modernen Sozialleistungsdenken ge-

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I. Teil: Entwicklung der Blindengeldregelungen für Zivilblinde in Deutschland

führt 5 • Bei ihrer Emanzipation sahen die Blinden im Staat den Partner, der zu Unabhängigkeit von privater Fürsorge helfen konnte6 . Weil der Blinde im existenziellen Wettbewerb mit den Sehenden aber trotz Bildung und Ausbildung zurückbleibt, erhob sich bald die Forderung nach einer staatlichen Rentenleistung 7 •

B. Ausgangssituation I. Beginn der Blindenbildung Die Bildung und Ausbildung Blinder begann im deutschsprachigen Raum 1804 durch Johann Wilhelm Klein (1765 -1848)8.

11. Erste Forderungen auf laufende Unterstützung für Blinde 1. Die Vorstellung Johann Knies

Schon 1834 hatte der blinde Pädagoge und Gründer der Blindenanstalt in Breslau, Knie, bei einer öffentlichen Veranstaltung in Halle, die der Gründung eines Unterstützungsvereins dienen sollte, geäußert: "Bereits an einem anderen Orte habe ich es unverhohlen ausgesprochen, daß sehr viele in Unterrichtsanstalten erzogene Blinde allen Bemühungen ungeachtet nicht dahin gebracht werden können, sich ihren ganzen Unterhalt zu erwerben, und daß man solchen Blinden, wenn sie nicht wieder zu Bettlern werden sollen, durch eine bleibende Unterstützung zu Hülfe kommen muß, welche hinreichend ist, die Lücke zwischen ihrem Erwerb und ihrem Bedarf zu füllen. . .. ,,9 Knie sah eine mögliche Lösung, dem Geist der damaligen Zeit entsprechend, im Bereich der privaten Wohltätigkeit. 2. Die Forderung einer Blindenversicherung durch Friedrich Scherer

Der ebenfalls blinde Pädagoge Friedrich Scherer, geb. am 05. 09. 1823, schlug demgegenüber die Existenzsicherung für blinde Menschen durch die Leistungen aus einer allgemeinen "Blindenversicherung" vor IO . 1880 forderte Scherer von der Scholler / Krause, S. 27f Scholler/Krause, S. 3lf 7 Scholler / Krause, S. 32 8 Pöschl, S. 10, Schuber, S. 297, Wanecek, S. 38 ff.; zur Entstehung der Blindenschulen in Deutschland vgl. Scholler/Krause, S. 26 9 Knie: "Pädagogische Reisen", S. 233f 10 Scherer: "Vorträge", S. 79 ff. 5 6

Kap. 1: Die Entwicklung bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges

41

Regierung des Königreiches Bayern die Regelung der "permanenten Unterstützung aller Blinden durch den Staat"ll. Der bayerische Innenminister, Freiherr v. Feilitzsch, antwortete am 30. 09. 1880, er werde, soweit es seine Stellung ihm ermögliche, "nicht verfehlen", der Besserung des traurigen Loses der Blinden und der Hebung ihrer materiellen Lage" seine "wärmste Teilnahme zuzuwenden,,12. 3. Die Forderung einer Blindenrente durch Konrad Luthmer

Die Forderung nach einer Blindenrente wurde auf dem "ersten Blindentag", der vom 19. bis 21. 09. 1908 in Hannover stattfand, erhoben. Dieser erste Blindenkongreß wurde von dem blinden Konrad Luthmer als Privatmann einberufen. Die meisten Vertreter der sich zu dieser Zeit bildenden Blindenvereine lehnten diesen Kongreß ab 13 . Das von Luthmer verfaßte Immediatsgesuch an den deutschen Kaiser und König von Preußen wurde 1909 ablehnend verbeschieden 14 .

c. Die Entstehung der Blindenselbsthilfe und ihre Bedeutung für die Rechtsentwicklung

I. Die Blindenfürsorgevereine

Für die Weiterentwicklung der Situation der blinden Menschen war und ist die Tätigkeit der Blindenselbsthilfeorganisationen von herausragender Bedeutung. Zunächst waren es im 19. Jahrhundert neben den Schulen die Fürsorgevereine, die sich in caritativer Weise um die Ausbildung, Beschäftigung und Unterstützung der Blinden kümmerten. Diese Fürsorgevereine wurden von den Leitern und Lehrern der Blindenanstalten und privaten Wohltätern getragen 15 . Aufgabe dieser Vereine war es, Blinde individuell zu unterstützen, z. B. durch Beschaffung von Arbeit, Gewährung von Krediten und Krankengeldern, Abnahme und Vertrieb der handwerklich hergestellten Produkte, wie z. B. Körbe, Bürsten, Besen und Seilerwaren, oder auch durch die Übernahme von Spezialaufgaben, wie den Druck von Blindenbüchern 16 .

15

Scherer: "Vorträge", S. 7 und S. 79. Scherer: "Vorträge", S. 79. Reuss: "Werden und Wachsen der deutschen Blindenselbsthilfe", S. 30. Reuss, S. 36. Scholler/Krause, S. 29.

16

Me1l, S. 819.

II

12 13 14

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1. Teil: Entwicklung der Blindengeldregelungen für Zivilblinde in Deutschland

11. Vereinigungen als Ort der Selbsthilfebewegung

Der durch Schule und Berufsausbildung mündig gewordene Blinde und Sehbehinderte wollte seine berufliche und gesellschaftliche Existenz selbst in die Hand nehmen und "unabhängig von fremdbestimmter Fürsorge" werden 17. Als Weg dazu bot sich die Gründung von Vereinen und Genossenschaften an. 1. Die Bedeutung der Vereine und Genossenschaften im 19. Jahrhundert

Der Verein trat im 19. Jahrhundert zunehmend an die Stelle der früheren ständischen Bindungen und der durch die Zünfte auferlegten Schranken. Der notwendige Interessenausgleich konnte vom einzelnen nicht bewirkt werden, Zusammenschlüsse wurden erforderlich. Häufig war die Vereinsgründung eine Reaktion auf aktuelle Krisen. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts war die Vereinsbildung zur Massenbewegung geworden l8 . Ein- und Verkaufsgenossenschaften halfen bei der Überwindung wirtschaftlicher Schwierigkeiten 19.

2. Die Gründung von örtlichen und regionalen Blindenvereinen

Ziele der sich zunächst formlos bildenden Zusammenschlüsse Blinder waren neben der Geselligkeit die materielle Unterstützung sowie die Vermittlung von Arbeitsnachweisen für Handwerker, Klavierstimmer und Sprachlehrer. a) Die Hamburger Blindengenossenschaft Der erste formale Zusammenschluß Blinder in Deutschland war im Jahre 1872 die "Blindengenossenschaft in Hamburg". Bei ihr handelte es sich weniger um eine Genossenschaft als um einen Verein. Sie unterhielt einen Arbeitsnachweis, eine Unterstützungs- und Krankenkasse und pflegte die Geselligkeit. Die Unterstützungskasse gewährte Darlehen, die Krankenkasse zahlte ein Krankengeld von 12,00 RM pro Woche für die ersten 13 Wochen, 6,00 RM für die folgenden 13 Wochen. Außerdem gab es ein Sterbegeld20 . Aus der Hamburger Blindengenossen-

Scholler/Krause, S. 29. Hartwig: "Vereinswesen", S. 19. 19 Zu verweisen ist auf die von Raiffeisen (1818-1888) und Schulze-Delitzsch (18081883) im gewerblichen und landwirtschaftlichen Bereich ins Leben gerufene Genossenschaftsbewegung. 20 Reuss, S. 18f. 17

18

Kap. I: Die Entwicklung bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges

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schaft ging der Blindenverein Hamburg, jetzt Blinden- und Sehbehindertenverein Hamburg e. v., hervor. b) Die Berliner Blindengenossenschaft Am 05.07. 1874 gründete der blinde Domorganist earl Franz die Blindengenossenschaft Berlin, jetzt Allgemeiner Blinden- und Sehbehindertenverein Berlin, gegr. 1874 e. v. 21 . c) Die Blindenselbsthilfebewegung in Bayern In Bayern wurde 1903 von Blinden mit dem "Bayerischen Blindenhort" die erste Selbsthilfeorganisation in Bayern gegründet22 . 1909 folgte in Aschaffenburg die Gründung des Vereins der Blinden Nordbayerns e. v. 23 . Am 13. 06. 1920 wurde die Satzung des Bayerischen Blindenbundes beschlossen. Die Eintragung in das Vereinsregister erfolgte am 22. 07. 1920. Sowohl der Bayerische Blindenhort als auch der Verein der Blinden in Nordbayern gingen in dieser Selbsthilfeorganisation auf24 • 3. Die Blindenbewegung auf Reichsebene

Nachdem sich auf örtlicher Ebene oder auch überregional, wie z. B. im Bayerisehen Blindenhort oder im Verein Blinder Nordbayerns, Blindenselbsthilfeorganisationen gebildet hatten, strebten diese zur Interessenvertretung auf Reichsebene eine reichsweite Organisation an. a) Der "Erste Deutsche Blindentag" Zur Vorbereitung der Gründung des Reichsdeutschen Blindenverbandes fand in der Zeit vom 0 1. - 04. 06. 1909 in Dresden der "erste Deutsche Blindentag" statt. Er faßte u. a. folgenden Beschluß: "Der erste Deutsche Blindentag in Dresden beschließt, daß ein Bund von Blindenvereinen in Deutschland gegründet werden soll. Es wird eine Kommission von fünf Mitgliedern ernannt, welche die Satzung 21 Reuss, S. 19. Eine Auflistung von Gründungen weiterer Blindengenossenschaften findet sich bei Scholler I Krause, S. 29 f. 22 Demmel, S. 96 f. 23 Demmel, S. 99 f. 24 Demmel, S. 129 ff., 131; die Akten über die Vereinsgründung werden seit der Verlegung des Sitzes im Jahre 1930 nach München beim Amtsgericht München - Registergericht unter Az. 3193 verwahrt.

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1. Teil: Entwicklung der Blindengeldregelungen für Zivilblinde in Deutschland

beraten und mit den Vereinen verhandeln sowie nach Gründung der Dachorganisation den Bundesvorstand bilden sollen." Die Referate und Diskussionen des ersten deutschen Blindentages befaßten sich vor allem mit Bildungs- und Berufsproblemen. Im Gegensatz zum Kongreß von 1908 in Hannover wurde die Rentenfrage vom ersten Blindentag 1909 in Dresden nicht behandelt25 . b) Die Gründung des Reichsdeutschen Blindenverbandes Die Gründung des Reichsdeutschen Blindenverbandes erfolgte anläßlich des zweiten Deutschen Blindentages, der vom 22. - 25. 07. 1912 in Braunschweig stattfand. Neben der Gründung des Reichsdeutschen Blindenverbandes standen wiederum Berufsfragen im Vordergrund; die Blindenrente stand nicht zur Debatte26 . Die Gründung des Reichsdeutschen Blindenverbandes erfolgte am 25.07. 1912. Zu den Zielen führte F. W. Vogel (Hamburg) aus: "Der zu gründende Verband erstrebt die Wahrung der Interessen aller in Deutschland wohnenden Blinden sowie Besserung ihrer wirtschaftlichen Lage. Die Selbständigkeit und Bewegungsfreiheit der angeschlossenen Vereine werde dabei nicht eingeschränkt27 ." § 2 der von der Vertreterversammlung, die am 16., 17. und 18.07. 1913 in Berlin stattfand, angenommenen Satzung legt die Vereinsziele fest. Er lautet: ,,zwecke des Verbandes sind: 1. Förderung und Vertretung der den Blinden des Deutschen Reiches gemeinsamen wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und geistigen Interessen. 2. Förderung aller Bestrebungen auf Ausbau der lokalen und Landesorganisationen unter Vermeidung jeder Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Vereine. 3. Errichtung und Erhaltung einer Zentrale für das Blindenwesen28 ." Ein von Paul Siegel eingebrachter Vorschlag für eine Blindenrente stieß auf Ablehnung. Erst anläßlich des zweiten Verbandstages, der vom 29. - 30. 07. 1914 in Bielefeld stattfand, wurde die von einigen Blindenvereinen erhobene Forderung nach speziellen Ausgleichsleistungen für Blinde als Programmpunkt des Reichsdeutschen Blindenverbandes aufgenommen. Die Ausgleichsleistungen sollten als Sonderleistungen an Blinde im Rahmen der geltenden Gesetze erfolgen. Diese zaghaften Schritte wiesen noch keinen Weg über die Armenfürsorge hinaus.

25 26

27 28

Scholler / Krause, S. 33; Reuss, S. 42 ff. Scholler/Krause, S. 33; Reuss, S. 56 ff. Reuss, S. 58. Reuss, a. a. O.

Kap. 1: Die Entwicklung bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges

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c) Die Gründung des Deutschen Blindenverbandes Die Nachfolgeorganisation des Reichsdeutschen Blindenverbandes ist der am 18. und 19. 10. 1949 in Meschede gegründete Deutsche Blindenverband e. v. 29 . d) Die Selbsthilfeorganisation der Kriegsblinden Die Kriegsblinden gründeten als ihre Selbsthilfeorganisation am 05.03. 1916 in Berlin den "Bund erblindeter Krieger e. v.", jetzt "Bund der Kriegsblinden Deutschlands e. v.,,30. e) Der Verein blinder Akademiker Deutschlands Als Interessenvertretung der blinden Geistesarbeiter wurde 1916 in Marburg der "Verein blinder Akademiker Deutschlands e. V. (VBAD), später "Verein der blinden Geistesarbeiter Deutschlands e. v.", jetzt "Deutscher Verein der Blinden und Sehbehinderten in Studium und Beruf e. v.", gegründet 31 . In diesem sind sowohl Kriegs- als auch Zivilblinde organisiert.

D. Das Fürsorgerecht in der Weimarer Republik I. Die durch den Ersten Weltkrieg veränderte Lage

Der Erste Weltkrieg (1914-1918) hatte im politischen und sozialen Bereich wesentliche Änderungen zur Folge. Das 1871 gegründete Kaiserreich wurde durch die Weimarer Republik abgelöst. 1. Annenfürsorge als Ausgangspunkt

Vor dem Ersten Weltkrieg war auf dem Gebiet der sozialen Fürsorge durch reichs gesetzliche Normen nur die Armenfürsorge, und zwar durch das Reichsgesetz über den Unterstützungswohnsitz vom 06. 06. 1870 (RGB!. S. 360) in der Fassung vom 30. 05. 1908 (RGB!. S. 381) geregelt. Hilfsbedürftige hatten keinen Rechtsanspruch auf Unterstützung. Aufgabe war die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, somit eine polizeirechtliche Zielsetzung.

29 30 3!

Gottwald, S. 16. Reuss, S. 104. Reuss, S. 103.

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1. Teil: Entwicklung der Blindengeldregelungen für Zivilblinde in Deutschland

2. Anpassung an die veränderte Lage durch Spezialgesetze

Durch die Kriegsfolgen und die damit verbundene Inflation wurden Bevölkerungsschichten hilfebedürftig, "deren Not vorwiegend auf die Folgen des Krieges und der Geldentwertung zurückzuführen war,,32. Diesen Notständen wurde zunächst durch Spezial gesetze begegnet33 .

11. Die Neuregelung des Fürsorgerechts 1. Grundlagen und Grundsätze

Trotz des zwischen den Regelungen für die Kriegsbeschädigten und Kriegshinterbliebenen, Sozial- und Kleinrentner, bedürftige und nicht versicherte Wöchnerinnen und hilfsbedürftige Jugendliche bestehenden inneren Zusammenhangs wichen diese verschiedenen Arten der Fürsorge, die unter dem Namen "Kriegshilfe" zusammengefaßt wurden, nicht unerheblich voneinander ab. 2. Die Fürsorgepflichtverordnung

Hier sollte durch die Verordnung über die Fürsorgepflicht vom 13. 02. 1924 (RGBI. I, S. 100) und die aufgrund des § 6 Abs. 2 in Verbindung mit § 32 Abs. 2 der Verordnung über die Fürsorgepflicht erlassenen Reichsgrundsätze über Voraussetzung, Art und Maß der öffentlichen Fürsorge vom 04. 12. 1924 (RGBI. S. 765) Abhilfe geschaffen werden. Ziel war es, die Fürsorge nach einheitlichen Grundsätzen zu regeln, ihren Vollzug zu vereinfachen und zu verbilligen. Art und Umfang der Fürsorge sollten aber nicht "auf ein Gleichmaß" herabgedrückt werden, "wo die Verhältnisse Verschiedenartigkeit erfordern und ertragen,,34. Eine Einheitsfürsorge, die alle Hilfsbedürftigen ohne Rücksicht auf Art und Ursache der Not gleichbehandelte, wurde abgelehnt. Diese Verordnungen versuchten vielmehr, den Gedanken zu verwirklichen, den die im Jahre 1923 gefertigte Denkschrift des Reichsarbeitsministeriums über die Vorarbeiten zu einem Reichswohlfahrtsgesetz zum Ausdruck gebracht hatte. "Daß für Hilfsbedürftige, die durch die besonderen 32 Richter: "Die Verordnung über die Fürsorgepflicht, ("Reichsarbeitsblatt", Jahrgang 1924, S. 106 ff., zitiert nach Streh\, "Handbuch der Blindenwohlfahrt", S. 188. 33 Solche Gesetze waren das Reichsgesetz über Notstandsmaßnahmen zur Unterstützung von Rentenempfangem der Invaliden- und Angestelltenversicherung vom 07. 12. 1921 (RGBI. S. 1533), Gesetz über Kleinrentnerfürsorge vom 04. 02. 1923 (RGBI. I, S. 104), Gesetz über die Kosten der Kriegsbeschädigten- und Kriegshinterbliebenenfürsorge vom 08. 05. 1920 (RGBI. S. 1066), Gesetz über die Wöchnerinnenfürsorge vom 09. 06. 1922 (RGBI. I, S. 502). 34 "Amtliche Erläuterungen", Berlin, earl Heymanns-Verlag, 1929, S. 22.

Kap. 1: Die Entwicklung bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges

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Dienste, die sie oder ihr Ernährer der Allgemeinheit geleistet haben, oder die aufgrund einer Vorsorge, die Recht oder Sitte verlangt oder anerkennt, einen Anspruch auf Fürsorge erworben haben, Rechte und Richtmaße der Fürsorge in der Regel höher bemessen werden sollen, als bei denjenigen, denen die Fürsorge lediglich kraft ihres Daseins zugestanden wird 35 ." Die bisherige Armenpflege zu einer generell gehobenen Wohlfahrtspflege umzugestalten, wie dies damals bereits von verschiedenen Seiten verlangt wurde, war dem Reich bei seiner "gegenwärtigen Finanzlage" nicht möglich; denn es wäre außerstande, den Ländern oder Gemeinden für diese neuen Aufgaben, den Vorschriften des § 59 des Finanzausgleichsgesetzes entsprechend, die erforderlichen Mittel bereitzustellen. Die Reichsgrundsätze hinderten aber kein Land, "für alle Hilfsbedürftigen eine gehobene Wohlfahrtspflege einzuführen,,36. Die Verordnung über die Fürsorgepflicht vom 13. 02. 1924 (RGBl. I, S. 100) beruhte auf dem Ermächtigungsgesetz vom 08. 12. 1923 (RGBl. I, S. 1179). Die Verordnung über die Fürsorgepflicht vom 13.02. 1924 regelt die Voraussetzungen, Art und Maß der zu gewährenden Fürsorge nicht selbst. Sie überläßt in § 6 die Regelung im Rahmen der reichsrechtlichen Vorschriften den Ländern, gibt aber der Reichsregierung zugleich die Befugnis, mit Zustimmung des Reichsrats Grundsätze über die Voraussetzung, Art und Maß der zu gewährenden Fürsorge aufzustellen, um die Gleichmäßigkeit der Fürsorge insoweit zu wahren, als es im Interesse der Hilfsbedürftigen und der ersatzberechtigten und -verpflichteten Fürsorgeverbände geboten oder aus wohlfahrtspflegerischen Gründen dringend erwünscht ise 7 . Im wesentlichen regelt die Fürsorgepflichtverordnung die Träger der Fürsorge, deren Rechtssstellung und Zuständigkeiten sowie die Pflicht zum Kostenersatz. 3. Die Reichsgrundsätze über Voraussetzung, Art und Maß der öffentlichen Fürsorge

Die Reichsgrundsätze über Voraussetzung, Art und Maß der öffentlichen Fürsorge vom 04. 12. 1924 (RGBl. S. 765) stützen sich auf § 6 Abs. 2 in Verbindung mit § 32 Abs. 2 der Verordnung über die Fürsorgepflicht vom 13.02. 1924 (RGBl. I, S. 100) sowie auf § 1 Abs. 1 der Verordnung über die soziale Kriegsbeschädigten- und Kriegshinterbliebenenfürsorge vom 08. 02. 1919 (RGBl. S. 187) in der Fassung des § 34 der Verordnung über Fürsorgepflicht und in Verbindung mit §§ 21- 23 des Reichsversorgungsgesetzes in der Fassung vom 30. 06. 1923 (RGBl. I, S. 523) sowie auf Art. 2 S. 2 der Verordnung über das Inkrafttreten des Reichsgesetzes für Jugendwohlfahrt vom 14.02. 1924 (RGBl. I, S. 110). 35 36 37

Vgl. "Amtliche Erläuterungen", a. a. O. "Amtliche Erläuterungen", a. a. 0., S. 23. "Amtliche Erläuterungen", S. 21.

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1. Teil: Entwicklung der Blindengeldregelungen für Zivilblinde in Deutschland

In den Reichsgrundsätzen wurden zwischen der allgemeinen (Armenfürsorge) und der sozialen Fürsorge Unterschiede gemacht. Ziel der sozialen Fürsorge war es, die Hilfsbedürftigen wieder zu befähigen, sich aus eigener Kraft zu helfen (§ 24 RGR). Außerdem setzte die gehobene Fürsorge für bestimmte Gruppen die Fürsorgerichtsätze um ein Viertel höher an (Kleinrentner nach §§ 14-15a RGR), alte oder invalide oder berufsunfähig gewordene Rentner der Arbeiter- oder Angestelltenversicherung (§ 16 RGR). Für Sozial- und Kleinrentner und ihnen Gleichstehende müssen die Richtsätze für die Bemessung des notwendigen Lebensunterhalts um mindestens 25% erhöht sein (§ 6 Abs. 3 S. 3 Fürsorgepflichtverordnung).

111. Die Berücksichtigung blinder Menschen

1. Kriegsblinde Blinde, die ihr Augenlicht infolge des Krieges verloren hatten, waren nach den

§§ 21 - 23 Reichsversorgungsgesetz vom 06. 05. 1920 sonderfürsorgeberechtigt,

wobei sich die soziale Fürsorge, die nach den Versorgungsgesetzen über die allgemeine Fürsorge hinaus zu gewähren war, nach den Bestimmungen der §§ 20-32 RGR richten mußte (§ 19 RGR). Ziel dieser sozialen Fürsorge war es, die Beschädigten "tunlichst wieder erwerbsfähig zu machen und dem Wirtschaftsleben zu erhalten" (§ 24 RGR). 2. Berufsunfallblinde Berufsunfallblinde erhielten Berufshilfe nach der Reichsversicherungsordnung. Sie waren nach § 16 der RGR insoweit besonders berücksichtigt, als Rentenerhöhungen, die ein Hilfloser zur Pflege und Wartung erhielt (§§ 560,930, 1065 RVO vom 19.07. 1911, RGBl. S. 509), bei jeder Hilfe außer Betracht bleiben mußten, soweit sie nicht demselben Zwecke dienten. 3. Friedens- bzw. Zivi/blinde Blinde, die ihr Augenlicht nicht durch Kriegseinwirkung oder aufgrund eines Arbeitsunfalles verloren haben (Friedens- bzw. Zivilblinde), waren, soweit eigene Mittel bzw. unterhaltsrechtliche Ansprüche nicht zur Verfügung standen, auf die Hilfen nach den Reichsgrundsätzen über Voraussetzung, Art und Maß der öffentlichen Fürsorge vom 04. 12. 1924 (RGBl. S. 765), die am 01. 01. 1925 in Kraft traten, angewiesen. Nach § 5 RGR war hilfsbedürftig, wer den notwendigen Lebensbedarf für sich und seine unterhaltsberechtigten Angehörigen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln beschaffen konnte und ihn auch nicht von anderer Seite, insbesondere von Angehörigen, erhielt. Die Hilfe sollte den

Kap. 1: Die Entwicklung bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges

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Hilfsbedürftigen tunlichst in den Stand setzen, sich und seinen unterhaltsberechtigten Angehörigen den Lebensbedarf selbst zu beschaffen (§ 1 Abs. 2 RGR). Zur Hilfe für Blinde, Taubstumme und Krüppel gehörte nach § 6 Buchstabe e) die Erwerbsbefähigung. In den "Amtlichen Erläuterungen" wird in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, daß die Erfahrungen besonders in der sozialen Kriegsbeschädigtenfürsorge ergeben haben, daß es die "wirksamste, würdigste und im Endergebnis sparsamste" Hilfe für derartige schwer Erwerbsbeschränkte ist, "ihre Kräfte dem Wirtschaftsleben nutzbar zu machen,,38. Bei den eigenen Mitteln, die der Hilfsbedürftige einsetzen mußte, sollte nach § 8 Abs. 5 RGR bei Personen, die trotz vorgerückten Alters oder trotz starker Beschränkung ihrer Erwerbsfähigkeit unter Aufwendung besonderer Tatkraft einem Erwerbe nachgehen, ein angemessener Betrag des Arbeitsverdienstes außer Ansatz bleiben. Das galt besonders für Blinde, Hirnverletzte und andere schwer Erwerbsbeschränkte.

E. Das Bemühen um die Blindenrente I. Die soziale Lage der Zivilblinden

Die weit überwiegende Zahl der Blinden war auf öffentliche Fürsorge angewiesen. Eine vom Reichsdeutschen Blindenverband im Frühjahr 1923 veranstaltete Erhebung ergab, daß von 5.029 erwachsenen Blinden (3.336 Männer und 1.693 Frauen), die sich an der Umfrage beteiligten, nur 36,8% der Männer und 12,5% der Frauen ohne Unterstützung auskommen konnten 39 . 11. Die Forderungen der Blindenorganisationen

Während der Zeit der Weimarer Republik war deshalb die Einführung einer Blindenrente eine der wichtigsten Forderungen der Selbsthilfebewegung der Blinden. Die Blindenorganisationen, insbesondere die Selbsthilfeorganisationen, setzten sich nach dem Ersten Weltkrieg nachhaltig für eine Verbesserung der Lage der Blinden ein. 1. Die Hauptforderungen Die Beschäftigung vieler Blinder in der Industrie während des Ersten Weltkrieges hatte zu ihrer gesellschaftlichen Emanzipation beigetragen. Infolge des wirtschaftlichen Niederganges und der zunehmenden Arbeitslosigkeit sollten sie wie38

39

"Amtliche Erläuterungen", S. 24. Kraemer, S. 31.

4 Demmel

50

I. Teil: Entwicklung der Blindengeldregelungen für Zivilblinde in Deutschland

der aus dem Berufsleben verdrängt werden. Die Hauptforderungen der Blindenselbsthilfeorganisationen waren deshalb: 1. die Verwirklichung des Rechts auf Arbeit, 2. die Einräumung der gleichen Vergünstigungen, wie sie Kriegsblinde erhielten, und 3. die Absicherung eines menschenwürdigen Lebens durch die Gewährung einer eigenen Blindenrente4o . Das Recht auf Arbeit stand nach Art. 163 der Weimarer Verfassung jedem Deutschen zu. Wenngleich es sich hier nur um einen programmatischen Satz handelte, so konnte daraus doch die Forderung auf eine rechtliche Absicherung hergeleitet werden. Das Gesetz über die Beschäftigung Schwerbeschädigter vom 06. 04. 1920 berücksichtigte die Zivilblinden noch nicht. Der Verein der blinden Industriearbeiter in Berlin erhob auf einer Straßendemonstration in Berlin vom 17. 10. 1920 die Forderungen: 1. Ausdehnung des Gesetzes über die Beschäftigung Schwerbeschädigter auch auf die Zivilblinden, 2. Ausdehnung aller sozialen Vergünstigungen, die den Kriegsblinden gewährt werden, auch auf die Zivilblinden, 3. Gewährung einer Rente für die Zivilblinden zum Ausgleich der durch das Leiden bedingten wirtschaftlichen Schädigungen und Sonderausgaben. Die Forderungen wurden dem Reichstag übergeben. Weil der Erfolg ausblieb, kam es am 16. 12. 1921 erneut zu einer Demonstration. Der Reichstag überwies die Punkte 1 und 2 der Regierung zur Berücksichtigung, lehnte aber den Punkt 3, die Forderung auf Gewährung einer Rente, ab41 • 2. Die Änderung des Schwerbeschädigtengesetzes

In der Neufassung des Schwerbeschädigtengesetzes vom 12.01. 1923 (RGBl. I, S. 57 ff.) kam es zu einer Änderung von § 8; er lautete nunmehr: "Die Hauptfürsorgestelle muß einem Blinden, der nicht bereits nach § 3 geschützt ist (das waren die Kriegsblinden), den Schutz dieses Gesetzes zuerkennen, wenn er sich ohne Hilfe dieses Gesetzes einen geeigneten Arbeitsplatz nicht zu verschaffen oder zu erhalten vermag und dadurch die Unterbringung der Schwerbeschädigten (§ 3) nicht gefabrdet wird .... " 40 Vgl. Forderungen der Blinden zur Ausgestaltung des Blindenwesens und der Blindenfürsorge in der Deutschen Republik, beraten und beschlossen von der ersten Tagung der preußischen Blindenvereine vom 28. - 30. 01. 1920 in Steglitz bei Berlin, abgedruckt bei Pielasch-Jaedicke, S. 99f. 41 Pielasch-Jaedicke, S. 105.

Kap. 1: Die Entwicklung bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges

51

3. Weitere Vergünstigungen auch für Zivilblinde

Auch zahlreiche weitere Vergünstigungen, wie Steuererrnäßigungen, oder auf örtlicher Basis Fahrpreisvergünstigungen bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel, wurden in der Folgezeit eingeräumt. 4. Die Forderung nach einer Blindenrente

Die Gewährung einer Blindenrente blieb eine der wesentlichen Forderungen der Blindenorganisationen. Bei der Verfolgung dieses Zieles spielten die Blindenwohlfahrtstage von 1924 in Stuttgart, 1927 in Königsberg und 1930 in Nümberg sowie die Blindenwohlfahrtskammer und der Rentenausschuß eine große Rolle. a) Die Blindenwohlfahrtskammer Die Zusammenarbeit zwischen Blindenlehrern, Blindenfürsorgeorganisationen und den Blindenselbsthilfeorganisationen sollten zu Beginn der Weimarer Republik auf eine neue Basis gestellt werden. Am 11. 11. 1921 gründeten der Reichsdeutsche Blindenverband (gegründet 1912), der Verein der deutschredenden Blinden (gegründet 1891), der Verein blinder Frauen Deutschlands e. V. (gegründet 1912), der Bund erblindeter Krieger e. V. (gegründet 1916), der Verein der blinden Akademiker Deutschlands e. V. (gegründet 1916) und der Deutsche Blindenlehrerverein (gegründet 1920) die Blindenwohlfahrtskammer. Nach der Gründung schloß sich noch der Verband der Deutschen Fürsorgevereinigungen für Blinde an. Diese Blindenwohlfahrtskammer war eine ständige Vertretung sämtlicher Blinden und Blindenfürsorgeverbände, der Blindenanstalten und der Blindenlehrer den Reichs- und Staatsbehörden gegenüber42 • Aufgaben der Reichsblindenwohlfahrtskammer waren: Vorbereitung sozialpolitischer und wirtschaftspolitischer Gesetze (vor allem durch die Erstattung von Gutachten), Einrichtung eines Zentralarbeitsnachweises für Blinde und einer Zentralauskunftsstelle, Erstellung einer Berufsstatistik sowie Veranstaltung der gemeinsamen Blindenwohlfahrtstage43 . Das Reichsarbeitsministerium stand der Bildung einer solchen Blindenwohlfahrtskammer wohlwollend gegenüber.

42 Strehl: Blindenfürsorge und ihre neuzeitliche Entwicklung in: "Handbuch der Blindenwohlfahrtspflege", S. 185 f.; Reuss, S. 72f. 43 Reuss, a. a. O.

4*

52

1. Teil: Entwicklung der Blindengeldregelungen für Zivilblinde in Deutschland

b) Die Blindenwohlfahrtstage und der Rentenausschuß Die Durchführung der Blindenwohlfahrtstage wurde einem ständigen Kongreßausschuß übertragen. Die Blindenwohlfahrtstage fanden jeweils in Verbindung mit den seit 1873 regelmäßig abgehaltenen Blindenlehrerkongressen und den Verbandstagen des Reichsdeutschen Blindenverbandes statt44 . Die Demonstrationen und Resolutionen des "Vereins blinder Industriearbeiter Berlin e. V. vom 17.10. 1920 und 16. 12. 1921 waren ohne Erfolg. Sie fanden auch nicht die Zustimmung aller Blindenorganisationen. Von den Blindenwohlfahrtskongressen wurden Fortschritte in der Rentenfrage erwartet. aa) Der erste BlindenwohlJahrtstag von 1924 und die Tätigkeit des Rentenausschusses

Gleichzeitig mit dem Blindenwohlfahrtskongreß vom 04. - 07. 08. 1924 in Stuttgart fand der fünfte Verbandstag des Reichsdeutschen Blindenverbandes statt. Er richtete einen Antrag an den Blindenwohlfahrtskongreß auf Unterstützung der Forderung nach einer Ausgleichsrente für Blinde. Der Blindenwohlfahrtskongreß faßte folgenden Beschluß: "Der Kongreß bittet das Reichsarbeitsministerium, auf die Regierungen der einzelnen Länder dahin zu wirken, daß berufsfähigen, aber erwerbsbeschränkten Blinden, deren Verdienst das ortsübliche Existenzminimum nicht erreicht, eine Zusatzrente gewährt werde, falls nicht anderweitig durch Kur, Pflege oder Versorgung für sie gesorgt werde45 ." Die weitere Bearbeitung der Rentenfrage wurde einem Unterausschuß des Kongreßausschusses, dem sogenannten Rentenausschuß, unter Leitung von 1. Koch übertragen. Die Leitung wurde 1926 Dr. Dr. Rudolf Kraemer (Heidelberg) übertragen46 • Aufgabe des Rentenausschusses war es, eine Vorlage für den zweiten Blindenwohlfahrtskongreß zu erarbeiten. Unter den Vertretern der Blindenselbsthilfeorganisationen war das Streben nach einer Rente nicht unumstritten. Die Gegner befürchteten, daß eine öffentliche Blindenrente die Eingliederung in das Arbeitsleben erschweren könnte47 . Demgegenüber wiesen die Befürworter einer öffentlichen Blindenrente darauf hin, daß die Mehrzahl der Blinden überhaupt nicht in den Stand gesetzt werden könnten, ein Arbeitseinkommen bzw. ein ausreichendes Arbeitseinkommen zu erzielen. Bei Ablehnung einer öffentlichen Rente würden 25.000 der 37.500 Blinden zum Hunger verurteilt48 . Der Rentenausschuß erarbeitete als Vorlage für den zweiten BlinReuss, S. 73. Bericht über den Kongreß für Blindenwohlfahrt, S. 208. 46 Stoecke1 in: "Die Blindenwelt", Heft 10, 1971, "eine Dokumentation zur Vorgeschichte des Blindengeldes". 47 Cohn, S. 30. 48 Pielasch-J aedicke, S. 135. 44 45

Kap. I: Die Entwicklung bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges

53

denwohlfahrtskongreß einen ausfonnulierten und begründeten Gesetzentwurf. Er basierte auf den Reichsgrundsätzen über Voraussetzung, Art und Maß der öffentlichen Fürsorge vom 04. 12. 1924 (RGBl. S. 765).

In der Einleitung der Denkschrift über die Blindenrente, ausgearbeitet von Rudolf Kraemer, unter Mitarbeit von Friedrich Diefenbach, Oberlandesgerichtsrat a. D. und Dozent für Fürsorge- und Kommunalrecht an der Universität Heidelberg, enthält ein Resümee zur Situation, welche der Forderung nach einer öffentlichrechtlichen Blindenrente zugrunde liegt. Dort heißt es: "Als man sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts anschickte, die jugendlichen Blinden in größerer Zahl schulmäßig und gewerblich auszubilden, da begeisterten sich alle gefühlswannen Menschenfreunde mit einer durch keinerlei Enttäuschungen getrübten Gläubigkeit an dem tröstlich befreienden Gedanken, daß nunmehr die drückendsten Wirkungen des Blindseins, die gesellschaftliche und wirtschaftliche Minderwertigkeit, durch die Fortschritte des Menschengeistes und die Verfeinerung des Mitempfindens beseitigt seien. Doch es kam anders. Die von den Blinden betriebenen Gewerbe konnten sich gegen die wirtschaftliche Entwicklung nicht halten. Eines nach dem anderen wurde durch die Umwandlung der Gütererzeugung, durch die Maschine und den Großbetrieb erdrückt. Die ständig zunehmende Übervölkerung der westeuropäischen Staaten bewirkte, daß auf dem Arbeitsmarkt das Angebot von Arbeitskräften die Nachfrage immer mehr überstieg. Durch den verlorenen Krieg, den Niederbruch der deutschen Währung und die Umstellung der Wirtschaft auf die neuen Verhältnisse wurde die gekennzeichnete Entwicklung beschleunigt und verschärft. So entstand die Wirtschaftslage der Gegenwart, die mehr als jede frühere Entwicklungsstufe zur Wirtschaftsnot für diejenigen werden muß, die im Kampf ums tägliche Brot durch persönliche Unvollkommenheiten behindert und gehemmt sind. Die unter dem Druck des Wirtschaftsgesetzes im Zeitalter des Hochkapitalismus ständig fortschreitende "Technisierung" und "Rationalisierung" der Gütererzeugung führt zu einer gewaltigen Menschenersparnis und demgemäß zu einer verschärften Auslese der Tauglichsten und Tüchtigsten. Das Millionenheer der Erwerbslosen ist ein offensichtlicher Beweis für das Unvennögen der heutigen Industriestaaten, selbst die gesunde Bevölkerung mit auskömmlicher Arbeit zu versorgen." Die Notwendigkeit einer öffentlich-rechtlichen Blindenrente wurde vom Rentenausschuß mit folgenden Thesen begründet: ,,1. Selbst mit der besten Ausbildung und Arbeitsfürsorge wird es nie möglich sein, alle

erwachsenen Blinden so erwerbsfähig zu machen, daß sie ihren Lebensunterhalt durch eigene Berufsarbeit verdienen können.

2. Die freie Wohlfahrtspflege ist nicht in der Lage, der Gesamtheit der hilfsbedürftigen Blinden eine ausreichende dauernde Versorgung zu gewährleisten. 3. Bezüglich der Daseinssicherung ist daher die Staatshilfe zur Ergänzung der bisherigen Blindenfürsorge unentbehrlich: Mit anderen Worten, eine endgültige und befriedigende Lösung der Blindenfrage wird sich nur durch Einführung der öffentlich-rechtlichen Blindenrente erreichen lassen49 ."

54

1. Teil: Entwicklung der BlindengeIdregelungen für Zivilblinde in Deutschland

Nach sorgfaltiger Abwägung verschiedener Lösungsmöglichkeiten, wie der Daseinssicherung, der Gewährleistung des notwendigen Lebensunterhaltes, der standesgemäßen Lebensführung oder einer unbestimmten oder bestimmten Regelbedarfsrente, kommt die Denkschrift des Rentenausschusses zur Forderung einer Ausgleichsrente, wobei folgende Ausgleichsbedürfnisse hervorgehoben werden: - "Die blindheitsbedingte pennanente Minderung der Erwerbsfabigkeit, - die blindheitsbedingte pennanente Vennehrung der Bedürfnisse, - die blindheitsbedingte pennanente allgemeine Beschränkung des Lebensgenusses."

Der Ausgleichsgedanke sollte mit dem Zweck der Bedarfssicherung verbunden werden 5o . bb) Der zweite BlindenwohlJahrtstag von 1927 und die Behandlung des Rentenantrags im Reichstag

Auf dem zweiten Blindenwohlfahrtskongreß von 1927 faßte man folgenden Beschluß: " ... 3. Die auf dem zweiten Kongreß für Blindenwohlfahrt in Königsberg versammelten Vertreter der deutschen Blindenvereine, Blindenanstalten und Fürsorgevereinigungen erklären sich grundsätzlich für den vom Rentenausschuß ausgearbeiteten Entwurf zu einem Blindenrentengesetz. Sie beauftragen den Rentenausschuß mit der Ausführung der zur Verwirklichung der Blindenrente erforderlichen Maßnahmen51 ." § 1 des Entwurfes des Rentenausschusses lautete: "Blinde haben nach Maßgabe dieses Gesetzes Anspruch auf eine Geldrente, die ihnen aus öffentlichen Mitteln als Ausgleich der durch das Gebrechen bewirkten Venninderung der Erwerbsfabigkeit und Vennehrung der Bedürfnisse gewährt wird (Blindenrente)."

Die Blindenrente sollte nach § 13 aus einer Grundrente in Höhe von maximal 900,00 RM jährlich und aus einer Aufwandsentschädigung als Ausgleich für blindheitsbedingte Ausgaben in Höhe von maximal 300,00 RM jährlich bestehen. Beide Leistungen sollten jeweils unter Anrechnung eigener Einkünfte gewährt werden. Am 06. 06. 1928 wurde der vom Rentenausschuß erarbeitete Gesetzentwurf für eine öffentlich-rechtliche Blindenrente dem Reichstag vorgelegt und nach einer Mitteilung vom 28. 09. 1928 dem sozialpolitischen Ausschuß zwecks Beratung zuständigkeitshalber überwiesen52 . Der Antrag hatte keinen Erfolg. Die Deutschnationale Volkspartei richtete eine kleine Anfrage an die Reichsregierung mit folgendem Wortlaut: "Die Spitzenver-

49 50

51 52

Kraemer: "Die Blindenrente", Berlin, 1927, S. 44 f. Scholler I Krause, S. 36. Reuss, S. 79. Stoeckel, a. a. O.

Kap. 1: Die Entwicklung bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges

55

bände der Friedensblinden, der Blindenlehrer und Blindenfürsorger haben sich an Reichstag und Reichsregierung mit dem Ersuchen der Einführung einer Blindenrente gewandt und den Entwurf eines Blindenrentengesetzes vorgelegt. Ist im Hinblick auf die schwere Lage der 35.000 Friedensblinden die Reichsregierung bereit, die Notlage der Friedensblinden zu prüfen? Gilt der Weg als gangbar, zu dem auf 20 Millionen Mark berechneten Jahresaufwand die Mittel heranzuziehen, die in wenigen Jahren durch Ableben der meisten Altinvaliden von 1864, 1866 und 1870/71 verfügbar werden? In welcher Weise gedenkt die Reichsregierung Mittel für notleidende Blinde aufzubringen? Für wann kann eine durchgreifende Hilfe für die von sachkundiger Seite angegebene Zahl von 25.000 notleidenden Blinden in Aussicht gestellt werden53 ?" Hierauf antworteten für die Reichsregierung der Reichsminister Wissel und Reichsminister des Inneren, Severing, am 06. 12. 1928: "Die Anfrage Nr. 20 der Abgeordneten D. Mumm und Genossen wird wie folgt beantwortet: ,,"Nach § 6e der RGR über Voraussetzung, Art und Maß der öffentlichen Fürsorge vom 04. 12. 1924 ist es Pflichtaufgabe der den zuständigen Landesbehörden obliegenden öffentlichen Fürsorge, hilfsbedürftigen Blinden den notwendigen Lebensbedarf (Lebensunterhalt, insbesondere Unterkunft, Nahrung, Kleidung und Pflege) sowie darüber hinaus Erwerbsbefähigung zu gewähren. In § 8 Abs. 5 der RGR ist weiterhin vorgesehen, daß bei Prüfung der Hilfsbedürftigkeit Blinder, die trotz vorgerückten Alters oder trotz starker Beschränkung ihrer Erwerbsfähigkeit unter Aufwendung besonderer Tatkraft einem Erwerb nachgehen, ein angemessener Betrag des Arbeitsverdienstes außer Ansatz bleibt. Bei aller Würdigung des schweren Schicksals der Friedensblinden sieht sich die Reichsregierung zu ihrem Bedauern zur Zeit außerstande, ein Blindenrentengesetz in Erwägung zu ziehen, das den Friedensblinden über die genannten fürsorgerechtlichen Vorschriften hinaus einen Rechtsanspruch auf eine Rente gewährt. Es würde unmöglich sein, eine solche reichsgesetzliche Rentenversorgung auf Blinde zu beschränken. Auch die Taubstummen und Krüppel, die sich mit Recht auf ihre ähnliche schwierige Lage berufen würden, müßten in die reichsgesetzliche Rentenversorgung einbezogen werden. Es liegt aber auf der Hand, daß die Kosten eines Rentengesetzes zugunsten Blinder, Taubstummer und Krüppel weit über die Mittel hinausgehen würden, die durch das Ableben der Altveteranen und den hiermit verbundenen alljährlichen Wegfall der ihnen gewährten Beihilfen eingespart werden. Als Kostenträger käme allein das Reich in Frage, das diese neue Last der bekannten schwierigen Lage seiner Finanzen zur Zeit nicht tragen kann 54 ." Hier wird also die Ablehnung mit dem Konsequenzeinwand begründet.

53 54

Zitiert nach Stoeckel, a. a. O. Zitiert nach Stoeckel, a. a. O.

56

l. Teil: Entwicklung der Blindengeldregelungen für Zivilblinde in Deutschland

Am 04. 02. 1929 beschloß der Reichstag, die Eingabe des Rentenausschusses der Reichsregierung "zur Erwägung" zu überweisen, was praktisch einer Absage gleichkam55 . Die Reichstagsfraktion der Kommunistischen Partei Deutschlands brachte daraufhin am 15.02. 1929 eine eigene Vorlage ein56 . Auch diese Vorlage hatte keinen Erfolg. cc) Der dritte BlindenwohlJahrtstag und die weitere Behandlung der Rentenfrage im Reichstag

Die Rentenfrage war nochmals Gegenstand des dritten und letzten Blindenwohlfahrtskongresses, der vom 30.07. - 03.08. 1930 in Nürnberg stattfand. Der Kongreß forderte in einer Resolution erneut die Einführung einer öffentlich-rechtlichen Blindenrente. Gestützt auf diesen Beschluß, reichte der Reichsdeutsche Blindenverband am 01. 12. 1930 erneut einen Antrag auf Erlaß eines Gesetzes zur Gewährung einer Blindenrente im Reichstag ein. Der Reichstag übergab ihn am 24. 03. 1931 der Regierung als "Material". Das war ein weiterer Rückschlag. Daraufhin brachte am 28. 03. 1931 die KPD einen Initiativantrag zur Einführung einer öffentlich-rechtlichen Blindenrente und zur sofortigen Einsetzung von 10 Millionen Reichsmark zur Behebung der augenblicklichen Elendslage der Blinden in den Haushaltsplan ein5 ? Kraemer trat vom Vorsitz des Rentenausschusses zurück und wurde von Max Schöffler ersetzt. Die Forderung nach einer öffentlich-rechtlichen Blindenrente sollte durch eine Kundgebungswoche in der Zeit vom 13. - 29. 02. 1932 in 75 Großstädten unterstützt werden. In einer erneuten an den Deutschen Reichstag gerichteten Eingabe vom 11. 05. 1932 forderte der Rentenausschuß keine Blindenrente mehr, sondern ein Blindenpflegegeld von 25,00 RM monatlich, das allen Blinden über 18 Jahren gewährt werden sollte, wenn sie mit ihren Einkünften die steuerfreien Grenzen nicht überschritten. Der Reichstag wurde jedoch am 04. 06. 1932 aufgelöst, so daß dieser Antrag nicht mehr behandelt werden konnte. Die Bemühungen um eine öffentlich-rechtliche Blindenrente durch ein Reichsgesetz waren endgültig gescheitert.

55 56

57

Pielasch-Jaedicke, S. 130. Reichstagsdrucksache Nr. 817,4. Wahlperiode. Pielasch-Jaedicke, S. 137.

Kap. 1: Die Entwicklung bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges

57

5. Die Bemühungen auf Länderebene

Auf Länderebene bemühten sich die Blindenselbsthilfeorganisationen darum, eine Verbesserung für die Blinden dadurch zu erreichen, daß diese in die gehobene Fürsorge nach der Verordnung über die Fürsorgepflicht vom 13.02. 1924 (RGBl. I, S. 100) und den Reichsgrundsätzen über Voraussetzung, Art und Maß der öffentlichen Fürsorge vom 04. 12. 1924 (RGBl. S. 765) aufgenommen wurden. Die Länder hatten das Recht, weitere Gruppen von Hilfsbedürftigen von der Arrnenfürsorge in die gehobene Fürsorge zu übernehmen (§ 35 RGR). Die Länder konnten aufgrund von § 6 der Fürsorgepflichtverordnung weitergehende Hilfsrnaßnahmen vorschreiben; sie konnten dabei für einzelne Gruppen der Hilfsbedürftigen die den örtlichen Verhältnissen angepaßten Richtsätze um "in der Regel wenigstens ein Viertel des allgemeinen Richtsatzes" erhöhen. Diese Vergünstigung wurde blinden Fürsorgeempfängern in den Ländern eingeräumt. So stellte die Generalversammlung des Bayerischen Blindenbundes vom 17./18. 11. 1928 in Nürnberg den Antrag an den Bayerischen Landtag, die Zivilblinden den Klein- und Sozialrentnern gleichzustellen und diese Regelung in den bayerischen Ausführungsbestimmungen zur Reichsfürsorgepflichtverordnung, die in Kürze erlassen werden sollten, aufzunehmen 58 . Der Bayerische Landtag hat diese Eingabe zur Würdigung an die Staatsregierung gegeben59 . Diese Forderung wurde in einer Eingabe vom 25. 02. 1932 erneuert. Erst daraufhin wurden die Zivilblinden in Bayern in die gehobene Fürsorge übernommen. Dieser Erfolg ging jedoch bald wieder verloren; denn durch die Brüningschen Notverordnungen vom 15.06. und 04.09.1932 wurde die Möglichkeit, im Rahmen der gehobenen Fürsorge erhöhte Richtsätze zu gewähren, wieder aufgehoben 6o .

F. Die veränderte Situation in der Zeit des Nationalsozialismus I. Fortsetzung der Bemühungen um eine Blindenrente

Nach der Machtübernahme durch den Nationalsozialismus, die mit der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler durch den Reichspräsidenten Hindenburg am 31. 01. 1933 begann, setzten die Blindenorganisationen zunächst ihre Bemühungen um eine staatliche Blindenrente fort. Mitteilungsblatt des Bayerischen Blindenbundes Nr. 7, S. 2. Mitteilungsblatt des Bayerischen Blindenbundes Nr. 8, S. 6. 60 Tatigkeitsbericht des Bayerischen Blindenbundes, abgedruckt im Tätigkeitsbericht für den Reichsdeutschen Blindenverband und seine Mitgliedsorganisationen für das Geschäftsjahr 1932, S. 33 ff. 58 59

58

1. Teil: Entwicklung der Blindengeldregelungen für Zivilblinde in Deutschland

Dazu sahen sie sich umso mehr veranlaßt, als die Reichstagsfraktion der NSDAP auf die Eingaben des Rentenausschusses in einem Schreiben an Rudolf Kraemer vom 29. 08. 1930 sehr positiv reagiert hatte 61 . Auf eine erneute Anfrage des RBVan die NSDAP hinsichtlich ihrer Einstellung zu einer staatlichen Blindenrente äußerte sich diese am 26. 07. 1932 wiederum positiv62 . Deshalb wurde im April 1933, also kurz nach der Machtübernahme, eine vom Rentenausschuß überarbeitete Fassung des Antrages auf eine Blindenrente an den Reichstag und die Reichsregierung gerichtet. 11. Ablehnung durch die Reichsregierung

Die Reichsregierung lehnte den Antrag vom April 1933 auf Gewährung einer Blindenrente im Mai ab. Sie verwies darauf, daß die Durchführung der allgemeinen Fürsorge Aufgabe der Länder und Provinzen sei. Sie konnte sich dazu auf § 6 der Fürsorgepflichtverordnung vom 13. 02. 1924 (RGB!. I, S. 100) und auf § 35 RGR vom 04. 12. 1924 (RGB!. S. 765) stützen 63 . 111. Veränderung der Auffassung zur Rentenfrage innerhalb der Blindenorganisationen

Weitere Bemühungen um die Einführung einer staatlichen Blindenrente während der Zeit des Dritten Reiches sind nicht bekannt. earl Streh!, der Vorsitzende des Vereins blinder Akademiker Deutschlands, stellte fest: "Wir glauben nicht, daß es zweckmäßig sei, nach dem letzten abschlägigen Bescheid der Regierung heute noch einmal unter Hinweis auf das Versprechen der NSDAP vor der Machtübernahme darauf zurückzukommen. Der Nationalsozialismus strebt keinen Rentner-, sondern einen Arbeiterstaat an. . .. 64" Diese Meinung hat sich in den politisch gleichgeschalteten Blindenselbsthilfeorganisationen breitgemacht.

Stoeckel, a. a. O. Stoeckel, a. a. O. 63 Geschäftsbericht des Reichsdeutschen Blindenverbandes für das Geschäftsjahr 1933 und "Die Blindenwelt", Heft 7,1934. 64 Strehl in: "Marburger Beiträge", Heft 3, 1934. 61

62

Kap. 2: Die Entwicklung seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges

59

Kapitel 2

Die Entwicklung seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges A. Ausgangslage I. Die Situation der zivilblinden Menschen Der überwiegende Teil der Blinden befand sich nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges in wirtschaftlich schlechten Verhältnissen und war beruflich unzureichend eingegliedert. Nach Gottwald verdienten nur etwa 10 % der Zivilblinden ihren Lebensunterhalt voll, 10-15 % teilweise, während alle übrigen von Wohlfahrtsunterstützungen, Sozialrenten und Unterhaltsleistungen Angehöriger abhingen 65 . 11. Die Blindenorganisationen nach dem Zweiten Weltkrieg Während der Reichsdeutsche Blindenverband seine Tätigkeit nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges einstellen mußte, setzten die in den Ländern bestehenden Blindenorganisationen die Selbsthilfebewegung der Blinden fort, wobei es entsprechend den politischen Veränderungen zu Neugründungen z. B. in Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Baden kam 66 .

111. Wiederaufnahme der Rentenforderungen 1. In den liindern Die Landesblindenorganisationen nahmen das Streben nach einem Blindengeld als Ausgleichsleistung für blindheitsbedingte Nachteile wieder auf. Da das Deutsche Reich nicht mehr bestand, mußten sich die Forderungen an die Länder richten. 2. In der Bundesrepublik Deutschland Nach Gründung der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 194967 richteten sich die Bemühungen auf eine bundesgesetzliche Regelung, zumal sich zu diesem Zeitpunkt erst in Bayern der Erlaß eines Landesb1indenge1dgesetzes abzeichnete. Gottwald: "Die Blindenwelt", Heft 1/2, 1950. Gottwald: "Werden und Wachsen der Blindenselbsthilfe", S. 10. 67 Das Grundgesetz wurde am 23. 05. 1949 verkündet, die Wahl des Deutschen Bundestages fand am 14.08.1949 statt. 65

66

60

1. Teil: Entwicklung der Blindengeldregelungen für Zivilblinde in Deutschland

Die unterschiedlichen Zielrichtungen, nämlich Länder einerseits und Bund andererseits, führten zu dem gegenwärtigen Blindengeldsystem, das sich aus Landesgesetzen und der Blindenhilfe nach § 67 BSHO zusammensetzt.

IV. Die Entwicklungsphasen der Blindengeldregelungen nach dem Zweiten Weltkrieg Bei der Entwicklung der Blindengeldregelungen nach dem Zweiten Weltkrieg lassen sich folgende Phasen unterscheiden: 1. Die Zeit der Landesregelungen bis zur Einführung eines Mehrbedarfes für Blinde nach § llf der Reichsgrundsätze. Dieser wurde durch das Fürsorgeände-

rungsgesetz vom 20. 08. 1953 in die Reichsgrundsätze eingefügt.

2. Die Entwicklung nach Einführung der Mehrbedarfsrege1ung gemäß § Ilf ROR in Bund und Ländern. 3. Die Bemühungen um ein eigenes Blindenge1dgesetz auf Bundesebene. 4. Die Bemühungen um eine Neuordnung des sozialen Fürsorgerechts in der Bundesrepublik und die Einführung einer Blindenhilfe nach § 67 BSHO (das Bundessozialhilfegesetz vom 30.06.1961- BOBl. I, S. 815). 5. Die weitere Entwicklung in Bund und Ländern nach Erlaß des BSHO. 6. Die Zeit der Eingriffe durch die Haushaltsstrukturgesetze und ihre Spannaßnahmen in Bund und Ländern. 7. Die Auswirkung der Wiedervereinigung zwischen Bundesrepublik Deutschland und Deutscher Demokratischer Republik am 03. 10. 1990. 8. Die Auswirkung der sozialen Pflegeversicherung durch das Sozialgesetzbuch XI vom 26. 05. 1994 (BOBl. I, S. 1014, 1015) und durch haushaltsbedingte Spannaßnahmen in einzelnen Bundesländern.

V. Überblick über die Einführung des Blindengeldes Die folgende Tabelle gibt einen Überblick über den Zeitpunkt der Einführung des Blindengeldes in der Bundesrepublik Deutschland und in den Bundesländern.

Kap. 2: Die Entwicklung seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges

61

Tabelle 1

Zeitpunkt der Einführung des Blindengeldes in der Bundesrepublik Deutschland und in den Bundesländern Zeitpunkt der Land Einführung

Rechtsquelle

01. 10. 1949

Bayern

Gesetz über die Gewährung von Blindengeld an Friedensblinde vom 28.09.1949 (GVBI. S. 255)

01. 07. 1950

Saarland

Gesetz über die Gewährung einer Blindheitshilfe an Zivilblinde im Saarland vom 22. 06. 1950 (ABL 50, S. 750)

01. 09. 1950

Hessen

Gesetz über die Gewährung von Pflegegeld an Zivilblinde vom 19.07. 1950 (GVBI. S. 149)

01. 02.1951

Nordrhein-Westfalen

Runderlaß des Sozialministers über die vorläufige Gewährung eines Pflegegeldes an Zivilblinde (Az. III AI5 - MBI. S. 476)

01. 10. 1951

Westberlin

Richtlinien für die Unterstützung von Friedensblinden (Senatsbeschluß vom 08. 10. 1951)

01.01.1953

Niedersachsen

Blindengelderlaß vom Januar 1953

01. 04. 1953

Bremen

Übergangsregelung bis zum Inkrafttreten einer Bundesregelung

01. 04. 1953

Hamburg

Übergangsregelung bis zum Inkrafttreten einer Bundesregelung

01. 06. 1953

Rheinland-Pfalz

Landesgesetz über die Gewährung von Pflegegeld an ZiviJblinde vom 12.05. 1953

01. 10. 1953

Bundesrepublik Deutschland

§ llf der Reichsgrundsätze über Voraussetzungen, Art und Maß der öffentlichen Fürsorge, eingeführt durch Art. 4 des Fürsorgeergänzungsgesetzes vom 20.08. 1953 (BGBI. I, S. 967)

01. 06. 1954

Hessen

Aufhebung des Gesetzes über die Gewährung von Pflegegeld vom 19. 07. 1950 durch Gesetz über die Aufhebung des Gesetzes über die Gewährung von Pflegegeld an Zivilblinde vom 12.04. 1954 (GVBI. S. 75)

01. 09. 1954

Berlin

Gesetz über die Gewährung von Blindenpflegegeld vom 04. 08. 1954 (GVBI. S. 492)

01. 06. 1962

Bundesrepublik Deutschland

Blindenhilfe nach § 67 BSHG vom 30. 06. 1961 (BGBI. I, S. 815, 1875)

01. 03. 1963

Niedersachsen

Gesetz über das Landesblindengeld für Zivilblinde vom 20. 03. 1961 (GVBI. S. 141)

01. 03. 1970

Baden-Württemberg

Gemeinsame Richtlinien des Innenministeriums und des Finanzministeriums für die Gewährung einer Blindenhilfe aus Mitteln des Landes (Landesblindenhilfe) vom 05. 08. 1970 Nr. IX 4501 3/629 und XII A 162-193/69

62

1. Teil: Entwicklung der Blindengeldregelungen für Zivilblinde in Deutschland

Fortsetzung Tabelle 1: Zeitpunkt der Land Einführung

Rechtsquelle

01. 07.1970

Nordrhein-Westfalen

Landesblindengeldgesetz vom 16. 06. 1970 (GVBI. Ausgabe A, S. 435)

01. 03.1971

Hamburg

Gesetz über die Gewährung von Blindengeld vom 19.02.1971 (Hamb.GVBI. S. 29)

01. 04. 1971

Schieswig-Hoistein

Landesblindengeldgesetz vom 16.04.1971 (GVBI. S. 184)

01. 01. 1972

Baden-Württemberg

Gesetz über die Landesblindenhilfe vom 08. 02. 1972 (GBI. S. 56)

01. 10. 1972

Bremen

Landespflegegeldgesetz vom 31. 10. 1972 (Brem.GBI. S. 235)

01. 07.1974

Rheinland-Pfalz

Landespflegegeldgesetz vom 31. 10. 1974 (GVBI. S. 466)

01. 01. 1978

Hessen

Gesetz über das Landesblindengeld für Zivilblinde vom 25. 10. 1977 (GVBI. I, S. 414)

01.01.1992

MecklenburgVorpommern

Landesblindengeldgesetz vom 31. 01. 1992 (GBI. Nr. 2170-2)

01. 01. 1992

Sachsen

Landesblindengeldgesetz vom 11. 02. 1992 (GVBI. S. 53)

01. 01. 1992

Brandenburg

Landespflegegeldgesetz vom 08. 05. 1992 (GVBI. I, S. 168)

01. 01. 1992

Sachsen-Anhalt

Gesetz über das Blinden- und Gehörlosengeid im Lande Sachsen-Anhalt vom 19. 06. 1992 (GVBI. S. 565)

01. 01. 1992

Thüringen

Thüringer Blindengeldgesetz vom 21. 07. 1992 (GVBI. S. 355)

B. Länderregelungen vor Einführung einer Bundesregelung durch § Uf RGR I. Die Möglichkeiten in den Ländern

Als die Landesblindenselbsthilfeorganisationen nach dem Zweiten Weltkrieg den Gedanken eines Blindengeldes zum Ausgleich für die durch die Blindheit gegebenen Nachteile für die Zivilblinden aufgriffen, mußten sie ihre Forderung an die jeweiligen Landesgesetzgeber herantragen. Für die Länder bot sich die Möglichkeit, das Problem durch die Gewährung höherer Fürsorgerichtsätze aufgrund von § 6 der Fürsorgepflichtverordnung vom

Kap. 2: Die Entwicklung seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges

63

13. 02. 1924 zu lösen. Dazu genügten Verwaltungsrichtlinien. Sie konnten aber auch ein Blindengeld aufgrund eines Landesgesetzes einführen, wobei Übergangsregelungen bis zum Erlaß einer einheitlichen Regelung in dem künftigen zu schaffenden deutschen Bundesstaat oder eigenständige Gesetze in Frage kamen. 1. Die Entwicklung im Überblick

Die Blindenselbsthilfeorganisationen sämtlicher Länder strebten Landesgesetze an. a) Gesetzliche Regelungen Bis zum Inkrafttreten einer bundesrechtlichen Regelung aufgrund von § 11 f der Reichsgrundsätze über Voraussetzung, Art und Maß der öffentlichen Fürsorge (eingefügt durch Art. 4 des Fürsorgeänderungsgesetzes vom 20. 08. 1953, BGBL I, S. 967) kam es nur in Bayern, Hessen und Rheinland-Pfalz zu einer gesetzlichen Regelung68 . b) Erhöhte Leistungen für Fürsorgeempfänger In den übrigen Bundesländern - mit Ausnahme von Baden-Württemberg erhielten blinde Fürsorgeempfanger zunächst aufgrund von § 6 der Fürsorgepflichtverordnung vom 13.02. 1924 eine Zulage zu den zur Sicherung des Lebensunterhalts gewährten Fürsorgeleistungen nach festen Beträgen, die von monatlich 25,00 DM (Schleswig-Holstein) bis 50,00 DM (Berlin und Bremen) reichten 69 . c) Keine Leistungen in Baden-Württemberg Daß die Blinden in Baden-Württemberg keine Leistungen, auch keine Fürsorgeleistungen aufgrund von § 6 Fürsorgepflichtverordnung erhielten, hing damit zusammen, daß die amerikanische Militärregierung die gehobene Fürsorge für spezielle Gruppen, wie sie früher z. B. für Sozial- und Kleinrentner gewährt worden war, untersagt hatte. d) Verwaltungsvorschriften in Nordrhein-Westfalen und Berlin Nordrhein-Westfalen und Berlin erließen zwar keine Gesetze, sondern Verwaltungsvorschriften, durch welche der Personenkreis der Berechtigten über die Für68 bayerisches Gesetz über die Gewährung von BlindengeId an Friedensblinde vom 28.09. 1949 (GVBI. S. 255); hessisches Gesetz über die Gewährung von Pflegegeld an Zivilblinde vom 19. 07. 1950 (GVBI. S. 149); rheinland-pfalzisches Landesgesetz über die Gewährung von Blindenpflegegeld an Zivilblinde vom 12. 05. 1953. 69 Gottwald: "Die Blindenwelt", Heft 3, 1952, S. 2.

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1. Teil: Entwicklung der Blindengeldregelungen für Zivilblinde in Deutschland

sorgeempfanger hinaus ausgedehnt und ein Blindengeld eingeführt wurde, das dem aufgrund der Gesetze in Bayern und Hessen entsprach7o . e) Vorgriffsregelungen in Niedersachsen, Bremen und Hamburg Als bereits das Fürsorgerechtsänderungsgesetz, und damit der Inhalt von § llf RGR, im Bundestag und Bundesrat beraten wurde, erließen die Länder Niedersachsen, Bremen und Hamburg im Vorgriff auf diese bundesgesetzliehe Regelung Richtlinien, das Land Rheinland-Pfalz ein Blindengeldgesetz71 . Das Gesetz von Rheinland-Pfalz und die Erlasse von Niedersachsen, Bremen und Hamburg wurden durch eine Besprechung der Sozialministerien der Länder Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Hamburg, Bremen, Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg am 15. 12. 1952 in Hannover ausgelöst. Diese sechs Länder kamen bei dieser Besprechung überein, für ihren Bereich Übergangsregelungen bis zur kommenden Bundesregelung (§ 11f RGR) zu schaffen72 . In Baden-Württemberg und SchleswigHolstein sind entgegen dieser Absprache solche Übergangsregelungen nicht erlassen worden. 2. Die besondere Situation im Saarland

Eine besondere Situation bestand im Saarland. Es war nach dem Zweiten Weltkrieg als autonomes Gebiet wirtschaftlich Frankreich angeschlossen. Nach Ablehnung des Saarstatuts in einer Volksabstimmung 1955 erfolgte der politische Anschluß an die Bundesrepublik Deutschland am 01. 01. 1957, der wirtschaftliche Anschluß am 06. 07. 1959 (vgl. § 1 des Gesetzes über die Eingliederung des Saarlandes vom 23. 12. 1956 - BGBI. I, S. 1011). Bereits zur Zeit der Autonomie erhielten Zivilblinde ab 01. 07. 1950 aufgrund des Blindheitshilfegesetzes vom 22.06. 1950 (ABL 50, S. 750) ein Blindengeld. Diese Blindheitshilfe war zunächst einkommensabhängig. Ab 01. 02. 1952 erfolgte die Leistung aufgrund des Änderungsgesetzes vom 29.01. 1952 unabhängig von Einkommen und Vermögen. 11. Die Entwicklung in den einzelnen Bundesländern

Zur Entwicklung in den einzelnen Bundesländern bis zur Einführung einer bundesgesetzlichen Regelung durch § Ilf RGR wird noch folgendes hervorgehoben: 70 Runderlaß des Sozialministers über die vorläufige Gewährung eines Pflegegeldes an Zivilblinde in Nordrhein-Westfalen vom 21. 04.1951, MBI. S. 476; Richtlinien für die Unterstützung von Friedensblinden, Senatsbeschluß des Berliner Senats vom 08. 10. 1951. 71 niedersächsischer Blindengelderlaß vom Januar 1953; ÜbergangsregeIung von Bremen; ÜbergangsregeIung von Hamburg; rheinland-pfalzisches Landesgesetz über die Gewährung von Blindenpflegegeld an Zivilblinde vom 12. 05.1953. 72 Gottwald: "Die Blindenwelt", Heft 1, 1953, S. 2.

Kap. 2: Die Entwicklung seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges

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1. Bayern a) Antrag auf Einbeziehung in das Körperbeschädigtenleistungsgesetz Durch das Körperbeschädigtenleistungsgesetz vom 26. 03. 1947 (GVBl. S. 107) wurde in Bayern die Versorgung der Kriegsopfer geregelt. Nach dem Vorbild der Unfallopfer (§ 558c RVO) erhielten Kriegsopfer, also auch Kriegsblinde, Hilfe zur Pflege in Fonn eines Pflegegeldes. Der Bayerische Blindenbund forderte in einer Eingabe an den Bayerischen Landtag die Einbeziehung der Zivilblinden in das Körperbeschädigtenleistungsgesetz. Der Bayerische Landtag überwies diese Eingabe durch Beschluß in seiner Plenarsitzung vom 16. 07. 1947 an die Regierung zur Berücksichtigung. Nach diesem Beschluß sollten die für die Kriegsblinden geltenden Bestimmungen des Körperbehindertenleistungsgesetzes auch für die Friedensblinden Anwendung finden. Die Regierung lehnte eine Einbeziehung der Zivilblinden in das Körperbeschädigtenleistungsgesetz, und damit ihre sozialrechtliche Gleichstellung mit den Kriegsblinden, ab, weil es sich bei diesem um ein reines Kriegsfolgegesetz handele. b) Antrag auf Erlaß eines Blindengeldgesetzes und Auftrag des Landtages an die Staatsregierung Veranlaßt durch eine erneute Eingabe des Bayerischen Blindenbundes, faßte das Plenum des Bayerischen Landtages am 01. 07. 1948 einen Beschluß mit dem Auftrag an die Staatsregierung, ein "Friedensblindenversorgungsgesetz" in Vorlage zu bringen, durch welches die Friedensblinden den Kriegsblinden gleichgestellt werden sollten. Der Bayerische Blindenbund legte nunmehr mit Datum vom 06. 09. 1948 in einer Eingabe an den Bayerischen Landtag und die Staatsregierung einen ausführlich begründeten Gesetzentwurf vor. Weil sich die Verhandlungen verzögerten, faßte das Plenum des Bayerischen Landtages auf erneute Eingabe des Bayerischen Blindenbundes am 15.07. 1949 den dritten Beschluß, in dem die Bayerische Staatsregierung aufgefordert wurde, unter Beachtung der beiden früheren Landtagsbeschlüsse ein Gesetz zur versorgungsrecht lichen Gleichstellung der Friedensblinden mit den Kriegsblinden auszuarbeiten 73. c) Das Gesetz über die Gewährung von Blindengeld an Friedensblinde Der Bayerische Landtag verabschiedete schließlich in seiner Plenarsitzung vom 28.09. 1949 einstimmig das nunmehr von der Regierung vorgelegte "Gesetz über 73

Paul in: "Die Blindenwelt", Heft 3/4, 1950.

5 Demmel

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1. Teil: Entwicklung der Blindengeldregelungen für Zivilblinde in Deutschland

die Gewährung von Blindengeld an Friedensblinde" (GVBl. S. 255). Es trat mit Wirkung vom 01. 10. 1949 in Kraft. aa) Der wesentliche Inhalt des Gesetzes

Von diesem Zeitpunkt an hatten alle Friedensblinden in Bayern nach Vollendung des 18. Lebensjahres einen gesetzlichen Anspruch auf ein Blindengeld von monatlich 75,00 DM, soferne sie nicht über wesentliche Einkünfte verfügten. Art. 1 dieses Gesetzes lautet: "Bis zur anderweitigen gesetzlichen Versorgung der Friedensblinden erhalten Friedensblinde über 18 Jahre, wenn sie ohne wesentliche Einkünfte sind, ein Blindengeld in Höhe des Pflegegeldes, das Kriegsblinden nach dem Gesetz über Leistungen an Körperbeschädigte vom 26.03. 1947 (GVBl. S. 107) zusteht." Kriegsblinde erhielten zu diesem Zeitpunkt nach dem Körperbeschädigtenleistungsgesetz ein Pflegegeld von 75,00 DM pro Monat. Was als wesentliche Einkünfte nach Art. 1 des Gesetzes zu betrachten war, wurde nicht im Gesetz, sondern in einer Durchführungsbestimmung geregelt. Danach war Einkommen, das den Betrag von 150,00 DM monatlich überstieg, auf das Blindenpflegegeld voll anzurechnen. Der Blindheitsbegriff war im Gesetz nicht definiert, so daß keine Klarheit darüber bestand, ob auch praktisch Blinde, d. h. Personen mit einem Sehvermögen bis zu '/25, anspruchsberechtigt waren. bb) Zur Begründung der Erforderlichkeit des Gesetzes

Eine gesetzliche Regelung des Blindengeldproblems war dringend erforderlich, weil, wie Staatssekretär Grieser in der Sitzung des Haushaltsausschusses des Bayerischen Landtages vom 31. 09. 1949 ausführte, die früher Friedensblinden gewährte gehobene Fürsorge durch die Militärregierung verboten worden sei. Die Friedensblinden den Kriegsblinden, "weil sie fremder Wart und Pflege bedürfen", in dieser Hinsicht gleichzustellen, sei "sozial geboten" und verstoße auch nicht gegen den Grundsatz der Einheitsfürsorge. Das Blindengeld ... stelle in Wahrheit ein Pflegegeld dar, das sich aus der durch die Eigenart des Gebrechens verursachten Hilflosigkeit ergibt74 ." cc) Bewertung des Gesetzes

Unklar war, ob es sich bei dem Blindenpflegegeld um eine Fürsorge- oder Versorgungsleistung handeln sollte. In der Gesetzesbegründung finden sich die Begriffe "Versorgung" und "Fürsorge" oder "Sonderversorgung" bzw. "Sonderfürsorge". 74

Zitiert nach SchoUer: "Beiträge zum Rehabilitationsrecht", S. 210 ff.

Kap. 2: Die Entwicklung seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges

67

Da die Leistung einkommensabhängig und subsidiär war, handelte es sich um eine Fürsorgeleistung, die allerdings nach Art. 2 des Gesetzes auf die Leistungen der allgemeinen Fürsorge nicht angerechnet werden durfte. Auffallend ist, daß das Gesetz über die Gewährung von Blindengeld an Friedensblinde vom 28. 09. 1949 (GVBl. S. 255) eine vorläufige Regelung sein sollte; denn Art. 1 bestimmte ausdrücklich, daß "bis zur anderweitigen gesetzlichen Versorgung der Friedensblinden" ein Blindenge1d gewährt werden sollte. Von dieser Vorläufigkeit gingen sowohl der Bayerische Blindenbund als auch die Staatsregierung aus. Staatssekretär Grieser wies in der Sitzung des Haushaltsausschusses des Bayerischen Landtages vom 31. 09. 1949 darauf hin, daß die Bayerische Staatsregierung wegen einer allgemeinen versorgungsrechtlichen Gleichstellung der Frieden sblinden mit den Kriegsblinden mit den übrigen Bundesländern in Verhandlung getreten sei 75 . Die Sozialminister der Länder haben sich auf ihrer Tagung am 14. 10. 1949 mit diesem Problem befaßt und eine Regelung auf Bundesebene vorgeschlagen. 76. Das Gesetz über die Gewährung von Blindengeld an Friedensblinde vom 28. 09. 1949 billigte zwar den Friedensblinden ein gleichhohes Pflegegeld zu, wie es die Kriegsblinden nach dem Körperbeschädigtenleistungsgesetz vom 26. 03. 1947 (GVBl. S. 107) erhielten. Eine Gleichstellung der Friedensblinden mit den Kriegsblinden sollte dadurch allerdings nicht erfolgen, sondern beide Personengruppen (Kriegsblinde und Friedensblinde) sollten nach dem gemeinsamen "Systemvorbild des Pflegegeldes für hilflose Unfall verletzte" behandelt werden 77 . Das Gesetz über die Gewährung von Blindengeld an Friedensblinde vom 28. 09. 1949 blieb hinter den Forderungen der Beschlüsse des Bayerischen Landtags vom 16.07.1947,01. 07. 1948 und 15.07.1949 zurück, weil das Blindengeld für Friedensblinde im Gegensatz zum Pflegegeld der Kriegsblinden nach dem Körperbeschädigtenleistungsgesetz vom Einkommen abhängig und somit eine Fürsorgeleistung war. Wenn das Gesetz deshalb auch nicht voll den Erwartungen der Blinden in Bayern entsprach, bleibt doch hervorzuheben, daß es das erste Blindengeldgesetz in einem Land der Bundesrepublik Deutschland war. d) Änderungsgesetze Das Gesetz über die Gewährung von Blindengeld an Friedensblinde vom 28.09. 1949 (GVBl. S. 255) erfuhr zwei Änderungen. 75 76

77

5*

Zitiert nach ScholIer: "Beiträge zum Rehabilitationsrecht", S. 210. "Die Blindenwelt", Heft 3 / 4, 1950. ScholIer: "Beiträge zum Rehabilitationsrecht", S. 210.

68

l. Teil: Entwicklung der Blindengeldregelungen für Zivilblinde in Deutschland

aa) Erstes Änderungsgesetz

Das erste Änderungsgesetz vom 18.09. 1950 (GVBl. S. 203) wurde notwendig, weil die im Haushalt für das Blindengeld vorgesehenen 3,25 Millionen DM nicht ausreichten. Dem Gesetz lag eine Schätzung des Bayerischen Blindenbundes zugrunde, wonach mit ca. 1.750 Anspruchsberechtigten gerechnet werden sollte. Diese Zahl erwies sich als viel zu niedrig. In der Schätzung ging der Bayerische Blindenbund davon aus, daß die über 60jährigen nur 30% der Blinden ausmachen würden. Tatsächlich gehörten dieser Altersgruppe 49% der Antragsteller an. Eine wesentlich höhere Zahl von Anspruchsberechtigten ergab sich auch daraus, daß Personen mit einem Sehvermögen bis zu 1/25 einbezogen wurden. Durch ein von der Bayerischen Staatsregierung vorgelegtes Änderungsgesetz vom 10.08. 195078 wurden erhebliche Einschränkungen angestrebt. Die Einkommensgrenze sollte von 150,00 DM auf 80,00 DM monatlich herabgesetzt werden. Das hätte praktisch dazu geführt, daß nur noch Fürsorgeempfängem ein Anspruch auf Blindengeld zugestanden wäre. Der Bayerische Blindenbund unterbreitete seinerseits Vorschläge für notwendige Einschränkungen. Seiner Auffassung nach sollten Personen, die das Augenlicht nach Vollendung des 60. Lebensjahres einbüßten, kein Blindengeld erhalten. Außerdem sollte als blind nur derjenige gelten, der nicht mehr als 1/ 100 Sehvermögen hat 79 . Der Bayerische Landtag beschloß schließlich in seiner Sitzung vom 18.09. 1950 das erste Änderungsgesetz zum Gesetz über die Gewährung von Blindengeld an Friedensblinde (GVBl. S. 203). Als Blinde im Sinne dieses Gesetzes galten künftig nur noch Personen, die ihr Augenlicht vollständig verloren hatten oder deren Sehvermögen nicht mehr als 1% betrug. Auch diejenigen, die ihr Augenlicht nach Vollendung des 60. Lebensjahres verloren, blieben anspruchsberechtigt. Ihr Ausschluß wurde ausdrücklich abgelehnt. Die Einkommensgrenze wurde im Gesetz selbst festgelegt und neu geregelt. Einkommen, das nicht aus Arbeit stammte, wurde angerechnet, soweit es 80,00 DM monatlich überstieg, Einkommen, das aus Arbeit stammte, soweit es über 120,00 DM lag. Für die Ehefrau und für jedes unterhaltsberechtigte Kind unter 17 Jahren erfolgte ein Einkommenszuschlag von monatlich 15,00 DM. Bei Blinden, die in einem Heim untergebracht waren, ruhte das Blindengeld zu 3/4 , wenn die Kosten für den Heimaufenthalt ganz oder überwiegend von der öffentlichen Hand getragen wurden. Die Höhe des Blindengeldes blieb auf 75,00 DM festgeschrieben. Das Pflegegeld der Kriegs- und Unfallblinden war am 01. 01. 1950 von 75,00 DM auf 100,00 DM monatlich angehoben worden. Damit kam es zum ersten Mal zu unterschiedlich hohen Pflegegeldleistungen an Kriegs- und Unfallblinde einerseits und an Zivilblinde andererseits. Landtagsdrucksache 1451. Antrag des Bayerischen Blindenbundes an die Abgeordneten des Bayerischen Landtages und des Bayerischen Senats vorn 22. 08. 1950. 78 79

Kap. 2: Die Entwicklung seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges

69

bb) Zweites Änderungsgesetz

Eine Verbesserung brachte das zweite Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Gewährung von Blindengeld an Friedensblinde vom 15. 01. 1952 (GVBI. S. 15). Das Blindenpflegegeld wurde rückwirkend ab 01. 10. 1951 von 75,00 DM monatlich auf 90,00 DM monatlich erhöht. Es blieb damit aber weiterhin unter dem Pflegegeld für Kriegsblinde und Unfallblinde. e) Das Zivilblindenpflegegeldgesetz von 1953 Eine entscheidende Veränderung trat 1953 ein. Das Gesetz über die Gewährung von Blindengeld an Friedensblinde wurde durch das Zivilblindenpflegegeldgesetz vom 19.06. 1953 (GVBI. S. 177) ersetzt. aa) Der wesentliche Inhalt des Gesetzes

Rückwirkend ab 01. 04. 1953 erfolgte die Gewährung des Blindenpflegegeldes unabhängig von jedem Einkommen (Art. 3 Abs. 1). Die Höhe des Blindengeldes blieb bei monatlich 90,00 DM (Art. 1 Abs. 1). Eine Dynamisierung dieses Betrages war im Gesetz nicht vorgesehen. Der berechtigte Personenkreis erfuhr insoweit eine Erweiterung, als Personen mit einem Sehvermögen bis zu 1/60 (vorher 1/ 100) künftig als blind galten (Art. 1 Abs. 2). Als Blinde im Sinne des Gesetzes galten ferner Personen, bei denen der Sehrest mehr als 1/60 bis zu 1/25 betrug, wenn neben der Herabsetzung der Sehschärfe eine erhebliche Einschränkung des Gesichtsfeldes vorlag (Art. 1 Abs. 3). Außerdem erhielten Heimbewohner, die nicht in einer Heilanstalt oder einem Pflegeheim untergebracht waren, ein Pflegegeld in Höhe von 1/4 des vollen Betrages, wenn die Kosten für den Aufenthalt ganz oder teilweise von einem Fürsorgeverband getragen wurden (Art. 2 Abs. 2). bb) Bewertung des Gesetzes

Mit diesem Gesetz erfolgte eine endgültige Verankerung des Blindengeldes im bayerischen Landesrecht; denn das Gesetz sollte nicht mehr, wie das Blindengeldgesetz vom 28. 09. 1949, eine Übergangsregelung treffen. Weil das Blindengeld ohne Rücksicht auf Einkommen und Vermögen gewährt wurde, handelte es sich auch nicht mehr um ein Fürsorgegesetz. Der bayerische Gesetzgeber hat damit eine bemerkenswerte Vorreiterrolle übernommen, zumal diese Regelung zu einem Zeitpunkt kam, als bereits feststand, daß bundesweit im Rahmen des Fürsorgerechtsänderungsgesetzes eine einkommens- und vermögensabhängige, fürsorgerechtliche Blindengeldregelung kommen sollte.

70

I. Teil: Entwicklung der Blindengeldrege1ungen für Zivilblinde in Deutschland

2. Hessen Hessen war das zweite Land, das ein Blindengeldgesetz erließ. a) Das Pflegegeldgesetz von 1950 Mit Wirkung vom 01. 09. 1950 trat in Hessen das Gesetz über die Gewährung von Pflegegeld an Zivilblinde vom 19.07. 1950 (GVBl. S. 149) in Kraft. aa) Wesentlicher Inhalt des Gesetzes § 1 Abs. 1 bestimmte: "Zivilblinde, die ihren berechtigten Wohnsitz im Lande Hessen haben, bedürftig sind, das 16. Lebensjahr vollendet haben und sich nicht in geschlossener Anstaltspflege befinden, erhalten auf Antrag ein Pflegegeld nach dem Grad ihrer Bedürftigkeit."

Die Einzelheiten über die Voraussetzungen, die Höhe des Pflegegeldes und die Bedürftigkeit sollten durch eine Durchführungsverordnung geregelt werden (§ 1 Abs.3). Ähnlich wie im bayerischen Gesetz über die Gewährung von Blindengeld an Friedensblinde vom 28. 09. 1949 (GVBl. S. 255) blieben also wesentliche Inhalte der Regelung Durchführungsbestimmungen vorbehalten. Im hessischen Gesetz bezog sich dieser Vorbehalt sogar auf die Höhe des Blindengeldes. Die Verordnung zur Durchführung des Gesetzes über die Gewährung von Pflegegeld an Zivilblinde vom 02. 08. 1950 (GVBl. S. 149) brachte im wesentlichen folgende Regelungen: Als blind im Sinne des Gesetzes galt, wer trotz Anwendung gewöhnlicher Hilfsmittel auf keinem Auge mehr als 1/25 der normalen Sehschärfe besaß. Als blind konnte auch anerkannt werden, wer zwar mehr als 1/25 der normalen Sehschärfe hatte, jedoch außer an einer wesentlichen Minderung der Sehschärfe unter anderen erheblichen Beeinträchtigungen seines Sehvermögens litt (Art. 1 Abs. 2). Das Pflegegeld wurde für alleinstehende Blinde auf 80,00 DM monatlich festgesetzt (Art. 3 Abs. 2). Für Blinde, die nicht alleinstehend waren, belief es sich auf 60,00 DM monatlich. Nach Art. 3 Abs. 1 der Verordnung war für die Bedürftigkeit das Nettoeinkommen maßgebend. Es durfte für alleinstehende Zivilblinde 160,00 DM nicht übersteigen. Für Unterhaltsberechtigte erhöhte sich dieser Satz, abgestuft nach ihrer Zahl. Bei sechs und mehr Unterhaltsberechtigten belief er sich auf 260,00 DM. Für erwerbstätige Blinde erhöhten sich die Einkommenssätze des Art. 3 Abs. 1 um 40,00 DM monatlich. Steigerte sich das Arbeitseinkommen nach dem Beginn der Pflegegeldzahlung, so war der Steigerungsbetrag nur zur Hälfte auf das Pflege-

Kap. 2: Die Entwicklung seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges

71

geld anzurechnen (Art. 3 Abs. 3). Durch diese Regelung sollte die berufliche Eingliederung und die Arbeitsbereitschaft der Zivilblinden gefördert werden. Die Berücksichtigung des Vermögens bei der Bedürftigkeitsprüfung richtete sich nach Art. 4 der Verordnung. Abgesehen von gewissem Schon vermögen, war das gesamte verwertbare Vermögen einzusetzen. bb) Bewertung des Gesetzes Das hessische Gesetz über die Gewährung von Pflegegeld an Zivilblinde vom 19.07. 1950 (GVBl. S. 149), das die Leistung an die Bedürftigkeit knüpfte und von Einkommen und Vermögen abhängig war, hatte eindeutigen Fürsorgecharakter. ce) Leistungseinschränkungen Ähnlich wie in Bayern erfolgten auch in Hessen bereits nach einem Jahr erhebliche Einschränkungen, und zwar durch die Verordnung zur Änderung der Verordnung zur Durchführung des Gesetzes über die Gewährung von Pflegegeld an Zivilblinde vom 24. 10. 1951. Die Änderungen traten mit Wirkung ab 01. 10. 1951 in Kraft. Die Höhe des Blindengeldes wurde nach Art. 3 Abs. 1 dieser Verordnung auf 75,00 DM festgesetzt. Die Unterscheidung zwischen alleinstehenden und in Haushaltsgemeinschaft lebenden Blinden fiel damit weg. Die Einkommensgrenzen wurden erheblich herabgesetzt, nämlich für alleinstehende Blinde ohne unterhaltsberechtigte Angehörige von 160,00 DM auf 90,00 DM usw.; für Blinde mit sechs und mehr unterhaltsberechtigten Angehörigen belief sie sich schließlich auf 220,00 DM (vorher 260,00 DM). Diese Einkommensgrenzen erhöhten sich für erwerbstätige Zivilblinde um ein Drittel ihres Arbeitseinkommens, mindestens um 40,00 DM (Art. 3 Abs. 3). Für die Vermögensanrechnung wurde in Art. 5 ein fester Schonbetrag aufgenommen. Nach dieser Bestimmung war nicht bedürftig im Sinne des Gesetzes, wer ein verwertbares Vermögen im Werte von mehr als 6.000,00 DM hatte. Im übrigen verwies Art. 5 der Verordnung auf die Bestimmungen von § 15 der Reichsgrundsätze über Voraussetzung, Art und Maß der öffentlichen Fürsorge in der Fassung vom 01. 08. 1931 (RGBl. I, S. 441), welcher sinngemäß angewendet werden sollte. Es handelte sich bei § 15 RGR um eine Bestimmung zugunsten der gehobenen Fürsorge für Kleinrentner. Das dort aufgeführte Schonvermögen, zu welchem z. B. ein angemessener Hausrat, Familien- und Erbstücke, deren Entäußerung den Hilfsbedürftigen besonders hart treffen würde, Gegenstände, die zur Befriedigung geistiger, besonders wissenschaftlicher oder künstlerischer Bedürfnisse dienen und deren Besitz nicht Luxus ist, sowie ein kleines Hausgrundstück, das der Hilfsbedürftige ganz oder zum größten Teil zusammen mit

72

I. Teil: Entwicklung der Blindengeldregelungen für Zivilblinde in Deutschland

bedürftigen Angehörigen bewohnt und das nach seinem Tode diesen weiter als Wohnung dienen soll, zählten, entsprach im wesentlichen der heutigen Bestimmung von § 88 Abs. 2 BSHG. dd) Der vorläufige Charakter des Gesetzes

Das hessische Gesetz über die Gewährung von Pflegegeld an Zivilblinde vom 19.07. 1950 (GVBl. S. 149) sollte nur eine vorläufige Lösung bringen. Es enthielt zwar keine dem Art. 1 des bayerischen Gesetzes über die Gewährung von Pflegegeld an Friedensblinde vom 28. 09. 1949 (GVBl. S. 255) entsprechende Formulierung, wonach die Leistung "bis zur anderweitigen gesetzlichen Versorgung der Friedensblinden" gewährt werden sollte. Die Fraktionen der CDU und der SPD im Hessisehen Landtag hatten jedoch in der Begründung zu ihrem Antrag auf Erlaß eines Blindengeldgesetzes vom April 1950 zum Ausdruck gebracht, daß diese landesgesetzliche Regelung solange gelten solle, bis eine bundesgesetzliche Regelung vorliege. b) Die Autbebung des hessischen Blindenpflegegeldgesetzes 1954 Nach der Einführung eines Blindenpflegegeldes durch § 11f RGR80 wurde deshalb das hessische Gesetz über die Gewährung von Pflegegeld an Zivilblinde vom 19. 07. 1950 (GVBl. S. 149) durch das Gesetz über die Autbebung des Gesetzes über die Gewährung von Pflegegeld an Zivilblinde vom 12. 04. 1954 (GVBl. S. 75) mit Ablauf des 31. 05. 1954 aufgehoben. Erst durch das Gesetz über das Landesblindengeld für Zivilblinde vom 25. 10. 1977 (GVBl. I, S. 414) kam es in Hessen erneut zur Einführung eines Blindengeldes aufgrund eines Landesgesetzes. Von diesem Zeitpunkt an wurde es unabhängig von Einkommen und Vermögen gewährt. 3. Nordrhein- Westfalen

a) Der Runderlaß von 1951 Als drittes Land schuf Nordrhein-Westfalen eine Landesregelung. Diese erfolgte allerdings nicht in der Form eines Gesetzes, sondern durch Runderlaß des Sozialministers über Blindenpflegegeld vom 21. 04. 1951 (MBl. S. 476, Az. III AI 5).

80

§ Hf wurde durch Art. 4 des Fürsorgeänderungsgesetzes vom 20. 08. 1953 (BGBI. I,

s. 967) eingefügt und trat am 01. 10. 1953 in Kraft.

Kap. 2: Die Entwicklung seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges

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b) Der wesentliche Inhalt des Runderlasses In diesem Erlaß heißt es: "Da sich die Zivilblinden wegen der durch die Blindheit bedingten besonderen Aufwendungen in einer erheblichen Notlage befinden, ordne ich im Einvernehmen mit dem Herrn Finanzminister folgendes an: §1

Bis zur anderweitigen endgültigen bundeseinheitlichen Regelung erhalten Zivilblinde unter den Voraussetzungen des § 2 nach vollendeter Schul- oder blindentechnischer Berufsausbildung auf Antrag ein Pflegegeld von höchstens 75,00 DM monatlich. Bei über 45 Jahre alten oder ausbildungsunflihigen Blinden wird von dem Erfordernis vorheriger vollendeter blinden technischer Berufsausbildung abgesehen. Das Pflegegeld dient zur Abgeltung von geldlichen Aufwendungen, die dem Blinden durch die Tatsache des Blindseins laufend entstehen .... "

In § 1 wurde also die Vorläufigkeit der Regelung herausgestellt. Bemerkenswert ist, daß der Rehabilitations- und Ausgleichsgedanke, dem die Leistung diente, klar zum Ausdruck kam. Blinde, die sich länger als einen Monat überwiegend auf öffentliche Kosten in Anstalts- oder Heimpflege befanden, erhielten kein Pflegegeld (§ 1 Abs. 1 S. 4). Ein monatliches Nettoeinkommen bis zu 175,00 DM blieb anrechnungsfrei (§ 2 Abs. 1). Bei Blinden, die einem Erwerb nachgingen, blieben die Erwerbseinkünfte bis zur Höhe von 60,00 DM monatlich außer Ansatz (§ 2 Abs. 2). Als blind im Sinne dieses Runderlasses waren Personen anzusehen, die auch unter Zuhilfenahme von gewöhnlichen Hilfsmitteln weniger als 1 /25 der normalen Sehschärfe auf bei den Augen hatten. Praktische Blindheit konnte auch beim Überschreiten der Grenze von 1/25 der normalen Sehschärfe angenommen werden, wenn nach ärztlicher Auffassung besondere Umstände dafür sprachen (§ 5). Moralische Anforderungen an den Bezieher von Blindengeld stellte § 3 des Erlasses auf. Er lautete: "Die Zahlung des Pflegegeldes wird eingestellt, wenn der Berechtigte

1. über seine Einkommensverhältnisse unrichtige oder unvollständige Angaben gemacht hat oder es unterlassen hat, dem zuständigen Bezirksfürsorgeverband den Bezug neuen Einkommens oder die Erhöhung seines Einkommens sofort zu melden, 2. die Annahme ihm vermittelter zumutbarer Arbeit ablehnt, 3. von dem Pflegegeld einen nicht dem Zweck des Pflegegeldes entsprechenden Gebrauch macht, 4. beim Betteln oder einem bettelähnlichen Verhalten im Sinne des § 361 Ziff. 4 des Strafgesetzbuches für das Deutsche Reich angetroffen wird. Als Betteln gilt auch das Musizieren oder das Feilbieten geringwertiger Gegenstände auf öffentlichen Straßen, Plätzen und in Gast- und Vergnügungsstätten."

Auch diese Regelung macht den rein fürsorgerechtlichen Charakter dieses Erlasses deutlich.

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1. Teil: Entwicklung der Blindengeldregelungen für Zivilblinde in Deutschland

4. Berlin a) Der besondere politische Status von Berlin Auf die Entwicklung in Berlin wirkte sich die besondere politische Situation aus. Nach dem Zweiten Weltkrieg unterlag Berlin der Kontrolle der vier Besatzungsmächte (UdSSR, USA, Großbritannien und Frankreich). Das Stadtgebiet wurde entsprechend in vier Sektoren aufgeteilt. 1948 erfolgte die Aufspaltung in Westberlin, bestehend aus der britischen, französischen und amerikanischen Besatzungszone, und in Ostberlin, bestehend aus der sowjetischen Besatzungszone. Aufgrund seiner Verfassung von 1950 wurde Westberlin ein Land der Bundesrepublik Deutschland mit einem besonderen Status. Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf Westberlin. b) Die Verfügung von 1950 Am 22. 06. 1950 wurde durch eine Dienstblattverfügung des Senats von Berlin (DBi. IV, 1950, Nr. 56) bestimmt, daß allen hilfsbedürftigen Friedensblinden zu ihrer Fürsorgeunterstützung ein Blindengeld von 25,00 DM monatlich zu gewähren sei. Das war der erste Schritt auf dem Weg zu einem allgemeinen Blindengeld in Westberlin 81 . Zunächst wurden nur Fürsorgeempfänger berücksichtigt. c) Der Senatsbeschluß von 1951 Eine wesentliche Verbesserung brachte der Senatsbeschluß vom 08. 10. 1951 und die darauf beruhende Richtlinie des Senators für Sozialwesen vom 06. 11. 1951 Nr. 56/ 1951. Ziff. 1 a) dieses Runderlasses lautete: "Der Senat hat am 08. 10. 1951 über die Gewährung von Pflegegeld an bedürftige Friedensblinde folgendes beschlossen: I. Anstelle der den bedürftigen Friedensblinden bisher gezahlten Blindenzulage von monatlich 25,00 DM wird den Friedensblinden über 16 Jahre vom 01. 10. 1951 ab ein Blindenpflegegeld von 50,00 DM monatlich gewährt. Dieses Blindenpflegegeld erhalten auch bedürftige Friedensblinde, die in der öffentlichen Fürsorge nicht unterstützt werden, soweit ihre monatlichen Einkünfte zusammen mit dem Pflegegeld nicht um mehr als 50,00 DM über dem Betrag liegen, den sie im Falle ihrer fürsorgerechtlichen Hilfsbedürftigkeit aus Fürsorgemitteln erhalten würden .... " In Ziff. III. b) wird ausdrücklich darauf hingewiesen, daß es sich bei diesem Pflegegeld um eine Fürsorgeleistung aufgrund der Verordnung über die Fürsorgepflicht handele 82 . 81 Huke: Der Stand der öffentlichen Blindenfürsorge im Lande Berlin, "Marburger Beiträge", Heft 3 / 4, 1952. 82 § 6 der Fürsorgepflichtverordnung vom 13.02. 1924 - RGBI. I, S. 100.

Kap. 2: Die Entwicklung seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges

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Neben der Erhöhung von 25,00 DM auf 50,00 DM monatlich wurde der Kreis der Berechtigten über die Fürsorgeempfänger hinaus ausgedehnt. Deshalb ist in diesem Senatsbeschluß der Beginn der landesrechtlichen Blindengeldregelungen in Berlin zu sehen. Blinde im Sinne dieses Senatsbeschlusses waren nach Ziff. IX "solche Personen, die entweder ihr Augenlicht ganz verloren haben oder deren Sehkraft so gering ist, daß sie sich nicht in einer ihnen nicht vertrauten Umgebung allein ohne fremde Hilfe zurechtfinden können. Sie müssen im Besitz eines gültigen Ausweises (Ausweis für Schwerbeschädigte mit ständigem Begleiter) der Versicherungsanstalt Berlin, Hauptabteilung Berufsfürsorge für Schwerbeschädigte, sein." Die Berliner Regelung verwandte damit einen wesentlich engeren Blindheitsbegriff als er im hessischen Gesetz über die Gewährung von Pflegegeld an Zivilblinde vom 19. 07. 1950 (GVBI. S. 149) und im Runderlaß des Sozialministers über die vorläufige Gewährung eines Pflegegeldes an Zivilblinde in NordrheinWestfalen (Az. III A/5 - MBI. S. 476) galt. Die in dem Berliner Erlaß getroffene Bestimmung entsprach nämlich Ziff. 6 der Verwaltungsvorschriften zu § 35 BVG. Blindheit war danach anzunehmen, wenn bei freiem Blickfeld auf dem besseren Auge nur eine Sehschärfe von etwa I/50 bestand. Auch im Berliner Erlaß sollte die Erwerbstätigkeit berücksichtigt werden. Nach Ziff. IV blieb bei Blinden, die einem Erwerb nachgingen, das Arbeitseinkommen in Höhe des halben Betrages des Unterstützungssatzes für Alleinstehende, bei blinden Eheleuten, die beide einem Erwerb nachgingen, das gemeinsame Arbeitseinkommen in Höhe des halben Betrages des Unterstützungsrichtsatzes für Ehepaare außer Betracht. Stoeckel, der Vorsitzende des Allgemeinen Blindenvereins Berlin, stellte zum Senatserlaß vom 08. 10. 1951 kritisch fest: "Selbstverständlich sind damit unsere seit zwei Jahren anhaltenden Bemühungen in keiner Weise erfüllt worden, denn unsere Forderung an Senat und Abgeordnetenhaus lautet auf Gleichstellung mit den Kriegsblinden hinsichtlich des Pflegegeldes83 ." d) Die Ablehnung einer gesetzlichen Regelung Die Bemühungen, in Berlin eine gesetzliche Regelung herbeizuführen, wonach Zivilblinde hinsichtlich des Pflegegeldes Unfallblinden und Kriegsblinden gleichgestellt werden sollten, wurden fortgesetzt. Das Ziel war also die Gewährung eines Pflegegeldes in Höhe von 100,00 DM monatlich ohne Rücksicht auf Einkommen und Vermögen. Das Berliner Abgeordnetenhaus hat am 06. 12. 1951 auf Antrag der SPD-Fraktion mit Mehrheit folgenden Beschluß gefaßt: "Das Abgeordnetenhaus erwartet 83

Vgl. Stoeckel: "Die Blindenwelt", Heft 11,1951.

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1. Teil: Entwicklung der Blindengeldregelungen für Zivilblinde in Deutschland

von dem Senat die Vorlage eines Gesetzes über die Gewährung eines Blindenpflegegeldes auf der Grundlage der Gleichstellung der Zivilblinden mit den Kriegsblinden84 ." Der daraufhin dem Abgeordnetenhaus vorgelegte Gesetzentwurf über die Gewährung eines Blindenpflegegeldes für Zivilblinde wurde jedoch am 23.05. 1952 vom Berliner Senat abgelehnt, weil Berlin nach Annahme des dritten Überleitungsgesetzes gesetzlich gebunden war und nicht über die weitestgehende Blindengeldregelung, die zur Zeit in einem anderen Land der Bundesrepublik Deutschland galt, hinausgehen konnte. Der Senat beauftragte jedoch den Senator für Sozialwesen, eine neue Vorlage auf der Basis der zur Zeit für das bayerische Blindenpflegegeld gültigen Bestimmungen auszuarbeiten. e) Die Richtlinie von 1952 Dieser Forderung kam die Richtlinie des Senators für Sozialwesen vom 07.07. 1952, Az. 11 C 4 nach. Mit Wirkung vom 01. 08. 1952 wurde das Blindenpflegegeld gemäß Ziff. I a) der Richtlinien von monatlich 50,00 DM auf monatlich 90,00 DM erhöht. Das entsprach der Regelung in Bayern. Dieses erhöhte Blindenpflegegeld erhielten auch Friedensblinde, die nicht in der öffentlichen Fürsorge unterstützt wurden, soweit ihre monatlichen Nettoeinkünfte nicht das Eineinhalbfache des Betrages überstiegen, den sie im Falle ihrer fürsorgerechtlichen Hilfsbedürftigkeit als laufende Unterstützung aus Fürsorgemitteln erhalten würden. Von den Einkünften aus unselbständiger Arbeit und freiberuflicher Tätigkeit blieben hierbei 50,00 DM monatlich außer Betracht. Es wurde allerdings auch ausdrücklich bestimmt, daß es sich nach wie vor um eine Fürsorgeleistung aufgrund der Fürsorgepflichtverordnung handele. f) Das Gesetz von 1954

Eine gesetzliche Regelung erfolgte in Berlin erst mit Wirkung vom 01. 09. 1954 durch das Gesetz über die Gewährung von Blindenpflegegeld vom 04. 08. 1954 (GVBI. S. 492). Dieses Gesetz stellte einen großen Fortschritt dar. Zwar lag das Blindengeld unter den Leistungen für Kriegsblinde nach dem BVG, es wurde aber ohne Rücksicht auf Einkommen und Vermögen gewährt und stellte keine Fürsorgeleistung mehr dar.

84

Huke: "Marburger Beiträge", Heft 3 / 4, 1952, a. a. O.

Kap. 2: Die Entwicklung seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges

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5. Niedersachsen

a) Bemühungen um ein Landesgesetz Der Niedersächsische Landtag hatte am 09. 03. 1950 einstimmig die Regierung aufgefordert, ein Blindengeldgesetz vorzulegen 85 . Die Regierung von Niedersachsen vertrat die Auffassung, daß eine Lösung auf Bundesebene angestrebt werden sollte. Es hat deshalb 1950 die Angelegenheit vor den Bundesrat gebracht86 . Der Bundesrat empfahl im Mai 1951 den Ländern lediglich, blinden Wohlfahrtsempfängern eine erhöhte Fürsorgeleistung nach § 6 der Fürsorgepflichtverordnung in Höhe des einfachen Fürsorgerichtsatzes zu gewähren. Weil das Problem einer Blindenhilfe auf Bundesebene geregelt werden sollte, sah es die Regierung von Niedersachsen, wie die Regierungen der meisten Länder, nicht mehr für zweckmäßig an, ein eigenes Landesgesetz zu erlassen87 . b) Die Erlasse von 1950 und 1953 Der niedersächsische Minister für Arbeit, Aufbau und Gesundheit hat in einem Erlaß vom 20. 03. 1950 blinden Fürsorgeempfängern eine Zulage in Höhe des einfachen Fürsorgerichtsatzes zuerkannt. Nachdem die Vertreter der Sozialministerien der Länder Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Hamburg, Bremen, Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg am 15. 12. 1952 in Hannover eine Absprache dahingehend getroffen hatten, daß auch diese Länder bis zum Erlaß eines Bundesgesetzes Übergangsregelungen schaffen wollten, faßte am 23. 12. 1952 die niedersächsische Landesregierung den Beschluß, daß Zivilblinde in Niedersachsen ab 01. 01. 1953 ein Pflegegeld in Höhe des doppelten Fürsorgerichtsatzes erhalten sollten88 . Daraufhin hat der niedersächsische Sozialminister gemäß § 6 der Verordnung über die Fürsorgepflicht vom 13. 02. 1924 im Januar 1953 einen entsprechenden Erlaß herausgebracht89 . Nach Ziff. 1 dieses Erlasses war ab 01. 01. 1953 an alle Blinden in Niedersachsen ein Pflegegeld in Höhe des doppelten Fürsorgerichtsatzes für einen Haushaltungsvorstand zu gewähren, soweit sie nicht auf öffentliche Kosten in Anstalten oder Heimen untergebracht waren. Bei der Bedarfsprüfung war ein Drittel des Arbeitseinkommens, mindestens jedoch 40,00 DM pro Monat, anrechnungsfrei (Ziff. 4 des Erlasses). 85 86

87 88 89

"Blindenwelt", Heft 3 / 4, 1950. Gottwald: "Die Blindenwelt", Heft 7 / 8, 1953. Gottwald: "Die Blindenwelt", Heft 3, 1952. Gottwald: "Blindenwelt", Heft 1,1953. Abgedruckt in: "Blindenwelt", Heft 4, 1953.

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1. Teil: Entwicklung der Blindengeldregelungen für Zivilblinde in Deutschland

Die Leistung des Blindenpflegegeldes war damit nicht mehr nur auf Fürsorgeempfänger beschränkt. Der berechtigte Personenkreis umfaßte auch die praktisch Blinden. Als praktisch blind galten nach Ziff. 1 des Erlasses auch solche Personen, die "unter Zuhilfenahme von gewöhnlichen Hilfsmitteln weniger als '/25 der normalen Sehfähigkeit auf beiden Augen" besaßen. Nach Ziff. 10 der Richtlinien wurde ausdrücklich festgelegt, daß diese Bestimmungen als Übergangsregelungen bis zum Inkrafttreten einer bundeseinheitlichen Regelung, "ggf. eines Bundesgesetzes über die Änderung und Ergänzung fürsorgerechtlicher Bestimmungen", gelten sollten. Die niedersächsischen Richtlinien waren Vorbild für die Übergangslösungen in Bremen und Hamburg. 6. Bremen und Hamburg

Die Bundesländer Bremen und Hamburg haben im Anschluß an die Sechs-Länder-Besprechung vom 15. 12. 1952 ebenfalls Übergangsregelungen bis zum Inkrafttreten einer bundesrechtlichen Lösung erlassen. Die jeweiligen Runderlasse traten am 01. 04. 1953 in Kraft. Rechtsgrundlage war § 6 der Fürsorgepflichtverordnung vom 13. 02. 1924. Das Pflegegeld wurde in Höhe von 100,00 DM monatlich gewährt. Ein Drittel des Arbeitseinkommens, mindestens 40,00 DM monatlich, blieben bei der Prüfung der Bedürftigkeit anrechnungsfrei. Die Leistung stand auch Blinden zu, die nicht Fürsorgeempfänger waren. Berücksichtigt wurden auch praktisch Blinde, d. h. Personen mit einem Sehvermögen bis zu '/25 der Norm. Die Bestimmungen lehnten sich eng an die niedersächsischen Regelungen an.

7. Rheinland-Pfalz

a) Das Gesetz von 1953 Eine Übergangslösung wurde aufgrund der Sechs-Länder-Besprechung vom 15. 12. 1952 auch in Rheinland-Pfalz getroffen. Hier allerdings nicht durch einen Erlaß, sondern durch das Landesgesetz über die Gewährung von Blindenpflegegeld an Zivilblinde vom 12. 05. 1953. § 1 Abs. 1 des Gesetzes billigte den Anspruch ausdrücklich nur bis zu "einer anderweitigen gesetzlichen Regelung" zu. § 14 bestimmte, daß dieses Gesetz "bis

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zu dem Zeitpunkt, in dem eine bundesrechtliche Regelung über die Gewährung von Pflegegeld oder sonstige besondere Leistungen für Zivilblinde in Kraft tritt", gelten soll. Anspruch auf Blindengeld hatten Personen, die voll erblindet waren oder nicht mehr als 1/60 der normalen Sehschärfe besaßen, das 18. Lebensjahr vollendet und ihren ständigen Wohnsitz in Rheinland-Pfalz hatten (§ 1 Abs. 1). Das Blindenpflegegeld wurde ab 01. 06. 1953 in Höhe von 75,00 DM monatlich gewährt (§ 2). Das Einkommen des Blinden wurde angerechnet, soweit es 125,00 DM monatlich überstieg (§ 4). Bei der Berechnung des Einkommens blieb ein Drittel des Arbeitseinkommens des Blinden, mindestens jedoch ein Betrag von 40,00 DM monatlich, außer Ansatz (§ 4 Abs. 4). b) Außerkrafttreten des Gesetzes Das Gesetz verlor gemäß § 14 mit Wirkung ab 01. 10. 1953 seine Gültigkeit, weil zu diesem Datum § I1f RGR in Kraft trat. Erst das Landespflegegeldgesetz vom 31. 10. 1974 (GVB!. S. 466) brachte mit Wirkung ab 01. 07. 1974 wieder ein Blindengeld auf landesrechtlicher Grundlage.

C. Die Einführung einer bundesrechtlichen Regelung durch § Hf RGR I. Ausgangssituation nach der Entstehung der Bundesrepublik Deutschland Nach dem Entstehen der Bundesrepublik Deutschland stellte sich für die Blindenselbsthilfeorganisationen der Zivilblinden die Frage, ob sie den Anspruch auf ein Blindengeld auf Bundes- oder auf Landesebene weiterverfolgen sollten. Wie unter B. gezeigt worden ist, führten die Bemühungen in den Ländern - mit Ausnahme von Bayern - nur zu Übergangsregelungen. Zu berücksichtigen war, daß die Fürsorgepflichtverordnung vom 13. 02. 1924 (RGB!. I, S. 100) und die Reichsgrundsätze über Voraussetzung, Art und Maß der öffentlichen Fürsorge (RGR) vom 04. 12. 1924 (RGß!. I, S. 765 i. d. F. der Bekanntmachung vom 01. 08. 1931 - RGB!. I, S. 441), zuletzt geändert am 26. 05. 1933 (RGB!. I, S. 316), gemäß Art. 123 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 125 und Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG als Bundesrecht weiter galten.

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1. Teil: Entwicklung der Blindengeldregelungen für Zivilblinde in Deutschland

11. Bestrebungen zur Schaffung eines bundesrechtlichen Blindengeldgesetzes

i. initiative des Deutschen Blindenverbandes Bereits im ersten Jahr nach seiner Gründung90 ergriff der Deutsche Blindenverband als Spitzenverband der Landesblindenselbsthilfeorganisationen die Initiative mit dem Ziel, ein Blindengeld und weitere Hilfen zur Eingliederung blinder Menschen in die Gesellschaft auf der Grundlage eines Bundesgesetzes zu erreichen91 . a) Anfrage der Bundestagsfraktion der SPD vom 12.05. 1950 Veranlaßt durch die Vorsprachen des Deutschen Blindenverbandes bei sämtlichen Fraktionen des Deutschen Bundestages, richtete die Bundestagsfraktion der SPD am 12.05. 1950 eine Anfrage an die Bundesregierung, die sich auf die Einführung eines Blindengeldes für Zivilblinde bezog 92 . Die Anfrage hatte folgenden Wortlaut: ,,1. Ist die Bundesregierung bereit, Zivilblinden ebenfalls ein Blindengeld zu gewähren?

2. Ist eine gesetzliche Regelung in Aussicht genommen? 3. Sind die erforderlichen Schritte zur Bereitstellung der Mittel unternommen?"

b) Antwort der Bundesregierung vom 27. 05.1950 Auf diese Anfrage hat der Bundesminister des Inneren am 27. 05. 1950 geantwortet, daß die abschließende Behandlung erst erfolgen könne, wenn die von einigen Ländern noch ausstehenden Antworten eingegangen und mit dem Bundesfinanzminister grundsätzliche Fragen, z. B. die Ausdehnung auf andere Körperbehinderte, geklärt worden seien. c) Die Auffassung des Vereins für öffentliche und private Fürsorge Der Verein für öffentliche und private Fürsorge lehnte in einer Stellungnahme ein besonderes Blindengeld, ganz gleich, ob es auf der Versorgungs- oder auf der Wohlfahrtsebene gewährt würde, ab 93 . Nach Auffassung des Vereins für öffentliche und private Fürsorge beruhe das Blindengeld auf fürsorgerischen Erwägungen, 90 91 92 93

Die konstituierende Versammlung fand am 18. und 19. Oktober 1949 in Meschede statt. Gottwald: "Werden und Wachsen", S. 62. Bundestagsdrucksache Nr. 950, erste Wahlperiode, Anfrage Nr. 79. Nachrichtendienst des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge Nr. 5 / 1950.

Kap. 2: Die Entwicklung seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges

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lasse jedoch die Grundsätze der öffentlichen Fürsorge, nämlich die Voraussetzung der Hilfsbedürftigkeit, die Individualisierung der Leistung und die Subsidiarität der Fürsorge, außer Acht. d) Die Argumentation des Deutschen Blindenverbandes Der Vorsitzende des Deutschen Blindenverbandes, Dr. Alfons Gottwald, stellte demgegenüber den Ausgleichsgedanken, der "unabhängig von Hilfsbedürftigkeit, Individualisierung und Subsidiarität" sei, in den Vordergrund. Dieser Ausgleichsgedanke liege auch dem Pflegegeld für Unfallblinde nach § 558c der RVO und dem Pflegegeld nach § 35 BVG für Kriegsbeschädigte zugrunde94 . e) Die Eingabe des Vereins blinder Geistesarbeiter Der Verein blinder Geistesarbeiter (VBG) - jetzt Deutscher Verein der Blinden und Sehbehinderten in Studium und Beruf e. V. (DVBS) - hatte sich mit Eingaben vom 28. 03. 1950 und 28. 06. 1951 an den Deutschen Bundestag für ein Blindengeld unabhängig von Einkommen und Vermögen eingesetzt, "denn der Zustand der Blindheit bleibt bestehen, ganz gleich, ob der Betreffende ein Einkommen aus Vermögen, selbständiger Arbeit oder sonstigen ihm rechtlich zustehenden Bezügen hat oder nicht,,95.

2. Der Initiativantrag des Deutschen Blindenverbandes vom 15.06. 1951

Der Deutsche Blindenverband richtete schließlich am 15.06. 1951 einen Antrag an die Fraktionen des Bundestages. Er bat diese im Wege eines Initiativantrages, ein Zivilblindenpflegegeldgesetz zu schaffen. Der Antrag enthielt einen ausformulierten und begründeten Gesetzentwurf6 • a) Inhalt des Gesetzentwurfes Nach § 1 dieses Entwurfes sollte das Pflegegeld für Zivilblinde in Höhe von monatlich 100,00 DM als "Blindheitsausgleich" gewährt werden. In § 2 des Entwurfes war eine Einkommensgrenze vorgesehen. Soweit das Nettoeinkommen einschließlich des Pflegegeldes den Betrag von 300,00 DM monatlich überstei94

95 96

Gottwald: "Die Blindenwelt", Heft 7/8,1950, S. 2. "Marburger Beiträge", Heft 9/10,1951. Abgedruckt in: "Die Blindenwelt", Heft 7/8,1951.

6 Demmel

1. Teil: Entwicklung der Blindengeldregelungen für Zivilblinde in Deutschland

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gen würde, sollte das Pflegegeld um den übersteigenden Betrag gekürzt werden. Besondere Freibeträge sollten für Erwerbseinkommen gelten (§ 2 Abs. 3 des Entwurfes). Besondere Versagungsgründe, nämlich falsche oder unvollständige Angaben über die Einkommensverhältnisse, die Ablehnung vermittelter zumutbarer Arbeit oder das Betteln bzw. die Ausübung bettelähnlicher Praktiken, sah § 3 vor. Der Gesetzentwurf orientierte sich weitgehend an den Richtlinien über die vorläufige Gewährung eines Pflegegeldes an Zivilblinde für Nordrhein-Westfalen vom 21. 04.1951. b) Begründung des Gesetzentwurfes

In der Gesetzesbegründung wurde darauf hingewiesen, daß der Bundesrat der Einführung eines allgemeinen Pflegegeldes für Zivilblinde ohne Rücksicht darauf, ob sie Fürsorgeempfänger seien oder nicht, ablehnte. Der Bundesratsausschuß für innere Angelegenheiten habe vielmehr beschlossen, "daß lediglich die Leistungen für blinde Fürsorgeempfänger verbessert werden, indem diese im Rahmen der öffentlichen Fürsorge eine Pflegezulage erhalten sollen,m. Der vom Deutschen Blindenverband vorgelegte Gesetzentwurf strebte ein Pflegegeld an, das die gleiche Höhe haben sollte, wie das Pflegegeld für Unfallblinde und Kriegsblinde. Die Grundsätze der Bedürftigkeit und Subsidiarität wurden beachtet. Die angestrebte Regelung wäre somit nach wie vor fürsorgerechtlicher Natur gewesen.

In der Begründung zu § 2 des Entwurfes wurde allerdings klar zum Ausdruck gebracht, daß der Deutsche Blindenverband ein Blindenpflegegeld unabhängig von Einkommen und Vermögen anstrebt. Es heißt: "Die Zivilblinden erstreben ein gleiches Blindenpflegegeld für alle (ohne Einkommensgrenze); denn das Pflegegeld soll ein Ausgleich für die blindheitsbedingten Mehrbelastungen darstellen. Die Verhandlungen mit den Fraktionen haben aber ergeben, daß eine Begrenzung in der Weise gewünscht wird, daß Großverdiener ein Pflegegeld nicht erhalten. Diesem Wunsch trägt der Vorschlag Rechnung." 3. Die weitere Behandlung der Blindengeldfrage im Deutschen Bundestag

a) Die Interpellation der SPD vom 06.07. 1951 Am 06. 07. 1951 erinnerte die Fraktion der SPD in einer Interpellation an ihre Anfrage Nr. 79 vom 12.05.1950. 97

Zitat nach der Begründung des Gesetzentwurfes des DBV.

Kap. 2: Die Entwicklung seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges

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aa) Inhalt der Anfrage

Die Interpellation vom 06.07. 1951 lautet: "Die Gewährung eines Pflegegeldes an Zivilblinde ist dringend und, wie bekannt, auch seitens des Bundesrates grundsätzlich anerkannt. Wir fragen die Bundesregierung: I. Ist nach über einem Jahr seit der letzten Anfrage Nr. 79 - Nr. 950 der Drucksachen - die Bearbeitung der Gewährung eines Pflegegeldes an Zivil blinde nunmehr abgeschlossen? 2. Ist die Bundesregierung bereit, über den Kreis der Fürsorgeempfänger hinaus auch an alle anderen Zivilblinden, soweit sie nicht aufgrund anderer gesetzlicher Bestimmungen bereits Pflegegeld erhalten oder über ein angemessenes Mindesteinkommen verfügen, ein Pflegegeld zu geben? 3. Ist die Bundesregierung bereit, über den Kreis der Zivilblinden hinaus auch andere Pflegebedürftige, die nicht ohne fremde Wartung und Pflege bestehen können, nach diesen Grundsätzen ebenfalls ein Pflegegeld zu gewähren? 4. Ist die Bundesregierung bereit, ein Gesetz nach Frage 2 und 3 bis zum 30. 09. 1951 vorzulegen, damit die erforderlichen Mittel noch im Haushalt 1951 /52 bereitgestellt werden können?" bb) Begründung der Anfrage im Bundestag

Die Bundestagsabgeordnete Frau Döhring begründete in der 166. Sitzung des Deutschen Bundestages am 10. 10. 1951 die Interpellation der Bundestagsfraktion der SPD. Sie wandte sich gegen eine Beschränkung der Pflegegeldleistung auf Empfänger öffentlicher Fürsorge und betonte, daß das Pflegegeld die erhöhten Lebenskosten des Zivilblinden für die fremde Wartung, für die fremde Hilfe ausgleichen und ihn so im Leben und Beruf weubewerbsfähig machen S011 98 • ce) Antwort der Bundesregierung

Staatssekretär Bleek, Bundesministerium des Inneren, beantwortete die Interpellation der SPD-Fraktion. Er führte in der 166. Sitzung des Deutschen Bundestages am 10. 10. 1951 u. a. aus: " ... Ich möchte auch historisch nur noch ganz kurz darauf hinweisen, daß dieses Problem (Gewährung eines Blindenpflegegeldes an Zivilblinde) bereits den Reichstag in der Mitte der 20er Jahre beschäftigt hat. Damals wie heute ging es um die Frage, ob ein versorgungsmäßiger Rentenanspruch oder eine Lösung im Rahmen fürsorgerechtlicher Bestimmungen zweckmäßig, notwendig und angebracht sei. Schon wegen der Möglichkeit der Rückwirkung auf andere Gruppen von Gebrechlichen ist man damals zu der Auffassung gekommen, daß die Lösung des Problems nur auf fürsorgerechtlichem Gebiet gefunden werden könne. 98

6*

"Marburger Beiträge", Heft 11 / 12, 1951.

84

I. Teil: Entwicklung der Blindengeldregelungen für Zivilblinde in Deutschland Es ist bedauerlich, daß man bei einem so sehr auf rein menschlicher Ebene liegenden Problem verfassungsrechtliche Fragen aufwerfen muß. Wir sind aber leider nach eingehender Prüfung des Grundgesetzes zu der Auffassung gekommen, daß der Bund keine gesetzgeberische Kompetenz für eine versorgungsmäßige Rentenregelung hat. Das Grundgesetz überträgt dem Bund eine solche Kompetenz nur für die Versorgung der Kriegsopfer; im übrigen hat er aber nur auf dem Gebiete der Fürsorge die konkurrierende Gesetzgebung. Der Gesetzentwurf, den wir Ihnen in aller Kürze ... unterbreiten werden, wird also nach der verfassungsmäßigen Lage von einer fürsorgerechtlichen Regelung ausgehen. Es ist jedoch selbstverständlich, daß dieser Gesetzentwurf in dem uns gezogenen Rahmen der besonderen Lage der Zivilblinden Rechnung tragen wird, und zwar ist an etwa folgende Regelung gedacht: Es soll, ohne daß irgend eine kleinliche Prüfung der Verhältnisse im einzelnen stattfinden darf, ein erheblicher Mehraufwand über den allgemeinen Richtsatz hinaus als Pflegegeld gewährt werden, und zwar nach bestimmten normativ geltenden Grundsätzen, die für jeden Fall Geltung haben werden. Darüber hinaus soll da, wo durch diesen Pflegegeldsatz noch keine Existenzsicherung erreicht ist, die Möglichkeit gegeben werden, nach Prüfung des Einzelfalles noch einen weiteren Mehraufwand zuzuerkennen, und es soll auch dafür Sorge getragen werden, daß nicht in unzulässiger Weise die Genehmigung dieses Pflegegeldes von der Heranziehung unterhaltspflichtiger Angehöriger abhängig gemacht wird, es sei denn, daß ganz besonders in die Augen fallende Verhältnisse vorliegen, und es sich um die Verweigerung einer an sich möglichen Unterhaltsverpflichtung handelt. Weiter soll dafür Sorge getragen werden, daß in Abweichung von den sonst üblichen fürsorgerechtlichen Grundsätzen von einer Rückzahlungsverpflichtung dieses Pflegegeldes grundsätzlich Abstand genommen wird. Das etwa ist in Kürze der Inhalt des vorbereiteten Gesetzentwurfes. Ich darf noch einmal betonen, daß eine verfassungsmäßige Möglichkeit für eine Rentenversorgung nicht besteht, daß es aber selbstverständlich der Gesetzgebung der Länder überlassen ist, neben oder anstelle der hier vorgesehenen Regelung eine derartige Versorgung zu schaffen99 ."

b) Kompetenzprobleme Für die Gestaltung und Weiterentwicklung des Blindengeldrechtes kam es, das wurde hier deutlich, auf die Beurteilung der Gesetzgebungskompetenz nach dem Grundgesetz und den Landesverfassungen an. Nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG hat der Bund die konkurrierende Gesetzgebung für den Bereich der öffentlichen Fürsorge. Hinsichtlich versorgungsrechtlicher Regelungen erstreckt sich die konkurrierende Gesetzgebung des Bundes nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 10 GG auf die Versorgung der Kriegsbeschädigten und Kriegshinterbliebenen. Daß ein Blindengeld für Zivilblinde nur im Rahmen einer fürsorgerechtlichen Regelung (Art. 74 Abs. 1 Nr. 7) eingeführt werden konnte, war unstrittig. Ob unter der öffentlichen Fürsorge im Sinn von Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG lediglich die Wohl99

Zitiert nach "Marburger Beiträge", Heft 11112, 1951.

Kap. 2: Die Entwicklung seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges

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fahrt im Sinne des Annenrechts bzw. im Sinne der Fürsorgepflichtverordnung vom 13. 02. 1924 (RGBl. I, S. 100) und der Reichsgrundsätze über Voraussetzung, Art und Maß der öffentlichen Fürsorge vom 04. 12. 1924 (RGBl. I, S. 765) verstanden werden konnte oder ob auch Regelungen ohne Rücksicht auf Einkommen und Vermögen möglich sein sollten, war fraglich. Wie sich aus den oben wiedergegebenen Äußerungen von Staatssekretär Bleek zeigt, vertrat die Bundesregierung die erstere Auffassung. Zu dieser Frage braucht an dieser Stelle im Zusammenhang mit der historischen Darstellung des Blindengeldrechtes nicht Stellung genommen zu werden. Mit seiner Bemerkung, daß es "selbstverständlich der Gesetzgebung der Länder überlassen ist, neben oder anstelle der hier vorgesehenen Regelung (Blindenpflegegeld im Rahmen eines Fürsorgegesetzes des Bundes) eine derartige Versorgung zu schaffen", weist Staatssekretär Bleek den Weg auf, den die Blindengeldgesetzgebung beschritten hat. c) Demonstration der Blinden vom 19.09. 1951 in Bonn Am 19. 09. 1951 fand in Bonn eine Demonstration statt, an der über 2.000 Blinde teilgenommen haben. Gefordert wurde ein Pflegegeld ohne Einkommensgrenze in Höhe des Pflegege1des, wie es die Unfall- und Kriegsblinden neben ihrer Rente erhalten. d) Keine Entscheidung durch den Deutschen Bundestag Am 10. 10. 1951 verwies das Plenum des Deutschen Bundestages in der 166. Sitzung, in welcher Staatssekretär Bleek die oben wiedergegebene Regierungserklärung abgegeben hatte, nach kurzer Debatte den vom Deutschen Blindenverband formulierten Antrag auf Erlaß eines Blindengeldgesetzes (siehe oben) und die Interpellation der SPD-Fraktion an den Ausschuß für öffentliche Fürsorge (federführend) unter beratender Mitwirkung des Sozialpolitischen Ausschusses. Mit Rücksicht auf die Zusage des Bundesministeriums des Inneren, binnen kurzem den Gesetzentwurf für das Fürsorgeergänzungsgesetz vorzulegen, beschlossen diese Bundestagsausschüsse, zunächst diesen Regierungsentwurf abzuwarten 100.

100

Gottwald: "Die Blindenwelt", Heft 7 / 8, 1953, S. 2 ff.

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1. Teil: Entwicklung der Blindengeldregelungen für Zivilblinde in Deutschland

III. Die Regelung im Rahmen des Fürsorgerechtsänderungsgesetzes 1. Der RegierungsentwurJ

Der Anfang 1952 von der Bundesregierung vorgelegte Entwurf für das Fürsorgeergänzungsgesetz enthielt in § 11f RGR lediglich ein Pflegegeld für blinde Fürsorgeempfänger in Höhe des einfachen Fürsorgerichtsatzes. a) Inhalt von § 11f nach dem Regierungsentwurf § 11fRGR des Regierungsentwurfes lautete: ,,(1) Bei Zivilblinden, die sich nicht in Anstaltspflege befinden, ist nach Vollendung des 6. Lebensjahres zusätzlich zu dem für sie maßgebenden Richtsatz ein Mehrbedarf für Pflege (§ 6a) in Höhe des Richtsatzes eines Haushaltungsvorstandes, bei alleinstehenden Zivilblinden in Höhe des Richtsatzes eines Alleinstehenden, anzuerkennen, soweit nicht im Einzelfall eine höhere Leistung, insbesondere für einen Blindenbegleiter oder Führhund, notwendig ist. (2) Als Zivilblinde im Sinne des Abs. 1 gelten auch Personen, deren Sehkraft so gering ist, daß sie sich in einer ihnen nicht vertrauten Umgebung ohne fremde Hilfe nicht zurechtfinden können. (3) Ein Verwandter, dessen Unterhaltspflicht sich nach § 1603 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches bestimmt, ist zum Ersatz der Kosten der Pflege nur heranzuziehen, wenn es offenbar unbillig wäre, hiervon abzusehen."

b) Begründung zu § 11 f des Regierungsentwurfs In der amtlichen Begründung zu § 11f des Regierungsentwurfes heißt es u. a.: " ... Die Bestimmung sichert, da es sich um eine solche des Fürsorgerechts handelt, den Zivilblinden eine fürsorgerische Mindestleistung zu. Nach § 35 RGR können die Länderund im Rahmen landesrechtlicher Vorschriften auch die Fürsorgeverbände - dem Blinden darüber hinaus Hilfe gewähren. So geleistete zusätzliche Zahlungen können nach §§ 8 und 12 des ersten Überleitungsgesetzes i. d. F. vom 21. 08. 1951 (BGBI. I, S. 779) im Rahmen der Kriegsfolgenhilfe mit dem Bund allerdings nicht verrechnet werden. Soweit die Länder darüber hinaus durch besondere Vorschriften den Zivilblinden einen Rechtsanspruch auf ein Blindenpflegegeld zuerkennen, liegt dieser Anspruch außerhalb des Fürsorgerechts und damit auch außerhalb des Rahmens dieses Entwurfes"lOl.

c) Stellungnahme der Blindenorganisationen Die Zivilblinden waren vom Inhalt des § Hf RGR in der Fassung des Regierungsentwurfes eines Gesetzes über die Änderung und Ergänzung fürsorgerechtliIOI

Abgedruckt in: "Die Blindenwelt", Heft 3 / 1952.

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cher Bestimmungen enttäuscht. Mit einer Entschließung vom 23. 02. 1952 protestierten die Vertreter der Zivilblindenselbsthilfeorganisationen auf einer Sozialtagung in Königswinter gegen diesen Regierungsentwurf lO2 • In den Bundesländern war es - mit Ausnahme von Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein, zu wesentlich günstigeren Blindenge1dleistungen gekommen lO3 • Nach den Ländern Bayern, Hessen, Nordrhein-Westfalen und Berlin erfolgten aufgrund der Besprechung der Sozialministerien von Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Hamburg, Bremen, Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg, die am 05. 12. 1952 in Hannover stattfand, die Länder Niedersachsen, Bremen, Hamburg und Rheinland-Pfalz Übergangsregelungen. 2. Verbesserungen im Gesetzgebungsveifahren

Die Verhandlungen im Bundesrat führten zu einer wesentlichen Veränderung und Verbesserung von § I1f RGR. Vorbild war der niedersächsische Blindenpflegegelderlaß vom Januar 1953 104• a) Inhalt von § Hf RGR in der Endfassung In der Plenarsitzung des Deutschen Bundestages vom 12.06. 1953, in welcher das Fürsorgeänderungsgesetz vom 20. 08. 1953 (BGBI. I, S. 967) in zweiter und dritter Lesung behandelt und verabschiedet wurde, erfuhr daraufhin § Hf RGR wesentliche Verbesserungen: Die Höhe des Pflegegeldes wurde vom einfachen auf den doppelten Fürsorgerichtsatz, höchstens auf den Betrag, den Kriegsblinde als Pflegegeld nach § 35 BVG erhielten, erhöht. Bei der Bemessung des anrechnungsfreien Einkommens blieben neben dem einfachen Fürsorgerichtsatz nicht mehr nur 33%, sondern 40%, mindestens 40,00 DM des Arbeitseinkommens außer Ansatz 105. Durch Art. 4 des Fürsorgeänderungsgesetzes vom 20. 08. 1953 (BGBI. I, S. 967), das am 01. 10. 1953 in Kraft getreten ist, erhielt § 11 f RGR folgende Fassung: ,,§ Hf

(I) Bei Blinden, die keine entsprechende Pflegezulage aufgrund anderer bundesgesetzlicher Bestimmungen erhalten, ist ein Mehrbedarf für Pflege anzuerkennen. Der Mehrbedarf ist bei alleinstehenden Blinden in Höhe des Zweifachen des für sie maßgebenden Richtsatzes bis zur Höhe der Pflegezulage eines Kriegsblinden, bei haushaltsangehörigen Blinden, die das 16. Lebensjahr vollendet haben, in Höhe des Zweifachen des 102 103 104 105

"Die Blindenwelt", Heft 3/1952. Vgl. oben B. Vgl. oben B. 11. 5 .. Gottwald: "Die Blindenwelt", Heft 7/8,1953, S. 2 ff.

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1. Teil: Entwicklung der Blindengeldregelungen für Zivilblinde in Deutschland Richtsatzes eines Haushaltsvorstandes bis zur Höhe der Pflegezulage eines Kriegsblinden, bei Haushaltsangehörigen, die das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, vom vollendeten 2. Lebensjahr ab in Höhe des für sie maßgebenden Richtsatzes anzuerkennen, soweit nicht im Einzelfall eine höhere Leistung notwendig ist. Bei haushaltsangehörigen Blinden, die das 2. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, ist der Mehrbedarf nach § 10 anzuerkennen. (2) Bei Blinden, die sich in Anstalts- oder Heimpflege befinden, ist ein Mehrbedarf zur Deckung ihrer besonderen persönlichen Bedürfnisse anzuerkennen. Die Höhe des Mehrbedarfs bestimmt das Land, sie soll mindestens dem Zweifachen des Betrages entsprechen, der sonst den Anstalts- oder Heimpfleglingen für ihre persönlichen Bedürfnisse gewährt wird. (3) Kommt der Blinde den nach § 7 Abs. 1 S. 1 in Verbindung mit § 7 Abs. 2 bestehenden Verpflichtungen nicht nach, kann von der Anerkennung des Mehrbedarfs für Pflege ganz oder teilweise abgesehen werden. (4) Ein Verwandter, dessen Unterhaltspflicht nach § 1603 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches bestimmt ist, ist zum Ersatz der Kosten der Pflege nur heranzuziehen, wenn es offenbar unbillig wäre, hiervon abzusehen. (5) Der Mehrbedarf nach § lld ist bei Blinden mindestens in Höhe von 40 % ihres Erwerbseinkommens, jedoch nicht unter 40,00 DM monatlich, anzuerkennen, falls das Monatseinkommen diesen Betrag erreicht oder übersteigt. (6) Als Blinde gelten auch Personen, deren Sehkraft so gering ist, daß sie sich in einer ihnen nicht vertrauten Umgebung ohne fremde Hilfe nicht zurechtfinden können."

Bei dem Blindengeld nach § I1f RGR handelte es sich um eine Fürsorgeleistung, aber eine Tendenz weg vom herkömmlichen Fürsorgedenken war deutlich zu spüren. Das Blindenpflegegeld mußte bei Verbesserung der wirtschaftlichen Lage nicht zurückgezahlt werden. Das bestimmte ausdrücklich der durch das Fürsorgeänderungsgesetz ebenfalls eingefügte § 25 Abs. 4 Buchstabe f) der Fürsorgepflichtverordnung. Auch die Erstattungspflicht der Verwandten wurde für das Pflegegeld besonders geregelt. Im Regelfall mußten unterhaltspflichtige Verwandte und der Ehegatte aufgewendete Fürsorgeleistungen nach den §§ 20, 21a und 25a der Fürsorgepflichtverordnung erstatten. § I1f RGR brachte in seinem Abs. 4 eine Ausnahmebestimmung für die Verwandten, deren Unterhaltspflicht sich nach § 1603 Abs. 1 des BGB bestimmt. Das sind alle unterhaltspflichtigen Verwandten, außer den Eltern von unverheirateten minderjährigen Kindern. Verwandte waren zum Ersatz der Pflege nur heranzuziehen, wenn es offenbar unbillig gewesen wäre, davon abzusehen. Damit wurde der im Fürsorgerecht geltende Subsidiaritätsgrundsatz für das Blindenpflegegeld erheblich eingeschränkt lO6 • Die Höhe des Zivilblindenpflegegeldes war in § Hf RGR zahlenmäßig nicht festgelegt. Maßgebend war der am Wohnort des Blinden geltende Fürsorgerichtsatz. Das Pflegegeld betrug das Zweifache dieses Fürsorgerichtsatzes, höchstens 106

Gottwald: "Die Blindenwelt", Heft 10, 1957, S. 2.

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jedoch den Betrag der Pflegezulage eines Kriegsblinden (§ lU Abs. 1 RGR). Die Pflegezulage, die ein Kriegsblinder nach § 35 BVG erhielt, wurde durch das zweite Gesetz zur Änderung und Ergänzung des BVG (BGBl. I, S. 862) mit Wirkung ab 01. 08. 1953 auf 125,00 DM monatlich erhöht. Ein Ermessensspielraum hinsichtlich der Höhe zwischen dem doppelten Fürsorgerichtsatz und der Pflegezulage eines Kriegsblinden räumte § llf Abs. 1 RGR nicht ein \07. Nur soweit im Einzelfall aufgrund besonderer Umstände ein Mehrbedarf für Pflege bestand, wie z. B. bei Taubblinden, konnten die in § lU Abs. 1 S. 2 genannten Richtbeträge bzw. der Höchstsatz (Pflegezulage für einen Kriegsblinden) überschritten werden \08. Als Blinde im Sinn von § llf RGR galten nicht nur Personen, die ihr Augenlicht vollständig verloren hatten, sondern auch solche, deren Sehkraft so gering war, daß sie sich in einer "ihnen nicht vertrauten Umgebung ohne fremde Hilfe" nicht zurechtfinden konnten. Es wurde also auf die Orientierungsfähigkeit abgestellt. Zur Bestimmung des Blindheitsbegriffes konnten die vom Bundesarbeitsministerium herausgegebenen "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im Versorgungswesen" herangezogen werden \09. Ziff. 40 der "Anhaltspunkte" lautete: "Als blind gilt der Augenverletzte oder Augenkranke, wenn er sich in fremder Umgebung nicht orientieren kann, sondern völlig auf sein Tastvermögen und die anderen Sinnesorgane angewiesen ist. Dieses wird der Fall sein, wenn er bei freiem Blickfeld eine Sehschärfe von weniger als 1/60 hat. Beim Ausfall von Gesichtsfeldteilen kann sein Zustand selbst bei besserer zentraler Sehschärfe einer Blindheit gleichgesetzt werden. Solche Fälle sind jeweils nach dem Befund und Gesamteindruck zu beurteilen. Bei hochgradiger Kurzsichtigkeit (lO,Od und mehr) soll nicht in einer Entfernung von 5 - 6 m, sondern in einer Entfernung von 3 m geprüft werden." Der Blindheitsbegriff nach § IU Abs. 6 RGR entsprach dem Blindheitsbegriff, wie er in Art. lAbs. 2 und 3 des bayerischen Gesetzes über die Gewährung von Pflegegeld an Zivilblinde vom 18. 06. 1953 (GVBl. S. 77), in Ziff. 9 der Berliner Richtlinien für die Unterstützung von Friedensblinden vom 06. 11. 1951 sowie in § I des rheinland-pfälzischen Landesgesetzes über die Gewährung von Blindenpflegegeld an Zivilblinde vom 12.05. 1953 enthalten war. Abweichend davon, galt in Hessen nach Art. lAbs. 2 der Verordnung zur Durchführung des Gesetzes über die Gewährung von Pflegegeld an Zivilblinde vom 02. 08. 1950 (GVBl. S. 149) als blind im Sinne dieses Gesetzes auch, "wer trotz Anwendung gewöhnlicher Hilfsmittel auf keinem Auge mehr als 1/25 der normalen Sehschärfe" besaß. Die gleiche Bestimmung fand sich in Ziff. I des Erlasses 107 Stellungnahme des Bundesinnenministeriums an den Deutschen Blindenverband vom 20. 10. 1953-5316-0-2370/53, abgedruckt in "Die Blindenwelt", Heft 1111953, a. A. Gottwald in: "Die Blindenwelt", Heft 10/1953. 108 Gottschick-Giese: "Kommentar zum Fürsorgeänderungsgesetz, Anmerkung 7 zu § llf RGR. 109 So der dritte Auslegungserlaß zu § llf RGR des nordrhein-westfälischen Sozialministeriums - IV A IIÖF/31- vom 11. 12. 1953.

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I. Teil: Entwicklung der Blindengeldregelungen für Zivilblinde in Deutschland

des niedersächsischen Sozialministers vom Januar 1953 und in den Blindengelderlassen von Bremen und Hamburg sowie in § 4 des Runderlasses des Sozialministers über Blindenpflegegeld in Nordrhein-Westfalen vom 21. 04. 1951. Dieser Personenkreis der hochgradig Sehbehinderten (Sehvermögen zwischen und 1/25 ) erhielt zwar kein Blindenpflegegeld nach § llf Abs. 1 RGR. Ein Mehrbedarf für Pflege konnte jedoch nach § 10 RGR bemessen und anerkannt werden. Nach dieser Bestimmung hatte sich, was im Einzelfall im Rahmen des notwendigen Lebensbedarfs (§ 6 RGR) an Hilfe zu gewähren war, nach der Besonderheit des Einzelfalles zu richten, namentlich nach Art und Dauer der Not, nach der Person des Hilfsbedürftigen und den örtlichen Verhältnissen IIO. Das Bundesinnenministerium vertrat in einem Schreiben vom 20. 10. 1953, Az. 5316-0-2370/53, an den Deutschen Blindenverband die Auffassung, daß hier "hinsichtlich dieses Personenkreises eine Beziehung zu entsprechenden Leistungen des BVG hergestellt wird. Nach Ziff. 6 der Verwaltungsvorschriften zu § 35 BVG erhalten hochgradig Sehbehinderte, die sich in nicht vertrauter Umgebung trotz ihres Sehschadens auch ohne Führung und ohne besondere Hilfe ausreichend bewegen können, ... 60,00 DM." 1/60

Bis zur Höhe dieses Betrages konnte also für hochgradig Sehbehinderte ein erhöhter Lebensbedarf anerkannt werden. b) Beurteilung von § llfRGR Insgesamt ist festzustellen, daß das Gesetz über die Änderung und Ergänzung fürsorgerechtlicher Bestimmungen vom 20. 08. 1953 (BGBL I, S. 967) eine Fortsetzung der Armengesetzgebung im Rahmen der Fürsorgepflichtverordnung und der Reichsgrundsätze über Voraussetzung, Art und Maß der öffentlichen Fürsorge aus dem Jahre 1924 war. Es handelte sich um eine "Gesetzgebung der kleinen Modifikationen und Anpassungen" 111 • Erst durch die Rechtssprechung wurde überhaupt ein klagbarer Rechtsanspruch auf Fürsorgeleistungen zuerkannt. Diese Rechtssprechung wurde durch eine Entscheidung des Bayerischen Verwaltungs gerichtshofs vom 08.03. 1949 (DÖV 1949, S. 375) eingeleitet und vom Bundesverwaltungsgericht in seiner Grundsatzentscheidung vom 24. 06. 1954 klar herausgestellt und begründet. Der Leitsatz dieser Entscheidung lautet: "Soweit das Gesetz dem Träger der Fürsorge zugunsten des Bedürftigen Pflichten auferlegt, hat der Bedürftige entsprechende Rechte 112. "

Gottschick-Giese: Anmerkung 14 zu § 11f RGR. Stolleis, S. 25. 112 BVerwGE 1, 159, BVwG, Urteil vom 24. 06. 1954, in "Nachrichtendienst 1954", S.380. 110 111

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D. Die Entwicklung in den Ländern nach Einführung eines bundesrechtlichen Blindengeldanspruches durch § Uf RGR Die Einführung eines auf Bundesrecht basierenden Blindengeldanspruches durch § 11f RGR wirkte sich auf die bestehenden Landesregelungen in unterschiedlicher Weise aus.

I. Auswirkung auf vorläufige Regelungen 1. Automatischer Wegfall von Landesregelungen

Soweit die Gültigkeit in den Rechtsnormen ausdrücklich bis zum Erlaß eines Bundesgesetzes beschränkt war, wurden sie ungültig, ohne daß es einer Aufhebung bedurfte. An ihre Stelle trat das Blindengeld in der in § 11 f RGR bestimmten Höhe und unter den dort festgesetzten Voraussetzungen. Das galt für die Blindenge1derlasse von Berlin, Bremen, Hamburg, Niedersachsen (Ziff. 10 der Richtlinien), Nordrhein-Westfalen (§ 1 des Runderlasses des Sozialministers über Blindenpflegegeld vom 21. 04. 1951 (MBl. S. 476». Es galt auch für Rheinland-Pfalz, weil das dortige Landesgesetz über die Gewährung von Blindenpflegegeld an Zivilblinde vom 12.05. 1953 gemäß § 14 mit dem Inkrafttreten von § 11 f RGR seine Gültigkeit verlor. Berlin und Hamburg gewährten Blinden einen Härteausgleich, falls in Einzelfällen durch § I1f RGR Verschlechterungen gegenüber der bisherigen Situation eintraten Jl3 . In Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein bestanden vor Inkrafttreten von

§ I1fRGR keine speziellen Landesregelungen.

2. Aufhebung des hessischen Blindengeldgesetzes

Eine besondere Situation bestand in Hessen. Das hessische Gesetz über die Gewährung von Pflegege1d an Zivilblinde vom 19.07. 1950 (GVBl. S. 149) enthielt keine Bestimmung darüber, daß es nur bis zur Einführung einer bundesrechtlichen Blindengeldregelung gelten sollte. Sowohl die Fraktion der CDU als auch der SPD hatten in ihrem Antrag vom April 1950 auf Erlaß eines hessischen Blindengeldgesetzes in der Begründung zum Ausdruck gebracht, daß dieses Landesgesetz solange gelten solle, bis eine bundesgesetzliehe Regelung vorliege. Weil 113 Aufstellung über Blindenpflegegeldregelungen der Länder nach Inkrafttreten des Fürsorgerechtsänderungsgesetzes vom 20. 08. 1953 in "Marburger Beiträge", Nr. 3/4, 1954.

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1. Teil: Entwicklung der Blindengeldregelungen für Zivilblinde in Deutschland

Art. XI Abs. 3 des Gesetzes über die Änderung und Ergänzung fürsorgerechtlicher Bestimmungen vom 20. 08. 1953 (BGBL I, S. 967) die Wirksamkeit landesgesetzlicher Vorschriften, die nicht zum Recht der allgemeinen Fürsorge gehörten, nicht beseitigte, legte die Landesregierung mit Datum vom 27. 01. 1954 ein Gesetz über die Aufhebung des Gesetzes über die Gewährung von PfIegegeld an Zivilblinde vom 19.07.1950 (GVBl. S. 149) vor ll4 . In der Begründung zum Regierungsentwurf hieß es, daß seinerzeit wegen der "besonders ungünstigen sozialen Lage der Zivil blinden" gesetzgeberische Maßnahmen dringend erforderlich waren. Damals war vorauszusehen, daß die beabsichtigte bundeseinheitliche Regelung noch längere Zeit beanspruchen würde. Das am 01. 10. 1953 in Kraft getretene Bundesgesetz über die Änderung und Ergänzung fürsorgerechtlicher Bestimmungen vom 20. 08. 1953 habe nun eine einheitliche Lösung gebracht. Die vom Bund durch § I1f RGR gewährte Leistung erschien der hessischen Landesregierung "angemessen und ausreichend". Nach ihrer Auffassung sollte "zur Vermeidung einer weiteren Zersplitterung des deutschen Fürsorgerechts" daher auf Sonderregelungen der Länder verzichtet werden. Der hessische Innenminister Zinnkann wies in seiner mündlichen Begründung anläßlich der ersten Lesung des Gesetzes über die Aufhebung des hessischen Blindengeldgesetzes darauf hin, daß es nach Auffassung der Landesregierung wünschenswert wäre, daß diese Materie auf Bundesebene einheitlich geregelt werde 115. Der hessische Blindenbund hatte mit einer Petition vom 12. 08. 1953 an den Hessischen Landtag ein dem bayerischen Gesetz über die Gewährung von Pflegegeld an Zivilblinde vom 18. 06. 1953 entsprechendes hessisches Landesgesetz gefordert, d. h. Einführung eines Blindengeldes ohne Anrechnung von Einkommen oder Vermögen. Die SPD-Abgeordnete Frau Gärtner setzte sich in der zweiten und dritten Lesung des Entwurfes eines Gesetzes zur Aufhebung des Gesetzes über die Gewährung des Pflegegeldes an Zivilblinde am 07.04. 1954 im Interesse einer bundeseinheitlichen Regelung für die Verabschiedung dieses Gesetzes ein, wobei sie betonte, daß das einzige Land, "das aus der Reihe gesprungen ist", Bayern sei 116. Im Sozialpolitischen Ausschuß wurde seitens des hessischen Innenministers die Besitzstandswahrung durch Ausgleichsleistungen für diejenigen Blinden zugesichert, die durch § 11 f RGR gegenüber der bisherigen Leistung Einbußen erleiden würden 117. Das Gesetz zur Aufhebung des Gesetzes über die Gewährung von Pflegegeld an Zivilblinde vom 12.04. 1954 wurde im GVBl. vom 15.04. 1954 S. 75 veröffentlicht. Nach Art. 1 trat das Gesetz über die Gewährung von Pflegegeld an Zivilblinde vom 19.07. 1950 (GVBl. S. 149) mit Ablauf des 31. 05.1954 außer Kraft. 114

115 116

117

Landtagsdrucksache I, Nr. 848. Stenografisches Protokoll des Hessischen Landtages, 11. Wahlperiode, S. 2428. Stenografisches Protokoll des Hessischen Landtages, 11. Wahlperiode, S. 2565. Stenografischer Bericht, a. a. O.

Kap. 2: Die Entwicklung seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges

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11. Auswirkung auf Bayern

Auch für Bayern hatte § Ilf RGR Bedeutung. 1. Ergänzende Leistungen nach § 11f RGR Ab 01. 04. 1953 erhielten Blinde, die das 18. Lebensjahr vollendet und ihren ständigen Wohnsitz oder Aufenthalt in Bayern hatten, ein Pflegegeld von monatlich 90,00 DM, und zwar unabhängig von Einkommen und Vermögen (Art. I und Art. 3 des bayerischen Zivilblindenpflegegeldgesetzes vom 19. 06. 1953 - GVBI. S.I77). a) Leistungen für Blinde vor Vollendung des 18. Lebensjahres Blinde, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hatten, konnten Blindengeld nach § llf RGR beanspruchen. Der Mehrbedarf betrug nach § IU Abs. I für alleinstehende Blinde das Zweifache des für sie maßgebenden Richtsatzes, für haushaltsangehörige Blinde, die das 16. Lebensjahr vollendet hatten, das Zweifache des Richtsatzes eines Haushaltsvorstandes. Die Obergrenze war das Pflegegeld eines Kriegsblinden nach § 35 BVG. Für haushaltsangehörige Blinde, die das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hatten, entsprach der Mehrbedarf nach § II f RGR vom vollendeten 2. Lebensjahr an der Höhe des für sie maßgebenden Richtsatzes. Die für § IU RGR maßgebenden Einkommensbestimmungen waren dabei zu beachten. b) Anspruch auf ergänzende Leistungen nach § II f RGR Ein Anspruch nach § IU RGR konnte sich für Blinde in Bayern auch dann ergeben, wenn der ihnen nach dieser Bestimmung zustehende Betrag unter Berücksichtigung der maßgebenden Einkommensbestimmungen höher lag als 90,00 DM. Er belief sich in diesen Fällen auf den Differenzbetrag, der über der Marke von 90,00 DM lag. 2. Wahlrecht zwischen landes- und bundesrechtlicher Leistung Schwierigkeiten bei der Anwendung des bayerischen Blindenpflegegeldgesetzes traten insofern auf, als unklar war, ob der Anspruch aus dem bayerischen Landesgesetz gegenüber dem Anspruch aus § IU RGR vorrangig oder nachrangig war. Dieser Streit war deshalb bedeutsam, weil das Blindenpflegegeld nach dem bayerischen Blindenpflegegeldgesetz aus Haushaltsmitteln des Freistaates bestritten werden mußte, während das Blindengeld nach § llf RGR zu Lasten der Bezirke als

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1. Teil: Entwicklung der Blindengeldregelungen für Zivilblinde in Deutschland

überörtliche Sozialhilfeträger ging. Das bayerische Zivilblindenpflegegeldgesetz enthielt keine Nachrangbestimmung. Das Bayerische Landessozialgericht entschied durch Urteil vom 25. 04. 1956, daß Blinde nicht verpflichtet seien, vorrangig Blindengeld nach § 11 f RGR zu beantragen, sondern daß es ihnen freistehe, auch wenn ihr Einkommen unter den für § 11f RGR maßgebenden Einkommensgrenzen liegen sollten, das Pflegegeld nach dem bayerischen Landespflegegeldgesetz in Anspruch zu nehmen 1l8 .

IH. Die weitere Entwicklung Die weitere Entwicklung in den Ländern war davon beeinflußt, daß sich bald Mängel bei der Anwendung des § 11 f RGR zeigten.

1. Kritik des Deutschen Blindenverbandes Der Vorsitzende des Deutschen Blindenverbandes, Dr. Alfons Gottwald, stellte in einem Aufsatz fest: "Ein Jahr praktische Erfahrung mit der Anwendung des § llf RGR liegt hinter uns. Wir können jetzt beurteilen, welchen Segen diese Vorschrift stiftete; wir können aber auch erschauen, welche gewaltigen Mängel ihr anhaften. In vollem Maße segensreich hat sich § I1f RGR für die alleinstehenden Fürsorgeempfänger, die sich nicht in einem Pflegeheim befinden, ausgewirkt. ... Bei der weit überwiegenden Mehrzahl unserer Schicksalskameraden haben sich jedoch so tiefgründige Mängel bei der Anwendung der Vorschrift herausgestellt, daß eine gesetzliche Neuregelung eine unabweisbare sozialpolitische Notwendigkeit ist. Der grundlegende Mangel der Pflegegeldregelung nach § I1f RGR besteht darin, daß sie in das Gebäude der Fürsorge wegen wirtschaftlicher Notlage - also der Armenfürsorge - eingebaut ist 1l9 ." In einem früheren Aufsatz hatte Gottwald bemängelt, daß blinden Frauen, die mit sehenden Männern verheiratet waren, das Blindengeld entzogen wurde. Blinden, die Tbc-Hilfe erhalten hatten, wurde nach Gewährung des Blindengeldes die Tbc-Hilfe entzogen. Unter Verweisung auf die Unterhaltspflicht Verwandter erfolgte die Versagung der Blindenhilfe nach § 11 f RGR 120.

118 Geschäftsbericht des Bayerischen Blindenbundes zur Bundestagung vom 21. und 22.09. 1956 in München. 119 Gottwald: "Die Blindenwelt", Heft 9,1954, S. 2. 120 Gottwald: "Die Blindenwelt", Heft 1, 1954, S. 2.

Kap. 2: Die Entwicklung seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges

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2. Bemühungen um landesrechtliehe Regelungen

Die Blindenselbsthilfeorganisationen hielten die Forderung nach einem Blindengeld ohne Rücksicht auf Einkommen und Vermögen aufrecht. Sie strebten zunächst vor allem Landesgesetze nach dem Vorbild des bayerischen Zivilblindenpflegegeldgesetzes vom 19.06.1953 (GVBl. S. 177) an. Ein landesrechtliches Blindengeld, das über die Leistungen nach § I1f RGR hinausging, war rechtlich möglich, es konnte als eine Sozialleistung sui generis unabhängig von Einkommen und Vermögen gewährt werden. Grundlage konnten aber auch fürsorgerechtliche Blindengelderlasse sein. Diese Befugnis ergab sich aus § 35 RGR, wonach die Länder nicht gehindert waren, den Hilfsbedürftigen über die in den Reichsgrundsätzen festgelegten Hilfen hinaus Leistungen zu gewähren. Insbesondere war es dadurch möglich, höhere Grenzen für das Einkommen, welches bei der Bedarfsermittlung nicht berücksichtigt werden sollte, festzulegen. In der Folgezeit wurden in den Ländern beide Wege beschritten. Es ergingen sowohl gesetzliche Regelungen als auch Erlasse, wie sie nach § 35 GRG zulässig waren. a) Gesetzliche Regelungen Wegen der historischen Entwicklung erfolgt die Darstellung nicht alphabetisch geordnet, sondern in der Reihenfolge: 1. Bayern, 2. Saarland, 3. Berlin. aa) Bayern

Die Bestrebungen, das Blindenpflegegeld für Zivilblinde nach dem bayerischen Gesetz demjenigen der Kriegsblinden anzugleichen, gingen weiter. Das bayerische Blindenpflegegeldgesetz vom 19. 06. 1953 (GVBl. S. 177) wurde geändert und am 22. 05. 1958 in einer Neufassung bekanntgemacht (GVBl. S. 74). Art. 1 Abs. 1 brachte die Erhöhung von 90,00 DM auf 120,00 DM. Das Gesetz trat rückwirkend zum 01. 04. 1958 in Kraft. Das Pflegegeld für Kriegsblinde nach § 35 BVG betrug zu dieser Zeit 150,00 DM monatlich. bb) Saarland

Mit Wirkung vom 01. 06. 1956 erfolgte im Zuge der bevorstehenden Rechtsangleichung des saarländischen Rechtes an dasjenige der Bundesrepublik eine einschneidende Änderung in der Gewährung einer Blindheitshilfe. Bis zu diesem Zeitpunkt entsprach die Blindheitshilfe für Zivilblinde nach § 1 Abs. 1 des Gesetzes Nr. 188 über die Gewährung einer Blindheitshilfe an Zivilblinde vom 22. 06. 1950 (ABI. S. 750) der Pflegestufe 4 für Kriegsblinde. Sie belief sich auf 10.000 Franc monatlich.

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1. Teil: Entwicklung der Blindengeldregelungen für Zivilblinde in Deutschland

Diese Koppelung wurde mit der Neuregelung aufgehoben. Das Pflegegeld für Kriegsblinde erhöhte sich von 10.000 auf 15.000 Franc monatlich. Das Pflegegeld für Zivilblinde erhöhte sich demgegenüber durch die Änderung in § lAbs. 1 des Gesetzes Nr. 188 über die Gewährung einer Blindheitshilfe an Zivilblinde von 10.000 Franc auf 11.000 Franc monatlich 121. Eine wesentliche Veränderung und Verbesserung brachte das neue Blindheitshilfegesetz für das Saarland aus dem Jahr 1962. Es ist am 01. 01. 1962 in Kraft getreten. Die Bestimmungen, die § 67 BSHG vorsah, wurden weitgehend übernommen. Im Gegensatz zum BSHG erfolgte die Leistung ohne Rücksicht auf Einkommen und Vermögen. Eine gravierende Änderung gegenüber dem bisher im Saarland geltenden Recht stellte die Einführung eines neuen Blindheitsbegriffes dar. Bis zum 01. 01. 1962 galten im Saarland Personen als blind, deren Sehvermögen nicht mehr als 1/25 auf dem besseren Auge betrug. Mit dem Gesetz von 1962 erfolgte eine Unterscheidung zwischen Blinden und hochgradig Sehbehinderten. Als Blinde galten künftig Perso nen, deren Sehschärfe auf dem besseren Auge nicht mehr als 1/50 betrug oder bei denen nicht nur vorübergehende Störungen des Sehvermögens von einem solchen Schweregrad vorlagen, daß sie der Beeinträchtigung der Sehschärfe auf 1/50 gleichzuachten war (§ 1 Abs. 3 des Gesetzes). Hochgradig Sehbehinderte, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Gesetzes Blindheitshilfe erhielten, blieben weiter anspruchsberechtigt. Es handelte sich um eine Besitzstandsregelung. Die Blindheitshilfe betrug für Blinde nach Vollendung des 18. Lebensjahres monatlich 200,00 DM. Sie hatte damit, wie vor 1956, im Saarland wieder die gleiche Höhe wie die Pflegezulage der Kriegsblinden nach § 35 BVG. Vom vollendeten sechsten bis zum vollendeten 18. Lebensjahr betrug die Blindheitshilfe die Hälfte, also 100,00 DM. Hochgradig Sehbehinderte, die nach dem neuen Blindheitshilfegesetz anspruchsberechtigt blieben, erhielten eine Leistung in Höhe von 100,00 DM nach vollendetem 18. Lebensjahr und in Höhe von 50,00 DM nach vollendetem sechsten Lebensjahr bis zum vollendeten 18. Lebensjahr. Die Blindheitshilfe ruhte zu 2/3 , wenn der Blinde oder hochgradig Sehbehinderte die erforderliche Pflege in einer Anstalt oder einem Heim erhielt, es sei denn, die Kosten des Anstalts- oder Heimaufenthaltes wurden überwiegend von dem Blinden oder einem nach bürgerlichem Recht unterhaltsverpflichteten Dritten getragen (§ 4 Abs. 1 des Gesetzes).

121

"Marburger Beiträge", Heft 9/10, 1956.

Kap. 2: Die Entwicklung seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges

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ce) Berlin

Am 04. 08. 1954 hat das Abgeordnetenhaus für Westberlin als erstes Bundesland nach Einführung des Blindengeldes gemäß § IU RGR ein Gesetz über die Gewährung von Blindenpflegegeld erlassen. Nach Bayern erhielten damit die Blinden in Westberlin ein Blindenpflegegeld unabhängig von Einkommen und Vermögen (§ 2 Abs.2). Das Gesetz ist am 01. 09. 1954 in Kraft getreten. Berechtigt waren sowohl Zivilblinde als auch hochgradig in ihrer Sehkraft Beeinträchtigte, die ihren dauernden Wohnsitz und Aufenthalt im Lande Berlin hatten, nach Vollendung des 16. Lebensjahres (§ 1 Abs. 1 des Gesetzes). Die Definition für Blinde lautete: "Blind im Sinne des Abs. 1 sind Personen, die von Geburt an blind sind oder das Augenlicht verloren haben oder deren Sehkraft so gering ist, daß sie sich in einer ihnen nicht vertrauten Umwelt alleine ohne fremde Hilfe nicht zurechtfinden können" (§ 1 Abs. 2 des Gesetzes). Der Blindheitsbegriff war damit derselbe wie in § lU RGR. Die Definition für die hochgradige Sehbehinderung lautete: "Hochgradig in ihrer Sehkraft beeinträchtigt im Sinne des Abs. 1 sind Personen, die sich in nicht vertrauter Umwelt trotz ihres Sehschadens auch ohne fremde Führung und ohne besondere Hilfe ausreichend bewegen können, deren Sehvermögen aber wirtschaftlich nicht verwertbar ist" (§ 1 Abs. 3 des Gesetzes). Hier ging das Gesetz über das bayerische Zivilblindenpflegegeldgesetz vom 18. 06. 1953 (GVBI. S. 177) hinaus. Hochgradig Sehschwache waren in Bayern nicht anspruchsberechtigt. Auch die Altersgrenze lag mit dem vollendeten 16. Lebensjahr zwei Jahre niedriger als in Bayern. Das Blindenpflegegeld belief sich für Blinde wie in Bayern auf 90,00 DM monatlich, für hochgradig Sehbehinderte auf 60,00 DM monatlich (§ 2 Abs. 1 des Gesetzes). Blinde, deren Einkommen unter den Grenzen nach § 11 f RGR lag, konnten das Blindengeld nach § IU RGR beanspruchen. Mit dem ersten Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Gewährung von Blindenpflegegeld vom 11. 07. 1957 (GVBI. S. 746) erfolgte eine Erhöhung des Blindenpflegegeldes mit Wirkung ab 01. 08. 1957 von 90,00 DM auf 150,00 DM. Damit entsprach es in seiner Höhe der Pflegezulage, die Kriegsblinde zu diesem Zeitpunkt nach § 35 BVG erhielten. Westberlin hat damit als erstes Bundesland der Forderung der Selbsthilfeorganisationen der Zivilblinden entsprochen und ein Blindenpflegegeld in gleicher Höhe wie das der Kriegsblinden gewährt. Als im Jahre 1960 das Bundesversorgungsgesetz geändert und damit das Pflegegeld für Kriegsblinde nach § 35 BVG auf 200,00 DM erhöht wurde, erging in Berlin am 27. 10. 1960 das zweite Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Gewährung von Blindenpflegegeld (GVBI. für Berlin 1960, S. 1093). Es trat gemäß Art. 2 des zweiten Änderungsgesetzes am 01. 10. 1960 in Kraft. 7 Demmel

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1. Teil: Entwicklung der Blindengeldregelungen für Zivilblinde in Deutschland

Das Pflegegeld für Blinde erhöhte sich von diesem Zeitpunkt an auf 200,00 DM, das Pflegegeld für hochgradig Sehschwache von 60,00 DM auf 100,00 DM monatlich (§ 2 Abs. 2 in der Fassung von Art. 1 des zweiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Gewährung von Blindenpflegegeld). b) Blindengelderlasse Die übrigen Länder machten von der Möglichkeit des § 35 RGR Gebrauch. Sie gewährten Blinden, zum Teil auch hochgradig Sehbehinderten, durch Landesblindengelderlasse gegenüber § llf RGR weitergehende Leistungen. Wegen der historischen Entwicklung erfolgt die Darstellung nicht alphabetisch geordnet, sondern in der Reihenfolge: 1. Nordrhein-Westfalen, 2. Rheinland-Pfalz, 3. Baden-Württemberg, 4. Niedersachsen, 5. Hessen, 6. Hamburg, 7. Bremen, 8. Schleswig-Holstein. aa) Nordrhein- Westfalen

Am 25. 03. 1954 hat der Minister für Arbeit, Soziales und Wiederaufbau des Landes Nordrhein-Westfalen einen Runderlaß über die Gewährung von Pflegegeld an Zivilblinde (Az. IV AI/BI. TGB Nr. 82/54) herausgebracht. Diesem Runderlaß lag ein Beschluß der Landesregierung vom 16.03. 1954 über die Gewährung von Pflegegeld an Zivilblinde aus Landesmitteln zugrunde. Nach Ziff. lAbs. 1 erhielten aufgrund dieses Runderlasses Zivilblinde, denen nach den Vorschriften der RVO (Unfallblinde) oder nach fürsorgerechtlichen Vorschriften (§ llfRGR) eine Pflegezulage nicht zustand, mit Wirkung ab 01. 04. 1954 auf Antrag ein Pflegegeld aus Landesmitteln. Dieses Pflegegeld betrug für Blinde höchstens 75,00 DM monatlich und für hochgradig Sehbehinderte höchstens 60,00 DM monatlich (Ziff. I 2. des Runderlasses). Nach Ziff. III 1. des Runderlasses waren nur solche Personen anspruchsberechtigt, die am Tage der AntragsteIlung wenigstens drei Jahre ohne Unterbrechung ihren Wohnsitz im Lande Nordrhein-Westfalen hatten. Ziff. IV Abs. 2 bestimmte, daß unterhaltspflichtige Angehörige nicht nach den §§ 21a, 23 und 25a der Fürsorgepflichtverordnung zur Erstattung herangezogen werden konnten, weil das Pflegegeld "keine Leistung der öffentlichen Fürsorge" sei. Das Pflegegeld wurde nicht unabhängig vom Einkommen gewährt. Die Einkommensgrenze belief sich nach Ziff. IV 1. auf 150,00 DM netto. Für erwerbstätige Zivilblinde erhöhten sich die Einkommensgrenzen um 60,00 DM monatlich (Ziff. V2.). Dieser Erlaß wurde in der Folgezeit mehrfach wesentlich verbessert.

Kap. 2: Die Entwicklung seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges

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Aufgrund des Erlasses des Arbeits- und Sozialministers vom 23. 06. 1955 (Az. IV A 1-9.60) erhöhte sich das Blindengeld ab 01. 07. 1955 von 75,00 DM auf 90,00 DM monatlich. Die Einkommensgrenze erhöhte sich von 150,00 DM auf 190,00 DM monatlich. Sie wurde durch Landtagsbeschluß vom 13. 12. 1955 mit Runderlaß des Arbeits- und Sozialministers vom 17. 12. 1955 (MBl. NW S. 202) ab 01. 01. 1956 auf 410,00 DM monatlich erhöht. Dazu kam für berufstätige Blinde wie bisher ein zusätzlicher Freibetrag von 60,00 DM monatlich. Eine weitere Verbesserung brachte der Runderlaß des Arbeits- und Sozialministers des Landes Nordrhein-Westfalen vom 30. 07. 1959 (Az. IV A 3 - 5410). Er trat rückwirkend ab 01. 07. 1959 in Kraft. Das Blindenpflegegeld wurde nunmehr als "Landesblindenhilfe" bezeichnet. Die Landesblindenhilfe blieb jedoch, wie schon das Zivilblindenpflegege1d, eine freiwillige Leistung des Landes, auf die kein Rechtsanspruch bestand. Die Landesblindenhilfe erhöhte sich für Blinde von 90,00 DM auf 110,00 DM, für hochgradig Sehbehinderte von 60,00 DM auf 70,00 DM (Ziff. VI des Runderlasses). Der Begriff der Blindheit erhielt in Ziff. III Abs. 1 eine genauere Definition, sie lautete: "Blind ist derjenige, der ohne Sehvermögen ist oder dessen Sehvermögen so gering ist, daß er sich in einer ihm nicht vertrauten Umgebung alleine ohne fremde Hilfe nicht zurechtfinden kann. Dies ist im allgemeinen der Fall, wenn bei freiem Blickfeld auf dem besseren Auge nur eine Sehschärfe (Prüfung mit Gläsern) von etwa '/50 besteht." Die Definition für die hochgradige Sehbehinderung lautete in Ziff. III Abs. 2: "Hochgradig sehschwach ist derjenige, der sich zwar in einer ihm nicht vertrauten Umgebung trotz seiner Sehschwäche ohne fremde Hilfe noch zurechtfinden kann, dessen Sehschärfe aber wirtschaftlich nicht verwertbar ist. Dies ist im allgemeinen der Fall, wenn bei freiem Blickfeld auf dem besseren Auge eine Sehschärfe (Prüfung mit Gläsern) von weniger als 1/20 besteht." Die Landesblindenhilfe blieb an Einkommen gebunden. Nach Ziff. VII des Erlasses wurde Landesblindenhilfe nur insoweit gewährt, als das Einkommen des Antragstellers zusammen mit den Leistungen der Landesblindenhilfe bei Blinden 660,00 DM monatlich, bei hochgradig Sehbehinderten 285,00 DM monatlich nicht überstieg. Diese Einkommensgrenze erhöhte sich für den nicht getrennt lebenden Ehegatten und für jedes von dem Antragsteller oder seinem nicht getrennt lebenden Ehegatten überwiegend unterhaltenes Kind um 40,00 DM (Ziff. VIII Abs. 1 des Erlasses). Ferner blieben wie bisher von den Nettoeinkünften aus nicht selbständiger Arbeit 60,00 DM außer Ansatz (Ziff. X Abs 1 des Erlasses). Die Einkommensgrenzen wurden schließlich durch Runderlaß des Arbeits- und Sozialministers vom 19. 10. 1961 rückwirkend ab 01. 10. 1961 entsprechend der künftigen Regelung in § 67 BSHG erhöht. Sie betrugen monatlich 1.000,00 DM, zuzüglich eines Familienzuschlages von 80,00 DM für den nicht getrennt lebenden Ehegatten und für jede Person, die von dem Blinden oder seinem nicht getrennt 7*

100

1. Teil: Entwicklung der Blindengeldregelungen für Zivilblinde in Deutschland

lebenden Ehegatten überwiegend unterhalten wurden. Der Familienzuschlag betrug für den nicht getrennt lebenden Ehegatten 500,00 DM, wenn beide Ehegatten blind waren. Bei der Hilfe für hochgradig Sehbehinderte betrug die Einkommensgrenze monatlich 215,00 DM, zuzüglich eines Familienzuschlages von 40,00 DM für jede in Betracht kommende Person. Wenn beide Ehegatten hochgradig sehbehindert waren, betrug der Familienzuschlag 295,00 DM. bb) Rheinland-Pfalz

Mit dem Inkrafttreten des Fürsorgeänderungsgesetzes, und damit von § I1f RGR am 01. 10. 1953, trat das Gesetz über die Gewährung von Blindenpflegegeld an Zivilblinde vom 12. 05. 1953 außer Kraft (§ 14 des Gesetzes). Das führte für einen Teil der Blinden zu einer Verschlechterung. Während nämlich nach § 11f RGR das Einkommen bereits angerechnet wurde, wenn es den für den Blinden maßgebenden Fürsorgerichtsatz überstieg, war nach § 4 des rheinland-pfalzischen Landesgesetzes das Einkommen des Blinden dann anzurechnen, wenn es über 125,00 DM monatlich lag. Mit Wirkung vom 01. 01. 1955 hat die Landesregierung von Rheinland-Pfalz im Wege eines Erlasses denjenigen Blinden eine Ausgleichszahlung zugebilligt, die vor Inkrafttreten des Fürsorgeänderungsgesetzes aufgrund des Landesgesetzes über die Gewährung von Blindenpflegegeld Blindengeld erhalten hatten. Diese Ausgleichszahlung durfte jedoch höchstens monatlich den Betrag erreichen, den der Betroffene bei Inkrafttreten von § I1f RGR erhalten hatte 122. Diese Regelung erfolgte durch den Erlaß der Landesregierung Rheinland-Pfalz vom 15.02. 1955 (Az. L 2 11 - 922, MBl. S. 379). Eine darüber hinausgehende Leistung erfolgte durch den Erlaß der Landesregierung für Rheinland-Pfalz vom 21. 11. 1956 (MBl. Nr. 58 vom 12. 12. 1956) über die Gewährung von Pflegegeld an Zivilblinde. Das aufgrund dieses Erlasses gewährte Blindenpflegegeld betrug 90,00 DM monatlich (Ziff. IV des Erlasses). Die Einkommensgrenze belief sich auf 210,00 DM monatlich (Ziff. IV Abs. 3 des Erlasses), zuzüglich 25,00 DM für den Ehegatten und jedes vom Berechtigten unterhaltenes unverheiratetes Kind bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres (Ziff. IV Abs. 4 des Erlasses). Bei der Feststellung des Einkommens blieb 1/3 , mindestens jedoch der Betrag von 60,00 DM monatlich, unberücksichtigt (Ziff. VI Abs. 3 des Erlasses). Der Erlaß trat rückwirkend zum 01. 04. 1956 in Kraft (Ziff. V Abs. 4 des Erlasses). Anspruchsberechtigt waren nach Ziff. III des Erlasses vom 21. 11. 1956 Personen, die "a) vollblind waren oder nicht mehr als

1/60

der normalen Sehschärfe besaßen,

b) das 18. Lebensjahr vollendet und c) ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Rheinland-Pfalz hatten." 122

"Blindenwelt", Heft 5, 1955, Mitteilung in der Rubrik "Aus den Ländern".

Kap. 2: Die Entwicklung seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges

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1959 erfolgte eine Erhöhung des landesrechtlichen Blindenpflegegeldes in Rheinland-Pfalz auf 110,00 DM monatlich. Die Einkommensgrenze wurde auf 250,00 DM monatlich und die Familienzuschläge auf 30,00 DM monatlich heraufgesetzt. Am 30. 03. 1961 erging ein weiterer Erlaß der Landesregierung, mit welchem die Vorschriften über das Landesblindenpflegegeld wesentlich verbessert wurden. Die Einkommensgrenze erfuhr eine Erhöhung auf Netto 500,00 DM monatlich, sie erhöhte sich um je 60,00 DM für die Ehefrau und jedes vom Berechtigten unterhaltene Kind unter 18 Jahren. Die Höhe des Blindengeldes blieb bei 110,00 DM monatlich unverändert. Diese Änderungen traten mit Wirkung vom 01. 04. 1961 ein. Durch Erlaß der Landesregierung vom 30. 11. 1961 erhöhte sich die Einkommensgrenze beim Landesblindenpflegegeld auf monatlich 1.000,00 DM. Hinzu kam ein Familienzuschlag für den nicht getrennt lebenden Ehegatten und jede überwiegend unterhaltene Person in Höhe von 80,00 DM monatlich. Die Höhe des Blindengeldes blieb bei 110,00 DM monatlich. Der Erlaß vom 30. 11. 1961, veröffentlicht im Ministerialblatt der Landesregierung von Rheinland-Pfalz, Ausgabe A, Nr. 58, S. 1507, trat am 01. 01. 1962 in Kraft. ce) Baden-Württemberg

Dem Landtag von Baden-Württemberg lag 1957 der Entwurf eines Blindenpflegegeldgesetzes vor. Er sah eine Einkommensgrenze von 600,00 DM monatlich vor l23 . Offensichtlich kam es nicht zur Verabschiedung dieses Gesetzes. Am 27. 05. 1958 erging durch das Innenministerium für Baden-Württemberg ein Blindengelderlaß (Az. IX 450/3/202). Er brachte mit Wirkung ab 01. 04. 1958 gegenüber den Regelungen in § 11f RGR einige Erweiterungen. Die Höhe der Leistung richtete sich gemäß Ziff. IV der Richtlinie nach § 11f Abs. 1 RGR. Verbesserungen traten bei den Einkommensgrenzen und insbesondere hinsichtlich der Höhe des bei der Bedarfsberechnung nicht zu berücksichtigenden Erwerbseinkommens ein. Nach Ziff. III erhielt keine Blindenhilfe, wer ein Nettoeinkommen hatte, das bei Alleinstehenden den Betrag von 380,00 DM monatlich, bei Haushaltungen mit zwei Personen den Betrag von 420,00 DM monatlich, bei drei Personen von 450,00 DM monatlich, bei vier Personen von 480,00 DM monatlich, bei fünf Personen und mehr den Betrag von 510,00 DM monatlich überstieg. 123

"Die Blindenwelt", Heft 10, 1957.

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I. Teil: Entwicklung der Blindengeldregelungen für Zivilblinde in Deutschland

Nr. 5 des Erlasses bestimmte, daß bei Blinden, die einem Erwerb nachgingen, abweichend von § 11f Abs. 5 RGR ein Mehrbedarf in folgender Höhe anzuerkennen war: bis 100,00 DM 80%, bis 200,00 DM 60%, bis 300,00 DM 50%, bis 400,00 DM und mehr 45% des Erwerbseinkommens des Blinden.

Für den sehenden verdienenden Ehegatten und jeden sonstigen Haushaltsangehörigen, welche mit dem Blinden im gemeinsamen Haushalt lebten und ihn auch betreuten, wurde ein Mehrbedarf von 35 % des Einkommens anerkannt. Dieser Mehrbedarf von 35% ermäßigte sich bei einem Einkommen von mehr als 200,00 DM auf 30 v. H., sofeme der Blinde ebenfalls Erwerbseinkommen hatte. Der Blindheitsbegriff in Nr. 2 des Erlasses deckte sich mit dem Blindheitsbegriff von § 11f Abs. 6 RGR. Durch Erlaß vom 14. 05. 1959 wurde der Blindenhilfeerlaß vom 17. 05. 1958 abgeändert. Eine Verbesserung trat in Nr. 5 des Blindengelderlasses ein. Bei Blinden, die einem Erwerb nachgingen, war danach abweichend von § 11f Abs. 5 RGR ein Mehrbedarf in folgender Höhe anzuerkennen: bis 100,00 DM 80%, bis 200,00 DM 65%, bis 300,00 DM und mehr 50% des Erwerbseinkommens des Blinden.

Bei dem sehenden verdienenden Ehegatten und jedem sonstigen Angehörigen, der mit dem Blinden im gemeinsamen Haushalt zusammenlebte und ihn auch betreute, wurde vom Erwerbseinkommen ein Mehrbedarf in gleicher Höhe anerkannt. Außerdem brachte der Erlaß als neue Vergünstigung einen Mehrbedarf von 30,00 DM monatlich für Empfänger von Renten, Unterhaltshilfe und ähnliche Leistungen. Als bereits das Bundessozialhilfegesetz vor der Verabschiedung stand, hat Baden-Württemberg (ebenso wie Schleswig-Holstein) die Bestimmungen für die Blindenhilfe, wie sie in § 67 BSHG vorgesehen waren, vorweggenommen: Nach dem Erlaß vom 16.08.1961 Nr. IV 450/3/347 erhielt jeder Zivilblinde bei einer Einkommensgrenze von 1.000,00 DM monatlich eine Blindenhilfe von 200,00 DM monatlich. Für jeden überwiegend unterhaltenen Angehörigen erhöhte sich die Einkommensgrenze um 80,00 DM monatlich. Wenn beide Ehepartner blind waren, erhöhte sich die Einkommensgrenze jeweils auf 1.250,00 DM monatlich. Dieser Erlaß trat rückwirkend zum 01. 07. 1961 in Kraft.

Kap. 2: Die Entwicklung seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges

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dd) Niedersachsen

Die SPD-Fraktion hatte im Niedersächsischen Landtag den Entwurf eines Blindenpflegegeldgesetzes eingebracht. Dieser wurde jedoch von den Regierungsparteien am 07.11. 1956 abgelehnt l24 . Eine landesrechtliche Regelung erfolgte durch Runderlaß des niedersächsischen Sozialministers vom 19. 08. 1958 (Niedersächsisches Ministerialblatt Nr. 33/58, S. 598, Az. I-2030b 08). Dieser Erlaß trat am 25. 08. 1958 in Kraft (Ziff. X des Erlasses). Einen Anspruch hatten nach Ziff. I alleinstehende Blinde nach Vollendung des 18. Lebensjahres sowie Ehepaare, bei denen beide Ehegatten blind waren. Der Blindheitsbegriff der Nr. 1 des Erlasses entsprach dem des § llf Abs. 6 RGR. Das Blindengeld belief sich für die nach diesem Runderlaß Anspruchsberechtigten auf 50,00 DM monatlich, bei blinden Ehepaaren für jeden Ehegatten auf 50,00 DM (Ziff. II des Erlasses). Die Einkommensgrenze richtete sich nach § 10 Buchstabe a) des Körperbehindertengesetzes vom 27. 02. 1957 (BGBL I, S. 147). Diese betrug 600,00 DM. Nr. 4 des Erlasses bestimmte, daß das Blindengeld in voller Höhe gezahlt wurde, wenn das monatliche Einkommen bei Alleinstehenden mindestens 50,00 DM und bei Ehepaaren mindestens 100,00 DM unter der Einkommensgrenze des § 10 Buchstabe a) des Körperbehindertengesetzes lag. Diese Regelung stieß bei der Selbsthilfeorganisation der Zivilblinden in Niedersachsen, dem Niedersächsischen Blindenverband e. v., auf heftige Kritik. Die Delegierten des am 21. 09. 1958 durchgeführten Verbandstages wandten sich in einer Resolution an den Niedersächsischen Landtag und die Landesregierung. Sie drückten ihr Befremden darüber aus, daß Zivilblinde, die einen sehenden Ehepartner haben, unberücksichtigt blieben und daß das Landesblindengeld "nur bis zu einer bestimmten Einkommenshöhe gewährt" wurde. Die Delegierten brachten ihr "Erstaunen über die Begrenzung des Landesblindengeldes auf 50,00 DM, das damit weit unter dem Satz der vorgenannten Länder (Bayern, Berlin und Saarland) bleibt", zum Ausdruck. Die Delegierten forderten demgegenüber "ein Landesblindengeld ohne Einkommensgrenze in einer Höhe, wie es bereits den Kriegs- und Unfallblinden allgemein gezahlt wird"I25. In der Folgezeit erfuhr auch der niedersächsische Blindengelderlaß Verbesserungen. Das Blindengeld wurde zunächst auf 70,00 DM erhöht (der genaue Zeitpunkt konnte nicht ermittelt werden). Am 05. 05. 1961 gab der niedersächsische Sozial124 125

"Blindenwelt", Heft 12, 1956, Rubrik "Aus den Ländern". "Blindenwelt", Heft 11,1958, Rubrik "Aus den Ländern".

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1. Teil: Entwicklung der Blindengeldregelungen für Zivilblinde in Deutschland

minister im Einvernehmen mit den Ministern des Inneren und der Finanzen einen neuen Blindengelderlaß heraus. Das Blindengeld wurde von 70,00 DM auf 110,00 DM monatlich erhöht, die Einkommensgrenze auf 1.000,00 DM netto monatlich heraufgesetzt. Für den nicht getrennt lebenden Ehegatten und jede überwiegend unterhaltene Person erhöhte sich die Einkommensgrenze um 80,00 DM monatlich. Waren beide Ehegatten blind, erhöhte sich die Einkommensgrenze um 500,00 DM monatlich. Dieser Erlaß trat am 01. 01. 1961 in Kraft. Er sollte bis zum Inkrafttreten des Bundessozialhilfegesetzes gelten. Der Erlaß nahm die beabsichtigten Bestimmungen des § 67 BSHG vorweg. ee) Hessen

Nachdem das Gesetz über die Gewährung von Pflegegeld an Zivilblinde vom 19. 07. 1950 (GVBl. S. 149) durch das Gesetz vom 12. 04. 1954 (GVBl. vom 15.04. 1954, S. 75) mit Ablauf des 31. 05. 1954 außer Kraft getreten war, kam in Hessen § 11 f RGR zur Anwendung. Im Rahmen der Besitzstandswahrung erhielten diejenigen Blinden, für die sich die Situation verschlechtert hatte, Ausgleichsleistungen. Für Blinde und hochgradig Sehbehinderte in Anstalten oder Heimen wurde das Pflegegeld durch Erlaß des hessischen Ministers für Arbeit, Volkswohlfahrt und Gesundheit vom 10.06. 1959 mit Wirkung ab 01. 07. 1959 erhöht. Es belief sich für vollblinde Heimbewohner auf 50,00 DM monatlich, für hochgradig Sehbehinderte auf 35,00 DM monatlich. Ein von der Fürsorge gewährtes Taschengeld war auf diese Leistung anzurechnen l26 . Der allgemeine wirtschaftliche Aufschwung in der Bundesrepublik Deutschland und die Rentenreform von 1957 führten dazu, daß nur noch etwa ein Drittel der Zivilblinden in Hessen Anspruch auf das volle Blindenpflegegeld nach § llf RGR hatte I2? In dieser Situation brachte der Ministerialerlaß über die Gewährung eines zusätzlichen Blindengeldes zum Blindenpflegegeld nach § 11f RGR vom 28. 11. 1960, der auf Willen des Hessischen Landtages erging, einen "großen Schritt auf dem Wege zu einem neuen sozialpolitischen Denken"I28. Dieser Ministerialerlaß trat am 01. 01. 1961 in Kraft. Für die Zeit bis zum Inkrafttreten des kommenden BSHG erhielten alle Zivilblinden und hochgradig Sehbehinderten mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt in Hessen nach Vollendung des 18. Lebensjahres ein Blindengeld (Nr. I 1. des Erlasses). Es handelte sich um eine "freiwillige Leistung, auf die kein Rechtsanspruch" bestand (Nr. I 1. des Erlasses).

126 127 128

"Marburger Beiträge", Heft 7 /8,1959. Heister: "Marburger Beiträge", Heft 11 / 12,1960. Heister: "Marburger Beiträge", a. a. O.

Kap. 2: Die Entwicklung seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges

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Als Blinde galten neben vollblinden Personen auch solche, deren Sehschärfe auf dem besseren Auge nicht mehr als I/50 betrug, als hochgradig Sehbehinderte diejenigen, deren Sehschärfe auf dem besseren Auge nicht mehr als 1/20 war (Nr. I 2. des Erlasses in Verbindung mit den Landesrichtlinien zur Ausführung des § 11 f RGR vom 14.04. 1957, geändert durch Erlaß vom 10. 11. 1959). Das Blindengeld betrug für Blinde außerhalb von Heimen und Anstalten 110,00 DM monatlich, für hochgradig Sehbehinderte außerhalb von Heimen und Anstalten 60,00 DM monatlich. Blinde in Heimen und Anstalten erhielten einschließlich Taschengeld 50,00 DM, hochgradig Sehbehinderte in Heimen und Anstalten einschließlich Taschengeld monatlich 35,00 DM (Nr. 11 des Erlasses). Der wesentliche Fortschritt war darin zu sehen, daß das Einkommen und Vermögen der Blinden und hochgradig Sehbehinderten bzw. ihrer Ehegatten oder sonstigen unterhaltspflichtigen Angehörigen bei der Gewährung des Blindengeldes grundsätzlich unberücksichtigt blieb (Nr. III 5. des Erlasses). Damit wurde nach Bayern, dem Saarland und Berlin in Hessen als viertes Land ein Blindengeld ohne Rücksicht auf Einkommen und Vermögen gewährt. Nur wenn das Einkommen und Vermögen in "Einzelfällen" so hoch war, daß es offensichtlich unbillig gewesen wäre, ein Blindengeld zu gewähren, behielt sich der Minister für Arbeit, Volkswohlfahrt und Gesundheit die Entscheidung vor, in Einzelfällen die Leistung zu versagen (Nr. III 6. des Erlasses). ff)Hamburg In Hamburg gingen die Bestrebungen der Blindenselbsthilfeorganisation, des Hamburger Blindenvereins, wie in den anderen Ländern auf Erlaß eines Landesblindengeldgesetzes. So appellierte die Generalversammlung am 06. 05. 1955 an die Hamburger Bürgerschaft, endlich auch in Hamburg den Zivilblinden "soziale Gerechtigkeit zuteil werden zu lassen und ihnen ein Blindengeldgesetz zu geben,,129. Erst am 27. 12. 1960 erfolgte eine Blindengeldregelung. Der Sozialsenator der freien und Hansestadt Hamburg gab eine "Fachliche Weisung" (Az. S / F 89/60) heraus, wonach den Zivilblinden in Ergänzung des § 11 f RGR ein Blindenpflegegeld gewährt wurde. Der Weisung lag ein Beschluß des Senats vom 23. 12. 1960 zugrunde 130. Anspruchsberechtigt waren Zivilblinde deutscher Staatsangehörigkeit, die das 6. Lebensjahr vollendet hatten (Ziff. I der Fachlichen Weisung). Der Blindheitsbegriff entsprach dem in § 11 f Abs. 6 RGR (Nr. I der Fachlichen Weisung). Das Pflegegeld für Zivilblinde betrug monatlich nach Vollendung des 18. Lebensjahres das Zweifache, vor Vollendung des 18. Lebensjahres das Einfache des 129 130

"Die Blindenwelt", Heft 6,1955, Rubrik "Aus den Ländern". Abgedruckt in: "Marburger Beiträge", Heft 3 / 4, 1961.

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1. Teil: Entwicklung der Blindengeldregelungen für Zivilblinde in Deutschland

Fürsorgerichtsatzes eines Haushaltungsvorstandes. Der einfache Richtsatz für einen Haushaltungsvorstand belief sich zu diesem Zeitpunkt auf 78,00 DM. Das volle Pflegegeld betrug also für einen über 18jährigen 156,00 DM. Die Einkommensgrenze wurde im Vorgriff auf die geplante Höhe in § 67 BSHG auf 1.000,00 DM festgesetzt. Sie erhöhte sich für den in häuslicher Gemeinschaft lebenden Ehegatten und weitere Haushaltsangehörige, die der Blinde überwiegend unterhielt, um 80,00 DM monatlich (Nr. II der Fachlichen Weisung). Waren beide Ehegatten blind, so erhöhte sich die Einkommensgrenze um 50% (Nr. II der Fachlichen Weisung). Die "Fachliche Weisung" trat erst am 01. 01. 1961 in Kraft. gg) Bremen

In Bremen erging ein Blindenpflegegelderlaß, der dem von Hamburg entsprach. Er trat mit Wirkung ab 01. 04. 1961 in Kraft. Es galt der gleiche Blindheitsbegriff wie in § lU Abs. 6 RGR. Das Blindengeld betrug nach Vollendung des 18. Lebensjahres das Zweifache des Fürsorgerichtsatzes eines Haushaltungsvorstandes. Der einfache Richtsatz belief sich zu diesem Zeitpunkt auf 80,00 DM, das Pflegegeld für über 18jährige war also 160,00 DM monatlich. Die Einkommensgrenze wurde auch in Bremen im Vorgriff auf § 67 BSHG auf 1.000,00 DM netto monatlich festgesetzt. Sie erhöhte sich um je 80,00 DM für den nicht getrennt lebenden Ehegatten und jede überwiegend unterhaltene Person. hh) Schleswig-Holstein

In Schleswig-Holstein erging nach lOjährigen Bemühungen mit Wirkung ab 01. 08. 1961 als letztes der elf Bundesländer ein Blindengelderlaß. Der Erlaß entsprach im wesentlichen demjenigen von Hamburg und Bremen. Die Höhe des Blindengeldes wurde jedoch auf 200,00 DM monatlich festgesetzt. Das entsprach der vorgesehenen Blindenhilfe in § 67 BSHG I31 . IV. Situation zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Bundessozialhilfegesetzes

Als das Bundessozialhilfegesetz vom 30. 06. 1961 (BGBI. I, S. 815, 1865) in Kraft trat und in § 67 eine Bestimmung über die Gewährung von Blindengeld enthielt, gab es in allen Ländern landesrechtliche Regelungen. 131

"Blindenwelt", Heft 9,1961, Rubrik "Aus den Ländern".

Kap. 2: Die Entwicklung seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges

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In vier Ländern, nämlich in Bayern, Berlin, Hessen und Saarland, wurde das Blindengeld ohne Rücksicht auf Einkommen und Vermögen gewährt, Rechtsgrundlagen waren in Bayern, Berlin und im Saarland Landesgesetze, in Hessen eine Rechtsverordnung. In den übrigen sieben Bundesländern (Baden-Württemberg, Bremen, Hamburg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein) bestand eine Einkommensgrenze von monatlich 1.000,00 DM plus Familienzuschläge. Das Blindengeld betrug in Baden-Württemberg, Berlin und Schleswig-Holstein 200,00 DM, in Hamburg und Bremen den zwei-fachen Fürsorgerichtsatz, also in Hamburg 2 x 78,00 DM (= 156,00 DM) und in Bremen 2 x 80,00 DM (= 160,00 DM), in Bayern 120,00 DM, in den Län-dern Hessen, Niedersachsen, NordrheinWestfalen, Rheinland-Pfalz und Saarland 110,00 DM 132 .

E. Der Weg zur Einführung einer Blindenhilfe durch § 67 BSHG § Hf RGR hatte nach Auffassung der Blindenselbsthilfeorganisationen keine befriedigende Lösung gebracht. Es handelte sich um eine der Armenfürsorge zuzurechnende Leistung 133 •

Die Forderung nach einer gesetzlichen Neuregelung blieb bestehen 134. Zunächst strebten die Blindenselbsthilfeorganisationen in den Ländern landesgesetzliche Regelungen oder zumindest verbesserte Leistungen im Wege eines Blindengelderlasses aufgrund von § 35 RGR an 135 . Hinsichtlich der Forderung eines Bundesgesetzes, das jedem Zivilblinden ein Pflegegeld unabhängig von Einkommen und Vermögen zugestand, hielt sich der Deutsche Blindenverband aufgrund eines Beschlusses seines Verwaltungsrates zurück, um die in mehreren Ländern schwebenden "aussichtsreich erscheinenden Verhandlungen" erst zum Ergebnis kommen zu lassen 136 . Es handelte sich um die Länder Berlin, Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz. Ein positives Ergebnis wurde zu diesem Zeitpunkt lediglich in Berlin erzielt. Dort erging am 03. 08. 1954 das Gesetz über die Gewährung von Pflegegeld für Zivilblinde (GVBI. S. 483). 132

1962.

Geschäftsbericht des Deutschen Blindenverbandes für 1961, "Blindenwelt", Heft 1,

Gottwald: "Die Blindenwelt", Heft 9,1954, S. 2. Gottwald, a. a. O. 135 Siehe oben D. 136 Tatigkeitsbericht des Deutschen Blindenverbandes für die Zeit vorn 01. 04. 1954 bis zum 31. 03.1955, Ziff. 2, abgedruckt in: "Die Blindenwelt", Heft 9,1955. 133

134

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I. Teil: Entwicklung der Blindengeldregelungen für Zivilblinde in Deutschland

Da die Entwicklung in den Ländern nur schleppend vorankam und zu sehr unterschiedlichen Lösungen führte, nahm der Deutsche Blindenverband sein Streben nach einer bundesrechtlichen Lösung wieder auf. Das Geschehen bis zur Einführung einer bundesrechtlichen Blindenhilfe im Rahmen des Bundessozialhilferechts durch § 67 BSHG läßt sich in drei Phasen einteilen: 1. Die Bemühungen im Rahmen der Rentenreform von 1957, 2. das Streben nach einem eigenen Bundesblindengesetz und 3. die Neugestaltung des Fürsorgerechts durch das BSHG.

I. Die Bemühungen im Rahmen der Rentenreform von 1957 1. Das Gutachten von Ernst Forsthoff Als der Deutsche Blindenverband seine Bemühungen um ein Blindengeld ohne Rücksicht auf Einkommen und Vermögen 1954 wieder aufnahm, war er zunächst bestrebt zu klären, ob der Bund im Rahmen von Art. 74 GG ein einkommensunabhängiges Blindengeld schaffen konnte. Zur Klärung dieser Frage beauftragte er den Staatsrechtier Ernst Forsthoff (Heidelberg) mit der Erstattung eines Gutachtens 137 . Forsthoff kam zu dem Ergebnis, daß der Fürsorgebegriff im Sinn von Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG nicht nur die Armenfürsorge im herkömmlichen Sinn umfasse, sondern bei Hilfsbedürftigkeit auch Leistungen ohne Rücksicht auf Einkommen und Vermögen zulasse. Dieser Auffassung hat sich der Bundesgesetzgeber allerdings, wie die weitere Entwicklung zeigt, nicht angeschlossen.

2. Die Pflegegeldforderung des Deutschen Gewerkschaftsbundes undderSPD Als der zweite Deutsche Bundestag daranging, das Rentenrecht zu reformieren, erhob der Deutsche Gewerkschaftsbund die Forderung auf ein Pflegegeld für pflegebedürftige Sozialrentner. Im April 1956 hat die SPD-Fraktion einen Gesetzentwurf zur Rentenreform eingebracht. Sie griff die Forderung des DGB auf und forderte ein Pflegegeld für pflegebedürftige Bezieher von Invaliden- und AngestellI37 Rechtsgutachten über die Frage: "Hat der Bund die konkurrierende Gesetzgebung für ein Gesetz, das allen Zivilblinden, ganz gleich, welches Einkommen oder Vermögen sie besitzen, ein Pflegegeld in Höhe des Pflegegeldes der Kriegsblinden gewährt, wobei die Auszahlung durch die Landesversorgungsanstalt oder die Landesfürsorgeverbände erfolgt?", abgedruckt bei Scholler/Krause, S. ll5 ff.

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tenrenten (§ 42). Im Entwurf der Bundesregierung zur Rentenreform befand sich eine entsprechende Bestimmung nicht. Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes ergab sich aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG. Bemerkenswert ist, daß hier vom Deutschen Gewerkschaftsbund und von der Bundestagsfraktion der SPD die Absicherung des Lebensrisikos der Pflegebedürftigkeit in die Diskussion gebracht wurde 138 . a) Die Haltung des Deutschen Blindenverbandes Obwohl ein Pflegegeld im Rahmen der Rentenversicherung nicht gleichbedeutend sein konnte mit dem geforderten allgemeinen Blindengeld, weil es nur Empfängern von Invaliden- und Angestelltenrente zugute gekommen wäre, setzte sich der Deutsche Blindenverband für ein solches Pflegegeld ein. Der DBV wollte in Kauf nehmen, daß dann drei Pflegegeldregelungen nebeneinander bestanden hätten, und zwar für die Fürsorgeempfänger nach § I1f RGR, für Invaliden- und Angestelltenrentner im Rahmen des Rentenversicherungsgesetzes und für erwerbstätige Blinde nach den landesrechtlichen Blindengeldbestimmungen l39 . 140. b) Die Pflegegeldfrage in der parlamentarischen Diskussion Der BHE und die SPD hatten in der zweiten und dritten Lesung des Rentenreformgesetzes Anträge auf die Einführung eines Pflegegeldes für Pflegebedürftige gestellt. Die Regierungsparteien vertraten die Auffassung, daß die Rentenversicherung nicht der richtige Platz für die Regelung solcher Pflegegelder sei. Die Forderung der Zivilblinden auf ein Pflegegeld fand in der Diskussion des Deutschen Bundestages über die Rentenreform große Beachtung. In der zweiten Lesung des Rentenreformgesetzes am 18. 01. 1947 führten u. a. aus: Frau Döhring (SPD): "Heute sind pflegebedürftige Rentner wegen einer Pflegezulage auf die öffentliche Fürsorge angewiesen. Es erscheint aber mit dem Gedanken unseres sozialen Rechtsstaates 138 Die Notwendigkeit, das Lebensrisiko der Pflegebedürftigkeit neben den Lebensrisiken Krankheit, Berufsunfallschäden, Arbeitslosigkeit und Invalidität abzusichern, erkannten alle politischen Parteien an. Sie erfolgte im Sozialgesetzbuch XI Soziale Pflegeversicherung vom 26.05. 1994, BGBI. I, S. 1014, 1015. 139 Gottwald: "Die Blindenwelt", Heft 9, 1956, S. 2 ff. 140 Das Problem, ob Blinde überhaupt allein aufgrund der Blindheit pflegebedürftig im Sinne dieser Regelung gewesen wären, erörterte Gottwald nicht. Entscheidend dafür wäre gewesen, ob das Pflegegeld allein aufgrund der Ursache der Pflegebedürftigkeit oder, wie in § 14 SGB XI, aufgrund der Auswirkungen gewährt worden wäre.

110

1. Teil: Entwicklung der Blindengeldregelungen für Zivilblinde in Deutschland

unvereinbar, daß unsere alten Rentner nach einem langen, arbeitsreichen Leben wegen ihres Pflegegeldes der öffentlichen Fürsorge überantwortet werden. Besonders kraß hat sich dies für den Kreis der Zi vilblinden ausgewirkt, die nach § 11 f des Fürsorgerechtsänderungsgesetzes im Rahmen der öffentlichen Fürsorge Blindenpflegegeld erhalten. Nach der jetzigen Rechtslage steht der Blinde, der ein ganzes Leben lang gearbeitet und Beiträge zur Rentenversicherung gezahlt hat, im Alter um keinen Pfennig, oder wenn es gut geht, nur um wenige Mark besser als der Fürsorgeempfänger, der keine oder nur wenig Beiträge geleistet hat. ... Die konsequente Folgerung hieraus kann doch nur sein, ein Pflegegeld in der Rentenversicherung einzuführen, um auch den blinden Menschen an der Verbesserung der Rentenneuregelung teilnehmen zu lassen .... Nach Auffassung der Sozialdemokratischen Fraktion gehört es zur sozialen Sicherheit, daß der Rentner, solange er hilflos und pflegebedürftig ist, neben seiner Rente einen Rechtsanspruch auf ein Pflegegeld aus der Rentenversicherung erhält 141."

Demgegenüber hielt Frau Dr. Steinbiß (GB / BHE) den Einbau eines Pflegegeldes in das Rentenreformgesetz ohne Bedürftigkeitsprüfung nicht für möglich. Weiter wies sie darauf hin, daß es Erkrankungen gebe, "bei denen die Kranken vielleicht weit mehr der Pflege bedürfen als Blinde, z. B. die Multiple Sklerose." Ein Einbau des Pflegegeldes in das Rentenreformgesetz könnte "leider nicht" vorgenommen werden. Sie fuhr fort: "Wir könnten aber andere Wege überlegen, wir könnten z. B. die Länder, die noch keine Sonderregelung für Blindenpflegegeld haben, bitten oder anweisen, für ihr Gebiet solche Sonderrege1ungen zu erlassen . .. . Im übrigen beabsichtigt das Bundesinnenministerium, in der nächsten Legislaturperiode des Bundestages ein erweitertes Fürsorgerecht an den Bundestag heranzubringen. Hier wäre es möglich, die Einkommensgrenzen für die Berechnung des Pflegegeldes zu erhöhen l42 . Demgegenüber setzte sich Dr. Reich (GB / BHE) für ein Pflegegeld im Rahmen des Rentenreformgesetzes ein. Er wies darauf hin, daß "in der Begründung des Gesetzes gesagt worden ist, die Hilfe der Gemeinschaft der Versicherten solle insbesondere bei frühzeitiger Erwerbsunfähigkeit und bei außergewöhnlichen Schicksalsschlägen eintreten." Der Eintritt der Pflegebedürftigkeit, "insbesondere durch Krankheit oder Erblindung", falle "unter den Begriff dieser schon in der Begründung zum Gesetzentwurf erwähnten außergewöhnlichen Schicksalsschläge. . .. Dadurch werden soziale Tatbestände geschaffen, die eben nicht allein durch eine Rentengewährung behoben oder wenigstens bis zu einem erträglichen Maße gemildert werden können." Der Abgeordnete Schütz (CDU / CSU) führte aus: "Wer würde denn nicht ehrlichen Herzens zugeben, daß Pflegegeld für Blinde ein echtes Bedürfnis ist! - Die Frage ist: Wie wollen wir dieses echte Bedürfnis befriedigen? - Das Blindenproblem reicht doch weit über das der blinden Rentner hinaus. Wir alle wissen, es gibt Geburtsblinde, es gibt Kriegsblinde, und es gibt die Menschen, die im Laufe eines Arbeitslebens erblinden. Für alle diese Blinden müssen wir ein Pflegegeld 141 142

Zitiert nach: "Die Blindenwelt", Heft 2, 1957, S. 2. "Die Blindenwelt", Heft 2,1957, S. 2.

Kap. 2: Die Entwicklung seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges

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sicherstellen, nicht nur für die eine oder andere Gruppe .... Wir werden darauf drängen, daß der Bund umgehend auf die Länder dahin einwirkt, daß die Pflegegeldzahlungen baldmöglichst in allen Ländern einheitlich eingeführt werden .... Wir wünschen die Pflegezulagen, aber für alle Blinden, und geeignete Fürsorgernaßnahmen. Wir können aber beim besten Willen nicht von unserer grundsätzlichen Auffassung abgehen, daß die Fürsorgeelemente in diesem Gesetz nicht ausgeweitet werden sollten. Daher werden wir die Anträge ablehnen I43 ." Am 22. 01. 1957 wurde das Rentenversicherungsneuregelungsgesetz vom Deutschen Bundestag angenommen. Ein Pflegegeld im Rahmen der Rentenversicherung wurde trotz der positiven Stellungnahme des Bundesrates, des Deutschen Gewerkschaftsbundes und des Deutschen Städtetages nicht vorgesehen. Der entsprechende Antrag des BHE und der SPD wurde in der zweiten und dritten Lesung mit 254 gegen 196 Stimmen bei einer Stimmenthaltung abgelehnt l44 .

c) Die Entschließung des Deutschen Bundestages vom 21. 01. 1957 Der Deutsche Bundestag hat aber in einer Entschließung vom 21. 01. 1957 die Bundesregierung ersucht, alsbald mit den Länderregierungen zu prüfen, weIche Möglichkeiten bestehen, die zur Zeit noch unterschiedlichen Landesregelungen über Pflegegeld an Blinde zu vereinheitlichen 145.

11. Das Streben nach einem eigenen Bundesblindengesetz

1. Ausgangslage

Nachdem der Antrag auf ein Pflegegeld im Rahmen der Rentenversicherung abgelehnt worden war, richteten sich die Bemühungen auf weitere Verbesserungen in den Bundesländern. Daneben strebte der Deutsche Blindenverband aber ein eigenes Bundesblindengesetz an. Die Forderung richtete sich nach wie vor auf ein Blindengeld in Höhe der Pflegezulage der Kriegsblinden nach § 35 BVG ohne Rücksicht auf Einkommen und Vermögen l46 . Der DBV hielt seinen Anspruch umso berechtigter, als "in der ersten Phase der Sozialreform für die alten Menschen durch die Rentenversicherungsneuregelungsgesetze" und für die Körperbehinderten durch das Körperbehindertengesetz vom 27. 02. 1957 (BGBI. I, S. 147) gesorgt worden ist l47 . "Die Blindenwelt", Heft 2, 1957, S. 2. "Die Blindenwelt", Heft 2, 1957, S. 2. 145 Tätigkeitsbericht des Deutschen Blindenverbandes für die Zeit vom 01. 04. 195431. 03. 1957, abgedruckt in: "Die Blindenwelt", Heft 5,1957, S. 2 ff. 146 Gottwald: "Die Blindenwelt", Heft 2, 1957, S. 2. 147 Gottwald, a. a. O. 143

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1. Teil: Entwicklung der Blindengeldregelungen für Zivilblinde in Deutschland

Daß eine Lösung der Blindengeldfrage angestrebt werden sollte, zeigte auch die Entschließung des Deutschen Bundestages, die er in seiner Plenarsitzung vom 21. 01. 1957 im Rahmen der Beratung des Rentenreformgesetzes faßte. Er hatte die Bundesregierung ersucht, alsbald mit den Länderregierungen zu prüfen, welche Möglichkeiten bestünden, die zur Zeit noch unterschiedlichen Regelungen über Pflegegeld an Blinde zu vereinheitlichen. Daraufhin war in einer Konferenz des Bundesministeriums des Inneren mit den zuständigen Länderreferenten am 21. 03. 1957 klargestellt worden, daß die Länder sich nicht durch Ländergesetze den Regelungen von Bayern, Berlin und dem Saarland anschließen wollten. Sie wünschten eine Regelung durch den Bund l48 .

2. Der Deutsche Fürsorgetag von 1957

Auf der Schlußkundgebung des Deutschen Fürsorgetages, den der Deutsche Verein für öffentliche und private Fürsorge vom 21. - 23. 11. 1957 in Essen abhielt, stand die künftige Reform des Fürsorgerechts im Mittelpunkt. Auf der Schlußkundgebung des Fürsorgetages sprach sich dessen Vorsitzender, Professor Muthesius, dafür aus, alsbald ein Bundesblindengesetz zu erlassen, weil das Bundesfürsorgegesetz nicht so rasch kommen werde l49 .

3. Das Körperbehindertengesetz und das TuberkulosehilJegesetz als Beispiele

Wie der Erlaß des Körperbehindertengesetzes vom 27. 02. 1957 (BGBL I, S. 147) und der zu diesem Zeitpunkt bereits vorliegende Entwurf des Tuberkulosehilfegesetzes, das 1959 in Kraft trat, zeigen, mußten Probleme besonderer hilfsbedürftiger Gruppen außerhalb des Armenrechts gelöst werden. Sie waren "wichtigere Schritte nach vorn,,150. Anknüpfungspunkt für die Leistungen war in diesen Gesetzen nicht mehr die wirtschaftliche Hilfsbedürftigkeit im Sinn von § 5 RGR, also die Unfähigkeit, den notwendigen Lebensbedarf für sich und seine unterhaltsberechtigten Angehörigen aus eigenen Kräften und Mitteln zu beschaffen oder von anderer Seite, insbesondere von Angehörigen, zu erhalten, sondern der Körperschaden bzw. gesundheitliche Zustand (§ 1 Körperbehindertengesetz bzw. § 1 Tuberkulosehilfegesetz)151.

148 Geschäftsbericht des DBV für die Zeit vom 01. 04. 1957 -31. 12. 1957, abgedruckt in: "Die Blindenwelt", Heft 1,1958, S. 2 ff. 149 Tatigkeitsbericht des DBV für die Zeit vom 01. 04. 1957 -31. 12. 1957, a. a. O. 150 Stolleis, S. 25. 151 Abgedruckt bei Stolleis, S. 93 und S. 95.

Kap. 2: Die Entwicklung seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges

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4. Der Entwu1j eines Bundesblindengesetzes des Deutschen Blindenverbandes

Der Deutsche Blindenverband legte deshalb in der Fonn einer Denkschrift 1957 den Entwurf eines Bundesblindengesetzes vor l52 . Die Denkschrift kam auf Anregung von Abgeordneten des zweiten Deutschen Bundestages zustande l53 . a) Inhalt des Gesetzentwurfes In dem in dieser Denkschrift enthaltenen Gesetzentwurf wurde nicht nur ein Blindengeld in der Fonn einer "Blindheitshilfe" in Höhe der Pflegezulage eines Kriegsblinden gefordert (§ 3 des Entwurfes), vielmehr sollten nach dem Grundsatz des § 1 den Blinden die Hilfen, die in dem Gesetz vorgesehen sind, gewährt werden, um die Folgen der Blindheit auszugleichen oder zu erleichtern und sie dadurch zu befähigen, sich im Leben zu behaupten. Als solche Hilfen wurden neben dem Blindengeld (§ 3) genannt: die Versorgung mit einem Führhund und mit Hilfsmitteln (§ 4 des Entwurfes), die Durchführung der blindentechnischen Grundausbildung (§ 5 des Entwurfes), eine blindheitsgemäße Berufsförderung (§ 6). Es sollte also ebenso, wie das Körperbehindertengesetz, das in seinem § 2 Präventions- und Eingliederungsmaßnahmen vorsah, ein umfassendes Rehabilitationsgesetz sein. Während für die zeitlich begrenzten Rehabilitationsmaßnahmen wie im Körperbehindertengesetz Einkommensgrenzen akzeptiert wurden, sollte das Blindengeld unabhängig von Einkommen und Vennögen gewährt werden, weil die Blindheit und die darauf beruhende Hilfsbedürftigkeit zur gesellschaftlichen Eingliederung nicht beseitigt werden konnten und durch das Blindengeld ein Ausgleich geschaffen werden sollte. b) Unterstützung durch den Bund der Kriegsblinden Deutschlands e. V. Der Bund der Kriegsblinden Deutschlands e. V. unterstützte die Bestrebungen des Deutschen Blindenverbandes. So stellte Dr. Karl Kirchner, stellvertretender Vorsitzender des Bundes der Kriegsblinden Deutschlands e. V., in seinem Artikel "Die Rentenrefonn in Kraft" fest: "Es ist nur zu wünschen, daß diese Bemühungen (um ein Bundesblindengesetz) endlich zum Erfolg führen. Nur wer die Belastungen des täglichen Lebens als Blinder erfahren muß, vennag zu beurteilen, wie entscheidend wichtig der Ausgleich der durch die Blindheit verursachten finanziellen Mehrbelastungen für den beruflichen Erfolg und die Wiedereingliederung in die Gesellschaft ist l54 . 152 153 154

Abgedruckt in: "Marburger Beiträge", Heft 11 / 12,1957. Gottwald: Vorwort zur Denkschrift, S. 1. Kirchner: "Der Kriegsblinde", Heft 3,1957.

8 Demme1

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1. Teil: Entwicklung der Blindengeldregelungen für Zivilblinde in Deutschland

c) Begründung des Gesetzentwurfs Hinsichtlich seiner Forderung auf ein einkommens- und vermögensunabhängiges Blindengeld im Rahmen eines Bundesblindengesetzes stützte sich der DBV auf das Rechtsgutachten von Ernst Forsthoff aus dem Jahr 1954 155 . Zwar handelte es sich bei dem geforderten Blindengeld nach der Konzeption des Entwurfes für ein Bundesblindengesetz um keine Versicherungs- oder Versorgungs-, sondern um eine Fürsorgeleistung 156 . Forsthoff vertrat aber in seinem Gutachten die Auffassung, daß der verfassungsrechtliche Begriff "öffentliche Fürsorge" im Sinne von Art. 74 Nr. 7 GG nicht aus der Fürsorgepflichtverordnung genommen werden könne, sondern aus Art. 74 unmittelbar abgeleitet werden müsse. Er kam zu dem Ergebnis, daß öffentliche Fürsorge im Sinne des Art. 74 GG gleichbedeutend sei mit "Hilfe für Hilfsbedürftige", wobei die Hilfsbedürftigkeit entweder auf einer wirtschaftlichen Notlage oder auf anderen Umständen, z. B. Blindheit, beruhen könne 157 . d) Kein Erfolg im Bundestag Daß Sozialleistungen unabhängig von Einkommen und Vermögen auf Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 gestützt werden können, erkannte der Bundestag und Bundesrat bei der Beratung des Kindergeldgesetzes an 158 . 1954 wurde für das dritte Kind ein von Einkommen und Vermögen unabhängiges Kindergeld eingeführt. Wegen der angestrebten Neuregelung des Fürsorgerechts erließ der Deutsche Bundestag trotz der inzwischen ergangenen Sondergesetze für Körperbehinderte und Tbc-Kranke und der eingetretenen Änderung in der Rechtsauffassung hinsichtlich seiner Zuständigkeit auch für einkommens- und vermögensunabhängige Fürsorgeleistungen nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG kein eigenes Bundesblindengesetz. Die Denkschrift des Deutschen Blindenverbandes hatte aber Einfluß auf die "blindenspezifischen Regelungen" des Bundessozialhilfegesetzes vom 30. 06. 1961 (BGBI. I, S. 815)159.

Abgedruckt bei Scholler/Krause, S. 115. Gottwald: "Die Blindenwelt" , Heft 4, 1958, S. 2. 157 Forsthoff, S. 18 = Scholler/Krause, S. 134, vgl. auch Scholler/Krause, S. 32 f. 158 Kurzprotokoll der 25. Sitzung des Bundestagsausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht vorn 10. 09. 1954, Protokoll Nr. 25 und Rechtsausschuß des Bundesrates, Protokoll R 7205 Nr. R 118/54 vorn 30. 07. 1954. 159 Scholler / Krause, S. 46. 155

156

Kap. 2: Die Entwicklung seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges

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IH. Die Neugestaltung des Fürsorgerechts durch das BSHG 1. Die Reformbedürftigkeit des Fürsorgerechts

Bereits in der 2. Legislaturperiode beschloß die Bundesregierung, in die Reform der Sozialleistungen auch das Recht der öffentlichen Fürsorge einzubeziehen. Der Deutsche Bundestag ersuchte im Zusammenhang mit der Beratung des Gesetzes über die Neuregelung der Rentenversicherung im Januar 1957 die Bundesregierung einen Gesetzentwurf zur Neuregelung des Fürsorgerechts vorzulegen. Das Fürsorgerechtsänderungsgesetz vom 20. 08. 1953 (BGBL I, S. 967) stellte keine Reform des Fürsorgerechts dar. Die Fürsorgepflichtverordnung und die Reichsgrundsätze über Voraussetzung, Art und Maß der öffentlichen Fürsorge aus dem Jahre 1924 wurden lediglich angepaßt und modifiziert. Grundlage für die Weiterentwicklung des Fürsorgerechts in den Ländern bildete die Fürsorgerechtsvereinbarung vom 19. 09. 1947 in der Fassung der Fürsorgevereinbarung vom 03.05. 1949. 1947 schlossen die Länder der britischen Besatzungszone diese Fürsorgerechtsvereinbarung. Ihr traten dann die Länder der amerikanischen und französischen Besatzungszone bei 160. Der Deutsche Blindenverband hielt an der Forderung nach einem Blindengeld als Ausgleichsleistung, unabhängig von Einkommen und Vermögen, auch im Rahmen einer fürsorgerechtlichen Lösung fest l61 • Daß Fürsorgeleistungen ohne Rücksicht auf Einkommen und Vermögen bei einer Reform des Fürsorgerechts für persönliche Hilfeleistungen denkbar waren, brachte der Leiter der Fürsorgeabteilung des Bundesinnenministeriums, Ministerialdirektor Dr. Scheffler, in einem Referat auf dem Deutschen Fürsorgetag vom 21. - 23.11. 1957 in Essen zum Ausdruck l62 • Für seine Auffassung, daß der Bundesgesetzgeber nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG die Gesetzgebungskompetenz auch dann habe, wenn es sich um einkommens- und vermögensunabhängige Fürsorgeleistungen handele, weil der verfassungsrechtliche Fürsorgebegriff ein weiterer als der verwaltungsrechtliche Fürsorgebegriff sei, stützte sich der Deutsche Blindenverband auf das Urteil des BSG vom 20. 12. 1957 - Az. 7 RKG 4/56. Das BSG kommt zu dem Ergebnis, daß das Kindergeldgesetz unter den verfassungsrechtlichen Begriff der öffentlichen Fürsorge fällt und daß daher der Bund die Gesetzgebungskompetenz hat. Bei einer Reform des Fürsorgerechts sollte zwar nicht mehr zwischen sozialer und gehobener Fürsorge wie in den RGR unterschieden werden, es mußte aber dem Umstand Rechnung getragen werden, daß die Belange speziell betroffener Gruppen zu berücksichtigen waren. Im Fürsorgerecht hatte sich eine Spezialisierung herausgebildet, nämlich die Jugendfürsorge, der Mutterschutz, die Tuberkulosehilfe und die Körperbehindertenfürsorge. Um einer weiteren Aufsplitterung des 160

161 162

8*

Stolleis, S. 25. Gottwald: .. Die Blindenwelt", Heft 2, 1958, S. 2 ff. Gottwald, a. a. O.

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1. Teil: Entwicklung der Blindengeldregelungen für Zivilblinde in Deutschland

Fürsorgerechts im Interesse der Überschaubarkeit für die Betroffenen und für die Verwaltung entgegenzuwirken, sollten die verschiedenen bundesrechtlichen Fürsorgeregelungen in einem Gesetz zusammengefaßt werden l63 . Der DBV bemängelte, daß die Blindenfürsorge das "Stiefkind" der Entwicklung hin zu Sondergesetzen blieb und weiterhin "ein Anhängsel" der Armenfürsorge war l64 . Für den Fall, daß das geplante Fürsorgegesetz die Spezialgesetze, wie das Mutterschutzgesetz, das Tuberkulosehilfegesetz und das Körperbehindertengesetz, in sich aufnehmen sollte, forderte der DBV für die Blindenwohlfahrt einen eigenen Abschnitt l65 . Auch auf dem Deutschen Fürsorgetag vom 21.-23. 11. 1957 in Essen wurde betont, daß die besonderen sozialen Tatbestände, wie Alter, Jugend, Körperbehinderung, Blindheit, bei einer Reform des Fürsorgewesens mehr in den Vordergrund treten müßten. 2. Die Rejormvorschläge des Bundesarbeitsministeriums

Der Ausschuß für Fragen der öffentlichen Fürsorge, ein Unterausschuß des beim Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung bestehenden Beirates für die Neuordnung der sozialen Leistungen, veröffentlichte im Bundesarbeitsblatt 1958 S. 582 ff. Beschlüsse, die der Vorbereitung eines neuen Sozialhilferechtes dienen sollte. Nach der Auffassung dieses Ausschusses sollten das Körperbehindertengesetz und das Tuberkulosehilfegesetz in den zweiten Teil des Bundessozialhilfegesetzes (Hilfe in besonderen Lebenslagen) übernommen werden. Im Beschluß Nr. 1 befaßte sich der Ausschuß mit der Blindheitshilfe (Blindenpflegege1d). Er empfahl einen eigenen Unterabschnitt im Bundessozialhilfegesetz. 3. Die BlindenhilJe im Regierungsentwurj' eines BundessozialhilJegesetzes

Das Bundeskabinett verabschiedete am 17. 02. 1960 den Regierungsentwurf eines Bundessozialhilfegesetzes. Der Regierungsentwurf behandelte in § 60 die Blindenhilfe. Sie war nun nicht länger Bestandteil der Armenfürsorge, sondern neben den anderen Hilfen für spezielle Gruppen eine Hilfe "in besonderen Lebenslagen". Der Regierungsentwurf sah eine Einkommensgrenze von 500,00 DM netto monatlich vor (§ 77 Abs. 1 Ziff. 5 des Entwurfes). Dazu sollte für den Ehegatten und jede überwiegend unterhaltene Person ein Familienzuschlag von monatlich 80,00 DM kommen. 163 Nr. 5 der Allgemeinen Begründung zum Regierungsentwurf eines BSHG, Bundestagsdrucksache 1799,3. Wahlperiode. 164 Gottwald: "Die Blindenwelt", Heft 3, 1957, S. 2. 165 Gottwald, a. a. O.

Kap. 2: Die Entwicklung seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges

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4. Veränderungen während des Gesetzgebungsveljahrens

Die erste Lesung im Bundestag fand am 04.05. 1960 statt. Auf Vorschlag des Bundesrates wurde die Einkommensgrenze schließlich auf 1.000,00 DM monatlich erhöht. Der Vorstand des Deutschen Blindenverbandes wandte sich in einer Entschließung an die Abgeordneten des Deutschen Bundestages, die dem Ausschuß für Kommunalpolitik und öffentliche Fürsorge angehörten, nochmals mit der Forderung auf ein Blindengeld ohne Einkommens- und Vermögensgrenze l66 . Diesem Wunsch wurde jedoch nicht entsprochen.

5. Die BlindenhiLJe im BundessozialhiLJegesetz

Der Deutsche Bundestag verabschiedete das Bundessozialhilfegesetz in dritter Lesung am 04. 05. 1961. Am 26. 05. 1961 stimmte der Bundesrat zu. Das Gesetz trägt das Datum vom 30. 06. 1961. Es wurde am 05.07. 1961 im BGBl. I, S. 815 veröffentlicht. Das Bundessozialhilfegesetz trat am 01. 06. 1962 in Kraft (§ 153 Abs. 1 BSHG)167. Die Blindenhilfe erhielt in Abschnitt 3 "Hilfe in besonderen Lebenslagen" einen eigenen Unterabschnitt 9 (§ 67 BSHG). Die Regelungen des Körperbehindertengesetzes fanden im wesentlichen Eingang in Abschnitt 3, Unterabschnitt 6 "Eingliederungshilfe für Behinderte" (§§ 39 ff.), die Bestimmungen des Tuberkulosehilfegesetzes in Abschnitt 3, Unterabschnitt 8 (§§ 48 ff.). a) Bewertung durch den Deutschen Blindenverband Obwohl die Wünsche des Deutschen Blindenverbandes nicht vollständig erfüllt waren, sah er doch in dem neuen Gesetz einen wesentlichen Fortschritt, weil "durch dieses Gesetz ... der sozialen Stellung der Blinden eine neue gute Grundlage gegeben" wurde l68 .

"Blindenwelt", Heft 2,1961, S. 2. Zur Entstehung des BSHG vgl. Gottschick: "Sammlung der Vorschriften des Bundes auf dem Gebiet der öffentlichen Fürsorge", S. 12 f. 168 Gottwald: "Die Blindenwelt", Heft 6,1961, S. 2 ff. 166 167

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1. Teil: Entwicklung der Blindengeldregelungen für Zivilblinde in Deutschland

b) Der wesentliche Inhalt der Regelungen für Blinde im Bundessozialhilfegesetz Die Blindenhilfe wurde Blinden vom 6. Lebensjahr an gewährt. Sie betrug für Blinde nach Vollendung des 18. Lebensjahres 200,00 DM monatlich. Das entsprach der Pflegezulage der Kriegsblinden nach § 35 BVG. Damit war eine der wichtigsten Forderungen des Deutschen Blindenverbandes erfüllt. Für Blinde, die das 6., aber noch nicht das 18. Lebensjahr vollendet hatten, belief sich die Blindenhilfe auf 100,00 DM monatlich. Die Einkommensgrenze betrug 1.000,00 DM monatlich. Sie erhöhte sich um 80,00 DM monatlich für den Ehegatten und für jede Person, die von dem Blinden überwiegend unterhalten wurde. Waren beide Ehegatten blind, so erhöhte sich die Einkommensgrenze um 250,00 DM monatlich. Für das Barvermögen, das nach § 88 Abs. 2 Nr. 8 BSHG beim Einsatz des eigenen Vermögens unberücksichtigt bleiben sollte, wurde für die Blindenhilfe durch die Verordnung nach § 88 Abs. 4 BSHG ein Betrag von 4.000,00 DM festgesetzt. Auch die übrigen Forderungen, die seinerzeit der Deutsche Blindenverband in seinem Vorschlag für ein eigenes Blindengesetz erhoben hatte (Sicherung der Berufsausbildung, blindentechnische Grundausbildung und Ausstattung mit Hilfsmitteln) fanden im BSHG, und zwar im 3. Abschnitt, 7. Unterabschnitt "Eingliederungshilfe für Behinderte" § 39 BSHG, Berücksichtigung. Nach § 39 Abs. 1 BSHG ist Personen, die nicht nur vorübergehend körperlich, geistig oder seelisch wesentlich behindert sind, Eingliederungshilfe zu gewähren. Soweit eine Behinderung nicht verhindert oder beseitigt werden kann, ist es Aufgabe der Eingliederungshilfe, die Folgen der Behinderung zu beseitigen oder zu mildem und den Behinderten in die Gesellschaft einzugliedern (§ 39 Abs. 3 S. I BSHG). Dazu gehört vor allem, dem Behinderten die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen oder zu erleichtern, ihm die Ausübung eines angemessenen Berufes oder einer sonstigen angemessenen T!i.tigkeit zu ermöglichen und ihn soweit als möglich unabhängig von Pflege zu machen (§ 39 Abs. 3 S. 2 BSHG). Daß Blinde zu dem Personenkreis des § 39 BSHG gehören, ist in § 1 der Eingliederungshilfeverordnung (Verordnung nach § 47 BSHG) Nr. 4 ausdrücklich bestimmt. Zu den Maßnahmen der Eingliederungshilfe nach § 40 Abs. 1 zählen u. a.: die Versorgung mit orthopädischen oder anderen Hilfsmitteln (Nr. 2 in Verbindung mit § 9 Eingliederungshilfeverordnung), die Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung (Nr. 3 in Verbindung mit § 12 Eingliederungshilfeverordnung), die Hilfe zur Ausbildung für einen angemessenen Beruf oder eine sonstige angemessene T!i.tigkeit (Nr. 4 in Verbindung mit §§ 13 und 14 der Eingliederungshilfeverordnung), die Hilfe zur Umschulung (Nr. 5 in Verbindung mit § 14 Eingliederungshilfeverordnung), Hilfe zur Teilnahme am Leben in der Gesellschaft (Nr. 8). Daß die blindentechnische Grundausbildung zu den Maßnahmen der Eingliederungshilfe gehört, ist in § 16 Nr. 1 der Eingliederungshilfeverordnung klargestellt.

Kap. 2: Die Entwicklung seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges

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Abgesehen von einer einkommens- und vermögensunabhängigen Blindenhilfe, hatten die Blindenselbsthilfeorganisationen damit das Ziel, das sie mit einem eigenen Bundesblindengesetz anstrebten, erreicht.

IV. Bewertung Mit der Loslösung der Hilfe in besonderen Lebenslagen von der Armenfürsorge (Hilfe zum Lebensunterhalt) brachte das BSHG einen entscheidenden Wandel im Fürsorgerecht. Einige Hilfearten, die vor allem durch persönliche Hilfe erbracht werden sollten, wurden, wenn auch subsidiär, so doch ohne Rücksicht auf Einkommen und Vermögen, gewährt. So die Hilfe zur Weiterführung des Haushaltes (§ 70 BSHG), die Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten (§ 72 Abs. 3) und Altenhilfe (§ 75 Abs. 3 - persönliche Hilfe). Auch das macht den Wandel, den das BSHG weg vom Armenrecht hin zur Eingliederung hilfsbedürftiger Menschen gebracht hat, deutlich.

F. Die Entwicklung in Bund und Ländern nach Einführung der Blindenhilfe des § 67 BSHG bis zur Wiedervereinigung I. Ausgangslage und Entwicklungsphasen Im Rahmen des Bundessozialhilfegesetzes war eine Blindenhilfe unabhängig von Einkommen und Vermögen nicht erreicht worden. Das zweite Hauptziel der Blindenselbsthilfeorganisationen, nämlich eine Blindenhilfe für Zivilblinde in gleicher Höhe wie die Pflegezulage nach § 35 BVG für Kriegsblinde, war jedoch verwirklicht worden. Die Blindenhilfe nach § 67 BSHG betrug ebenso wie die Pflegezulage nach § 35 BVG, Stufe 3 200,00 DM monatlich. In der Zeit vom Inkrafttreten des BSHG (01. 06. 1962) bis zur Wiedervereinigung der Bundesrepublik Deutschland mit der Deutschen Demokratischen Republik am 03. 10. 1990 treten drei Entwicklungsphasen deutlich hervor: 1. die Zeit der Weiterentwicklung der Blindengeldregelungen in Bund und Ländern einschließlich des 3. Änderungsgesetzes zum BSHG vom 25.03. 1974, in Kraft getreten am 01. 04.1974, 2. die Phase der Reformbestrebungen, mit dem Bemühen, § 67 BSHG abzuschaffen und 3. die Zeit der Sparmaßnahmen ab dem zweiten Haushaltsstrukturgesetz vom 22. 12. 1981.

120

1. Teil: Entwicklung der BlindengeIdregelungen für Zivilblinde in Deutschland

11. Die Zeit der Weiterentwicklung bis 1974

1. Forderung des Deutschen Blindenverbandes an die Länder

Der Deutsche Blindenverband hielt an seiner Forderung auf ein Blindenpflegegeld, unabhängig von Einkommen und Vermögen, fest. Er setzte dabei vor allem auf die Länder. So appellierte der Vorsitzende des Deutschen Blindenverbandes, Dr. Alfons Gottwald, anläßlich einer Sozialtagung des Blindenverbandes Rheinland-Pfalz am 24. 10. 1962 in Mainz an den Landtag und die Landesregierung von Rheinland-Pfalz. Er rief sie auf, "dem Vorbild von Berlin, Bayern und dem Saarland zu folgen und ein Landesgesetz zu verabschieden, das den Zivilblinden eine Blindenhilfe in Höhe des Pflegegeldes unserer kriegsblinden Kameraden ohne Rücksicht auf Einkommen und Vermögen gewährt" 169.

2. Die Entwicklung im BSHG

a) Erstes Änderungsgesetz zum BSHG Wesentliche Verbesserungen brachte das Gesetz zur Änderung und Ergänzung des BSHG vom 31. 08.1965 (BGBI. I, S. 1027). Es trat am 01. 10. 1965 in Kraft. Die Blindenhilfe nach § 67 wurde ab 01. 10. 1965 auf 240,00 DM monatlich erhöht. Mitbestimmend für diese von der Bundesregierung vorgeschlagene und vom Bundestagsausschuß für Kommunalpolitik und Sozialhilfe einmütig gebilligte Erhöhung war, daß durch das inzwischen in Kraft getretene zweite Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Kriegsopferrechts die Pflegezulage für Kriegsblinde von 200,00 DM auf 240,00 DM erhöht worden war 170 . Für Blinde, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hatten, betrug die Blindenhilfe künftig 120,00 DM monatlich. Die Altersgrenze wurde vom vollendeten 6. auf das vollendete 3. Lebensjahr herabgesetzt. Die Anpassung der Blindenhilfe mußte künftig nicht mehr durch Gesetz, sondern konnte durch Rechtsverordnung erfolgen. § 67 erhielt folgenden Abs. 6: "Die Bundesregierung kann durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die Blindenhilfe unter Berücksichtigung gleichartiger Leistungen, die nach anderen Rechtsvorschriften des Bundes gewährt werden, neu festsetzen." Als gleichartige Leistungen kamen das Pflegegeld für Kriegsblinde nach § 35 BVG bzw. das Pflegegeld für Unfallblinde nach § 558c RVO in Frage. § 67 Abs. 6 BSHG brachte zwar keine Dynamisierung oder automatische Anpassung bei der 169 "Die Blindenwelt", Heft 12, 1962, Rubrik "Aus den Ländern"; Geschäftsbericht des Deutschen Blindenverbandes für 1963, abgedruckt in: "Die Blindenwelt", Heft 3,1964, S. 2. 170 Bundestagsdrucksache IV /3552.

Kap. 2: Die Entwicklung seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges

121

Veränderung entsprechender Leistungen nach anderen Bundesgesetzen mit sich, er enthielt aber doch die Aufforderung an die Bundesregierung, die Blindenhilfe jeweils entsprechend anzupassen, ohne daß es eines langwierigen Gesetzgebungsverfahrens bedurfte. Auch die Einkommensgrenze wurde erhöht. Sie setzte sich künftig aus einem Grundbetrag von 1.000,00 DM monatlich wie bisher (§ 81 Abs. 2), einem Familienzuschlag von 100,00 DM anstelle bisher 80,00 DM für jeden in Betracht kommenden Angehörigen (§ 79 Abs. 1 Nr. 3 BSHG) und nunmehr auch der Kosten für eine angemessene Unterkunft (§ 79 Abs. 1 Nr. 2 BSHG) zusammen. Die Einkommensgrenze und die Familienzuschläge konnten künftig ebenfalls durch Rechtsverordnung angepaßt werden (§ 76 Abs. 3 BSHG). Von dieser Möglichkeit wurde in der Zukunft auch Gebrauch gemacht. So erhöhten sich die Familienzuschläge nach der 2. Verordnung zu § 82 BSHG über die Änderung der Familienzuschläge vom 07. 12. 1967 (BGBI. I, S. 1211) ab 01. 01. 1968 auf 110,00 DM monatlich. Heimbewohner erhielten künftig ebenfalls eine Blindenhilfe, und zwar in Höhe von 140,00 DM monatlich, wenn sie das 18. Lebensjahr vollendet hatten und von 70,00 DM monatlich, wenn sie das 3., aber noch nicht das 18. Lebensjahr vollendet hatten. Auch Selbstzahler in den Heimen erhielten lediglich diese Teilblindenhilfe. Probleme für die Gewährung von Blindenhilfe an Blinde in Heimen ergaben sich daraus, daß das BSHG in seiner ersten Fassung die Gewährung von Blindenhilfe dann ausschloß, wenn die erforderliche Pflege in Anstalten oder Heimen in vollem Umfange gewährt wurde. Untersuchungen in den Anstalten und Heimen ergaben aber bald, daß selbst in sogenannten "Blindenheimen" die erforderliche Pflege nicht in vollem Umfang gewährt worden ist l7l . Bei Einführung der geminderten Blindenhilfe in der ersten Novelle zum BSHG vom 31. 08. 1965 (BGBI. I, S. 1027) wurde bestimmt, daß die Leistung ungeachtet der unterschiedlichen Heimleistungen gewährt werde, weil eine Differenzierung in der Praxis unzumutbare Schwierigkeiten brächten 172. Das Bundesverwaltungsgericht hat in seinem Urteil vom 05. 07.1967 - VC 212/66, abgedruckt in FEVS, Bd. 15, S. 210, dem widersprochen. Es hielt die Herabsetzung der Blindenhilfe für anstalts betreute Blinde nur dann für gerechtfertigt, wenn in diesen Einrichtungen "eine nicht unwesentliche Befriedigung ihres blindheitsbedingten Mehrbedarfs" erfolgt. Diese sei im Einzelfall festzustellen.

171

172

Maletz: ZfSH, Heft 8,1972, S. 180 f. Maletz, a. a. O.

122

1. Teil: Entwicklung der Blindenge1dregelungen für Zivilblinde in Deutschland

b) Zweites Änderungsgesetz zum BSHG Um diesem Dilemma aus dem Wege zu gehen, wurde mit der zweiten Novelle zum Bundessozialhilfegesetz vom 14. 08. 1969 (BGBl. I, S. 1153) bestimmt, daß die Blindenhilfe bei Blinden in Anstalten, Heimen oder gleichartigen Einrichtungen unabhängig vom Umfang der im Einzelfall gewährten Betreuung nur den verminderten Betrag ausmache. Im übrigen führte das zweite Gesetz zur Änderung des Bundessozialhilfegesetzes vom 14.08. 1969 bei der Blindenhilfe zu wesentlichen Verbesserungen. Es trat am 01. 10. 1969 in Kraft. Die Blindenhilfe wurde für Anspruchsberechtigte, die das 18. Lebensjahr vollendet hatten, an den Mindestbetrag der Pflegezulage für Kriegsblinde nach § 35 BVG gekoppelt. Für Blinde, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hatten, betrug sie 50% dieses Betrages (Änderung von § 67 Abs. 2 BSHG). Sie erhöhte sich damit auf 275,00 DM bzw. 137,50 DM monatlich. Da die Leistungen nach dem BVG in die Dynamik der Renten nach den Sozialversicherungsgesetzen einbezogen worden war, bedeutete das auch die Einführung einer dynamischen Anpassung der Blindenhilfe im entsprechenden Ausmaß. Die Blindenhilfe für diejenigen, die Pflege in Anstalten, Heimen oder gleichartigen Einrichtungen erhielten, blieb bei monatlich 140,00 DM für über 18jährige bzw. 70,00 DM für unter 18jährige. Der in § 24 Abs. 2 BSHG festgelegte Blindheitsbegriff, der auch für § 67 BSHG ausschlaggebend war, erfuhr eine Konkretisierung. Nach § 24 Abs. 2 BSHG in der alten Fassung galt als blind auch derjenige, der eine so geringe Sehschärfe hatte, daß er sich in einer ihm nicht vertrauten Umgebung ohne fremde Hilfe nicht zurechtfinden konnte. Diese Bestimmung entsprach inhaltlich der Blindheitsdefinition des § 1 Abs. 2 Schwerbehindertengesetz. § 24 Abs. 2 bestimmte nunmehr für das Sozialhilferecht: "Als blind gelten Personen, deren Sehschärfe auf dem besseren Auge 1. nicht mehr als

1/50

beträgt oder

2. nicht mehr als 1/35 beträgt, wenn das Gesichtsfeld dieses Auges bis auf 30 Grad oder weiter eingeschränkt ist oder 3. nicht mehr als 1/20 beträgt, wenn das Gesichtsfeld dieses Auges bis auf 15 Grad oder weiter eingeschränkt ist.

Das zweite Änderungsgesetz zum BSHG brachte weiter eine Erhöhung der Einkommensgrenzen. Der Grundbetrag nach § 81 Abs. 2 BSHG belief sich für die Blindenhilfe künftig auf 1.200,00 DM. Der Ehegauenzuschlag betrug, wenn beide Ehegatten blind waren, 300,00 DM monatlich. Die Forderung des Deutschen Blindenverbandes, im Rahmen der zweiten Novellierung des BSHG die Einkommens- und Vermögens grenzen für die Blindenhilfe zu streichen, fand keine Berücksichtigung, obwohl nach einer Umfrage

Kap. 2: Die Entwicklung seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges

123

des Ministeriums des Inneren nur 2% der Zivilblinden mit ihrem Einkommen über der zulässigen Grenze nach dem BSHG lagen l73 . Der Deutsche Blindenverband gab, vor allem wegen des großen Verwaltungsaufwandes, der durch die Überprüfung des Einkommens und Vermögens aller Blinden entstand, die Hoffnung nicht auf, daß die übrigen Bundesländer bald dem Beispiel von Bayern, Berlin, Niedersachsen und Saarland folgen und eigene Landesgesetze mit einer einkommensund vermögensunabhängigen Blindenhilfe erlassen würden l74 . Durch die Dynamisierung entwickelte sich die Blindenhilfe für Blinde nach Vollendung des 18. Lebensjahres außerhalb von Anstalten, Heimen oder gleichartigen Einrichtungen wie folgt: Datum

Höhe

01. 10. 1969

275,00 DM

01. 01. 1970

319,00 DM

01. 01. 1971

337,00 DM

01. 01. 1972

358,00 DM

01. 01. 1973

392,00 DM

01.01.1974

437,00 DM

Die Blindenhilfe für Blinde, die das 3., aber noch nicht das 18. Lebensjahr vollendet hatten, belief sich auf die Hälfte. Die Blindenhilfe für Blinde, die in Heimen, Anstalten oder gleichartigen Einrichtungen untergebracht waren, blieb bei 140,00 DM monatlich für über 18jährige und 70,00 DM für unter 18jährige. c) Drittes Änderungsgesetz zum BSHG Das dritte Änderungsgesetz zum BSHG vom 25. 03. 1974 (BGBL I, S. 777) brachte für blinde Heimbewohner eine Erhöhung der Blindenhilfe und ihre Dynamisierung. Das Gesetz trat am 01. 04. 1974 in Kraft. Das BSHG des Jahres 1961 gewährte den Heimbewohnern grundsätzlich keine Blindenhilfe. Aufgrund des ersten Änderungsgesetzes zum BSHG von 1965 erhielten blinde Heimbewohner eine Blindenhilfe in Höhe von 140,00 DM monatlich. Das waren damals 60% der Blindenhilfe, die Blinde außerhalb von Anstalten, Heimen und gleichartigen Einrichtungen erhielten. Während sich der Betrag der BlinGottwald: "Blindenwelt", Heft 4,1967, S. 2. Geschäftsbericht des Deutschen Blindenverbandes für 1969, "Blindenwelt", Heft 2, 1970, S. 2 ff. 173

174

124

1. Teil: Entwicklung der Blindengeldregelungen für Zivilblinde in Deutschland

denhilfe für Blinde außerhalb von Anstalten, Heimen und gleichartigen Einrichtungen wiederholt erhöhte, blieb sie für Heimbewohner seit 1965 bei 140,00 DM monatlich. Ab 01. 04. 1974 erhielten blinde Heimbewohner eine Blindenhilfe, die sich regelmäßig auf 50% der Blindenhilfe für Blinde außerhalb von Anstalten, Heimen und gleichartigen Einrichtungen belief. Selbstzahler erhielten von diesem Zeitpunkt an die volle Blindenhilfe. § 67 Abs. 3 erster Halbsatz erhielt folgende Fassung: "Befindet sich der Blinde in einer Anstalt, einem Heim oder einer gleichartigen Einrichtung und werden die Kosten des Aufenthaltes ganz oder teilweise aus Mitteln öffentlich-rechtlicher Leistungsträger getragen, so verringert sich die Blindenhilfe nach Abs. 2 um die aus diesen Mitteln getragenen Kosten, höchstens jedoch um 50 v. H. der Beträge nach Abs. 2." Da die volle Blindenhilfe seit 01. 01. 1974437,00 DM betrug, belief sich die Blindenhilfe für Heimbewohner mindestens auf 219,00 DM. Infolge der Dynamisierung traten in der Folgezeit weitere Erhöhungen der Blindenhilfe ein. Datum

volles Blindengeld

01.07.1975

540,00 DM

270,00 DM

01. 07. 1976

599,00 DM

300,00 DM

halbes Blindengeld

3. Die Entwicklung in den Ländern

Die Einführung einer Blindenhilfe nach § 67 BSHG wirkte sich auf die Länder in zweifacher Weise aus. a) Auswirkung des BSHG auf Blindengelderlasse Soweit in den Ländern Erlasse bestanden, die sich auf § 35 RGR stützten und erweiterte Leistungen gegenüber § 1lf RGR gewährten, verloren sie mit dem Inkrafttreten des BSHG ihre Gültigkeit. Das galt für Baden-Württemberg, Bremen, Hamburg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und SchleswigHolstein. Diese Regelungen waren ungünstiger als die Bestimmungen in § 67 BSHG, oder sie bedeuteten lediglich, wie in Baden-Württemberg und SchleswigHolstein, eine Vorwegnahme der Blindenhilfe des BSHG. b) Auswirkung des BSHG auf Landesblindengeldgesetze Die Blindengeldgesetze von Bayern, Berlin und Saarland sowie der Blindengelderlaß für Hessen blieben gültig. Sie stellten eigenständige Rechtsquellen dar.

Kap. 2: Die Entwicklung seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges

125

In diesen Ländern wurde das Blindengeld ohne Rücksicht auf Einkommen und Vennögen gewährt. In Berlin betrug das Blindengeld, wie im BSHG, 200,00 DM monatlich. In Bayern (120,00 DM monatlich), Hessen (lIO,OO DM monatlich) und im Saarland (lIO,OO DM monatlich) lag es niedriger. In diesen Ländern hatten Blinde, soweit ihr Einkommen und Vennögen unter den Grenzen des BSHG lag, einen Ergänzungsanspruch, der sich auf die Differenz zu 200,00 DM richtete, bzw. bestand in Hessen für das Landesblindengeld eine Nachrangregelung. Die Blindenselbsthilfeorganisationen in diesen Ländern strebten danach, daß ihre Gesetze erhalten blieben und die Höhe des Blindengeldes der Blindenhilfe im BSHG angeglichen wurde. In den anderen Bundesländern ging das Bestreben dahin, Landesblindengeldgesetze mit einer einkommens- und vennögensunabhängigen Leistung zu erreichen. Die Blindenselbsthilfeorganisationen argumentierten nicht nur mit Sinn und Zweck der Blindenhilfe: Weil die Blindenhilfe zum Ausgleich der blindheitsbedingten Mehrbelastungen und Nachteile gewährt werde, dürfe mit Rücksicht auf Art. 3 GG nicht ein Teil der Blinden von diesem Blindheitsausgleich ausgeschlossen werden 175. Die Blindenselbsthilfeorganisationen argumentierten vor allem auch damit, daß nur etwa 1,5 % der Blinden wegen des Überschreitens der Einkommens- und Vennögensgrenzen nach dem BSHG keinen Anspruch auf Blindenhilfe hätten. Gottwald weist darauf hin, daß gemäß der vom Statistischen Bundesamt herausgegebenen Statistik über öffentliche Sozialleistungen 1963 rund 33.000 Blinde in der Bundesrepublik Deutschland Blindenhilfe nach § 67 BSHG erhalten haben. 1,5 % seien "rund 500 Personen". "Um diesen wenigen Hundert die Blindenhilfe zu verweigern, ist es notwendig, daß viele Zehntausend laufend ihr Einkommen angeben ... müssen. Die Behörden müssen die Angaben bearbeiten .... Und so mancher Rechtsstreit schließt sich an I76 ." Die Zahlen hat Gottwald aus den Angaben für das Land Hessen ennittelt; denn in Hessen erhielten diejenigen Zivilblinden, die keinen Anspruch auf Blindenhilfe nach dem Bundessozialhilfegesetz hatten, ein Landesblindengeld aufgrund eines hessischen Erlasses. 1965 erhielten in Hessen 5.420 Zivilblinde Blindenhilfe nach dem BSHG und 79 Landesblindengeld 177 • Auch wenn es sich, bezogen auf die Bundesrepublik, nur um Schätzzahlen handelte, so steht doch fest, daß der Anteil der Blinden, der keinen Anspruch auf Blindenhilfe nach dem BSHG hatte, sehr gering war, so daß der mit der Einkommens- und Vennögensüberprüfung verbundene erhebliche Verwaltungsaufwand und die Unzumutbarkeit ständiger Kontrolle für die Einführung von Landesgesetzen in sämtlichen Bundesländern sprach. Dazu sollte es im Laufe der nächsten 15 Jahre auch tatsächlich kommen. Die Novellen zum Bundessozialhilfegesetz wirkten sich unmittelbar auf solche Landesblindengeldgesetze aus, welche für die Leistungsvoraussetzungen und den 175 176 177

Gottwald: "Die Blindenwelt", Heft 5,1966, S. 2. Gottwald, a. a. O. Gottwald, a. a. O.

126

1. Teil: Entwicklung der Blindengeldregelungen für Zivilblinde in Deutschland

Leistungsumfang ihrerseits Bezug auf § 67 BSHG nahmen. Die anderen Landesgesetze wurden jeweils durch entsprechende Änderungsgesetze angepaßt. c) Auswirkung der ersten BSHG-Novelle Als das erste Gesetz zur Änderung und Ergänzung des BSHG vom 31. 08. 1965 ab 01. 10. 1965 eine Erhöhung der Blindenhilfe von 200,00 DM auf 240,00 DM brachte, bestanden eigenständige landesrechtliche Regelungen nur in Bayern, Berlin, Hessen, Niedersachsen und im Saarland. Die Rechtsbestimmungen dieser Länder enthielten keine Bezugnahme auf § 67 BSHG. In Berlin und im Saarland war zu diesem Zeitpunkt bereits die Erhöhung der Blindenhilfe auf 240,00 DM erfolgt (siehe unten). In Bayern und Niedersachsen belief sich das Blindengeld auf monatlich 200,00 DM, die Anpassung auf 240,00 DM mußte durch eigene Änderungsgesetze erfolgen (siehe unten). Bis dahin bestand gegebenenfalls ein Ergänzungsanspruch auf 40,00 DM monatlich. In Hessen, wo das landesrechtliche Blindenpflegegeld Nachrang gegenüber dem BSHG hatte, erhielten die Blinden, die die Voraussetzungen des BSHG erfüllten, die Blindenhilfe in Höhe von 240,00 DM monatlich nach § 67 BSHG, die übrigen das Blindengeld in Höhe von 200,00 DM monatlich nach dem hessischen Blindengelderlaß. d) Auswirkung der zweiten BSHG-Novelle Auch zum Zeitpunkt des zweiten Änderungsgesetzes zum BSHG vom 14.08. 1969 (BGBL I, S. 1153), das am 01. 10. 1969 in Kraft trat, bestanden außer in Bayern, Berlin, Hessen, Niedersachsen und im Saarland noch keine eigenständigen Landesblindengeldregelungen. Die Änderungen im BSHG, also insbesondere die Neufassung des Blindheitsbegriffes in § 24 Abs. 2 BSHG, und die Dynamisierung durch die automatische Koppelung der Blindenhilfe nach § 67 Abs. 2 BSHG an die Pflegezulage der Kriegsblinden nach § 35 BVG wirkte sich wegen der zu dieser Zeit noch fehlenden Bezugnahme in den Landesgesetzen bzw. im Blindengelderlaß für Hessen nicht automatisch aus. e) Auswirkung der dritten BSHG-Novelle Als am 01. 04. 1974 das dritte Änderungsgesetz zum BSHG vom 25. 03. 1974 (BGBL I, S. 777) in Kraft trat, gab es landesrechtliche Blindengeldregelungen in Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Bremen, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein. Es fehlte also nur noch RheinlandPfalz. Das dritte Änderungsgesetz zum BSHG brachte im Rahmen der Blindenhilfe die Neuregelung für Blinde in Heimen, Anstalten und gleichartigen Einrichtungen

Kap. 2: Die Entwicklung seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges

127

(siehe oben). Sie betrug mindestens 50% der vollen Blindenhilfe; vorher war die Blindenhilfe für Heimbewohner auf 140,00 DM monatlich festgeschrieben. Bremen und das Saarland gewährten bereits vor dem dritten Änderungsgesetz zum BSHG Blinden in Heimen, Anstalten und gleichartigen Einrichtungen ein Pflegegeld bzw. eine Blindheitshilfe in Höhe von 50% des Betrages für Blinde außerhalb von Anstalten, Heimen und gleichartigen Einrichtungen. Die Gesetze von Baden-Württemberg, Bayern, Berlin und Hamburg verwiesen wegen der Höhe der Blindenhilfe für Heimbewohner ausdrücklich auf § 67 Abs. 3 BSHG in dessen jeweiliger Fassung. In diesen Ländern erhöhte sich ab 01. 04. 1974 das landesgesetzliche Blindengeld für Heimbewohner automatisch entsprechend der Blindenhilfe in § 67 Abs. 3 BSHG. In den Blindengeldgesetzen von Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein war der Betrag von 140,00 DM monatlich für Heimbewohner festgeschrieben. Hier konnte die Änderung erst durch entsprechende Novellierungen der Landesgesetze erfolgen.

4. Die Entwicklung in einzelnen Ländern Im folgenden wird aus der Entwicklung in den einzelnen Ländern berichtet. Zuerst werden die Länder behandelt, in welchen bei Inkrafttreten des BSHG bereits Landesblindengeld aufgrund eigener Rechtsvorschriften gewährt wurde, sodann die übrigen Länder.

Länder mit eigenständigen Blindengeldbestimmungen bei Inkrafttreten des BSHG Es handelte sich um die Länder Bayern, Berlin, Saarland und Hessen. Die Darstellung folgt dieser Reihenfolge. a) Bayern

aa) Änderung durch das bayerische AusJührungsgesetz zum BSHG Die Erhöhung des bayerischen Blindenpflegegeldes von 120,00 DM auf 200,00 DM (Höhe der Blindenhilfe nach § 67 BSHG und des Pflegegeldes für Kriegsblinde nach § 35 BVG) erfolgte durch Art. 31 des bayerischen Gesetzes zur Ausführung des Bundessozialhilfegesetzes (GVBl. 1962, vom 31. 10. 1962, S. 272). Art. 1 Abs. 1 des Gesetzes über die Gewährung von Pflegegeld an Zivilblinde vom 18. 06. 1953 (BaybS IV, S. 644) in der Fassung vom 22. 05. 1958 (GVBI. S. 74) erhielt folgende Fassung: ,,(1) Zivilblinde erhalten auf Antrag, soweit sie ihren dauernden Wohnsitz in Bayern haben, nach Vollendung des 18. Lebensjahres ein Pflegegeld von monatlich 200,00 DM."

128

1. Teil: Entwicklung der Blindengeldregelungen für Zivilblinde in Deutschland

Diese Regelung galt rückwirkend ab 01. 06. 1962 (Art. 33 des bayerischen Gesetzes zur Ausführung des BSHG). bb) Neufassung des bayerischen Zivilblindenpjlegegeldgesetzes von 1965

Eine Neufassung des bayerischen Blindenpflegegeldgesetzes wurde unter dem Datum des 17. 01. 1966 bekanntgemacht. Das Blindenpflegegeld war rückwirkend ab 01. 10. 1965 auf 240,00 DM monatlich erhöht worden. ce) Änderungsgesetz von 1969

Die nächste Änderung erfolgte durch das Gesetz vom 18. 12. 1969 (GVBl. Nr. 21, vom 22. 12. 1969, S. 3999). In Art. 1 des bayerischen Blindengeldgesetzes erfolgte nunmehr eine unmittelbare Bezugnahme auf § 35 BVG. Zivilblinde, die ihren ständigen Wohnsitz in Bayern hatten, erhielten auf Antrag nach Vollendung des 18. Lebensjahres ein Pflegegeld in Höhe des Mindestbetrages der Pflegezulage für Blinde nach dem Bundesversorgungsgesetz. Der Blindheitsbegriff in Art. 1 Abs. 3 des bayerischen Blindenpflegegeldgesetzes erhielt die gleiche Fassung wie der Blindheitsbegriff in § 24 Abs. 2 BSHG. Heimbewohner, für die die Kosten ganz oder teilweise vom Sozialhilfeträger übernommen wurden, erhielten ein Pflegegeld in Höhe von 140,00 DM monatlich (Art. 2 Abs. 1). dd) Änderungsgesetz von 1974

Ein weiteres Änderungsgesetz zum bayerischen Blindenpflegegeldgesetz vom 24. 09. 1974 dehnte die Anspruchsberechtigung auf das vollendete erste Lebensjahr aus. Alle Blinden erhielten ab Vollendung des ersten Lebensjahres rückwirkend ab 01. 04. 1974 das volle Blindenpflegegeld, soweit sie außerhalb von Heimen, Anstalten oder gleichartigen Einrichtungen lebten (Art. 1 Abs. 1). Für Blinde, die sich in Anstalten, Heimen oder gleichartigen Einrichtungen befanden und für die die Kosten des Aufenthalts ganz oder teilweise aus Mitteln öffentlich-rechtlicher Leistungsträger getragen wurden, erhielten ein Pflegegeld in Höhe von 50% des vollen Blindenpflegegeldes. Mit der Gewährung des vollen Blindenpflegegeldes bereits ab Vollendung des ersten Lebensjahres ging die bayerische Regelung über die aller anderen Blindengeldgesetze hinaus. b) Berlin aa) Das Blinden- und Hilflosenpjlegegeldgesetz von 1962

In Berlin wurde das Blindenpflegegeldgesetz vom 04.08. 1954 (GVBl. S. 492), zuletzt geändert durch Gesetz vom 27.10.1960 (GVBl. S. 1093), durch das Gesetz

Kap. 2: Die Entwicklung seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges

129

über die Gewährung von Pflegegeld an Zivilblinde und Hilflose (Blinden- und Hilflosenpflegegeldgesetz) vom 10.05. 1962 (GVBl. S. 446) ersetzt. Die Bestimmungen für Blinde und hochgradig Sehbehinderte erfuhren in diesem Gesetz keine Änderung. Das Pflegegeld für Blinde betrug nach wie vor monatlich 200,00 DM, das für hochgradig Sehbehinderte monatlich 100,00 DM. Erstmals wurden in ein Landespflegegeldgesetz damit neben Blinde auch Hilflose einbezogen. Unter Hilflose verstand das Gesetz Personen, die infolge Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen des täglichen Lebens in erheblichem Umfang dauernd der Wartung und Pflege bedürfen (§ 1 Abs. 6). Diese Personen erhielten ein Pflegegeld von monatlich 100,00 DM. bb) Das Änderungsgesetz von 1964 Durch das erste Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Gewährung von Pflegegeld an Zivilblinde und Hilflose vom 22.05. 1964 (GVBl. S. 587)), in Kraft getreten am 01. 07. 1964, erfolgte eine Anpassung der Pflegegeldstufen an die Leistungen nach § 35 BVG für Kriegsopfer. Die Pflegegeldleistungen für Kriegsopfer nach § 35 BVG waren durch das zweite Neuordnungsgesetz erhöht worden. Das Pflegegeld für Kriegsblinde (Stufe III) betrug danach monatlich 240,00 DM. Ab 01. 07. 1964 erfolgte deshalb auch die Erhöhung der Stufe III nach dem Berliner Blinden- und Hilflosenpflegegeldgesetz von 200,00 DM auf 240,00 DM. Die Leistung wurde nach § 1 Abs. 1 ab Vollendung des dritten Lebensjahres gewährt. ce) Das Änderungsgesetz von 1969 Durch Gesetz vom 09. 10. 1969 erfolgte eine Erhöhung der drei Stufen des Berliner Blinden- und Hilflosenpflegegeldgesetzes. Stufe I erhöhte sich von 100,00 DM auf 150,00 DM, Stufe II von 150,00 DM auf 195,00 DM und Stufe III von 240,00 DM auf 275,00 DM. Blinde erhielten Pflegegeld nach Stufe III, also 275,00 DM monatlich. Das entsprach der Höhe des Pflegegeldes für Kriegsblinde nach § 35 BVG. Das Gesetz trat am 01. 10. 1969 in Kraft. dd) Das Änderungsgesetz von 1970 Weitere Leistungsverbesserungen brachte das dritte Gesetz zur Änderung des Blinden- und Hilflosenpflegegeldgesetzes vom 16. 07. 1970 (GVBl. vom 23. 07. 1970). Das Gesetz trat rückwirkend am 01. 01. 1970 in Kraft. Dieses Gesetz brachte in § 2 eine wesentliche Änderung. Es führte nämlich die zu dieser Zeit nach § 35 BVG geltenden fünf Pflegestufen ein und bestimmte, daß sich die Höhe des Pflegegeldes für Blinde, hochgradig Sehbehinderte und Hilflose 9 Demmel

130

1. Teil: Entwicklung der Blindengeldregelungen für Zivilblinde in Deutschland

nach diesen Pflegestufen richten sollten. Damit war die Dynamisierung der Pflegegelder eingeführt worden. § 2 erhielt folgende Fassung: ,,(1) Die Höhe des Pflegegeldes richtet sich nach Art und Schwere der Hilflosigkeit. Das

PflegegeId wird in fünf Stufen gewährt, deren Höhe den Stufen I - V der Pflegezulage nach § 35 Abs. 1 des Bundesversorgungsgesetzes entsprechen; es beträgt jedoch nach Stufe I mindestens 150,00 DM.

(2) Blinde erhalten das Pflegegeld nach Stufe III, hochgradig Sehschwache das Pflegegeld nach Stufe I, sofeme nicht infolge Hilflosigkeit nach Abs. 3 S. 2 das Pflegegeld nach einer höheren Stufe zu gewähren ist. (3) Hilflose erhalten das Pflegegeld nach Stufe I. Erfordert der Zustand des Hilflosen jedoch außergewöhnliche Pflege, so ist, je nach Lage des Falles, unter Berücksichtigung der für die Pflege erforderlichen Aufwendungen das Pflegegeld nach einer höheren Stufe zu gewähren."

c) Saarland aa) Das Gesetz von 1964 Im Saarland wurde die Blindenhilfe durch Gesetz vom 11. 11. 1964 (Amtsblatt des Saarlandes, S. 1099) rückwirkend ab 01. 01. 1964 von 200,00 DM auf 240,00 DM erhöht. Blinde, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hatten, erhielten eine Blindheitshilfe von 120,00 DM monatlich. Blinde in Heimen, Anstalten oder gleichartigen Einrichtungen erhielten eine Blindheitshilfe in Höhe von 50% des vollen Betrages, also 120,00 DM, nach Vollendung des 18. Lebensjahres und 60,00 DM vor Vollendung des 18. Lebensjahres. bb) Das Änderungsgesetz von 1970 Durch das Blindheitshilfegesetz vom 16. 01. 1970, das rückwirkend ab 01. 01. 1970 in Kraft trat, erfolgte eine Bezugnahme auf § 67 Abs. 1 und Abs. 2 BSHG (§ 1 des saarländischen Blindheitshilfegesetzes). Damit entsprach die Blindheitshilfe über die Bezugnahme auf § 67 BSHG stets der Höhe der Pflegezulage der Kriegsblinden nach § 35 BVG. Sie war also dynamisiert. Blinde in Heimen, die Selbstzahler waren, erhielten die volle Blindheitshilfe. Wurden die Heimkosten von einem öffentlichen Kostenträger getragen, so betrug die Blindenhilfe 50%. d) Hessen In Hessen galt nach wie vor der Landeserlaß über das Blindengeld. Dieses Landesblindengeld entsprach in seiner Höhe demjenigen nach § 67 BSHG.

Kap. 2: Die Entwicklung seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges

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Der Hessische Landtag hat am 20. 10. 1977 einstimmig das Gesetz über das Landesblindengeld für Zivilblinde (Landesblindengeldgesetz) beschlossen. Es trug das Datum vom 25. 10. 1977 und wurde im GVBl. I, S. 414 veröffentlicht. Blindengeld erhielten nach § 1 Abs. 1 und 2 Blinde und nach § 1 Abs. 3 wesentlich Sehbehinderte im Sinne dieses Gesetzes. Das Blindengeld wurde Blinden nach Vollendung des 18. Lebensjahres in Höhe des Mindestbetrages der Pflegezulage für Blinde nach dem Bundesversorgungsgesetz, Blinden, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hatten, in Höhe von 50 v. H. dieses Betrages gewährt (§ 2 Abs. 1). Wenn sich Blinde auf Kosten eines öffentlichen Leistungsträgers in einer Anstalt, einem Heim oder einer gleichartigen Einrichtung befanden und die Kosten des Aufenthalts ganz oder teilweise aus Mitteln öffentlich-rechtlicher Kostenträger getragen wurden, verringerte sich die Blindenhilfe nach Abs. 1 um die aus diesen Mitteln getragenen Kosten, höchstens jedoch um 50 v. H. der Beträge nach Abs. 1 (§ 2 Abs. 2). Diese Regelung entsprach derjenigen in § 67 Abs. 3 BSHG. Wesentlich Sehbehinderte hatten einen Anspruch auf ein Pflegegeld in Höhe von 30 v. H. des Pflegegeldes für Blinde (§ 2 Abs. 3). Diese Regelung ging über das BSHG hinaus. Ähnliche Leistungen für hochgradig Sehbehinderte gab es in Berlin und im Saarland. Zur Rechtsänderung in Hessen stellt Dr. Friedel Heister fest: "Wenn also das hessische Landesblindengeldgesetz am 01. 01. 1978 in Kraft tritt, dann werden die hessischen Blinden und hochgradig Sehbehinderten nicht mehr Geld als bisher, sondern ein besseres Recht haben 178. " e) Vorbemerkung zu weiteren Länderregelungen Im folgenden geht es um die Entwicklung in den Ländern, in welchen nach Inkrafttreten des BSHG keine eigenständigen Blindengeldregelungen bestanden. Vor allem Gründe der Verwaltungsvereinfachung führten auch in diesen Ländern im Laufe der Zeit zu Blindengeldgesetzen ohne Einkommens- und Vermögensgrenzen l79 . Um die zeitliche Entwicklung deutlich zu machen, werden diese Länder in folgender Reihenfolge behandelt: Niedersachsen, Baden-Württemberg, NordrheinWestfalen, Hamburg, Schleswig-Holstein, Bremen und Rheinland-Pfalz.

Heister in: "Blindenselbsthilfe", Heft 12, 1977, S. 2. Vgl. z. B. die Niederschrift über die 73. Sitzung des Landtages von Nordrhein-Westfalen vom 21. 10. 1970, Bd. 4, S. 3161. 178

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9*

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1. Teil: Entwicklung der Blindengeldregelungen für Zivilblinde in Deutschland

f) Niedersachsen

aa) Das Gesetz von 1963

Niedersachsen hat als erstes Land von den Ländern, deren Blindengelderlasse mit dem Inkrafttreten des BSHG weggefallen sind, die Konsequenz aus der neuen Rechtslage gezogen und am 20. 03. 1963 das Gesetz über das Landesblindengeld für Zivilblinde (GVBl. S. 141) beschlossen. Niedersachsen hat damit die Entwicklung zu dem gegenwärtig in der Bundesrepublik Deutschland bestehenden Blindengeldsystem, das sich aus der Blindenhilfe nach § 67 BSHG und den Landesblindengeldgesetzen zusammensetzt, eingeleitet. Das Blindengeld betrug für Blinde außerhalb von Anstalten, Heimen oder gleichartigen Einrichtungen sowie für Selbstzahler in diesen Einrichtungen 200,00 DM monatlich (§ 2 Abs. 1), für Blinde in Anstalten, Heimen oder gleichartigen Einrichtungen 120,00 DM, wenn die Kosten ganz oder teilweise aus Mitteln öffentlich-rechtlicher Leistungsträger getragen wurden (§ 2 Abs. 2). Das Blindengeld wurde ohne Rücksicht auf Einkommen und Vermögen gewährt. Das Gesetz trat am 01. 03. 1963 in Kraft. In der Begründung des Regierungsentwurfes heißt es: "Die seit Inkrafttreten des BSHG (01. 06. 1962) gewährte Blindenhilfe (§ 67 BSHG) ist an eine besondere Einkommensgrenze (§ 81 Abs. 1 und 2 BSHG) gebunden und hat sich insoweit, ebenso wie vorher der fürsorgerechtliche Mehrbedarfszuschlag für Blinde (§ llf RGR), nicht als befriedigend erwiesen. Angesichts der schweren Belastung, die jedem Blinden unabhängig von seinen Einkommens- und Vermögensverhältnissen treffen, scheint es gerechtfertigt, bei einer lediglich auf die Blindheit abgestellten Hilfe von jeder Berücksichtigung des Einkommens und Vermögens abzusehen. Da es fürsorgerechtlichen Grundsätzen widerspricht, bei der Gewährung von Einkommenshilfe eigenes Einkommen völlig unberücksichtigt zu lassen, bedarf es für eine solche Leistung einer Regelung außerhalb des BSHG. Für den Fortfall der Einkommensgrenze spricht aber auch der Umstand, daß die Festsetzung einer jeden, gleichwie hohen Einkommensgrenze, zu Prüfungen und fortlaufenden Kontrollen aller Zivilblinden durch die Kostenträger nötigt, deren Durchführung infolge der Behinderung der Antragsteller oder Hilfeempfänger häufig auf Schwierigkeiten stößt und von den Blinden selbst als unnötige Belastung empfunden wird, weil ihr Einkommen in der weit überwiegenden Mehrzahl der Fälle unter der Grenze des § 81 BSHG liegt. Hinsichtlich der Verwaltungsarbeit würde der Fortfall der Einkommensgrenze nach den bisher gemachten Erfahrungen zu einer wesentlichen Vereinfachung, und damit zu Einsparungen führen, die die Mehrkosten, die durch die Einbeziehung der wenigen über der jetzigen Einkommensgrenze liegenden Fälle entstehen, mindestens teil weise wieder ausgleichen würden I 80. "

Kap. 2: Die Entwicklung seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges

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Staatssekretär Dr. Auerbach führte in seiner mündlichen Begründung des Gesetzes in der ersten Lesung am 06. 02. 1963 aus: "Im Rahmen der Bundeskompetenz konnte dem Wunsch der Zivilblinden auf ein Blindengeld ohne Einkommensüberprüfung nicht Rechnung getragen werden. Zwar kommt die Regelung des Sozialhilfegesetzes mit der Einkommensgrenze von monatlich 1.000,00 DM, zu denen zusätzlich noch 80,00 DM für jeden unterhaltsberechtigten Familienangehörigen kommen, praktisch einer Blindenhilfe ohne Einkommensgrenze sehr nahe, aber die durch die Blindheit der Antragsteller häufig sehr schwierige Überprüfung des Einkommens und des Vermögens blieb, und hat vor allem bei kleineren selbständigen Erwerbstätigen zu Härten geführt. Das Sozialhilfegesetz hat nun den Rahmen des Fürsorgerechts für die Blindenhilfe abschließend geregelt. Im Rahmen der konkurrierenden Gesetzgebung bleibt dem Landesgesetzgeber deshalb kein Raum für eine ergänzende fürsorgerechtliehe Regelung. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf schlägt die Landesregierung dem hohen Hause daher eine besondere Regelung außerhalb des Sozialhilferechtes vor. Es wird auf die Überprüfung des Einkommens und des Vermögens verzichtet. Aber durch die enge Anlehnung an das materielle Recht des BSHG wird ein Gefälle der Leistungen zu den entsprechenden Leistungen in anderen Bundesländern praktisch vermieden .... 181" Die in diesen Begründungen wiedergegebenen Motive waren für die Entwicklung in allen Bundesländern maßgebend. bb) Das Änderungsgesetz von 1965

Durch das Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes über das Landesblindengeld für Zivilblinde vom 28. 12. 1965 (GVBI., 1965, S. 274) erfolgte rückwirkend ab 01. 10. 1965 eine Erhöhung des Blindengeldes für Blinde ab dem vollendeten 18. Lebensjahr von 200,00 DM auf 240,00 DM monatlich. Für Zivilblinde vom vollendeten dritten bis zum vollendeten 18. Lebensjahr betrug das Blindengeld monatlich 120,00 DM. Befand sich der Zivilblinde für Rechnung eines öffentlichen Kostenträgers in einer Anstalt, einem Heim oder einer gleichartigen Einrichtung, so betrug das Blindengeld nach Vollendung des 18. Lebensjahres 140,00 DM monatlich, vor Vollendung des 18. Lebensjahres 70,00 DM monatlich. Selbstzahler erhielten das volle Blindengeld. Anpassungen der Höhe des Blindengeldes waren aufgrund dieses Änderungsgesetzes durch Rechtsverordnung der Landesregierung möglich.

180 181

Abgedruckt in: "Die Blindenwelt", Heft 4, 1962, S. 2. "Die Blindenwelt", Heft 4, 1962, S. 3.

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1. Teil: Entwicklung der Blindengeldregelungen für Zivilblinde in Deutschland

ce) Das Änderungsgesetz von 1970

Am 05. 03. 1970 verabschiedete der Niedersächsische Landtag eine Novelle zum niedersächsischen Landesblindengeldgesetz. Die Höhe richtete sich nunmehr nach der Höhe der Pflegezulage der Kriegsblinden gemäß § 35 Abs. I BVG. Damit war die Dynamisierung erreicht.

In § 1 Abs. 2 erfolgte die Übernahme des Blindheitsbegriffes, wie er in § 24 Abs. 2 des BSHG festgelegt worden war. g) Baden-Württemberg Erst nach dem zweiten Gesetz zur Änderung des Bundessozialhilfegesetzes vom 14. 08. 1969 (BGBL I, S. 1153) erfolgten neue Blindengeldregelungen in weiteren Bundesländern. aa) Die Blindengeldrichtlinien von 1970

Am 05.08. 1970 erließen das Innenministerium und das Finanzministerium des Landes Baden-Württemberg eine gemeinsame Richtlinie zur Gewährung eines Blindengeldes. Nach dieser Richtlinie erhielten Blinde mit Wohnsitz in BadenWürttemberg eine Blindenhilfe aus Mitteln des Landes, soweit ihnen nach anderen bundes- oder landesrechtlichen Bestimmungen eine nach Art und Höhe entsprechende Hilfe nicht zustand. Es handelte sich also um die Gruppe der Blinden, die über der Einkommens- und Vermögensgrenze des BSHG lagen.

In ihrer Höhe richtete sich die Landesblindenhilfe jeweils nach der Höhe der Blindenhilfe des § 67 BSHG. bb) Das LandesblindenhilJegesetz von 1972

Das Nebeneinander dieser Richtlinien und der Blindenhilfe nach § 67 BSHG fand durch das Gesetz über die Landesblindenhilfe vom 08.02. 1972 (GBL S. 56) sein Ende. Das Gesetz trat am 01. 01. 1972 in Kraft. Blinde, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Baden-Württemberg hatten (§ 1 Abs. 1), erhielten eine einkommens- und vermögensunabhängige Blindenhilfe in Höhe des Mindestbetrages der Pflegezulage für Blinde nach dem Bundesversorgungsgesetz (§ 2). Die Blindenhilfe für diejenigen, die sich auf Kosten eines öffentlichen Leistungsträgers in einem Heim, einer Anstalt oder einer gleichartigen Einrichtung befanden, richtete sich nach der entsprechenden Leistung des BSHG (§ 2 Abs. 2). Weil das Gesetz die Zweigleisigkeit zwischen den Landesblindenhilferichtlinien vom 05. 08. 1970 und § 67 BSHG beseitigte, brachte es zwar keine Ausweitung des begünstigten Personenkreises, aber "sowohl den Empfängern der Blindenhilfe wie auch den Behörden eine wesentliche Vereinfachung des Verfahrens.. 182 .

Kap. 2: Die Entwicklung seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges

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h) Nordrhein-Westfalen aa) Der Runderlaß über eine Landeshilfe für hochgradig Sehbehinderte von 1962

Eine Besonderheit in Nordrhein-Westfalen war, daß die Belange hochgradig Sehbehinderter besondere Berücksichtigung fanden. Das gilt auch zur Gegenwart noch. Nachdem das BSHG nur eine Blindenhilfe für Blinde im Sinne des Gesetzes, nicht aber laufende Leistungen an hochgradig Sehbehinderte vorsah, baten die Blindenselbsthilfeorganisationen des Landes Nordrhein-Westfalen das Sozialministerium, für die hochgradig Sehschwachen eine Landesregelung zu treffen. Am 21. 05. 1962 erließ der Arbeits- und Sozialminister des Landes NordrheinWestfalen den "Runderlaß betreffend Landeshilfe für hochgradig Sehschwache Az. IV A 1-5410". Nach diesem Erlaß erhielten hochgradig Sehschwache, die das 16. Lebensjahr vollendet hatten, zum Ausgleich der ihnen durch die Sehbehinderung entstehenden Belastungen eine Landeshilfe in Höhe von monatlich 70,00 DM (Nr. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Nr. 2 des Erlasses). Als hochgradig sehbehindert wurden Personen bezeichnet, die sich zwar in einer ihnen nicht vertrauten Umgebung ohne fremde Hilfe noch zurechtfinden konnten, die ihr restliches Sehvermögen aber für eine Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft, vor allem an einem angemessenen Platz im Arbeitsleben, nicht oder nur unzureichend verwerten konnten (Nr. 1 Abs. 2). Die Leistung war davon abhängig, daß das Einkommen des Betroffenen die Grenze von monatlich 275,00 DM zuzüglich eines Familienzuschlages von 40,00 DM für den nicht getrennt lebenden Ehegatten und für jede Person, die von dem hochgradig Sehschwachen oder seinem nicht getrennt lebenden Ehegatten bisher überwiegend unterhalten worden ist oder der gegenüber nach der Entscheidung über die Gewährung der Landeshilfe Unterhaltspflicht entstand. Der Familienzuschlag betrug für den nicht getrennt lebenden Ehegatten 275,00 DM, wenn beide Eheleute hochgradig sehschwach waren (Nr. 3 des Erlasses). Die Berücksichtigung etwa vorhandenen Vermögens erfolgte in entsprechender Anwendung von § 88 BSHG (Nr. 3 des Erlasses). Nach Nr. 1 Abs. 3 des Erlasses handelte es sich bei der Landeshilfe für hochgradig Sehschwache um eine freiwillige und einkomrnensabhängige Hilfe des Landes, auf die kein Rechtsanspruch bestand. bb) Änderung des Runderlasses von 1965

Wegen der niedrigen Einkommensgrenzen beantragten die Blindenselbsthilfeorganisationen von Nordrhein-Westfalen eine Erhöhung der Einkommensgrenzen, 182

Moritz: "Die Blindenwelt", Heft 3, 1972, Rubrik "Aus den Ländern".

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1. Teil: Entwicklung der Blindengeldregelungen für Zivilblinde in Deutschland

wie sie nach § 81 BSHG für die Blindenhilfe galten. Der Erlaß des Arbeits- und Sozialministers vom 16. 12. 1965, Az. IV A 1-5410.0 (MBl. NRW S. 49), brachte mit Wirkung ab 01. 01. 1966 daraufhin einige Verbesserungen: Die Landeshilfe für hochgradig Sehschwache wurde von 70,00 DM auf 80,00 DM monatlich erhöht (Nr. 2 des Erlasses). Es wurde zwar nicht die Einkommensgrenze des § 81 BSHG, sondern die in § 79 Abs. 1- 3 BSHG festgelegten Einkommensgrenzen für maßgebend erklärt (Nr. 3 Abs. 2 des Erlasses). Die Einkommensgrenze setzte sich also zusammen aus einem Grundbetrag in Höhe des doppelten Regelsatzes eines Haushaltungsvorstandes, zuzüglich der Kosten der Unterkunft und zuzüglich eines Familienzuschlages von 80,00 DM monatlich für jeden Unterhaltsberechtigten. Für einen verheirateten hochgradig Sehschwachen konnte danach die Einkommensgrenze, je nach Höhe seiner Miete, monatlich 400,00 DM - 500,00 DM betragen. Der Begriff der hochgradigen Sehschwäche wurde präzisiert. Die Voraussetzungen der hochgradigen Sehschwäche nach Nr. 1 Abs. 1 S. 1 des Erlasses waren danach stets als erfüllt anzunehmen, wenn das Sehvermögen auf dem besseren Auge eine Sehschärfe von weniger als 1 /20 oder krankhafte Veränderungen aufwies, die das Sehvermögen in entsprechendem Maße einschränkten. ce) Das Landesblindengeldgesetz von 1970 Blinde in Nordrhein-Westfalen hatten nach Inkrafttreten des BSHG Anspruch auf Blindenhilfe nach § 67 BSHG. Ab 01. 07. 1970 erhielten die rund 15.000 Blinden in Nordrhein-Westfalen ein einkommens- und vermögensunabhängiges Blindengeld aufgrund des Landesblindengeldgesetzes vom 16.06. 1970 (GVBl., Ausgabe A, vom 26. 06.1970, S. 435). Der Blindheitsbegriff entsprach dem des § 67 BSHG. Das Blindengeld richtete sich nach der Höhe der Blindenhilfe in § 67 BSHG

(§ 2). Sie war damit dynamisiert.

Der Landtag von Nordrhein-Westfalen stimmte dem Blindengeldgesetz am 21. 05. 1970 in zweiter und dritter Lesung einstimmig zu. Zunächst hatte die Landtagsfraktion der CDU einen Gesetzentwurf eingebracht, der in der Sitzung vom 21. 04. 1970 beraten und dem zuständigen Ausschuß überwiesen wurde. Vor der Ausschußberatung leitete die Landesregierung ihrerseits dem Landtag eine Regierungsvorlage für ein Blindengeldgesetz zu. Der Landtag verabschiedete schließlich den Regierungsentwurf am 21. 05. 1970 als Landesblindengeldgesetz. Bei der Beratung des Entwurfes der CDU-Fraktion am 21. 04. 1970 hoben die Sprecher aller Fraktionen die mit dem Wegfall der Einkommens- und Vermögens-

Kap. 2: Die Entwicklung seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges

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grenzen verbundene Verwaltungsvereinfachung hervor, außerdem wurde auf die durch die Blindheit bedingte, von der Einkommens- und Vermögenslage unabhängige Hilfsbedürftigkeit hingewiesen 183. Für die CDU-Fraktion begründete der Abgeordnete Neuhaus deren Antrag und führte u. a. aus: " ... Wir empfinden es als unbefriedigend, daß die bisherigen Einkommens- und Vennögensgrenzen gerade diejenigen benachteiligen, die durch eine besondere berufliche Leistung trotz ihrer Blindheit ein etwas höheres Einkommen erzielen. In jedem Fall haben diese Blinden zur Erhaltung ihrer beruflichen und gesellschaftlichen Stellung durch die Blindheit bedingte zusätzliche und unvenneidbare Mehraufwendungen. Sie sind demnach in ihrer Chancengleichheit benachteiligt und werden zum Teil auf eine wirtschaftliche Ebene herabgedrückt, die ihrer beruflichen Leistung nicht entspricht. Was die Vennögensgrenzen anbelangt, so haben diese insofern unerwünschte Folgen, als sie die Bildung auch von bescheidenem Vennögen erschweren und damit auch verhindern, sich rechtzeitig eine ausreichende Alterssicherung zu schaffen .... Im übrigen sind wir der Auffassung, daß die Blindenhilfe nur das Vorliegen von Blindheit als besonders schweres Schicksal der Blinden zur Voraussetzung haben kann, nicht aber seine wirtschaftliche Lage."

Für die SPD erklärte der Abgeordnete Schröder u. a.: " ... Nun haben wir etwa 15.800 Personen in unserem Lande, die wegen Blindheit eine Blindenhilfe bekommen und nur etwa 100-150 Personen, die aufgrund der Einkommensund Vennögensgrenze in den Genuß dieser Blindenhilfe nicht kommen. Die Träger der Sozialhilfe müssen also jährlich 15.800 Personen daraufhin überprüfen, ob sie die Einkommensgrenzen nicht übersteigen. Der Verwaltungsaufwand ist also viel höher als der Nutzeffekt, wenn wir den übrigen 100-150 Blinden dann ohne Berücksichtigung einer Einkommensgrenze eine Blindenhilfe gewähren würden. Also ist es eine Verwaltungsvereinfachung, wenn wir durch eine gesetzliche Regelung diese Begrenzung der Einkommen und der Vennögen beseitigen."

Für die FDP äußerte der Abgeordnete Knoll: "Die Verwaltungsvereinfachung ... ist natürlich angenehmes Beiwerk. Wir von der FDPFraktion waren in der Tat fast immer der Meinung, man sollte bei Sozialgesetzen die Einkommensgrenzen weglassen .... 184"

i) Hamburg In Hamburg erfolgte mit Wirkung ab 01. 03. 1971 durch das Gesetz über die Gewährung von Blindengeld vom 19.02. 1971 (Hamb.GVBl. S. 29) die Einführung eines einkommens- und vermögenunabhängigen Blindengeldes. Die Bürgerschaft der freien und Hansestadt Hamburg verabschiedete das Gesetz in der Bürgerschaftssitzung vom 17. 02. 1971. 183 Vgl. Niederschrift über die 73. Sitzung des Landtags vorn 21. 10. 1970, Bd. 4, S. 3161 ff. 184 Keil: "Die Blindenwelt", Heft 6, 1970, S. 2 ff.

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1. Teil: Entwicklung der Blindengeldregelungen für Zivilblinde in Deutschland

Der Blindheitsbegriff richtete sich nach dem BSHG (§ 1). Die Höhe der Blindenhilfe entsprach derjenigen nach § 67 BSHG (§ 2), sie war also dynamisiert. j) Schleswig-Holstein Am 29. 03. 1971 verabschiedete der Landtag von Schleswig-Holstein das Landesblindengeldgesetz vom 16.04. 1971 (GVBl. S. 184). Es trat ab 01. 04. 1971 in Kraft. In der Präambel dieses Gesetzes wurde der Rehabilitationsgedanke der Leistung durch den Hinweis, daß das Land ein "Landesblindengeld als Einordnungshilfe in die Gesellschaft" leiste, besonders hervorgehoben. Der Blindheitsbegriff entsprach dem des BSHG (§ 1 Abs. 3). Die Höhe des Blindengeldes richtete sich nach § 67 BSHG (§ 1 Abs. 2 des Gesetzes). k) Bremen Einen neuen Weg beschritt Bremen. Am 01. 10. 1972 trat das bremische Gesetz über die Gewährung von Pflegegeld an Blinde und Schwerstbehinderte (Landespflegegeldgesetz) vom 31. 10. 1972 (Brem.GBI. S. 235) in Kraft. Anspruchsberechtigt waren nicht nur Blinde, sondern auch Schwerstbehinderte. Die Gewährung des Pflegegeldes erfolgte unabhängig von Einkommen und Vermögen zum Ausgleich der durch die Behinderung bedingten Mehraufwendungen (§ 1 Abs. 1). Zwar hatte Berlin sein früheres Blindengeldgesetz durch das Gesetz über die Gewährung von Pflegegeld an Zivilblinde und Hilflose vom 10.05. 1962 (GVBI. S. 446) ersetzt und Hilflose in den Kreis der Anspruchsberechtigten mit einbezogen, Bremen tat diesen Schritt jedoch als erstes Land, das zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des BSHG am 01. 10. 1962 kein Blindengeldgesetz hatte. Der Blindheitsbegriff richtete sich nach § 24 BSHG (§ 1 Abs. 2). Zur Definition der Schwerstbehinderten verwies § 1 Abs. 3 auf die Verordnung zur Durchführung des § 24 Abs. 2 S. 1 BSHG vom 24. 02. 1970 (BGBL I, S. 213). Schwer Sehbehinderte fielen nicht darunter. Das Pflegegeld für Blinde und Schwerstbehinderte entsprach nach Vollendung des 18. Lebensjahres der Blindenhilfe nach § 67 BSHG. Vom vollendeten ersten bis zum vollendeten 18. Lebensjahr betrug das Pflegegeld 50%. Blinde und Schwerstbehinderte in Heimen, Anstalten oder gleichartigen Einrichtungen erhielten ein Pflegegeld von 50% des ihrer Altersstufe entsprechenden Pflegegeldes, wenn die Kosten ganz oder teilweise von einem öffentlichen Leistungsträger getragen wurden. Der Deutsche Blindenverband begrüßte die Ausdehnung auf Schwerstbehinderte durch das Bremer Landespflegegeldgesetz ausdrücklich l85 .

Kap. 2: Die Entwicklung seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges

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I) Rheinland-Pfalz Als letztes Land in der Bundesrepublik Deutschland vor der Wiedervereinigung führte Rheinland-Pfalz mit Wirkung ab 01. 07. 1974 ein landesrechtliches PfIegegeld ein. Rechtsgrundlage war das Landespflegegeldgesetz vom 31. 10. 1974 (GVBI. S. 466). Zwar erging das hessische Landesblindengeldgesetz erst unter dem Datum des 25. 10. 1977, in Hessen galten aber bereits Landesrichtlinien über die Gewährung eines zusätzlichen Blindengeldes vom 28. 11. 1960. Wie in Bremen waren sowohl Blinde als auch Schwerstbehinderte im Sinn von § 24 Abs. 2 nach Vollendung des ersten Lebensjahres anspruchsberechtigt (§ 1 Abs. 1). In § 2 erfolgte eine genaue Umschreibung des Personenkreises. Die Höhe des Pflegegeldes richtete sich nach § 67 BSHG. Das PfIegegeld war damit dynamisiert. 5. Bewertung

Mit dem Erlaß des hessischen Blindengeldgesetzes vom 25. 10. 1977 (GVBI. I, S. 414) war ein Stand erreicht, um den die Selbsthilfeorganisationen der Blinden seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland gerungen hatten. Das Blindengeld wurde zwar nicht aufgrund eines Bundesgesetzes gewährt, es hatte aber die gleiche Höhe wie die PfIegezulage der Kriegsblinden nach § 35 Abs. 1 BVG. Die Leistungen erfolgten nach den Landesgesetzen ohne Rücksicht auf Einkommen und Vermögen. Sowohl die Höhe der Leistungen als auch die Voraussetzungen waren in allen Ländern gleich.

III. Die Phase der Reformbestrebungen, mit dem Bemühen, § 67 BSHG abzuschatTen

1. Ausgangslage

Bereits rund 12 Jahre nach Inkrafttreten des BSHG setzten Diskussionen darüber ein, ob ein Kernbereich dieses Gesetzes, nämlich die Hilfen in besonderen Lebenslagen, mit den Prinzipien des Sozialhilferechts, nämlich dem Grundsatz der Subsidiarität und der Individualisierung des Hilfebedarfs, vereinbar sei oder ob die Grenze zur Versorgungsleistung überschritten worden war. Die Notwendigkeit, das Bundessozialhilfegesetz zu überprüfen, ergab sich auch aus dem Gesetz über die Angleichung der Leistungen zur Rehabilitation (Reha185 Gottwald in seinem Referat ,,60 Jahre Kampf und Erfolg" am 14. 11. 1972 in der Stadthalle Bonn Bad-Godesberg anläßlich der 60-Jahr-Feier des DBV in: "Die Blindenwelt", Heft I, 1973, S. 3f.

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1. Teil: Entwicklung der Blindengeldregelungen für Zivilblinde in Deutschland

AnglG) vom 07. 08. 1974 (BGBL I, 1974, S. 1881). Obwohl sich der zu berücksichtigende Personenkreis (§ 39 Abs. 1 und 2 BSHG, § 1 Abs. 1 und 2 RehaAnglG) und die Aufgabenstellung (§ 39 Abs. 3 BSHG, § 1 Abs. 1 RehaAngiG) teilweise decken - die Maßnahmen der Eingliederungshilfe nach dem siebten Abschnitt des BSHG §§ 39 ff. gehen weiter - wurde die Sozialhilfe in den Katalog von § 2 Abs. 1 RehaAnglG, der die Bereiche aufzählt, für welche dieses Gesetz gilt, nicht aufgenommen. In § 2 Abs. 3 RehaAngiG erhielt die Bundesregierung den Auftrag, den gesetzgebenden Körperschaften des Bundes bis zum 31. 12. 1975 über die Möglichkeiten einer Einbeziehung von Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz in den Geltungsbereich des Reha-Angleichungsgesetzes zu berichten und Vorschläge für die danach zu treffenden Maßnahmen zu machen. 2. Reformvorschläge kommunaler Spitzenverbände und des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge

Die kommunalen Spitzenverbände der Landkreise und der Städte drängten vor allem aus fiskalischen Gründen darauf, die nach ihrer Auffassung systemwidrigen Leistungen aus dem Bundessozialhilfegesetz zu streichen oder zumindest erheblich herabzusetzen. Der Landkreistag Baden-Württemberg gemeinsam mit dem Städtetag BadenWürttemberg legte im Frühjahr 1976 "Grundüberlegungen für Änderungen des BSHG mit dem Ziel von Einsparungen ohne Minderung fürsorgerisch gebotener Hilfe" vor. Der Deutsche Landkreistag veröffentlichte seinerseits "Änderungsvorschläge zum BSHG und anderen Leistungsgesetzen des Bundes". Diese Vorschläge wurden am 18.06.1976 vom Präsidium des Deutschen Landkreistages gebilligt. Das Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit beauftragte seinerseits mit Schreiben vom 04. 03. 1974 den Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge, Vorschläge zur Reform des BSHG auszuarbeiten. Der Deutsche Verein legte seine Vorschläge Mitte September 1976 vor l86 . Die Vorschläge der kommunalen Spitzenverbände und des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge wandten sich vor allem gegen pauschalierte Sozialhilfeleistungen wie die Mehrbedarfsregelung in § 24 BSHG im Rahmen der Hilfe zum Lebensunterhalt sowie der Blindenhilfe nach § 67 BSHG und das Pflegegeld im Rahmen der Hilfe zur Pflege nach § 69 Abs. 4 S. 2 BSHG 187 . 186 Übersicht über die Änderungsvorschläge des Landkreistages / Städtetages Baden-Württemberg, des Deutschen Landkreistages und des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge, vgl. Scholler / Krause, S. 4. 187 Nach § 69 Abs. 3 S. 1 BSHG in der Fassung der Bekanntmachung vom 13.02. 1976 (BGBI. I, S. 289, ber. S. 1150) erhielten Pflegebedürftige, die das erste Lebensjahr vollendet

Kap. 2: Die Entwicklung seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges

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Die Vorschläge des Deutschen Landkreistages bezogen sich zustimmend auf die Vorschläge des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge. Die genannten Vorschläge beriefen sich auf das Subsidiaritätsprinzip der Sozialhilfe und auf den dort geltenden Individualisierungsgrundsatz. Durch Pauschalleistungen anstelle von bedarfsdeckenden Leistungen im Einzelfall nähmen Sozialhilfeleistungen nach ihrer Auffassung den Charakter von Versorgungsleistungen an. Der Deutsche Verein für öffentliche und private Fürsorge schlug vor, § 67 BSHG (Blindenhilfe) gänzlich zu streichen, weil es in sämtlichen Bundesländern Blindengeld als Versorgungsleistungen aufgrund von Landesgesetzen gäbe. Diese Blindengeldleistungen entsprechen nach Voraussetzung und Umfang mindestens der Blindenhilfe nach § 67 BSHG. Eventuell auftretende Lücken sollten nach Auffassung des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge durch Ergänzung des Landesrechts ausgeglichen werden l88 . Der Deutsche Verein für öffentliche und private Fürsorge stellte also die Notwendigkeit eines Blindengeldes nicht in Abrede, er hielt die Landesgesetze für ausreichend. Übersehen wurde dabei, daß diese Voraussetzungen nicht in allen Ländern gegeben waren. So datiert das hessische Gesetz über das Landesblindengeld für Zivilblinde erst vom 25. 10. 1977. Auch die Leitfunktion infolge der Verweisung von Landesgesetzen auf § 67 BSHG und die Auffangfunktion infolge der fehlenden Harmonisierung der Landesgesetze hinsichtlich grenzüberschreitender Regelung fand keine Beachtung. Die Abschaffung von § 67 BSHG hätte Tendenzen auf Abschaffung von Landesblindengeldgesetzen Vorschub leisten können I 89. In den Vorschlägen des Deutschen Landkreistages, die sich auf die Vorschläge des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge bezogen, erfolgte vor allem Kritik daran, daß die Pflegegeldregelung in § 69 BSHG durch die dritte Novelle zum BSHG wegen der Anknüpfung an die Pflegegelder nach § 35 BVG mehr und mehr zu einer Versorgungsleistung geworden seien. Insbesondere das hatten, wenn sie so hilflos waren, daß sie die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens in erheblichem Umfang der Wartung und Pflege dauernd bedurften, ein Pflegegeld. Nach § 69 Abs. 4 S. 1 betrug dieses Pflegege1d zum damaligen Zeitpunkt in der Rege1180,00 DM monatlich. Abs. 4 S. 2 und 3 lauteten: "Es ist angemessen zu erhöhen, wenn der Zustand des Pflegebedürftigen außergewöhnliche Pflege erfordert. Den in § 24 Abs. 2 genannten Personen wird Pflegegeld in Höhe des Mindestbetrages der Pflegezulage für Blinde nach dem Bundesversorgungsgesetz gewährt; bei ihnen sind die Voraussetzungen für die Gewährung eines Pflegegeldes stets als erfüllt anzusehen." Nach § 24 Abs. 2 BSHG handelte es sich um Personen, deren Behinderung so schwer war, daß sie als Beschädigte die Pflegezulage nach den Stufen III, IV oder V des § 35 Abs. 1 S. 2 Bundesversorgungsgesetz erhalten würden. Der Unterabschnitt 10 "Hilfe zur Pflege" wurde durch Art. 18 des Pflegeversicherungsgesetzes vom 26. 05. 1994 (BGB!. I, S. 1014) völlig neu gefaBt. 188 Scholler/Krause, S. 17. 189 Scholler / Krause, S. 19.

142

1. Teil: Entwicklung der Blindengeldregelungen für Zivilblinde in Deutschland

besondere Pflegegeld für Schwerstbehinderte (gleiche Höhe wie die Blindenhilfe nach § 67 BSHG und das Pflegegeld nach § 35 Stufe III BVG) sollte wegfallen. Im Bedarfsfall sollte die Mindestpauschale nach § 69 Abs. 4 S. I in Höhe von 180,00 DM auf Nachweis erhöht werden. Dadurch sollte das Bedarfsdeckungsprinzip Berücksichtigung finden. Der Landkreistag I Städtetag Baden-Württemberg schlug keine Abschaffung der Blindenhilfe nach § 67 BSHG, sondern eine wesentliche Einschränkung vor. Die Koppelung der Blindenhilfe an die Pflegezulage für Blinde nach dem Bundesversorgungsgesetz sollte entfallen, stattdessen wurde eine pauschale Blindenhilfe von 200,00 DM monatlich vorgeschlagen. Diese Pauschale sollte im Bedarfsfall erhöht werden. Der Vorschlag enthielt für § 67 Abs. 2 BSHG folgende Grobformulierung: "Die Blindenhilfe wird Blinden nach Vollendung des 18. Lebensjahres in Höhe von 200,00 DM, Blinden, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, in Höhe von 100,00 DM gewährt. Die Blindenhilfe ist zu erhöhen, soweit nachgewiesen wird, daß die durch die Blindheit bedingten Mehraufwendungen die Beträge nach Satz I übersteigen 190."

3. Die Auffassung des Deutschen Blindenverbandes

Der Deutsche Blindenverband sah die Vorschläge der kommunalen Spitzenverbände aus Baden-Württemberg, des Deutschen Landkreistages und des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge zur Reform des Sozialhilferechtes als gefährliche Bedrohung nicht nur für die Blindenhilfe nach § 67 BSHG, sondern auch für die Landesblindengeldgesetze an 191. Der Deutsche Blindenverband wies auf die von ihm seit jeher vertretene Auffassung hin, daß für den blindheitsbedingten Ausgleich die Ursache der Erblindung keine Rolle spielen dürfe und daß "auch eine hohe Pauschalleistung als Rehabilitationsleistung gerechtfertigt" sei 192. 4. Das Gutachten von SchoUer / Krause

Scholler/Krause heben in ihrem im März 1977 vorgelegten Gutachten die Leitfunktion von § 67 BSHG hervor l93 . Scholler I Krause kritisieren zu Recht, daß die angestrebte Reform "ein Schritt zurück" sei, sie gebe einmal erreichte soziale Standards auf, "ohne Ansätze einer Scholler/Krause, S. 17. Vgl. Tätigkeitsbericht des Deutschen Blindenverbandes für das Jahr 1976, "Blindenselbsthilfe", Heft 4, 1977, S. 2. 192 Kappallo, "Blindenselbsthilfe", Heft 10, 1976, S. 2. 193 Scholler/Krause, S. 19 und These 2, S. 11. 190

191

Kap. 2: Die Entwicklung seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges

143

systematischen Neubesinnung und Überwindung der Herausforderungen, denen der Sozialstaat ausgesetzt ist und zu denen auch das Schicksal der blinden Menschen gehört, sichtbar werden zu lassen,,194. Daß es in erster Linie um finanzpolitische Fragen und nicht so sehr um Grundsätze des Sozialhilferechtes ging, läßt sich daraus schließen, daß der "Aufbruch zu neuen sozialpolitischen Horizonten" der 50er und 60er Jahre "einen empfindlichen Rückschlag" erlitt, "als die Wirtschaftsflaute im Rahmen der Ölkrise mit beispiellosen Kostensteigerungen im Gesundheits- und Rentensektor zusammentrar d95 . 5. Bestrebungen der Bundesregierung mit Bezug auf eine Gesamtreform des Sozialleistungssystems

Die Bundesregierung strebte eine Gesamtreform des Sozialleistungssystems an. 1977 berief sie eine Transfer-Enquete-Kommission, die Vorschläge zur besseren Abstimmung verschiedener Sozialleistungen sowie zu einer Integration der Transferzahlungen mit dem Steuersystem erarbeiten sollte 196. Bei allem Ringen um Einschränkungen in der Sozialhilfe blieb deren Grundstruktur unverändert 197 . Die Auffassung der Bundesregierung geht aus einer Stellungnahme des parlamentarischen Staatssekretärs Zander zur Anfrage des SPDAbgeordneten Seefeld hervor 198 . Die Anfrage lautete: "Ist die Bundesregierung auch der Ansicht, daß das BSHG teilweise in eine Richtung hin entwickelt worden ist, die dem System der Sozialhilfe fremd ist und die mehr zu leisten gebietet, als im Einzelfall notwendig erscheint, wie vom Landkreistag Baden-Württemberg und dem Städtetag Baden-Württemberg festgestellt worden sein soll, und wird sie ggf. Konsequenzen daraus ziehen?"

Die Antwort des parlamentarischen Staatssekretärs Zander vom 07. 12. 1976 lautete: "Die Bundesregierung teilt die in Ihrer Frage wiedergegebene Auffassung der kommunalen Landesverbände Baden-Württembergs nicht. Die Leistungen der Sozialhilfe sollen dem Empfänger der Hilfe die Führung eines Lebens ermöglichen, das der Würde des Menschen entspricht. Um dieses Ziel zu erreichen, umfaßt z. B. der notwendige Lebensunterhalt anders als nach dem früheren Fürsorgerecht nicht nur das "physiologisch Notwendige" (so das Bundesverwaltungsgericht in einer Grundsatzentscheidung zum Sozialhilferecht), sondern in vertretbarem Umfang auch Leistungen, die die Beziehungen des Hilfeempfängers zur Umwelt und seine Teilnahme am kulturellen Leben fördern oder ermöglichen soll. Ganz allgemein hat darüber hinaus die Sozialhilfe bei der Bemessung 194 195 196 197 198

Scholler / Krause, These VII, S. 114. Alber, S. 63. Alber, a. a. O. Bley, RdNr. 1101, S. 356. Bundestagsdrucksache 7/5951, S. 29.

144

1. Teil: Entwicklung der Blindengeldregelungen für Zivilblinde in Deutschland

ihrer Leistungen auch die herrschenden Lebensgewohnheiten und gesellschaftlichen Anschauungen zu berücksichtigen. Die Bundesregierung ist nicht der Ansicht, daß unter Zugrundelegung dieser Leistungsprinzipien das Bundessozialhilfegesetz eine systemfremde Entwicklung genommen hat und Leistungen vorsieht, die über einen anzuerkennenden Bedarf hinausreichen."

6. Stellungnahmen einzelner Parlamentarier

Zu den Vorschlägen, die Blindenhilfe nach § 67 BSHG einzuschränken oder abzuschaffen, nahmen in einem Pressegespräch vom 15. 10. 1976 maßgebende Abgeordnete der Fraktionen der SPD, der CDU und der FDP Stellung 199. a) Eugen Glombig (SPD) Für die SPD erklärte Eugen Glombig: "Es besteht kein Anlaß, aus den Änderungsvorschlägen, die der Deutsche Verein für öffentliche und private Fürsorge und der Deutsche Landkreistag zum BSHG unterbreitet haben, die Befürchtung abzuleiten, die Blindenhilfe nach dem BSHG werde vom Gesetzgeber eingeschränkt oder gar abgeschafft; denn gewichtige Gründe sprechen gegen die Vorschläge des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge. Dazu gehören: 1. Die Festsetzung der Blindenhilfe und des Schwerstbehindertenpflegegeldes (§§ 67 und 69 Abs. 4 S. 3 BSHG) auf die Höhe des Mindestbetrages der Pflegezulage für Blinde nach dem BVG im Rahmen der zweiten und dritten Novelle zum BSHG entsprach dem sozialpolitischen Ziel, die Lage der Schwerstbehinderten insgesamt deutlich zu verbessern. Die Tatsache, daß Länder und Gemeinden die Kosten der Sozialhilfe zu tragen haben, kann kein Grund dafür sein, das Rad jetzt wieder zurückzudrehen. 2. Auf die Blindengeldregelung im BSHG kann nicht verzichtet werden, weil mehrere Länderregelungen darauf Bezug nehmen. Im übrigen ist sie noch für eine große Zahl von Blinden unmittelbare Anspruchsgrundlage. 3. Was die Höhe der Blindenhilfe betrifft, so würde bei Verwirklichung der Vorschläge des Deutschen Vereins jeder einzelne Fall darauf zu prüfen sein, ob und inwieweit der Zustand des Pflegebedürftigen außergewöhnliche Pflege erfordert. Dies würde angesichts der Schwierigkeit einer solchen Feststellung zu unterschiedlichen Ergebnissen führen. 4. Der Vorschlag des Deutschen Vereins würde schließlich einen erheblichen Verwaltungsaufwand bewirken, der eventuelle Einsparungen wieder aufzehren würde.

199

Die Bundesregierung bildeten zu diesem Zeitpunkt die SPD und die FDP.

Kap. 2: Die Entwicklung seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges

145

b) Kurt Spitzmüller (FDP) Der stellvertretende Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion, Kurt Spitzmüller, erklärte: "Wir kennen die umfangreichen Vorstellungen, die der Deutsche Landkreistag und zuvor schon die kommunalen Spitzenverbände von Baden-Württemberg über mögliche Leistungseinschränkungen im Recht der Sozialhilfe der Öffentlichkeit zur Diskussion gestellt haben. Da die Vorschläge Änderungen des BSHG zum Ziel haben, können sie frühestens im Rahmen eines vierten Änderungsgesetzes zum BSHG aktuell werden. Unsere Fraktion wird sich nach Zusammentritt des achten Deutschen Bundestages angesichts der Vielschichtigkeit der aufgeworfenen Fragen genügend Zeit lassen, die Vorschläge des Landkreistages sowie die Stellungnahme des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge und des Bundesministeriums für Jugend, Familie und Gesundheit ganz gründlich zu prüfen. Ein fiskalisch orientierter, mit konjunkturbedingten Haushaltsengpässen der Kommunen begründeter Leistungsabbau im Bereich der Sozialhilfe kommt für uns nicht in Frage. Eine Streichung der Blindenhilfe und eine Herabsetzung des Pflegegeldes für Schwerstbehinderte, das wir 1974 erst erhöht haben, auf 200,00 DM lehnen wir ab. Die FDP ist sich dessen bewußt, daß das Recht der Blindenhilfe seit Jahrzehnten eine Schrittmacherrolle bei der Entwicklung der Sozialleistungen für Behinderte gespielt hat. Wir würden uns deshalb entschieden dagegen wenden, wenn ausgerechnet der Blindenhilfe eine führende Rolle für Rückschritte auf dem Gebiet der Sozialhilfe zugedacht werden sollte .... "

c) Albert Burger (CDU /CSU) Für die CDU I CSU führte der Bundestagsabgeordnete Albert Burger aus: "Die CDU / CSU-Bundestagsfraktion hat Verständnis dafür, daß der DBV seine Besorgnis darüber äußert, daß von kommunalen Spitzenverbänden und vom Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge angeregt worden ist, gesetzliche Ansprüche und Leistungsvoraussetzungen auf Blindenhilfe einzuschränken. Die CDU / CSU-Bundestagsfraktion stellt hierzu fest, daß sie nicht beabsichtigt, die gesetzlichen Leistungen für Behinderte einzuschränken oder entsprechende Vorschläge von anderer Seite mitzutragen. Die CDU / CSU ist der Auffassung, daß auch in finanziell kritischen Zeiten nicht daran gedacht werden kann, die strukturellen Leistungsverbesserungen des dritten Änderungsgesetzes zum BSHG zurückzunehmen. Dieses Gesetz diente der Besserstellung besonders benachteiligter Gruppen in der Gesellschaft, zu denen auch die Blinden gehören, und ihrer Angehörigen .... 200"

7. Ergebnis der Reformbestrebungen Entsprechend dem hier zum Ausdruck gekommenen Konsens zwischen den großen Parteien im Deutschen Bundestag blieb die Struktur des Sozialhilferechts, und 200

"Blindenselbsthilfe", Heft 11, 1976, S. 3.

10 Demmel

146

1. Teil: Entwicklung der Blindengeldregelungen für Zivilblinde in Deutschland

damit auch § 67 BSHG, erhalten. Einschränkungen, die mit dem zweiten Haushaltsstrukturgesetz vom 22. 12. 1981 eingeleitet worden sind, mußten jedoch hingenommen werden.

IV. Haushaltsstrukturgesetz von 1981

1. Ausgangslage Die infolge der Ölkrise einsetzende Rezession führte in der Mitte der 70er Jahre zu einer Wende in der sozialpolitischen Gesetzgebung. Mit dem ersten Haushaltsstrukturgesetz vom 18. 12. 1975 (BGBL I, S. 3091) begann eine lange Reihe von Kürzungsgesetzen im Sozialbereich201 . Die Blindenhilfe nach § 67 BSHG blieb, wie im vorigen Abschnitt gezeigt, trotz der Reformbestrebungen verschiedener kommunaler Spitzenverbände und der Reformvorschläge des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge noch unberührt.

2. Erste Kürzungen im Rahmen von Landesgesetzen Erste Bestrebungen, im Rahmen der Sparmaßnahmen der öffentlichen Hand Leistungen nach Landesblindengeldgesetzen einzuschränken, erfolgten in Berlin und in Rheinland-Pfalz. Ziel dieser Bestrebungen war es insbesondere, die Koppelung hinsichtlich der Höhe des Blindengeldes an die Pflegezulage für Kriegsblinde nach § 35 BVG abzuschaffen und das Blindengeld zu kürzen. Der Deutsche Blindenverband forderte, daß am Finalitätsgrundsatz, wonach bei Leistungen für Behinderte nicht nach der Ursache unterschieden werden dürfe, festgehalten werden müsse. Weil blindheitsbedingte Mehraufwendungen für Kriegs- und Zivilblinde gleichhoch seien, müßten die Ausgleichsleistungen ebenfalls gleichhoch sein. Blinde würden von den Kürzungen der Sozialleistungen auf allen Gebieten ebenso wie die übrige Bevölkerung betroffen. Ein weiteres Sonderopfer könne ihnen nicht auferlegt werden. Der Finalitätsgrundsatz sei Ausfluß des Grundrechtes auf Gleichbehandlung nach Art. 3 GG202 •

Vgl. Alber, S. 286 und Tabelle 50. Schreiben des Vorsitzenden des Deutschen Blindenverbandes Horst Geißler an die Generalsekretäre von CDU (Heiner Geißler) und FDP (Günther Verheugen) sowie an den Bundesgeschäftsführer der SPD (Peter Klotz), abgedruckt in: "Blindenselbsthilfe", Heft 11, 1981, S. 2, Resolutionen des Deutschen Blindenverbandes, gerichtet an das Abgeordnetenhaus in Berlin und den Landtag in Rheinland-Pfalz, verabschiedet von dessen Verwaltungsrat am 27. und 28. 11. 1981 in Berlin, "Blindenselbsthilfe", Heft 12,1981, S. 2. 201

202

Kap. 2: Die Entwicklung seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges

147

a) Berlin In Berlin sah der Entwurf des sechsten Gesetzes zur Änderung des Blinden- und Hilflosengesetzes vom 16. 10. 1981 203 die Abkoppelung des Pflegegeldes für Blinde und Hilflose von den Regelungen nach § 35 BVG sowie das Einfrieren auf der gegenwärtigen Höhe vor. Nach Anhörung der Vertreter der Betroffenenverbände am 11. 11. 1981 vor dem sozialpolitischen Ausschuß des Abgeordnetenhauses von Berlin wurde dieser Gesetzesänderungsvorschlag zuriickgezogen. Mit Wirkung ab 01. 01. 1982 wurde allerdings das bisherige Gesetz in "Gesetz über die Gewährung von Leistungen an Zivilblinde, Gehörlose und Hilflose (ZGHG) umbenannt. Die Gehörlosen wurden in den Kreis der Berechtigten aufgenommen. Gleichzeitig wurde die Leistung für Hilflose von der automatischen Anpassung nach § 35 Abs. 1 BVG abgekoppelt und in § 2 Abs. 3 betragsmäßig in sechs Pflegestufen festgelegt. Nur die Höhe des Pflegegeldes für Blinde und Sehbehinderte richtete sich nach wie vor nach der Regelung in § 35 Abs. 1 BVG. b) Rheinland-Pfalz Schwerwiegende Eingriffe erfolgten beim Landespflegegeldgesetz RheinlandPfalz vom 31. 10. 1974 (GVBI. S. 466) durch das Landesgesetz zur Verbesserung der Haushaltsfinanzierung (Haushaltsfinanzierungsgesetz) vom 18. 12. 1981 (GVBI. S. 331). Die Höhe des Pflegegeldes in § 13 wurde durch Art. 1 Nr. 3 Haushaltsfinanzierungsgesetz sowohl vom Bundesversorgungsgesetz als auch vom Bundessozialhilfegesetz abgekoppelt und auf 750,00 DM festgeschrieben. Schwerstbehinderte, die das 18. Lebensjahr nicht vollendet hatten, erhielten 50 % dieses Betrages (§ 3). Schwerbehinderte in Anstalten, Heimen und gleichartigen Einrichtungen erhielten aufgrund des durch Art. 1 Nr. 4 in § 4 neueingeführten Abs. 1 kein Pflegegeld mehr. Außerdem erfolgte durch Art. 1 Nr. 7 des Haushaltsfinanzierungsgesetzes die Einführung einer Karenzzeit. Das Pflegegeld wurde erst ab Beginn des 13. Monats, nachdem die Voraussetzungen gegeben waren, friihestens jedoch vom Beginn des Monats an, der auf den Monat folgt, in welchem der Antrag gestellt worden ist, gewährt (Änderung von § 8). Diese Gesetzesänderungen traten mit Wirkung ab 01. 01. 1982 in Kraft. Die Karenzbestimmung in § 8 erhielt eine weitere Verschärfung durch das Landesgesetz zur Änderung des Landespflegegeldgesetzes vom 27. 02. 1984 (GVBI. S. 55). Durch Art. 2 Nr. 2 erfolgte eine Änderung von § 8 des Landespflegegeldgesetzes dahin, daß die Zahlung erst vom Beginn des 13. Monats an, der auf den Monat folgte, in dem die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt waren, friihestens jedoch vom Beginn des 13. Monats an, der auf den Monat folgte, in dem der Antrag nach § 7 gestellt worden war, erfolgte. 203

10*

Drucksache 9-149 des Abgeordnetenhauses von Berlin.

148

1. Teil: Entwicklung der Blindengeldregelungen für Zivilblinde in Deutschland

Die mühsam erreichte Einheitlichkeit hinsichtlich der Höhe der Pflegegeldleistungen in den Landesgesetzen war mit der Gesetzesänderung in Rheinland-Pfalz erstmals verlorengegangen.

3. Einschränkung der Blindenhilfe nach § 67 BSHG durch das zweite Haushaltsstrukturgesetz

Das zweite Haushaltsstrukturgesetz vom 22. 12. 1981 (BGBL I, S. 1523) brachte Einschnitte in sämtliche großen Sozialleistungsgesetze. So wurde die Selbstbeteiligung in der Krankenversicherung erhöht, im Arbeitsförderungsgesetz, im Ausbildungsförderungsgesetz und beim Wohngeld kam es zu Einschränkungen von Rechtsansprüchen. Das Kindergeld und die Sozialhilfeleistungen wurden gekürzt. Eine gravierende Änderung erfuhr auch die Blindenhilfe nach § 67 BSHG. § 67 Abs. 2 erhielt folgende Fassung: "Die Blindenhilfe wird Blinden nach Vollendung des 18. Lebensjahres in Höhe eines Betrages von 750,00 DM, Blinden, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, in Höhe eines Betrages von 375,00 DM gewährt." In § 67 wurde folgender Abs. 6 eingefügt: "Die Blindenhilfe nach Abs. 2 verändert sich jeweils, erstmals mit Wirkung vom 01. 01. 1984 an, um den Verhältnissatz, um den die Renten aus der Rentenversicherung der Arbeiter nach § 1272 Abs. 1 der Reichsversicherungsordnung verändert werden; ein nicht auf volle Deutsche Mark errechneter Betrag ist bis zu 0,49 DM abzurunden und von 0,50 DM an aufzurunden." Die Blindenhilfe sollte somit nur vorübergehend eingefroren werden. Die Dynamisierung blieb beibehalten. Der Termin vom 01. 01. 1984 wurde durch Art. 12 Nr. 2 des Haushaltbegleitgesetzes 1983 vom 20. 12. 1982 (BGBL I, S. 1857) auf den 01. 07. 1984 verschoben. Mit der Änderung des § 67 BSHG durch das zweite Haushaltsstrukturgesetz war die Koppelung der Blindenhilfe an das Pflegegeld für Kriegsblinde nach § 35 BVG weggefallen. Diese Änderung berührte den Finalitätsgrundsatz, wie er in § 45 Schwerbehindertengesetz durch das Gesetz vom 30. 04. 1974 (BGBL I, S. 981) zum Ausdruck gebracht worden war. Eine der sozialpolitischen Hauptforderungen der Blindenselbsthilfeorganisationen der Zivilblinden erlitt einen schweren Schlag.

4. Auswirkung auf die Landesblindengeldgesetze

Während in Rheinland-Pfalz ein völlig eigener Weg eingeschlagen worden war und in Berlin sowie in Hessen keinerlei Gesetzesänderung erfolgte, zeigte die Neuregelung in § 67 BSHG Auswirkungen auf die übrigen Landesblindengeldgesetze.

Kap. 2: Die Entwicklung seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges

149

Sie nahmen ursprünglich alle auf die Höhe der Pflegezulage für Kriegsblinde nach § 35 BVG Bezug, so daß das Blindengeld nach den Landesgesetzen von BadenWürttemberg, Bayern, Berlin, Bremen, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Saarland und Schleswig-Holstein mit Wirkung vom 01. 01. 1982 auf 788,00 DM monatlich stieg. In den Bundesländern - vorläufig mit Ausnahme von Berlin und Hessen 204 setzten rasch Bestrebungen ein, die Bestimmungen des jeweiligen Landesgesetzes § 67 BSHG durch die Formel: "Die Höhe des Blindengeldes bestimmt sich nach den Vorschriften über die Blindenhilfe gemäß § 67 des Bundessozialhilfegesetzes in der jeweils geltenden Fassung" anzupassen. Das geschah durch die in folgender Tabelle aufgeführten Gesetzesänderungen: Land

Änderungsdatum

FundsteIle

Niedersachsen

15.02.1982

GVBI. S. 43

Baden-Württemberg Saarland Nordrhein-Westfalen

30.03.1982 20.04.1982 18.05. 1982 25.02.1983

GVBI. S. 86 Ambl. 391 GVNWS.248 GVoOBl. S. 135 Hamb.GVBl. S. 343

Schieswig-Hoistein Hamburg Bremen

22. 12. 1983 27.04.1984

Brem.GBI. S. 111

Zweifelhaft war die Rechtslage zunächst in Bremen. § 2 des Bremer Pflegegeldgesetzes vom 31. 10. 1972 (Brem.GBl. S. 235) verwies auf § 67 BSHG in der Fassung, die diese Bestimmung durch das zweite Änderungsgesetz zum BSHG vom 14. 08. 1969 (BGBL I, S. 1153) erhalten hatte. Durch diese Gesetzesänderung erhielt § 67 die Verweisung auf den Mindestbetrag der Pflegezulage für Kriegsblinde nach § 35 BVG (§ 67 Abs. 2 BSHG). Behördlicherseits wurde diese Verweisung dahin ausgelegt, daß sich die Änderung des § 67 BSHG durch das zweite Haushaltsstrukturgesetz mit Wirkung ab 01. 01. 1982 auch auf das Pflegegeldgesetz für Bremen ausgewirkt habe. Anspruchsberechtigte erhielten deshalb lediglich ein Pflegegeld in Höhe von monatlich 750,00 DM und nicht 788,00 DM. Trotz des eindeutigen Gesetzeswortlautes wies das Verwaltungs gericht Bremen eine Klage, mit welcher Pflegegeld in Höhe der Pflegezulage eines Kriegsblinden, also in Höhe von 788,00 DM, geltend gemacht worden war, mit Urteil vom 02. 12. 1982 - Az. 3 A 213/82 - ab. Die Berufung wurde nicht zugelassen. Auf die gegen die Nichtzulassung der Berufung gerichtete Beschwerde erklärte das 204 In Berlin erfolgte die AbkoppeIung von der Pflegezulage für Kriegsblinde nach § 35 BVG durch das Haushaltsstrukturgesetz vom 22. 12. 1994 und die Anpassung an die Blindenhilfe nach § 67 BSHG durch Gesetz vom 20. 03. 1997 (vgl.l.). In Hessen erfolgte die Anpassung an die Höhe der Blindenhilfe nach § 67 BSHG durch Gesetz vom 18. 12. 1997 (vgl.l.).

150

I. Teil: Entwicklung der Blindengeldregelungen für Zivilblinde in Deutschland

OVG Bremen, daß das Urteil der 1. Instanz unrichtig sei, weil § 2 des bremischen Landespflegegeldgesetzes nicht auf § 67 BSHG in der jeweils geltenden Fassung, sondern auf das BSHG in der Fassung von 1969 verweise. Gleichwohl ließ das OVG Bremen die Berufung nicht zu, da - wegen der eindeutigen Rechtslage - die Sache nicht mehr von grundsätzlicher Bedeutung sei (Beschluß des OVG Bremen vom 15.03.1983, Az. 2 B 18/83). Das bremische Gesetz über die Gewährung von Pflegeleistungen an Blinde und Schwerstbehinderte erfuhr daraufhin in der Fassung der Bekanntmachung vom 27.04.1984 (Brem.GBl. S. 111) eine wesentliche Veränderung. Das Pflegegeld für Blinde und Schwerstbehinderte wurde in § 2 Abs. 1 nach Vollendung des 18. Lebensjahres auf 750,00 DM und vor Vollendung des 18. Lebensjahres auf 50% dieses Betrages festgeschrieben. Eine Anpassung war nicht vorgesehen und ist bis zur Gegenwart auch nicht erfolgt. Eine abweichende Entwicklung trat in Bayern ein (siehe unten). Die Gesetzesänderung in § 67 BSHG und in den Landesblindengeldgesetzen für Baden-Württemberg, Hamburg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Saarland und Schleswig-Holstein führten in der Folgezeit entsprechend der Entwicklung bei den Sozialrenten nach der Reichsversicherungsordnung zu einem langsameren Anstieg der Blindenhilfe bzw. des Blindengeldes. Vergleiche folgende Tabelle:

Jahr

Steigerungssatz der Rentenversicherung in%

Blindenhilfe Pflegegeld für § 67 BSHG Kriegsblinde ab vollendetem § 35 Stufe III BVG 18. Lebensjahr in DM in DM

Pflegegeld für Unfallblinde § 558RVO in DM

01. 07. 1984

1,31 (13. AnpG-KOV)

760,00

835,00

01.07.1985

1,41 (14. AnpG-KOV)

771,00

847,00

930,00 943,80

01. 07. 1986

2,15 (15. AnpG-KOV)

788,00

865,00

964,20

01. 07.1987

3,03 (16. AnpG-KOV)

812,00

891,00

992,40

01. 07.1988

3,00 (17. AnpG-KOV)

836,00

918,00

1.023,60

01. 07.1989

2,40 (18. AnpG-KOV)

856,00

940,00

1.048,20

01. 07. 1990

3,10 (19. AnpG-KOV)

883,00

970,00

1.081,20

Anmerkung: Die Daten und FundsteIlen für die AnpG-KOV sind: 13. AnpG-KOV vom 20. 06. 1984 (BGBI. I, S. 761); 14. AnpG-KOV vom 04.06. 1985 (BGBI. I, S. 910); 15. AnpG-KOV vom 23. 06. 1989 (BGBI. I, S. 915); 16. AnpG-KOV vom 27. 06.1987 (BGBI.1, S. 1554); 17. AnpG-KOV vom 21. 06.1988 (GVBI. I, S. 826); 18. AnpG-KOV vom 30. 06.1989 (BGBI. I, S. 1288); 19. AnpG-KOV vom 26. 10. 1990 (BGBI. I, S. 13 10)205.

205 Die Sätze für die Blindenhilfe nach § 67 BSHG gelten auch für die Blindengeldleistungen in Baden-Württemberg, Hamburg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Saarland und Schleswig-Holstein; die Höhe des Pflegegeldes nach § 35 BVG gilt auch für die Blindengeldleistungen in Berlin und Hessen.

Kap. 2: Die Entwicklung seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges

151

5. Abweichende Entwicklung in Bayern Die Entwicklung in Bayern verlief anders als in den Ländern, die durch Gesetzesänderungen den Bezug zu § 67 BSHG hergestellt hatten, also in Baden-Württemberg, Hamburg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Saarland und SchleswigHolstein. Während mit Wirkung ab 01. 06. 1962 das Pflegegeld nach dem bayerischen Zivilblindenpflegegeldgesetz vom 18. 06. 1953 durch Art. 31 des bayerischen Gesetzes zur Ausführung des Bundessozialhilfegesetzes (GVBl. S. 272) auf 200,00 DM monatlich, und damit auf die gleiche Höhe wie das Blindengeld nach § 67 BSHG und die Pflegezulage für Kriegsblinde nach § 35 BVG, erhöht worden war und mit dem am 17. 01. 1966 neu bekanntgemachten Gesetz rückwirkend ab 01. 10. 1965 eine weitere Anpassung auf 240,00 DM monatlich erfolgte, brachte das Gesetz vom 18. 12. 1969 (GVBl. S. 3999) die unmittelbare Ankoppelung des bayerischen Blindenpflegegeldes an die Höhe der Pflegezulage für Kriegsblinde nach § 35 BVG (Art. 1 Abs. 1 bayerisches Zivilblindenpflegegeldgesetz). Durch die damit eingetretene Dynamisierung erreichte das Blindenpflegegeld nach dem bayerischen Blindenpflegege1dgesetz am 01. 01. 1982 788,00 DM monatlich. a) Die Gesetzesänderung von 1983 1983 kam auch in Bayern ein großer Einschnitt: Art. 10, § 13 des Gesetzes über die Festsetzung des Haushaltsplanes des Freistaates Bayern für die Haushaltsjahre 1983 und 1984 vom 21. 07. 1983 (GVBl. Nr. 17, S. 513) faßte Art. 1 Abs. 2 des bayerischen Zivilblindenpflegegeldgesetzes neu. Er lautete nunmehr: "Die Höhe des Pflegegeldes bemißt sich nach den Sätzen für die Blindenhilfe gemäß dem Bundessozialhilfegesetz in der jeweils geltenden Fassung. Es beträgt vorbehaltlich Art. 2 und 3 mindestens 788,00 DM monatlich." Das bedeutete, daß das bayerische Zivilblindenpflegegeld auf dieser Höhe eingefroren bleiben sollte, bis der Betrag der Blindenhilfe nach § 67 Abs. 2 BSHG diese Höhe erreicht hatte. b) Resolution von 1983 Die Landestagung des Bayerischen Blindenbundes, die am 21. und 22. 10. 1983 in Cham stattfand, nahm am 22. 10. 1983 gegen diesen sozialpolitischen Rückschritt Stellung. In einer Resolution an den Bayerischen Landtag und an die Bayerische Staatsregierung forderte sie, daß das Zivilblindenpflegegeld wieder in Höhe der Pflegezulage für Kriegsblinde gewährt werde, weil eine Differenzierung bei der Gewährung dieser "Rehabilitationsleistung" zu den Kriegsblinden dem Finalitätsgrundsatz widerspräche und die Blindheit ein "unteilbares Schicksal" sei.

152

1. Teil: Entwicklung der Blindengeldregelungen für Zivilblinde in Deutschland

c) Die Gesetzesänderung von 1985 Diese Resolution und zahlreiche Gespräche zwischen Vertretern des Bayerischen Blindenbundes und Abgeordneten des Bayerischen Landtages führten zu einem Teilerfolg. Im Rahmen des Haushaltsgesetzes 1985/86 (GVBI. Nr. 6, 1985, S. 81) erfuhr Art. 1 Abs. 2 des bayerischen Zivilblindenpflegegeidgesetzes folgende neue Fassung durch Art. 9 § 1: "Das Pflege geld wird in Höhe des Mindestbetrages der Pflegezulage für Blinde nach dem Bundesversorgungsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 22. 01. 1982 (BGBI. I, S. 21) gewährt. Es wird vom 01. 07. 1985 an um jeweils den Vom-Hundert-Satz erhöht, um den die entsprechende Leistung des Bundesversorgungsgesetzes steigt."

Das führte ab 01. 07. 1985 zu einer Erhöhung auf monatlich 799,00 DM. Das Pflegegeld der Kriegsblinden nach § 35 BVG war zwischenzeitlich auf monatlich 847,00 DM gestiegen. Wegen der unterschiedlichen Berechnungsbasis erhöhte sich die Differenz in den folgenden Jahren immer mehr. d) Resolution von 1987 Die Landestagung des Bayerischen Blindenbundes, die am 21. 11. 1987 in München stattfand, erinnerte deshalb in einer Resolution an diejenige vom 22. 10. 1983 und forderte, die vollständige Gleichbehandlung der Kriegs- und Zivilblinden "in unserem Land" hinsichtlich der Pflegezulage für Kriegsblinde bzw. des Zivilblindenpflegegeldes für Zivilblinde wiederherzustellen. Diesen Bestrebungen blieb der Erfolg versagt. Die Entwicklung des bayerischen Blindenpflegegeldgesetzes im Vergleich zur Blindenhilfe nach § 67 BSHG und zur Pflegezulage für Kriegsblinde nach § 35 BVG, Pflegestufe III zeigt folgende Tabelle:

Jahr

01. 01. 1982 01. 01. 1983 01. 07. 1984 01. 07. 1985 01. 07. 1986 01.07.1987 01.07.1988 01. 07. 1989 01.07.1990

§ 67 BSHG

Bayer. Blindenpflegegeldgesetz

§ 35 BVG

Differenz Bayer. Blindenpflegegeldgesetz/BVG

in DM

in DM

inDM

in DM

750,00 750,00 760,00 771,00 788,00 812,00 836,00 856,00 883,00

788,00 788,00 788,00 799,00 816,00 841,00 866,00 887,00 915,00

788,00 824,00 835,00 847,00 865,00 891,00 918,00 940,00 970,00

0,00 36,00 47,00 48,00 49,00 50,00 52,00 53,00 55,00

Kap. 2: Die Entwicklung seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges

153

6. Rechtsprechung zur Änderung der Blindengeldgesetze

Durch die Änderung des § 67 BSHG im Rahmen des zweiten Haushaltsstrukturgesetzes vom 22. 12. 1981 (BGBL I, S. 1583) und die folgenden Änderungen der Landesgesetze erhielten Zivilblinde - mit Ausnahme der Länder Berlin und Hessen - eine niedrigere Leistung zum Ausgleich der blindheitsbedingten Mehraufwendungen als Kriegsblinde nach § 35 BVG. Darin sahen Blinde und ihre Selbsthilfeorganisationen eine Verletzung des Finalitätsgrundsatzes, der in den 70er Jahren zunehmende Anerkennung gefunden hatte und z. B. in § 45 Abs. 1 Schwerbehindertengesetz vom 29. 04. 1974 (BGBL I, S. 1005) Ausdruck gefunden hatte206 . Zu den elementaren Grundsätzen des Sozialstaates gehört "gerade das Finalitätsprinzip, wonach Leistungen nicht nach der Ursache, sondern nach der angestrebten Sozial wirkung eingesetzt werden ,,207. Die eingetretenen Gesetzesänderungen führten deshalb zu einigen Rechtsstreitigkeiten. Die Klagen hatten keinen Erfolg. Weil die Leistungen jeweils verschiedenen Personenkreisen (Kriegsblinde einerseits, Zivilblinde andererseits) gewährt würden, sah das OVG Rheinland-Pfalz die Differenzierung als rechtmäßig an, "ohne daß dies einer näheren Begründung bedarf ,208. Das OVG Rhein1and-Pfalz hat sich weder die Mühe gemacht, sich mit der Funktion der Ausgleichsleistungen - Entschädigungsleistung oder Rehabilitationsleistung - noch mit der Bedeutung und dem Rang des Finalitätsprinzips - zu beachtender verfassungsrechtlicher Grundsatz oder reiner Programmsatz - auseinanderzusetzen. Das Verwaltungsgericht Köln sah einen Grund für die unterschiedliche Höhe im unterschiedlichen Charakter der Leistungen. Zwar seien die Leistungen funktionsgleich, sie gehörten jedoch verschiedenen rechtlichen Ordnungsbereichen an und stünden in anderem systematischem und sozialgeschichtlichem Zusammenhang. Dem Finalitätsprinzip räumte das VG Köln Verfassungsrang ein, indem es darauf hinwies, daß das Finalitätsprinzip "im Ergebnis eine besondere Ausprägung des Gleichheitssatzes" darstelle. Es verneinte jedoch einen Verstoß gegen das Finalitätsprinzip mit der Begründung, die Wirkung des Finalitätsprinzips gehe nicht so weit, daß in verschiedenen Rechtsbereichen vorgesehene Leistungen stets gleich bemessen werden müssen. Das Finalitätsprinzip besage vielmehr nur, daß "Anknüpfungspunkt für die Gewährung von Leistungen an Behinderte nicht die jeweilige Art der Behinderung, sondern allein Dauer und Umfang der - wie auch immer gearteten - Behinderung sei 209 .,, 206

207 208 209

SchoUer: "Beiträge zum Rehabilitationsrecht", S. 219. SchoUer: "Beiträge zum Rehabilitationsrecht", S. 220. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 15.04. 1983 -8 A 71 /82. VG Köln, Urteil vom 22.03.1983-21 K 1926/82.

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1. Teil: Entwicklung der Blindengeldregelungen für Zivilblinde in Deutschland

Im Gegensatz zum VG Köln verneinten andere Gerichte die Funktionsgleichheit des Blindengeldes nach BSHG und Landesblindengeldgesetzen mit der Pflegezulage für Kriegsblinde nach dem BVG. Beim Blindengeld nach den Landesgesetzen bzw. der Blindenhilfe nach § 67 BSHG werde das "allgemeine, harte Schicksal Blinder als solches berücksichtigt", hingegen werde bei der Pflegezulage nach dem BVG zusätzlich der Aufopferungsgedanke berücksichtigt21o • Auch das VG Hannover verneinte die Funktionsgleichheit von Blindengeld für Zivilblinde und Pflegezulage nach dem BVG mit den gleichen Argumenten wie das VG Schleswig-Holstein. Zur Frage des Finalitätsprinzips ist nach Auffassung des VG Hannover danach zu differenzieren, ob der Streit darum geht, ob eine Leistung zum Ausgleich gewährt wird oder darum, in welcher Höhe geleistet wird. Nur im ersten Fall gelte das Finalitätsprinzip. Das gelte umso mehr, als das Finalitätsprinzip, wenn überhaupt, als Teilprinzip des Rehabilitationsgedankens im Rahmen des Sozialstaatsprinzips nur insoweit Verfassungsrang habe, als es um die Frage der Abgrenzung des Personenkreises, der staatliche Hilfe erhalte, und nicht nur um die Höhe staatlicher Leistungen gehe. Sodann stellte sich das VG Hannover die Frage, ob die Schaffung des § 45 Abs. 1 Schwerbehindertengesetz nicht wenigstens eine Selbstbindung des Gesetzgebers zur Folge gehabt habe, die ihn zur Einhaltung des Finalitätsprinzips verpflichten würde. Eine solche Selbstbindung verneint das Gericht mit der Begründung, diese Vorschrift - wie auch die Erklärung in Teil 1 Nr. 15 der europäischen Sozialcharta vom 18. 10. 1981, die ebenfalls das Finalitätsprinzip anspreche - habe nur Programmcharakter und überlasse es dem Gesetzgeber, wie er die Rechte der Behinderten tatsächlich regle 211 •

7. Beurteilung der Rechtsprechung und der eingetretenen Veränderungen

Drerup setzt sich mit diesen Entscheidungen auseinander. Er wirft die Frage auf, ob nicht mit der Ankoppelung der Höhe des Blindengeldes an die der Pflegezulage für Kriegsblinde durch das zweite Gesetz zur Änderung des BSHG vom 14. 08. 1969 eine Vermischung der Ordnungsbereiche geschaffen und eine neue sozialgeschichtliche Ära eingeleitet worden sei. Mit der Abkoppelung der Blindenhilfe bzw. des Blindengeldes von der Höhe der Pflegezulage nach dem BVG habe der Gesetzgeber nun "wieder Fakten geschaffen", "die sich mit einer Funktionsverschiedenheit der Leistungen rechtfertigen lassen". Drerup kommt deshalb zu dem Ergebnis, daß der dadurch geschaffene Zustand nicht als willkürlich und nicht als Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 GG bezeichnet werden könne. VG Schleswig-Holstein, Urteil vom 20. 04. 1983 - 10 A 542/82. VG Hannover, Urteil vom 08. 11. 1983 - 3 VG A 293/82; europäische Sozialcharta BGBI. 11, S. 978. 210

211

Kap. 2: Die Entwicklung seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges

155

Seine Kritik richtet sich deshalb nicht so sehr gegen die Urteile als gegen den Gesetzgeber, der aus fiskalischen Gründen "eine Regelung zurückgenommen (habe), die für die Blinden von großer Bedeutung waren". Der Fortschritt der ursprünglichen Regelung (gleiche Höhe der Blindenhilfe bzw. der Blindengelder mit der Pflegezulage für Kriegsblinde) lag darin, daß durch die Angleichung der Höhe des Blindengeldes an die der Pflegezulage der "Rehabilitationsgedanke eine Aufwertung erfuhr. Die Höhe der Pflegezulage war seitdem nicht mehr Ausdruck einer Entschädigung für im Krieg erbrachte Opfer, sondern eine allgemein gültige gesetzliche Maßeinheit für den Mehrbedarf, der einem Blinden infolge seines Blindseins üblicherweise erwächst,,212. Auch wenn man der Auffassung ist, daß der Finalitätsgrundsatz dem Gleichheitsgrundsatz entspricht und zu den "elementaren Sozialstaatsgrundsätzen gehört", (Scholler: "Beiträge zum Rehabilitationsrecht", S. 220) besagt das nicht, daß die Höhe der Ausgleichsleistungen für behinderungsbedingte Beeinträchtigungen in unterschiedlichen Rechtsbereichen nicht verschieden sein könnte. Insoweit ist den zitierten Entscheidungen im Ergebnis zuzustimmen. Das gilt auch dann, wenn richtigerweise angenommen wird, daß die Ausgleichsleistungen als Rehabilitationsleistungen die gleiche Funktion haben. Die in den verschiedenen Rechtsbereichen zu beachtenden Grundsätze können unterschiedliche Leistungen rechtfertigen. Aus der Natur des Entschädigungsrechtes ergibt sich, daß hier für den Ausgleich der erlittenen Beeinträchtigungen keine Eigenleistung verlangt werden kann. Im Sozialhilfebereich und auch im Bereich der sozialen Förderung können gewährte Ausgleichsleistungen anders bemessen werden. Deshalb ist es auch nicht richtig, daß die festgesetzte Höhe einer Ausgleichsleistung einen Maßstab dafür hergeben könnte, wie hoch die behinderungsbedingte Mehrbelastung tatsächlich oder vermutlich sei. Die Kritik an der mit dem zweiten Haushaltsstrukturgesetz eingeleiteten Entwicklung richtet sich zu Recht gegen die Politik. Nicht nur die einheitliche Behandlung Zivilblinder mit Kriegsblinden hinsichtlich des Ausgleiches der blindheitsbedingten Mehraufwendungen wurde nach relativ kurzer Zeit wieder aufgegeben. Besonders nachteilig bis zur Gegenwart ist es, daß innerhalb des Systems der Blindengeldleistungen nach dem BSHG und den Landesgesetzen die Einheitlichkeit verlorengegangen ist. Es gab Landesgesetze, die Blinden in ihrem Geltungsbereich gleichhohe Leistungen zugestanden, wie sie Kriegsblinde nach § 35 BVG erhielten, nämlich Hessen und Berlin. Das bayerische Blindenpflegegeldgesetz nahm eine völlig eigene Entwicklung. Es gab Landesgesetze, die künftig ausdrücklich auf § 67 BSHG Bezug nahmen, und es gab schließlich Landesgesetze, die nur noch ein Pflegegeld bzw. Blindengeld in einer niedrigeren Höhe, nämlich in Höhe von 750,00 DM monatlich, gewährten (RheinlandPfalz und Bremen). In diesen Ländern hatten Blinde, deren Einkommen und Ver212

Drerup: "Die Blindenselbsthilfe", Heft 4, 1984, S. 2 ff.

156

1. Teil: Entwicklung der Blindengeldregelungen für Zivilblinde in Deutschland

mögen unterhalb der Grenzen des BSHG lagen, überdies einen Ergänzungsanspruch nach § 67 BSHG. Innerhalb der Bundesrepublik Deutschland kamen damit vier unterschiedliche Regelungen zum Tragen.

G. Die Auswirkung der Wiedervereinigung BRD/DDR I. Ausgangslage 1. Neue Bundesländer

Nach dem Fall der Mauer und der Öffnung der Grenzen zwischen der Deutschen Demokratischen Republik und der Bundesrepublik Deutschland am 09. 11. 1989 kam es aufgrund des Einigungsvertrages vom 31. 08.1990 (BGBl. 11,1990, S. 889) mit Wirkung zum 03. 10. 1990 durch den Beitritt der Deutschen Demokratischen Republik zur Bundesrepublik Deutschland zur Wiedervereinigung (Art. 1 Abs. 1 Einigungsvertrag). Gleichzeitig wurden die in der DDR neu gebildeten Länder Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen Länder der Bundesrepublik Deutschland. Diese Länder waren durch das Verfassungsgesetz zur Bildung von Ländern in der Deutschen Demokratischen Republik vom 22.07. 1990 (GBl. I, Nr. 51, S. 955) entstanden. Der Ostteil von Berlin wurde in das Land Berlin eingegliedert (Einigungsvertrag, Art. 1 Abs. 2). Im Einigungsvertrag und seinen Anlagen mußte geregelt werden, welche Rechtsbestimmungen aus der Zeit der DDR im Beitrittsgebiet fortgelten sollte und bis zu welchem Zeitpunkt dieses Recht gültig blieb. 2. Ausgleichsleistungenfür Blinde in der DDR

Blindengeldgesetze wie in den alten Bundesländern gab es in der DDR zwar nicht, Blinde und hochgradig Sehbehinderte erhielten dort jedoch seit vielen Jahren einkommens- und vermögenunabhängige Ausgleichsleistungen. Bereits am 07.07. 1948, also vor Gründung der DDR, erging eine Anordnung der deutschen Wirtschaftskommission über die Gewährung von Pflegegeld an pflegebedürftige Sozialrentner. Diese Anordnung galt für die Länder der sowjetischen Besatzungszone. Danach erhielten alle rentenanspruchsberechtigten Blinden (Kriegs- und Zivilblinde) ein Pflegegeld von 20,00-60,00 Reichsmark, unabhängig von ihrem Arbei tseinkommen 213 . Eine gesetzliche Grundlage erhielt das Blindengeld in der DDR durch die Verordnung über die weitere soziale Sicherung der Blinden und anderer Schwerstbe213

Pielasch-Jaedicke, S. 194.

Kap. 2: Die Entwicklung seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges

157

hinderter vom 18.06. 1959 in der Fassung der Rentenverordnung vom 23. 11. 1974 (GBI. I, Nr. 43, S. 401) in Verbindung mit der ersten Durchführungsverordnung zur Rentenverordnung vom 23.11. 1979 (GBI. I, Nr. 43, S. 413). Sehschwache mit einem Sehvermögen bis zu 1/25 erhielten Pflegegeld der Stufe I in Höhe von 30,00 Mark monatlich, hochgradig Sehschwache mit einem Sehvermögen von weniger als I/50 (Stufe 11) 40,00 Mark monatlich und Blinde, d. h. Personen mit einem Sehvermögen von 1/200 und weniger (Stufe I1I), 120,00 Mark monatlich. Bei zusätzlichen Behinderungen wurde Pflegegeld nach Stufen IV - VI gewährt. Diese Bestimmungen galten nach dem Einigungsvertrag, Anlage 11, Kap. VIII F, III bis zum 31. 12. 1991.

11. Der Erlaß von Landesgesetzen in den neuen Bundesländern Die Frage war, ob es gelang, bis zu diesem Datum in den neuen Bundesländern entsprechend den in den alten Bundesländern geltenden Gesetzen Landesblindengeldgesetze zu schaffen und dadurch das in der Bundesrepublik entwickelte System der Blindengeldleistungen (Blindenhilfe nach § 67 BSHG bzw. vorrangig Leistungen nach den Landesblindengeldgesetzen) auf das Beitrittsgebiet zu erstrecken. 1. Die Bemühungen der Blindenselbsthilfeorganisationen

In den neuen Bundesländern waren zwischenzeitlich Landesorganisationen für Blinde und Sehbehinderte entstanden. Diese traten 1990 dem Deutschen Blindenverband bei. Die Landesblindenorganisationen traten an ihre Landesparlamente und Landesregierungen mit dem Verlangen nach Landesblindengeldgesetzen heran. Diese Bemühungen wurden vom Deutschen Blindenverband durch eine Resolution unterstützt. Diese war vom außerordentlichen Verbandstag, der am 15. und 16. 11. 1991 in Schwerin stattfand, verabschiedet worden214 . Waren in den neuen Bundesländern keine Landesgesetze ergangen, hätten Blinde allein den an Vermögens- und Einkommensgrenzen gebundenen Anspruch auf Blindenhilfe nach § 67 BSHG in der durch den Einigungsvertrag geltenden Fassung gehabt. Das hätte eine wesentliche Rechtsungleichheit zwischen den neuen und den alten Bundesländern zur Folge gehabt. Die Bemühungen der Landesblindenorganisationen im Beitrittsgebiet und des Deutschen Blindenverbandes hatten Erfolg: 214

"Blindenselbsthilfe", Heft I, 1992.

158

1. Teil: Entwicklung der Blindengeldregelungen für Zivilblinde in Deutschland

2. Mecklenburg- Vorpommem

Am 31. 01. 1992 verabschiedete das Land Mecklenburg-Vorpommern als erstes der neuen Bundesländer ein Landesblindengeldgesetz (GBL S. 62). Das Gesetz trat am 01. 01. 1992 in Kraft. Dieses Gesetz war wesentlich dem Blindengeldgesetz von Schleswig-Holstein nachgebildet, allerdings fehlte die Präambel. Die Höhe des Blindengeldes richtete sich nach § 67 Abs. 2 BSHG (§ 1 Abs. 2 des Gesetzes), wobei die Maßgaben für das Gebiet der ehemaligen DDR nach Anlage I, Kap. X, Sachgebiet H, Abschnitt III, Nr. 3 des Einigungsvertrages vom 31. 08. 1990 (BGBL 11, S. 885, 941) zu berücksichtigen waren. Das bedeutete, daB sich die Blindenhilfe für über 18jährige auf 600,00 DM monatlich, für unter 18jährige auf 300,00 DM monatlich belief. Der Betrag nach § 67 BSHG für die alten Bundesländer war 928,00 DM. Über das Gesetz von Schleswig-Holstein ging das Blindengeldgesetz für Mecklenburg-Vorpommern auch insoweit hinaus, als nach § 1 Abs. 4 hochgradig Sehbehinderte ein Blindengeld in Höhe von 25 v. H. des sich nach Abs. 2 ergebenden Betrages (= 150,00 DM monatlich für über 18jährige bzw. 75,00 DM für unter 18jährige) bekamen. Als hochgradig Sehbehinderte im Sinne dieses Gesetzes galten Personen, 1. deren Sehschärfe auf dem besseren Auge nicht mehr als

1/20

betrug oder

2. bei denen durch Nr. 1 nicht erlaBte, nicht nur vorübergehende Störungen des Sehvermögens von einem solchen Schweregrad vorlagen, daß sie der Beeinträchtigung der Sehschärfe nach Nr. 1 gleichzuachten war. Die Beibehaltung einer Leistung für hochgradig Sehbehinderte war insofern konsequent, als diese auch nach früherem DDR-Recht einen Anspruch hatten.

3. Sachsen

Am 11. 02. 1992 folgte das Landesblindengeldgesetz von Sachsen (GVBl. S.53). Auch dieses Gesetz trat am 01. 01. 1992 in Kraft. In § 2 Abs. 1 wurde die Höhe auf 600,00 DM monatlich für Blinde, die das 14. Lebensjahr vollendet hatten, und in Höhe von 75% dieses Betrages für Blinde, die das erste, aber noch nicht das 14. Lebensjahr vollendet hatten, festgesetzt. Der Betrag von 600,00 DM entsprach dem Betrag der Blindenhilfe nach § 67 BSHG nach Maßgabe des Einigungsvertrages. Eine Anpassung war allerdings nicht vorgesehen. Der Betrag ist zwischenzeitlich durch Gesetzesänderung vom 11. 12. 1995 mit Wirkung ab 01. 01. 1996 auf 650,00 DM bzw. 487,50 DM erhöht worden (erstes Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Gewährung eines Landesblindengeldes vom 11. 12. 1995, GVBl. S.385).

Kap. 2: Die Entwicklung seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges

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Wie beim bayerischen Blindenpflegegeldgesetz regelte § 5 die Zuständigkeit der Versorgungsverwaltung und § 6 die Zuständigkeit der Sozialgerichte für Rechtsstreitigkeiten. § 4 Abs. 4 billigte hochgradig Sehbehinderten, die bis zum Inkrafttreten dieses Gesetzes, also bis zum 0 I. 0 I. 1992, Blindengeld nach der Rentenverordnung der DDR bezogen haben, ein Blindengeld in Höhe von 30,00 DM monatlich bis längstens zum 31. 12. 1996 zu.

Aufgrund der Gesetzesänderung vom 11. 12. 1995 erhalten hochgradig Sehbehinderte in Sachsen nunmehr unbefristet monatlich 100,00 DM, vor Vollendung des 14. Lebensjahres 75% aus diesem Betrag. 4. Brandenburg Das Land Brandenburg erließ mit Datum vom 08. 05. 1992 das Gesetz über die Leistung von Pflegegeld an Schwerbehinderte (GVBl. I, S. 168). Dieses Gesetz war dem Pflegegeldgesetz von Rheinland-Pfalz vom 31. 10. 1974 (GVBI. S. 466) im wesentlichen nachgebildet. Leistungsberechtigt wurden dort neben Blinden auch andere Schwerstbehinderte (§ 1 Abs. 1). Die Definition findet sich in § 2 Abs. 1 des Gesetzes. Diese Definition entsprach ebenfalls der von Rheinland-Pfalz. Hochgradig Sehbehinderte wurden nicht berücksichtigt. Wie in Rheinland-Pfalz hatten Heimbewohner, gleich, ob sie Selbstzahler waren oder nicht, keinen Anspruch (§ 4 Abs. 1). Für die Höhe verwies § 3 auf das Pflegegeld gemäß § 69 Abs. 4 S. 2 des Bundessozialhilfegesetzes in der im Land Brandenburg geltenden Höhe. Das bedeutete ein Pflegegeld von 600,00 DM nach Vollendung des 18. Lebensjahres und von 300,00 DM vor Vollendung des 18. Lebensjahres. Die Leistung war, anders als in Rheinland-Pfalz, damit dynamisiert. Das Gesetz trat am 01. 01. 1992 in Kraft. 5. Sachsen-Anhalt Das Gesetz über das Blindengeld im Lande Sachsen-Anhalt trägt das Datum vom 19.06. 1992 (GVBl. S. 565). Das Blindengeld für Blinde im Sinne dieses Gesetzes (es gilt der gleiche Blindheitsbegriff wie im BSHG) belief sich nach § 1 Abs. 2 auf die gleiche Höhe wie die Blindenhilfe nach § 67 Abs. 2 und 6 des Bundessozialhilfegesetzes mit den gemäß Anlage I, Kap. X, Sachgebiet H, Abschnitt III, Nr. 3, Buchstabe h) zum Einigungsvertrag vom 31. 08. 1990 (BGBL 11, S. 889) für das Land SachsenAnhalt geltenden Sätzen.

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1. Teil: Entwicklung der Blindengeldregelungen für Zivilblinde in Deutschland

Das Blindengeld betrug damit für über 18jährige 600,00 DM, für unter 18jährige 300,00 DM. Hochgradig Sehbehinderte mit einem Sehvermögen von weniger als 1 /25 waren ebenfalls anspruchsberechtigt (§ 1 Abs. 2 Nr. 3 des Gesetzes). Sie erhielten ein Pflegegeld in Höhe von 30,00 DM monatlich. Das Gesetz trat am 01. 01. 1992 in Kraft (§ 7 Abs. 1 des Gesetzes). 6. Thüringen

Als letztes in den neuen Bundesländern erging das thüringische Gesetz über das Blindengeld vom 21. 07. 1992 (GVBI. S. 355). Dieses Gesetz orientierte sich an § 67 BSHG. Sowohl hinsichtlich des Personenkreises (§ 1 des Gesetzes) als auch hinsichtlich der Höhe (§ 2 Abs. 1 des Gesetzes) erfolgte die Bezugnahme auf § 67 BSHG. Maßgebend für die Höhe war Anlage I, Kap. X, Sachgebiet H, Abschnitt III, Nr. 3, Buchstabe h) zum Einigungsvertrag. Eine Besonderheit war, daß abweichend von § 67 BSHG Blinde, die das 14. Lebensjahr, aber noch nicht das 18. Lebensjahr vollendet hatten, 75 v. H. des für Volljährige maßgebenden Betrages erhielten (§ 2 Abs. 1 S. 2 des Gesetzes). Die Sätze waren also 600,00 DM für über 18jährige, 450,00 DM für über 14jährige und 300,00 DM für unter 14jährige. Auch dieses Gesetz trat mit Wirkung vom 01. 01. 1992 in Kraft (§ 10). 7. Berlin

In Berlin ergab sich die Geltung des "Gesetzes über Pflegeleistungen (PflegeG), wie das Berliner Gesetz seit 01. 07.1986 genannt wurde, im ehemaligen Ostsektor aufgrund des Gesetzes über die Vereinheitlichung des Berliner Landesrechts vom 28./29.09. 1990 (GVBI. S. 2119). Nach Nr. 11 Abschnitt V der Anlage 2 zu diesem Gesetz belief sich das Pflegegeld ab 01. 01. 1991 auf rund 59 % und ab 01. 11. 1992 auf 80% des in den Westbezirken gewährten Pflegegeldes. Ab 01. 04. 1995 erfolgte durch Gesetz vom 22. 12. 1994 (GVBI. S. 520) die Angleichung des Pflegegeldes für ganz Berlin. IH. Bewertung

Damit gab es in allen Bundesländern, sowohl in den alten als auch in den neuen, Blindengeld- bzw. Pflegegeldgesetze, die eine vom Einkommen und Vermögen unabhängige Leistung zubilligten. Auffangtatbestand blieb die Blindenhilfe nach § 67 BSHG. Das sahen die Blindenselbsthilfeorganisationen zu Recht als einen großen sozialpolitischen Erfolg und Fortschritt an215 .

Kap. 2: Die Entwicklung seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges

161

Da, ebenso wie in Rheinland-Pfalz und Bremen, auch in Sachsen eine Anpassung nicht vorgesehen war, kam es in der Folgezeit allerdings zu einer weiteren Auseinanderentwicklung in verschiedenen Ländern. So betrug der Betrag nach § 67 BSHG in der für die neuen Bundesländer geltenden Fassung 1991 noch 600,00 DM; er wurde jeweils zum 01.07. eines jeden Jahres durch Rechtsverordnung neu festgesetzt. Am 01. 07. 1992 belief er sich auf 696,00 DM für Blinde über 18 Jahre und 348,00 DM für Blinde unter 18 Jahre.

H. Die Auswirkung der Einführung einer sozialen Pflegeversicherung durch das SGB XI I. Leistungen bei Pflegebedürftigkeit vor Erlaß des SGB XI

1. Pflegebedürftigkeit

Krankheit oder Behinderungen können zur Folge haben, daß der Betroffene nicht mehr in der Lage ist, die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens ohne fremde Hilfe auszuführen, daß er also der Pflege bedarf. Es handelt sich dabei um die für die Existenz erforderlichen personenbezogenen Hilfen in den Bereichen der Körperpflege, der Ernährung, der Mobilität und der hauswirtschaftlichen Versorgung. 2. Rechtsgrundlagen im Sozialversicherungsrecht und im sozialen Entschädigungsrecht

Einen Rechtsanspruch auf Hilfe für diesen Pflegebedarf hatten nur Personen, die im Rahmen der gesetzlichen Unfallversicherung nach § 558 RVO (Opfer von Arbeitsunfällen) oder der sozialen Entschädigung nach § 35 BVG (Kriegsopfer) sowie aufgrund von Gesetzen, die das BVG für entsprechend anwendbar erklären, bzw. nach anderen speziellen Rechtsvorschriften des Bundes und der Länder leistungsberechtigt waren. 3. Rechtsgrundlagen im Fürsorgerecht

Im übrigen stellte sich die Rechtslage folgendermaßen dar: a) Vor der Neuregelung durch das BSHG Vor der Neugestaltung des Fürsorgerechts durch das Bundessozialhilfegesetz konnte der für die Pflege erforderliche Hilfebedarf nur im Rahmen der Hilfe zum 215

Drerup: "Blindenselbsthilfe", Heft 9,1992, S. 2.

11 Demmel

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1. Teil: Entwicklung der Blindengeldregelungen für Zivilblinde in Deutschland

Lebensunterhalt nach § 6 Buchstabe a) RGR vom 04. 12. 1924 (RGBl. S. 765) berücksichtigt werden. Art und Maß richteten sich nach den §§ 10 und 11 RGR. Die Hilfe konnte in Geld, Sachleistung oder persönlicher Hilfe bestehen und in offener oder geschlossener Pflege (häusliche bzw. stationäre Pflege) gewährt werden (§ 11 RGR). b) Im Rahmen des BSHG Durch das BSHG vom 30. 06. 1961 (BGBl. I, S. 815) erfolgte im Abschnitt 3 (Hilfe in besonderen Lebenslagen), Unterabschnitt 10 (Hilfe zur Pflege) die Ausgestaltung der Wartung und Pflege hilfloser Menschen zu einer selbständigen Hilfeart. Nach § 68 Abs. 1 BSHG erhielten Personen, die infolge von Krankheit oder Behinderung so hilflos sind, daß sie nicht ohne Wartung und Pflege bleiben können, einen Rechtsanspruch auf Hilfe zur Pflege. § 69 brachte gegenüber der allgemeinen Inhaltsbestimmung in § 68 Sonderregelungen für Pflegebedürftige, bei denen häusliche Pflege ausreichte. Nach § 69 Abs. 3 S. 1 erhielten Pflegebedürftige, die das erste Lebensjahr vollendet hatten und so hilflos waren, daß sie für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens in erheblichem Umfang der Wartung und Pflege dauernd bedurften, einen Anspruch auf ein Pflegegeld. Nach § 69 Abs. 4 BSHG betrug das Pflegegeld 200,00 DM monatlich. Es war angemessen zu erhöhen, wenn der Zustand des Pflegebedürftigen außergewöhnliche Pflege erforderte. Den in § 24 Abs. 2 genannten Personen war Pflegegeld in Höhe des Mindestbetrages der Pflegezulage für Blinde nach dem Bundesversorgungsgesetz zu gewähren. Das bedeutete, daß für diesen Personenkreis das Pflegegeld die gleiche Höhe hatte wie die Blindenhilfe nach § 67 BSHG. § 24 Abs. 2 BSHG bezog sich auf Behinderte, deren Behinderung so schwer war, daß sie als Beschädigte die Pflegezulage nach den Stufen III, IV oder V nach § 35 Abs. I S. 2 des BVG erhalten hätten. Nach der Verordnung zur Durchführung des § 24 Abs. 2 S. 1 BSHG vom 28. 06. 1974 (BGBl. I, S. 1365) zählten zu diesem Personenkreis: ,,1. Personen mit Verlust beider Beine im Oberschenkel, bei denen eine protheti-

sche Versorgung nicht möglich ist oder die eine weitere wesentliche Behinderung haben,

2. Ohnhänder, 3. Personen mit Verlust dreier Gliedmaßen, 4. Personen mit Lähmungen oder sonstigen Bewegungsbehinderungen, wenn diese Behinderungen denjenigen der in den Nummern 1- 3 genannten Personen gleichkommen, 5. Hirnbeschädigte mit schweren körperlichen und schweren geistigen oder seelischen Störungen und Gebrauchsbehinderung mehrerer Gliedmaßen,

Kap. 2: Die Entwicklung seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges

163

6. Personen mit schweren geistigen oder seelischen Behinderungen, die wegen dauernder und außergewöhnlicher motorischer Unruhe ständiger Aufsicht bedürfen, 7. andere Personen, deren dauerndes Krankenlager erfordernder Leidenszustand oder deren Pflegebedürftigkeit so außergewöhnlich ist, daß ihre Behinderung der Behinderung der in den Nummern I - 5 genannten Personen vergleichbar ist."

4. Die Berücksichtigung von Blindheit im Rahmen der Hilfe zur Pflege nach dem BSHG

Es stellte sich die Frage, inwieweit Blinde Hilfe zur Pflege nach den §§ 68 und 69 BSHG beanspruchen konnten, insbesondere, inwieweit das Pflegegeld nach § 69 Absätze 3 und 4 neben der Blindenhilfe nach § 67 BSHG bzw. einem Blindengeld nach einem Landesblindengeldgesetz zu gewähren war. a) Leistungsanspruch Für den Fall, daß die Pflegebedürftigkeit auf der Blindheit beruht, schließt § 67 Abs. 5 BSHG Hilfe zur Pflege wegen der Blindheit außerhalb von Anstalten, Heimen und gleichartigen Einrichtungen ausdrücklich aus. Das gilt auch für Blinde, die nicht Blindenhilfe, sondern gleichartige Leistungen nach anderen Rechtsvorschriften, wie z. B. den Landesblindengeldgesetzen, erhalten (§ 67 Abs. 5 S. 3 BSHG). Dagegen wird einem Blinden neben der Blindenhilfe Hilfe zur Pflege nach §§ 68 und 69 einschließlich des Pflegegeldes nach § 69 Abs. 3 BSHG stets gewährt, wenn die Pflegebedürftigkeit auf einer Krankheit oder auf einer anderen Behinderung als der Blindheit allein oder in Verbindung mit der Blindheit beruht. Dabei ist es durchaus möglich, daß die andere Ursache nur wegen der Gleichzeitigkeit der Blindheit, die Pflegebedürftigkeit zur Folge hat, z. B. bei Taubblinden 216 . b) Anrechnungsregelung für das Blindengeld Wegen der teilweisen Überschneidung des Hilfebedarfes wurde in § 69 Abs. 3 S. 4 BSHG eine spezielle Anrechnungsbestimmung aufgenommen. Danach waren auf das Pflegegeld des § 69 Leistungen nach § 67 BSHG (Blindenhilfe) oder gleichartige Leistungen nach anderen Rechtsvorschriften (Leistungen nach dem Landesblindengeldgesetz) vom 01.07. - 31. 12. 1983 mit 25 v. H., im Jahre 1984 216 Gottschick-Giese, 9. Auflage, Anmerkung 10.3 zu § 67 BSHG und Urteil des OVG Lüneburg vom 09. 03.1966 IV A 168/64 = FEVS, Bd. 14, S. 307. 11*

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1. Teil: Entwicklung der Blindengeldregelungen für Zivilblinde in Deutschland

mit 50 v. H. und vom 01. 01. 1985 an mit 70 v. H. anzurechnen (vgl. § 69 Abs. 3 S. 4 BSHG in der Fassung der Bekanntmachung der Neufassung des BSHG vom 24. 05. 1983, BGBI. I, S. 613). Diese Anrechnungsrege1ung gilt nunmehr nach § 69c BSHG.

11. Bestrebungen zur Absicherung des Pflegefallrisikos Seit langem waren in der Bundesrepublik Deutschland Bestrebungen im Gang, das Lebensrisiko der Pflegebedürftigkeit sozialrechtlich abzusichern. So forderte der Deutsche Gewerkschaftsbund im Zusammenhang mit der Rentenreform von 1957 die Einführung eines Pflegegeldes für pflegebedürftige Sozialrentner. Die Bundestagsfraktion der SPD griff diese Forderung in ihrem Gesetzentwurf zur Rentenreform vom April 1956 auf (§ 42 des SPD-Entwurfes)217. Dieser Vorschlag fand jedoch keinen Eingang in das Rentenversicherungsneuregelungsgesetz vom 23. 02. 1957 (BGBI. I, S. 45/88).

111. Leistungen bei Schwerpflegebedürftigkeit nach dem SGB V als erster Schritt Ein Einstieg in die Berücksichtigung der Pflegebedürftigkeit ohne Rücksicht auf die Ursache im Rahmen der Sozialversicherung erfolgte durch das Gesundheitsreformgesetz vom 20. 12. 1988 (BGBI. I, S. 2477). In das SGB V wurde der sechste Abschnitt (Leistungen bei Schwerpflegebedürftigkeit) mit den §§ 53 - 57 aufgenommen.

1. Der Leistungsumfang

Ab 01. 01. 1989 konnte für längstens vier Wochen im Jahr die Pflege einer pflegebedürftigen Person durch die Krankenkasse bezuschußt werden, wenn die Pflegeperson wegen eines Urlaubs oder aus anderen Gründen an der Pflege verhindert war und sie die Pflege mindestens 12 Monate ausgeführt hatte. Die Aufwendungen der Krankenkasse durften 1.800,00 DM nicht übersteigen (§ 56 SGB V). Ab 01. 01. 1991 hatten Schwerpflegebedürftige Anspruch auf Pflege1eistungen nach §§ 55 und 57 SGB V (§ 55 Abs. 2 bzw. § 57 Abs. 4 SGB V). Sofern die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nach § 54 erfüllt waren, bestand nach § 55 Abs. I S. 3 Anspruch auf bis zu 25 Pflegeeinsätze von bis zu einer Stunde Dauer im Kalendermonat. Es handelte sich um eine Sachleistung. Die Aufwendungen der 217 Dazu, insbesondere zur Diskussion über das Blindenpflegegeld in diesem Zusammenhang, vgl. oben, E. I. 2. b) .

Kap. 2: Die Entwicklung seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges

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Krankenkasse für diese Pflegeeinsätze durften 750,00 DM im Monat nicht übersteigen (§ 55 Abs. 1 S. 5). Nach § 57 Abs. 1 SGB V konnte die Krankenkasse auf Antrag des schwerpflegebedürftigen Versicherten anstelle der häuslichen Pflegehilfe ein Pflegegeld von 400,00 DM je Kalendermonat zahlen, wenn die Schwerpflegebedürftigen die Pflege durch eine Pflegeperson in geeigneter Weise und in ausreichendem Umfang selbst sicherstellen konnten. 2. Die Beurteilung der Pflegebedürftigkeit bei blinden Menschen

Die Frage war, ob Blinde, die die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nach § 54 SGB Verfüllten, Leistungen nach den §§ 55 - 57 SGB Verhalten konnten, und ob diese Leistungen auf das Blindengeld nach einem Landesblindengeldgesetz oder auf die Blindenhilfe nach § 67 BSHG angerechnet werden konnte. § 53 SGB V stellte für die Schwerpflegebedürftigkeit folgende Legaldefinition auf: Schwerpflegebedürftig sind Versicherte, die wegen einer Krankheit oder Behinderung so hilflos sind, daß sie für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens auf Dauer in sehr hohem Maße der Hilfe bedürfen (§ 53 Abs. I SGB V). Das Vorliegen dieser Voraussetzungen mußte ärztlich festgestellt sein. Blindheit ist eine Behinderung. Hilfsbedürftigkeit ist gegeben, wenn die Notwendigkeit besteht, eine Hilfsperson in Anspruch zu nehmen 218 . Blinde sind häufig auf Hilfspersonen angewiesen, z. B. zum Begleiten zumindest auf unbekannten Wegen, zum Vorlesen und im Rahmen der hauswirtschaftlichen Versorgung. Die Hilflosigkeit, also das Angewiesensein auf die Handlung durch Hilfspersonen oder auf die Unterstützung durch Hilfspersonen, muß bei den gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens gegeben sein. Unter den gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens werden die "lebenserhaltenden Verrichtungen ... oder die zur Erhaltung des Lebens gebotenen oder zur Aufrechterhaltung der menschlichen Würde unerläßlichen Verhaltensweisen" verstanden 219 . Um eine einheitliche Beurteilung zu gewährleisten, haben die Spitzenverbände der gesetzlichen Krankenkassen am 09. 08. 1989 Richtlinien über die Schwerpflegebedürftigkeit erlassen und im BarbBl. 10 /89, S. 43 veröffentlicht. Diese Richtlinien sind innerdienstliche Weisungen und keine Rechtsnormen. Sie haben bindende Wirkung lediglich für die einzelnen Krankenkassen. Unter Ziff. 4.1 dieser Richtlinien findet sich folgender Katalog:

Peters: "Handbuch der Krankenversicherung", 19. Auflage, RdNr. 28 zu § 53 SGB V. Peters: "Handbuch", Anmerkung 5 zu § 53; OVG Berlin vom 12. 12. 1974; MerklerZink: BSHG RdNr. 18 zu § 68 BSHG. 218 219

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1. Teil: Entwicklung der Blindengeldregelungen für Zivilblinde in Deutschland

"Zu diesen Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens gehören: - im Bereich der Mobilität und der Motorik insbesondere das selbständige Aufstehen und Zubettgehen, Umlagern, Gehen, Stehen oder Treppensteigen, - im Hygienebereich insbesondere das selbständige Waschen, Duschen oder Baden, Zähneputzen, Kämmen, An- und Auskleiden sowie die selbständige Benutzung der Toilette sowie das selbständige Reinigen der Wohnung, - im Bereich der Ernährung insbesondere die selbständige Nahrungszubereitung und -aufnahme, - die Kommunikation, insbesondere das Sprechen, das Sehen und das Hören." Blinde sind also bei mindestens einer der "Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens", nämlich dem "Sehen", hilfebedürftig. Erkennbar ist, daß die Verrichtungen der Befriedigung elementarer Grundbedürfnisse dienen müssen. Das läßt sich aus der Formulierung "im Ablauf des täglichen Lebens" und "gewöhnlich und regelmäßig wiederkehrend" in § 53 Abs. I SGB V herleiten. Die Hilflosigkeit muß auf Dauer bestehen. Es darf also nicht nur ein vorübergehender Zustand sein. Dieses Merkmal ist bei Blindheit in aller Regel erfüllt. Die Hilfsbedürftigkeit muß ferner in sehr hohem Maße bestehen. Dafür reicht es nicht, wenn die Hilfe nur bei einer einzelnen Verrichtung oder bei nur wenigen Verrichtungen benötigt wird, "wie z. B. beim Frisieren, Baden und Waschen, Aufstehen und Zubettgehen,mo. "Im allgemeinen muß der Betroffene in allen Bereichen regelmäßig der intensiven Hilfe bedürfen221 ." Daß Hilfebedarf bei blinden Menschen auf Dauer und in sehr hohem Maße besteht, läßt sich nicht bestreiten; jedoch wird die Hilflosigkeit für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens, die der Befriedigung elementarer Bedürfnisse und der Existenzsicherung dienen, nur bei plötzlicher Erblindung oder Erblindung in einem sehr kurzen Zeitraum gegeben sein. Sie wird auch nur solange bestehen, als der Blinde nicht durch Training in lebenspraktischen Fertigkeiten gelernt hat, diese ohne optische Kontrolle auszuüben. "Der Hilfebedarf ist ... bei einem Blinden nicht statisch. Der Verlust der Selbständigkeit kann in vielen Bereichen durch Training der Restsinne, durch Erlernen bestimmter Fertigkeiten und / oder durch die Benutzung von Hilfsmitteln ganz oder teilweise rückgängig gemacht werden 222 ." Leistungen wegen Schwerpflegebedürftigkeit wurden nach § 55 Abs. I SGB V für die im Einzelfall notwendige Grundpflege und haus wirtschaftliche Versorgung Peters: RdNr. 37 zu § 53 SGB V. Peters, a. a. 0.; vgl. auch Schwerpflegebedürftigkeitsrichtlinien Nr. 5.2. 222 Drerup in einem unveröffentlichten Gutachten zur "Blindheit und Schwerpflegebedürftigkeit" vom April 1993. 220

221

Kap. 2: Die Entwicklung seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges

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im häuslichen Bereich gewährt. Die Pflege und Versorgung Schwerpflegebedürftiger in ihrem Haushalt oder dem ihrer Familie sollte ergänzt werden mit dem Ziel, daß Pflegebedürftige dort möglichst verbleiben konnten und stationäre Pflege vermieden wurde (§ 55 Abs. I SGB V). § 55 Abs. I SGB V brachte für die Leistungen eine Einengung auf die unmittelbare häusliche Umgebung. Die Grundpflege bezog sich auf den Körper des zu Pflegenden.

Selbst wenn ein Blinder, um ein aktives Leben in der Gemeinschaft zu führen, in vielen Bereichen der Hilfe eines Sehenden bedarf, ist dieser Hilfebedarf nicht "auf den engen Radius des eigenen Körpers und der unmittelbaren Umgebung, sondern ... weit verstreut auf eine Vielfalt von Lebensbereichen" gegeben 223 • Durch entsprechende Rehabilitationsmaßnahmen wird der Hilfebedarf sogar im engen häuslichen Raum weitgehend abgebaut werden können, während er im außerhäuslichen Bereich in hohem Maße bestehenbleibt. Als Ergebnis bleibt festzuhalten: Blindheit führte nicht automatisch zur Schwerpflegebedürftigkeit nach § 53 Abs. I SGB V. Ohne entsprechende Rehabilitationsmaßnahmen konnte sie vorliegen. Durch Rehabilitation konnte sie vermieden oder beseitigt werden. Wenn im Einzelfall Rehabilitationsmaßnahmen nicht möglich waren, und insbesondere wenn zusätzliche Gebrechen zur Blindheit kamen, so daß Hilfebedarf bei den lebenserhaltenden Verrichtungen und bei der hauswirtschaftlichen Versorgung im hohen Maße entstand, war Schwerpflegebedürftigkeit nach § 53 Abs. I SGB V zu bejahen. Beim Zusammentreffen mit anderen Gebrechen konnte Blindheit sehr rasch zur Schwerpflegebedürftigkeit führen. 3. Anrechenbarkeit der Pflege leistungen nach dem SGB V auf das Bündengeld

Wenn im Einzelfall Schwerpflegebedürftigkeit nach § 53 Abs. I SGB V vorlag, erhob sich die Frage, ob Leistungen nach § 55 (Pflegeeinsätze - = Sachleistung) oder ein Pflegegeld nach § 57 SGB V (Pflege geld) auf das Blindengeld nach einem Landesgesetz oder auf die Blindenhilfe nach § 67 BSHG angerechnet werden konnten. Eine umgekehrte Anrechnung von Blindengeld auf die Leistungen nach § 55 oder § 57 SGB V kam nicht in Frage, weil es sich bei diesen Leistungen um einen sozialversicherungsrechtlichen Anspruch handelte. Anders als im Verhältnis zwischen Blindenhilfe nach § 67 BSHG und Hilfe zur Pflege nach den §§ 68/69 BSHG, die dem gleichen Rechtssystem (Sozialhilfe) angehören, handelte es sich hier um eine Konkurrenzlage verschiedener Rechtssysteme (steuerfinanzierte Sozialhilfe bzw. beitragsfinanzierte Sozialversicherung). Die Lage war ähnlich wie die von Pflegebedürftigen, die nach § 69 BSHG Pflegegeld im Rahmen der Hilfe zur Pflege erhielten. Nach § 69 Abs. 3 BSHG in der 223

Drerup: Gutachten S. 8.

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1. Teil: Entwicklung der Blindengeldregelungen für Zivilblinde in Deutschland

bis zur Änderung durch Art. 18 des Pflegeversicherungsgesetzes geltenden Fassung erhielten Pflegebedürftige nach Vollendung des ersten Lebensjahres ein Pflegegeld, wenn sie so hilflos waren, daß sie für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens in erheblichem Umfange der Wartung und Pflege dauernd bedurften. Der Personenkreis ist ähnlich beschrieben wie in § 53 Abs. 1 SGB V. Dort wird anstelle des "erheblichen Umfangs" ein "sehr hohes Maß" der Hilfebedürftigkeit verlangt. § 69 Abs. 3 S. 3 enthielt eine Anrechnungsbestimmung. Pflegegeld wurde danach insoweit nicht gewährt, als der "Pflegebedürftige gleichartige Leistungen nach anderen Rechtsvorschriften erhielt". Für die Frage der Gleichartigkeit war von Bedeutung, daß sich die Leistungen nach den §§ 55 ff. SGB V sowohl auf die Grundpflege wie auch auf die haus wirtschaftliche Versorgung bezogen (§ 55 Abs. 1 S. 3 SGB V). § 69 BSHG bezog sich demgegenüber nur auf die Grundpflege allein. Die personenbezogenen Verrichtungen zählten zu den gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens, nicht dagegen die hauswirtschaftliche Versorgung 224 .

Der Deutsche Verein für öffentliche und private Fürsorge hat am 07. 12. 1990 eine Empfehlung abgegeben, wonach bei der Inanspruchnahme des Pflegegeldes nach § 57 SGB V der Sozialhilfeträger das Pflegegeld nach § 69 Abs. 4 BSHG höchstens um 200,00 DM kürzen könne, weil das Pflegegeld nach BSHG mit dem Pflegege1d nach SGB V nicht vollständig gleichartig sei. Wenn die Sachleistung nach § 55 SGB V in Anspruch genommen wurde (25 Pflegeeinsätze im Wert bis zu 750,00 DM), konnte das Pflegegeld nach § 69 Abs. 4 BSHG aufgrund von § 69 Abs. 5 S. 2 in Verbindung mit § 69 Abs. 2 BSHG höchstens um 50% gekürzt werden. Bei der Anrechnung handelte es sich um eine Ermessensentscheidung. Eine entsprechende Kürzung der Blindenhilfe nach § 67 BSHG in Fällen, in welchen Blinde wegen zusätzlicher Gebrechen Pflegegeld nach § 67 BSHG erhielten, war gerechtfertigt, weil zwischen dem Hilfebedarf für Blinde und dem Pflegebedarf teilweise Deckungsgleichheit angenommen werden mußte. Das gilt z. B. für die haus wirtschaftliche Versorgung. § 67 Abs. 1 BSHG ließ eine Anrechnung allerdings nur zu, wenn es sich um gleichartige Leistungen nach anderen Rechtsvorschriften handelte. Das konnte nur für die Geldleistung nach § 57 SGB V, nicht aber für die Sachleistung nach § 55 SGB V bejaht werden. Für die Geldleistung allerdings auch nur, soweit Deckungsgleichheit bestand. Das Verhältnis zwischen 224 Gottschick-Giese: "Kommentar zum BSHG", 9. Auflage, Anmerkung 6b zu § 69; das OVG Berlin vertritt im Urteil vom 08.03. 1979 im FEVS, Bd. 29,19,25 die Auffassung, daß notwendige Hilfe bei häuslichen Verrichtungen allein die Hilflosigkeit im Sinn des § 69 Abs. 3 zwar nicht begriinden könne, daß diese Verrichtungen jedoch, soweit sie unmittelbar der Person des Pflegebedürftigen dienen, Teil der Pflege seien, die nach den §§ 68, 69 BSHG gewährleistet werden soll. Diese Auffassung verkennt, daß die haus wirtschaftliche Versorgung zum Bereich des allgemeinen Lebensunterhalts gehört und ggf. Hilfe zum Lebensunterhalt nach § 11 Abs. 1 oder Abs. 3 BSHG zu gewähren ist, so das Urteil des BVWG vom 14.07. 1977 - V C 23.76 in FEVS, Bd. 26, S. 1.

Kap. 2: Die Entwicklung seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges

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rein blindheitsbedingtem Hilfebedarf und dem durch die Pflegebedürftigkeit gegebenen Hilfebedarf mußte im Einzelfall geklärt werden. Die Landesblindengeldgesetze enthalten in der Regel ebenfalls Anrechnungsvorschriften für gleichartige Leistungen. So lautete z. B. Art. 3 Abs. 2 des bayerischen Zivilblindenpflegegeldgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 25.01. 1989 (GVBI. S. 21): "Gleichartige Leistungen, die dem Blinden zum Ausgleich der durch die Blindheit bedingten Mehraufwendungen nach anderen Rechtsvorschriften zustehen, werden auf das Pflegegeld angerechnet." Gleichartige Leistungen konnten nur Geldleistungen wie das Pflegegeld nach § 57 SGB V sein. Die Sachleistung nach § 55 SGB V konnte nicht angerechnet werden. Zwei Gruppen waren bei der Anrechnung zu unterscheiden: 1. Personen, die unabhängig von der Blindheit schwerpflegebedürftig waren, und

2. Personen, die nur unter Berücksichtigung der Blindheit und anderer Behinderungen zu den Schwerpflegebedürftigen zählten. Zu 1. Soweit die Schwerpflegebedürftigkeit im Sinn von § 53 SGB V ohne Rücksicht auf die Blindheit gegeben war, was z. B. bei einem querschnittsgelähmten Blinden der Fall sein konnte, fehlte es an der gleichen Zweckbestimmung. Eine Anrechnung kam nicht in Frage 225 . Zu 2. In vielen Fällen war die Blindheit mitursächlich für die Bejahung der Pflegebedürftigkeit nach § 53 SGB V. Das heißt, nur aufgrund der Erkrankungen oder Behinderungen ohne Rücksicht auf die Blindheit hätte die Schwerpflegebedürftigkeit nicht bejaht werden können. In diesen Fällen erhob sich die Frage, in welchem Umfang eine Kürzung des Blindenpflegegeldes möglich war. Eine volle Anrechnung kam nicht in Frage. An sich wäre eine Einzelprüfung notwendig gewesen. Weil die Schwere der Pflegebedürftigkeit gerade aus der "Wechselwirkung zwischen Blindheit und sonstigen Gebrechen" resultiert, aber ein "Auseinanderdividieren des Pflegeaufwandes nach Blindheit und sonstigen Gebrechen ... nicht möglich ist", erfolgte eine Anrechnung auf das Blindengeld nach dem bayerischen Blindenpflegegeldgesetz in Höhe von 200,00 DM als "pauschaler Anrechnungsbetrag,,226. Der VGH Baden-Württemberg hat mit Urteil vom 20. 02. 1998, Az. 6 S 1090/ 96 (FEVS, Bd. 48, S. 516) entschieden, daß die Geldleistung nach § 57 SGB V in der vor Inkrafttreten des Pflegeversicherungsgesetzes vom 26. 05. 1994 gültigen Fassung auf die nach dem baden-württembergischen Gesetz über die Landesblin225 So auch Nr. 9.1.5.1 der Materiellen Arbeitsanweisung des für die Durchführung des Zivilblindenpflegegeldgesetzes in Bayern zuständigen Landesamtes für Versorgung und Familienförderung zum bayerischen Blindengeldgesetz. 226 Nr. 9.1.5.2 der Materiellen Arbeitsanweisung des Bayerischen Landesamtes für Versorgung und Familienförderung.

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1. Teil: Entwicklung der Blindengeldregelungen für Zivilblinde in Deutschland

denhilfe vom 08. 02. 1972 (GBl. S. 56) gewährte Landesblindenhilfe "jedenfalls zur Hälfte" anzurechnen ist. Er hat diese Entscheidung mit der teilweisen gleichen Zweckbestimmung beider Leistungen begründet. In gleicher Weise wurden die Pflegepauschalen nach § 6 Abs. 1 Nr. 7 der Beihilfevorschriften für Beihilfeberechtigte behandelt227 • § 6 Abs. 1 Nr. 7 der BHV führten bei Schwerpflegebedürftigkeit eine Pauschalbeihilfe von monatlich 400,00 DM ein. Diese Leistung wurde ab 01. 01. 1991 gewährt. Sie entsprach dem Pflegegeld nach § 57 SGB V, so daß eine Gleichbehandlung geboten war.

IV. Der Weg zum Sozialgesetzbuch XI Die Leistungen nach § 53 ff. SGB V bedeuteten einen Einstieg in die Pflegeversicherung.

1. Die Bausteine der geplanten Pflegeversicherung

Auf der Herbst-Sitzung der konzertierten Aktion im Gesundheitswesen am 05. 11. 1990 hat Bundesarbeitsminister Dr. Norbert Blüm in seiner Einführungsrede neben den gesundheitspolitischen Aufgaben im vereinten Deutschland sich besonders mit dem Zukunftsthema Pflege befaßt und "mit Nachdruck die Absicherung des Pflegefallrisikos durch eine "fünfte Säule unseres Systems der sozialen Sicherung" gefordert228 . Bundesarbeitsminister Blüm hat dabei zur Lösung des Pflegeproblems 10 Bausteine vorgetragen. In diesen wurde insbesondere gefordert: 1. "Die Hilfen müssen für alle Pflegebedürftigen zur Verfügung stehen, ohne Rücksicht auf die Ursache und das Alter, abgestuft nach der Schwere und dem Bedarf an Hilfe. 4. Der Pflegebedürftige muß in zumutbarem Umfang zu den Kosten beitragen. 6. Die Pflegeleistungen sollen ... konzentriert werden bei einem Träger. Hier bietet sich der Erfahrungsschatz der Krankenkasse an229 ."

227 Nr. 9.1.6 der Materiellen Arbeitsanweisung des Bayerischen Landesamtes für Versorgung und Familienförderung. 228 Ruf in: "Arbeit und Sozialpolitik", Heft 11/12, 1990. 229 Zitiert nach Thornas Ruf, a. a. o.

Kap. 2: Die Entwicklung seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges

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2. Modelle und Anträge

a) Kommunale Spitzenverbände und Arbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtspflege Die kommunalen Spitzenverbände, die Bundesarbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtspflege und andere Organisationen hatten bereits am 12. 01. 1983 in einer gemeinsamen Erklärung eine Pflegeversicherung mit organisatorischer Anbindung an die gesetzliche Krankenversicherung gefordert23o . b) Anträge von Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz Anträge zur Einführung einer Pflegeversicherung wurden im Bundesrat von Baden-Württemberg (Entwurf eines Gesetzes zur Vorsorge gegen das finanzielle Pflegerisiko, Bundesratsdrucksache 367/90 vom 28. 05. 1990) und von Rheinland-Pfalz (Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung der Pflegehilfen, Bundesratsdrucksache 425/90 vom 12.06. 1990) eingebracht. Der baden-württembergische Entwurf ging von einer auf dem Kapitaldeckungsprinzip beruhenden privaten Pflichtversicherung aus231 . Bei dem Antrag des Landes Rheinland-Pfalz handelte es sich um ein steuerfinanziertes Leistungsgesetz. c) Die unterschiedlichen Konzepte Es standen sich damit die Konzeptionen der Absicherung des Pflegerisikos im Rahmen einer gesetzlichen sozialen Pflegeversicherung, im Rahmen einer Privatversicherung oder durch ein Leistungsgesetz gegenüber. Auch bei einer privatversicherungsrechtlichen Lösung sollte es sich um eine Pflichtversicherung handeln. Hinsichtlich der Finanzierung unterschieden sich die Konzepte der Versicherungslösung durch das Umlageverfahren (soziale Pflegeversicherung) und das Kapitaldeckungsverfahren (private Pflegeversicherung)232.

v. Die Einführung einer sozialen Pflegeversicherung durch das Sozialgesetzbuch XI

1. Konzeption und Leistungen nach dem SGB Xl

Das durch Art. 1 des Gesetzes zur Einführung einer sozialen Pflegeversicherung vom 26. 05. 1994 (BGBl. I, S. 1014) eingeführte Sozialgesetzbuch XI (SGB XI) 230 231 232

Thomas Ruf, a. a. o. Vgl. Thomas Ruf, a. a. O. Thomas Ruf, a. a. o.

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1. Teil: Entwicklung der Blindengeldregelungen für Zivilblinde in Deutschland

entsprach im wesentlichen den Vorstellungen der CDU, CSU und SPD. Es trat am 01. 01. 1995 in Kraft (Art. 68 Abs. 1 Pflegeversicherungsgesetz). In den Schutz der sozialen Pflegeversicherung wurden kraft Gesetzes alle einbezogen, die in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert sind (SGB XI § 1 Abs. 2 S. 1). Das hatte zur Folge, daß rund 90% der Bevölkerung erfaßt werden. Wer gegen Krankheit bei einer privaten Krankenversicherung versichert ist, wurde zum Abschluß einer privaten Pflegeversicherung verpflichtet (SGB XI § 1 Abs. 2 S. 2). Damit hat sich der Gesetzgeber für einen eigenständigen Träger der sozialen Pflegeversicherung (Pflegekassen) innerhalb des Systems der Sozialversicherung, ergänzt durch eine private Pflichtversicherung, entschieden. Die Leistungen der Pflegeversicherung wurden in Stufen eingeführt. Unterschieden wird zwischen Leistungen bei häuslicher Pflege und bei stationärer Pflege. Der im § 3 normierte Vorrang der häuslichen Pflege, der es ermöglichen soll, daß Pflegebedürftige möglichst lange in ihrer häuslichen Umgebung bleiben können, kommt auch darin zum Ausdruck, daß die Leistungen für häusliche Pflege mit Wirkung ab 01. 04. 1995, die Leistungen bei stationärer Pflege mit Wirkung ab 01. 07. 1996 eingeführt worden sind (SGB XI § 1 Abs. 5). Die Leistungsarten sind in § 28 SGB XI festgelegt. Danach gewährt die Pflegeversicherung u. a. folgende Leistungen: 1. Pflegesachleistungen (§ 36) in Form von Pflegeeinsätzen, 2. Pflegegeld für selbstbeschaffte Pflegehilfen (§ 37), 3. Kombination von Geldleistungen und Sachleistungen (§ 38) ... 8. Leistungen bei vollstationärer Pflege (§ 43), 9. Pflege in vollstationären Einrichtungen der Behindertenhilfe (§ 43a). Nach § 28 Abs. 2 SGB XI erhalten Personen, die nach beamtenrechtlichen Vorschriften oder Grundsätzen bei Krankheit und Pflege Anspruch auf Beihilfe oder Heilfürsorge haben, die jeweils zustehenden Leistungen zur Hälfte. Dies gilt auch für den Wert von Sachleistungen. Die Höhe der Sach- bzw. Geldleistungen richtet sich nach der jeweiligen Pflegestufe. Nach § 36 Abs. 1 SGB XI haben Pflegebedürftige bei häuslicher Pflege Anspruch auf Grundpflege und hauswirtschaftliehe Versorgung als Sachleistung (häusliche Pflegehilfe). Die häusliche Pflegehilfe wird z. B. durch Pflegekräfte erbracht, die bei ambulanten Pflegeeinrichtungen, wie etwa Sozialstationen, mit denen die Pflegekassen Versorgungsverträge abgeschlossen haben, beschäftigt sind. Der Anspruch auf häusliche Pflegehilfe umfaßt je Kalendermonat: 1. für Pflegebedürftige der Pflegestufe I Pflegeeinsätze bis zu einem Gesamtwert von 750,00 DM (jetzt 384,00 Euro), 2. für Pflegebedürftige der Pflegestufe 11 Pflegeeinsätze bis zu einem Gesamtwert von 1.800,00 DM (jetzt 951,00 Euro) und

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3. für Pflegebedürftige der Pflegestufe III Pflegeeinsätze bis zu einem Gesamtwert von 2.800,00 DM Getzt 1.432,00 Euro) (§ 36 Abs. 3). § 37 räumt das Recht ein, anstelle der Sachleistung des § 36 ein Pflegegeld zu wählen, wenn der Pflegebedürftige mit dem Pflegegeld die erforderliche Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung selbst sicherstellen kann. Das Pflegegeld beträgt je Kalendermonat:

I. für Pflegebedürftige der Pflegestufe I 400,00 DM Getzt 205,00 Euro), 2. für Pflegebedürftige der Pflegestufe 11 800,00 DM Getzt 410,00 Euro) und 3. für Pflegebedürftige der Pflegestufe III 1.300,00 DM Getzt 665,00 Euro) (§ 36 Abs. I). § 38 SGB XI ermöglicht die Kombination der Sachleistung nach § 36 und der Geldleistung nach § 37.

Durch das SGB XI ist für pflegebedürftige Menschen ein ähnliches System entstanden, wie es infolge der Landesblindengeldgesetze und der Blindenhilfe nach § 67 BSHG für Blinde besteht. Die Komponenten dieses Pflegeleistungssystems sind hier allerdings nicht steuerfinanzierte Leistungsgesetze der Länder und subsidiär die Blindenhilfe nach § 67 BSHG, sondern die beitragsfinanzierte soziale Pflegeversicherung und die subsidiär eingreifende Hilfe zur Pflege nach den §§ 68 ff. BSHG. Die §§ 68 ff. BSHG sind durch das Gesetz zur Einführung einer sozialen Pflegeversicherung vom 26.05.1994 (BGBL I, S. 1014) hinsichtlich Voraussetzungen und Leistungen weitgehend den Bestimmungen des SGB XI angeglichen worden. So bestimmt sich der Inhalt der Hilfen zur Pflege bei den Leistungen zur häuslichen Pflege, für Hilfsmittel, zur teilstationären Pflege, zur Kurzzeitpflege und zur vollstationären Pflege nach den Regelungen in SGB XI (§ 68 Abs. 2 BSHG). (Eine Ausweitung des Personenkreises und der Leistungen enthält allerdings § 68 Abs. I S. 2 BSHG). Die Bestimmungen für die häusliche Pflege enthalten die §§ 69-69c BSHG. § 69a bringt für die Sozialhilfe völlig neue Pflegegeldbestimmungen. Es erfolgt eine Einteilung in die Pflegestufen I, 11 und III. Die Höhe des Pflegegeldes entspricht der Höhe des Pflegegeldes für die entsprechenden Stufen nach § 37 SGB XI (Pflegegeld der Pflegestufe I = 400,00 DM, Pflegegeld der Pflegestufe 11 = 800,00 DM und Pflegegeld der Pflegestufe III = 1.300,00 DM). Die Anrechnungsregeln bei Leistungskonkurrenz enthält § 69c BSHG.

2. Blindheit und Pflegebedüiftigkeit nach SGB XI

Wie bereits bei den Leistungen für Schwerpflegebedürftige nach den §§ 53 ff. SGB V stellte sich die Frage, ob Blinde, sofern sie die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllen, aufgrund der Blindheit oder infolge der Blindheit in Verbindung mit anderen Gesundheitsstörungen bzw. aufgrund dieser alleine pflegebedürftig im Sinn des SGB XI sind und ob bzw. in welchem Umfang die Leistungen

174

1. Teil: Entwicklung der Blindengeldregelungen für Zivilblinde in Deutschland

nach dem Pflegeversicherungsgesetz auf das Blindengeld nach einem Landesblindengeldgesetz oder auf die Blindenhilfe nach § 67 BSHG angerechnet werden können. Schwierigkeiten ergaben sich vor allem daraus, daß es sich bei den Sachleistungen (§ 36 SGB XI) gegenüber den Geldleistungen nach den Blindengeldregelungen um keine gleichartigen Leistungen handelt. a) Der Begriff der Pflegebedürftigkeit nach dem SGB XI Die Pflegebedürftigkeit nach dem sozialen Pflegeversicherungsgesetz ist in § 14 SGB XI definiert. Der Begriff der Pflegebedürftigkeit knüpft an die Vorschrift des § 53 SGB V an, geht jedoch darüber hinaus. Neu im Vergleich zum früheren § 53 SGB V ist die Ausweitung auf einen größeren Personenkreis. Neben den Schwerund Schwerstpflegebedürftigen sind auch die erheblich Pflegebedürftigen in den Kreis der berechtigten Personen einbezogen worden. Die Hilflosigkeit muß nicht mehr "in sehr hohem Maße" (§ 53 SGB V), sondern nur in "erheblichem Maße" bestehen 233 . Pflegebedürftig im Sinne dieses Gesetzes sind Personen, die wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate, in erheblichem oder höherem Maße der Hilfe bedürfen (§ 14 Abs. 1). Krankheiten oder Behinderungen im Sinne von § 14 Abs. 1 sind: 1. Verluste, Lähmungen oder andere Funktionsstörungen am Stütz- und Bewegungsapparat, 2. Funktionsstörungen der inneren Organe oder der Sinnesorgane, 3. Störungen des Zentralnervensystems wie Antriebs-, Gedächtnis- oder Orientierungsstörungen sowie endogene Psychosen, Neurosen oder geistige Behinderungen. In § 14 Abs. 4 werden die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen vier Bereichen, nämlich dem Bereich der Körperpflege, der Ernährung, der Mobilität und der hauswirtschaftlichen Versorgung, zugeordnet. Zum Bereich der Körperpflege zählen: das Waschen, Duschen, Baden, die Zahnpflege, das Kämmen, Rasieren sowie die Darm- oder Blasenentleerung. Zum Bereich der Ernährung gehört das mundgerechte Zubereiten oder die Aufnahme der Nahrung. Zum Bereich der Mobilität zählt das selbständige Aufstehen und Zubettgehen, An- und Auskleiden, Gehen, Stehen, Treppensteigen oder das Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung. Die hauswirtschaftliehe Versorgung umfaßt das Einkaufen, Kochen, Reinigen der Wohnung, Spülen, Wechseln und Waschen der Wäsche und Kleidung sowie das Beheizen der Wohnung. 233

440.

Gürtner: Kasseler Kommentar, RdNr. 3 zu § 14 SGB XI; Schulin: NZS 1994, S. 433/

Kap. 2: Die Entwicklung seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges

175

Zwischen Krankheit oder Behinderung und dem Hilfebedarf muß ein ursächlicher Zusammenhang bestehen. Es muß sich um die rechtlich wesentliche Bedingung für die Hilfsbedürftigkeit handeln 234 • Der Pflegebedarf setzt einen tatsächlichen Funktionsausfall voraus, aufgrund dessen "die Fähigkeit, bestimmte Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens auszuüben", aktuell eingeschränkt oder nicht vorhanden ist 235 . Entscheidend sind nicht Art und Schwere der Krankheit oder Behinderung und die durch sie gegebenenfalls bedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit oder der Grad der Behinderung, sondern das Ausmaß der durch sie verursachten Funktionsdefizite236 • Die drei Pflegestufen, denen die Pflegebedürftigen zuzuordnen sind, werden in

§ 15 SGB XI wie folgt definiert:

1. Pflegebedürftige der Pflegestufe I (erheblich Pflegebedürftige) sind Personen,

die bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität für wenigstens zwei Verrichtungen aus einem oder mehreren Bereichen mindestens einmal täglich der Hilfe bedürfen und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigen. Der Zeitaufwand, den ein Familienangehöriger oder eine andere nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson für die erforderlichen Leistungen der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung benötigen, muß wöchentlich im Tagesdurchschnitt mindestens 90 Minuten betragen; hierbei müssen auf die Grundpflege mehr als 45 Minuten entfallen.

2. Pflegebedürftige der Pflege stufe 11 (Schwerpflegebedürftige) sind Personen, die bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität mindestens dreimal täglich zu verschiedenen Tageszeiten der Hilfe bedürfen und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigen. Hier wird ein Zeitaufwand von durchschnittlich mindestens drei Stunden täglich verlangt. Auf die Grundpflege müssen mindestens zwei Stunden entfallen. 3. Pflegebedürftige der Pflegestufe III (Schwerstpflegebedürftige) sind Personen, die bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität täglich rund um die Uhr, auch nachts, der Hilfe bedürfen und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der haus wirtschaftlichen Versorgung benötigen. Der durchschnittliche Zeitaufwand muß täglich mindestens fünf Stunden betragen. Hierbei müssen auf die Grundpflege mindestens vier Stunden entfallen (§ 15 Abs. 1 und Abs. 3). Zusätzlich zu diesen im Gesetz bereits in einem außergewöhnlichen Maße vorgenommenen Detailregelungen verpflichtet § 17 SGB XI die Spitzenverbände der Pflegekassen, "im Interesse einer einheitlichen Rechtsanwendung" Richtlinien zur näheren Abgrenzung der in § 14 genannten Merkmale der Pflegebedürftigkeit und 234 Zu der von der Rechtsprechung des BSG entwickelten Lehre von der rechtlich wesentlichen Bedingung vgl. BSG SozR 3 - 2500 § 53 Nr. 4 mwN und Kasseler Kommentar, RdNr. 17 zu § 27 SGB V. 235 Gürtner in: Kasseler Kommentar, RdNr. 7 zu § 14 SGB XI. 236 Gürtner in: Kasseler Kommentar, RdNr. 7 zu § 14 SGB XI.

176

1. Teil: Entwicklung der Blindengeldregelungen für Zivilblinde in Deutschland

der Pflegestufen nach § 15 sowie zum Verfahren der Feststellung der Pflegebedürftigkeit zu erlassen. Dementsprechend sind die "Pflegebedürftigkeitsrichtlinien" vom 07. 11. 1994, geändert durch Beschluß vom 21. 12. 1995, ergangen 237 . Bei der Auslegung und Abgrenzung der gesetzlichen Tatbestandsmerkmale, z. B. des Begriffs der Pflegebedürftigkeit, sind die Gerichte nicht an den Inhalt dieser Richtlinien gebunden. Sie haben keine Rechtsnorrnqualität238 . b) Die Auswirkung der Blindheit auf Pflege bedürftigkeit Die Frage, ob Blindheit als solche zur Pflegebedürftigkeit im Sinn des SGB XI führt, ist ebenso zu beantworten wie zur Schwerpflegebedürftigkeit nach den §§ 53 ff. SGB V. Blindheit ist eine Behinderung im Sinn von § 14 Abs. 1 SGB XI, die zu Funktionsstörungen der Sinnesorgane, nämlich des Sehsinnes, führen (§ 14 Abs. 2 Nr. 2 SGB XI). Blinde benötigen auch für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens auf Dauer Hilfe (§ 14 Abs. 1 SGB XI). Ob das in erheblichem oder höherem Maße der Fall ist, beurteilt sich nach § 15 SGB XI. Die Beurteilung kann nicht pauschal, sondern muß im Einzelfall erfolgen. Hilfebedarf kann wegen der fehlenden optischen Kontrolle vor allem bei rasch eintretender Erblindung im Bereich der Körperpflege (§ 14 Abs. 4 Nr. 1 SGB XI) auftreten. Er wird insbesondere im Bereich der Ernährung (§ 14 Abs. 4 Nr. 2) gegeben sein, z. B. das mundgerechte Zubereiten der Nahrung (3.4.1 Nr. 8 der Pflegerichtlinien). Im Bereich der Mobilität (§ 14 Abs. 4 Nr. 2 SGB XI) wird in der Regel das selbständige Verlassen und Wiederauffinden der Wohnung (3.4.1 Nr. 15 der Pflegerichtlinien) ohne Hilfe nicht möglich sein. Hilfebedarf wird sich in der Regel auch bei der hauswirtschaftlichen Versorgung

(§ 14 Abs. 4 Nr. 4 SGB XI) ergeben. So zählt zum Einkaufen (3.4.1 Nr. 16 der

Pflegerichtlinien) auch der Überblick über Einkaufsmöglichkeiten. Das erfordert die Orientierung in Geschäften und die Möglichkeit eines Preisvergleichs. Das Erkennen des Wertes von Geldmünzen und Banknoten und die Feststellung der Haltbarkeit von Lebensmitteln (vgl. 3.4.2 der Pflegerichtlinien). Das Kochen von Mahlzeiten einschließlich der Vor- und Zubereitung der Bestandteile der Mahlzeiten wird einem Blinden häufig nicht möglich sein. Dasselbe gilt für das Reinigen der Wohnung. Die Wäsche- und Kleiderpflege (3.4.1 Nr. 20 der Pflegerichtlinien) umfaßt die gesamte Pflege der Wäsche und Kleidung, z. B. auch das Bügeln und Ausbessern. Tätigkeiten, die einem Blinden sehr häufig ebenfalls nicht möglich sind. Ob die Pflegebedürftigkeit auf Dauer, d. h. mindestens für einen Zeitraum von sechs Monaten besteht (§ 14 Abs. 1 SGB XI), richtet sich auch danach, ob die Beeinträchtigungen durch Rehabilitationsmaßnahmen behoben werden können. Das 237 238

Abgedruckt in: Kasseler Kommentar, RdNr. 7, Anhang zu § 17. Vgl. BSG SozR 3-2500 § 53 Nr. 5.

Kap. 2: Die Entwicklung seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges

177

entspricht dem Grundsatz, wonach Rehabilitation vor Pflege geht (§ 5 SGB XI). Zumindest teilweise lassen sich die durch die Blindheit verursachten Beeinträchtigungen, die für die Beurteilung der Pflegebedürftigkeit maßgebend sind, durch Rehabilitationsmaßnahmen beseitigen. Das gilt z. B. für die Orientierungsfähigkeit. Nach § 33 Abs. 1 SGB V besteht ein Anspruch auf Ausstattung mit Mobilitätshilfen wie Blindenlangstock, Blindenführhund oder elektronische Orientierungshilfen und die Ausbildung in deren Gebrauch durch ein Orientierungs- und Mobilitätstraining. Viele der Verrichtungen aus den Bereichen Körperpflege, Ernährung und insbesondere der hauswirtschaftlichen Versorgung zählen zum lebenspraktischen Bereich. Ein Anspruch auf ein erforderliches Rehabilitationstraining im Rahmen einer Elementarrehabilitation, das sei hier bereits kritisch angemerkt, durch die Krankenversicherungen wird bisher nicht anerkannt. c) Stellungnahme des Deutschen Blindenverbandes Der Verwaltungsrat des Deutschen Blindenverbandes e. V. diskutierte auf seinen Sitzungen am 11. 09. 1993 in Berlin und am 06. 05. 1994 in Brodenbach / Mosel die Frage der Pflegebedürftigkeit blinder Menschen239 . Das Ergebnis der Diskussion wurde wie folgt zusammengefaßt: ,,1. Blinde und Sehbehinderte sind nicht automatisch wegen ihrer Blindheit oder Sehbehinderung pflegebedürftig. Sie sind jedoch - insbesondere in den Bereichen außerhäusliche Mobilität, Kommunikation und Information sowie Hauswirtschaft - in erheblichem Umfang auf Hilfe angewiesen, die mit hoher finanzieller Belastung verbunden ist. Deshalb bleiben die Landesblindengeldgesetze und die Blindenhilfe nach § 67 BSHG unverzichtbar. 2. Wer erblindet oder in erheblichem Maße sein Sehvermögen verliert, kann allerdings pflegebedürftig im Sinne des Pflegeversicherungsgesetzes sein. Durch geeignete Rehabilitationsmaßnahmen kann diese Pflegebedürftigkeit häufig gemindert oder beseitigt werden .... " Der Hilfebedarf eines Blinden ist von anderer Art. Er ist nicht "auf den engen Radius des eigenen Körpers und der unmittelbaren Umgebung" beschränkt24o • d) Beurteilung Ob Pflegebedürftigkeit gegeben ist und möglicherweise durch Rehabilitationsmaßnahmen beseitigt werden kann, ist durch den medizinischen Dienst der Krankenversicherung zu prüfen (§ 18 SGB XI). 239 240

"Die Gegenwart", Heft 10, 1993 und "Die Gegenwart", Heft 7/8, 1994. Hier gelten nach wie vor die Feststellungen von Drerup: Gutachten S. 8.

12 Demmel

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I. Teil: Entwicklung der Blindengeldregelungen für Zivilblinde in Deutschland

Wenn Rehabilitationsmaßnahmen im Einzelfall nicht möglich sind bzw. wenn zur Blindheit weitere Beeinträchtigungen hinzukommen, werden die Auswirkungen häufig zur Pflegebedürftigkeit führen. Das zeigt sich auch aus einer Statistik des Bayerischen Landesamtes für Versorgung und Familienförderung vom 27.07. 1998 zum Stichtag 30. 06. 1998. Danach erhielten zu diesem Zeitpunkt in Bayern 17.556 Personen Blindengeld nach dem Bayerischen Blindengeldgesetz. Leistungen wegen häuslicher Pflege nach Stufe I SGB XI erhielten 1.883 Personen (= 10,7%), Leistungen nach den Pflegestufen 11 und III bekamen 3.651 (= 20,8%) (in der Statistik ist wegen der Anrechnungsregelung in Art. 4 bayerisches Blindengeldgesetz zwischen Stufe 11 und III nicht unterschieden). Pflegeleistungen wegen häuslicher Pflege erhielten damit insgesamt 5.534 Personen. In Heimen lebten 2.976 Personen (= 16,9 %). Ein großer Teil davon dürfte ebenfalls Leistungen nach dem SGB XI §§ 43, 43a erhalten. Da eine Heimunterbringung aber auch andere Gründe als Pflegebedürftigkeit, nämlich z. B. Schulbesuch, haben kann, läßt sich das nicht eindeutig feststellen. Volles Blindengeld erhielten 9.025 Personen (= 51,4%). Aus dieser Statistik kann geschlossen werden, daß mindestens 40% aller Blinden pflegebedürftig im Sinn des SGB XI sind. Zwar geht der blindheitsbedingte Mehrbedarf über den Hilfebedarf, wie er in § 14 Abs. 4 SGB XI definiert ist, hinaus, er umfaßt einen weiteren Radius. Soweit die Hilfe aber im häuslichen Bereich und insbesondere bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt wird, ist eine Überschneidung gegeben.

VI. Einführung von Anrechnungsklauseln in den Blindengeldgesetzen

Eine Anrechnung der Leistungen der Pflegekassen nach dem SGB XI war gerechtfertigt und geboten. Das machte Änderungen bei den Landesblindengeldgesetzen und bei der Blindenhilfe nach § 67 BSHG notwendig. 1. Anrechnungsregelungen in den Landesgesetzen

In der Folgezeit wurden nahezu in allen Landesblindengeldgesetzen spezielle Regelungen für die Anrechnung der Leistungen nach dem SGB XI eingeführt. In der Regel wird ein bestimmter Prozentsatz des Pflegegeldes nach § 37 auf das Blindengeld angerechnet. In einigen Gesetzen bemißt sich bei der Gewährung von Sachleistungen der Anrechnungsbetrag nach einem Prozentsatz des Wertes dieser Sachleistungen. Da die Anrechnungsregelungen im zweiten Teil näher behandelt werden, wird hier nicht im einzelnen auf sie eingegangen.

Kap. 2: Die Entwicklung seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges

179

Einige Länder nutzten die Notwendigkeit der Gesetzesänderung zu weiteren Neuregelungen. So wurde in Bayern das Gesetz über die Gewährung eines Pflegegeldes an Zivilblinde in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. 01. 1989 (GVBl. S. 21) mit Wirkung vom 01. 04. 1995 durch das bayerische Blindengeldgesetz vom 07. 04. 1995 in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. 04. 1995 (GVBl. S. 150) ersetzt. In Rheinland-Pfalz wurde durch Art. 2 des Landesgesetzes zur Umsetzung des Pflegeversicherungsgesetzes vom 28. 03. 1995 (GVBl. S. 55) ein eigenständiges Landesblindenge1dgesetz eingeführt. Es ist an die Stelle des Landespflegege1dgesetzes vom 31. 10. 1974 (GVBl. S. 466), zuletzt geändert durch Gesetz vom 22. 12. 1992 (GVBl. S. 383), getreten. In Nordrhein-Westfalen erfolgte die Anrechnung im Rahmen der Neurege1ung durch das Gesetz über die Hilfen für Blinde und Gehörlose vom 25. 11. 1997 (GV NW S. 430) (vgl. unten 1.). 2. Das Gesetz zur Rejonn des SozialhilJerechtes vom 23.07. 1996

Das Gesetz zur Reform des Sozialhilferechtes vom 23. 07. 1996 (BGBl. I, S. 1088) brachte ebenfalls eine Anrechnungsregelung für Pflegeleistungen nach dem SGB XI. In § 67 Abs. 1 wurde folgender Satz 2 eingefügt: "Auf die Blindenhilfe sind Leistungen bei häuslicher Pflege nach dem elften Buch Sozialgesetzbuch mit bis zu 70 v. H. anzurechnen." Ursprünglich sollte eine vollständige Anrechnung der Leistungen bei häuslicher Pflege vorgenommen werden. Erst während der Beratungen im Vermittlungsausschuß des Bundesrates wurde der jetzige Satz 2 in § 67 Abs. 1 in diese Bestimmung aufgenommen. Der Bundesrat hatte eine Regelung vorgeschlagen, wie sie im bayerischen Blindengeldgesetz gilt (siehe oben). Dem ist der Bundestag nicht gefolgt241 •

I. Eingriffe durch Spargesetze der Länder I. Ursachen der Eingriffe Die in den Ländern der Bundesrepublik Deutschland in den 90er Jahren zunehmend auftretenden Haushaltsengpässe führten zu Eingriffen in Leistungsgesetze. Die Landesblindengeldgesetze bzw. Landespflegegeldgesetze blieben von erheblichen Einschnitten nicht verschont. Diese erfolgten teilweise im Rahmen von Haushaltsstrukturgesetzen und teilweise im Rahmen der durch die Einführung der sozialen Pflegeversicherung durch das SGB XI gebotenen Anpassungen der Landesgesetze (siehe oben unter H.). 241 12*

Vgl. Drerup: "Die Gegenwart", Heft 10, 1996.

180

1. Teil: Entwicklung der Blindengeldregelungen für Zivilblinde in Deutschland

12 Landesgesetze waren betroffen. In Berlin, Brandenburg, Niedersachsen und Thüringen kam es sogar zweimal zu haushaltsbedingten Gesetzesänderungen. Die Reihenfolge der Änderungen zeigt folgende Tabelle: Land

Datum des Gesetzes

Datum des Inkrafttretens

Schleswig-Holstein Berlin Bayern Brandenburg Niedersachsen Baden-Württemberg Berlin Brandenburg Sachsen-Anhalt Hessen Nordrhein-Westfalen Thüringen Niedersachsen Mecklenburg-Vorpommem Thüringen Bremen Schleswig-Holstein Sachsen

Gesetz vom 08. 02. 1994 Gesetz vom 22. 12. 1994 Gesetz vom 07.04. 1995 Gesetz vom 27.06. 1995 Gesetz vom 20. 12. 1995 Gesetz vom 16. 12. 1996 Gesetz vom 20. 03. 1997 Gesetz vom 17. 12. 1996 Gesetz vom 17. 12. 1996 Gesetz vom 18. 12. 1997 Gesetz vom 25.11. 1997 Gesetz vom 25. 06.1998 Gesetz vom 21. 01. 1999 Gesetz vom 25.07. 1999 Gesetz vom 21. 12.2000 Gesetz vom 26. 06. 200 1 Gesetz vom 12. 12.2001 Gesetz vom 14. 12.2001

01. 01. 1994 01. 01. 1995 01. 04. 1995 01. 07. 1995 01. 01. 1996 01. 01. 1997 01.01.1997 01. 01. 1997 01. 01. 1997 01. 01. 1998 01. 01. 1998 01. 07.1998 01.01.1999 01. 07.1999 01. 01. 2001 01. 07. 2001 01. 01. 2002 01. 01. 2002

11. Art der Eingriffe Die Eingriffe erfolgten auf unterschiedliche Weise. Folgende drei Varianten lassen sich feststellen: 1. Das Blindengeld nach Landesgesetz wurde gegenüber der Blindenhilfe nach § 67 BSHG prozentual abgesenkt. 2. Blindengeldleistungen, die über der Blindenhilfe nach § 67 BSHG lagen, wurden auf die Höhe der Blindenhilfe nach dem BSHG abgesenkt. 3. Von einer an § 67 BSHG gekoppelten dynamisierten Leistung erfolgte der Übergang zu einer Festbetragsleistung. 1. Prozentuale Absenkung des Blindengeldes

In den Ländern Niedersachsen und Schleswig-Holstein erfolgte mit Rücksicht auf die angespannte Haushaltslage in diesen Ländern die Kürzung des Landesblindengeldes um 10 v. H.

Kap. 2: Die Entwicklung seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges

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a) Erster Eingriff in Schieswig-Hoistein In Schieswig-Hoistein erfolgte die Änderung des Landesblindengeldgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 05.08. 1976 (GVoBI. S. 204) durch Art. 11 des Haushaltsbegleitgesetzes 1994 für das Land Schieswig-Hoistein vom 08. 02. 1994 (GVoBI. S. 124). § 1 Abs. 2 des Landesblindengeldgesetzes erhielt folgende Fassung: ,,(2) Blinde erhalten Blindengeld in Höhe der Blindenhilfe nach § 67 Abs. 2 und 6 des Bundessozialhilfegesetzes, abzüglich 10 v. H."

Diese Gesetzesänderung trat rückwirkend ab 0 1. 01. 1994 in Kraft. Zum Zeitpunkt des Inkrafttretens belief sich die Blindenhilfe nach dem BSHG auf 997,00 DM, die Kürzung um 10 v. H. machte demnach 99,70 DM aus. Das volle Blindengeld betrug damit 897,30 DM. Zum Stand vom 01. 07. 1999 beträgt die Blindenhilfe nach § 67 BSHG 1.082,00 DM, das Landesblindengeld in Schi eswig-Hoistein 973,80 DM. Die Differenz ist damit seit Inkrafttreten am 01. 01. 1994 bis zum 01. 07.1999 von 99,70 DM auf 108,20 DM angestiegen. b) Erster Eingriff in Niedersachsen Niedersachsen folgte mit dem zweiten Gesetz zur Änderung des Gesetzes über das Landesblindengeld für Zivilblinde vom 20. 12. 1995 (GVBI. S. 478) dem Beispiel Schleswig-Holsteins. § 2 Abs. 1 verwies in der durch dieses Gesetz eingeführten Fassung auf § 67 BSHG, abzüglich 10 v. H. Diese Regelung trat am 01. 01. 1996 in Kraft. Das volle Landesblindengeld belief sich damit zu diesem Zeitpunkt auf 1.036,00 DM -10% = 932,00 DM. Zum 01. 07.1998 betrug das volle Blindengeld in Niedersachsen 961,00 DM. c) Folgerungen Durch diese Gesetzesänderungen in Schleswig-Hoistein und Niedersachsen war infolge der Anbindung an § 67 BSHG die Dynamisierung des Landesblindengeldes erhalten geblieben. Weil das Blindengeld niedriger ist, haben Blinde seit der Kürzung einen Ergänzungsanspruch auf Blindenhilfe nach § 67 BSHG, sofeme ihr Einkommen und Vermögen die im BSHG festgelegten Grenzen nicht übersteigt. Das ergibt sich aus der Anrechnungsregelung in § 67 Abs. 1 S. 1 BSHG. Die Kürzung um 10% gegenüber der Blindenhilfe nach § 67 BSHG dürfte zur Folge haben, daß nicht alle Blinden, die einen Ergänzungsanspruch auf Blindenhilfe nach § 67 BSHG haben, diesen Anspruch auch geltend machen. Dieser Verzicht resultiert aus der erfahrungsgemäß großen Abneigung vieler Betroffener

182

1. Teil: Entwicklung der Blindengeldregelungen für Zivilblinde in Deutschland

gegenüber den mit der Blindenhilfe nach § 67 BSHG verbundenen Überprüfungen des Einkommens und Vermögens. Bei einer stärkeren Kürzung des einkommens- und vermögens unabhängigen Landesblindengeldes ist damit zu rechnen, daß mehr Blinde den Ergänzungsanspruch nach § 67 BSHG geltend machen werden. d) Zweiter Eingriff in Niedersachsen Ein erneuter Eingriff erfolgte durch das Haushaltsbegleitgesetz von 1999. Die Verschlechterung, die das niedersächsische Landesblindengeldgesetz durch das Haushaltsbegleitgesetz 1999 erfahren hat, wirkt sich in zweierlei Richtungen aus. Zum Ersten wurde das Blindengeld herabgesetzt und eingefroren, zum Zweiten führt das Anwachsen um denselben Vom-Hundert-Satz wie die Steigerung der Blindenhilfe nach § 67 BSHG ab 01. 07. 2002 dazu, daß die Kluft zwischen dem Landesblindengeld in Niedersachsen und der Blindenhilfe laufend größer wird. e) Zweiter Eingriff in Schleswig-Holstein Zwischenzeitlich kam es in Schleswig-Holstein zu einer erneuten Reduzierung des Landsblindengeldes. Das Blindengeldgesetz wurde durch Artikel 4 Haushaltbegleitgesetz vom 12. 12.01 (GVBl. vom 28.120.01 S. 365) dahin geändert, dass Volljährige monatlich 450 Euro, Minderjährige 225 Euro erhalten. Die Dynamisierung wurde bis zum 31. 12. 05 ausgesetzt. Ab diesem Zeitpunkt soll eine Anhebung nach den gleichen Prozentsätzen, in welchen sich die Blindenhilfe nach § 67 BSHG erhöht, erfolgen. Da das Blindengeld zuletzt monatlich 995,10 DM (= 510,32 Euro) betrug, bedeutet dieser Eingriff eine Kürzung um 11,8%. Insgesamt liegt das Blindengeld damit bereits 20% unterhalb der Blindenhilfe nach dem BSHG. Da die nächste Anhebung erst zum 01. 01. 2006 erfolgen soll und der Berechnung gegenüber der Blindenhilfe nach dem BSHG eine unterschiedliche Basiszahl zugrunde liegt, führt das zu einer weiteren Auseinanderentwicklung. 2. Absenkung höherer Blindengeldbeträge

Gruppe der Länder, die ihre bisher über der Blindenhilfe nach § 67 BSHG liegenden Leistungen gekürzt und an die Höhe von § 67 BSHG angekoppelt haben In den Ländern Bayern, Berlin und Hessen lagen die Leistungen nach den Landesblindengeldgesetzen über der Blindenhilfe nach § 67 BSHG. Diese Länder haben ihre Leistungen zwischenzeitlich an § 67 BSHG gekoppelt.

Kap. 2: Die Entwicklung seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges

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a) Bayern Mit Wirkung zum 01. 04. 1995 erfolgte die Aufhebung des Gesetzes über die Gewährung eines Pflegegeldes an Zivilblinde in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. 01. 1989 (GVBI. S. 21). Zum selben Zeitpunkt trat das bayerische Blindengeldgesetz vom 07. 04. 1995 in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. 04. 1995 (GVBI. S. 150) in Kraft (Art. 9 bayerisches Blindengeldgesetz). Anlaß für die Neuregelung des Blindengeldrechtes in Bayern war zwar die Einführung der gesetzlichen Pflegeversicherung242 . Es sollte klargestellt werden, daß "die Leistung an Blinde kein Pflegegeld ist,,243. Zugleich wurde die frühere, freilich mißglückte Bezugnahme auf § 35 BVG aufgegeben 244 . Erinnert sei an das Gesetz vom 18. 12. 1969 (GVBI. S. 3999 - unmittelbare Ankoppelung des bayerischen Blindenpflegegeldes an die Höhe der Pflegezulage für Kriegsblinde nach § 35 BVG), die Neuregelung durch Art. 10 § 13 des Gesetzes über die Festsetzung des Haushaltsplanes des Freistaates Bayern für die Haushaltsjahre 1983 und 1984 vom 21. 07.1983 (GVBI. S. 513 - Anbindung des bayerischen Zivilblindenpflegegeldes an die Blindenhilfe nach § 67 BSHG bei einem Mindestsatz von 788,00 DM) und das Haushaltsgesetz 1985/1986 (GVBI. S. 81 - erneute Anbindung der Höhe des bayerischen Zivilblindenpflegegeldes an die Pflegezulage für Kriegsblinde nach § 35 BVG in der Fassung der Bekanntmachung vom 22. 01. 1982 mit entsprechender prozentualer Anpassung ab 01. 07. 1985). Art. 2 Abs. 1 des bayerischen Blindengeldgesetzes vom 07. 04. 1995 erhielt folgende Fassung: ,,(1) Das Blindengeld wird monatlich in Höhe des in § 67 Abs. 2 Halbsatz I in Verbindung mit § 67 Abs. 6 des Bundessozialhilfegesetzes genannten Betrages gezahlt, minde-

stens jedoch in Höhe von 1.066,00 Deutsche Mark."

Die damit erfolgte erneute Anbindung an die Blindenhilfe gemäß § 67 BSHG wird damit begründet, daß es sich bei der Pflegezulage für Kriegsblinde nach § 35 BVG um einen "Teil des sozialen Entschädigungsrechts" handele, welches für Zivilblinde nicht zuträfe 245 . Außerdem sollte mit der Anbindung an das Bundessozialhilfegesetz eine "Angleichung an die Leistungshöhe der übrigen Bundesländer" erreicht werden 246 . Am 01. 07. 1994 hatte das Zivilblindengeld in Bayern eine Höhe von 1.066,00 DM erreicht. Diese Höhe blieb durch die Besitzstandsklausel in Art. 2

Abs. 1 bayerisches Blindengeldgesetz als Mindestbetrag garantiert. Da die Blin-

242 Vgl. Amtliche Begründung, Allgemeiner Teil, Landtagsdrucksache 13/458 vom 16.02.1995. 243 Amtliche Begründung a. a. O. 244 Vgl. F., H., 4., a) . 245 Amtliche Begründung zu Art. 2 bayerisches Blindengeldgesetz, Landtagsdrucksache 13/458. 246 Begründung zu Art. 2 bayerisches Blindengeldgesetz a. a. O.

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1. Teil: Entwicklung der Blindengeldregelungen für Zivilblinde in Deutschland

denhilfe nach § 67 BSHG zum 01. 07. 1998 von 1.063,00 DM auf 1.068,00 DM stieg, fand erstmals seit 1994 zu diesem Datum auch eine Erhöhung des bayerischen Blindengeldes von 1.066,00 DM auf 1.068,00 DM statt.

b) Berlin Mit dem Blinden- und Hilflosengesetz für Berlin vom 10. 05. 1962 (GVBI. S. 446), das das Blindenpflegegeldgesetz vom 03. 08. 1954 (GVBI. S. 492) abgelöst hatte, waren Pflegestufen entsprechend der Bestimmung von § 35 BVG eingeführt worden. Mit dem dritten Gesetz zur Änderung des Blinden- und Hilflosenpflegegeldgesetzes vom 16.07. 1970 (GVBI. vom 23. 07. 1970) erfolgte rückwirkend ab 01. 01. 1970 die Anbindung der Pflegegelder in § 2 an die Höhe der Pflegegelder gemäß § 35 BVG. Damit war eine Dynamisierung der Pflegegelder nach § 2 des Berliner Blinden- und Hilflosenpflegegeldgesetzes erreicht. Diese Dynamisierung ist durch das Gesetz über Pflegeleistungen vom 22. 12. 1994 (GVBI. S. 520) abgeschafft und durch eine Festbetragsregelung ersetzt worden. Die Geldleistungen der einzelnen Pflege stufen wurden in § 2 Abs. 1 festgelegt und eingefroren. Sie betrugen in Stufe I 468,00 DM, in Stufe II 797,00 DM, in Stufe III 1.130,00 DM, in Stufe IV 1.455,00 DM, in Stufe V 1.888,00 DM und in Stufe VI 2.326,00 DM. Das Pflegegeld für Blinde belief sich mindestens auf die Leistung nach Stufe III, also auf 1.130,00 DM, und das Pflegegeld für hochgradig Sehbehinderte mindestens auf Stufe I, also 468,00 DM monatlich (§ 2 Abs. 1 S. 2). Das Gesetz über Pflegeleistungen vom 22. 12. 1994 (GVBI. S. 520) wurde durch Art. 4 des Haushaltsgesetzes für Berlin vom 20.03. 1997 (GVBI. S. 71) geändert. § 2 des Pflegegeldgesetzes wurde dahin geändert, daß das Pflegegeld der Stufe III der Höhe der Blindenhilfe für Blinde nach Vollendung des 18. Lebensjahres gemäß § 67 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 6 BSHG entspricht. Das Pflegegeld für hochgradig Sehbehinderte wurde für den Regelfall auf 50% der Stufe I, also von 468,00 DM auf 234,00 DM monatlich, gekürzt und damit dem Pflegegeld für Gehörlose angeglichen (Art. 4 Nr. Ib des Gesetzes vom 12. 03. 1997 - GVBI. S. 71). Als Besitzstandsklausel erhielt § 2 einen Abs. 3, wonach auf "Berechtigte, die am 31. 12. 1996 einen Anspruch nach diesem Gesetz haben", § 2 in der Fassung des Gesetzes vom 22. 12. 1994 (GVBI. S. 520) anzuwenden ist, sofeme der Anspruchsberechtigte nicht nach diesem Zeitpunkt einer anderen Pflegestufe zuzuordnen ist (Art. 4 Nr. 1 Buchstabe c) des Gesetzes vom 20. 03. 1997). Diese Gesetzesänderung hat folgende Auswirkungen: Blinde erhalten ab Vollendung des ersten Lebensjahres ein Blindengeld in Höhe der Blindenhilfe nach § 67 BSHG, soweit ihr Anspruch am 01. 01. 1997 oder später gegeben ist. Die Blindenhilfe betrug zu diesem Zeitpunkt 1.046,00 DM monatlich, sie erhöhte sich am 01. 07.1997 auf 1.063,00 DM und am 01. 07. 1998 auf 1.068,00 DM.

Kap. 2: Die Entwicklung seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges

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Blinde, die am 31. 12. 1996 anspruchs berechtigt waren, erhalten weiterhin ab Vollendung des ersten Lebensjahres ein Pflegegeld von monatlich 1.130,00 DM. Die Pflegegelder der Stufen I, 11, IV, V und VI entsprächen weiterhin den in § 2 Abs. 1 des Pflegegesetzes vom 22. 12. 1994 (GVBI. S. 520) festgelegten Beträgen von 468,00 DM (Stufe I), 797,00 DM (Stufe 11), 1.455,00 DM (Stufe IV), 1.888,00 DM (Stufe V) und 2.326,00 DM (Stufe VI) monatlich. Die Pflegegelder dieser Stufen sind nicht dynamisiert. Hochgradig Sehbehinderte, deren Anspruch ab 01. 01. 1997 gegeben ist, erhalten ein Pflegegeld von 50% aus Stufe I, also von 234,00 DM monatlich. Hochgradig Sehbehinderte, deren Anspruch bis zum 31. 12. 1996 entstanden ist, wird infolge der Besitzstandsregelung ein Pflegegeld von monatlich 468,00 DM gewährt. c) Hessen Das hessische Landesblindengeldgesetz vom 25. 10. 1977 (GVBI. I, S. 414) gewährte nach § 2 Abs. 1 Blinden nach Vollendung des 18. Lebensjahres ein Blindengeld in Höhe des Mindestbetrages der Pflegezulage für Blinde nach dem Bundesversorgungsgesetz und Blinden, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hatten, in Höhe von 50 v. H. dieses Betrages. Ab 01. 07. 1997 belief sich das Blindengeld damit für Blinde nach Vollendung des 18. Lebensjahres auf 1.155,00 DM, für Blinde vor Vollendung des 18. Lebensjahres auf 577,50 DM. Durch Art. 11 des hessischen Haushaltsbegleitgesetzes für die Haushaltsjahre 1998 und 1999 vom 18. 12. 1997 (GVBI. I, S. 429) wurde § 2 Abs. 1 des hessischen Blindengeldgesetzes mit Wirkung ab 01. 01. 1998 dahin geändert, daß sich das Blindengeld nach § 67 Abs. 2 und 6 des Bundessozialhilfegesetzes in der jeweils geltenden Fassung richtet. Das Blindengeld betrug damit seit 01. 01. 1998 für Blinde nach Vollendung des 18. Lebensjahres 1.063,00 DM und für Blinde vor Vollendung des 18. Lebensjahres 530,00 DM. Es stieg ab 01. 07. 1998 auf 1.068,00 DM bzw. 532,00 DM.

3. Übergang auf Festbeträge In den Ländern Baden-Württemberg, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen (für Blinde nach Vollendung des 60. Lebensjahres), SachsenAnhalt und Thüringen erfolgte der Übergang von einer dynamisierten Blindengeldleistung zu einem Blindengeld nach Festbetrag.

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I. Teil: Entwicklung der Blindengeldregelungen für Zivilblinde in Deutschland

a) Baden-Württemberg In Baden-Württemberg erfolgte durch Art. 4 des ersten Gemeindehaushaltsstrukturgesetzes vom 16. 12. 1996 (GBl. S. 781) mit Wirkung ab 01. 01. 1997 die Änderung des Gesetzes über die Landesblindenhilfe vom 08. 02. 1972 (GBl. S. 56). § 2 Abs. 1, der in seinem Satz 2 bestimmt hatte, daß sich die Blindenhilfe in Baden-Württemberg jeweils um den Vom-Hundert-Satz, um den die Blindenhilfe nach § 67 Abs. 6 BSHG in der jeweils geltenden Fassung angepaßt wird, erhielt folgende Fassung: ,,(1) Die Landesblindenhilfe wird Blinden nach Vollendung des 18. Lebensjahres in Höhe

eines Betrages von 800,00 Deutsche Mark, Blinden, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, in Höhe eines Betrages von 400,00 Deutsche Mark gewährt."

Das bedeutete eine Kürzung von 1.046,00 DM auf 800,00 DM für Blinde nach Vollendung des 18. Lebensjahres und von 521,00 DM auf 400,00 DM für Blinde vor Vollendung des 18. Lebensjahres. Außerdem fiel die Dynamisierung weg. Ursprünglich war in Art. 17 des baden-württembergischen Haushaltsstrukturgesetzes für 1997 geplant, das Gesetz über die Landesblindenhilfe vom 08. 02. 1972 (GBl. S. 56) vollständig aufzuheben. In einem Schreiben vom 14. 11. 1996 an die Fraktionen des Landtages und die Regierung von Baden-Württemberg nahmen die in der Arbeitsgemeinschaft der Blindenselbsthilfeorganisationen Baden-Württemberg zusammengeschlossenen Organisationen zu dem ihnen mit Schreiben vom 21. 10. 1996 übersandten Regierungsentwurf des Haushaltsstrukturgesetzes 1997 Stellung247 . In ihrer Stellungnahme forderten die Blindenselbsthilfeorganisationen, von einer Streichung des Blindenhilfegesetzes abzusehen und "gemeinsam mit den Vertretern der Betroffenen eine sozial verträgliche und dauerhafte Lösung" anzustreben, die "zugleich die Haushaltslage berücksichtigt". In ihrer Stellungnahme wiesen die Blindenselbsthilfeorganisationen darauf hin, daß keiner vom Haushaltsstrukturgesetz betroffenen Gruppe ein völliger Verzicht auf die staatliche Hilfe zugemutet würde und daß auch keine dieser Gruppen, z. B. Studenten und Beihilfeberechtigte, mit der Gruppe der Blinden verglichen werden könne. Außerdem wurde die Situation blinder Menschen, die Auswirkung des Verlustes des Sehvermögens und die Bedeutung der Blindenhilfe für die gesellschaftliche Eingliederung hervorgehoben. Die Blindenselbsthilfeorganisationen schlugen vor, wie in anderen Bundesländern (Niedersachsen und Schleswig-Holstein) beim Blindengeld einen prozentualen Abschlag (im Vergleich zur Blindenhilfe nach § 67 BSHG) vorzunehmen. Der Verwaltungsrat des Deutschen Blindenverbandes unterstützte die Bemühungen der Blindenselbsthilfeorganisationen in Baden-Württemberg um eine sozial 247 Der Arbeitsgemeinschaft der Blindenselbsthilfeorganisationen Baden-Württemberg gehören an: Badischer Blindenverein VmK (Sitz Mannheim), Blindenverband Ost-BadenWürttemberg e. V. (Sitz Stuttgart) und Blindenverein Südbaden e. V. (Sitz Freiburg).

Kap. 2: Die Entwicklung seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges

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verträgliche Lösung durch seine am 16. 11. 1996 gefaßte Resolution. Der Deutsche Blindenverband wies darauf hin, daß mit der Abschaffung des Blindenhilfegesetzes "nicht nur 25 Jahre Landesblindenhilfe in Baden-Württemberg beendet", sondern damit begonnen würde, "ein bundesweit bestehendes geschlossenes System von Landesgesetzen über eine einkommens- und vermögensunabhängige Blindenhilfe zu demontieren". Die Folge dieser Stellungnahmen und das Ergebnis daraufhin erfolgter Anhörungen im Landtag von Baden-Württemberg, insbesondere am 05. 12. 1996 im Finanzpolitischen Ausschuß, war, daß Art. 17 aus dem Regierungsentwurf des Haushaltsstrukturgesetzes 1997 gestrichen und die Änderung von § 2 des Blindenhilfegesetzes durch Art. 4 Gemeindehaushaltsstrukturgesetz vom 16. 12. 1996 (GVBI. S. 782) erfolgt ist. Zur Begründung der Absenkung der Blindenhilfe auf 800,00 DM bzw. 400,00 DM monatlich wird im Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU und der FDP / DVP zum erste Gemeindehaushaltsstrukturgesetz zu Art. 4 ausgeführt: " ... Vor dem Hintergrund der Situation der öffentlichen Haushalte ist es nicht mehr gerechtfertigt, eine Sozialleistung unabhängig vom Einkommen und Vermögen in dieser Höhe (Blindenhilfe von 1.046,00 DM bzw. 521,00 DM) unverändert zu erbringen." b) Brandenburg Mit Wirkung vom 01. 01. 1997 ist auch das Blindengeld in Brandenburg gekürzt worden, und zwar von 800,00 DM auf 650,00 DM monatlich für Blinde nach Vollendung des 18. Lebensjahres und von 400,00 DM auf 325,00 DM für Blinde vor Vollendung des 18. Lebensjahres (§ 3). Diese Änderung beruht auf Art. 5 des ersten Haushaltsstrukturgesetzes 1997 vom 17. 12. 1996 (GVBI. S. 358). Schon durch Art. 5 des Gesetzes zur Umsetzung des elften Buches Sozialgesetzbuch vom 27.06. 1995 (GVBI. S. 130) war die ursprünglich in § 3 des Landespflegegeldgesetzes für Brandenburg vom 08. 05. 1992 (GVBI. I, S. 168) verankerte Ankoppe1ung an die Pflegegeldsätze nach § 69 Abs. 4 S. 2 BSHG aufgegeben und das Pflegegeld von damals 840,00 DM auf 800,00 DM gekürzt worden. Das bedeutete den Wechsel von einem dynamisierten Blindengeld zu einem Festbetrag. Auch die Anrechnung der Pflegeleistungen nach dem SGB XI auf das Blinden gewährte Pflegegeld wurde durch das 1. Haushaltsstrukturgesetz vom 17. 12. 1996 wesentlich verschlechtert. Während das Gesetz vom 27. 06. 1995 (GVBI. S. 130) entsprechend der Regelung in Bayern noch bestimmt hatte, daß sowohl bei Geld- als auch bei Sachleistungen nach den §§ 36-38 SGB XI in Pflegestufe I eine Anrechnung in Höhe von 60% des Pflegegeldes der Pflegestufe I nach § 36 (= 240,00 DM) und in den Pflege stufen 11 und III 40% des Pflegegeldes der Pflegestufe 11 nach § 36 (= 320,00 DM) erfolgt, wurde nunmehr bestimmt, daß eine Anrechnung in Höhe von 70% des Wertes der Pflegeleistung nach den §§ 36-38 SGB XI erfolgt.

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1. Teil: Entwicklung der Blindengeldregelungen für Zivilblinde in Deutschland

c) Mecklenburg-Vorpommern Das Landesblindengeldgesetz von Mecklenburg-Vorpommern wurde durch Art. 6 des Haushaltsrechtsgesetzes für 1999 vom 25. 07. 1999 (GVBl. Nr. 13, S. 395) dahin geändert, daß das Blindengeld für Volljährige auf 1.068,00 DM festgeschrieben worden ist. Aufgrund einer Entschließung des Landtages soll die Landesregierung die Höhe des Blindengeldes im Jahr 2003 überprüfen. d) Nordrhein-Westfalen Einen völlig neuen Weg ist der Gesetzgeber in Nordrhein-Westfalen mit dem aufgrund von Art. 5 des Gesetzes zur Stärkung der Leistungsfähigkeit der Kreise, Städte und Gemeinden in Nordrhein-Westfalen vom 25. 1l. 1997 (GVBl. NWV S. 2170) erlassenen Gesetzes über die Hilfen für Blinde und Gehörlose (GHBG) gegangen. Durch dieses Gesetz wurde mit Wirkung vom Ol. 01. 1998 das Landesblindengeldgesetz vom 1l. 11. 1992 (GVBl. S. 447) abgelöst. Im Rahmen dieses Gesetzes wurde die Hilfe für hochgradig Sehbehinderte, die das 16. Lebensjahr vollendet haben, im Teil 2 des Gesetzes (§ 5) als Gesetzesleistung übernommen. Sie erhielten bisher bereits eine Landesleistung nach dem Runderlaß des Ministers für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen vom 17. 09. 1980. Die Aufnahme der Landeshilfe für Sehbehinderte sollte der Beseitigung der unterschiedlichen Verwaltungsverfahren, der "Harmonisierung des Leistungsrechts sowie der Vereinheitlichung und Optimierung des Verwaltungs verfahrens" dienen 248 . Damit verbunden war eine Anhebung von bisher 120,00 DM auf 150,00 DM monatlich. Mit dem dritten Teil "Hilfe für Gehörlose" ist ein GehörlosengeId von 150,00 DM monatlich neu eingeführt worden (§ 5). § 2 des GHBG bestimmt in Abs. 1, daß sich das Blindengeld in seiner Höhe nach den Vorschriften über die Blindenhilfe gemäß § 67 BSHG in der jeweils geltenden Fassung richtet. Das heißt, daß es zur Zeit des Inkrafttretens 1.063,00 DM und ab 01. 07. 1998 l.068,00 DM beträgt. Für Blinde, die das 60. Lebensjahr vollendet haben, wurde das Blindengeld durch § 2 Abs. 1 GHBG auf 925,00 DM festgesetzt.

Eine Dynamisierung ist nicht vorgesehen. Nach § 2 Abs. 1 S. 3 des GHBG ist das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales ermächtigt, durch Rechtsverordnung nach Zustimmung des für die kommunale Selbstverwaltung zuständigen Ausschusses des Landtags die Höhe des Blindenge1des nach Satz 2 anzuheben. 248

Amtliche Begründung zu Art. 5 A Allgemeiner Teil, Nr. 2.

Kap. 2: Die Entwicklung seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges

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Bei den Hilfen für hochgradig Sehbehinderte (§ 4) und Gehörlose (§ 5) ist eine Anpassung in dieser Weise nicht vorgesehen, sie könnte nur durch Gesetzesänderung erfolgen. Mit der Regelung in § 2 Abs. 1 S. 1, wonach sich das Blindengeld für Blinde vor Vollendung des 60. Lebensjahres nach der Blindenhilfe in § 67 BSHG richtet, während gemäß § 2 Abs. 1 S. 2 für Blinde nach Vollendung des 60. Lebensjahres ein Festbetrag eingeführt worden ist, hat Nordrhein-Westfalen als einziges Bundesland eine an das Alter anknüpfende Aufspaltung beim Blindengeld für Volljährige vorgenommen. In der Amtlichen Begründung berufen sich die Verfasser der Regierungsvorlage darauf, daß es sich bei dem Blindengeld um eine Leistung der Solidargemeinschaft handele, "die stets unter dem Vorbehalt geschieht, den Prinzipien der Zielgenauigkeit und der sozialen Gerechtigkeit genügen zu müssen,,249. Weiter wird die Absenkung des Blindengeldes für Blinde nach dem vollendeten 60. Lebensjahr im Vergleich zur Blindenhilfe für Kinder, Jugendliche und Erwachsene vor Vollendung des 60. Lebensjahres damit begründet, daß es für diesen Personenkreis nicht mehr um die Ausbildung, berufliche Eingliederung und Existenzgründung gehe. Weil der größte Teil der Altersblinden in der Regel, "wie jeder andere auch, die Chance hatte, sich eine eigene angemessene Altersversorgung zu erwirtschaften", sei eine "maßvolle Kürzung von derzeit 1.063,00 DM auf 925,00 DM zuzumuten,,250. Übersehen wird bei dieser Begründung, daß keineswegs alle Blinden mit dem 60. Lebensjahr aus dem Berufsleben ausscheiden. Außerdem hat ein nicht unbeachtlicher Anteil der älteren Blinden, nämlich ca. 30%, sein Augenlicht vor Erreichung dieser Altersgrenze verloren und war deshalb zum großen Teil nicht oder nur eingeschränkt in der Lage, für eine ausreichende Altersvorsorge zu sorgen. Schließlich und endlich wird der Sinn und Zweck des Blindengeldes verkannt, einen Ausgleich für blindheitsbedingte Mehraufwendungen zu leisten. Vielmehr wird dem Blindengeld hier ein Versorgungscharakter beigemessen. Blindheitsbedingte Mehraufwendungen werden mit fortschreitendem Alter nicht geringer. Zunehmend wird sogar für die Mobilität außer Haus mehr Hilfe durch Begleitpersonen oder Benutzung von Taxis erforderlich, weil z. B. durch zunehmende Höreinschränkungen oder Einschränkungen der Beweglichkeit die frühere Selbständigkeit verlorengeht. Wenn man noch die unterschiedlichen Anpassungsregelungen in Betracht zieht (automatische Anpassung des Blindengeldes für Blinde vor Vollendung des 60. Lebensjahres, Anpassung des Blindenge1des nach Vollendung des 60. Lebensjahres durch Rechtsverordnung und Anpassung der Hilfen für hochgradig Sehbehinderte und Gehörlose nur durch Gesetzesänderung), kann dieses Gesetz nicht als geglückt beurteilt werden. 249 250

Amtliche Begründung zum GHBG A Nr. 3. Amtliche Begründung zum GHBG, Teil B zu § 1 Abs. 1 Sätze 2 und 3.

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1. Teil: Entwicklung der Blindengeldregelungen für Zivilblinde in Deutschland

e) Sachsen-Anhalt Nach dem Gesetz über das Blindengeld im Land Sachsen-Anhalt vom 19. 01. 1992 (GVBl. S. 565) § 1 Abs. 3 richtete sich die Höhe des Blindengeldes nach der Höhe der Blindenhilfe gemäß § 67 Abs. 2 und Abs. 6 BSHG entsprechend der Anlage I, Kapitel IX, Sachgebiet A, Abschnitt 3, Nr. 3, Buchstabe h) des Einigungsvertrages vom 31. 08. 1990 (BGBL 11, S. 889) in der für das Land SachsenAnhalt geltenden Maßgabe. Aufgrund der Anpassung der BSHG-Sätze in den neuen Bundesländern an die BSHG-Sätze in den alten Bundesländern gemäß § 152 BSHG in der Fassung vom 20. 12. 1996 (BGBL I, S. 1088) stieg das Blindengeld mit Wirkung ab 01. 08. 1996 für Blinde nach Vollendung des 18. Lebensjahres von 840,00 DM auf 1.046,00 DM und für Blinde vor Vollendung des 18. Lebensjahres von 420,00 DM auf 521,00 DM. Durch das Haushaltsbegleitgesetz 1997 vom 17. 12. 1996 (GVBl. S. 419 f.) wurde § 1 Abs. 4 des Gesetzes über das Blinden- und Gehörlosenge1d im Lande Sachsen-Anhalt dahin geändert, daß ab 01. 01. 1997 das Blindengeld für Blinde nach Vollendung des 18. Lebensjahres wieder 840,00 DM und für Blinde vor Vollendung des 18. Lebensjahres 420,00 DM beträgt. Die Bezugnahme auf die Blindenhilfe nach § 67 BSHG wurde aufgegeben und damit die Dynamisierung des Blindengeldes beseitigt. Der Gesetzgeber erhielt jedoch durch § 7 Abs. 2 die Verpflichtung, die Höhe des Blindengeldes zu überprüfen, wenn der allgemeine Lebenshaltungskostenindex des Statistischen Bundesamtes um 10 v. H. gegenüber dem Jahr 1996 gestiegen ist, spätestens jedoch nach 10 Jahren. f) Thüringen

Das Blindengeld nach dem Thüringer Blindengeldgesetz vom 21. 07. 1992 (GVBl. S. 355) bemaß die Höhe des Blindengeldes nach den Bestimmungen über die Blindenhilfe nach § 67 Abs. 2 und 6 BSHG (§ 2 Thüringer Blindengeldgesetz). Abweichend davon erhielten Blinde, die das 14. Lebensjahr, aber noch nicht das 18. Lebensjahr vollendet hatten, 75 v. H. des vollen Blindengeldes (§ 2 Abs. 1 S. 2 Thüringer Blindengeldgesetz). Mit Wirkung ab 01. 08. 1996 erreichte die Blindengeldleistung in Thüringen wegen der Angleichung der Sozialhilfe1eistungen in den neuen Bundesländern diejenigen der alten Bundesländer (vgl. § 152 BSHG in der Fassung vom 21. 12. 1996). Das Blindengeld betrug damit für Blinde nach Vollendung des 18. Lebensjahres ab 01. 08. 1996 1.046,00 DM, für Blinde nach Vollendung des 14. Lebensjahres, aber vor Vollendung des 18. Lebensjahres 75% hieraus = 784,50 DM, für Blinde vor Vollendung des 14. Lebensjahres belief sich das Blindengeld zu diesem Zeitpunkt auf 521,00 DM.

Kap. 2: Die Entwicklung seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges

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Durch Art. I des ersten Gesetzes zur Änderung des Thüringer Blindengeldgesetzes vom 25. 06. 1998 (GVBl. S. 201) erfolgte eine Änderung des Thüringer Blindengeldgesetzes vom 21. 07. 1992 (GVBl. S. 355). Durch Art. I Nr. 2 wurde § 2 Abs. 1 des Thüringer Blindengeldgesetzes dahin geändert, daß das Blindengeld mit Wirkung ab 01. 07. 1998 für Blinde nach Vollendung des 18. Lebensjahres weiterhin 1.063,00 DM beträgt. Blinde, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, erhalten von diesem Zeitpunkt an weiterhin ein Blindengeld in Höhe von 530,00 DM monatlich (§ 2 Abs. 1 des Gesetzes). Da nicht mehr auf § 67 Abs. 2 und Abs. 6 BSHG Bezug genommen wird, ist eine automatische Anpassung nicht mehr gegeben. Die Blindenhilfe nach § 67 BSHG ist zum 01. 07. 1998 von 1.063,00 DM auf 1.068,00 DM für Blinde nach Vollendung des 18. Lebensjahres und von 530,00 DM auf 532,00 DM für Blinde vor Vollendung des 18. Lebensjahres gestiegen. Für Blinde nach Vollendung des 14. Lebensjahres, deren Blindengeld vor Inkrafttreten des ersten Änderungsgesetzes am 01. 07. 1998 zuletzt 797,25 DM betrug, brachte die Neuregelung eine Kürzung um 267,25 DM auf 530,00 DM mit sich. In § 11 (Übergangsbestimmung) ist für diejenigen Blinden, die das 14. Lebensjahr, aber noch nicht das 18. Lebensjahr vollendet und Blindengeld vor Inkrafttreten des ersten Gesetzes zur Änderung des Thüringer Blindenge1dgesetzes beantragt hatten, eine Besitzstandsregelung erfolgt. Sie erhalten bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres Blindengeld in Höhe von 797,00 Deutsche Mark. Hauptziel des Änderungsgesetzes war die Anpassung aufgrund des SGB XI (Einführung der sozialen Pflegeversicherung)251. Nach der Gesetzesbegründung B Nr. 2 wollte sich der Landesgesetzgeber mit der Abkoppelung der Höhe der Blindenhilfe vom BSHG von dem dort gegebenen Automatismus unabhängig machen, ohne daß es für die Leistungsberechtigten "in absehbarer Zeit einen maßgeblichen Leistungsverlust" mit sich brächte252 . Für über 14jährige sah der Gesetzgeber keine objektive Notwendigkeit für eine höhere Leistung im Vergleich zu unter 14jährigen253 . Entgegen der Auffassung in der Amtlichen Begründung handelt es sich beim Wegfall der Dynamisierung wegen der Dauerwirkung dieser Gesetzesänderung um einen schwerwiegenden Eingriff. Schon durch Art. 10 des Haushaltsbegleitgesetzes für den Landeshaushalt 200112002 vom 21. 12. 2000 (GVBl. S. 412) wurde das Thüringische Blindengeldgesetz erneut geändert. Das Blindengeld erfuhr mit Wirkung ab 01. 01. 2001 eine Kürzung von 1.063,00 DM auf 950,00 DM (§ 2 Abs. 1). Ursprünglich war im Gesetzentwurf

251 252 253

Vgl. Amtliche Begründung zum ersten Änderungsgesetz, Abschnitt A, Allgemeines. Amtliche Begründung, Teil B, Nr. 2. Amtliche Begründung, Teil B, Nr. 2.

192

1. Teil: Entwicklung der Blindengeldregelungen für Zivilblinde in Deutschland

zum Haushaltsbegleitgesetz sogar die Herabsetzung auf 700,00 DM monatlich geplant. Das Blindengeld für Minderjährige wurde auf 475,00 DM monatlich festgesetzt

(§ 2 Abs. 1 S. 2). Verändert wurde auch die Anrechnung der Leistungen bei häuslicher Pflege nach den §§ 36 - 38 SGB XI (§ 4 Abs. 2). Mit Wirkung, allerdings

erst ab 01. 01. 2003, werden die Anrechnungsprozentsätze so verändert, daß in Pflegestufe I nicht mehr 100,00 DM, sondern 200,00 DM, in Pflegestufe 11 nicht mehr 150,00 DM, sondern 250,00 DM und in Pflegestufe III nicht mehr 200,00 DM, sondern 300,00 DM zur Anrechnung kommen. 4. Ereignisse von Bremen

Hier ist darauf hinzuweisen, daß in Bremen die Absicht bestand, das Bremische Pflegegeldgesetz - und damit auch die Landesleistung für Blinde - vollständig abzuschaffen, wobei für die bisherigen Leistungsfälle eine Besitzstandsregelung vorgesehen war (Senatsbeschluß der großen Koalition - CDU / SPD - vom 16. 01. 2001). Der Gesetzesentwurf wurde bereits im Landesparlament (Bürgerschaft) eingebracht. Nach intensiven Verhandlungen des Bremischen Blinden- und Sehbehindertenvereins und des Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverbandes (DBSV) mit Politikern aller Fraktionen und einer Demonstration, die am 09. 06. 2001 in Bremen stattfand und an der sich über 4.000 Personen (überwiegend Blinde, aber auch Sehende, die die Forderungen der Blinden unterstützten) aus der ganzen Bundesrepublik beteiligt hatten254 , gab die zuständige Senatorin, Frau Adolf, am Sonntag, 17. 06. 200 1, bekannt, daß das Pflegegeldgesetz erhalten bleiben soll. Das Pflegegeld werde allerdings auf 650,00 DM gekürzt255 . Diese Änderung ist zwischenzeitlich durch das Gesetz vom 04. 12. 2001 (Brem.GBl. S. 393) erfolgt. Der Betrag wurde auf 332,50 Euro festgesetzt.

111. Umstellung auf Euro Zum 01. 01. 2002 wurden die Blindengeldleistungen nach den Landesgesetzen und nach dem BSHG auf Euro umgesetellt. Teilweise erfolgt das durch Anpassungsgesetze, und zwar insbesondere in den Ländern, in welchen § 67 BSHG für die Höhe des Blindengeldes nicht maßgebend ist, teilweise ergab sich die Umstellung aus der entsprechenden Neuregelung in § 67 BSHG.

Vgl. Bericht von Thomas Nicolai in: "Die Gegenwart", Heft 7/8/2001, S. 2 ff. Vgl. Presseerklärung des Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverbandes vom 18.06.2001, u. a. veröffentlicht in: "Die Gegenwart", Heft 7/8/2001, S. 9. 254 255

Kap. 3: Zusammenfassung der geschichtlichen Entwicklung

193

In Sachsen führte die Umstellung sogar zu einer leichten Leistungsanhebung. Sie erfolgte durch das Gesetz über die Gewährung eines Landesblindengeldes und anderer Nachteilsausgleiche vom 14. 12.2001 (GVBI. Nr. 17 vom 28. 12.2001, S. I ff.). Mit diesem Gesetz wurde gleichzeitig das Gesetz über die Gewährung eines Landesblindengeldes und anderer Nachteilsausgleiche vom 11. 02. 1992 aufgehoben. IV. Beurteilung Die in diesem Abschnitt behandelten Gesetzesänderungen haben zu einer massiven Veränderung des Blindengeldrechtes geführt. Keine Eingriffe fanden nur in folgenden Landesgesetzen statt: Hamburg, Saarland und Sachsen. Nur in zwei dieser Länder, nämlich in Hamburg und im Saarland, richtet sich das Landesblindengeld noch nach der Blindenhilfe gemäß § 67 BSHG. § 67 BSHG hat nur noch in sechs Ländern, nämlich in Bayern, Berlin, Hamburg, Hessen, Nordrhein-Wesfalen für Blinde vor Vollendung des 60. Lebensjahres und im Saarland Leitfunktion.

Die Ausgleichsleistungen für Blinde sind in der Bundesrepublik damit sehr unterschiedlich. Die frühere Geschlossenheit des Blindengeldsystems ist verlorengegangen. Kapitel 3

Zusammenfassung der geschichtlichen Entwicklung Im Laufe des 19. Jahrhunderts entstanden an vielen Orten Deutschlands private und öffentliche Blindenschulen sowie in der Regel diesen angeschlossene Beschäftigungs- bzw. Versorgungsanstalten. Blinde Menschen erhielten dort Unterkunft und Verpflegung und konnten handwerklichen Berufen (Bürstenmacher, Korbflechter, Seiler oder Weber) nachgehen. Vielfach beschäftigten diese Einrichtungen Blinde auch als Heimarbeiter. Wegen der trotz Bildung, Ausbildung und Beschäftigung verbleibenden blindheitsbedingten Nachteile und Mehrbelastungen ist bereits im Laufe des 19. Jahrhunderts vereinzelt die Forderung nach einer staatlichen Ausgleichsleistung erhoben worden. Blinde Menschen schlossen sich zu Selbsthilfeorganisationen zusammen und strebten von der privaten Wohltätigkeit und der Armenfürsorge weg. Während der Zeit der Weimarer Republik (1918-1933) unternahmen die Blindenselbsthilfeorganisationen vielfältige Anstrengungen, um eine staatliche "Blindenrente" für diejenigen Blinden zu erreichen, die keine entsprechenden Leistungen aus einem besonderen Versorgungssystem, wie es die soziale Unfallversicherung für Berufsunfallopfer bzw. die Kriegsopferversorgung darstellten, erhielten. Diesen Bemühungen war kein Erfolg beschieden. Lediglich im Rahmen des Für13 Demmel

194

1. Teil: Entwicklung der Blindengeldregelungen für Zivilblinde in Deutschland

sorgerechtes machten die Länder teilweise von der Möglichkeit in § 6 der Fürsorgepflichtverordnung vom 13.02. 1924 Gebrauch, Blinde in die gehobene Fürsorge zu übernehmen. Das hatte zur Folge, daß die den örtlichen Verhältnissen angepaßten Fürsorgerichtsätze um "in der Regel wenigstens 1 /4 des allgemeinen Richtsatzes" erhöht waren (§ 6 Abs. 3 S. 3 Fürsorgepflichtverordnung). Während der Zeit des Dritten Reiches (1933 -1945) war die Leistung eines staatlichen Ausgleiches für blindheitsbedingte Nachteile und Mehrbelastungen nicht erreichbar. Solche Leistungen waren mit der Einstellung des Nationalsozialismus gegenüber behinderten Menschen unvereinbar. Die Blindenselbsthilfeorganisationen gaben deshalb ihre Bemühungen um eine Blindenrente in dieser Zeit auf. Nach dem Zweiten Weltkrieg nahmen die Blindenselbsthilfeorganisationen ihre Bemühungen wieder auf. Weil ein deutscher Staat nicht mehr bestand, waren Ansprechpartner die Länder. Als erstes Landesgesetz erging in Bayern das Gesetz über die Gewährung von Blindengeld an Friedensblinde vom 28. 09. 1949. Nach diesem Gesetz erhielten Blinde ein Blindengeld in Höhe von monatlich 75,00 DM. Die Leistung war allerdings vom Einkommen und Vermögen abhängig. Es hatte die gleiche Höhe wie das Pflegegeld für Kriegsblinde nach dem bayerischen Körperbehindertenleistungsgesetz. 1953 wurde das bayerische Gesetz über die Gewährung von Blindengeld an Friedensblinde durch das bayerische Zivilblindenpflegegeldgesetz vom 19.06. 1953 abgelöst. Die Gewährung des Zivilblindenpflegegeldes erfolgte von da an unabhängig von Einkommen und Vermögen. Landesblindengeldgesetze ergingen außer in Bayern in den Ländern Hessen (Gesetz vom 19.07. 1950) und Rheinland-Pfalz (Gesetz vom 12.05. 1953). Die Länder Nordrhein-Westfalen und Berlin führten Blindengeldleistungen aufgrund von Verwaltungsvorschriften (1951) ein. In den übrigen Ländern - mit Ausnahme von Baden-Württemberg - wurden lediglich Blinden Fürsorgeempfängern erhöhte Fürsorgerichtsätze gewährt. Der 1949 als Nachfolgeorganisation des Reichsdeutschen Blindenverbandes gegründete Deutsche Blindenverband (DBV) strebte nach Gründung der Bundesrepublik Deutschland eine bundesrechtliche Blindengeldregelung an. Diese Bemühungen führten dazu, daß aufgrund von Art. 4 des Fürsorgeergänzungsgesetzes vom 20. 08. 1953 § 11 f in die Reichsgrundsätze über Voraussetzung, Art und Maß der öffentlichen Fürsorge (RGR vom 04. 12. 1924) aufgenommen wurde. Blinden Fürsorgeempfängern wurde für die Bemessung des Fürsorgerichtsatzes ein Mehrbedarf für Pflege in Höhe des zweifachen Fürsorgerichtsatzes zugestanden, wobei die Höhe der Pflegezulage eines Kriegsblinden nicht überschritten werden durfte. Das hatte Auswirkungen auf das Landesrecht. Der Hessische Landtag hob durch Gesetz vom 12. 04. 1954 das hessische Blindenpflegegeldgesetz vom 19.07. 1950 auf, weil es nur eine Übergangslösung sein sollte. Das Blindengeldgesetz von Rheinland-Pfalz trat automatisch außer Kraft.

Kap. 3: Zusammenfassung der geschichtlichen Entwicklung

195

Weil § 11f RGR keine befriedigende Lösung brachte, gingen die Bemühungen in den Ländern zum Erlaß von Landesblindengeldgesetzen weiter. Zum Erlaß eines Blindengeldgesetzes kam es am 03. 08. 1954 in Westberlin. In den übrigen Bundesländern ergingen Blindengelderlasse, die gegenüber § Ilf RGR höhere Leistungen und höhere Einkommens- und Vermögensgrenzen zugestanden. Bevor es zur Neuregelung des Fürsorgerechts durch das Bundessozialhilfegesetz vom 30. 06. 1961 (in Kraft getreten am 01. 06. 1962) kam, gab es in vier Ländern, nämlich in Bayern, Berlin und im Saarland, das bereits vor dem politischen Anschluß an die Bundesrepublik Deutschland ein Blindengeldgesetz hatte (Gesetz über die Gewährung einer Blindheitshilfe an Zivilblinde im Saarland vom 22. 06. 1950), auf gesetzlicher Grundlage und in Hessen auf der Grundlage von Richtlinien ein Blindengeld ohne Rücksicht auf Einkommen und Vermögen. Mit Inkrafttreten des Bundessozialhilfegesetzes hatten Blinde nach § 67 BSHG ab 01. 06. 1962 einen Anspruch auf Blindenhilfe in Höhe von monatlich 200,00 DM. Das entsprach der Pflegezulage für Kriegsblinde nach dem Bundesversorgungsgesetz zu diesem Zeitpunkt. Die Blindenhilfe war von den im BSHG gesetzten Einkommens- und Vermögens grenzen abhängig. Leistungen aufgrund eines Landesgesetzes hatten Vorrang. In der Folgezeit erfuhren bis 1974 sowohl die Blindenhilfe nach § 67 BSHG als auch die Landesblindengeldgesetze laufend Verbesserungen. Die zweite Novelle zum BSHG vom 14.08. 1969 brachte mit Wirkung vom 01. 10. 1969 die Anbindung der Höhe der Blindenhilfe nach § 67 BSHG an die Pflegezulage für Kriegsblinde nach § 35 BVG. Damit war ein wesentliches Ziel der Blindenselbsthilfeorganisationen erreicht. Die bestehenden Landesblindengeldgesetze von Bayern, Berlin und Saarland führten durch Bezugnahme auf § 67 BSHG oder § 35 BVG für ihren Geltungsbereich ebenfalls die Dynamisierung der Blindengeldleistungen ein. In den folgenden Jahren kam es in sämtlichen anderen Bundesländern zum Erlaß von Blindengeldgesetzen. Die Höhe des Blindengeldes entsprach durch Bezugnahme auf § 67 BSHG oder § 35 BVG der Pflegezulage für Kriegsblinde. Sämtliche Landesgesetze verzichteten auf Einkommens- und Vermögens grenzen. Damit war ein System, bestehend aus der Blindenhilfe nach § 67 BSHG und den Landesblindengeldgesetzen, entstanden. Im Rahmen von Bestrebungen zur Reform des Sozialhilferechts regten 1976 kommunale Spitzenverbände u. a. die Abschaffung von § 67 BSHG an, weil sie diese Bestimmung infolge der Landesblindengeldgesetze nicht mehr für notwendig hielten. Demgegenüber wurde auf die Leitfunktion und die infolge der fehlenden Harmonisierung zwischen den Landesblindengeldgesetzen Lücken ausfüllende Bedeutung der Blindenhilfe nach § 67 BSHG hingewiesen. Mit Rücksicht auf diese Argumente blieb § 67 BSHG erhalten. Ab dem zweiten Haushaltsstrukturgesetz vom 22. 12. 1981 kam es aus fiskalischen Gründen zu Eingriffen bei den Blindengeldgesetzen. In Rheinland-Pfalz \3*

196

I. Teil: Entwicklung der Blindenge\dregelungen für Zivilblinde in Deutschland

wurde aufgrund des Haushaltsfinanzierungsgesetzes 1981 ab 01. 01. 1982 das Pflegege1d bei 750,00 DM monatlich eingefroren. Durch das zweite Haushaltsstrukturgesetz vom 22. 12. 1981 und das Hausha1tsbeg1eitgesetz von 1984 erfolgte die Aussetzung der Dynamisierung der Blindenhilfe nach § 67 BSHG. Es blieb vom 01. 01. 1982 bis zum 01. 07. 1984 bei 750,00 DM festgeschrieben. Damit war die Anbindung an die Pflegezulage für Kriegsblinde nach § 35 BVG verlorengegangen. Mit Ausnahme von Berlin und Hessen folgten die anderen Landesblindengeldgesetze diesem Beispiel. Die Bezugnahme auf § 35 BVG wurde in den Landesgesetzen durch die Bezugnahme auf § 67 BSHG ersetzt, soweit diese nicht schon gegeben war. In Bayern erfolgte die Festschreibung des Blindenpflegegeldes durch Art. 10

§ 13 des Haushaltsgesetzes für die Haushaltsjahre 1983/ 1984 auf 788,00 DM

monatlich (die Blindenhilfe nach BSHG betrug zu diesem Zeitpunkt 750,00 DM monatlich). Durch das Haushaltsgesetz 1985/86 erfolgte eine Rückkehr zur Dynamisierung. Das Pflegegeld in Bayern erhöhte sich ab 01. 07. 1985 um den selben Prozentsatz, um den sich die Pflegezulage für Kriegsblinde nach § 35 BVG veränderte. Ausgangsbasis war die Pflegezulage nach § 35 BVG in der Fassung der Bekanntmachung vom 22.01. 1982. Die 1974 erreichte Einheitlichkeit zwischen der Blindenhilfe einerseits, den Landesblindengeldgesetzen andererseits sowie die Anbindung an die Höhe der Pflegezulage für Kriegsblinde nach § 35 BVG war verlorengegangen. Am 03. 10. 1990 erfolgte durch den Beitritt der auf dem Gebiet der ehemaligen DDR entstandenen neuen Bundesländer die Wiedervereinigung. Weil 1992 in sämtlichen neuen Bundesländern Landesblindengeldgesetze erlassen worden sind, blieb das System der Blindengeldgesetze erhalten, die Leistungen waren allerdings sehr unterschiedlich. Einige Landesgesetze orientierten sich an der Blindenhilfe nach § 67 BSHG in der für die neuen Bundesländer geltenden Höhe, andere gewährten ein Blindenge1d nach Festbeträgen. Mit Einführung der sozialen Pflegeversicherung stellte sich die Frage, ob Blinde pflegebedürftig sind und inwieweit eine Anrechnung auf die Leistungen nach den Blindengeldgesetzen bzw. nach § 67 BSHG möglich war. Der Hilfebedarf bei Pflegebedürftigkeit bezieht sich auf Körperpflege, Mobilität, Ernährung und hauswirtschaftliche Versorgung; er ist körperbezogen. Der Hilfebedarf eines Blinden erfaßt einen weiteren Radius; er erstreckt sich auf die Bereiche Information, lebenspraktische Fertigkeiten und Mobilität, vor allem auch im außerhäuslichen Bereich. Überschneidungen sind gegeben. Vor allem kann Blindheit bei fehlender Rehabilitation oder im Zusammenwirken mit anderen Krankheiten oder Behinderungen zu Pflegebedürftigkeit führen. Nach Einführung der sozialen Pflegeversicherung durch das SGB XI vom 26. 05. 1994 ergingen wegen der möglichen Überschneidungen in den Landesblindengeldgesetzen und in § 67 BSHG Anrechnungsregelungen. Diese fielen sehr unterschiedlich aus. Sie sind teilweise auch unklar gefaßt. Über

Kap. 3: Zusammenfassung der geschichtlichen Entwicklung

197

die Schaffung reiner Anrechnungsregelungen gingen die Länder hinaus, die in ihren Landesgesetzen Leistungen nicht nur an Blinde, sondern auch an andere Behinderte vorsahen, wie Berlin, Rheinland-Pfalz und Brandenburg. Die in den Ländern der Bundesrepublik Deutschland in den 90er Jahren zunehmend auftretenden Haushaltsengpässe führten ebenfalls zu Eingriffen in Leistungsgesetze. Die Eingriffe in Landesblindengeldgesetze erfolgten teilweise im Rahmen von Haushaltsstrukturgesetzen und teilweise im Rahmen der durch die Einführung der sozialen Pflegeversicherung durch das SGB XI gebotenen Anpassungen. Bei den Kürzungen waren drei Varianten zu beobachten: 1. Das Landesblindengeld orientiert sich zwar nach wie vor an der Blindenhilfe nach § 67 BSHG, es wird jedoch ein prozentualer Abschlag vorgenommen (Schleswig-Holstein und Niedersachsen). 2. Blindengeldleistungen, die bisher höher lagen als die Blindenhilfe nach dem BSHG, werden künftig nur noch in Höhe der Blindenhilfe nach dem BSHG gewährt (Bayern, Berlin und Hessen). In Berlin besteht für Altfälle eine Besitzstandsregelung. 3. Die Bindung an die Blindenhilfe nach § 67 BSHG wurde aufgegeben. Das Blindengeld wurde gekürzt; es wird nur noch in der Form von Festbeträgen gewährt (Baden-Württemberg, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, NordrheinWestfalen für Blinde nach Vollendung des 60. Lebensjahres, Sachsen-Anhalt und Thüringen). Die Landesblindengeldgesetze haben sich seit Anfang der 80er Jahre weit auseinanderentwickelt. § 67 BSHG hat viel von seiner Leitfunktion eingebüßt. Demgegenüber ist die ergänzende und lückenfüllende Funktion stärker hervorgetreten. Das beruht darauf, daß Blinde, wenn das einkommens- und vermögensunabhängige Landesblindengeld niedriger als die Blindenhilfe nach § 67 BSHG ist, einen Ergänzungsanspruch in Höhe dieser Differenz nach § 67 BSHG haben. Dabei sind für diesen Ergänzungsanspruch die Einkommens- und Vermögens grenzen nach dem BSHG zu beachten. Zum 01. 01. 2002 sind alle Blindengeld1eistungen auf Euro umgestellt worden.

Zweiter Teil

Rechtssystematische Einordnung und vergleichende Darstellung der Blindengeldgesetze Kapitell

Rechtsgrundlagen und Übersicht über ihre Behandlung Im zweiten Teil wird die rechtssystematische Einordnung der Blindengeldgesetze untersucht. Außerdem werden die Blindengeldgesetze, die zum Teil erheblich voneinander abweichen, miteinander verglichen.

A. Rechtsgrundlagen Der Untersuchung liegen die folgenden Landesgesetze zugrunde: Baden-Württemberg: Gesetz über die Landesblindenhilfe (Blindenhilfegesetz - BURG) vom 08. 02. 1972 (GBI. S. 56), zuletzt geändert durch Gesetz vom 16. 12. 1996 (GBI. S. 781), Bayern: Bayerisches Blindengeldgesetz vom 07. 04. 1995 (GVBI. S. 150), geändert durch Gesetz vom 24. 04. 2001 (GVBI. S. 140), Berlin: Gesetz über Pflegeleistungen (PflegeG) vom 22. 12. 1994 (GVBI. S. 520), geändert durch Gesetz vom 12.03. 1997 (GVBI. S. 69), geändert durch Artikel IX Berliner Euro-Anpassungsgesetz vom 16.07.2001 (GVBI. S. 260), Brandenburg: Gesetz über die Leistung von Pflegegeld an Schwerbehinderte, Blinde und Gehörlose (Landespflegegeldgesetz - LPflGG) in der Fassung vom 11. 10. 1995 (GVBI. S. 259), geändert durch Gesetz vom 17. 12. 1996 (GVBI. S. 358), Bremen: Bremisches Gesetz über die Gewährung von Pflegegeld an Blinde und Schwerstbehinderte (Landespflegegeldgesetz) i. d. F. der Bekanntmachung vom 27. 04. 1984 (BremGBI. S. 111), zuletzt geändert durch Gesetz vom 04. 12. 2001 (BremGBI. S.393),

Kap. 1: Rechtsgrundlagen und Übersicht über ihre Behandlung

199

Hamburg: Gesetz über die Gewährung von Blindengeld (Hamburgisches Blindengeldgesetz HmbBlinGG) vom 19. 02. 1971 (HambGVBI. S. 29), zuletzt geändert durch Gesetz vom 28. 05.1997 (HambGVBI. S. 155), Hessen: Gesetz über das Landesblindengeld für Zivilblinde (Landesblindengeldgesetz LBLIGG) vom 25. 10. 1977 (GVBI. I, S. 414), geändert durch Gesetz vom 18. 12. 1997 (GVBI. I, S. 429), Mecklenburg-Vorpommern: Gesetz über Landesblindengeld (Landesblindengeldgesetz - LBlGG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 28. 08. 1995 (GVOBI. S. 426), zuletzt geändert durch Gesetz vom 12. 12.2001 (GVOBI. S. 1), Niedersachsen: Gesetz über das Landesblindengeld für Zivilblinde in der Fassung vom 18.01. 1993 (GVBI. S 25), zuletzt geändert durch Gesetz vom 20.11. 2001 (GVBI. S. 701), Nordrhein-Westfalen: Gesetz über die Hilfen für Blinde und Gehörlose (GHBG) vom 25. 11. 1997 (GVBI. S. 430), geändert durch Gesetz vom 25. 09. 2001 (GVBI. S. 708), Rheinland-Pfalz: Landesblindengeldgesetz (LBlindGG) vom 28. 03. 1995 (GVBI. S. 55, 58), geändert durch Gesetz vom 06. 02. 2001 (GVBI. S. 29), Saarland: Gesetz Nr. 761 über die Gewährung einer Blindheitshilfe i. d. F. vom 19. 12. 1995 (Amtsbl. 1996, S. 58), geändert durch Gesetz vom 07. 11. 2001 (Amtsbl. S. 2158), Sachsen: Gesetz über die Gewährung eines Landesblindengeldes und anderer Nachteilsausgleiche vom 14. 12.2001 (GVBI. S. 714), Sachsen-Anhalt: Gesetz über das Blinden- und Gehörlosengeid im Land Sachsen-Anhalt vom 19. 06. 1992 (GVBI. S. 565), zuletzt geändert durch Gesetz vom 07. 12. 2001 (GVBI. S. 540), Schleswig-Holstein: Landesblindengeldgesetz i. d. F. der Bekanntmachung vom 12.05. 1997 (GVOBI. S. 313), geändert durch Gesetz vom 12. 12.2001 (GVBI. S. 365), Thüringen: Thüringer Gesetz über das Blindengeld (Thüringer Blindengeldgesetz - ThürBliGG) vom 21. 07. 1992 (GVBI. S. 355), i.d.F. vom 07. 09. 1998 (GVBI. S. 277), zuletzt geändert durch Gesetz vom 24. 10.2001 (GVBI. S. 265),

200

2. Teil: Rechtssystematische Einordnung und vergleichende Darstellung

Bundesrepublik Deutschland: Blindenhilfe nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) vom 30. 06. 1961 (BGBL I, 1961, S. 815, 1875), zuletzt geändert durch Gesetz vom 27. 04. 2002 (GVBl. I, S. 1462), Blindenhilfe gemäß § 67 (Fassung vom 21. 12.2000).

B. Überblick über die Behandlung im zweiten Teil Bei allen Unterschieden weisen die Blindengeldgesetze und die Regelung nach

§ 67 BSHG eine ähnliche Struktur auf. Eine Geldleistung wird für einen bestimm-

ten Zweck, nämlich zum Ausgleich blindheitsbedingter Mehraufwendungen, gewährt (vgl. Kap. 4). Die Gesetze enthalten die materiellrechtlichen Tatbestandsmerkmale und verfahrensrechtliche Bestimmungen. Dementsprechend werden im folgenden behandelt: - als Leistungsvoraussetzungen (Kap. 3) der Begriff der Blindheit oder hochgradigen Sehbehinderung (Kap. 3, A.), - der Zweck der Leistung (Kap. 4), - die Auswirkung des Aufenthalts (Kap. 5), - die Bindung an das Lebensalter (Kap. 6), - die Berücksichtigung von Einkommen und Vennögen (Kap. 7), - das Erfordernis des Antrags (Kap. 8), - der Leistungsumfang (Kap. 9), hier: - die Leistungshöhe (Kap. 9, A.), - Beginn und Ende der Leistung (Kap. 9, B.), Es folgt die Behandlung der Bestimmungen über Leistungseinschränkungen und Leistungsausschlüsse (Kap. 9, C.). Hier werden behandelt: - die Anrechnung anderer Leistungen (Kap. 9,

c., 1.),

- Leistungseinschränkung bei Freiheitsentzug (Kap. 9,

c., IV.),

- Leistungseinschränkung bei fehlender Verwendbarkeit (Kap. 9, A., V.), - Leistungseinschränkung (Kap. 9, c., VI.).

oder Leistungsausschluß

bei

Pflichtverletzungen

Danach werden die Regelungen über Rückzahlungsverpflichtungen und Erstattungen behandelt (Kap. 10). Im Kap. 11 wird der Zugriff Dritter auf das Blindengeld behandelt. Zu Leistungen für pflegende Angehörige vgl. Kap. 12. Es schließt sich die Behandlung der Regelungen über das fonnelle Recht an (Kap. 13). Hier wird auf das Verwaltungsverfahren (Kap. 13, A.) und die Rechts-

Kap. 2: Rechtssystematische Einordnung

201

wegbestimmungen (Kap. 13, B.) eingegangen, soweit das nicht bereits wegen des jeweiligen Zusammenhanges in den vorhergehenden Kapiteln erfolgt ist. Schließlich wird noch kurz auf die Finanzierung der Blindengeldleistungen eingegangen (Kap. 14). Kapitel 2

Rechtssystematische Einordnung Die rechtssystematische Einordnung der Blindengeldgesetze ist für die systematische Auslegung der Rechtsnormen und für die Anwendung der richtigen Rechtsprinzipien maßgeblich. Für die rechtssystematische Einordnung kommt es (intern) auf den Inhalt des betreffenden Rechtsgebietes an 1 •

A. Blindengeld als Leistung im Sozialrecht Das Blindengeld nach den Landesblindengeldgesetzen wird zum Ausgleich der durch die Blindheit verursachten Mehraufwendungen geleistet (vgl. Blindenhilfegesetz Baden-Württemberg: § 1 Abs. 1 S. 1; Bayerisches Blindengeldgesetz: Art. 1 Abs. 1; Pflegegesetz für Berlin: § 1 Abs. 1; Landespflegegeldgesetz Brandenburg: § 1 Abs. 1 S. 1; Landespflegegeldgesetz für Bremen: § 1 Abs. 1 S. 1; Hamburgisches Blindengeldgesetz: § 1 Abs. 1; Landesblindengeldgesetz für Hessen: § 1 Abs. 1 S. 1; Landesblindengeldgesetz für Mecklenburg-Vorpommern: § 1 Abs. 1 S. 1; Landesblindengeldgesetz für Niedersachsen: § 1 Abs. 1 S. 1; Gesetz über die Hilfen für Blinde und Gehörlose für Nordrhein-Westfalen: § 1 Abs. 1 S. 1; Landesblindengeldgesetz für Rheinland-Pfalz: § 1 Abs. I; Blindheitshilfegesetz für das Saarland: Indirekt aus § 3 Abs. 1, wonach gleichartige Leistungen, die der Blinde zum Ausgleich der durch die Blindheit bedingten Mehraufwendungen aufgrund anderer Rechtsvorschriften erhält, angerechnet werden; Gesetz über das LandesbIindengeld und anderer Nachteilsausgleiche für Sachsen: § 1 Abs. 1; Blindenund GehörlosengeId für Sachsen-Anhalt: § lAbs. 1; Landesblindengeldgesetz für Schleswig-Holstein: Präambel (Einordnungshilfe in die Gesellschaft) und § 1 Abs. 1 S. 1 sowie Blindengeldgesetz für Thüringen: § 1 Abs. 1 S. 1). In einigen dieser Gesetze werden Geldleistungen an weitere Behindertengruppen gewährt, wobei als Zweck ebenfalls jeweils der Ausgleich der durch die entsprechende Behinderung bedingten Mehraufwendungen genannt wird. Es sind das Leistungen an hochgradig Sehbehinderte in folgenden sechs Landesgesetzen: - Pflegegesetz für Berlin: § 1 Abs. I und 4, - Landesblindengeldgesetz für Hessen: § 1 Abs. 1 und 3, I

Vgl. Kramer: Methodenlehre, S. 70.

202

2. Teil: Rechtssystematische Einordnung und vergleichende Darstellung

- Landesblindengeldgesetz für Mecklenburg-Vorpommern: § 1 Abs. 1 und 5, - Nordrhein-Westfälisches Gesetz über die Hilfen für Blinde und Gehörlose: § 4 Abs. 1 S. 1, - Landesblindengeldgesetz für Sachsen: § 1 Abs. 1 und - Blindengeldgesetz für Sachsen-Anhalt: § 1 Abs. 1 Nr. 3. Gehörlose erhalten Leistungen in folgenden fünf Ländern: - Berlin: Gesetz über Pflegeleistungen; § 1 Abs. 1 und 5, - Brandenburg: Landespflegegeldgesetz; § 1 Abs. 1, - Nordrhein-Westfalen: Gesetz über die Hilfen für Blinde und Gehörlose; § 5 S. 1, - Sachsen: Gesetz über die Gewährung eines Landesblindengeldes und anderer Nachteilsausgleiche; § 1 Abs. 3, - Sachsen-Anhalt: Gesetz über das Blinden- und Gehörlosengeid; § 1 Abs. 1. Weitere Schwerstbehinderte erhalten nach den folgenden drei Landesgesetzen Ausgleichsleistungen für die durch die Schwerbehinderung verursachten Mehraufwendungen: - Brandenburg: Landespflegegeldgesetz; § 1 Abs. 1 (Definition § 2 Nr. 1), - Bremen: Pflegegeldgesetz für Bremen; § 1 Abs. 1 (Definition § 1 Abs. 3) und - Sachsen: Gesetz über die Gewährung eines Landesblindengeldes und anderer Nachteilsausgleiche; § 1 Abs. 3 (Definition § 1 Abs. 4). In § 8 Abs. 1 ist außerdem die Absicht niedergelegt, in einem künftigen Gesetz Ausgleichsleistungen auch für andere Menschen mit Behinderungen als in diesem Gesetz genannt, zu berücksichtigen. Außerdem wird bestimmt, daß der Differenzbetrag zwischen der Höhe der nach diesem Gesetz auszureichenden Leistungen und dem Leistungsvolumen, das sich ergeben würde, wenn allen Blinden Leistungen in Höhe der Blindenhilfe (§ 67 BSHG) gewährt würde, ab 1997 in den Landeshaushalt zur Verwendung für spezielle Zwecke der Behindertenförderung eingestellt werden. Diese Regelung wurde allerdings für die Zeit vom 01. 01. 1998 bis 31. 12.2000 suspendiert. In Berlin erhalten Hilflose, die am 31. 03. 1995 einen Anspruch auf Pflegegeld nach § 2 Abs. 3 des Gesetzes über Pflegeleistungen in der Fassung vom 14. 07. 1996 (GVBl. S. 1106, 1987 S. 1064) hatten, gemäß der Übergangsregelung in § 8 Abs. 1 des Berliner Pflegegesetzes vom 22. 12. 1994 (GVBl. S. 520, geändert durch Gesetz vom 12.03. 1997 - GVBl. S. 69) das Pflegegeld insoweit weiter, als es den Pflegegeldanspruch nach § 37 des 11. Buches Sozialgesetzbuch übersteigt. In Rheinland-Pfalz erhalten Schwerbehinderte aufgrund des Landespflegegeldgesetzes vom 13. 10. 1974 (GVBl. S. 436), zuletzt geändert durch Gesetz vom 28. 03. 1995 (GVBl. S. 55) ebenfalls unter bestimmten Voraussetzungen Pflegegeld.

Kap. 2: Rechtssystematische Einordnung

203

Weil diese Leistungen nach den Landesgesetzen blindheitsbedingte bzw. behindertenbedingte Nachteile ausgleichen sollen, haben sie eine eindeutig soziale Ausrichtung. Die Geldleistungen werden mit finaler Zielrichtung zur Förderung der Betroffenen gewährt. Sie sind deshalb als Sozialleistungen zu qualifizieren 2 • Sozialleistungen sind nach § 10 SGB I Dienst-, Sach- und Geldleistungen. Die hier zu behandelnden Landesgesetze, mit Ausnahme derjenigen von Baden-Württemberg, Hamburg und Hessen, erklären das SGB I und X für anwendbar, d. h., daß der Gesetzgeber jeweils davon ausgeht, daß es sich um Sozialrecht handelt3 . Die Blindenhilfe nach § 67 BSHG ist im Sozialhilferecht verankert. Das Fürsorgerecht gehört schon nach der klassischen Einteilung (Sozialversicherung, soziale Entschädigung, soziale Fürsorge) dem Sozialrecht an4 . Wahrend die Leistungen nach den Landesgesetzen ohne Rücksicht auf Einkommen und Vermögen gewährt werden Ueweils § I der Landesgesetze), wird die Blindenhilfe nur subsidiär, d. h. insbesondere gegenüber den Landesgesetzen, nachrangig (§ 67 Abs. I S. I) und abhängig von Einkommens- und Vermögensgrenzen geleistet. Die Einkommensgrenze richtet sich nach § 79 in Verbindung mit § 81 Abs. 2 BSHG. Das einzusetzende Vermögen richtet sich nach § 88 BSHG, wobei insbesondere die Verordnung nach § 88 Abs. 4 zu beachten ist. Dem Bundesgesetzgeber steht auf dem Gebiet des Sozialrechts die konkurrierende Gesetzgebungsbefugnis zu. Das ist zwar nicht allgemein geregelt, es ergibt sich aber aus der Zuständigkeit für die einzelnen Soziairechtsbereiche, die zur Zeit des Erlasses des Grundgesetzes zum Sozialrecht gerechnet wurden (Art. 74 Nr. 7 Öffentliche Fürsorge, Nr. 10 - die Versorgung der Kriegsbeschädigten, Nr. 12Sozialversicherung, Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung, Nr. 13 Regelung der Ausbildungsbeihilfen). Aus der umfassenden Kompetenzerteilung für alle zur Zeit der Schaffung des Grundgesetzes bekannten Gebiete des Sozialrechts ist im Wege einer systematischen und historischen Auslegung eine umfassende Gesetzgebungskompetenz in der Form der konkurrierenden Gesetzgebung für den Bund herzuleiten5 . Der Bundesgesetzgeber hat von seiner konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz weitgehend Gebrauch gemacht. Weil die Blindenhilfe nach § 67 BSHG nicht unabhängig von Einkommen und Vermögen gewährt wird, blieb jedoch Raum für die Gesetzgebungszuständigkeit der Länder auf diesem Gebiet6 .

Eichenhofer, S. 92. Bayerisches Blindengeldgesetz: Art. 7 Abs. 1; Berlin: § 9; Brandenburg: § 9; Bremen: § 8a; Mecklenburg-Vorpommern: § 9 Abs. 3; Niedersachsen: § 9 Abs. 3; Nordrhein-Westfalen: § 7; Rheinland-Pfalz: § 9; Saarland: § 8 Abs. 2; Sachsen: § 6 Abs. 2; Sachsen-Anhalt: § 6 Abs. 2; Schleswig-Holstein: § 10 Abs. 2; Thüringen: § 7 Abs. I. 4 Vgl. Gitter: Sozialrecht, S. 3. 5 Gitter: Sozialrecht, S. 29; Eichenhofer: Sozialrecht, S. 61 . 6 Gitter: Sozialrecht, S. 29; Eichenhofer: Sozialrecht. S. 63. 2

3

204

2. Teil: Rechtssystematische Einordnung und vergleichende Darstellung

Im folgenden wird die genauere systematische Einordnung der Blindengeldleistungen in das Sozialrecht untersucht. Die Leistungen an andere Behindertengruppen werden der weiteren Untersuchung nicht zugrunde gelegt.

B. Der Sozialrechtsbegriff Was unter Sozialrecht zu verstehen ist, ist umstritten 7 . Der Begriff ist "mißverständlich, mehrdeutig und schillernd"s. Einigkeit besteht darüber, daß das Sozialrecht im besonderen Maße dem Gedanken der Gerechtigkeit, und zwar insbesondere der Bedarfsgerechtigkeit, der Chancengerechtigkeit und der Leistungs- und Besitzstandsgerechtigkeit verpflichtet ist 9 . Das Sozialrecht dient damit im besonderen Maße der Konkretisierung des in den Art. 20 Abs. 1 und 28 Abs. 1 S. 1 GG verankerten Sozialstaatsprinzips 10. Die beiden Hauptziele des Sozialstaates sind soziale Gerechtigkeit und soziale Sicherheit. Dazu gehören: die Gewährung des Existenzminimums und elementarer personaler Dienste (Erziehung, Betreuung, Pflege), - Minderung und Kontrolle von Abhängigkeiten, - Ausgleich von Wohlstandsunterschieden, - Sicherung des Lebensstandards gegen wesentliche ökonomische Verschlechterungen, Ausgestaltung der Rechtsordnung dahin, daß der einzelne nicht Objekt der staatlichen Sozialpolitik, sondern Träger von Rechten ist, die auf Teilhabe an der vom Staat geleisteten sozialen Förderung und Sicherheit gerichtet sind ll. Mit der Schaffung des Sozialgesetzbuches seit Beginn der 70er Jahre stellte sich erst recht die Frage nach dem Begriff des Sozialrechts. Das Sozialgesetzbuch, das den Sozialstaat konkretisiert und dem Sozialstaatsprinzip verpflichtet ist, enthält selbst keine Definition des Sozialrechtes. Der wesentliche Inhalt des Sozialrechtes läßt sich jedoch § 1 Abs. 1 S. 1 SGB I entnehmen. Danach soll das Recht des Sozialgesetzbuches zur Verwirklichung sozialer Gerechtigkeit und sozialer Sicherheit Sozialleistungen einschließlich sozialer und erzieherischer Hilfen gewähren. Gitter: Sozialrecht, S. 1. Eichenhofer: Sozialrecht, S. I, RdNr. 1. 9 Eichenhofer: Sozialrecht, S. 6; Bley / Kreikebohm: Sozialrecht, S. 3; Schulin: Sozialrecht, S. I; Eichenhofer: Sozialrecht, S. 3 f.; Zacher: "Zur Anatomie des Sozialrechts" in SGB 1989, S. 329; zum Begriff der Gerechtigkeit vgl. Schwintowski: Recht und Gerechtigkeit, S. 27. JO Schulin: RdNr. I und 11 ff. 11 Hesse: Grundzüge des Verfassungsrechts, S. 86 f.; Zacher in "Im Dienst des Sozialrechts", Festschrift für Wannagat, S. 729; Eichenhofer: Sozialrecht, S. 63; Scholler / Krause, S. 83; Herzog in "Maunz/Dürig/Herzog", Art. 20, RdNr. 148 ff. 7

8

Kap. 2: Rechtssystematische Einordnung

205

Es soll dazu beitragen: ein menschenwürdiges Dasein zu sichern, gleiche Voraussetzungen für die freie Entfaltung der Persönlichkeit, insbesondere auch für junge Menschen, zu schaffen, die Familie zu schützen und zu fördern, - den Erwerb des Lebensunterhalts durch eine frei gewählte Tätigkeit zu ermöglichen und besondere Belastungen des Lebens, auch durch Hilfe zur Selbsthilfe, abzuwenden oder auszugleichen (SGB I, § 1 Abs. 1)12. Die Aufgaben des Sozialrechts können auch zusammengefaßt werden als: "Gewähr des Existenzminimums: Negation materieller Not, - Gewähr elementarer personaler Dienste (Erziehung, Betreuung, Pflege), Minderung und Kontrolle von Abhängigkeiten, Ausgleich von Wohlstandsunterschieden, Sicherung des erlangten Lebensstandards gegen wesentliche ökonomische Verschlechterung" 13. Der Verwirklichung der Ziele des Sozialrechtes dienen auf der Rechtsfolgenseite die Sozialleistungen l4 . Als Sozialleistungen kommen nach § 11 SGB I Dienst-, Sach- und Geldleistungen in Frage. Für die Gewährung von Sozialleistungen wird zwischen kausaler und finaler Rechtfertigung unterschieden 15. Die kausalen Sozialleistungen werden wegen eines in der Vergangenheit liegenden Grundes, z. B. eines für die Allgemeinheit erbrachten Sonderopfers, erbracht. Auch finalen Sozialleistungen liegen Bedarfe zugrunde, die eine Ursache haben, die Leistungen werden aber nicht dieser Ursache wegen, sondern um eines in der Zukunft liegenden Zieles, z. B. Eingliederung Behinderter wegen, erbracht l6 . Infolge der Kodifizierung des Sozialrechts in einem Sozialgesetzbuch haben sich im wesentlichen zwei Sozialrechtsbegriffe herausgebildet, nämlich ein formeller und ein materieller oder funktioneller Sozialrechtsbegriffl7 .

12

l3 14

15 16 17

Schulin: Sozialrecht, S. 3. H. F. Zacher: Einführung in das Sozialrecht, 3. Auflage, 1985, S. 1. Vgl. Bley I Kreikebohm: Sozialrecht, S. 4; Eichenhofer: Sozialrecht, S. 4. Vgl. Eichenhofer: Sozialrecht, S. 92, RdNr. 174. Vgl. Eichenhofer, a. a. O. Vgl. Bley I Kreikebohm: Sozialrecht, S. 3.

206

2. Teil: Rechtssystematische Einordnung und vergleichende Darstellung

I. Der formelle SozialrechtsbegritT 1. Inhalt

Nach dem formellen oder auch als positivistisch bezeichneten Sozialrechtsbegriff ist Sozialrecht, was der Gesetzgeber als Sozialrecht bezeichnet oder erkennbar diesem Rechtsgebiet zuordnet l8 . Im engsten Sinn ist unter SoziaIrecht nach dem formellen Sozialrechtsbegriff das im Sozialgesetzbuch kodifizierte Recht zu verstehen 19. Die Gegenstände des formellen oder auch "pragmatischen" Sozialrechtsbegriffs 20 ergeben sich aus den Gesetzen, die "an die in den §§ 3 -10 SGB I genannten Rechtsmaterien anknüpfen,,21 und in das Sozialgesetzbuch aufgenommen worden sind. Als Rechtsmaterien des Sozialrechts werden in den §§ 3 - 10 SGB I genannt: - Bildungs- und Arbeitsförderung (§ 3), - Sozialversicherung (§ 4), - soziale Entschädigung bei Gesundheitsschäden, für dessen Folgen die staatliche Gemeinschaft in Abgeltung eines besonderen Opfers oder aus anderen Gründen nach versorgungsrechtlichen Grundsätzen einsteht (§ 5), - Minderung des Familienaufwands infolge von Unterhaltsleistungen für Kinder (§ 6),

- Förderung der wohnungsmäßigen Versorgung durch Zuschüsse zur Miete oder zu vergleichbaren Aufwendungen (§ 7), - Kinder- und Jugendhilfe (§ 8), - die soziale Hilfe zur Sicherung des Existenzminimums (Hilfe zum Lebensunterhalt) oder zur Hilfe in besonderen Lebenslagen, wenn eigene ausreichende Mittel nicht zur Verfügung stehen, die Situation selbst nicht bewältigt werden kann und auch von anderer Seite keine ausreichende Hilfe gegeben ist (§ 9), - Hilfen für Eingliederung körperlich, geistig oder seelisch behinderter Menschen bzw. für Menschen, denen eine solche Behinderung droht, zur Überwindung der Behinderung oder ihrer Folgen und zur Eingliederung in die Gesellschaft und in das Berufsleben - Rehabilitation (§ 10). Als besondere Teile des Sozialgesetzbuches, und damit zum Sozialrecht in formellem Sinn zählend, sind bisher erlassen worden: Bley I Kreikebohm: Sozialrecht, S. 3. Bley/Kreikebohm: Sozialrecht a. a. 0.; Schulin: Sozialrecht, S. 2, RdNr. 3; Gitter: Sozialrecht, S. l. 20 Zacher in Festschrift für Schieckel, 1978, S. 37l. 21 Gitter: Sozialrecht, S. 3. 18

19

Kap. 2: Rechtssystematische Einordnung

207

- SGB III - Arbeitsförderung - vom 24. 03. 1997 (BGBI. I, S. 594, 595), zuletzt geändert durch Gesetz vom 27.04.2002 (BGBI. I, S. 1467), - SGB IV - gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - vom 23. 12. 1976 (BGBI. I, S. 3845), zuletzt geändert durch Gesetz vom 05.04.2002 (BGBI. I, S. 1250), - SGB V - gesetzliche Krankenversicherung - vom 20. 12. 1988 (BGBI. I, S. 2477, 2482), zuletzt geändert durch Gesetz vom 27. 04. 2002 (GVBI. I, S.1467), - SGB VI - gesetzliche Rentenversicherung - vom 18. 12. 1989 (BGBI. I, S. 2261, BGBI. I, 1990, S. 1337), zuletzt geändert durch Gesetz vom 06.05.2002 (BGBI. I, S. 1529), - SGB VII - gesetzliche Unfallversicherung - vom 07. 08. 1996 (BGBI. I, S. 1254), zuletzt geändert durch Gesetz vom 27. 04. 2002 (BGBI. I, S. 1467), - SGB VIII - Kinder- und Jugendhilfe - vom 26. 06. 1990 (BGBI. I, S. 1136), zuletzt geändert durch Gesetz vom 09.04.2002 (BGBI. I, S. 1239), - SGB IX - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - vom 19. 06. 2001 (BGBI. I, S. 1046), zuletzt geändert durch Gesetz vom 27. 04. 2002 (BGBI. I, S.1467), - SGB XI - soziale Pflegeversicherung - vom 26. 05. 1994 (BGBI. I, S. 1014, 1015), zuletzt geändert durch Gesetz vom 14. 12.2001 (BGBI. I, S. 3728), - ferner SGB X - Verwaltungsverfahren, Schutz der Sozialdaten, Zusammenarbeit der Leistungsträger und ihre Beziehungen zu Dritten - vom 18. 08. 1980 (BGBI. I, S. 1469, 2218, BGBI. I, 1982, S. 1450), zuletzt geändert durch Gesetz vom 23. 03. 2002 (BGBl. I, S. 1130), das im wesentlichen formelles Recht regelt. In § 68 SGB I wurden zahlreiche Gesetze, die Gegenstände des Sozialrechts regeln, bis zu ihrer Neugestaltung und Einordnung in das Sozialgesetzbuch zu "besonderen Teilen" erklärt. 2. Stellungnahme

Der formelle oder pragmatische Sozialrechtsbegriff hat den Vorteil, daß damit genau bestimmt werden kann, was zum SoziaIrecht zählt22 • Gegen den materiellen Sozialrechtsbegriff wenden diese Autoren ein, daß "Begriffe wie soziale Gerechtigkeit, soziale Sicherheit oder soziale Leistungen" unscharfe Randzonen hätten 23 und daß sie zur Abgrenzung gegenüber anderen Rechtsgebieten, die ja ebenfalls vielfach soziale Zwecke verfolgen, ungeeignet seien24 . 22 23 24

Schulin: Sozialrecht, RdNr. 3; Gitter: Sozialrecht, S. 2. Schulin: Sozialrecht, RdNr. 3. Schul in , a. a. 0.; Gitter: Soziairecht, S. 2.

208

2. Teil: Rechtssystematische Einordnung und vergleichende Darstellung

Dem Vorteil der klaren Abgrenzung steht der Nachteil gegenüber, daß er keine Aussagen über die wesentlichen Merkmale des Sozialrechts enthält25 . Ein rein formaler Sozialrechtsbegriff wird auch der Dynamik dieses Rechtsgebietes nicht gerecht, und sie reicht für eine systematische Durchdringung nicht aus. Wie die Landesblindengeldgesetze zeigen, gibt es auch Landesgesetze, die zum Sozialrecht gerechnet werden müssen. Auch andere Landesgesetze, z. B. das bayerische Landeserziehungsgeldgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 16. 11. 1995 (GVBI. S. 818) und das bayerische Ausbildungsförderungsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 28. 09. 1982 (BayRS 2230-B-2-K), geändert durch Gesetz vom 21. 03. 1983 (GVBI. S. 508), um nur einige zu nennen, sind wegen des in ihnen geregelten Sachzusammenhangs dem Sozialrecht zuzuordnen. Der formelle Sozialrechtsbegriff als ein "abgeschlossener, pragmatischer Sozialrechtsbegriff,26 ist für den Sozialrechtsvergleich, der in einem zusammenwachsenden Europa von zunehmender Bedeutung ist, ungeeignet. Hier muß vom sozialen Problem, das zu bewältigen ist, ausgegangen werden. Die Rechtsvergleichung fordert ein "Zurücktreten hinter die positiv-rechtlichen Regelungen" ... , um vom Sprachproblem, von der Ordnungsnachfrage her an die zu vergleichenden Rechte heranzutreten 27 • Dieser Grundsatz muß aber auch für sozialrechtliche Untersuchungen überhaupt gelten, dafür ist ein rein formaler Sozialrechtsbegriff ungeeignet.

11. Der materielle Sozialrechtsbegriff

Der materielle Sozialrechtsbegriff führt zur Frage nach dem Wesen des Sozialrechts. Sozialrecht ist demnach "Recht, das durch seinen sozialen Zweck geprägt ist,,28. Der soziale Zweck muß darauf gerichtet sein, Benachteiligungen und Defizite im Gemeinschaftsleben, die der einzelne nicht selbst ausgleichen kann oder deren Ausgleich ihm nicht zugemutet werden kann, auszugleichen. Leitmotiv ist "der Schutz des Schwachen,,29. Gegenstand des Sozialrechtes ist es, "im Interesse eines Ausgleichs sozialer Gegensätze in besonderer Weise die Beseitigung von Defiziten einzelner oder bestimmter Bevölkerungsgruppen an materieller Absicherung, Chancengleichheit und Entfaltungsmöglichkeit durch Sozialleistungen innerhalb von Sicherungssystemen sicherzustellen. Diese Aufgaben obliegen dem Sozialrecht als "eigenständige primäre (Aufgabe)". Dadurch unterscheidet es sich von anderen Rechtsgebieten, wie z. B. dem Mieterschutz im Mietrecht oder den 25

26

27 28 29

Bley / Kreikebohm: Sozialrecht, S. 3. Zacher: Sozialrechtsvergleich, zur Methode, Bd. 1, S. 7. Zacher: Sozialrechtsvergleich, S. 16. Zacher: Grundtypen des Sozialrechts, in: Abhandlungen zum Sozialrecht 1992, S. 257. Eichenhofer: Sozialrecht, S. 4.

Kap. 2: Rechtssystematische Einordnung

209

Regeln der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall innerhalb des Arbeitsrechtes, die sie nur "akzessorisch-sekundär im Zusammenhang mit Primäraufgaben anderer Art" beachten30. Da sich das Sozialrecht zur Erfüllung seiner Primäraufgaben der "Sozialleistungen" bedient, kann als Sozialrecht im materiellen oder funktionalen Sinn auch das "Sozialleistungsrecht" bezeichnet werden 31 • Sozialleistungen sind nach § II SGB I Dienst-, Sach- und Geldleistungen. Aus dem materiellen oder funktionalen Sozialrechtsbegriff ist zwar zu entnehmen, daß das, was nach dem fonnellen Sozialrechtsbegriff dem Sozialrecht angehört, auch vom materiellen Sozialrechtsbegriff erfaßt wird. Das Sozialrecht im materiellen Sinn reicht aber über das Sozialgesetzbuch mit seinen Teilen hinaus 32 . Sozialleistungen, die primär einem Zweck dienen, also Defizite ausgleichen und Chancengleichheit fördern sollen, müssen dem Sozialrecht in materiellem Sinn zugerechnet werden und gehören damit zum Sozialrecht, auch wenn sie nicht Bestandteil des fonnellen Sozialrechts des Sozialgesetzbuches sind. Das trifft insbesondere für Landesgesetze, die Geld-, Dienst- oder Sachleistungen (Sozialleistungen) in Bereichen gewähren, die dem im SGB geregelten Gegenständen entsprechen bzw. die Sozialleistungen nach dem SGB ergänzen 33 .

c. Blindengeld als Leistung der sozialen Fürsorge oder der sozialen Förderung

Daß die Blindengeldleistungen dem Sozialrecht angehören, erweist sich auch aus ihrer binnensystematischen Einordnung.

I. Der Bereich der sozialen Förderung

Herkömmlicherweise wird aufgrund der geschichtlichen Entwicklung das Sozialrecht in die Bereiche der sozialen Versicherung (Renten-, Kranken-, Pflege-, Unfall- und Arbeitslosenversicherung), soziale Versorgung bzw. Entschädigung Bley / Kreikebohm: Sozialrecht, S. 3. Schulin: Sozialrecht, S. 4, RdNr. 9; Eichenhofer: Sozialrecht, S. 3 f.; derselbe in SGB Heft 7, 1998, S. 290; Zacher: Grundtypen des Sozialrechts in: Abhandlungen zum Sozialrecht, S. 264. 32 Bley / Kreikebohm: Sozialrecht, S. 4; Eichenhofer: Sozialrecht, S. 89 ff. 33 Beispiele sind das bayerische Ausbildungsförderungsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vorn 28. 09. 1982 (BayRS 2230-B-2-K) und das bayerische Landeserziehungsgeldgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vorn 16. 11. 1995 (GVBI. S. 818). Beide Gesetze bestimmen, daß das SGB I und das SGB X anwendbar sind (bayerisches Ausbildungsförderungsgesetz, Art. 4, bayerisches Landeserziehungsge1dgesetz, Art. 8 Ziff. 2). 30

31

14 Demme1

210

2. Teil: Rechtssystematische Einordnung und vergleichende Darstellung

(Kriegsopferversorgung, Versorgung der Opfer von Gewalttaten, Ausgleich von Impfschäden) und die soziale Fürsorge eingeteilt. Diese klassischen Bereiche haben sich um einen weiteren Bereich erweitert, dem insbesondere die Wohnungsförderung, der Familienlastenausgleich und die Ausbildungs- und Berufsförderung zugerechnet werden. Für diesen Bereich hat sich der Begriff "soziale Förderung" eingebürgert34 . Die Leistungen der sozialen Förderung dienen dem Ausgleich "unverschuldeter, die Chancengleichheit beeinträchtigender Einbußen,,35. Die Leistungen der sozialen Förderung sind rein "sozialstaatlich motiviert". Sie sind vorleistungsunabhängig, ihnen liegt auch kein einen Entschädigungsanspruch auslösendes Sonderopfer zugrunde, deshalb sind sie final ausgestaltet36. Typisch für die Maßnahmen der sozialen Förderung ist, daß der Ausgleich sozialer Defizite erstrebt und gesellschaftspolitisch steuernd eingegriffen wird, ohne daß individuelle Bedürftigkeit gegeben sein muß 37 . 11. Der Bereich der sozialen Fürsorge

Die Leistungen der Sozialhilfe werden demgegenüber zur "Abwehr konkreter Notlagen" gewährt. Sie sind deshalb subsidiär und werden in der Regel als Ermessensleistungen nach dem individuellen Bedarf zugemessen 38 . 111. Die Einordnung der Blindengeldleistungen

Die Landesblindengeldgesetze sollen Benachteiligungen ausgleichen, und zwar in typisierter Weise, ohne daß der konkrete Bedarf im Einzelfall nachzuweisen ist. Es handelt sich deshalb um Leistungen der sozialen Förderung. Aber auch die Blindenhilfe nach § 67 BSHG, die zwar gegenüber den Landesblindengeldgesetzen subsidiär und wegen der Abhängigkeit von Einkommen und Vermögen an Bedürftigkeit angebunden ist, muß der sozialen Förderung zugerechnet werden; denn eine individuelle Zumessung findet nicht statt39 . 34 Eichenhofer: Sozialrecht, S. 10; Bley I Kreikebohm, S. 7; Bley I Kreikebohm bezeichnen diesen Bereich auch als allgemeine Versorgung und bringen damit die Nähe der sozialen Förderung zur Versorgung zum Ausdruck; Stolleis, S. 54 ff.; Zacher: Grundtypen des Sozialrechts in: Abhandlungen zum Sozialrecht 1992, S. 268; Gitter spricht zwar nicht von dem Bereich der "sozialen Förderung", sondern von "weiteren Bereichen des Sozialrechts" (S. 3 und 350 ff.). Diese gehören aber gegenständlich zum Recht der sozialen Förderung. 35 Zacher, a. a. O. 36 Bley I Kreikebohm: Sozialrecht, S. 7; Bley I Kreikebohm bezeichnen diesen Bereich als Allgemeinversorgung oder Staatsbürgerversorgung und stellen ihn der "Sonderversorgung" (Ausgleichsversorgung) gegenüber. 37 Stolleis, S. 54 ff. 38 Zacher, a. a. 0.; Bley I Kreikebohm, S. 8; Schäfer: Die Rolle der Fürsorge, S. 159f. 39 Eichenhofer: Sozialrecht, S. 281, rechnet die Eingliederungshilfe für Behinderte nach §§ 39 ff. BSHG ebenfalls zu den Leistungen zur sozialen Förderung; vgJ. auch Brühl in Lehr-

Kap. 3: Sehbehinderung als grundlegende Leistungsvoraussetzung

211

Damit steht fest, daß es sich bei den Blindengeldgesetzen um Sozialleistungen handelt, die dem Bereich der sozialen Förderung zuzurechnen sind. Untermauert wird diese Einordnung durch die Zweckbestimmung des Blindengeldes, auf welche in Kap. 4 näher eingegangen wird.

Kapitel 3

Blindheit oder hochgradige Sehbehinderung als grundlegende Leistungsvoraussetzung In den folgenden Kapiteln werden die Zweckbestimmung des Blindengeldes und die Tatbestandsmerkmale, die Voraussetzung für diese Leistung sind, untersucht. Die grundlegende Leistungsvoraussetzung ist Blindheit bzw. hochgradige Sehbehinderung. Diese Begriffe sind zunächst zu klären.

A. Vorbemerkung Hier geht es um die Frage der körperlichen Abweichung von der Norm, die als eines der drei Merkmale, die von der WHO zur Kennzeichnung einer Behinderung herangezogen werden, als Impairment bezeichnet wird4o . Blindheit bzw. hochgradige Sehbehinderung stellt eine Funktionsbeeinträchtigung (fehlendes Sehen bzw. Sehbeeinträchtigung) dar. Sie führt zur Einschränkung oder Unmöglichkeit von Aktivitäten, die für Menschen als normal angesehen werden (Disability), was in der Neufassung der ICIDH-2 durch das "Aktivitätskonzept" präzisiert worden ist41 . Die Funktionsbeeinträchtigung (lmpairment) und die Einschränkung nach dem "Aktivitätenkonzept" (Disability) führen zu Benachteiligungen (Handicaps) in der Teilhabe, also hinsichtlich der Eingliederung in Arbeit und Gesellschaft (Partizipationskonzept)42. und Praxiskommentar zum BSHG, 5. Auflage, 1988, RdNr. 1; Bundesverwaltungsgerichtsentscheidung Bd. 51, S. 281 ff.; Schellhorn-Jirasek-Seipp, RdNr. 1 zu § 67. 40 Wegweiser der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation, S. 92; die "Internationale Classification für Impairments, Disabilities und Handicaps" ist erstmals 1980 von der WHO veröffentlicht worden. Sie ist im Juni 1997 in einer überarbeiteten Fassung "ICIDH-2" zur praktischen Erprobung vorgelegt worden, vgl. Reha-Info Nr. 5, 1998, Mitteilungsblatt der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation, S. 21f. 41 Wegweiser der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation, S. 94; Reha-Info Nr. 5/98 a. a. O. 42 Wegweiser der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation, S. 97; Reha-Info Nr. 5/ 98, S. 22: Danach können die unter Disabilities bisher als Fähigkeitsstörungen bezeichneten Beeinträchtigungen als Aktivitätsstörungen und die als Handicaps verstandenen Beeinträchtigungen als Partizipationsstörungen interpretiert werden. Auch Schul in spricht sich, soweit

14*

212

2. Teil: Rechtssystematische Einordnung und vergleichende Darstellung

Im Rahmen der Untersuchung zur Zweckbestimmung des Blindengeldes (Kap. 4) ist deshalb zu fragen, inwieweit durch die infolge der Blindheit verursachten Fähigkeits- oder Aktivitätsstörungen (Disabilities) bzw. durch die aus der Blindheit und den Disabilities resultierenden Teilhabestörungen (Handicaps) Mehrkosten entstehen und inwieweit durch den finanziellen Ausgleich eine Rehabilitation der Leistungsempfänger bezweckt wird. Voraussetzung für die Gewährung des Blindenge1des ist nach sämtlichen Landesgesetzen und nach § 67 BSHG das Vorliegen von Blindheit. Nach den Landesgesetzen in folgenden sechs Ländern erhalten Leistungen auch hochgradig Sehbehinderte: Berlin, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Sachsen und Sachsen-Anha1t43 .

B. Der Begriff der Blindheit I. Zweckorientierte Blindheitsbegriffe

In der Wissenschaft werden unterschiedliche Blindheitsbegriffe diskutiert. Allen Blindheitsbegriffen ist gemeinsam, daß darunter nicht nur Lichtlosigkeit (Amaurose) zu verstehen ist, sondern daß auch weitere Sehbeeinträchtigungen berücksichtigt werden müssen. Für die Abgrenzung in verschiedenen Lebensbereichen wurde jeweils von der erforderlichen Zweckbestimmung ausgegangen. Das Sehvermögen muß betroffen sein. Unter der Bezeichnung "Sehvermögen" werden in der Augenheilkunde alle Funktionen des Sehorgans, d. h. Sehschärfe, Gesichtsfeld, Farben sehen, Adaptionsvermögen, zusammengefaßt44 . Wenn diese Sehfunktionen beeinträchtigt sind, kann sich das auf verschiedene Lebensbereiche unterschiedlich schwerwiegend auswirken. Deshalb wurden vom Blickwinkel zentraler Bereiche aus Grenzwerte für die Sehbeeinträchtigungen festgelegt, bei deren Vorliegen Blindheit angenommen wird. Entsprechend den gestellten Anforderungen haben sich Begriffe wie pädagogische (sonderpädagogischer Förderbedarf), wirtschaftliche oder berufliche und Orientierungsblindheit herausgebildet45. für Leistungen an Behinderte nicht speziell entschädigungsrechtliche Zwecke zu berücksichtigen sind, für einen konkreten funktionalen Behindertenbegriff aus. Danach liegt eine Behinderung vor, "wenn jemand durch Störung menschlicher Funktionen nicht nur geringfügig in seiner Daseinsentfaltung, insbesondere in der sozialen Kommunikation, beeinträchtigt ist", vgl. Schulin, Bd. 20 der Schriftenreihe des Sozialgerichtsverbandes, S. 18. 43 Dazu kommen im Saarland noch hochgradig Sehbehinderte, die beim Inkrafttreten des Änderungsgesetzes vom 24. 03. 1982 (Amtsblatt S. 390) Anspruch auf eine Blindheitshilfe für hochgradig Sehbehinderte hatten (§ 9 Abs. 1, Gesetz Nr. 761 über die Gewährung einer Blindheitshilfe in der Fassung vom 19. 12. 1995 - Amtsblatt S. 58). 44 Axenfeld: Lehrbuch der Augenheilkunde, 1992, S. 24; Hollwich: Augenheilkunde, 19. Auflage, 1988, S. 318.

Kap. 3: Sehbehinderung als grundlegende Leistungsvoraussetzung

213

1. Der pädagogische Blindheitsbegriff

Für den pädagogischen Blindheitsbegriff werden zwar Sehschärfen angegeben, nämlich bis zu 1/20 . Ebenso werden gleichschwere Störungen berücksichtigt46 . Sie werden wegen des individuellen Förderbedarfs jedoch als "nur bedingt" tauglich bezeichnet47 • 2. Der wirtschaftliche Blindheitsbegriff

Der wirtschaftliche Blindheitsbegriff geht davon aus, daß der Betroffene sein Sehvermögen im Berufsleben nicht mehr verwerten kann, daß also eine Kompensation durch den Einsatz von Hilfsmitteln oder durch spezielle "blindentechnische" Arbeitsmethoden notwendig ist. Dafür wurde die Einschränkung der Sehschärfe auf 1/25 angenommen. 3. Die Orientierungsblindheit

Im sozialrechtlichen Bereich wurde auf den Begriff der "Orientierungsblindheit" abgestellt. Blind ist danach, wer ohne fremde Hilfe in einer nicht vertrauten Umgebung nicht zurechtkommen kann48 . 4. Der sozialrechtliche Blindheitsbegriff

Für die Gewährung von Sozialleistungen als Ausgleich für die blindheitsbedingten Beeinträchtigungen ist ein einheitlicher sozialrechtlicher Blindheitsbegriff unerläßlich49. Auch der sozialrechtliche Blindheitsbegriff wurde von der Folgenseite her, nämlich vom Verlust der Orientierungsfähigkeit in einer fremden Umgebung, entwikke1t50 . Mit dem Schwerbeschädigtengesetz vom 16.06. 1953 wurde der bis dahin 45 Rulik, S. 19; zur Vielfalt der Blindheitsbegriffe und zu ihrer Kritik vgl. auch Krähenbühl, S. 17; für die Frage der pädagogischen Förderung und der Rehabilitation ist besonders der Zeitpunkt des Eintritts der Erblindung wichtig, weshalb auch zwischen Geburts-, Spätund Alterserblindeten unterschieden wird, vgl. Rulik, a. a. O. 46 Mersi in: Rath, Handbuch, S. 3. 47 Mersi, a. a. O. 48 Zu den unterschiedlichen Definitionen und den dabei auftretenden Problemen vgl. insbesondere Pape in: Rath, Handbuch der Blindenpädagogik, S. 487 ff. 49 Hennies, S. 15 ff. 50 Bis zum Erlaß des Schwerbeschädigtengesetzes vom 16. 06. 1953 (BGBI. I, 1953, S. 389) stand 30 Jahre lang im Sozialrecht der berufliche oder wirtschaftliche Blindheitsbegriff im Vordergrund. Als blind wurde derjenige betrachtet, "dessen Sehrest wirtschaftlich wertlos ist". Als blind galt danach derjenige, der eine Sehschärfe von 1/25 und weniger hatte.

214

2. Teil: Rechtssystematische Einordnung und vergleichende Darstellung

herrschende von der beruflichen oder wirtschaftlichen Beeinträchtigung hergeleitete berufliche oder wirtschaftliche Blindheitsbegriff durch den von der Beeinträchtigung der Orientierungsfähigkeit abgeleiteten Blindheitsbegriff ersetzt. In den Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im Versorgungswesen, Ausgabe 1953, wurde angenommen, daß sich eine Person dann an fremden Orten nicht alleine zurechtfinden kann, wenn sie bei freiem Blickfeld eine Sehschärfe von weniger als 1/60 hat51 .

11. Der Blindheitsbegriff in den Blindengeldgesetzen 1. Der Wandel des Blindheitsbegriffes im Laufe der Zeit

a) Orientierungsblindheit als Ausgangspunkt

In § 24 Abs. 2 des Bundessozialhilfegesetz vom 30. 06. 1961 (BGBL I, 1961, S. 815, 1875), welcher für die Blindenhilfe nach § 67 BSHG maßgebend ist, und in den Landesblindengeldgesetzen wurde der sozialrechtliche Begriff der Orientierungsblindheit übernommen. Nach § 24 Abs. 2 BSHG in seiner ursprünglichen Fassung galt als blind, wer eine so geringe Sehschärfe hatte, daß er sich in einer ihm nicht vertrauten Umgebung ohne fremde Hilfe nicht zurechtfinden konnte 52 . Diese Definition wurde in der Folgezeit mehrfach geändert, weil die Abgrenzung von den hochgradig Sehschwachen problematisch war. Die Beurteilung, wann sich eine Person mit einem stark beeinträchtigten Sehvermögen in einer fremden Umgebung nicht mehr zurechtfinden könne, stieß auf Schwierigkeiten. Das Bundesverwaltungsgericht hat eine weite Auslegung des Blindheitsbegriffes vorgenommen, indem es den "Großstadtverkehr" als die "nicht vertraute Umgebung" ansah, an dem zu messen sei, ob Blindheit im Sinne des Gesetzes vorläge 53.

Diesem Blindheitsbegriff lag insbesondere § 8 des Schwerbeschädigtengesetzes vom 06. 04. 1920 (RGBl. 1920, S. 458) zugrunde (vgl. Gottwald in: "Die Blindenwelt", Heft 2, 1954, S.2). 51 Vgl. Gottwald, a. a. 0.; Gottwald: "Wandlungen des Blindheitsbegriffs", "Die Blindenwelt", Heft 6,1972; 1950 wurde der bis dahin einheitliche Blindheitsbegriff in zwei Begriffe aufgeteilt, nämlich in den Begriff "Blindheit" und den Begriff "hochgradig Sehschwache". Diese Aufteilung erfolgte wegen der im § 35 BVG vom 20. 12. 1950 (BGBl. 1950, S. 791) erfolgten Einteilung in Pflegestufen durch Ziff. 4 der Verwaltungsvorschriften zu § 35 BVG (Blindheitsbegriff) und Verwaltungsvorschriften zu § 31 BVG, Ziff. 2 (hochgradig Sehschwaehe), vgl. Gottwald, a. a. O. 52 § 24 Abs. 3 BSHG in der Fassung vom 30.06.1961 (BGBl. I, S. 815). 53 Bundesverwaltungsgericht, Bd. 22, S. 150 und BVerwGE, Bd. 24, S. 213.

Kap. 3: Sehbehinderung als grundlegende Leistungsvoraussetzung

215

b) Übergang zu objektiven Sehwerten Aufgrund dieser Schwierigkeiten ist diese als "Orientierungsblindheit" bezeichnete Definition durch das zweite Gesetz zur Änderung des BSHG vom 14. 08. 1969 (BGBl. I, S. 1153) mit Wirkung vom 01. 10. 1969 aufgegeben worden. § 24 Abs. 1 S. 2 erhielt folgende Fassung: "Satz 1 findet auch Anwendung auf Personen, deren Sehschärfe auf dem besseren Auge 1. nicht mehr als

I/50

beträgt oder

2. nicht mehr als 1/35 beträgt, wenn das Gesichtsfeld dieses Auges bis auf 30 Grad oder weiter eingeschränkt ist, oder 3. nicht mehr als 1/20 beträgt, wenn das Gesichtsfeld dieses Auges bis auf 15 Grad oder weiter eingeschränkt ist." Mit dieser Abkehr vom Begriff der Orientierungsblindheit sollten durch die Angabe bestimmter Werte die Schwierigkeiten vermieden werden, die sich bei der Anwendung der bisherigen, wenig konkreten Fassung ergeben hatten54 . c) Die Ausweitung des Blindheitsbegriffes Diese im Jahr 1969 getroffene Regelung, die eine strikte Abstufung allein nach den Graden der Sehschärfe und des Gesichtsfeldes zuließ, wurde vor allem seitens der Ophthalmologen als unzureichend empfunden, weil Augenleiden, die eine gleichschwere Beeinträchtigung zur Folge hatten, wie extreme Gesichtsfeldeinschränkungen, selbst bei normaler Sehschärfe nicht berücksichtigt werden konnten 55 . Weil gleichschwere Sehbeeinträchtigungen ungleich behandelt worden sind (Blindengeldleistungen bei Vorliegen der strikten gesetzlichen Maßstäbe für Sehschärfe und Gesichtsfeldeinschränkung, Versagung des Blindengeldes bei anderen gleichschweren Beeinträchtigungen) erhoben sich verfassungsrechtliche Bedenken. Das VG Köln legte mit Beschluß vom 26. 11. 1971 - K 1481/70 - dem Bundesverfassungsgericht die Frage vor, ob § 24 Abs. 1 S. 2 BSHG und § 1 Abs. 1 S. 2 des nordrhein-westfälischen Landesblindenge1dgesetzes mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar sei. Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluß vom 07.05. 1974-1 BvL 6/72 - mit Gesetzeskraft festgestellt, daß § 24 Abs. 1 S. 2 des BSHG in der Fassung vom 18.09. 1969 (BGBl. I, S. 1688) insofern mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar war, als Personen, deren Sehvermögen trotz einer besseren Sehschärfe als 1/20 infolge extremer Einschränkung des Gesichtsfeldes ebenso stark beeinträchtigt war, wie das der begünstigten Personen, diesen nicht gleichgestellt wurden. In gleiVgl. Amtliche Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drucksache 5/3495, S. 11. Vgl. Jaeger: Klinische Monatsblätter für Augenheilkunde, Heft 2,1975, S. 6; Gottwald: "Die Blindenselbsthilfe", Heft 5, 1974; Begründung des Regierungsentwurfs zum dritten Änderungsgesetz des Bundessozialhilfegesetzes (Bundestagsdrucksache 7/308, S. 11). 54

55

216

2. Teil: Rechtssystematische Einordnung und vergleichende Darstellung

cher Weise wurde § 1 Abs. 1 S. 2 des Landesblindengeldgesetzes Nordrhein-Westfalen vom 16.06. 1970 (GV NW A 1970, S. 435) für mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar erklärt56 . Der Gesetzgeber hatte jedoch bereits vor dieser Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aufgrund der Vorschläge der Ophthalmologischen Gesellschaft § 24 Abs. 1 S. 2 des BSHG durch das dritte Änderungsgesetz vom 25. 03. 1974 (BGBL I, S. 777) geändert. § 24 Abs. 1 S. 2 BSHG erhielt mit Wirkung vom 01. 04. 1974 folgende Fassung: "Satz 1 findet auch Anwendung auf Personen, 1. deren Sehschärfe auf dem besseren Auge nicht mehr als

I/50

beträgt,

2. bei denen durch Nr. 1 nicht erfaBte, nicht nur vorübergehende Störungen des Sehvermögens von einem solchen Schweregrad vorliegen, daß sie der Beeinträchtigung der Sehschärfe nach Nr. 1 gleichzuachten sind." § 24 BSHG ist zwar durch Art. 7 Nr. 9 des Gesetzes zur Umsetzung des föderalen Konsolidierungspakts vom 23. 06. 1993 (BGBL I, S. 944) mit Wirkung vom 27.06. 1993 gestrichen worden. Die Definition der Blindheit wurde jedoch unverändert mit gleichem Gesetz und gleichem Datum in § 76 Abs. 2a Nr. 3 eingefügt, so daß eine Rechtsänderung nicht erfolgt ist. In § 67 Abs. 7 BSHG wird ausdrücklich auf § 76 Abs. 2a Nr. 3 Buchstabe a) BSHG verwiesen.

Mit der Änderung des Blindheitsbegriffes durch das dritte Änderungsgesetz zum BSHG vom 25. 03. 1974 galt wieder ein einheitlicher Blindheitsbegriff im sozialrechtlichen Sinns7 . Um festzustellen, welche Sehschädigungen einer Herabsetzung des Sehvermögens auf I/50 gleichzuachten sind und damit zu einer gerechten Feststellung der Berechtigung beizutragen, hat die Deutsche Ophthalmologische Gesellschaft Richtlinien erarbeitet, die in den klinischen Monatsblättem für Augenheilkunde, Heft 2, 1975 veröffentlicht worden sind58 • Der Blindheitsbegriff in den Landesblindengeldgesetzen ist mit dem für die Blindenhilfe nach § 67 BSHG geltenden Blindheitsbegriff des § 76 Abs. 2a Nr. 3 Buchstabe a) identisch, und zwar entweder durch entsprechende Bezugnahme oder im Wege einer eigenen Definition. Auf den Blindheitsbegriff des Bundessozialhilfegesetzes wird in folgenden Landesgesetzen verwiesen: Brandenburg: Landespflegegeldgesetz § 2 Nr. 2: "Blinde und ihnen nach § 76 Abs. 1 Nr. 3 Buchstabe a) des Bundessozialhilfegesetzes gleichgestellte Personen";

56

57 58

BGBI. 1,1974, S. 1509; BVerwGE, Bd. 37, S. 154 ff.; GVBI. NW, 1974, S. 763. Gottwald in: "Blindenselbsthilfe", Heft 5,1974. Jaeger, a. a. O.

Kap. 3: Sehbehinderung als grundlegende Leistungsvoraussetzung

217

Bremen: Landespflegegeldgesetz § 1 Abs. 2: "Blinden stehen die in § 24 Abs. 1 S. 2 BSHG genannten Personen gleich;,,59 Hamburg: Hamburgisches Blindengeldgesetz § 1 Abs. 1: "Blinde und die in § 76 Abs. 2a Nr. 3 Buchstabe a) des Bundessozialhilfegesetzes in der Fassung vom 23. 03. 1994 ... in der jeweils geltenden Fassung genannten Personen". Die übrigen Landesgesetze enthalten eigene Definitionen: Baden-Württemberg: Blindenhilfegesetz § lAbs. 2: "Dieses Gesetz gilt auch für Personen, 1. deren Sehschärfe auf dem besseren Auge nicht mehr als 1 / 50 beträgt oder 2. bei denen durch Nr. 1 nicht erfaßte, nicht nur vorübergehende Störungen des Sehvermögens von einem solchen Schweregrad vorliegen, daß sie der Beeinträchtigung der Sehschärfe nach Nr. 1 gleichzuachten sind." Bayern: Bayerisches Blindengeldgesetz Art. lAbs. 2: "Blind ist, wem das Augenlicht vollständig fehlt. Als blind gelten auch Personen, I. deren Sehschärfe auf dem besseren Auge nicht mehr als I /50 beträgt, 2. bei denen durch Nr. I nicht erfaßte Störungen des Sehvermögens von einem solchen Schweregrad bestehen, daß sie der Beeinträchtigung der Sehschärfe nach Nr. 1 gleichzuachten sind. Vorübergehende Sehstörungen sind nicht zu berücksichtigen. Als vorübergehend gilt ein Zeitraum bis zu sechs Monaten." Berlin: Pflegegeldgesetz § 1 Abs. 3: "Blinde im Sinne des Abs. 1 sind Personen, die von Geburt an keinen Lichtschein wahrnehmen, das Augenlicht später völlig verloren haben oder deren Sehvermögen so gering ist, daß sie sich in einer ihnen nicht vertrauten Umgebung ohne fremde Hilfe nicht zurechtfinden können. Dies ist der Fall, wenn auf dem besseren Auge nur eine Sehschärfe von nicht mehr als einem Fünfzigstel besteht oder wenn andere Störungen des Sehvermögens von einem solchen Schweregrad vorliegen, daß sie dieser Beeinträchtigung der Sehschärfe gleichzuachten sind." Hessen: Landesblindengeldgesetz § 1 Abs. 2 (entspricht Baden-Württemberg). Mecklenburg-Vorpommern: Landesblindengeldgesetz § 1 Abs. 3 (entspricht Baden-Württemberg). Niedersachsen: Landesblindengeldgesetz § lAbs. 2 (entspricht Baden-Württemberg). 59 Die Verweisung bezieht sich auf § 24 BSHG in der Fassung des dritten Änderungsgesetzes vom 25. 03. 1974.

218

2. Teil: Rechtssystematische Einordnung und vergleichende Darstellung

Nordrhein-Westfalen: Gesetz über die Hilfen für Blinde und Gehörlose § lAbs. 1 S. 2 (entspricht BadenWürttemberg) . Rheinland-Pfalz: Landesblindengeldgesetz § 1 Abs. 2: "Blind ist, wer völlig ohne Sehvennögen ist. (3) Den Blinden gleichgestellt sind Personen, 1. deren Sehschärfe auf dem besseren Auge nicht mehr als ein Fünfzigstel beträgt oder 2. bei denen dem Schweregrad der Beeinträchtigung der Sehschärfe nach Nr. 1 gleichzuachtende, nicht nur vorübergehende Störungen des Sehvennögens vorliegen." Saarland: Blindheitshilfegesetz § 1 Abs. 3 (entspricht Baden-Württemberg). Sachsen: Landesblindengeldgesetz § 1 Abs. 2 (entspricht Baden-Württemberg)60. Sachsen-Anhalt: Gesetz über das Blinden- und Gehörlosengeid § 1 Abs. 2 (entspricht Baden-Württemberg). Schleswig-Holstein: Landesblindengeldgesetz § 1 Abs. 3 (entspricht Baden-Württemberg). Thüringen: Thüringer Blindengeldgesetz § lAbs. 2: "Blind ist, wem das Augenlicht vollständig fehlt. Gleichgestellt sind Personen, deren Sehschärfe auf dem besseren Auge nicht mehr als I/SO beträgt oder bei denen dem Schweregrad dieser Sehschärfe gleichzuachtende, nicht nur vorübergehende Störungen des Sehvennögens vorliegen." All diese Regelungen decken sich mit der Bestimmung in § 76 Abs. 2a Nr. 3 Buchstabe a) des Bundessozialhilfegesetzes. In § 1 Abs. 4 des Gesetzes über die Pflegeleistungen von Berlin wird zwar noch die fehlende Orientierungsfähigkeit erwähnt, die für die Sehschädigung angegebenen Voraussetzungen stellen aber eine unwiderlegliche Vennutung dar, daß sich der Betroffene in einer ihm nicht vertrauten Umgebung ohne fremde Hilfe nicht zurechtfinden kann. Als Ergebnis ist festzuhalten, daß sowohl nach dem Bundessozialhilfegesetz als auch nach den Landesgesetzen ein einheitlicher Blindheitsbegriff gegeben ist.

60 Hier fehlt zwar das Wort "auch", daß Personen, die völlig lichtlos sind, ebenfalls unter den Begriff fallen, ist selbstverständlich.

Kap. 3: Sehbehinderung als grundlegende Leistungsvoraussetzung

219

2. Der Blindheitsbegriff der Gegenwart im einzelnen Nach den Definitionen des Blindheitsbegriffes in § 76 Abs. 2a Nr. 3 Buchstabe a) BSHG, auf welchen in § 67 Abs. 7 BSHG verwiesen wird und nach den landesrechtlichen Bestimmungen liegt somit Blindheit vor: 1. bei Lichtlosigkeit (Amaurose), 2. wenn das Sehvermögen auf dem besseren Auge nicht mehr als

I/50

beträgt oder

3. wenn andere Störungen des Sehvermögens von einem solchen Schweregrad vorliegen, daß sie dieser Beeinträchtigung der Sehschärfenverminderung auf I/50 gleichzuachten sind. Es handelt sich um medizinische Feststellungen. Um zu einer einheitlichen Beurteilung zu kommen, werden bei der Feststellung der Blindheit die "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz", herausgegeben vom Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung (Stand: November 1996), herangezogen. a) Lichtlosigkeit Eindeutig ist Blindheit zu bejahen, wenn das Augenlicht vollständig fehlt (AHP Nr. 23 Abs. 2), wenn der Verlust des Sehvermögens auf eine Schädigung des Sehorgans (Auge, Sehnerv, Sehzentrum der Hirnrinde) zurückzuführen ist (AHP Nr. 23 Abs. 4, S. 44). b) Sehschärfe Nach wie vor spielen Sehschärfe und Gesichtsfeld für die Feststellung, ob Blindheit vorliegt, eine große Rolle. Nach AHP Nr. 23 Abs. 4 ist als blind "auch der Behinderte anzusehen, dessen Sehschärfe auf keinem Auge und auch nicht bei beidäugiger Prüfung mehr als I/50 beträgt". Sehschärfe von I/50 besagt, daß zwei Punkte in einem Abstand von 50 Winkelminuten erkannt werden. Die normale Sehschärfe ist daher 1,261 • Bei der Herabsetzung der Sehschärfe auf I/50 oder weniger ist Blindheit selbst dann zu bejahen, wenn das Gesichtsfeld überhaupt nicht eingeschränkt ist. Im Gegensatz zum eindeutigen Wortlaut im § 76 Abs. 2a Nr. 3 Buchstabe a) BSHG und in den Blindengeldgesetzen liegt nach den Anhaltspunkten Nr. 23 Abs. 2 Blindheit dann nicht vor, wenn das für jedes Auge einzeln gemessene Sehvermögen eine Sehschärfe von 1/50 oder weniger aufweist, aber eine beidäugige Prüfung eine Sehschärfe von über I/50 ergibt. 61 Vgl. Aufsatz von Dr. Schreck-Voßköhler, Hilfsmittel für Sehbehinderte S. 143 in: Klaus R. Fellbaum. Elektronische Kommunikationshilfen. Berlin, 1987.

220

2. Teil: Rechtssystematische Einordnung und vergleichende Darstellung

Die Berücksichtigung der beidäugig gemessenen Sehschärfe ist 1996 neu in die AHP aufgenommen worden. Die Frage ist, ob der beidäugig erzielte höhere Sehwert im Wege der Auslegung entgegen dem klaren Wortlaut der Blindenge1dregelungen als der Sehwert des "besseren Auges" gewertet werden kann 62 . Daß die Beeinträchtigung des Sehvermögens bei einer beidäugig gemessenen Sehschärfe von mehr als 1/50 nicht größer ist als die Schädigung, wenn nur auf einem Auge eine Sehschärfe von mehr als 1/50 vorliegt, entspricht augenärztlicher Erfahrung. Deshalb hat diese Erkenntnis in den Richtlinien der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft, und damit in den AHP, ihren Niederschlag gefunden. Diese Richtlinien sollen eine gleichmäßige Berücksichtigung von Sehbehinderungen bzw. Sehschädigungen im Recht sicherstellen63 . Die Praxis und die Rechtsprechung haben sich bei der Auslegung der Blindengeldgesetze bereits in der Vergangenheit jeweils an den AHP und an den Richtlinien der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft orientiert. Der Gesetzgeber hat gerade die Änderung des Blindheitsbegriffs im 3. Änderungsgesetz zum BSHG vom 25. 03. 1974 (BGB\. I, S. 777) bei der Neufassung von § 24 Abs. 1 S. 2 BSHG die Vorschläge der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft berücksichtigt64 • Weil die AHP aufgrund der fachärztlichen Erfahrungen als "antizipierte Gutachten" für eine gleichmäßige Bewertung von Behinderungen unerläßlich sind, werden sie vom BSG in ständiger Rechtsprechung trotz fehlender Rechtsgrundlage als "geschlossenes Beurteilungsgefüge" anerkannt und unterliegen nur einer eingeschränkten richterlichen Kontrolle 65 . Diese ständige Rechtsprechung ist im Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 06. 03. 1995 - 1 BVR 60/95 - bestätigt worden 66 . Sowohl nach dem Sinn der Blindengeldgesetze als auch nach dem objektiv anzunehmenden Willen des Gesetzgebers und nach der ständigen Rechtsprechung des BSG ist bei der Sehschärfenbestimmung das Meßergebnis für das beidäugige Sehen zugrunde zu legen, wenn diese Sehschärfe höher liegt als die für das einzelne Auge festgestellten Werte 67 •

62

175.

So Hennies, S. 15; Rössner/Raddatz, Medizinischer Sachverständiger, 1996, S. 173,

Hennies, a. a. O. V gl. Begrundung des Regierungsentwurfes, BT-Drucks. 7/308, S. 11. 65 BSG, Urteil vom 23. 06. 1993-9/9a RVs 1/91 = BSGE Bd. 72, S. 285 = SozR 33870, § 4 Nr. 6; BSG, Urteil vom 23. 06. 1993-9/9a RVs 5192; BSG, Urteil vom 26. 01. 1994-9 BVs 44/93; BSG vom 25. 10. 1994-3 RK 16/94 und BSG, Urteil vom 09.04. 1997-9 RVs4/95. 66 Vgl. Nichtannahmebeschluß des BVG vom 06. 03. 1995 -1 BVR 60/95 - in SozR 33870, § 3 Nr. 6 = SGB 1995, S. 297. 67 Vgl. AHP, S. 65, Anmerkung 1. 63

64

Kap. 3: Sehbehinderung als grundlegende Leistungsvoraussetzung

221

Berücksichtigung der korrigierten Sehschärfe Für die Beurteilung der Sehschärfe ist grundsätzlich von den durch Gläser korrigierten Werten auszugehen 68 . Weil das tatsächlich verwertbare Sehvennögen ausschlaggebend ist, muß von der Sehfähigkeit ohne Korrektur durch Augengläser ausgegangen werden, wenn diese aus gesundheitlichen Gründen nicht getragen werden können 69 . Die Möglichkeit, eine Sehhilfe zu tragen und damit das vorhandene Sehvennögen auszunützen, kann nicht schon verneint werden, wenn zum Aufsetzen der Brille, z. B. wegen vorhandener Lähmungen, fremde Hilfe in Anspruch genommen werden muß; denn das Sehen ist in diesem Fall möglich und die Inanspruchnahme von Hilfe zum Aufsetzen ist zumutbar. Insofern geht das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 15. 12. 1965 - L 13 BI 3/64 - zu weit. Die in diesem Urteil zum Blindheitsbegriff vertretene Auffassung ist zwischenzeitlich von der Rechtsprechung des Bayerischen Landessozialgerichts auch aufgegeben worden 7o . c) Gleichzuachtende Sehstörungen aa) Gesichtsfeldstörungen

Die wichtigsten Faktoren bei der Beurteilung, welche Sehbeeinträchtigung der Herabsetzung des Sehvennögens auf 1150 oder weniger gleich geachtet werden müssen, sind nach wie vor das Zusammenwirken von Sehschärfe und Gesichtsfeldeinschränkungen oder Gesichtsfeldausfällen. Eine der Herabsetzung der Sehschärfe auf 1/50 oder weniger gleichzusetzende Sehbehinderung liegt nach den Richtlinien der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft bei folgenden Fallgruppen vor: a) bei einer Einengung des Gesichtsfeldes, wenn bei einer Sehschärfe von 0,033 e/30) oder weniger die Grenze des Restgesichtsfeldes in keiner Richtung mehr als 30 Grad vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50 Grad unberücksichtigt bleiben, b) bei einer Einengung des Gesichtsfeldes, wenn bei einer Sehschärfe von 0,05 e/20) oder weniger die Grenze des Restgesichtsfeldes in keiner Richtung mehr als 15 Grad vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50 Grad unberücksichtigt bleiben, AHP Nr. 26.4, S. 63. Hennies, S. 39; Urteil des OVG Münster vom 20. 12. 1979 - VIII A 2000/76 = ZfSH 1980, S. 346. In dieser Entscheidung konnte der Kläger die Starbrille nicht tragen, es kam zu Schwindel, Unwohlsein und cerebralen Krampfanfällen. Blindheit wurde bejaht. 70 Vgl. Urteile des Bayerischen Landessozialgerichts vom 16.04. 1996 - L 15 BI5/95-; vom 18.06. 1996 - L 15 BI 8/94 -; vom 09. 07. 1996 - L 15 B16/95 - und vom 03. 12. 1996 -L 15 BIIl/95. 68 69

222

2. Teil: Rechtssystematische Einordnung und vergleichende Darstellung

c) bei einer Einengung des Gesichtsfeldes, wenn bei einer Sehschärfe von 0,1 (1/ 10) oder weniger die Grenze des Restgesichtsfeldes in keiner Richtung mehr als 7,5 Grad vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50 Grad unberücksichtigt bleiben, d) bei einer Einengung des Gesichtsfeldes, auch bei normaler Sehschärfe, wenn die Grenze der Gesichtsfeldinsel in keiner Richtung mehr als 5 Grad vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50 Grad unberücksichtigt bleiben,

e/

e) bei großen Skotomen (Gesichtsfeldausfällen) im zentralen Gesichtsfeldbereich, wenn die Sehschärfe nicht mehr als 0, I 10) beträgt und im 50-Grad-Gesichtsfeld unterhalb des horizontalen Meridians mehr als die Hälfte ausgefallen ist, f) bei homonymen Hemianopsien (Ausfall einer Gesichtsfeldhälfte an beiden Augen), wenn die Sehschärfe nicht mehr als 0,1 (\0) beträgt und das erhaltene

Gesichtsfeld in der Horizontalen nicht mehr als 30 Grad Durchmesser besitzt,

g) bei bitemporalen oder binasalen Hemianopsien, wenn die Sehschärfe nicht mehr als 0,1 ('/10) beträgt und kein Binokularsehen besteht7'. Bei der Sehschärfenbestimmung ist das beidäugige Sehen maßgebend, wenn es über den für die einzelnen Augen gemessenen Werten liegt (siehe oben). Bei der Beurteilung, ob Blindheit vorliegt, dürfen jedoch nicht nur die Sehschärfe und die Gesichtsfeldeinschränkung herangezogen werden. Vielmehr müssen "alle Störungen des Sehvermögens" Berücksichtigung finden 72 . So sind neben den Funktionen des Sehorgans nachweisbare Reizerscheinungen, Tränenträufeln, Empfindlichkeit gegen äußere Einwirkungen (Licht, Staub, Chemikalien usw.) sowie sonstige Erkrankungen des Auges und seiner Umgebung zu beachten73 • Das bedeutet, daß beim Vorliegen solcher Störungen selbst beim Überschreiten der oben angegebenen Werte Blindheit bejaht werden kann. Es muß jedoch eine Störung der Sehfunktion vorliegen74 . bb) Visuelle Agnosie

Eine der schwierigsten Fragen ist, ob Blindheit beim Vorliegen einer optischen Agnosie gegeben sein kann. Blindheit kann nur angenommen werden, wenn die Sehbeeinträchtigung auf einem Defekt des optischen Apparates beruht bzw. in der Verarbeitung optischer Reize ihre Ursache hat. Andere hirnorganische Störungen sind nicht zu berücksichtigen75 • AHP Nr. 23 Abs. 3, S. 44f. Vgl. AHP Nr. 26.4, S. 63f. 73 AHP Nr. 26.4. 74 BVerwGE Bd. 28, S. 213 und Bd. 28, S. 216. 75 BVerwGE Bd. 28, S. 213 und Bd. 28, S. 216; Amtliche Begründung zu Art. 1 Abs. 2 bayerisches Blindengeldgesetz vom 07. 04. 1995, Landtagsdrucksache 13/458. 71

72

Kap. 3: Sehbehinderung als grundlegende Leistungsvoraussetzung

223

Weil der Sehapparat aus Auge, Sehnerven und Sehzentrum der Gehirnrinde besteht, wird bei vollständigem Ausfall der Sehrinde (Rindenblindheit) übereinstimmend Blindheit bejaht76 • Die "Rindenblindheit" ist die Folge einer Schädigung der primären Sehrinde in dem Hinterhauptlappen des Gehirns, wie er z. B. nach beidseitigem arteriellem Verschluß der arteria cerebri posterior vorkommt. Die Frage ist, inwieweit Blinden auch Personen gleichgestellt werden können, die bei erhaltener optischer Funktion visuelle Reize nicht oder nur ungenügend verwerten können, wenn also eine "optische Agnosie" vorliegt. Nach Nr. 23 Abs. 4 AHP soll Blindheit bei Personen "mit einer visuellen Agnosie oder anderen gnostischen Störungen" nicht vorliegen. Dem Ausschluß der Berücksichtigung jeder Form der optischen Agnosie bei der Beurteilung, ob Blindheit im Sinne der Blindengeldgesetze vorliegt, kann nicht zugestimmt werden. Ausschlaggebend muß sein, ob das trotz eines, zumindest teilweisen intakten Sehapparates, Wahrgenommene erkannt werden kann (Erkennungs störung) oder ob ein Gegenstand zwar wahrgenommen, aber nur nicht richtig identifiziert, also benannt werden kann (Benennungsstörung). Das Sehen besteht aus wahrnehmen und erkennen. Wenn Wahrgenommenes nicht erkannt wird, kann nicht angemessen reagiert werden. Wenn z. B. ein Hindernis in einem Weg nicht als Hindernis erkannt wird, kann nicht ausgewichen werden. Eine solche Störung kann bei der Beurteilung, ob Blindheit vorliegt nicht unbeachtet bleiben. Wird demgegenüber ein Hindernis wahrgenommen, aber der Betroffene kann aufgrund einer geistigen Störung nicht identifizieren, ob es sich z. B. um einen Stuhl oder einen Tisch handelt, welcher im Weg steht, und welchem er ausweichen will, dann handelt es sich um eine Benennungsstörung. Eine angemessene Reaktion, nämlich das Ausweichen, ist möglich. Diese Störung ist bei der Beurteilung, ob Blindheit vorliegt, unbeachtlich. Das BSG hat in seinem Urteil vom 31. 01. 1995 - 1 RS 1/93 _77 das zu § 1 Abs. 3 Nr. 1 des saarländischen Gesetzes Nr. 761 ergangen ist, entschieden, daß ein Anspruch auf Blindenhilfe auch dann bestehe, also Blindheit vorliege, wenn "Störungen des Sehvermögens, z. B. infolge einer Optikusschädigung, mit cerebralen visuellen Verarbeitungsstörungen in einer Weise zusammenwirken, daß die Störung des Sehvermögens in ihrem Schweregrad insgesamt einer Sehschärfenbeeinträchtigung im Sinn von § 1 Abs. 3 Nr. 1 des saarländischen Gesetzes Nr. 761 (nicht mehr als 1/50) gleichzuachten ist". In einem solchen Fall liegt "faktische" Blindheit vor. Mit diesem Urteil wurde die im Rundschreiben des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung vom 16. 02. 1990 vertretene Auffassung, wonach Blindheit im Sinn des BSHG bei Vorliegen jeder Art einer cerebralen Verarbeitungsstörung verneint worden war, insoweit zurückgewiesen, als auch Erkennungsstörungen ausgeschlossen werden sollten78 . Diese Entscheidung geht über AHP Nr. 23 Abs. 4, S. 45. SozR 3 -5920, § 1 Nr. 1. 78 Ebenso das vorgehende Urteil des LSG Saarbrücken vom 16.07. 1992-2 V 40/91 und das SG Saarbrücken vom 08.10.1993-8 V 103/91 -. 76 77

224

2. Teil: Rechtssystematische Einordnung und vergleichende Darstellung

die AHP Nr. 23 Abs. 4, in welchem Blindheit nur bei einem "nachgewiesenen vollständigen Ausfall der Sehrinde (Rindenblindheit)" bejaht wird, bei einer "visuellen Agnosie oder anderen gnostischen Störung" verneint wird, zu Recht hinaus 79. § lAbs. 3 Nr. 2 des Gesetzes Nr. 761 (saarländisches Blindheitshilfegesetz) enthält, wie das BSG feststellt, "abweichend von Nr. I keinen festen Maßstab für die Beeinträchtigung des Sehvermögens und setzt insbesondere nicht zwingend voraus, daß bei dem Betroffenen eine genau bestimmbare (meßbare) Einschränkung der Sehschärfe vorliegt"so. Blindheit kann nämlich "im Sinne dieses Tatbestandes" nicht nur dann angenommen werden, wenn die Beeinträchtigung des Sehvermögens ausschließlich oder praktisch ausschließlich auf einer Minderung der Sehschärfe oder Ausfällen des Gesichtsfeldes beruht. Vielmehr können auch sonstige Störungen des Sehvermögens zum Vorliegen der Voraussetzungen der Nr. 2 beitragensI. Auf die Ursache der Sehschädigung, sei es eine Beeinträchtigung der Sehschärfe, des Gesichtsfeldes oder eine andere Ursache, wie z. B. eine das optische Erkennen betreffende Agnosie, kommt es nach Auffassung des BSG nicht an. Allerdings bleibt bei der Entscheidung des BSG vom 31. 01. 1995 unklar, ob auch Fälle einer cerebralen Verarbeitungsstörung alleine für die Annahme von Blindheit ausreichen können, wenn eine entsprechend schwere optische Erkennungsstörung vorliegt, bzw. ob bei derartigen cerebralen Verarbeitungsstörungen immer auch andere organische Sehschädigungen vorhanden sein müssen. Zu berücksichtigen sind nach diesem Urteil "alle Störungen des Sehvermögens, soweit sie in ihrem Schweregrad einer Beeinträchtigung der Sehschärfe auf 1/50 oder weniger gleichzuachten sind"s2. Nach Auffassung des BSG kommt es "für die Anwendung der genannten Vorschriften lediglich darauf an, ob die vorhandenen Störungen des Sehvermögens bzw. der Sehkraft insgesamt in ihrem Schweregrad - und nicht ihrer Art nach - der Sehschärfenbeeinträchtigung im Sinn des § 1 Abs. 3 Nr. I des Gesetzes Nr. 761 gleichzuachten sind". Es ist schon "nach dem Wortlaut der Bestimmung" nicht maßgeblich, auf welchen Ursachen die Störung des Sehvermögens beruht und ob das Sehorgan (Auge, Sehbahn) selbst geschädigt ist. Auch cerebrale Schäden, die zu einer Beeinträchtigung des Sehvermögens führen, sind ... zu berücksichtigen. Allerdings ist ... in Abgrenzung vor allem zu Störungen, die dem Bereich der seelisch / geistigen Behinderung zuzuordnen sind, zu differenzieren, ob das Seh"vermögen", d. h. das Sehen- bzw. Erkennen-können, beeinträchtigt ist oder ob - bei vorhandener Sehfunktion - eine zentrale Verarbeitungsstörung vorliegt, bei der das Gesehene nicht richtig identifiziert bzw. mit früheren 79 Die AHP stehen der Überprüfung des Blindheitsbegriffs anhand des Gesetzes nicht entgegen, vgl. BSG, Urteil vom 23. 06. 1993-9/9a RVs 1/91 = SozR 3-3870 § 4 Nr. 6; Beschluß des BVG vom 06.03.1995-1 BVR 60/95. 80 BSG vom 31. 01. 1995-1 RS 1/93,a.a.0. 81 BSG vom 31. 01. 1995, a. a. O. 82 BSG vom 31. 01. 1995, a. a. 0.; Schellhom/Jirasek/Seipp: Kommentar zum BSHG, 14. Auflage, 1993, RdNr. 11 zu § 24.

Kap. 3: Sehbehinderung als grundlegende Leistungsvoraussetzung

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visuellen Erinnerungen verglichen werden kann, in der also die Störung nicht das "Erkennen", sondern nur das "Benennen" betrifft83 . Wenn das Bundessozialgericht trotz dieser klaren Feststellungen dann formuliert, daß nicht ausgeschlossen werden könne, "daß bei einem kombinierten Krankheitsbild die Voraussetzungen des § 1 Abs. 3 Nr. 2 des Gesetzes Nr. 771 (saarländisches Blindheitshilfegesetz) gleichwohl erfüllt sein können, wenn der Betroffene infolge des Zusammentreffens der verschiedenen Störungen praktisch nicht sehen kann, wenn also z. B. Störungen des Sehvermögens (etwa durch eine Optikusschädigung) mit visuellen Verarbeitungsstörungen (als Teilursache) in einer Weise zusammenwirken, daß die Störung des Sehvermögens insgesamt in ihrem Schweregrad einer Sehschärfenbeeinträchtigung im Sinn der Nr. 1 (Sehschärfe von I/50 oder weniger) gleichzuachten ist", kann daraus nicht geschlossen werden, daß stets eine solche Kombination von Ursachen vorliegen müsse. Die Frage, ob cerebral verursachte "Erkennungsstörungen" alleine zur Anerkennung einer faktischen Blindheit führen können, wird in der Entscheidung des BSG vom 31. 01. 1995 nicht eindeutig beantwortet84 . Das Bayerische Landessozialgericht hat sich in mehreren Urteilen dahin ausgesprochen, daß faktische Blindheit dann zu bejahen ist, wenn das Sehvermögen durch das Zusammentreffen einer Schädigung des optischen Apparates mit einer cerebral verursachten Verarbeitungsstörung in einem Ausmaß beeinträchtigt ist, daß das einem Sehvermögen von weniger als 1/50 gleichgesetzt werden muß. In diesen Urteilen wurde stets auf das Urteil des BSG vom 31. 01. 1995 - 1 RS 1 /93 - Bezug genommen. So hat das Bayerische Landessozialgericht in seinem Urteil vom 05.05. 1998L 15 Bl9/97 = E-LSG BL-OOl - faktische Blindheit im Sinne von Art. 1 Abs. 3 Nr. 2 des BayZPflG in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. 01. 1989 (GVBl. S. 21) bzw. des Art. 1 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 BayBIG vom 07.04. 1995 (GVBl. S. 150) bejaht, wenn zu erwiesenen schweren Störungen des Sehvermögens visuelle Verarbeitungsstörungen infolge cerebraler Schäden hinzukommen. Beim Kläger lag nach medizinischen Gutachten ein nicht genau bestimmbares, geschätztes Sehvernögen von knapp über I/50 vor. Außerdem wurden starke Kurzsichtigkeit, eine hohe Stabsichtigkeit, Augenzittern und beidseitige Sehnervatrophie attestiert. Die überdies vorhandenen cerebralen Störungen erschwerten die Verarbeitung der Seheindrücke. Weil beim Kläger schwere Störungen des Sehvermögens nachgewiesen seien, könne deren "Kombination mit visuellen Verarbeitungsstörungen als Teilursache 83 BSG vom 31. 01. 1995, a. a. 0.; Möllhoff, zur gutachterlichen Beurteilung von "Seelenblindheit" in: Medizinischer Sachverständiger, 1990, S. 127 ff. Möllhoff weist darauf hin, daß der Begriff der "Seelenblindheit", obwohl er in der Praxis noch häufig verwendet wird, in der klinischen Neurologie keine Anwendung mehr findet. Möllhoff macht Vorschläge zur Begutachtung im Einzelfall. 84 BSG, Urteil vom 31. 0 I. 1995, a. a. O.

15 Demmel

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2. Teil: Rechtssystematische Einordnung und vergleichende Darstellung

in einer Weise zusammenwirken", daß die Störung des Sehvermögens insgesamt in ihrem Schweregrad einer Sehschädigungsbeeinträchtigung auf I/50 gleichgeachtet werden kann. Dies gilt nach der Entscheidung des Bayerischen Landessozialgerichts, "unabhängig davon, ob die Verarbeitungsstörung den Bereich der Wahrnehmung und des Erkennens oder den Bereich des Benennens betrifft, da nur das deutliche Überwiegen einer "Benennungsstörung" anspruchausschließend wirken könnte 85 ." Für Fälle sogenannter apallischer Syndrome hat das Bayerische Landessozialgericht in mehreren Urteilen "in Anlehnung an die Auffassung des Bundessozialgerichts in dessen Entscheidung vom 31. 01. 1995 - I RS 1/93 -" entschieden, daß cerebrale Verarbeitungsstörungen nicht anspruchsbegründend wirken können, wenn das "Vorhandensein einer als Teilursache zu qualifizierenden Beeinträchtigung der optischen Funktionen nicht nachweisbar ist,,86. Über die Rechtsprechung des LSG Bayern in den oben zitierten Urteilen hinausgehend, fordert das LSG Sachsen-Anhalt in seinem Urteil vom 20. 08. 1998 - L 5 BI I /97 - kein Zusammenwirken von Sehschädigung und optischen Verarbeitungsstörungen als Teilursachen der als Blindheit zu bewertenden Sehstörung. In seiner zu § lAbs. 2 Nr. 2 des Gesetzes über das Blinden- und Gehörlosengeid Sachsen-Anhalt ergangenen Entscheidung wird faktische Blindheit bejaht, wenn nach einer Hirnschädigung (postapallisches Syndrom infolge einer Narkose) trotz intakter Augäpfel, Sehbahnen und Sehrinde visuelle Reize nicht mehr aufgenommen und erkannt werden können 87 . In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall ließ der schwere hypoxisehe Hirnschaden eine strukturierte Reizverarbeitung kaum mehr als möglich erscheinen. Sämtliche höheren Hirnleistungen waren nach den ärztlichen Feststellungen von der Schädigung schwer betroffen. Aufgrund der schweren Hirnschädigung, die dem organischen und nicht dem seelisch-geistigen Bereich zuzuordnen sei, sei der Kläger nicht mehr in der Lage, das für ihn möglicherweise physikalisch Sehbare als entsprechenden Eindruck wahrzunehmen. Die Sehstörung beschränkt sich daher nicht "auf ein Defizit bei der Benennung" und beim Vergleichen des "Gesehenen" mit früheren visuellen Erinnerungen. Vielmehr fehlt es dem Kläger schon an der Fähigkeit, optische Reize zu erkennen und auf Urteil des BayLSG vom 05.05. 1998 - L 15 BI9/97 = E-LSG BLlOO!. Neben dem Urteil des BayLSG vom 05.05. 1998 - L 15 BI 9/97 vgl. die Urteile des BayLSG vom 16.04. 1996 - L 15 BI 5/95, vom 18.06. 1996 - L 15 BI 8/94, vom 09.07. 1996 - L 15 BI 6/95 und vom 03. 12. 1996 - L 15 BI 11 195. Der Gesetzgeber des bayerischen Blindengeldgesetzes vom 07. 04. 1995 geht ebenfalls davon aus, daß die Störung des Sehvennögens auch auf einer "visuellen Agnosie" im klassischen Sinne beruhen könne, worunter eine "Störung beim Erkennen optischer Reize zu verstehen sei, die sich nicht auf eine Beeinträchtigung elementarer visueller Leistungen, auf eine Benennungsstörung oder auf eine allgemeine Herabsetzung kognitiver Fähigkeiten zurückführen läßt" (Landtagsdrucksache 13/458). 87 Urteil des LSG Sachsen-Anhalt vom 20. 08. 1998 - L 5 BI 1/97 = JMBL 1999, S.47-49. 85

86

Kap. 3: Sehbehinderung als grundlegende Leistungsvoraussetzung

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sie angemessen zu reagieren 88 . Nach Auffassung des LSG Sachsen-Anhalt hat das Bundessozialgericht in seiner Entscheidung vom 31. 01. 1995-1 RS 1/93 - die Frage nicht abschließend geprüft, ob faktische Blindheit nur dann vorliegen könne, wenn visuelle Verarbeitungsstörungen mit Störungen des Sehvermögens zusammenträfen. Trotzdem wurde die Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG nicht zugelassen. Die Frage, ob faktische Blindheit nur beim Zusammentreffen von optischen Störungen mit cerebral verursachten Verarbeitungsstörungen, die das Erkennen des Gesehenen betreffen, bejaht werden kann, sofern diese Kombination von Teilursachen der Beeinträchtigung des Sehvermögens von nicht mehr als 1/50 gleichzuachten ist, oder ob auch eine cerebrale Verarbeitungs störung bei entsprechendem Schweregrad alleine als Ursache ausreicht, ist in der Rechtsprechung noch nicht abschließend geklärt. Eine solche Klärung durch das BSG ist möglich, weil es sich bei dem Begriff der Blindheit in den Landesgesetzen um inhaltlich gleiche Vorschriften handelt und diese Übereinstimmung nicht nur zufällig, sondern bewußt und gewollt ist. Damit reicht die Geltung über den Bezirk eines Landessozialgerichts hinaus (§ 162 SGG)89. Meines Erachtens müssen Verarbeitungsstörungen, die das Erkennen betreffen, als alleinige Ursache auch dann ausreichen, wenn die Störung einen solchen Schweregrad erreicht, daß sie der Sehbeeinträchtigung von nicht mehr als 1/50 gleichzuachten ist9o . Zur Beurteilung, ob eine Erkennungsstörung so schwerwiegend ist, daß sie der Herabsetzung des Sehvermögens auf 1/50 oder weniger gleichzuachten ist, könnte meines Erachtens auf den Begriff der Orientierungsblindheit zurückgegriffen werden. Zwar ist zu Recht der Begriff der Orientierungsblindheit für die Definition der Blindheit aufgegeben worden (siehe oben). Die Unfahigkeit, sich in einer fremden Umgebung ohne Hilfe zurechtfinden zu können, ist nur eine Auswirkung der Blindheit. Die nach dem seit dem dritten Änderungsgesetz zum BSHG vom 25. 03. 1974 geltenden Maßstäbe lassen eine an den medizinischen Voraussetzungen orientierte Beurteilung zu. Wenn jedoch zweifelhaft ist, ob aufgrund optischer Agnosie eine so schwere Erkennungsstörung vorliegt, daß sie der Beeinträchtigung des Sehvermögens auf 1/50 oder weniger entspricht, kann das bejaht werden, wenn sich der Betroffene in einer ihm fremden Umgebung nicht orientieren kann, weil es ihm nicht möglich ist, sich optisch zu orientieren und damit sicher zu bewegen. Blindheit wäre demgegenüber abzulehnen, wenn er sich deshalb nicht orientieren könnte, weil es ihm nicht möglich ist, seine Umgebung geistig zu erfassen und ihm deshalb aus intellektuellen Gründen die Orientierung unmöglich wäre (Benennungsstörung). 88 LSG Sachsen-Anhalt, a. a. O. und Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vorn 23. 07.1991 - L 6 (7) V 245/90 =Behindertenrecht 1994, S. 71, das zu § 14 BVG ergangen ist. 89 BSG, Urteil vorn 31. 01. 1995-1 RS 1/93, a. a. O. und BSG vorn 27.06.1974-8/2 RK 39/72 =BSGE 38, S. 21. 90 Vgl. auch Förster in: Das Behindertenrecht, 1994, S. 65.

15*

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2. Teil: Rechtssystematische Einordnung und vergleichende Darstellung

Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen der optischen Agnosie als Erkennungsstörung und einem apallischen Syndrom oder gar einem komatösen Patienten, der auf keinerlei äußere Reize reagieren kann, wie sie das Bayerische Landessozialgericht im Urteil vom 09. 07. 1996 - L 15 BI 6/95 - befürchtet, dürften nicht gegeben sein. Ein Nachweis, daß aufgrund einer visuellen Agnosie eine Erkennungsstörung vorliegt, wird nur bei ausreichendem Bewußtsein möglich sein. Wegen des im Verwaltungsverfahren herrschenden Untersuchungsgrundsatzes (§ 20 SGB X) und des Grundsatzes der objektiven Beweislast, wonach die Nichterweislichkeit von Anspruchsvoraussetzungen zu Lasten des den Anspruch Begehrenden geht91 , muß die medizinische Begutachtung mit besonderer Sorgfalt und höchstem Verantwortungsbewußtsein durchgeführt werden. Wenn es um die Beurteilung cerebraler Verarbeitungsstörungen geht, müssen neben subjektiven und objektiven ophthalmologischen Untersuchungen (visuell evozierte potentiale - VEP (z. B. in der Form eines Schachbrett-VEP oder bildgebende Verfahren - Computertomographie oder Magnet-Resonanz-Tomographie) neurologisch-psychiatrische Untersuchungen herangezogen werden können 92 • d) Dauer der Behinderung Blindengeld nach § 67 BSHG bzw. nach den Landesgesetzen wird nur gewährt, wenn die Blindheit oder Sehbehinderung nicht nur eine vorübergehende Beeinträchtigung ist. Im Bundessozialhilfegesetz heißt es dazu in § 76 Abs. 2a Nr. 3 Buchstabe a), auf den § 67 Abs. 7 BSHG verweist: " ... oder bei denen dem Schweregrad dieser Sehschärfe (I/50) gleichzuachtende, nicht nur vorübergehende Störungen des Sehvermögens vorliegen. . .. " Diese Formulierung ist sprachlich verunglückt. Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß auch bei Vorliegen völliger Lichtlosigkeit (Amaurose) oder bei Personen, deren Sehschärfe auf dem besseren Auge nicht mehr als I/50 beträgt, die gleiche Frist gelten soll. Diese Gruppen sollen nach dem Willen des Gesetzgebers gleichbehandelt werden. Der Gesetzgeber hat offensichtlich übersehen, daß es auch Fälle von behebbarer Blindheit oder Beeinträchtigung der Sehschärfe geben kann, wie z. B. bei einer Netzhautablösung, bei Netzhautblutung infolge Diabetes, bei erfolgreicher Staroperation kurz nach Reduktion des Sehvermögens. Eine Klarstellung hat der bayerische Gesetzgeber in Art. 1 Abs. 2 Nr. 3 des bayerischen Blindengeldgesetzes vom 07. 04. 1995 i. d. F. der Bekanntmachung vom 13.04. 1995 (GVBI. S. 150) gebracht, denn die Formulierung: ,,(3) Vorübergehende Sehstörungen sind nicht zu berücksichtigen", steht gleichwertig neben BSGE, Bd. 6, S. 70 (72 ff.); Bd. 30, S. 278 (281); Bd. 46, S. 193 (198). Zu den verschiedenen Untersuchungsmethoden und ihr Zusammenwirken vgl. Protokoll einer Expertenbesprechung zum Thema "Cerebrale Funktionsstörung und Blindheit" vorn 14.01. 2000 im Bayerischen Landesamt für Versorgung und Familienförderung - Ärztlicher Dienst - unveröffentlicht. 9\

92

Kap. 3: Sehbehinderung als grundlegende Leistungsvoraussetzung

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den Ziffern 1 und 2, in welchen Blindheit und gleichzuachtende Sehbeeinträchtigungen genannt sind. Das zeigt sich, obwohl der Gesetzesbegründung nichts zu entnehmen ist, auch daran, daß im bayerischen Gesetz über die Gewährung von Pflegegeld an Zivilblinde i. d. F. der Bekanntmachung vom 25.01. 1989 (GVBl. S. 21), das durch das bayerische Blindengeldgesetz abgelöst wurde, in Art. 1 Abs. 3 formuliert war: "Als Blinde gelten Personen, 1. deren Sehschärfe auf dem besseren Auge nicht mehr als 1 /50 beträgt, 2. bei denen durch Nr. 1 nicht erfaßte, nicht nur vorübergehende Störungen des Sehvermögens von einem solchen Schweregrad vorliegen, daß sie der Beeinträchtigung der Sehschärfe nach Nr. 1 gleichzuachten sind." Inhaltlich sollte durch das bayerische Blindengeldgesetz hinsichtlich des Blindheitsbegriffes nichts geändert werden. In den übrigen Landesblindengeldgesetzen ist entweder die Formulierung wie in

§ 76 Abs. 2a Nr. 3 Buchstabe a) BSHG wörtlich übernommen (Baden-Württemberg: § 1 Abs. 2, Hessen: § 1 Abs. 2, Mecklenburg-Vorpommern: § 1 Abs. 3, Niedersachsen: § 1 Abs. 2, Nordrhein-Westfalen: § 1 Abs. 1 Satz 2, Rheinland-Pfalz: § 1 Abs. 3, Saarland: § lAbs. 3, Sachsen: § 1 Abs. 2, Sachsen-Anhalt: § 1 Abs. 2, Schleswig-Holstein: § 1 Abs. 3) oder unmittelbar auf das BSHG verwiesen (Brandenburg: § 2 Abs. 1 Nr. 7, Bremen: § 1 Abs. 2, Hamburg: § 1 Abs. 1, Thüringen: § 1 Abs. 1).

Keine zeitliche Einschränkung findet sich im Berliner Gesetz über Pflegeleistungen vom 22.12.1994 (GVBl. Nr. 70, S. 520). Das Erfordernis, daß die Blindheit bzw. die gleichzuachtenden Beeinträchtigungen des Sehvermögens mindestens sechs Monate dauern müssen, bedeutet nicht, daß der Anspruch erst nach sechs Monaten entsteht; vielmehr muß bei der Beurteilung, ob Blindheit im Sinn des Gesetzes vorliegt, eine entsprechende Prognose gestellt werden. In Art. 1 Abs. 2 Satz 4 des bayerischen Blindengeldgesetzes heißt es ausdrücklich: "Als vorübergehend gilt ein Zeitraum bis zu sechs Monaten." Daß unter einem "nicht nur vorübergehenden Zustand" im Sozialrecht stets von einem Zeitraum von mehr als sechs Monaten auszugehen ist, ist der Definition des Behindertenbegriffes in § 2 Abs. 1 SGB IX zu entnehmen.

c. Der Begriff der hochgradigen Sehbehinderung Der Begriff der hochgradigen Sehbehinderung ist in den Landesgesetzen der sechs Länder, die diesem Personenkreis Leistungen gewähren, übereinstimmend definiert: Nach § 1 Abs. 4 des Pflegegesetzes von Berlin, § 1 Abs. 3 Landesblindengeldgesetz für Hessen, § 1 Abs. 5 Landesblindengeldgesetz für MecklenburgVorpommern, § 4 Abs. 2 des Gesetzes über die Hilfen für Blinde und Gehörlose für Nordrhein-Westfalen, § 1 Abs. 4 Landesblindengeldgesetz für Sachsen und § 1

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2. Teil: Rechtssystematische Einordnung und vergleichende Darstellung

Abs. 2 Nr. 3 des Gesetzes über das Blinden- und Gehörlosengeid im Land Sachsen-Anhalt sind Personen hochgradig sehbehindert: 1. deren Sehschärfe auf dem besseren Auge nicht mehr als '/20 beträgt oder

2. bei denen andere Störungen des Sehvermögens von einem solchen Schweregrad vorliegen, daß sie dieser Beeinträchtigung der Sehschärfe gleichzuachten sind. In § lAbs. 4 des Berliner Pflege gesetzes werden zur Abgrenzung gegenüber Blinden nach § 1 Abs. 3 Personen als hochgradig sehbehindert bezeichnet, "die sich zwar in einer ihnen nicht vertrauten Umgebung trotz ihrer Sehbehinderung ohne Führung und ohne besondere Hilfe noch ausreichend bewegen können, deren Sehschärfe aber auf dem besseren Auge nicht mehr als '/20 beträgt oder bei denen andere Störungen des Sehvermögens von einem solchen Schweregrad vorliegen, daß sie dieser Beeinträchtigung der Sehschärfe gleichzuachten sind". Der Hinweis auf die Orientierungsfähigkeit ist nur in Abgrenzung zur Blindheit von Bedeutung, wobei bei den in § 1 Abs. 3 für die Blindheit angegebenen Werten eine unwiderlegliche gesetzliche Vermutung (Unterstellung) der fehlenden Orientierungsfähigkeit gegeben ist. In § 4 Abs. 2 des Gesetzes über die Hilfen für Blinde und Gehörlose für Nordrhein-Westfalen wird bestimmt, daß hochgradig Sehbehinderte Personen sind, "die sich zwar in einer ihnen nicht vertrauten Umgebung ohne fremde Hilfe noch zurechtfinden, ihr restliches Sehvermögen aber für eine Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft, vor allem an einem angemessenen Platz im Arbeitsleben, nicht oder nur unzureichend verwerten können". Soweit die Orientierung angesprochen ist, kann dieses Kriterium ebenfalls nur zur Abgrenzung gegenüber der Blindheit herangezogen werden. Soweit die Erschwernisse bei der Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft und vor allem am Arbeitsleben angesprochen wird, kommt ein Motiv des Gesetzgebers für die Gewährung dieser Leistung zum Ausdruck. Diese für den Gesetzgeber ausschlaggebenden Auswirkungen der hochgradigen Sehbehinderung werden, wie die Worte "diese Voraussetzungen sind erfüllt" zeigen, unwiderleglich unterstellt, wenn das "bessere Auge mit Gläserkorrektur ohne besondere optische Hilfsmittel eine Sehschärfe von nicht mehr als '/20 oder krankhafte Veränderungen aufweist, die das Sehvermögen in entsprechendem Maße einschränken". In § 1 Abs. 3 des hessischen Landesblindengeldgesetzes wird anstelle des allgemein üblichen Begriffs "hochgradig Sehbehinderte" der Begriff "wesentlich Sehbehinderte" verwandt. Da die gesetzliche Definition in § 1 Abs. 3 dann aber die Werte von '/20 Sehschärfe bzw. gleichschwere Beeinträchtigung nennt, ist klargestellt, daß der Personenkreis der wesentlich Sehbehinderten nach dem hessischen Blindengeldgesetz nicht identisch ist mit dem Personenkreis der wesentlich Sehbehinderten, wie er in § 1 Nr. 4 Buchstabe a) und b) der Eingliederungshilfeverordnung vom 27. 05. 1964 (BGBI. I, S. 339), zuletzt geändert am 24.03. 1997 (BGBI. I, S. 594), für die Eingliederungshilfe nach § 39 ff. BSHG bestimmt wird93 .

Kap. 3: Sehbehinderung als grundlegende Leistungsvoraussetzung

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Im Blindengeldgesetz von Sachsen § 1 Abs. 4 wird anstelle des Begriffes "hochgradig Sehbehinderte" der Begriff "hochgradig Sehschwache" gebraucht. Die Definition stimmt aber mit den anderen Landesgesetzen überein. In § 1 Abs. 2 Nr. 3 des Gesetzes über das Blinden- und Gehörlosengeid in Sachsen-Anhalt wird abweichend von den übrigen Landesgesetzen formuliert: "Blindengeld erhalten auch Personen ... , 3. die hochgradig sehbehindert mit einem Sehvermögen von 1/20 und weniger sind". Trotz dieses abweichenden Wortlautes fallen unter diese Bestimmung auch Personen, bei denen gleichschwere Sehbeeinträchtigungen gegeben sind. Eine andere Auslegung würde dem Sinn dieser Leistung nicht gerecht. Sie verstieße überdies gegen Art. 3 Abs. 1 GG, weil keine vernünftigen Gründe für eine unterschiedliche Behandlung gleichbetroffener Gruppen vorliegen94 . Zur Beurteilung einer wesentlichen Sehbehinderung sind die Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz, herausgegeben vom Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung, Stand: November 1996, heranzuziehen. Die Definition in Nr. 23 Abs. 5 S. 2 AHP stimmt mit den Definitionen in den oben genannten Landesgesetzen überein, wobei allerdings formuliert wird, daß die Sehschärfe "auf keinem Auge und auch nicht bei beidäugiger Prüfung mehr als 1/20" betragen darf. Die durch Gläser korrigierte Sehschärfe muß zugrunde gelegt werden. Hinsichtlich der Berücksichtigung des beidäugigen Sehvermögens gilt das gleiche, was oben zur Blindheit ausgeführt worden ist. In den Anhaltspunkten fehlt eine nähere Bestimmung über die Festlegung von unterschiedlichen Sehschärfe- und Gesichtsfeldeinschränkungen bzw. Gesichtsfeldausfallen, wie sie die Richtlinien der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft für die Bestimmung der Blindheit festgelegt hat (vgl. AHP Nr. 23 Abs. 4). Nach § 26 Abs. 4 AHP müssen alle Störungen des Sehorgans berücksichtigt werden. Eine "andere hinsichtlich des Schweregrades" der Sehschärfenbeeinträchtigung auf 1/20 "gleichzuachtende Störungen der Sehfunktion" liegt nach Nr. 23 Abs. 5 S. 3 AHP vor, "wenn die Einschränkung des Sehvermögens einen GdB / MdE-Grad von 100 bedingt und noch nicht Blindheit vorliegt".

93 Nach § 1 Nr. 4 der Eingliederungshilfeverordnung sind wesentlich Sehbehinderte Personen, "bei denen mit Gläserkorrektion ohne besondere optische Hilfsmittel a) auf dem besseren Auge oder beidäugig im Nahbereich bei einem Abstand von mindestens 30 cm oder im Fembereich eine Sehschärfe von nicht mehr als 0,3 besteht oder b) durch Buchstabe a) nicht erfaßte Störungen der Sehfunktion von entsprechendem Schweregrad vorliegen. 94 Vgl. Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 07. 05. 1974-1 BVL 6/72 -, BVGE Bd. 37, S. 154 ff. zu § 24 Abs. 1 S. 2 BSHG in der Fassung vom 18. 09. 1969 (BGBI. I, S. 1688) und § 1 Abs. 1 S. 2 Blindengeldgesetz für Nordrhein-Westfalen in der Fassung vom 16.06.1970.

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2. Teil: Rechtssystematische Einordnung und vergleichende Darstellung

Auch von einer erheblichen Sehbehinderung im Sinne der hier behandelten Landes gesetze kann nur gesprochen werden, wenn die Störung vorausschauend mindestens sechs Monate andauert.

D. Bedeutung der Ursache der Erblindung oder hochgradigen Sehbehinderung I. Konkurrenzprobleme

Nach § 67 BSHG und nach den hier behandelten Landesgesetzen sollen nicht alle Blinden (bzw. nach einigen Landesgesetzen neben den Blinden hochgradig Sehbehinderten) Blindengeld erhalten. Diese Leistungen sind, wie die Entwicklung der Blindengeldgesetze gezeigt hat (vgl. Teil I), für "Zivilblinde" gedacht. Das sind Personen, die nicht nach Vorschriften anderer Sozialrechtsbereiche gleichartige Leistungen erhalten, wie z. B. Kriegsblinde nach § 35 BVG oder Unfallblinde nach § 44 Abs. 1 SGB VII bzw. §§ 34, 35 Beamtenversorgungsgesetz. Um das zu erreichen, muß in den Gesetzen eine Rangordnung zwischen den konkurrierenden Sozialleistungen festgelegt werden. Für die Gestaltung der Rangordnung sind die Prinzipien der Kausalität und Subsidiarität maßgebend. Die Anspruchskonkurrenz kann entweder dadurch gelöst werden, daß Berechtigte, die entsprechende Leistungen nach einem vorrangigen Gesetz erhalten bzw. erhalten können, von der Berechtigung nach dem nachrangigen Gesetz ausgeschlossen werden oder daß die Leistungen aus dem vorrangigen Gesetz auf die Leistungen nach dem nachrangigen Gesetz angerechnet werden 95 . 11. Kausalität als Mittel zur Vorrangregelung

Im Verhältnis zu den Landesblindengeld- bzw. Landespflegegeldgesetzen und zu § 67 BSHG sind wiederum Leistungen vorrangig, die für ihre Begründetheit an ein Ereignis anknüpfen, für die es also auf die Kausalität ankommt. Im gegliederten Sozialrechtssystem ist die Kausalität Anknüpfungspunkt für die Entscheidung, welcher Träger in erster Linie eine Sozialleistung erbringen muß, wer also "Verantwortungsträger" ist96 . Wegen ihrer rechtspolitischen Rechtfertigung werden Leistungen der sozialen Vorsorge und der sozialen Entschädigung kausal begründet, weil sie wegen "vormalig betriebener Vorsorge" oder eines in der Vergangenheit erlittenen Nachteils, der ein Sonderopfer im Interesse der Allgemeinheit darstellt, gewährt werden 97 . 95

96 97

Zum Problem der Anspruchskonkurrenz vergleiche Bley, RdNr. 136, 137. Schulin: Gutachten, S. 128 ff. Eichenhofer, RdNr. 174; Trenk-Hinterberger, S. 15.

Kap. 3: Sehbehinderung als grundlegende Leistungsvoraussetzung

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Als kausal bedingte vorrangige Leistungen, die zum Ausgleich der blindheitsbedingten Mehraufwendungen und Nachteile geleistet werden, kommen Leistungen nach dem Bundesversorgungsgesetz und den Gesetzen, die seine entsprechende Anwendung vorsehen, in Frage, weil in all diesen Fällen eine Entschädigung wegen des erbrachten Sonderopfers erfolgt. Solche Leistungen aufgrund des BVG sind die Pflegezulage nach § 35 BVG, die Kleiderverschleißpauschale nach § 15 BVG, die Führzulage nach § 14 BVG und die Grundrente nach § 31 BVG. Bestimmungen, die eine entsprechende Anwendung des BVG vorsehen und aufgrund deren deshalb die genannten Leistungen erbracht werden, sind: - § 80 Soldatenversorgungsgesetz (SVG) vom 26. 07. 1957 (GVBI. I, S. 785),

neugefaßt durch Bekanntmachung vom 06. 05. 1999 (GBI. I, S. 882, 1491), geändert durch Art. 7 Gv. 19. 11. 1999 (GVBI. I, S. 2198);

- § 47 Abs. 1 Zivildienstgesetz (ZDG) vom 13.01. 1960 (GVBl. I, S. 10), neuge-

faßt durch Bekanntmachung vom 28.09. 1994 (BGBI. I, S. 2811), zuletzt geändert durch Art. 11 Gv. 22. 12. 1999 (BGBI. I, S. 2534);

- § 1 Opferentschädigungsgesetz (OEG) vom 11. 05. 1976 (GVBl. I, S. 1181), zuletzt geändert durch Art. 30 des Gesetzes vom 07. 08. 1996 (GVBl. I, S. 1254),

wonach derjenige, der infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erleidet, einen Anspruch auf Versorgung hat;

- § 51 Abs. 1 Bundesseuchengesetz (BSeuchG) vom 18. 07. 1961 (GVBI. I, S. 1012, 1300), zuletzt geändert durch Art. 17 Gesetz vom 24.03.1997 (BGBl.

I, S. 594), bei Impfschäden, d. h. bei über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung, die durch eine gesetzlich vorgeschriebene oder angeordnete bzw. von einer zuständigen Behörde öffentlich empfohlenen bzw. aufgrund der Verordnung zur Ausführung der internationalen Gesundheitsvorschriften durchgeführten Impfung verursacht worden ist;

- § 1 Abs. 1 in Verbindung mit § 4 Abs. 1 des Häftlingshilfegesetzes (HHG) vom 06. 08. 1955 (BGB!. I, S. 498), neugefaßt durch Bekanntmachung vom 02.06. 1993 (GVBl. I, S. 838), zuletzt geändert durch Art. 4 Gv. 17. 12. 1999 (GVBl. I, S. 2662), wenn deutsche Staatsangehörige und deutsche Volkszugehörige nach der Besetzung ihres Aufenthaltsortes oder nach dem 08. 05. 1945 in der sowjetischen Besatzungszone oder im sowjetisch besetzten Sektor von Berlin oder in den in § 1 Abs. 2 Nr. 3 des Bundesvertriebenengesetzes genannten Gebieten aus politischen und nach freiheitlich, demokratischer Auffassung von ihnen nicht zu vertretenden Gründen in Gewahrsam genommen worden sind, sofern sie infolge des Gewahrsams eine gesundheitliche Schädigung erlitten haben; - § 1 Abs. 1 in Verbindung mit § 3 Abs. 1 Verwaltungsrechtliches Rehabilitie-

rungsgesetz (VwRehaG) vom 23. 06. 1994 (GVBl. I, S. 1311), neugefaßt durch

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2. Teil: Rechtssystematische Einordnung und vergleichende Darstellung

Bekanntmachung vom 01. 07. 1997 (BGBl. I, S. 1620), geändert durch Art. 3 Gv. 17. 12. 1999 (BGBl. I, S. 2662), wenn eine hoheitliche Maßnahme einer deutschen behördlichen Stelle zur Regelung eines Einzelfalles im Beitrittsgebiet (Gebiet der früheren DDR) aus der Zeit vom 08.05. 1945 bis zum 02. 10. 1990 zu einer gesundheitlichen Schädigung geführt hat; - § 21 Abs. I Strafrechtliches Rehabilitierungsgesetz (StrRehaG) vom 29.10.1992 (BGBl. I, S. 1814), neugefaßt durch Bekanntmachung vom 01. 07. 1997 (GVBl. I, S. 1613), geändert durch Art. I Gv. 17. 12. 1999 (BGBl. I, S. 2662), wenn infolge einer Freiheitsentziehung aufgrund einer strafrechtlichen Entscheidung eines staatlichen deutschen Gerichts im Gebiet der früheren DDR aus der Zeit vom 08.05. 1945 bis zum 02. 10. 1990, die mit wesentlichen Grundsätzen einer freiheitlichen rechtsstaatlichen Ordnung unvereinbar ist, eine gesundheitliche Schädigung verursacht worden ist.

Eine kausale Anknüpfung zur Begründung der Sozialleistungen besteht auch bei Vorsorgesystemen zur Absicherung eines allgemeinen Lebensrisikos 98 . Die Beiträge als Vorsorgeleistungen dienen der Abdeckung der Haftpflicht des Verantwortlichen im Fall eines Schadensereignisses. Als Schadensereignis kommt der Arbeitsunfall (§ 8 Abs. 1 SGB VII), der Wegeunfall (§ 8 Abs. 2 SGB VII) oder eine Berufskrankheit (§ 9 SGB VII) in Betracht. Leistungen, die zum Ausgleich der unfall- oder berufskrankheitsbedingten Blindheit nach § 44 SGB VII gewährt werden, sind Pflegegeld sowie die Verletztenrente nach § 56 SGB VII. Kausal begründete Leistungen, denen als speziellem Versorgungssystem Vorrang zukommt, sind auch solche aus öffentlichen Kassen aufgrund gesetzlich geregelter Unfallversorgung oder Unfallfürsorge. Rechtsgrund ist hier die Fürsorgeverpflichtung des Dienstherrn aus dem Beamtenverhältnis. Als Schadensereignis kommt auch hier der Dienstunfall (§ 31 Abs. 1 Beamtenversorgungsgesetz), der Wegeunfall (§ 31 Abs. 2 Beamtenversorgungsgesetz) und eine Berufskrankheit (§ 31 Abs. 3 Beamtenversorgungsgesetz) in Frage. Leistungen, die zum Ausgleich der Folgen gewährt werden, sind: - ein Unfallausgleich in Höhe der Grundrente nach dem BVG (§ 30 Abs. 2 Nr. 3 in Verbindung mit § 35 Beamtenversorgungsgesetz), - Leistungen zum Ausgleich der Pflegebedürftigkeit (§ 30 Abs. 2 Nr. 2 in Verbindung mit § 34 Beamtenversorgungsgesetz) und - eine Kleiderverschleißpauschale (§ 33 Abs. 4 S. 1 Beamtenversorgungsgesetz). Die Vorrangregelungen in den Blindengeldgesetzen

Die Vorrangregelung in den Blindengeldgesetzen erfolgt entweder dadurch, daß Sozialleistungsberechtigte nach vorrangigen Gesetzen vom Bezug der Blinden98

SchuHn: Gutachten, S. 128.

Kap. 3: Sehbehinderung als grundlegende Leistungsvoraussetzung

235

geldleistungen ausgeschlossen werden oder dadurch, daß sie zwar dem Grunde nach berechtigt bleiben, die vorrangige Leistung aber auf die Leistung nach dem nachrangigen Blindengeldgesetz angerechnet werden. Da die vorrangigen Leistungen nach dem sozialen Entschädigungsrecht, dem sozialen Versicherungsrecht (Berufsunfallrecht) bzw. nach dem Beamtenversorgungsrecht in der Regel höher sind als die Blindengeldleistungen der Landesgesetze bzw. gemäß § 67 BSHG, reduziert sich im Fall der Anrechnung der dem Grunde nach gegebene Anspruch auf Null.

1. Der sozialrechtliche Kausalitätsbegriff

Die vorrangigen Leistungen nach den drei Versorgungssystemen - Bundesversorgungsgesetz und Verweisungsgesetze, gesetzliche Unfallversicherung nach dem SGB VII und Unfallversorgung oder Unfallfürsorge für Beamte und Richter nach dem Beamtenversorgungsgesetz - setzen voraus, daß die Erblindung Folge des schädigenden Ereignisses ist. Ob dies der Fall ist, richtet sich nach der im Sozialrecht herrschenden, von der Rechtsprechung entwickelten Theorie der "wesentlichen Bedingung". Zwischen dem zum Schaden führenden Ereignis und der Schädigung muß haftungsbegründende und zwischen der Verletzung und dem Schaden haftungsausfüllende Kausalität bestehen99 . Anders als im Strafrecht (Äquivalenztheorie) und im bürgerlichen Recht (Adäquanztheorie) genügt nach der sozialrechtlichen Kausalitätslehre ein Ereignis, das für die daraus resultierenden Folgen eine wesentliche Bedingung setzt. Es muß sich somit nicht um die alleinige Bedingung handeln. Dadurch soll eine Abgrenzung zu reinen Gelegenheitsbedingungen erfolgen. Allerdings ist die Theorie von der wesentlichen Bedingung insofern unscharf, als eindeutige Kriterien dafür fehlen, was als wesentliche Bedingung anzusehen ist. Es handelt sich um ein Werturteil!oo.

2. Behandlung des Vor- und Nachschadens sowie der mittelbaren Schädigungsjolgen

Die Schwierigkeiten der sozialrechtlichen Kausalitätstheorie zeigen sich besonders bei der Behandlung von Vor- und Nachschäden. a) Vorschaden Wenn z. B. ein Betroffener bereits auf einem Auge blind ist und er erblindet auf dem anderen Auge durch einen Arbeitsunfall, stellt sich die Frage, ob trotz dieses 99 100

Eichenhofer, S. 203. Eichenhofer, RdNr. 399; Bley, RdNr. 549 und 932-935.

236

2. Teil: Rechtssystematische Einordnung und vergleichende Darstellung

"Vorschadens" die nunmehr eingetretene vollständige Erblindung als unfallbedingt anerkannt werden kann 101. Der schädigungsbedingte Verlust des zweiten Auges hat erst die Erblindung bewirkt. Das schädigende Ereignis ist dafür wesentlich 102. b) Nachschaden Abweichend von den Fällen des Vorschadens wird der Nachschaden beurteilt. Ein Nachschaden liegt vor, wenn die Erblindung auf einem Auge durch einen Arbeitsunfall oder versorgungsrechtlichen Schadensfall eingetreten war und das andere Auge aus einem anderen Grund, z. B. einer Starerkrankung, erblindet ist. Dieses zweite Ereignis wird nach der ständigen Rechtsprechung des BSG nicht mehr von der Ursächlichkeit für die Schädigung des ersten Auges als "wesentliche Bedingung" erfaßt. "Mit dem Ende des schädigenden Vorgangs ist zugleich die versorgungsrechtlich beachtliche Ursachenkette abgeschlossen.'do3 Der spätere Verlust des zweiten Auges liege "außerhalb der rechtserheblichen Einflußsphäre" des entschädigungspflichtigen 104. Das BSG hat an dieser Rechtsprechung trotz der Kritik im Schrifttum festgehalten lO5 . Der für die Unfallversicherung zuständige Senat hat sich der zur Kriegsopferversorgung ergangenen ständigen Rechtsprechung angeschlossen 106. Für das Dienstunfallrecht der Beamten hat das Bundesverwaltungsgericht die gleiche Auffassung vertreten 107. Wenn man berücksichtigt, daß nach der Lehre von der wesentlichen Bedingung die Ursachen rechtserheblich sind, die wegen ihrer besonderen Beziehungen zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben und daß mehrere Umstände, die zum Erfolg beigetragen haben, als nebeneinanderstehende Mitursachen berücksichtigt werden, sofern sie in ihrer Bedeutung und Tragweite für den Eintritt des Schadens annähernd gleichwertig sind, kann nicht geleugnet werden, daß sich die Erstursache auch wesentlich auf das Ergebnis des Nachschadens auswirkt. Bei der ständigen Rechtsprechung handelt es sich um eine wertende Auswahl zur Schadensbegrenzung lO8 •

101 Der Verlust eines Auges würde lediglich mit einem GdB von 25 - 30 bewertet, der Verlust der vollständigen Sehkraft dagegen mit einem GdB von 100. 102 BSGE, Bd. 24, S. 275, 276; Hennies, S. 63. 103 BSGE, Bd. 41, S. 70. 104 BSGE, Bd. 41, S. 70. 105 BSGE, Bd. 17, S. 99; Bd. 17, S. 144; Bd. 19, S. 201; Bd. 23, S. 188; Bd. 27, S. 142 (145); Bd. 41, S. 70. 106 BSGE, Bd. 43, S. 208 = SozR 2200, § 581 Nr. 10. 107 BVerwGE, Bd. 32, S. 11 0 (116). 108 Zur Kritik der Rechtsprechung vgl. Hennies, S. 74; Müller: SGB 1965, S. 357, 359; Gitter: Schadensausgleich im Arbeitsunfallrecht, 1969, S. 137, 139; Wallerath: VSSR 1974, Bd. 2, S. 233, 246 ff.

Kap. 3: Sehbehinderung als grundlegende Leistungsvoraussetzung

237

Für die hier zu behandelnde Frage des Vorrangs kausalbedingter Leistungen zum Ausgleich der Blindheit kann die zwischen der Rechtsprechung und dem Schrifttum herrschende Meinungsverschiedenheit allerdings unberücksichtigt bleiben; denn auch in der höchstrichterlichen Rechtsprechung wird für die Fälle des Nachschadens eine Erhöhung der MdE wegen beruflichen Schadens, Berufsschadensausgleich und Pflegezulage nach § 35 BVG bzw. in der Unfallversicherung Hilfe zur Pflege nach § 44 SGB VII anerkannt. In dieser Beziehung wird der Nachschaden als ein Zwischenglied in der zur Hilflosigkeit oder zum beruflichen Einkommensausfall führenden Kausalreihe als wesentliche Bedingung bejaht lO9 • Die Folge ist: Auch soweit die Blindheit auf einem Nachschaden beruht, erhält der Betroffene zum Ausgleich der blindheitsbedingten Mehraufwendungen oder Nachteile andere Leistungen nach dem BVG bzw. nach dem SGB VII, so daß die Betroffenen entweder von den Leistungen nach den Landesblindengeldgesetzen ausgeschlossen sind oder eine Anrechnung auf die Leistungen nach den Landesblindengeldgesetzen bzw. auf die Blindenhilfe nach § 67 BSHG erfolgt. c) Mittelbare Schädigungsfolgen Von den Fällen des Vor- und Nachschadens sind mittelbare Schäden zu unterscheiden. Bei "mittelbaren Schädigungsfolgen" handelt es sich um Gesundheitsstörungen, die nicht unmittelbar durch den schädigenden Vorgang verursacht worden sind, an deren Entstehung aber die anerkannte Schädigungs- bzw. Unfallsfolge wesentlich mitgewirkt hat. Das wäre z. B. der Fall, wenn der unfallbedingte Gesundheitsschaden bei einem späteren Unfall wesentlich mitgewirkt hat. Folgendes Beispiel soll das verdeutlichen: Als Unfallfolge ist der Verlust eines Beines anerkannt. Der Geschädigte stürzt infolge dieser Verletzung. Der Sturz hat die Erblindung zur Folge. Hier bestünde Anspruch auf die entsprechenden Leistungen wegen der Erblindung nach dem BVG, wenn der Verlust des Beines ein anerkannter Kriegsschaden war bzw. nach dem SGB VII, wenn es sich beim Verlust des Beines um einen Arbeitsunfall gehandelt hatte.

109 BSGE, Bd. 41, S. 80 = SozR 3100, § 35 Nr. 2; BSGE, Bd. 48, S. 225 = SozR 3100, § 35 Nr. 11; BSG, Urteil vom 20.05. 1992-9a RV 24/91 - = SozR 3-3642, § 8 Nr. 3; BSG, Urteil vom 10.05. 1994-9 RV 14/93 -. Diese Ausweitung der Lehre von der wesentlichen Bedingung zeigt die Inkonsequenz der Rechtsprechung. Der Gesetzgeber hat im Haushaltsstrukturgesetz vom 18. 12. 1975 (BGBI. I, S. 3113) seinerseits die Kritik berücksichtigt, indem er ausdrücklich § 30 Abs. 6 BVG eine Regelung zum Nachschaden für die Schadensausgleichrente gebracht hat.

238

2. Teil: Rechtssystematische Einordnung und vergleichende Darstellung

Kapitel 4

Die Zweckbestimmung des Blindengeldes A. Vorbemerkung In § 67 Abs. I S. 1 BSHG sowie in den Landesgesetzen von Bayern (Art. Abs. 1), Berlin (§ 1 Abs. 1), Brandenburg (§ 1 Abs. 1), Bremen (§ 1 Abs. 1), Hamburg (§ 1 Abs. 1), Hessen (§ 1 Abs. 1), Mecklenburg-Vorpommern (§ 1 Abs. 1), Niedersachsen (§ 1 Abs. 1), Nordrhein-Westfalen (§ 1 Abs. I), Rheinland-Pfalz (§ I Abs. I), Saarland (§ 3), Sachsen-Anhalt (§ I Abs. I), Schleswig-Holstein (§ I Abs. I) und Thüringen (§ 1 Abs. I) wird bestimmt, daß das Blindengeld dem Ausgleich blindheitsbedingter Mehraufwendungen dient. In den Gesetzen von Baden-Württemberg (§ I Abs. I) und Sachsen (§ I Abs. I) wird als Zweck der Ausgleich blindheitsbedingter Mehraufwendungen und "Benachteiligungen" (Baden-Württemberg) bzw. "blindheitsbedingte Mehraufwendungen und sonstige Nachteile" (Sachsen) genannt. Das Landesblindengeldgesetz für Schleswig-Holstein, das als einziges Gesetz eine Präambel enthält, stellt in dieser heraus, daß das Land "in Erkenntnis der schweren Beeinträchtigung eines Menschen durch Blindheit in seiner gesamten Existenz ... Landesblindengeld als Einordnungshilfe in die Gesellschaft" gewährt. In den Gesetzen wird, ohne daß es eines Einzelnachweises bedürfte, unterstellt, daß die Blindheit oder hochgradige Sehbehinderung als "Funktionsbeeinträchtigung" (Impairment) zur Unmöglichkeit oder Einschränkung von Aktivitäten, die für Menschen als normal angesehen werden (Disability) und zu Benachteiligungen hinsichtlich der Teilhabe am Gesellschaftsleben (Handikaps) führt, die mit Hilfe von Geldleistungen zumindest teilweise ausgeglichen werden können 110. Bei den Blindengeldleistungen handelt es sich um umfassende Ausg1eichsleistungen mit Rücksicht auf die spezielle Situation blinder Menschen 111. Die Situation der blinden Menschen ist äußerst unterschiedlich, so daß ihren Bedürfnissen nur eine generalisierende pauschalierende Hilfe gerecht werden kann. Auf welchem Gebiet die Bedürfnisse entstehen, hängt auch davon ab, in weichem Umfang durch Rehabilitationsleistungen die Fähigkeiten zur Kompensation der Behinderung des einzelnen entwickelt werden konnten. Die Bedürfnisse können sich dann mehr vom Bereich des Ausgleichs von Disabilities auf den Bereich der Sicherung der Rehabilitation verlagern.

110

S.22.

Zu den Begriffen Impairment, Disability und Handicaps vgl. Reha-Info Nr. 5/1998,

111 Zur Situation blinder Menschen vgl. Scholler / Krause, Vierteljahresschrift für Sozialrecht, Bd. 5,1977, S. 281 ff. und Hennies, S. 8f.

Kap. 4: Die Zweckbestimmung des Blindengeldes

239

Stets ist zwischen der Blindheit und den auszugleichenden Folgen eine kausale Beziehung gegeben. § 67 BSHG und den Landesblindengeldgesetzen ist dabei die Vennutung immanent, daß der einzelne solche Bedürfnisse hat und die Leistung zu deren Befriedigung verwendet. Das hat zur Folge, daß der einzelne nicht nachweisen muß, daß er blindheitsbedingte Mehraufwendungen oder Benachteiligungen hat, welcher Art diese sind, und ob er das Blindengeld tatsächlich zweckentsprechend verwendet ll2 . Für das bürgerlich-rechtliche Unterhaltsrecht ist diese Vennutung in § 1610a BGB ausgesprochen 1\3. Im folgenden wird auf mögliche blindheitsbedingte Mehraufwendungen und Nachteile näher eingegangen.

B. Ausgleich der durch die Blindheit verursachten Mehraufwendungen Mehraufwendungen, die mit der Blindheit oder hochgradigen Sehbehinderung in ursächlichem Zusammenhang stehen, haben ihren Grund vor allem in der Unfähigkeit, selbst etwas in gleicher Weise zu tun, wie bei vorhandenem Sehvennögen, so daß entweder die Tätigkeiten von anderen ausgeführt werden müssen oder die Unterstützung durch andere notwendig ist bzw. spezielle Hilfsmittel eingesetzt werden müssen. Um die Frage nach den dadurch eintretenden Mehraufwendungen überhaupt beantworten zu können, müssen "hypothetische Kausalverläufe" angenommen werden. Das heißt, es muß die Frage gestellt werden, "was wäre, wenn der Betreffende sehen könnte"? Wenn dann bei einem Sehenden die aufzuwendenden Kosten nicht entstanden wären, sind sie durch die Blindheit oder hochgradige Sehbehinderung bedingt 114 . Daß die Blindheit zu Mehraufwendungen führt, wenn der Betroffene ein Leben, wie es ihm ohne Sehverlust möglich wäre, führen will, ist ohne weiteres einsehbar. Die Lebensbereiche bzw. Situationen, in welchen Mehraufwendungen entstehen, lassen sich beschreiben. Das Ausmaß der tatsächlich oder zumindest durchschnittlich entstehenden Mehraufwendungen kann indessen nur schwer zahlenmäßig erfaßt werden.

112 Hennies, S. 61; BVerwGE, Bd. 51, S. 281 (284); Schellhom-Jirasek-Seipt, RdNr. I zu § 67 BSHG; Urteil des OVG Berlin vom 27. 09.1985-6 S 100.85 =FEVS, Bd. 35, S. 343 ff. ll3 Nach § 67 Abs. 4 S. 2 BSHG und einigen Landesgesetzen kann das Blindengeld allerdings versagt bzw. entzogen werden, soweit eine bestimmungsmäßige Verwendung durch oder für den Blinden nicht möglich ist. Die Voraussetzungen müssen die Leistungsträger nachweisen. 114 Drerup: "Die Gegenwart", Heft 6/7,1998, "Rechtsauskunft".

240

2. Teil: Rechtssystematische Einordnung und vergleichende Darstellung

I. Blindenwarenkörbe J. Erhebungen in Nordrhein- Westfalen und Sachsen

1984 haben die Blindenselbsthilfeorganisationen in Nordrhein-Westfalen (Blinden- und Sehbehindertenverband Nordrhein e. Y., Blinden- und Sehbehindertenverein Westfalen e. Y. und Lippischer Blindenverein e. Y.) einen "Blindengeldwarenkorb" erarbeitet. Dieser "Blindengeldwarenkorb" wurde 1996 überarbeitet. Den Erhebungen lagen Fragebögen zugrunde, mit deren Hilfe der monatliche durchschnittliche Mehraufwand in den Lebensbereichen Erwerbstätigkeit, Haushaltsführung, Pflege und Betreuung, Instandhaltung und Reparaturen im Wohnbereich, Freizeitgestaltung und Teilhabe am Gesellschafts- und Kulturleben ermittelt werden sollten. Eine ähnliche Erhebung hat der Blinden- und Sehbehindertenverband Sachsen 1995 durchgeführt. Die der sächsischen Befragung zugrunde gelegte Einteilung der Blinden in drei Gruppen mit speziellen Voraussetzungen läßt viele mögliche Lebenssituationen außer Betracht, so daß sie für eine Verallgemeinerung ungeeignet ist 1l5 .

In Nordrhein-Westfalen wurde ein durchschnittlicher Mehrbedarf für alleinlebende Blinde von monatlich 1.383,82 DM, für verheiratete oder in Partnerschaft lebende Blinde ein Mehrbedarf von 1.826,38 DM und ein durchschnittlicher Mehrbedarf von 1.605,10 DM ermittelt. 2. Bewertung

Die in Nordrhein-Westfalen und Sachsen durchgeführten Erhebungen dürften wegen einer zu geringen Teilnehmerzahl wissenschaftlichen Anforderungen nicht voll gerecht werden 1l6 . Sie zeigen aber mit hinreichender Sicherheit, daß die anzusetzenden Mehraufwendungen in jedem Fall höher liegen als die Blindengeldleistungen nach § 67 BSHG bzw. nach den Landesgesetzen. Dies trifft umso mehr zu, als im Blindenwarenkorb Nordrhein-Westfalen unter Ziff. VIII ins Gewicht fallende Nachteile, wie geringere Berufschancen oder notwendiger Verzicht auf Erwerbstätigkeit der betreuenden Person, zwar genannt, aber nicht beziffert worden sind. Aufschlußreich und zutreffend ist die Zusammenstellung nach Lebensbereichen, in welchen die ermittelten Mehraufwendungen entstehen können. 115 Folgende Gruppen werden zugrunde gelegt: 1. Jüngere Blinde, im Familienverband lebend, die Blindentechniken beherrschend und für die Berufsausübung und das eigene Leben aktiv nutzend; 2. alleinstehende Blinde, über Selbständigkeit nur teilweise verfügend und ausgeprägt auf Unterstützung angewiesen; 3. späterblindete ältere Menschen, im Familien verband lebend, die Elementarrehabilitation nur zum Teil absolvierend und nutzend und deshalb ebenfalls nur eingeschränkt selbständig. 116 Drerup: "Die Gegenwart", Heft 617,1998, "Rechtsauskunft".

Kap. 4: Die Zweckbestimmung des Blindengeldes

241

11. In der Literatur genannte Beispiele

Zahlreiche Beispiele für blindheitsbedingte Mehraufwendungen werden bei Scholler / Krause, S. 101 ff. aufgeführt. Diese Beispiele werden zwar nicht beziffert, sie finden sich aber in den Blindenwarenkörben von Nordrhein-Westfalen und Sachsen wieder, so daß sich diese Angaben gegenseitig bestätigen. Drerup stellt nicht nur fest, daß die Erhebungen von Nordrhein-Westfalen und Sachsen nicht wissenschaftlich abgesichert seien. Er wendet sich auch gegen die Bezeichnung als "Warenkorb", da damit der Eindruck erweckt werde, "der Blinde könne sich hier, wie in einem Warenhaus, bedienen". Anstatt dessen schlägt er vor, von einer "Nachteilsübersicht" zu sprechen 117. Drerup schlägt zur Ermittlung blindheitsbedingter Mehraufwendungen gegenüber Nordrhein-Westfalen ein anderes Ordnungsschema vor. Er geht dabei von Art und Ort der Auswirkungen der Blindheit aus. In vier Punkten findet sich folgende Zusammenstellung: 1. Gebrauch und Verbrauch von Sachen und Energie, z. B. Einsatz von Blindenhilfsmitteln, Zusatzbedarf an Verbrauchsgütern (Reinigungsmittel, Verbandsmaterial usw.), stärkere Nutzung des Telefons, besonderer Wohnungs- und Raumbedarf,

2. Auswirkungen auf Sachen (Zerstörung, Beschädigung, Abnutzung), insbesondere auf Kleidung und Schuhwerk, Hausrat und Möbel, 3. Inanspruchnahme von persönlicher Hilfestellung, z. B. Hilfspersonen für den Bereich der Grundpflege, für die Haushaltsführung, Vorlesekräfte und Hilfen beim Schreiben, Begleitpersonen, private Chauffeure und Taxifahrten, 4. Vermögensnachteile, entstanden z. B. durch besonderen Zeitaufwand zur Überwindung von Sichtbarrieren oder als Folge von Sichtbarrieren (Einstieg in den falschen Zug) und durch entsprechenden Ausfall wirtschaftlich sinnvoller Zeitnutzung, entgangene Vermögensvorteile durch Ausfall der Nutzung von Sonderangeboten, von Preisvergleichen und ähnlichem, Ausfall von Kompensationsmöglichkeiten (keine Gegenseitigkeit bei der Nachbarschaftshilfe)ll8.

111. Zuordnung zu einem nach Lebensbereichen eingeteilten Ordnungsschema 1. Betroffene Bereiche

Sowohl die in den "Blindenwarenkörben" von Nordrhein-Westfalen und Sachsen aufgeführten blindheitsbedingten Mehraufwendungen als auch die von Schol117 118

Drerup: "Die Gegenwart", a. a. O. Drerup: "Die Gegenwart", a. a. O.

16 Demmel

242

2. Teil: Rechtssystematische Einordnung und vergleichende Darstellung

ler / Krause und von Drerup angeführten Beispiele lassen sich nach folgenden Bereichen ordnen und zusammenfassen: 1. Pflege, Wartung, hauswirtschaftliche Versorgung, 2. Mobilität, 3. Information, 4. Kommunikation, 5. Hilfsmittel für das tägliche Leben (lebenspraktische Fertigkeiten), 6. Kleider- und Materialverschleiß, 7. erhöhter Wohnraumbedarf, 8. sonstige Assistenzleistungen. Diese Einteilung macht deutlicher, in welchem Umfang blindheitsbedingte Mehraufwendungen der Pflege und in welchem Umfang sie anderen Bereichen zuzuordnen sind. Die Bereiche Arbeitsplatzausstattung mit für Blinde oder hochgradig Sehbehinderte angepaßten Hilfsmitteln und Assistenz am Arbeitsplatz sind nicht zu berücksichtigen, weil dafür das Blindengeld nicht einzusetzen ist 1l9 . 2. Erläuterungen zu den einzelnen Bereichen

Zu diesen oben genannten acht Bereichen ist folgendes zu bemerken: a) Pflege, Wartung, hauswirtschaftliche Versorgung Der Hilfebedarf ist hier sehr unterschiedlich, er hängt weitgehend davon ab, in welchem Maße Blinde durch Rehabilitationsmaßnahmen eine gewisse Unabhängigkeit erreicht haben. Unter Pflegebedürftigkeit ist die "geminderte Fähigkeit zur Selbstbetreuung", eine Situation der Hilflosigkeit, Unselbständigkeit und des Autonomieverlustes zu verstehen 12o. § 14 Abs. 3 SGB XI nimmt Pflegebedürftigkeit an, wenn Hilfebedarf besteht: a) im Bereich der Körperpflege, b) Ernährung, 119 Für den Bereich der sozialen Entschädigung (BVG und auf das BVG verweisende Gesetze) vgl. § 26 BVG; für den Bereich der sozialen Rentenversicherung vgl. §§ 16-19 SGB VI; für den Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung vgl. SGB VII, §§ 35 - 38, vgl. ferner § 14 Schwerbehindertengesetz, Pflichten des Arbeitgebers insbesondere auch zur behindertengerechten Ausstattung des Arbeitsplatzes (§ 14 Abs. 3 Schwerbehindertengesetz); § 31 Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 3 in Verbindung mit §§ 17 ff. Schwerbehindertenausgleichsabgabenverordnung vom 28. 03. 1988 (nach § 31 Abs. 4 sind diese Leistungen subsidiär). 120 Eichenhofer, S. 193 mit weiteren Nachweisen.

Kap. 4: Die Zweckbestimmung des Blindengeldes

243

c) Mobilität, d) haus wirtschaftliche Versorgung. Im Bereich der Körperpflege wird Bedarf auf optische Kontrolle durch Hilfspersonen z. B. bei der Auswahl von Körperpflegemiuel oder hinsichtlich des Zustandes der zu benutzenden Bade- und Toileueneinrichtungen gegeben sein. Zu denken ist auch an die Hilfe bei der Maniküre. Im Bereich der Ernährung ist vielfach die mundgerechte Zubereitung der Nahrung, z. B. schneiden von Speisen, belegen von Broten, notwendig. Im Bereich der Mobilität im Sinn von § 14 Abs. 4 Nr. 3 SGB XI ist an Hilfe bei der Kleiderauswahl, z. B. farblich abgestimmte Kleidung, zu denken. Am umfangreichsten ist in der Regel der Hilfebedarf im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung. So ist Hilfe in jedem Fall beim Einkaufen (finden der Einkaufsmöglichkeiten, Preisvergleich, Auswahl der Waren), häufig aber auch beim Kochen, reinigen der Wohnung, Spülen, wechseln und waschen der Wäsche und Kleidung sowie bei der Bedienung der Heizung notwendig l21 . Beachtet muß ferner werden, daß viele Reparaturen, z. B. Kleinreparaturen oder Schönheitsreparaturen, im häuslichen Bereich vom Blinden selbst nicht ausgeführt werden können. Deshalb entstehen Aufwendungen entweder für Handwerker oder für Gefälligkeiten, wenn diese Arbeiten im Wege der nachbarschaftlichen Hilfe geleistet werden, da ein Ausgleich durch eine eigene nachbarschaftliche Hilfe in aller Regel nicht in Frage kommt.

b) Mobilität Weil ein Blinder die zur Orientierung erforderlichen Informationen seiner Umwelt nicht entnehmen kann, was effektiv nur durch den Fernsinn Sehen möglich ist, ist im Mobilitätsbereich der Hilfebedarf besonders groß. Das gilt selbst dann, wenn ein Blinder ein Orientierungs- und Mobilitätstraining absolviert hat; denn das ermöglicht ihm im wesentlichen nur die eigenständige Zurücklegung bekannter Wege. In unbekannter Umgebung und zur Zurücklegung unbekannter Wege ist die Hilfe durch Begleitpersonen, die Inanspruchnahme von Taxen oder von privaten Chauffeuren unerläßlich. Die Notwendigkeit der Begleitung bzw. der Dienstlei121 Aufwendungen für die Körperpflege sind auch im Blindenwarenkorb Nordrhein-Westfalen genannt (I, 3. Körperpflege, 1. Nr. 4 Verbandsmaterial, I, 5. Haushaltshilfe und 11, 7. Aufmerksamkeiten für Hilfspersonen). Auch Scholler / Krause betonen die Betreuung durch andere Personen, seien sie bezahlt oder Familienangehörige, die deshalb oft auf eigene Verdienstmöglichkeiten verzichten (S. 101); Blindenwarenkorb Sachsen, Nr. 1.2 (Hilfe im Haushalt), 1.3 (Hilfe beim Einkauf), 1.4 (Wäschepflege), 1.5 (Reinigung im Haushalt).

16*

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2. Teil: Rechtssystematische Einordnung und vergleichende Darstellung

stungen durch Taxis kann dabei in den verschiedensten Lebensbereichen notwendig werden 122. Mit fortschreitendem Alter wird der Hilfebedarf zunehmen, weil Wege kaum noch alleine zurückgelegt werden können. c) Information Die meisten Informationen werden optisch aufgenommen, sei es über Schrift, Bilder, Pläne, Piktogramme, optische Erscheinungsform der Umwelt usw. Da die optische Information beim Blinden ganz oder zum größten Teil, beim hochgradig Sehbehinderten zu einem erheblichen Teil ausfällt, kann bei der Blindheit von einer Informationsbehinderung gesprochen werden. Die Information muß akustisch oder taktil gewonnen werden. Dazu ist eine entsprechende Anpassung der optischen Information notwendig. Das geschieht durch technische Hilfsmittel wie z. B. Lese-Sprech-Geräte. Das Schriftgut wird bei diesen über einen Scanner aufgenommen und mit Hilfe einer Erkennungssoftware in digitale Form umgesetzt, so daß die Informationen über Sprache oder mit Hilfe einer Braillezeile in Blindenschrift ausgegeben werden können. Hochgradig Sehbehinderte können häufig mit einem Bildschirmlesegerät Informationen aufnehmen. Das Schriftgut wird mit einer Kamera eingelesen und dann bis zu 60fach vergrößert auf einem Bildschirm wiedergegeben. Schriftliche Informationen können auch in Blindenschrift umgesetzt oder auf Tonträger aufgelesen werden. Auf diese Weise werden Bücher und Zeitschriften erstellt. Die Kosten sind gegenüber normalen Druckerzeugnissen um ein Vielfaches höher. Ein anderer Weg, der häufig unverzichtbar ist, ist das Vorlesen durch eine Hilfskraft. Lesegeräte stehen nicht überall zur Verfügung, sie sind nicht transportabel. Die meisten schriftlichen Informationen stehen auch nicht in angepaßter Form, sei es in Blindenschrift oder auf Tonträgern, zur Verfügung. Man denke nur an Speisekarten im Lokal, Fahrpläne, Reiseführer u. v. a. m. Besonders hohe Unkosten können für Informationsmaterial entstehen, wenn z. B. schriftliche Unterlagen für Lehrgänge und Kurse, sei es zur beruflichen Fortbildung oder im privaten Bereich, in Blindenschrift oder in akustische Form umgesetzt werden müssen 123 • 122 Im Blindengeldwarenkorb für Nordrhein-Westfalen wird z. B. verwiesen auf notwendige Begleitung oder Inanspruchnahme von Taxis für den Bereich der allgemeinen Lebensführung (I, 6.), Teilnahme am Leben in der Gesellschaft (II, 2. und 5.), Sport, Freizeit und Erholung (III, 1. und 2.), Begleitung bei Reisen und Urlaub (III, 5.), Weg zur Arbeitsstätte (V, 1.). Die notwendige Hilfe durch Taxi und Begleitpersonen heben auch Scholler / Krause hervor (S. \02). Blindenwarenkorb Sachsen Nr. 2.1 (Kosten für die Begleitung zu Veranstaltungen), 2.3 (Begleitung bei Spaziergängen), 2.5 (Begleitung auf Reisen), 2.6 (Begleitung für Arbeitswege ). 123 Auf anfallende Aufwendungen im Informationsbereich wird im Blindenwarenkorb Nordrhein-Westfalen hingewiesen unter II, 1., II, 4., IV, 3., V, 4. und VII, 1. Scholler / Krause

Kap. 4: Die Zweckbestimmung des Blindengeldes

245

d) Kommunikation Schon aus der eingeschränkten Mobilität ergibt sich, daß zur Kommunikation verstärkt auf Hilfsmittel wie das Telefon zurückgegriffen werden muß. Mit Hilfe des Telefons müssen häufig die erforderlichen Hilfen angefordert und organisiert sowie Informationen eingeholt werden. Zu denken ist z. B. an die Ermittlung von Telefonnummern und Adressen, Fahrplanauskünfte, ordern von Umsteighilfen bei Reisen, Anforderung von Taxis oder anderen Dienstleistungen, Erledigung von Bankgeschäften, Aufgabe von Warenbestellungen und selbstverständlich die Pflege persönlicher Kontakte l24 . e) Hilfsmittel für das tägliche Leben (lebenspraktische Fertigkeiten) Im täglichen Leben müssen vielfach spezielle Hilfsmittel eingesetzt werden. Häufig geht es darum, optische Informationen durch taktile oder akustische zu ersetzen. Hierher zählen z. B. Uhren mit abtastbarer Skala oder Sprachausgabe, Haushaltsgeräte wie Waagen mit abtastbarer Skala oder Sprachausgabe, Meßgeräte mit taktiler Skala, Spiele mit unterschiedlichen Spielfiguren, um die Farben der Spielsteine unterscheiden zu können. Diese Spielfiguren müssen außerdem fixiert sein, damit ein Abtasten möglich ist. Die taktil angepaßten Spielpläne sind dazu entweder mit Magneten versehen, oder die Spielsteine können auf den Spielbrettern aufgesteckt werden. Zum Schreiben der Blindenschrift sind eigene Schreibmaschinen notwendig. Zur Aufnahme von Notizen wird teures Punktschriftpapier, und zum Markieren werden Prägebänder bzw. Prägeetiketten benötigt 125 . f) Kleider- und Materialverschleiß

Kleider und Schuhwerk unterliegen bei der Benutzung durch blinde Personen einem erhöhten Verschleiß. Hindernissen und Verschmutzungen kann nicht entsprechend ausgewichen werden l26 . weisen auf diesen Bedarf ebenfalls hin (S. 101). Im Blindenwarenkorb Sachsen vgl. 2.8 (Fortund Weiterbildung), 3.2 (Vorlesen), 3.5 (Punktschriftliteratur). 124 Die Telefonkosten werden auch im Blindenwarenkorb Nordrhein-Westfalen erwähnt (11,3.), ebenso bei Scholler / Krause, S. 102 und im Blindenwarenkorb Sachsen (Ziff. 2.2). 125 Auf den Bedarf entsprechender Hilfsmittel wird im Blindenwarenkorb NordrheinWestfalen hingewiesen unter III, 3. (Mehrkosten für ein Tandem), III, 4. (angepaßte Gesellschaftsspiele und Werkzeuge für Hobbys), IV, 1. (Hilfsmittel zur Haushaltsführung). Entsprechende Hinweise finden sich bei Scholler / Krause, S. 102. Hinweise im Blindenwarenkorb für Sachsen finden sich unter den Ziffern 3.4 (Punktschriftmaschinen), 3.6 (blindengerechte Spiele), 4.1 und 4.2 (Blindenhilfsmittel). 126 Im Blindenwarenkorb Nordrhein-Westfalen wird auf diesen Umstand unter den Ziff. I, 1. und I, 2. sowie IV, 2. (Ersatz von beschädigten Hausratsgegenständen) hingewiesen. Im

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2. Teil: Rechtssystematische Einordnung und vergleichende Darstellung

g) Erhöhter Wohnraumbedarf Häufig führt Blindheit zu einem erhöhten Wohnraumbedarf. Das ist vor allem dann der Fall, wenn Blinde in einer Gemeinschaft, z. B. in einer Familie oder zusammen mit Partnern leben. Schon die bisher aufgeführten speziellen Hilfsmittel und Literatur in Blindenschrift erfordern einen erheblichen Raumbedarf. Aber auch das ungestörte Zusammenleben macht es notwendig, daß der Blinde einen eigenen Raum zur Verfügung hat. Das Lesen mit Hilfe eines Lese-Sprech-Gerätes oder eines Bildschirmlesegerätes würde die übrigen Mitbewohner in unzumutbarer Weise stören. Außerdem muß es einem Blinden möglich sein, wenn er an Freizeitaktivitäten der Mitbewohner, z. B. am Fernsehen, nicht teilnehmen will, sich in einen anderen Raum, etwa zum Lesen oder Hören von Hörbüchern, zurückzuziehen 127. h) Assistenzleistungen im Alltag Auch in bisher noch nicht erwähnten Bereichen kann Bedarf auf Assistenzleistungen entstehen. So muß eine blinde Mutter bei der Erziehung der Kinder, z. B. bei der Überwachung von Hausaufgaben, auf Hilfskräfte zurückgreifen 128. Scholler / Krause weisen noch darauf hin, daß durch "kompensatorischen Ausgleich" für den Sehverlust, der dem Erhalt von Lebensqualität dient, Mehrkosten entstehen können. Eine solche Kompensation kann z. B. durch das Erschließen der Welt der Töne erfolgen 129 . Weil die blindheitsbedingten Mehraufwendungen, je nach der persönlichen Lebenssituation, sehr unterschiedlich sind, ist es nicht sinnvoll, ja gar nicht möglich, einen Durchschnittsbetrag zu errechnen 130. Die obigen Ausführungen zeigen jedoch, daß die Aufwendungen in jedem Fall höher liegen als die Blindengeldleistungen nach § 67 BSHG und den Landesgesetzen. Neben diesen Mehraufwendungen müssen aber auch die durch die Blindheit hervorgerufenen Nachteile mit berücksichtigt werden.

Blindenwarenkorb Sachsen sind die Ziffern 1.1 (erhöhter Kleiderverschleiß), 1.6 (Ersatzbeschaffung beschädigten Geschirrs) zu nennen. 127 Auf den erhöhten Raumbedarf machen auch Scholler / Krause aufmerksam (S. 102). Vgl. auch Blindenwarenkorb Nordrhein-Westfalen (I, 1.,2. und 3.), Blindenwarenkorb Sachsen (3.1). 128 Blindenwarenkorb Nordrhein-Westfalen (I, 4.). 129 Scholler / Krause, S. 102. \30 BVerwGE, Bd. 51, S. 281 (282).

Kap. 4: Die Zweckbestimmung des Blindengeldes

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c. Ausgleich der durch die Blindheit verursachten Nachteile I. Allgemeines Zweck der Blindenhilfe nach § 67 BSHG bzw. der Blindengeldleistungen nach den Landesgesetzen ist nicht nur die Hilfe zur Finanzierung der blindheitsbedingten Mehraufwendungen, sondern auch ein Ausgleich für die durch die Blindheit bedingten Nachteile. Der Nachteilsausgleich wird zwar ausdrücklich nur in den Landesgesetzen von Baden-Württemberg (§ I Abs. I "Mehraufwendungen und Benachteiligungen") und Sachsen (§ I Abs. I "Blindheitsbedingte Mehraufwendungen und sonstige Nachteile") genannt. Der Nachteilsausgleich war, wie sich aus der Entwicklung der Blindengeldgesetze ergibt, Motiv für alle Gesetzgeber; denn stets wurde auf die besondere Situation blinder Menschen hingewiesen. Diese bringt aber nicht nur Mehrausgaben, sondern auch Nachteile mit sich l3I . Lassen sich schon die entstehenden Mehraufwendungen konkret kaum beziffern, so ist das für Benachteiligungen erst recht nicht möglich. Deshalb ist auch insoweit nur ein pauschalierter Ausgleich praktikabel. Die durch die Blindheit verursachten Nachteile sind die aus der körperlichen Beeinträchtigung (Impairment) und der daraus folgenden Einschränkung eigenen Handlungsvermögens (Disability) sowie der sozialen Bedingtheit resultierenden Nachteile (Handikaps). Solche Benachteiligungen ergeben sich vor allem im beruflichen, familiären oder partnerschaftlichen Bereich und hinsichtlich der Lebensqualität.

11. Zuordnung zu verschiedenen Lebensbereichen 1. Beruflicher Bereich

Die berufliche Benachteiligung wurde bei der Forderung nach einem Blindengeld, früher insbesondere nach einer Blindenrente, von den Blindenselbsthilfeorganisationen von jeher ins Feld geführt 132 . Tatsächlich ist es für Blinde trotz des Schutzes durch das Schwerbehindertenrecht außerordentlich schwierig, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt einen Arbeitsplatz zu finden. Selbst bei guter Ausbildung werden Blinde häufig nicht ihrer Qualifikation entsprechend beschäf131 Urteil des OVG Lüneburg vom 21. 01. 1970 - IV A 104/68 = FEVS 17,256, ZfSH 1970, S. 195; Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 14.05. 1969 - V C 167.67 =FEVS 16, 321, ZfSH 1970, S. 25; Maletz, ZfSH 1972, S. 180; VGH Mannheim, Urteil vom 14. 04. 1977 - VII 1636/76 = FEVS 26, 151 ff.; Urteil des VGH Mannheim vom 29.02.1998-6 S 1090/96. 132 Vgl. Erster Teil, Kap. 2, E; Pielasch-Jaedicke, S. 135; Scholler/Krause, S. 36.

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tigt; sie erzielen im Vergleich zu Nichtbehinderten ein niedrigeres Arbeitseinkommen!33. Nach einer vom Bayerischen Blindenbund herausgegebenen Statistik über die Situation Blinder in Bayern nach dem Stand vom 01. 12. 1979 befanden sich von den im erwerbsfähigen Alter (18. bis vollendetes 60. Lebensjahr) befindlichen Blinden nur 42 % der Männer und 28% der Frauen in einer Erwerbstätigkeit. Diese Quoten weichen erheblich von der Beschäftigungssituation, bezogen auf die Gesamtbevölkerung, ab. In der Bundesrepublik Deutschland waren zu diesem Zeitpunkt in der Altersgruppe von 18 - 65 Jahren 90% der Männer und 50% der Frauen berufstätig!34. Die Quote der Berufstätigkeit liegt bei den Blinden damit nur etwa halb so hoch wie die Quote der Berufstätigkeit allgemein. Diese Zahlen werden durch eine Infrateststudie, die 1979 durchgeführt und 1982 veröffentlicht worden ist, bestätigt. Danach sind in der Altersgruppe der 19- bis 65jährigen 32% der Blinden berufstätig. Eine vom Landschaftsverband Westfalen-Lippe in Auftrag gegebene und 1987 veröffentlichte Studie der Universität Bremen für Nordrhein-Westfalen ergibt, daß nur 17 % der im Erwerbsalter stehenden Blinden berufstätig sind. Im Durchschnitt der Bundesrepublik waren es nach dieser Studie zu diesem Zeitpunkt 74%. Aber nicht nur quotenmäßig zeigt sich eine unbefriedigende Eingliederung Blinder in das Erwerbsleben. Die Blinden sind zum größten Teil in niedrig qualifizierten und schlecht entlohnten Berufen tätig. Nach der Erhebung des Bayerischen Blindenbundes von 1979 ergab sich folgende Verteilung: Handwerk (Blindenhandwerk, nämlich Bürstenmacher und Korbmacher) 10%, Industriearbeiter 13%, Telefonisten 26%, Schreibberufe 12%, Verwaltungsberufe 4%, Musiker 2%, Klavierstimmer 1 %, Masseure/medizinische Bademeister 21 %, akademische Berufe 4%, sonstige Berufe 7%135. Die Einordnung in ein Schichtenmodell der Berufspositionen ergibt, daß bei den Blinden eine deutliche Häufung in den unteren sozialen Schichten festzustellen ist!36. "Es zeigen sich ... deutliche Züge eines Minderheitenstatus: Ausschluß eines großen Teils der Blinden aus der Berufswelt, Beschränkung auf wenige typische Berufspositionen und Konzentration in mit wenig Prestige ausgestatteten Berufspositionen,,137. Die berufliche Eingliederung Blinder hat sich seit diesen Erhebungen eher noch verschlechtert. So hat das Blindenhandwerk eine stark rückläufige Entwicklung. Die Industrie, in welcher früher von Blinden vor allem Montage- sowie einfachere Maschinenarbeiten ausgeführt worden sind, bietet kaum noch für Blinde geeignete Arbeitsplätze. Die elektronische Datenverarbeitung, die für Blinde die Berufschancen in den vergangenen Jahren erheblich verbessert hatte, weil sie einen leichten Scholler / Krause, S. 100. Timm in Rath: Handbuch S. 542. 135 Vgl. Timm, a. a. O. Timm gibt für 1971 für die Bundesrepublik ähnliche Zahlen an. !36 Timm, 1971, S. 69 f. 137 Timm, a. a. O. 133

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Kap. 4: Die Zweckbestimmung des Blindengeldes

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Zugriff auf Infonnationen erlaubte, kann nicht mehr uneingeschränkt genutzt werden. Die Umsetzung der auf dem Bildschinn wiedergegebenen Infonnationen in Brailleschrift und die Wiedergabe auf einer Braillezeile ist infolge der Verwendung grafischer Benutzeroberflächen wesentlich schwieriger geworden, als dies bei den digitalen Benutzeroberflächen der Fall war l38 . Benachteiligung durch die soziale Bedingtheit

Die Nachteile, die die Blindheit mit sich bringt, die also die von ihr betroffenen Menschen auf sich nehmen müssen, legen den Gedanken nahe, daß es sich zumindest teilweise - um ein Sonderopfer handelt, für welches ein Ausgleich geschaffen werden soll. Vor allem die Entwicklung der Arbeitswelt führt, wie oben gezeigt, zu einer erheblichen Benachteiligung blinder Menschen. Sie sind nicht im gleichen Maße und in gleicher Weise in der Lage, auf Veränderungen in der Arbeitswelt, insbesondere auf Veränderungen durch Automation und Rationalisierung, zu reagieren wie Sehende 139. Die Weiterentwicklung der Arbeitswelt liegt im Interesse der Allgemeinheit. Sie muß deshalb von Benachteiligten, wie z. B. von Blinden, hingenommen werden. Soweit jedoch eine Benachteiligung auf einem schädigenden Ereignis beruht, für das die Allgemeinheit "eine gesteigerte Verantwortung" trägt, hat sie auch primär für den Schadensausgleich einzustehen 140. Für die Verantwortlichkeit der Allgemeinheit kommt neben den allgemeinen Aspekten der verfassungsrechtlich geschützten Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) und der Sozialstaatlichkeit (Art. 20 GG) als Zurechnungskriterium "eine gewisse Art sozialer Bedingtheit für die Bedarfslage" in Frage l41 . "Sozial bedingt ist ein Faktum, wenn es auf Umständen des menschlichen Zusammenlebens im sozialen Ordnungsgefüge der verfaßten Gesellschaft beruht" 142. Sozial bedingt ist der Wandel der Arbeitswelt, der sich zum Nachteil blinder Menschen auswirkt. Dieser Gesichtspunkt hat bei der Forderung nach einem staatlichen Blindheitsausgleich von Anfang an eine große Rolle gespielt. Soziale Bedingtheit ist ein "hinreichendes Zurechnungskriterium kollektiver Verantwortlichkeit mit der Folge des Einstehens der Allgemeinheit für Individualbedarfe" 143.

138 Zur Benachteiligung Behinderter im Berufsleben vgl. Brinkmann: Die Benachteiligung der Behinderten im Berufsleben, Forschungsbericht in: "Wege zur Chancengleichheit der Behinderten", 1973, S. 152 ff. Die Probleme der gegenwärtigen beruflichen Eingliederung Blinder ist eindringlich dargestellt im Tätigkeitsbericht des Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverbandes e. V. für das Jahr 1998, S. 7 f. 139 Scholler/Krause, S. 71. 140 Schulin: Gutachten, S. 128. 141 Schulin: Gutachten, S. 135. 142 Schulin: Gutachten, a. a. O. 143 Schulin: Gutachten, S. 136.

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2. Teil: Rechtssystematische Einordnung und vergleichende Darstellung

2. Familiärer bzw. partnerschaftlicher Bereich

Nachteile ergeben sich auch im familiären bzw. partnerschaftlichen Bereich. Eine Benachteiligung für viele vor allem jüngere Blinde ergibt sich schon daraus, daß sie nicht verheiratet sind oder in einer Partnerschaft leben. In der Statistik des Bayerischen Blindenbundes von 1979 wird angegeben, daß 50,3% alleine und nur 49,7 % in einer Familie oder Partnerschaft leben. Diese Zahlen decken sich mit den Angaben in dem von den nordrhein-westfälischen Blindenverbänden 1996 herausgegebenen "Blindenwarenkorb". Sie werden auch in einer vom Landschaftsverband Rheinland - Hauptfürsorgestelle - 1992 erstellten Studie bestätigt l44 . Der durch die Blindheit verursachte Wartungs- und Betreuungsaufwand (siehe oben) wird bei Blinden, die in einer Familie oder Partnerschaft leben, in der Regel von den Familienangehörigen (Eltern, Kinder oder Ehegatten) oder Partnern geleistet. Das führt oft zu erheblichen Nachteilen, weil die Betreuungspersonen deshalb häufig nicht oder nur eingeschränkt berufstätig sein können. Die Familie muß in den Stand gesetzt werden, Betreuung und Wartung zu übernehmen 145 . Auch dem Ausgleich dieses Nachteils dient das Blindengeld; denn es soll die Pflege- und Betreuungsbereitschaft fördern 146. Alleinlebende Blinde müssen für ihre Wartung und Betreuung Hilfskräfte heranziehen, wodurch Mehraufwendungen entstehen (siehe oben). 3. Lebensqualität

Blindheitsbedingte Nachteile ergeben sich auch aus dem Verlust der Lebensqualität infolge des verlorenen Sehvermögens. In einer Welt, die überwiegend auf optische Erscheinungen eingerichtet ist, in welcher der Sehsinn dominiert, bedeutet die Einbuße dieses Sinnes einen herben Verlust. Neben den daraus resultierenden Problemen für die Lebensbewältigung handelt es sich deshalb um eine immaterielle Beeinträchtigung. Hier einen Ausgleich zu schaffen, ist ebenfalls Sinn des Blindengeldes; denn "zu den Bedürfnissen, für die diese Mittel gedacht sind, gehören ... insbesondere auch Bedürfnisse immaterieller Art, wie das Bedürfnis, sich mit der Umgebung vertraut zu machen, Kontakte zur Umwelt zu pflegen und am kulturellen Leben teilzunehmen"l47.

144 Vgl. Bericht Blinde und Arbeit, Untersuchung zur beruflichen Integration Blinder im Rheinland, 1992, S. 13. 145 Scholler / Krause, S. 106. 146 Vgl. Urteil des OVG Lüneburg vom 19.05.1988-14 A 127/86. 147 OVG Lüneburg, Urteil vom 21. 01. 1970 - IV A 104/68 = FEVS 17, 256; Maletz, a. a. 0.; Scholler / Krause, S. 16; Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 14. 05. 1969 - V C 167.67 =FEVS, Bd. 16, S. 320.

Kap. 4: Die Zweckbestimmung des Blindengeldes

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D. Sicherung der Eingliederung in die Gesellschaft I Rehabilitation I. Vorbemerkung Wenn durch das Blindengeld blindheitsbedingte Mehraufwendungen und blindheitsbedingte Nachteile ausgeglichen werden sollen, dann hat das den Zweck, den Betroffenen die Eingliederung in die Gesellschaft zu ennöglichen und diese Eingliederung sicherzustellen. Dieser Zweck wird besonders dadurch deutlich, daß in den Landesblinden- und Landespflegegeldgesetzen die Leistung nicht von Einkommens- und Vennögensgrenzen abhängig gemacht wird. Einkommens- und Vennögensgrenzen würden nämlich dazu führen, daß Blinde oder hochgradig Sehbehinderte, deren Einkommen oder Vennögen über diesen Grenzen liegt, gegenüber Sehenden, die sich in wirtschaftlich gleicher Situation befinden, erheblich benachteiligt würden, wenn sie die blindheitsbedingten finanziellen Belastungen vollkommen selbst tragen müßten. Sie würden in ihrer gesellschaftlichen Entfaltungsmöglichkeit erheblich benachteiligt 148. Dieser Nachteil fiele besonders ins Gewicht, wenn sich der Blinde seine wirtschaftliche Position trotz des vorhandenen Handikaps durch berufliche Leistungen erworben hat. Das Blindengeld hat nämlich auch die "Teilfunktion, den Blinden, der anspruchsberechtigt ist, berufsmäßig weUbewerbsfähig gegenüber den Sehenden zu halten,,149. Der Eingliederungs- und Rehabilitationsgedanke stand bei der Entwicklung der Landesblindengeldgesetze von Anfang an weit vor einem Versorgungsdenken l5o . Besonders deutlich kommt das Ziel, die Eingliederung in die Gesellschaft zu sichern, in der Präambel des Blindengeldgesetzes für SchleswigHolstein zum Ausdruck, wonach das Blindengeld als "Einordnungshilfe in die Gesellschaft" gewährt wird. Der Eingliederungszweck kommt auch in den Blindengeldbestimmungen klar zum Ausdruck, die den Anspruch auf Blindengeld versagen, wenn sich ein Blinder weigert, eine ihm zumutbare Arbeit zu leisten oder sich zu einem angemessenen Beruf oder zu einer sonstigen angemessenen Tcitigkeit ausbilden, fortbilden oder umschulen zu lassen 15l . Daß Zweck des Blindengeldes neben der Gewährleistung der Pflege und Wartung die gesellschaftliche Eingliederung der Blinden und die Sicherung dieser EinVgl. "Blindenselbsthilfe", Heft 4, 1982, S. 2 ff. Scholler/Krause, S. 69. 150 Scholler: Beiträge zum Rehabilitationsrecht, S. 218. 151 BSHG § 67 Abs. 4 S. 1; Blindengeldgesetz Baden-Württemberg: § 1 Abs. 3 Nr. 1; Pflegegeldgesetz für Bremen: § 8 Nr. 1; Blindengeldgesetz für Hamburg: § 5 Buchstabe a); Blindengeldgesetz für Hessen: § 3 Abs. 1 Nr. 1; Blindengeldgesetz für Mecklenburg-Vorpommern: § 6 Abs. 1 Buchstabe a); Blindengeldgesetz für Niedersachsen: § 6 Abs. 1 Buchstabe a) und Blindengeldgesetz für Schleswig-Holstein: § 6 Abs. 1 Buchstabe a). Vgl. Amtliche Begründung zum BSHG. Diesen Bestimmungen liegt eine sozialpädagogische Motivation zugrunde, die Wirksamkeit ist aber besonders angesichts des Arbeitsmarktes sehr zweifelhaft (vgl. dazu Brühl im Praxiskommentar, RdNr. 6 zu § 67 BSHG und RdNr. 1 zu § 25 BSHG). 148 149

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2. Teil: Rechtssystematische Einordnung und vergleichende Darstellung

gliederung ist, ergibt sich aus der Rechtsprechung zu § 67 BSHG und zu den Landesblindengeldgesetzen, soweit die Urteile auf den Zweck des Blindengeldes eingehen, wobei diesem Zweck der Ausgleich für die blindheitsbedingten Mehraufwendungen und Nachteile dient l52 . Weil das Blindengeld zum großen Teil der gesellschaftlichen Eingliederung dient, handelt es sich um eine Leistung zur Rehabilitation. Im folgenden wird die Verortung des Blindengeldes im Bereich der Rehabilitation behandelt.

11. Begriff der Rehabilitation

1. Allgemeines

Die Maßnahmen und Leistungen zur Eingliederung und Wiedereingliederung Behinderter in die Gesellschaft werden als Rehabilitation bezeichnet. Es wird nicht zwischen erstmaliger Eingliederung, z. B. von Geburt an Behinderter (Habilitation) und Wiedereingliederung von Personen, die im Laufe ihres Lebens eine Behinderung erlitten haben (Rehabilitation) unterschieden, weil letztlich das Ziel das gleiche ist 153 • Daß mit Rehabilitation die "Eingliederung Behinderter" in die Gesellschaft gemeint ist und deshalb inhaltlich nicht zwischen Rehabilitation und Eingliederung unterschieden werden kann, sondern beide Begriffe synonym verwendet werden, ergibt sich aus der Gesetzesbegriindung zu § 10 SGB 1154 . Unter Rehabilitation ist "die Gesamtheit der Bemühungen, einen durch Krankheit, ein angeborenes Leiden oder äußere Schädigungen körperlich, geistig oder seelisch behinderten Menschen durch umfassende Maßnahmen auf medizinischem, beruflichem und allgemein sozialem Gebiet in die Lage zu versetzen, eine angemessene und menschenwürdige Lebensform und Lebensstellung im Alltag, in der Gemeinschaft und im Beruf zu finden bzw. wieder zu erlangen 155 . Daß Blinde und hochgradig Sehbehinderte zum Kreis der Behinderten im Sinn von § 2 SGB IX zählen, bedarf keiner weiteren Erörterung. 156 152 Urteil des VGH Baden-Württemberg vom 20. 02. 1998 - 6 S 1090/96; Bundesverwaltungsgericht vom 15.11. 1967 = BVerwGE, Bd. 28, S. 216 = FEVS, Bd. 15. S. 361; Bundesverwaltungsgericht vom 14.05. 1969 - V C 167.67 = FEVS, Bd. 16, S. 321; OVG Lüneburg vom 12.04. 1967 = FEVS, Bd. 15, S. 70 (72) und OVG Lüneburg vom 21. 01. 1970 - IV A 104/68 = FEVS, Bd. 17, S. 256. 153 Schulin: Gutachten S. 20f. 154 Der Gesetzgeber hat bei der Überschrift von § 10 das Wort "Eingliederung" verwendet, er hat aber in der Gesetzesbegründung zum Ausdruck gebracht, daß er diese Bezeichnung für synonym zum Wort "Rehabilitation" hält (vgl. Bundestagsdrucksache 7/868, S. 24 zu § 10). 155 Kolb: Handbuch des Sozialrechts, RdNr. 1; Schulin: Sozialrecht, RdNr. 397; Schollerl Krause, S. 79 ff.; Mrozynski, S. I ff. und Eichenhofer, RdNr. 522. 156 Zum Begriff der Behinderung vgl. Trenk-Hinterberger: Recht der Behinderten, S. 33; Mrozynski, S. 3 f.; Kolb in: Handbuch des Sozialrechts, I, 2.; Eichenhofer: Sozialrecht, RdNr.523.

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Daß es sich bei der Rehabilitation Behinderter um einen zielgerichteten Prozeß handelt, ergibt sich aus den übereinstimmenden §§ 4 SGB IX und 10 SGB 1. Daß es sich bei der Rehabilitation um einen finalen Prozeß handelt, ist in Lehre und Rechtsprechung anerkannt 157 . Trotz der Hannonisierung der Sozialleistungen, der finalen Ausrichtung und der Anerkennung als einheitlicher Prozeß ergibt sich der Umfang der Leistungspflicht nur aus den besonderen Teilen des Sozialgesetzbuches (§ 4 Abs. 2 SGB IX, § 2 Abs. 1, S. 2 SGB I). Diesen sind die Voraussetzungen für die Leistungen im einzelnen zu entnehmen, und auch der Leistungsumfang ist entsprechend den speziellen Gesetzen höchst unterschiedlich. Die Tatsache, daß "die Rehabilitation im gegliederten System" des Sozialrechts verankert ist, macht es unmöglich, dem System des Sozialrechts ein System der Rehabilitation überzuordnen 158 . Die Leistungsgruppen und die Zuständigkeit der Rehabilitationsträger ergeben sich aus den §§ 5 und 6 SGB IX.

2. Das sozialrechtliche Phasenmodell

Nach herkömmlicher Weise werden bei der Durchführung von Rehabilitationsmaßnahmen diese drei Bereichen oder Phasen zugeordnet, nämlich der medizinischen, pädagogisch/beruflichen und der sozialen Eingliederung (v gl. dazu § 5 SGB IX). Da es sich um einen Gesamtprozeß handelt, sind mit der medizinischen, beruflichen und sozialen Rehabilitation jedoch weder "aufeinanderfolgende Stadien" noch "selbständige EinzeIbereiche" zu verstehen. Die Rehabilitationsmaßnahmen lassen sich diesen drei Teilbereichen keineswegs klar zuordnen 159 . Die Ziele der einzelnen Bereiche (medizinische, pädagogisch/berufliche und soziale Rehabilitation) sind Teilziele des Gesamtprozesses. a) Ziel der medizinischen Rehabilitation Das Ziel der medizinischen Rehabilitation ist es, eine drohende Behinderung abzuwenden, die eingetretene Behinderung zu beseitigen, eine Besserung des durch die Behinderung gegebenen Zustandes herbeizuführen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder ihre Folgen zu mildem (§ 10 Abs. 1 Nr. 1 und 2 SGB I und § 26 Abs. 1 SGB IX). Die zur medizinischen Rehabilitation zählenden Maßnahmen sind § 29 Abs. 1 Nr. 1 und den § 26 ff. SGB IX zu entnehmen. Dazu gehören insbesondere die ärztliche Behandlung, die Anwendung von Heilmitteln, z. B. von physikalischer Therapie, Sprach- und Beschäftigungstherapie, die Versorgung mit 157 Mrozynski, S. 2; Kolb in: Handbuch des Sozialrechts, RdNr. 26-28; Eichenhofer, RdNr. 522; BSGE, Bd. 44, S. 234. 158 Mrozynski, S. 1. 159 Mrozynski, S. 2; Kolb in: Handbuch des Sozialrechts, RdNr. 27.

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2. Teil: Rechtssystematische Einordnung und vergleichende Darstellung

Körperersatzstücken, also z. B. künstlichen Gliedmaßen, die Ausstattung mit orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die dem Ausgleich der durch die Behinderung beeinträchtigten Funktionen dienen, z. B. mit einem Rollstuhl, vergrößernden Sehhilfen, Lese-Sprech-Geräten für Blinde usw. Zur Ausstattung mit Hilfsmitteln gehört stets auch die Ausbildung in deren Gebrauch. Zur medizinischen Rehabilitation zählt im Bedarfsfall auch die Vermittlung lebenspraktischer Fähigkeiten (SGB IX § 26 Abs. 3 Nr. 6, soweit diese den Zielen der medizinischen Rehabilitation dienen). Von der Krankenbehandlung unterscheidet sich die medizinische Rehabilitation dadurch, daß durch sie nicht akute Gesundheitsstörungen, sondern solche mit langfristigen Auswirkungen bekämpft werden l60 . Eine Abgrenzung der medizinischen Rehabilitation zu den anderen Bereichen ist nur negativ möglich. Zu ihr zählen keine Maßnahmen, die der beruflichen oder allein der gesellschaftlichen Eingliederung dienen l61 . Charakteristisch für Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation ist, daß sie vom Arzt oder den vom Arzt herangezogenen Hilfskräften bzw. Leistungserbringern durchgeführt und vom Arzt verordnet werden (§§ 15 und 28 SGB V). b) Ziel der beruflichen Rehabilitation Das Ziel der beruflichen Rehabilitation ist die dauerhafte Eingliederung behinderter Menschen in Arbeit und Beruf (§ 33 Abs. 1 SGB IX). Dabei sind die Neigungen und Fähigkeiten des Betroffenen zu berücksichtigen (§ 10 Nr. 3 SGB 1). c) Soziale Rehabilitation Das Ziel der sozialen Eingliederung ist nach den §§ 10 Nr. 4 SGB I und 4 Abs. 1 Nr. 4 SGB IX, die persönliche Entwicklung ganzheitlich zu fördern und die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft sowie eine möglichst selbständige und selbstbestimmte Lebensführung zu ermöglichen oder zu erleichtern. In der herkömmlichen Terminologie sind Leistungen zur sozialen Eingliederung solche nicht medizinischer und nicht beruflicher Art 162. Hier darf allerdings nicht übersehen werden, daß gerade die berufliche Eingliederung auch der sozialen Eingliederung dient. Die Maßnahmen ergeben sich aus § 29 Abs. 1 Nr. 3 SGB I sowie aus dem 7. Kapitel des SGB IX, insbesondere § 55. Die Aufzählungen sind nicht abschließend.

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Trenk-Hinterberger, S. 76. Kasseler Kommentar, RdNr. 9 zu § 11 SGB V, RdNr. 7 zu § 43 SGB V. Trenk-Hinterberger, S. 103.

Kap. 4: Die Zweckbestimmung des Blindengeldes

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3. Eifordernis der dauerhaften Absicherung der Eingliederung

Die Rehabilitationsmaßnahmen zielen zwar auf eine dauerhafte Eingliederung, sie sind selbst aber in der Regel zeitlich begrenzt l63 . Im BSHG ist der Gesetzgeber von der Vorstellung ausgegangen, "daß die Rehabilitation als sozial und beruflich abgrenzbarer Lernprozeß zu begreifen ist, der zu einem zeitlichen Endpunkt gelangt, von welchem ab der Behinderte als eingegliedert und damit als rehabilitiert ... anzusehen ist" 164. Jedoch muß die Eingliederung vielfach lebenslang abgesichert werden. Dem dient das Blindengeld nach § 67 BSHG und den Landesblindengeld- bzw. Landespflegegeldgesetzen. Die Ausgleichsbedürfnisse, die der Eingliederung dienen, können, wie oben gezeigt, in den verschiedenen Bereichen nach diesem sozialrechtlichen PhasenmodeIl auftreten. So kann das Blindengeld dazu helfen, die notwendige Mobilität im beruflichen oder sozialen Bereich, z. B. zur Teilnahme am Gesellschaftsleben, sicherzustellen. Der Informationsbedarf kann ebenfalls in diesen Bereichen anfallen, das gleiche gilt für die notwendige Beschaffung von Hilfsmitteln. Die Rehabilitationsfunktion des Blindengeldes läßt sich keiner der Rehabilitationsphasen zuordnen. Die Sicherungsfunktion kann jedoch in jeder Phase wirksam werden. Die Rehabilitation läßt sich indes nicht nur nach dem im Sozialrecht üblichen Phasenmodell, sondern in zweidimensionaler Sichtweise auch nach einem hier vorgeschlagenen Schichtenmodell betrachten. 4. Das sozialrechtsübergreiJende Schichtenmodell

a) Begründung eines Schichtenmodells Obwohl der Begriff der Rehabilitation für die Eingliederung behinderter Menschen in die Gesellschaft von fundamentaler Bedeutung ist, ist es bisher nicht gelungen, einen für jedes Rechtsgebiet gültigen Begriff und durchgängig zu beachtende Prinzipien herauszuarbeiten. Trotz des Gesamtziels der Rehabilitation, nämlich die Integration behinderter Menschen, des Finalitätsprinzips und der Forderung nach Rehabilitation aus einer Hand, weist das gegliederte System Strukturmängel auf l65 . - Bei der medizinischen Rehabilitation wird auf die Rehabilitationsmittel, nämlich die medizinische Behandlung und die Ausstattung mit Hilfsmitteln, abgestellt. - Bei der beruflichen Rehabilitation wird sowohl auf die Rehabilitationsmittel (berufliche Fördermaßnahmen) als auch auf das Rehabilitationsziel (berufliche Eingliederung) abgestellt.

163 164 165

Eichenhofer: Sozialrecht, RdNr. 522; Scholler/Krause, S. 63. Scholler / Krause, a. a. O. Schulin: Schriftenreihe, Bd. 37, S. 29.

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- Die soziale Rehabilitation schließlich stellt ganz auf das Rehabilitationsziel, nämlich die Eingliederung in die Gesellschaft, ab 166 . Sie ist final geprägt. Der Finalitätsgrundsatz gilt lediglich bei den Regelungen des Schwerbehindertenrechtes (SGB IX, Teil 2) sowie im BSHG uneingeschränkt. In den übrigen Leistungssystemen, also der Sozialversicherung und der sozialen Entschädigung, spielt die Ursache der Behinderung für die Zuständigkeit eine wesentliche Rolle. Der Begriff der Rehabilitation muß vom Ziel her, nämlich der Integration in die Gesellschaft, entwickelt werden 167. Ausgehend von der internationalen Klassifikation der WHO zum Begriff der Behinderung umfaßt die Rehabilitation alle Maßnahmen, die das Ziel haben, das Einwirken jener Bedingungen, die zu funktionellen Einschränkungen oder sozialen Beeinträchtigungen führen, abzuschwächen und die eingeschränkten und beeinträchtigten Personen zu befähigen, soziale Integration zu erreichen. Rehabilitation zielt nicht nur darauf ab, eingeschränkte und beeinträchtigte Personen zu befähigen, ihr Leben auf ihre Umwelt abzustimmen, also ihr Leben in der gegebenen Umwelt zu bewältigen, sondern auch darauf, durch Intervention auf die Gesellschaft und die Umwelt die Integration zu erleichtern bzw. zu errnöglichen l68 . Diesem Rehabilitationsziel dienen nicht nur Maßnahmen, die dem Sozialrecht angehören. Sie lassen sich auch nicht alle den Bereichen der medizinischen, beruflichen und sozialen Rehabilitationsphasen zuordnen. Der Rehabilitationsprozeß läßt sich deshalb nicht nur nach diesen Phasen, sondern auch nach Schichten, also zweidimensional, betrachten. Diese auf Rehabilitationsschichten gerichtete Sichtweise soll das sozialrechtliche Phasenmodell nicht ersetzen, sondern einen erweiterten Blick auf den Rehabilitationsprozeß errnöglichen l69 . Die Rehabilitationsmaßnahmen können danach folgenden vier Schichten zugeordnet werden: 1. Maßnahmen der Grund- oder Elementarrehabilitation, 2. Maßnahmen der aufbauenden Rehabilitation, 3. Maßnahmen zur Sicherung der Rehabilitation, 4. komplementäre Rehabilitationsmaßnahmen.

Schulin, a. a. O. Schulin: Schriftenreihe, Bd. 37, S. 30f. 168 Schulin: Schriftenreihe, Bd. 37, S. 24 - insbesondere Fußnote 24 mit weiteren Nachweisen. 169 Ein Schichtenmodell ist bei Bley, S. 351, RdNr. 1087 angedeutet, wenn es dort heißt: "Entsprechend den vielfältigen Arten und Graden möglicher Behinderung reicht die Egalisationsfunktion der Rehabilitationsleistungen "von der Gewährleistung eines menschenwürdigen Daseins im elementaren Begriffsverständnis über die Sicherstellung der freien Persönlichkeitsentfaltung bis zur Ermöglichung einer Teilnahme am Erwerbsleben". 166

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b) Grund- oder Elementarrehabilitation gezeigt am Beispiel blinder Menschen Ziel der Elementarrehabilitation ist es, die Integration Behinderter in die Gesellschaft zu fördern und zu ermöglichen, und zwar auch dann, wenn eine berufliche Eingliederung, sei es aus behinderungsbedingten oder Altersgründen, nicht oder nicht mehr in Frage kommt. Diese Maßnahmen legen darüber hinaus aber auch das Fundament zur schulischen Bildung, beruflichen Ausbildung oder Umschulung und zur beruflichen Eingliederung. Damit wird der Grund für die Maßnahmen der aufbauenden Rehabilitation gelegt. Die Elementarrehabilitation ist trotz der übereinstimmenden Zielsetzung nicht mit der sozialen Rehabilitation identisch, denn die Maßnahmen zählen, was noch zu zeigen ist, teilweise zur medizinischen und teilweise zur sozialen Rehabilitation. Die erforderlichen Maßnahmen müssen sich an den Beeinträchtigungen und Auswirkungen der jeweils gegebenen Behinderungen orientieren. Der Inhalt und die Ausgestaltung sind deshalb auf die jeweils vorhandene Behinderung abzustellen. Weil Gegenstand dieser Untersuchung das Blindengeld ist, soll hier zum besseren Verständnis die Grund- bzw. Elementarrehabilitation für Blinde dargestellt werden. Die Bezeichnungen Grund- und Elementarrehabilitation werden synonym verwendet. aa) Der Blindheitsbegrijfmit Bezug auf die Rehabilitation

Da die Rehabilitation mit dem Erwerb, also dem Lernen von Fertigkeiten, zu tun hat, ist die Frage naheliegend, welcher Begriff der Blindheit oder Sehbehinderung in diesem Zusammenhang zugrunde gelegt werden muß: der im Sozialrecht gültige oder ein anderer, welcher besonders pädagogische Belange berücksichtigt 17o. Meines Erachtens ist ein anders als im Sozialrecht definierter Blindheitsbegriff nicht erforderlich, denn an das Vorliegen von Blindheit oder Sehbehinderung werden zahlreiche rechtliche Folgen, d. h. Maßnahmen für die Rehabilitation, geknüpft. Deshalb muß es einen entsprechenden einheitlichen Blindheitsbegriff im Rechtssinn geben l7I . Weil bei der Rehabilitation von der Situation, den Bedürfnissen und den Fähigkeiten des Rehabilitanden auszugehen ist, was zur Folge hat, daß auch jeder noch so geringe Sehrest beachtet werden muß, ergeben sich daraus für die Ausgestaltung der Maßnahmen keine Probleme. 170 Mit der Vielzahl der Definitionen von Blindheit und Sehbehinderung, die sich aus der jeweiligen Zielrichtung von Maßnahmen oder Hilfen ergeben, setzen sich insbesondere auseinander: Rulik, S. 16 ff.; Mersi in: Rath, Handbuch der Sonderpädagogik, S. 3 ff.; Fromm: Rehabilitationspädagogik, S. 14 ff.; Krähenbühl, S. 18 ff. und Pape in: Rath, Handbuch der Sonderpädagogik, S. 487 ff. Letzterer kommt zu dem Ergebnis, daß der medizinische und pädagogische Blindheitsbegriff inzwischen angeglichen worden sind. 17l Hennies, S. 15. 17 Demmel

258

2. Teil: Rechtssystematische Einordnung und vergleichende Darstellung

Wichtiger als die auf den medizinischen Feststellungen beruhende rechtliche Definition der Blindheit oder hochgradigen Sehbehinderung ist für die Ausgestaltung der Rehabilitationsmaßnahmen die Frage, in welchem Alter die Erblindung oder Sehbehinderung eingetreten ist 172 • Danach richtet sich, ob bei der Rehabilitation auf Seherfahrungen zurückgegriffen werden kann oder das Weltbild ohne solche vermittelt werden muß, ob eine berufliche Eingliederung in Frage kommt, oder wie die Lebensbewältigung im fortgeschrittenen Alter erreicht wird. Üblicherweise wird deshalb zwischen Geburts-, bzw. Früherblindeten (Sehverlust bis zum 4. Lebensjahr), Jugendblinden (Sehverlust nach vollendetem 4., aber vor Vollendung des 18. Lebensjahres), Späterblindeten (Erblindung in einem Alter, in welchem eine berufliche Eingliederung altersmäßig noch in Frage kommt, also vom vollendeten 18. bis etwa zum 45. Lebensjahr, wobei die Grenzen fließend sind) und Altersblinden (Erblindung nach dem vollendeten 45. Lebensjahr) unterschieden 173 . Bei der Rehabilitation Blinder und hochgradig Sehbehinderter ist von besonderer Bedeutung, daß rund 70% der Blinden ihr Augenlicht erst nach Vollendung des 60. Lebensjahres verloren oder erheblich eingebüßt haben!74.

bb) Die Elementarrehabilitationfür blinde Menschen Der Begriff einer Elementarrehabilitation für Blinde wird seit den 60er Jahren diskutiert. Anläßlich des internationalen Symposiums über Probleme der beruflichen Rehabilitation 1967 in Berlin (DDR) bezeichnete Fromm die Elementarrehabilitation Blinder als "Anpassung des Neuerblindeten an seine veränderten Lebensbedingungen". Die Elementarrehabilitation erfordere dazu Maßnahmen aus medizinischer, pädagogischer, psychologischer und fürsorgerischer Sicht 175 . Beschrieben werden dann die verschiedenen Inhalte der Maßnahmen wie: das Erlernen der Blindenschrift, des Schreibmaschineschreibens, der Mobilitätstechniken, der Körperpflege, der hauswirtschaftlichen Versorgung, die Inanspruchnahme von Dienstleistungen, die rechtliche Information und Beratung!76. Die Elementarrehabilitation Späterblindeter läßt sich nach Fromm zusammenfassen, hinsichtlich Ziel Aufgabe und Methode, in 12 Thesen folgendermaßen kennzeichnen!77: Hennies, S. 17; Rulik, S. 19; Degenhardt in: Fromm, Rehabilitationspädagogik, S. 158. Vgl. Hennies, S. 17; Scholtyssek, S. 3; Rulik, S. 21f. 174 Statistik des Bayerischen Landesamtes für Versorgung und Familienförderung zum Stichtag 30. 06. 1999. 175 Degenhardt in: Fromm (Hrsg.), Rehabilitationspädagogik, Berlin, 1979, S. 156. 176 Degenhardt, a. a. 0., S. 161. 177 Degenhardt in: Fromm, a. a. 0., S. 163 f. Die Thesen 4 (Probleme der Erfassung Neuerblindeter), 6 (Aufgaben des Blinden- und Sehbehindertenverbandes der DDR), 7 (Verantwortung der Bezirks- und Kreisverbände des Blinden- und Sehbehindertenverbandes der DDR für die Rehabilitation Blinder im höheren Lebensalter) und 8 (Kontaktaufnahme und Einführungsgespräch durch einen Funktionär des Blinden- und Sehbehindertenverbandes der DDR) werden hier nicht wiedergegeben, weil sie für die Situation in der Bundesrepublik keine Bedeutung mehr haben. 172 173

Kap. 4: Die Zweckbestimmung des Blindengeldes

259

1. Elementarrehabilitation ist der Komplex der rehabilitativen Maßnahmen, der

sich mit der Anpassung des geschädigten Menschen an seine soziale und natürliche Umwelt beschäftigt.

2. Im arbeitsfähigen Alter ist sie der Übergang von der medizinischen zur beruflichen Rehabilitation. 3. Im höheren Lebensalter ist sie der Übergang von der medizinischen Rehabilitation zur selbständigen Lebensführung. 4 ... , 5. Alter, Leistungsvermögen und Interessen des Neuerblindeten bestimmen Art und Umfang der Elementarrehabilitation. 6... . 7 ... . 8... .

9. Die Einstellung der Angehörigen des Neuerblindeten zur Blindheit ist von Bedeutung für den Rehabilitationswillen. 10. Der Nutzen der Unterweisungen zur Elementarrehabilitation muß für den Neuerblindeten und dessen Angehörige einsehbar sein. 11. Der Neuerblindete muß überschaubare Aufgaben erhalten, deren Bewältigung ihm Erfolgserlebnisse vermitteln. 12. Das Vorbild selbständiger mobiler Blinder regt zum nacheifern an. Wenn die Elementarrehabilitation in These 2 als "Übergang" von der medizinischen zur beruflichen Rehabilitation, oder, wie es an anderer Stelle heißt, als "Bindeglied zwischen medizinischer und beruflicher Rehabilitation" bezeichnet wird 178, besagt das richtigerweise, daß sie der beruflichen Rehabilitation vorgelagert ist (diese gehört der Schicht der aufbauenden Rehabilitationsmaßnahmen an). Über die Charakterisierung und Zuordnung im Rechtssystem der Bundesrepublik Deutschland ist damit nichts ausgesagt. Gleichwohl sind die in den obigen Thesen gemachten Aussagen nach wie vor zutreffend. Aus heutiger Sicht lassen sich zur Elementarrehabilitation Blinder und hochgradig Sehbehinderter folgende Feststellungen treffen: Die Elementarrehabilitation Blinder und hochgradig Sehbehinderter muß vom Betroffenen und seiner Situation ausgehen und die individuellen Bedürfnisse berücksichtigen l79 . Das Ziel der Elementarrehabilitation ist es, dem blinden oder

Fromm: Dokumentation über das Symposium 1967, S. 45. Cory: Didaktik in der Vermittlung lebenspraktischer Fertigkeiten bei Blinden und Sehbehinderten in: Dokumentation des zweiten Seminars zur Elementarrehabilitation (1994), S.33. 178

179

17*

260

2. Teil: Rechtssystematische Einordnung und vergleichende Darstellung

sehbehinderten Menschen die Hilfen anzubieten und durch die Vennittlung von Grundfertigkeiten die Voraussetzungen zu schaffen, die es ihm ennöglichen: - sein seelisches Gleichgewicht zu erhalten bzw. wiederzugewinnen, - ein möglichst selbständiges, ein selbstbestimmtes und damit der Würde des Menschen entsprechendes Leben zu führen, - sich in die Gesellschaft einzugliedern und eine seiner Persönlichkeit entsprechende Stellung in ihr, sei es beruflich oder außerberuflich, zu erlangen, - die behinderungsbedingten Nachteile in den Bereichen Bildung, Ausbildung, Berufsausübung sowie im gesellschaftlichen und kulturellen Leben auszugleichen und dadurch zu einem erfüllten Leben zu gelangen. Die Maßnahmen der Elementarrehabilitation müssen vom Erleben der Erblindung oder Sehbehinderung und von den Auswirkungen dieser Behinderungen ausgehen. Die Zielgerichtetheit und die Einheit des Gesamtprozesses darf dabei niemals aus dem Auge verloren werden. Die Erblindung bzw. der Eintritt der Sehbehinderung sind häufig mit einer außergewöhnlichen psychischen Belastung verbunden. Nicht nur der Verlust der optischen Wahrnehmung führt zu einem Mangelerlebnis. Betroffene empfinden vor allem die dadurch eintretende Hilflosigkeit und das Angewiesensein auf die Hilfe ihrer Mitmenschen, den Verlust der Orientierungs- und Infonnationsmöglichkeit und die daraus resultierende Mobilitätseinschränkung als besonders bedrükkendo Der Verlust eines Arbeitsplatzes oder der sonstigen beruflichen Tätigkeit sowie der Stellung in der Familie kann zur Existenzangst führen l8o . Die Verrichtungen des täglichen Lebens, sei es im Bereich der Körperpflege und Hygiene, des Ankleidens und der Kleiderpflege, der Nahrungszubereitung und Nahrungsaufnahme oder der sonstigen hauswirtschaftlichen Versorgung, können nicht mehr oder nicht mehr uneingeschränkt unter optischer Kontrolle vorgenommen werden. Blinde benötigen zum Schreiben und Lesen ein eigenes, auf den Tastsinn ausgerichtetes Schriftsystem. Die schriftliche Kommunikation mit Sehenden ist erschwert. Die zwischenmenschliche Kommunikation wird durch den Verlust des Blickkontakts erheblich beeinträchtigt l81 . Weil die optische Wahrnehmung die größte Reichweite hat und die schnellste Infonnation erlaubt, kann Blindheit oder Sehbehinderung auch als "Behinderung in der Wahrnehmung" I 82 oder als Infonnationsbehinderung charakterisiert werden. Nicht nur der Blinde oder Sehbehinderte wird vom Eintritt dieser Behinderung betroffen. Sie wirkt sich auch auf Familienangehörige oder andere Lebenspartner unmittelbar aus, weil sich durch die Hilfsbedürftigkeit und gegebenenfalls die 180 Degenhardt in: Fromm, Rehabilitationspädagogik, S. 156 f.; Rath: Handbuch der Sonderpädagogik, S. 45. 181 Auf den Verlust des Blickkontaktes weist besonders Pape in: locheim (Hrsg.), Rehabilitation, Bd. 3, S. 307 hin. 182 Krähenbühl, S. 54.

Kap. 4: Die Zweckbestimmung des Blindengeldes

261

beruflichen Veränderungen die Rollen in den Lebensgemeinschaften verändern können und durch den Verlust des Blickkontakts die zwischenmenschlichen Beziehungen betroffen werden. Die Blindheit oder Sehbehinderung wird deshalb auch von Partnern als Verlust erlebt l83 . Die Maßnahmen der Elementarrehabilitation müssen psychisch stabilisieren, damit die Behinderung seelisch verarbeitet und angenommen werden kann. Die optische Wahrnehmung muß in einer "visuell, höchstens audiovisuell" ausgerichteten, hochentwickelten Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft durch die Wahrnehmung über andere, weniger weitreichende und hochauflösende Sinne ersetzt werden, wobei bei diesem "Sinnesvikariat" die Wahmehmungsfähigkeit und Reichweite der unterschiedlichen Sinne beachtet werden muß 184 . Die Leistungsfähigkeit oder Reichweite der übrigen Sinne läßt sich durch Training und den Einsatz von Hilfsmitteln erhöhen. Zur Veranschaulichung sei auf die Schulung des Gehörs und des Tastsinnes sowie die Verwendung eines Taststockes (Vergrößerung der Reichweite des Tastsinnes) zur Steigerung der Mobilität hingewiesen. Blinde, Sehbehinderte und ihre Partner stehen der neuen Situation in aller Regel ratlos gegenüber. Sie kennen weder die ihnen zustehenden Rechte noch die Möglichkeiten und Angebote zur Rehabilitation. Auch diesem Umstand muß Rechnung getragen werden. Als Maßnahmen der Elementarrehabilitation kommen insbesondere in Betracht: 1. Beratung und psychosoziale Unterstützung, 2. Kompensation der Behinderung durch den Einsatz von Hilfsmitteln und die Schulung in ihrem Gebrauch zur Befriedigung elementarer Grundbedürfnisse wie Mobilität und Information, 3. die Schulung in lebenspraktischen Fertigkeiten in den Bereichen Körperpflege und Hygiene, Kleidung und Kleiderpflege, Essenszubereitung und Nahrungsaufnahme sowie der übrigen hauswirtschaftlichen Versorgung, 4. Kommunikations- und Kulturtechniken wie Schreiben und Lesen, 5. Organisationsstrategien zur Entwicklung und Anwendung von Ordnungssystemen und zur Beschaffung von Hilfen, 6. Befähigung zur sinnvollen Freizeitgestaltung und zur Teilnahme am Gesellschafts- und Kulturleben, 7. Beratung und Hilfen für Angehörige zur partnerschaftlichen Schicksalsbewältigung. Dieser Katalog muß selbstverständlich für weitere Entwicklungen offen sein.

183

Fischer: Referat beim ersten Seminar des DBV zur Elementarrehabilitation in Berlin,

184

Krähenbühl, S. 60 ff.

1993.

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2. Teil: Rechtssystematische Einordnung und vergleichende Darstellung

Zu den oben aufgeführten Maßnahmen sind noch folgende Erläuterungen anzufügen:

Zu1: Bei der Beratung kommt den Ärzten eine besonders wichtige Aufgabe zu, weil es gilt, einen über die medizinische Behandlung hinausreichenden Weg aufzuzeigen und anzubahnen 185. Hilfreich ist auch die Beratung durch selbst betroffene Blinde oder Sehbehinderte, die ihr Schicksal bewältigt haben. Das geschieht schwerpunktmäßig in den Selbsthilfeorganisationen der Betroffenen. Zur Ermittlung des Rehabilitationsbedarfes und zur Festlegung der mit dem Rehabilitanden zu vereinbarenden und abzustimmenden Rehabilitationsinhalte sollte stets ein Rehabilitationslehrer zugezogen werden I 86. Erforderlichenfalls muß psychologische oder psychotherapeutische Hilfe in Anspruch genommen werden. Die Beratung muß den gesamten Rehabilitationsprozeß begleiten, so daß dieser stets veränderten Umständen, Wünschen oder Bedürfnissen angepaßt werden kann.

Zu 2: Kompensierende Hilfsmittel sind z. B. vergrößernde Sehhilfen, Bildschirmlesegeräte oder auch Lese-Sprech-Geräte und Farberkennungsgeräte für Blinde. Zu den Grundbedürfnissen eines Menschen gehören nicht nur Nahrung und Kleidung, sondern auch die Mobilität und die Schaffung eines geistigen Freiraumes durch Information I 87. Die Mobilität eines Blinden kann durch das Orientierungs- und Mobilitätstraining wesentlich verbessert werden. Als kompensierende Hilfsmittel kommen dabei Sehhilfen (Monokulare), der Blindenlangstock, elektronische Leitgeräte oder Blindenführhunde in Frage. Im Mobilitätstraining werden vermittelt: Begleitertechniken, Orientierung durch den Einsatz entsprechender Methoden und der richtige Gebrauch der Hilfsmittel. Dazu gehört auch ein Training der Restsinne, insbesondere des Gehörs, Tast- und Geruchsinnes 188.

Zu 3: Die vermittelten Techniken im Bereich der lebenspraktischen Fertigkeiten (LPFTraining) helfen, die zahlreichen Verrichtungen im Ablauf des Tages, angefangen Jäger/Esch: Zeitschrift für praktische Augenheilkunde, Heft 11,1990, S. 171 ff. Cory in: Dokumentation über das zweite Seminar des Deutschen Blindenverbandes zur Elementarrehabilitation, S. 33. 187 BSG, Urteil vom 17.01. 1996-3 RK 38/94 - = SozR 3-2500, § 33 Nr. 18 (Urteil zum Farberkennungsgerät); BSG, Urteil vom 23. 08. 1995-3 RK 6/95; BSG, Urteil vom 23.08.1995-3 RK 7/95 - = SozR 3-2500, § 33 Nr. 16 = SGB 1996, S. 547-552; BSG, Urteil vom 23.08. 1995-3 RK 8/95 (diese drei Entscheidungen ergingen zum elektronischen Lese-Sprech-Gerät); BSG, Urteil vom 21. 11. 1991-3 RK 43/89 = SozR 3-2500, § 33 Nr. 4 (Bildschirmlesegerät); BSG, Urteil vom 16. 12. 1987 -lla RK 1/86 = SozR 5420, § 16 Nr. 1 (Optacon-Lese-Gerät) BSG, Urteil vom 20. 05. 1987 -8 RK 45/85 = SozR 2200, § 182b Nr. 34 (Optacon-Lesegerät). 188 Zur Entwicklung und zum Inhalt des Mobilitätstrainings vgl. Kiefner 1Lühmann in: Rath (Hrsg.), Handbuch der Sehgeschädigtenpädagogik, S. 179 ff. 185

186

Kap. 4: Die Zweckbestimmung des Blindengeldes

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z. B. bei der Zahnpflege, der Rasur, der Körperpflege, der Kleiderauswahl und Kleiderpflege bis hin zur Vorbereitung von Mahlzeiten, zum selbständigen Umgang mit Besteck beim Essen und zur Besorgung des Haushalts ohne optische Kontrolle weitgehend selbständig zu bewältigen. Als Hilfsmittel kommen in der Regel Meßgeräte mit abtastbaren Skalen oder Sprachausgabe wie z. B. Uhren, Waagen, Meßbecher, Maßstäbe oder -bänder, Geldschein- und Münzschablonen zur Verwendung 189.

Zu 4: Hier ist vor allem das Schreiben, auch der Handschrift, ohne optische Kontrolle, zu nennen. Blinde, die in der Lage sind, die Handschrift leserlich zu schreiben, können sehenden Menschen auf einfache Weise Nachrichten übermitteln. Zumindest die eigenhändige Unterschrift sollte beherrscht werden. Durch die eigenhändige Unterschrift wird die Teilnahme am Rechtsverkehr erleichtert. Das Erlernen des Schreibmaschineschreibens dient ebenfalls der Kommunikation mit Sehenden. Für eigene Notizen und zum eigenständigen Lesen ist das Erlernen der Blindenschrift nach Möglichkeit zu vermitteln. Aber auch die Bedienung von Fernsprechapparaten, Cassettenrecordern, elektronischen Notizbüchern gehört hierher.

Zu5: Weil ein Blinder oder wesentlich Sehbehinderter verlegte Gegenstände nur schwer wieder auffinden kann und weil trotz der durch die bisher angeführten Rehabilitationsmaßnahmen erreichbaren Selbständigkeit immer wieder auf Hilfe zurückgegriffen werden muß, sind Organisationsstrategien unentbehrlich. Hierher gehört die Entwicklung und Einübung von Ordnungssystemen, z. B. für eine bestimmte Ordnung im Kleiderschrank, für die systematische Markierung von Gegenständen durch abtastbare Merkzeichen oder für die Anpassung von Haushaltsgeräten durch das Anbringen abtastbarer Skalen. Organisationsstrategien sind ferner für die Anforderung von Hilfen, z. B. Umsteighilfen bei Reisen, Bestellung von Taxen, Anforderung von Hilfen zur Erledigung von Einkäufen von großem Nutzen. Mögliche Hilfen müssen ermittelt und festgehalten werden können. Von besonderem Nutzen für die Entwicklung und Anwendung von Organisationsstrategien ist ein gezieltes Gedächtnistraining. Ein solches müßte deshalb vor allem für ältere Rehabilitanden Bestandteil der Elementarrehabilitation sein.

189 Zum Inhalt und zur Methode des Trainings lebenspraktischer Fertigkeiten vgl. Schäfer: Kapitel "Das Training lebenspraktischer Fertigkeiten"; Heslinga: Über die lebenspraktische Erziehung blinder Kinder, S. 40 ff.; Cory: Didaktik in der Vermittlung lebenspraktischer Fertigkeiten bei Blinden und Sehbehinderten in Dokumentation des Deutschen Blindenverbandes über das zweite Seminar zur Elementarrehabilitation, S. 33.

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2. Teil: Rechtssystematische Einordnung und vergleichende Darstellung

Zu 6:

Es sollte dazu verholfen werden, bisherige Freizeitaktivitäten fortzusetzen. Aber auch neue Freizeitaktivitäten müssen erschlossen werden. Zu 7:

Für eine erfolgreiche Elementarrehabilitation ist die Einbeziehung von Angehörigen und Partnern eine wichtige Voraussetzung. Die Angehörigen benötigen Hilfe, um die eigene Betroffenheit verarbeiten zu können. Sie müssen aber auch die Ziele und den Inhalt der Elementarrehabilitation kennen. Nur dann werden sie die durch die Blindheit oder Sehbehinderung gegebenen Probleme verstehen lernen. Es soll ihnen ermöglicht werden zu erkennen, welche Hilfen künftig notwendig und sinnvoll sowie welche unangebracht sind. Schließlich und endlich müssen eventuell neue gemeinsame Freizeitinteressen und Freizeitaktivitäten erschlossen werden. Aber auch der eigene Lebensraum der Partner muß berücksichtigt und gewahrt bleiben l9o . Die Beschreibung der Maßnahmen der Elementarrehabilitation zeigt, daß es sich um einen komplexen, aber modular aufgebauten Prozeß handelt. Die Elementarrehabilitation darf nicht dahin mißverstanden werden, daß es sich um ein Minimum handeln soll. Es geht um die Vermittlung von Schlüsselfertigkeiten, die für blinde und sehbehinderte Menschen von existenzieller Bedeutung sein können und auf die in der zweiten Schicht der Rehabilitation gezielt aufgebaut werden kann. c) Maßnahmen der aufbauenden Rehabilitation Zur aufbauenden Rehabilitation nach dem Schichtenmodell zählen alle Maßnahmen der Bildung, Ausbildung und beruflichen Eingliederung, die aufgrund der Behinderung für die Integration erforderlich sind, die aber ihrerseits in der Regel auf einer Grund- oder Elementarrehabilitation aufbauen. Die Grenzen können hier, weil es sich um einen Gesamtprozeß handelt, fließend sein. Die für die berufsfördernden Maßnahmen zuständigen Rehabilitationsträger sind verpflichtet, "blindenspezifische Vorkurse", die die infolge der Behinderung bestehenden Nachteile ausgleichen "und dem Behinderten die erfolgreiche Durchführung einer danach beginnenden Berufsausbildung ermöglichen", zu gewähren l91 . 190

1993.

Fischer: Referat auf dem ersten Seminar des DBV zur Elementarrehabilitation, Berlin,

191 BSG, Urteil vom 27. 04. 1989-11 RAR 14/87 = SozR 4100, § 56 Nr. 21; Rechtsgrundlage für die berufsvorbereitenden Maßnahmen der Rentenversicherungsträger und damit der blindentechnischen Grundrehabilitation = § 16 Abs. I Nr. 2 SGB VI, für die Arbeitsverwaltung § 102 SGB III, wo die blindentechnische und vergleichbare spezielle Grundausbildung ausdrücklich, für die soziale Unfallversicherung § 35 Abs. 1 Nr. 2 SGB VII, wobei von den Trägern der gesetzlichen Unfallversicherung eine alle Bereiche umfassende Rehabilitation geleistet wird (§§ 26 ff. SGB VII), soziale Entschädigung § 26 Abs. 2 Nr. 2 BVG, wobei die Versorgungsverwaltung ähnlich wie die soziale Unfallversicherung

Kap. 4: Die Zweckbestimmung des Blindengeldes

265

Im schulisch-pädagogischen Bereich ist die sonderpädagogische Förderung nach den Schulgesetzen der Länder der Schicht der aufbauenden Rehabilitation zuzuordnen. So bestimmt z. B. Art. 19 des Bayerischen Erziehungs- und Unterrichtsgesetzes als Ziel und Inhalt der sonderpädagogischen Förderung: kompensatorische Fähigkeiten aufzubauen, den Gebrauch technischer Hilfsmittel einzuüben, um behinderungsspezifische Fertigkeiten zur Bewältigung des Lebens zu vermitteln. Die Behinderung soll geistig und seelisch bewältigt und die Grundlage für die berufliche und gesellschaftliche Eingliederung und ein erfülltes Leben geschaffen werden. Die Vermittlung dieser kompensatorischen Techniken und z. B. auch für Blinde des Schreibens und Lesens der Blindenschrift ist dabei durchgehendes Unterrichtsprinzip. Die integrierte Beschulung Behinderter, und damit auch blinder und sehbehinderter Kinder und Jugendlicher, ist neben die Beschulung in speziellen Förderschulen getreten. Sie wird, z. B. nach § 21 bayerisches Erziehungs- und Unterrichtsgesetz durch mobile sonderpädagogische Dienste, die den sonderpädagogischen Förderbedarf der an allgemeinen Schulen unterrichteten behinderten Schüler befriedigen soll, unterstützt. Durch diesen sonderpädagogischen Dienst können die Maßnahmen, die zur elementaren Grundrehabilitation gehören, nicht in vollem Umfang erbracht werden. Zum Beispiel ist ein umfassendes Mobilitätstraining und eine umfassende Vermittlung lebenspraktischer Fertigkeiten nicht möglich. Diese sind jedoch eine wichtige Voraussetzung, damit die sonderpädagogische Förderung, sei es an Regelschulen oder an speziellen Förderschulen, gelingen kann. Das rechtfertigt es, die sonderpädagogische Förderung als "aufbauende Rehabilitation" zu bewerten. d) Rehabilitationssichernde Leistungen Zur dritten Schicht nach dem Schichtenmodell sind die Leistungen zu zählen, die dazu dienen, die Eingliederung Behinderter in Beruf und Gesellschaft möglichst auf Dauer abzusichern und die deshalb nicht nur zeitlich begrenzt gewährt werden. Die Maßnahmen der Elementarrehabilitation wie auch die der aufbauenden Rehabilitation sind in aller Regel von begrenzter Dauer. So werden z. B. für ein Mobilitätsund Orientierungstraining in der Regel 80 Unterrichtseinheiten angesetzt. Eine blindentechnische Grundrehabilitation in einem Berufsförderungswerk umfaßt 12 Monate. Berufsfördernde Maßnahmen sind ebenfalls zeitlich abgegrenzt (vgl. für die Berufsausbildung z. B. § 73 SGB III). Die Eingliederung, und damit die Rehabilitation, kann jedoch nur gesichert werden, wenn der zur Eingliederung erforderliche Bedarf gedeckt werden kann. So müssen zur Kompensation der Behinderung Hilfsmittel eingesetzt und Dienstleistungen in Anspruch genommen werden (siehe oben). Solcher dauernder Eingliederung dienen die Ausgleichsleistungen nach dem umfassende Rehabilitationsleistungen zur Verfügung stellt, für die Sozialhilfe § 40 Abs. I Nr. 4-6 in Verbindung mit § 16 Eingliederungshilfeverordnung, wobei die Nachrangigkeit nach § 2 BSHG sich wegen der Verpflichtung der übrigen Rehabilitationsträger besonders auswirkt.

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2. Teil: Rechtssystematische Einordnung und vergleichende Darstellung

Schwerbehindertenrecht. So dient der Eingliederung insbesondere die unentgeltliche Beförderung im öffentlichen Personenverkehr (vgl. SGB IX, Teil 2, Kap. 13, §§ 145 ff.). Diese Leistung ist für die Rehabilitation Blinder deshalb besonders wichtig, weil andernfalls wegen der Automaten zum Entwerten von Fahrausweisen eine Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel äußerst schwierig wäre 192. Auch die unentgeltliche Beförderung einer Begleitperson dient der Überwindung der Mobilitätsschranken und damit der dauernden Eingliederung. Neben dem Sozialrecht ist auch das Steuerrecht ein "Instrument der Sozialpolitik und mit seinen Bestimmungen über Pauschbeträge für Körperbehinderte und Steuerbefreiungen für besonders belastete Personengruppen den sozialstaatlichen Ausgleichssystemen zuzurechnen,,193. Schwerbehinderte können bei der Einkommensteuer gemäß § 33b EStG außergewöhnliche Belastungen ohne Einzelnachweis in Form eines Pauschbetrages geltend machen. Dieser Pauschbetrag beläuft sich für hochgradig Sehbehinderte und Blinde auf 7.200,00 DM jährlich. Da der Ausgleich für Mehraufwendungen der gesellschaftlichen Eingliederung dient, wird auch durch diese Steuervergünstigung die gesellschaftliche Eingliederung, also die Rehabilitation, dauernd mit abgesichert, so daß diese Vergünstigung den rehabilitationssichernden Maßnahmen zugerechnet werden kann. Viele der Leistungen, für welche das Blindengeld bestimmt ist, z. B. Beschaffung von Assistenzleistungen, dienen der gesellschaftlichen Eingliederung. Es handelt sich insoweit um eine "kontinuierliche, zeitlich unlimitierte Eingliederungsoder Rehabilitationshilfe,,194. Daß die Blindenhilfe nicht, auch nicht teilweise, der Deckung des Lebensunterhalts, sondern ausschließlich der Deckung von blindheitsbedingten Mehraufwendungen dient, und damit die Eingliederung in die Gesellschaft sichern soll, ist der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu entnehmen l95 . e) Komplementäre Rehabilitationsmaßnahmen Als vierte Schicht nach dem Schichtenmodell können komplementäre Maßnahmen, die die Eingliederung Behinderter in die Gesellschaft ermöglichen sollen, verstanden werden. Sie sorgen dafür, daß die für die Eingliederung erforderlichen Rahmenbedingungen und Hilfeleistungen verfügbar sind. Auf die Vorhaltung geeigneter sozialer Dienste und Einrichtungen besteht für den einzelnen Behinderten 192

Zum Umfang dieses Nachteilsausgleichs vgl. Trenk-Hinterberger, S. 210 ff.

193 Trenk-Hinterberger, S. 217; Eichenhofer: Sozialrecht, S. 34; Schulin: Sozialrecht,

S. 4 f.; Gitter: Sozialrecht, S. 4. 194 Scholler/Krause, S. 64. 195 BVerwG, Urteil vom 14.05. 1969 - V C 167.67 =FEVS 16,321; BVerwG, Urteil vom 04. 11. 1976 - V C 7.76 = FEVS, Bd. 25, 1 ff.; BVerwG, Urteil vom 15. 11. 1967 - V C 71.67 =BVerwGE 28, 216, FEVS 15,361.

Kap. 4: Die Zweckbestimmung des Blindengeldes

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zwar kein Rechtsanspruch, sie ist im wesentlichen aber Pflicht der örtlichen Sozialhilfeträger (§ 17 Abs. 1 Nr. 2 SGB 1)196. Zu den komplementären Rehabilitationsmaßnahmen gehören auch bauliche Leistungen zur behindertengerechten Umweltgestaltung, wie sie im vom Bundesbauministerium herausgegebenen "Katalog der Schwerpunkte bei der Beseitigung baulicher und technischer Hindernisse" aufgeführt sind. Gesetzliche Bestimmungen sind in den Landesbauordnungen enthalten l97 . Besonders hinzuweisen ist hier auf das Gesetz zur Gleichstellung behinderter Menschen (Behindertengleichstellungsgesetz - BGG) vom 27. 04. 2002 (BGBI. I, S. 1467), das am 01. 05. 2002 in Kraft getreten ist. Ziel dieses Gesetzes ist es, die Benachteiligung von behinderten Menschen zu beseitigen und zu verhindern sowie die gleichberechtigte Teilhabe von behinderten Menschen am Leben in der Gesellschaft zu gewährleisten und ihnen eine selbstbestimmte Lebensführung zu ermöglichen (§ I BGG). Diesem Ziel dient eine barrierefreie Gestaltung der Umwelt (§ 4 BGG). Das BGG verpflichtet zu diesem Zweck den Bund einschließlich der bundesunmittelbaren Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts bei seiner Bautätigkeit zur Beachtung einer barrierefreien Gestaltung (§ 8 Abs. 1 BGG). § 8 Abs. 2 BGG dient der barrierefreien Gestaltung der Umwelt und des öffentlichen Verkehrs, soweit das durch Bundesgesetze erreicht werden kann. § 7 verpflichtet die Bundesbehörden und die Landesbehörden bei der Ausführung von Bundesrecht, das Benachteiligungsverbot zu beachten. Dieses Gesetz und die in Kürze zu erwartenden entsprechenden Landesgesetze dienen eindeutig der Schaffung einer behindertengerechten Umwelt und stellen deshalb Leistungen zur Sicherung der Rehabilitation bzw. Komplementärleistungen zur Verfügung. Der Eingliederung Behinderter in die Gesellschaft dient schließlich die Aufklärungsarbeit, die die positive Bewußtseinsänderung in der Bevölkerung zum Ziel hat (§ 3 Abs. 1 RehaanglG, § 13 SGB I, § 31 Abs. 3 letzter Satz SchwbG).

E. Schlußfolgerung Das Blindengeld dient dem Ausgleich der blindheitsbedingten Mehraufwendungen und Nachteile. Es sichert damit die gesellschaftliche Eingliederung Blinder (und in einigen Ländern auch hochgradig Sehbehinderter) in die Gesellschaft. Der Pflege bedarf Blinder soll damit sichergestellt werden. Im Vordergrund steht aber die Rehabilitation. Es handelt sich um eine typisierte und pauschalierte Erstattungsleistung für die durch die Blindheit verursachten Aufwendungen. AnknüpTrenk-Hinterberger, S. 109. Trenk-Hinterberger, S. 223; vgl. auch die DIN-Nonnen Nr. 18024 für behindertengerechte Gestaltung von Straßen, Plätzen und öffentlichen Gebäuden und DIN 18025 Blatt 1 für Wohnungen von Körperbehinderten und Rollstuhlfahrern sowie DIN 18025 Blatt 2 Wohnungen für Blinde und wesentlich Sehbehinderte. 196 197

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2. Teil: Rechtssystematische Einordnung und vergleichende Darstellung

fungspunkt ist deshalb der Sehverlust bzw. die Sehbeeinträchtigung. Durch die Typisierung und Pauschalierung dieser Ausgleichsleistung wird der Rehabilitationsgedanke besonders gefördert, denn dem Blinden bleibt es überlassen, für welche Bedarfe er das Blindengeld einsetzt l98 . Um diese Freiheit zu gewähren, werden Geldleistungen als Sozialleistungen in der Regel abstrakt-pauschal, dagegen Sachleistungen konkret-individuell gewährt. Zu Recht besteht deshalb bei den Blindengeldleistungen kein Wahlrecht zwischen Sachleistung und Pflegegeld wie in der sozialen Pflegeversicherung nach §§ 36 (Pflegesachleistung auf Grundpflege und haus wirtschaftliche Versorgung) und 37 (Pflegegeld für selbstbeschaffte Pflegehilfen) SGB XI. Entgegen der Auffassung von Brühl 199 handelt es sich bei der Blindenhilfe nach dem BSHG und bei den Blindengeldleistungen nach den Landesblindengeld- bzw. Landespflegegeldgesetzen um eine Leistung der sozialen Förderung und nicht um eine Leistung mit Versorgungscharakter. Die Bewertung als Versorgungsleistung widerspricht dem Zweck des Blindengeldes. Der Schluß, daß es sich um eine Versorgungsleistung handele, konnte auch nicht aus der in früheren Blindengeldregelungen und zwischenzeitlich durchweg aufgegebenen Verweisung auf § 35 BVG hergeleitet werden 2OO . Solche Verweisungen hatten lediglich Bedeutung für die Höhe des Pflegegeldes und für das Verfahren. Dagegen sollten keine systemfremden Elemente in die Blindengeldgesetze gebracht werden 2ol ; denn auch § 35 BVG soll die Verfügbarkeit von Sozialdiensten gewährleisten. Trotz der kausalen Anknüpfung im BVG sind die Leistungen nach § 35 BVG, ebenso wie die Blindengeldleistungen, final ausgerichtet. Das Pflegegeld nach § 35 BVG hat primär Ausgleichs- und nicht Versorgungscharakter202 .

198 BVerwG, Urteil vom 14. 05. 1969 - V C 167.67; OVG Lüneburg, Urteil vom 19.05. 1988-14a 127/86 =ND MB11988, S. 749; OVG Lüneburg, Urteil vom 12.04.1972 - VII A 80172 = FEVS, Bd. 19, S. 419 ff.; BVerwG, Urteil vom 05.07. 1967 - V 212.66 = FEVS, Bd. 15, S. 210; BVerwG, Urteil vom 14. 05. 1969 - V C 167.67 = FEVS, Bd. 16, S. 321; OVG Lüneburg, Urteil vom 21. 01. 1970 - IV A 104/68 = FEVS, Bd. 17, S. 256; OVG Berlin, Beschluß vom 27. 09. 1985-6s 100.85 =FEVS, Bd. 35, S. 343. 199 Brühl in: Lehr- und Praxiskommentar zum BSHG, RdNr. 1 zu § 67, ebenso Schellhorn-Jirasek-Seipp, BSHG, RdNr. I zu § 67. 200 Eine solche Verweisung enthielt z. B. das bayerische Zivilblindenpflegegeldgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. 01. 1989 (GVBI. S. 21) in Art. 1 Abs. 2. 201 Scholler / Krause, S. 67. 202 Scholler / Krause, S. 69; Schieckel-Gurgel: Kommentar zum BVG, Anmerkung 2 und 4 zu § 35.

Kap. 5: Der Aufenthalt als Leistungsvoraussetzung

269

KapitelS

Der Aufenthalt als Leistungsvoraussetzung A. Vorbemerkung In den Blindengeldgesetzen bzw. Pflegegeldgesetzen der Länder wird die Leistungsberechtigung daran geknüpft, daß der Betroffene im Geltungsbereich des jeweiligen Gesetzes seinen Wohnsitz bzw. seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Für die Blindenhilfe nach § 67 BSHG kommt es auf den tatsächlichen Aufenthalt an (§ 97 Abs. 1 S. 1 BSHG). Für Berechtigte, die in Anstalten, Heimen oder gleichartigen Einrichtungen leben, ist der gewöhnliche Aufenthalt im Zeitpunkt der Aufnahme oder in den zwei Monaten vor der Aufnahme maßgebend (§ 97 Abs. 2 S. 1 BSHG). Diese Gesetze folgen damit dem im Sozialrecht für steuerfinanzierte Leistungen typischen Territorialitätsprinzip203. Es kommt nicht auf die Staatsangehörigkeit an, sondern allein darauf, ob der Leistungsberechtigte im Geltungsbereich des jeweiligen Gesetzes einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hat. Ausländer oder Staatenlose sind deshalb dann anspruchsberechtigt, wenn sie sich rechtmäßig im Geltungsbereich eines Landesgesetzes aufhalten und dort den Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben (dazu im einzelnen unten). Die Begriffe Wohnsitz und gewöhnlicher Aufenthalt richten sich nach § 30 SGB I, soweit die Landesblindengeldgesetze das SGB I für anwendbar erklären. Das ist mit Ausnahme der Landesgesetze für Baden-Württemberg, Hamburg und Hessen der Fall. Auf die Begriffe Wohnsitz und gewöhnlicher Aufenthalt wird unter B. näher eingegangen. Der Geltungsbereich kann im Gesetz selbst eingeschränkt oder ausgedehnt werden (§ 37 SGB 1)204. Von dieser Möglichkeit wurde in einigen Landesgesetzen Gebrauch gemacht. Inwieweit Blindengeldleistungen beim Aufenthalt im Ausland gewährt werden, wird unter E. behandelt.

B. Wohnsitz und gewöhnlicher Aufenthalt I. Wohnsitz Nach § 30 Abs. 3 S. 1 SGB I hat jemand einen Wohnsitz dort, "wo er eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, daß er die Wohnung beibehalten und benutzen wird. Dieser Wohnsitzbegriff ist nicht identisch mit dem 203

204

Seewald in: Kasseler Kommentar, RdNr. 2 zu § 30 SGB I. Seewald in: Kasseler Kommentar, RdNr. 2 zu § 30 SGB I.

270

2. Teil: Rechtssystematische Einordnung und vergleichende Darstellung

Wohnsitzbegriff der §§ 7 ff. BGB 205 . Die Begriffe "Wohnsitz" und "gewöhnlicher Aufenthalt" nach § 30 Abs. 3 S. 1 und 2 SGB I sind dem Steuerrecht nachgebildet (vgl. §§ 8 und 9 Abgabenordnung)206. Der sozialrechtliche Wohnsitzbegriff weicht von dem zivilrechtlichen Wohnsitzbegriff des § 7 BGB insoweit ab, als zu seiner Bestimmung nicht auf den rechtsgeschäftlichen Willen, sondern auf objektive Merkmale abgestellt wird207 . § 30 Abs. 3 SGB I soll nach dem Willen des Gesetzgebers verhindern, daß durch die rein formelle Begründung eines Wohnsitzes Sozialleistungen erlangt werden können208 . Die Unterhaltung eines Wohnsitzes erfordert ein reales Verhalten im Bezug auf einen Lebensmittelpunkt. Es muß ein "realisierbarer Wille "vorhanden sein 209 . Auf die polizeiliche Meldung kommt es nicht an21O . Die Begründung oder Beibehaltung eines Wohnsitzes ist keine geschäfts ähnliche Handlung, die einen entsprechenden Domizilwillen voraussetzt. Anders als im BGB können Minderjährige ohne, ja sogar gegen den Willen ihres gesetzlichen Vertreters einen sozialrechtlichen Wohnsitz begründen. Bei der Wohnung muß es sich um Räumlichkeiten handeln, die als ständiges Heim geeignet sind. Ausstattung und sonstige Gegebenheiten müssen auf eine - zumindest regelmäßige - Benutzung hinweisen 2l1 . Nicht erforderlich ist allerdings eine ständige, ununterbrochene Anwesenheit. So geht der Wohnsitz selbst dann nicht verloren, wenn sich der Inhaber zu Studien- oder Ausbildungszwecken bzw. zur Schulausbildung längere Zeit im Ausland aufhält, wenn die Wohnung jederzeit zur Benutzung zur Verfügung steht und der Berechtigte nicht die Absicht hat, sich auf unabsehbare Zeit im Ausland aufzuhalten und seiner Rückkehr keine tatsächlichen Hindernisse entgegenstehen 212 . Eine Person kann mehrere Wohnsitze nebeneinander, und damit auch in verschiedenen Bundesländern oder im Inland und Ausland, haben 213 . Die wirtschaft205 Nach § 7 Abs. 1 BGB begründet jemand den Wohnsitz an einem Ort, an weIchem er sich "ständig niederläßt". Notwendig ist volle Geschäftsfähigkeit oder bei fehlender bzw. beschränkter Geschäftsfähigkeit eine entsprechende Willenserklärung des gesetzlichen Vertreters (§ 8 Abs. 1 BGB, Ausnahme siehe § 8 Abs. 2 BGB für verheiratete Minderjährige). Minderjährige teilen nach § 11 BGB grundsätzlich den Wohnsitz der Eltern. 206 Seewald in: Kasseler Kommentar, RdNr. 4 zu § 30 SGB I. 207 Seewald in: Kasseler Kommentar, RdNr. 6 zu § 30 SGB I; BSG, Urteil vom 10. 12. 1985 -10 RKg 14/85 = SozR 5870, § 2 Nr. 44; vgl. Urteil des BSG vom 30.09.1996-10 RKg 29/95 =SozR 3-5870, § 2 Nr. 33. 208 BT-Drucksache 7 - 3786, S. 2. 209 BSG SozR 5870, § 2 Nr. 44. 210 BSG, Urteil vom 17. 12. 1981-10 RKg 12/81 =SozR 5870, § 2 Nr. 25. 2ll Seewald in: Kasseler Kommentar, RdNr. 8 zu SGB I, § 30. 212 BSG SozR 5870, § 1 Nr. 4 - hier wurde ein Studienaufenthalt im Ausland von zwei Jahren als unschädlich angesehen; BSG, Urteil vom 30. 09. 1996 - = SozR 3-5870, § 2 Nr. 33; BSG, Urteil vom 25. 04. 1984-10 RKg 2/83 = SozR 5870, § 2 Nr. 32; selbst eine zweckbedingte Unterbrechung des Aufenthalts von drei oder sogar fünf Jahren hält das BSG für unbedenklich: BSG SozR 3 - 5870, § 1 Nr. 9 und BSG SozR 2200, § 205 Nr. 65; zu den Anforderungen an die Wohnung am Heimatort bei Auslandsstudium vgl. BSG vom 28.05.1997 -14/10 RKg 14/94 = SozR 3 -0000.

Kap. 5: Der Aufenthalt als Leistungsvoraussetzung

271

lichen und persönlichen Beziehungen zu den verschiedenen Wohnsitzen dürfen sich ihrer Intensität nach jedoch nicht wesentlich unterscheiden.

11. Gewöhnlicher Aufenthalt

Einige Blindengeldgesetze knüpfen die Leistung entweder nur an den gewöhnlichen Aufenthalt an, ohne daß es auf den Wohnsitz ankommt, oder es genügt alternativ das Vorhandensein von Wohnsitz bzw. gewöhnlichem Aufenthalt. Nach der Legaldefinition in § 30 Abs. 3 S. 2 hat jemand seinen gewöhnlichen Aufenthalt dort, "wo er sich u. U. aufhält, die erkennen lassen, daß er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt". Für den gewöhnlichen Aufenthalt ist keine stets verfügbare Wohnung, wohl aber eine Unterkunft erforderlich. Der Gegensatz zum gewöhnlichen Aufenthalt ist der vorübergehende Aufenthalt. Damit tritt der Zweck des Verweilens in den Vordergrund; denn ob sich jemand gewöhnlich oder nur vorübergehend in einem Gebiet aufhält, läßt sich nur "im Wege einer vorausschauenden Betrachtungsweise entscheiden,,214. Bei dieser Prognose müssen alle bei Beginn des zu beurteilenden Zeitraumes erkennbaren Umstände berücksichtigt werden. Es gilt keine feste allgemein gültige zeitliche Grenze für die Unterscheidung zwischen gewöhnlichem oder vorübergehendem Aufenthalt215 . Die tatsächlichen Verhältnisse dürfen dem Willen, an einem bestimmten Ort seinen gewöhnlichen Aufenthalt zu haben, nicht entgegenstehen216 . Es müssen objektive Momente vorliegen, die auf ein längeres Verweilen schließen lassen 217 . Auf eine bestimmte Zeitdauer, z. B. mindestens sechs Monate, kommt es nicht an. Das ergibt sich daraus, daß, obwohl § 30 SGB I dem Steuerrecht nachgebildet wurde, die entsprechende Bestimmung aus § 9 AO nicht übernommen worden ist218 . Der Wille auf längere Dauer an einem Ort zu verweilen, kann ein, den gewöhnlichen Aufenthalt begründendes Element sein, wenn der Realisierbarkeit keine Hindernisse im Wege stehen 219 . Allerdings steht der Mangel an Freiwilligkeit, z. B. im Falle der Strafhaft in einer Justizvollzugsanstalt oder bei Unterbringung in einem Heim, dem gewöhnlichen Aufenthalt nicht entgegen220 . Bei einer längeren tatsächlichen Verweildauer ist regelmäßig ein gewöhnlicher Aufenthalt gegeben, wenn nicht der Wille zu nur vorübergehendem BSG, Urteil vom 27.04.1978-8 RKg 2/77 = SozSich 1978, S. 221. Seewald in: Kasseler Kommentar, RdNr. 10 zu § 30 SGB I. 215 BSG, Urteil vom 22. 03. 1988 - 8 / 5a RKn 11 / 87 = SozR 2200, § 105 Nr. 65. 216 BSGE, Bd. 49, S. 254; BSG SozR 5870, § 2 Nm. 33 und 47 und BSG, Urteil vom 25.06.1987 -l1a REg 1/87 =SozR 7833, § 1 Nr. 1. 217 BSG vom 28.07.1967 = BSGE, Bd. 27, S. 88, 89. 218 BSG SozR 2200, § 105 Nr. 65. 219 BSG, Urteil vom 16. 10. 1986-12 RK 13/96 = SozR 1200, § 30 Nr. 10. 220 Urteil des BFH BStBL 1971, S. 758. 213

214

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2. Teil: Rechtssystematische Einordnung und vergleichende Darstellung

Verbleib an diesem Ort besteht und deshalb der gewöhnliche Aufenthalt an einem anderen Ort nicht aufgegeben worden ist. Das ist z. B. bei einem zeitlich befristeten Internatsaufenthalt der Fall. Der gewöhnliche Aufenthalt ist nämlich nicht gleichbedeutend mit "niemals abwesend sein,,22I . Auch eine Abwesenheit von längerer Dauer hebt dann den gewöhnlichen Aufenthalt nicht auf, wenn die Absicht oder Wahrscheinlichkeit besteht, an den früheren Aufenthaltsort zurückzukehren und wenn gefestigte Beziehungen zu diesem früheren Aufenthaltsort aufrechterhalten bleiben 222 . Das BSG hat zur Beurteilung des gewöhnlichen Aufenthaltes ein Dreistufenschema entwickelt. Es prüft: 1. den tatsächlichen Aufenthalt, 2. die Umstände des Aufenthalts und nimmt 3. eine Würdigung der Umstände vor, wobei es insbesondere ermittelt, ob der Betroffene am Aufenthaltsort oder im Aufenthaltsgebiet nicht nur vorübergehend verweilt 223 , wo er sozusagen seinen Lebensmittelpunkt hat. Der Lebensmittelpunkt bleibt erhalten, wenn am Heimatort eine Unterkunft verfügbar ist, dabei muß es sich nicht um eine stets verfügbare Wohnung handeln, und wenn der auswärtige Aufenthalt von seiner Zweckbestimmung her auf den vorhandenen Rückkehrwillen schließen läßt. Ein solcher befristeter auswärtiger Aufenthalt kann z. B. in folgenden Fällen gegeben sein: - Besuch einer auswärtigen Internatsschule, wenn die familiären Beziehungen bestehen bleiben, wofür Wochenendheimfahrten und Ferienaufenthalte bei den Eltern ein Indiz sind. Berufsausbildung oder Berufsumschulung in einem anderen Land, insbesondere, wenn diese Ausbildung oder Umschulung in einem Berufsbildungs- bzw. Berufsförderungswerk oder anderem Rehabilitationszentrum absolviert wird 224 . - Auswärtiger Studienaufenthalt, soweit die familiären Bindungen bestehen bleiben und die Rückkehr an den Heimatort nicht nur rein besuchsmäßigen Charakter hat.

BSGE, Bd. 27, S. 88, 89. BSG SozR 2200, § 205 Nr. 65. 223 Seewald in: Kasseler Kommentar, Nr. 11 zu SGB I, § 30; BSG SozR 7833, § 1 Nr. 1. 224 Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 26. 03. 1992 - L 7 V 757/91 (hier wurde die Beibehaltung des heimatlichen gewöhnlichen Aufenthaltes in Baden-Württemberg für einen Rehabilitanden, der sich zunächst für ein Jahr im Berufsförderungswerk Veitshöchheim und einem weiteren halben Jahr zur Absolvierung einer Masseurausbildung, ebenfalls in Veitshöchheim, aufhielt, angenommen); Urteil des LSG Rheinland-Pfalz vom 12. 06. 1997 - L 4 V 14/97; Urteil des LSG Rheinland-Pfalz vom 25. 02. 1994 - L 4 V 76/93 = Behindertenrecht 1994, S. 134 ff. Auch nach dieser Entscheidung wird durch die Teilnahme an einer Rehabilitationsmaßnahme mit intematsmäßiger Unterbringung in einem Berufsförderungswerk (Berufsförderungswerk Veitshöchheim) unter Beibehaltung der bisherigen Wohnung am Ort des Berufsförderungswerkes kein Wohnsitz oder gewöhnlicher Aufenthalt im Sinne des SGB I, § 30 Abs. 3 begründet. Mit dieser Entscheidung wurde gleichzeitig die Rechtsprechung des LSG für Rheinland-Pfalz in den Entscheidungen des 2. Senats, Urteil vom 25.02. 1961 - L 2 P 2/92 und - L 2 P 5/90 aufgegeben). 221

222

Kap. 5: Der Aufenthalt als Leistungsvoraussetzung

273

- Von vorneherein befristeter Arbeitsvertrag, z. B. Saisonarbeit225 , Aufenthalte, die lediglich Besuchs- oder Erholungszwecken dienen. III. Wahlrecht bei mehrfachem Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt

Mehrere Wohnsitze und auch mehrere gewöhnliche Aufenthalte nebeneinander sind möglich, zu den Wohnsitzen oder Aufenthalten müssen jedoch gleichwertige Beziehungen bestehen 226 . Mehrere Wohnsitze und / oder gewöhnliche Aufenthalte können jedoch nicht zu einem mehrfachen Bezug von Sozialleistungen führen, die ein und demselben Zweck dienen227 . Wenn die Voraussetzungen für die Sozialleistungen an verschiedenen Orten gleichzeitig bestehen, hat der Berechtigte ein Wahlrecht. Die Sozialleistung kann nicht deshalb abgelehnt werden, weil der Anspruch auch an einem anderen Ort gegeben wäre 228 . Für das Vorliegen der Voraussetzungen ist derjenige beweispflichtig, der einen Anspruch auf Sozialleistungen geltend macht (objektive Beweislastregel)229.

c. Aufenthaltsberechtigung In sämtlichen Landesgesetzen wird nur von "Blinden" und in den Gesetzen von Berlin, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Sachsen und Sachsen-Anhalt zusätzlich von hochgradig Sehbehinderten gesprochen. Eine Beschränkung auf "Deutsche" ist nicht gegeben. Es gilt, wie im Sozialrecht üblich, das Territorialitätsprinzip. Entscheidend für den Anspruch ist danach nicht die Staatsangehörigkeit, sondern der berechtigte Aufenthalt in Form eines Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthaltes im Geltungsbereich der jeweiligen Gesetze 230 . 225 Urteil des OVO Berlin vorn 10.01. 1991-6 B 40.89 =FEVS, Bd. 41, S. 369 ff.; Urteil des OVO Rheinland-Pfalz vorn 21. 01. 1988-12 A 145/87 = FEVS, Bd. 38, S. 325 ff. 226 BSO, Urteil vorn 27. 04. 1978-8 RKg 2/77 = SozSich 1978, S. 221. Hier wird allerdings angenommen, daß zwar mehrere Wohnsitze, aber nur ein gewöhnlicher Aufenthalt gegeben sein könne; vgl. auch BSO, Urteil vorn 25. 10. 1977-8/12 RKg 8/77 = SozR 5870, § 8 Nr. 3. 227 Seewald in: Kasseler Kommentar, RdNr. 16 zu § 30 SOB I. 228 Seewald in: Kasseler Kommentar, RdNr. 16 zu § 30 SOB I. 229 Seewald in: Kasseler Kommentar, RdNr. 5 zu § 30 SOB I; Urteil des BSO vorn 10. 12. 1985 -10 RKg 14/85 = SozR 5870, § 2 Nr. 44. 230 Seewald in: Kasseler Kommentar, RdNr. 2 zu § 30 SOB I.

18 Demme1

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2. Teil: Rechtssystematische Einordnung und vergleichende Darstellung

I. Freizügigkeitsrecht für Deutsche

Alle Deutschen genießen nach Art. 11 Abs. 1 GG Freizügigkeit im ganzen Bundesgebiet. Sie können deshalb ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in jedem Bundesland frei wählen, soweit nicht in einem Gesetz, das mit Art. 11 Abs. 2 GG vereinbar ist, eine Beschränkung besteht. Wegen dieser Freizügigkeit richtet sich die Zuständigkeit des Landesgesetzes alleine nach dem frei gewählten Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt, soweit nicht das einzelne Gesetz Einschränkungen oder Ausdehnungen für seinen Geltungsbereich vorsieht.

1. Begriff des Deutschen

Deutsche sind nach Art. 116 Abs. 1 GG, vorbehaltlich anderweitiger gesetzlicher Regelungen, Personen, die die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen oder als Flüchtlinge oder Vertriebene deutscher Volkszugehörigkeit oder als deren Ehegatte oder Abkömmling in dem Gebiet des Deutschen Reiches nach dem Stande vom 31. 12. 1937 Aufnahme gefunden haben. Ausländer ist demgegenüber jeder, der nicht Deutscher im Sinne des Art. 116 Abs. 1 GG ist (§ 1 Abs. 2 Ausländergesetz 1990 vom 09. 07. 1990, BGBL I, S. 1354, 1356, zuletzt geändert durch Art. 2 Gesetz vom 15.07. 1999 - BGBL I, S. 1618).

2. Aussiedler

Deutsche sind auch Aussiedler und Spätaussiedler. Aussiedler ist nach § 1 Abs. 2 Nr. 3 des Bundesvertriebenengesetzes (BVFG) vom 19.05. 1953 (BGBL I, S. 201), neugefaßt durch Bekanntmachung vom 02. 06. 1993 (BGBL I, S. 829), zuletzt geändert durch Art. 6 Gesetz vom 22. 12. 1999 (BGBL I, S. 2534), wer als deutscher Staatsangehöriger oder deutscher Volkszugehöriger nach Abschluß der allgemeinen Vertreibungsmaßnahmen vor dem 01. 07. 1990 oder danach im Wege des Aufnahmeverfahrens vor dem 01. 01. 1993 die ehemals unter fremder Verwaltung stehenden deutschen Ostgebiete, Danzig, Estland, Lettland, Litauen, die ehemalige Sowjetunion, Polen, die Tschechoslowakei, Ungarn, Rumänien, Bulgarien, Jugoslawien, Albanien oder China verlassen hat oder verläßt, es sei denn, daß er, ohne aus diesen Gebieten vertrieben und bis zum 31. 03. 1952 dorthin zurückgekehrt zu sein, nach dem 08. 05. 1945 einen Wohnsitz in diesen Gebieten begründet hat. Spätaussiedler ist nach § 4 Abs. 1 BVFG in der Regel ein deutscher Volkszugehöriger, der die Republiken der ehemaligen Sowjetunion, Estland, Lettland oder Litauen, nach dem 31. 12. 1992 im Wege des Aufnahmeverfahrens verlassen und innerhalb von sechs Monaten in der Bundesrepublik Deutschland seinen ständigen Aufenthalt genommen hat, wenn er zuvor

Kap. 5: Der Aufenthalt als Leistungsvoraussetzung

275

1. seit dem 08. 05. 1945 oder 2. nach seiner Vertreibung oder der Vertreibung eines Elternteils seit dem 31.03.1952 oder 3. seit seiner Geburt, wenn er vor dem 01. 01. 1993 geboren ist und von einer Person abstammt, die die Stichtagsvoraussetzung des 08. 05. 1945 nach Nr. 1 oder des 31. 03. 1952 nach Nr. 2 erfüllt, es sei denn, daß Eltern oder Voreltern ihren Wohnsitz erst nach dem 31. 03. 1952 in die Aussiedlungsgebiete verlegt haben, seinen Wohnsitz in den Aussiedlungsgebieten hatte. Spätaussiedler ist nach § 4 Abs. 2 BVFG auch ein deutscher Volkszugehöriger aus den Aussiedlungsgebieten des § 1 Abs. 2 Nr. 3, außer den in Abs. 1 genannten Staaten, der die übrigen Voraussetzungen des Abs. 1 erfüllt und glaubhaft macht, daß er am 31. 12. 1992 oder danach Benachteiligungen oder Nachwirkungen früherer Benachteiligungen aufgrund deutscher Volkszugehörigkeit unterlag. Deutscher Volkszugehöriger, und damit Deutscher im Sinn von Art. 116 GG, ist nach § 6 Abs. 1 BVFG, wer sich in seiner Heimat zum deutschen Volkstum bekannt hat, sofern dieses Bekenntnis durch bestimmte Merkmale wie Abstammung, Sprache, Erziehung, Kultur bestätigt wird. Wer nach dem 31. 12. 1923 geboren ist, ist nach § 6 Abs. 2 BVFG deutscher Volkszugehöriger, wenn 1. er von einem deutschen Staatsangehörigen oder deutschen Volkszugehörigen abstammt, 2. ihm die Eltern, ein Elternteil oder andere Verwandte bestätigende Merkmale, wie Sprache, Erziehung, Kultur, vermittelt haben, und 3. er sich bis zum Verlassen der Aussiedlungsgebiete zur deutschen Nationalität erklärt, sich bis dahin auf andere Weise zum deutschen Volkstum bekannt hat oder nach dem Recht des Herkunftsstaates zur deutschen Nationalität gehörte. Die Voraussetzungen nach Nr. 2 gelten als erfüllt, wenn die Vermittlung bestätigender Merkmale wegen der Verhältnisse im Herkunftsgebiet nicht möglich oder nicht zumutbar war; die Voraussetzungen nach Nr. 3 gelten als erfüllt, wenn das Bekenntnis zum deutschen Volkstum mit Gefahr für Leib und Leben oder schwerwiegenden beruflichen oder wirtschaftlichen Nachteilen verbunden gewesen wäre, jedoch aufgrund der Gesamtumstände der Wille, der deutschen Volksgruppe und keiner anderen anzugehören, unzweifelhaft ist. Kinder und Ehegatten von Aussiedlern, die vor der Einreise noch nicht Deutsche waren, aber mit ihrem deutschen Elternteil bzw. deutschen Ehegatten in das Bundesgebiet als Aussiedler einreisen, werden durch Aufnahme kraft Gesetzes Deutsche, ohne daß die deutsche Staatsangehörigkeit erworben werden müßte (Art. 116 GG). Ein nicht deutscher Ehegatte eines Spätaussiedlers wird durch die Aufnahme in die Bundesrepublik Deutschland allerdings nur dann Deutscher kraft Gesetzes, wenn die Ehe zum Zeitpunkt des Verlassens der Aussiedlungsgebiete mindestens drei Jahre bestanden hat (§ 4 Abs. 3 S. 2 BVFG). Diese Einschränkung ist aufgrund des Gesetzesvorbehaltes in Art. 116 Abs. 1 GG zulässig. 18*

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2. Teil: Rechtssystematische Einordnung und vergleichende Darstellung

Ausschlußgründe für die Anerkennung als Spätaussiedler wegen politischer Vergangenheit oder aus strafrechtlichen Gründen enthält § 5 BVFG. Der Nachweis über die Spätaussiedlereigenschaft kann durch eine Bescheinigung nach § 15 BVFG geführt werden. Wenn ein Aussiedler einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland hat und die übrigen Voraussetzungen gegeben sind, besteht ein Blindengeldanspruch nach dem zuständigen Landesgesetz, ohne daß es einer Aufenthaltsgenehmigung bedürfte. 11. Aufenthaltsberechtigung von Ausländern

Ausländer, die berechtigt sind, sich in einem Bundesland der Bundesrepublik Deutschland aufzuhalten und dort einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben, erhalten Blindengeld nach den einschlägigen Landesgesetzen. 1. Rechtsgrundlagen

Rechtsgrundlagen, aus denen sich das Aufenthaltsrecht von Ausländern ergibt, sind Spezialgesetze, die dem Ausländergesetz vorgehen und, soweit solche Spezialgesetze fehlen, das Gesetz über die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern im Bundesgebiet (AuslG 1990) vom 09. 07. 1990 (BGBl. I, 1990, S. 1354, 1356), zuletzt geändert durch Art. 2 des Gesetzes vom 15. 07. 1999 (BGBl. I, S. 1618). 2. Spezialgesetze

Spezialgesetze sind z. B. - das Aufenthaltsgesetz I EWG, - das Asylverfahrensgesetz, - das Gesetz über Maßnahmen für im Rahmen humanitärer Hilfsaktionen aufgenommene Flüchtlinge, - das Gesetz über die Rechtsstellung heimatloser Ausländer im Bundesgebiet. Der Vorrang dieser Spezialgesetze ergibt sich aus § 1 Abs. 1 AuslG 1990231 . a) Aufenthaltsrecht für Staatsangehörige aus Mitgliedsländern der Europäischen Union Das Gesetz über Einreise und Aufenthalt von Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (Aufenthaltsgesetz I EWG) vom 231

Bamberger, S. 3.

Kap. 5: Der Aufenthalt als Leistungsvoraussetzung

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22.07. 1969 (BGBI. I, S. 927), zuletzt geändert durch Art. 1 Gesetz vom 24.01. 1997 (BGBI. I, S. 51), geht als Spezialgesetz dem Ausländergesetz vor. Dieses findet nur insoweit Anwendung, als das europäische Gemeinschaftsrecht und das Aufenthaltsgesetz/EWG keine abweichenden Bestimmungen enthält (§ 2 Abs. 2 AuslG, § 15 AufenthG / EWG). Das Aufenthaltsgesetz / EWG gewährt den ihm unterfallenden Personen Freizügigkeit und schränkt die Möglichkeiten aufenthaltsbeendender (ordnungsrechtlicher) Maßnahmen erheblich ein. Mitgliedsstaaten der Europäischen Gemeinschaft sind neben der Bundesrepublik Deutschland: Belgien, Dänemark, Finnland, Frankreich, Griechenland, Großbritannien, Irland, Italien, Luxemburg, Niederlande, Österreich, Portugal, Spanien und Schweden. Darüber hinaus wurde durch den mit dem Ausführungsgesetz über den europäischen Wirtschaftsraum mit Wirkung ab 01. 01. 1994 eingeführten § 15c auch den Staatsangehörigen der EFfA-Staaten die gleiche Freizügigkeit gewährt. Zum damaligen Zeitpunkt gehörten der EFfA die Staaten Österreich, Finnland, Island, Norwegen und Schweden an 232 . Nach § 1 Abs. 1 AufenthG/EWG genießen Staatsangehörige eines Mitgliedsstaates der Europäischen Wirtschafts gemeinschaft Freizügigkeit in der Bundesrepublik Deutschland, wenn sie im Geltungsbereich dieses Gesetzes 1. eine Beschäftigung als Arbeiter oder Angestellte oder zu ihrer Berufsausbildung ausüben oder ausüben wollen (Arbeitnehmer), 2. sich niedergelassen haben oder niederlassen wollen, um eine selbständige Erwerbstätigkeit auszuüben (niedergelassene selbständige Erwerbstätige), ... 5. nach Beendigung einer der in den Nr. 1-4 genannten Erwerbstätigkeiten unter den in § 6a Abs. 2 - 8 genannten Voraussetzungen verbleiben oder verbleiben wollen (Verbleibeberechtigte). Das Aufenthaltsrecht erstreckt sich nach § 1 Abs. 2 auch auf die Familienangehörigen, und zwar unabhängig von deren Staatsangehörigkeit. Familienangehörige im Sinne dieses Gesetzes sind 1. der Ehegatte und die Verwandten in absteigender Linie, die noch nicht 21 Jahre alt sind, 2. die Verwandten in aufsteigender und in absteigender Linie der in Abs. 1 genannten Personen oder ihrer Ehegatten, denen diese Personen oder ihre Ehegatten Unterhalt gewähren (§ 1 Abs. 2 S. 2). Personen, die nach dem Freizügigkeitsgesetz / EWG in der Bundesrepublik Deutschland Freizügigkeit genießen, haben nach Maßgabe der §§ 3 - 7a einen Anspruch auf die Aufenthaltserlaubnis für Angehörige eines Mitgliedstaates der Europäischen Gemeinschaften (Aufentha1tserlaubnis-EG) (§ 1 Abs. 4)233. Bamberger, Wilhelm: Ausländerrecht und Asylverfahrensrecht, München, 1995, S. 3. Bamberger, S. 8; Einzelheiten, insbesondere über die Dauer der AufenthaltserlaubnisEG, enthalten: für Arbeitnehmer § 3, für niedergelassene selbständige Erwerbstätige § 4, 232

233

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2. Teil: Rechtssystematische Einordnung und vergleichende Darstellung

Voraussetzung für die Einräumung der Freizügigkeit ist, daß Krankenversicherung und ausreichende Existenzmittel (keine Sozialhilfebedürftigkeit) bestehen (§ 7a Freizügigkeitsgesetz-EG). Durch verschiedene Richtlinien des Rates der Europäischen Gemeinschaften genießen auch fast alle nicht Erwerbstätigen, d. h. auch alle nicht unter das AufenthG / EWG fallenden Staatsangehörigen eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, Freizügigkeitsberechtigung. Das heißt, sie können unter den Voraussetzungen dieser Richtlinien ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik frei wählen, ohne daß sie einer Genehmigung nach dem Ausländergesetz 1990 bedürfen 234 . Die entsprechenden Richtlinien wurden durch die Verordnung über die allgemeine Freizügigkeit von Staatsangehörigen der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union (Freizügigkeitsverordnung / EG) vom 17. 07. 1997 (BGBl. I, 1997, S. 1810) umgesetzt. Die Freizügigkeitsverordnung/EG ist aufgrund der Ermächtigung in § 15a AufenthG / EWG ergangen. In § 1 der Freizügigkeitsverordnung/EG wird das Freizügigkeitsrecht für Staatsangehörige der Mitglieds länder der Europäischen Union auf nicht Erwerbstätige nach Maßgabe der Bestimmungen der Freizügigkeitsverordnung ausgedehnt. Freizügigkeit wird auch ihren Familienangehörigen gewährt, wenn sie bei einer nach § 1 Abs. 1 berechtigten Person ihre Wohnung nehmen (§ lAbs. 2 Freizügigkeitsverordnung/EG). Den Personen, die nach der Freizügigkeitsverordnung / EG Freizügigkeit genießen, wird auf Antrag die Aufenthaltserlaubnis für Angehörige eines Mitgliedsstaates der Europäischen Union (Aufenthaltserlaubnis-EG) erteilt (§ 3 Abs. 1 Freizügigkeitsverordnung / EG). Die Gültigkeitsdauer der Aufenthaltserlaubnis-EG beträgt mindestens fünf Jahre, wenn sie nicht für einen kürzeren Zeitraum beantragt ist (§ 3 Abs. 3 S. I Freizügigkeitsverordnung / EG). Studenten wird eine auf die voraussichtliche Dauer der Ausbildung beschränkte Aufenthaltserlaubnis-EG erteilt (§ 3 Abs. 3 S. 3 Freizügigkeitsverordnung/EG). Dauert die Ausbildung länger als zwei Jahre, kann die Aufenthaltserlaubnis-EG zunächst für zwei Jahre erteilt werden (§ 3 Abs. 3 S. 3 2. Halbsatz Freizügigkeitsverordnung/EG). Die Aufenthaltserlaubnis-EG wird auf Antrag um mindestens fünf Jahre verlängert, wenn die nach der Freizügigkeitsverordnung für ihre Erteilung erforderlichen Voraussetzungen weiter vorliegen. Bei einem Studenten wird die Gültigkeitsdauer um jeweils zwei Jahre verlängert (§ 3 Abs. 5 Freizügigkeitsverordnung / EG). Verbleibeberechtigte § 6a (diese Bestimmung enthält nähere Regelungen darüber, wer verbleibeberechtigt ist, Abs. 1-8 und Dauer Abs. 9 und 10), Familienangehörige § 7, unbefristete Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis-EG § 7a. 234 Zu nennen sind die Richtlinien des Rates der Europäischen Gemeinschaften über das Aufenthaltsrecht gemäß Richtlinie 90/364/EWG des Rates vorn 28. 06.1990 (ABI. EG Nr. L 180, S. 26), Richtlinie 90/365/EWG des Rates vorn 28. 06. 1990 (ABI. EG Nr. L 180, S. 28, betreffend das Aufenthaltsrecht der aus dem Erwerbsleben ausgeschiedenen Arbeitnehmer und selbständig Erwerbstätigen und Richtlinie 93/96/EWG des Rates vorn 29. 10. 1993 (ABI. EG Nr. L 317, S. 59), betreffend das Aufenthaltsrecht der Studenten.

Kap. 5: Der Aufenthalt als Leistungsvoraussetzung

279

Voraussetzung für die Gewährung der Freizügigkeit ist, daß die Berechtigten einen ausreichenden Krankenversicherungsschutz für sich und ihre Familienangehörigen haben (§ 7 Abs. 1 Freizügigkeitsverordnung/EG). Ferner müssen Existenzmittel in einem Umfang vorhanden sein, daß keine Sozialhilfebedürftigkeit gegeben ist (§ 8 Freizügigkeitsverordnung / EG). Da das Blindengeld nach den Landesgesetzen ohne Rücksicht auf Einkommen und Vermögen gewährt wird und überdies nicht der Sicherung des Lebensunterhaltes dient (vgl. Kap. 4), kann sich aus § 8, insbesondere auch aus § 8 Abs. 4 der Freizügigkeitsverordnung / EG, für Blinde keine Einschränkung ihrer Freizügigkeit ergeben. Das würde überdies gegen das Diskriminierungsverbot in Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG verstoßen, wonach niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden darf. Die Voraussetzungen eines Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthaltes müssen von den nach dem Aufenthaltsgesetz / EWG bzw. der Freizügigkeitsverordnung / EG erfaßten Personen erfüllt sein. Der Aufenthalt darf also nicht nur einem zeitlich befristeten Zweck dienen, wie das z. B. bei einer Ausbildung oder einem Studium, einem von vornherein befristeten Arbeitsauftrag oder einem besuchs weisen Aufenthalt in der Bundesrepublik der Fall ist. Hier ist nicht anders zu urteilen, wie hinsichtlich der Beibehaltung eines inländischen Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthaltes bei entsprechend befristetem Auslandsaufenthalt 235 . Das Blindengeld steht Ausländern eines Mitgliedstaates der Europäischen Union beim Vorliegen der übrigen Voraussetzungen, insbesondere auch bei entsprechender Stellung des Antrages, bereits mit der Einreise zur Begründung eines Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthaltes und nicht erst mit der Erteilung der formellen Aufenthaltserlaubnis-EG zu. b) Rechtsstellung heimatloser Ausländer Ein Spezialgesetz gegenüber dem Ausländergesetz ist auch das Gesetz über die Rechtsstellung heimatloser Ausländer im Bundesgebiet (HAuslG) vom 25. 04. 1951 (BGBl. I, S. 269), zuletzt geändert durch Gesetz vom 09. 07. 1990 (BGBl. I, S. 1354). Ausländer, auf die das HeimatlG zutrifft, haben nach § 12 dieses Gesetzes eine gesetzliche Aufenthaltsberechtigung. Sie genießen Freizügigkeit und können ihren Aufenthalt im Bundesgebiet frei wählen. Sie bedürfen keiner Aufenthaltsgenehmigung (§ 12 S. 1 und 2 HeimatlG). Sie werden durch das HeimatlG Deutschen praktisch gleichgestellt und genießen aufgrund ihres Schicksals besonderen Schutz. 235 Vgl. BSO, Urteil vom 28. 05.1997-14/10 RKg = SozR 3-0000 BSO, Urteil vom 26.07. 1979-8b RKg 12178 =SozR 5870, § 1 Nr. 4; BSO, Urteil vom 30. 09. 1996 =SozR 3 - 5870, § 2 Nr. 33; BSO, Urteil vom 25. 04. 1984 - 10 RKg 2/83 =SozR 5870, § 2 Nr. 32; BSO, Urteil vom 22. 03. 1988 - 8/5a RKn 11/87 =SozR 2200, § 205 Nr. 65.

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2. Teil: Rechtssystematische Einordnung und vergleichende Darstellung

Heimatloser Ausländer ist nach § 1 Abs. 1 HeimatlG ein fremder Staatsangehöriger oder Staatenloser, der a) nachweist, daß er der Obhut der internationalen Organisation untersteht, die von den Vereinten Nationen mit der Betreuung verschleppter Personen und Flüchtlinge beauftragt ist, und 236 b) nicht Deutscher nach Art. 116 GG ist sowie c) am 30. 06. 1950 seinen Aufenthalt im Geltungsbereich des Grundgesetzes oder in Berlin (West) hatte oder die Rechtsstellung eines heimatlosen Ausländers aufgrund der Bestimmungen des § 2 Abs. 3 erwirbt. Letzteres ist der Fall, wenn ein heimatloser Ausländer, der nach dem 01. 07. 1948 seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Geltungsbereich des Grundgesetzes oder in Berlin (West) hatte und ihn danach außerhalb dieses Gebietes verlegt hat, innerhalb von zwei Jahren seit dem Zeitpunkt seiner Ausreise rechtmäßig seinen Wohnsitz oder dauernden Aufenthalt in den Geltungsbereich des Grundgesetzes zurückverlegt. Wer seine Staatsangehörigkeit von einem heimatlosen Ausländer ableitet und zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes zur Neuregelung des Ausländerrechts, also am 01. 01. 1991, seinen gewöhnlichen Aufenthalt rechtmäßig im Geltungsbereich des HAuslG hatte, steht einem heimatlosen Ausländer gleich (§ 1 Abs. 2 HAuslG). Weil heimatlose Ausländer Deutschen gleichstehen, haben sie bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen Anspruch auf Blindengeld nach den Landesblindengeldbzw. LandespfIegegeldgesetzen oder auf Blindenhilfe nach § 67 BSHG. § 19 HAuslG bestimmt ausdrücklich, daß heimatlose Ausländer Leistungen der öffentlichen Fürsorge in gleicher Höhe wie deutsche Staatsangehörige erhalten. c) Rechtsstellung von Asylbewerbern Durch Spezialgesetze, die dem Ausländergesetz vorgehen, ist auch die rechtliche Position der Asylbewerber geregelt. Nach Art. 16a GG genießen politisch Verfolgte unter Beachtung der in Art. 16a Abs. 2 - 4 getroffenen Einschränkungen und näheren Regelungen Asylrecht in der Bundesrepublik Deutschland. Die Rechtsstellung während des Asylverfahrens, das der Feststellung der Asylberechtigung dient, ergibt sich aus dem Asylverfahrensgesetz (AsylVfG) vom 26. 06. 1992 (BGBL I, S. 1126), zuletzt geändert durch Art. 2 des Gesetzes vom 29. 10. 1997 (BGBL I, S. 2584) und dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) 236 Diese Organisation der Vereinten Nationen ist die International Refugee Organisation (IRO); zum Personenkreis der unter das HAuslG fallenden (Flüchtlinge und zur Zwangsarbeit verschleppte Personen - DP) vgl. Urteil des BSG vom 14. 05. 1991 - 5 RJ 29/90 = SozR 35050, § I Nr. 1.

Kap. 5: Der Aufenthalt als Leistungsvoraussetzung

281

vom 30. 06. 1993 (BGBI. I, S. 1074), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 25. 08. 1998 (BGBI. I, S. 2505). Nach § 1 Abs. 1 AsylVFG gilt dieses Gesetz für Ausländer, die Schutz als politisch Verfolgte nach Art. 16a Abs. 1 GG oder Schutz vor Abschiebung oder einer sonstigen Rückführung in einen Staat beantragen, in dem ihnen die in § 51 Abs. I des Ausländergesetzes bezeichneten Gefahren drohen. Nach dieser Bestimmung darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Nach § 55 Abs. 1 AsylVFG ist einem Ausländer, der um Asyl nachsucht, zur Durchführung des Asylverfahrens der Aufenthalt im Bundesgebiet gestattet. Der Ausländer hält sich deshalb rechtmäßig in der Bundesrepublik auf. Er hat allerdings keinen Anspruch darauf, sich in einem bestimmten Land oder an einem bestimmten Ort aufzuhalten (§ 55 Abs. 1 S. 2 AsyIVFG). Nach der Rechtsprechung des BSG wird mit dieser Gestattung nur dann ein gewöhnlicher Aufenthalt im Sinn von § 30 Abs. 3 S. 2 SGB I begründet, wenn der Bewerber als Asylberechtigter anerkannt wird237 . Ausdrückliche Bestimmungen hinsichtlich der Geltung des Landesgesetzes für Asylbewerber finden sich nur in dem Landespflegegeldgesetz für Brandenburg (§ 1 Abs. 2) und im Landesblindengeldgesetz für Rheinland-Pfalz (§ 1 Abs. 4). Danach haben "Asylbewerber und ihre Familienangehörigen, soweit sie nicht Deutsche im Sinne des Art. 116 Abs. I des Grundgesetzes sind ... , bis zum rechtskräftigen Abschluß des Asylverfahrens keinen Anspruch. Sie haben außerdem keinen Anspruch, wenn sie nach rechtskräftiger Ablehnung des Asylantrages ausgewiesen oder abgeschoben werden können". Nach den übrigen Landesgesetzen hatten Asylbewerber nach Anerkennung ihrer Asylberechtigung wegen ihrer besonderen grundrechtlich geschützten Stellung beim Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen schon ab AntragsteIlung und nicht erst ab Feststellung ihrer Asylberechtigung Anspruch auf das Blinden- bzw. Pflegege1d. Ein Anspruch auf Blindenhilfe nach § 67 BSHG bestand demgegenüber wegen des Ausschlusses dieser Leistungen in § 120 BSHG nicht. Diese Rechtslage hat sich aufgrund von § 9 AsylbLG in der Fassung vom 05. 08. 1997, gültig ab 01. 06. 1997, geändert. Leistungsberechtigte nach dem AsylbLG erhalten nach dieser Bestimmung keine Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz oder vergleichbaren Landesgesetzen (§ 9 Abs. 1). Die Landesblindengeld- bzw. Landespflegegeldgesetze sind, wie sich aus der Amtlichen Begründung des AsylbLG ergibt, vergleichbare Gesetze 238 .

Vgl. BSG, Urteil vom 14.09.1989-4 REg 7/88 =SozR 1200, § 30 Nr. 18. Vgl. BT-Drucksache 12/4451, S. 10, Begründung zu § 8 des Entwurfes, jetzt § 9 des AsylbLG. 237 238

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2. Teil: Rechtssystematische Einordnung und vergleichende Darstellung

Leistungsberechtigt nach dem AsylbLG sind Ausländer, die sich tatsächlich im Bundesgebiet aufhalten und die 1. eine Aufenthaltsgestattung nach dem Asylverfahrensgesetz besitzen (Asylbe-

werber),

2. über einen Flughafen einreisen wollen und denen die Einreise nicht oder noch nicht gestattet ist, 3. wegen des Krieges in ihrem Heimatland eine Aufenthaltsbefugnis nach §§ 32 oder 32a des Ausländergesetzes besitzen (Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlinge), 4. eine Duldung nach § 55 des Ausländergesetzes besitzen (solche Duldungsgründe sind z. B. drohende Folter, Todesstrafe, menschenunwürdige Behandlung - § 53 Abs. 1, 3 und 4 in Verbindung mit § 55 Abs. 2 AuslG -, drohende Gefahr für Leib und Leben - § 53 Abs. 6 AuslG -, Abschiebestop - § 54 AuslG - oder sonstige Abschiebehindernisse wie Krankheit - § 55 Abs. 2 AusIG), 5. vollziehbar ausreisepflichtig sind (§ 42 ff. AusIG), auch wenn eine Abschiebungsandrohung noch nicht oder nicht mehr vollziehbar ist, oder 6. Ehegatten oder minderjährige Kinder der in den Nr. 1- 5 genannten Personen sind, ohne daß sie selbst die dort genannten Voraussetzungen erfüllen (§ I Abs. 1 AsylbLG). § 9 AsylbLG stellt einen Eingriff in die Landesblindengeldgesetze bzw. Landespflegegeldgesetze dar; denn selbst wenn deren Voraussetzungen für die Leistungsgewährung gegeben wären, ist diese aufgrund von § 9 AsylbLG ausgeschlossen. Sowohl beim Asylbewerberleistungsgesetz als auch bei den Blindengeld- bzw. Pflegegeldgesetzen handelt es sich um Gegenstände der konkurrierenden Gesetzgebung. Nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 6 GG hat der Bund die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz für Angelegenheiten der Flüchtlinge und Vertriebenen. Unter Flüchtlinge und Vertriebene fallen nicht nur Personen, deren Schicksal einen Bezug zum Deutschen Reich und den Ereignissen des Zweiten Weltkrieges aufweisen, sondern auch Flüchtlinge aufgrund anderer Ereignisse 239 .

Die Blindengeldgesetze sind Gegenstand der konkurrierenden Gesetzgebung nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG. Der Begriff der öffentlichen Fürsorge ist weit auszulegen. Er umfaßt alle öffentlichen Hilfeleistungen, die der Befriedigung sonst nicht zu deckender notwendiger Lebensbedürfnisse einzelner Personen oder von Personengruppen auf wirtschaftlichem, körperlichem, geistigem oder sittlichem Gebiet zu dienen bestimmt sind, soweit die Hilfeleistungen nicht anderen Sachgebieten zugeordnet wurden24o • Der Bundesgesetzgeber hat die konkurrierende Gesetzgebungsbefugnis nach Art. 72 GG, wenn die Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit, insbesondere v. Münch: Kommentar zum Bonner Grundgesetz, RdNr. 23 zu Art. 74. Vgl. Seifert-Hömig: Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, RdNr. 7 zu Art. 74. 239 240

Kap. 5: Der Aufenthalt als Leistungsvoraussetzung

283

die Wahrung der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse, über das Gebiet eines Landes hinaus ein Bundesgesetz erfordern. Das Bedürfnis nach bundeseinheitlicher Regelung ist zu bejahen, wenn das Bedürfnis nach einer bundeseinheitlichen Regelung gegeben ist241 • Dabei wird dem Gesetzgeber zugestanden, auf das ihm erwünscht erscheinende Maß an Einheitlichkeit im Sozialleben hinzustreben 242 . Es handelt sich um eine Ermessensentscheidung des Bundesgesetzgebers. Für die gleichen Lebensverhältnisse von Asylbewerbern im gesamten Bundesgebiet zu sorgen, ist ein anerkennenswertes Anliegen. Bundesrecht bricht Landesrecht (Art. 31 GG). Das Landesrecht wird hier in zulässiger Weise eingeengt. Die Leistungsberechtigung nach dem Asylbewerberleistungsgesetz endet u. a. mit der Anerkennung der Asylberechtigung (§ 1 Abs. 3 Nr. 2 AsylbLG). Nach Abschluß des Asylverfahrens beurteilt sich die Möglichkeit, einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland bzw. einem Bundesland zu begründen, womit ggf. der Anspruch auf Blinden- oder Pflegegeld aufgrund eines Landesgesetzes bzw. auf Blindenhilfe gemäß § 67 BSHG verbunden ist, nach dem Ausländergesetz (siehe unten). d) Rechtsstellung bei humanitären Hilfsaktionen Ein weiteres Spezialgesetz gegenüber dem Ausländergesetz ist das Gesetz über Maßnahmen für im Rahmen humanitärer Hilfsaktionen aufgenommene Flüchtlinge (Humanitätshilfegesetz) vom 22. 07. 1980 (BGBl. I, S. 1057), zuletzt geändert durch Art. 3 des Gesetzes vom 29. 10. 1997 (BGBl. I, S. 2584). Nach § 1 Abs. 1 des Humanitätshilfegesetzes genießt, wer als Ausländer im Rahmen humanitärer Hilfsaktionen der Bundesrepublik Deutschland aufgrund der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis vor der Einreise in der Form des Sichtvermerkes oder aufgrund einer Übernahmeerklärung nach § 33 Abs. 1 des Ausländergesetzes im Geltungsbereich dieses Gesetzes aufgenommen worden ist, die Rechtsstellung nach den Art. 2-34 des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. 07. 1951 (BGBl. 1953, 11, S. 559). Nach Abs. 2 genießt die gleiche Rechtsstellung auch ein Ausländer, der ohne Aufenthaltserlaubnis oder Übernahmeerklärung vor Vollendung des 16. Lebensjahres und vor dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Neuregelung des Ausländerrechts (01. 01. 1991) im Rahmen humanitärer Hilfsaktionen der Bundesrepublik Deutschland aufgenommen worden ist. Diesen Personen wird eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis erteilt. Sie können damit den Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik gründen. Bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen steht ihnen deshalb ein Anspruch auf 241 242

BVerfGE, Bd. 18, S. 415, Bd. 26, S. 383. Seifert-Hömig, RdNr. 3 zu Art. 72 GG; BVerfG, Bd. 13, S. 233.

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2. Teil: Rechtssystematische Einordnung und vergleichende Darstellung

Blinden- oder Pflegegeld nach den Landesblindengeld- bzw. Landespflegegeldgesetzen zu. e) Rechtsstellung von Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlingen Von den unter das Humanitätshilfegesetz fallenden "Kontingentflüchtlingen" sind die Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlinge zu unterscheiden. Ihre Rechtsstellung ergibt sich aus dem Ausländergesetz. Dazu siehe unten. f) Rechtsstellung von Diplomaten und anderen Personen

mit besonderem internationalen Status

aa) Diplomaten Das Territorialitätsprinzip ist der Anknüpfungspunkt dafür, daß das Ausländergesetz für bestimmte Personengruppen aufgrund ihres besonderen Status nicht gilt und daß für diese Personengruppen aufgrund spezieller Vereinbarungen kein Anspruch auf Sozialleistungen besteht. Das Territorialitätsprinzip kann als juristischer Begriff elastisch angewandt werden. Nach § 2 Abs. 1 AuslG findet dieses keine Anwendung auf Ausländer, die nach Maßgabe der § § 18 - 20 des Gerichtsverfassungsgesetzes nicht der deutschen Gerichtsbarkeit unterstehen, soweit sie nach Maßgabe völkerrechtlicher Verträge für den diplomatischen und konsularischen Verkehr und für die Tätigkeit internationaler Organisationen und Einrichtungen von Einwanderungsbeschränkungen, von der Ausländerrneldepflicht und dem Erfordernis der Aufenthaltsgenehmigung befreit sind. Nach § 18 GVG sind die Mitglieder der in der Bundesrepublik Deutschland errichteten diplomatischen Missionen, ihre Familienmitglieder und ihre privaten Hausangestellten nach Maßgabe des Wiener Übereinkommens über diplomatische Beziehungen vom 18. 04. 1961 (BGBl. 1964, II, S. 957) von der deutschen Gerichtsbarkeit befreit. Eine entsprechende Befreiung enthält § 19 Abs. I GVG für die Mitglieder der in der Bundesrepublik Deutschland errichteten konsularischen Vertretungen, einschließlich der Wahlkonsularbeamten, nach Maßgabe des Wiener Übereinkommens über konsularische Beziehungen vom 24. 04. 1963 (BGBl. 1969, II, S. 1585). Nach den Art. 33 Abs. 1 und 37 Abs. 1 und 2 des Wiener Übereinkommens über diplomatische Beziehungen bzw. Art. 48 des Wiener Übereinkommens über konsularische Beziehungen ist dieser Personenkreis grundsätzlich von der Anwendung der deutschen Rechtsvorschriften über soziale Sicherheit ausgeschlossen. Es besteht kein Anspruch auf Blinden- oder Pflegegeld nach einem Landesblindengeld- oder Landespflegegeldgesetz bzw. auf Blindenhilfe nach § 67 BSHG.

Kap. 5: Der Aufenthalt als Leistungsvoraussetzung

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Unter die Bestimmungen der genannten Übereinkommen fallen: a) Diplomaten (Missionschef und in diplomatischem Rang stehende Mitglieder des Personals der Mission, wie Gesandte, Räte, Sekretäre, Attache) und Berufskonsularbeamte (Leiter der konsularischen Vertretung, Konsul, Vizekonsul, Konsularagenten), b) Mitglieder des Verwaltungs- und technischen Personals der Missionen und Vertretungen, c) Mitglieder des dienstlichen Hauspersonals der Missionen und Vertretungen, soweit sie weder die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen noch in der Bundesrepublik Deutschland ständig ansässig sind, d) ausschließlich bei einem Diplomaten oder Konsularbeamten beschäftigte private Hausangestellte, die weder die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen noch in der Bundesrepublik ständig ansässig sind, sofern sie den Rechtsvorschriften des Entsendestaates oder eines dritten Staates über soziale Sicherheit unterstehen, e) die zum Haushalt eines Diplomaten oder Konsularbeamten gehörenden Familienmitglieder (Ehegatten, Kinder, Eltern), sofern sie nicht die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen und f) die zum Haushalt eines Mitglieds des Verwaltungs- oder des technischen Perso-

nals gehörenden Familienmitglieder, wenn sie weder die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen noch in der Bundesrepublik Deutschland ständig ansässig sind.

bb) Angehörige der NATO-Streitkräfte

Die gleiche Situation wie für Diplomaten ergibt sich für Angehörige einer in der Bundesrepublik Deutschland stationierten Truppe der NATO-Streitkräfte, für die Mitglieder des zivilen Gefolges dieser Truppen sowie für die Familienangehörigen dieses Personenkreises. Sie sind nach dem NATO-Truppenstatut als Exterritoriale zu bezeichnen. Auf die unter das NATO-Truppenstatut fallenden Personen finden gemäß Art. 13 des Zusatzabkommens zum NATO-Truppenstatut die Bestimmungen über soziale Sicherung keine Anwendung. Sie haben keinen Anspruch auf ein Blinden- oder Pflegegeld nach einem Landesgesetz bzw. auf Blindenhilfe nach § 67 BSHG. Unter "zivilem Gefolge" ist nach Art. 1 Abs. 1 Buchstabe b) des NATO-Truppenstatuts das die Truppe einer Vertragspartei begleitende Zivilpersonal zu verstehen. Zum zivilen Gefolge gehören allerdings nicht Staatsangehörige des Staates, in welchem die Truppe stationiert ist bzw. die zivilen Bediensteten, die dort ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben und von den NATO-Streitkräften lediglich im Rahmen ihres örtlichen Arbeitskräftebedarfs beschäftigt werden (Art. 9 Abs. 4 NATO-Truppenstatut).

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2. Teil: Rechtssystematische Einordnung und vergleichende Darstellung

Art. 13 Abs. 1 des Zusatzabkommens zum NATO-Truppenstatut ist auf den Ehegatten des Mitglieds einer Truppe oder eines zivilen Gefolges eines NATO-Mitgliedsstaates dann nicht anwendbar, wenn dieser Deutscher im Sinn von Art. 116 GG ist oder die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedsstaates der Europäischen Gemeinschaft besitzt, soferne er nicht als dessen Ehegatte in die Bundesrepublik Deutschland eingereist ist. In diesen Fällen besteht deshalb bei Vorliegen der übrigen Tatbestandsvoraussetzungen Anspruch auf ein Landesblindengeld oder Landespflegegeld bzw. auf Blindenhilfe nach § 67 BSHG. 3. Aufenthaltsrecht sonstiger Ausländer

Soweit sich das Aufenthaltsrecht nicht nach den bisher behandelten Spezialgesetzen oder Sonderregelungen richtet, ist das Gesetz über die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern im Bundesgebiet (Ausländergesetz == AuslG) vom 09.07. 1990 (BGBL I, S. 1354, 1356), zuletzt geändert durch Art. 2 Gesetz vom 15.07. 1999 (BGBL I, S. 1618) einschlägig. Es handelt sich vor allem um Staatsangehörige von Ländern, die der Europäischen Union nicht angehören. Nach dem Ausländergesetz ist für den Aufenthalt zu unterscheiden zwischen Ausländern mit einer Aufenthaltsgenehmigung und Ausländern, die sich ohne Aufenthaltsgenehmigung in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten. Die Aufenthaltsgenehmigung, die zur Einreise und zum Aufenthalt im Bundesgebiet grundsätzlich erforderlich ist (§ 3 Abs. 1 S. 1 AusIG), wird nach § 5 AuslG in vier Formen erteilt243 , nämlich als 1. Aufenthaltserlaubnis (§§ 15 und 17 AusIG), 2. Aufenhaltsberechtigung (§ 27 AusIG), 3. Aufenthaltsbewilligung (§§ 28 und 29 AuslG) und 4. Aufenthaltsbefugnis (§ 30 AusIG). Ohne Aufenthaltsgenehmigung ist ein rechtmäßiger Aufenthalt möglich aufgrund: 5. einer Aufenthaltsgestattung, wie sie Asylbewerber für die Durchführung des Asylverfahrens nach § 55 AsylverfG beanspruchen können und 6. der Duldung aus den in § 55 AuslG festgelegten Gründen. Die grundlegenden Kriterien zur Unterscheidung der Aufenthaltstitel sind der Grund und Zweck des Aufenthaltes sowie der Grad der Aufenthaltsverfestigung 244 • 243

244

Vgl. tabellarische Darstellung bei Bamberger, S. 9 und Kissrow, S. 5. Kissrow: Ausländerrecht, S. 6.

Kap. 5: Der Aufenthalt als Leistungsvoraussetzung

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Ohne ausländerrechtliehe Genehmigung gilt der Aufenthalt auch in den Fällen des § 69 AuslG für die Zeit, in welcher über den Antrag einer Aufenthaltsgenehmigung bzw. über die Verlängerung einer Aufenthaltsgenehmigung entschieden wird, als rechtmäßig. Aufenthaltserlaubnis und Aufenthaltsberechtigung

Die Aufenthaltserlaubnis wird ohne Bindung an einen bestimmten Zweck erteilt

(§ 15 AuslG). Die Einzelheiten sind in den §§ 15 - 26 AuslG geregelt. Dieser Auf-

enthaltstitel spielte in der Vergangenheit für angeworbene Arbeitskräfte eine größere Rolle, er ist für den Familiennachzug ausländischer Familienangehöriger zur Herstellung und Wahrung der familiären Lebensgemeinschaft (§ 17 Abs. 1 AuslG) von großer Bedeutung. Dieses Recht auf Familiennachzug wird mit Rücksicht des Schutzes von Ehe und Familie in Art. 6 GG gewährt. Die Aufenthaltserlaubnis zum Nachzug setzt voraus, daß der im Bundesgebiet lebende Ausländer seinerseits eine Aufenthaltserlaubnis oder Aufenthaltsberechtigung besitzt und ausreichender Wohnraum zur Verfügung steht. Außerdem muß der Lebensunterhalt des Familienangehörigen aus eigener Erwerbstätigkeit des Ausländers, aus eigenem Vermögen oder sonstigen eigenen Mitteln gesichert sein (§ 17 Abs. 2 AuslG). Für den Nachzug von Ehegatten sind die weiteren Bestimmungen in § 18 AuslG zu beachten. § 19 AuslG räumt dem Ehegatten bei Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft ein eigenständiges Aufenthaltsrecht unter den dort genannten Voraussetzungen ein. Kindern ist eine Aufenthaltserlaubnis zum Nachzug nach Maßgabe von § 20 AuslG zu erteilen. Einzelheiten für das Aufenthaltsrecht von Kindern sind in § 21 AuslG geregelt. Sonstigen Familienangehörigen eines Ausländers kann nach Maßgabe des § 17 eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn es zur Vermeidung einer außergewöhnlichen Härte erforderlich ist (§ 22 AusIG).

Einen Anspruch auf Aufenthaltserlaubnis haben auch ausländische Familienangehörige eines Deutschen, wenn dieser seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hat (§ 23 Abs. 1 AusIG). Für den Fall eines früheren Aufenthaltes in der Bundesrepublik Deutschland gewährt § 16 AuslG unter bestimmten Voraussetzungen einen Anspruch auf Aufenthaltserlaubnis zur Wiederkehr. Nach § 16 Abs. 1 ist einem Ausländer, der als Minderjähriger rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hatte, eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen und die Wiederkehr zu gestatten, wenn er sich vor seiner Ausreise acht Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten und sechs Jahre im Bundesgebiet eine Schule besucht hat, sofern sein Lebensunterhalt aus eigener Erwerbstätigkeit oder durch eine Unterhaltsverpflichtung gesichert ist, die ein Dritter für die Dauer von fünf Jahren übernommen hat. Der Antrag auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis muß nach Vollendung des 15.und vor Vollendung des 21. Lebensjahres sowie vor Ablauf von fünf Jahren seit der Ausreise gestellt werden.

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2. Teil: Rechtssystematische Einordnung und vergleichende Darstellung

Nach § 16 Abs. 5 AuslG wird einem Ausländer, der von einem Träger im Bundesgebiet Rente bezieht, in der Regel eine Aufenthaltserlaubnis erteilt, wenn er sich vor seiner Ausreise mindestens acht Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat. Die Aufenthaltserlaubnis wird in der Regel befristet erteilt. Nach § 24 Abs. AuslG ist sie unbefristet zu verlängern, wenn der Ausländer 1. die Aufenhaltserlaubnis seit fünf Jahren besitzt,

2. eine Arbeitsberechtigung besitzt, sofern er Arbeitnehmer ist, 3. im Besitz der sonstigen für eine dauernde Ausübung seiner Erwerbstätigkeit erforderlichen Erlaubnisse ist, 4. sich auf einfache Art in deutscher Sprache mündlich verständigen kann, 5. über ausreichenden Wohnraum für sich und seine mit ihm in häuslicher Gemeinschaft lebenden Familienangehörigen verfügt und wenn 6. kein Ausweisungsgrund vorliegt. Nach § 24 Abs. 2 wird die Aufenthaltserlaubnis für Ausländer, die nicht erwerbstätig sind, nur unbefristet verlängert, wenn der Lebensunterhalt des Ausländers 1. aus eigenem Vermögen oder aus sonstigen eigenen Mitteln oder 2. durch einen Anspruch auf Arbeitslosengeld oder noch für sechs Monate durch einen Anspruch auf Arbeitslosenhilfe gesichert ist. Die Sozialhilfebedürftigkeit soll vermieden werden. Besondere Privilegierungen für eine unbefristete Aufenthaltsverlängerung für den Ehegatten enthält § 25 AuslG und für nachgezogene Kinder § 26 AusiG. Mit der unbefristeten Verlängerung verfestigt sich das mit der Aufenthaltserlaubnis verbundene Aufenthaltsrecht. Eine weitere Verfestigung des Aufenthaltsrechtes tritt durch die Aufenthaltsberechtigung ein. Einem Ausländer ist die Aufenthaltsberechtigung zu erteilen, wenn 1. er seit a) acht Jahren die Aufenthaltserlaubnis besitzt, oder b) drei Jahren die unbefristete Aufenthaltserlaubnis besitzt und zuvor im Besitz einer Aufenthaltsbefugnis war, 2. sein Lebensunterhalt aus eigener Erwerbstätigkeit, eigenem Vermögen oder sonstigen eigenen Mitteln gesichert ist, 3. er mindestens 60 Monate Pflichtbeiträge oder freiwillige Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung geleistet hat oder Aufwendungen für einen Anspruch auf vergleichbare Leistungen gegenüber einer Versicherung oder einer Versorgungseinrichtung nachweist,

Kap. 5: Der Aufenthalt als Leistungsvoraussetzung

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4. er in den letzten drei Jahren nicht wegen einer vorsätzlichen Straftat zu einer Jugend- oder Freiheitsstrafe von sechs Monaten oder einer Geldstrafe von 180 Tagessätzen oder einer höheren Strafe verurteilt worden ist und 5. die in § 24 Abs. 1 Nr. 2-6 bezeichneten Voraussetzungen vorliegen (§ 27 Abs. 2 AuslG). Privilegierungen für bestimmte Personen und spezielle Situationen sind in § 27 Abs. 3 - 4a enthalten. Die Aufenthaltsberechtigung ist zeitlich und räumlich unbeschränkt. Sie kann nicht mit Bedingungen und Auflagen verbunden werden (§ 27 Abs. 1 AuslG). Die Schranken, die § 37 für die grundsätzlich zulässige politische Betätigung von Ausländern zieht, sind allerdings zu beachten. Sowohl beim Vorhandensein der Aufenthaltserlaubnis (§§ 15-26 AuslG) als auch der Aufenthaltsberechtigung (§ 27 AuslG) kann in der Regel angenommen werden, daß sich der Ausländer nicht nur vorübergehend in der Bundesrepublik Deutschland aufhält, so daß er einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt begründen kann. Wenn ein Wohnsitz oder gewöhnlicher Aufenthalt gegeben ist, besteht beim Vorliegen der übrigen Voraussetzungen ein Anspruch auf Blindenge1d bzw. Pflegegeld nach dem entsprechenden Landesgesetz. Dem steht auch nicht entgegen, daß der Ausländer für die Bestreitung seines Lebensunterhaltes nicht auf Sozialhilfe angewiesen sein darf, weil die Blindengeldleistungen nicht für die Bestreitung des Lebensunterhaltes bestimmt sind245 . Aufenthaltsbefugnis

Die Aufenthaltsbefugnis (§ 30 AuslG) ist für Ausländer vorgesehen, denen aus völkerrechtlichen, humanitären oder im politischen Interesse der Bundesrepublik Deutschland liegenden Gründen der Aufenthalt genehmigt werden soll, aber eine Aufenthaltserlaubnis aus rechtlichen Gründen nicht erteilt werden kann oder der Erteilung ein Regelversagungsgrund nach § 7 Abs. 2 AuslG (Vorhandensein eines Ausweisungsgrundes, Bestreitung des Lebensunterhaltes - einschließlich ausreichender Krankenversicherung - nicht aus eigener Erwerbstätigkeit, eigenem Vermögen oder sonstiger eigener Mittel bzw. aus Unterhaltsleistungen von Familienangehörigen oder Dritten, entgegenstehende Interessen der Bundesrepublik Deutschland) entgegensteht (§ 30 Abs. 1 AuslG). Diese Voraussetzungen können z. B. bei abgelehnten Asylbewerbern gegeben sein, die aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht abgeschoben werden sollen oder können. § 30 Abs. 2 AuslG ermöglicht die Erteilung der Aufenthaltsbefugnis an Ausländer, die sich bereits rechtmäßig in Deutschland aufhalten, wenn dringende humanitäre Gründe einen weiteren Aufenthalt geboten erscheinen lassen und die Erteilung oder Verlängerung einer anderen Aufenthaltsgenehmigung ausgeschlossen ist oder 245

BVerwG, Urteil vom 14.05.1969 - V C 167.67 = FEVS, Bd. 16, S. 321.

19 Demme1

290

2. Teil: Rechtssystematische Einordnung und vergleichende Darstellung

wenn aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls das Verlassen des Bundesgebietes für den Ausländer eine außergewöhnliche Härte bedeuten würde. § 30 Abs. 3 und Abs. 4 AuslG eröffnen die Möglichkeit der Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis an unanfechtbar ausreisepflichtige Ausländer, also auch unanfechtbar abgelehnte Asylbewerber (vgl. § 30 Abs. 5 AuslG),

- abweichend von § 8 Abs. 1 AuslG, wenn die Abschiebung aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist (§ 55 Abs. 2 AuslG) und dies der freiwilligen Ausreise entgegensteht und vom Ausländer nicht zu vertreten ist oder - abweichend von § 8 Abs. 1 und 2 AuslG, wenn der Ausländer seit mindestens zwei Jahren unanfechtbar ausreisepflichtig ist und eine Duldung besitzt, es sei denn, der Ausländer weigert sich, zumutbare Anforderungen zur Beseitigung des Abschiebungshindernisses zu erfüllen. Die Voraussetzungen von § 55 Abs. 2 AuslG sind gegeben, solange eine Abschiebung aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist oder nach § 53 Abs. 6 oder § 54 ausgesetzt werden soll. Nach § 53 Abs. 6 AuslG kann von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Nach § 54 AuslG kann die oberste Landesbehörde aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, daß die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen allgemein oder in bestimmte Staaten für die Dauer von längstens sechs Monaten ausgesetzt wird. Zur Wahrung der Bundeseinheitlichkeit bedarf die Anordnung des Einvernehmens mit dem Bundesministerium des Innern, wenn die Abschiebung länger als sechs Monate ausgesetzt werden soll. § 32 AuslG gibt den obersten Landesbehörden im Einvernehmen mit dem Bundesministerium des Innern die Möglichkeit, im Erlaßwege Vorgaben für die Erteilung der Aufenthaltsbefugnis für bestimmte Ausländergruppen zu machen. Eine Einzelfallprüfung entfällt dann.

Ein Recht auf Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis ergibt sich aus § 70 Abs. 1 AsylverfG. Diesen Anspruch haben Ausländer, für die vom Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge oder einem Verwaltungsgericht unanfechtbar das Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG, also ein Abschiebungsverbot, festgestellt worden ist. Die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG liegen vor bei Asylbewerbern und sonstigen Ausländern, die im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebietes als ausländische Flüchtlinge im Sinn des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Konvention vom 28. 07. 1951) anerkannt sind. Nach § 51 Abs. 1 AuslG darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist.

Kap. 5: Der Aufenthalt als Leistungsvoraussetzung

291

Um den steigenden Problemen, die durch Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlinge auftreten, gerecht werden zu können, sieht der mit Wirkung vom 01. 07. 1993 in das Ausländergesetz eingefügte § 32a AuslG zugunsten dieses Personenkreises die Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis durch Anordnung der obersten Landesbehörde vor, wenn sich Bund und Länder einvernehmlich zur vorübergehenden Aufnahme der jeweiligen Ausländergruppe verständigt haben. Durch diese Regelung sollen aussichtslose Asylverfahren vermieden werden 246 Dem Ehegatten und einem minderjährigen ledigen Kind eines Ausländers, der eine Aufenthaltsbefugnis besitzt, darf nach Maßgabe des § 30 Abs. 1-4 und abweichend von § 30 Abs. 5 eine Aufenthaltsbefugnis zur Herstellung und Wahrung der familiären Lebensgemeinschaft mit dem Ausländer im Bundesgebiet erteilt werden (§ 31 Abs. 1 AuslG). Einem Kind, das im Bundesgebiet geboren wird, ist von Amts wegen eine Aufenthaltsbefugnis zu erteilen, wenn die Mutter eine Aufenthaltsbefugnis besitzt. Für die Aufenthaltsbefugnis der Familienangehörigen von Kriegs- oder Bürgerkriegsflüchtlingen im Sinne von § 32a AuslG gilt nicht § 31, sondern die Sonderregelung des § 32a Abs. 3 AusiG. Danach darf ihnen eine Aufenthaltsbefugnis nur nach Maßgabe von § 32a Abs. 1 und 2 AuslG erteilt werden. Dafür, ob beim Vorliegen einer Aufenthaltsbefugnis ein gewöhnlicher Aufenthalt bestehen kann, ist die Dauer des Aufenthalts maßgebend. Nach § 34 Abs. 1 AuslG kann die Aufenthaltsbefugnis für jeweils längstens zwei Jahre erteilt und verlängert werden. Die Aufenthaltsbefugnis darf nicht verlängert werden, wenn das Abschiebungshindernis oder die sonstigen einer Aufenthaltsbeendigung entgegenstehenden Gründe entfallen sind (§ 34 Abs. 2 AuslG). Einem Ausländer, der seit acht Jahren eine Aufenthaltsbefugnis besitzt, kann gemäß § 35 Abs. 1 AuslG eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn die Voraussetzungen nach § 24 Abs. 1 Nr. 2 - 6 AuslG vorliegen und sein Lebensunterhalt aus eigener Erwerbstätigkeit oder eigenem Vermögen gesichert ist. Dafür, ob beim Vorliegen einer Aufenthaltsbefugnis ein gewöhnlicher Aufenthalt bestehen kann, ist eine vorausschauende Prognoseentscheidung erforderlich. Ist danach von einem gewöhnlichen Aufenthalt auszugehen, besteht der Anspruch auf Blindengeld bzw. Pflegegeld nach dem Landesgesetz, das für den Aufenthaltsort zuständig ist. Keinen Anspruch haben allerdings Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlinge, die wegen des Krieges in ihrem Heimatland eine Aufenthaltsbefugnis nach § 32 oder § 32a des AuslG besitzen; denn sie sind gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 3 AsylbLG nach diesem Spezialgesetz leistungsberechtigt. Das gilt auch für die Ehegatten oder minderjährigen Kinder (§ 1 Abs. 1 Nr. 6 AsylbLG). Der Ausschluß des Anspruches auf Blindengeld oder Pflegegeld nach einem Landesblinden- bzw. Landespflegegeldgesetz ergibt sich in diesem Fall aus § 9 Abs. 1 AsylbLG. 246

19*

Bamberger, S. 76.

292

2. Teil: Rechtssystematische Einordnung und vergleichende Darstellung

Aufenthaltsbewilligung

Die Aufenthaltsbewilligung nach § 28 AuslG ist ein zweckgebundener und befristeter Aufenthaltstitel. Die Erlangung eines späteren Daueraufenthaltes ist ausgeschlossen. Sie ist für Ausländer vorgesehen, denen der Aufenthalt nur für einen bestimmten, seiner Natur nach zeitlich begrenzten Zweck genehmigt werden soll. Beispiele sind eine Ausbildung, ein Studium, eine von vornherein nach ihrer Natur zeitlich begrenzte Berufstätigkeit oder eine Besuchsreise247 • Nach § 29 AuslG wird die Aufenthaltsbewilligung auch dem Ehegatten und den minderjährigen ledigen Kindern dieser Ausländer erteilt, und zwar zur Herstellung und Wahrung der familiären Lebensgemeinschaft. Dieses Aufenthaltsrecht der Familienangehörigen ist streng akzessorisch. Es ist in seinem Bestand davon abhängig, daß der Aufenthaltszweck (familiäre Lebensgemeinschaft) fortbesteht und der Ausländer, zu dem der Nachzug erlaubt wurde, im Besitz einer Aufenthaltsbewilligung ise48 . Die Aufenthaltsbewilligung wird für längstens zwei Jahre, allerdings mit Verlängerungs möglichkeit, erteilt (§ 28 Abs. 2 AusIG). Wegen der Zweckbindung und des befristeten Aufenthaltes führt der Aufenthalt aufgrund einer Aufenthaltsbewilligung zu keinem Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland249 , Ein Anspruch auf Blindengeld oder Pflegegeld nach einem Landesblindengeldgesetz oder Landespflegegeldgesetz besteht nicht. Aufenthaltsgestattung und Aufenthaltsduldung

Die Aufenthaltsgestattung und die Aufenthaltsduldung sind keine Aufenthaltstitel, also keine Unterfälle der Aufenthaltsgenehmigung. Gemäß § 55 Abs. 1 AsylverfG erhalten Asylbewerber für die Durchführung des Asylverfahrens eine Aufenthaltsgestattung. Ihnen kann gemäß § 11 AuslG vor bestandskräftigem Abschluß des Asylverfahrens, außer im Falle eines gesetzlichen Anspruchs, grundsätzlich keine Aufenthaltsgenehmigung erteilt werden. Die Begründung eines gewöhnlichen Aufenthaltes im Sinn von § 30 SGB I scheidet aus. Schon aus diesem Grund besteht kein Anspruch auf Blindengeld oder Pflegege1d nach einem der Landesblindengeld- bzw. -pflegegeldgesetze. 247 Einzelheiten für die Aufenthaltsbewilligung zur Aus- oder Weiterbildung enthält § 2, für Werkvertragsarbeitnehmer § 3 der Verordnung über Aufenthaltsgenehmigungen zur Ausübung einer unselbständigen Erwerbstätigkeit (Arbeitsaufenthaltsverordnung - AAV) vom 18. 12. 1990 (BGBI. I, S. 2994), zuletzt geändert durch Art. 35 Gesetz vom 24. 03. 1997 (BGBI. I, S. 594). 248 Kissrow, S. 7. 249 Urteil des BSG vom 09.05. 1995 - 8 RKn 2/94 - RegNr. 21996: Nach dieser Entscheidung kann ein Aufenthalt eines Ausländers nur dann von Dauer sein, wenn und solange er nicht auf Beendigung angelegt, sondern vielmehr zukunftsoffen ist; vgl. auch BSG, Urteil vom 30.09.1993-4 RA 49/92 = SozR 3-1200, § 30 Nr. 9.

Kap. 5: Der Aufenthalt als Leistungsvoraussetzung

293

Der Anspruch scheitert aber auch an § 9 AsylbLG, denn Asylbewerber erhalten ausschließlich Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (§ 1 Abs. I Nr. I AsylbLG). (Vergleiche dazu auch oben.) Die Duldung (§ 55 AuslG) ist lediglich die zeitweise Aussetzung der Abschiebung eines zur Ausreise verpflichteten Ausländers. Es handelt sich um keinen rechtmäßigen Aufenthalt. Die Duldung wird befristet erteilt. Die Duldung kann, wenn die maßgeblichen Gründe fortdauern, erneuert werden (§ 56 Abs. 2 AuslG)250. Auch die Duldung ermöglicht keine Begründung eines Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthaltes im Sinn von § 30 SGB I. Aus diesem Grund besteht kein Anspruch auf Blindengeld oder Pflegegeld nach einem der Landesblindengeld gesetze bzw. -pflegegeldgesetze. Außerdem entfällt ein Anspruch auf Blindengeld oder Blindenpflegegeld nach einem Landesblindengeld bzw. Landespflegegeldgesetz und auf Blindenhilfe gemäß § 67 BSHG auch deshalb, weil Personen, die eine Duldung nach § 55 AuslG besitzen, Leistungsberechtigt nach dem AsylbLG § lAbs. 1 Nr. 4 sind. Damit ist § 9 AsylbLG, der Blindengeld, Pflegegeld oder Blindenhilfe ausschließt, anwendbar. Dasselbe gilt nach § lAbs. 1 Nr. 6 des AsylbLG für Ehegatten oder minderjährige Kinder der betroffenen Ausländer.

Leistungen für Ausländer aufgrund des § 120 BSHG bzw. aufgrund von Fürsorgeabkommen Soweit nicht schon bisher festgestellt worden ist, daß Ausländer, die sich in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten, keinen Anspruch auf Blindenhilfe nach § 67 BSHG haben, ergibt sich das aus § 120 Abs. 1 S. 1 BSHG. Danach ist Ausländern, die sich in der Bundesrepublik Deutschland tatsächlich aufhalten, Hilfe zum Lebensunterhalt, Krankenhilfe, Hilfe für werdende Mütter und Wöchnerinnen und Hilfe zur Pflege nach dem Bundessozialhilfegesetz zu gewähren. Blindenhilfe nach § 67 BSHG fällt nicht unter diesen abschließenden Katalog. Nach § 120 Abs. 1 S. 2 kann im übrigen Sozialhilfe gewährt werden, soweit dies im Einzelfall gerechtfertigt ist. Wenn im Einzelfall wegen des laufenden blindheitsbedingten Mehraufwandes eine pauschale Hilfe gerechtfertigt ist, kann der Sozialhilfeträger allerdings eine diesem Einzelfall angepaßte (gegebenenfalls niedrigere) Blindenhilfe gewähren251 • Weiter ist der Rechtsvorbehalt in § 120 Abs. I S. 3 BSHG zu beachten. Danach haben in Deutschland lebende Ausländer Anspruch auf Sozialleistungen, soweit in anderen Rechtsvorschriften sonstige Sozialhilfeleistungen zu gewähren sind oder 250 251

Vgl. Urteil des BSG vom 10.07.1997 -14/10 RKg 1/95 = SGB 1997, S. 521. Brühl in: Praxiskommemar, RdNr. 20 zu § 67 BSHG.

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2. Teil: Rechtssystematische Einordnung und vergleichende Darstellung

gewährt werden sollen. Solche Sonderregelungen bestehen in internationalen Abkommen, die durch Übernahmegesetze in innerstaatliches Recht transformiert wurden 252 . Die Blindengeldgesetze von Mecklenburg-Vorpommern (§ 1 Abs. 1 S. 3) und Schleswig-Holstein (§ 1 Abs. 1 S. 3) erklären § 120 BSHG für entsprechend anwendbar. Für diese beiden Landesgesetze gilt deshalb entsprechendes wie für § 67 BSHG. Ein Spezial abkommen im Sinn von § 120 Abs. 1 S. 3 BSHG ist das Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich über Fürsorge und Jugendwohlfahrtspflege vom 17.01. 1966 (BGBL 1969,11, S. 1). Eine weitere Gleichstellung ergibt sich, wie oben ausgeführt, aus der Tatsache, daß Österreich zur Europäischen Gemeinschaft gehört. Für schweizer Staatsangehörige ist die Gleichstellung mit Deutschen in der Vereinbarung zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizer Eidgenossenschaft über die Fürsorge von Hilfsbedürftigen vom 14. 07. 1952 (BGBL 1953, II, S. 31,192 und BGBL 1954,11, S. 779) festgelegt. Eine Sonderstellung haben schließlich auch Staatsangehörige der Unterzeichnerstaaten des Europäischen Fürsorgeabkommens (EFTA) vom 11. 12. 1953, das mit Gesetz vom 15.05. 1956 (BGBL 11, S. 563) in der Fassung der Bekanntmachung vom 08. 07. 1972 (BGBL 1979,11, S. 1755,229; BGBL 1979,11, S. 289) in der Bundesrepublik Deutschland Gesetzeskraft erlangt hat. Diese Personen sind bei der Gewährung von Sozialhilfe Deutschen gleichgestellt253 . Nach Art. 1 dieses Abkommens verpflichtet sich jeder der vertragsschließenden Staaten, den Staatsangehörigen der anderen Vertragsschließenden, die sich in irgendeinem Teil seines Gebietes erlaubt aufhalten und nicht über ausreichende Mittel verfügen, in gleicher Weise wie seinen eigenen Staatsangehörigen und unter den gleichen Bedingungen die Leistungen der sozialen und Gesundheitsfürsorge zu gewähren, die aufgrund seiner Gesetze gewährt werden. Art. 2 enthält eine Begriffsbestimmung der "Fürsorge". Sie umfaßt nicht nur die Gewährung der notwendigen Mittel für den Lebensbedarf, sondern auch für die "Betreuung, die ihre Lage erfordert". Darunter ist die Blindenhilfe nach § 67 BSHG zu verstehen. Das Abkommen ist allerdings nur auf Personen anzuwenden, die sich in Deutschland "erlaubt aufhalten". Unter erlaubtem Aufenthalt ist gemäß Art. 1113 EFA zu verstehen, daß der Betreffende eine "Aufenthaltserlaubnis" und einen "gewöhnlichen Aufenthalt" im Lande haben muß. Insoweit gilt das zum Vorliegen eines gewöhnlichen Aufenthaltes bisher bereits Ausgeführte. Außer für die Staatsangehörigen aus den EG-Mitgliedsstaaten gilt das Europäische Fürsorgeabkommen für die Staatsangehörigen aus Island, Malta, Norwegen und der Türkei. 252 253

Birk in: Praxiskommentar, RdNr. 7 zu § 120 BSHG. Brühl in: Praxiskommentar, RdNr. 13 zu § 120 BSHG.

Kap. 5: Der Aufenthalt als Leistungsvoraussetzung

295

Keine Sonderregelungen bestehen für folgende europäische Staaten: Albanien, Andorra, Bulgarien, die Staaten des ehemaligen Jugoslawien, Liechtenstein, Monaco, Polen, Rumänien, San Marino, die Staaten der ehemaligen UdSSR, Ungarn, Slowakische Republik, Tschechische Republik, Zypern sowie alle außereuropäischen Staaten. Sofern nicht Sonderregelungen, wie oben behandelt, eingreifen, haben Staatsangehörige aus diesen Staaten, selbst wenn sie einen gewöhnlichen Aufenthalt oder Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland haben, keinen Anspruch auf Blindenhilfe nach § 67 BSHG oder auf Leistungen nach den Landesgesetzen von Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein.

D. Räumlicher Geltungsbereich der Blindengeldgesetze I. Vorbemerkung Obwohl der Wohnsitz oder gewöhnliche Aufenthalt im Geltungsbereich des jeweiligen Landesblindengeld- bzw. Landespflegegeldgesetzes Voraussetzung für den Anspruch ist, bedeutet das nicht, daß nicht auch ein Anspruch auf Leistungen beim Aufenthalt außerhalb der Landesgrenzen bestehen bzw. beim Aufenthalt innerhalb der Landesgrenzen ausgeschlossen sein kann. Die Ursache dafür ergibt sich einmal aus den Begriffen Wohnsitz und gewöhnlicher Aufenthalt und zum anderen aus einschränkenden bzw. grenzüberschreitenden Bestimmungen in den Landesgesetzen. Diese Regelungen beziehen sich auf die dauerhafte Aufnahme in eine Anstalt, ein Heim oder eine gleichartige Einrichtung bzw. auf die Unterbringung aufgrund einer richterlichen Entscheidung. Die in den Landesblindengeld- bzw. Landespflegegeldgesetzen enthaltenen speziellen grenzüberschreitenden bzw. einschränkenden Regelungen beziehen sich auf den Aufenthalt in Anstalten, Heimen oder gleichartigen Einrichtungen. In sieben Ländern werden Blinde, die sich aufgrund richterlicher Anordnung in einer Einrichtung befinden, vom Blindengeldbezug ausgeschlossen 254 . Im folgenden wird deshalb zunächst auf die Begriffe: Anstalt, Heim oder gleichartige Einrichtungen bzw. Einrichtungen zur richterlichen Unterbringung eingegangen. Sodann werden die grenzüberschreitenden Wirkungen des Wohnsitzes bzw. gewöhnlichen Aufenthaltes generell und danach die Wirkung der grenzüberschreitenden bzw. einschränkenden speziellen Regelungen behandelt.

254 Baden-Württemberg: Landesblindengeldgesetz § lAbs. 3 Nr. 2-4; Brandenburg: Landespflegegeldgesetz § 4 Abs. 2; Hessen: Landesblindengeldgesetz § 3 Abs. 1 Nr. 3; Mecklenburg-Vorpommern: Landesblindengeldgesetz § 6 Abs. 1 Buchstabe c); Niedersachsen: Landesblindengeldgesetz § 6 Abs. 1 Buchstabe c); Rheinland-Pfalz. Landesblindengeldgesetz § 5 Abs. 2 S. 2 und Schieswig-Hoistein: Landesblindengeldgesetz § 7 Abs. 1 Buchstabe c).

296

2. Teil: Rechtssystematische Einordnung und vergleichende Darstellung

11. Begriff der Einrichtungen

1. Anstalten, Heime und gleichartige Einrichtungen

Die Landesblindengeldgesetze enthalten keine Legaldefinition, was unter einer Anstalt, einem Heim oder einer gleichartigen Einrichtung zu verstehen ist. Im bayerischen Blindengeldgesetz vom 07.04. 1995 in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. 04. 1995 (GVBI. S. 150) Art. 2 Abs. 2 wird nur von "einem Heim oder einer gleichartigen Einrichtung" gesprochen. Von dem Begriff "gleichartige Einrichtungen" werden "Anstalten" ebenfalls erfaßt. Der bayerische Gesetzgeber hat mit dem Erlaß des Blindengeldgesetzes die frühere Regelung in Art. 2 des Zivilblindenpflegegeldgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 15. Ol. 1989 (GVBI. S. 21) und insbesondere die in Art. 2 Abs. 3 aufgestellten Anforderungen, wonach "eine Einrichtung nach Abs. 1" nur vorlag, "wenn den Blinden über die Gewährung von Wohnung und Verpflegung hinaus Leistungen geboten werden, die zu einer erheblichen Minderung der durch die Blindheit bedingten Mehraufwendungen führen", aufgegeben. In der Begründung zu Art. 2 Abs. 2 des Landesblindengeldgesetzes255 wird ausdrücklich darauf verwiesen, daß sich bei der Ausführung des bisher geltenden Zivilblindenpflegegeldgesetzes gezeigt habe, "daß eine Unterscheidung zwischen blindengerechten und nicht blindengerechten Einrichtungen nicht praxisgerecht ist, weil sich keine eindeutigen Kriterien für die Prüfung der "Blindengerechtheit" finden lassen". Dem ist zuzustimmen. In § 2 Abs. 2 des Blindengeldgesetzes für Sachsen wird für die in dieser Bestimmung geregelten Kürzung des Blindenge1des beim Aufenthalt in einer Anstalt, einem Heim oder einer gleichartigen Einrichtung vorausgesetzt, "daß in der Einrichtung dem Blinden über die Gewährung von Wohnung und Verpflegung hinaus Leistungen geboten werden, die zu einer erheblichen Minderung der durch die Blindheit bedingen Mehraufwendungen führen". Diese Bestimmung bezieht sich nur auf die Kürzungsmöglichkeit, berührt aber die Begriffe Anstalt, Heim oder gleichartige Einrichtungen nicht. Weil die Blindengeldgesetze von "Anstalten, Heimen und gleichartigen Einrichtungen" sprechen, aber selbst keine Definition enthalten, ist im Interesse der Rechtseinheit von der Definition in § 97 Abs. 4 BSHG auszugehen. Das ist umso mehr geboten, als in sechs Landesgesetzen 256 auf § 109 BSHG, der seinerseits auf § 97 BSHG verweist, Bezug genommen wird257 . Landtagsdrucksache 13/458 vom 16.02.1995. Bremen: Landespflegegeldgesetz für Bremen, § 1 Abs. I S. 3; Hamburg: Landesblindengeldgesetz § 1 Abs. 2 S. 3; Hessen: Landesblindengeldgesetz § 1 Abs. 1 S. 3; Mecklenburg-Vorpommem: Landesblindengeldgesetz § 1 Abs. 1 S. 3; Niedersachsen: Landesblindengeldgesetz § 1 Abs. I S. 3 und Schieswig-Hoistein: Landesblindengeldgesetz § I Abs. I S. 3. 257 Zur einheitlichen Verwendung des Begriffes Anstalt, Heim oder gleichartige Einrichtung im Rahmen des BSHG vgl. Schoch in: Praxiskommentar, RdNr. 67 zu § 97 BSHG und zur Verwendung des gleichen Heimbegriffes im Rahmen der Blindenhilfe nach § 67 Abs. 3 BSHG Brühl in: Praxiskommentar, RdNr. 5 zu § 67 BSHG. Anderer Ansicht war noch das Bundesverwaltungsgericht in seiner Entscheidung vom 05. 07. 1967 - V 212.66 =BVerwGE, 255

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Kap. 5: Der Aufenthalt als Leistungsvoraussetzung

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Anstalten, Heime oder gleichartige Einrichtungen sind nach § 97 Abs. 4 BSHG alle Einrichtungen, die der Pflege, der Behandlung oder sonstigen im BSHG vorgesehenen Maßnahmen oder der Erziehung dienen und die die Betreuung rund um die Uhr (vollstationär) bieten 258 . Die Begriffe Anstalt, Heim oder gleichartige Einrichtung sind hinsichtlich ihrer rechtlichen Bedeutung und Qualität identisch, so daß von einem einheitlichen Begriff auszugehen ist259 . Auf die Bezeichnung kommt es nicht an. Der Anstaltsbegriff wird häufig bei Großeinrichtungen wie z. B. Kliniken, Krankenhäusern, Sanatorien oder Rehabilitationszentren verwendet. Unter Heimen werden Einrichtungen von mittlerer Größe mit überschaubarem, familiärem Charakter verstanden. Von gleichartigen Einrichtungen spricht man bei heimäquivalenten Institutionen, bei denen die Bezeichnung Anstalt oder Heim nicht recht passen würde, wie z. B. bei therapeutischen Wohngemeinschaften, auf die aber zum Unterschied freier Wohngemeinschaften alle wesentlichen Merkmale des Anstalts- bzw. Heimbegriffes zutreffen 260 . Damit von Anstalten, Heimen oder gleichartigen Einrichtungen gesprochen werden kann, muß zur Durchführung von Hilfen nach dem Bundessozialhilfegesetz eine besondere Organisationsform unter verantwortlicher Leitung bestehen. Es muß ein unter dieser Leitung zusammengefaßter Bestand an persönlichen und sächlichen Mitteln, der auf eine gewisse Dauer angelegt und für einen größeren, wechselnden Personenkreis bestimmt ist, vorhanden sein 261 . Zu den Anstalten, Heimen und gleichartigen Einrichtungen zählen z. B.: Altenpflegeheime, Altenheime, Blindenheime, sofern sie keine reinen Wohnheime sind, mit Förderschulen verbundene Internate, Internatsschulen, Kinderheime, SOS-Kinderdörfer, Waisenhäuser, Schüler- und Lehrlingsheime, Wohnheime für Behinderte, die in einer davon getrennten Werkstätte betreut werden, Erholungsheime, Sanatorien und Krankenhäuser262 .

Bd. 27, S. 270, = ZfSH 1968, S. 284. In dieser Entscheidung wurde ein Heim im Sinn von § 67 BSHG nur angenommen, wenn der blindheitsbedingte Mehrbedarf voll abgedeckt wurde. Die Entscheidung erging zu der vor dem 2. ÄG zum BSHG geltenden Fassung. 258 ZeitIer in: DV 1997, S. 4. 259 Schoch in: Praxiskommentar, RdNr. 59 zu § 97 BSHG. 260 Knopp 1Fichtner, RdNr. 27 zu § 103 BSHG. 261 BVerwG, Urteil vom 24. 02.1994-5 C 24/91 = FEVS, Bd. 95, S. 52 ff. 262 Vgl. Schoch in: Praxiskommentar, RdNr. 64 zu § 97 BSHG; der Heimbegriff ist weiter als derjenige nach § lAbs. 1 Heimgesetz vom 07. 08. 1974 (BGBI. I, S. 1873), zuletzt geändert durch Art. 16 Gesetz vom 21. 09.1997 (BGBI. I, S. 2390), und der stationären Pflegeeinrichtungen (Pflegeheime) im Sinne von § 71 Abs. 2 SGB XI. Zu Umschulungsstätten bzw. Berufsförderungswerken als gleichartige Einrichtungen vgl. Urteil des VGH Mannheim vom 20. 11. 1978 - VI 1182/78; zum Blindengeldgesetz von Baden-Württemberg § 1 Abs. I S. 2; zum Begriff einer Einrichtung nach § lAbs. 2 Blindengeldgesetz für Nordrhein-Westfalen vgl. Urteil des OVG für Nordrhein-Westfalen vom 30. 07. 1992-8 A 1001 190; zu Krankenhaus als Einrichtung nach § 2 Abs. 2 Landesblindengeldgesetz für Niedersachsen, Urteil des OVG Lüneburg vom 22. 12. 1990 - 4 L 93/89 = OVGE MüLü, Bd. 42, S. 353.

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2. Teil: Rechtssystematische Einordnung und vergleichende Darstellung

Nicht zu den Anstalten, Heimen oder gleichartigen Einrichtungen im Sinn von § 97 Abs. 4 BSHG zählen z. B. Altenwohnheime, Blindenwohnheime, Wohnheime für Studenten und Berufstätige, Asylbewerberheime, Jugendherbergen, Justizvollzugsanstalten. 263 Wohngemeinschaften, selbst in der Form des "Betreuten Wohnens", sind in der Regel keine Heime oder gleichartigen Einrichtungen, denn die Mitglieder der Wohngemeinschaft haben eine höhere Selbständigkeit und Gestaltungsfreiheit. Das gilt insbesondere dann, wenn die notwendige Hilfe selbst organisiert und bezahlt werden muß. In diesen Fällen tritt die durch die Heimunterbringung entstehende Entlastung nicht ein. 2. Vollzugsanstalten für die richterlich angeordnete Freiheitsentziehung

Die Vollzugsanstalten für die richterlich angeordnete Freiheitsentziehung spielen im Blindengeldrecht ebenso, wie die Anstalten, Heime und gleichartigen Einrichtungen, eine Rolle. Einrichtungen dieser Art sind keine Anstalten, Heime oder gleichartigen Einrichtungen im Sinn von § 97 Abs. 4 BSHG und damit auch nicht im Sinn von § 67 Abs. 3 BSHG für die Blindenhilfe und im Sinn der Landesblindengeldgesetze, sondern durch den besonderen Zweck geprägte Institutionen. Richterlich angeordnete Freiheitsentziehung in diesem Sinn liegt vor beim Vollzug von Strafhaft, Untersuchungshaft, der Durchführung von Maßregeln zur Besserung und Sicherung, der Absonderung nach dem Bundesseuchengesetz, nach dem Geschlechtskrankheitengesetz, bei der Unterbringung psychisch Kranker und Suchtkranker nach den Unterbringungsgesetzen der Länder. Einrichtungen zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung sind z. B. die Justizvollzugsanstalten, die Einrichtungen zur Sicherungsverwahrung, die geschlossenen Abteilungen eines psychiatrischen Krankenhauses und Entziehungsanstalten für Suchtkranke264.

Schoch in: Praxiskommentar, RdNr. 64 zu § 97 BSHG. Grund der richterlichen Unterbringung können z. B. sein: die Maßregeln der Besserung und Sicherung nach StGB § 61 Nm. 1-3. Zur Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus vgl. StGB § 63, zur Unterbringung in einer Entziehungsanstalt StGB § 64, zur Unterbringung in der Sicherungsverwahrung StGB § 66 und zur Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt vgl. außerdem lGG § 7. Zum Verfahren bei gerichtlicher Unterbringung, soweit keine Sonderregeln nach Bundes- oder Landesrecht eingreifen, vgl. das Freiheitsentziehungsgesetz vom 29. 06. 1956 (BGBI. I, S. 599), zuletzt geändert durch Art. 2 des Gesetzes vom 26. 08. 1998 (BGBI. I, S. 2461). Die entsprechenden Einrichtungen sind in § 2 Abs. 1 Unterbringungsgesetz aufgeführt. Zu lustizvollzugsanstalten vgl. Strafvollzugsgesetz vom 16. 03. 1976 (BGBI. I, 1976, S. 581, 2088, BGBI. I, 1977, S. 436), zuletzt geändert durch Art. I Gesetz vom 26.08. 1998 (BGBI. I, S. 2461). 263

264

Kap. 5: Der Aufenthalt als Leistungsvoraussetzung

299

In. Grenzüberschreitende Wirkungen des Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthaltes

J. Alternativen in den Landesgesetzen

Der Wohnsitz oder gewöhnliche Aufenthalt stellt den räumlichen Anknüpfungspunkt in den Landesblindengeldgesetzen bzw. Landespflegegeldgesetzen dar. In diesen Gesetzen finden sich fünf Alternativen: 1. Alternative: Entweder auf den Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt stellen

vier Länder ab:

- Bayern: Landesblindengeldgesetz Art. 1 Abs. 1, - Saarland: Landesblindheitshilfegesetz § 1 Abs. 1, - Sachsen: Landesblindengeldgesetz § 1 Abs. 1, - Thüringen: Thüringer Blindengeldgesetz § 1 Abs. 1. 2. Alternative: Wohnsitz, ersatzweise gewöhnlicher Aufenthalt, wenn ein Wohnsitz im übrigen Bundesgebiet fehlt, ein Land: - Hessen: Landesblindengeldgesetz § 1 Abs. 1. 3. Alternative: Nur gewöhnlicher Aufenthalt, keine Erwähnung des Wohnsitzes, acht Länder: - Baden-Württemberg: Landesblindengeldgesetz § 1 Abs. 1, - Bremen: Landespflegegeldgesetz § 1 Abs. 1, - Hamburg: Landesblindengeldgesetz § 1 Abs. 2, - Mecklenburg-Vorpommern: Landesblindengeldgesetz § 1 Abs. 1, - Niedersachsen: Landesblindengeldgesetz § 1 Abs. 1, - Nordrhein-Westfalen: Gesetz über Hilfen für Blinde und Gehörlose § 1 Abs. 2 (Blinde) und § 4 Abs. 2 (hochgradig Sehbehinderte), - Sachsen-Anhalt: Gesetz über das Blinden- und Gehörlosengeid § 1 Abs. 1, - Schieswig-Hoistein: Landesblindengeldgesetz § 1 Abs. 1. 4. Alternative: Nur gewöhnlicher Aufenthalt, aber Ausschluß bei Aufenthalt in Anstalten, Heimen oder gleichartigen Einrichtungen, zwei Länder: - Brandenburg. Landespflegege1dgesetz § 1 Abs. 1, § 4 Abs. 1 i. Y.m. § 8 Abs. 2 (betrifft Heimaufenthalt) - Rheinland-Pfalz: Landesblindengeldgesetz § 1 Abs. 1, § 3 (betrifft Heimaufenthalt). 5. Alternative: Wohnsitz plus gewöhnlicher Aufenthalt ein Land: - Berlin: Gesetz über Pflegeleistungen § 1 Abs. 1. Ausschließlich auf den Wohnsitz stellt kein Land ab.

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2. Teil: Rechtssystematische Einordnung und vergleichende Darstellung

2. Folgen beim Aufenthalt außerhalb des Ursprungslandes

Im folgenden werden die Auswirkungen dargestellt, die sich aus den Regelungen nach den fünf aufgezeigten Alternativen ergeben, wenn ein Blinder seinen Aufenthalt in ein anderes Land der Bundesrepublik Deutschland verlegt. a) Beziehungen der Länder der Alternative 1

Beziehungen zwischen den Ländern der Alternative 1 untereinander Verlegt ein Blinder aus einem Land der Alternative 1 (Bayern, Saarland, Sachsen, Thüringen) seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in eines der anderen Länder dieser Alternative, so besteht, wenn im eigenen Land der Wohnsitz oder gewöhnliche Aufenthalt beibehalten wird, in beiden Ländern ein Blindengeldanspruch nach dem Landesgesetz. Der Betreffende hat ein Wahlrecht. Doppelleistungen werden mit Hilfe der Anrechnungsbestimmungen in den Landesgesetzen ausgeschlossen.

Beziehungen zwischen den Ländern der Alternative 1 zum Land der Alternative 2 Verlegt ein Blinder aus einem Land der Alternative 1 (Bayern, Saarland, Sachsen, Thüringen) seinen Wohnsitz nach Hessen, behält aber seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Land bei, entsteht ein Blindengeldanspruch nach beiden Landesgesetzen. Es besteht Wahlrecht. Zu einer Doppelleistung kann es jedoch nicht kommen. Würde z. B. ein Blinder aus Bayern seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Bayern beibehalten, seinen Wohnsitz in Hessen begründen, seinen Blindengeldanspruch nach dem bayerischen Blindengeldgesetz nicht aufgeben, aber auch einen Blindengeldanspruch nach dem hessischen Landesblindengeldgesetz geltend machen, könnte Hessen das bayerische Blindengeld gemäß § 4 Abs. I auf das hessische Blindengeld anrechnen, d. h., das hessische Blindengeld würde sich auf Null reduzieren. Würden Blinde aus den Ländern Alternative I dort ihren Wohnsitz beibehalten, aber den gewöhnlichen Aufenthalt nach Hessen verlegen, entstünde in Hessen nach § 1 Abs. 1 Landesblindengeldgesetz kein Anspruch, weil dort der gewöhnliche Aufenthalt nur genügt, wenn im übrigen Bundesgebiet kein Wohnsitz besteht.

Beziehungen zwischen den Ländern der Alternative 1 und den Ländern der Alternative 3 Blinde aus den Ländern Bayern, Saarland, Sachsen und Thüringen behalten den Blindengeldanspruch nach dem für sie zutreffenden Landesgesetz solange, als sie entweder den Wohnsitz oder den gewöhnlichen Aufenthalt im Ursprungsland beibehalten.

Kap. 5: Der Aufenthalt als Leistungsvoraussetzung

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Wird der gewöhnliche Aufenthalt in ein Land der Alternative 3 verlegt (BadenWürttemberg, Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein), entsteht auch in diesem Land der Anspruch nach dem jeweiligen Landesgesetz. Der Blinde kann wählen, welche der beiden Leistungen er in Anspruch nehmen will. Zu einem Doppelbezug kann es nicht kommen, denn das Land, bei welchem der Blinde den zweiten Antrag stellt, kann die Leistung mit Hilfe der Anrechnungsklausel, die sich in allen Landesblindengeldgesetzen befindet, verweigern. Beispiel: Ein Blinder aus Bayern behält seinen Wohnsitz in Bayern bei und begründet einen gewöhnlichen Aufenthalt in Hamburg. Er hat den Blindengeldanspruch nach Art. I Abs. I in Bayern und nach § lAbs. 2 in Hamburg. Gibt der Blinde seinen Blindengeldanspruch in Bayern nicht auf, stellt aber in Hamburg einen Antrag auf Gewährung von Blindengeld, erfolgt nach § 3 Abs. I des Landesblindengeldgesetzes für Hamburg die Anrechnung des Blindengeldes aus Bayern. Der Anspruch gegenüber dem Land Hamburg reduziert sich auf Null.

Verhältnis der Länder nach Alternative 1 (Bayern, Saarland, Sachsen, Thüringen) zu den Ländern nach Alternative 4 (Brandenburg, Rheinland-Pfalz) Hier gilt das zum Verhältnis zwischen den Ländern der Alternative I zu den Ländern der Alternative 3 Gesagte, mit der Einschränkung, daß ein Blindengeldanspruch in Brandenburg oder Rheinland-Pfalz nicht entstehen könnte, wenn der gewöhnliche Aufenthalt in diesen Ländern in einer Anstalt, einem Heim oder einer gleichartigen Einrichtung begründet würde. Beispiel. Ein Blinder aus Bayern behält seinen Wohnsitz in Bayern bei und verlegt seinen gewöhnlichen Aufenthalt in ein Heim in Rheinland-Pfalz, etwa in das Internat des Zentrums für physikalische Therapie, Elisabeth-Dicke-Schule in Mainz. Hier bliebe der Blindengeldanspruch nach dem bayerischen Blindengeldgesetz bestehen. In Rheinland-Pfalz entstünde wegen des Ausschlusses in § 3 Landesblindengeldgesetz kein Blindengeldanspruch nach dem dortigen Gesetz, weshalb nicht näher geprüft werden muß, ob in diesem Fall überhaupt der gewöhnliche Aufenthalt in Rheinland-Pfalz entstünde.

Beziehungen zwischen den Ländern der Alternative 1 (Bayern, Saarland, Sachsen, Thüringen) und Alternative 5 (Berlin) Nach dem Gesetz über Pflegeleistungen in Berlin entsteht nur ein Blindengeldanspruch, wenn in Berlin sowohl der Wohnsitz als auch der gewöhnliche Aufenthalt begründet wird 265 . 265 Vgl. Urteil des OVG Berlin vom 10. 01. 1991-6 B 40.89 = FEVS, Bd. 41, S. 369 ff. und OVG Berlin vom 24.02. 1983-6 B 9.82 = OVGE BE, Bd. 16, S. 220 ff. Die erstgenannte Entscheidung stellt allerdings auf den im Sozialrecht nicht geltenden § 7 BGB ab, aber auch nach dem Wohnsitzbegriff des § 30 Abs. 3 S. 1 SGB I ergäbe sich nichts anderes.

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2. Teil: Rechtssystematische Einordnung und vergleichende Darstellung

Würde in einem der Länder nach Alternative 1 ein Wohnsitz beibehalten, aber in Berlin sowohl ein Wohnsitz als auch ein gewöhnlicher Aufenthalt begründet, so bestünde das Wahlrecht zwischen dem Blindengeld nach dem Land der ersten Alternative und nach dem Berliner Gesetz über Pflegeleistungen. Mehrere Wohnsitze sind zwar möglich, diese Konstellation dürfte in der Praxis aber kaum vorkommen. Zu Doppelleistungen könnte es nicht kommen. Würde z. B. ein Blinder aus Bayern seinen Wohnsitz in Bayern beibehalten, aber in Berlin Wohnsitz und gewöhnlichen Aufenthalt begründen und den Blindengeldanspruch nach dem bayerischen Blindengeldgesetz nicht aufgeben, würde eine Anrechnung des bayerischen BlindengeIdes auf das Blindengeld in Berlin erfolgen. Der Anspruch nach dem Berliner Gesetz würde gemäß § 3 Abs. 2 S. 1 des Gesetzes über Pflegeleistungen auf Null reduziert. b) Beziehungen zwischen Hessen (Alternative 2) zu den Ländern der übrigen Alternativen Beziehungen zwischen Hessen und den Ländern der Alternative 1 Hierzu siehe oben. Beziehungen zwischen Hessen (Alternative 2) und den Ländern der Alternative 3 Solange in Hessen der Wohnsitz beibehalten wird, bleibt auch der Blindengeldanspruch bestehen. Wird unter Beibehaltung des Wohnsitzes in Hessen der gewöhnliche Aufenthalt in eines der Länder der Alternative 3 verlegt, so besteht ein Blindengeldanspruch nach dem hessischen Landesblindengeldgesetz und nach den Blindengeldgesetzen der zur Alternative 3 gehörenden Länder. Es besteht das Wahlrecht. Zu einer Doppelleistung kann es aufgrund der Anrechnungsbestimmungen (Baden-Württemberg: § 3 Abs. 1, Bremen: § 4, Hamburg: § 3 Abs. 1, Mecklenburg-Vorpommern: § 3 Abs. 1, Niedersachsen: § 3 Abs. 1, Nordrhein-Westfalen: § 3 Abs. 1, Schleswig-Holstein. § 4 Abs. 1) nicht kommen. Verlegt ein Blinder aus Hessen seinen Wohnsitz in ein Land der Alternative 3, geht der Blindengeldanspruch nach dem hessischen Landesblindengeldgesetz unter. In dem Land der Alternative 3 entsteht nur ein Blindengeldanspruch, wenn dort nicht nur der Wohnsitz, sondern auch der gewöhnliche Aufenthalt begründet wird. Beziehung zwischen Hessen (Alternative 2) und den Ländern der Alternative 4 (Brandenburg und Rheinland-Pfalz) Hier gilt das gleiche wie im Verhältnis zu den Ländern der Alternative 3 mit der Einschränkung, daß bei der Verlegung des gewöhnlichen Aufenthaltes in eine

Kap. 5: Der Aufenthalt als Leistungsvoraussetzung

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Anstalt, ein Heim oder eine gleichartige Einrichtung in Brandenburg oder Rheinland-Pfalz dort kein Blindengeldanspruch entstehen kann.

Beziehungen Hessen (Alternative 2) zu Berlin (Alternative 5) Solange ein Wohnsitz in Hessen beibehalten wird, bleibt der Blindengeldanspruch bestehen. In Berlin entsteht ein Blindenge1danspruch nur, wenn dort sowohl der Wohnsitz als auch der gewöhnliche Aufenthalt begründet wird. Doppelleistungen kann mit den Anrechnungsbestimmungen begegnet werden. c) Beziehungen der Länder der Alternative 3 Es handelt sich um Baden-Württemberg, Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt und SchleswigHolstein. Der Anspruch nach den Gesetzen dieser Länder geht verloren, wenn bei tatsächlichem Aufenthalt in einem anderen Land der gewöhnliche Aufenthalt im Heimatland nicht beibehalten wird.

Beziehungen zwischen den Ländern der Alternative 3 und den Ländern der Alternative 1 (Bayern, Saarland, Sachsen, Thüringen) Hier gilt das oben bereits Gesagte. Ein Blindengeldanspruch bleibt bestehen, wenn der Wohnsitz in den Ländern Baden-Württemberg, Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Sachsen oder Schleswig-Holstein erhalten bleibt. Ein konkurrierender Blindengeldanspruch in Bayern, Saarland, Sachsen oder Thüringen könnte nur erworben werden, wenn der Blinde dort unter Beibehaltung seines gewöhnlichen Aufenthaltes im Ursprungsland einen Wohnsitz begründen würde. Das dürfte in der Praxis kaum denkbar sein. Gegebenenfalls könnte einer Doppelleistung mit Hilfe der Anrechnungsregelungen begegnet werden.

Beziehungen der Länder der Alternative 3 zu Hessen (Alternative 2) Bei Beibehaltung des Wohnsitzes im Ursprungsland könnte in Hessen nur ein konkurrierender Blindengeldanspruch erworben werden, wenn dort ein Wohnsitz begründet würde. Es gilt dasselbe wie in den Beziehungen zu den Ländern der Alternative 1.

Beziehungen der Länder der Alternative 3 untereinander Auf den Wohnsitz kommt es nicht an. Wird der gewöhnliche Aufenthalt im Ursprungsland aufgegeben und im Aufenthaltsland begründet, so geht der Blindengeldanspruch nach dem Landesgesetz des Ursprungslandes unter. Es entsteht ein

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2. Teil: Rechtssystematische Einordnung und vergleichende Darstellung

Blindengeldanspruch nach dem Landesgesetz des Aufenthaltslandes. Nur wenn in bei den Ländern ein gewöhnlicher Aufenthalt begründet wird, was in der Praxis die Ausnahme ist, bestehen konkurrierende Ansprüche mit Wahlrecht.

Beziehungen der Länder der Alternative 3 zu den Ländern der Alternative 4 (Brandenburg und Rheinland-Pfalz) Wenn der Wohnsitz im Ursprungsland beibehalten wird, kann ein konkurrierender Blindengeldanspruch in Brandenburg und Rheinland-Pfalz nur begründet werden, sofern auch dort ein gewöhnlicher Aufenthalt entsteht. Das ist in der Praxis so gut wie ausgeschlossen. Wenn ein Blinder aus den Ländern der Alternative 3 eine Berufsausbildung oder Berufsumschulung, z. B. mit Internatsunterbringung in der Massageschule in Mainz, absolvieren würde, entstünde dort kein gewöhnlicher Aufenthalt. Ein Blindengeldanspruch in Rheinland-Pfalz könnte aber auch wegen des Ausschlusses bei Heimunterbringung gemäß § 3 Landesblindengeldgesetz nicht entstehen, denn dieses Internat ist ein Heim oder eine gleichartige Einrichtung in diesem Sinn.

Beziehungen der Länder der Alternative 3 zu Berlin (Alternative 5) Daß neben dem bestehenbleibenden gewöhnlichen Aufenthalt im Ursprungsland in Berlin, wie dort gefordert, sowohl Wohnsitz als auch gewöhnlicher Aufenthalt begründet werden, ist in der Praxis kaum vorstellbar. Nur wenn diese Voraussetzungen gegeben wären, entstünde ein konkurrierender Blindengeldanspruch. d) Beziehungen der Länder der Alternative 4 Es handelt sich um Brandenburg und Rheinland-Pfalz. Die Verhältnisse entsprechen denen der Alternative 3 mit der Einschränkung, daß beim gewöhnlichen Aufenthalt in einer Anstalt, einem Heim oder einer gleichartigen Einrichtung kein Blindengeldanspruch nach den Landesgesetzen von Brandenburg und Rheinland-Pfalz entsteht (Landespflegegeldgesetz für Brandenburg, § 4 Abs. 1, Landesblindengeldgesetz Rheinland-Pfalz, § 3 Abs. 1). Wenn ein Blinder aus Brandenburg oder Rheinland-Pfalz sich in einem anderen Land aufhält und seinen Wohnsitz beibehält, hängt der Anspruch auf Blindengeld davon ab, ob z. B. die Berufsausbildung oder -umschulung im anderen Land mit einer Unterbringung in einer Anstalt, einem Heim oder einer gleichartigen Einrichtung verbunden ist. In diesem Fall ginge der Blindengeldanspruch nach § 4 Abs. 1 des Pflegegeldgesetzes für Brandenburg verloren. Das heißt, er würde mit Wirkung ab dem ersten des auf den Eintritt folgenden Monats eingestellt (§ 8 Abs. 2). Bei einem Blinden aus Rheinland-Pfalz würde in diesem Fall der Blindengeldanspruch nach § 3 Blindengeldgesetz für Rheinland-Pfalz vier Wochen nach Eintritt in die Einrichtung eingestellt.

Kap. 5: Der Aufenthalt als Leistungsvoraussetzung

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Im übrigen kann auf das zu den übrigen Konstellationen der Länder der Alternative 3 Gesagte verwiesen werden. e) Beziehungen von Berlin (Alternative 5) zu den übrigen Ländern Nur wenn sowohl der Wohnsitz als auch der gewöhnliche Aufenthalt während eines tatsächlichen Aufenthaltes in einem anderen Land in Berlin bestehen bleibt, ist nach wie vor der Anspruch nach dem Berliner Pflegegesetz gegeben266 .

IV. Grenzüberschreitende Wirkungen der gesetzlichen Bestimmungen für den Aufenthalt in Einrichtungen 1. Grenzüberschreitende Bestimmungen

Spezielle grenzüberschreitende oder einschränkende Regelungen in den Landesgesetzen beziehen sich auf den Aufenthalt in Anstalten, Heimen oder gleichartigen Einrichtungen bzw. Vollzugsanstalten für die richterlich angeordnete Freiheitsentziehung. a) Die Alternativen Die Landesgesetze lassen sich grob in vier Gruppen einteilen: 1. ein Land mit grenzüberschreitenden Regelungen ohne Einschränkungen: Nordrhein-Westfalen, 2. sieben Länder mit grenzüberschreitenden Regelungen plus Einschränkungen zum Schutz eigener Einrichtungen vor Zuzug bzw. durch Subsidiaritätsklauseln bei der Unterbringung in einer Einrichtung eines anderen Landes: Baden-Württemberg, Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Thüringen, 3. drei Länder ohne grenzüberschreitende Regelungen, aber mit zusätzlichen Einschränkungen zum Schutz eigener Einrichtungen: Brandenburg, Hessen, Rheinland-Pfalz, 4. fünf Länder ohne grenzüberschreitende Regelungen und ohne Einschränkungen zum Schutz eigener Einrichtungen: Bayern, Berlin, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt. Die Gruppen 1 und 2 haben das gemeinsame Merkmal, daß sie über grenzüberschreitende Bestimmungen verfügen, also nicht an der Landesgrenze Halt machen. 266

Urteil des OVG Berlin vom 10.01. 1991-6 B 40.89 =FEVS, Bd. 41, S. 369 ff.

20 Demmel

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2. Teil: Rechtssystematische Einordnung und vergleichende Darstellung

Die Gruppen 3 und 4 machen an der eigenen Landesgrenze halt, wobei die Länder der Gruppe 3 sogar für das eigene Land einschränkende Regelungen haben. In diesem Punkt entsprechen sich wiederum die Gruppen 2 und 3. b) Auswirkungen Nach den Landesgesetzen von Baden-Württemberg (Gesetz über die Landesblindenhilfe: § I Abs. I S. 2) Bremen (Landespflegegeldgesetz: § I Abs. I S. 2), Hamburg (Landesblindengeldgesetz: § lAbs. 2 S. 2), Mecklenburg-Vorpommern (Landesblindengeldgesetz: § I Abs. I S. 2), Niedersachsen (Landesblindengeldgesetz: § I Abs. I S. 2), Nordrhein-Westfalen (Gesetz über die Hilfen für Blinde und Gehörlose: § lAbs. 2, 2. Halbsatz - nur für Blinde), Schleswig-Holstein (Landesblindengeldgesetz: § I Abs. I S. 2) und Thüringen (Landesblindengeldgesetz: § I Abs. I S. 2) erhalten Blindengeld auch Blinde, die sich in Anstalten, Heimen oder gleichartigen Einrichtungen im übrigen Geltungsbereich des Grundgesetzes aufhalten, wenn sie zur Zeit der Aufnahme in die Einrichtung ihren gewöhnlichen Aufenthalt im betreffenden Land hatten. Baden-Württemberg und Thüringen schränken diese grenzüberschreitenden Regelungen jedoch dahin ein, daß die Leistung nur gewährt wird, wenn die Betreffenden nicht nach der Regelung im Aufenthaltsland Blindengeld erhalten. Diesen Gesetzen mit grenzüberschreitenden Regelungen stehen Landesgesetze gegenüber, die Blinde bei dauerhafter Aufnahme in eine Anstalt, ein Heim oder eine gleichartige Einrichtung in ihrem Land vom Bezug des Blindengeldes nach ihrem Landesgesetz nicht ausschließen. Es handelt sich um folgende acht Länder: Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Nordrhein-Westfalen, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Wird ein Blinder aus Baden-Württemberg in einer Anstalt, einem Heim oder einer gleichartigen Einrichtung in Bayern, Berlin, Nordrhein-Westfalen, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt oder Thüringen aufgenommen, so entsteht wegen der Einschränkung in § I Abs. I S. 2 des Landesblindengeldgesetzes für Baden-Württemberg nur ein Blindengeldanspruch nach den Landesgesetzen dieser Länder. Wird ein Blinder aus Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein oder Thüringen in einem dieser Länder ohne Abwehrklausel (Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, NordrheinWestfalen, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen) aufgenommen, bestehen die Voraussetzungen für den Leistungsanspruch nach beiden Landesgesetzen. Der Blinde hat das Wahlrecht. Das ist in der Praxis insofern bedeutend, als die Blindengeldleistungen nach den verschiedenen Landesgesetzen unterschiedlich hoch sein können. Wenn der Blinde den Blindengeldanspruch im Zuzugsland geltend macht, aber auf das Blindengeld nach dem Herkunftsland nicht verzichtet, kann sich das Zuzugsland durch die in sämtlichen Blindengeldgesetzen enthaltene

Kap. 5: Der Aufenthalt als Leistungsvoraussetzung

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Anrechnungsklausel wehren. Ist der Blindengeldanspruch im Herkunftsland gleichhoch oder höher als im Zuzugsland, reduziert sich der Blindengeldanspruch im Zuzugsland auf Null. Ist der Blindengeldanspruch im Herkunftsland niedriger als im Zuzugsland, bleibt ein Anspruch auf den überschießenden Betrag bestehen. Beispiel 1 (die Beträge entsprechen den Leistungen zum 01. 01. 2002): Ein volljähriger Blinder aus Bremen wird in einem Heim im Saarland aufgenommen. Die Kosten werden von einem öffentlichen Leistungsträger übernommen. Hier besteht ein Blindengeldanspruch nach § 1 Abs. 1 S. 2 in Verbindung mit § 2 Abs. 2 des Landespflegegeldgesetzes für Bremen in Höhe von 50% aus 332,50 Euro = 166,25 Euro. Nach § 4 des saarländischen Blindheitshilfegesetzes besteht ein Anspruch auf Blindengeld von mindestens 50% der Blindheitshilfe gemäß § 1 Abs. 2 Blindheitshilfegesetz in Verbindung mit § 67 Abs. 2 BSHG (50% aus 567,00 Euro = 284,00 Euro). Auf die Blindheitshilfe in Höhe von 284,00 Euro wird das Blindengeld nach dem Pflegegeldgesetz für Bremen in Höhe von 166,25 Euro gemäß § 3 Abs. 1 saarländisches Blindheitshilfegesetz angerechnet, so daß neben dem Blindengeld von 166,25 Euro aus Bremen noch eine Blindheitshilfe in Höhe von 117,75 Euro zu leisten ist. Wegen seines Wahlrechts kann der Blinde aber auch auf das Blindengeld nach dem bremischen Pflegegeldgesetz verzichten und nur die Blindheitshilfe in Höhe von 284,00 Euro nach dem saarländischen Blindheitshilfegesetz geltend machen. Beispiel 2 (die Beträge entsprechen den Leistungen zum 01. 01. 2002): Ein volljähriger Blinder aus Hamburg wird in ein Heim im Saarland aufgenommen. Die Kosten werden von einem öffentlichen Leistungsträger übernommen. Der blinde Hamburger hat einen Blindengeldanspruch nach § 1 Abs. 2 S. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 2 des Landesblindengeldgesetzes für Hamburg in Höhe von 284,00 Euro. Er hat ebenfalls einen Anspruch auf Blindheitshilfe nach § 1 Abs. 1 in Verbindung mit § 4 des saarländischen Blindheitshilfegesetzes, und zwar ebenfalls in Höhe von 284,00 Euro. Wenn der Blinde auf das Blindengeld aus Hamburg nicht verzichtet, ist dieses auf die Blindheitshilfe nach dem saarländischen Blindheitshilfegesetz gemäß § 3 Abs. 1 dieses Gesetzes angerechnet. Die Blindheitshilfe reduziert sich auf Null. Kompliziert ist die Anrechnungsregelung nach dem bayerischen Blindengeldgesetz. Das verdeutlicht Beispiel 3. Beispiel 3 (die Beträge entsprechen den Leistungen zum 01. 01. 2002): Ein volljähriger Blinder aus Hamburg wird in einem Heim in Bayern aufgenommen. Die Kosten werden von einem öffentlichen Leistungsträger übernommen. 20'

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2. Teil: Rechtssystematische Einordnung und vergleichende Darstellung

Der Blinde hat Anspruch auf Blindengeld nach § 1 Abs. 2 in Verbindung mit § 2 Abs. 2 S. 1 des Landesblindengeldgesetzes für Hamburg in Höhe von 284,00 Euro. Er hat aber auch einen Blindengeldanspruch nach Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 2 bayerisches Blindengeldgesetz, und zwar ebenfalls in Höhe von 284,00 Euro. Nach Art. 4 Abs. 3 des bayerischen Blindengeldgesetzes werden Leistungen, die Berechtigte zum Ausgleich ihrer blindheitsbedingten Mehraufwendungen nach sonstigen Rechtsvorschriften zustehen, auf das bayerische Blindengeld wie das Pflegegeld nach § 37 Abs. 1 S. 3 Nr. 1 SGB XI mit 60 v. H. angerechnet. Das bedeutet, daß es in Höhe von 60% aus 205,00 Euro (= 123,00 Euro) angerechnet wird. Das Blindengeld aus Bayern beträgt damit 284,00 Euro minus 123,00 Euro = 161,00 Euro. Das Blindengeld aus Hamburg beläuft sich auf 284,00 Euro. Damit erhielte der Blinde insgesamt 445,00 Euro. Eine Lösung läßt sich nur erzielen, indem Hamburg das Blindengeld nach dem bayerischen Blindengeldgesetz in Höhe von 284,00 Euro gemäß § 3 Abs. 1 des Hamburger Blindengeldgesetzes auf das Blindengeld aus Hamburg voll anrechnet, so daß sich dieser Betrag auf Null reduziert. Dieser Fall macht deutlich, wie unbefriedigend die fehlende Harmonisierung zwischen den Landesblindengeldgesetzen ist. Drerup vertritt die Auffassung, daß bei grenzüberschreitenden Regelungen kein Wahlrecht besteht, sondern die grenzüberschreitende Regelung als "lex specialis" vorgehe 267 . Dieser Auffassung kann nicht zugestimmt werden; denn in der Festlegung des Geltungsbereiches ist jedes Land souverän. Wenn ein Land den Vorrang einer grenzüberschreitenden Regelung aus einem anderen Land anerkennen wollte, müßte es dies klar zum Ausdruck bringen.

2. Einschränkende bzw. abwehrende Bestimmungen

Einschränkende Regelungen ergeben sich nach folgenden drei Varianten: a) Abwehrklausel mit Bezug auf den Aufenthalt in Anstalten, Heimen oder gleichartigen Einrichtungen 1. Im Landesgesetz wird § 109 BSHG für entsprechend anwendbar erklärt268 .

§ 109 BSHG in der Fassung vom 23. 03. 1994 bestimmt: "Als gewöhnlicher Aufenthalt im Sinne der Abschnitte 8 und 9 gelten nicht der Aufenthalt in einer Einrichtung der in § 97 Abs. 2 genannten Art und der auf richterlich angeord-

Drerup in: ZfSH, 1987, S. 82. Landespflegegeldgesetz Bremen: § 1 Abs. 1 S. 3; Landesblindengeldgesetz Hamburg: § 1 Abs. 2 S. 3; Landesblindengeldgesetz Hessen: § 1 Abs. 1 S. 3; Landesblindengeldgesetz Mecklenburg-Vorpommem: § 1 Abs. 1 S. 3; Landesblindengeldgesetz Niedersachsen: § 1 Abs. 1 S. 3; Landesblindengeldgesetz Schleswig-Holstein: § 1 Abs. 1 S. 3. 267

268

Kap. 5: Der Aufenthalt als Leistungsvoraussetzung

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neter Freiheitsentziehung beruhende Aufenthalt in einer Vollzugsanstalt." Nach § 97 Abs. 2 BSHG in der Fassung vom 23. 03. 1994 ist für die Hilfe in einer Anstalt, einem Heim oder einer gleichartigen Einrichtung der Träger der Sozialhilfe örtlich zuständig, in dessen Bereich der Hilfeempfanger seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Zeitpunkt der Aufnahme hat oder in den zwei Monaten vor der Aufnahme zuletzt gehabt hat. § 109 BSHG fingiert zum Schutz des Ortes der Einrichtung, daß der in der Einrichtung tatsächlich gegebene gewöhnliche Aufenthalt nicht bestehe. Dadurch wird erreicht, daß der für die Kostenerstattung maßgebende gewöhnliche Aufenthalt der ist, in welchem der Bewohner vor der Aufnahme in die Einrichtung seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte 269 . Der Schutzzweck erfaßt auch Vollzugsanstalten für richterlich angeordnete Freiheitsentziehung. Vollzugsanstalten werden damit genauso behandelt, wie Anstalten, Heime oder gleichartige Einrichtungen27o . Zwischen den Ländern findet bei der Anwendung der Landesblindengeld- bzw. Landespflegegeldgesetze, anders als zwischen den Sozialhilfeträgern, keine interne Kostenerstattung statt. Die entsprechende Anwendung von § 109 BSHG bedeutet deshalb, daß das "Einrichtungsland" vor den durch die Aufnahme Blinder aus anderen Ländern entstehenden Blindengeldkosten geschützt werden soll. Die Belastung hat ausschließlich der Blinde selbst zu tragen, soweit nicht durch grenzüberschreitende Regelungen im Blindengeldgesetz seines Heimatlandes geholfen wird. Diese Abwehrklausel richtet sich nicht nur gegen Blinde, die auf Kosten eines öffentlichen Leistungsträgers in der Anstalt, dem Heim oder der gleichartigen Einrichtung untergebracht werden, sondern auch gegen Selbstzahler271 . Abgewehrt werden auch Blindengeldansprüche von Blinden, die aus einem anderen Land kommend in einer Vollzugsanstalt für die richterlich angeordnete Freiheitsentziehung untergebracht sind272 • b) Genereller Ausschluß von Leistungen 2. Einen generellen Ausschluß von Leistungen beim Aufenthalt in Anstalten, Heimen und gleichartigen Einrichtungen enthalten das Landespflegegeldgesetz von Brandenburg (§ 4 Abs. 1: "Schwerbehinderte, Blinde und Gehörlose in Anstalten, Heimen und gleichartigen Einrichtungen erhalten kein Pflegegeld nach diesem Gesetz.") und das Landesblindengeldgesetz von Rheinland-Pfalz (§ 3 Schoch in: Praxiskommentar, RdNr. 2 zu § 109 BSHG. Schoch in: Praxiskommentar, RdNr. 6 zu § 109 BSHG. 271 Vgl. Schoch in: Praxiskommentar, RdNr. I zu § 109 BSHG. 272 Vgl. zum Ganzen auch Drerup: Die Regelungen des räumlichen Geltungsbereiches in den Blindengeldgesetzen der Länder in: ZfSH, 1987, Heft 2, S. 79 ff. Der Auslegung von Drerup zur entsprechenden Anwendung des § 109 BSHG, dessen Wirkung er offensichtlich auch auf das eigene Land ausdehnen will (S. 83 f.), kann ich nicht zustimmen. Die Vorschrift richtet sich nach ihrem Sinn nur nach außen. 269 270

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2. Teil: Rechtssystematische Einordnung und vergleichende Darstellung

Abs. 1: "Der Anspruch auf Blindengeld ruht, wenn und solange Blinde sich in Anstalten, Heimen oder gleichartigen Einrichtungen aufhalten. Satz I gilt nicht, wenn der Aufenthalt nicht länger als vier Wochen dauert. "). Diese Regelung wirkt a) im eigenen Land, wobei der Zeitpunkt der Einstellung des zunächst gegebenen Anspruches in Brandenburg nach § 8 Abs. 2 und der Zeitpunkt des Ruhens in Rheinland-Pfalz nach § 3 Abs. 1 S. 2 zu beachten ist. b) Wirkt die Klausel nach außen auch als Abwehrbestimmung gegenüber zuziehenden Blinden. c) Haben diese Klauseln auch grenzüberschreitende Wirkung. Das ist von Bedeutung, wenn ein Blinder aus Brandenburg oder Rheinland-Pfalz z. B. zur Berufsausbildung oder Berufsumschulung in eine Einrichtung in einem anderen Land geht und dort intematsmäßig untergebracht ist. Der gewöhnliche Aufenthalt im Herkunftsland geht in diesem Fall nicht verloren. Wegen des Ausschlusses bzw. Ruhens des Anspruches wird die Blindengeldzahlung für Blinde aus Brandenburg gemäß § 8 Abs. 2 ab dem 01. des Monats eingestellt, der auf den Eintrittsmonat folgt. Für Blinde aus Rheinland-Pfalz wird die Zahlung gemäß § 3 Abs. 1 S. 2 vier Wochen nach Eintritt in die Einrichtung eingestellt. Weil sich die genannten Regelungen nur auf Anstalten, Heime und gleichartige Einrichtungen beziehen, werden Blinde, die sich aufgrund richterlich angeordneten Freiheitsentzugs in einer Vollzugsanstalt befinden, nicht erfaßt. Soweit dieser Personenkreis ausgeschlossen werden soll, ist eine eigene Regelung erforderlich. c) Abwehrklausel mit Bezug auf richterliche Unterbringung 3. Einschränkungen können sich auch bei der Unterbringung in einer Anstalt aufgrund eines richterlich angeordneten Freiheitsentzugs ergeben. Wahrend die Abwehr gegenüber Ansprüchen von Personen, die aus einem anderen Land kommen und im eigenen Land in einer Vollzugsanstalt untergebracht werden sollen, durch die entsprechende Anwendung von § 109 BSHG erfolgt (siehe oben a», ist für den Ausschluß eigener Landeskinder eine spezielle Regelung erforderlich. Diese Regelung wirkt aber auch für den Fall grenzüberschreitend, daß ein Blinder in einer Vollzugsanstalt in einem anderen Land für eine zeitlich begrenzte, zweckorientierte Maßnahme untergebracht werden soll; denn in diesem Fall geht der gewöhnliche Aufenthalt im eigenen Land nicht verloren, so daß ohne eine entsprechende grenzüberschreitende, den Anspruch ausschließende Regelung der Leistungsanspruch gegenüber dem Heimatland bestehen bleibt. Dieselbe Wirkung tritt grenzüberschreitend ein, wenn Voraussetzung für den Blindengeldanspruch der Wohnsitz ist und dieser während der Unterbringung in einem anderen Land bestehen bleibt.

Kap. 5: Der Aufenthalt als Leistungsvoraussetzung

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Einschränkende Regeln dieser Art finden sich in den Gesetzen folgender sieben Länder: - Baden-Württemberg: LandesblindengeIdgesetz: § lAbs. 3 Nr. 2 - 4, - Brandenburg: Landespflegegeldgesetz: § 4 Abs. 2, - Hessen: Landesblindengeldgesetz: § 3 Abs. 1 Nr. 3, - Mecklenburg-Vorpommem: Landesblindengeldgesetz: § 6 Abs. 1 Buchstabe c), - Niedersachsen: Landesblindengeldgesetz: § 6 Abs. 1 Buchstabe c), - Rheinland-Pfalz: Landesblindengeldgesetz: § 5 Abs. 2 Halbsatz 2, - Schleswig-Holstein: Landesblindengeldgesetz: § 7 Abs. 1 Buchstabe c). Erforderlich ist jeweils eine strafrichterliche Entscheidung. Damit ist klargestellt, daß eine Entscheidung des Vormundschaftsgerichts nicht ausreicht.

3. Auswirkung von grenzüberschreitenden Klauseln, Abwehrklauseln und bei fehlenden Bestimmungen Auswirkung des Zuzuges aus einem Land mit einer grenzüberschreitenden Regelung in ein Land mit Abwehrklausel

Wenn ein Blinder aus einem Land mit einer grenzüberschreitenden Klausel in ein Land mit einer einschränkenden Klausel zieht, kommt es zu keinen Problemen. Die Leistung richtet sich nach dem Gesetz des Landes mit einer grenzübergreifenden Regelung; denn das Land mit der einschränkenden Klausel hat das Terrain freigegeben. Zuzug aus einem Land ohne grenzüberschreitende Regelung in ein Land ohne Abwehrklausel

Hier gelten allein die Bestimmungen des Zuzugslandes. Die Bestimmungen des ursprünglichen Landes wirken nicht über die Grenze hinaus. Zuzug aus einem Land ohne grenzüberschreitende Regelungen in ein Land mit Abwehrklausel

Die Leistungspflicht des Wegzuglandes endet an der Grenze. Im Zuzugsland werden die Zuziehenden ausgeschlossen. Es bleibt nur der Anspruch nach dem BSHG.

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2. Teil: Rechtssystematische Einordnung und vergleichende Darstellung

E. Aufenthalt im Ausland I. Leistungsanspruch bei vorhandenem Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland 1. Nach den Landesgesetzen

Ein Anspruch auf Blindengeld nach den Landesblindengeld- bzw. Landespflegegeldgesetzen besteht auch während des Aufenthaltes im Ausland, wenn der im jeweiligen Landesgesetz geforderte Wohnsitz oder gewöhnliche Aufenthalt273 oder der gewöhnliche Aufenthalt 274 bzw. beides 275 im Inland bestehen bleiben. Hinsichtlich der Voraussetzungen, die gegeben sein müssen, damit ein Wohnsitz oder gewöhnlicher Aufenthalt bejaht werden kann, wird auf die Ausführungen unter B. verwiesen. Der häufigste Fall, in welchem trotz Auslandsaufenthalt der Wohnsitz oder gewöhnliche Aufenthalt im Inland nicht verloren geht, dürfte eine Schulausbildung, Berufsausbildung oder ein Studium im Ausland sein. Selbst bei einem mehrjährigen Studium kann der im Inland gelegene Wohnsitz oder gewöhnliche Aufenthalt erhalten bleiben, wenn dessen Voraussetzungen im Inland weiter gegeben sind 276 . Der inländische LebensmiUelpunkt muß bestehen bleiben. Dem Rückkehrwillen dürfen keine objektiven Hindernisse entgegenstehen. Die inländische Wohnung bzw. Unterkunft darf nicht nur besuchsweise genutzt werden 277 . Sofern bei Blinden der Lebensmiuelpunkt im Inland fortbesteht, insbesondere eine Unterkunft zur jederzeitigen Benutzung verfügbar ist, wird bei einem Studienaufenthalt oder Aufenthalt zur Ausbildung im Ausland der Rückkehrwille schon deshalb häufig gegeben sein, weil die Chancen zur beruflichen Integration in der Bundesrepublik Deutschland bei entsprechender Qualifikation aufgrund des Schwerbehindertenrechts (SGB IX, Teil 2) international gesehen günstig sind.

273 Alternativ den Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt verlangen die Landesgesetze von Bayern (Art. lAbs. 1), Hessen (§ 1 Abs. I, wobei der gewöhnliche Aufenthalt nur genügt, wenn kein Wohnsitz im übrigen Geltungsbereich des Grundgesetzes besteht), Saarland (§ 1 Abs. 1), Sachsen (§ 1 Abs. 1) und Thüringen (§ 1 Abs. 1). 274 Nur den gewöhnlichen Aufenthalt haben zur Voraussetzung die Landesgesetze von Baden-Württemberg (§ 1 Abs. 1), Brandenburg (§ 1 Abs. 1), Bremen (§ 1 Abs. 1), Hamburg (§ 1 Abs. 2), Mecklenburg-Vorpommern (§ 1 Abs. 1), Niedersachsen (§ 1 Abs. 1), NordrheinWestfalen (§ 1 Abs. 2 für Blinde und § 4 Abs. 1 für hochgradig Sehbehinderte), RheinlandPfalz (§ 1 Abs. 1), Sachsen-Anhalt (§ 1 Abs. 1) und Schieswig-Hoistein (§ 1 Abs. 1). 275 Sowohl Wohnsitz als gewöhnlichen Aufenthalt verlangt Berlin (§ 1 Abs. 1). 276 BSG, Urteil vom 22. 03. 1988 - 8/5a RKn 11/87 = SozR 2200, § 205 Nr. 65. 277 BSG, Urteil vom 28. 05. 1997 -14/10 RKg 14/94 = SGB 1997, S. 418.

Kap. 5: Der Aufenthalt als Leistungsvoraussetzung

313

2. Nach § 67 BSHC

Wenn der gewöhnliche Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland fortbesteht und nach dem einschlägigen Landesgesetz kein Anspruch auf Blindengeld gegeben ist oder der Blindengeldanspruch nach dem Landesgesetz niedriger als die Blindenhilfe nach § 67 BSHG ist, besteht Anspruch auf Blindenhilfe bzw. ergänzende Blindenhilfe nach § 67 BSHG. In diesem Fall richtet sich nämlich der Anspruch auf Sozialhilfe nicht nach § 119 BSHG, sondern unmittelbar nach § 67 BSHG; denn deutsches Sozialhilferecht gilt in vollem Umfang für Personen, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland haben und Deutsche oder ihnen gleichgestellte Ausländer sind. Dies ergibt sich zwar nicht ausdrücklich .aus dem BSHG, läßt sich jedoch im Umkehrschluß aus § 119 BSHG erschließen. § 119 Abs. 1 BSHG beschränkt für Deutsche mit gewöhnlichem Aufenthalt im Ausland den Umfang des Leistungsanspruches auf Sozialhilfe. Hieraus ergibt sich im Umkehrschluß: Für Deutsche mit gewöhnlichem Aufenthalt im Inland gilt die Beschränkung des Sozialhilferechts nicht 278 . 11. Leistungsanspruch bei fehlendem Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland 1. Nach den Landesgesetzen

Keines der Landesblindengeld- oder Landespflegegeldgesetze enthält eine grenzüberschreitende Regelung, die für diesen Fall den Anspruch auf Blindengeld fortbestehen ließe. 2. Nach dem BundessozialhilJegesetz

Damit kommen nur Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz in Frage. Ein unmittelbarer Anspruch auf Blindenhilfe nach § 67 BSHG kommt nicht in Frage. Auch die Verordnung-EWG Nr. 1408171 bietet keine Rechtsgrundlage für Sozialhilfen im Ausland; denn steuerfinanzierte Sozialleistungen werden von ihr nicht erfaßr279 • Wenn kein gewöhnlicher Aufenthalt mehr in der Bundesrepublik besteht und Sozialhilfe im Ausland erforderlich wird, richten sich die Anspruchsvoraussetzungen nach § 119 BSHG. Nach § 119 Abs. 3 wird Hilfe nicht gewährt, soweit sie von dem hierzu verpflichteten Aufenthaltsland oder von anderen gewährt wird oder zu erwarten ist. Spezialabkommen im Sinne von § 119 BSHG sind z. B. 278 Vgl. Eichenhofer: Sozialrecht, S. 285 und Urteil des OVG Münster vom 06. 02. 19968 A 2866/93 = ZfS, 1996, S. 372 ff. 279 Vgl. dazu auch Eichenhofer: Export von Sozialleistungen in SGB 1999, Heft 2, S. 59.

314

2. Teil: Rechtssystematische Einordnung und vergleichende Darstellung

- das Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich über Fürsorge und Jugendwohlfahrtspflege vom 17.01. 1966 (BGBI. 1969,11, S. 1), - die Vereinbarung zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizer Eidgenossenschaft über die Fürsorge von Hilfsbedürftigen vom 14. 07. 1952 (BGBI. 1953, II, S. 31, 192 und BGBI. 1954, II, S. 779 und - das Europäische Fürsorgeabkommen (EFA) vom 11. 12. 1953. Ebenso wie nach diesen Abkommen Ausländern aus den Unterzeichnerstaaten in der Bundesrepublik Deutschland die gleichen Fürsorgeleistungen gewährt werden müssen wie Inländern, ergibt sich gegenüber Deutschen in den entsprechenden Ländern die gleiche Verpflichtung 28o . Ansprüche aus dem Europäischen Fürsorgeabkommen können sich für Deutsche danach in Belgien, Dänemark, Frankreich, Griechenland, Island, Irland, Italien, Luxemburg, Malta, den Niederlanden, Norwegen, Portugal, Spanien, Schweden, der Türkei und Großbritannien ergeben 281 • Soweit kein Anspruch auf solche vorrangige Leistungen im Ausland besteht, kann nach § 119 Abs. 1 BSHG Deutschen, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland haben und im Ausland der Hilfe bedürfen, in besonderen Notfällen Sozialhilfe gewährt werden. Der gewöhnliche Aufenthalt im Ausland ist dabei unter Berücksichtigung der speziellen sozialhilferechtlichen Erfordernisse zu bestimmen. Ein "gewöhnlicher Aufenthalt" im Ausland als Voraussetzung der Sozialhilfe für Deutsche im Ausland besteht an dem Ort im Ausland, an dem der Hilfebedürftige nicht nur vorübergehend den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen hat. Die dafür erforderliche Verfestigung der Lebensverhältnisse an dem betreffenden Ort setzt regelmäßig voraus, daß der Aufenthalt auf Dauer angelegt ist und eine entsprechende Dauer auch erlangt hat282 . Die Verfestigung der Lebensverhältnisse an dem betreffenden Ort im Ausland ergibt sich insbesondere aus familiärer, sozialer und beruflicher Einbindung. Der dauernde Aufenthalt darf keinen objektiven Hindernissen, wie z. B. fehlender Aufenthaltsberechtigung, begegnen. Die Berücksichtigung dieser sozialhilferechtlichen Situation rechtfertigt sich daraus, daß § 119 BSHG das Angebot an Sozialhilfeleistungen auf in Hilfebedürftigkeit geratene Deutsche im Ausland erstreckt und damit Rücksicht auf die "erreichte Einbindung des Hilfebedürftigen in sein dortiges Umfeld" nimme 83 . Die Berücksichtigung sozialhilferechtlicher Gesichtspunkte bei der Auslegung des Begriffes "gewöhnlicher Aufenthalt" in § 119 BSHG ist aufgrund von § 37 S. 1 SGB I zulässig. Vgl. oben C. 11. Eichenhofer: Sozialrecht, S. 285. 282 BVerwG, Urteil vom 31. 08. 1995-5 C 11/94 = ZfSH/SGB 1996, S. 74, FEVS, Bd. 46, S. 133; OVG Münster, Urteil vom 06. 02. 1996 - 8 A 2866 I 93 = ZfS 1996, S. 372 ff. 283 Urteil des BSG vom 31. 08. 1995-5 C 11/94 = ZfSH/SGB 1996, S. 74, FEVS, Bd. 46, S. 133. 280 281

Kap. 5: Der Aufenthalt als Leistungsvoraussetzung

315

Wenn weder in der Bundesrepublik noch am Aufenthaltsort im Ausland ein gewöhnlicher Aufenthalt besteht, kann § 119 BSHG allerdings analog angewendet werden. Dieser Fall ist nämlich nicht geregelt, so daß eine Lücke im Regelungssystem besteht. Die Zielsetzung des § 119 BSHG, unter Berücksichtigung der Bindungen im Ausland das Sozialhilfeangebot für Deutsche über die Grenzen hinaus zu erweitern, gebietet die analoge Anwendung auch dann, wenn es einem Deutschen, der weder in Deutschland noch an seinem Aufenthaltsort im Ausland den gewöhnlichen Aufenthalt hat, trotzdem die Rückkehr nach Deutschland, um hier die Sozialhilfeleistung entgegenzunehmen, unzumutbar ist. Solche Gründe können z. B. familiäre Bindungen sein 284 . § 119 Abs. 1 S. 1 BSHG fordert weiter, daß ein "besonderer Notfall", der die Sozialhilfeleistungen im Ausland rechtfertigt, vorliegt. Das ist dann der Fall, "wenn eine nicht unerhebliche Beeinträchtigung existentieller Rechtsgüter droht und dieser Gefahr nur durch Hilfegewährung im Ausland begegnet werden kann, weil dem Bedürftigen eine Rückkehr nach Deutschland nicht zumutbar ist"285. Für das Vorliegen eines "besonderen Notfalles" kommt es nicht entscheidend darauf an, ob die besondere Hilfebedürftigkeit plötzlich und unvorhergesehen eingetreten ist286 .

Art, Form und Maß der Sozialhilfe richten sich gemäß § 119 Abs. 4 BSHG nach den besonderen Verhältnissen im Aufenthaltsland. Das ist bei der Ermessensentscheidung zu beachten. Das bedeutet aber nicht, daß die Sozialhilfe auf das allgemeine Lebensniveau im Aufenthaltsland beschränkt werden muß. Vielmehr steht § 119 Abs. 4 BSHG unter dem Vorbehalt des § 1 Abs. 2 BSHG, wonach es Aufgabe der Sozialhilfe ist, dem Hilfeempfänger die Führung eines Lebens zu ermöglichen, das der Würde des Menschen entspricht287 . Aus alledem ergibt sich, daß Leistungen zum Ausgleich blindheitsbedingter Mehraufwendungen als Ermessensleistungen nach § 119 BSHG möglich sind, wenn der Blinde seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland hat, ihm Leistungen zum Ausgleich der blindheitsbedingten Mehraufwendungen von anderer Seite dort nicht gewährt werden und die Rückkehr in die Bundesrepublik nicht zugemutet werden kann. Die Ausgleichsleistung kann auch in pauschalierter Form erfolgen.

284 BSG, Urteil vom 31. 08. 1995-5 C 1l/94 = ZfSH/SGB 1996, S. 74, FEVS, Bd. 46, S.133. 285 Vgl. Urteile des BVerwG vom 05. 06.1997-5 C 17/96 =FEVS 48, 98-101; 5 C 4/ 96 OVBI. 1997, S. 1441 ff. 286 BVerwG, Urteil vom 05.06.1997-5 C 3/97; den plötzlichen und unvorhergesehen Eintritt der Notlage hat das OVG als Gericht der Vorinstanz in seinem Urteil vom 25.09. 1996-4 L 3644/96 - gefordert. 287 Bundestagsdrucksache 12/4401, S. 85 und BSG, Urteil vom 05. 06.1997 -5 C 4/96 = DVBl. 1997, S. 1441 ff.

=

316

2. Teil: Rechtssystematische Einordnung und vergleichende Darstellung

Kapitel 6

Begrenzung durch das Lebensalter A. Berücksichtigung des Lebensalters bei Leistungen für Blinde I. Keine Begrenzung

In 10 von 16 Landesgesetzen wird das Blindengeld, wenn die entsprechenden Voraussetzungen gegeben sind, ohne jede Altersbegrenzung, d. h. bereits ab Geburt, gewährt. Die Blindenhilfe nach § 67 BSHG wird seit 01. 01. 1991 ebenfalls ohne jede Altersbegrenzung geleistet (vorher ab Vollendung des 1. Lebensjahres). Es handelt sich um folgende Landesgesetze: Bayern: Bayerisches Landesblindengeldgesetz; Art. 1 Abs. 1 Hamburg: Blindengeldgesetz für Hamburg; § 1 Abs. 1 Mecklenburg-Vorpommern: Landesblindengeldgesetz; § 1 Abs. 1 Niedersachsen: Landesblindengeldgesetz; § 1 Abs. 1 Nordrhein-Westfalen: Gesetz über Hilfen für Blinde und Gehörlose; § 1 Abs. 1 Rheinland-Pfalz: Landesblindengeldgesetz; § 1 Abs. 1 Saarland: Blindheitshilfegesetz; § 1 Abs. 1 Sachsen-Anhalt: Gesetz über das Blinden- und Gehörlosengeid; § 1 Abs. 1 Schleswig-Holstein: Landesblindengeldgesetz; § 1 Abs. 1 Thüringen: Thüringer Blindengeldgesetz; § 1 Abs. 1

11. Leistung ab Vollendung des 1. Lebensjahres

In sechs anderen Ländern wird das Blindengeld nach wie vor erst nach Vollendung des 1. Lebensjahres gewährt. Es handelt sich um:

Kap. 6: Begrenzung durch das Lebensalter

317

B aden-Württemberg: Landesblindengeldgesetz; § 1 Abs. 1 S. 1 Berlin: Pflegegesetz; § 1 Abs. 1 Brandenburg: Landespflegegeldgesetz; § 1 Abs. 1 Bremen: Landespflegegeldgesetz; § 1 Abs. 1 Hessen: Landesblindengeldgesetz; § lAbs. 1 Sachsen: Landesblindengeldgesetz; § 1 Abs. 1 Blinde vor Vollendung des 1. Lebensjahres haben in diesen Ländern Anspruch auf Blindenhilfe nach § 67 BSHG, soweit die dafür erforderlichen Voraussetzungen gegeben sind. Das heißt insbesondere, soweit die im BSHG festgesetzten Grenzen für Einkommen und Vermögen nicht überschritten werden. Von dem in den obigen sechs Ländern geltenden Ausschluß des Anspruchs während des 1. Lebensjahres ist die nach Lebensalter unterschiedliche Staffelung hinsichtlich der Höhe des Blindengeldanspruches zu unterscheiden. Dazu vergleiche unten Kap. 9.

B. Leistungen für hochgradig Sehbehinderte Hochgradig Sehbehinderte erhalten Leistungen ab Geburt in: Mecklenburg-Vorpommern: Landesblindengeldgesetz; § 1 Abs. 1 und Sachsen-Anhalt: Gesetz über das Blinden- und Gehörlosengeid; § lAbs. 1 Ab Vollendung des 1. Lebensjahres in: Berlin: Pflegege1dgesetz; § 1 Abs. 1 Hessen: Landesblindengeldgesetz; § 1 Abs. 1 und Sachsen: Landesblindengeldgesetz, § 1 Abs. 1 Ab Vollendung des 16. Lebensjahres in: Nordrhein-Westfalen: Landesgesetz über Hilfen für Blinde und Gehörlose; § 4 Abs. 1.

318

2. Teil: Rechtssystematische Einordnung und vergleichende Darstellung

C. Stellungnahme Soweit Blinde oder hochgradig Sehbehinderte vor Vollendung des 1. Lebensjahres in den jeweiligen Landesgesetzen vom Bezug des Blindengeldes ausgeschlossen sind, wird das mit der in diesem Lebensalter ohnehin gegebenen Pflegebedürftigkeit begründet. Allerdings ist zu bedenken, daß schon in diesem Lebensalter zur Wahrung einer normalen Entwicklung eine besondere Zuwendung durch die Eltern oder sonstige Bezugspersonen notwendig ist. Zum Beispiel muß das Kind durch akustische und taktile Anreize zur Aktivität motiviert werden.

Kapitel 7

Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen A. Landesgesetze Die Leistungen nach den Landesblindengeld- bzw. Landespflegegeldgesetzen werden durchweg ohne Rücksicht auf Einkommen und Vermögen gewährt. Ausdrücklich wird das in den fünf Landesgesetzen von Berlin (§ 3 Abs. 1, Halbsatz 2 "unbeschadet des sonstigen Einkommens"), Brandenburg (§ 1 Abs. 1 "ohne Rücksicht auf Einkommen und Vermögen"), Bremen (§ lAbs. 1 S. 1 "Einkommen oder Vermögen"), Sachsen-Anhalt (§ 1 Abs. 1 "ohne Rücksicht auf Einkommen und Vermögen") und Thüringen (§ 1 Abs. 1 S. 1 "ohne Anrechnung von Einkommen und Vermögen") bestimmt. Für die übrigen Landesgesetze ergibt sich das aus dem Fehlen von Anrechnungsbestimmungen. Hinsichtlich des Vermögens ergibt sich das für Berlin ebenfalls aus dem Fehlen einer entsprechenden Regelung. Darin, daß auf die Leistungen nach den Landesgesetzen weder Einkommen noch Vermögen angerechnet werden, kommt die rehabilitative Zweckbestimmung des Blindengeldes besonders zum Ausdruck288 .

B. Bundessozialhilfegesetz I. Vorbemerkung Im Gegensatz zu den Landesgesetzen wird die Blindenhilfe nach § 67 BSHG nur gewährt, wenn die im BSHG festgelegten Einkommens- und Vermögensgrenzen nicht überschritten werden, denn nach § 2 Abs. 1 BSHG erhält Sozialhilfe 288

Vgl. Kap. 4, D.

Kap. 7: Berücksichtigung von Einkommen und Vennögen

319

nicht, wer sich selbst helfen kann oder wer die erforderliche Hilfe von anderen, besonders von Angehörigen oder von Trägem anderer Sozialleistungen, erhält (Subsidiaritätsgrundsatz). Die Verpflichtung zum Einsatz des Einkommens und Vermögens seitens des Verpflichteten und der Bedarfsgemeinschaft ergibt sich für die Hilfe zum Lebensunterhalt aus § 11, für die Hilfe in besonderen Lebenslagen aus § 28 BSHG. In welchem Umfang Einkommen und Vermögen eingesetzt werden müssen, ist im 4. Abschnitt des BSHG geregelt. Wenn diese Grenzen nicht überschritten werden, ist die Hilfe aus eigenen Mitteln bzw. aus den Mitteln der Verpflichteten nicht möglich. Bei der Hilfe zum Lebensunterhalt ist das Einkommen in voller Höhe, bei der Hilfe in besonderen Lebenslagen jedoch nur in zumutbarem, an den Einkommensgrenzen orientiertem Umfang einzusetzen (BSHG, § 76 ff.). Diese Unterscheidung wird hinsichtlich des zugemuteten Einsatzes des Vermögens nicht gemacht. § 88 BSHG zieht Grenzen hinsichtlich des Einsatzes des Vermögens. Dadurch soll dem Hilfsbedürftigen und seinen Angehörigen ein gewisser Spielraum in der wirtschaftlichen Bewegungsfreiheit erhalten bleiben 289 .

11. Abhängigkeit vom Einkommen

1. Einkommensbegriff

Der Einkommensbegriff ergibt sich aus § 76 BSHG. Einkommen sind nach dem Gesetzeswortlaut des Abs. 1 alle Einkünfte in Geld oder Geldeswert, mit Ausnahme einiger ausdrücklich genannter Einkünfte. Der Einkommensbegriff ist jedoch nicht so umfassend zu sehen, wie das der Wortlaut von § 76 Abs. 1 nahelegen würde. Er ist teleologisch nach dem Sinn und Zweck der sozialhilferechtlichen Vorschriften dahin einzuschränken, daß zum Einkommen nur solche Einkünfte in Geld oder Geldeswert zählen, die zur Deckung des Sozialhilfebedarfs tatsächlich zur Verfügung stehen 29o . Die Einkünfte können laufend, regelmäßig oder unregelmäßig, wiederkehrend und auch einmalig sein. Auf die Herkunft kommt es nicht an. Beispiele sind: Arbeitslohn, Lohnersatzleistungen, Sozialrenten, Miet- und Pachteinnahmen, Kapitalerträge, Unterkunft und Verpflegung, Warenbezüge 291 • Zwischen dem Einkommen und der begehrten Sozialhilfeleistung muß Bedarfsidentität und Zeitraumidentität bestehen. Nach dem Grundsatz der Bedarfsidentität können für die Feststellung des Sozialhilfebedarfs nur solche Einkünfte herangezogen werden, die zur Deckung des Sozialhilfebedarfs tatsächlich zur Verfügung stehen und nicht vorrangig für einen anderen Zweck dienen 292. Fehlt es an einer anderweitigen Zweckbestimmung der Einkünfte, so ist davon auszugehen, daß sie Brühl in: Praxiskommentar, RdNr. 1 zu § 88 BSHG. Brühl in: Praxiskommentar, RdNr. 2 zu § 76; BVerwG, Urteil vom 04.06. 1992-5 C 82/88 =BVerwGE 90, 217. 291 Vgl. Brühl in: Praxiskommentar, RdNr. 3 und 4 zu § 76 . 292 BVerwGE, Bd. 29, S. 295 ff. 289 290

320

2. Teil: Rechtssystematische Einordnung und vergleichende Darstellung

zur Deckung des Sozialhilfebedarfs zur Verfügung stehen. Zu beachten ist § 78 BSHG. Aus dem Grundsatz der Zeitraumidentität ergibt sich, daß nicht alle Einkünfte, die im Bedarfszeitraum zugehen, zum Einkommen zählen, sondern nur solche, die für den gleichen Zeitraum bestimmt sind, für den der Sozialhilfebedarf besteht. Der Grundsatz des Nachranges der Sozialhilfe kann nur voll verwirklicht werden, wenn die jeweils aufeinander bezogenen Leistungen nicht nach dem Leistungszeitpunkt, sondern nach dem Leistungszeitraum einander gegenübergestellt werden 293 . Für Nachzahlungen ergibt sich aus dem Grundsatz der Zeitidentität, daß sie nicht im Bedarfszeitraum des Zuflusses zur Verfügung stehen. Sie sind unmittelbar als Vermögen zu behandeln und ggf. im Rahmen von § 88 BSHG zu berücksichtigen. Das führt zu den an folgenden Beispielen gezeigten Ergebnissen: Beispiel 1: Der Blinde A lebt alleine. Sein monatliches Einkommen beläuft sich auf einen zu berücksichtigenden Betrag in Höhe von 400,00 Euro. Vermögen ist keines vorhanden. Im Juni 2002 erhält er eine Rentennachzahlung ab 01. 01. 2002 für sechs Monate in Höhe von monatlich 500,00 Euro, also 3.000,00 Euro. Ab Juli 2002 wird die Rente laufend in Höhe von 500,00 Euro monatlich gewährt. Im Monat Juni 2002 besteht die Zeitidentität für den auf diesen Monat entfallenden Rentenanteil von 500,00 Euro. Das zu berücksichtigende Einkommen von 400,00 Euro erhöht sich für den Monat Juni um 500,00 Euro auf 900,00 Euro. Der übrige Nachzahlungsbetrag von 2.500,00 Euro fließt unmittelbar seinem Vermögen zu. Das zu berücksichtigende Einkommen in Höhe von 900,00 Euro liegt damit unterhalb der Einkommensgrenze, die sich aus § 79 i.Y.m. § 81 Abs. 2 BSHG ergibt. Das Vermögen liegt aber auch unterhalb der sich aus § 88 Abs. 2 Nr. 8 i.V.m. § 88 Abs. 4 und § I Abs. I Nr. I Buchstabe b) der Verordnung zur Durchführung des § 88 Abs. 2 Nr. 8 BSHG ergangenen Rechtsverordnung in Höhe von 4.090,00 Euro. A erhält sowohl im Juni als auch in den folgenden Monaten Blindenhilfe nach

§ 67 BSHG, soweit diese nicht durch andere Leistungen, z. B. durch ein Landes-

blindengeldgesetz, ausgeschlossen ist.

293 Vgl. Brühl in: Praxiskommentar, RdNr. 10 zu § 76 BSHG. Gegenüber der auch hier vertretenen Auffassung, die der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts entspricht, zählen nach der Zuflußtheorie alle Zuflüsse in Geld oder Geldeswert, die in einem Bedarfszeitraum zugehen, zunächst zum Einkommen, und zwar ohne Rücksicht auf die Rechtsnatur der Zuflüsse und auf die Tatsache, ob es sich um einmalige oder laufende Zuflüsse handelt. Die Zuflußtheorie geht auf die Empfehlungen des Deutschen Vereins (DV 1971, 10,25,29,37) zurück.

Kap. 7: Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen

321

Würde die Nachzahlung von 3.000,00 Euro dem Einkommen im Juni 2002 voll zugerechnet, so läge in diesem Monat sein zu berücksichtigendes Einkommen über der Einkommensgrenze, die sich aus § 79 i.Y.m. § 81 Abs. 2 BSHG ergibt. Im Monat Juni hätte er keinen Anspruch auf Blindenhilfe. In den folgenden Monaten wäre der Anspruch auf Blindenhilfe wieder gegeben, weil die Einkommensgrenze mit seinem zu berücksichtigenden Einkommen von monatlich 900,00 Euro und die Vermögensgrenze auch dann nicht überschritten ist, wenn A die volle Nachzahlung in Höhe von 3.000,00 Euro anspart. Beispiel 2: A erhält nicht eine Nachzahlung der Rente für sechs Monate, sondern für 12 Monate, also für den Zeitraum ab Juli 2001, somit insgesamt 6.000,00 Euro. Im Juni 2002 stehen somit als zu berücksichtigendes Einkommen 900,00 Euro zur Verfügung. 5.500,00 Euro werden unmittelbar zum Vermögen. Der Blindenhilfeanspruch scheitert hier nicht am Einkommen (§ 79 und § 88 Abs. 2 BSHG), sondern an der Vermögensgrenze nach § 88 Abs. 2 Nr. 8 i.Y.m. § 1 Abs. 1 Buchstabe b) der Verordnung zu § 88 BSHG. Blindenhilfe steht solange nicht zu, als das Vermögen die dort gezogene Vermögensgrenze von 4.090,00 Euro überschreitet.

2. Einkommensgrenzen

In Abschnitt 4, Unterabschnitt 2 BSHG sind Einkommensgrenzen für die Hilfe in besonderen Lebenslagen festgelegt. Aus § 28 Abs. I BSHG ergibt sich, daß Blindenhilfe gewährt wird, soweit dem Hilfesuchenden, seinem nicht getrennt lebenden Ehegatten und, wenn er minderjährig und unverheiratet ist, auch seinen Eltern, die Aufbringung der Mittel für den blindheitsbedingten Mehrbedarf nicht aus dem Einkommen und Vermögen nach den Bestimmungen des Abschnittes 4 zuzumuten ist. Werden diese Einkommensgrenzen nicht überschritten, ist dem Hilfesuchenden und seinem nicht getrennt lebenden Ehegatten die Aufbringung der Mittel nicht zumutbar (§ 79 BSHG). Die Einkommensgrenze setzt sich nach § 79 Abs. I zusammen: 1. aus einem Grundbetrag, 2. den Kosten der Unterkunft, soweit die Aufwendungen hierfür den der Besonderheit des Einzelfalles angemessenen Umfang nicht übersteigt und 3. einem Familienzuschlag. An die Stelle des Grundbetrages nach § 79 Abs. 1 Nr. 1 BSHG von 551,00 Euro tritt bei der Blindenhilfe gemäß § 81 Abs. 2 ein Grundbetrag von 1.651,00 Euro in den alten Bundesländern einschließlich Berlin - neue Bundesländer: 1.439,00 Euro (Stand: 01. 01. 2002). Anstelle des Familienzuschlages nach § 79 Abs. 1 Nr. 3 tritt ein besonderer Familienzuschlag für den nicht getrennt lebenden Ehegatten, wenn 21 Demme1

322

2. Teil: Rechtssystematische Einordnung und vergleichende Darstellung

jeder der Ehegatten blind oder behindert im Sinne des § 76 Abs. 2a Nr. 3 BSHG ist. Dieser Familienzuschlag beziffert sich auf die Hälfte des Grundbetrages nach § 81 Abs. 1 BSHG. Das heißt, daß sich der Familienzuschlag nach dem Stand vom 01. 01. 2002 auf 1/2 von 826,00 Euro = 413,00 Euro beläuft. Die Grundbeträge nach den §§ 79 und 81 Abs. 1 und 2 verändern sich jeweils um den Vom-HundertSatz, um den sich der aktuelle Rentenwert in der gesetzlichen Rentenversicherung verändert.

111. Abhängigkeit vom Vermögen Der Hilfebedarf wird auch von Vermögensgrenzen abhängig gemacht. Welches Vermögen einzusetzen ist, ist in Abschnitt 4, 3. Unterabschnitt BSHG geregelt. Wahrend die Einkommensgrenze im Einzelfall infolge des besonderen Grundbetrages nach § 81 Abs. 2 und infolge der Familienzuschläge sowie des Aufwandes für die Unterkunft relativ hoch liegen kann, wird ein Anspruch auf Blindenhilfe häufig an den Vermögensgrenzen des § 88 BSHG scheitern.

1. VennögensbegrüT Das Vermögen im Sinne des BSHG umfaßt das gesamte verwertbare Vermögen (§ 8 Abs. 1 BSHG). In § 88 Abs. 1 wird der Begriff des Vermögens vom Gesetzgeber vorausgesetzt. Unter Vermögen sind alle Gegenstände und Güter zu verstehen, die nach der Verkehrs anschauung nicht zur Bestreitung des gegenwärtigen Bedarfs vorgesehen sind. Wie beim Begriff des Einkommens, handelt es sich auch beim Begriff des Vermögens um eine wirtschaftliche Größe. Zum Vermögen zählen Geld oder Geldeswerte, d. h. Ersatzmittel, die im wirtschaftlichen Verkehr wie Geld behandelt werden (Gutscheine, Schecks u. ä.), soweit sie nicht dem Einkommen zuzurechnen sind (zum Einkommensbegriff siehe oben). Mittel, die im Zuflußmonat nicht ausgegeben werden, sind nicht mehr für den Bedarf dieses Zeitraums bestimmt. Sie zählen deshalb zum Vermögen. Deshalb werden auch Nachzahlungen, z. B. Renten oder Pensionsnachzahlungen, zum Vermögen. Zum Vermögen gehören weiter Immobilien, z. B. bebaute und unbebaute Grundstücke, sowie bewegliche Sachen wie Schmuckstücke, Kunstgegenstände, Sammlungen u. ä. Des weiteren gehören Forderungen oder sonstige Rechte zum Vermögen 294 • Die Sozialhilfe darf allerdings nur von verwertbarem Vermögen abhängig gemacht werden. Die Höhe des Vermögens bestimmt sich entweder nach dem Geldwert oder, soweit dieser nicht ohne weiteres ersichtlich ist, nach dem Wert, der bei der Veräußerung zu erzielen ist (Verkehrswert).

294

Brühl in: Praxiskommentar, RdNr. 5-9.

Kap. 7: Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen

323

2.Schonvermögen Das Vennögen ist nicht restlos einzusetzen, dem Sozialhilfeberechtigten und seinen Angehörigen soll vielmehr ein gewisser Spielraum in der wirtschaftlichen Bewegungsfreiheit belassen werden. Dem dienen insbesondere das in § 88 Abs. 2 aufgeführte Schonvennögen und die Härteregelung des § 88 Abs. 3. § 88 darf deshalb nicht starr und schematisch angewendet werden, vielmehr ist für die Prüfung, welches Vennögen einzusetzen ist, der Grundsatz des § 3 Abs. I über die Gewährung der Hilfe nach den Besonderheiten des Einzelfalles zu beachten 295 . Auf Einzelheiten des in § 88 Abs. 2 aufgeführten Kataloges kann hier nicht eingegangen werden. In der Praxis von besonderer Bedeutung sind die Nm. 8 (kleinere Barbeträge), 7 (angemessenes Hausgrundstück) und 2 (Vennögen, das zur Beschaffung oder zum Erhalt eines Hausgrundstücks im Sinne der Nr. 7 bestimmt ist). a) Kleinere Barbeträge Die Höhe der Barbeträge, die nach § 88 Abs. 2 Nr. 8 unberücksichtigt bleiben, kann nach § 88 Abs. 4 BSHG durch Rechtsverordnung festgelegt werden. Aufgrund von § I Abs. I Nr. I Buchstabe b) der Verordnung zur Durchführung des § 88 Abs. 2 Nr. 8 BSHG vom 11. 02. 1988 (BGB!. I, S. 150), bleibt bei der Blindenhilfe ein Betrag von 4.090,00 Euro für Alleinstehende unberücksichtigt. Dieser Betrag erhöht sich um 256,00 Euro für jede Person, die vom Hilfesuchenden überwiegend unterhalten wird. Bei Verheirateten erhöht sich der Betrag von 4.090,00 Euro um 614,00 Euro für den nicht getrennt lebenden Ehegatten und um 256,00 Euro für jede Person, die vom Hilfesuchenden oder seinem Ehegatten überwiegend unterhalten wird (§ I Abs. I Nr. 2 der Verordnung zu § 88). Der Betrag von 4.090,00 Euro erhöht sich um 1.534,00 Euro für den Ehegatten, wenn beide Eheleute blind oder behindert im Sinne des § 76 Abs. 2a Nr. 3 Buchstabe a) bzw. Buchstabe b) sind, zuzüglich eines Betrages von 256,00 Euro für jede Person, die vom Hilfesuchenden oder seinem Ehegatten überwiegend unterhalten wird (§ I Abs. I Nr. 2 in Verbindung mit § I Abs. I S. 2 Verordnung nach § 88). Wenn die Sozialhilfe vom Vennögen eines minderjährigen unverheirateten Hilfesuchenden und seiner Eltern abhängig ist, erhöht sich der Betrag von 4.090,00 Euro um einen Betrag von 614,00 Euro für einen Elternteil und um 256,00 Euro für den Hilfesuchenden und für jede Person, die von den Eltern oder vom Hilfesuchenden überwiegend unterhalten wird. Wenn beide Eltern blind oder behindert im Sinne des § 76 Abs. 2a Nr. 3 Buchstabe a) bzw. Buchstabe b) sind, erhöht sich der Betrag von 4.090,00 Euro um 1.534,00 Euro für einen Elternteil und um 256,00 Euro für den Hilfesuchenden 295

21*

Brühl in: Praxiskommentar, RdNr. 4 zu § 88 BSHG.

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2. Teil: Rechtssystematische Einordnung und vergleichende Darstellung

und für jede Person, die von den Eltern oder vom Hilfesuchenden überwiegend unterhalten wird (§ 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 in Verbindung mit § 1 Abs. 1 S. 2 Verordnung nach § 88 BSHG). Nach § 2 Abs. 1 der Verordnung zu § 88 muß der nicht berücksichtigungsfähige Barbetrag angemessen erhöht werden, wenn im Einzelfall eine besondere Notlage des Hilfesuchenden besteht. b) Angemessenes Hausgrundstück Nach § 88 Abs. 2 Nr. 7 BSHG gehört zum Schonvermögen ein angemessenes Hausgrundstück, das vom Hilfesuchenden oder einer anderen in den §§ 11 bzw. 28 BSHG genannten Person allein oder zusammen mit Angehörigen ganz oder teilweise bewohnt wird und nach dem Tod des Hilfesuchenden bewohnt werden soll. Die Angemessenheit bestimmt sich nach der Zahl der Bewohner, dem Wohn bedarf, der sich z. B. auch aus der Blindheit ergibt, der Grundstücksgröße,296 der Hausgröße, dem Zuschnitt und der Ausstattung des Wohngebäudes sowie dem Wert des Grundstücks, einschließlich des Wohngebäudes (§ 88 Abs. 2 Nr. 7 BSHG). Familienheime und Eigentumswohnungen im Sinne der §§ 7 und 12 des 2. Wohnungsbaugesetzes sind in der Regel nicht unangemessen groß, wenn ihre Wohnfläche die Grenzen des § 39 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und 3 in Verbindung mit Abs. 2 des 2. Wohnungsbaugesetzes nicht übersteigt. In § 7 2. Wohnbaugesetz ist der Begriff des Familienheimes, in § 12 der Begriff der Eigentumswohnung definiert. § 39 2. Wohnbaugesetz legt die angemessenen Größen fest. Sie beträgt z. B. nach § 39 Abs. 1 Nr. 1 für Familienheime mit nur einer Wohnung 130 qm, nach Nr. 3 für eigengenutzte Eigentumswohnungen und Kaufeigentumswohnungen 120 qm. Nach § 39 Abs. 22. Wohnbaugesetz ist eine Überschreitung der in Abs. 1 S. 1 Nr. 1-4 und S. 2 genannten Wohnflächengrenzen zulässig, 1. soweit die Mehrfläche zu einer angemessenen Unterbringung eines Haushalts mit mehr als vier Personen erforderlich ise97 oder 2. soweit die Mehrfläche zur angemessenen Berücksichtigung der besonderen persönlichen oder beruflichen Bedürfnisse des Wohnungsinhabers oder einer Person der Einsatzgemeinschaft erforderlich ist298 . 296 Für die Grundstücksgröße sind entsprechend dem 2. Wohnbauförderungsgesetz folgende Größen anzunehmen: Reihenhaus bis zu 250 qm, Doppelhaushälfte bis zu 350 qm, freistehendes Haus bis zu 500 qm. 297 Für jede weitere Person erhöht sich die Wohnfläche um 20 qm (§ 82 Abs. 3, 2. Wohnbaugesetz). Bei weniger als vier Personen kann die Wohnflächengröße entsprechend unterschritten werden. Bei Einzelpersonen werden 65 qm, bei zwei Personen 90 qm und bei drei Personen 105 qm als angemessen betrachtet. Bei häuslicher Pflege sind diese Grenzen um 20% zu erhöhen (vgl. Brühl: Praxiskommentar, RdNr. 37 zu § 88 BSHG). 298 Bei Berücksichtigung der persönlichen Verhältnisse ist eine Erhöhung um 20 v. H., d. h. bei Eigenheimen auf 156 qm und bei Eigentumswohnungen auf 144 qm möglich.

Kap. 7: Berücksichtigung von Einkommen und Vennögen

325

Ein Familienheim oder eine Eigentumswohnung im Sinne von §§ 7 und 12 2. Wohnbaugesetz ist bei Einhaltung der in § 88 Abs. 2 Nr. 7 S. 3 BSHG genannten Wohnflächengrenzen ein nach § 88 Abs. 2 Nr. 7 S. 1 BSHG angemessenes Hausgrundstück, sofern es sich nicht um einen atypischen Fall handelt299 . Alle Gesichtspunkte, die für die Individualisierung eines Anspruchs auf Sozialhilfe von Bedeutung sind, müssen nach wie vor berücksichtigt werden 3°O. Für die vom OVG Münster vorgenommene Auslegung, wonach die Wohnflächen nach dem 2. Wohnbaugesetz, abgesehen von atypischen Fällen, maßgebend ist, spricht der Zweck des § 88 Abs. 2 Nr. 7 BSHG in der seit 1991 geltenden Fassung, der Sozialhilfepraxis eindeutig zu handhabende Kriterien an die Hand zu geben und für mehr Rechtssicherheit, als dies nach der bis 1991 von der Rechtsprechung entwickelten Kombinationstheorie möglich war, zu sorgen. Außerdem kann nur so der beabsichtigte Schutz des Familienheims gewährleistet werden 30l . c) Zur Beschaffung von Wohnraum bestimmte Mittel Nicht nur ein angemessenes Hausgrundstück gehört nach § 88 Abs. 2 Nr. 7 zum Schonvermögen. Vielmehr wird auch der Einsatz sonstigen Vermögens nicht verlangt, solange es nachweislich zur baldigen Beschaffung oder Erhaltung eines Hausgrundstückes im Sinne der Nr. 7 bestimmt ist, soweit dieses Wohnzwecken Behinderter (§ 39 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2), Blinder (§ 67) oder Pflegebedürftiger (§ 69) dient oder dienen soll und dieser Zweck durch den Einsatz oder die Verwertung des Vermögens gefährdet würde. Unter sonstigem Vermögen ist jedes zu dem beabsichtigten Zweck vorgesehene und geeignete Vermögen zu verstehen. Beispiele sind Bausparverträge, Lebensversicherungen, Sparguthaben, einschließlich der daraus gewonnenen und wieder angelegten Zinsen. Geschützt ist dieses Vermögen, soweit es für ein angemessenes Hausgrundstück benötigt wird. Eine erhebliche Fremdfinanzierung darf nicht gefordert werden 302 . Die Beschaffung eines Hausgrundstückes oder einer Eigentumswohnung schließt nicht nur den Erwerb oder den Neubau ein, sondern auch den Aus- oder Anbau, den Abschluß eines Erbbauvertrages oder den Erwerb eines Dauerwohnrechts. 299 OVG Münster, Urteil vom 19.07. 1995-8 A 789/95 = NJW 1996, S. 738 ff., FEVS, Bd. 46, S. 314 ff. 300 BVerwG NDV 1993,236; Mergler / Zink: Kommentar zum BSHG, § 88, RdNr. 513. 301 Wendt: Zur gesetzlichen Neuregelung des Vennögensschutzes in § 88 Abs. 2 Bundessozialhilfegesetz, NDV 1991, S. 93 ff. Zu atypischen Fällen vgl. OVG Münster, Urteil vom 28. 08. 1997 - 8 A 631/95 - Fläche des Grundstückes ist deutlich größer als für die Errichtung des Familienheimes mit einer noch angemessenen Wohnfläche erforderlich ist; OVG Bremen, Urteil vom 16. 10. 1996-2 B 27/96 = NJW 1997, S. 883 ff., FEVS, Bd. 47, S. 440 ff. - Berücksichtigung des Verkehrswertes. 302 Brühl in: Praxiskommentar, RdNr. 20 zu § 88 BSHG.

326

2. Teil: Rechtssystematische Einordnung und vergleichende Darstellung

Die Erhaltung umfaßt das Instandsetzen und Instandhalten, worunter auch zweckdienliche Verbesserungen, z. B. umweltgerechte Heizungsanlage, Wärmeisolierung, fallen 303 . Baldig bedeutet, daß die Beschaffung oder Erhaltungsmaßnahme in einem absehbaren Zeitraum geplant ist und verwirklicht werden kann. Der Gesetzgeber hat im Unterschied zu der bis zum 31. 12. 1981 geltenden Fassung das Wort "baldig" anstelle "alsbaldig" gewählt, um den Zeitraum für die Verwirklichung des Vorhabens länger zu strecken und ausreichend Zeit zu geben, die angesparten Eigenmittel etwa noch zu ergänzen und so das Vorhaben mit einem tragfähigen Finanzierungskonzept beginnen zu können. Wer sich auf § 88 Abs. 2 Nr. 2 beruft, muß die erforderlichen Nachweise bringen. Als Nachweis kommen z. B. in Betracht: Baupläne, Finanzierungspläne und Finanzierungszusagen, Verträge mit Verkäufern oder Baugenossenschaften, Aufträge an Architekten und Handwerker. Der Abschluß oder das Bestehen eines Bausparvertrages alleine reicht nicht aus, da er auch ohne Bauabsicht abgeschlossen werden kann. Er stellt aber ein Indiz dar304 . d) Vermögensschutz in Härtefällen Nach § 88 Abs. 3 darf die Sozialhilfe schließlich nicht vom Einsatz oder von der Verwertung eines Vermögens abhängig gemacht werden, soweit dies für den, der das Vermögen einzusetzen hat, und für seine unterhaltsberechtigten Angehörigen eine Härte bedeuten würde. Diese Vorschrift geht einerseits über die Bestimmungen in § 88 Abs. I und 2 hinaus. Auch wenn deren Voraussetzungen nicht vorliegen, ist unabhängig davon zu prüfen, ob nicht die Härteregelung nach Abs. 3 eingreift. Andererseits kann der Begriff der Härte nur im Zusammenhang mit den vorangehenden Vorschriften zum Schon vermögen bestimmt werden. Das Ziel der Härtevorschrift kann nämlich kein anderes sein, als das der Bestimmungen über das Schonvermögen nach den Abs. I und 2, nämlich dem Sozialhilfeempfänger und seinen Angehörigen einen gewissen Spielraum in ihrer wirtschaftlichen Bewegungsfreiheit zu erhalten305 . Erfaßt sollen die in Abs. 2 nicht geregelten atypischen Sachverhalte werden 306 . Eine Härte kann sich ergeben, z. B. weil die soziale Stellung des Hilfesuchenden infolge einer Behinderung oder Pflegebedürftigkeit nachhaltig beeinträchtigt ist307 . Die Herkunft des Vermögens spielt in der Regel keine Rolle 308 . Es gibt aber Situationen, in welchen die Herkunft des Vermögens dieses so prägt, daß sein Einsatz eine 303 304 305 306 307 308

Brühl in: Praxiskommentar, RdNr. 21 zu § 88 BSHG. Brühl in: Praxiskommentar, RdNr. 21 zu § 88 BSHG. BVerwGE, Bd. 23, S. 149 ff. Brühl in: Praxiskommentar, RdNr. 60 zu § 88 BSHG. BVerwGE 32,89 und BVerwG NDV 1990, 58f. BVerwGE 74, 103.

Kap. 8: Leistung auf Antrag oder nach Kenntnis der Behörde

327

Härte darstellen kann. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn das Vermögen auf eine Kapitalabfindung oder auf eine Nachzahlung zurückgeht, die als Einkommen nach §§ 76-78 BSHG geschützt wäre. Die Verweigerung von Sozialhilfe aufgrund nachbezahlter Blindenhilfe oder eines nachbezahlten Blindengeldes wäre eine Härte, weil es nach § 76 Abs. I als Einkommen nicht berücksichtigt werden könnte. Das gleiche würde für die Nachzahlung einer Grundrente gelten (§ 76 Abs. I BSHG). Ebenso wäre die Berücksichtigung von Schmerzensgeld eine Härte (§ 77 Abs. 2 BSHG)309. Als Beispiel für zweckbestimmte Leistungen hat das Bundesverwaltungsgericht im Urteil vom 04. 09. 1997 die Berücksichtigung von angespartem Erziehungsgeld als Härte bezeichnet31O . Die Berücksichtigung eines Kapitals, das aus der Nachzahlung einer zweckbestimmten Leistung entstanden ist, wäre jedenfalls dann eine Härte, wenn damit ein diesem Zweck entsprechender Nachholbedarf erschwert würde. Das hat das Bundesverwaltungsgericht zur Nachzahlung einer Grundrente entschieden311 . Die Sozialhilfe kann allerdings, wenn der Einsatz des Vermögens eine Härte darstellen würde, in Form eines Darlehens gewährt werden 312 .

Kapitel 8

Leistung auf Antrag oder nach Kenntnis der Behörde Blindengeld oder Pflegegeld nach den Landesgesetzen wird auf Antrag gewährt. Für die Blindenhilfe nach § 67 BSHG besteht kein Antragserfordemis. Hier genügt vielmehr die Kenntnis des Sozialhilfeträgers vom Hilfebedarf.

A. Antragserfordernis in den Landesgesetzen In sämtlichen Landesgesetzen wird für die Gewährung des Blindengeldes ein Antrag zur Voraussetzung gemacht. Der Antrag ist außerdem für den Beginn der Leistung maßgebend.

Zum Schmerzensgeld vgl. BVerwGE, Bd. 98, S. 256. BVerwG 5 C 8.97 = BVerwGE 105, 199 ff.; zum Blindengeld vgl. Drerup NDV 1984, S. 480. Der von Alber, ZfSH 1984, S. 193, behandelte Fall steht dem nicht entgegen, denn das Problem war hier nicht eine Nachzahlung, sondern ein laufendes zweckwidriges Ansparen von Blindenhilfe. 311 BVerwGE 45, 135 ff. 312 BVerwGE 32, 89 (Gewährung einer Blindenhilfe als Darlehen in Härtefallen) und BVerwG NDV 1993, 480 (darlehensweise Übernahme der Jugendhilfekosten durch den Jugendhilfeträger) . 309

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328

2. Teil: Rechtssystematische Einordnung und vergleichende Darstellung

I. Rechtsgrundlagen Folgende Bestimmungen sind einschlägig: Baden-Württemberg: Landesblindengeldgesetz; § 5 Abs. I S. I (Antrag), § 5 Abs. 2 (Beginn der Leistung) Bayern: Landesblindengeldgesetz; Art. I Abs. I (Antrag), Art. 5 Abs. 1 (Form des Antrags), Art. 5 Abs. 2 (Beginn der Leistung) Berlin: Berliner Pflegege setz; § 1 Abs. I (Antrag), § 5 Abs. I (Beginn) Brandenburg: Landespflegegeldgesetz; § 7 Abs. 1 (Antrag), § 8 Abs. 1 (Beginn) Bremen: Pflegegeldgesetz; § 6 Abs. 1 S. 1 (Antrag), § 7 Abs. 1 (Beginn) Hamburg: Landesblindengeldgesetz; § 6 Abs. 1 (Antrag), § 6 Abs. 2 (Beginn) Hessen: Landesblindengeldgesetz; § 5 Abs. 1 S. 1 (Antrag), § 5 Abs. 1 S. 2 (Beginn) Mecklenburg-Vorpommern: Landesblindengeldgesetz; § 7 Abs. 1 (Antrag), § 7 Abs. 2 (Beginn) Niedersachsen: Landesblindengeldgesetz; § 7 Abs. 1 S. 1 (Antrag), § 7 Abs. 1 S. 2 (Beginn) Nordrhein-Westfalen: Gesetz über die Hilfen für Blinde und Gehörlose; § 6 Abs. 1 (Antrag), keine Bestimmung über den Beginn der Leistung Rheinland-Pfalz: Landesblindengeldgesetz; § 6 Abs. 1 (Antrag), § 7 Abs. I (Beginn) Saarland: Blindheitshilfegesetz für das Saarland; § 1 Abs. 1 (Antrag), § 6 Abs. 2 (Beginn) Sachsen: Landesblindengeldgesetz; § 4 Abs. 1 S. 1 (Antrag), § 4 Abs. 2 (Beginn) Sachsen-Anhalt: Landesblindengeldgesetz; § 4 Abs. 1 S. 1 (Antrag), § 4 Abs. 1 S. 2 (Beginn) Schieswig-Hoistein: Landesblindengeldgesetz; § 8 Abs. 1 (Antrag), § 8 Abs. 2 (Beginn) Thüringen: Landesblindengeldgesetz; § 9 Abs. 1 (Antrag), § 9 Abs. 2 (Beginn)

Kap. 8: Leistung auf Antrag oder nach Kenntnis der Behörde

329

11. Wirkung des Antrages Mit der Stellung des Antrages wird nicht nur das Verwaltungsverfahren eingeleitet (vgl. § 18 SGB X für die Länder, in welchen das SGB X anzuwenden ist), sondern der Antrag ist Voraussetzung dafür, daß der Anspruch überhaupt zum Entstehen kommt. Keine Verweisung auf das SGB X enthalten die Landesgesetze von Baden-Württemberg, Hamburg und Hessen. Der Antrag führt in diesen Ländern zur Einleitung des Verwaltungsverfahrens nach § 22 des jeweiligen Landesverwaltungsverfahrensgesetzes 313 • Da mit Ausnahme des Landesgesetzes über Hilfen für Blinde und Gehörlose von Nordrhein-Westfalen auch der Zeitpunkt für die Entstehung des Leistungsanspruches vom Antrag abhängig ist, ergibt sich daraus, daß es sich um ein materiell-rechtliches Tatbestandmerkmal handelt314 . 111. Anforderungen an den Antrag Der Antrag muß erkennen lassen, was begehrt wird. Bestimmte Formen sind nicht vorgeschrieben, so daß es gleichgültig ist, ob er schriftlich oder zur Niederschrift einer zur Entgegennahme des Antrages zuständigen Stelle gestellt wird (§ 16 SGB I). Einige Gesetze enthalten Bestimmungen darüber, wie die medizinischen Voraussetzungen des Anspruches nachgewiesen werden sollen. So wird im Landespflegegeldgesetz von Brandenburg (§ 10 Abs. 2) der Nachweis durch ein Gutachten des medizinischen Dienstes, im Landesblindengeldgesetz für Schleswig-Holstein (§ 2) der Nachweis durch die Feststellung nach § 4 Schwerbehindertengesetz und im Landesblindengeldgesetz für Thüringen (§ 9 Abs. 1 S. 2) der Nachweis der Blindheit durch eine augenfachärztliche Bescheinigung gefordert. Hier handelt es sich um Bestimmungen für das durch den Antrag eingeleitete Verwaltungsverfahren, dagegen nicht um Formvorschriften, die sich auf den Antrag als solchen bezögen. Das ist wegen des Beginns der Leistung bedeutsam. Als Zeitpunkt der AntragsteIlung kann nicht erst der Zeitpunkt der Vorlage dieser Unterlagen gelten. IV. Neuantrag beim Umzug in ein anderes Bundesland Ein neuer Antrag ist notwendig, wenn ein Blinder vom Geltungsbereich eines Landesgesetzes in den Geltungsbereich eines anderen Landesgesetzes verzieht und 313 Verwaltungsverfahrensgesetz für Baden-Württemberg vom 21. 06. 1977 (GBI. S. 227), zuletzt geändert durch Gesetz vom 14. 11. 1997 (GBI. S. 470); hamburgisches Verwaltungsverfahrensgesetz vom 09. 11. 1977 (HambGVBI. S. 333,402), zuletzt geändert durch Gesetz vom 26. 08. 1997 (GVBI. S. 441); hessisches Landesverwaltungsverfahrensgesetz in der Fassung vom 04. 03. 1999 (GVBI. I, S. 222). 314 Vgl. dazu Eichenhofer: Sozialrecht, S. 92f.

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2. Teil: Rechtssystematische Einordnung und vergleichende Darstellung

dort nach dem Landesgesetz im Zuzugsland Blindenge1d beanspruchen will. Weil der Antrag Anspruchsvoraussetzung ist, kann sich dieser nur auf das jeweilige Landesgesetz auswirken. Der Antrag im Wegzugsland ist verbraucht, ein neuer Antrag ist erforderlich.

B. Kenntnis der Behörden im Sozialhilferecht I. Kein Antragserfordernis Anders als nach den Landesgesetzen ist nach § 67 BSHG für die Gewährung der Blindenhilfe kein Antrag erforderlich315 • Der Blinde hat einen Rechtsanspruch auf die Blindenhilfe, wenn die Anspruchsvoraussetzungen gegeben sind und dies dem Träger der Sozialhilfe bekannt wird (§ 5 BSHG). Bekannt werden im Sinne des § 5 bedeutet, daß die Notwendigkeit der Hilfe dargetan oder sonstwie erkennbar ist. Dem Sozialhilfeträger wird nicht angesonnen, die Notwendigkeit der Hilfe zu "erahnen". Er hat jedoch nach Kenntnis von Amts wegen den Sachverhalt zu erforschen (§ 26 SGB X), wenn begründete Anhaltspunkte dafür gegeben sind, daß ein Anspruch besteht. Für den Zeitpunkt, ab welchem die Sozialhilfe zu leisten ist, kommt es nach § 5 BSHG auf die Kenntnis des Trägers der Sozialhilfe oder der von ihm beauftragten Stellen an.

11. Zweckmäßigkeit eines Antrages

Obwohl es nicht auf einen Antrag ankommt, ist ein solcher doch hilfreich, weil er dem Sozialhilfeträger die nach § 5 BSHG erforderliche Kenntnis vermittelt. Er ist deshalb in der Praxis die Rege1 316 •

111. Hinweispflicht des Sozialhilfeträgers

Wegen der bestehenden Landesblindengeld- bzw. Landespflegegeldgesetze kann der Sozialhilfeträger dann davon ausgehen, daß Hilfebedarf auf Blindenhilfe nach § 67 BSHG nicht besteht, wenn die Leistung nach dem Landesgesetz die gleiche Höhe hat wie die Blindenhilfe und kein Ausschlußgrund nach dem Landesgesetz besteht. Da nach mehreren Landesgesetzen die Leistung nach diesen Gesetzen niedriger als die Blindenhilfe nach § 67 BSHG ist, wird in diesen Ländern der Sozialhilfeträger alle Bezieher einer Landesleistung auf die Blindenhilfe nach § 67 Schellhorn-Jirasek-Seipp: Kommentar zum BSHG, 15. Auflage, 1997, RdNr. 15 zu § 67. Vgl. Eichenhofer: Sozialrecht, S. 273, Roscher in: Praxiskommentar, RdNr. 1 zu § 5 BSHG. 315

316

Kap. 9: Leistungsumfang

331

BSHG hinweisen müssen. Die Hinweispflicht nach § 5 BSHG ist weiter als die des § 14 Abs. I SGB 1317 . Der Sozialhilfeträger ist nicht erst zur Beratung auf Initiative des Hilfesuchenden verpflichtet, sondern er muß selbst aktiv werden.

Kapitel 9

Leistungsumfang A. Höhe und Anpassung der Leistungen I. Vorbemerkung

Die Landesblindengeld- bzw. Landespflegegeldgesetze können in zwei Kategorien eingeteilt werden, nämlich in solche, die hinsichtlich der Leistungshöhe und der Anpassungsregelung auf die Blindenhilfe nach § 67 BSHG Bezug nehmen und solche, die den Betrag der Leistung festschreiben und keine Anpassungsregelungen enthalten. Vor allem in den letzten Jahren ist in einigen Ländern die Bindung an die Blindenhilfe nach § 67 BSHG aufgegeben worden (vgl. Erster Teil, 2. Kap., I.). § 67 BSHG hat damit seine Leitfunktion in erheblichem Maß eingebüßt.

11. Die Blindenhilfe nach dem Bundessozialhilfegesetz

1. Anpassungsregelung § 67 Abs. 6 bestimmt, daß sich die Blindenhilfe nach Abs. 2 jeweils zum 01. Juli um den Vom-Hundert-Satz, um welchen sich der aktuelle Rentenwert in der gesetzlichen Rentenversicherung verändert, erhöht.

2. Höhe der Blindenhilfe

Zum 01. 07. 2002 beträgt die ungekürzte Blindenhilfe nach § 67 Abs. 2 1. HS i.Y.m. Abs. 6 für Blinde nach Vollendung des 18. Lebensjahres 579,00 Euro monatlich, für Blinde vor Vollendung des 18. Lebensjahres 290,00 Euro. Am 01. 07. 2001 waren es 1.109,00 DM bzw. 552,00 DM monatlich.

317

Roseher: Praxiskommentar. RdNr. 15 zu § 5 BSHG.

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2. Teil: Rechtssystematische Einordnung und vergleichende Darstellung

IH. Das Blindengeld nach den Landesgesetzen 1. Landesgesetze mit Bezugnahme auf § 67 BSHG Nur noch neun Landesgesetze nehmen auf § 67 BSHG Bezug. Es sind: Bayern: Art. 2 Abs. 1 verweist auf § 67 Abs. 6 BSHG. Berlin: § 1 Abs. 1 verweist für die Pflegestufe III auf § 67 Abs. 2 und 6 BSHG. Im übrigen enthält dieses Gesetz keine Anpassungsregelung. Bremen: § 2 Abs. 1 S. 2: Anpassung gemäß dem für die Blindenhilfe (§ 67 BSHG) geltenden Prozentsatz. Nach § 2 wurde das Pflegegeld von bisher DM 750,- monatlich ab 01. Juli 2001 auf DM 650,- monatlich für Berechtigte, die das 18. Lebensjahr vollendet haben festgesetzt. Während das Gesetz bis zum 1. Juli 2001 keine Anpassungsklausel hatte, lautet nunmehr § 2 Abs. 1 folgendermaßen: ,,(1) Blinde und Schwerstbehinderte erhalten nach Vollendung des 18. Lebensjahres bis zum 31. Dezember 2001 Pflegegeld in Höhe von 650 DM, vom 1. Januar 2002 in Höhe von 332,50 Euro monatlich. Das Pflegegeld verändert sich jeweils, erstmals mit Wirkung zum 1. Juli 2002 an, um den Vomhundertsatz, um den sich die Blindenhilfe nach § 67 Bundessozialhilfegesetz verändert."

Wegen der unterschiedlichen Ausgangsbasis vergrößert sich der Abstand zwischen dem Pflegegeld nach dem Bremischen PfIegege1dgesetz und der Blindenhilfe nach § 67 BSHG mit jeder Anpassung. Hamburg: § 2 Abs. 1 verweist auf § 67 Abs. 6 BSHG. Hessen: § 2 Abs. 1 verweist auf § 67 Abs. 6 BSHG. Niedersachsen: Ursprünglich enthielt § 2 Abs. 1 des Landesblindengeldgesetzes für Niedersachsen eine Verweisung auf § 67 Abs. 6 BSHG abzüglich 10%318. Durch Art. 9 Haushaltsbegleitgesetz 1999 vom 21. 01. 1999 (GVBI. S. 10) erhielt § 2 Abs. 1 folgende Fassung: "Das Blindengeld für volljährige Blinde beträgt 961,00 DM je Monat. Dieser Betrag ändert sich um denselben Vom-Hundert-Satz, um den sich die Blindenhilfe nach § 67 Abs. 2 und 6 des Bundessozialhilfegesetzes ändert. Ein nicht auf volle Deutsche Mark errechneter Betrag ist bis zu 0,49 Deutsche Mark abzurunden und ab 0,50 Deutsche Mark aufzurunden. Das Blindengeld für Minderjährige beträgt 50 v. H. des Blindengeldes für volljährige Blinde." § 2 Abs. 1 S. 2 tritt gemäß Art. 22 Abs. 2 des Haushaltsbegleitgesetzes 1999 am 01. 07. 2002 in Kraft. 318

Art. I Niedersächsisches Haushaltsbegleitgesetz 1996 vom 20. 12. 1995 (GVBI. S. 478).

Kap. 9: Leistungsumfang

333

Das bedeutet, daß die Höhe des Blindengeldes in der Zeit vom 01. 07. 1998 bis 01. 07. 2002, also vier Jahre lang, unverändert bleibt. Die dann wieder einsetzende Dynamisierung bewirkt nicht einen bestimmten prozentualen Abschlag im Vergleich zur Blindenhilfe nach § 67 BSHG. Weil die Ausgangsbasis unterschiedlich, der Erhöhungsprozentsatz aber der gleiche ist, vergrößert sich die Differenz auch nach dem 01. 07. 2002 laufend. Ab 01. 07. 2002 beträgt das ungekürzte Blindengeld 502,00 Euro. Nordrhein-Westfalen: § 2 Abs. 1 S. 1 verweist für Blinde bis zum vollendeten 60. Lebensjahr auf § 67 Abs. 6 BSHG, für Blinde nach vollendetem 60. Lebensjahr wird gemäß § 2 Abs. 1 S. 3 das zuständige Ministerium ermächtigt, nach Zustimmung des für die kommunale Selbstverwaltung zuständigen Landtagsausschusses die Höhe des Blindengeldes durch Rechtsverordnung anzuheben. Saarland: § 1 Abs. 2 verweist auf § 67 Abs. 6 BSHG. Schleswig-Holstein: § 1 Abs. 2 verwies ursprünglich auf § 67 Abs. 6 BSHG mit dem Zusatz: "abzüglich 10 v. H.". Diese Bezugnahme wurde durch Gesetz vom 12. 12.2001 (BVa BI. S. 365) aufgegeben. Nach § 1 Abs. 2 ist das Blindengeld bis zum 31. 12.2005 festgeschrieben. Das ungekürzte Blindengeld beträgt bis zu diesem Zeitpunkt 450,00 Euro. 2. Landesgesetze ohne Bezugnahme auf § 67 BSHG

Keine Bezugnahme auf § 67 BSHG befindet sich in den Landesgesetzen für Baden-Württemberg, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen für Blinde nach Vollendung des 60. Lebensjahres, Rheinland-Pfa1z, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen sowie bis zum 31. 12.2005 Schleswig-Holstein. Die Höhe des Blindengeldbetrages wird in diesen Gesetzen jeweils ausdrücklich genannt. Im Gesetz für Blinden- und Gehörlosengeid im Land Sachsen-Anhalt gibt es keine Anpassungsregelung und keine Bezugnahme auf § 67 BSHG. Nach § 7 Abs. 2 ist die Höhe jedoch zu überprüfen, wenn der Lebenshaltungsindex des Statistischen Bundesamtes um 10 v. H. gegenüber dem Jahr 1996 gestiegen ist, spätestens jedoch nach 10 Jahren. Diese Bestimmung enthält lediglich eine Aufforderung an den Gesetzgeber. Aus ihr können keine Rechte hergeleitet werden. 3. Auswirkung der unterschiedlichen Regelungen

Die sehr unterschiedlichen Regelungen haben dazu geführt, daß zum 01. 07. 2002 eine Erhöhung des Blindengeldes nur noch in folgenden sieben Ländern stattgefun-

334

2. Teil: Rechtssystematische Einordnung und vergleichende Darstellung

den hat: Bayern, Berlin, Bremen, Hamburg, Hessen, Nordrhein-Westfalen (nur bei Personen unter 60 Jahren) und Saarland. Der für die Blindenhilfe nach § 67 BSHG geltende Betrag wird zum 01. 07. 2002 nur noch in sechs Ländern nach den Landesgesetzen erreicht, nämlich in: Bayern, Berlin, Hamburg, Hessen, NordrheinWestfalen (für Blinde vor Vollendung des 60. Lebensjahres) und Saarland.

IV. Differenzierung der Blindengeldleistungen nach dem Lebensalter

Mit Bezug auf das Lebensalter weisen die Blindenge1dleistungen erhebliche Differenzierungen auf. 1. Blindenhilfe nach § 67 BSHG

Die Blindenhilfe nach § 67 BSHG wird ab Geburt geleistet. Der Gesetzgeber ging ursprünglich davon aus, daß die Blindenhilfe vor Vollendung des 18. Lebensjahres die Hälfte der Blindenhilfe für Volljährige betragen sollte. Mit dem zweiten Gesetz zur Änderung des BSHG vom 14.08. 1969 (BGBL I, S. 1153) wurde nämlich bestimmt, daß die Blindenhilfe nach Vollendung des 18. Lebensjahres in Höhe des Mindestbetrages der Pflegezulage für Blinde nach dem BVG gewährt wird. Blinde, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, erhielten 50 v. H. dieses Betrages. Vorher waren im Gesetz feste Beträge genannt. Die Beträge für Minderjährige beliefen sich jeweils auf genau die Hälfte des Blindengeldes für Volljährige. Das zweite Haushaltsstrukturgesetz vom 22. 12. 1981 (BGBL I, S. 1523) koppelte die Blindenhilfe wieder vom BVG ab. Die Blindengeldbeträge wurden in § 67 Abs. 2 für volljährige Blinde auf 750,00 DM und für Blinde, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hatten, auf 375,00 DM, also die Hälfte, festgesetzt. § 67 erhielt zugleich eine neue Anpassungsregelung in Abs. 6. Danach verändert sich die Blindenhilfe jeweils, und zwar erstmals mit Wirkung vom 01. 01. 1984319 , um den Vom-Hundert-Satz, um den die Renten aus der Rentenversicherung der Arbeiter nach § 1272 Abs. 1 der Reichsversicherungsordnung verändert werden. Ein nicht auf volle Deutsche Mark errechneter Betrag ist bis zu 0,49 DM abzurunden und von 0,50 DM an aufzurunden. Die Rundungsbestimmung in § 67 Abs. 6 hat dazu geführt, daß die Blindenhilfe für Minderjährige nicht mehr 50% - das wären zum 01. 07.1999541,00 DM -, sondern 539,00 DM beträgt. Wegen des eindeutigen Gesetzestextes läßt sich diese Fehlentwicklung, die wohl eher auf einem Redaktionsfehler als auf dem klaren Willen des Gesetzgebers beruht, auch im Wege der Auslegung nicht beseitigen. 32o

319 Dieser Termin verschob sich aufgrund der Rentengesetzgebung auf den 01. 07. 1984. Art. 12 Nr. 2 des Hausha1tsbeg1eitgesetzes 1983 vorn 20.12.1982 (BGBI. I, S. 1857).

Kap. 9: Leistungsumfang

335

Zwischenzeitlich hat der Gesetzgeber selbst eine Korrektur vorgenommen. § 67 BSHG in der am 01. 01. 2002 gültigen Fassung setzt die Blindenhilfe für Volljährige auf 556,29 Euro und für Blinde, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, auf 278,15 Euro fest. Die klarere Regelung, nämlich einen Prozentsatz festzulegen, wurde erneut versäumt. 2. Blindengeld nach den Landesgesetzen

In den Landesgesetzen wurden hinsichtlich der altersmäßigen Differenzierung unterschiedliche Wege eingeschlagen. Minderjährige erhalten Blindengeld in gleicher Höhe wie Volljährige in den Ländern Bayern (Art. 2 Abs. 1) und Berlin (§ 2 Abs. 1). In Sachsen erhalten Minderjährige vor Vollendung des 14. Lebensjahres 75 v. H., Blinde nach Vollendung des 14. Lebensjahres, wie Volljährige, das volle Blindengeld. Infolge der Verweisung auf § 67 BSHG erhalten Minderjährige nach den Landesgesetzen von Hamburg (§ 2) und Saarland (§ 1 Abs. 2) Blindengeld in genau der in § 67 Abs. 2 BSHG genannten Höhe. In folgenden Ländern beträgt das Blindengeld für minderjährige die Hälfte des Blindengeldes für Volljährige, wobei entweder der Prozentsatz oder die Zahl genannt wird: Baden-Württemberg: § 2 Abs. 1 nennt die Zahlen: Volljährige 409,03 Euro, Minderjährige 204,52 Euro. Brandenburg: § 3 Abs. 1 S. 3; 50 v. H. des Betrages für Volljährige = 50% von 332,34 Euro = 116,17 Euro. Bremen: § 2 Abs. 1 S. 2; Minderjährige erhalten 50% des Pflegegeldes für Volljährige = 50% von 340,00 Euro = 170,00 Euro. Hessen: § 2 Abs. 1,2. HS; Minderjährige erhalten 50 v. H. des Betrages nach § 2 Abs. 1, 1. HS. Dieser verweist auf § 67 Abs. 2 BSHG = 50% von 579,00 Euro = 289,50 Euro. In Hessen wurde somit der Fehler aus § 67 Abs. 2 BSHG nicht übernommen. Rheinland-Pfalz: § 2 S. 2; Minderjährige erhalten 50 v. H. des Blindengeldes für Volljährige = 50% von 529,50 Euro = 264,75 Euro. 320 § 67 Abs. 2 BSHG wurde entsprechend geändert durch Artikel 13 Nr. I Buchstabe a des Gesetzes vom 21. 12.2000 (BGBI. I S. 1983).

336

2. Teil: Rechtssystematische Einordnung und vergleichende Darstellung

Sachsen-Anhalt: § 1 Abs. 4 nennt die Beträge: Volljährige 430,00 Euro, Minderjährige 215,00 Euro. Thüringen: § 2 Abs. 1 nennt die Beträge. Das Blindengeld beträgt für Volljährige 486,00 Euro und für Blinde, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, 243,00 Euro monatlich. Darauf, daß in den Ländern Baden-Württemberg (§ 1 Abs. 1), Berlin (§ 1 Abs. 1), Brandenburg (§ 1 Abs. 1), Bremen (§ 1 Abs. 1), Hessen (§ 1 Abs. 1) und Sachsen (§ 1 Abs. 1) das Blindengeld erst nach Vollendung des 1. Lebensjahres gewährt wird, wurde bereits in Kap. 6, A., 11. hingewiesen, weil insoweit das Lebensalter Tatbestandsmerkmal für die Entstehung des Anspruches ist.

V. Leistungen für hochgradig Sehbehinderte Die in sechs Ländern gewährten Leistungen für hochgradig Sehbehinderte sind wesentlich niedriger. Sie belaufen sich auf: Berlin (§ 2 Abs. 2): 50% des Betrages der Pflegestufe I = 50% aus 239,29 Euro = 119,64 Euro. Hessen (§ 2 Abs. 3): Wesentlich Sehbehinderte erhalten 30% des Blindengeldes, also nach Vollendung des 18. Lebensjahres, 173,70 Euro, vor Vollendung des 18. Lebensjahres 50% aus diesem Betrag = 86,85 Euro. Mecklenburg-Vorpommern (§ 1 Abs. 4): 25% der Beträge nach § 1 Abs. 2 = Volljährige 25% aus 546,10 Euro = 136,53 Euro, Minderjährige 25% aus 273,05 Euro = 68,27 Euro. Nordrhein-Westfalen (§ 4): Hochgradig Sehbehinderte, die das 16. Lebensjahr vollendet haben, erhalten 77,00 Euro monatlich. Eine Anpassungsregelung fehlt. Sachsen (§ 2 Abs. 4 S. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 5): Nach Vollendung des 14. Lebensjahres 52,00 Euro, vor Vollendung des 14. Lebensjahres 75% = 39,00 Euro. Sachsen-Anhalt (§ 1 Abs. 4 S. 2): Volljährige und Minderjährige 41,00 Euro monatlich.

VI. Gesamtüberblick

Um einen Gesamtüberblick über die unterschiedlichen Leistungen zu geben, enthält folgende Aufstellung die Rubriken:

i

!:3

-

-

Nordrhein-Westfalen

Niedersachsen

-

Mecklenburg-Vorpommern

Hessen

Hamburg

---

-

DM 1.109,00 EURO 579,00 bis 60 Jahre DM 925,00 EURO 473,00 ab 60 Jahre

DM 650,00 EURO 340,00 1.109,00 DM EURO 579,00 DM 1.109,00 EURO 579,00 1.068,00 DM EURO 546,10 961,00 DM EURO 502,00

Brandenburg

Berlin 321

Bayern

Bremen

a) Volljährige

DM 800,00 EURO 409,03 DM 1.109,00 EURO 579,00 1.109,00 DM EURO 579,00 650,00 DM EURO 332,34

Baden-Württemberg

Land

Blinde

-

-

DM EURO

DM EURO DM EURO

DM EURO

-

-

-

-

-

150,00 77,00

332,70 173,70 267,00 136,53

234,00 119,64

-

-

-

-

166,35 86,85 134,50 68,27

234,00 119,64

DM 150,00 77,00 Euro ab 16 Jahre

DM EURO DM EURO

DM EURO

-

-

b) Minderjährige

a) Volljährige -

Hochgradig Sehbehinderte

Hochgradig Sehbehinderte

- - - - --

400,00 DM EURO 204,52 DM 1.109,00 EURO 579,00 DM 1.109,00 EURO 579,00 325,00 DM EURO 166,17 DM 325,00 EURO 170,00 552,00 DM EURO 290,00 DM 554,50 EURO 289,50 DM 534,00 EURO 273,05 481,00 DM EURO 251,00 552,00 DM EURO 290,00

b) Minderjährige

Blinde

§ 2 Abs. 1 S. 1 für Blinde unter 60 Jahre § 2 Abs. 1 S. 3 für Blinde über 60 Jahre 322

§ 2 Abs. 1

-

§ 2 Abs. I

§2

§ 2 Abs. 1 S. 2

-

§ 2 Abs. 1 S. I

-

Art. 2

a) Blinde

Anpassungsregelungen

Übersichtstabelle über Leistungen für Blinde und hochgradig Sehbehinderte Stand: 01. 07. 2001 in DM und 01. 07. 2002 in Euro

-

-

-

- -

§ 2 Abs. 1

-

-

-

-

-

-

Anpassungsregelungen b) Hochgradig Sehbehinderte

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840,00 430,00 998,10 450,00 950,00

DM EURO DM EURO EURO

420,00 215,00 496,80 225,00 486,00

DM 517,50 EURO 264,75 DM 552,00 EURO 290,00 DM 650,00 EURO 333,00 ab 14 Jahre 487,50 DM EURO 166,50 unter 14 Jahre

b) MindeIjährige

Blinde

DM

DM EURO

DM EURO

-

-

475,00

EURO

-

DM EURO

80,00 41,00

243,00

80,00 41,00

100,00 DM EURO 52,00 ab 14. Lebensjahr DM 75,00 39,00 EURO unter 14 Jahre

100,00 52,00

- 323

-

b) Minderjährige

a) Volljährige

-

Hochgradig Sehbehinderte

Hochgradig Sehbehinderte

-

§ 1 Abs. 2

§ 7 Abs. 2

-

§ 1 Abs. 2

-

a) Blinde

Anpassungsregelungen

-

-

§ 7 Abs. 2324

-

-

-

Anpassungsregelungen b) Hochgradig Sehbehinderte

321 Sowohl für hochgradig Sehbehinderte als auch für Blinde kommt eine höhere Pflegestufe in Betracht, wenn infolge zusätzlicher Behinderungen ein erhöhter Pflegebedarf besteht. In der Verordnung nach § 10 vom 24. 07. 1970, geändert durch Verordnung vom 30. 03. 1979, ist festgelegt: Blinde mit Verlust einer Gliedmaße Pflegestufe IV = 743,93 Euro monatlich; Blinde mit Verlust mehrerer Gliedmaßen Pfiegestufe V = 965,32 Euro monatlich; Taubblinde und Blinde Ohnhänder Pflegestufe VI = 1.189,27 Euro. 322 Für Blinde bis zum 60. Lebensjahr aus Nordrhein-Westfalen erfolgt die Anpassung durch Verweisung auf § 67 BSHG. Für Blinde ab 60 Jahre kann das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales durch Rechtsverordnung nach Zustimmung des für die kommunale Selbstverwaltung zuständigen Ausschusses des Landtags die Höhe des Blindengeldes anheben. 323 § 9 enthält eine Bestandsschutzklausel für frühere Empfänger von Sehschwachenhilfe. 324 Diese Vorschrift verpflichtet nur zu einer Überprüfung. Nach mir vorliegenden Informationen ist die Abschaffung geplant.

Thüringen

Schleswig-Holstein

DM EURO DM EURO DM

Sachsen-Anhalt

Sachsen

Saarland

1.035,00 DM EURO 529,50 1.109,00 DM EURO 579,00 650,00 DM EURO 333,00

a) Volljährige

Blinde

Rheinland-Pfalz

Land

Fortsetzung Übersicht w

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