Österreichische Kultur- und Geistesgeschichte: Gesellschaft und Ideen im Donauraum 1848 bis 1938 9783205116417, 3205774981, 9783205774983

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Österreichische Kultur- und Geistesgeschichte: Gesellschaft und Ideen im Donauraum 1848 bis 1938
 9783205116417, 3205774981, 9783205774983

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B ö h la u

William M. Johnston

Österreichische Kulturund Geistesgeschichte Gesellschajfìt und Ideen im Donauraum 1848 bis 1938

Böhlau Verlag Wien Köln Weimar

Gedruckt mit Unterstützung durch das Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur, das Bundesministerium für Auswärtige Angelegenheiten, die Österreich Kooperation, die Österreichische Kulturvereinigung.

Bibliographische Information der Deutschen Bibliothek. Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. ISBN 3-205-77498-1 ISBN 978-3-205-77498-3 Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Ubersetzung, des Nachdruckes, der Entnahme von Abbildungen, der Funksendung, der Wiedergabe auf photomechanischem oder ähnlichem Wege und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Aus dem Amerikanischen übertragen von Otto Grohma, Einleitung 2006 von Alexandra Auer. Titel der amerikanischen Originalausgabe, erschienen bei University of California Press, 1972: THE AUSTRIAN MIND - An Intellectual and Social History 1848-1938 © 1972 by The Regents of the University of California Alle Rechte der deutschsprachigen Ausgabe: © 1974 Böhlau Verlag Ges. m. b. H. & Co. KG, Wien - Köln - Weimar © 2006 Vierte ergänzte Auflage by Böhlau Verlag Ges. m. b. H. & Co. KG, Wien - Köln - Weimar http://www.boehlau.at http://www.boehlau.de Gedruckt auf umweltfreundlichem, chlor- und säurefreiem Papier. Satz: Dimograf Customer Vision Printed in Europe - Dimograf, Polen.

MAGISTRIS, AMICIS, DISCIPULISQUE

Etwas Neues kann man nur finden, wenn man das Alte kennt. Jean Gebser Ursprung und Gegenwart

Z U M GELEIT

„In Vielfalt geeint". Dieses Motto der Europäischen Union scheint auch auf jenes Österreich zuzutreffen, das William M. Johnston in seinem Standardwerk „Osterreichische Kultur- und Geistesgeschichte - Gesellschaft und Ideen im Donauraum 1848 bis 1938" nachzeichnet. Der Autor schildert den Vielvölkerstaat als toleranten, multiethnischen Staat, in dem gerade die Buntheit der Völker und Ideen ein fruchtbares geistiges und kulturelles Klima schuf. Sentimentalität zum Mitteleuropa um 1900 oder historische Analogien wären fehl am Platz, zumal die politischen Realitäten von heute mit jenen des Fin de Siècle nur mehr sehr wenig zu tun haben. Die geistigen Wurzeln jedoch sind in vielerlei Hinsicht als Fundament der europäischen Identität erhalten geblieben: in Kunst, Kultur, Architektur oder etwa in der Wissenschaft. Als „The Austrian Mind" 1974 erstmals auf Deutsch erschien, trennte der Eiserne Vorhang die früheren Zentren Budapest und Prag von Wien; von einem gemeinsamen „Geisteskontinent" (Friedrich Heer) konnte keine Rede mehr sein. Dass diese unglückselige Trennung aufgebrochen wurde, gehört wohl zu den schönsten Erfahrungen unserer Generation. Damit haben wir eine neue Chance bekommen, die Stärke der Vielfalt in der Einheit Europas zu nützen. William M. Johnstons Werk kann uns bei der Reflexion über die Zukunft Europas sehr wesentlich inspirieren, indem es uns in eine geistige Welt zurückfuhrt, in der die Moderne nicht zuletzt durch die Überschreitung nationaler Grenzen geboren wurde.

Dr. Ursula Plassnik Bundesministerin für auswärtige Angelegenheiten

I

FOREWORD

In varietate concordia: Unity in diversity. The motto of the European Union appears to apply perfectly to the picture of Austria as portrayed by William M. Johnston in his standard work "The Austrian Mind: An Intellectual and Social History, 1848-1938". The author paints a portrait of the multinational state as a tolerant, polyethnic society, in which the very diversity of peoples and ideas led to a rich, dynamic intellectual and cultural atmosphere. Nostalgia for the Central Europe of 1900 or historical analogies between then and now would be pointless, given that today's political reality has very little to do with the conditions prevailing at the turn of the 19th century. The intellectual roots of the period, however, have persisted to form part of the foundation of the European identity in art, culture, architecture and even the sciences. At the time when "The Austrian Mind" was first published in German in 1974, Prague and Budapest, previously centres of intellectual activity, were still separated from Vienna by the Iron Curtain, and Friedrich Heer's concept of a unified intellectual continent (Geisteskontinent) seemed a thing of the past. The end of this terrible forced separation was without a doubt one of the most moving experiences of our generation. Through it we have been given a new opportunity to take advantage of the strength in diversity that is inherent in Europe's unity. William M. Johnston's work transports us back to an intellectual world in which the transcendence of national borders assisted in the birth of the modern age, and should be an inspiration to us as we reflect on the future of a unified Europe.

Dr. Ursula Plassnik Foreign Minister of the Federal Republic of Austria

II

E I N L E I T U N G ZUR 4. AUFLAGE 1. Anstoß zu diesem Buch war der Kontrast zwischen dem deutschen und dem österreichischen Geistesleben vor 1850 Es ist ein seltenes Privileg, wenn man eingeladen wird, die Einleitung zu einem Buch zu verfassen, das man vor mehr als 35 Jahren geschrieben hat. Meine Osterreichische Kulturund Geistesgeschichte (The Austrian Mind, 1972) entstand aus Überlegungen zur deutschsprachigen Kultur im Zeitraum von 1815 bis 1848. Mein Interesse für die Unterschiede in den Denkstilen Deutschlands vor 1848 und Österreichs nach 1848 veranlasste mich, dieses Buch zu schreiben. Beide Kulturen waren reich an Polyhistors, deren gedankliche Tiefe und Reichweite, nicht bloß auf einem oder zwei, sondern auf zahlreichen Gebieten, uns immer noch verblüffen und erschrecken. Es waren diese integrativen Denker, die mein Interesse an dem Thema weckten. Osterreichische Empiriker hatten innovative Theorien erdacht und dadurch eine stattliche Menge an Fakten integriert, doch in der Geistesgeschichte des 19. Jahrhunderts war diese intellektuelle Glanzleistung Österreichs weitgehend übersehen worden. Tatsächlich waren Österreichs kreative Denker nach 1848 noch nie gemeinsam in einem Werk behandelt worden. Eine österreichische Geistesgeschichte des 19. und des frühen 20. Jahrhunderts wartete darauf geschrieben zu werden. Sobald ich mich dieser Aufgabe annahm, musste ich die Unterschiede zwischen deutschem und österreichischem Denken nach 1800 in Worte fassen. Es lohnt sich nachzuzeichnen, wie einige dieser Unterschiede die Konzipierung meines Buches beeinflusst haben. Erstens erreichte das deutsche Denken seine Hochblüte zwischen 1790 und 1840, während sich das österreichische Denken eher nach 1850 zu entfalten begann. Nachdem ich mich entschlossen hatte, bis auf die Zeit vor 1848 zurückzugehen, erschien es notwendig, die österreichische Entwicklung mindestens bis 1938 weiterzuverfolgen und nicht nur bis zum Zusammenbruch der Monarchie. Der Erste Weltkrieg war als Endpunkt ungeeignet, denn zu viele Denker aus der Zeit vor 1914 hatten bis in die 1930er Jahre oder noch länger gelebt. Mit möglicherweise übertriebenem Vertrauen in den Konservatismus der österreichischen Kultur ging ich davon aus, dass die 90 Jahre, die ich beschreiben wollte, ein hohes Maß an Kontinuität aufwiesen. Mich interessierten Merkmale, die für die ganze oder doch den Großteil dieser Periode galten, mehr als eine Unterteilung in Subperioden oder eine dieser Subperioden allein. Mein Thema war der gesamte Zeitraum. Zweitens setzten fast alle wichtigen Vordenker Österreichs auf empirische Methoden. Einige arbeiteten in der naturwissenschaftlichen Forschung, namentlich in Medizin und Physik, andere betrieben empirische Philosophie, später auch Ökonomie, Rechtslehre, Kulturgeschichte und natürlich Psychoanalyse. Im Unterschied zu vielen deutschen Idealisten waren österreichische Denker bestrebt, empirische Daten zu sammeln und zu klassifizieren, die einige von ihnen später mit revolutionären Ergebnissen in alte und neue III

akademische Disziplinen integriert haben. Kaum ein Österreicher hatte den Ehrgeiz, nach dem Vorbild deutscher Metaphysiker wie Fichte, Schelling oder Schopenhauer eine neue Weltanschauung zu begründen, und die Österreicher neigten auch nicht dazu, ihre Nationalkultur mit großen Philosophen zu identifizieren, wie das die Deutschen mit Kant und Hegel machten. Diese beiden Geistesriesen riefen in Deutschland, jedoch nicht in Österreich, eine zwanghafte Fixierung auf einige wenige „Schlüsseltexte" hervor, deren Interpretation nun zur Hauptaufgabe der philosophischen Ausbildung wurde. Im Gegensatz dazu wurden österreichische Philosophen nach einem auf Herbart zurückgehenden enzyklopädischen Lehrplan unterrichtet und widmeten sich empirischen Disziplinen, die ihr Allgemeinwissen zu dem eines Polyhistors erweiterten. Ihre geistige Offenheit verdankten sie auch den französischen Einflüssen der Aufklärung und der Zeit Napoleons (Regierungszeit 1799-1814/15), dem spanischen Einfluss unter Karl VI. (Regierungszeit 1711—1740) und den italienischen Einflüssen aus den Provinzen Lombardei und später Venetien. Diese Beispiele zeugen für eine „europäische Berufung" der Habsburger, von der die österreichische Hochkultur Jahrhunderte lang durchdrungen war. Österreichische Gelehrte begannen sich durch Integration der Methoden ehemals getrennter Fächer hervorzutun. Nach 1850 entwarfen diese integrativen Denker neue Ansätze in verschiedenen akademischen Disziplinen, zunächst in Medizin und Ökonomie, ab 1870 auch in Kunstgeschichte, Musikgeschichte, Gesellschaftstheorie und Rechtsgeschichte. Natürlich leistete auch Deutschland seinen Beitrag auf diesen Gebieten, doch tendenziell war das deutsche Denken überschattet von genialen Einzelpersönlichkeiten wie Schopenhauer, Marx und Nietzsche. Was die Österreicher leisteten, war eher kollegial als brillant, eher empirisch als dichterisch, in seiner Wirkung eher kumulativ als dazu geeignet, Ruhm zu ernten. Österreich fehlten nach 1850 intellektuelle „Stars", die es mit den deutschen Stars der vorangegangenen und der folgenden Ära hätten aufnehmen können. Eine Geistesgeschichte Österreichs nach 1850 musste also sehr viele weniger bekannte Persönlichkeiten berücksichtigen, die zur Gründung verschiedener empirischer Schulen beigetragen hatten; an großen Namen dagegen würde sie, abgesehen von einigen wenigen Berühmtheiten wie Freud, Wittgenstein und Kafka, nicht so reich sein wie das deutsche Geistesleben. Drittens war die österreichische Kultur vor allem bekannt fiir ihre Musik, ihre Architektur und im Wien der Ringstraßenzeit für ihre der Architektur dienende Malerei. Eine Geistesgeschichte Österreichs nach 1850 konnte sich also nicht nur auf Ideen beschränken, sondern musste auch Musik und bildende Kunst mit einbeziehen, was bei einer deutschen vielleicht nicht so wichtig gewesen wäre. Das heißt, sie musste sich auch mit Kulturgeschichte befassen. Vor allem in Wien bildeten Komponisten und Architekten nämlich das wohl bemerkenswerteste Segment jener kreativen Elite, von der andere kreativ Tätige Notiz nehmen mussten. Seit der Barockzeit hatte der kulturelle Kontext des österreichischen Denkens automatisch auch Musik und Kunst umfasst, und dies macht verständlich, wieso es Wiener Gelehrte waren, die Ende des 19. Jahrhunderts geistesgeschichtliche Methoden in die Kunst- und Musikforschung einführten. IV

Obgleich sich der österreichische Empirismus für die historische Erforschung von Kunst, Musik und Philosophie einsetzte, förderte er paradoxerweise die Erforschung seiner eigenen Leistungen nicht. Anders als die deutschen bemühten sich die österreichischen Humanisten selten um die Bewusstmachung ihrer eigenen besonderen Tradition. Einer der ersten, die dieser Aufgabe einen beträchtlichen Teil ihrer Karriere widmeten, war Friedrich Heer (1916—1983), den ich 1967 kennen lernte, als er gerade Der Glaube des Adolf Hitler. Anatomie einer politischen Religiosität (München: Bechtle, 1968) beendete. Unnötig zu sagen, dass dieses bahnbrechende Werk über Österreichs geistige Unterwelt inzwischen viele Nachfolger gefunden hat, darunter Brigitte Hamanns Buch Hitlers Wien: Lehrjahre eines Diktators (2. Auflage, München: Piper, 1996). Dennoch bleibt Friedrich Heer der große Pionier auf dem Gebiet, von dem mein Buch handelt. Viertens waren die kulturellen Brennpunkte in Osterreich deutlich anders verteilt als in Deutschland. Ehe der Ausgleich von 1867 zwei Hauptstädte erlaubte, besaß das Habsburgerreich eine einzige Metropole, in die Einwanderer einströmten und von der Erlässe ausgingen. Während sich Deutschland Dutzender angesehener Universitätsstädte rühmen konnte, aber (zumindest bis 1870) keine einzige tonangebende Metropole besaß, rühmte sich Osterreich seines imperialen Schmelztiegels, doch vielleicht weil diese Residenzstadt weiter östlich von Paris lag als alle deutschen Städte, zeigten die österreichischen Intellektuellen weniger Lust zum Wettstreit mit den Franzosen als die deutschen. Vor 1930 übersiedelte kein einziger bedeutender österreichischer Schriftsteller nach Paris, wie dies Heine in den 1830er und Marx in den 1840er Jahren getan hatten. Stattdessen zog es Menschen aus allen Regionen der Monarchie nach Wien, genau wie es Böhmen nach Prag und Ungarn nach Budapest zog. Nach 1870 und erst recht natürlich nach 1920 blieben manche Intellektuelle freilich in Berlin oder anderen deutschen Universitätsstädten ansässig. Mit einem Wort, Wien faszinierte mich vor allem als Ziel der internen Immigration. Die Reichshauptstadt war ein Treffpunkt fiir Intellektuelle aus allen Winkeln dieses Vielvölkerstaates. Ich betrachtete Wien also nicht als Welt für sich, sondern als einen Magneten, der talentierte junge Männer und Frauen verschiedenster Herkunft: aus allen Gebieten der Monarchie anzog (oder manchmal auch abstieß). So wie die Wiener Medizinische Schule seltene Krankheitsfälle aus allen Kronländern anzog und ihre Arzte dadurch mit einer unvergleichlichen Vielfalt klinischen Materials versorgte, zog die Kaiserstadt auch auf jedem anderen Forschungsgebiet Talente unterschiedlichster ethnischer Herkunft an. Mich interessierte Wien mehr als Sammelbecken intellektueller Begabungen denn als Schauplatz von Experimenten in Stadtplanung (z. B. der Ringstraße), künstlerischer Zusammenarbeit (z. B. der Sezession 1897) oder musikalischer Auffiihrungspraxis (z. B. Mahlers Anstellung an der Wiener Oper 1897—1907). Außerdem interessierten mich die Kommentare von Zeitgenossen fast mehr als diese künsderischen Leistungen selbst, da die Kulturkritik von solchen theoretischen Erwägungen lebt. Weshalb, überlegte ich, waren so viele potentielle Polyhistors nach Wien gezogen? Und wie hatten sie einander dort beeinflusst? Wie entwickelten sich Neuankömmlinge aus V

der Provinz im Vergleich zu Kollegen, die in Prag, Budapest, Lemberg oder Triest geblieben waren? Warum blieben manche nur kurz in Wien, um dann in ihre Heimat zurückzukehren oder anderswohin zu ziehen, etwa nach Graz oder in eine andere Universitätsstadt? Obwohl dies heute paradox erscheinen mag, begann mein Buch weder als Abhandlung über das Wien der Jahrhundertwende, noch lieferte es eine Neuinterpretation dieser kulturellen Hochblüte. Es sollte vielmehr eine Geistesgeschichte der Monarchie bieten, insbesondere ihrer Überfülle an Polyhistors auf fast allen Forschungsgebieten, auf denen sich Österreicher ausgezeichnet haben. Interessanterweise stellte sich heraus, dass die Österreicher nach 1850 nur in der Theologie und der reinen Mathematik keinen Beitrag von europäischer Bedeutung geleistet haben.

2. Spezifische Merkmale meiner Betrachtungsweise und deren Parallelen zur Kulturphänomenologie Aufgrund meines Interesses flir die ethnischen und regionalen Wurzeln integrativer österreichischer Denker musste ich neben Wien auch Prag und Budapest ins Auge fassen. Da mein besonderes Interesse der Biedermeierzeit galt, konnte es nicht ausbleiben, dass vor allem die deutschsprachigen böhmischen Denker aus der Zeit vor 1848 meine Aufmerksamkeit auf sich zogen. Aus diesem Grund figuriert Bernhard Bolzano hier als Urquell dessen, was Rudolf Haller und andere später als „Österreichische Philosophie" bezeichneten. Mir lag daran, Bolzanos neue philosophische Ansätze als Strategie darzustellen, um die Zensur zu umgehen und die relative Autonomie auszunutzen, die man in einer Provinzstadt genoss, ehe die Eisenbahn wenige Jahrzehnte später die Verbindung zwischen den Städten beschleunigte. Die im böhmischen Biedermeier beginnende Linie österreichischer Philosophen propagierte ausgeprägte geistige Unabhängigkeit, ihren Höhepunkt erreichte sie ein Jahrhundert später in Christian von Ehrenfels, einem anderen Prager Polyhistor, der den Begriff der Gestaltqualitäten prägte. Er verkörperte die Besonderheit der Prager Philosophen bis in die 1930er Jahre. Wie diese Beispiele zeigen, ging es mir vor allem um die Untersuchung kaum bekannter Denker. Besonders in Bezug auf Prag widersprach diese Prioritätensetzung dem Zeitgeist der 1960er und 1970er Jahre. Während sich das akademische Interesse Ende der 1960er Jahre fast ausschließlich auf Franz Kafka konzentrierte, nicht zuletzt deshalb, weil seine Darstellungen der Bürokratie thematische Parallelen zur Unterdrückung osteuropäischer Intellektueller durch das Sowjetregime aufwiesen, wollte ich die Aufmerksamkeit auf die vielen Zeitgenossen lenken, die unter ähnlichen Umständen geschrieben hatten. Gustav Meyrinks phantastische Romane, darunter jener über die Prager Legende vom Golem (1915), aber auch die kaum bekannten Werke von Prager Expressionisten wie Paul Kornfeld oder Paul Adler schienen mir kaum weniger Beachtung zu verdienen als der überproportional berühmte Franz Kafka. Als ich jedoch immer mehr vergessene Denker entdeckte, musste ich die Absicht meines Buches neu überdenken. Ganz bewusst VI

wollte ich das Ungleichgewicht bei der Zuteilung posthumen Ruhmes ausgleichen. Warum sollte Kafka hundert oder gar tausend Mal mehr Aufmerksamkeit zuteil werden als Kornfeld oder Adler, obwohl alle drei auf ähnliche Umstände in ihrer Heimatstadt reagiert und demselben kulturellen Kontext angehört hatten? Es schien selbstverständlich, dass dieser kulturelle Kontext um so deutlicher sichtbar wurde, je mehr seiner Protagonisten man betrachtete. Niemand bestritt, dass diese Regel auf Wien zutraf. Wieso sollte sie auf Prag, Budapest, Krakau oder sogar Graz nicht ebenso zutreffen? Große Denker müssen mit einem Schwärm um sie kreisender Satelliten dargestellt werden, will man den geistigen Nährboden erfassen, auf dem sie gewirkt haben. Mein Ehrgeiz, kaum bekannte Denker an die Seite berühmter Kollegen zu stellen, weist deudiche Parallelen mit einem Merkmal österreichischer Kreativität im Biedermeier auf. In der Ära politischer Zensur zwischen 1792 und 1848 war es fxir fleißige, aber eher vorsichtige Gelehrte sinnvoll, ihre Energie in die Bestandsaufnahme kreativer Höchstleistungen in der Vergangenheit zu investieren. Zwei bemerkenswerte Vertreter dieser ,Auflister" sind zu bleibendem Ruhm gelangt, und ihre Verzeichnisse blieben tatsächlich unübertroffen. Jeder Musikliebhaber kennt Ludwig Ritter von Köcheis (1800—1877) in Salzburg erstelltes Chronologisch-thematisches Verzeichnis sämtlicher Tonwerke Mozarts (1862). Der Name des Autors ist zum festen Begriff geworden. Noch ehrgeiziger und nicht weniger unentbehrlich ist Adam von Bartschs (1757—1821) Lepeintre-graveur, ein einundzwanzigbändiges Verzeichnis der Kupferstiche von etwa 500 Malern, das er als Kurator der Albertina zusammenstellte. Als The Illustrated Bartsch wird das Werk derzeit neu aufgelegt (New York, 1978). Alle späteren Studien über europäische Bilddrucke beruhen also auf Bartsch, einem Graveur, der, von einigen Reisen zum Sammeln von Drucken abgesehen, sein gesamtes Berufsleben in Wien verbracht hat. Wie der Name Kochel wurde auch sein Name zum Inbegriff gründlicher Erfassung, und auch sein Sammelwerk blieb unerreicht. Ohne ein ähnliches Maß an Gründlichkeit anzustreben, erkannte ich dennoch, wie nützlich es war, im Rahmen eines verständlichen Schemas die Namen möglichst vieler schöpferischer Persönlichkeiten zu sammeln und zu würdigen. Bei dieser Sammel- und Bewertungstätigkeit kann man erst nach Untersuchung einer sehr großen Anzahl jedem Einzelnen seinen Platz zuweisen. Zusammengenommen bilden Erneuerer hohen, mittleren und niederen Ranges ein Ganzes, das jeden von ihnen in verschiedensten geistigen Kontexten zeigt. Im Falle Freuds zum Beispiel bilden die Interaktionen mit über hundert ,Anhängern", die er anzog (und später manchmal abstieß), unzählige Kontexte zur Interpretation seiner eigenen Leistungen. Auch wenn sie weniger Anhänger hatten, gilt dasselbe fiir Ernst Mach auf dem Gebiet der psychophysikalischen Theorie, ftir Carl Menger auf dem der Ökonomie, für Hans Kelsen auf dem der Rechtslehre und für Moritz Schlick auf dem der empirischen Philosophie des Wiener Kreises. Diese Denker zogen Nacheiferer an, die allmählich den Kontext erweiterten, in dem wir die Leistung des Gründers werten können. Die Erforschung der Werke von Schülern und Kritikern verleiht auch den großen Erneuerern selbst immer mehr Tiefe und Gewicht. Dies ist ein VII

weiterer positiver Nebeneffekt der Inventarisierung weniger bedeutender Denker: Wir erhalten Gelegenheit, die Meister, um die sich diese scharten, in neuen Zusammenhängen zu sehen. Selbstverständlich zogen große akademische Lehrer Scharen von Studenten an, die ihr Werk fortführten. Schwerer zu ergründen ist dagegen der Einfluss, der von manchen zentralen Ideen ausgeht. Christian Ehrenfels' Begriff der Gestaltqualitäten (1890) zum Beispiel gewann über die Schüler seiner Schüler Anhänger in der Philosophie, der empirischen Psychologie, der Psychotherapie, der Mathematik und so weiter. In Fällen wie diesem übernahmen Denkschulen einen Begriff, der, wie Thomas Kuhn (1922—1996) uns zu sagen lehrte, einen Paradigmenwechsel einleitete. In Ehrenfels' Fall betraf der Paradigmenwechsel verschiedenste Gebiete. Ohne diesen Begriff zu benutzen, beschreibt mein Buch von Österreichern initiierte Paradigmenwechsel in zahlreichen akademischen Bereichen. Indem es kleineren Persönlichkeiten Beachtung schenkt, berücksichtigt es auch potentielle Paradigmenwechsel, die keine Unterstützer fanden und daher nichts veränderten. Beispiele fiir misslungene Versuche, einen Paradigmenwechsel herbeizuführen, sind etwa Lipot Szondis Schicksalsanalyse, die Dichotomien in der Gesellschaftslehre Othmar Spanns oder Hans Sedlmayrs Kunstgeschichte nach 1945 im Geiste Spenglers. Man könnte vielleicht sagen, dass österreichische Denker überproportional viele zum Scheitern verurteilte Paradigmenwechsel entworfen haben. Auch das ist eine Variation auf Karl Kraus' Ausspruch, Österreich sei eine „Versuchsstation für Weltuntergänge". Einige österreichische Essayisten wie Robert Musil oder Hermann Broch und später der Historiker Friedrich Heer haben sich auf die Untersuchung von Paradigmenuntergängen spezialisiert. Genau wie mich faszinierte sie Österreichs Reichtum an genialen Ideen, die weder in Österreich selbst noch anderswo bleibende Resonanz fanden. Mein Eifer, schöpferische Persönlichkeiten aus Österreich zu katalogisieren, ist nicht nur den Datensammlern der Biedermeierzeit verpflichtet, er hat auch eine Parallele im 20. Jahrhundert. Meine Osterreichische Kultur- und Geistesgeschichte wetteifert mit dem Werk eines Mannes, der Mitte des 20. Jahrhunderts auf einem meinen eigenen Interessen scheinbar sehr fern liegenden Gebiet arbeitete, nämlich dem der Religionsphänomenologie. Der holländische Gelehrte Gerardus van der Leeuw (1890-1950) brachte dieses Fach in seinem Buch Phänomenologie der Religion (1933) zur Abrundung, das in einer erweiterten englischen Übersetzung unter dem Titel Religion in Essence and Manifestation (London, 1938 und 1956; Princeton, 1986) erschien. Nach dem Vorbild seines Leidener Lehrers Chantepie de la Saussaye verwendete dieser holländische Gelehrte Hegels Phänomenologiebegriff zur Kennzeichnung einer verständlichen, aber metaphysisch neutralen Beschreibung verschiedenartiger religiöser Phänomene. Religionsphänomenologie erklärt metaphysische Lehren, ohne ihren Wahrheitsgehalt bewerten zu wollen. Stattdessen analysiert sie deren Funktion innerhalb religiöser beziehungsweise gesellschaftlicher Systeme. Genau wie mein Buch zielt die Phänomenologie der Religionen auf eine verständliche, nicht ideologische Beschreibung, wobei sie sich sowohl neuer analytischer Methoden bedient als auch alte verfeinert. Vor allem als kulturhistoVIII

rische Methode versucht die Phänomenologie ideologisch festgefrorene Methoden zu überwinden, indem sie Vorurteile durch neue Daten in Frage stellt, die auch neue Integrationsschemata erfordern. Ebenso wie die Religionsphänomenologie sammelt auch die Kulturphänomenologie möglichst breit gestreute Daten und ordnet sie dann nach empirisch begründeten Kategorien. Diese interpretieren teils alte Kategorien neu, teils bahnen sie, um der nie da gewesenen Datenfiille gerecht werden zu können, ganz neuen Kategorien den Weg. Auf die Kulturgeschichte angewandt, wie ich es getan habe, soll die Phänomenologie ideologische Ansätze ersetzen, indem sie eine so bedeutende Datenmenge anhäuft, dass neue oder modifizierte Kategorien unumgänglich werden. Diese Methode zielt darauf ab, in unseren Vorstellungen über ein weit verzweigtes Gebiet einen Paradigmenwechsel auszulösen, indem sie beweist, dass die Wissenschaft bisher zu wenige Fallstudien berücksichtigt und sich eines allzu brüchigen konzeptionellen Rahmens bedient hat. Obschon die phänomenologische Darstellung einer bestimmten Kultur es notwendig macht, deren Geschichte neu zu überdenken, versucht sie doch die Formen dieser Neuinterpretation nicht zu diktieren. Rückblickend betrachtet sieht es so aus, als sei meine Phänomenologie der österreichischen Geisteskultur zwischen 1848 und 1938 beim Zusammentragen bisher vernachlässigter Daten erfolgreicher gewesen als beim Prägen von Begriffen, die geeignet gewesen wären, selber einen Paradigmenwechsel herbeizufuhren. Während es Carl Schorske mit Fin-de-Siecle Vienna: Politics and Culture (New York: Knopf, 1980) oder Allan Janik und Stephen Toulmin mit Wittgensteins Vienna (New York: Simon and Schuster, 1973) gelungen ist, einen weithin anerkannten Paradigmenwechsel auszulösen, hat mein Buch Material ausgegraben, das anderen dazu dient, tiefer zu schürfen. Es hat althergebrachte Paradigmen ins Wanken gebracht, ohne einen überzeugenden Ersatz für sie anzubieten. Da gerade in der österreichischen Geisteskultur empirische Methoden über alles geschätzt werden, ist es vielleicht sehr passend, dass meine Beschäftigung mit ihr andere Gelehrte zu empirisch verankerten Monographien inspiriert hat, anstatt Diskussionen über ein neues Paradigma zu entfachen. Die neuen Kategorien, die ich vorschlage, entsprechen der von mir gewählten thematischen Gliederung in drei Regionen, Kern-Österreich (inklusive Wien), Böhmen und Ungarn. In Wien habe ich den Hang zum Kulturpessimismus hervorgehoben, der auf einer Vorliebe für jegliche Arznei scheuende Diagnosen beruht. Als Markenzeichen für diesen Verzicht auf Therapie übernahm ich einen Mitte des 19. Jahrhunderts geprägten Begriff aus der Wiener medizinischen Schule, den des „therapeutischen Nihilismus". Wie die Pioniere der empirischen Diagnose, beispielsweise Karl von Rokitansky und Josef Skoda, bewiesen haben, wurde es in der Medizin um 1850 ein oder zwei Jahrzehnte lang als wichtiger erachtet, sich der Erforschung der Ursachen und Symptome von Krankheiten zu widmen als deren Heilung. Diese Laboratoriumswissenschaftler verschoben die Suche nach wirksamen Therapien um eine ganze Generation, nur um klinische Daten, ungestört durch zwecklose Heilungsversuche, erforschen zu können. IX

Mein Versuch, den Begriff des therapeutischen Nihilismus auf Wiener Denker wie Karl Kraus, Otto Weininger, Hermann Bahr, Hermann Broch und sogar Stefan Zweig anzuwenden, ist in mindestens zweifacher Hinsicht anfechtbar. Erstens, selbst wenn einige Wiener Schriftsteller nach 1900 so eifrig in kulturelle Sackgassen liefen, dass sie an Verbesserungsmöglichkeiten ihrer eigenen oder der Gesamtlage verzweifelten, wieso sollte ausgerechnet ein umstrittener medizinhistorischer Begriff aus der Zeit um 1850 geeignet sein, ihre Haltung zu erklären? Zweitens, auch wenn der Begriff eine beständige Tendenz der Wiener Literatur umschreibt, gibt es zu viele wichtige Ausnahmen, als dass man ihn zum Leitbegriff für eine Hauptströmung der Wiener Kultur zwischen 1850 und 1938 machen könnte. Man denke nur an Freuds engagierte Suche nach einer Therapie der Neurose oder Carl Mengers Engagement, die Grenzen der zur Optimierung der Marktwirtschaft eingesetzten Wirtschaftstheorie abzustecken. Zwar ist der therapeutische Nihilismus zweifellos bei bedeutenden Gestalten der Jahrhundertwende als Geisteshaltung erkennbar, doch in den Diskussionen der Historiker über die Frage, was diesen kulturellen Nährboden fruchtbar machte beziehungsweise für uns relevant macht, hat meine Definition nur eine minimale Rolle gespielt. Sie mag zwar auf eine bestimmte Geisteshaltung zutreffen, erklärt jedoch nicht, warum sich manche Denker diese Geisteshaltung zu einer bestimmten Zeit zu eigen machten, oder wie sich deren Haltung auf jene ausgewirkt hat, die sie ablehnten. Dem Begriff des therapeutischen Nihilismus fehlt es an Erklärungspotential, genau diese Eigenschaft aber ist fiir einen Paradigmenwechsel unentbehrlich. So ist mein Versuch, für das Wien der Jahrhundertwende einen Paradigmenwechsel herbeizufuhren, gescheitert. Es ist daher wichtig, daran zu erinnern, dass dieses Buch ursprünglich nicht als Studie über das Wien der Jahrhundertwende geplant war, und dass auch nicht vorauszusehen war, welche Faszination diese Periode dann plötzlich auf ganz Europa und Amerika ausüben sollte. Bezeichnenderweise erreichte dieses Interesse seinen Höhepunkt in den späten siebziger Jahren, als die Anziehungskraft der Postmoderne erstmals allgemein spürbar wurde. Andere Kulturhistoriker, darunter mehrere Amerikaner, waren dazu bestimmt, die Debatte über das Wien der Jahrhundertwende zu eröffnen. Zwei Wiener Forschungsinitiativen griffen diese Entwicklung auf: die von Emil Brix geleitete Arbeitsgemeinschaft „Wien um 1900" und Moritz Csäkys Forschungsvorhaben über die Moderne. Scharfsinnige Würdigungen dieser und anderer Initiativen findet man in Die Wiener Jahrhundertwende: Einflüsse Umwelt Wirkungen von Jürgen Nautz und Richard Vahrenkamp (Wien: Böhlau, 1993) und Rethinking Vienna 1900, herausgegeben von Steven Beller (New York und Oxford: Berghahn Books, 2001). Eine noch tiefer gehende Interpretation der Kulturkritik jener Zeit gibt David S. Luft in Eros and Inwardness in Vienna: Weininger, Musil, Doderer (Chicago und London: University of Chicago Press, 2003). Lufts Analyse Musils als eines Essayisten, der sich des österreichischen Empirismus bediente, „um einen irrationalen Zugang zu den Gefühlen" zu untermauern, erschließt Neuland. Alle drei Werke zeigen, dass noch viel kreative Gedankenarbeit zu leisten ist. In der Tat lässt sich voraussehen, dass neue Generationen die großen Wiener Denker der Jahrhun-

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Ein Grund für die Neuauflage meines Buches besteht also darin, jüngeren Wissenschaftlern ein Quellenwerk zugänglich zu machen, in dem Denker dargestellt werden, die auf ihre Wiederentdeckung noch warten. Mag sein, dass meine Phänomenologie der österreichischen Geisteskultur gerade erst begonnen hat, ihre Aufgabe, Leser auf noch unerschlossene Schichten des österreichischen Denkens aufmerksam zu machen, zu erfüllen. Da das Buch Anfang der 1970er Jahre erschien, fand meine Untersuchung böhmischer und ungarischer Denker zwangsläufig nur sehr geringen Widerhall in der Tschechoslowakei und Ungarn. Ja, mein Entschluss, dem Buch eine auf die Monarchie zurückgehende geographische Struktur zu unterlegen, erwies sich in den 1970er Jahren als besonders unzeitgemäß, da weder tschechische noch ungarische Wissenschaftler die Freiheit hatten, meinen Hinweisen nachzugehen. Dazu kam, dass meine Konzentration auf deutschsprachige Denker die Bedeutung der tschechisch- und ungarischsprachigen Werke herunterspielte und allein deshalb den Bürgern kommunistischer Länder missfiel. Da ich mich auf deutschsprachiges Material beschränkt habe, kann man sagen, dass meine Perspektive auf die Monarchie oder auf Deutsch-Österreicher zentriert war, jedoch nicht unbedingt auf Wien. Aus der Distanz von Nordamerika schreibend, versuchte ich vielmehr, die Perspektive des altösterreichischen Amtes wiederzubeleben, das ja bekannt war fiir seine Unparteilichkeit, obwohl es eine zentralistische Staatsmacht verkörperte. Einiges von der Objektivität und empirischen Akribie der k.und k. Beamten durchzieht dieses Buch. Wie sie habe ich mich um Unparteilichkeit bemüht und dabei zugleich eine zentralisierende Perspektive vorgegeben. Meine Hoffnung, interkulturelle Vergleiche zwischen dem österreichischen Kernland, Böhmen und Ungarn anzuregen, hat zu wenig Früchte getragen. In Peter Hanäks Aufsätzen, erschienen in Der Garten und die Werkstatt. Ein kulturgeschichtlicher Vergleich. Wien und Budapest um 1900 (Wien: Böhlau, 1992), werden Wien und Budapest in der Zeit zwischen 1848 und 1918 verglichen, und die Werke von Lee Congdon, vor allem Exile and Social Thought: Hungarian Intellectuals in Germany and Austria 1919—1933 (Princeton: Princeton University Press, 1991) wimmeln von Vergleichen zwischen den beiden Städten, namentlich in Bezug auf Georg Lukäcs und Béla Baläsz, die auch ich ausführlich behandelt habe. In den 1970er Jahren hatte ich gehofft, Tschechen und Ungarn der älteren Generation könnten veranlasst werden, die Geistesgeschichte ihrer und der vorangegangenen Generation zu schreiben, doch das erwies sich als naiv. Die Zeitspanne, in der vor 1914 geborene Ungarn, Tschechen und Deutschböhmen in einen leidenschaftlichen Diskurs über ihre intellektuelle Vergangenheit hätten treten können, ist leider ungenutzt verstrichen. Also wird in Osteuropa ein Diskurs anderer Art zwischen jüngeren Intellektuellen und deren Vorläufern aus der Habsburger-Ära stattfinden müssen. Die geistige Unabhängigkeit, die ich bei früheren Generationen in Böhmen und Ungarn festgestellt habe, wird ihre Nachfahren vielleicht zu neuartigen Standpunkten inspirieren. Wie das vorliegende Buch beweist, gibt es noch viele Denker wiederzuentdecken, besonders unter jenen aus Böhmen und Galizien.

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3. Die jüdische Komponente Die schmerzliche Frage des jüdischen Anteils am österreichischen Denken habe ich bis jetzt aufgeschoben. So unwahrscheinlich dies heute erscheinen mag, entstand mein Buch gegen Ende einer 25 Jahre währenden Nachkriegsperiode, in der fast alle das Thema Holocaust lieber gar nicht berührten. Tatsächlich tauchten in der akademischen Welt Amerikas genau im Erscheinungsjahr meines Buches die ersten Holocaust-Studien auf. Heute kann man sich kaum noch vorstellen, welchen Seltenheitswert 1972 ein nichtjüdischer Autor besaß, der die Leistungen jüdischer Denker der Habsburger-Ära pries, geschweige denn als waschechter Yankee auf die jüdische Herkunft so vieler schöpferischer Österreicher eigens hinwies. Ich wurde des „Philosemitismus", eines Rassismus mit umgekehrtem Vorzeichen bezichtigt oder, mit mehr Witz, kritisiert, ich hätte Juden so sorglos aufgelistet wie Leporello die Geliebten Don Giovannis. Und bei jeder meiner Lesungen in Mitteleuropa protestierte irgendein Hörer dagegen, dass ich die jüdische Identität berühmter und weniger berühmter Persönlichkeiten hervorgehoben hatte. Viele Leute zogen es vor, die jüdischen Wurzeln von ihnen bewunderter Genies zu ignorieren. Lassen Sie mich ein persönliches Geständnis machen. Als ich dieses Buch schrieb, war ich mir schaudernd bewusst, dass junge Wissenschaftler, die dazu befähigt und natürlich auch berufen gewesen wären, bereits als Kinder oder Jugendliche in den Todeslagern Osteuropas ermordet worden waren. Was mich zum Schreiben motivierte, war die „Schuld des Uberlebenden", wie Robert J. Lifton (geb. 1926) es uns zu nennen lehrte. Geboren 1936, war ich froh und dankbar, nicht während der Nazizeit in Mitteleuropa aufgewachsen zu sein, aber gleichsam als Kompensation dafür wollte ich mich einer „UberlebendenMission" widmen, um jene zu ehren, die dieses Glück nicht gehabt hatten. Ich kam zu dem Schluss, dass es für mich als jungen Kultur- und Geisteshistoriker keinen besseren Weg gab, die Ermordeten zu ehren, als ein Buch zu schreiben, das einer von ihnen hätte schreiben können. Es sollte ein Buch sein, das auch vielen von ihnen gefallen hätte, wenn sie am Leben geblieben wären. In gewisser Hinsicht ist dieses Buch also für Juden und andere Mitteleuropäer geschrieben worden, die es gar nicht lesen können, weil sie nicht überlebt haben. Die überwältigende Mehrheit der mitteleuropäischen Juden meiner Generation konnten die geistigen Traditionen nicht weitertragen, die ihnen in die Wiege gelegt worden waren. Eben diese Traditionen liegen meinem Buch zugrunde. Als Amerikaner, der von Jugend an Zugang zu den besten Bibliotheken und Gelegenheit zu Gesprächen mit jüdischen Emigranten gehabt hatte, hoffte ich eine minimale Reparation für den Holocaust zu zahlen, indem ich einige der kulturellen Leistungen aufzeichnete, die Juden in der Zeit davor erbracht hatten. Wahrscheinlich hat mich auch der „therapeutische Nihilismus" im Grunde deshalb so fasziniert, weil niemand in Europa, sei er nun Jude oder Nichtjude, Staatsmann oder religiöser Führer, in der Lage gewesen ist, den Nazis Einhalt zu gebieten, und zu wenige Verantwortliche dies auch nur versucht haben. Die ganzen 1930er Jahre hindurch hat das schlimmste Übel, von dem das moderne Europa jemals heimgesucht wurde, viel zuviel „therapeutischen Nihilismus" hervorgerufen. XII

Meine Bemühungen, den jüdischen Beitrag zum österreichischen Denken zu rehabilitieren, fielen in die Zeit unmittelbar vor einem Umschwung in Bezug auf dieses Thema. Nicht nur wurden Studien über den Holocaust plötzlich zu einer florierenden akademischen Disziplin, es traten auch, was noch wichtiger für die Forschung über das Habsburgerreich war, Scharen jüdischer Wissenschaftler auf den Plan. Gelehrte wie Robert Wistrich und Steven Beller, ganz zu schweigen von Leo Botstein in Judmtum und Modernität (Wien: Böhlau, 1991) sowie Dutzende Autoren des viel zu wenig bekannten Handbuchs Yale Compendium to Jewish Writing and Thought in German Culture 1096-1996 (New Häven: Yale University Press, 1997) haben sämtliche Fragen, die mit dem intellektuellen und religiösen Leben der Juden in Osterreich zu tun haben, neu interpretiert. Mein Buch erschien vorher und gibt daher den Forschungsstand wieder, der herrschte, bevor sie das Thema in Angriff nahmen. Insbesondere das Studium des Antisemitismus und seiner Auswirkungen auf jüdische Autoren hat sich, namentlich dank Forschern aus Israel und den Vereinigten Staaten, bis zur Unkenntlichkeit verändert. Als Meisterwerk der Neudeutung einer über die Maßen schmerzlichen Geschichte möchte ich Robert Wistrichs Die Juden Wiens im Zeitalter Kaiser Franz Josephs I. [1989] (Wien: Böhlau, 1999) hervorheben. Wistrich vereint in bewundernswertester Weise Würde in der Ausdrucksweise, erschöpfende Behandlung des Themas und neuartige Analyse. Auch eine Reihe von Büchern mit moralischen Reflexionen des französischen Germanisten Jacques Le Rider eröffnet immer wieder neue Perspektiven auf die jüdischen Denker in Osterreich. Auf die nachkommende Generation wartet die Aufgabe, Wege aufzuzeigen, wie jüdische und nichtjüdische Geisteswissenschaftler bei der Wiederaufnahme dieser äußerst sensiblen Thematik zusammenarbeiten können. Manche von ihnen werden das wahrscheinlich in jenem Geist des Dialogs tun wollen, dem der katholische österreichische Lehrer Ferdinand Ebner und sein jüdischer Bewunderer Martin Buber vor und nach dem Ersten Weltkrieg Ausdruck verliehen haben.

4. Phasen der Diskussion in Osterreich seit 1970 Als mein Buch 1974 in Österreich erschien, trat die Zweite Republik gerade in eine Diskussion über „österreichische Identität" ein. Die offenkundige Schwierigkeit oder eher, wie manche sagen würden, das Versagen der Ersten Republik, bei ihren Bürgern ein Gefiihl der gemeinsamen Identität zu wecken, hatte bei den folgenden Generationen Verwirrung über Sinn und Ziel der österreichischen Tradition hinterlassen. Claudio Magris hatte mit seinem Buch Der habsburgische Mythos in der österreichischen Literatur (Salzburg: Otto Müller Verlag, 1966) bereits eine Reflexion über die österreichische Identität der Nach-Habsburg-Ära eingeleitet. Als mein Buch erschien, war Österreich gerade dabei, sein Selbstbewusstsein wiederzuerlangen, indem es sich sowohl von Deutschland wie von der Ersten Republik abgrenzte. Die Diskussionen der ZwischenXIII

kriegszeit, die Friedrich Heer in Der Kampf um die österreichische Identität (Wien: Böhlau, 1981) so gut dargestellt hat, kamen in meinem Buch zwar nicht zur Sprache, dafür boten meine Nachforschungen den weitest möglichen Uberblick über die geistigen Leistungen während der Spätzeit der Monarchie und in der Ersten Republik. Eine solche Horizonterweiterung über bedeutende und weniger bedeutende Denker konnte die nachfolgende Diskussion über die österreichische Identität nur bereichern. Die Diskussionen der 1970er Jahre griffen auf eine Haltungsänderung gegenüber Österreich zurück, die um 1930 begonnen hatte. Die Wende vom Defätismus zu einer ausdrücklichen Anerkennung der Einzigartigkeit Österreichs datieren viele mit der Radioansprache, die Anton Wildgans am 1. Januar 1930 hielt, seiner Rede über Osterreich. Der Dichter und Essayist mahnte Österreich, seine eigenen - katholischen, integrativen, visuellen und dramatischen — Traditionen zu achten, denn diese, argumentierte er, seien nicht bloß eine Subspezies der deutschen Traditionen. Österreich könne und solle sich zu einer eigenständigen geistigen Tradition bekennen. Zwischen 1933 und 1938 stärkte das wachsende Vertrauen in Österreichs kulturelle Autonomie den Widerstand gegen den Anschluss an das Dritte Reich. Es ist entscheidend, diese Abwehrkampagne anzuerkennen, denn die Erste österreichische Republik leidet noch immer unter dem unverdienten Ruf, sich Hitlers Einmarsch im März 1938 widerstandslos unterworfen zu haben. Dank der Zusammenfassung von Gottfried-Karl Kindermann, Osterreich gegen Hitler — Europas erste Abwehrfront 1933—1938 (München: Langen Müller Verlag, 2003) wissen wir nun, dass sich Bundeskanzler Dollfuss 1933 als erster europäischer Staatsfuhrer Hitler offen entgegenstellte, und dass Bundeskanzler Schuschnigg 1937 und 1938 ohne Unterstützung von Seiten Frankreichs oder Englands darum kämpfte, die Machtergreifung der Nazis zu verhindern. Österreichische Staatsmänner zählten zu den ersten, die die Gefahr erkannten, und 1934 gelang es ihnen, die Naziinvasion ein paar Jahre hinauszuschieben. Dieser Erfolg kostete Bundeskanzler Dollfuss das Leben. Dennoch ist das Resultat europäischer Staatskunst in den 1930er Jahren insgesamt bestürzend und muss zum größten Teil als selbstzerstörend bezeichnet werden. Österreichs diplomatische Initiativen zwischen 1933 und 1938 zählen hier zu den seltenen Ausnahmen. Die ausdrückliche Anerkennung der österreichischen Kultur, die Anton Wildgans 1930 befürwortet hatte, fand nach 1965 weite Verbreitung. Zwischen 1965 und 1990 übernahmen österreichische Diplomaten eine fuhrende Rolle bei der Zusammenarbeit mit osteuropäischen Intellektuellen, und auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs pflegten sie die Erinnerung an das habsburgische Erbe, das die Zweite österreichische Republik mit der Tschechischen Republik, der Slowakei, Polen, Ungarn, Rumänien, der Ukraine und den Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawien teilt. Der damals geläufige Slogan von der „kulturellen Großmacht Österreich" mag großsprecherisch klingen, aber er trug dazu bei, eine erfolgreiche diplomatische Kampagne in Gang zu setzen, um Österreich eine fuhrende Stellung in „Mitteleuropa" zu verschaffen. Zwischen 1970 und 1990 machte der geographische Begriff „Donauraum" allmählich dem Begriff „MittelXIV

europa" und noch später der genaueren Bezeichnung „Ostmitteleuropa" Platz. Innerhalb dieser Parameter könnte man mein Buch als Geistesgeschichte des „habsburgischen Ostmitteleuropa" bezeichnen. Selbstverständlicher wurde eine solche Terminologie nach der Wende 1989 und erst recht nach Österreichs Beitritt zur Europäischen Union 1995. Seitdem die Österreicher in ihre Rolle innerhalb der Europäischen Union hineingewachsen sind, gewinnen die in diesem Buch erwähnten Traditionen eines europäisierenden Denkens neue Bedeutung. Mein Buch betont - fast zu sehr vielleicht - die Verwandtschaft des österreichischen und des gesamteuropäischen Denkens. Es geht darin also nicht in erster Linie um lokale Ausdrucksformen der Identität oder um österreichische Folklore. Es geht um Traditionen der intellektuellen Diskussion, die auf den humanistischen Traditionen von Renaissance und Aufklärung beruhen und das Habsburgerreich und dessen Nachfolgestaaten mit dem übrigen Europa verbinden. Es geht um engagierte Modernisierer und deren Gegner in einem riesigen Reich, wo man seit 1850 beinahe jede Phase der wirtschaftlichen Entwicklung irgendwo antreffen konnte. In einzelnen Regionen Österreichs kam es zu Modernisierungsexperimenten und noch nie da gewesenen Formen des Nebeneinanders von Alt und Neu. Interessanterweise herrscht eine ähnliche Situation heute in den ehemals habsburgischen Gebieten der Slowakei, Tschechiens, Polens, Ungarns, der Ukraine, Rumäniens, Sloweniens und Kroatiens. Auch sie sind reich an unvorhergesehenen Formen des Nebeneinanders von Alt und Neu - typisch habsburgische Verhältnisse. Eine klare Struktur zur Deutung dieses Nebeneinanders findet sich in einem posthum erschienenen Buch des in Prag geborenen Philosophen und Soziologen Ernst Gellner (1925—1995), eines der letzten Polyhistors, die noch durch ihre Kindheitserinnerungen an das untergegangene Habsburgerreich geprägt waren. Dieser Jude österreichischer Herkunft: krönte seine akademische Karriere in Großbritannien mit einer wenig beachteten, aber äußerst originellen Untersuchung über die Auswirkungen des Nebeneinanders von Modernität und Rückschrittlichkeit in Österreich auf die Intellektuellen. In Language and Solitude: Wittgenstein, Malinowski and the Habsburg Dilemma (Cambridge: Cambridge University Press, 1998) verglich Gellner die Lage der Juden in Wien und in Krakau anhand zweier einfallsreicher Fallstudien, die andere vielleicht einmal zu einer Neubewertung des in meinem Buch präsentierten Überblicks inspirieren werden. Auf dem Höhepunkt seiner langen Karriere bewies Gellner jene Fähigkeit, die Dinge in aller Schärfe neu zu denken, die wir von Intellektuellen aus ehemals habsburgischen Gebieten auch weiterhin erwarten dürfen.

5. Wünsche für das zukünftige Studium von Österreichs Kultur- und Geistesgeschichte

1972 ahnte niemand, dass Österreich-Studien plötzlich wie Pilze aus dem Boden schießen würden. In Österreich führte die Wiederentdeckung bedeutender Denker und Denkschulen in den 1970er und 1980er Jahren zur Gründung von ForschungsinstiXV

tutionen wie, um nur einige zu nennen, dem Institut Wiener Kreis, dem Jüdischen Museum und dem Literaturhaus (alle in Wien), dem Institut für die Geschichte der Juden in Osterreich (in Sankt Pölten), Forschungsstelle und Dokumentationszentrum für österreichische Philosophie (in Graz) sowie zahlreichen Universitätsinstituten in ganz Mitteleuropa, teilweise von Österreich gesponsert. Noch älter ist das Österreichische Ostund Südosteuropa-Institut an der Universität Wien, das um 1950 von Richard Plaschka gegründet wurde. Da nun durch solche Institutionen eine wissenschaftliche Infrastruktur geschaffen worden ist, was erhoffe ich mir für die Neuauflage dieses Buches, namentlich von Lesern aus den Randgebieten der ehemaligen Habsburgermonarchie? Erstens hoffe ich, dass die Lektüre dieser Seiten jüngeren Lesern in Österreich, in Osteuropa, ja in ganz Europa bewusst machen wird, wie viel es auf dem Gebiet der Geisteswissenschaften in der einstigen Habsburgermonarchie noch zu erforschen gibt. Uber interessante Denker (beispielsweise Melchior Palagyi, Emil Utitz oder Paul Kornfeld) gibt es noch keine Monographien. Das alte Österreich war reich an erinnerungswürdigen Einzelgängern. Man denke nur an Lipot Szondi, Eugen Schmitt oder Josef Popper-Lynkeus. Die lose Gruppierung, die ich als „Prager Marcioniten" bezeichnet habe, bedürfte dringend einer Aufarbeitung. Ihr widersprüchliches Wüten gegen den Kosmos, verbunden mit ausgesprochen friedfertigen Impulsen bei Oskar Baum und Robert Weltsch, enthält vielleicht Botschaften für das heutige Europa. Einige Prager Intellektuelle der Zwischenkriegszeit warten auf die Chance, die heutige Jugend für sich zu gewinnen. Zweitens gibt es von einigen bedeutenden österreichischen Erneuerern bisher keine populären Biographien. Man könnte eine spannende Einführung in Leben und Werk von Christian von Ehrenfels, Otto Neurath oder Otto Rank schreiben. Das Gleiche gilt für Josef Popper-Lynkeus, Richard Coudenhove-Kalergi oder Rosa Mayreder. Seit Mitte der 1970er Jahre ist so viel Energie in die wissenschaftliche Aufarbeitung der wichtigsten Monographien investiert worden, dass man das Potential einer auf neuesten Forschungsergebnissen basierenden, anspruchsvollen Popularisierung — ein Genre, das zahllose österreichische Literaten einst meisterhaft beherrschten — fast übersehen hat. Drittens bedarf das Phänomen Wien um 1900 dringend einer Neubewertung aus der Perspektive junger Intellektueller aus Tschechien, der Slowakei, Polen, der Ukraine, Ungarn, Rumänien, Slowenien und Kroatien. Ihre Großeltern und Urgroßeltern lebten unter der Herrschaft der Habsburger. Für die Urenkel ist es an der Zeit, die kulturellen Interaktionen zwischen Wien, Prag, Budapest, Krakau und Lemberg mit neuen Augen zu betrachten. Für die Urenkel ist es an der Zeit, Joseph Roth, Robert Musil und Hermann Broch im Kontext der tschechischen, polnischen, ukrainischen, ungarischen und südslawischen Literatur derselben Epoche zu lesen. Der slowenische Dichter Ivan Cankar (1876-1918) und der ukrainische Literat Ivan Franko (1856-1916), die beide gelegentlich auf deutsch schrieben, gehören dringend in diese Geschichte einbezogen. Für die jungen Osteuropäer ist die Zeit reif, aus Galizien stammende Denker wie Ludwig Gumplowicz, Ludwig von Sacher-Masoch und Karl Emil Franzos mit böhmischen und XVI

mährischen Zeitgenossen wie Josef Popper-Lynkeus, Marie von Ebner-Eschenbach und Gustav Mahler zu vergleichen. Solche Vergleiche können jetzt unmittelbar zwischen Nationen oder Volksgruppen gezogen werden und müssen nicht mehr in Begriffe gefasst werden, welche die Perspektive der Residenzstadt voraussetzen. Nationen und Volksgruppen übergreifende Vergleiche ostmitteleuropäischer Denker eröffnen unzählige weitere Vergleichsmöglichkeiten. Durch völlig neue Betrachtungsweisen können junge Wissenschaftler ältere überraschen. Viertens bedarf die Wirkungsgeschichte österreichischer Denker dringend der Aufarbeitung. Eine ganze Reihe bedeutender Denker kommen in meinem Buch nicht vor, weil sie erst nach 1938 zur Reife gelangten. Der Philosoph Karl Popper (1902-1994) revolutionierte die Wissenschaftstheorie durch Werke wie Die Logik der Forschung (1935) und Die o f f e n e Gesellschaft und ihre Feinde (1945). Der Wiener Arzt Viktor Frankl (1905— 1997) entwickelte in Logos und Existenz (1951) und Der Mensch auf der Suche nach Sinn (1965) die Logotherapie. Die Bücher des Verhaltensforschers Karl von Frisch (1886—1982) Die Sprache der Bienen (1923) und Tanzsprache und Orientierung der Bienen (1965) ebenso wie Das sogenannte Böse von Konrad Lorenz (1903-1989) dürfen in keiner Geistesgeschichte Österreichs nach 1945 fehlen. Das gleiche gilt fiir die DNAUntersuchungen des in Czernowitz geborenen Biochemikers Erwin Chargaff (1905— 2002), der darüber hinaus ein bedeutender Essayist war. Der Erfinder der Gruppentherapie, Jakob Moreno (1892-1974), leitete sein Psychodrama von den Techniken des Stegreiftheaters ab, das er in Wien kennen gelernt hatte, bevor er 1925 in die Vereinigten Staaten emigrierte. Keinerlei Hinweis findet sich in meinem Buch auch auf den immensen Einfluss, den „neoliberale" österreichische Wirtschaftstheoretiker wie Friedrich von Hayek (1899-1992) und seine Nachfolger ab 1980 ausgeübt haben. Tatsächlich müsste sich die logische Fortsetzung dieses Buches der Aufgabe widmen, die Wirkungsgeschichte der österreichischen Erneuerer des 20. Jahrhunderts vor allem in Europa und Nordamerika zu erforschen. Prominent vertreten wären darin der Mathematiker Kurt Gödel (1906-1978) sowie die Physiker Erwin Schrödinger (1887-1961) und Wolfgang Pauli (1900-1958). Aber auch kosmopolitische Denker österreichischer Herkunft wie der Historiker Lewis Namier (1888-1960) und der Literaturkritiker George Steiner (geb. 1929) müssten in ein solches Buch Eingang finden. ... Fünftens wird die Rolle der jüdischen Denker für jede Generation eine Herausforderung darstellen. Man kann sich nur wünschen, dass die Würde und Weitsicht, die Wissenschaftler wie Steven Beller, Leon Botstein und Robert Wistrich bei der Erforschung des Wiener Judentums bewiesen haben, mitteleuropäische Kollegen zu ähnlich fundierten Wiederbegegnungen mit den Juden von Budapest, Prag, Krakau und Lemberg anspornen wird. Jacques le Riders moralisierende Sicht jüdischer Selbstanalyse in Wien könnte Maßstäbe für eine ähnlich gründliche Durchleuchtung ihrer Prager Antipoden setzen. Man muss hoffen, dass dem Holocaust zum Trotz jüdische Wissenschaftler eine unvoreingenommene zweite und dritte Neudeutung jener Urbanen jüdischen Kultur unternehmen werden, die so viele der hier erwähnten Denker hervorgebracht hat. Die XVII

Fähigkeit, alte Probleme mit neuen Augen und neue Probleme als erste zu sehen, ist ein typisches Merkmal jüdischer Gelehrsamkeit, heute genauso wie im alten Osterreich. Wir wollen hoffen, dass dieses Erneuerungspotential in den kommenden Jahrzehnten zur Blüte gelangen wird.

6. Schluss: Die amerikanische Komponente

Im Lauf der Jahre haben mich viele Österreicher darauf angesprochen, wie erstaunlich es ist, dass seit etwa 1970 ausgerechnet Amerikaner wie Schorske, Janik und Johnston die österreichische Geistesgeschichte als Forschungsthema (wieder) entdeckt haben. Früher habe ich diese Frage unter Hinweis auf institutionelle Vorteile bescheiden abgewehrt. Die Vereinigten Staaten seien reich an ausgezeichneten Bibliotheken, die während der 1930er und 1940er Jahre österreichisches Material sammeln konnten, und den Forschern erlaubten, frei in den Bücherregalen zu stöbern. Ich erwähnte auch, wie stimulierend es war, von den 1930er bis zu den 1980er Jahren mitteleuropäische Emigranten auf amerikanischen Campuses anzutreffen. Einer der letzten, Peter Drucker (1909-2005), ist vor kurzem gestorben, er war der Begründer der Management- und Betriebswirtschaftslehre. Seine Memoirs o f a ByStander (New York: Harper and Row, 1979) bleiben eines der scharfsinnigsten Erinnerungsbücher an Wien vor 1938. Heute erscheinen mir diese institutionellen Faktoren nicht mehr so ausschlaggebend. Natürlich haben die ausgezeichneten Bibliotheken und die Gespräche mit Emigranten Interesse geweckt, doch das erklärt noch nicht, wie amerikanische Neigungen zu dem hier manifest gewordenen Akt der Imagination beigetragen haben mögen. Für mich als Amerikaner stellten Altösterreich und seine Denker einen fabelhaften Kulturbereich dar, den das Bewusstsein neu schaffen musste, um auf diese Weise das Ganze sichtbar zu machen. Für mich bestand Österreich nicht aus Steinen, Monumenten oder anderen Dingen, sondern vielmehr aus „Legenden, Ideen und dem Bewusstsein selbst", wie der englische Literaturkritiker John Bayley das nennt. Dieses Österreich mit seinen abgelegenen Gegenden und exotischen Volksgruppen schlug meine Einbildungskraft in seinen Bann und veranlasste mich, eine vom Biedermeier inspirierte Kulturphänomenologie zu schreiben, die das Bild einer kulturellen Tradition „schaffen und erinnern" sollte, welche in dieser Form niemals existiert hatte. So hat dieses Buch durch Imagination ein geistiges Österreich-Ungarn erschaffen, weil ich als Amerikaner mit einer Vorliebe fiir jene geistigen Kulturbereiche aufgewachsen bin, die ihrerseits durch die Imagination von Amerikanern früherer Generationen erschaffen wurden. Es ist kein Zufall, dass der amerikanische Titel meines Buches, The Austrian Mind (\972), an den einer klassischen Kultur- und Geistesgeschichte der Vereinigten Staaten, The American Mind (1950) von Henry Steele Commager (1902-1998) erinnert. Auch er hat durch Imagination einen geistigen Kulturbereich erschaffen.

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Was ich vor 35 Jahren noch nicht erkannt habe, ist, dass Altösterreich im Gegensatz zu mediterranen Ländern wie Italien und Frankreich reich war an Denkern, die ähnliche Neigungen hatten wie ich. Nach 1850 setzten Österreicher ebenfalls gerne empirische Forschungsgebiete durch Imagination in fassbare Wirklichkeit um, zum Teil wahrscheinlich weil die Institutionen der Monarchie zusehends an Überzeugungskraft verloren. In einer immer unzeitgemäßeren und vielfach zerrissenen Gesellschaft suchten viele Denker Strukturen zu erfinden, die vielleicht eher Bestand hätten als die politischen. Da sie sich dabei hauptsächlich auf ihren eigenen Kopf verließen, schufen diese auf die Empirie angewiesenen österreichischen Erneuerer eigene Kategorien und brachten Vorstellungen in Umlauf, die ihrerseits neue Formen der Erfahrung schufen oder erahnen ließen. Bolzano, Freud, Ehrenfels, Neurath, Musil, ja selbst Weininger neben unzähligen anderen führten Kategorien und Strukturvorstellungen ein, die, zumindest teilweise, nicht so sehr auf Dingen oder lebendigen Traditionen beruhten als vielmehr auf „Legenden, Ideen und dem Bewusstsein selbst". Als Amerikaner, der in Amerika keine Vorstellungen fand, von denen er hätte leben wollen, begann ich mich mit österreichischen Vorgängern zu identifizieren, die ebenfalls aus empirischem Material Vorstellungen einer geistigen Struktur hervorgezaubert hatten, die es zuvor nicht gegeben hatte. Während ich mir das Geistesleben des alten Osterreich ausmalte, ließ ich mich von einigen seiner Protagonisten mit der nötigen Kühnheit anstecken, um ihr habsburgisches Reich als ein einziges Geistesreich zu betrachten. Wahrscheinlich hatte keiner von ihnen selbst diesen Sprung ganz gewagt — es bedurfte eines Amerikaners, um dem Bewusstsein zu gestatten, „Erfahrung zu erschaffen ", wie es bei John Bayley heißt - aber gleich ihnen gründete ich meine Suche auf empirische Fakten. Das vorliegende Buch lädt den Leser ein, ausgehend von den hier präsentierten Errungenschaften den Prozess der Erfindung neuer Erfahrungsstrukturen fortzusetzen. Nicht allein die österreichischen Dinge, sondern mehr noch die österreichischen Ideen bieten jedermann die Chance selbst herauszufinden, worin die Bedeutung des österreichischen Erbes besteht und innerhalb der Europäischen Union auch künftig bestehen wird. Österreichs größtes Geschenk an Europa war wohl die Fähigkeit, in bis dahin übersehenen empirischen Daten neue Ideen zu entdecken, und eben darin liegt auch das Ziel dieses Buches. Es entwirft ein Porträt von Altösterreich als einem Geistesreich, wo Ideen und Fakten fruchtbar und langfristig zusammenwirkten. Wir sind alle Erben jenes Zusammenwirkens.

William M. Johnston Melbourne, Australien Januar 2006

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INTRODUCTION 1. This Book Originated in a Contrast between Intellectual Life in Germany and Austria It is a rare privilege to be invited to introduce a book conceived and written more than thirty-five years ago. My Osterreichische Kultur- und Geistesgeschichte (The Austrian Mind 1972) emerged from reflections on German-speaking culture of the period 1815 to 1848. An interest in differences between styles of thought in pre-1848 Germany and in post-1848 Austria prompted me to write this book. Both cultures abounded in polymaths whose range and depth of grasp, not only in one or two fields but in many fields, continues to dazzle and frighten us. It was these integrative thinkers who spurred my interest in the subject. Empirical thinkers in Austria devised innovative theories to integrate vast arrays of facts, yet historians of nineteenth-century thought had quite overlooked this display of Austria's intellectual excellence. In fact Austria's creative thinkers after 1848 had never been described in one volume. An intellectual history of nineteenthcentury and early twentieth-century Austria was waiting to be written. Once I undertook the task, it became necessary to articulate differences between German and Austrian thought afer 1800. It is worth enumerating how certain of these differences influenced the conception of this book. First, German thought reached its greatest flowering between 1790 and 1840, while Austrian thought flowered after 1870. After I chose a starting point in the years before 1848, it seemed necessary to follow the Austrian development down to at least 1938 rather than to stop with the break-up of the Habsburg Empire. Too many pre-1914 thinkers survived into the 1930s and beyond for World War One to mark a terminal date. With perhaps excessive confidence in Austrian cultural conservatism I anticipated that a high degree of continuity stretched across the ninety years that I had chosen to describe. I was more interested in attitudes that might have lasted throughout most or all of the period than I was in dividing the period into subperiods or in singling out one subperiod. The entire sweep of years provided my topic. Second, nearly all of Austria's major innovative thinkers kept a firm grasp on empirical method. Some worked in research science, notably in medicine or physics, and others in empirically—centered philosophy and later in economics, legal theory, cultural history, and of course psychoanalysis. In contrast to many German idealists, Austrian thinkers endeavored to collect and classify empirical data, which some of them then integrated into old and new academic disciplines with revolutionary results. Hardly any individual Austrians aspired to forge new worldviews in the manner of German metaphysicians like Fichte, Schelling, or Schopenhauer, nor did Austrians identify their nation's culture with leading philosophers the way Germans did with Kant and Hegel. The latter giants generated in Germany, albeit not in Austria, an obsession with commenting on a few "master-texts" as the core-task of training in philosophy. By way of contrast, Austria's XXI

philosophers, who were educated in an encyclopedic curriculum based on Herbart, pursued empirical disciplines that broadened a polymaths range of learning. Their breadth of mind benefited from French influence mediated during the Enlightenment and at the time of Napoleon (reigned 1799-1814/15), Spanish influence mediated by Emperor Karl VI (reigned 1711-1740), and Italian influence mediated between 1714 and 1866 through the provinces of Lombardy and later of Venice testify to a Habsburg "vocation for Europe" that has permeated Austrian higher culture for centuries. Learned Austrians began to excel at integrating methodologies adapted from previously separated disciplines. After 1850 Austria's integrative thinkers were producing new approaches to the study of medicine, of economics, and after 1870 to the academic study of art history, music history, social theory, and legal history. Germany of course contributed in these areas as well, but German thought tended to be overshadowed by individual philosophers of genius like Schopenhauer, Marx, and Nietzsche. The Austrian achievement was less glamorous and more collegial, less metaphysical and more empirical, less capable of winning renown and more cumulative in its impact. Austria after 1850 lacked intellectual "stars" to rival the Germans of either the earlier or the later period. An intellectual history of post-1850 Austria would have to encompass very many lesser known figures who had contributed to the emergence of various empirical schools, and with the exception of a few "celebrities" like Freud, Wittgenstein, and Kafka it would lack the abundance of household names that German thought has produced. Third, Austrian culture was best known for musical composition, for architecture, and in Ringstrasse Vienna for painting that subserved architecture. An intellectual history of post-1850 Austria could not focus on ideas alone but would have to encompass music and the visual arts to a degree that might have been less pronounced in Germany. Intellectual history would have to embrace cultural history as well. For particularly in Vienna, composers and architects comprised perhaps the most conspicuous segment of the creative elite that other creators noticed. Ever since the Baroque, the cultural context of Austrian thought had automatically included music and the arts, and this fact helps to explain why in the later nineteenth century it was Viennese scholars who invented a method for studying the visual arts and music as components of intellectual history. Although Austrian empiricism promoted historical study of art, music, and philosophy, paradoxically it did not encourage study of its own accomplishments. Until the late 1960s, Austrian humanistic scholars seldom cultivated awareness of their own distinctive tradition. One of the first to devote a major portion of his career to doing so was Friedrich Heer (1916-1983), whom I met in 1967 when he was just completing Der Glaube des Adolf Hitler. Anatomie einer politischen Religiosität (München: Bechtle, 1968). That pathbreaking book on Austria's underworld of ideas has, needless to say, been supplanted by numerous others, including Brigitte Hamanns Hitlers Wien: Lehrjahre eines Diktators, 2 nd ed. (München: Piper, 1996). Nevertheless, Friedrich Heer remains a great pioneer in the field covered by my book.

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Fourth, Austria differed significantly from Germany in the distribution of cultural assets. Until the Ausgleich of 1867 authorized two capital cities, the Habsburg Empire possessed a single imperial metropolis toward which migration flowed and from which directives issued. Whereas Germany boasted dozens of prestigious university towns but lacked (at least until after 1870) a single preponderant metropolis, Austria boasted an imperial melting-pot, and if only because that capital lay further east from Paris than did most German towns, Austrian intellectuals were less inclined than German ones to emulate the French. Until the 1930s no important Austrian writer settled in Paris as Heinrich Heine had done in the 1830s and Karl Marx in the 1840s. Instead, Austrians from every region of the Habsburg Empire gravitated toward Vienna, just as Bohemians gravitated to Prague and Hungarians to Budapest. After 1870 and even more after 1920 some intellectuals of course ended up in Berlin or other German university towns. In a word, Vienna fascinated me above all as a target of internal immigration. The imperial capital provided a gathering place of intellectuals from every corner of the most ethnically varied polity in Europe. Instead of viewing Vienna as a world unto itself, I saw it as a magnet that attracted (or in some cases repelled) talented young men and women from the most diverse backgrounds throughout the Empire. Just as the Vienna Medical School attracted rare cases of illness from all over the Empire and thus supplied its doctors with an incomparably rich range of clinical material, so in nearly every field of endeavor the Kaiserstadt drew talent from the most diverse ethnicities. Vienna interested me more as a gathering place of intellectual talent than as the site of experiments in city-planning (e.g. the Ringstrasse), in artistic collaboration (e.g. the Secession of 1897), or in musical performance (e. g. Mahler's tenure at the Wiener Oper 1897—1907). Moreover, commentary by contemporaries about these initiatives interested me more than did the accomplishments themselves because such theorizing nourishes cultural criticism. Why, I wondered, did so many potential polymaths migrate to Vienna? How did they influence one another once there? How did provincials newly arrived in Vienna develop differently from colleagues who stayed in Prague, Budapest, Krakau, Lemberg, orTriest? Why did some stay only briefly in Vienna before returning to their region of origin or else moving on, sometimes to Graz or to another university town? Thus, paradoxical as it now seems, my book did not emerge as a treatise on fin-de-siecle Vienna, nor did it interpret that cultural flowering in some fresh way. Instead, the book aimed to provide an intellectual history of German-speaking thought in the entire monarchy and particularly of the superabundance of polymaths in nearly every field of intellectual endeavor where Austrians excelled. Interestingly, it turned out that only in theology and pure mathematics did Austrians after 1850 fail to make a contribution of European significance.

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2. Specific Characteristics of My Approach and Its Parallel to the Phenomenology of Culture In view of my interest in the ethnic and provincial roots of Austrian integrative thinkers, I had to focus on the cities of Prague and Budapest in addition to Vienna. In particular, given my interest in German-language philosophy before 1848 it was inevitable that German-speaking thinkers in Bohemia would engage my attention. That is why Bernhard Bolzano figures here as the fountainhead of what Rudolf Haller and others have come to call "Austrian Philosophy." My interest lay in viewing Bolzano's philosophical innovations as a strategy for evading censorship and for exploiting the relative autonomy that a provincial capital enjoyed in the last decades before the railroad speeded up contact between cities. The lineage of Austrian Philosophers that began in Bohemia before 1848 promoted marked independence of mind, culminating a century later in another Prague polymath, Christian von Ehrenfels, the formulator of the concept of GestaltQualities. He carried the individuality of Prague philosophers into the 1930s. As these examples show, I made it a priority to study less familiar thinkers. Particularly as regards Prague, this priority went against the Zeitgeist of the 1960s and 1970s. Whereas in the late 1960s Franz Kaika already tended to monopolize scholarly attention, not least because his images of bureaucracy provided a theme congenial to East European scholars oppressed by Soviet-type regimes, I wished to called attention to his numerous contemporaries who were writing under similar circumstances. Gustav Meyrink's fantasies, including his novel about the Prague legend of the golem (1915), as well as the little known work of Prague Expressionists like Paul Kornfeld and Paul Adler, seemed to deserve almost equal attention with the disproportionately famous Franz Kafka. Increasingly, after I began to discover more and more forgotten thinkers, I had to reconceive the purpose of my book. Deliberately I wanted to redress an imbalance in the allocation of posthumous fame. Why should Kafka receive a hundred or even a thousand times greater attention than Kornfeld or Adler, when all three were responding to similar circumstances in their hometown and when all three belonged to a shared cultural context? It seemed axiomatic that a cultural context can be discerned more clearly the greater the number of intellectual innovators who are seen to populate it. No one questioned that this precept applies to Vienna. Why should it not apply also to Prague, to Budapest, and to Krakau or even to Graz? Major thinkers need to be depicted with a bevy of satellites circling around them if we are to delineate the matrix of ideas in which each of them operated. My ambition to encompass little known thinkers alongside major ones shows a significant parallel to a trait of Austrian creativity of the so-called Biedermeier Period (1815-1848). In the era of political censorship between 1792 and 1848, it made sense for diligent if somewhat cautious scholars to devote their energy to compiling inventories of previous feats of creativity. Two notable examples of Austrian cataloguers have won abiding fame, and indeed their catalogues have never been surpassed. Every music lover XXIV

knows of Ludwig Ritter von Kochels (1800—1877) Chronologisch-thematisches Verzeichnis (1862) of Mozarts Sämtlicher Tonwerke, compiled in Salzburg after 1848. Its author's name is a household word. Even more ambitious and no less indispensable is Adam von Bartsch's (1757-1821) catalogue of Kupferstiche by about five hundred painters in the twenty-one volumes of Lepeinter-graveur (1803-1821), executed while Bartsch was a curator at the Albertina. The work is currently being reprinted as The Illustrated Bartsch (New York, 1978). All subsequent study of European art-prints builds upon Bartsch, an engraver who apart from print-collecting trips spent his entire career in Vienna. Like Kochel he too became a household word for thoroughness of coverage, and his compilation too has not been supplanted. Without aspiring to a similar degree of thoroughness, I nonetheless recognised the usefulness of collecting and assessing within a comprehensive schema the names of as many creators as possible. In executing this task of compilation and tentative evaluation, a place can be assigned to each only after very many exemplars have been examined. When gathered together, top-rank, medium-rank, and lower-rank innovators comprise an ensemble that provides multiple contexts of ideas for each of them. In the case of Freud, for example, the interactions of more than a hundred "followers" whom he attracted (and later sometimes repudiated) supplies myriad contexts for interpreting his own contributions. If we make allowance for a lesser numbers of followers, the same is true of Ernst Mach in psychophysical theory, of Carl Menger in economic theory, Hans Kelsen in legal theory, and Moritz Schlick in the empirical philosophy of the Vienna Circle. These thinkers attracted emulators who in due course widened the context in which we can evaluate the founders achievement. As we begin to examine the work of pupils and critics, the great innovators take on added depth and weight. That is another reward for inventorying lesser thinkers. They invite us to recontextualize the masters around whom they clustered. Needless to say, major academicians attracted bevies of students who carried on their work. In contrast, a more abstruse kind of influence radiates from certain core ideas. Christian von Ehrenfels' concept of Gestalt-Qualities (1890), for example, won through the pupils of his own pupils adherents in philosophy, empirical psychology, psychotherapy, mathematics, and so on. In these cases, diverse schools of thought incorporated a concept that triggered what Thomas S. Kuhn (1922-1996) has taught us to call a paradigm shift. In the case of Ehrenfels, the paradigm shift affected a variety of fields. Without using that term, my book describes paradigm shifts that Austrians initiated in numerous academic fields. Because of its attention to minor figures, my book also describes proposed paradigm shifts that did not win support and did not reconstellate any field. Examples of an aborted attempt at a paradigm shift include Lipot Szondi's Fate-Analysis or Othmar Spanns dichotomies in social theory or Hans Sedlmayr's post-1945 Spenglerian art history. Some might say that Austrian thinkers produced more than their share of proposed paradigm shifts that aborted. That is another way of phrasing Karl Kraus's notion that Vienna was a "Laboratory for the demise of the world." Certain Austrian essayists like Robert Musil and Hermann Broch, and later the historian Friedrich Heer specialised XXV

in examining the demise of proposed paradigms. Like me, they were fascinated by Austria's profusion of ingenious ideas that never won a lasting audience in Austria or anywhere else. If my zeal to catalogue Austrian creators owes a certain debt to Biedermeier cataloguers, it also has a twentieth-century parallel. My book emulates the intellectual program of a mid-twentieth-century practitioner in a field that at first may seem remote from my concerns, namely the phenomenology of religion. A Dutch scholar, Gerardus van der Leeuw (1890-1950), brought this field to maturity in his book Phänomenologie der Religion (1933), which appeared in an enlarged English translation as Religion in Essence and Manifestation (London, 1938; 2 nd ed. 1956; repr. Princeton 1986). Following the example of his teacher, this Dutch scholar adapted Hegel's word "phenomenology" to denote a comprehensive yet metaphysically neutral description of types of religious phenomena. Phenomenology of religion expounds metaphysical doctrines without aspiring to assess their truth-value. Instead it analyses their function within religious systems and/or social systems. Like my book, the phenomenology of religion aims to be descriptive, comprehensive, and non-ideological, while at the same time introducing new categories of analysis and refining old ones. Above all phenomenology as a method in cultural history seeks to dislodge ideologically frozen methods by confronting prejudice with new data that cries out for new schemas to integrate it. Like phenomenology of religion, the phenomenology of culture collects as wide a data-base as possible and then arranges the data according to empirically rooted categories. The categories both reinterpret old ones and also pioneer new ones in order to accomodate an unprecedentedly wide range of data. When applied to the history of culture, as I have done, phenomenology aspires to supplant ideological approaches by collecting such a massive array of data that new or modified categories become unavoidable. The method aims to trigger paradigm shifts in how we conceptualize a sprawling field by demonstrating that previous scholars used too few case studies and operated with too brittle a conceptual framework. Although a phenomenological account of a given culture makes it necessary to rethink cultural history, such an approach does not try to dictate what shapes the rethinking may take. In retrospect it would appear that my phenomenology of Austrian intellectual culture between 1848 and 1938 succeeded better at assembling previously neglected data than it did at coining concepts that could initiate a paradigm shift. Instead of launching a widely accepted paradigm shift, as Carl Schorske did in Fin-de-Siecle Vienna: Politics and Culture (New York: Knopf 1980) or as Allan Janik and Stephen Toulmin did in Wittgensteins Vienna (New York: Simon and Schuster, 1973), my book exhumed material for others to investigate in greater depth. My book unsettled previous paradigms without proposing a persuasive successor to them. Given that Austrian intellectual culture itself respected empirical method so pervasively, it is perhaps fitting that my conspectus of it should have inspired empirically grounded monographs rather than have ignited debates about a proposed new paradigm. XXVI

My proposals for novel categories reflect my division of attention among the three regions of Core-Austria (including Vienna), Bohemia, and Hungary. In the case of Vienna I singled out a tendency to cultural despair based on a preference for proposing cultural diagnosis that shuns remedies. As a label for this eschewal of therapy, I adapted a term from the Vienna School of Medicine in the mid-nineteenth century, "Therapeutic Nihilism." As the pioneers of empirical diagnosis like Karl von Rokitansky and Josef Skoda demonstrated, for a decade or two around 1850 it was felt to be necessary to focus medical research on causes and symptoms of disease rather than on cures. These laboratory scientists postponed for a generation the search for healing procedures in order to examine clinical data under conditions uncontaminated by futile attempts at therapy. My attempt to apply the concept of Therapeutic Nihilism to Viennese thinkers like Karl Kraus, Otto Weininger, Hermann Bahr, Hermann Broch, and even Stefan Zweig is open to at least two criticisms. First, even if in their zeal to dissect cultural impasses certain Viennese writers after 1900 did show a despair about improving their own or any other situation, how could a controversial term from the history of medicine around 1850 help to illuminate their attitude? Second, even if the term supplies a name for an abiding tendency in Viennese literature, there are too many important exceptions to allow the term to stand as a label for a major tendency within Viennese culture between 1850 and 1938. One need only think of Freud's commitment to finding a therapy for neurosis or Carl Menger's commitment to using economic theory to improve the market economy to recognize the limitations of the concept. As a cultural stance, therapeutic nihilism is to be sure discernible in certain figures of turn-of-the-century Vienna, but my delineation of it has played a minimal role in debates among historians about what made that cultural matrix fecund or what makes it pertinent to us. The category may fit a certain cultural stance, but it does not explain why thinkers adopted that stance at a particular time or how their version of it may have affected those who rejected it. The category of Therapeutic Nihilism lacks explanatory power, which is the very quality that a paradigm shift requires. My attempt at a paradigm shift regarding turn-of-the-century Vienna aborted. It is important to recall then that this book did not originate as a study of turn-ofthe-century Vienna, nor did it foresee the fascination which almost at once that period would come to exercise throughout Europe and the United States. Significandy the peak of interest fell during the late 1970s when the attractions of postmodernism were first becoming widely felt. It fell to other cultural historians, several of them American, to constellate debate about turn-of-the-century Vienna. Two Viennese research initiatives carried further these developments: the working group "Wien um 1900" led by Emil Brix and researches on Modernity conducted by Moritz Csaky. Incisive appraisals of these and other initiatives appear in Jiirgen Nautz and Richard Vahrenkamp, Hg„ Die Wiener Jahrhundertwende: Einfliisse UmweltWirkungen (Wien: Bohlau, 1993) and Steven Beller, hg., Rethinking Vienna 1900.(New York and Oxford: Berghahn Books, 2001). Interpretation of cultural criticism in the period is carried even deeper by David S. Luft, Eros XXVII

and Inwardness in Vienna: Weininger, Musil, Doderer (Chicago and London: University of Chicago Press, 2003). Lufts analysis of Musil as an essayist who applied Austrian empiricism to undergird "an irrationalist approach to the feelings" breaks new ground. All three works show that much creative rethinking remains to be done. Indeed, one can foresee that future generations will find previously unanticipated ways to interpret major thinkers of Vienna 1900. Accordingly, a purpose of reissuing my book is to make available to younger scholars a sourcebook that canvasses thinkers who have yet to attract major attention. Conceivably my phenomenology of Austrian intellectual culture has only begun to serve its function of alerting readers to untapped seams of Austrian thought. Because my book appeared in the early 1970s, its study of Bohemian and Hungarian thinkers necessarily exerted only a limited impact in the Czech Republic and in Hungary. Indeed, my decision to organize the book around a geographical structure drawn from the pre-1914 Habsburg empire proved to be singularly untimely in the 1970s because neither Czech nor Hungarian scholars were free to pursue leads suggested here. Moreover, my focus on German-speaking thinkers of the two regions downplayed Czech-language and Magyarlanguage contributions and for that reason alone did not appeal to citizens of Communist regimes. In a further omission, the book made no attempt to canvass nonGerman-language thinkers among Poles, Ukrainians, Slovaks, Italians, or South Slavs. This is a history of German-language thought, chiefly in Core Austria, Bohemia and Hungary. Because of the focus on German-language materials, my perspective can be called either Habsburg-centered or Core-Austria-centered but not necessarily Viennacentered. Writing from the distance of North America, I contrived instead to revive the perspective of the Imperial civil service, which was renowned for its impartiality while personifying a central state authority. More than a little of the detachment and empirical precisions of Habsburg civil servants pervades this book. Like them I too strove for impartiality while imposing a centralizing perspective. My hope to stimulate cross-cultural comparisons among the three regions of Core Austria, Bohemia, and Hungary has born too little fruit. Peter Hanàk's essays collected in The Garden and the Workshop: Essays on the Cultural History of Vienna and Budapest (Princeton: Princeton University Press, 1998) compare Vienna and Budapest in the period 1848 to 1918, and Lee Congdon's works, particularly his Exile and Social Thought: Hungarian Intellectuals in Germany and Austria 1919-1933 (Princeton: Princeton University Press, 1991 ) abounds in comparisons between the two cities, particularly as regards two figures whom I discuss, Georg Lukacs and Béla Balasz. My hope during the 1970s that Hungarians and Czechs of an older generation might be prompted to write about the intellectual history of their generation and the previous one proved naive. Alas, the moment has already come and gone when Hungarians, Czechs, and Bohemian-born German-speakers born before 1914 could engage passionately with their intellectual past. A different kind of dialogue will have to emerge in Eastern Europe between younger intellectuals and their precursors of the Habsburg era. The independence of mind which

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my book discerns in earlier generations in Bohemia and Hungary will perhaps inspire some fresh approaches among their descendants. As this book shows, many thinkers remain to be rediscovered, notably among those born in Bohemia and Galicia.

3. The Jewish Component I have postponed until now the painful question of Jewish participation in Austrian thought. Improbable as it now seems, thirty-five years ago I wrote toward the very end of a twenty-five-year post-war period when nearly everyone preferred to ignore the Holocaust. Indeed, Holocaust-studies emerged in American academia in the very year that my book was published. It is difficult to understand now how rare it was in 1972 for a non-Jew to be seen to celebrate the achievements of Habsburg-era Jews, still less for an American of Yankee stock to call attention to the Jewish ethnicity of so many Austrian creators. I was criticized for "philo-Semitism," for reverse racism, or more wittily for listing Jews in the insouciant way that Leporello kept a list of Don Giovanni's women. Whenever I lectured subsequently in Central Europe, someone in the audience would object to my underlining the Jewish identity of major and minor figures. Many people have preferred to ignore the Jewish roots of geniuses whom they admired. Let me make me a personal confession. When I wrote this book, I was agonizingly aware that young scholars who could have, and no doubt should have written it died as children or youths in the death camps of Eastern Europe. I wrote out of what Robert J. Lifton (1926—) has taught us to call "survivor guilt." Born in 1936,1 felt that I was fortunate not to have grown up in Central Europe during the Nazi Era, but by way of compensation I wished to pursue a "survivor mission" that would enable me to pay homage to those less fortunate. As a young intellectual historian, I concluded that the best way for me to pay homage to those who had perished was to write the sort of book that some of them might have been expected to write. I envisioned it as well as a book that many of them would have relished had they survived to discover it. In some sense, this book was written for Jews and other Central Europeans who did not survive to read it. The vast majority of Central European Jews of my generation never lived to enter into the traditions of intellectuality for which they were predestined. Those traditions underpin this book. As an American who had grown up blessed with access to the best libraries as well as to conversation with Jewish émigrés, I hoped that I could make some tiny reparation for the Holocaust by inventorying some of the Jewish cultural achievements that had preceded it. Moreover, probably the fundamental reason why "therapeutic nihilism" fascinated me is that no one anywhere in Europe, whether Jewish or gentile, statesman or religious leader, succeeded in devising a remedy that could stop the Nazis, and too few responsible persons even tried to do so. Throughout the 1930s the gravest evil ever to blight modern Europe evoked far too much therapeutic nihilism. XXIX

My endeavor to rehabilitate Jewish contributions to Austrian thought took place just before interest in the topic underwent a turning of the tide. Not only did Holocaust Studies soon emerge as a flourishing academic discipline, but more important for Habsburg Studies, Jewish scholars flocked into the field. Figures like Robert Wistrich and Steven Beller, not to mention Leon Botstein in Judentum und Modernität (Wien: Böhlau, 1991) and dozens of contributors in the too little known handbook Yale Compendium to Jewish Writing and Thought in German Culture 1096—1996(New Haven: Yale University Press, 1997) have transformed interpretation of every question to do with Jewish intellectual and religious life in Austria. My book precedes their work and registers as it were the state of the field before they tackled it. In particular, the study of anti-Semitism and of its impact on Jewish writers has been reshaped beyond recognition, notably by scholars in Israel and in the United States. As a masterpiece of rethinking an exceedingly painful story I would like to single out Robert Wistrichs The Jews ofVienna in the Age of Franz Joseph (Oxford: Oxford University Press, 1989). Wistrich combines dignity of utterance with breadth of coverage and novelty of analysis in a most admirable way. Similarly, a series of books of moral reflection by the French Germanist Jacques le Rider continues to open new perspectives about Austria's Jewish thinkers. A task that awaits a new generation is to devise ways in which Jewish and non-Jewish scholars can collaborate in re-animating this most sensitive material. Presumably some scholars will want to do so in the spirit of I-Thou dialogue articulated before and after World War One by the Austrian Catholic school teacher Ferdinand Ebner and his Jewish admirer Martin Buber.

4. Phases of Debate in Austria since 1970 When my book was published in Austria in 1974, the Second Republic was just entering upon a debate about "Austrian Identity." The manifest difficulty, or rather as many would say the tragic failure, of the First Republic to awaken in its citizens a sense of shared identity had left the next generations confused about the contours and purposes of Austrian tradition. Claudio Magris had already stimulated reflection on postHabsburg Austrian identity through his book Der habsburgische Mythos in der österreichischen Literatur (Salzburg: Otto Müller Verlag, 1966). My book appeared at a time when post-1955 Austria was regaining self-confidence in differentiating itself both from the German Bundesrepublik and from the Austrian First Republic. While my book did not investigate the debate of the interwar years that Friedrich Heer expounded so well in Der Kampf um die österreichische Identität (Wien: Böhlau, 1981), my findings provided the broadest available overview of the intellectual achievements of both the late Habsburg Empire and of the First Republic. Such a widening of horizons about major and minor thinkers could not help but enrich the ensuing debate on Austrian identity.

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The debate of the 1970s drew nourishment from a change of attitude toward Austria that had begun around 1930. Many date the turning point away from defeatism toward a positive appreciation of Austria's uniqueness from the radio address that Anton Wildgans delivered on 1 January 1930, Rede über Osterreich. The poet and essayist called attention to Austria's own traditions — Catholic, integrative, and visual-dramatic - and argued that these were not merely a subspecies of German traditions. Austria could and should proclaim its own distinctive culture which celebrated the human person. Between 1933 and early 1938 growing confidence in Austrian cultural autonomy stiffened resistance to Nazi attempts to incorporate the nation into the Third Reich. It is crucial to recognise this campaign because the Austrian First Republic still suffers from an undeserved reputation for having succumbed without resistance to Hitler's invasion in March 1938. Thanks to the synthesis of Gottfried-Karl Kindermann, Osterreich gegen Hitler — Europas erste Abwehrfront 1933—1938 (Munich: Langen Müller Verlag, 2003), we now know that in 1933 Bundeskanzler Dollfuss was the first European leader openly to oppose Hitler and that in 1937 and 1938 Bundeskanzler Schuschnigg battled without support from France or Britain to avert a Nazi takeover. Austrian leaders were among the first to discern the danger, and in 1934 their leaders succeeded in postponing Nazi expansion for a few years. That success cost the life of Bundeskanzler Dollfuss. Nevertheless, the record of European statesmanship throughout the 1930s can only dismay us, and for the most part it deserves to be labeled as self-destructive. Austria's diplomatic initiatives between 1933 and 1938 are one of the rare exceptions to that judgment. The positive appreciation of Austrian culture that Anton Wildgans signalled in 1930 became widespread after 1965. Between then and 1990 Austrian diplomats took a lead in interacting with East European intellectuals and in cultivating on both sides of the "Iron Curtain" awareness of the Habsburg heritage that the Austrian Second Republic shares with the Czech Republic, Slovakia, Poland, Hungary, Romania, Ukraine, and the successor states of Yugoslavia. The then fashionable slogan of Austria as a "cultural Great Power" may seem grandiloquent, but it helped to motivate a successful diplomatic campaign to situate Austria as a leader of Central Europe (Mitteleuropa). Between 1970 and 1990 the geographic label "Danube Region" (Donauraum) gradually gave way to the term "Mitteleuropa" and still later to the more specific label of East Central Europe (Ostmitteleuropa). In these parameters my book might be termed an intellectual history of Habsburg East Central Europe. Such terminology became less tentative after the turning point of 1989 and even more so after Austria joined the European Union in 1995. As Austrians have adjusted to their status within the European Union, the various traditions of Europeanizing thought mentioned in this book have acquired fresh relevance. My book emphasizes - perhaps to excess - European affinities of Austrian thought. In other words, the book is not primarily about local expressions of identity or about Austrian folklore. It is about traditions of intellectual debate, conducted in German and based on the humanist traditions of the Renaissance and the Enlightenment that link the Habsburg Empire and its successor XXXI

states to the rest of Europe. It is about would-be modernizers and their opponents in an empire that after 1850 encompassed somewhere within its borders nearly every phase of economic development. Different regions of Austria witnessed experiments in modernization and in the juxtaposition of old and new in unheard of combinations. Interestingly, a somewhat similar situation now exists in former Habsburg regions of the Czech Republic, Slovakia, Poland, Ukraine, Hungary, Romania, Slovenia, and Croatia. They too abound in unforeseen juxtapositions of old and new — an eminendy Habsburg condition. A lucid framework for interpreting these juxtapositions comes from a posthumous book by the Prague-born philosopher and sociologist, Ernest Gellner (1925-1995), who was one of the last European polymaths shaped by childhood memories of a vanished Habsburg regime. This Austrian Jew capped an academic career in Britain with a little noticed but highly original exploration of the effect on intellectuals of Austria's juxtaposition of the modernizing and the backward. In Language and Solitude: Wittgenstein, Malinowski and the Habsburg Dilemma (Cambridge: Cambridge University Press, 1998), Gellner compared the situation of Jews in Vienna and in Krakau in two imaginative casestudies that may inspire others to reassess what my book presents in panorama. At the climax of a long career, Gellner practised the kind of acerbic rethinking that we may continue to expect from intellectuals who come from former Habsburg regions.

5. Wishes for the Future Study of Austrian Intellectual History In 1972 no one foresaw the mushrooming of Austrian studies that ensued almost at once. In Austria the rediscovery of major thinkers and schools during the 1970s and 1980s led to the founding of research institutions like, to name a few, the Institut Wiener Kreis, the Jüdisches Museum and the Literaturhaus (all in Vienna), the Institut fur die Geschichte der Juden in Osterreich (in Sankt Pölten), the Forschungsstelle und Dokumentationszentrum fur österreichische Philosophie (in Graz), and numerous university institutes throughout Mitteleuropa, including those sponsored by Austrian initiatives. Even older is the Österreichisches Ost- und Südosteuropa-Institut which Richard Plaschka founded at the University of Vienna around 1950. Now that a phase of institutionalization of scholarship has created a scholarly infrastructure, what are my hopes for a reissue of this book, particularly among readers from outlying areas of the former Habsburg Empire? First, I hope that younger readers in Austria, throughout Eastern Europe, and indeed all over Europe will realize by reading these pages how much remains to be researched in the field of Habsburg thought and culture. Interesting thinkers have not yet received monographs (e.g. Melchior Palägyi, Emil Utitz, or Paul Kornfeld). Old Austria abounded in eccentrics and loners who deserve recall. One need only think of Lipot Szondi, Eugen Schmitt, or Josef Popper-Lynkeus. The loose grouping whom I labeled "Prague Marcionists" cries out for re-examination. Their antinomian rage against the cosmos XXXII

combined with a marked irenic impulse in Oskar Baum and Robert Weltsch to yield messages for todays Europe. Some of the Prague intellectuals of the interwar period await a chance to win over today's youth. Second, a number of major Austrian innovative thinkers have not yet received popular biographies. One could write a compelling introduction to the life and works of Christian von Ehrenfels, Otto Neurath, or Otto Rank. The same can be said of Josef Popper-Lynkeus, Richard Coudenhove-Kalergi, or Rosa Mayreder. So much energy has gone since the mid-1970s into researching basic monographs that the potential for highlevel popularization based on the latest research, a genre at which coundess Austrian writers once excelled, has been overlooked. They have found a successor in the émigré writer Frederic Morton, who recounts his life cunningly in Runaway Waltz: A Memoir from Vienna to New York (New York: Simon and Schuster, 2005). Third, the phenomenon of Vienna 1900 cries out to be reassessed from the perspective of young intellectuals in the Czech Republic, Slovakia, Poland, Ukraine, Hungary, Romania, Slovenia, and Croatia. Their grandparents and great-grandparents lived under the Habsburg Empire. It is time for the great-grandchildren to take a fresh look at cultural interactions among the major cities of Vienna, Prague, Budapest, Krakau, and Lemberg. It is time for the great-grandchildren to reread Joseph Roth, Robert Musil, and Hermann Broch in the context of Czech, Polish, Ukrainian, Hungarian, and South Slav writers of the same period. The Slovene poet Ivan Cankar (1876-1918) and the Ukrainian man-of-letters Ivan Franko (1856—1916), both o f w h o m occasionally wrote in German, cry out to be integrated into the story. It is time for young East Europeans to compare thinkers from Galicia like Ludwig Gumplowicz, Ludwig von Sacher-Masoch, and Karl Emil Franzos with contemporaries from Bohemia and Moravia like Josef PopperLynkeus, Marie von Ebner-Eschenbach, and Gustav Mahler. Such comparisons can now proceed directly between nations or ethnicities and need no longer be conceived in terms that presuppose the perspective of the imperial capital. Cross-national and cross-ethnic juxtapositions of thinkers in East Central Europe offer myriad possibilities for new juxtapositions. Young scholars can startle their elders by seeing these matters afresh. Fourth, the history of the influence of Austrian thinkers cries out to be charted. In particular, a number of major thinkers do not feature in this book because they matured after 1938. The philosopher Karl Popper (1902-1994) revolutionized the philosophy of science in works like Die Logik der Forschung (1935) and The Open Society and Its Enemies (1945). The Viennese physician Viktor Frankl (1905-1997) expounded Logotherapy in Logos undExistenz (1951) and Man's Search for Meaning (1962). Books by the ethologists Karl von Frisch (1886-1982), Die Sprache der Bienen (1923) and Tanzsprache und Orientierung der Bienen (1965), and by Konrad Lorenz (1903-1989), Das sogenannte Bôse (1963), belong in any Geistesgeschichte of Austria after 1945. So does the research concerning D N A by the Czernowitz-born biochemist Erwin Chargaff (1905-2002), who was also a notable essayist. The inventor of group therapy, Jakob L. Moreno (1892-1974), devised what he called psychodrama from the technique of Vienna's

XXXIII

impromptu theater (Stegreiftheater) which he witnessed before emigrating to the United States in 1925. Moreover, my book gives no hint of the immense influence that Austrian "neo-liberal" economic theorists like Friedrich von Hayek (1899-1992) and his followers would come to exercise after 1980. Indeed, a logical sequel to this book would undertake to research the impact particularly in Europe and North America of Austria's twentieth-century innovators. Prominent in such a book would be the mathematician Kurt Gódel (1906-1978) and the physicists Erwin Schrodinger (1887-1961) and Wolfgang Pauli (1900-1958). Such a book would need to include as well cosmopolitan thinkers of Austrian parentage like the historian Lewis Namier (1888-1960) and the literary critic George Steiner (1929—). Fifth, the role of Jewish thinkers will challenge every generation. One could wish that the dignity and long-term view that scholars like Steven Beller, Leon Botstein, and Robert Wistrich have brought to the study of the Jews of Vienna can elicit from Europeans similarly deep re-encounter with the Jews of Budapest, Prague, Krakau, and Lemberg. Jacques le Riders moralizing vision of Jewish self-analysis in Vienna might call forth similar scrutiny of the the Jewish antinomians of Prague. It is to be hoped that the Holocaust notwithstanding Jewish scholars will continue to offer candid second and third looks at the urban Jewish culture which nourished so many of the thinkers mentioned in this book. A capacity for seeing old problems afresh and for seeing new problems for the first time continues to characterise Jewish scholarship now as it did in Old Austria. Let us hope that that such innovative capacity will flower in the decades to come.

6. Conclusion: The American Component Over the years many Austrians have remarked to me how odd it is that starting about 1970 Americans like Schorske, Janik, and Johnston (re)launched the field of Austrian intellectual history. Modestly I used to deflect the question by citing institutional advantages. The United States boasted superior libraries that had collected Austrian material throughout the 1930s and 1940s, and these libraries allowed scholars to browse the shelves personally. I also cited the stimulus of having Central European émigrés on American university campuses from the 1930s into the 1980s. One of the last of them, Peter Drucker (1909-2005), has recently died, having single-handedly created the field of the study of management as practised by large corporations. His Memoirs of a Bystander (New York: Harper and Row, 1979) remains one of the most penetrating memoirs about Vienna before 1938. Today these institutional factors now seem to me to be less crucial. The excellence of libraries and the conversation of émigrés of course stimulated interest, but they do not explain how American proclivities may have contributed to the act of imagination manifested here. For me as an American, Old Austria and its thinkers comprised a fabulous realm that consciousness had to recreate in order to give itself something to live by. For me XXXIV

Austria did not consist of stones, of monuments, or of other things, but rather of what the English literary critic John Bayley calls "legends and ideas and consciousness itself." Austria with its remote regions and exotic ethnicities captivated my imagination and impelled me to write a Biedermeier-inspired phenomenology of culture that would both create and commemorate an experience that had never existed in such a form. This book imagined intellectual Austria-Hungary into existence because as an American I had grown up delighting in intellectual realms that earlier Americans had imagined into existence. It is no accident that the American title of this book, The Austrian Mind (1972), echoes that of a classic intellectual history of the United States, The American Mind (1950) by Henry Steele Commager (1902-1998). He too imagined an intellectual realm into existence. What I did not recognise thirty-five years ago is that Old Austria, in contrast to Mediterranean parts of Europe like Italy and France, abounded in thinkers who showed an inclination similar to mine. After 1850 Austrians too liked to imagine empirical realms into palpable existence, probably because Habsburg institutions increasingly lacked persuasiveness. In an increasingly out-of-date and sometimes strife-torn society, thinkers undertook to imagine structures that might prove more enduring than could political ones. Working chiefly out of their own heads, the empirically grounded innovators of Austria created categories and launched visions that in turn shaped or even created new kinds of experience. Bolzano, Freud, Ehrenfels, Neurath, Musil, and even Weininger among countless others introduced categories and visions of structure that seem to spring, at least in part, not so much from things or from living traditions as from "legends and ideas and consciousness itself." As an American who could not find in America visions to live by, I came to identify with Austrian predecessors who had similarly conjured up out of empirical materials visions of intellectual structure that had never existed until so imagined. In imagining the intellectual life of Old Austria, I imbibed from some of its protagonists sufficient boldness to envision their Habsburg Empire as a single intellectual entity. Probably none of them had made quite this imaginative leap — only an American willing in John Bayley s words to allow "consciousness to create experience" would do that — but like them I based my quest on data about what had existed. This book invites its readers to continue the process of imaginatively configuring new structures of experience out of the achievements presented here. Not just Austrian things but above all Austrian ideas offer everyone a fresh chance to experience what the Austrian heritage has meant and will continue to mean within what is now the European Union. If Austria's supreme gift to Europe has been a capacity for discerning new ideas embedded in previously overlooked empirical data, that is also the aim of this book. It seeks to portray Old Austria as an intellectual realm, where thinkers made ideas and facts interact fruitfully over a long period. We are all heirs of that interaction. William M. Johnston Melbourne, Australia January 2006 XXXV

Inhalt

Entdeckung eines Kontinents. Geleitwort von Friedrich Heer

13

EINLEITUNG Schwierigkeiten und Ziele einer österreichischen Kultur- und Geistesgeschichte

19

TEIL

I. D I E H A B S B U R G E R B Ü R O K R A T I E - T R Ä G H E I T KONTRA REFORM 1. Vom Barock zum Biedermeier

27

V o m Beginn des Habsburgerreiches zum barocken Vorsehungsglauben 2 7 - D e r J o s e f i n i s m u s als Q u e l l e von Liberalismus u n d Konservatismus 31 - D i e Biedermeierkultur als N ä h r b o d e n späterer Geisteshaltungen 3 4 - D a s intellektuelle Übergewicht der J u d e n und seine Wurzeln in Stammestradition und rassischer Diskriminierung 39

2. Der Kaiser und sein Hof

45

Langlebige Zerbrechlichkeit. Die Welt der Sicherheit u n d ihre Kassandras 4 5 Kaiser Franz J o s e p h : Biedermeier-Monarch inmitten einer Welt der Industrialisierung 4 8 - Aristokratie u n d niederer Adel. Privilegien als K o n t r o l l e von Neuerungsbestrebungen 54

3. Ein Reich der Bürokraten

60

Einhelligkeit gegen Bestechlichkeit in einer antiquierten Bürokratie 6 0 - Der zweifelhafte Segen einer Friedensarmee 6 5 - Eine Staatskirche verbittert die A n tiklerikalen 71 - D e r Gemeindesozialismus Karl Luegers 7 8 — Schulen und Universitäten. Versenkung in die Tradition als A u s b i l d u n g z u m G e n i e 81 - Zwielicht in Wien. Intellektuelle E r n e u e r u n g inmitten wirtschaftlichen Ruins 8 7

4. Ökonomen als Bürokraten

90

Karl Pribrams Terminologie für den Ü b e r g a n g v o m Feudalismus z u m Kapitalism u s 9 0 - Carl Mengers psychologische T h e o r i e der ö k o n o m i s c h e n Bedürfnisse 9 2 - Friedrich von Wieser: Anwalt einer gemischten Ö k o n o m i e 9 5 - J o s e p h Schumpeter: Enterbter Erbe des Habsburgerreiches 9 7 - Ähnlichkeiten zwischen der österreichischen Schule der N a t i o n a l ö k o n o m i e und der josefinischen Verwaltung 99

7

5. Rechtstheoretiker

101

Die Autorität des Staates, unterstützt und herausgefordert von Theoretikern des Rechts 101 - Eugen Ehrlich: Verfechter lokaler Gebräuche 102 - Anton Menger: Utopischer Kritiker des Privatrechts 105 - H a n n s Gross: Pionier wissenschaftlicher Verbrechensaufklärung 107 - H a n s Kelsens „Reine Rechtslehre": Die politische Unzulänglichkeit der theoretischen Strenge 108

6. Austromarxisten

112

Viktor Adler: Organisator des österreichischen Sozialismus 112 - O t t o Bauer: Taktische Mißgriffe eines Theoretikers 115 - Karl Renner: Der Austromarxist als versöhnende Kraft 118 - Max Adler: Synthese von Kant u n d Marx 122

TEIL

II. Ä S T H E T I Z I S M U S IN W I E N 7. Phäaken und Feuilletonisten

127

Geselligkeit u n d Sexus unter dem Einfluß des Ästhetizismus 127 — Triumph der Konversation in Kaffeehaus u n d Feuilleton 130 - Haßliebe zwischen Künstlern und Publikum 135

8. Musiker und Musikkritiker

138

Walzer u n d Operette: Frivolität als politische Waffe 138 - Eduard Hanslick: Ästhet u n d Musikdiktator 142 - Vier verfolgte Neuerer: Bruckner, Wolf, M a h ler, Schönberg 145

9. Die Jünger der bildenden Kunst

150

Hans Makart: Kulturheros einer dekorativen Epoche 150 - Klimt, Schiele, Kokoschka: Ästhetizismus in Konfrontation mit der M o d e r n e 153 - Sitte, Wagner, Loos: Ringstraßen-Architektur u n d ihre Kritiker 157 - Die Wiener Schule der Kunstgeschichte 161

10. Kritiker des Ästhetizismus

166

Rosa Mayreder: Kennerin der Rolle der Frau 166 - O t t o Weininger: Genie zwischen Frauenhaß u n d Selbsthaß 169

TEIL III. POSITIVISMUS U N D IMPRESSIONISMUS - EINE U N G E W Ö H N L I C H E SYMBIOSE 11. Die Faszination des Todes

175

D e r Tod als Bollwerk gegen Veränderungen 175 - D e r Tod als Symbol der Flüchtigkeit 178 - Der Tod als letzte Z u f l u c h t . Selbstmorde österreichischer Intellektueller 184 8

190

12. Philosophen der Naturwissenschaft

Ernst Mach: Reduktion der Philosophie und Psychologie auf die Physik 190 Ludwig Boltzmann: Uber die Komplementarität von widersprüchlichen H y p o thesen 196 - Moritz Schlick: Initiator und Kritiker des Wiener Kreises 197 — O t t o Neurath: Das Verlöschen eines Universalgenies 201

13. Sprachphilosophen

205

Fritz Mauthner: Von der Kritik am Wortaberglauben zu einem Mystizismus ohne G o t t 205 - Adolf Stöhr: Kritik einer an der Sprache geformten Philosophie 208 - Richard Wahle: Therapeutischer Nihilismus gegen Herbartsche Phrasen 210 - Karl Kraus u n d seine Sprach-Idolatrie. Der Fluch eines photographischen Gedächtnisses 212 - Ludwig Wittgensteins Perfektionismus: Utopist und therapeutischer Nihilist in einem 215

14. Philosophen des Dialogs

222

Martin Buber: Vom ästhetischen Mystizismus zum Ich-Du-Verhältnis 222 - Die Pneumatologie Ferdinand Ebners: Der Vorrang des Sprechens vor dem Schreiben 225

15. Freud und die Medizin

228

Ein Abriß der Laufbahn Freuds 228 - Therapeutischer Nihilismus der Wiener medizinischen Schule 2 3 0 - Freuds M e n t o r e n werden zu Gegnern: Brücke, Meynert, Krafft-Ebing, Breuer, Fliess 236

16. Freud und Wien

245

Freuds Haßliebe zu Wien. Affinitäten zwischen der Psychoanalyse u n d ihrem Milieu 245 — Religion u n d Tod bei Freud 2 5 0 - G r ü n d e für den Widerstand gegen die Psychoanalyse in Wien 255

17. Freud und seine Nachfolger

258

Freud als Patriarch: H ü t e r der Orthodoxie und Zielscheibe für „Sektierer" 258 - Bürgerliche Psychotherapie. Die selbsterfüllenden Prophezeiungen Alfred Adlers 261 - O t t o Rank: Vom Ästhetizismus zur Selbst-Erschaffung in der Psychoanalyse 264

TEIL IV. B Ö H M I S C H E R R E F O R M K A T H O L I Z I S M U S 18. Marcioniten in Prag

271

Vernichtungskampf zwischen Tschechen u n d Deutschen in Böhmen - Visionen vom Weltuntergang unter Prager Deutschen 275

271

9

1 9 . D i e Leibnizsche V i s i o n der H a r m o n i e

279

Bernhard Bolzano: Über die unanfechtbare Objektivität von Sätzen 279 - Der Reformkatholizismus in Böhmen erneuert die Leibnizsche Vision 282 — Johann Friedrich Herbart: Österreichische Triumphe eines deutschen Denkers 285 Robert Zimmermanns allumfassende Theorie der Künste 291 2 0 . Franz B r e n t a n o u n d seine A n h ä n g e r

294

Franz Brentanos Erneuerung der Psychologie und Ethik durch die Lehre von der Intentionalität 294 - Alexius Meinong: Auf halbem Weg zwischen Bolzano und Brentano 299 - Edmund Husserls Phänomenologie: Eine Synthese von Brentano und Bolzano 301 — Christian von Ehrenfels oder Die vergessene Vielseitigkeit 304 2 1 . D i e letzten Exponenten der Leibnizschen Tradition

310

Josef Popper-Lynkeus: Optimismus der Aufklärung in einem böhmischen Erfinder 310 - Othmar Spann: Virtuose des korporatistischen Denkens 313 - Hermann Broch: Der Todeskampf der Leibnizschen Metaphysik 317 2 2 . Aristokraten als R e f o r m e r

319

Bertha von Suttner: Erbitterte Gegnerin des Krieges 319 - Richard CoudenhoveKalergi: Kosmopolitentum im Kampf für ein geeintes Europa 321 2 3 . Sozialdarwinisten untergraben die Leibnizsche Tradition . . . 3 2 4 Ludwig Gumplowicz: Vom Aufwiegler zum Hobbesianer 324 - Gustav Ratzenhofer: Soziologie als Politologie 327 - Houston Stewart Chamberlain in Wien: Verfechter rassischer Reinheit 329

TEIL

V. D E R U N G A R I S C H E

ILLUSIONSKULT

2 4 . Institutionen u n d Intellektuelle in U n g a r n

337

Die politische und soziale Struktur 337 - Budapest. Die Hauptstadt einer halbfeudalen Nation modernisiert sich 344 - Die Begabung zum Wunschträumen 346 - Vorindustrielle Nationalitäten unter dem ungarischen Joch 355 2 5 . Utopisten aus U n g a r n

359

Theodor Herzl: Der geniale Improvisator 359 - Theodor Hertzka: Ein utopischer Sozialist der neunziger Jahre 363 - Max Nordau: Desillusionierte Utopie im Kampf gegen Entartung 364 10

26. Soziologie des Wissens. Eine ungarische Binsenweisheit

367

Georg Lukäcs' Dialektik: Form kontra Leben 367 — Karl Mannheim: Panrelativismus im Kielwasser von Lukäcs 377

27. Ungarische Psychoanalytiker und Filmkritiker

381

Sändor Ferenczi und Lipot Szondi: Verehrer des Wunschträumens und des magischen Denkens 381 — Der Film als Kunstform des magischen Denkens und des Impressionismus 384

TEIL VI. WAHRSAGER DER M O D E R N E 28. Die fröhliche Apokalypse

393

Kritiker der Technologie 393 - Doppeldeutigkeit als Ansporn der Kreativität 398 Die geistige Leistung Österreichs 401

Anmerkungen

405

Literatur

471

Namenregister

493

11

Entdeckung eines Kontinents Geleitwort von Friedrich Heer

Ein amerikanischer Kolumbus entdeckt einen Kontinent. Dieser Kontinent liegt mitten im alten Europa, ist seinen heutigen Bewohnern zum größten Teil unbekannt. Eine Befragung der Mitglieder des Nationalrats, der Mitglieder der Lehrkörper unserer Hohen Schulen, eine Umfrage im Fernsehen würde ergeben, daß die allermeisten Persönlichkeiten, die dieser amerikanische Kolumbus uns vorstellt, kaum dem Namen nach, geschweige denn durch ihr Werk in der Zweiten Republik Österreich bekannt sind. Einige von ihnen sind heute in der angelsächsischen Welt bekannter als hierzulande, einige sind gerade in den letzten Jahren in den osteuropäischen Staaten entdeckt worden und werden wissenschaftlich erforscht. W i l l i a m M . Johnston, Professor der Geschichte an der Universität von Massachusetts, Autor eines sehr beachtlichen geistesgeschichtlichen Werkes über die frühen Jahre Collingwoods, hat sich 1967 in Wien und Budapest umgesehen, hat umfangreiche Quellenstudien betrieben und legte nun 1972 dem angelsächsischen Publikum sein erstaunliches Werk vor. Johnston wagt es, mit der schönen Unbefangenheit eines Mannes aus der Fremde, der nicht verwirrt ist durch Haß und Neid und Zwist unserer innerösterreichischen Kämpfe, einen uns Österreichern weitgehend unbekannten Kontinent vorzustellen, in dem zwischen 1848 und 1938 auf dem Boden des francisco-josephinischen Staates, der noch stark geprägt ist durch barocke, josephinisch-aufgeklärte und biedermeierliche Bezüge, sich ein Geistesleben, ein Kulturleben, ein Leben politischer Denker entfaltet, das im 20. Jahrhundert weitreiche Strahlungen entbindet. Johnston stellt sich in seiner Einleitung selbst die Frage: wie kommt es, daß so viele glänzende Erscheinungen des österreichischen Geisteslebens vergessen oder schief angesehen, abgewertet wurden? Als Hauptgrund sieht der Amerikaner Johnston den Untergang der Donaumonarchie an, bemerkt jedoch auch, daß viele Historiker und Literaturwissenschaftler die Deutschen der Donaumonarchie in Bismarcks Reich vereinnahmen. Hier ist es an der Zeit, hier ist der Ort, um heute, in Österreich, einige wenige Elemente aufzuzeigen, die zum Vergessen des Geisteskontinents Österreich in Österreich selbst beigetragen haben. Der Geisteskontinent Österreich, mit seinen Zentren Wien und Prag und Budapest, wurde in der Zeit zwischen 1848 und 1938 von Menschen überherrscht, die sich oft spinnefeind waren, nicht miteinander sprachen, voneinander nichts wissen wollten. Da kämpften im Nationalitätenkampf „Deutsche" gegen „Tschechen" (die Bitterkeit ihrer Kämpfe wird nicht dadurch gemindert, daß diese „Deutschen" oft tschechische Namen tragen und die Vorkämpfer eines 13

jungtschechischen Nationalismus häufig deutsche Namen besitzen). Da werfen die Tiroler Studenten die Italiener aus Innsbruck hinaus und verhindern den Aufbau der bereits gegründeten italienischen juridischen Fakultät in Innsbruck. De Gasperi, der große italienische Staatsmann, ein guter Europäer, der bis zu seinem Tode (1954) den Scheltnamen „Der Österreicher" (il Austriaco) tragen wird, wird durch seine Studentenzeit in Innsbruck und Wien geprägt. Da lebt die deutschsprachige Welt in einigen Gettos sich ein, die miteinander wenige oder vorwiegend feindliche Beziehungen unterhalten. Da lebt ein konservativer Adel, an den Hof in Wien gebunden, eine geschlossene Gesellschaft, die sich in ihren Palais und Schlössern auf ihren Gütern einhaust und einen eigenen Lebensstil in ihren Festen, Feiern, Jagden, Liebschaften praktiziert. Zum Sport des tausendjährigen Adels Alteuropas gehörte untrennbar mit der Jagd der Krieg. Diese Identifikation erleichterte für den österreichischen, deutschen und englischen Adel das ahnungslose Hineinscheitern in den Ersten Weltkrieg. Zunächst aber fand, zwischen 1848 und 1938, der Krieg im Inneren statt. Im Saale, auf der Straße, in der Presse, im Reichsrat der Vereinigten Königreiche und Länder. Da kämpften sich zunächst die jungen Christlich-Sozialen gegen die katholischen Konservativen hoch, erobern mit Lueger Wien, bilden die erste mitteleuropäische Massenpartei. Zu ihrer Propaganda gehört die bewußte Pflege eines handfesten politischen und religiösen Antisemitismus. Judentum wird mit Liberalismus, dann mit Sozialismus, dann mit Bolschewismus identifiziert. Das kulturelle Leben dieses „christlich-deutschen" Bürgertums und Kleinbürgertums sieht mit Entsetzen auf eine „verjudete" Presse und Literatur, auch die Jurisprudenz und Medizin erscheinen ihm „total verjudet". Schon vor 1938 bemerkt eine westliche Welt, daß tatsächlich nicht wenige Juden in hohem Maße jenes österreichische Geistesleben und auch Gelehrtenleben bilden, das weltgültiges Ansehen gewinnt. Zu diesen Juden rechnet das „arische" antisemitische „christliche" Bürgertum und dann sein an Zahl und politischer Bedeutung wachsender deutsch-nationaler Milchbruder auch jene Dichter, Literaten, Philosophen, Ärzte, Politologen, die als „Juden", als „geistig verjudet" angesehen werden. Man kann noch heute, 1974, in einem weitverbreiteten Geschichtswerk über die fünfzig Jahre Osterreich 1918 bis 1968 lesen, was 1936 das „christliche" und „nationale" Wien dachte, als der Philosoph Moritz Schlick an der Universität Wien ermordet wurde: da wird heute noch Schlick als Jude (ab-)qualifiziert. William M . Johnston erinnert, daß der Deutsche Schlick seinen Vornamen von seinem Ahn Ernst Moritz Arndt ererbt hatte ... Gewichtiger ist dies: die noch heute fehlende Interdependenz, die fehlende interdisziplinäre Zusammenarbeit der hier einschlägigen Wissenschaften, also der Soziologie, Politologie, Rechtsgeschichte mit den Geisteswissenschaften der Geschichte, Germanistik, der vergleichenden Literaturgeschichte und nicht zuletzt der Geistesgeschichte im engeren Sinne spiegelt (ohne daß Wissenschaftler jüngerer Generationen dies wissen, ohne daß dieser Sachverhalt ihnen bewußt wird) das Nicht-Sprechen, oft Nicht-sprechen-Können der persönlich oft so hervorragenden Repräsentanten einzelner dieser Wissenschaften zwischen 1900 und 1938. 14

M a n vergleiche etwa in diesem Sinne die Darstellung Egon Friedells, der soeben 1 9 7 3 / 7 4 in der Bundesrepublik Deutschland in seiner eigentümlichen Größe als Denker, als M a n n der Geistesgeschichte, als Künstler wieder erkannt wird, mit der knappen Aburteilung dieses Denkers in dem monumentalen repräsentativen Werk der deutsch-österreichischen Historie der Geschichtsschreibung, in Heinrich von Srbiks zweibändigem O p u s „Geist und Geschichte vom deutschen H u m a n i s m u s bis zur G e g e n w a r t " . Friedells „Kulturgeschichte der Neuzeit", „diese S c h ö p f u n g eines Kulturphilosophen ist zugleich die eines Harlekins, und dieses blendend geschriebene, humor- und geistreiche Werk liebt so sehr das zugespitzte, paradoxe, auf die Wirkung abzielende Gedanken- und Wortspiel, daß es bei aller Anziehungs- und Anregungskraft oftmals abstößt und wohl auch abstoßen will." Friedeil sprang 1938 aus dem Fenster (was bei Srbik nicht erwähnt wird). Srbik will in seinem 1951 nach seinem Tode erschienenen Werk gerade Historikern und Geisteswissenschaftlern, die er persönlich nicht liebt, hohe Gerechtigkeit widerfahren lassen. Srbik selbst zeigt in seinem heute wieder sehr lesenswerten Buche auf, wie sehr die deutsche Geschichtsschreibung in Österreich im 19. und 2 0 . J a h r h u n d e r t zerrissen war, zwischen „ G r o ß deutschen" und „Kleindeutschen". D a s 1854 gegründete Institut für Osterreichische Geschichtsforschung wurde früh seiner Aufgabe, eine gesamtösterreichische Historie zu begründen, entfremdet. D i e im Laufe des 19. Jahrhunderts und im 2 0 . Jahrhundert sich durchsetzende einseitige Orientierung auf Probleme der Reichsgeschichte und der Deutschen in Osterreich klammerte ihrerseits ebenso sehr den geistespolitischen Kontinent Osterreich aus, wie die Germanistik in Österreich, die sich weithin als eine Hilfswissenschaft im Dienste nationaler Belange der Deutschen in Österreich verstand. So kam es, daß es im „deutschen Österreich" kein Wissenschaftsinteresse, kein Interesse an den Fragestellungen, an der Ö f f n u n g jener Horizonte gab, wie es der Amerikaner William M . Johnston besitzt: diesem Amerikaner erscheinen in einem weitoffenen Horizont die großen Rechtsdenker, Soziologen, Politologen Karl Pribram, Carl Menger, Joseph Schumpeter, Eugen Ehrlich, Anton Menger, Hanns Gross, Hans Kelsen mit den Denkern der österreichischen Sozialdemokratie Viktor Adler, Otto Bauer, Karl Renner, Max Adler. Von diesem Pfeiler schlägt Johnston eine Brücke über die Journalisten und Musikkritiker zu den vielverfolgten Wegbereitern einer neuen Musik Bruckner, Wolf, Mahler, Schönberg (ein binnenösterreichischer Fachmann würde mit Entsetzen vor dieser Zusammenschau zurückschrecken), zu Makart, Klimt, Schiele, Kokoschka, zur Ringstraßenarchitektur und ihren Kritikern Sitte, Wagner und Loos, zur Wiener Schule der Kunstgeschichte. Rosa Mayreder, diese heute im angelsächsischen Westen als eine Vorkämpferin der Frauenbewegung ersehene schöpferische Persönlichkeit, und Otto Weininger als Chiffre für die Tragödien jüdischen Selbsthasses in der D o n a u monarchie (Prag und Wien waren seine Zentren) bilden Wegweiser zu einem Panorama der Faszinierung durch den Tod. Selbstmord, Selbstmord österreichischer Künstler, Intellektueller ist um 1910, um 1927, um 1970 ein Signal, das anzeigt, wie schwer es sensiblen Menschen, schöpferischen Menschen im Klima Wiens, in der „Versuchsstation für Weltuntergang" Österreichs (Karl Kraus), wird, ihr Leben, ihr Werk, beide oft früh beschädigt, zu einem guten Ende zu führen. 15

Johnston eröffnet mit diesem Einblick in eine der Nachtseiten des H u m a n e n im Geisteskontinent Osterreich seine U n t e r s u c h u n g der Philosophen Ernst M a c h , Moritz Schlick, O t t o Neurath, des „Wiener Kreises", bezieht sich dann auf die Sprach-Denker Fritz Mauthner, A d o l f Stöhr, Richard Wahle, Karl Kraus und Ludwig Wittgenstein, der in England und Amerika ein ganzes Zeitalter philosophischer Reflexion bestimmte. Fernab seiner Heimat. Ein kostbares Kapitel gilt dann Martin Buber und Ferdinand Ebner. Buber wurzelt sich immer tiefer in jüdischer, in chassidischer Mystik ein, Ferdinand Ebner, abgeurteilt in Wien (von der Universität), wird zum Denker eines christlichen Existentialismus zwischen Kierkegaard und unserer Gegenwart. D e m am meisten in Wien geschmähten, verleumdeten, auch heute in keiner Weise wirklich anerkannten Dichter, Denker, Mythologen, Arzt, Begründer der Psychoanalyse S i g m u n d Freud und seinen Schülern und ersten Gegnern w i d m e t J o h n s t o n die beiden folgenden Essays. D a n n verläßt er Wien, u n d wendet sich dem böhmischen R a u m und Budapest zu. Denker aus dem böhmischen R a u m wie Bolzano, Franz Brentano, M e i n o n g und andere, führen auf Husserl zu. Husserl, der Lehrer Heideggers, heute im französischen R a u m vielfach neuberufen (nicht nur von Strukturalisten!), wird hier erstmalig in seiner Einwurzelung in diesem leibnizisch bestimmten böhmischen Geistesraum mit seinen Ausstrahlungen gerade auch nach Wien und Graz dargestellt. Es ist schade, daß Johnston, der im Schlußteil seines Buches Budapest sehr zu Recht einbezieht, in seiner Umkreisung der böhmischen Denker nicht Prag anvisiert: Prag, als eine H a u p t s t a d t von deutschschreibenden Dichtern, die in ihrem seelischen Untergrund die Auseinandersetzung zwischen Christentum und J u d e n t u m , Deutschtum und Tschechentum austragen, die schöpferisch aufbrechen im Zweifel und in der Verzweiflung, im Ringen um eine innere Gewinnung ihrer H e i m a t , die sie seelisch bereits verlieren, bevor sie ausgetrieben werden oder „freiwillig" auswandern, nach Wien, und weiter, wie Franz Werfel und Johannes Urzidil, und die anderen ... Johnston stellt in hoher Unbefangenheit zwischen sein Porträt des Josef Popper-Lynkeus und das Porträt Hermann Brochs seine Darstellung Othmar Spanns: wer wagte dies, heute, in Osterreich, wo man Spann gerne als „Faschisten" und als Wegbereiter Hitlers abtut. Dies sollte doch zu denken geben: wann wird in Österreich sich der Blick soweit erhellen, daß eben dies gewagt wird, was dieser Amerikaner aus Massachusetts wagt: eine Z u s a m m e n s c h a u , ein kritisches, weitoffenes Wahrnehmen jener Fülle von gegensätzlich denkenden und handelnden schöpferischen Geistern, von Männern und Frauen (Johnston beruft sich an entscheidenden M o m e n t e n seines Werkes auf Marie von Ebner-Eschenbach!), die den Kontinent „Osterreich" gebildet haben. In diesem Sinne sollte das Buch dieses Amerikaners nicht zuletzt als eine dringende E i n l a d u n g an unsere Universitätswissenschaften ernstgenommen werden, die hier angeschnittenen Probleme, Fragestellungen und Perspektiven in ihre eigene Arbeit einzubeziehen. In jedem Person-Kapitel Johnstons stecken Anregungen für mehr als ein Dutzend Detailarbeiten. Darüber hinaus sollte Johnstons Österreich Menschen jüngerer Generationen in der Zweiten Republik Österreich und in Deutschland einladen, sich mit dem unbekannten Wesen M e n s c h (Alexis Carrell: D e r 16

Mensch, das unbekannte Wesen) in seinen Inkarnationen im unbekannten Kontinent Osterreich auf eine zunächst erste Bekanntschaft einzulassen. 1915 schrieb Hugo von Hofmannsthal in der „Vossischen Zeitung", Berlin: „Es darf, auch in dem heutigen sehr ernsten Zusammenhang, ausgesprochen werden, daß Osterreich unter den Ländern der Erde eines der von Deutschen ungekanntesten oder schlechtest gekannten ist. Österreich liegt Deutschland so nahe und wird dadurch übersehen." Dieser Satz gilt heute, 1974, auch für die allermeisten Österreicher. Sie wissen nichts von dem, was im untergegangenen Kontinent Österreich geschaffen wurde. Wie aber soll ein Staat, wie soll ein Volk Zukunft sich schaffen, wenn es sich verwehrt, seine Vergangenheit wahr-zu-nehmen, sie kennen zu lernen? Es ist heute schon so weit, daß junge polnische und italienische Germanisten mehr von der österreichischen Literatur wissen, als ihre Studienkollegen hierzulande. In diesem Sinne wäre zu wünschen, daß sich die vielumstrittene Schulbuchaktion des Unterrichtsministeriums erweitern möge: und zur Anreicherung des Unterrichts, als Anschauungsmaterial Dokumentationen, wie das Werk des Amerikaners Johnston, Lehrern und Schülern empfehlen würde. Der Entdekkung des Geisteskontinents Österreich von Außen sollte ein Sich-öffnen von Innen entgegenkommen. Dies nicht zuletzt aus staatlichem, aus politischem Selbsterhaltungstrieb: wie ich selbst aus den Erfahrungen von über zwei Jahrzehnten weiß, sind das „Österreich", von dem gebildete Amerikaner, Engländer, Franzosen, sprechen, und das Österreich, das heutige Repräsentanten der Republik Österreich im Auge haben, kennen und so auch im Ausland vorstellen, zwei völlig verschiedene Länder. Es ist an der Zeit, daß diese beiden Länder Beziehungen miteinander aufnehmen. Wien, im Februar 1974

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Einleitung Schwierigkeiten und Ziele einer österreichischen Kultur- und Geistesgeschichte

„Die fröhliche Apokalypse", so nannte Hermann Broch - im Hinblick auf das Habsburgerreich und vor allem auf Wien, wo traditionelle und moderne Strömungen einander unvergleichlich befruchteten - die Zeit zwischen 1848 und 1918. Aus Osterreich und seinen Nachfolgestaaten gingen viele, vielleicht sogar die meisten bahnbrechenden Denker des zwanzigsten Jahrhunderts hervor: Freud, Brentano, Husserl, Buber, Wittgenstein, Lukâcs und zahllose andere. Das vorliegende Buch untersucht, warum gerade dieses untergegangene Reich so viele revolutionäre Geister beherbergt hat; die sechs Teile verbinden eine soziologische Analyse mit der Darstellung von rund siebzig bedeutenden Persönlichkeiten, die sowohl wegen ihrer Leistungen für akademische Disziplinen als auch wegen ihrer Beispielhaftigkeit für österreichische Geisteshaltung ausgewählt wurden. Teil I zeigt, wie die Bürokratie das Habsburgerreich aufrechterhielt, während führende Ökonomen, Rechtstheoretiker und Sozialisten auf Reformen drängten. Teil II untersucht, in welchem Maße Wiens Kaffeehäuser, Theater und Konzertsäle zugleich Kreativität und Selbstgefälligkeit anregten. Teil III befaßt sich mit der als Wiener Impressionismus bekannten Weltanschauung des Fin de siècle; sie glich einer Verbeugung vor dem Vergänglichen und prägte in Wechselwirkung mit der positiven Wissenschaft Pioniere wie Mach, Wittgenstein, Buber und Freud maßgeblich. Teil IV beschreibt die Vision eines geordneten Kosmos, wie sie bei den Deutschen in Böhmen blühte. Die Philosophen unter ihren Verkündern huldigten einem Leibnizschen Glauben, dessen drohender Zusammenbruch einen Kafka, einen Gustav Mahler nicht zur Ruhe kommen ließ. Teil V führt aus, wie in Ungarn ein Wunschdenken dem politischen Tätigkeitsdrang neue Kraft gab wie kaum sonstwo im habsburgischen Herrschaftsbereich. Engagierte Intellektuelle — Lukacs, Mannheim - systematisierten die Soziologie des Wissens, während andere Ungarn — Herzl, Nordau - den politischen Zionismus ins Leben riefen. Teil VI untersucht verschiedene Geisteshaltungen, von denen das österreichische Denken durchdrungen war, etwa die Feindseligkeit gegenüber der Technologie oder die Freude an polaren Gegensätzen. Kein Zweig der historischen Forschung wird so sehr durch die Gegensätze der Arbeitsweisen behindert wie die Geistesgeschichte: Verfechter der einen oder der anderen Richtung gehen so vor, als schlösse ihre Methode alle übrigen aus oder in sich ein. 1 Um dieses Chaos der Streitigkeiten zu entwirren, schlage ich vor, innerhalb der Geistesgeschichte drei Disziplinen zu unterscheiden. Ich nenne sie: Ideengeschichte, Soziologie der Denker und Soziologie der engagierten Intellektuellen. In diesem Buch kommen alle drei zur Anwendung. 19

Die erste, die unersetzliche Disziplin der Geistesgeschichte, besteht in der Darlegung von Ideen um ihrer selbst willen, isoliert von Persönlichkeiten und Gesellschaft. Mathematik und Philosophie weisen die Notwendigkeit auf, die Aussagen eines Menschen darzustellen ohne Rücksicht auf die möglichen Gründe, die ihn zu diesen Aussagen veranlaßt haben könnten. Unter den österreichischen Philosophen zeigten z. B. Bolzano und Husserl eine logische Strenge, die soziale Grenzen überwunden hat. Manche Österreicher, wie etwa Karl Pribram und Rudolf Eisler, haben in der Ideengeschichte Kategorien entworfen, die als überzeitliche Wesenheiten ein nahtloses Netz über alle Epochen und Milieus breiten. Diese Gelehrten haben, wie stark die Gesellschaft des Habsburgerreiches an der Ausformung ihres Piatonismus auch beteiligt gewesen sein mag, mit Recht geltend gemacht, daß die Ideengeschichte jeder anderen Form der Geistesgeschichte vorangehen müsse. Bevor man eine soziologische Analyse in Angriff nehmen kann, ist es notwendig, nicht nur festzuhalten, welche Ansichten ein Theoretiker vertreten hat, sondern auch, mit welchen Argumenten er sie stützte. Daher habe ich bei der Darstellung fast jedes bedeutenden Philosophen oder Gesellschaftstheoretikers sowohl dessen Hauptthesen angeführt als auch eine knappe Analyse seiner Beweisführung gegeben. Um bei den einzelnen Disputanten Nuancen herauszuarbeiten, habe ich Vergleiche angestellt, die sich sowohl auf Gegner als auch auf Verbündete beziehen und so eine gegebene Ansicht kontrastieren. Wo es möglich war, habe ich einen Denker in Begriffen dargestellt, die er selbst hätte verstehen können. Die Rekonstruktion eines solchen Lebenswerkes verlangt vom Historiker, daß er in jeder der behandelten Disziplinen entsprechend ausgebildet ist. N u r so wird es ihm möglich, Termini technici auszulegen, strittige Punkte zu klären und frühere Lehrmeister eines bestimmten Gebietes zu interpretieren. In diesem Buch liefern Philosophie, Theologie, Politologie, Soziologie u n d Literaturgeschichte den Unterbau, auf dem meine Formulierungen ruhen. Die Darstellung der Hauptargumente eines Denkers allein ergibt noch keine Geistesgeschichte. Eine zweite Disziplin, bekannt als „Soziologie des Wissens", zielt darauf ab, die Theoretiker in die Gesellschaft einzuordnen. Um die in diesem Ausdruck liegende Doppeldeutigkeit zu vermeiden, werde ich zwei neue Bezeichnungen einführen, die das Hauptgebiet von einer dieser Unterabteilungen abgrenzen. Mag sein, daß diese neuen Termini schwerfällig anmuten, doch lassen sich die gegensätzlichen Reaktionen der Denker auf das Verhalten der Gesellschaft nicht einfacher benennen. Die von mir so bezeichnete „Soziologie der Denker" untersucht, wie die Umgebung das Denken einer Persönlichkeit modifiziert. Ein Teil dieses Gebietes, den ich als „Soziologie der engagierten Intellektuellen" bezeichne, fragt danach, wie die Denker ihre Umgebung zu verändern suchen. Erstere behandelt den Denker als Empfänger von gesellschaftlichen Einflüssen, letztere als Urheber derselben. Diese Unterscheidung erweist sich jedoch als problematisch, da - ungeachtet Marx - nicht jeder Denker auch die zweite Rolle, die des Urhebers von Einflüssen, spielt. Sobald die Prämissen eines Theoretikers dargestellt sind, erhebt sich die Frage, wieweit diese durch sein Milieu geformt wurden. Die Untersuchung kann auf einer von zwei Ebenen ansetzen, die ich nach Werner Stark Mikro- und Makrosoziologie 20

nenne. Die Mikrosoziologie der Denker untersucht die Einflüsse, die der Intellektuelle von seiner unmittelbaren U m g e b u n g , insbesondere während seiner Kindheit und Jugend, erfährt. Die Eindrücke des Elternhauses, der Schulen, der Kirche, später des Militärdienstes, des Berufes und der Lieblingsbeschäftigungen lenken das Denken eines Menschen, indem sie bestimmte Möglichkeiten hervorkehren, andere verschließen. Frühe Einflüsse hinterlassen einen unauslöschlichen Eindruck, vor allem weil das Kind hier keine Wahl hat, es ererbt sie. Unter den Einflüssen, die zunächst ererbt werden, um später entweder akzeptiert oder abgelehnt zu werden, spielt die Religion eine beherrschende Rolle. Ich habe in diesem Buch hervorgehoben, daß in der scheinbar nichtreligiösen Kreativität eines Denkers häufig ein Nachhall der Theologie fortlebt. 2 Selbst der verweltlichteste österreichische Denker hat in seiner Kindheit christliche oder jüdische Einstellungen in sich aufgesogen, von denen nicht leicht loszukommen war. Im Gegensatz zur Mikrosoziologie, die ein oder mehrere Milieus innerhalb einer größeren Gesellschaft erforscht, untersucht die Makrosoziologie Strömungen, die eine ganze Stadt oder Nation durchziehen. Bürokratie, Industrialismus, Nationalismus und Antisemitismus haben nahezu jeden Bewohner des Habsburgerreiches berührt. So verrieten im besonderen Freud und Wittgenstein eine Neigung zu solchen „Wiener Traditionen wie dem Asthetizismus, dem Kult der Nostalgie und dem Bevorzugen der Diagnose gegenüber der Therapie. Die Verstrickung Freuds in seine Gesellschaft zu schildern, verlangt zuerst eine Mikrosoziologie der Personen und Institutionen, die ihn ausgebildet haben, und sodann eine Makrosoziologie jener W i e n e r Neigungen, die ihn zugleich anzogen und abstießen. Solche Neigungen sind häufig von Romanciers sehr klar durchschaut worden, besonders von solchen, die wie Robert Musil und Joseph Roth auch als Kulturkritiker tätig waren. Nicht weniger aufschlußreich ist das Zeugnis, das Memoiren und Autobiographien ablegen, wahre Chroniken von Reaktionen des Einzelnen auf einander folgende Milieus. Es versteht sich von selbst, daß weder Mikro- noch Makrosoziologie zu Ergebnissen gelangen können, wenn die Anschauungen der untersuchten Denker nicht schon zuvor eine systematische Darstellung erfahren haben. 3 Die „Soziologie der engagierten Intellektuellen", die von rechtswegen eine Unterdisziplin der „Soziologie der Denker" hätte bleiben sollen, hat sich schließlich zu einem dritten Zweig der Geistesgeschichte entwickelt, von M a n n h e i m als „Soziologie des Wissens" bezeichnet. Es handelt sich dabei um jenen Komplex, den die meisten Forscher der politischen Geschichte im Auge haben, sobald sie sich auf Geistesgeschichte einlassen. Innerhalb dieser Unterdisziplin wurden mit großer Entschiedenheit Streitgespräche darüber abgeführt, ob etwa die Ideen Rousseaus die Handlungen Robespierres beeinflußt haben oder ob die russische Intelligenz das kaiserliche Rußland hätte reformieren können, ohne eine Revolution zu entfachen. Die Soziologie des engagierten Intellektuellen setzt voraus, daß der Denker vor allem gesellschaftliche Veränderungen anstrebt. Sein übliches Werkzeug, weitreichende Veränderungen herbeizuführen, ist die Ideologie, in welcher er seine M i ß b i l l i g u n g der bestehenden Verhältnisse formuliert. 4 Die Soziologie der engagierten Intellektuellen hat sich deshalb zu einer selbständigen Disziplin entwickelt, weil ihre Probleme als erste relevant wurden. Karl 21

Marx führte das Konzept der Ideologie ein, u m die objektive Wahrheit, die er durch den Sozialismus gewonnen glaubte, von dem verzerrten Klassenbewußtsein der Bourgeoisie abzusetzen. Marx beurteilte Denker einfach danach, ob ihre Ideen — seiner Ansicht nach - die proletarische Revolution förderten oder behinderten. Obwohl seine Anhänger für gewöhnlich ausgezeichnete Gesellschaftsanalytiker sind, achten sie doch zu oft kontemplatives Denken gering und setzen es herab. Manche Marxisten behaupten uneingeschränkt, daß nur ein engagierter Denker anzuerkennen sei, jeder andere könne als „dekadent", „ästhetisch" oder „irrational" beiseitegelassen werden. U m solche Angriffe zu vermeiden, schreiben weniger ausfällige Marxisten einem Denker bestimmte, nicht selten politische Überzeugungen zu, ohne sich vorher vergewissert zu haben, ob der vermeintliche „Weggenosse" sich zu diesen auch bekannt haben würde. Gewiß kann ein in Verachtung für die Politik verbrachtes Leben eine politische Haltung ausdrücken, wie die Angriffslust eines Karl Kraus zeigt. Was jedoch zählt, ist dies: War das Motiv für das Abseitsstehen ein ideologisches, wie etwa bei Kraus oder Nietzsche, oder war es nur Desinteresse, wie man ihm bei unzähligen österreichischen Literaten und Theoretiken begegnet. Wie gerechtfertigt es auch erscheint, einen Publizisten danach zu beurteilen, ob er imstande ist, die Gesellschaft zu Veränderungen zu bewegen oder nicht einen Verächter der Politik kann ein solches Kriterium doch nur karikieren. D a es in Osterreich, nicht in Ungarn, solche unerschütterlich apolitische Gestalten im Überfluß gab, ist es unerläßlich, die marxistische Soziologie der engagierten Intellektuellen von der umfassenderen Soziologie der Denker zu trennen. Erstere wütet nicht nur gegen jene, die Marx ablehnen, sondern weit ärger noch gegen diejenigen, die ihn nicht beachten. Die Annahme, daß ein Denker seine Verbundenheit mit der Gesellschaft nur dadurch zum Ausdruck bringen kann, daß er versucht, diese zu verändern, engt die Bedeutung der Soziologie für die Geistesgeschichte ein. Max Scheler und später Werner Stark haben dieses gestörte Gleichgewicht wiederhergestellt, indem sie klar unterscheiden zwischen gesellschaftlicher Determination von Ideen und der von Marx betonten ideologischen Entstellung des Denkens. 5 D i e Dichotomie Schelers und Starks hat mich in meiner Unterscheidung zwischen einer Soziologie der Denker und einer Soziologie der engagierten Intellektuellen bestärkt. Durch diese Teilung der Soziologie des Wissens in zwei Typen hoffe ich, die Disziplin sowohl auf apolitische Theoretiker als auch auf politische Aktivisten gerecht anzuwenden. Mein Bemühen, zwei Varianten der Soziologie des Wissens mit der Ideengeschichte zu verknüpfen, hat mich davon überzeugt, daß diese drei Disziplinen mitunter zu ungleichen Ergebnissen führen. Die Soziologie der Denker kann das Geheimnis der Kreativität nicht erklären. Gleichgültig, wie freundlich oder feindselig eine U m g e b u n g ist - ein Titan wie Husserl wird sich freikämpfen, u m beispiellose Visionen einzuleiten. A u f extrem kontemplative Philosophen angewandt, kann die Mikrosoziologie über den Epigonen mehr aussagen als über den schöpferischen Menschen. Im einzelnen aber kann sie Irrtümer in der Auslegung hintanhalten, indem sie klärt, welche Bedeutung bestimmte Termini technici zu einer bestimmten Zeit innerhalb des Kontinuums einer bestimmten Universität oder Kirche hatten. 6 In größerem Rahmen gibt die Makrosoziologie 22

etwa darüber Aufschluß, wie die regionale Erscheinung des böhmischen Reformkatholizismus das Festhalten an Leibniz begünstigte. Auf der extremen Gegenseite. rufen die Verfechter gesellschaftlicher Veränderungen nach der soziologischen Analyse. Fast jede Ideologie spiegelt spezifische Beschwerden, die ihre Verfasser an die Gesellschaft richten. In der Mitte des Spektrums stehen Schriftsteller, Philosophen und Psychoanalytiker, die dem Wiener Impressionismus verbunden waren. Aber wie entschlossen sie auch alles Politische abgelehnt haben mögen, standen diese Neuerer doch mit zahlreichen Milieus und Traditionen in enger Beziehung und fordern daher den Soziologen heraus, sein ganzes Rüstzeug zu entfalten. Da das Habsburgerreich eine solche Vielfalt von Milieus umfaßte, kann die Soziologie der Denker hier reiche Erkenntnisse ernten. Besonders die Vielseitigen werden durch derartige Untersuchungen ihrer Hintergründe verständlicher. Zu einer Zeit, da intellektuelle Vielseitigkeit im Schwinden begriffen ist, scheint es angebracht, zu untersuchen, in welchem Maß die gesellschaftlichen Bedingungen vor kaum zwei Generationen zu dieser Blüte integrativen Denkens in Österreich-Ungarn beigetragen haben. Jeder, der sich mit österreichischem Denken befaßt, ist erstaunt und fragt sich, warum so viele seiner Glanzlichter in Vergessenheit oder sogar in Mißkredit geraten sind. Zahllose Historiker und Literaturwissenschaftler schreiben über Deutsches, ohne dabei einen Unterschied zwischen Österreich-Ungarn und dem Reich Bismarcks zu machen. Die grundlegende Ursache dieser Vernachlässigung ist darin zu sehen, daß es das Habsburgerreich als geographische Einheit nicht mehr gibt. Während England, Frankreich, Deutschland, Italien, Rußland, ja sogar Polen als allgemein bekannte Gegebenheiten überlebt haben, ist ÖsterreichUngarn - abgesehen vom Osmanischen Reich - die einzige Großmacht, die zerbrochen ist, seit Schweden Anfang des 18. Jahrhunderts auf seine jetzigen Grenzen zurückgedrängt wurde. Wer erinnert sich heute noch, welche Teile Rumäniens, Jugoslawiens, Italiens und Polens 1918 zur Habsburger-Monarchie gehörten? Das verstümmelte Österreich und Ungarn können kaum behaupten, sie wären die Epigonen dieser verlorenen Herrschaftsräume. Umschreibungen wie „östliches Mitteleuropa" oder „der Donauraum" verbergen bloß die Zerstückelung, die hier vor rund fünfzig Jahren erfolgte. Wenngleich der Kreis der Historiker, die sich - sowohl in den Vereinigten Staaten als auch in Europa — wieder mit Habsburgerstudien befassen, ständig wächst, hat ihr Eifer noch keine Philosophen oder Gesellschaftstheoretiker veranlaßt, die geistigen Reichtümer, die uns die Österreicher hinterlassen haben, zu inventarisieren. Zu den geographischen Hindernissen, die der Forschung im Wege stehen, kommt als weitere Schwierigkeit die Vielzahl von Sprachen, die im Habsburgerreich gesprochen wurden. Historiker, die Tschechisch, Polnisch oder Magyarisch nicht beherrschen, schrecken vor dem Studium Böhmens, Galiziens oder Ungarns zurück. So lobenswert diese Vorsicht im Prinzip sein mag, hindert sie den Gelehrten doch zu entdecken, daß er die Kulturen dieser Räume auch dann interpretieren kann, wenn er nur des Deutschen mächtig ist. Das Deutsche war für Österreich-Ungarn — die widerspenstigsten Nationalisten ausgenommen - eine Art lingua franca. Obwohl ich kaum Magyarisch verstehe, habe ich in diesem Buch doch immer wieder ungarische Denker hervorgehoben, die sich ebenfalls 23

der deutschen Sprache bedient haben. Selbst oberflächliche Kenntnis der Literatur und des Brauchtums Ungarns läßt Züge der Kulturen Wiens und Prags hervortreten, die man früher kaum beachtete. Ein ähnlicher Uberblick über Böhmen vermag - auch für den, der das Tschechische nicht beherrscht - ein bezeichnendes Licht auf die übrigen Teile des Reiches zu werfen. Es ist an der Zeit, daß der Gelehrte Wien nicht mehr bloß als Konkurrenz von Paris oder Berlin betrachte, sondern vielmehr als Ausgangspunkt von Wegen, die nach Prag oder Budapest führen. Aber auch andere Hindernisse entmutigen den Historiker, der sich der Geistesgeschichte des Habsburgerreiches zuwenden möchte. Erstens die Gönnerhaftigkeit, mit der englisch- und französischsprechende Gelehrte die dunkle Kompliziertheit der deutschen Sprache einfach als Geistesverwirrung abtun; 7 zweitens der Umstand, daß selbst die, die das Deutsche gut beherrschen, einer klassischen Ausbildung so gut wie völlig entbehren. Ihnen fehlt eine wesentliche Voraussetzung für das Verständnis von Männern, denen die Kenntnis des Griechischen und Lateinischen unerläßliche Vorbedingung allen Denkens war. Die Leichtigkeit im Umgang mit Ideen, die man sich in acht Jahren Übung an lateinischen und in sechs Jahren an griechischen Texten erwirbt, kann man sich eben auf leichterem Wege nicht aneignen. Drittens fühlen sich viele Juden, die sich unter anderen Umständen vielleicht dem Studium Österreich-Ungarns gewidmet hätten, von der Verfolgung ihres Volkes durch Hitler abgestoßen. Befaßt sich aber einmal ein Jude mit der Geschichte des Habsburgerreiches, dann neigt er nur allzuoft dazu, entweder dessen Vorzüge zu übersehen oder, noch eher, die Fehler zu sehr hervorzuheben. Schließlich macht die Aufsplitterung der Forschung in Spezialdisziplinen den Polyhistor, besonders in den Vereinigten Staaten, zu einem unbrauchbaren Relikt der Vergangenheit. Freud, Neurath oder sogar Wittgenstein mit ihrer verblüffenden Vielseitigkeit würde man heutzutage als unfachmännisch abtun. Der Forscher von heute ist durch Ausbildung und Aufstiegskriterien so eingeengt, daß er, wenn er sich mit diesen Männern auseinandersetzt, sie nur von einem beschränkten Gesichtspunkt her interpretieren kann. Philosophen erachten es nicht der Mühe wert, sich der Vorläufer Wittgensteins in Wien zu erinnern, und Historiker der Psychoanalyse vergessen, daß der bevorzugte Lehrer Freuds, der Physiologe Ernst Brücke, nicht weniger vielseitig gewesen ist als Freud selbst. Eine verlorengegangene Breite des Wissens, die diesen Männern eigen war, trennt uns mehr von ihnen als alles andere. Um diese Kluft zu überbrücken, wird hier versucht werden, die Analyse der gesellschaftlichen Voraussetzungen mit einer systematischen Darstellung des Denkens zu koordinieren. Indem ich die Denker in ihr jeweiliges Milieu einordne, hoffe ich, die „fröhliche Apokalypse" einer Klärung zuzuführen. Wie leer, wie unfruchtbar wäre doch unser geistiges Leben ohne die aus ihr hervorgegangenen Neuerungen.

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Teil I

Die Habsburgerbürokratie Trägheit kontra Reform

Nicht tödlich, aber unheilbar, das sind die schlimmsten Krankheiten. Marie von Ebner-Eschenbach

1. V O M B A R O C K Z U M

BIEDERMEIER

Vom Beginn des Habsburgerreiches zum barocken Vorsehungsglauben Zwischen 1 8 6 7 und 1 9 1 4 stellte das Habsburgerreich den außergewöhnlichen Fall eines dynastischen Staates dar, der weder eine deklarierte Zielsetzung noch einen Namen vorzuweisen hatte. Vor 1 8 0 0 hatte die Habsburger-Dynastie in der Hauptsache zumindest drei Aufgaben in Mittel- und Osteuropa erfüllt: sie hatte die Süddeutschen zur römisch-katholischen Kirche zurückgeführt, hatte den Ansturm der osmanischen T ü r k e n abgewehrt und die westliche Zivilisation über die halborientalischen Länder verbreitet. Mißglückte Versuche, irgendeine dieser Aufgaben nach 1 8 0 0 wiederaufzunehmen, wurden in dem Augenblick zu einer Existenzbedrohung für das Reich, als das erfolgreiche Bemühen, den Untertanen westliche Lebensart näherzubringen, so manche von diesen in erbitterte Gegner verwandelte. Die folgenden sechs Kapitel untersuchen, wie Bürokraten danach strebten, das wankende Gebäude des Reiches zu erhalten, und wie Theoretiker sich M ü h e gaben, es zu erneuern. Eine kritische Untersuchung der Unsicherheit, die den Namen Österreichs umgibt, erlaubt einen Überblick über die Entwicklung der Habsburgerländer. Bis nach 1 8 0 0 nannte sich die Dynastie „Haus Habsburg", während ihr Regent zugleich der Kaiser des Heiligen Römischen Reiches war. 1 Das Habsburgerreich, das waren einfach jene Länder, die die Familie Habsburg im Lauf der Jahrhunderte erworben hatte. Von 1 8 0 6 bis 1 8 6 7 werden diese unbestimmt als Kaisertum Osterreich bezeichnet, von 1 8 6 7 bis 1 9 1 8 dagegen sind sie als Österreich-Ungarn bekannt. Der Name „Austria" kam immer dann für den östlichen Teil zur Anwendung, wenn ein Land oder ein Volk in westliche und östliche Teile geteilt worden war. Bezeichnungen wie ostrogotisch und Austrasia waren diesem Sprachgebrauch vorangegangen. So wurde 1 1 5 6 die östliche Mark an der Donau zum Herzogtum Österreich erhoben. In diesem Jahr erließ Kaiser Friedrich I. Barbarossa das „Privilegium minus", mit welchem dem Babenberger Heinrich II. der Titel eines Herzogs von Österreich verliehen wurde. Seine Familie war seit 9 7 6 bemüht gewesen, die von Kaiser O t t o I. wieder ins Leben gerufene karolingische M a r k zu vergrößern. 1 1 9 2 fiel den Babenbergern die Steiermark durch Erbrecht zu, und bald darauf machten sie jenen rot-weiß-roten Bindenschild zu ihrem Wappen, dessen Farben die Republik Österreich 1 9 1 8 zu ihren Landesfarben wählte. Der erste Habsburger, der in Österreich regierte, war der deutsche König R u d o l f I. ( 1 2 7 3 — 1 2 9 1 ) . W ä h r e n d des deutschen Interregnums hatte sich der böhmische König Premysl O t t o k a r der Babenberger-Herzogtümer Österreich und Steiermark sowie Krains bemächtigt. R u d o l f I. besiegte O t t o k a r im August 1 2 7 8 a u f dem Marchfeld und belehnte 1 2 8 3 seinen Sohn Albrecht mit diesen 27

Ländern sowie mit den Stammländern der Habsburger in Schwaben. Die schwäbischen Besitzungen, bekannt als Vorderösterreich, in denen das heutige Baden liegt, blieben bis 1805 beim Reich. Zwischen 1335 und 1382 brachte die Dynastie Kärnten, Tirol und Triest unter ihre Kontrolle. Die größte mit einemmal vollzogene Erweiterung des Reiches fand 1526 statt, als Ludwig II., König von Ungarn und Böhmen, im Kampf gegen die Türken fiel und beide Kronen dem in Spanien geborenen Ferdinand I. hinterließ, der seinem Bruder Karl V. von 1556 bis 1564 als Kaiser des Heiligen Römischen Reiches nachfolgte. Ferdinand I. gründete die österreichische Linie des Hauses Habsburg, die den Titel Kaiser des Heiligen Römischen Reiches — eine kurze Zeit um 1740 ausgenommen — bis 1806 innehatte; der Sohn Karls V. regierte in Spanien. Nachdem 1745 Franz Stephan von Lothringen von den Kurfürsten zum Kaiser gewählt worden war, nannte sich die Dynastie Haus Habsburg-Lothringen. 1804 nahm Kaiser Franz II. ( 1 7 9 2 - 1 8 3 5 ) die Auflösung des Heiligen Römischen Reiches vorweg, indem er sich selbst zum Erbkaiser Österreichs ernannte; zwei Jahre später, als er als Kaiser des Heiligen Römischen Reiches abdankte, nahm er anstelle des abgelegten diesen Titel an. Wäre Franz den Gesetzen der Heraldik gefolgt, so hätte er sich mit geringeren Titeln, wie etwa dem eines Erzherzogs von Osterreich, Königs von Ungarn und Königs von Böhmen, zufriedengegeben. Schon um von dem aufstrebenden Kaiser Napoleon nicht in den Schatten gestellt zu werden, hatte der konservative Österreicher neuerliche Ansprüche seiner Dynastie auf einen kaiserlichen Titel geltend gemacht. Gleichzeitig behielt er den Doppeladler als Wappentier bei, der diese Funktion seit dem 15. Jahrhundert erfüllt hatte. Sechzig Jahre später, als Kaiser Franz Joseph Ungarn die Gleichberechtigung gewährte, fand sich für die westliche Reichshälfte kein einheitlicher Name. Obwohl es denkbar gewesen wäre, daß man dieses Gebiet „Neustrien" oder schlicht „Nicht-Ungarn" genannt hätte, bezeichnete man es als „im Reichsrat vertretene Königreiche und Länder". Bürokraten verwendeten mitunter den eigenartigen Namen „Cisleithanien", um „Nicht-Ungarn" zu bezeichnen, während sie Ungarn „Transleithanien" nannten, weil eben der Leitha-Fluß die beiden Staaten voneinander trennte. Nach 1867 lebte das Wort Österreich nur noch in der inoffiziellen Bezeichnung „Österreich-Ungarn" weiter, abgesehen davon, daß es im Namen der Erzherzogtümer Ober- und Niederösterreich aufschien. Genaugenommen aber gab es für die „im Reichsrat vertretenen Königreiche und Länder" keinen einfacheren Namen. Erst im Ersten Weltkrieg erhielt die westliche Reichshälfte den offiziellen Namen „Österreich". Das Habsburgerreich spielte in den Jahren 1620 bis 1720 die Rolle einer Großmacht, indem es zunächst der protestantischen Reformation Widerstand leistete, dann dem Ansturm der osmanischen Türken. Obwohl sich um 1550 bereits die Mehrheit der Deutschen zum Protestantismus bekannte, hatte diese Religion in den habsburgischen Ländern um 1 6 5 0 an Boden bereits wieder erheblich verloren. Dieses Abdrängen wurde von Missionaren wie etwa dem in Holland geborenen Petrus Canisius (1521—1597), der katholische Volks- und Hauptschulen gründete, in die Wege geleitet. 2 Schulorden wie die 1597 gegründeten Piaristen arbeiteten mit den Benediktinern und Augustinern zusammen 28

und leiteten einen Großteil aller Schulen bis in die Zeit um 1860. Der mystizistische Rudolf II. ( 1 5 7 6 - 1 6 1 2 ) beschwichtigte die Protestanten; sein Nachfolger Ferdinand II. verlegte die Residenz von Prag nach Wien und regierte hier von 1619 bis 1637 als fanatischer Katholik. Zunächst wies Ferdinand Protestanten aus der Steiermark und Osterreich aus, und als er 1620 westlich von Prag, am Weißen Berg, ihre Führer geschlagen hatte, ersetzte er die protestantischen Adeligen Böhmens durch Katholiken. Sein starres Hängen an dem Grundsatz cuius regio, eius religio hatte den Dreißigjährigen Krieg in Gang gebracht, in dessen Verlauf er gegenüber seinem böhmischen Condottiere Albrecht von Wallenstein (1583-1634) die sprichwörtliche habsburgische Undankbarkeit dokumentierte. Der Protestantismus überlebte schließlich nur in Ungarn und Siebenbürgen, gleichsam unter dem Schutz der Türken und der Großfürsten von Siebenbürgen. Infolge der zwangsweisen Wiedereinführung des Katholizismus durch Ferdinand II. neigte die religiöse Haltung in Osterreich dazu, Eifer durch Pomp zu ersetzen. Danach vergrößerte sich das Reich auf Kosten der osmanischen Türken, die noch 1683 mit ihrer Belagerung Wiens nur knapp gescheitert waren, später jedoch mehr und mehr zurückgedrängt wurden. 3 Die heroische Verteidigung der Reichshauptstadt dramatisierte die Sendung der Habsburger als östlicher Vorposten des Christentums, nachdem die Türken um 1525 bereits Ungarn erobert hatten. Sehr zum Mißvergnügen Ludwigs XIV. von Frankreich organisierte Kaiser Leopold I. (1658-1705) einen erfolgreichen Kreuzzug zur Rettung seiner Hauptstadt. Dieser Sieg befreite Zentralungarn; 1686 fiel Ofen, im Jahr danach überantwortete der ungarische Reichstag die Stephanskrone der männlichen Linie des Hauses Habsburg. 150 Jahre nachdem Ludwig II. bei Mohäcs gefallen war, eroberten seine Nachfolger endlich die ungarische Tiefebene und öffneten so ein weites Hinterland für deutsche Kolonisten. Prinz Eugen von Savoyen (1663 bis 1736) reorganisierte die befestigte Grenze, indem er kroatische Grenzertruppen zur Elite der kaiserlichen Armee ausbildete und so das Reich gegen neuerliche Angriffe absicherte. Sobald jedoch die Bedrohung durch die Türken abgewehrt war, gab es für das Habsburgerreich keine gleich dringende Aufgabe mehr, die an deren Stelle hätte treten können. Inmitten der Euphorie, die der türkische Rückzug auslöste, begann Österreichs Barockkultur aufzublühen. 4 Verwüstete Kirchen, Klöster und Schlösser wurden wiederaufgebaut, um die Befreiung vom Inkubus zu feiern. Erst nach 1683 konnten die Wiener ihre Vorstädte wieder besiedeln, ohne etwa noch herumstreunende Marodeure fürchten zu müssen. Außerhalb der Stadt entstand Schloß Schönbrunn, und einen Hügel, von dem aus das ganze damalige Wien zu überschauen war, wählte Prinz Eugen für sein Schloß Belvedere. Kaiser Joseph I. ( 1 7 0 5 - 1 7 1 1 ) und der in Spanien erzogene Karl VI. ( 1 7 1 1 - 1 7 4 0 ) führten das den barocken Herrschern so ans Herz gewachsene überladene Ritual ein. Mit einem unvollendet gebliebenen Palast in Klosterneuburg eiferte Karl dem Eskorial nach, und dem Hof erlegte er das spanische Hofzeremoniell auf, das bis 1918 erhalten blieb. Er erweiterte die Spanische Hofreitschule, die seit ihrer Gründung (1572) ein kümmerliches Dasein gefristet hatte; ihre weißen Hengste, bis 1918 in Lipizza, nordöstlich von Triest, seit 1920 im steirischen Piber ge29

züchtet, führen noch heute vor einem Publikum, das aus aller Welt kommt, um sie zu sehen, die barocken Figuren vor. Spätere intellektuelle Strömungen mit ihrer Verquickung von Religiosität und Weltlichkeit waren zweifellos durch barocke Grundhaltungen geprägt worden.5 So stellte sich im Weltbild der meisten Österreicher die geschaffene Welt als ein von Gottes Vorsehung regiertes Theater dar, in welchem der Mensch den Weg vom Diener auf Erden zur Erlösung im Jenseits beschreitet. Hier unten ist der Mensch besessen von ungezählten Polaritäten, zerrissen zwischen Liebe und Haß, Fasten und Völlerei, Heiligkeit und Sünde. Diese Polaritäten förderten sowohl den Gebrauch von Allegorien in der Kunst als sie auch jene, die einen Gott für notwendig erachteten, beständig daran erinnerten, die Folgen der daraus resultierenden Konflikte im Auge zu behalten. Die Monadologie des Philosophen Leibniz stellt die rationale Durchdringung dieser Verehrung der Schöpfung dar, wie Joseph Haydns Oratorium „Die Schöpfung" (1798) die göttliche Weisheit lobpreist, die all dies erdacht hat. Einer der farbigsten Exponenten dieses Widerstreites der Gegensätze war der Wiener Augustiner-Prediger Abraham a Sancta Clara (1644—1709), der die Angst vor dem Tod in den schrecklichsten Gleichnissen predigte. Das Wissen um diese Gegensätzlichkeiten führte den Österreicher zu gläubiger Hingabe an eine göttliche Weltordnung, und Männer wie Frauen rechneten es sich zur Ehre an, Glieder einer Hierarchie zu sein. Diese dienende Haltung gegenüber der Ordnung der Schöpfung schränkte jegliche Neigung, den Status quo in Frage zu stellen, ein. Im eucharistischen Kult fand die freudige Ergebenheit in alles Bestehende ihren rituellen Ausdruck. Durch lange Zeit hatten die Habsburger-Monarchen das Altarsakrament verehrt, zunächst in Spanien, dann in Österreich. Kaiser knieten vor der Hostie, um ihre Treue gegenüber dem himmlischen Oberherren auszudrücken, der einzigen Macht, vor der sie zitterten.6 Nach 1620 gab es zu Ehren der Jungfrau Maria zahllose Wallfahrten zum Dank für den Sieg über den Protestantismus. Als Königin des Himmels führte sie den Vorsitz über ihre freudigen Verehrer, dämpfte den Zorn des alttestamentarischen Gottes und tröstete ihre Getreuen, daß sie den Tod nicht zu fürchten hätten.7 Der Tod selbst schien ein Teil des Lebens zu sein und schuf so die abschließende Rolle für den Diener Gottes, die dieser an der Hand der Vorsehung spielte. Der mittelalterliche Begriff des Memento mori verband sich nunmehr mit einer Vision von der Welt als einem Theater vom Leben und vom Tod. In allen habsburgischen Ländern wurden Barockkirchen im Stil irdischer Paradiese errichtet, wo die Angehörigen aller Klassen den sonst nur den Palästen vorbehaltenen Luxus genießen konnten. Stukkateure aus Italien, Architekten aus Sachsen, Maler und Bildhauer aus Österreich wie auch spanisch-jüdische Goldschmiede und Sticker arbeiteten zusammen, um dem Gott der Schöpfung Hymnen in Stein, Farbe und Kunsthandwerk darzubringen. 8 Die der Schöpfung entgegengebrachte Ehrerbietung gab den Ansporn dafür, Gott in der Durchdringung aller Dinge zu sehen, so als könnte die Kunst gleich der Eucharistie eine Realpräsenz vermitteln. Das Barock prägte einen Glauben in die kosmische Ordnung, den das 19. Jahrhundert in Myriaden von Formen des Ästhetizismus, Positivismus und gelegentlich auch des Impressionismus säkularisiert hat. 30

Der Josefinismus als Quelle von Liberalismus und Konservatismus Die Habsburger übernahmen, den Wogen der barocken Frömmigkeit folgend, von Frankreich und Preußen die Politik des aufgeklärten Absolutismus. Sie trachteten danach, lokale Feudalprivilegien durch eine zentralisierte Verwaltung zu ersetzen. Unter Maria Theresia (1740-1780) und ihrem Sohn Joseph II. ( 1 7 8 0 1790) entwickelte sich der aufgeklärte Absolutismus zu der als Josefinismus bekannten Bewegung, in der Bürokratisierung und antipäpstlicher Katholizismus sich vereinigten. 9 Der Josefinismus, der an Komplexität beständig zunahm, lebte bis ins 19. Jahrhundert fort; Philosophen, Juristen und Bürokraten erfüllten seine Zielsetzungen auf einander widersprechenden Wegen. Schon vor Maria Theresia hatte die administrative Zentralisierung begonnen, insbesondere in den italienischen Ländern ihres Vaters, Karls VI. (1711—1740). 10 Sie verringerte die Autonomie Böhmens, erließ ein erneuertes Gesetzeswerk und versuchte sogar die Zigeuner administrativ zu erfassen. Unter ihrem aus Schlesien stammenden Minister Friedrich Wilhelm Graf von Haugwitz (1702—1765) reorganisierte Maria Theresia 1749 das Finanzwesen des Staates und trennte die Gerichtshöfe vom Justizministerium. Indem sie Steuern vom Staat direkt einheben ließ, versuchte sie die Staatseinnahmen für einen neuerlichen Krieg gegen Preußen zu erhöhen. Um den Handel zu verbessern, vereinheitlichte sie Maße und Gewichte, indem sie die in Wien üblichen Einheiten als für ganz Österreich verbindlich erklärte; die Einführung des metrischen Systems sollte sich noch bis 1876 hinziehen. 1749 gründete sie das Haus-, Hof- und Staatsarchiv, um dort Regierungs- und Staatsdokumente sammeln zu lassen, und 1773 wies sie, dem Beispiel Portugals und Frankreichs folgend, den Jesuitenorden aus und säkularisierte seine Schulen. Unter dem aus Wien stammenden Kanzler Wenzel Anton Fürst Kaunitz (1711-1794) führte sie eine nicht enden wollende Auseinandersetzung mit Friedrich II. von Preußen; während der Jahre nach 1770 gewann sie Galizien und die Bukowina als Ausgleich für den Verlust Schlesiens. Neben Kaunitz war der in Mähren geborene Jude Josef von Sonnenfels ( 1 7 3 3 - 1 8 1 7 ) der führende Exponent der Aufklärung an ihrem Hof, ein Professor der Staatswissenschaften, der das österreichische Strafrecht reformierte und 1776 die Folter abschaffte. Als Staatswissenschaftler trat er für eine Zentralisierung des Handels ein, für eine Verbesserung der Volksgesundheit und die Vermehrung der Bevölkerung, um den allgemeinen Wohlstand zu heben. Auf seine Anregung hin wurde das 1741 gegründete Burgtheater kräftig gefördert und zu einem Forum nationaler Kultur gemacht, dessen Ruhm den Glanz des Hauses Habsburg vergrößern sollte. Die Blüte des österreichischen Dramas ging in der Tat über ihr josefinistisches Ziel, die Loyalität gegenüber der Krone zu fördern, hinaus." Auch die ungarische Literatur erhielt von Maria Theresia einen Auftrieb. Die Kaiserin gründete 1760 in Wien eine ungarische Leibgarde, und diese jungen Adeligen fanden sich unter der Führung von György Bessenyei (1747-1811) zu einem literarischen Kreis zusammen, der die Schaffung eines ungarischen Nationaldramas nach den Vorbildern Corneille, Racine und Voltaire in Angriff nahm. Maria Theresia ist zwar von einer Reihe von Autoren aus der Zeit nach 1918 höchst positiv beurteilt worden. Tatsächlich aber endete ihre vierzigjährige Herr31

schaft in Unpopulärität; als Mutter des Landes, als Verkörperung von Milde und Weitblick, ja als eine Art himmlische Königin auf dem irdischen Thron ist sie erst viel später angesehen beziehungsweise gefeiert worden. Ihr Sohn Joseph II., der während der letzten Regierungsjahre seiner Mutter eine zunehmende Rastlosigkeit an den Tag gelegt hatte, zeigte eine erstaunliche Mischung aus Vernunft und Enthusiasmus. Die Eile, in der er Tausende von Reformdekreten erließ, machte es unmöglich, sie zu einem größeren Teil auch wirkungsvoll durchzuführen. Eine seiner dauerhaftesten Reformen war das Verbot für Adelige, Land von den Bauern, die er von der Leibeigenschaft befreit hatte, zu kaufen. Obwohl sein Nachfolger die Fronarbeit (Robot), die bis 1848 fortbestand, wieder einführte, bewahrte dieses Verbot Josephs die Bauernschaft bis 1918 vor dem Verlust ihres Landbesitzes. In Ungarn, wo es eine solche Regelung nicht gab, wurden die besitzlosen Bauern nach 1848 zu einer Landplage, in Osterreich dagegen gedieh eine unabhängige besitzende Klasse. Als radikaler Zentralist reduzierte Joseph die Zahl der höchsten Beamten der Krone auf vier und lehnte es ab, in Böhmen und Ungarn extra gekrönt zu werden. 1781 führte er ein gegen antimonarchistische Schriften gerichtetes Zensurgesetz ein, während er, wie bereits seine Mutter, antiklerikale Schriften weiterhin tolerierte. 12 Die entscheidendsten Änderungen, die Joseph vornahm, lagen auf dem Gebiet der Beziehungen zwischen Kirche und Staat. Im Toleranzpatent vom 13. Oktober 1781 gewährte er den Lutheranern, Kalvinisten und Griechisch-Orthodoxen Glaubensfreiheit und bürgerliche Gleichheit. Allerdings war es protestantischen Kirchen nicht erlaubt, Türme zu bauen, Glocken zu besitzen oder straßenseitige Eingänge zu haben. Obwohl die für Juden bis dahin bestehenden Bekleidungsgesetze nun aufgehoben worden waren und Juden erstmals die Erlaubnis hatten, auch außerhalb des Gettos zu wohnen, Handel zu treiben und staatliche Schulen zu besuchen, dauerte es doch noch bis 1849, ehe sie das Recht erhielten, auch zu wählen und Land zu besitzen. Einen Monat nach dem Toleranzedikt, im November 1781, löste der Monarch über 400 Klöster auf, die sich nicht mit Unterricht, Seelsorge oder Krankenpflege befaßten. Diese gegen „parasitäre" Mönche gerichtete Maßnahme verbitterte den aus Trient stammenden Kardinal Christoph Anton Migazzi, 1 7 5 7 - 1 8 0 3 Erzbischof von Wien, der sich von Anfang an gegen das antipäpstliche Programm gestellt hatte. Aber selbst ein Besuch Papst Pius' VI. im Jahre 1782 konnte die Durchführung des Erlasses nicht verhindern. Aus den durch den Verkauf von klösterlichen Ländereien gewonnenen Mitteln wurde ein Fonds geschaffen, aus dem die örtlichen Priester ein Honorar, die sogenannte Kongrua, für ihre Dienste als Registratoren von Geburten, Eheschließungen und Todesfällen erhielten. Diese Zahlungen an Priester leistete der Staat bis 1938. Auch an der Häufigkeit der kirchlichen Feierund Wallfahrtstage nahm Joseph Anstoß, er schaffte die meisten ab, da sie die wirtschaftliche Produktivität drosselten. Daß Joseph zugleich eine Staatskirche ins Leben rief und andererseits Mönche und Jesuiten verfolgte, rechtfertigt eine enge Definition des Begriffes Josefinismus als eines österreichischen Kompromisses zwischen Staatsreligion und päpstlichem Primat. Dennoch bedeutet Josefinismus wie etwa auch der französische Jansenismus mehr als nur Kirchenpolitik. 32

Z u den wertvollsten Reformen Josephs zählen jene auf dem Gebiet des öffentlichen Gesundheitswesens. Er rief die niederösterreichische Landespolizei ins Leben, u m die Überwachung des öffentlichen Wohlergehens und die Durchführung von hygienischen Maßnahmen - wie etwa 1783 die Schließung der Massengräber unter dem Wiener Stephansdom - zu gewährleisten. 1784 gründete der Kaiser das Allgemeine Krankenhaus in Wien, 1785 wurde das Josephinum als Ausbildungsstätte für Militärchirurgen eröffnet. In der Neugestaltung des Parks von Schönbrunn und im Sammeln von exotischen Pflanzen und Tieren erwies sich der Monarch als begeisterter Naturverehrer. Er liebte es, seinen Gästen Tee, Kaffee und Zucker aus seinen eigenen Treibhäusern vorzusetzen. In der Architektur fanden Josephs Ideale ihren Ausdruck in dem Klassizismus Johann Ferdinand Hetzendorfs von Hohenberg (1732—1816), nach dessen Vorstellungen der Park von Schönbrunn einem riesigen, von der Gloriette gekrönten Theater gleichen sollte. Mitte der 1780er Jahre förderte Hetzendorf das Aufklärungsprogramm des Monarchen, indem er die Interieurs verschiedener gotischer Kirchen durch die Anbringung barocker Altäre und Ornamente „reinigte". Eine der am wenigsten erfolgreichen Maßnahmen des Kaisers war die 1784 erfolgte Proklamation des Deutschen zur Amtssprache für das gesamte Reich. Seine Bemühungen, die nationalen Landessprachen zum Verschwinden zu bringen, förderten nur deren Fortbestand, indem sie die Tschechen, Ungarn und Serben dazu herausforderten, ihre nur mündlich überlieferten Idiome als Literatursprache zu etablieren. In Böhmen und Mähren zog sich der Streit zwischen Deutsch und Tschechisch bis 1918 hin, die Ungarn dagegen erteilten nach 1867 dem Josefinismus eine klare Absage, indem sie alle Bürger zum Gebrauch des Magyarischen anhielten. Obwohl die sprachliche Zentralisierung auf solche Widerstände stieß, daß Leopold II. ( 1 7 9 0 - 1 7 9 2 ) von ihr - wie auch von vielen anderen Reformen seines Bruders - zurückstehen mußte, wurden zahlreiche Intellektuelle Böhmens von Josephs aufklärerischen Idealen inspiriert. Sein antiklerikaler Katholizismus erlebte eine Blüte im böhmischen Reformkatholizismus, einer Bewegung, die durch mehrere Generationen hindurch noch bei einigen der originellsten Ideen des 19. Jahrhunderts Pate stand. Nach 1792 spaltete sich der Josefinismus in einen rechten Flügel, getragen von den Persönlichkeiten der Verwaltung, und in einen linken, den der Reformer; dazwischen bildete sich ein religiös-philosophisches Zentrum. Der konservative Flügel stützte sich auf Kaiser Franz I. (1792—1835), der die Zentralisierungsmethoden seines Onkels zur Perfektion führte, um damit sowohl die Bemühungen der Anhänger der religiösen Ideale Josephs als auch jene der Vorkämpfer der Französischen Revolution zu durchkreuzen. In der Absicht, Freimaurerei und möglichen Jakobinismus unter Kontrolle zu halten, entwickelte sich der Verwaltungsapparat zu einem Unterdrückungsfaktor. M a n erreichte dadurch aber eher einen Zusammenschluß jener Kräfte, die man auszuschalten suchte, als das, was man anstrebte. Bewunderer der rationalistischen Frömmigkeit Josephs hielten sich vor allem in Böhmen, wo deutsche und tschechische Intellektuelle bis etwa 1840 zusammenarbeiteten. Abschließend läßt sich sagen, daß die Entfaltung des Josefinismus in Wien, wie Fritz Valjavec und Ferdinand Maaß sie schildern, die Unterdrückung des Bürgers durch die Bürokratie festigte, wäh33

rend die Blüte des Josefinismus in Böhmen, nach Eugen Lembergs und Eduard Winters Darstellung, eine philosophische und literarische Renaissance begünstigte. Eine tragische Figur, die sich vergeblich bemühte, den administrativen Josefinismus mit seinem philosophischen Zwillingsbruder zu versöhnen, war der Dramatiker Franz Grillparzer (1791-1872). Seine patriotischen Dramen, z. B. Ein treuer Diener seines Herrn (1828), schienen zuviel Zündstoff zu enthalten, um dem Hof noch genehm zu sein, und zuviel Dynamik, um das Publikum für sich zu gewinnen. Joseph II. hinterließ ein nicht zu bewältigendes Erbe, das sowohl Konservative wie auch Liberale und Eklektiker für sich beanspruchten. Mit seinem Grundsatz, daß die Vernunft öffentliche und religiöse Angelegenheiten zu bestimmen habe, hatte er sowohl das Instrument als auch die Zielsetzung der Aufklärung in einer Form eingeführt, die allen Fraktionen zugänglich war. Franz I. und Metternich mißbrauchten rationales Planen, um den Rationalismus zu unterdrücken, Reformkatholiken dagegen, wie Bolzano und Kaspar Sternberg, gaben sich Mühe, ein harmonisches Verhältnis zwischen Religion und Naturwissenschaften herzustellen. Die Vertreter der Theologie Josephs II. fielen jenen Verwaltungsspezialisten zum Opfer, die er gelehrt hatte, mit Dekreten zu regieren. Um 1848 waren im ganzen Reich die Liberalen geneigt, Joseph als einen Vorläufer zu preisen, dessen Toleranzedikt von seinen kleinmütigen Nachfolgern zunichte gemacht worden war. Nach der Märzrevolution von 1848 erneuerte Kaiser Franz Joseph (1848— 1916) den administrativen Josefinismus; sein gelegentliches Bekenntnis zum Liberalismus blieb Lippenbekenntnis - er hat seine Voraussetzungen niemals akzeptiert. Die Biedermeierkultur als Nährboden späterer Geisteshaltungen Unter Franz I. förderte der administrative Josefinismus die politische Resignation. Der Monarch selber verfiel dieser Haltung, als er 1806, der durch Napoleons Eingreifen veränderten europäischen Konstellation Rechnung tragend, seinen Titel als Kaiser des Heiligen Römischen Reiches niederlegte, vier Jahre später dem Korsen seine Tochter Maria Luise zur Frau gab und 1813 - auf Metternichs Drängen — zögerte, dem Bündnis gegen den eingekreisten Eroberer beizutreten. Seine Untertanen aber fühlten sich unter dem Regime, das der aus Deutschland stammende Klemens Fürst von Metternich (1773—1859) nach 1809 errichtet hatte und das sich bis in die Regierungszeit Ferdinands I. (1835—1848), des zurückgebliebenen Sohnes von Franz I., hinzog, nur um so hilfloser. Trotz seiner diplomatischen Fähigkeiten gestattete Metternich dem Beamtentum eine bedauerliche Einflußnahme auf private Angelegenheiten.13 Die josefinistischen Bürokraten bedienten sich der Zensur, einer geheimen Polizei und Spitzelakten, um von vornherein jegliche politische Betätigung zu unterbinden. Nur in Ungarn und Böhmen überlebte der verbreitete Wunsch nach politischer Aktivität. Unter der Herrschaft der Bürokratie behielt der Österreicher seine Eigenart bei, über jegliche Autorität zu raunzen, ohne sich jedoch gegen sie aufzulehnen, und vermehrte so seine politische Schlaffheit, die bis zum heutigen Tag fortlebt. 34

Die Willkür des Metternich-Regimes wurde durch die Memoiren eines byronesken italienischen Dichters, Silvio Pellicos (1789-1854), in ganz Europa bekannt. In seinem Buch Meine Gefangnisse (1832) schildert er acht Jahre Haft auf dem Spielberg in Brünn. Die Feindseligkeit der Norditaliener gegenüber den Österreichern als Besatzungsmacht infizierte - von Stendhal in seinem Werk Die Karthause von Parma beschworen - viele Engländer und Franzosen. Zahlreiche Besucher Wiens berichteten über die Allgegenwart der Polizeispitzel. 14 Unter Metternich brachte die Wiener Tradition des Theaters, der Musik und der Malerei die als Biedermeier bekannte Kultur hervor. Diese Bezeichnung verdankt ihr Entstehen der satirischen Figur eines schwäbischen Schulmeisters namens Gottlieb Biedermaier, die der aus Durlach bei Karlsruhe stammende Humorist Ludwig Eichrodt um 1855 schuf. Gemeinsam mit seinem Schulkameraden Adolf Kußmaul zeichnete Eichrodt die Figur Biedermaiers nach dem Vorbild seines eigenen Lehrers Samuel Friedrich Sauter (1766-1846), der in Baden von 1 7 8 6 1841 unterrichtet und sich im Dichten von Volksliedern und sonstiger dilettantischer Verse versucht hatte. Der f r o m m e Dorfschulmeister, gesetzestreu und aufrecht, wurde zur Personifikation der apolitischen bürgerlichen Kultur des Vormärz, sowohl in Deutschland als auch im Kaisertum Osterreich. Der Terminus Biedermeier wurde 1906 wiederentdeckt, als Anhänger des Jugendstils eine Ausstellung über Innenarchitektur vor 1848 präsentierten, und im Jahre 1923 subsummierte Paul Kluckhohn auch die Literatur der fraglichen Zeit unter diesen Begriff. 15 Obwohl Literaturwissenschaftler heute den Begriff „früher Realismus" vorziehen, wird in diesem Buch der Terminus „Biedermeier" verwendet - sowohl für die Zeit des Vormärz in Österreich als auch für die kulturelle Haltung, die sie hervorrief. 16 Kein Terminus gibt so gut die den Österreichern stets eigentümliche Verbindung von politischer Resignation mit ästhetischem Genießen und katholischer Frömmigkeit wieder. Für Österreich erlangten die Jahre zwischen 1815 und 1848 besondere Bedeutung, denn in dieser Zeit schien erstmals eine von Deutschland unabhängige Existenz des Reiches ins Bewußtsein zu treten. Die meisten späteren Beschreibungen österreichischer Lebensart sind ein Widerhall der Biedermeierpublizisten. Besonders nach 1918 sahen die von Heimweh geplagten Patrioten im Biedermeier eine glorreiche Idylle, gerade als Österreich noch eine gewisse Bindung an Deutschland verspürte, während es seine ersten Schritte auf dem Boden der Unabhängigkeit machte. Soziologisch gesehen stellt das Biedermeier die Jahre des allmählichen Schwindens einer unverfälschten vorindustriellen Gesellschaft dar. Nach einer von Ferdinand Tönnies um 1887 geprägten Unterscheidung hat das Biedermeier-Österreich in ländlichen wie auch in Ballungsräumen eine Gesellschaft bewahrt, die als Gemeinschaft anzusprechen ist; nach dem Biedermeier hingegen entstand in den österreichischen Städten die anonyme Gesellschaft des industriellen Kapitalismus, die Tönnies erst als Gesellschaft im eigentlichen Sinn bezeichnet. Tönnies vertrat die Ansicht, zumal er im ländlichen Schleswig aufgewachsen war, ehe er nach Berlin zog, daß jeder Typus von Gesellschaft komplexe Haltungen einpräge. Menschen, die in einer Gemeinschaft leben, weichen dem Wettbewerb aus, leisten einander gegenseitige Unterstützung und halten an gemeinsamen Grundsätzen fest. Die Gesellschaft - in der Terminologie 35

Tönnies' - individualisiert ihre Glieder, indem sie sie zum Wettbewerb verpflichtet; sie schafft Beklemmung durch die Auflösung von früheren engen Bindungen. Die Tatsache, daß in Osterreich Gemeinschaft, nur dann und wann von einem übereifrigen Beamten gestört, bis etwa 1870 erhalten blieb, schläferte jene ein, die sich dann plötzlich einer „Gesellschaft" gegenübergestellt sahen. Selbst in Wien erweckte der Kapitalismus Heimweh nach der Sicherheit des Biedermeier und veranlaßte manche Publizisten, die „Gemeinschaft" oder, als Kompromiß, eine Variante von ihr anzupreisen. Obwohl in diesem Buch durchgehend die Terminologie Tönnies' verwendet wird, sähe vielleicht mancher Leser lieber die von Talcott Parsons an ihrer Stelle.17 Nach Parsons ist die Gemeinschaft partikularistisch und zuschreibend. „Partikularistisch" bedeutet, daß lokale Normen über den universellen stehen, „zuschreibend", daß eine Persönlichkeit nach dem eingeschätzt wird, was sie ist, nicht was sie zu leisten vermag. Gesellschaft im eigentlichen Sinn ist universalistisch — einheitliche Normen beherrschen jeden - und leistungsorientiert. Nicht die Geburt, sondern die Taten bestimmen den Status. Wenn Parsons' Varianten auf Osterreich um 1800 angewendet werden, so scheint es, daß Herr und Bauer lokalen Normen angehörten und jeder eine ererbte Funktion erfüllte. Da die Industrialisierung in Österreich nur recht langsam voranschritt, konnten vereinheitlichte Normen und Leistungsorientiertheit nie völlig die dem ländlichen Raum so lieben partikularistischen und zuschreibenden Züge verdrängen. Die Biedermeierkultur ermutigte die Mittelklasse, sich ästhetischen Interessen zuzuwenden, denen sich früher mehr der Adel hingegeben hatte. Die Bourgeoisie flüchtete vor der Politik in künstlerische Betätigungen, an denen die Familie teilhaben konnte, wie etwa das Abfassen von Versen, Malen und Hausmusik. Der Kreis, der Franz Schubert (1797—1828) umgab, war typisch für dieses Amateurwesen, und in seiner Vorliebe für kurze Stücke kam Schubert einem Bedürfnis entgegen, das Kammermusik der Symphonie vorzog. Im Streben nach Gelehrsamkeit führte die Anhäufung von Dokumenten zu Monumentalwerken wie etwa der zehnbändigen Geschichte des Osmanischen Reiches von Joseph Hammer-Purgstall (1774—1856). Das Ausmaß, bis zu dem ein Wissenschaftler die Politik ignorieren konnte, wurde von dem unwahrscheinlich produktiven Wiener Sinologen August Pfizmaier (1808-1887) eindrucksvoll demonstriert, der den Ausbruch des Französisch-Preußischen Krieges erst Monate später bei der Lektüre einer chinesischen Zeitung zur Kenntnis nahm. Die Liebe zur Vergangenheit führte zur Gründung von Archiven und Museen, in denen sich lokale Kuriositäten ansammeln konnten. Erzherzog Johann (1782-1859), ein Sohn Leopolds II., ließ in Graz 1811 solch ein Museum für Historie und Ethnographie einrichten. 1827 machte er sich bei den Steirern noch beliebter, indem er eine Postmeisterstochter heiratete — ein Triumph der Liebe über den Stolz des Herrscherhauses, dem die Mittelklasse ihren gefühlvollen Beifall zollte. Die Freude an der Tätigkeit eines Museumskurators fand ihren dichterischen Vertreter in dem in Böhmen geborenen Adalbert Stifter, der im Nachsommer (Pest 1857) eine aristokratische Familie verherrlichte, die sich — wie in einem Museum — der Aufrechterhaltung der ewigen Gesetze der Natur und der Kunst geweiht hatte. 36

Die bildenden Künste entsprachen dem Bedürfnis, in jedem Denkmal gewissermaßen die Gegenwart einzufrieren. Landschaftsmalerei und Porträtkunst erlebten eine Blüte, desgleichen das Malen von Blumenstücken. Dem Hang eines jeden Bürgers, sich zu verewigen, kam die Lithographie, in Wien eingeführt um 1803 von ihrem aus Prag stammenden Erfinder Alois Senefelder ( 1 7 7 1 - 1 8 3 4 ) , sehr entgegen. Ihr größter Meister war der aus Wien gebürtige Josef Kriehuber ( 1 8 0 0 - 1 8 7 6 ) , der etwa 3000 mit der Feinheit eines Kupferstechers ausgeführte Lithographien hinterließ. Bei Drucken, etwa der Matinee bei Liszt (1846), arbeitete er direkt am Stein, um das Wesen des Augenblickes einzufangen, wie es bald danach der Photographie gelang. In der Literatur bevorzugte der Geschmack des Biedermeier den sogenannten „kleinen Mann", der in Grillparzers Erzählung Der arme Spielmann (1847) und in Stifters Kalkstein (Leipzig 1853) zu einem bestimmten Typus gestaltet worden war. Der leidende Untertan, zunächst ein Angehöriger der unteren Mittelklasse mittleren Alters, der sein Los demütig erträgt und an die Vorsehung glaubt, wurde zu einem Volkshelden, den später etwa Ferdinand von Saar, Marie von Ebner-Eschenbach und Dutzende von Feuilletonisten auch als solchen gefeiert haben. Mit seiner Resignation, die der Untertan gegenüber der Bürokratie und Aristokratie empfand, zeigte der kleine Mann, wie ein Niedriggestellter Freude an der Schöpfung Gottes empfinden kann, indem er ihren Gesetzen gehorcht. In diesem Buch wird der Ausdruck „kleiner Mann" durchgehend verwendet, um Intellektuelle niedriger Herkunft zu bezeichnen, die übertriebene Demut zur Schau stellten, um schöpferische Bestrebungen zu verbergen. Und das Schicksal des kleinen Mannes war in der Tat recht bitter. Das Biedermeier brachte eine Anzahl von Erfindern hervor, deren Einfälle, von der Bürokratie gehemmt, erst viel später von anderen berühmt gemacht und verwertet werden konnten. Der Böhme Josef Ressel ( 1 7 9 3 - 1 8 5 7 ) erfand 1826 in Triest die Schiffsschraube — zehn Jahre vor Ericsson —, aber ein einziger Fehlschlag brachte ihn um den Erfolg. Schon 1815 hatte der österreichische Schneider Josef Madersperger eine Nähmaschine mit einer das Ohr an der Spitze tragenden Nadel erfunden. Obwohl er diese Erfindung bis 1840 perfektioniert hatte, starb er völlig mittellos, weil sich niemand fand, der sein Patent gekauft hätte. Der Widerstand der Bürokratie gegen jede Neuerung machte auch anderen Erfindern und Theoretikern schwer zu schaffen, nicht zuletzt Gregor Mendel (1822—1884), der aus Bescheidenheit davon Abstand nahm, die Ergebnisse seiner um 1860 angestellten bahnbrechenden Versuche zu publizieren. Das Theater erlebte im Biedermeier einen Höhepunkt. Zu den Bühnenwerken Grillparzers, dessen Popularität nach 1830 allmählich abnahm, gesellten sich die Zauberpossen Ferdinand Raimunds ( 1 7 9 0 - 1 8 3 6 ) , in denen die in Mozarts Zauberflöte (1791) genial ausgereifte Tradition ihre Fortsetzung fand. Auf modernere Art vervollkommnete der Wiener Johann Nestroy ( 1 8 0 1 - 1 8 6 2 ) die Technik der Satire in Wortspielen, die nicht selten den Zensor hinters Licht führten. Die Stückeschreiber des Biedermeier erweckten barocke Auffassungen zu neuem Leben - besonders die Vorstellung von der Welt als Theater. In seinem Dramatischen Märchen Der Traum ein Leben (1834) machte Grillparzer eine Anleihe bei Calderon, um dem Zuschauer eine barocke Interpretation von 37

Himmel und Erde, Wirklichkeit und Illusion nahezubringen, die ihm in Erinnerung rief, daß die Welt von einer Hierarchie regiert werde. Zuweilen versank die Entsagung vollends in der Faszination des Todes; die Tragödien Grillparzers zeichnen den Tod als großen Tröster. Die Tatsache, daß die österreichischen Intellektuellen nicht geneigt waren, irgendein Heilmittel vorzuschlagen — eine Einstellung, die künftighin als therapeutischer Nihilismus bezeichnet werden wird —, steigerte die Resignation des Biedermeier. Der aus Berlin stammende Literaturkritiker Walther Brecht (1876-1950), der von 1913 bis 1925 in Wien lehrte, verglich die geistigen Werte des österreichischen Biedermeier mit denen des preußischen.18 Er vertrat den Standpunkt, daß Osterreich Lebenseinstellungen, die zwei Jahrhunderte zuvor für ganz Deutschland charakteristisch gewesen waren, bis ins 20. Jahrhundert bewahrt habe. Der Partikularismus, der Zusammenhalt der Familien und das Fehlen jeglichen Staatsbewußtseins waren Attribute der Gemeinschaft, die sich im Habsburgerreich länger gehalten hat als in Deutschland. Eine Begleiterscheinung der allgegenwärtigen Bürokratie war, wie Brecht hinzufügt, die ständige Bereitschaft, Vorschriften zu umgehen, indem man über deren Verletzung einfach hinwegsah. Mangelhafte Durchführung von Verordnungen wurde als „Schlamperei" bekannt. In der Vorstellung vieler Österreicher symbolisierte die Schlamperei das Gegenstück zur preußischen Effizienz und ließ sich zugleich als Quelle von Kraft wie auch als Ursache von Schwäche deuten. In unteren Schichten rührte die Laxheit daher, daß subalterne Typen den kleinen Mann wie ihresgleichen bemitleideten und so für Bestechung und Jammergeschichten zugänglich wurden. Unter höheren Beamten leitete sich eine Art von Schlamperei aus dem Weiterbestehen feudaler Wertbegriffe her: Die Etikette schrieb vor, daß ein Beamter den Wünschen eines Erzherzogs oder Grafen nachzukommen habe. In der Terminologie Parsons': niedrige Beamte hielten partikularistische Ansichten aufrecht, während ihre Vorgesetzten die Dienstbeschreibung höher werteten als die Leistung. Als Viktor Adler die österreichische Regierung einen „durch Schlamperei gemilderten Absolutismus" nannte, tat er dies in der Absicht, den humanisierenden Einfluß des antipreußischen Laissez vivre zu loben. Ahnlich lobte Hugo von Hofmannsthal in Preuße und Österreicher, ein Schema (1917) die Österreicher wegen ihrer größeren Vielseitigkeit, Humanität und Tradition.19 Der Dichter war so überzeugt von der Verwurzelung Österreichs in vorindustriellen Werten, daß er in diesem Schema unbewußt Tönnies' Dichotomie zwischen Gemeinschaft und Gesellschaft rekapitulierte. Die Tatsache, daß sich nach 1850 so gut wie jeder Beamte zerrissen fühlte zwischen der Pflicht gegenüber dem Staat und der Pflicht gegenüber seinen Mitbürgern, spiegelte den Einbruch der starren Formen der Gesellschaft auch in die spontane Natürlichkeit der ländlichen Bereiche. Wenngleich die übergeordnete Ordnung örtliches Brauchtum bedrohte, lebte noch, zumindest bis 1938, die Schlamperei fort — Symbol für die Spannung zwischen dem Alten und dem Neuen, die das Habsburgerreich kennzeichnete.

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Das intellektuelle Übergewicht der Juden und seine Wurzeln in Stammestradition und rassischer Diskriminierung Jede Studie über das intellektuelle Leben in Osterreich sollte die Juden gesondert und mit besonderer Aufmerksamkeit betrachten. Keine andere ethnische Gruppe hat soviele Denker von hervorragender Originalität hervorgebracht: Theoretiker wie Freud, Husserl, Kelsen, Wittgenstein, Mahler, ganz zu schweigen von Schriftstellern wie Schnitzler, Kraus, Kafka und Roth. Zusätzlich zu diesen schöpferischen Genies stellten die Juden einen unverhältnismäßig hohen Anteil von produktiven Geistern in jeder Disziplin, ausgenommen die Ethnologie. In manchen Belangen, etwa auf dem Gebiet der Psychoanalyse und im Austromarxismus, hatten sie ein beträchtliches Ubergewicht. Natürlich waren nicht alle einflußreichen Denker Österreichs Juden; die Katholiken Brentano, Mach und Carl Menger begründeten Schulen von ebensolcher Originalität wie die jüdischen Ursprungs. Dennoch war es gerade die jüdische Mittelklasse, die ein einzigartiges Forum für Diskussion und Verbreitung von neuen Ideen darstellte. Unter Moritz Benedikt verbreitete die Neue Freie Presse — genau wie das Wiener Tagblatt unter Moriz Szeps — liberale Ideen, die in der Hauptsache von Juden für andere Juden formuliert waren. Die Subskribenten kleinerer Zeitschriften, wie etwa der Fakkel von Karl Kraus, waren gleichfalls zum Großteil Juden. Ohne dieses Publikum mit seinem Bedürfnis nach Witz und Neuigkeiten wäre die österreichische Literatur wahrscheinlich schon nach 1850 so verarmt gewesen, wie sie es nunmehr seit 1938 ist. Zahlreich sind heute die Hypothesen zur Erklärung des intellektuellen Übergewichts der Juden, sei es in Österreich-Ungarn oder überhaupt in der Welt. Dergleichen Untersuchungen sollten jedoch an den Anfang die Frage nach den Ursachen des starken Zusammenhaltes der Juden stellen. Ist es die Religion, die Erziehung, sind es die Sitten oder die Rasse, oder ist es eine Art Kombination aller dieser Faktoren, die Menschen, so verschieden sie doch voneinander sind, eine gemeinsame Wesenseinheit verleiht? Um diesem Rätsel auf den Grund zu kommen, hat der aus Prag stammende Erich von Kahler ( 1 8 8 5 - 1 9 7 0 ) eine Unterscheidung zwischen einem „Volk", wie es die Juden sind, und einer „Nation" vorgenommen, wie z. B. Frankreich. „Ein Volk", schreibt er, „ist eine ethnische Gruppe, die sich aus und mit ihrer eigenen Religion entwickelt hat - und dies vor oder außerhalb der Reichweite der Entwicklung einer Weltreligion. Eine Nation ist eine ethnische Gruppe, die erst nach der Entwicklung einer Weltreligion und unter deren Ägide ins Dasein getreten ist, wie dies bei Frankreich, England, Rußland und anderen Ländern der Fall war." 20 Als Folge ihrer Volksreligion haben die Juden festgehalten an einer Art archaischer Einheit, die fähig ist, den als Assimilation bekannten Prozeß zu überdauern. Dieser Ausdruck bezieht sich auf zwei verschiedene Verhaltensweisen: die positive H a n d l u n g einer Identifikation mit säkularer Kultur und dienegative Handlung, jegliche Bindung an Jüdisches abzustreifen. Für den Großteil der assimilierten Juden bedeutete die Identifikation mit der deutschsprachigen Kultur auch die Aufgabe religiöser Praxis, obwohl selbst nicht39

p r a k t i z i e r e n d e J u d e n von Antisemiten beständig an ihre H e r k u n f t erinnert wurden. Aneinandergefesselt in einer „Schicksalsgemeinschaft", wie Ben Halpern es nennt, behielten sowohl Gläubige als auch Ungläubige judaische Züge bei. 21 W i r werden untersuchen, wie bestimmte Bräuche u n d Lehren ihre intellektuelle Vorrangstellung förderten. Z u m i n d e s t bis 1880 lernte der Großteil der jüdischen Knaben ein M i n i m u m an Hebräisch, wenngleich viele die Sprache rasch wieder vergaßen u n d religiöse Praktiken bald gänzlich aufgaben. Beim Studium des Hebräischen wurde viel Wert auf Gedächtnisleistung gelegt, und Talmudschüler wurden im Erörtern konkreter Fälle geschult, u m deren ethische Bedeutungen unterscheiden zu lernen. Die dadurch erworbene Geschicklichkeit hat der aus Rußland stammende Jude Immanuel Velikovsky (geb. 1895) beschrieben, der in den dreißiger Jahren gemeinsam mit Wilhelm Stekel und Alfred Adler in Wien studierte. 22 Die meisten Juden beten Hebräisch, selbst wenn sie es nicht ganz verstehen, u n d manchmal träumen sie auch in Hebräisch. D a das Hebräische Vokale nicht ausschreibt, sondern n u r d u r c h , häufig ausgelassene, diakritische Zeichen wiedergibt, bieten sich d e m Sprachkundigen unbegrenzte Gelegenheiten zu Wortverdrehungen. Jeder Jude, der Hebräisch ohne diakritische Zeichen zu lesen gelernt hat, m u ß dabei auch ein gutes Auge für alle möglichen Arten von Wortspielen entwickelt haben. Diese Ü b u n g regte — nach Velikovsky - den jüdischen Witz an, indem sie den Juden Assoziationen vollziehen ließ, die dem N i c h t j u d e n unwahrscheinlich vorkommen. Außerdem zwingt das Verbot der bildlichen Darstellung Gottes den Juden, von Ihm nur in Abstraktionen zu denken. Frühe Schulung in juridischen und theologischen Spitzfindigkeiten f ü h r t e zu einer dialektischen Geschicklichkeit, in der es den Juden n u r wenige, von Jesuiten geschulte Katholiken gleichtun k ö n n e n . Schließlich schärften auch die eigenartigen N a m e n , die vielen österreichischen J u d e n im 18. J a h r h u n d e r t gegeben w o r d e n waren, ihren Sinn f ü r den W o r t witz. O b w o h l nicht n u r J u d e n absurde N a m e n trugen, w u r d e n diese doch zu e i n e m bevorzugten T h e m a bzw. Bestandteil des j ü d i s c h e n Witzes. W i l h e l m Stekel ist der Ansicht, daß der N a m e o f t die Selbsteinschätzung eines M a n n e s beeinflußte, nomen est omen. So hätte z. B. ein Verkäufer namens Sicher — sicher versucht, seinem N a m e n gerecht zu werden, i n d e m er jeden H a n d g r i f f u n e n t wegt geübt hätte. 2 3 H e r m a n n Broch betonte einen anderen Aspekt jüdischer religiöser Schulung. 2 4 Der höchste jüdische Wert sei die Ehrerbietung gegenüber dem Leben; diese Voraussetzung bilde die Grundlage für das gesamte jüdische Gesetz, insbesondere f ü r die Vorschriften über koschere N a h r u n g . Diese E h r f u r c h t vor dem Leben erschwert es den Juden, der lebensfeindlichen Geringschätzung durch die Antisemiten entsprechend zu begegnen. Der Jude empfindet alles, was das Leben fördert, als gerecht, was diesem h i n d e r l i c h ist, als u n g e r e c h t . D i e t a l m u d i s c h e Kasuistik lehrt schon die Knaben abzuschätzen, welche H a n d l u n g e n einem Lebewesen förderlich sein k ö n n t e n u n d welche es bedrohen. Trotz seiner Sehnsucht nach irdischer Gerechtigkeit quält sich der Jude mit seinem Begriff von G o t t als einem unendlich fernen Wesen, dem m a n sich zwar nähern kann, zu d e m man jedoch nie ganz hingelangt. Der Jude fühlt sich, laut Broch, verpflichtet, G o t t ruhelos zu verfolgen, hegt jedoch keine H o f f n u n g , Ihn jemals zu erreichen, da 40

keine irdische Tat die Gottheit beeinflussen kann. Wenngleich diese Erhabenheit von Denkern wie Martin Buber abgeschwächt wurde, so bildet doch die Unzugänglichkeit und Unbeeinflußbarkeit des Gottes der Juden eine Erklärung für die dämonischen Energien, die M ä n n e r wie Broch, Husserl, Herzl oder Karl Kraus an den Tag gelegt haben. Als Kämpfer für Gerechtigkeit hatten sie gelernt, daß keine Tat des Menschen Gott versöhnen kann. Ihre Begabung für Sprachen erleichterte es den Juden, Erniedrigungen von Seiten der Nichtjuden hinzunehmen; verletztes Selbstwertgefühl konnte in doppelsinnigen Scherzen kompensiert werden, die sowohl den Peiniger wie auch den Gepeinigten lächerlich machten, oft in markanter Kürze: Zwei Fremde stellen im Bahncoupe einander vor. „Von Bredow - Leutnant der Reserve." „Lilienthal - dauernd untauglich." 2 5 Viele W i t z e verhöhnen den faulen Juden oder Schnorrer, der vom Betteln bei Religionsgenossen lebte; er arbeitete oft schwerer als jemand, der einer geregelten Tätigkeit nachging. 2 6 Die Fähigkeit des Juden, Erniedrigung zum W i t z zu sublimieren, machte die Sprache selbst zu einer Waffe gegen das Trauma. Sprachliche Gewandtheit, insbesondere die Fähigkeit, einen Doppelsinn zu entdecken, wurde zu einem Teil des psychischen Panzers jedes Juden. Dieses Eintauchen in die Sprache mag Philosophen wie M a u t h n e r u n d W i t t g e n s t e i n zu der Lehre angeregt haben, die Sprache sei autonom, von Erfahrung unabhängig. Gleichermaßen könnte Freuds besonderes Interesse für sprachliche Fehlleistungen eine tiefeingewurzelte jüdische Haltung widerspiegeln. Viele jüdische Denker wurden von Gefühlen der Unsicherheit getrieben. Es galt als Gemeinplatz, daß Juden an der Universität hervorstachen, weil ihre Familien sie dazu anhielten, fleißiger zu studieren als alle anderen, um Vorurteile zu überwinden. Der ungarische Essayist Emil Reich schilderte eine jüdische Mutter, die in ihrer Unfähigkeit, sich mit dem Land, in dem sie lebte, zu identifizieren, ihr Kind verzärtelte: alle Liebe, die sie der Gesellschaft nicht zuwenden konnte, übertrug sie auf dieses Kind. Für sie war ihr Kind ihr Land. 2 7 Der Traum der Mutter Freuds, daß ihr „goldener Sigi" berühmt werden würde, wirkte wie eine sich erfüllende Prophezeiung: sie tat alles, was nur in ihrer Macht stand, um die Erziehung und die Ausbildung ihres Sohnes zu fördern. Freud erhielt für seine eigene Laufbahn einen zusätzlichen Ansporn, nachdem er hatte mitansehen müssen, wie sein Vater vom Gehsteig gestoßen wurde und diese Beleidigung demütig hinnahm. Diese Art von Demut war für den Sohn ein Grund mehr, die Achtung der Nichtjuden zu erringen, um so einem ähnlichen Schicksal zu entgehen. In m a n c h e m Juden gipfelte der Ekel vor Erniedrigung in Selbsthaß. Otto Weininger verehrte rücksichtslose Tüchtigkeit und verglich die jüdische Passivität mit weiblicher Schwäche. Anstelle der jüdischen Wertschätzung des Lebens vergötterte er die Macht; ein weit gemäßigterer Selbsthaß wie der Freuds dagegen regte lediglich den Ehrgeiz an. Natürlich waren den J u d e n nicht alle Karrieren verschlossen. So w i e sie einst bei Hof eine gute Position erringen konnten, beispielsweise Samson Wert41

heimer (1658-1724), zählten andere zu den führenden Bankiers des Kontinents nach 1815. Die Berufe des Mediziners, Juristen, Journalisten oder gar eine Professur an der Universität verhießen den Sprung aus dem Getto, der ihnen auf Grund der durch spezifische Schulung im Kindesalter erworbenen Fähigkeiten auch gelingen würde. Im Alter von dreiundzwanzig Jahren errang Otto Weininger durch sein Buch Geschlecht und Charakter jenen plötzlichen Ruhm, von dem jüdische Knaben träumten. In seiner Novelle Der Weg ins Freie (Berlin 1908) untersuchte Arthur Schnitzler die Unsicherheit und den Größenwahn, die manchen jüdischen Intellektuellen eigen waren. Verzweifelt um den Erfolg ringend, zeigten sie eine bei anderen Schichten ungewohnte Bereitschaft zum Experiment. Der Jude, durch Generationen hindurch gezwungen, in Grenzsituationen zu überleben, hatte weniger zu verlieren, wenn er sich Neuem zuwendete. Und tatsächlich erwiesen sich Juden, die durch die harte Schule des Antisemitismus gegangen waren, als äußerst widerstandsfähig. Katholische Handwerker, die die wirtschaftliche Konkurrenz der Juden fürchteten, wußten nichts von der Intimität des jüdischen Dorfes, aus der sie herstammte. In den „Schtetls" (Kleinstädten) von Böhmen, von Mähren und besonders in denen Galiziens blühte das Gemeinschaftsethos bis ins 20. Jahrhundert hinein. Dort überlebte der Chassidismus, der später Martin Buber beeinflußte, und es waren die ländlichen Juden, die Herzl dazu anregten, in seinem jüdischen Staat landwirtschaftliche Kolonien zu konzipieren.28 Zwei jüdische Schriftsteller, der aus Prag stammende Leopold Kompert (1822—1886) und der aus Galizien gebürtige Karl Emil Franzos (1848-1904), genossen große Beliebtheit als Schilderer des bescheidenen Juden, verwandt mit dem „kleinen Mann" Ferdinand Saars oder der Ebner-Eschenbach.29 Osterreichische Juden, die im „Schtetl" aufgewachsen waren, begegneten der Zivilisation des 19. Jahrhunderts als Neulinge und entfalteten hier Energien, die sie durch Jahrhunderte der Isolation hindurch aufgespeichert hatten. Freud, der seinen mährischen Großvater väterlicherseits sehr verehrte, war einer von vielen, die hier eine Verpflichtung gegenüber der jahrhundertealten Weisheit anerkannten, die nun auf einmal losgelassen und in die Schmelztiegel der Städte eingebracht worden war. Jüdische Intellektuelle verkörperten die Entfremdung von Schriftsteller und Gesellschaft, die Österreich nach 1800 kennzeichnete. In Ungarn dagegen zeigten nicht nur die Juden eine größere Bereitschaft zur Assimilation, ganz allgemein genoß dort der Schriftsteller die Bewunderung des Publikums. Am meisten hatten die Juden in Böhmen zu leiden, wo sie in den Feindseligkeiten zwischen Deutschen und Tschechen aufgerieben wurden. Viele böhmische Juden konvertierten zum Katholizismus, unter ihnen Gustav Mahler, Hans Kelsen und eine Zeitlang auch Karl Kraus. Andere, darunter Viktor Adler, nahmen den Protestantismus an. Im besonderen neigten die böhmischen Juden dazu, ihr Schicksal in eine Vision der Ewigkeit zu sublimieren. Visionäre wie Mahler und Kafka erfanden eine Traumwelt und schufen sich so die Ruhe, die ihnen auf dieser Erde versagt war. Hermann Broch und Stefan Zweig schätzten die Kunst als den großen Gleichmacher in der Wiener Gesellschaft. Obwohl Zweigs Vater es aus Feingefühl abgelehnt hätte, neben einem Grafen zu dinieren, fand er nichts Außergewöhnliches dabei, im Theater neben einem Erzherzog zu sitzen.30 42

Trotz ihres demokratischen Klimas in Fragen der Kunst wurde die Atmosphäre Wiens durch einen hauptsächlich wirtschaftlich begründeten Antisemitismus getrübt. Nachdem Wilhelm Marr 1879 den Terminus Semitismus geprägt hatte, bezeichnete „Antisemitismus" fortan eine Bewegung, die sich vom früheren Judenhaß durch das Fehlen jedes religiösen Eifers unterschied. Die Industrialisierung hatte die Juden in ein Konkurrenzverhältnis zu den Nichtjuden gedrängt, während Juden und Christen vormals in der ländlichen Wirtschaft einander ergänzt hatten. Ungarische und polnische Adelige, die es ablehnten, sich im Handel zu betätigen, hatten die Dienste jüdischer Händler und Geldverleiher sehr geschätzt. Sobald jedoch dieses Einander-Ergänzen einem Wettbewerbsverhältnis wich, begann der steigende Wohlstand der Juden die Handwerker, Geschäftsleute und Bauern, die zusehends verarmten, zu verbittern. In Osterreich und Deutschland setzte ja die Industrialisierung erst nach 1848 ein, also nach der Emanzipation der Juden, während in England und in geringerem Ausmaß auch in Frankreich der wirtschaftliche Aufschwung vor dem Auftauchen der Juden stattgefunden hatte. Gerade dort, wo die Juden gemeinsam mit jedem anderen den Wettkampf im Kapitalismus aufnahmen, wurden sie zu den auffälligsten Neureichen und frustrierten als solche die untere Mittelschicht beträchtlich. Stanislaw Andreski betont, daß dem Juden als Zuflucht für seinen Stolz noch immer der Zusammenhalt der Familie und eine Tradition gegenseitiger Unterstützung offenblieb, während der Christ der unteren Mittelschichten auch diese Stützen der Selbstachtung verlor.31 Das machte das Bedürfnis nach einem Sündenbock unwiderstehlich. In Wien verstärkte der Zustrom von ländlichen Juden den Antisemitismus. Um 1923 stellten die 200.000 Juden Wiens rund 10 Prozent der Bevölkerung dieser Stadt dar. Nach 1900 waren in den Straßen Wiens nur noch die Juden und die Türken in ihren Nationaltrachten zu sehen. Der Anblick eines Kaftans beleidigte jene untere Mittelschicht, die sich voll Heimweh ihrer eigenen vorindustriellen Wurzeln erinnerte und nur noch mit Spektakeln wie etwa dem des Ersten Mai im Prater bei Laune gehalten werden konnte. Die Psychoanalytiker Otto Fenichel, Bruno Bettelheim, Rudolph Loewenstein und andere waren der Ansicht, daß der Antisemitismus bestimmte unerwünschte Eigenschaften, die er in sich selbst unterdrückt, auf den Juden projiziert, und es hat sehr den Anschein, als hätten die Wiener der unteren Mittelschicht ihre eigene unbewußte Sehnsucht nach einer einfacheren Vergangenheit auf den Kaftanträger aus der Leopoldstadt übertragen.32 1899 fand man in der Person des Schuhmachergehilfen Leopold Hilsner einen jüdischen Sündenbock. Im April dieses Jahres wurde er des Mordes an einer neunzehnjährigen Näherin in Polna im südöstlichen Böhmen angeklagt. Der Anklagevertreter behauptete, der junge Mann habe einen Ritualmord begangen, um zu Christenblut für Mazot zu gelangen. Dieses apokryphe Verbrechen war durch die Bemühungen eines aus Deutschland stammenden Priesters in Prag, August Rohling (1839-1931), erst kurz zuvor wieder ins Bewußtsein der Öffentlichkeit gerufen worden.33 Seine skurrile Schrift Der Talmudjude. Zur Beherzigung für Juden und Christen aller Stände (Münster 1871) hatte die um 1700 von Johann Andreas Eisenmenger (1654—1704) ausgestreuten blutrünstigen Verleumdungen 43

populär gemacht. Nachdem Hilsner auf Grund von Indizien vom örtlichen Gericht zum Tode verurteilt worden war, veröffentlichte Thomas G. Masaryk Ende 1899 mehrere Artikel und Broschüren, die die Aufnahme eines neuen Verfahrens forderten. Obwohl die zweite Verhandlung im November 1900 jede Bezugnahme auf Ritualmord vermied, wurde Hilsner zu lebenslangem Kerker verurteilt. Nachdem er 18 Jahre seiner Strafe verbüßt hatte, wurde er von Kaiser Karl pardoniert. Der Fall von Polna, der mit dem Höhepunkt der Dreyfus-Affäre zusammenfiel, schüchterte die Juden in ganz Osterreich ein. Ein Universitätsprofessor, selbst konvertierter Jude, erschreckte Masaryk, indem er sich ihm gegenüber folgendermaßen äußerte: „Sie wissen, daß ich selbst Jude bin, und ich bin überzeugt davon, daß diese Ritualmordgeschichte bloßer Aberglaube ist. Aber dieser Fall beweist das mögliche Vorhandensein einer geheimen Sekte, die trotz allem Ritualmorde verüben könnte."34 Eine Generation später wurde der Antisemitismus von dem Wiener Juden Hugo Bettauer (1877-1925) zum Gegenstand einer Satire gemacht: Die Stadt ohne Juden. Ein Roman von Ubermorgen (Wien 1922). Diese Phantasie erläutert die Art und Weise, in der die Juden den Handel anregen, indem sie schildert, wie das wirtschaftliche Leben nach der Vertreibung aller Juden aus der Republik Österreich völlig zusammenbricht. Christen können bei ihren Devisenspekulationen keine jüdischen Bankiers mehr um Rat fragen, christliche Frauen bemühen sich nicht mehr um modische Kleidung, weil sie keinen Anlaß mehr haben, mit den Jüdinnen zu wetteifern, und da sie von keinen jüdischen Verehrern mehr mit Geschenken verfolgt werden, bekommen christliche Mädchen ihre ständig betrunkenen Kavaliere satt. Der Handel mit Luxusgütern geht zugrunde, und selbst Halbweltdamen finden keine Kavaliere mehr. Bettauer, der einer der sozialistischen Bundesgenossen von Karl Kraus war, wurde am 10. März 1925 in seinem Büro von einem Studenten der Zahnheilkunde angeschossen, der ihm vorwarf, als Journalist für sexuelle Promiskuität eingetreten zu sein. Bettauer starb 16 Tage nach dem Attentat und wurde unter der Anteilnahme von zehntausend Menschen zu Grabe getragen.35 Das Mitgefühl für die Juden sollte jedoch keinesfalls dazu führen, die Leistungen der Nichtjuden unberücksichtigt zu lassen. Wieviele Juden auch immer in Österreich die Energien ihrer ländlichen Vorfahren in sich aufgesogen haben mochten, ihr Eintreten in die im Industrialisierungsprozeß begriffene Gesellschaft war nur eine von vielen anregenden Begegnungen, die Österreich ermöglichte. Das Habsburgerreich war par excellence eine Heimat für Fremdlinge, in der das Aufeinanderprallen der Nationalitäten die Leistungen steigerte. Tschechen, Deutsche und Juden wetteiferten in Böhmen; Polen, Deutsche, Ruthenen und Juden in Galizien; Slowaken, Deutsche, Ungarn und Juden in der Slowakei; Rumänen, Deutsche, Ungarn und Juden in Siebenbürgen; Kroaten, Serben, Deutsche, Ungarn und Juden im Banat; und in Prag, Budapest und Wien legten alle diese Völker ein schöpferisches Ferment frei. Was die Juden auszeichnete, ist, daß sie, genau wie die Deutschen, ein allgegenwärtiges, über das ganze Reich verstreutes Element darstellten. Außerdem waren sie Kosmopoliten, hatten — wiederum gemeinsam mit den Deutschen - auch außerhalb Österreichs Artgenossen und fühlten sich so als Mitbürger einer größeren Gemeinschaft. 44

Die Frage, warum sich die Juden Österreichs beharrlicher als erneuerndes Element erwiesen haben als die Juden Deutschlands, findet ihre Antwort darin, daß in Österreich auch in ländlichen Bereichen Juden lebten. In Deutschland wie auch in Frankreich lebten fast alle Juden in städtischen Gettos, wo sie die Verbindung zu Grund und Boden wie auch zum Mystizismus verloren hatten. In Österreich hingegen traten ländliche Juden unmittelbar ins städtische Leben ein, wo sie eine ohnehin schon stürmelnde Rassenmischung endgültig in Gärung versetzten. Keiner profitierte so sehr von der Vielfältigkeit der Gesellschaft der Donaumonarchie wie der Jude, der einen größeren Anteil am Entstehen der „fröhlichen Apokalypse" hat als jeder andere.

2. DER KAISER UND SEIN HOF

Langlebige Zerbrechlichkeit. Die Welt der Sicherheit und ihre Kassandras Es ist ein Gemeinplatz, daß das Habsburgerreich zum Zusammenbruch verurteilt war - wenn nicht infolge eines Krieges, so durch natürliche Abnutzung. Der Mißgriff des Grafen Berchtold, der im Juli 1914 den Krieg wählte, aber einen anderen Krieg bekam, als den, den er gewählt hatte, scheint typisch zu sein für ein Regime, das auf dem letzten Loch pfeift. Demgegenüber behauptete Peter Feldl, daß das Reich nur deshalb zusammenbrach, weil seine Führer in den Jahren 1917 und 1918 nicht fähig waren, sich rasch genug den wechselnden Ereignissen anzupassen. 1 Obwohl der Zusammenbruch, meint Feldl, nicht zwangsläufig hätte eintreten müssen, besaßen die Politiker einfach nicht mehr den Willen oder es mangelte ihnen die Fähigkeit, ihn zu verhindern. In diesem Kapitel sei nun mehr Aufmerksamkeit auf Kräfte gerichtet, die für die Stabilität im Reich sorgten, als auf jene, die für dessen Auflösung verantwortlich waren. Tragischerweise waren es aber gerade die Kräfte, die das Reich zusammenhielten — die Hartnäckigkeit des Kaisers und der Traditionalismus seiner Beamten —, die ä la longue zu seinem Untergang führten. Die kraftlosen Unternehmungen von 1917 und 1918 waren nur die Krönung einer jahrzehntelangen Politik, die harten Entscheidungen beständig auswich. Obwohl der Leser von heute dem Denker, der damals das Unheil voraussagte, Anerkennung zollt, sollte die Hochschätzung für einen Karl Kraus oder Georg Trakl nicht darüber hinwegtäuschen, daß diese Kassandras vor 1914 zwar toleriert wurden - aber in dieser Welt voll Vertrauen auf das Überleben 45

schenkte man ihnen keinen Glauben. Optimisten wie Franz Molnär und Hermann Bahr redeten dem Bürger, der sich glücklich schätzte, vor der Sintflut zu leben, schon eher nach dem Sinn. Niemand hat diese Welt der Sicherheit pointierter beschrieben als der aus Wien stammende Jude Stefan Zweig (1881—1942) in seinem Buch Die Welt von Gestern. Erinnerungen eines Europäers (1943). Aufgewachsen in den Jahren vor und nach 1890, erfreute er sich an einer Gesellschaft, in der wohlhabende Familien der Z u k u n f t gelassen entgegenblicken konnten. Man rechnete in einer Goldwährung, ein jeder wußte, wieviel er schuldig war oder ausstehen hatte, genau wie auch jeder Beamte, jeder Offizier wußte, in welchem Jahr er pensioniert werden würde. Zweigs Vater zog ein solides Geschäft, das einen sicheren Profit abwarf, jeder Art von Spekulation vor; dem Versicherungswesen zugetan, hatte er das Schlagwort „Sicherheit vor allem" zu seinem Motto gemacht. Die Mittelschicht glaubte den permanenten Fortschritt greifbar zu spüren: man hatte die Einführung des elektrischen Lichtes miterlebt und so wundersame Dinge wie die Versorgung mit Gas, das Telefon und das Fahrrad. Es schien, als wäre Europa wirklich schon weiter fortgeschritten als der Rest der Welt, zumal es seit 1815 keinen längeren Krieg mehr durchgemacht hatte. Obwohl eine gewisse Sehnsucht nach Wunscherfüllung aus Zweigs Ansichten spricht, werden sie im Kern doch auch von den Beobachtungen anderer gestützt. Der jüdische Musikkritiker Max Graf ( 1 8 7 3 - 1 9 5 8 ) , ein Freund Freuds, erinnerte an die Heiterkeit, von der die Jahre zwischen 1890 und 1914 beherrscht waren: „Wir, die wir in Wien geboren und aufgewachsen sind, hatten während der glanzvollen Zeit der Stadt vor dem 1. Weltkrieg keine Ahnung, daß diese Epoche das Ende bedeuten sollte ... und noch viel weniger ahnten wir, daß die Habsburger Monarchie ... zum Untergang bestimmt war ... Wir genossen die herrliche Stadt, die so elegant und schön war, und dachten keinen Augenblick daran, daß das Licht, das über ihr strahlte, das eines farbigen Sonnenunterganges sein könnte." 2 Ein junger Kollege Freuds, Robert Waelder (1900-1967), unterschied zwischen Einstellungen, die sich auf den Augenblick, und solchen, die sich auf eine fernere Z u k u n f t richteten: „Was die fernere Z u k u n f t anbelangte, herrschten vielfach Pessimismus und Resignation vor. Andererseits aber gab es wirtschaftlichen Aufschwung und ein glanzvolles intellektuelles und kulturelles Leben." 3 Die meisten Intellektuellen, aber auch der gewöhnliche Bürger schwelgten in Kultur und Unterhaltungen, ohne viele Gedanken daran zu verschwenden, ob diese Idylle auch von Dauer sein würde. Die Sehnsucht, die Zweig und Graf veranlaßte, die Vorkriegsstabilität zu preisen, war für andere Schriftsteller Anlaß, auf die Vorboten des Zusammenbruchs hinzuzeigen. Robert Musil ( 1 8 8 0 - 1 9 4 2 ) in seinem Mann ohne Eigenschaften und Joseph Roth im Radetzkymarsch nehmen eine Zweig diametral entgegengesetzte Position ein, indem sie Charaktere schilderten, die von Vora h n u n g e n gequält waren. Im Fall des galizischen Juden Roth ( 1 8 9 4 - 1 9 3 9 ) könnte das Leben eines Alkoholikers, das er führte, mit seinem ständigen Wechsel von Rausch u n d Ernüchterung dazu beigetragen haben, daß ihm die seinem 46

Zustand vergleichbare Zwiespältigkeit der Meinungen im Vorkriegs-Österreich intensiver bewußt wurde. Die fatalistische Ergebenheit Roths in das Desaster stimmt wohl kaum mit der herausfordernden Haltung überein, die viele junge Männer seiner Generation zur Schau stellten. Wie Max Brod bemerkte, war die Vorkriegsgeneration alles andere denn verloren. Allen Befürchtungen zum Trotz waren die jungen Männer mit Mut und im Vertrauen darauf, die Katastrophe abwehren zu können, in den Ersten Weltkrieg gezogen.4 In der Kunst verkörperten Expressionisten diese Hoffnungen; sie waren entschlossen, nach dem Krieg eine bessere Gesellschaft zu errichten als die, die mit ihm zugrunde gehen würde. Defaitisten wie Musil und Roth bestärkten so manche Kritiker in der Versuchung, die Geschichte Österreich-Ungarns als Geschichte vom Zerfall des Reiches zu konstruieren. Ihnen schloß sich erst vor wenigen Jahren der italienische Germanist Claudio Magris in seiner Arbeit Der habsburgische Mythos in der österreichischen Literatur (1963) an. Die meisten österreichischen Schriftsteller, so meint Magris, hätten vor 1918 schon beim bloßen Gedanken an den Zusammenbruch des Reiches gezittert, nach 1918 dagegen trauerten sie der Vorkriegs-Zerbrechlichkeit nach, als hätte sie ein Paradies geziert. Der Mythos von der Wohltätigkeit der Habsburger habe frühere Verehrer des Jungen Wien — wie Bahr und Hofmannsthal — bezaubert, die nach dem Krieg das zerfallene Reich in den Himmel hoben. Früher, bei Grillparzer und Stifter, habe der Habsburgermythos dazu gedient, die Dekadenz und die Ungerechtigkeiten um sie her zu verkleiden. Wenngleich Magris viele wertvolle Einsichten bietet, so scheitert seine Untersuchung doch daran, daß er es verabsäumt, den Begriff des Mythos zu definieren. Indem er keinen Unterschied zwischen der psychoanalytischen, der marxistischen und der literarischen Bedeutung des Wortes macht, kommt er in der Frage, wieweit sein Mythos in die Bevölkerung eingedrungen war, zu keinem Ergebnis. Wenn er voraussetzt, daß der österreichische Schriftsteller der Wirklichkeit auswich, legt er sich nicht fest, ob es sich nun um politische, wirtschaftliche oder psychologische Wirklichkeit handelte, der hier ausgewichen wurde. Magris scheint die Perspektiven nach Belieben zu wechseln, und dies mit der gleichen Nonchalance wie jene Impressionisten, die er bedauert. Magris' Darstellung österreichischer Illusionen hinsichtlich der Kaiser leidet unter bedeutsamen Auslassungen. Wie viele andere, die sich mit der Geistesgeschichte Österreich-Ungarns befaßten, übersieht auch er Ungarn völlig. Loyalität gegenüber der Dynastie beseelte viele Schriftsteller vom Schlage Mör Jökais, und nach 1918 wurden Publizisten wie Gyula Szekfü von der Sehnsucht nach den Habsburgern inspiriert. Magris betrachtet Böhmen als einen Dorn im Auge der österreichischen Deutschen, ohne sich klarzumachen, daß der Konflikt zwischen Tschechen, Deutschen und Juden außerordentliche Fähigkeiten erweckte, besonders unter jenen Böhmen, die nach Wien kamen. Noch bedenklicher wird die These vom Habsburgermythos angesichts der Tatsache, daß Magris eigenartigerweise Männer, die am Zusammenhalt des Reiches mitarbeiteten, obwohl sie den Habsburgern mißtrauten, einfach übersieht, z. B. Austromarxisten wie Karl Renner und Föderalisten wie Aurel Popovici. 47

Daß Magris die Schwäche des Reiches so sehr betont, mag teilweise in seinem italienischen Gesichtspunkt begründet sein. Italiener, die unter Habsburgs Herrschaft leben mußten - in Venedig bis 1866, in Triest bis 1918 - , finden oft Vergnügen daran, genau wie die Tschechen, die Leistungen der Habsburger herabzusetzen. Dergleichen Verunglimpfungen erreichten in Virginio Gaydas Vorkriegsanklage gegen Österreich-Ungarn Modern Austria, Her Racial and Social Problems (1913) einen Höhepunkt. Erbarmungsloser noch als Seton-Watson oder Wickham Steed machte hier der protschechisch eingestellte Italiener Skandale aus jeder Facette österreichischen Lebens publik. Liest man diese Arbeit oder auch die von Magris, dann muß man sich wundern, wie denn dieses Habsburgerreich das Jahr 1860 überstehen konnte, geschweige denn das Jahr 1900. Im folgenden soll versucht werden, derartige Verzeichnungen zu korrigieren, indem das Hauptaugenmerk mehr auf die Kräfte des Zusammenhalts gelegt wird als auf die der Auflösung. Ähnlich wie die Juden hat auch Österreich-Ungarn noch lange Zeit überlebt, nachdem es von Außenstehenden bereits aufgegeben worden war. Kaiser Franz Joseph: Biedermeier-Monarch inmitten einer Welt der Industrialisierung Franz Joseph I., Kaiser von Österreich, König von Ungarn und Erbe von etwa 20 anderen Titeln, stand als Symbol für vieles, ja für mehr, als er leistete.5 Franz Joseph, der von Dezember 1848 bis November 1916 regierte, länger als jeder andere europäische Monarch, wurde zu einer lebenden Verkörperung des Uberlebenswillens. Als Enkel des Biedermeierkaisers Franz I. und Neffe des geistig unbedeutenden Ferdinand I. fühlte er sich wie diese der Tradition verpflichtet. Obwohl er über das Vetorecht in allen Fragen der Gesetzgebung verfügte, gab er den Forderungen nach einer konstitutionellen Regierung 1860 und 1867 nach und ließ 1907 die Einführung des allgemeinen Wahlrechtes zu. Er betrachtete sich selbst als die Personifizierung der Dynastie, und so konnte er noch im Juli 1914 die Kriegsproklamation mit „An meine Völker" übermitteln, wobei die Betonung auf dem Pronomen lag. Dieser „kaiserliche Hofrat", der sich täglich 8 bis 10 Stunden lang mit dem Unterzeichnen von Dokumenten und dem Erteilen von Audienzen abmühte, war eine, besonders nach 1890, respektgebietende Persönlichkeit. Als alter Mann schien er, ähnlich wie die Königin Viktoria, ein Relikt zu sein, dessen Verehrungswürdigkeit Ehrfurcht gebot. Der Backenbart des Kaisers wurde von so manchem Würdenträger kopiert. Zahllose Untertanen hatten zu Hause ein Bild des Kaisers hängen oder stehen, gleichsam zur Erinnerung daran, daß sie dieses Gesicht über jedes Schulzimmer oder militärische Dienstzimmer hatten wachen sehen. In seinem persönlichen Leben übte der Kaiser eiserne Disziplin. Er erhob sich täglich um 5 Uhr morgens und begab sich nie später als um 23 Uhr zu Bett. Seine Abneigung gegenüber allem Neuen kam in der Beibehaltung des spanischen Hofzeremoniells zum Ausdruck. Bei Empfängen pflegte er jeden Besucher regungslos dastehend anzuhören, mit einem Kopfnicken wurde die Audienz be48

endet. Von Besuchern erwartete man, daß sie den Raum rückwärtsgehend verließen, um Seiner Kaiserlichen Majestät den Anblick eines ihr zugekehrten Rückens zu ersparen. Die Entscheidung darüber, wer zu einer Audienz vorgelassen werden sollte, lag mehr beim Obersthofmeister als beim Kaiser. Bei öffentlichen Anlässen bestand der Monarch darauf, mit „Seine Apostolische Majestät, unser allergnädigster Kaiser und Herr" angesprochen zu werden. In Bekleidungsangelegenheiten war Franz Joseph peinlich genau: einer Anekdote zufolge soll er noch auf dem Sterbebett den eilig herbeigeholten Arzt mit den Worten: „Gehen Sie nach Hause und kleiden Sie sich korrekt" zurechtgewiesen haben. Bis an sein Lebensende speiste der Kaiser von einem nach spanischer Art gedeckten Tisch, auf welchem alles Silberzeug rechts vom Gedeck lag. Bei formellen Diners in Schönbrunn hörte jeder Gast sofort zu essen auf, wenn der Kaiser einen Gang abgeschlossen hatte. D a er sehr schnell aß, hatten die meisten Gäste keine oder nur sehr wenig Gelegenheit, sich den kulinarischen Genüssen hinzugeben, so mancher verließ die Tafel nur halb gesättigt. Franz Joseph leistete technologischen Neuerungen beharrlich W i d e r s t a n d . In der H o f b u r g wurden bis in die J a h r e nach 1 8 5 0 keine m o d e r n e n Toiletten installiert und auch dann erst, weil Kaiserin Elisabeth darauf bestand. D e r Kaiser m i ß t r a u t e dem T e l e f o n , E i s e n b a h n z ü g e n und ganz besonders A u t o m o b i l e n ; elektrisches Licht störte seine Augen. W i e die meisten Aristokraten seines Reiches liebte er die Jagd und das Bergsteigen, besonders in seinem Refugium Bad Ischl. Der Kaiser stand stark unter dem Einfluß von Mitgliedern seiner Familie. Seine Mutter, Erzherzogin Sophie ( 1 8 0 5 - 1 8 7 2 ) , Tochter König Maximilians I. von Bayern, setzte sich mit Ehrgeiz für ihren Sohn ein. 1 8 4 8 intrigierte sie, um ihn a u f den T h r o n zu bringen, 1 8 5 4 arrangierte sie seine Heirat mit einer ihrer Nichten, Elisabeth ( 1 8 3 7 - 1 8 9 8 ) . Diese Heirat zwischen Vettern ersten Grades wurde nur wenige Jahre bevor Gregor Mendel in Brünn - 130 Kilometer von W i e n entfernt — seine Forschungen in Genetik aufnahm, in der Reichshaupt- und Residenzstadt vollzogen. Es ist Erzherzogin Sophie zu „verdanken", daß Ehen zwischen Blutsverwandten auch weiterhin uneingeschränkt geschlossen wurden, obwohl solche Heiraten das Haus Habsburg im 17. Jahrhundert bereits schwer geschädigt und — neben anderen — den mißratenen Ferdinand I. hervorgebracht hatten; schließlich zeitigten sie in der Instabilität des Kronprinzen Rudolf abermals Folgen. Im übrigen vergiftete Sophie die Ehe ihres Sohnes, indem sie der Kaiserin die Kontrolle über den kaiserlichen Haushalt und die Erziehung ihrer eigenen Kinder entzog. Die unglückliche Elisabeth tröstete sich mit eifrigem Reiten und mit Reisen nach Ungarn, Bayern und Korfu. In den Jahren nach 1 8 7 0 trieb sie der zunehmende Wahnsinn ihres Vetters, Ludwigs II. von Bayern, zu rastlosen Streifzügen durch Europa auf der Suche nach einem Elixier gegen die Krankheit des Cousins. U m die Person der Kaiserin ranken sich so viele Legenden, daß es schwierig ist, ihren Einfluß auf die Ereignisse zu beurteilen. W i e sehr Franz Joseph seine Frau zeitlebens auch geliebt haben mag - seine Liebe zur Pflicht, was soviel bedeutete wie zum Gehorsam gegenüber der Mutter, war zweifellos größer. Elisabeths Leistung a u f politischem G e b i e t bestand darin, daß sie mithalf, den 49

Kaiser 1866 von der Notwendigkeit einer Annahme des Kompromisses Deaks zu überzeugen, und daß sie die Ungarn durch ihre bezaubernde Art 1867 dazu brachte, dem Kaiser einen freundlichen Empfang zu bereiten. Hätte sie für die Tschechen Ähnliches geleistet, wäre ihr ein besseres Andenken sicher gewesen. Elisabeth brachte den Großteil der letzten zwanzig Jahre ihres Lebens auf Reisen zu. Zur Zeit, als Kronprinz Rudolf Selbstmord beging - ein Schlag, von dem sie sich nie mehr erholte —, befand sich die Kaiserin in Wien. Ihre sinnlose Ermordung durch einen italienischen Anarchisten in Genf am 10. September 1898 bereitete Franz Joseph tiefsten Kummer; die gerade fälligen grandiosen Festlichkeiten zu seinem fünfzigjährigen Regierungsjubiläum ließ er absagen. Die Begräbnisfeierlichkeiten für Elisabeth gestalteten sich zu einer der düstersten Entfaltungen kaiserlichen Pomps während seiner ganzen Herrschaft. Schon lange vor Elisabeths Tod hatte der Kaiser bei gemeinsamen Frühstücken mit Katharina Schratt (1855—1940), einer Burgschauspielerin, die ihm die Kaiserin 1886 vorgestellt hatte, in seiner Einsamkeit Zuflucht gesucht. In den Briefen an Frau Schratt ließ der Monarch eine Zärtlichkeit durchblicken, die er in offiziellen Beziehungen unterdrücken zu müssen glaubte. Und um dieser einen Geste des Sichgehenlassens willen wurde Franz Joseph von seinem Volk wie auch von der Nachwelt geliebt. Der rätselhafteste unter den Verwandten Franz Josephs war nach der Kaiserin ihrer beider Sohn Kronprinz Rudolf (1858—1889). Das Kaiserpaar hatte übrigens auch zwei Töchter, die es überlebten. Rudolf vereinte die zarten Nerven und das Madame-Bovary-Märtyrerdasein seiner Mutter mit seines Vaters Sinn für Pflicht und Hingebung an das Detail. Unglücklicherweise sah Franz Joseph, wie so viele Monarchen, in seinem Erben nicht den Verbündeten, sondern den Rivalen. Von seinem Vater vernachlässigt, wuchs der Kronprinz unter dem liberalen Ministerium Auersperg in den Jahren nach 1870 heran. Obwohl anfänglich den Tschechen freundlich gesinnt, begann er das klerikale Regime Taaffes abzulehnen, genauso wie er die unterdrückende Politik Kaiman Tiszas beklagte. Rudolf teilte die Liebe seiner Mutter zu den Ungarn und sprach, nach den Worten Mor Jokais, Ungarisch wie ein Bauer.6 Zur Verherrlichung der Vielfalt des Reiches regte Rudolf die Herausgabe des vierundzwanzigbändigen Werkes Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild (Wien 1886 bis 1902) an, in welchem jedes der Länder in eigens kommissionierten Artikeln und Abbildungen beschrieben wurde. Mor Jökai gab eine ungarische Ausgabe dieses „Kronprinzen-Werkes" heraus. Als Antiklerikaler, der Descartes und Voltaire verehrte, stellte sich Rudolf mit seiner Bewunderung für Frankreich in weiteren Gegensatz zu seinem Vater. Preußen gegenüber verhielt er sich reserviert. Nur wegen seiner Befürchtungen, daß Rußland Österreichs Vordringen über den Balkan nach Saloniki verhindern könnte, gab er zu, daß ein Bündnis mit Berlin notwendig sei. Von 1876 bis 1878 reiste der Wirtschaftswissenschaftler Carl Menger mit Rudolf als dessen Lehrer. Während ihres Aufenthaltes in England veröffentlichten sie ein anonymes Pamphlet: Der österreichische Adel und sein constitutioneller 5er«/(München 1878); der Verfasser wurde erst 1906 entdeckt. Unter dem starken Eindruck des bürgerlichen Verantwortungsbewußtseins der bri50

tischen Aristokratie beklagten Rudolf und sein Mentor den Müßiggang der jüngeren Söhne im österreichischen Adel, die sich ausschließlich der Jagd und Tanzvergnügungen widmeten. 1882 machte Menger Rudolf mit dem gleichfalls frankophilen Moriz Szeps (1834-1902) bekannt, dem Herausgeber des Neuen Wiener Tagblattes. Szeps und Rudolf korrespondierten sechs Jahre miteinander; von 1883 bis 1885 schrieb der Kronprinz anonyme Artikel für diese Zeitung, besonders während der Ungarnkrise im August 1883. 7 Bisher konnte die Forschung das Geheimnis, das Rudolfs Selbstmord am 30. Januar 1889 im Jagdschloß von Mayerling umgibt, nicht völlig klären. Berta Zuckerkandl-Szeps, die Tochter von Moriz Szeps, hat einen aufschlußreichen Bericht über die Motive Rudolfs hinterlassen, aus dem hervorgeht, daß der Kronprinz in Prag eine Liebesaffäre mit einer jungen Jüdin hatte, die starb, nachdem sie aus ihrem Exil, in das man sie verbannt hatte, ausgebrochen war.8 Die Halbgriechin Baronin Mary Vetsera, der Rudolf am 5. November 1888 begegnete, erinnerte ihn vermutlich an seine jüdische Geliebte. Die Affäre mit Mary fand zu einer Zeit statt, da der Zwist zwischen Franz Joseph und seinem Sohn unerträglich zu werden begann. Rudolf hatte an Papst Leo XIII. ein Schreiben gerichtet, in welchem er um eine Annullierung seiner unglücklichen Ehe mit Prinzessin Stephanie von Belgien angesucht hatte. Der Papst retournierte das Gesuch direkt an Franz Joseph und stürzte Rudolf dadurch in Ungnade. An dem Abend, an welchem das Gesuch zurückgekommen war, befand sich Franz Joseph auf einem Empfang des neuen deutschen Botschafters. Als sich Rudolf bei der Begrüßung vor dem Kaiser verneigte, drehte ihm dieser den Rücken zu, und unter dem erschreckten Raunen der versammelten Gäste verließ Rudolf fluchtartig den Raum. Später, am selben Abend, sagte der Kronprinz zu Szeps: „Der Kaiser hat mich öffentlich beleidigt. Von jetzt an sind alle Bande zwischen uns zerrissen. Von jetzt an bin ich frei!"9 Berta Zuckerkandl-Szeps behauptet, daß Rudolfs Selbstmord vor allem eine politische Tat gewesen sei, aus Verzweiflung über den deutschen Kaiser Wilhelm II. Dieser hatte im Juni 1888 den Thron bestiegen und ließ durch seine Arroganz den Kummer, den Rudolf zur Zeit von Königgrätz empfunden hatte, alsbald wieder aufleben. 10 In der Politik, in der Ehe und als Sohn zum Scheitern gebracht, erschoß Rudolf Mary Vetsera und sich selbst. Um politische Konsequenzen hintanzuhalten, betonten die Wiener Behörden den sentimentalen Aspekt der Tat. Gleichsam als wäre das öffentliche Leben eine Operette, fand man es angenehmer zu glauben, Rudolf sei für eine Frau gestorben, nicht für seine Uberzeugung. Die Beziehungen zwischen Franz Joseph und dem bereits in mittleren Jahren stehenden Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand (1863-1914) waren um nichts besser. Franz Ferdinand war der älteste Sohn des jüngeren Bruders des Kaisers, Erzherzog Karl Ludwigs (1833-1896), der selbst sieben Jahre lang Thronfolger gewesen war. 1896 starb er jedoch an einer Darminfektion, die er sich zugezogen hatte, weil er aus grenzenloser Frömmigkeit sich nicht hatte abhalten lassen, vom Wasser des Jordan zu trinken. Franz Ferdinand, Sohn der neapolitanischen Prinzessin Maria Annunciata, unternahm 1892/93 eine Weltreise. Die Jahre 1895 bis 1898 brachte er damit zu, sich von einer Tuberkulose 51

zu kurieren. 1900 ging er eine morganatische Ehe mit Sophie Chotek (1868 bis 1914) ein, nachdem er Franz Joseph das Versprechen gegeben hatte, niemals für ein Kind aus dieser Ehe den T h r o n zu beanspruchen. Obwohl diese Ehe ungetrübt war, litt das Paar doch unter den Zurücksetzungen, die der Obersthofmeister Fürst Montenuovo Sophie zufügte. Sie stand rangmäßig - zunächst nur Gräfin, dann mit dem Titel Herzogin von Hohenberg in den erblichen Fürstenstand erhoben - niedriger als r u n d dreißig Erzherzoginnen, die nach dem H o f zeremoniell alle, egal wie jung, vor ihr gingen. Sie wußte, daß sie nie Kaiserin werden würde, und fuhr bei offiziellen Anlässen in einem anderen Wagen als ihr Gemahl. Sophie war äußerst fromm und bekehrte Franz Ferdinand wieder zum klerikalen Standpunkt seines Vaters; bei breiten Bevölkerungsschichten jedoch machte ihn dieser Zug wieder unpopulär, wie auch seine mediterranen Manieren. Von den Ungarn redete er als den „Hunnen", schalt die Budapester Juden wegen ihrer übergroßen Bereitschaft zur Assimilation und beklagte die Los-vonRom-Bewegung als propreußisch. Ab 1901 spielte Franz Ferdinand eine aktive Rolle in militärischen Angelegenheiten. Er unterhielt seine eigene Militärkanzlei - die Militärkanzlei II in der Hofburg (Leopoldinischer Trakt, Bettlerstiege) — und unterstützte den protestantischen General Conrad von Hötzendorf (1852-1925). Franz Ferdinand trat dafür ein, daß sich Österreich-Ungarn an dem Flottenwettrüsten gegen Italien beteiligte und dazu in Kroatien Seeleute rekrutiere. Der Thronfolger übertrieb seine Feindseligkeit gegenüber Ungarn, wo er auf Einführung des allgemeinen Wahlrechts hoffte, und er erklärte sich für eine Vereinigung der katholischen Kroaten und der orthodoxen Serben innerhalb des Reichs. Seine Vorhaben hätten die Separatistenführer gleichsam entwaffnet, und so mußten die jungen Serben zu verzweifelten Maßnahmen greifen, wollten sie ihren Traum von einem GroßSerbien noch retten. Die Ermordung Franz Ferdinands und seiner Gattin, die aus Widerspruchsgeist gegen Franz Joseph alle Warnungen bezüglich ihrer Sicherheit in den W i n d geschlagen hatten, fiel auf den Tag des Derbys, den Ausklang der gesellschaftlichen Saison in Wien. Aber selbst die Nachricht von dem Attentat konnte die Orchester im Prater an diesem letzten Junisonntag nicht zum Schweigen bringen. Josef Redlich notierte in seinem Tagebuch, diese Nonchalance habe erkennen lassen, daß Franz Ferdinand als Kaiser größere Verheerungen gestiftet hätte, als sein Tod nach sich ziehen würde. Redlich beschuldigte den Erzherzog der klerikalen Bigotterie, der Kleinlichkeit in Geldangelegenheiten, des Mißtrauens gegen Verbündete, der Geschmacklosigkeit als Kunstsammler und des Veranstaltens blutrünstiger Schlächtereien auf der Jagd. 11 Trotz dieser Fehler wurde der Ermordete zu einem Märtyrer, unter anderem dank der mangelnden Ehrerbietung, die ihm im Tode seitens des Fürsten Montenuovo zuteil wurde. Verspätungen und Nachlässigkeiten hielten die Särge an jedem Punkt ihrer Reise von Sarajevo über Wien bis zur Beisetzung im Schloß Artstetten bei Pöchlarn an der D o n a u auf. 12 Diese offenkundige Beleidigung schockierte Beamte und Soldaten, vor deren Augen sie sich zutrug, derart, daß ihre Indignation umschlug in eine, wenn auch schlecht begründete, Heldenverehrung für Franz Ferdinand, und ihre Entschlossenheit, seinen Tod um jeden Preis zu rächen, wuchs. 52

Der Glaube an die Notwendigkeit eines Präventivkrieges, die früher von den Favoriten des Thronfolgers, Conrad von Hötzendorf und Graf Berchtold, unterstrichen worden war, fand zunehmend allgemeine Verbreitung, und dies zu einer Zeit, da äußerste Vorsicht angebracht gewesen wäre. Fürst Montenuovo, der sich im März 1913 größte Mühe gegeben hatte, einen Krieg zu verhindern, half so 16 Monate später, ohne es zu ahnen, ihn anzufachen. Mit Franz Josephs Härte gegenüber seinem Sohn und gegenüber Franz Ferdinands Gattin ging Hand in Hand eine noch krassere Undankbarkeit gegenüber seinen Ministern, die er alle derart herablassend behandelte, als wäre es ein so unermeßliches Privileg, ihm zu dienen, daß jede Dankbarkeit unnötig sei. Schamloses Selbstvertrauen gestattete es dem Kaiser 1906, Ferenc Kossuth als Handelsminister von Ungarn anzunehmen, einen Mann, dessen Vater 1849 die Habsburger-Dynastie für abgesetzt erklärt hatte. Im Gegensatz zu König Wilhelm I. von Preußen duldete Franz Joseph keine Minister von höchstrangigen Fähigkeiten um sich. Immer wenn ein kraftvoller Reformer seine Unterstützung gebraucht hätte, entzog sie ihm der Kaiser; so erging es Schmerling 1865, Beust 1871, Badeni 1897, Beck 1908. Seine Weigerung, 1854 in den Krimkrieg einzutreten, empörte Nikolaus I. von Rußland, dessen Truppen Franz Joseph 1849 die ungarische Krone gerettet hatten. Noch herzloser war 1866 der Betrug an dem protestantischen General von Benedek ( 1 8 0 4 - 1 8 8 1 ) , der gegen sein besseres Wissen zugestimmt hatte, das Oberkommando im böhmischen Feldzug zu übernehmen. Obwohl er bereits am 1. Juli die Schlappe, die man bei Königgrätz beziehen würde, voraussah, wurde seinem Ersuchen, das Kommando zurücklegen zu dürfen, nicht stattgegeben. Nach der Niederlage wurde Benedek des Kommandos enthoben und mußte eine zweieinhalb Monate dauernde Untersuchung über sich ergehen lassen. Am 19. November 1866 zwang Erzherzog Albrecht ( 1 8 1 7 - 1 8 9 5 ) , der Sieger von Custoza, Benedek, ein Versprechen zu unterzeichnen, nie über den Feldzug von 1866 etwas zu schreiben oder irgendwelches auf ihn bezügliche Material preiszugeben. Drei Wochen danach brachte die offizielle Wiener Zeitung einen von Franz Joseph und Albrecht sanktionierten Artikel, in dem es hieß, Benedeks Unfähigkeit sei für die Katastrophe von Königgrätz allein verantwortlich gewesen. Durch seinen Eid mundtot gemacht, mußte sich der Kommandeur widerstrebend zurückziehen, wie ein geprügelter Hund; in antiklerikalen Kreisen verbreitete sich indessen das Gerücht, ein jesuitischer Beichtvater habe Franz Joseph dazu überredet, den protestantischen General zu erniedrigen. Trotz seiner Fehler drückte Franz Joseph jedem Aspekt des Lebens in Österreich-Ungarn seinen Stempel auf. Von wenigen geliebt, von wenigen gehaßt, wurde er während seiner späteren Jahre doch von fast allen als jener ruhende Pol geachtet, der das Reich zusammenhielt. Fleißig und phantasielos, schien er der oberste Bürokrat zu sein, der meinte, er könne die ererbten Länder und Privilegien seinem Nachfolger dadurch erhalten, daß er der hergebrachten Routine folgte. Der Verlust der Lombardei 1859 und Venetiens 1866, gepaart mit dem endgültigen Ausschluß aus Deutschland, vermittelten ihm den Eindruck, seiner Pflicht gegenüber der Dynastie nicht genügt zu haben. 1870 bemerkte er zu Albert Schäffle, zwar halb im Scherz, aber dennoch bitter: „Ich bin ein Pech53

vogel."13 Nachdem er die familiären Verluste der Jahre 1889 und 1898 überwunden hatte, bewahrte er Würde bis zu seinem Ende. Die Aristokraten, Bürokraten, Offiziere, Priester und Professoren, die Franz Joseph als persönliche Bedienstete förderte, waren die Rädchen eines Systems, das die Stärke wie die Schwäche seines Herrschers fest in sich barg. Seine Politik des quieta non movere steigerte die Unbeweglichkeit und Starre, die Franz I. und Metternich dem politischen Leben eingepflanzt hatten. Geheimhaltung verbarg die Abwicklung öffentlicher Angelegenheiten und begünstigte so das Entstehen von Gerüchten über Intrigen und sentimentale Abenteuer, mit denen die einfachsten Ereignisse erklärt werden sollten. Da es Ministern nicht gestattet war, ihre Memoiren zu veröffentlichen, und die Presse weiterhin zensuriert wurde, trat an die Stelle tatsachentreuer Information der Klatsch. In einer Atmosphäre von Halbwahrheiten wurde das Reich durch Improvisation zusammengehalten. Die Taktik des Zögerns hätte vielleicht noch länger Erfolg gehabt, hätten nicht nach Dekaden des Zauderns Graf Berchtold und seine Ratgeber im Juli 1914 eine falsche Initiative ergriffen. Der damals bereits 84jährige Kaiser, der in der Vergangenheit so viele Absichten durchkreuzt hatte, war bereits zu alt, um seiner Vorliebe für Kompromisse - fünf Minuten vor zwölf - noch zum Durchbruch zu verhelfen. Aristokratie und niederer Adel. Privilegien als Kontrolle von Neuerungsbestrebungen Die geordnete Lebensführung Franz Josephs stand in schroffem Gegensatz zur Leichtfertigkeit seines Hofes. Die bessere Gesellschaft gliederte sich in zwei Kreise, einen oberen des Hochadels oder der Aristokratie und einen niedrigeren des Brief- oder Dienstadels.14 Innerhalb der obersten Gesellschaftsschicht genossen jene, die von ehemaligen, 1806 der Souveränität entkleideten Herrscherfamilien abstammten, den Vorzug vor denen, deren Vorfahren niemals ein Fürstentum des Heiligen Römischen Reiches regiert hatten. Mitglieder des Hochadels trugen die Titel Fürst, Graf oder, wenn sie der kaiserlichen Familie angehörten, Erzherzog. Der Brief- oder Dienstadel, durchwegs Familien, die infolge irgendwelcher der Krone geleisteter Dienste einen Titel erworben hatten, umfaßte in absteigender Rangordnung die Titel Freiherr, Ritter, Edler und das einfache von. Der Titel Hofrat, der verdiente ältere Beamte im öffentlichen Dienst zierte, war kein Adelstitel. Der Hochadel wurde mit „Hochgeboren" tituliert, Angehörige des niederen Adels hingegen - und manchmal sogar gewöhnliche Bürger - mit „Herr Baron" oder „Wohlgeboren". Die Mitglieder dieser beiden Gesellschaftsschichten vermengten sich nur anläßlich von Wohltätigkeitsbällen während des Faschings. Zwecks deutlicherer Differenzierung wurden sie auch im Almanach de Gotha getrennt aufgeführt. Offiziell fand dies alles am 3. April 1919 ein Ende, als die Republik Österreich den Adel aufhob und selbst den Gebrauch des Prädikats „von" in amtlichen Urkunden untersagte; der dennoch fortgesetzte Gebrauch von Titeln in der Gesellschaft konnte dadurch freilich nicht verhindert werden. Zwei Jahre 54

später faßte der Stadtrat von Wien den Beschluß, kaiserliche Statuen zu entfernen und Straßennamen, die an das Kaiserreich erinnerten, zu ändern, doch gelangte dies nur unvollständig zur Durchführung. Mitglieder des Brief- oder Dienstadels waren am H o f Franz Josephs nicht zugelassen. Nach einer alten hierarchischen Usance mußte man 16 Viertel Adel besitzen, um hoffähig zu sein, das heißt man mußte 16 Ur-Ur-Großeltern haben, die alle adelig waren. Was die Durchführung dieser Usance anlangte, verließ sich der Kaiser auf die Unbestechlichkeit seines Obersthofmeisters, als welcher durch lange Jahre Fürst Montenuovo ( 1 8 5 4 - 1 9 2 7 ) fungierte, ein Enkel Maria Luises, der Tochter Franz' I. und Witwe Napoleons, die einen Grafen Adam Albert Neipperg geheiratet hatte. Der Obersthofmeister war der ranghöchste der vier obersten Hofbeamten, höher als der Oberst-Hofmarschall, der Oberst-Kämmerer und der Oberst-Stallmeister. Diese Positionen konnten nur Männer von reinster Abkunft bekleiden; sie waren privilegiert, ein Dutzend niedrigerer Beamter und Hunderte von Dienern zu leiten. Montenuovo quälte nicht nur Franz Ferdinands Gemahlin, er wies auch immer wieder die Bestechungsangebote von Finanzmännern ab, die bei H o f zugelassen werden wollten. Bis etwa 1885 waren selbst die Frauen der Minister aus diesem erlesenen Kreis ausgeschlossen, und später durften nur die Gattinnen jener Minister, die in Amt und Würde waren, mit ihren Männern bei H o f erscheinen. Es war ein Vorteil des Offiziersstandes, daß jeder Offizier hoffähig war — ein Privileg, das sehr viel Prestige verlieh. Die Aristokratie beschränkte sich auf 80 Familien, die untereinander so vielfältig verschwägert waren, daß sie eine einzige große Familie darstellten. Man war untereinander per du und sprach sich mit Spitznamen an, ausgenommen die Mitglieder der kaiserlichen Familie. Von Dezember bis Mai verkehrten diese Familien gemeinsam auf einer Reihe von Gesellschaften, bei denen jeder über die Einzelheiten des Lebens eines jeden Bescheid wußte. Eingesponnen in Exklusivität und wechselweise Beglückwünschungen verstand man einander in oft nur halb ausgesprochenen Floskeln. Die Favoriten der Hofgesellschaft waren jene Erzherzöge und Erzherzoginnen, um 1884 Sechsundsechzig an der Zahl, die von den zahlreichen Kindern Maria Theresias und ihres Sohnes Leopold II. abstammten. Viele von ihnen bekleideten militärische Kommandostellen, auch nach der Reform von 1868. Fast alle waren der Bevölkerung bekannt, die auf der Straße ihren Wagen zujubelte, wie sie sonst Schauspieler und Schauspielerinnen akklamierte. Martin Freud erzählt, wie er als Kind die kaiserliche Familie verehrte: „Wir Freud-Kinder waren alle hartnäckige Monarchisten . . . (bei der Hofburg) konnten wir mit Sicherheit das Ausmaß der Wichtigkeit eines Vorbeifahrenden nach der Farbe der hohen Räder und der Neigung, in der der herrlich livrierte Kutscher seine Peitsche hielt, erkennen." 15 Mitglieder der kaiserlichen Familie sprachen Schönbrunndeutsch, eine feinere Abart des Wiener Dialekts, doch war diese Redeweise der von Mietkutschern so ähnlich, daß es - zumindest in der Prägung - schwierig war, die gesellschaftliche Schicht allein nach der Aussprache festzustellen. Innerhalb des Hochadels wurde unbewegliches und bewegliches Vermögen als Fideikommiß vererbt. Die Familienländereien fielen jeweils dem ältesten 55

Sohn zu, der als regierender Fürst oder Graf gemeinsam mit Bischöfen und Familienmitgliedern auf Lebenszeit im Herrenhaus saß. Die jüngeren Söhne, durch die Majoratsrechte zurückgesetzt, mußten selbst sehen, wo sie blieben, und lebten oft unter dem Dach des Bruders. Das Fideikommiß geht auf das mittelalterliche fidei commissum zurück, von welchem noch Anno 1885 nicht weniger als 292 österreichische Familien profitierten, indem sie ungeheure Reichtümer anhäuften, bis schließlich 1919 das Fideikommiß außer Kraft gesetzt wurde. Kurz vor dem Ersten Weltkrieg verfügte Fürst Schwarzenberg in Südböhmen über folgende Besitzungen: 7 Fideikommiß-Güter von insgesamt 315.000 Morgen und 4 Freigüter von insgesamt 45.000 Morgen, die insgesamt 12 Schlösser, 95 Meiereien, 12 Brauereien, 2 Zuckerraffinerien, 22 Sägemühlen und mehrere Graphitminen umfaßten. Als oberster Herr über 73 Pfarren mit 87 Kirchen beschäftigte er 5000 Bauernfamilien und mehrere hundert Angestellte.16 In einem derartigen Haushalt verehrten die persönlichen Diener ihre Herren in der Erwartung, daß diese sie dafür auch im hohen Alter versorgen würden. Von Juni bis Oktober und November verließ der Hochadel Wien, um den Sommer auf den Landgütern zu verbringen und dort zu jagen. Einmal im Jahr, am Familientag, pflegten sich alle Verwandten um das Oberhaupt der Familie zu versammeln; die Männer brachten den Tag auf der Jagd zu, während die Frauen die Festlichkeiten der kommenden Saison planten. Die Jagd war eine Leidenschaft des Adels, auch der Kaiser und sein Sohn frönten ihr. Im Juni 1898 versammelten sich 5000 Jäger aus den entferntesten Ecken des Reiches in Schönbrunn und veranstalteten - als Teil des 50-Jahr-Jubiläums Franz Josephs - ein Preisschießen zu Ehren des Monarchen. Während des Winters war die Hofreitschule ein Anziehungspunkt für Reiter; die Österreicher und vielleicht noch mehr die Ungarn waren berühmt ob der Vorzüge ihrer arabischen Pferde und ihres Geschicks als Reiter. Franz Joseph selbst war stolz auf die kaiserlichen Stallungen, in denen 400 Pferde standen, fast alle tief schwarz oder reinweiß; die Braunen zogen den Wagen des Kaisers. Wenngleich einige Adelige den leichtsinnigen Lebenswandel ablehnten, wurden diese Ausnahmefälle doch immer seltener, je mehr der Mittelstand an Macht gewann. In dem von Kronprinz Rudolf gemeinsam mit Carl Menger verfaßten anonymen Pamphlet wurde dem Adel vorgeworfen, er verzettle sich bei Jagden und Gesellschaften und lehne es ab, am politischen Geschehen teilzunehmen oder sich wenigstens einer militärischen Ausbildung zu unterziehen, nachdem jüngst eingeführte Prüfungen die Anforderungen dieses traditionsgemäßen Berufes erschwert hätten. Mör Jökai hielt dem Adel vor, daß er seinen Mitgliedern keine Unterstützung gewährte: Wenn einer sein Vermögen verjubelt hatte, stünden ihm seine Freunde ohne die geringsten Vorhaltungen zur Seite; sobald er jedoch ruiniert sei, ließen sie ihn im Stich.17 Wenn der Adel einerseits größere Privilegien genoß, so ging er andererseits auch größere Risiken ein als der gewöhnliche Bürger, falls er nicht imstande war, den äußeren Anstand zu wahren. Nicht wenige Adelige zogen ein exzentrisches Leben dem banalen Alltag vor. Die 1836 in Wien geborene Fürstin Pauline Metternich (t 1921) gehörte zu diesen. Enkelin des berühmten Staatsmannes, hatte sie ihren Onkel Richard, Metternichs Sohn, geheiratet. Während er 1859 bis 1870 Botschafter in Paris 56

war, belebte sie dort das gesellschaftliche Treiben, indem sie die antipreußischen Kreise stärkte. Nach ihrer Rückkehr nach Wien galt sie für rund vierzig Jahre als die beste Gastgeberin, organisierte unzählige Bälle, Kunstausstellungen, Konzerte, Festlichkeiten und Wohltätigkeitsveranstaltungen. Im Mai 1886 rief sie den Blumenkorso ins Leben, der dann zu einer alljährlich wiederkehrenden Institution wurde und einen neuen Höhepunkt der traditionellen Parade von Berühmtheiten im Prater am 1. Mai bildete. Eine andere schillernde Persönlichkeit - und damit bevorzugte Zielscheibe für Lästermäuler - war der Neffe des Kaisers, Erzherzog Otto ( 1 8 6 5 - 1 9 0 6 ) . Er war ein jüngerer Bruder Franz Ferdinands, hatte Maria Josepha, eine hübsche Tochter des Königs von Sachsen, geheiratet, und Karl ( 1 8 8 7 - 1 9 2 2 ) , ihrer beider Sohn, regierte später — 1916 bis 1918 — als Kaiser Karl I. Hin und her gerissen zwischen der Ubergenauigkeit seines Vaters und dem neapolitanischen Blut seiner Mutter, war Otto bei Tage der anspruchsvollste Offizier und Vorgesetzte, bei Nacht aber ein unheilbarer Lebemann. Einmal, als er und seine Reiterkumpane hinter einer Hecke einen Leichenzug sahen, setzten sie mit ihren Pferden über den Sarg. Sein wohl berühmtester Streich war, im Foyer des Hotel Sacher vor Damen splitternackt zu erscheinen, bekleidet nur mit einem Säbel und einer Offizierskappe. Nachdem Engelbert Pernerstorfer (1850—1918), der sozialdemokratische Abgeordnete mit deutschnationalen Tendenzen, versucht hatte, während einer Reichsratsdebatte über Studentenunruhen auf diese Exzesse anzuspielen, wurden er und seine Frau in ihrem Heim von zwei Schlägern überfallen.18 Obwohl das Parlament diese Einschüchterung eines seiner Mitglieder verurteilte — es handelte sich um den ersten Zwischenfall dieser Art - , lehnte die Polizei eine Verfolgung der Missetäter ab. Mit den Jahren wurde Ottos Syphilis immer schlimmer, so daß er schließlich, um seine Verunstaltung zu verbergen, eine Ledernase tragen mußte. Ungeachtet seiner eigenen Affäre mit einer Schauspielerin beklagte Otto 1900 die morganatische Heirat Franz Ferdinands. Als Otto starb, erging sich die Presse in unbändigen Lobpreisungen auf einen Erzherzog, von dem jeder wußte, daß er ein Wüstling gewesen war. Ein minder privilegierter Exzentriker war der aus Mähren stammende Katholik Graf Adalbert Sternberg ( 1 8 6 8 - 1 9 3 0 ) , ein Weltreisender, der sechs Sprachen beherrschte, exzessiv trank und sarkastische Feuilletons verfaßte. Um seinem Arger über die Abschaffung von Titeln in der Republik Österreich und in der Tschechoslowakei Luft zu machen, änderte er seine Visitenkarte folgendermaßen: Adalbert Sternberg Geadelt von Karl dem Großen 798 Entadelt von Karl Renner 1918. 19 In seinen Memoiren Warum Österreich zugrunde gehen mußte (Wien 1927) geißelte Sternberg die Immunität von gewissen Persönlichkeiten des Hofes, wie etwa Erzherzog Ottos, indem er erklärte, der Schutz, den derartige Ausgeburten genossen, habe den Zusammenbruch der Monarchie beschleunigt. Für die meisten Aristokraten war das Hotel Sacher eine zweite Heimat. Anna Sacher geb. Fuchs ( 1 8 5 9 - 1 9 3 0 ) übernahm den Betrieb 1892 von ihrem 57

verstorbenen Gatten Eduard, der ihn 1876 gegründet hatte. Bekannt als zigarrenrauchendes anspruchsvolles Original, kannte sie jeden ihrer Gäste persönlich. Ein mittelloser Charmeur, der ihr gefiel, konnte alles zu Spottpreisen haben, aber einem Millionär, den sie verachtete, wurde die Tür gewiesen. Der vordere Speisesaal, berühmt wegen seiner erlesenen Tafelfreuden, war für die Gäste ihrer Wahl reserviert; in der Küche jedoch wurden regelmäßig Arme versorgt. Die Chambres separees in den Obergeschossen waren bekannt als Brutstätten politischer Intrigen und als Refugien für intime Rendezvous. Am 1. Dezember 1921 vertrieb Frau Sacher eine Horde streikender Arbeiter, die gerade drei in der Nähe gelegene Hotels demoliert hatten. Die Zigarre in der Hand, bellte sie die Menge auf gut wienerisch an und brachte sie dazu, sich zu zerstreuen. Sie rettete damit die Porträts von Franz Joseph und Wilhelm II., die bis zu ihrem Tod den Speisesaal zierten.20 Max Graf bietet eine Miniatur der Gesellschaft, die Anna Sacher versorgte: „Ich sehe noch den distinguierten Graf Berchtold vor mir, wie er an einem Sommertag des Jahres 1914 im Eingang eines Ringstraßenhotels stand. Er hatte soeben die Kriegserklärung an Serbien unterschrieben. Nun stand er hier, schlank, mit einem ironischen Lächeln, eine Zigarette mit Goldmundstück in seinen manikürten Fingern, und betrachtete die Menge, unterhielt sich gelegentlich mit Vorübergehenden. So trat die kultivierte Ringstraßengesellschaft in den 1. Weltkrieg ein, der sie zerbrach. Sie hatte gelebt mit Lachen und Scherzen, und mit Lachen und Scherzen starb sie."21 Das unheilvolle Privileg des Adels war seine Macht, Karrieren aufzubauen oder auch zu zerstören. Da die führende Schicht der Bürokratie den Mitgliedern der Hofgesellschaft verpflichtet war, mußte jedes Unternehmen, das auf bürokratischer Ebene durchkommen wollte, zunächst einmal die Zustimmung des Hofes haben. Durch das Phänomen der Protektion beeinflußten Erzherzöge und Fürsten nahezu jeden Aspekt des öffentlichen Lebens, so daß die Mittelstände gezwungen waren, jedes angestrebte Ziel durch ein „Hintertürl" zu erreichen. Hanns Sachs hat beschrieben, wie die Aristokratie ihre Autorität ausnützte — wenn nicht durch Brutalität, so doch mit einer Art „anmutiger und herablassender Gefühllosigkeit": „Ohne jede Spur von Organisation oder Führerschaft konnte ihre amorphe, anonyme und verantwortungslose Macht in nur einer Weise funktionieren: Im Verhindern von Neuerungen, im Ausschließen aller neuen Kräfte von einer Zusammenarbeit. "22 Die Protektion beeinflußte nicht nur die Berufung von Universitätsprofessoren, sondern schlechthin alle kulturellen Belange. Hofoper und Burgtheater hatten unter ständiger Einmischung zu leiden. 1900 wurde Arthur Schnitzlers Stück Der grüne Kakadu vom Spielplan des Burgtheaters abgesetzt, angeblich weil der Direktor den „Gefallen" daran verloren hatte - in Wahrheit, weil eine Erzherzogin an dem in dem Stück ausgedrückten Lob für die Französische Revolution Anstoß genommen hatte. 23 Zwei Jahre zuvor hatte Katharina Schratt damit gedroht, ihre Laufbahn zu beenden, falls Schnitzlers Der Schleier der Beatrice nicht, wie versprochen, aufgeführt würde, auch wenn das Stück für die freie Liebe eintrat. Da der Kaiser nicht wünschte, daß Frau Schratt sich gerade 58

während seines Jubiläumsjahres von der Bühne zurückziehe, bestellte er eine Rolle für sie, in der sie einen schwarzen Spitzenumhang zu tragen hatte, wie es zu einer verführten Frau paßte, die die Absicht hatte, Selbstmord zu begehen ... 1900 verließ Frau Schratt das Burgtheater, als sich der Direktor weigerte, ein französisches Stück, das sie ausgesucht hatte, anzunehmen; der Direktor bestand darauf, daß die Figur Napoleons die Bretter dieses erhabenen Theaters nicht betreten dürfe. Nach dem Abgang der Schratt besuchte Franz Joseph das Burgtheater nie mehr wieder. 24 Der Kaiser mischte sich sogar in Angelegenheiten der Justizverwaltung ein. Als 1899 sein Onkel Erzherzog Ernst, ein Cousin seines Vaters und Bruder des populären Erzherzogs Rainer Ferdinand, starb und sein Vermögen den vier Kindern seiner morganatisch angetrauten Gattin vermachte, ließ Franz Joseph die Kinder für illegitim erklären, so daß das Vermögen dem achtzigjährigen Erzherzog Rainer zufallen konnte. Als eine der um ihr Erbe geprellten Töchter gerichtliche Schritte unternahm, verlor sie den Prozeß in allen Instanzen dank dem Einfluß von Seiten des Hofes, obwohl einige der Richter lieber zurücktraten, als daß sie sich dem Druck gebeugt hätten. 2 5 Der kaiserliche Hof konnte aber auch einzelne Personen, die er dessen für wert erachtete, belohnen. 1895 wurde dem kränkelnden A n t o n Bruckner durch Fürsprache der Erzherzogin Valerie im Park des Oberen Belvedere eine W o h n u n g zugewiesen. Zahlreichen Malern und Bildhauern ließ der H o f Aufträge z u k o m m e n . H a n s Makart erhielt auf Staatskosten eine Villa zur Verfügung gestellt, indes andere - die große Mehrheit der jüdischen Künstler eingeschlossen - selber sehen m u ß t e n , wo sie blieben. Aber trotz den Mißbräuchen und Ungerechtigkeiten der Protektionswirtschaft und des Leichtsinns, den der Adel an den Tag legte, brachten die Aristokraten einen unersetzlichen Zug von geistiger Unabhängigkeit in das kulturelle Leben. Als Mäzene förderten Philanthropen, wie die Fürstin Metternich und der Graf Hans Wilczek, Untersuchungen, die der Staat unterdrückte. Intellektuelle Vertreter des Hochadels, wie Christian von Ehrenfels und Richard CoudenhoveKalergi, sowie zahllose Söhne des niedrigeren Adels traten als Philosophen und Gesellschaftstheoretiker hervor. Eine Eigenschaft, die der Adel mit allen Klassen teilte, war die Liebe zur Kunst und zu Festlichkeiten. Sowohl im Theater als auch im Prater vereinten sich höhere, mittlere und niedrigere Klassen in einer, wie Hermann Broch sie nannte, „StilDemokratie". 2 6 Angehörige aller Klassen mißtrauten dem Staat als einer Abstraktion ohne jedes ethische Ziel und zogen es vor, sich ihm zu entziehen. Auch einige Vorurteile hatten die Aristokraten mit der unteren Mittelschicht gemeinsam. Beide waren der wohlhabenderen Mittelschicht, insbesondere der diesen Kreisen entstammenden Bürokratie, nicht gut gesinnt. Und beide verehrten die ländliche Gesellschaft und fürchteten die Leistungsorientiertheit des städtischen - und des jüdischen - Liberalismus. Adel und untere Mittelschicht konspirierten miteinander, um Neuerungen hintanzuhalten: diese unterwanderte den Liberalismus mit christlichem Sozialismus, jener ermutigte den Hof, den Status quo aufrechtzuerhalten. 59

3. EIN REICH DER BÜROKRATEN

Einhelligkeit gegen Bestechlichkeit in einer antiquierten Bürokratie Die Bürokratie, die Maria Theresia und Joseph II. geschaffen hatten, drang bis in die letzten Fleckchen des österreichischen Lebens vor. Das erklärte Ziel der Verwaltung war es, innerhalb des ganzen Reiches eine gewisse Einheitlichkeit zu verbreiten, indem sie die nichtdeutschen Völker den habsburgischen Stammländern anglich und jedermann dazu verhielt, den Erlässen der Krone Folge zu leisten. Embleme der Gleichförmigkeit überzogen das ganze Reich: An jedem Gerichtsgebäude, jedem Postamt, jedem Bahnhof prangte ein gelbes Schild mit dem schwarzen Doppeladler. In der Bukowina wie in Wien trugen die Bahnbediensteten die gleichen dunkelblauen Uniformen und läuteten die gleichen Glocken. Cafés und Hotels von Lemberg bis Laibach imitierten die Wiener Vorbilder, Kaufleute und Fiaker kleideten sich wie ihre Wiener Standesgenossen und gestikulierten in der gleichen Art, so daß sich ein Reisender an der russischen Grenze nicht weniger zu Hause fühlte als in den italienischen Alpen. Diese gemeinsamen Annehmlichkeiten und Bräuche hatten ihren Ursprung in Vorschriften, die das Reich umfaßten und jene scheinbare Einheit schufen, deren Zauberbild die Romantiker nach 1918 erlagen. Trotz dieses äußeren Anscheins von Sicherheit, den sie schuf, sah sich die Bürokratie eher gefürchtet als bewundert. Der Titel Hofrat — 1765 für hohe Beamte eingeführt — garantierte schließlich die Macht, Protektion auszuspielen. Nach 1850 kamen neue Titel auf, wie etwa Ministerialrat oder Sektionsrat; sie sollten dem ständig zunehmenden Beamtentum Würde verleihen. Franz Joseph genoß bei allen Ernennungen ein Vetorecht. Einmal aufgenommen, umgab Beamte eine Welt der Sicherheit, in der Beförderungen in vorgeschriebenen Intervallen erfolgten, bis man — für gewöhnlich nach dreißig Jahren - in Pension gehen konnte, um sich vielleicht in Graz, der „Pensionopolis", niederzulassen. Viele hohe Beamte waren stolz auf ihren Fleiß und ihre Unparteilichkeit, was in den Memoiren Alexander Spitzmüllers (1862—1953), des letzten kaiserlichen Finanzministers, bezeugt wird. 1 Eine andere Säule der Rechtschaffenheit war Heinrich Lammasch (1853—1920), ein Verfechter der Friedensbewegung, letzter kaiserlich-österreichischer Ministerpräsident. Ernst Lothar, ursprünglich Richter, erinnert sich, daß er als Student Professor Lammasch über die Protektion herziehen gehört habe und daß Lammasch darauf bestand, daß ein Richter keine Einmischung zu dulden habe, komme sie nun von Hofräten, Aristokraten oder vom Kaiser. Einmal, als Lothar einen Fall gegen einen von Lammaschs Verwandten führte, kam der alte Mann, um sich über den Stand der Causa zu erkundigen. Der junge Richter fürchtete schon, sein verehrter Lehrer könnte gekommen sein, um zu intervenieren. Aber als Lothar ihm sagte, der Fall 60

würde vor Gericht verhandelt werden, erwiderte Lammasch nur: „Danke für die Auskunft" und erfüllte so Lothar zum erstenmal mit Stolz auf seinen Beruf. 2 Ein Beamter mit größerem Neuerungsstreben war Emil Steinbach (1846— 1907), ein zum Katholizismus konvertierter Jude. 3 Vom Justizministerium aus unterstützte er Taaffes Gesetz von 1883, das ein Handelsinspektorat ins Leben rief, um Sonntagsarbeit zu verhindern und die Arbeitszeit für Frauen und Jugendliche zu beschränken. 1887 arbeitete Steinbach ein Programm für die Kranken* und Unfallversicherung der Arbeiter aus, das über die Sozialgesetzgebung Bismarcks hinausging, und als Finanzminister von 1891 bis 1893 leitete er die Währungsreform des Reiches. Obwohl sein Vorschlag, das allgemeine Wahlrecht einzuführen, zum Sturz des Kabinettes Taaffe führte, hatte Steinbach mitgeholfen, Österreich das zu geben, was Viktor Adler 1891 als die beste Sozialgesetzgebung bezeichnete, die je ein Land außer der Schweiz und England gehabt habe. 4 Unglücklicherweise geriet die österreichische Industrie durch die mit diesen Arbeitsgesetzen verursachten Unkosten gegenüber der deutschen und sogar der ungarischen Konkurrenz ins Hintertreffen. 1904 wurde Steinbach als zweiter Jude zum Präsidenten des Obersten Gerichtshofes ernannt. Er war einer von vielen Beamten, die von der Lehrtätigkeit an einer Universität in den Dienst eines Ministeriums übertraten. Ein anderer war der aus Deutschland stammende Karl Theodor Inama von Sternegg ( 1 8 4 3 - 1 9 0 8 ) , der von 1884 bis 1908 die Statistische Zentralkommission leitete und die österreichischen Volkszählungen von 1890 u n d 1 9 0 0 zu den detailliertesten der W e l t machte. V i e l e n W i r t s c h a f t s wissenschaftlern und Juristen gelangen derartige Doppelkarrieren; sie brachten damit Neuerungen in die Regierung u n d praktische Erfahrungen in den akademischen Unterricht. 1882 traten die Vorteile später Industrialisierung verstärkt zutage, als ein aus Deutschland stammender Beamter des Handelsministeriums namens Georg Theodor Coch (1842—1890) die Techniken des Postsparens in England, Belgien, H o l l a n d u n d Frankreich studierte und dann ein gleichartiges System für Österreich ausarbeitete. Seine vergleichenden Studien auswertend,. entwickelte er den ersten Postscheck, der danach prompt in ganz Europa eingeführt wurde. Unglücklicherweise konnten die Energien solcher Neuerer nicht verhindern, daß die Bürokratie öfter zu einer Brutstätte der Trägheit als zur Wiege des Fortschritts wurde. Dies teilweise deshalb, weil die Regierung ihre Angelegenheiten mit dem Schleier der Geheimhaltung umgab. Franz Joseph legte seinen Ministern nahe, keine Memoiren zu schreiben. Den Feldzeugmeister Benedek ließ er, wie schon erwähnt, sogar durch einen Eid binden, u m dies zu verhindern. Nicht nur daß der Kaiser seine Minister in kritischen Situationen fallen ließ, veranlaßten auch häufige Änderungen in der Verfassung — 1848, 1860, 1861, 1867, in den Jahren nach 1880, 1897, 1907 und 1914 - Staatsmänner, die mit einem System identifiziert w u r d e n , im nächstfolgenden von der Bildfläche zu verschwinden. 5 In der allgemeinen Atmosphäre von Unwissenheit war einzig der Reichsrat, die Volksvertretung für den cisleithanischen Teil der Monarchie, ein Forum, wo die B ü r o k r a t i e öffentlichen N a c h f o r s c h u n g e n d u r c h streitbare Abgeordnete wie etwa Engelbert Pernerstorfer preisgegeben werden konnte. Die begreifliche S p a n n u n g zwischen dem Reichsrat u n d den Ministerien erreichte 61

1897 ihren Höhepunkt, als der polnische Graf Kasimir Badeni (1846-1909) seine Sprachenverordnungen einbrachte. Badeni hatte sich verkalkuliert, als er das Jahr, in dem der Zehnjahresvertrag zwischen Osterreich und Ungarn erneuert werden sollte, als Zeitpunkt für eine protschechische Gesetzgebung wählte. Konservative und Deutschnationale vereinigten sich, um die Erneuerung solange zu boykottieren, bis entweder Badeni aus dem Amt ausscheiden oder seinen Vorschlag, das Tschechische als Amtssprache in Böhmen einzuführen, zurückziehen würde. Dieser Boykott im Oktober 1897 brachte Taktiken des Widerstandes mit sich, für die es bislang auf dem europäischen Festland kein Beispiel gegeben hatte. Jede Partei schmuggelte irgendwelche lärmerzeugenden Instrumente in den Reichsrat ein — Pfeifen, Ziehharmonikas, Schlittenschellen, Kuhglocken, Posaunen, Jagdhörner, Trommeln - und bestimmte ein Mitglied zum Kapellmeister, sobald ein Redner im Lärm ertränkt werden sollte. Mark Twain, der sich zu dieser Zeit gerade in Wien aufhielt, hat eine graphische Darstellung dieser Störaktionen hinterlassen, als Illustration zu einer dramatischen Schilderung der Marathonrede, die Dr. Otto Lechner, Präsident des Brünner Handelsrates, vom 28. Oktober 1897, 20.45 Uhr, bis 29. Oktober, 8.45 Uhr, hielt. 6 In Mähren und Böhmen wurde Lechner zum Nationalhelden; man bildete ihn auf Postkarten ab und bereitete ihm bei seiner Rückkehr nach Brünn einen triumphalen Empfang. Badenis Sturz erfolgte einige Tage später, nachdem er 60 Polizisten aufgeboten hatte, die den Reichsrat von Störern hätten säubern sollen. Der Boykott fesselte das öffentliche Interesse so sehr, daß sogar der sonst unpolitische Sigmund Freud seine Gewohnheit, sich elf Stunden täglich den Patienten zu widmen, mit der Rekordrede Dr. Lechners verglich. 7 Obwohl derartige Störaktionen erstmals bereits 1877 von irischen Abgeordneten im britischen Parlament praktiziert worden waren u n d obwohl im selben Jahr, in dem Dr. Lechners M a r a t h o n stattfand, in Bukarest ein Rumäne eine siebenunddreißigstündige Rede hielt, bot doch Osterreich den locus classicus einer Gesetzgebung, die von Mitgliedern der Vertretungskörper, die sich über ihre eigene Geschäftsordnung lustig machten, lahmgelegt wurde. Dies führte zu dem unglücklichen Ergebnis, daß Franz Joseph im November 1897 den Artikel 14 des Verfassungsgesetzes über parlamentarische Vertretung anwenden ließ, der die Regierung ermächtigte, durch Notverordnungen zu regieren. Die Notwendigkeit, den Reichsrat während eines Großteils der nächsten zehn Jahre zu umgehen, brachte jeden, der damit zu tun hatte, in Mißkredit, vor allem aber die Regierung, der man jeden Fehlschlag anlastete. Obwohl die Gewährung des allgemeinen Wahlrechts für Männer 1907 die parlamentarische Regierungsform wiederherstellte, löste Graf Stürgkh nach neuerlichem Einsetzen der Obstruktion im März 1914 den Reichsrat auf. Dieser konstituierte sich erst wieder am 30. Mai 1917. Ministerpräsident Stürgkh verachtete das Parlament, hielt sich allein dem Kaiser gegenüber für verantwortlich und ließ so das Reich in den Ersten Weltkrieg hineinschlittern, wobei er sich auf das 1913 beschlossene Kriegsdienstgesetz berief. Dieses rechtfertigte Presse- u n d Postzensur sowie die allgemeine Aushebung von Personen u n d Besitztümern. 8 Im Gegensatz zu Ungarn führte Österreich im Krieg noch nie dagewesene Geheimhaltungsmaßnahmen ein. Angesichts einer Nahrungsmittel62

knappheit, die auf eine Verwüstung des galizischen Weizens und seitens der Ungarn auf ein Abriegeln ihrer Grenzen zurückzuführen war, versuchten die Bauern ihre Ernte auf dem schwarzen Markt zu verkaufen. Außer durch den Hunger und die Gerüchte von einer Niederlage wurde die Bevölkerung durch den kriegsbedingten Mangel an lebenswichtigen Gütern weiter demoralisiert. Vor 1914 hatte vor allem die Mittelschicht unter der schleppenden Arbeitsweise einer Verwaltung zu leiden, die nach dem Motto „Wir können warten" arbeitete. Der Amtsschimmel war bereits legendär geworden: in Wien ging jede Steuerzahlung durch die Hände von sage und schreibe 27 Beamten. Um 1905 gewann ein Zugsabfertiger, der wegen Fahrlässigkeit vor Gericht gestellt worden war, den Prozeß, als sein Verteidiger dreißig Bände vor den Richter schleppte und erklärte: „Irgendwo in diesen dreißig Bänden steht die Vorschrift, die verletzt zu haben mein Klient angeklagt ist!"9 Die 1787 zur Vermehrung der Staatseinnahmen gegründete Staatslotterie brachte die Armen um ihre Ersparnisse: sie ließen sich in der Hoffnung auf immer größeren Gewinn zu immer weiteren Ausgaben verleiten. 1891 beklagte Carl Menger den Mangel an sinnvoller Initiative seiner Landsleute, indem er versicherte, daß die drei Söhne eines Cafetiers sicherlich jeder ein Kaffeehaus in derselben Stadt eröffnen würden und die Söhne eines Bäckers je eine neue Bäckerei. Bestechung war in gewissen Institutionen geradezu epidemisch. Im Gefängnis des Landesgerichtes Wien konnte sich der Gefangene jeden Wunsch — von Büchern bis zu einer Geliebten — erfüllen, wenn es ihm nur gelungen war, Geld einzuschmuggeln, um die Wachen zu bestechen.10 Ein etwas feinerer Mißbrauch bestand darin, daß junge Männer in den öffentlichen Dienst eintraten und dort einige Jahre zubrachten, um sich so für private Geschäfte „aufzubauen", in denen sie dann die Vertrautheit mit dem inneren Funktionieren der Verwaltung verwerten konnten. Wiederholt leisteten sich die Gerichtshöfe wie die Polizei Schändlichkeiten — sie brachten das zur Entfaltung, was Karl Kraus als Bürokretinismus zu bezeichnen pflegte. 1906 wurde in Triest ein italienischer Arbeiter, Anton Zamparatti, wegen Majestätsbeleidigung eingekerkert, weil er den Kaiser andauernd „König" genannt hatte. 11 1904 brachte in Leoben eine Witwe fünf Monate im Gefängnis zu, während die Autoritäten einige gegen sie gerichtete Anklagen wegen Hexerei untersuchten. 12 1906 publizierte Karl Kraus den Fall Regine Riehl, Bordellbesitzerin in Wien, die wegen Wuchers und dauernder Mißhandlung ihrer Mädchen zu dreieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt wurde. 13 Bei ihrer Verhandlung sagten höhere Beamte der Polizei aus, daß Untergebene gezögert hätten, eine Verfolgung einzuleiten, da sie das Vorrecht genossen, das Etablissement gratis zu besuchen. Kraus stellte fest, daß erst die Bloßlegung der Sachverhalte durch die Presse die Polizei gezwungen habe, die Mädchen gegen unfaire Arbeitgeberpraktiken zu schützen. Die Wiener Presse suhlte sich geradezu in Bestechlichkeit. Beamte hielten sich bevorzugte Mittelsmänner, über die sie Neuigkeiten durchsickern ließen oder Gerüchte in die Welt setzten. Die „Revolverblätter" erpreßten prominente Persönlichkeiten und Geschäftsleute mit der Drohung, gewisse Enthüllungen nur gegen entsprechende Belohnung zurückzuhalten. Durch die käuflich erworbene 63

Unterstützung von Seiten einer Zeitung konnte sich die Südbahn bis 1923 der Verstaatlichung entziehen, während z. B. die Nordbahn bereits 1885 auf Grund von Gerüchten über gesetzwidrige Handlungen der Enteignung anheimfiel. 14 Der vielleicht berühmteste Presseskandal betraf einen Artikel, den der deutschnationale Historiker Heinrich Friedjung (1851-1920), ein konvertierter Jude, am 25. März 1909 in der Neuen Freien Presse veröffentlichte: er beschuldigte einen serbischen Abgeordneten, Supilo, der Konspiration mit Agenten in Belgrad.15 Eine Verleumdungsklage gegen Friedjung im Dezember 1909 brachte an den Tag, daß eine so hochgestellte Persönlichkeit wie der Außenminister Aloys Aehrenthal (1854-1912) dem ahnungslosen Friedjung Dokumente zugespielt hatte, die ein Doppelagent — möglicherweise sogar mit Wissen des Außenministers — gefälscht hatte. Friedjungs Ruf als Historiker konnte nie ganz wiederhergestellt werden, da er außerstande war, den Schwindel einwandfrei zu entlarven. Nichts wirft ein bezeichnenderes Licht auf die Lässigkeit der Bürokratie als ihre Art, die Pressezensur zu handhaben. 16 Jeden Morgen wurden von jeder Zeitung eilig Vorausexemplare dem Zensor zugestellt, der dann nach seinem Gutdünken Artikel beschlagnahmte. An der Stelle dieser Artikel wurden die Blätter dann von weißen Flächen geziert, in denen das Wort „Konfisziert" zu lesen war. Da die Zeitungen aber zu rasch gelesen wurden, kam es des öfteren vor, daß ein Artikel, den man in einer Zeitung konfiszierte, in einer anderen übersehen wurde, wo er dann fröhlich erschien. In solchen Fällen war es jeder Zeitung automatisch erlaubt, den Artikel nachzudrucken — wenn sie dessen unkonfiszierte Version als Quelle angab. Verläßlicher war die vorbeugende Zensur, die so arbeitete, daß Polizeibeamte die Verleger davon in Kenntnis setzten, daß gewisse Angelegenheiten vertuscht zu werden hätten. Die Zensurbehörde vergab Lizenzen an Bewerber, die ein Verlagsgeschäft eröffnen wollten; bis 1894 hatten sie eine erhebliche Kaution zu erlegen, aber auch ihr Charakter oder ihre politische Betätigung konnten für Erteilung oder Ablehnung einer Lizenz ausschlaggebend sein. Bis 1903 war sogar der Verkauf von Zeitungen an eine Lizenz gebunden und damit auch auf einige wenige, weit verstreute Kioske beschränkt. Kolporteure waren bis 1922 nicht erlaubt. Auf Betreiben Bismarcks versuchte GrafTaaffe im Januar 1883 Moriz Szeps' Neues Wiener Tagblatt zu ruinieren, indem er den Verkauf an Kiosken verbot; Szeps mietete daraufhin leerstehende Lokalitäten, vor denen auf Plakaten der Verkauf der Zeitung angekündigt wurde. 17 Kaum hatte Szeps diese Verfolgung überstanden, gründete er 1886 das Wiener Tagblatt, um seine Kampagne für eine Freundschaft zwischen Osterreich und Frankreich wieder aufzunehmen. Die meisten Zeitungen wurden per Post ausgeliefert, die Hauptabonnenten waren zahllose Kaffeehäuser, die oft eine lückenlose Sammlung aller Tages- und Wochenzeitungen führten. Um die Zeitungen weiter zu entmutigen, blieb ihr Verkauf bis 1898 steuerpflichtig, während offiziöse Blätter, wie etwa die Wiener Zeitung, als Kompensation dafür, daß sie amtliche Notizen veröffentlichten, keine Steuern zu zahlen brauchten. Unter Friedrich Uhi (1825—1906), dem Schwiegervater August Strindbergs, wurde die Wiener Zeitung zum führenden Kulturorgan und machte so der Neuen Freien Presse den Rang streitig.18 64

Aber auch Bücher k o n n t e n konfisziert werden. 1906 w u r d e H e r m a n n Bahrs Wien beschlagnahmt, weil es Bürgermeister Lueger wenig schmeichelhaft erschien. Erst ein Jahr später k o n n t e Josef Redlich, d e m Bahr das Buch gewidmet hatte, durch einen Appell an den Reichsrat die Beschlagnahme aufheben lassen. O b wohl sich die Z e n s u r unter d e m D r u c k des Kriegspressequartiers w ä h r e n d des Ersten "Weltkrieges verschärfte, k o n n t e n ihr doch viele gute Einfälle entgehen, was sich in d e m Ausspruch von Karl Kraus „Satiren, die der Zensor versteht, werden mit Recht verboten" widerspiegelt. Kraus selbst w u r d e einer behördlichen Unters u c h u n g unterworfen; sie zog sich so lange hin, bis das Reich z u s a m m e n b r a c h ; irgendein Vergehen k o n n t e Kraus nicht nachgewiesen werden. Die N e i g u n g der Bürokratie, über den eigenen Amtsschimmel zu stolpern, brachte jenen „durch Schlamperei gemilderten Absolutismus" mit sich, der gen u g Schlupflöcher bot, u m das Leben in einem Staat erträglich zu machen, der so viele heute selbstverständliche Freiheiten unterdrückte. Nach 1880 brachte das Verwaltungspersonal die Formalitäten zu einer derartigen Blüte, d a ß sie nicht nur jede R e f o r m , sondern selbst die R o u t i n e erstickten. Das System gegenseitiger Hilfeleistung o h n e Politik, das Taaffe „Fortwursteln" nannte, k o n n t e n u r in Stagnation e n d e n . D u r c h seine Unfähigkeit forderte das Regime gerade jene Kritik heraus, die z u m Schweigen zu bringen es sich jede erdenkliche M ü h e gab, u n d reizte z. B. Karl Kraus z u m Abfassen einiger der b e i ß e n d s t e n Satiren des 20. J a h r h u n d e r t s . D i e u n e r g r ü n d l i c h e n Beamten der R o m a n e Kafkas u n d die Kraus'schen Essays spiegeln Alltäglichkeiten der Bürokratie Franz Josephs wider. Nach außen hin eine Bastion der Einigkeit u n d des geordneten Lebens, leisteten sich die österreichischen Bürokraten schwere Mißgriffe, die einiges dazu beitrugen, Europa in eine Katastrophe zu stürzen.

D e r zweifelhafte Segen einer Friedensarmee Eine farbenprächtige Stütze des Habsburgerreiches war seine Armee. O b w o h l sie in den größeren Kriegen von 1740 bis 1918 Niederlagen zu verzeichnen hatte, war sie die populärste in ganz Europa; dies weniger durch ihre H e l d e n t a t e n auf d e m Schlachtfeld als wegen ihrer befriedenden Allgegenwart im Reich. 19 Die Garnisonen der kaiserlichen u n d königlichen - k. und k. — Truppen unter dem schwarzen Adler in der gelben Flagge überall im ländlichen Böhmen, in Galizien, Ungarn u n d Kroatien boten selbst den politisch desinteressierten Völkern ein eindrucksvolles Schauspiel monarchischer M a c h t . G e m e i n s a m m i t der 1849 g e g r ü n d e t e n G e n d a r m e r i e f u n g i e r t e die A r m e e auch als R ü c k h a l t , als s o g e n a n n t e Assistenz der inneren Polizeimacht, die f ü r A u f r e c h t e r h a l t u n g von R u h e u n d O r d n u n g verantwortlich war. D a es d u r c h a u s im Bereich des M ö g l i c h e n lag, d a ß die A r m e e etwa einen A u f r u h r der Sokoln in B ö h m e n oder der R u t h e n e n in der Bukowina niederschlagen m u ß t e - oder auch einen Konflikt zwischen den N a t i o n a l i t ä t e n stationierten die B e h ö r d e n slawische R e k r u t e n weit e n t f e r n t von ihrer H e i m a t u n t e r d e u t s c h e n Offizieren. Die Armee selbst w u r d e zu einem Schmelztiegel der Nationalitäten — sowohl die M a n n s c h a f t als auch die Offiziere e m p f a n d e n ihr gegenüber eine „schwarzgelbe" 65

Loyalität, die vielfach über alle nationalen Gefühle hinausging. Die vielleicht beste Beschreibung dieser Funktion der Armee ist Joseph Roths Roman Radetzkymarsch, der das Militär als lebendes Band zwischen dem Kaiser und dem Volk pries. Roths Titel stammt von einem Marsch, den Johann Strauß Vater komponiert und dem siegreichen Armeeführer von 1848 gewidmet hatte, und unterstreicht damit, wie sehr die Musik ein rundes Dutzend von Nationalitäten unter den Waffen vereinte. Das überragende Format der Militärmusik war es auch, das Stefan Zweig zu der ätzenden Bemerkung veranlaßte, die österreichisch-ungarische Armee besäße bessere Kapellmeister als Generäle. Obwohl man auf die Einheitlichkeit der Armee zur Überbrückung der Nationalitäten großen Wert legte, erregte doch die deutsche Kommandosprache auch Unzufriedenheit. Ungarischen Offizieren mißfiel es, daß sie andere Ungarn mit einem deutschen Siebzig-Wort-Vokabular kommandieren mußten. Obwohl die Unabhängigkeitspartei unter Ferenc Kossuth dies um 1900 zu einer größeren Affäre hochspielte, weigerte sich Franz Joseph nachzugeben. Der Kaiser schätzte seine Armee als Instrument der Einheit, als letztes Bindeglied zur Vergangenheit. Auch er nahm nicht weniger gern als Kaiser Wilhelm II. an Manövern teil und sprach persönlich mit den Kommandanten. Mit großem Stolz trug er als erster Soldat des Reiches die Uniform seiner Armee. Zusätzlich zu Verteidigungs- und Polizeiaufgaben hatte das Heer auch eine zeremonielle Funktion zu erfüllen. Alle Offiziere waren hoffähig und sprachen einander, wie der Adel, mit „Du" an. Dieser Brauch hatte sich unter Radetzky bei den in Italien stationierten Offizieren eingebürgert, die so ihre Kameradschaft und ein verstärktes Zusammenstehen inmitten einer feindseligen Bevölkerung ausdrücken wollten. Die österreichisch-ungarischen Offiziere trugen farbenprächtige Uniformen, blaue, grüne oder braune Waffenröcke, und auf den Hüten der Generalität wie auf denen der Generalstabsoffiziere prangten glänzend grüne Federbüsche, gleichsam als Kompensation für ihren häufigen Igelhaarschnitt; Sigmund Freud hat diese Federn mit dem Gefieder von Papageien verglichen. Die Anwesenheit eines Offiziers gereichte jedem Ballfest zur Zierde und spornte die Zivilisten dazu an, sich eleganter zu kleiden als anderswo in Europa. Die besondere Gunst des Publikums genossen die ungarischen Leibgardisten, eine von Maria Theresia gegründete Formation; sie trugen eine mit Silber besetzte scharlachrote Uniform mit Pardelfellen darüber und Pelzmützen. Wenn sie auf ihren weißen Pferden angeritten kamen, erregten sie die besondere Aufmerksamkeit aller Passanten und deren Kinder. Weil das Militär als Volksheer so populär war, rief der Erste Weltkrieg auch unter der Zivilbevölkerung keinen nennenswerten Widerstand hervor - die meisten Zivilisten respektierten das Militär fast genauso, wie sie den Kaiser verehrten. Obwohl die österreichisch-ungarische Armee eine stolze Fassade zur Schau stellte, befand sie sich dennoch vor allem aus finanziellen Gründen in einer permanenten Krise. Die nach der Niederlage von Königgrätz eingeleitete Reform förderte zwar den Berufssoldaten, bewirkte aber andererseits, daß allzuvieles Routineangelegenheit wurde; die Versorgung erreichte nie die Effizienz jener der preußischen Armee. Trotz eines Gesetzes, das 1868 die allgemeine Wehrpflicht, wie sie in Preußen längst bestand, einführte, diente letztlich infolge der hohen 66

körperlichen Anforderungen nur ein Viertel der Landbevölkerung die vorgesehenen drei Jahre ab. Andere wieder entgingen dem Militärdienst durch einen Vertrag von 1870, nach welchem jeder Mann, der die fünf zur Naturalisierung erforderlichen Jahre in den Vereinigten Staaten zugebracht hatte, von der Wehrpflicht befreit war. Diese Klausel wirkte als kraftvoller Ansporn zur Auswanderung, insbesondere unter galizischen und ungarischen Bauern. Einer der schärfsten Kritiker der Armee war der ungarische Publizist Emil Reich, der das Fehlen einer gemeinsamen Muttersprache für ihren größten Nachteil hielt. 20 Und in der Tat konnte die Sprachbarriere von Fall zu Fall die Beziehung zwischen Mann und Offizier ungünstig beeinflussen, da die meisten Vorgesetzten die Regimentssprache nur mangelhaft beherrschten. Ein besonderes Charakteristikum der österreichisch-ungarischen Armee war der Maria-Theresien-Orden, eine von der Herrscherin 1757 gestiftete Auszeichnung zur Belohnung von sinnvollen Aktionen, die ein Soldat aus eigener Initiative unternahm, aber ohne dabei einem direkten Befehl zuwiderzuhandeln. Diese höchste Dekoration belohnte also keineswegs Ungehorsam, wohl aber zeichnete sie erfolgreiche militärische Improvisationen und Eigenaktivitäten aus. In Preußen wäre dergleichen undenkbar gewesen und in Osterreich dem Titelhelden von Kleists Prinz Friedrich von Homburg (1810) kaum eine so peinvolle Behandlung militärisch-dramatischer Gerechtigkeit widerfahren. Ein spezielles Kapitel österreichischen Soldatentums ging zu Ende beziehungsweise mußte zu Ende gehen, als Franz Joseph I. ab 1851 die k. k. Militärgrenze auflöste. Durch Jahrhunderte hatten diese Soldaten, die in einem total militarisierten Bauernland an der türkischen Grenze lebten, dem Reich besonders treu gedient. Nicht nur als Grenztruppe an einem Eisernen Vorhang mit umgekehrten Vorzeichen, sondern als speziell ausgebildete und waffengeübte Männer hatten sie auch auf allen Kriegsschauplätzen seit den vierziger Jahren des 18. Jahrhunderts gefochten. Infolge des mit Ungarn 1867 geschlossenen Ausgleichs m u ß t e die Militärgrenze, die ihre ursprüngliche Funktion als Wall gegen die Türken längst verloren hatte, aufgelassen werden, und die braven „Granicari" wurden an ihre nationalen Widersacher, die Ungarn, ausgeliefert - an jene Ungarn, gegen welche die überwiegend slawischen „Grenzer" nach 1848/49 verlustreich gekämpft hatten. Emil Reich fand auch noch andere Gründe als die Sprachenbarriere, die für das völlige Fehlen von Korpsgeist zwischen Mannschaften und Offizieren verantwortlich waren. Offiziere wurden in Personenzügen an die Front befördert, der gewöhnliche Soldat jedoch in Viehwaggons, die die Aufschrift „Für 40 Mann oder 6 Pferde" trugen. In einem Brief an Josef Breuer klagte Sigmund Freud er war 1886 als Militärarzt zu Manövern in Mähren eingezogen worden - über die Rivalität unter den Offizieren: „Ein Offizier ist ein jämmerliches Wesen, jeder beneidet den Gleichgestellten, tyrannisiert den Untergebenen und fürchtet sich vor dem Höheren, und je höher er selbst ist, desto mehr fürchtet er sich." 21 Die strenge und übernationale Erziehung fand immer mehr Widerspruch in einer Welt des Nationalismus und des Strebens nach individueller Freiheit. Musil beschrieb diesen Kult aus Masochismus und Sadismus in seinem ersten Roman, 67

Die Verwirrungen des Zöglings Törleß (Berlin 1906), in welchem sich Kadetten einer Militärakademie in Galizien verschwören, um einen Außenseiter zu quälen. Tatsächlich war das Leben sowohl der Offiziere als auch das der Mannschaften nicht selten erbärmlich. Von einer Garnison zur anderen versetzt, fühlten sich viele geradeso heimatlos wie vagierende Schauspieler. Die Wurzellosigkeit von Soldatenkindern war sprichwörtlich. Militärärzte wurden in Armut gehalten durch die Verpflichtung, Offiziere und deren Familien nur im Spital zu behandeln. Obwohl jeder erwartete, daß sich die Ärzte über diese Regelung hinwegsetzten, durften sie doch kein Geld annehmen; der Vorgesetzte Wilhelm Stekels hatte als Honorar für unerlaubte Hausbesuche mit der Zeit dreißig Vasen gesammelt.22 Offiziere waren hoch verschuldet, besonders in der Provinz, wo es üblich war, mit den Kameraden gleicher Nationalität Karten zu spielen. In manchen Regimentern waren bis zur Hälfte aller Offiziere infolge hoher Spielschulden am Sold gepfändet.23 Einige wenige Unglückliche, die - wie etwa der Vater Rainer Maria Rilkes - frühzeitig aus dem Militärdienst ausscheiden mußten, konnten sich nie wieder an das Zivilleben gewöhnen, wo es keine Vorgesetzten gab, denen man gehorchen mußte. Universitätsstudenten, denen es durch ein Gesetz von 1868 ermöglicht worden war, anstatt dreier Jahre nur ein Jahr zu dienen, waren von Haßliebe gegenüber dem Militärdienst durchdrungen. Wie sehr auch dieses Privileg intellektuelle Hochleistungen gefördert haben mag, die Armee schmerzte es. Einjährig-Freiwillige brachten sieben Monate damit zu, in völliger Isolation rein theoretisch ausgebildet zu werden. Nach bloß fünf Monaten Ausbildung im Feld wurden sie in die Reserve ausgemustert - jämmerlich schlecht vorbereitete Offiziere. Es muß nicht erst gesagt werden, daß der Intellektuelle den Wechsel vom Ringstraßencafe ins Garnisonleben nicht sonderlich schätzte. Hugo von Hofmannsthal etwa fand 1894/95 alles an seinem Posten in Galizien häßlich, dreckig und unendlich deprimierend.24 Dennoch strömten viele Intellektuelle zu den Waffen, als der Erste Weltkrieg ausbrach. Ludwig Wittgenstein meldete sich trotz eines Leistenbruches freiwillig. Junge Männer, die in der Volksschule und im Gymnasium mit militärischem Ethos aufgezogen worden waren, zogen, von Heldentum träumend, ins Feld.23 In dem polnischen Roman Das Salz der Erde (1935, deutsche Übersetzung Frankfurt 1969) beschreibt Joseph Wittlin, ein jüdischer Freund Joseph Roths, wie ein auf Grund der Mobilmachung zur österreichischen Armee eingezogener vierzigjähriger galizischer Eisenbahnarbeiter dort nach und nach indoktriniert und ausgebildet wurde. Nicht viele Literaten verachteten das Kriegshandwerk so sehr wie Georg Trakl, Albert Ehrenstein oder Karl Kraus. Die, die es taten, richteten ihre Vorwürfe vor allem gegen mechanische Waffen, die alles töteten und zermalmten und - genau wie Bertha von Suttner es vorausgesehen hatte — jede Ehre vernichteten. Der Ehrenkodex, den Schopenhauer einen Narrenkodex nennt, verfolgte den Offizier auf Schritt und Tritt. Er erfüllte die Funktion eines Ober-Ich, das von ihm verlangte, Streitigkeiten im Duell auszutragen. Obwohl derartige Zweikämpfe in England schon vor 1850 ausgestorben waren, stellte in Österreich-Ungarn eine Forderung von einem Offizier an einen anderen noch bis 1911 eine ge68

heiligte Verpflichtung dar. Ein Offizier, der einer H e r a u s f o r d e r u n g nicht nachk a m , verlor sein Offizierspatent u n d m u ß t e d a m i t rechnen, sich fortan in guter G e s e l l s c h a f t nicht m e h r zeigen zu k ö n n e n . I m G e g e n s a t z zur M e n s u r , die die S t u d e n t e n mit Säbeln u n d in wattierter S c h u t z k l e i d u n g a u s f o c h t e n , verlangte ein militärisches Duell tödliche Waffen u n d deren H a n d h a b u n g in T ö t u n g s a b s i c h t . 2 6 Bis 1 9 0 0 f a n d sich in Ö s t e r r e i c h - U n g a r n kein Zivilgerichtshof, der Vergehen von Offizieren gegen Gesetze, die für D u e l l a n t e n Freiheitsstrafen vorsahen, geahndet hätte. In Fällen, in denen ein Offizier einen Zivilisten tötete, verabsäumte es Franz J o s e p h nie, den B e t r e f f e n d e n zu b e g n a d i g e n . O b w o h l das k a n o n i s c h e G e s e t z sowohl für Duellanten als auch für S e k u n d a n t e n die E x k o m m u n i k a t i o n vorsah, w u r d e auch diese niemals ausgesprochen. N a c h 1 9 0 0 verlor das Duellieren inf o l g e einiger F e h l l e i s t u n g e n der J u s t i z an Prestige. 2 7 1 9 0 0 w u r d e n zwei enge Freunde von O f f i z i e r s k a m e r a d e n dazu gezwungen, ein Duell, das sie einander im Scherz vorgeschlagen hatten, auszutragen; einer der beiden f a n d dabei den T o d . Im selben Jahr wurde ein anderer Offizier degradiert, weil er es abgelehnt hatte, sich wegen einer L a p p a l i e mit einem anderen zu schlagen. In einem dritten Fall f ü h l t e sich ein Reserveoffizier zu einer D u e l l f o r d e r u n g verpflichtet, u m sein O f f i z i e r s p a t e n t zu behalten. D a j e d o c h Reserveoffiziere unter die zivile Gerichtsbarkeit fielen, w u r d e er eingekerkert — u n d verlor g e r a d e d a d u r c h sein O f f i zierspatent. D i e s e Ungerechtigkeiten bestärkten D o n A l f o n s o von B o u r b o n in seiner Absicht, Ligas gegen das D u e l l zu unterstützen. 1 9 0 2 g r ü n d e t e er die erste L i g a in Österreich mit der Zielsetzung, U n t e r s t ü t z u n g für Offiziere zu erreichen, die ein Duell ablehnten. Bereits 1 9 0 4 legte die A r m e e 3 0 0 Streitfälle bei, o h n e zu den Waffen zu greifen, u n d selbst in U n g a r n u n d Galizien, wo das Duellieren äußerst p o p u l ä r war, wurde es von der öffentlichen M e i n u n g allmählich als etwas Beklagenswertes angesehen. D e r allgemeine A u f r u h r war so wirksam, daß Franz J o s e p h 1 9 1 1 dekretierte, daß Offiziere k ü n f t i g nicht mehr verpflichtet seien, z u m Duell herauszufordern bzw. H e r a u s f o r d e r u n g e n a n z u n e h m e n , u n d daß Duelle - außer aus triftigsten G r ü n d e n , zu welchen vor allem die Rache für E h e b r u c h gehörte — verboten seien. N i e m a n d hat eindringlicher das P h ä n o m e n des Duells untersucht als A r t h u r Schnitzler. In seiner 1 9 0 0 a u f E r s u c h e n seines Freundes T h e o d o r Herzl in der Weihnachtsausgabe der Neuen Freien Presse veröffentlichten Novelle Leutnant Gustl demaskierte er die ganze Zweischneidigkeit des E h r e n k o d e x . Innerhalb eines M o nats wurde der Reserveoffizier Schnitzler vor ein Militärgericht gestellt u n d wegen seines eines Offiziers unwürdigen Betragens „kassiert". In Der Sekundant (1932) beschreibt Schnitzler ein Duell, in d e m ein betrogener E h e m a n n durch einen ihm weit überlegenen Schützen stirbt. O b w o h l Schnitzler erkannte, daß das Duell in höherentwickelten L ä n d e r n v e r s c h w u n d e n war, ließ er es d e n n o c h d u r c h eine seiner Personen als Mittel anpreisen, den M u t eines Offiziers zu prüfen, i n d e m es ihn d a r a u f vorbereitete, e i n e m plötzlichen T o d u n e r s c h r o c k e n ins A u g e zu blicken. D a s Duell setzte das militärische E t h o s durch. 2 8 Aber selbst der E h r e n k o d e x der österreichisch-ungarischen A r m e e b o t keinen hinreichenden S c h u t z gegen bedrohliche Schwächen. M a n behauptete sogar, daß infolge allgemeiner Schlamperei feindliche A g e n t e n mit Leichtigkeit an militä-

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rische Geheimnisse herankommen konnten. Angeblich schwärmten 1 8 6 4 preußische Offiziere, als Zivilisten verkleidet, über ganz B ö h m e n aus und nahmen auf dem Land Arbeit an, um das Gelände zu erforschen. Preußische Agenten kauften Verteidigungspläne von schlechtbezahlten kleinen Beamten im Kriegsministerium. Das Ergebnis war, daß Moltkes Offiziere die böhmische Landschaft besser kannten als die Österreicher, und daß sie schon im voraus wußten, wie die österreichischen Truppen vor Königgrätz stehen würden. 2 9 Noch verheerender wirkte sich der Verrat des Obersten Alfred Redl (1864— 1 9 1 3 ) aus. Redl, Generalstabschef des V I I I . Korps in Prag und jahrelang C h e f der österreichisch-ungarischen Spionage, beging im Mai 1 9 1 3 Selbstmord. 3 0 Seine Vorgesetzten waren dahintergekommen, daß er den Russen detaillierte Pläne von österreichischen Festungen in Galizien verkauft und vorher schon Agenten Österreichs innerhalb Rußlands verraten hatte. Dieser Treuebruch hatte unabsehbare Folgen: Fünfzehn M o n a t e vor Ausbruch des Krieges mußte Österreich neue Verteidigungspläne für Galizien erstellen, desgleichen neue Invasionspläne für einen Einmarsch in Serbien. Zudem verlor der österreichische Generalstab das Vertrauen des deutschen Verbündeten. Durch den Verrat Redls und seinen Selbstmord kam Unsicherheit in die österreichisch-ungarischen Planungen. Der U m fang der Weitergabe militärischer Geheimnisse an die Russen war nicht zur Gänze bekannt, und die Auflösung ihres Agentennetzes beraubte die österreichische Führung der dringend benötigten Informationen. Bei Kriegsausbruch kostete Redls Verrat die Österreicher viel Blut. Die Regierung hatte zwar versucht, die Missetaten Redls zu vertuschen, aber der aus Prag stammende sozialistische Polizeireporter Egon Erwin Kisch brachte die Tatsachen — zur allgemeinen Empörung — ans Licht. Österreich-Ungarn unterhielt eine Friedensarmee, die sich Neuerungen mit der Zähigkeit des Biedermeier widersetzte. 1911 lehnte der Generalstab einen von Günther Burstyn ( 1 8 7 9 - 1 9 4 5 ) erfundenen Tank als unbrauchbar ab. Was hätte diese Waffe in den Ebenen Galiziens nicht erreichen können! Aus ähnlichem Geist heraus wurde 1 9 1 5 Moritz Auffenberg von Komarow ( 1 8 5 2 - 1 9 2 8 ) , der im September 1 9 1 4 den einzigen Sieg in Galizien erfocht, unter der Anklage, er habe sich 1 9 1 2 als Kriegsminister bereichert, vor ein Kriegsgericht gestellt. 31 Er gewann den Prozeß, die Armee aber verlor einen ihrer besten Heerführer. Trotz des Versagens als militärische Maschinerie diente die österreichischungarische Armee dem Kaisertum als Säule. In den Jahren nach 1 9 2 0 vermißten n i c h t wenige Zivilisten die b u n t e n U n i f o r m e n , die früher einmal das Straßenbild, vor allem in der Hauptstadt W i e n , belebt hatten. Die Armee verschönte das Gesellschaftsleben, befriedete die entlegenen Provinzen und war für die Soldaten verschiedenster Nationalität der Brennpunkt ihres Patriotismus. Der schwerfällige, veraltete Ehrenkodex, das Mißtrauen gegen alles Neue und ein noch im Angesicht des Unterganges ungebrochener Stolz machten diese Armee zu einem beredten Spiegel des Reiches, dem sie diente. W i e Kaiser Franz J o seph wurde auch sie mehr geachtet als gefürchtet, war sie mehr populär als wirksam. Gemeinsam mit der Bürokratie des Habsburgerreiches h a l f sie mit, dem D o n a u b e c k e n jene E i n h e i t zu verleihen, die dieser Region seit 1 9 1 8 so schmerzlich abgeht.

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Eine Staatskirche verbittert die Antiklerikalen Ein drittes Bollwerk der Tradition Österreichs war die römisch-katholische Kirche. 3 2 In ihrer W u c h t nicht weniger problematisch als die Armee oder der Bürokratismus bekämpfte sie Sozialdemokraten, Juden u n d Freidenker genauso eifrig, wie sie alle Rechtgläubigen umwarb. M i t einunddreißig Millionen Katholiken und fünf M i l l i o n e n Unierten bei einer Gesamtbevölkerung von sechsundvierzig M i l l i o n e n waren die Habsburgerländer 1905 das größte katholische Imperium Europas. Dennoch hatte um 1875 Italien viermal soviel Pfarrer pro Kopf, Frankreich u n d Deutschland hatten eineinhalbmal soviel. 33 Streitigkeiten über Kirchenpolitik erhitzten sich am Konkordat vom November 1855, das sämtliche Eheschließungen unter das kanonische Recht u n d alle Pflichtschulen unter kirchliche O b h u t gebracht hatte. Nachdem das M i n i s t e r i u m Auersperg im M a i 1868 dieses Konkordat m o d i f i z i e r t hatte, erklärte Osterreich das D o k u m e n t a m 3 0 . J u l i 1 8 7 0 f ü r verfallen, m i t d e m A r g u m e n t , d a ß die Unfehlbarkeitserklärung des Papstes das Wesen des Vertragspartners von 1855 verändert habe. Im M a i 1874 trat an die Stelle des Konkordats eine Gesetzgebung, die zwar die katholische Kirche noch privilegierte, ihr jedoch keine Monopolstellung mehr einräumte. Obwohl sich der Episkopat, beeinflußt durch die von Papst Pius IX. ausgesprochene Verdammung dieser „abscheulichen Gesetze", zunächst weigerte, sie anzuerkennen, bekehrte sich die Hierarchie dennoch rechtzeitig zu diesem im Grunde doch günstigen Kompromiß. Sein bekanntester Opponent war der Bischof von Linz, Franz Josef Rudigier ( 1 8 1 1 - 1 8 8 4 ) , der religiöse Erzieher des jungen Franz Joseph. Der Kirchenfürst warnte seinen ehemaligen Schüler nach der Unterzeichnung der neuen Schul- und Ehegesetze durch den Kaiser, er werde für diese Tat im Himmel zur Rechenschaft gezogen werden. Als der Bischof sogar seine Pfarrer anwies, die M i ß a c h t u n g der Gesetze zu predigen, wurde er zu vierzehn Tagen Gefängnis verurteilt. Der Kaiser begnadigte ihn. Die Gesetze vom M a i 1868, die 1874 bestätigt wurden, schränkten den Bereich des kanonischen Rechts auf Eheschließungen zwischen Katholiken ein und entzogen Ehestreitigkeiten den kirchlichen Gerichtshöfen. Katholiken waren immer noch von der Ehescheidung ausgeschlossen. Obwohl fast alle Pflichtschulen unter staatliche Leitung kamen, fuhr der Staat doch fort, Priester dafür zu besolden, daß sie in den Schulen Religionsunterricht hielten. Die neuen Gesetze änderten das Übereinkommen nicht, wonach der Staat seit 1781 Pfarrer für das Registrieren von Geburten, Eheschließungen und Todesfällen entschädigte. Pfarrer wurden weiterhin von örtlichen weltlichen Autoritäten bestellt, während Bischöfe vom Kaiser eingesetzt und hernach vom Heiligen Stuhl in ihrer Stellung bestätigt wurden. Bis 1918 saßen alle Bischöfe im Oberhaus des Reichsrates, und um 1900 gehörten sogar zwanzig Priester dem Unterhaus an. Die Finanzierung der Kirche durch den Staat wurde bis in die zwanziger Jahre fortgeführt und in dem Konkordat, das Dollfuß und Kardinal Pacelli 1933 unterzeichneten, neuerlich bestätigt. Dieses Konkordat stand aber in keinem guten Ruf, hauptsächlich deshalb, weil es Eheangelegenheiten von Katholiken erneut der Rechtsprechung kirchlicher Gerichtshöfe unterstellte. 71

Jahr für Jahr wurde im alten Österreich die gegenseitige Abhängigkeit zwischen Kirche und Staat in der Fronleichnamsprozession am Donnerstag nach Trinitatis gefeiert. Diese ßte-Dieu, die Martin Luther öffentlich angegriffen hatte, wurde bald zu einem zentralen Kristallisationspunkt gegenreformatorischer Frömmigkeit, an welchem sich die alteingesessene Verehrung der Habsburger gegenüber der Eucharistie erneuerte. Der Sozialist Braunthal (1891-1972) erinnert sich, wie sehr diese Prozession der Vorliebe der Wiener für alles Spektakuläre entgegenkam: „Die prunkvolle Schau wurde von kaiserlichen Truppen in Felduniform eröffnet, als müßten sie den ihnen folgenden Vertretern der Kirche den Weg freikämpfen. Hinter den Truppen gingen rosenkranzbetend die Patres und Fratres der Franziskaner, Kapuziner, Dominikaner, Augustiner und Karmeliter; dann kamen weißgekleidete Mädchen, einen Wald von farbenfrohen Kirchenfarmen sowie Standarten mit Votivbildern und Heiligenfiguren vor sich hertragend; dann die Choristen und Chorknaben, die die Litanei sangen; dann die hohen Würdenträger der Kirche, die Prälaten und Diakone, in Purpur und Hermelin, und Bischöfe mit dem Krummstab; dann der Kardinalerzbischof mit der Mitra, die heiligen Gefäße in der Hand, unter dem Himmel, umgeben von Chorknaben, welche die Weihrauchgefäße schwenkten. Dann folgte der alte Kaiser, barhäuptig, flankiert von spanischen Gardisten, die Hellebarden trugen, und hinter ihm der kaiserliche Hofstaat; dann der Adel und die Generäle, und hinter diesen marschierten wieder kaiserliche Truppen in Felduniform. Dies war die Ordnung der herrlichen Prunkschau; irgendwie spiegelte sie das jeweilige Kräfteverhältnis zwischen Kirche und Staat wider."34 Karl Lueger funktionierte den Fronleichnamstag zu einer Demonstration der Macht der Christlichsozialen Partei um, so daß die Prozession das Gegenstück der 1.-Mai-Parade darstellte, die die Sozialisten seit 1890 im Wiener Prater veranstalteten. Bis zum Jahre 1912, in welchem sein Alter ihn zwang, davon Abstand zu nehmen, schritt Franz Joseph alljährlich in dieser Prozession mit, genau wie er auch an jedem Gründonnerstag zwölf Armen die Füße zu waschen pflegte, um damit der Eucharistie seine Ehrerbietung zu erweisen. Nach 1910 wurde dieser Brauch drei Tage vor Ostern vor einem geladenen Publikum in der Hofburg begangen. Der Kaiser erwartete die zwölf ausgewählten Armen bei Tisch, kniete zu ihren entblößten Füßen nieder, während Priester sich daranmachten, das Wasser über die Füße auszugießen. Ein vielleicht noch rührenderes Ritual der Erniedrigung vor der Kirche stellte den Höhepunkt eines jeden Kaiserbegräbnisses dar. Sobald der Leichnam des Monarchen vor der Kapuzinergruft anlangte, klopfte der Obersthofmeister an das Tor der Gruft, worauf der Prior durch das verschlossene Tor fragte: „Wer bist du, der hier Einlaß begehrt?" Der Obersthofmeister: „Ich bin Seine Majestät der Kaiser von Österreich, König von Ungarn." Der Prior: „Den kenn' ich nicht. Wer begehrt hier Einlaß?" Darauf kam im November 1916 die Antwort: „Ich bin Kaiser Franz Joseph, apostolischer König von Ungarn, König von Böhmen, Dalmatien, Kroatien, Slawonien, Galizien, Lodomerien, Illyrien, Jerusalem, Erzherzog von Österreich, Großfürst von Siebenbürgen, Großherzog von Toskana und Krakau, Herzog von Lothringen, von Salzburg, Steier, Kärnten, Krain." Der Prior wieder: „Den kenn' ich nicht. Wer begehrt hier Einlaß?" 72

N u n kniete der Obersthofmeister nieder und sagte: „Ich bin ein armer Sünder, der um die Gnade Gottes fleht." „Tritt ein denn." 3 3 Die Frömmigkeit der Massen war nicht so erhaben. Die meisten praktizierenden Gläubigen waren Frauen, die der Jungfrau Maria besondere Verehrung entgegenbrachten. Der Marienkult war während der Gegenreformation vom Jesuitenorden, später von dem aus Böhmen stammenden Priester Klemens Maria Hofbauer (1751—1820) populär gemacht worden, der den Redemptoristenorden in Wien von 1808 bis zu seinem Tod leitete. Hofbauer zog nicht nur Intellektuelle wie Friedrich Schlegel, Adam Müller, Zacharias Werner und Anton Günther an, sondern revolutionierte auch die praktische Seelsorge, indem er die Presse in ihren Dienst zog und die Pfarrkinder besuchte, um deren Frömmigkeit zu stärken und zu steigern. Hofbauer, 1909 kanonisiert, hatte in den mittleren und unteren Bevölkerungsschichten einen so großen Anhang gefunden, daß sein Begräbnis tausende Menschen vor dem Stephansdom versammelte. Die Menge forderte, man möge das Haupttor öffnen, um diesen bescheidenen Priester, dessen Orden in Österreich noch nicht einmal anerkannt war, einzulassen. Ungeachtet des Phänomens Klemens Maria Hofbauer haben österreichische Schriftsteller den Klerus nur selten mit Wohlwollen bedacht. Eine der ganz wenigen attraktiven Priesterfiguren findet sich in Adalbert Stifters Novelle Kalkstein, zuerst unter dem Titel Der arme Wohltäter (1848) publiziert. Stifter beschreibt den Pastor von Kar als kleinen Mann, der sich im Interesse der Gemeinde selbst verleugnet. Seine Bescheidenheit und Resignation begegnet uns noch einmal in Ferdinand von Saars Innocens, ein Lebensbild (1866); hier ist der Protagonist ein böhmischer Priester, der mit Staunen dem Niedergang früheren Glaubenseifers gegenübersteht. In seinem Theaterstück Der Pfarrer von Kirchfeld (1870) stellt Ludwig Anzengruber eine Verschwörung dar, deren Ziel es ist, einen wohltätigen Priester, der seinem Feudalherrn den Gehorsam verweigert, zu exkommunizieren. Da das Erscheinen dieses Stückes mit der Unfehlbarkeitserklärung des Papstes zusammenfiel, gewann das Stück unter Antiklerikalen enorme Popularität. Die Kirche begann der zunehmenden Kirchenfeindlichkeit auf verschiedene Weise entgegenzuwirken. An erster Stelle stand dabei der Christliche Sozialismus, den Karl Freiherr von Vogelsang ( 1 8 1 8 - 1 8 9 0 ) verbreitete. 3 6 In den Jahren nach 1880 ebneten seine Schriften den Weg für die G r ü n d u n g der Christlichsozialen Partei durch Karl Lueger u n d für ein Wiederaufleben der organizistischen Theorie. Vogelsang wurde in Liegnitz geboren, konvertierte 1850 in Innsbruck zum Katholizismus, übersiedelte 1859 nach Preßburg und wurde dort Lehrer der Söhne der verwitweten Fürstin Liechtenstein. Eine Zeitlang reiste er mit diesen Söhnen. Seine Bemühungen als Landbesitzer in der Nähe von Wien endeten mit einem Bankrott. 1875 lud Graf Leo T h u n ihn nach Wien ein, er sollte hier die katholische Tageszeitung Vaterland herausgeben. Vogelsang warf seine ganze Persönlichkeit in dieses Unternehmen, er schrieb mehrere tausend Artikel für das Blatt. 1890 fiel er einem Verkehrsunfall zum Opfer. Mehrere seiner Weggefährten, unter ihnen sein Schüler Prinz Aloys von Liechtenstein (1846—1920), nahmen aktiv an den Diskussionen teil, die der Enzyklika Leos XIII. De rerum novarum (15. Mai 1891) vorangingen. Teile des 73

Enzyklikentextes scheinen geradezu von Vogelsang entlehnt zu sein.37 In Frankreich übernahm René de la Tour du Pin (1834-1924) seine korporatistische Theorie von dem Österreicher. Vogelsang hatte sowohl die preußische Ausdauer als auch den Eifer des Konvertierten; er predigte unentwegt, daß Gerechtigkeit, Liebe und Solidarität die Fundamente des katholisch-sozialen Denkens sein müßten, er wollte den kapitalistischen Wettbewerb, dessen Übel durch die Scheinheilmittel des Staatssozialismus und des Marxismus sich nur noch chaotischer gestalten würden, durch christliche Ethik ersetzen. Im Gegensatz zu allen diesen Systemen strebte Vogelsang nicht nach Vergrößerung der Produktivität und nicht nach Erweiterung politischer Rechte, sondern nach Wiederherstellung der hierarchischen Struktur der mittelalterlichen Gesellschaft. Im Einklang mit der Vorliebe Adam Müllers für die Familie wollte Vogelsang jedes Geschäftsunternehmen zu einer industriellen Familie machen, in der Arbeiter und Besitzer sich in die Leitung teilen sollten. Jede Firma oder Familie sollte zu einer regionalen Körperschaft, einer sogenannten Branchencorporation, gehören, die sich aus den Firmen der Gegend zusammensetzen würde. Diese Branchencorporationen wiederum sollten Delegierte in die Industriekammer entsenden, in der Arbeiter und Besitzer Gesetze für die Wirtschaftspolitik erlassen würden. Handwerker sollten verpflichtet sein, einer Gilde beizutreten, die die Anzahl der Meister und Gehilfen festlegen würde. Diese mittelalterliche Einrichtung sollte ihre Mitglieder vor den Gefahren des Individualismus beschützen. Auch mit weniger Nostalgie hätte der katholische Sozialismus den Aufschwung des Antiklerikalismus nicht zu bremsen vermocht. Sozialdemokraten und Freidenker klagten die Kontrollfunktion der Kirche über Eheschließung und Pflichtschulwesen an, und zwar erfolgreich. Katholiken, die Andersgläubige heirateten, hatten mit so vielen Benachteiligungen zu rechnen, daß es 1914 in ÖsterreichUngarn nach Schätzungen rund eine Million Lebensgemeinschaften ohne Eheschließung gab. Zwischen August und Oktober 1914, als sich Lebensgefährtinnen durch den Krieg der Gefahr gegenübersahen, unversorgt zurückzubleiben, wurden allein in Wien 115.000 solcher Lebensgemeinschaften legalisiert, 37.000 in Budapest, 26.000 in Prag.38 Tatsächlich war der Wunsch der Katholiken nach einer Eheschließung mit der Freiheit einer möglichen Scheidung eines der massivsten Argumente für die Los-von-Rom-Bewegung. Ein protestantischer Pastor, der sich um 1890 weigerte, Konversionen anzuerkennen, die nur zu dem Zweck einer protestantischen Eheschließung erfolgten, wurde von seinen Amtskollegen als Frömmler zurechtgewiesen. 39 Grausamer noch als das Verbot der Scheidung war ein Gesetz, das ehemaligen Priestern verbot, zu heiraten, und zwar mit der Begründung, daß die priesterlichen Gelöbnisse unwiderruflich seien. Franz Brentano (1838-1917), selbst ehemaliger Priester, sah sich 1880 gezwungen, in Sachsen zu heiraten, nachdem er seine Professur in Wien zurückgelegt hatte. Ungewöhnliche Verfolgungen hatte ein gewisser Knaus zu erdulden, der elf Jahre lang Priester gewesen war und 1870 zum Protestantismus konvertierte. Neun Jahre später heiratete er und lebte elf weitere Jahre gemeinsam mit seiner Frau völlig ungeschoren, bis plötzlich irgendjemand einen Prozeß zur Annullierung seiner Ehe anstrengte. Am 2. Juli 1891 erkannte der 74

Oberste Gerichtshof Österreichs tatsächlich auf Annullierung der Ehe und erklärte, Knaus sei, sobald er sich einmal den Statuten der Kirche unterworfen habe, für immer an diese gebunden. Der Gerichtshof verlautbarte, daß es ein Gewinn für die öffentliche Ordnung sei, wenn der Staat das kanonische Gesetz aufrechterhalte. 40 Der Antiklerikalismus, der die Universitäten erschütterte, kulminierte 1908 anläßlich der Versetzung eines Professors für kanonisches Recht, Ludwig Wahrmund (1860-1932). Der Gelehrte, Sohn des Direktors der Wiener Orientakademie, verurteilte als katholischer Hochschullehrer in Innsbruck einen Ausspruch, den Karl Lueger im November 1907 getan hatte und der die Absicht verriet, die Unversitäten zu rekatholifizieren. In einer Ansprache auf dem sechsten Katholikentag, einer Versammlung von Klerus und Laien, die sich zusammengefunden hatten, um der Los-von-Rom-Bewegung entgegenzuarbeiten, hatte der Wiener Bürgermeister erklärt: „Ich hoffe, daß wir auch jene Universitäten zurückerobern, die unsere Kirche gegründet hatte." 41 Wahrmunds Entgegnung Katholische Weltanschauung und freie Wissenschafi (1908) verschärfte die Gegensätze zwischen der Lehre der Kirche und den „wohlbegründeten, ja erwiesenen Überzeugungen der historischen, physikalischen und philosophischen Wissenschaften". Nicht genug damit, daß die Staatsanwaltschaft das Pamphlet beschlagnahmte, verlangte der päpstliche Nuntius auch noch die Vertreibung Wahrmunds. Die Neue Freie Presse heizte den Konflikt weiter an, indem sie antiklerikale Studenten anstiftete, mit einem akademischen Generalstreik zu drohen, falls Wahrmund, der mittlerweile einen kurzen Urlaub angetreten hatte, nicht wieder eingesetzt würde. In einem Gegenschlag gegen die jüdische Presse besetzten katholische Studenten am 16. Mai 1908 die Grazer Universität und machten so deren Schließung während des Sommers erforderlich. Als Wahrmund von seiner Reise zurückkam und in Innsbruck seine Vorlesungen wieder aufnahm, mußte auch diese Universität schließen, um Ausschreitungen zu verhindern. Nachdem Franz Joseph dem Unterrichtsminister einen Verweis erteilt hatte, wurde Wahrmund dazu überredet, eine Berufung an die deutsche Universität Prag anzunehmen; er wurde schließlich zum Agnostiker. Der Fall Wahrmund war mit eine Anregung für Schnitzlers Professor Bernhardi (1912). In diesem Theaterstück geht es um die Frage, ob man die Euphorie einer Patientin, die nicht weiß, daß sie sterben muß, durch die Letzte Ölung beschweren dürfe. Professor Bernhardi, der jüdische Leiter des Elisabethinums, einer Privatklinik, nicht unähnlich jener von Schnitzlers Vater, verwehrt dem herbeigerufenen Priester den Zutritt zur Kranken, ärztliche Gewissensüberzeugung und priesterliche Pflicht geraten hart aneinander, die Patientin, vom bevorstehenden Besuch des Priesters in Kenntnis gesetzt, stirbt vorzeitig. Der „Fall" wird als Religionsstörung an die Öffentlichkeit gezerrt, der zuständige Minister bemäntelt seinen Ehrgeiz mit der Sorge um das Gemeinwohl, und der Pfarrer hat nicht den Mut, sich seinerseits aus Uberzeugung gegen die Vorschriften der Kirche zu stellen. Bernhardi zieht es schließlich vor, ins Gefängnis zu gehen, anstatt einem von den Antisemiten im Reichsrat vorgeschlagenen Kompromiß zuzustimmen. Diese Dramatisierung der Protektion verschleierte die Tatsache, daß der Klerus in seiner Haltung gegenüber dem Antisemitismus in zwei Lager gespalten war. 75

Nach 1850 brachte der Pfarrklerus, der sich aus der unteren Mittelschicht rekrutierte, den Episkopat häufig durch seine antisemitischen Predigten in Verlegenheit. Joseph Deckert ( 1 8 4 3 - 1 9 0 1 ) , ein Schuhmachersohn, der in der Wiener Vorstadt als Priester tätig war, stand wiederholt vor Gericht, weil er Juden verunglimpft hatte. 4 2 Unter Berufung auf den Tiszaeszlar-Prozeß von 1882 verbreitete Deckert, daß Juden Christenkinder ermordeten, und in antiprotestantischen Polemiken behauptete er, Luther habe Selbstmord begangen. D i e Feindseligkeit gegen den Protestantismus, ein Erbe des Klerus aus der Politik der Gegenreformation Ferdinands II., war ein weiteres Motiv des Antiklerikalismus. D a s Toleranzedikt Josephs II. schützte lutherische Untertanen, im Zillertal etwa, in keiner Weise. 1837 stellte der Erzbischof von Salzburg sie vor die Wahl, katholisch zu werden oder auszuwandern. Eine ähnliche Justizgroteske verhalf dem Lutheraner Konrad Deubler ( 1 8 1 4 - 1 8 8 4 ) in den Jahren 1862 bis 1864 zu einer Kerkerhaft: er hatte eine Verteidigungsschrift für D a v i d Friedrich Strauß verfaßt. 4 3 Der aus Passau gebürtige Jesuit Heinrich Abel ( 1 8 4 3 1926), der von 1891 bis 1926 in Wien als Priester tätig war, bediente sich höchst irdischer Mittel, u m dem Protestantismus zu begegnen: er brandmarkte als eifriger G e f o l g s m a n n Luegers die Los-von-Rom-Bewegung als Los-von-GottBewegung und rief zu Pilgerfahrten nach Klosterneuburg und Mariazell auf. Ungeschminkt wandte er sich an die Arbeiter und hielt Ansprachen im Wiener Dialekt, die von Vulgaritäten derart strotzten, daß Frauen zu ihnen nicht zugelassen waren; eine Frau, die sich trotzdem eingeschlichen hatte, setzte er höchstpersönlich an die Luft. Frauen die Beichte abzunehmen, lehnte er strikte ab, u m sich damit bewußt in einen möglichst augenfälligen Gegensatz zu anderen Priestern zu stellen, von denen m a n wußte, daß sie sich über ihr Keuschheitsgelübde lustig machten. 4 4 Nach 1866 verbarg sich hinter dem Protestantismus deutschnationales Sentiment. 4 5 Die Los-von-Rom-Bewegung, 1898 von dem aus Wien gebürtigen Antisemiten Georg von Schönerer ( 1 8 4 2 - 1 9 2 1 ) ins Leben gerufen, griff die Staatskirche an und lieferte zugleich einen Vorgeschmack von einer möglichen Vereinigung Cisleithaniens mit dem Deutschen Reich. In der Steiermark zog der Protestantismus Deutsche an, die ihre slowenischen Priester nicht mochten, während er in Böhmen teils die Feindseligkeit der Tschechen gegenüber der H a b s burgerherrschaft, teils die Furcht der Deutschen vor einer Erhebung der Tschechen ausdrückte. Viele Tschechen traten ganz aus der Kirche aus und lehnten sie als Werkzeug des Habsburgerregimes ab, so daß die Tschechoslowakische Republik 1918 einen diskreditierten Katholizismus vorfand: der hussitisch gefärbte Protestantismus konnte sich aus dem Konflikt heraushalten. In Osterreich nahm der christliche Sozialismus der Los-von-Rom-Bewegung etwas von ihrer Schärfe. O b wohl Schönerer den Status der Kirche nicht ernstlich untergrub, bereitete doch der Umstand, daß er den deutschen Nationalismus vom Katholizismus schied, manchen Katholiken darauf vor, später den Antiklerikalismus Hitlers zu akzeptieren. Alle österreichischen Antiklerikalen, ob sie nun Protestanten, J u d e n oder Freidenker waren, beklagten sich über Einmischungen Roms in habsburgische Angelegenheiten. In seiner Auseinandersetzung mit Italien versuchte Papst Leo XIII. 76

(1878—1903) die Monarchie dazu zu bringen, die Triple-Alliance aufzugeben, um so das vereinigte Italien zu schwächen. Nach 1880 unterstützte er slawische Minderheiten gegen Ungarn, indem er Jesuiten autorisierte, diese Minoritäten in ihrer Haltung zu ermutigen. 1886 und nochmals 1893 verdammte Leo die Gesetze, die Zivilehen und den Unterricht durch Laien gestatteten. Ungeachtet solcher Affronts bewahrte Franz Joseph dem Papst gegenüber die nötige Ehrfurcht, indem er es zum Beispiel ablehnte, einen Staatsbesuch des verbündeten Königs von Italien zu erwidern; der Papst vergalt es ihm, indem er dem Kaiser das Gesuch des Kronprinzen Rudolf um Annullierung seiner Ehre zusandte. Über die antiungarische Politik Leos XIII. freilich zeigte sich Franz Joseph unverhohlen erbost: er ließ dem Konklave von 1903 durch Kardinal Puzyna mitteilen, Seine Apostolische Majestät würde es als einen unfreundlichen Akt betrachten, sollte Leos Staatssekretär, Kardinal Rampolla, zum Papst gewählt werden. 46 Die Kardinäle berücksichtigten das Veto. Durch seine Enzyklika Quod apostolicis numeris vom 28. Dezember 1878, die die „Pestilenz" des Sozialismus mit dem Bann belegte, hatte sich Leo XIII. die Feindschaft der Sozialisten zugezogen. Jahrzehnte hindurch, ja noch nachdem De rerum novarum den Bann abgeschwächt hatte, donnerten Leos Worte von österreichischen Kanzeln: „Fest vereint in einem verbrecherischen Bündnis ... erfaßt von wilder Gier nach Reichtum ... verbreiten sie (Sozialisten und Kommunisten) ihre ungeheuerlichen Ideen unter der Menge." 47 Sobald er den Fehdehandschuh hingeworfen hatte, sah sich der Papst mit der härtesten Gegenpropaganda konfrontiert; systematisch warben die Sozialisten der Kirche die Arbeiter ab. Der christliche Sozialismus Vogelsangs und Luegers intensivierte das Ringen nur noch, indem er um 1920 einen unüberbrückbaren Abgrund zwischen der säkularen Linken und der klerikalen Rechten schuf. Ergebnis: um 1950 nahmen weniger als 20 Prozent der Wiener Katholiken regelmäßig an der Sonntagsmesse teil. 48 In anderen katholischen Ländern, wie Italien und Frankreich, zwang die Identifikation der Kirche mit dem Status quo den Fortschrittlichen, sich von der Kirche abzuwenden, in England hingegen und auch in den Vereinigten Staaten von Amerika arbeitete der Klerus an der Durchführung sozialer Reformen mit. Die Etablierung religiöser Polaritäten in der Politik veranlaßte beide Seiten, in Polemiken Energien zu verschwenden, die sie besser im Widerstand gegen gemeinsame Feinde hätten verwenden können, wie etwa die wirtschaftliche Stagnation nach 1920 und die allenthalben aufkommende Diktatur. Obwohl die Politik Franz Josephs deutlich erwiesen hatte, was für ein starkes Bollwerk der Macht die Verbindung mit der Kirche war, kristallisierte sich die Feindseligkeit gegen klerikale Einflüsse zu einem bedeutenden Zug der Ersten Republik heraus. Zu einer Zeit, da nostalgische Schriftsteller, wie Bahr, Roth, Hofmannsthal oder Schaukai, den katholischen Prunk verherrlichten, versicherte sich die sozialistische Regierung Wiens durch weltliche Reformen der Gefolgschaft der Massen. Eine Staatskirche erwies sich als ihr ärgster eigener Feind, sobald die Industrialisierung die uralte ländliche Frömmigkeit ausgelöscht hatte. 77

Der Gemeindesozialismus Karl Luegers Im Jahre 1849 hatte Minister Graf Stadion allen Stadtgemeinden im Habsburgerreich die Regierungsautonomie zugestanden. Obwohl Wien seither eine eigene Regierung genoß, nahm doch der Kaiser wiederholt Einfluß auf deren Angelegenheiten; er achtete darauf, daß seine Reichshaupt- und Residenzstadt in einer ihr geziemenden Art regiert werde. 1857 ordnete der Kaiser die Schleifung der aus dem 17. Jahrhundert stammenden Befestigungsanlagen an, die das Zentrum Wiens von den Vorstädten trennten. Der Wettbewerb zur Neugestaltung dieser Zone, den Ludwig Försters Ringstraßenplan für sich entschied, wurde mehr von einer Reichskommission verwaltet als von der Stadt. Ab 1850 wuchs Wien sehr rasch und dehnte sich bis um 1890 so weit aus, daß sogar die Vorstädte jenseits der Donau und entlang des Wienerwaldes eingemeindet wurden. Eine Stadtverfassung von 1850 setzte einen Gemeinderat ein, der von den in drei Klassen geteilten Steuerzahlern gewählt werden sollte; 1885 wurde der für das Wahlrecht erforderliche Mindeststeuersatz auf fünf Gulden gesenkt; die Armen blieben bis zur Einführung des allgemeinen Wahlrechtes 1907 ausgeschlossen. Nach 1890 setzte sich der schwerfällige Gemeinderat aus 138 Mitgliedern zusammen; 25 dieser Gemeinderäte bildeten den sogenannten Stadtrat, der gemeinsam mit dem Bürgermeister regierte. Als Bürgermeister von Wien von 1897 bis 1910 beherrschte Dr. Karl Lueger (1844-1910) das öffentliche Leben so sehr, daß er nach Franz Joseph als der bekannteste Bürger der Stadt galt. 49 Als Sohn eines Hausbesorgers der Technischen Hochschule hatte Lueger die Leiden der unteren Mittelschicht aus erster Hand kennengelernt. Infolge seiner kränklichen Konstitution lernte er erst mit vier Jahren sprechen; seine Mutter hatte ihn so hingebungsvoll umsorgt, daß er nie heiratete, sondern bis an sein Ende mit zwei Schwestern zusammenlebte. Als Tageszögling am Theresianum hatte sich Lueger gute Manieren angeeignet, die ihm später sehr halfen, als Mittler zwischen den Klassen aufzutreten. Er war so empört über die Niederlage bei Königgrätz und den Ausgleich mit Ungarn, daß er nie aufhörte, antimagyarische Propaganda zu betreiben. 1870 promovierte er zum Doktor juris und arbeitete in den Jahren danach als Anwalt der Liberalen, wobei er zahllose Abende in Bierhäusern der Vorstadt zubrachte; dort vervollkommnete er seine rednerische Gabe im Umgang mit „seinem" Volk. Obwohl er 1875 noch als Liberaler in den Gemeinderat eingetreten war, brach er während der nächsten zehn Jahre mit dem Liberalismus, und als er 1885 in den Reichsrat eintrat, klagte er den internationalen Kapitalismus bereits als jüdisches Monopol an. Nachdem er für kurze Zeit ein Verbündeter Georg Schönerers gewesen war, schloß er sich 1888 in Freundschaft dem katholischen Sozialisten Karl von Vogelsang an, dessen Theorien er im Programm der 1891 gegründeten Christlichsozialen Partei verwertete. 1895 wählte die christlichsoziale Mehrheit des Gemeinderates Dr. Karl Lueger zum Bürgermeister, stieß jedoch mit ihrer Entscheidung auf ein Veto Franz Josephs, der seine Hauptstadt nicht von einem Demagogen, der die Juden und die Ungarn anfeindete, regiert haben wollte. Auf Drängen des Statthalters von Niederösterreich, Erich Graf Kielmannsegg ( 1 8 4 7 - 1 9 2 3 ) , der 1890 die 78

Erweiterung der Stadt in die Wege geleitet hatte, löste der Kaiser den Stadtrat auf und regierte seine Residenz zwei Jahre lang durch einen Bevollmächtigtenrat. Viermal wurde Lueger zum Bürgermeister gewählt, bis sich Franz Joseph im April 1 8 9 7 endlich ins Unvermeidliche schickte, alarmiert durch den U m stand, daß Lueger bei der Fronleichnamsprozession beinahe mehr Beifall erhalten hatte als er selbst. Dreizehn Jahre lang regierte der „schöne Karl" unter Einsatz seiner bekannten Leutseligkeit als ungekrönter König von W i e n , bejubelt, wo immer er hinkam. Er stellte in der Arbeit seinen ganzen M a n n , trotz einer sich ständig verschlimmernden Diabetes, der er schließlich im März 1 9 1 0 erlag. Man berichtet, daß sein Begräbnis das größte gewesen sei, das die Stadt bis dahin erlebt hatte. Lueger vertrat vor allem die untere Mittelschicht, die unter der Industrialisierung zu leiden hatte, und erfüllte den Munizipalsozialismus unter der Voraussetzung, daß kleine Gewerbetreibende und Geschäftsleute vor Monopolunternehmern geschützt werden müßten. O h n e die Steuern zu erhöhen, machte er 1 8 9 9 die Gaswerke zu städtischen Betrieben, elektrifizierte 1 9 0 2 die Straßenbahnen, führte die elektrische Straßenbeleuchtung ein und baute ein städtisches Schlachthaus und einen öffentlichen Markt. Nachdem seine Kreditgesuche zur Finanzierung der Gaswerke von jüdischen Wiener Banken abgelehnt worden waren, trieb er die erforderlichen Mittel bei der Deutschen Bank in Berlin auf. Er erweiterte die städtischen Dienstleistungen, die unter Cajetan Felder (1814—1894) aufgenommen worden waren, der als liberaler Bürgermeister von 1 8 6 8 bis 1 8 7 8 den Bau des neuen Wiener Rathauses in Auftrag gegeben sowie die Großmarkthalle, den Stadtpark und ( 1 8 7 4 ) den Zentralfriedhof hatte errichten lassen. 50 Obwohl zwischen 1 8 6 8 und 1 8 7 5 der Geologe Eduard Suess ( 1 8 3 1 - 1 9 1 4 ) die Regulierung der Donau überwacht hatte, um Überschwemmungen wie jene vom Februar 1 8 6 2 zu verhindern, überflutete der Strom doch manchmal auch die erweiterten Ufer. Als Ergänzung zu der von Suess geplanten und 1 8 7 3 gebauten Wasserleitung, die Wasser vom Höllental im Raxgebiet nach W i e n führte, nahm Lueger eine zweite Leitung in Angriff, die das kostbare Gut über eine Strecke von mehr als 2 0 0 Kilometer aus der Steiermark heranbrachte. Von Cajetan Felder unterschied sich Lueger unter anderem darin, daß er jene Institutionen förderte, deren Aufgabe es war, die ihm am Herzen liegenden unteren Mittelschichten zu unterstützen. Anläßlich der Vergrößerung des Zentralfriedhofs kaufte er zwei Bestattungsgesellschaften auf, die ü b e r h ö h t e Preise verlangt hatten. Neue Schulen wurden gebaut, und unterernährte Kinder bekamen kostenlos zu essen. 1 9 0 4 eröffnete Lueger ein Armenhaus in Lainz, nicht weit von S c h ö n b r u n n , kurz danach ein Armenspital. U m die Stadt zu verschönern, wurde die Anzahl der Parkanlagen verdoppelt, an der D o n a u wurden Strandbäder geschaffen, und die Laternenmasten wurden mit B l u m e n behältern geschmückt. U m den bedrängten Stadtbewohnern zu helfen, stellte Lueger eine Sparkasse unter die Kontrolle der Stadt, desgleichen eine Lebensversicherungsgesellschaft sowie eine Pensionsversicherung und führte eine W o h nungsvermittlung und eine Registratur für Dienstpersonal ein. Weniger beliebt machte ihn seine Anordnung, daß in allen Schulen wieder Kruzifixe angebracht und der Religionsunterricht wiedereingeführt werden mußte; damit hatte er die

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Antiklerikalen zu Gegnern, besonders jene, die sich um die Neue Freie Presse gruppierten, deren Reporter Lueger bisweilen von den Versammlungen des Gemeinderates aussperrte. Luegers Munizipalsozialismus wurde nach 1920 von den Sozialdemokraten ausgeweitet. Man hat Luegers Modernisierung Wiens gelegentlich mit jenem Säubern der Slums verglichen, das Joseph Chamberlain als Bürgermeister von Birmingham 1875/76 durchführte, doch machten seine Christlichsozialen keinerlei Anstrengungen, Slums zu beseitigen; dies blieb den Sozialdemokraten vorbehalten. Lueger ermutigte auch die althergebrachte Gewohnheit der Österreicher, Kapital eher in Versicherungen anzulegen als in riskanten Spekulationen. Der umstrittenste Zug der Politik Luegers war sein Antisemitismus. Er griff das jüdische Kapital an, um die Unterstützung der Handwerker zu gewinnen, deren Geschäft der Konkurrenz ausländischer Fabrikanten, in der Erzeugung etwa von Spielzeug, Fächern und Lederwaren, nicht gewachsen war. Kleine Erzeuger erholten sich nicht mehr, als viele Kunden nach dem Börsenkrach von 1873 an Berlin verlorengingen. Aber selbst ohne dieses Debakel hätte Wien an wirtschaftlicher Rückständigkeit gelitten. Um den Geschäftsleuten zu helfen, verhinderte die Stadt bis etwa 1900 die Eröffnung von Warenhäusern. Da das Gesetz die meisten Geschäfte auf eng begrenzte Spezialitäten einschränkte, wie z. B. Musikpapier oder Handschuhe, wurden Händler zu Opfern des Wirtschaftskreislaufes und gaben dann den jüdischen Finanziers die Schuld an ihren Schwierigkeiten. Bis zur Jahrhundertwende wurden fast alle Textilien mit der Hand genäht; um 1894 bedeuteten die ersten in einer Fabrik erzeugten Schuhe aus Amerika eine Sensation, und erst im Jahr darauf wurde die erste Brotfabrik errichtet.51 Der konservative Konsument sorgte dafür, daß moderne Einrichtungen nur langsam eingeführt wurden. Noch 1890 wurde das Trinkwasser in Fässern in die Vorstädte gebracht. Telefon und Aufzüge stellten um 1900 eine Seltenheit dar, während Kühlschränke und fest installierte Badewannen - genau wie Zentralheizungen oder Scheckzahlungen — unbekannt blieben. Bis nach 1918 lehnten öffentliche Ämter die Schreibmaschine ab. Lueger spekulierte mit der Angst seiner Wähler. Obwohl sein Antisemitismus in späteren Jahren nachließ und er stets jüdische Freunde hatte — man beachte seinen Ausspruch: „Wer a Jud is, bestimm' i" fuhr er doch fort, Beiträge für die Wiener Volkszeitung zu verfassen, die der skurrile böhmische Abgeordnete Karl Wolf (1862-1941) herausgab. Vielleicht ohne es zu ahnen, verlieh Lueger antisemitischer Gewalttätigkeit, die 1905 in Ausschreitungen deutschnationaler Studenten gipfelte, welche jüdischen Studenten den Eintritt in die Universität verwehrten, den Anschein der Berechtigung. Arthur Schnabel erinnert sich, daß er nach 1890 vor jungem Gesindel gewarnt wurde, das sich auf der Straße herumtrieb und nach jüdischen Kindern Ausschau hielt, um sie zu belästigen. 52 Lueger machte sich jede Art von Geselligkeit politisch zunutze. Bis 1904 hatte er 1400 Goldenen Hochzeiten beigewohnt, desgleichen unzähligen Taufen und Heiraten, wobei er stets der meistgeehrte Gast war. Oft besuchte er Kranke und liebte, wie Sigmund Freud, das Tarockspiel. Wenn er sich einmal mit Wählern in Bier- und Kaffeehäusern verbrüdert hatte, so mied er diese als echter 80

Volkstribun auch später nicht, als er bereits zu hohen W ü r d e n gelangt war. In Anbetracht der wirtschaftlichen Rückständigkeit Österreichs scheint er zukunftsweisende Programme mehr gefördert zu haben als rückständige. Was Lueger im besonderen den späteren Politikern des 20. Jahrhunderts vorwegnahm, war seine Geschicklichkeit, die Massen durch Propaganda zu mobilisieren. Hitler begrüßte ihn als Meister im Werben um die öffentliche Meinung, der ihn gelehrt habe, auf welche Art man einer Stadtbevölkerung schmeichelt. Indem er dem Ästhetizismus und der wirtschaftlichen Unsicherheit Vorschub leistete, personifizierte er die Kaiserstadt auf dem Höhepunkt der „fröhlichen Apokalypse".

Schulen und Universitäten. Versenkung in die Tradition als Ausbildung zum Genie Nach 1800 entwickelte das Habsburgerreich ein hervorragendes Schul- und Universitätssystem. 5 3 Volksschulen - bis 1850 zumeist von Priestern geführt - bereiteten Christen wie J u d e n auf den Eintritt entweder ins G y m n a s i u m beziehungsweise in die Realschule vor. Das Gymnasium führte zu einer Abschlußprüfung, der sogenannten Matura, in Deutschland Abitur genannt, deren erfolgreiche Ablegung zum Besuch jeder Universität in Deutschland oder ÖsterreichUngarn berechtigte. Das Reich unterhielt Volluniversitäten in W i e n , Graz, Innsbruck, Prag, Krakau, Lemberg, Budapest, Klausenburg, Agram und Czernowitz, ferner technische Hochschulen in W i e n , Graz, Prag, Brünn, Budapest und anderen Städten wie auch Spezialhochschulen für angewandte Kunst, Forstwirtschaft, Landwirtschaft und ähnliches, auf deren Besuch besonders die Realschule vorbereitete. Nach Abschluß der Volksschule wechselte der weniger ambitionierte Schüler in die Bürgerschule über, die 1869 als abschließende, auf das praktische Leben vorbereitende Institution gegründet worden war; ein Jahr vorher hatte man in W i e n ein P ä d a g o g i u m zur Ausbildung von Lehrern an diesen nichtakademischen Schulen geschaffen. In den Jahren nach 1850 wurde das österreichische Erziehungssystem durch den aus Böhmen stammenden Grafen Leo Thun-Hohenstein ( 1 8 1 1 - 1 8 8 8 ) reformiert. T h u n hatte zwei Herbartianer, Franz Exner und Hermann Bonitz, beauftragt, eine Reform nach dem Vorbild deutscher und französischer Modelle zu entwerfen. 5 4 Das Schwergewicht lag nicht mehr auf Religion und auf Gehorsam gegenüber dem Staat, sondern auf einer Ausbildung, die den Studenten veranlassen sollte, sich an der Universität Forschungsaufgaben zu widmen. 1851 wurde das G y m n a s i u m von sechs auf acht Jahre verlängert, u n d an die Stelle des einen Lehrers, der bis dahin sämtliche Gegenstände unterrichtet hatte, traten nunmehr viele, von denen jeder sein spezielles Fachgebiet vortrug. M a n führte Naturwissenschaften als Unterrichtsfach ein, und die jüngeren, beweglicheren Lehrer unterwiesen die älteren Jahrgänge, wobei, wie Josef Breuer feststellte, „Kritik u n d Widerspruch eher ermutigt als unterdrückt wurden". 5 5 Das erste auf diese Weise reformierte Gymnasium war das Akademische in W i e n , das u. a. Breuer, Arthur Schnitzler, Hugo von Hofmannsthal, Hans Kelsen und Ludwig von Mises zu Schülern hatte. Weniger säkular als das Akademische und daher beim Adel be81

liebter war das Schottengymnasium, zu dessen Schülern Eugen von Böhm-Bawerk, Friedrich von Wieser und Juden, wie Heinrich Friedjung und Otto Weininger, zählten. Die Benediktiner, die hier lehrten - unter ihnen der ausgezeichnete Historiker und Abt Ernest Hauswirth (1818-1901) - , förderten jedoch den Klerikalismus ebensowenig wie in Kremsmünster, wo Adalbert Stifter in den 1820er Jahren Kant und diverse josefinische Schriftsteller studiert hatte. In einer Atmosphäre der Hochachtung vor der Wissenschaft ehrte man Schüler, die an der Spitze ihrer Klassen standen, wie etwa Sigmund Freud und Otto Weininger, als Musterschüler, wenngleich viele junge Talente, wie überall sonst auch, nicht immer hielten, was sie versprachen. Straffer als die Gymnasien führte man die Ritterakademien, von denen das Theresianum - gegründet von Maria Theresia 1746 in einem ehemaligen Lustschloß ihres Vaters und geleitet zunächst von Jesuiten, dann bis nach 1850 von den Piaristen - das meiste Ansehen genoß. Ihr Ziel war die Ausbildung von Söhnen der Aristokratie und des gehobenen Bürgertums für die militärische und politische Laufbahn. Feldmarschall Radetzky, der kroatische General Josef Jellacic, Ministerpräsident Hohenwart, dann Joseph Schumpeter und Richard Coudenhove-Kalergi zählten zu den Absolventen des Theresianums. Wie in allen anderen Gymnasien, so redeten auch die Zöglinge des Theresianums einander mit „Du" an und blieben dabei während ihrer ganzen weiteren Laufbahn, selbst wenn der eine Ministerpräsident wurde und der andere nur ein niedriger Beamter. Bis 1914 verlangte der Bildungsweg an Gymnasien acht Jahre Latein, das in sechs Stunden pro Woche unterrichtet wurde, durch zwei Jahre sogar in acht Wochenstunden, und fünf oder sechs Jahre Griechisch in fünf Wochenstunden. In besseren Gymnasien, wie dem Schottengymnasium, kam der Griechischunterricht bis zur Lektüre von Aristoteles. Da die Halbwüchsigen im Gymnasium Autoren zu lesen hatten, deren Erfahrungshorizont weit über dem ihren lag, bereitete man damit die fähigeren unter den Absolventen auf den Gebrauch von Abstraktionen vor. Ein Denker, der mit achtzehn seinen Sophokles verdaut hatte, zögerte später nicht, seine eigenen Maximen zu formulieren. Obwohl die Bonitz-Exner-Reform das systematische Gedächtnistraining zurückgestellt hatte, mußten die Schüler bis 1918 und auch noch später ganze Abschnitte klassischer Poesie und Prosa auswendig lernen. Diese Übung pflanzte eine bemerkenswerte Kenntnis alter Literaturen und Mythologien in so ungleichartige Geister wie Sigmund Freud und Othmar Spann, Alois Riegl und Karl Kraus. Die intensive Übung im Übersetzen alter Texte förderte nicht nur die Meisterschaft in der Beherrschung der Syntax, sondern erleichterte auch den Gebrauch der freien Rede, eine Fertigkeit, die sofortiges Übersetzen von Gedanken in Sprache erfordert. Politische Ansprachen und Vorlesungen an der Universität, voll von Anspielungen auf griechische und römische Autoren, flößten dem Studenten das Bewußtsein ein, an einem Unternehmen teilzuhaben, das Weise, denen gleichzukommen er nicht hoffen durfte, vor Jahrtausenden begonnen hatten. Katholische Priester, die weiterhin, bis nach 1918, in den Volksschulen unterrichteten, hielten die Tradition hoch. Die Patres der Piaristen, eines 1597 82

gegründeten Schulordens, unterrichteten Juden mit der Aufgeschlossenheit des böhmischen Josefinismus, ohne den geringsten Versuch, sie zu bekehren. In Prag bevorzugten jüdische Familien die Piaristen-Volksschule wegen ihres hervorragenden Unterrichts; Fritz Mauthner, Egon Erwin Kisch und Hans Kohn zählten zu ihren Schülern. 5 6 Wie viele andere Juden fühlte sich auch Arthur Schnitzler von Priester-Lehrern angezogen, und sogar Freud, der sich gegen den Klerikalismus im Erziehungswesen aussprach, gestand, daß er als Student seine Lehrer als Vaterfiguren betrachtet habe. 5 7 Während des liberalen Ministeriums Auersperg wurde den J u d e n am G y m n a s i u m ihr eigener Religionsunterricht zugestanden, der jedoch zu wenig wirkungsvollen Ergebnissen führte. 5 8 U m 1885 beschloß der Reichsrat ein Gesetz, demzufolge der Direktor einer Schule der gleichen Religion angehören mußte wie die Mehrzahl der Schüler, und schloß damit Juden von dieser Position aus. Obgleich Personen „mosaischer Abkunft", wie z. B. Wilhelm Jerusalem, unterrichten durften, konnten sie doch keine Führungsstellen anstreben. A m G y m n a s i u m herrschte strenge Disziplin, und die Angst zu versagen war groß. In seiner Traumdeutung (Wien 1900) untersuchte Freud, was er als Prüfungsträume und Maturaträume bezeichnete: Träume, in denen ein Erwachsener Jahre später bei seiner M a t u r a durchfiel — für gewöhnlich in seinem stärksten Fach. 5 9 Freud sagt, der Träumer könne durch das neuerliche Durchleben der Ängste, die er vor dem Dies irae ausgestanden hatte, Vertrauen für neue Prüfungen im Leben schöpfen, indem er sich an der Tatsache erfreue, daß das einmal stattgehabte Bestehen der Matura in einer hierarchischen Gesellschaft eine dauerhafte Auszeichnung bedeute. Die mündliche Reifeprüfung gab dem Schüler auch Gelegenheit, seine Fähigkeit, vor Vorgesetzten frei zu reden, unter Beweis zu stellen; eine Technik, die jeder, der einen Beruf ausübte, im U m g a n g mit der Bürokratie und Kollegen einmal brauchen konnte. Obwohl das G y m nasium für jene, die es durchstanden, von Nutzen war, wurde es nach 1880 den Erfordernissen im Bereich der Monarchie nicht mehr ganz gerecht. Friedrich Jodl klagte, daß keiner seiner Universitätshörer Englisch oder Französisch könne, und fand es zugleich traurig, daß während sechs Jahren Griechischunterrichts nicht einmal Thukydides gelesen worden war. 60 Er warnte, daß Juristen, die nur Deutsch und Latein beherrschten, herzlich schlecht gerüstet seien, um B ö h m e n oder Krain zu verwalten. Durch ihre Weigerung, Tschechisch zu unterrichten, unterwarf sich der deutschsprechende Teil des Lehrkörpers an Gymnasien in Böhmen dem nationalen Vorurteil. In Ungarn verlangten die Gymnasien vollk o m m e n e Beherrschung des Magyarischen und schlössen damit bis auf einige wenige alle Angehörigen der nichtmagyarischen Bevölkerung aus. U m 1918 gab es in der Slowakei und in Siebenbürgen außer Deutschen und Ungarn keine Mittelschicht. Sobald ein Student an der Universität immatrikuliert war, galt er als privilegierte Persönlichkeit; ab 1870 konnte er den Militärdienst auf ein Jahr abkürzen und war im Wettbewerb u m eine höhere Position im Staatsdienst bevorzugt. Universitätsprofessoren waren selbst Staatsbeamte, persönliche Diener des Kaisers, der gegen jede B e r u f u n g Einspruch erheben konnte. D a das Unterrichtsministerium die Berufungen an die Fakultäten fest in der H a n d hatte, 83

wucherte die Protektion. H o u s t o n Stewart Chamberlain erzählte von einem Chemiker an der Universität Wien, der ihm riet, die Tochter eines Professors oder — noch besser - eines Hofrats zu ehelichen, wenn er vorwärtskommen wolle. Nach Jahren des Wartens wurde dieser Chemiker selbst Professor - just drei Monate, nachdem er die Tochter eines Professors geheiratet hatte. 61 Am bekanntesten sind die Manöver, deren es bedurfte, um Sigmund Freud die Stelle eines außerordentlichen Professors zu verschaffen, eine weit weniger angesehene Position als die des ordentlichen Professors, die Freud niemals erreichte. Während ein Ordinarius Privilegien genoß, die sich mit denen eines höheren Beamten vergleichen ließen, war ein Extraordinarius nur ein glorifizierter Dozent. Trotzdem brachten im Fall Freuds drei Jahre des Beantragens nichts ein, noch half die besondere Fürsprache von Elise Gomperz, der Gattin des bekannten Philosophen Theodor Gomperz, auch nur das geringste. Anfang 1902 versprach eine andere Patientin Freuds, Baronin Marie Ferstel, dem Unterrichtsminister Wilhelm von Härtel, ihm zur Eröffnung einer modernen Galerie, die er plante, ein Bild zu überlassen. Einige Wochen danach erhielt Freud seine Professur, obgleich die Schenkung des versprochenen Bildes, Böcklins Burgruine, nie stattfand. 6 2 Aber wie wir noch sehen werden, wußten doch die meisten fähigen Männer, wie man sich eine Berufung sichern konnte, so daß die Fakultäten — besonders in Wien, Graz und Prag — an Professoren mit schöpferischem Geist, allerdings auch an solchen, die über das Mittelmaß nicht hinauskamen, keinen Mangel litten. Als besondere Ehrung konnte einem hervorragenden Wissenschaftler, ob Christ oder Jude, ein Sitz im Herrenhaus auf Lebenszeit verliehen werden. Diese Ehrung erhielten Gelehrte wie Ernst Brücke, ein Lehrer Freuds, und der Pflanzenphysiologe Julius von Wiesner, ein jüdischer Mentor Houston Stewart Chamberlains. 1901 nahm Ernst Mach die Mitgliedschaft im Herrenhaus an, lehnte jedoch einen Adelstitel ab mit der Begründung, daß er einem Gelehrten nicht anstünde. Das begehrteste Forum akademischen Establishments war die 1847 mit Unterstützung Metternichs gegründete Akademie der Wissenschaften. 63 Diese Institution, die sich in eine philosophisch-historische und eine mathematisch-naturwissenschaftliche Klasse teilte, tendierte dazu - zumindest auf dem Gebiet der Geisteswissenschaften —, biedermeierartiges Anhäufen von Daten bahnbrechenden Forschungen vorzuziehen. Mit der für solcherlei Körperschaften charakteristischen Vorsicht wies sie zahllose Neuerer ab, während sie nicht wenige unbedeutende Männer ehrte. Universitätsprofessoren der Wirtschaftswissenschaften und der Rechte dienten gewöhnlich auch als hohe Verwaltungsbeamte, und oft betätigten sie sich auch journalistisch. In ihrer Eigenschaft als Professoren hatten sie auch die Aufgabe, die strengen Prüfungen für das Doktorat abzuhalten, das dem Kandidaten seine Reife für den Beruf bescheinigte. Ein solches Rigorosum bestand in einer m ü n d l i c h e n Prüfung, während welcher vier Professoren den Kandidaten je fünfzehn Minuten lang befragten. Sie war noch gefürchteter als die Matura und bot sowohl für Protektionen als auch Benachteiligungen reichlich Gelegenheit. Ernst Lothar erinnert sich an den Sarkasmus E d m u n d Bernatziks, Pro84

fessor für Verfassungsrecht in Wien, der zu dem Sohn des Statthalters Kielmannsegg sagte: „Daß Sie Statthalter werden, kann ich nicht verhindern, aber verzögern werd' ich's!"64 Bei einer anderen Gelegenheit erhob sich Bernatzik, nachdem ein Prüfling die Antwort auf die erste Frage schuldig geblieben war, um wegzugehen. Als der Student daraufhin einwarf: „Ich habe meine Prüfungstaxe für je fünfzehn Minuten bezahlt!", setzte sich der Professor wieder, stand nach fünfzehn Minuten erneut auf und sagte: „Danke, Herr Kandidat. Ihre fünfzehn Schweigeminuten sind auf die Sekunde vorbei." 65 Noch größere Schwierigkeiten hatte Oskar Kraus an der Prager Universität zu überwinden, als der Dekan der juridischen Fakultät sich weigerte, seine Habilitation durchzuführen. Als daraufhin andere Professoren protestierten, forderte der Dekan, Horaz Krasnopolski, sie auf, zwischen ihm und Kraus zu wählen. 66 Später erwirkte die philosophische Fakultät eine besondere Dispens, um Kraus zum Dozenten machen zu können. Vom gewissenhaften Studenten verlangte der Stundenplan an der Universität Wien einige Härte. Um 1900 begannen die Vorlesungen regelmäßig um 7 Uhr, manche sogar um 6 Uhr 15, und viele endeten erst um 20 Uhr. 67 Studenten, die sich ihren Lebensunterhalt selbst verdienten, arbeiteten buchstäblich Tag und Nacht, was sie entschieden daran hinderte, einer Verbindung beizutreten. Mittellose Studenten vom Land waren Außenseiter, wie es Jakob Julius David in seinem Roman Am Wege sterben (Berlin 1900) beschrieb. Außer an der medizinischen Fakultät und in den Wirtschaftswissenschaften gab es in Wien nicht viele ausländische Studenten. Frauen wurden erst 1897 zum Studium zugelassen, und zwar an der philosophischen Fakultät. Drei Jahre später wurde dann unter Protest der gesamten Professorenschaft auch die medizinische Fakultät den Frauen geöffnet, nachdem der Kaiser dekretiert hatte, daß für die Moslem-Frauen Bosniens weibliche Arzte ausgebildet werden müßten. In seinem Sträuben gegen diese Einführung hielt der Dekan der Fakultät dem Führer der Neuerungsbestrebungen, dem aus Ungarn stammenden Anatomen Emil Zuckerkandl (1849-1910), vor, er müsse doch besser als alle anderen wissen, daß die Gehirne von Frauen weniger entwickelt seien als die der Männer. 68 Wenngleich in diesem Buch die Wiener medizinische Schule später behandelt werden wird, soll hier ein Standpunkt, der um 1850 die Gemüter besonders erregte, kurz erwähnt werden, nämlich der sogenannte therapeutische Nihilismus. In der Medizin bezeichnete dieser Ausdruck eine prinzipielle Ablehnung, irgendwelche Medikamente zu verschreiben, aus Angst, man könnte so eine Tradition der Quacksalberei fortführen. Die passive Therapie, die um 1800 aufgekommen war, erlebte in Wien bis 1870 ihre Blüte und verschwand auch danach, trotz heftiger Opposition, nicht völlig. Wenngleich der therapeutische Nihilismus ursprünglich angenommen hatte, daß dem Arzt die Heilkräfte der Natur genügen würden, führte diese Lehre in ihren extremen Formen schließlich dazu, die Patienten zu vernachlässigen, und zur Gleichgültigkeit gegenüber dem menschlichen Leben. Außerhalb der medizinischen Fakultät beeinflußte die Überzeugung, daß kein Heilmittel Leiden lindern oder den Untergang aufhalten könne, Denker wie Karl Kraus, Otto Weininger und Albert Ehrenstein. Sie bewahrten den therapeutischen Nihilismus als vorherrschenden Zug eines Wiener 85

Denkens noch lange Zeit, nachdem er von der Fakultät bereits als überholt angesehen wurde. 1884 übersiedelte die Wiener Universität in ihr heutiges, in Formen der italienischen Renaissance errichtetes Gebäude an der Ringstraße, nahe dem Rathaus und nicht weit vom Burgtheater und vom Parlament. Diese Gegenüberstellung erinnerte den Studenten daran, daß er ein Teil des kulturellen Komplexes war, den das bürgerliche Wien ab 1860 zu Ehren der Kunst und der Gelehrsamkeit errichtet hatte. Die Nähe zu öffentlichen Gebäuden reizte die Hochschüler in zunehmendem Maße, immer gewalttätigere politische Demonstrationen zu inszenieren, wie etwa 1897 oder 1905, als antisemitische Hörer sich vor der „Uni" zusammenrotteten, um jüdischen Studenten den Eintritt zu verwehren. 69 Die studentische Politik hatte ihre Zentren in Studentenverbindungen oder Burschenschaften, in denen nach 1870 nicht nur die sogenannten Pflichtmensuren, sondern auch Säbelduelle stattfanden; ihre Motive hatten meist einen politischen Unterton. Sympathisanten der deutschnationalen Bewegung hatten nach 1870 sowohl in Prag als auch in Wien als Zeichen der Verbundenheit mit dem Deutschen Reich das Duell populär gemacht. 70 1888 nahm auch die jüdische Verbindung Kadimah, gegründet in Wien 1882, das Duell in ihre Statuten auf, um die jüdische Ehre gegen deutsche Herausforderer zu verteidigen. Deutschnationale drückten ihre antisemitischen Gefühle durch Absingen der „Wacht am Rhein" während einiger Vorlesungen des Kunsthistorikers Franz Wickhoff aus, um dessen tschechischen Assistenten Max Dvorak einzuschüchtern. 71 Abgesehen von solchen unpassenden Aktionen erfüllten die Burschenschaften eine reinigende Funktion, in dem sie Trinkgesellschaften (Kneipen, Kommerse) veranstalteten und Beziehungen zu süßen Mädels erleichterten. Die Studentenverbindungen übten, wie Arthur Koestler sagt, während der Jahre emotioneller Seekrankheit einen zivilisierenden Einfluß aus: in einer von Tabus gepeinigten Gesellschaft „nahmen sie der traditionellen nostalgie de la boue des Intellektuellen die Schärfe."72 Mädchen litten häufig unter sexuellen Repressionen, nicht so die Männer; dank der Kameradschaft der Kneipe und des Paukbodens ertrugen Studenten und junge Absolventen autoritäre Professoren und Bürokraten leichter. Wer das Glück hatte, ein bescheidenes Einkommen zu beziehen, konnte also die Hochschulzeit als Idylle der Gemeinschaft in einem für andere unzugänglichen geselligen Kreis in Erinnerung behalten. Da 1910 die Universität Wien nur 6000 Studenten zuließ, 50 Prozent davon zum Studium an der juridischen Fakultät, ergriffen Pädagogen mit Sinn für die Allgemeinheit die Initiative zur Organisation der Erwachsenenbildung. Führend in dieser Volksbildungsbewegung war der Dozent für Alte Geschichte Ludo Moritz Hartmann (1865-1924), ein nichtpraktizierender Jude, Sohn des böhmischen Dichters Moritz Hartmann (1821 — 1872). 73 Der junge Hartmann, ein Schüler Theodor Mommsens, half 1900 bei der Gründung des Wiener Volksheimes mit, das Abendkurse für Arbeiter veranstaltete. Im selben Jahr gab der jüdische Journalist Moriz Szeps erstmals seine Wochenzeitschrift Wissen für Alle heraus, die dem arbeitenden Menschen zeitgenössisches Wissensgut zugänglich machte. 74 1897 hatte das Land Niederösterreich in Wien die „Urania" gegründet, ein Zentrum der Erwachsenenbildung. Ermutigt durch Professoren wie 86

Friedrich Jodl, spielte Wien mit diesen Institutionen, die nach 1918 durch den sozialistischen Gemeinderat verwaltet wurden, eine führende Rolle in der Bildung breiterer Bevölkerungskreise. Obwohl die Universitäten alle Anstrengungen unternahmen, die Forschung zu fördern, hielt doch das Habsburgerreich den keineswegs schmeichelhaften Rekord im Ignorieren begabter Erfinder, wobei diese aus Mangel an Selbstvertrauen sich häufig selber verkannten. Die Fälle aus der Biedermeierzeit - Josef Ressel, dessen Schiffsschraube abgelehnt wurde, und Josef Madersperger, dessen N ä h m a schine kein Interesse fand - wurden bereits erwähnt. Nach 1870 ergänzte Gregor Mendels Weigerung, seine Forschungsergebnisse gegen die O p p o s i t i o n eines Schweizer Botanikers zu vertreten, dieses Erscheinungsbild. Ein anderer maßgeblicher Neuerer, der seine größte Erfindung nicht auswertete, war der deutsche Jude Siegfried Marcus ( 1 8 3 1 - 1 8 9 8 ) , der ab 1852 in Wien eine Werkstätte betrieb. 1864 baute er einen kompletten Verbrennungsmotor mit elektrischer Z ü n d u n g und Wasserkühlung und perfektionierte sein Automobil bis 1875 mit allem sonst noch nötigen Zubehör, sogar mit einer hydraulischen Bremse. Obwohl er mit seinem Fahrzeug durch Wien fuhr, erkannte dieser sonst recht erfolgreiche Erfinder nicht, daß dies sein bedeutendster Geistesblitz gewesen war. Der aus Rußland stammende Wilhelm Kress ( 1 8 3 6 - 1 9 1 3 ) , seit 1873 in Wien tätig, hätte beinahe das erste motorgetriebene Flugzeug fertiggestellt; 1901 hob sein „Fliegender Drache" nur deshalb nicht ab, weil die Startbahn für die Maschine, die schwerer als geplant war, zu kurz war. 75 Trotz bürokratischer Trägheit trat das Habsburgerreich nach 1850 durch die Entwicklung neuer Ideen glänzend hervor, in der Technologie und Medizin genauso wie in den Geisteswissenschaften und Gesellschaftstheorien. Das gleiche Genie und die gleiche Beharrlichkeit, mit der die Erfinder ausgestattet waren und arbeiteten, zeichnete auch die österreichischen Pioniere neuer Weltbilder aus, wie Ernst Mach, E d m u n d Husserl, Sigmund Freud, Otto Neurath, Ludwig Wittgenstein. Gleich Tausenden anderer tüchtiger Österreicher profitierten auch sie von der Ü b u n g in den alten Klassikern, von der Ausbildung im freien Sprechen und von der Konfrontation mit den Errungenschaften der Vergangenheit. Durch Lehrer, die voneinander so verschieden waren wie katholischer Priester und Jude, Philologe und Historiker, erwarb der junge Mensch einen intellektuellen Apparat, der es dem Begabten möglich machte, seine brüchig gewordene Umwelt zu interpretieren. Gerade weil sie traditionelle Fertigkeiten vermittelte, machte die österreichische Erziehung es ihren Schülern möglich, über das, was sie ererbt hatten, hinauszuwachsen.

Zwielicht in Wien. Intellektuelle Erneuerung inmitten wirtschaftlichen Ruins Die Verwaltung Österreichs brach Ende 1918 zusammen und lieferte Wien dem Hunger und der Arbeitslosigkeit aus, während sich die Monarchie in sechs Nationalstaaten auflöste, die drei slawischen, Polen, Tschechoslowakei und Jugoslawien, mitinbegriffen. Keiner der Nachfolgestaaten litt darunter so sehr wie 87

Österreich mit einer Hauptstadt von zwei Millionen zur Beherrschung von insgesamt nur noch sieben Millionen. Ehemalige Beamte der Monarchie strömten nach Wien, wo Hungersnot, Inflation, Brennstoffmangel und eine Grippeepidemie Anfang der zwanziger Jahre unbeschreibliches Elend hervorriefen. Angesichts des katastrophalen Mangels an Heizmaterial fällte die Bevölkerung Bäume im Wienerwald, und der Winter 1921/22 war so streng, daß die Wiener Universität schließen mußte. Monumente der Habsburgerregierung wurden zu Denkmälern der Verzweiflung. 76 Einrichtungsgegenstände aus der Hofburg wurden versteigert, um aus dem Erlös Nahrungsmittel zu kaufen, die Räumlichkeiten der Burg wurden für private Veranstaltungen vermietet. Schloß Schönbrunn diente als Waisenhaus. Als jedoch 1919 eine amerikanische Gesellschaft das Angebot machte, im Austausch für die Gobelins des Kaisers Nahrungsmittel zu liefern, scheiterte diese Transaktion am Protest der Öffentlichkeit. Bauern schmuggelten Lebensmittel für den Schwarzmarkt in die Stadt und belieferten so einen Handel, der schon während des Krieges begonnen hatte. Man trank Ersatzkaffee aus Gerste oder Eicheln zu einem Brot, von dem man die Ruhr bekam. Die Grippeepidemie tötete Tausende, unter ihnen Freuds Tochter Sophie und den Maler Egon Schiele. Andere, wie der Kunsthistoriker Max Dvorak, starben an den Nebenwirkungen der Hungersnot. Um zu Geld zu kommen, verkauften viele Wiener ihren Schmuck an Fremde, die zur Plünderung der Stadt nach Wien gekommen waren und die Hotels überfüllten. In dieser Atmosphäre komponierte Alban Berg seine Oper Wozzek (1917/21). In diesen trüben Jahren scherzte der Polizeichef Schober: „Wenn ich morgen die Wiener Cafes schließe, gibt es übermorgen eine Revolution." 77 So endete die Vorkriegszeit der Sicherheit. Die Inflation von 1924, die auf jene der Weimarer Republik folgte, vernichtete die Ersparnisse jedes Rentiers oder Angehörigen des Mittelstandes, der sein Vermögen nicht in Schweizer Franken angelegt hatte. Männer, die in ihrer Jugend dazu erzogen worden waren, an Versicherungspolizzen und feste Werte zu glauben, sahen sich und ihre Familien infolge der Währungsabwertung durch die Regierung plötzlich verarmt. Solche Familienväter verfielen oft auf die verzweifeltesten Auswege. Für Österreich hatte der Vertrag von Saint-Germain, der von den Alliierten wohl hauptsächlich aus Furcht vor einem bolschewikischen Staatsstreich diktiert worden war, jede Hoffnung zunichte gemacht, sich jemals wieder wirtschaftlich zu erholen. Die unter der Führung Karl Renners stehende österreichische Delegation bei der Friedenskonferenz brachte Koffer voller Dokumente mit, die ihren Antrag auf Vereinigung mit Deutschland rechtfertigen sollten. Diese Koffer sind nie geöffnet worden. Unterdessen wurden die Delegierten in ihrem mit Stacheldraht umzäunten Hotel festgehalten und daran gehindert, Paris zu besuchen oder auch nur im nahegelegenen Wald spazieren zu gehen.78 Immerhin war es den Österreichern zum Unterschied von den Deutschen gestattet, ihren Fall in die Presse zu bringen, wobei ihnen ihr Landsmann Rudolf Karl von Slatin ( 1 8 5 7 - 1 9 3 2 ) , der unter Gordon Pascha in Ägypten gedient hatte, als Mittelsmann behilflich war. Aber die Alliierten ignorierten alle diese Bemühungen und forderten die Delegierten im Juni 1919 einfach auf, eine Kopie des Ver88

trags entgegenzunehmen. Am 10. September 1919 unterzeichneten die Österreicher das Schriftstück und traten damit für die Unabhängigkeit ihres Landes ein. Karl Kraus' Verwünschung Vae victoribus sollte sich als nur allzu prophetisch erweisen. Die nächsten fünfzehn Jahre verschärften die Rivalität zwischen den Sozialdemokraten, die Wien beherrschten, und den Christlichsozialen, die im Lande das Übergewicht hatten. 1919 blockierten die Länder eine von den Sozialdemokraten entworfene Verfassung und zwangen Wien mit der Drohung einer Nahrungsmittelsperre zur Annahme der durch Hans Kelsen geschaffenen Bundesverfassung von 1920. Im Jahr darauf erhob die katholische Mehrheit Niederösterreichs Wien zu einem eigenen Bundesland, so daß es die ländlichen Bezirke nicht mehr überstimmen konnte. Anfang der zwanziger Jahre stand in Wien alles im Zeichen eines heillosen Durcheinanders. Die Fahrkartenschalter der Bahnen hatten täglich nur wenige Stunden geöffnet, in endlosen Schlangen warteten die Menschen vor ihnen. 1922 trieb das Finanzministerium noch die Steuern von 1920 ein - und hatte die von 1921 noch nicht festgelegt. Diese Ineffizienz der Verwaltung verbitterte um so mehr, als die Koalitionsregierung 1919 alle von den Nachfolgestaaten hinausgeworfenen Post- und Bahnbediensteten anstellte, was nicht nur erhebliche Mehrkosten verursachte, sondern durch die Überbelegung auch zu einer Verschlechterung der Leistungen führte. Um Initiativen, die früher von der Krone ausgegangen waren, zu ersetzen, berief der Hauptausschuß des Nationalrates Führer beider Parteien zu geschlossenen Sitzungen, um dort die Gesetzgebung so hinzubiegen, daß sie für beide Seiten annehmbar würde. 79 Dies nahm - in camera — die nach 1945 vorherrschende Koalition vorweg. Die sozialdemokratische Regierung Wiens verwirklichte ein effizientes Bauprogramm. 80 Eine von Hugo Breitner (1873-1946) eingeführte Steuer auf Privateigentum finanzierte zwischen 1919 und 1934 nicht weniger als 75.000 Wohneinheiten, obwohl die Slums dadurch kaum zum Verschwinden gebracht wurden. Das Mieterschutzgesetz von 1917 blieb in Kraft und hielt die Mieten so niedrig, daß das Privatkapital hier keinen Anreiz zum Bauen sah. Gemeindebauten, deren Bewohner Mitglieder der Sozialdemokratischen Partei sein mußten, entstanden auch in ehemals konservativen Bezirken und garantierten dort auf Jahre hinaus eine sozialistische Mehrheit. In seinem Roman Wohnungen (München 1969) schildert der aus Wien stammende Wolfgang Georg Fischer (geb. 1933) eine Fülle von Einzelheiten und stellt die Neue Sachlichkeit dieser Wohneinheiten der PlüschAtmosphäre der älteren Ringstraßenwohnungen gegenüber. Die Gemeinde errichtete auch Kleingartensiedlungen für pensionierte Staatsangestellte und Kriegsversehrte, förderte Klubs, in denen Sozialdemokraten Sport betreiben, Sprachen lernen oder Familienberatung erhalten konnten. Für viele war die Sozialdemokratische Partei nun an die Stelle der Kirche getreten. Obwohl die Wiener Sozialisten zusehends bürgerlicher wurden, überzeugten die Landgeistlichen ihre Bauern davon, daß im „Roten Wien" eine Diktatur des Proletariats herrsche. Dies traf nur insofern zu, als konfiskatorische Besteuerung und Straßendemonstrationen die Bürgerlichen einschüchterten, ohne sie jedoch zu unterdrücken. Infolge der Ereignisse vom 15. Juli 1927, als die 89

Polizei unter Johannes Schober (1874—1932) im Einsatz gegen Aufrührer, die den Justizpalast gestürmt und in Brand gesteckt hatten, von der Schußwaffe Gebrauch machte und neunzig Demonstranten erschoß, erhöhte sich die Spannung. Das Debakel, das sich im Februar 1934 ergab, wird im Zusammenhang mit Otto Bauer erörtert werden. In den zwanziger und dreißiger Jahren wurde das intellektuelle Leben von Männern beherrscht, die noch in der Monarchie aufgewachsen waren. Viele von ihnen hielten das Habsburgerreich für ein verlorenes Paradies, dessen Glanz um so heller erstrahlte, je mehr Zeit hinging. 81 Andere Denker der zwanziger Jahre, wie Hans Kelsen, O t t o Bauer, Moritz Schlick, O t t o Neurath, festigten den Positivismus mit Werten, an denen der Erste Weltkrieg nicht hatte rütteln können. Sie trugen ein Selbstvertrauen zur Schau, das sie aus der Ära der Sicherheit herübergerettet hatten. 1938 gingen die letzten Spuren einer kosmopolitischen Einstellung mit der Dezimierung der Juden verloren, wodurch die nächste Generation mit schwerer Schuld beladen wurde. Zweifellos ist es der Abscheu vor den Ereignissen von 1938, der so viele junge Österreicher davon abgehalten hat, sich mit den geistigen Größen ihrer Nation auseinanderzusetzen. In den Jahren nach 1945 haben die Bundesländer dafür gesorgt, daß alpine Folklore über das Habsburgererbe gestellt wurde. 82 Seit 1938 hat sich die Wiener Binsenwahrheit, daß die Vergangenheit über der Gegenwart stehe, im Reich der Ideen als nur zu wahr erwiesen. Noch tragischer ist, daß sich kein neues Forum der Auseinandersetzung bilden konnte, um das, was Hitler zerstört hat, zu ersetzen. Das Absterben des intellektuellen Wien ist einer der Hauptgründe dafür, daß Europa nach 1945 so wenig originelle, revolutionäre Denker hervorgebracht hat. Epigonen Freuds, Neuraths, Wittgensteins, Bubers und Kelsens leben vor allem von der Erneuerung alles dessen, was vergangen ist.

4. Ö K O N O M E N ALS BÜROKRATEN

Karl Pribrams Terminologie für den Übergang vom Feudalismus zum Kapitalismus Das Problem, das seit 1848 das österreichische Gesellschaftsdenken mehr als alle anderen beschäftigte, ist der Übergang von der ländlichen Feudalgesellschaft zur städtischen Industriegesellschaft. Diesen Fragenkomplex hatte auch Ferdinand Tönnies vor Augen, als er seine Unterscheidung zwischen Gemeinschaft und Gesellschaft formulierte. Gerade bei Freud findet sich der Widerhall dieser 90

Dichotomie zwischen der ländlichen Gesellschaft einer Intimität von Angesicht zu Angesicht und der städtischen Gesellschaft von atomistischen Individuen. In einem Brief an seine Verlobte beschrieb Freud 1883, wie sich der Bauer vom Bürgerlichen, wie er selbst einer war, unterschied: „Das Gesindel lebt sich aus und wir entbehren ... so geht unser Bestreben mehr dahin, Leid von uns abzuhalten, als uns Genuß zu verschaffen ... Sie haben auch mehr Gemeingefühl als wir, es ist nur in ihnen lebhaft, daß sie einer das Leben des anderen fortsetzen, während jedem von uns mit seinem Tod die Welt erlischt." 1 Die Gesellschaft predigt Selbstverleugnung und erlegt eine Askese auf, die um der Leistung auf lange Sicht willen die Spontaneität unterdrückt. Dies wurde von Max Weber 1904 als protestantische Arbeitsethik bezeichnet. Als in Österreich die kapitalistische, leistungsorientierte Gesellschaft hochkam, fand sie ihre Größen unter Ökonomen, Juristen und Sozialisten. Die nächsten drei Kapitel wollen untersuchen, wie solche Theoretiker dem Wechsel von der ländlichen zur Industriegesellschaft gerecht wurden. Der österreichische Theoretiker, der am meisten zur Klärung der Terminologie dieses Ubergangs beitrug, war Karl Pribram (1877-1973), aufgewachsen und erzogen in Prag. Er wurde Dozent der Wirtschaftswissenschaften in Wien (1907-1921), entwarf die Gesetze über Arbeitslosenversicherung, die nach dem Ersten Weltkrieg beschlossen wurden, unterrichtete später in Genf und Frankfurt und ließ sich 1934 in den USA nieder. In seinem Buch Die Entstehung der individualistischen Sozialphilosophie (Leipzig 1912) verfolgt Pribram zwei Weltanschauungen, die er Individualismus und Universalismus nennt, vom Frühmittelalter bis zu Adam Smith. Der Individualismus hat seinen Ursprung im mittelalterlichen Nominalismus, verehrt die empirische Vernunft in der Art der Aufklärung und trachtet die Wahrheit im Formulieren und Überprüfen von Hypothesen zu verifizieren. Der Universalismus, eine Bezeichnung für den aristotelischen Realismus des Thomas von Aquin, postuliert ewige, außergeistige Wahrheiten, deren Gültigkeit keiner Überprüfung bedarf. Der Individualist entdeckt die Wahrheit, der Universalist unterwirft sich ihr. Pribram war der Ansicht, daß die kapitalistische Wirtschaftstheorie Adam Smiths den Individualismus widerspiegelt, während der antikapitalistische Kollektivismus Adam Müllers einen romantischen Universalismus durchscheinen läßt. Auf die Gesellschaft angewandt, erzeugt der Universalismus eine Vision des Ganzen, die in der Intuition erfahren werden muß. Der Individualismus dagegen untersucht Hypothesen, die die Vernunft darauf beschränken, jene Bedingungen zu formulieren, unter welchen kausale Beziehungen untersucht werden können. Hegel und Marx verbanden die Einzelheiten des Individualismus mit der Größe des Organizismus, um daraus die dialektische Vernunft hervorgehen zu lassen, ein Werkzeug, das nach Ansicht Pribrams sowohl die Vorzüge als auch die Nachteile seiner Komponenten in sich vereinigt. Als einer, der sowohl den Universalismus als auch den Individualismus respektierte, wandte Pribram seine Dichotomie auf das intellektuelle Leben Wiens an: „Die intellektuellen Klassen Wiens hatten den einzigen Vorposten nominalistischen Denkens östlich des Rheines errichtet. Wiens wissenschaftliche, 91

philosophische, literarische und künstlerische Leistungen ... waren dem Einfluß dieses Denkens zuzuschreiben. Diese nominalistische Haltung stand in scharfem Gegensatz zu einer halb-universalistischen Strömung, dem Erbe der dynastischen Tradition, das vom Adel und dem katholischen Klerus gepflegt wurde, und das seine Anhänger besonders in der unteren Mittelschicht fand."2 Hier stellt Pribram den Liberalismus Carl Mengers dem christlichen Sozialismus Vogelsangs gegenüber. Pribram hätte zahlreiche Individuen anführen können, um die Affinität zwischen der Wiener Mittelschicht und den empirischen Denkern Englands und Frankreichs zu dokumentieren. Die Freundschaft zwischen Theodor Gomperz und John Stuart Mill, Fritz Mauthners Verehrung für Bacon und Hume, Josef Popper-Lynkeus' Liebe für Voltaire und Freuds Zuneigung zur französischen und britischen Psychiatrie zeigen, wie sehr nominalistisches Denken Wiener und böhmische Juden anregte. Sie waren die Glanzlichter des Austromarxismus und der Sprachphilosophie. Außerdem pflegten auch die Schüler Brentanos die britische Philosophie: Untersuchungen Alexius Meinongs über Hume und Anton Martys über Locke stellen eine Parallele zu Friedrich Jodls und Moritz Schlicks Verehrung für den schottischen Skeptiker dar. Pribrams Analyse war bereits weitgehend vergessen. Erst durch Othmar Spanns Anlehnung an Pribram wurde die Unterscheidung zwischen Individualismus und Universalismus berühmt, nachdem die Dichotomie selbst schon vor 1900 durch Gustav Ratzenhofer in seiner Unterscheidung von Individualismus und Sozialismus vorgebracht worden war. Wie Ratzenhofer und Spann glaubte auch Pribram, daß polare Gegensätze genügen würden, um jedes System sozialen Denkens zu klassifizieren. Durch Extrapolation aus dem Methodenstreit -von 1882 zwischen Carl Mengers Empirismus und Gustav Schmollers Historismus wandte Pribram polare Gegensätze auf die Geschichte der Gesellschaftstheorie aufs detaillierteste an.3 Nach Pribrams Ansicht entspricht der Universalismus dem Realismus der Herbartianer, die „glauben, daß die Vernunft die Substanz der Dinge entdecken und die wirklichen Gesetze, die der Ursache von wirklichen Ereignissen zugrunde liegen, lehren kann".4 Im folgenden werden die Termini Holismus, Organizismus, Feudalismus, Zuschreibung und Partikularismus abwechselnd verwendet, um die Mentalität der Gemeinschaft zu bezeichnen. Die Termini Individualismus, Nominalismus, Empirismus, Industrialismus, Kapitalismus und Leistungsorientiertheit bezeichnen Werte der Gesellschaft. Es scheint angezeigt, eine Ubersicht über die Gesellschaftstheorie in Osterreich mit ihrer nominalistischesten, nämlich der von dem Nationalökonomen Carl Menger gegründeten Schule der Grenzanalysen, zu beginnen. Carl Mengers psychologische Theorie der ökonomischen Bedürfnisse Die österreichische Schule der Nationalökonomie wurde von Carl Menger (1840-1921) ins Leben gerufen, der von 1876 bis 1878 der Erzieher des Kronprinzen Rudolf war.5 Menger, Sohn eines katholischen Grundbesitzers in Gali92

zien - der Vater starb, als sein Sohn acht Jahre alt war - , studierte in Prag und Wien Jura und trat dann in den Staatsdienst ein. 1871 veröffentlichte er sein bahnbrechendes Werk Grundsätze der Volkswirtschaftslehre, das ihm bald eine Dozentur, 1873 eine Professur in Wien einbrachte. Er lehrte dort bis an die Jahrhundertwende, trat aber - sehr zum Bedauern seiner Schüler - vorzeitig in den Ruhestand. Menger war wegen der Klarheit seiner Vorlesungen, von denen bis in die zwanziger Jahre Kopien von Hand zu Hand gingen, sehr beliebt. Seine einzige Zerstreuung war die Fischerei, der er jeden Sonntag hingebungsvoll nachging. Gemeinsam mit seinem Bruder Anton sammelte er eine Bibliothek von mehr als 20.000 Bänden, die sich heute im Commercial College in Tokio befindet. Als Lehrer des Kronprinzen führte er diesen in die Ideen des Liberalismus ein, ehe er ihn mit dem Journalisten Moriz Szeps bekanntmachte. Nach 1880 hatte Menger keine Lust mehr, seine ökonomische Theorie weiter auszuarbeiten. Er übertrug diese Aufgabe seinen Schülern und ließ sich mit dem schwäbischen Historiker Gustav Schmoller ( 1 8 3 8 - 1 9 1 7 ) auf eine fachliche Auseinandersetzung ein, die 1882 im Methodenstreit ihren Höhepunkt fand. Menger wandte die Bezeichnung Historismus an, um die Abneigung seines Gegners gegen jegliche Theorie zu charakterisieren. In Pribrams Terminologie verteidigte Menger den Nominalismus gegen den Organizismus. Schmoller vertrat die Ansicht, daß nur je eine Gesellschaft zu einer bestimmten Zeit untersucht werden könne, da die Ökonomie keine ewigen Gesetze habe. Menger dagegen postulierte einen Mechanismus, der jeder Gesellschaft innewohne. Obwohl sich ihre Polemik rund zwanzig Jahre lang um strittige Punkte polarisierte - und dabei Pribram half, zu seinen Kategorien zu finden —, vereinte schließlich Max Weber die beiden Ansätze in seinem Konzept des Idealtypus. Weber formulierte, was Friedrich von Wieser „idealisierende Annahmen" genannt hatte, um die Daten vergangener Kulturen zu klassifizieren. So konnten nach Mengers Modellen Schmollers historische Rekonstruktionen der Vergangenheit gestaltet werden. 6 Mengers große Neuerung betraf die Werttheorie. Im Gegensatz zur mittelalterlichen Scholastik und selbst zu Adam Smith vertrat er die Ansicht, daß der Wert eines Gutes nicht in der ihm innewohnenden Qualität besteht, sondern eher im menschlichen Bedarf. Menger begann damit, Güter als Waren oder Tätigkeiten zu definieren, die einen einmal erkannten Bedarf des Menschen befriedigen können. Ein Gut ist nur dann ein ökonomisches Gut, wenn das Bedürfnis nach ihm größer ist als das Angebot. Danach unterschied er zwischen Gütern erster Ordnung, die einen Bedarf direkt befriedigen, und Gütern höherer Ordnung, die dazu dienen, Güter erster Ordnung herzustellen. Menger postulierte, daß die Nachfrage nach Gütern erster Ordnung die einzige Triebfeder für das sei, was er als Güterqualität bezeichnete. Daraus folgt, daß Güter höherer Ordnung ihren Wert nur von dem vorweggenommenen Wert der Güter erster Ordnung herleiten, zu deren Herstellung sie dienen. Um die Werte der Güter erster Ordnung zu vergleichen, entwarf Menger eine Grenznutzentabelle. Sein Schema weist das Abnehmen der Befriedigung auf, die mit zunehmendem Angebot eines Gutes festgestellt werden kann. Quer über dem oberen Ende einer Tabelle führte Menger 10 verschiedene Güter an, die er mit I bis X bezeichnete. In jeder Spalte trug 93

er die Grade der Befriedigung ein, die nach einer zehnteiligen Skala abnehmen, wenn das Angebot des jeweiligen Gutes zunimmt:

Grad der Zufriedenheit bei zunehmendem Angebot

I

II

10 9 8 7

9 8 7 6

Verschiedene Güter III IV V VI VII VIII 8 7

7 5

6 6 5

6 4

5 3

4 2

3 1

IX

X

2

5 4

Nach der Tabelle bringt die erste Einheit des Gutes III, sagen wir, Motortransport, etwa dasselbe Ausmaß an Zufriedenheit wie die dritte Einheit von Gut I, z. B. Grundnahrungsmittel. Gut X ist so entbehrlich, daß seine erste Einheit nicht mehr Wert hat als die zehnte Einheit von Gut I. Eine zweite Einheit von Gut X wäre wertlos. Menger war der Ansicht, daß der Mensch das ökonomische Verhalten leite, indem er Bedarfsprioritäten setzt. Jeder Konsument wählt, welchen Bedarf er stillen möchte, welchen nicht; Bewertung ergibt sich aus den Unterscheidungen der erlebten Bedürfnisse. Menger bestand darauf, daß die Zahlen auf seiner Tabelle nur suggestiv seien, da jeder Konsument verschiedene Prioritäten setzt. Preise steigen infolge zunehmender Nachfrage, die von Konsumenten der Güter erster Ordnung ausgeht, und den aus ihr resultierenden Bedürfnissen der Hersteller. Menger veröffentlichte seine Grenzwerttheorie im selben Jahr, in welchem William Stanley Jevons (1835—1882), der unabhängig von ihm arbeitete, eine ähnliche Hypothese in seiner Theory of Political Economy (1871) ankündigte. Drei Jahre später folgte eine noch genauere Analyse von dem aus Frankreich stammenden Schweizer Leon Walras in dessen Elements d'economiepolitiquepure (1874). Außerhalb Österreichs lief Walras' mathematische Beweisführung Menger bald den Rang ab, während sich in England Jevons' utilitaristisches Kalkül erst gegen die Smith-Ricardo-Tradition durchsetzen mußte. Menger hatte das Glück, ein bei den deutschsprechenden Ökonomen vorherrschendes Vakuum an Theorie ausfüllen zu können. Gegner fand er nicht auf Seiten anderer Theoretiker, sondern unter den Historikern, die sich gegen das Aufstellen von Theorien überhaupt wandten. Von den drei Männern, die gleichzeitig die gleiche Entdeckung machten, war Menger der am wenigsten mathematisch und am meisten psychologisch orientierte. Er interessierte sich weniger für den Mechanismus von Preisbewegungen als für die psychologischen Zusammenhänge, nach welchen ein bestehendes Verlangen die Verhältnisse des Gütertausches beeinflußt. Indem er darauf beharrte, daß Nützlichkeit nicht meßbar sei, tat er Walras' Gleichgewichtsgleichungen als Fiktion ab. Alle drei aber setzten eine statische Wirtschaft voraus, in der das Verhalten des Einzelnen einen Parallelfall zu dem des Ganzen darstellt. Niemand konnte bisher die bestimmenden Einflüsse, die auf Menger gewirkt haben, nachweisen. Oskar Kraus behauptete, eine Parallele zwischen Menger und den Abhandlungen von Aristoteles, wie Brentano sie interpretierte, 94

entdeckt zu haben, ohne jedoch nachweisen zu können, daß Menger den einen oder den anderen gelesen hätte.7 Es ist denkbar, daß Menger in seiner Suche nach Gesetzen von Herbartianern wie Robert Zimmermann beeinflußt war, der im gesellschaftlichen Leben formale Regelmäßigkeiten sah. Mengers Grundsätze erschienen drei Jahre vor Brentanos Psychologie vom empirischen Standpunkt, deren Konzept vom Wert als Modus der Intentionalität eine Parallele zu Mengers Auffassung vom Bedarf darstellt. Christian von Ehrenfels versuchte in seinem System der Werttheorie (1897—1898) eine Synthese dieser beiden Ansätze. Menger zeigt auch Anklänge an Machs Prinzip der Ökonomie: obwohl beide Männer die Phänomene mit einem Minimum an Hypothesen zu erklären suchten, bewies Menger mehr Achtung für die Theorie als solche. Kein anderer Zweig des sozialen Denkens zog in Österreich soviele Anhänger der hypothetischen Beweisführung an wie die Grenzökonomie. Friedrich Wieser: Anwalt einer gemischten Ökonomie Der Mann, der Mengers Theorie durchgehend systematisierte, war Friedrich von Wieser (1851-1926), 8 geboren in Wien als Sohn eines 1859 geadelten Armeequartiermeisters. Wieser studierte drei Jahre Jus unter Lorenz vom Stein. Nach der Lektüre von Tolstois Krieg und Frieden wandte er sich gegen die Auffassung, daß „Große Männer" Geschichte machen, und interessierte sich für die Analyse anonymer gesellschaftlicher Kräfte, Obwohl er Mengers Grundsätze 1872 las, besuchte er dessen Vorlesungen nicht. Gemeinsam mit Eugen von BöhmBawerk (1851-1914), seinem Schulkollegen vom Schottengymnasium, studierte er von 1875 bis 1877 in Heidelberg, Leipzig und Jena. In Heidelberg schrieb er 1876 einen Seminaraufsatz zum Problem alternierender Kosten, wobei er argumentierte, daß die Kosten dasjenige messen, was mit den gleichen Rohmaterialien hätte produziert werden können. Wieder in Wien, zeigte er seine Aufsätze Menger, der ihn ermutigte, anstelle einer Verwaltungslaufbahn die Habilitation für Wirtschaftswissenschaften anzustreben. Von 1884 bis 1903 war er Professor der Wirtschaftswissenschaft an der deutschen Universität in Prag; danach folgte er Menger auf dessen Wiener Lehrstuhl nach und wirkte von 1917 bis 1918 als österreichischer Handelsminister. Obgleich er ein enger Freund Carl Mengers war, wurde er nicht, wie manchmal berichtet wird, der Schwiegersohn seines Mentors, sondern heiratete 1886 in Prag die Tochter eines deutschen Architekten. Wieser prägte zwei Termini, die zu Slogans der österreichischen Schule wurden. In seiner Abhandlung Uber den Ursprung und die Hauptgesetze des wirtschaftlichen Werthes (Wien 1884) führte er die Termini Grenznutzen und Zurechnung ein. Er war der erste österreichische Nationalökonom, der die Anordnung der Rohstoffe und auch die Struktur einer Wirtschaft des freien Unternehmertums studierte und so Mengers Versprechen erfüllte, daß alle Gebiete der Ökonomie unter dem Dach des Grenznutzens zusammengefaßt werden können. Ahnliche Konsequenz demonstrierte ein anderer Professor der Wirtschaftswis95

senschaften in Prag, Emil Sax (1845—1927), der Mengers Erkenntnisse auf Verwaltungsgesetze und das Transportwesen anwandte. Obwohl Wieser größere mathematische Fähigkeiten besaß als Menger oder Böhm-Bawerk, wandte er so wie diese die Mathematik sparsam an und zog ihr Beispiele aus dem Robinson Crusoe vor. In Gegensatz zu Mengers Individualismus stehend, bevorzugte Wieser die Sozialökonomie nach der Tradition des Kameralismus des 18. Jahrhunderts. In seiner Theorie der gesellschaftlichen Wirtschaft (Tübingen 1914, 2. Aufl. 1924), einer Abhandlung, die von Max Weber in Auftrag gegeben worden war, beschrieb er die Grenzökonomie als Mittelweg zwischen den Ideologien der klassischen Schule Ricardos und der Sozialisten. Um all jenen zu entgehen, die ökonomische Theorien als Mittel zur Macht mißbrauchen, stellte Wieser eine gemischte Ökonomie an die Spitze. Im selben Buch trat er für den Gebrauch von „idealisierenden Annahmen" ein, „mit Hinweglassung des Nebensächlichen, des Zufälligen, des Besonderen".9 Er schlug eine psychologische Theorie vor, die im Bewußtsein der wirtschaftenden Menschen „einen Schatz von Erfahrungen" freilegen würde, „die jedermann besitzt, der praktische Wirtschaft treibt, und die daher auch jeder Theoretiker in sich bereit findet".10 Dieses Postulat stimmte überein mit einer Uberzeugung, die aus dem zweiten Epilog (1869) zu Tolstois Krieg und Frieden abgeleitet ist, nämlich daß die Ereignisse von den natürlichen Gesetzen gehorchenden Massen ausgehen. In den Jahren nach 1890 hielt Wieser ein Seminar ab, in welchem er sich gegen den Utopismus von Theodor Hertzkas Freiland wandte und ihn widerlegte. In seinem letzten Buch, Das Gesetz der Macht (Wien 1926), untersuchte er die Rolle von Eliten und argumentierte mit Gumplowicz, daß freiwillige Unterordnung unter das Gesetz schließlich die Herrschaft der Gewalt unnötig machen würde. Obwohl er, wie sein Schüler Schumpeter, die Habsburgermonarchie verehrte, ließ Wieser nicht zu, daß Nostalgie deren Fehler verbarg. Sein Buch Österreichs Ende (Wien 1919), das teilweise auf seinen Erfahrungen als Handelsminister 1917-1918 beruht, gilt als eine der nüchternsten Analysen dieses Debakels, die so kurz nach den Ereignissen geschrieben wurde. Durch seine imponierende Persönlichkeit half Wieser, zwei Generationen österreichischer Nationalökonomen heranzubilden. Gemeinsam mit Böhm-Bawerk nahm er sich der Aufgabe an, Mengers Entdeckungen zu verbreiten und zu verfeinern. Wie Schumpeter und die Austromarxisten vereinigte Wieser die Größe der Vision mit gediegenem Gelehrtentum und verwob Ökonomie mit Soziologie und politischer Theorie. Schumpeter hielt Wieser für denjenigen österreichischen Nationalökonomen, dessen Ansichten den seinigen am nächsten standen. Wieser war weder ein Vorfahre noch ein Epigone — er war ein Mittler, ähnlich wie Julius von Schlosser in der Kunstgeschichte und Rudolf Eisler in der Philosophie. Als guter Beamter übte er einen weitgehend anonymen Einfluß aus.

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Joseph Schumpeter: Enterbter Erbe des Habsburgerreiches Nach Eugen von Böhm-Bawerks Tod (1914) wurde Joseph Schumpeter ( 1 8 8 3 1950) zum bekanntesten österreichischen Nationalökonomen in den USA." Obwohl er als Professor der Wirtschaftswissenschaften an der Harvard University zwischen 1932 und 1950 großen Einfluß ausübte - größeren als seine ebenfalls geflüchteten Schicksalsgenossen, etwa Ludwig von Mises oder Friedrich von Hayek - , gestaltete sich seine Karriere alles andere als glücklich. Schumpeter wurde in Triesch in Mähren geboren. Sein Vater, ein reicher Textilunternehmer, starb, als der Sohn vier Jahre alt war. Seine Mutter zog nach Wien und heiratete dort 1893 den Militärkommandanten der Stadt, Sigismund von Keler. Von 1893 bis 1901 besuchte Joseph das Theresianum als Tageszögling, wo er als bürgerlicher Emporkömmling Gefallen an der aristokratischen Art fand. 1906 erwarb er in Wien unter Wieser und Böhm-Bawerk sein Doktorat, im folgenden Jahr ehelichte er eine Engländerin, von der er sich nach wenigen Monaten wieder trennte, obwohl er als Katholik nicht wieder heiraten durfte (erst 1920 konnte er diese Ehe auflösen). Nach zwei Jahren in Kairo habilitierte er sich 1909 in Wien, danach kamen zwei einsame Jahre in Czernowitz. Von 1911 bis 1921 war er als Professor in Graz tätig, hielt sich oft in Wien auf und bemühte sich während des Ersten Weltkriegs vergeblich, über englische Freunde einen Separatfrieden anzubahnen. 1919 folgte er Böhm-Bawerk als Finanzminister in der Koalitionsregierung, wo sein Eintreten für eine gemischte Ökonomie sowohl Sozialisten als auch Klerikale befremdete. Anfang der zwanziger Jahre fungierte er als Präsident der Biedermannbank in Wien; als diese 1924 zugrunde ging, geriet er in schwere Verschuldung, nachdem er sein persönliches Vermögen erschöpft hatte, um seine Gläubiger auszuzahlen. Dabei ging er weit über das hinaus, was das Gesetz verlangte. Schumpeters 1925 geschlossene Ehe mit Anni Riesinger, die von seiner Mutter sehr begünstigt wurde, endete mit dem Tod der Frau im Kindbett. Bald darauf starb auch die Mutter. Von 1924 bis 1932 unterrichtete Schumpeter in Bonn öffentliches Finanzwesen, von dort ging er als Professor der Wirtschaftswissenschaften an die Harvard University. Die Emigration nach den USA bedeutete den endgültigen Bruch mit dem Europa seiner Jugend. Schon als jungen Menschen hatte ihn die Arbeit verzehrt; als Flüchtling blieb er bis zu seinem Ende isoliert, fieberhaft arbeitend, umgeben von Erinnerungen an eine Welt, die er verloren hatte. In den USA wurde Schumpeter am meisten bekannt durch sein Buch Capitalism, Socialism and Democracy (New York 1942, 3. Aufl. 1949). Dieses Werk sah einen Trend zum Sozialismus voraus, da die Unternehmer die Fähigkeit zu jenen Neuerungen, die den Kapitalismus aufrechterhalten hatten, verlieren würden. Teile dieser These hatte Schumpeter schon in seiner Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung (Leipzig 1911, 2. Aufl. 1926) vorgebracht, einem Werk, das sein Entstehen den Czernowitzer Vorlesungen verdankte. Er ging von der Voraussetzung aus, daß Wirtschaft einen ununterbrochenen Fluß von Gütern und Dienstleistungen darstelle, und übernahm die Gleichungen von Walras, um die Verlagerungen der Gleichgewichtspositionen zu demonstrieren. Sobald der 97

Motor der Neuerung stehenbleibt, stagniert das ganze System. Bei einem Besuch in England 1906 hatte er die freien Unternehmer des Landes gepriesen, während er Österreichs Bürokratie dafür tadelte, daß sie die Wirtschaft des Landes in Vorschriften erstickte. Nachdem er 1919 darauf bestanden hatte, daß die Steuern und nicht der Gewinn der verstaatlichten Industrien den wirtschaftlichen Wiederaufbau finanzieren müßten, verstärkte sich mit dem Zusammenbruch seiner Bank während der Inflation von 1924 seine Uberzeugung, daß die Unternehmer allmählich die Nerven verloren. Schumpeters Virtuosität kommt am besten in seiner posthumen History of Economic Analysis (New York 1954) zum Ausdruck. Dieses unvollendete Opus ist voll von Einsichten in jeden Aspekt der Gesellschaftstheorie seit dem Mittelalter. Sein Reichtum an Aperçus spiegelt wider, was Gottfried Haberler als Schumpeters L'art-pour-l'art-Freude an der Diskussion genannt hat: „Der große Reichtum an Ideen, die beständig seinen Geist durchströmten, und sein scharfes Wissen um alle Seiten einer jeden Frage und um die Grenzen eines jeden Standpunktes, jeder Methode machten es ihm selbst schwer, seine Ansichten zu irgendeinem Gegenstand sauber und systematisch vorzulegen."12 Als einzigartiger Historiker hatte Schumpeter einen zu scharfen Blick für Verwicklungen und Hindernisse, um noch fähig zu sein, sie zu beheben. Er teilte Wiesers Abscheu vor Ideologien und schwamm während beider Weltkriege gegen den Strom, indem er sich im Ersten Weltkrieg gegen die Sache Österreichs stellte, im Zweiten gegen die Amerikas. Bis zum Ende hielt er am Zauber der Welt seiner Jugend fest, war vernarrt in die Jahre am Theresianum, in Graz und als Finanzminister. Sogar für die östliche Atmosphäre in Czernowitz, die er seinerzeit gehaßt hatte, entwickelte er sentimentale Erinnerungen. Obwohl er die Unternehmer schätzte, freute sich Schumpeter zugleich, daß sich der Adel ein solches Maß an Desinteresse leisten konnte, wie ein Bürgerlicher es nie erreichen konnte. In einem Aufsatz über Böhm-Bawerk von 1925 lobte er das Habsburgerreich: „Aber das kann niemand verkennen, was das damalige Österreich unter für den Fernstehenden kaum glaublichen Schwierigkeiten im einzelnen auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens geleistet hat, wie gründlich und erfolgreich damals auf allen Gebieten öffentlicher Verwaltung die Vorbedingungen für einen lebenskräftigen und leistungsfähigen Staat geschaffen wurden. In der Summe dieser Leistungen war die finanzpolitische die wichtigste." 13 Schumpeter konnte seine Fähigkeiten nicht voll entfalten. Wie ein anderer Schüler Böhm-Bawerks, Otto Bauer, mit dem er im Koalitionsministerium von 1919 zusammenarbeitete, empfand er den Zusammenbruch von 1918 als Amputation. Beide Männer konnten sich nie mit dem Verlust des Reiches abfinden. Wäre es am Leben geblieben, vielleicht hätten sie zusammengearbeitet, der eine die Launen des anderen ausgleichend, und so dauerhafte Reformen geschaffen. Nach 1920 ging ihnen das Selbstvertrauen, das Österreich einst seiner Elite gegeben hatte, in der Sinnlosigkeit ihrer Bemühungen verloren.

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Ähnlichkeiten zwischen der österreichischen Schule der Nationalökonomie und der josefinischen Verwaltung Die österreichische Schule der Nationalökonomie bestand aus Carl Menger, seinen Schülern und seinen Enkelschülern. Sie zeigte eine größere Einheit als die Wiener Schule der Kunstgeschichte oder Brentano und seine Schüler. Die österreichischen Nationalökonomen arbeiteten auf einer hohen Stufe der Abstraktion und entlehnten ihre Beispiele vorzugsweise vorindustriellen Wirtschaftsformen wie etwa dem, was Robinson Crusoe zugeschrieben wird. Sie alle folgten Mengers Postulat, daß Verallgemeinerungen oder idealisierende Annahmen beim Ordnen der Daten sozialen Verhaltens unerläßlich seien. Außer Schumpeter und Mises schätzten diese Theoretiker die Mathematik nicht sehr. In der Einstellung gegenüber dem Sozialismus war die Schule geteilter Ansicht: Menger, Böhm-Bawerk und Mises betrachteten jede Spielart von Sozialismus als Entstellung der freien Marktwirtschaft, Wieser und Schumpeter dagegen traten für eine gemischte Wirtschaft ein, wenn auch sehr zaghaft. Eine der schärfsten Beurteilungen der österreichischen Schule kam von einem Genossen Lenins, Nikolaj Bucharin ( 1 8 8 8 - 1 9 3 8 ) , der von 1912 bis 1914 in Wien Wirtschaftswissenschaften studierte, ehe er im August 1914 als vermutlicher russischer Spion interniert wurde. Im Winter 1912/13 half er Stalin bei der Abfassung seiner Nationalitätenfrage und Sozialdemokratie (Berlin 1913), einer Polemik gegen Karl Renner und Otto Bauer. Zur gleichen Zeit bereitete Bucharin seine Economic Theory of the Leisure Class (1919; New York 1927) vor, welche die soziologischen Wurzeln der Kritik Böhm-Bawerks an Marx untersuchte. Bucharin argumentierte, die österreichische Schule vertrete die Interessen der Rentiers, die gleich den Adeligen im Frankreich des 18. Jahrhunderts eine parasitäre Klasse darstellten, die sich des drohenden Unterganges bewußt war. Weil sie selbst nicht arbeiten müßten, trumpften die Rentiers mit ihrer Psychologie des Konsums auf, die Menger zur Grenzökonomie erhob. Da sie sich am bescheidenen Zuwachs erfreuten, täten sie die Sorge um die Armen als unanständig und bedrohlich ab. In ihrer Angst vor der Zukunft pflegten sie einen Epikureismus und Kaffeehausästhetizismus. Ihre Ideologie sei daher unhistorisch und undynamisch; da ihnen Veränderungen nur Schaden bringen konnten, vermieden es die Rentiers, an solche zu denken, und gäben sich dem hin, was Lukäcs als verdinglichtes Klassenbewußtsein bezeichnet hatte. Diese Analyse, so genial sie auch sein mag, spiegelt doch sowohl die Stunden wider, die Bucharin in Kaffeehäusern verbracht hatte, als auch jene, die er den Vorlesungen der Nationalökonomen widmete. Er unterschob den Professoren eine Haltung, die für junge Dandys der Ringstraße charakteristisch war. Diese arbeitsscheuen Söhne von Parvenüs führten tatsächlich das Leben von Parasiten, schwelgten im Genuß und priesen den Individualismus. In Schnitzlers Der Weg ins Freie weichen die Jünger des carpe diem der Zukunft mit der Sorglosigkeit einer überfeinerten und absterbenden Elite aus. Was Bucharin als Angst vor Veränderungen bezeichnet, habe ich als Resignation eingestuft und, in seiner extremen Form, als therapeutischen Nihilismus. Jedenfalls erscheint es plausibler, die österreichische Schule nicht mit dem Standpunkt von Rentiers zu vergleichen, 99

eher mit dem von Bürokraten. Die beamteten Professoren, in finanzieller und sozialer Hinsicht gesichert, entwickelten Maßnahmen, um das Wirtschaftsleben unparteiisch zu steuern. Als Angestellte des Staates und Diener des Kaisers standen sie über dem Streit, frei, einen Standpunkt jenseits jeglicher Klasse zu beziehen. Die österreichischen Nationalökonomen hielten an der josefinischen Unparteilichkeit gegenüber den Klassen bis in die Blütezeit des Kapitalismus nach 1860 fest. Der in Berlin geborene Österreicher Emil Kauder (geb. 1901) stellte eine andere These auf, um den Anti-Interventionismus österreichischer Schule zu erklären. 14 Er n i m m t eine Parallele zwischen dem Glauben der Nationalökonomen an abstrakte Regelmäßigkeiten und dem der böhmischen Reformkatholiken an eine natürliche O r d n u n g an. Für Bernhard Bolzano und Adalbert Stifter wie auch für Menger und Böhm-Bawerk bestand die Aufgabe des Staatsmannes und des Gelehrten im Aufrechterhalten ewiger Wahrheiten, die sich in der Hierarchie der Gesellschaft verkörperten. Laut Kauder lehnte Böhm-Bawerk Marx deshalb ab, weil dieser den Menschen dazu dränge, den Zauberlehrling zu spielen; die natürliche O r d n u n g nur fragmentarischer Ziele wegen umzustürzen, hieße Stabilität gegen ein Irrlicht einzutauschen. Kauder entdeckte eine Analogie zwischen Wiesers Eintreten für die Nächstenliebe als höchstes Gut (in Das Gesetz der Macht, 1926) und Stifters sanfiem Gesetz: beide versuchten, das menschliche Potential zu seiner höchsten Entfaltung zu bringen, ohne die Hierarchie zu verletzen. Den österreichischen Nationalökonomen bereitete die Ansicht, daß das Naturgesetz die Wirtschaft leite, ästhetisches Vergnügen, so wie Stifter und Bolzano in Natur und Gesellschaft das Werk Gottes verehrten. Anstelle der unsichtbaren H a n d Adam Smiths setzten die Nationalökonomen die Leibnizsche Prämisse der Harmonie zwischen der geschaffenen Natur und dem Gesetz der Gesellschaft. Keiner trieb den Glauben an eine unsichtbare Ordnung, die der Marktwirtschaft zugrunde liege, weiter als Ludwig von Mises, der darauf bestand, daß jede Einmischung in die Marktverhältnisse diese nur zerstören würde. Schumpeter, der in diese statische Vision die britische Begeisterung für das Vorantreiben von Veränderungen einfließen ließ, stellt eine Ausnahme dar. Stagnation würde sich einstellen, erklärte er, falls die Unternehmer nicht den Anstoß gäben zu quantitativen Sprüngen in der Technologie und in den Handelsusancen. Obgleich reizvoll, kann die These Kauders nur schwer untermauert werden. Wenn Menger, Wieser und Böhm-Bawerk eine Leibnizsche Anschauung aufgriffen - wo hatten sie sie her? Kam sie vielleicht aus Herbartianischen Lesebüchern, die sie nach 1850 im Gymnasium verwendeten? Haben diese Theoretiker wissentlich eine Philosophie aufgegriffen, die ihnen den Glauben an eine Natur und Gesellschaft vereinende unverletzliche O r d n u n g einschärfte? Jeder, der versucht, ein Wiederaufleben Herbartianischer Gedanken in den Wirtschaftswissenschaften nachzuweisen, steht einem Mangel an Evidenz gegenüber. O b wohl eine Parallele zwischen dem Glauben der Ö k o n o m e n an das Naturgesetz und Herbarts Lehre von den Realen zu bestehen scheint, kann ein direkter Einfluß nicht belegt werden. Nichtsdestoweniger scheint es so zu sein, daß die Nationalökonomen ihren N o n - I n t e r v e n t i o n i s m u s von der in der josefinischen Bürokratie alteingesessenen Unparteilichkeit übernommen haben. Die meisten 100

Musterbeamten werden sich wohl k a u m viel Gedanken über Herbart gemacht haben, aber manche könnten doch in ihren eigenen Idealvorstellungen bestärkt worden sein durch das Studium einer Philosophie, in der solche Vorstellungen Gestalt annahmen. Sobald die Leibnizsche Schau institutionalisiert worden war, geriet jeder Bürokrat mit ihren Grundsätzen in Berührung, wenn auch in recht verwässerter Form.

5. R E C H T S T H E O R E T I K E R

Die Autorität des Staates, unterstützt und herausgefordert von Theoretikern des Rechts Auf dem Gebiet der Rechtstheorie läßt sich Karl Pribrams Dichotomie von Individualismus und Universalismus nicht so gut anwenden wie auf dem der W i r t schaftswissenschaften. Die Juristen, darin ausgebildet, mit beiden Standpunkten zu fühlen, behandelten genügend Streitfragen, die die Kluft zwischen dem Nominalismus und dem Organizismus überspannten. Eugen Ehrlich, der Theoretiker, der den Versuch u n t e r n a h m , auf der U n t e r s c h e i d u n g zwischen Gemeinschaft u n d Gesellschaft eine Soziologie des Rechts aufzubauen, scheiterte daran. Entscheidender für das Verständnis der Rechtstheorie in Österreich ist das System der Gerichtshöfe in der Monarchie, das im wesentlichen dem des kaiserlichen Deutschland entsprach. Die Gerichtssysteme des Kontinents unterscheiden sich sehr stark von denen des angelsächsischen Rechts.' In Fällen einer zivilen Klage sieht das kontinentale Recht, das hier auf dem Römischen beruht, grundsätzlich eine Untersuchung vor drei Richtern vor; ein Zivilprozeß k o m m t niemals vor Geschworene. In Kriminalfällen ist der Staat zunächst selbst nicht Partei, die ihre Anschuldigungen vor einem unparteiischen Richter beweisen m u ß . Statt dessen sammeln Untersuchungsrichter Beweismaterial, wobei sie genauestens festgelegte Verfahrensvorschriften einzuhalten haben, ehe sie ihr Untersuchungsergebnis an das Gericht weiterleiten. Als unabhängige Organe des Staates müssen sich sowohl Richter als auch Untersuchungsrichter unparteiisch verhalten: ihre Aufgabe besteht darin, Regeln eines Verfahrens durchzusetzen, das - so wird a n g e n o m m e n - dem Angeklagten gegenüber Fairneß garantiert. Der Staat selbst kann nach diesen Regeln nicht angeklagt werden, da sie von ihm geschaffen sind. In der Tat hütet der Staat, geformt nach dem Vorbild Roms, ein „öffentliches" Recht, das sich von dem, nach welchem seine Bürger regiert wer101

den, unterscheidet. Die Trennung des privaten vom öffentlichen Recht erhebt den Staat zum wohlwollenden Beschützer der privaten Rechte, insbesondere des Eigentums, und entzieht zugleich die Bürokratie der rechtlichen Verantwortlichkeit vor dem privaten Bürger. In Deutschland und Österreich-Ungarn erhob das Römische Recht nicht nur die Richter in sakrosankte Stellungen, sondern nährte auch den Glauben an die Unfehlbarkeit des Staates. Als Gebieter über das Recht hatte allein der Staat die Macht - und die Möglichkeit - , seine Autorität zu zügeln; diese Autorität wurde nie — wie etwa in Großbritannien — durch die Notwendigkeit, in einem Gerichtssaal gegen den Bürger einen Kampf auszufechten, geschmälert. Im Gegensatz zu dem angelsächsischen System der Gegnerschaft macht das kontinentale Recht Anwälte zu Kollegen der Richter, mit denen sie zur Durchsetzung der Regeln zusammenarbeiten. Beim Überprüfen, Erneuern und Kodifizieren von Gesetzen spielten Professoren eine bevorzugte Rolle, während in Großbritannien und in den Vereinigten Staaten von Amerika diese Aufgabe eher dem Gesetzgeber zufällt. Im Habsburgerreich führten die Richter als josefinische Bürokraten den Vorsitz und erfüllten als solche die kaiserliche Funktion des Rechtsprechens. Als Beamte des Kaisers richteten sie über menschliche Schicksale, abgeschirmt von jeder Parteilichkeit des bürgerlichen Lebens. Innerhalb eines hochzentralisierten, von den Reformen Maria Theresias und Josephs II. kodifizierten Systems war das Bestimmen der Grenzen der staatlichen Autorität Hauptproblem der Rechtstheorie. Auf der einen Seite bestanden Dogmatiker wie Rudolf von Ihering darauf, daß allein dem Staat die Kompetenz zur Abgrenzung seiner eigenen Autorität zukomme, ein Privileg, das Georg Jellinek Kompetenz-Kompetenz nannte. 2 Auf der anderen Seite stärkte Hanns Gross, der die Techniken der Verbrechensaufklärung und -Verfolgung perfektionierte, der Oberhoheit des Staates den Rücken. Noch radikaler war der Rechtspositivismus des jüngeren Kelsen, der schlicht den Staat mit dem Recht gleichsetzte. Andere Juristen, die den Status quo in Frage stellten, entwarfen Theorien, um den Staat zu schwächen oder zu dezentralisieren. Im Habsburgerreich spornten der Nationalitätenkonflikt, der Mißbrauch von Protektion, Schlamperei, aber einfach auch die Mannigfaltigkeit die Juristen dazu an, Alternativen gegeneinander auszuspielen. Zu den Kritikern des Staates zählen Eugen Ehrlich, der die volkstümlichen Züge der Gemeinschaft als höchste Quelle des Rechtes schätzte, Anton Menger, der für gemeinschaftlichen Sozialismus eintrat, und Karl Renner, der mit dem Instrumentarium des Marxismus das Privatrecht als Abtretung von Staatsmacht an die Besitzenden entlarvte. — Hier seien zuerst die Kritiker betrachtet (wobei Karl Renner dem Kapitel über die Austromarxisten vorbehalten bleibt), sodann Gross und Kelsen, die Verfechter staatlicher Oberhoheit. Eugen Ehrlich: Verfechter lokaler Gebräuche Der Theoretiker, der die scharfe Unterscheidung zwischen Gemeinschaft und Gesellschaft am systematischesten auf das Recht anwandte, war Eugen Ehrlich 102

(1862—1923), geboren und aufgewachsen in Czernowitz.3 Dieser jüdische Anwalt kannte also die Gemeinschaft der Bukowina aus erster Hand. Er promovierte 1886 in Wien zum Doktor juris und blieb hier zunächst als Beamter, bis Anton Menger ihn ermutigte, sich 1894 zu habilitieren. Etwa zur gleichen Zeit konvertierte Ehrlich zum Katholizismus. Von 1895 bis 1897 war er Dozent für Römisches Recht in Wien, von 1897 bis 1918 wirkte er als Professor an der juridischen Fakultät seiner Geburtsstadt Czernowitz, wo er 1906/07 auch die Stelle des Rektors der Universität bekleidete. Czernowitz, etwa 30 Kilometer von der russischen Grenze entfernt, war ein lebendes Laboratorium für vergleichendes Recht; hier war das tägliche Leben ethnischen Gesetzen unterworfen, die an österreichischen Gerichtshöfen sonst unbekannt waren. Ehrlich gründete ein Institut für Rechtstatsachenforschung, das die Gebräuche von rund zehn Nationalitäten, die die dortige Gegend bevölkerten, sammelte. Die Annexion der Bukowina durch Rumänien 1918 erschütterte Ehrlich. Ehe er seine Vorlesungen auf rumänisch gehalten hätte, ging er lieber nach Bukarest und kehrte von dort nach Wien zurück, wo er 1923 an Diabetes starb. Ehrlichs Vertrautheit mit den volkstümlichen Verhaltensweisen führte ihn dazu, drei Typen des Rechts voneinander zu unterscheiden. Erstens schließt das lebende Recht alle überkommenen Regelmäßigkeiten ein, die das tägliche Verhalten bei Völkern mit Gemeinschaftsstruktur steuern. Zweitens konstituiert die innere Ordnung der Verbände oder das gesellschaftliche Recht die Sitten und volkstümlichen Verhaltensweisen, aus denen das lebende Recht hervorgeht. Die Gemeinschaft manifestiert diese spontane Ordnung in Familie, Kirche und Herrenhaus, während in der Gesellschaft die Ordnung von Bünden über Clubs, Innungen, Gewerkschaften und politische Parteien herrscht. Drittens umfassen Entscheidungsnormen die Regeln jenes Rechts, das an den Gerichtshöfen zur Anwendung kommt. Ehrlich erhob das lebende Recht über alles und drängte darauf, es in die Entscheidungsnormen einzubeziehen, die er wieder in staatliches Recht und Juristenrecht teilte. Obwohl sich letzteres dem lebenden Recht mehr annähert als ersteres, stammen beide von Beamten, die keinen Kontakt mit dem lebenden Recht haben. Allzuoft leiten Juristen ihre Entscheidungen von Gesetzen ab, ohne die Kriterien der Billigkeit oder die jeweiligen örtlichen Gebräuche zu bedenken. Im Gegensatz zu den Rechtsdogmatikern trat Ehrlich für freie Rechtsfindung ein, indem er die Richter beschwor, das lebende Recht in ihrer Region zu studieren, ehe sie Entscheidungen fällten. Das freie Recht deute alle Gesetze, als ob sie das jus positivum verkörperten, das heißt es sieht in ihnen Regeln, mit deren Hilfe man alle möglichen Fälle, die die streitenden Parteien oder der Gesetzgeber nicht vorausgesehen hatten, zu beherrschen vermag. Durch eine Erweiterung des Begriffs „unvorhergesehene Umstände" suchte Ehrlich die Anwendbarkeit des lebenden Rechtes zu vergrößern. Dabei wurde er von Roscoe Pound (1870-1964) unterstützt, der eine englische Übersetzung von Ehrlichs Hauptwerk Grundlegung der Soziologie des Rechtes (München 1913) ermöglichte.4 Ab Juni 1914 hatte Pound geplant, den Österreicher zur Abhaltung der Lowell Institute Lectures nach Boston zu holen; der Kriegsausbruch vereitelte die Reise. Es ist interessant, daß ein Jurist wie Pound, dessen soziale Konstruktionen 103

das amerikanische Brauchtum zerstören sollten, gerade den für das Gewohnheitsrecht eintretenden Ehrlich bewunderte. Als Historiker des Jus Romanum war Ehrlich der Ansicht, daß die sogenannte Logik des Rechtes, die ein hermeneutisches Prinzip für das Gesetz darstellte, eine Ideologie zur Erhöhung des Staates sei. Das Axiom, daß Richter abstrakte Regeln durchzusetzen hätten, selbst wenn diese der Gerechtigkeit spotten, kam erst auf, als während der Renaissance nord- und mitteleuropäische Staaten das Römische Recht übernahmen. Die Fiktion, daß das Recht dem Staat diene, war eine von den römischen Kaisern erfundene Behauptung, um die Sympathien der republikanischen Juristen vom lebenden Recht abzuwenden. Ein Korollarium, einen Zusatz, der das Recht als monistisches System definierte, als nahtloses Gewebe ohne Widerspruch, bekämpfte Ehrlich; er nannte diese nach dem deduktiven Rationalismus Kants und Hegels geschaffene Zwangsjacke Begriffsjurisprudenz. Durch das Brandmarken von Widersprüchen vergewaltigte sie die Gerechtigkeit zum höheren Ruhm des Staates. Ehrlichs Rechtssoziologie hatte als Leistung eines Pioniers mehr Erfolg in der Kritik als im Schaffen eines neuen Systems. Ehrlich betonte die Unterscheidung zwischen dem lebenden Recht der Gemeinschaft und dem vom Staat geschaffenen Recht der Gesellschaft zu sehr; er hielt das aus den volkstümlichen Verhaltensweisen hervorgegangene lebende Recht für gerechter und eher durchsetzbar als das vom Staat geschaffene. In seiner Verherrlichung lokaler Gebräuche übersah er die Notwendigkeit eines Apparats, der die Konflikte zwischen den örtlich verschiedenen Rechtsformen lösen könnte. Darüber hinaus mangelt dem lebenden Recht die Fähigkeit, sich auch nach Einbruch der Industrialisierung weiterzuentwickeln. In seiner Verehrung für das sich selbst regelnde Leben auf dem Lande, das voll von Streit und Plagen war, übersah Ehrlich auch, daß eine kapitalistische Gesellschaft verallgemeinerte, leicht anzupassende Regeln braucht. Sobald sich die Gesellschaft demokratisiert, erwarten alle Klassen, daß der Staat ihre Streitigkeiten schlichtet, und Verbände müssen sich öffentliche Einsichtnahme gefallen lassen. Indem er sich diesen notwendigen Änderungen verschloß, perpetuierte Ehrlich den Partikularismus seiner Provinz, wo die Abneigung gegen das ferne Wien noch immer gedieh. Wie Schumpeter erwies sich auch Ehrlich als erstrangiger Historiker, der besonders im Kollationieren des Römischen, britischen und kontinentalen Rechts Hervorragendes leistete. Er sprach zwölf Sprachen, reiste viel und war der Ansicht, daß selbst ein Ubergreifen der englischen Sprache auf den Kontinent weder die Gesellschaft noch das Recht verändern würde. Die Strukturen von Familien und Vereinigungen sowie jene des Eigentums und der Rechte gingen von der Gesellschaft aus — nicht von den Advokaten. Hier stimmt Ehrlich mit der marxistischen Jurisprudenz überein, die die Ansicht vertritt, daß wirtschaftliche und gesellschaftliche Kräfte das Recht formen, nicht umgekehrt. Wenngleich Ehrlich gemeinsam mit den Austromarxisten den Staat schmähte, so entwickelte er doch die Rechtssoziologie nicht zur Soziologie des Wissens weiter. Von der Hypothese her entzieht sich das lebende Recht den Theoretikern, es muß vielmehr - nach Ehrlich - erfahren werden, genau wie nach Wittgenstein das Mystische zwar gefühlt, aber nicht in Worte gefaßt werden kann. Weniger wirkungsvoll als 104

eine solche Kritik der Abstraktion in der Philosophie war Ehrlichs Anklage gegen den Gebrauch leerer Formeln im Gerichtssaal. Dennoch schmälert das einseitige Vorgehen bei seinen Untersuchungen Ehrlichs Geschick als Kompilator nicht; sein Institut sammelte mit der Freude des Biedermeier an Einzelheiten Daten über Gebräuche in der Bukowina. Je mehr dieses Land hinter den westlichen Provinzen Österreichs zurückblieb, desto mehr schöpfte Ehrlich diesen Abstand aus, um die fortgeschritteneren Regionen an ihre eigene Vergangenheit zu erinnern.

Anton Menger: Utopischer Kritiker des Privatrechts Anton Menger (1841—1906) machte sich, wenngleich er nicht so großen Anklang fand wie sein Bruder Carl, der Nationalökonom, einen Namen als Vorkämpfer privatrechtlicher Reformen. 5 Im Vertrauen auf die nominalistische Vernunft, das er mit seinem Bruder gemeinsam hatte, trieb er seine Forderungen nach vernunftmäßigem Verhalten bis in utopische Bereiche. Obwohl streng katholisch erzogen, beging er später am Gymnasium in Tetschen eine Insubordination und wurde relegiert, worauf er sich als Mechanikergehilfe verdingte. Schließlich maturierte er in Krakau und finanzierte mit einem Lotteriegewinn sein Jusstudium in Wien, das er 1865 mit dem Doktorat abschloß. 1872 habilitierte er sich für Zivilverfahren und war dann von 1875 bis 1899 Professor dieses Fachs in Wien. Für Etikette hatte er nichts übrig, er trug meistens alte Anzüge und Bergschuhe. In den achtziger und neunziger Jahren saß er Nachmittag für Nachmittag in einem Kaffeehaus gegenüber der Universität und unterhielt sich mit seinem Bruder Carl. Trotz ihrer Verschiedenheiten förderten diese beiden Theoretiker ihren älteren Bruder Max (1838—1911), der mehr als dreißig Jahre lang als liberaler Abgeordneter im Reichsrat saß. Im Gegensatz zu seinem gleichmütigen Bruder Carl war Anton von einem brennenden Eifer für soziale Gerechtigkeit erfüllt. Er hatte in seiner Jugend Polnisch gelernt und half polnischen Studenten, insbesondere Juden. Sein bedeutendster Schüler war der rumänische Jude Karl Grünberg ( 1 8 6 1 - 1 9 4 0 ) , der 1924 in Frankfurt das Institut für Sozialforschung gründete. Als Amateurmathematiker trat Menger für einen uneingeschränkten Rationalismus ein und ließ nur intellektuelle Motive des Handelns gelten. Nachdem er als Invalide in den Ruhestand getreten war, lebte er abwechselnd in Nizza, Abbazia und Rom, ein von einer treuen weiblichen Begleiterin umsorgter Junggeselle. In seinem Buch Neue Staatslehre (Jena 1903) entwarf Anton Menger ein System des Gemeinschaftssozialismus, das dem von Hertzkas Freiland ähnelte. Er argumentierte, daß Gemeinschaftseigentum die Konsumkapazität des Arbeiters vergrößern würde, verurteilte den Kulturstaat des liberalen Individualismus, da dieser nur das Recht des Parasiten aufrechterhalte, ohne Arbeit ein Einkommen zu beziehen, und trat für einen Arbeitsstaat zugunsten der arbeitenden Klasse ein. Ohne sich auf Marx zu berufen, analysierte er Regierungsformen nach den Klassen, denen sie dienen: Erstens strebt der Monarch nach Macht und 105

Prunk; zweitens bemühen sich Adel und höherer Klerus um bevorzugte Stellungen; drittens hält die Bourgeoisie von materiellen Gütern und günstigen Gelegenheiten zu intellektueller Betätigung am meisten; und viertens bleibt zuguterletzt den besitzlosen Klassen nichts übrig, als nach grundlegenden Werten wie körperlicher Sicherheit und Solidarität der Familie zu verlangen. Wie die Austromarxisten, so schrieb auch Menger den arbeitenden Klassen die überlegene Moral zu: sie stellten inmitten kapitalistischer Habgier eine Enklave präindustrieller Integrität dar. Als Professor der Rechte prangerte Menger das Privatrecht als Schild und Waffe der besitzenden Klassen an. In seinem Buch Das Recht auf den vollen Arbeitsertrag in geschichtlicher Darstellung (Stuttgart 1886, 4. Auflage 1910) verurteilte Menger die Ungleichheit des Schutzes, den ein angeblich unparteiisches Recht Armen und Reichen gewährte. Gesetze, die das Gebären illegitimer Kinder unter Strafe stellen, sanktionieren die Untreue der Wohlhabenden, indem sie deren Nachkommen ihren Geliebten aus den niedrigeren Klassen aufbürden. Um den Ubergang zu seinem Arbeitsstaat zu beschleunigen, trat Menger für eine Beschneidung der Einkommen von Rentiers ein. In den Kulturzentren der Wiener Ringstraße würden Reichtümer verschwendet, während man den Armen das Recht auf Leben, Arbeit und Nachkommenschaft abspräche. Menger vereinigte Grundsätze des Individualismus mit Werten, für welche die Organizisten eintraten. Er behauptete, daß alles Handeln vom Eigennutz motiviert werde, und bestand daher noch schärfer als sein Bruder Carl auf der Nützlichkeit einer rationalen, vernunftgemäßen Kalkulation. Den Vorgang, Befriedigungen abzuwägen, den Carl Menger den wirtschaftlichen Entscheidungen zugeordnet hatte, stellte sein Bruder Anton in jeglichem Verhalten fest. Obwohl Anton mit den Sozialisten dafür eintrat, daß die Gesellschaft die Armen und Schwachen zu schützen habe, grenzte sein Mißtrauen gegen einen extrem zentralisierten Staat schon nahe an Anarchismus. Doch mißbilligte er die Utopien Godwins, Proudhons und Kropotkins, weil sie auf jede Anwendung von Macht verzichteten. Als Berater bei der Erstellung des deutschen Codex civilis von 1896 drängte Anton Menger auf Schutz für die Armen. Er sprach dem Arbeitgeber das Recht ab, einen Arbeitnehmer zu bestrafen, da hier bloß jener zum Richter in eigener Sache gemacht würde, der noch dazu die Macht habe, seinen Widerpart des Lebensunterhaltes zu berauben. Mit seiner Forderung, daß ein Richter in jedem Fall ohne Rücksicht auf Gesetze so zu erkennen habe, wie es die Gerechtigkeit verlange, nahm er die von Ehrlich ausgelöste Bewegung des freien Rechts vorweg. Ehrlich schätzte Menger als Freund, der seine eigene Rechtssoziologie bereits angedeutet hatte, obwohl er Ehrlichs Gleichsetzung von volkstümlichem Gebrauch und Recht nur wenig Sympathie entgegenbrachte. In seiner Entlarvung des Privatrechts als Privileg der besitzenden Klassen nahm Menger eine der Hauptthesen der Kritik Renners am Privatrecht vorweg, allerdings ohne marxistische Untertöne. Dank seinem Asketentum und seinem Rationalismus brachte Menger einen ungewöhnlichen sittlichen Eifer in die Wiener juridische Fakultät. Zwar war er von zu vielen Grübeleien erfüllt, um eine eigene Schule zu gründen, doch seine 106

Freundlichkeit den Studenten gegenüber trug ihm große Verehrung ein. Mit Josef Popper-Lynkeus und Theodor Hertzka, deren Anschauungen den seinen am nächsten kamen, teilte er das leidenschaftliche Eintreten für die Besitzlosen und für die Priorität des Rechtes auf Leben vor dem auf Besitz, und ebenso teilte er mit ihnen das Staunen über die Tatsache, daß man seine Vorschläge lächerlich machte. Anton Menger war ein Utopist, der Rechtswissenschaften lehrte, eine Rarität unter Gesellschaftstheoretikern. Indem er sich inmitten einer Bastion von Konformitäten, wie die juridische Fakultät eine war, betont exzentrisch gab, bewies er, daß Wien eben auch Platz für Utopisten hatte. Um 1900 gab es keine Stadt - Paris vielleicht ausgenommen —, die so viele seltsame Ideenkonzeptionen begünstigte wie die Hauptstadt der Habsburger, zum Teil wohl auch deshalb, weil alle Reformversuche so hoffnungsloses Stückwerk blieben.

Hanns Gross: Pionier wissenschaftlicher Verbrechensaufklärung Noch weniger als an Eugen Ehrlich oder Anton Menger erinnert man sich heute an Hanns Gross (1847—1915), den Schöpfer der modernen Verbrechensaufklärung. 6 Die Neuerungen dieses Kriminologen wurden in weit größerem Ausmaß akzeptiert — wenngleich vielfach unbewußt — als die eines jeden anderen österreichischen Gesellschaftswissenschaftlers. Er wurde in Graz geboren und dort katholisch erzogen; streng methodisch veranlagt, revolutionierte er die Techniken der Verbrechensaufklärung und -Verfolgung. Dem aus Wien stammenden Theoretiker Franz von Liszt (1851-1919) ist es zu danken, daß die Ansätze von Gross schon früh in Strafrecht und Strafgesetz berücksichtigt wurden. Von 1869 bis 1897 arbeitete er als Untersuchungsrichter in der Steiermark, reiste viel und sichtete Evidenzmaterial von tausenden Fällen. Man erwartete damals von Männern, die diese Stellung bekleideten, daß sie die Funktion eines Detektivs, eines Staatsanwalts und eines Richters erfüllten, und all das mit einem Minimum an Ausrüstung und Ausbildung. Gross, der sich diesen Beruf im Alter von zweiundzwanzig Jahren aufgeladen hatte, verfaßte ein Handbuch für Detektive. Die Nachlässigkeit, mit der die Polizei in ländlichen Gebieten vorging, erschütterte ihn; meist waren es dort nur ausgediente Soldaten, die oberflächlich die Ordnung aufrechterhielten. Zufällig zentralisiertes Recht, wie Ehrlich es pries, trieb Gross zum anderen Extrem: er kodifizierte die Polizeiverfahren. Obwohl er sich nie habilitierte, war er von 1897 bis 1902 Professor für Strafrecht in Czernowitz, von 1902 bis 1905 in Prag und danach in Graz, wo er 1912 das k. k. Kriminalistische Universitätsinstitut gründete, dessen Absolventen die Methoden der Verbrechensaufklärung über ganz Europa verbreiteten. Gross faßte seine Erfahrungen in dem zweibändigen Handbuch für Untersuchungsrichter (München 1893, 6. Aufl. 1914) zusammen, das in mehrere Sprachen übersetzt wurde. Die dritte Auflage (1898) prägte den Terminus Kriminalistik zur Bezeichnung wissenschaftlicher Verbrechensaufklärung. Die Abhand107

lung, die zwei Disziplinen umfaßte, welche später in Phänomenologie des Verbrechens und Polizeiwissenschaft differenziert wurden, untersuchte Motivation, Taktiken und Technologie des Kriminellen. Aus seiner eigenen Erfahrung erklärte Gross, wie Fußabdrücke auszuwerten sind, wie man Rotwelsch übersetzt und wie man die von Analphabeten verwendete Zeichensprache (Zinken) entziffert. Ein ganzes Kapitel widmete er der Darstellung verdächtiger Praktiken der Zigeuner. Insofern, als sie ein Kompendium von Fällen darbot, glich die Abhandlung von Gross der seines Freundes Krafft-Ebing (1840—1902), des Direktors der Grazer Irrenanstalt, der in seiner Psychopathia sexualis. Eine klinisch-forensische Studie (Stuttgart 1886, 17. Auflage 1924) Fälle sexueller Abartigkeit gesammelt hatte. Kaum hatte Wilhelm Conrad Röntgen 1895 in Würzburg die Röntgenstrahlen entdeckt, begann Gross auch schon, sie in der Verbrechensaufklärung anzuwenden. Gross hatte während seiner ganzen Laufbahn Instrumente von Verbrechern gesammelt und bewahrte diese Memorabilien in dem Museum seines Instituts auf. In den zwanziger Jahren wurde die Wiener Polizei und unter Polizeipräsident Johannes Schober die Staatspolizei anhand dieser Sammlung von Mordwaffen, Nachschlüsseln und Fälschungen zum fortschrittlichsten Polizeikörper Europas ausgebildet. 7 Einer der Schüler von Gross, Adolf Lenz (1868—1959), erweiterte die Forschungen seines Lehrers durch Einführung der Disziplin der Kriminalbiologie. Gross stützte den bürokratischen Staat, indem er dafür sorgte, daß dieser Verbrechen gründlich und rasch aufklären konnte. Obwohl er seine Karriere in ländlichen Gebieten, ähnlich der Bukowina Ehrlichs, begonnen hatte, wünschte er, daß sich die peripheren Regionen einer zentralen Autorität unterordneten. Im Gegensatz zu Ehrlich bevorzugte der Grazer Detektiv die Bürokratie und brachte überall dort, wo Schlamperei vorgeherrscht hatte, Gesellschaftswerte zum Einsatz. Gross verfolgte sein Ziel mit der Beharrlichkeit und Bescheidenheit eines Romanhelden Saars oder der Ebner-Eschenbach, indem er Berichte über Fälle aufzeichnete, die sich wie steirische Heimatliteratur lasen. Mit biedermeierischer Genauigkeit kam er dem legendären Sherlock Holmes gleich, ja im Auswerten von Fußabdrücken, im Untersuchen von Blutflecken und im Verifizieren der unglaublichsten Hypothesen übertraf er ihn noch. Kurz bevor ein marxistischer Filmanalytiker, Béla Baläzs, den Detektiv zum romantischen Helden der Bourgeoisie erklärte, brachte Osterreich eine Person des wirklichen Lebens hervor, die diesem Ideal entsprach. Gross war ein Neuerer, der öffentliche Anerkennung fand und daher auch Gelegenheit bekam, seine Erfahrungen zu verbreiten. Hans Kelsens „Reine Rechtslehre": Die politische Unzulänglichkeit der theoretischen Strenge Der einflußreichste österreichische Jurist des 20. Jahrhunderts war Hans Kelsen (1881-1973). 8 Als Sohn jüdischer Eltern in Prag geboren, kam er 1883 nach Wien. Er besuchte hier das Akademische Gymnasium. An der Wiener Universität weckte Otto Weininger sein philosophisches Interesse. 1905 schrieb Kelsen unter dem gefürchteten Edmund Bernatzik eine Dissertation über Dan108

tes De Monarchia. Danach studierte er bei Georg Jellinek in Heidelberg und bei Gerhard Anschütz in Berlin, ehe er sich 1911 in Wien habilitierte, wo er u. a. mit Adolf Menzel (1857-1938), dem böhmischen Historiker der griechischen Gesellschaftstheorie, befreundet war. Von 1917 bis 1930 lehrte Kelsen in Wien Verfassungsrecht, arbeitete auf Verlangen Renners die 1920 angenommene Bundesverfassung aus und diente danach als Konsulent des Obersten Verfassungsgerichtshofes. 9 Von 1930 bis 1933 unterrichtete er in Köln, dann in Genf und Prag, 1938 übersiedelte er in die Vereinigten Staaten von Amerika. Dort las er zwei Jahre in Harvard, dann, von 1942 bis 1952, an der University of California (Berkeley). Als einer der exaktesten und doch weitgreifendsten Köpfe der Gesellschaftstheorie des 20. Jahrhunderts vereinigte Kelsen — gleich Othmar Spann und Otto Bauer - systematische Virtuosität mit ungeheurer Gelehrsamkeit. In seinem ersten Hauptwerk, Hauptprobleme der Staatsrechtslehre (Tübingen 1911), zeigte sich Kelsen als unnachgiebiger Dualist. Er isolierte Soll von Ist, die Natur vom Geist, den Körper von der Seele, die Realität vom Wert und eröffnete seine Abhandlung mit einer Humeschen Erklärung, daß kein Soll von einem Ist abgeleitet werden könne. Kelsen, der den Marburger Neukantianer Hermann Cohen (1842—1918) noch nicht kannte, stützte sich in der Auslegung des Dualismus vor allem auf Schleiermacher, Simmel und Windelband. Erst nachdem Rezensenten auf gewisse Parallelen hingewiesen hatten, verwendete Kelsen die Argumente des älteren jüdischen Gelehrten, um mit ihnen seine eigenen zu stützen. Er nannte sein System Reine Rechtslehre zum Unterschied vom Reinen Recht; dieser Terminus war von dem deutschen Juristen Karl Magnus Bergbohm (1849—1927) eingeführt worden, um damit ein verborgenes natürliches Recht zu bezeichnen. 10 Kelsen griff die Grundlegung des natürlichen Rechtes an, das zwischen 1713 und 1811 die Voraussetzung des österreichischen Codex civilis gewesen war. Obwohl seine Kritik an die Angriffe John Austins gegen Blackstone erinnerte, wertete Kelsen bis Ende der zwanziger Jahre keine Ähnlichkeiten mit den englischen Positivisten aus." Die Reine Rechtslehre schloß — bis auf das Recht — alle Gesellschaftswissenschaften aus der Jurisprudenz aus. Dieses in sich geschlossene System barg eine Dichotomie zwischen Rechtstatsache und Rechtsnorm, insofern diese eine Regel ist, von der angenommen wird, daß jene sie verkörpert. Normen konstituieren Webersche Idealtypen, denen sich die tatsächlichen Gesetze angleichen. Da es über die vom gegebenen Staat dekretierten Normen hinaus keinen Standard der Justiz gibt, fällt der Staat mit dem Begriff Recht zusammen; gleichgültig, welche Normen der Staat aufgreift, seine Wahl kann weder durch Soziologie noch Philosophie oder Psychologie angefochten werden. Obwohl als Erkenntnistheoretiker Erzrealist, erlegte Kelsen der Jurisprudenz einen unnachgiebigen Monismus auf. Um die Zurechnung der Verantwortlichkeit klarzumachen, differenzierte Kelsen den rechtlichen Willen einer Person von deren psychologischem. Der Staat macht jede Person für jede Handlung innerhalb seines Rechtskodex verantwortlich, indem er dem rechtlichen Willen eines Individuums Absichten zurechnet, die er sonst nicht anerkennen würde. Um die Jurisprudenz des Naturrechts zu diskreditieren, wies Kelsen daraufhin, daß monarchische Apologeten, die die Pflicht glorifizierten, seltsamerweise 109

Revolutionären wie Thomas Paine, der lauthals die natürlichen Rechte proklamierte, den Weg bereitet hatten. Er entlarvte beide Schulen als Vorkämpfer von Klassenideologien, die hinter theologischen Kategorien den Absolutismus verbargen. Nach 1800 hatten die bürgerlichen Liberalen eine empirische Rechtswissenschaft ausgearbeitet, um mit dem Positivismus in der Naturwissenschaft Schritt zu halten.' 2 Im Stile Mannheims betonte Kelsen eine Unterscheidung zwischen vergangenheitsorientierten Ideologien und zukunftsorientierten Utopien. Im Rahmen einer Analyse von Marx und Lenin beklagte er, daß Ferdinand Lassalle (1825-1864) in einem Duell gestorben war, ehe er seinen demokratischen Sozialismus formulieren konnte.13 In seiner Allgemeinen Staatslehre (Berlin 1925), die er nach dem Vorbild der gleichnamigen Abhandlung Jellineks verfaßte, brachte Kelsen seine Mißbilligung des Sozialismus — und Ehrlichs - zum Ausdruck, indem er die Soziologie völlig aus der Jurisprudenz verbannte und damit eine frühere zaghafte Zustimmung zurückzog. Kelsens Gebrauch von Normen zur Erklärung von Regeln des Rechtes könnte zum Teil von der verwirrenden Vielfalt herrühren, die dem Recht der Habsburger eigen war. Um einander überlappende Jurisdiktionen zu differenzieren, erfand das österreichisch-ungarische Recht die Forderung nach einer Urnorm. Es gab so viele Ebenen der Entscheidungsinstanzen, angefangen von den k. u. k. Ministerien über österreichische Ministerien und die der individuellen Kronländer bis hin zu den Gemeinden, daß sich daraus endlose Konflikte ergaben. Um diese Ebenen und Verwachsungen zu entwirren, war es notwendig, Idealtypen vorzuschlagen. Was Kelsen ebenfalls Osterreich verdankt, ist seine von Gesellschaftswissenschaften und Ideologie befreite Jurisprudenz, die in einem Staat, in dem Professoren der Rechtswissenschaften ihre Theorien auch durchführen konnten, als Korrektiv zur Blüte kam. Der Wunsch, äußere Einflüsse auszuschalten, war unter den Angloamerikanern nicht so stark, da dort die Richter, nicht die Professoren das Recht formten. Einer der schärfsten Kritiker Kelsens war der ebenfalls aus Böhmen stammende jüdische Jurist Hermann Heller (1891—1933), der aus seinem Werdegang im Habsburgerreich ganz andere Lehren gezogen hatte. Heller war der Ansicht, daß eine Rechtstheorie, die die Individuen in mathematischer Gleichheit ansieht, Konflikte der modernen Gesellschaft nicht lösen kann. Ein Staat muß seinen Bürgern die Bereitschaft zum Opfer eingeben, eine Aufgabe, die kein Rechtsgebäude — geschweige das Kelsensche — von selbst erfüllen kann. Nach 1930 wandte sich Kelsen mit zunehmender Faszination Piaton zu, dessen Dualismus zwischen Ist und Soll seinem eigenen entsprach. In einer Serie von Essays legte er Piatons Disjunktion von Gut und Böse, Form und Inhalt, dem Einen und den Vielen dar und verteidigte dabei eine kantische Version der Erkenntnislehre des Griechen.14 Beeinflußt von seinem Freund Sigmund Freud sah Kelsen hinter Piatons Herabsetzung der Frau und dem Bemühen, Knaben in die Werte einer höheren Welt einzuführen, Homosexualität. 15 Entgegen den Wiener Impressionisten vertrat Kelsen die Ansicht, daß der Geist den Fluß sinnlicher Eindrücke transzendiere; über allem stehend, erdenkt dieser Geist Normen und Idealtypen, die außerhalb der Gesellschaft gegeben und durch keine empirische Kritik zu verletzen sind. Wenngleich er auch seine Bewunderung für Piatons Erkenntnis110

lehre nicht zu verbergen vermochte, bezog Kelsen doch die Position der Sophisten und brandmarkte gleich ihnen Piatons Gesellschaftstheorie als antidemokratisch; die Republik, behauptete der Jurist, ernähre nur eine Ideologie des Absolutismus. In Angriffen gegen Othmar Spann nahm Kelsen die antiplatonische Polemik Karl Poppers vorweg und pries den Relativismus als Weltanschauung der Demokratie. 16 Nach 1930 entfernte sich Kelsen von den früheren Positivisten wie Austin und wandte sich der internationalistischen Jurisprudenz zu. Ungeachtet seiner eigenen Geringschätzung von Ideologien nahm er eine Ideologie des Internationalismus auf und vertrat die Meinung, daß nur internationales Recht den nationalen Systemen Homogenität und Kontinuität verleihen könne. Das internationale Recht stehe an der Spitze einer Pyramide von Normen, was der aus Wien stammende Kelsen-Schüler Adolf Merkl (1890—1970) in dem von ihm so bezeichneten dynamischen Pluralismus formulierte. Internationales Recht gipfelt nach Kelsen in einem allumfassenden System, das den Krieg nicht als Verbrechen gegen die Natur verurteilt, sondern nur als einen Bruch der Normen. Durch seinen Ausschluß außerrechtlicher Kriterien war Kelsen bei einem so gründlichen Relativismus angelangt, daß dieser ihn zwang, den Nationalsozialismus als zwar verschiedenes, aber gerechtes System von Normen anzuerkennen. In den Vereinigten Staaten entwickelte sich Kelsen schließlich vom Monisten zum angelsächsischen Pragmatisten. Kelsen ist der Erbe einer Tradition innerhalb der österreichischen Jurisprudenz, die - von Josef Unger über Adolf Menzel bis Georg Jellinek - den Rechtspositivismus mit dem philosophischen Dualismus vereinigte, und all das beseelt von einer ungeheuren Gelehrsamkeit. W i e Pribram gab Kelsen Anlaß zu falschen Interpretationen, indem er sich auf Polemiken sowohl gegen die Rechte als auch gegen die Linke einließ. Nach 1930 erinnerte seine internationalistische Ideologie an die Welt der Sicherheit vor 1914, als hätte der ganze Erdball ein einziges Gerüst von Normen anerkannt wie damals Österreich-Ungarn. In seinen Untersuchungen der gesamten westlichen Geschichte um der Erhellung von zeitgenössischen Ereignissen willen erweckte Kelsen den Enzyklopädismus von Vorkriegsgelehrten wie Jellinek und Wieser zu neuem Leben. Seine Annahme von zeitlosen Kategorien stellte ihn, wenngleich nur entfernt, zu der Leibnizschen Vision Böhmens. Dem Wust von Ideologien und Manövern auf dieser Welt setzte Kelsen die nahtlose Einheit einer höheren Welt der Normen entgegen. M i t der Hingabe eines Deontologen, der ausruft: „fiat justitia, pereat mundus", machte er das Recht zum Herrn über sich selbst, zu einer Wissenschaft von eigenen Gnaden. Als desillusionierter Platoniker, der zum Positivisten wurde, verlangte er begriffliche Folgerichtigkeit, aber, um sicherzugehen, nicht wie Leibniz zwischen den Wissensgebieten, sondern lediglich innerhalb jedes Wissensgebietes. Indem er die Leibnizsche Forderung nach innerer Folgerichtigkeit und umfassender Einheit auf seine eigene Disziplin übertrug, ging er mit einigen Vertretern des Wiener Kreises parallel, die die Logik zu einer in sich geschlossenen Wissenschaft erhoben, während sie alles, was nicht zu ihren Prämissen paßte, über Bord warfen. 111

Wie Schumpeter und Bauer umgibt diesen Rigoristen, der das Recht von anderen Disziplinen absonderte, ein Pathos. In der Vereinigung von tiefem Eindringen in die Tradition mit dem Wunsch, diese zu überwinden, teilte Kelsen die Ambivalenz konservativer Revolutionäre wie Kraus und Wittgenstein. Wie sie exemplifizierte auch er die O h n m a c h t österreichischer Gelehrter, ihre Welt zu retten, im gleichen Maß, wie er die Gesellschaftstheorie bereicherte. Fast scheint es, als hätte Kelsen von der kaiserlichen Bürokratie erwartet, daß sie für immer wohlwollende N o r m e n durchsetze und so den Juristen die Freiheit zum Entwerfen von Gedankengebäuden gebe. Selbst seine Teilnahme am Entwerfen und Ausarbeiten der Verfassung der Ersten Republik kann Kelsen nicht von dem Vorwurf des therapeutischen Nihilismus befreien; gemeinsam mit anderen Demokraten floh er vor dem faschistischen Ansturm. Theoretiker wie Kelsen, konkurrenzlos in intellektuellen Kunststücken, konnten den Fortbestand der Bedingungen, unter denen das Theoretisieren erst möglich wurde, nicht gewährleisten.

6. A U S T R O M A R X I S T E N

Viktor Adler: Organisator des österreichischen Sozialismus Die Sozialdemokratische Partei Österreichs zog einige der gescheitesten Köpfe an, die sich je dem Sozialismus zugewandt hatten. Nach der Organisation der Partei durch Viktor Adler 1888 brachte sie eine ganze Schar von jungen Theoretikern hervor; zwischen 1900 und 1905 begannen sie sich als Austromarxisten zu bezeichnen. 1 Unter der Führung von Otto Bauer, Karl Renner und Max Adler schlugen sie in den von Adler zwischen 1904 und 1922 herausgegebenen Marxstudien und in O t t o Bauers Zeitschrift Der Kampf {1907-1934, Nachdruck Wien 1969) eine Reform des Reiches vor. Trotz der Originalität ihrer Ansichten, insbesondere was die Mittel der Aussöhnung der Nationalitäten und das Bedürfnis nach verbesserter Arbeiterbildung anlangte, wurde den Austromarxisten niemals die Aufmerksamkeit zuteil, die sie verdient hätten. 1913 prangerte Stalin sie als Weggenossen der Bourgeoisie an, und nach 1918 wurden sie wegen ihrer Ablehnung des Terrorismus aus der Kommunistischen Internationale ausgeschlossen. Ihre intensive Intellektualität, vereint mit dem Eifer, die bestehende O r d n u n g zu verbessern, trug ihnen sowohl auf der Rechten wie auch auf der Linken Feindschaften ein. Ihr Niedergang erfolgte H a n d in H a n d mit dem des Reiches, dessen Neigung zu Kompromissen sie zu sehr teilten. 112

Der Vater des Sozialismus in Österreich war Viktor Adler ( 1 8 5 2 - 1 9 1 8 ) , ein in Prag geborener Jude, der als Student in W i e n zum Deutschnationalen wurde. 2 Als Verbündeter Heinrich Friedjungs u n d Engelbert Pernerstorfers half er in den siebziger Jahren eine deutschnationale Liga der Universitätsstudenten zu organisieren. In einer Debatte gegen S i g m u n d Freud wurde Adler von seinem streitbaren W i d e r s a c h e r m i ß h a n d e l t . 3 Seltsam g e n u g , d a ß Adler in den achtziger Jahren dieselbe E r d g e s c h o ß w o h n u n g in der Berggasse 19 bewohnte, in der Freud von 1892 bis 1908 seine Praxis hatte. Als M e d i z i n s t u d e n t war Adler mit d e m G e h i r n a n a t o m e n T h e o d o r M e y n e r t befreundet; voll M i t g e f ü h l für die Patienten zog Adler gegen den therapeutischen N i h i l i s m u s zu Feld, der die Ärzte dazu veranlaßte, die Autopsie der B e h a n d l u n g vorzuziehen. 1878 ließen Adler u n d sein Vater sich protestantisch taufen; aber bis zu seinem Ende trug er den j ü d i s c h e n Selbsthaß in sich, verachtete die M e h r h e i t der J u d e n als u n g e b i l d e t u n d t r ä u m t e davon, d a ß der S o z i a l i s m u s die A s s i m i l a t i o n beschleunigen w ü r d e . 1885 trat Adler der Sozialistischen Partei bei, n a c h d e m seine Bewerbung als Handelsinspektor nach dem Gesetz von 1883 abgewiesen worden war. Zwischen 1 8 8 7 u n d 1889 verbrachte er viele M o n a t e i m Gefängnis, weil er sich u m die O r g a n i s a t i o n einer vereinigten sozialdemokratischen Partei b e m ü h t hatte; ein Ziel, welches er schließlich auf dem Parteitag in H a i n f e l d im Dezember 1 8 8 8 erreichte. D a n a c h g e n o ß er relative I m m u n i t ä t vor d e m A n archistengesetz von 1 8 8 6 u n d w u r d e ein s t a n d h a f t e r Verteidiger des Habsburgerreiches. 1 8 8 9 erklärte er in Paris: „Abgesehen von Frankreich u n d England hat Österreich vielleicht in ganz Europa die freimütigsten Gesetze, so sehr, d a ß es einer R e p u b l i k ähnelt, die statt eines Präsidenten eine Majestät an der Spitze hat." 4 Von 1905 bis 1 9 1 8 d i e n t e Adler als A b g e o r d n e t e r im Reichsrat, wo 1 9 0 7 die sozialistischen Abgeordneten die führende Rolle bei der Durchsetzung des a l l g e m e i n e n Wahlrechtes spielten. A m 2 8 . November 1905 ließ Adler einen Generalstreik organisieren, um die S y m p a t h i e n mit der russischen R e v o l u t i o n zu d e m o n s t r i e r e n u n d das a l l g e m e i n e W a h l r e c h t zu fordern. Der A u f m a r s c h von 2 5 0 . 0 0 0 Arbeitern veranlaßte die Regierung auf D r ä n g e n Emil Steinbachs, dieser Forderung n a c h z u k o m m e n , was 1 9 0 7 zur W a h l von 8 7 sozialdemokratischen Abgeordneten führte. Schon früher, 1890, hatte Adler sein Geschick als O r g a n i s a t o r unter Beweis gestellt, als er den sozialistischen A u f m a r s c h a m 1. M a i i m Prater e i n f ü h r t e , u m den A c h t s t u n d e n - A r b e i t s t a g zu fordern. Die W a h l des 1. M a i war von der Zweiten Internationale in Paris 1 8 8 9 getroffen worden, u m mit einer a m e r i k a n i s c h e n V e r s a m m l u n g , die schon auf diesen Tag festgelegt worden war, k o n f o r m zu sein. D a n a c h machte Adler diesen j ä h r l i c h e n A u f m a r s c h der Arbeiter in der P r a t e r - H a u p t a l l e e zu einem Ereignis, das mit d e m von der Fürstin M e t t e r nich 1 8 8 6 wiederbelebten B l u m e n k o r s o k o n k u r r i e r t e . Unter Adlers F ü h r u n g vereinigte die Sozialdemokratische Arbeiterpartei (SDAP) Österreichs vor allem Sudetendeutsche, die nach W i e n geströmt waren. O b w o h l viele ihrer Führer J u d e n waren, neigten sie dazu, Adlers Antisemitismus zu teilen. 5 J u d e n der Mittelklasse wurden aus Sympathie zu den Arbeitern, deren Ausgeschlossensein aus der Gesellschaft ihr eigenes Los wider113

spiegelte, von der Partei angezogen. Engelbert Pernerstorfer, ein deutschnationaler Katholik, der gemeinsam mit Adler das Schottengymnasium besucht hatte, wurde vom Antisemitismus seines Freundes angesteckt, nachdem er 1896 der Sozialistischen Partei beigetreten war. Die Leistung Viktor Adlers bestand in der Vereinigung des radikalen mit dem gemäßigten Flügel der Sozialdemokratischen Partei, indem er den Standpunkt bezog, daß Einheit in der Taktik über doktrinäre Einmütigkeit zu stellen sei. Unter Adler war die SDAP ein ungestümer Gegner der Christlichsozialen Partei Karl Luegers. Die Streitigkeiten erreichten am 12. Februar 1913 einen Höhepunkt, als der aus Wien stammende sozialistische Abgeordnete Franz Schuhmeier (1864—1913) im Wiener Nordwestbahnhof ermordet wurde. Der Mörder, Paul Kunschak, der Bruder des christlichsozialen Abgeordneten Leopold Kunschak, gab zu, die Tat begangen zu haben, um sich an der Sozialistischen Partei für nicht näher bestimmte Unbilden zu rächen. Schuhmeier, der als faszinierender Redner von Lueger bewundert worden war, hatte im Kampf um das allgemeine Wahlrecht und im Widerstand gegen die Kontrolle des Klerus über die Schulen eine führende Rolle gespielt. Seine Ermordung schockierte Adler und dessen Anhänger; dem Sarg Schuhmeiers folgten 250.000 Trauernde, mehr noch, als drei Jahre zuvor hinter Lueger einhergegangen waren. In der Person Friedrich Adlers (1879-1960), des Sohnes von Viktor Adler, setzte erstmals auch das sozialistische Lager eine Gewalttat. Friedrich Adler, der bei Ernst Mach studiert hatte, wurde mit einem Schlag weltbekannt, als er am 21. Oktober 1916 den Ministerpräsidenten Graf Karl Stürgkh (1859-1916) ermordete, der seit März 1914 Osterreich regiert hatte, ohne den Reichsrat einzuberufen. Bei seinem Prozeß im Mai 1917 brachte er eine so aufrüttelnde Anklage gegen die Tyrannei der Kriegszeit vor, daß seine Hinrichtung vertagt wurde. Schließlich wurde er von Kaiser Karl begnadigt.6 Vor und nach dem Ersten Weltkrieg wurde eine Anzahl ausländischer Sozialisten von den Austromarxisten beeinflußt. Als Leo Trotzkij von 1911 bis 1914 in Wien lebte, traf er sich fast an jedem Samstagabend im Cafe Central mit Karl Renner, Otto Bauer und Max Adler. Noch 1917 bedauerte Trotzkij ihre Ablehnung des Bolschewismus. Josip Broz, nachmals Marschall Tito (geb. 1892), war 1915 als Angehöriger der österreichisch-ungarischen Armee von den Russen gefangengenommen worden. Nachdem er sich in Rußland dem Kommunismus zugewandt hatte, arbeitete er in einer Autofabrik in Wiener Neustadt und unternahm zugleich Anstrengungen zur Organisation der Kommunistischen Partei Jugoslawiens. 1923 lebte der italienische Marxist Antonio Gramsci (1891-1937) in Wien, wo Victor Serge, der französische Trotzkist und Schriftsteller (Das Jahr eins der russischen Revolution, Paris 1930), zu seinen Freunden zählte. 7 Obwohl Wien nichtdeutsche Marxisten anzog, stieß es den berühmtesten aller österreichischen Sozialisten, den aus Prag stammenden Karl Kautsky (1854-1938), jahrelang ab. In seinen Erinnerungen und Erörterungen (Den Haag 1960) erzählt dieser Sohn eines tschechischen Malers und einer österreichischen Schauspielerin, wie er von 1863 bis 1880 in Wien lebte, wo sein Vater Jan Kautsky (1827-1896) ein Atelier für Bühnenbilder leitete. Die Pariser Kommune von 1871 bekehrte ihn zum Sozialismus; er studierte 114

an der Wiener Universität und reiste 1880 in die Schweiz und nach Deutschland. Als Herausgeber der Zeitschrift Die Neue Zeit (1883-1917) bedauerte er die Mäßigung Viktor Adlers und der späteren Austromarxisten. Erst im Ruhestand lebte er von 1924 bis 1938 wieder in Wien. Das größte Versäumnis des österreichischen Sozialismus unter Viktor Adler bestand darin, daß er das Elend der Massen ignorierte. Die SDAP erwies sich Franz Joseph gegenüber als so loyal, daß sie eine Elite der Arbeiterschaft in ihren Reihen versammelte, während sie die Masse der Namenlosen unberücksichtigt ließ. Begabte Männer der arbeitenden Klasse mußten unausgesetzt stupide Arbeiten verrichten, wie sie der Dichter Alfons Petzold in seiner Autobiographie Das rauhe Leben (Berlin 1920) beschreibt. Bei den Armen Wiens, viele von ihnen Tschechen, war es nicht ungewöhnlich, daß sie zu sechst oder zu acht in einem Raum wohnten, während Tausende noch Unglücklichere nur ein Bett mieten konnten - sie waren als „Bettgeher" bekannt —, von Brot und Kaffee lebten und häufig, wie Petzold, tuberkulös wurden. In einem von solchen Menschen bewohnten Viertel Wiens brach während der Weltausstellung von 1873 die Cholera aus. Die Zinskasernen der Haupt- und Residenzstadt, die auch Hitler erbitterten, fanden zuwenig Kritiker unter den sozialdemokratischen Führern; die Verhältnisse in den Elendsquartieren Ottakrings und der Brigittenau, wo sich die Arbeitermädchen aus purer Not dem ersten besten verkauften, wurden erst nach 1918 besser. Obwohl sie grundlegende Reformen vernachlässigten, waren die österreichischen Sozialisten von einem fast religiösen Sendungsbewußtsein erfüllt und pflegten es. Junge Intellektuelle entschieden sich dafür, an die Macht der Idee zu glauben, daß sie die Gesellschaft verändern könnten, und daran, daß man das Reich von innen her neu aufbauen werde. Ihr edler Eifer nährte unter den Sozialisten ein Gefühl der Bruderschaft, das ihnen die Kirche nicht mehr zu geben vermochte. In der Auseinandersetzung mit der Christlichsozialen Partei zeigten die Sozialdemokraten besonders nach 1918 mehr Einsatz für das Wohl des einzelnen. In ihren Angriffen auf die Kontrolle der Schulen durch den Klerus und auf die Hindernisse bei Ehescheidungen verfochten sie Reformen, die ein breites Echo fanden. Bis zu seinem Tod am 11. November 1918 hatte Adler die Sozialdemokratische Partei soweit geeinigt, daß sie durch achtzehn Monate die Regierung mit den Christlichsozialen teilen und während der sechzehn Jahre von 1918 bis 1934 die Geschicke Wiens leiten konnte. Die Erfahrung, daß sie durch die Wähler an die Macht berufen worden waren, trieb die Austromarxisten dazu, ihr Theoretisieren in eine noch demokratischere Richtung zu lenken als jene, die Viktor Adler eingeschlagen hatte. Otto Bauer: Taktische Mißgriffe eines Theoretikers Otto Bauer (1881-1938) verfügte über eines der schärfsten Denkvermögen unter den österreichischen Gesellschaftstheoretikern. 8 In einer Gesellschaft, die begabte Redner und Schriftsteller im Überfluß hervorbrachte, war Bauer einer 115

der talentiertesten. Geboren in Wien als Sohn einer reichen jüdischen Fabrikantenfamilie aus Böhmen, schrieb er als neunjähriges Wunderkind ein Drama in fünf Akten, Napoleons Ende. Wie Sigmund Freud war auch er der Primus seiner Klasse im Gymnasium. Sein Jusdoktorat — er studierte unter Böhm-Bawerk - erwarb er sub auspiciis. Von 1907 bis 1914 bekleidete er die Funktion eines Sekretärs in der Sozialdemokratischen Partei und beeindruckte jedermann durch seine Fähigkeit, Erfahrungen in eine Ordnung zu bringen. Julius Braunthal erinnerte sich des Charismas des sechsundzwanzigjährigen Parteisekretärs: „Was mich beim Zuhören am meisten in Erstaunen setzte, war sein wunderbares Denkvermögen. Obgleich er keinerlei Notizen benutzte und pausenlos sprach, prägte der flüssige Vortrag wohlgeordneter Tatsachen und genau abgewogener Gedanken dem Gedächtnis des Zuhörers nicht allein die Umrisse, sondern auch viele Einzelheiten des behandelten Problems ein." 9 In seinem Buch Die Nationalitätenfrage und die Sozialdemokratie (Wien 1907) griff Otto Bauer eine schon früher von Karl Renner angeschnittene Frage in meisterhafter Manier wieder auf. Im August 1914, am zweiten Tag der Feindseligkeiten, meldete er sich freiwillig zum Militär und kämpfte als Leutnant in Galizien, wo er im November 1914 in russische Gefangenschaft geriet, weil er zu rasch vorgestoßen war. In einem Gefangenenlager erlebte er die Oktoberrevolution mit und wurde so radikal, daß ihm die Russen 1917 die Rückkehr nach Osterreich gestatteten. Während er sich um die Wiedervereinigung der durch Friedrich Adler gespaltenen Sozialdemokratischen Partei bemühte, wurde Bauer im Oktober 1918 Viktor Adlers Mitarbeiter als Außenminister in der provisorischen Regierung und übernahm am 11. November 1918 nach Adlers Tod dessen Position.10 Als Außenminister bis zum 26. Juli 1919 trat Bauer für den Anschluß an Deutschland ein und schlug dabei die Warnungen des aus Wien stammenden Kollegen Rudolf Hilferding (1877-1941) in den Wind, der seit 1907 in Berlin gelebt hatte und fürchtete, daß die österreichischen Katholiken die Energien der deutschen Protestanten schwächen würden. Nach dem Zusammenbruch der Nachkriegskoalition arbeitete Bauer von 1920 bis 1934 als führender Taktiker der Sozialdemokratischen Partei in einer Funktion, in der seine theoretische Schärfe nicht zum besten eingesetzt werden konnte. In der Nationalitätenfrage setzte Bauer sein außergewöhnliches historisches Wissen ein, um zu zeigen, daß in Österreich-Ungarn die von Friedrich Engels als geschichtslos bezeichneten Nationen das Proletariat stellten, die Deutschen und Ungarn hingegen die Kapitalisten der Mittelklasse. Selbst Nationalist, interpretierte Bauer den Konflikt der Nationalitäten in Österreich-Ungarn als versteckten Klassenkonflikt. In seinem Werk Die österreichische Revolution (Wien 1923) brachte er diese These noch einmal vor und versicherte, daß die Unterdrückung der Tschechen die Spaltung des Reiches unvermeidlich gemacht habe. Er betonte, daß allein die Sozialisten den Zusammenbruch von 1918 vorausgesehen hätten, und legte dar, wie ihnen ihr Weitblick zu einem Platz in der Koalitionsregierung verhelfen habe. In einer ausdrucksvollen Zusammenfassung europäischen Denkens seit Ockham, Das Weltbild des Kapitalismus (1924), 11 schrieb Bauer der Mittelklasse den Triumph der mathematischen Wis116

senschaften zu, während er Darwin als Bourgeois interpretierte, der den Kampf ums Dasein, den die kapitalistische Gesellschaft zu führen hatte, in die Natur projizierte. Nach 1920 stellte sich heraus, daß Bauer für den U m g a n g mit geistigen Inhalten geeigneter war als für die Leitung von Aktionen. Im Juni 1920 führte er die Sozialisten unter dem Protest Karl Renners aus der Koalition in eine vierzehnjährige Opposition gegen Seipels Christlichsoziale. Obwohl offiziell Karl Seitz ( 1 8 6 9 - 1 9 5 0 ) , von 1923 bis 1934 Bürgermeister von W i e n , das H a u p t der S D P O blieb, war es doch Bauer, der sie in die totale Opposition gegen die Christlichsozialen drängte, ohne zu merken, daß er dadurch nur den Gegner stärkte, während er den Staat schwächte. Er handelte so, als ob der Kaiser noch auf dem T h r o n säße u n d die Stabilität garantierte, u n d griff Taktiken der Obstruktion von 1914 wieder auf, wodurch er den Bundeskanzler Seipel zu einem i m m e r schärferen Antisozialisten machte. 1 2 Bis zum Brand des Justizpalastes am 15. Juli 1927 vertrat Bauer die M e i n u n g , daß die Sozialisten durch fortschrittliche Gesetzgebung Anhänger gewinnen könnten. Obwohl viele Gesetze von 1918 und 1919 lediglich die Erlässe der Kriegszeit weiter anwendeten, sorgten sie doch für einen hohen Standard im Erziehungswesen, um die dringend benötigten Führungskräfte für die Industrie auszubilden. Der Achtstundentag, bezahlter Urlaub, öffentliches Gesundheitswesen, die Wiederansiedlung von Bauern u n d geordnete Arbeitsverhältnisse waren unübersehbare Leistungen. 1 3 Der Erfolg dieser Reformen stand jedoch im Schatten bitterer Polemiken zwischen der Rechten und der Linken, die Seipel und Bauer zu keiner Z u s a m m e n arbeit zum Schutz des Staates gegen die extreme Rechte k o m m e n ließen. Im Gegensatz zu Renner hat Bauer den drohenden Sieg des Faschismus nicht vorhergesehen. Mittlerweile hatten sich die Austromarxisten auf einen Kampf an ihrer linken Flanke eingelassen, u m die Bolschewisten am Abwandern aus der S D P Ö zu hindern. Obwohl die Einheit gewahrt wurde, geschah dies um den Preis ideologischer Schalheit, die jene Unbeweglichkeit nach sich zieht, welche allen Volksfronten oder großen Koalitionen eigen ist. U m 1933 hatte die Sozialdemokratische Partei unter Otto Bauers Führung ihre Kraft soweit verloren, daß sich Bauer, als Dollfuß am 4. M ä r z 1933 den Nationalrat ausschaltete, zu seinem eigenen größten Bedauern die einzigartige Gelegenheit entgehen ließ, diesem Bruch der Verfassung legal entgegenzutreten. Das Ende kam im Februar 1934, als Dollfuß, der Bauer haßte, weil er ihn im Parlament einen Schuft geheißen hatte, die Pariser Aufstände vom 6. Februar 1934 zum A n l a ß nahm, die demokratischen Einrichtungen in Österreich zu beseitigen. Dollfuß hatte 1933 in Frankreich eine Anleihe a u f g e n o m m e n und dabei dem französischen Premier Daladier versprechen müssen, die österreichische Demokratie zu schützen; nun aber, da Daladier gestürzt war, fühlte sich D o l l f u ß von seinem Versprechen entbunden. Die tragischen Ereignisse vom 12. Februar 1934 enthüllten, wie sehr Bauer als Organisator versagte. A m Abend des 11. Februar traf er sich mit Kontaktleuten in einem Kino, während in Linz Arbeiter ohne sein Wissen einen Generalstreik vorbereiteten. A m M i t t a g des 12. Februar streikten die Arbeiter der 117

Wiener Elektrizitätswerke, was als vereinbartes Zeichen für einen Generalstreik galt. Unglücklicherweise hatte die SDPÖ aber noch keine Plakate zur Ankündigung des Streiks gedruckt. Sobald daher der Stromausfall die Druckpressen gestoppt hatte, konnten viele Arbeiter überhaupt nicht mehr von dem Streik in Kenntnis gesetzt werden, andere dagegen schlugen eine hoffnungslose Schlacht gegen die übermächtigen Regierungstruppen. Während der Belagerung der als Karl-Marx-Hof bekannten Wohnhausanlage wurde entschlossener Widerstand durch Artilleriefeuer gebrochen; die wenigen sozialistischen Führer, die Zugang zu den Waffenverstecken hatten, waren im voraus verhaftet worden. Als Dollfuß die Sozialdemokratische Partei ächtete, floh Otto Bauer nach Brünn und schlug sich vier Jahre lang im Untergrund-Widerstand durch.14 Die Beschießung des KarlMarx-Hofes fand in Stephen Spenders Vienna (New York 1935) ihren elegischen Niederschlag. Wie Schumpeter und Josef Redlich konnte sich auch Otto Bauer nie mit dem Ende des Habsburgerreiches abfinden. In den zwanziger Jahren führte er lieber Polemiken mit Seipel, als daß er sich den internationalen Realitäten zugewandt hätte. Die Tatsache, daß der unehelich geborene Bauernsohn Dollfuß Bundeskanzler werden konnte, beleidigte Bauers Anstandsgefühl. Als Theoretiker respektierte er den Einzelnen zu sehr, als daß er eine Partei wirkungsvoll hätte führen können; nie brachte er die Ideologie in ein straffes System, und er verwendete mehr Energie darauf, Lenin zu widerlegen, als einer Machtergreifung Hitlers vorzubauen. In seiner Begeisterung für die Diskussion zeigte sich Bauer als ein echter Nachfahre des kaiserlichen Osterreich: auch er schien davon überzeugt, daß die Bürokratie den Staat schon irgendwie erhalten werde, während die gebildeten Männer miteinander debattierten. Wie andere Austromarxisten hielt auch Bauer viel von Individualität. Für ihn wie für Neurath bedeutete der Klassenkampf vor allem ein Instrument zur Befreiung des Individuums, damit es künftig müßigen Zielen nachhängen könne, was einst nur den Reichen vorbehalten war. Bauer glaubte so fest daran, daß sich der Sozialismus verfassungmäßiger Mittel bedienen müsse, daß er versagte, als es galt, auftauchenden Feinden der Demokratie entgegenzutreten. Diese Naivität war ebenfalls ein Erbteil des Vorkriegsreiches, dessen Tradition auch entgegengesetzte Meinungen beschützt hatte. Bis 1934 setzte Bauer die Vorkriegspolitik gegen Kirche und Aristokratie fort, als er sich mit diesen einstigen Gegnern längst hätte vereinigen sollen, um den Faschismus abzuwehren. Nur wenige Fehler haben sich als so folgenschwer erwiesen wie dieser. Karl Renner: Der Austromarxist als versöhnende Kraft Die Bedeutung Karl Renners (1870—1950) als Theoretiker wurde von dem Umstand in den Schatten gestellt, daß er von 1945 bis 1950 in der Zweiten Republik das Amt des Bundespräsidenten bekleidete. 15 Er war der einzige führende Austromarxist, der den Zweiten Weltkrieg überlebte. Als Kind katholischer Bauern in Südmähren geboren, die unter der Depression der siebziger Jahre 118

gelitten hatten, zeigte er stets größere Bereitschaft, mit der Bourgeoisie zusammenzuarbeiten, als der wohlhabendere Viktor Adler oder der kämpferische Otto Bauer. Er besuchte das Gymnasium in Nikolsburg und wurde 1898 in Wien zum Doktor der Rechte promoviert, wo unter anderen die Brüder Menger seine Lehrer gewesen waren. Von 1896 bis 1932 arbeitete er als Bibliothekar des Parlamentes und verwendete das dortige Quellenmaterial für seine eigenen Forschungen. Als Freund Viktor Adlers wurde er 1907 in den Reichsrat gewählt und hatte bis 1934 einen Sitz als Volksvertreter inne. 1920 trat er vergeblich für eine Fortsetzung der großen Koalition ein. Als Theoretiker leistete Renner Beiträge zur marxistischen Diskussion um die Nationalitätenfrage und Probleme der Jurisprudenz. 1899 veröffentlichte er unter dem Pseudonym Synopticus das Buch Staat und Nation, worin er seinen ersten von vielen Vorschlägen zur Abwendung einer Zersplitterung der Sozialdemokratischen Partei durch Nationalitätenkonflikte darlegte. Renner setzte sich zum Erben des föderalistischen Schemas ein, das der aus Ungarn stammende jüdische Arzt Adolf Fischhof (1816-1893) in seiner Arbeit Österreich und die Bürgschaften seines Bestandes (Wien 1869) entworfen hatte; durchdrungen vom ungarischen Utopismus und beeinflußt von Schweizer Methoden zur Schlichtung von Differenzen zwischen Nationalitäten versuchte der „Weise von Emmersdorf vergeblich, zwischen den Alttschechen unter Rieger und dem liberalen Auersperg-Regime in den siebziger Jahren zu vermitteln. 16 Renners Programm nahm das des Brünner Parteitags vom September 1899 vorweg. 17 Renner verlangte eine Teilung des Reiches in nationale „Kreise", von denen jeder seine eigenen Mitglieder besteuern sollte, um so sein Schulwesen und seine kulturellen Institutionen verwalten zu können. Jeder Bürger würde selbst seine Zugehörigkeit zu einer Nationalität wählen, worin die mittelalterliche Praxis wieder zum Vorschein kam, nach der jedermann sich das Recht, das er anerkennen wollte, aussuchen konnte. In Regionen mit gemischter Bevölkerung würde ein kaiserliches Parlament die Minderheiten schützen, das auch eine Kontrolle über auswärtige, militärische und fiskalische Angelegenheiten auszuüben hätte. Deutsch sollte als Vermittlungssprache dienen, nicht als Staatssprache. Indem die Sozialisten darauf drängten, daß sich der Staat von kulturellen Angelegenheiten zurückziehe, widersetzten sie sich dem Prinzip des cuius regio, eius lingua, das die Badenischen Sprachenverordnungen vergeblich zu mildern gesucht hatten. In seiner Verteidigung des kulturellen Föderalismus argumentierte Renner, daß der Adel historische Länder bevorzuge und die Bourgeoisie einen zentralisierten Staat fördere, um den Arbeiter besser ausnützen zu können, wogegen das Proletariat nach national-kultureller Autonomie verlange. Wie später Bauer, so lehnte auch Renner die Forderung der Juden nach kultureller Autonomie ab; sie sollten eine religiöse, keine nationale Gruppe bleiben. Trotz Renners Beschwörungen gelang es dem Brünner Programm nicht, die Sozialdemokratische Partei zu einigen; sie spaltete sich nach 1900 in Nationalitäten, da das Proletariat jeder Nationalität mit seiner eigenen Bourgeoisie zusammenarbeitete, um die Bürokratie davon abzuhalten, unter Berufung auf Artikel 14 das Parlament zu umgehen. 119

Ein anderes föderalistisches Rezept gegen den verfassungsmäßigen Stillstand bot der aus Ungarn stammende Rumäne Aurel Popovici (1863-1917) an. In seinem Buch Die Vereinigten Staaten von Groß-Osterreich. Politische Studien zur Lösung der nationalen Fragen und staatsrechtlichen Krisen in Österreich-Ungarn (Leipzig 1906) trat er für die Errichtung von fünfzehn Territorialstaaten ein, die Abtretung des heutigen Burgenlandes an Osterreich mit inbegriffen. Nach Renners Ansicht hätte das Schema des Rumänen die Tyrannei über Minderheiten fortgeführt; keine willkürliche geographische Aufteilung könnte jene „demokratische Schweiz mit monarchistischer Basis" hervorbringen, von der der Austromarxist Renner träumte. In seiner Verehrung für das Prinzip der Nationalität ließ Renner den Romantizismus von Eötvös und' Palacky Wiederaufleben. Obwohl er zugab, daß innerhalb des Staates Klassenkonflikte wüten könnten, glaubte er — wie die Alttschechen - , daß solche Streitigkeiten innerhalb jeder Nation aufhören würden. Da die Nationalität ein heiliges Gut sei, in das sich einzumischen der Staat kein Recht habe, sollte sich der Marxismus aus kulturellen Angelegenheiten heraushalten. Renner arbeitete seine Kritik des Staates zu einer der profundesten marxistischen Analysen des kontinentalen Rechtes aus. Seine Arbeit Die soziale Funktion der Rechtsinstitute, veröffentlicht im ersten Band der Marxstudien (Wien 1904), formulierte eine marxistische Rechtsphilosophie. 18 Unter dem Pseudonym Joseph Karner führte Renner die Ansicht Rudolf von Iherings, daß das Recht aus Konflikten zwischen konkurrierenden sozialen Gruppen hervorgehe, weiter aus. Genau wie Ihering seine Studie Der Kampf ums Recht (Wien 1872) entwarf, nachdem er Zeuge der Kämpfe wegen des Hohenwart-Vorschlages für tschechische Autonomie geworden war, formulierte auch Renner seine Analyse aus seinen Erfahrungen inmitten der deutsch-tschechischen Konflikte in Mähren, wo er aufgewachsen war. Als Marxist unterschied Renner gesellschaftliche Veränderungen von Überarbeitungen des Rechts, indem er argumentierte, diese folgten auf jene, und daher könnten rechtliche Einrichtungen gesellschaftliche Veränderungen nicht verhindern; sie könnten sie lediglich verzögern oder beschleunigen. Die Trennung in privates und öffentliches Recht stellte nach Renner eine Schöpfung des Kapitalismus dar, durch welche der Staat den Interessen der Mittelklasse dient. Das Recht auf privates Eigentum setzt mehr voraus als den bloßen Anspruch, über Güter zu verfügen: Die Heiligung des Eigentums delegiert Souveränität an die Bourgeoisie und gibt dieser die Macht, Personen, die über kein Eigentum verfügen, auszubeuten. Während Gumplowicz im Recht auf Eigentum eine Waffe im Kampf ums Uberleben sah, betrachtete Renner es als veraltende Bastion des Klassenkampfes. In einem Überblick über die Modi des Eigentums seit dem Mittelalter zeigte Renner, daß legaler Besitz nicht mehr notwendig auch physische Kontrolle bedeute, die durch rechtliche Fiktionen, die er Konnexinstitute nannte, auf Verwalter übergegangen sei. In seinen Untersuchungen der verwaltenden Klasse war Renner der erste, der feststellte, daß Enteignungen lediglich papiermäßigen Eigentümern Rechte entziehen würden, die de facto von Agenten genossen wurden; solche Verwalter würden ihre Autorität auch unter einem Staatseigentum beibehalten. Nach 1920 litt Renner unter dem gleichen Unbehagen wie Bauer. Als Kanzler der Koalitionsregierung von 1918 bis 1920 hatte er die Friedensdelegation 120

in ihre Stacheldraht-Gefangenschaft in Saint-Germain geführt, wo Österreich der „Anschluß" für immer untersagt wurde. Als Bauer mit den Sozialisten in die Opposition ging, zog sich Renner von der Leitung der Partei zurück, obwohl er von 1930 bis 1933 noch als Nationalratspräsident tätig war. Der zum Sozialisten gewordene Marxist, versöhnlicher als Bauer, hätte als Parteiführer vielleicht mehr ausgerichtet als jener. Für Renner drückte sich das Pathos des Zusammenbruchs des Reiches symbolisch im Verlust eines Bauernhofes in Mähren aus, den er gemeinsam mit seiner Schwester besessen hatte. Um den Hof zu behalten, hatte die Schwester tschechische Staatsbürgerin werden müssen, er dagegen, der Kritiker des Privateigentums, hatte den Hof aufgeben müssen, um Kanzler Österreichs bleiben zu können. Wie, so fragte er sich, konnte man gegenüber einem Land, das von seinen Bürgern solche Opfer verlangte, Loyalität empfinden?' 9 Als Amateurpoet dichtete Renner 1919 eine Nationalhymne für die Erste Republik, die Wilhelm Kienzl vertont hat, der jedoch jede Popularität versagt blieb. Um sich nach 1934 zu trösten, schrieb er ein philosophisches Epos, das nach seinem Tod unter dem Titel Die Welt der Moderne (Wien 1954) veröffentlicht wurde. Als Vorbild diente ihm das große, unvollendete Gedicht De rerum natura des Lukrez. Renners 400 Seiten umfassendes, den Naturforschern gewidmetes Opus in Versen stellt die Lehren der Astronomie, der Chemie und der Atomphysik in einer erstaunlichen Fülle verschiedener Strophenformen dar. Renners Vorliebe galt der Astronomie und den alten Griechen; seine Verse muten manchmal schwülstig und zumeist epigonal an, sind aber von einer Art Gläubigkeit erfüllt. Das unter der Nazi-Okkupation entstandene Epos — ein Lehrgedicht, das ebenso Mach oder Boltzmann hätten schreiben können — preist die moderne Naturwissenschaft als Festung der Wahrheit. Diese Dichtung ist eines der vergessenen Monumente der österreichischen inneren Emigration. Daß Renner nach 1920 als Gesellschaftstheoretiker nicht mehr hervortrat, schmälert seine Vorkriegsleistungen keineswegs. Er hat sowohl für den Nationalitätenkonflikt als auch für die Analyse des Privatrechts neue Perspektiven eröffnet. Allein, er durfte sich nicht zu diesen seinen Neuerungen bekennen, sondern mußte seine Schriften unter den verschiedensten Pseudonymen veröffentlichen, um seinen geliebten Posten als Parlamentsbibliothekar nicht zu verlieren. Seine Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit den Christlichsozialen hat, neben den äußeren Umständen, den Wandel in der Einstellung der österreichischen Sozialdemokraten nach 1945 angeregt. In diesem Sinn war er ein früher Verfechter der Koexistenz zwischen Ost und West. Nur wenige Denker verkörperten in so anziehender Weise die österreichische Neigung, Gegensätze zu einem lebendigen Ganzen zu vereinen, wie dieser Bauer, der vom Besitzenden zum Marxisten wurde und doch später den Verlust des Familienhofes bedauerte. Er bot ein treffliches Beispiel für die Einstellung, die Lenin als „kleinbürgerliche Widersprüche" bezeichnet hat.

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Max Adler: Synthese von Kant und Marx Der dritte führende Theoretiker der Austromarxisten neben Bauer und Renner war Max Adler (1873—1937).20 In Wien als Sohn jüdischer Eltern geboren — er war weder mit Viktor noch mit Alfred Adler verwandt —, wurde er hier 1896 zum Doktor juris promoviert und arbeitete dann als Anwalt. Adler, der mehr Gelehrter als Politiker war, gab von 1904 bis 1922 die Marxstudien heraus und leistete gleichzeitig eine Reihe von Beiträgen zu Otto Bauers Zeitschrift Der Kampf. 1907 gründete er gemeinsam mit Renner, Rudolf Eisler, Josef Redlich, Wilhelm Jerusalem und Rudolf Goldscheid die Wiener Soziologische Gesellschaft. Von 1920 bis 1923 repräsentierte er den Wiener Bezirk Floridsdorf im Nationalrat und habilitierte sich während dieser Zeit an der Wiener Universität, wo er von 1921 bis 1937 als außerordentlicher Professor für Soziologie las. Obwohl er nach 1934 weiter unterrichten durfte, war es ihm doch nur erlaubt, von rein historischen Inhalten zu handeln. Da er also über Marxismus weder lesen noch publizieren durfte, hinterließ er einen beträchtlichen Nachlaß, der erst vor wenigen Jahren veröffentlicht wurde. 21 Unter Adlers Professoren-Kollegen befanden sich unter anderen der aus Wien stammende empirische Soziologe Paul Lazarsfeld (geb. 1901), der Sozialpsychologe Karl Bühler (1879—1963) und dessen Gattin Charlotte Bühler (1893—1974).22 Diese Pioniere der statistischen Forschung stellten, als sie in die Vereinigten Staaten von Amerika kamen, die Austromarxisten in den Schatten, indem sie einen Positivismus entwickelten, den Adler für einseitig hielt. Max Adler konnte damals nicht wissen, daß die Zukunft der Soziologie eher bei den Empiristen lag als bei der austromarxistischen Fusion von Immanuel Kant und Karl Marx. Adler veröffentlichte seine erste größere Arbeit, Kausalität und Theologie im Streite um die Wissenschaft, im selben Band der Marxstudien (1904), in welchem Renners Rechtsinstitute erschienen. Adler stellte hier jenes Paar polarer Gegensätze dar, auf welchem sich sein ganzes Lebenswerk aufbaut: mechanistische Kausalität gegen holistische Finalität. Die gleiche Dichotomie beherrscht auch das Denken Karl Pribrams und Hans Kelsens. Der Austromarxist setzte eine Parallelität zwischen Kants Konzept des Geistes und dem Marxschen Konzept der Gesellschaft an. Nach dem von Adler so bezeichneten sozialen Apriori ist der Geist so in der Gesellschaft eingebettet, daß keines von beiden ohne das andere verstanden werden kann. Der Geist eines Menschen beginnt als Produkt gesellschaftlicher Konditionierung und erwirbt später individuelle Züge. Weder die auf Kausalität gegründeten Naturwissenschaften noch die auf Finalität gegründete Geisteswissenschaft können ein soziales Apriori hinlänglich interpretieren; hierzu sei eine Wissenschaft vonnöten, die das von Adler so bezeichnete vergesellschaftete Dasein untersucht. Wenngleich der Geist frei bleibt, unter den Gegebenheiten zu wählen, die die Gesellschaft anbietet, engt doch die Umwelt die Beliebigkeit des Wissens und des Handelns ein, geradeso wie Kants Kategorien die Möglichkeiten des Denkens beschränken. Wie andere Synthetiker, Bauer etwa oder Mannheim, hatte auch Max Adler Gegner sowohl auf der Rechten wie auch auf der Linken. Er wies den histo122

rischen Materialismus Kautskys und Lenins zurück, weil dieser einen Fatalismus voraussetzte, der den Menschen zu einem Werkzeug wirtschaftlicher Mächte degradiert, und griff den Neukantianismus Rickerts und Cohens als leeren Formalismus an, der Wertschemata vom Leben trennte. Den Begriff vom Satz an sich, den Husserl und Lask anerkannten, wies Adler zurück, weil er die sozialistische Existenz des Menschen ignoriert, und den neuromantischen Universalismus Othmar Spanns griff er an, weil er das überindividuelle Element des Lebens über alles stellt, das heißt, das soziale Apriori zu einer Doktrin der göttlichen Vorsehung erhebt. Schließlich lehnte er auch den von Gumplowicz gelehrten Positivismus ab, der die gesellschaftlichen Fakten zu sehr im Licht der Kausalität, nicht aber im Hinblick auf die Finalität interpretierte. Seine schärfste Polemik sparte sich Adler für Lenin und Kautsky auf, die Marx zugegebenermaßen verfälscht hatten, indem sie seine Philosophie als Materialismus identifizierten. Der Austromarxist Adler beharrte darauf, daß Marx niemals menschliche Empfindungen und Gedanken als Produkte der Materie definiert habe; vielmehr setze die Marxsche Metapher von einem geistigen Uberbau, der an der Spitze des materiellen Unterbaues stehe, die Unabhängigkeit des Geistes von der Materie voraus. Um zu erklären, warum Marx den Terminus Materialismus aufgegriffen hatte, zitierte Adler drei Verfahren, in denen dieser Terminus zur Widerlegung des spekulativen Idealismus verwendet worden war. 23 Erstens verwendete Marx Materialismus als Synonym für Positivismus, um metaphysische Ausdrücke wie Gott, Seele und Unsterblichkeit auszuschließen; zweitens setzt Materialismus eine vom Bewußtsein unabhängige Realität voraus; und drittens impliziert dies, daß Marx sein System auf Tatsachen aufbaute, während Hegel das seine auf Ideen gestützt hatte. Für Marx wie für Feuerbach bedeutete das Adjektiv materiell ein Synonym für wirklich. In seiner Darlegung des dialektischen Materialismus konnte Marx die einfältigen Lehren Holbachs, Moleschotts und Büchners, daß der Mensch eine ausschließlich von Prozessen der Physik und Physiologie bestimmte Maschine sei, korrigieren. Der Mensch lebe in der Dialektik zwischen Geist und Materie, zwischen Selbst und Gesellschaft. Lenin habe seinen Mentor falsch interpretiert, indem er behauptete, der Geist gehe aus der Materie hervor, denn Karl Marx habe daran festgehalten, daß Geist von Anfang an unabhängig existiere. In Marx' Kritik der Hegeischen Rechtsphilosophie, publiziert in den DeutschFranzösischen Jahrbüchern, 1844, fand Adler bestätigt, was man heute als humanistischen Marxismus bezeichnen würde. Franz Mehring ließ diesen Essay 1902 nachdrucken. 24 Mehr als zwanzig Jahre bevor Marx' Pariser Manuskripte 1932 in Moskau publiziert wurden, erriet Adler — früher noch als Georg Lukacs - ein Kantisch-Hegelsches Motiv im frühen Marx. Im Gegensatz zu Lukacs zweifelte Adler nie daran, daß dieser kantische Marx der authentische war. Adler verwendete Kant zur Auslegung des frühen Marx wie später Lukacs Hegel, Ernst Bloch den alttestamentarischen Chiliasmus und Karl Korsch den Syndikalismus. Obwohl Adler zum Unterschied von diesen Vorläufern des marxistischen Humanismus nicht versuchte, gewalttätige Revolutionen freizusetzen, schmeichelte er auch nicht der bürgerlichen Gesellschaft und versicherte, unnachgiebiger noch als Bauer, die Autonomie der Sozialdemokratischen Partei. Als Adler Mitte 123

der zwanziger Jahre für eine Diktatur des Proletariats eintrat, nahm er damit nicht Stalin in Schutz, sondern hatte die Absicht, einen neuen, individualistischeren Typus des sozialistischen Menschen zu verkünden. Was Max Adler vom Marxismus nach 1945 trennt, ist seine Gleichgültigkeit gegenüber dem Konzept der Entfremdung. Weit davon entfernt, sich darüber zu beklagen, daß die Arbeiterschaft in sich gespalten sei, der eine dem anderen fremd, weil ihnen widersprechende Ziele unterschoben sind, suchte Adler den Ausweg im Fördern des Individuationsprozesses, da er — gleich Kant — die schöpferische Einheit der Persönlichkeit für das höchste Ziel des Menschen hielt. Individuen erreichen diese Einheit durch Zusammenarbeit mit der Gesellschaft, wodurch sie sowohl die bestehenden Möglichkeiten zu nützen als auch neue zu schaffen vermögen. Dadurch, daß er es versäumte, den seit 1945 vorherrschenden Sturm gegen die Selbstentfremdung vorwegzunehmen, sorgte Adler selbst dafür, in Vergessenheit zu geraten. Wie Bauer war er so sehr in der Sicherheit der Habsburgerbürokratie verwurzelt, wo Professoren, Bürokraten und Journalisten untereinander die Rollen tauschten, daß er sich eine Gesellschaft, in der sich fast alle Intellektuellen heimatlos fühlen, gar nicht vorstellen konnte. In Wien hatte die Spezialisierung selbst 1934 diese Entfremdung noch nicht nach sich gezogen, die nach den Worten Alasdair Maclntyres das Leben in rivalisierende und einander konkurrierende Sphären spaltet, deren jede ihre eigenen Normen hat und ihre eigene deformierende Souveränität beansprucht. 25 In der Synthese zwischen Individualismus und Sozialismus wertete Adler die Symbiose von Gemeinschaft und Gesellschaft aus, die in Wien vielleicht länger fortlebte als in jeder anderen Metropole. Nun, da dieses Gleichgewicht geschwunden ist, scheint Max Adler den utopischen Glauben weitergetragen zu haben, der Anton Mengers Denken angeregt hatte. Ein „kleiner Mann", durchdrungen vom Glauben an seine eigene Vision, war Adler einer jener österreichischen Neuerer, dessen Einsichten uns mehr über seine Gesellschaft sagen können als über die unsere. Die einschneidenden Gedanken, die sein Werk enthält, sind von anderen zwingender formuliert worden, und was keine Uberzeugungskraft mehr hat, erscheint bloß noch wunderlich. Dieses Urteil würden wohl die meisten Marxisten — und Soziologen — sowohl über Adler selbst fällen als auch über die Bewegung, der er diente.

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Teil II

Ästhetizismus in Wien

Ein Mann mit großen Ideen ist ein unbequemer Nachbar. Marie von Ebner-Eschenbach

7. PHÄAKEN UND FEUILLETONISTEN

Geselligkeit und Sexus unter dem Einfluß des Ästhetizismus Wien war mehr als nur die Hauptstadt des Habsburgerreiches - Wien war ein Geisteszustand. Zwei Haltungen standen im Gesichtsfeld der meisten Einwohner dieser Stadt einander gegenüber: heiteres Genießen der Künste oder Ästhetizismus einerseits und Indifferenz gegenüber politischen und gesellschaftlichen Reformen oder therapeutischer Nihilismus andererseits. Die nächsten vier Kapitel untersuchen, wie diese Haltungen von Seiten der Öffentlichkeit die Wiener Schriftsteller, Musiker und Maler beeinflußten. In seiner berühmten Xenie Donau in ... (1797) sagt Schiller: „Mich umwohnet mit glänzendem Aug das Volk der Phaiaken; Immer ist's Sonntag, es dreht immer am Herd sich der Spieß." Der deutsche Dichter machte damit die Vorstellung populär, daß die Osterreicher moderne Phäaken seien, mit dem im fünften und sechsten Gesang der Odyssee geschilderten Völkchen wetteifernd in Festivitäten, Schmaus und süßem Nichtstun. Der Terminus „Phäakentum" soll jedoch im folgenden nur die Vorliebe für Lustbarkeiten und Selbsttäuschung umschreiben, wie sie das Biedermeier an sich hatte. Phäakentum im engeren Sinn charakterisierte den Kunstkonsumenten, Ästhetizismus dagegen regte den Kunstschaffenden an. Phäakentum spornte die Kreativität, insbesondere im Zusammenhang mit wirtschaftlichen Bedingungen, die C. A. Macartney so erklärte: „Wenn Geld in kleinen Mengen leicht erworben werden kann, in großen Mengen jedoch nur schwer, erreicht es den höchsten Grad der Halb-Unsichtbarkeit. Wenn es dient - aber nicht beherrscht - , fördert es städtische Umgangsformen und die Geisteswissenschaften."1 Die finanzielle Sicherheit in den Jahren von 1867 bis 1914 ermöglichte der gehobenen Bourgeoisie eine Jagd nach Vergnügungen um ihrer selbst willen. Menschen, die Entscheidungen beharrlich aus dem Wege gingen, versüßten sich das tägliche Leben durch Schauspiele und Belustigungen. Vor dem Zusammenbruch von 1873 schien sogar der Aktienmarkt eine neue Form von Bühnenzauber zu bieten. Phäakentum begünstigte den therapeutischen Nihilismus in gleichem Maß, wie sich die Ringstraßen-Dandys an den Essays von Arthur Schopenhauer ergötzten. Ästheten - zumeist militant apolitisch — priesen die „willenlose Wahrnehmung" der Kunst als über aller Auseinandersetzung stehend.2 In einem derartigen Milieu wurde die Geselligkeit zu einer Kunst, die sowohl in den Adelskreisen als auch unter Bürgerlichen aufblühte. Unter dem Banner der Gemütlichkeit pflegte der Wiener seine Gabe, den Menschen Wohlbefinden zu vermitteln, indem er aus dem Genuß des anderen Vergnügen für sich sel127

her zog. Höfliches Interesse am Wohlbefinden des Mitmenschen war jener Stimmung von Heiterkeit zuträglich, die Arthur Koestler so beschreibt: „(Die Neureichen der zwanziger Jahre beherrschten)... die einmalige Wiener Kunst, nicht bloß reich zu sein, sondern dies auch noch zu genießen. Sie hatten die höfliche Fröhlichkeit, die amüsierte Selbstironie, die verbindliche Boshaftigkeit und das blitzende erotische Funkeln (des Vorkriegs-Wien)." 3 Diese Heiterkeit verlangte unausgesetztes Theaterspielen. Jeder — ob Dienstmann, Straßenbahnfahrer, Graf oder Kaiser - erfreute sich daran, Rollen zu spielen, schlagfertige Antworten zu geben, und machte so jede gesellschaftliche Begegnung zur ausgefeilt interpretierten Szene. Wenngleich Fremde die Wiener Höflichkeit mitunter als unehrliche Vorspiegelung tadelten, so war es für den Eingeweihten doch von vornherein klar, daß keine dieser Szenen, wie gut sie auch gespielt sein mochten, jemals dauerhafte Ergebnisse zeitigen konnte. Anstatt Veränderungen anzustreben, begegnete man den Frustrationen, indem man sie mit schauspielerischem Geschick ästhetisierte. Dramatisch überhöht dargestellte Liebenswürdigkeit war durchaus keine glatte Lüge; vielmehr herrschte, wie Hanns Sachs es formulierte, „allgemeine Unaufrichtigkeit mit vergleichsweise wenig Heuchelei" vor.4 In einer Gesellschaft, die die äußere Erscheinung so hoch bewertete, war es für den anspruchsvollen Bürger unerläßlich, einen korrekten Eindruck zu erwecken. Martin Freud berichtet, um wieviel mehr man auf die tadellose Kleidung eines Arztes achtete als auf sein fachliches Können. 5 Vom Doktor erwartete man, daß er im Fiaker vorfuhr, also zweispännig, nicht in einer Kutsche, die von nur einem Pferd gezogen wurde, einem sogenannten Einspänner. Traf er mit geringerem als dem erwarteten Pomp ein, so konnte sich der Patient in seiner Eitelkeit derart verletzt fühlen, daß gar keine Aussicht mehr auf Heilung bestand. Auch das Verteilen von Trinkgeldern wurde von demonstrativen Konsumpraktiken bestimmt. Von Aristokraten erwartete man, daß sie jede Dienstleistung höher honorierten als gewöhnliche Sterbliche. Und wollte sich ein Bürgerlicher den Anschein geben, etwas Besseres zu sein, so gelang ihm dies am ehesten, indem er — ostentativ vornehm - zuviel Trinkgeld gab. In einer Anspielung auf die Gewohnheit, daß jeder in einem Dienstleistungsberuf Tätige ein Trinkgeld verlangte, Liftboys und Zahlkellner inbegriffen, witzelte Karl Kraus, daß er damit rechne, daß der Engel, der bei seiner Ankunft im Himmel den Sarg öffnen werde, ihm wohl die offene Hand hinstrecken würde. In noblen Familien waren Besucher einer strengen Etikette unterworfen. Der Portier pflegte, wenn er einen männlichen Besucher ankündigen wollte, einmal zu läuten, bei einer Dame zweimal, und dreimal für einen Erzherzog oder Kardinal. In Wien standen alle Häuser - ob klein oder groß - den ganzen Tag über offen, oft sogar ohne Hauswart. Pünktlich um 22 Uhr allerdings wurde das Haustor geschlossen. Wer später kam, mußte dem Hausmeister zehn Kreuzer zahlen. Um das „Sperrsechserl" zu sparen, war es üblich — ausgenommen im Fasching —, öffentliche Veranstaltungen kurz nach 21 Uhr zu beenden. So beugten sich also die Mitglieder auch der besten Familien Wiens der Tyrannei ihrer Hausmeister, während sich die weniger Privilegierten bis tief in die Nacht hinein auf den Straßen oder in den Cafés herumtrieben. 8 128

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts ließ die Strenge der Etikette nach. Der Handkuß blieb weiterhin ein Zeichen des Respekts, den der Herr der Dame zollte, und selbst heute noch lebt das „Küß die Hand" als Grußformel fort. Die Zeiten freilich, in denen die Mutter des Grafen Hans Wilczek sich derart schockiert fühlte, als Feldmarschall Radetzky bei einer Parade Fanny Elßler die Hand küßte, daß sie ihm deshalb das Haus verbot - diese Zeiten waren vorbei. 7 Um 1900 rauchten verheiratete Frauen bereits ohne Aufsehen zu erregen, zumeist aber doch zu Hause. Noch Anno 1885 galt als mauvais genre, wenn Mädchen Zigaretten rauchten - um 1905 rauchten sie bereits in aller Öffentlichkeit Zigarren. Dank der Schilderungen Schnitzlers und Freuds wurde Wien für seine faszinierenden und neurotischen Frauen bekannt. Ihre Einstellung gegenüber dem Sexus reflektierte die Doppelbödigkeit einer Gesellschaft, die sich der Tradition verpflichtet fühlt. Während die Töchter in sexueller Unwissenheit tändelten, pflegte der Vater dem Sohn zu raten, sich von irgendeinem „süßen Mädel" initiieren zu lassen. Mädchen aus guten Familien waren so wohlbehütet, daß sie kaum je das Haus ohne Anstandsdame verließen; bei reicheren Leuten war eine solche Promeneuse meist eine Dame englischer oder französischer Herkunft, die man als fremdsprachigen Konversationspartner für das Kind verpflichtet hatte. Sexualität spukte den Mädchen dermaßen im Kopf herum, daß sie vor Neugier und Sehnsucht beinahe vergingen. Wurden sie von einem Mann gegrüßt, so erröteten sie. In seinem Stück Das Konzert (Berlin 1910) zeichnete Hermann Bahr übermütige Mädchen, die sich in ihren Musiklehrer verlieben - überwältigt von der Neugier nach dem, was man Liebe nennt. Für die jungen Dinger war dies der ihrem Lebensalter angemessene Weg, ihre Libido freizustellen. Auf dem Tanzparkett drängten sich die jungen Damen hoffähiger Kreise wie Rehe zusammen — alle ausschließlich in Weiß gekleidet. Da eine unverheiratete Frau von dreißig den gleichen Regeln unterworfen war wie ein Mädchen von fünfzehn, flüchtete ein älteres Fräulein aus guter Familie nicht selten in ein Kloster oder schloß sich einem weltlichen Orden an. Als „Stiftsdame" führte sie den Titel Frau anstatt Fräulein, und doch stand es ihr frei, zu heiraten. Junge Männer genossen weit größere Freiheit. Man ermutigte sie, sich den Bart wachsen zu lassen, ja sogar in der Halbwelt zu verkehren, wenngleich deren Existenz in guter Gesellschaft ignoriert wurde, wie - so Stefan Zweig - Kanalröhren dem Fußgänger verborgen bleiben. Manche Väter veranlaßten den Hausarzt, den Sohn vor venerischen Krankheiten zu warnen, andere wieder stellten ein hübsches tschechisches Dienstmädchen ein, das ihn in die Mysterien Aphrodites einweihen konnte, ohne daß sich dieser mit einer „raffinierten Person" einlassen mußte. 8 War er schon etwas älter, dann suchte der junge Mann eine Verbindung mit einem süßen Mädel, etwa einer Verkäuferin, einer Modistin, einem Stubenmädchen oder einer Angestellten in einer Schneiderei. Wie Schnitzler sie im Anatol (Berlin 1893) beschreibt, pflegte sie kokett, jedoch gut erzogen zu sein, und sie liebte um der Liebe willen, ohne Hoffnung auf eine dauerhafte Bindung.9 Für einen Herren war es nichts Außergewöhnliches, daß er eine hübsche Frau auf der Straße verfolgte - ein Brauch, den man „Nachsteigen" nannte. Martin Freud erzählt von einem Vorfall, der ein bezeichnendes Licht auf 129

den Kult des süßen Mädels wirft: Eines Morgens, während seines Militärdienstes, teilte er seiner Zimmerwirtin mit, daß er für Nachmittag den Besuch einer Dame erwarte. Noch ehe er erklären konnte, daß er gerne Kaffee serviert bekommen möchte, bot die Zimmerwirtin bereits an: „Sehr gut, Herr Einjährig-Freiwilliger, werd' ich Leintücher und Polsterbezüge wechseln." 10 Wie sehr die Frauen unter unzulänglicher Sexualerziehung auch gelitten haben mögen, Prüderie hielt sie nicht davon ab, in Geschmacksfragen den Ton anzugeben. Mindestens ebenso augenscheinlich wie das Paris des 18. Jahrhunderts verweiblichte auch das Wien des neunzehnten die Kultur. Lou Andreas-Salome bemerkte, daß die Wiener Intellektuellen ihre Genialität aus dem ständigen Umgang mit Frauen bezögen; Wiener Schriftsteller, umhegt von süßen Mädels, erwiesen sich gegenüber dem anderen Geschlecht nicht so kleinlich wie die Berliner oder Pariser Literaten. 11 Von Frauen organisierte Salons inspirierten Musiker, Maler und Schriftsteller zu höchsten Leistungen. Frauen machten ihre Favoriten zu Berühmtheiten; so etwa wurde Makart der am meisten idolisierte Maler des Jahrhunderts. Saar, Wolf, Mahler, Klimt sind nur einige wenige schöpferische Männer, die ihre fortgesetzte Kreativität der schützenden Gunst von Damen der Gesellschaft verdankten. Die fließenden Linien, wie die Künstler der Sezession sie bevorzugten — desgleichen die Wiener Werkstätte Josef Hoffmanns kamen dem femininen Geschmack entgegen, indem sie den weiblichen Figuren der Frauen schmeichelten. Sogar Züge des Wiener Impressionismus — Wankelmütigkeit, Passivität, die Begeisterung für latente Bedeutungen — sind Eigenschaften, die der Mann traditionsgemäß mit dem Weiblichen identifiziert. In seiner Einstellung zu den Frauen und dem Sex vereinigte Wien Extreme. Während manche Väter ihre Töchter in das Leben einer Dirne einführten — siehe den Fall Mizzi Veith 1907 —, litten die meisten Mädchen unter sexuellen Repressionen.12 Das frühe Interesse Freuds, Schnitzlers und Weiningers an Problemen der Sexualität entwickelte sich in einer Gesellschaft ausschweifender Männer und unterdrückter Frauen, in der eine handküssende Ritterlichkeit nur die Vergünstigungen verschleierte, die der Mann genoß. Für die meisten Männer und für nur wenige emanzipierte Frauen stellte der Sexus ein weiteres Betätigungsfeld ästhetischer Tändeleien dar.

Triumph der Konversation in Kaffeehaus und Feuilleton Im gesamten Habsburgerreich blühte das Kaffeehaus als kulturelle Institution. Es war eine Art öffentlicher Salon, wo sich Männer und Frauen aller Klassen zusammenfanden, um zu lesen, ihren Überlegungen nachzuhängen oder Konversation zu treiben. Wenngleich die Prager oder die Budapester nicht seltener ins Kaffeehaus gingen als die Wiener, war es doch die Kaiserstadt, die diese Institution berühmt machte. 13 In ihr stellt sich der Asthetizismus des Jungen Wien dar, dessen Schriftsteller sich zunächst im Café Griensteidl, später im Café Central versammelten. Schnitzler, Bahr, Altenberg, Hofmannsthal, Brahms, Hugo Wolf, Hanslick und viele andere hingen so sehr von ihren täglichen Begegnungen ab, daß Karl Kraus 1897 in Die demolierte Literatur anläßlich des Abbruchs des Café 130

Griensteidl ätzend schrieb, die Schule Hermann Bahrs werde in Ermangelung eines Foyers bald zugrunde gehen. 14 Unterdessen zogen sich die Literaten ins Café Central zurück; in den zwanziger Jahren gaben sie dann dem Herrenhof den Vorzug. Die Intellektuellen des Jungen Wien stammten zumeist aus neureichen Familien. Ästhetizismus bedeutete ihnen vor allem: Flucht vor dem Müßiggang durch Konversation, Liebhabereien und Gelegenheitsschriftstellerei. Sich in der Kunst zu versuchen, war ein angenehmer Zeitvertreib, ohne daß man sich auf größere Konsequenzen einlassen mußte. In seinem Roman Der Weg ins Freie (1908) zeichnet Schnitzler eine Gruppe von Ästheten rund um den Musiker Georg von Wergenthin, der die Nonchalance des Kaffeehauses ausstrahlt. Er lebt für den Augenblick, korrekt und liebenswürdig, trotzdem aber völlig egozentrisch und unentschlossen, günstige Gelegenheiten stets hinausschiebend und vergeudend - gleichsam ein männliches süßes Mädel. Wergenthin und seine Gefährten sind typisch für das unpraktische Wesen des Jungen Wien; in Hunderten von Kaffeehäusern unterhielten sich damals Intellektuelle miteinander, ohne an eine Veränderung der Realität auch nur zu denken. In einem Prager Mädchen, das ganze Seiten von Kierkegaard rezitierte in der Hoffnung, dadurch Bewunderer zu gewinnen, verkörperten sich die Grillen dieser Müßiggänger. 15 Auf diese bezog sich auch Graf Berchtold, Minister des Äußeren, als man ihn 1914 warnte, daß der Krieg mit Rußland im eigenen Land zur Revolution führen könnte: „Wer sollte wohl die Revolution machen?", fragte er. „Herr Trotzky im Café Central?" Hermann Bahr (1863—1934), ein in Linz geborener Katholik, glich einer Wetterfahne der Kaffeehausintellektuellen. 16 Nach Reisen durch Frankreich, Spanien, Rußland und die Schweiz war er 1894 nach Wien zurückgekehrt, um hier die Ideale des französischen Symbolismus zu verbreiten. Als Dramatiker und Kritiker wies Bahr ein geradezu unheimliches Geschick im Assimilieren und Verfechten einer jeden neuen Strömung auf. Im Kern Impressionist, war er von einer außergewöhnlichen Begeisterungsfähigkeit und entfaltete eine Begabung, die Werke anderer ins rechte Licht zu rücken. In seinem beständigen Hunger nach Neuem typisierte er den Kaffeehausklatsch, indem er — wie ein Seismograph — jede zu erwartende Schwankung und Schwenkung des Publikumsgeschmacks bereits vorausahnte. Er machte die ganze Skala vom Symbolismus zur Sezession und über den Expressionismus schließlich zum österreichischen Patriotismus durch. 1916 verkündete er seine Rückkehr zum Katholizismus. Seine Rezensionen von Dramen und Werken der bildenden Kunst waren eher Lobpreisungen des Künstlers als des Werkes, zumeist durch Gegenüberstellung zahlreicher Antithesen. Bahr, dem oft vorgeworfen wurde, daß seine Labilität eine moralische Integrität gar nicht mehr zuließe, war — nach dem Bonmot Kürnbergers — einer jener Wiener, die nicht nein sagen konnten. Ein zweiter, vielleicht noch stärker von der Kaffeehaussucht befallener Schriftsteller war Peter Altenberg (1859-1919), ein in Wien geborener Jude, dessen richtiger Name Richard Engländer war. 1893 stießen Schnitzler und seine Freunde im Café Central auf seine Arbeiten. 17 Sowohl Karl Kraus als auch Thomas Mann bewunderten Altenbergs impressionistische Studien des Wiener Lebens. 131

Vignetten von entwurzelten Menschen in Cafés beleuchten die Symbiose zwischen Großstadt und Impressionismus; Begegnungen sind flüchtig; das Leben besteht in kurzen Eindrücken und zufällig mitgehörten Gesprächen; Erfahrung bildet sich in mediis rebus, ohne daß etwas begonnen oder vollendet würde. Die Fragmente Altenbergs, von ihm als „Extrakte des Lebens" bezeichnet, spiegeln den ewigen Bohemien wider, der die Tage im Bummel von einem Kaffeehaus zum anderen hinbrachte. Wie Joseph Roth war er fast immer betrunken, und jeder Polizist kannte ihn als harmlosen Verfechter des Wahlspruchs carpe diem. Altenberg vermied den Satanismus des Pariser Fin de siècle und destillierte den wohlmeinenden Ästhetizismus Wiens zu Hymnen auf die absterbende Szenerie. Außer Konversation wurde jedoch im Kaffeehaus noch eine Menge anderes geboten. Im allgemeinen konnte man sich darauf verlassen, daß man in seinem Stammcafé sämtliche Tageszeitungen vorfand, die man sonst an weitverstreuten Kiosken hätte kaufen müssen. Für einige Stammgäste war das Kaffeehaus auch der Ort, wo sie ihre Post erledigen, ihre Wäsche in Empfang nehmen oder sich umkleiden konnten. Z u m Karten- oder Schachspiel bot sich reichlich Gelegenheit. Für gewöhnlich wurden auch Wahlversammlungen in Cafés oder Restaurants abgehalten, wo der Wähler aß und trank, ehe er seine Kandidaten anhörte. Auf solchen Versammlungen pflegte Lueger zu brillieren. So manches Buch wurde im Café geschrieben. In Studentenlokalen informierte der Ober den Neuankömmling darüber, welches Spezialthema gerade an welchem Tisch diskutiert wurde. Der Kaffeehauskameradschaft entsprach das literarische Genre, das als Wiener Feuilleton bekannt wurde. Der Begriff war um 1800 in Paris von dem Theaterkritiker Julien Louis Geoffroy (1743—1814) eingeführt worden; der Ausdruck bezeichnete den abtrennbaren unteren Teil der Titelseite einer Zeitung. Während sich in Deutschland Artikel „unter dem Strich" für gewöhnlich eher mit Kultur als Politik befaßten, entwickelte sich in Wien das Feuilleton zu einer Art redefreudigem Essay über jedes beliebige T h e m a , verfaßt mit der Verve und der Brillianz der Konversation. Lebhaft und flüchtig wie das Scherzen im Kaffeehaus, wurde das Feuilleton nach 1848 zu einem Musterstück an Geist u n d gutem Geschmack, das sowohl dem Bedürfnis nach Neuigkeiten entsprach, als auch die Nostalgie befriedigte. 18 Von einem Feuilletonisten wurde das Genre als diejenige Kunst definiert, über nichts etwas zu schreiben; als eine Fertigkeit, die weder beschrieben noch definiert werden könne, ohne daß man zu eben diesem Zweck — ein Feuilleton verfasse. Ein Vorläufer der Ringstraßenfeuilletonisten war der gutmütige Budapester Jude Moritz Gottlieb Saphir ( 1 7 9 5 - 1 8 5 8 ) , der von 1837 bis zu seinem Tod in Wien den Humorist herausgab. Seine Biedermeier-Sittenstudien strömen über von scherzhaftem Pathos, ähnlich dem des Berliner Humoristen Adolf Glaßbrenner ( 1 8 1 0 - 1 8 7 6 ) . Nach 1848 betonte die humoristische Skizze das Lokalkolorit, wie etwa in den Genrebildern des aus Wien stammenden Friedrich Schlögl ( 1 8 2 1 - 1 8 9 2 ) und des Schwaben Ludwig Speidel ( 1 8 3 0 - 1 9 0 6 ) . Eine beißende Variante schuf der Wiener Ferdinand Kürnberger (1821-1879), der wie Kraus die Sitten und die nachlässige Sprache seiner Zeitgenossen anprangerte. 19 In Reiseberichten und Genreszenen aus dem Wiener Leben brachten diese Schrift132

steller die Sehnsucht nach dem Wien vor 1848 zum Ausdruck. Ein weiterer Meister dieser Gattung war der Wiener Jude Daniel Spitzer (1835-1893), der zwischen 1865 und 1891 für die Neue Freie Presse seine Wiener Spaziergänge schrieb, in denen er die Schwächen und die Verschandelungen der Stadt festhielt. 20 Zwei andere Wiener, die für das Neue Wiener Tagblatt schrieben, Vinzenz Chiavacci (1847-1916) und Eduard Pötzl (1851-1914), ließen Nestroys Sarkasmus und seine Verwendung des Dialekts wieder aufleben. 21 Viele Gelehrte sehen im Feuilleton - abwertend — ein Symptom der Dekadenz und schreiben seine Popularität dem von Hermann Broch so bezeichneten „WertVakuum" zu. Claudio Magris ist der Ansicht, daß das Verfassen von Skizzen den Willen lähme und dem Dilettantismus Vorschub leiste. Verständnisvollere Urteile betonen die Rolle, die das Improvisieren beim Verfassen eines Feuilletons einnimmt. Das Genre ließ das Vergnügen des Biedermeier am Niederschreiben von Gelegenheitsversen und am improvisierenden Musizieren Wiederaufleben. Da das Feuilleton Stegreifschriftstellerei erforderte, kam es dem den Ungarn angeborenen Geschick im Extemporieren entgegen. Die Erfolge von Budapester Schriftstellern wie Saphir, Herzl, Nordau, Saiten stellten eine Blüte ungarischer Improvisation in einer deutschsprechenden Welt dar. Das Feuilleton war das natürliche Medium des Wiener Impressionismus. Viele der Neuerungen Arthur Schnitzlers (1862-1931) im Bereich der Novelle haben eine starke Ähnlichkeit mit der feuilletonistischen Technik. Seine inneren Monologe - in der Erzählung Ein Abschied (1896) in der dritten, in Leutnant Gustl (1901) in der ersten Person gebracht — können als gesprochene Feuilletons gelesen werden, in denen der Held über seine Vergangenheit nachsinnt, ähnlich wie Spitzer oder Speidel über die Vergangenheit Wiens. Verstrickt in den Konflikt zwischen Vergangenheit und Gegenwart, erwecken die Charaktere Schnitzlers schlummernde Erinnerungen zu neuem Leben, um irgendein Dilemma zu erhellen. Sowohl Schnitzlers innere Monologe als auch das Feuilleton setzen Erinnern in freier Assoziation voraus. In beiden Fällen bedarf es der gepflegten Konversation vor einer mitfühlenden Zuhörerschaft - in Schnitzlers Fall einem einzigen solchen Zuhörer. Als Freud 1896 schrieb, daß der Neurotiker ein an Reminiszenzen Erkrankter sei, hätte er damit sowohl Schnitzlers Charaktere als auch das Wiener Feuilleton beschreiben können. Der schärfste Kritiker des Feuilletons war Karl Kraus, der es als die Apotheose der Schlamperei in der Literatur erachtete. Mit dem Argument, daß der Subjektivismus des Feuilletons die gesamte Presse infiziert habe, klagte er die Journalisten an, den Verfall der bürgerlichen Welt zu beschleunigen. Sie hätten die Wahl zwischen der Pflege der Sprache Goethes, Jean Pauls und Nestroys oder dem Ertrinken in einem feuilletonistischen Meer von halber Poesie und halber Lüge. Ehe er 1899 mit der Veröffentlichung der Fackel begann, lehnte Kraus das Angebot ab, Daniel Spitzer als Feuilletonherausgeber bei der Neuen Freien Presse nachzufolgen; Theodor Herzl übernahm dann diese Position und benutzte sie, um Freunde wie Schnitzler und Zweig zu unterstützen. In einem Essay Heine und die Folgen (Wien 1910) wies Kraus nach, daß Heinrich Heine jenen unglücklichen neuen Stil - luftig, oberflächlich und populär - begründet habe, der an die Stelle des klassischen getreten war.22 Paradoxerweise verehrte Karl Kraus das 133

Werk Jean Pauls, der in vieler Hinsicht der erste Feuilletonist war. Wie wir sehen werden, entwickelte Kraus seine ganze Sprachphilosophie aus der Kritik am Feuilleton, das nach seiner Meinung die Identität von Sprache und Ethik entstelle. „Herodotus war der Feuilletonist der Antike — war auch er ein Bourgeois?" fragt Joseph Roth in einer Verteidigung des Feuilletons, die er im Juli 1921 veröffentlichte, um den Vorwürfen zu begegnen, es handle sich hier um ein indolentes Genre für Frauen und Kinder.23 Gleichsam Karl Kraus widersprechend, hielt er Heines Beschreibung von Paris für ethisch wertvoller als einen langweiligen Band voll statistischen Materials, den ein Pedant an Heines Stelle geschrieben hätte. Als Advocatus Diaboli erging sich Roth in wilden Wortspielen und Übertreibungen, er parodierte den Stil, den er ostentativ verteidigte. Mit seiner Virtuosität zeigte er noch einen anderen Vorteil des Feuilletons auf: man konnte damit sonst Unvertretbares in einer Debatte vertreten. Als Forum für überspitzte Ansichten konnte das Feuilleton in einer von der Etikette regierten Gesellschaft deren Anstandsformen zum Gegenstand der Satire machen. In den zwanziger und dreißiger Jahren erlebte das Feuilleton eine Renaissance. In Das große Bestiarium der Literatur (1924) klassifizierte der Wiener Franz Blei die zeitgenössischen Literaten als bizarre Arten von Vögeln und anderem Getier: Kafka war eine seltene mondblaue Maus, Hofmannsthal ein gazellenartiges, langbeiniges Geschöpf, gezüchtet aus D'Annunzio und Swinburne, Schnitzler dagegen ein Rennpferd, von den Frauen geliebt um seines melancholischen Feuers willen. In München veröffentlichte Roda Roda - ein aus Ungarn stammender Kavallerieoffizier namens Sandör Friedrich Rosenfeld (1872-1945) - im Simplicissimus komische Meisterwerke, zum Beispiel die Geschichte eines Eisbären im Zoo von Schönbrunn, der Beamter am Hof Franz Josephs wird.24 Ein weiterer Könner war der aus Budapest stammende Jude Felix Saiten (1869-1947), bürgerlicher Name Siegmund Salzmann, der mit seiner einfühlsamen Tiergeschichte Bambi. Eine Lebensgeschichte aus dem Wald (Berlin 1923) weltweite Anerkennung fand. Der ehrgeizigste unter den späteren Feuilletonisten war der Wiener Jude Egon Friedeil (1878-1938), bürgerlicher Name Egon Friedmann, der sich sowohl als Schauspieler wie auch als Autor hervortat. 25 1904 widmete er Kuno Fischer seine Doktorarbeit über Novalis' Universalwissenschaft, acht Jahre danach veröffentlichte er ein langes Feuilleton über seinen Freund Peter Altenberg. Ecce poeta (Berlin 1912) zeichnete den Wiener Verfasser skizzenartiger Schriften als wandelndes Kaleidoskop von Weltanschauungen. Wie Altenberg personifizierte auch Friedell selbst den Wiener Impressionismus. Nach seiner Ubersetzungsarbeit an Carlyles On Heroes, Hero-Worship and the Heroic in History im Jahre 1914 schloß sich Friedell der Ansicht des Schotten an, daß Helden Menschen seien, die die tägliche Realität pflichtgemäß und ohne Aufhebens meistern. Als Kabarettist fuhr er fort, sich auf allen Wissensgebieten umzutun, ehe er heimlich daranging, seine dreibändige Kulturgeschichte der Neuzeit. Die Krisis der europäischen Seele von der schwarzen Pest bis zum ersten Weltkrieg (München 1927-1932, Neuausg. 1960) zu schreiben. Angeregt von H. G. Wells' Outline of History (1920), produzierte der gelehrte Ästhet ein 134

gigantisches Feuilleton, voll von frappierenden Kapitelüberschriften, bemerkenswerten Anekdoten und exotischen Querverbindungen. Wie es einem Feuilleton ansteht, ist das Werk voll von Vorurteilen: der getaufte Jude bekämpfte Freud und zieht Frankreich Deutschland vor. Um die jüdische Vorsehungslehre herabzusetzen, hob er Piaton und Gnostiker wie Marcion in seinem unvollendeten Werk Kulturgeschichte des Altertums. Leben und Legende der vorchristlichen Seele (Zürich und London 1936-1949) in den Himmel. Als Bewunderer Hans Christian Andersens beklagte er alle Mechanisierung und war der Ansicht, daß das Industriezeitalter die Wirklichkeit erniedrigt habe, indem es die Kunst zum Selbstmord veranlaßte. Friedell, der über eine außergewöhnliche Konzentrationsfähigkeit verfügte, strebte nach dem Ideal des Universalgenies. Er war überzeugt davon, daß die Geschichte jede Bedeutung in sich birgt, die ihr ein Künstler nur immer unterstellen mag, und warf mit Einsichten um sich, die eher in einen Uberblickslehrgang aus Geistesgeschichte gepaßt hätten. Witzig und originell, wie sie sind, öfter noch frivol, stellen seine Aperçus eine unerschöpfliche Quelle provokanter Halbwahrheiten dar. 26 Wie sehr die Kritik Popularisierungen auch herabsetzen mag, Meister des Feuilletons wie Friedell haben weit eher deren Stärke als ihre Schwächen demonstriert. Das Feuilleton entzückte mehrere Generationen von Männern und Frauen, die reichlich Muße und keinen Bedarf an praktischen Anregungen hatten und die Improvisation zu schätzen wußten. In Wien sprach das Feuilleton die gleichen Regungen an wie die Operette und das Kaffeehaus; es überbrückte Klassenunterschiede und Anschauungsdifferenzen, indem es eine Musik aus Sprache hervorbrachte. Da das Feuilleton das Phäakentum verkörperte, brachte es Puristen wie Karl Kraus in Harnisch, den Impressionisten hingegen wie Schnitzler diente es als ein beständig sprudelnder Quell für immer Neues. Das Kaffeehaus und das Feuilleton schufen gemeinsam eine Atmosphäre, in der geistige Erneuerung gedeihen konnte, und wenn Freud auch behauptete, er verachte den betäubenden Lärm des Cafés, so war es doch ein Café, und zwar das Bellevue, das über Wien blicken läßt, wo er am 24. Juli 1895 zum erstenmal einen seiner Träume als Wunscherfüllung analysiert hat. 27 Zwar transzendierte Freud, ähnlich wie Kraus, die Sitten seiner Umwelt, aber wenn er nicht Schüler mit der Gabe des Popularisierens gefunden hätte, wäre er nie zu so weltweitem Einfluß gelangt. Jenes Wien, das er beklagte, brachte ihm Anhänger hervor wie Fritz Wittels und Theodor Reik, die mit ihren Feuilletons Freuds Botschaft unter einer ganz anderen Zuhörerschaft verbreiteten, als er selbst hätte ansprechen können.

Haßliebe zwischen Künstlern und Publikum Das Wiener Publikum, von Kunst übersättigt, zwang den Künstler, um seine Gunst zu werben. Die Opern- oder Theaterbesucher waren, was die Darbietungen anlangt, dermaßen au courant, daß Komponisten und Autoren ob der Aufmerksamkeit, die sich auf einige Glückliche richtete, von vornherein entmutigt waren. Diese Gönnerhaftigkeit des Publikums rief bei so verschiedenartigen 135

Männern wie etwa Beethoven und Karl Kraus die gleiche Haßliebe zu dieser Stadt hervor. Das Beklemmende dieser Emotion hat Grillparzer mit wehmütiger Einsicht in seinem Gedicht Abschied von Wien (am 27. August 1847) zum Ausdruck gebracht: Schön bist du, doch gefährlich auch. Dem Schüler wie dem Meister, Entnervend weht dein Sommerhauch, Du Capua der Geister. Weithin Musik, wie wenn im Baum Der Vögel Chor erwachte, Man spricht nicht, denkt wohl etwa kaum Und fühlt das Halbgedachte. Doch weil, von soviel Schönheit voll, Wir nur zu atmen brauchen, Vergißt man, was zum Herzen quoll, Auch wieder auszuhauchen. Die Institution, in deren geistiger Luft die Intimität zwischen Künstler und Zuhörerschaft gleichsam kristallisierte, war das 1741 von Maria Theresia gegründete Burgtheater. Unter Josef von Sonnenfels' Leitung bot es einer Stadt, in der jedermann seine Libido und seine Aggressionen genießerisch in Schauspiel umzusetzen pflegte, die hochgestochensten Aufführungen. 28 Jeder Schauspieler oder Sänger war stadtbekannt und erwartete jeden Augenblick, daß man ihn auf der Straße um ein Autogramm bat. In den Theatern wimmelte es nur so von Claqueuren; Schnitzler hat dies in seiner Erzählung Der Ehrentag (1897) drastisch dargestellt. Auf der vielgerühmten Vierten Galerie versammelten sich die Studenten und überschütteten ihre Lieblinge mit Applaus und Rosen. Als am 12. Oktober 1888 das alte Hofburgtheater nach einer Vorstellung von Goethes Iphigenie aufTauris seine Pforten für immer schloß, rissen die Zuschauer Holzstücke, Metall- und Posamentrieteile von der Einrichtung der Bühne und des Zuschauerraumes ab, nahmen diese Trophäen mit nach Hause und zeigten sie noch jahrzehntelang voll Stolz ihren Kindern, Freunden und Besuchern.29 Anläßlich des Todes eines bekannten Schauspielers trauerte ganz Wien; der Verlust wurde von allen bejammert, auch von jenen, die den Mann nie auf der Bühne gesehen hatten. Schauspieler wie Adolf von Sonnenthal (1834—1909), Alexander Girardi (1850-1918) und Josef Kainz (1858-1910) wetteiferten mit Bürgermeister Lueger um Popularität. Das Repertoire eines jeden Theaters war in allen Salons Gesprächsthema Numero eins, und ein Autor, der ein Stück am Burgtheater untergebracht hatte, wurde umschwärmt. Der Politik gegenüber verhielt sich die Öffentlichkeit relativ unbeteiligt, der Moral gegenüber nonchalant - von Schauspielern und Musikern aber verlangte sie das Letzte, bei ihnen erfüllte sie eine Aufsichtsfunktion, deren Akribie auch nicht das kleinste Detail entging. Zugleich stellte das Burgtheater eine Schule des guten Beneh136

mens dar, in der die Jugend durch Zusehen lernen konnte, wie man sich in einem Salon zu verhalten habe.30 Gleichsam um ihre Devotion für die Kunst zu demonstrieren, versagt sich die Bühne seit 1778 das Vor-den-Vorhang-Treten der Schauspieler nach dem letzten Aktschluß. Bei der Oper und vielen anderen Theatern auch ging es nach jeder Vorstellung an den Bühnenausgängen zu wie in einem Tollhaus, und die höchste Ehrung für einen Künstler bestand darin, daß ihm seine Verehrer die Wagenpferde ausspannten, um seine Abfahrt hinauszuzögern - oder um sich kurzerhand selber vorzuspannen und das Gefährt mit Menschenkraft bis vor das Hotel oder die Wohnung des Gefeierten zu ziehen. Obwohl dieses mit Kunst gleichsam durchtränkte Publikum stolz darauf war, als das wählerischeste der Welt zu gelten, entnervte seine Eitelkeit doch mehr als einen Autor, dessen Werke in dieser diffizilen Stadt ankommen sollten. In seinem Roman Der Weg ins Freie (1908) analysierte Schnitzler die Haßliebe zu Wien. Heinrich Bermann, ein aufstrebender jüdischer Dramatiker, kann weder mit noch ohne diese quälerische Stadt leben. Ähnliche Verbitterung äußerte 1905 Hermann Bahr: „Ich sage mir oft, ich sage mir täglich: Nein, man kann in Wien nicht mehr leben, fort! Hier sind nicht zwölf Menschen, die halbwegs europäisch empfinden. Und hinter ihnen ist gleich nichts; das Chaos. Aber dann malt Klimt ein neues Bild. Dann macht Roller den Tristan oder den Fidelio neu, Mahler dirigiert, die Mildenburg singt. Und ich sage mir dann: Ich könnte doch nirgends leben als in Wien, wirklich leben, was mir Leben ist."31 Seiner Theatermanie treu bleibend, heiratete der flatterhafte Bahr 1909 die Sängerin Anna Mildenburg, die er als einen der erlösenden Züge der Stadt bezeichnet hatte. Eine zusätzliche Bürde für Wiener Schriftsteller war der örtliche Dialekt; sie waren genötigt, mit ihren Kaufleuten in einer bestimmten Sprache zu reden, in den Salons aber in einer ganz anderen. Josef Weinheber (1892-1945), ein formalistischer Dichter aus dem unteren Mittelstand, klagte darüber, daß er sich gezwungen sehe, in zweierlei Sprache zu denken, Wienerisch und Hochdeutsch, und sah Nestroys größte Leistung in folgendem Tatbestand: „Er (Nestroy) kann nichts mehr tun, als das Wienerische mit dem damals noch sehr fremd ,geschraubt1 klingenden Hochdeutsch zu konfrontieren und auf solche Art seine komischen Wirkungen aus einer Sprachspannung zu erzielen, die wahrhaft genial ist, weil sie ihre Wurzeln eben in der Sprache hat."32 Karl Kraus wieder verdammte jegliche Mundart als Tummelplatz von Nachlässigkeiten. Keiner litt so sehr unter der Kluft zwischen dem Deutsch der Hochsprache und dem gesprochenen Wienerisch wie Hofmannsthal, der nach Überwindung seiner Krise 1902 eher danach strebte, die lebende Sprache zu reproduzieren, als den esoterischen Sprachgebrauch eines Stefan George zu beschwören. 1927 klagte Hofmannsthal über die deutsche Sprache: „Wir haben eine sehr hohe dichterische Sprache und sehr liebliche und ausdrucksstarke Volksdialekte... Woran es uns mangelt, das ist die mittlere Sprache, nicht zu hoch, nicht zu niedrig, in der sich die Geselligkeit der Volksglieder untereinander auswirkt."33 137

In keiner deutschsprachigen Stadt war das Fehlen einer mittleren Umgangssprache so auffällig wie in Wien. Der Umstand, daß jeder Wiener Schriftsteller den lokalen Dialekt sprach, förderte Idiosynkrasien im Sprachgebrauch. Häufige Diminutiva und das Ersetzen modaler Hilfszeitwörter durch „möchte" verliehen der Realität eine Vertrautheit, wie Kinder sie ihrer Umwelt zu geben pflegen. 34 Es schien, als wäre jeder Sprechende mit dem Ding, das er apostrophierte, befreundet: er besaß sein eigenes kleines Häuserl mit einem winzigen Türl und einem behaglichen Betterl. Die Welt selbst schien zu handlichen Proportionen zu schrumpfen. Indem er „ich könnte" oder „ich würde" durch „ich möchte" ersetzte, betonte der Wiener eine Art Optativstimmung, färbte er jede Feststellung mit einem Wunsch und machte aus jeder Absicht eine Gelegenheit zur Selbstbewunderung. Egal welcher Gesellschaftsschicht man angehörte, man konnte sich einen Akzent niedrigerer Schichten leisten; das sogenannte „Schönbrunndeutsch" etwa war nur eine verfeinerte Version des Ottakringerischen. In Dialogen, wie Altenberg oder Schnitzler sie niedergeschrieben haben, verschwand jeglicher Klassenunterschied. Nichts hat so sehr zur Förderung der Solidarität innerhalb der Großstadt beigetragen wie die Hartnäckigkeit des Wiener Dialekts nach 1900, in welchem partikularistische Verhaltensweisen in einer industrialisierten Gesellschaft fortlebten. Fremden gegenüber wird der Dialekt zur Abwehrhaltung, gegenüber dem Norddeutschen garantiert er sogar eine Art Isolierung. Für den Wiener bedeutet seine Mundart die Ermutigung, seine Stadt als eine privilegierte Bühne des Welttheaters anzusehen, auf der Rituale überleben, um jeden Besucher mit barocker Vielfalt zu erbauen.

8. MUSIKER U N D MUSIKKRITIKER

Walzer und Operette: Frivolität als politische Waffe Nach 1840 machte der Walzer Wien zu einem Z e n t r u m der elegantesten Tanzmusik der Welt, so wie um 1800 die Werke Mozarts und Haydns Europa für die Wiener symphonische Musik eingenommen hatten. Seit dem Zweiten Weltkrieg werden der Walzer und mit ihm die österreichischen Mehlspeisen gerne mit jener Art von Sentimentalität identifiziert, die man in der Umgangssprache als „Schmalz" bezeichnet. Zahllose Lieder über Wien, getragen von flauen Melodien und Sacharinlyrik, quellen über vor Nostalgie nach irgendeinem vergangenen Ereignis oder Plätzchen. Im berühmtesten dieser Lieder, „Wien, du Stadt meiner Träume", geschrieben und k o m p o n i e r t 1913 von dem Wiener 138

Feuilletonisten und Beamten Dr. Rudolf Sieczynski ( 1 8 7 9 - 1 9 5 2 ) - es war sein O p u s 1 - , sammelt sich diese ganze W a c h t r a u m s t i m m u n g . Sein Urheber, zu dessen Vorfahren Polen, Italiener, Franzosen u n d Deutsche zählen, personifizierte gleichermaßen die verschiedenartige H e r k u n f t der Wiener Lebensart und Musik. Der Walzer aber drückte weit mehr aus als Nostalgie. Er hatte sich aus dem bäuerlichen Ländler entwickelt, der seinerseits vom Jodeln abgeleitet werden kann, das darin besteht, daß man auf der Dominante ein Arpeggio singt. 1 Unter den komponierenden und dirigierenden Händen von Josef Lanner (1801—1843) und Johann Strauß Vater (1804-1849) wurde das Tempo lebhafter als beim langsamen Rundtanz, dem Ländler, bei welchem prononcierte Pausen einen Stillstand markierten. Der Walzer füllte diese Pausen mit wirbelnden Bewegungen, schuf eine Hymne des Gleitens, die man ebensosehr verurteilte wie rühmte. Der aus Schlesien stammende Heinrich Laube (1806-1884), der später, von 1850 bis 1867, das Burgtheater leitete, zeigte sich 1833 angesichts der Melodien von Johann Strauß Vater schockiert: „... afrikanisch-heißblütig, lebens- und sonnenscheintoll, zappelnd unruhig, modern verwegen, unschön leidenschaftlich ... Er verzaubert uns ebenfalls und treibt die bösen Teufel aus unseren Leibern, er befängt unsere Sinne mit dem süßen Taumel des modernen Exorzismus seiner Walzer. Ekstatisch leitet er auch seine Tänze: die eigenen Gliedmaßen gehören ihm nicht mehr, wenn sein Walzerdonnerwetter losgeht ... Ich weiß nicht, was er außer Noten versteht, aber ich weiß, daß der Mann sehr viel Unheil anrichten könnte, wenn er Rousseausche Ideen geigte. Die Wiener machten in einem Abende den ganzen contrat social mit ihm durch." 2 In Wirklichkeit war der Walzer alles andere als ein Stimulans zur Revolution; im Gegenteil, vielleicht hat er sie sogar aufgeschoben, die Wiener beschwichtigt, sobald Straußsche Musiker aufgeigten. Dieser Tanz, der in der Hofburg wie in den niedrigsten Tanzhallen gleich beliebt war, schien alles andere zu sein als erotisch, da sich die wirbelnden Paare aus Balancegründen voneinander abhalten, also „offen" tanzen mußten. Dennoch hatte das sich bisweilen über viele Minuten ausdehnende ununterbrochene Drehen - nicht selten in den Armen eines fremden Partners beziehungsweise einer unbekannten Partnerin - am Ende etwas Berauschendes an sich. In seiner Erzählung Marianne (1874) schildert Ferdinand von Saar, wie ein solcher Walzer Jahre der Unterdrückung hinschmelzen lassen und einen Flirt zur Leidenschaft anfachen konnte. Trotz oder gerade wegen seiner raschen Bewegung schien dieser Tanz die Zeit stillstehen zu lassen, wie er zugleich einen Hang zur Lebhaftigkeit inmitten unterbrochener Lebenstätigkeit symbolisierte. Nach 1850 verlangte das Tanzpublikum nach neuen Melodien zur Belebung seiner zahllosen Bälle, insbesondere während des Faschings. Keiner wurde diesem Verlangen im gleichen Maße gerecht wie der „Walzerkönig" Johann Strauß Sohn (1825—1899), dessen Leben das phäakische Wien, das er liebte, widerspiegelte. 3 Er war dreimal verheiratet, litt unter Anfällen von Depression und erlebte dazwischen schöpferische Rasereien; seine Exzentrizität trug er ungeniert zur Schau. Mehr als sonst etwas fürchtete er, eine Melodie zu vergessen, bevor 139

er sie niedergeschrieben hatte; so ging ihm einmal ein Thema, das er auf einem Leintuch skizziert hatte, in der Wäscherei verloren. 4 Wie Freud hatte auch er Angst vor Bahnfahrten, pflegte bis tief in die Nacht hinein zu arbeiten u n d machte dabei nur hin und wieder eine Pause, um seiner Frau einen zärtlichen Brief zu schreiben. Johann Strauß Sohn führte den Orchesterwalzer zur Perfektion, indem er aus einem unbedeutenden Modell dekorative Meisterwerke schuf. Mit einem Improvisationstalent, das an das Feuilleton erinnert, wandte sich Strauß nach 1870 der Operette zu, die er nach dem Vorbild der Opera comique des deutschen Juden Jacques Offenbach konzipierte. 1856 hatte Nestroy die erste von 65 O f f e n b a c h - O p e r e t t e n in W i e n zur A u f f ü h r u n g gebracht. Die Straußsche Fledermaus (1874), eine Adaption des Stückes Doktor Wespe (1843) aus der Feder des Leipzigers Roderich Bendix (1811—1873), schuf ein ganz neues Genre, das dem E m p f i n d e n des Ringstraßen-Wien entgegenkam. Max Steiners Libretto zeichnete Aristokraten, Geschäftsleute u n d Dienstboten, die sich in einer Atmosphäre der Beschwingtheit miteinander vermengten, und verpackte darin wohl die Unzufriedenheiten der liberalen Ära. Außer daß sie Klassenunterschiede versöhnlich darzustellen suchte, befaßte sich die Operette auch satirisch mit der Bürokratie und ihrer gutmütigen Schlamperei. Vor allem, aber quoll sie über vor Eigenliebe zu Wien und bediente sich — um die Vielfalt gesellschaftlicher Typen auszuspielen - des Wiener Dialekts u n d des ungarischen Akzents. Wenngleich Die Fledermaus zunächst nicht gut ankam, gewann sie doch rasch an Beliebtheit, insbesondere da ihr Erscheinen so knapp auf die Katastrophen von 1873 folgte: den Börsenkrach und die Choleraepidemie, die die Weltausstellung zunichte gemacht hatten. 1882 besuchte Johann Strauß Ungarn u n d bemühte sich danach, in seinem Zigeunerbaron (1885), der auf eine Erzählung von Jökai zurückgeht, einen Beitrag zur Versöhnung zwischen Magyaren und Deutschen zu leisten. Strauß wird wegen seiner Fledermaus und des Zigeunerbarons als Großmeister der Wiener Operette gefeiert, obwohl er diese Gattung keineswegs besonders liebte u n d ihm infolge zu vieler mittelmäßiger Librettos weit mehr Mißerfolge als Erfolge beschieden waren. Leichte Opern, wie Friedrich von Flotows Martha (1847) und Franz von Suppes Schöne Galathee (1865), waren schon vor Strauß erschienen. Nach 1880 hatte eine Reihe von Operetten durchschlagende Erfolge: Der Bettelstudent (1882), in dem der aus Wien stammende Karl Millöcker (1842—1899) polnische Verschwörer aufs Korn nahm; Karl Zellers ( 1 8 4 2 - 1 8 9 8 ) tirolerischer Vogelhändler (1891), Richard Heubergers (1850 bis 1914) komisches Wiener Stück Der Opernball (1898). Der aus dem slowakischen K o m o r n stammende Franz Lehar (1870—1948) hatte das Glück, Heubergers Librettisten Viktor Leon (1858—1940) zur Mitarbeit an dem weltbekannten Ulk über Balkan-Politik, Die lustige Witwe (1905), zu gewinnen. Nach 1920 wurde die Operette wienerischer Prägung auch in den USA populär, und zwar durch Kompositionen des aus Ungarn stammenden Sigmund Romberg ( 1 8 8 7 - 1 9 5 1 ) und des Pragers Rudolf Friml ( 1 8 7 9 - 1 9 7 3 ) . Obwohl ihre Produktionen heute etwas künstlich anmuten, sind sie doch voll von Melodien und Gefühlen, die des Vorkriegs-Wien würdig wären; das Lokalkolorit, das sich bei 140

Lehär oder Johann Strauß findet, vermißt man hier allerdings. Genau wie die Operette der Stildemokratie des Ringstraßen-Wien Tribut zollte, schmeichelten auch Theaterstücke wie jene Franz Molnärs oder Hermann Bahrs der Gesellschaft, die - zumindest im Theater - an eine Harmonie zwischen den Klassen glauben wollte. Gleichsam Operetten ohne Musik, stellen Molnärs Liliom (1909) oder Bahrs Schauspiel Das Konzert (1910) eine Idylle der Klassensolidarität dar, die der aus Ungarn stammende Ödön von Horväth (1901-1938) in ätzenden Dramen, wie etwa Geschichten aus dem Wienerwald (1931), zertrümmerte. Bis 1918 und auch später noch entsprach die in der Operette dargestellte Frivolität während des Faschings durchaus der Wirklichkeit. 5 An einem einzigen Abend fanden oft bis zu fünfzig Bälle statt, die zwischen 1 Uhr und 5 Uhr morgens ihren Höhepunkt erreichten. Bei den meisten dieser Veranstaltungen konnte ein Mann mit jeder beliebigen Dame tanzen; er teilte ihr seinen Wunsch mit, indem er ihr eine Rose schenkte. Oft waren die Damen maskiert, und während des Tanzens war Konversation tabu. Wenn also ein Bummler an einem Abend mehrere Bälle besuchte, konnte er mit zahllosen Partnerinnen aus der besten Gesellschaft Walzer tanzen, die ihn tags darauf einfach nicht mehr kannten. Manche Bälle wurden von Aristokraten wie Pauline Metternich organisiert, um wohltätige Zwecke oder die Kunst zu fördern, die untere Mittelschicht dagegen inszenierte ihre Veranstaltungen selbst; meist wimmelte es dort von jungen Herren auf der Suche nach einem „süßen Mädel". In den Vorstädten zogen übermütige Wäscherinnen Bälle auf, wo sich Offiziere und Aristokraten in Hülle und Fülle einfanden. Im Wurstelprater blühte das ganze Jahr über das Amüsement; wann immer einem nach einer Liaison zumute war, dort brauchte man nur danach zu greifen. 1873, während der Weltausstellung, war der Prater erweitert worden und konnte sich danach solcher Wunderdinge wie des Riesenrades, errichtet 1897, rühmen und ab 1909 der „Hochschaubahn", der größten Achterbahn Europas. Es schien beinahe, als wäre es der Wunsch der Wiener, den technologischen Fortschritt auf den Vergnügungspark zu beschränken. 6 Maskenbälle förderten den Geist der Flüchtigkeit, wo ein jeder mit Damen der Gesellschaft tanzen konnte, vorausgesetzt, daß er keine längerdauernden Bindungen anstrebte. Dadurch, daß diese Bälle jene Einheit der Klassen zur Realität werden ließen, die in den Operetten so gerühmt wurde („Brüderlein und Schwesterlein wollen alle wir sein, stimmt mit uns ein"), halfen sie die Wiener jung und bei Laune zu erhalten. Während des übrigen Jahres blieben Festlichkeiten privat und bestanden oft in einem Diner im häuslichen Rahmen. Freitag war der Abend der Eleganz - die Galavorstellungen der Theater gestatteten es jedem, seine Kleidung und seine Manieren zur Schau zu stellen. Dem Touristen mußte Wien - den Fasching ausgenommen — langweilig erscheinen, da sich das gesellschaftliche Beisammensein eher privat als in Nachtklubs abspielte. Nach 1890 lockten außer Theater und Tanz auch Sportveranstaltungen als Zeitvertreib der unteren Mittelschicht. Seit damals erfreuen sich Fußballspiele am Sonntagnachmittag großer Beliebtheit und stellen seit 1920 ein Ablaßventil für Energien dar, die früher einmal nur am 1. Mai beim Korso im Prater freigesetzt werden konnten. Nach 1890 nahm die Jugend auch die Gelegenheit wahr, mit dem Fahrrad aufs Land zu fahren, die Verwegeneren begannen sich fürs Schi141

fahren zu interessieren. Zwar dauerte es bis nach 1945, daß der Schisport wirklich zu einem Massensport wurde, seine Grundtechniken perfektionierte in Österreich jedoch der aus Mähren stammende Matthias Zdarsky (1856-1940), der schon 1905 den Slalom erfand. Der Arlberger Hannes Schneider (1890-1955) machte nach 1920 den Stemm-Kristiania bekannt; beide Männer hatten rudimentäre Formen, die um 1870 aus Norwegen eingeführt worden waren, aufgegriffen und weiterentwickelt. Durch Sport, Tanz, Theater und Konzertbesuch pflegten die Wiener ein Zusammenleben, in welchem die Sehnsucht nach der Gemeinschaft gedieh. Ästhetizismus heilte die von der Politik geschlagenen Wunden, vereinigte Juden und Christen, Kutscher und Adelige, Bettler und kaiserliche Hoheiten in einer gemeinsamen Verehrung für die Kunst. Die von Hermann Broch so bezeichnete Stildemokratie Wiens erstrahlte am 1. Mai im Prater in besonderem Glanz. In der Prater-Hauptallee fuhren Aristokraten, Schauspieler, Politiker und Geschäftsleute durch ein Spalier von jubelnden Bürgern. Noch bis 1910 gaben sich Arme und Arbeitslose alle Mühe, ihre Idole nicht zu verlieren und nahmen an einem Volksfest ähnlich dem aus dem dritten Akt von Richard Wagners Meistersingern teil. Allen jenen, die sich fragen, wieso Wien nicht unter den Spannungen rassischer und bürokratisch-politischer Art explodierte, sollte dieses Schauspiel, in dem sich alle Klassen zur Feier der sie einigenden Bande zusammenfanden, zu denken geben. In einem alljährlich wiederkehrenden Uberfließen stützte die Kunst die Politik in einer Art und Weise, von der Wagner nur hatte träumen können. Obwohl der Asthetizismus den Uberlebenswillen Wiens letzten Endes untergrub, war die Liebe zur Kunst für Jahrzehnte der Zügel aller Auseinandersetzungen und die Krücke des Stolzes der Stadt. Nach einem Theaterbesuch oder nach dem Maikorso im Prater mochte so mancher Wiener mit Gleichmut in sich die Vorstellung getragen haben, daß seine Stadt der Angelpunkt des Universums sei. Wo sonst hat der Augenschein in so bezaubernder Art die Wirklichkeit versüßt? Eduard Hanslick: Ästhet und Musikdiktator Die Musik stellte zweifellos Wiens bevorzugte Unterhaltung dar. Hausmusik war so verbreitet, daß es ein Gesetz gab, welches das Musizieren nach 23 Uhr verbot. Viele Familien veranstalteten sonntäglich Musiknachmittage, zu denen sie junge Musiker einluden. In diesen Kreisen schätzte man Brahms mehr als Richard Wagner, da die Kammermusik besser zur intimen Atmosphäre paßte. Aristokratenfamilien ließen sich die Förderung junger Musiker angelegen sein. Der galizische Jude Arthur Schnabel (1882-1951) studierte in Wien von 1891 bis 1898 unter drei bekannten Meistern Klavier, einer von diesen war Paderewskis Lehrer Theodor Leschetitzky (1830-1915). Acht Jahre hindurch wurde Schnabels Unterhalt von drei aristokratischen Wohltätern bestritten, die weder den jungen Mann noch seine Familie je gesehen hatten; sie zogen es vor, ihre monatlichen Zuwendungen durch einen Anwalt überweisen zu lassen.7 Obwohl Schnabel nur wenige Monate eine Schule besucht hatte, ließen die Behörden ihn ungeschoren. 142

Im Klavierrepertoire nahmen überladene Bravourstücke den ersten Platz ein; Mozarts Konzerte blieben so gut wie unbekannt, die Beethovens galten als für einen Virtuosen zu leicht. Gleichzeitig erreichte die Qualität des Orchesterspiels eine außergewöhnliche Höhe. Die Wiener Oper unterhielt ein Orchester, in dem jeder Posten doppelt besetzt war, es hatte insgesamt rund 200 Mitglieder. Diese Musiker konnten, da sie nicht überlastet waren, die hochgeschraubten Erwartungen des Publikums zufriedenstellen. Der Norddeutsche Otto Nicolai (1810-1849) bildete aus ihnen das heute weltberühmte Orchester der Wiener Philharmoniker, das seit damals an zehn Sonntagen des Jahres ein Vormittagskonzert gibt; eines davon zum besonderen Gedächtnis seines Gründers, das Nicolai-Konzert. Die Mitglieder der Philharmonie probten unter der Leitung des aus Ungarn stammenden Hans Richter, später unter seinem Nachfolger Gustav Mahler bis zur Erlangung absoluter Perfektion. Viele von ihnen waren auch als Quartettmitglieder bekannt, alle aber genossen solche Popularität, daß sie von Fremden auf der Straße gegrüßt wurden, als ob sie Solisten wären. Von 1860 bis 1900 war Eduard Hanslick (1825-1904) die am meisten gefürchtete Persönlichkeit im Wiener Musikleben. Heute erinnert man sich seiner hauptsächlich noch als jenes Mannes, der Wagner, Bruckner und Hugo Wolf verunglimpfte. 8 Hanslick begründete sein Prestige durch seine Feuilletons, die er in der Neuen Freien Presse veröffentlichte - jeweils zwei bis fünf Tage nach einem Konzert. Er war gebürtiger Prager; sein Vater, ein Tscheche, hatte nach einem Lotteriegewinn eine seiner Musikschülerinnen, eine Jüdin, geheiratet. Eduard studierte in Wien Jura und Musik und promovierte 1849 zum Doktor juris; schon ein Jahr zuvor hatte er mit dem Veröffentlichen von Musikkritiken begonnen. Ab 1855 publizierte er alle zwei Wochen Artikel in der Presse, seit 1864 in der Neuen Freien Presse, 1865 wurde er Privatdozent, 1870 Professor für Ästhetik und Geschichte der Musik an der Universität Wien. Hanslick ließ ein Klavier in seinen Hörsaal stellen und las durch vierzig Jahre über die Grundgesetze des musikalischen Geschmacks - vermutlich die ersten Vorlesungen, die jemals zum Problem der Würdigung von Musik gehalten worden sind. Hanslick gab sich ganz dem Geschmack und den Faibles des kultivierten Wien hin. Er kleidete sich wie ein Dandy, schnupfte Tabak, machte den Damen den Hof, brillierte stets mit den neuesten Anekdoten und spielte mit Begeisterung Straußsche Walzer. Doch sobald man seine Eitelkeit verletzte, verwandelte sich seine Liebenswürdigkeit schlagartig in Sarkasmus. Er verehrte die italienische Oper und die französische Orchestermusik; Wagner gegenüber legte er eine unversöhnliche Feindseligkeit an den Tag und beschuldigte ihn, die Musik zu verderben. 1862 nahm er an einer Zusammenkunft teil, bei welcher Wagner das Libretto seiner Meistersinger vorlas; in dieser frühen Version hieß der philiströse Beckmesser noch Veit Hanslich. Hanslicks Abneigung gegen Wagner beruht auf einer von Herbart beeinflußten Ästhetik, die er in seiner Studie Vom Musikalisch-Schönen. Ein Beitrag zur Revision der Ästhetik der Tonkunst (Leipzig 1854) vorgelegt hatte. Hanslick lehnte jede Art von Programmusik ab und verlangte, Musik müsse aus „tönend bewegten Formen" (Arabesken) bestehen, deren Wechselbeziehungen Eindrücke von Schönheit hervorrufen. Der wahre Komponist wird nicht von irgendwelchen 143

Emotionen, sondern von einem inneren Singen angetrieben, das Formverwandtschaften aufschließt, die durch kein anderes Medium als die Musik zum Ausdruck gebracht werden können. Spannungen, wie die durch Wagners Chromatizismus erzeugten, rührten nicht aus innerlichen Emotionen wie Liebe oder Schmerz, sondern aus dem Erlebnis der Integration und Desintegration musikalischer Formen her. Hanslick schloß folgerichtig, daß in einem Lied der Text keinerlei Rolle spiele, der Interpret könnte den Text vertauschen, ohne dadurch die Musik zu affizieren. Als Kritiker freute er sich darüber, daß motivationsbezogene Eigenschaften, wie die Griechen sie der martialischen Phrygischen Tonart oder der erotischen Dorischen zugeschrieben hatten, für immer verschwunden waren. Und wenngleich Hanslick die Märsche und Walzer der Straußdynastie genoß, so tat er dies vermutlich gleichfalls nur aus formalistischen Gründen. Da Hanslicks Credo den Komponisten von allen außermusikalischen Skrupeln befreite, hätten seine Opfer wie Wagner, Bruckner und Hugo Wolf sich gerade auf seine Doktrin berufen können, um ihre Experimente zum Erschaffen neuer Formen zu rechtfertigen. Als Klassizist verachtete Hanslick jede Art von Musik, die emotionelle Tiefen anspricht, und stellte Klarheit über Ausdruckskraft.9 Dem Ästhetizismus des Ringstraßen-Wien getreu, wollte er Musik genießen, ohne von ihr überwältigt zu werden. Seine Ästhetik hat im Werk Suzanne K. Langers eine Renaissance erlebt. Langer studierte Anfang der zwanziger Jahre in Wien. Sie übernahm Hanslicks Gleichsetzung der Form der Musik mit deren Inhalt und gibt zu, daß in seiner Ablehnung musikalischer Onomatopöie ihre Deutung der Musik als „unvollendetes Symbol" bereits vorweggenommen sei.10 Angeregt durch den Chirurgen Theodor Billroth, lernte Hanslick den Norddeutschen Johannes Brahms (1833-1897) in zunehmendem Maße schätzen. Brahms, der sich 1862 in Wien niedergelassen hatte, pflegte danach seine kammermusikalischen Werke in der Wohnung Billroths zur Erstaufführung zu bringen. Der weltberühmte Chirurg schrieb eine Abhandlung über Musikalität, die Hanslick nach Billroths Tod unter dem Titel Wer ist musikalisch? (Leipzig 1896) veröffentlichte. Mit zunehmendem Alter wurde Brahms zu einem Exzentriker; in der Öffentlichkeit zeigte er sich zumeist mit seinem Assistenten Max Kalbeck, der eine vielbändige Biographie des Meisters verfaßte, von Spöttern in Anspielung auf Brehms Tierleben — „Brahms Stilleben" genannt. Für Hanslick war die Musik seines Freundes die Erfüllung seiner eigenen, Herbartschen Ideale. Hanslicks Nachfolger an der Wiener Universität war der aus Mähren stammende Jude Guido Adler (1855—1941), der die modernen Musikwissenschaften revolutionierte.11 Adler wurde 1878 in Wien promoviert. Ungeachtet seiner Bewunderung für Wagner ermutigte ihn Hanslick, bei Bruckner zu studieren. Nach seiner Habilitation in Wien wirkte Adler von 1885 bis 1898 als Professor für Musikwissenschaften in Prag, in der Folge bekleidete er diese Stellung als Nachfolger Hanslicks bis 1927 in Wien. Hier gründete er die Wiener Schule der Musikgeschichte, die in mindestens zweierlei Hinsicht Ähnlichkeiten mit der Wiener Schule der Kunstgeschichte aufwies. Erstens studierte Adler Komponisten im Konnex mit ihrer Gesellschaft, wenn auch nicht in Beziehung zu anderen Kunstzweigen, und zweitens verband er die Aufführung von Musik mit Musik144

geschichte, ganz in der Art von Kennern wie Wickhoff oder Schlosser auf ihrem Gebiet; er hielt es für unerläßlich, daß ein Musikwissenschaftler mit der Musikpraxis der Gegenwart vertraut sein müsse, wollte er die Vergangenheit interpretieren. In seinem zweibändigen Handbuch der Musikgeschichte (Frankfurt 1924, zweite Auflage Berlin 1930) erarbeitete Adler eine Periodenkunde der Musikstile, die sich bis heute behauptet hat, und hob vor allem hervor, daß in der Zeit von 1600 bis etwa 1880 eine stilistisch gleichgeartete, „gemeinsame" Musikpraxis geherrscht habe. Wie hoch Adler die klassische Wiener Schule Mozarts, Haydns und Beethovens auch verehrte, so bedauerte er doch Hanslicks Vorurteile gegen die Modernen und organisierte selbst Konzerte mit Werken seiner Freunde Mahler und Schönberg. Adler erhob die von Hanslick gegründete Disziplin auf die Stufe eines ausbaufähigen Wiener Gelehrtentums.

Vier verfolgte Neuerer: Bruckner, Wolf, Mahler, Schönberg Die vier einfallsreichsten Komponisten Österreichs, die in der Zeit zwischen 1880 und 1938 tätig waren, litten ohne Unterschied unter den Schmähungen Hanslicks. Der erste dieser Märtyrer und der vielleicht am meisten idiosynkratische war Anton Bruckner (1824-1896). 1 2 Der aus Oberösterreich gebürtige Musiker, Abkömmling von Bauern, Handwerkern und Dorfschulmeistern, verdiente von 1845 bis 1855 sein Brot als Lehrer in St. Florian, ab 1848 auch als Organist am dortigen Stift. Von 1855 bis 1868 bekleidete er die Stelle eines Domorganisten in Linz. 1865 begegnete er in München dem von ihm zeitlebens geradezu vergötterten Richard Wagner. Er schuf neun große Symphonien, die von Hanslick, der dem Orgelvirtuosen Bruckner lebhaften Beifall zollte, aufs gröblichste verunglimpft wurden. 1868 zog Bruckner nach Wien und unterrichtete sowohl privat als auch am Konservatorium Komposition. Als Lektor für Harmonielehre und Kontrapunkt an der Universität Wien (ab 1875) verblüffte er seine Studenten, indem er sie mit „Brüder Gaudeamus" anredete, bäuerliche Gewänder trug und sich zum Gebet niederkniete, sobald das Angelusläuten erklang. Erst als er durch seine Siebente Symphonie nach deren Uraufführung in Leipzig 1884 Weltruhm erlangt hatte, wurde er auch in Wien zusehends anerkannt. 1891 zeichnete man Bruckner zur Bestürzung Hanslicks - als ersten Komponisten überhaupt mit dem Ehrendoktorat der Universität Wien aus; Kritiker hatten dergleichen Ehrungen routinemäßig erhalten. Im Juli 1895 durfte der kränkliche Künstler dank Fürsprache der Erzherzogin Valerie, einer Tochter des Kaisers, eine Gratiswohnung im Kustodenstöckl des Belvederes beziehen, wo er sich bis zu seinem sechzehn Monate später erfolgenden Tod der schönen Parkanlagen erfreute. Christian von Ehrenfels, der von 1880 bis 1882 unter Bruckner Komposition studierte, erinnerte sich der Naivität seines Lehrers. Einmal, als Ehrenfels zu Bruckner kam, fand er diesen bei der Lektüre von Schillers Wallenstein. Bruckner ging auf und ab und fragte seinen Schüler: „Ja, sag'n S' mir, is dös wirklich woahr, daß der Wallenstein den Kaiser hat verraten woll'n?" 13 Mit seiner plumpen Kleidung und seinem rustikalen Akzent wurde Bruckner zu einer Zielscheibe 145

des Gelächters der Ringstraßengesellschaft. Um der Musik Überirdisches zu verleihen, erweckte er die sakrale Musik des Barock zu neuem Leben, griff er zurück auf die Zeiten Mozarts, Haydns, Beethovens und Schuberts, die die Messe nach weltlichen Vorbildern umgeformt hatten. Bruckner, der von einem kindlichen Glauben an Gott und die göttliche Vorsehung erfüllt war, schien das totale Gegenteil von Mahler zu sein, den die Grausamkeiten in der Schöpfung Gottes so bedrückten, daß er sich ein Leben nach dem Tod ersehnte. Hanslick tat Bruckners gewaltige symphonische Kompositionen als „wagnerisch" ab, und seine breiten Adagios langweilten die Aristokraten, die lieber Strauß hörten. Diese Mißachtung seiner Symphonien traf Bruckner tief. Dafür durfte er als Organist wahre Triumphe feiern. Als größter Virtuose seiner Zeit wurde er umjubelt, der Kaiser ehrte ihn, und an der Piaristenkirche in der Josefstadt (Wien 8) wurde zu seinen Ehren eine Tafel angebracht, die von seiner Maturitätsprüfung im Orgelspiel am 19. November 1861 kündete. Einer seiner Prüfer hatte damals erklärt: „Der hätte uns prüfen sollen." Ein zweiter katholischer Komponist, den Wien nahezu völlig ignorierte, war Hugo Wolf (1860—1903), 14 Sohn eines deutschen Vaters und einer slowenischen Mutter. Der Vater, selbst musikalisch begabt, konnte sein Talent nicht entfalten, er mußte sich dem ererbten Ledergeschäft widmen. Hugo studierte an einer Kärntner Klosterschule und inskribierte 1875 am Wiener Konservatorium. Etwa um 1880 war Wolf ein so glühender Verehrer des Dichters Kleist, daß er dessen Penthesilea wie ein Brevier mit sich umhertrug, in der vergeblichen Hoffnung, sie einmal zu vertonen. Der Bruckner-Bewunderer Hugo Wolf mußte sich als Klavierspieler, Musiklehrer und Kritiker durchschlagen; von 1884 bis 1887 schrieb er für das Wiener Salonblatt, wobei er in seiner Verteidigung Richard Wagners den Stil Hanslicks parodierte. Da er es gewagt hatte, sich über Brahms und Hanslick lustig zu machen, ignorierte die Presse 1888 die Veröffentlichung seiner 53 Mörike-Lieder. Nach und nach erwarb er eine erlesene kleine Gefolgschaft, zu der Hermann Bahr und die Frauenrechtlerin Rosa Mayreder gehörten, die er im berühmten Café Griensteidl kennengelernt hatte. 1887 verliebte er sich in eine verheiratete Frau, Melanie Köchert, und widmete sich ab dieser Zeit in immer selbstloserer Hingabe seinen Kompositionen. Den bescheidenen Lebensunterhalt verdiente er sich nach wie vor mit Musikunterricht; unter anderen zählten auch die Kinder von Freuds Kollegen Josef Breuer zu seinen Schülern. Wie Bruckner war auch Wolf ein „kleiner Mann", der seines Talentes wegen unter Verfolgungen zu leiden hatte. Trotz seiner streng katholischen Erziehung erlag er der Faszination, die von der berauschenden Boheme-Atmosphäre des Café Griensteidl ausging; frohgemut warf er sich ihr in die Arme. Rosa Mayreder blieb seine Wohltäterin. 1895 überredete sie ihn, ihr Libretto Der Corregidor zu vertonen. Aus den Aufzeichnungen der Freundin geht hervor, wie umständlich und empfindlich Wolf war. Selbst das Ticken einer Uhr irritierte ihn bei der Arbeit, und niemand durfte, wenn er komponierte, sein Zimmer betreten. Als Gast im Hause Mayreder faszinierten ihn Lou Andreas-Salomés Berichte über Friedrich Nietzsche; sie allerdings erwies sich als musikalisch desinteressiert. Als ihm einmal mitgeteilt wurde, daß ihn ein Freund als Menschen höher schätze denn als Musiker, wehrte er sich dagegen: „Meine Werke, meine Musik m u ß er lieben 146

und schätzen, für die muß er sich über alles interessieren - meine Person ist dabei ganz Nebensache."15 Darin offenbart sich die Selbstverleugnung des Mannes, der seine Briefe an Frau Mayreder in einer Anspielung auf den Siegmund in Wagners Walküre mit „Dein armer Wölfing" zu unterzeichnen pflegte. Wolf hatte sich mit siebzehn eine Lues zugezogen, 1898 machte sich die Paralyse erstmals bemerkbar, ab 1902 verfiel er. Eines Tages fanden ihn Freunde auf den Treppen zur Oper; er deklamierte und rief, er sei der neue Direktor des Hauses und erwarte eine Audienz beim Kaiser. Unter dem Vorwand, auf seine Wahnideen einzugehen, eskortierten die Freunde den Größenwahnsinnigen in eine Irrenanstalt, wo er wenige Monate später starb. Sein Begräbnis fand am 22. Februar 1903 statt, einem Faschingdienstag, und die Trauergäste mußten sich ihren Weg durch Scharen von Faschingsnarren bahnen. Wolf war seinem ganzen Wesen nach so sehr Liedkomponist, daß sogar seine Oper Der Corregidor einem Liederzyklus gleicht. Er bevorzugte Texte spanischer und italienischer Dichter, deren katholischer Stoizismus dem seinen nahekam. Im Gegensatz zu Schubert, Schumann, Loewe oder Brahms perfektionierte Wolf das deklamatorische Lied, das den psychologisch ausdeutenden Klavierpart dem Text unterordnet. Wolf gab sich einem Gedicht völlig hin, unterwarf sich in allem seinem Inhalt und Geist. Diese dienende Haltung ähnelt dem Ethos Hofmannsthals, Schnitzlers und Altenbergs, die sich ganz der Darstellung von Augenblicksimpressionen widmeten. Wie der Proteus Hermann Bahr löste auch Wolf sein eigenes Ego auf, um die Botschaft von Versen, die ein anderer gedichtet hatte, weiterzutragen. Sein Einfühlungsvermögen hinderte ihn am Schaffen einer neuen Wesenheit, wie Schubert oder Schumann es getan hatten; er zog es vor, Worte, die bereits existierten, gleichsam zu betonen; Wolf verschleierte den poetischen Text nicht, im Gegenteil, er hob ihn durch seine Vertonung ans Licht. Er vereinte in sich die Vorliebe des Biedermeier für die Miniatur mit der Fähigkeit des Impressionismus zur Selbstverleugnung und trieb so eine negative Fähigkeit bis zum Exzeß, jene selbe Fähigkeit, die andere Wiener Impressionisten in die Lage versetzt hatte, eine allumfassende Weltanschauung zu formulieren. Nach außen hin zwar erfolgreicher, innerlich jedoch nicht weniger gequält war der aus Böhmen stammende Jude Gustav Mahler (1860-1911). 16 Als Sohn eines Destillateurs aus der Gegend um Iglau wuchs er inmitten einer Tragödie auf. Von seinen elf jüngeren Geschwistern starben neun schon im Kindesalter. Fünf dieser Todesfälle erlebte er selbst noch als Kind mit, einer seiner Brüder beging später Selbstmord. Noch war Mahler nicht erwachsen, da starb seine Mutter an der gleichen Herzschwäche, der auch er zum Opfer fallen sollte. Früh schon für Schopenhauer und Nietzsche begeistert, studierte er von 1875 bis 1878 am Wiener Konservatorium Komposition. 1877 bis 1879 hörte er Vorlesungen über Musikgeschichte und Philosophie an der Universität; seit damals ergaben sich freundschaftliche Beziehungen zu Bruckner. Während der folgenden zwanzig Jahre war er in Leipzig, Budapest und Hamburg als Dirigent tätig, die Sommer nützte er zur Kompositionsarbeit. 1897 wurde er nach Hans Richter zum Chefdirigenten, wenig später zum Direktor der Wiener Hofoper bestellt, doch nahm er diese Positionen nur unter der Bedingung an, daß sich niemand bei Hof in 147

seine Führungsgeschäfte einmischen dürfe. Mittlerweise war er zum Katholizismus übergetreten und verbrachte seine Sommer im Salzkammergut. In Wien schloß sich der Dirigent dem Kreis um Adolf Loos, Gustav Klimt und Berta Zuckerkandl-Szeps an. Letztere machte ihn 1902 mit der hübschen Pianistin Alma Maria Schindler (1879-1964), der Tochter des Landschaftsmalers Emil Jacob Schindler (1842-1892), bekannt. Binnen zwei Wochen heirateten die beiden in der Karlskirche und begannen eine stürmische Ehe, die für Alma Mahler den Ausgangspunkt einer Karriere als Muse bedeutete, die sich nach und nach in Bindungen mit Ossip Gabrilowitsch, Oskar Kokoschka, Walter Gropius, Franz Werfel und dem betagten Gerhart Hauptmann erfüllen sollte. Mahler allerdings konnte zu seinem Unglück die extrem puritanische Grundhaltung nicht überwinden, in der er seine Mutter und seine Schwester verehrt hatte. Der Tod seiner älteren Tochter 1907 bereitete dem Komponisten unsägliche Qualen, intensivierte seine eigene Todessehnsucht und seine Hinwendung ans Eschatologische. Als Operndirektor terrorisierte er die Interpreten mit seinem Perfektionismus und führte Reformen durch, die vom Geist seines angeblichen Kommentars „Tradition ist Schlamperei" getragen waren. An der Oper war Mahler seit einem Jahrhundert der erste Dirigent, der lieber stand als saß. Gemeinsam mit Arthur Nikisch leistete er Pionierarbeit auf dem Gebiet des expressiven Dirigierens; er verwendete beide Hände, um jede musikalische Phrase in allen Nuancen und Akzenten möglichst vollkommen herauszumodellieren. So hob er die Aufführungen des Ensembles auf ein kaum mehr zu überbietendes Niveau. 1907 zwang ihn eine Taktlosigkeit zum Rücktritt von seinem Posten. Er dirigierte noch während der beiden folgenden Jahre an der Metropolitan Opera in New York. 1908 vollendete er Das Lied von der Erde, dessen Uraufführung er nicht mehr erlebte; 1909 seine Neunte Symphonie. Wie Gustav Meyrink und Paul Kornfeld war auch Mahler ein echter Marcionit, der die Erlösung von irdischer Qual nur in einer jenseitigen Welt erhoffen konnte. In seiner Zweiten, Vierten und Achten Symphonie zeichnete er die Freuden der Auferstehung (1894, 1900 und 1906). Gleichsam Darwin in Frage stellend, gestand er, daß ihn die Grausamkeit der Natur verblüffe: er haderte mit Gott, weil dieser das Böse zuließ. Seinem Protegé Bruno Walter vertraute er an, er befürchte, Das Lied von der Erde könnte die Zuhörer zum Selbstmord anregen. Am 26. August 1910 konsultierte Mahler anläßlich eines Besuches in Leiden Sigmund Freud. Dieser schloß aus der Begegnung, daß Mahler unter dem Verlangen leide, seine Frau möge ebenso kränklich sein, wie seine Mutter es gewesen war. Auch stellte er fest, daß Mahler einen übermächtigen Ordnungsdrang an den Tag legte.17 Überdies litt er unter dem Unbehagen des entwurzelten Juden. Alma Mahler-Werfel erinnert sich seiner Klage: „Ich bin dreimal heimatlos: als geborener Böhme in Osterreich, als Österreicher unter Deutschen und als Jude in der ganzen Welt. Überall ein Eindringling, nirgends willkommen."18 Mahler vereinigte in sich die Eigenschaften sowohl des Impressionismus als auch des Expressionismus. In seiner Musik aufscheinende Parodien über bekannte Melodien weisen eine Affinität zwischen Mahler und jenen jüdischen Ironikern auf, die, wie Kurt List es ausdrückt, „niemals eine endgültig traditionelle oder 148

grandiose Behauptung aufstellen, ohne sie im nächsten Augenblick wieder zurückzunehmen". 19 Mahlers musikalische Zitate erinnern an die Pasticcios des ebenfalls aus Böhmen stammenden Juden Karl Kraus, mit dem er die fanatische Hingabe an die Arbeit und die Verachtung für die Wiener Nachlässigkeit gemeinsam hatte. Mahlers Motivplagiate nahmen eine Methodik vorweg, die heute von Filmmusikschöpfern fortgeführt wird. Vor allem aber verkörperte Mahler einen Kult der Vereinigung mit dem Tode, der, wie wir noch sehen werden, die Impressionisten des Jungen Wien beherrschte. Gemeinsam mit Gustav Mahler wird heute Arnold Schönberg (1874-1951) als einer der entscheidendsten Neuerer des zwanzigsten Jahrhunderts gepriesen. 20 Er kam in Wien als Sohn einer jüdischen Mittelstandsfamilie zur Welt, wurde katholisch erzogen und konvertierte 1902 zum Protestantismus; 1935 bekannte er sich wieder zum jüdischen Glauben. Als junger Mann zeigte er sowohl Talent als Maler wie auch als Schriftsteller, studierte jedoch bei seinem Freund Alexander von Zemlinsky (1872—1942) Komposition. 1901 heiratete er Zemlinskys Schwester. Nach rastlosen Bemühungen in den Jahren 1903 bis 1911 sah sich Schönberg gezwungen, Anerkennung außerhalb Wiens zu suchen. Die Aufnahme, die seine frühen Werke in Wien gefunden hatten, wurde vor allem durch jene Chronisten legendär, die die Banalität des Wiener Geschmacks hervorheben wollten. Ein Spaßvogel witzelte, daß die Wiener Schönbergs Musik so empfangen haben, wie sich etwa Damen auf einem Ball über den Frauenfeind Otto Weininger belustigt hätten. 1900 wurden zwei Schönberglieder ausgelacht und ausgezischt. 1911 führte die Aufführung eines atonalen Orchesterstücks zu einem Tumult, bei welchem die Rettung ausrücken mußte. 1912, anläßlich einer Aufführung von Werken Alban Bergs, ohrfeigte ein Schönberg-Anhänger einen sein Mißfallen äußernden Zuhörer und beendete damit nolens volens das Konzert. Zwischen 1908 und 1909 sandte Schönberg an jede Zeitungsredaktion einen offenen Brief, in welchem er seine Musik verteidigte, doch nur sein Freund Karl Kraus fand sich bereit, diesen Brief in der Fackel zu veröffentlichen. 21 Gemeinsam mit seinen aus Wien stammenden Schülern Anton von Webern (1883-1945) und Alban Berg (1885-1935) entfachte Schönberg eine Revolution in der Musik. Das Zwölftonsystem, das er nach vielen Jahren des Experimentierens um 1920 perfektionierte, führte zu einer Kontroverse mit dem einzelgängerischen Komponisten Josef Matthias Hauer (1883—1959), dessen Biographie übrigens in Otto Stoessls Roman Sonnenmelodie. Eine Lebensgeschichte (Stuttgart 1923) vorliegt. Hauer, ganz der Typus des „kleinen Mannes", behauptete, daß Schönbergs Tonreihe ein Plagiat seiner „Tropen" darstelle. Ganz im Gegensatz zu seinem prospektiven Rivalen besaß Schönberg jedoch ein ungeheures dialektisches Talent, mit dem er kontrapunktische Kunstwerke, wie etwa die Kanons und Gegenkanons des Pierrot lunaire (1912), spielend meisterte. Tonreihen erlegen einem Komponisten ähnliche Beschränkungen auf, wie sie von Loos und Kraus beachtet wurden, die, wie eben auch ihr Freund Schönberg, einem gebieterischen Willen zur Form gehorchten. Im Vorwort zu seiner Kraus gewidmeten Harmonielehre (1911) pries Schönberg Maeterlinck, Strindberg und Weininger als seine Vorläufer, die mittels selbstauferlegter Einschränkungen um Reinheit gerungen hatten. Der aphori149

stische Stil der Gurrelieder (1911) zeigt Anklänge an Fragmente Altenbergs, Schaukals u n d Wittgensteins. In ihrer Strenge stehen Schönbergs kleine Stücke in starkem Kontrast zur Monumentalität der Symphonien Bruckners und Mahlers; selbst die Lieder Hugo Wolfs schienen im Vergleich zu ihnen großsprecherisch. In den bildenden Künsten fand Schönbergs Ruf nach Reinheit ein Gegenstück in den Bestrebungen Loos' und Schieies, die Ornamente fortzuschaffen, die den Gebäuden der Ringstraße und den Gemälden Makarts und Klimts als Dekoration und Verkleidung dienten. 1913, in einer Ansprache zum Gedenken Gustav Mahlers, legte Schönberg seinen H a n g zur strengen Form in folgenden Worten klar: „Aber wenn wir die Teile auseinandergenommen haben, sind wir meist nicht mehr imstande, sie wieder genau zusammenzusetzen, und haben verloren, was wir vorher schon besessen hatten. Das Ganze mit allen Details und seiner Seele."22 Hier machte sich der Komponist einen der besten Züge des österreichischen Geistes zueigen - die Leidenschaft, die Dinge als Ganze zu erfassen. Ablehnung von Nachlässigkeit und Sentimentalität trieb diesen Klassizisten zu Neuerungen, die heute weltweit anerkannt sind. In seiner Oper Moses und Aron (1932) zeichnet Schönberg das Bild des schöpferischen Genies Moses, der in seinem weltlichen Bruder Aron einen ausführenden Arm gefunden hat, der die Widerspenstigen zu beherrschen vermag. 23 Ehe man jene Wiener verurteilt, die Schönberg 1910 verhöhnten, sollten wir uns doch vor Augen halten, daß sie zugleich mitgeholfen haben, Schönbergs Erfindergeist anzuregen. Die Wiener, die die Vermittler und Popularisierer in den Himmel hoben, pflegten eine Tradition, die Schönberg als Herausforderung aufgegriffen hatte. Ein Prophet, dem es bestimmt ist, keine Anerkennung zu ernten, m u ß wenigstens eine seines Zornes würdige Zuhörerschaft finden. Für eine solche haben die Phäaken Wiens in reichem Maße gesorgt.

9. DIE J Ü N G E R D E R B I L D E N D E N K U N S T

Hans Makart: Kulturheros einer dekorativen Epoche Obwohl Österreich keine Maler hervorgebracht hat, die eine gleich hohe Position einnehmen wie seine Komponisten, gab es ihrer doch eine ganze Anzahl, die äußerst erfolgreich waren. Noch sicherer als die Musiker verkörperten die bildenden Künstler den Geschmack Wiens. Im Biedermeier hatten Friedrich von Amerling (1803-1887) und Ferdinand Waldmüller (1793-1865) Porträts in der 150

Art von Ingres geschaffen und damit ein Bedürfnis befriedigt, das sich durch die Anwesenheit des englischen Porträtisten Thomas Lawrence beim Wiener Kongreß in den Salons der österreichischen Aristokratie gebildet hatte. Waldmüller machte die Landschaftsmalerei zu einer Art Flucht aus der sich industrialisierenden Stadt. Durch Genrebilder trug Joseph Danhauser (1805-1845), Sohn und Mitarbeiter eines Möbelfabrikanten, zur Entwicklung gediegener Einrichtungs- und Dekorgegenstände bei, die als Wiener Biedermeier bekannt wurden. Ein weiterer Repräsentant dieser Epoche war der außergewöhnlich langlebige Rudolf von Alt (1812-1905), der die Bauwerke Wiens in seinen Gemälden — typischen Veduten — minutiös detailliert festhielt. Im hohen Alter noch wurde er - ohne sich darüber selbst klar zu werden - zu einem Pionier des Pointiiiismus, als er dazu überging, Farbflecken einander gegenüberzustellen, da seine Hand keinen Pinselstrich mehr auszuführen vermochte. Der Maler aber, der den Wiener Asthetizismus mehr als jeder andere verkörperte, ist der aus Salzburg stammende Hans Makart (1840-1884). 1 Sein Vater war Aufseher im Schloß Mirabell. Hans Makart studierte in München bei dem Historienmaler Karl Theodor von Piloty. Nach vier Jahren Lehrzeit in England, Frankreich und Italien nahm Makart 1879, ermutigt durch den Grafen Hans Wilczek, einen Ruf nach Wien an. Der Kaiser stellte dem Maler eine Villa in der Nähe der Kunsterzgießerei hinter der Karlskirche zur Verfügung. Das Atelier strotzte nur so von Wandteppichen, Venezianerglas, Topfpflanzen, griechischen Statuen, und täglich nach 16 Uhr war es der Öffentlichkeit zugänglich - ein Mekka für Liebhaber, Touristen und Damen der Gesellschaft. Makart pflegte den Damen Ratschläge betreffs ihrer Toilette zu geben, führte unter anderem einen Makart-Hut ein, einen Makart-Kragen und das vielzitierte Makart-Bouquet aus getrockneten Blättern und Früchten - Wahrzeichen einer ganzen Epoche. Zwischen 1879 und 1884 brachte Makart ein für das 19. Jahrhundert einzigartiges Kunststück zuwege: Er - ein Maler! - wurde zum Leitstern der Millionenstadt Wien. Gleich Johann Strauß gab auch er sich hemmungslos dem Phäakentum eines Publikums hin, das sich danach sehnte, militärische Niederlagen und den Börsenkrach von 1873 ebenso zu vergessen wie die Tadelsucht der im Jahr zuvor verstorbenen Erzherzogin Sophie, der Mutter Franz Josephs. Während sie von den Balletteusen verlangt hatte, daß sie Kleider bis übers Knie trugen, lud Makart das Publikum ein, in seinen Akten schaufreudig zu schwelgen. Obwohl die meisten seiner Aktmalereien nach professionellen Modellen geschaffen waren, prahlten Kunsthändler damit, daß Makarts Aktmodelle Damen der Gesellschaft seien. Der Eifer, mit dem daraufhin manche Dame versuchte, sich als eines dieser heimlichen Modelle zu bestätigen, wirft ein bezeichnendes Licht auf die Doppeldeutigkeit, die in Wien allen Belangen der Sexualität anhaftete. 2 Solche Gerüchte stachelten ein Publikum auf, das wollüstigen Werken wie etwa Adolf Wildbrandts Drama Arria und Messalina (1874) oder Robert Hamerlings Roman Aspasia (1875) zujubelte. Ein einziges gigantisches Gemälde Makarts, Einzug Kaiser Karls in Antwerpen, zog Anfang 1878 rund 34.000 Besucher an. Die Bereitwilligkeit, mit der man ihn in der guten Gesellschaft aufnahm, begann nach seiner Heirat mit einer Ballettänzerin 151

1881 zu schwinden. Zuvor hatte er Bälle für den Hof arrangiert und das Band der Französischen Ehrenlegion erhalten. Er starb 1884, vier Tage nach seiner Einlieferung in eine Anstalt; wie Nietzsche, Lenau, Hugo Wolf ging auch er an syphilitischer Paralyse zugrunde. Sein Begräbnis war fürstlich, es war das pompöseste, das je einem Nichtadeligen in Wien zuteil wurde und blieb bis zu Luegers Tod unübertroffen. Makart genoß größeres Prestige und größeren Reichtum als jeder andere Maler seit Rubens, mit dem er sich gerne „identifizierte". U m sich zwischen Rubens und Veronese einzuordnen, tat er sich besonders mit an Gobelins gemahnenden Gemälden hervor, die zur Verschönerung geräumiger Hallen entworfen waren. Auf dem Gipfel seiner Karriere führte er die Oberaufsicht über einen Triumphzug anläßlich des fünfundzwanzigsten Jahrestages der Hochzeit Franz Josephs mit Elisabeth am 27. April 1879. Der Makartfestzug war ein Markstein in der Selbstbeweihräucherung des Ringstraßen-Wien, überströmend von historischer Dekoration, die der Stadt so ans Herz gewachsen war. Kostüme aus dem 16. Jahrhundert schmeichelten dem Bild der Stadt als Heimstätte einer neuen Renaissance. Rund fünf Stunden sah eine Million Zuschauer eine in Sonnenlicht getauchte Prozession die Ringstraße entlangziehen. Makart konzipierte, ganz nach dem Vorbild von Richard Wagners Meistersingern, vierunddreißig Gruppen von Kaufleuten und Handwerkern. Im Anklang an das, was er zwei Jahre zuvor anläßlich des dreihundertjährigen Rubens-Jubiläums in Antwerpen selbst gesehen hatte, stattete er die Maler mit Kostümen aus dem 17. Jahrhundert aus. W ä h r e n d der Proben erwies er sich als unermüdlicher Organisator, als erstklassiger Kostümbildner, und an dem großen Tag beschloß der Meister als letzter, in schwarze Seide gekleidet, auf einem weißen Pferd reitend, den Festzug. Die Ovationen des Publikums nahm er mit ostentativen Verbeugungen entgegen. 3 Ebenso theatralisch wie die Stadt sich gab, die ihn verehrte, erfüllte Makart ihre Klischeevorstellung von einem schöpferischen Genie. Er sah gut aus, war schweigsam und unglaublich freigiebig, u n d er n a h m die Aufmerksamkeiten, mit denen man ihn überschüttete, gelassen hin. In seinem ganzen R u h m erstrahlte er, wenn er vor ausgewähltem Publikum malte, und in seinem Atelier hielt er einen Fonds für unvorhergesehene Ausgaben bereit, dessen sich seine Freunde, ohne lange zu fragen, bedienen durften. Vor allem war er ein Dekorateur: Seine Gemälde gemahnten an Kulissen, auf denen der Zuschauer nach bekannten Gesichtern Ausschau halten konnte, so wie er dies vielleicht auch im Prater oder auf dem sonntäglichen „Bummel" zwischen Schwarzenbergplatz und Hotel Sacher tat. Gleichsam die Ringstraßenarchitektur nachäffend, setzte Makart vertraute Elemente in eine neue O r d n u n g zueinander, fügte aber keine neuen hinzu - sein Stil war eine farbenprächtige Version der biedermeierlichen Sammelleidenschaft in historicis. Eine gewisse Nachlässigkeit in der Ausführung seiner Arbeiten trug Makart manche ätzende Kritik ein. Der klassizistische Maler Anselm Feuerbach ( 1 8 2 9 - 1 8 8 0 ) , ein Neffe Ludwig Feuerbachs, machte sich während seiner Tätigkeit als Professor der Wiener Akademie der bildenden Künste (1872/76) über Makart lustig, griff ihn heftig an, warf ihm mangelhafte Kenntnisse aus Anatomie, fehlende Ü b u n g im Zeichnen und im Umgang mit 152

Farben vor und bezeichnete ihn als Schneider, der Kleider male, in die niemand hineinpasse. In seiner Erzählung Der Hellene (1904) wiederholte Ferdinand von Saar diese kritischen Bemerkungen, die bis dahin Makarts Verdienste bereits ausgelöscht hatten. Makart gab den siebziger Jahren in Wien seinen Namen und personifizierte sowohl die heiteren als auch die düsteren Aspekte des Phäakentums der Stadt. Gefeiert bis zum Ü b e r d r u ß , produzierte er schließlich Gemälde, deren grundlegende Technik so mangelhaft war, daß er trotz seiner hervorragenden Fähigkeiten, die Vergangenheit zu neuem Leben zu erwecken u n d der Sinnenfreude ihren künstlerischen Tribut zu entrichten, nur wenig hinterließ, was die Nachwelt noch bewundern kann. Sein Erfolg glich dem eines Kometen; er betete die Farben, den R u h m und die Frauen an. Einsam und krank ist er gestorben.

Klimt, Schiele, Kokoschka: Asthetizismus in Konfrontation mit der Moderne Der Ruhm Makarts stellte eine Reihe von Malern mit neuen Ideen in den Schatten, besonders den aus Wien stammenden Anton Romako (1832-1889). 4 Romako entstammte einer tschechischen Dynastie von Kunsttischlern, deren richtiger Name Hromadko lautete. Er studierte in Wien bei Waldmüller und Carl Rahl, ging dann nach Italien und Spanien, wo er stark unter den Einfluß der Werke Goyas geriet. Von 1857 bis 1876 lebte er in Rom; dann verließ ihn seine Frau, und er kehrte nach Wien zurück, wo er jedoch bald feststellen mußte, daß alle größeren Aufträge von Makart so gut wie gepachtet waren. Er lebte derart zurückgezogen, daß nach seinem durchaus natürlichen Tod das Gerücht aufkam, er habe Selbstmord begangen. Als Meister des schnellen Pinsels erwarb sich Romako seinen Lebensunterhalt mit psychologischen Porträts, die in vielem Kokoschka vorwegnahmen. Sein berühmtestes Werk, Admiral Tegetthoff in der Seeschlacht bei Lissa (1880), fing die Intensität der Schlacht mit noch nie dagewesener Lebendigkeit ein. In Romako verband sich der Wunsch, den Augenblick festzuhalten, mit der barocken Freude an stürmischer Bewegung und verhalf ihm zu Schöpfungen, denen ein weit dauerhafteres Leben beschieden sein sollte als den Farbextravaganzen Makarts. Gustav Klimt ( 1 8 6 2 - 1 9 1 8 ) , der als Freskomaler im Stile Makarts begonnen hatte, wurde größerer Erfolg zuteil. 5 Er wurde in Wien als Sohn eines Goldschmiedes geboren, und als er später seine goldbeladenen Gemälde schuf, in deren dekorativen Motiven sich die gesamte Kunstgeschichte spiegelte, schien er sich des Handwerks seines Vaters bedient zu haben. In den achtziger Jahren arbeitete Klimt gemeinsam mit seinem Bruder Ernst an Wand- und Deckengemälden ä la Makart in den Theatern von Karlsbad, Fiume und Budapest und auch im Wiener Burgtheater ( 1 8 8 6 - 1 8 8 8 ) . Nach dem Tod des Bruders (1892) gab Klimt die Architekturmalerei auf, zog sich für f ü n f Jahre zurück und befaßte sich während dieser Zeit intensiv mit Whistler, Beardsley und Münch. 1897 kehrte er als erster Präsident der Wiener Sezession - einer Gruppe von 153

Künstlern, die die offiziellen Malervereinigungen verschmähten, um den im deutschen Sprachraum so bezeichneten Jugendstil zu fördern - ins öffentliche Leben zurück. Ihr 1898 von Josef Maria Olbrich (1867-1908) unweit der Akademie der bildenden Künste errichtetes Ausstellungsgebäude wie auch ihre Zeitschrift Ver sacrum, die sie in den Jahren von 1898 bis 1903 herausgaben, favorisierten die Avantgarde-Malerei. Klimt führte eine beträchtliche Anzahl neuer Elemente in der Malerei ein. Er verwendete als erster quadratische Leinwand, ein Format, das den hieratischen Effekt der goldenen Hintergründe erhöhte. Sein reichlicher Gebrauch von Blattgold nahm die Technik der Collage vorweg, und etwa parallel laufend mit den Pointillisten bevorzugte Klimt winzige Farbflecken, um mosaikartige Oberflächen zu schaffen. Dieser Eklektizist, in seiner Art weit subtiler als Makart, konnte in einem einzigen Gemälde ägyptische Hieroglyphen, mykenische Spiralen und Blumenornamente aus Ravenna miteinander kombinieren. Indem er derart verschiedene Konstituenten zu integrieren verstand, schien er die These Alois Riegls zu bestätigen, nach welcher sich das dekorative Motiv einer größeren Langlebigkeit erfreut als alle malerischen Kunstgriffe. Klimt legte einen starken Willen zur Form an den Tag, und in seinen späteren Landschaftsbildern breiten sich Grasund Wasserflächen teppichgleich aus, befreit von jeglicher menschlichen Gegenwart. Noch zwingender sind seine Frauenporträts, deren fragende Gesichter und kurvige Figuren das Bild des in den zwanziger Jahren populär gewordenen Vamps vorwegnehmen. Die opulenten Gemälde Klimts waren bei den Frauen der oberen Mittelschicht beliebt, deren Männer jedoch erbosten sie. Als Klimt den Auftrag zu den monumentalen Panneaus Philosophie, Medizin und Jurisprudenz für die Wiener Universität durchführte und im März 1900 die Philosophie in der Sezession ausstellte, rief er damit einen Skandal hervor mit dem Ergebnis, daß binnen zweier Monate über 30.000 Schaulustige vor das Gemälde gepilgert kamen. Die abgezehrten Akte, die es zeigte, veranlaßten etwa achtzig Professoren, eine Petition zu unterschreiben, daß das Panneau niemals in der Universität angebracht werden dürfe, worauf Klimt im Jahr 1904 alle drei Gemälde vom Unterrichtsministerium einfach zurückkaufte. Unglücklicherweise wurden diese gigantischen Meisterwerke im Schloß Immendorf (Niederösterreich), das im Verlauf der Kriegsereignisse 1945 niederbrannte, ein Raub der Flammen. Im Gegensatz zu Makart wurde der jüngere Klimt, der dessen allegorische Figuren wiederbelebte, um seiner Akte willen geschmäht; sie erschienen dem Publikum zu graphisch, auch fehlten ihnen die historischen Fassungen, die sie hätten transfigurieren können. Klimt war ein Ästhet von hohen Graden, der als Junggeselle seine Freude an Aktmodellen hatte, jedoch ohne in Makarts Exzesse zu verfallen. Indem er lineare und Blumenornamente vom Jugendstil übernahm, wandte er sich einer Bewegung zu, die versuchte, alles Leben in geradezu sakraler Gesinnung der Kunst unterzuordnen. In seinen Bildern offenbart sich die statische Atmosphäre eines Wachtraums, ungestört von jeglicher Anspielung auf Tätigkeit; in erotischen Gemälden bildete er Damen der Gesellschaft ab, die der Sexualität wie einem Spiel gegenüberstehen. Im Gegensatz zu den leidenschaftlichen Umar154

mungen der Paare Egon Schieies scheinen Klimts Frauen unbeteiligt, gleichsam die Bösartigkeit der Judith in sich tragend. Klimts Figuren leben in einem Tagtraum, eingehüllt in Pflanzen, die sie vor der Fruchtbarkeit der Natur beschützen; sie gleichen darin den Protagonisten in Hofmannsthals Der Tor und der Tod (1893) oder in Leopold von Andrian-Werburgs Novelle Der Garten der Erkenntnis (Berlin 1895). Die Antihelden, die das Junge Wien so liebten, waren unfähig, in die Außenwelt Libido zu investieren, und verlangten von der Natur, daß sie die Kunst imitiere. Zum Teil war es Klimt zu danken, daß in Wien der Jugendstil sich länger hielt als anderswo, da hier eine historisierende Tradition den französischen Impressionismus in Acht und Bann tat. Wie Schnitzler tauchte auch Klimt in die erotischen Tiefen des Phäakentums hinab; er bediente sich dabei stilistischer Kunstgriffe des Erzphäaken Makart, so wie auch Schnitzler manchen Kunstgriff dem Feuilleton entlehnt hatte. Diese beiden Impressionisten, im selben Jahr geboren, modifizierten Genres, die den Wienern lieb waren, und legten damit Schattenseiten des Lebens ihrer Mitbürger bloß. Ein in noch höherem Ausmaß vom Erotischen besessener Maler war Egon Schiele (1890-1918), von dem Kritiker wie Otto Benesch glauben, daß er zu einem der überragenden Künstler des zwanzigsten Jahrhunderts hätte werden können. 6 Er kam in Tulln als Sohn eines Eisenbahnbeamten zur Welt. Von Kind auf war er ein hochtalentierter Zeichner, der mitunter seine Skizzen auf Tischtücher hinwarf, wie etwa Johann Strauß auf Leintüchern komponierte. Schiele, der als Zeichner am bekanntesten wurde, pflegte Dutzende von Skizzen von einem Modell zu machen und verwendete dabei niemals einen Radiergummi; später erst kam die Farbe dazu. Als Wien 1909 erstmals eine Toulouse-Lautrec-Ausstellung sah, war Schiele von Lautrecs Proletarierweibern fasziniert; er begann um diese Zeit mit dem Eifer eines Voyeurs einander umarmende Paare zu porträtieren. 1912 wurde er angeklagt, pornographische Zeichnungen von Schulmädchen anzufertigen; das Gericht befand ihn für schuldig und verurteilte Schiele zu 24 Tagen Gefängnis. Sein Atelier wurde durchsucht und eine seiner Skizzen vom Untersuchungsrichter sogar verbrannt. 1907 kam es zur Begegnung Schieies mit Klimt; der Ältere nahm sich des jungen Talentes als seines Protégés an. Die Akte Schieies karikierten jene Damen der Gesellschaft, denen Klimt schmeichelte. Im Gegensatz zur hieratischen Ruhestellung der Figuren Klimts strömt aus denen Schieies, in den Worten seines Freundes Benesch, „ein Streben nach außen, ein Ausströmen ins Universum" und die Bereitschaft zur sexuellen Hingabe. 7 Am 31. Oktober 1918 starb das junge Genie an der Grippe, der drei Tage zuvor Schieies Frau zum Opfer gefallen war. Alfred Werner beklagt, daß der Tod den Künstler in dem Augenblick dahinraffte, als er eben die Techniken, die er von Klimt, Münch, Toulouse-Lautrec und van Gogh übernommen hatte, meisterhaft zu beherrschen begann. Andere Kritiker wieder sind der Ansicht, daß er, trotz seiner meisterhaften Strichführung, infolge mangelnder Beschäftigung mit der Farbe nie die Grenzen der überfüllten Räume härte sprengen können, die den Manieristen Makart und Klimt so ans Herz gewachsen waren. Geno Baro spricht Schiele geringere Originalität zu als Klimt und läßt durchblicken, daß sich der junge Schiele seiner Ansicht nach lediglich der linearen Konventionen des Jugendstils erschöpfend bediente, um damit unzüchtige Gebärden vorzufüh155

ren. Jedenfalls war Schiele erfolgreicher als sein aus Wien stammender Zeitgenosse Richard Gerstl (1883-1908), ein Freund Schönbergs und Bergs, der, nachdem er eine Reihe von prächtigen Gemälden geschaffen hatte, Selbstmord beging. Der Fauvist Gerstl hatte in knalligen Farben eine Synthese zwischen Münch und van Gogh versucht. Sowohl Schiele als auch Gerstl waren frühzeitig gealterte Einzelgänger, denen jedes Gemälde zu einem Selbstporträt geriet. Gerstl wurde völlig übergangen, Schiele dagegen erzielte ab 1914 den einen oder anderen Verkaufserfolg. In den zwanziger Jahren verblaßte aber auch sein Name wieder. Die beiden Malern eigene sexuelle Besessenheit spiegelt die verdrehte Moral, die das Wien Freuds und Erzherzog Ottos vergiftete. Unter den am wenigsten bekannten österreichischen Malern finden wir drei Pioniere der ungegenständlichen Malerei, die alle im Ausland tätig waren. Der Tscheche Franz Kupka (1871—1957) lebte von 1892 bis zu seinem Tod in Paris, nachdem er zuvor nur kurz in Wien gearbeitet hatte. Sein Amorpha. Fugue ä deux couleurs (1911 — 1912) wurde mitunter als das erste völlig abstrakte Gemälde angesehen. Parallelen dazu stellen die Werke des aus Mähren stammenden Adolf Hoelzel (1853—1934) dar, der zunächst in Wien studierte, dann aber von 1906 bis 1919 in Stuttgart lebte. Unabhängig von Kandinsky schuf er zwischen 1912 und 1914 seine Arbeiten Abstraktion I und II. Noch radikaler war der Konstruktivismus des Ungarn Läszlö Moholy-Nagy (1895-1946), der von 1923 bis 1928 am Bauhaus lehrte und sowohl das Mobile als auch heutige Unterrichtstechniken in visuellem Design vorwegnahm. In seiner Erklärung dieser Vielfalt an Neuerungen meint Wladyslaw Tatarkiewiecz, daß drei österreichische Philosophenschulen unwissentlich der Abstraktion in der Kunst zum Durchbruch verholfen haben könnten.8 Erstens lehrten Husserl und Meinong die Autonomie logischer Abstraktionen, zweitens vertrat Ehrenfels in seinem Gestaltbegriff die Ansicht, daß Formen allgemeineren und dauerhafteren Charakter hätten als ihre Inhalte, und drittens trennte der Wiener Kreis Fakten von Hypothesen: letztere können Fakten zwar erklären, nie jedoch wiederholen. Aber abgesehen von solchen Affinitäten scheint kaum irgendein Künstler den Kontakt mit Philosophen gepflegt zu haben. Oskar Kokoschka (geb. 1886) ist jener österreichische Maler, dem in reichem Maße der Ruhm zuteil wurde, der seinen meisten Landsleuten versagt blieb.9 Als Sohn eines tschechischen Goldschmiedes kam er in Niederösterreich zur Welt, in der alten Donaustadt Pöchlarn. Bis 1909 studierte er in Wien. In diesem Jahr riefen seine introspektiven, gemeinsam mit Werken von Schiele und van Gogh ausgestellten Porträts einen Skandal hervor. In Porträts, die nach mykenischen Masken hätten gearbeitet sein können, modifizierte Kokoschka die quasi-pointillistische Technik seines Lehrers Klimt, um Doppeldeutigkeiten zum Ausdruck zu bringen. Mitleidlos wie Karl Kraus, mit dem Adolf Loos ihn bekannt gemacht hatte, demaskierte Kokoschka moralische Niederträchtigkeit. In seinem expressionistischen Schauspiel Mörder, Hoffnung der Frauen (1909), das in der Antike spielt und Loos gewidmet ist, verfiel der Künstler dem therapeutischen Nihilismus. Von diesem Stück, das Paul Hindemith 1920 als Oper vertonte, sagte Kokoschka später: „Ganz plötzlich und sehr tief empfand ich, als wäre der Mensch von einer unheilbaren Krankheit befallen."10 Erst in der Emigration fand Kokoschka 156

Anerkennung; noch 1911 hatte der Thronfolger Franz Ferdinand folgendes „Urteil" über den Künstler gefällt: „Dem Kerl sollte man die Knochen im Leibe zerbrechen." Und selbst 1918 verhinderte die allgemeine Vorliebe für historische Malerei in Wien das Fußfassen von Avantgarde-Gruppen, wie es etwa der „Brükke" in Dresden oder dem „Blauen Reiter" in München gelungen war. Den österreichischen Neigungen treu, ist Kokoschkas Kunst im Grunde theatralisch; seine Modelle oder, wie er selbst sie zu nennen pflegte, seine „Opfer" gestikulieren wie Schauspieler. Er bediente sich der wilden Pinselstriche Romakos und der blühenden Farben Maulbertschs und prunkte mit einer barocken Liebe zu weiten Räumen, die ineinanderfließen wie Musik. Kokoschka, der weltbekannt wurde, hat wohl nicht zuletzt gerade deshalb der Legende von der österreichischen Dekadenz neuen Auftrieb gegeben. Sein Bloßstellen des korrupten Bourgeois, seine servile Abhängigkeit von Alma MahlerWerfel und seine Abneigung gegenüber der Moderne erscheinen vielen als die Quintessenz österreichischer Grundhaltungen. Kokoschka ist ein völlig unbußfertiger therapeutischer Nihilist, und seine Doppelbegabung als Maler und Schriftsteller stellt ihn auf eine Stufe mit anderen Österreichern wie Schönberg, Stifter, Hans Brücke und Billroth. Jedoch steht seine Ergebenheit in den Verwesungsprozeß der westlichen Zivilisation in schroffem Gegensatz zu den Anstrengungen zahlreicher Reformer und Sozialisten, aus dem Trümmerhaufen zu retten, was zu retten ist. Der Asthetizismus, der Kokoschka an der Zivilisation verzweifeln ließ, trieb andere an, nach Reformen zu streben.

Sitte, Wagner, Loos: Ringstraßen-Architektur und ihre Kritiker Obwohl das Wien der Habsburger, was die Qualität seiner Malerei oder Skulptur anlangt, nicht an München oder Paris heranreicht, haben seine nach 1850 errichteten Bauwerke große Aufmerksamkeit erregt. Ein sogenannter Ringstraßenstil entwickelte sich, nachdem Franz Joseph 1857 die Schleifung der Befestigungsanlagen befohlen hatte. Den Wettbewerb zur Gestaltung der damit gewonnenen riesigen Flächen rund um die Innenstadt konnte 1859 der aus Deutschland stammende Ludwig Förster (1797—1863) für sich entscheiden. Das für den öffentlichen Wettbewerb eingesetzte Preisgericht wählte unter den 85 eingereichten Entwürfen sein Projekt und zugleich mit diesem auch noch die Projekte von Van der Nüll, Siccardsburg und Friedrich Stäche aus. Försters etwas abgeänderter Entwurf prägte die Ausführung der ganzen Anlage: er sah einen Boulevard - eine Ringstraße — vor, flankiert von kulturellen und öffentlichen Gebäuden. Die Finanzierung sollte durch den Verkauf der restlichen Gründe an private Erschließet erfolgen." Zwischen 1860 und 1890 wurden zwölf größere öffentliche Gebäude entlang der Ringstraße errichtet, die den Steuerzahler nichts kosteten. Alle diese Gebäude waren früheren Stilen verpflichtet, so daß Wien zu einem Museum historischer Architektur wurde. 12 Das erste Bauwerk im Ringstraßenstil war zehn Jahre früher begonnen worden als die Bauarbeiten an den übrigen Objekten der Prunkstraße: zum dankba157

ren Gedenken an die Errettung Franz Josephs am 18. Februar 1853 — der junge Monarch war von einem ungarischen Schneider namens Janos Libenyi während eines Spaziergangs auf der Bastei angefallen worden, aber der Dolch glitt an der über dem Genick angebrachten Schnalle unter dem Uniformkragen des Kaisers ab — nahm man 1856 den Bau der Votivkirche in Angriff. Der von dem Wiener Architekten Heinrich Ferstel ( 1 8 2 8 - 1 8 8 3 ) entworfene Sakralbau, teilweise eine Nachbildung des Kölner Doms, war 1879, im Jahr der Silberhochzeit des Kaiserpaares, fertiggestellt. 13 Im selben Monat, in welchem Wien Makarts gigantischen Festzug bestaunte, wurde er eingeweiht. Als nächstes wurde im Stil des italienischen Quattrocentos das Opernhaus errichtet, und zwar nach Entwürfen der Lehrer Ferstels, des aus Wien stammenden Eduard van der Nüll ( 1 8 1 2 - 1 8 6 8 ) und des aus Budapest gebürtigen August Sicard von Siccardsburg (1813—1868). Das Bauwerk, scherzhaft als das „Königgrätz der Architektur" bezeichnet, trieb van der Nüll zum Selbstmord, da der Kaiser unbedachterweise Kritikern zugestimmt hatte, die behaupteten, es sei zu niedrig geraten. 14 Die Baukünstler traf keine Schuld: man hatte das Niveau der Ringstraße während des Baues gegen alle verzweifelten Proteste der beiden Architekten - um gut einen Meter angehoben. Das Parlament, von dem Dänen Theophil von Hansen (1813—1891) im klassisch-griechischen Stil entworfen, wurde im Dezember 1883 mit der ersten Sitzung eröffnet. Das Rathaus — belgische Gotik von dem Schwaben Friedrich von Schmidt (1825-1891) - wurde 1883 fertiggestellt. 1884 eröffnete man die neue Universität, entworfen von Ferstel in strenger italienischer Renaissance. 1888 war das gegenüber dem Rathaus liegende Burgtheater vollendet. Die Erbauer dieses in einem seltsamen Mischstil konzipierten Gebäudes waren der Hamburger Gottfried Semper (1803—1879) und der Wiener Karl von Hasenauer (1833—1894). 1897 mußten die Akustik wie auch die Sichtverhältnisse des Theaters verbessert werden, und zwar durch teilweisen Umbau des im Proszenium zu stark einschwingenden Zuschauerraumes, der ursprünglich einen Grundriß in der Form einer Lyra erhalten hatte. Semper und Hasenauer zeichneten auch für die beiden Hofmuseen verantwortlich, deren italienische Renaissancefassaden 1881 bereits fertig waren. Das Kunsthistorische Museum wurde jedoch erst 1891 eröffnet. Außerdem plante Semper eine Erweiterung der Hofburg im Stil deutscher Renaissance, wodurch die Burg mit den beiden Museen zu einem einzigen gigantischen, die Ringstraße mit Triumphpforten überwölbenden „Kaiserforum" verbunden worden wäre, ähnlich der Anlage des Louvre. Dieser Plan, der nicht zur Ausführung kam — der Kaiser persönlich lehnte ihn in einer dem Architekten gewährten Audienz unter anderem mit dem Hinweis auf die zukünftige Entwicklung des Straßenverkehrs ab hätte im Zentrum der Ringstraße einen riesigen Zwinger entstehen lassen, wie ihn Semper 1847/54 in Dresden für die Könige von Sachsen errichtet bzw. abgeschlossen hatte. Abgesehen von den beherrschenden Großbauwerken fehlt den Ringstraßenbauten vielfach die entsprechende Monumentalität; sie waren gleichsam nach den Vorbildern kleiner Reliquienschreine angefertigt, deren intimer Reiz im Rahmen der allgemeinen Erweiterung untergehen beziehungsweise übertönt wer158

den mußte. Die Gebäude kopierten alte Fassaden, um einem Bürgertum zu gefallen, das nie einen eigenen Stil entwickelt hatte, und historische Anspielungen wiesen auf die Funktion der verschiedenen Bauten hin: Ein griechisches Parlament spielte auf die Wiege der Demokratie an, ein belgisches Rathaus auf munizipalen Glanz und Stolz, italienische Renaissance dagegen zierte die akademische bzw. die Stätte des Theaters. Dieses Eintauchen der Architekten in die Vergangenheit führte das biedermeierliche Anhäufen von Details fort. Wie Hans Makart waren auch Wiens Architekten Dekorateure, die bereits vorhandene Elemente neu ordneten, anstatt neue zu schaffen. Es war ihnen lieber, die alten Meister zu glorifizieren, als sie zu ersetzen. Dieser historisierende Antrieb gipfelte im Naturund im Kunsthistorischen Museum, deren füllige Dekorationen den Zweck der Gebäude nachgerade untergruben. Die Deckengemälde von Makart und Munkäcsy verschwinden oberhalb der riesigen schwarzen Säulen; in den Galerien schmeicheln wohl die grünen W ä n d e den goldenen Rahmen, aber die Gemälde selbst werden von ihnen erstickt, sofern ihr Eindruck nicht schon von den Büsten oberhalb eines jeden Tores erdrückt wird. Zehn Jahre der Mühe, an denen die Öffentlichkeit in hohem Maße Anteil nahm, hatten der Funktionalität einen Schlag ins Gesicht versetzt. Von Anfang an hatte die Ringstraße sowohl Kritik als auch überschwängliches Lob ausgelöst. Ihre Gegner trugen Pionierleistungen zur modernen Stadtplanung bei, indem sie für eine Vielfalt von Alternativen zur Gestaltung der weiten Räume eintraten, die Försters Plan noch übrigließ. Ein Romantiker unter den Stadtplanern war der katholische Architekt Camillo Sitte (1843—1903). 15 Er wurde in Wien als Sohn eines böhmischen Steinmetzen geboren, der es bis zum Baumeister gebracht hatte, und nahm handwerkliche Werte in sich auf, als er in einem Haus am Piaristenplatz, der heute Jodok-Fink-Platz heißt, heranwuchs. Als er 1863 auf die Universität kam, war ihm bereits klargeworden, daß Plätze in einer Stadt als Prüfsteine der Stadtplanung in Ehren zu halten seien. Um sich als Zeichner zu üben, studierte er drei Semester lang an der medizinischen Fakultät Anatomie und Gesichtsphysiologie. Er arbeitete auch bei Ferstel und dem Künsthistoriker Eitelberger, der sein Interesse für angewandte Kunst weckte. 1875 bis 1883 unterrichtete Sitte in Salzburg, danach lehrte er Zeichnen und praktische Architektur in Wien. Seine Bescheidenheit konnte nicht verhindern, daß er mit seiner Abhandlung Der Städtebau nach seinen künstlerischen Grundsätzen (Wien 1889) weltbekannt wurde. Er pries mittelalterliche Städte wie Rothenburg und Siena, trat für sanft gewundene Straßen ein, die dann und wann unerwartet den Blick auf Wohnplätze freigeben sollten. Die abgezirkelten Pläne von Ingenieuren und Geometern lehnte er ab: sie seien dem Kontakt zwischen Mensch und N a t u r feindlich. Sitte bedauerte es, wenn r u n d um die Gebäude Plätze freigelassen wurden, wie etwa bei Ferstels Votivkirche, u n d verlangte, daß man eine Kolonnade errichte, die sie mit den umliegenden Gebäuden verbinden sollte. In ähnlicher Weise trat er dafür ein, vor dem Rathaus niedere Häuser zu errichten, die den Bau in die umliegenden Strukturen eingliedern würden. Sitte hatte seine künstlerischen Wurzeln in der Handwerkerschicht, so daß seine Ästhetik mit der des Wiener Impressionismus parallel ging. Er erfreute sich am Spiel mit Perspektiven und an unerwarteten Ausblicken und 159

versuchte, die Stadt der Forderung Machs anzugleichen, wonach alle Erfahrung in einer geordneten Folge von Eindrücken besteht. Seiner Ansicht nach lag die Aufgabe des Stadtplaners im Variieren von Impressionen für den Passanten und den Fahrgast des Fiakers, die sich durch sanft gewundene Straßen bewegen sollten. In seinen Untersuchungen griechischer und mittelalterlicher Städte bekannte sich Sitte zu jenem schöpferischen Willen zur Form, in welchem der Kunsthistoriker Alois Riegl die Grundlage jeglicher Kunst sah. Wie Riegl trat auch er dafür ein, daß man alle Städte nach einer systematischen Ästhetik miteinander müsse vergleichen können. Sitte verkörperte den Wiener Ästhetizismus vor allem in seiner völligen Nichtbeachtung funktioneller Probleme. Wie ein Bühnenbildner sollte seiner Ansicht nach der Stadtplaner darauf aus sein, das Auge des Beschauers zu erfreuen, ohne jede Rücksicht auf die täglichen Erfordernisse. Sitte schien die Städte in Tiefenszenerien romantischer Opern verwandeln zu wollen. Von einem ähnlichen Asthetizismus ausgehend, entwickelte sich der aus Wien stammende Otto Wagner (1841—1918) in Richtung auf den Funktionalismus. 16 Sohn eines katholischen Notars, studierte er bei van der Nüll und Siccardsburg und erntete später mit seinen Villen, die er für den gehobenen Mittelstand baute, große Erfolge. 1894 gewann er einen Wettbewerb zur Gestaltung der Wiener Stadtbahn und wurde danach Professor für Architektur an der Akademie der bildenden Künste, wo er für antihistorizistische Neuerungen eintrat. Unter seiner Ägide wurde in Wien die Jugendstil-Architektur van de Veldes eingeführt. Obwohl Wagner immer den glatten Oberflächen — wenngleich mit phantastischen Ornamenten verziert - den Vorzug gab, hatte er es doch mit der Durchführung seiner Prinzipien nicht sehr eilig. Seine 1904/07 erbaute Kirche Am Steinhof wie auch seine Stadtbahnstationen belebten viele Jugendstilmotive von neuem. Erst seine Postsparkasse (1906) führte einen utilitaristischeren Stil ein, den er auch in vielen unrealisiert gebliebenen Projekten - manche davon hatten gigantische Dimensionen — beibehielt. 17 In seinem Buch Moderne Architektur (Wien 1895), das er für seine Studenten schrieb, kritisierte Wagner die Ringstraße aus der Sicht funktioneller Einfachheit. Bahnhöfe in Gestalt von Palästen lehnte er ab, da seiner Ansicht nach etwas Unpraktisches nie schön sein konnte. In Die Großstadt. Eine Studie (Wien 1911) analysierte er den Aufbau Wiens auf dessen damaliger Stufe und stellte fest, daß eine sechzigjährige Planungs- und Bautätigkeit nur zwei erfolgreiche Projekte hervorgebracht habe: den äußeren Burgplatz (Heldenplatz) Sempers und den Schwarzenbergplatz. Wagner war sich der wirtschaftlichen Erfordernisse in weit höherem Maße bewußt als Sitte; er erkannte, daß der Wettstreit um Expansionsraum in einer sich industrialisierenden Stadt sowohl ausgedehnte Parks wie auch gewundene Straßen von vornherein ausschloß. Im Interesse der Zeitersparnis durch Pendelverkehr trat er für blockartige, vielstöckige Gebäude ein, die sich um einen zentralen Luftraum gruppieren sollten, in dem sich dann Regierungsgebäude, Geschäfte und Erholungsanlagen befinden würden. Wagner verzichtete auf dekorative Abschirmungen, wollte das eilige städtische Leben bloßlegen und gleichzeitig die Slums beseitigen. Mit seinen Visionen, die weit 160

über das hinausgingen, was er jemals zu verwirklichen hoffen konnte, erwies sich O t t o Wagner gleich Popper-Lynkeus und Theodor Hertzka als echter Utopist. Er hing weniger an der Vergangenheit als Sitte, baute für alle Gesellschaftsschichten und erkannte, daß die Planung der Städte in Z u k u n f t Aufgabe des Ingenieurs, nicht des Dekorateurs sein würde. Noch kompromißloser in seiner Ablehnung des Dekorativen war Wagners Schüler Adolf Loos ( 1 8 7 0 - 1 9 3 3 ) , Sohn eines Brünner Steinmetzen. 1 8 Er studierte in Wien, lebte dann von 1893 bis 1896 bei Verwandten in den Vereinigten Staaten und kehrte als Adept des Funktionalismus nach Wien zurück, wo er gegen den Jugendstil zu Felde zog. Loos war ein enger Freund Peter Altenbergs, und auch mit Karl Kraus, der ihn wiederholt in der Fackel zitierte, war er zeitlebens in Freundschaft verbunden. Fast gleichzeitig konvertierten Kraus und Loos zum Katholizismus, und obwohl die beiden später in Fragen der Religion und in den Diskussionen um den Ersten Weltkrieg häufig aneinandergerieten, waren sie doch in ihrer Verachtung für falsche Vorspiegelungen und Doppelzüngigkeit stets einig. Beide bewunderten den kräftigen, klaren Stil sowohl in der Literatur als auch in der Architektur. Loos trieb seine Verachtung jeder Art von Verzierung so weit, daß er, wie Stefan George, Hauptwörter ohne große Anfangsbuchstaben zu schreiben pflegte. Als Architekt griff Loos dem späteren utilitaristischen Stil Wagners vor. Schon in den neunziger Jahren bestand er darauf, daß der Planer eines Gebäudes die tragende Konstruktion eher zu betonen als zu verbergen habe. Dieses Ideal seines Lehrers verwirklichte nach 1925 der aus Wien s t a m m e n d e Richard Neutra ( 1 8 9 2 - 1 9 7 0 ) an Häusern, die er in Kalifornien baute. Zwischen 1897 und 1900 verfaßte Loos eine Reihe von Essays, die später in dem Band Ins Leere gesprochen (Wien 1921) gesammelt erschienen. 19 Mit innerer Bindung zum Handwerk, die sich bei ihm als Sohn eines Steinmetzen erhalten hatte, suchte er Handwerker zur Ablehnung des Jugendstils zu bewegen; Geräte wie Lokomotiven oder Fahrräder, so argumentierte er, brauchten kein Ornament, nur Primitive fänden an Tätowierungen Geschmack. Den Spengler, der sich der Tradition widersetzte, pries er als Revolutionär. Die zeitgenössische Kleidung lehnte er als überholt ab: für eine Bahnreise eigne sich eine militärische Uniform ebensowenig wie ein Kostüm Ludwigs XIV. In Ornament und Verbrechen (1908) verurteilte der Purist Loos jede modische Kleidung als Betrug: „Die herdenmenschen mussten sich durch verschiedene färben unterscheiden, der moderne mensch braucht sein kleid als maske. So ungeheuer stark ist seine individualität, dass sie sich nicht mehr in kleidungsstücken ausdrücken lässt. Ornamentlosigkeit ist ein zeichen geistiger kraft." 20 Wie Schönberg und Kraus wollte auch Loos die Kunst auf ihre Grundlagen zurückführen. Die Wiener Schule der Kunstgeschichte An der Universität Wien entwickelte sich eine eigentümliche Methode des Studiums der Kunstgeschichte. Man befaßte sich in der Forschung mit den verschiedensten Kunstzweigen in ihrem Verhältnis zueinander; die Kunsthistoriker nah161

men den Ästhetizismus ihrer Stadt an die Kandare.21 Unter den Vorläufern der Wiener Schule fand sich auch der Gründer des Museums für Angewandte Kunst, Rudolf Eitelberger von Edelberg (1817-1885), der sich für eine Verbesserung der handwerklichen Qualität einsetzte.22 Einer seiner Schüler, der böhmische Jude Moriz Thausing (1838-1884) 23 , führte in Wien die von dem italienischen Senator Giovanni Morelli (1816-1891) vervollkommnete Technik der Zuschreibung ein. Bürgerliche Gemäldesammler verlangten eine verläßlichere Methode, um die Authentizität von Gemälden festzustellen; eine Aufgabe, die der als Mediziner ausgebildete Morelli löste, indem er die kleinsten Details, wie Nasen, Ohren, Füße, untersuchte.24 Der Gründer der Wiener Schule der Kunstgeschichte war Franz Wickhoff (1853—1909).25 Er wurde in Steyr geboren, studierte bei Alexander Conze (18311914), einem Semper-Schüler, griechische Archäologie und bei Theodor von Sickel (1826-1908), dem späteren Direktor des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung, Diplomatik. Unter Thausings Einfluß vereinigte Wickhoff kunstgeschichtliche Kennerschaft mit Archäologie und Philosophie, um eine Präzision der Beobachtung zu erreichen, vergleichbar jener, welche die Giganten der Wiener medizinischen Schule forderten. Er war der erste Vertreter der Wiener Schule, der die Behauptung von den inneren Zusammenhängen der Kultur aufstellte, und zwar ausgehend von dem Argument, daß sich die christliche Malerei des zweiten und dritten Jahrhunderts aus der heidnischen Wandmalerei und Reliefkunst entwickelt habe. Noch revolutionärer war seine — übrigens mit Guido Adler übereinstimmende — Ansicht, daß jede Epoche der Kunst in gleichem Maße der Erforschung wert sei. Er verabschiedete damit den Kanon der Renaissance, der die spätrömische Kunst geringgeschätzt hatte, und verglich diese mit dem zeitgenössischen französischen Impressionismus. Wickhoff verehrte Klimt und die funktionelle Architektur und war selbst Amateurmaler und -dichter; als solcher ergänzte er Goethes Pandora in einer Art, die den Beifall der Kritik erntete. Infolge der außergewöhnlichen Breite seiner Ausbildung konnte Wickhoff den Bruch mit der Tradition wagen; er kombinierte Kennerschaft mit historischer Genauigkeit und machte der Forschung ganze Epochen neu zugänglich. Wickhoffs Prinzipien wurden von seinem jüngeren Kollegen Alois Riegl (1858-1905) 26 ausgebaut und vertieft. Riegl war in Zablotow (Galizien) als Sohn eines Beamten der Tabakregie aufgewachsen. 1873 starb sein Vater, und sein Vormund bestand darauf, daß Riegl vier Semester Jus studiere, dann erst durfte er sich Theodor von Sickels Institut anschließen, wo er sich umfassende Kenntnisse aus der Paläographie erwarb. Auch bei Robert Zimmermann studierte er zwei Jahre lang und fand dort vom Formalismus seines Lehrers zur Objektivität im Kunststudium. Als Kunsthistoriker arbeitete er von 1887 bis 1898 in der Stellung eines Kustos der Abteilung Textilien an Eitelbergers Museum für Kunst und Industrie. 1889 habilitierte er sich, 1897 berief man ihn als Ordinarius an die Universität, 1901 wurde er Mitglied der „K. k. Zentral-Kommission zur Erforschung und Erhaltung der Kunst- und historischen Denkmale". Riegl brachte Objektivität ins Konservatorenwesen, gebot der Demolierung von barocken Bauwerken Einhalt und leitete die Herausgabe einer einundzwanzigbändigen Osterreichischen Kunsttopographie ein (Wien 1907—1927), um über das 162

Erhaltengebliebene einen Überblick zu verschaffen. Riegl erkrankte an Krebs, wurde zusehends taub, doch blieb seine Arbeitskraft bis zu seinem Tode ungebrochen. In seinen Stilfragen. Grundlegungen zu einer Geschichte der Ornamentik (Berlin 1893) und in Spätrömische Kunstindustrie nach den Funden in Österreich-Ungarn (Wien 1901) diskutierte er den ästhetischen Materialismus Gottfried Sempers anhand seiner Kenntnis spätrömischer Textilien. Zur Widerlegung des Vorurteils des Architekten, den Stil nach dem Material zu determinieren, prägte Riegl den Terminus Kunstwollen oder künstlerische Intention, um ein autonomes Leben der Form zu bezeichnen. Wie Hanslick war auch Riegl der Ansicht, daß Formveränderungen nicht durch äußerliche Kräfte in der Gesellschaft verursacht werden, sondern durch Impulse innerhalb der Form selbst. Ungeschickterweise versuchte er die Autonomie der Formen mit dem Ausdruck „Wollen" zu unterstreichen, was irrtümlich Assoziationen zum bewußten Willensakt des Künstlers erweckt. Unter dem Einfluß Zimmermanns führte Riegl ein Paar von polaren Gegensätzen ein, das noch universaler ist als das durch Heinrich Wölfflin berühmt gewordene: Um ägyptische und griechische Kunst von späterer Malerei zu unterscheiden, unterschied Riegl haptische und optische Stile. Diese Polarität wurde von der Tatsache bestätigt, daß primitive Völker nicht imstande sind, eine Abbildung auf einer Photographie wiederzuerkennen; sie erfassen Abbildungen nur in drei Dimensionen. Haptische Kunst schafft plastische Bildwerke, losgelöst vom umgebenden Raum wie im alten Ägypten. Solche Statuen sorgen für Dauerhaftigkeit, indem sie die Umrisse hervorheben und Schatten vermeiden. Optische Kunst dagegen porträtiert den Raum durch Hell-Dunkel-Schattierungen in zwei Dimensionen, desgleichen durch zerrissene Konturen und impressionistisches Spiel des Lichts. Riegl vertrat die Ansicht, daß die beiden Stilrichtungen einander in alternierendem Rhythmus abgewechselt hatten. Z u m einen war auf die haptische Kunst der Griechen die optische des späten Rom gefolgt, zum anderen herrschte in der Renaissance wieder der haptische Stil vor, genau wie auch im Neoklassizismus und im Nachimpressionismus, während im Barock und im Impressionismus wieder der optische Stil überwog. Vom Formalismus fasziniert, wie auch der Schweizer Wölfflin, lehnte Riegl die menschlichen Leidenschaften ab und meinte, ein idealer Beurteiler der frühen Kunst könne nur der sein, der niemals ein später geschaffenes Kunstwerk gesehen habe. Gemeinsam entfernten diese beiden Gelehrten die Schranken zwischen großer und kleiner Kunst wie auch die zwischen klassischen und dekadenten Stilen. Nach Edgar Winds Aussage ist es ihnen zu verdanken, daß wir „aufgehört haben, einen Stil nach den Kriterien eines anderen zu beurteilen." 27 Nach dem frühen Tod Wickhoffs und Riegls ging die Führung der Wiener Schule auf den Tschechen Max Dvorak (1874-1921) über. 28 Der Katholik Dvorak war der Sohn des fürstlich Lobkowitzschen Archivars auf Schloß Raudnitz a. d. Elbe. In Wien wurde er zum Lieblingsschüler Wickhoffs, der empört war, als er feststellen mußte, daß deutsche Studenten seinen tschechischen Lehrbeauftragten auszischten. 1905 wurde Dvorak zum Extraordinarius, 1909 zum ordentlichen Professor für Kunstgeschichte berufen. Er bereitete seine Vorlesun163

gen mit außergewöhnlicher Gründlichkeit vor und trat bis 1914 für den Formalismus Riegls ein. Für Dvorak kündigte der Erste Weltkrieg den Zusammenbruch einer materialistischen Kultur an; er prophezeite, daß aus ihr eine neue Geistigkeit, typisiert im Expressionismus Kokoschkas, hervorgehen würde. Nach dem Krieg quälte sich Dvorak in seinen Bemühungen um eine Bewahrung der Denkmäler Österreichs buchstäblich zu Tode. Sein zu frühes Hinscheiden hinterließ eine gespaltene Wiener Schule; der eine Flügel wendete sich dem Kuristkenner Julius von Schlosser (1866—1938) zu, einem Bewunderer Benedetto Croces, der andere dem zur Archäologie übergewechselten Orientalisten Josef Strzygowski (1862—1941), der eine kontinuierliche Entwicklung von zentralasiatischen zu nordeuropäischen Stilen annahm, die Kunst des Mittelmeerraumes jedoch geringschätzte.29 Dvorak sicherte sich vor allem durch sein nach 1914 vertretenes, von Dilthey angeregtes Programm einen Platz im Gedächtnis der Nachwelt. Er suchte darin Kunstgeschichte und Ideengeschichte zu integrieren. In einer Reihe von Essays, die unter dem von Felix Horb vorgeschlagenen Titel Kunstgeschichte als Geistesgeschichte (Wien 1924) veröffentlicht wurden, stellte der tschechische Gelehrte Wechselbeziehungen zwischen Literatur und bildender Kunst her, darunter Parallelen zwischen El Greco und der Theologie der Gegenreformation, zwischen Goya und Zeitgenossen wie Goethe, Leopardi und Hölderlin. Eine Zeitlang versprach Dvoräks Forderung nach Aufdeckung von Zusammenhängen zwischen bildender Kunst und geistigen Strömungen eine Revolution in der Methode der Kunstgeschichte. Phantasiebegabte Schüler, wie Hans Tietze, Frigyes Antal, Dagobert Frey, Otto Benesch und Arnold Hauser, machten sich an die Erforschung der Affinität zwischen Kunst und Literatur. Ohne unbedingt kausale Zusammenhänge vorauszusetzen, nahmen sie an, daß jede Zeit ähnliche Probleme in verschiedenen Ausdrucksbereichen in ähnlicher Weise löst. Für Dvorak waren alle Kunstdenkmäler und literarischen Werke Elemente ein und desselben Mosaiks, das den Zeitgeist ausmacht. Ein jedes trägt zum Ganzen bei, ohne daß es notwendigerweise ein anderes beeinflussen müßte. Die Logik von Ganzheiten, die an Ehrenfels' Gestaltbegriff erinnert, wurde von Strzygowski in Die Krisis der Geisteswissenschaften (Wien 1923) mit vollendeter Geschicklichkeit ausgearbeitet, desgleichen von Dagobert Frey in Gotik und Renaissance als Grundlage der modernen Weltanschauung (Augsburg 1929). Der Schlosser-Schüler Hans Sedlmayr (geb. 1896) bediente sich der Gestaltpsychologie bei der Aufstellung einer Charakterologie der künstlerischen Form,30 während der Wiener Archäologe Guido Kaschnitz von Weinberg (1890—1958) zur Verfeinerung der Kategorien Riegls jene von Husserl verwendete.31 Die Gefahren der Methode Dvoraks treten in seinem zwischen 1915 und 1917 verfaßten Werk Idealismus und Naturalismus in der gotischen Skulptur und Malerei (1918) zutage. 32 Er verwendete ein Paar polarer Gegensätze, das von Konrad Lange (1855-1921) in Das Wesen der Kunst (1901) eingeführt worden war, um das Mittelalter von 500 bis 1100 als den Höhepunkt eines auf die andere Welt gerichteten Idealismus zu interpretieren. Zwischen 1150 und 1500 rang dann der empirische Geist des Naturalismus mit dem Idealismus, um schließlich einen entscheidenden Sieg davonzutragen; in El Greco und Cervantes 164

kam es zu einem letzten Aufflackern des Idealismus. Nach 1600 zerstörten die Naturwissenschaften nach und nach den Kanon des Naturalismus, indem sie die Künstler während des 19. Jahrhunderts zwangen, entweder ihre eigenen Standards gewaltsam voranzutreiben oder sich versklavenden Regeln zu unterwerfen. Im Impressionismus und vor allem im Expressionismus begann, nach Dvoräks Meinung, der Idealismus wieder hervorzutreten, weshalb Dvorak in seinem Werk Uber El Greco und den Manierismus (1922) eine Wiedergeburt spiritueller Werte vorhersagte. 33 Dvorak verehrte impressionistische und expressionistische Gelehrte um ihrer Ablehnung der Spezialisierung willen: Dilthey, Worringer und Spengler, die Philosophie mit Dichtung, Geschichte mit Soziologie und die Kunst mit der Psychologie integrierten, umfaßten den ganzen Menschen. Da Dvorak zwanzig Jahre mit formalistischen Analysen zugebracht hatte, ehe er sich der Kulturgeschichte zuwandte, war seine Verschmelzung von Kunstgeschichte mit Ideengeschichte in seiner Kunstkennerschaft fest verankert. Dennoch konnte auch die größte Vorsicht nichts daran ändern, daß seine Methode exzessiv aprioristisch war. Da sich die Argumentation in einem Kreis von der Literatur zur Kunst und wieder zurück bewegte, konnte er aus einem Medium herausgreifen, was ihm beliebte, und dies dann auf ein anderes übertragen. Bestenfalls hat Dvorak den Hang des böhmischen Reformkatholizismus zu Ganzheiten wiederbelebt, indem er Idealismus mit Ausgerichtetsein auf das Ganze und Naturalismus mit der empirischen Analyse der Teile gleichsetzte. Darin ähnelte er Othmar Spann, dessen universalistischer Ansatz Dvoräks Idealismus entspricht, während Spanns Begriff des Individualismus dem Naturalismusbegriif des Tschechen gleichkommt. So wie Spann sich in Nostalgie nach der vorindustriellen Gesellschaft erging, verkörperte Dvorak den expressionistischen Wunsch nach Wiederbelebung der emotioneilen Spontaneität, die er dem Mittelalter zuschrieb. Zwar scheinen solche Hoffnungen heute naiv, doch zu seiner Zeit hat Dvorak mit seinem Enthusiasmus und seiner Hilfsbereitschaft vielen Studenten den entscheidenden Funken vermittelt. Die Wiener Schule der Kunstgeschichte griff Gemeinplätze des Wiener Ästhetizismus auf, um Vorurteile, die ihrer Disziplin hinderlich waren, aus dem Weg zu räumen. Die Wiener Gelehrten mit ihrem Drang zu Vergleichen zwischen bildender Kunst und Literatur setzten in jeder Kultur jene Art von gegenseitiger Befruchtung zwischen den Genres voraus, die gerade ihre Stadt auszeichnete. Die Wiener Autoren Saar, Hofmannsthal und Schnitzler erachteten die Arbeiten Klimts und Wagners als den ihren parallellaufend. Die Art, in der sich das Wiener Publikum an Makart und der Sezession berauschte, legte die Auffassung nahe, daß sich der Kunstkonsument anderer Zeitalter in ähnlicher Weise in engem Kontakt zum Künstler befunden habe. Paradoxerweise war es gerade eine tief in die Tradition versenkte Stadt, deren Gelehrte es für angezeigt hielten, die Richtlinien der Renaissance fallen zu lassen, um weniger bekannte Epochen zu studieren - wie etwa die des späten Rom - und bisher vernachlässigte Ausdrucksmittel - wie Textilien oder die Steinschneidekunst. In Dvorak griff die Schule über den Herbartschen Formalismus hinweg nach dem Hegeischen Enzyklopädismus. Er verschmolz die Kunstgeschichte mit der Ideengeschichte u n d projizierte so wienerische Voraussetzungen auf andere Kul165

turen, wo sie sich oft nur mangelhaft anwenden ließen. Wie der Musikwissenschaftler Guido Adler, der die Quintessenz des Formalismus Hanslicks mit historischer Gelehrsamkeit vereinigte, so verband Dvorak in sich den Formalismus Riegls mit historischem Sachverständnis und warf Probleme auf, die bis heute keine gültige Lösung gefunden haben. 34 Wenngleich Dvorak seinen Zeitgenossen um seiner expressionistischen Visionen willen ans Herz gewachsen war, so haben ihn seine Prophezeiungen bei seinen Nachfolgern doch in Mißkredit gebracht und in jenen wiederum das Urteil erweckt, er hätte seine Gelehrsamkeit doch in überlegterer Weise handhaben sollen.

10. KRITIKER DES ÄSTHETIZISMUS

Rosa Mayreder: Kennerin der Rolle der Frau Die Liebe zur Kunst bedeutete zwar vielen Wienern einen Trost, stellte aber für andere eine Herausforderung dar. Rosa Mayreder (1858-1938), die heute fast vergessen ist, bekämpfte den therapeutischen Nihilismus, indem sie sich für die Verbesserung des Loses der Frau einsetzte. 1 Sie zählt zweifellos zu den vernünftigsten Interpretinnen der Rolle der Frau in der modernen Gesellschaft — sowohl innerhalb ihrer Generation als auch ganz allgemein. Als Tochter des vermögenden Wiener Hoteliers Obermayr wuchs sie in einer großen Familie des gehobenen Mittelstandes auf. Die Erziehung eines Mädchens war in solchen Kreisen ganz auf die Pflege von Kunst und Schönheit ausgerichtet. Schon im Alter von zwölf Jahren hielt man sie an, ein Korsett zu tragen, sich in Schuhe zu zwängen, die die Füße klein erhalten sollten, und Gymnastik zu vermeiden, die am Ende große Hände verursachen könnte. Man vertrat allen Ernstes die Ansicht, daß das Studium ein Mädchen kahlköpfig machen und ihre Figur verderben könnte. Vergebens bemühte sich die begabte junge Rosa um eine entsprechende Ausbildung, während ihr Vater auf der anderen Seite alle Hebel in Bewegung setzte, um ihren Bruder durch die Schule zu pauken. Erbost über die Bevorzugung ihrer Brüder, beschloß Rosa, die den jungen Frauen offenstehenden Möglichkeiten zu erweitern. Als talentierte Malerin schloß sie sich den künstlerischen Kreisen an, in denen auch Berta Zuckerkandl-Szeps und Alma Mahler-Werfel verkehrten. Hier lernte sie ihren späteren Mann, den Architekten Karl Mayreder, kennen - sie heirateten 1881 - , in dessen Firma später Adolf Loos tätig war. Gemeinsam mit Otto Wagner arbeitete Mayreder zwischen 166

1893 und 1895 ein preisgekröntes Projekt zur Ergänzung der Ringstraße aus. Von ihrem Gatten ermutigt, gründete Rosa 1893 den Allgemeinen österreichischen Frauenverein. Wie schon erwähnt, protegierte sie Hugo Wolf, nahm ihn vor der Kritik in Schutz und regte ihn 1895 an, ihr Libretto Der Corregidor, eine Adaption des Dreispitzes (1874) von Pedro de Alarcón, zu vertonen. In ihrer Schrift Zur Kritik der Weiblichkeit (Jena 1905) legte Rosa Mayreder ein außergewöhnlich scharfsinniges Verständnis für die Probleme der Frau an den Tag. Die englische Ubersetzung unter dem Titel A Survey ofthe Woman Problem (London 1912) fand durchwegs positive Aufnahme. Im Gegensatz zu den meisten anderen Frauenrechtlerinnen bedauerte Rosa Mayreder, daß man es dem Zufall des Geschlechts erlaube, jegliche Einstellung zu formen. Nach Ansicht der Mayreder bestand das Ziel des Lebens in der Pflege jener Aspekte der Persönlichkeit, die beiden Geschlechtern gemeinsam sind, etwa Intelligenz, Nächstenliebe und Asthetizismus. Sie prägte Wortneuschöpfungen, die denen Weiningers an Kakophonie nicht nachstanden, und unterschied vier mögliche Beziehungen zwischen dem Individuum und der Sexualität: Erstens die akratische Person oder den Geschlechtspatriot, der sich einer ungemilderten Sexualität hingibt und damit entweder völlig männlich wie Don Juan oder völlig weiblich wie Messalina wird. Zweitens die iliastrische Person, die sich auf dem Wege der Askese um Geschlechtlosigkeit bemüht und dabei sexuelle Energien nach Art christlicher oder buddhistischer Mönche konserviert, um eine nach innen gerichtete Sexualität zu erreichen. Drittens die dyskratische Person, die zu keinem der beiden vorgenannten Extreme gelangen kann, zur Akkomodation der Sexualität an andere Tätigkeiten unfähig ist und daher in allen Unternehmungen versagt - der Neurotiker im Sprachgebrauch der Psychoanalyse. Viertens die synthetische Person, die den Konflikt zwischen einwärts und auswärts gerichteter Sexualität überwindet. In der Ehe lernen zwei synthetische Partner, Intellekt und Emotion miteinander zu teilen, ohne deshalb auf sexuelle Erfüllung zu verzichten. Rosa Mayreder lehnte sich dagegen auf, daß man durch die Forderung nach Harmonie zwischen den Geschlechtern Frauen den einen Anspruch auf größere Rechte aberkannte. Sie sah in der Frauenbewegung eine Folge der Industrialisierung, deren geänderter Wirtschaftskreislauf mit der herkömmlichen Häuslichkeit zwangsläufig in Konflikt geriet. Wenn Geschäftsleute plötzlich zusperren mußten und Arbeiter entlassen wurden, dann wollte auch die Hausfrau wissen, welche Kräfte hier ihre häusliche Geborgenheit zerbrachen. Ein weiterer Faktor, der die Frauenbewegung in Gang gebracht hatte, war der Sport, insbesondere das Radfahren, das frühere Vorstellungen von weiblicher Anmut dadurch untergrub, daß es rasche Bewegungen der Beine erfordert. Rosa Mayreder meinte, daß das seit etwa 1890 verwendete Fahrrad mehr für die Emanzipation der Frau und die Kameradschaft zwischen den Geschlechtern geleistet habe als alle Frauenbewegungen zusammen. 2 Viele Arzte stimmten mit ihr darin überein, Sport als Alternative für das Korsett zu empfehlen. Sigmund Freud etwa mußte Anfang der achtziger Jahre seiner zur Untätigkeit erzogenen Verlobten Medikamente verschreiben, um sie von der damals üblichen Anämie zu heilen. 3 167

1923 formulierte Rosa Mayreder ihre Auffassung von den Pflichten der Frau in einem Essay: Geschlecht und Kultur.4 Sie zitierte Houston Stewart Chamberlains Unterscheidung zwischen äußerlicher Zivilisation und innerer Kultur und trat dafür ein, die Frau durch die Verantwortlichkeiten der Mutterschaft geschlechtsgebunden zu erhalten, während der Mann frei sei, den Sexus zu transzendieren, und damit frei, die äußere Ordnung der Zivilisation zu schaffen. Da der Mann jedoch von Natur aus innerer Hemmungen entbehrt, sollte die Frau als „Maß aller Dinge" dienen. Ihre kulturelle Mission besteht darin, den Mann davon abzuhalten, sich in nach außen gerichteten Aktivitäten zu verlieren. Wenn es ihr nicht gelingt, ihre Aufgabe als kulturelle Bremse zu erfüllen, gewinnt Äußerlichkeit die Oberhand, in ihrer Folge Grausamkeit und Verwahrlosung der Emotionen. Als Beispiel für männliches Denken, das nicht durch weibliches Mitfühlen geläutert wurde, führte Mayreder Weiningers Behauptung an, daß Frauen keine Seele besäßen, eine Lehre, die die Kirche schon um etwa 900 aufgegeben habe. In ihrer Widerlegung Weiningers führte sie dessen Ansicht, daß jede Zelle geschlechtliche Charakteristika trage, ad absurdum: Wäre es tatsächlich so, dann wäre die stärkste Frau schwächer als der schwächlichste Mann. Um zu dokumentieren, wie vergeblich alle von Männern unternommenen Versuche zum Verstehen der Frauen bleiben mußten, solange man die Frauen nicht selbst zu Rate zog, stellte Rosa Mayreder einige Eigenschaften zusammen, die dem anderen Geschlecht von Männern zugeschrieben worden waren: Da sagt zum Beispiel Lotze, daß „das Weib die Analyse haßt" und deshalb falsch von richtig nicht unterscheiden kann. Dann ist da Lafitte, der sagt, „die Frau ziehe die Analyse vor". Kingsley nennt sie „die einzig wahre Missionarin der Zivilisation", und Pope nennt sie einen liederlichen Müßiggänger durch und durch; Havelock Ellis meint, sie könne unter schwierigen Bedingungen nicht arbeiten, und Von Horn behauptet, daß sie im Erfüllen schwerster Anforderungen den Mann beschäme; M. de Lambert wiederum, daß sie mit der Liebe spiele, Krafft-Ebing, daß sie ihrem Wesen nach monogam ist;... Lombroso behauptet, daß „in jeder, auch der normalen Frau, ein halbkriminelles Wesen" stecke; Bachofen wiederum, daß „der Frau das Recht angeboren" sei.5 Diese Dummheiten, meint Rosa Mayreder, stellten subjektive Fetische dar, von Männern entworfen, um sich selbst zu schmeicheln. Die Vorstellung des Mannes von einem „ewig Weiblichen" sei pures Wunschdenken. In ihren Darstellungen vom Mißbrauch der Sexualität läuft Mayreder parallel zu Krafft-Ebing und Freud, dessen Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie (Wien 1905) sie 1906 in einer Besprechung günstig beurteilte. In ihrer Auseinandersetzung mit dem patriarchalischen Psychoanalytiker beschwor sie Männer und Frauen, in der Pflege von nichtsexuellen Aspekten der Persönlichkeit als einander Gleichgestellte zusammenzuarbeiten. In ihrer Mäßigung wirkte Rosa Mayreder überzeugender als der Sexualutopist Ehrenfels oder der antisexuelle Fanatiker Weininger. Mit der Behauptung, daß die Individuen ihre Erfüllung durch das Aufgehen in einer größeren Einheit - dem Paar - finden können, vollzog sich der Glaube des böhmischen Reformkatholizismus, daß das Gute des Ganzen auf dem seiner Teile beruhe. Indem Rosa Mayreder für weltfremde Persönlichkeiten wie Christian von Ehrenfels oder Hugo Wolf den guten 168

Geist abgab, lebte sie selbst ihr Ideal der Frau als Maß aller Dinge. Heute, da viele ihrer Kreuzzüge siegreich beendet sind, haben ihre Ansichten schon an Reiz verloren, aber in Rosa Mayreder verkörperte sich das Beste, was der tief mit dem Weiblichen verquickte Wiener Asthetizismus zu bieten hatte.

O t t o Weininger: Genie zwischen Frauenhaß und Selbsthaß Die brennendste Anklage gegen den Wiener Asthetizismus - und seine Frauen - wurde von O t t o Weininger (1880-1903) erhoben. 6 Von einem überempfindlichen Gewissen gepeinigt, beging er Selbstmord, kaum ein Jahr nachdem er mit einer erweiterten Fassung seiner Dissertation, Geschlecht und Charakter. Eine prinzipielle Untersuchung (Wien 1903), zu plötzlichem Ruhm gelangt war. Wahrscheinlich hat keine andere Dissertation je so viele Auflagen erlebt — bis 1940 waren es an die dreißig — und so heftige Kontroversen nach sich gezogen wie dieser Ausfall gegen Frauen und Juden. Otto war der Sohn eines zwar begabten, aber strengen jüdischen Vaters, des Goldschmiedes Leopold Weininger (1854-1922), der eine ihm geistig weit unterlegene Frau geheiratet hatte. Der Knabe wuchs gemeinsam mit vier Schwestern und zwei Brüdern auf. Er bewunderte die im Selbststudium erworbenen meisterhaften Sprachkenntnisse seines Vaters ebenso wie sein Geschick als Goldschmied, seine Liebe zu Richard Wagner und seinen Antisemitismus. Die Ungebildetheit seiner Mutter verachtete er, und in der Folge ließ er seine enttäuschten Odipusgefühle zu rasender Weiberfeindschaft degenerieren. Noch als Schüler am Wiener Schottengymnasium lernte er nicht nur Latein und Griechisch, sondern auch Französisch, Englisch, Italienisch, Spanisch und Norwegisch in Wort und Schrift. Von Freunden wie Oskar Ewald, Emil Lucka und Hermann Swoboda ermutigt, produzierte sich O t t o als Dandy. Von 1898 bis 1902 studierte er bei Friedrich Jodl (1849—1914), für den er seine Dissertation mit dem Titel „Eros und Psyche" schrieb. Da Jodl Weininger persönlich abstoßend fand und festgestellt hatte, daß dessen Dissertation voll war von Extravaganzen und unausgereiftem Zeug, wunderte er sich sehr über den Erfolg, den die Arbeit als Buch mit dem Titel Geschlecht und Charakter erzielte. 7 War die Dissertation — wenn auch in sehr selbstbewußter Art — wissenschaftlich geblieben, so zeigte die erweiterte Fassung gewisse Anzeichen von Wunschvorstellungen in ihren Spekulationen über Juden und Frauen. Im Sommer 1902 war Weininger zum Protestantismus übergetreten. Ebenfalls 1902 war er durch Deutschland nach Norwegen gereist, im Sommer des nächsten Jahres bereiste er Italien und schrieb eine Reihe von Aphorismen, die posthum unter dem Titel Über die letzten Dinge (Wien 1904) veröffentlicht wurden. Nachdem er im September 1903 nach Wien zurückgekehrt war, verfiel er in z u n e h m e n d e Verstörtheit. Am 4. O k t o b e r mietete er in dem Haus in der Schwarzspanierstraße, in welchem Beethoven gestorben war, ein Zimmer, schloß sich dort ein und jagte sich eine Kugel in die Brust, nachdem er dem Vater und einem Bruder seine Selbstmordabsicht brieflich mitgeteilt hatte. Sein Tod führte zu Polemiken, in denen Karl Kraus, Strind169

berg und andere, die ihn bewundert hatten, seinen Ruf gegen die klerikale Presse verteidigten. Weiningers Freunde nahmen ihn auch gegen die Angriffe des deutschen Charakterforschers Paul Möbius (1853—1907) in Schutz, der den Verstorbenen beschuldigt hatte, sein Werk Uber den physiologischen Schwachsinn des Weibes (Leipzig 1900) plagiiert zu haben. In Geschlecht und Charakter verzerrte Weininger eine an sich brauchbare Hypothese zur Monomanie. Er trat dafür ein, daß jegliches menschliche Verhalten aus dem Begriff des weiblichen und des männlichen Protoplasmas erklärt werden könne, das die jeweilige Persönlichkeit konstituiere. Er meinte, jede Zelle eines jeden Organismus sei mit Sexualität begabt, und prägte, um verschiedene Typen des Protoplasmas zu bezeichnen, eine Reihe neuer Termini: Idioplasma ist sexuell indifferent, Arrhenoplasma ist männliches Protoplasma, Thelyplasma dagegen das weibliche Zellgewebe. Er verwendete algebraische Formeln und demonstrierte mit ihnen, wie die verschiedenen Varianten der Proportionen von Arrhenoplasmen und Thelyplasmen verschiedene Problemkreise, etwa die Psychologie des Genies, die Theorie der Erinnerung, die Prostitution, den Antisemitismus und die Rassentheorie, einer Lösung zuführen könnten. In einer sich immer weiter spannenden Anzahl konzentrischer Ringe kreisen diese Untersuchungen um die einer Besessenheit gleichende Vorstellung, daß Weibliches und Männliches sich als unversöhnliche Feinde gegenüberstehen. In der Breite seiner Interessen karikierte Weininger den von den Herbartianern in Wien verbreiteten Enzyklopädismus und berief sich auf eine eindrucksvolle Galerie von Autoritäten, unter ihnen Piaton, Aristoteles, Kant, Spencer, Schopenhauer, Darwin. Er sprühte vor Angriffslust, darin seinem Idol Houston Stewart Chamberlain ähnlich, und nahm für sich in Anspruch, Probleme gelöst zu haben, an denen die gesamte Gelehrtenwelt Jahrtausende hindurch gescheitert war. Obwohl er dies nicht zugab, leitete Weininger seine Behauptungen von der allgegenwärtigen Bisexualität von keinem anderen als Freud ab. Im Oktober 1900 führte Weiningers Freund Hermann Swoboda (1873—1963), ein Patient Freuds, ein Gespräch mit dem Psychoanalytiker über die bisexuellen Anlagen in jeder Persönlichkeit. Weininger holte diese Ansichten aus seinem Freund heraus und blähte sie zu einer Abhandlung auf, die er im Herbst 1901 Freud zur Begutachtung vorlegte. Freud ermahnte ihn daraufhin: „Sie haben das Schloß mit einem gestohlenen Schlüssel geöffnet."8 1904 und 1905 beschuldigte Wilhelm Fliess seinen einstigen Vertrauten Freud, er habe ihre gemeinsamen Erkenntnisse an Weininger und Swoboda preisgegeben. In einem an Karl Kraus gerichteten Brief vom 18. Januar 1906, in welchem Freud Weininger verunglimpfte, bestätigte er auch, daß sein Patient Swoboda dem jungen Genie so manche seiner Ideen vermittelt habe.9 Weininger zählt zu den unverfrorensten Frauenhassern. Er setzte Sexualität einfach mit der Frau gleich, die den Mann in den Krämpfen des Orgasmus ansteckt. Er diagnostizierte die Hysterie als eine der Frau spezifisch eigene Krankheit, hervorgerufen von dem Konflikt zwischen ihrer ausschließlich sexuellen Natur und dem Keuschheitsideal, das ihr der Mann auferlegt. Gleichsam in einer Parodie der stereotypen Vorstellungen des Mannes über die Frau trat Weininger dafür ein, daß die Frau nur die Wahl habe, sich zwischen Mutterschaft oder 170

Prostitution zu entscheiden, tertium non datur. Da jene nur eine verkleidete Form von dieser sei, bestehe für den Mann nur eine einzige Möglichkeit, sich dem erdgebundenen Weib zu entziehen, nämlich die Fortpflanzung einzustellen. Auch eine Reihe anderer österreichischer Autoren, viele von ihnen Juden, waren von Frauenhaß befallen. Joseph Roth zeichnete die Frau als Verführerin, die den Mann zur Pflichtversäumnis verleitet und seine Fähigkeit, Höheres anzustreben, dadurch betäubt, daß sie zügellose Genußsucht erweckt. Kafka hat Weininger mit großer Begeisterung gelesen, wenngleich es heute schwer ist, in Kafkas geisterhaften Frauenfiguren die Einflüsse Weiningers und Strindbergs auseinanderzuhalten.10 In seiner Jugend war auch Broch von Weiningers erhabener Moralität und seinem unerbittlichen Gebrauch polarer Gegensätze fasziniert, und Karl Kraus hielt den jungen Mann für einen frustrierten Dichter. Ferdinand Ebner, der Weiningers Werk geradezu verschlungen hatte, erklärte, daß hier der JodlSchüler den weltlichen Idealismus zu einem logischen Schluß geführt habe. Er habe den Antifeminismus und den Antisemitismus aufgedeckt, der sich hinter jeglichem Traum vom Geist verbirgt", den die Idealisten so lieben. Die entgegengesetzte Besessenheit befiel Egon Schiele, der den weiblichen Körper bis zur Anwiderung malte, die Frau nicht als Vampir sehend, sondern als Partner in der Ekstase des Zeugungsaktes. Beide litten nach den Worten Alfred Werners unter der typischen tristitia des jungen Mannes, der den Instinkt nicht mit der Pflicht in Einklang zu bringen vermag.12 Für Weininger spielte die Frau die Rolle der Judith und der Salome, die der Jugendstil feierte; sie konnte keine alma Venus oder Maria redemptrix werden, schon gar nicht Rosa Mayreders synthetische Persönlichkeit. In den zwanziger Jahren rehabilitierte der aus Vorarlberg stammende Jude Eugen Steinach (1861—1944) Weiningers Theorie von den sexualitätsdurchdrungenen Protoplasmen. Als Endokrinologe in Prag und Wien führte er eine Verjüngungstechnik ein, die mit der Einpflanzung von Sexualhormonen operierte. Freud selbst unterzog sich im November 1923 in der vergeblichen Hoffnung, dadurch seinem Krebsleiden Einhalt gebieten zu können, einer Steinachoperation. In der erweiterten Fassung seiner Dissertation, also im Buch, verband Weininger die Frauen mit den Juden. Chamberlains Formel bestätigend, nach welcher die Juden weniger eine Rasse als vielmehr eine Geisteshaltung darstellten, zitierte Weininger den jüdischen Antisemitismus zur Stützung seiner Theorie von der dem Juden angeborenen Inferiorität. Da dem Juden genau wie den Frauen ein Ego abgehe, desgleichen der Sinn für Selbstachtung, müßten sie amoralisch und lasziv sein; mit einem Wort - Zuhälter.13 Als Materialisten zu jeder Frömmigkeit unfähig - und ohne den Glauben an die Männer, den die Frauen immerhin noch haben träten die Juden besonders als chemische Experimentierer hervor, deren Lösungsmittel den Idealismus zersetzten. Den Zionismus tat Weininger, der mit seinem jüdischen Selbsthaß geradezu prunkte, als Selbstbetrug ab - nur als Individuum konnte seiner Meinung nach ein Jude aufhören, Jude zu sein. Er verachtete in sich selbst alle die femininen Züge, die er bei anderen schmähte, und ähnelte darin dem Helden in Ferdinand Bronners Roman Schmilz (Wien 1905), einem Juden, der einer antisemitischen Organisation beitrat, um seinen Selbsthaß zu lindern. Teilweise auf Grund seiner dunk171

len Hautfarbe versagte sich Weininger die Speichelleckerei, die sich der ebenfalls jüdische Wiener Antisemit Arthur Trebitsch (1880-1927) Wohlgefallen ließ. Zufolge seines Äußeren, das dem eines germanischen Helden glich, wurde Trebitsch Mittelpunkt eines ganzen Kultes.14 Abgesehen von seinen Launen verkörperte Weininger dennoch das Reine und Erbauliche. Selbst Sigmund Freud gab zu, daß der junge Mann etwas Geniales an sich habe.15 Swoboda pries den Freund als überkantischen Fanatiker des Rechts in seiner Verachtung für alles Irdisch-Unvollkommene. Weininger kam nie über das Streben des Jünglings nach fleckenloser Gerechtigkeit hinweg, und er konnte daher eine Welt, deren Mißstände niemand ins rechte Lot zu bringen vermocht hatte, auch nicht verdauen. Nach einem seiner mitternächtlichen Spaziergänge schrieb er die folgenden klagenden Verse nieder: Schauder Allmählich kehr ich heim an diese Stätte Mit müden Sinnen, schlaff und ohne Kraft; Wie jeder andere ist der Tag verronnen. Der Mond ist da, soll trösten für die Sonnen. Des Winters schweigend mitleidlose Kälte, Der Himmel starr in seinem Leichentuch: Es schneit in meinem Herzen, seine Sehnsucht Erfrieret langsam vor des Lebens Zucht. 16 Hier äußert auch er jene Faszination des Todes, die so viele Schriftsteller des Jungen Wien beseelt hatte. In einer von Frauen und Sexualität pulsierenden Welt konnte er nur im Grab Frieden finden. Weit augenscheinlicher als in anderen Impressionisten manifestierte sich der therapeutische Nihilismus in Otto Weininger. Das Studium der Gesellschaftstheorie und der Politik verschmähte er; also zog er sich auf die Betrachtung der fatalen Lage der Menschheit zurück, versagte ihr aber jedes Heilmittel. Wie die großen der Wiener medizinischen Schule zog auch er eine Diagnose post mortem einer rechtzeitigen Behandlung vor und opferte damit den Patienten der Wahrheit. Bei solchen Moralisten ging die Diagnose Hand in Hand mit Selbstlähmung - das machte ihn zum gleichen Narziß wie alle jene Ästheten, die er verachtete. Weininger war - im Leben wie im Tode - im Grund ein Wunderkind: ein Jüngling, der in sich mit solchem Feuereifer Erkenntnisse anhäufte, daß er niemals festen Boden unter den Füßen bekommen konnte. Indem er die Ballsäle und Bordelle des vergnügungssüchtigen Wien verachtete, stellte er ein Musterbeispiel dar für die Besessenheit vieler junger Juden, die durch intellektuelle Hochleistungen über sich hinauswachsen wollten. Während Freud, Schnitzler und Herzl ihren Ehrgeiz zu dauerhaften Leistungen transformieren konnten, geschah das Aufblühen Weiningers zu früh und mit zu großer Intensität. Viel treffender vielleicht als sonst eine einzelne Persönlichkeit verkörperte er das Versprechen und zugleich die Gefahr der Wiener Intellektualität. 172

Teil III

Positivismus und Impressionismus — eine ungewöhnliche Symbiose

Alles Wissen geht aus einem Zweifel hervor und endigt in einem Glauben. Marie von Ebner-Eschenbach

11. DIE FASZINATION DES TODES

Der Tod als Bollwerk gegen Veränderungen Die verschiedenen Geisteshaltungen des Österreichers - sein Asthetizismus, der therapeutische Nihilismus und der Impressionismus — lassen sich alle unter seiner Einstellung zum Tode subsumieren. Eine Untersuchung des Naheverhältnisses zwischen ihm und dem Tod wird auch die Wechselbeziehung zwischen Positivismus und Impressionismus ins rechte Licht rücken, die so viele revolutionäre Theoretiker angeregt hat. Im Gegensatz zum Ungarn, der von politischer Betätigung träumte, hegte und pflegte der Österreicher eine barocke Vision vom Tode als der Erfüllung des Lebens. Nirgends kommt dies besser zum Ausdruck, als in einem Brief Mozarts vom 4. April 1787: „Da der Tod (genau zu nehmen) der wahre Endzweck unseres Lebens ist, so habe ich mich seit ein paar Jahren mit diesem wahren, besten Freunde des Menschen so bekannt gemacht, daß sein Bild nicht alleine nichts Schreckendes mehr für mich hat, sondern recht viel Beruhigendes und Tröstendes. Und ich danke meinem Gott, daß er mir das Glück gegönnt hat, mir die Gelegenheit (Sie verstehen mich) zu verschaffen, ihn als den Schlüssel zu unserer wahren Glückseligkeit kennenzulernen. Ich lege mich nie zu Bette, ohne zu bedenken, daß ich vielleicht, so jung als ich bin, den anderen Tag nicht mehr sein werde, und es wird doch kein Mensch von allen, die mich kennen, sagen können, daß ich im Umgange mürrisch oder traurig wäre, und für diese Glückseligkeit danke ich alle Tage meinem Schöpfer und wünsche sie von Herzen jedem meiner Mitmenschen."1 Vergleichbarer Jubel durchdringt Mozarts Requiem, das er auf dem Sterbebett komponierte. In der Novelle Mozart auf der Reise nach Prag (Stuttgart 1855) zeichnet Mörike den Komponisten, wie er sich, von seinen Bewunderern umschwärmt, über seine Vorzüge und seine Leiden Rechenschaft zu geben versucht. Diese Erzählung gehörte zur bevorzugten Lektüre Ludwig Wittgensteins. Mozart, der 1784 von Joseph Haydn bei den Freimaurern eingeführt worden war, hatte von diesen gelernt, den Tod als Freund und Tröster zu sehen. Die Freimaurer treten für die Überzeugung ein, die den meisten Österreichern ohnehin vertraut war: daß der Tod einen Teil des Lebens darstelle. In ihm wird die verborgene Seite aller Erfahrung offenbar, in ihm verkörpert sich die Quintessenz alles dessen, was wir, wie Hermann Bahr sagte, hier nicht gewußt haben: „Ich habe den Tod lieb. Nicht als Erlöser; denn ich leide nicht am Leben. Nein, aber als Erfüllen Er wird mir alles bringen, was noch fehlt. Dann geht die Saat meines Lebens erst auf. Er nimmt mir nichts und gibt mir noch so viel ... Ich erwarte den Tod mit einer bangen Freude, wie wir als Kinder das Christ175

kindl erwarteten; wir saßen im Finsteren, aber durch die Türspalte drang ein Strahl des lieben Lichts."2 Diese freudige Bekräftigung, daß erst der Tod etwas an sich Gutes zur wahren Vollendung bringe, ist in den verschiedensten Nuancen von Schriftstellern ausgesprochen worden, beginnend mit Feuchtersieben über Stifter bis zu Werfel und Broch. Hermann Broch erneuerte Mozarts Botschaft, die im Tod den verläßlichsten Antrieb zur schöpferischen Tätigkeit sieht: „Neben dem wahrhaft religiösen Menschen und neben dem Dichter steht immer der Tod, ein Mahner, das Leben mit letzterreichbarem Sinn zu erfüllen, auf daß es nicht umsonst gelebt sei."3 Im täglichen Leben offenbarte sich die Verehrung des Todes in einem komplexen Trauerritual. Als am 18. August 1765 der Gemahl Maria Theresias starb, erlegte sich die Herrscherin lebenslange Trauer auf und umgab sich zugleich mit einem königlich aufwendigen Zeremoniell, dem jeder Österreicher zustimmte. Sie ersetzte ihr Haar durch eine Perücke, ließ das Sterbezimmer des geliebten Gatten in der Burg von Innsbruck in eine Kapelle umwandeln und übersiedelte ins bescheidenere dritte Stockwerk der Wiener Hofburg, wo sie fünfzehn Jahre lang in Räumen lebte, die mit schwarzer Seide verhangen waren. Danach brachte sie den Achtzehnten eines jeden Monats einsam im Gebet zu, desgleichen jeden August. Maria Theresia gab sich so der Pflege des Andenkens ihres Gatten hin, als wäre er bloß auf einer langen Reise unterwegs.4 Im Herrscherhaus wie auch unter der Bevölkerung zog der Totenkult eine intime Verehrung des Leichnams nach sich. In seiner Erzählung Innocens schildert Saar, wie sein Held in der Betrachtung eines aufgebahrten Leichnams zu tiefer Resignation findet; Schnitzler beschwor in der Erzählung Ein Abschied eine ähnliche Szene. Und Stefan Zweig entdeckte in dem Wiener Brauch, herrliche Leichenbegängnisse zu inszenieren, ein Symptom des Asthetizismus.5 Wenngleich das typisch wienerische Begräbnis von Äußerlichkeit gekennzeichnet war, so setzte es doch eine erhabenere Uberzeugung voraus als bloße Liebe zum Pomp. Bis ins 20. Jahrhundert hinein hielt sich unter österreichischen Katholiken der Glaube, daß die Toten in den Seelen ihrer Freunde und Verwandten fortlebten. Grillparzers Ahnfrau (1817) dramatisierte die Legende von der „armen Seele", die auf Erden umherirrt, bis sie endlich Gerechtigkeit erfahren hat. Die hier angespielte Doktrin wurde von dem aus Schlesien stammenden Philosophen Gustav Theodor Fechner (1801—1887) in einer Abhandlung heterodoxen Charakters formuliert. Das Büchlein vom Leben nach dem Tode (Leipzig 1836, Neuauf 1. 1950) war in Osterreich weit verbreitet. In einer Verschmelzung von romantischer Naturphilosophie und christlicher Doktrin behauptete dieser Pastorensohn, daß die Unsterblichkeit im unausgesetzten Wirken einer Persönlichkeit auf die Seelen der Uberlebenden bestehe. Wie Christus in der Kirche fortlebt, so bleibt der Tote in den Lebenden erhalten, auf ihren Seelen spielend wie auf einer Laute. Richard Coudenhove-Kalergi drückte sich bei der Schilderung des Einflusses, den der Tod seines Vaters auf ihn, den damals Zwölfjährigen, ausgeübt hatte, wesentlich konkreter aus: „Ich wußte damals nicht, daß es die Lebenden sind, die uns so oft verloren gehen. Die Toten bleiben bei uns, für immer. Denn, so eigentümlich dies auch 176

ist, der tiefe Einfluß, den mein Vater auf meine weitere Entwicklung hatte, erklärt sich zum Teil aus seinem frühen Tod. Tief in meinem Herzen wollte ich sein unvollendetes Leben fortsetzen und - so gut mir dies möglich war — zur Vollendung bringen." 6 Coudenhove-Kalergi verehrte die lebenspendende Kraft des Todes nicht weniger als Mozart oder Broch. Eine Erklärung für die Anziehungskraft der „schönen Leich'" findet sich in einer wenig beachteten Theorie Auguste Comtes (1798-1857) zum Fetischismus. 7 Der spätere Comte war der Ansicht, daß die Erhabenheit Gottes dazu führe, den Gläubigen zu überwältigen, es sei denn, die Anbetung finde ein zugänglicheres Symbol, auf das sie sich konzentrieren könne. Weiter führte Comte aus, daß der Fetisch folgende Funktionen erfüllen sollte: Erstens, den Gläubigen in jedem Ding an den Willen Gottes zu erinnern; zweitens, spontan in jedes Denken einzugehen; drittens, Reife mit Kindlichkeit zu verbinden; viertens, dem eigenen Akt der Unterwerfung Zusammenhang und Plausibilität zu verleihen; und fünftens, zu zeigen, daß Liebe die wünschenswerte Synthese aller menschlichen Tätigkeiten sei. Im österreichischen Totenzeremoniell diente also der Leichnam als eine Art Comtescher Fetisch: Der Aufgebahrte verkörperte den Willen Gottes auf Erden, sprach universelle Emotionen an, verband alle Phasen menschlichen Lebens miteinander, konzentrierte die heilige Scheu auf ein konkretes Objekt und demonstrierte die Kraft der Liebe, Raum und Zeit zu transzendieren. Diese Art Fetisch demonstriert seine Ausstrahlung noch heute in bemerkenswerter Weise in der Wiener Kapuzinergruft, wo seit 1633 die verstorbenen Habsburgerherrscher in Zinnsärgen beigesetzt wurden, teilweise auf Podesten, teils „zu ebener Erde". Auch heute noch kann sich der Besucher eines Schauders nicht erwehren angesichts der Toten, die da, einer neben dem anderen, in ihren mit den Emblemen des Lebens verzierten und vom Moderduft des Staubes umgebenen Sarkophagen ruhen. Diese Särge verewigen das Pathos ihrer Begräbnisse und verkörpern zugleich die Ehrerbietung gegenüber der Monarchie und ihren dahingeschiedenen Dienern Gottes. 8 Für schwarze Künste war im österreichischen Totenzeremoniell kein Raum: Wudu, Nekrophilie und Nekromantie langweilten ein Volk, das das Leben liebte, ohne den Tod zu fürchten. Die Geister mit angemessenen Mitteln zu besänftigen, bestand keine Notwendigkeit, wenn die Begräbnisse so festlich waren und die Trauer so öffentlich, daß sie ein festes Band zwischen jedem einzelnen und seinen Vorfahren wie auch den Laren seiner Stadt knüpften. Dennoch ging nach 1880, als der religiöse Eifer zu erlahmen begann, eine Welle des Spiritismus über die Reichshaupt- und Residenzstadt hinweg. Kein Geringerer als Kronprinz Rudolf selbst nahm sich die Mühe, ein Medium, das sich eines Täuschungsinstrumentariums bediente, das dem in Schillers Geisterseher (1789) beschriebenen in nichts nachstand, als Scharlatan zu entlarven. 9 Ein weiterer Grund für das Abbröckeln der einstigen Haltung bestand darin, daß die Faszination des Todes, insbesondere unter den niedrigen Schichten, mitunter Träumereien und allgemeine Ermattung nach sich zog. Der kleine Mann, wie er von Ferdinand Saar und der Ebner-Eschenbach dargestellt wird, betrachtete den Tod häufig als Erlösung aus einer verständnislosen Welt: Als Krönung eines Lebens voll bescheidener Zufrie177

denheit erwartete ihn sein eigenes Hinscheiden als das einzige große Ereignis. Und noch etwas trübte den Brauch der pompösen Leichenbegängnisse, die der Wiener so liebte: Die Stadt erlag immer mehr der Versuchung, einen begabten Menschen erst dann zu ehren, wenn er bereits gestorben war. Nach Grillparzers Tod im Januar 1872 gab sich ganz Wien alle Mühe, seinen Leichnam mit Kränzen zu überhäufen, eilig bestrebt, die Jahre fast völliger Vergessenheit wiedergutzumachen, in die der Dichter seit 1838 - dem Jahr, ab welchem er sich, grollend über den Mißerfolg seines Lustspiels Weh dem, der lügt, immer mehr zurückgezogen hatte — und seit seinem Eintritt in den Ruhestand geraten war. Nur zu oft taten die Wiener, wie Ferdinand Kürnberger bemerkte, es den Byzantinern gleich, indem sie lieber einem Genius, der sicher tot war, ein Denkmal setzten, als daß sie ihn gefeiert hätten, solange er noch am Leben gewesen und sie vielleicht noch hätte stören können. 10 Übertriebene Totenverehrung ermutigte zu Indifferenz gegenüber den Lebenden. Mitte des 19. Jahrhunderts schienen die Arzte Wiens die Ergebnisse von Autopsien höher zu schätzen als die Rettung des noch lebenden Patienten. Die Verehrung der Toten verstärkte auch die Vorliebe für Dinge, die der Vergangenheit angehörten; diese Vorliebe beherrschte den Geschmack der Wiener. Die Sammelleidenschaft des Biedermeier, die historisierende Ringstraßenarchitektur und die Idylle der Operette gewährten eine Atempause im Leben, indem sie an dessen Stelle eine zeitlose Vereinigung mit der Vergangenheit oder erdachte Utopien rückten. Im 19. Jahrhundert übernahmen ästhetische Rituale die Bedeutung der Ruinen, Totenköpfe und Grabmäler des siebzehnten: Nur allzu oft zog der Österreicher die Vereinigung mit dem Tode einer Unterstützung des Lebenden vor. In zahllosen Zeremonien und Denkmälern bewahrte sich eine Feindseligkeit gegenüber jeglicher Veränderung, so als könnten Musik und Stein die Zukunft abwenden. Als 1922 Georg Lukäcs die Weltanschauung der Bourgeoisie als „dinghaft" anprangerte, da diese Klasse die Welt als unveränderlich und unwandelbar erachte, könnte er an Wien gedacht haben. Die meisten Wiener, die der Vergangenheit huldigten, indem sie den Tod verehrten, gaben sich einer Selbstzufriedenheit hin, die - so bezaubernd sie auch gewesen sein mag - zu innerer Erneuerung unfähig war. Der Tod als Symbol der Flüchtigkeit Den Wiener Literaten, die sich um 1900 in den Kaffeehäusern trafen und Feuilletons verfaßten, war eine Voreingenommenheit für die Vergänglichkeit gemeinsam, insbesondere in ihrer definitiven Form, dem Tod. Ihre Begeisterung für das Flüchtige erlaubt es, Schriftsteller wie Hofmannsthal, Schnitzler, Beer-Hofmann, Schaukai und Altenberg als Impressionisten zu klassifizieren. Der beste von vielen Erklärungsversuchen zu dieser Grundhaltung kommt von dem aus Ungarn stammenden Historiker Arnold Hauser (geboren 1892), der den Impressionismus als „einen städtischen Stil" ansieht, „weil er die Wandelbarkeit, den nervösen Rhythmus, die plötzlichen, scharfen, sich aber sogleich wieder verwischenden Eindrücke des städtischen Lebens schildert."11 Den Impressionismus 178

beherrscht „ein Sichabfinden mit der Rolle des Zuschauers ... ein Standpunkt der Distanzhaltung, des Zuwartens, des Nichtengagiertseins - mit einem Wort, die ästhetische Attitüde schlechthin." „Der Zufall wird ihr, dieser Kunst, als das Prinzip alles Seins erscheinen und die Wahrheit entkräftigen." 12 Für den Impressionisten unterliegt die Natur einem Wachstumsprozeß und im besonderen einem Verfallsprozeß, und so ist es nicht weiter verwunderlich, daß Hermann Bahr den aus Wien gebürtigen Ferdinand von Saar (1833-1906) als den Vater des Jungen Wien pries. Die Stammgäste des Café Griensteidl erkannten in Saars „kleinen Männern" und rates Vorboten ihrer eigenen Entzauberung und Formbarkeit. Diese beschäftigungslosen Söhne der Mittel- und Oberschicht, fasziniert vom Zufall, führten die barocke Verehrung des Todes zu niegekannten Extremen. Für sie versprach der Tod Erlösung von der Langeweile; in einer schal gewordenen Welt war er das einzige noch unbekannt Gebliebene. Als Weininger Selbstmord beging, tat er, wovon Zahllose träumten. In Der Tor und der Tod (1893) zeichnete Hofmannsthal einen jungen Ästheten, des Lebens überdrüssig, nachdem er dessen vielfältige Oberflächen ausgekostet hatte. Die kontemplative Versenkung in den Tod bildete die Kehrseite des Wiener Phäakentums. Was der Marcionismus für Prag bedeutete, das politische Engagement für Budapest, das war den Wiener Impressionisten das Sinnen über den Tod. Niemand beschwor die Allgegenwärtigkeit des Todes im Leben so scharf wie der aus Brünn stammende Dandy Richard Schaukai (1874-1942), der ab 1903 in Wien lebte. Er genoß diese Allgegenwart und pries das Zeremoniell des Begräbnisses, mit welchem sich der Mensch der Großen O r d n u n g anpaßt: „Ist nicht der Tod im Leben, ist er nicht mitten drin, sitzt in uns, um uns, haucht uns an und ist unser Freund und Gefährte? ... Alle Menschen leben im großen Schatten des Todes, der von Gott ist und ihnen vertraut sein soll wie der D u f t ihrer Blumen vor dem Fenster, wie der Hauch ihres Mundes." 1 3 Anderswo beschreibt er die Geringfügigkeiten, die einem jungen Ästheten an der Bahre eines Freundes durch den Kopf gehen, der gestorben war, ehe er eine Wette um eine Schachtel Zigarren hatte begleichen können. 1 4 Ein etwas düstereres Bild des Begräbnisses entwarf der aus Wien gebürtige Jude Albert Ehrenstein ( 1 8 8 6 - 1 9 5 0 ) . Ein Verehrer von Kraus, dem er als Antisemit und therapeutischer Nihilist nacheiferte, kam er dem Marcionismus so nahe, wie es einem Wiener nur möglich war. Sein erstes und bekanntestes Werk, die Novelle Tubutsch (Wien 1911), von Kokoschka mit zwölf Zeichnungen illustriert, beschreibt einen reichen Wiener, der trotz seinem Reichtum darüber klagt, daß er außer seinem Namen nichts besitze. Tubutsch beschließt seine Erinnerungen, indem er den Tod mit einem Fiakerkutscher vergleicht, dem es verboten ist, mit seinen Fahrgästen zu sprechen oder ihnen wenigstens den Bestimmungsort der Fahrt zu nennen. In der Novelle Begräbnis (1912) schildert Ehrenstein ein bürgerlich-jüdisches Leichenbegängnis in Floridsdorf, bei welchem die Teilnehmenden mehr ihrem Ärger über die Störung des gewohnten Tagesablaufs als ihrem Kummer Ausdruck verleihen. 15 Ihre Kleidung zeugt von so penetranter Eleganz, daß sich der Erzähler entschließt, seinem eigenen Begräbnis fernzubleiben, denn falls er am Ende einen schlechten Witz erzählen oder unpas179

send angezogen sein sollte, würden seine Trauergäste ihm das nie verzeihen. Diese makabre Satire auf die Förmlichkeit, die zuweilen die Trauer bei Begräbnissen zu ersetzen pflegte, verbarg die Selbstverachtung Ehrensteins, der nach 1920 „Barbaropa" geistig den Rücken kehrte, um sich in chinesische Kultur zu versenken. Von einer eher positiven Wertung des Todes war ein anderer aus Wien stammender Jude getragen, Richard Beer-Hofmann (1866—1945). 10 In seinem Roman Der Tod Georgs (Berlin 1900) veranlaßt das langsame Sterben eines jungen Professors dessen Freund Paul, sich mit seiner eigenen Nutzlosigkeit auseinanderzusetzen. Der in der dritten Person geschriebene innere Monolog Pauls, voll von Hymnen an die Natur, beschreibt sein Wachsen bis zur Erkenntnis seiner Einheit mit vergangenen Generationen. In seinem Radetzkymarsch schildert Joseph Roth (1894—1939) einen ähnlichen Prozeß. Hier ist es der Tod im Duell, den ein jüdischer Freund des Erzählers, ein Dr. Demant, erleidet und der des jungen Mannes Bindung zu seinen Vorfahren vertieft. Später beschwört Roth den Todeskampf Jacques', des sich selbst verleugnenden Dieners des Gutsherrn von Trotta. Jacques ist ein kleiner Mann in der Tradition der Erzählung Ein Spätgeborener (1875) von Marie Ebner-Eschenbach: er stirbt in seiner ständigen Bereitschaft zu dienen. Sein Tod schmettert den Gutsherrn nieder, der mit Jacques ein letztes Verbindungsglied zur Vergangenheit dahinschwinden sieht. In der von Roth gefeierten halbfeudalen Gesellschaft festigte der Tod die Bindungen zwischen den Generationen: „Alles, was wuchs, brauchte Zeit zum Wachsen; und alles, was unterging, brauchte lange Zeit, um vergessen zu werden." 17 Eine Parallele zu diesen österreichischen Todesforschern stellte der italienische Schriftsteller Italo Svevo dar (1861-1928). 1 8 Er kam als Sohn eines österreichischen Vaters und einer italienisch-jüdischen Mutter in Triest zur Welt; sein ursprünglicher Name lautete Ettore Schmitz. Svevo studierte fünf Jahre lang in Würzburg und ließ sich dann von 1878 bis 1928 in Triest nieder. Nach dem Bankrott seines Vaters war er genötigt, von 1879 bis 1897 als Bankangestellter zu arbeiten, danach lebte er als freier Schriftsteller. 1907 nahm Svevo bei James Joyce Englischunterricht. Wie viele andere Triestiner Intellektuelle empfand auch er eine Haßliebe sowohl für Osterreich als auch für die bourgeoise Kultur, die er rund um sich her zusammenbrechen sah; seine Nähe zu Osterreich ermutigte ihn, in einer Art Pidgin-Italienisch zu schreiben, das im Ausland wesentlich mehr Anklang fand als in Italien. Als junger Mann war er stark unter Schopenhauers Einfluß gestanden. 1892 zeichnete er in Una Vita die Figur eines Bankangestellten namens Alfons Nitti, dem der Selbstmord die ersehnte Erlösung bedeutet. In Senilita (1898) - man könnte das Werk ebensogut „Altersbildnis des Künstlers" betiteln - entwarf er das Bild eines anderen kleinen Mannes, der sich vorzeitig altern sieht. In beiden Erzählungen wird eine Technik des Bewußtseinsstromes verwendet, die der Schnitzlers ähnelt. Nach 1900 finden sich bei Svevo Einflüsse zunächst von Weininger, dann in prägnantester Weise von Freud, der in La coscienza di Zeno (1923) sorgfältig untersucht wird. Nach dem Tode seines Vaters beginnt Zeno ein inneres Leben zu führen, durch dessen Naivität sowohl die Psychoanalyse als auch der österreichische Soldat karikiert werden. Zwar wurde Svevo in den zwanziger Jahren zufolge seines Rückhaltes 180

bei James Joyce ziemlich bekannt, seine Verwurzeltheit in Österreich allerdings blieb weitgehend unberücksichtigt. Der berühmteste aller dieser Dichter des Todes - und der typische Impressionist unter ihnen - war der aus Wien gebürtige jüdische Arzt Arthur Schnitzler (1862-1931), Sohn eines aus Ungarn stammenden Laryngologen. Der junge Schnitzler wuchs als Dandy des Ringstraßen-Wien auf; als Schüler und Gehilfe seines Vaters spielte er diesem so manchen Streich. In seinen erst vor einigen Jahren publizierten Memoiren Jugend in Wien. Eine Autobiographie (Wien 1968), verfaßt zwischen 1915 und 1918, ist davon die Rede. Hier beschreibt er auch, wie anders einem der Tod im Seziersaal entgegentritt, und wie am Bett eines Patienten: „Am Fuß eines Totenbettes, selbst wenn der eben Verstorbene ein Unbekannter ist, steht der Tod immer als ein im gewissen Maße unheimlich großes Phänomen; in der Leichenhalle dagegen, befreit von seinem Schrecken, bewegt er sich wie eine Art pedantischer Meister, von dem die Studenten glauben, sie dürften sich über ihn lustig machen." 19 In zahlreichen Novellen untersuchte Schnitzler, wie der Tod die Wunden der Lebenden heilt. In Ein Abschied erfährt ein junger Mann, daß seine Geliebte im Haus ihres Gatten im Sterben liegt. Schuldbewußt und verwirrt gibt er sich als Freund des Hauses aus, um den Arzt befragen zu können; und als er schließlich vor ihrem Leichnam steht, befällt ihn die Vorstellung, die Tote könnte ihm den Vorwurf machen, er hätte seine Liebe verleugnet. In der Novelle offenbart sich ein wahres Kaleidoskop von wechselnden Stimmungen in einem in der dritten Person geschriebenen inneren Monolog; der Höhepunkt wird in dem Moment erreicht, als sich der junge Mann vom Begräbnis der Geliebten fortstiehlt, beschämt von seiner Zwiespältigkeit. In Die Toten schweigen (1897) kommt eine ehebrecherische Frau bei einem Unfall während einer Wagenfahrt mit dem Leben davon; ihr Geliebter jedoch findet den Tod. Die Frau flieht im nächtlichen Nebel von der Szene des Grauens weg und schleicht nach Hause. Sie weiß, daß sie ihrem Gatten ein Geständnis wird ablegen müssen. In der Erkenntnis, daß sie nicht den Mut aufbringt, der Polizei gegenüberzutreten, findet sie die Kraft, sich mit ihrem Gatten auszusöhnen. In Der Ehrentag zeichnet Schnitzler einen kleinen Mann, der eine lange Laufbahn als Darsteller unbedeutender Rollen am Burgtheater hinter sich hat. Da organisiert ein Liebhaber der Primadonna die Claque, die diesem Nichts, das bisher niemand zur Kenntnis genommen hat, auf einmal zujubelt. Der ungewohnte Applaus treibt den Mann zum Selbstmord, worauf die Schauspielerin ihre Beziehung zu dem Initiator des beschämenden Spektakels abbricht. Es wird ihr klar, daß sie den bescheidenen Schauspieler mehr geliebt hat als den zynischen Kaffeehaus-Habitue. Die ergreifendste dieser Erzählungen ist Der Tod des Junggesellen (1907). Sie handelt vom Tod eines unverheirateten Mannes, der seinen drei Freunden einen versiegelten Umschlag hinterläßt; die Freunde drücken einander ihr Mitgefühl aus, und dann öffnen sie den Umschlag, der die Mitteilung enthält, jede ihrer Frauen habe sie mit dem soeben Verstorbenen betrogen. Alle kommen jedoch zu dem Entschluß, ihren Frauen zu vergeben; in Verehrung neigen sie sich vor dem Tod, dem großen Versöhner. 181

In allen diesen Erzählungen betont Schnitzler jenen Augenblick der Einsicht, der eine Persönlichkeit umwandelt, indem er eine Stauung unterdrückter Konflikte löst; seine Personen erleben durch die — von James Joyce so bezeichnete — Epiphanie eine befreiende Einsicht als Höhepunkt einer allmählich entwirrten Qual. Der Tod heilt, indem er den Lebenden nach Art der Psychoanalyse Befreiung schenkt. Die Charaktere dieser Novellen reifen, plötzlich getroffen vom Tod eines Freundes, zur Weisheit des Alters, die es - nach einem Aphorismus Marie von Ebner-Eschenbachs - nicht ertragen kann, grausam zu sein gegenüber dem, was man bald für immer verlassen wird müssen. Arthur Schnitzlers Affinität zu Sigmund Freud wird später untersucht; wie sich jedoch in ihm der Wiener Impressionismus konzentrierte, muß hier erwähnt werden. Um wieder auf Arnold Hausers Definition zurückzukommen: Schnitzler sann nach über „die Koinzidenz der Nähe und der Ferne, die Fremdheit der nächsten, alltäglichsten Dinge, das Gefühl, von der Welt für immer abgetrennt zu sein ..." 2 0 Als ewiger Zuschauer verfügte er über die Fähigkeiten eines Proteus, in andere Menschen hineinzuschlüpfen. Seine Charaktere schwelgen in der Wiener Begabung für das Schauspiel, mit welcher die einen ihre Alltagssorgen beiseiteschieben, während die anderen vorgeben, gerührt zu sein. In einem Interview, das Schnitzler Mitte der zwanziger Jahre George Sylvester Viereck gab, formulierte der Dramatiker die impressionistische Mentalität zu einem Bekenntnis: „Das Leben schafft immer neue Wunder. Alles verändert sich. Alles ist neu. Jede Stunde gebiert eine neue Welt." 21 Schnitzler gab zu, sein Bedürfnis nach Abwechslung sei so groß, daß er immer zwei Stücke zur gleichen Zeit schreibe und immer mehrere Bücher zugleich lese. Er gestand seine Unersättlichkeit ein, vertraute Dinge immer wieder von neuen Gesichtspunkten aus zu betrachten: „Wenn die Natur sich wiederholt, dann anerkennen wir ihre unendliche Vielfalt. Wenn ein Dichter sich wiederholt, dann sagen wir, er werde langweilig. Dieser Schluß ist durch nichts gerechtfertigt. Der Dichter wie die Natur streben nach Perfektion, indem sie mit demselben Material experimentieren." 22 Als Ernst Bertram (1884-1957), ein Deutscher und Schüler Stefan Georges, 1909 die Situation des Jungen Wien als schizophren bezeichnete 23 , nahm er damit Arnold Hausers Feststellung vorweg, daß der Impressionist beständig nach Veränderung verlange. Bertram erklärte, diese Ästheten seien so labil gewesen, daß jede ihrer Stimmungen schon wieder verschwunden wäre, ehe man sie noch habe wahrnehmen können - ähnlich jenen, die im Spiel der Eleonora Duse zum Vorschein kamen. In seinem Streben, Proteus in Ketten zu legen, mühe sich der Künstler, den Augenblick zu bannen - sei es in den Bildern Romakos, in den Novellen Schaukais, den Feuilletons Altenbergs, den Versen Hofmannsthals oder den Essays von Hermann Bahr.24 Schnitzler gestand gegenüber George Sylvester Viereck auch ein, daß er ein Gefühl der Frustration empfinde angesichts des vom Künstler kaum erfaßbaren Lebens: „Wir denken weder in Wörtern noch in Bildern, sondern in etwas, das wir nicht fassen können. Könnten wir es fassen, dann hätten wir eine Weltsprache ... Der Musiker spricht eine universelle Sprache. Emotion ist universell. Denken ist individuell und unübersetzbar." 25 182

Schnitzler hielt Emotionen für kommunikativer als Sprache und versuchte hinter der manifesten Welt eine andere, latente, freizulegen. Wie Freud glaubte auch er daran, daß an jeder Impression gleichzeitig Erkenntnis und Illusion teilhaben; er meinte, daß Wörter zwar einen Widerhall, niemals jedoch eine wahrhafte Wiedergabe des Substrats der Erfahrung vermitteln könnten. Daher das Paradoxon, das auch bei Schaukai und Svevo auftritt: daß nämlich das Vertraute fremdartig scheint, das Fernliegende hingegen gewöhnlich. Für die Wiener Impressionisten nahm der Tod die Rolle des obersten Richters an, der mit einemmal den durch Worte nicht vermittelbaren latenten Inhalt des Lebens symbolisierte: das Unbewußte und die Emotionen. In Schnitzlers Novellen ist nur der Tod eines Freundes imstande, den nötigen Anstoß zu geben, um die Vorwände des täglichen Lebens zu zerschlagen. Für den Impressionisten bedeutet jeder Augenblick einen kleinen Tod und eine Wiedergeburt. Aufgeschlossenheit gegenüber Abwechslung und Vielfalt kann mithelfen, die Originalität von Denkern wie Sigmund Freud, Arthur Schnitzler und sogar Rosa Mayreder zu erklären, die sich die Mühe nahmen, Erfahrungen zu einem impressionistischen Mosaik zusammenzufügen. Die Labilität, die Schnitzler in jeder Erfahrung erkannte, wurde lange Zeit als femininer Zug angesehen. Die Geschicklichkeit aber, die Schnitzler, Bahr, Hofmannsthal - und auch Freud - im Zeichnen von Frauengestalten an den Tag legten, kam nicht von ungefähr: Es war die Triebfeder ihrer Sensitivität. Kritiker wie Bertram, die die Wiener Impressionisten für passiv und feminin hielten, legten hierin offen, was deren Stärke und zugleich deren Schwäche war. Einige vergeudeten sich an den therapeutischen Nihilismus, wie etwa Ehrenstein, andere dagegen wandten sich der Tradition zu, wie Schaukai und Hofmannsthal. Alle aber konstruierten zahllose Paare polarer Gegensätze, die sie mit dem Fließenden und dem Dauernden, dem Gegenwärtigen und dem Vergangenen, dem Manifesten und dem Latenten verwoben. Schöpferische Geister von so verschiedener Prägung wie Freud und Bahr, Rosa Mayreder und Weininger, Musil und Kassner oder Buber und Broch dachten sich solche Begriffspaare aus und brüteten Wortneuschöpfungen aus, um sie zum Ausdruck zu bringen. Man pflegte die Aufgeschlossenheit gegenüber neuen Perspektiven und lenkte das Augenmerk auf zuvor übersehene Tatsachen; damit steigerte der Impressionismus die Kreativität Wiens. In so scharfen Geistern wie Mach und Freud mäßigte er den Positivismus, indem er eine versuchsweise Annäherung an eine Systembildung anregte, wobei grundlegende Prämissen niemals als unumstößlich betrachtet wurden. Diese Mischung aus Impressionismus und Positivismus brachte es mit sich, daß Freud neue Einsichten nur so lange begrüßte, als sie nicht, wie die Alfred Adlers und Jungs es zu tun schienen, noch ungefestigte Grundlagen völlig umstürzten. Durch die beschwerliche Verbindung des Impressionismus mit einer im Laboratorium entwickelten Vorsicht errichtete Freud der fröhlichen Apokalypse das dauerhafteste Denkmal, indem er die Erkenntnisse eines Künstlers in die dogmatischen Aussagen eines Gelehrten kleidete.

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Der Tod als letzte Zuflucht. Selbstmorde österreichischer Intellektueller Zwischen 1860 und 1938 beging eine erstaunlich große Anzahl österreichischer Intellektueller Selbstmord. Kronprinz Rudolf war nur der bekannteste von rund einem Dutzend Prominenter, die sich entschlossen, unerträglicher Bedrängnis durch Suizid ein Ende zu bereiten. Während sein Tod im Januar 1889 das Habsburgerreich in der Öffentlichkeit als Zentrum des Selbstmordes erscheinen ließ, unterstreichen zahlreiche Novellen, die sich damit befaßten, das Vorherrschen dieses Phänomens. J. J. David in Ein Poet? (1892), Svevo in Una Vita, Schnitzler in Der Ehrentag, Saar in Außer Dienst (1904) und Marie von Ebner-Eschenbach in Das tägliche Leben (1910) schilderten den Selbstmord mit großer Einfühlung. Hier sollen nun an die zwei Dutzend Selbstmorde besprochen werden, die das Ende von Persönlichkeiten bedeuteten, welche in diesem Buch an anderer Stelle behandelt werden.26 - Drei hervorragende Literaten und zwei Gelehrte von internationalem Ruf begingen, wenigstens zum Teil, deshalb Selbstmord, weil sie die Schmerzen unheilbarer Krankheit beenden wollten. Am 28. Januar 1868 starb Adalbert Stifter, zwei Tage nachdem er sich die Kehle durchschnitten hatte, um sich von den Leiden seines Leberkrebses zu befreien. Der Romancier, der die Harmonie liebte und sich zum Leibnizschen Glauben an die Vorsehung bekannt hatte, stellte sich nicht den Qualen, die ihm bestimmt waren. Sein Selbstmord wurde erst 35 Jahre später als solcher aufgedeckt. Am 24. Juli 1906 erschoß sich in Wien Ferdinand von Saar, der an einer unheilbaren Unterleibserkrankung litt. Er hatte sich über die neuen Strömungen in der Literatur entsetzt. Fast auf den Tag genau zweiundzwanzig Jahre vorher hatte Saars Frau ebenfalls Selbstmord begangen. Etwas anders lag der Fall Ferdinand Raimunds (1790-1836), der sich erschoß, nachdem ihn ein Hund gebissen hatte. Gleichsam das Sinnlose im kleinen Mann des Biedermeier symbolisierend, bildete sich Raimund ein, daß der Hund tollwütig war — was sich später als unrichtig herausstellte. Wie Stifter und Saar war auch er von Verzweiflung befallen, da seine Werke nicht den erwarteten Anklang fanden. Zwei weitere Selbstmorde, die auf Krankheiten zurückzuführen sind, ereigneten sich binnen drei Jahren und erregten weit größeres Aufsehen. Der Wiener Physiker Ludwig Boltzmann, als Lehrer sehr beliebt und als fleißiger Forscher bekannt, stieß mit seinem Selbstmord am 5. September 1906 in Duino bei Triest die gesamte Gelehrtenwelt vor den Kopf. Boltzmann, der streng katholisch erzogen worden war, litt seit einem Bankett anläßlich seines sechzigsten Geburtstages an Depressionen. Überarbeitet durch jahrelange aufreibende Tätigkeit im Laboratorium, beunruhigte ihn seine zunehmende Kurzsichtigkeit, und er fürchtete, seine Schaffenskraft verloren zu haben. Das auslösende Moment für seine völlig unerwartete Handlung waren schließlich immer ärger werdende Anfälle von Angina pectoris. Als erster Physiker, wenn nicht sogar als erster Naturwissenschaftler überhaupt, der sich selbst das Leben genommen hatte, wurde er allgemein betrauert; seine Kollegen jedoch waren von Boltzmanns Tod so schockiert, daß sie annahmen, er habe unter temporärer Unzurechnungsfähigkeit gelitten. 184

Gleichsam um das akademische Europa zu beruhigen, zitierte ein Nekrolog einen Ausspruch, den Boltzmann Jahre zuvor getan hatte: „Nur eine Person, die nicht bei Sinnen ist, kann sich selbst das Leben nehmen." 2 7 Der Selbstmord des aus Galizien s t a m m e n d e n siebzigjährigen jüdischen Gesellschaftstheoretikers Ludwig Gumplowicz, der am 19. August 1909 seine unheilbar kranke Frau und sich selbst vergiftet hatte, wurde als etwas weniger sensationell empfunden. Der Grazer Professor, bekannt als strenger Theoretiker des Gruppenkonflikts, war ein heiterer Mensch gewesen, der seine kränkliche Frau jahrzehntelang aufopfernd gepflegt hatte. 1907 biß er sich zufällig ein Stück seiner Zunge ab, worauf sich bis 1909 ein als unheilbar erkanntes Krebsleiden einstellte. Ehe Gumplowicz sich gestattet hätte, vor den Augen seiner hilflosen Frau dahinzusiechen, wählten beide die Euthanasie durch eigene Hand. Im Gegensatz zu Boltzmann ertrug Gumplowicz sein Schicksal mit stoischer Ruhe, nicht einmal der Selbstmord seines Sohnes Maximilian Ernest (1897) brachte ihn aus dem Gleichgewicht. Von seiner und Boltzmanns Schwäche hebt sich die Härte Sigmund Freuds scharf ab, dem von 1923 bis 1939 ein Krebsleiden am G a u m e n die peinigendsten Schmerzen verursachte. W e n n es jemanden gab, der Grund gehabt hätte, vor seinen Schmerzen zu fliehen, so war er es; aber ihnen zum Trotz schrieb er in dieser Zeit ein halbes Dutzend Bücher und erreichte das hohe Alter von dreiundachtzig Jahren. Noch symptomatischer für die österreichischen Bewandtnisse waren jene Selbstmorde, die aus Konflikten zwischen innerer Uberzeugung und äußeren Umständen resultierten. W i e bereits erwähnt, erhängte sich im April 1868 einer der beiden Erbauer des neuen Opernhauses, Eduard van der Null, zufolge einer spitzen Bemerkung, die Kaiser Franz Joseph angesichts des ansonsten großartigen Bauwerks entschlüpfte, in das der Architekt die Arbeit eines ganzen Lebens investiert hatte. Sein unzertrennlicher Freund und Mitarbeiter, August Sicard von Siccardsburg, starb zwei Monate danach an einem Herzanfall, der auf seine allgemeine Niedergeschlagenheit zurückzuführen war. Der Kaiser war über die Folgen seiner Bemerkung so erschrocken - noch dazu hatte er sie nur ganz nebenbei gegenüber einem Adjutanten gemacht daß er die nächsten fünfzig Jahre nie wieder öffentlich eine Ansicht äußerte und statt dessen nur noch einen Satz von sich gab, der in der refrainartigen Formulierung: „Es war sehr schön, es hat mich sehr gefreut" alsbald die Popularität eines Sprichwortes erlangte. 2 8 In eine andere Biedermeiertragödie war der Erfinder Franz von Uchatius ( 1 8 1 1 - 1 8 8 1 ) verstrickt, der sich zwanzig Jahre lang damit abgemüht hatte, eine als Stahlbronze bezeichnete Legierung zu vervollkommnen. Diese Legierung, die ab 1874 in den Skodawerken bei Pilsen hergestellt wurde, gab Österreich die härtesten Kanonen in ganz Europa. Verbittert durch die Schikanen der Bürokratie und enttäuscht von einem Fehlschlag, den seine Legierung bei einem Test in einer Küstenbatterie zu verzeichnen hatte, nahm sich Uchatius das Leben. Bei der Autopsie stellte sich überdies heraus, daß er unter Magenkrebs gelitten hatte. Ungeachtet seines Selbstmordes wurde er jedoch — wie acht Jahre danach Kronprinz Rudolf - mit allen militärischen und kirchlichen Ehren beigesetzt. Auch für die Karriere S i g m u n d Freuds spielte ein Selbstmord eine nicht unbedeutende Rolle. A m 13. September 1883 erhängte sich in einem öffentli185

chen Bad in Wien der 1851 geborene, vielversprechende jüdische Neurologe Nathan Weiss - zehn Tage nachdem er von seinen Flitterwochen zurückgekehrt war, für die er alles geopfert hatte und die in ein Fiasko ausgeartet waren. Da nun der Platz von Weiss an der Neurologie der medizinischen Fakultät durch seinen Tod freigeworden war, entschloß sich Freud, seine Laufbahn auf diesem Gebiet zu beginnen; seiner Verlobten erklärte er diesen Selbstmord als Folge jüdischen Selbsthasses. 29 Ein Jahr danach ertränkte sich der Kunsthistoriker Moriz Thausing, erschöpft von zunehmender Reizbarkeit und überarbeitet, in der Moldau. Wie im Falle Boltzmanns wurde auch er im Grunde ein Opfer seines Perfektionismus. Wieder ein Jahr später durchschnitt sich der aus Mähren stammende Dichter Alfred Meißner in Bregenz die Kehle, nachdem ihn der aus Prag stammende Epigone Franz Hedrich (1823 ?—1895) zwanzig Jahre lang mit Plagiatsbeschuldigungen gehetzt hatte. Und im Jahre 1899 beging der ungarische Literaturkritiker Jenö Peterfy (geboren 1850), ein hervorragender Kenner Piatons, Aristoteles' und Dantes, Selbstmord, um den Qualen ein Ende zu machen, die ihm seine perfektionistischen Maßstäbe bereiteten. Nach der Jahrhundertwende nahmen sich zahlreiche österreichische Denker das Leben, kaum nachdem sie das zwanzigste Lebensjahr vollendet hatten. Der bekannteste unter ihnen war Otto Weininger, der sich im Sterbehaus Beethovens erschoß. Während seine Kritiker den Vorfall als einen mehr als beredten Beweis der Gefahren des Nihilismus hinstellten, betonten die Freunde, daß er eben seinen Prinzipien treu geblieben sei. Hier muß auch noch einmal der Sohn Ludwig Gumplowiczs, Maximilian, erwähnt werden, ein vielversprechender junger Forscher auf dem Gebiet der polnischen Literatur, der sich 1897 erschoß, als er wegen Majestätsbeleidigung eine Gefängnisstrafe verbüßte. Er verzweifelte daran, jemals imstande zu sein, die Welt zu verbessern. Im November 1908 nahm sich der aus Wien gebürtige expressionistische Maler Richard Gerstl das Leben, weil ihm die Wiener ihre Anerkennung versagten. Zwei Jahre später vergiftete sich der aus Prag stammende jüdische Chemiker Max Steiner (1884—1910), nachdem er zuvor eine Reihe von Artikeln zur Freidenkerei und über den Darwinismus verfaßt hatte, die gut angekommen waren. Steiner, ein jüdischer Antisemit, der in seinem Hunger nach Perfektion an Weininger erinnert, hatte sich ein Jahr zuvor dem Katholizismus zugewandt. 30 Im November 1914 starb Georg Trakl, bereits dem Alkohol und anderen Giften verfallen, in einem Krakauer Krankenhaus an einer Uberdosis Kokain. Es ist nicht bekannt, ob sich der visionäre Dichter, der von den Leiden erschüttert war, die er als Sanitäter an der galizischen Front miterleben mußte, mit Absicht oder nur irrtümlich das Leben genommen hat. 31 Um 1900 unternahmen mindestens drei junge Männer, die später zu Ruhm gelangten, einen Selbstmordversuch: Etwa 1895 versuchte der aus Böhmen stammende Alfred Kubin (1877-1959), süchtig nach Alkohol und Hypnotismus, sich am Grabe seiner Mutter zu erschießen; 1903 unternahm Alban Berg ( 1 8 8 5 - 1 9 3 5 ) nach einer unglücklichen Liebesaffäre einen Selbstmordversuch; und im Oktober 1898 versuchte Hugo Wolf, der bereits in zunehmendem Maß an syphilitischer Paralyse litt, sich das Leben zu nehmen, kurz nachdem er aus einer Irrenanstalt entlassen worden war. 186

Unter Personen, die noch nicht dreißig waren, kam es so häufig zu Selbstmorden, daß die Mitglieder der Wiener Psychoanalytischen Gesellschaft unter der Führung Alfred Adlers Anfang 1910 diesem Problem ein Symposion widmeten. Im besonderen befaßte man sich mit Selbstmorden von Gymnasiasten, wie Marie von Ebner-Eschenbach in Der Vorzugsschüler (1900) einen geschildert hatte. Wilhelm Stekel und Isidor Sadger vertraten die Ansicht, daß diese Selbstmorde aus dem Verlangen resultierten, sexuelle Schuldgefühle zu tilgen, insbesondere solche, die aus der Masturbation herzuleiten seien. Adler dagegen sah im Selbstmord Jugendlicher eine Flucht vor unkompensierten Minderwertigkeitsgefühlen. Stekel ging so weit, daß er behauptete: „Niemand, der nicht einmal den Wunsch gehabt hat, einen anderen zu töten, oder zumindest den Tod eines anderen herbeigesehnt hat, tötet sich selbst. Wir Psychoanalytiker wissen, eine wie starke Rolle dieser Flirt mit der Vorstellung des Todes — sei es von nahen Verwandten oder von entfernteren Personen - in der Entwicklung einer Neurose spielt." 82 Als Vorsitzender des Symposions drückte Freud seine Enttäuschung über das Ergebnis aus, indem er bemerkte, keiner der Teilnehmer habe erklären können, welcher Prozeß den Selbsterhaltungstrieb zerstöre.33 1910 war Freud nicht gewillt, irgendeine Art von Todestrieb anzuerkennen. Innerhalb von fünf Jahren ereigneten sich nach 1918 auch in den Reihen der psychoanalytischen Bewegung zwei Selbstmorde, die bei ihren Kritikern Schadenfreude hervorriefen: Im März 1919 beging der slowakische Jude Viktor Tausk (geb. 1879), der zuvor einige richtungweisende Arbeiten zum Mechanismus der Psychose veröffentlicht hatte, Selbstmord. 34 Kurz nach seiner Scheidung hatte er 1913 eine Affäre mit Lou Andreas-Salome; während des Krieges erlebte er vier schreckliche Jahre als Militärarzt. Erschöpft vom Krieg und gepeinigt von der Ansicht, er habe versagt, schrieb er an Freud, an Frau Andreas-Salome und an seine Verlobte, die er acht Tage später hätte heiraten sollen, Abschiedsbriefe. 1923 erhängte sich der 1882 in Wien geborene Herbert Silberer, ein enger Freund Wilhelm Stekels, an einem Fenster seines Zimmers aus Verzweiflung darüber, daß seine Studien über Mythologie und Symbolismus von Freuds Kreis abgelehnt worden waren. Zwischen 1920 und 1937 wurden auch in Ungarn drei bedeutende Selbstmorde registriert: 1920 nahm sich der 1873 geborene Jurist Felix Somlö in Klausenburg das Leben aus Verzweiflung über die Abtretung; seiner Universität an den rumänischen Staat. 1937 begingen zwei ungarische Dichter Selbstmord: Der Proletarier Attila Jözsef (1905-1937), der nach 1945 zu einem marxistischen Helden gestempelt wurde, warf sich vor einen Zug, und dem aus Szeged stammenden, körperlich und seelisch erschöpften Lyriker Gyula Juhäsz (geb. 1883) gelang es 1937 - nach elf früheren erfolglosen Selbstmordversuchen —, seinem Elend ein Ende zu machen. 35 Unter jenen Österreichern, die sich noch als junge Menschen das Leben nahmen, waren auch vier Kinder von berühmten Gelehrten und Schriftstellern. Außer Maximilian Gumplowicz nahm sich ein Sohn Ernst Machs, Heinrich, 1894 kurz nach Abschluß seiner Studien in Göttingen das Leben; der Vater erholte sich von diesem Schock nicht mehr, vier Jahre später erlitt er einen Schlaganfall, 187

der indirekt auf dieses Ereignis zurückgehen dürfte. Im Juli 1928 starb Lilli, die Tochter Arthur Schnitzlers, an einer Blutvergiftung, die daher rührte, daß sie sich ihre Pulsadern geöffnet hatte. Ihr Vater begab sich in seinem Kummer zu Alma Mahler-Werfel und erzählte ihr, wie er 1907 Gustav Mahler in seinem Schmerz über den Tod der eigenen Tochter erlebt hatte. 36 Im Juli 1929 erschoß sich der neunundzwanzigjährige Sohn Hugo von Hofmannsthals, Franz, im Haus seiner Eltern in Rodaun bei Wien. Zwei Tage danach fiel der Vater, der allerdings schon seit Jahren an Arteriosklerose gelitten hatte, einem Herzanfall zum Opfer, als er sich gerade zum Begräbnis des Sohnes begeben wollte. Vater und Sohn wurden im selben Grab beigesetzt, der Vater gemäß einer letztwilligen Verfügung in einer Kutte des Dritten Ordens der Franziskaner. Die Unfähigkeit dieser Kinder berühmter Väter, ein Leben im Schatten der Größe zu ertragen, gibt ein tragisches Zeugnis für die destruktiven Kräfte, die das Habsburgerreich — unbarmherziger vielleicht als anderswo — aufrieben. Eine besondere Gruppe von Selbstmördern unter den österreichischen Intellektuellen bildeten jene Juden, die durch die Naziverfolgungen in den Tod getrieben wurden; verglichen mit dem übrigen Europa, lagen sie zahlenmäßig an der Spitze. Am 18. März 1938 stürzte sich Egon Friedell aus einem Fenster seiner Wohnung, als er auf der Treppe des Hauses die Schritte eines Sturmtrupps hörte. Der Brünner Arzt und halb-marcionitische Schriftsteller Ernst Weiß (1882 oder 1884-1940) beging in Paris Selbstmord, Wilhelm Stekel (1868 bis 1940), der zudem an Diabetes litt, in London. Zwei Jahre später nahm sich Stefan Zweig (1881-1942) gemeinsam mit seiner zweiten Frau bei Rio de Janeiro das Leben, da er meinte, er wäre zu alt, um sich der neuen Umwelt anpassen zu können. 37 Der Wiener Wissenschaftshistoriker Edgar Zilsel (1891 bis 1944) beging in New York Selbstmord, zum Teil ebenfalls aus dem Grund, weil er sich außerstande fühlte, sich in den Verhältnissen zurechtzufinden. Zwei Falschmeldungen verleihen dem Faktum, daß man in Österreich den Selbstmord für eine ganz alltägliche Sache hielt, zusätzliche Evidenz: Im März 1889 starb der Maler Anton Romako eines zwar plötzlichen, aber natürlichen Todes. Da seit dem Freitod des Kronprinzen Rudolf noch nicht viel Zeit vergangen war, entstand sofort das Gerücht, auch Romakos Tod sei ein freiwilliger Abgang aus einem Leben in Armut und Einsamkeit gewesen. Der Wiener Romancier Otto Stoessl (1875-1936), der an Erzählungen von verkannten Künstlern seine Freude hatte, spekulierte in seiner Novelle Der einzige Kenner (1932) über den fiktiven Selbstmord Romakos. Zufolge der selbstverleugnenden Lebensweise des Künstlers brauchte es Jahre, bis es der Öffentlichkeit klar wurde, daß Romako nicht selbst Hand an sich gelegt hatte. 38 In noch größerem Maße symptomatisch für den österreichischen Flirt mit dem Tod war das Gerücht vom Selbstmord Theodor Herzls. 39 Das einzig Wahre an dieser Ente bestand darin, daß sich Herzl in seinen Bemühungen, dem Zionismus zum Durchbruch zu verhelfen, zu Tode gearbeitet hatte. Am 3. Juni 1904 war er nach einem Zusammenbruch nach Edlach in Niederösterreich gebracht worden; dort zog er sich am 1. Juli eine Lungenentzündung zu. Noch am Tag seines Todes, dem 3. Juli, erwartete er den Besuch seiner Mutter aus Wien, die auch einige Stunden vor seinem Tod eintraf und gemeinsam mit dem Arzt bis zuletzt bei ihm war. Da 188

sich Herzls Biographen nicht die Mühe nahmen, sich mit den Selbstmordgerüchten zu befassen, ist deren Herkunft bis heute ungeklärt. Vielleicht könnte die Lösung dieser Frage zur Erklärung der Haltung, die man in Osterreich gegenüber dem Zionismus einnahm, einiges beitragen. Die Beurteilung der hier aufgeführten zwei Dutzend Selbstmorde fällt schwer, ganz zu schweigen von den versuchten Selbstmorden, den gerüchteweisen und den durch die Nationalsozialisten herbeigeführten. Die etwa acht begabten jungen Männer, die nach 1890 ihr Leben wegwarfen, kehrten einer Gesellschaft den Rücken, die unzählige andere quälte. Tatsächlich ist die Liste der verkannten Genies, die nahe daran waren, Selbstmord zu begehen, sich zuguterletzt aber doch anders entschieden, noch länger: Gustav Mahler, Hugo von Hofmannsthal, Oskar Kokoschka, Egon Schiele, Albert Ehrenstein, Ludwig Wittgenstein und Otto Rank sind irgendwie über ihre Leiden hinweggekommen, ohne den Tod zu wählen. In einer Atmosphäre, auf der Protektion und Zweideutigkeit drückend lasteten, zogen verzweifelte Intellektuelle den Selbstmord zwielichtiger Existenz in einem Irrenhaus vor. Außer den Ungarn Jânos Bolyai, Istvän Széchenyi und Nikolaus Lenau, die alle in psychiatrischem Gewahrsam dahinsiechten, hat das Habsburgerreich kaum irgendwelche Fälle langanhaltender Geisteskrankheit gekannt, vergleichbar mit denen der Deutschen Hölderlin, Robert Schumann, Nietzsche oder Oskar Panizza, von den Franzosen Gérard de Nerval etwa oder Paul Verlaine ganz zu schweigen. Ist es möglich, daß das barocke Totenzeremoniell und sein Nachfolger, der impressionistische Vergänglichkeitskult, den Selbstmord manchen Österreichern als anziehend, vielleicht sogar als natürlich erscheinen ließen? Römisch-katholische Skrupel hatten nicht die Kraft, selbst gläubige Männer wie Stifter abzuschrekken, ja vielleicht haben sie in einer Kultur, die den Tod als die verborgene Seite des Lebens schätzte, den Selbstmord sogar herausgefordert. Die Überzeugung, daß der Tod jene heilt, die zurückbleiben, mag die Angst vor der öffentlichen Meinung besänftigt haben. Der Umstand, daß sich unter Ungarns Intellektuellen bis 1920 so gut wie keine Selbstmorde ereigneten, legt die Mutmaßung nahe, daß ihre Hingabe an die Politik dem Selbstmord Trotz zu bieten vermochte. Weniger verfremdet und in höherem Maß der politischen Reform verpflichtet, hatten die ungarischen Intellektuellen weder für den Impressionismus noch für einen vorzeitigen Tod etwas übrig. Wie der Fall Weininger zeigt, kann die Neigung zum Selbstmord ihre Wurzeln im therapeutischen Nihilismus haben. Der in Wien geborene Ungar Karl Polanyi (1886-1964) hat 1954 in einem Artikel über Shakespeares Hamlet diese Wechselbeziehung aufgedeckt. Der Bruder Michael Polanyis erzählte, daß er das Drama während seiner Militärdienstzeit in der österreichisch-ungarischen Kavallerie im Ersten Weltkrieg rund zwanzigmal gelesen habe. In der Gestalt Hamlets sah er den Prototyp eines Menschen, der von einer Haltung besessen war, die viele seiner Zeitgenossen ebenfalls befallen hatte; wie der Prinz von Dänemark konnten auch sie sich nicht entschließen, zu leben. „Auf die Aufforderung hin, zwischen dem Leben oder dem Tod zu wählen, wäre er (Hamlet oder der Österreicher) verloren, da er nicht in voller Absicht das Leben wählen kann." 40 189

Der Österreicher, der nur so lange willens war zu sein, als er der Entscheidung zwischen Leben und Tod aus dem Weg gehen konnte, ließ das Leben zu einer versäumten Gelegenheit degenerieren. Dieses Zaudern stellt die Kehrseite des Wiener Impressionismus dar; diese Weltanschauung hielt die Vergänglichkeit so hoch, daß sie sich nicht zum Uberleben entschließen konnte. Die Impressionisten lehnten es ab, sich ganz dem Leben zu widmen, und verfielen so entweder dem therapeutischen Nihilismus, wie Weininger und Ehrenstein, oder aber sie duldeten ihn unter Gewissensbissen, wie Schnitzler, Hofmannsthal und Bahr. Selbst vor 1900 lehnten es diese entschlossen apolitischen Denker ab, sich der Gewalttätigkeit entgegenzustellen, die sich in der Politik unter dem Druck von Irredentisten und Antisemiten durchzusetzen begann. Die Impressionisten konnten keine rationalen Argumente vorbringen, die der Brutalität Herr geworden wären, und nahmen so die Krise, die in den dreißiger Jahren den Wiener Kreis lahmte, vorweg. Die Ästheten des Jungen Wien hatten sich gegen die Politik entschieden und bereiteten so ihre Nachfolger darauf vor, sich in den Untergang ihrer Welt zu fügen. Ferdinand Kürnberger nannte die Wiener einmal ein Volk, das nicht nein sagen kann. Die Wiener der Jahrhundertwende lehnten es ab, zu Gewalttätigkeit und Tod nein zu sagen, und kultivierten damit eine Offenheit, die sie zu Pionieren der Moderne machte. Allein, ihre Schlaffheit hinderte sie daran, die Ernte einzubringen: Die Impressionisten, die mit dem Tod einen Kompromiß geschlossen hatten, und ihre Epigonen unterstützten damit unwissentlich die Frevler.

12. PHILOSOPHEN DER NATURWISSENSCHAFT

Ernst Mach: Reduktion der Philosophie und Psychologie auf die Physik Der Positivismus in Wien vermied die Metaphysik und pflegte zugleich die Vielseitigkeit, worin er dem Impressionismus ähnelte. Diese geistigen Grundeinstellungen, die sich zueinander wie „feindliche Brüder" verhielten, vereinigten sich in zahlreichen Philosophen der Naturwissenschaft, in Sprachphilosophen und Psychoanalytikern. Dieses Kapitel geht nun der Frage nach, in welchem M a ß eine feindliche Einstellung gegenüber der Metaphysik die zu Physikern gewordenen Philosophen inspiriert hat, an denen in Wien durchaus kein Mangel herrschte. Der berühmteste unter ihnen war Ernst Mach ( 1 8 3 8 - 1 9 1 6 ) , einer der produktivsten und einflußreichsten Denker Österreichs. 1 William James, der 190

Mach Ende November 1882 begegnete, schrieb an seine Frau: „Ich glaube nicht, daß mir jemals zuvor jemand so starken Eindruck von seinem intellektuellen Genie gemacht hat." 2 Mach kam in Turas bei Brünn zur Welt. Z u m Teil hatte er seine denkerische Unabhängigkeit wohl dem Umstand zu verdanken, daß er bis zu seinem fünfzehnten Lebensjahr daheim von seinem Vater unterrichtet wurde. Dieser war Grundbesitzer und Lehrer, sympathisierte mit den Aufrührern von 1848 und hielt seinen Sohn dazu an, mit den Helden der griechischen und lateinischen Literatur zu wetteifern. In W i e n studierte Ernst M a c h ab 1854 bei Andreas von Ettingshausen ( 1 7 9 6 - 1 8 7 8 ) M a t h e m a t i k und Physik, promovierte 1860 u n d habilitierte sich 1861 für Physik. Bald danach begegnete er Josef Popper-Lynkeus, dem er fortan ein Leben lang in Freundschaft verbunden blieb. Mehrere Jahre lang gab Mach Privatunterricht auf dem Gebiet der Fechnerschen Psychophysik, dann hatte er von 1864 bis 1867 den Grazer Lehrstuhl für Mathematik, ab 1866 auch den für Physik inne. Dort verband ihn alsbald eine enge Freundschaft mit dem Wirtschaftswissenschaftler Emanuel Herrmann ( 1 8 3 9 - 1 9 0 2 ) , der sich 1869 die ganze Welt verpflichtete, indem er die Postkarte erfand. Seine fruchtbarsten Jahre verbrachte Mach als Professor für Experimentalphysik von 1867 bis 1895 in Prag. 1879/80 war er Rektor der Universität und widersetzte sich als solcher heftigst einer Trennung in tschechische und deutsche Fakultäten. Nachdem diese Reform durchgeführt worden war, blieb M a c h nur noch für kurze Zeit während des Studienjahres 1883/84 als Rektor der deutschen Fakultät tätig. Er verglich die Erhebungen der Tschechen gegen die Deutschen mit den Religionskriegen im 17. Jahrhundert. 1895 nahm M a c h einen Ruf nach W i e n auf den neugeschaffenen Lehrstuhl für Geschichte u n d Theorie der induktiven Wissenschaften an, eine Stelle, an deren Schaffung T h e o d o r Gomperz auf Drängen seines Sohnes Heinrich maßgeblichen Anteil hatte. Ein Jahr danach stieß Machs Prager Kollege Friedrich Jodl, der sich ebenfalls für W i e n entschieden hatte, wieder zu ihm. Machs W i e n e r Lehrtätigkeit fand 1898 ein unvorhergesehenes Ende: ein Schlaganfall, den er in der Eisenbahn erlitt, lähmte ihn rechtsseitig. 1901 sah er sich gezwungen, sich emeritieren zu lassen. Zwar lehnte er zu dieser Zeit einen Adelstitel ab, die Berufung ins Herrenhaus nahm er jedoch an. Er lebte in völliger Zurückgezogenheit, sein deplorabler körperlicher Zustand ließ es nicht einmal mehr zu, daß er sich dem Orgel- oder Klavierspiel widmete, das er so liebte. Über den grausamen Verlust, den ihm der Selbstmord seines Sohnes Heinrich 1894 bereitet hatte, kam Mach nicht mehr hinweg, wenngleich sein ältester Sohn Ludwig ihn mit unermüdlicher Sorge umhegte und ihm im Laboratorium stets zur H a n d ging. Mach starb 1916 in Haar bei M ü n c h e n , wohin er diesem Sohn gefolgt war. Im Gegensatz zur Heftigkeit seiner Ansichten war Mach ein äußerst freundlicher Mensch, beseelt von einer unerschütterlichen Großzügigkeit gegenüber seinen Gegnern und seinen Schülern. Seit dem Zweiten Weltkrieg ist Machs Name die gängige Bezeichnung für die M a ß e i n h e i t bei Geschwindigkeiten in der Flugtechnik. Im technischen Sinn bedeutet die Mach-Zahl das Verhältnis der Geschwindigkeit eines Körpers im umgebenden M e d i u m zur Schallgeschwindigkeit des M e d i u m s . Der Schweizer 191

Physiker Jakob Ackeret (geb. 1898) hatte Ende der zwanziger Jahre angeregt, den Begriff der Mach-Zahl einzuführen, um damit den richtungweisenden Studien des Österreichers auf dem Gebiet der Luftströmung, die er in seiner Prager Zeit unternommen hatte, ein Denkmal zu setzen. Unter Anwendung der 1864 von dem Deutschen Toepler entwickelten Ablenkungs-Spalt-Technik hatte Mach Geschosse im Flug photographiert. In seinem Buch Optisch-akustische Versuche (1873) berichtete er, daß Geschosse, deren Geschwindigkeit über die des Schalles hinausgeht, nicht nur eine, sondern zwei Knallwellen erzeugen: eine vordere, die von dem zusammengepreßten Gas vor dem Geschoß ausgeht, und eine hintere, erzeugt von dem Vakuum, das hinter dem Geschoß entsteht. Weiter entdeckte er, daß eine Feuerwaffe in Aktion zwei verschiedene Knallgeräusche erzeugt: der Knall des Geschosses folgt dem Projektil, der Donner des Geschützes dagegen entsteht an der Laufmündung. Diese Untersuchungsergebnisse wurden durch Photographien von Geschützen in Aktion bestätigt, die 1889 in dem Seestützpunkt Pola und in den Krupp-Werken in Meppen aufgenommen worden waren. 3 Ackeret blieb es vorbehalten, Machs ballistische Entdeckungen vierzig Jahre später auf die Aerodynamik der Luftfahrt anzuwenden. Zu Lebzeiten war Mach als Vertreter einer monistischen Philosophie der Naturwissenschaft bekannt geworden, die schließlich mit dem Empiriokritizismus des Zürichers Richard Avenarius (1843—1896) identifiziert wurde. 4 Obwohl Mach mit den Werken von Avenarius erst 1883 bekannt wurde, gestand er später dem Schweizer Positivisten zu, daß er geholfen habe, seinen eigenen Ansichten den Weg zu breiterer Aufnahme zu ebnen. Mach lag nichts an dem Ruf, den er unter professionellen Philosophen genoß, vielmehr ging es ihm um die Wertschätzung der Naturwissenschaftler. Wie sein Freund Popper-Lynkeus verehrte auch Mach die Aufklärung, da sie die falsche Anwendung von Begriffen wie Gott, Natur und Seele bloßgestellt hatte. Gegen solche Fiktionen berief sich Mach auf eine Maxime, die in sich Ockhams Ökonomieprinzip einschließt: Die beste Theorie ist die, die mit einem Minimum an Variablen auskommt. Dem Gebot Wilhelm Ostwalds folgend: „Du sollst dir keine geistigen Bilder oder Vergleiche welcher Art auch immer entwerfen", bestand Mach darauf, daß in der Physik bildliche Darstellungen durch Messung ersetzt werden müßten. Hypothesen wie die Annahme eines Äthers oder eine Atomtheorie lehnte er als metaphysische Konstrukte ab, die Vorhandenes unnötig vervielfältigten. Antoine Henry Becquerels Entdeckung der Radioaktivität 1896 kam zu spät, um den Skeptizimus, den Mach dem Atom entgegenbrachte, noch zu erschüttern. Mach wandte sich auch gegen Einsteins spezielle Relativitätstheorie, und zwar zum Teil deshalb, weil diese außerhalb des Geistes gelegene Naturgesetze als existent voraussetzt. Erst gegen Ende seines Lebens anerkannte er, daß seine eigene Ablehnung einer absoluten Zeit — als einer Abstraktion - Einstein angeregt hatte. 5 Philipp Frank (1884-1966), ein aus Prag stammender Jude, der in Wien Physik studiert und von 1912 bis 1939 Einsteins Nachfolger auf dem Prager Lehrstuhl für Physik war, zitierte einen Aphorismus Goethes, um Machs Auffassung zu charakterisieren: „Die Konstanz der Phänomene ist allein bedeutend; was wir dabei denken, ist ganz einerlei." 6 Frank stellte fest, daß Machs Miß192

trauen gegenüber jeglicher Theorie nur dazu diente, das Gebäude der Physik gegen Angriffe von Seiten anderer Disziplinen abzusichern. Innerhalb der Physik aber tendierte der Phänomenalismus dazu, auch konstruktive Hypothesen zu unterdrücken. In einer Zeit, da die meisten Physiker stolz darauf waren, bis zu den letzten Geheimnissen der Natur vorzudringen, erfreute sich Mach daran, auf früher begangene Irrtümer hinzuweisen. Er dokumentierte seinen Skeptizismus gegenüber Theorien, indem er sich zum Chronisten der Evolution der Hypothesen in Mechanik, Akustik, Optik und Wärmelehre machte. Durch das Aufdecken der Mißgriffe früherer Forscher hoffte Mach die Künstlichkeit selbst seiner eigenen Formulierungen aufweisen zu können. Gemeinsam mit Pierre D u h e m wurde er damit, ohne es zu wissen, zu einem Pionier der Wissenschaftsgeschichte. Nach seiner Berufung auf den neu geschaffenen Lehrstuhl in Wien betrieb Mach in zunehmendem Maß historische Studien. In seiner Antrittsvorlesung kündigte er an, daß er sich mit der Erforschung der Beziehungen zwischen Physik, Psychologie und Erkenntnistheorie befassen werde. Die Aufgabe der Philosophie definierte er als die kritische Dimension, die die individuellen Disziplinen miteinander zu verbinden habe, worin Otto Neurath ihm folgen sollte. 7 In Erkenntnis und Irrtum. Skizzen zur Psychologie der Forschung (Leipzig 1905, 5. Aufl. 1926) zeigte Mach gewisse Affinitäten zu Wilhelm Jerusalems pragmatischer Soziologie des Wissens. Mach lehnte Kants aprioristische Zahlenreihe ab und war der Ansicht, daß sich unser Zahlensystem aus dem Bedürfnis der Wirtschaft nach einfachem Festhalten und raschem Rechnen entwickelt habe. Machs Feindseligkeit gegenüber Theorien in der Physik wurde von seinen psychologischen Forschungen noch gesteigert. Er war einer der ersten gewesen, die sich an die Auswertung der Methoden machte, die Gustav Fechner in seinem zweibändigen Werk Elemente der Psychophysik (Leipzig 1860) vorgeschlagen hatte. Dieser Pastorensohn hatte, indem er die Stimuli maß, versucht, das theologische Dogma von der gegenseitigen Abhängigkeit von Körper und Seele zu untermauern. Mach ließ Fechners Metaphysik beiseite und begann 1860 damit, das von Ernst Heinrich Weber (1795-1878) 1834 formulierte Gesetz zu untersuchen, wonach sich die Intensität von Empfindungen direkt-proportional zur Intensität des Stimulus verändere. Während des Jahres 1863 legte Mach die Ergebnisse dieser Untersuchungen in einem Vorlesungszyklus vor. 8 In seinen Beiträgen zur Analyse der Empfindungen (Jena 1886, 4. Aufl. 1903) 9 rekapitulierte er alle empirischen Forschungen zum Problem der Empfindungen, um seine eigene Lehre zu untermauern, nach welcher die Empfindungen das einzige Element der Erfahrung darstellen. Mach tat das Ich als nutzlose Hypothese ab; Bewußtsein bestehe aus Empfindungen, die in einem geordneten kontinuierlichen Strom aufträten, Erinnerung im Wiedererwecken früherer Empfindungskonstellationen. Wenngleich unser Empfindungsapparat notwendigerweise das Wahrgenommene verzerre, so gehe uns doch ein Kriterium zur Unterscheidung von Eindruck und Realität ab. Mach verzichtete also auf jegliche Unterscheidung zwischen Realität und Erscheinung und überließ den Menschen einem unterschiedslosen Meer von Phänomenen. Er behauptete, daß er diese Lehre zwei oder drei Jahre nach der Lektüre von Kants Prolegomena zu jeglicher zukünftiger 193

Metaphysik entwickelt habe; das Buch sei ihm als Fünfzehnjährigem in der Bibliothek seines Vaters in die Hände gefallen. Gleich Meinong ließ auch Mach chemische Metaphern sprießen, wie der Empirismus des 19. Jahrhunderts sie liebte, und schrieb der Psyche Elemente und Komplexe zu, die nun wieder uns als nutzlose Hypothesen erscheinen. Neben seinen Forschungen über die Luftbewegung gelang Mach auf dem Gebiet der Psychologie eine epochale Entdeckung: Zur selben Zeit, als Freuds Mentor Josef Breuer sich mit dem Problem befaßte, entdeckte Mach unabhängig von diesem die Funktion der halbkreisförmigen Kanäle im inneren Ohr. In seinen Grundlinien der Lehre von den Bewegungsempfindungen (Leipzig 1875) berichtete Mach, daß er eine von Friedrich Goltz 1870 geäußerte Vermutung bestätigen könne, nämlich daß die Labyrinthkanäle des Ohres die Gleichgewichtsorgane darstellten.10 Mach hatte nachgewiesen, daß sich die in den Kanälen befindliche Flüssigkeit bei Bewegungen des Kopfes langsam verlagert und dadurch bestimmte Nerven aktiviert. Breuer behandelte das Problem als Neurologe und zeigte, daß nach Entfernung dieser Kanäle kein Schwindelgefühl mehr hervorgerufen werden könne und daß bei schneller Bewegung des Kopfes die Augen eine Reflexbewegung nach der anderen Seite vollziehen. Mach und Breuer erwiesen sich beide als gleich großzügig, indem jeder dem anderen das Verdienst zusprach, die Entdeckung gemacht zu haben, bei welcher es sich tatsächlich um eine Doppelentdeckung handelte. Mit seiner Philosophie und mehr noch mit seiner Psychologie übte Mach weitgehenden Einfluß aus. Auf seiten der Philosophen hat er zur Entwicklung von Mauthners Sprachkritik beigetragen, und Husserl, der sich in den neunziger Jahren gegen Machs Psychologismus wandte, empfand dessen Lehren als Ansporn. Stöhr und Wahle arbeiteten Machs Ablehnung des Ich zu einer Lehre aus, nach welcher die Psyche aus isolierten Abfolgen von Ereignissen besteht. Auch bei den Impressionisten des Jungen Wien fand Machs reduktionistische Psychologie Anklang. In seinem Dialog vom Tragischen (Berlin 1904) verwendete Hermann Bahr Machs Begriff vom unrettbaren Ich, um die Subjektivität seiner Schriftstellerkollegen zu rechtfertigen, und sagte voraus, daß die Kritik Machs Weltanschauung einst als „Philosophie des Impressionismus" preisen werde.11 Der junge Hugo von Hofmannsthal (1874-1929), der 1897 Machs Vorlesungen hörte, wies bemerkenswerte Affinitäten zu diesem auf. In seinem Chandos-Brief {1901) beklagte Hofmannsthal den Verlust eines archimedischen Punktes, der einen in die Lage versetzen könnte, das Reale von den Erscheinungen zu unterscheiden. Der Dichter fühlte sich einem Sturm von Empfindungen preisgegeben, die alle, ohne falsch oder wahr zu sein, in die äußere Realität eingehen. Gotthart Wunberg hat darauf hingewiesen, daß sowohl Mach wie auch Hofmannsthal die Terminologie Fechners entlehnt hatten, für den die Wörter Geist, Seele und Bewußtsein beliebig austauschbar waren. 12 Dieses Vokabular setzte einen Prozeß der Depersonalisation voraus, in welchem die Seele in den Körper einfließt und der Körper in die Außenwelt, im gleichen Maß alle Wahrheiten zerstörend, die sich auf einen platonischen Dualismus von Geist und Materie aufbauen. So konnte auch Hermann Broch Machs Verschmelzung von Geist und Materie als den Todesstoß für den Piatonismus bezeichnen. 194

Mehrere Interpreten des Wiener Impressionismus haben gleich Bahr die Ansicht vertreten, daß in Machs Psychologie der Empfindungen der Kern der gesamten Bewegung zu sehen sei.13 Wenn Impressionismus die Auflösung jeglicher höheren Welt in einen Strom von Empfindungen bedeutet, dann verkörpert Machs Reduktionismus und besonders der von Wahle tatsächlich den Impressionismus. Dennoch ist die Definition Arnold Hausers treffender: Impressionismus sei nicht primär eine Philosophie gewesen, sondern eine ästhetische Grundhaltung, die sich im dauernden Wechsel von Perspektiven erging. Seine Begeisterung für die Vergänglichkeit ließ unter der manifesten Vielfalt latente Substrakte durchscheinen, so daß sich der Impressionismus zwar als antisystematisch und antimetaphysisch zeigte, dann aber den Monismus nicht weniger als den Dualismus mied. Die Dehnbarkeit des Begriffs Impressionismus wird bei Mach auch offenbar, wenn er Richard Hönigswald tadelt, er habe des Meisters Gedanken auf ein Prokrustesbett gespannt: „Noch einmal, so etwas wie eine .Philosophie Machs' gibt es nicht." 14 Durch seinen Antidogmatismus zog Mach junge österreichische Denker wie Hofmannsthal, Hönigswald, Rudolf Holzapfel, Emil Lucka und Musil an, die nichts miteinander gemeinsam hatten als die Offenheit des Impressionisten für die verschiedenartigsten Standpunkte. 1 5 Obwohl sich auch Mach wie Schnitzler und Schaukai einer inneren Schau hingab - sein Schlaganfall von 1898 zwang ihn sogar zu einem langen inneren Monolog 16 konnte er doch den Flirt mit dem Tod nicht gutheißen. Ihm erschien Degeneration als ein Fluch, nicht als eine Botschaft. Mach verband wie Freud den Impressionismus mit dem älteren Positivismus und kombinierte den Glauben an ein Spiel der Erscheinungen mit dem Vertrauen in ein monistisches Fundament. Obwohl er daran festhielt, daß sich Erfahrung letztlich als Strom von Empfindungen darstelle, war er doch, im Gegensatz zu Bahr, davon überzeugt, daß im Grunde die Regeln der Vernunft vorherrschen. Die Breite der Gefolgschaft Machs läßt sich aus seinem Einfluß auf den russischen Marxismus ersehen. Alexander Bogdanow (1873—1928) und Anatolij Lunatscharskij (1875—1933) bedienten sich des Empiriokritizismus von Avenarius und Mach, um Marx' Materialismus zu revidieren. 17 Lenin veröffentlichte eine berühmte Streitschrift gegen den Revisionismus, Materialismus und Empiriokritizismus (St. Petersburg 1909); Mach jedoch nahm von dieser Polemik kaum Notiz. Die Machsche Irrlehre wurde zu neuem Leben erweckt, als Friedrich Adler, Viktors Sohn, eine Abhandlung über Mach verfaßte, während er - wegen der Ermordung des Grafen Stürgkh — im Gefängnis saß. 18 Nachdem um 1880 der Herbartianismus so gut wie völlig verschwunden war, gab es nur wenige österreichische Philosophen, die so vielen Disziplinen ihren Stempel aufgedrückt haben wie Mach. Nur Franz Brentano, Husserl und vielleicht Otto Neurath kamen ihm in dieser Hinsicht nahe. Brentano und Mach, die außer ihrem Interesse an empirischer Psychologie kaum etwas miteinander verband, schlugen gemeinsam den Herbartianismus aus dem Feld. Mach fuhr fort, allen Versuchen einer Metaphysik, auch denjenigen Brentanos, entgegenzutreten. Wie sein Kollege Boltzmann ordnete auch er die Philosophie der Physik unter. Dies ist einer der Gründe, warum die ehemaligen Physiker, die auch den Wiener Kreis umfaßten, ihre Gruppe Ernst-Mach-Gesellschaft nannten. 195

Ludwig Boltzmann: Uber die Komplementarität von widersprüchlichen Hypothesen Mach teilte sich mit dem Physiker Ludwig Boltzmann ( 1 8 4 4 - 1 9 0 6 ) die Rolle des Verbreiters des empirischen Monismus. 1 9 Boltzmann war der Sohn eines Wiener Finanzbeamten, wurde in Salzburg und Linz streng katholisch erzogen und erwarb sich schon als Gymnasiast eine universelle Bildung; nebenbei sammelte er noch Pflanzen und Schmetterlinge. Nach dreijährigem Studium bei Josef Stefan ( 1 8 3 5 - 1 8 9 3 ) und dem exzentrischen ungarischen Mathematiker Josef Petzval, die beide mit Mach rivalisierten, wurde er 1866 in Wien als Physiker promoviert. 1867 habilitierte er sich und war von 1869 bis 1873 als Professor für mathematische Physik, von 1878 bis 1889 für Experimentalphysik in Graz tätig. Die Jahre dazwischen hatte er als Professor für Mathematik in Wien zugebracht. In Graz war er 1878 Dekan seiner Fakultät und 1887/88 Rektor der Universität. Wenngleich Boltzmanns Liebe der Arbeit im Laboratorium gehörte, zwang ihn doch zunehmende Kurzsichtigkeit, sich mehr auf die theoretische Arbeit zu verlegen. Von 1889 bis 1894 lehrte er in München, arbeitete von 1894 bis 1900 als Nachfolger Stefans in Wien, und von 1900 bis 1902 war er in Leipzig tätig, wo er sich jedoch vor dem ungewohnten Auditorium so unsicher fühlte, daß er als Nachfolger Machs abermals nach Wien zurückkehrte. Hier hielt Boltzmann seine Vorlesungen vor sechshundert Hörern, vor denen er Friedrich Jodl zur Diskussion einlud. In diesen bis dahin noch nie dagewesenen Veranstaltungen zertrümmerte der Skeptiker Boltzmann den ethischen Idealismus des großsprecherischen Jodl. Dieses Ereignis mag die Feindseligkeit, die einer seiner Schüler, Hermann Broch, gegen Boltzmann empfand, vertieft haben. Unter anderen zählte auch die gebürtige Wiener Physikerin Lise Meitner (1878-1968), die 1906 als eine der ersten Frauen in Wien ein Doktorat erwarb, zu seinen Schülern. Am 5. September 1906, im Alter von zweiundsechzig Jahren, beging Boltzmann in Duino bei Triest Selbstmord, getrieben von seiner Angina pectoris und aus Angst, daß seine geistigen Kräfte nachließen. In der Physik hatte er die Forschungen Stefans, der an der Einführung von James Maxwells Theorie der Gase auf dem Kontinent mit beteiligt gewesen war, fortgeführt. 1871 verfeinerte er die kinetische Theorie der Gase, indem er eine Methode der statistischen Mechanik anwandte, die der aus Böhmen stammende Josef Loschmidt ( 1 8 2 1 - 1 8 9 5 ) , ebenfalls ein Schüler Stefans, entwickelt hatte. 1861 war dem bescheidenen Loschmidt bereits die Entdeckung des Benzol-Ringes gelungen, die offiziell erst vier Jahre später von A. Kekule gemacht wurde. 1873 verifizierte Boltzmann Maxwells elektromagnetische Theorie des Lichtes durch Experimente mit Gasen. Am bekanntesten wurde der Österreicher, als er 1884 das von Stefan fünf Jahre zuvor aufgestellte Gesetz bestätigte, demzufolge die Wärmestrahlung eines sich abkühlenden Körpers als vierte Komponente seiner absoluten Temperatur variabel ist (Stefan-Boltzmannsches Gesetz). In späteren Jahren vertrat Boltzmann die Ansicht, daß die Thermodynamik atomare Phänomene widerspiegle, was Mach und Ostwald zu Polemiken herausforderte, deren Heftigkeit dem Angegriffenen so sehr zusetzte, daß sie mit ein Grund für seinen Selbstmord ge196

wesen sein können. Boltzmanns Überzeugung wurde schließlich von seinem Schüler Paul Ehrenfest (1880-1933) gerechtfertigt, der mathematische Techniken anwandte, um die Quantenmechanik mit der klassischen Physik zu koordinieren. Als Philosoph vertrat Boltzmann die Ansicht, daß alle Hypothesen willkürlich seien, und stieß damit die Newtonianer vor den Kopf. Er zog sich nicht auf die Machsche Position des Phänomenalismus zurück, sondern behauptete, daß mehrere widersprüchliche Theorien gleichermaßen richtig sein können. Er versuchte Kontroversen, wie etwa die zwischen dem Atomismus und Kirchhoffs deduktiver Anwendung von Differenzialgleichungen, zu lösen, indem er annahm, daß beide Versuche willkürliche Fiktionen einschließen. Wenngleich jede derartige Fiktion einige Tatsachen verzerrt, sind mehrere davon eher geeignet, einander zu ergänzen als einander auszuschließen. Boltzmann stimmte mit Mach darin überein, daß keine Fiktion genau zeigen kann, was ein Kontinuum ist oder wie sich eine Partikel verhält. In ähnlicher Weise könnten verschiedene Darstellungen der Welt, deren jede alle Fakten erklären möchte, nebeneinander bestehen; solche Welt-Hypothesen sind sogar eher komplementär als antagonistisch. 20 Boltzmanns Skeptizismus resultierte vor allem aus seiner Virtuosität als Mathematiker. Obwohl er einen feinen literarischen Stil schrieb, strotzten seine Publikationen vor Gleichungen und Diagrammen. Sein Geschick im Formulieren alternativer mathematischer Fiktionen war so groß, daß er schließlich die Philosophie als der Mathematik analog betrachtete. In diesem Punkt verkörperte er die wechselseitige Befruchtung zwischen Philosophie und Physik, die später den Wiener Kreis charakterisierte. Boltzmann hat auch Niels Bohrs Komplementärprinzip vorweggenommen, das behauptet, widersprüchliche Hypothesen könnten zur Erklärung verschiedener Aspekte eines einzigen Phänomens verwendet werden. Boltzmann war weniger streitbar als Mach und weniger beißend als Stöhr oder Wahle und näherte sich in seinem Eifer, alternative Hypothesen miteinander zu versöhnen, dem Synkretismus Rudolf Eislers. Seine Friedfertigkeit machte seinen Selbstmord um so erschütternder. Sein früherer Rivale Ostwald pries Boltzmann als einen Mönch der Wissenschaft und nannte ihn einen Märtyrer, der sich in seiner Forschungstätigkeit verzehrt habe. Zwar waren seine Beiträge meist zu speziell, um weitere Kreise zu erreichen, aber er demonstrierte diejenige Art von Einsicht, die ein Mathematiker höchsten Ranges der Philosophie bringen konnte. Damit wurde er für den Wiener Kreis zu einem Helden, für Platonisten wie Broch hingegen zu einem Schreckbild.

Moritz Schlick: Initiator und Kritiker des Wiener Kreises Die leitende Persönlichkeit des Wiener Kreises war Moritz Schlick (1882-1936), ein aus Berlin stammender Protestant und Nachkomme des Publizisten Ernst Moritz Arndt. Er wurde am bekanntesten durch seine Erkenntnislehre, die Erkennen und Erleben voneinander unterschied; etwas idiosynkratischer erscheint sein System der Ethik. 21 Von 1900 bis 1904 studierte Schlick in Berlin bei Max 197

Planck Physik; seine Dissertation befaßte sich mit Gleichungen zur Lösung des Problems der Lichtbrechung. 1911 habilitierte er sich in Rostock und war dort bis 1921 als Dozent und Professor für Philosophie tätig. Anschließend wurde er nach Kiel berufen, folgte aber noch im selben Jahr (1921) einem Ruf des Mathematikers Hans Hahn (1879-1934), die Nachfolge Machs und Boltzmanns in Wien anzutreten. Dort lehrte er von 1922 bis 1936 und wirkte als Verbreiter neopositivistischer Philosophie; eine Berufung an die Universität Bonn (1929) lehnte er ab. Statt dessen wirkte er 1930 als Gastprofessor in Stanford und 1931/32 an der University of California in Berkeley. Am 22. Juni 1936 wurde Schlick erschossen, als er die Treppen zur Wiener Universität hinaufging, um dort seine letzte Vorlesung eines Zyklus über die Philosophie der Physik zu halten. Der Mörder war ein Student, dessen Dissertation über Ethik von Schlick abgelehnt worden war und der den Professor mehrere Jahre lang belästigt hatte. Zwar war der Attentäter schon zweimal zufolge akuter paranoider Symptome interniert gewesen, aber wie dem Mörder Hugo Bettauers gelang es auch ihm, politische Motive geltend zu machen und damit noch den Beifall einiger Austrofaschisten für sein Verbrechen zu ernten. Er wurde zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt, 1938 jedoch von den Nationalsozialisten pardoniert. 1924 hatte Schlick unter dem Zuspruch Herbert Feigls und Friedrich Waismanns eine informelle Donnerstag-Abend-Diskussionsrunde für Philosophen und Naturwissenschaftler ins Leben gerufen. 22 Im Oktober 1928 organisierten die rund zwanzig Mitglieder dieser Runde die Ernst-Mach-Gesellschaft, die auf Anregung Otto Neuraths bald als Wiener Kreis bekannt wurde. 1929 veranstaltete die Gesellschaft in Prag den ersten einer Reihe von internationalen Kongressen und begann 1930 mit der Herausgabe der Zeitschrift Erkenntnis als Nachfolge von Hans Vaihingers Annalen der Philosophie. Neben Schlick traten noch der Wiener Jude Neurath und der deutsche Protestant Rudolf Carnap als Glanzlichter des Wiener Kreises hervor. Ferner zählten zu seinen Mitgliedern der Jodl-Schüler Victor Kraft (geb. 1880), der Prager Physiker Philipp Frank (1884-1966), der Wissenschaftshistoriker Edgar Zilsel (1891-1944) und als Gäste der Psychoanalytiker Heinz Hartmann (1894-1970), der Jurist Felix Kaufmann (1895-1949) und der Methodologe Karl Popper (geb. 1902). Die Mathematiker des Kreises waren Hans Hahn, der aus Brünn stammende Kurt Gödel (geb. 1906) und Karl Menger (geb. 1902). Alle Mitglieder des Kreises waren in moderner Logik und entweder Mathematik oder Physik ausgebildet. In der Hoffnung, Machs Phänomenalismus zu einer klareren Linie verhelfen zu können, zogen sie als Arbeitsbasis Wittgensteins Tractatus logico-philosophicus (1922) heran, der Freges, Whiteheads und Russells Axiom verteidigte, daß logische Behauptungen auf mathematische Formeln reduziert werden können. Aber noch bevor sich Gödels Arbeiten 1931 als Hindernisse auf diesem Weg erweisen konnten, hatte sich die Gruppe in zwei Lager gespalten. Die radikale Richtung unter der Führung von Hahn, Neurath und Carnap wandte sich dem Physikalismus zu, jener Ansicht, nach welcher Wahrheit nur nach dem logischen Zusammenhang von Aussagen gemessen werden kann. Die gemäßigtere Gruppe unter der Führung Schlicks und Feigls trat dafür ein, daß zusätzlich zu der formalen Wahrheit der Physikalisten die materielle Wahrheit der Beobachtung bestehe. 198

Durch Schüler wie Albert E. Blumberg, Max Black und Willard Van Orman Quine sowie durch Schlicks Vorlesungen in Kalifornien begann der Wiener Kreis bereits in Amerika Anhänger zu gewinnen, noch ehe die meisten seiner Führer unter dem Dollfuß-Regime ins Exil gehen mußten. In den Vereinigten Staaten wurde dann auch der Terminus logischer Positivismus geprägt, der allmählich Schlicks eigene Bezeichnung seines konsequenten Empirismus ersetzte.88 Vor allem Schlicks verbindlicher Art und seiner Geduld ist es zu danken, daß der Wiener Kreis seine Spaltung überdauert hat. Sowohl er als auch Carnap beklagten Neuraths Engagement in der Wiener Politik; Neurath wiederum kritisierte Hahn, da dieser an spiritistischen Seancen teilnahm und dort strenge experimentelle Methoden einzuführen versuchte. Obwohl sich auch Carnap mit Parapsychologie befaßte, bezeichnete Wittgenstein diese als völligen Unsinn. Wittgenstein, der von 1926 bis 1929 in Wien lebte, mußte feststellen, daß Neurath und Carnap zusehends unverträglicher wurden, und schloß sich daher 1928 näher an Schlick, Feigl und Waismann an. Schlick gab seine in dem Werk Allgemeine Erkenntnislehre (Berlin 1918, 2. Aufl. 1925) aufgestellten Doktrinen nie auf; er war mit ihnen Alois Riehl gefolgt, der sich ebenfalls Humes Skeptizismus als dem Gipfel der Erkenntnistheorie verschrieben hatte. Schlicks Philosophie deckt sich nicht mit der des Wiener Kreises. In der Ethik stand er sowohl zum Physikalismus Neuraths in Gegensatz als auch zur Antimetaphysik Wittgensteins. In seiner Lebensweisheit. Versuch einer Glückseligkeitslehre (München 1908) hatte Schlick eine Ethik der Jugendlichkeit vertreten, in der er sich auf Nietzsche, John Ruskin und Jean Marie Guyau berief. In Fragen der Ethik (Wien 1930) trat er in verstärktem Maß für Selbstverwirklichung ein. Durchgehend setzte sich Schlick mit der Axiologie Brentanos auseinander, die absolute moralische Werte fordert. Schlick setzte dagegen Werte mit Lustempfindungen gleich und verteidigte so den Neoutilitarismus mit einer psychologischen Subtilität, die sonst bei Philosophen nur selten zu finden ist. Schlick sagte, der Mensch zögere, die Lust als einzigen Wertmaßstäb zu akzeptieren, da er von seinen Lehrern dahingehend beeinflußt wurde, daß schon das Wort „Lust" allein als etwas Unangenehmes anzusehen sei. Er forderte die Volksschulen auf, als Schützer sozialen und persönlichen Wohlbefindens zu wirken, und ging darin dem späteren Karl Mannheim voran. Lehrer, die angenehme Dinge als sträflich darstellten, lehnte er ab, womit er sich mit den Antiautoritären Rosa Mayreder und Josef Popper-Lynkeus gleichstellte. Schlick war jedoch alles andere als ein Hedonist, er achtete den Schmerz: Um höchste Lust zu empfinden, so meinte er, müsse sich die Seele zuerst der Qual unterziehen. Im Schmerz sorgt die Hoffnung für Lust, indem sie eine angenehme Zukunft in Aussicht stellt und uns den Anreiz bietet, nach Erleichterung zu streben. Schlick setzte menschliche Erfüllung mit Ekstase gleich: Freude und Sorgen veranlassen die Natur des Menschen zu einer Erregung, durch welche „die ganze Persönlichkeit mit einer Intensität affiziert wird, die nur wenige Impressionen erreichen können". 24 Da dieses Aufwühlen der Tiefen eher vom Schmerz als von der Freude erzielt wird, regt die Abneigung gegen den Schmerz das Wachstum wirkungsvoller an als das Verlangen nach Lust. In einer Lehre, die jener Stöhrs fast völlig gleicht, behauptete Schlick, daß der Grad des Fortgeschrittenseins der Zivi199

lisation daran gemessen werden könne, wie weit Schmerz bereits aufgehört habe, zum Hervorrufen von Lust unerläßlich zu sein. Er erwartete, daß die Zivilisation allmählich über ihre Leidensabhängigkeit hinauswachsen würde. Das Problem der Willensfreiheit wurde von Schlick insofern zu lösen versucht, als er demonstrierte, in welchem Ausmaß bisher Begriffe, die sich auf die Natur beziehen, fälschlich auf die Psyche angewandt wurden. Er entwarf ein Schema, um diese beiden Bereiche zu differenzieren: Natur Naturgesetz Determinismus (Kausalität) Universelle Gültigkeit Indeterminismus (Zufall) Keine Ursache

Gesellschafi Gesetz des Staates Zwang Notwendigkeit (Pflicht) Freiheit Kein Zwang25

Jede Kolonne stellt eine Kette von Begriffen dar, aus denen die anderen hervorgehen. In den Auseinandersetzungen über die Willensfreiheit haben Philosophen Begriffe von einer in die andere Kolonne transponiert, Indeterminismus mit Freisein vom Zwang verwechselt und universelle Gültigkeit mit Pflicht. In ähnlicher Weise hat Hans Kelsen, indem er die sich auf Naturgesetze stützende griechische Jurisprudenz kritisierte, seine Zeitgenossen aufgefordert, die beiden Bereiche, die die Griechen durcheinandergebracht hatten, wieder zu trennen. Wir müßten erkennen, daß uns die Naturgesetze zwar in unserem Verhalten bestimmen, uns jedoch zu nichts zwingen. Umgekehrt beruht die Pflicht zum Gehorsam gegenüber dem Staat nicht auf Naturgesetzen, sondern auf der Macht des Staates, sich die nötige Willfährigkeit zu erzwingen. Schlicks hervorstechendste ethische Lehre bestand in der Glorifikation der Verjüngung. Seine Maxime lautete: „Brauchen wir eine Lebensregel, so sei es diese: .Bewahre den Geist der Jugend/ Denn er ist der Sinn des Lebens."26 Indem er Schillers Briefe zur ästhetischen Erziehung (1794) zitierte, setzte Schlick Jugendlichkeit dem Spiel gleich, was für ihn Freude an einer Tätigkeit um ihrer selbst willen bedeutete, unabhängig von äußeren Bedürfnissen. Das Genie ist immer voll von Kindlichkeit, genau wie jede echte Begeisterung. Auch Spontaneität verleiht den Lehren Bedeutung. Forderungen, die von der Jugend erst in den sechziger Jahren aufgestellt wurden, hatte Schlick schon vorweggenommen, als er für die Errichtung einer Gesellschaft eintrat, in der der Jugend in allen Bereichen die bestmöglichen Chancen offenstehen sollten. Kritik an der Erziehung durch Zwang zieht den Kampf gegen Zwang - in welcher Verkleidung auch immer — nach sich. Emil Utitz (1883—1957), ein aus Prag stammender Ästhetiker, der unter Anton Marty ausgebildet worden war, entdeckte in Schlicks Ethik Züge des Expressionismus.27 Schlick hatte Erkenntnis und Erlebnis auseinandergehalten und in der Folge behauptet, daß Ethik nicht das Erkennen, sondern nur das Erleben betreffe. Zwar halte man Erlebnisse für unausdrückbar, doch die Ethik unternehme dennoch den Versuch, hier zu gültigen Formulierungen zu gelangen. Und diese Hartnäckigkeit, mit der Schlick sich um Mitteilungen über das Un200

mittelbare bemühte, war es auch, die Utitz als expressionistisch ansah. Abgesehen von seinem Skeptizismus gegenüber der Metaphysik, war Schlick der Ansicht, daß die Kunst und die Metaphysik des Menschen seine Psyche bloßlegen. Sie zeigen, welche Freuden ein Denker schätze und welchen Schmerz er fürchte. Schlick war — nach Utitz — weit davon entfernt, jegliche Metaphysik auszuschalten, vielmehr verwendete er sie dazu, eine Seele zu diagnostizieren, ebenso wie sein Expressionisten-Kollege Oswald Spengler sie zur Charakterisierung der Zivilisation heranzog. Andere Mitglieder des Wiener Kreises haben Schlicks Ethik der Jugendlichkeit als mit dem Humeschen Skeptizismus unvereinbar bekrittelt. Aus einem seiner posthum veröffentlichten Aphorismen läßt sich ersehen, wie Schlick die Preziosität so mancher seiner selbstbewußten Schüler beklagt hätte: „Ein Denker, der nur Philosoph ist, kann kein großer Philosoph sein. Der ist kein Philosoph, der so handelt, als ob alle Menschen Philosophen wären. ,Im Mann ist mehr Kind als im Jüngling', sagt Nietzsche. Das erklärt die Misere der Flegeljahre. Der Forscher bleibt jung, weil er ewig Neues sucht." 28 Schlick wäre erschüttert gewesen, hätte er mit ansehen müssen, wie die logischen Positivisten frühere Philosophen herabsetzten. Darin, daß er das Leben höher achtete als jegliche Theorie, unterschied sich der Gründer des Wiener Kreises von den meisten seiner Kollegen. Neurath, der energiegeladenste Denker der Gruppe, sah bald, daß seine Üppigkeit die Erlesenheit Schlicks in den Schatten stellte. Eigentümlich mutet es an, daß er, dem die von Schlick so geschätzte Jugendlichkeit reichlich verliehen war, diesen insofern verdrängte, als er Carnap, der, ehe er 1926 nach Wien kam, mehr zu den eklektizistischen Ansichten Schlicks tendiert hatte, zum Physikalismus bekehrte. Der Verfechter der Jugendlichkeit, ermordet von einem wahnsinnigen Jugendlichen, ist heute in Vergessenheit geraten. Die Jünger der Spontaneität aber könnten vieles profitieren, würden sie seiner Gelehrsamkeit nacheifern.

O t t o Neurath: Das Verlöschen eines Universalgenies O t t o Neurath ( 1 8 8 2 - 1 9 4 5 ) ist eines der am meisten vernachlässigten Genies des 20. Jahrhunderts. Er trat auf so vielen Gebieten als Neuerer hervor, daß selbst seine Bewunderer die Übersicht über seine Leistungen verloren. In nicht geringem Ausmaß verdankte Neurath seine Fähigkeiten seinem Vater, Wilhelm Neurath (1840-1901). 2 9 Der ältere Neurath, ein aus der Gegend des damals ungarischen Preßburg stammender deutschsprachiger Jude, wurde in Wien zum Doktor der Philosophie promoviert, in Tübingen zum Doktor der Staatswissenschaften, und war danach als Dozent an der Technischen Hochschule in Wien und ab 1889 als Professor an der Hochschule für Bodenkultur tätig. Zwischen 1878 und 1901 veröffentlichte er an die zwanzig Bücher, die sich mit dem Sozialproblem befaßten. Er vertrat einen ethischen Idealismus, ähnlich dem 201

Friedrich Jodls und Wilhelm Jerusalems, und verherrlichte die Arbeit als jene Betätigung, die den Menschen über das Tier erhebt. In seinen Volkswirtschaftlichen und sozialphilosophischen Essays (Wien 1880) würdigte der ältere Neurath die Historiker sowohl als Propheten, die ein Urteil über die Vergangenheit weitergeben, wie auch als Reformer, die sich einer jahrtausendealten Erfahrung bedienen können. Erfüllt vom gleichen Sendungsbewußtsein wie andere Juden — Hertzka etwa oder Nordau predigte Wilhelm Neurath den Ungebildeten Progressivismus, um den Proletarier nicht inmitten der Fülle modernen Philosophierens im Dunkel tappen zu lassen. Sein Wahlspruch war: „Mensch sein heißt ein Kämpfer sein"; er verkörperte den ungarischen Aktivismus als Gegengewicht zum therapeutischen Nihilismus Wiens. O t t o Neurath, der Sohn, kam in Wien zur Welt und nahm all die enzyklopädische Gelehrsamkeit und den Reformwillen seines Vaters in sich auf. 30 Er studierte in Wien und Berlin, wo er 1906 bei Eduard Meyer promoviert wurde. Während er an seiner Dissertation über die Ansichten der Antike über Handel u n d Landwirtschaft schrieb, fand er noch Zeit, den kaum bekannten Faust (1839) Ludwig Hermann Wolframs (1807-1852) zu edieren und mit einer biographischen Einleitung zu versehen. 31 U m 1910 publizierte er gemeinsam mit Olga H a h n eine Reihe von Aufsätzen über mathematische Logik, und während seiner Tätigkeit als Professor an der Handelsakademie in Wien schrieb er eine Reihe von Artikeln zur Ö k o n o m i e des Krieges. Eine Z u w e n d u n g der Carnegie Foundation ermöglichte ihm eine Reise in den Balkan und nach Galizien, wo er die Bedeutung der Ruthenen für die Beziehungen zwischen Rußland und Österreich-Ungarn studierte. 32 Während des Ersten Weltkrieges setzte er seine Artikelserie zur Ö k o n o m i e der Kriegsführung fort und entwickelte am Museum für Kriegswirtschaft in Berlin neue graphische Methoden zur Darstellung von Statistiken. 33 Unter seinen Essays fanden sich auch solche über die Geschichte der O p t i k und über Einstellungen zum Problem der Sklaverei. 34 Es war für Neurath charakteristisch, daß er seinen Schülern nahelegte, sich alle fünf Jahre einer anderen Laufbahn zuzuwenden. Im Jahre 1919 drängte Neurath die Regierungen zur Beibehaltung von Produktionsräten, um durch diese zu einer Regulierung der Wirtschaft zu gelangen, die Enteignungen entbehrlich machen würde. Als er seine Vorstellungen der Bayerischen Regierung vorlegte, verglich Lujo Brentano sie mit den Organisationspraktiken der ägyptischen Pharaonen. Neurath leitete in M ü n c h e n ein Planungsbüro und bestand auch noch nach der kommunistischen Machtergreifung am 7. April 1919 auf seinem Projekt. Nach dem Sturz der Kommunisten wurde er verhaftet und vor Gericht gestellt. Obwohl Max Weber und Ernst Niekisch zu seinen Gunsten aussagten, wurde er zu achtzehn Monaten Gefängnis verurteilt. 85 In der Untersuchungshaft schrieb Neurath seinen Anti-Spengler (München 1921), worin er Oswald Spengler wegen des Vernachlässigens jeglicher wissenschaftlicher Methode anklagte und dafür eintrat, etwas gegen die Halbbildung zu unternehmen. Nach seiner Wiedereinbürgerung in Wien nahm Neurath sein einflußreichstes Vorhaben in Angriff: Als Vorkämpfer eines zeitgemäßen Wohnbaues organisierte er 1923 eine Wohnbauausstellung, die er im Jahr danach mit Hilfe der Stadt202

Verwaltung zum Gesellschafts- und Wirtschaftsmuseum ausbaute. Dieses Museum, das sich im Rathaus befand, sollte die Aufgabe erfüllen, die Öffentlichkeit über soziale und wirtschaftliche Angelegenheiten zu informieren. Um der Statistik neue Impulse zu verleihen, entwickelte Neurath die zunächst so bezeichnete Wiener Methode der Piktographie, die nach 1934 den Namen Isotypie erhielt. Diese Methode arbeitete mit Tabellen, auf denen in grellen Farben Symbole von Menschen, Häusern, Booten usw. zu sehen waren, die jeweils bestimmte Quantitäten der intendierten Einheit darstellen sollten. Gemeinsam mit seinem Team stellte Neurath Hunderte solcher Tabellen mit mehr als zweitausend Symbolen her, denen er unbegrenzte Verwendungsmöglichkeiten voraussagte. Vor allem wollte er mit diesen Tabellen zur internationalen Verständigung beitragen und die Analphabeten informieren helfen. 36 Um 1940 waren die Isotypen fast auf der ganzen Welt geläufig, und 1950 hatten sie eine so umfassende Verbreitung erreicht, daß sich kaum noch jemand ihres Ursprungs im sozialistischen Wien erinnerte. Dieses visuelle Alphabet, das seine Verwendung in der Reklame, in Museen, Schulen und im Tourismus fand, verwirklichte den Traum Vater Neuraths, einfachen Menschen beim Verstehen ihrer Umwelt behilflich sein zu können. Während Neurath nach 1925 seine Vorlesungen Seite an Seite mit Otto Bauer und Max Adler hielt, widmete er sich vor allem dem Wiener Kreis. Er brachte Carnap dazu, sich dem Physikalismus zuzuwenden, und drängte darauf, die neue Philosophie dazu anzuwenden, die Naturwissenschaften mittels eines universellen Vokabulars zu vereinen. 1934 verlegte er seinen Stab nach Den Haag, wo er das Mundaneum gründete, das auch ein Institut für die Einheit der Wissenschaften einschloß. Nach 1940 lebte er in Oxford, gab dort die Encyclopedia of Unified Science heraus, arbeitete an der Verbreitung der Isotypen und fungierte als Konsulent in Fragen der Slum-Beseitigung für die Stadt Bilston. Neurath war ein großer, heiterer Mann und bekannt dafür, daß er Freunden und Gegnern mit der gleichen Liebenswürdigkeit gegenübertrat. Er pflegte seine Briefe mit der Isotype eines Elefanten zu signieren, der je nach seiner augenblicklichen Stimmung die Züge der Heiterkeit oder der Niedergeschlagenheit ausdrückte. Nach 1920 widmete sich der durchschlagskräftige Redner und unermüdliche Organisator Neurath vor allem dem Brückenschlag zwischen verschiedenen Disziplinen, Klassen und Nationen. Als er die folgenden Zeilen schrieb, geschah dies zweifellos im Sinn der Ideale seines Vaters: „Sobald alle Menschen an einer gemeinsamen Kultur teilhaben können und die Schlucht zwischen den Gebildeten und den Ungebildeten überbrückt ist, wird das Leben voller verstanden und gelebt werden." 87 Nur wenige haben für die Verbreitung eines ökonomischen Geistes und für das Niederreißen von Grenzen soviel getan wie dieser menschliche Generator, der starb, noch ehe seine Anliegen breiteste Anerkennung gefunden hatten. Seine frühe Ausbildung zum Mathematiker veranlaßte Neurath, sich für ein mathematisches Modell der Wahrheit zu entscheiden. Unter dem Einfluß des Logikers Gregorius Itelson, den er als Student in Berlin kennengelernt hatte, erlegte er sich in der Auswahl von Wörtern und Aussagen strenge Disziplin auf. 203

Für ihn hatte eine Behauptung nur dann einen Sinn, wenn sie gleichzeitig auch die Mittel zu ihrer Verifikation beistellte. Zusammen mit Carnap gründete er seine als Physikalismus bekannte Erkenntnistheorie auf den Begriff des Protokollsatzes. Diese Sätze gleichen tatsächlich dem Protokoll einer Zusammenkunft, welches festhält, daß ein Individuum „i" zur Zeit „t" und am Ort „p" dieses und jenes wahrgenommen hat. Diese Daten versetzen eine zweite Person in die Lage, das Wahrgenommene zu verifizieren und das Protokoll für ungültig zu erklären, wenn es falsch ist. Eine Einheitswissenschaft würde aus einem System von nichtwidersprüchlichen Protokollsätzen bestehen, die einander durch Beschreibungen von Gesetzen verbunden wären. Jeder neue Satz muß entweder in das System integriert oder abgelehnt werden. Neurath hielt daran fest, daß Sprache intersubjektiv sei, und meinte, daß Metaphysik diesem Kriterium nicht genügen könne. Um Unsinn zu vermeiden, muß man über Metaphysik Schweigen bewahren, wobei — kontra Mauthner — zu realisieren bleibt, daß man über etwas schweigt, was nicht existiert. Neurath war der Ansicht, daß sich hinter Schlicks Ethik der Lust und des Schmerzes eine Metaphysik verbarg, genau wie hinter dem logischen Atomismus des Tractatus Wittgensteins auch.38 Zwar waren Carnap und Schlick darüber verstimmt, daß Neurath die Rolle der gesellschaftlichen Bedingungen in der Entwicklung philosophischer Ideen betonte, dennoch ist er es gewesen, der nach Schlicks Tod den Wiener Kreis zusammenhielt. Die Encyclopedia of Unified Science, die er gemeinsam mit Philipp Frank und Charles Morris edierte, wurde zum Brennpunkt der Bewegung; er sah in ihr das Instrument, das eine universelle Fachsprache schaffen sollte, die — etwa nach Art der Mathesis universalis von Leibniz oder des französischen Strukturalismus - den Spezialisten das Koordinieren von Prämissen und Ergebnissen ermöglichen würde. 39 Neurath glaubte, daß sich die Welt, die sich mitten in einem galoppierenden Industrialisierungsprozeß befand, eine Ablehnung dieses Programms eines Brückenschlages zwischen den Disziplinen einfach nicht leisten könne. Das vielleicht verblüffendste an Neurath ist sein völliges Verschwinden in der Versenkung nach 1945. Keiner der in diesem Buch besprochenen Denker war der Technologie so nahe, keiner stand so sehr in Einklang mit der Welt nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, wie dieser Hansdampf in allen Gassen. Hätte er zehn Jahre länger gelebt, wäre er vielleicht zum Helden einer Kultur geworden. Dem Eifer, den sein Vater an die Aufrichtung der Massen wandte, hat er mit der Entwicklung der visuellen Erziehung zum Erfolg verholfen wie auch damit, daß er die Maxime beachtete, daß derjenige der beste Lehrer ist, der weiß, was er auslassen darf. Seit 1945 sind historische und bürgerliche Museen, wie Neurath sie in Wien erstmals ins Leben gerufen hatte, auf der ganzen Welt wie Pilze aus dem Boden geschossen, insbesondere in Osteuropa, wo sie sowohl Propaganda als auch Information vermitteln. Was die Breite seiner Interessen anlangt, ist Neurath in seinem Jahrhundert unerreicht. Wer sonst könnte von sich behaupten, daß er in Physik, Mathematik, Logik, Wirtschaftswissenschaft, Soziologie, alter Geschichte, politischer Theorie, deutscher Literaturgeschichte, Architektur und angewandter Graphik echte Forschungsarbeit geleistet habe? Keines der österreichischen Vielseitigkeitswunder, nicht einmal Ernst 204

Brücke, k o m m t ihm in dieser Hinsicht nahe. Gemeinsam mit Richard Coudenhove-Kalergi arbeitete Otto Neurath für eine Vereinigung der Welt und machte W i e n in den zwanziger Jahren zu einem Zentrum ökumenischer Unternehmungen, die erst rund zwanzig Jahre später flügge werden sollten. W i e Theodor Herzl war auch Neurath ein praktischer Utopist, dessen Saat andere geerntet haben. Es ist schändlich, daß er, der so viel für die Erwachsenenbildung geleistet hat, heute vergessen ist — ein Opfer der Spezialisierung, die sich über seinen Enzyklopädismus lustig macht. Kein anderes Mitglied des Wiener Kreises übertraf die Leistungen der Gruppe so weit wie er; kein anderer verkörperte in so kühner Weise das österreichische Talent integrativen Denkens.

13. S P R A C H P H I L O S O P H E N

Fritz Mauthner: Von der Kritik am Wortaberglauben zu einem Mystizismus ohne Gott Nicht nur Mitglieder des Wiener Kreises, auch andere österreichische Philosophen haben jegliche Metaphysik abgelehnt. Unter den Sprachphilosophen entwickelte sich eine anders grundgelegte Kritik der traditionellen Philosophie. Einer von ihnen, Ludwig Wittgenstein, zählt zu den einflußreichsten der hier behandelten Denker, zwei andere dagegen, Adolf Stöhr und Richard Wahle, gehören zu den am wenigsten bekannten. Diese Männer entwickelten mehrere Typen linguistischer Philosophie, die alle Nietzsches Ausspruch: „Ich fürchte, wir werden Gott nicht los, weil wir noch an die G r a m m a t i k glauben", zum Ausgangspunkt haben könnten. 1 Fritz M a u t h n e r (1849—1923) war der erste Österreicher - und vielleicht der erste Denker überhaupt —, der die M e t a p h y s i k zufolge einer erbarmungslosen Sprachanalyse über Bord warf. 2 Er wurde in Horitz in Böhmen als Sohn jüdischer Eltern geboren und wuchs in Prag auf. Dort graduierte er sich auch als Jurist u n d startete dann eine Karriere als freier Schriftsteller u n d Journalist. In Prag wurde er stark von Ernst M a c h beeinflußt, bei dem er 1872 Vorlesungen hörte; auch der Mystizismus Johann Heinrich Lowes ( 1 8 0 8 - 1 8 9 2 ) , eines Gunther- u n d Baaderschülers, beeindruckte ihn sehr, desgleichen der katholische Herbartianer W i l h e l m Volkmann. H e r m a n n von Leonhardi dagegen fand er unverständlich. Von 1876 bis 1905 lebte Mauthner in Berlin, wo er mit seinen Parodien, wie

etwa denen des zweibändigen Nach berühmten

Mustern.

Parodistische 205

Studien

(Bern 1878-1880), berühmt wurde. In historischen Romanen, wie etwa Der neue Ahasver. Roman aus Jung-Berlin (Dresden 1882) und Xanthippe (Dresden 1884), stellte er sein Können als Satiriker unter Beweis. Während seiner Tätigkeit als Herausgeber des Berliner Tagblattes schrieb Mauthner Essays, in denen er die Vorstellung kritisierte, daß Sprache Begriffe bezeichnen könne. Von 1905 bis 1907 lebte er in Freiburg, und von 1909 bis 1923 bewohnte er ein Haus am Bodensee, in welchem einst die Dichterin Annette von Droste-Hülshoff gelebt hatte. In Berlin beeinflußte Mauthner den jüdischen Syndikalisten Gustav Landauer (1870—1919).3 Der aus Deutschland stammende Landauer modifizierte in Skepsis und Mystik. Versuch im Anschluß an Mauthners Sprachkritik (Berlin 1903) den Mystizismus Mauthners zu einer Ethik des Handelns, die ihrerseits wieder Martin Buber und Max Brod anregte. Wie Popper-Lynkeus, der gleichfalls böhmischer Jude war, entfaltete Mauthner ein Denken von außergewöhnlicher Unabhängigkeit. Beide waren nichtakademische Philosophen, und beide hatten eine Abneigung gegen Professoren, eine Empfindung, die sie mit Schopenhauer, Kierkegaard, Nietzsche, Eduard von Hartmann und Eugen Dühring teilten. Während seiner Jugendzeit in Böhmen war sich Mauthner bereits einer gewissen Künstlichkeit der Sprache bewußt geworden - er hatte nicht eine, sondern drei Sprachen gleichsam als Muttersprache erlernen müssen: Deutsch, Tschechisch und Hebräisch. Sein frühes Vertrautsein mit dreierlei Idiomen ließ ihn die Verläßlichkeit eines jeden als Instrument des Denkens in Frage stellen. Im Gegensatz zu Johannes Urzidil beklagte Mauthner das in Prag gesprochene „Zeitungsdeutsch": dessen vielgepriesene Reinheit verberge lediglich die Isolation gegenüber belebenden Dialekten. Mauthner teilte Rilkes Abscheu vor dem Kuchelböhmisch und dem verdorbenen Jiddisch Böhmens und trat wie Bolzano dafür ein, daß sich die Deutschen in Böhmen das Tschechische aneignen sollten. Nach einer Begegnung mit preußischen Verwundeten aus der Schlacht von Königgrätz ließ sich Mauthner zum Deutschnationalen bekehren. Mitte der siebziger Jahre legte er die spärlichen Reste seiner jüdischen Identität ab und wandte sein Interesse vom Nationalitätenkampf in Böhmen dem Gedeihen des Bismarckreiches zu. Dank seiner Fähigkeiten als Parodist konnte sich Mauthner schon früh vom Fetisch der Wörter befreien. 1922 schrieb er, daß seine Anschauung vom Wortaberglauben aus vier Einflüssen herstamme, die in den frühen siebziger Jahren auf ihn gewirkt hätten. Erstens hätten ihn die Taten Bismarcks von jenem Wortaberglauben befreit, der Politik und Recht lahme. Zweitens habe Nietzsches Schrift Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben (Leipzig 1874) den Wortaberglauben in der Geschichte demaskiert. Drittens hätten ihn Schmähschriften des sächsischen Dramatikers und Shakespeareverehrers Otto Ludwig (1813-1865) gegen Schiller vom Zauber der Rhetorik freigemacht. Und viertens habe ihn Ernst Machs Monismus von der blinden Anerkennung der Theorie in den Naturwissenschaften weggeführt. Mauthner sah in seiner Kritik der Sprachidole eine Kulmination sowohl des mittelalterlichen Nominalismus als auch des britischen Skeptizismus, insbesondere der von Bacon und Hume vertretenen Art. In seinem dreibändigen Werk Beiträge zu einer Kritik der Sprache (Leipzig 1901-1902, 3. Aufl. 1923, Neudr. Hildesheim 1967) vertrat Mauthner die 206

Ansicht, daß Sprache gedankliche Inhalte nicht vermitteln könne, weil die Verbalisierung bereits die Einzigartigkeit des Gedankens zerstöre. In der Paraphrase Gershon Weilers lehrte Mauthner: „Meine augenblickliche Erfahrung ist einzigartig, daher hat sie in diesem Augenblick keinen Namen, und in dem Augenblick, in dem ich sie benenne, ordne ich sie bereits dem Lager meiner Erinnerungen zu, und die Einzigartigkeit ist dahin. Daher ist die Erfahrung der Sprache immer um einen Schritt "4 voraus. Wirklichkeit kann nur gelebt werden; sie kann nicht mit Wörtern einbalsamiert werden. Jede Bemühung, Erfahrung in Wörter umzusetzen, bringt nur leere Phrasen hervor, die zwar den Neophyten benebeln, dem Adepten aber durchaus keine Aufklärung bringen. Um den Wortaberglauben unter Kontrolle zu halten, forderte Mauthner die Denker zum Schweigen auf. Sie sollten aufhören, Fragen zu stellen, da die Antworten nur die Netze der Wörter vervielfältigen würden. Mauthner unterschied sich von Wittgenstein darin, daß er keine Meta-Sprache anerkannte, in der sich die Grenzen des Ausdrückbaren bestimmen ließen. Der Sprache fehlt insbesondere die Kapazität, ihre eigene Autorität abzugrenzen, dasjenige etwa, was Georg Jellinek in der Jurisprudenz als Kompetenz-Kompetenz bezeichnet hatte. Sprache kann sich selber nicht transzendieren, um so ihre eigenen Kompetenzen klarzulegen, und daher müßte der konsequente Denker auf den Gebrauch von Sprache verzichten. Wie viele andere Perfektionisten auch, befolgte Mauthner seinen eigenen Ratschlag nicht. In einem vierbändigen Werk Der Atheismus und seine Geschichte im Abendlande (Stuttgart 1920—1923, Neudr. Hildesheim 1963) pries dieser Rhetoriker das mystische Schweigen. Indem er eine gottlose Mystik entwarf, beharrte er darauf, daß Wörter wie Gott oder Gottheit keinen Beweis für die Existenz einer derartigen Wesenheit beinhalten. Er wandte sich einer negativen Theologie zu und trat für den Begriff des Tao ein, namenlos und ohne Beschaffenheiten. Es könnte, so meinte er, durch die neutrale Silbe „das" ersetzt werden. Von Meister Eckart beeinflußt, arbeitete Mauthner eine Kritik der Sprache zur unerschütterlichsten negativen Theologie des 20. Jahrhunderts aus. Eckarts verborgenen Gott ersetzte er durch das Tao und kam damit in die Grenzbereiche der Gnosis des mährischen Mystikers Eugen Heinrich Schmitt. Trotz gewissen Affinitäten zum Marcionismus Kafkas glaubte Mauthner, daß die Erfahrung, wenn auch nur in solipsistischer Weise, gemeistert werden könne. Vom Gefängnis im Inneren seines Ego aus kann jedes Individuum das Leben vorüberziehen sehen; der Versuch jedoch, von einem solchen Gefängnis Signale zu einem anderen auszusenden, führt unweigerlich zur Verzerrung der intendierten Inhalte. Dergleichen Signale zu einem philosophischen System verarbeiten zu wollen, sei pure Tollheit. Mauthner predigte einen therapeutischen Nihilismus, der eines Weininger würdig gewesen wäre, und trat darin für die Selbstaufopferung des Denkens ein. Auf die Ähnlichkeit zwischen Mauthners Aufforderung zum Schweigen und Schnitzlers Ausspruch, daß wir „weder in Wörtern, noch in Bildern, sondern in etwas, das wir nicht erfassen können", denken, wurde bereits hingewiesen. 5 Mauthner nahm wie die Wiener Impressionisten einen Strom von Emotionen 207

an, der unter einer dünnen Schicht von Wörtern liegt, die aus sich allein diesen unterschwelligen Strom nicht vermitteln können. Er deutete das Unaussprechbare an und widersprach damit, wie andere Impressionisten auch, seinen eigenen Prämissen; denn streng logisch betrachtet, hätte er über seine Vorstellungen vom Schweigen — Schweigen bewahren müssen. Einer der wenigen Denker, die diese Konsequenz beachtet haben, war Hofmannsthal in seinem ChandosBrief, in dem sich der Dichter für einige Monate das Schreiben versagte.6 Andere Sprachphilosophen, Stöhr, Kraus, Wittgenstein, haben ihre Liebe zum Medium mit einer adäquateren Analyse seiner Grenzen zu verbinden verstanden. Mauthner sprach mit der Nostalgie eines Verbannten über ein Reich, dem er abgeschworen hatte, und wie einen anderen entwurzelten böhmischen Juden, Gustav Mahler, verlangte es auch ihn danach, Gott von Angesicht zu Angesicht zu schauen. Für beide verbarg die Sprache eine Wirklichkeit, an der sie keine Zweifel haben konnten. Adolf Stöhr: Kritik einer an der Sprache geformten Philosophie Einer der am wenigsten bekannten österreichischen Denker ist der katholische Sprachanalytiker Adolf Stöhr (1855-1921). 7 Er wurde in St. Pölten geboren, studierte in Wien Jus, Philosophie und Pflanzenphysiologie, ehe er sich vollends der Philosophie zuwandte. Er war ein Bewunderer Machs. 1885 habilitierte er sich, war bis 1901 als Dozent in Wien tätig, von 1901 bis 1921 als Professor für Philosophie. An der Volkshochschule leitete er das psychologische Laboratorium; an der Wiener Universität gab es eine derartige Einrichtung noch nicht. Stöhr lehnte seine Kollegen ab und beschritt als Psychologe und Kritiker der Metaphysik einen einsamen Weg, wobei er sich vor allem gegen Franz Brentano wandte. Sein hervorragendster Schüler ist der aus Wien stammende Historiker der griechischen Philosophie Felix Cleve (geb. 1890), der von 1923 bis 1938 als Redakteur der Neuen Freien Presse den Fachbereich Geisteswissenschaften betreute. Der aus Budapest gebürtige Romancier Erwin Guido Kolbenheyer (1878—1962), ein Bewunderer des Paracelsus und später des Nationalsozialismus, promovierte 1904 bei Stöhr mit einer Dissertation über die Gesichtswahrnehmung des Raumes. Seine originellsten Erkenntnisse veröffentlichte Stöhr in seinem Lehrbuch der Logik in psychologisierender Darstellung (Leipzig 1910) und in seiner Psychologie (Wien 1917, 2. Aufl. 1922). Er faßte hier die Ergebnisse der Forschungstätigkeit mehrerer Jahrzehnte zusammen, während welcher er Machs Monismus auf die Logik der Namen und auf die Tiefenwahrnehmung angewandt hatte. 8 In Umriß einer Theorie der Namen (Leipzig 1889) verteidigte Stöhr eine psychologistische Logik und vertrat die Ansicht, daß die Unterscheidung von Subjekt und Objekt eher auf Sprache als auf Erfahrung zurückzuführen sei. Im Gegensatz zu Mach nahm er an, daß Atomtheorien nützlich sein könnten. Stöhr prägte Termini, die nicht weniger mißtönend waren als diejenigen Weiningers oder der Mayreder, und unterschied drei Typen kontemplativer Philosophie: 208

Erstens sei das theorogone Denken nur um Anschauung bemüht; es ergehe sich ohne weiteres Motiv in Neugier, um ein architektonisch befriedigendes Bild der Welt zu konstruieren. Zweitens setze das glossogone Denken den sprachlichen Ausdruck mit der Wahrheit gleich und bringe so die von Stöhr so bezeichnete, glossomorphe oder an Sprache geformte Philosophie hervor. Diese, Stöhrs zweite Kategorie, leidet an jener Unechtheit, die Mauthner jeglicher Philosophie zugeschrieben hatte. Und drittens strebe das pathogone Denken nicht nach Erkenntnis um ihrer selbst willen, sondern um das Leiden zu verringern. Mehr noch als Schlick hat Stöhr das Phänomen des Leidens hervorgehoben. Auf diesem Fundament errichtete er eine spätbiedermeierliche Gesellschaftsethik, die er Biotik nannte. Biotik verfolge zwei Ziele: ihre negative Aufgabe bestehe darin, jedes Individuum zu lehren, wie es das Leiden verringern könne; ihre positive in der Förderung der Freuden. In allgemeiner Hinsicht erhebe die Gemeinschaftsbiotik, oder Ethik, die Verringerung des Leidens zu einem gemeinschaftlichen Ziel; Kultur dagegen sei jener Aspekt der Gemeinschaftsbiotik, in der die Menschen gemeinsam Freuden erleben. Religion könne, so bemerkte Stöhr, sowohl negativ als auch positiv sein, indem sie teilweise zur Ethik, teilweise zur Kultur gehöre. Medizin diene allein der Aufhebung des Leidens, die Kunst dagegen gehöre wieder beiden Reichen an; als Wiener wußte Stöhr, daß das Theater sowohl Schmerzen lindern als auch Freuden vermitteln kann. Er vermied den therapeutischen Nihilismus, indem er daran festhielt, daß der Schmerz gelindert werden müsse, ehe ein Genießen aufkommen könne. Die negative Biotik zerfällt in vier Bereiche, die den Quellen des Leidens entsprechen: Schmerz kann seine Ursache a) in der außermenschlichen Natur haben, b) in der Natur des Menschen, c) im Mitmenschen oder d) in übermenschlichen Kräften. Die pathogone Philosophie ziele vor allem darauf ab, Schmerzen, die von übermenschlichen Mächten, wie dem Schicksal oder den Umständen der Herkunft, hervorgerufen sind, zu lindern. Ihr allerdings fehle die desinteressierte Erhabenheit der theorogonen Kontemplation. Den in der Ethik wie in der Psychologie herrschenden Gebrauch von Metaphern beklagte Stöhr: „Die Psychologie ist in der unangenehmen Nötigung, sich bei der Benennung und Behandlung ihres Gegenstandes einer bildlichen Sprache zu bedienen, die für solche Zwecke nicht geworden ist. Die Sprache ist ursprünglich ein Ausdruck für Tun und Erleiden." 9 Wie den Kritiker Mauthner konnte auch Stöhr sein Mißtrauen gegen Metaphern nicht davon abhalten, ein Buch von 500 Seiten über sie zu schreiben. In seiner Kritik des „glossomorphen Philosophierens" steht Stöhr in einer Reihe mit Mauthner und Wittgenstein: „In der Tat ist die Geschichte der Logik und ein großer Teil der Geschichte der Philosophie die Geschichte des Ringens mit der Glossomorphie und den Metaphern; die Geschichte des Kampfes des werdenden Denkens mit dem herrschenden Reden." 10 Für eines der großartigsten Beispiele glossomorphen Denkens hielt Stöhr Parmenides' Erhebung der Kopula „sein" (als Bestandteil eines Prädikats) zu einer Metaphysik des Seins. Im Arabischen oder im Chinesischen hätte sich 209

eine Philosophie, die auf einer Kopula beruht, kaum entwickeln können, meinte Stöhr. Er klassifizierte die an Sprache geformten Philosophen nach Wurzelmetaphern und unterschied Philosophien des Verbums von Philosophien des Substantivs. 11 Stöhr tadelte die Metaphysik und bot gleichzeitig provokative Erklärungen historischer Persönlichkeiten an, so etwa als er 1916 in einer Vorlesung die Ansicht aussprach, Heraklit habe seinen Standpunkt zur Widerlegung desjenigen Zarathustras formuliert. 12 In seiner Demaskierung der metaphysischen Sprache könnte Stöhr, wie auch Wittgenstein, von der Kluft beeinflußt gewesen sein, die in Wien zwischen dem Hochdeutschen und dem lokalen Dialekt bestand. Zwar verlangten Professoren für gewöhnlich von ihren Studenten, daß sie hochdeutsch sprachen, aber im Umgang mit dem gewöhnlichen Bürger mußten sich beide des Wienerischen bedienen. In dieser gespaltenen Sprachkultur entdeckte der Interessierte bald, daß kein Idiom für sich allein allen Anforderungen des Lebens und Denkens gerecht werden konnte. W i e das Durcheinander von Tschechisch, Deutsch und Jiddisch in Prag, so konnte in W i e n die Allgegenwart zweier verschiedener Idiome nur Skeptizismus gegenüber dem von den Professoren beanspruchten Monopol erwecken. Stöhr hat so geringen Einfluß ausgeübt, daß es schwer wird, seine Bedeutung zu beurteilen. Zwar respektierte Mach ihn als Kollegen, bei anderen aber brachte er sich mit seiner schwerfälligen Terminologie und seiner starrköpfigen Unabhängigkeit in Mißkredit. Wahle, der die Ansicht vertrat, daß nicht nur die meiste, sondern jede Metaphysik ein bloßes Scheingebilde sei, verfolgte eine ähnliche Richtung mit noch größerer Unnachgiebigkeit. Erstaunlicherweise lehnte Stöhr die von Ferdinand Ebner vorgeschlagene dialogische Philosophie als unwissenschaftlich ab. 13 Er legte eine resignierende Ergebenheit ins unvermeidliche Leiden an den Tag und hat so manches von der Philosophie Wittgensteins wie auch von dessen Mitempfinden vorweggenommen. Wittgenstein allerdings scheint seinen Vorläufer nicht zur Kenntnis genommen zu haben; trotz seiner Erfindungsgabe war nicht Stöhr es, sondern Kraus, der den Anstoß zu Wittgensteins Sprachkritik gegeben hat.

Richard Wahle: Therapeutischer Nihilismus gegen Herbartsche Phrasen Der schärfste von allen diesen Neinsagern war der Jude Richard Wahle (1857 bis 1935), ein Schüler Machs, der jegliche moderne Metaphysik mit Ausnahme der des Spinoza als Gerümpel ablehnte. 14 Er kam in Wien zur Welt, wurde hier 1882 zum Dr. phil. promoviert und habilitierte sich drei Jahre später. Anfang der achtziger Jahre war er mit Sigmund Freud befreundet; sein Bruder war jener Fritz Wahle, dem Freud seine spätere Gattin Martha Bernays abspenstig machte. Schnitzler erinnerte sich, mit Richard 1879 eine politische Debatte abgeführt zu haben. 15 Von 1885 bis 1895 las Wahle gleichzeitig mit Stöhr in Wien als Dozent, danach wurde er als Professor nach Czernowitz berufen, wo er bis 1917 verblieb. Von 1919 bis 1933 lehrte er wieder in Wien. Obgleich Wahle noch 210

zurückgezogener lebte als Stöhr, beeinflußte er doch Anfang der neunziger Jahre den jüngeren Heinrich Gomperz ( 1 8 7 3 - 1 9 4 2 ) , der seinen Vater Theodor Gomperz dazu überredete, sich für eine Berufung Machs nach Wien einzusetzen. In seinen frühen Werken hat Wahle die Psychologie noch rigoroser als Stöhr oder Mach auf die Physiologie reduziert. Unter dem Einfluß Theodor Meynerts vertrat Wahle die Ansicht, daß Erfahrung die gesonderten Vorkommnisse umfaßt, die das Gedächtnis künstlich klassifiziert, um einer unerkennbaren Wirklichkeit eine unechte Ordnung aufzuerlegen. In seinen Büchern Das Ganze der Philosophie und ihr Ende (Wien 1894, 2. Aufl. 1896) und Uber den Mechanismus des geistigen Lebens (Wien 1906), jedes über fünfhundert Seiten stark, lief Wahle der impressionistischen Psychologie Schnitzlers und des jungen Hofmannsthal parallel. Hätten die Schriftsteller des Jungen Wien seine Abhandlungen gelesen, dann hätten sie sich wohl auch mit seiner Zertrümmerung der Metaphysik identifiziert, wahrscheinlich sogar mit größerer Bereitwilligkeit als mit derjenigen Machs. Wahle würdigte Spinoza als seinen Hauptverbündeten im Verkünden reduktionalistischer Psychologie. Der holländische Jude habe, so meinte er, Willensakte und Akte des Urteilens abgelehnt und statt dessen die Assoziation von Ideen angenommen. 1 6 Die neuromantischen Schüler Spinozas allerdings, wie Schelling oder dessen Nachfolger Eduard von Hartmann und Theodor Lipps, lehnte Wahle ab. Den Begriff eines Unbewußten, sei es nun in der Formulierung der Schellingianer oder der Psychoanalytiker, brandmarkte er als verfälscht. 17 Wie es solchen Kritikern des Herbartianismus, Wahle und Stöhr, anstand, unterschieden sie beide Spekulation von formalistischem Wiederkäuen von Begriffen. Seit Spinoza habe fast sämtliches Philosophieren im Durchackern von bereits ausgeschlachteten Begriffen bestanden, ein Mißbrauch, den Wahle ätzend als philosophischen Klatsch bezeichnete. Die Metaphysik habe zwei Perioden tragender Kreativität erlebt: in Griechenland von Hesiod bis ausschließlich Aristoteles, und im frühen christlichen Europa. Da beide dieser Sonnenaufgänge religiösen Ursprungs gewesen seien, schließe der nunmehrige Aufstieg der Naturwissenschaften eine dritte Blüte, wie Brentano sie ins Auge gefaßt habe, aus. In seinem Werk Die Tragikomödie der Weisheit. Die Ergebnisse und die Geschichte des Philosophierens - Ein Lesebuch (Wien 1915, 2. Aufl. 1925) vertrat Wahle therapeutischen Nihilismus, indem er die Geschichte der Philosophie von dem Dichter Pherekydes von Syros aus dem 6. Jahrhundert v. Chr. bis zu Hartmann, Lotze und Avenarius untersuchte. Er verunglimpfte die modernen Philosophen, egal aus welchem Lager: „Man muß sagen, Kant hat die Erkenntnistheorie in desolatem Zustande vollkommener Konfusion zurückgelassen." „So haben wir die Lehren Herbarts ziemlich eingehend betrachtet — ein Bündel interessanter Fehler; und er war noch einer der besten Männer!" „In der Philosophie sind offensichtlich alle möglichen Kategorien erschöpft, und nunmehr kann jeder über den Agnostizismus hinwegsehende und hinweggehende Versuch leicht als Unsinn erkannt werden." 18 Wahle formulierte eine weniger systematische Sprachkritik als Mauthner und schmähte darin die Inhaltsleere und Abstraktheit: 211

„... daß das volle Wort von dem leeren nicht unterschieden wird, und daß sich in der Form des Abstrakten jede Ungenauigkeit, Fehlerhaftigkeit, Lüge und jede listige Phrase breitmachen kann."19 Hier ließ Wahle der Verachtung eines meisterlichen Stilisten, der einen Gegner herabsetzen will, freien Lauf. Obwohl er mehr als dreißig Jahre als Dozent und Professor tätig war, verabscheute er Fußnoten oder Indices. Er pflegte einen ätzenden Stil, der einem Feuilleton besser angestanden hätte als einer wissenschaftlichen Abhandlung, und behandelte Aristoteles gönnerhaft wie ein BiedermeierBetrachter oder -Sammler, stempelte Hegel zum Taschenspieler und Fechners Werk zu einem Potpourri. Gleichsam ein kämpferischer Egon Friedell, griff Wahle die westliche Geschichte mit großer Treffsicherheit an und legte dabei eine Arroganz an den Tag, die man sonst eher bei Autodidakten als bei Akademikern findet. Wenn er daranging, Abhilfe anzubieten, glich er in seiner Hilflosigkeit einem Weininger oder Ehrenstein. Gemeinsam mit diesen exemplifizierte er jenes Vakuum der Werte, auf das auch andere hinwiesen, ohne es jedoch selbst füllen zu können. Osterreich hat keinen untröstlicheren Betrauerer der westlichen Zivilisation hervorgebracht als diesen entzauberten Wiener Juden. Wenn er seine Klagen in philosophischer Sprache lautwerden ließ, so beruhte dies zum Teil auf dem Überdruß gegenüber dem Herbartianismus. Wenn je eine Philosophie den Vorwurf verdiente, sie habe leere Phrasen gedroschen, dann war es die verwässerte Psychologie und Metaphysik, die nach 1850 an österreichischen Gymnasien vorgetragen wurde. Die Herbartianer leierten immer wieder ihr Programm herunter, in welchem es um das Neubearbeiten von Begriffssystemen ging, und verbitterten damit die heranwachsenden Positivisten. Mauthner, Stöhr, Wahle und Freud, die alle zwischen 1849 und 1857 geboren sind, gehörten einer von Herbartianern ausgebildeten Generation an, die jedoch auf große Phrasen verzichtete und es der nächsten Generation überließ, die Sprache mit größerer Einfühlung zu untersuchen. Karl Kraus und seine Sprach-Idolatrie. Der Fluch eines photographischen Gedächtnisses Obwohl der jüdische Satiriker Karl Kraus (1874-1936) primär kein Philosoph war, machte ihn seine Sprachmanipulation nach der Art Nestroys zu einem Vorläufer Wittgensteins. 20 Er kam in Böhmen als Sohn begüteter Eltern zur Welt und wurde in Wien erzogen. Zunächst versuchte er Schauspieler zu werden, jedoch ohne Erfolg. Er schrieb nichts anderes als Bemerkungen zu gegebenen Situationen und arbeitete allnächtlich an den Artikeln für Die Fackel, die er 1899 gegründet hatte und deren Inhalt er von 1911 bis 1936 ganz allein bestritt. Zwar versprach er seinen Subskribenten „mindestens vier Ausgaben jährlich", brachte aber tatsächlich ab 1904 pro Jahr Hunderte von Seiten in unregelmäßigen Abständen heraus. Nach 1910 hielt er im Alleingang mehr als siebenhundert Lesungen, wobei er auch häufig nach Berlin und Prag reiste. Ermutigt durch Adolf Loos, ließ sich Kraus im April des Jahres 1911 taufen und verblieb 212

bis 1923 in der katholischen Kirche. Dieser beinharte Moralist konnte seine Stellungnahmen nur formulieren, indem er bestimmte Mißbräuche aufdeckte. Ein bestechlicher Journalist, ein Justizskandal, eine schlampige Abhandlung oder ein sinnloser Krieg trieben ihn zur Raserei. Seine Satiren setzen eine eigenartige Einstellung zur Sprache voraus, die in sich so folgerichtig durchdacht ist, daß sie ohne weiteres als Sprachphilosophie bezeichnet werden kann. Kraus setzte Sprache sowohl mit Realität als auch mit Moral gleich: „... weil ich, in meiner unfreien Sprachauffassung befangen, die sozusagen eine prästabilisierte Harmonie der Sprachen und der Sphären annimmt, die Kunst zwar oberhalb des Verstandes erlebe, aber nicht unterhalb". 21 Die Sprache ist Ersatz für Gott, insbesondere den alttestamentarischen Gott der Rache. Moral und Politik dürfen nicht nach ihren eigenen Kriterien beurteilt werden, sondern nur soweit sie in der Sprache eine Entsprechung haben. Kraus stellte das Feuilleton und die gesamte Presse an den Pranger, weil sie die Syntax verdarben und Wortschöpfungen ausbrüteten - ein Laster, das sie mit den expressionistischen Dichtern gemeinsam hatten. Eine Rückkehr zum Sprachgebrauch eines Goethe, Jean Paul oder Nestroy würde, so glaubte Kraus, die Politik von Verdrehungen der Wahrheit befreien. Kraus' Sprach-Idolatrie hat ihre Ursprünge in seinem photographischen Gedächtnis. Er behauptete, daß er sich an jedes Ereignis, das er seit seinem zweiten Lebensjahr miterlebt hatte, erinnern könne, und seine Mimik war so ungeheuerlich, daß jeder, der ihn einmal Nestroy oder Shakespeare rezitieren gehört hatte, der festen Meinung war, seine Interpretation sei die einzig richtige einer jeden Rolle. Hätte Kraus ein Vermächtnis von Schallplatten hinterlassen anstatt eines von Büchern, dann würde man ihn heute, so meint Willy Haas, als einen der größten Schauspieler einstufen. Kraus' Erinnerungsvermögen war, was etwa Zitate anlangte, so genau, daß er gleichsam unter einer permanenten Anamnese litt: „An vieles, was ich erst erlebe, kann ich mich schon erinnern." 22 Es ist daher nicht weiter verwunderlich, daß Kraus im Verweben von Zitaten zu sarkastischen Prosastücken Hervorragendes leistete. Ein Drittel seines Mammutwerkes Die letzten Tage der Menschheit (Wien 1922) besteht aus Exzerpten aus der Tagespresse. In ähnlicher Weise entspringt seine Uberzeugung, daß der Sprachgebrauch die Moral widerspiegelt, einem tyrannischen Gedächtnis für Wörter. Wie ein anderer hervorragender Zuhörer, Freud, war auch Kraus der Ansicht, daß jeder Versprecher - oder mehr noch: jeder Druckfehler - irgendeine tieferliegende Absicht verrate. Was immer sein Geist aufnahm, Kraus interpretierte es mit unerbittlicher Wörtlichkeit, so als hätte der Sprecher genau das gemeint, was seine Worte sagten. Kraus konnte niemanden ausstehen, der seiner Worte nicht Herr war. Daß Karl Kraus die Erinnerung als einen zweifelhaften Segen betrachtete, geht deutlich aus seinem Gedicht Rückkehr in die Zeit hervor: Mein Zeiger ist zurückgewendet, nie ist Gewesnes mir vollendet und anders steh' ich in der Zeit. In welche Zukunft ich auch schweife 213

und was ich immer erst ergreife, es wird mir zur Vergangenheit. Ich bin mein treuester Begleiter und lebe das Gelebte weiter, und Neues kann mir nicht geschehn. Von einem Urbild war gesegnet, was mir zum erstenmal begegnet, und ist mir wie ein Wiedersehn. 23 Kraus sehnte sich danach, etwas wirklich Neues zu erleben, das nicht schon von Erinnerung befleckt wäre. Von einem Gefühl des Déjà vu überwältigt, jonglierte er mit einem unendlichen Reservoir von platonischen Modellen, die er zur Klassifikation und Beurteilung von allem verwendete, was sich je ereignen mochte. Gefangen von dem, was sich sein Geist selbst aufgeprägt hatte, ereiferte er sich gegen Verstöße und Disharmonien im zeitgenössischen Sprachgebrauch, den zu assimilieren er nicht vermeiden konnte. Dieser Satiriker erlitt die furchtbaren Qualen eines mit einem absoluten Gehör ausgestatteten Musikers, der dazu verurteilt ist, sein Leben lang dem Musizieren von Leuten zuzuhören, die völlig unmusikalische Schweinsohren haben. Kraus verstand es ganz ausgezeichnet, die Aussagen anderer so in seine Skizzen zu verweben, daß deren Vulgarität viel unbarmherziger demaskiert wurde als durch jede Schmähschrift. Seine telegrammartigen, an Nietzsche gemahnenden Aphorismen, gesammelt in Beim Wort genommen (München 1955), stellen funkelnde Montagen dar. Kraus' Technik, Zitate in Reihen neu zu arrangieren, bot eine Art von verfeinertem Dada, in welchem die wienerische Neigung zum Dekorieren durch Neuanordnung hervortrat. Von Gedrucktem überschwemmt, konnte er nicht zur Ruhe kommen; nichtverbale Kunstformen, wie Film, Tanz oder Schauspiel, sagten ihm nicht zu; die einzige Möglichkeit, sich zu entspannen, bestand für ihn in lautem Lesen. In seiner Verehrung der Sprache überhöhte Kraus den Wiener Ästhetizismus: Für ihn waren Wörter die höchste, wenn nicht überhaupt die einzige Realität. Kein Mauthnerscher Gott versteckte sich hinter ihnen, keine Wahleschen psychischen Vorkommnisse lagen unter ihnen. Gleichsam die selbstverleugnende Hingabe Hugo Wolfs parodierend, beachtete Kraus Feuilletonisten nur, um sie zu karikieren. Dem Wiener Impressionismus gegenüber beteuerte er objektiv zu sein; die Virtuosen, Altenberg etwa, hob er in den Himmel, andere aber, wie Bahr, machte er lächerlich. Die Uberzeugung Mauthners und Schnitzlers, daß keine Sprache die Einzigartigkeit des Denkens vermitteln könne, wies Kraus von sich und stempelte sich damit zum AntiImpressionisten, der die klassizistische Gleichsetzung von Sprache und Denken hochhielt. Wie Weininger, den er sehr schätzte, zeigte auch Kraus Fehler auf, die er selber beging. Er beweinte den Wiener Ästhetizismus als spätromantische Flucht in die Illusion und mied die Ballsäle und jegliche Idylle, um statt dessen eine todgeweihte - wenn nicht gar schon tote Kultur - zu obduzieren. Beide, Weininger wie Kraus, berichteten gleichsam von Autopsien ihrer eigenen Zeit: Kraus sezierte Österreich-Ungarn, Weininger die Sexualität. Wenn Weininger das Non214

plusultra des therapeutischen Nihilismus verkörperte, so stand Kraus ihm nicht um vieles nach. Zwar tadelte er die Feuilletonisten dafür, daß sie sich ästhetische Paradiese erbauten, doch er selbst flüchtete sich in eine Festung des Solipsismus. Es tat ihm weniger weh, mitansehen zu müssen, wie andere Menschen litten, als daß er erleben mußte, wie die Presse sich daran weidete. Obgleich Haas übertreibt, wenn er Kraus einen Apostel der Zerstörung nennt, so betont er doch zu Recht den Umstand, daß dieser Daumier des Wortes seine Freude daran hatte, die Opfer seiner Feder dadurch zu beunruhigen, daß er das Bestialische an ihnen grotesk verzerrte. 24 Unter Medizinern bedeutete therapeutischer Nihilismus zunächst das Vertrauen in die Heilkräfte der Natur; die Krankheit sollte ihren Lauf nehmen, ehe ein unwissender Arzt durch sein Eingreifen mehr Schaden als Nutzen anrichtete. Die aufbegehrenden Juden Kraus und Weininger aber kannten keinen solchen Glauben an die Heilkräfte der Natur; kein noch so langer Zeitraum, den man verstreichen ließe, könnte die Folgen der Mißbräuche, die sie ihren Zeitgenossen vorwarfen, wiedergutmachen. Abgesehen von seiner launenhaften Unverschämtheit hat Kraus jedoch durch seine rigoros betriebenen wörtlichen Auslegungen in gewissem Sinn W i t t g e n s t e i n s Sprachphilosophie vorweggenommen. Wittgenstein fühlte sich im übrigen nicht weniger abgestoßen von jener Kultur, die ihn — genauso wie Kraus — erst hervorgebracht hat.

Ludwig Wittgensteins Perfektionismus: Utopist und therapeutischer Nihilist in einem In Ludwig Wittgenstein (1889—1951) verkörperten sich viele der Widersprüche seiner Geburtsstadt Wien. 2 5 Er erteilte den Sitten des gehobenen Mittelstandes, in den er hineingeboren wurde, eine Absage, indem er eine immense Erbschaft verschleuderte, sobald er ihrer habhaft geworden war. M a n sagt, seit seinem dreiundzwanzigsten Lebensjahr habe er keine Krawatte mehr getragen. Mindestens fünfmal wendete er sich einer neuen Laufbahn zu, meist mehr aus moralischen Konflikten denn aus Interesse; er arbeitete als Ingenieur, Philosoph, Schullehrer, Gärtner, Architekt, Philosophieprofessor und während des Krieges als Sanitäter und Laboratoriumstechniker. Obwohl er zwischen 1929 und 1951 - er lebte damals in England - jede Veröffentlichung seiner umfangreichen Schriften ablehnte, hat er in der Folge alle anderen österreichischen Philosophen seines Jahrhunderts an posthumem Ruhm weit übertroffen. Vieles an der O r i g i n a l i t ä t — u m nicht zu sagen Exzentrizität — dieses Neuerers geht schon auf seinen Vater, den aus Deutschland stammenden Juden Karl Wittgenstein ( 1 8 4 7 - 1 9 1 3 ) , zurück. 2 6 Karl Wittgenstein wurde mit achtzehn wegen wiederholter Spitzbübereien vom Akademischen G y m n a s i u m relegiert und begab sich daraufhin nach New York. Doch schon nach zwei Jahren war er wieder in Osterreich. Er zeichnete sich sehr bald als Ingenieur in der Industrie aus, danach als Unternehmer; als solcher sicherte er seiner Firma in Böhmen in den achtziger Jahren ein Monopol auf die Herstellung von Eisenbahnschienen. Als C h e f eines gigantischen Konsortiums wurde der ältere W i t t genstein zu einem der reichsten M ä n n e r Österreichs, der sich 1898 in ein Leben 215

als Grandseigneur zurückzog, das er als großzügiger Gastgeber und auf ausgedehnten Weltreisen genoß. Karl Wittgenstein war ein liebenswürdiger und scharfsinniger Mann; er starb nach einigen Jahren schmerzhaften Leidens, nachdem schon drei seiner Söhne vor ihm dahingegangen waren. Als Liberaler schrieb er Artikel für den Wirtschaftsteil der Neuen Freien Presse und flößte durch seine überwältigende Energie seinen Kindern einen derartigen Respekt vor der Autorität ein, daß später sein Sohn die soziale Revolution für unmoralisch erklärte. Ludwig ererbte von seinen Eltern, die Brahms zu ihren Freunden zählten, auch eine musikalische Begabung. Sein ganzes Leben lang pflegte der Philosoph dann und wann ganze Symphonien vor sich hin zu pfeifen; Schubert war sein Lieblingskomponist. Ludwig war der Jüngste unter fünf Brüdern und drei Schwestern und wurde bis zum Alter von vierzehn Jahren zu Hause erzogen. Sein Bruder Paul war Pianist; er verlor im Ersten Weltkrieg einen Arm, worauf Ravel wie auch andere Komponisten für ihn Klavierkonzerte für die linke Hand geschrieben haben. Auf seine Art hat auch Ludwig eine Willenskraft bewiesen, die der seines Bruders vergleichbar ist. Während seiner Jugend im liberalen Elternhaus war er höchst unglücklich gewesen. Als Sohn eines protestantisch getauften Juden und einer Katholikin wurde er katholisch erzogen. Wie im Fall eines anderen berühmten Halbjuden, Michel de Montaigne, könnten solche Vermengungen von elterlichen Religionen zur Entwicklung eines frühzeitigen Skeptizismus beigetragen haben. Schon früh wies Wittgenstein den Weltverbesserungswillen seines Vaters von sich und hielt sich lieber an Nestroys Ausspruch: „Uberhaupt hat der Fortschritt das an sich, daß er viel größer ausschaut, als er wirklich ist." 27 Jene, die Wittgenstein dafür preisen, daß er die Philosophie um gigantische Weiten vorangebracht habe, vergessen ganz, wie wenig beeindruckend er derlei Sprüche sein ganzes Leben lang fand. Als Erwachsener spielte Wittgenstein den aristokratischen raté, unerschütterlich in der Pflege seiner eigenen Visionen und seines eigenen Lebensstils. Obwohl er der westlichen Philosophie in ähnlicher Weise abgeschworen hatte wie dem Erfolg seines Vaters, tat er dies mit der Anmut eines zum Reichtum Geborenen, der genossen hatte, worauf er nun verzichtete. Als Knabe hatte sich Wittgenstein für Maschinen begeistert, selbst eine Sämaschine hergestellt und sich dann Hoffnungen gemacht, einmal bei Boltzmann Physik studieren zu können; Boltzmanns Selbstmord machte jedoch diesen Plan zunichte. Nach zwei Jahren in Berlin studierte er von 1908 bis 1911 in Manchester Aeronautik, wo er Versuche mit Drachenflugmodellen und Düsenantrieben anstellte. Im Januar 1912 begab er sich nach Cambridge und studierte dort bei Bertrand Russell und G. E. Moore. Er blieb bis Mitte 1913 und begab sich auch im Januar dieses Jahres nicht zum Begräbnis seines Vaters nach Wien. Im Sommer besuchte er mit seinem Freund David Pinsent, dem der Tractatus gewidmet ist, Norwegen. Im Oktober 1913 ließ er sich allein an einem Fjord bei Skjolden, nordöstlich von Bergen, nieder; dort begann er jene Gedanken festzuhalten, die im Tractatus veröffentlicht wurden. Schon früher hatte er Arbeiten von Weininger und Kraus geschätzt; als Einsiedler ließ er sich nun Die Fackel in seine Klause nach Norwegen nachsenden.28 216

1914 ließ sich Wittgenstein von Karl Kraus beraten, wie er sich am besten von dem eben ererbten Vermögen befreien könne. Kraus empfahl, dem Herausgeber der Zeitschrift Der Brenner, Ludwig von Ficker (1880-1967), den Betrag von 100.000 Kronen zur Verfügung zu stellen, die dieser unter förderungswürdigen Mitarbeitern seiner Zeitschrift verteilen sollte. Im Juli 1914 schrieb der fünfundzwanzigjährige Mäzen an Ficker, der unter anderen Rilke und Georg Trakl auswählte und jedem der beiden 20.000 Kronen zukommen ließ. 29 Die Neuigkeit von diesem unerwarteten Glücksfall veranlaßte den von Rauschgift geplagten Trakl, sich zu übergeben. Wittgenstein selbst hielt nichts von expressionistischer Poesie; die Werke Albert Ehrensteins etwa bezeichnete er als „Hundedreck"; er zog Elegien und Epigramme von Goethe und Mörike vor.30 Um so mehr erwies er sich während des Krieges als Gentleman, als er sich alle Mühe gab, Trakl zu helfen. Dieser war als Sanitäter an der galizischen Front zusammengebrochen und danach in ein Krankenhaus in Krakau eingewiesen worden; im September 1914 besuchte Ficker ihn dort. Wittgenstein, der als Freiwilliger in Galizien diente, reiste auf Fickers Ersuchen nach Krakau, konnte den Kranken aber nicht mehr retten. Trakl war drei Tage vor seiner Ankunft, am 4. November 1914, gestorben, er hatte eine Uberdosis Kokain eingenommen. 31 Während des Krieges brachte der Freiwillige Wittgenstein seinen Dienst teils an der Front, teils in Ausbildung, teils auf Urlaub hinter sich. 1916 war er einige Monate lang in Olmütz, wo ihn Adolf Loos mit dem Architekten Paul Engelmann (1891-1965) bekannt machte. Zu dieser Zeit verschlang Wittgenstein gerade, wie Engelmann sich später erinnerte, die Erzählungen Tolstois und rezitierte die Brüder Karamasoff?2 Während eines Urlaubs in Wien im August 1918 fand er die Zeit, den Tractatus zu vollenden, ehe er sich an die italienische Front begab, wo er im November in Gefangenschaft geriet. Während seiner Internierung auf Monte Cassino bis August 1919 studierte er die Confessiones des hl. Augustinus und das Evangelium. Nach seiner Entlassung eilte er zurück nach Wien und belegte eine Ausbildungsstelle an einer Lehrerbildungsanstalt. Er verschenkte - gleichsam im Einklang mit dem selbstverleugnenden Christentum Tolstois - die Reste seines Vermögens und mühte sich von 1920 bis 1926 als Volksschullehrer in Niederösterreich ab; je zwei Jahre brachte er so in Trattenbach, Puchberg am Schneeberg und Otterthal zu. Um den Unterricht zu erleichtern, bereitete er ein Wörterbuch für Volksschulen (Wien 1926) vor, das vom Ministerium zugelassen wurde. Eine Beziehung zwischen seiner Philosophie und dieser Zusammenstellung von etwa sechstausend Wörtern konnte bisher noch nicht nachgewiesen werden. Im Sommer 1920 verdingte sich der werdende Lehrer als Gärtner in Klosterneuburg, sechs Jahre später arbeitete er als Gärtnergehilfe in einem Mönchsorden in Hütteldorf bei Wien. Von 1926 bis Ende 1928 wohnte er in Wien; damals entwarf er für seine Schwester Margarethe Stoneborough ein Haus (Kundmanngasse 19). Als Amateurarchitekt bevorzugte er die von Loos verwendeten Materialien und setzte ein Flachdach auf ein dreistökkiges Gefüge aus Beton, Glas und Stahl. Im Innern hatte das Haus Steinböden, Metalltüren und weiße Wände, von denen jegliches Ornament verbannt war. 1973 wurde dieses Gebäude adaptiert, um eine Wittgenstein-Stiftung für philosophische Forschung aufzunehmen. 217

Im Januar 1929 nahm Wittgenstein eine Einladung Bertrand Russells und G. E. Moores an und ging als Fellow an das Trinity College in Cambridge. 1935 besuchte der Emigrant die Sowjetunion; seine Pläne, sich dort niederzulassen, gab er jedoch bald auf und zog sich für fast ein Jahr in seine Hütte in Norwegen zurück. 1937 kehrte Wittgenstein nach Cambridge zurück, folgte zwei Jahre später Moore auf dessen Lehrstuhl nach und wohnte im Trinity College. Während des Zweiten Weltkriegs trieb ihn der Tolstoische Impuls dazu, sich in London als Sanitäter zu betätigen, später als medizinischer Techniker in Newcastle. Nach dem Krieg unterbrach er seine Lehrtätigkeit von 1947 bis 1949 und hielt sich während dieser Zeit in Irland auf. Am Trinity College begannen sich bereits Legenden um Wittgenstein zu ranken. Seine wunderliche Kleidung, sein unordentliches Zimmer, die Freude, die er an Cowboygeschichten fand, und seine Art, mit den Stubenmädchen über Philosophie zu diskutieren, machten diesen Junggesellen zu einem Außenseiter. Obwohl er nicht geneigt war, irgend etwas zu publizieren, zog er einen ganzen Schwärm von Schülern an, die seit seinem Tod im April 1951 seinen Gedanken in der britischen akademischen Philosophie zu überragendem Einfluß verholfen haben. Wittgenstein hielt jene Philosophie des logischen Atomismus, die er im Tractatus logico-philosophicus (1922, Neudr. 1970) formuliert hatte, streng von seiner Sprachkritik getrennt, die er ab 1929 in Cambridge entwickelt und vorgetragen hatte und die posthum als Philosophical Investigations (London 1953, deutsch 1960, 1971) publiziert wurde. 33 Während beider Perioden hielt er seine Gedanken in knappen Sätzen und Absätzen fest, die er später in einer bestimmten Reihenfolge anzuordnen pflegte. Nachdem er im August 1918 den Tractatus vollendet hatte, ließ er die Notizbücher, die er ab 1912 hierfür verwendet hatte, vernichten. Aus Versehen blieben in Gmunden zwei davon erhalten; sie wurden als Notebooks 1914-1916 (Oxford 1961) veröffentlicht. Ziel des Tractatus war es, die Bedingungen, die Russell für eine logisch perfekte Sprache festgelegt hatte, zu untersuchen. Sein Motto hat Wittgenstein bei Kürnberger entlehnt: „... und alles, was man weiß, nicht bloß rauschen und brausen gehört hat, läßt sich in drei Worten sagen." Mag sein, daß Wittgenstein an diesen Satz dachte, als er die oft zitierte Formel prägte: „Was sich überhaupt sagen läßt, läßt sich klar sagen; und wovon man nicht sprechen kann, darüber muß man schweigen."34 Im Gegensatz zu Mauthner, dessen Aufforderung zum Schweigen die Methodologie annulliert, trat Wittgenstein dafür ein, daß die Sprache das Aussagbare abgrenzen könne. Anstatt der Philosophie einen Knebel zu verpassen, lehnte der frühe Wittgenstein die Kraussche Gleichsetzung von Sprache mit Realität und Moral ab. Diese Gleichsetzung, so sagte er, betreffe lediglich Aussagen in der Mathematik und in der Physik; woanders verzerre die Sprache die Realität. Auf den letzten Seiten des Tractatus stimmt Wittgenstein dennoch mit Kraus darin überein, daß „Ethik und Ästhetik eines sind". 35 Wie Karl Kraus Exzerpte zu einer Skizze verarbeitete, so konstruierte sein Bewunderer aus diver218

sen Passagen seiner Notizbücher ein Gebäude von kompliziert numerierten Absätzen, wobei die Numerierung Hinweise auf Beziehungen zum Ganzen gibt. Während Wittgenstein an Volksschulen unterrichtete, stießen Hahn und Schlick auf den Tractatus und machten ihn zur Arbeitsgrundlage des Wiener Kreises; auch nachdem sein Autor ihre Auslegung seiner Schrift abgelehnt hatte, hielten sie noch daran fest. Um 1926, als Wittgenstein zum erstenmal mit Schlick zusammentraf, hob er an seiner Arbeit vor allem die gnomischen Anspielungen auf Ethik und auf Mystisches hervor, während die Neopositivisten das Werk als Todesstoß für alle Metaphysik rühmten. 1927 und 1928 kam es zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen Wittgenstein und seinen selbstbewußten Schülern. Carnap hielt ihn für krankhaft empfindlich gegenüber jeglicher Kritik, und sowohl Carnap als auch Neurath ließen sich von seiner Geringschätzung gegenüber der Mathematik beunruhigen, desgleichen davon, daß er die Überzeugung äußerte, die Religion werde trotz allem überleben. Wittgenstein wandte sich gegen die Anstrengungen der Physikalisten, eine künstliche Sprache auszuarbeiten, und hielt daran fest, daß sich die Sprache, um sinnvoll zu bleiben, des organischen Wachstums bedienen müsse, das sie im täglichen Gebrauch erfahre, wie dies auch in der Dichtkunst der Fall sei. Solch demütige Unterwerfung unter die Tradition schien Neurath verächtlich. Während dieser Jahre arbeitete Schlicks Assistent Waismann an einem Buch, das die Ansichten Wittgensteins verbreiten sollte. Da diese sich aber so rasch änderten, kam es auch zu wiederholten Änderungen des Manuskripts, bis Wittgenstein schließlich nach 1929 der Publikation überhaupt seine Zustimmung versagte. 36 Nach Wittgensteins Emigration nach Cambridge im Januar 1929 bestand er dort mit Glanz die für das Doktorat erforderlichen Prüfungen, die Russell und Moore am 6. Juni 1929 abhielten. In Gesprächen mit Frank Ramsey (1903 bis 1930), der sein Idol in Osterreich besucht hatte, fand Wittgenstein zur Entwicklung seiner Sprachkritik, die er in seinen Vorlesungen zwischen 1930 und 1933 vortrug. 37 Der neue Ansatz bestand im Wiederaufgreifen der Krausschen Gleichsetzung von Sprache und Realität. Wittgenstein vertrat die Ansicht, die Philosophen hätten beabsichtigt, jede Aussage einer so strengen Beurteilung zu unterziehen, wie Kraus sie praktisch jedermann zuteilwerden ließ. Im Anschluß an Kraus nannte Wittgenstein seine neue Disziplin auch nicht Sprachkritik, wie etwa Mauthner, sondern Sprachlehre; diesen Terminus hatte Kraus in der Fackel vom Juni 1921 geprägt. 38 Zwar nahm sich Wittgenstein vor, die Sprache so zu reinigen, daß mit ihrer Hilfe wieder sinnvolle Philosophie betrieben werden könne, doch konnte er diese Aufgabe nie zu seiner Zufriedenheit lösen. Wittgensteins spätere Philosophie könnte ihren Anstoß in einem Vortrag erhalten haben, den der holländische Mathematiker Jan Brouwer (1881-1966) im März 1928 in Wien hielt. Feigl und Waismann war es gelungen, Wittgenstein zum Besuch dieses Vortrags zu überreden, und tatsächlich nahm er, der damals gerade als Amateurarchitekt tätig war, an diesem Abend seine Beschäftigung mit der Philosophie wieder auf. 39 Brouwer, der den Konstruktivismus vertrat, hielt das Kriterium der mathematischen Wahrheit für die Grenzen dessen, was der Geist zu konstruieren imstande sei, da er hier Regeln entsprach, die der Geist selbst aufgestellt hatte. Eine Konstruktion dieser Art ist die natür219

liehe Tätigkeit des Menschen: Kein mathematischer Satz kann wahr sein, „wenn wir nicht in nicht-wunderbarer Weise wissen können, daß er wahr ist". 40 In ähnlicher Weise interpretierte der spätere Wittgenstein die Sprache als geistige Konstruktion, die von Regeln und deren Folgesätzen abgegrenzt wird. Sobald der Geist sein I n s t r u m e n t hervorgebracht hat, wird er von ihm in bestimmten Grenzen gehalten, ohne allerdings, wie dies bei Kant gelehrt wird, von angeborenen Filtern eingeschränkt zu sein. Sprache läßt sich in ein Gefüge von Spielen auflösen, deren Regeln der Philosoph zwar erforschen, niemals jedoch übertreten kann. Spiele, wie frühere Philosophen sie entworfen haben, fesseln den modernen Praktiker, der Hindernisse diagnostiziert, die er nicht zu umgehen imstande ist. Wittgenstein gab zu, daß die Sprache sich nicht völlig von geistigen Krämpfen reinigen kann, und schien damit ein therapeutischer Nihilist nach Art seines Mentors Schopenhauer zu sein. 41 Dennoch fehlte diesem Österreicher der alles durchdringende Pessimismus, der etwa seinen jüdischen Wiener Anhänger Friedrich Waismann (1896—1959) erfüllte und der nach den Worten Stuart Hampshires folgende Züge auf wies: „Ein Schwelgen in Pessimismus und Passivität und in der Wirkungslosigkeit der Vernunft; eine verdrehte Sentimentalität, ein Hang zum Geheimnisvollen, und das Gefühl, zu einer aussterbenden Elite zu gehören, die sich selbst zu ihrer Philosophie beglückwünscht, von der sie aber gleichzeitig weiß, daß sie sie nicht davor bewahren wird, von der zu erwartenden zukünftigen Gewalttätigkeit hinweggespült zu werden." 42 Wie treffend diese Beschreibung auch für gewisse Wiener Juden, wie etwa Friedell und Zweig, passen mag, so übergeht sie doch die moralische Integrität anderer, wie etwa Wittgensteins und Brochs. Zwar mag Wittgenstein darin ein therapeutischer Nihilist gewesen sein, daß er die Philosophie angriff, darin jedoch, daß er in allem seine philanthropische Haltung zur Wirkung brachte, blieb er ein Utopist. In seiner Zeit in Cambridge beklagte Wittgenstein das Fehlen von echtem denkerischem Engagement unter den britischen Philosophieprofessoren. Wittgenstein war von der Unmöglichkeit, die Philosophie zu verbessern, so überzeugt, daß er seinen Schülern eine Karriere als Philosoph auszureden versuchte. Der Lektüre der Werke von professionellen Philosophen war er abgeneigt und las statt dessen lieber Cowboygeschichten; statt Philosophen zitierte er lieber die Bemerkungen seines Stubenmädchens. Wittgenstein machte sich nichts aus großer Belesenheit, Werke jedoch, die er liebte, las er immer wieder, so z. B. Rabindranath Tagores Drama Der König der dunklen Kammer und Wilhelm Büschs Phantasien eines Träumenden, Eduards Traum (München 1891). Auch die schelmisch-kindliche Mädchengestalt aus Kellers Der Landvogt von Greifensee (Stuttgart 1878), die lebhafte Figura Leu, war ihm sehr ans Herz gewachsen. 43 Wenn Wittgenstein sprach, gestikulierte er aufs heftigste; es sah so aus, als wollte er kontra Kraus — den Beweis dafür erbringen, daß nichtverbale Kommunikation von gleicher Wichtigkeit sei wie die verbale. 44 Er liebte den Film genau wie Abenteuergeschichten; besonders Stummfilme mit einem Happy-End, nach denen der Zuseher — wie bei Tagore - nach Hause gehen konnte, um dort seinen 220

Träumen nachzuhängen.45 Zwar stimmte er mit Freud darin überein, daß Kunst Wunschträume auslöst, hielt im allgemeinen aber den Begründer der Psychoanalyse, den er 1919 erstmals las, eher für geistreich denn für weise.46 Neben Kraus und Mauthner dürfte der Held des Dramas Der Schwierige (Berlin 1921) von Hofmannsthal die zu Wittgenstein deutlichste Parallelerscheinung darstellen, die sich im österreichischen Denken anbietet. Hofmannsthal zeichnete Heinz Karl Bühl als desillusionierten Wiener Aristokraten, dessen lakonische Aussagen das Geschwätz seiner Gesellschaft herabsetzen. Obwohl die Schweigsamkeit Bühls an die Krisis des Chandos-Briefes erinnert, stellte Hofmannsthal in diesem 1916 entstandenen Stück das Schweigen nicht als Ersatz für die Sprache, sondern als ihre Grenze dar: Wie Pausen in der Musik wirkt Schweigen als Interpunktion. Der unbezwingbare Bühl jagt den Grenzen der Gesellschaft nach und spricht seine Muttersprache, als wäre sie eine Fremdsprache, um den Jargon einer verblassenden Aristokratie zu meiden. Wie Wittgenstein, wenn er sich in seine Hütte zurückzog, bekennt sich auch Bühl zur reinen Kon-templation und befolgt in buchstäblichstem Sinn die Aufforderung: „Wovon man nicht sprechen kann, darüber muß man schweigen." Trotz all seiner Ähnlichkeiten mit Kraus blieb Wittgenstein der praktischere von beiden. Der jüngere Mann respektierte den Dienst an der Menschheit, indem er als Lehrer, Architekt und Sanitäter arbeitete. Der literarische Geschmack von Kraus zog Lichtenberg, Goethe, Jean Paul, Nestroy und Offenbach vor, der Wittgensteins dagegen Augustinus, Lichtenberg, Schopenhauer, Tolstoi und Keller. Diese beiden Rigoristen verkörperten das gleiche Paradoxon wie Loos und Schönberg. Als Rebellen, die den klassischen Geschmack schützen wollten, inszenierten sie eine konservative Konterrevolution, die ihnen so drastisch geriet, daß sie die eigenen Werte bedrohte. Kraus geißelte den Impressionismus und Expressionismus in der Literatur, Schönberg klagte die Exzesse der spätromantischen Musik an, Loos stellte die Stuckornamente der Ringstraßenarchitektur bloß, und der spätere Wittgenstein demaskierte den Selbstbetrug von Logikern, die in ihrem Eifer, die Metaphysik zu ersetzen, sich heillos in der Sprache verstrickten. Voll der traurigen Weisheit des freiwillig in die Verbannung Gegangenen trug Wittgenstein mit der Klarheit eines Klassizisten seine Zweifel an der Möglichkeit einer logischen Klarheit überhaupt vor. Er bedauerte es aufrichtig, daß die Defekte der Sprache die Metaphysik unmöglich machten. Er vermied die Verzweiflung Wahles und legte größere Feinheit an den Tag als Stöhr; so vertrat er die Ansicht, daß sich die konventionelle Philosophie zwar erschöpft habe, daß für den Kommentator aber noch vieles übrigbleibe, was er entwirren müsse. Durch Illustrationen und Aphorismen, die eines Kraus würdig wären, entwirrte Wittgenstein die restliche Philosophie. Er legte Strengstmögliche Maßstäbe an und entdeckte so Schlampereien, die andere Denker für Zusammenhänge hielten, genau wie Kraus dort Niederträchtigkeit entdeckte, wo andere nur scherzhafte Tändelei sahen. Die moralische Kraft, mit der Ludwig Wittgenstein das Dynamische seines Vaters in die Welt des Geistes übergeführt hatte, machte ihn zu einem Leitstern des Denkens des 20. Jahrhunderts. Die Kampagne, die so mancher Wiener gegen die Lauheit führte, hat er nach England getragen. Kühn und 221

unbestechlich kultivierte er jenen Perfektionismus, der bei anderen österreichischen Denkern nur zu oft zu therapeutischem Nihilismus oder zu Utopismus geführt hat. Wittgenstein vereinigte in sich die beiden Impulse in keinem geringerem Ausmaß als etwa Weininger, Broch oder Kraus. So sehr war er in die Vollkommenheit verliebt, daß er ein Instrument zum Sturz seines eigenen Ideals schuf.

14. PHILOSOPHEN DES DIALOGS

Martin Buber: Vom ästhetischen Mystizismus zum Ich-Du-Verhältnis Im vorhergehenden Kapitel wurden mehrere Varianten der Sprachphilosophie untersucht: Mauthners Aufforderung zum Schweigen, die Gleichsetzung von Sprache mit Wahrheit durch Karl Kraus, und Wittgensteins Analyse der Grenzen der Sprache. Ganz offensichtlich hat die Philosophen des 20. Jahrhunderts kein Fragenkomplex so fasziniert wie der der Sprache. Auch die Verlagerung des Interesses vom Inhalt einer Aussage auf ihre Form geht größtenteils auf Denker zurück, die in Wien und Prag aufgewachsen sind. Es wurde bereits darauf verwiesen, wie das Zusammentreffen von Sprachen und Dialekten in diesen Städten mitgeholfen hat, den Skeptizismus gegenüber der Metaphysik zu intensivieren. Zwei österreichische Denker, die die Sprache untersucht haben, um die Metaphysik neu zu beleben, statt sie zu zerstören, bleiben noch zu betrachten: Buber und Ebner. Zwar hat Martin Buber (1878-1965) seine Jahre der Reife in Deutschland und Israel zugebracht, seine Wurzeln jedoch lagen in Österreich.1 Der in Wien geborene Jude kam ab seinem zweiten Lebensjahr, nachdem seine Eltern geschieden worden waren, zu seinem Großvater Salomon Buber (1827—1906) in Lemberg. Großvater Salomon war Direktor zweier Banken, Vorstand der jüdischen Aufklärung (Haskala), sprach ein fehlerloses Hebräisch und edierte die Texte des Midrasch. Er erweckte in dem jungen Martin dessen Leidenschaft für die Philologie. Der Knabe verbrachte seine Sommer bei Sadagora in der Bukowina und traf dort mit Chassidim zusammen, deren „Wunderrabbi" in königlichem Glanz gelebt hatte. Hier begegnete Martin einer Tradition, die er sich nach 1904 in ganz spezifischem Sinn aneignete. Obwohl er von 1892 bis 1896 ein polnisches Gymnasium in Lemberg besuchte, wandte er sich mehr der deutschen als der slawischen Kultur zu. 222

1896 inskribierte Buber an der Wiener Universität, wo er bei Franz Wickhoff und Alois Riegl Kunstgeschichte studierte und bei Friedrich Jodl und Laurenz Müllner in Philosophie dissertierte. Er nützte den vom Großvater überkommenen Hang zur Gelehrsamkeit und entwickelte sich zum Erzimpressionisten. Um so viele Disziplinen wie nur irgend möglich kennenzulernen, inskribierte er auch in Leipzig, um Wilhelm Wundt hören zu können, und in Berlin, um dort Simmel und Dilthey zu begegnen. Als junger Ästhet besuchte er auch die Vorlesungen Machs in Wien, und 1897 veröffentlichte er in der polnischen Wochenzeitschrift Przeglad tygodniowy Artikel, die sich mit seinen Impressionisten-Kollegen Altenberg, Schnitzler und Hofmannsthal auseinandersetzten. 2 Herzls Judenstaat fiel ihm gleich nach dessen Erscheinen 1896 in die Hände, und die folgenden sechs Jahre agitierte Buber vergebens unter Zionisten, um ihnen die Notwendigkeit einer Förderung jüdischer Bildung klarzumachen. In Berlin begann er 1899 sich mit Meister Eckart und Jakob Böhme zu befassen, wozu ihn der Mauthnerschüler Gustav Landauer ermutigt hatte. Bis 1904 hatte Buber wohl von jedem Teilgebiet zeitgenössischer Kultur genascht und gab seine Aktivitäten als Parteigänger auf, um sich ganz der Übersetzung chassidischer Texte zu widmen. Die nächsten acht Jahre befaßte er sich mit der Neubeurteilung und Wertung chassidischer Lehren. Wie Weininger und Broch stellte auch Buber eine Dichotomie der Erfahrung auf, wobei er seinen Prager Marcioniten-Freunden nacheiferte, die Gott und Mensch voneinander trennten. Für sie und den jungen Buber galt, daß nur eine Elite Gott erfahren und damit die von Mauthner und Landauer gepriesene mystische Vereinigung bereits auf Erden vollziehen könne. In der fein ziselierten Arbeit Daniel. Gespräche von der Verwirklichung (Leipzig 1913) betonte Buber von neuem die uralten Polaritäten Gott und Mensch, Seele und Sinne, Dichter und Prophet, um eine spirituelle Wiedergeburt zu predigen. Nach der Art Böhmes forderte er die Künstler auf, in den Abgrund der Unsicherheit hinabzusteigen, um sich mit dem Kosmos zu konfrontieren. Während des Ersten Weltkrieges formte Buber nach und nach seinen pantheistischen Mystizismus zu einer Philosophie des Dialoges um, die er in Ich und Du (Leipzig 1923) vorlegte. Er vertauschte den Chassidismus gegen den Evangelismus, zum Teil unter dem Einfluß Franz Rosenzweigs (1886-1929), eines aus Deutschland stammenden jüdischen Schülers Friedrich Meineckes. Rosenzweig, der durch seinen getauften jüdischen Freund Eugen Rosenstock-Huessy (1888-1973) wieder zu Gott gefunden hatte, pries Judentum und Christentum als gleichermaßen authentische Manifestationen der religiösen Wahrheit. 3 In Ich und Du formte Buber die Polaritäten, die er im Daniel dargestellt hatte, um. Er entlehnte die von Ludwig Feuerbach geprägten „Grundworte" und teilte die Erfahrung in Ich-Du- und Ich-Es-Verhältnisse. Ersteres setzt zwei einander bewußte Identitäten voraus, die untereinander in Beziehung treten, letzteres dagegen degradiert das Selbst zu einem Ding. Obwohl die Intimität des Ich-Du in Liebe oder Freundschaft auftreten mag, sah Buber ihren Höhepunkt in der Beziehung zwischen dem Menschen und Gott. Weit davon entfernt, ein Objekt oder ein Komplex von Regeln zu sein, neigt sich Gott dem Menschen zu, bereit ihm zuzuhören. Die Vereinigung zwischen dem Menschen und Gott zieht 223

den Dialog nach sich, nicht die Demütigung eines Sklaven vor dem Herrn. Während Daniel den Aufstieg zu Gott feierte, ersetzte Ich und Du die auf das Selbst konzentrierte Verehrung durch die Verehrung des Anderen. Nach 1916 wich die Ekstase der Begegnung, Erlebnis wurde zum Ereignis, und Verwirklichung Gottes wurde zum Vorbereiten der Welt als Wohnstätte Gottes. Wenn Buber den Personalismus predigte, so kristallisierte sich in ihm jene Verehrung für das Leben, die Broch mit dem Judentum schlechthin identifizierte. Jede Person soll jede andere achten als einen potentiellen Partner im Dialog, einsam und labil wie sie selbst. Die Realität wohnt nicht innerhalb der Psyche, sondern zwischen den Psychen und mehr noch zwischen jeder Psyche und Gott. Geradeso wie Othmar Spann annahm, daß sich geistiges Leben aus „Gezweiungen" wie Eltern und Kind, Lehrer und Schüler, Autor und Leser entwickle, trat Buber für eine Symbiose zwischen dem Sprecher und dem Hörer ein. Er stimmte mit Freud darin überein, daß Psychiater und Patient eine Gesellschaft von zwei Gliedern formen, in der Abwehrhaltungen verschwinden. Buber ähnelte Otto Rank darin, daß er die Spontaneität als Brunnen der Vitalität pries, und wie Wolf wußte auch er, wie er sich zu beugen hatte, um einen anderen zu erheben. Buber vertrat eine noch entschlossenere Irenik als Coudenhove-Kalergi oder Popper-Lynkeus. Er versöhnte feindliche Brüder, indem er auf ihre gegenseitige Abhängigkeit hinwies, und strebte stets danach, eine Kontroverse so zu beenden, daß kein Zündstoff für neuen Streit übrigblieb. 1938 ließ er sich in Jerusalem nieder, war den Arabern stets freundschaftlich verbunden und wies alle Versuche, sie auszusiedeln, strikt zurück. Indem sich Martin Buber in Ich-Du-Verhältnissen verlor, verscherzte er sich als Utopist, der er war, die Fähigkeit, Ich-EsVerhältnisse zu bewältigen. Er war zu aufopfernd, um Gegner verletzen zu können, ja er zeigte den anderen, wie sie die Wunden wieder heilen könnten, denen sie nicht zu entgehen vermochten. Wie bei Husserl ist es auch beim späteren Buber schwierig zu bestimmen, inwieweit er von Osterreich beeinflußt war. Als Wiener Impressionist hatte er eine unbefriedigte Jugend verbracht, wie Weininger und Rank getrieben von einer allesverschlingenden Neugier. Während andere der Faszination des Todes erlagen, suchte er seinen Gott in den polaren Gegensätzen, die er im Chassidismus und im Taoismus vorfand. Er strebte danach, einer gespaltenen Welt ihre Ganzheit wiederzugeben, und bis zum Ersten Weltkrieg liebäugelte er mit einem gotttrunkenen Marcionismus. So wie Max Dvorak aus dieser Sinflut neues Leben hervorgehen sah, eiferte Buber Franz Rosenzweig darin nach, in der Katastrophe eine Möglichkeit zur Wiederherstellung des Glaubens zu sehen. Der spätere Buber glich in vielem den aktivistischen Utopisten Herzl und Hertzka, indem er dem Gläubigen, der zu einem Ich-Du-Verhältnis mit Gott gelangte, Erfüllung, wenn auch nicht Erlösung versprach. Er ersetzte elitären Mystizismus durch demokratischen Dialog und bejahte die Welt mit einer überschäumenden Energie, die des therapeutischen Nihilismus eines Weininger oder Kraus spottete. Seit 1920 hat Bubers Personalismus zwei Generationen getröstet; sie tauschten Gewißheiten gegen Mutlosigkeit ein. Nach dem Zweiten Weltkrieg haben sich die Existentialisten das Ich-Du-Verhältnis angeeignet, indem sie das Individuum aufforderten, seine Empfindsamkeit anzuregen und dabei der Gesellschaft 224

zu entsagen. In jüngster Zeit erst hat Bubers Botschaft eine Reihe von Bewegungen auf die Beine gebracht, so etwa die Gruppentherapie, den christlichen Okumenismus und die Entwicklung des Empfindungsvermögens zwischen den Rassen. Buber hat der Uberzeugung zum Durchbruch verholfen, daß selbst dort, wo Ideologien aufeinanderprallen, die Individuen einander verstehen können; der IchDu-Dialog hat die Skeptiker noch einmal hoffen gelehrt.

Die Pneumatologie Ferdinand Ebners: Der Vorrang des Sprechens vor dem Schreiben Weit weniger als Buber ist sein katholisches Gegenstück bekannt, Ferdinand Ebner (1882-1931). 4 Unabhängig von Buber und Feuerbach entdeckte er 1916 das Ich-Du-Verhältnis. Ebner, der in Wiener Neustadt zur Welt kam und zeitlebens Niederösterreich nicht verließ, war ein „kleiner Mann", dessen Lebensgeschichte sich wie eine Erzählung von Saar oder der Ebner-Eschenbach liest. Ebners Vater starb 1904, und auf dem Sohn lastete die Erinnerung an diesen Mann, der täglich die Messe besuchte, aber ihm mit seiner linkischen Art eine Haßliebe gegenüber der Kirche eingeflößt hatte. Ebner absolvierte die Lehrerbildungsanstalt, wo er zu seinem unaustilgbaren Bedauern kein Griechisch lernte, und arbeitete von 1902 bis 1912 als Volksschullehrer in Waldegg (Piestingtal). 1912 ließ er sich nach Gablitz bei Wien versetzen, um Bibliotheken und Freunde in der Großstadt besuchen zu können. Chronische Tuberkulose machte ihn für den Militärdienst untauglich und zwang ihn 1923, den Lehrberuf aufzugeben. Von 1900 bis 1924 verband ihn eine innige Freundschaft mit der um zehn Jahre älteren Luise Karpischek, mit der er besonders nach 1912 eine umfangreiche Korrespondenz führte. Luise zu heiraten wagte er nicht, da er fürchtete, daß sie als seine Frau aufhören würde, seine Muse zu sein. Im Oktober 1923 heiratete er eine Lehrerkollegin in Gablitz, Maria Mizera, die ihn schon seit einigen Jahren umsorgt hatte. Neben Adolf Loos und Hermann Swoboda zählte bis 1920 auch der Komponist Josef Matthias Hauer (1883-1959) zu Ebners engen Freunden; Hauer stammte ebenfalls aus Wiener Neustadt. Ebner war ein begeisterter Pianist, der gerne Bach und Mozart spielte. Zwischen 1902 und 1907 regte ihn seine Bewunderung für Shakespeare und Dostojewskij zum Gedichteschreiben an, wobei er auch ein Gedicht über Golgotha verfaßte. 1907 gewann Weiningers Geschlecht und Charakter Ebner für die Philosophie; er befaßte sich in der Folge intensiv mit Pascal, Bergson, Freud und zahllosen anderen Philosophen und schloß sich eng an Weiningers Freund Swoboda an. 1912 schrieb Ebner eine vierhundert Seiten starke Abhandlung im Sinne Bergsons, Ethik und Leben. Fragmente einer Metaphysik der individuellen Existenz; sie ist nie publiziert worden. Außer seiner reichen Korrespondenz mit Luise Karpischek führte Ebner ein Tagebuch und machte sich umfangreiche Notizen zu seiner Lektüre, aus denen man die Entwicklung seiner Gedanken rekonstruieren kann. Während des Ersten Weltkriegs machten ihn die Bibel, Kierkegaards Furcht und Zittern und Kommentare Johann Georg Hamanns zu einem verängstigten Katholiken. Seine in den Jahren 1916 bis 1918 gesammelten Er225

kenntnisse formulierte er in Das Wort und die geistigen Realitäten, ein Manuskript, das 1919 von einem Wiener Verleger abgelehnt wurde, nachdem Stöhr sich darüber lustig gemacht hatte. Der Freidenker Stöhr tat Ebners Theologie der Sprache als unwissenschaftlich ab. Der verwirrte Mann legte daraufhin sein Opus dem schwäbischen Kierkegaard-Gelehrten Theodor Haecker (1879—1945) vor, der es an Ludwig von Ficker weiterempfahl. Ficker verlegte das Buch 1921 und verpflichtete Ebner darüber hinaus als Mitarbeiter an der Zeitschrift Der Brenner, worauf dieser jegliche Mitarbeit an anderen Zeitschriften ablehnte. In den zwanziger Jahren rang er mit dem Problem des Antiklerikalismus, über den er letztlich erst auf seinem Sterbebett hinwegkam. In seinem Werk Das Wort und die geistigen Realitäten stellte Ebner die von ihm so bezeichnete Icheinsamkeit dem Ich-Du-Verhältnis gegenüber. Die Vereinsamung des Ich kann im Erleben eines Du durch das Medium der Sprache gelindert werden: „... daß es (das Wort) das ,Vehikel' des Verhältnisses zwischen dem Ich und dem Du sei, das heißt im letzten Grunde: des Verhältnisses zwischen den Menschen und Gott. In diesem Verhältnis aber hat der Mensch sein geistiges Leben." 5 Ebner hielt daran fest, daß er diese Auffassung aus dem ersten Kapitel des Johannesevangeliums und der Hamannschen Exegese dazu bezogen hatte. Erst später machte Haecker Ebner auf Feuerbachs Begriff des Ich-Es aufmerksam. 6 Ebners Icheinsamkeit läßt sich am leichtesten vom Asthetizismus herleiten, in welchem ein Ich die Schönheit anstelle einer Person verehrt. Ob in der Kunst, der Literatur, der Religion, der Philosophie — ein einsames Ich führt nur Monologe ab, unfähig, wie Otto Weininger etwa, zu echter Kommunikation. Spekulative Philosophie ist ein Traum, der sich nur in dem von Ebner so bezeichneten „Krampf des Idealismus" fortsetzt. Icheinsamkeit hatte Nietzsche um den Verstand gebracht und Kraus, den Ebner im Oktober 1918 lesen gehört hatte, bedroht. Ebner lehnte Weiningers Dichotomie zwischen Mann als Geist und Frau als Natur ab und verbannte jede Unterscheidung des Geschlechtes aus den Bereichen des Ich und Du. Weininger hatte die Icheinsamkeit vergrößert und damit nach Ansicht seines Kritikers demonstriert, daß der Idealismus den Antisemitismus und Antifeminismus nach sich ziehe; um das Ich dahin zu bringen, jedes Du von sich zu stoßen, setze der Idealismus Juden und Frauen herab. Mauthners Aufforderung zum Schweigen beschreibt jene, die sich der Icheinsamkeit hingeben; für sie ist Sprache ein Hindernis der Kommunikation, kein Hilfsmittel, das zu ihr hinführt. Das Entkommen aus der Sackgasse der Icheinsamkeit vollzieht sich in der Erkenntnis, daß Gott dem Menschen die Fähigkeit zum Sprechen verliehen hat. Da Kommunikation die göttliche Schöpfung der Sprache voraussetzt, vollzieht sich der primäre Modus der Kommunikation zwischen dem Menschen und Gott. Zufolge dieses göttlichen Geschenkes kann der Mensch dem Schöpfer als einem ewigen Du gegenübertreten, das stets bereit ist, ihn aus seiner Einsamkeit zu erheben. Ebner griff die Pneumatologie Hamanns auf und entwickelte aus ihr eine Ethik der Aufmerksamkeit gegenüber Gott. Die Entscheidung für den Glauben macht ein Befolgen des Wortes Gottes notwendig; der Christ soll nicht 226

b l o ß die B o t s c h a f t G o t t e s hören, s o n d e r n sie a u c h b e f o l g e n . O h n e die P f l e g e der V e r e h r u n g f ü r ein D u w i r d d i e S p r a c h e zu j e n e r s e l b s t v e r n i c h t e n d e n Wesenheit, als die M a u t h n e r sie gesehen hat. D a s D o g m a löst den K o n t a k t m i t G o t t , i n d e m es das l e b e n d i g e W o r t erstarren läßt. E b n e r verglich das D o g m a m i t der L e i c h e n s t a r r e u n d e r h o b A n k l a g e gegen die B ü r o k r a t i e der K i r c h e , die den C h r i s t e n zwischen V o r s c h r i f t e n u n d d e m G l a u b e n zerreiße. E b n e r war als Lehrer verpflichtet, in der F r o n l e i c h n a m s p r o z e s s i o n m i t z u m a r s c h i e r e n , die die Allianz zwischen T h r o n u n d Altar verherrlichte, u n d er g e h o r c h t e ; aber er haßte es, m i t a n s e h e n zu m ü s s e n , w e n n e i n e m Flieger ein Eisernes K r e u z verliehen w u r d e o d e r w e n n ein m i t J u w e l e n verziertes K r e u z die Ritter eines L a i e n o r d e n s s c h m ü c k t e . W i e H a e c k e r beklagte dieser A n t i n o m i s t die V e r w e n d u n g des Kreuzes zur S e g n u n g von Waffen u n d schalt die Kirche dafür, daß sie sich einer egozentrischen Gesellschaft eingliederte. W i e K i e r k e g a a r d w u r d e a u c h E b n e r von e i n e m n e u r o t i s c h e n Perfektionism u s d a z u getrieben, v o n der K i r c h e f l e c k e n l o s e Reinheit zu f o r d e r n . U n d wie Weininger litt auch dieser Lehrer unter A n f ä l l e n von D e p r e s s i o n , deren E i n setzen er m i t S w o b o d a s T h e o r i e der Periodizität v o r a u s s a g e n k o n n t e . Im M ä r z u n d im M a i 1 9 2 3 u n t e r n a h m er je einen S e l b s t m o r d v e r s u c h - verzweifelt über seine U n f ä h i g k e i t , sich der K i r c h e z u w e n d e n zu k ö n n e n . Im V o r w o r t zu sein e m B u c h Das Wort und die geistigen Realitäten äußerte er p a t h e t i s c h e Zweifel an s e i n e m Werk u n d ließ Stöhrs S c h m ä h s c h r i f t in vollem U m f a n g mit a b d r u k ken. E b n e r klagte, d a ß der größte Fehler seines Werkes darin b e s t ü n d e , daß sein Vater, d e m er es g e w i d m e t hatte, es nicht hätte verstehen k ö n n e n . E b n e r , der nicht wie B u b e r K o s m o p o l i t war, entwickelte seine E r k e n n t n i s s e über das IchD u - V e r h ä l t n i s vor allem in seiner K o r r e s p o n d e n z m i t Luise K a r p i s c h e k . N a c h d e m er ihr f ü n f J a h r e lang unzählige Briefe geschrieben hatte, floß ihm das „ D u " vor B e d e u t s a m k e i t über: S e i n e m „ D u " zu schreiben b e d e u t e t e i h m V e r e i n i g u n g . In seiner W e i g e r u n g , L u i s e zu ehelichen, eiferte er d e m J u n g g e s e l l e n G r i l l p a r zer nach, der seiner „ e w i g e n B r a u t " g e g e n ü b e r eine ä h n l i c h e Z u r ü c k h a l t u n g g e ü b t h a t t e . In seiner U n s c h l ü s s i g k e i t g e g e n ü b e r L u i s e s p o t t e t e E b n e r der B ü r o k r a t i e der K i r c h e . Zwar fehlte Ebner die prophetische G r ö ß e M a r t i n Bubers, d o c h hat sich die P n e u m a t o l o g i e dieses Lehrers in der A p o l o g e t i k der römisch-katholischen Kirche i m m e r h i n ihren Platz gesichert. Ebner, den m a n als den katholischen Kierkegaard r ü h m t e , hat viel zur R e h a b i l i t i e r u n g der antiklerikalen T h e o l o g i e beigetragen. Ebners p n e u m a t o l o g i s c h e s A r g u m e n t für die Existenz G o t t e s ist heute so geläufig wie andere auch. Er hätte G o t t nicht besser aus der Sprache der M e n s c h e n ableiten k ö n n e n , als M a u t h n e r ihn aus d e m Schweigen herleitete. Ebner war der Ansicht, d a ß geschriebene S p r a c h e der gesprochenen an Wert nachstehe. Er unterschied den allgemeineren Begriff der Sprache von d e m des gesprochenen Wortes u n d hielt daran fest, daß nur das gesprochene Wort von einem z u m anderen etwas Sinnvolles ergebe. Er pries die K o m m u n i k a t i o n von Angesicht zu Angesicht u n d gab dabei der ländlichen G e m e i n s c h a f t den Vorzug, die Icheinsamkeit aber, von den großen Städten gefördert, beklagte er. In seiner N o s t a l g i e war er ein weiterer österreichischer Konservativer, der u m 1 9 0 0 a u f W e r t e a u s der Z e i t vor der Industrialisierung zurückgriff. 227

Ebner bietet keine zwingende Beweisführung, sondern Denkanstöße, Aufforderungen. Er strahlte die Bescheidenheit des „kleinen Mannes" aus und kristallisierte jene Art von Aufrichtigkeit, für die Klemens Hofbauer 1909 kanonisiert worden war. Ebner strebte nach einer Rechtfertigung Gottes und pries die menschliche Sprache als Evidenz für seine Weisheit, so wie die Anhänger von Leibniz das Göttliche sich in der Schöpfung ausbreiten gesehen haben. Schärfer als die meisten Kritiker des Dogmas legte Ebner dar, wann und wo die spekulative Theologie versagt. O h n e sich der negativen Theologie Mauthners oder dem ästhetischen Mystizismus des frühen Martin Buber zuzuwenden, verschrieb sich Ebner der Vernunft, um das Herz frei sprechen lassen zu können. Er beklagte die an das Ich gefesselte Rationalität in der Kirche und schuf eine utopistische Vision der Verkettung des Menschen mit Gott. Überzeugender als der Platoniker Broch oder der Romantiker Spann haben die beiden Gottsucher Buber und Ebner eine primäre Vision der menschlichen Erfahrung erneuert. Wie Kraus und Loos, von denen sie sich so sehr unterschieden, haben Buber und Ebner eine konservative Revolution durchgeführt, um den Glauben zu verjüngen.

15. F R E U D U N D DIE M E D I Z I N

Ein Abriß der Laufbahn Freuds Sigmund Freud ist für den Zeitgenossen zu einer Vaterfigur geworden. Den Wurzeln seiner Gedanken nachgehen heißt das eigene Bewußtsein aufdecken, ihn kritisieren k o m m t einem Vatermord gleich. Diese Reise in die Selbsterkenntnis wird durch Unmengen von Primär- und Sekundärliteratur von Freud selbst und über ihn und seine Anhänger sowohl erleichtert als auch erschwert. 1 Fast jeder kennt Teile dieser Literatur, fast keiner ihre Gesamtheit. Dieses Kapitel will keinen systematischen Uberblick über Freuds Leben und Lehren geben, sondern vielmehr Freuds Zwiespältigkeit angesichts bestimmter Wiener Grundhaltungen untersuchen, wie etwa des therapeutischen Nihilismus, des Ästhetizismus, der Verehrung des Todes und der Protektion. Diese Traditionen gestatten nämlich eine Auseinandersetzung mit der Psychoanalyse, ohne daß notwendigerweise die mörderischen Auseinandersetzungen zwischen Freudianern und Adlerianern, Rankianern usw. wiederaufgegriffen werden müßten. Vorausgesetzt wird, daß Freuds Entdeckungen, wenngleich er manches in zu hohem Maß verallgemeinert hat, auf ihn und auf viele seiner Patienten genau zutrafen. Wie dogmatisch der Vater der Psycho228

analyse gegenüber Dissidenten auch immer aufgetreten sein mag, sich selbst kannte er. Wir beginnen mit einer kurzen Zusammenfassung seiner Laufbahn. 2 Sigismund Freud (1856-1939) wurde am 6. Mai 1856 in Freiberg (Pribor), einer ländlichen Stadt bei Ostrau im nordöstlichen Mähren, geboren. Sein Vater war der aus Galizien stammende jüdische Wollhändler Jakob Freud (1815-1896), dessen zweite Frau, die ebenfalls aus Galizien stammende Amalie Nathanson (1835-1930), ihm zwischen 1856 und 1866 acht Kinder gebar. Zwei Halbbrüder, die in den dreißiger Jahren in der ersten Ehe des Vaters geboren worden waren, hätten dem Alter nach Onkel des jungen Sigismund sein können, sie standen eher mit den fünf Brüdern Jakobs in einer Generation. Im Oktober 1859 verließ Jakob Freud mit seiner Familie die Stadt, in der das Webergewerbe im Niedergang begriffen war, und begab sich nach Wien. Hier lebte Sigmund Freud bis zum Juni 1938. Der junge Mann, dem an der Wiege prophezeit worden war, daß er, der „goldene Sigi", große Dinge vollbringen würde, besuchte von 1865 bis 1873 das Gymnasium in der Sperlgasse im 2. Wiener Bezirk; während der letzten sechs Jahre war er Primus seiner Klasse. Im Oktober 1873 inskribierte er an der medizinischen Fakultät der Universität Wien, nachdem er im selben Jahr bei einem Vortrag Goethes Fragment Die Natur (1783) gehört und sich dadurch von einer Laufbahn als Jurist hatte abhalten lassen. 1878 änderte er seinen Vornamen Sigismund in Sigmund. Erst im März 1881 wurde er zum Doktor der Medizin promoviert; seine Arbeit als Forschungsassistent am Institut Ernst Brückes von 1876 bis 1882 hatte seinen Studienfortgang etwas verzögert. Auf Drängen Brückes wandte sich der angehende Physiologe allgemeiner praktischer Ausbildung zu, wobei er die Neurologie bevorzugte und sich im September 1885 für Neuropathologie habilitierte. In diesem Jahr erhielt Freud auch ein Stipendium, das es ihm ermöglichte, bei Charcot in Paris zu studieren. Im September des darauffolgenden Jahres erfüllte er sich einen vier Jahre alten Traum: er heiratete die Hamburgerin Martha Bernays ( 1 8 6 1 - 1 9 5 1 ) . Im Oktober 1883 hatte Marthas Bruder Eli Freuds Schwester Anna (1858-1951) geheiratet; die beiden wanderten 1892 nach den Vereinigten Staaten aus, wo ihr Sohn Edward L. Bernays (geb. 1891) nach dem Ersten Weltkrieg das Gebiet der Public Relations zu erschließen begann. Freuds Ehe erwies sich als außerordentlich glücklich, sechs Kinder gingen aus ihr hervor, und in ihr fand Freud den emotionellen Ausgleich, den er brauchte. Zunächst lebte er mit seiner Frau im „Sühnhaus", das Franz Joseph auf dem Grundstück des Ringtheaters hatte erbauen lassen, das am 8. Dezember 1881 während einer Vorstellung, die Freud und seine Schwester Anna beinahe besucht hätten, niedergebrannt war. 3 Im Jahre 1891 übersiedelten die Freuds in eine Wohnung im zweiten Stock des Hauses Berggasse 19, in der sie dann bis 1938 blieben. Die Wohnung hatte danach einige Jahre als Werkstätte gedient, bis sie schließlich doch noch als Museum restauriert wurde. Das Buch, mit dem sich Freud den Ruf der Originalität sicherte, war Die Traumdeutung (1900). Mit seiner Publikation begannen vierzig Jahre der Ausarbeitung jener Theorien der Psychotherapie, die Freud im Februar 1896 Psychoanalyse benannt hatte. Zwar wurde er 1902 zum außerordentlichen Professor der 229

medizinischen Fakultät ernannt, seine psychotherapeutischen Lehren jedoch verbreitete er nur außerhalb der Universität. In nie erlahmendem Eifer, seiner geistigen Schöpfung zum Durchbruch zu verhelfen, verbrachte Freud oft zwölf Stunden täglich in Sitzungen mit Patienten; dann saß er noch bis 3 Uhr morgens, um die Ergebnisse des Tages schriftlich auszuwerten. Obwohl er Bahnreisen verabscheute, unternahm Freud ausgedehnte Vortragsreisen durch Deutschland und Italien und nahm an psychoanalytischen Kongressen in Budapest, Den H a a g und London teil. 4 1909 besuchte er die Vereinigten Staaten, um an der Clark University in Worcester (Massachusetts) Vorlesungen zu halten, wobei er von Amerika keinen guten Eindruck erhielt. Auf einen von William James zubereiteten Braten führte er seine chronischen Verdauungsstörungen zurück. 5 Nach 1923 gab Freuds starke Konstitution ihm die Kraft, volle sechzehn Jahre lang die peinigenden Q u a l e n zu ertragen, die ihm ein Gaumenkrebs bereitete. Nicht nur, daß er dreiunddreißig Operationen unter Lokalanästhesie über sich ergehen ließ, mußte durch all diese Jahre ein klaffendes Loch in seinem M u n d täglich ausgekratzt werden, u m eine schlechtsitzende Prothese anzupassen. Er meinte, daß seine Widerstandsfähigkeit gegen den Schmerz aus dem Kummer resultierte, den er nach dem Tod seines vierjährigen Enkels Heinz Rudolf im Juni 1923 hatte überwinden müssen. Drei Jahre zuvor war die Mutter dieses Knaben, Freuds Tochter Sophie, an einer Lungenentzündung gestorben, 6 die sich nach einer Grippeinfektion eingestellt hatte. Nach dem 13. März 1938 ließ sich der Achtzigjährige von Freunden überreden, das von den Nationalsozialisten besetzte Wien zu verlassen und nach London zu emigrieren. Dort hatten ihm seine Tochter Anna und Ernest Jones inmitten eines Volkes, das der alte Mann immer geschätzt hatte, ein H e i m bereitet. Freud verkaufte also den Großteil seiner Bibliothek einem Händler (der die Bücher übrigens an das New York Psychiatric Institute weitergab) und verließ am 4. Juni 1938 die Stadt, die er ein Leben lang gehaßt und zugleich geliebt hatte. Er verdankte ihr mehr, als er eingestand.

Therapeutischer Nihilismus der Wiener medizinischen Schule In diesem Buch wird durchgehend der therapeutische Nihilismus als Charakteristikum des Wiener Lebens zitiert. Otto Weininger, Richard Wahle, Karl Kraus und Ludwig Wittgenstein verkörperten die Überzeugung, daß sich Krankheiten der Gesellschaft oder der Sprache einer Heilung entziehen. Ausgesprochene Gegner dieser Weigerung, eine Therapie auch nur vorzuschlagen, waren unter anderen Bertha von Suttner, Rosa Mayreder, Josef Popper-Lynkeus, Theodor Herzl und Otto Neurath. Obwohl der Begriff des therapeutischen Nihilismus auf Philosophen und Sozialtheoretiker angewandt wurde, ist der Terminus medizinischer Provenienz und hatte seinen Ursprung Anfang des 19. Jahrhunderts in der Wiener medizinischen Schule. Wie man sehen wird, war diese, noch als Freud dort seine Ausbildung erhielt, von hoher Begeisterung für die Diagnose und einer allgemeinen Vernachlässigung der Therapie geprägt. Wie viele andere Wiener Ärzte seiner Zeit durchmaß auch Freud eine Periode des therapeutischen Nihilismus, ehe er ein tiefes Mitgefühl für seine Patienten zu entwickeln begann. 230

Der Begründer der Ersten Wiener medizinischen Schule war Gerard van Swieten ( 1 7 0 0 - 1 7 7 2 ) , den Maria Theresia 1745 in ihre Residenzstadt berufen hatte. 7 Als Schüler des holländischen Arztes H e r m a n n Boerhaave (1668-1738) vertrat van Swieten den Empirismus seines Lehrers, der versucht hatte, mit einer allmählichen Sammlung von Beobachtungen quacksalberische Praktiken einzudämmen. Die Nachfolger van Swietens beriefen sich, um die Häufigkeit von Aderlässen herabzusetzen, auf die Lehre des Hippokrates von den Heilkräften der Natur. Ein holländischer Geburtshelfer, den Joseph II. 1780 nach Wien gebracht hatte, Johann Lukas Boer (1751-1835), lehnte künstliche Hilfsmittel bei der Entbindung ab. Er predigte: „Wir sollten uns nie so verhalten, als ob die Natur ihre Aufgabe des Gebärens nicht mehr erfüllen würde" und trat damit für eine sogenannte abwartende Therapie ein. Seine Vorgangsweise, darauf zu warten, daß die Natur eine Genesung bewirke, wurde zur Richtlinie im Allgemeinen Krankenhaus, das Joseph II. 1784 begründete, teils nach dem Vorbild von Spitälern, die seine Schwester Maria Antoinette in Frankreich errichtet hatte. Das neue Krankenhaus ersetzte das Großarmenhaus, das in fünf Höfen fünftausend Kranke und Mittellose beherbergt hatte. Es war um drei große und drei kleine Höfe angelegt und dehnte sich wie ein ungeheurer Kasernenkomplex im Vorfeld der Stadt; seine Gebäude stehen noch heute in Verwendung. Im Jahr darauf eröffnete der Kaiser an der heutigen Währinger Straße das „Josephinum" zur Ausbildung von Militärchirurgen, die dort bis 1874 ihre Schulung erhielten. Daß abwartende Therapie nicht gleichbedeutend sein m u ß mit Vernachlässigung der Patienten, zeigte Johann Peter Frank (1745-1821), der ab 1805 das Allgemeine Krankenhaus reorganisierte. Mit seiner sechsbändigen Abhandlung System einer vollständigen medicinischen Polizey (Mannheim, Tübingen, Wien und Leipzig 1779—1819) begründete Frank die Disziplin des öffentlichen Gesundheitswesens. Die „medizinische Polizei" sollte eine Abteilung des kameralistischen öffentlichen Rechtes darstellen mit dem Zweck, das menschliche Leben von der Geburt bis zum Tode zu regulieren; die josefinische Bürokratie sollte Geburten fördern und die Gesundheit schützen, um die Prosperität der Nation zu steigern. Obwohl Frank eher das Wohl des Staates im Auge hatte als das des Individuums, trat er doch dafür ein, Geisteskranke als Patienten und nicht mehr wie Gefangene zu behandeln. 8 Während des ersten Viertels des 19. Jahrhunderts war der aus Graz stammende Chirurg Vinzenz von Kern (1760-1829) der Hauptvertreter der abwartenden Therapie. Als Professor in Wien von 1805 bis 1829 revolutionierte er die Wundbehandlung. Er lehnte den Gebrauch von Salben und Kompressen ab und versorgte die Wunden mit lockeren, in Wasser getränkten Bandagen, um die Natur ihre Heilkräfte voll entfalten zu lassen. Wie Kern vermieden auch viele andere Ärzte aus purer Angst die Verabreichung von Heilmitteln. Diese Einstellung erreichte unter dem aus Königgrätz stammenden Anatomen Carl von Rokitansky ( 1 8 0 4 - 1 8 7 8 ) ihren H ö h e p u n k t . Seit 1834 Professor in Wien, führte Rokitansky Berichten zufolge über 85.000 Autopsien durch und machte die pathologische Anatomie zum ersten verläßlichen Instrument der Diagnose, mit dem man die Semiotik des Hippokrates ersetzen konnte. Der aus Pilsen stammende Josef Skoda ( 1 8 0 5 - 1 8 8 1 ) , ein Onkel des Warfenfabrikanten 231

Emil von Skoda, kodifizierte die Resultate von Rokitanskys Autopsien und begründete damit die moderne Diagnostik. Er bildete die heute allgemein geübte Methode der Perkussion weiter, die ein längst vergessener Grazer Arzt, Leopold von Auenbrugger (1722-1809), 1761 in Wien entwickelt hatte. Nicht geringeren Ruhm als Rokitansky und Skoda erntete Josef Hyrtl (1810-1894), der ab 1845 als Professor in Wien die Techniken der Anatomie perfektionierte; sein Laboratorium verschickte Präparate in die ganze Welt. Alle diese Männer gingen in ihrer Wissenschaft völlig auf. Ihr Verlangen nach empirischer Wahrheit stellte eine positivistische Attacke gegen die romantische Medizin dar. Der kämpferische Rokitansky lehnte die Rolle des sich selbst verleugnenden Wissenschaftlers ab. Als Mitglied des Herrenhauses kämpfte er gegen den obligatorischen Unterricht der katholischen Religion an den Schulen und begrüßte stürmisch die Aufhebung des Konkordats (1868). Henry Ingersoll Bowditch erinnerte sich der faszinierenden Erscheinung des Anatomen, dem er 1859 begegnete: „Trotzdem hat er den echten arbeitenden Kopf eines Deutschen — einen gelehrteren Kopf als ich je gesehen habe —, einen Kopf, den man ansehen muß; ein massiver Schädel mit ruhigen, schwermütigen Augen, aus denen sich jedoch geistige Kraft erkennen läßt." 9 Rokitanskys Indifferenz gegenüber jeglicher Therapie spiegelt sich in seiner Theorie der menschlichen Natur, die er in seinem Werk Die Solidarität alles Thierlebens (Wien 1869) darlegte. Protoplasma auf jeder Ebene des Seins, sagte Rokitansky, ist hungrig und nötigt jeden Organismus zur Aggressivität, um seine Rivalen auszulöschen. Zufolge des Protoplasmas in ihm kann der Mensch nicht anders, als seine Zuflucht zu Lüge, Täuschung und Doppelzüngigkeit zu nehmen, zu Fehlhaltungen also, die nur der Staat zügeln kann. Individuen sind dazu verurteilt, einen Darwinschen Kampf um die Freiheit zu führen, einen Wettbewerb auszufechten, der für den Fortschritt in der Wissenschaft sorgt und andererseits großes Leiden auferlegt. Es wird offenbar, wie sehr Rokitansky dem böhmischen Reformkatholizismus verpflichtet war, wenn er versichert, daß nur Mitgefühl unter den Menschen das dem Leben inhärente Leiden überwinden kann. Der Anatom, der da einen Biedermeierglauben an die Harmonie zwischen Gott und den Menschen predigte, forderte den Menschen auf, sich im Ertragen von Schmerzen ein Beispiel an Christus zu nehmen. Ein Anhänger von Hobbes und Leibniz zugleich, interpretierte Rokitansky den Darwinschen Existenzkampf als Evidenz für die Harmonie, die das Universum durchdringt. Seinem erhabenen Glauben an die Ordnung der Natur war es zuzuschreiben, daß dieser böhmische Mediziner für die abwartende Therapie bis zur völligen Ausschaltung der Pharmakologie eintreten konnte. Wie sehr Rokitansky und Skoda den therapeutischen Nihilismus auch begünstigt haben mögen, blieb es doch einigen ihrer Schüler, besonders aber Joseph Dietl (1804- 1878), vorbehalten, den Skeptizismus gegen alle Heilmittel bis zu jener Lehre zu verzerren, daß die beste Behandlung im Unterlassen jeglichen Eingreifens bestünde. Während die Arzte früherer Zeiten unterschiedslos Tränklein und Aderlaß verschrieben hatten, ohne erst eine Diagnose zu stellen, bestanden Rokitansky und Skoda auf dem unbedingten Vorrang der Diagnose. Durch 232

Rokitanskys Mißerfolge als Chirurg und auch dadurch, daß seine Schüler im Seziersaal mit dermaßen entstellten Organen konfrontiert wurden, daß man sich in vielen Fällen Vorbeugung oder Heilung gar nicht vorstellen konnte, erhielt der therapeutische Nihilismus verstärkten Auftrieb. Der in Heidelberg ausgebildete Therapeut Adolf Kußmaul (1822-1902), der durch seine, gemeinsam mit Ludwig Eichrodt verfaßten, 1855/57 in den Fliegenden Blättern veröffentlichten Gedichte Biedermeiers Liederlust zur Prägung des Namens Biedermeier für die Wiener Vormärzzeit beitrug, war über die Teilnahmslosigkeit seiner Lehrer gegenüber den Patienten so entsetzt, daß er 1847 ein satirisches Poem über die Wiener Professoren schrieb, die einen Patienten sterben ließen, während sie über die Diagnose debattierten. 10 Wenigstens ein aus Wien stammender Arzt, Ernst von Feuchtersieben ( 1 8 0 6 - 1 8 4 9 ) , bemühte sich, wenn auch vergebens, gegen die Überspezialisierung in der Medizin anzukämpfen und die althergebrachte Heilkunst wiederzubeleben. In seinem Werk Zur Diätetik der Seele (Wien 1838) trat dieser Kant- und Goetheschüler für Selbstheilung durch Selbstbeherrschung ein. Die Selbstbeherrschung, die die Wiener Anatomen dazu trieb, der modernen Medizin auf die Beine zu helfen, war von kaltblütigerer Art; sie räumten mit dem Fehlschluß post hoc, ergo propter hoc, der frühere Therapien verdorben hatte, gründlich auf und versetzten so die nächste Generation in die Lage, auch eine empirische Pharmakologie zu entwickeln und einzusetzen. Wiens berühmtester Fall von therapeutischem Nihilismus betraf den aus Budapest gebürtigen Geburtshelfer Ignaz Semmelweis (1818—1865). 11 Er entdeckte 1847 am Allgemeinen Krankenhaus, daß das Kindbettfieber seinen Ursprung darin hatte, daß Arzte, die direkt aus dem Seziersaal kamen, bei der Untersuchung der Wöchnerinnen diese infizierten. Obwohl Semmelweis, der die Arzte dazu anhielt, ihre Hände in einer wäßrigen Chlorkalklösung zu spülen, ehe sie mit Patienten in Berührung kamen, dadurch die Zahl der Todesfälle sprunghaft verringern konnte, blieb der Vorstand seiner Klinik, Johann Klein (1788-1856), davon unbeeindruckt. Trotz Unterstützung von Seiten Rokitanskys und Skodas resignierte Semmelweis 1850 endgültig und verließ Wien. Da er trotz seines Namens kein Jude war, obwohl dies manchmal fälschlich behauptet wird, dürfte er also nicht dem Antisemitismus zum Opfer gefallen sein, sondern dem therapeutischen Nihilismus, dessen Anhänger seine Sorge um die Patienten als eines Professionals unwürdig erachteten. In Budapest, wo er ab 1851 in der Gebärabteilung des Rochusspitales arbeitete und 1855 Professor für Geburtshilfe wurde, verfaßte er schließlich auch sein Hauptwerk Die Ätiologie, der Begriff und die Prophylaxis des Kindbettfiebers (1861). Aber noch bevor er damit weltweite Anerkennung fand, starb Semmelweis am 13. Juli 1865 in Wien, wohin man ihn überführt hatte, an den Folgen einer Wundinfektion ... Nachdem Josef Lister 1865 die Verwendung von Karbolsäure eingeführt hatte, fanden antiseptische Methoden rasch Verbreitung und setzten sich, gefördert von dem aus Böhmen stammenden Chirurgen und Dichter Eduard Albert (1841 — 1900), auch in Österreich immer mehr durch. Anfangs verursachten Karbolspritzer noch häufig Schäden an den H ä n d e n der Chirurgen. Eine solche Allergie gab Adolf Lorenz ( 1 8 5 4 - 1 9 4 6 ) , einem Albertschüler, den Anstoß, eine Technik der „unblutigen" Chirurgie zu entwickeln, aus der sich schließlich die 233

Möglichkeit ergab, zum Beispiel angeborene Hüftgelenksverrenkungen ohne Operation zu korrigieren. Nicht alle Kapazitäten der Wiener medizinischen Schule spotteten über die Therapie so wie Rokitansky, Skoda und Hyrtl. Der aus Böhmen stammende Johann von Oppolzer (1808-1871) war ein hervorragender Diagnostiker und hat Schüler herangebildet wie etwa Josef Breuer und Rudolf Chrobak, die Freunde Freuds. Der aus Brünn gebürtige Ferdinand von Hebra (1816-1880), ein Kollege von Semmelweis, systematisierte die Dermatologie, klassifizierte die Erkrankungen und entwickelte die Wasserbett-Therapie. Der aus Mähren stammende Leopold von Dittel (1815-1898) begründete die moderne Urologie. Der Mann jedoch, der am meisten geleistet hat, um dem therapeutischen Nihilismus entgegenzuwirken, war der Preuße Hermann Nothnagel (1841-1905). In den Jahren 1882 bis 1905 hat er als Professor in Wien die Perfektionierung der Diagnose unter Beachtung des Blutdrucks vorangetrieben. Wegen seiner steten Bereitschaft, einen Patienten zu besuchen, erfreute er sich großer Beliebtheit. Der vielleicht am meisten gefeierte Wiener Arzt war der aus Deutschland gebürtige Chirurg Theodor Billroth (1829-1894), ein Amateurmusiker, der Brahms und Hanslick zu seinen Freunden zählte. Billroth entwickelte eine Anästhesiemethode mit Hilfe von Äther und Chloroform und leistete auf dem Gebiet der Magenresektion und der Kehlkopfoperationen eine einzigartige Pionierarbeit. Im Wirken Billroths spiegelte sich die Vorliebe der Wiener Ärzte für chirurgische Behandlung. Sich auf das Entfernen kranker Körperteile zu verlassen, entsprach genau der Uberbetonung der pathologischen Anatomie und deren Skeptizismus gegenüber jeglicher Droge. Billroth war von unerbittlicher Genauigkeit, hinsichtlich der postoperativen Pflege des Patienten; aus diesem Grund setzte er sich auch für eine bessere Ausbildung der Krankenschwestern ein. Auf dem Gebiet der Augenheilkunde entdeckte der Böhme Ferdinand von Arlt ( 1 8 1 2 - 1 8 8 7 ) die Ursachen der Kurzsichtigkeit, und 1860 führte der Wiener Augenchirurg Eduard Jaeger von Jaxthal (1818—1884) einheitliche Schriftskalen ein, um die Verschreibung von Brillen zu erleichtern. Das Vorherrschen von Böhmen unter diesen Pionieren ist als weiterer Hinweis auf die hervorragende Ausbildung zu werten, die junge Menschen während der Zeit der katholischen Aufklärung in diesem nördlichen Kronland erhielten. Während man in Wien Religion von den Naturwissenschaften getrennt hatte, ging man in Böhmen beidem gemeinsam nach und half damit eben solche Größen hervorzubringen wie Rokitansky, Skoda, Oppolzer, Hebra, Dittel und Arlt. Trotz der böhmischen Herkunft seiner Protagonisten wurde Wien, nicht etwa Prag, die medizinische Hauptstadt des Habsburgerreiches und, nach einem Ausspruch Virchows, zum Mekka der Medizin überhaupt. Diese Vormachtstellung der Stadt nahm noch zu, als aus dem ganzen Reich Kranke nach Wien strömten, um sich hier behandeln zu lassen. Ein Überfluß an klinischer Evidenz, die seltensten Krankheiten eingeschlossen, ermutigte die Wiener Ärzte, ihre Beobachtungen dazu zu verwenden, allerlei medizinische Mythen explodieren zu lassen. Wie Fritz Wittels sagte, legten die Helden der Wiener medizinischen Schule „den Kampfgeist, die Zerstörungswut, die sie in einem Kampf um die Wahrheit sublimierten, und ohne die nichts Konstruktives gelingt" 12 an den Tag. 234

Als Folge der Einstellung Rokitanskys und Skodas wurde jahrzehntelang in Vorlesungen nur von Diagnosen, niemals von Therapie gehandelt. Die Studenten bezogen ihr Wissen aus Untersuchungen post mortem, denen für gewöhnlich eine als Epikrisis bezeichnete kritische Diskussion folgte. Der Umstand, daß das Hauptaugenmerk immer auf Post-mortem-Diagnosen lag, zog im Allgemeinen Krankenhaus skandalöse Bedingungen nach sich. 13 1898, fünfzig Jahre nach den Entdeckungen von Semmelweis, wurde durch die Schwestern eine Epidemie im ganzen Spital verbreitet! Und dies elf Jahre, nachdem der Abgeordnete Engelbert Pernerstorfer im Reichsrat kriminelle Vernachlässigung der Patienten von Seiten der Ärzte wie der Schwestern des Allgemeinen Krankenhauses aufgedeckt hatte. Zwar trat damals der Leiter des Spitals zurück, aber dauerhafte Vorkehrungen wurden nicht getroffen. Die Schwestern blieben weiterhin abgrundschlecht ausgebildet, sie wurden unter Hausmädchen und Wäscherinnen rekrutiert, die anderswo keine Anstellung mehr bekommen konnten. Manche Arzte hielten es sogar für besser, die Schwestern in Unwissenheit zu belassen, damit sie nicht am Ende ihren Anordnungen zuwiderhandelten. Obwohl die Schwestern in einer Schicht vierundzwanzig Stunden arbeiteten, wurden sie so niedrig bezahlt, daß sie zusätzlich noch Kaffee verkaufen m u ß t e n und auf Trinkgelder angewiesen waren. Ein Patient, der den Kaffee verschmähte, pflegte künftighin übersehen zu werden, u n d fast alle Patienten m u ß t e n für ihre M e d i k a m e n t e selbst aufk o m m e n . Eine Schwester, die zwölf Jahre lang am Allgemeinen Krankenhaus gearbeitet hatte, wurde wegen zahlreicher Diebstähle, die sie ihre ganze Dienstzeit hindurch begangen hatte, verurteilt. Selbst die katholischen Schwestern in privaten Sanatorien, die zwar freundlich und ehrlich waren, entbehrten einer gründlichen Ausbildung; manche von ihnen hatten in der Woche nicht mehr als drei Stunden Freizeit. M i t der Absicht, diesen Mißbräuchen hinfort entgegenzuwirken, gründeten Theodor Billroth und der Graf Hans Wilczek 1882 das Rudolfinerhaus, wo M ä d c h e n aus guten Familien zu Krankenschwestern ausgebildet w u r d e n . Der Arme hatte Angst vor dem Krankenhaus, er fürchtete, es nie wieder zu verlassen. Bis heute hat sich der Brauch erhalten, daß Privatpatienten im voraus bezahlen müssen. Die einlaufenden Patienten wurden in Herden untersucht und jeder, der starb, einer Autopsie unterzogen. 1898 erzählte C. O'Conor-Eccles die folgende Begebenheit: „Ein Arzt, der das Spital besuchte, erzählte mir, er habe eine Gruppe von Studenten gesehen, die alle eine Frau abhörten, die gerade an Lungenentzündung oder Rippenfellentzündung im Sterben lag, daß jeder das Rasseln in ihren Lungen mitanhören könnte, wenn ihr letzter Augenblick gekommen war. Sie starb, noch ehe die Gruppe den Saal verlassen hatte. Als dann besagter Arzt zu dem Professor, der diese jungen M ä n n e r unterrichtete, eine Bemerkung über Behandlungsmethoden in vergleichbaren Fällen machte, erhielt er die Antwort: .Behandlung, Behandlung, das ist gar nichts; die Diagnose wollen wir.'" 1 4 Die Indifferenz gegenüber dem menschlichen Leben, die bis 1900 im Allgemeinen Krankenhaus herrschte, stand einerseits mit anderen W i e n e r Grundhaltungen in Widerspruch, andererseits war sie diesen auch wieder förderlich. Die katholische Tradition der Mildtätigkeit, die Klemens M a r i a Hofbauer zu 235

neuem Leben erweckt hatte, wurde vom Positivismus der autopsiebesessenen Pathologen verschlungen. Bis nach 1900 war an der medizinischen Fakultät Mitgefühl für den kleinen Mann nicht gefragt. Am Allgemeinen Krankenhaus wurde die Unparteilichkeit der josefinischen Bürokratie zur Unparteilichkeit gegenüber dem Tod: nicht einmal die Reichen konnten fähiges Pflegepersonal bekommen. Die Krankheit stellte einfach einen Teil des Lebens dar, und die Aufgabe der Ärzte bestand nicht darin, sie auszurotten, sondern lediglich darin, sie zu verstehen. Die Weigerung der Ärzte des 19. Jahrhunderts, in natürliche Prozesse einzugreifen, entsprach der Weigerung vieler Österreicher, sich an der Politik zu beteiligen. In ähnlicher Weise schien auch das Eintreten Carl Mengers und Ludwig von Mises' für eine unbehinderte Marktwirtschaft den medizinischen Ausspruch zu bestätigen: „Das wichtigste ist: keinen Schaden anzurichten" (primum est non nocere). Die Vorliebe für exakte Untersuchungen ohne den Hinblick auf Heilmittel hat Philosophen wie Gesellschaftstheoretiker gleichermaßen beeinflußt. In seiner Schmähschrift auf die Bestialität der Frau hat Weininger nur eine Variante von Rokitanskys Uberzeugung entworfen, daß die Natur den Starken begünstigt. Nach Jahrzehnten, in denen er sich gegen den therapeutischen Nihilismus in der Psychotherapie gestemmt hatte, konnte sogar Freud den Kreis schließen, indem er zur Ansicht gelangte, es gäbe einen Todestrieb: Auf unergründliche Weise verdamme die Natur manche Lebewesen zum Tod, ganz egal, was die Ärzte auch tun mögen.

Freuds Mentoren werden zu Gegnern: Brücke, Meynert, Krafft-Ebing, Breuer, Fliess Die Psychoanalyse stellte einen Triumph über den therapeutischen Nihilismus dar. Dieser Nihilismus hatte sich in der Psychiatrie länger gehalten als in anderen medizinischen Disziplinen. Von 1784 bis 1869 wurde der Großteil aller psychiatrischen Patienten Wiens in den gefängnisartigen Narrenturm hinter dem Allgemeinen Krankenhaus eingewiesen. Mehr begüterte Patienten, wie etwa Istvän Szechenyi, kamen in das Döblinger Sanatorium, wo sich das medizinische Personal jedoch mehr um ihre Behaglichkeit als um ihre Heilung bemühte. Ärzte, die als Anatomen ausgebildet waren, verschmähten die Vorschläge eines Feuchtersieben und ignorieren neurotische Patienten; an ihnen ließ ja auch eine Autopsie nichts erkennen. Mitunter wurde eine Neurasthenie als Gehirntumor oder Gehirnhautentzündung diagnostiziert. Die Ärzte verschrieben warme Bäder, leichte Elektroschocks u n d andere Placebos, doch auf den Gedanken, daß emotionelle Störungen eine rein psychische H e r k u n f t haben könnten, kam vor Freud niemand. Was Freud zur Entwicklung der Psychoanalyse befähigte, hatte er weit weniger von den Philosophen oder Literaten empfangen als von seinen medizinischen Lehrern. An der Wiener Fakultät hatte er eine ambivalente Einstellung zur Praxis der Heilkunst entwickelt; erst später gewann er genügend Vertrauen in seine Mission, um eine eigene Schule zu gründen. Seine Studienzeit war mit den H ö h e p u n k t e n der Ergebnisse aus den Billrothschen Arbeiten zusammengefal236

len, und so betrachtete er die psychiatrische Therapie als eine Art Chirurgie, die psychische Fremdkörper reseziert, und zwar so, daß sie eine Heilung der Wunden erlaubt, die keine Abwehrreaktionen nach sich zieht. 15 Es lohnt sich, den Grundhaltungen nachzugehen, zu denen sich fünf Lehrer und Kollegen Freuds bekannten und ihn so zwischen 1875 und 1900 in die Lage versetzten, zu einer Synthese derselben zu gelangen und noch über diese hinauszugehen. Keiner von Freuds Lehrern hat einen so entscheidenden Einfluß auf ihn ausgeübt wie der aus Berlin stammende Physiologe Ernst Wilhelm Brücke (1819— 1892). 1 6 Dieser protestantische Homo universalis hatte in Berlin unter dem Embryologen Johannes Peter Müller (1801-1858) studiert, von welchem er die Uberzeugung mitbekam, daß die empirische Physiologie die romantische Medizin überwinden müsse. Diesen Glauben seines Lehrers haben auch andere Schüler Müllers, wie Virchow, Hermann Helmholtz oder Emil du Bois-Reymond, in die Welt hinausgetragen; Brücke selbst brachte ihn 1849 nach Wien. Freud arbeitete von 1876 bis 1882 als „Famulus" in Brückes physiologischem Institut und schulte sich dort in der Kunst detaillierten Beobachtens. Sein Arbeitsplatz war in einer umgebauten Gewehrfabrik untergebracht; dort lernte Freud an mikroskopischen Präparaten, wie leicht es dem Forscher wurde, den Fakten etwas zu unterschieben, was sie gar nicht aufwiesen, und wie man derlei Fehler vermied. Als junger Physiologe lernte er auch, daß es nicht so sehr auf die experimentelle Arbeit mit den Präparaten ankam, sondern daß die Embryologie vor allem eine exakte Beschreibung der Beobachtungen erforderte - so wie sich die Diagnose aus der Autopsie ergibt, nicht aus der Therapie. Robert R. Holt, der die Erkenntnisse seines aus Budapest stammenden Lehrers David Rapaport (19111960) zur Anwendung brachte, weist darauf hin, daß Freuds Vorliebe für den Begriff der Kraft auf jene Jahre zurückgeht, die er bei Brücke verbrachte. Für Brücke wie für Helmholtz drückten sich wirkliche Ursachen immer im Begriff der Kraft aus. Freuds Triebe, Spannungen, Verdrängungen und das Konstanzprinzip setzen alle das Freiwerden von Energie voraus. Wie Herbart und Brücke faßte auch er das Nervensystem als passives System auf, das danach strebt, Energien, die von außen auf es einströmen, zu verteilen. Schon als Gymnasiast war Freud der Herbartschen Psychologie der Kräfte in der Lesebuchfassung von Gustav Adolf Lindner ausgesetzt gewesen, und bei Brücke fand er nun die empirische Bestätigung der Prämissen des Philosophen. Zwar sind die meisten Biographen der Ansicht, daß Freud Brücke sehr verehrt habe, glauben aber nur an einen sehr beschränkten Einfluß Brückes auf Freuds wissenschaftliche Leistungen und übersehen dabei die Tatsache, daß dieser Preuße einer der vielseitigsten Gelehrten des 19. Jahrhunderts war. Brücke hatte viele Interessen mit Freud gemeinsam, und die Stadt, in der er von 1849 bis 1892 lebte, rühmte er als die „Metropole ostgermanischer Kultur". Brücke war unter anderem mit dem Kunsthistoriker Rudolf Eitelberger eng befreundet, befaßte sich intensiv mit italienischer Kunst und schrieb mehrere Aufsätze über Michelangelo, der auch zu einem der Lieblinge Freuds werden sollte. In Bruchstücke aus der Theorie der bildenden Künste (Leipzig 1877) untersuchte Brücke die Optik der Perspektiven und von Hell-Dunkel-Techniken, nachdem er zuvor schon den Gebrauch von Farbe in der angewandten Kunst 237

diskutiert hatte. 17 Er wirkte nicht nur als Kurator von Eitelbergers Museum für Kunst und Industrie (heute: für angewandte Kunst), sondern reiste auch jeden Sommer nach Italien, um dort zu seiner Entspannung zu malen. Im Geburtsjahr Freuds hatte Brücke eines der frühesten phonetischen Alphabete entwickelt. 18 Auch über die physiologischen Grundlagen des deutschen Versbaues hat dieser erstaunliche Gelehrte eine Abhandlung geschrieben, desgleichen über die Struktur des Hindi. In der Politik tat sich Brücke als Antiklerikaler hervor, ähnlich Virchow, der 1873 auf Bismarcks Politik den Terminus Kulturkampf anwandte. Obwohl sich Brücke nicht geneigt zeigte, einen ihm 1872 verliehenen Titel anzunehmen, ließ er sich nach 1879 ins Herrenhaus berufen und stellte sich vehement gegen die Wiedereinführung der konfessionellen Schule. 1879 wurde ihm als erstem Protestanten die Auszeichnung zuteil, zum Rektor der Wiener Universität gewählt zu werden. Von 1882 bis 1885 war er als Vizepräsident der Akademie der Wissenschaften tätig. Zur allgemeinen Überraschung veröffentlichte der gefürchtete Prüfer, der Studenten, die die erste Frage nicht beantworten konnten, unbarmherzig durchfallen ließ, im Alter von dreiundsiebzig Jahren einen Leitfaden für Kinderpflege. In seinem Buch Wie behütet man Leben und Gesundheit seiner Kinder (Wien 1892) legte Brücke seine eigenen Erfahrungen als Vater und Großvater dar, zum Teil getrieben von dem unüberwindlichen Kummer, den ihm der Tod seines Sohnes Hans bereitete; dieser war 1872 an einer Diphtherie gestorben, mit der er sich bei einem Patienten infiziert hatte. Der junge Freud mit seiner Neigung zur Heldenverehrung konnte gar nicht anders, als die Vielseitigkeit eines solchen Lehrers zu bewundern und diesen zu verehren. Brücke, der Freud gut genug kannte, gab ihm 1882 den Rat, sich einer allgemeinen Praxis zuzuwenden, da Freud nicht die Mittel besaß, eine reine Forscherlaufbahn einzuschlagen. 1885 empfahl Brücke seinen Schüler wärmstens für ein Stipendium, das es diesem ermöglichte, bei Charcot in Paris zu studieren. Wie Brücke fand auch Freud es selbstverständlich, Naturwissenschaft mit Studien in Kunst und Literatur zu verbinden. Beide Männer fühlten sich von Italien angezogen, desgleichen von den Werken Michelangelos, und beide waren Antiklerikale. Freud allerdings zeigte weniger Interesse an der Politik, und Brücke fehlte dagegen Freuds psychologisches Einfühlungsvermögen. Die Schmeicheleien, mit denen das gelehrte Wien Brücke überschüttete, konnten seinen ehrgeizigen Schüler nur ermutigen, sich ein ähnlich breites Interessensfeld zu erschließen. Der Psychiater, den Freud als Student am meisten verehrte, war der aus Dresden stammende Theodor Meynert (1833-1892), der von 1868 bis 1892 an der Wiener medizinischen Fakultät lehrte. 19 Er hatte in Wien unter Rokitansky und dem herbartschen Gehirnanatomen Maximilian Leidesdorf (1816 bis 1889) studiert, einem konvertierten Juden, mit dem Freud 1885 zusammentraf. 20 Meynert, ein hart arbeitender Wissenschaftler, der auch Lyrik veröffentlichte, revolutionierte die Gehirnanatomie. Er arbeitete in einem unordentlichen Laboratorium, in dem auch seine Kinder spielten. In seiner Psychiatrie. Klinik der Erkrankungen des Vorderhirns (Wien 1884) bemühte er sich, die Funktionen des Vorderhirns zu lokalisieren, um dadurch zu einer „natürlicheren" Klassifikation von nervösen Störungen zu gelangen. Diese Systemkunde überprüfte 238

er in zehnjähriger Forschungstätigkeit am staatlichen Irrenhaus, wobei er mehr als zwölfhundert Patienten jährlich bewältigte. Obwohl Meynert manchmal versuchte, mit unheilbar Geisteskranken zu diskutieren, blieb er ihnen gegenüber im allgemeinen doch kühl und auf Distanz.21 „Behandlung der Seele" lehnte er ab, da dies mehr verlangen würde, „als wir vollbringen können, und über die Grenzen exakter naturwissenschaftlicher Untersuchung hinausgeht." 22 Freud arbeitete vom 1. April bis zum 1. Oktober 1883 in Meynerts Klinik und achtete seinen Lehrer als „brillantestes Genie, dem er je begegnet war".23 In seinem Entwurf einer Psychologie (1895) wiederholte Freud Meynerts Forderung nach einem primären und einem sekundären Ich. Das primäre Ich ist jener Teil des geistigen Lebens, der genetisch früher und unbewußt entsteht, wenn sich das Kind der Trennung zwischen seinem Körper und der Umwelt bewußt wird. Das sekundäre Ich ist die Kontrollinstanz der Wahrnehmung, in die geliebte Personen eingeschlossen werden können. Meynerts Unterscheidung zwischen einem sozialisierten oberen Kortex und einem primitiven unteren Kortex ist von Herbart abgeleitet.24 Das Verhältnis zwischen Freud und Meynert kühlte sich ab, als Meynert gemeinsam mit Krafft-Ebing die Experimente mit Kokain verunglimpfte, die Freud zwischen 1884 und 1887 an Neurotikern durchführte. 25 Diese Versuche, in deren Folge einige Patienten süchtig wurden, stempelten Freud zu einem Fanatiker, dem es an positivistischer Zurückhaltung mangle, ein Urteil, das dadurch noch bestätigt wurde, daß sich der junge Arzt für Hypnose und für die französische Psychiatrie begeisterte, besonders für die von Charcot. Zuflucht zur Hypnose zu nehmen, bedeutete für Meynert reine Scharlatanerie. In seinem Buch über die Aphasie (1891) kritisierte Freud Meynerts kortikale Anatomie, nachdem Meynert zuvor die 1886 von Charcot übernommene Theorie Freuds, daß es auch bei Männern zu Fällen von Hysterie komme, abgelehnt hatte. Klinikvorstände erinnerten Freud daran, daß der Terminus Hysterie von dem griechischen Wort für Gebärmutter abgeleitet sei, und wiesen dem jungen Emporkömmling die Tür, wenn er es wagte, bei Männern Hysterie zu diagnostizieren. In seiner Traumdeutung (1900) erinnert sich Freud, daß Meynert ihm einmal gestanden hatte, er habe als junger Mann Chloroform inhaliert. Noch überraschender für Freud war die Eröffnung, die ihm sein Lehrer auf dem Sterbebett machte: „Sie wissen", sagte Meynert zu ihm, „ich war immer einer der schönsten Fälle von männlicher Hysterie." 26 Meynert war in vieler Hinsicht typisch für den therapeutischen Nihilismus und zwang mit seinen Ausfällen den jüngeren Mann zur Reaktion. Der autoritäre Forscher ließ sich von seiner Leidenschaft für die Systemkunde in die Irre führen und zeigte damit, welche Hindernisse jedermann zu erwarten hatte, der Brückes Methode auf die Psychiatrie anwenden wollte. Der nach Meynert bekannteste Psychiater Wiens war der ebenfalls aus Deutschland stammende Richard von Krafft-Ebing (1840-1902). 27 Er kam in Mannheim zur Welt, wurde katholisch erzogen, studierte in Heidelberg und Zürich, praktizierte danach in Baden-Baden und kam 1873 nach Graz. Von 1873 bis 1889 wirkte er hier als Direktor der Landesirrenanstalt und arbeitete gemeinsam mit Hanns Gross. 1889 ging er nach Wien. Er hatte den Kronprinzen 239

Rudolf behandelt, und kurz bevor Ludwig II. von Bayern am 13. Juni 1886 ertrank, hatte er dessen Leibarzt noch auf die selbstmörderischen Tendenzen seines Patienten aufmerksam gemacht. Krafft-Ebing untersuchte als erster die Zusammenhänge, die von der Syphilis zur Paralyse führen, und just in der Dekade, in der Makart und Nietzsche dem gleichen Syndrom zum Opfer fielen, das in den vierziger Jahren schon den Dichter Lenau dahingerafft hatte, legte er die Ergebnisse dieser Untersuchungen vor. Den endgültigen Beweis für den Zusammenhang zwischen Syphilis und Paralyse lieferte 1895/96 Krafft-Ebings Assistent, der aus Böhmen stammende Josef Adolf Hirschl (1865-1914). Krafft-Ebing publizierte einen schmalen Band in lateinischer Sprache, Psychopathia sexualis. Eine klinisch-forensische Studie (Stuttgart 1886). Das Werk wurde binnen kurzem in sieben Sprachen übersetzt und schließlich auf das Dreifache seines ursprünglichen Umfangs erweitert; 1902 erlebte es die zwölfte Auflage, 1924 die siebzehnte. Teilweise unter dem Einfluß von Hanns Gross waren die meisten dieser Studien an gerichtsnotorischen Fällen angestellt worden, ein jeder war sorgfältig klassifiziert. Dem Ganzen wurde eine Einleitung vorausgeschickt, die die Beziehungen zwischen Sexus, Religion, Kunst und Eheleben darstellte. KrafftEbing machte aus seiner Abneigung gegen sexuelle Abartigkeiten kein Hehl. Mit einer Unnachgiebigkeit, die durch seine Verpflichtungen als Gerichtssachverständiger noch verstärkt wurde, trat er für den katholischen Glauben an die Teleologie des Sexus ein und war der Ansicht, daß dessen einzige natürliche Funktion die Sicherstellung der Arterhaltung sei. Krafft-Ebing prägte den Terminus Masochismus — als Pendant zum Sadismus - , wobei er auf die erzählenden Schriften des aus Lemberg stammenden Leopold von Sacher-Masoch (1836-1895) Bezug nahm. 28 Leopold, Sohn eines deutschen Vaters namens Sacher und einer ruthenischen Mutter namens Masoch, war in der Nähe von Lemberg mit einer ruthenischen Amme aufgewachsen, die er vergötterte. Die Rebellion von 1846, während welcher er mitangesehen hatte, wie Bauersfrauen das Land terrorisierten, zerrüttete ihn. Während der Hungersnot war es sogar dazu gekommen, daß Mütter ihre eigenen Kinder aufgefressen hatten. 29 Als sein Vater 1848 nach Prag versetzt wurde, übernahm Leopold zwar die deutsche Sprache, ohne jedoch seine ruthenischen Wesenszüge abzulegen. Der Vater wurde 1853 in Graz Leiter der dortigen Polizei; der Sohn immatrikulierte an der Grazer Universität und habilitierte sich vier Jahre später für Geschichte. Als 1873 Krafft-Ebing nach Graz kam, waren noch immer eine Reihe von Geschichten in Umlauf, die man sich von der Liaison Sacher-Masochs mit einer gewissen Anna von Kottowitz erzählte, deren Launen in den frühen sechziger Jahren ihren Geliebten fixiert hatten. In seinem ersten, von Turgenjew beeinflußten Roman Eine galizische Geschichte 1846 (Schaffhausen 1858) beschrieb Sacher-Masoch die polnische Rebellion, die ihn in Angst und Schrekken versetzt hatte. Danach befaßten sich seine Erzählungen in zunehmendem Maß mit sexuellen Konflikten, in denen Männer von Frauen verhöhnt werden. In dem Novellenband Das Vermächtnis Kains (Stuttgart 1870) entwickelte der gepeinigte Schriftsteller eine Synthese von Schopenhauer und Darwin; jeder der Helden dieser Geschichten versucht wie Kain seinen Bruder zu versklaven. Venus im Pelz (1870) schildert Sacher-Masochs eigenes Verhältnis zur Baronesse Fanny 240

Pistor in Baden bei Wien, mit der er im Dezember 1869 einen Vertrag abgeschlossen hatte, ihr sechs Monate lang als Sklave zu dienen. 1873 heiratete er die Grazerin Wanda Rümelin (1845 - nach 1906) und verstrickte sich immer mehr in sexuelle Seltsamkeiten. Schließlich verließ er seine Frau und arbeitete als Redakteur in Budapest, Leipzig und nach 1885 in Paris, wo seine Novellen die Leser der Revue des deux mondes in Bann schlugen. Sacher-Masoch, den Saar wegen seines lebendigen Stiles sehr schätzte, sprach die gleichen Kreise an wie Makart. Sein Buch Die Messalinen Wiens. Geschichten aus der guten Gesellschaft (Leipzig 1874) feierte die Zügellosigkeit, die sich nach dem Tod der Erzherzogin Sophie und der Depression von 1873 ausbreitete. In Psychopathia sexualis würdigte Krafft-Ebing den neurotischen Schriftsteller mehr als Entdecker des Masochismus, weniger als dessen Opfer, obwohl er darum wußte. Nordau meinte, Krafft-Ebings Wahl des Namens Masochs ersetze nur den älteren Namen für die Schmerzwollust, Algolagnie. Er sagte weiter, daß auch schon Schriftsteller wie Rousseau in seinen Confessions und Balzac in Parents Pauvres I. La cousine Bette (1846) schwache Männer gezeichnet hätten, die sich danach sehnten, von Frauen beherrscht zu werden, ganz zu schweigen von den Mannweibern, die Ibsen, Zola oder Dostojewskij beschrieben hatten. 30 Krafft-Ebing, der von gemeinsamen Freunden von der Abartigkeit Sacher-Masochs erfahren hatte, verhalf dem unglücklichen Schriftsteller unbeabsichtigt zu einer Berühmtheit, die dessen literarische Verdienste in den Schatten stellte. Krafft-Ebings Psychopathia sexualis hat zwar das zunehmende Interesse für das Sexuelle eher widergespiegelt als eingeleitet, doch finden sich in ihr bereits herausfordernde Hinweise auf später in der Theorie der Psychoanalyse formuliertes Gedankengut. Krafft-Ebing sah sowohl in der Kunst als auch in der Religion Formen von Sublimation: „Welche andere Grundlegung könnte die formende Dichtkunst haben? Aus (sinnlicher) Liebe geht die Wärme der Vorstellungkraft hervor, die allein einen schöpferischen Geist inspirieren kann, und das Feuer sinnlichen Gefühles facht die Glut und die Inbrunst der Kunst an und bewahrt sie."31 Religion, so meinte er, verbrenne ähnliche Energien und bringe ähnliche Wirkungen hervor wie der Sexus. Beide entzündeten die Phantasie und versprächen eine Belohnung, die weit über alles hinausgehe, was empirische Beweise anbieten k ö n n t e n . Sexuelles Erleben „verspricht eine Wonne, die alle anderen faßlichen Vergnügungen bei weitem übersteigt, und der Glaube hält eine Seligkeit bereit, die immer fortdauert." 3 2 Wegen ihrer übertriebenen Intensität wirkten Sexus und Religion oft verstärkend aufeinander, indem sie Ergebenheit zur Verzückung erhöben. Nicht nur die Selbstgeißelungen im religiösen Masochismus belegten dies, sondern auch der Impuls, andere mit religiösem Sadismus zu kasteien. In seiner Begeisterung für die Hypnose stand Krafft-Ebing Freud um nichts nach. Bei einer Seance um 1890 hypnotisierte er ein Medium, das dann in Trance dem Schauspieler Alexander Girardi eine U h r aus der Tasche zog. Prompt bezeichnete daraufhin Billroth seinen Mediziner-Kollegen als Schwindler. 33 Welche Ähnlichkeiten aber auch immer zwischen Freud und Krafft-Ebing bestanden haben mögen, als dieser Freuds erste Arbeit über die infantile Sexuali241

tät mit grober Mißbilligung behandelte, zog er sich dessen unüberwindliche Feindschaft zu. Bei einer Zusammenkunft der Wiener Gesellschaft für Psychiatrie und Neurologie, bei der Krafft-Ebing den Vorsitz führte, vertrat Freud am 2. Mai 1896 die Ansicht, daß allen Fällen von Hysterie vorzeitige sexuelle Erlebnisse zugrunde lägen.34 Als Freud diese Verführungstheorie formulierte, hatte er fälschlicherweise Berichten seiner Patienten Glauben geschenkt, in denen davon die Rede war, daß sie mit ihren Eltern und anderen Verwandten geschlechtlich verkehrt hätten; er hatte noch nicht herausgefunden, daß solche Phantasien unerfüllte Wünsche verbargen. Als Krafft-Ebing die Hypothese als wissenschaftliches Märchen bezeichnete, traf dies Freud so sehr, daß er sich bis 1904 weigerte, noch einmal mit einem Vortrag an die Öffentlichkeit zu treten — obgleich er schon im September 1897 so weit war, daß auch er an der Wahrhaftigkeit der Geschichten, die ihm seine Patienten erzählten, zweifelte.35 Freuds Empfindlichkeit hinderte auf der anderen Seite Krafft-Ebing nicht daran, sowohl 1897 als auch 1902 die Bewerbung seines Kollegen um eine Professur zu unterstützen. Zwar hat der ältere der beiden Männer nie eine Theorie der Persönlichkeit formuliert, KrafftEbings Kompilation sexueller Gegebenheiten hat jedoch zweifellos Freuds Psychopathologie sehr bereichert. Ein Arzt, bei welchem Freud nach 1880 die Stützung seines Selbstvertrauens fand, die er dringend nötig hatte, war der aus Wien stammende Josef Breuer (1842—1925).36 Breuer, Sohn eines jüdischen Religionslehrers, besuchte in Wien das Akademische Gymnasium und studierte von 1859 bis 1867 Medizin. Neun Jahre lang arbeitete er als Assistent bei dem Therapeuten Johann von Oppolzer, dessen Tod (1871) Breuer veranlaßte, die Position eines Dozenten zugunsten einer Laufbahn als Praktiker aufzugeben. Als einer jener Ärzte Wiens, die größtes Vertrauen genossen, war er unter anderem der Hausarzt von Kollegen wie Brücke, Billroth und Chrobak; er war auch der Arzt Brentanos. Seinen Ruf hatte er 1868 mit einem Aufsatz über die Funktion des Nervus vagus bei der Regulierung der Atmung begründet, und 1873 entdeckte der Physiologe gleichzeitig mit Mach das im inneren Ohr gelegene Gleichgewichtsorgan. Breuer hatte in seiner tiefen Bescheidenheit stets das Gefühl, daß die gelehrte Welt seinen Entdeckungen zuviel Bedeutung beimesse. Mehr als fünfundzwanzig Jahre lang korrespondierte er mit Marie von EbnerEschenbach, deren sanftes Mitgefühl dem seinen glich. Breuers ruhige Ergebenheit, die einem der Charaktere in der Ebner-Eschenbach-Novelle Ein Spätgeborener sehr ähnelte, hat Freud zunächst viel geholfen, später aber konnte er ihm in seinem Ehrgeiz kein Verständnis mehr entgegenbringen; es machte ihn wütend, mitansehen zu müssen, wie sein Mentor — aus Mangel an Mut, wie er meinte — seine Entdeckungen auszuwerten versäumte. Nach einer ersten Begegnung Ende 1870 wurde Breuer für den jungen Forscher zu einer Vaterfigur und half ihm auch auf seinem Weg vom Physiologen zum Praktiker und weiter zum Psychotherapeuten. Obwohl Breuer, wie jeder andere auch, von Freuds Versuchen, Neurosen mit Kokain zu behandeln, nichts hielt, entmutigte er seinen Schützling doch nicht. Breuers hervorragendste und bedeutendste Entdeckung, sowohl für Freud als auch für die Nachwelt, war die der sogenannten Redekur (1881), deren De242

tails er Freud Ende 1882 eröffnete. Vom Dezember 1880 bis Juni 1882 hatte Breuer ein an Hysterie leidendes jüdisches Mädchen, Bertha Pappenheim (1859 bis 1936), behandelt; Bertha, von Breuer als „Anna O." bezeichnet, 37 war in Wien aufgewachsen, ihre Eltern waren puritanische Juden aus Frankfurt. Im Dezember 1880, als sie ihren vergötterten Vater pflegte, der im April des nächsten Jahres starb, setzte ihre Krankheit ein. Sie wurde bettlägerig; die Symptome reichten von Somnambulismus über Lähmung dreier Extremitäten bis zur Scheinschwangerschaft und wechselten mit Perioden von Klarheit ab. Im Juni 1881 übersiedelte sie in eine ländliche Umgebung außerhalb Wiens, und Breuer besuchte sie dort; dabei machte er die Feststellung, daß bestimmte Symptome verschwanden, sobald sie sie beschrieben hatte. Fräulein Pappenheim war der Meinung, sie habe Deutsch vergessen, daher fanden diese Unterredungen stets in englisch statt; sie bezeichnete ihr Aussprechen von Symptomen selbst als „talking eure" (Redekur) oder als „chimney sweeping" (Kaminfegen). In Hypnose erinnerte sie sich daran, Emotionen verdrängt zu haben, während sie am Krankenbett ihres Vaters gestanden sei; dadurch, daß sie sich diese vergessenen Gefühle wieder vergegenwärtigte, konnte sie die hysterischen Symptome, zu denen jene Gefühle infolge der Unterdrückung ausgeartet waren, zum Verschwinden bringen. Im Juni 1882, nach Monaten des Erzählens und Beschreibens von einzelnen Symptomen, war Fräulein Pappenheim soweit wiederhergestellt, daß sie Wien verlassen konnte. Sie ließ sich 1889 in Frankfurt nieder und leitete dort von 1890 bis 1936 ein Waisenhaus und ein Heim für unverheiratete Mütter. Sie übersetzte Teile des Talmud und veröffentlichte Reisetagebücher. 38 Danach lehnte sie jede Erwähnung des Erlebnisses mit Breuer ab und widersetzte sich eisern jeglicher psychoanalytischen Behandlung bei den ihr anvertrauten Mädchen. Durch den Kontakt mit dieser jungen Frau konnte Breuer den Anstoß zu der Praktik geben, einem einzigen Patienten Hunderte von Stunden des Zuhörens zu widmen. Zwar war Breuer als Beobachter, der nicht eingriff, dem Positivismus Brückes und Machs treu geblieben, aber er hatte dem Patienten bereits jenes Mitgefühl entgegengebracht, das dem therapeutischen Nihilismus abging und das Freud in so überreichem Maß an den Tag legen sollte. Die Ergüsse Fräulein Pappenheims hatten Breuer so aus dem Gleichgewicht gebracht, daß er nach 1882 eine Wiederholung einer solchen Feuerprobe nicht mehr riskieren wollte und alle gleichgearteten Fälle an Freud weitergab. Während dieser schon über dem Fall Bertha Pappenheim brütete, experimentierte er zunächst noch immer mit Kokain und dann mit Hypnose. Nach 1890 begann Freud, die Hypnose durch freies Assoziieren auf der Couch zu ersetzen, wobei er einer Anregung folgte, die er 1889 in Nancy von Hippolyte Bernheim (1840 bis 1919) erhalten hatte. Freud hatte die Hypnose als auslösendes Moment für ein Ausleben oder Abreagieren von verdrängten Konflikten angewandt und kam zu der Uberzeugung, daß in der Verdrängung der Schlüssel zur Neurose zu finden sein müsse. 39 In Studien über Hysterie (Wien 1895) arbeiteten Freud und Breuer gemeinsam, um die Tragweite der Entdeckung Breuers zu erforschen. In einem Brief an August Forel vom November 1907 stellte Breuer jedoch klar, daß er es gewesen war, der im Zusammenhang mit Fräulein Pappenheim entdeckt hatte, daß neurotische Symptome dazu dienen, unbewußte Konflikte zu 243

verbergen, und daß die Symptome zurückgehen, sobald der Konflikt ins Bewußtsein gelangt. 40 Breuer gab zu, daß ihm nach 1895 der Antrieb fehlte, die Sache weiter zu verfolgen. George H. Pollock hat die Vermutung geäußert, daß Breuers Abneigung gegen eine sexuelle Theorie der Neurose aus einem Kindheitstrauma hergerührt haben könnte, da seine Mutter an einer Geburt starb, als er drei Jahre alt gewesen war.41 Verdrängte Erinnerungen an diese Katastrophe könnten den ansonsten vorbildlichen Arzt daran gehindert haben, seine bei Bertha Pappenheim gemachten Beobachtungen auf sich und andere anzuwenden. 1887 schickte Breuer den aus Pommern stammenden jüdischen Physiologen Wilhelm Fliess (1858-1928), der kurz in Wien studiert hatte, zu Freud.42 Nach seiner Rückkehr nach Berlin korrespondierte Fliess mit Freud, und nach 1893 verband die beiden eine enge Freundschaft. In seinen Briefen an Fliess und in Gesprächen mit ihm legte Freud zwischen 1895 und 1899 die Ergebnisse seiner Selbstanalyse dar, die er teilweise zufolge des Todes seines Vaters im Oktober 1896 in Angriff genommen hatte. Fliess hing der romantischen Naturphilosophie an und arbeitete mit Hilfe von Zahlen eine pansexuelle Theorie des Verhaltens aus, die auf dem Rhythmus des Menstrualzyklus basierte.43 Trotz zunehmender Unverträglichkeit gab Fliess für Freud den dringend benötigten Zuhörer ab, als der aufstrebende Psychoanalytiker in Wien noch sehr wenig Kollegen hatte. Freud, der nicht so geschickt mit Zahlen umgehen konnte wie Fliess, wandte sich später gegen jeglichen Versuch, die Intensität emotioneller Aufladungen zu quantifizieren. Unter der Anleitung von Fliess schrieb Freud 1895 seinen Entwurf einer Psychologie, der eine A-priori-Neuropsychologie des normalen und des abnormalen Verhaltens skizzierte.44 Nach dem Erscheinen seiner Traumdeutung (1900) wurde Freuds Beziehung Fliess gegenüber kühler, bis es 1902 zum Bruch kam. Freud, der von der Fliessschen Theorie der Perioden nie viel gehalten hatte, lehnte diese 1904 vollends ab, als einer seiner ehemaligen Patienten, Hermann Swoboda, die von Fliess formulierten Doktrinen zu lehren begann. Swoboda war es auch, der um 1900 Freuds Entdeckungen an Otto Weininger weitergab. Ehe ihre Freundschaft in die Brüche ging, schirmte Fliess seinen Kollegen Freud vom Positivismus und Nepotismus an der Wiener medizinischen Schule ab. Indem er die Hypothese unterstützte, daß psychische Störungen eher eine geistige als eine physische Ursache haben, ebnete er Freud den Weg zu den großen Entdeckungen der Selbstanalyse. Nachdem Freuds Bemühungen vereitelt worden waren, über den Rang eines Dozenten hinauszugelangen, fand er bei Fliess Trost über den Obskurantismus von Männern wie Meynert und Krafft-Ebing. Um seine eigene Beklemmungsneurose im Lösen von Rätseln, die ihm Breuer gestellt hatte, zu heilen, ging Freud in die innere Emigration. Obwohl, oder vielleicht gerade weil er für seine Wiener Lehrer eine Haßliebe empfand, hätte er ohne sie nicht reüssieren können. Sobald ihm der Durchbruch gelungen war, gab er sich dem Wiener Ästhetizismus mit der gleichen Gelöstheit hin wie der Maler Brücke oder der Dichter Meynert. Weit mehr aber verdankte der Vater der Psychoanalyse dem bescheidenen Josef Breuer, der ihn während der Jahre verzweifelten Suchens selbstlos unterstützt hatte. 244

16. FREUD U N D W I E N

Freuds Haßliebe zu Wien. Affinitäten zwischen der Psychoanalyse und ihrem Milieu Nicht nur gegenüber der Wiener Medizin, auch für die Stadt empfand Freud, wie er selbst zugab, eine Haßliebe. Ernest Jones hat Freuds despektierliche Äußerungen über W i e n festgehalten, 1 in einem Interview aber, das Freud Ende November 1918 einem jungen Bewunderer gab, wird diesen Schmähungen die Spitze genommen. Ernst Lothar, der Freud ein Essay zum Ruhme der Psychoanalyse gewidmet hatte, suchte dieses Gespräch, um sich über den Zusammenbruch Österreich-Ungarns hinwegzutrösten. Freud sagte damals zu Lothar: „Ich habe wie Sie eine unbändige Zuneigung zu Wien und Osterreich, obschon ich, vielleicht nicht wie Sie, seine Abgründe kenne." 2 In einem Memorandum vom 11. November 1918 hatte Freud geschrieben: „Österreich-Ungarn ist nicht mehr. Anderswo möchte ich nicht leben. Emigration kommt für mich nicht in Frage. Ich werde mit dem Torso weiterleben und mir einbilden, daß er das Ganze ist." 3 Trotz all seiner Auflehnung gegen die erlittenen Schmähungen konnte es Freud nicht über sich bringen, die Stadt, in der er seit seinem vierten Lebensjahr gelebt hatte, zu verlassen. Er litt unter der gleichen zwiespältigen Beziehung zu Wien wie viele der begabtesten Denker dieser Stadt, darunter andere Juden wie Kraus, Wittgenstein oder Mahler. Versucht man, sich eine andere Stadt vorzustellen, ,in der Freud hätte gedeihen können, so m u ß man feststellen: es gab keine, wo er derart provokante Kollegen gefunden hätte, die ihm dennoch Patienten zuwiesen und auf die es zu reagieren galt. Prag hätte Freud vielleicht im gleichen M a ß wie W i e n dazu angehalten, medizinische Arbeit mit geisteswissenschaftlicher Beschäftigung zu verbinden; die Nationalitätenkonflikte dort hätten jedoch seine Unsicherheit als Jude gewiß erheblich verschlimmert. In Freuds Psychotherapie spiegelt sich der Umstand, daß W i e n ein Bollwerk der Erinnerung war. In W i e n stellte jedermann unter Beweis, was Freud 1895 der Hysterie zuschrieb: man litt weitgehend an Reminiszenzen. 4 In dieser Zitadelle der Erinnerung wertete Freud Breuers Entdeckung aus, daß das Nacherleben eines Traumas Symptome zum Verschwinden bringt. Im Freilassen verdrängter Erinnerungen durch deren Verbalisierung - indem man sich gleichsam an das Verfassen eines Feuilletons h deux machte - konnte sich der Neurotiker von seiner Vergangenheit befreien. Freud entdeckte 1893, daß neurotische Symptome als Abwehr gegen unerwünschte Erinnerungen entstehen, und später bekannte er recht einfältig, daß sich die Krankengeschichten seiner Patienten wie Novellen lasen. 5 Für den Neurotiker bedeutete das Schwelgen in Erinnerungen sowohl einen Fluch als auch die Heilung, so wie die Erinnerung die schöpferischen Geister Wiens gleichzeitig belastete und beflügelte. 245

Als er seinen Begriff des Unbewußten formulierte, schöpfte Freud aus Gemeinplätzen der Habsburgerbürokratie. 6 Die Regeln des Anstandes wurden vom Kaiser verkörpert, dessen Bildnis über Schul- und Büroräume wachte. Wenn Freud von Vaterfiguren sprach, könnte er diesen makrokosmischen Vater vor Augen gehabt haben, dessen Haltung sowohl der Ehrgeizige als auch der Lethargische nacheiferte. Geheimnistuerei schirmte das öffentliche Leben ab und gab so Anlaß, hinter jedem Ereignis nach verborgenen Bedeutungen zu fahnden. Alles Unerklärliche wurde irgendeiner Verschwörung zugeschrieben: den Tschechen, den Juden, den Sozialdemokraten, den Protestanten oder den Journalisten. Zeitungsenten erfüllten die Funktion von Verteidigungsmechanismen, die es dem Unterbewußten gestatteten, all das zu erklären, wozu die Vernunft nicht imstande war. Solche Doppeldeutigkeiten vermehrten die Mechanismen der Neurose, denen Freud nachjagte. Wenn er vom Uber-Ich sprach, das vom Ich zensuriert werde, dann wußte er zugleich, was Pressezensur bedeutete: Fehlte auf der Titelseite einer Zeitung ein Artikel und erschien dort statt seiner der bewußte weiße Fleck, womöglich mit der lakonischen Inschrift „Zensuriert", dann hatte das stets eine Lawine von Gerüchten zur Folge. Dem Verwaltungsapparat hilflos ausgeliefert Freud hätte gesagt: kastriert - , gab sich die Bevölkerung Phantasien hin, die jene allmächtigen Persönlichkeiten herabsetzten, von denen sie regiert wurde. Die meisten Österreicher trugen sich mit leicht paranoiden Gefühlen gegenüber dem Staat, die zu bitteren Spannungen führten und schließlich zu jenen Gewalttätigkeiten, die während der Badeni-Debatten grassierten. 7 Wenn Aggression den Reichsrat überschwemmte, wie sollte dann ein Psychotherapeut sie aus seinem Behandlungszimmer verbannen? Ein Einströmen des „Id" in die Politik zeigte sich an infantilen Zügen, an denen im gesprochenen Wienerisch kein Mangel herrschte. Leute, die „ich hätte gern" sagten, anstelle von „ich könnte" oder „ich würde", ersetzten Tatsachen durch Wünsche. Friedrich Hacker hat Freuds „Ego" als den „Beschwichtigungs-Hofrat" bezeichnet, der zwischen frustrierten Impulsen und gutem Benehmen vermittelt. 8 In einer Gesellschaft, in der jedes Ereignis einen Wunsch oder eine Abneigung nach sich zog und wo jedes Anstreifen an den Beamtenapparat in Ausflüchten endete, war es nur natürlich, eine Zone verdrängter Erinnerungen anzunehmen, um Doppelzüngigkeiten zu erklären. Obwohl Osterreich vermutlich nicht mehr Neurotiker hervorgebracht hat als sonst ein Land, florierten hier doch jene Bedingungen, die Freud behilflich sein konnten, den Mechanismus der Neurose zu entdecken. Ein öffentliches Leben, das sich unter dem Schleier der Verstellung verbarg, war gleichsam die Parallele zur Verdrängung, die Freud beim Einzelnen feststellte. In seinem Schema der Neurose sehen wir ein geschrumpftes Abbild der habsburgischen Gesellschaft. Die Geziertheit des Hofes fand in jedem bürgerlichen Haushalt ihr Pendant, wo Mädchen vor den Tatsachen der Sexualität so abgeschirmt wurden, daß viele Ehen an Frigidität scheiterten. Bei jungen Frauen, deren sexuelle Bedürfnisse verkümmerten, waren Neurosen an der Tagesordnung; Schnitzler und Bahr haben ihre Verwirrungen geschildert, Rosa Mayreder und Ehrenfels sie beklagt. 246

Freud bestätigte, er habe schon 1880 den sexuellen Ursprung vermutet. Etwa um dasselbe Jahr eröffnete ihm Breuer, daß die Neurose einer seiner Patienten auf Probleme im ehelichen Verkehr zurückzuführen sei, und 1885 sagte Charcot von gewissen Hysteriefällen: „C'est toujours la chose génitale, toujours... toujours... toujours." 9 1886 schickte Rudolf Chrobak eine Frau zu seinem Freunde Freud, die nach achtzehnjähriger Ehe noch immer Jungfrau war. Der Gynäkologe meinte dazu, die einzige Medizin für ihr Leiden, nämlich ein männliches Geschlechtsorgan, könne vom Arzt nicht bereitgestellt werden. Freud selbst war aber, was Sexualität anlangte, so humorlos, daß ihn sogar Breuers sachliche Bemerkung von 1880 schockiert hatte. In Sigmund Freud vereinigten sich viele Wiener Geschmacksrichtungen und Neigungen; zwar verlangte er in atypischer Weise von Gästen, daß sie pünktlich waren, war aber als Gastgeber geradezu genial, so daß seine Freunde sich bei ihm sofort wie zu Hause fühlten. Mit seinen durchdringenden Augen, seiner lebhaften Gestik und Mimik untermalte er seine Rede; in einer Stadt von Schauspielern wußte auch er, wie man einen wirksamen Auftritt gestaltete. Wie viele Wiener Wohnungen war auch Freuds Wartezimmer mit dicken Orientteppichen ausgelegt, an den Wänden hingen Reproduktionen von Rembrandts Anatomie des Dr. Tulp und von Johann Heinrich Füßlis Nachtmahr.™ In seinem Arbeitsraum befanden sich Schränke voll mit Kunstgegenständen aus dem alten Griechenland und Ägypten und Originalgröße Abgüsse ägyptischer Basreliefs. Nach der Art Franz Josephs erledigte Freud seine umfangreiche Korrespondenz ausschließlich handschriftlich, gegen Schreibmaschinen und Sekretärinnen hegte er eine Abneigung. Er ging gern auf der Ringstraße spazieren und schritt sie jahrelang jeden Mittag aus Konditionsgründen in ihrer ganzen Länge ab, und zwar in einem Tempo, das die anderen Spaziergänger erstaunt haben dürfte. Freud gestand Max Eastman 1926: „Politisch bin ich ein Nichts." 11 Bis 1908 ließ er sich nicht einmal in das Wiener Wählerverzeichnis eintragen, und den Ersten Weltkrieg nahm er mit Ergebenheit hin. Als Erzprivatist machte er sich keinerlei Hoffnungen auf eine Veränderung der gesellschaftlichen oder politischen Verhältnisse und verkörperte jenes Sichzurückziehen in Kunst und Wissenschaft, das sich in Wien seit 1800 eingebürgert hatte. In ihm verkörperte sich jene politische Apathie, die Kraus so sehr verachtete. Während der Arbeit empfand Freud Musik als unangenehm, und die Freizeit verbrachte er weder in Theatern noch in Feinschmeckerrestaurants. Nach 1890 fand er in Tarockpartien Zerstreuung, die jeden Samstagabend in der Wohnung des aus Mähren stammenden Ophthalmologen Leopold Königstein (1850-1924) stattfanden. Wie seine Mutter konnte sich Freud für dieses Kartenspiel so begeistern, daß sich seine Tochter an folgende drei Dinge erinnert, die er seinen Kindern als unbedingt wissenswert beibrachte: Wie man wilde Blumen erkennt, wie man Pilze findet und wie man Tarock spielt. 12 Einige Gründe für die Faszination, die dieses Spiel auf Freud ausübte, könnten sich aus der Beschreibung des Tarockspielers durch Mör Jokai ergeben: „Der Tarockspieler muß nicht nur seine Karten, sondern auch die Gesichter seiner Gegner studieren. Er muß Lavater und Tartuffe in einem sein; er muß ein General sein, der in jedem Augenblick einen neuen Schlachtplan entwickelt, und 247

ein Bosco, der aus der ersten gespielten Karte die ganze Situation erraten kann; jedenfalls m u ß er großzügig sein und sich für das Allgemeinwohl opfern." 1 3 Ein derartiges Spiel muß einen Mann von raschem Intellekt gefangennehmen, einen der listig ist im Entdecken von Absichten und im Entwickeln von Gegenzügen. Der Vorbehalt, daß der Tarockspieler gegebenenfalls das Allgemeinwohl über sein eigenes stellen muß, entspricht der Leibnizschen Vision der Harmonie. Jeder Spieler gehört einem größeren Ganzen an, dessen Wohl sein eigenes einschließt. Dies könnte auch Hermann Bahr vor Augen gehabt haben, als er sagte, Tarock sei eine Zerstreuung, die alle Schichten der österreichischen Gesellschaft durchdrungen habe, und dazu noch bemerkte, daß ihr Viktor Adler und Engelbert Pernerstorfer verfallen seien. 14 Nichts illustriert so gut die Symbiose zwischen Freud und der Wiener Kultur wie die Ähnlichkeit zwischen seinen Einsichten und denen Arthur Schnitzlers, die sich unabhängig voneinander entwickelt hatten. 15 Obgleich diese beiden jüdischen Ärzte einander nie begegnet sind, hat Freud mehrmals auf ihre Affinitäten hingewiesen. 1905 stellte er fest, daß Schnitzler in seinem Einakter Paracelsus (Berlin 1899) den Widerstand eines Patienten gegen seine eigene Heilung beschrieben habe. 16 Im Mai 1922 schrieb Freud an Schnitzler, daß er einer Begegnung mit ihm aus dem Weg gegangen sei, da er fürchtete, in ihm einen Doppelgänger zu treffen: „So habe ich den Eindruck gewonnen, daß Sie durch Intuition - eigentlich aber infolge feiner Selbstwahrnehmung — alles das wissen, was ich in mühseliger Arbeit in anderen Menschen aufgedeckt habe." 17 Wenige Jahre später bestätigte auch Schnitzler in einem Gespräch mit George Sylvester Viereck, daß Freud sein seelischer Zwilling sei, u n d bemerkte dazu, daß er viele seiner schriftstellerischen Entwürfe aus Träumen entwikkelt habe. 1 8 Schnitzler, dessen Vater ein hervorragender Laryngologe war, befaßte sich zur gleichen Zeit wie Freud mit Hypnose, und beide hatten bei Hippolyte Bernheim in Nancy studiert. In einer frühen Novelle, Der Sohn (1893), beschrieb Schnitzler einen neurotischen jungen Mann, der zunächst seine Mutter erschlägt und dann, als er sein Verbrechen gesteht, damit verdrängte Haßgefühle zerstreut. Wenn auch weniger systematisch als Freud, erkannte Schnitzler doch, daß neurotische Individuen sich ihrer selbst bewußt werden, sobald sie sich gezwungen sehen, ihre Traumen bloßzulegen. In inneren Monologen, die Feuilletons ähneln, entwarf Schnitzler ein Bild der freien Assoziation, die um die spezifische Anfechtung eines Neurotikers kreist. Freuds Patienten wie Schnitzlers Gestalten, eingesponnen in die subjektive Sprachwelt des Wienerischen, litten unter der gleichen Haßliebe zu Wien wie die meisten schöpferischen Menschen dieser Stadt. In dem Roman Der Weg ins Freie (1908) erfüllen den Musiker Georg von Wergenthin ambivalente Gefühle, nicht nur gegenüber seiner Geliebten, die ihm ein totes Kind gebiert, sondern auch gegenüber Wien, dessen Zerstreuungen seine Schaffenskraft verkümmern lassen. Am Ende findet dieser Dilettant einen „Weg ins Freie", indem er anderswo als zweiter Dirigent arbeitet, u n d spiegelt so Schnitzlers eigene Gefühle für die Stadt, die seine Stücke abwechselnd bejubelte und auspfiff. 248

Freud und Schnitzler hatten vieles mit dem Wiener Ästhetizismus gemein. Beide waren sie extreme Individualisten, beide lehnten sie alles Politische als erniedrigend ab. Beide flohen sie gerne aus der Stadt aufs Land, aber keiner von ihnen konnte woanders leben als in Wien. Beide waren sie aufmerksame Reisende, die neue Eindrücke gierig in sich aufnahmen. Obwohl sie beide von Neurosen fasziniert waren, identifizierte sich keiner von ihnen mit Neurotikern. Wie Schnitzler glaubte auch Freud daran, daß Arbeit und Liebe das tägliche Leben auf eine höhere Stufe heben könnten, indem sie ihm Bezüge zu größeren Bereichen aufprägten. Neben Schnitzler hat auch noch ein anderer Erzimpressionist hinsichtlich des Unbewußten einige Voraussicht an den Tag gelegt: Hermann Bahr. Er beschrieb 1891 die von ihm so bezeichnete dekompositive Psychologie Maurice Barrés' in einer Art, daß man meinen könnte, er habe einen Abriß der Psychoanalyse gegeben: „Die neue (Psychologie) wird ihre (der Gefühle) ersten Elemente suchen, die Anfänge in den Finsternissen der Seele, bevor sie noch an dem klaren Tag herausschlagen, diesen ganzen langwierigen, umständlichen, wirr verschlungenen Prozeß der Gefühle, der ihre komplizierten Thatsachen am Ende in simplen Schlüssen über die Schwelle des Bewußtseins wirft." 19 Zwar hatte Bahr nicht die Beständigkeit, diese Einsichten weiter zu verfolgen, sie zeigen jedoch, in welchem Ausmaß der Impressionismus mit verborgenen Inhalten unter einer ständig wechselnden Oberfläche rechnete. PopperLynkeus hat in seiner Studie Träumen als Wachen (1899) die gleichen Erkenntnisse angewendet. Eine nicht weniger überraschende Vorstufe der Psychoanalyse zeigt sich in einer Novelle Ferdinand Kürnbergers (1821 — 1879). Jahre, nachdem Kürnberger Széchenyi im Döblinger Sanatorium besucht hatte, interpretierte der Journalist in seinem Buch Die Last des Schweigens. Eine Seelenstudie (1866) die Auswirkungen einer verdrängten Schuld. Nach langem Schweigen gesteht hier ein ungarischer Landbesitzer einen Mord. Er bereut nicht das Verbrechen, sondern den Zwang, daß er sich seiner nicht rühmen durfte. Kürnberger entwickelt ein Gesetz der Widersprüchlichkeit, von dem er behauptet, daß es das psychische Leben beherrsche: Ein Mensch, der Erfolg gehabt hat, hegt unbewußt den Wunsch, dafür bestraft zu werden, genau wie einer, der versagt hat, sich nach Belohnung sehnt. In ähnlicher Weise setzt Freuds Hypothese vom Zweikampf zwischen Eros und Thanatos im Unterbewußten eines jeden Menschen Schwingungen zwischen unvereinbaren Impulsen voraus. Impressionistische Literatur befaßt sich regelmäßig mit dem Thema Liebe und Tod. Schnitzler zum Beispiel beginnt bei einem zentralen Ereignis mit Null; dann legt er das gesamte Erleben als einen Ring konzentrischer Kreise bloß, die alle rund um ein Brennpunktphänomen angeordnet sind. Im Dialog löst freies Assoziieren eine Schicht von Erinnerungen nach der anderen ab, um schließlich im Zentrum eine bestimmte Anfechtung zu demaskieren - Eros und Thanatos. Die Fähigkeit, das Leben durch das Schauspiel der Anfechtung zu sehen, charakterisierte noch eine ganze Reihe anderer Denker, die in diesem Buch behandelt werden: Mach führte die Erfahrung auf den Strom der Empfindungen zurück, Kraus 249

identifizierte Verhalten mit Sprache, Reisen setzte Recht mit dem Willen des Staates gleich, Weininger spaltete die Natur in Männliches und Weibliches, und Freud verfolgte die Neurose bis an ihre Ursprünge im infantilen Sexualtrauma. Die Fähigkeit, Erfahrung in Begriffen eines Themas mit Variationen zu fassen, verlieh den vielfältigen Einsichten des Impressionismus ihren Zusammenhang. Jeder dieser Denker vereinigte in sich die Wißbegier des Impressionismus mit der Strenge des Positivismus, festigte in sich die Offenheit eines Bahr mit der Solidität eines Helmholtz. Da Freud dieser Verschmelzung von Kunst und Wissenschaft kraftvoller nachstrebte als sonst einer, ist seine Leistung zur höchstgepriesenen der „fröhlichen Apokalypse" geworden. Religion und Tod bei Freud Viele Gelehrte haben die Ansicht vertreten, daß Freud, von seinem Antiklerikalismus abgesehen, ein tief religiöser Mensch war. Obgleich Freud sich selbst für religiös unbegabt hielt, haben unter anderen Fritz Wittels und David Bakan die Meinung geäußert, sein Eifer habe ans Mystische gerührt. Sicher ist, daß Freud wenigstens bis 1914 an eine unsichtbare Ordnung, die dem Chaos der Emotionen zugrunde liege, geglaubt und angenommen hat, daß die Bloßlegung von latenten Konflikten diese zerstreuen würde. Wenngleich dieser Glaube auf das Studium Herbartscher Philosophie am Gymnasium zurückzuführen sein könnte, scheint es plausibler - man bedenke Freuds Abneigung gegen Philosophie! —, daß diese Weltanschauung in Brückes Laboratorium Gestalt angenommen hat. Freuds Glaube war der eines Positivisten, gefärbt von der skeptischen geistigen Offenheit des Impressionismus. Mit zehn Jahren hatte er auch schon die letzten Spuren eines Glaubens an Ubernatürliches abgelegt, den er als Kind vielleicht erworben hatte. Sein ganzes Leben lang verachtete er die katholische Kirche, weil sie jene Kräfte förderte, die ihn hemmten: Schlamperei, Protektion, Antisemitismus und Feindschaft gegenüber allem Neuen. Zu seiner Lieblingslektüre zählten unter anderem Don Quijote, Paradise lost, Tom Jones und Tristram Shandy, durchwegs Werke, die den Konflikt zwischen christlichem Asketizismus und heidnischer Ungebundenheit behandeln.20 Im November 1907 bekannte sich Freud zu einer von Fritz Wittels aufgestellten Hypothese, nach welcher sich die römisch-katholische Kirche im 16. Jahrhundert hauptsächlich deshalb einer Erneuerung unterzogen habe, weil die epidemische Verbreitung der Syphilis von neuem eine Ethik der sexuellen Einschränkung notwendig machte. Freud schärfte seinen ethischen Antiklerikalismus mit der Exaktheit seiner medizinischen Ausbildung und versicherte: „Zur Zeit der Renaissance stand die katholische Kirche am Rande des Zerfalls; zwei Faktoren haben sie gerettet: Syphilis und Luther."21 Eine schroffere Anklage der Gegenreformation kann man sich kaum vorstellen. Wittels trat in einem Vortrag vor der Wiener Psychoanalytischen Gesellschaft mit der Ansicht an die Öffentlichkeit, daß die durch Matrosen des Columbus nach Europa eingeschleppte Syphilis das Frohlocken der Renaissance in zügelloser Sexualität wieder zunichte gemacht habe. 22 Die Syphilis habe der 250

Promiskuität wieder den Stempel eines Fluches aufgedrückt, damit den Sensualismus der Renaissance erstickt und der Gegenreformation einen neu belebten Sinn für Sünde an die Hand geliefert. Von dem Erzantiklerikalen Oskar Panizza (1853— 1921) wurde diese These in noch gröberer Form vorgetragen, und zwar in seinem Drama Das Liebeskonzil. Eine Himmels-Tragödie (Zürich 1895). Hier zeichnete der fränkische Arzt, der die letzten achtzehn Jahre seines Lebens in einer Bayreuther Irrenanstalt zubrachte, das Bild einer Verschwörung zwischen Gott und dem Teufel, um die Kirche mit Hilfe der E i n f ü h r u n g der Syphilis wiederzubeleben. 23 Dieses Drama, dem bereits Parodien Luthers - Die unbefleckte Empfängnis der Päpste (Zürich 1893) und Der teutsche Michel und der römische Papst (Leipzig 1894) - vorangegangen waren, brachte Panizza in M ü n c h e n wegen Blasphemie ins Gefängnis, eine Demütigung, die er nicht verwinden konnte. Beinahe aus dem Stegreif zitierte Freud Panizzas Drama zur Stützung der These von Wittels und machte sich diese spekulative, um nicht zu sagen skurrile Hypothese ganz ungezwungen zu eigen. Das in der Schrift Die Zukunft einer Religion (1927) vorgebrachte Plädoyer für die Laienerziehung scheint dagegen vergleichsweise banal. Wie viele andere Antiklerikale verehrte auch Freud die griechische und römische Antike. Reisen nach Rom (1901) und nach Athen (1904) erfüllten ihm große, langgehegte Wünsche. Jedes Jahr diskutierte er mit dem aus Wien stammenden jüdischen Archäologen Emanuel Löwy (1857-1938), einer Autorität auf dem Gebiet der griechischen Kunst, der von 1889 bis 1915 in Rom gelebt hatte, ehe er in Wien Professor wurde, seine neuerworbenen Kunstgegenstände. Z u Löwys Schülern zählten übrigens zwei Wiener Kunsthistoriker, die später die Psychoanalyse auf die Kunst anwendeten: der vielseitige Ernst Kris (1900—1957) und der Ikonograph Ernst Gombrich (geboren 1909). 24 Als Möchtegern-Archäologe konnte Freud 1895 das Ausloten des Unbewußten eines Patienten mit dem Ausgraben versunkener Städte gleichsetzen. 25 Seine Sehnsucht nach der Wiederherstellung von Vergangenem spiegelte das Kuratorenhafte der Wiener Architekten wider. Freud vertrat auch die Uberzeugung, daß jedes Kindheitserlebnis irgendwo verborgen im Geist schlummere, dessen Tiefen Museen glichen, in denen nichts vergessen und nichts zerstört werde. Freud fühlte sich besonders von griechischer Mythologie angezogen: In dem Werk Die Traumdeutung feierte er die Schicksalstragödie des König Odipus von Sophokles, die ihn 1910 zur Prägung des Terminus „Ödipuskomplex" veranlaßte. 26 Zufällig hatte Freud 1873 bei seiner Matura eine Passage dieses Dramas zu übersetzen gehabt. 1911 verbreitete er Paul Näckes Prägung des „Narzißmus", und nach 1920 verwertete er eine griechische Polarität, die bereits Richard Schaukai in einem Novellenzyklus mit dem Titel Eros Thanatos (Wien 1906) behandelt hatte, für den von ihm ergründeten „Todestrieb". Wie Goethe und Schiller manipulierte Freud seine mythischen Figuren zu Personifikationen seiner eigenen Ideen, indem er in die antiken Griechen Emotionen projizierte, die er bei christlichen Helden nicht zu finden und nachzuempfinden vermochte. 27 Neben Personen der griechischen Mythologie glorifizierte Freud auch solche der jüdischen Vergangenheit. Am Gymnasium hatte er den semitischen Führer Hannibal verehrt, der die römischen Legionen überlistete, und sah in ihm einen 251

Vorläufer der jüdischen Minister im Kabinett Auersperg, denen nachzueifern ihm sein Vater nahegelegt hatte. 2 8 Im Juli 1882 hielt sich Freud, um seiner Verlobten nahe sein zu können, in H a m b u r g auf und traf dort mit einem vierundsechzigjährigen jüdischen Buchhändler zusammen, mit dem er das jüdische Ritual im Lessingschen Geist der Toleranz diskutierte, wie er im Nathan demonstriert wird. 29 Im September 1901 stand er in Rom wie vom Blitz getroffen vor Michelangelos Moses; dort sammelte er die Eindrücke, die er später in seiner Abhandlung Der Moses des Michelangelo (1914) formulierte. In seinem letzten Werk, Der Mann Moses und die monotheistische Religion (1939), trug Freud die gewagte These vor, Moses sei ein Ägypter gewesen, der den Juden die Geheimnisse seines Hofes enthüllt habe. 1790 hatte Schiller in Die Sendung Moses eine ähnliche Hypothese vorgelegt; Freud allerdings bezieht sich nicht auf diesen Aufsatz, obwohl er ihn früher einmal gelesen und sich dann in groben Zügen seiner erinnert haben könnte. 3 0 Freuds Feindseligkeit gegenüber der katholischen Kirche erschwert es, seine nicht weniger entschiedene ambivalente Einstellung zum Judentum zu bestimmen. Einige jüdische Gelehrte haben angedeutet, daß in Freuds Begeisterung für Moses eine - wenn auch weitgehend verdrängte - Spur hebräischer Werte zu sehen sein könnte. David Bakan geht so weit, daß er Freuds Einstellung zum Sexus mit jener vergleicht, die den Sohar durchdringt. 3 1 Ernst Simon, ein Schüler Martin Bubers, geht behutsamer vor und sieht in Freud einen nichtpraktizierenden Juden, der dessenungeachtet Züge seiner Vorfahren entfaltet, wie etwa eine Affinität mit der mündlichen Tradition des Talmuds. 32 Andere meinen, daß Freuds patriarchalische Werte, seine Abwertung der Frau mitinbegriffen, seine jüdische Erziehung widerspiegeln. 33 Alle diese Hypothesen kranken daran, daß die sogenannten jüdischen Züge um nichts weniger auch österreichisch-ungarische Züge waren. Im Habsburgerreich brauchte man nicht jüdisch zu sein, um Verhaltensweisen in Begriffen des „Persönlichen" zu erklären, also etwa des sexuellen Erlebens, oder um über die Leichtigkeit der Gemeinschaft im mündlichen Kommunizieren zu verfügen, oder um gegenüber Söhnen und Frauen gleichermaßen den Patriarchen zu spielen. Wenngleich es plausibler zu sein scheint, Freud als hochgradig österreichischungarisch zu bezeichnen denn als hochgradig jüdisch, so hat er tatsächlich doch eine Reihe typisch jüdischer Werte in sich aufgenommen. 1910 forderte er Max Graf auf, seinem Sohn nicht die Vorzüge einer jüdischen Erziehung zu versagen: „Wenn Sie Ihren Sohn nicht als Juden aufwachsen lassen, nehmen Sie ihm jene Energiequellen, die durch nichts anderes ersetzt werden können." 3 4 Wie vielen anderen assimilierten Juden schien Freud sein Erbe als Antrieb zur Kreativität. In einem Vortrag vor der Wiener Loge B'nai B'rith im Mai 1926 pries Freud das J u d e n t u m als jene Instanz, die ihn von Vorurteilen befreit und ihn Ausdauer gelehrt habe. 35 Zwar hielt er nichts von jüdischem Mystizismus und Glaubenspraktiken, doch lobte er den jüdischen Witz, insbesondere den, der im Wortspiel brillierte; als er sich Ende der neunziger Jahre selbst analysierte, führte er viele Assoziationen seiner Träume auf Wortspiele zurück. 36 Strukturalistische Interpreten wie etwa Jacques Lacan (geb. 1901) fühlen sich durch Freuds Vorliebe für jüdische Witzigkeit bestärkt, die ja vertraute Vorstellungen 252

nach festgelegten Modellen permutiert. Die Traumdeutung, in der Freud die Traum-Sprache entzifferte, wird oft als Vorwegnahme von Kategorien Ferdinand de Saussures ( 1 8 5 7 - 1 9 1 3 ) bezeichnet, die dieser nur wenig später innerhalb der strukturaiistischen Linguistik ausgearbeitet hat. Nach Lacan hat Freud Regeln der Transformation entdeckt, indem er beobachtete, wie das Unbewußte Bedeutungsträger manipuliert, weitgehend ohne Rücksicht auf das Objekt, das sie für gewöhnlich bezeichnen.37 Freud konnte den linguistischen Strukturalismus vorausahnen lassen, da er nicht weniger als Mauthner und Wittgenstein wußte, wie man Wörter von ihren konventionellen Bedeutungen löst. Patrick Gordon Walker hat eine wenig bekannte Verbindung zwischen Judentum und Psychoanalyse aufgewiesen.38 Er brachte die Ansicht vor, daß Freuds Theorie der Psyche eine noch junge Form von Gesellschaft widerspiegelt, in der ein rationales Ich ein traditionsgebundenes Uber-Ich herausfordere. Ehe die Psychoanalyse akzeptiert werden könne, müßten leistungsorientierte Werte tiefe Wurzeln geschlagen haben. Gordon Walker weist darauf hin, daß es hauptsächlich Juden waren, in deren Kreisen sich diszipliniertes emotionelles Leben lang genug einer Blüte erfreute, um psychische Tiefen auszuloten. Diese Hypothese würde auch erklären, warum sich städtische Juden relativ rasch zu Freuds Theorien bekannten, während andere Österreicher diese verschmähten. Unter nichtjüdischen Österreichern waren irrationale Uberzeugungen so tief verwurzelt, daß sie Freuds Bloßlegung des Fanatismus in ihrem Inneren zumeist nicht ertragen konnten. Noch ein weiterer Zug Freuds könnte - zum Teil — seine Wurzeln im Aufeinanderprallen von Feudalismus und Industriegesellschaft gehabt haben: Die Empfindsamkeit der Wiener Impressionisten gegenüber der Vergänglichkeit und dem Tod spiegelt ihre Angst wider, daß die alte Ordnung bald zugrunde gehen würde; übersteigertes Interesse für den Tod verbarg eine Trauer um vorindustrielle Werte. Wie die Intellektuellen des Jungen Wien hatte auch Freud lange über den Tod gegrübelt. Suzanne Bernfeld meint, daß ihm die Archäologie als Ersatz für ein zukünftiges Leben diente, eine Art dritter, musealer Existenz, die weder Leben noch Tod sei.39 Der Erste Weltkrieg veranlaßte Freud, die gängigen Einstellungen zum Tod noch einmal aufzugreifen. In Zeitgemäßes über Krieg und Tod (1915) äußerte er die Ansicht, daß der Zeitgenosse im Angesicht des Todes dem primitiven Menschen gleiche: „Unser Unbewußtes ist gegen die Vorstellung des eigenen Todes ebenso unzugänglich, gegen den Fremden ebenso mordlustig, gegen die geliebte Person ebenso zwiespältig (ambivalent) wie der Mensch der Urzeit." 40 So wie der Primitive sich selbst die Schuld am Tod eines Verwandten gibt, weil er im Unbewußten diesen Tod gewünscht hat, klagt sich der moderne Mensch, der trauert, dafür an, daß er einen geliebten Menschen überlebt hat. Fünf Jahre später gelangte Freud zur Uberzeugung, daß es einen „Todestrieb" gebe, der erklärt, wieso sich manche Neurotiker einer Heilung ihres Leidens widersetzen. In Jenseits des Lustprinzips (1920) stellte er die Lehre vom „Todestrieb" auf, der im ständigen Widerstreit mit dem „Lebenstrieb" stehe und schließlich den Sieg davontrüge. 1923 arbeitete er diese Dichotomie zu einer Unterscheidung zwischen „Ich" und „Es" aus, wobei er den Terminus „Es" von 253

dem Berliner Pionier der psychosomatischen Medizin Georg Groddeck (1866— 1934) entlehnte, der ihn seinerseits in seinem Werk Über das Es (1920) von Ludwig Klages übernommen hatte. 41 Letzterer hatte eine Passage aus Nietzsches Jenseits von Gut und Böse. Vorspiel einer Philosophie der Zukunft (Leipzig 1886) ausgewertet: „Es denkt: aber daß dies ,es' gerade jenes alte berühmte ,Ich' sei, ist, milde geredet, nur eine Annahme, eine Behauptung, vor allem keine ,unmittelbare Gewißheit'." 4 2 In Das Ich und das Es (1923) verzichtete Freud auf eine Gleichsetzung des Unbewußten mit dem Lebenstrieb; nun trat er dafür ein, daß das Unbewußte selbstzerstörerische Kräfte in sich berge, während das Ich das Leben schütze. Freud hielt daran fest, daß sich diese Revision nicht aus dem Ersten Weltkrieg ergeben habe und auch nicht aus dem Kummer über den Verlust seiner Tochter Sophie im Januar 1920, noch weniger aus seinem Krebsleiden, das 1923 einsetzte; vielmehr erkannte er in manchen Neurotikern einen selbstmörderischen Antrieb, dem mit keiner Spitzfindigkeit beizukommen war. Freud gestand sich ein, daß es sich hier um unüberwindliche Widerstände handle, und nahm so einen begrenzten therapeutischen Nihilismus in Kauf; er schloß, daß manchmal weder die Natur noch eine Therapie den Willen zum Tod vereiteln könnten. Franz Alexander hat die Kontroverse, die sich zwischen Freud und Wilhelm Reich hinsichtlich des Todestriebes ergab, mit Debatten verglichen, in denen es darum ging, ob das Habsburgerreich von inneren oder von äußeren Kräften zerstört worden sei. 43 Zwar konnte kein Historiker daran zweifeln, daß in der Politik beide Faktoren zusammengewirkt hatten, die Psychoanalytiker aber haben vergeblich entweder das eine oder das andere zu isolieren versucht. Der aus Galizien stammende Jude Wilhelm Reich ( 1 8 9 7 - 1 9 5 7 ) , dessen Mutter Selbstmord begangen hatte, war der Ansicht, daß Selbstzerstörung einzig aus der Furcht vor Strafe resultiere und niemals, wie Freud behauptet hatte, aus einem Verlangen danach. 4 4 Dieser marxistische Arzt stellte die Lehre auf, daß Kinder aus Furcht vor der Grausamkeit Erwachsener einen „Charakterpanzer" entwikkeln, der die Muskeln steif werden lasse und die Kinesthesie, den Muskelsinn, abstumpfe. Seit den späten dreißiger Jahren führt der Brite A. S. Neill einen Schulversuch durch, bei dem er Reichs Anarchismus zur Anwendung bringt, indem er die Spontaneität durch den Ausschluß elterlicher Autorität fördert. In den Vereinigten Staaten haben Erich Fromm, Herbert Marcuse, N o r m a n O . Brown und Paul G o o d m a n Reichs Eintreten für eine libidogesättigte Kultur neuen Auftrieb gegeben. Reich trat für die ungetrübte Gemeinschaft ein und lehnte Freuds Ansatz, daß Verdrängung die Gesellschaft aufrechterhalte, ab. Der alternde Freud hatte sich dem Josefinismus zugewandt und sich wieder zum Glauben an jene Institutionen bekannt, die die Zivilisation aufrechterhalten, indem sie verhindern, daß diese durch übertriebene Duldsamkeit subvertiert werde. Die feinste Interpretation des Todestriebes stammt von Anton Ehrenzweig (1908-1966), einem Wiener Anwalt, der nach 1938 in London Malerei lehrte. Dort entwickelte er in mehr als zwanzig Jahren eine Psychologie der Kreativität, die er in seinem Werk The Hidden Order of Art. A Study in the Psychology of 254

Artistic Imagination (London 1967) zusammenfaßte. 4 5 Ehrenzweig führte Forschungen Freuds, Ranks und Kelsens weiter aus und lehrte, daß Kreativität einen Rhythmus erzeuge, der dem von Geburt und Tod verwandt sei. Während der schöpferischen Hingabe löst sich das Ich in seinen Tiefen auf, um sich von sublimen Kräften neu strukturieren zu lassen. Temporäre Auflösung des Ich, von Ehrenzweig als Dedifferentiation bezeichnet, erzeugt sogenannte poemagogische Bilder, die es dem Ich ermöglichen, seine Zergliederung zu ertragen. Ehrenzweig verglich diese Bilder mit den hypnagogischen, die Herbert Silberer als Begleiterscheinung des Einschlafens festgestellt hatte, und setzte den Todestrieb mit der Fähigkeit zur Dedifferentiation gleich. Um sich den Kräften der Tiefe zu überlassen, identifiziert sich das Ich mit einem „sterbenden Gott", der wie Dionysos oder Orpheus zunächst von seinen Anhängern verstümmelt, dann vollends zerschlagen wird und schließlich wiederersteht. In der Analyse des Mythos vom Tod eines Helden und des Geburtstraumas hatte O t t o Rank poemagogische Bilder ausgesondert. Diese stellen einen Zweikampf zwischen Uber-Ich und Ich dar, in dessen Verlauf schließlich das Ich seinen Peiniger erwürgt und die Grenzen zwischen äußeren und inneren Welten niederreißt. In der manischen Phase der Kreativität identifiziert sich der Künstler — gleichsam Goethes H o m u n k u l u s nacheifernd - mit dem Schoß, der ihn gebären soll. 46 Affinitäten zwischen Genie und Kindheit resultieren aus der Fähigkeit einer schöpferischen Persönlichkeit, Dedifferentiation und Redifferentiation durchzumachen. Wie Lombroso und Stekel erkannt haben, ahmt Kreativität Symptome der Neurose nach, wenn das Ich vor seiner drohenden Zerstörung zittert. Während Freud den Doppelgänger für ein Symbol der Unsterblichkeit hielt, faßte ihn Ehrenzweig als Bild des sterbenden Gottes oder des dedifferenzierten Ich auf. 47 Für Ehrenzweig, wie auch für Schnitzler und Bahr, stellt der Tod ein Scheinbild der Kreativität dar; die dunkle Unterschicht des Lebens ist es, die jeder Künstler wie ein barocker Heiliger erobern muß. Für den späten Freud hatte der Todestrieb therapeutischen Nihilismus zur Folge; für Ehrenzweigdagegen verhalf er dem Leibnizschen Glauben an eine Einheit, die dem Leben und dem Tode zugrunde liegt, zu neuer Blüte. Als später Impressionist preßte Ehrenzweig aus den Früchten der „fröhlichen Apokalypse" eine Vision der Wiedergeburt.

Gründe für den Widerstand gegen die Psychoanalyse in Wien Nachdem hier zunächst die Affinitäten zwischen Freud und der Wiener Kultur hervorgehoben wurden, bleibt noch zu erklären, warum dort so wenige Intellektuelle seinen Theorien positiv gegenüberstanden. Bis zu einem gewissen Grad hielt Freud nicht viel von Ehren, die ihm das eigene Land hätte erweisen können. Um zu verhindern, daß medizinische Professionals die Psychoanalyse monopolisierten, sammelte Freud eine Schar von auserwählten Gleichgesinnten um sich und rief so eine eigenständige Organisation ins Leben, die seine Erkenntnisse der Nachwelt vermitteln sollte. Er nahm an, daß die Psychoanalyse in Un255

garn, Deutschland und Großbritannien bessere Aussichten haben würde als in Osterreich. Nach 1896 mied er die akademische Medizin; er reduzierte seine Lehrtätigkeit auf zwei Stunden wöchentlich, während er achtzehn Stunden täglich seiner eigenen, eigentlichen Arbeit nachging. Obwohl er in einer Welt lebte, die von Protektion beherrscht war, gefiel es Freud nicht, sich mächtigen Professoren zu unterwerfen, die in seinem mutigen Auftreten wohl ein vertrautes Zeichen des Kultismus gesehen haben dürften. Der Umstand, daß etwa neunzig Prozent seiner Anhänger Juden waren, intensivierte das Separatistische der Bewegung und nährte Gerüchte, Freud leite eine jüdische Organisation, ähnlich der Sozialdemokratischen Partei oder dem Zionismus. Was auch immer sonst zur Isolation Freuds in Wien noch beigetragen haben mag, seine genaue Untersuchung des Sexus zählte nicht dazu. In einer Stadt, in der man Sacher-Masoch, Krafft-Ebing und Weininger las, ohne viel Aufhebens davon zu machen, konnte Freuds Pansexualismus kaum irgendjemanden schockieren. Viel eher kristallisierte sich um ihn ein ohnehin schon vorhandenes weitgehendes Interesse für den Sexus, das bereits mehrere, sehr verschieden geartete Bewegungen ins Leben gerufen hatte. Geburtenkontrolle, Kampagnen gegen venerische Krankheiten, das Studium sexueller Symbolismen in der Folklore, die Emanzipation der Frau und die Kritik an einer heuchlerischen Moral hatten die Sexualität längst zu einem zentralen Anliegen gemacht. 48 Was andere Psychotherapeuten verdroß, war vor allem Freuds Festhalten an der Lehre, daß die Neurose psychische und nicht physische Ursachen habe. Anstatt warme Bäder und Elektrotherapie zu verschreiben, hörte Freud seinen Patienten ungezählte Stunden zu, untersuchte ihre Geständnisse, um zu ergründen, wie und wann bei ihnen die Symptome eingesetzt hatten. Indem er versicherte, daß durch genügend viele Stunden des Gesprächs die meisten Fälle von Hysterie geheilt werden konnten, bekämpfte Freud den therapeutischen Nihilismus, der die Wiener Psychiatrie vor ihm so beeinträchtigt hatte. Unter Ärzten, die vor allem die Autopsie verehrten und die Chirurgie für die sicherste aller Heilmethoden hielten, führte Freuds Glaube an das Gespräch nur zu Verbitterung. Bei Schriftstellern und Archäologen, die wenigstens als Künstler Gleichgesinnte waren, fühlte er sich eher zu Hause. 49 Freuds Exklusivität hatte den Nachteil, daß sie seine Anhänger vom Kontakt mit anderen Wiener Schulen abschnitt. Heinz Hartmann ( 1 8 9 4 - 1 9 7 0 ) war der einzige Freudianer, der auch im Wiener Kreis verkehrte, Ernst Kris derjenige, der den Kontakt zur Wiener Schule der Kunstgeschichte herstellte. Zwar arbeitete Alfred Adler in den zwanziger Jahren mit den Austromarxisten zusammen, doch hatte er schon lange vorher den Kontakt zu Freud verloren. Der Begründer der Psychoanalyse schätzte eine gegenseitige Befruchtung von Psychologie und Philosophie nicht, wie Brentano und Mach sie eine Generation zuvor gefordert hatten. Aus Angst, ins falsche Fahrwasser zu geraten, zog er es vor, seine Gefolgschaft streng im Zaum zu halten. In Wien rief Freud bei Karl Kraus, Egon Friedell und dem katholischen Anthropologen Wilhelm Schmidt ( 1 8 6 8 - 1 9 5 4 ) unnachgiebige Opposition hervor. Von diesen dreien war zweifellos Kraus der ätzendste. Bis zum Januar 1910, dem Zeitpunkt, da Wittels einen Aufsatz vorlegte, in welchem er den 256

ehemaligen Freund diffamierte, hatte der Herausgeber der Fackel Freud respektiert. Nicht nur, daß Wittels Kraus bezichtigte, antisemitischer Neid gegenüber der Neuen Freien Presse habe ihn zu einer Vendetta gegen Journalisten veranlaßt, karikierte er ihn auch noch in seinem Roman Ezechiel der Zugereiste (Berlin 1910) als einen Schmutzfink, der für ein Wiener Blatt namens Riesenmaul Abgeschmacktheiten produzierte. Kraus antwortete darauf, indem er in seiner Aphorismenlese Nachts (Leipzig 1918) über die Psychoanalyse herfiel. Wenn Kraus erklärte, „Psychoanalyse ist jene Geisteskrankheit, für deren Therapie sie sich hält", so hätte er damit jede Ideologie demaskieren können; dieser Hieb läßt sich etwa gegen den Faschismus oder den Leninismus viel eher führen als selbst gegen den doktrinärsten Psychoanalytiker. 50 Gemeinsam mit zahllosen anderen hielt Kraus dem Begriff des Unbewußten vor, er sanktioniere irrationale Impulse: „Das Unterbewußtsein scheint nach den neuesten Forschungen so eine Art Ghetto der Gedanken zu sein. Viele haben jetzt Heimweh." 51 Er machte sich über jede Psychologie lustig, die die blitzartigen Abfolgen des Denkens anatomisierte: „Psychologie ist der Omnibus, der ein Luftschiff begleitet." 52 Mit mehr Gift als Verständnis setzte Kraus alles herab, was er nicht verstehen konnte, erzürnt darüber, daß jemand es versuchte, Geisteskrankheiten zu lindern. Ein nicht weniger hitziger Anti-Freudianer war Friedeil, der Freud vorwarf, er stütze mit dem Instrumentarium des Rationalismus den Irrationalismus. 53 Wie Kraus sah auch Friedell nur eine Seite an Freuds Gleichgewicht zwischen Vernunft und Trieb. 54 Mißverständnisse gab es im Uberfluß, da Freud nicht geneigt war, mit Kritikern zu debattieren. Er schrieb immer nur für ein Publikum, das ihm freundlich gesinnt war, und hat sich nie zu Popularisierungen oder Verdünnungen seiner Lehre herabgelassen; damit fiel Improvisatoren wie Stekel, denen er zurecht mißtraute, die Aufgabe zu, den Kontakt zur Öffentlichkeit herzustellen. Der Erste Weltkrieg machte ein breiteres Publikum zur Aufnahme von Freuds Entdeckungen bereit. Nicht nur daß der Krieg selbstzerstörerische Kräfte in der europäischen Zivilisation demaskierte, steigerte er auch noch das allgemeine Angstgefühl, indem er die Autorität von Vaterfiguren untergrub. Noch Jahre nachdem der aus Budapest stammende Franz Alexander sich der Psychoanalyse zugewandt hatte, fuhr sein Vater Bernhard Alexander (1850—1927), Ungarns führender kantischer Philosoph, fort, Freuds Lehren zu bekämpfen. Kurz bevor er starb mußte Bernhard, nach seinen eigenen Worten, „zwei Jahrtausenden westlicher Zivilisation entwachsen. ..., um den Begriff eines Unbewußten fassen zu können." 55 In einer Gesellschaft mit einer derartigen Neigung zum Narzißmus, wie die Wiener sie hatten, nimmt es nicht Wunder, daß die Gebildeten zögerten, Freuds Scharfblick anzuerkennen. Für sie haftete dem Licht der Vernunft eine zu starke Präsenz an, als daß man es durch eine Zustimmung zu Freuds Behauptungen hätte gefährden dürfen. In der Stadt, die einen Schönberg und einen Kokoschka nicht verdauen konnte, wurde der Herausforderung von seiten Freuds eine ähnliche Vernachlässigung zuteil. Freud perfektionierte den Sinn eines Impressio257

nisten für das Heimliche und schirmte sich gegen Kritiker ab, die sich selbst täuschten und deren Motive ihm besser bekannt waren als ihnen selbst. Die Psychoanalyse ist als verborgener Geniestreich ans Tageslicht gelangt, und das in einer Stadt, die von ihren oberflächlichen Vergnügungen so gefangengenommen war, daß sie auf dieses unterirdische Grollen gar nicht achtete.

17. FREUD UND SEINE NACHFOLGER

Freud als Patriarch: Hüter der Orthodoxie und Zielscheibe für „Sektierer" W i e sechzig Jahre zuvor Rokitansky und Skoda legte auch Freud jene Hartnäckigkeit und jenes Sendungsbewußtsein an den Tag, deren es bedurfte, um seine Lehren in einer eigenen Schule zu institutionalisieren. 1 Den medizinischen Professionals jedoch brachte er ein so tiefes Mißtrauen entgegen, daß er seine Schule außerhalb der medizinischen Fakultät etablierte. Einige der Nachfolger Freuds, wie Ferenczi oder Stekel, setzten größere Hoffnungen in die Psychoanalyse als ihr Lehrer, der, besonders nach 1920, nicht mehr daran glaubte, die Aggression in der Gesellschaft ausschalten zu können. Die Freudianer hegten den Ehrgeiz, einer Wissenschaft zum Durchbruch zu verhelfen, die die Menschheit befreien würde, und darin glichen sie den Anhängern Claude-Henri de SaintSimons im vorangegangenen Jahrhundert und auch Zeitgenossen wie Neurath und Mannheim. Kein anderer Zug der Laufbahn Freuds wurde so sehr beklagt wie sein Bestreben, Abweichungen zu unterdrücken. Besucher der Wiener Psychoanalytischen Gesellschaft beklagten sich, daß hier die Orthodoxie in einer Atmosphäre von geradezu religiöser Leidenschaft durchgesetzt wurde. 2 Häretiker, wie etwa der aus Wien stammende Herbert Silberer ( 1 8 8 2 - 1 9 2 3 ) , dessen Lehre von hypnagogischen Bildern u. a. Ehrenzweig beeinflußte, wurden abwechselnd mit Beifall oder Mißfallenskundgebungen bedacht, je nachdem was nach Maßgabe von diversen Lakaien auch Freuds Zustimmung finden würde. 3 In diesem Dogmatismus spiegelte sich Freuds Autorität als Vaterfigur in einer dem Patriarchen hörigen Gesellschaft. Nach dem Vorbild des Kaisers spielten Beamte die Rolle eines allwissenden Beschützers, desgleichen Professoren, Ärzte, Priester, Offiziere und sogar Künstler wie Makart. Zwar waren es gerade die jüdischen Familien, denen der Vater nahezu als das Höchste galt, aber um autoritär zu sein, brauchte ein Vater kein Jude zu sein. Freuds etwas minderwertiges Bild 258

der Frauen als kastrierter Männer leitet sich aus patriarchalischen Grundeinstellungen her, wie Rosa Mayreder sie weitverbreitet in der Gesellschaft festgestellt hatte. 4 Das Abtreten von solchen Patriarchen wurde von dem aus Wien stammenden jüdischen Freudianer Paul Federn ( 1 8 7 1 - 1 9 5 0 ) in Zur Psychologie der Revolution. Die vaterlose Gesellschaft (Wien 1919) untersucht. Er brachte Licht in die marxistischen Revolutionen vor 1918 und 1919, indem er die Ansicht äußerte, daß Söhne, die vier Jahre in Schützengräben gelegen hatten, ihren Vätern nicht mehr genug Vertrauen entgegenbrachten, um sie regieren zu lassen. Im Roman Radetzkymarsch stellte Joseph Roth dar, wie sich das Vertrauen eines Sohnes in die Werte seines Vaters auflöst, Bertha von Suttner und Rosa Mayreder dagegen hatten schon lange die Oberhoheit der Väter bekämpft. In dieser Atmosphäre bildeten die Schüler Freuds eine Art erweiterter Familie, zugleich erfüllt von Ehrerbietung und Widerspenstigkeit gegenüber einem kritischen Genie, das vor allem bestrebt war, seine Erkenntnisse der Nachwelt zu bewahren. Aus Schismen gingen einsame Propheten wie Silberer und Stekel hervor, aber auch Organisatoren wie Jung und Adler. Nach 1910 grollte Freud wie Laios, der Vater des Odipus, umgeben von undankbaren Söhnen, die danach trachteten, sich ein Stück Ruhm zu ergattern, indem sie seine Entdeckungen verfälschten. Es geschieht nicht selten, daß schöpferische Schüler ihrem verehrten Lehrer eine Art Haßliebe entgegenbringen; je mehr sie einen Mentor schätzen, um so mehr nehmen sie es ihm übel, wenn er es verabsäumt, grundlegende Erkenntnisse zu berücksichtigen, nur weil sie von woanders herstammen. Dergleichen Ressentiments motivierten die zwiespältige Haltung Husserls gegenüber Brentano, die Schumpeters gegenüber BöhmBawerk und selbstverständlich auch die Freuds gegenüber Brücke und Breuer. Es war unvermeidlich, daß Freud, der soviele begabte Schüler angezogen hatte, Neuerer, wie er selbst einer war - Adler, Jung, Stekel, Rank u. a. - , verbitterte. Anstelle von Originalität erwartete Freud von seinen Mitarbeitern Bestätigung und Resonanz seiner eigenen Ideen - zwei Kostbarkeiten, die man an der Universität nicht bekommen konnte. Seine Kämpfe vor 1905 gegen Protektion und Antisemitismus hatten in Freud eine übergroße Sehnsucht nach Durchsetzung seiner Lehren entstehen lassen. Daher übte er — selbst ein Opfer der Protektion — Protektion zugunsten seiner Anhänger, um die Psychoanalyse nicht von fremden Elementen unterwandern zu lassen. Robert R. Holt hat bei Freud ein agglutinierendes Revisionsprinzip entdeckt, nach welchem er jede Ergänzung zur Psychoanalyse akzeptierte, vorausgesetzt, daß diese nicht an den grundlegenden Prämissen der letzteren rüttelte. 5 Mit der den Impressionisten eigenen Vorliebe für wechselnde Gesichtspunkte legte sich Freud nie völlig fest, welche Sätze als bewiesen anzusehen wären und welche nicht. Wie Mach pflegte er sich Hyperbeln zu bedienen, um eine Hypothese anzukündigen, ehe er daranging, sie zu qualifizieren. Da sein System in den Grundlagen nicht gefestigt war, schreckte Freud davor zurück, daß andere sich daran zu schaffen machten. Der gesellschaftliche Aktivismus Adlers bedrohte die Exklusivität des Meisters ebenso wie die Proselytenhaftigkeit und Skurrilität Stekels. Freud hing an der Etikette, daher beklagte er Stekels schlechte Manieren genauso wie dessen Freude am Ausplaudern von Couchgeheimnissen. Ein 259

weiterer Grund für Unstimmigkeiten war, daß Freud in seiner Arbeit langsam und unter unausgesetzten Mühen Fortschritt. Dabei fiel am deutlichsten auf, daß er die Theorie des Ich zurückstellte und als vordringlich zunächst die der Triebe in Angriff nahm. So entstand ein leerer Raum, den Adler füllte, wobei er es Freud zum Vorwurf machte, hier etwas übersehen zu haben, während jener diesen Problemkreis nur hintangestellt hatte. Freud zog eine Anzahl von Gelehrten an, deren Spezialdisziplin die Interpretation von Literatur und Kunst war, insbesondere während jener Jahre, in denen noch nicht viele umfangreiche Krankengeschichten gesammelt waren. Der wenig bekannte Arzt Isidor Sadger (1867 bis um 1940), ein Onkel Fritz Wittels', schrieb Pathographien nach dem Vorbild jener von Paul Möbius. Der ungehobelte Stekel, ein Jude aus der Bukowina, verwendete die Psychoanalyse zur Stützung der These Lombrosos, daß Genie Neurose einschließe. 6 Stekels Weggenosse Silberer stellte eine Verbindung zwischen Alchimie und Traumen her und behauptete, daß Symbole für jede Person eine andere Bedeutung hätten. 7 Freud zog die Pathographien des aus Wien stammenden Eduard Hitschmann (1871 — 1957) vor, eines Arztes, der kritische Analysen Schopenhauers, Samuel Johnsons und Franz Schuberts verfaßte. 8 Max Graf (1873-1958), ein jüdischer Musikkritiker, der bis 1910 mehrere Jahre lang Freuds Mittwoch-Abend-Zusammenkünfte frequentiert hatte, entwarf in Die innere Werkstatt des Musikers (Stuttgart 1910) eine Psychologie der musikalischen Kreativität. Graf behauptete, ein Klassiker kontrolliere sein Unbewußtes, ein Romantiker dagegen liefere sich den Uberresten des Kindes in ihm aus. 9 Mehrmals schon haben wir Sadgers Neffen Fritz Wittels (1880-1950) erwähnt, einen Freund von Popper-Lynkeus. Dieser aus Wien stammende jüdische Feuilletonist brach 1909 mit Karl Kraus, 1910 mit Freud. 1925 schloß er sich dem Kreis um letzteren wieder an, nachdem er eine schwärmerische Freud-Biographie verfaßt hatte. 10 Seine Essays, in denen er die Psychoanalyse auf Regenten und Revolutionäre anwandte, lesen sich wie Arbeiten eines pro-Freudschen Egon Friedeil, witzig, aber kapriziös." Der am meisten wienerische der ästhetischen Freudianer war Hanns Sachs (1881-1947) 12 , ein wohlhabender Jude, geboren in Wien und hier aufgewachsen, beseelt von der Absicht, Schriftsteller zu werden. Er scheute die Öffentlichkeit so sehr, daß er seine privaten Angelegenheiten sogar vor Freud und Rank geheimhielt. Ernest Jones schildert ihn als Bonvivant, der für jede Stadt, in der er gerade lebte, einen Narzißmus entwickelte. Ob Wien, Berlin oder Boston Sachs pries seine jeweilige Stadt als die angenehmste der Welt. Von seinem Vater - einem Rechtsanwalt in Böhmen — hatte er die Sympathie für das Deutschnationale ererbt; die Faszination des Kontrastes zwischen Latentem und Manifestem machte ihn zum Impressionisten. Sachs meinte, daß jeder Künstler — wie ein josefinischer Beamter - hinter seinem Werk verschwinde, in das er seine frustrierten Tagträume einfließen läßt. Er pries den Traum als Befreier der Menschen, nicht als dessen Verstricker. Grillparzer hatte seiner Meinung nach von einem Leben in Verborgenheit, wie er es im Armen Spielmann beschrieben hatte, taggeträumt - wie übrigens auch Sachs selbst. Dostojewskij dagegen habe versucht, seinen Vaterhaß zu exorzieren, indem er diesen gleichmäßig auf die 260

vier Brüder Karamasow, durchwegs Mörder, aufteilte. 13 Durch die Literatur erfahren solche Phantasien eine Gestaltung, die sowohl die Wunschträume des Autors als auch die des Lesers in geregelte Bahnen bringt. 1912 gründeten Sachs und Otto Rank gemeinsam die Zeitschrift Imago, in der jener seine Psychologie der Kunst darzulegen gedachte. Dieser Titel ging auf eine Novelle des schweizerischen Mythenforschers Carl Spitteier ( 1 8 4 5 - 1 9 2 4 ) zurück, in der er 1906 von einem Künstler erzählte, der das Bild seiner Geliebten ihrer Wirklichkeit vorzog. Sachs schrieb den Griechen und Römern Asthetizismus zu, um zu erklären, warum sie am Vervollkommnen der Technologie scheiterten. 14 Die hellenischen Götter verherrlichten eine narzißtische Verehrung des menschlichen Körpers; so sehr betete man den Körper an, daß Maschinen als seine Konkurrenten erschienen. Erst nachdem das Christentum die Seele über den Körper erhoben hatte, konnte Sklavenarbeit durch Maschinen ersetzt werden. Wie es einem Adepten des Tagtraums wohl anstand, begrüßte Sachs die Erfindung des Films. Der Film, so erklärte er, könne die Sprache des Traumes besser wiedergeben als sonst ein Medium und sorge gleichzeitig für eine Art von Popularisierung, die nicht eine Elite erniedrige, um die Masse aufzuklären: „Diese vollkommene Mischung, die das dramatische und epische Element mit dem visuellen und kinetischen vermengt, wurde nie zuvor erreicht, außer im Traum." 15 Hanns Sachs, ein sanfter verhinderter Künstler, schöpfte das konstruktive Potential des Wiener Asthetizismus aus. In seinem Streben, alles Neue gutzuheißen, extrapolierte er seinen eigenen Narzißmus zu einer Psychologie der Kreativität. Bürgerliche Psychotherapie. Die selbsterfüllenden Prophezeiungen Alfred Adlers Die bekanntesten Freudschen „Sektierer" waren Carl Gustav Jung (1875 bis 1961), Sohn eines Schweizer Pastors, und der Wiener Jude Alfred Adler (1870 bis 1937). Jung erweckte die romantische Naturphilosophie zu neuem Leben, Adler dagegen synthetisierte Nietzsche, Darwin und den Sozialismus zur bürgerlichsten aller Schulen der Psychoanalyse. 16 Wie Lueger und Rank mußte auch Adler - der übrigens nicht verwandt war mit den anderen in diesem Buch genannten Männern gleichen Namens - eine Vielzahl von Kinderkrankheiten überwinden. Adler war das dritte von sieben Kindern eines assimilierten burgenländischen Händlers und litt so sehr unter Rachitis, daß er bis zu seinem vierten Lebensjahr nicht gehen konnte; zweimal wurde er von einem Wagen überfahren. Häufige Erstickungsanfälle ließen in ihm eine Todesangst entstehen, die er als kleiner Junge durch Singen und Blumenzüchten zu kompensieren suchte. Mit fünf Jahren tummelte er sich so unverschämt in den Blumenbeeten von Schönbrunn herum, daß ein Parkwächter ihn hinauswarf. 1895 promovierte Adler in Wien zum Doktor der Medizin und eröffnete in der Praterstraße eine Praxis; zu seinen Patienten zählten u. a. auch Zirkusartisten. 261

Ihre überentwickelten Muskeln schienen Kompensation für frühere Schwächen zu sein. Bei Meynert und Krafft-Ebing studierte Adler Psychiatrie. 1899 hörte er Vorlesungen Freuds, aber erst 1901 kam er mit ihm ins Gespräch. Im Herbst 1902 stieß Adler als einer der Bevorzugten zur Mittwoch-Abend-Runde in Freuds Wohnung. In seiner Studie über Minderwertigkeit von Organen (Wien 1907) behauptete er, daß Kinder von schwächlicher physischer Konstitution ihre Schwäche kompensieren, indem sie - wie er selbst es getan hatte - ihre Stärken überbetonen. Der Wille zum Uberleben treibe jedes Kind dazu, sich gegen die stärkeren Eltern zu behaupten. Adler hielt Sexualität für nur eine von mehreren Waffen, die den kindlichen Willen zur Macht zum Ausdruck bringen. Nach mehreren Jahren der Rivalität kam es 1911 zum Bruch zwischen Adler und Freud, der durch des ersteren Abhandlung Über den nervösen Charakter (Wiesbaden 1912) endgültig besiegelt wurde. Adler griff auf Hans Vaihingers Theorie der Fiktionen zurück und interpretierte die Neurose nicht als unbewußte Verdrängung, sondern als mutwilligen Kunstgriff, mit dem man sich einer unbewältigbaren Aufgabe entzieht. Julius Wagner-Jauregg (1857-1940) lehnte die Arbeit als Habilitationsschrift ab, da ihm Tiefenpsychologie nicht als exakte Wissenschaft galt, wollte jedoch damit kein Urteil über den tatsächlichen Wert der Studie gefällt haben. 1912 gab Adler seiner Therapie den Namen Individualpsychologie, gründete bald danach eine eigene Zeitschrift und eiferte Freud auch darin nach, daß er eine eigene Anhängerschaft um sich sammelte. Während der vier Jahre, die er als Militärarzt zubrachte, wurde Adlers Aufmerksamkeit auf ein Phänomen gelenkt, das er später als Gemeinschaftsgefühl bezeichnete, nämlich die Bereitschaft, persönliche Interessen zugunsten jener der Gruppe zu opfern. Als er Soldaten behandelte, die bloß simulierten, stellte Adler fest, daß diesen der Sinn für das Wohl des Ganzen abging, daß es ihnen egal war, wenn ihre Feigheit einen anderen zwang, an ihrem Platz zu kämpfen. Seine Studien an simulierenden Soldaten bestärkten Adler in jenen Erkenntnissen, die er durch seine russische Gattin Raissa Epstein-Adler (1873 bis 1962) von Marx übernommen hatte. Zwar hatte er seine Frau aufgefordert, Österreichs Eintritt in den Ersten Weltkrieg gutzuheißen, schließlich aber beklagte er diesen Krieg selber. Die 1897 geschlossene Ehe der beiden litt nicht nur unter Rai'ssas Heimweh nach Rußland, sondern auch unter den Spannungen zwischen ihrem revolutionären Marxismus und dem vom Gatten vertretenen Austromarxismus. Adler war das einzige Mitglied des frühen Kreises um Freud, das der Sozialdemokratischen Partei beigetreten war. Im März 1909 versuchte er unter dem Einfluß seines Freundes Leo Trotzkij die vermutlich erste Synthese zwischen Marx und Freud.17 Adler war überzeugt, daß Marx den Primat der Triebe erkannt habe, und er meinte, daß dieser Vorläufer Freuds das Proletariat gelehrt habe, die Verteidigungsmechanismen der Bourgeoisie zu entlarven. Adler hieß die Republik Osterreich als eine Gelegenheit, die Psychohygiene zu fördern, willkommen. Otto Glöckel (1874-1935), Präsident des Wiener Stadtschulrates, veranlaßte Adler, in den Volksschulen Kinderberatungsstellen einzurichten und Lehrer in Kinderpsychiatrie auszubilden. Der aus Mähren stammende jüdische Anatom Julius Tandler (1869—1936), der sich alle Mühe 262

gab, die Reste des therapeutischen Nihilismus aus der Medizin zu verdrängen, unterstützte als Gesundheitsstadtrat von Wien diese Bemühungen. 1932 trat Adler aus dem Dienst des sozialistischen Wien aus und suchte in Großbritannien und den Vereinigten Staaten weitere Anerkennung zu gewinnen. 1937 starb er während einer Vortragsreise in Aberdeen. Z u m Wesen dieses Mannes, der es aus eigener Kraft zu etwas gebracht hatte, der sich aber auch nicht genierte, sich der Protektion zu bedienen und ihre Früchte zu genießen, gehörten eine ungeheure Spannkraft und ein ungestümes Temperament. Adler ersetzte Freuds ausschließliches Interesse an der Vergangenheit eines Patienten durch eine zukunftsorientierte Umweltpsychologie. Die Lebenserhaltung einer Persönlichkeit kristallisiert sich um ihre Ziele, die ihrerseits die Defekte der Kindheit zu kompensieren trachten. Wird der Drang eines Kindes nach Überwindung seiner Schwäche vereitelt, so wird es sich selbst oder andere zu zerstören suchen. Jeder muß sich an irgendeiner Aufgabe auszeichnen, will er sein Ich stabilisieren; ist dieses einmal stabilisiert, dann kann es sich auch erreichbare Ziele setzen. Irrtümliche Lebenshaltungen werden vom Therapeuten korrigiert, indem er dem Patienten zeigt, wie ansonsten frustrierte Impulse innerhalb gesellschaftlicher Interessen in die richtigen Bahnen gelenkt werden können. Adler warf Freud Determinismus und Pansexualismus vor und trat dafür ein, Neurosen dadurch zu überwinden, daß die Willenskraft erweckt wird. Dergleichen Voluntarismus tat Freud als C o u e i s m u s ab und sprach die Vermutung aus, daß hier lediglich der unteren Mittelschicht ein Wunschtraum an die H a n d gegeben werde. Abgesehen von Freuds Sarkasmus, wirft Adlers Hervorheben der K o m pensation sowohl auf den Kapitalismus wie den Sozialismus ein bezeichnendes Licht. Er meinte, daß im Kapitalismus der K a m p f ums Uberleben die Kinder zur Uberkompensation treibe, um im Wettbewerb bestehen zu können. Ahnlich bedienten sich die Marxisten der Uberkompensation, um die Revolutionäre dazu zu treiben, ihr Gefühl der Machtlosigkeit gegenüber den besitzenden Klassen zu überwinden. Adler, selbst ein Bourgeois, begrüßte Malthus' Ansicht, daß die Kärglichkeit der Natur den Menschen dazu zwinge, Mängel durch Werkzeuge zu überwinden. Unter der Rubrik des Gemeinschaftsgefühls pries dieser Psychoanalytiker das Ziel der Solidarität einer Gemeinschaftsordnung, das sowohl Christlichsoziale wie auch Marxisten anstrebten. Der Frauenbewegung allerdings stand Adler mißtrauisch gegenüber, und den von ihm so bezeichneten maskulinen Protest in manchen Frauen, die ihre Minderwertigkeitsgefühle den Männern gegenüber dadurch kompensieren, daß sie zu Mannweibern wurden, attakkierte er heftig. In seinem Kern war Adler Wiener. Als A b k ö m m l i n g einer städtischen Kultur nahm er die Allgegenwart von Konflikten zur Kenntnis und bemühte sich um eine Vereinigung von Individualismus und Sozialismus. Zwar war Adler weitaus politischer als Freud, im Vergleich zu ihm jedoch ein Philister; seine Psychologie der Kreativität scheint naiv im Vergleich zu der Freuds oder Ranks. Hervorragendes allerdings leistete er in der E r f o r s c h u n g des Lebens Erwachsener unter dem Kapitalismus. D e n therapeutischen Nihilismus wies er von sich und flößte d a m i t der Psychoanalyse den festen Willen zur H e i l u n g ein. 263

Seine Überzeugung, daß die Therapie abgekürzt werden könne, hat sich in vielen Schulen niedergeschlagen, insbesondere in der Gruppentherapie des aus Rumänien stammenden Jacob Levy Moreno (1892-1974), der das Psychodrama entwickelte, um der Neurose beizukommen. Adler, der in Kaffeehausbesuchen und Musikgenuß schwelgte — beides war Freud zuwider —, trug mehr zur Verbreitung der Psychoanalyse bei als Freud selbst. Sogar Friedell hat ihn geschätzt. Adler hatte weit mehr Ehrgeiz als Breuer, aber er entfaltete den gleichen gesunden Menschenverstand wie dieser und einen Willen zur Heilung, gepaart mit unermüdlicher Energie und einem grenzenlosen Selbstvertrauen. Während Freud seine Energien darauf verwandte, einen neuen Wissenschaftszweig zu entwikkeln, arbeitete Adler für die Linderung des Leidens. Wenn Psychotherapie Prophezeiungen einschließt, die ihre eigene Erfüllung hervorrufen, dann hatte Adler sein eigenes Rezept zur Vervollkommnung selber gelebt, indem er die Traumata seiner Kindheit zu einer Lebenshaltung umformte, die sowohl seiner Geburtsstadt gerecht wurde, wie sie auch sein eigenes Bedürfnis nach Schmeichelei befriedigte.

Otto Rank: Vom Ästhetizismus zur Selbst-Erschaffung in der Psychoanalyse Einer der schärfsten Geister im Dienste der Psychoanalyse war Otto Rank (1884—1939) 18 . An Können kam er Bauer oder Kelsen gleich, und in seinen Erkenntnissen ist er beinahe auf eine Stufe mit Freud zu stellen. Als Sohn eines Trinkers und einer zänkischen Mutter kam dieses jüdische Wunderkind in Wien zur Welt. Er bildete sich schließlich zu Freuds aufmerksamsten Kritikern heran und entwickelte eine Psychologie der Kreativität, deren Relevanz für eine technologische Gesellschaft erst richtig gewürdigt werden müßte. Wie Alfred Adler hatte auch Otto Rank-Rosenfeld (er kürzte 1909 seinen Namen ab) unter Rachitis, Rheumatismus und Todesängsten gelitten; mit fünfzehn Jahren begann er sich seine Wunschträume durch allabendliche Theaterbesuche zu erfüllen; durch drei Jahre behielt er diese Gewohnheit bei. Wahrend er eine technische Mittelschule besuchte, eiferte er seinen Vorbildern Schopenhauer und Nietzsche nach und erwarb sich ein ungeheures Wissen in Literatur, seiner Zufluchtsstätte vor dem Elend im eigenen Heim. 19 Als Rank wegen eines Lungenleidens, das er sich bei der Arbeit in einer Glasbläserei zugezogen hatte, Adler konsultierte, war dieser von der hohen Bildung des jungen Mannes so beeindruckt, daß er 1905 seinen Patienten bei Freud einführte. Rank verehrte Freud als ein Ich-Ideal. Von 1906 bis 1914 arbeitete er als bezahlter Sekretär der Wiener Psychoanalytischen Gesellschaft und führte genaue Aufzeichnungen über die Mittwoch-Abend-Sitzungen. Freud und Adler überredeten ihren Schützling, das Gymnasium abzuschließen und dann die Universität zu besuchen, wo er die Zeit, die ihm neben dem Schreiben von drei anderen Büchern noch übrigblieb, dazu nützte, 1912 mit einer Dissertation über die Lohengrin-Sage ein Doktorat zu erwerben. Keiner seiner Kollegen konnte verstehen, woher Freuds Sekretär die Zeit nahm, ebensoviel zu schreiben und zu lesen wie sein Mentor. 264

Von 1916 bis 1918 gab Rank in Galizien ein militärisches Propagandablatt, Die Krakauer Zeitung, heraus. Nach Wien zurückgekehrt, nahm der Jungverheiratete Mann die engen Kontakte zu Freud wieder auf und pflegte sie bis 1924; er war einer der sechs Männer, die der Meister im September 1920 in Den Haag durch Überreichung eines gemmengeschmückten Ringes auszeichnete und sie hiermit symbolisch wie faktisch zu einem Treueverhältnis gegenüber seiner Person und seinen Erkenntnissen verpflichtete. 1924 in New York, während einer immer heftiger werdenden Auseinandersetzung mit Ernest Jones, hob Rank zusehends seine eigene Lehre vom Geburts-Trauma hervor, um damit Freud zu kritisieren. Es folgten zwei Jahre voll abwechselnder Annäherung und Desillusionierung zwischen der „Vaterfigur" und ihrem präsumtiven Erben, bis sich Rank 1926 schließlich frei genug fühlte, eine umfassende Kritik Freuds zu formulieren. Seine Befreiung regte eine neue Art von Psychotherapie an, die nicht bloß, wie Freud meinte, eine Konzession an amerikanische Hast darstellte. Ab 1905 überragte Rank alle anderen, Sachs, Silberer und Hitschmann inbegriffen, in der Anwendung der Psychoanalyse auf die Literatur. In der Folge kam ihm darin nur Ehrenzweig gleich, und dies nur, weil er auf Ranks Vorarbeiten aufbaute. In Der Künstler (Leipzig 1907) unterzog Rank die These Lombrosos und Stekels, daß das Genie Neurose in sich einschließe, einer neuerlichen Prüfung und kam zu dem Ergebnis, daß Künstler zwar häufig unter ähnlichen Anfechtungen leiden wie Neurotiker, doch resultierten diese aus ihrer durch überaktive Psychomotorik erhöhten Sensibilität. In seinem Werk Der Mythus von der Geburt des Helden (Leipzig 1909), das Joseph Campbell beeinflußte, legte Rank einen Topos der vergleichenden Mythologie vor, in welchem er seinen späteren Begriff des Geburts-Traumas vorwegnahm. Ranks gelehrteste Abhandlung, verfaßt 1906, jedoch erst 1912 veröffentlicht, war Das Inzest-Motiv in Dichtung und Sage (Leipzig 1912); sie ist Freud gewidmet. Auf 700 Seiten untersuchte er meist aus der deutschen Literatur entnommene Beschreibungen der Liebe zwischen Eltern und Kindern oder zwischen Geschwistern. Rank, der zu seinem steten Bedauern schon im Alter von sieben Jahren sexuell initiiert worden war, sah in jeder Frühreife eine Folge frühzeitiger Pubertät. Während er Kreativität zunächst nur für ein Nebenprodukt der Sexualität hielt, pries er später die Sublimation als Mittel zur Uberwindung sexueller Mängel. In Das Trauma der Geburt und seine Bedeutung für die Psychoanalyse (Leipzig 1924), einem Werk, das von Freud zunächst sehr gelobt, später jedoch bekämpft wurde, verglich Rank die Symbiose zwischen dem Psychoanalytiker und seinen Patienten mit der Abhängigkeit des Fetus von der Gebärmutter. Da die Psychoanalyse versucht, Konflikte zu lösen, deren Ausbruch durch die Vertreibung aus dieser Geborgenheit beschleunigt wurde, muß die Heilung notwendigerweise einer Wiedergeburt gleichen. Rank, der diese Ideen just zu einer Zeit propagierte, als er sich selbst von der Bevormundung durch Freud löste, setzte sich durch seine Flucht nach New York und Paris, wo er eine neue Auffassung von Psychotherapie entwickelte, in den Genuß seiner eigenen Wiedergeburt. Rank beklagte Freuds Verbannung der Phantasie, die dieser in Die Zukunft einer Illusion (1927) ausgesprochen hatte, und war der Meinung, daß die Fähig265

keit, Illusionen aufblühen zu lassen und am Leben zu erhalten, für den Menschen unentbehrlich sei. Ein Irrtum der Industriegesellschaft bestünde darin, daß sie Rationalität für das Kriterium der Gesundheit halte. Als Josefinist hatte Freud übersehen, daß das rationalisierte Leben selbst zur Neurose führen kann. Leistungsorientierte Individuen werden durch den Verlust eines gemeinsamen Glaubens, wie ihn die Gemeinschaft gegeben hatte, eines wesentlichen Teiles der Gesamtpersönlichkeit beraubt. Durch eine Verdrängung dieses Verlustes verschlimmert das Opfer bloß dessen Konsequenzen: „ D a s einzige Heilmittel ist die Anerkennung der fundamentalen Irrationalität des menschlichen Wesens. . . eine wirkliche Billigung der Dynamik der Primitivität, die im menschlichen Verhalten wirkt, das ohne sie nicht lebendig "20

wäre. In den dreißiger Jahren vertrat Rank die Ansicht, daß eine Frustration der Sehnsucht nach Illusionen den Wunsch nach definitiven Lösungen fördert wie etwa nach Totalitarismus. Er griff Freuds Rationalismus an und interpretierte Odipus als Symbol des Intellekts, der zugrunde gehen muß, sobald er von seiner Vergangenheit erfährt. Der Selbstkritik zugeneigt, wie er es war, verkündete Rank den österreichischen Glauben an die erlösende Macht des Schmerzes: „Wir werden in Schmerzen geboren und sollten den Lebensschmerz als unvermeidlich hinnehmen — ja sogar als notwendigen Teil der irdischen Existenz, nicht bloß als den Preis, den wir für die Lust zu zahlen haben." 2 1 In keinem geringeren Ausmaß als Buber und Ebner glorifizierte er die gegenseitige Abhängigkeit von Ich und D u . Ein Ich sollte sich selbst in einem D u ernähren, sei es „das individuelle Du, oder das D u der Begeisterung eines Führers, oder die symbiotische Verschmelzung mit einer anderen Zivilisation." 2 2 Als unermüdlicher Beobachter konnte Rank das Eingebettetsein in der Gesellschaft preisen, ohne dessen Gefahren zu verniedlichen. Freuds ausschließlich von der Vernunft bestimmte Werte schrieb Rank der jüdischen Verehrung für Patriarchen zu. Weininger hatte jüdische Minderwertigkeitsgefühle mit jenen der Frauen verglichen, Freud nach Ranks Ansicht die jüdische Haltung des Versklavten, Unterlegenen und Kastrierten auf die Frau projiziert. 23 Adler wiederum verlegte die Minderwertigkeit zurück in den Mann, worauf Jung begann, die Psychoanalyse als jüdischen Rassenmythos anzuschwärzen und sie andererseits selbst wieder durch eine eigene Rassenpsychologie zu ersetzen. In seiner Verehrung für den Patriarchen hatte Freud es als inzestuös abgelehnt, wenn das Kind an der Mutter hängt, die, wie Rank spezifizierte, dasjenige verkörpert, was das Kind ist, während der Vater dasjenige darstellt, was das Kind werden soll. Ein Kind müßte nach Rank seines Vater Ergebung in Ideologien von sich weisen, da Vitalität nicht aus dem väterlichen Predigen der Konformität hervorgeht, sondern aus dem mütterlichen Gedeihenlassen von Illusionen. In seiner nach 1926 vertretenen Therapie fürchtete Rank, daß Psychoanalyse den Patienten eher hemmen könnte, als ihn von der Gesellschaft zu befreien. Therapie verlangt nach Spontaneität. Während seiner Selbsterschaffung apotheotisiert der Patient seinen Therapeuten zu einem persönlichen Erlöser, der ihm hilft, Phantasien freiwerden zu lassen. 266

In unserer vereinsamten Epoche wollte Rank jeden einzelnen zu seinem eigenen Dichter machen. Er ermunterte Künstler dazu, sich der Konformität dadurch zu widersetzen, daß sie den Illusionen, die der Positivismus verbannt hatte, zu neuem Durchbruch verhalfen. Rank, der wie andere Ästheten des Jungen Wien von selbstgeschaffenen Illusionen genährt war, erhob in späteren Jahren den Asthetizismus zu einem Gegenangriff gegen die Anomie. Er beklagte es, daß die Psychoanalyse zu einer Ideologie geworden war, die die Lieblingsideen ihres Gründers verherrlichte. Die Indoktrinierung durch den Positivismus Brückes, verstärkt durch die Sorge um die Nachwelt, trieb den späten Freud zur Vergötterung der Vernunft und zur Herabsetzung der Leidenschaft als Schlamperei. Systematischer als Sachs gab Rank dem Künstler in Freud den Vorzug vor dem Wissenschaftler, wobei er sich sowohl gegen den Arzt in Adler als auch gegen den Visionär in Jung durchsetzte. Rank verkündete das Poetische an Freud und formte die Psychoanalyse zu einem Korrektiv der Konsumgesellschaft um. Gemeinsam mit Moritz Schlick hat dieser Sproß der „fröhlichen Apokalypse" die nach 1960 aufkommenden Forderungen der Jugend nach Selbsterschaffung vorweggenommen.

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Teil IV

Böhmischer Reformkatholizismus

Schaffen führt zum Glauben an einen Schöpfer. Marie von Ebner-Eschenbach

18. M A R C I O N I T E N IN PRAG

Vernichtungskampf zwischen Tschechen und Deutschen in Böhmen Zwischen 1848 und 1918 stießen im Habsburgerreich zwei historische Prozesse aufeinander: der Ubergang von agrarischer zu industrieller Wirtschaft, vorzüglich von Böhmen, Wien und Budapest getragen, und das Erwachen der „Bedientenvölker", die nach Mitsprache in allen Angelegenheiten verlangten. Der Rest dieses Buches untersucht, wie die Intellektuellen zweier verschiedener Regionen des Reiches - Böhmens und Ungarns - auf den nationalen Konflikt reagierten. In der Diskussion um Böhmen liegt das Hauptaugenmerk auf den deutschsprachigen Philosophen, die dem Ansturm des tschechischen Nationalismus dadurch zu entgehen suchten, daß sie eine Leibnizsche Vision der Versöhnung propagierten. Als Angehörige eines Minderheitenvolkes neigten die deutschen Intellektuellen Böhmens dazu, die Politik zu meiden, während die in Erhebung begriffenen Tschechen sich dem Aktivismus verschrieben. Innerhalb der österreichischen Hälfte der Doppelmonarchie wütete der Nationalitätenkonflikt in Böhmen am heftigsten. Hier wurde das Verlangen nach einer föderalistischen Regierung am stärksten. Die Tschechen hatten die unfertige Urkunde vom Oktober 1860 unterstützt, die einen Föderalismus auf feudaler Basis gebracht hätte, und hätten 1871 beinahe eine föderalistische Autonomie nach den Plänen Heinrich Clam-Martinics (1826-1887) erreicht, die von Ministerpräsident Karl Hohenwart ( 1 8 2 4 - 1 8 9 9 ) unterstützt wurde. Der Großteil der Autorität des zentralen Parlaments, des Reichsrates, wäre an örtliche Landtage abgetreten worden. Im letzten Augenblick jedoch fiel der Vorschlag Hohenwarts durch, als sich deutschnationale und ungarische Führer dagegen verbündeten. Diese Ablehnung einer Besänftigung der Tschechen sollte Europa nach 1914 teuer zu stehen kommen. Nachdem Hohenwarts Rücktritt die Vernunftehe zwischen Deutschen und Ungarn endgültig besiegelt hatte, fuhren die Tschechen bis 1879 fort, den Reichsrat zu boykottieren; mit dieser Protestmaßnahme hatten sie 1863 begonnen. In den siebziger Jahren unterwarf die liberale Auersperg-Regierung Prag einem Militärregime, während dessen Dauer der Statthalter General Alexander von Koller (1813-1890) tschechische Journalisten vor deutschen Geschworenengerichten anklagte und öffentliche Versammlungen einschränkte. Unter der Regierung des Grafen Eduard Taaffe (1833-1895) erhielten die Tschechen Erleichterungen als Gegenleistung für ihre Unterstützung der Regierung im Reichsrat. 1882 wurden in Prag eine tschechische Universität eröffnet, tschechische Gymnasien errichtet, tschechische Verwaltungsposten geschaffen. Als Taaffe 1890 vorschlug, Böhmen in tschechische und deutsche Regionen zu teilen, verhinderten dies die Jungtschechen und bestanden darauf, das Ganze zu kontrollieren. 271

Die Feindseligkeiten zwischen Tschechen und Deutschen verschärften auch den Konkurrenzkampf zwischen den Sprachen der beiden Gruppen.1 Bis etwa 1840 hatte unter ihnen eine schweizerische Art von Freundschaft bestanden, bekannt als „Bohemismus". Auf deutscher Seite arbeiteten Denker wie Bernhard Bolzano und auch Dichter wie Karl Egon Ebert (1801—1882), Moritz Hartmann (1821-1872) und Alfred Meißner (1822-1885) für eine Versöhnung, einen Traum, der durch Windischgrätz' blutige Niederschlagung der Prager tschechischen Rebellen im Juni 1848 in Trümmer ging. Vorher, im April, hatten die Alttschechen unter der Führung von Frantisek Palacky (1798-1876) und seines Schwiegersohnes Franz Ladislaus Rieger (1818—1903) eine Einladung zum Einzug ins Frankfurter Parlament ausgeschlagen. In einer berühmtgewordenen Formulierung verkündete Palacky: „Wahrlich, existierte der österreichische Kaiserstaat nicht schon längst, man müßte im Interesse Europas, im Interesse der Humanität selbst sich beeilen, ihn zu schaffen." Dieser „Austroslawismus" predigte den kulturellen Nationalismus: Die Alttschechen förderten das Wiederaufleben der tschechischen Sprache, das von Gelehrten wie dem deutschen Piaristen Felix Dobner (1719-1790), dem ehemaligen Jesuiten Josef Dobrovsky (1753-1829) und dem Gymnasiallehrer Josef Jungmann (1773-1847) eingeleitet worden war. In Erfüllung einer Vision Herders gründeten die Alttschechen 1818 das Böhmische Nationalmuseum, dessen Zeitschrift nach 1827 von Palacky herausgegeben wurde. In seiner fünfbändigen Geschichte von Böhmen (1836-1867) legte Palacky das Hauptaugenmerk auf den ununterbrochenen Zusammenhang mit den Bestrebungen der Hussiten. Die Tschechen, so meinte er, seien das einzige Volk Europas, das mit Waffengewalt zum römischen Katholizismus rekonvertiert worden sei. Nach 1860 machte sich unter den Jungtschechen angesichts der Mißerfolge Palackys zunehmende Ungeduld bemerkbar. Fritz Mauthner bemerkte, daß der 100. Geburtstag Schillers (1859) der letzte öffentliche Anlaß zu einer emotionalen Vereinigung von Tschechen und Deutschen in Prag gewesen war. Zur Festigung des Nationalgefühls betrieben die Tschechen in der 1862 von Miroslav Tyrs" (1832-1884) gegründeten Sokol-Bewegung Gymnastik. Gigantische Feierlichkeiten begleiteten 1868 die Grundsteinlegung eines Tschechischen Nationaltheaters in Prag. Das Gebäude, das mit Unterstützung des ganzen Volkes finanziert worden war, wurde 1881 eröffnet, doch schon nach zwei Monaten brannte es zufolge der Nachlässigkeit eines Dachdeckers völlig nieder. Obwohl eine Anzahl von Deutschen sich an den Kosten des Wiederaufbaues beteiligten, konnten die Jungtschechen dieses von ihnen irrtümlich als Sabotageakt aufgefaßte Unglück nicht verwinden. Als Taaffe im nächsten Jahr eine tschechische Universität in Prag errichtete, kam diese Geste zu spät, um Forderungen, die schon zwanzig Jahre lang hinausgeschoben worden waren, noch zum Schweigen zu bringen. 1863 war die Technische Hochschule in eine tschechische und eine deutsche Abteilung geteilt worden, die 1869 zu getrennten Institutionen wurden, und 1866 schlug Rieger eine solche „utraquistische" Lösung auch für die KarlsUniversität vor. Diese Trennung brachte für die Professoren des deutschen Zweiges finanzielle Härten mit sich, da die Mehrzahl der Studenten die tschechische Universität besuchten. 272

Nichts trennte die beiden Völker so scharf wie die Sprachenfrage. Nach 1880 etwa weigerten sich die Deutschen Prags, Tschechisch zu lernen, und zogen es vor, jenes „Kuchelböhmisch" zu sprechen, bei welchem schlecht ausgesprochene Wörter in deutsche Syntax gezwängt wurden. Arnold Pick, in den achtziger Jahren Leiter der Provinz-Irrenanstalt von Prag, hatte Schwierigkeiten, Mitarbeiter zu finden, die genügend Tschechisch beherrschten, um mit den Patienten reden zu können. 2 Der Streit strahlte bis nach Wien aus, wo 1883 die tschechische Gemeinschaft vom Stadtrat finanzielle Mittel zur Errichtung einer eigenen Volksschule verlangte. Als sich der Rektor der Wiener Universität hinter diese Forderung stellte, wurde er zum Rücktritt gezwungen; als Trost erhielt er von der tschechischen Universität in Prag ein Dankesvotum, das in französischer Sprache und selbstverständlich nicht in dem verhaßten Deutsch abgefaßt war. 3 1897 verstärkte sich die Antipathie infolge der Sprachenverordnungen, die Graf Badeni vorgeschlagen hatte, zusehends. Diese Maßnahmen, denen zufolge alle Beamten Böhmens zweisprachig hätten amtieren müssen, begünstigten die Tschechen, die sich als einzige der M ü h e unterzogen hatten, beide Sprachen zu lernen. Wir haben schon geschildert, wie die nachfolgende Debatte den Reichsrat lähmte und Badeni zwang, vor den Obstruktionisten zu kapitulieren. 4 Zwar befriedete das Kriegsrecht Prag noch einmal, doch bald begannen deutsche Straßennamen zu verschwinden, und deutsche Schauspieler mußten um ihr Leben bangen. Wagner wurde seltener als Verdi aufgeführt, und vor dem Deutschen Theater kam es wiederholt zu Ausschreitungen. Manche Tschechen steckten sich die Finger in die Ohren, wenn ein Deutscher sie ansprach. 5 Mähren ersparte sich die gleichen Feindseligkeiten, indem es 1905 einen Kompromiß erzielte. Dort behielten Deutsche und Tschechen den Brauch bei, ihre Kinder untereinander auszutauschen, u m ihnen das Erlernen einer zweiten Sprache zu erleichtern. 6 In Prag wurde Deutsch von einer so kleinen Minderheit gesprochen, daß die Sprache den Kontakt zum täglichen Leben verlor. Rainer Maria Rilke klagte darüber, daß er gezwungen war, entweder Kuchelböhmisch oder Kucheldeutsch zu reden. Fritz Mauthner verfolgte sein Interesse an der Sprachphilosophie bis zu dessen Ursprüngen in der Koexistenz von Deutschem, Tschechischem und Jiddischem in Prag und bedauerte, daß jede dieser Sprachen die anderen verderbe. Willy Haas stellte fest, daß Beamte ein „völlig denaturalisiertes, steriles und groteskes k. u. k. Tschechisch-Deutsch" sprachen, während der Adel Französisch und die Dienerschaft Tschechisch sprach. Johannes Urzidil dagegen lobte das Prager Deutsch; es sei durch Isolation gereinigt, meinte er, und die Salons der böhmischen Hauptstadt sprächen ein makelloses Hochdeutsch. 7 Böhmendeutsche offenbarten ihre politische Frustration nicht nur dadurch, daß sie sich der deutschnationalen Bewegung Georg von Schönerers anschlössen, sondern auch einer schismatischen sozialistischen Gruppe, der Deutschen Arbeiterpartei, die sich 1904 von den tschechischen Sozialisten abgespaltet hatte. 8 Nach 1918 nannte sich diese Partei Deutsche Nationalsozialistische Arbeiterpartei oder DNSAP. 1902 prägte ein aus Mähren stammender Publizist, Franz Jesser ( 1 8 6 9 - 1 9 4 9 ) , den Terminus „Sudetendeutsche" für die Deutschen Böhmens, Mährens und österreichischSchlesiens; mit diesem Namen hoffte er ihre Opposition gegen die tschechische Erhebung zu nähren. 273

Gegenangriffe kamen von tschechischen Banken, die das Übergehen von deutschen Geschäften in tschechischen Besitz förderten. Sobald ein Tscheche deutsches Eigentum kaufte, wurden auch schon die Schilder tschechisch übermalt. Die Tschechen strebten danach, Heiraten mit Deutschen zu unterbinden, und Waisenkinder wurden in unterbevölkerte Bezirke verfrachtet, um die tschechischen Schulen mit Nachwuchs zu versorgen. Auf dem Lande verminderte das Jugendamt die Armut und den Alkoholismus, von dem die Bauern schon seit Generationen befallen waren. Mütter wurden in Hygiene geschult, Körpererziehung wurde in der Volksschule besonders betrieben, und Väter unehelicher Kinder wurden mit dem Bann belegt.9 Tschechische Beamte gaben sich Mühe, leistungsfähige Bürger heranzubilden, die von Leiden, wie Marie von Ebner-Eschenbach sie in ihrem Roman Das Gemeindekind (Berlin 1887-1888) beschrieb, frei sein sollten. Der aus Prag stammende Anarchist Jaroslav Hasek (1883-1923) personifizierte die antideutschen Maßstäbe im „Helden" seines Romans Der brave Soldat Schwejk (Prag 1921). Der „behördlich anerkannte Idiot" Schwejk war typisch für die angeborene Geschicklichkeit, mit der sich die Tschechen der josefinischen Bürokratie widersetzten, indem sie die Schlamperei durch passive Resistenz ausnützten. Nach 1918 rächte sich die Tschechoslowakische Republik für die Jahrhunderte der deutschen Hegemonie; sie zerstörte deutsche Heldendenkmäler und förderte massive Austritte aus der römisch-katholischen Kirche.10 Zwar behielt die deutsche Minderheit von drei Millionen ihre Universität und viele Gymnasien, aber sie beklagte sich bitter über Unterdrückung. Slowaken gingen direkt von ungarischer in tschechische Herrschaft über; der ungarische Widerstand blieb ohne Erfolg. Präsident Masaryk residierte auf dem Hradschin und pflegte dort weiterhin seinen völlig enthaltsamen Lebenswandel, den er sich in den siebziger Jahren auferlegt hatte. Wenngleich sich die Tschechoslowakei unter ihrem Außenminister Eduard Benes (1884—1948) um eine Vereinigung des Donaubeckens bemühte, konnte die Kleine Entente mit Jugoslawien und Rumänien Hitler nicht aufhalten. Seine Unverschämtheit bekräftigte im Nachhinein die Weisheit Palackys: Hätte das Habsburgerreich neu erschaffen werden können, wäre es vielleicht niemals zu einem Dritten Reich gekommen. Trotz tragischer Spaltungen haben Böhmen und Mähren bis 1918 eine erstaunliche Anzahl von eigenständigen Denkern hervorgebracht, deren Mehrzahl sich in Wien niederließ. Man braucht hier bloß die Juden Sigmund Freud, Edmund Husserl, Karl Kraus, Viktor Adler, Josef Popper-Lynkeus, Gustav Mahler und Hans Kelsen anzuführen und Katholiken wie Robert Zimmermann, Eugen von Böhm-Bawerk, Bertha von Suttner, Adolf Loos und Joseph Schumpeter, um zu illustrieren, wie sehr Böhmen und Mähren das intellektuelle Leben Wiens bereichert haben. Im Zusammenhang mit Bernhard Bolzano werden wir untersuchen, wie der böhmische Reformkatholizismus den philosophischen Josefinismus bis weit nach 1850 am Leben erhielt, indem er die Sorge um das Wohl des Ganzen erweckte und mithalf, Böhmen und Mähren zu einer wahren Brutstätte von Denkern zu machen, wie das übrige Europa sie nirgends aufzuweisen hatte. 274

Visionen vom Weltuntergang unter Prager Deutschen Prag, die „ G o l d e n e Stadt", die „Stadt der H u n d e r t T ü r m e " , von dem Weltreisenden Alexander von H u m b o l d t als die schönste Binnenland-Stadt gepriesen, die er je gesehen habe, war ein Treibhaus des tschechischen Widerstandes gegen die deutsche Herrschaft. Keine andere Landeshauptstadt des Reiches beherbergte derart unversöhnliche Konflikte zwischen Deutschen, Slawen und Juden wie diese, von Max Brod so bezeichnete, „polemische Stadt". Im Gegensatz zu den Slawen in anderen Habsburgerländern hatten die Tschechen schon 1830 mit Palacky und Rieger Führer der Mittelschicht aufzuweisen, die den Kaiser aufforderten, Böhmen seine mittelalterliche Autonomie zurückzugeben. Was Prag von anderen Städten Österreich-Ungarns unterschied, war die Neigung seiner Schriftsteller, Visionen vom Weltuntergang zu schaffen. Bezeichnenderweise war es die Burg auf dem Hradschin gewesen, wo der unglückliche Ferdinand I. Zuflucht gesucht hatte; als er von 1848 bis 1875 dort lebte, schlug er sich mit Botanik und Heraldik herum, während unter ihm die Stadt von Unruhe und Krankheit überkochte. Bis 1781 waren die Prager Juden gezwungen gewesen, in einem Getto zu leben, das 1852 der Stadt als einer von fünf Bezirken eingemeindet wurde, wobei man seinen Namen Judenstadt auf Josefstadt abänderte." Nach 1895 schleiften die Stadtväter dieses Getto, hinter dessen sieben Toren sich Verbrechen und Armut breitmachten; zu diesem Zeitpunkt bestanden seine Einwohner nur noch zu knapp zwanzig Prozent aus Juden. Noch 1880 hatte Prag unter Typhus- und Pockenepidemien zu leiden, die sich über ein ganzes Jahr hinzogen; die verantwortlichen Stellen unterhielten damals ein eigenes Pockenspital. Es gab kein reines Wasser, jedermann kochte es daher ab oder verwendete in Flaschen abgefülltes Trinkwasser. Bis nach 1890 waren die öffentlichen Verkehrsmittel ein äußerst deplorables Kapitel: sie bestanden aus Pferdewagen, die auch zum Transport von Kranken verwendet wurden. 1 2 Anfang September 1890 richtete eine Überschwemmung der sonst durchaus sanftmütigen Moldau ungeheure Verwüstungen an, vertrieb 4 0 . 0 0 0 Menschen aus ihren Heimstätten und riß drei Bogen der fünfhundertjährigen Karlsbrücke mit sich. Soldaten verteilten Brot, um die in den überfluteten Warenlagern und Kaufhäusern zugrunde gegangenen Nahrungsmittel zu ersetzen. 13 Deutsche und Juden litten sehr unter der Rivalität mit den Tschechen. Zwischen 1880 und 1900 mußten die Deutschen es hinnehmen, daß ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung Prags von 15,5 auf 7,5 Prozent fiel. Zwar waren weder Deutsche noch Tschechen mit dem Status quo einverstanden, die Deutschen aber fürchteten die Z u k u n f t , fürchteten, daß die Tschechen sie eines Tages überwältigen würden. Deutsche Intellektuelle begannen den Rassenkonflikt auf den Kosmos zu projizieren, sie schufen Visionen von einem Bürgerkrieg im H i m mel, bei welchem ein guter und ein bösartiger Gott einander bekämpften. Dichter und Philosophen führten eine gnostische Kosmologie ein, wobei sie zugaben, daß nur noch eine Apokalypse die Flut, die sich da auf sie zubewegte, aufhalten könne. Die Gnosis, die in Prag zwischen 1890 und 1930 blühte, ähnelte der als Marcionismus bekannten christlichen Häresie. 1 4 Marcion (um 85 um 160), der in Anatolien und Rom lehrte, hatte behauptet, daß der Schöpfer275

gott der Juden ein böser Demiurg gewesen sei, dessen Werk die Menschen gefangengehalten habe, bis Christus gekommen sei, sie zu erlösen. Christus, der den höchsten, guten Gott darstelle, habe dann ein Evangelium der Liebe verkündet, das, wenn es befolgt würde, die Tyrannis, die von einem launischen Schöpfer eingesetzt worden sei, beseitigen könne. Marcion verdammte das jüdische Gesetz und versprach eine Erlösung vom Despotismus des Schöpfers nach dem Tode. Feindseligkeit gegenüber dem Gesetz und die Sehnsucht nach einer fernen Erlösung charakterisieren auch die Gnostiker Prags. Kafka zeichnete das Gesetz als Erlösungshindernis, so als würden die österreichischen Verordnungen die Satzungen eines marcionitischen Demiurgen perpetuieren. Franz Werfeis Verlangen nach einem Evangelium der Liebe in einer rachsüchtigen Welt, Gustav Meyrinks Fantasien über launische Naturgesetze, Rilkes Vision von körperlosen Engeln, die das Freisein vom Körper eher genießen als bedauern, und Mahlers Sehnsucht nach einem Himmel ohne Fleischfresser, wie sie sich in seiner Dritten Symphonie ausdrückt, all das spiegelt ein marcionitisches Verlangen nach einer von ihrem grausamen Schöpfer befreiten Welt wider. Max Brod pries die astrologischen Studien Kaiser Rudolfs II., wie Meyrink die aus dem 16. Jahrhundert stammende Legende vom Golem zu neuem Leben erweckte. Aus dem kosmischen Dualismus Marcions wurde durch Christian von Ehrenfels, der von 1896 bis 1929 in Prag lehrte, eine voll ausgebildete Kosmologie. Gnostische Kritik an der Vorsehung wies den Leibnizschen Glauben an eine Harmonie zwischen Gott und seiner Schöpfung, der Böhmen bis nach 1860 aufrechterhalten hatte, von sich. Wie wir sehen werden, war die Leibnizsche Theodizee Bolzanos und Herbarts in Böhmen so tief eingewurzelt, daß ihr Zusammenbruch nach 1860 nicht zu Indifferenz, sondern zu Antinomismus - zum Widerspruch von Sätzen an sich - führte, der sich nach und nach zum Gnostizismus umformte. Am begeistertsten wandten sich jüdische Prager Schriftsteller dem Marcionismus zu. Paul Adler, Franz Kafka, Max Brod, Paul Kornfeld und Franz Werfel, geboren zwischen den Jahren 1878 und 1890, wuchsen inmitten der Kulmination des Konfliktes zwischen Tschechen und Deutschen auf. Zwar identifizierten sie sich als Juden mit der deutschen Kultur, doch stellten sie nur eine Minderheit innerhalb einer Minderheit dar, die von beiden Seiten mißhandelt wurde. Gewöhnlich als Expressionisten eingestuft, waren sie durchwegs tiefreligiöse Männer, die die Naturgesetze zu Grotesken verzerrten. Der wenig bekannte Dramatiker Paul Adler (1878-1946) war ein umfassend gebildeter Mann, der Mathematik, Medizin, Jus und Theologie studiert und damit die ideale intellektuelle Ausrüstung erworben hatte, um Gott zu belangen. Als Bewunderer Gandhis entzog er sich dem Militärdienst während des Ersten Weltkrieges, indem er sich in der Nähe von Dresden verborgen hielt, wo er Klagelieder an die Zivilisation verfaßte: Nämlich (Hellerau 1915) und Die Zauberflöte (Hellerau 1916). 15 In jenem formuliert ein schizoider Violinist seinen Streit mit Gott in eingebildeten Gesprächen mit Sokrates, während dieses eine expressionistische Version von Imre Madächs Tragödie des Menschen bot, in der sich Adler der Charaktere aus Mozarts Oper bediente, um erneut die Verwüstung westlicher Zivilisation zu inszenieren. Seinen Ekel vor der Habsburger-Büro276

kratie hatte er schon früher dokumentiert, als er sein Richteramt zurücklegte, weil ihn die Gesetze dazu gezwungen hätten, eine arme Witwe zu verurteilen. Franz Kafka (1883—1924) war von einer ähnlichen Furcht vor dem Gesetz getrieben; seine Werke haben - dank des Umstandes, daß Max Brod die Manuskripte aufbewahrte - den Prager Marcionismus zu einem allgemein bekannten Topos der Moderne gemacht. Kafka trieb den Marcionismus so weit, daß er selbst der Hoffnung auf Erlösung nach dem Tode jegliche Berechtigung absprach. Nicht nur die diesseitige Welt erachtete er als von Bürokratie vergiftet, auch eine himmlische Bürokratie sorge dafür, daß Hoffnung auf Rettung zuschanden würde. Kommentatoren haben Parallelen zwischen den ritualistischen Vorgängen in der Versicherungsgesellschaft, in der Kafka arbeitete, und dem unergründlichen Verhalten seiner Bürokraten festgestellt. Josefinische Vorgangsweisen, die zur Sicherstellung der Unparteilichkeit konzipiert worden waren, wurden von Kafka zu Symbolen der Launenhaftigkeit umgedeutet. Er beschrieb das Leben als Ritual, dessen Zweckmäßigkeit auch den Anführenden verborgen bleibt. Kafka ging mit seiner Ansicht, daß jedes Evangelium der Hoffnung selbst nur wiederum ein von einem unergründlichen Demiurgen erfundenes Trugbild sei, weit über Marcion hinaus. Für Max Brod ( 1 8 8 4 - 1 9 6 8 ) kennzeichnete der Marcionismus eine Ubergangsphase des ethischen Indifferentismus, der auf Bewunderung für Schopenhauer und Flaubert beruhte. In seinem Roman Schloß Nornepygge. Der Roman des Indifferenten (Berlin 1908) beschreibt er einen Ästheten, den die Ereignisse um ihn herum nicht berühren. Unter dem Einfluß von Felix Weltsch (1884 bis 1964) und des blinden aus Prag stammenden jüdischen Dichters Oskar Baum (1883— 1941) wandte sich Brod nach 1910 dem Aktivismus zu. 16 Baums Heiterkeit und der von Weltsch vertretene Holismus konnten die Leibnizsche Tradition noch eine Zeitlang bei schwächlichem Leben erhalten. Nach Adler und Kafka war Paul Kornfeld (1889-1942) der verzweifeltste der Prager Juden. Um den Okkultismus Swedenborgs und Strindbergs zu verkünden, zeichnete Kornfelds expressionistische Tragödie Himmel und Hölle (Berlin 1920) das Bild einer Gefangenschaft im Schloß einer Gräfin, die schließlich ihre Tochter erwürgt. Ein alter Mann meint hier, daß Gott der Zwillingsbruder des Teufels sei. Das bekannteste Werk dieses Visionärs ist sein antinaturalistisches Ma-

nifest Der beseelte und der psychologische

mit welchem te. Die Seele und gemein, seinen Gott,

Mensch (in: Das Junge Deutschland,

1918),

er, wie Buber, für die Ekstase eintrat und die Konformität verdammist ätherisch und unverderblich, der Charakter dagegen mechanisch den Gesetzen dieser Welt unterworfen. 1920 beschwor Kornfeld die Regeln, die er erschaffen habe, umzustoßen:

„Denn, ach! ich bin müde der uralten Regeln und Gesetze, aller Ursachen und Gründe und bete um Wunder unter Posaunenschall und unter Donner und Blitz!" 17 Im Gegensatz zu Buber glaubte Kornfeld nicht an einen Sieg der Seele über den Charakter, es sei denn durch Aufhebung der Naturgesetze. 277

Mehrere Sudeten-Juden haben Zeugnis gegeben von den bäuerlichen Werten, die ihnen von tschechischen Ammen überkommen waren. Mit bewegten Worten pries der aus Prag stammende Hans Kohn (1891—1971) die Köchin aus seiner Kindheit: „Seither habe ich in meinem Leben viele .gebildete' Menschen kennengelernt, die weniger intelligent und bei weitem weniger ethisch als Marie waren. Sie hat mich gelehrt, die Wirkungen der Gelehrsamkeit nicht zu überschätzen." 18 Als Kleinkind in Freiberg in Mähren wurde Freud von einem tschechischen Kindermädchen betreut, die ihn in alle fünf Kirchen des Ortes trug und die ihm sehr gut vom Osterfest erzählt haben könnte, um ihm zu einer konstruktiven Haltung gegenüber dem Tod zu verhelfen, nachdem sein jüngerer Bruder Julius gestorben war; Freud selbst war gerade neunzehn Monate alt geworden. 19 Franz Werfel (1890-1945) hat eine Hymne auf eine solche sorgende tschechische Amme verfaßt, Barbara oder die Frömmigkeit (Wien 1929). Wenngleich hier der Protagonist als Erwachsener seinem Kindermädchen nur selten begegnet, so begleitet ihn die Erinnerung an ihre Gegenwart doch durch den Ersten Weltkrieg und den Zusammenbruch des Reiches und erfüllt ihn mit dem Glauben an eine Erlösung. Barbara repräsentiert die sorgende Liebe einer vorindustriellen Gesellschaft, in der gegenseitiges Helfen noch nicht durch das Wettbewerbsdenken des städtischen Kapitalismus ersetzt wurde. „In Barbara könnte man eine Frau des zwölften oder dreizehnten Jahrhunderts erblicken. Für Ferdinand wenigstens ist sie auf Goldgrund gemalt. Noch heute dünkt es ihn, daß selbst das Animalische seiner frühen Kindheit von Heiligung durchdrungen war." 20 Werfeis aus Prag stammender Freund, der jüdische Essayist Willy Haas (geboren 1891), bewunderte zwar tschechische Frauen wie Barbara, warnte aber zugleich, daß es unter ihnen auch solche gäbe wie Kafkas angebetete Milena Jesenska (1896-1944), die ein matriarchalisches Heidentum ausstrahlen, das jenes einer Lou Andreas-Salome an Tücke noch übertreffe. 21 Getragen von einer Frömmigkeit, die ihm von Martin Buber überkommen war, vermied Werfel die antinomistische Verzweiflung eines Adler, Kafka oder Kornfeld. Obwohl er sich immer mehr zum Katholizismus hingezogen fühlte, hielt ihn eine dualistische Theologie vom Beitritt zur Kirche ab. Er unterschied zwischen isochroner Ewigkeit, die ein zeitloses Nebeneinander von Vergangenheit und Z u k u n f t bietet, und der heterochronen Zeit, die sich in einer Sequenz entfaltet. In dem Versuch Werfeis, aus der heterochronen Zeit in die Ewigkeit zu fliehen, spiegelt sich Marcions Ungeduld gegenüber den Gesetzen des Demiurgen. In Zwischen Oben und Unten (Stockholm 1946) interpretierte Werfel die Fähigkeit des Geistes, getrennte Ereignisse gleichzeitig zu erfassen, als ein Zeichen der Gnade Gottes. Romane wie Barbara oder die Frömmigkeit und Stern der Ungeborenen. Ein Reiseroman (Stockholm 1946) feiern die Fähigkeit des Gedächtnisses, in einem Augenblick die Erfahrungen eines ganzen Lebens zu destillieren. O b w o h l nicht alle Prager Juden Marcioniten waren - siehe etwa Oskar Baum — u n d nicht alle österreichischen Marcioniten aus Böhmen kamen — siehe etwa Albert Ehrenstein —, gibt es keine andere Stadt, die so viele bei278

ßende Anklagen gegen die Schöpfung angeregt hat. Der Gnostizismus Prags bildete einen Kontrast zu dem diesseitsorientierten Engagement der ungarischen Intellektuellen und dem Asthetizismus Wiens. Zwar flirteten die Schriftsteller des Jungen Wien mit dem Tod - aber eine Kosmologie, die ihre Trägheit gerechtfertigt hätte, haben sie nicht formuliert. Während die Wiener bloß übersättigt waren, kämpften die Deutschen und besonders die Juden Prags einen immer aussichtsloseren Kampf um die Erhaltung ihrer Kultur. Ihre Mentalität war die von Eingeschlossenen: Der Marcionismus drückte die Verzweiflung einer belagerten Minderheit aus, die sich danach sehnte, ihren Peiniger zum Schweigen zu bringen.

19. DIE L E I B N I Z S C H E V I S I O N D E R H A R M O N I E

Bernhard Bolzano: Uber die unanfechtbare Objektivität von Sätzen Der Stammvater der Philosophie in Österreich und besonders in Böhmen war der Sachse Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716), der von 1712 bis 1714 als Günstling des Prinzen Eugen in Wien lebte. Hier hat er seine Monadologie und Principes de la nature et de la grâce (1718) geschrieben. Mathematiker, Physiker, Historiker, Ingenieur und Philosoph in einem, begegnete dieses Universalgenie Kontroversen stets in versöhnlichem Geist: „Ich habe die Erfahrung gemacht, daß die meisten Sekten recht haben in dem, was sie lehren, nicht aber in dem, was sie ablehnen." 1 Nach 1800 erlebten Leibnizens enzyklopädische Interessen, seine Sorge um das Wohl des Ganzen und dessen ökumenischen Geist eine Wiedergeburt im Böhmischen Reformkatholizismus. Leibniz stellte die Lehre auf, daß das Universum von Hierarchien und aber Hierarchien von empfindungsbegabten Wesen bevölkert sei, die er als Monaden bezeichnete. Da ein jedes dieser Wesen von anderen unabhängig und dennoch mit anderen abgestimmt sei, konnte Leibniz die Vorteile des Pluralismus und des Monismus miteinander vereinigen. Er behauptete, daß das gesamte Universum von Harmonie durchdrungen sei: Gott hat die sich selbst steuernden Monaden so angeordnet, daß sie in prästabilisierter Harmonie funktionieren. Der Mensch ist eine privilegierte Monade, die zwischen Gott und der Natur im Gleichgewicht lebt. Ein reflektierender Geist, der sich an der Ausgewogenheit der Kräfte, die er betrachtet, ergötzen kann, hat alle Ursache, sich an der Schöpfung zu erfreuen. Leibniz hatte den freien Willen gegen Spinoza verteidigt, 279

dessen Monismus nach 1800 vom jungen Schelling wieder aufgegriffen wurde. Auf der anderen Seite hat Leibniz in Bolzano, Herbart und deren Schülern Nachfolger gefunden, die sich auf ihn beriefen, um Kant und dessen Nachfolger zu widerlegen. Der fähigste Exponent Leibnizscher Philosophie war der aus Böhmen stammende Bernhard Bolzano ( 1 7 8 1 - 1 8 4 8 ) , ein Logiker und Theologe von außergewöhnlicher Originalität. 2 Er hat nicht nur mitgearbeitet an der Erneuerung Leibnizschen Denkens um 1820, sondern nach der Wiederentdeckung seiner Werke (nach 1880) auch Husserl ermutigt, sich dem Antipsychologismus zuzuwenden. Bolzano war der Sohn eines italienischen Kunsthändlers vom Comersee und einer deutschen Pragerin, einer Frau von seltener Frömmigkeit. Er wuchs in der josefinischen Atmosphäre der Heimatstadt seiner Mutter auf, wo Karl Heinrich Seibt (1735—1806), ein katholischer Laie und Philosophieprofessor, Autoren der deutschen Aufklärung wie Gottsched, Geliert, Baumgarten und Wolff eingeführt hatte. Schon am Piaristengymnasium war Bolzano mit diesen Rationalisten vertraut geworden, ehe Seibts Vorlesungen an der Universität seine Aufmerksamkeit vollends auf Kant lenkten. Mehr als ein Jahr verwendete er darauf, die Kritiken Kants zu studieren, u n d entwickelte gleichzeitig seine Fähigkeiten als Mathematiker. Um 1805 hatte sich das junge Genie noch nicht entschlossen, ob er nun Mathematik oder Philosophie lehren sollte; auch der Priesterstand übte starke Anziehung auf ihn aus. Als in diesem Jahr bekannt wurde, daß an der Prager philosophischen Fakultät ein Lehrstuhl für Religion errichtet werden solle, war dies für Bolzano die Gelegenheit, alle drei Berufungen zu kombinieren. Im Februar 1805 begann er seine Mathematikvorlesungen, im April erfolgten seine O r d i n i e r u n g u n d die Ü b e r n a h m e einer Stelle als Studentenkaplan. Bolzano war ein brillanter, begeisterter Lehrer, dessen wöchentliche Erbauungsreden eine große Zuhörerschaft gewannen. Seine Popularität bei den Studenten veranlaßte ihn, gegen antijosefinistische Konservative wie Jakob Frint (1766—1834) aufzutreten, der in Wien das Frintaneum gründete. Nach Jahren des Intrigierens erreichte Frint, der es Bolzano übelnahm, daß er im Unterricht nicht sein Lehrbuch verwendete, daß Kaiser Franz I. im Dezember 1819 den Rivalen entfernte. Bolzano wurden die Unruhen im Seminar von Leitmeritz zur Last gelegt, wo einer seiner Schüler, Michael Josef Fesl (1788-1863), unterrichtete. Obwohl die Bemühungen, Bolzano der Heterodoxie anzuklagen, im Dezember 1825 mit einem Freispruch endeten, erhielt Bolzano keine Berufung mehr. Nach seiner Entlassung lebte Bolzano zehn Jahre lang bei seinem Bruder Johann in Prag. Nach dem Tod der Mutter 1821 verbrachte der Priester-Philosoph die Sommermonate von 1823 bis 1830 auf dem Gut seines Freundes Hoffmann in Techobuz, südlich von Prag. Von 1830 bis 1841 lebte er dauernd dort, umhegt von dessen Mutter, nach deren Tod - sie starb infolge eines Krebsleidens 1842 — er in das Heim seines Bruders in Prag zurückkehrte. Obwohl Bolzano unter ständiger Polizeiaufsicht stand, vollendete er zwischen 1820 und 1830 sein vierbändiges Hauptwerk, die Wissenschaftslehre. Nach Jahren der Anstrengung gelang es ihm schließlich, die Arbeit 1837 in Sulzbach in Bayern zu publizieren, jedoch nur dank dem Eingreifen Fesls und eines anderen ehemaligen 280

Schülers, Vinzenz Fiebrich (1797-1842). Fiebrich hatte 1813 bis 1815 bei Bolzano studiert, ehe er in den Wiener Polizeidienst eintrat. Um 1835 war Fiebrich bereits Oberkommissar und nützte diese Position, um sowohl Bolzano als auch Fesl zu schützen. 3 Bolzano war ein sanftmütiger Mann, der zu seiner Arbeit die Ermunterung von seiten anderer brauchte. Er führte eine lebhafte Korrespondenz mit vielen Freunden und ehemaligen Schülern, zu denen die Wiener Herbartianer Franz Exner (1802-1853) und der Priester Franz Prihonsky (1788-1859) gehörten, der Bolzanos posthume Werke herausgab. Zu seinen Freunden in Prag zählten auch der einflußreiche Schulprinzipal Franz Schneider und der Gymnasiallehrer Johann August Zimmermann, der Vater Robert Zimmermanns. Als Freund der tschechischen Grammatiker Dobrovsky und Safarik gehörte Bolzano zur Bohemistischen Partei, die sich um die Schaffung eines harmonischen Verhältnisses zwischen Tschechen und Deutschen bemühte. Als Bolzano 1816 in Prag las, forderte er die Tschechen und Deutschen auf, jeweils die Sprache des anderen zu lernen, auf daß sie nicht mehr wie „Wundertiere" miteinander zu gestikulieren brauchten. 4 Was Bolzano vor allem auszeichnet, ist seine Logik, und hier insbesondere seine Lehre von den Sätzen an sich. Er war ein platonischer Realist, der das Ansichsein von idealen Wesenheiten lehrte. In seiner Wissenschaftslehre unterschied er zwischen Vorstellungen an sich, Sätzen an sich und Wahrheiten an sich. Jede dieser Wesenheiten an sich existierte unabhängig von jeglichem Bewußtsein. Vorstellungen definierte Bolzano als jene Elemente, aus denen Sätze aufgebaut sind, und eine Wahrheit einfach als wahren Satz. Bolzano hielt daran fest, daß jeder Satz an sich existiere, egal ob wahr oder nicht, und ohne Bezug darauf, ob ihn jemals irgendein Bewußtsein gedacht habe. Nicht einmal Gott brauche einen solchen Satz gedacht zu haben, da dieser außerhalb von Raum und Zeit existieren könne. Jeder Satz an sich kann die Form eines ausgesprochenen Satzes annehmen und/oder die eines gedachten Satzes. Die gleiche Unterscheidung trifft auch für Vorstellungen und Wahrheiten zu, die entweder ausgesprochen werden können oder nicht und/ oder gedacht oder nicht. Die Unterscheidung zwischen dem Aussprechen von Sätzen und ihrem Denken suchte den Umstand zu betonen, daß Sätze an sich früher als Sprache existieren und früher als jeder Denkakt. Bolzano verlangte, daß Sätze an sich von den Wörtern, die sie bezeichnen, getrennt werden müßten, desgleichen von subjektiven Akten, die sie denken. Bolzanos Logik war schon von dem Berliner Physiker Johann Heinrich Lambert (1728—1777) sehr präzise angedeutet worden, als er in seinem Neuen Organon (1764) den apriorischen Charakter von mathematischen Wahrheiten darlegte. Er war es auch, der den Terminus Phänomenologie einführte, um das Studium der Erscheinungen von der Semiotik abzugrenzen. 5 Bolzanos erhabene außerweltliche Auffassung von den Sätzen an sich führte ihn jedoch keineswegs zu einer Überschätzung der intellektuellen Fähigkeiten des Menschen. In seinen Reden wies er eindringlich darauf hin, daß der weiseste Theologieunterricht darin bestünde, zuzugeben, daß auch das Dogma zufolge unserer endlichen Natur, die sowohl Allwissenheit als auch Unfehlbarkeit ausschließe, zu irren imstande sei. 8 In der Ethik Bolzanos spiegelt sich Leibnizens Sorge um das Wohl des Ganzen. Seine ethische Maxime lautete: 281

„Wähle von allen dir möglichen Handlungen immer diejenige, die, alle Folgen erwogen, das Wohl des Ganzen, gleichviel in welchen Teilen, am meisten befördert." 7 In der Praxis leistete diese Maxime dem Q u i e t i s m u s Vorschub als dem wahrscheinlichsten Weg, dem Ganzen nicht durch unkonzentrierte Aktionen zu schaden. Wie bei anderen Josefinisten - Stifter, Grillparzer - führte auch Bolzanos Eifer für das Wohl des Ganzen die Gesellschaft zur Resignation vor Verbesserungen an einzelnen ihrer Teile. Darin spiegelt sich Bolzanos Behauptung wider, daß es an sich gut sei, Wahrheiten an sich zu betrachten: Jedes Eindringen in die Architektur des Universums macht uns weiser und besser, ohne daß wir sie deshalb verändern müßten. In der politischen Theorie analysierte Bolzano den Staat an sich, von dem er lehrte, er sei der bestvorstellbare, ohne zu untersuchen, ob er überhaupt in die Praxis umgesetzt werden könne. 8 Er entwarf ein Modell der Vollkommenheit, weniger um bestehende Unvollkommenheit daran zu messen, als um die Schönheit des Modells zu verehren. N u r wenige Denker haben sich mit solcher Intensität um die Artikulierung idealer Wesenheiten ohne Rücksicht auf ihre weltliche Anwendbarkeit bemüht wie dieser. Trotz seiner Brillanz blieb Bolzano zu Lebzeiten die gebührende Anerkennung versagt, da seine Schüler gezwungen waren, sich hinter der Fassade des Herbartianismus zu verbergen. In den achtziger Jahren lenkte Franz Brentano vermutlich auf Anregung Robert Zimmermanns — die allgemeine Aufmerksamkeit auf Bolzanos Logik und erregte so das Interesse E d m u n d Husserls, der seinerseits wieder das Interesse Melchior Palägyis und H u g o Bergmanns weckte. 9 Bolzanos Untergang und Wiederentdeckung läßt ihn als Schicksalsgefährten Gregor Mendels erscheinen, dessen 1860 gemachte Entdeckung der genetischen Gesetze erst 1900 anerkannt wurde. Bolzano festigte die unanfechtbare Objektivität logischer Sätze endgültig: Jeder Satz an sich genießt die A u t o n o m i e der Leibnizschen Monade, unabhängig von menschlichen Bemühungen, ihn auszusprechen oder zu denken. Dieses Denkmodell, nach welchem es einen Himmel der Ideen gibt, von denen einige dazu gelangen, von Menschen gedacht zu werden, während andere nie den Weg zum menschlichen Geist finden, ist eine der fundamentalen Leistungen österreichischer Philosophie. In der Behauptung der unüberwindlichen Integrität der Ideen, geschützt vor allen menschlichen Machenschaften, schmiedete Bolzano eine höchst mächtige Waffe gegen die Zensurierung von Ideen. Kein menschlicher Irrtum, keine Politik kann die Wahrheit aus dem Sattel werfen oder ihr Wesen modifizieren. Wie eine uneinnehmbare Festung bleiben die Sätze an sich in Ewigkeit bestehen, trösten die Denker, die bis in ihre Majestät vordringen, und haben Bolzano ein Denkmal gesichert, das die Verfolgung durch seine Feinde überdauerte.

Der Reformkatholizismus in Böhmen erneuert die Leibnizsche Vision In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts sorgten Bolzano und andere Katholiken für eine Bewegung des philosophischen Josefinismus, die in Böhmen einzigartige Früchte trug. Ihre Bemühungen um Schulgründungen, um die Verbreitung 282

einer rationalistischen Theologie und die Schaffung einer Harmonie zwischen Deutschen und Tschechen beeinflußten Denker wie Adalbert Stifter und Anton Günther sowie viele Herbartischer Philosophen. Dieser Josefinismus nährte auch das „Bohemismus" genannte Programm tschechisch-deutscher Zusammenarbeit. 10 Im Gegensatz zum eigentlichen Osterreich und zu Ungarn spielte der Katholizismus in Böhmen unter Metternich eine progressive Rolle. Da innerhalb der Kirche Werte der Aufklärung gediehen, beschränkte sich der Antiklerikalismus auf ein Minimum, was dazu führte, daß gerade aus der Aufklärung ein religiöser Romantizismus sprießen konnte und kein Protest gegen sie. Reformkatholiken schlugen einen gemäßigten Kurs ein, indem sie sich sowohl gegen den Ultramontanismus als auch gegen den Staatszentralismus stellten. Christoph ThienenAdlerflycht erweiterte Eugen Lembergs Untersuchungen und verglich dabei das Ideal der böhmischen Führer mit dem Justus Mosers: Lokale Verwaltungsautoritäten sollten, entsprechend der „Lokalvernunft", schrittweise Verbesserungen erzielen, ohne dazu „von oben" amtlich aufgefordert zu werden. Um das Herdersche Ideal einer langsamen Evolution zu verwirklichen, war die Kirche führend im Errichten von Grundschulen, vor allem in der nördlichen Diözese von Leitmeritz. Diese Schulen vereinigten praktische Ausbildung mit humanistischer Kultur, um eine einseitige Betonung der Theorie zu vermeiden, wie sie von Beobachtern an der Berliner Universität festgestellt worden war. Böhmische Lehrer drängten ihre Schüler, sich über soziale Reformen Gedanken zu machen, und flößten ihnen so den Wunsch nach politischer Teilnahme ein. Die Generation von Tschechen, die aus diesen Schulen hervorging, wurde nach 1860 führend in der Kampagne für die Autonomie ihres Landes. Böhmische Intellektuelle scharten sich um die Leibnizsche Lehre von der kosmischen Harmonie. Im Gegensatz zu den Mystikern und den Zensoren im Wien Metternichs hielten sie es nicht für sinnlos, nach einer Vereinigung von Wissenschaft und Religion zu trachten. Der ältere Goethe fand in Böhmen Freunde wie den Grafen Kaspar Sternberg ( 1 7 6 1 - 1 8 3 8 ) , der sich zur Lehre von der Harmonie zwischen Mikro- und Makrokosmos zu einer Zeit bekannte, als deutsche Intellektuelle sie noch ablehnten. In seiner Erzählung Innocens zeichnete Saar einen solchen böhmischen Priester, der die Natur im Geiste Goethes studiert. Kant wurde von den Böhmen abgelehnt, da er die Moral der Kontrolle der Theologie entzogen hatte. Herders Denkmodell der historischen Evolution war ihnen nicht nur deshalb lieber, weil es eine slawische Renaissance voraussagte, sondern auch weil es eine Veränderung innerhalb der katholischen Kirche mit sich brachte. Das langlebige Denkmal, das sich der böhmische Humanismus setzte, war die Reform des österreichischen Erziehungswesens, die in den fünfziger Jahren von Bolzanos Freund Graf Leo Thun in die Tat umgesetzt wurde. Dieser ergebene Katholik fegte die konfessionellen Vorurteile der Ära Metternichs hinweg und führte humanistische und naturwissenschaftliche Ausbildung sowohl an den höheren Schulen als auch an den Universitäten ein. Ausgehend von den Leibnizschen Voraussetzungen, daß Religion und Wissenschaft einander nicht widersprechen können, riskierte es Thun, die Studenten zu lehren, wie sie für sich selbst zu denken hätten, und verhalf damit österreichischer Gelehrsamkeit zu einer Wiedergeburt. 283

In Böhmen selbst allerdings verlor die Leibnizsche Vision an Boden. Nach 1860 schmolz sie allmählich in dem zunehmenden Konflikt zwischen Tschechen und Deutschen dahin. Die ihr entgegengesetzte Doktrin des Marcionismus gewann zahlreiche Denker für sich, die sich vom philosophischen Josefinismus und dem Bohemismus zusehends enttäuscht sahen. Die Staatskirche verkörperte schließlich nicht mehr die kosmische Ordnung, sondern die habsburgische Tyrannei und trieb viele Tschechen zur Freidenkerei oder zum Protestantismus hin. Die Juden Böhmens standen zwischen den beiden feindlichen Linien und suchten in antileibnizschen Weltuntergangsvisionen Zuflucht. Schließlich wurde Leibniz gerade in jenem Land, in welchem seine Lehre am längsten gediehen war, mit größter Erbitterung abgelehnt. Adalbert Stifter (1805-1868), geboren in Südböhmen, vereinigte die geistigen Werte des Reformkatholizismus mit denen Goethes. Die Person des aristokratischen Künstlers und Wissenschaftlers im Nachsommer (Pest 1857) war nach dem Vorbild des aus Böhmen stammenden Ingenieurs Andreas von Baumgartner (1793-1865) gestaltet worden, der das erste österreichische Telegraphensystem leitete und den Bau der Semmeringbahn anordnete. Stifters Roman aus dem mittelalterlichen Böhmen, Witiko (Pest 1865-1867), war ein Loblied auf alle jene, die sich in den Dienst des Gesamtwohls stellen. Dieser Roman, der sich auf Palackys Geschichte und Herders Begriff der Gemeinschafts-Gesellschaftsform bei den Slawen stützte, kämpft gegen einen Ästhetizismus, der den Menschen von praktischen Angelegenheiten ablenkt. Stifters Uberzeugung, daß die christliche Liebe die einzige Grundlage des gesellschaftlichen Wohles sei, erinnert an Bolzanos Ethik. Für diese kontemplativen Böhmen mußte Erziehung sowohl das Herz als auch den Kopf bewegen, ein Ideal, das Graf Thun als Unterrichtsminister zu verwirklichen suchte. Ein utopistischer Exponent des Leibnizschen Optimismus war der aus Deutschland stammende Hermann Freiherr von Leonhardi (1809—1875), von 1849 bis 1875 in Prag Professor für Philosophie. Er war der Schüler und Schwiegersohn eines thüringischen Visionärs, Karl Christian Friedrich Krause (1781— 1832), der den Terminus „Panentheismus" prägte und zuvor die Soziologie des Comenius zu neuem Leben erweckt hatte. Leonhardi gab dem ökumenischen Eifer Krauses neue Impulse und lehrte, daß jeder Mensch auch Teil aller anderen sei. Im Dienste der Idee einer europäischen Konföderation organisierte er 1868 in Prag den ersten internationalen Kongreß für Philosophie, der die politischen Ziele Bertha von Suttners und Richard Coudenhove-Kalergis vorwegnahm. 11 Einer der überempfindlichsten Reformkatholiken war der böhmische Theologe Anton Günther (1783-1863), der bei Bolzano studiert hatte und 1810 nach Wien ging. 12 Nach einigen Jahren der Zusammenarbeit mit Klemens Maria Hofbauer wurde Günther 1820 zum Priester geweiht; von 1828 bis 1848 arbeitete er als Buchzensor. Nach drei Jahrzehnten voller Kontroversen setzte der Papst 1857 alle Schriften Günthers auf den Index und zwang den Autor zum Eingeständnis seiner Irrtümer. Im Zuge seiner Kampagne gegen den spekulativen Idealismus hatte Günther die christliche Theodizee als Fortführung eines grundlegenden Irrtums heidnischen Denkens angegriffen, nämlich der Lehre von 284

der Immanenz Gottes in der Natur. Während der Pantheismus das Zeitalter der Erbsünde betrifft, in welchem die Natur den Menschen versklavt hatte, ersetzt die Erlösung den menschlichen Geist durch den Geist Gottes. Die Erlösung widerlegt die Doktrin von der analogía entis, die eine Ähnlichkeit zwischen dem der Natur zugehörigen Menschen und Gott voraussetzt. Wäre es richtig, daß Gott und Geschöpf sich in ein und dieselbe Substanz teilen, wie könnten dann Sünde und das Böse existieren, fragte Günther. Gott wäre folglich der Schöpfer des Bösen, das im Gegensatz zu ihm selbst steht. Zur Rettung der Güte Gottes entwickelte Günther einen radikalen Dualismus in der Anthropologie. Der Mensch wird als der Natur zugehörige Seele, von Gott getrennt, geboren und m u ß Gott anflehen, daß dieser ihm seinen Geist verleihe. Wenn jede Häresie im Übertreiben eines Teiles der theologischen Wahrheit besteht, so hat Günther die Kluft zwischen Gott und dem Menschen übertrieben, hauptsächlich wohl deshalb, weil er die Leugnung dieser Kluft seitens Hegels und Schellings mißbilligte. Als Polemiker bediente sich Günther eines feuilletonistischen Stils nach dem Vorbild Jean Pauls, der seiner Sache eher schadete. Als einer der schärfsten Stilisten, die jemals Theologisches verfaßt haben, blähte G ü n t h e r seine Formulierungen so sehr auf, daß sogar Bolzano sowohl ihren Stil als auch ihren Inhalt anstößig fand. Günther stellte einen ersten Bruch mit der Leibnizschen Harmonie-Vision dar; indem er eine Kluft zwischen Mensch und Gott aufriß, bewegte er sich bereits auf den Marcionismus zu. Seine dualistische Anthropologie wurde von dem katholischen Soziologen Ernst Karl Winter (1895-1959) mit der Behauptung wiederaufgegriffen, daß Gesellschaft u n d Theologie zwei getrennte Sphären darstellten. Wäre Günther kein Priester gewesen, meint Winter, dann hätte er eine einflußreiche philosophische Schule gründen können. Günther, der für seine Kühnheit bestraft wurde, exemplifizierte die Umstände, die es Neuerern wie Franz Brentano notwendig erscheinen ließen, aus der Kirche auszutreten.

Johann Friedrich Herbart: Osterreichische Triumphe eines deutschen Denkers Der Philosoph, dessen Lehren zwischen 1820 und 1880 in Osterreich die größte Verbreitung fanden, hat dieses Land niemals betreten: Johann Friedrich Herbart (1776—1841), der deutsche Realist, den Reformkatholiken und weltliche Pädagogen gleichermaßen bewunderten. 1 3 Er war Protestant, gebürtiger Niedersachse, studierte in Jena bei Fichte und arbeitete von 1797 bis 1800 als Hauslehrer in Bern, wo er mit Pestalozzi zusammentraf. Von 1805 bis 1809 war er Professor für Philosophie in Göttingen; danach organisierte er in Königsberg ein Seminar für Gymnasiallehrer, wo er von 1809 bis 1832 bemüht war, Lehrkräfte für die Mitarbeit an Wilhelm von Humboldts Reform des preußischen Erziehungswesens heranzubilden. 1833 kehrte er wieder auf seinen Lehrstuhl in Göttingen zurück. Herbarts Vorzüge bestanden in einer klaren Darstellung u n d einer einsichtigen Gliederung seines Gegenstandes, wie sie die jesuitischen Philosophen seit dem 16. Jahrhundert vervollkommnet hatten. Er vertrat einen gemäßigten 285

Realismus und wandte sich gegen den spekulativen Idealismus seines Lehrers Fichte und Schellings. Herbart teilte die Philosophie in vier Teile: Logik, Metaphysik, Psychologie und praktische Philosophie. Metaphysik untersucht den Ursprung von Ideen, während Psychologie zeigt, wie sie entwickelt und kombiniert werden. Als echter Scholastiker unterteilte er die Metaphysik in weitere vier Teile: Methode, Ontologie, Synechiologie (die Wissenschaft von den kontinuierlichen Phänomenen, wie Raum und Zeit) und Eidologie (die Wissenschaft von der Möglichkeit der Erkenntnis). In der Ontologie definierte Johann Herbart das Sein als Pluralität von Realen, die absolut einfach sind. Jedes Reale ist völlig teillos und unabänderlich identisch mit sich selbst. Das Universum löst sich nicht in Spinozas monistische natura sive deus auf, sondern in Leibnizens unendlich viele selbst-genügsame Monaden. Herbart wich von Leibniz insofern ab, als er mit Kant annahm, daß wir die essentiellen Qualitäten eines Realen nicht erkennen können. Doch können wir, im Gegensatz zu Kant, zweifelsfrei erkennen, daß sie existieren, was wir daraus ableiten, daß in unserem Bewußtsein Aggregate von Realen vorgestellt werden. Die Kategorien Raum, Zeit, Bewegung und Einheit werden aus solchen Aggregaten von Realen abgeleitet. Herbart lehnte sowohl die „angeborenen Ideen" des Descartes als auch Kants „Begriffe a priori" ab. Herbarts Psychologie fand positive Aufnahme. Die Seele oder das Selbst ist ein Reales, sagte er, das an eine Zusammenballung anderer Realen gebunden ist, die als Körper verstanden wird. Wie andere Reale auch, ist jedes dieser Realen bemüht, sich gegen Störungen, die es anfechten, zu behaupten. Der Geist verhält sich wie ein Seismograph und registriert alle Selbsterhaltungsakte des Selbst. Diese Selbsterhaltungsakte erzeugen Vorstellungen, um fremden Realen, die an das Selbst anstoßen könnten, Widerstand zu leisten. Vorstellungen, die einmal erzeugt sind, werden zu unzerstörbaren Atomen der Seele. Sie bestehen unterhalb der von Herbart so bezeichneten Schwelle des Bewußtseins, wo sie in ihrem Bestreben, ins Bewußtsein zu gelangen, miteinander konkurrieren. Er prägte den Terminus Verdrängung, um eine Kraft zu bezeichnen, die dem Trieb zur Oberfläche hin entgegenwirkt. Fasziniert von der Harmonielehre in der Musik, entwickelte Herbart ein ausführliches Kalkül zur Quantifizierung der Stärke oder Schwäche von Vorstellungen. Wie Freud, der einige dieser Termini übernommen hat, gelang es Herbart nicht, Operationen zu spezifizieren, die seine Quantifizierungen bestätigt hätten. In einer seiner einflußreichsten Prägungen modifizierte er Leibnizens Terminus „Apperzeption", um eine Assimilierung neuer Vorstellungen durch alte von ähnlicher Art zu bezeichnen. Dieser Begriff lag einer Pädagogik zugrunde, die das Unterrichten mittels Assoziationen höher einschätzte als das durch Auswendiglernen. Für Herbart war die Vorstellung ein grundlegendes Phänomen geistigen Lebens. Er klassifizierte bestimmte Typen des Fühlens und Wollens je nach dem Objekt, das in jedem Akt vorgestellt wird, und stellte sich damit gegen Voluntaristen wie Schopenhauer, gegen Emotionalisten wie Carus und gegen Intellektualisten wie Kant und Fichte. Seine vermittelnde Stellung verhalf ihm zu einiger Beliebtheit bei Experimentalisten wie Fechner und Wundt, die seinen Begriff der Apperzeption weiter nutzten. 286

In seinem Lehrbuch zur Einleitung in die Philosophie (1813) streifte er auf 350 Seiten alle Teilgebiete der Philosophie, indem er, zuerst die Gesamtproblematik eines Teilgebietes entwickelte und dann jede Unterteilung weiter erläuterte. Unter den allgemeinen Problemen der Metaphysik diskutierte er Skeptizismus, Veränderung, absolutes Sein, absolute Qualitäten und Kants Methodologie. Bei jedem einzelnen dieser Topoi unterschied er die prinzipiellen Standpunkte, für welche sie bis dahin verwendet worden waren, und lieferte in jedem Fall eine von ihm so bezeichnete Bearbeitung der Begriffe. Dieses Sezieren von Stellungnahmen früherer Philosophen wurde zu einer der Hauptbemühungen der Schüler Herbarts. Er selbst stellte seine eigene Metaphysik zwischen den Mystizismus Plotins und Hegels und den Empirismus Lockes. An Fülle der Kenntnis früherer Philosophen kam Herbart Hegel ziemlich nahe, mit dem er auch die Vorliebe für das Jonglieren mit Begriffen gemeinsam hatte. Obwohl er Hegel als Psychologe und als Methodologe der empirischen Wissenschaften übertraf, mangelte Herbart eine umfassende Schau der historischen Entwicklung. Vielmehr wandte er sich der klassizistischen Lehre von einer statischen Harmonie zu, während Hegel sich der romantischen Faszination der intellektuellen und gesellschaftlichen Veränderung hingab. In der Ästhetik lehrte Herbart einen alldurchdringenden Formalismus: Schönheit besteht in formalen Relationen zwischen den Teilen eines Objektes. Die gegenseitigen Relationen der Teile erwecken angenehme oder unangenehme Vorstellungen, ganz ohne Bezug auf einen Inhalt. Herbart widersetzte sich der Ansicht Hegels, daß Schönheit Harmonie zwischen Form und Inhalt voraussetze. Wie wir gesehen haben, hat sich Hanslick des Herbartschen Formalismus zur Herabsetzung der Programmusik bedient. Herbart selbst war ein vollendeter Musiker: er spielte Klavier, komponierte und befaßte sich auch mit den Problemen der Harmonielehre. Offensichtlich war es auch die Beschäftigung mit harmonischen Verhältnissen, die ihn zu seinem Kalkül zur Messung von Stärke und Schwäche psychischer Triebe angeregt hat. In einer Zeit, da Schopenhauer die Musik als dasjenige ansah, was nicht die Ideen, sondern den Willen objektivierte, interpretierte Herbart die Kunst in Leibnizscher Art: Verhältnisse zwischen harmonischen Tönen stellten Reale dar, die Arbeitsvorgänge des Geistes widerspiegeln. Für Herbart objektiviert Harmonie das Spiel der Vorstellungen untereinander, für Schopenhauer dagegen apotheotisiert sie den Selbsterhaltungstrieb, der das Universum durchdringt. 14 In Deutschland und in einem etwas geringeren Ausmaß auch in Osterreich wurde Herbart vor allem um seiner Pädagogik willen anerkannt, die die Prinzipien Johann Heinrich Pestalozzis ( 1 7 4 6 - 1 8 2 7 ) verallgemeinerte. Angeregt von diesem Schweizer Schüler Rousseaus verbreitete Herbart die Ideale des Goetheschen Humanismus unter dem Mantel einer Psychologie des Lernens. Herbart wich von früheren Pädagogen insofern ab, als er forderte, Intellekt und Charakter müßten gleichlaufend entwickelt werden. Wie Goethe und Schiller baute er sowohl die Ethik als auch die Pädagogik auf Selbsterfüllung auf. Moralität bestehe in dem Erlebnis der von Pflicht geleiteten Freiheit, einer Bedingung, die von einem gut ausgebildeten Gewissen ermöglicht werde. Der Wille muß erzogen werden, das zu begehren, was gut ist. Zu diesem Zweck versuchte Herbart dem Schüler zwei formale Ideen einzuprägen: Erstens wird er gelehrt, die Idee der 287

inneren Freiheit zu achten, die ihn dazu drängt, in Übereinstimmung mit seinem Gewissen zu handeln, zweitens entwickelt die Idee der Wirksamkeit des Willens einen starken, konzentrierten Willen, der mit der ethischen Ordnung der Welt übereinstimmt. Diese ethische Ordnung definierte Herbart im Einklang mit drei konkreten Ideen: Wohlwollen, Gerechtigkeit, Gleichheit. Die Idee des Wohlwollens verlange von jeder Person, daß sie das Wohl der anderen genauso anstrebe wie das eigene; das Ziel der Idee der Gerechtigkeit sei es, Konflikte zu verhindern, indem sie das natürliche Unbehagen einer Person gegenüber Streitigkeiten erwecke; und die Idee der Gleichheit trachte danach, die Verhältnisse zwischen individuellen Willen, die zum Schlechten oder Guten verändert worden sind, wieder in Ordnung zu bringen. Hier wandte Herbart das Leibnizsche Prinzip an, nach welchem das Wohl des Ganzen als Maxime gilt, und schenkte gleichzeitig den Verhältnissen zwischen den Teilen größere Beachtung als Bolzano. Mit Goethe und Hegel teilte Herbart die Antipathie gegen Revolutionen. Vielleicht tendierte seine die preußische Reform verwirklichende Pädagogik deshalb zur Ausbildung doziler, gesetzesfürchtiger Bürger, die sich an Arbeit ergötzen und denen die Unruhe zuwider ist, weil sie die preußische Reform zu verwirklichen mitgeholfen hatte. Mit der Anerkennung einer statischen Weltanschauung stützte Herbarts Pädagogik die semifeudale österreichische Gesellschaft, die jede Änderung fürchtete. Nach 1848 ersetzten Herbartianer das von Priestern und Polizei beherrschte Erziehungswesen, indem sie moralische und intellektuelle Disziplin einschärften und politische und theologische Bestrebungen auf ein Minimum einschränkten. Zwischen der Skylla des Romantizismus und der Charybdis des Klerikalismus sich durchmanövrierend, hat Herbart das Bestmögliche aus dem Weimarer Klassizismus herausgeholt. Die berühmtesten Anhänger Herbarts in Osterreich waren Reformer des Unterrichtswesens. Die Reform der Gymnasien und Universitäten wurde Anfang der fünfziger Jahre von zwei Bolzanoschülern, Graf Leo Thun und Franz Exner, und von dem Thüringer Altphilologen Hermann Bonitz (1814-1888) durchgeführt. Sie alle bekannten sich zur Philosophie Herbarts als eines Deckmantels für die von Bolzano bezogenen Überzeugungen. Nach 1850 wurde die Prager Universität zu einer Hochburg Herbartschen Denkens. Drei aus Böhmen stammende Prager Psychologen, Frantisek Cupr (1821-1882), Wilhelm Fridolin Volkmann (1822-1877) und Gustav Adolf Lindner (1828-1887), ein Schüler Franz Exners, schrieben Lehrbücher der empirischen Psychologie, die in ganz Österreich verwendet wurden. Freud etwa hat in seinem letzten Jahr am Gymnasium das Lehrbuch Lindners studiert. Neben den Arbeiten der berufsmäßigen Philosophen erschien in einer posthumen Abhandlung des Dichters Robert Hamerling (1830-1889) eine späte Wiederbelebung der Monadologie Herbarts. In seinem zweibändigen Werk Die Atomistik des Willens. Beiträge zur Kritik der modernen Erkenntnis (Hamburg 1891) vertrat Hamerling einen radikalen Pluralismus, nach welchem das Universum aus Myriaden von unabhängigen Wesenheiten bestehe, Atome genannt. Diese Atome, Äquivalente zu Leibnizens Monaden und Herbarts Realen, existieren unabhängig vom Denken wie auch voneinander. Wie ein auf neuesten 288

Stand gebrachter Herbart wandte sich Hamerling gegen den Voluntarismus Schopenhauers und der Neukantianer wie auch gegen den Monismus Haeckels. 15 Viel von jener Anziehungskraft, die er in Osterreich hatte, verdankte Herbart dem Umstand, daß seine Philosophie von Seiten der Katholiken sehr leicht adaptiert werden konnte; selbst noch aus dem, was er weggelassen hatte, zogen sie Vorteile. Indem er der Theologie gegenüber eine neutrale Stellung bezog, erwies er sich als kein so selbstbewußter Protestant wie Kant, Schelling oder Hegel, und das Fehlen einer progressivistischen Geschichtsphilosophie erschien ebenfalls recht verdienstlich. Auf der anderen Seite schien Herbart dem Ideal der via media des Thomas von Aquin zu entsprechen, insofern als er einen Mittelweg zwischen Idealismus und Empirismus einschlug. Dazu kam noch, daß seine Bearbeitung der Begriffe der Praxis der katholischen Apologeten entsprach. Dieser deutsche Realist analysierte die ganze Skala philosophischer Positionen mit der Teilnahmslosigkeit eines apologetischen Theologen, der seine Instrumente einer Würdigung unterzieht. Letzten Endes erneuerte Herbarts Denkmodell von den Realen auch den Leibnizschen Glauben, daß das Universum aus Hierarchien unzerstörbarer Monaden bestehe, die in Gott als dem reale realissimum gipfeln. Vor allem durch seine Affinität zu Leibniz fand Herbart bei den Schülern Bolzanos Anerkennung. Unter den weltlichen Denkern Österreichs riefen Herbarts Voraussetzungen weitestes Interesse hervor. Seine Praktik der Bearbeitung der Begriffe entsprach der historisierenden Haltung Wiens nach 1800. Seine Forderung nach einem Unterbau aus diversen philosophischen Positionen schmeichelte dem Bild, das Wien von sich selbst hatte: als einer Bewahrerin und Verfeinerin von Traditionen, in der alte Elemente, ohne einen Bruch zu erleiden, neben neuen bestehen, ja beide einander sogar beeinflussen konnten. Durch seine Pädagogik zielte Herbart viel eher darauf ab, den Menschen bereits Bekanntes verständlich zu machen, als sie zu neuen Entdeckungen zu treiben. Er bildete Fachleute aus, nicht Neuerer, genau wie er in der Philosophie Fachgelehrte herangebildet hat und keine schöpferischen Genies. Wie die historisierende Architektur Wiens in den Jahren nach 1860 setzte auch Herbarts Bearbeitung der Begriffe voraus, daß es unter der Sonne nichts Neues gäbe. Architekten wie Ferstel und Schmidt waren Herbartianer, die mit behauenem Stein „philosophierten". Schließlich bestand auch eine Verwandtschaft zwischen der metaphysischen Neutralität Herbarts und der Unparteilichkeit der josefinischen Beamtenschaft, die ein kodifiziertes Erbe in einem statischen Universum verwaltete. Erst nachdem er seine Widersacher davon überzeugt hatte, daß er damit ewige Werte festigen würde, gestattete man es Thun, seine Reform des Erziehungswesens durchzuführen. Für säkulare Josefinisten schien Herbart zu sagen: plus ça change, plus c'est la même chose. Von den Herbartianern, die von einem solchen Widerstand gegen jegliche Änderung durchdrungen waren, konnte man nicht erwarten, daß sie die österreichische Philosophie revolutionieren würden. Erfindungsreichtum mußte bis nach 1870 zurückstehen; dann erst tauchten Genies wie Brentano, Mach und Mauthner auf, die mit dem Überkommenen brachen. Indem sie den Status quo verteidigten, gaben sich die österreichischen Herbartianer einer paranoischen Feindseligkeit gegen Kant und Hegel hin, gleichsam als hätten die politischen Maßstäbe der Ära Metternich die Philosophie 289

infiziert. Nachdem 1827 Kants Kritik der reinen Vernunft auf den päpstlichen Index gesetzt worden war, bestand keine Aussicht mehr, daß dieses Werk in Osterreich Anerkennung fände. Einzig Robert Zimmermann erinnerte daran, daß sich Herbart selbst als ein modifizierter Kantianer des Jahres 1828 betrachtet hatte.16 Ein Komplott des Schweigens knebelte den pionierhaften Kantianismus Carl Sigmund Barachs (1834-1885), der es 1858 als Dozent in Wien gewagt hatte, mit seiner Arbeit Die gegenwärtige Aufgabe der Philosophie. Aus der bisherigen Stellung der Philosophie zum Leben und den Forderungen des Lebens entwickelt für eine systematische Rückkehr zu Kant einzutreten. Diese Abhandlung war die erste deutschsprachige, die zu einer Wiederbelebung von Kants Kritik der reinen Vernunft aufforderte, sieben Jahre vor Otto Liebmanns wichtiger Arbeit Kant und die Epigonen. Eine kritische Abhandlung (Stuttgart 1865). Der Antihegelianer Barach geriet in Vergessenheit, weil er etwas, das Liebmann berühmt machte, zu früh unternommen hatte, und zog sich in historische Studien über obskure Skeptiker wie Pierre D. Huet zurück.17 Besonders nach 1848 wurden in Wien und Prag Hegelanhänger von Herbartianern ziemlich schamlos verfolgt. Bolzanos Freund Franz Exner hatte 1842 eine glühende Kritik der Psychologie der Hegelschüler Karl Rosenkranz, Karl Ludwig Michelet und Johann Eduard Erdmann veröffentlicht. Seine Psychologie der Hegeischen Schule (Leipzig 1841/42) enthielt bittere Polemik, auf die 1850 eine ebenso bittere Kontroverse folgte. Ein tschechischer Priester und Exnerschüler, Augustin Smetana (1814—1851), wurde exkommuniziert, weil er es gewagt hatte, in seinen Arbeiten Die Bedeutung des gegenwärtigen Zeitalters (Prag 1848) und Die Katastrophe und der Ausgang der Geschichte der Philosophie (Hamburg 1850) Hegel und Schelling zu kombinieren. Smetana trat dafür ein, daß die deutsche Philosophie von den Slawen erst zur Vollendung geführt werden müsse. Seine Beschreibung der Exkommunikation klagte die klerikale und bürokratische Unterdrückung an.18 1852 fiel ein weiterer tschechischer katholischer Hegelianer in Prag der Unterdrückung zum Opfer. Ignäc Hanus (1812-1869), ebenfalls ein Exner-Schüler, verlor seine Professur, teils weil er in mehreren Lehrbüchern orthodoxen Hegelianismus dargestellt hatte und, mehr noch, weil er mit dem tschechischen Nationalismus sympathisierte. Wieder eine andere Bestrafung wurde dem produktivsten böhmischen Hegelianer, Gustav Biedermann (1815-1890), zuteil, der in Tetschen, nahe der sächsischen Grenze, eine medizinische Praxis ausübte. Die hegelianischen Abhandlungen, die er zwischen 1860 und 1890 verfaßte, wurden einfach ignoriert. Biedermann hatte als Schüler von Alexander von Humboldts Kosmos (1845-1862) begonnen und verfaßte rund ein Dutzend Bände, in denen er Hegel paraphrasierte und nur gelegentlich Ausfälle gegen des Meisters Identifikation von Logik und Grammatik einfließen ließ. In Werken wie Philosophie des Geistes (Prag 1886) und Religionsphilosophie (Prag 1887) teilte er jedes Kapitel in drei Teile, die wieder in je drei Unterabteilungen gegliedert waren. Zwar haben nur wenige Hegelianer dem Meister so sklavisch nach dem Mund geredet, aber es waren bestimmt nicht viele, die so völlig übergangen worden sind. Die Werke Smetanas und Hanus überzeugten die Behörden nur noch mehr von der Gefährlichkeit Hegels für die katholische Kirche - einer der wenigen 290

Punkte, in denen sie mit Günther einer Meinung waren. Gleichermaßen unerwünscht war die Verwendung der historischen Dialektik zur Verteidigung des slawischen Nationalismus seitens der Hegelianer. Im Vergleich zu derartigen Reizmitteln erschien der Humanismus Herbarts wahrhaft sicher. Er kräftigte den apolitischen, nichtsektiererischen Klassizismus des späten Goethe und schärfte gleichzeitig den biedermeierischen Geist der Resignation tiefer ein.

Robert Zimmermanns allumfassende Theorie der Künste Mehrmals schon wurde hier Robert Zimmermann (1824—1898) als treuer Interpret Herbarts genannt. Dieser begabteste aller österreichischen Herbartianer hatte von 1861 bis 1895 einen Lehrstuhl für Philosophie in Wien inne, von wo aus er einen weiten Einfluß auf Ethik und Ästhetik übte. Robert war der Sohn des katholischen Gymnasiallehrers Johann August Zimmermann (1793—1869) in Prag, eines Freundes von Bolzano, der auch die Erziehung des heranwachsenden Mannes leitete; er nannte ihn gern seinen „Herzensjungen" 19 . Bolzano hoffte in diesem Zögling seinen Nachfolger heranzubilden und führte ihn ab 1843 in seine unveröffentlichten mathematischen Schriften ein, die der junge Mann zwar mit Leichtigkeit, aber zugleich ohne echtes Verständnis aufnahm. Mitte der vierziger Jahre schockierten sowohl der junge als auch der alte Zimmermann Bolzano, indem sie der deutschnationalen Bewegung beitraten. Robert verkündete seine Feindseligkeit gegen den wachsenden kulturellen Nationalismus der Tschechen in einem Gedicht, das in Prag zirkulierte: Czech oder Deutscher, heißt es, nimm Partei! Wohl könnten beide friedlich sich vertragen, Wollt ihr es nicht, wohlan! So will ich mich zu deutschen Brüdern schlagen.20 Von 1844 bis 1848 studierte Robert Zimmermann in Wien, wo sich sein Vater 1844 niedergelassen hatte, um mit Franz Exner jene Unterrichtsreform vorzubereiten, die Graf Leo Thun dann verwirklichte. Als Student der Astronomie entfernte sich der junge Zimmermann aus Bolzanos Einflußsphäre. 1846 promovierte er in Wien aus Astronomie, wandte sich danach aber vom Studium der Gesetze des Himmels ab und dem ihrer irdischen Gegenstücke bei Leibniz und Herbart zu. Obwohl er 1848 ein flammendes Gedicht An die Märzgefallenen verfaßt hatte, habilitierte er sich schon im folgenden Jahr. Als Professor in Olmütz und später, von 1852 bis 1861 in Prag, schrieb er Aufsätze, die Leibniz als den Vorläufer Herbarts, Bolzanos und Lessings darstellten. Mitte der fünfziger Jahre machte er sich daran, Herbarts Ästhetik zu einem geschlossenen System auszubauen. Herbart lieferte sozusagen den Rahmen, innerhalb dessen der ehemalige Astronom seinen Glauben an unwandelbare Gesetze entfalten konnte. 1861 wurde Zimmermann als Ordinarius für Philosophie nach Wien berufen; er war der erste Philosoph, der von der Verfassung dieses Jahres profitierte, durch welche die Einschränkungen von Lehr- und Publikationstätigkeit 291

gelockert wurden. Als mutiger Verfechter der akademischen Freiheit verbündete sich Zimmermann mit dem Kunsthistoriker Rudolf Eitelberger und gewann sogar die Bewunderung eines Friedrich Jodl. 1874 setzte sich Zimmermann höchst aktiv für die Berufung Brentanos nach Wien ein. Als Brentano 1880 seine Position zurückgelegt hatte, blieb Zimmermann bis 1895 der einzige ordentliche Professor für Philosophie in Wien. 1886 war er Rektor der Wiener Universität. Vier Jahre später gründete er gemeinsam mit seinem Schüler, dem aus Mähren stammenden Emil Reich (1864—1940), einem Verehrer Schopenhauers, die Grillparzergesellschaft. Von 1870 bis 1898 schrieb er für das Londoner Athenaeum einen jährlichen Uberblick über deutsche Publikationen. Diese englisch abgefaßten Essays boten eine gründliche und verständliche Chronik neuer Arbeiten aus Literatur und Philosophie. Im Gegensatz zu den meisten anderen Gelehrten bezog er ganz Österreich-Ungarn in diese Synopsis „deutschen" Schrifttums ein. 21 Z i m m e r m a n n hatte als junger M a n n in Prag Hanslick kennengelernt und rezensierte dessen Schrift Vom Musikalisch-Schönen mit größter Begeisterung. Der Philosoph pflichtete dem Musikkritiker in der Verdammung Hegels wegen dessen Vermengung von Kunstgeschichte und Ästhetik bei. Während sich die Kunstgeschichte mit dem Einfluß der Gesellschaft auf Künstler befaßt, deutet die Ästhetik, wann ein Kunstwerk schön zu nennen ist. In seiner zweibändigen Ästhetik (Wien 1 8 5 8 - 1 8 6 5 , Neudruck 1968) bezog Z i m m e r m a n n den Standpunkt des Hanslickschen Formalismus: Schönheit bestehe in gegenseitigen Beziehungen von Formen, die als solche absoluten Wert besäßen. Zimmermanns Ästhetik, die er Bolzanos Freund M. J. Fesl widmete, legte die erste systematische Geschichte der ästhetischen Theorie vor. Das letzte Achtel des Werkes befaßt sich mit Herbart. Zimmermanns überraschendste Lehre ist seine Interpretation jeder menschlichen Aktivität als einer Verkörperung einer von drei Kunsttypen. Erstens erzeuge die Bildungskunst schöne Ideen und gute Impulse in einem selbst. Zweitens bringe es die Bildekunst mit sich, daß durch sie solche Ideen und Impulse in andere Menschen eindringen; beginnend mit der Pädagogik steige sie auf zur Gesellschaftsphilosophie und Staatskunst. Drittens bestehe die bildende Kunst im Entdecken und „Neuerschaffen" von Ideen in der Materie. Die Entdeckung von Ideen in der Materie schließe die Naturwissenschaften und die Technologie ein, deren Neuerschaffung dagegen umfasse die Künste im engeren Sinn. Mit einem enzyklopädischen Ausgreifen, das an Aristoteles gemahnt, faßte Zimmermann alle geistigen und praktischen Aktivitäten als Unterteilungen eines einzigen gigantischen, Kunst genannten Unternehmens in einer Vision zusammen. Beginnend mit Ästhetik und gipfelnd in Anthroposophie (Wien 1882) bemühte sich Zimmermann, die Kontinuität von Wissen, praktischem Leben und Kunst im engeren Sinn zu verfechten. Sein Werk Anthroposophie gilt gemeinsam mit Hamerlings Atomistik als eine der letzten großen Abhandlungen der Leibnizschen Tradition. In Rudolf Steiner (1861-1925), der in seinem Lehrer Zimmermann ein Modell der Vielseitigkeit Goethes sah, 22 fand dieses Werk eine Art Fortführer. Von Zimmermann hat Steiner auch den Terminus Anthroposophie übernommen, mit dem er dann seine eigenen, ganz andersgearteten geisteswissenschaftlichen Forschungsergebnisse bezeichnete. 292

Gegenüber dem zweiten Modell der Vielseitigkeit, Hegel, entfaltete Zimmermann die unter Herbartianern gebräuchliche Feindseligkeit. Dies drückte sich in einer laufenden Polemik gegen den Schwaben Friedrich Theodor Vischer (1807-1887) aus, der der Hegeischen Ästhetik gegenüber dem Formalismus den Vorzug gab. Und gegen Zimmermann richtete sich der 1872 von Vischers Sohn Robert Vischer (1846-1933) entwickelte Begriff der Einfühlung, der nach 1890 zu einem Aushängeschild der neuidealistischen Ästhetik wurde. Z u Vischers Überraschung rezensierte Zimmermann 1872 seine Arbeit positiv und integrierte sie später in seine Anthroposophie.23 Abgesehen von Rudolf Steiner war der Kunsthistoriker Alois Riegl der am meisten von Zimmermann beeinflußte Denker, der den Formalismus seines Lehrers als eine Waffe gegen den Antimaterialismus Gottfried Sempers gebrauchte. 2 4 Riegl war es auch, der Zimmermanns Herbartsche Unterscheidung zwischen tastbarer und optischer Kunst zu den polaren Gegensätzen haptisch und optisch erhob. In der Kunst im engeren Sinn trat Z i m m e r m a n n für den Neuklassizismus ein und jubelte etwa Carl Rahls epigonalem Fresko Das Urteil des Paris (1861) zu wie auch den nazarenischen Werken des aus Böhmen stammenden Josef von Führich ( 1 8 0 0 - 1 8 7 6 ) . Z i m m e r m a n n verurteilte die Romantik, weil sie Emotionen in die Kunst gebracht habe, die die formale Schönheit der klassischen Werke verdürben. Ein Künstler sollte sich dadurch auszeichnen, daß er seine Genialität innerhalb des Rahmens seines Mediums spielen läßt, nicht jedoch dadurch, daß er im Beschauer pathologische Gefühle weckt. Z i m m e r m a n n gab sich vollends dem klassischen Verlangen nach der Beherrschung der Kunst durch Regeln hin und pries Gottscheds Verteidigung des französischen Barocktheaters und das Schillersche Ideendrama. Nach 1870 wandte er sich zusehends der Philosophiegeschichte zu und publizierte in den Sitzungsberichten der Wiener Akademie der Wissenschaften geistreiche Monographien über Herbart, Kant, Hume, C o m t e und Samuel Clarke. War er früher als Pionier der Geschichte der Ästhetik aufgetreten, so zeichnete er sich weiterhin sowohl durch klare Darstellung logischer Feinheiten als auch durch die Durchleuchtung historischer Hintergründe aus. Auch stützte er Österreichs Anspruch auf Vorherrschaft in der Philosophie dadurch, daß er Bolzano und Karl Leonhard Reinhold rehabilitierte. 25 Zimmermann, der 35 Jahre lang Professor in Wien gewesen ist, stellte nach 1860 den vollendeten Vertreter der Leibnizschen Weltanschauung in Österreich dar. Sein Glaube an eine objektive Weltordnung, seine Feindseligkeit gegenüber dem Subjektivismus und seine Teilnahmslosigkeit gegenüber allem Progressiven machten ihn zu einer Zeit, da neue Strömungen die Leibnizsche Tradition so gut wie weggefegt hatten, zu einem Epigonen Herbarts und Bolzanos. Gleich Herbart demonstrierte auch Zimmermann, wie Beharrlichkeit und Gewandtheit ein längst überaltertes Denken aufrechterhalten können. Für die Wiener Philosophie hat Zimmermann das geleistet, was Rudolf von Alt für die Malerei und Johannes Brahms in besserer Form für die Musik geleistet haben. Diese Männer sorgten für ein lebendiges Bindeglied zur Vergangenheit, indem sie in ihrer Persönlichkeit jene Strömungen kristallisierten, gegen die sich eine einfallsreichere Jugend bereits auflehnte. 293

20. FRANZ BRENTANO UND SEINE ANHÄNGER

Franz Brentanos Erneuerung der Psychologie und Ethik durch die Lehre von der Intentionalität Neuerungen seitens Franz Brentanos (1838-1917) haben die Leibnizsche Tradition sowohl revidiert als auch gestärkt. Dieser aus Deutschland stammende Katholik, der in Wien lehrte, war an der Inauguration mehrerer Hauptströmungen der modernen Philosophie nicht unwesentlich beteiligt. Von diesen Strömungen weisen Husserls Phänomenologie, Meinongs Objekttheorie und Ehrenfels' Gestalttheorie Affinitäten mit Bolzano auf. Brentano selbst machte drei Phasen durch: eine Jugend der katholischen Neuscholastik, eine Reifeperiode des quasiaristotelischen Realismus und eine Altersperiode des Empirismus. Durchwegs jedoch verkörperte er Werte des böhmischen Reformkatholizismus. Franz Brentano wurde nahe bei Koblenz am Rhein als Sohn des Arztes Christian Brentano geboren. Sein Onkel war der romantische Dichter Clemens Brentano, Bettina von Arnim war seine Tante.1 Sein Bruder Lujo Brentano (18441931) wurde zu einem der führenden Verfechter einer staatlichen Versicherung für Arbeiter in Deutschland. Der junge Franz war für den Priesterstand ausersehen und erhielt die bestmögliche Ausbildung, während welcher er zeitweilig bei seinem Onkel, dem Juristen Friedrich von Savigny, in Berlin lebte. 1856 hörte er in München Vorlesungen des katholischen Geschichtsphilosophen Ernst von Lasaulx, in Berlin studierte er bei F. A. Trendelenburg Aristoteles, schließlich promovierte er 1862 in Tübingen in absentia. Brentanos Dissertation Von der mannigfachen Bedeutung des Seienden nach Aristoteles (Freiburg 1862) vertrat gegen Eduard Zeller die Ansicht, daß Aristoteles eine creatio ex nihilo des Geistes durch Gott angenommen habe. Nach einem kurzen Aufenthalt im Grazer Dominikanerkloster, wo er mit Heinrich Denifle zusammentraf, studierte Brentano in München bei seinem Freund Ignaz Döllinger Theologie. Im August 1864 empfing der aufstrebende Philosoph die Priesterweihe und wurde danach Dozent für Philosophie in Würzburg, wo er eine zweite Arbeit über den Stagiriten veröffentlichte, Die Psychologie des Aristoteles (Mainz 1867). Er schloß sich dem Widerstand gegen das von Papst Pius IX. vorgeschlagene Dogma von der Unfehlbarkeit des Papstes an und verfaßte 1869 für Bischof von Ketteier ein zwingendes Memorandum gegen dieses.2 Die Proklamation des Dogmas im Jahre 1870 untergrub Brentanos Glauben, da er, wie er selbst sagte, nach seiner Ablehnung dieses neuesten Glaubensartikels erstmals Dogmen in Frage stellen konnte, die er seit seiner Kindheit einfach hingenommen hatte. Nach drei Jahren des inneren Forschens schied Brentano am 11. April 1873 aus dem Priesterstand und aus der Kirche aus. Obwohl seine Entscheidung Carl Stumpf und Anton Marty dazu trieb, es ihm gleichzutun, hörte er nie auf, an Gott zu glauben; sein Denken blieb tief in christlichen Werten verwurzelt. 294

Im Januar 1874 nahm Brentano eine - teilweise von Robert Zimmermann in die Wege geleitete - Berufung nach Wien als Professor für Philosophie an, wo er bis 1880 lehrte und seine Zuhörerschaft, zu der auch Sigmund Freud und Thomas G. Masaryk zählten, in Bann schlug. Obwohl das österreichische Recht ehemaligen Priestern eine Heirat untersagte, verkündete Brentano 1880 seine Absicht, sich mit der getauften jüdischen Patrizierin Ida Lieben zu verehelichen. Die Universität setzte ein veraltetes Gesetz durch und zwang Brentano zur Aufgabe seines Lehrstuhles, worauf er sich nach Leipzig absetzte. Dort heiratete er am 16. September 1880. Bald danach kehrte er als Privatdozent für Philosophie nach Wien zurück und war bis zum Tode seiner Frau in dieser Funktion tätig. Wie sehr ihn auch seine Herabsetzung geschmerzt haben mag, so schien ihm doch — aus Abneigung gegen Preußen und den Protestantismus - die Annahme eines besseren Postens in Deutschland ausgeschlossen. Brentano fuhr fort, seine Zeit und seinen Rat an Studenten zu verschwenden, lud die Begabteren an Freitagabenden zu sich zum Abendessen und auch in sein Sommerhaus am Wolfgangsee ein. Nach dem Tod seiner Gattin konnte er Wien nicht mehr ertragen. Im Dezember 1894 publizierte er in der Neuen Freien Presse fünf Artikel, in denen er die Undankbarkeit der Öffentlichen Hand gehörig geißelte. 3 Von 1896 bis 1915 lebte Brentano in Florenz. Er litt unter immer heftigerer Sehschwäche, die auch eine Operation in Wien 1903 nicht beheben konnte. 1897 heiratete er erneut, diesmal eine Wienerin mit italienischer Staatsbürgerschaft; nach Italiens Eintritt in den Ersten Weltkrieg ließ sich das Paar in Zürich nieder. In seinen letzten Lebensjahren erblindete Brentano fast völlig; Geschriebenes mußte ihm von seiner Frau vorgelesen werden, die ihn so in die Lage versetzte, mit Freunden und Schülern wie Anton Marty und Oskar Kraus zu korrespondieren. In seinen Briefen an Kraus formulierte er auch eine Kritik seiner eigenen Reifeperiode. Im März 1917 starb er an Blinddarmentzündung. Brentanos Interessen und Steckenpferde umfaßten ungeheuer weite Bereiche. Er spielte Schach mit einer alles verzehrenden Leidenschaft, wobei er durch seine allzu phantastischen Experimente so manche Partie verlor. Als begeisterter Turner und Schwimmer überquerte er häufig die Donau; mit höchstem Eifer widmete er sich der Kochkunst und der Tischlerei und versuchte sich immer wieder auch als Dichter. Seine Vorliebe für Rätsel veranlaßte ihn, seine Lieblingsdenksportaufgaben in Neue Rätsel (Wien 1878, 2. Aufl. 1909) zu publizieren. 4 Obwohl die Lösungen nicht allgemein zugänglich gemacht wurden, willigte der Verleger auf Ersuchen Brentanos ein, sie jedermann zuzusenden, der eine kleine Spende für wohltätige Zwecke beilegte. Auch optische Täuschungen hat Brentano untersucht. 5 Viele der bedeutendsten Köpfe Wiens zählten zu seinen Freunden, unter ihnen Theodor Meynert, Theodor Gomperz, Marie von Ebner-Eschenbach, Ferdinand von Saar und Josef Breuer. Wie Anton Bruckner machte er sich nichts aus Kleidung und Essen; wahrhaft priesterlich saß er bei Tisch oft nur dabei und wartete gespannt auf die theoretischen Diskussionen, die sich ergeben würden. Brentanos Weltfremdheit — und auch seine Ehe - regten Adolf von Wilbrandt ( 1 8 3 7 - 1 9 1 1 ) zu seiner Novelle Der Gast vom Abendstern an. In dieser in der zweibändigen Sammlung Novellen aus der Heimat (Breslau 1882) veröffentlichten Erzählung zeichnete der Burgtheater295

direktor Brentano als einen Gast von der Venus, dessen Sehnsucht nach Heimkehr auf seinen Stern von der Gattin zunichte gemacht wird. In rund zwanzig Büchern hat Brentano Einschneidendes zur Aristotelesexegese, zur empirischen Psychologie, zur Erkenntnistheorie und zur Ethik beigetragen. Durch seine Wiederbelebung des aristotelischen Begriffs des geistigen Aktes übte er größten Einfluß aus.8 In Psychologie vom empirischen Standpunkt (Wien 1874, 2. Aufl. Leipzig 1924) teilte Brentano alle geistigen Phänomene in drei Klassen von Seelentätigkeiten: Erstens liege eine Vorstellung vor, wenn irgend etwas dem Bewußtsein gegenwärtig sei. Hier verhalf Brentano dem scholastischen Terminus Intentionalität zu neuem Leben, indem er ihn zur Bezeichnung jener Akte verwendete, mittels welcher der Geist irgendein Objekt anstrebt. Obgleich dieses Objekt entweder real oder bloß vorgestellt sein kann, gebe ihm der Akt, der es anstrebt, eine geistige Existenz. Unter Berufung auf Herbart behauptete auch Brentano, daß jeglichem psychischen Erleben Vorstellung zugrunde liege. Als eine zweite Kategorie bestätigten oder negierten Urteile die Existenz eines vorgestellten Objektes. Auf diesem Begriff baute Brentano mehrere Neuerungen in der Logik auf. Er erklärte, daß alle kategorischen Sätze im Grunde Existentialaussagen seien. Einen kategorischen Satz wie etwa: „Alle Menschen sind sterblich" transponierte er zur Existentialaussage: „Es existiert kein unsterblicher Mensch". Selbst ein Axiom der Geometrie hat nur negativen Charakter; wenn wir sagen: „Alle Dreiecke haben 180 Grad", so meinen wir: „Es existiert kein Dreieck, das nicht 180 Grad hat". Ferner behauptete Brentano, daß sich jede Existentialaussage in zwei Sätze auflösen lasse. Wenn wir sagen: „Diese Blume ist gelb", so sagen wir zuerst: „Die Blume existiert", und dann: „Sie ist gelb". Während der erste Satz die Existenz oder Nichtexistenz des Subjektes aussagt, expliziert der zweite die Existenz oder Nichtexistenz bestimmter Eigenschaften oder Prädikate. Wenn daher das Axiom: „Alle Dreiecke haben 180 Grad" in seine doppelte negative Form transponiert wird, dann sagt es nicht aus, daß Dreiecke existieren, sondern daß ihre Eigenschaften existieren. In seiner mittleren Periode glaubte Brentano, daß jedem vom Geist angestrebten Objekt auch geistige Existenz zukomme, so daß widersprüchliche Eigenschaften, wie etwa die von Meinongs „goldenem Berg", im Geist zwar existieren, nicht jedoch in der Außenwelt. Als dritte Kategorie stellte Brentano Phänomene der Liebe und des Hasses auf. Ein vorgestelltes Objekt kann mit Liebe oder mit Haß betrachtet werden. In diesem Akt werden, wie Brentano behauptete, Wille und Gefühl unterschieden. Diese Lehren haben sich vor allem in der empirischen Psychologie als fruchtbar erwiesen. Der Begriff der Intentionalität wurde von Brentanos Freund Carl Stumpf (1848-1936), einem gebürtigen Bayern, auf die Wahrnehmung angewandt; nach Stumpf bezieht sich jeder psychische Akt auf ein außerhalb seiner selbst gelegenes Objekt. Durch seine Forschungen über das Verhältnis zwischen Geist und angestrebtem Objekt regte Stumpf seine Schüler zur Entwicklung der Gestaltpsychologie an. Auf der anderen Seite konnte sich Brentano in der Logik nie vom Psychologismus lösen: Indem er das Urteil als einen Typus des psychischen Aktes konzipiert hatte, lehnte er Bolzanos Lehre von den Sätzen an sich 296

ab; für Brentano hatten Sätze keine außergeistige Existenz, im Gegenteil, es kam ihnen ausschließlich geistige Existenz zu. Sowohl Meinong als auch Husserl lehnten später diese Ansicht ab und griffen wieder das platonische Denkmodell Bolzanos auf. In seiner späten Periode unterzog Brentano seine frühere Auffassung von geistiger Existenz einer Revision. Nun trat er dafür ein, daß nur Objekte, die konkret existieren, vom Geist angestrebt werden können, und erklärte Begriffe wie Sein und Nichtsein als Fiktionen. Wenn der Geist ein irreales Objekt wie etwa einen Kentauren denkt, dann strebt er nicht — wie der frühere Brentano meinte — die Eigenschaften eines Kentauren an, sondern den Geist einer konkreten Person, die einen Kentauren denkt. In der Auseinandersetzung mit der Semantik seines loyalen Schülers Anton Marty behauptete der spätere Brentano, daß die Kopula in der Sprache reine Fiktion sei, vergleichbar etwa den imaginären Zahlen; ihr Vorhandensein in einem Satz hält den Satz nicht davon ab, sich ausschließlich auf konkrete Dinge zu beziehen. Oskar Kraus, dem Brentano diese Ansichten brieflich mitteilte, gab bekümmert zu, wie schwer es sei, sie zu systematisieren. Jan Srzednicki legte sich völlig auf diese Auffassung fest und behauptete gegen Alfred Kastil und dessen Schülerin Franziska MayerHillebrand, daß Brentano überhaupt nur ad hoc philosophiert und niemals die Absicht gehabt habe, ein System zu errichten. Plausibler allerdings schiene es zu folgern, daß er nacheinander mehrere Systeme entworfen habe, wie seine Schüler Husserl und Ehrenfels. Weniger Meinungsverschiedenheiten bestehen hinsichtlich Brentanos Ethik. In einem Vortrag vor der Wiener Juristischen Gesellschaft formulierte er als Entgegnung auf die Ethik des Juristen Rudolf von Ihering seine eigene. Vom Ursprung sittlicher Erkenntnis (Leipzig 1889) atmet den Geist intuitionistischer Ethik. Im selben Jahr, in dem G. E. Moore seine Principia Ethica (1903) veröffentlichte, nannte er Brentanos Arbeit „eine bei weitem bessere Diskussion der fundamentalsten Prinzipien der Ethik als jede andere, die ich kenne". 7 Brentano trat für eine axiologische Ethik ein, in deren Mittelpunkt die Werttheorie stand, die nicht mit der Wertphilosophie der Neukantianer zu verwechseln ist. Brentano ordnete Werte in die dritte Klasse seiner Seelentätigkeiten ein: Phänomene der Liebe und des Hasses. Seine ethische Maxime paraphrasiert Bolzano so: „Das Gute in diesem weiten Ganzen nach Möglichkeit zu fördern, das ist offenbar der richtige Lebenszweck, zu welchem jede Handlung geordnet werden soll."8 Dieses „weite Ganze" definierte Brentano als „nicht allein das eigene Selbst: die Familie, die Stadt, der Staat, die ganze gegenwärtige irdische Lebewelt, ja die Zeiten ferner Zukunft ..." 9 Dieses Prinzip der Summierung des Guten rekapituliert nach Brentano die Erfahrungsweisheit der Goldenen Regel, den kategorischen Imperativ Kants und sogar Benthams Kalkül der Lüste. Wissen, daß ein Ding gut ist, heißt zugleich behaupten, daß es richtig ist, dieses Ding zu lieben; daß ein Ding schlecht ist, heißt gleichermaßen, daß es richtig wäre, dieses Ding zu hassen. G. E. Moore teilte diese Ansicht und bekannte sich auch zu einer anderen Maxime Brentanos, die er selbst folgendermaßen formulierte: „Alle Wahrheiten in der Form ,Dies ist an sich gut' sind logisch unabhängig von jeglicher Wahrheit betreffend das tatsächlich Existierende. Alle derar297

tigen ethischen Wahrheiten sind wahr, egal wie die Natur der Welt auch beschaffen sein mag."10 Diese erhabene Auffassung von Ethik läßt den böhmischen Reformkatholizismus durchschimmern. Wie Bolzano wandte sich auch Brentano gegen Kants deontologische Ethik und auch gegen Benthams utilitaristischen Kalkül. Für beide Katholiken ist das Gute dasjenige, was man bedingungslos lieben kann: es muß den Interessen des Ganzen des Universums dienen und sollte ohne Rücksicht auf Erreichbarkeit geliebt werden. Durch sein Hervorheben des Wohles des Ganzen beeinflußte Brentano Christian von Ehrenfels stark. Brentanos Ethik des Ganzen hatte ihre Wurzeln in einem unerschütterlichen Glauben an die Vorsehung Gottes. Selbst als er schon aus der Kirche ausgetreten war, befaßte er sich noch mit katholischer Apologetik und dachte niemals daran — wie mitunter behauptet wird —, sich dem Protestantismus zuzuwenden. Zwanzig Jahre lang hielt Brentano Vorlesungen über Gottesbeweise und schloß, daß zweifellos ein ewiges, schaffendes und erhaltendes Prinzip existieren müsse, das er Verstand nannte. Zwar gab er zu, daß der Zweifel bestehen bleibe, ob dieses Prinzip unendlich vollkommen sei und ob es unitär sei, er selbst jedoch, der Expriester Brentano, war davon überzeugt, daß es diese beiden Eigenschaften manifestiere." Mit einem anderen Schüler, dem deutschen Priester Hermann Schell (1850—1906), führte Brentano einen ausgedehnten Briefwechsel; Schell, Professor in Würzburg, sagte, daß Gott ewige Aktivität sei, eine Lehre, die der Vatikan 1897 verurteilte.12 In einem Gedicht, das Brentano zwei Jahre zuvor an Schell gesandt hatte, formulierte er seinen Glauben an die Vorsehung und an ein Leben nach dem Tode: Gott voll Liebe, Quell der Kraft, Dann auch wird Dein Reich mir kommen, Wenn des Pilgers Knie erschlafft, Wenn des Schiffers Stern verglommen. Immer wird Dein Wort erfüllt, Ob ich fordre, ob verzichte; Doch ich träum' Dein selig Bild, Und mich drängt's nach Deinem Lichte. Und jed' Körnlein meiner Hand Und jed' Steinlein, ich vertraue, Senkt sich in Dein fruchtbar Land, Fügt sich Deinem ew'gen Baue.18 Keine Abhandlung könnte den Glauben des böhmischen Reformkatholizismus so beredt zusammenfassen wie diese Strophen. Wie es seiner pro-aristotelischen Haltung entsprach, hielt Brentano den nachkantischen Idealismus für eine Periode des Niederganges und tat den Originalitätskult der Idealisten als kindisch ab. 1895 formulierte er ein Schema, nach welchem sich die Entwicklung der Philosophie vollzogen habe; er war der An298

sieht, daß sie zwischen Thaies und den Nachkantianern drei Zyklen zu je vier Stufen durchgemacht habe. In jedem Zyklus sei eine Stufe der Forschung den aufeinanderfolgenden Stufen der Degeneration vorangegangen, die er Ausbildung, Skepsis und Mystik nannte. Folgendermaßen periodisierte er die drei Zyklen des Altertums, des Mittelalters und der Moderne: 14 Phase

Altertum

Mittelalter

Moderne

Forschung

Thaies bis Aristoteles Stoiker, Epikuräer Skeptiker, Eklektiker Neuplatoniker, Neupythagoräer

Thomas v. Aquin

Bacon bis Locke

Duns Scotus

Die Aufklärung

Wilhelm von Ockham

Hume

Lullus, Kues

Deutscher Idealismus

Ausbildung Skepsis Mystik

Brentano war das absolute Gegenteil eines therapeutischen Nihilisten, er hoffte, den Niedergang aufzuhalten, indem er die unvergängliche Philosophie der Forschung, wie sie sich bei Anaxagoras, Aristoteles, Thomas und Locke manifestierte, wiederbelebte. 1905 verfaßte er ein langes Preislied auf Anaxagoras ( 4 9 9 428 v. Chr.) als den Vater der Philosophie. 15 Unerschütterliche Hingabe an die Wahrheitssuche und die Bereitschaft, jungen Kollegen ein Freund zu sein, haben Brentano die Hochachtung von so verschiedenen Gelehrten wie Meinong, Husserl, Ehrenfels, Marty, Kraus, Stumpf, Twardowski und Masaryk eingetragen. Mit ihnen pflegte er den philosophischen Dialog auf höchster Ebene und gab jeder Frage, die er aufgriff, neues Leben. Von den Teilgebieten der Philosophie ließ ihn lediglich die Ästhetik völlig kalt. Anstatt wie Herbart eine monolithische Schule zu gründen, regte Brentano seine Schüler dazu an, ihn selbst zu Neuerungen zu treiben und sich auch gegenseitig dazu aufzustacheln, aber auch dazu, eine zweite Generation von Enkelschülern heranzubilden, zu denen Alois Höfler ( 1 8 5 3 - 1 9 2 2 ) , Alfred Kastil (1874-1950), Hugo Bergmann (geboren 1883) und Emil Utitz (1883 bis 1957) zählten. Zwar folgte ein jeder seiner eigenen Neigung, aber alle diese Männer trugen den Geist Brentanos in sich, seine Forderung nach tiefgehender Analyse und seinen Begriff der Intentionalität, den sie verbreiteten. Uber seine Schüler hat Brentano die österreichische Philosophie aus dem eisernen Griff des Herbartianismus befreit.

Alexius Meinong: Auf halbem Weg zwischen Bolzano und Brentano Alexius Meinong (1853-1920) war der erste Brentanoschüler, der in England bekannt wurde, vor allem infolge des Interesses, das Bertrand Russell ihm entgegenbrachte. 16 Meinong kam in Lemberg als Sproß einer katholischen Adelsfamilie 299

zur Welt. Von 1875 bis 1878 studierte er bei Brentano. Mit Studien über H u m e promovierte und habilitierte er sich. Seine ganze weitere akademische Laufbahn von 1882 bis 1920 vollzog sich in Graz, wo er als Professor für Philosophie tätig war, 1894 Österreichs erstes Laboratorium für empirische Psychologie gründete u n d zahlreiche Schüler ausbildete. Die sogenannte Grazer Schule der Experimentalpsychologie bildete sich um ihn und seine Schüler Alois Höfler, Stephan Witasek ( 1 8 7 0 - 1 9 1 5 ) , Vittorio Benussi ( 1 8 7 8 - 1 9 2 7 ) und Ernst Mally (1879—1944). W i e H e r b a r t u n d Boltzmann war er Amateurmusiker und -komponist und führte eine umfangreiche Korrespondenz mit Freunden wie Masaryk, Jodl und Husserl. Wenn Meinong sich seinen messerscharfen logischen und psychologischen Untersuchungen zuwandte, dann versank für ihn die Welt ringsum. Ausgehend von Brentanos Begriff der Intentionalität, den er in Gerichtetsein umbenannte, entwickelte Meinong seine eigene Gegenstandstheorie. In Uber Annahmen (Leipzig 1902) griff er Twardowskis Behauptung - die übrigens von einer Kritik an Bolzano hergeleitet war - wieder auf: Ideen, wie etwa die eines „goldenen Berges", k ö n n t e n keine Gegenstände haben, da ihr Inhalt widersprüchliche Attribute verbinde. 1 7 Um das Problem nichtexistenter Gegenstände einer Lösung zuzuführen, griff M e i n o n g auf Ehrenfels' Unterscheidung zwischen Gestalteigenschaften u n d deren Fundament zurück. Diese Fundamente taufte Meinong in fundierende Inhalte oder Inferiora um. Die Gestalteigenschaften nannte er mit Ehrenfels fundierte Inhalte oder Superiora. Inferiora können laut Meinong aus sich existieren, Superiora dagegen können ohne Inferiora nicht existieren. Inferiora und Superiora bilden gemeinsam einen Komplex. Der Kern der Theorie Meinongs bestand n u n in der Behauptung, daß solche Komplexe zwar vom Geist bejaht oder verneint, daß sie im Geist jedoch nicht vorgestellt werden können. Dieser Akt der Bejahung oder Verneinung von Komplexen kann auf zwei verschiedene Arten vollzogen werden: In einer Annahme wird ein Komplex durch eine Hypothese, das heißt ohne Beweisführung, bejaht oder verneint. In einem Urteil k o m m t das Element der Beweisführung hinzu. Daher war M e i n o n g der Ansicht, daß der Geist die Existenz eines „goldenen Berges" etwa annehmen und/ oder beurteilen kann, ohne eine Vorstellung von einem solchen Komplex zu haben. Vorstellungen behielt er, wie Brentano, dem Bereich existierender Gegenstände vor. Gegenstände, deren widersprüchliche Attribute ihre Existenz ausschließen, können nicht vorgestellt werden, dennoch aber können sie gedacht werden. In seiner Gegenstandstheorie verwendete M e i n o n g Brentanos dreifache Unterscheidung zwischen geistigem Akt, dessen Inhalt und dem mit dem Akt intendierten Gegenstand. Er behielt Brentanos Lehre bei, daß kategorische Sätze die Existenz von Eigenschaften - von Meinong Sosein genannt — aussagen können, ohne dabei die Existenz des Gegenstandes selbst - von Meinong Sein genannt - auszusagen. Von Gegenständen, die nicht in Raum u n d Zeit existieren, sagte Meinong, sie bestehen. So kann also ein „goldener Berg" wohl bestehen, aber nicht existieren. Mehr noch, sogar Gegenständen, die sehr wohl existieren, haften noch andere an, die nur bestehen - so etwa, wenn wir vom Sein von Pferden sprechen. Solche abstrakte Wesenheiten, die ja der spätere 300

Brentano als bloße Fiktion abgelehnt hatte, klassifizierte Meinong als Gegenstände, die bestehen. Auch Russell hielt dies für keine befriedigende Lösung; er verwarf den Begriff des Soseins und meinte, daß jede Aussage entweder Sein bejahe oder Sein verneine. Meinong hielt daran fest, daß der Satz vom Widerspruch ausschließlich auf existierende Objekte anwendbar sei, da im Denken Objekte mit widersprüchlichen Eigenschaften durchaus bestehen können. Diese entia rationis, die er als das Gegenständliche bezeichnete, nähern sich gewissermaßen den Bolzanoschen Sätzen an sich. Mit Bolzano stimmte Meinong darin überein, daß jeder Satz oder jeder Gegenstand - egal ob widersprüchlich oder nicht - im Geiste existieren könne. Nicht jedoch war er mit Bolzano darin einer Meinung, daß allen derartigen Sätzen auch eine außergeistige, außerhalb von Raum und Zeit gelegene Existenz zukomme. Im Gegensatz zum späten Brentano vergrößerte Meinong den Bereich geistiger Objekte. Indem er diese Gedanken auf die Ethik anwandte, stellte er die Lehre auf, daß der Großteil aller ethischen Werte zwar bestehe, aber nicht existiere. Meinongs Terminologie erschreckt den modernen Leser; er übertrug das Vokabular der Chemie auf die Psyche, sprach von Elementen, Konstituenten und Momenten in ähnlicher Art wie Mach. Für eine Generation, die sich an Wittgenstein und Husserl orientiert, scheinen Meinongs Termini überholt; wir empfinden weniger Notwendigkeit, die Autonomie des Geistes gegen den Monismus der Chemiker und Physiker zu verteidigen. Der Großteil dessen, was an Meinongs Unterscheidung zwischen Akt, Inhalt und Gegenstand wertvoll ist, wurde von Husserl weitestgehend verwertet. Diesem anderen Brentanoschüler fiel es zu, eine Wissenschaft von geistigen Objekten auszuarbeiten und mit dieser eine dauerhafte Anhängerschaft zu gewinnen.

Edmund Husserls Phänomenologie: Eine Synthese von Brentano und Bolzano Viele von Edmund Husserls Schülern halten Brentano für einen bloßen Vorläufer ihres Mentors, der selber Brentano als jenen Mann verehrte, der ihn in die Philosophie eingeführt hatte.18 Husserl ( 1 8 5 9 - 1 9 3 8 ) wurde in Proßnitz in Mähren als Sohn jüdischer Eltern geboren. Er studierte von 1876 bis 1881 in Leipzig, Berlin und Wien bei den Mathematikern Karl Theodor Weierstraß und Leopold Kronecker. Auf Anraten seines Freundes Thomas G. Masaryk kehrte er nach Wien zurück und studierte dort von 1884 bis 1886 bei Brentano. Von Masaryk wurde Husserl auch überredet, zum Protestantismus zu konvertieren. Zu einer Zeit, als Husserl wie einst Bolzano noch zwischen Philosophie und Mathematik schwankte, überzeugten Brentanos Vorlesungen den jungen Mathematiker davon, daß es sich lohne, sich ernstlich der Philosophie zu widmen. Mit der Begeisterung des Anfängers hörte Husserl sowohl Brentanos Ethikvorlesungen für Jusstudenten als auch seine Psychologievorlesungen für Fortgeschrittene und besuchte seine Logikseminare, in denen der Meister Bolzano analysierte. Später gehörte Husserl zu jenem Kreis von Auserwählten, die Brentano nach den Seminaren zu sich einlud, und im Juni 1886 hatte er auch die Ehre, in Bren301

tanos Haus am Wolfgangsee als Gast aufgenommen zu werden. Wie viele andere empfand auch dieser junge, zum Philosophen gewordene Mathematiker eine tiefe Dankbarkeit gegenüber der Großzügigkeit, mit der Brentano seine Zeit und seinen Geist an ihn verwandte. Aber trotz seiner Dankbarkeit konnte sich Husserl nie mit Brentanos Psychologismus anfreunden, so daß ihre Freundschaft nach 1886 abzukühlen begann. Aber noch Anfang der neunziger Jahre besuchte Husserl Brentano, und auch in Florenz suchte er ihn 1908 auf. 1919 gestand Husserl, wie sehr er Brentano verehrt und dessen Sendungsbewußtsein wie auch seiner Forderung nach Klarheit und logischer Strenge nachgeeifert habe. Husserls Uberzeugung, daß er ohne Brentano niemals auch nur ein Wort über Philosophie geschrieben hätte, drückte sich in der Meinung seines ersten philosophischen Werkes aus, Die Philosophie der Arithmetik. Psychologische und logische Untersuchungen (Halle 1891). Die Widmung lautet: „Meinem Lehrer Franz Brentano: In inniger Dankbarkeit." Wie bei anderen aus Osterreich stammenden Philosophen auch — Emil Lask etwa, Johannes Volkelt und Richard Hönigswald — vollzog sich Husserls Laufbahn in seinen reiferen Jahren ausschließlich in Deutschland; er lehrte in Halle (1887-1901), Göttingen (1901-1916) und Freiburg (1916-1928). Mit außergewöhnlicher Entschlossenheit verfolgte er die Vision von einer völlig objektiven — „voraussetzungslosen" — Philosophie und gelangte bald über Brentano hinweg zu einer Logik, die der Logik von Leibniz und der Bolzanos verwandter war. In seiner ersten größeren Abhandlung, dem zweibändigen Werk Logische Untersuchungen (Halle 1900-1901), griff er die subjektive Logik von Empiristen wie J. S. Mill und Herbert Spencer an und auch das Ökonomieprinzip Ernst Machs. Deren Psychologismus, meinte Husserl, gebe die Objektivität logischer Strukturen preis. Husserl trennte die Psychologie von der Logik, indem er besonders jene reductio ad absurdum hervorhob, die sich ergibt, wenn man annimmt, daß logische Axiome aus der Erfahrung abzuleiten seien. Selbst der Satz vom Widerspruch müßte aufgegeben werden, wenn die Menschen aufhörten, ihn zu glauben. Ganz im Gegensatz dazu bleibt jedoch dieser Satz nach Husserl selbst dann noch gültig, wenn ihn nie irgendein Mensch für wahr hält. Wie sehr auch immer die Denker den Begriff der Existenz Gottes verdrehen mögen, die Aussage, daß Gott existiert, bleibt entweder absolut wahr oder absolut unwahr. Wenn selbst die Möglichkeit einer objektiven Wahrheit geleugnet wird, dann treibt der Psychologismus sein Anliegen zu weit und degeneriert zum Skeptizismus. In seinen Logischen Untersuchungen zeigte sich Husserl Brentano, Frege und Leibniz verpflichtet. Er unterschied die formale Logik von Sätzen von der formalen Ontologie, unter welcher er die Gegenstandstheorie im Sinne Meinongs verstand. Als ehemaliger Mathematiker bekannte er sich zum Gegebensein geistiger Objekte und ging über Brentano hinaus, um ihren objektiven Charakter zu rechtfertigen. Brentanos Begriff der Intentionalität roch für Husserl nach Psychologismus. Obwohl Husserl Machs psychologische Studien als einseitig kritisiert hatte, ließ er sich doch durch seine Korrespondenz mit dem Physiker anregen.19 Abgesehen davon, daß er Bolzano positiv hervorhob, lobte Husserl auch Lehren Herbarts, die dieser von Leibniz übernommen hatte, um Kant zu 302

widerlegen. In einem letzten Kapitel baute Husserl eine „phänomenologische Aufklärung der Erkenntnis" auf, der er Leibnizens mathesis universalis zugrunde legte. In seinen Vorlesungen in Göttingen (1901 bis 1916) arbeitete Husserl seine Logik zu jener transzendentalen Phänomenologie aus, die in den Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie (Halle 1913) dargestellt wird. Hier kündigte Husserl seine große Entdeckung an. Er hatte Bolzanos Sätze an sich dem Intentionalitätsbegriff des frühen Brentano gegenübergestellt und trat für eine Dichotomie von Noema und Noesis ein. Diese beiden Elemente sind nach Husserls Behauptung in jedem Bewußtseinsakt gegenwärtig. Noema steht für Bolzanos zeitlosen Satz an sich, der gültig ist, ganz gleich ob ihn nun jemand denkt oder nicht, Noesis dagegen steht für Brentanos Akt, mit dem der Geist ein Objekt anstrebt. Nach Husserl ist dasjenige, was der Geist in einem Akt der Noesis anstrebt, nichts anderes als ein Noema. Indem er sich auf eine Untersuchung einließ, die sich damit befaßte, wie der Geist eine zeitlose Wahrheit anstrebt, eröffnete Husserl zwei komplementäre Wege zur Erforschung des Bewußtseins: Der Phänomenologe kann entweder den noetischen Akt untersuchen oder dessen noematischen Inhalt. In letzterem Fall könne irgendein Satz, den der Geist anstrebt, als Noema konstruiert werden, das an sich gültig und in einen Vergleich mit der äußeren Realität „eingeklammert" sei. Gleichzeitig sind jedem Noema Daten über die Bewußtseinsakte des Geistes zu entnehmen. Anstatt - wie die empirische Psychologie — zu untersuchen, wie der Geist äußere Gegebenheiten festhält, untersucht der Phänomenologe dessen innerste Struktur. Husserl kleidete seine Technik der Introspektion in eine esoterische Terminologie. Bewußtsein definierte er als Korrelation zwischen dem psychologischen Akt der Noesis und der angestrebten zeitlosen Wesenheit, nämlich dem Noema. Eine unbestimmte Anzahl noetischer Akte kann einem einzigen Noema entsprechen, genauso können auch mehrere Noemata in einem einzigen Akt angestrebt werden. Weiter unterschied Husserl das wahrgenommene Objekt von einem Noema der Wahrnehmung, das dieses Objekt ist, wie es im jeweiligen noetischen Akt der Wahrnehmung angestrebt wird. Diese dreifache Unterscheidung zwischen dem wahrgenommenen Objekt, dem Akt des Anstrebens (Noesis) und dem angestrebten Inhalt (Noema) war eine Neufassung der Trichotomie Brentanos, die auch Meinong verwendet hatte. Husserl führte ferner aus, daß ein einziges äußeres Objekt Anlaß für viele Noemata der Wahrnehmung sein kann, je nach dem wie das Objekt von verschiedenen Standpunkten aus betrachtet wird. Für den Phänomenologen kann jedes dieser Noemata der Wahrnehmung als Wesenheit an sich untersucht werden. Als nächstes differenzierte Husserl mehrere Arten des Gegebenseins, durch welches Noemata im Bewußtsein aufscheinen können. Ein Noema der W a h r n e h m u n g kann in ein Noema der Erinnerung und dann in ein Noema der Reflexion übergehen. Solche Noemata umfassen einen noematischen Kern, an welchem die gemeinsamen Charakteristika eines Objektes auf verschiedenen Ebenen des Geistes betrachtet werden. Durchgehend behielt Husserl die Voraussetzung bei, daß Bewußtsein eine unvermeidliche Dualität zwischen zeitlichem Akt und zeitlosem Inhalt einschließe. Wie Anton Günther pries 303

auch er Descartes ob seines Eintretens für einen Dualismus zwischen Außenwelt und Geist. Diese und andere Denkmodelle hat Husserl bis ins kleinste Detail ausgearbeitet und hinterließ so dem Husserlarchiv in Löwen an die 40.000 Manuskriptseiten, die zu einem großen Teil noch gar nicht ausgewertet sind. Er verfolgte seine Sendung mit unerschütterlicher Hingabe und war davon überzeugt, daß nur die transzendentale Phänomenologie eine Wissenschaft des Geistes bieten könne, durch welche die moderne Kultur gerettet werden würde. Wie Brentano sehnte sich auch Husserl danach, der philosophia perennis wieder zu ihrem Recht zu verhelfen. In noch größerem Ausmaß als Brentano lebte er ein von Alltagssorgen abgeschirmtes Leben, eingebettet in die Zuneigung eines kleinen Kreises von Schülern in Göttingen und Freiburg. Zwar trug seine abstruse Terminologie dazu bei, diesen Kreis von Anhängern klein zu halten, doch haben immerhin Alexander Pfänder, Roman Ingarden, Felix Kaufmann und Martin Heidegger seine Gedanken zu eigenen Systemen ausgebaut; Max Scheler wurde durch die Lektüre der Arbeiten Husserls beeinflußt, und die vielen Schüler Heideggers, wie etwa Jean-Paul Sartre und Karl Löwith, haben die Tradition in die Welt hinausgetragen. Römische Katholiken bedienten sich des Noema-Begriffes, um zu untersuchen, auf welche Weise ewige Wahrheiten den Geist bewohnen. Husserl war von seiner inneren Vision so sehr besessen, daß es bedeutungslos erschiene, Elemente seines Denkens auf gesellschaftliche Bedingungen in Osterreich zurückführen zu wollen. Er war der kompromißloseste Opponent gegen Einflüsse der Soziologie und der Psychologie auf die Philosophie, den das 20. Jahrhundert kennt. Zudem stammte er aus einer Umgebung, die jener der jüdischen Soziologen des Wissens, wie Lukäcs und Mannheim, ähnelt wie auch jener der jüdischen Psychologen Wilhelm Jerusalem und Rudolf Eisler. Der Einfluß des Mathematikers Weierstraß und Franz Brentanos gaben den Ausschlag für Husserls Absage an diese Art von Denken. Eher ist er mit anderen österreichischen Bolzanoanhängern auf eine Ebene zu stellen, wie etwa mit Melchior Palagyi und Emil Lask. Aber sowohl der Ungar Palagyi als auch der galizische Jude Lask zeigten mehr Neigung als Husserl, Sätze an sich auf eine Rekonstruktion der Vergangenheit anzuwenden. Husserl war so sehr im Zeitlosen gefangen, daß er die Geschichte so gut wie völlig ignorierte. Christian von Ehrenfels oder Die vergessene Vielseitigkeit Der nach Husserl originellste Brentanoschüler, der im Gegensatz zu Husserl von der gelehrten Welt völlig unbeachtet blieb, war Christian Freiherr von Ehrenfels (1859—1932). 20 Obwohl er als Komponist, Dramatiker, Eugeniker, Kosmologe und Ethiker Hervorragendes leistete, erinnert man sich seiner fast ausschließlich als des Vaters der Gestaltpsychologie. Ehrenfels wurde in der Nähe von Wien als Sohn eines österreichischen Adeligen und einer französischen Mutter geboren. Er besuchte kein Gymnasium, sondern eine Realschule, verbrachte ein Jahr an der Hochschule für Bodenkultur und erwies sich alsbald als würdiger Enkel seines Großvaters Joseph Michael von Ehrenfels (1767-1843), der die 304'

Methoden der Schaf- und Bienenzucht mit dem gleichen Eifer revolutioniert hatte, den der Enkel für die Eugenik aufbrachte. Im Oktober 1882 gab Christian seinen Adelstitel und seine Rechte als Erbe an seinen jüngeren Bruder Bernhard ab und befreite sich damit für seine literarische Aktivität. Bei Bruckner hatte er Kontrapunkt und Harmonie studiert, und die Hingegebenheit seines Meisters an eine andere Welt inspirierte eine ähnliche Haltung bei Ehrenfels. Er verehrte Richard Wagner so sehr, daß er 1882 zu Fuß von Wien nach Bayreuth pilgerte, um die Premiere des Parsifal mitzuerleben. In den achtziger Jahren schrieb Ehrenfels Chordramen, für deren Vertonung er sich vergeblich um einen Komponisten bemühte. 1885 promovierte er bei Meinong in Graz und habilitierte sich drei Jahre danach bei Brentano in Wien. 1894 heiratete er Emma von Hartmann und nahm nach einigen Jahren rastloser Tätigkeit als Dramatiker und Essayist 1896 eine Berufung als Philosoph nach Prag an, wo er bis 1929 lehrte. Eine Wahl zum Dekan oder Rektor lehnte er immer wieder standhaft ab. Ehrenfels' Vorlesungen erfreuten sich außerordentlicher Beliebtheit; er brach mit allem Herkömmlichen und unterhielt sich nach der Vorlesung zwanglos mit seinen Studenten. Alljährlich hielt er - zusätzlich zu seinen Zyklen über Erkenntnistheorie und Ethik eine Reihe von Vorlesungen über Richard Wagner.21 Noch als Privatgelehrter schrieb Ehrenfels sein berühmtestes Werk: Uber Gestaltqualitäten (1890). 22 In ihm behauptet er, daß wir Melodien mittels einer Gestaltqualität wahrnehmen, die dem Ganzen inhäriere und einen höheren Grad an Realität habe als individuelle Teile. Diesen Ausgangspunkt hat Ehrenfels von Ernst Machs Beiträgen zur Analyse der Empfindungen (Jena 1886) übernommen, in welchen der Physiker behauptet, daß wir in der Musik und in der Geometrie die von ihm so bezeichneten Tongestalten und Raumgestalten wahrnehmen. Mach hatte festgestellt, daß man die Farbe oder den Umfang eines Kreises variieren kann, ohne ihn in seiner Kreishaftigkeit — seiner „Raumgestalt" irgendwie zu beeinträchtigen. Zur weiteren Klärung dieser Erkenntnis wandte Ehrenfels Brentanos Lehre der Intentionalität an: Der Geist intendiere Gestaltqualitäten, die er selbst beitrage, um das Fundament der tatsächlich wahrgenommenen Daten zu interpretieren. Diese Unterscheidung zwischen Fundament und Gestaltqualität hat Meinong dann zu seiner Dichotomie von Inferiora und Superiora ausgebildet. Einige Wochen vor seinem Tod faßte Ehrenfels in einem seiner Frau gewidmeten Aufsatz die Reflexionen eines ganzen Lebens über Gestaltqualitäten zusammen. Eine Gestaltqualität ist „jenes wahrgenommene Etwas, das mehr und etwas Anderes als die bloße Summe seiner konstituierenden Teile ist, obwohl diese für seine Existenz essentiell sind". 23 Wenn wir eine Melodie hören, werden die individuellen Töne im Gedächtnis als Fundament festgehalten, über dem der Geist einen fundierten Inhalt errichtet, mit anderen Worten: eine Gestalt. Wenngleich diese einigende Idee nur in Gegenwart ihres Fundamentes auftreten kann, meinte Ehrenfels doch, daß der Geist selbst den fundierten Inhalt beiträgt, der nicht wirklich Teil des Fundamentes ist. Die Gestaltpsychologen Wertheimer und Köhler meinten im Gegensatz dazu, daß jede Gestaltqualität vom Fundament unlösbar sei und lediglich vom Geist wahrgenommen werde, wie auch Mach ursprünglich angenommen hatte. 305

Ehrenfels erweiterte seine Theorie auch auf die Psychologie des Lernens. Er unterschied zeitliche Gestaltqualitäten, wie Melodien, Bewegungen und Farbsequenzen, von zeitlosen, wie musikalischer Harmonie, der Struktur des Raumes und der Harmonie von Farben. Gedächtnisspiele wie Wortspiele oder Karikaturen verkörpern Gestaltqualitäten, die der Geist leichter festhält als isolierte Konstituenten. Da jede Gestaltqualität ein Muster darstellt, das der Geist mit anderen Ganzen in Beziehung setzen kann, funktioniert der Intellekt im Verweben von Gestaltqualitäten, um ein Maximum von Daten gleichzeitig zu umfassen. Schöpferisches Denken entwickelt sich im Hervorbringen von immer breiteren Gestaltqualitäten, die einen immer größer werdenden Bereich von Erfahrungen ordnen. Im selben Jahr wie Ehrenfels war auch Husserl zu einem beinahe gleichen Begriff gelangt, den er — vielleicht weniger glücklich - das figúrale Moment nannte. In seiner Philosophie der Arithmetik betonte er folgendes: „Einen besonders kräftigen Reiz üben auf das isolierende Bemerken alle Arten von Reihen, Ordnungen, Systemen und alle auf Abstands- und Richtungsrelationen aufgebauten Configurationen." 24 Husserl bemerkte, daß er seinen Terminus ein Jahr vor der Lektüre von Ehrenfels' „scharfsinniger" Studie geprägt habe, die ihn erst erreichte, als sein eigenes Werk bereits in Druck gegangen war. Aber nicht durch Ehrenfels oder durch Husserl wurde der Begriff der Gestaltqualität weltbekannt, sondern durch die Schüler des Brentanoschülers Carl Stumpf. Um 1910 entwickelte der aus Prag stammende Max Wertheimer (18801943) in Berlin eine Gestalttheorie der Wahrnehmung, die ihrerseits Wolfgang Köhler und Kurt Koffka inspirierte. Doch deren Ruhm sollte nicht den Umstand verbergen, daß der Gestaltbegriff von den Österreichern Mach und Ehrenfels entwickelt und von Wertheimer verfeinert worden war. In ihm formulierte sich der Hang der österreichischen Denker, die Phänomene als Ganzes zu interpretieren. Ehrenfels selbst wandte sich später so intensiv der Ethik, der gesellschaftlichen Reform und der Kosmologie zu, daß er kaum registrierte, zu welcher Gängigkeit sein Begriff unter den empirischen Psychologen gelangt war. In der Psychologie lehnte Ehrenfels Brentanos Ansicht ab, daß Gefühl und Begehren einer gemeinsamen Klasse der Liebe und des Hasses angehören. Begehren und Gefühl, entgegnete Ehrenfels, könnten ein jedes ohne das andere existieren und seien so verschieden wie Empfindung und Gefühl.25 In seinem zweibändigen System der Werttheorie (Leipzig 1897-1898) baute Ehrenfels diese Psychologie des Begehrens zu einer systematischen Axiologie aus, die Meinongs Gegenstandstheorie mit Carl Mengers ökonomischer Werttheorie verband. Während Meinong behauptet hatte, ein Gegenstand gewinne dadurch Wert, daß er uns gefällt, trat Ehrenfels dafür ein, daß jene Dinge, die wir am höchsten werten, gar nicht existieren könnten, so etwa die vollkommene Gerechtigkeit oder das totale Wissen. 26 Diese Ideale halten wir nicht deshalb hoch, weil sie uns gefallen, sondern weil wir uns danach sehnen, sie zu besitzen, wenngleich vergeblich. Für Ehrenfels wie auch für Menger wird der Wert gemessen, indem die Intensität des Begehrens zur Erhältlichkeit des begehrten Dinges in Relation gebracht wird. Wenngleich die Werttheorie weite Diskussionen nach 306

sich zog, ist sie doch eines der am wenigsten originellen Werke von Ehrenfels. Es enthielt keinerlei Anspielung auf jenes radikale Programm der Eugenik, das sein Autor bald darauf vertrat. In mehr als zwanzig Aufsätzen, die ab 1903 erschienen, 27 trat Ehrenfels für die Polygamie als Universalmittel gegen die von der Industrialisierung verursachte Degeneration ein. Da die Technologie das Leben des Untüchtigen genauso verlängere wie das des Tüchtigen, vereitle sie die natürliche Selektion der Härtesten. Große Städte stellten Brutstätten für Krankheiten dar, wie die Syphilis, die das Erbgut denaturiert, und für Alkoholismus, der die Elternschaft zerrüttet. Frauen verschmähten die Mutterschaft und gäben sich lieber der Jagd nach dem Vergnügen als der Sorge um Kinder hin. In dem Maß, wie die Vorzüge der Gemeinschaft verschwänden, schwächten soziale Leiden die Nachkommenschaft — wie Ehrenfels prophezeite — so sehr, daß nach einer oder zwei Generationen die Sterblichkeitsraten wieder ansteigen würden. Die einzige Vorbeugungsmaßnahme wäre nach Ehrenfels die Pflege der Polygamie, so daß den tüchtigsten Männern von einer Reihe widerstandsfähiger Frauen Kinder geboren werden könnten. Er trat dafür ein, daß Europa den Mongolen und den Muslims darin nacheifere, die Polygamie von virilen Männern zu nützen. Da es eine größere Anzahl passender Mütter gäbe als ebensolcher Väter, schlug Ehrenfels vor, Heime zu errichten, in denen die Frauen die Kinder in einer Art männerlosem Kibbuz erziehen könnten. 1904 verteidigte er gegen gewisse Neo-Lamarckianer Darwins Theorie der Evolution durch Selektion kleinster Variäteten. 28 Daß Darwins Theorie so in Vergessenheit geraten war, erklärte er mit der Vorliebe der Wissenschaftler für Detailarbeit, die jede Synthese unmöglich mache. Er griff die Lamarckianer an und zieh sie des sturen Festhaltens an der eitlen Hoffnung, daß sich die menschliche Natur doch noch irgendwie ändern würde, obwohl sie schon durch Jahrtausende unverändert geblieben sei. Max Nordau tat er als einen zwar geistreichen, aber wirkungslosen Kritiker der Degeneration ab. Im Anwenden der Darwinschen Theorie auf die Eugenik trat Ehrenfels dafür ein, daß die fähigsten Männer doch ihre nützlichsten Variäteten weitergeben sollten, um „nivellistischen" Tendenzen entgegenzuwirken. In seiner Sexualethik (Wiesbaden 1907) vertrat Ehrenfels die Ansicht, daß die Zeugung zugunsten der eigenen Befriedigung vernachlässigt werde. Er erklärte, es sei Wahnsinn, die Prostitution unter Strafe zu stellen, ohne andere Auswege für das sexuelle Begehren zu sanktionieren; nur Polygamie und Scheidung könnten Bordelle ersetzen. Obwohl er Freuds Begriffe der Sublimierung und der Deckvorstellung mit Zustimmung zitierte, 29 wollte Ehrenfels eher die vorherrschenden Sitten exorzieren, als Neurosen kurieren. Im Gegensatz zu Freud bekannte er sich zu einer Sexualerziehung für Frauen, ohne zu bedenken, daß Polygamie deren Unterdrückung mit sich bringt. Im Dezember 1908 legte der Prager Professor der Wiener Psychoanalytischen Gesellschaft zwei Aufsätze vor: einen, der Fritz Wittels' Eintreten für die freie Liebe kritisierte, und einen anderen, der für die Polygamie eintrat. Er warnte davor, daß ohne eine solche Reform die „mongolische" Rasse die überlegenen Individuen zum Aussterben verurteilen würde. 30 Wie zu erwarten gewesen war, erschreckte die Forderung nach Polygamie die Freudianer; selbst Zeitschriften, die sich bereit fanden, diese 307

Ansichten zu publizieren, beklagten dieselben. Ehrenfels aber ließ sich nicht abschrecken und schrieb ein Drama zur Sexualreform, Die Sternenbraut, das in Prag mit sehr großem Erfolg über die Bretter ging, bis sich der Autor schließlich mit einer der Schauspielerinnen in ein Verhältnis einließ. Noch mehr jedoch schadete es seinem Ruf in dieser Stadt, daß er sich gegen den Antisemitismus einsetzte. Er pries die Juden als Schöpfer hervorragender Leistungen und erklärte 1910 bei einer Universitätsversammlung, daß er selbst einen jüdischen Vorfahren gehabt habe.31 Ohnehin schon beunruhigt von der abnehmenden Durchschlagskraft seiner Rasse, wurde Ehrenfels durch den Ersten Weltkrieg vollends in Bestürzung versetzt: Krieg führe zur Gegenselektion unter den jungen Männern, da er die tapfersten töte und die untüchtigen verschone.32 Um seine Verzweiflung zu besänftigen, verfaßte er seine Kosmogonie (Jena 1916), die die Leibnizsche Vision zu einer marcionitischen Kosmologie umbaute. Hier erhob Ehrenfels die eugenische Voraussetzung, daß der Mensch eingreifen müsse, um Degeneration hintanzuhalten, zu einem metaphysischen Prinzip: Wenn der Mensch nicht danach strebe, die Gestalt an die äußerste Grenze heranzuführen, werde das Universum von Unordnung verschlungen werden. Ehrenfels pries den menschlichen Intellekt als den Partner Gottes im kosmischen Duell zwischen Gestalt und Entropie und faßte so - wie Schelling und Teilhard de Chardin - den Menschen als Mitschöpfer neben Gott. Die Rolle des Menschen in der Leitung der Evolution ist nach Ehrenfels so wesentlich, daß, sollte der Mensch scheitern, das Gestaltgebäude Gottes zusammenbrechen könnte. Er war jedoch wie Teilhard davon überzeugt, daß das Unheil abgewendet werden könne und auch werde, und sagte voraus, daß der Mensch mittels der Technologie bald einen gewaltigen Sprung in die inneren Zusammenhänge der Welt tun werde.33 So erneuerte Ehrenfels innerhalb eines gnostischen Rahmens den Leibnizschen Glauben an einen Triumph der Vernunft. Obwohl er durch Brentanos Schöpferbegriff beeinflußt gewesen sein könnte, unterschied er sich doch insofern von seinem Lehrer, als er die Allmacht Gottes ablehnte. In den Augen Hugo Bergmanns und Felix Weltschs schien Ehrenfels' Kosmologie der vom Ersten Weltkrieg hervorgerufenen Desintegration zu trotzen. Sie übersahen die Tatsache, daß seine Metaphysik nur wenig von jener eines Kafka oder Paul Adler abwich, wenngleich er deren marcionitische Verzweiflung tadelte. Uber ihrer Welt wie über der seinen schwebte eine unerforschliche Gewalt der Zerstörung ohne eine Lehre von der Vorsehung, die einen Ausweg garantiert hätte. Ehrenfels' Gnostizismus erreichte nie die mystische Intensität des aus Mähren stammenden Eugen Heinrich Schmitt (1851-1916). Als Privatgelehrter in Budapest, Wien und Berlin versuchte dieser unter dem Einfluß Tolstois eine gnostische Elite zu indoktrinieren. In seiner zweibändigen Studie Die Gnosis. Grundlagen der Weltanschauung einer edleren Kultur (Jena 1903—1907, Neudr. 1968) vertrat Schmitt einen christlichen Pantheismus, der das Gleichgewicht zwischen Gott und Satan überwinden sollte. Sowohl Schmitt als auch Ehrenfels gelten als die Vorläufer von Hans Jonas, Hans-Joachim Schoeps, Eric Voegelin und Denis de Rougemont, die alle die Vorstellung eines kosmischen Bürgerkrieges wiederaufgegriffen haben, um die Katastrophen unserer Zeit zu erklären. 308

Mit Ausnahme von Jonas haben alle diese Männer in Prag oder Wien studiert: Schoeps unterstützte Brod bei der Herausgabe der Werke Kafkas, Voegelin war Anfang der zwanziger Jahre Schüler von Hans Reisen, und de Rougemont studierte wenige Jahre später in Wien. Die Vorwegnahme ihrer Hypothesen durch Ehrenfels ist so gut wie vergessen. Nach Vollendung der Kosmologie (1916) fiel Ehrenfels für beinahe vier Jahre in schwere Depressionen, die er durch musikalische und mathematische Studien zu überwinden suchte. Er stieß dabei auf die geistige Übung der Konstruktion von aufsteigenden Reihen ganzer Zahlen, deren Elemente durch die Addition der jeweils vorangehenden Reihe folgendermaßen zustande kommen: 1

3 4

5 8

7 12

9 16

Nachdem er zwei Jahre lang mit solchen Reihen experimentiert hatte, formulierte Ehrenfels 1919 ein Modell, von dem er glaubte, daß aus ihm das lange gesuchte Gesetz der Primzahlen hervorginge. Nach weiteren zwei Jahren des Vortragens und Schreibens über diesen Gegenstand veröffentlichte er Das Primzahlengesetz, entwickelt und dargestellt auf Grund der Gestalttheorie (Leipzig 1922). Zwar war hier die Beweisführung allzu phantastisch, als daß Mathematiker sich von ihr hätten überzeugen lassen, dennoch bot der Essay einige der reifsten Reflexionen seines Verfassers über die Gestaltqualitäten. Ehrenfels war nunmehr von seiner Verzweiflung wieder völlig genesen und verkündete seine neue Entdeckung als einen Sieg des Lichtes über die Finsternis, als einen Vorboten noch größerer Triumphe, die folgen sollten. Diese Hoffnungen für die Menschheit brachte er in dem Werk Die Religion der Zukunft (1929) zum Ausdruck, worin er fortfuhr, die Untersuchung „essentieller Wesenheiten", wie etwa der Zahlen und der Musiknoten, als einziges wirksames Linderungsmittel gegen irdische Unbill zu preisen. Unter den vielen österreichischen Denkern unseres Jahrhunderts, die die gelehrte Welt einfach ignoriert hat, dürfte Ehrenfels der originellste gewesen sein. Er erkannte, wie Technologie und soziale Erhebung das kontemplative Ideal des böhmischen Reformkatholizismus bedrohten. Für ihn machte Brentanos Zielsetzung - die größtmögliche Vermehrung des Wohles des Ganzen - drastische Veränderungen in der Sexualethik notwendig, sollte Gott vor dem Zusammenbruch gerettet werden. Wenngleich er den aristotelischen Begriff einer statischen Harmonie gegen eine heraklitische Vision des kosmischen Kampfes eintauschte, hielt Ehrenfels doch an Leibnizens Überzeugung fest, daß die Vernunft schließlich siegen würde. Indem er bei der gnostischen Kosmologie Zuflucht suchte, bemühte er sich nur um eine Rettung der Leibnizschen Weltanschauung für eine industrialisierte und proletarisierte Welt. Dieser Adelssproß bekämpfte die Degeneration, indem er eine Vision des Diktums „noblesse oblige" auf den Kosmos projizierte: Alle Menschen, die etwas wert sind, sind es Gott schuldig, an seiner Seite gegen das drohende Chaos zu kämpfen. Als glühender Darwinist sah Ehrenfels in jedem Zeugungsakt einen Kampf auf Leben und Tod und verfiel so jener Anbetung der Mutterschaft, die der Rassismus allgemein nach sich zu ziehen pflegt. Er lebte in einer von Streitigkeiten zerrissenen Gesell309

schaft und sah daher selbst den Kosmos als Spiegel der Auseinandersetzung zwischen arm und reich, Gebildeten und Ungebildeten, Deutschen und Tschechen. Wie entschlossen Ehrenfels sich auch mühte, eine Katastrophe abzuwenden, das Desaster, das noch kam, hat auch er nicht vorausgesehen. Als Sozialreformer steht dieser Aristokrat in einer Reihe mit den aus Böhmen stammenden Philanthropen Coudenhove-Kalergi, Suttner und Popper-Lynkeus. In seiner akademischen Laufbahn verkörperte er jene Unabhängigkeit des Geistes, die auch Bolzano und Brentano beseelt hat. Sowohl durch seine Schöpfungen als auch durch seine Leiden war Ehrenfels zu einem der begabtesten — und heftigsten - Wortführer des katholischen Böhmen berufen.

21. D I E L E T Z T E N E X P O N E N T E N D E R L E I B N I Z S C H E N TRADITION

Josef Popper-Lynkeus: Optimismus der Aufklärung in einem böhmischen Erfinder Zwischen 1870 und 1938 haben auch mehrere von Brentano unabhängige Denker die Leibnizsche Tradition wiederaufgegriffen. Der vielleicht eigentümlichste war der jüdische Erfinder Josef Popper ( 1 8 3 8 - 1 9 2 1 ) , der von 1858 bis zu seinem Tod in Wien lebte.1 Popper wurde im Getto von Kolin geboren und aufgezogen, studierte von 1854 bis 1858 in Prag Maschinenbau und ging dann als Eisenbahnbeamter nach Wien. 1867 gelang ihm die Erfindung eines Dampfventils, die ihm in der Folge so gute Einkünfte sicherte, daß er sich 1898 zurückziehen und unabhängig schreiben konnte. Bis kurz vor seinem Ende lebte er als Junggeselle; erst als er im Sterben lag, heiratete er seine langjährige Gefährtin, damit sie sein Vermögen erbe. Er war ein enger Freund Ernst Machs, Schnitzlers, Bahrs und Einsteins. Zu seinen Schülern zählte unter anderen der Feuilletonist Fritz Wittels. In Das Recht zu leben und die Pflicht zu sterben (Dresden 1878, 4. Aufl. 1924) legte Popper das erste einer ganzen Reihe von utopischen Konzepten vor. Nach dem Vorbild von Voltaires Credo entwarf er eine rationale Gesellschaft und forderte, daß Wehrpflicht zugunsten einer allgemeinen Nährpflicht aufgehoben werde. Jeder Bürger sollte eine bestimmte Dienstzeit in einer Ernährungsarmee zubringen müssen, die alle Menschen unentgeltlich mit Nahrung und Wohnraum versehen würde. Geld sollte nur noch dem Ankauf von Luxusgütern dienen, die herzustellen einem Unternehmer dann freistünde, wenn er seine Nährpflicht erfüllt habe. Ferner schlug Popper eine Umkonzipierung des 310

Strafrechts vor, nach welcher Gesetzesbrecher nicht mehr mit Freiheitsentzug bestraft werden sollten, sondern dadurch, daß sie öffentlich lächerlich gemacht würden. Popper erwartete sich von einer massiven Bekanntmachung von Missetaten, daß sie die Missetäter von einer Wiederholung ihres Deliktes abhalten würde, und erst wenn alle anderen Mittel fehlschlügen, sollte der rückfällig gewordene Kriminelle eingekerkert werden. Als Freidenker trat Popper für eine Ersatzreligion ein, die im „Natursinn" wurzeln sollte, der in sich die Verehrung für das Wohl des Ganzen einschlösse: „Man m u ß das Gefühl der Zusammengehörigkeit des Menschen mit allem Anderen, das unmittelbare Bewußtsein der Einheit erwecken; der Mensch soll sich in dem All heimisch fühlen lernen." 2 Popper verlangte die Säkularisierung der Religion und behauptete, das moderne Leben fordere den Verzicht auf jede einzelne Anhäufung von Symbolen wie jenen des Christentums. Spinozas Naturbegriff hielt er für zu statisch und pries Beethovens Beschwörung der Natur als Unendliches, Wachsendes. Popper bewunderte Voltaire als den vollkommenen Menschen. In Voltaire. Eine Charakteranalyse (Dresden 1905) pries er die Fähigkeit des philosophe, so viele Interessen und Reformen in die Tat umzusetzen. Obwohl Voltaire auf keinem Gebiet zur dominierenden Persönlichkeit geworden war, hatte er doch in allen Bereichen geglänzt. Der Franzose erhob sich über eine Welt von Spezialisten und moralischen Krüppeln und stand gleichzeitig für Vielseitigkeit und für Mitgefühl. Ihm würde, nach Popper, ein Ehrengrab gebühren, für dessen Errichtung die ganze Welt aufzukommen hätte; eine Ehrenwache von Studenten sollte ihm beigestellt werden. Ein solches M o n u m e n t ließe hoffen, daß es die Menschheit zur Ausrottung aller jener Übel von heute und morgen treiben würde, vor denen Voltaire bereits gewarnt habe. Poppers Forderungen gipfelten in seinem 800 Seiten starken Werk Die allgemeine Nährpflicht als Lösung der sozialen Frage (Dresden 1912, 2. Aufl. 1923). Die Ernährungsarmee sollte einem jeden das Uberleben sichern, ohne auch nur irgend jemanden zu versklaven. Popper berief sich auf Edward Bellamys Equality (New York 1897) und verlangte ein Programm entschädigungsloser Konfiskation von privatem Eigentum, das erst in der Folge teilweise wieder zurückgegeben werden sollte, um die Produktion von Luxusgütern zu ermöglichen. Wenn für Wohnraum und Nahrung reichlich gesorgt sei, brauchten Ehepartner sich nicht mehr zu zanken und könnten statt dessen ihre Energien den Künsten oder der Wissenschaft zuwenden. Um eine mögliche Uberbevölkerung hintanzuhalten, verlangte er die Anwendung von Abtreibung oder die Tötung von Neugeborenen, um allzu zeugungskräftige Eltern im Zaum zu halten, wenn sich eine Verknappung der Nahrungsmittel abzeichnen sollte. Mit der wiedererstandenen Naivität eines Condorcet glaubte Popper daran, daß die Ernährungsarmee die Menschheit von ihren ererbten Lasten befreien könnte. Sein Denkmodell fand in breiteren Kreisen keine Unterstützung. Seine Verschneidung von Kapitalismus und Sozialismus erinnert an gemäßigtere Entwürfe von Anton Menger, Rudolf Goldscheid und Gustav Ratzenhofer. Seit 1865 hatte Popper seine Tagträume und nächtlichen Phantasien zu Papier gebracht, und als er sich ins Privatleben zurückzog, entschloß er sich, 311

diese Skizzen unter dem Titel Phantasien eines Realisten (Dresden 1899) zu veröffentlichen. Die erste Auflage dieses zweibändigen Werkes war unter dem Pseudonym Lynkeus erschienen, einem Namen, den Popper vermutlich von dem Wächter im fünften Akt von Goethes Faust II entlehnt hatte. Goethes Lynkeus, der eine Feuersbrunst mitansehen muß, der er nicht Herr werden kann, besingt zuerst den Kosmos und beklagt danach die Kurzlebigkeit des Menschen. Saul Rosenzweig hat Spekulationen angestellt, nach denen dieser Deckname auf den Orden vom Goldenen Vlies anspielt, den Philipp der Gute von Burgund 1430 gestiftet hat und der zum angesehensten Ritterorden des Habsburgerreiches wurde. Wegen eines der rund achtzig Stücke der Phantasien, nämlich Gärende Kraft eines Geheimnisses, in welchem Inzest zwischen Mutter und Sohn und ein Priestermord vorkommen, wurde das Werk 1900 in Wien beschlagnahmt. Die Androhung gerichtlicher Verfolgung erhöhte nur die Nachfrage nach dem Buch; um 1921 hatten die Phantasien bereits die 21. Auflage hinter sich, und sein Verfasser begann sich seines Pseudonyms zu rühmen, indem er sich Popper-Lynkeus nannte. Besonders die Analogien zwischen den Phantasien und Freuds Traumdeutung (1900), auf die Freud Anfang der zwanziger Jahre von Fritz Wittels hingewiesen wurde, sind weitgehend bekannt geworden. Zwar lehnte Freud eine Einladung zu einem Zusammentreffen mit Popper ab, doch schätzte er dessen Werk und gab eine gewisse Affinität zu ihm offen zu.3 Ein zehnseitiges Feuilleton in den Phantasien — Träumen als Wachen — gab eine der Voraussetzungen der Traumdeutung wieder, nämlich daß Träume unbewußte Impulse durch eine erkennbare Struktur widerspiegeln. Der Protagonist erklärt dort, wie Träume Erinnerungen destillieren, und zwar für gewöhnlich jene an ein harmonisches Verhältnis mit dem Universum oder an Schuld gegenüber Menschen, die man verletzt hat. Abgesehen davon, daß er behauptete, niemand könne jemals Unsinniges träumen, weil „es immer der gleiche Mensch ist, egal ob er träumt oder wacht", nahm Popper diese Studie zum Anlaß, seine eigene Vision der Goldenen Regel zu verkünden: Immer wenn man auf einen Freund oder Verwandten böse ist, sollte man sich vorstellen, welchen Kummer einem der Tod desjenigen bereiten würde. Zwar kannte Popper keinen Begriff des Traumes als Wunscherfüllung, doch beschrieb er mehrmals die Macht sexueller Phantasien. In Ehebruchsszene ersticht ein fremder Mann, der vom Gedanken der weiblichen Untreue besessen ist, die Gattin eines Blinden, weil er einen freundlichen Blick, den sie ihm zuwirft, als Aufforderung zum Ehebruch versteht; in der halluzinatorischen Erzählung Nach der Trauung wird der junge Ehemann plötzlich von der Vision besessen, daß sich ein Finger seiner Frau in seine Brust bohre. In König Salomo als Maus, einer Szene, die an Sacher-Masoch erinnert, wird König Salomon als zitternder Liebhaber einer sadistischen Verführerin gezeichnet, die ihn dazu überredet, zu einer Maus zu werden und in ihren Mund zu springen. Trotzdem sollten die Ähnlichkeiten zwischen Popper und Freud nicht übertrieben werden. Das Thema etwa von Gärende Kraft eines Geheimnisses ist weniger der Inzest zwischen Sohn und Mutter als der Antiklerikalismus: Eine 312

florentinische Witwe schläft mit ihrem Sohn, um ihn zu initiieren, und wird davon mit einer Tochter schwanger. Die Frage, wer der Vater dieses Mädchens sei, wird zu einem Lieblingsthema des öffentlichen Klatsches. Um sich Kraft zu holen, das Geheimnis für sich behalten zu können, beichtet die Witwe bei einem der Fratres im Kloster Savonarolas. Als dieser sich jedoch weigert, sie bis zum Ende anzuhören, ersticht sie ihn — durch das Ohr. Spione kommen schließlich hinter die Motive dieser Tat, und Savonarola läßt Mutter und Sohn auf dem Scheiterhaufen verbrennen; nur eine einsame Stimme erhebt sich und wendet ein, daß Inzest den Staat nichts angehe - Macchiavelli. In dieser philosophischen Erzählung, die einem Voltaire wohl angestanden wäre, war Popper mehr daran gelegen, vom Klerus betriebene Mißbräuche anzuprangern, als nach den Motiven des Inzestes zu forschen. In einem längeren Dialog Nach der Predigt, der ebenfalls im Florenz des Jahres 1493 spielt, läßt Popper eine Predigt Savonarolas von Leonardo, Michelangelo, Botticelli u n d Macchiavelli diskutieren. Bei ihrer Rezitation antiklerikaler Argumente geißelt u. a. Leonardo die Inquisition, die das Gebot der Nächstenliebe der Lächerlichkeit preisgegeben habe. Leonardo erweist sich hier auch als Verehrer der Jungfrau Maria. Macchiavelli dagegen äußert sein Bedauern darüber, daß die Laienschaft es versäumt habe, Bischöfe vor ein Gericht zu stellen, die den Befehl zur T ö t u n g von Häretikern gegeben hatten. In anderen Studien befaßt sich Popper mit der Ästhetik der Unversehrtheit; in Grenzen der Liebe etwa schildert er, wie eine abwehrende H a n d in einem Liebhaber den Sinn für die Schönheit seiner Angebeteten zerstört. In Die Todesstunde predigt Popper, daß es das ganze Leben sei, und nicht der Augenblick des Todes, in dem sich das „Wofür wir leben" verkörpere. In Die Stadt der Liebe zeichnet er das Bild einer Stadt, in der die Glocken anläßlich einer Geburt eher läuten als bei einem Todesfall, und wo es für Liebende einen eigenen Friedhof gibt. Obwohl sich Popper außergewöhnlich intensiv mit seinem eigenen Unterbewußtsein auseinandersetzte, hat ihn sein Interesse an Träumen doch nie dazu veranlaßt, eine systematische Psychologie zu formulieren. Vielmehr haben seine Phantasien Voltairesche Themen wie den Antiklerikalismus, den Respekt vor dem menschlichen Leben und den H a ß gegen allen Zwang wiederaufgegriffen. Popper arbeitete aprioristische Schemata für eine Verbesserung der Gesellschaftsverhältnisse aus und war davon überzeugt, daß die Probleme lösbar sind und ihre Lösung finden würden. Seine Gutmütigkeit hielt ihn davon ab, den therapeutischen Nihilismus zu attackieren. Er hoffte, daß sich eine Besserung von selbst einstellen würde.

O t h m a r Spann: Virtuose des korporatistischen Denkens Einer der am meisten angefeindeten österreichischen Theoretiker war der Soziologe und Philosoph O t h m a r Spann (1878—1950). 4 Außer bei seinen wenigen Schülern hat seine katholische Vision der Gesellschaft nur wenig Anklang gefunden. Als Sohn eines Buchbinders wurde Spann in Wien geboren. Er besuchte 313

zunächst ein Realgymnasium und studierte dann an den Universitäten Wien, Zürich, Bern und Tübingen, wo er 1903 promoviert wurde. Mehrere Jahre arbeitete er dann an einem Forschungsinstitut in Frankfurt und habilitierte sich 1907. Von 1909 bis 1919 war er als Professor für Volkswirtschaftslehre in Brünn tätig. Im Ersten Weltkrieg wurde Spann verwundet. Von 1919 bis 1938 lehrte er an der Wiener Universität. 1936 unternahm der SS-Führer Reinhard Heydrich einen erfolglosen Versuch, Spann und dessen Anhänger als Nazipropagandisten anzuwerben. Die katholische Basis seiner Gedanken wurde immer offensichtlicher, und so verlor Spann 1938 seinen Lehrstuhl und wurde für kurze Zeit eingekerkert. Von 1945 bis 1950 lebte er zurückgezogen im Burgenland, fälschlich als Nazisympathisant abgestempelt. Wie bereits erwähnt, war es Spann, der Karl Pribrams Unterscheidung zwischen Individualismus und Universalismus zu einer vollständigen Gesellschaftsphilosophie ausbaute. Er erweckte Adam Müllers (1779-1829) Begriff der Gemeinschafts-Gesellschaftsform zu neuem Leben und trat für den barockbiedermeierlichen Glauben eines Bolzano oder Herbart an eine auf das ewige Gesetz gegründete Gesellschaftsordnung ein. Ahnliche Neigungen verraten auch die Gedichte seiner aus Franken stammenden Gattin Erika Spann-Rheinisch (18801967), die den Mystizismus eines Angelus Silesius und Paracelsus preisen. Spann untersuchte das Verhältnis des Individuums zur Gesellschaft in Begriffen der von ihm so bezeichneten „Gezweiung", der sich auf Müllers Begriff der „Polarität" zurückführen läßt. Spann erinnerte daran, daß Müller um 1900 kaum noch bekannt war; er, Spann selbst, stieß 1907 nur durch einen Zufall auf die drei Bände Elemente der Staatskunst, Öffentliche Vorlesungen (Berlin 1809—1810).5 Müller gab der Familie den Vorrang und vertrat — indem er eine katholische Naturphilosophie entwarf, die der Schellings vergleichbar wäre - die Ansicht, daß die Zweiheit Mann und Frau die Basis der Gesellschaft darstelle. Andere Schlüssel-Dualitäten sah Müller in Jugend und Alter, Mensch und Gott. In ähnlicher Weise behauptete Spann, daß geistiges Leben aus der Wechsel weisen Beeinflussung von „Gezweiungen" wie Mutter und Kind, Lehrer und Schüler, Künstler und Publikum hervorgehe. Da keines der beiden ohne das andere seine Rolle spielen könne, transzendiere das Paar jeden seiner Teile. Obgleich unerläßlich, sei jeder Teil dem Ganzen untergeordnet. Spanns Universalismus besteht im Einstufen aller Phänomene eher nach dem Vorteil, den das Ganze dem Ganzen bringt, als nach jenem, den dessen Konstituenten erbringen. Spann griff ein Argument, das sowohl den katholischen Apologeten als auch Hegel sehr am Herzen lag, wieder auf und behauptete, daß der Universalismus den Individualismus nicht so vernachlässige, wie andererseits der Individualismus das Ganze einfach übersehe; vielmehr gliedere der Universalismus die Perspektive des Individualismus in einen größeren Rahmen ein. Nach Spann wirft der Individualismus den Grundsatz über Bord, daß das Individuum nur in einer Gemeinschaft gedeihen kann. Wie Herbart und Max Adler vertrat auch Spann die Ansicht, daß jeder Geist dadurch wächst, daß er auf das, was andere in ihm erwecken, reagiert. Weit davon entfernt, sich selbst zu genügen, gleicht jeder Geist einer Fackel, die erst von außen entzündet werden muß. 314

Nachdem er 1905 in Frankfurt Statistiken über illegitime Geburten studiert hatte, begann Spann die Unterscheidung zwischen Teil und Ganzem besonders hervorzuheben. Unter Anwendung der von Heinrich Rickert geprägten Unterscheidung zwischen der kausalen Analyse in den Naturwissenschaften und der holistisch-genetischen Methode der Geschichte kam Spann zu dem Ergebnis, daß Illegitimität je nachdem, ob ihre Gründe im Verhalten des Individuums, wie etwa im Ehebruch, gesucht werden, oder ob ihre Folgen im Hinblick auf die Gesellschaft als Ganzes, wie etwa Enterbung und kriminelle Tendenzen bei Kindern, untersucht werden, völlig verschiedene Bedeutungen gewinnt. 6 Genau wie Anton Menger behauptet hatte, daß die Bourgeoisie danach trachte, die Gesetze zu verewigen, indem sie die Illegitimität unter Strafe stelle, meinte Spann, daß ein ausschließlich auf Ursachen gerichtetes Augenmerk die Folgen verborgen halten würde. Individualistische Gesellschaftswissenschaft kann die Ganzheiten, die die Gesellschaft durchdringen, nicht erschließen. Im Einklang mit dem böhmischen Reformkatholizismus versuchte Spann, vergangenes Gesellschaftsdenken mittels ewiger Kategorien zu rekonstruieren. Für ihn ist die Polarität Universalismus-Individualismus die fundamentalste Kategorie. Bedauerlicherweise ist es ungeklärt, ob diese Termini ihren Ursprung bei Spann oder bei Karl Pribram haben. Während Spann 1905 die Deduktion oder die Untersuchung von Grundsätzen gegen Induktion oder empirisches Forschen abgrenzte, untersuchte er 1911 die Polarität Universalismus-Individualismus, ohne Pribrams Artikel von 1908, in dem dieser die beiden letztgenannten Termini vorgelegt hatte, zu erwähnen. 7 Spann prägte Termini, die an Buber und Ebner erinnern und wandte sich dem Idealismus zu, den er als Entsprechung zum Universalismus betrachtete, da er ein Uber-Dir anerkennt, während der Empirismus, der Verbündete des Individualismus, jegliche Hierarchie von Wesenheiten, die über das Individuum hinausgehen, negiere. 8 Spann entwikkelte ein deduktives System, ähnlich dem des Aristoteles oder Thomas, und konstruierte das Ganze als finalen Grund, aus dem untergeordnete Ganzheiten ihren Zweck ableiten. Die Gesellschaftswissenschaft könne die Erkenntnis untergeordneter Ganzheiten nicht aus Experimenten herleiten, sondern nur aus einer höheren Ganzheit. Die Struktur eines ökonomischen Systems beispielsweise müsse aus der Gesellschaft, der es dient, deduziert werden. Spanns Sozialwissenschaft setzte sich über die Regeln der empirischen Soziologie hinweg und verkündete Normen, die dem Grundsatz folgen, daß niemand erklären könne, wie etwas funktioniert, ohne daß er zuvor verstanden hätte, was dieses Etwas zu sein trachte. Die Funktion folge dem telos. Trotz all seiner Bemühungen, die Gesellschaftswissenschaften auf den Kopf zu stellen, baute Spann sein Denken auf Theologie. In seiner Geschichtsphilosophie (Jena 1932), die er dem Andenken Schellings und Novalis' widmete, pries Spann sowohl deren Mystizismus als auch den des Augustinus. Spann behauptete, die Schöpfung stelle den Zentralbegriff des gesellschaftlichen Lebens bei, und legte eine traditionell-katholische Klassifikation von drei Aspekten der Schöpfung vor: erstens die anfängliche Schöpfung des Universums und des Menschen durch Gott, zweitens die sich fortsetzende Schöpfung Gottes, bekannt als Vorsehung, und drittens die Fähigkeit des Menschen, am Schöpfungsprozeß mitzuwirken, die 315

ihm durch Eingebung verliehen werde. Über allem stehe das Ganze: Jedes Geschöpf gewinnt erst aus seinem Verhältnis zum Ganzen seine Bedeutung. Spanns Eintreten für die Vorsehung gipfelte in einer sublimen Vision: „Gott will in der Schöpfung sich selbst, und daher kann auch die Welt nur Gott wollen. Das ist der mystische Kern aller Geschichte, und an der Gezweiung zeigt sich, daß wir nicht nur für uns, sondern für das Ganze gewirkt haben und für Gott, den Herrn der Ernte." 9 Spann war beseelt vom Glauben eines Leibniz und Bolzano, und in der Überzeugung, daß Gott über jeden Vorwurf erhaben sei, wies er den Marcionismus Prags von sich. Alles liege in den Händen einer wohlwollenden und allmächtigen Vorsehung. Dessenungeachtet sahen fast alle Sozialisten in Spann einen Faschisten. 1936 verfaßte der für gewöhnlich verläßlich urteilende Karl Polanyi einen Artikel, in dem er Spann als faschistischen Hegel brandmarkte, dem überdies die dem Deutschen eigene revolutionäre Dynamik abginge. 10 Spann versäumte es, die Realität von dem, was sein sollte, abzugrenzen, und machte sich dadurch tatsächlich zu einem Wegbereiter des Faschismus. Spann entwarf das Bild einer holistischen Gesellschaft, allumfassender als das Hegels, und damit habe er die Gesellschaft, so meint Polanyi, nach einem Leichnam statt nach einem lebenden Modell gezeichnet. Der Universalist konzipierte eine völlig verabsolutierte Gesellschaft, die Sozialisten und Liberale gleichermaßen abstieß. Spann habe jeglichen Individualismus über Bord geworfen, meint Polanyi, und dürfte sich hierin allerdings geirrt haben; dadurch habe er auch die Lehre des christlichen Individualismus, nach der die Persönlichkeit unbegrenzten Wert besitzt, in Grund und Boden gebohrt. Anstatt den atheistischen Individualismus eines Max Stirner oder eines Nietzsche anzugreifen, so schloß der Kritiker, habe der Universalist sein Netz zu weit ausgeworfen und auch die eigenen Verbündeten darin verstrickt. Trotz aller Proteste Spanns hatte Polanyi richtig erkannt, daß jener unter entsprechendem Druck den Individualismus doch der Ganzheit opfern würde. Diese Travestie wird nur dadurch erklärlich, daß Spann an die praktischen Konsequenzen seiner Philosophie kaum einen Gedanken verschwendete. Sein ganzer Fleiß galt der exakten Klassifizierung von Doktrinen, und darüber entging ihm, was sich rund um ihn zu entwickeln begann. Der Universalismus, den Spann eher als beschreibend denn als vorschreibend verstanden haben wollte, gab nolens volens ein Modell für eine totalitäre Gesellschaft ab. Kein Wunder, daß also sowohl Heydrich wie auch Polanyi in Spann einen potentiellen Nationalsozialisten sahen. Zwar hätte Spann lieber in jener Art Gemeinschafts-Gesellschaftsform gelebt, die Adam Müller romantisiert hatte, nach und nach wurde jedoch auch ihm der Unterschied zwischen Müllers Biedermeier-Idylle und Hitlers Polizeistaat kjar. Mag sein, daß Spann durch sein Zögern schuldig geworden ist; die dafür ausschlaggebende politische Naivität hatte er jedoch mit zahllosen anderen deutschen und österreichischen Professoren gemein, denen allen über ihrem Studium der Ideengeschichte die politische Realität verborgen blieb. Spann erneuerte die Tradition des holistischen Denkens, die den böhmischen Reformkatholizismus beseelt hatte. Als Erbe Leibnizens, Bolzanos und der Herbartianer gab er einer Vision neues Leben, die zu ersetzen sich andere österrei316

chische Denker wie Mach, Neurath und Carl Menger alle Mühe gegeben hatten. Als Forscher in der Ideengeschichte verband Spann erstaunlich umfassende Gelehrsamkeit mit einer seltenen dialektischen Begabung. Seine Wissenschaftlichkeit ging tiefer als die Eugen Ehrlichs und umfaßte weitere Bereiche als die Kelsens oder Schumpeters. Genauso hartnäckig wie jene sah auch er davon ab, Lösungsvorschläge für spezifische Probleme zu machen, so daß er allen Parteien als ein Schreckgespenst erschien, das über dem allgemeinen Aufruhr schwebte. Pribram stellte die Dichotomie zwischen Gemeinschaft und Gesellschaft vom Standpunkt des Individualismus dar, Spann behandelte sie vom entgegengesetzten Standpunkt aus und in einer weit herrischeren Art und Weise. Zwar versagt seine Gesellschaftswissenschaft in der Deutung der Gegenwart und der Zukunft, für die Erhellung vergangenen Denkens jedoch stellt sie ein kraftvolles Instrument dar. Mit einem sonst für das 20. Jahrhundert ungewöhnlichen Ernst gab sich Spann seiner Neigung zur Mentalität des Biedermeier hin, verlieh dessen Enzyklopädismus neues Leben, desgleichen seinem Glauben an die Vorsehung, seiner Liebe zum Vergangenen und seiner Indifferenz gegenüber politischen Veränderungen. Hätte Spann ein Jahrhundert früher gelebt - er wäre als Weiser verehrt worden. Aber auch als zu spät geborenes Genie gebührt ihm Anerkennung dafür, daß er eine so gut wie verlorene Tradition wieder zustande brachte. Hermann Broch: Der Todeskampf der Leibnizschen Metaphysik Der jüdische Romancier Hermann Broch (1886-1951) war ebenfalls ein Exponent der reformierten Leibnizschen Philosophie. In seinen Essays, von denen viele erst posthum veröffentlicht wurden, offenbarte sich dieser einsame Denker als Metaphysiker von beträchtlicher Schärfe, der die platonischen Kategorien zur Diagnose spiritueller Leiden der Moderne nützte. Die Formulierung „fröhliche Apokalypse" ist eine von vielen Spitzen, die Brochs Verflechtung von unversöhnlichen Gegensätzen hervorgebracht hat." Broch wurde in Wien als Sohn eines reichen Textilfabrikanten geboren, der aus Olmütz in Nordmähren gekommen war, und leitete von 1908 bis 1927 das Unternehmen seiner Familie. Als Student an der Technischen Hochschule bewunderte er die Schriften Otto Weiningers, und nicht weniger bitter als Ludwig Wittgenstein verachtete er die Kreise der gehobenen Bourgeoisie, in denen er genau wie jener verkehrte. 1908 konvertierte Broch zum Katholizismus, vermutlich seiner Frau zuliebe. In der Folge beklagte er die Kluft zwischen empirischen Wissenschaften und spekulativer Philosophie, für die er Mach und Boltzmann verantwortlich machte. 1927 entschloß er sich, künftig als freier Schriftsteller zu leben, und widmete sich drei Jahre lang dem Studium der Mathematik, der Philosophie und der Psychologie an der Universität Wien, um sich für eine Auseinandersetzung mit der von ihm so bezeichneten Massenpsychologie vorzubereiten. 1938 wurde er für kurze Zeit verhaftet, konnte aber doch noch in die Vereinigten Staaten auswandern, wo er in atemberaubendem Tempo einen Roman nach dem anderen, eine Abhandlung nach der anderen hervorbrachte. 317

Als einer der entschlossensten Platoniker des 20. Jahrhunderts trieb Broch den Dualismus beinahe bis zum Marcionismus. In dem Essay Leben ohne platonische Idee (1932) 12 entwickelte er platonische Dichotomien zur Beschreibung der Lage der Moderne. Seine grundlegende Polarität war die von Materie u n d Geist: Materie, so spezifizierte er, ist eine irrationale Kraft, die den Helden antreibt, der Geist dagegen ist eine rationale Kraft, die die Kirche leitet. Nach Broch versucht der Held mit Blut jene Herrschaft über die Erde zu erwirken, die einst die Kirche in geistiger, d. h. in platonischer Art und Weise ausgeübt hat. Sobald eine Gesellschaft aufhört, an die platonische O r d n u n g von Ideen zu glauben, kann nichts mehr das Volk von der Heldenverehrung abhalten. Im Reich der Ideen findet der desakralisierte Held ein intellektuelles Gegenstück, nämlich einen Rebellen wie Julien Bendas clerc, der so heftig nach Sprengung der ihn fesselnden Gesetze strebt, daß er sich der Häresie zuwendet. Für Broch ist jeder säkulare Intellektuelle ein Häretiker, wie auch jeder Held ein Rebell gegen die platonische O r d n u n g ist. Nach Festlegung dieser Definitionen entwickelte Broch den Vorgang, in dem eine weltliche Diktatur die universelle Herrschaft des Geistes durch die Kirche parodiert und ersetzt. Da die Religion vor allem versucht, den Tod zu überwinden, m u ß auch der Held dem Tod gegenübertreten und ihn erobern. Er tut dies, indem er schwächere Personen vernichtet, um den Uberlebenden größere Freiheit zu bescheren. Ein Diktator übt einen demagogischen Reiz aus, wenn er zugleich den Wunsch kundgibt, sein Volk zu befreien, und auch seine ständige Bereitschaft zum Tode. Der Umgang mit dem Tod wird zur Insignie des Diktators, mit der er den säkularisierten Menschen betrügerisch verführt, ihm, dem Diktator, das gleiche Charisma zuzuschreiben, dessen sich früher die Kirche erfreute. Der Intellektuelle steht, sobald er die platonische Welt über Bord geworfen hat, den Schmeicheleien dieses Todbringers hilflos gegenüber. Bedenkenlos läuft er auf die Seite des Diktators über, wenn sie gemeinsam darangehen, die Welt zu erobern. Kaum verschleierte Anspielungen auf Hitler finden sich reichlich in diesem Essay aus dem Jahre 1932, dessen Originalität auf der unerschütterlich konsequenten Anwendung der festgelegten Definitionen beruht. Broch wendet sie mit der Schärfe eines Metaphysikers auf die Gesellschaft an. Er verwendet Dichotomien, streng wie die Weiningers, und scheint sich gleichsam lustig zu machen über das Vergnügen, das Denker wie Buber und Kelsen an polaren Gegensätzen gefunden haben. Er seziert den Kosmos in zwei Prinzipien, die durch keinen Kunstgriff zu einem Kompromiß zu bewegen sind, und wirft der modernen Welt vor, das höhere der beiden verschmäht zu haben. Für Broch gab es keine dritte Form, die zwischen den folgenden Gegensätzen hätte vermitteln können: Geist und Materie, O r d n u n g und Anarchie, Liebe und Sexualität — diese wie auch Gemeinschaft und Masse sind in Ewigkeit voneinander geschieden. In seiner unerschütterlichen Forderung nach längst vergangener Vollkommenheit erinnert Broch an Nietzsche, mit dem er auch die Vorliebe für die Improvisation von Schlüsseltermini gemeinsam hat. Der Wiener Platoniker brachte Improvisationen hervor, die in ihrer Form denen des frühen Lukäcs ähneln. In seiner Ablehnung der modernen Welt faßte Broch eine Verzweiflung in Begriffe, die der von Albert Ehrenstein oder Karl Kraus glich. Sein Pessimismus 318

erinnerte auch an den Schopenhauerschüler Julius Bahnsen (1830—1881), einen norddeutschen Charakterologen, der den Menschen vor die Wahl gestellt sah, sich entweder nur für Kontemplation oder nur für Aktivität zu entscheiden. 13 Bahnsen meinte, daß diese beiden Gegensätze den Menschen nur in einer Synthese befriedigen könnten, und doch verlange das Schicksal von jedem einzelnen eine Entscheidung für eines der beiden, die das andere ausschließt. Zwar wählte Broch zuerst das aktive und später das kontemplative Leben, der Mehrheit seiner Zeitgenossen konnte er jedoch nie verzeihen, daß sie das aktive Leben vergöttert hatten. Broch hielt eine Kombination von Aktion und Kontemplation für unerläßlich, aber zugleich unmöglich. Das Ergebnis davon war eine reductio ad absurdum: Die platonische Metaphysik war zum therapeutischen Nihilismus entartet. Der Don Quijote Broch, der sich als den letzten Sproß seiner Art sah, schrieb sich zu Tode, als er sich mühte, einer Elite begreiflich zu machen, um wieviel ärmer sie der Verlust der Transzendenz gemacht habe. Sein Theoretisieren konnte weder zur Linderung seiner eigenen Verzweiflung beitragen noch zur Rettung jener Welt, die er betrauerte. Als in Erfüllung gegangene Prophezeiung beleuchtete seine platonische Metaphysik das Wenige, das von der Leibnizschen Vision übrig war, nur noch mit einem Totenlicht.

22. ARISTOKRATEN ALS REFORMER

Bertha von Suttner: Erbitterte Gegnerin des Krieges Gleichsam um den Reformkatholizismus zu perpetuieren, förderten einige wenige Mitglieder des böhmischen Adels selbst noch nach 1900 soziale Bewegungen. Niemand hat diese Bestrebungen mit größerem Feuer und größerer Güte vertreten als Bertha von Suttner (1843-1914). 1 Von ihr war ihr Freund Alfred Nobel (1833— 1896) zur Stiftung des Friedens-Nobelpreises angeregt worden, den sie 1905 als fünfter Preisträger selbst zugesprochen erhielt. Als eine Gräfin Kinsky kam sie kurz nach dem Tode ihres Vaters in Prag zur Welt und wuchs inmitten aristokratischer Bequemlichkeiten auf, bis sie sich infolge von Verarmung schließlich gezwungen sah, eine berufliche Laufbahn anzustreben. Zunächst versuchte sie sich als Sängerin, hatte jedoch keinen Erfolg und arbeitete sodann als Musiklehrerin. 1873 nahm sie eine Stellung im Hause des Barons von Suttner an, wo sie sich in den Sohn der Familie, Arthur, verliebte. Die Eltern waren zunächst gegen eine Heirat, und so zog sie sich nach Paris zurück, wo sie ab 1875 als Privatsekretärin Nobels arbeitete. 319

1876 ging sie mit ihrem Gemahl Arthur von Suttner nach dem russischen Kaukasus, wo die Leiden der russischen Soldaten im Russisch-Türkischen Krieg von 1877/78 sie in Schrecken versetzten. Sie machte ihr Haus in Tiflis zu einem Lazarett für die Verwundeten und beschloß, sich künftighin der Verhinderung von Kriegen zu widmen. Nach ihrer Rückkehr nach Wien im Jahre 1885 begann sie pazifistische Romane zu schreiben. Die Waffen nieder! Eine Lebensgeschichte (Dresden 1889) wurde ein Bestseller. In dieser naturalistischen erzählenden Wiedergabe der Kriege von 1866 und 1870 beschrieb sie ihre eigenen Erfahrungen in Tiflis und stellte die Ängste der Frauen dar, deren Söhne und Männer auf den Schlachtfeldern starben oder verwundet wurden. 1891 gründete sie die österreichische Gesellschaft der Friedensfreunde, und von 1892 bis 1899 gab sie gemeinsam mit dem jüdischen Buchhändler Alfred Fried (1864-1921) eine Zeitschrift Die Waffen nieder! heraus. In den neunziger Jahren ließ sie - was damals für eine Frau gänzlich ungewohnt war — auf ihre Visitenkarten drucken, daß sie die Autorin des Buches dieses Titels war. Zur gleichen Zeit gewann ihre Bewegung die Unterstützung von Schriftstellern wie Mör Jökai und Peter Rosegger und von antiklerikalen Philosophen wie Bartholomäus von Carneri und Josef Popper-Lynkeus. Besonders ungarische Intellektuelle engagierten sich aktiv. 1891 wurde unter der Führung von Berthas Gatten in Wien der Verein zur Abwehr des Antisemitismus gegründet. Marie von Ebner-Eschenbach, Theodor Billroth und Johann Strauß schlössen sich den nicht) üdischen „Antiantis" an. Trotz schwerer Niedergeschlagenheit nach dem Tode ihres Mannes 1902 fuhr Bertha Suttner fort, für den Frieden zu schreiben und Vorträge zu halten. Mitten in den Vorbereitungen für einen Friedenskongreß, der im August 1914 in Wien zusammentreten sollte, überraschte sie der Tod. Eine Woche später fielen die Schüsse von Sarajewo. Nicht nur die unermüdlichen Energien der Baronin von Suttner, auch ihre zukunftsweisenden Untersuchungen darüber, wie die Technologie die Kriegsführung verändern würde, waren bemerkenswert. Schon 1899 beschrieb sie den totalen Krieg mit ungeheuerlicher Genauigkeit und sagte Fortschritte in der Technologie voraus, die jenen ähnelten, die Mör Jökai in seinem Roman des kommenden Jahrhunderts (1872) erahnt hatte. Der Krieg der Zukunft werde ein totaler sein, schrieb sie, da nicht mehr nur Armeen, sondern ganze Nationen kämpfen würden. Hunderttausende würden zugrunde gehen, um sogleich wieder von anderen ersetzt zu werden: „Armee, Reserve, Miliz — die Alten, Kinder, Frauen; eins ums andere werden sie geschlachtet; was noch lebt, fällt dem Hunger zum Opfer, den unvermeidlichen Seuchen ..."2 Feldzüge würden mittels weitreichender Geschütze, bemannter Luftballons, Unterseebooten mit Torpedos, Minen und Sabotage gegen Züge und Fabriken durchgeführt werden. Land würde nicht mehr bloß erobert, sondern völlig verwüstet werden. Um den Frieden zu fördern, bemühte sich Bertha Suttner um die Unterstützung der Frauen. Sie zitierte hierzu eine Episode vom Vorabend der Warschauer Erhebung von 1863, an welchem bei einer gesellschaftlichen Zusammenkunft der Elite die Männer übereingekommen waren, daß eine Rebellion völlig aussichtslos sei. Aber als sie dann ihre Frauen davon in Kenntnis setzten, daß sie sich entschlossen hätten, die Pläne für einen Aufstand aufzugeben, wurde dieses 320

Verhalten von jenen als eines polnischen Mannes unwürdig getadelt. Hätten diese Frauen nicht falsche Ideale des militärischen R u h m s gepflegt, meinte die Suttner, dann hätte Polen das Blutbad von 1863 erspart bleiben können. 3 Gleich jenen, die sich für die Abschaffung des Duells einsetzten, glaubte auch Bertha Suttner, daß eine Umschichtung der Wertschätzung der Frauen - weg vom Soldaten u n d hin zum M a n n des Friedens - künftige Kriege hintanhalten könnte. Nach 1900 fürchtete sie vor allem einen universellen Krieg, der die Zivilisation zerstören könnte. Obwohl die Erste Haager Friedenskonferenz vom 18. M a i bis zum 29. Juli 1899, die Zar Nikolaus II. einberufen hatte, die H o f f n u n g e n auf einen dauerhaften Frieden nährte, wurden diese Hoffnungen durch den Burenkrieg wieder zunichte gemacht. 4 Das von der Konferenz eingesetzte permanente Schiedsgericht konnte das galoppierende Rüstungswettrennen k a u m eindämmen. Die Baronin von Suttner verstärkte in der Folge ihren Kampf um Unterstützung der Sache des Friedens; sie war entschlossen, zu zeigen, daß ein Einzelner imstande ist, die Ereignisse zu beeinflussen, und war beseelt vom genauen Gegenteil des therapeutischen Nihilismus. In Debatten vor dem Pazifisten-Club der Universität in W i e n trat sie gegen W i l h e l m Stekels Ansicht auf, daß ein Einzelner die Geschichte nicht zu verändern vermöge. 5 Zwar war sie von der Sinnfälligkeit ihrer Anstrengungen überzeugt, dennoch aber respektierte sie auch Männer wie Ludwig Gumplowicz, dessen Glaube an die Unvermeidlichkeit von Konflikten dem ihren widersprach. W i e etwa Hans Wilczek ( 1 8 3 7 - 1 9 2 2 ) , ein anderer Wiener Philanthrop, beschränkte sie ihre Kampagne auf außerpolitische Bereiche; nur selten eiferte sie Theodor Herzls Versuchen nach, Monarchen in ihrem Sinn zu beeinflussen. Durch selbstlose Hingabe und im Geiste des Noblesse oblige versuchte sie, das Phäakentum ihrer Landsleute aus dem Gleichgewicht zu bringen, indem sie zeigte, in welchem M a ß ein einzelner Bürger Trägheit und Teilnahmslosigkeit überwinden konnte.

Richard Coudenhove-Kalergi: Kosmopolitentum im Kampf für ein geeintes Europa Auch Richard Coudenhove-Kalergi ( 1 8 9 4 - 1 9 7 2 ) hat die Tradition des böhmischen Noblesse oblige fortgeführt. Seit Anfang der zwanziger Jahre stand er an der Spitze der Paneuropa-Bewegung. Sein Vater, Heinrich Coudenhove-Kalergi ( 1 8 5 9 - 1 9 0 6 ) , der eine Japanerin geheiratet hatte, führte ein außergewöhnlich abwechslungsreiches und erfülltes Leben. Er gehörte für lange Zeit dem diplomatischen Korps an und lebte danach auf seinen Gütern in Südwestböhmen. Der ältere Coudenhove-Kalergi, ein Weltreisender, der sechzehn Sprachen sprach, glaubte an das Reisen als einziges Mittel, das Leben zu verlängern. Unterwegs, sagte er, gewinne jeder so viele neue Eindrücke, daß er jeden Tag viel voller erlebe, als er dies zu Hause imstande wäre. Im Gegensatz zu dem rastlosen Grafen Adalbert Sternberg genoß Coudenhove-Kalergi aber auch das Leben auf seinen Gütern, dessen Freuden von seinem Sohn so beschrieben wurden: 321

„So ein Leben verband Gesundheit mit Sicherheit, Würde, Wohlstand, Bequemlichkeit und Unabhängigkeit, gab zugleich reichlich Gelegenheit, einer ganzen Region viel Gutes zu tun und ohne politische Verantwortlichkeit ein kleines, eigenes Königreich zu beherrschen. Der enge Kontakt mit der Natur, mit Pflanzen und Tieren, sorgte - gemeinsam mit all den Elementen wirklicher Kultur für eine schöne, künstlerische und leichte Lebensart."6 Obwohl die Familie Coudenhove-Kalergi ihren Stammbaum über Rußland und Paris bis Kreta und Brabant zurückführte, kristallisierten sich in ihr die Werte des böhmischen Reformkatholizismus: Altruismus, Frömmigkeit und Einssein mit der Natur. Diese Eigenschaften beseelten auch Heinrich Coudenhove-Kalergis Abhandlung Das Wesen des Antisemitismus (Berlin 1901, Neudr. 1929), die den Antisemitismus eher als Produkt eines religiösen als eines wirtschaftlichen Hasses interpretierte. Der Autor leitet sein Buch mit einer Ode an Enoch ein, die sich über fünfzehn Seiten erstreckt, und gesteht dann, daß auch er einmal Antisemit gewesen sei. Nach einem Uberblick über die jüdische Geschichte stempelt er jede Art von Antijudentum als unchristlich ab. Zu einer Zeit, da manche böhmische Adelige den Antisemitismus aufstachelten, widerrief Coudenhove-Kalergi sein früheres Sympathisieren mit dieser Bewegung und stellte so den gleichen Irenizismus zur Schau, der später seinen Sohn auszeichnen sollte. Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi kam in Tokio zur Welt. 7 1896 kehrte die Familie auf ihre böhmischen Güter zurück, wo die Söhne unter tschechischer und sudetendeutscher Bevölkerung aufwuchsen, nur wenige Kilometer von Bayern entfernt. Nicht nur, daß Richards Mutter sich Mühe geben mußte, die westlichen Gebräuche zu erlernen, machte es der Tod ihres Gatten 1906 auch noch notwendig, daß sie die Erziehung ihrer Söhne übernahm. Coudenhove-Kalergi war zwischen Vertretern des Panslawismus und des Pangermanismus aufgewachsen, und so betrachtete er den Ersten Weltkrieg als eine Kollision dieser beiden imperialistischen Ideologien. Beseelt vom Kosmopolitentum seines Vaters und mit Hilfe seiner Frau, der Schauspielerin Ida Roland (1881-1951), gründete er 1923 in Wien die Paneuropa-Bewegung, die ihre Anregungen aus Untersuchungen Alfred Frieds über die Panamerikanische Union bezog. In der 1924 gegründeten Zeitschrift Paneuropa behauptete Coudenhove-Kalergi, daß die Weltmächte, da der Weltkrieg die Hegemonie Europas beendet habe, die Großmächte ihrer Bedeutung entheben würden. England besaß bereits weltweite Autorität dank seiner Kolonien, desgleichen Rußland, da es die Massen des europäischen Raumes beherrschte. Das Auftauchen Japans als Weltmacht würde alsbald Asien von europäischer Herrschaft befreien, so daß auch China eine bevorzugte Rolle würde einnehmen können. 1924 waren die Vereinigten Staaten die führende Weltmacht, der die Entscheidung oblag, die Vereinigung Europas zu fördern oder zu verhindern. Zur Vermeidung eines Krieges faßte Coudenhove-Kalergi fünf Machtkonstellationen ins Auge: Paneuropa würde die Länder des Kontinents mit den französischen Besitzungen in Afrika verbinden; Panamerika würde in Nord-und Südamerika bestehen; das britische Empire würde den gesamten Globus umfassen; Japan und China dagegen würden den Großteil des pazifischen Raumes kontrollieren. Die einzige Hoffnung für ein vom Krieg verwüstetes Europa bestand in einer Föderation entlang der von Aurel Popovici und anderen für 322

Österreich-Ungarn vorgeschlagenen Linien. Paneuropa würde ein flexibles Österreich-Ungarn umspannen, eines, das zum Wettbewerb mit anderen Weltmächten fähig wäre. Englisch sollte als Weltsprache dienen, die jedermann zusätzlich zu seiner Muttersprache sprechen würde. Als Adept der Geopolitik hielt Coudenhove-Kalergi nichts von Utopisten, die für die Verbreitung des Esperanto eintraten, einer künstlichen Sprache, die 1887 von einem jüdischen Augenarzt aus Warschau, Ludwik Lazar Zamenhof (1859—1917), erfunden worden war. Coudenhove-Kalergi trat dafür ein, daß Kapitalismus und Kommunismus einander befruchten sollten, wie einst die protestantische Reformation die katholische Kirche dazu getrieben hatte, sich selbst zu regenerieren. Hoffnungsvoller als Friedrich von Wieser prophezeite er, daß Individualismus und Sozialismus lernen würden zusammenzuarbeiten, anstatt zu konkurrieren. Als Vorstufe dieser Zusammenarbeit erachtete er die industrielle Technologie, deren Massenproduktion die Erfinder zu den sichersten Wohltätern der Massen mache. 8 Er pries die Massenproduktion Amerikas als größeren Schritt zum allgemeinen Wohl, als der russische Kommunismus ihn vollbringen könne. Die Technologie biete auch das erste wirksame Mittel zur Kontrolle der Natur und zur Eindämmung der Überbevölkerung. Die Technologie mache es notwendig, die Menschen zur gegenseitigen Unterstützung zu erziehen, um so mehr als Hunger und Krieg nicht mehr zeitgemäß seien. Zu einer Zeit, da viele Österreicher die technisierte Kriegsführung beklagten, die die Erde verwüstet hatte, pries Coudenhove-Kalergi das Potential der Technologie um des Nützlichen willen, das es in sich berge. Anfang der zwanziger Jahre vereinte Coudenhove-Kalergi in sich die klarsten Inhalte der Prophezeiungen des Expressionismus mit dem Ökumenismus seines Vaters. Das Ergebnis war eine Vision, die vorausblickend war, gleichzeitig aber auch zu früh kam, die jedenfalls viele kritische Fragen der nächsten fünfzig Jahre vorwegnahm. W i e Bertha von Suttner die Schrecken des Ersten Weltkriegs vorhergesehen hatte, ohne sie verhindern zu können, so prophezeite CoudenhoveKalergi die Zerrissenheit Europas zwischen den Vereinigten Staaten und Rußland. In den fünfziger Jahren, als sich die Hoffnungen auf eine europäische Föderation der Erfüllung näherten, wurde abermals die Gelegenheit versäumt. Ungedemütigt und durchaus nicht zynisch hat Coudenhove-Kalergi, gleich Alexis de Tocqueville und Jözsef Eötvös, jene Voraussicht entfaltet, die ein über der Schlacht stehender Aristokrat der politischen Analyse geben kann. Verwurzelt in der Vergangenheit, voll Sehnsucht zugleich nach einer besseren Zukunft, hat er dieses Jahrhundert mit dem Optimismus eines früheren Zeitalters erhellt.

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23. S O Z I A L D A R W I N I S T E N U N T E R G R A B E N D I E LEIBNIZSCHE TRADITION

Ludwig Gumplowicz: Vom Aufwiegler zum Hobbesianer Sozialdarwinisten, die spätere Tendenzen der Soziologie bereits vorwegnahmen, zählen ebenfalls zu den beinahe vergessenen Theoretikern des Habsburgerreiches. Zwei davon, Ludwig Gumplowicz und Gustav Ratzenhofer, wurden in den Vereinigten Staaten ziemlich bekannt, während ein dritter, Houston Stewart Chamberlain, zu Berühmtheit gelangte. Alle drei setzten sich für das Wohl der Gesellschaft als Ganzes ein; ihre säkulare Parodie des böhmischen Reformkatholizismus sollte vom Totalitarismus in die Praxis umgesetzt werden. Ludwig Gumplowicz (1838—1909) entstammte einer Rabbinerfamilie und kam in der von Streitigkeiten zerrissenen Stadt Krakau zur Welt. Dort wuchs er auch auf. 1862 wurde er nach mehrjährigen Studien in Krakau und Wien zum Doktor juris promoviert. 1 Als Anwalt in Krakau verteidigte er einen Anti-Habsburger-Rebellen, nachdem er sich 1863 auch mit Insurgenten gegen das russische Polen angefreundet hatte. 1866 lehnte die Krakauer juridische Fakultät ein Habilitationsansuchen Gumplowiczs ab, weil sie der Ansicht war, daß sein polnischer Patriotismus mit der Objektivität eines Gelehrten nicht vereinbar sei. Darauf wandte sich der frustrierte Rechtsgelehrte dem Journalismus zu und gründete die polnische Zeitschrift Kraj (Vaterland), um Goluchowskis prohabsburgischen Klerikalismus anzugreifen. Von 1869 bis 1874 arbeitete Gumplowicz als Herausgeber dieser Zeitung, doch gelang es ihm nicht, die polnische und jüdische Mittelschicht für die Sache des antiklerikalen Nationalismus zu gewinnen. Im Alter von sechsunddreißig Jahren fühlte er sich verbittert als Versager und folgte einem Rat seines früheren Lehrers Gustav Demelius, sich in Graz um einen Lehrauftrag zu bewerben. 1875 wurde ihm diese Position auf Grund seiner Abhandlung Rasse und Staat zugesprochen; etwa zur gleichen Zeit konvertierte er zum Protestantismus. Als Dozent und später als Professor in Graz verfolgte Gumplowicz gespannt die Ereignisse in Galizien und las mit Begeisterung Gedichte aus dem Jungen Deutschland, etwa von Heine oder Gutzkow. Auf seine Anregung hin strebte sein Sohn Maximilian Ernest Gumplowicz (1864—1897) in Wien seine Habilitation für polnische Literatur an. 1897 wurde der junge Maximilian ins Gefängnis geworfen, weil er den Staat verleumdet hatte, indem er ihn in Erweiterung der Theorien seines Vaters als „gesetzlich organisierte Räuberbande" bezeichnet hatte. Gleich Weininger überzeugt, daß es ihm nie gegeben sein würde, soziale Mißstände zu beheben, beging der junge Gumplowicz im Gefängnis Selbstmord. Trotz dieses Schlages, den ihm der Tod seines Sohnes versetzte, fand der ältere Gumplowicz die Kraft, die Aufsätze Maximilians über den chasarischen Ursprung der polnischen Juden zu edieren und auch seine eigenen Arbeiten fort324

zusetzen. Wie bereits erwähnt, hat sein Selbstmord - begangen im August 1909, gemeinsam mit seiner invaliden Frau — nichts mit dem seines Sohnes zu tun, vielmehr wollte er dadurch seiner eigenen Hilflosigkeit und dem zu erwartenden Tod infolge eines Zungenkrebses vorgreifen. Rasse und Staat, in einer revidierten Auflage Der Rassenkampf (Innsbruck 1883, 2. Aufl. 1909) betitelt, trug Gumplowicz das Prädikat le terrible Autrichien ein. Er behauptete, jeder Staat entstehe aus dem Kampf zwischen einer Rasse, die erobert, und einer, die erobert wird. Unter Rasse verstand er nicht eine ethnische Gruppe im Sinne Gobineaus, sondern jene Gruppe oder Klasse, sei sie nun rassischer, nationaler oder wirtschaftlicher Art, die um die Herrschaft über eine andere kämpft. Die einander konkurrierenden Nationalitäten, an denen in ÖsterreichUngarn kein Mangel bestand, waren für ihn durchwegs Rassen. Um diesen Hobbesschen Kampf zu erklären, stellte Gumplowicz eine polygenetische Theorie vom Ursprung des Menschen auf. Er war der Ansicht, daß, über die ganze Erde verstreut und voneinander unabhängig, eine ganze Anzahl von Stämmen aufgetreten sei. Wenn sich einer dieser Stämme auf Wanderung begab, mußte er andere erobern, gründete also einen Staat, in dem den Unterlegenen zunächst das Schicksal von Sklaven, dann das von Leibeigenen auferlegt wurde. Nach und nach nahmen dann Eroberer und Eroberte gemeinsame Züge an, eine einheitliche Sprache etwa, gemeinsame wirtschaftliche Interessen und familiäre Bindungen, und dadurch verschmolzen die beiden Stämme zu einer Nation. Die Nachkommen der beiden ursprünglichen Stämme sind dann nur noch in Form einer Oberschicht und einer Unterschicht voneinander zu unterscheiden, die beide von ein und demselben Recht regiert werden. Gumplowicz entwarf seine Theorie der Herrschaft durch Eroberung, um sein Versagen als Nationalist in Galizien zu rationalisieren. Er gliederte der Soziologie zwei dem polnischen Adel geläufige Mythen ein: erstens die Legende, nach der die drei Rassen Polens von den Söhnen Noahs abstammen: die Aristokraten von Japhet, die slawischen Bauern von Ham und die deutschen Juden von Sem; zweitens die Theorie, nach der die Aristokratie von normannischen Eroberern abstamme, die Bauern jedoch von autochthonen Slawen. Gumplowicz schöpfte ferner aus mündlichen Traditionen, die Klasse mit Rasse gleichsetzten und Herrschaft mit Eroberung, und konnte so erklären, warum sich polnische Bauern und Juden weigerten, einer nationalistischen Bewegung beizutreten, die sie mit den Aristokraten assoziierte. Seine Frustration als Agitator machte Gumplowicz zu einem therapeutischen Nihilisten. Im Gegensatz zu József Eötvös, der, was den potentiellen Imperialismus in jeder Nationalität anlangt, ähnliche Ansichten vertrat, glaubte Gumplowicz, daß man kaum etwas unternehmen könne, die Konflikte in Österreich-Ungarn zu lösen. Reformvorschlägen wie denen Karl Renners, Otto Bauers und Aurel Popovicis begegnete er mit Geringschätzung und warnte: „Menschliche ,Freiheit' ist nichts weiter als die Freiheit eines gefangenen Löwen, in seinem Käfig hin und her zu laufen und mitsamt seinem Käfig der Menagerie zu folgen - bald hierhin, bald dorthin, durch Stadt und Land." 2 Wie die meisten galizischen Polen verabscheute auch Gumplowicz Rußland. In Soziologie und Politik (Leipzig 1892) zeichnete er ein schreckliches Bild von 325

den asiatischen Horden, die sich gegen Europa zusammenrotten. Er schlug eine Alliance zwischen Frankreich und Deutschland vor, die sich um Finnland, Polen, Rumänien und Bulgarien bemühen sollte, um Rußland von seinen Pufferstaaten zu isolieren. Z u seinem R u f als Rassist gelangte Gumplowicz eher unverdientermaßen. Er verschmähte Gobineaus Unterscheidung zwischen gesunden und degenerierten Rassen und lehnte auch die Veranstaltung von Kriegen als eugenische Maßnahme ab. Er ersetzte Karl Marx' Theorie des wirtschaftlichen Konflikts durch einen Kampf, in dem es u m die Herrschaft und nicht um Reichtum ging. Seine Lehre der Staatskunst verlangte eine doppelte Moral, die durch Trennung von öffentlichem und privatem Recht etabliert werde. Unter den Staaten herrscht eine Hobbessche Moral vor - fiir sie gilt keine Autorität, die höher wäre als Gewalt für Individuen dagegen gilt ein konstitutioneller Rahmen von privaten Rechten, die jeder Staat seinen Bürgern gewährt, um den Wohlstand auf ein Höchstmaß zu bringen. Als Rechtsgelehrter war Gumplowicz einer der ersten, die in Osterreich die systematische Soziologie einführten. Seine Theorie vom Ursprung der Herrschaft wurde von deutschen Soziologen wie Franz Oppenheimer, Alfred Weber und Alexander von Rüstow übernommen wie auch von dem Historiker Eduard Meyer. Gumplowicz bekannte sich zum Soziologismus Dürkheims und vertrat die Ansicht, daß nicht die Individualität, sondern die Kollektivität dasjenige sei, was im Menschen denkt und handelt. Er behauptete, die Soziologie untersuche „Wechselbeziehungen und reziproke Wirkungen von ungleichen sozialen Gruppen", und ferner, daß „wir den Menschen niemals als isoliertes Wesen fassen können; denn er kann niemals in Isolation existieren." 3 Gumplowicz stellte sich gegen den Individualismus der Nationalökonomie Carl Mengers sowie der Austromarxisten und verteidigte die Soziologie als Wissenschaft vom Verhalten von Gruppen, die eine kontemplative, nicht auf aktive Politik ausgerichtete Disziplin bleiben müsse. Gleichsam um über den therapeutischen Nihilismus hinwegzutäuschen, der seiner Soziologie innewohnte, war Gumplowicz privat ein hochgesinnter Idealist, stets heiter und stets der Sorge um seine kranke Frau hingegeben. Er achtete die Meinungen jener, die ihn bekämpften. 1896 schrieb er an Bertha von Suttner, daß er, wenngleich er ihrer „schönen Idee", dem Krieg ein Ende zu setzen, nicht zustimmen könne, dennoch wünschte, sie möge fortfahren in ihren Bemühungen, ungeachtet aller Kritik - auch der seinen. 4 Gumplowicz erklärte seinen Gefühlsausbruch, indem er Optimismus und Pessimismus erneut definierte: „Der Pessimist in praktischer Philosophie ist für gewöhnlich im Leben ein Optimist. Der verhängnisvolle Lauf der Welt überrascht ihn nicht, er erwartet nichts besseres; er weiß, daß die Welt schlecht ist, daß sie nichts anderes sein kann ... Anders verhält es sich mit dem Optimisten in der praktischen Philosophie. In der Überzeugung, daß die Dinge besser stehen könnten, wenn nur der Mensch sich bessern würde, ... erlebt er beständig neue Enttäuschungen und fällt von einer Verzweiflung in die andere. Für gewöhnlich bietet uns der Optimist in der praktischen Philosophie im Leben jenes Bild, das wir mit dem Wort .Pessimist' verknüpfen." 5 326

Hier legte Gumplowicz eine Begeisterung für latente Bedeutungen an den Tag, die des Wiener Impressionismus würdig gewesen wäre, wobei er mit der Beschreibung des verzweifelten Optimisten sehr wohl seinen Sohn gemeint haben könnte. In der Anwendung obzitierter Unterscheidungen auf Soll und Haben erklärte Gumplowicz, daß die besitzenden Klassen glauben, ein ewiges Gesetz verlange von den einen, daß sie immer reicher würden, von den anderen jedoch, daß sie verhungerten. Pessimisten verehren die Vergangenheit. Besitzlose Klassen tendieren zum Optimismus in der praktischen Philosophie, zur Anbetung einer schönen Zukunft, mit der der Gegenwart ausgewichen werden soll. Gumplowicz deutete bereits Lukäcs' Begriff der Verdinglichung an und nahm in gewissem Sinn auch Mannheims spätere Unterscheidung zwischen vergangenheitsorientierten konservativen Ideologien und der zukunftsgestaltenden Utopie von Revolutionären vorweg. Gumplowicz gab der monistischen Methode den Vorzug und gilt in diesem Punkt als einer der Begründer der Soziologie. Mit einem Glauben an unveränderliche Gesetze, der einem Bolzano oder Robert Zimmermann alle Ehre gemacht hätte, tröstete sich Gumplowicz, indem er in einer von Streitigkeiten zerrissenen Welt die Heuchelei entlarvte. Wenige Sozialdarwinisten nur waren so voll von Resignation, und nur wenige therapeutische Nihilisten waren so voll von Ernsthaftigkeit wie dieser Pole, der sich der Agitation ab- und schließlich der Kontemplation zugewandt hatte. Der Eifer, der zuvor den polnischen Nationalismus in die Welt hinausgerufen hatte, griff nun die reformistische und die konservative Gesellschaftstheorie gleichermaßen an. Eher ungerechtfertigt haben manche Gelehrte Gumplowicz einen antisemitischen Rassismus unterschoben, der dem Wagners oder Chamberlains vergleichbar sei. Niemand hat sich mehr Mühe gegeben, Gumplowicz von dieser Verleumdung reinzuwaschen, als sein Schüler Gustav Ratzenhofer.

Gustav Ratzenhofer: Soziologie als Politologie Gustav Ratzenhofers (1842—1904) erinnert man sich heute vorwiegend wegen des Einflusses, den er auf den Chikagoer Sozialdarwinisten Albion W. Small ausgeübt hat. Viele sehen in ihm bloß einen Epigonen von Gumplowicz, mit dem er korrespondierte und der seine Arbeiten äußerst günstig rezensierte.6 In Wahrheit hat Ratzenhofer eine Soziologie von beträchtlicher systematischer Schärfe und Originalität ausgearbeitet. Er war der Sohn eines Uhrmachers, wählte die militärische Laufbahn, diente als einfacher Soldat und Unteroffizier, hatte sich 1864 zum Offizier emporgearbeitet und beendete seine beachtliche Karriere als Präsident des Militärobergerichts in Wien, eine Position, die er von 1898 bis 1901 innehatte. Nach nahezu zwei Jahrzehnten unablässigen Studiums veröffentlichte er 1893 das dreibändige Werk Wesen und Zweck der Politik als Teil der Soziologie und Grundlage der Staatswissenschaft (Leipzig 1893, Neudr. 1967). Eine Flut von Aufsätzen und Büchern folgte, deren wichtigstes Positive Ethik. Die Verwirklichung des Sittlich-Sollenden (Leipzig 1901) war. Im Oktober 1904 327

starb er an Bord eines Schiffes während der Heimreise vom St. Louis Congress of Arts and Sciences. In einem Resume seiner Soziologie, das er für diesen Kongreß verfaßt hatte, definierte er die Vereinigten Staaten als ein Land, „dessen Zukunft ihren Mittelpunkt in der Lösung des Rassenproblems haben wird". 7 Ratzenhofers Soziologie ging aus von einer Untersuchung des sozialen Interesses und reifte allmählich zu einer umfassenden Beschreibung der kapitalistischen Gesellschaft. Im Gegensatz zu Gumplowicz strebte er danach, die Soziologie zur Politologie zu machen: sie sollte zum Arzt des Körpers „Gesellschaft" werden. Das Ziel einer solchen Wissenschaft wäre eine Synthese der Forschungsergebnisse der Wirtschaftswissenschaften, der Politologie und des Wohlfahrtswesens in einem Reformprogramm. Diese Synthese würde sich auf einen von Ratzenhofer so bezeichneten positiven Monismus stützen, worunter er Gumplowiczs Lehre verstand, daß die Gesellschaft — selbst ein Teil der Natur — unveränderlichen Gesetzen unterworfen sei. Vergangene menschliche Entwicklung müßte sorgfältig untersucht werden, um als Basis für Zukunftsprognosen dienen zu können; Vorbild war hierin der Taktiker, der frühere Schlachten studiert, um zukünftige zu konzipieren. Gustav Ratzenhofer behauptete, daß es weiterhin die Gewalt sein werde, die Auseinandersetzungen schlichtet, allen Anstrengungen von „Weibern beiderlei Geschlechts" zum Trotz, diese Gewalt zu ersetzen. Ratzenhofer bekannte sich zu Gumplowiczs Theorie, daß Staaten aus der Unterwerfung seßhafter Arbeitsvölkerschaften durch wandernde hervorgehen. Zur Erhellung der darauf folgenden Entwicklung schlug er eine Polarität vor, die das Lebenswerk Pribrams und Spanns bereits antönt: Die Gesellschaft wächst unter der Gewalt des Konfliktes zwischen Individualismus und Sozialismus. Nach und nach verschmilzt der Kommunalismus der besiegten Siedler mit dem Individualismus der Eroberer zum Feudalismus. Der spätere Kapitalismus nährt einen anarchistischen Geist, der die Familie unterminiert und die Arbeit degradiert. Wie Karl von Vogelsang glaubte auch Ratzenhofer, daß der Kapitalismus schließlich einem Zeitalter der Seßhaftigkeit weichen werde, in dem der Klassenkampf durch Zusammenarbeit zwischen Arbeitern und Besitzenden ersetzt werden würde. Dieser Idealzustand würde den Sozialismus mit den Energien des Individualismus beleben — eine Symbiose darstellen, zu der Ratzenhofer den Anstoß zu geben hoffte, indem er Religion durch positiven M o n i s m u s ersetzte. In seinem posthumen Werk Soziologie. Positive Lehre von den menschlichen Wechselbeziehungen (Leipzig 1907) entfaltete der Soziologe eine zukunftsorientierte Politikwissenschaft, die Gumplowiczs therapeutischen Nihilismus in eine konstruktive Gesellschaftswissenschaft verwandelte. Ratzenhofer vertrat einen gemäßigten Antisemitismus, indem er für die totale Assimilierung der Juden eintrat, die damit den Fortschritt beschleunigen würden. Er wies darauf hin, daß Juden erstklassige Offiziere, Richter und Beamte abgäben, warnte aber davor, daß sie als Journalisten oder Rechtsanwälte dazu neigten, die Fehler ihrer Rasse verstärkt hervorzukehren. 8 Wie viele andere österreichische Denker, die gegen den Strom zu schwimmen versuchten, wurde auch Ratzenhofer von seinen Landsleuten einfach vergessen. Zu einer Zeit, da das Duell noch immer de rigueur war, galt es für einen Offizier als ungehörig, über Gesellschaftsphilosophie zu schreiben. Mit seinem 328

Ruf nach einer Synthese provozierte er zu viele Auseinandersetzungen mit den Konservativen, Liberalen und Sozialisten, als daß er von einer dieser Richtungen hätte anerkannt werden können. Ratzenhofer erlebte den Ersten Weltkrieg nicht mehr, so war es ihm - und uns — nicht vergönnt, daß er die rassistischen Mythologien gedeutet hätte, die durch den Krieg populär geworden sind. Wäre er in den zwanziger Jahren noch am Leben gewesen, vielleicht hätte er die Zustimmung einiger Wiener Sozialisten gefunden, die sich Mühe gaben, den Sozialismus mit dem Individualismus zu verschmelzen. Aber selbst dann hätte ihn seine Art, über den Dingen zu stehen, wohl eher zu einem Beobachter eines Fehlschlages gemacht als zum Baumeister einer Genesung. Erst nach 1945 hätte er Anzeichen dafür feststellen können, daß Gelehrte und Staatsmänner nun darangehen würden, die Soziologie als Schlüssel zur Reform zu verwenden.

Houston Stewart Chamberlain in Wien: Verfechter rassischer Reinheit Von 1889 bis 1909 lebte Houston Stewart Chamberlain (1855-1927), der abtrünnige Sohn eines britischen Admirals, in Wien. 9 In diesen zwanzig Jahren seines Eintauchens in österreichische Kultur verfaßte der Engländer seine Hauptwerke - durchwegs in deutscher Sprache. Im Gegensatz zu Gumplowicz und Ratzenhofer war Chamberlain kein Soziologe, sondern Publizist im Dienste der germanischen Überlegenheit. Die von den Soziologen geprägte Dialektik von Eroberern und Eroberten wurde für ihn zum Kampf zwischen Teutonen und Nichtteutonen, von welchem er hoffte, daß er nicht mit einer Mischung der Rassen enden würde, sondern mit deren Reinigung. Chamberlain war Protestant, geboren in Portsmouth; von dem Theologen Otto Kuntze erhielt er Deutschunterricht. Nach zehnjährigem Studium in Genf und Dresden kam er nach Wien, um dort bei dem jüdischen Gelehrten Julius von Wiesner (1838—1916) Pflanzenphysiologie zu betreiben. Als ihm die Arbeit am Mikroskop zu nervenaufreibend wurde, verlegte sich Chamberlain auf die Verbreitung der Ideen Richard Wagners, dem er 1882 begegnet war und mit dessen Witwe Cosima ihn seit 1888 eine enge Freundschaft verband. In zwei Büchern über Wagner, erschienen 1892 und 1896, stellte der Engländer eine außergewöhnliche Bildung unter Beweis, die er in klarer Sprache zu formulieren verstand und die bereits von Pangermanismus angekränkelt war. Dank dem Erfolg seines zweibändigen Werkes Die Grundlagen des neunzehnten Jahrhunderts (Wien 1899) wurde Chamberlain 1901 zum Freund Kaiser Wilhelms II., mit dem er die nächsten 22 Jahre korrespondierte. Wie viele andere bewunderte auch der Kaiser Chamberlains Synthese der Rassentheorien Gobineaus und Wagners mit den ethischen Lehren Kants und Fichtes. Kaum irgend jemand verwahrte sich gegen die Unverschämtheit, kantische Regeln in arischen Jargon zu kleiden. Die Zusammenarbeit mit dem Bayreuther Kreis um Cosima Wagner brachte Chamberlain dazu, sich nach nahezu dreißigjähriger Ehe von seiner halbjüdischen Frau Anna Horst scheiden zu lassen. 1908 heiratete er Eva Wagner, die Tochter des Komponisten, übersiedelte im Jahr darauf nach Bay329

reuth und nahm 1916 die deutsche Staatsbürgerschaft an. Etwa seit 1912 litt Chamberlain an der Parkinsonschen Krankheit, die ihn für den Rest seines Lebens ans Bett fesselte. Während seiner gesamten Laufbahn wies er ausgeprägte Symptome einer manisch-depressiven Neurose auf, die sich in abwechselnden Perioden der Ekstase und des nervösen Zusammenbruchs äußerten. Chamberlains berühmtestes und vielleicht auch überzeugendstes Werk waren Die Grundlagen des 19. Jahrhunderts; er hat es 1897/98 in neunzehn Monaten fieberhafter Arbeit zu Papier gebracht. Seinem jüdischen Freund und ehemaligen Lehrer Julius von Wiesner, der damals gerade Rektor der Wiener Universität war, hat er es gewidmet. Wie später Spengler war auch Chamberlain von der Morphologie der Pflanzen fasziniert, ein Interesse übrigens, das beide Männer von Goethe herleiteten. Im Studium der Pflanzenphysiologie gab sich Chamberlain seiner Vorliebe für Individuen und Spezies hin, die die Reinheit der Form zur Schau tragen. Als Hundeliebhaber vertrat der Engländer eine Viehzüchteransicht, was die Rasse angeht: Nur reinrassige Exemplare besitzen einen Stammbaum; ein Bastardhund könne wohl intelligent sein, aber niemals vertrauenswürdig. Wie Christian Ehrenfels, der ebenfalls ein Bewunderer Wagners war, verwendete Chamberlain das Wort Gestalt zur Bezeichnung eines integrierenden Formprinzips. Sowohl er als auch Ehrenfels beklagten die Nivellierung der menschlichen Größe, die Chamberlain - weit dogmatischer als sein Freund Ehrenfels — auf eine Vermengung der Rassen zurückführte. Chamberlains biologische Studien hatten seine Geschicklichkeit geschärft, Vergleiche und Kontraste zu konstruieren; wiederum wie Spengler hatte auch er seine Freude an verblüffenden Gegenüberstellungen. In Immanuel Kant. Die Persönlichkeit als Einführung in das Werk (München 1905) stellte er den großen Philosophen in Kontrast zu Goethe, Leonardo, Descartes, Giordano Bruno und Piaton. Abgesehen von anderen Grillen stellte Chamberlain in der Geistesgeschichte außergewöhnlich geschickte Vergleiche an. In den Grundlagen verglich er systematisch, was Griechen, Römer, Teutonen und Juden zur Zivilisation beigetragen haben. Die Griechen schufen die Philosophie und die Kunst, die Römer den Staat und das Recht, die Germanen die Möglichkeit der Freiheit, während die Juden Wucher und Ausbeutung betrieben. Die modernen Juden verachtete er als Produkte der Vermischung der alten Semiten mit mehreren späteren Völkern. Der Antisemitismus des Engländers spiegelte den damals in Wien gängigen wider. Da er selbst eine Halbjüdin geheiratet hatte, konnte er einzelne Juden preisen und gleichzeitig das Judentum zu einer Bedrohung der Zivilisation erklären. Wie amüsant sie bei einem einzelnen auch sein mag, kann die Schläue von tausenden Jakobs doch eine Gemeinschaft von Arglosen zerstören. 10 Chamberlain geißelte den jüdischen Wucher und projizierte die Verleumdungen des wirtschaftlichen Antisemitismus Wiens auf das Alte Testament. Ohne es zu merken, parodierte er Luegers Ausspruch: „Wer a Jud is, bestimm' i", wenn er behauptete, David und Christus seien Arier gewesen, Moses und Paulus dagegen Juden. Im Gegensatz zu Gumplowicz beklagte Chamberlain den Konflikt und überhaupt jeden Kontakt zwischen den Rassen. Er wollte, daß jede Rasse in sich abgeschlossen eine isolierte Entwicklung durchmachen könne ohne jene gegen330

seitigen Eheschließungen, wie sie das römische oder das Habsburgerreich gefördert hatten. Er hätte von Österreich-Ungarn gesprochen haben können, als er folgendes schrieb: „(Man muß) erkennen lernen, was es für unsere germanische Kultur bedeuten mag, daß die auf sie herabgeerbte Kultur des Altertums ... ihr nicht durch ein bestimmtes Volk vermittelt wurde, sondern durch ein nationsloses, physiognomiebares Gemenge, in welchem die Bastarde das große Wort führen, nämlich durch das Völkerchaos des untergehenden römischen Imperiums." 1 1 Chamberlains Verachtung für eine Reichspolitik der rassischen Vermengung wurde zweifellos durch die Hysterie deutscher Abgeordneter verstärkt, die sich während der Badeni-Debatten 1897 gegen das Ansinnen verwahrten, mit den Tschechen in einen Topf geworfen zu werden. Den Sozialismus griff Chamberlain auch vorwiegend deshalb an, weil er für eine Vermengung der Rassen eintrat. Chamberlain gab den Germanen den Vorzug vor allen anderen Rassen und definierte sie nicht bloß als Deutsche, Engländer und Franzosen, sondern auch als alle Antiklerikalen umfassend. Darin spiegelt sich der Pangermanismus Georg von Schönerers, mit dem er die Bewunderung für die Reformation gemeinsam hatte. Chamberlain klagte die römisch-katholische Kirche des Versäumnisses an, als Erbin des rassenlosen römischen Reiches nicht für eine Trennung der Rassen gesorgt zu haben. Dennoch pries er die katholische Kultur als ein Erbe, das jeder Protestant kennen sollte. In einem Artikel, den er 1902 in der Fackel veröffentlichte — einer Zeitschrift, die er übrigens regelmäßig las —, behauptete Chamberlain, daß Katholizismus und Protestantismus feindliche Brüder seien, die durch gegenseitige Befruchtung mehr zu gewinnen hätten als durch gegenseitiges Anschwärzen. 12 Im Wissenschaftlichen hat Chamberlain in dem aus Galizien stammenden Kunsthistoriker Josef Strzygowski (1862-1941) eine Parallele gefunden, der die Schöpfungen der arischen Kunst in ihrer Herkunft bis nach Zentralasien verfolgte. Strzygowski sprach von einer Polarität zwischen arischen und südlichen, von Rom ausgehenden Einflüssen, was sehr an Chamberlain gemahnt. Direkt von dem Engländer beeinflußt wurde Hermann Keyserling (1880 bis 1946), der 1902 in Wien als Geologe promovierte. Keyserlings Vorliebe für Typologien und seine Loblieder auf die Kreativität spiegeln deutlich Chamberlains gründlichere Errungenschaften wider. 13 Weit fruchtbarer noch war Chamberlains Freundschaft mit dem aus Mähren stammenden Essayisten Rudolf Kassner (1873-1959). 1 4 Dieser Neuerer des Reformkatholizismus schätzte die Grundlagen als ein Gegenmittel gegen die zeitgenössische Formlosigkeit. Kassner, von Kindheit an schwer körperbehindert, weitete Chamberlains Polaritäten dahingehend aus, daß er moralische Impulse als Resultat aufeinanderprallender Gegensätze darstellte. Mit seiner Wissenschaft der Physiognomie baute er dem Leibnizschen Synkretismus ein letztes Denkmal. Weit boshafter - und mitunter unfair gegen Chamberlain - ist die Parallele zwischen seiner Forderung nach rassischer Reinheit und dem arischen Kult Adolf Josef Lanz' ( 1 8 7 4 - 1 9 5 4 ) . Diese unerfreuliche Figur, die sich selbst Jörg Lanz von Liebenfels nannte, wurde nach 1945 von Wilfried Daim wiederentdeckt. 1 5 Lanz wurde in Wien als Sohn eines Lehrers geboren, studierte von 331

1893-1899 als Zisterziensernovize im Stift Heiligenkreuz im Wienerwald und war danach als freier Schriftsteller tätig. Schon 1903 versuchte er mittels algebraischer Symbole und seiner ungeheuren Belesenheit nachzuweisen, daß, nach den Worten des Rigweda, „die Welt den Ariern gehört".16 Von 1905 bis 1931 edierte er in Wien die Zeitschrift Ostara, zu deren Lesern unter anderen auch Karl Kraus,17 Strindberg, Lord Kitchener und Adolf Hitler zählten. Letzterer stattete Lanz 1909 einen Besuch ab, um sich einige ihm fehlende ältere Nummern der Zeitschrift zu holen. Lanz schlug eine Wiedereinsetzung des Templerordens als eines arischen Ritterordens vor; um den ihnen zugedachten Sitz auf Burg Werfenstein entsprechend zu kennzeichnen, hißte er am 25. Dezember 1907 dort eine Hakenkreuzflagge. Den Namen „Ostara" hatte Lanz von der germanischen Göttin des Frühlings entlehnt, die von Beda Venerabiiis und Jacob Grimm erwähnt wird. Von Guido List (1848-1919), einem anderen Wiener Fanatiker, wurde dieser Name ebenfalls herangezogen, als er in seiner Ostdeutschen Rundschau die Runen als Schlüssel zur Lösung der heidnischen Mysterien in der österreichischen Landschaft interpretierte. In seiner Theozoologie oder Die Kunde von den Sodoms-Ajflingen und dem Götterelektron (Wien 1905) entwarf Lanz ein Bild der zukünftigen Gesellschaft, in der rassische Reinheit vorherrschen würde. Christian von Ehrenfels' Polygamieprogramm gleichsam ins Lächerliche verzerrend, forderte er die Aufzucht einer blonden heroischen Rasse im Verborgenen, und zwar unter der Aufsicht von in Klöstern eingeschlossenen Müttern. In der Schule würden die Arier eine Herrenreligion lernen und zwecks Ausrottung unreiner Rassen im Sterilisieren und Kastrieren ausgebildet werden. Diese niedrigen Rassen nannte Lanz nach einer von Nietzsche verunglimpften niedrigen Hindukaste „Tschandalen". Mit größtem Vergnügen pflegte er sie mit Affen zu vergleichen. Seine gnostische Vision postulierte einen Kampf zwischen Ariern und Tschandalen auf Leben und Tod, in dem der blonden, blauäugigen Elite natürlich der Sieg gewiß war. In Österreich blieb der Lanzsche Kult ein Scherz, eine Art Karikatur der Deutschnationalen Schönerers oder des „Gralbundes" Richard von Kraliks. Solange Lanz' abartige Vorschläge auf Osterreich beschränkt blieben, konnten sie eine harmlose Exzentrizität unter vielen bleiben. Sobald sie jedoch durch Hitler nach Deutschland transponiert waren, wurden diese Phantasien - und in geringerem Ausmaß auch jene von Chamberlain — zu einer Bedrohung der Zivilisation. Auf den ersten Blick scheint zwischen dem böhmischen Reformkatholizismus und dem therapeutischen Nihilismus Gumplowiczs oder dem Rassismus Chamberlains kein Zusammenhang zu bestehen. Aber diese Sozialdarwinisten standen - wenngleich unwissentlich - für einen säkularen Glauben, der Bolzanos oder Spanns Vertrauen in die Vorsehung geradezu karikierte. Während die Reformkatholiken meinten, daß Gott die menschlichen Konflikte in das Wohl aller einmünden lassen würde, glaubten die Sozialdarwinisten an eine ähnliche Zweckgerichtetheit, ohne jedoch auf Gott zurückzugreifen. In jeder Gesellschaft müsse eine einzelne Gruppe herrschen, um die besten Energien des Ganzen hervorzuholen. Eine Elite, die die Oberhoheit einer menschlichen Vorsehung an332

wende, könne durch illusionsfreies geschicktes Manövrieren herrschen, wie bei Gumplowicz, oder durch rationales Planen, wie bei Ratzenhofer, oder durch reines Zuchtverfahren, wie bei Chamberlain. Durch Entstellung von Argumenten, die den Reformkatholiken wesentlich waren, rechtfertigten diese Publizisten ihre Vorschläge. N i c h t jeder verzweifelte Leibnizianer wandte sich der Politik zu. D i e Marcioniten Prags mieden den Aktivismus und zogen es vor, Visionen der Weltvernichtung zu ersinnen oder über eine ferne Erlösung zu meditieren. Jedoch auf die Politik übertragen, führte die manichäische Unzufriedenheit zu größten Verheerungen. In der Hoffnung, eine bedrohte Gesellschaft zu befreien, verfochten Rassisten die Verbannung und sogar die Ausrottung jener Völker, die sie bedrohten. Lanz' Phantasmagorie vom tödlichen Duell zwischen Tschandalen und Ariern stellte den Höhepunkt des jahrzehntelangen Protestes gegen die rassische Vielfalt des Habsburgerreiches dar. Gegenüber einem solchen Fanatismus erwies sich die Ernsthaftigkeit von Reformern wie Popper-Lynkeus, Suttner und Coudenhove-Kalergi als fruchtlos. Ihre Hingebung an das Wohl des Ganzen sollte schließlich vom Totalitarismus parodiert und überwunden werden

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Teil V

Der ungarische Illusionskult

Wenn man ein Seher ist, braucht man kein Beobachter zu sein. Marie von Ebner-Eschenbach

24. INSTITUTIONEN UND INTELLEKTUELLE IN UNGARN

Die politische und soziale Struktur Im Gegensatz zu den Tschechen, die nach 1850 davon Abstand nahmen, deutsch zu schreiben, verbreiteten viele Ungarn ihre Ansichten mit Abhandlungen in deutscher Sprache. Manche dieser Ungarn haben Entscheidendes zum modernen Denken beigetragen, insbesondere was die Erforschung der Wechselbeziehung zwischen Gesellschaft und Denkern angeht. Die folgenden vier Kapitel werden jene Disziplin, die ich als Soziologie der Denker bezeichne, auf die wichtigsten ungarischen Theoretiker anwenden. Um zu erklären, warum gerade die Ungarn in dieser Disziplin Pionierleistungen gesetzt haben, ist es notwendig, die Wechselbeziehungen zwischen Intellektuellen und Institutionen in der „anderen Hälfte" Österreich-Ungarns zu untersuchen. Zwei Ereignisse überschatteten die Geschichte Ungarns im 19. Jahrhundert: eines war die erfolglose Revolte gegen die Habsburgerherrschaft 1848/49, das andere war der unglückliche „Ausgleich", durch den 1867 Ungarn und Osterreich zu Partnern wurden. Dieser Kompromiß, von Ferenc Deak (1803-1876) und Gyula Andrässy (1823—1890) geplant, um den Forderungen nach einer eigenen Regierung entgegenzukommen, und von Franz Joseph als letzter Ausweg gebilligt, setzte nicht bloß eine oder zwei, sondern gleich drei regierende Körperschaften ein. Und zwar erstens das königliche Königreich Ungarn, zweitens die kaiserlich-königliche (k. k.) Herrschaft der österreichischen Kronländer und drittens die drei kaiserlichen und königlichen (k. u. k.) Ministerien, die gemeinsam von Österreich und Ungarn geführt wurden. Die gemeinsamen Ministerien leiteten die Auswärtigen Angelegenheiten, das Militärwesen und die damit verbundenen Finanzen. Die österreichisch-ungarische Armee trug in ihrem Titel die Buchstaben k. u. k., die Ministerien Österreichs dagegen waren mit k. k. gekennzeichnet, jene Ungarns nur mit k. (kirälyi). Kaum jemand war sich dessen bewußt, daß sich das Wort „königlich" in der Formel k. u. k. auf Ungarn bezog, in dem Sigel k. k. jedoch auf Böhmen. Die Allgegenwart dieser Abkürzungen inspirierte Robert Musil zu der Prägung des Namens „Kakanien" als Bezeichnung dieses Reiches, das, wie er scherzhaft bemerkte, in Ermangelung eines Namens untergegangen war. 1 Noch erstaunlicher als die Nomenklatur war die Verwaltung der Doppelmonarchie. 2 Die beiden Staaten waren so streng voneinander getrennt, daß ein Bürger des einen erst seine Staatsbürgerschaft hätte wechseln müssen, um im anderen an Wahlen teilnehmen zu dürfen. Ungarn ließ seine eigene rot-weißgrüne Fahne von 1848 wehen, während die Armee die schwarz-gelben Farben des Hauses Habsburg vor sich hertrug. Das Finanzwesen hatte seinen Mittelpunkt in Wien, wo eine gemeinsame Bank bis 1897 für beide Reiche eine Wäh337

rung ausgab. Die drei gemeinsamen Ministerien wurden von Delegationen überwacht, einer des österreichischen und einer des ungarischen Parlaments, die wie internationale Kommissionen getrennt zusammentraten, um über das Budget abzustimmen oder politische Richtlinien festzulegen. Alle zehn Jahre mußte der Ausgleich wie jeder andere Vertrag neu ausgehandelt werden. Jedes Parlament stellte eine Deputation ab, die sich um die Proportionen der gemeinsamen Ausgaben stritten, die jedes Land beitragen würde. 1897 und 1907 beschwor die Erneuerung des finanziellen Vertrags eine Krise herauf, da Ungarn als Gegenleistung für die Ratifizierung des Kompromisses weitere Konzessionen verlangte. Bis 1897 trug Ungarn einen Anteil („Quote") von 31,4 Prozent bei, danach von 3 4 , 4 Prozent. Transaktionen zwischen den beiden Staaten verstrickten sich in Bürokratie. Wenn die Polizei in Galizien einen Banditen ausliefern wollte, der die Grenze passiert hatte, so verlangte die Vorschrift, daß sie sich nicht an die ungarischen Grenzwachen wandte, mit denen sie in täglichem Kontakt stand, sondern an Wien. 3 Dort würden dann Beamte einen Bericht vom Deutschen ins Ungarische übersetzen, um ihn sodann nach Budapest zu schicken, auf daß er von dort an die ungarische Seite der Grenze weitergeleitet werde. Am 17. Februar 1867 wurde die Verfassung von 1848 in Ungarn wiedereingesetzt, am 8. Juni Franz Joseph zum Apostolischen König von Ungarn gekrönt. Die Bezeichnung „apostolisch", mit der katholische Publizisten Staat machten, leitete sich vom heiligen Stephan (Szent Istvän) her, der um das Jahr 1000 sein Volk dem katholischen Glauben zugeführt hatte. Als König genoß Franz Joseph ein A-priori-Vetorecht über jegliches im ungarischen Parlament eingebrachte Gesetzeswerk; jede Gesetzvorlage brauchte von vornherein seine Zusage. Das ungarische Wahlrecht blieb eines der restriktivsten in ganz Europa. 1874 wurde die Grenze der Besitzqualifikation hinauf gesetzt, so daß nunmehr anstatt wie vorher 6,7 Prozent nur noch 5,9 Prozent der Bewohner des Landes universelles Wahlrecht genossen. Unter Andrassy und Kaiman Tisza ( 1 8 3 0 - 1 9 0 2 ) stellte Ungarn das Haupthindernis für jegliche Art von Reform in Österreich und in Ungarn selbst dar. Ungarische Aristokraten wie Andrassy, Kälnoky und Källay leiteten zu einer Zeit, da sich der österreichische Adel weitgehend von der Politik zurückzog, die gemeinsamen Ministerien. Die ungarischen Führer hielten die Österreicher davon ab, in der östlichen Reichshälfte erste Schritte in Richtung Föderalismus zu tun, da sonst womöglich die Bedientenvölker Ungarns zur Rebellion aufgestachelt worden wären. Obgleich Budapest Kroatien auf Verlangen des Bischofs Georg Stroßmayer ( 1 8 1 5 - 1 9 0 5 ) untergeordnete Autonomie gewährt hatte, war dies doch nur geschehen, um den Rest des Reiches dafür um so unbehinderter beherrschen zu können. Franz Joseph war der einzige Beamte in Wien, der in Ungarn gesetzliche Autorität genoß. Er machte nur selten von seiner Macht Gebrauch, so etwa 1905 und 1906, als er drohte, durch Dekret das allgemeine Wahlrecht einzusetzen. Zwar veranlaßte diese Drohung die Ungarn, dem Ausgleich noch einmal zuzustimmen, aus Angst vor einer möglichen Sezession Ungarns konnte ein solches Ultimatum jedoch nicht noch einmal riskiert werden. Um 1900 war die Furcht vor einer Sezession Ungarns durchaus nicht aus der Luft gegriffen. Bis 1890 war das Land von Kaiman Tisza beherrscht worden, dessen 338

Liberale Partei mit Graf Taaffe bei der Aufrechterhaltung des Status quo zusammengearbeitet hatte. Danach erhielt der ungarische Nationalismus durch eine separatistische Koalition gewaltigen Auftrieb. Als Führer taten sich hier Lajos Kossuths ( 1 8 0 2 - 1 8 9 4 ) Sohn Ferenc ( 1 8 4 1 - 1 9 1 4 ) hervor, Gyula Andrässy der Jüngere (1860—1929) und Dezsö Bänffy, die auch die antiklerikalen Gesetze von 1894 förderten. Die Unabhängigkeitspartei forderte für ungarische Offiziere das Recht, ungarisch kommandieren zu dürfen, und drohte mit Separatzöllen zum Schutz der ungarischen Landwirtschaft. Unter dem Eindruck der Trennung Norwegens von Schweden, die Schweden 1905 gewährte, behaupteten die ungarischen Separatisten, abgesehen vom Namen sei ihr Land bereits so gut wie unabhängig. Sie prophezeiten, daß sich die Doppelmonarchie nach dem Tode Franz Josephs spalten werde. 4 1907 stimmten sie der Ablehnung des allgemeinen Wahlrechts zu. In Istvän Tisza (1861-1918), dem Sohn Kaimans, fanden die Separatisten ihren führenden Opponenten, der nach 1912 eine Parlamentswache aufmarschieren ließ, um die Obstruktionisten in der Nationalversammlung zu beugen. Als Ministerpräsident von 1903 bis 1905 und von 1913 bis 1917 ließ dieser erhabene Kalvinist auch Franz Ferdinand seine Feindseligkeit spüren. Am 30. Oktober 1918 wurde Tisza von drei Soldaten ermordet, die ihm die Schuld am Ausgang des Krieges gaben. Die ungewöhnliche Verfassung Ungarns spiegelte eine besondere gesellschaftliche Struktur wider. Wohl die Hälfte aller Ungarn, die nicht Bauern oder Bedienstete waren, konnte einen Adelstitel für sich beanspruchen, so daß 1848 jeder vierzehnte in Ungarn ein Adeliger (nobilis) war, in Österreich dagegen nur jeder dreihundertdreiundfünfzigste, in Böhmen gar nur jeder achthundertachtundzwanzigste. 5 1867 lebten in Ungarn 466.000 Adelige, dazu noch 80.000 nichtungarische Adelige in Siebenbürgen. In den zwanziger Jahren behauptete jeder fünfte Ungar, ein Adeliger zu sein, jeder siebzigste, daß er ein Mitglied des Hochadels sei. Der Adel leitete seine Privilegien von der Goldenen Bulle aus dem Jahre 1222 her, die König Andreas II. ( 1 2 0 5 - 1 2 3 5 ) dem niedrigen Adel unter Führung seines eigenen Sohnes Béla IV. ( 1 2 3 5 - 1 2 7 0 ) zugestanden hatte. Diese „Verfassung" befreite Klerus und Besitzende von Steuern, von Untersuchungshaft und Konfiskation und gestand ihnen eine jährliche Versammlung zu. Mit einigen Modifikationen blieben diese Zugeständnisse bis zur Einsetzung der Gesetze vom April 1848 in Kraft; da letztere jedoch nie vollends zur Anwendung gebracht wurden, behielten die Adeligen bis 1944 einen Großteil ihrer Privilegien bei. Der Großteil des Adels waren bloß Freie; sie bildeten die Klasse des niederen Adels oder der Besitzenden, die sich auf die mittelalterlichen servientes regis zurückführten. Wenige Adelige nur zählten zur Klasse der Magnaten, die den Hochadel Ungarns bildeten und dem Oberhaus des Reichsrates angehörten. Ein mit dem Suffix i oder noch besser y endender Eigenname — beides bezeichnete den Ort der Herkunft - war etwa dem deutschen „von" oder dem französischem „de" gleichwertig. Zur weiteren Differenzierung des Ranges bot die ungarische Sprache fünfzehn Anredeformeln für erhabenere Persönlichkeiten. 6 Diese Abstufungen gingen Hand in Hand mit dem Schematismus der Ränge und Titel, den der Staat zwischen 1780 und 1944 alljährlich publizierte. In der 339

Hoffnung, daß die Träger neugeschaffener Titel eine größere Unterwürfigkeit zeigen würden als Aristokraten von ehrbarem Geschlecht, schuf Admiral Horthy einen neuen Titel: Zu den vier traditionellen Anreden „Euer Hochgeboren", „Exzellenz", „Durchlaucht" und „Königliche Hoheit" fügte der Regent den „Vitez" („Tapferer Krieger") hinzu, um den jeder Weltkriegsteilnehmer, der mit der Großen silbernen oder Kleinen oder Großen goldenen Tapferkeitsmedaille ausgezeichnet worden war, „einkommen" konnte. 7 Noch nach 1930 galt es sowohl bei Angehörigen der Mittel- als auch der Oberschicht als schlechtes Benehmen, wenn ein Freier Tätigkeiten des Haushaltes ausführte, also etwa wenn er in aller Öffentlichkeit eine Einkaufstasche trug; jeder Haushalt war mit Hauspersonal gesegnet. Als weiteres Zeichen feudalistischer Bräuche blieb das Duell bis 1944 bestehen. Mehr noch als die Klassenstruktur oder die begrenzte Wahlberechtigung hat der immense Großgrundbesitz die Demokratisierung Ungarns verzögert. Die größten dieser Güter waren zur Zeit des Rückzuges der Türken von Familien wie den Esterhazy und Kärolyi zusammengerafft worden, die schließlich hunderttausende Morgen Land besaßen, welche von Pächtern bewirtschaftet und von Gutsinspektoren verwaltet wurden. Wenngleich um 1919 die meisten Latifundien verschwanden, besitzt die Familie Esterhazy noch heute große Teile des Burgenlandes, das 1921 von Ungarn an Osterreich abgetreten wurde. Zwar hatte Alexander Bach 1850 die Bauern Ungarns befreit; im Gegensatz zur Reform Josephs II. in Osterreich und Böhmen nahm Bach jedoch den Bauern das Land weg und lieferte sie damit vollends der Abhängigkeit von Magnaten und Besitzenden aus. Die feindselige Ergebenheit der Bauern strafte die Besitzenden Lügen, wenn sie behaupteten, die Interessen ihrer Pächter zu vertreten. Häufig kam es zu Bauernaufständen, die die antihabsburgische Tradition Lajos Kossuths neu belebten und auch die der Kuruzenaufstände ab 1673. Der Name „Kuruz" leitet sich vom lateinischen crux, Kreuz, her, und erinnerte daran, daß 1514 ein Bauernkreuzzug gegen die Türken zu einem Feldzug gegen die Grundbesitzer ausgeartet war. Bis 1867 und auch noch später setzten Magnaten und Besitzende ihren Willen über einen Beamten mit dem Titel Tablabirö oder Bezirksverwalter durch. Er wurde von den Besitzenden gewählt und bekleidete eine Vielzahl von Ämtern zu ihren Gunsten, was Jözsef Eötvös 1845 folgendermaßen beschrieb: „Alle Beschwerden des Volkes gehen durch seine Hand: Alle Machtausübung, die es gibt, wird von ihm verbreitet und verwaltet. Der Bezirksrichter (tablabirö) reguliert die Flüsse, baut Straßen, errichtet Brücken. Er vertritt die Armen, er ist der Schulinspektor, er ist der oberste Waldhüter, wenn immer irgendwo ein Wolf auftaucht; er ist die Gesundheitsbehörde im Falle einer Epidemie; er ist Friedensrichter und Kronanwalt in Strafprozessen; er ist Bevollmächtigter in Sachen der Polizei, des Krieges, des Spitalswesen; kurz, er ist alles in allem." 8 Dank der Machtbefugnisse des Tablabirö wurden im 19. Jahrhundert die Bezirke von einer Clique von Magnaten und Besitzenden regiert. 1898 ermächtigte ein sogenanntes „Sklavengesetz" die Großgrundbesitzer zur Anwen340

dung von körperlicher Züchtigung gegen streikende Agrararbeiter und zur Aufstellung bewaffneter Einheiten während der Erntezeit; noch nach 1920 wurden diese Praktiken fortgeführt; kein Wunder also, daß die Auswanderungsrate ungarischer Bauern beständig stieg. Zwischen 1890 und 1910 trafen rund 1,500.000 ungarische Staatsbürger in den Vereinigten Staaten ein; allein im Jahr 1907 waren es 340.000. 9 Der Reichtum und das Prestige der römisch-katholischen Kirche stellten ein weiteres Hindernis für Modernisierungsbestrebungen dar. Zwar konnte die Gegenreformation den Kalvinismus oder den Lutherianismus nicht auslöschen, doch um 1900 war Ungarn jenes Land, in welchem die Kirche die größten Besitzungen in ganz Europa hatte. Noch 1910 leitete sie hier zwei Drittel aller Schulen. Während die Hierarchie für die Magyarisierung eintrat, tadelte Papst Leo XIII. die Unterdrückung der Ruthenen und Slowaken. Da aber die Kirche eben die Magyarisierung vorantrieb, konnte sich in Ungarn niemals eine ähnlich fieberhafte antiklerikale Stimmung bilden wie im Kulturkampf Bismarcks. 1894/95 wurde die obligatorische Ziviltrauung eingeführt, und Priestern war es hinfort untersagt, Kinder gegen den Willen auch nur eines Elternteils zu taufen. 10 Noch offensichtlicher als in Osterreich hielt hier die römisch-katholische Kirche den Staat aufrecht: mit Freudenfesten für den apostolischen König und mit der Inszenierung der St. Stephans-Prozession, die einer riesigen Feldmesse glich. Um 1900 bot sie den einzigen Anlaß für den Adel, im Nationalkostüm zu erscheinen und in Kavalleriestiefeln, verzierten Kniehosen, pelzverbrämten Umhängen und Federhüten hinter dem Klerus einherzumarschieren. Trotz ihrem ausgeprägten Patriotismus gingen die Ungarn mit geringerer Begeisterung in den Ersten Weltkrieg als jede andere hauptbeteiligte kriegführende M a c h t . " Im Juli 1914 hatten sie auf ein friedliches Arrangement mit Serbien gedrängt und beschuldigten nun Wien, einen Konflikt vom Zaun gebrochen zu haben, durch den Ungarn nichts gewinnen, aber viel verlieren konnte. Da Graf Tisza die Grenzen geschlossen hatte, litt das Land den ganzen Krieg hindurch keinen Hunger, das ungarische Parlament blieb funktionsfähig und bot sowohl Separatisten als auch Pazifisten ein willkommenes Forum. In dieser unzensurierten Atmosphäre gab Mihäly Kärolyi Friedensvorschläge von sich, und zahlreiche sozialistische und kommunistische Radikale edierten Zeitschriften. Da reichlich Nahrungsmittel vorhanden waren, brauchten die siegreichen Alliierten im Winter 1918/19 Budapest nicht zu versorgen, und so konnten die Ungarn ihre eigenen Wege gehen und in der Hauptstadt etwas verwirklichen, was in Wien nicht stattfinden konnte — einen bolschewikischen Staatsstreich. Die ungarischen Befürchtungen hinsichtlich des Krieges fanden in den Memoiren von Aladär Kuncz ( 1 8 8 6 - 1 9 3 1 ) , Black Monastery (Budapest 1931, New York 1934) ihren beißenden Niederschlag. Dieser junge Gymnasiallehrer aus Klausenburg, der sich zu Kriegsbeginn als Tourist in Paris aufgehalten hatte, wurde von den Franzosen als potentieller Spion interniert. Früher ein Frankophiler, verbrachte er f ü n f Jahre im Gefängnis, zumeist in der Schwarzen Abtei auf der Insel Noirmoutier, wo er unter zunehmend barbarischer Behandlung litt und wo jegliche Beschwerde ein hoffnungsloses Unterfangen war. Wenn die Gefangenen — wie sich später herausstellte, zu Unrecht - protestierten und 341

geltend machten, daß in Ungarn kein Franzose gefangengenommen, ja nicht einmal angehalten werde, konnte es passieren, daß das „Wachpersonal die Verpflegung, die Postzustellung oder Spaziergänge an der Luft einstellte. Das Bild des freiheitlichen Landes, das sich die meisten Vorkriegsungarn von Frankreich gemacht hatten, zerbrach an den Grausamkeiten, die man diesen unschuldigen Opfern zufügte, Menschen, die längst viel zu unterernährt waren, um noch spionieren zu können, und viel zu demoralisiert, um sich noch aufzulehnen. Als Kuncz Ende 1919 nach Ungarn zurückkehrte, fand er dort eine Bevölkerung vor, die plötzlich weit verarmter und deprimierter war als alle seine ehemaligen Mithäftlinge. Der Erste Weltkrieg hatte Ungarn in eine größere Ode verwandelt, als die Schwarze Abtei es je gewesen war: das Volk lebte ohne jede Hoffnung. 1919 demonstrierte Ungarn seine ambivalente Position zwischen Vergangenheit und Zukunft, als es sich binnen viereinhalb Monaten von der liberalen Regierung Kärolyis ab- und dem Bolschewismus Béla Kuns zuwandte - und danach dem halbfaschistischen „Monarchismus" des Admirals Horthy. Kein anderes europäisches Land hat ein ähnlich breites Spektrum von Extremen durchlaufen, und abgesehen von Rußland hat auch keines den Verfassern des Friedensdiktates von 1919/20 einen derartigen Schrecken eingejagt. Man fürchtete bereits, Béla Kuns Staatsstreich könnte auch anderswo als Startzeichen der kommunistischen Rebellion aufgefaßt werden. Mihäly Kärolyi (1875-1955), ein Kritiker Franz Josephs und des beschränkten Wahlrechtes, hatte sich während der Kriegssitzungen des Parlaments als nationaler Führer etabliert. Am 30. Oktober 1918 wurde er zum Ministerpräsidenten ernannt und rief sieben Tage später die Republik aus, zu deren Präsidenten er am 11. Januar 1919 gewählt wurde. Er behauptete später, daß seine Republik hätte Bestand haben können, wenn schon 1907 das allgemeine Wahlrecht eingeführt worden wäre. So aber zwang ihn am 21. März 1919 Béla Kun (1886 bis um 1940) zum Rücktritt und entfernte schließlich auch alle gemäßigten Sozialisten aus der Regierung. Zwar endeten die 133 Tage Bolschewismus in einem Bürgerkrieg, doch hatte es nur wenig Säuberung gegeben, alles war in einer Atmosphäre relativer Flüchtigkeit vor sich gegangen. 12 Als Béla Kun am 31. Juli 1919 nach Wien floh und die Nationalarmee auf Budapest marschierte, um Admiral Miklós Horthy (1868— 1957) als Regenten einzusetzen, triumphierte die Konterrevolution. Die ersten beiden Staatschefs im neuen Ungarn waren durch Merkmale geprägt, die es anderen Männern unmöglich gemacht hätten, als politische Führer zu fungieren. Kärolyi litt unter einem gespaltenen Gaumen und hinkte, weshalb er auch nie Soldat gewesen war. Kun hingegen war extrem häßlich, von fahler Gesichtsfarbe und hatte große spitze Ohren; seine Gegner verglichen ihn mit einer Kröte. Horthy wiederum wich in anderer Weise von der Norm ab: Ab 1909 war er Flügeladjutant Franz Josephs, 1918 Oberbefehlshaber der österreichischungarischen Flotte gewesen, und so führte er den Klimbim des Hauses Habsburg wieder ein. Als Regent wurde er, wie ein Spaßvogel bemerkte, zu einem Admiral ohne Meer in einem Königreich ohne König. Von 1920 bis 1944 machte er Ungarn zum konservativ-rückständigsten Land unter den Nachfolgestaaten der Habsburgermonarchie, indem er die für das 342

2 0 . Jahrhundert anachronistische Politik einer monarchistischen Restauration betrieb. Von 1 9 2 1 bis 1 9 3 1 t r i u m p h i e r t e Ministerpräsident Istvän B e t h l e n ( 1 8 7 4 - 1 9 4 7 ) , gestützt auf den niedrigen Landadel, über seinen faschistischen Gegenspieler Gyula G ö m b ö s ( 1 8 8 6 - 1 9 3 6 ) . Eine Zeitlang pries der katholische Historiker Gyula Szekfü ( 1 8 8 3 - 1 9 5 5 ) Bethlen als „konservativen R e f o r m e r " , doch nach 1 9 3 1 kritisierte er dessen „neubarocke" Regierung, weil sie Reformen verhinderte. 1 3 In der Außenpolitik lehnte die Regentschaft jede Verantwortung für den Ersten Weltkrieg ab und argumentierte, das ungarische Kabinett habe sich im Juli 1 9 1 4 vehement dem Krieg mit Serbien widersetzt. Fünfundzwanzig Jahre lang träumten die führenden ungarischen Staatsmänner von einer R ü c k e r o b e r u n g der Slowakei und Siebenbürgens. Von Mitgliedern der Kleinen E n t e n t e umgeben, hatte das irredentistische Ungarn keine andere W a h l , als sich zunächst mit Mussolini und dann mit Hitler zu verbünden. Ein bitteres Erwachen unter der Naziherrschaft hat viele Intellektuelle, Szekfü inbegriffen, dazu getrieben, sich noch vor der Befreiung von 1 9 4 5 dem Marxismus zuzuwenden. Der abstoßendste Zug der ersten Dekade der Regentschaft Horthys war der weiße Terror von 1 9 2 0 . M i t einer an die blutigen Verfolgungen des General Haynau von 1 8 4 9 erinnernden W u t wurde ohne Ansehen der Person gefoltert, wurden öffentliche Auspeitschungen wieder eingeführt, politische Morde vertuscht, und Juden, die ab 1 9 1 4 als Flüchtlinge ins Land gekommen waren, wurden ausgewiesen. Hatten sie keinen Paß, steckte man sie in Internierungslager, in denen es kaum etwas zu essen und so gut wie keine sanitären Einrichtungen gab. Der Antisemitismus nahm zu, teils weil in Béla Kuns Regime die Juden äußerst stark vertreten gewesen waren, teils weil eine geschwächte Wirtschaft die Juden auszustoßen trachtete. 1 4 Selbst der sonst so kritische Szekfü beklagte die Konzentration finanzieller M a c h t in jüdischen Händen. U m die Juden ihrer Existenzgrundlage zu berauben, wurden ihnen alle Kino- und Tabakverschleißer-Lizenzen entzogen und unter N i c h t j u d e n neu verteilt. Ein Numerus clausus von 6 Prozent - dem geschätzten Anteil der Juden an der Gesamtbevölkerung - reduzierte die an den Universitäten inskribierten Juden um die Hälfte. Obwohl Streiks beständig unterdrückt wurden, gab es Industriezweige, denen durch keinerlei Maßnahmen zu helfen war — etwa die Möbelindustrie, die auf ein Fünftel ihrer Vorkriegskapazität zusammengeschrumpft war, da ihr das Holz der Slowakei und Siebenbürgens fehlte. Noch 1 9 3 0 sah man in Budapest Pferdewagen in Hülle und Fülle, wodurch gleichsam der längst unwiderruflich erfolgte Ausklang der Belle epoque hinausgeschoben erschien. U m den Nationalstolz der Ungarn für ihre Zwecke zu mißbrauchen, ließen Horthy und Bethlen eine Sättigungs-Propaganda-Kampagne anlaufen. Straßenbahnen verkündeten das Glaubensbekenntnis des Nachkriegsungarn : „Ich glaube an einen G o t t . Ich glaube an ein Vaterland. Ich glaube an eine göttliche Stunde, die k o m m e n wird. Ich glaube an die Auferstehung Ungarns. Amen."15 In ähnlicher Weise war an jeder Haustür ein kleines Metallschild mit der Aufschrift „Nem, nem, soha — Nein, nein, niemals", angebracht - nie werden wir uns mit der Erniedrigung, mit der Zerstückelung unseres Landes abfinden, 343

hieß das. M i t der Erniedrigung durch Horthy jedoch fanden sich die donquijotesken Ungarn ab. Horthy mißbrauchte den widerspenstigen Patriotismus seiner Landsleute, der früher einmal weit beachtlichere, wertvollere Leistungen angeregt hatte. Obwohl der Regent - sein offizieller Titel lautete Reichsverweser — die Einbildungskraft der vaterlandsliebenden Ungarn schändlich ausnützte, um ein halbfeudales Regime aufrechtzuerhalten, hat die Fähigkeit des Ungarn, sich unter bitteren äußeren Umständen seinen Träumen hinzugeben, auch weiterhin zur Entwicklung origineller Denkleistungen beigetragen.

Budapest. Die Hauptstadt einer halbfeudalen Nation modernisiert sich Trotz der Rückständigkeit seiner U m g e b u n g entwickelte sich Budapest nach 1870 rasch zu einer der modernsten Städte Europas. Hatte es früher in Ungarn an einem echten kulturellen Z e n t r u m gefehlt, so vereinigten sich 1 8 7 2 die Zwillingsstädte B u d a und Pest zum kulturellen und wirtschaftlichen Forum einer blühenden Nation. Zwischen 1870 und 1910 verdreifachte sich die Bevölkerung Budapests auf 8 0 0 . 0 0 0 und wuchs damit neunmal so schnell wie die Bevölkerung der gesamten Nation. 1 6 U m 1890 erstreckte sich Budapest über rund 2 3 0 Quadratkilometer und war damit weitläufiger als jede andere Stadtgemeinde Europas. Ein schwerfälliger Stadtrat von 4 0 0 Mitgliedern überwachte den Wiederaufbau der Zwillingsstadt. 1870 wurde die D o n a u durch steinerne Kaimauern reguliert, die gleichzeitig als elegante Promenade dienten; sie wurde 1896 durch ein neues Parlamentsgebäude gekrönt. Zur selben Zeit wurde die Margareteninsel, die einst Jagdrevier Erzherzog Josephs ( 1 8 3 3 - 1 9 0 5 ) gewesen war, von diesem der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Als Sohn des gleichnamigen Palatins gestaltete er die Insel als Vergnügungspark aus. 1908 wurde sie von der Stadt erworben. 1872 schuf man einen radialen Boulevard - später Andrassy-Straße benannt —, der zur schönsten Prachtstraße Europas werden sollte. Er erstreckte sich geradlinig über rund 3,5 Kilometer nordwärts und verband die City mit dem Stadtwäldchen (Värosliget), Budapests Prater. Je näher man diesem Park kam, desto breiter wurde die Andrässy-Straße: im ersten Drittel reichten die Häuser bis an die Gehsteige, im zweiten gab es vor den G e b ä u d e n bereits kleine Vorgärten einheitlichen Ausmaßes, und im letzten Drittel waren die beiden Seiten des Boulevards von herrlichen Villen beherrscht, die in einem bestimmten Abstand von der Straße errichtet waren. Die 1896 anläßlich der Jahrtausendfeier in der Andrässy-Straße erbaute, von Schweizer Ingenieuren entworfene Untergrundbahn war die erste Europas, sie galt als vorbildlich, die Erbauer der N e w Yorker Subways studierten sie. Schon 1889 gab es in Budapest elektrische Straßenbahnen. Im selben Jahr wurde auch ein nach Zonen gestuftes Eisenbahntarif-System eingeführt, das für Budapest einen Pendelverkehr im Umkreis von 2 5 0 km ermöglichte. Budapest hatte seine Blüte besonders dem Getreidehandel zu verdanken. Die Stadt war das Kornmühlenzentrum Europas, es wurde auf der ganzen Welt nur noch von Minneapolis-St. Paul übertreffen. Die ungarischen Mühlen setzten als 344

erste Stahlzylinder ein, die besonders feines Mehl erzeugten, wie man es in Konditoreien benötigte. Außerdem wurden in Budapest Lederwaren, Farben, Ziegel, Waggons und Schiffe hergestellt, durchwegs Güter, deren Produktion sich zwischen 1898 und 1910 verdoppelte. Budapest war die größte Stadt Europas, in deren engerem Bereich es auch Mineralquellen gab, eine echte Bäderstadt; das in Flaschen abgezogene Mineralwasser wurde auf dem ganzen Kontinent verkauft. U m die Erhaltung der Straßen zu finanzieren, erntete die Regierung die entlang eben dieser Straßen angepflanzten Obstbäume ab. Viele Ortschaften hatten einen eigenen Obstgarten, der dem Pfarrer und dem Lehrer überlassen wurde, die ihre Bezüge durch den Verkauf der Ernte in Budapest aufbesserten. Bis zur Jahrtausend-Ausstellung 1896 hatten nur wenige Außenstehende von Budapests Modernität Kenntnis genommen. Für diese Ausstellung wurden im Stadtwäldchen dauerhafte Gebäude errichtet, die von Gabriel Baross 1892 geplant und unter Verkehrsminister Béla Lukäcs ( 1 8 4 7 - 1 9 0 1 ) erbaut worden waren. In einer Orgie der Selbstbeweihräucherung zeigte die Ausstellung ausschließlich in Ungarn hergestellte Produkte. Als die Bevölkerung erfuhr, daß die Beleuchtungskörper des neuen Parlaments aus W i e n stammten, wurden diese sofort durch solche einheimischer Provenienz ersetzt. Der Überschwang der Ungarn wirkte so ansteckend, daß sich so mancher Besucher fragte, ob nicht demnächst Österreich von Ungarn übernommen werden würde. Ein amerikanischer Beobachter verglich das aufstrebende und aufbegehrende Land mit einem Kuckuck, der im Nest des lethargischen Österreich fett geworden war. 17 Die luxuriösen Fassaden bemäntelten jedoch manche Gefahren und Mißstände aus der Vergangenheit: Im W i n t e r 1892/93 kostete die Cholera 500 Menschen das Leben. Diese Epidemie war durch den Genuß unfiltrierten Donauwassers hervorgerufen worden, in das ungeklärte Abwässer gelangt waren. Langsam nur besserten sich die Wohnverhältnisse. 1891 befanden sich zwei Drittel aller Wohnungen in eingeschossigen Gebäuden, drei Fünftel bestanden überhaupt nur aus einem einzigen Raum. Viele Menschen lebten in naßkalten Kellern, bis endlich auf Grund von Sterblichkeits-Statistiken, die József Körösi ( 1 8 4 4 - 1 9 0 6 ) erstellt hatte, Kellerwohnungen verboten wurden. Vollgepferchte ebenerdige W o h n u n gen wurden im Sommer so feucht, daß sich ihre Bewohner k a u m noch zu Hause aufhalten konnten; Spritzwägen trugen ein Übriges zur Feuchtigkeit bei, indem sie staubige Straßen besprühten, wobei nicht selten Passanten durchnäßt wurden. Restaurants, Kaffeehäuser und öffentliche Bäder strotzten von Besuchern, die sich ungleich temperamentvoller gebärdeten als jene in W i e n . Die W a n d l u n g vom Handelszentrum zu einer Industrie- und Finanzmetropole verdankte Budapest nicht zuletzt seinen assimilierten Juden. Bis zum Regime Béla Kuns waren ungarische Besitzende und Juden miteinander in einer Vernunftehe verbunden gewesen, in welcher die Juden jene Funktionen in Handel und Industrie erfüllten, die dem Adel verächtlich erschienen. Schon ehe ihnen durch die antiklerikalen Gesetze vom April 1893 völlige Gleichstellung mit anderen Bürgern gewährt worden war, hatten Juden ungarische Namen a n g e n o m m e n . U m 1910 bestand ein Viertel der Bevölkerung Budapests aus Juden, unter ihnen zwei Fünftel der 6 . 7 0 0 Rechtsanwälte, drei Fünftel der 2 . 0 0 0 Arzte u n d zwei Fünftel der 1 . 2 0 0 Journalisten. 1 8 Einerseits unterstützten sie das W a c h s t u m 345

Ungarns, andererseits sprachen die Juden zu Hause deutsch und verliehen damit der ansonsten eher unter Xenophobie leidenden Stadt einen Hauch von Kosmopolitentum. Um 1900 fanden die Juden geradezu himmlische Umstände vor — zwanzig Jahre vorher war noch ein antisemitischer Sturm über das Land hinweggezogen. Fälschliche Beschuldigungen des Ritualmordes diskreditierten die antisemitische Partei Geza von Istöczys (1842-1915) auf Jahrzehnte hinaus. In einer denkwürdigen Ansprache vor dem ungarischen Unterhaus rühmte Istöczy am 24. Juni 1878 den Versuch gewisser Juden, dem Osmanischen Reich Palästina abzukaufen. Juden sollten zur Auswanderung dorthin ermutigt werden, andernfalls würden sie die überlegenen Begabungen dazu nützen, die Ungarn mit einem „eisernen Ring" zu umklammern.19 Vier Jahre später entzündeten diese Ängste ein Feuer. Am 1. April 1882 verschwand ein vierzehnjähriges Kalvinistenmädchen namens Eszter Solymosi in der Nähe des Hauses von Jözsef Scharf, dem Küster der jüdischen Synagoge in Tiszaeszlär im Süden Ungarns. Die Mutter Eszters beschuldigte Scharf, das Mädchen ermordet zu haben, um zu Christenblut für Matzoh zu kommen. Ein lokaler Magistratsbeamter, der sich aus August Rohlings Buch Der Talmudjude (1817) über rituelle Morde informiert hatte, zwang den vierzehnjährigen Sohn Scharfs, seine Teilnahme an dem „Verbrechen" zu „gestehen". Ein Jahr später wurden die beiden Angeklagten von einem Gericht in Nyiregyhäza entlastet, das gleichzeitig eine Verschwörung mit dem Ziel der Verurteilung der beiden aufdeckte. Der TiszaeszlärFall wurde so engagiert verbreitet, daß er zum bekanntesten Fall von gerichtlicher Judenverfolgung in Europa vor der Dreyfus-Affäre wurde. Die Verschwörung von 1882 war ambitionierter inszeniert worden als die von Polna in Böhmen siebzehn Jahre darauf, und an ihr zeigte sich, daß Budapest in einem halborientalischen Land lag. Noch 1900 waren 50 Prozent der ungarischen Bevölkerung Analphabeten, und die Gastfreundschaft, deren sich die Ungarn rühmten, glich der Generosität der Feudalherren aus jenen Jahrhunderten, da eine Reise noch Mühsal und Risiko bedeutete. Noch augenscheinlicher als Wien schien Budapest eine Stadt im Grenzland zu sein — eine Stadt zwischen Ost und West, zwischen Feudalismus und Moderne. Die Begabung zum Wunschträumen Während des Ringens mit der Habsburgerherrschaft setzte die ungarische Literatur eine politische Renaissance durch. Mehr noch als diejenigen Rußlands strebten Ungarns Intellektuelle danach, die Massen aufzurichten, und zwischen 1848 und 1860 waren es nur die Schriftsteller, die das Nationalbewußtsein der Ungarn aufrechterhielten. Obwohl die Wiedergeburt des Ungarischen als Literatursprache mit der des Tschechischen zusammenfiel, übertrafen die ungarischen Schriftsteller die Deutschen in ihrem Land sehr rasch, während sich in Böhmen eine langwierige Auseinandersetzung zwischen den herrschenden Deutschen und den widerspenstigen Tschechen anbahnte. Bis ins ausgehende 18. Jahrhundert war Ungarn lateinisch regiert worden. Der Adel sprach Französisch oder Deutsch zusätzlich zum Lateinischen und 346

überließ das Ungarische den Bauern und Dienstboten. Im Mai 1784 ersetzte Joseph II. die lateinische Verwaltungssprache durch das Deutsche. Der doktrinäre Kaiser behauptete, ein aufgeklärtes Land könne nur in einer lebenden Sprache regiert werden, und wies alle Beamten an, innerhalb von drei Jahren Deutsch zu lernen. Das erboste die Ungarn so sehr, daß sie ihre ererbte Sprache reaktivierten. Die Wirksamkeit dieser Renaissance zeigt sich daran, daß Herder im 4. Band seiner Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit (1791) noch prophezeite, die Ungarn würden gemeinsam mit ihrer Sprache von der Bildfläche verschwinden, doch bereits zwei Jahre später, im 1. Band seiner Briefe zur Beförderung der Humanität (Riga 1793), begrüßte er den Kampf der Ungarn, den sie zur Erhaltung ihrer Muttersprache führten. 2 0 1792 wurde Ungarisch zum Pflichtfach in den Schulen, wovon nur Kroatien ausgenommen blieb, und 1805 wurde es dem Abgeordnetenhaus des Reichtages gestattet, seine Debatten sowohl auf ungarisch als auch lateinisch abzuführen. Petitionen an königliche Beamte, die ungarisch abgefaßt waren, mußten in dieser Sprache beantwortet werden. Ein symbolischer Wendepunkt für die Wiedergeburt der Sprache wurde im Oktober 1825 gesetzt, als sich Istvän Szechenyi (1791-1860) in jener Sprache an das Magnatenhaus des Reichstages wandte, die den Magnaten bis dahin als Idiom der Bauern gegolten hatte. 21 Im folgenden Monat setzte dieser große Reformer das Einkommen eines Jahres aus seinen Gütern zur Gründung einer Ungarischen Akademie der Wissenschaften aus; das Ergebnis war, daß bald mehr Mittel beisammen waren, als die Gründung der Akademie erforderte. Der nächste, der lautstark für die Magyarisierung eintrat, war der leicht erregbare Journalist Lajos Kossuth, der in der Verbreitung des Ungarischen die wirksamste Waffe zur Hintanhaltung einer Tyrannei von Seiten Wiens und gegen die Rivalität von Seiten der Slawen sah. Zwischen 1832 und 1844 wurde das Ungarische zur offiziellen Sprache Ungarns; 1836 wurde es an Gerichtshöfen obligatorisch; 1840 durften Regierungsstellen untereinander nur noch in ungarisch verkehren; und 1844 wurde das Ungarische zur einzigen Sprache im Reichstag und in allen Amtern. Von diesem Jahr an wurden alle Gesetze auf ungarisch verbreitet. Ungarisch wurde zur Unterrichtssprache an allen Schulen außer in Kroatien, Slowenien und bei den Deutschen in Siebenbürgen. Der Triumph der Sprache war so vollkommen, daß die Ungarn sich nach ihrer Niederlage von 1849 ihrer sprachlichen Autonomie bedienten, um ihre österreichischen Beherrscher zu verärgern. In den fünfziger Jahren kommissionierte Alexander Bach tausende deutschsprechende Beamte, um Ungarn dadurch an die Kandare zu bekommen. Statt dessen geriet jedoch das Habsburgerreich in der Folge an den Rand des finanziellen Ruins, da diese Beamten einer anderssprachigen Bevölkerung gegenüber als Steuereintreiber völlig versagten, und mußte sich der Notwendigkeit der Verfassungsreform der sechziger Jahre beugen. Nach 1867 war die Magyarisierung nicht immer ein Segen. 1879 verlangte man auch von Deutschen und Kroaten, daß sie Ungarisch lernten. 1891 wurden Angehörige aller Nationalitäten gleichermaßen dazu angehalten, ihre Kinder in einen Kindergarten zu schicken, um damit den Nichtungarn beim Erlernen einer für sie fremden Sprache zu helfen. In diesen Jahren erhielt auch jede Ortschaft 347

einen ungarischen Namen, und die Bürger wurden aufgerufen, einen ungarischen Zunamen anzunehmen. Franz Joseph sah über die Härten, die man den Deutschen, Slowaken, Rumänen und Kroaten hier auferlegte, einfach hinweg, und stimmte in der Hoffnung, das Reich dadurch zu stärken, der Magyarisierung zu. Obwohl er als König von Ungarn das Land bis zu viermal jährlich besuchte, teilte er die Liebe, die seine Gattin für Ungarn empfand, nicht. In ihren späteren Jahren bediente sich Elisabeth in der Unterhaltung mit Vorliebe des Ungarischen und gab viele Neigungen zu erkennen, die für Budapest typisch waren, für jene Stadt, in der man sogar Richard Wagner in ungarischer Übersetzung aufführte. Wenn jemand in der ungarischen Hauptstadt deutsch sprechen wollte, war es üblich, daß er zuerst auf ungarisch „bitte" sagte — tesek —, da man ihm sonst glatt auf ungarisch geantwortet hätte. Auf dem Land pflegte man dergleichen Empfindlichkeiten nicht, dort war es vielmehr üblich, jeden Bekannten in dessen Muttersprache zu begrüßen. Da jedermann es verstand, Scherze in vier oder fünf Sprachen anzubringen, war es, wie Emil Reich erzählt, sehr leicht möglich, daß einmal ein Satz lateinisch begonnen, auf ungarisch fortgesetzt und deutsch oder slowakisch zu Ende geführt wurde. Während der Adel ein akzentfreies Französisch sprach, tauschten Bauernfamilien gegenseitig ihre Kinder aus, damit Deutsche und Ungarn leichter die Sprache des anderen erlernten. Die Verbannung des Deutschen als Amtssprache bewirkte auch eine Gegenbewegung, insbesondere nachdem 1872 die deutschsprechenden Professoren von der Universität Budapest vertrieben worden waren. Deutsche Intellektuelle erinnerten lautstark an die Ströme ungarischer Protestanten, die sich vor 1740 in deutsche Universitäten ergossen hatten. Einer der Wortführer der bedrängten Minderheit, Edmund Steinacker (1839-1929), wurde 1892 wegen seiner Angriffe gegen die Magyarisierung aus dem Parlament entfernt. 22 Theodor Herzl, der in Budapest aufwuchs, identifizierte sich so stark mit der deutschen Kultur, daß er ein Gedicht zur Verherrlichung des Bismarckschen Kulturkampfes verfaßte und sich ab seinem 20. Lebensjahr weigerte, ungarisch zu sprechen. 23 Eine leidenschaftslosere Einstellung veranlaßte Philologen wie Gustav Heinrich (1845-1922) und den Realschullehrer Johann Heinrich Schwicker (1839—1902), die Beziehungen zwischen der deutschen und der ungarischen Literatur zu untersuchen. Später übernahm Jakob Bleyer (1874-1933) die Rolle des Wortführers und widersetzte sich von 1926 bis 1933 im Abgeordnetenhaus der antideutschen Politik Horthys. Bleyer regte auch den Historiker Fritz Valjavec (1909—1960) zur Untersuchung der Verbreitung deutscher Kultur in Südeuropa an. Die Magyarisierung stellte einen großen Triumph des nationalen Geistes dar. Sie intensivierte auch einen nationalen Zug, den die Ungarn delibdb nennen, was wörtlich soviel bedeutet wie Fata Morgana. Wir werden diesen Terminus zur Bezeichnung eines Hanges zum Wunschträumen verwenden, einer Tendenz, die Sändor Ferenczi „magisches Denken" nannte. Die Bereitwilligkeit, die Welt durch eine rosarote Brille anzusehen, verleitete die Ungarn dazu, ihre Größe zu übertreiben, während sie das Elend der Bedientenvölker einfach nicht zur Kenntnis nahmen. Delibdb veranlaßte politische Denker, wie Kossuth, Lukäcs und Theodor Hertzka, die gegenwärtigen Verhältnisse zu preisen, als wäre Utopia herabgestiegen. Im militärischen Leben unterstützte das magische Denken eine 348

Art donquijotesker Ungeduld, die die Soldaten zu fürchterlichen Angreifern machte, ihnen jedoch nicht die zur Verteidigung erforderliche Ausdauer gab. In Kreisen der Bourgeoisie verstärkte der Illusionskult den Wunsch, die neuesten technologischen Wunderdinge zu erwerben: Aufzüge, Untergrundbahn und modernst konstruierte Brücken verschleierten rückständige Gesellschaftsstrukturen. Ihre Fähigkeit zum Träumen hat die Ungarn zu Advokaten von Superlativen gemacht, stets bereit, Ungarn als eine Ausnahme unter allen Nationen zu verteidigen. Teilweise ist es auch die ungarische Sprache, die zum magischen Denken ermutigt. 24 Ihre mehrere hundert Präfixe und Suffixe lassen soviele Schattierungen der Bedeutung zu, daß sowohl der Sprecher als auch der Hörer mitunter die Fährte dieser Bedeutungen verlieren. Da manche Affixe in ihrem Gebrauch nicht festgelegt sind, kann der Schriftsteller ungestraft Wörter höchst unbestimmten Inhalts prägen. Die Sprache hält ihre Verwender nicht zur Strenge und zum sorgfältigen Untersuchen der Realität an. Diese linguistische Flexibilität läßt auch die Improvisation blühen: Im Erzählen großartiger Geschichten unter Mißachtung empirischer Hindernisse haben die Ungarn Großes geleistet. Nach Béni Kâllay, Finanzminister seines Landes in den achtziger und neunziger Jahren, eignet sich das Ungarische wegen seines Wortreichtums und seiner Erfindungsbereitschaft zum Ubersetzen von orientalischen Sprachen besser als etwa das übertrieben rationale Deutsche oder Französische.25 Denis de Rougemont erinnert sich, einmal mitangesehen zu haben, wie Ungarn sich derartig vom Rhythmus ihrer Sprache mitreißen ließen, daß sie kaum noch einen Inhalt mitzuteilen schienen, eher einer Stimmung ihren Lauf ließen.26 Alle diese Qualitäten kristallisieren sich im einfallsreichsten und zu seiner Zeit beliebtesten ungarischen Schriftsteller, Mör Jökai (1825-I904) 27 . Jokai, heute fast vergessen, publizierte während einer Schaffensperiode von sechzig Jahren nahezu 100 Romane; die 200 Bände seines Gesamtwerkes zeugen von einer Produktivität, die ihn mit den fruchtbarsten europäischen Romanciers in eine Reihe stellt. Er war der Sohn eines frommen kalvinistischen Anwalts in Komorn und studierte gemeinsam mit Petöfi im kalvinistischen Internat in Papa. Danach arbeitete er als Rechtspraktikant in Preßburg. 1842 blickte er bereits auf eine ziemlich erfolglose Laufbahn als Maler zurück, veröffentlichte ein Drama und zog als Zweiundzwanzigjähriger nach Pest, wo Vörösmarty sich von seinen Fähigkeiten sehr angetan zeigte. 1846 erschien Jökais erster Roman, 1847 gab er gemeinsam mit Petöfi eine Zeitschrift heraus, und am 15. März 1848 organisierte er mit seinem Freund eine Studentendemonstration zur Unterstützung von Kossuths Aufruf zur Rebellion. Nach siebzehn Monaten vergeblichen Kampfes konnte Jökai nur knapp einer Verurteilung zum Tod entgehen: seine Frau, die damals führende ungarische Schauspielerin Röza Laborfalvi (1819-1886), vermochte die maßgeblichen Autoritäten zu bestechen. 1850 kehrte der Flüchtling von seinen monatelangen heimlichen Irrfahrten in Sümpfen und Bergen zurück und nahm eine Reihe von Romanen in Angriff, die die Träume seiner Landsleute erneut anfachen sollten. Um seine Verbundenheit mit der Bevölkerung zu demonstrieren, hatte er 1848 das aristokratische y seines Namens eliminiert und ihn von Jökay auf Jökai abgeändert. 349

In den fünfziger Jahren schrieb er einige seiner besten Werke und gewann ein neues Publikum unter den Ungarn, die sich nach einer Erlösung von der Tyrannei des Bachschen Regimes sehnten. Sein größter Erfolg war der Roman Ein ungarischer Nabob (1853), der die Exzentrizitäten eines ältlichen Magnaten während der zwanziger Jahre schilderte. Im darauffolgenden Roman Kárpáthy Zoltán (1854) wurde der Schauplatz der Ereignisse in die Reformära Széchenyis verlegt, die Gründung des Nationaltheaters 1837 beschrieben und die Uberschwemmung in Pest von 1838. Diese Bücher kamen so gut an, daß Leser schließlich in die Hauptstadt wanderten, nur um dort das Haus zu sehen, in dem der Autor lebte. In Traurige Tage (1856) erzählte Jókai vom Elend der Bauern während der Choleraepidemie von 1831 und schilderte die abergläubischen Praktiken und die Leidenschaften auf dem Land in unvergeßlichen Details. Eines seiner kühnsten Werke, Der neue Grundherr (1863), zeichnet das Bild eines Mannes, in dem unschwer der österreichische General Julius Haynau (17861853) wiederzuerkennen ist, bekannt als die „Hyäne von Brescia". Dieser General hatte während des weißen Terrors von 1849 unter ungarischen Rebellen ein Blutbad angerichtet; später ließ er sich in ihrer Mitte als wohlwollender Gutsherr nieder. Jókai versuchte sich schließlich auch als Bildhauer und auch wieder als Maler, blieb jedoch einer der unerschöpflichsten Erzähler; er plante jeden Roman bis ins kleinste Detail und preßte dann bis zu dreißigtausend Wörter täglich aus sich heraus. Obwohl er ein Meister des Lokalkolorits war, neigte er in seinen Charakterisierungen mitunter zur Schwarzweiß-Zeichnung, und seine komische Begabung, die überall durchschlug, glitt bisweilen in Schalheiten ab. Uberall sonst in Europa hatten längst Naturalismus und Impressionismus dem Roman ein neues Gesicht gegeben - dieser Ungar jedoch schrieb Abenteuergeschichten wie Dickens, Hugo und Dumas Vater. Jökai war komischer als Hugo und ein feinerer Stilist als Dumas, und so hatte er den größten Erfolg im Schildern von Ereignissen seines eigenen Jahrhunderts. Seine historischen Romane, die von Sympathie für die Türken und seine eigenen kalvinistischen Vorfahren nur so überflössen, strahlen eine utopische Atmosphäre aus. In diesen und in gewissem Ausmaß auch in allen seinen anderen Werken tauchte Jókai die Welt in délibáb und begeisterte damit die Jugend genauso, wie Schiller die jungen Deutschen gefesselt hatte. Jules Verne erweckte sein Interesse an der Technik, und in Der Roman des kommenden Jahrhunderts (1872) stellte Jókai ungeheure prophetische Fähigkeiten unter Beweis. Hier sagte er voraus, daß Ungarn einen mit Flugzeugen ausgetragenen Weltkrieg überstehen würde, während Rußland unter sozialistischer Herrschaft zusammenbräche. Im Gegensatz zu seinen österreichischen Berufskollegen Grillparzer und Stifter, die aus Mangel an politischer Berufung verzweifelten, wurde Jókai zu einem Nationalhelden. Von 1861 bis 1896 wirkte er im Abgeordnetenhaus, danach entsandte man ihn ins Magnatenhaus. Als Favorit des Kronprinzen Rudolf und der Kaiserin Elisabeth stand er zum Kompromiß von 1867 und bezeichnete die Separatisten der neunziger Jahre als Hitzköpfe. Obwohl zufolge seines Aufgehens in der Politik manche seiner späteren Werke etwas oberflächlich gerieten, blieben seine Novellen doch beispielgebend. Die Novelle S a f f i 350

(1884), kurz danach in Der Zigeunerbaron umbenannt, gab die Grundlage für die gleichnamige Johann-Strauß-Operette (1885) ab. Jökai war so populär, daß 1896 eine Fünfzig-Jahr-Luxus-Jubiläumsausgabe seiner Romane in Kürze übersubskribiert war. Jedes Komitat Ungarns sandte dem Schriftsteller ein Gedenkalbum, und Maler stifteten Gemälde, um ihrer Verehrung Ausdruck zu geben. Auf seinem Landsitz in der Budapester Vorstadt Schwabenberg züchtete Jökai Rosen, und durch dreißig Jahre konnte er zu Recht von sich behaupten, die bekannteste Persönlichkeit der Hauptstadt zu sein, ein echter Kulturheld. Kein österreichischer Autor war je so mit Ehrungen überhäuft worden wie dieser Ungar, der während der Jahre der Unterdrückung das nationale Selbstvertrauen aufrechterhalten hatte. Wie kein anderer hat Jökai seine Landsleute gelehrt, die Literatur zu lieben, so daß 1904 selbst der ewig unzufriedene Endre Ady ( 1 8 7 7 1919) verkünden konnte: „Das Land, das einen Jökai hatte, kann nicht auf die Stufe Afghanistans zurückfallen!" 28 Neben seiner Tätigkeit im Reichstag gab Jökai mehrere Zeitungen heraus. Wenngleich ihn 1863 seine journalistische Kühnheit ins Gefängnis gebracht hatte — er verbüßte von seiner einjährigen Haftstrafe nur einen Monat, in dem er sich bildhauerisch betätigte —, hörte er doch nie auf, mit Äußerungen des Nationalstolzes um sich zu werfen. Als Symbiose von Schriftsteller und Nationalheld verkörperte Jökai ein spezifisch ungarisches Phänomen. Im Gegensatz zu den Österreichern erwarteten die Ungarn von ihren Schriftstellern, daß sie sich politisch betätigten, wofür man sie dann auch entsprechend feierte. Ungarischen Schriftstellern blieb somit jene Haßliebe erspart, die die Wiener ihren Lieblingen entgegenbrachten, und nach 1850 konnten sie sich in der Zustimmung ihrer Landsleute wohlgeborgen fühlen - keiner jedoch so sehr wie Jökai. Er ist in der Literatur des 19. Jahrhunderts das vielleicht treffendste Beispiel für einen Schriftsteller, dessen Kreativität die Wünsche seiner Leser vollauf erfüllte. Teilweise ist es seiner Persönlichkeit zuzuschreiben, daß die entfremdeten Autoren des Jungen Wien oder des Paris Baudelaires in Budapest unfaßbar waren. Wie wir sehen werden, hat die Intimität zwischen Schriftstellern und Leserschaft mitgeholfen, Lukäcs und Mannheim zu ihren Pionierleistungen auf dem Gebiet der Soziologie des Wissens anzuregen. Die Liste der ungarischen Schriftsteller, die ihre Landsleute angefeuert haben, ist lang. Nach Jökai war der Dichter Sändor Petöfi ( 1 8 2 3 - 1 8 4 9 ) wohl der populärste; seine feurigen Volkslieder haben mitgeholfen, die Revolution von 1848 zu entflammen. In seinem Roman Der Dorfnotar ( 1 8 4 4 - 1 8 4 6 ) stellte Jözsef Eötvös ( 1 8 1 3 - 1 8 7 1 ) die Bestechlichkeit der Dorfbeamten mit einem Humor dar, der dem Jökais an Brillanz um nichts nachstand. Der aus Siebenbürgen stammende Zsigmond Kemeny (1814—1875) verfaßte Romane, die in ihrem Fatalismus an Thomas Hardy erinnern. Jänos Arany ( 1 8 1 7 - 1 8 8 2 ) malte die Vergangenheit der Nation in heroischen Farben, er war der erste epische Dichter Ungarns, der seinen Lebensunterhalt ausschließlich aus dem Verkauf seiner literarischen Werke bestritt. Selbst der pessimistische Imre Madäch ( 1 8 2 3 - 1 8 6 4 ) , ein Bewunderer Hogarths, verwendete in seiner Tragödie des Menschen (1861) die Person des Miltiades, um den frustrierten Heroismus der fünfziger Jahre zu personifizieren. In Balladen und Epen verherrlichte Mihäly 351

Vörösmarty (1800—1855) die patriotischen Sehnsüchte des Vormärz. Kein ungarischer Schriftsteller hat, wie etwa Goethe, Keller oder Stifter, Abneigung gegen die Politik an den Tag gelegt. Der apolitische deutsche Bildungsroman wäre in Ungarn undenkbar gewesen. Neben Jókai waren noch zwei weitere Schriftsteller Mitglieder des Reichstages. Ferenc Kölcsey (1790—1838), der um 1820 die literarische Ballade in die ungarische Literatur einführte, trat in den dreißiger Jahren mit seinen nationalistischen Reden hervor. József Eötvös war ein so hervorragender Theoretiker in politicis, daß sein zweibändiges Werk Der Einfluß der herrschenden Ideen des 19. Jahrhunderts auf den Staat (Budapest 1851-1854) einem Vergleich mit de Tocquevilles L'Ancien Régime (Paris 1856) durchaus standhält. Beide aristokratischen Staatsmänner waren der Ansicht, daß Freiheit und Gleichheit nicht miteinander zu vereinen sind. Eötvös maß dem Nationalismus als dritter beherrschender Idee des Jahrhunderts großes Gewicht bei und demaskierte den slawischen Nationalismus als heimlichen Imperialismus, über den nur eine zentralisierte konstitutionelle Monarchie die Kontrolle behalten könnte. In der ungarischen Malerei und Musik loderte das gleiche nationalistische Feuer wie in der Literatur. Die Maler Bertalan Székely von Adämos (1835-1910) und Mihäly Munkäcsy (1844-1900) feierten die Geschichte und die Folklore Ungarns. Székely, ein Freund Makarts, malte mit Vorliebe historische Szenen wie den Tod König Ludwigs II. bei Mohdcs 1526; ihre dramatische Intensität wetteiferte mit der Jókais oder Petöfis.29 In der Musik bildeten sich um Ferenc Erkel (1810-1893), Dirigent am Nationaltheater, und um Mihäly Mosonyi (1814— 1870), der eine Trauer-Symphonie für Széchenyi schrieb, eigene Schulen. Ihre Pflege der ungarischen Volksmusik war durch den triumphalen Budapestbesuch Franz Liszts im Januar 1840 angeregt worden. Liszts Feststellung von 1859, daß sich die ungarische Musik ausschließlich von Zigeunerweisen herleite, konnte sie nicht irremachen. Die Ansicht des großen Pianisten und Komponisten wurde übrigens ein halbes Jahrhundert später von Béla Bartók widerlegt, der eine große Sammlung ungarischer Volkslieder zustande brachte. Wie im Rußland des 19. Jahrhunderts haben die ungarischen Kritiker viel zur Politisierung der Literatur beigetragen. József Bajza (1804-1854), Ferenc Toldy (1805-1875) und Pal Gyulai (1826-1909) riefen ihre Landsleute zur Besserung auf, wie es in Rußland Belinskij, Tschernyschewskij und Dobroljubow getan hatten. Die drei Schriftsteller, die 1837 die Zeitschrift Athenaeum gründeten, Vörösmarty, Bajza und Toldy, verlangten von der Literatur, daß sie die Nation erhebe; kosmopolitische Themen verurteilten sie als Verrat an Ungarn. Obwohl Gyulai Jókais unwahrscheinliche Handlungsabläufe und hölzerne Charaktere kritisierte, war er selbst nicht weniger Nationalist als dieser und bewunderte Aranys Kombination von formaler Vollendung mit patriotischen Themen. Ungarische Kritiker unterschieden sich von denjenigen anderer Nationen dadurch, daß sie sich nicht an die Leserschaft wandten, sondern an die Schriftsteller und ihnen gute Ratschläge gaben, wie sie den nationalen Geist am besten pflegen könnten. 30 Kritiker genossen ein Monopol, denn fast alle Verlage der Nation waren in Budapest beheimatet, desgleichen die. Literaturgesellschaften und ein Großteil der Leser; Klausenburg spielte eine völlig unter352

geordnete Rolle. Um 1900 erschienen in Budapest mehr als zweihundert Zeitungen und Zeitschriften in Ungarisch. Obwohl diese Stadt nie eine deutschsprachige Literatur hervorgebracht hat, die etwa derjenigen Prags vergleichbar wäre, so hatten doch an die vierzig deutsche Zeitschriften die Magyarisierungswelle überstanden. Nach 1900 degenerierte das politische Engagement von Schriftstellern zu einem Streit zwischen Imitatoren Jökais und Kosmopoliten wie Endre Ady, der die ungarische Literatur durch deutsche und französische Einflüsse bereichern wollte. 1908 gründeten Anhänger Adys, die sich dagegen auflehnten, daß Jökais Epigonen seinen Nationalismus zur Xenophobie entwürdigt hatten, die Zeitschrift Nyugat (Westen) als Gegenstück zum nationalistischen Kelet (Osten).31 Nyugat wurde von Lajos Hatvany (1880-1961) finanziert, der Redaktionsstab bestand zu großen Teilen aus Juden, und als Herausgeber fungierte Hugo Veigelsberg (1869— 1949), der seine Artikel mit dem Pseudonym Ignotus signierte, das 1859 auch Széchenyi verwendet hatte, als er seine Kritik am Regime veröffentlichte. Auch Essays von Georg Lukäcs erschienen im Nyugat, ehe sich Lukâcs von seiner kosmopolitischen Gesinnung zum Studium in Deutschland getrieben fühlte. Jener Schriftsteller, der außerhalb Ungarns am meisten bekannt wurde, nämlich der Jude Franz Molnar (1878-1952), ließ délibdb in seine operettenartigen Schauspiele wie Liliom (1909) einfließen. In ihm erlebte Jökais unverwüstliche Phantasie eine neue Blüte. Ein späterer Meister des délibdb war der kalvinistische Arzt Laszlö Németh (geboren 1901), der vierzig Jahre lang einen unerschütterlichen Glauben an die Sendung Ungarns verkündete. Sein jüngster Roman, Die Kraft des Erbarmens (Budapest 1965, dt. Ubers. Stuttgart 1968), läßt das Budapest des Jahres 1922 wiedererstehen. Auch der zu Unrecht vernachlässigte aus Ungarn stammende, aber englisch schreibende Essayist Emil Reich (1854—1910) stellt eines der Glanzlichter ungarischer Improvisationsgabe dar. Reich, ein in Preschau in der Slowakei geborener Katholik, studierte in Prag, Budapest und Wien und lebte von 1884 bis 1889 in den Vereinigten Staaten. Nach einem Aufenthalt in Paris ließ er sich 1897 als Schriftsteller und Lektor in London nieder, wo er bis 1910 lebte. Er zeichnete sich durch einen brillanten feuilletonistischen Stil aus und pries in zahlreichen Büchern und Artikeln den ungarischen Imperialismus als die Welle der Zukunft, die dem Südosten Europas jene Wohltaten erweisen würde, mit denen einst Rom und Großbritannien ihre Kolonien beglückt hatten. Er bedauerte, daß Ungarn nicht zum Preußen des Habsburgerreiches geworden war.32 Reich charakterisierte den Zionismus als Abwegigkeit, resultierend aus dem den Juden eigenen Mangel an Nationalgefühl. Unfähig zu jenem Chauvinismus, der die nichtjüdischen Ungarn antreibe, forderten die Juden nur einen wirtschaftlichen Antisemitismus heraus. 33 Reich hatte eine Vorliebe für Machtpolitik und Nationalismus und verwendete schon 1908 den Terminus „Geopolitik", acht Jahre vor dem schwedischen Soziologen Rudolf Kjellén (1864-1922), der ihn schließlich berühmt machte. 34 Trotz seiner Sympathien für den Imperialismus gelangen Reich brillante Aperçus, die oft eine tiefere Einsicht in die Politik verraten als die Egon Friedells, der ebenfalls ein feuilletonistischer Historiker gewesen ist. Mit seinem weitschweifenden, dennoch treffenden Stil exemplifizierte 353

Reich jenen Hang zur Improvisation, den er für ein Charakteristikum jeglicher ungarischen Literatur hielt. Zur Bezeichnung des oratorischen Flairs der Ungarn prägte er den Terminus parlature und interpretierte Jokai wie vor ihm Jenö Peterfy als ein Improvisationsgenie. Dieser Romancier glich wie Franz Liszt einem Schöpfer, der von Fruchtbarkeit überströmte und nur selten aus den Höhen seines Enthusiasmus herabstieg. 35 In den eigenen Essays erwies sich Reich als fesselnder Magier, dessen Rhapsodien über historische Themen die Atmosphäre des delibdb illustrieren, die das gesamte ungarische Leben durchdrang. 36 In gewissem Maße stellte der ungarische Chauvinismus eine Kompensation der unvermeidlichen Vereinsamung eines Volkes dar, das eine nichtindoeuropäische Sprache sprach, die von Fremden kaum erlernt wurde. Einerseits kultivierten die Ungarn einen überströmenden Stolz auf ihre Vorfahren, der ihnen Selbstgenügsamkeit verlieh. Ein irischer Violinist, Walter Sharkey, stellte bei ungarischen Musikern die folgende Eigenschaft fest: „Keine andere Rasse konnte den Ungarn an Rhythmus gleichkommen, da keine andere Rasse eine derartige Gelöstheit hatte. Und diese Gelöstheit schrieb er ihrem angeborenen Sinn für Aristokratie zu, dafür, etwas geleistet zu haben - zwar nicht in sich selbst, aber in ihren Vorfahren - , was ihnen das Recht gab, frei zu sein von jenen Spannungen, die ihren westlichen, immer noch strebenden Nachbarn eignete." 37 Dieser ererbte Sinn für erbrachte Leistungen förderte die Improvisation. Der Ungar konnte sich — frei vom Zwang, sich selbst bestätigen zu müssen — ungestraft seinen Phantasien hingeben. Andererseits waren Ungarn, die in der Fremde lebten, von einem angeborenen Gefühl der Überlegenheit getrieben, die Gloriole ihrer Landsleute in Schutz zu nehmen. Da ungarische Literatur und Kultur so gut wie unbekannt waren, mußten sie bei Null beginnen, wenn sie die Leistungen ihrer Nation demonstrieren wollten. Graf Zays formulierte dies in den achtziger Jahren folgendermaßen: „Der Ungar liebt sein Land und seine Nationalität mehr als die Humanität, mehr als die Freiheit, mehr als sich selbst und sogar mehr als Gott und sein ewiges Heil." 38 Die Fähigkeit, einer Sache den Vorzug vor dem eigenen Selbst zu geben wiewohl im obigen Zitat in improvisatorischer Übertreibung ausgedrückt —, hat Emigranten wie Georg Lukäcs, Karl Mannheim, Arnold Hauser, die Brüder Polanyi, Franz Alexander und David Rapaport beseelt. Die Tatsache, daß alle diese Männer Juden waren, hat nur ihren Fleiß intensiviert. In den Naturwissenschaften zeichneten sich Theodor von Karmän, John von Neumann, Leo Szilard, Eugene Wigner, Peter Goldmark und Edward Teller durch eine ähnliche Fähigkeit zur Hingabe aus. Diese ungarischen Juden waren daran gewöhnt, sich sowohl den Flügeln der Einbildungskraft zu überlassen als auch um eines höheren Zieles willen alle Mühen auf sich zu nehmen, und so konnten sie Pionierleistungen setzen auf dem Weg zu wahren technologischen Wunderdingen. Nationalismus in Verbindung mit Liebe zur Improvisation gab Erfindern eine ideale Antriebskraft. 30 In ihrer Art brachten sie die gleiche Ergebenheit 354

ihrem Heimatland gegenüber zum Ausdruck, die Geza Röheim veranlaßte, sich eingehüllt in eine ungarische Fahne begraben zu lassen.

Vorindustrielle Nationalitäten unter dem ungarischen Joch Der gleiche ungarische Nationalismus, der erneuerndes Denken anregte, war auch die Ursache für die U n t e r d r ü c k u n g der Bedientenvölker. Rumänen, Slowaken, Ruthenen, Serben u n d Kroaten lernten nur die Schattenseiten des ungarischen Stolzes kennen. Obwohl viele Österreicher — unter ihnen Karl Lueger und Franz Ferdinand - die ungarische Tyrannei wiederholt anprangerten, blieb es einem Schotten vorbehalten, sie in breitestem Rahmen publik zu machen. Robert W. Seton-Watson ( 1 8 7 9 - 1 9 5 1 ) deckte die üblen Machenschaften auf, durch welche die gerade regierende Partei Wahlen zu einer Posse werden ließ: 4 0 Es gab rund hundert sogenannte „sichere Komitate", hauptsächlich in nichtungarischen Regionen, wo die Anzahl der W ä h l e r unter 1500 lag. Dort wurden Leute postiert, die die Nichtungarn von den Wahllokalen fernhielten, indem sie behaupteten, diese oder jene Brücke sei unpassierbar geworden, hier oder dort grassiere gerade eine Seuche unter dem Vieh, so daß die W ä h l e r riesige U m w e g e hätten machen müssen. Da außerdem die Wahl nicht geheim war, gelang es der Polizei ohne besondere M ü h e n , prospektive W ä h l e r einzuschüchtern, wodurch vor allem R u m ä n e n u n d Slowaken um ihr Wahlrecht betrogen wurden. 4 1 Der Skandal nahm ungeheure Ausmaße an, als ungarische Beamte systematisch darangingen, sich über das Nationalitätengesetz, das Jözsef Eötvös 1868 ausgearbeitet hatte, einfach hinwegzusetzen. Obwohl dieses Gesetz jeder Person das Recht garantierte, in ihrer Muttersprache erzogen und angehört zu werden, wurde in der Praxis sowohl an Schulen als auch in den Gerichtshöfen ausschließlich Ungarisch verwendet. Der Pflichtbesuch eines Kindergartens reichte nicht aus, das Sprachhandikap für Nichtungarn zu beseitigen; das Ergebnis war, daß die Bedientenvölker keinerlei Mittelschicht heranbilden konnten. Lediglich einer Handvoll Rumänen gelang es, genügend Ungarisch zu lernen, um ein Gymnasium zu besuchen, und noch weniger Menschen brachten es bis zu einem Universitätsstudium. In Siebenbürgen waren alle Richter, Anwälte und Geschworenen Ungarn, selbst bei Prozessen, in denen ein Rumäne einen anderen belangte. Ein Kläger, der nicht Ungarisch sprach, mußte sowohl einen Dolmetscher als auch einen Ubersetzer aufnehmen, wollte er auch nur die einfachsten Angelegenheiten öffentlich betreiben. U m gegen diese Verletzungen des Nationalitätengesetzes zu protestieren, führte 1892 ein Uniertenpriester eine Abordnung von 300 rumänischen Intellektuellen u n d Bauern zu einer Petition bei Kaiser Franz Joseph. Aber nicht nur d a ß man ihnen die A u d i e n z verwehrte, w u r d e n sie schließlich, da sie ein Manifest ihrer Leiden veröffentlicht hatten, nach ihrer Rückkehr nach Klausenburg wegen „Aufwiegelung gegen die ungarische Nationalität", das heißt wegen Befürwortung der Sezession, gerichtlich belangt. Dafür, daß sie versucht hatten, ein ihnen verfassungsmäßig zustehendes Recht in Anspruch zu nehmen, 355

landeten die fünf Führer der Delegation im Kerker; die verhängten Strafen reichten von zweieinhalb bis zu fünf Jahren, und wie gewöhnlich waren die Autoritäten in Wien nicht geneigt, dagegen einzuschreiten. 42 1869 wurden die Serben und Kroaten, die seit 1690 die südliche Militärgrenze gesichert hatten, der ungarischen Oberhoheit überantwortet. Jahre der Loyalität wurden von Franz Joseph damit belohnt, daß er Privilegien zurücknahm, durch die Leopold I. diesen Leuten die Autonomie garantiert hatte. Der Erfinder Michael Pupin (1858-1935) erinnert sich, wie tief dieser Verrat die Kroaten verletzt hatte, um so mehr, als kaum drei Jahre vergangen waren, seit sie die Schlacht von Custoza gewonnen hatten, und zwanzig, seit sie mitgeholfen hatten, Kossuth zu überwinden. „Ich erinnere mich daran, daß mein Vater eines Tages zu mir sagte: ,Nie sollst du Soldat in des Kaisers Armee werden. Der Kaiser hat sein Wort gebrochen; der Kaiser ist in den Augen der Männer von der Militärgrenze ein Verräter. Wir verachten den Mann, der nicht zu seinem Wort steht'. . . Diese verräterische Handlung des österreichischen Kaisers 1869 war der Anfang des Endes des österreichischen Kaiserreichs . . . Die Liebe des Volkes zu jenem Land, in dem es lebte, begann zu erkalten und erstarb schließlich vollends."43 Nachdem die kroatische Militärgrenze aufgelöst worden war, wurde diese halb unabhängige Provinz so aufsässig, daß Ungarn im April 1912 ihre Verfassung aussetzte und das Land einem Diktator, Slavko Cuvaj, unterstellte.44 Und einmal mehr lehnten es die österreichischen Autoritäten ab, sich in eine ihrer Ansicht nach rein ungarische Angelegenheit einzumischen. Als Gegenleistung für die ungarische Unterstützung des österreichischen Starrsinns ließen die Österreicher die Ungarn in ihrer Unterdrückungspolitik gewähren. Die farbigste Region Ungarns war Siebenbürgen, das sich noch weit mehr orientalische Züge bewahrt hatte als selbst die Bukowina. Nach 1848 war die Kluft zwischen Rumänen und Ungarn nicht mehr zu überbrücken. In diesem Jahr hatten österreichische Agenten die rumänischen Bauern aufgewiegelt, sich gegen ihre Herren zu erheben; ungarische Adelige wurden lebendig begraben, man riß ihnen die Zunge heraus; dergleichen Grausamkeiten hinterließen eine Bitterkeit, die fürderhin jegliches Mitgefühl für die unterworfene Rasse ausschloß.45 Die Region stellte ein riesiges ethnographisches Museum dar, brodelnd von Legenden über Vampire und Werwölfe. Die Bauern glaubten, daß jeder Mensch, der von einem illegitimen Kind zweier illegitimer Eltern getötet wurde, zu einem Vampir — nosferatu - werde. Um ein derartiges Gespenst zu exorzieren, mußte man entweder die Leiche mit einem Pfahl durchbohren, eine Kugel durch den Sarg schießen, den Mund des Toten mit Knoblauch vollstopfen oder aber sein Herz verbrennen. Diese Rituale wurden in jedem rumänischen Dorf durchgeführt. 46 Einmal hielt ein Bauer einen französischen Botaniker, der sich gerade auf einem Abhang niedergebeugt hatte, irrtümlich für einen Wolf. Als sich der Fremde aufrichtete, glaubte man, er sei ein Werwolf, der seine Gestalt verändert habe; und nur weil zufällig ein Wagen vorbeikam, auf den der Franzose sich hinaufschwang, konnte er seinen Verfolgern entkommen. 47 Aberglauben wie diese hat Bram Stoker in seinem Roman Dracula (London 1897) verarbeitet, dessen Titel übrigens von dem rumänischen Wort für Teufel 356

dracul — abgeleitet ist. Ähnliche Phänomene beschrieb auch Mór Jókai in seiner siebenbürgischen Erzählung Arme Reiche (1860). Noch rückständiger als die Rumänen waren die Ruthenen im oberen Ungarn. Diese Gebirgsregion, die 1919 unter dem Namen Karpatoruthenien an die Tschechoslowakei fiel und 1945 ein Teil der Sowjetunion wurde, diente den ungarischen Magnaten als riesiges Jagdrevier. Ruthenische Bauern lebten dort in Lehmhütten ohne Kamine, in katastrophaler Weise dem Hunger und dem Alkoholismus preisgegeben. 48 So mancher fastete 250 Tage im Jahr und verehrte Medizinmänner und Wunderrabbis. In einer weiteren karpatischen Enklave lebten die ungarischen Szekler, ein Stamm, der noch Volksbräuche kultivierte, die die Bewohner der Ebenen längst aufgegeben hatten. 4 9 Unter diesen Szeklern sammelte Béla Bartók nach 1905 ungarische Volkslieder, die überall sonst schon vergessen waren. Dies versetzte ihn in die Lage zu beweisen, daß ungarische Musik nicht, wie Franz Liszt angenommen hatte, ausschließlich auf die Zigeuner zurückzuführen ist. Eine weitere Minderheit stellten deutsche oder sächsische Kolonisten dar, die sich im 16. Jahrhundert in Siebenbürgen niedergelassen hatten. Im Südosten konzentriert, bewahrten sie Volksbräuche aus der Zeit ihrer Einwanderung und führten zugleich modernes Industrie- und Finanzwesen ein, wodurch sie Klausenburg zu einem finanziellen Zentrum machten. Als sie 1876 ihre Autonomie verloren, wurden auch sie zu einer unterdrückten Minderheit und vereinigten sich mit den Deutschen Budapests, um gegen die Magyarisierung Klage zu erheben. Eine Sonderstellung unter den Minoritäten in Ungarn nahmen die Zigeuner ein. 50 Als sie 1417 hier erstmals auftauchten, wurden sie als Schmiede freudig in ein Wirtschaftssystem aufgenommen, das sich gerade vom N o m a d e n t u m auf die Seßhaftigkeit und den damit verbundenen Ackerbau umstellte. Ihr starker Z u s a m m e n h a l t ist in ihrer H e r k u n f t aus einer indischen Musikerkaste, den Doms, begründet, denen die Geburt ein unauslöschbares Signum ihrer Identität aufprägt. Bis 1750 wurden sie als christliche Flüchtlinge vor den Türken respektiert, ihr Widerstand gegen die Ansiedlungsversuche Maria Theresias und Josephs II. machte sie jedoch schließlich zu Ausgestoßenen. Nachdem 1763 der ungarische Linguist Istvän Valyi die Ähnlichkeit zwischen Hindi und der Zigeunersprache Romanes entdeckt hatte, wurde diese Sprache unter anderen auch von Erzherzog Joseph ( 1 8 3 3 - 1 9 0 5 ) studiert, der 1888 eine in Ungarisch abgefaßte Grammatik des Romanes publizierte. Bei den Zigeunern hatte eine Reihe von Tabus Geltung, wie etwa das Verbot der Pferdeschlachtung und die Furcht vor Leichen. Sterbende Zigeuner wurden ausgesetzt, irgendwo draußen taten sie ihren letzen Atemzug; aber auch Hebammen und gebärende Frauen galten als unrein. Da die Zigeuner von manueller Arbeit nichts hielten, leisteten sie als Diebe Hervorragendes, wobei sie in Teams arbeiteten, gegen deren Loyalität die Polizei machtlos war. Außerdem verfügten sie über einen außergewöhnlich guten Orientierungssinn, vergleichbar etwa dem Geschick der amerikanischen Indianer im Spurenlesen. 51 Seit dem 17. Jahrhundert traten Zigeunermusiker auch als Unterhalter von Magnaten auf, und der Primas einer Kapelle, die bei Gesellschaften des Hochadels aufspielte, genoß unter seinen Stammesgenossen großes Ansehen. Zigeuner357

kapellen spielten ohne Noten, die meisten Mitglieder konnten nicht einmal Noten lesen. Sie improvisierten ganz hervorragend und pflegten eine Tradition, die den Geiger Jänos Bihari (1764—1827) als den „Beethoven der Zigeuner" verehrte. Ein amerikanischer Beobachter beschrieb die musikalische Begabung der Zigeuner folgendermaßen: „Das Orchester spielt stürmisch, fast unzivilisiert in seiner Selbstaufgabe. Die Violinen werden in allen möglichen Stellungen gehalten. Die Bogenführung macht einen eigenartigen, fast wilden athletischen Eindruck. Das Tempo, voll von plötzlichen Überraschungen, wird anscheinend nur von den Launen des Primas — und das offensichtlich völlig willkürlich - kontrolliert." 5 2 Die Zigeunermusik erinnert in ihrer Vorliebe für die Molltonart, für ornamentale Melodien und für komplexen Rhythmus an die Musik Indiens. In standhaftem Widerstand gegen jede Assimilierung westlicher Zivilisation bewahrten die Zigeuner die partikularistischeste Gesellschaftsform innerhalb Österreich-Ungarns. In Budapest, W i e n und sogar in Prag erinnerten sie Kapitalisten und Bürokraten beständig an uralte Sitten, denen Industrialismus und Römisches Recht nur als unbedeutende Kleinigkeiten galten. Die Zigeuner wurden von der Bevölkerung als notwendiges Übel angesehen und gemahnten in ihrer exotischen Aufmachung und ihrer allgemein bekannten Schläue an die ländlichen Juden. Freilich waren die Juden weitaus fleißiger und zeichneten sich sowohl in der Landwirtschaft als auch im Finanzwesen aus; außerdem strömten sie den Städten zu, während die Zigeuner Städte mieden. U n d während die Juden zur industrialisiertesten und intellektuellsten Nationalität Österreich-Ungarns wurden, blieben die Zigeuner das entgegengesetzte Extrem. O b w o h l ihr Zusammenhalt jedem Versuch der Verwestlichung oder der Magyarisierung trotzte, fielen auch sie Hitler zum Opfer. Auch die Zigeuner hätten, genau wie jede andere Bevölkerungsgruppe im Donaubecken, davon profitiert, wenn die Nachfolgestaaten die ungarische Unterdrückung nur wenigstens so weit hätten vergessen können, um sich zu einem gemeinsamen Widerstand gegen Deutschland aufzuraffen.

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25. UTOPISTEN AUS UNGARN

Theodor Herzl: Der geniale Improvisator Mehrere aus Budapest stammende Publizisten kamen, nachdem sie Ungarn verlassen hatten, durch politischen Aktivismus zu Ruhm und Ehren. Zwei davon, Theodor Herzl und sein Freund Theodor Hertzka, machten in Wien Karriere, ein dritter, Max Nordau, schrieb in Paris. Eine Leidenschaft für die Politik unterschied diese ungarischen Juden von ihren österreichischen Gegenstücken. Theodor Herzl ( 1 8 6 0 - 1 9 0 4 ) wurde als Sohn eines frommen und energiegeladenen Kaufmannes in Budapest geboren. Er wuchs mit dem doppeltfundierten Gefühl auf, einer Minderheit anzugehören - und litt sowohl als Jude wie auch als Deutscher.' Am Gymnasium schrieb er ein Gedicht, in dem er Luther als die größte Persönlichkeit Deutschlands pries, und als Jusstudent in Wien von 1878 bis 1884 gehörte er mit Hermann Bahr und Heinrich Friedjung einem deutschnationalen Studentenklub an, über den er einen Roman zu schreiben gedachte. Als Rechtspraktikant in Wien begann er 1884 Feuilletons in der Wiener Allgemeinen Zeitung und in der Neuen Freien Presse zu publizieren. Der hübsche junge Journalist schrieb auch Komödien, die jedoch weniger Anerkennung fanden als seine brillant improvisierten Plaudereien und Betrachtungen „unterm Strich". Im Juli 1889 heiratete er, und zwei Jahre später, im Oktober 1891, entsandte ihn die Redaktion der Neuen Freien Presse als Korrespondenten nach Paris, wo er gerade zurecht kam, um Zeuge des wirtschaftlichen Antisemitismus zu werden, den der Panamaskandal entfachte. 1894 mußte er voll Schrecken mit ansehen, daß Frankreich gerade zu jenem Zeitpunkt, da Pogrome die Juden in der Ukraine dezimierten, mit Rußland ein festes Bündnis einging. Die Teilnahmslosigkeit der westlichen Juden gegenüber religiösem und wirtschaftlichem Antisemitismus trieb Herzl 1895 zu seinem Entwurf eines jüdischen Staates. Nach der Veröffentlichung seines Buches Der Judenstaat. Versuch einer modernen Lösung der Judenfrage (Wien 1896) wandelte sich der Wiener Ästhet zu einem engagierten ungarischen Intellektuellen, der sich mit Geschäftsleuten, Politikern und Monarchen anlegte, um seinen Traum zu verwirklichen. Herzls Vorschlag war einfach: Durch ein diplomatisches Übereinkommen sollten die Staaten Europas einer jüdischen Aktiengesellschaft die Souveränität über einen Teil des ihnen zur Verfügung stehenden Kolonialterritoriums garantieren. Unter jüdischer Leitung sollte dieser Staat zu einem Zufluchtsort für alle europäischen Juden werden, die sich Pogromen oder Assimilierungsversuchen entziehen wollten. Durchdrungen von einer eher politischen als religiösen Auffassung vom Judentum hoffte Herzl, daß der Sultan es den westlichen Juden gestatten würde, sich in Palästina niederzulassen. Wenn nicht, wäre Herzl - im Gegensatz zu vielen seiner Anhänger - auch bereit gewesen, ein Territorium 359

in Argentinien oder Zentralafrika zu akzeptieren. Bereits 1891 war von dem aus M ü n c h e n stammenden Bankier Moritz de Hirsch ( 1 8 3 1 - 1 8 9 6 ) die Jüdische Kolonisation-Vereinigung gegründet worden, die mit der Ansiedelung russischer Juden in Palästina begonnen hatte. Hirsch war auch der erste, dem Herzl seinen Plan vorlegte. Im Mai 1890 prägte der aus Wien stammende Journalist Nathan Birnbaum (1864-1937) in seiner Zeitschrift Selbst-Emancipation - sie setzte sich für Hirschs Initiative zu Landkäufen in Palästina ein - den Terminus Zionismus. Ein weiterer Vorläufer Herzls war der Russe Perez Smolenskin (1842—1885), der nach 1868 in Wien lebte und dort die hebräische Zeitung Ha-Schacbar (Die Morgenröte) herausgab. Von 1896 bis zu seinem Tod im Jahre 1904 organisierte Herzl sechs Weltkongresse des Judentums. Er wandte sich mit seinen Bitten an den Sultan, an den deutschen Kaiser, den italienischen König, auch an den Papst und warb unermüdlich für sein Programm. Obwohl er nicht erwartete, dessen Verwirklichung noch zu erleben, zweifelte er nicht daran, daß letzten Endes die europäischen Staaten doch die Weisheit seines Vorschlages, widerspenstige Juden zur Auswanderung zu e r m u n t e r n , anerkennen würden. Zwar d u r f t e in den Kolumnen der Netten Freien Presse, die damals unter der Leitung des getauften Juden Moritz Benedikt stand, das Wort „Zionismus" nicht aufscheinen, dennoch stellte das Blatt Herzl 1896 als Feuilletonredakteur an. 1899 wurde er als Nachfolger Daniel Spitzers Feuilletonchef der Presse, nachdem Karl Kraus diese Position ausgeschlagen hatte. Herzl verwendete seine Stellung dazu, Schnitzlers Karriere zu fördern und Stefan Zweig die ersten Schritte in die Literatur zu ermöglichen. Herzls Haßliebe zu Wien war nicht geringer als die eines Karl Kraus oder Sigmund Freud. Einmal sagte er zu Stefan Zweig: „Alles, was ich weiß, habe ich im Ausland gelernt. N u r dort gewöhnt man sich, in Distanzen zu denken." 2 In dem Pamphlet Eine Krone für Zion (Wien 1898) wurde Herzl von Karl Kraus verhöhnt, und auch andere urbanisierte Wiener spotteten über die Idee, Ringstraßendandys auszuschicken, um die Wüste Palästinas urbar zu machen. Orthodoxe Juden beklagten den Zionismus als Blasphemie, die sich widerrechtlich der Funktion des Messias bemächtige. Aber trotz aller Schmähungen entfaltete sich Herzls Bewegung rasch, und als der Initiator starb, konnte die zionistische Bank in London, der Jewish Colonial Trust, bereits die stolze Anzahl von 135.000 Aktionären aufweisen und hatte damit eine größere Anzahl von Geldgebern als jedes andere Unternehmen auf der ganzen Welt. Z u Herzls Begräbnis am 7. Juli 1904 kamen an die zehntausend Juden aus ganz Europa, um ihrem verstorbenen Führer die letzte Ehre zu erweisen. Wie bereits erwähnt, war ein Gerücht in Umlauf gesetzt worden, Theodor Herzl habe Selbstmord begangen; in Wirklichkeit jedoch war er an Lungenentzündung gestorben, nur wenige Minuten nachdem er seiner Frau und seiner Mutter Lebewohl gesagt hatte. Herzls Bestrebungen zielten vor allem darauf ab, den östlichen Juden zu helfen. Beim ersten Zionistenkongreß vom 29. bis 31. August 1897 erregte besonders die 70 M a n n starke A b o r d n u n g russischer Juden seine E h r f u r c h t . Herzl glaubte, daß sie, als die letzten G e t t o j u d e n , einen noch nicht von Assimilierung angekränkelten Sinn für nationale Einheit bewahrt hätten. Er ro360

mantisierte die ländlichen Juden Böhmens und Galiziens, wie Leopold Kompert und Karl Emil Franzos sie beschrieben. Er sah voraus, daß in einem jüdischen Staat zunächst die russischen Juden das Land erschließen und Bauernhöfe würden errichten müssen, ehe sich eine westliche Industrie etablieren konnte. Trotz dem Ansehen, das die russischen Juden in der Bewegung genossen, behielt Herzl das Deutsche als deren offizielle Sprache bei. T h e o d o r Herzl führte den gegen westliche Juden gerichteten Antisemitismus auf wirtschaftliche Ursachen zurück. Durch Jahrhunderte des Lebens im Getto hatten sich die Juden eine derartige Meisterschaft in der Beherrschung kommerzieller Angelegenheiten erworben, daß sie nach ihrer Emanzipation sofort mit der nichtjüdischen Mittelschicht in ein Wettbewerbsverhältnis eintraten. In diesem Kampf wandten sie des öfteren faire und auch wieder unfaire Mittel an, wohl aus Furcht, im Falle eines Versagens auf die Stufe des Proletariats abzusinken, und in der H o f f n u n g , im Falle eines Erfolges Reichtümer zu erwerben, die ihnen nicht mehr weggenommen werden könnten. Darunter, daß einige Juden sich als führende Persönlichkeiten der Finanzwelt besonders hervortaten, andere wieder Revolutionen anzettelten, hatten schließlich alle Juden zu leiden. Sowohl von rechts als auch von links geschmäht, konnte nicht einmal der assimilierte Jude das Stigma der Rasse verbergen; Herzl dramatisierte diesen Konflikt in seinem präzionistischen Stück Das Neue Ghetto (1. Fassung Wien 1894). D u r c h die G r ü n d u n g eines jüdischen Staates hoffte er kommenden Generationen das Dilemma zu ersparen, zwischen Selbsthaß oder Anschluß an die radikale Linke wählen zu müssen. Wie sehr auch immer die Assimilierung zu Herzls Weiterbildung beigetragen haben mag, im Grunde blieb er ein Konservativer. Mit seiner Verehrung für die ländlichen Juden ging ein tiefer Abscheu vor Revolutionen H a n d in H a n d : „Das ist wohl der ergreifendste Zug in unserer Volkstragik, daß das hochkonservative Volk der Juden immer den revolutionären Bewegungen zugejagt wird." 3 Im Gegensatz zu einigen anderen Zionisten beanspruchte Herzl keinerlei besondere Tugenden oder Talente als ausschließlich jene, die der jüdischen Rasse eigen sind. Er hielt die große Masse seines Volkes für unempfindsam und mit wenig Vorstellungskraft ausgestattet, besonders die städtischen Juden, die seine Träume als Wunschvorstellungen eines ingénu abtaten. W a r u m hatte sich Herzl entschlossen, seinen Schreibtisch zu verlassen zu dem zurückzukehren er sich übrigens immer wünschte - , um ein von ihm selbst so bezeichnetes Experiment in der Massenpsychologie zu unternehmen? 4 - In Herzl liefen mindestens drei Traditionen des österreichisch-ungarischen Geisteslebens zusammen: Erstens war er ein Utopist nach der Art der ungarischen Nationalisten, worin er anderen aus Budapest stammenden Juden glich, wie etwa Hertzka oder Nordau, denen er es an moralischem Feuer gleichtat, die er aber in seiner Geschicklichkeit als Organisator übertraf. Als in Ungarn geborenen Intellektuellen galt es diesen Publizisten als selbstverständlich, daß Agitation zu den Aufgaben des Schriftstellers zählte. Seine ungarische Improvisationsgabe festigte Herzls Eifer. Überströmend von délibdb ging er an Projekte heran, die Episoden Jökais vergleichbar sind, wenn er zum Beispiel ver361

suchte, den Papst und den italienischen König für eine gemeinsame Sache zu gewinnen oder den deutschen Kaiser in Istanbul zu sprechen. Obwohl er Ungarn - zusammen mit England - für eines der beiden Himmelreiche des assimilierten europäischen Juden hielt, hatte ihn seine Kindheit als Deutscher und Jude in Budapest gelehrt, zuerst in Begriffen der Nationalität zu denken. Von den Ungarn angeregt, sich nach nationaler Identität zu sehnen, hatte er sich anfänglich mit den Deutschen Österreichs identifiziert und später mit den Juden. Zweitens brachte Herzl Techniken der Massenbewegung zur Anwendung, die er im Klub der Deutschnationalen an der Wiener Universität gelernt hatte. Er wollte den Juden die gleiche Autonomie bescheren, die Georg von Schönerer für die Deutschen Österreichs gefordert hatte. Bei zionistischen Kongressen improvisierte Herzl jene Art flammender Rhetorik, mit der Schönerer und Lueger ihrer Zuhörerschaft den Hof gemacht hatten. Obwohl Herzl für die Lieblingszeitung der assimilierten Juden Wiens schrieb, ließ er deren untätigen Liberalismus nicht gelten; in ähnlicher Weise bekämpfte er föderalistische Vorschläge von Austromarxisten, die die Juden nicht für eine Nation hielten, sondern für eine Religionsgemeinschaft. Als Sproß Budapests wollte Herzl, daß die Juden zu einer vollwertigen Nation würden wie die Ungarn, ohne jedoch andere Völker zu unterdrücken. Drittens stellte Herzl eine Art josefinischen Konservativen dar, der versuchte, den Status quo aufrechtzuerhalten, indem er Monarchen davon überzeugen wollte, daß es das beste wäre, wenn jüdische Revolutionäre auswanderten. Durchdrungen vom Glauben an die Bürokratie und von der Sorge um das Wohl des Ganzen der Gesellschaft, wie sie die österreichischen katholischen Philosophen kennzeichneten, nährte Herzl die Vision einer friedlichen Konterrevolution, die Agitatoren, deren Sinn nach Veränderung stand, einfach entfernte. Ein für allemal von den unbequemen Juden befreit, könnte das christliche Europa zu seinem Gleichgewicht finden. Wie schon erwähnt, hielt Herzl die Juden für ein konservatives Volk, und so bot er anderen Konservativen, dem deutschen Kaiser etwa oder dem Papst, seine Hilfe bei der Bewahrung ihrer Werte an. Wie donquijotesk diese Politik auch zu sein scheint, sie entsprach der josefinischen Praxis, die Stabilität durch Verbannung von Aufrührern zu schützen. Angesichts des Nachgebens Franz Josephs gegenüber den Ungarn 1867 und seiner Unterstützung Luegers 1897 könnte sich Herzls Vertrauen in Monarchen vertieft haben. Des Kaisers Kompromißbereitschaft, wenngleich sie nur zögernd kam, könnte Herzl in seinen Erwartungen ermutigt haben, daß weniger starrsinnige Herrscher rascher handeln würden, um Unruhen zuvorzukommen. Als Kosmopolit transzendierte Herzl das Habsburgerreich. In Paris hatte er sein Programm zur Reife gebracht, und danach arbeitete er nur noch in europäischen, ja sogar weltweiten Dimensionen. Er durchquerte den Vorderen Orient und Rußland und besuchte jede Hauptstadt, wenn er hoffen durfte, dadurch seinem Ziel näherzukommen. Da der Sozialismus drohte, ihm potentielle Anhänger abspenstig zu machen, gab er sich Mühe, seine Bewegung von jener abzugrenzen. Obwohl Herzl in den achtziger Jahren eher zum Wiener Phäakentum tendierte, hatte er bereits um 1895 jede Spur des therapeutischen Nihilis362

mus abgelegt. In der Art Karl Luegers fühlte er tief mit den leidenden Massen und nahm um ihretwillen sowohl Schmähungen als auch Schmeicheleien in Kauf. Indem er die besten Eigenschaften des Ungarn und des Juden in sich vereinigte, schockierte Herzl die Wiener.

Theodor Hertzka: Ein utopischer Sozialist der neunziger Jahre Ein zweiter aus Ungarn stammender Utopist, der ebenfalls in Wien wirkte, der Journalist Theodor Hertzka (1845—1924), wurde weit weniger bekannt als Theodor Herzl. 5 Bereits durchdrungen vom politischen Aktivismus der ungarischen Intellektuellen, studierte Hertzka in Wien, wo er eine Zeitlang Carl Mengers Schule der Nationalökonomie angehörte. In den siebziger Jahren arbeitete er als Wirtschaftsredakteur der Neuen Freien Presse, und von 1886 bis 1901 gab er die wöchentlich erscheinende Zeitschrift für Staats- und Volkswirtschaft heraus, in der er für den Freihandel und für genossenschaftlichen Landbesitz eintrat. Wie PopperLynkeus war auch er stolz darauf, daß er einfache Lösungsvorschläge vorzulegen wagte. Anfang der neunziger Jahre schlug er zur Lösung der Krise der Doppelwährung die Prägung von Münzen aus einer Gold-Silber-Legierung im Verhältnis 1:9 vor. Hertzka wurde mit seinem futuristischen Roman Freiland. Ein soziales Zukunftsbild (Leipzig 1890, 10. Aufl. 1897) bekannt. Er beschrieb hier, wie eine Gruppe gebildeter Europäer unter den Massai in den Bergen von Kenia eine internationale freie Gesellschaft gründet, die nach mehreren Generationen schließlich das gesamte Erdenrund umfaßt. Hertzkas Schlüsselkonzept war das Verbot, zu vermieten oder Zinsen zu nehmen: Land und Kapital würden Unternehmern kostenlos zur Verfügung gestellt, so daß sie auch bei bescheidenen Gewinnen wettbewerbsfähig blieben, ohne fürchten zu müssen, infolge Wuchers bankrott zu gehen. Obwohl niemand das freie Land oder Kapital besitzen würde, würden doch alle an den gemeinsamen Vorräten teilhaben. Wie vor ihm Karl von Vogelsang u n d A n t o n Menger lehrte auch Hertzka, daß das W i r t schaftswachstum nur zögernd zunehme, da die Arbeiter zu wenig verdienten, als daß sie all das, was sie produzierten, auch konsumieren könnten. Durch die Abschaffung von Zinsen gedachte Hertzka die Preise zu senken, ohne den Individualismus zu torpedieren. In Freiland spiegeln sich auch die Debatten über den Status der Frau wider, insofern als das Buch die Meinung vertritt, daß Frauen sich hauptsächlich deshalb vorwiegend mit Männerfang beschäftigen, weil kein gesetzliches Recht es ihnen ermögliche, auf eigene Leistungen stolz zu sein. Wie Auguste C o m t e wollte auch Hertzka die Frau davon abhalten, in einen Wettbewerb mit dem Mann einzutreten, damit sie sich unbehindert der Kinderpflege und der Pflege von Kranken und Alten widmen könne. Bei seinen Bemühungen, Individualismus mit Sozialismus zu kombinieren, pries Hertzka Francis Bacon als den klarsten und nüchternsten aller modernen Denker. Hertzkas bedeutendster Schüler war der aus Berlin stammende jüdische Arzt Franz Oppenheimer (1864-1943), der rund um die Idee des Genossenschaftsland363

besitzes eine eigene Soziologie errichtete. Sowohl Hertzka als auch Oppenheimer waren von einem Denkansatz Karl E. Dührings beeinflußt, der ein Gesellschaftssystem entworfen hatte, das auf autarken Genossenschaften beruhte. Der Antisemit Dühring wäre wohl höchst erstaunt, seine Anregung in Israels Kibbuzim verwirklicht zu sehen! In der weiteren Ausführung seiner Utopie formulierte Hertzka einen darwinistischen Kampf zwischen guten und schlechten Gesellschaftssystemen und behauptete, daß die besseren Systeme auf Grund der natürlichen Selektion die schlechteren überdauern würden. Eine Zeitlang während der neunziger Jahre fand sein Glaube reichlich Anhänger, und in ganz Europa begannen Freiland-Vereinigungen zu sprießen. 1893 gründete der Australier William Lane eine Freilandgemeinschaft der Handelsunionisten in Paraguay, die jedoch scheiterte, als der Abstinenzler Lane einige Mitglieder ausschloß, weil sie ihr Enthaltsamkeitsgelübde gebrochen hatten. Ein Jahr später erging es einer kleinen Kolonie in Kenia unter der Führung Julius Wilhelms nicht besser. In Entrückt in die Zukunft. Sozialpolitischer Roman (Berlin 1895) trat Hertzka nicht mehr für Freiland ein, sondern beschrieb die Welt der nächsten zwei Jahrhunderte in der Art von Bellamys Looking Backward (1888). Der ökonomische Utopist sah hier wirtschaftlichen Uberschuß voraus, das Flugwesen, die Unabhängigkeit der Frauen und Kinder und andere Annehmlichkeiten, zu denen es die Freilandgemeinschaften gebracht haben würden. Wie Theodor Herzl brachte auch Hertzka den Glauben eines ungarischen Intellektuellen mit nach Wien, daß ein Schriftsteller in die Politik gehöre. Seine Hingabe an Delibab-Visionen war im Grunde utopisch und führte nur zu verfrühten Unternehmungen, wie etwa der Gründung von Freilandkolonien. Um ähnlichen Vorwürfen gegen den Zionismus auszuweichen, setzte Herzl seine eigenen Vorschläge im Vorwort zum Judenstaat von denen Hertzkas deutlich ab. Freiland, so sagte Herzl, stelle eine Utopie dar, da es kein der Abhilfe bedürftiges Übel gäbe, das durch dergleichen Vorhaben behoben würde; ein Judenstaat dagegen würde sehr wohl einen Mißstand beseitigen. Obwohl Herzl die Dringlichkeit der sozialen Frage sicherlich unterschätzte, behielt er doch insofern recht, als Hertzkas Pläne nicht mehr Aussicht auf Verwirklichung hatten als etwa die Konzepte von Popper-Lynkeus.

Max Nordau: Desillusionierte Utopie im Kampf gegen Entartung Einen dritten jüdischen Utopisten aus Budapest empfindet man vorwiegend als Theodor Herzls Statthalter: Max Nordau (1849-1923), Sohn eines Rabbis namens Südfeld, promovierte 1876 in Budapest zum Doktor der Medizin und eröffnete vier Jahre danach in Paris eine Praxis.6 Dort wurde er mit einer Serie von feuilletonistischen Abhandlungen bekannt, die die Industriegesellschaft anklagten, Degeneration hervorzurufen. 1895 begegnete Nordau Herzl, dem er zehn Jahre darauf als Führer des politischen Zionismus nachfolgte. Den Rest seines Lebens verbrachte er in Paris. Schon mit fünfunddreißig hatte er schnee364

weißes Haupthaar, sein Bart dagegen war - wie auch seine Augen - schwarz, so daß er einem hebräischen Propheten glich. Obwohl weit desillusionierter als Hertzka oder Herzl, wurde Nordau der weitaus bekanntere Schriftsteller. In seinem Buch Die konventionellen Lügen der Kulturmenschheit (Leipzig 1883), das innerhalb eines Jahres zehn Auflagen erlebte, formulierte Nordau mit flammender Rhetorik von neuem den Aufschrei der französischen Aufklärung, der sich gegen traditionelle Institutionen wie Kirche, Monarchie, Aristokratie und Ehe richtete. Um Duplizitäten zu vermeiden, trat er für eine natürliche Ethik ein, die auf Ludwig Feuerbachs Begriff der Solidarität beruhte; eines Tages, so glaubte Nordau, würde das Wort „Humanität" nicht mehr für eine Abstraktion stehen, sondern ein allen Menschen gemeinsames Gefühl der Brüderlichkeit bezeichnen. Zusätzlichen Ruhm trugen Nordau seine Angriffe auf die Moral des Finde-siecle ein, die er in seinem zweibändigen Werk Entartung (Berlin 1892/93) niederlegte. In Erweiterung von Forschungen, die der Kriminologe Cesare Lombroso ( 1 8 3 6 - 1 9 0 9 ) begonnen hatte, brandmarkte Nordau die zeitgenössische Kunst als „entartet". Unter Berufung auf Darwins Theorie von nützlichen Varietäten forderte Nordau, daß ein Genie dem Leben förderlich sein müsse, während sich ein entarteter Mensch rückschrittlich verhalte. Er lehnte auch Lombrosos Theorie ab, daß das Genie Neurose einschließe. Das Genie ist fortschrittlich und einzigartig, Entartung dagegen atavistisch und selbstvervielfältigend. In der Moderne nimmt die Rückschrittlichkeit zu. Anstelle der Aufklärungsideale der Brüderlichkeit und der Selbstaufopferung entdeckte Nordau bei den Oberschichten und bei den Intellektuellen nur einen Kult des Mystizismus, der von Verlaine, Tolstoi und Maeterlinck verherrlicht werde. Bei dem Diabolisten Baudelaire, dem Ästheten Oscar Wilde und dem Sadisten Friedrich Nietzsche diagnostizierte der Ungar Egomanie, die naturalistischen Werke Zolas und Gerhart Hauptmanns dagegen seien, so meinte er, durch eine widernatürliche Liebe zum Scheußlichen verdorben. Mit unerschütterlichem Selbstvertrauen stellte sich Nordau gänzlich hinter Hanslicks Kritik an Wagner, den er als Masochisten abstempelte; Präraffaeliten und Ruskin tat er als Mystiker ab; Tolstois Asketizismus verunglimpfte er als Wiederbelebung der Skopzen, und dem Prostituiertenkult Baudelaires stellte er die keuschen Emotionen in Goethes Hermann und Dorothea (1798) gegenüber. Puvis de Chavannes stelle seine Entartung unter Beweis, indem er trübe Schattierungen male, als ob er farbenblind wäre. Trotz seiner Bewunderung für die Aufklärung lagen Nordaus Denkmodelle im vorindustriellen Ungarn. Er pries die gemeinsamen Interessen einer partikularistischen Gesellschaft und behauptete, in Paris und Berlin würden die Bande der Brüderlichkeit dadurch gelöst, daß jeder nur danach strebe, seine eigenen Wünsche zu befriedigen. Wie der gutmütige Anarchist Pjotr Kropotkin rief auch der Ungar die im Industrialisierungsprozeß begriffene Gesellschaft auf, den in der Natur wurzelnden Tugenden wieder zu ihrem Recht zu verhelfen. 7 Die zeitgenössische Rückschrittlichkeit führte Nordau auf die nervlichen Überbelastungen zurück, denen Führerpersönlichkeiten durch Eisenbahnen, Dampfschiffe, Telephone, Telegraphen und Fabriken ausgesetzt seien. 8 Die moderne 365

Entartung breite sich zudem schneller aus als die des römischen Kaiserreiches, da jene Epidemie vor allem die Unterschicht infiziert habe, während sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt die Verderbnis zunächst an der Spitze festgesetzt habe und von dort nach unten durchsickere. Nordau machte alle Frustrationen eines Utopisten durch. Als er sah, welche Hindernisse seinen Delibdb-Phantasien entgegenstanden, kehrte er sich mehr und mehr vom Ersinnen von Utopien ab und begann die Moderne zu verunglimpfen. Mit einer Arroganz, die die Arroganz Weiningers noch übertraf, teilte er den Kritikern seiner Entartung mit, daß er von neunzehn unter zwanzig von ihnen absolut nichts Neues lernen könne. Um die Schmähung, er selbst sei ein Entarteter, abzuweisen, beschuldigte der Ungar seine Rezensenten, daß sie sich bloß um eines rhetorischen Sieges willen jeglichen Niveaus begeben hätten. 9 Völlige Humorlosigkeit gab seiner Eitelkeit einen bitteren Beigeschmack; als Sigmund Freud 1885 und 1886 Nordau besuchte, fand er den älteren Mann unerträglich eingebildet. 10 Nordau unterschied sich von anderen Feuilletonisten dadurch, daß sein Verhalten stets todernst war. In allen seinen Klageliedern kommt Nordaus typisch ungarische Überzeugung zum Ausdruck, daß es die vornehmlichste Aufgabe des Schriftstellers sei, seine Leser zu erbauen. Verfechter des l'art pour l'art brandmarkte er als unmoralisch. Naturalisten setzten das Leben herab, indem sie den selbstsüchtigen Illusionen des Publikums Vorschub leisteten, anstatt es zu erheben. Nordau wies den Einwand zurück, daß er einem Autor Züge der von diesem gezeichneten Gestalten andichte, und stellte ein für allemal klar, daß seine Kritik gerechtfertigt sei, wenn alle Schöpfungen eines Schriftstellers Laster widerspiegelten, wie man sie bei Ibsen oder Baudelaire finden könne. Indem er erklärte, ein Immoralist habe „so geschrieben, weil er nicht anders schreiben konnte. Seine Bücher sind Geständnisse", 11 legte Nordau die in Ungarn vorherrschenden Maßstäbe an die Künstler aller Nationen an. Er erwartete gleichsam von jedem Schriftsteller, daß er Jökai und Eötvös darin nacheifere, die Bürger zum Dienst an der Heimat zu ermuntern. Die Begeisterung, die Nordau als Zionist entfaltete, verlieh ihm geradezu hellseherische Fähigkeiten. Die Dreyfus-Affäre beunruhigte ihn weit mehr als Herzl. 1898 erwartete er allen Ernstes, daß die Franzosen demnächst beginnen würden, Juden zu ermorden, obwohl er in der Tatsache, daß die Juden wie Südfranzosen aussahen, immerhin noch ein Hindernis für eine zweite Bartholomäusnacht sah. Nicht einmal ein entartetes Land könne von den Menschen verlangen, daß sie Abzeichen trügen, die ihre Rasse ausweisen. 12 Nordau zitierte 1898 im Osservatore Romano erschienene Artikel, die die Juden beschimpften, weil sie aus dem Getto geflüchtet seien, um die Pestilenz des liberalen Denkens zu verbreiten. In einem untergehenden Zeitalter wünsche also die katholische Kirche die Vernichtung der Juden genauso begierig wie das republikanische Frankreich. Nordau war einer der ganz wenigen, die während der Dreyfus-Affäre eine blasse Vision jenes Armageddon hatten, zu dem es vierzig Jahre später tatsächlich kam.

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26. SOZIOLOGIE DES WISSENS. EINE UNGARISCHE BINSENWAHRHEIT

Georg Lukács' Dialektik: Form kontra Leben Nur wenige Denker haben sich so viel Mühe gegeben, die Kontinuität im Fortschreiten von ihrer frühen Laufbahn zu ihrem späteren Denken zu verbergen, wie Georg Lukács (1885-1971). Ein Resultat seiner Haßliebe zu seiner prämarxistischen Jugend war die praktisch gelungene Verschleierung der Tatsache, daß er es gewesen war, der die Literatursoziologie tatsächlich geschaffen und die Soziologie des Wissens entscheidend beeinflußt hatte. Eine zweite Folge besteht darin, daß jeder, der darangeht, Lukács' Denken zu interpretieren, bis zu einem gewissen Grad auch dessen eigener Interpretation dieses Denkens widersprechen muß. 1 Georg Lukács war der Sohn Josef von Lukács' (gestorben um 1924), des Direktors der Allgemeinen Ungarischen Kreditbank. Die Familie war weder mit Béla Lukács (1847-1901), dem Verkehrsminister, der an der Organisation der Jahrtausendausstellung 1896 beteiligt war, noch mit László Lukács (1850-1932) verwandt, dem Ministerpräsidenten. Georg von Lukács, wie er sich bis 1918 nannte, wuchs in einer jener Familien assimilierter Juden der gehobenen Budapester Bourgeoisie auf, die zu Hause Deutsch sprachen und großes Sozialprestige genossen. 1913 und auch 1922 war sogar Thomas Mann zu Gast bei Lukács' Vater gewesen.2 Georg von Lukács studierte zunächst Jus und promovierte 1906 in Budapest bei dem fechnerianischen Asthetizisten Zsolt Beöthy (1844-1922) aus Literaturwissenschaft. Schon als Gymnasiast hatte er 1902 in der Zeitschrift Magyar Szalon Theaterkritiken nach dem Vorbild des Berliner Impressionisten Alfred Kerr (1867-1948) veröffentlicht. 1904 war er einer der drei Gründer des Budapester Thaliatheaters, das vier Jahre lang Ibsen, Strindberg, Tschechow und Shaw aufführte, wobei man trachtete, Otto Brahms Freie Bühne in Berlin und André-Léonard Antoines naturalistisches Théâtre libre in Paris zu imitieren. 1908 errang die revidierte Fassung von Lukács' Dissertation Die Entwicklung des modernen Dramas (ungarisch, 2 Bände, Budapest 1911) den vielbegehrten Preis der konservativen Kisfaludy-Gesellschaft. 1908 war er auch an der Gründung der Zeitschrift Nyugat beteiligt, in der er zwischen 1908 und 1910 rund ein Dutzend Essays veröffentlichte. 1909 bis 1910 studierte er bei Georg Simmel in Berlin, den er 1918 als Übergangspersönlichkeit charakterisierte, einem Impressionisten und Pluralisten, dessen soziologische Experimente eine notwendige Stufe in Lukács' eigener Entwicklung dargestellt hatten. 3 1910 bereiste Lukács Italien und Frankreich und korrespondierte mit dem Dramatiker Paul Ernst (1866-1933). Den Winter 1911/12 verbrachte er in Florenz und lebte dann von 1912 bis 1915 in Heidelberg, wo er bei Max Weber und dem aus Galizien stammenden Juden Emil Lask (1875—1915) studierte. 367

Hier befanden sich Friedrich Gundolf, Ernst Bloch und überraschenderweise auch Stefan George unter den Freunden Lukäcs'. Er war häufiger Gast im Hause Max Webers, dessen Witwe Marianne sich später an Lukäcs als einen höflichen, aufmerksamen Gesprächspartner erinnerte, der sich in jeder Gesellschaft zurechtfand. Sie fügte hinzu, daß er gestanden habe, an einen kosmischen Konflikt zwischen Luzifer und G o t t zu glauben, der sich gerade einem H ö h e p u n k t nähere, an welchem die Menschheit entweder gerettet oder vernichtet werden würde. Als Habilitationsarbeit verfaßte Lukäcs eine Abhandlung über Ästhetik, an deren Werden Max Weber, Emil Lask und Ernst Bloch lebhaften Anteil nahmen. 1917 wurden Teile davon in der Zeitschrift Logos publiziert. 4 Er arbeitete auch an einem Buch über Dostojewskij, dessen Einleitung 1916 unter dem Titel Die Theorie des Romans veröffentlicht wurde. In diesem Jahr diente Lukäcs kurz als Zensor in Budapest, nachdem er für den aktiven Militärdienst als untauglich befunden worden war. Nach zwei Jahren des Reisens zwischen Budapest und Heidelberg ließ er sich Ende 1917 in Budapest nieder und schloß sich Karl Mannheims Freier Schule der Geisteswissenschaften an. Unter dem persönlichen Einfluß seines syndikalistischen Kollegen an der Freien Schule, Ervin Szabó (1877-1918), trat Lukäcs im Dezember 1918 der neugegründeten Kommunistischen Partei Ungarns bei. 5 Von dieser Zeit an verzichtete er auf das „von" vor seinem Namen. In Béla Kuns Räterepublik war Lukäcs als stellvertretender Volkskommissär für Erziehung tätig und schrieb viele Essays und Pamphlete. Im September 1919 floh er nach Wien, wo er nach kurzer Inhaftierung bis 1929 lebte. 1920 konnte er als Delegierter zum Weltkongreß der Kommunistischen Internationale in Moskau mit Lenin zusammentreffen. Im Januar 1922 begegnete der Ungar in Wien Thomas Mann. Diese kurze Begegnung hat Mann offenbar dazu angeregt, die Figur des kommunistischen Jesuiten Naphta im Zauberberg (1924) teilweise nach Lukäcs' Modell zu gestalten. 6 Von 1919 bis 1924 rivalisierte Lukäcs mit Béla Kun, der nach Moskau geflohen war, um die Führung in der Kommunistischen Partei Ungarns im Exil. Die neun Essays, die er zwischen März 1919 und Dezember 1922 schrieb und die in Geschichte und Klassenbewußtsein. Studien über marxistische Dialektik (Berlin 1923, Neudr. Neuwied 1968) erschienen, erregten unter den orthodoxen Leninisten einen derartigen Skandal, daß er aus dem Zentralkomitee ausgeschlossen wurde, seine Position als Herausgeber der in Wien erscheinenden Zeitschrift Kommunismus verlor und obendrein als hegelianischer Abweichung verunglimpft wurde. Nach seiner Heirat mit Gertrud Bortstieber in Wien lebte Lukäcs im Heim seiner Frau, äußerster Armut preisgegeben. 7 1929 hielt er sich drei Monate lang illegal in Ungarn auf und ging dann nach Berlin. 1930/31 arbeitete er am Marx-Engels-Institut in Moskau, wo Nikolai Ryazanow soeben entdeckte Manuskripte des jungen Marx edierte. W ä h r e n d der folgenden zwei Jahre arbeitete er in Berlin mit jungen marxistischen Literaten und floh dann nach Moskau. 1933 brach er sein selbstauferlegtes Schweigen über Geschichte und Klassenbewußtsein, um die Einflüsse Simmeis, Webers und Diltheys auf dieses sein Jugendwerk darzulegen. 8 In Moskau schrieb er Der junge Hegel (vollendet 1938, Zürich 1948) und viele Essays über Romane des 19. Jahrhunderts und 368

über Thomas Mann. 1945 kehrte er nach Budapest zurück, wo er dann - außer einer Periode des Exils 1956/57 - blieb und mehr publizierte denn je zuvor. Ich werde hier die Ansicht vertreten, daß Lukäcs' Essays von 1908, sein Werk Geschichte und Klassenbewußtsein und auch seine Exegese des deutschen Denkens der dreißiger und späterer Jahre in unmißverständlicher Kontinuität miteinander verbunden sind. Schon in den Essays über Kassner und Novalis, die er im Alter von dreiundzwanzig Jahren geschrieben hat, artikulierte er das zentrale Problem seines Denkens: das Verhältnis zwischen Form und Leben. Wie verhalten sich die objektiven Kategorien der Vernunft zu den der Form trotzenden Impulsen der Seele und der Gesellschaft? Sein ganzes Leben lang blieb Lukäcs von dieser einen grundsätzlichen Polarität gefesselt. Er stellte eine Dichotomie auf von Ideen, die - wie bei Bolzano und Lask - von der Erfahrung unabhängig sind, und zwischen Erfahrungen, die - wie bei Nietzsche und Dilthey - frei von Ideen sind. Auf die eine Seite stellte er die Form, das denkende Selbst, metaphysische Gebäude, Träume - Inkarnationen von Bolzanos Sätzen an sich und der Kategorien Lasks; auf die andere Seite kommen das Leben, die Seele, die Einzigartigkeit, die äußere Realität, die Gesellschaft - verschiedenste Manifestationen des blinden Willens zur Macht bei Nietzsche und des unreflektierenden Erlebnisses bei Dilthey. Lukäcs setzte voraus, daß sich jeder Schriftsteller in irgendeiner Art mit diesen beiden Bereichen auseinandersetzen müsse, und sein ganzes Leben lang hat er Schriftsteller auch danach beurteilt, wie sie dieser Aufgabe gerecht geworden sind. In Die Seele und die Formen (ungar. Ausg. Budapest 1910, erweiterte dt. Ausg. Berlin 1911) publizierte Lukäcs zehn Essays, die er zwischen 1908 und 1910 verfaßt hatte und die sämtlich das Verhältnis von Form und Leben untersuchen. Wegen des an Rudolf Kassner erinnernden rhapsodischen Stils dieses Werkes scheint es angebracht, zunächst die Wechselbeziehung zwischen Form und Leben, Selbst und Gesellschaft zu betrachten, wie sie in Lukäcs' Theorie des Romans dargestellt wird. 9 Dieses klarste seiner frühen Werke entstand 1914/15 aus Bestürzung über die Begeisterung, mit der der Großteil der Deutschen den Ersten Weltkrieg begrüßt hatte. Die Theorie des Romans unterscheidet zwei Arten, in denen Romanciers die Inkommensurabilität zwischen dem Selbst (oder dem Helden) und der Umwelt (oder der Gesellschaft) seit 1600 dargestellt haben, seit jenem Zeitpunkt nämlich, da die Welt sich zum erstenmal ihrer Gottverlassenheit bewußt geworden ist. Gewisse Schriftsteller, die Lukäcs als abstrakte Idealisten bezeichnet, beschränken das Selbst auf seine eigenen Träume, in denen es der Komplexität der Außenwelt entschlüpfen kann. Dieser Ansatz läßt weltfremde Helden entstehen wie Cervantes' Don Quijote, Schillers Don Carlos, Kleists Michael Kohlhaas und — paradoxerweise - die der gesamten Menschlichen Komödie Balzacs. Ein zweiter Ansatz, den Lukäcs als Desillusionsromantik bezeichnet, dehnt das Selbst derartig aus, glorifiziert es so sehr, daß es größer erscheint als die gesamte Umwelt. Flaubert beschrieb in L'Education sentimentale (1869) die Erziehung eines solchen Selbst, das in sich nur seine eigene überlegene Empfindsamkeit nährt. Die Umwelt ist zur Bedeutungslosigkeit herabgesunken, das Ich glorifiziert - ein Vorgang, den Lukäcs auch bei Turgenjew und Tolstoi feststellte. 369

Als Gegensatz zu diesen beiden Ansätzen, die das Selbst und das Leben zu Ungunsten des Lebens voneinander trennen, pries Lukäcs den Bildungsroman, vor allem Wilhelm Meisters Lehrjahre (1795/96). Goethes Held ist bestrebt, seine Träume mit seiner Umwelt in Einklang zu bringen, indem er sowohl sich selbst als auch die Gesellschaft seinen Idealen anzugleichen sucht. Durchgehend vertrat Lukäcs die Ansicht, daß die Wahl des Ansatzes, die der Schriftsteller trifft, nicht von seinen persönlichen Vorlieben abhänge, sondern viel eher der Ausdruck objektiver weltgeschichtlicher Kräfte sei. Im Einklang mit diesem hegelianischen Ausgangspunkt setzte Die Theorie des Romans eine dialektische Bewegung vom Selbst (für sich) zur äußeren Realität (an sich) an, die in die goethesche Synthese dieser beiden (an und für sich) münde. Diese Dialektik könne zu einem Konflikt führen, der entweder das Selbst durch abstrakten Idealismus oder die Gesellschaft durch die Desillusionsromantik deformiert. Bei weitem vorzuziehen sei Goethes Lösung des Konflikts durch wechselweise Besserung des Ich durch die Umwelt und der Umwelt durch das Ich. Eine neue Art Synthese habe Dostojewskij vorgelegt: hier projiziere das Selbst, gleichsam als Opfer, den Konflikt nach innen, um so gleichsam sich selbst und die Gesellschaft zu transformieren. Die gleiche hegelianische Dreiheit liegt den zehn Essays in Die Seele und die Formen zugrunde. Lukäcs bediente sich hier einer leicht modifizierten Terminologie und analysierte verschiedene inadäquate Arten des Verhältnisses von Form (oder Vernunft) und Leben (oder Seele). Nur in der Tragödie könnten diese beiden miteinander versöhnt werden. Kierkegaard möchte das Leben der Form unterwerfen und scheitert — wie seine Beziehung zu Regine Olsen zeigt - an diesem Versuch. Unter den romantischen Dichtern, die aus dem Leben in die Form zu flüchten trachteten, sei es einzig Novalis gelungen, sich dadurch künstlerisch zu „bereichern". Einen ähnlichen, zumeist vergeblichen Versuch einer Flucht in die reine Form habe auch Stefan George unternommen. Diese Männer stellen Parallelen zu den abstrakten Idealisten des Essays von 1916 dar: anstatt einer unerträglichen äußeren Realität zu entkommen, berauben sie lediglich das Selbst. Die Desillusionsromantiker von 1916 finden ihr Gegenstück im bürgerlichen Realisten Theodor Storm, dessen Ruf nach Harmonie zwischen Leben und Form nur das Leben ärmer mache. Indem er lediglich die prosaischen Seiten des Daseins schildere und keine Charaktere von überwältigender Leidenschaft hervorbringe, mache er die äußere Realität zu einer Harmlosigkeit. Ein Schriftsteller, der zwischen diese beiden Typen zu setzen wäre, ist nach Lukäcs der französische idyllische Romancier Charles-Louis Philippe (1874—1909), dessen Charaktere ein Leben in der stillen Verzweiflung kleinbürgerlicher Armut ertragen. Sie sind so sehr in ihre Umwelt versunken, daß sie an ein Entkommen aus ihr gar nicht denken können. Sie genießen weder ihre Armut (das Leben), noch ihre Träume (die Form), und so schwanken sie zwischen Selbsterniedrigung und Selbstverherrlichung. Die gleiche Unentschlossenheit findet sich bei einem der Wortführer des Jungen Wien, Richard Beer-Hofmann, dessen impressionistische Erzählungen irgendeinen Zufall des äußeren Lebens zur Unvermeidlichkeit für das Selbst erheben. Ein anderer Fall von gemischten Ansätzen liege in Laurence Sterne vor, der als dem Leben zugetaner Impressionist gegen den die Form über alles stellenden Klassizisten in sich kämpfe. 370

In zwei Schlüsselessays arbeitete Lukacs die Dichotomie von Piatonikern und Poeten heraus, die Rudolf Kassner um 1900 eingeführt hatte. Der Ungar klassifizierte seinen Vorläufer als Platoniker, der in beständiger Sehnsucht nach Vollendung der Form lebte, von der er wußte, daß er sie im Leben nicht finden könne. Dem Platoniker stehe der Kritiker gegenüber - und in dieser Rolle sieht sich auch Lukacs selbst, wie es in seinem einleitenden Essay zum Ausdruck kommt. Der Kritiker studiert die Kunst nicht vom Standpunkt des Künstlers aus, der seine eigene Einzigartigkeit unvermeidlicherweise übertreibt, sondern von dem des Philosophen, dem allein das Privileg zukommt, in der Kunst die mit dem Leben vereinte Form zu erblicken. Als Hegelianer glaubt der Kritiker, daß Form und Leben in der Kunst nach ihrer gegenseitigen Versöhnung streben. Seine größte Verpflichtung allerdings besteht gegenüber der Form, deren Konflikte und Anpassungen an das Leben er untersucht. Im abschließenden Essay über die Metaphysik der Tragödie behauptet ein solcher Kritiker, daß nur in der Tragödie Leben und Form zu einer Synthese gelangen können: Hier berief sich Lukacs auf die Werke seines Freundes Paul Ernst, um an ihnen das antike - und hegelianische — Ideal der Tragödie zu illustrieren. Der tragische Held anerkennt sein Schicksal als eigene Verantwortlichkeit. Sobald er seine Schuld als eigenen Akt empfunden hat, kann er wissentlich die äußeren Ereignisse so gestalten, daß er letztlich über Zufälligkeiten triumphiert. Durch die Annahme einer Strafe projiziert der Held die Gesetze der Außenwelt nach innen — er allein kann Form mit Leben versöhnen. Sowohl in Die Seele und die Formen als auch in seiner Theorie des Romans setzte Lukacs voraus, daß literarischen Figuren metaphysische Positionen zu unterstellen seien. So komplexe Werke wie den Don Quijote oder den Wilhelm Meister analysierte er nach dem metaphysischen Standpunkt seines Autors, der aus den Charakteren des Werkes abzuleiten sei, und so verschiedene Schriftsteller wie Kierkegaard und Theodor Storm stufte er mit souveräner Leichtigkeit ein. Noch ehe er bei Weber und Lask studiert hatte, zwang Lukacs literarische Werke in ein Schema idealer Typen. 1962 hielt er fest, daß Wilhelm Diltheys Abhandlung Das Erlebnis und die Dichtung (Leipzig 1905) ihn entscheidend dahingehend beeinflußt habe, in wesentlich intensiverer Art Typologien auf die Literatur anzuwenden. 10 Lukacs' Begeisterung für polare Gegensätze war allerdings so umfassend, daß seine Neigung, sie anzuwenden, schon vor der Beeinflussung durch Dilthey zum Durchbruch kam. Als Lukacs schließlich 1912 nach Heidelberg kam, müssen ihm die quasihegelianischen Kategorien Emil Lasks und Max Webers wie ein Geschenk des Himmels geschienen haben. Seine Virtuosität im Umgang mit Polaritäten hatte endlich ein adäquates Betätigungsfeld gefunden. Um 1908 bestand Lukacs' grundlegende Polarität in den Kategorien von Form und Seele. 1916 etwa hatte diese die hegelianische Verkleidung „Form kontra Gesellschaft" angenommen. Seine Begeisterung für den Konflikt zwischen Geist und Gesellschaft läßt jene für ungarische Schriftsteller so typische Haltung des politischen Engagements durchblicken. Wie wir immer wieder betont haben, stellten ungarische Dichter und Romanciers seit 1830 so etwas wie Wächter des nationalen Gewissens dar. Abgesehen davon, daß sie aktiv am politischen Leben 371

teilnahmen, bedienten sich Petöfi, Jókai und ihre Verbündeten der Kunst, um ihre Nation zu belehren. Entgegen Lukács nahmen sie an, daß Form und Leben, Intellekt und Gesellschaft zusammenarbeiten könnten. Für sie war die Synthese, die Lukács nur in der Tragödie und bei Goethe gelten ließ, selbstverständlich. Daher besteht Lukács' wesentliche Originalität nicht darin, daß er die allgegenwärtige Polarität zwischen Schriftsteller und Gesellschaft entdeckt hat - sie war den meisten ungarischen Schriftstellern klar - , sondern darin, daß er sie auf die nichtungarische Literatur anwandte. Bei gründlicher Untersuchung zeigt sich, daß der Großteil aller nichtungarischen Literatur nicht die Harmonie von Geist und Gesellschaft feiert, sondern gerade deren Gegenteil. Im Gegensatz zu den Helden Jókais ziehen sich die westlichen in eine innere Welt der Form zurück, wie etwa bei Cervantes und Schiller, oder sie setzen das äußere Leben herab, wie bei Flaubert und Turgenjew. Zweifellos ist es als naiv anzukreiden, daß ungarische Schriftsteller nur Charaktere zeichneten, die so tief in der Gesellschaft verwurzelt sind wie die von Eötvös oder Jókai. In einer von nationalen Konflikten zerrissenen Gesellschaft konnte diese Vision lediglich ein weiteres Produkt von délibáb sein, jener Gabe des Tagträumens, mit der auch Lukács reichlich gesegnet war. Dem frühen Lukács allerdings gelang es, die Selbsttäuschung seiner Landsleute zu einem kraftvollen Instrument literarischer Untersuchungen zu machen. Er stellte die Kategorie des politischen Engagements, die anderen ungarischen Literaten als selbstevident erschienen war, auf den Kopf und deckte damit in anderen Literaturen das Mißverhältnis zwischen Selbst und Gesellschaft auf. Lukács bemerkte, daß jene Mißstände, die im eigenen Land zu sehen sich die Ungarn beharrlich weigerten, anderswo im Vordergrund standen. Mehrere Jahre bevor er zu dieser Einsicht gelangt war, beteiligte sich Lukács an der Gründung der schon genannten Zeitschrift Nyugat, die sich um die Verbreitung westlicher, insbesondere französischer literarischer Tendenzen in Ungarn bemühte. Durch eine kuriose Symmetrie verkehrte Lukács diesen Prozeß später in sein Gegenteil, indem er den Rest Europas mit ungarischen Platitüden überzog. Nirgends wird Lukács' Abhängigkeit von ungarischer Literaturpietät so explizit wie in der Einleitung seiner Studie Zur Entwicklung des modernen Dramas (Budapest 1911). 11 Interpreten, die meinen, daß erst Hegel und Marx die Aufmerksamkeit Lukács' auf das Phänomen der gesellschaftlichen Klasse gelenkt haben, werden überrascht sein zu erfahren, wie sehr diese Arbeit die marxistische Ästhetik geradezu vorwegnimmt. Hier erklärt er, wie das intime Theater entstand, um der kultivierten Elite eine Zuflucht vor den städtischen Massen zu geben. Im modernen Drama kollidieren nicht wie bei den Griechen die Leidenschaften, sondern die Ideologien, die so den Wettstreit der Individuen in einer kapitalistischen Gesellschaft exemplifizieren. Der Individualismus des kultivierten Bürgers hat sich zur Waffe entwickelt, mit der der Kampf um die Ersetzung der mittelalterlichen Zünftewirtschaft entschieden werden soll. Anstelle der vernunftwidrigen Leidenschaften der antiken Tragödie demaskiert das neue Drama die rationalen Kalküle der bürgerlichen arrivistes. Die Frustration, die Hebbel und Ibsen ihren Helden mitgaben, deckte den Zusammenbruch jenes Individualismus auf, den das 18. Jahrhundert verherrlicht hatte. 372

Dieser Essay, „Zur Entwicklung des modernen Dramas, bringt mehr konkrete Untersuchungen als Die Seele und die Formen. Vielleicht werden in ihm zum erstenmal die Arten, in denen die soziale Klasse der Theaterbesucher das Thema des Dramas beeinflußt, detailliert untersucht. Im Einklang mit Lukacs' grundlegender Polarität entspricht die Dichotomie von Dramatiker und Publikum derjenigen von Form und Leben. Ein Dramatiker muß jene Form oder jenen metaphysischen Standpunkt wählen, die ein Publikum dadurch gewinnen können, daß sie dessen Vorurteile widerspiegeln. Ein populärer Dramatiker muß sich mit seinem Publikum in dessen Schwächen teilen, während derjenige, der sich für eine esoterische Form entscheidet, sich plötzlich vom Leben völlig abgeschnitten sieht. Dieser Gedanke einer Symbiose von Autor und Publikum wurde mindestens neun Jahre vor dem Marxismus Lukacs' formuliert. In dem kaum bekannten Dialog Von der Armut am Geiste (1912) tauchte er wieder auf; hier kam der manichäische Dualismus, von dem Marianne Weber gesprochen hatte, reichlich zum Ausdruck. 12 In diesem Dialog entwarf Lukacs eine existentialistische Ethik der Selbstaufopferung und der Armut am Geiste, die an Dostojewskij erinnerte. Ein junger Dichter, der moralische Qualen leidet - übrigens nicht unähnlich denen von Otto Weininger —, spricht über sein unrichtiges Verhalten gegenüber der Schwester seiner Geliebten, die soeben Selbstmord begangen hat. Er klagt sich selbst an, daß er nicht die hellseherische Güte eines heiligen Franziskus oder eines Fürsten Myschkin besessen habe. Der Dichter geißelt hier die Routine der bürgerlichen Gesellschaft als ein Gefüge mechanischer Pflichten ohne Moralität und preist die Armut am Geiste als höchste Ethik. Man muß sich stets dafür bereithalten, eine gottgewollte Sendung zu erfüllen, die ein zertrümmertes Leben wieder zusammenhalten wird. Nur Gott kann eine Bindung erwecken, die dem Leben Form auferlegt und dadurch das Chaos der äußeren Wirklichkeit ausgleicht. In dieser seiner am meisten existentialistischen und christlichen Schrift preist Lukacs die Bergpredigt, Plotin, Dostojewskij und Kierkegaard. Er preist den Fürsten Myschkin, Aljoscha Karamasow und Kierkegaards Abraham als „Gnostiker der Tat", die das Mißverhältnis zwischen ihrer eigenen höheren Ethik und dem gewöhnlichen Leben erkennen und akzeptieren. Lukacs' Dichter beschimpft die Lauen, die es dieser Elite der Armut am Geiste nicht gleichtun können. Der Dichter begeht gleichfalls Selbstmord, nachdem er zuvor die Offenbarung des Johannes bei Kapitel 3, Vers 15 und 16, aufgeschlagen und so auf seinem Schreibtisch zurückgelassen hat. In diesen Versen der Apokalypse schilt der Engel die Gemeinde von Laodicea, daß sie denjenigen Zuflucht gewähre, die weder heiß noch kalt seien. Dieses fast vergessene Werk verleiht Lucien Goldmanns These einiges Gewicht, nach welcher Lukacs in seinem Essay über die Tragödie (in: Die Seele und die Formen) dem Existentialismus des 20. Jahrhunderts den Weg bereitet habe.' 3 Goldmann übertreibt allerdings, wenn er behauptet, es sei Lukacs gewesen, der den Tod als Garanten der Authentizität pries. Wie wir wissen, hatten in den neunziger Jahren die Autoren des Jungen Wien, wie Schnitzler und Beer-Hofmann, die barocke Vision vom Tod als einer Grenze, einem Befreier neu be373

lebt, und Rudolf Kassner hatte schon früher als der Ungar auf die Bedeutung Kierkegaards hingewiesen.14 Lukäcs' Neuerungen bestehen vielmehr darin, daß er eben die politische Monomanie des ungarischen Schriftstellers für die Betrachtung nichtungarischer Literaturen nutzbar gemacht hat. In der Folge mußte daher seine Suche nach Authentizität und nach einer neuen Kaste von Dienern der Menschheit dazu führen, daß er dem Drang nach politischer Betätigung nicht mehr widerstehen konnte und diesem durch seine Aktivität in der Kommunistischen Partei gerecht zu werden suchte. Die Partei sollte jene Phalanx von Heiligen der Armut am Geiste darstellen, die die Laodiceer einer bürgerlichen Welt bekämpfen würden. Die manichäische Vision seines Dialogs von 1912 nahm bereits den asketischen Glauben des Marxisten Lukäcs vorweg. Auch als Marxist fuhr er noch fort, die Zwietracht zwischen Form und Leben aufzudecken. In den Essays Klassenbewußtsein (März 1920) und Die Verdinglich ung und das Bewußtsein des Proletariats (o. J.) 15 wandte er diese Polarität an, um die Mentalität der Bourgeoisie, kristallisiert an der kantischen Philosophie, von der des Proletariats zu differenzieren, wie sie von Marx und Lenin beschrieben wird. Wie die Helden Schillers sei die Bourgeoise verkrüppelt zufolge eines abstrakten Idealismus, der sie zum Rückzug vor der äußeren Realität veranlasse. Anstatt zu erkennen, daß gesellschaftliche Ubereinkünfte aus Beziehungen zwischen Menschen bestehen, sieht die Bourgeoisie die Gesellschaft, als wäre sie durch unveränderliche Gesetze gebunden, die genauso dehumanisiert sind wie die Naturgesetze der Physik. Indem sie die Gesellschaft einer Veränderung für unfähig hält, setzt die Mittelklasse die gesellschaftlichen Verhältnisse über alles und sieht in der Gesellschaft buchstäblich ein Ding, das jeder menschlichen Initiative unzugänglich ist. In seinem donquijotesken Hang zu abstrakten Idealen schwört das Bürgertum allen Versuchen zur Änderung der Gesellschaft ab. In Kant erblickte Lukäcs den Erzwortführer dieser Mentalität. Ohne Max Adler als Kantianer zu erwähnen, kritisierte er den deutschen Marxisten Heinrich Cunow (1862-1936), da dieser die Ethik Kants wiederaufgegriffen habe. Alles, was bei Kant auch nur einigermaßen wertvoll ist, meinte Lukäcs, ist in Hegels Kantkritik subsumiert, die seinerseits Marx seinem Werk zugrunde gelegt hat. Im Gegensatz zur Bourgeoisie stellt das Proletariat eine potentielle Synthese von Form und Leben dar. Es hat die äußere Realität in der Schule der kapitalistischen Unterdrückung verstehen gelernt, und sein Streben nach Freiheit durch Form wird von der Kommunistischen Partei angeführt. Die Parteielite sorgt für die Form, das Proletariat für das Leben, und die Revolution sucht beide in einer neuen Ordnung der Gesellschaft zu synthetisieren, in der - wie in Goethes Wilhelm Meister — schließlich Form und Leben miteinander harmonisieren werden. Lukäcs glaubte - in einem Anfall von delibdb —, daß die Synthese sich tatsächlich vollziehen werde. Mit diesen utopischen Vorstellungen sah er sich auch berechtigt, als stellvertretender Volkskommissär für Erziehung 1919 der Nation seine eigene asketische Moral aufzuerlegen, die reaktionären Schriftsteller, die diese Utopie bedrohten, zum Schweigen zu bringen und alkoholische Getränke zu verbieten, die ihnen das Bewußtsein trüben könnten.16 In diesem neuen Staat sollten gesellschaftliche Ubereinkünfte Ideale 374

verkörpern. Die gesellschaftliche Ordnung würde dem höheren Ziel entsprechen, zu dem die Form sie bestimmt habe, auf daß sich Individuen nicht mehr in einem abstrakten Idealismus oder ein romantisches Desillusionement zu verkriechen brauchten. Die Harmonie zwischen Schriftsteller und Gesellschaft, die Petöfi in einer Vision geschaut und die Jökai einfach als gegeben angenommen hatte, war jetzt Wirklichkeit geworden. Wenn Lukäcs die neue Ordnung beschrieb, dann unterschob er dem Proletariat eine geradezu einzigartige Fähigkeit, die Gesamtheit der Gesellschaft erfassen zu können. Wirtschaftliche Interessen haben das Bürgertum der Fähigkeit beraubt, mehr als nur einen Bruchteil des Ganzen zu erfassen; was es jedoch erfaßt, macht es sogleich zu unveränderlichen, unterdrückenden Gesetzen. Durch fortgesetzte Erniedrigungen hat das Proletariat gelernt, die gesellschaftlichen Relationen im Ganzen zu sehen und zu verlangen, daß Theorie und Praxis miteinander übereinstimmen. Obwohl es die nur auf eigenen Vorteil bedachten Ideologien der Mittelklasse geringachtet, muß es anerkennen, daß auch in ihnen ein Teil der Realität enthalten ist. Das Proletariat hat kein Recht, die Bourgeoisie auszurotten, vielmehr muß der Individualismus der Mittelklasse in einer neuen Gesellschaft aufgehoben werden, soll letztere das Ganze der Erfahrungen umfassen. Die Ganzheit, die dem Proletariat als raison d'etre dient, wird durch eine Revolution hergestellt werden, die die Elite der Partei durchzuführen hat. Obwohl Lukäcs Rosa Luxemburgs Forderung nach einer spontanen Revolution zurückwies, stimmte er doch insofern mit ihr überein, als auch er annahm, daß der Marxismus nach der Revolution keinen Nutzen mehr habe. Der Marxismus ist die Waffe des Klassenbewußtseins des Proletariats, die zur Zerstörung einer Klassengesellschaft dient. Da jedoch auch das Proletariat selbst ein Produkt der alten Ordnung ist, muß sein Klassenbewußtsein in der zukünftigen Utopie verschwinden. Der dialektische Materialismus ist keine ewige Wahrheit, sondern nur ein Instrument, das der Kommunistischen Partei an die Hand gegeben ist, um damit das Proletariat bei der Herstellung einer Synthese zwischen Form und Leben zu unterstützen. Der Marxismus, der schon zur Klärung der Verhältnisse der präkapitalistischen Gesellschaft nichts beitragen kann, muß in seiner Eigenschaft als eine Begleiterscheinung des Kapitalismus in einer postkapitalistischen Gesellschaft notwendig abdanken. Um dieser selbstaufopfernden Häresien willen verfiel Lukäcs als Revisionist und Antileninist dem Bannfluch; er akzeptierte die Züchtigung mit wahrhaft vollkommener Armut am Geiste, unternahm keine Gegenangriffe und widerrief zuletzt sogar, was er früher gelehrt hatte. Morris Watnick und andere haben gezeigt, daß die instrumentale Betrachtungsweise, die Lukäcs auf den Marxismus anwandte, Karl Mannheim beeinflußt hat. Der Marxismus wird durch seinen eigenen Erfolg zu einer unzeitgemäßen Erscheinung und kann daher nur ein relatives Maß an Wahrheit bieten; er verkörperte die Einseitigkeit dessen, was Mannheim unter Utopie verstand. Der Instrumentalismus, der Lukäcs seine Zugehörigkeit zur Orthodoxie kostete, ist aus seiner festen Bindung an die Polarität zwischen Form und Leben zu verstehen. Diese Polarität verpflichtete ihn zu der Erkenntnis, daß sowohl Form als auch Leben berechtigte Ansprüche stellen, die eine wirkliche Syn375

these berücksichtigen muß. Weder die Form noch das Leben dürfen das Vorrecht erhalten, daß eins das andere knechte, wie es in Schillers Verzicht auf Leben oder in Turgenjews Erhebung der Form über alles geschehen sei. Da sich sowohl das Leben als auch die Form nach ihren eigenen Gesetzen entfalten müssen, kann der Marxismus als Form nicht diktieren, wozu Leben werden soll. Ein derart lebensfeindlicher Marxismus würde lediglich in einen weiteren abstrakten Idealismus ausarten. In Geschichte und Klassenbewußtsein gab sich Lukacs vergeblich Mühe, die kommunistische Gesellschaft davor zu bewahren, von ihren eigenen Erbauern zu einem starren, über allen thronenden Gesetz gemacht zu werden. Lukacs' Abweichungen von der orthodoxen Parteilinie haben die Wurzeln in seinem Festhalten an der grundlegenden Uberzeugung seiner Jugend: Leben und Form sind feindliche Brüder, deren keinem gestattet werden darf, den anderen zu erdrücken. Seit den Pionierleistungen Cervantes' auf dem Gebiet des Romans seien in der Literatur stets neue Versuche aufgekeimt, in denen entweder das Leben oder die Form versucht hätten, den Widerpart zu negieren. Da allein der Marxismus die Mißstände der Außenwelt zur Kenntnis nehme, insbesondere die des Kapitalismus, sei den Anhängern Marxens die einmalige Gelegenheit gegeben, eine Gesellschaft zu fördern, in der Leben und Form zur Deckung gelangen könnten. Der einzige Defekt dieses Allheilmittels Lukacs' ist, daß er die Würde zur Repräsentation der Form einer Partei-Elite vorbehält. Um die kommende Synthese, nach der er sich sehnte, nicht zu verhindern, erniedrigte sich Lukacs vor dem Willen der Partei, und zwar selbst dann noch, als sie bereits seiner Hochachtung vor dem Leben Hohn sprach. Mit der Ungeduld des Utopisten verehrte er in der Partei jene erhabene Macht zur objektiven Wahrheit, die er zuvor noch im Piatonismus Kassners kritisiert hatte. Als Wortführer der Form strahlt die Partei eine Majestät aus, die Bolzanos Sätzen an sich gar nicht unähnlich ist: Was immer sie dekretiert, ist gültig, egal ob irgendein Einzelner darauf achtet oder nicht. Nach der Machtergreifung Hitlers fand Lukacs einen neuen Grund, die bolschewikische Disziplin zu begrüßen. Inmitten des Untergangs jeglicher Vernunft in Westeuropa pries Lukacs Rußland als letzte Festung westlicher Werte. Stalins Rußland würde die Synthese von Form und Leben bis zu dem Tag aufbewahren, an dem sie das, was noch davon übrig sein werde, Europa zurückbringen wolle. Im Moskau der dreißiger Jahre arbeitete Lukacs an der Verurteilung seiner eigenen Jugend, die er in Die Zerstörung der Vernunft (Ostberlin 1954) veröffentlichte. Hier setzte er jene Männer herab, die ihn ermutigt hatten, seine Polarität zwischen Leben und Form auszuarbeiten, indem er Dilthey, Simmel und Weber - von seinen einstigen Freunden Gundolf und George ganz zu schweigen - zu Aposteln des Schismas zwischen Form und Leben uminterpretierte. Sie hätten das Leben, indem sie es feierten, von der Kontrolle durch die Form isoliert und damit Vorzeichen des Hitlerschen Kultes der Macht gesetzt. Seine eigenen Uberzeugungen aus der Zeit vor 1918 verwarf er als ein weiteres Stück abstrakten Idealismus. Zugleich mühsam erdacht und doch in entwaffnender Weise ehrlich verbirgt diese Selbstkritik grundlegende Fakten. In Werken wie Die Seele und die For376

men ließ Lukäcs deutliche Sympathien mit abstrakten Idealisten erkennen; ein paar Jahre später jedoch, in seiner Theorie des Romans, zeigte er Gefallen an gewissen Desillusionsromantikern. Trotz allem zieht sich die Vorliebe für die Synthese von Form und Leben, wie sie sich in der klassischen Tragödie oder in Wilhelm Meisters Lehrjahre verkörpert, wie ein roter Faden durch alle diese Werke. Als Lukäcs 1918 zum Marxismus konvertierte, projizierte er lediglich seine Sehnsucht nach einer Synthese, die ihn schon über ein Jahrzehnt lang gefangengehalten hatte, auf die Politik. Denn in seinen Anfängen wenigstens versprach der Marxismus keine Zäsur, sondern Vollendung. Wenn wir nach der gleichbleibenden Komponente in Lukäcs' Meinungsumschwüngen seit 1908 fragen, stoßen wir auf die ungarische Begabung zum Wunschträumen, zum délibdb; es war Lukäcs stets gegeben, über Mißstände hinwegzusehen, da er in der gegenwärtigen Wirklichkeit immer noch Züge einer ersehnten Zukunft zu erkennen vermochte. Ob er nun die Elite von 1912 wegen ihrer Leistungen an Armut am Geiste glorifizierte oder ob er sich vor den Führern der Kommunistischen Partei in den Staub warf - stets zeichnete er sich dadurch aus, daß er jeder Situation den rettenden Segen gab. Lukäcs ist in weit stärkerem Ausmaß typisch für seine nationale Tradition, als er selbst oder seine Kritiker es wahrhaben wollten. Karl Mannheim: Panrelativismus im Kielwasser von Lukäcs Das theoretische Werk Karl Mannheims (1893-1947) steht mit dem von Lukäcs in enger Beziehung. Obwohl viele Gelehrte Mannheim als den Begründer der Wissenssoziologie preisen, stammen seine bedeutendsten Erkenntnisse von seinem älteren Kollegen. Mannheim wurde in Budapest als Sohn jüdischer Eltern geboren, die der Mittelschicht angehörten; sein Vater stammte aus Ungarn, die Mutter aus Deutschland. Er studierte zunächst in seiner Heimatstadt bei Béla Zalai, dann in Berlin bei Georg Simmel und in Heidelberg bei Lask und Rickert. 1 7 1917 und 1918 leitete er die Budapester Freie Schule der Geisteswissenschaften, die sozialistische Intellektuelle zur Bildung arbeitender Menschen rekrutierte. Unter dem Titel Lélek és Kultura (Seele und Kultur; Budapest 1918) gab Mannheim eine Sammlung von Essays seiner Kollegen heraus. In der Einleitung dazu18 schwelgte Mannheim in dem Gedanken Lukäcs', daß Form als Mittel zur Flucht aus den Einengungen der eigenen Umwelt dienen könne. Doch lehnte er im Gegensatz zu Lukäcs und anderen Mitgliedern der Fakultät insbesondere die Anwendung der Soziologie zum Verständnis der Gedankensysteme ab. 1919 verließ Mannheim Budapest, enttäuscht vom Regime Béla Kuns, jedoch soweit gebessert, daß er mittlerweile die Sinnfälligkeit der Soziologie anerkannte. Von 1919 bis 1924 studierte er bei Alfred Weber in Heidelberg; hier hörte er Heidegger und Emil Lederer und studierte außerdem Husserl und Scheler. 1924 habilitierte er sich bei Weber und war dann von 1925 bis 1929 als Dozent in Heidelberg tätig; 1930 folgte er Franz Oppenheimer auf dessen Lehrstuhl in Frankfurt nach, wo er bis 1933 blieb. Er emigrierte nach London 377

und begann auf dem Gebiet der sozialen Planung und der Reform des Erziehungswesens eine neue Laufbahn. Von 1933 bis 1941 unterrichtete er an der London School of Economics und von 1941 bis 1947 am Institute of Education an der Londoner Universität. Im Jahre 1947, in welchem er die Position eines Leiters des europäischen Zweiges der UNESCO übernehmen sollte, starb er. Mannheims Werdegang vom antimarxistischen Formalismus zum semimarxistischen Soziologismus läßt sich am besten an Hand des Einflusses verfolgen, den Lukäcs auf ihn ausgeübt hat. Wie wir gesehen haben, hatte letzterer die ungarische Tradition der Solidarität zwischen Schriftsteller und Publikum auf den Kopf gestellt. Um 1917 hatte Mannheim von Lukäcs gelernt, die Kluft zwischen Form und Leben als das grundlegende Problem modernen Denkens zu sehen. Obwohl Mannheim in Seele und Kultur noch nichts weiter feststellen konnte als ein Mißverhältnis zwischen dem Geist und der äußeren Realität, war es doch bereits die Beziehung zwischen diesen beiden Polen, die ihn vordringlich beschäftigte. Fast alle seine Kollegen an der Freien Schule der Geisteswissenschaften fuhren fort, dieses überwiegend ungarische Problem - genau wie er selbst auch — zu erforschen. Frigyes Antal wurde ein Schüler Max Dvoräks, Béla Baläzs setzte Pioniertaten in der Soziologie des Films, Arnold Hauser schrieb eine Soziologie der Kunstgeschichte, Ervin Szabó hatte bereits die Rolle Petöfis in der Revolution von 1848 untersucht, während Béla Bartók und Zoltän Kodäly ungarische Volkslieder sammelten und damit beitrugen, volkstümliche Schriftsteller wie Gyula Illyés (geboren 1902) anzuregen. Um einen Wechsel in seiner Geisteshaltung anzuzeigen, schrieb Mannheim 1920 eine begeisterte Besprechung von Lukäcs' Werk Die Theorie des Romans,19 Ohne das Buch im Detail zu untersuchen, pries er den Autor wegen der Verwendung von Idealtypen, um Weltanschauungen von Schriftstellern mit jenen ihrer Gesellschaften in Beziehung zu setzen. Mannheim stand unter dem Einfluß so divergierender Persönlichkeiten wie des prämarxistischen Lukäcs, Alfred Webers und Max Schelers und konnte daher seine eigene Position erst nach dem Erscheinen von Geschichte und Klassenbewußtsein richtig ausprägen. Obwohl er Lukäcs' marxistische Klassensoziologie bereitwillig adaptierte, formte Mannheim doch die von jenem vorgenommene Identifikation von Wahrheit mit der Kommunistischen Partei zu einem Instrument der Interpretation jeglichen gesellschaftstheoretischen Denkens um. Mannheim forderte von jeder Gesellschaftsphilosophie, daß sie die instrumentale Rolle übernehme, die Lukäcs dem Marxismus vorbehalten hatte. Jedes Corpus gesellschaftlichen Denkens stellt ein von einer bestimmten gesellschaftlichen Klasse verwendetes Instrument dar, das nach außenhin der Verbesserung der Gesellschaft dienen soll, in Wahrheit jedoch dazu da ist, die Interessen der jeweiligen Klasse sicherzustellen. Jedes gesellschaftliche Programm, begrenzt durch die Bedingungen seines eigenen Zeitalters, wie es ist, muß notwendig die Wahrheit verdrehen, um den Interessen seiner Klasse förderlich zu sein. Mannheim erklärte, daß sich Lukäcs' häretische Ansicht, wonach sich der Marxismus selbst überholen würde, für jegliches gesellschaftliche Denken als wahr erweisen würde. In Ideologie und Utopie (Bonn 1929) unterschied Mannheim zwischen Ideologien, die sich um die Wiederbelebung oder Konservierung der Vergangenheit bemühen, und Utopien, die die Zukunft nach 378

irgendeinem erdachten Konzept beeinflussen möchten. Keiner dieser Standpunkte könne jene Begrenztheiten transzendieren, die Lukäcs im Falle des Marxismus diagnostiziert habe und die Mannheim in allen Gesellschaftsphilosophien sah. Indem er sich dem Panrelativismus zuwandte, entfernte sich Mannheim entschieden von seinem Mentor. Lukäcs sah die Wahrheit als dialektische Beziehung zwischen Form und Leben; diese entgegengesetzten Pole verfeinern und verändern einander solange, bis sie in einer klassenlosen Gesellschaft zum Gleichklang gelangen. Für kurze Zeit kann die Partei-Elite des Kommunismus den Anspruch erheben, die Wahrheit zu monopolisieren, da sie - wenn auch nur vorübergehend - die Relation zwischen ihrem eigenen Programm (Form) und dem Leben verstehe. Bald jedoch werde die Wahrheit auf die Mitglieder der klassenlosen Gesellschaft übergehen. Eine derartige dialektische Vorstellung von Wahrheit fand sich bei Mannheim nie. Vielmehr definierte er Wahrheit nach dem Standard des neukantischen Empirismus: Individuelle Wissenschaften sollten sich auf die Ausarbeitung von Hypothesen spezialisieren, um die Fakten in ihren engen Bereichen zu erklären. Ein alles überspannendes System, das alle Fakten aller Bereiche vereinige, könne es nicht geben. Daher könne keine Partei den Anspruch erheben, auch nur für kurze Zeit die Wahrheit zu monopolisieren. Statt dessen sollten Gesellschaftstheoretiker jene Erkenntnisse der Spezialwissenschaften, die eine Verbesserung der gesellschaftlichen Bedingungen versprechen, aneinanderfügen. Eine solche eklektische Gesellschaftstheorie könne von Natur aus nicht absolut sein. Anstelle von Lukäcs' kommunistischer Elite pries Mannheim die Intelligenz als jene Gruppe, die die besten Voraussetzungen zur Formulierung gesellschaftlicher Zielsetzungen mitbringe. Mannheim zeigte außergewöhnliches Einfühlungsvermögen, was die diversen Bedürfnisse der Gesellschaft anlangt, und ließ darin John Stuart Mills Forderung nach Beachtung eines jeden Arguments eines jeden Opponenten anklingen. Dieser Panrelativismus, den er als Relationismus bezeichnete, trieb Mannheim zur beständigen Neubearbeitung seiner Prinzipien, insbesondere nachdem er sich in England niedergelassen hatte. Einer der schärfsten Kritiker von Mannheims Denken, wie es sich vor 1933 manifestierte, war der aus Wien stammende Ernst Grünwald ( 1 9 1 2 - 1 9 3 3 ) , der als zwanzigjähriger Student eine historische Kritik der Wissenssoziologie verfaßte.20 Grünwald, der im folgenden Jahr bei einer Bergtour tödlich verunglückte - er arbeitete bereits an einer Phänomenologie der Sprache —, hätte zu einem der führenden Wissenssoziologen werden können. In seiner reichlich mit Material belegten Arbeit Das Problem der Soziologie des Wissens (Wien 1934, Neudr. Hildesheim 1967) lehnte er Mannheims Relationismus mit dem Argument ab, daß dessen Prämissen in sich widersprüchlich seien. Der Relationismus behauptet, daß keine die Gesellschaft betreffenden Aussagen absolut wahr sein können, da sie die Begrenztheiten ihrer eigenen Gesellschaften widerspiegeln müssen. Nun stellt aber auch diese Behauptung eine die Gesellschaft betreffende Aussage dar und kann daher nicht absolut wahr sein, da auch sie ihre gesellschaftliche Herkunft widerspiegeln muß. So setzte der angriffslustige junge Gelehrte Mannheims Soziologie des Wissens auf das Pulverfaß des Panrelativismus. Wie allerdings Werner Stark darlegt, ist Mannheims Behauptung keine Aussage über die Ge379

seilschaft, sondern über die beharrliche Natur des Menschen. Als solche kann sie auch unabhängig von sich wandelnden gesellschaftlichen Bedingungen Gültigkeit beanspruchen.21 Trotz jugendlicher Exzesse bringt Grünwalds Buch einen wertvollen Überblick über die Geschichte der Wissenssoziologie und über ausgezeichnete Untersuchungen von Lukács, Max Adler, Max Weber und mehreren Dutzenden anderer. Grünwald hat nicht untersucht, welche gesellschaftliche Bedingungen Karl Mannheim vor 1933 dazu veranlaßt haben könnten, jede Aussage über Gesellschaft als politisch motiviert anzusehen. In einem gewissen Grad spiegelte sich im Panrelativismus das Parteigängertum in der politischen Debatte ÖsterreichUngarns nach 1900, als die Nationalisten die erhabensten kategorischen Behauptungen aufstellten, um einander ausschließende Programme zu vertreten. Dieser mörderische Kampf der Nationalitäten, der Ludwig Gumplowicz faszinierte, zerstörte schließlich das Reich, indem er jenen Rahmen zu Fall brachte, der den Bemühungen einer jeden Partei erst ihre Bedeutung verliehen hatte. Indem der Zusammenbruch von 1918 die Abhängigkeit eines jeden Parteigängers vom Ganzen klar vor Augen geführt hatte, „relativisierte" er jeden politischen Standpunkt, den Österreich-Ungarn geschaffen hatte. Nicht weniger stark sind Lukács und Mannheim dem traditionellen politischen Engagement der ungarischen Intellektuellen verpflichtet. Wie wir gesehen haben, hat l'art pour l'art bei ungarischen Denkern nie Fuß fassen können; ihre zweite Natur war es vielmehr, Literatur immer als eine Dimension der Politik zu betrachten. Von Lukács angeregt, weitete Mannheim seine Grundsätze so weit aus, daß er nicht nur die Literatur, sondern auch die Philosophie zu einem Instrument der Politik machte. Ein weiterer typischer Zug, der Lukács und Mannheim als echte Ungarn ausweist, ist jene schöpferische Energie, die alle ungarischen Juden im Exil so offensichtlich zur Schau tragen. Ihr Fleiß erlahmte nie, gleichsam als fühlten sie sich getrieben, vor den Fremden das so vernachlässigte Genie ihrer Landsleute unter Beweis zu stellen. Es ist bedauerlich, daß Mannheim hauptsächlich als Autor von Ideologie und Utopie bekannt ist, denn nach 1933 begann er, den Panrelativismus mit angelsächsischem Eifer für eine schrittweise zu vollziehende Reform zu ersetzen. Der spätere Mannheim hatte aufgehört, Utopien zu mißtrauen, und stellte sich hinter Max Webers Forderung, Intellektuelle sollten eine wertfreie Gesellschaftswissenschaft zur Führung der im Umbruch begriffenen Massengesellschaft entwickeln. Wie Otto Neurath schätzte auch Mannheim Bildung als das wichtigste Werkzeug, um die Eliten Europas in einen Kader von Technokraten zu verwandeln. Diese beiden Männer hatten sowohl ihre enzyklopädischen Interessen als auch die Zielsetzung der Verbesserung der Gesellschaft durch die Wissenschaft miteinander gemeinsam, und beide starben, ehe sie ihre Laufbahn mit dem erhofften Schlußstein versehen konnten. Während Neurath versucht hatte, die Sprache der Wissenschaft zu vereinheitlichen, wollte Mannheim die Intelligenz soweit wachrütteln, daß sie sich ihrer Verantwortung bewußt würde, für die es bisher keinen Präzedenzfall gegeben hatte. Hätten Mannheim und Neurath jemals zusammenarbeiten können, sie hätten vielleicht Monumentales geleistet, 380

den Grundstein zu einer allumfassenden Soziologie der Ideen gelegt. Tatsächlich verdient es Neurath, als Universalgenie verehrt zu werden, dessen Erfindungen wir alle verwenden, während Mannheim eine Art gemäßigter Lukäcs zu sein scheint, der in Großbritannien und den Vereinigten Staaten ungarische Binsenwahrheiten verbreitete.

27. UNGARISCHE PSYCHOANALYTIKER UND FILMKRITIKER

Sändor Ferenczi und Lipot Szondi: Verehrer des Wunschträumens und des magischen Denkens Unter den treuen Anhängern Freuds erfreute sich Sändor Ferenczi (1873-1933) der besonderen Zuneigung des Meisters.1 Er war der Sohn polnischer Juden, die in Budapest lebten, und der einzige Schüler, mit dem Freud über die eigene Gesundheit sprach. Ferenczi promovierte 1894 in Wien zum Doktor der Medizin und ließ sich danach in Budapest nieder, wo er in seiner Praxis auch Hypnose zur Anwendung brachte. 1907 schrieb er an Freud, im Jahr darauf traf er mit ihm zusammen und unterzog sich auch sogleich einer Analyse. Er begleitete Freud nach den Vereinigten Staaten und gewann später der Bewegung unter den Ungarn eine große Schar von Anhängern. Auf dem Budapester Kongreß im September 1918 pries Freud Ungarn irrtümlich als das meistversprechende Forum für die Psychoanalyse.2 1913 handelte Ferenczi das Phänomen des magischen Denkens ab, durch welches das Ich der Realität zu entkommen sucht. 3 Er vertrat die Ansicht, daß Kinder in ihrer Entwicklung vier Stufen des magischen Denkens - mit anderen Worten des delibdb - durchmachen, und weiter, daß bei Erwachsenen das Verlangen, sich durch magische Gesten Allmächtigkeit zu verleihen, eine Regression darstelle. Der Ungar interpretierte das magische Wunschdenken seiner Landsleute als narzißtischen Impuls, die Wirklichkeit entweder zu fliehen oder unter Kontrolle zu bringen. In Thalassa. Versuch einer Genitaltheorie (Wien 1922) stellte Ferenczi Spekulationen über den Ursprung der menschlichen Genitalien an. Danach stelle die Gebärmutter das Fortbestehen des Urschlammes dar, aus dem der Anfang alles Lebens stammt, so daß sich der Fetus auf seinem Werdegang bis zur Geburt von einem Wasserlebewesen zu einem Landlebewesen entwickelt. Im Geschlechtsakt erfüllt sich die Sehnsucht nach dem Eintauchen in den Urschlamm, ja selbst nach einem Ertrinkungstod in ihm. Diese Hypothese, die Ferenczi während seiner Militärdienstzeit 1914/15 entwarf, ist nicht nur als Vorläuferin der Rank381

sehen Theorie vom Geburtstrauma anzusehen, sondern auch als Vorwegnahme des Freudschen Gedankens vom Todestrieb. Die Grundidee der „Bioanalyse" Ferenczis, nämlich daß die Ontogenese die Phylogenese nachvollziehe, wurde von Freud wie von Rank übernommen. Dank seiner fruchtbaren Phantasie erlitt Ferenczi das Schicksal des Biedermeier-Erfinders, wie etwa Josef Ressel: Seine Entdeckungen wurden zunächst ignoriert, dann von anderen wiederaufgegriffen und schließlich diesen Wiederentdeckern zugeschrieben. Noch erstaunlichere Hypothesen regte die ungarische Phantasie im Lebenswerk Lipot Szondis (geboren 1893) an. 4 Hatte Alfred Adler die Psychoanalyse auf die Gesellschaft im engeren Sinne angewendet, so untersucht Szondi ihre Relevanz für die Gemeinschafts-Gesellschaft. Szondi kam in Neutra als Sohn orthodox-jüdischer Eltern zur Welt, bekannte sich früh als Anhänger Freuds, mäßigte jedoch später seinen „Freudianismus" und verlegte sich mehr auf das Studium von Genealogien von Genies und Außenseitern. Während er für eine ungarische Kommission mit Kriminellen, Epileptikern und Neurotikern arbeitete, entwickelte er einen Test, bei dem in einer Serie sechsmal acht Photographien gezeigt werden: von einem Homosexuellen, einem Sadisten, einem Epileptiker, einem Hysteriker, einem Katatoniker, einem Paranoiker, einem Depressiven und einem Manischen. Indem er festhielt, welche Photographie eine Testperson am meisten anzog und welche sie am stärksten abstieß, tabellisierte Szondi die relative Intensität der acht den Bildern entsprechenden „Antriebe". Nachdem so tausende Ungarn getestet worden waren, gründete Szondi eine Disziplin, die er als Schicksalsanalyse (Anankologie) bezeichnete; sie untersuchte, wie diese Antriebe Lebensentscheidungen beeinflussen. Szondi hatte beobachtet, daß viele gesunde Menschen kränkliche heiraten, und leitete daraus eine Ahnentheorie der Partnerwahl ab. Er behauptete, daß die bei Liebe vorauszusetzende Anziehung ein Resultat gemeinsamer rezessiver Gene sei: verdrängte, von Vorfahren ererbte Züge erfüllen die Funktion eines naturgegebenen Ehestifters. Liebe entsteht nur zwischen Menschen, die eine Gen-Verwandtschaft aufweisen, das heißt die von gemeinsamen Vorfahren gemeinsame Züge ererbt haben. Szondi verankerte Freuds Ödipuskomplex in der Genetik und behauptete, daß jede Art von Liebe notwendig Inzest nach sich ziehe, wobei allerdings die Zivilisation den Inzest zwischen Blutsverwandten durch den zwischen Gen-Verwandten ersetzt habe. Bei Primitiven verbieten Ehetabus Heiraten zwischen Abkömmlingen gemeinsamer Großeltern und Urgroßeltern. In der städtischen Gesellschaft dagegen verfallen jene Individuen, die nicht über die Liebe zu Sippenmitgliedern oder Eltern hinaus zur Liebe zu einem Gen-Verwandten reifen, der Neurose oder gar einem Regressus zu perversem oder kriminellem Verhalten. Nachdem Szondi 1938 eine Studie zur ehelichen Partnerwahl veröffentlicht hatte, 5 vervollkommnete er seinen Test so weit, daß er damit angeblich feststellen konnte, wieweit die acht Antriebe ererbte Impulse vermitteln. Durch statistische Analysen von Tausenden von Paaren trachtete er, dem Studium der Liebe — oder Erologie - zu einem Platz unter den exakten Wissenschaften zu verhelfen. 1945 emigrierte Szondi aus Budapest nach Zürich, wobei seine Reise in Belsen durch eine kurze Inhaftierung unterbrochen wurde. Um auch zur Er382

hellung anderer Arten von Lebensentscheidungen etwas beitragen zu können, erweiterte er seine Theorie. Er setzte Entscheidung mit Schicksal gleich und erklärte, daß dieses Phänomen, wie auch der Charakter, eine Projektion des Unbewußten sei. Jede Auswahl — sei es die des Partners, des Berufs, von Freunden oder einer Neurose - ergibt sich aus ererbten Neigungen, insbesondere aus jenen, die rezessiven Genen anhaften. In einer zwischen Mann und Weib, zwischen Geist und Natur, Gott und Mensch gespaltenen Welt pries Szondi das Ich als den Vermittler; es zerstört keines dieser Reiche, wenn es sich müht, sie untereinander zu koordinieren. Der Ungar belebte von neuem Goethes Gedanken vom Ich als einem archimedischen Punkt, an dem die Gegensätze einander begegnen; das Ego des Menschen dient als Knotenpunkt des Universums. Durch statistische Forschungen versuchte Szondi einer im ungarischen Bewußtsein tief verwurzelten Überzeugung Gestalt zu geben, nämlich daß die tote Hand der Vergangenheit die Gegenwart regiere. Die Gene würden so Edmund Burkes Ausspruch erfüllen, wonach die Gesellschaft einen Kontrakt zwischen den Lebenden, den Toten und den noch Ungeborenen darstelle. Szondi hielt daran fest, daß jedes Leben einen Zweikampf zwischen dominierenden und rezessiven Genen auslöse, und vertrat damit einen Dualismus, der dem von Christian Ehrenfels ähnelte. Szondis Betonung der Bedeutung der Vorfahren griff ein Thema des österreichischen Dramas wieder auf: Grillparzer hatte in seiner Ahnfrau einen über den Vorfahren liegenden Fluch dramatisiert: eine ungesühnte „arme Seele" verfolgt ihre Nachkommen. Die siebenbürgischen Bauern in ihrer Furcht vor Vampiren und Dämonen kultivierten eine weitere Legende der über das Grab hinausreichenden Tyrannei. Mit gemessenem Pessimismus forderte Szondi den Fortschrittsglauben heraus. Um Alfred Adlers Glauben an den aus eigener Kraft gewordenen Menschen des Kapitalismus zurückzuweisen, deckte Szondi die Sachverhalte um erblich belastete Außenseiter einer bäuerlichen Gesellschaft auf. Gegen die Marxisten und andere Utopisten wies er auf die Tatsache hin, daß Psychotherapie lediglich dazu dienen könne, Entscheidungen zu erleichtern, die zwischen einigen wenigen, durch die Gene bestimmten Möglichkeiten noch zu treffen blieben. Er schalt die Existentialisten, daß sie jene Zwangsjacke einfach nicht zur Kenntnis nähmen, in die uns die Gene einengten. Mit Sartre stimmte er darin überein, daß sich ein Mensch durchaus für Krankheit, sogar für den Tod entscheiden könne; diese „Entscheidung" ist — nach Szondi — weitgehend durch das Erbgut bestimmt. Szondi hatte sich der Weisheit des Gemeinschaftslebens bemächtigt und wandte nun einen aus diesem Bereich stammenden Gemeinplatz auf die Gesellschaft an, nämlich daß es unmöglich sei, Dorftrotteln in die Gesellschaft einzugliedern. Eine rationale Gesellschaftsordnung wird solange nicht Fuß fassen können, als unsere Nachkommenschaft von doppelt rezessiven Genen verdorben wird. Wie sehr auch immer sich Szondi dem delibdb hingegeben haben mag - die Korrelationen zwischen Erbgut und Abartigkeit, die er in Horthys Ungarn entdeckte, verdienen weitere Aufmerksamkeit. Selbst die ansonsten keineswegs optimistisch veranlagten Genetiker haben Szondis Entdeckungen übersehen. Dieser Ungar hat den therapeutischen Nihilismus vermieden und zugleich eines der Haupt383

hindernisse für allgemeines Wohlbefinden aufgedeckt, das von den Reformern einfach übersehen worden war und gegen das nichts unternommen wurde. Der Film als Kunstform des magischen Denkens und des Impressionismus Die Vorzüge des Aktivismus und der Phantasie, die die Ungarn von den Österreichern unterschieden, reichten über die Psychoanalyse hinaus und erstreckten sich auch auf die Art, wie damals die Intellektuellen den Film beurteilten. Während die Österreicher diese technologische Kunstform beklagten, waren die Ungarn ihr gegenüber durchaus aufgeschlossen. Auf der einen Seite trat zum Beispiel Franz Kafka in Prag einem Filmklub bei; allein alles, was ihm das Kino zu sagen hatte, war, daß er es beunruhigend fand: „Das Kino stört das Schauen. Die Raschheit der Bewegungen und der schnelle Wechsel der Bilder zwingen den Menschen zu einem ständigen Überraschen. Der Blick bemächtigt sich nicht der Bilder, sondern diese bemächtigen sich des Blikkes. Sie überschwemmen das Bewußtsein. Das Kino bedeutet eine Uniformierung des Auges, das bis jetzt unbekleidet war." 6 Unter Berücksichtigung der phantasmagorischen Vorstellungskraft Kafkas ist es sehr gut möglich, daß er im Film einen Rivalen gesehen hat, der surrealistische Bilder in lebendigerer Form würde manipulieren können als er selbst. Egon Friedell zeigte zunächst jugendliche Begeisterung für den Film, wurde jedoch später zu einem seiner ätzendsten Kritiker. Um 1912 in Berlin hatte dieser Wiener Impressionist den Stummfilm als die Kunst des Zeitalters gepriesen. 7 Durch Skizzenhaftigkeit, Abruptheit und Auslassungen reproduziere er gerade jene wechselnden Perspektiven, die der modernen Empfindsamkeit so lieb wären — nämlich dem Impressionismus. Um 1930 dagegen beschimpfte Friedell das Kino als die Quintessenz all dessen, was er in dieser Nachkriegswelt verabscheute. Er warf es in einen Topf mit dem Flugwesen, dem Gaskrieg, dem Radium, der Atomtheorie und wetterte, daß diese Monstrositäten die Bewegung verherrlichten, während sie auf der anderen Seite jegliche heitere Gelassenheit unmöglich machten. Wie das Radio isoliere der Film den Künstler vom Publikum und lasse somit jenes Gefühl der Einzigartigkeit verlorengehen, das das Theater zu etwas Lebendigem mache. Friedell weinte der verlorenen Stille nach und schrieb: „Die menschliche Stimme hat Allgegenwart, die menschliche Gebärde Ewigkeit erlangt, aber um den Preis der Seele. Es ist der Turmbau zu Babel... Es werden durch Rundfunk bereits Nachtigallenkonzerte und Papstreden übertragen. Das ist der Untergang des Abendlandes." 8 Friedell verband hier die Nostalgie des Neobiedermeier mit der impressionistischen Wachheit gegenüber allem Neuen und klagte das Medium an, seine Welt umzustürzen. Noch bitterere Klagen brachte Joseph Roth vor, als er seine eigenartige Mischung von Vorliebe für das Alte und einem scharfen Auge für das Neue auf den Film anwandte. In der Abhandlung Der Antichrist (Amsterdam 1934) er384

innerte sich der Erzähler eines Erlebnisses aus seiner Jugend: Ein Wanderkino hatte den Dorfbewohnern zunächst Szenen vorgeführt, in denen eine nackte Kleopatra auftrat, und danach Filmberichte vom russisch-japanischen Krieg gebracht. Roth geißelte den Kinovagabunden, er habe die Schatten sterbender Soldaten mißbraucht, um die Blutgier seines Publikums zu schärfen. 9 Dieser Kapitalist habe zunächst die Libido aufgestachelt und dann noch die Schemen der Soldaten ausgeschlachtet, um die Zuschauer weiter zu entwürdigen. Anstelle eines echten Wunders habe er das Taschenspielerwunder der „lebenden Schatten" gesetzt und so die Aufgabe des Antichrist vollendet, wobei sich Hollywood als moderner Hades entlarve. Die Ungarn traten dem Film mit klarerer Urteilskraft gegenüber. Im September 1913 entwarf Georg Lukäcs in der Frankfurter Zeitung eine Ästhetik des Films. Er vertrat die Ansicht, daß das neue Medium eine eigene Integrität genieße, obwohl der Film niemals das Theater ersetzen könne. 10 In der Kunst, Spannungen aufzubauen, übertreffe das Kino die Bühne und verleihe den Kunstfertigkeiten eines Poe, Hoffmann oder Arnim neue Kraft, indem es das Gewöhnliche erhöhe. Künftighin sollte das Theater der Tragödie und der hohen Komödie vorbehalten bleiben, während es dem Film überlassen werden sollte, eine Welt zu schaffen, in der alles möglich sei, wie in einem Vergnügungspark. Das Kino hebe die Gesetzmäßigkeit der Kausalität, der Motivation, des Schicksals auf und projiziere Phantasien, die niemals das innere Leben reproduzieren könnten. Die Stummfilme hätten dem Menschen — obschon sie ihn seiner Seele, nämlich seines Vermögen zur Sprache, beraubt hätten - wenigstens seinen Körper wiedergegeben. Bei Lukäcs klingen schon die Ansichten eines anderen ungarischen Juden an - Béla Baläzs (1884 bis 1949) - , der 1924 die erste Untersuchung des Films veröffentlichte, die eine größere Leserschaft fand. Baläzs wurde in Szeged geboren, verarbeitete volkstümliches Erzählgut zu Romanen und Theaterstücken und schrieb auch Libretti zu einaktigen Opern wie Bartóks Herzog Blaubarts Burg (1911) und Der holzgeschnitzte Prinz (1916). Lukäcs führte die Verteidiger solcher Wiederbelebungen von Märchen und Wundergeschichten an." 1917/18 unterrichtete Baläzs, der damals bereits Marxist war, an Karl Mannheims Freier Schule der Geisteswissenschaften; er hielt dort ein Seminar über ungarische Lyriker. Da er Béla Kun unterstützt hatte, floh er 1919 nach Wien, wo er sich unter dem Einfluß Alexander Kordas einem intensiven Studium des Films zuwandte. Er schrieb einige Drehbücher und setzte mit seiner Abhandlung Der sichtbare Mensch oder Die Kultur des Films (Wien 1924) eine Pionierarbeit auf dem Gebiet der Filmdramaturgie. 1930 revidierte er diese Schrift, um auch noch den Tonfilm einzuschließen; sie erschien nun unter dem Titel Der Geist des Films (Halle 1930). Nachdem er die Hitlerjahre in Moskau verbracht hatte, setzte er mit Der Film — Werden und Wesen einer neuen Kunst (Wien 1949) den Schlußstein seiner Ästhetik. 1924 drängte Baläzs darauf, den Film in das Parlament der Künste aufzunehmen. Von seiner Dramaturgie erwartete er, daß sie „Cineasten" und Publikum gleichermaßen die Augen öffnen würde, wobei er frohlockend darauf hinwies, daß die 200 Kinos in Wien an einem einzigen Tag nicht weniger als 385

300.000 Zuschauer aufnehmen konnten.12 Balazs erwartete sich vom Film, daß er in einer überliterarischen Kultur ein Gegengewicht darstellen würde, aus dem die Menschen lernen könnten, mittels ihrer Körper zu kommunizieren, und pries den Tanz der Ruth St. Denis, die Pantomime und den Jugendstil, die sie den Menschen doch noch sichtbar gemacht hätten. Der Film verbreite ein Vokabular an Gesten und setze damit eine brauchbare internationale Sprache ein. Als Marxist jubelte Balazs dem Film zu, weil er Dinge des werktätigen Alltags hochhebe, die den arbeitenden Klassen vertraut seien. Bedauerlicherweise bleibe allerdings die Herstellung von Filmen dem Großkapital vorbehalten, das über die Figur des Detektivs zur Feier der Verehrung des Geldes aufrufe. Detektivfilme erhöben den Detektiv zu einem heiligen Georg des Kapitalismus, der das Privateigentum gegen Räuber verteidige, die es nach dem Heiligen Gral der Habgier gelüste. Solche Filme begeisterten nach Balazs die Angehörigen der unteren Mittelschicht, die die Zügellosigkeit der Kriminellen, mit der diese sich über jegliche Respektabilität hinwegsetzen, in Wahrheit beneideten. Balazs bedauerte zutiefst, daß in fiktiven Szenen Wohnungen reicher Leute glorifiziert und damit echte Werte von bloßer Dekoration verdrängt würden. Schon 1924 stellte Balazs seine Kenntnisse in der Technik des Filmmachens unter Beweis. Nahaufnahmen, so stellte er fest, seien einzigartig für den Film und grenzten ihn von anderen Medien ab. Dadurch, daß sie winzigste Details vermitteln können, fesseln Nahaufnahmen besonders Kinder, die ja viel eher als Erwachsene bereit sind, auf Details zu achten. Sinnvoll auf einen ganzen Film verteilt, setzen Nahaufnahmen noch nie dagewesene Akzente und geben dadurch auch Aufschluß über das Einfühlungsvermögen eines Regisseurs. Der Film kann - wie kein anderes Medium — die Größe etwa des Meeres, eines Sturmes oder einer Wüste vermitteln und so die Ehrfurcht vor der puren Unermeßlichkeit wachrufen. Der Ungar pries besonders den von ihm so bezeichneten Impressionismus im Film, der darin bestehe, daß Ereignisse ausschließlich als durch das Auge einer Hauptperson betrachtet wiedergegeben werden; dadurch, daß das Publikum genau das miterlebt, was einem Schauspieler widerfährt, identifiziert es sich völlig mit diesem. Was Lukacs und Friedeil als Defekt erschien, nämlich das Fehlen lebendiger Darsteller, wurde von Balazs begrüßt. Er trennte den Text eines Stückes von dessen Aufführung und hielt es für irrig, die Interpretation einer Rolle durch einen Schauspieler mit der geschriebenen Version zu vergleichen. Glücklicherweise gebe es im Film keine geschriebene Version, durch die äußerliche Maßstäbe an das Werk selbst angelegt werden könnten. Nicht der Drehbuchautor, sondern die Schauspieler und der Regisseur sind die Poeten, die in dieser Kunst der Oberflächen, in der die Texte in die Mimik einfließen, das Drama improvisieren. Dem Film ist es letztlich zu danken, daß nunmehr doch Gesichter den Prämissen der Physiognomen des 18. Jahrhunderts gerecht werden können, nach welchen äußere Züge ein inneres Leben widerspiegeln: Die Schönheit eines Gesichtes bezeichnet gleichzeitig eine Schönheit des Charakters, häßliche Gesichtszüge dagegen bedeuten Bösartigkeit. Während Der sichtbare Mensch den Stummfilm pries, begrüßte Balazs in Der Geist des Films den Tonfilm. Nach 1945 bezog er eine vermittelnde Posi386

tion und meinte, Stumm- und Tonfilm stellten zwei verschiedene Kunstformen dar. Er wiederholte seine schon 1924 geäußerte Uberzeugung, daß das Fehlen des Tones die visuelle Poesie intensiviere. Seine Versuche, die Sprache des Films zu umreißen, gingen parallel mit der Sprachphilosophie eines Mauthner oder Wittgenstein. Wie sie bedauerte auch er die Beschränktheit des gesprochenen Wortes, und gemeinsam mit Buber und Ebner rief er den Menschen auf, dem Mitmenschen offener gegenüberzutreten, als dies im gedruckten Wort möglich sei. Während Baläzs meinte, die Geste sei das beste Mittel, aus dem Solipsismus herauszutreten, priesen Buber und Ebner den Dialog. Als Verehrer der Folklore bezeichnete Baläzs den Film als modernes Märchen, das die tiefstverwurzelten Instinkte des Menschen anspreche, wie Hanns Sachs den Film deshalb schätzte, weil er den Zustand des Traumes reproduziere, um den jede Kunst sich bemühe. Dadurch, daß der Film Phantasien verschenke, stelle er die populärste Kunstgattung des Jahrhunderts dar. Allerdings sei er in jenem Sinn populär, warnte Baläzs, daß er sein Publikum forme, nicht dadurch, daß das Volk ihn forme. Schon 1924 erkannte Baläzs die dunklen Zielsetzungen, die die neue Kunstgattung erniedrigen würden. Eine bündigere Soziologie des Films stammt von einem Kollegen Baläzs' an der Freien Schule der Geisteswissenschaften, Arnold Hauser (geb. 1892), der dort über Dilettantismus las. Hauser wurde in Temesvär geboren, studierte bei Georg Simmel und Max Weber wie auch bei Henri Bergson und Gustave Lanson in Paris und betrieb dann, beeinflußt von Max Dvorak, in Italien kunstgeschichtliche Studien. Von 1921 bis 1924 studierte er in Berlin bei Ernst Troeltsch und Werner Sombart und eignete sich dort die Grundlagen für eine großartige Synthese an, die er in seiner zweibändigen Sozialgeschichte der Kunst und Literatur (München 1953) vorlegte. Diese quasimarxistische Abhandlung, die sich besonders in der Darstellung von Strömungen aus der Zeit nach 1830 auszeichnet, gipfelt in einer Untersuchung des Films, die Hauser zwischen 1924 und 1938 in Wien ausgearbeitet hatte. 13 Hauser interpretiert den Film als die Kunstform der Maschine, die sich insbesondere zur Vermittlung von Erkenntnissen eigne, denen der Wiener Impressionismus den Weg geebnet habe. Im Film kristallisiert sich nach Hauser der Impressionismus, insofern hier das Erlebnis der Schnelligkeit eingefangen wird, das unter städtischen Intellektuellen zu nervöser Unrast f ü h r t . W i e Altenberg Skizzen angefertigt hatte von Fremden, die ein Kaffeehaus betraten u n d wieder verließen, so zeichnet auch die Kamera ein K o m m e n u n d Gehen auf. Der Film stellt Szenen, die in Zeit u n d Raum weit voneinander entfernt sind, einander gegenüber und verleiht damit isolierten Ereignissen eine Art Gleichzeitigkeit, wie Schnitzler in inneren Monologen unzusammenhängende Erinnerungsstücke ineinander verwob. Lebendiger noch als die Psychoanalyse zeichnet der Film „das beständige Sichkreuzen und Ineinandergreifen zweier verschiedener Linien des Spieles". Hauser vergleicht diese Technik mit expressionistischen Dramen, wie etwa denen Paul Adlers, in denen die in Raum und Zeit getrennten Ereignisse als „in einer Vision gleichzeitig auftauchend" dargestellt werden. 1 4 Der Film gibt der Zeit eine räumliche Dimension: Gegenwärtiges wird durch eine Intensivierung der Vorliebe für den schwindenden Augen387

blick glorifiziert. Hatten die Christen des Mittelalters über die Zukunft gegrübelt — das Leben nach dem Tode die Romantiker über die Vergangenheit, so zwingt die Technologie den Menschen des 20. Jahrhunderts zur Anbetung der Gegenwart. Die Veränderungen folgen einander so rasch, daß der Mensch nur in einem flüchtigen „Jetzt" Erholung finden kann. Auch Broch war von einer vergleichbaren Begeisterung für Filmmontagen erfüllt. Abgesehen davon, daß er Filmdrehbücher schrieb, versuchte er in den drei Bänden von Die Schlafwandler (Zürich 1931/32) und in Der Tod des Vergil (New York 1945) gleichzeitige Ereignisse zu koordinieren.15 In der Darstellung des Wiener Impressionismus erweist sich Hauser als einer der letzten Exponenten desselben. Hauser, alles andere denn ein Feuilletonist, ist Friedeil an Kühnheit wie im Uberblick durchaus ebenbürtig, an Scharfsinn sogar noch überlegen. Besonders durch seine Verbindung mit Dvorak und Weber vielseitig ausgebildet, interpretierte Hauser die westliche Geschichte nach Prämissen, die an Mannheim erinnern. Diese beiden ungarischen Intellektuellen erkannten deutlich, wie eng Denken und Gesellschaft ineinander verflochten sind, indem jeder Faktor die Möglichkeiten des anderen gleichzeitig vervielfältigt und behindert. In seiner Stellungnahme, die zu Ungarn besser paßt als zu jeder anderen Nation, sagte Hauser: „In Kunstwerken gibt es immer einen bewußten oder unbewußten praktischen Zweck, ein Manifest oder eine latente propagandistische Tendenz."16 Gleichsam als wäre die Welt von delibdb regiert, verzerre der Mensch die Wirklichkeit, um dasjenige wahrnehmen zu können, was er gerne sehen möchte. Da Denken auch immer magisches Denken miteinschließe, könne Wahrheit immer nur teilweise gegeben sein und müsse irreführen, indem sie dem den Impressionisten so wichtigen Perspektivismus zu seinem Recht verhelfe. Eine solche Weltanschauung verallgemeinert die Verzerrung: „Der Gedanke, daß Menschen ihr Leben im Verborgenen zubringen, verborgen vor sich selbst und vor anderen, daß die Wahrheit menschlicher Erkenntnis bestenfalls Wahrheit von einem bestimmten Gesichtspunkt aus ist, daß sich die Wirklichkeit uns nur in ständig sich wandelnden und niemals allgemeingültigen Formen mitteilt, ist nichts anderes als impressionistisches Denken." 17 Hauser bereichert die dauernd wechselnden Perspektiven Schnitzlers und Freuds durch die ungarische Leidenschaft für die Politik und durch die marxistische Einsicht, daß niemand sich von einer Gruppe isolieren könne. Um den Marxismus mit dem Impressionismus zu versöhnen, verlangte Hauser einen unaufhörlichen Wandel: „daß die Entwicklung einen dialektischen Prozeß darstellt, in welchem jeder Faktor in Bewegung begriffen und einem fortwährenden Bedeutungswandel unterworfen ist, in welchem es nichts Statisches, nichts zeitlos Geltendes, aber auch nichts einseitig Wirkendes gibt ,.."18 Demgemäß muß der Impressionismus sowohl das Zeitlose als auch das Flüchtige umfassen. Genau diesen Forderungen versuchten Alexius Meinong und Edmund Husserl in der Philosophie gerecht zu werden; Martin Buber und Ferdinand Ebner in der Theologie; Hans Kelsen und Othmar Spann in der Gesellschaftstheorie; Robert Musil und Hermann Broch im Roman. Daß so mancher 388

Denker, der behauptete, den Impressionismus abzulehnen, sich nolens volens an dessen Grundsätzen orientierte, ist ein Paradoxon der „fröhlichen Apokalypse". Hier gab es keine Erfahrung, die zu niedrig oder zu geringfügig gewesen wäre, als daß sie nicht in die Geschichte des Menschen aufgenommen worden wäre. D i e Impressionisten in ihrer Gier nach Neuem und in ihrem beständigen Wachen über das Alte kultivierten eine proteushafte Empfindsamkeit, die sie in die Lage versetzte, jede Lehre eines jeden Zeitalters zu verinnerlichen. Obwohl so mancher Sektierer die Offenheit gegenüber der Vielfalt als kindlich bekämpfen wird, bietet gerade sie den sichersten Führer in die Vergangenheit, insbesondere wenn sie noch angereichert ist vom H a n g des Impressionisten zum Aufdecken verborgener Strukturen. U m die gesamte Vergangenheit so ins Auge zu fassen, wie sie an die Gegenwart rührt, muß der Historiker Vorurteile zu Perspektiven umgestalten und Neigungen zu Werkzeugen. Weder Idealismus noch Positivismus, Universalismus oder Nominalismus, nicht Gemeinschaft oder Gesellschaft könnten allein genügen. U m die Vergangenheit aus deren eigenen Bedingungen zu begreifen, müsse jeder Spezialist die vorgefaßten Meinungen eines jeden Zeitalters selbst durchleben, ehe er sie in die bestehenden Gegebenheiten integriere. Nur die Fähigkeit, Oberflächen mit Strukturen zu koordinieren, könne dieser Aufgabe gerecht werden. Seit 1945 hat Hauser eine Vision vom Wachsen und Werden der Menschheit vorgelegt, die zugleich allumfassend ist und doch wieder einzigartig, weil es eben die seine ist. In seiner Destillation der westlichen Kultur spiegelt sich das Paradoxon des Impressionismus und das der Kreativität: das Allgemeinste ist zugleich auch das Persönlichste. Hauser koordiniert Breite und Tiefe und zeigt, wie großartig das Habsburgerreich seine Gelehrten in die Lage versetzte, Neuerungen zu würdigen. O b Österreicher und Ungarn die Moderne nun angriffen oder ob sie ihr zujubelten - sie sind so tief in sie eingedrungen wie nur möglich.

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Teil VI

Wahrsager der Moderne

Die Ambrosia der früheren Jahrhunderte ist das tägliche Brot der späteren. Marie von Ebner-Eschenbach

28. DIE FRÖHLICHE APOKALYPSE

Kritiker der Technologie Die österreichischen Schriftsteller waren die vielleicht schärfsten Gegner der Moderne. Ihre Kritik wurzelte in Biedermeier-Einstellungen; Nostalgie, Liebe zum Schauspiel, Verliebtheit in das Ländliche, Freude an Miniaturen und die Passivität gegenüber der Bürokratie waren für fast jeden österreichischen Intellektuellen seit 1800 charakteristisch. Diese Neigungen wurden durch das Debakel von 1848 noch vertieft, gerade zu der Zeit, da die Naturwissenschaften als eine Art des kontemplativen Lebens zu einigem Ansehen gelangten. Nach 1870 verbreitete fortgesetzte wirtschaftliche Stagnation unter der Mittelschicht Angstgefühle, die Neureichen dagegen pflegten den Geschmack des Biedermeier. Ihre Nachkommen waren es, die in den neunziger Jahren den Ästhetizismus zum Impressionismus umgestalteten. Die nächste Generation wurde vom Ersten Weltkrieg gleichsam ausgelöscht — das Hinscheiden des Reiches und allzuvieler junger Männer verdoppelte die Nostalgie. Nach 1918 galt den österreichischen Intellektuellen ein Ausspruch, den Karl Kraus anläßlich des Untergangs der „Titanic" geprägt hatte, als Erklärung für die Niederlage ihres Landes: daß dies Gottes Rache ex machina an den Anbetern der Maschine gewesen sei.1 Selbst nach dem Krieg betrachteten die meisten Wiener ihre Stadt noch immer als den Nabel der Welt. Wien, diese farbenfrohe Metropole, und ihre nähere Umgebung, eingebettet zwischen rebenbewachsenen Hügeln und durchzogen von einem mächtigen Strom, schien den Großteil aller Unbilden städtischen Lebens gebannt zu haben. Abgesehen von den Brandreden Karl Kraus', war es hauptsächlich Prag, wo sich das würgende Unbehagen im Großstadtleben breitmachte. In Barbara oder die Frömmigkeit verglich Werfel den Strom der Bauern nach den Städten mit einer großen Flucht, einer Flucht aus der Gemeinschaft in die Anonymität der Masse. Der hauptsächlich als surrealistischer Zeichner bekannte, aus Böhmen stammende Alfred Kubin (1877-1959) schrieb eine AntiUtopie, Die andere Seite. Ein phantastischer Roman (München 1908); hier wird eine Industriestadt als ein von einem unsichtbaren Tyrannen regiertes Irrenhaus geschildert. 2 Ehrenfels gab der Stadt die Schuld am Ansteigen des Alkoholismus und an der Vernachlässigung von Kindern, da die Technologie eine natürliche Selektion durch Tötung der Untüchtigen verhindere. Der aus Mähren stammende Jude Jakob Julius David (1859-1906) beklagte sich über den Niedergang der Studenten aus ländlichen Bereichen, die in Wien dahinwelkten. Bei den Wienern war es Herzl, der die Juden zu einer Rückkehr zur Scholle veranlassen wollte, auf daß sie es nicht mehr nötig hätten, die Werte einer städtischen Zivilisation zu umschmeicheln. Oskar Kokoschka ekelte es vor der An393

Sammlung der Massen in Städten, die zu klein waren, sie zu fassen, und der aus Salzburg stammende Georg Trakl beschrieb in Vorstadt im Föhn, wie das Blut aus den Schlachthäusern eine ganze Vorstadt besudelt. In Gedichten wie Die Teilnahmslosen und Die Dinge und wir klagte Alfons Petzold, daß in Fabriken Menschen zu Maschinen gemacht würden; anstatt sich an der Schöpfung Gottes zu erfreuen, hockten die Arbeiter stumpf vor ihren Geräten. Die von diesen Kassandras beklagten Entartungen erschreckten nach dem Ersten Weltkrieg nahezu jedermann. In Schriftsteller und totalitäre Welt (Bern 1967) skizzierte Wolfgang Rothe, wie der Krieg eine, wie er es nannte, totalitäre Welt schafft, in der der Einzelne von einer Kriegsmaschinerie überwältigt wird. Wie in einer Travestie des Wunsches von Neurath, man möge die Wirtschaftsverhältnisse des Krieges im Frieden beibehalten, verlangt der totale Krieg eine totalitäre Regierung, um die Rohstoffreserven zu koordinieren. Statt wie bei Clausewitz ein Instrument der Politik zu sein, wird der Krieg zu einem Ersatz für Politik. Die Sprache spiegelt allmählich ein militärisches Ethos des Befehlens und Eroberns wider und verkörpert damit eine Ich-Isolation, wie Ebner es wohl genannt hätte. Prostitution und Drogenhandel nehmen zu — es muß ja für das Wohlbefinden der Soldaten gesorgt werden, die nur Engelsgesichter sehen sollen, von Propagandaplakaten herablächelnd.3 Die Duplizität, die Osterreich schon zuvor befallen hatte, durchdrang nunmehr auch den Rest Europas. In Rothes totalitärer und totalisierter Welt wurde die Umwelt mobilisiert, um die Individualität dadurch zu ersticken, daß man sie mit einer selbst-vergöttlichten Bürokratie konformierte. In einer Gefängniswelt fühlten sich die Juden extrem hilflos, und an ihnen kristallisierte sich die Entfremdung des Autors vom Publikum, die bereits einen Großteil Europas erfaßt hatte und die der Krieg schließlich auch nach Ungarn brachte. Rothe bemerkt Anklagen gegen die Bürokratie in Romanen von Musil, Kafka und Broch und solche in Versen bei Rilke und Hofmannsthal. Diese Seher erkannten, daß die Zivilisation ins Wanken geraten war, und stellten die Anarchie der Impulse, die auf den Krieg folgte, den Vorboten des Unheils gegenüber, die ihm vorangegangen waren. Als Musil in seinem Roman Der Mann ohne Eigenschaften (Berlin und Lausanne 1931/1943) die Trägheit des Wien von 1913 wiedererstehen ließ, zeichnete er das Bild einer totalisierten Welt. Sein Protagonist Ulrich ist ein „Möglichkeitsmensch", der wie die Ästheten des Jungen Wien die Betrachtung des Möglichen einer Beeinflussung des Bestehenden vorzieht. Im Einklang mit seinem Prinzip des unzureichenden Grundes kann Ulrich niemals entdecken, warum ein gegebener Sachverhalt eher existieren sollte als irgendein anderer. Ulrich ist zu mißtrauisch, um die Intrigen und Verbrechen, die rund um ihn her geschehen, entweder gutzuheißen oder zu verhindern, und er tröstet sich schließlich in marcionitischer Liebe zu seiner Schwester. Wie Broch, Ebner und Rank beschuldigt auch Musil die Rationalität, daß sie eine Selbsterfüllung vereitle: „Die innere Dürre, die ungeheuerliche Mischung von Schärfe im Einzelnen und Gleichgültigkeit im Ganzen, das ungeheure Verlassensein des Menschen in einer Wüste von Einzelheiten, seine Unruhe, Bosheit, Herzensgleichgültigkeit ohnegleichen, Geldsucht, Kälte und Gewalttätigkeit, wie sie unsre Zeit kenn394

zeichnen, sollen nach diesen Berichten einzig und allein die Folge der Verluste sein, die ein logisch scharfes Denken der Seele zufügt!" 4 Musil sehnte sich nach einer Gemeinschafts-Gesellschaftsform, in der man wieder eine Leibnizsche Ganzheitsbezogenheit pflegen würde. In Osterreich entstanden viele Verurteilungen des Krieges. Die apokalyptischen Visionen des aus Prag stammenden Paul Adler wurden bereits erwähnt. Ein anderer Pessimist, Albert Ehrenstein, verunglimpfte den Gott, der eine solche Verheerung zulassen konnte; er fragte ihn: „Was bist du ohne mich, den Menschen? Weniger als ich ohne dich." 5 In rasenden Prophezeiungen wie Stimme über Barbaropa und Ich bin des Lebens und des Todes müde schmähte Ehrenstein den Krieg und rief den Himmel zum Zeugen jener Schlächterei an, die die Erde besudelte. Im Roman Die Kapuzinergruft (1938) meint Roth, daß der Weltkrieg seinen Namen deshalb verdiene, weil jeder seine Welt verloren habe. Der Krieg zerstörte das Privatleben und beschleunigte damit die Begierden: Junge Männer, die vor einer Ehe und der Gründung einer Familie bisher zurückgeschreckt waren, beeilten sich im August 1914, dies nachzuholen, um ihrem bevorstehenden Tod noch rasch einen Sinn zu geben. Übermütig gingen sie dann in den Kampf, um nur ja nicht zu überleben und wieder der häuslichen Langeweile verfallen zu müssen. 6 Werfel beschrieb in Die vierzig Tage des Musa Dagh (Wien 1933) den Faschismus eines türkischen Diktators, der Armenier aussiedelte und einkerkerte, um weiterhin die Macht der Kriegszeit auszukosten. In dem einst häufig aufgeführten Drama Wunder um Verdun (Berlin 1931) schockierte der aus Wien stammende Hans von Chlumberg (1897—1930) sein Publikum dadurch, daß er die Gefallenen auferstehen ließ: sie wollen den zwanzigsten Jahrestag des Ersten Weltkriegs feiern. Aber während sich Touristen auf den Militärfriedhöfen ergehen und Staatsmänner die Toten preisen, verwerfen die wiederauferstandenen Soldaten die Welt, deren Heuchelei zu retten sie gestorben waren. 7 Die Antikriegsschrift Black Monastery (1931), ein vergessenes Meisterwerk von Aladär Kuncz, stellte den Totalitarismus der französischen Verwaltung bloß. Der Schock, den die Invasion Frankreichs hervorgerufen hatte, führte zu drakonischen Maßnahmen gegen unschuldige Touristen. Nahezu fünf Jahre lang schmachteten Kuncz und weitere 5000 Deutsche, Österreicher und Ungarn in antiken Gefängnissen, wo sie von sadistischen Wachmannschaften gepeinigt wurden. In seinen verzweifelten Bemühungen, dieser ihm auferlegten Prüfung einen Sinn zu verleihen, wurde Kuncz zu einem Vorläufer Heideggers und Sartres, indem er entdeckte, daß der Zerfall der Tradition den Menschen dazu zwinge, eigene Werte zu schaffen. Niemand hat so treffend wie er das Werden einer totalitären Welt beschrieben. Der Ungar konnte ja nicht wissen, daß die österreichische Obrigkeit internierte Fremde in vielleicht noch schändlicherer Weise mißhandelte. Im August 1914 wurden Polen und Serben aller Altersstufen von ihren Urlaubsorten verschleppt und ohne die geringste Benachrichtigung ihrer Angehörigen eingekerkert. In Lagern wie Gran oder Thalerhof bei Graz wurden Damen der polnischen Oberschicht dazu gezwungen, vor grölenden Soldaten nackt zu baden, während slawische Priester die Latrinen putzten. 8 Die Wachen fanden Gefallen 395

am Verprügeln britischer Zivilisten, die keine Bestechungsgelder aufbringen konnten, mit denen sie sich das Privileg hätten sichern können, lediglich unter Hausarrest gestellt zu werden. Dergleichen Terrorismus ist heute weitgehend in Vergessenheit geraten, wie auch alles, was Kuncz gelitten hatte. Der profilierteste Antimilitarist Österreichs war Karl Kraus, der den Krieg während seiner gesamten Dauer heftig anklagte und schließlich aus Zeitungsausschnitten sein Monsterdrama Die letzten Tage der Menschheit kompilierte. In der Figur des Nörglers gab er einer thersitesartigen Verachtung für alles Kriegerische Ausdruck, im Optimisten dagegen machte er die Fähigkeit des Österreichers, jedes Verhalten durch Drehen und Wenden einer Frage nach allen Seiten zu rechtfertigen, zum Gegenstand der Satire. Besonders den von Roda Roda geleiteten Pressedienst und die Kriegsgewinnler geißelte er bis aufs Blut und setzte damit dem Wahnsinn dieser Zeit ein Denkmal. Kraus beschuldigte auch sich selbst, dem Massenselbstmord Vorschub geleistet zu haben, indem er ihm als Chronist gedient habe. Seine Collage, aufgebaut wie ein Nachrichtenblatt, das aus dem Verflechten von Exzerpten aus der Tagespresse zusammengestellt wurde, nahm den halbdokumentarischen Roman der neuen Sachlichkeit vorweg. Der Krieg führte in eine Apokalypse des Industrialismus hinein und erfüllte, was Kraus 1908 prophezeit hatte: „Wir waren kompliziert genug, die Maschine zu bauen, und wir sind zu primitiv, uns von ihr bedienen zu lassen. Wir treiben einen Weltverkehr auf schmalspurigen Gehirnbahnen." 9 Unversöhnlicher Antimechanismus wurde auch von Werfel zum Ausdruck gebracht, der die Christenheit beschwor, die Gemeinschafts-Gesellschaftsform wiederherzustellen, um das Autodafé der Technologie hintanzuhalten: „Der Staat, der Krieg, die Wissenschaft, eine unendliche Kette vampyrischer Attrappen, die mit Blut getränkt werden müssen, um das Antlitz des Lebens zu bekommen." 10 Der Gedanke von der blutdürstigen Maschine erhielt in Gustav Meyrinks (1868—1932) dreibändiger Novellensammlung Des deutschen Spießers Wunderhorn (München 1913, Neudr. 1970) seine klassische Formulierung. Meyrink kam in Wien als Sohn eines schwäbischen Politikers und einer deutschen Schauspielerin namens Meyer zur Welt, von deren Namen er sein Pseudonym ableitete. Er arbeitete zunächst als Bankbeamter in Prag. 1903 wurde er fester Mitarbeiter des Simplicissimus. In seinen Vorkriegsnovellen beschrieb er wahnsinnige Wissenschaftler in allen erdenklichen Spielarten und schuf Bilder des Weltunterganges und der Entmenschlichung von marcionitischer Perversität. Als Meister der Spannung nach der Art E. T. A. Hoffmanns oder Edgar Allan Poes entwarf Meyrink Phantasmagorien. In Die Pflanzen des Dr. Cinderella beschwor er die Vision einer Pflanze, bestehend aus menschlichen Augen, die durch ein System von Blutgefäßen miteinander verbunden sind. In Das Präparat entdekken zwei Freunde, daß der Körper eines ermordeten Kollegen von einem persischen Professor zu einem funktionierenden Automaten präpariert worden war. In Dr. Lederer entwickelt ein Wissenschaftler einen Projektor, der Bilder auf das Firmament wirft; durch eines von diesen wird schließlich eine schwangere Frau 396

veranlaßt, ein Kind zu gebären, das die Züge des Porträts trägt, das in der Nacht der Geburt auf den Himmel projiziert worden war. In Die schwarze Kugel stellen zwei Hindu eine Kugel aus, die negatives Sein freisetzt, das schließlich das gesamte Universum ins Nichts einsaugt. Mit naturalistischen Detailzeichnungen gibt Meyrink dem unwahrscheinlichsten Schrecklichen den Anschein des Alltäglichen. In seinem Roman Der Golem (Leipzig 1915) gab er der Legende vom Rabbi Low (ca. 1 5 2 5 - 1 6 0 9 ) , einem Ratgeber Rudolfs II., welcher aus Ton einen Automatenmenschen schafft, der die Straßen Prags terrorisiert, neue Gestalt. Mit solchen dämonischen Figuren klagte Meyrink eine Wissenschaft, die den menschlichen Körper auszehre und den Kosmos verderbe, als schwarze Magie an. Einige von Meyrinks Phantasien sind inzwischen als Resultat der industriellen Umweltverpestung Realität geworden. 1930 besuchte Joseph Roth einen Landstrich westlich von Leipzig, der durch die Abfälle der Ammoniakfabriken in Leuna völlig verödet worden war; das Dorf Rundstedt war ausgestorben, die Vegetation vernichtet. Roth verglich diese vom Menschen hervorgebrachte Verwüstung mit der eines Schlachtfeldes: „Und ich ging zu Fuß durch die sterbende Natur, es war wie ein Krankenbesuch, nein, wie ein Leichenzug. Und der Sterbende war schon eine Leiche und sein eigener Friedhof zugleich ... Der Moder ist hier gesünder als das Leben, die Fäulnis ist fruchtbar und mordet die Gesundheit, der Gestank tötet den Duft, und das Geheul betäubt den Gesang." 11 In dieser Apokalypse haben die Abgase der Fabriken die Natur geschändet, um einige wenige zu bereichern. Die vielleicht blankste Verzweiflung brachte Oskar Kokoschka zum Ausdruck, als er 1945 in London folgendes predigte: „Wir kümmern uns nicht um den Gestank, den die Scheiterhaufen verbreiten, auf denen der Leichnam unserer Welt eingeäschert wird. Seit dem Tod des Humanismus ist der Mensch ohne Seele, es ist ihm gleichgültig geworden, ob er lebt oder stirbt. Der Vormarsch der industriellen Zivilisation wird durch völligen Ruin und Zerstörung gekennzeichnet sein, wie der Pfad der wilden Horden, die einst in Europa einfielen. Es wird kein Bildnis des modernen Menschen übrigbleiben, da er das Gesicht verloren hat und sich wieder dem Dschungel zugewandt hat." 12 Kokoschka mit seinem therapeutischen Nihilismus sträubte sich nicht weniger als Roth und Kraus gegen eine Welt, die alle Werte, die dem Menschen je etwas bedeutet hatten, mit Füßen trat. Schon vor dem Ersten Weltkrieg hatten sich junge Intellektuelle von der Doppelzüngigkeit und Genußsucht in Österreich abgestoßen gefühlt. Diese Sintflut aber führte zu einer Wendung, die die Vorkriegszeit als Idylle erscheinen ließ, aus der sich ein Zeitalter gebar, das nichts Menschliches mehr an sich hatte. Die „fröhliche Apokalypse" war zum Alptraum geworden.

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Doppeldeutigkeit als Ansporn der Kreativität In dem hier behandelten Zeitraum haben Österreicher im Gegensatz zu den Ungarn durchwegs an Minderwertigkeitsgefühlen gelitten. Wie Schnitzler im Dezember 1914 an seine Schwägerin schrieb, bedeutete die Bezeichnung echt österreichisch etwas Abfälliges, dagegen etwas als echt deutsch zu bezeichnen hieß, es „edel, stark und schön" zu nennen. 13 Sowohl in Osterreich als auch im Ausland wurden Züge des Habsburgerreiches, die es von verwestlichteren Nationen unterschieden, getadelt - Schlamperei, Protektion, Partikularismus, Asthetizismus —, die konstruktiven Aspekte dieser Züge jedoch — Toleranz, Großzügigkeit, Unabhängigkeit und Kreativität — wurden kaum erwähnt. Fremde und Österreicher betonten gleichermaßen die Fehler, als schlössen sie Tugenden völlig aus; in den Worten des aus Wien stammenden Ernst Stein (1901-1968) deuteten sie „die Anmut als Seichtheit und die Melancholie als Pose; den Überschuß an Stimmungen als Mangel an Grundsätzen; die scheinbare Leichtigkeit des Schaffens als Oberflächlichkeit; die unvergleichliche Gabe des Aperçus als kleine Form; die unwiderstehliche Atmosphäre als Lokalkolorit, aber den Griff ins Europäische als Uberhebung — ein fideles Nest von Widersprüchen, die manchem Großen das Leben verbittert haben."14 Diese Paradoxa führten zu Grundhaltungen, die wir als Haßliebe, Ambivalenz und Doppeldeutigkeit oder Doppelzüngigkeit bezeichnet haben. Wenn Freud behauptete, daß die Ursprünge der Neurose in einer Haßliebe den Eltern gegenüber zu suchen seien, so diagnostizierte er zugleich auch die Einstellung des Österreichers gegen sich selbst und sein Land. Die Ambivalenz konnte bis zum Selbsthaß führen, wenn zum Beispiel Nestroy einer seiner Figuren folgende Worte in den Mund legt: „Ich glaub' von jedem Menschen das Schlechteste, selbst von mir, und ich hab' mich selten getäuscht."15 Der Selbsthaß, der bei Juden besonders ausgeprägt war, konnte seine Opfer zur Kreativität anspornen oder durch Selbstmitleid zum Krüppel werden lassen. Besonders an Institutionen, deren Tätigkeit in krassem Widerspruch zu ihrem eigentlichen Zweck stand, gedieh die Zweideutigkeit. Der Kaiser, dessen Bild jedes Klassenzimmer schmückte und dort als Vorbild der Rechtschaffenheit diente, verletzte die primitivsten Anstandsregeln, indem er seine Familie und seine Untergebenen schikanierte. Er brüskierte seinen Sohn, vernachlässigte seine Frau, demütigte die Frau seines Thronfolgers und düpierte loyale Untertanen. Uberholte Einrichtungen wie die Pressezensur wurden so nachlässig gehandhabt, daß sie sich selbst karikierten. Andere bereits verfallende Vorschriften wurden einfach ignoriert und der Bürger durch sie zugleich an die Launenhaftigkeit der Bürokratie erinnert. Unkeusches Verhalten von Pfarrern wurde scheel angesehen, und Zivilehen häuften sich, da nur Nichtkatholiken sich scheiden lassen durften. Während einerseits allen Klassen Bordelle offenstanden, erschien um 1900 Universitätsprofessoren ein Fresko mit Akten zu unzüchtig, als daß sie es in ihrer Aula geduldet hätten. 1879 wurde zur Feier des 25. Jahrestages einer unglücklichen Ehe ein gigantischer öffentlicher Festzug arrangiert. Die Parade wurde von einem Egomanen realisiert, dessen Akte allgemeine Anerkennung finden konnten, da sie in histo398

rischen Szenerien postiert worden waren. Innerhalb einer Bürokratie, in der sich alle relevanten Geschäfte im Verborgenen vollzogen, vermutete jedermann Interventionen „von oben" und spekulierte über das „Persönliche", d. h. über das Sexuelle. Jeder Vorgang bestand zu einem Gutteil aus Theaterspiel; jeder Beteiligte wußte, bis zu welchem Grad er die Herzlichkeit des anderen als List zu werten hatte. Robert Musil formulierte es so: „Man handelte in diesem Land ... immer anders, als man dachte, oder dachte anders, als man handelte." 16 Max Nordau baute diese Kluft zwischen Vorspiegelungen und Wirklichkeit zu einer Kritik der „konventionellen Lügen der Menschheit" aus, während Joseph Roth eine verlogene Moral beklagte, die erst erhabene Prinzipien verkündete und dann alles und jedes entschuldigte. Roth äußerte die Vermutung, daß Franz Joseph seine Höflinge absichtlich irregeführt habe, indem er die Wertlosigkeit ihrer Listen durch königliche Unempfindlichkeit vergoldete.17 In Professor Bernhardi zeichnete Schnitzler das Bild eines Arztes, der sich über österreichische Konventionen hinwegsetzt, um sittlich richtig zu handeln; er landet im Gefängnis. An anderer Stelle nannte Schnitzler das Habsburgerreich einen Hort sozialer Unaufrichtigkeit: „Hier wie nirgends anderswo gebe es wüsten Streit ohne Spur von Haß und eine Art von zärtlicher Liebe, ohne das Bedürfnis der Treue. Zwischen politischen Gegnern existierten oder entwickelten sich lächerliche persönliche Sympathien; Parteifreunde hingegen beschimpften, verleumdeten, verrieten einander." 18 Kein Wunder, daß hier der Impressionismus mit seiner Gabe, hinter jeder Oberfläche latenter Bedeutungen gewahr zu werden, zu einer Weltanschauung erblühte. Experten der Verstellung wie Bahr und Altenberg bekannten sich in Wien zu der Tatsache, daß sie unter dem Strom der Empfindungen nichts Beständiges finden konnten; Positivisten wie Freud und Mach dagegen spürten hinter einem Wust von Details Naturgesetze auf. Wieder andere wie Schnitzler und Schaukai verhalfen dem barocken Kult des Todes zu einer Wiederauferstehung, um damit dem Leben neue Impulse zu geben. In Böhmen diente die Doppeldeutigkeit einmal zur Bekräftigung der Leibnizschen Vision, ein anderes Mal zu deren Zertrümmerung. Da Verstellung immer auch eine wohltätige — wenn auch verborgene - Ordnung in sich barg, konnte ein geheimnistuerischer Staat als Manifestation dieser Ordnung gelten, in dem die Bürokratie die Rolle Gottes spielte. Sobald jedoch der Glaube an den guten Willen der öffentlichen Hand zusammenbrach, wie etwa in Prag nach 1880, erschien jede Herrschaft als launenhaft, willkürlich, und die Denker fühlten sich berufen, das marcionitische Bild eines bösartigen Schöpfers zu beschwören. Das Gesetz erschien nur noch als Unterdrücker, Gesetzesgehorsam als Beihilfe zur Zerstörung der Welt. Keine andere Gruppe personifizierte den Januskopf der habsburgischen Institutionen so offensichtlich wie die Juden. Ein Grund für ihr Gedeihen in Osterreich ist in den Jahrhunderten des Gettolebens zu sehen, in denen sie sich daran gewöhnt hatten, Selbsttäuschungen aufzudecken und sie bei anderen auszunützen. Daran gewöhnt, am Rande der Gesellschaft zu leben, machten sie 399

ihren Weg und konnten nach jeder Gelegenheit greifen, ohne im Falle eines Versagens fürchten zu müssen, sich dadurch entehrt zu haben. Jüdische Schriftsteller verbargen sich gleichsam vor sich selbst und schoben Pseudonyme vor, so etwa Nordau, Altenberg, Friedeil, Roda Roda, Saiten, Rank und Wittels, vom jungen Hofmannsthal („Loris") ganz zu schweigen. Mancher Jude wurde in seiner Sehnsucht nach Selbstbestätigung zum Zerstörer von Illusionen, wie etwa Freud, Kraus, Weininger, Wittgenstein, die rücksichtslos Konventionen bloßstellten, denen die Zeit eine gewisse Ehrwürdigkeit verliehen hatte. Andere wieder, wie PopperLynkeus, Hertzka, Herzl, Buber, nahmen ihre Zuflucht zu Utopien. Die Schaffenskraft der Juden hatte insofern tragische Folgen, als sie den Neid und die Ängste der Nichtjuden steigerte. Aber sowohl der Antisemit als auch der verunsicherte Jude schielten nach Deutschland, das ihnen als ein Bollwerk gegen das Slawentum erschien. Es ist eine Ironie des Schicksals, die genauso den Plänen der Habsburger entsprungen sein könnte, daß gerade die Juden, die von den österreichischen Deutschen mit Beleidigungen überhäuft wurden, die deutsche Kultur verehrten. Durch ihre Freimütigkeit und ihr störrisches Wesen wurden die Juden zu Doppelgängern der Antisemiten, die sich eben jener Eigenschaften rühmten, die diese in sich ausmerzen wollten. Doppelzüngigkeiten im öffentlichen Bereich förderten die Kreativität im privaten. Um Reibereien zwischen den Nationalitäten zu dämpfen, pflegte der Österreicher eine Höflichkeit, welche Feindseligkeiten die Spitze nahm. Gebildete Deutsche, Tschechen, Ungarn, Polen, Italiener, die mit Rumänen, Slowaken, Serben, Kroaten, Ruthenen, welche einer entsprechenden Bildung meist völlig entbehrten, auf engem Raum zusammenlebten, verschwägerten sich mit diesen. Der britische Genetiker C. D. Darlington betonte, daß Individuen von hervorragender Kreativität meist aus Verbindungen von Personen hervorgehen, deren Vorfahren aus Bereichen stammen, die keinerlei Beziehung zueinander hatten. Dergleichen Verbindungen schüfen frische genetische Kombinationen, aus denen sowohl Genies als auch Untaugliche zu erwarten seien. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts habe das Habsburgerreich das größte Reservoir von einander völlig fremden Genen dargestellt, in dem es laufend zur Züchtung zwischen verschiedensten Rassen gekommen sei. Nach Darlington weisen zwischenrassische Bevölkerungen eine besondere Eignung zum Hervorbringen außergewöhnlicher Talente auf, aber auch zum Hervorbringen von Menschen mit unterdurchschnittlichen Fähigkeiten, die dem Sozialwesen zur Last fallen. 19 Von beidem gab es im Reiche Franz Josephs mehr als genug. Im kulturellen Bereich hat Béla Bartók gezeigt, wie das Zusammenleben so vieler Völker zu neuen Permutationen vertrauter Elemente f ü h r t . U m die außergewöhnliche Blüte von Volksmelodien im Habsburgerreich zu erklären, untersuchte er die von ihm so bezeichneten Kreuzungen und Rückkreuzungen von Motiven. Eine ungarische Volksmelodie etwa k o n n t e von Slowaken entlehnt, von ihnen abgeändert, und d a n n wieder von den Ungarn aufgegriffen worden sein, die ihr d a n n eine dritte Fassung gegeben haben. 2 0 Ein ähnlicher Prozeß des Kreuzens u n d Rückkreuzens hat auch den Wortschatz, die Gestik, die Küche, die Kleidung, die Musik, die Folklore, die Sitten beeinflußt u n d damit sowohl den Stadt- als auch den Landbewohnern geholfen, sich der Viel400

fältigkeit anzupassen. Fast jeder Österreicher hatte mit halbfremden Mitbürgern Kontakt und entwickelte dadurch eine eigene Art, über den Dingen zu stehen. Walther Brecht bezeichnete dies als „geradezu seine .romantische' Ironie, die fast unheimliche Fähigkeit, alle 52 Seiten einer Sache auf einmal zu sehen und zu verstehen, aber auch ebensogut ihr Gegenteil". 21 Von der täglichen Begegnung mit verschiedenartigsten Völkern zum integrativen Denken getrieben, verfeinerte der Österreicher die Kunst des Dialogs, wurde - nach den Worten von Anton Wildgans - zu einem Menschenkenner, der Toleranz und Höflichkeit übte, um die Gesellschaft am Leben zu erhalten. 22 Dieser überwältigenden Vielfältigkeit dauernd ausgesetzt zu sein, führte aber auch zu einer negativen Fähigkeit, die Männer wie Hermann Bahr dazu verleitete, es allen recht machen zu wollen. Wie ein Chamäleon gab er sich solche Mühe, alles Fremde zu assimilieren — humani nihil a me alienum puto —, daß er am Ende nichts in Händen hielt als den ständigen Wechsel. Dennoch, in seinem Ausspruch: „Ich habe stets meine Feinde geliebt"23 ist Würde und tiefes Christentum, wie auch in dem Wort der Bertha von Suttner: „Weil ich die Gegner, besonders so vornehme Gegner, gerne zu Wort kommen lasse."24 Die Antidogmatiker Österreichs beachteten jeden Widersacher und schufen dadurch Gedanken, die sowohl in die Tiefe gingen, wie sie auch allumfassend waren. Mit größerer Vorstellungskraft als sonst jemand vereinigten sie Aufgeschlossenheit mit Strenge. Robert Musil könnte recht gehabt haben, als er schrieb: „Ja, es war, trotz vielem, was dagegen spricht, Kakanien vielleicht doch ein Land für Genies; und wahrscheinlich ist es daran zugrunde gegangen."25 Die Denker aus Österreich-Ungarn waren Meister der Oberflächen und der Tiefen; sie haben die Voraussetzungen geschaffen, auf denen unsere Kenntnisse von uns selbst beruhen.

Die geistige Leistung Österreichs Man wird sich die Frage stellen, welcher hier behandelte Denker die Nachwelt wohl am einschneidendsten beeinflußt hat. Der erste Rang gebührt zweifellos Freud; kein anderer Denker des 20. Jahrhunderts - weder Österreicher noch NichtÖsterreicher — ist so tief eingedrungen in das Bewußtsein unserer Zeit, hat sich so festgesetzt in allen Aspekten des wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und geistigen Lebens wie er. Die Allgegenwärtigkeit der Psychoanalyse ist weitgehend darauf zurückzuführen, daß die heute gängigste Weltanschauung eine Art Positivismus ist, gefärbt mit Impressionismus. Die Entscheidung der Frage, wie weit diese Weltanschauung nach 1945 von Österreichern verbreitet worden ist, muß anderen Untersuchungen vorbehalten bleiben. Eine zweite Bewegung, die zahlreiche Anhänger gewinnen konnte, ist Bubers Philosophie des Dialogs: Auch sie versöhnt — wie die Psychoanalyse - den Positivismus mit dem Impressionismus, indem sie verschiedene Ebenen der Psyche unterscheidet. Drittens ist es die Verehrung für die Phantasie, die die österreichische Literatur getragen hat. Romanciers von so verschiedener Art wie Kafka, Musil 401

und Roth haben dem Philistertum der Bürokratie wie auch dem der Massen getrotzt und die Souveränität der Vorstellungskraft verkündet. Marcioniten und therapeutische Nihilisten wiesen Technologie und Barbarisierung von sich und klagten in vergeblicher Voraussicht totalitäres Verhalten an. Im Gegensatz zu den Schriftstellern Frankreichs oder Amerikas haben die österreichischen Autoren der Diagnose weit mehr Energien gewidmet als der Heilung. Abgesehen davon, daß sie Visionen formulierten, die heute das Wissen um unsere eigene Identität mitkonstituieren, haben die Österreicher in fast allen Bereichen des Denkens bedeutende Neuerungen in die Wege geleitet. In der Philosophie sind logischer Positivismus und Sprachanalyse von Wien aus bis in alle englischsprachigen Universitäten vorgedrungen. Brentano hat der Erkenntnistheorie, der Psychologie und der Ethik neue Perspektiven eröffnet, Husserls Phänomenologie wiederum ist zu einer eigenen Disziplin geworden. In der Rechtstheorie hat Kelsens Positivismus die Probleme seines Gebietes neu formuliert, in der Wirtschaftstheorie waren es Menger und seine Schüler, die gemeinsam die Grenznutzanalyse begründeten. In der Gesellschaftstheorie führten Lukäcs und Mannheim jene Disziplin ein, die letzterer als Wissenssoziologie bezeichnete. In ihrer Verfeinerung durch spätere Forscher gibt sie ein Mittel an die Hand, das unschätzbar ist für die Besänftigung von Reformern, die für sich in Anspruch nehmen, Ausnahmen von irgendeiner etablierten Ordnung zu sein. Ungarische Theoretiker haben uns gelehrt, daß es kein Programm zur Änderung der Gesellschaft gibt, das sich einem Beeinflußtsein von Seiten dieser Gesellschaft entziehen könnte. Gleich der Psychoanalyse stärkt auch die Wissenssoziologie den Relativismus mit systematischer Strenge. Kaum einer der österreichischen Utopisten konnte die Erfüllung seiner Träume erleben. Eines ist sicher: Herzls Judenstaat und Rosa Mayreders Ansichten über die Rolle der Frau in der Gesellschaft sind zu Fakten unseres Lebens geworden; auch Loos' Kreuzzug gegen das Ornament war erfolgreich. Der Großteil der übrigen Visionen jedoch scheint uns so donquijotesk wie eh und je, sei es nun Popper-Lynkeus' Programm zur Abschaffung der Armut, Bertha von Suttners Traum vom Frieden oder Coudenhove-Kalergis Plan zur Vereinigung Europas. Eine Welt, die nur die Leistungsfähigkeit bejubelt, spendete solchen Visionären - wie auch Perfektionisten von der Art Weiningers und Brochs — nur spärlichen Beifall. Zwar mag es noch zu früh sein, alles zu dokumentieren, was uns die Denker Österreichs hinterlassen haben; ihre Gabe integrativer Geistesarbeit jedoch zeichnet sich bereits klar ab. In den letzten zwanzig Jahren hat kein Land einen Philosophen oder Gesellschaftstheoretiker hervorgebracht, der in seiner Erneuerungskraft einem Freud, Husserl, Wittgenstein, Kelsen oder Neurath gleichkäme. Wenngleich sich unter Berücksichtigung aller Umstände der Großteil der Europäer und Amerikaner von heute in einer günstigeren Lage befinden dürfte als ihre Vorfahren vor fünfzig Jahren, so muß doch jeder, der das schöpferische Denken Österreichs schätzen gelernt hat, seinen Verlust als nicht wiedergutzumachenden Schlag empfinden. Dem geistigen Leben von heute fehlen jene Entdeckungen und mitreißenden Visionen, die den Leser von 1900, ja sogar noch von 1930 in Bann schlugen. In einem alexandrinischen Zeitalter, 402

in dem sich Scharen von Arbeitenden auf Erkenntnisse berufen, die zwei oder mehrere Generationen zuvor gewonnen worden sind, mutet es wahrhaft erstaunlich an, wieviele dieser Erkenntnisse erstmals im Habsburgerreich oder in seinen Nachfolgestaaten auftauchten. In den Vereinigten Staaten und in G r o ß britannien haben die Spezialisten die Psychoanalyse jenen Ärzten überantwortet, die Freud bekämpft hatte; sie haben die Philosophie an Techniker des Wortes abgetreten; und die Bruchstücke des universalen Genies Neuraths haben sie unter Soziologen, Stadtplanern, Wissenschaftstheoretikern, Wirtschaftshistorikern und graphischen Designern verstreut. Indem sie die Juden aus W i e n und Prag vertrieben, zerrissen die Nationalsozialisten die vielleicht einzige Gemeinschaft, deren Mitgliedern das Integrieren von Denkansätzen geradezu mit Leichtigkeit von der Hand ging. Ehe wir einer neobiedermeierischen Nostalgie verfallen, soll zugegeben werden, daß es heute nur wenige Intellektuelle gibt, die eine Wiederauferstehung des W i e n s , Prags oder Budapests der Jahrhundertwende wünschten. Technischer Zauber hat uns so in seinen Bann geschlagen, daß wir die Annehmlichkeiten verschmähen, die er so gut wie ausgelöscht hat: Lokalkolorit, Exzentrizität, Noblesse oblige und Tradition. W i r haben die Früchte der Einförmigkeit zum Reifen gebracht und damit die des Partikularismus überdauert, so daß wir zumindest in der Philosophie und in der Gesellschaftstheorie ein geistiges Kapital nutzen, das in einer Zeit erworben wurde, da diese beiden Ordnungen noch ineinander verflossen. Nehmen wir an, daß aus einer Ubergangsperiode des Neudurchdenkens von Begriffen und Systemen vorläufig Nutzen gezogen werden könnte - welche Art von Denkern wird aber nach weiteren zwanzig Jahren zu neuen Erkenntnissen verhelfen? Eine genaue Untersuchung der letzten zwanzig Jahre läßt uns eine bescheidene H o f f n u n g a u f eine Renaissance des Theoretisierens. D e n n dank einiger weniger Österreicher, die über Nordamerika und Großbritannien verstreut leben, ist das integrative D e n k e n noch nicht völlig verschwunden. Seit 1 9 4 5 haben Arnold Hauser, Michael Polanyi, Friedrich von Hayek, Ludwig von Bertalanffy, Karl Popper und Ernst G o m b r i c h ihr W e r k mit weitgreifenden Synthesen gekrönt. 2 6 O b w o h l uns deren Horizont und Scharfsinnigkeit heute verblüfft, wäre das Werk dieser M ä n n e r vor fünfzig Jahren beinahe als etwas Alltägliches erschienen. W e n n wir uns für einen Augenblick dem Wunschträumen hingeben dürfen, so können wir in den neuesten Werken Polanyis, Hayeks, Bertalanffys und Ehrenzweigs die Umrisse einer zukünftigen Gesellschaft erkennen, die j e n e Qualitäten, die dem österreichischen D e n k e n Kraft verliehen haben, in eine technologisierte Welt hinaustragen. Diese Utopisten rufen — ein jeder auf seine Weise — nach einer neuen Kreativität, die a u f Individualismus und Toleranz beruht. Sie fordern die Befreiung des Ich und Es von den überholten Erlässen eines Uber-Ich und predigen die Offenheit gegenüber innerer Erfahrung. Zuvor schon war dieses Plädoyer für die Spontaneität von Schlick, Buber, E b n e r und R a n k vorgetragen worden, von jenen Österreichern also, denen in explizitester Form eine Vorwegnahme der Grundsätze der heutigen Jugend gelungen war. Für Millionen ist Kreativität zu einem Ideal des Ich geworden, das jedes D o g m a verdächtig macht und die Selbsterfüllung zum obersten Kriterium erhebt. D e n 403

noch wäre es einfältig, das Aufbegehren der Jugend Ende der sechziger Jahre der „fröhlichen Apokalypse" gleichzusetzen. Den jungen Menschen von heute fehlen die Strenge, der Sinn für die Kontinuität und das methodische Rüstzeug, das die Österreicher befähigte, unter der Vielfältigkeit Strukturen zu entdecken. Solche Mängel zeigen eine Ironie auf, die darin besteht, daß die heutige Jugend nach Dingen sucht, die diese Männer und Frauen bereits gefunden haben: Die Fähigkeit, das Leben als Ganzes zu sehen, und den Mut, seinen tiefsten Eingebungen zu folgen. Erst die Zukunft wird zeigen, ob eine globale Zivilisation annähernd die Bedingungen schaffen kann, die einst Osterreich zu einem Leuchtfeuer der Moderne in einer ziellos gewordenen Welt gemacht haben. Nun, da Wandelbarkeit zu unserem täglichen Brot geworden ist, hat niemand uns mehr zu sagen als jene Kenner der Metamorphose. In einer Hinsicht allerdings brauchen wir dem Habsburgerreich nicht nachzueifern: In höherem Maß als die meisten schöpferischen Zeitalter verstand sich die „fröhliche Apokalypse" weit mehr als ein Ende denn als ein neuer Anfang. Karl Kraus oder Stefan Zweig wären sicherlich höchst überrascht, wenn sie feststellen müßten, daß die Zivilisation trotz allem überlebt hat, und wenn wir ihre Erwartungen vereitelt haben, so geschah dies gewiß nicht dank eines therapeutischen Nihilismus, wie sie ihn vertraten. Indem wir uns konstruktiveren Stimmen zuwenden, bleibt uns vielleicht noch eine Frist, um der Verzweiflung dieser Männer auszuweichen. Für sich allein genommen, lehrt uns die „fröhliche Apokalypse" allerdings, daß die Zeit mehr auslöscht, als sie bewahrt.

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Anmerkungen

Abkürzungen ADB AJP AJS ASWSP

KML MIOG NOB PSQ SEER SKAW-Wien YLBI ZAAK

Allgemeine Deutsche Biographie. 56 Bde. Leipzig 1 8 7 5 - 1 9 1 2 American Journal of Psychology. Ithaca. N . Y.; Austin, Tex., 1887— American Journal of Sociology. Chikago 1 8 9 5 Archiv für Sozialwissenschaften und Sozialpolitik. 69 Bde. Berlin, T ü b i n g e n , Leipzig 1 8 8 3 - 1 9 3 3 Deutsche Vierteljahresschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte. Halle, Stuttgart 1 9 2 3 Encyclopedia of Philosophy, hgg. v. Paul Edwards. 8 Bde. New York 1967 Gesammelte Werke International Encyclopedia of the Social Sciences, hgg. v. David L. Sills, 17 Bde. New York 1968 International Journal of Psycho-Analysis. L o n d o n 1 9 2 0 Journal of the American Psychoanalytic Association. New York 1 9 5 3 Journal of Central European Affairs. Boulder, Colo., 1 9 4 1 - 1 9 6 4 Journal of Contemporary History. L o n d o n 1 9 6 6 Journal of Modern History. Chikago 1 9 2 9 Ernest Jones, Life and Work of Sigmund Freud. 3 Bde. L o n d o n 1 9 5 3 - 1 9 5 7 ; 2. Aufl., Bd. 1 u n d 2, 1 9 5 6 - 1 9 5 8 . D e u t s c h e Ausgabe: Das Leben und Werk von Sigmund Freud. Bern 1 9 6 0 - 1 9 6 2 . (Die Seitenangaben beziehen sich auf die britische Ausgabe.) Kindlers Malerei Lexikon. 5 Bde. Zürich 1 9 6 4 - 1 9 6 8 Mitteilungen des Instituts für Osterreichische Geschichtsforschung. Wien 1 8 8 0 Neue Osterreichische Biographie. Wien 1 9 2 3 Political Science Quarterly. New York 1886— Slavonic and East European Review. L o n d o n 1 9 2 2 Sitzungsberichte der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften. Wien 1 8 5 0 Yearbook of the Leo Baeck Institute of Jews from Germany. L o n d o n 1958— Zeitschrift für Aesthetik und allgemeine Kunstwissenschaft. 37 Bde. Stuttgart

ZfphF

1905-1943 Zeitschrift für philosophische

DVLG EP GW IESS IJP JAPA JCEA JCH JMH Jones

Forschung. Wurzbach 1 9 4 6 -

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Einleitung 1 Eine überzeugende Beurteilung des m e t h o d o l o g i s c h e n Streits seit 1900 liegt vor in Jost H e r m a n d , Synthetisches Interpretieren. Zur Methodik der Literaturwissenschaft. München 1968. Z u Kontroversen innerhalb der Philosophiegeschichte siehe J o h n Passmore, „Philosophy, Historiography o f ' , EP, Bd. 6, 1967, S. 2 2 6 - 2 3 0 ; Lutz Geldsetzer, Die Philosophie der Philosophiegeschichte im 19. Jahrhundert. Zur Wissenschaftstheorie der Philosophiegeschichtsschreibung und -betrachtung. Meisenheim am Glan 1968. 2 Eine e i n g e h e n d e Analyse der Säkularisierung bietet David L. Edwards, Religion Change. L o n d o n 1969, bes. S. 1 0 9 - 1 5 7 über die Psychologie des Unglaubens.

and

3 Z u r Abwägung der Vorteile u n d Gefahren einer Kombination von synthetischer u n d m o n o graphischer Analyse siehe Siegfried Kracauer, History: The Last Things Before the Last. N e w York 1969, S. 1 0 4 - 1 3 8 (deutsch: Geschichte. Vor den letzten Dingen. 1971). 4 U b e r neuere S t r ö m u n g e n in der U n t e r s u c h u n g von engagierten Intellektuellen siehe J. P. N e t t l , „Ideas, Intellectuals, a n d Structures of Dissent", in: Philip Rieff (Hg.), On Intellectuals: Theoretical Studies, Case Studies. G a r d e n City, N . Y. 1969, S. 5 3 - 1 2 2 . Als Verbesserung dazu siehe S. N . Eisenstadt, „Intellectuals a n d Tradition", Daedalus, Bd. 101, F r ü h j a h r 1972, S. 1 - 1 9 . 5 Siehe W e r n e r Stark, The Sociology of Knowledge: An Essay in Aid of a Deeper Understanding of the History of Ideas. L o n d o n 1958 (deutsch: Die Wissenssoziologie. 1960). 6 Zwei Kenner der staatswissenschaftlichen T h e o r i e n im G r o ß b r i t a n n i e n des 17. J a h r h u n d e r t s verfechten die wechselseitige B e f r u c h t u n g von innerer Ideengeschichte u n d Soziologie der Denker. Siehe J o h n D ü n n , „ T h e Identity of the H i s t o r y of Ideas", Philosophy, Bd. 18, 1968, S. 8 5 - 1 0 4 ; Q u e n t i n Skinner, „Meaning and Understanding in the History of Ideas", History and Theory, Bd. 8, 1969, S. 3 - 5 3 . 7

Für weitere B e g r ü n d u n g e n d a f ü r , d a ß A m e r i k a n e r deutsches D e n k e n f ü r u n e r f o r s c h b a r halten, siehe Kurt Lewin, „Some Social-psychological Differences Between the U n i t e d States and G e r m a n y " [1936], in: Resolving Social Conflicts: Selected Papers on Group Dynamics. N e w York 1948, S. 3 - 3 3 . Diese U n t e r s u c h u n g stellt Österreicher vor 1938 wie Deutsche vor 1933 gleichermaßen anschaulich dar.

1. Kapitel 1 Z u r Entwicklung des Begriffes Österreich siehe Erich Zöllner, „Formen u n d Wandlungen des Österreichbegriffes", in: H u g o H a n t s c h , Erich Vögelin u n d Franco Valsecchi (Hg.), Historica. Studien zum geschichtlichen Denken und Forschen. W i e n 1965, S. 6 3 - 8 9 ; A n t o n Karl Mally, „Der Begriff österreichische N a t i o n ' seit d e m E n d e des 18. Jahrhunderts", Der Donauraum, Bd. 17, 1972, S. 4 8 - 6 6 . Ein Überblick über die von österreichischen Historikern u n t e r n o m m e n e n Versuche, ihren Gegenstand zu umschreiben, findet sich in Heinrich Ritter von Srbik, Geist und Geschichte vom deutschen Humanismus his zur Gegenwart. Salzburg 1951, Bd. 2, S. 8 0 - 1 2 1 . 2 Z u r G e g e n r e f o r m a t i o n in Österreich siehe G e r t r u d e von Schwarzenfeld, Rudolf II. Der saturnische Kaiser. M ü n c h e n 1961; Robert A. Kann, The Problem of Restoration: A Study in Comparative Political History. Berkeley u n d Los Angeles 1968, S. 2 3 1 - 2 7 8 (deutsch: Die Restauration als Phänomen in der Geschichte. 1974; enthält eine ausgezeichnete Bibliographie); O t a k a r O d l o z i l i k , „Education, Religion, a n d Politics in Bohemia, 1 5 2 6 - 1 6 2 1 " , Cahiers d'Histoire Mondiale, Bd. 13, 1971, S. 1 7 2 - 2 0 3 ; R. J. W. Evans, Rudolf II and His World: A Study in Intellectual History 1576-1612. O x f o r d 1973. 3 Z u m Kampf der Habsburger gegen die Türken siehe Erwin Hanslick, Osterreich. Erde und Geist. W i e n 1917; Clemens Graf zu Brandis, Die historische Mission Österreichs in Europa. Zürich

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1946; John Stoye, The Siege of Vienna. London 1964; Lavender Cassels, The Struggle for the Ottoman Empire, 1717-1740. London 1966; Ekkehard Eickhoff, Venedig, Wien und die Osmanen. Umbruch in Südosteuropa 1645-1700. München 1970. 4 Zum österreichischen Barock siehe Heinrich Ritter von Srbik, „Abenteurer am Hofe Kaiser Leopold I. (Alchimie, Technik und Merkantilismus)", Archiv für Kulturgeschichte, Bd. 8, 1910, S. 52-71; Hermann Bahr, „Vorbarock" und „Barock", in: Summula, Leipzig 1921, S. 167-177; André Tibal, L'Autrichien: Essai sur la formation d'une individualité nationale (du XVI au XVIII siècle). Paris 1936; Oswald Redlich, Weltmacht des Barock. Österreich in der Zeit Leopolds I. Wien 1938, 4. Aufl. 1961; Hans Kohn, „AEIOU: Some reflections on the Meaning and Mission of Austria", J M H , Bd. 11, 1939, S. 513-527; Ann Tizia Leitich, Vienna Gloriosa. Weltstadt des Barock. Wien 1947; Friedrich Heer, Land im Strom der Zeit. Osterreich gestern, heute, morgen. Wien 1958; Anna Coreth, Pietas Austriaca. Ursprung und Entwicklung barocker Frömmigkeit in Osterreich. Wien 1959; Therese Schüssel, Kultur des Barock in Österreich. 2. Aufl. Graz 1960. 5 Zur Mentalität des Barock siehe René Wellek, „The Concept of Baroque in Literary Scholarship", Journal of Aesthetics and Art Criticism, Bd. 5, 1946, S. 7 7 - 1 0 9 ; Richard Alewyn (Hg.), Deutsche Barockforschung. Dokumentation einer Epoche. Köln 1965 (Nachdruck von 24 Artikeln). 6 Anna Coreth, Pietas, S. 17-35. 7 Ibid., S. 4 3 - 6 9 . 8 Oskar Kokoschka, „An Approach to the Baroque Art of Czechoslovakia", Burlington Magazine, Bd. 81, Nov. 1942, S. 263-268; Paul Claudel pries Osterreich als ein „Meisterwerk jesuitischer Kunst" in: „À la louange de l'Autriche" [1936], Oeuvres en prose. Paris 1965, S. 1085-1088. 9 Die klarste Definition des Josefinismus findet sich in Paul P. Bernard, Jesuits and Jacobins: Enlightenment and Enlightened Despotism in Austria. Urbana, 111. 1971, bes. S. 168-178. Zu früheren Ansichten siehe Wenzel Lustkandl, Die josephinischen Ideen und ihr Erfolg. Wien 1881; Fritz Valjavec, Der Josephinismus. Zur geistigen Entwicklung Österreichs im 18. und 19. Jahrhundert. 2. Aufl. München 1945; Ferdinand Maaß S. J., Der Josephinismus. Quellen zu seiner Geschichte in Österreich 1760-1850. 5 Bde. Fontes Rerum Austriacarum II, 71-75, Wien 1950-1960; Roger Bauer, „Le Josephisme", Critique, Bd. 14, 1958, S. 6 2 2 639; Herbert Rieser, Der Geist des Josephinismus. Der Kampf der Kirche um ihre Freiheit. Wien 1964; Zöllner, „Bemerkungen zum Problem der Beziehungen zwischen Aufklärung und Josephinismus", in: Osterreich und Europa. Festgabe für Hugo Hantsch, Graz 1965, S. 2 0 3 - 2 1 9 ; Klaus Epstein, The Genesis of German Conservatism. Princeton 1966, S. 158-175, 3 9 4 - 4 1 3 . Siehe auch die in Kapitel 19, Anm. 2, zitierten Werke Eduard Winters. 10 Heinrich Benedikt, „Der Josephinismus vor Joseph IL", in: Österreich und Europa, S. 183201. Zu den Reformen Maria Theresias siehe Constance Lily Morris, Maria Theresia: The Last Conservative. New York 1937; Friedrich Walter, Die österreichische Zentralverwaltung in der Zeit Maria Theresias. Wien 1938; Edith Murr Link, The Emancipation of the Austrian Peasant, 17401798. New York 1949; Walter, Die theresianische Staatsreform von 1749. Wien 1958; Paul P. Bernard, „The Origins of Josephinism: Two Studies", Colorado College Studies, Bd. 7, 1964, S. 3-52; William E. Wright, Serf, Seigneur, and Sovereign: Agrarian Reform in Eighteenth Century Bohemia. Minneapolis 1966; Hermann Freudenberger, „State Intervention äs an Obstacle to Economic Growth in the Habsburg Monarchy", Journal of Economic History, Bd. 27, 1967, S. 4 9 3 - 5 0 9 ; Henry E. Strakosch, State Absolutism and the Rule of Law: The Struggle for Codification of Civil Law in Austria 1753-1811. Sydney 1968 (eingehend); Walter, Österreichische Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte von 1500—1950. Aus dem Nachlaß herausgegeben von Adam Wandruszka. Wien-Köln-Graz 1972, S. 89-108.

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11 Siehe Robert Z i m m e r m a n n , „Von Ayrenhoff bis Grillparzer. Z u r Geschichte des Dramas in Österreich" [1864], in: Studien und Kritiken zur Philosophie und Aesthetik. W i e n 1870, Bd. 2, S. 1 - 7 3 (außergewöhnlich i n f o r m a t i v ) . Z u Sonnenfels siehe Luise Sommer, Die österreichischen Kameralisten in dogmengeschichtlicher Darstellung. W i e n 1925; N e u d r . Aalen 1967, Bd. 2, S. 3 1 9 - 4 4 4 ; K a n n , A Study in Austrian Intellectual History: From Late Baroque to Romanticism. N e w York 1960, S. 1 4 6 - 2 5 8 ; K a r l - H e i n z O s t e r l o h , Joseph von Sonnenfels und die österreichische Reformbewegung im Zeitalter des aufgeklärten Absolutismus. Eine Studie zum Zusammenhang von Kameralwissenschaft und Verwaltungspraxis. Lübeck 1970. 12 Z u Reaktionen auf die Z e n s u r siehe Walter C . Langsam, „ E m p e r o r Francis II a n d the Austrian Jacobins, 1 7 9 2 - 1 7 9 6 " , American Historical Review, Bd. 50, 1945, S. 4 7 1 - 4 9 0 ; Ernst W a n g e r m a n n , From Joseph II to the Jacobin Trials: Government Policy and Public Opinion in the Habsburg Dominions in the Period of the French Revolution. L o n d o n 1959, 2. Aufl. 1969 (etwas marxistisch); Denis Silagi, Jakobiner in der Habsburger-Monarchie. Ein Beitrag zur Geschichte des aufgeklärten Absolutismus in Österreich. W i e n - M ü n c h e n 1962; Leslie Bodi, „Enlightened D e s p o t i s m a n d Literature of the E n l i g h t e n m e n t " , German Life and Letters, Bd. 22, 1 9 6 8 - 1 9 6 9 , S. 3 2 4 - 3 3 3 ; Charles H . O ' B r i e n , Ideas of Religious Toleration at the Time of Joseph II: A Study of the Enlightenment Among Catholics in Austria. Philadelphia 1969, in: Transactions of the American Philosophical Society, Bd. 7; Alfred Körner (Hg.), Die Wiener Jakobiner. Schriften und Dokumente. Stuttgart 1972. 13 Siehe Josef Redlich, Das österreichische Staats- und Reichsproblem. Geschichtliche Darstellung der inneren Politik der habsburgischen Monarchie von 1848 bis zum Untergang des Reiches. 2 Bde., Leipzig 1920, Bd. 1, S. 1 - 8 8 ; Viktor Bibl, Der Zerfall Österreichs. 2 Bde., W i e n 1 9 2 2 - 1 9 2 4 ; Srbik, Metternich. Der Staatsmann und der Mensch. 3 Bde., M ü n c h e n 1 9 2 5 - 1 9 5 4 ; R. J o h n Rath, The Viennese Revolution of 1848. Austin 1957; O t t o Brunner, „Staat und Gesellschaft im vormärzlichen Österreich", in: Werner Conze (Hg.), Staat und Gesellschaft im deutschen Vormärz, 1815-1848. Stuttgart 1962, S. 3 9 - 7 8 (gründlich). 14 Siehe Carl Julius Weber, Deutschland oder Briefe eines in Deutschland reisenden Deutschen [ 1 8 2 6 - 1 8 2 8 ] , 2. Aufl. Stuttgart 1834, Bd. 2, S. 1 5 6 - 6 9 0 , bes. 1 9 4 - 2 0 3 über die politischen Verhältnisse; H e i n r i c h Laube, Reise durch das Biedermeier [ 1 8 3 4 - 1 8 3 7 ] . H a m b u r g 1965, S. 2 2 7 - 2 7 9 ; Frances M . Trollope, Vienna and the Austrians. 2 Bde., L o n d o n 1838; „Travellers in Austria and H u n g a r y " , The Quarterly Review, Bd. 65, 1 8 3 9 - 1 8 4 0 , S. 2 3 4 - 2 7 2 . 15 Eine umfangreichere neue F o r m u l i e r u n g des Begriffes „Biedermeier" liegt vor in Friedrich Sengle, Biedermeierzeit. Deutsche Literatur im Spannungsfeld zwischen Restauration und Revolution 1815-1848 (geplant in 3 Bden.). Stuttgart 1971, Bd. 1, S. 1 1 0 - 1 4 4 . Siehe auch G ü n t e r Weydt, „Literarisches Biedermeier. Die überindividuellen O r d n u n g e n " , D V L G , Bd. 13, 1935, S. 4 4 - 5 8 ; Paul Kluckhohn, „Biedermeier als literarische Epochenbezeichnung", D V L G , Bd. 13, 1935, S. 1 - 4 3 ; C l e m e n s Heselhaus, „Wiederherstellung: RestauratioRestitutio-Regeneratio", D V L G , Bd. 25, 1951, S. 5 4 - 8 1 ; Friedrich Sengle, „Voraussetzungen u n d Erscheinungsformen der deutschen Restaurationsliteratur", D V L G , Bd. 30, 1956, S. 2 6 8 - 2 9 4 . Kritiken am Begriff Biedermeier als literarische Kategorie finden sich in Jost H e r m a n d , Die literarische Formenwelt des Biedermeier. G i e ß e n 1958; H e r m a n d , „Allgemeine Epochenprobleme", in: Jost H e r m a n d u n d M a n f r e d W i n d f u h r (Hg.), Zur Literatur der Restaurationsepoche 1815-1848. Forschungsreferate und Aufsätze. Stuttgart 1970, S. 3 - 6 1 , bes. 1 8 - 2 6 , 5 0 - 5 2 ; Willi Flemming, „Die Problematik der Bezeichnung, Biedermeier'", Germanisch-Romanische Monatsschrift, Bd. 8, 1958, S. 3 7 9 - 3 8 8 . 16 Z u m österreichischen Biedermeier siehe Wilhelm Bietak, Das Lebensgefühl des „Biedermeier" in der österreichischen Dichtung. Wien-Leipzig 1931; Bietak, „Zwischen R o m a n t i k , J u n g e m Deutschland u n d Realismus. Eine Literatur- u n d Problemschau v o m S t a n d p u n k t der Bieder-

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meierforschung", D V L G , Bd. 13, 1935, S. 1 6 3 - 2 0 6 ; Bietak, „Probleme der Biedermeierdichtung", in: Beiträge zum Grillparzer- und Stifterbild. Graz 1965, S. 5 - 2 0 ; Bauer, „La réalité. Royaume de Dieu": Etudes sur l'originalité du théâtre viennois dans la première partie du 19éme siècle. M ü n c h e n 1965 (außergewöhnlich reich an D o k u m e n t e n m a t e r i a l ) ; Rio Preisner, Johann Nepomuk Nestroy. Der Schöpfer der tragischen Posse. M ü n c h e n 1968, bes. S. 1 1 - 6 6 (ein Modellfall marxistischer Literaturanalyse); Kurt Kahl, Johann Nestroy oder der wienerische Shakespeare. Wien 1970; Heinz Politzer, Franz Grillparzer oder Das abgründige Biedermeier. Wien 1972. Z u den Dichtern, die sich der Biedermeier-Passivität widersetzten, siehe Antal M i d i , Politische Dichtung in Österreich (1830-1848). Budapest 1969. 17 Z u m Gebrauch polarer Gegensätze zur Klassifizierung von Gesellschaftsformen siehe Horace M . Miner, „Community-Society C o n t i n u a " , IESS, Bd. 16, 1968, S. 9 8 - 1 0 3 ; Jürgen Habermas, „Technik und Wissenschaft als ,Ideologie'?", Man and World, Bd. 1, 1968, S. 4 8 3 - 5 2 3 , bes. 4 9 1 - 4 9 5 . 18 Walter Brecht, „Osterreichische Geistesform u n d österreichische D i c h t u n g " , DLVG, Bd. 9, 1931, S. 6 0 7 - 6 2 7 , bes. 6 2 2 - 6 2 3 . Z u m Kontrast zwischen preußischen u n d österreichischen Institutionen siehe O t t o Hintze, „Der österreichische u n d preussische Beamtenstand im 17. u n d 18. J a h r h u n d e r t " , Historische Zeitschrift, Bd. 86, 1901, S. 4 4 4 - 4 9 1 . 19 H u g o von H o f m a n n s t h a l , „Preusse u n d Österreicher. Ein Schema" [1917], in: Ausgewählte Werke. F r a n k f u r t 1957, Bd. 2, S. 6 1 5 - 6 1 7 . Siehe auch H o f m a n n s t h a l , „Österreich im Spiegel seiner D i c h t u n g " [1916], ibid., S. 5 9 3 - 6 0 5 . 20 Erich Kahler, The Jews among the Nations. N e w York 1967, S. 10 (deutsch: Israel unter den Völkern). Die vielleicht beste Geschichte der J u d e n ab 1800 liegt vor in Ismar Elbogen, A Century of Jewish Life. Philadelphia 1944. Uber J u d e n in Österreich siehe Josef Fraenkel (Hg.), The Jews of Austria: Essays on their Life, History and Destruction. London 1967; H u g o Gold (Hg.), Geschichte der Juden in Osterreich. Ein Gedenkbuch. Tel-Aviv 1971; G o l d (Hg.), Osterreichische Juden in der Welt. Ein Bio-Bibliographisches Lexikon. Tel-Aviv 1971. Z u r E m a n z i p a t i o n der J u d e n siehe Paul P. Bernard, „Joseph II and the Jews: T h e O r i g i n s of the Toleration Patent of 1782", Austrian History Yearbook, 4 - 5 , 1 9 6 8 - 1 9 6 9 , S. 1 0 1 - 1 1 9 . Unentbehrliche Nachschlagwerke sind Siegmund Kaznelson (Hg.), Juden im deutschen Kulturbereich. Ein Sammelwerk. 3. Aufl. Berlin 1964; und J o h n F. O p penheimer (Hg.), Lexikon des Judentums. Gütersloh 1967. 21 Siehe Ben Halpern, „The Jewish Consensus", Jewish Frontier, Bd. 29, Sept. 1962, S. 9 - 1 3 ; Raphael Loewe, „ D e f i n i n g Judaism: S o m e G r o u n d - C l e a r i n g " , Jewish Journal of Sociology, Bd. 7, 1 9 6 5 - 1 9 6 6 , S. 1 5 3 - 1 7 5 . Z u den verschiedenen F o r m e n von Assimilierung siehe Kurt Stillschweig, „Jewish Assimilation as an O b j e c t of Legislation", Historia Judaica, Bd. 8, 1946, S. 1-18; Jacob Neusner, „From T h e o l o g y to Ideology: T h e T r a n s m u t a t i o n of Judaism in M o d e r n Times", in: Kaiman H . Silvert (Hg.), Churches and States: The Religious Institution and Modernization. N e w York 1967, S. 1 3 - 4 8 (sehr anschaulich). 22 I m m a n u e l Velikovsky, „Can a Newly Acquired Language Become the Speech of the Unconscious? Word-Plays in the D r e a m s of H e b r e w - T h i n k i n g Persons", Psychoanalytic Review, Bd. 21, 1934, S. 3 2 9 - 3 3 5 . Siehe auch M a r k Zborowski, „ T h e Place of BookLearning in Traditional Jewish C u l t u r e " , in: Margaret M e a d u n d M a r t h a Wolfenstein (Hg.), Childhood in Contemporary Cultures. C h i k a g o 1955, S. 1 1 8 - 1 4 1 . Z u r Analyse des „latenten M a n d a r i n i s m u s " in der jüdischen Gelehrsamkeit siehe Neusner, „Judaism in the History of Religions", History and Theory, Beiheft 8, 1968, S. 3 1 - 4 5 , bes. S. 4 0 - 4 1 . 2 3 W i l h e l m Stekel, Autobiography: The Life Story of a Pioneer Psychoanalyst. N e w York 1950, S. 131. 24 H e r m a n n Broch, Massenpsychologie. Schriften aus dem Nachlaß. Zürich 1959, S. 1 9 6 - 2 0 1 . 25 Salcia L a n d m a n n (Hg.), Jüdische Witze. M ü n c h e n 1963, S. 133. Z u r Selbsterniedrigung in jüdischen Scherzen siehe T h e o d o r Reik, Jewish Wit. N e w York 1962, S. 2 1 9 - 2 2 6 .

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26 Witze über den „Schnorrer" werden von Freud in Der Witz und seine Beziehungen zum Unbewußten. GW, Bd. 6, London 1940, S. 123-124, diskutiert. 27 Emil Reich, Plato as an Introduction to Modern Criticism of Life. London 1906, S. 116, 120-121. Eine Bestätigung des Sichfestlegens jüdischer Mütter auf die Nachkommenschaft findet sich in Martha Wolfenstein, „Two Types of Jewish Mothers", in: Mead und Wolfenstein (Hg.), Childhood, S. 424-440. 28 Zum „Shtetl" siehe Solomon A. Birnbaum, „The Cultural Structure of East Ashkenazic Jewry", SEER, Bd. 24, 1946-1947, S. 7 3 - 9 2 ; Mark Zborowski und Elizabeth Herzog, Life is with People: The Jewish Little-Town of Eastern Europe. New York 1952. Über die Juden in Galizien siehe Gottfried Schramm, „Die Ostjuden als soziales Problem des 19. Jahrhunderts", in: Heinz Maus (Hg.), Gesellschaft, Recht und Politik. Neuwied 1968, S. 353-380. 29 Z. B. Leopold Kompert, „Schlemihl", in: Aus dem Ghetto. Leipzig 1848; Karl Emil Franzos, „Schiller in Barnow", in: Die Juden von Barnow. Novellen. Stuttgart 1877. In Radetzkymarsch, Berlin 1932, und Die Kapuzinergruft, Bilthoven 1938, wurde diese Tradition von Joseph Roth fortgeführt. Zum Zusammenhang zwischen dem Judentum Roths und seiner Loyalität gegenüber den Habsburgern siehe Friedrich Abendroth, „Reichs- und Bundesvolk. Das zweifache Zeugnis des Joseph Roth", Hochland, Bd. 50, 1957-1958, S. 422-429; Claudio Magris, Lontano da dove, Joseph Roth e la tradizione ebraico-orientale. Turin 1971. 30 Siehe Stefan Zweig, Die Welt von Gestern. Erinnerungen eines Europäers. Stockholm 1942, S. 38—39. Zu den Juden Wiens siehe Sigmund Mayer, Die Wiener Juden. Kommerz, Kultur, Politik 1700-1900. Wien 1916; Hans Tietze, Die Juden Wiens. Geschichte, Wirtschaft, Kultur. Leipzig 1933; Max Grunwald, Vienna. Philadelphia 1936; Hugo Gold, Geschichte der Juden in Wien. Ein Gedenkbuch. Tel-Aviv 1966; Walter B. Simon, „The Jewish Vote in Austria", YLBI, Bd. 16, 1971, S. 97-121. 31 Stanislaw Andreski, „An Economic Theory of Antisemitism", in: Elements of Comparative Sociology. London 1964, S. 2 9 1 - 3 1 0 . Siehe auch Peter G. Pulzer, The Rise of Political Antisemitism in Germany and Austria. New York 1964; Dirk van Arkel, Antisemitism in Austria. Leiden 1966. Ein vielfach vernachlässigtes Kompendium antisemitischer Motive ist Eduard Fuchs, Die Juden in der Karikatur. Ein Beitrag zur Kulturgeschichte. München 1921, bes. S. 195-205 über österreichische Satiriker. 32 Siehe Otto Fenichel, „Psychoanalysis of Antisemitism" [1937], American Imago, Bd. 1, 2, 1939-1940, S. 2 4 - 3 9 ; Bruno Bettelheim, „The Dynamism of Anti-Semitism in Gentile and Jew", Journal of Abnormal and Social Psychology, Bd. 42, 1947, S. 153-168; Rudolph M. Loewenstein, Christians and Jews: A Psychoanalytic Study. New York 1951 (eingehend, von einem Freund Hanns Sachs'). 33 Über Rohling siehe Gotthard Deutsch, „Rohling, August", Jewish Encyclopedia, New York 1912, Bd. 10, S. 442; Joseph Samuel Bloch, My Reminiscences. Wien 1923, S. 61-135; Isak A. Hellwing, Der konfessionelle Antisemitismus im 19. Jahrhundert in Österreich. Wien 1972. 34 Zitiert in Ernst Rychnovsky, „The Struggle Against the Ritual Murder Superstition", in: Thomas G. Masaryk and the Jews: A Collection of Essays. New York 1941, S. 150. Zur Polnaer Affäre siehe auch T. G. Masaryk, Die Bedeutung des Polnaer Verbrechens für den Ritualmordaberglauben. Berlin 1900; Alexandre Cohen, „L'Affaire de Polna", La Revue Blanche, Bd. 22, 1900, S. 194-217; Arthur Nussbaum, Der Polnaer Ritualmordprozess. Eine kriminal-psychologische Untersuchung auf aktenmäßiger Grundlage. Berlin 1906; Nussbaum, „The ,Ritual Murder' Trial of Polna", Historia Judaica, Bd. 9, 1950, S. 57-74; Frantisek Cervinka, „The Hilsner Affair", YLBI, Bd. 13, 1968, S. 142-157. 35 Über Bettauer siehe Rudolf Olden, „Österreichische Köpfe. IV: Hugo Bettauer", Die Weltbühne, Bd. 21, 1925, S. 806-809.

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2. Kapitel 1 Siehe Peter Feldl, Das verspielte Reich. Die letzten Tage Österreich-Ungarns. Wien 1968. Eine brillante Neuinterpretation der Rolle Österreichs beim Ausbruch des Krieges ist Paul W. Schröder, „World War I as Galloping Gertie: A Reply to Joachim Remak", J M H , Bd. 44, 1972, S. 319-345. Über Hypothesen zur Frage, wie das Reich überleben hätte können, siehe Hans Kohn, „Was the Collapse Inevitable?" Austrian History Yearbook, Bd. 3.3, 1967, S. 250-263; Joachim Remak, „The Healthy Invalid: How Doomed the Habsburg Empire?" JMH, Bd. 41, 1969, S. 127-143. 2 Max Graf, Legend of a Musical City. New York 1945, S. 65. 3 Robert Waelder, „Historical Fiction", JAPA, Bd. 11, 1963, S. 629. 4 Max Brod, Streitbares Leben. 1884-1968. 2. Aufl. München 1969, S. 219. 5 Zwei neuere Werke bieten eine tiefschürfende Analyse der Herrschaft Franz Josephs: Heinrich Benedikt, Die Monarchie des Hauses Osterreich. Ein historisches Essay. München 1968; C. A. Macartney, The Habsburg Empire, 1790-1918. London 1969, S. 322-833 (ausgezeichnet, was Ungarn anlangt, schwach in Fragen Böhmens; Geistesgeschichte wird nicht berücksichtigt). Eine nützliche Zusammenfassung der Arbeiten von Gelehrten vor 1945 ist Anatol Murad, Franz Joseph 1 of Austria and His Empire. New York 1968. Die Privatkorrespondenz Franz Josephs ist veröffentlicht in Jean de Bourgoing (Hg.), Briefe Kaiser Franz Josephs an Frau Katharina Schratt. Wien 1949, und in Georg Nostitz-Rieneck (Hg.), Briefe Kaiser Franz Josephs an Kaiserin Elisabeth 1859-1898. 2 Bde., Wien 1966. 6 Eduard Hanslick, „Aus meinem Leben", Deutsche Rundschau, Bd. 80, 1894, S. 35. Siehe auch Möriz Jökai, „Denkrede auf Kronprinz R u d o l f , Ungarische Revue, Bd. 9, 1889, S. 385-406. 7 Siehe Julius Szeps (Hg.), Kronprinz Rudolf. Politische Briefe an einen Freund 1882-1889. Wien 1922. 8 Berta Zuckerkandl-Szeps, Ich erlebte fünfzig Jahre Weltgeschichte. Stockholm 1939, S. 27-152, bes. 147-152. Eine grundlegende Neubeurteilung liegt vor in Fritz Judtmann, Mayerling ohne Mythos. Ein Tatsachenbericht. Wien 1968. 9 Zuckerkandl-Szeps, Ich erlebte, S. 148-149. 10 Ibid., S. 29, 152. 11 Schicksalsjahre Österreichs 1908—1919. Das politische Tagebuch Josef Redlichs. Bearbeitet von Fritz Fellner. 2 Bde., Graz 1953, Bd. 1, S. 235. 12 Paul Nikitsch-Boulles, Vor dem Sturm. Erinnerungen an Erzherzog Thronfolger Franz Ferdinand. Berlin 1925, S. 217-225 (vom Privatsekretär des Erzherzogs); Theodor von Sosnosky, Franz Ferdinand, der Erzherzog-Thronfolger. München 1927. S. 226-229. 13 Albert Schäffle, Aus meinem Leben. Berlin 1905, Bd. 2, S. 70. Franz Josephs Stoizismus wird gerühmt in Franz Werfel, „An Essay Upon the Meaning of Imperial Austria", in: Werfel, Twilight of a World. New York 1937, S. 18-34. 14 Über diese beiden Gesellschaftsschichten siehe Comte Paul Vasiii, La Société de Vienne. Paris 1885; A. S. Levetus, Imperial Vienna: An Account of its History, Traditions, and Arts. London 1905, S. 364-398; Nora Fugger, The Glory of the Habsburgs: Memoirs. New York 1932, Kap. 1-4. 15 Martin Freud, Sigmund Freud: Man and Father. New York 1958, S. 29. 16 Virginio Gayda, Modern Austria: Her Racial and Social Problems. London 1915, S. 201. 17 Mör Jökai, Black Diamonds [1870], New York 1896, S. 241. 18 Die Rede vom 17. Feb. 1888 wird zitiert in Robert Arthaber, „Engelbert Pernerstorfer", NÖB, Bd. 2, 1925, S. 105-106. Siehe aus Oscar Jâszi, The Dissolution of the Habsburg Monarchy. Chikago 1929, Neudr. 1961, S. 237. Zu Otto siehe Erich Kielmannsegg, Kaiserhaus, Staatsmänner und Politiker. Aufzeichnungen des k. k. Statthalters Erich Graf Kielmannsegg. Wien 1966, S. 130-142. 411

19 R. H. Bruce Lockhart, Retreat from Glory. London 1934, S. 60-61. Siehe auch Fred Hennings, Solange er lebt. Aus dem Wien der Jahrhundertwende. Wien 1968, S. 41-43. 20 Lockhart, Retreat from Glory. S. 184. Siehe auch Willi Frischauer, The Grand Hotels of Europe. New York 1965, S. 118-138. 21 Graf, Legend, S. 69-70. 22 Hanns Sachs, Freud: Master and Friend. Cambridge, Mass. 1946, S. 27. 23 Olga Schnitzler, Spiegelbild der Freundschafi. Salzburg 1962, S. 27. 24 Fugger, The Glory of the Habsburgs, S. 284-285. 25 Wolf von Schierbrand, Austria-Hungary: Polyglot Empire. New York 1917, S. 173-175. 26 Hermann Broch, Hofmannsthal und seine Zeit. Eine Studie [1955]. München 1964, S. 77. 3. Kapitel 1 Siehe Alexander Spitzmüller, „... und hat auch Ursach', es zu lieben". Wien 1955, bes. S. 174-198 über Franz Joseph; Spitzmüllers Titel stammt aus Schillers Wallensteins Tod. 2 Siehe Ernst Lothar, Das Wunder des Uberlebens. Erinnerungen und Ergebnisse. Wien 1961, S. 27-28. Zu literarischen Porträts niedrigerer Beamten siehe Marie von Ebner-Eschenbach, „Ein Spätgeborener" [1875]; Franz Werfel, Der Tod des Kleinbürgers. Wien 1927. 3 Siehe Alexander Spitzmüller, „Emil Steinbach", NÖB, Bd. 2, 1925, S. 48-62. 4 Zur Sozialgesetzgebung siehe Ludwig Brügel, Soziale Gesetzgebung in Osterreich von 1848 bis 1918. Eine geschichtliche Darstellung. Wien 1919. Zu früheren Zuständen siehe René" Lavollée, Les classes ouvrières en Europe: Études sur leur Situation matérielle et morale. Paris 1884, Bd. 2, S. 297-353. 5 Zum Reichsrat siehe Gustav Kolmer, Parlament und Verfassung in Osterreich. 8 Bde., Wien 1902-1914 (behandelt den Abschnitt von 1848 bis 1904); zu den Ministerien siehe Alois von Czedik, Zur Geschichte der k. k. österreichischen Ministerien 1861 bis 1916. Nach den Erinnerungen. 4 Bde., Wien 1917-1920. 6 Mark Twain, „Stirring Times in Austria", Harper's Magazine, Bd. 96, 1898, S. 530-540; fortgesetzt in Twain, „Concerning the Jews", ibid., Bd. 99, 1899, S. 527-535. Siehe auch Berthold Sutter, Die Badenischen Sprachenverordnungen von 1897, ihre Genesis und ihre Auswirkungen vornehmlich auf die innerösterreichischen Alpenländer. 2 Bde., Graz 19601965, Bd. 2, S. 106-108. Zum Vergleich mit anderen Parlamenten siehe Georg Jellinek, „Parliamentary Obstruction", PSQ, Bd. 19, 1904, S. 579-588; Brita Skottsberg, Der österreichische Parlamentarismus. Göteborg 1940 (behandelt den Zeitraum von 1848 bis 1938). 7 Freud, Die Traumdeutung. 8. Aufl., GW, 2/3, London 1942. S. 275. 8 Siehe Frank Pentland Chambers, The War Behind the War, 1914-1918. New York 1939, S. 179-186; Arthur J. May, The Passing of the Habsburg Monarchy 1914-1918. 2 Bde., Philadelphia 1966. 9 Archibald und Ethel Colquhoun, The Whirlpool of Europe: Austria-Hungary and the Habsburgs. London 1907, S. 210. Zu anderen Beispielen siehe E. B. Lanin, „Count Taaffe and Austrian Politics", Contemporary Review, Bd. 63, 1893, S. 279-304, bes. S. 297 Anm. 10 Maria Hornor Lansdale, Vienna and the Viennese. Philadelphia 1902, S. 358. 11 Karl Kraus, „Aus dem dunkelsten Österreich" [1906], in: Sittlichkeit und Kriminalität [1908], Frankfurt 1966, S. 203-207. 12 Kraus, „Der Hexenprozeß von Leoben* [1904], ibid. S. 83-97. 13 Kraus, „Der Fall Riehl" [1906], und „Die Ära nach dem Prozeß Riehl" [1907], ibid. S. 180-199 und 207-215. 14 Siehe William A. Jenks, Austria under the Iron Ring 1879-1893. Charlottesville, Va. 1965, S. 141-157. 15 Zum Friedjung-Prozeß siehe Karl Kraus, „Prozeß Friedjung" [1909], in: Untergang der Welt 412

durch schwarze Magie, [1922], in: Werke. Bd. 8, M ü n c h e n 1960, S. 2 3 - 4 0 ; H e r m a n n Bahr, „Prozeß Friedjung", Neue Rundschau, Bd. 21, 1910, S. 2 4 0 - 2 5 0 ; Virginio Gayda, Modern Austria. L o n d o n 1915, S. 2 8 9 - 2 9 1 ; H e n r y W i c k h a m Steed, Through Thirty Years, 1892-1922: A Personal Narrative. 2 Bde., Garden City 1924, Bd. 1, S. 3 0 8 - 3 1 4 . Z u den staatlichen Stellen f ü r durchsickernde Berichte siehe Kurt Paupie, Handbuch der österreichischen Pressegeschichte. 2: Die zentralen pressepolitischen Einrichtungen des Staates. Wien 1966. 16 Z u den Techniken der Zensur siehe J. M . Vincent, „Politics and History at Vienna", The Nation, Bd. 53, Nov. 1891, S. 4 4 3 - 4 4 5 ; Eugene Limedorfer, „Great Newspapers of C o n tinental Europe. IV. Austrian and H u n g a r i a n Newspapers", The Bookman, Bd. 11, 1900, S. 1 4 9 - 1 5 7 . Z u r Zensur während des Krieges siehe Paupie, Handbuch. Bd. 2, S. 1 4 8 - 1 7 3 . 17 Berta Zuckerkandl-Szeps. Ich erlebte fünfzig Jahre Weltgeschichte. Stockholm 1939, S. 6 7 68. Kurt Paupie, Moritz Szeps. Werk, Persönlichkeit und Beziehungen zum Kaiserhaus. 1949 (war mir nicht zugänglich). 18 Z u m Uberblick über das Pressewesen siehe Paupie, Handbuch, Bd. 1, 1960. Siehe auch Adam Wandruszka, Geschichte einer Zeitung. Das Schicksal der „Presse" und der „Neuen Freien Presse" von 1848 bis zur Zweiten Republik. W i e n 1958; W i l m o n t Haacke, „The Austrian and Viennese Press", Gazette, Bd. 14, 1 9 6 8 - 1 9 6 9 , S. 1 9 5 - 2 0 6 . 19 Der ausführlichste Bericht über das Leben beim Militär ist Alfons Danzer, Unter den Fahnen. Die Völker Österreich-Ungarns in Waffen. W i e n 1889. Siehe auch Franz N e u b a u e r , Die Gendarmerie in Österreich 1849-1924. W i e n 1924; H e r b e r t V. Patera, Unter Österreichs Fahnen. Ein Buch vom österreichischen Soldaten. Graz 1960; Ludwig Jedlicka, Unser Heer. 300 Jahre österreichisches Soldatentum in Krieg und Frieden. W i e n 1963 (behandelt hauptsächlich die Zeit nach 1914); Friedrich Wallisch, Servus, Herr Oberst. Graz 1965; N o r m a n Stone, „Army a n d Society in the H a b s b u r g Monarchy, 1 9 0 0 - 1 9 1 4 " , Fast and Present, Nr. 33, April 1966, S. 9 5 - 1 1 1 . G e o r g A u f f a h r t , Inhalt und Form. Das Buch vom Offizier. W i e n 1910 (war mir nicht zugänglich). 20 Emil Reich, „ T h e Crisis in H u n g a r y " , Contemporary Review, Bd. 88, 1905, S. 6 4 2 - 6 4 5 . Z u anderen ungarischen Ansichten siehe G ü n t h e r E. Rothenberg, „Toward a National H u n garian Army: T h e Military C o m p r o m i s e of 1868 a n d its C o n s e q u e n c e s " , Slavic Review, Bd. 31, 1972, S. 8 0 5 - 8 1 6 . 21 Freud, Briefe 1873-1939. 2. Aufl. Frankfurt 1968, S. 226 (Brief vom 1. Sept. 1886). 22 W i l h e l m Stekel, Autobiography: The Life Story of a Pioneer Psychoanalyst. N e w York 1950, S. 82. 2 3 Gayda, Modern Austria. S. 2 4 8 - 2 4 9 . 24 Richard Alewyn, Uber Hugo von Hofmannsthal. 3. Aufl. G ö t t i n g e n 1963, S. 7 8 - 7 9 . 25 Siehe H a n s K o h n , Living in a World Revolution: My Encounters with History. N e w York 1964, S. 8 6 - 8 7 (deutsch: Bürger vieler Welten. Ein Leben im Zeitalter der Weltrevolution). 26 Siehe R. Cl. Bachofen von Echt, „The Duel in G e r m a n y and Austria", Nineteenth Century, Bd. 53, 1903, S. 6 7 8 - 6 8 5 . Hier wird Gustav Hergesell, Duellkodex. Wien 1891, zusammengefaßt. 27 Siehe Alfonso de Bourbon. „Efforts to Abolish the Duel", North American Review, Bd. 175, 1902, S. 1 9 4 - 2 0 0 ; B o u r b o n , „The Fight Against Duelling in Europe", Fortnightly Review, Bd. 90, 1908, S. 1 6 9 - 1 8 4 . 28 Siehe Schnitzlers Freiwild, 1896, u n d auch seine Bemerkungen zum Duellzwang, wie sie in Reinhard Urbach, Arthur Schnitzler. Velber 1968, S. 4 7 - 4 8 , zitiert sind. Siehe auch Ferd i n a n d von Saar, Leutnant Burda [1887], in: Das erzählerische Werk. 3 Bde., W i e n 1959, Bd. 1, S. 3 0 7 - 3 7 4 . 29 Lansdale, Vienna, S. 2 0 3 - 2 0 4 . 30 Uber Redl siehe Adalbert von Sternberg, Warum Österreich zugrunde gehen mußte. 4. Aufl. W i e n 1927, S. 1 1 7 - 1 2 9 ; Robert B. Asprey, The Panther's Feast. New York 1959 (gut fundier-

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ter, in Quasi-Romanform abgefaßter Bericht); Egon Erwin Kisch, Wie ich erfuhr, daß Redl ein Spion war. Zwölf Reportagen. Ostberlin 1961; Kisch, Der rasende Reporter. Klassische Reportagen. Hamburg 1961, S. 255-298. Siehe Moritz Auffenberg-Komaröw, Aus Österreichs Höhe und Niedergang. Eine Lebensschilderung. München 1921; Sternberg, Warum, S. 130-138. Zur römisch-katholischen Kirche in Österreich siehe Ernst Viktor Zenker, Kirche und Staat mit besonderer Berücksichtigung der Verhältnisse in Österreich. Wien 1909; Josef A. Wodka, Kirche in Österreich. Wegweiser durch ihre Geschichte. Wien 1959 (gründlich); F. M. M. Steiner, „Church and State in Austria", Dublin Review, Bd. 233, 1959, S. 107-121; Erika Weinzierl-Fischer, Die österreichischen Konkordate von 1855 und 1933. München 1960; Herbert Rieser, Der Geist des Josephinismus. Der Kampf der Kirche um ihre Freiheit. Wien 1964; R. Severin von Lama, Am tiefsten Quell. Mystik in Österreich. Wien 1964; Gerhard Silberbauer, Österreichs Katholiken und die Arbeiterfrage. Graz 1966; Erika WeinzierlFischer und Ferdinand Klostermann (Hg.), Kirche in Österreich 1918-1965. 2 Bde., Wien 1966; Eduard Hosp, Kirche Österreichs im Vormärz 1815-1850. Wien 1971. T. G. Masaryk, Der Selbstmord als sociale Massenerscheinung der modernen Civilisation. Wien 1881, S. 197. Julius Braunthal, In Search of the Millennium. London 1945, S. 50. Wallisch, Es hat mich sehr gefreut. Graz 1967, S. 115. Uber Vogelsang siehe Hans Rizzi, „Karl Freiherr von Vogelsang", NOB, Bd. 2, 1925, S. 186-195; Wiard Klopp, Leben und Wirken des Sozialpolitikers Karl Freiherrn von Vogelsang. Nach den Quellen gearbeitet. Wien 1930 (sehr gründlich; der Verfasser ist Vogelsangs Schwiegersohn); Marcel Saner, Freiherr Karl von Vogelsangs Gesellschafisund Wirtschaftslehre. Freiburg 1939 (mit ausgezeichneter Bibliographie); Richard Charmatz, „Karl von Vogelsang", in: Lebensbilder aus der Geschichte Österreichs. Wien 1947, S. 112—123; Johann Christoph Allmayer-Beck, Vogelsang. Vom Feudalismus zur Volksbewegung. Wien 1952; Alfred Diamant, Austrian Catholics and the First Republic: Democracy, Capitalism, and the Social Order, 1918-1934. Princeton 1960, S. 42-63; Silberbauer, Österreichs Katholiken, S. 61-119; Reinhold Knoll, Zur Tradition der christlichsozialen Partei. Ihre Frühund Entwicklungsgeschichte bis zu den Reichsratswahlen 1907. Wien-Graz-Köln 1973; S. 96-149. Siehe Klopp, Leben und Wirken, S. 398-457; Lillian Parker Wallace, Leo XIII and the Rise of Socialism. Durhan N. C. 1966, S. 254-268. Wolf von Schierbrand, Austria-Hungary: Polyglot Empire. New York 1917, Seite 3 1 8 319. S. I. de Zuylen de Nyevelt, „Austria: Its Society, Politics, and Religion", Living Age, Bd. 192, 1892, S. 8. John H. Gray, „Religious Freedom in Austria", The Nation, Bd. 53, Juli 1891, S. 68. Zitiert in Wodka, Kirche in Österreich, S. 352. Zum Fall Wahrmund siehe auch Friedrich Jodl, „Der Klerikalismus und die Universitäten" [1908], in: Vom Lebenswege. Stuttgart 1917, Bd. 2, S. 4 5 8 - 4 7 7 ; Hugo Haan, „Gustav Marchet", NÖB, Bd. 2, 1925, S. 150-151; Paul Molisch, Politische Geschichte der deutschen Hochschulen in Österreich von 1848 bis 1918. 2. Aufl. Wien 1939, S. 166-176. Siehe Josef Samuel Bloch, Erinnerungen aus meinem Leben. Bd. 2, Wien 1922 (betrifft eine Verleumdungsklage gegen Deckert); Isak A. Hellwing, Der konfessionelle Antisemitismus im 19. Jahrhundert in Österreich. Wien 1972. Siehe Konrad Deubler, Tagebücher und Briefe, hgg. v. Arnold Dodel-Port. 2 Bde., Leipzig 1886. Gayda, Modern Austria, S. 213. Zum Protestantismus in Österreich siehe Georg Lösche, Die Geschichte des Protestantismus im vormaligen und im neuen Österreich. Wien 1902, 3. Aufl. 1930; Karl Völker, Die Entwick414

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lung des Protestantismus in Österreich. Leipzig 1917; Grete Mecenseffy, Geschichte des Protestantismus in Österreich. Graz 1956; Franz Lau, „Los-von-Rom-Bewegung", in: Die Religion in Geschichte und Gegenwart. 3. Aufl., Bd. 4, I960, S. 452-455. Siehe Friedrich Engel-Janosi, Österreich und der Vatikan, 1846-1918. Graz 1960, Bd. 2, S. 2 - 4 7 . Dazu auch Moritz Csaky, Der Kulturkampf in Ungarn. Die kirchenpolitische Gesetzgebung der Jahre 1894/95. Graz 1967. Julius Braunthal, Auf der Suche nach dem Millennium. Wien 1964, S. 56. Leopold Rosenmayr, „The Sociology of Religious Phenomena in Germany and Austria since Max Weber", American Catholic Sociological Review, Bd. 15, 1954, S. 145-146. Siehe auch Dennison I. Rusinow. „The Retreat from Josephinism: Austrian Catholicism Responds to the Twentieth Century", in: Kaiman H. Silvert (Hg.), Churches and States: The Religious Institution and Modernization. New York 1967, S. 101-118. Zu Lueger siehe „A Great Burgomaster and His Work", Dublin Review, Bd. 143, 1908, S. 321-345; P. J. Connolly, „Karl Lueger", Studies (Dublin), Bd. 3, 1914, S. 280-291; Bd. 4, 1915, S. 226-249; Rudolf Kuppe, Karl Lueger und seine Zeit. Wien 1933; Kurt Skalnik, Dr. Karl Lueger. Der Mann zwischen den Zeiten. Wien 1954; Heinrich Schnee, Karl Lueger. Leben und Wirken eines großen Sozial- und Kommunalpolitikers. Berlin 1960 (ausgezeichnete Bibliographie); Erich Kielmannsegg, Kaiserhaus, Staatsmänner und Politiker. Wien 1966, S. 365-407. Zu Felder siehe Cajetan Felder, Erinnerungen eines Wiener Bürgermeisters. Wien 1964; Karl Glossy, „Kajetan Felder", NÖB, Bd. 4, 1927, S. 206-224. Artur Schnabel, My Life and Music, London 1961, S. 19-20. Ibid., S. 30. Zum berechnenden Antisemitismus Luegers siehe Arthur Schnitzler, Jugend in Wien. Wien 1968, S. 146-147. Der klarste Bericht ist Salomon Frankfurter, Österreichs Bildungswesen. Die Volks-, Bürgerund Mittelschulen. Wien 1920. Siehe auch Emanuel Hannak, „Die Schule", in: Wien 18481888, Wien 1888, Bd. 2, S. 1-128; Hannak, The Training of Teachers in Austria. New York 1889; Gustav Strakosch-Graßmann, Geschichte des österreichischen Unterrichtswesens. Wien 1905- Hundert Jahre Unterrichtsministerium. Hgg. unter der Leitung von Egon Loebenstein. Wien 1958; Zweihundert Jahre österreichische Unterrichtsverwaltung. Wien 1960. Zu den Schulreformen der zwanziger Jahre siehe Robert Dottrens. L'éducation nouvelle en Autriche. Neuchâtel 1927; Beryl Parker, The Austrian Educational Institutes. Wien 1931. Siehe Richard Meister, Entwicklung und Reformen des österreichischen Studienwesens. Teil I: Abhandlung. Teil II: Dokumente. Sitzungsberichte der österreichischen Akademie der Wissenschaften, Wien, Phil.-Hist. KL, Bd. 239/1, 1962, S. 1-275 und 1-281 (behandelt den Zeitraum von 1554 bis 1960); Hans Lentze, Die Universitätsreform des Ministers Graf Leo Thun-Hohenstein, ibid., Bd. 239/2, 1962, S. 1 - 3 7 2 (ausführlich; enthält eine hervorragende Bibliographie). C. P. Oberndorf (Hg.), „The Autobiography of Josef Breuer", IJP, Bd. 34, 1953, S. 65. Über die Ubergangszeit am Akademischen Gymnasium siehe auch Moritz Benedikt, Aus meinem Leben. Erinnerungen und Erörterungen. Wien 1906, S. 15-35. Siehe Kisch, Die Abenteuer in Prag. Wien 1920, S. 54-59; Kohn, Living in a World Revolution. S. 3 9 - 4 3 (anschauliche Beurteilung der Gymnasialausbildung). Freud, „Zur Psychologie des Gymnasiasten" [1914], in: GW. Bd. 10, London 1946, S. 204-207, bes. 207. Siehe Fritz Mauthner, Prager Jugendjahre. Erinnerungen [1918]. Frankfurt 1969. S. 110-117; Schnitzler, Jugend in Wien. S. 81. Uber Priester als Lehrer siehe auch Franz Blei, „Erzählung einer Jugend" [1930], in: Schriften in Auswahl. München 1960, S. 45-56. Freud, Die Traumdeutung, 8. Aufl., in: GW. Bd. 2/3, London 1942, S. 280-282. Freud erzählte seine eigenen Erfahrungen in Sachen Matura in einem Brief vom 16. Juni 1873. Siehe 415

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Ernest L. Freud (Hg.), „Some Early Unpublished Letters of Freud", IJP, Bd. 50, 1969, S. 4 1 9 427, bes. 425-426. Jodl, „Was leistet das humanistische Gymnasium für die allgemeine Bildung?" [1898], in: Vom Lebenswege. Stuttgart 1917, Bd. 2, S. 542-574, bes. 560, 564. Zum Qualitätsabfall der Gymnasien um 1900 siehe Bruno Kisch, Wanderungen und Wandlungen. Die Geschichte eines Arztes im 20. Jahrhundert. Köln 1966, S. 6 1 - 6 3 . Eine optimistischere Einschätzung der Entwicklung, die die Studien des klassischen Latein und Griechisch behandelt, ist August Scheindler, „Pro Gymnasio. Ein Beitrag zur Kenntnis des gegenwärtigen Zustands des österreichischen Gymnasiums", in: Festgabe zum 100jährigen Jubiläum des Schottengymnasiums. Wien 1907, S. 261-299, bes. 269-274. H. S. Chamberlain, „Der voraussetzungslose Mommsen", Die Fackel, Nr. 87, 1. Dez. 1901, S. 8. Ich folge hier der Version in Jones, Bd. 1, S. 374, anstelle jener in Kurt Eissler, „Challenges to Freud's Honesty", in: Medical Orthodoxy and the Future of Psychoanalysis. New York 1965, S. 516-525 (mit ausgezeichneter Bibliographie). Obwohl dies von Freuds Darstellung abweicht, meint Eissler, es sei Elise Gomperz gewesen, die ein Gemälde gestiftet habe, allerdings nicht von Böcklin. Siehe Freuds zwei Briefe an Frau Gomperz in Freud, Briefe 1873-1939, S. 256-258 (Briefe vom 25. Nov. 1901 und vom 8. Dez. 1901) und seinen Brief an Fliess, ibid., S. 259-261 (Brief vom 11. März 1902). Siehe Meister, Geschichte der Akademie der Wissenschaften in Wien 1847-1947. Wien 1947. Lothar, Das Wunder des Überlebens. S. 22. Ibid. Oskar Kraus, „Oskar Kraus", in: Raymund Schmidt (Hg.), Die Philosophie der Gegenwart in Selbstdarstellungen. Bd. 7, Leipzig 1929, S. 165. Siehe Charles Franklin Thwing, Universities of the World. New York 1911, S. 150. Zuckerkandl-Szeps, Ich erlebte, S. 166. Zur Studentenpolitik siehe Molisch, Politische Geschichte; J. McGrath, „Student Radicalism in Vienna", JCH, Bd. 2/3, 1967, S. 183-201. Zum Studentenduell siehe Karl Hans Strobl, Die Vaclavbude. Prager Studentenroman. Berlin 1902; Kisch, Die Abenteuer in Prag. S. 137-149; Stekel, Autobiography, S. 70-71. Felix Braun, Das Licht der Welt. Geschichte eines Versuches, als Dichter zu leben [1949]. Wien 1962, S. 235-237. Arthur Koestler, Arrow in the Blue: An Autobiography. New York 1952, S. 59 (gekürzte deutsche Fassung in: Abschaum der Erde. Gesammelte autobiographische Schriften. Bd. 2, Wien 1970). Siehe Stephan Bauer, „Ludo Moritz Hartmann", NÖB, Bd. 3, 1926, S. 197-209. Zuckerkandl-Szeps, Ich erlebte, S. 168. Die vollständigste Aufzählung österreichischer Erfinder bringt Ludwig Reiter, Osterreichische Staats- und Kulturgeschichte. Klagenfurt 1947. Siehe auch Josef Mentschl, Österreichische Wirtschaftspioniere. Wien 1959, und Geboren in Osterreich. 2. Aufl., 2 Bde., Wien 1969. Graphische Darstellungen finden sich in Ellis Ashmead-Bartlett, The Tragedy of Central Europe. London 1923; C. A. Macartney, The Social Revolution in Austria. Cambridge 1926; G. E. R. Gedye, Heirs to the Habsburgs. London 1932; Anna Eisenmenger, Blokade: The Diary of an Austrian Middle-Class Woman, 1914-1924. New York 1932; Willi Frischauer, Twilight in Vienna: The Capital without a Country. Boston 1938 (Memoiren in Romanform); Malcolm Bullock, Austria 1918-1938: A Study in Failure. London 1939; Franz Borkenau, Austria and After. London 1939; Karl Ausch, Als die Banken fielen. Zur Soziologie der politischen Korruption. Wien 1968; F. L. Garsten, Revolution in Central Europe, 1918-1919. Berkeley und Los Angeles 1972, S. 78-126, 223-238. Ashmead-Bartlett, The Tragedy, S. 36. 416

78 Siehe Guido Zernatto, Die Wahrheit über Österreich. New York 1938, S. 47-49. Ein weniger emotioneil gehaltener Bericht ist Karl R. Stadler, The Birth of the Austrian Republic 1918-1921. Leyden 1966, S. 39-44 (deutsch: Hypothek auf die Zukunft. Entstehung der österreichischen Republik). 79 O. de L., „Austrian Factors", Contemporary Review, Bd. 122, 1922, S. 426-434. 80 Siehe Charles O. Hardy, The Housing Program of the City of Vienna. Washington, D. C. 1934; Ernst Karl Winter, „Housing and Resettlement in Vienna", National Municipal Review, Bd. 26, 1937, S. 397-402. 81 Zu den Zwischenkriegs-Ideologien der Habsburg-Nostalgie siehe Stanley Suval, „The Search for a Fatherland", Austrian History Yearbook, Bd. 4 - 5 , 1968-1969, S. 275-299; C. E. Williams, „A Legacy of Empire: Aspects of Austrian Supranationalism", Journal of European Studies, Bd. 1, 1971, S. 103-114. 82 Zur Kritik an Österreich nach 1945 siehe Otto Schulmeister, Die Zukunft Österreichs. Wien 1967; Barbara Coudenhove-Kalergi, „Eine Nation aus Gespenstern?" Neues Forum, Bd. 14, 1967, S. 747-749; William T. Bluhm, „Nation-Building: The Gase of Austria", Polity, Bd. 1, 1968, S. 149-177; Bluhm, Building an Austrian Nation: The Political Integration of a Western State. New Haven 1973.

4. Kapitel 1 Freud, Briefe 1873-1939. 2. Aufl. Frankfurt 1968, S. 56-57 (Brief vom 29. Aug. 1883). 2 Karl Pribram, Conflicting Patterns of Thought. Washington, D. C. 1949, S. 131. 3 Siehe Pribram, „Die Weltanschauungen der Völker und ihre Politik", ASWSP, Bd. 44, 1917-1918, S. 161-197; Pribram, „Deutscher Nationalismus und deutscher Sozialismus", ASWSP, Bd. 49, 1922, S. 298-376; Pribram, „Nominalismus und Begriffsrealismus in der Nationalökonomie", Schmollers Jahrbuch, Bd. 55, 1931, S. 1-42; Pribram, „Prolegomena to a History of Economic Reasoning", American Economic Review, Bd. 43, 1953, S. 243-258. 4 Pribram, Patterns, S. 257. 5 Über Carl Menger siehe J. Bonar, „The Austrian Economists and Their Theory of Value", Quarterly Journal of Economics, Bd. 3, 1888-1889, S. 1-31; Joseph Schumpeter, „Carl Menger", Zeitschrift für Volkswirtschaft und Sozialpolitik, Bd. 1 NF, 1921, S. 197-206; Oskar Engländer, „Karl Mengers Grundsätze der Volkswirtschaftslehre", Schmollers Jahrbuch, Bd. 51, 1927, S. 371-401; Friedrich A. Hayek, „Carl Menger", in: The Collected Works of Carl Menger. London 1934, Bd. 1, S. V-XXXVIII; Hayek, „Carl Menger", IESS, Bd. 10, 1968, S. 124-127; George J. Stigler, „The Economics of Carl Menger", Journal of Political Economy, Bd. 45, 1937, S. 229-250; Felix Somary, Erinnerungen aus meinem Leben. 2. Aufl. Zürich 1959, S. 30-36; Erich Streißler, „To What Extent Was the Austrian School Marginalist?" History of Political Economy, Bd. 4, 1972, S. 426-441. 6 Zum Methodenstreit siehe Eugen von Böhm-Bawerk, „The Historical versus the Deductive Method in Political Economy", Annals of the American Academy of Political and Social Science, Bd. 1, 1891, S. 244-271; Böhm-Bawerk, „The Austrian Economist", ibid., Bd. 1, 1891, S. 361-384; Ludwig Mises, „Soziologie und Geschichte. Epilog zum Methodenstreit in der Nationalökonomie", ASWSP, Bd. 61, 1929, S. 465-512; Gerhard Ritzel, Schmoller versus Menger. Eine Analyse des Methodenstreits im Hinblick auf den Historismus in der Nationalökonomie. Frankfurt 1950 (enthält eine ausgezeichnete Bibliographie). 7 Oskar Kraus, „Die aristotelische Werttheorie in ihren Beziehungen zu den Lehren der modernen Psychologenschule", Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft, Bd. 61, 1905, S. 573-592.

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8 Über Wieser siehe Friedrich von Hayek, „Friedrich von Wieser", Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, Bd. 125, 1926, S. 513-530; Hayek, „Wieser, Friedrich von", IESS, Bd. 16, 1968, S. 549-550; Adolf Menzel, Friedrich Wieser als Soziolog. Wien 1927; Oskar Morgenstern, „Friedrich von Wieser, 1851-1926", American Economic Review, Bd. 17, 1928, S. 669-674; Hans Mayer, „Friedrich von Wieser", NÖB, Bd. 6, 1929, S. 180-198; George J. Stigler, Production and Distribution Theories: The Formative Period. New York 1941, S. 158178; T. W. Hutchinson, A Review of Economic Doctrines 1870-1929. Oxford 1953, S. 153164; R. S. Howey, The Rise of the Marginal Utility School 1870-1889. Lawrence, Kans. 1960, S. 143-154. 9 Friedrich von Wieser, Theorie der gesellschaftlichen Wirtschaft. 2. Aufl. Tübingen 1924, S. 9. 10 Ibid., S. 8 - 9 . 11 Über Schumpeter siehe Gottfried Haberler, „Joseph Alois Schumpeter 1883-1950", Quarterly Journal of Economics, Bd. 44, 1950, S. 333-372 (abgedruckt in Harris, unten); Seymour E. Harris (Hg.), Schumpeter: Social Scientist. Cambridge, Mass. 1951 (enthält 20 Aufsätze über Schumpeter); Morgenstern, „Joseph A. Schumpeter 1883-1950", Economic Journal, Bd. 61, 1951, S. 197-202; Martin Kessler, „The Synthetic Vision of Joseph Schumpeter", Review of Politics, Bd. 23, 1961, S. 334-355; François Perroux, La Pensée économique de Joseph Schumpeter. Les dynamiques du capitalisme. Genf 1965; Wolfgang F. Stolper, „Schumpeter, Joseph A.", IEES, Bd. 14, 1968, S. 67-72; Gottfried Eisermann, „Joseph Schumpeter als Soziologe", in: Bedeutende Soziologen. Stuttgart 1968, S. 53-73; Erich Schneider, Joseph A. Schumpeter. Leben und Werk eines großen Sozialökonomen. Tübingen 1970. 12 Haberler, „Joseph Alois Schumpeter", S. 369. 13 Schumpeter, „Eugen von Böhm-Bawerk", NÖB, Bd. 2, 1925, S. 64. 14 Siehe Emil Kauder, „Intellectual and Political Roots of the Older Austrian School", „Zeitschrift für Nationalökonomie, Bd. 17, 1957, S. 411-425. 5. Kapitel 1 Die klarste Einführung bietet John Henry Merryman, The Civil Law Tradition: An Introduction to the Legal Systems of Western Europa and Latin America. Stanford 1969. Zu den Vorrechten der Richter siehe James Wilford Garner, „The Judiciary of the German Empire", PSQ, Bd. 17, 1902, S. 490-514; Bd. 18, 1903, S. 512-530; John P. Dawson, The Oracles of the Law. Ann Arbor, 1968, S. 432-506 (untersucht die seit 1789 an deutschen Gerichtshöfen verwendeten Entscheidungskriterien). Zur juristischen Ausbildung siehe Hans Lentze, „Austrian Law Schools and Legal History", in; Morris D. Forkosch (Hg.), Essays in Legal History in Honor of Felix Frankfurter. Indianapolis 1966, S. 159-174. Einen kurzen Uberblick bietet Hermann Bald, Osterreichische Rechtsgeschichte. Graz 1972. 2 Siehe Rupert Emerson, State and Sovereignty in Modern Germany. New Haven 1928, S. 59-62. 3 Über Ehrlich siehe Max Rheinstein, „Sociology of Law", Ethics, Bd. 48, 1937-1938, S. 2 3 2 239; George Gurvitch, Sociology of Law. London 1947, S. 116-122; H. Sinzheimer, Jüdische Klassiker der deutschen Rechtswissenschaft. 1953; P. H. Partridge, „Ehrlich's Sociology of Law", in: Geoffrey Sawer (Hg.), Studies in the Sociology of Law. Canberra 1961, S. 1-29; Sawer, Law in Society. Oxford 1965, S. 174-177; Manfred Rehbinder, Die Begründung der Rechtssoziologie durch Eugen Ehrlich. Berlin 1967; N. S. Timasheff, „Ehrlich, Eugen", IESS, Bd. 4, 1968, S. 540-542. 4 Zusammengefaßt in Ehrlich, „The Sociology of Law", Harvard Law Review, Bd. 36, 19221923, S. 130-145. Siehe auch Ehrlich, Recht und Leben. Gesammelte Schriften zur Rechtstatsachenforschung und zur Freirechtslehre. Hgg. von Manfred Rehbinder, Berlin 1967. Zu 418

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den Verhältnissen in der Bukowina siehe Maria Mach, Erinnerungen einer Erzieherin. 2. Aufl. Wien 1913, S. 107-142; Philipp Menczel, Trügerische Lösungen. Erlebnisse und Betrachtungen eines Österreichers. Stuttgart 1932, S. 1 - 9 7 ; Franz Hieronymus Riedl, „Die Universität Czernowitz als völkerverbindende Institution 1875-1919", Der Donauraum, Bd. 15, 1970, S. 216-228. Uber Anton Menger siehe Ehrlich, „Anton Menger", Süddeutsche Monatshefte, Bd. 3, 1906, S. 285-318; Karl Grünberg, „Anton Menger", Biographisches Jahrbuch und deutscher Nekrolog, Bd. 11, 1908, S. 3 - 2 2 ; Grünberg, „Anton Menger", Zeitschrift für Volkswirtschaft und Sozialpolitik, Bd. 18, 1909, S. 2 9 - 7 8 ; Julius Kraft, „Anton Menger als Methodiker der Rechtstheorie", Archiv für die Geschichte des Sozialismus, Bd. 12, 1926, S. 182-198. Uber Gross siehe Waldemar Kaempffert, „The Crime-Master and How He Works", McClure's Magazine, Bd. 43, Juni 1914, S. 9 9 - 1 1 1 , 114; Roland Graßberger, „Hanns Gross", Journal of Criminal Law, Criminology, and Police Science, Bd. 47, 1956-1957, S. 3 9 7 - 4 0 5 ; Erich Döhring, „Hanns Gross", Neue Deutsche Biographie, Bd. 7, 1966, S. 139-141. Eine kritische Untersuchung von Gross' Interpretation der Polnaer Affaire findet sich in Arthur Nussbaum, „The ,Ritual Murder' Trial of Polna", Historia Judaica, Bd. 9, 1950, S. 57-74, bes. 64-72. Siehe Joseph Gollomb, Master Man Hunters. New York 1926, S. 252-315; Victor Wallace Germains, Austria of Today: With a Special Chapter on the Austrian Police. London 1932, S. 189-215. Zur Biographie Kelsens siehe Rudolf Aladar Métall, Hans Kelsen. Leben und Werk. Eine autorisierte Biographie mit vollständigem Literatur- und Schrifttumsverzeichnis. Wien 1969. Zu seiner denkerischen Leistung siehe Erich Vögelin, „Kelsens Pure Theory of Law", PSQ, Bd. 42, 1927, S. 2 6 8 - 2 7 6 ; Isaac Husik, „The Legal Philosophy of Hans Kelsen", Journal of Social Philosophy, Bd. 3, 1937-1938, S. 2 9 7 - 3 2 4 . Eine allgemeinverständliche Anthologie liegt vor in Hans Klecatsky, René Marcic und Herbert Schambeck (Hg.), Die Wiener rechtstheoretische Schule. Schriften von Hans Kelsen, Adolf Merkl, Alfred Verdroß. 2 Bde., Wien 1968. Zur Verfassung Kelsens siehe Kelsen, „Die Vollendung der österreichischen Bundesverfassung", Zeitschrift für Politik, Bd. 15, 1925-1926, S. 301-319; Mary Macdonald, The Republic of Austria. 1918—1934: A Study in the Failure of Democratic Government. London 1946; Winfried R. Dallmayr, „Background and Development of the Austrian Constitutional Court", JCEA, Bd. 21, 1961-1962, S. 403-433, bes. 409-429. Siehe K. M. Bergbohm, Jurisprudenz und Rechtsphilosophie. Kritische Abhandlungen. Leipzig 1892, S. 279. Siehe Julius Stone, The Province and Function of Law: Law as Logic, Justice, and Social Control: A Study in Jurisprudence. Cambridge, Mass. 1950, S. 91-114. Hans Kelsen, „The Pure Theory of Law: Its Methods and Fundamental Concepts", Law Quarterly Review, Bd. 50, 1934, S. 483. Siehe Kelsen, Sozialismus und Staat. Eine Untersuchung der politischen Theorie des Marxismus. Leipzig 1920, 3. Aufl. Wien 1965, S. 170-174. Kelsen, „Die platonische Gerechtigkeit", Kantstudien, Bd. 38, 1933, S. 91-117. Kelsen, „Die platonische Liebe", Imago, Bd. 19, 1933, S. 3 4 - 9 8 und 225-255. Siehe auch Kelsen, „The Soul and the Law", Review of Religion, Bd. 1, 1937, S. 337-360; Kelsen, „The Philosophy of Aristotle and the Hellenic-Macedonian Policy", Ethics, Bd. 48, 1937, S. 1-64. Siehe Kelsen, „Absolutism and Relativism in Philosophy and Politics", American Political Science Review, Bd. 42, 1948, S. 906-914.

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6. Kapitel 1 Zum Austromarxismus siehe Ludwig Brügel, Geschichte der österreichischen Sozialdemokratie. Bde. 3 - 5 , Wien 1922-1925; Yvon Bourdet, „Les conditions d'étude de l'austromarxisme", Le Mouvement Social, Nr. 50, 1965, S. 111-120; Paul Michael Zulehner, Kirche und Austromarxismus. Eine Studie zur Problematik Kirche-Staat-Gesellschaft. Wien 1967; Norbert Leser, Zwischen Reformismus und Bolschewismus. Der Austromarxismus als Theorie und Praxis. Wien 1968 (umfassend); Emil Kauder, „Austro-Marxism versus Austro-Marginalism", History of Political Economy, Bd. 2, 1970, S. 398-418; Jean Maitron und Georges Haupt (Hg.), Dictionnaire biographique du mouvement ouvrier international. I. Autriche. Paris 1971. 2 Über Viktor Adler siehe Stefan Großmann, Ich war begeistert. Eine Lebensgeschichte. Berlin 1931, S. 92-105, 255-267; Julius Braunthal, Auf der Suche nach dem Millennium. Wien 1964; Braunthal, Victor und Friedrich Adler. Zwei Generationen Arbeiterbewegung. Wien 1965; Wanda Lanzer und Ernst K. Herlitza (Hg.), Victor Adler im Spiegel seiner Zeitgenossen. Wien 1968. 3 Jones, Bd. 1, S. 48, 215-216. Siehe auch William J. McGrath, „Student Radicalism in Vienna", JCH, Bd. 2/3, 1967, S. 183-201. 4 Zitiert in Heinrich Benedikt, Die Monarchie des Hauses Österreich. Ein historisches Essay. München 1968, S. 181. 5 Siehe Edmund Silberner, Sozialisten zur Judenfrage. Bonn 1963, S. 231-247; „The Jewish Background of Victor and Friedrich Adler", YLBI, Bd. 10, 1965, S. 266-276. 6 Siehe Friedrich Adler, Vor dem Ausnahmegericht. Berlin 1919, Neudr. Wien 1967; Ronald Florence, Fritz: The Story of a Political Assassin. New York 1971. Uber Schuhmeier siehe Helga Schmidt und Felix Czeike, Franz Schuhmeier. Wien 1964. 7 Uber Flüchtlinge im Wien der zwanziger Jahre siehe Victor Serge, Memoirs of a Revolutionär ¡901-1941. New York 1963, S. 175-192. 8 Über Bauer siehe Richard Charmatz, „Der Theoretiker und Praktiker des Marxismus: Dr. Otto Bauer", in: Lebensbilder aus der Geschichte Österreichs. Wien 1947, S. 219-240; Braunthal, „Otto Bauer. Ein Lebensbild", in: Bauer, Eine Auswahl aus seinem Lebenswerk. Wien 1961, S. 9—101; Viktor Reimann, Zu groß für Österreich. Seipel und Bauer im Kampf um die Erste Republik. Wien 1968, S. 253-380; Yvon Bourdet, „La Mort d'Otto Bauer à Paris le 4 juillet 1938", Le Mouvement Social, Nr. 66, 1969, S. 105-116; Otto Leichter, Otto Bauer. Tragödie oder Triumph. Wien 1970. Bauers Reden aus der Zeit von 1919 bis 1934 erschienen in Heinz Fischer (Hg.), Zum Wort gemeldet. Otto Bauer. Wien 1968. 9 Braunthal, Auf der Suche nach dem Millennium, S. 80. 10 Über Bauer als Außenminister siehe Alfred D. Low, „The First Austrian Republic and Soviet Hungary", JCEA, Bd. 20, 1960-1961, S. 174-203. 11 Abgedruckt in Bauer, Eine Auswahl, S. 102-139. 12 Über Seipel siehe Barbara Ward, „Ignaz Seipel and the Anschluss", Dublin Review, Bd. 203, 1938, S. 33-50; Reimann, Zu groß für Österreich, S. 41-252 (vergleicht Seipel bezüglich Statur und Politik mit Metternich). 13 Zu diesen Reformen siehe Karl Pribram, „Die Sozialpolitik im neuen Osterreich", ASWSP, Bd. 48, 1921-1922, S. 615-680; Felix Czeike, Wirtschafts- und Sozialpolitik der Gemeinde Wien in der Ersten Republik, 1919-1934. 2 Bde., Wien 1958-1959. 14 Zur sozialistischen Untergrundbewegung siehe Joseph Buttinger, Am Beispiel Österreichs. Ein geschichtlicher Beitrag zur Krise der sozialistischen Bewegung. Köln 1953. 15 Über Renner siehe Karl Renner, An der Wende zweier Zeiten. Lebenserinnerungen. Wien 1946 (behandelt nur den Zeitraum bis 1895); Robert A. Kann, „Karl Renner", JMH, Bd. 23, 1951, S. 243-249; Frederick Hertz, „Karl Renner: Statesman and Political Thinker",

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Contemporary Review, Bd. 179, 1951, S. 142-145; O t t o Weinberger, „Karl Renner als Soziolog", Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft, Bd. 109, 1953, S. 7 2 6 - 7 3 6 ; Jacques H a n n a k , Karl Renner und seine Zeit. Versuch einer Biographie. Wien 1965 (äußerst gründlich). Die gesammelten Parlamentsreden Renners finden sich in Heinz Fischer (Hg.), Karl Renner. Porträt einer Evolution. W i e n 1970. 16 U b e r Fischhof siehe C h a r m a t z , Adolf Fischhof. Das Lebensbild eines österreichischen Politikers. Stuttgart 1910; K a n n , Das Nationalitätenproblem der Habsburgermonarchie. GrazKöln 1964, Bd. 2, S. 1 4 9 - 1 5 5 ; W e r n e r J. C a h n m a n , „Adolf Fischhof and his G e r m a n Followers", YLBI, Bd. 4, 1959, S. 1 1 1 - 1 3 9 . 17 D e r Text ist abgedruckt in Klaus Berchtold (Hg.), Österreichische Parteiprogramme 1868-1966. M ü n c h e n 1967, S. 1 4 4 - 1 4 5 . Renners Vorschläge finden sich in Renner, Österreichs Erneuerung. Politisch-programmatische Aufsätze. 3 Bde., W i e n 1 9 1 6 - 1 9 1 7 . Z u m Föderalismus Renners siehe Rudolf Schlesinger, Federalism in Central and Eastern Europe. N e w York 1945, S. 2 1 3 - 2 1 8 , 2 3 7 - 2 4 0 ; A. G. Kogon, „ T h e Social D e m o c r a t s a n d the C o n f l i c t of Nationalities in the H a b s b u r g M o n a r c h y " , J M H , Bd. 21, 1949, S. 2 0 4 - 2 1 7 ; Kann, Nationalitätenproblem, Bd. 2, S. 1 6 0 - 1 6 2 ; R u d o l f Wierer, Der Föderalismus im Donauraum. Graz 1960, S. 1 0 6 - 1 1 0 ; H a n s M o m m s e n , Die Sozialdemokratie und die Nationalitätenfrage im habsburgischen Vielvölkerstaat. Das Ringen um die supranationale Integration der zisleithanischen Arbeiterbewegung (1867-1907). W i e n 1963, S. 3 2 7 - 3 3 1 , 352-360. 18 Eine zweite Auflage trug den Titel Die Rechtsinstitute des Privatrechts und ihre soziale Funktion. Ein Beitrag zur Kritik des bürgerlichen Rechts. Wien 1929, Neudr. Stuttgart 1965. Siehe Wolfgang Friedmann, Legal Theory. 4. Aufl. L o n d o n I960, S. 3 2 8 - 3 3 1 . 19 Malcolm Bullock, Austria 1918-1938: A Study in Failure. L o n d o n 1939, S. 1 3 6 - 1 3 7 . 20 Uber Max Adler siehe O s k a r Blum, „Max Adlers N e u g e s t a l t u n g des Marxismus", Archiv für die Geschichte des Sozialismus, Bd. 8, 1919, S. 1 7 7 - 2 4 7 ; Emil Franzel, „Das Werk Max Adlers", Der Kampf, Bd. 4, 1937, S. 2 9 1 - 2 9 7 ; C o n s t a n z e Glaser, „Max Adler", Philosophia, Bd. 2, 1937, S. 2 9 0 - 2 9 2 ; N o r b e r t Leser, „Austro-Marxism: A Reappraisal", J C H , Bd. 1/2, 1966, S. 1 3 0 - 1 3 2 ; Peter Heintel, System und Ideologie. Der Austromarxismus im Spiegel der Philosophie Max Adlers. M ü n c h e n 1967 (sehr speziell); Heintel, „Austromarxismus u n d Religion", Neues Forum, Bd. 14, 1967, S. 1 4 0 - 1 4 3 , 2 3 6 - 2 3 9 ; Yvon Bourdet, „Présentation", in: Adler, Démocratie et conseils ouvriers. Paris 1967, S. 1 - 4 4 ; Bourdet, „Préface", in: Adler, Démocratie politique et démocratie sociale. Paris 1970, S. V I I - X X V I I I ; Bourdet, „Max Adler et la q u e s t i o n de l'utopie", Economies et sociétés, Bd. 4, 1970, S. 2 0 6 9 - 2 0 7 8 ; Iring Fetscher, „Apriorische Gesellschaft. Ü b e r Max Adler Vortrag in W i e n 1967", Neues Forum, Bd. 18, Nov./Dez. 1971, S. 2 6 - 2 9 . 21 Siehe Max Adler, Soziologie des Marxismus. Bd. 2 u n d 3, Wien 1964. 22 Über die W i e n e r Empiriker siehe Paul F. Lazarsfeld, „An Episode in the H i s t o r y of Social Research: A M e m o i r " , in: D o n a l d Fleming u n d Bernard Bailyn (Hg.), The Intellectual Migration: Europe and America, 1930-1960. C a m b r i d g e , Mass. 1969, S. 2 7 0 337, bes. 2 7 2 - 2 9 1 . 2 3 Siehe Adler, „Die Stellung von Marx u n d Engels zum Materialismus" [1930], in: Soziologie des Marxismus. Bd. 1, S. 7 9 - 8 6 . Siehe auch Adler, „Marxismus ist nicht M a terialismus" [1913], Neues Forum, Bd. 14, 1967, S. 4 8 5 - 4 8 8 . 24 Adler, „Die sozialistische Idee der Befreiung bei Karl Marx", in: Marxstudien, Bd. 4, W i e n 1918, S. V I - X X I V , bes. X I I - X X . Adlers Quelle war Franz M e h r i n g (Hg.), Gesammelte Schriften von Marx und Engels, 1841-1850. 3 Bde., Stuttgart 1902, wo sich auch Marx' Dissertation von 1841 findet. 25 Alasdair Maclntyre, „Marxist Mask and R o m a n t i c Face: Lukâcs on T h o m a s Encounter, Bd. 24, April 1965, S. 68.

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Mann",

7. Kapitel 1 C. A. Macartney, The Social Revolution in Austria. Cambridge 1926, S. 207. Über Sitten und Kunst in Wien um 1900 siehe Otto Friedländer, Letzter Glanz der Märchenstadt. Das war Wien um 1900 [1948], Wien 1969; Willy Haas, Die Belle Epoque. 2. Aufl. München 1968 (vergleicht Wien mit Paris, München, Berlin und London); Michael Freund, Abendglanz Europas. Bilder und Texte 1870-1914. Stuttgart 1967; Franz Hubmann, Das k. u. k. Familienalbum. Die Welt von gestern in alten Photographien. Wien 1971. Diese Werke enthalten reichlich Bildmaterial. Eine Anthologie mit einigen wenigen Photographien liegt vor in Jost Perfahl, Wien-Chronik. 3. Aufl. Salzburg 1969. 2 Siehe Georg Jellinek, „Die deutsche Philosophie in Osterreich" [1874], in: Ausgewählte Schriften und Reden. 2 Bde., Berlin 1911, Bd. 1, S. 61-62. 3 Arthur Koestler, Arrow in the Blue: An Autobiography. New York 1952, S. 44. 4 Hanns Sachs, Freud: Master and Friend. Cambridge, Mass. 1946, S. 23. 5 Martin Freud, Sigmund Freud: Man und Father. New York 1958, S. 24-25. 6 Der vollständigste Bericht über diese Einrichtungen und Verhaltensweisen findet sich in A. S. Levetus, Imperial Vienna: An Account of Its History, Traditions, and Arts. London 1905, S. 364-398. 7 Hans Wilczek, Gentlemen of Vienna: Reminiscences. New York 1934, S. 23. 8 Stefan Zweig, Die Welt von Gestern. Erinnerungen eines Europäers. Stockholm 1942, S. 98-102. Über andere Vorkriegs-Abartigkeiten siehe Magnus Hirschfeld, Sittengeschichte des Weltkrieges. 2 Bde., Leipzig 1930, 2. Aufl. Hanau 1966, Bd. 1, S. 1-26. 9 Einzelne Fälle werden behandelt in Arthur Schnitzler, Jugend in Wien. Wien 1968, S. 109-116, 175-176; Franz Blei, „Erzählung einer Jugend" [1930], in: Schriften in Auswahl. München 1960, S. 125-140. Eine lebendige Typologie der Wienerin findet sich in Ludwig Hirschfeld, Das Buch von Wien. München 1927, S. 238-255. 10 Martin Freud, Sigmund Freud, S. 169-170. 11 Lou Andreas-Salomé, Lebensrückblick. Grundriß einiger Lebenserinnerungen. Zürich 1951, S. 132. Über den maßgeblichen Einfluß Richard Beer-Hofmanns auf Lou siehe Rudolph Binion, Frau Lou: Nietzsche's Wayward Disciple. Princeton 1968, S. 190-207, bes. 207 (beschreibt Lous Aufenthalt in Wien 1895-1896). 12 Über Mizzi Veith siehe Richard Waldegg und Rudolf Till, Sittengeschichte von Wien. 4. Aufl. Stuttgart 1965, S. 413-415. Zur Reaktion eines etwa zwölf- bis vierzehnjährigen Wiener Mädchens der gehobenen Mittelschicht auf dergleichen Usancen siehe Hermine von Hug-Helmuth (Hg.), Tagebuch eines halbwüchsigen Mädchens. Wien 1919. 13 Über das Wiener Kaffeehaus siehe Alfred Polgar, „Theorie des ,Cafe Central'", in: An den Rand geschrieben. Berlin 1926, S. 85-91, abgedruckt in: Fensterplatz. Hamburg 1959, S. 7 - 1 2 ; Ludwig Hirschfeld, „Kaffeehauskultur", in: Das Buch von Wien. S. 31-48, bes. 4 5 - 4 8 ; Alfred Peters, „Das Wiener Café", Kölner Vierteljahreshefte für Soziologie, Bd. 9, 1930-1931, S. 192-195; Phyllis Bottome, Alfred Adler: A Biography. New York 1939, S. 4 5 - 4 6 ; Gustav Gugitz, Das Wiener Kaffeehaus. Ein Stück Kultur- und Lokalgeschichte. Wien 1940 (behandelt die Zeit von 1683-1848); Herta Singer, Im Wiener Kaffeehaus. Wien 1959 (anekdotenhaft); Emil Franzel, „Das Café", in: Sehnsucht nach den alten Gassen. Wien 1964, S. 13-15; Claudio Magris, Der habsburgische Mythos in der österreichischen Literatur. Salzburg 1966, S. 187-190; Hilde Spiel, „Das Kaffeehaus als Weltanschauung", in: Spiel (Hg.), Wien - Spektrum einer Stadt. Wien 1971, S. 124-140. 14 Zu Erinnerungen an das Café Griensteidl siehe Felix Saiten, „Aus den Anfängen. Erinnerungsskizzen", Jahrbuch deutscher Bibliophilen und Literaturfreunde, Bd. 18/19, 1932-1933, S. 31-46. 15 Siehe Johannes Urzidil, „Vermächtnis eines Jünglings", in: Prager Tryptichon. München 1960, S. 185-186.

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16 Über Bahr siehe Hermann Bahr, „Zur Überwindung des Naturalismus. Theoretische Schriften 1887-1904, Stuttgart 1968; Bahr, Selbstbildnis. Berlin 1923; Heinz Kindermann, Hermann Bahr. Ein Leben für das europäische Theater. Graz 1954. 17 Peter Altenberg, „So wurde ich" [1912], in: Walther Killy (Hg.), 20. Jahrhundert. Texte und Zeugnisse 1880-1933. München 1967, S. 2 8 0 - 2 8 1 . Siehe auch Altenberg, Auswahl aus seinen Büchern, hgg. v. Karl Kraus. Wien 1932, Neudr. Zürich 1963. Uber Altenberg siehe Randolph J. Klawiter, „Peter Altenberg und das junge Wien", Modern Austrian Literature, Bd. 1, Winter 1968, S. 1-55 (enthält umfassende Bibliographie). Schnitzlers posthumes Drama „Das Wort" (Frankfurt 1966) wendet sich gegen die Flüchtigkeit Altenbergs. Siehe Reinhard Urbach, .„Schwätzer sind Verbrecher'. Bemerkungen zu Schnitzlers Dramenfragment ,Das Wort'", Literatur und Kritik, Bd. 3, 1968, S. 293-304. 18 J. P. Stern, Re-lnterpretations. New York 1964, S. 54; Karl Wache, Jahrmarkt der Wiener Literatur. Wien 1966, S. 103-114. Eine umfassende Geschichte und Typologie des Feuilletons findet sich in Wilmont Haacke, Handbuch des Feuilletons. 3 Bde., Emsdetten 19511953. Zwei empfehlenswerte Anthologien sind Paul von Zsolnay (Hg.), Wiener Cocktail. Wien 1960; und Hans Bender (Hg.), Klassiker des Feuilletons. Stuttgart 1965. 19 Siehe Friedrich Schlögl, Wiener Blut. Kleine Culturbilder aus dem Volksleben der alten Kaiserstadt an der Donau. Wien 1875; Ferdinand Kürnberger, Feuilletons, hgg. v. Karl Riha. Frankfurt/Main 1967, bes. 141-178 über sprachliche Unzulänglichkeiten in der Presse. 20 Diese Aufsätze finden sich gesammelt bei Daniel Spitzer, Wiener Spaziergänge. 7 Bde., Wien 1879-1894, Neudr. 1966; auszugsweise in Daniel Spitzer, Hereinspaziert ins alte Wien. Herrenalb 1967. 21 Siehe Vinzenz Chiavacci, Aus dem Kleinleben der Großstadt. Wiener Genrebilder. Wien 1884. Verschiedene Beiträge Eduard Pötzls finden sich in dem Kompendium Wienerstadt. Lebensbilder aus der Gegenwart. Wien 1895 (bringt eine lebendige Darstellung des Alltags lebens). 22 Abgedruckt in Kraus, Untergang der Welt durch schwarze Magie [1922], in: Werke. Bd. 8, München 1960, S. 188-214. 23 Joseph Roth, „Feuilleton" [Juli 1921], in: Killy, 20. Jahrhundert, S. 274-276. 24 Roda Roda, „Der alte Österreicher", in: Das große Roda Roda-Buch. Berlin 1933, S. 3 8 4 391. 25 Über Friedell siehe Polgar, „Der große Dilettant. Zu Egon Friedells .Kulturgeschichte der Neuzeit'. Der Mann und das Werk", Der Monat, Bd. 2, 1949-1950, S. 4 1 0 - 4 1 9 ; Hilde Spiel, „Egon Friedell", in: Welt im Widerschein. Essays. München 1960, S. 255-263; Walther Schneider, „Einführung", in: Friedell, Aphorismen und Briefe. München 1961, S. 9 - 2 0 ; Peter Haage, Der Partylöwe, der nur Bücher fraß. Egon Friedell und sein Kreis. 2. Aufl. Hamburg 1971 (bezieht sich nur auf Friedells Leben, nicht auf sein Denken). 26 Ein Freund Friedells, Hanns Sassmann (1882-1944), verfaßte eine Darstellung der Geschichte Österreichs nach ähnlicher Manier: Das Reich der Träumer. Eine Kulturgeschichte Österreichs vom Urzustand bis zur Republik. Berlin 1932. John Günther, der Anfang der dreißiger Jahre Wien besucht hatte, machte sich den Stil des Feuilletons zu eigen in: Inside Europe. New York 1936. 27 Siehe Freud, Aus den Anfangen der Psychoanalyse 1887-1902. London 1950, S. 2 7 6 - 2 7 7 (Brief vom 12. Juni 1900); Jones, Bd. 1, S. 388. Zur Analyse des betreffenden Traumes (Irmas Spritze) siehe Freud, Die Traumdeutung, 8. Aufl., in: GW. Bd. 2/3, London 1942, S. 110-126, 298-310. 28 Siehe Heinrich Schnitzler, „Gay Vienna: Myth and Reality", Journal of the History of Ideas, Bd. 15, 1954, S. 9 4 - 1 1 8 (vom Sohn Arthur Schnitzlers). Z u m Burgtheater siehe Rudolph Lothar (Hg.), Das Wiener Burgtheater. Ein Wahrzeichen österreichischer Kunst und Kultur. Wien 1934; Ernst Haeusserman, Die Burg. Rundhorizont eines Welttheaters.

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Wien 1964; Hugo Ellenberger, Das Burgtheater. Ein Führer durch das Gebäude. 7. Aufl. Salzburg 1970; Kurt Kahl, Die Wiener und ihr Burgtheater. Wien 1974. Zweig, Die Welt von Gestern, S. 33. Ibid., S. 31. Zur Theater-Manie siehe auch Germaine Goblot, „Les parents de Karl Kraus", Études germaniques, Bd. 5, 1950, S. 43-53 (eingehend). Bahr, „Dekorationen", Neue Rundschau, Bd. 16, 1905, S. 162. Josef Weinheber, Briefe, in: Sämtliche Werke. Bd. 5, Salzburg 1956, S. 199 (Brief an Will Vesper vom 31. Dez. 1938). Ein nützliches Lexikon des österreichischen Dialektes ist Jakob Ebner, Wie sagt man in Österreich? Wörterbuch der österreichischen Besonderheiten. Mannheim 1969 (mit einer Vielzahl von Zitaten aus der österreichischen Literatur). Hofmannsthal, „Wert und Ehre deutscher Sprache" [1927], in: Ausgewählte Werke. Frankfurt 1957, Bd. 2, S. 751. Die scharfsinnigste Analyse kommt von dem aus Prag stammenden J. P. Stern: „Vienna 1900", The Listener, Bd. 67, Feb. 1962, S. 291-295; Stern, Re-Interpretations: Seven Studies in Nineteenth Century German Literature. New York 1964, S. 51-61; Stern, „Introduction", in: Arthur Schnitzler, Liebelei, Leutnant Gustl, Die letzten Masken. Cambridge 1966, S. 1-44, bes. 34-35. 8. Kapitel

1 Siehe Victor Zuckerkandl, Vom musikalischen Denken. Zürich 1964, S. 248-251. 2 Heinrich Laube, Reise durch das Biedermeier [1834-1837]. Hamburg 1965, S. 248-250. 3 Über Johann Strauß siehe Ernst Decsey, „Johann Strauß", NÖB, Bd. 2, 1925, S. 154-163; Hans Weigel, „Johann Strauß oder Die Stunde der Operette", in: Flucht vor der Größe. Beiträge zur Erkenntnis und Selbsterkenntnis Österreichs. Wien 1960, S. 209-282. Eine gute Chronik der Wiener Operette ist Bernard Grün, Die leichte Muse. Kulturgeschichte der Operette. 2. Aufl. München 1961 (von einem Kollegen Lehirs). Vgl. auch Anton Bauer, Opern und Operetten in Wien. Verzeichnis ihrer Erstaufführungen in der Zeit von 1629 bis zur Gegenwart. Graz-Köln 1955 (bringt sämtliche Angaben zu allen in Wien von 1629 bis 1955 aufgeführten Opern, Operetten und verwandten Bühnenstücken). 4 Berta Zuckerkandl-Szeps, Ich erlebte fünfzig Jahre Weltgeschichte. Stockholm 1939, S. 164. 5 Siehe H. L. Mencken, George Jean Nathan und Willard Huntington Wright, Europe after 8 : 15. New York 1914, S. 35-70; Ludwig Hirschfeld, Das Buch von Wien. München 1927, S. 131-141. 6 Zu Reaktionen auf die Weltausstellung 1873 siehe Anna Freud-Bernays, „My Brother Sigmund Freud", American Mercury, Bd. 51, 1940, S. 338. Siehe auch „Vienna at Exhibition Time", Blackwood's Magazine, Bd. 114, 1873, S. 442-458. 7 Siehe Artur Schnabel, My Life and Music. London 1961, S. 8-42, bes. 9 und 24. Eine Fülle von Erinnerungen an dieses musikalische Milieu findet sich in E. Newcomb, Leschetizky as I Knew Him. New York 1921, Neudr. 1967. Siehe auch Dominique Jameux, „Le goût musical dans un centre de haute tradition: Vienne 1913", in: Liliane Brion-Guerry (Hg.), LAnnée 1913. Les formes esthétiques de l'œvre d'art à la veille de la première guerre mondiale. 2 Bde., Paris 1971, Bd. 1, S. 488-512. 8 Über Hanslick siehe Eduard Hanslick, Aus meinem Leben. 2 Bde., Berlin 1894; Max Graf, Composer and Critic. New York 1946, S. 244-251; Weigel, „Eduard Hanslick. Eine Ehrenrettung", Neues Forum, Bd. 13, 1966, S. 413-418; Carl Dahlhaus, „Eduard Hanslick und der musikalische Formbegriff', Die Musikforschung, Bd. 20, 1967, S. 145-153; Robert W. Hall, „On Hanslick's Supposed Formalism in Music", Journal of Aesthetics and Art Criticism, Bd. 25, 1967, S. 433-436; Steward Deas, In Defense of Hanslick. London 1940, war mir nicht zugänglich.

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9 Morse Peckham, Beyond the Tragic Vision: The Quest for Identity in the Nineteenth Century. New York 1962, S. 2 7 8 - 2 8 4 . Hanslick faßte seine Anschauung zur Wiener Musik zusammen in „Musik", in: Wien 1848-1888. Wien 1888, Bd. 2, S. 3 0 1 - 3 4 2 . 10 Suzanne K. Langer, Philosophy in a New Key. C a m b r i d g e , Mass. 1942, Neudr. N e w York 1948, S. 193 (deutsch: Philosophie auf neuem Wege. Das Symbol im Denken, im Ritus und in der Kunst). 11 Uber Adler siehe G u i d o Adler, Wollen und Wirken. Aus dem Leben eines Musikhistorikers. W i e n 1935; Adler, „Style Criticism", The Musical Quarterly, Bd. 20, April 1934, S. 1 7 2 - 1 7 6 . 12 Uber Bruckner siehe Erich Kinast, „ I m m a n u e l Kant, A n t o n Bruckner. Das Psychogramm des Philosophen u n d des Künstlers", Deutsche Psychologie, Bd. 4, 1926, S. 3 0 5 - 3 7 4 , bes. 3 4 5 - 3 6 8 , 3 7 2 - 3 7 4 (enthält eine Bibliographie in Auswahl); Graf, „Anton B r u c k n e r s Catholicism", Commonweal, Bd. 36, 1942, S. 4 8 6 - 4 8 8 ; Graf, Legend of a Musical City. N e w York 1945, S. 1 4 2 - 1 5 2 ; Max Auer, Anton Bruckner. Sein Leben und Werk. 6. Aufl. Wien 1949, Neudr. 1965. 13 Max Brod, Streitbares Leben, 1884-1968. 2. Aufl. M ü n c h e n 1969, S. 2 1 4 - 2 1 8 . Z u anderen Anekdoten siehe Decsey, Musik war sein Leben. W i e n 1962, S. 3 3 - 3 6 , 8 0 - 8 3 . 14 Über H u g o Wolf siehe H u g o Wolf, Briefe an Melanie Köchert. Tutzing 1964; Decsey, Hugo Wolf. 4 Bde., Leipzig 1903; Ernest N e w m a n , Hugo Wolf. L o n d o n 1907; H e r m a n n Bahr, Selbstbildnis. Berlin 1923, S. 1 5 3 - 1 5 5 ; Stefan G r o ß m a n n , Ich war begeistert. Berlin 1931, S. 1 6 2 - 1 6 5 ; Graf, Legend of a Musical City. S. 1 3 4 - 1 4 1 ; Frank Walker, Hugo Wolf: A Biography. L o n d o n 1952, 2. Aufl. 1968 (ausführlich; deutsch: Hugo Wolf Eine Biographie. 1953); Erik Werba, Hugo Wolf oder Der zornige Romantiker. W i e n 1971. 15 Rosa Mayreder, „ E r i n n e r u n g e n an H u g o W o l f ' [1928], in: Die Krise der Väterlichkeit. Graz 1963, S. 58. 16 Ü b e r M a h l e r siehe Bahr, „Mahler" [1914], in: Essays. Kulturprofil der Jahrhundertwende. W i e n 1962, S. 2 7 5 - 2 8 2 (vergleicht M a h l e r mit dem Violinisten Pisani, der in Edward Bulwer-Lyttons Zanoni, 1842, beschrieben wird); B r u n o Walter, Gustav Mahler [1936]. New York 1941 (deutsch: Gustav Mahler. Ein Porträt. 1957); Alma Mahler-Werfel, Gustav Mahler. Erinnerungen und Briefe. A m s t e r d a m 1940; Mahler-Werfel, Mein Leben. 5. Aufl. Frankfurt 1963; Donald Mitchell, Gustav Mahler: The Early Years. L o n d o n 1958; T h e o d o r W. A d o r n o , Mahler. Eine musikalische Physiognomik. F r a n k f u r t 1969 (sehr geistreich); Neville Cardus, Gustav Mahler: His Mind and His Music. 2 Bde., L o n d o n 1965—; Arnold Schönberg u. a., Über Gustav Mahler. T ü b i n g e n 1966; William E. Mooney, „Gustav Mahler: A N o t e on Life and Death in Music", Psychoanalytic Quarterly, Bd. 37, 1968, S. 8 0 - 1 0 2 ; Kurt Blaukopf, Gustav Mahler oder Der Zeitgenosse der Zukunft. W i e n 1969; Henri-Louis de la Grange, Mahler. Bd. 1, New York 1973 (umfangreich). 17 Siehe J o h n L. K u e h n , „ E n c o u n t e r at Leyden: Mahler C o n s u l t s S i g m u n d Freud", Psychoanalytic Review, Bd. 52, 1965, S. 3 4 5 - 3 6 5 ; Jones, Bd. 2, S. 8 8 - 8 9 . Z u Mahlers H a l t u n g dem Tod gegenüber siehe Graf, Modern Music. N e w York 1946, S. 8 9 - 1 0 1 ; Graf, From Beethoven to Shostakovitch: The Psychology of the Composing Process. N e w York 1947, S. 1 3 0 - 1 3 7 . 18 Mahler-Werfel, Gustav Mahler, S. 8 9 - 9 0 . 19 Kurt List, „Mahler: Father of M o d e r n Music", Commentary, Bd. 10, 1950, S. 4 2 - 4 8 . 20 Eine nützliche Anthologie der Essays u n d Verse Schönbergs ist Arnold Schönberg, Schöpferische Konfessionen. Nachgelassene Schriften. Hgg. v. Willi Reich. Zürich 1964. Über Schönberg siehe Laurence G i l m a n , „Irrubrical Schönberg and His Extraordinary Music", North American Review, Bd. 199, 1914, S. 4 5 2 - 4 5 7 ; Graf, Modern Music, S. 1 6 8 - 1 9 6 ; René Leibowitz, Schönberg and His School: The Contemporary Stage of the Language of Music. New York 1949; T h e o d o r W. Adorno, „Schönberg u n d der Fortschritt", in: Adorno, Philosophie der neuen Musik. F r a n k f u r t 1 9 5 8 , S. 3 4 - 1 2 6 ; Peter G r a d e n w i t z , „ G u s t a v M a h l e r a n d A r n o l d S c h ö n b e r g " , YLBI, Bd. 5, 1960, S. 2 6 2 - 2 8 4 ; H a n s H e i n z Stucken-

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Schmidt, Arnold Schönberg. 2. Aufl. 1957; Willi Reich, Arnold Schönberg oder Der konservative Revolutionär. Wien 1968. Zu Erinnerungen über die Schüler Schönbergs siehe Theodor W. Adorno, „Erinnerungen", in: Adorno, Alban Berg. Der Meister des kleinsten Übergangs. Wien 1968, S. 15-42. Eine eingehende stilistische Analyse liegt vor in Will Hofmann, „Expressionismus". III: „Stilbestimmung des unmusikalischen Expressionismus", in: Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Bd. 3, Kassel 1954, S. 1658-1673. 21 Schönberg, „Offener Brief', Die Fackel, Nr. 272-273, 15. Feb. 1909, S. 34-35. 22 Schönberg, „Rede in Prag" [1913], in: Schönberg u. a., Über Gustav Mahler. S. 12-13. 23 Anton Ehrenzweig, The Hidden Order of Art. London 1967, S. 253-256.

9. Kapitel 1 Über Makart siehe Friedrich Pollak, „Makart, Hans M.", ADB, Bd. 52, 1906, S. 158-164; „Hans Makart", N Ö B , Bd. 6, 1929, S. 15-43; Emil Pirchan, Hans Makart. Leben, Werk und Zeit. Leipzig 1942, 2. Aufl. 1954; Ann Tizia Leitich, Verklungenes Wien. Vom Biedermeier zur Jahrhundertwende. Wien 1942, S. 9 9 - 1 0 7 ; Hermann Uhde-Bernays, „Hans Makart", in: Mittler und Meister. Aufsätze und Studien. München 1948, S. 2 2 4 - 2 3 4 (sehr informativ); Ernst Koller, „Makart und seine Zeit", Das Kunstwerk, Bd. 8, Feb. 1954, S. 16-17; Paul Lindau, „Ein Atelierbesuch bei Hans Makart" [1874], in: Bildende Kunst, Bd. 7, 1959, S. 4 1 8 - 4 2 0 ; Daniel Spitzer, Hereinspaziert ins alte Wien [1865-1891]. Herrenalb 1967, S. 138-143, 173-177, 328; Gerd Tolzien, „Makart, Hans", KML, Bd. 4, 1967, S. 255-258. 2 Siehe Leitich, Die Wienerin. Stuttgart 1939, S. 207-210. 3 Zu zeitgenössischen Berichten siehe Karl Ziak (Hg.), Unvergängliches Wien. Wien 1964, S. 356. 4 Über Romako siehe Fritz Novotny, Der Maler Anton Romako 1832-1889. Wien 1954; J. Muschik, „Anton Romako. Ein Maler zwischen den Zeiten", Das Kunstwerk, Bd. 18, März 1965, S. 16-21; Rudolf Bachleitner, „Romako, Anton", KML, Bd. 5, 1968, S. 114-117. 5 Über Klimt siehe Hermann Bahr, „Klimt" [1913], in: Essays. Kulturprofil der Jahrhundert wende. Wien 1962, S. 2 8 7 - 2 9 1 ; Hans Tietze, „Gustav Klimt", N Ö B , Bd. 3, 1926, S. 82-89; Hans Ankwicz von Kleehoven, „Gustav Klimt (1862-1918)", Das Kunstwerk, Bd. 8, Feb. 1954, S. 32-43; Pirchan, Gustav Klimt. Ein Künstler aus Wien. 2. Aufl. Wien 1956; Alfred Werner, „The World of Gustav Klimt", Ans, Bd. 33, Apr. 1959, S. 2 5 - 3 1 ; Werner, „The Women of Klimt and Schiele", The Reporter, Bd. 32, 25. Feb. 1965, S. 44-48; Tolzien, „Klimt, Gustav", KML, Bd. 3, 1966, S. 657-688; Fritz Novotny und Johannes Dobai, Gustav Klimt. Salzburg 1967; Richard Hamann und Jost Hermand, Stilkunst um 1900. Ostberlin 1967, S. 220-222, 234-340. 6 Über Schiele siehe O t t o Nirenstein, Egon Schiele. Persönlichkeit und Werk. Berlin 1930; James Thrall Soby, „Two Masters of Expressionism", Saturday Review, Bd. 40, 2. März 1957, S. 2 8 - 2 9 ; Werner, „Schiele and Austrian Expressionism", Arts, Bd. 35, Okt. 1960, S. 46-51; Geno Baro, „Schiele's Mannerism", Arts, Bd. 39, Jan. 1965, S. 7 0 - 7 2 ; Thomas M. Messer, Gustav Klimt and Egon Schiele, New York 1965; Wolfgang Fischer, „Egon Schiele and the Spirit of Vienna before 1918", The Connoisseur Yearbook, 1965, S. 101 — 106 (nützliche Vergleiche mit Komponisten); Fischer, „Schiele, Egon", KML, Bd. 5, 1968, S. 239-241; Otto Kallir, Egon Schiele. Oeuvre-Katalog der Gemälde. Wien 1966; Siegfried Freiberg, „Ihr werdet sehen ..." Ein Egon Schiele-Roman. Wien 1967; Horst Denkler, „Malerei mit Wörtern. Zu Egon Schieies poetischen Schriften", in: Renate von Heydebrand und Klaus Günther Jost (Hg.), Wissenschaß als Dialog. Studien zur Literatur und Kunst seit der Jahrhundertwende. Stuttgart 1969, S. 2 7 1 - 2 8 8 ; Egon Schiele, Briefe und Prosa, hgg. v. Arthur Rößler. Wien 1921, war mir nicht zugänglich.

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7 Otto Benesch, „Egon Schiele. 2: The Artist", Studio International, Bd. 168, 1964, S. 173. 8 Wladyslaw Tatarkiewiecz, „Abstract Art and Philosophy", British Journal of Aesthetics, Bd. 2, 1961-1962, S. 227-238, bes. 232-233. 9 Uber Kokoschka siehe Oskar Kokoschka, „Aus der Jugendbiographie", in: Schriften 1907-1955. München 1956, Neudr. Frankfurt 1964, S. 11-41; Edith Hoffmann, Kokoschka: Life and Work. London 1947 (sehr informativ); Hans Maria Wingler, Oskar Kokoschka. Das Werk des Malers. Salzburg 1956; Wingler, „Kokoschka, Oskar", KML, Bd. 3, 1966, S. 7 1 5 - 7 3 0 ; Werner, „Kokoschkas Baroque Expressionism", Arts, Bd. 33, Sept. 1959, S. 4 3 - 4 7 ; Josef Paul Hodin, The Dilemma of Being Modern: Essays on Art and Literature. New York 1959, S. 6 7 - 7 5 ; Hodin (Hg.), Bekenntnis zu Kokoschka. Erinnerungen und Deutungen. Berlin 1963; Hodin, Oskar Kokoschka: The Artist and His Time: A Biographical Study. London 1966 (deutsch: Oskar Kokoschka. Sein Leben - Seine Zeit. 1968.); Alma Mahler-Werfel, Mein Leben. Frankfurt 1963; Hodin, Oskar Kokoschka. Eine Psychographie. 1971. 10 Zitiert in Hodin, The Dilemma of Being Modern, S. 69. 11 Zum Wachstum Wiens siehe Frederick R. Farrow, „The Recent Development of Vienna", Transactions of the Royal Institute of British Architects, Bd. 4, 1887-1888, S. 82-87; Fred Hennings, Ringstraßensymphonie. 3 Bde., Wien 1963-1964; Karl Ziak (Hg.), Unvergängliches Wien. Ein Gang durch die Geschichte von der Urzeit bis zur Gegenwart. Wien 1964, S. 329-337; George R. und Christiane Collins, Camillo Sitte and the Birth of Modern City Planning. New York 1965, S. 3 4 - 4 4 , 126-131; Hans Bobek und Elisabeth Lichtenberger, Wien. Bauliche Gestalt und Entwicklung seit der Mitte des 19. Jahrhunderts. Graz 1966. Zu einzelnen Bauwerken siehe Der große Groner. Hgg. von Felix Czeike. Wien 1974; Gerhardt Kapner, Die Denkmäler der Wiener Ringstraße. Wien 1968; Kapner, Freiplastik in Wien. Wien 1970. Siehe auch Friedrich Javorsky, Lexikon der Wiener Straßennamen. Wien 1964. 12 Zu Photographien aus dem Wien der Ringstraßen-Zeit siehe Paul Kortz, Wien am Anfang des XX. Jahrhunderts. Ein Führer in technischer und künstlerischer Richtung. 2 Bde., Wien 1906, Bd. 2; Karl Mayreder, Wien und Umgebung. 6. Aufl. Wien 1911; Herbert Zippe, Bildband zur Geschichte Österreichs. Innsbruck 1967; Die Wiener Ringstraße — Bild einer Epoche. Bd. I: Das Kunstwerk im Bild. Hgg. von Renate Wagner-Rieger. Wien 1969; Franz Hubmann, Die gute alte Zeit. Alte Photographien aus Wien. Salzburg 1973 (großartige Bilder von Passanten). 13 Siehe Rudolf Eitelberger von Edelsberg, „Heinrich Ferstel und die Votivkirche" [1878], in: Gesammelte kunsthistorische Schriften. Wien 1879, Bd. I, S. 271-348. 14 Über Van der Nüll siehe ibid., S. 228-270. 15 Über Sitte siehe Elbert Peets, „Famous Town Planners: Camillo Sitte", Town Planning Review, Bd. 12, 1926-1927, S. 2 4 9 - 2 5 9 ; Heinrich Sitte, „Camillo Sitte 1843-1903", NÖB, Bd. 6, 1929, S. 132-149; Collins und Collins, Camillo Sitte. 16 Über Wagner siehe Joseph August Lux, Otto Wagner. Eine Monographie. München 1914; Dagobert Frey, „Otto Wagner", N Ö B , Bd. 1, 1923, S. 178-187; Pirchan, Otto Wagner. Der große Baukünstler. Wien 1956 (von einem Schüler Wagners); Hamann und Hermand, Stilkunst um 1900, S. 329-334. 17 Diese Pläne werden in Reproduktionen wiedergegeben in Otto Antonia Graf, Otto Wagner. Das Werk des Wiener Architekten, 1841-1918. Darmstadt 1963; Heinz Geretsegger und Max Peintner, Otto Wagner 1841-1918. Unbegrenzte Großstadt - Beginn der modernen Architektur. Salzburg 1964. 18 Über Loos siehe Hansjörg Graf, „Adolf Loos. Ein früher Designer", Neue Rundschau, Bd. 75, 1964, S. 513-518; Ludwig Münz und Gustav Künstler, Der Architekt Adolf Loos. Darstellung seines Schaffens nach Werkgruppen, mit chronologischem Werkverzeichnis. Wien 1964; Münz-Künstler, Adolf Loos: Pioneer of Modern Architecture. New York 1966; Willy

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Haas, Die Belle Epoque. München 1967, S. 323-335; Elsie Altmann-Loos, Adolf Loos, der Mensch. Wien 1968 (sehr informativ; von Loos' dritter Frau). Lina Loos, Das Buch ohne Titel. Erlebte Geschichten. Wien 1948 (von Loos' erster Frau), war mir nicht zugänglich. Abgedruckt in Adolf Loos, Sämtliche Schriften, hgg. v. Franz Glück. Bd. 1, Wien 1962; darin ist auch Trotzdem, Wien 1931, enthalten, eine Sammlung von zwischen 1903 und 1931 entstandenen Essays. Ibid., S. 288. Zur Wiener Schule der Kunstgeschichte siehe Julius von Schlosser, „Die Wiener Schule der Kunstgeschichte. Rückblick auf ein Säkulum deutscher Gelehrtenarbeit in Österreich", M I Ö G , Ergänzungsbd. 13, 1934, S. 145-226; Udo Kultermann, Geschichte der Kunstgeschichte. Der Weg einer Wissenschaft. Wien 1966, S. 278-302. Uber Eitelberger siehe Hubert Janitschek, „Rudolf Eitelberger", Repertorium für Kunstwisensschaft, Bd. 8, 1885, S. 398-404; J. Folnesics, „Eitelberger, Rudolf E. von Edelberg", ADB, Bd. 55, 1910, S. 734-738; Taras von Borodajkewycz, „Aus der Frühzeit der Wiener Schule der Kunstgeschichte. Rudolf Eitelberger und Leo T h u n " , in: Festschrift Hans Sedlmayr. München 1962, S. 321-348. Uber Thausing siehe Anton Springer, „Moriz Thausing", in: Repertorium für Kunstwissenschaft. Bd. 8, 1885, S. 142-147; Theodor von Frimmel, „Thausing, Moriz Th.", ADB, Bd. 37, 1894, S. 660-664. Siehe Edgar Wind, Art and Anarchy. New York, S. 32-51, 138-151. Über Wickhoff siehe Gustav Glück, „Franz W i c k h o f f ' , in: Repertorium für Kunstwissenschaft. Bd. 32, 1909, S. 3 8 6 - 3 9 0 ; Schlosser, „Franz W i c k h o f f ' , N Ö B , Bd. 8, 1935, S. 190-198. Über Riegl siehe Erwin Panofsky, „Der Begriff des Kunstwollens", ZAAK, Bd. 14, 1920, S. 321-339; Wind, „Zur Systematik der künstlerischen Probleme", ZAAK, Bd. 18, 1925, S. 438-486; Hans Sedlmayr, „Einleitung", in: Riegl, Gesammelte Aufsätze. Augsburg 1929, S. XI-XXXIV; Tietze, „Alois Riegl", N Ö B , Bd. 8, 1935, S. 142-149; Geza Revesz, Psychology and the Art of the Blind. London 1950, S. 2 0 7 - 2 1 3 ; O t t o Pacht, „Art Historians and Art Critics. VI: Alois Riegl", Burlington Magazine, Bd. 105, 1963, S. 188-193. Wind, Art and Anarchy, S. 23. Über Dvorak siehe Dagobert Frey, „Max Dvoräks Stellung in der Kunstgeschichte", Jahrbuch für Kunstgeschichte, Bd. 1, 1922, S. 1 - 2 1 ; Josef Weingartner, „Max Dvorak und die kunsthistorische Wiener Schule", Hochland, Bd. 21, 1924, S. 3 4 5 - 3 5 1 ; Benesch, „Max Dvorak (1874-1921)", N Ö B , Bd. 10, 1957, S. 189-198; Ludwig von Bertalanffy, Besprechung von Max Dvorak, Kunstgeschichte als Geistesgeschichte. Wien 1923, in: ZAAK, Bd. 20, 1926, S. 3 7 5 - 3 8 1 ; Sedlmayr, „Kunstgeschichte als Geistesgeschichte", Wort und Wahrheit, Bd. 4, 1949, S. 264-277; J. Neumann, „Das Werk Max Dvoraks und die Gegenwart", Acta historiae artium, Bd. 8, 1962, S. 177-213; Karl Maria Swoboda, „Preface", in: Dvorak, Idealism and Naturalism in Gothic Art [1918]. Notre Dame 1967, S. X I X XXX. Über Schlosser siehe „Johannes Schlosser", in: Johannes Jahn (Hg.), Die Kunstwissenschaft der Gegenwart in Selbstdarstellungen. Leipzig 1924, S. 9 5 - 1 3 4 ; Sedlmayr, „Julius Ritter von Schlosser", M I Ö G , Bd. 52, 1938, S. 513-519; Ernst Gombrich, „Obituary: Julius von Schlosser", Burlington Magazine, Bd. 74, 1939, S. 9 8 - 9 9 . Über Strzygowski siehe „Josef Strzygowski", in: Jahn (Hg.), Die Kunstwissenschaft. S. 157-181; Bertalanffy, Besprechung von Strzygowski, Krisis der Geisteswissenschaften [1923], in: ZAAK, Bd. 22, 1928, S. 213-226. Siehe Sedlmayr, Verlust der Mitte. Die bildende Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts als Symptom und Symbol der Zeit. Salzburg 1948. Über Sedlmayr siehe Meyer Schapiro, „The New Viennese School", The Art Bulletin, Bd. 18, 1936, S. 258-266.

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31 Marie Luise Kaschnitz beschreibt ihren Gatten in „Biographie des Verfassers", in: Guido Kaschnitz, Ausgewählte Schriften. Berlin 1965, Bd. 1, S. 228-239. Zu Parallelen zwischen Kaschnitz von Weinberg und Claude Lévi-Strauss siehe Sheldon Nodelman, „Structural Analysis in Art and Archaeology", Yale French Studies, Nr. 36-37, 1966, S. 89-103. 32 Engl. Idealism and Naturalism in Gothic Art. Notre Dame 1967. 33 Abgedruckt in Dvorak, Kunstgeschichte als Geistesgeschichte, S. 259-276. Siehe auch Dvorak, „Vorwort", in: Oskar Kokoschka, Variationen über ein Thema. Wien 1921. 34 Der vielleicht meist versprechende Versuch einer integrativen Kulturgeschichte liegt vor mit Jean Gebser, Ursprung und Gegenwart. 2 Bde., Stuttgart 1949-1953, Neuaufl. 1971.

1 0 . Kapitel 1 Uber Mayreder siehe Rosa Mayreder, Das Haus in der Landskrongasse. Jugenderinnerungen. Wien 1948; Käthe Braun-Prager, Rosa Mayreder. Wien 1955; Braun-Prager, „Einleitung", in: Mayreder, Krise der Väterlichkeit. Graz 1963, S. 5 - 2 6 (von Felix Brauns Schwester). Siehe auch Der Aufstieg der Frau. Zu Rosa Mayreders 70. Geburtstag am 30. November 1928. Jena 1928 (unglücklicherweise sind die 64 Beiträge sehr knapp gehalten). 2 Mayreder, A Survey of the Woman Problem. London 1912, S. 139. 3 Jones, Bd. 1, S. 114. 4 Mayreder, „Geschlecht und Kultur", Annalen der Natur- und Kulturphilosophie, Bd. 12, 1913, S. 289-306. 5 F. M. Colby, Besprechung von Mayreder, A Survey of the Woman Problem, in: North American Review, Bd. 198, 1913, S. 875. 6 Über Weininger siehe Karl Kraus, Die Fackel, Nr. 144, 17. Okt. 1903, S. 1-3, 15-22; Emil Lucka, Otto Weininger. Sein Werk und seine Persönlichkeit. Wien 1905; Hermann Swoboda, Otto Weiningers Tod. Leipzig 1910, 2. Aufl. 1923; André Spire. „Otto Weininger", Mercure de France, Bd. 102, 16. Apr. 1913, S. 673-697; Carl Dallago, Otto Weininger und sein Werk. Innsbruck 1912; Hans Kohn, „Das kulturelle Problem des modernen Westjuden", Der Jude, Bd. 5, 1920-1921, S. 287-291; Kohn, „Notes on the Life and Work of Arthur Schnitzler and Otto Weininger", YLBI, Bd. 6, 1961, S. 152-169; Oskar Baum, „Otto Weininger", in: Gustav Krojanker (Hg.), Juden in der deutschen Literatur. Berlin 1922, S. 121-138; Theodor Lessing, Der jüdische Selbsthaß. Berlin 1930, S. 80-100; David Abrahamsen, The Mind and Death of a Genius. New York 1946 (unentbehrlich, aber zu sehr detailliert); Abrahamsen, „Otto Weininger and Bisexuality: A Psychoanalytical Study", American Journal of Psychotherapy, Bd. 1, 1947, S. 25-44; Abrahamsen, „The Mind and Death of a Genius: Shadows of the Fast", Psychoanalytic Review, Bd. 34, 1947, S. 336-356; Werner Kraft, Karl Kraus. Beiträge zum Verständnis seines Werkes. Salzburg 1956, S. 73-94; Margarete Susman, „Otto Weininger. Ein Moralist als Verneiner" [1954], in: Vom Geheimnis der Freiheit. Gesammelte Aufsätze 1914—1964, hgg. v. Manfred Schlösser, Darmstadt 1965, S. 155-169; Manfred Durzak, Hermann Broch. Der Dichter in seiner Zeit. Stuttgart 1968, S. 11-23. 7 Siehe Margarete Jodl, Friedrich Jodl. Sein Leben und Wirken, dargestellt nach Tagebüchern und Briefen. Stuttgart 1920, S. 183-184. Siehe auch Stefan Zweig, „Vorbeigehen an einem unauffälligen Menschen: Otto Weininger" [1926], in: Europäisches Erbe. Frankfurt 1960, S. 223-226. 8 Abrahamsen, „Otto Weininger and Bisexuality", S. 40-41; Abrahamsen, The Mind and Death of a Genius, S. 54-55; Kurt R. Eissler, Talent and Genius: The Fictious Case of Tausk contra Freud. New York 1971, S. 162-171 (enthält viel neues Material).

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9 Sigmund Freud, Briefe 1873-1939. 2. Aufl. Frankfurt 1968, S. 2 6 5 - 2 6 6 . Siehe Jones, Bd. 2, S. 14-15; Vincent Brome, Freud and His Early Circle. New York 1968, S. 1 - 1 3 (deutsch: Sigmund Freud und sein Kreis. 1969). 10 Heinz Politzer, Franz Kafka: Parable and Paradox. Ithaca 1962, S. 197-200. 11 Ferdinand Ebner, Schriften. München 1963, Bd. 1, S. 4 9 - 5 0 , 295-296. 12 Alfred Werner, „Schiele and Austrian Expressionism", Arts, Bd. 35, Okt. 1960, S. 49. 13 O t t o Weininger, Geschlecht und Charakter. Eine prinzipielle Untersuchung. 5. Aufl. Wien 1905, S. 4 0 9 - 4 5 2 , bes. 423 und 439. In seinem Roman Hundejahre, Neuwied 1963, hat Günter Grass einige dieser Passagen eingearbeitet (S. 3 7 - 3 8 , 2 0 2 - 2 0 3 , 2 2 0 - 2 2 3 , 236). Siehe Wesley V. Blomster, „The Documentation of a Novel: Otto Weininger and ,Hundejahre' by Günter Grass", Monatshefte, Bd. 61, 1969, S. 122-138. 14 Siehe Lessing, Der jüdische Selbsthaß, S. 101—131; Friedrich Heer, Der Glaube des Adolf Hitler. Anatomie einer politischen Religiosität. München 1968, S. 167-168. 15 Abrahamsen, The Mind and Death of a Genius, S. 55. 16 Ibid., S. 21. Zu anderen Gedichten Weiningers siehe ibid., S. 6 2 - 6 3 , 84; Kraft, Karl Kraus, S. 93.

11. Kapitel 1 Albert Leitzmann (Hg.), Wolfgang Amadeus Mozarts Leben in seinen Briefen und Berichten der Zeitgenossen. Leipzig o. J., S. 414-415. 2 Hermann Bahr, „Selbstinventur", Neue Rundschau, Bd. 23, 1912, S. 1303. 3 Hermann Broch, „James Joyce und die Gegenwart" [1936], in: Dichten und Erkennen. Essays, Zürich 1955, Bd. 1, S. 205. 4 Hugo von Hofmannsthal, „Maria Theresia" [1917], in: Ausgewählte Werke. Frankfurt 1957, Bd. 2, S. 612. 5 Stefan Zweig, Die Welt von Gestern. Erinnerungen eines Europäers. Stockholm 1942. S. 34. Siehe auch Herbert Eisenreich, „Die schöne Leich. Von der Lust des Wieners am Sterben", Forum, Bd. 10, 1963, S. 140-142. Zum Vergleich mit anderen Gesellschaftsformen siehe Philippe Ariès, „La Mort inversée: Le changement des attitudes devant la mort dans les sociétés occidentales", Archives européennes de sociologie. Bd. 8, 1967, S. 169-195. 6 Richard N. Coudenhove-Kalergi, An Idea Conquers the World. London 1953, S. 32. 7 Harman Grisewood, „The Gigantic Fetish: A Study of C o m t e s Religious Peculiarity", Dublin Review, Bd. 225, 1951, S. 89-97. 8 Z u m Ursprung der königlichen Begräbnisse siehe Michael de Ferdinandy, „Die Rolle des Königs. Die theatralische Bedeutung des spanischen Hofzeremoniells", Der Monat, Bd. 19, Mai 1967, S. 4 8 - 4 9 . 9 Berta Szeps, My Life and History. New York 1939, S. 98-101. 10 Ferdinand Kürnberger, „Ein Aphorismus zur Denkmal-Pest unserer Zeit" [1872], in: Literarische Herzenssachen. Reflexionen und Kritiken. Wien 1877, S. 311-319. 11 Arnold Hauser, Sozialgeschichte der Kunst und Literatur. München 1972, S. 929. 12 Ibid., S. 931. Zur Wiedergabe der Flüchtigkeit im französischen Impressionismus siehe Werner H o f m a n n , Grundlagen der modernen Kunst. Eine Einführung in ihre symbolischen Formen. Stuttgart 1966, S. 179-190. Zu impressionistischen Schriftstellern Frankreichs siehe Ruth Moser, L'Impressionisme français. Peinture - Littérature - Musique. Genf 1952; Jacques Dubois, Romanciers français de l'Instantané au XIXe siècle. Brüssel 1963. Zur Interpretation des Jugendstils als einer dem Impressionismus vergleichbaren alleuropäischen Weltanschauung siehe Hans H . Hofstätter, Geschichte der europäischen Jugendstilmalerei. Ein Entwurf. 3. Aufl. Köln 1969, S. 13-45, 2 1 6 - 2 3 1 . Die anspruchsvollste Typologie des Impressionismus findet sich in Richard Hamann und Jost Hermand, Impressionismus. Ostberlin 1960. Eine eher vereinfachende, aber anregende Typologie findet sich in Luise T h o n , Die Sprache des deutschen Impressionismus. Ein Beitrag zur Erfassung ihrer Wesenszüge.

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M ü n c h e n 1928. D e r früheste Versuch einer Synthese liegt vor in H a m a n n , Der Impressionismus in Leben und Kunst. Köln 1907. Manifeste von Impressionisten f i n d e n sich in Erich Ruprecht u n d Dieter Bänsch (Hg.), Literarische Manifeste der Jahrhundertwende 1890-1910. Stuttgart 1970, S. 1 6 7 - 2 3 5 , 2 7 0 - 3 2 0 . 13 Richard Schaukai, Großmutter. Ein Buch vom Leben und Tod. Gespräche mit einer Verstorbenen. Stuttgart 1906, S. 18. 14 Schaukai, „ E r f i n d u n g e n an der Bahre", in: Um die Jahrhundertwende. M ü n c h e n ca. 1965, S. 1 7 8 - 1 7 9 . Siehe auch „Von Tod zu Tod", ibid., S. 2 1 8 - 2 2 7 . Siehe Joseph Chasle-Pavie, „Richard Schaukal", La Revue de Paris, Bd. 17, 15. Aug. 1910, S. 8 0 3 - 8 2 4 . 15 Albert Ehrenstein, Gedichte und Prosa, hgg. v. Karl O t t e n . N e u w i e d 1961, S. 3 5 4 - 3 7 5 . Tubutsch ist abgedruckt ibid., S. 2 7 7 - 3 1 0 . Z u r Verpflichtetheit Ehrensteins dem Impressionismus gegenüber siehe Fritz M a r t i n i , „Albert Ehrenstein", in: W o l f g a n g R o t h e (Hg.), Expressionismus als Literatur. Gesammelte Studien. Bern 1969, S. 6 9 0 - 7 0 6 . Z u Ehrenstein als Existentialist nach Art von Sartres Nausée siehe Gabriel Beck, Die erzählende Prosa Albert Ehrensteins (1886—1950). Interpretation und Versuch einer literaturhistorischen Einordnung. Freiburg/Schweiz 1969. 16 Uber B e e r - H o f m a n n siehe Solomon Liptzin, Richard Beer-Hofmann. N e w York 1936; Erich Kahler, „Richard B e e r - H o f m a n n 1 8 6 6 - 1 9 4 5 " , Commentary, Bd. 1, April 1946, S. 4 3 - 5 0 ; O t t o Oberholzer, Richard Beer-Hofmann. Werk und Weltbild des Dichters. Bern 1947. 17 Roth, Radetzkymarsch [1932]. Köln 1967, S. 142. Z u m Impressionismus Roths siehe Józef W i t t l i n , „ E r i n n e r u n g e n an Joseph R o t h " , in: H e r m a n n Linden ( H g . ) , Joseph Roth. Leben und Werk — Ein Gedächtnisbuch. Köln 1949, S. 4 8 - 5 8 (äußerst i n f o r m a t i v ) ; H a n s j ü r g e n Böning, Joseph Roths „Radetzkymarsch". Thematik, Struktur, Sprache. M ü n c h e n 1968, S. 1 8 2 - 1 9 0 (enthält umfassende Bibliographie). 18 Über Svevo siehe Edouard Roditi, „Novelist-Philosophers. I. Italo Svevo", Horizon, Bd. 10, 1944, S. 3 4 2 - 3 5 9 ; Renato Poggioli, „ I n t r o d u c t i o n " , in: Svevo, Confessions of Zeno. N e w York 1947, S. 1 - 8 ; Piero R i s m o n d o , „Der Fall Italo Svevo", Wort und Wahrheit, Bd. 14, 1959, S. 4 1 8 - 4 2 6 (erachtet Svevo als sui generis - weder als italienisch noch als österreichisch); J o h n Freccerò, „ Z e n o s Last Cigarette", Modern Language Notes, Bd. 77, 1962, S. 3 - 2 3 ; P. N . F u r b a n k , Italo Svevo: The Man and the Writer. L o n d o n 1966. Z u französischen Auffassungen siehe André Bouissy, „Les f o n d e m e n t s idéologiques de l'œuvre d'Italo Svevo", Revue des Études Italiennes, Bd. 12, 1966, S. 2 0 9 - 2 4 5 , 3 5 0 - 3 7 3 , Bd. 13, 1967, S. 2 3 - 5 0 ; N o r b e r t J o n a r d , Italo Svevo et la crise de la bourgeoisie européenne. Essai. Paris 1969; G i u d i t t a Rosowsky, „Théorie et p r a t i q u e psychoanalytique dans La Coscienza di Zeno", Revue des Études Italiennes, Bd. 16, 1970, S. 4 9 - 7 0 . Z u Svevos Verpflichtetheit gegenüber Ö s t e r r e i c h - U n g a r n siehe C l a u d i o Magris, Der habsburgische Mythos. Salzburg 1966, S. 2 0 4 und 310, A n m . 43. 19 A r t h u r Schnitzler, Jugend in Wien. Eine Autobiographie. W i e n 1968, S. 127. Über Schnitzler siehe Françoise Derré, L'OEuvre d'Arthur Schnitzler. Imagerie Viennoise et problèmes humains. Paris 1966 (umfassend); J. P. S t e m , „Introduction", in: Schnitzler, Liebelei, Leutnant Gusti, Die letzten Masken. C a m b r i d g e 1966, S. 1 - 4 4 (sehr tiefschürfend). Z u Schnitzlers Vorliebe f ü r den Tod siehe S o l o m o n Liptzin, Arthur Schnitzler. N e w York 1932, S. 1 - 2 3 . Z u m J u d e n b i l d in Der Weg ins Freie siehe Ernest T o n n e l a t , „Un r o m a n Viennois", La Revue de Paris, Bd. 16, 15. Juli 1909, S. 3 6 7 - 3 8 2 ; Andrew T ö r ö k , „Arthur Schnitzlers ,Der Weg ins Freie'. Versuch einer N e u i n t e r p r e t a t i o n " , Monatshefte, Bd. 6 4 , 1972, S. 3 7 1 - 3 7 7 . 20 Hauser, Sozialgeschichte der Kunst, S. 971. 21 Zitiert in George Sylvester Viereck, Glimpses of the Great. L o n d o n 1931, S. 331. 22 Ibid., S. 332. 2 3 Ernst Bertram, „Über den W i e n e r R o m a n " , Mitteilungen der literarhistorischen Gesellschaft Bonn, Bd. 4, 1919, S. 3 - 4 4 , bes. 3 - 1 0 .

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24 Andere Zeitgenossen, die die proteushafte Veränderlichkeit als einen Zug des Impressionismus hervorhoben, waren Bahr, Dialog vom Tragischen [1904], abgedruckt in Bahr, Zur Uberwindung des Naturalismus. Theoretische Schriften 1887-1904. Stuttgart 1968, S. 183188; Arthur Schurig, „Hugo von Hofmannsthal", Deutsche Rundschau, Bd. 134, 1908, S. 101115. Siehe auch Herbert Cysarz, „Alt-Österreichs letzte Dichtung (1890-1914)", Preußische Jahrbücher, Bd. 214, 1928, S. 32-51. 25 Zitiert in Viereck, Glimpses, S. 341. Eine gut durchdachte marxistische Argumentation, nach der Schnitzlers Impressionismus die Haltungen der oberen Mittelklasse widerspiegelt, liegt vor in Anna Stroka, „Der Impressionismus in Arthur Schnitzlers ,Anatol' und seine gesellschaftlichen und ideologischen Voraussetzungen", Germanica Wratislaviensia, Bd. 12, 1967-1968, S. 97-111. 26 Ein unentbehrliches Kompendium von Pathographien ist Wilhelm Lange-Eichbaum und Wolfram Kurth, Genie, Irrsinn und Ruhm. Genie-Mythus und Pathographie des Genies. 6. Aufl. München 1967 (enthält umfangreiche Bibliographie). Ebenfalls nützlich ist Walter Muschg, Tragische Literaturgeschichte. 4. Aufl. Bern 1969. Zum Selbstmord siehe T. G. Masaryk, Der Selbstmord als sociale Massenerscheinung der modernen Civilisation. Wien 1881 (enthält hervorragende Statistiken); Emil Szittya, Selbstmörder. Ein Beitrag zur Kulturgeschichte aller Zeiten und Völker. Leipzig 1928; Henry Romilly Fedden, Suicide: A Social and Historical Study. London 1938; Jack D. Douglas, The Social Meanings of Suicide. Princeton 1967; Alfred Alvarez, The Savage God: A Study of Suicide. London 1971. Zu Selbstmorden in Österreich siehe Siegfried Rosenfeld, „Der Selbstmord im k, und k. österreichischen Heere. Eine statistische Studie", Deutsche Worte, Bd. 13, 1893, S. 4 4 9 515; Bratassevic, „Die Selbstmorde in Wien während der Jahre 1854-1894", Statistische Monatsschrift, Bd. 21, 1895, S. 255-278; Erwin Ringel, Neue Untersuchungen zum Selbstmordproblem. Unter besonderer Berücksichtigung prophylaktischer Gesichtspunkte. Wien 1961 (untersucht Selbstmorde in Wien von 1949 bis 1958). 27 Alois Höfler, „Ludwig Boltzmann als Mensch und Philosoph", Süddeutsche Monatshefte, Bd. 3, 1906, S. 421. 28 Friedrich Wallisch, Es hat mich sehr gefreut. Graz 1967, S. 13-15. 29 Siehe Freud, Briefe 1873-1939. 2. Aufl. Frankfurt 1968, S. 6 5 - 7 2 (Brief vom 16. Sept. 1883). Vgl. Jones, Bd. 1, S. 187. 30 Uber Steiner siehe Theodor Lessing, Der jüdische Selbsthaß. Berlin 1930, S. 132-151. 31 Siehe Ludwig von Ficker, Denkzettel und Danksagungen. Aufsätze, Reden. München 1967, S. 204-206. 32 Paul Friedmann (Hg.), On Suicide: With Particular Reference to Suicide Among Young Students [1910]. New York 1967, S. 87. Siehe auch David Ernst Oppenheim, „Suicide in Childhood", in: Nunberg und Federn (Hg.), Minutes of the Vienna Psychoanalytic Society. New York 1967, Bd. 2, S. 4 8 1 - 4 9 7 (Sitzung vom 20. April 1910). Diese Diskussion wird wieder aufgegriffen in 13 Artikeln in der Zeitschrift für psychoanalytische Pädagogik, Bd. 3, 1928-1929, S. 333—442, und in Angel Garma, „Psychologie des Selbstmordes", Imago, Bd. 23, 1937, S. 63-95. 33 Siehe Freuds Behauptung in Friedmann (Hg.), On Suicide, S. 140. Freud löste das Rätsel in „Trauer und Melancholie" [1917], GW, Bd. 10, London 1946, S. 4 3 8 - 4 3 9 , indem er die Theorie aufstellte, das Ich ziehe während der Melancholie jegliche Libido von der Umwelt ab und veranlasse sich dadurch, sich selbst als Ding zu betrachten. 34 Alle früheren Studien über Tausk, jene über seinen Geburtsort und sein Geburtsjahr mitinbegriffen, sind bereits berücksichtigt bzw. überholt durch Paul Roazen, Brother Animal: The Story of Freud and Tausk. New York 1969, bes. S. 122-160 zum Selbstmord, und durch Kurt R. Eissler, Talent and Genius: The Fictious Case of Tausk contra Freud. New York 1971 (eine gut fundierte Polemik gegen Roazen). Roazens Entgegnung liegt vor in Roazen, „Reflections on Ethos and Authenticity in Psychoanalysis", The Human Context,

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Bd. 4, 1972, S. 5 7 7 - 5 8 7 . Drei von Tausk zwischen 1915 und 1916 verfaßte Aufsätze finden sich übersetzt und herausgegeben von Roazen in Psychoanalytic Quarterly, Bd. 83, 1969, S. 3 5 4 - 4 3 1 . Siehe auch Michael A. Sperber, „Freud, Tausk, and the Nobel Prize Complex", Psychoanalytic Review, Bd. 59, 1972, 2 8 3 - 2 9 3 , und Mark Kanzer, „Victor Tausk: The Creativity and Suicide of a Psychoanalyst", Psychoanalytic Quarterly, Bd. 41, 1972, S. 5 5 6 - 5 8 4 . 35 Über Juhäsz siehe Joseph Reményi, Hungarian Writers and Literature. New Brunswick, N. J. 1964, S. 2 7 9 - 2 8 3 . Eine Pathographie anderer Ungarn (besonders von Ady und Bolyai) wird vorgelegt in Henriette von Szirmay-Pulszky, Genie und Irrsinn im ungarischen Geistesleben. München 1935. 36 Alma Mahler-Werfel, Mein Leben. Frankfurt 1963, S. 1 9 4 - 1 9 5 . 37 Siehe Arthur Stern, „Stefan Zweig und sein Freitod. Eine psychologisch-psychiatrische Betrachtung. Zum 25. Todestage", Zeitschrift für die Geschichte der Juden, Bd. 4, 1967, S. 2 4 7 - 2 5 6 ; D. A. Prater, European of Yesterday: A Biography of Stefan Zweig. Oxford 1972, S. 3 2 0 - 3 3 9 . 38 Siehe Fritz Novotny, Der Maler Anton Romako 1832-1889. Wien 1954, S. 68. 39 Siehe Wilhelm Kosch und Eugen Kuri, Biographisches Staatshandbuch. Lexikon der Politik, Presse und Publizistik. 2 Bde., Bern 1963, Bd. 1, S. 518; Richard Bamberger und Franz Maier-Bruck (Hg.), Österreich-Lexikon. 2 Bde., Wien 1966, Bd. 1, S. 499. 40 Karl Polanyi, „Hamlet", Yale Review, Bd. 43, 1954, S. 339.

12. Kapitel 1 Die beste Mach-Biographie ist John T. Blackmore, Ernst Mach: His Life, Work, and Influence. Berkeley und Los Angeles 1972. Zu seinem Leben siehe auch Ernst Mach, The Analysis of Sensations [1900], New York 1959, S. 3 0 - 3 1 ; Paul Carus, „Professor Mach and His Work", The Monist, Bd. 21, 1911, S. 19-42; Hans Henning, Ernst Mach als Philosoph, Physiker und Psychologe. Eine Monographie. Leipzig 1915; Robert Bouvier, La pensée d'Ernst Mach. Essai de Biographie intellectuelle et critique. Paris 1923; Anton Lampa, „Ernst Mach", NÖB, Bd. I, 1923, S. 9 3 - 1 0 2 ; Fr. Herneck, „Ernst Mach. Eine bisher unveröffentlichte Autobiographie", Physikalische Blätter, Bd. 14, 1958, S. 3 8 5 - 3 9 0 ; Thomas S. Szasz, „Introduction", in: Mach, Analysis, S. V - X X X I ; K. D. Heller, Ernst Mach. Wegbereiter der modernen Physik. Wien 1964; Joachim Thiele, „Zur Wirkungsgeschichte der Schriften Ernst Machs", ZfphF, Bd. 20, 1966, S. 118-130; Thiele, „Briefe deutscher Philosophen an Ernst Mach", Synthese, Bd. 18, 1968, S. 2 8 5 - 3 0 1 ; Lewis S. Feuer, „Ernst Mach: The Unconscious Motives of an Empiricist", American Imago, Bd. 27, 1970, S. 12-40. Zur Bibliographie siehe Thiele, „Ernst Mach-Bibliographie", Centaurus, Bd. 8, 1963, S. 189-237 (beinhaltet 417 Titel von Mach und 99 über ihn); Helmut G. Meier, „Bibliographie der Ernst-Mach-Literatur", in: Jürgen Blühdorn und Joachim Ritter (Hg.), Positivismus im 19. Jahrhundert. Beiträge zu seiner geschichtlichen und systematischen Bedeutung. Frankfurt 1971, S. 1 8 3 - 2 0 1 . Machs Nachlaß ruht seit 1957 am Ernst-Mach-Institut in Freiburg. 2 Zitiert in Philipp Frank, Between Physics and Philosophy. Cambridge, Mass. 1941, S. 211. 3 Siehe Ernst Mach und P. Saldier, „Photographische Fixierung der durch Projectile in der Luft eingeleiteten Vorgänge", SKAW-Wien, Math.-Naturw. Kl., Bd. 95, II. Abh., 1887, S. 7 6 4 - 7 8 0 ; Mach und Salcher, „Uber die in Pola und Meppen angestellten ballistischphotographischen Versuche", ibid., Bd. 98, Abh. Ha, 1889, S. 4 1 - 5 0 . 4 Zu Machs Wissenschaftsphilosophie siehe Julius Baumann, „Über Ernst Machs philosophische Ansichten", Archiv für systematische Philosophie, Bd. 4, 1898, S. 4 4 - 6 4 ; Carus „Pro fessor Mach's Philosophy", The Monist, Bd. 16, 1906, S. 3 3 1 - 3 5 6 ; Frank, Modern Science and its Philosophy. Cambridge, Mass. 1949, S. 6 - 2 1 , 5 3 - 8 9 ; Richard von Mises, Posi-

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tivism: A Study in Human Understanding [1938]. Cambridge, Mass. 1951, S. 80-90; Mario Bunge, „Mach's Critique of Newtonian Mechanics", American Journal of Physics, Bd. 34, 1966, S. 585-596; Peter Alexander, „Mach, Ernst", EP, Bd. 5, 1967, S. 115-119; RobertS. Cohen, „Ernst Mach: Physics, Perception, and the Philosophy of Science", Synthese, Bd. 18, 1968, S. 132-170 (mit fünf anderen Artikeln aus einem Symposion über Mach); John Bradley, Mach's Philosophy of Science. London 1971 (sehr speziell). Siehe Gerald Holton, „Mach, Einstein, and the Search for Reality", Daedalus, Bd. 97, 1967-1968, S. 636-673; Francis Seaman, „Mach's Rejection of Atomism", Journal of the History of Ideas, Bd. 29, 1968, S. 381-393. Johann Wolfgang von Goethe, Maximen und Reflexionen, Nr. 499, in: Werke. Hamburg 1953, Bd. 12, S. 434. Mach, „On the Part Played by Accident in Invention and Discovery", The Monist, Bd. 6, 1895-1896, S. 161-175. Zusammengefaßt in E. B. Titchener, „Mach's Lectures on Psychophysics", AJP, Bd. 33, 1922, S. 213-222. Die zweite Auflage trug den Titel Die Analyse der Empfindungen und das Verhältnis des Psychischen zum Physischen. Jena 1900, 9. Aufl. 1922. Mach faßte seine Position zusammen in „Psychic and Organic Life", The Monist, Bd. 23, 1913, S. 1 - 5 . Siehe Mach, „On Sensation of Orientation", The Monist, Bd. 8, 1897-1898, S. 7 9 - 9 6 ; Mach, „On Physiological as Distinguished from Geometrical Space", The Monist, Bd. 11, 1900-1901, S. 321-338. Siehe Hermann Bahr, Dialog vom Tragischen [1904], abgedruckt in Bahr, Zur Überwindung des Naturalismus. Stuttgart 1968, S. 183-198, bes. 198. Siehe auch Bahr, „Mach" [1916], in: Bilderbuch. Wien 1921, S. 35-41. Gotthart Wunberg, Der frühe Hofmannsthal. Schizophrenie als dichterische Struktur. Stuttgart 1965, S. 37. Über Mach siehe ibid., S. 2 3 - 4 0 . Siehe Richard Hamann, Der Impressionismus in Leben und Kunst. Köln 1907, S. 113-125; H a m a n n und Hermand, Impressionismus. Ostberlin 1966, S. 111-112, 2 0 7 - 2 1 1 ; Egon Friedell, Kulturgeschichte der Neuzeit [1927-1931]. München 1965, S. 1333-1339, 1385-1389. Mach, Erkenntnis und Irrtum. Skizzen zur Psychologie der Forschung. 5- Aufl. Leipzig 1926, Neudr. Darmstadt 1968, S. VII, Anm. 1. Siehe Rudolf M. Holzapfel, Panideal. Das Seelenleben und seine soziale Neugestaltung. Leipzig 1901 (mit einem Vorwort von Mach); Richard Hönigswald, Zur Kritik der Mach'schen Philosophie. Berlin 1903; Emil Lucka, „Das Erkenntnisproblem und Mach's .Analyse der Empfindungen'. Eine kritische Studie", Kantstudien, Bd. 8, 1903, S. 396-447; Robert Musil, Beiträge zur Beurteilung der Lehren Machs. Berlin 1908 (Dissertation bei Carl Stumpf). Zu Musils Verschmelzung von Positivismus und Impressionismus siehe Renate von Heydebrand, Die Reflexionen Ulrichs in Robert Musils Roman „Der Mann ohne Eigenschaften". Münster 1969. Mach, Erkenntnis, S. 174-176. Siehe Cohen, „Ernst Mach", S. 162-166; Gustav Wetter, Dialectical Materialism: A Historical and Systematic Survey of Philosophy in the Soviel Union. New York 1963, S. 92-100, 145, 405. Friedrich Adler, Ernst Machs Überwindung des mechanischen Materialismus. Wien 1918. Über Boltzmann siehe Alois Hofler, „Ludwig Boltzmann als Mensch und Philosoph", Süddeutsche Monatshefte, Bd. 3, 1906, S. 4 1 8 - 4 2 2 ; Lampa, „Ludwig von Boltzmann", Biographisches Jahrbuch und deutscher Nekrolog, Bd. 11, 1908, S. 96-104; Wilhelm Ostwald, Große Männer. Leipzig 1909, S. 401-407; Gustav Jäger, „Ludwig Boltzmann", NÖB, Bd. 2, 1925, S. 117-137; Engelbert Broda, Ludwig Boltzmann. Mensch - Physiker - Philosoph. Wien 1955; René Dugas, La théorie physique au sens de Boltzmann et ses prolongements

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modernes. Neuchâtel 1959; Paul K. Feyerabend, „Boltzmann, Ludwig", EP, Bd. 1, 1967, S. 3 3 4 - 3 3 7 ; Stephen G. Brush, „Boltzmann, Ludwig", Dictionary of Scientific Biography, Bd. 2, 1970, S. 2 6 0 - 2 6 8 ; Blackmore, Ernst Mach, S. 8 6 - 9 0 , 2 0 4 - 2 1 6 . 20 Ludwig Boltzmann, „On the Necessity of Atomic Theories in Physics", The Monist, Bd. 12, 1901-1902, S. 6 5 - 7 9 . 21 Über Schlick siehe Viktor Kraft, „Moritz Schlick, Philosophia, Bd. 1, 1936, S, 3 2 3 - 3 3 0 ; Friedrich Waismann, „Vorwort", in: Schlick, Gesammelte Aufsätze 1926-1936. Wien 1938, S. VI—XXXI; Herbert Feigl, „Moritz Schlick", Erkenntnis, Bd. 7, 1939, S. 3 9 3 - 4 1 9 ; David Rynin, „Schlick, Moritz", IESS, Bd. 14, 1968, S. 52-56. 22 Zum Wiener Kreis siehe Otto Neurath, Le développement du cercle de Vienne et l'avenir de l'empirisme logique. Paris 1935; Julius Rudolph Weinberg, An Examination of Logical Positivism. London 1936, 2. Aufl. Patterson, N. J. 1960; Roy Wood Sellars, „Positivism in Contemporary Philosophical Thought", American Sociological Review, Bd. 4, 1939, S. 3 4 - 4 1 ; Frank, Between Physics and Philosophy; Frank, Modern Science, S. 1-50; Mises, Positivism; Ingeborg Bachmann, „Ludwig Wittgenstein. Zu einem Kapitel der jüngsten Philosophiegeschichte" [1953], in: Gedichte, Erzählungen, Hörspiel, Essays. München 1970, S. 2 7 7 - 2 8 8 ; A. J. Ayer, „The Vienna Circle", in: Gilbert Ryle (Hg.), The Revolution in Philosophy. London 1956, S. 7 0 - 8 7 ; Ayer, „Editors Introduction", in: Logical Positivism, Glencoe, 111. 1959, S. 3 - 2 8 ; James Opie Urmson, Philosophical Analysis: Its Development Between the Two World Wars. Oxford 1956; Waismann, Wittgenstein und der Wiener Kreis. Aus dem Nachlaß, hgg. v. B. F. McGuiness, Oxford 1967 (enthält Protokolle über Diskussionen aus der Zeit von 1929 bis 1932); H. L. Mulder, „Wissenschaftliche Weltauffassung. Der Wiener Kreis", Journal of the History of Philosophy, Bd. 6, 1968, S. 3 8 6 390 (höchst informativ). 23 In: Albert E. Blumberg und Herbert Feigl, „Logical Positivism: A New Movement in European Philosophy", Journal of Philosophy, Bd. 28, 1931, S. 2 8 1 - 2 9 6 . Feigl hat einen vorzüglichen Überblick über die Bewegung verfaßt in Herbert Feigl, „The Wiener Kreis in America", in: Donald Fleming und Bernard Bailyn (Hg.), The Intellectual Migration: Europe and America, 1930-1960. Cambridge, Mass. 1969, S. 6 3 0 - 6 7 3 . 24 Moritz Schlick, Problems of Ethics [1930], New York 1939, S. 139. 25 Ibid., S. 158. 26 Schlick, Vom Sinn des Lebens. Berlin 1927, S. 354. 27 Emil Utitz, „Zur Philosophie der Jugend", Kantstudien, Bd. 35, 1930, S. 4 5 0 - 4 6 5 . 28 Schlick, Aphorismen, hgg. v. Blanche Hardy Schlick. Wien 1962, S. 13-14. 29 Über Wilhelm Neurath siehe Hermann R. von Schullern zu Schrattenhofen, „Wilhelm Neurath", Jahrbücher für Nationalökonomie, Bd. 79, 1902, S. 1 6 1 - 1 6 6 ; Schullern, „Neurath, Wilhelm", Biographisches Jahrbuch und deutscher Nekrolog, Bd. 6, 1904, S. 2 7 4 - 2 7 8 . Oncken, „Neurath als volkswirtschaftlicher Theoretiker", Schweizerische Blätter für Wirtschafts- und Sozialpolitik, Bd. 11, 1903, S. 6 1 7 - 6 2 7 , war mir nicht zugänglich. 30 Über Otto Neurath siehe Otto Neurath, „Unified Science and its Encyclopedia", Philosophy of Science, Bd. 4, 1937, S. 2 6 5 - 2 7 7 , bes. 2 7 3 - 2 7 7 ; Waldemar Kämpffert, „Facts March On with Neurath", Survey Graphic, Bd. 28, 1939, S. 5 3 8 - 5 4 0 ; Kämpffert, „Appreciation of an Elephant", Survey Graphic, Bd. 35, 1946, S. 4 6 - 4 9 ; Horace M . Kallen, „Postscript: Otto Neurath", Philosophy and Phenomenological Research, Bd. 6, 1946, S. 5 2 9 - 5 3 3 ; Cohen, „Neurath, Otto", EP, Bd. 5, 1967, S. 4 7 7 - 4 7 9 ; Gianni Statera, Logica, linguaggio e sociologia. Studio su Otto Neurath e il neopositivismo. Turin 1967. 31 Siehe Neurath, Ludwig Hermann Wolframs Leben. 2 Bde., Berlin 1906 (äußerst gelehrsam). 32 Siehe Neurath, „Die konfessionelle Struktur Osteuropas und des näheren Orients und ihre politisch-nationale Bedeutung", ASWSP, Bd. 39, 1914, S. 4 8 2 - 5 2 4 ; Neurath, „Die konfessionelle Struktur Österreich-Ungarns und die orientalische Frage", Weltwirtschaftliches Archiv, Bd. 3, 1914, S. 108-138. 435

33 Siehe Neurath, „Nationalökonomie und Wertlehre. Eine systematische Untersuchung", Zeitschrift für Volkswirtschaft, Sozialpolitik und Verwaltung, Bd. 20, 1911, S. 52-114; Neurath, „Probleme der Kriegswirtschaftslehre", Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft, Bd. 69, 1913, S. 438-501. 34 Neurath, „Beiträge zur Geschichte der Opera servilia", ASWSP, Bd. 41, 1916, S. 4 3 8 465 (reich an griechischen und lateinischen Zitaten). 35 Siehe Ernst Niekisch, Gewagtes Leben. Begegnungen und Begebnisse. Köln 1958, S. 53-57; Ernst Karl Winter, „The Rise and Fall of Austrian Labour", Social Research, Bd. 6, 1939, S. 323. Neurath, Bayerische Sozialisierungserfahrungen. Wien 1920, war mir nicht zugänglich. 36 Siehe Neurath, „Museums of the Future", Survey Graphic, Bd. 22, 1933, S. 458-463, 479, 484—486; Neurath, International Picture Language: The First Rules of Isotype. London 1936; Neurath, Modern Man in the Making. New York 1939; Neurath, „Visual Education: The Isotype System of Visual Education", Sociological Review, Bd. 38, 1946, S. 55-57. 37 Zitiert in Kämpffert, „Appreciation", S. 47. 38 Siehe Neurath, „Protocol Sentences" [1932], in: Ayer (Hg.), Logical Positivism. S. 1 9 9 208; Weinberg, Examination of Logical Positivism, S. 275-280. 39 Siehe Neurath, „Sociology and Physicalism" [1932], in: Ayer (Hg.), Logical Positivism, S. 2 8 2 - 3 1 7 ; und Neurath, „Universal Jargon and Terminology", Proceedings of the Aristotelian Society, Bd. 41, 1940-1941, S. 127-148.

13. Kapitel 1 Friedrich Nietzsche, „Die .Vernunft' in der Philosophie", Götzendämmerung oder Wie man mit dem Hammer philosophiert, 1889, Abt. 5. 2 Uber Mauthner siehe Fritz Mauthner, Prager Jugendjahre. Erinnerungen [1918]. Frankfurt 1969; Mauthner, „Fritz Mauthner", in: Raymund Schmidt (Hg.), Die Philosophie der Gegenwart in Selbstdarstellungen. Leipzig 1922, Bd. 3, S. 121-144; Paul Mongre", „Sprachkritik", Neue Deutsche Rundschau, Bd. 14/2, 1903, S. 1233-1258; Max Krieg, Fritz Mauthners Kritik der Sprache. Eine Revolution in der Philosophie. München 1914; Walter Eisen, „Fritz Mauthner", Kantstudien, Bd. 29, 1924, S. 321-324; Alois Rzach, „Fritz Mauthner", N Ö B , Bd. 3, 1926, S. 144-151; Theodor Kappstein, Fritz Mauthner. Der Mann und sein Werk. Berlin 1926; Gershon Weiler, „On Fritz Mauthner's Critique of Language", Mind, Bd. 67, S. 8 0 - 8 7 ; Weiler, „Fritz Mauthner: A Study in Jewish Self-Rejection", YLBI, Bd. 8, 1963, S. 136-148; Weiler, „Fritz Mauthner as an Historian", History and Theory, Bd. 4, 1964, S. 57-71; Weiler, „Mauthner, Fritz", EP, Bd. 5, 1967, S. 2 2 1 - 2 2 4 ; Weiler, Mauthner's Critique of Language. Cambridge 1970; Joachim Thiele, „Zur ,Kritik der Sprache'. Briefe von Fritz Mauthner an Ernst Mach", Muttersprache, Bd. 76, 1966, S. 78—85. 3 Uber Landauer siehe Wolf Kalz, Gustav Landauer. Kultursozialist und Anarchist. Meisenheim 1967; Charles B. Maurer, Call to Revolution: The Mystical Anarchism of Gustav Landauer. Detroit 1971; Eugene Lunn, Prophet of Community: The Romantic Socialism of Gustav Landauer. Berkeley und Los Angeles 1973. 4 Weiler, „On Fritz Mauthner's Critique", S. 82. 5 George Sylvester Viereck, Glimpses of the Great. London 1930, S. 341. 6 Zur Krise Hofmannsthals siehe Gotthart Wunberg, Der frühe Hofmannsthal. Schizophrenie als dichterische Struktur. Stuttgart 1965, S. 106-117; Richard Brinkmann, „Hofmannsthal und die Sprache", DVLG, Bd. 35, 1961, S. 69-95; Manfred Hoppe, Literatentum, Magie und Mystik im Frühwerk Hugo von Hofmannsthals. Berlin 1968, bes. S. 7 5 - 9 5 ; Hermann Rudolph, Kulturkritik und konservative Revolution, Zum kulturell-politischen Denken Hofmannsthals und seinem problemgeschichtlichen Kontext. Tübingen 1971, S. 4 1 - 4 6 (eine

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Arbeit der Superlative); Donald G. Daviau, „Hugo von Hofmannsthal and the Chandos Letter", Modern Austrian Literature, Bd. 4, Sommer 1971, S. 2 8 - 4 4 (betrachtet den Chandos-Brief nicht als Sprachkritik, sondern als Kritik des Ästhetizismus). Über Stöhr siehe Prof. Dr. H o f f m a n n (Wien), „Sprachliche Logik und Mathematik", Archiv für systematische Philosophie, Bd. 19, 1913, S. 4 3 - 4 9 ; Felix M. Cleve, The Giants of Pre-Socratic Philosophy: An Attempi to Reconstruct Their Thoughts. 2 Bde., Den Haag 1965, S. XXIX-XXXVIII, 3 5 - 1 3 4 , 4 5 3 - 5 4 4 (die Widmung lautet auszugsweise: „To Adolf Stöhr (1855-1921), whose philosophy, as Ernst Mach predicted, ,will be understood and admired in 200 years'."); Franz Austeda, „Stöhr, Adolf', EP, Bd. 8, 1967, S. 18-19. Stöhrs Algebra der Grammatik, Leipzig 1898, war mir nicht zugänglich. Siehe dazu Ernst Mach, The Analysis of Sensation; [1900]. New York 1959, S. 227-230, 303, 318. Stöhr, Psychologie. Wien 1917, S. 12. Stöhr, Lehrbuch der Logik in psychologisierender Darstellung. Wien 1910, S. 409. Stöhr, Psychologie, S. 3 8 3 - 4 4 5 . Z u m theorogonen und pathogonen Denken siehe ibid., S. 5 2 5 - 5 2 6 . Über die Kopula siehe Wilhelm Luther, Sprachphilosophie als Grundwissenschaft. Ihre Bedeutung für die wissenschaftliche Grundlagenbildung und sozialpolitische Erziehung. Heidelberg 1970, S. 194-195. Stöhr, Heraklit. Wien 1920. Siehe Ferdinand Ebner, Schriften. München 1963, Bd. 1, S. 582-583, 805-806, 1068. Über Wahle siehe Friedrich Flinker, Über Wirklichkeit und Logik. Eine kritische Darlegung der Lehre Richard Wahles. Czernowitz 1924; Sophus Hochfeld, Die Philosophie Richard Wahles und Johannes Rehmkes Grundwissenschaft. Potsdam 1926; Austeda, „Wahle, Richard", EP, Bd. 8, 1967, S. 275-276. Siehe Jones, Bd. 1, S. 123-127, 179, und Arthur Schnitzler, Jugend in Wien. Wien 1968, S. 96. Wahle, „Über die geometrische Methode "des Spinoza", SKAW-Wien, Phil.-Hist. Kl., Bd. 116, 1888, S. 4 3 1 - 4 5 2 ; Wahle, „Die Glückseligkeitslehre der ,Ethik' des Spinoza", ibid., Bd. 119, 1889, Heft 11, S. 1 - 4 4 . Wahle, Entstehung der Charaktere. München 1928, S. 4 7 - 5 8 . Wahle, Die Tragikomödie der Weisheit. Wien 1915, S. 364, 373, 406. Ibid., S. 414. Zum Leben Kraus' siehe Leopold Liegler, Karl Kraus und sein Werk. Wien 1920; Heinrich Fischer, „The Other Austria and Karl Kraus", in: Hans José Rehfisch (Hg.), In Tyrannos: Four Centuries of Struggle Against Tyranny in Germany. London 1944, S. 311-328; Béla Menczer, „Karl Kraus and the Struggle Against the Modern Gnostics", Dublin Review, Bd. 224, Okt.-Dez. 1950, S. 32-52; Sigismund von Radecki, Wie ich glaube. Köln 1953, S. 11-44 (die lebendigen Memoiren eines Freundes); Kraft, Karl Kraus. Beiträge zum Verständnis seines Werkes. Salzburg 1956; Hans Mayer, „Karl Kraus und die Nachwelt", Sinn und Form, Bd. 9, 1957, S. 934-949; Willy Haas, Die literarische Welt. Erinnerungen. München 1960, S. 22-27; Caroline Kohn, Karl Kraus. Stuttgart 1966; Wilma Abele Iggers, Karl Kraus. A Viennese Critic of the Twentieth Century. Den Haag 1967; Frank Field, The Last Days of Mankind: Karl Kraus and His Vienna. London 1967; Hans Weigel, Karl Kraus oder Die Macht der Ohnmacht. Versuch eines Motivenberichts zur Erhellung eines vielfachen Lebenswerkes. Wien 1968 (chronologisch geordnete Sammlung von Auszügen); Fritz J. Raddatz, „Der blinde Seher. Überlegungen zu Karl Kraus", Merkur, Bd. 22, 1968, S. 517-532; Michael Naumann, Der Abbau einer verkehrten Welt. Satire und politische Wirklichkeit im Werk von Karl Kraus. München 1969. Ein unentbehrliches Arbeitsinstrument ist Friedrich Jenaczek, Zeittafeln zur .Fackel'. Themen, Ziele, Probleme. München 1965; und O t t o Kerry, Karl-Kraus-Bibliographie. Mit einem Register der Aphorismen, Gedichte, Glossen und Satiren. München 1970.

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Kraus, Karl, „Ein neuer Mann", Die Fackel, Nr. 5 4 6 - 5 5 0 , Juli 1920, S. 50. Zu Kraus' Ansichten über Sprache siehe Walter Benjamin, „Karl Kraus" [1931], in: Schrifien, Frankfurt 1955, Bd. 2, S. 1 5 9 - 1 9 5 ; Lucien Goldmann, „Un grand polémiste. Karl Kraus" [1945], in: Recherches dialectiques. 2. Aufl. Paris 1959, S. 2 2 9 - 2 3 5 ; Erich Heller, The Disinherited Mind: Essays in Modern German Literature and Thought. London 1952, S. 1 8 3 - 2 0 1 ; J. P. Stern, „Karl Kraus's Vision of Language", Modern Language Review, Bd. 61, 1966, S. 7 1 - 8 4 (eingehend).

22 Zitiert in Kraft, Karl Kraus, S. 84. 23 Kraus, Worte in Versen, Werke. Bd. 7, München 1959, S. 2 3 6 - 2 3 7 . 2 4 Haas, Die literarische Welt, S. 2 3 - 2 6 . Eine noch abträglichere Darstellung findet sich in Fritz Wittels, „The ,Fackel'-Neurosis", in: Hermann Nunberg und Ernst Federn (Hg.), Minutes of the Vienna Psychoanalytic Society. New York 1967, Bd. 2, S. 3 8 3 - 3 9 3 (Aufsatz vom 12. Jan. 1910). Dem ließ Wittels einen beißenden Schlüsselroman über Kraus folgen: Ezechiel der Zugereiste. Berlin 1910. 25 Die weitaus beste Wittgenstein-Biographie ist William Warren Bartley, III: Wittgenstein. New York 1973 (enthält sehr viel neues Material, besonders über die zwanziger Jahre). Zum Leben Wittgensteins siehe auch Ludwig Hansel, „Ludwig Wittgenstein", Wissenschaß und Weltbild, Bd. 4, 1951, S. 2 7 4 - 2 7 7 (kannte Wittgenstein als Kriegsgefangenen in Italien); Georg Henrik von Wright, „Biographical Sketch" [1955], in: Norman Malcolm, Ludwig Wittgenstein: A Memoir. London 1958, S. 1 - 2 2 (deutsch: Ludwig Wittgenstein. 1961.); Paul Engelmann, Letters from Ludwig Wittgenstein with a Memoir, hgg. von B. F. McGuiness. Oxford 1967; Ludwig von Ficker, „Rilke und der unbekannte Freund", in: Denkzettel und Danksagungen. Aufsätze, Reden. München 1967, S. 1 9 9 - 2 2 1 ; Stephen Toulmin, „Ludwig Wittgenstein", Encounter, Bd. 32, Jan. 1969, S. 5 8 - 7 1 ; J i n o s Kristof Nyiri, „Das unglückliche Leben des Ludwig Wittgenstein", ZfphF, Bd. 26, 1972, S. 5 8 5 608; Allan Janik und Stephen Toulmin, Wittgensteins Vienna. New York 1973. 26 Uber Karl Wittgenstein siehe Georg Günther, „Karl Wittgenstein und seine Bedeutung für den Aufbau und die Entwicklung der österreichischen Volkswirtschaft", N O B , Bd. 4, 1927, S. 1 5 6 - 1 6 3 . 27 Verwendet als Motto in Ludwig Wittgenstein, Philosophical Investigations. Oxford 1953, S. VIII. 28 Engelmann, Letters, S. 123. 29 Ficker, Denkzettel, S. 2 0 1 - 2 0 4 . Siehe auch Wittgenstein, Briefe an Ludwig von Ficker. Salzburg 1969, wo 29 Briefe an Ficker aus den Jahren 1914 bis 1919 abgedruckt sind. 30 Siehe Wittgensteins Brief vom 31. März 1917 in Engelmann, Letters, S. 4. 31 Siehe Wittgensteins Brief vom 16. Nov. 1914 in Ficker, Denkzettel, S. 205. 32 Engelmann, Letters, S. 80. 33 Zur Philosophie Wittgensteins siehe Wolfgang Stegmüller, Hauptströmungen der Gegenwartsphilosophie. 4. Aufl. Stuttgart 1969, S. 5 2 6 - 6 9 6 , 7 1 3 - 7 1 5 ; Malcolm, „Wittgenstein, Ludwig Josef Johann", EP, Bd. 8, 1967, S. 3 2 7 - 3 4 0 (mit umfangreicher Bibliographie); K. T. Fann (Hg.), Ludwig Wittgenstein: The Man and His Philosophy. New York 1967 (eine Anthologie in 30 Artikeln); Arne Naess, Four Modern Philosophers: Carnap, Wittgenstein, Heidegger, Sartre. Chikago 1968, S. 6 7 - 1 7 1 ; E. D. Klemke (Hg.), Essays on Wittgenstein. Urbana, 111. 1971 (eine Anthologie in 23 Artikeln); Hanna Fenichel Pitkin, Wittgenstein and Justice: On the Significance of Ludwig Wittgenstein for Social and Political Thought. Berkeley und Los Angeles 1972. 34 Wittgenstein, Tractatus logico-philosophicus. London 1922, S. 1 - 2 . 35 Ibid., S. 146. 36 Schließlich publiziert als Waismann, The Principles of Linguistic Philosophy, hgg. v. R. Harré. London 1965. Über Wittgenstein siehe Waismann, Principles, S. 3 0 7 - 3 2 0 . Ein Brief Wittgensteins an Waismann von Anfang Juli 1929 findet sich in H. L. Mulder, „Wissenschaftliche Weltauffassung. Der Wiener Kreis", Journal of the History of Philosophy

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Bd. 6, 1968, S. 389-390. Über Waismann siehe Stuart Hampshire, „Friedrich Waismann 18961959", Proceedings of the British Academy, Bd. 46; 1960, S. 309-317; Rudolf Carnap, „Autobiography" [1963], abgedruckt in: Fann (Hg.), Ludwig Wittgenstein, S. 36-37; und B. F. McGuiness, „Vorwort des Herausgebers", in: Waismann, Wittgenstein und der Wiener Kreis. Aus dem Nachlaß. Oxford 1967, S. 11-31. Auszugsweise abgedruckt in Wittgenstein, „Lectures on Ethics" [1929 oder 1930], Philosophical Review, Bd. 74, 1965, S. 1-12. Siehe auch Wittgenstein, Preliminary Studies for the ,Philosophical Investigations' Generally Known as the Blue and Brown Books [19331935]. Oxford 1958; G. E. Moore, „Wittgenstein's Lectures in 1930-33", Mind, Bd. 63, 1954, S. 1-15, 289-316; Bd. 64, 1955, S. 1-27. Kraus, „Zur Sprachlehre", Die Fackel, Nr. 572-576, Juni 1921, S. 1. In einer ansonsten ausgezeichneten Untersuchung wird das Erscheinungsdatum dieser Arbeit von Werner Kraft irrtümlich mit Juli 1920 angegeben. Siehe Kraft, „Ludwig Wittgenstein und Karl Kraus" [1961], in: Rebellen des Geistes. Stuttgart 1968, S. 102-134, bes. S. 120. Paul Feyerabend, „Herbert Feigl: A Biographical Sketch", in: Mind, Matter, and Method: Essays in Philosophy and Science in Honor of Herbert Feigl. Minneapolis 1966, S. 8. Charles Parsons, „Mathematics, Foundations of', EP, Bd. 5, 1967, S. 204. Eine nützliche Einführung ist Arend Heyting, Intuitionism: An Introduction, 2. Aufl. Amsterdam 1966, S. 1-12. Siehe S. Morris Engel, „Schopenhauers Impact on Wittgenstein", Journal of the History of Philosophy, Bd. 7, 1969, S. 285-302. Zu Parallelen mit Nietzsche siehe Erich Heller, „Ludwig Wittgenstein: Unphilosophical Notes", Encounter, Bd. 13, Sept. 1959, S. 40-48. Hampshire, „Friedrich Waismann", S. 316. Siehe Hansel, „Ludwig Wittgenstein", S. 276. Wolf Mays, „Recollections of Wittgenstein", in: Fann (Hg.), Ludwig Wittgenstein, S. 83. Engelmann, Letters, S. 92-93. Rush Rhees, „Conversations on Freud", in: Cyril Barrett (Hg.), Ludwig Wittgenstein: Lectures and Conversations on Aesthetics, Psychology and Religious Belief. Berkeley und Los Angeles 1967, S. 41-52. 14. Kapitel

1 Uber Buber siehe Martin Buber, „Autobiographical Fragments", in: Paul Arthur Schilpp und Maurice Friedmann (Hg.), The Philosophy of Martin Buber. La Salle, III. 1967, S. 3 - 3 9 ; Hans Kohn, Martin Buber. Sein Werk und seine Zeit. Ein Beitrag zur Geistesgeschichte Mitteleuropas 1880-1930 [1930], 3. Aufl. Köln 1961; Bernhard Caspar, Das dialogische Denken. Eine Untersuchung der religionsphilosophischen Bedeutung Franz Rosenzweigs, Ferdinand Ebners und Martin Bubers. Freiburg 1967, S. 17-68, 270-381. 2 Ubersetzungen dieser Artikel finden sich in William M. Johnston, „Martin Buber's Literary Debut: ,On Viennese Literature' [1897]", The German Quarterly, Bd. 46, 1974. 3 Siehe Franz Rosenzweig, Der Stern der Erlösung. Frankfurt 1921. Über Rosenzweig siehe Samuel Hugo Bergmann, Faith and Reason: An Introduction to Modern Jewish Thought. New York 1961, S. 55-80. 4 Über Ebner siehe Ferdinand Ebner, Schriften. Bd. 2, München 1963, S. 551-1105 (Tagebücher und Autobiographie); Bd. 3, München 1965 (Briefe von 1912-1931); Josef Rauscher, „Von Mauthner zu Ebner. Sprachkritik und Sprachwirklichkeit", Hochland, Bd. 22, 1924-1925, S. 86-94; Rauscher, „Ferdinand Ebner", Hochland, Bd. 30, 1933, S. 86-89; Theodor Steinbüchel, Der Umbruch des Denkens. Die Frage nach der christlichen Existenz erläutert an Ferdinand Ebners Menschendeutung. Regensburg 1936, Neudr. Darmstadt 1966; Ludwig von Ficker, „Erinnerungen an Ferdinand Ebner" [1950], in: Denkzettel und Danksagungen. Aufsätze, Reden. München 1967, S. 170-181, 339-343; Robert Braun, „Ferdi-

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nand Ebner und sein Vater", Hochland, Bd. 44, 1952, S. 525-533; Theodor Schleiermacher, „Ich und Du. Grundzüge der Anthropologie Ferdinand Ebners", Kerygma und Dogma, Bd. 3, 1957, S. 2 0 8 - 2 1 9 ; Paul Bormann, „Das Wort und die geistigen Realitäten. Zur Phänomenologie der Sprache und des Gesprächs", Theologie und Glaube, Bd. 49, 1959, S. 4 0 1 - 422; Eugen Thurnher, „Sprache, Denken, Sein. Zu Ferdinand Ebners Philosophie des Wortes", Literaturwissenschaftliches Jahrbuch, Bd. 1, 1960, S. 227-236; Franz Seyr, „Biographisches Nachwort", in: Ebner, Schriften, Bd. 2, S. 1109-1154; Caspar, Das dialogische Denken, S. 198-269. 5 Ebner, Schriften, Bd. 3, S. 226 (Brief an Luise Karpischek vom 11. Aug. 1918). 6 Zu Ebners Verhältnis zu Buber, Feuerbach und Stöhr siehe Ebner, „Versuch eines Ausblicks in die Zukunft", in: Schriften, Bd. 1, S. 805-819. Ein Nachdruck von Das Wort und die geistigen Realitäten findet sich in Schriften, Bd. 1, S. 75-342. Zur Affinität zwischen Ebner und der „Du"-Rhetorik des expressionistischen Dramas siehe Wolfgang Rothe, „Der Mensch vor Gott. Expressionismus und Theologie", in: Rothe (Hg.), Expressionismus als Literatur. Gesammelte Schriften. Bern 1969, S. 37-66, bes. 4 5 - 5 0 .

15. Kapitel 1 Freuds eigene Berichte finden sich in Freud, „Zur Geschichte der psychoanalytischen Bewegung" [1914], in: GW. Bd. 10, London 1946, S. 44-113; „Selbstdarstellung" [1925], in: GW. Bd. 14, London 1948, S. 33-96. Die unentbehrliche Quelle ist Jones (Jones [1879- 1958] begegnete Freud erstmals im April 1908). Eine meisterhafte Neuinterpretation ist Henri F. Ellenberger, The Discovery of the Unconscious: The History and Evolution of Dynamic Psychiatry. New York 1970 (betont die Parallelen zwischen Freud und französischen Psychiatern). Sehr anregend ist auch Richard Wollheim, Sigmund Freud. New York 1971 (deutsch 1972). Reuben Fine, Freud: A Critical Re-Evaluation of His Theories. New York 1962, enthält eine wertvolle Bibliographie. Weitere Bibliographien siehe Alexander Grinstein (Hg.), Index of Psychoanalytical Writings. 9 Bde., New York 1956-1965; Norman Kiell, Psychoanalysis, Psychology and Literature: A Bibliography. Madison 1963; George Mora, „The History of Psychiatry: A Cultural and Bibliographical Survey", Psychoanalytic Review, Bd. 52, 1965, S. 298-328. Zur Terminologie siehe Lewis W. Brandt, „Some Notes on Freudian Terminology", JAPA, Bd. 9, 1961, S. 3 3 1 339 (ausgezeichnete Untersuchung der deutschen Termini); Jean Laplanche und J.-B. Pontalis, Vocabulaire de la Psychoanalyse, hgg. v. Daniel Lagache, Paris 1967 (verfolgt die Veränderungen im Gebrauch der Termini bei Freud); Ludwig Edelberg, Encyclopedia of Psychoanalysis. New York 1968; Charles Rycroft, A Critical Dictionary of Psychoanalysis. London 1968; Eine beispielgebende Leistung ist Lilla Veszy-Wagners Gesamtregister zu Freuds Schriften, in: GW. Bd. 18, Frankfurt 1968. 2 Zu den aufschlußreichsten Memoiren zählt Anna Freud-Bernays, „My Brother Sigmund Freud", American Mercury, Bd. 51, 1940, S. 335-342; Ernst Simmel, „Sigmund Freud: The Man and his Work", Psychoanalytical Quarterly, Bd. 9, 1940, S. 163-176; Max Graf, „Reminiscences of Professor Sigmund Freud", Psychoanalytic Quarterly, Bd. 11, 1942, S. 465-476; Hanns Sachs, Freud: Master and Friend. Cambridge, Mass. 1946; Martin Freud, „Who Was Freud?" in: Josef Fraenkel (Hg.), The Jews of Austria: Essays on their Life, History and Destruction. London 1967, S. 197-211 (von Freuds Sohn). 60 Erinnerungsberichte von Bekannten Freuds sind gesammelt in Hendrik M. Ruitenbeek (Hg.), Freud as We Knew Him. Detroit 1973. Uber die Mutter Freuds siehe Judith Bernays-Heller, „Freud's Mother and Father: A Memoir", Commentary, Bd. 21, 1956, S. 418-421 (von einer Nichte Freuds). 3 Freud-Bernays, „My Brother Sigmund Freud", S. 341. 4 Zu Freuds ambivalenter Haltung dem Reisen gegenüber siehe John E. Gedo, „Freuds Self-Analysis and His Scientific Ideas", American Imago, Bd. 25, 1968-1969, S. 99-118.

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5 Max Eastman, Great Companions: Critical Memoirs of Some Famous Friends. London 1959, S. 1 2 9 - 1 3 1 . Vgl. Jones, Bd. 2, S. 67. Über Freud in Amerika siehe William Koelsch, „Freud Discovers America", Virginia Quarterly Review, Bd. 46, Winter 1970, S. 115-132; Nathan G. Haie Jr., Freud and the Americans: The Beginnings of Psychoanalysis in the United States, 1 8 7 6 - 1 9 1 7 . New York 1971; Paul Roazen, „Freud and America", Social Research, Bd. 39, 1972, S. 7 2 0 - 7 3 2 . 6 Jones, Bd. 3, S. 97. Zum Krebsleiden Freuds siehe Jones, Bd. 3, S. 9 4 - 1 0 1 , 4 9 7 - 5 2 1 , und Max Schur, Freud, Living and Dying. New York 1972 (ein umfassender Erinnerungsbericht von Freuds Hausarzt). 7 Zur Wiener medizinischen Schule siehe Max Neuburger, „British Medicine and the Old Vienna Medical School", Bulletin of the History of Medicine, Bd. 12, 1942, S. 4 8 6 - 5 2 8 ; Hortense Koller-Becker, „Carl Koller and Cocaine", Psychoanalytic Quarterly, Bd. 32, 1962, S. 3 0 9 - 3 7 3 , bes. 3 1 1 - 3 1 7 ; Esmond R. Long, A History of Pathology. 2. Aufl. New York 1965, S. 1 0 2 - 1 1 3 ; Erna Lesky, Die Wiener Medizinische Schule im 19. Jahrhundert. Graz 1965 (sehr gründlich). Ein ausgezeichneter Erinnerungsbericht zur medizinischen Fakultät in den zwanziger Jahren ist Richard Berczeller, Time Was. New York 1971. 8 Siehe Fritz Valjavec, Geschichte der abendländischen Aufklärung. Wien 1961, S. 2 1 0 - 2 1 8 ; Christian Probst, „Arztliche Forschung im Zeitalter der Aufklärung. Gezeigt am Beispiel der Leydener und der Wiener Schule", in: Josef Fleckenstein, Sabine Krüger und Rudolf Vierhaus (Hg.), Festschrift für Hermann Heimpel. Zum 70. Geburtstag am 19. September 1971. Göttingen 1971, S. 5 6 8 - 5 9 8 . 9 Zitiert in Vincent Yardley Bowditch, Life and Correspondence of Henry Ingersoll Bowditch. Boston 1902, Bd. 1, S. 3 1 5 - 3 1 6 . Uber Rokitansky siehe Carl von Rokitansky, Selbstbiographie und Antrittsrede [ 1876 und 1844], hgg. v. Erna Lesky. Wien 1960; Theodor Meynert, „Karl Rokitansky. Ein Nachruf [1878], in: Sammlung von populärwissenschaftlichen Vorträgen über den Bau und die Leistungen des Gehirns. Wien 1892, S. 6 9 - 8 2 ; Lesky, „Carl von Rokitansky (1804-1878)", NÖB, Bd. 12, S. 3 8 - 5 1 . 10 Siehe Adolf Kußmaul, Jugenderinnerungen eines alten Arztes. 3. Aufl. Stuttgart 1899, S. 3 6 3 - 3 8 3 , bes. S. 3 8 2 - 3 8 3 , wo sich das Gedicht findet. Siehe auch Heinrich Buess, „Zur Frage des therapeutischen Nihilismus im 19. Jahrhundert", Schweizerische Medizinische Wochenschrift, Bd. 87, 1957, S. 4 4 4 - 4 4 7 . 11 Der französische Desillusionist Louis-Ferdinand Celine ( 1 8 9 4 - 1 9 6 1 ) begann seine literarische Laufbahn mit einer Abhandlung über Semmelweis: La vie et l'ceuvre de PhilippeIgnace Semmelweis. Paris 1924, 5. Aufl. 1925. Ein nüchternerer Bericht findet sich in Lesky, Wiener medizinische Schule, S. 2 1 0 - 2 1 9 . 12 Fritz Wittels, „Freuds Scientific Cradle", American Journal of Psychiatry, Bd. 100, 1 9 4 3 1944, S. 525. 13 Eine graphische Darstellung findet sich in C. O'Conor-Eccles, „The Hospital Where the Plague Broke Out", Nineteenth Century, Bd. 46, 1899, S. 5 9 1 - 6 0 2 . Zu den Zuständen in anderen Wiener Spitälern siehe A. S. Levetus, Imperial Vienna. London 1905, S. 3 5 5 363; Maria Mach, Erinnerungen einer Erzieherin. 2. Aufl. Wien 1913, S. 143-156; Arthur Schnitzler, Jugend in Wien. Wien 1968, S. 199-204. 14 O'Conor-Eccles, „Hospital Where Plague Broke Out", S. 594. 15 Wittels, „Freuds Scientific Cradle", S. 527. 16 Über Brücke siehe Ernst Theodor Brücke, „Ernst W. Brücke (1819-1892)", NÖB, Bd. 5, 1928, S. 6 6 - 7 3 (von Brückes Enkel); Brücke, Ernst Brücke. Wien 1928 (führt 140 Werke Brückes an); Siegfried Bernfeld, „Freuds Earliest Theories and the School of Helmholtz", Psychoanalytical Quarterly, Bd. 13, 1944, S. 3 4 1 - 3 6 2 , bes. 3 4 8 - 3 5 8 ; Bernfeld, „Freuds Scientific Beginnings", American Imago, Bd. 6, 1949, S. 1 6 3 - 188; Jones Bd. 1, S. 4 0 - 7 0 ; Robert R. Holt, „Two Influences on Freuds Scientific Thought; A Fragment of Intellectual 441

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Biography", in: Robert W. White (Hg.), The Study of Lives. New York 1965, S. 3 6 4 - 387; Peter Amacher, Freud's Neurological Education and its Influence on Psychoanalytic Theory. New York 1965, S. 9 - 2 0 ; Erna Lesky, „Brücke, Ernst Wilhelm von", in: Dictionary of Scientific Biography, Bd. 2, 1970, S. 530-532. Siehe Ernst W. Brücke, Die Physiologie der Farben für die Zwecke der Kunstgewerbe. Leipzig 1866, 2. Aufl. 1887. Siehe auch Brücke, Die Darstellung der Bewegung durch die bildenden Künste. 1881; Brücke, Nacht und Morgen des Michelangelo. 1890. Siehe Brücke, Grundzüge der Physiologie und Systematik der Sprachlaute für Linguisten und Taubstummenlehrer. Wien 1856, 2. Aufl. 1876; Brücke, Neue Methode der phonetischen Transkription. 1863. Uber Meynert siehe Dora Stockert-Meynert, Theodor Meynert und seine Zeit. Zur Geistesgeschichte Österreichs in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Wien 1930 (von Meynerts Tochter); Maria Dorer, Historische Grundlagen der Psychoanalyse. Leipzig 1932, S. 128— 143, 148-152; James W. Papez, „Theodor Meynert (1833-1892)", in: Webb Haymaker (Hg.), The Founders of Neurology. Springfield, 111. 1953, S. 6 4 - 6 7 ; Amacher, Freud's Neurological Education. S. 2 1 - 4 1 ; Lesky, Wiener medizinische Schule, S. 3 7 3 - 4 0 5 . Meynerts Verse sind erschienen in Gedichte, 1905. Zu Freuds Einstellung zu Leidesdorf siehe Freud, Briefe 1873-1939. 2. Aufl. Frankfurt 1968, S. 153-156 (Brief vom 8. Juni 1885; der ungenannte Professor hier ist Leidesdorf). Schnitzler, Jugend in Wien, S. 265. Meynert, Psychiatry, übers, von Barney Sachs. New York 1885, S. 5. Jones, Bd. 1, S. 72. Ibid., S. 309. Siehe auch Heinz Hartmann, „The Development of the Ego Concept in Freuds work" [1956], in: Hartmann, Essays on Ego Psychology. New York 1964, S. 2 6 8 296. Zu Freuds Versuchen mit Kokain siehe Jones, Bd. 1, S. 86—108; Bernfeld, „Freuds Studies on Cocaine, 1884-1887", JAPA, Bd. 1, 1953, S. 581-613; Hortense Koller-Becker, „Carl Koller", S. 309-373; Alexander Schusdek, „Freud on Cocaine", Psychoanalytic Quarterly, Bd. 34, 1965, S. 406-412. Freud, Traumdeutung. 8. Aufl. London 1942, S. 439. Siehe auch Freud, Aus den Anfangen der Psychoanalyse. London 1950, S. 5 6 - 5 7 (Brief vom 29. Aug. 1888 an Fliess über den Dogmatismus Meynerts); Freud, Briefe, S. 40-42, 105-106 (Briefe vom 5. Okt. 1882 und 14. Feb. 1884 an Martha Bernays über die Freundlichkeit Meynerts). Über Krafft-Ebing siehe Berta Szeps, My Life and History. New York 1939, S. 124, 164166; Ernst van den Haag, „Introduction", in: Richard Krafft-Ebing, Psychopathia Sexualis: A Medico-Forensic Study [1886], New York 1965, S. 7 - 1 9 . Uber Sacher-Masoch siehe Therese Bentzon, „Un Romancier galicien: M. Sacher-Masoch", Revue des deux mondes, Bd. 220, Dez. 1875, S. 816-837; W. H. C., „Leopold SacherMasoch", The Bookman, Bd. 2, 1896, S. 401-404; Carl Felix von Schlichtegroll, SacherMasoch und der Masochismus. Literarhistorische und kulturhistorische Studie. Dresden 1901; Richard M. Meyer, „Sacher-Masoch, Leopold von", ADB, Bd. 53, 1907, S. 681-682; R. Latzke, „Die Realisten. Leopold von Sacher-Masoch", in: Eduard Castle (Hg.), Geschichte der deutschen Literatur in Österreich-Ungarn. Wien 1936, Bd. 1, S. 9 5 5 - 9 7 3 (außergewöhnlich interessante Einblicke gewährend); Reinhard Federmann, Sacher-Masoch oder Die Selbstvernichtung. Graz 1961; James Cleugh, The First Masochist: A Biography of Leopold von Sacher-Masoch (1836-1895). London 1967 (nur mit Vorbehalt zu verwenden); Gilles Deleuze, Presentation de Sacher-Masoch: Le froid et le cruel. Paris 1967; F. M. Kuna, „Art as Direct Vision: Kafka and Sacher-Masoch", Journal of European Studies, Bd. 2, 1972, S. 2 3 7 - 2 4 6 . Laurenz Müllner, „Sacher-Masoch's Vermächtnis Kains", in: Literaturund Kunsthistorische Studien, Wien 1895, S. 32-45, war mir nicht zugänglich.

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29 Siehe Friedrich Hebbel, Tagebücher, in: Werke. M ü n c h e n 1967, Bd. 5, S. 270 (Eintragung vom 11. Jan. 1860). Marie von Ebner-Eschenbach hat die Ereignisse von 1846 in der Erzählung Jakob Szela [1883] literarisch gestaltet. Ein E r i n n e r u n g s b e r i c h t des Vaters SacherMasochs war mir nicht zugänglich: Sacher, Polnische Revolutionen. Erinnerungen aus Galizien. Prag 1863. 30 Max N o r d a u , Degeneration. L o n d o n 1895, S. 4 1 3 - 4 1 4 . 31 Krafft-Ebing, Psychopathia sexualis, S. 31. 32 Ibid., S. 30. 3 3 Szeps, My Life and History, S. 165. 34 Veröffentlicht als „ Z u r Ätiologie der Hysterie" [1896], in: GW. Bd. 1, L o n d o n 1952, S. 4 2 3 - 4 5 9 . 35 Freud, Aus den Anfangen der Psychoanalyse. L o n d o n 1950, S. 1 8 6 - 1 8 9 (Brief vom 21. Sept. 1897). Siehe Jones, Bd. 1, S. 2 8 9 - 2 9 2 ; Leo Sadow u. a., „The Process of Hypothesis C h a n g e in T h r e e Early Psychoanalytic C o n c e p t s " , JAPA, Bd. 16, 1968, S. 2 4 5 - 2 7 3 , bes. 251-259. 36 Über Breuer siehe Freud, „ O b i t u a r y Notice: Josef Breuer", IJP, Bd. 6, 1925, S. 4 5 9 - 4 6 0 ; H a n s Horst Meyer, „Josef Breuer 1 8 4 2 - 1 9 2 5 " , N Ö B , Bd. 5, 1928, S. 3 0 - 4 7 ; C . P. O b e r n dorf, „ T h e A u t o b i o g r a p h y of Josef Breuer", IJP, Bd. 34, 1953, S. 6 4 - 6 7 ; J o h n Sullivan, „From Breuer to Freud", Psychoanalytic Review, Bd. 4 6 / 3 , 1959, S. 6 9 - 9 0 ; Jones, Bd. 1, S. 2 4 3 - 2 9 4 ; Erwin H . Ackerknecht, „Josef Breuer", N Ö B , Bd. 15, 1963, S. 1 2 6 - 1 3 0 ; Robert A. Kann (Hg.), Marie von Ebner-Eschenbach - Dr. Josef Breuer. Ein Briefwechsel 1889-1916. W i e n 1969; Paul F. C r a n e f i e l d , „Breuer, J o s e f ' , Dictionary of Scientific Biography. Bd. 2, 1970, S. 4 4 5 - 4 5 0 . 37 Siehe Josef Breuer, „Krankengeschichten: B e o b a c h t u n g I: Frl. A n n a O . ...", in: Breuer u n d Freud, Studien über Hysterie. W i e n 1895, S. 1 5 - 3 7 . Z u ihrem späteren Leben siehe Dora Edinger, „Bertha P a p p e n h e i m ( 1 8 5 9 - 1 9 3 6 ) : A G e r m a n Jewish Feminist", Jewish Social Studies, Bd. 20, 1958, S. 1 8 0 - 1 8 6 ; Edinger, „Einleitung", in: Bertha P a p p e n h e i m , Leben und Schriften. F r a n k f u r t 1963, S. 9 - 2 7 ; Jones, Bd. 1, S. 2 4 5 - 2 4 8 , 277; Ellen M . Jensen, „Anna O : A Study of H e r Later Life", Psychoanalytic Quarterly, Bd. 3 9 , 1970, S. 2 6 9 - 2 9 3 ; Lucy Freeman, The Story of Anna O. N e w York 1972 (deutsch: Die Geschichte der Anna O. Der Fall, der Sigmund Freud zur Psychoanalyse führte. 1973). 3 8 Siehe P a p p e n h e i m , Sisyphus-Arbeit. Reisebriefe aus den Jahren 1911 und 1912. Leipzig 1924 (über den Balkan, Palästina, Galizien u n d Rußland). 39 Ein weiterer E x p o n e n t des H y p n o t i s m u s , der ungarische Jude M o r i t z Benedikt ( 1 8 3 5 1920), stellte in Hypnotismus und Magnetismus, 1889, fest, d a ß die Verdrängung von sexuellen Begierden Neurosen verursache. Uber Benedikt siehe Moritz Benedikt, Aus meinem Leben. Erinnerungen und Erörterungen. W i e n 1906; Dorer, Historische Grundlagen, S. 125, und Jones, Bd. 1, S. 2 7 6 - 2 7 7 . 4 0 Dieser Brief wurde veröffentlicht in Gesnerus, Bd. 14, 1957, S. 1 6 9 - 1 7 1 . 41 George H . Pollock, „ T h e Possible Significance of C h i l d h o o d O b j e c t Loss in the Josef Breuer - Bertha P a p p e n h e i m (Anna O . ) - S i g m u n d Freud Relationship", JAPA, Bd. 16, 1968, S. 7 1 1 - 7 3 9 . Z u zusätzlichen methodischen Differenzen zwischen Breuer u n d Freud siehe N a t h a n Schiessinger u. a., „The Scientific Style of Breuer and Freud in the Origins of Psychoanalysis", JAPA, Bd. 15, 1967, S. 4 0 4 - 4 2 2 . 4 2 U b e r Fliess siehe Ernst Kris, „Einleitung", in: Freud, Aus den Anfangen der Psychoanalyse. L o n d o n 1950, S. 9 - 4 8 ; Schusdek, „Freud's .Seduction T h e o r y ' : A Reconstruction", Journal of the History of the Behavioral Sciences, Bd. 2, 1966, S. 1 5 9 - 1 6 6 ; Walter A. Stewart, Psychoanalysis: The First Ten Years. New York 1967; Jones, Bd. 1, S. 3 1 6 - 3 8 3 . 4 3 Z u Beispielen zu Fliess' Virtuosität im U m g a n g mit Zahlen siehe Wilhelm Fliess, „Der Ablauf des Lebens und seine Kritiker", Annalen der Naturphilosophie, Bd. 10, 1911, S. 314—350.

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44 Der Entwurf wurde veröffentlicht in Freud, Aus den Anfängen der Psychoanalyse, S. 2 9 7 - 384, und zusammengefaßt in Karl H. Pribram, „The Neuropsychology of Sigmund Freud", in: A. J. Bachrach (Hg.), Experimental Foundations of Clinical Psychology. New York 1962, S. 442-468.

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Jones, Bd. 1, S. 322-323. Ernst Lothar, Das Wunder des Uberlebens. Erinnerungen und Ergebnisse. Wien 1961, S. 37. Ibid., S. 37. Freud und Breuer, Studien über Hysterie [1895], in: GW. Bd. 1, London 1952, S. 86. Siehe den Fall „Fräulein Elisabeth von R. ...", ibid., S. 196-251, bes. 2 2 2 - 2 2 4 . Zur Analyse der Beschreibung des Falles „Katharina . ..", 1895, als handle es sich um eine Novelle, siehe Ludwig Rohner, Der deutsche Essay. Materialien zur Geschichte und Ästhetik einer literarischen Gattung. Neuwied 1966, S. 228-239. Zwei hochinteressante Artikel zur Affinität zwischen Freud und der habsburgischen Gesellschaft sind Zevedei Barbu, „The Historical Pattern of Psycho-Analysis", British Journal of Sociology, Bd. 3, 1952, S. 6 4 - 7 6 , und Alfred Schick, „The Cultural Background of Adlers and Freuds Work", American Journal of Psychotherapy, Bd. 18, 1964, S. 7 - 2 4 . Eine revidierte Ausgabe des letzteren ist Schick, „The Vienna of Sigmund Freud", Psychoanalytic Review, Bd. 55, 1968-1969, S. 529-551. Zu politischen Untertönen in Freuds Träumen siehe Immanuel Velikovsky, „The Dreams Freud Dreamed", Psychoanalytic Review, Bd. 28, 1941, S. 4 8 7 - 5 1 1 ; Alexander Grinstein, On Sigmund Freud's Dreams. Detroit 1968 (weist in neunzehn Träumen zwischen 1895 und 1899 literarische Anspielungen nach); Carl E. Schorske, „Politics and Patricide in Freuds Interpretation of Dreams", American Historical Review, Bd. 78, 1973, S. 328-347. Friedrich Hacker, „Psychologia Austriaca. Der österreichische Anteil an der Lehre Sigmund Freuds", Forum, Bd. 5, 1958, S. 54-56. Zur Psychoanalyse der Bürokratie siehe Fedor Vergin. Das unbewußte Europa. Psychoanalyse der europäischen Politik. Wien 1931, S. 2 9 - 5 4 . Uber Franz Joseph und sein Erbe nach 1918 siehe Vergin, Unbewußtes Europa, S. 7 8 - 8 3 , 1 6 1 170, 2 4 5 - 2 5 4 . Freud, „Zur Geschichte der psychoanalytischen Bewegung" [1914], in: GW. Bd. 10, London 1946, S. 51-52. Siehe Max Eastman, Heroes I have Known. New York 1942, S. 264. Photographien von der Wohnung Freuds finden sich in Du, Bd. 11, Okt. 1951, S. 27-36; Joost A. M. Meerloo, „Freud, the Creative Scientist: Reflections upon Some Pictures of Sigmund Freud", Psychoanalytic Review, Bd. 44, 1957, S. 220-224; Jonathan Miller (Hg.), Freud: The Man, His World, His Influence, Boston 1972. Ein Großteil der Bücher aus Freuds Privatbibliothek ist angeführt in Nolan D. C. Lewis und Carney Landis, „Freuds Library", Psychoanalytic Review, Bd. 44, 1957, S. 3 2 7 - 3 5 4 (führt 814 Titel an, die sich jetzt im Besitz des New York Psychiatrie Institute befinden). Eastman, Great Companions: Critical Memoirs of Some Famous Friends. London 1959, S. 129. Jones, Bd. 2, S. 439. Zum Tarock siehe auch Jones, Bd. 1, S. 362, Bd. 2, S. 428. Mor Jokai, Black Diamonds [1870]. New York 1896, S. 173. Hermann Bahr, Selbstbildnis. Berlin 1923, S. 210. Zu originellen Ansichten über das Tarock siehe Fritz von Herzmanovsky-Orlando, Maskenspiel der Genien, in: Werke. Bd. 2, München 1971, S. 2 1 - 2 3 (handelt von einem Staat namens Tarockanien, dessen Verfassung auf den Regeln des Spieles beruht). Siehe Victor A. Oswald jr. und Veronica Pinter Mindess, „Schnitzler's .Fräulein Else' and the Psychoanalytic Theory of Neuroses", Germanic Review, Bd. 26, 1951, S. 279—288;

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Frederick J. Beharriell, „Schnitzler's Anticipation of Freud's Dream Theory", Monatshefte für deutschen Unterricht, Bd. 45, 1953, S. 81-89; Beharriell, „Freuds Double: Arthur Schnitzler", JAPA, Bd. 10, 1962, S. 722-730; Herbert I. Kupper und Hilda S. Rollmann-Branch, „Freud and Schnitzler - (Doppelgänger)" JAPA, Bd. 7, 1959, S. 109-126; Heinz Politzer, „Diagnose und Dichtung. Zum Werk Arthur Sdmitzlers", in: Das Schweigen der Sirenen. Studien zur deutschen und österreichischen Literatur. Stuttgart 1968, S. 110—141; Robert O. Weiss, „The Psychoses in the Works of Arthur Schnitzler", German Quarterly, Bd. 41, 1968, S. 377-400 (klassifiziert „psychotische" Symptome, die sich an Personen in 30 Werken Schnitzlers zeigen); Martin Swales, Arthur Schnitzler: A Critical Study. Oxford 1971, S. 118-149 (hebt die Unterschiede zwischen Freud und Schnitzler hervor). Freud, „Bruchstück einer Hysterie-Analyse" [1905], in: GW, Bd. 5, London 1942, S. 203 Anm. Siehe Freuds Brief an Schnitzler vom 8. Mai 1906 in Freud, Briefe 1873-1939. 2. Aufl. Frankfurt 1968, S. 266-267. Freuds zehn Briefe an Schnitzler finden sich in Freud, „Briefe an Arthur Schnitzler", Neue Rundschau, Bd. 66, 1955, S. 95-106. Zu frühen Würdigungen von Seiten der Anhänger Freuds siehe Theodor Reik, Arthur Schnitzler als Psycholog. München 1913; Hanns Sachs, „Die Motivgestaltung bei Schnitzler", Imago, Bd. 2, 1913, S. 302-318. Freud, Briefe, S. 357 (Brief vom 14. Mai 1922). George Sylvester Viereck, Glimpses of the Great. London 1930, S. 333. Bahr, Die Uberwindung des Naturalismus [1891], in: Zur Überwindung des Naturalismus. Stuttgart 1968, S. 57. Zu Freuds Geschmack, was Romane anlangt, siehe Peter Bruckner, „Sigmund Freuds Privatlektüre«, Psyche, Bd. 15. März 1962, S. 881-901; Bd. 16. Juli 1962, S. 721-743, Bd. 16, März 1963, S. 881-895. Nunberg und Federn (Hg.), Minutes of the Vienna Psychoanalytic Society. New York 1962, Bd. 1, S. 239 (Referat vom 13. Nov. 1907). Siehe Avicenna (Fritz Wittels), „Die Lustseuche", Die Fackel, Nr. 238, 16. Dez. 1907, S. 1-24, bes. 9 - 1 0 . Abgedruckt in Oskar Panizza, Das Liebeskonzil und andere Schriften. Neuwied 1964, S. 69-136. Siehe Ernst Kris, Psychoanalytical Explorations in Art. New York 1952; Ernst Gombrich, Art and Illusion: A Study in the Psychology of Pictorial Representation. New York 1960 (deutsch: Kunst und Illusion. 1967); Gombrich, „Psycho-Analysis and the History of Art" [1954], in: Meditations on a Hobby Horse and Other Essays on the Theory of Art. London 1963, S. 30-44; Gombrich, „The Use of Art for the Study of Symbols", American Psychologist, Bd. 20, 1965, S. 3 4 - 5 0 ; Gombrich, „Freud's Aesthetics", Encounter, Bd. 26, Jan. 1966, S. 30-40. Freud und Breuer, Studien über Hysterie, S. 201 (die entsprechende Stelle stammt von Freud). Der Terminus „Ödipuskomplex" wurde erstmals verwendet in Freud, „Beiträge zur Psychologie des Liebeslebens. I. Uber einen besonderen Typus der Objektwahl beim Manne" [1910], in: GW. Bd. 8, London 1943, S. 73. Bereits am 15. Oktober 1897 hatte Freud an Fliess geschrieben, daß Sophokles' König Odipus das Publikum deshalb sosehr fasziniere, da jeder Zuschauer erschauere, wenn er auf der Bühne seine eigenen infantilen Inzestträume Gestalt annehmen sehe. Siehe Freud, Aus den Anfängen der Psychoanalyse. London 1950, S. 193. Zu Freud und seinem Verhältnis der griechischen Antike gegenüber siehe Bernice S. Engle, „Melampus and Freud", Psychoanalytic Quarterly, Bd. 11, 1942, S. 83-86; Garfield Tourney, „Empedocles and Freud, Heraclitus and Jung", Bulletin of the History of Medicine, Bd. 30, 1956, S. 109-123; Tourney, „Freud and the Greeks", Journal of the History of the Behavioral Sciences, Bd. 1, 1965, S. 67-85; Walther Riese, „The Pre-Freudian 445

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Origins of Psychoanalysis", Science and Psychoanalysis, Bd. 1, 1958, S. 29-72, bes. 4 3 - 4 7 über Hippokrates; Mark D. Altschule, „Greek Revival", in: Roots of Modern Psychiatry: Essays in the History of Psychiatry. New York 1965, S. 188-204. Freud, Die Traumdeutung, 8. Aufl., in: GW. Bd. 2/3, London 1942, S. 202-203, 198-199. Freud, Briefe, S. 27-32, bes. 3 0 - 3 1 (Brief vom 23. Juli 1882). Siehe Lewis W. Brandt, „Freud and Schiller", Psychoanalytic Review, Bd. 46/4, 1959, S. 97-101. David Bakan, Sigmund Freud and the Jewish Mystical Tradition. New York 1958, bes. S. 271-301. Ernst Simon, „Sigmund Freud, the Jew", YLBI, Bd. 2, 1957, S. 270-305, bes. 290-292. Manès Sperber, „Freud and His Psychoanalysis" [1954], in: The Achilles Heel. Garden City, N. Y. 1960, S. 146-171, bes. 165-171 (deutsch: Die Achillesferse. 1969; bevorzugt Alfred Adler). Zitiert in Max Graf, „Reminiscences of Professor Sigmund Freud", Psychoanalytic Quarterly, Bd. 11, 1942, S. 473. Freud, „On Being of the B'nai B'rith: An Address to the Society of Vienna", Commentary, Bd. 1, März 1946, S. 23-24. Eine nützliche erzählende Darstellung der Verkettung Freuds mit dem Judentum ist Earl A. Grollman, Judaism in Sigmund Freud's World. New York 1965. Freud untersucht eine Reihe von jüdischen Witzen in Der Witz und seine Beziehungen zum Unbewußten [1905], in: GW. Bd. 6, London 1940, S. 8 6 - 8 7 , 123-124, 159. Der Stil Freuds wird untersucht in Walter Schönau, Sigmund Freuds Prosa. Literarische Elemente seines Stils. Stuttgart 1968 (betont den Einfluß Lessings). Jacques Lacan, „L'Instance de la lettre dans l'inconscient ou la raison depuis Freud" [1957], in: Écrits. Paris 1966, S. 4 9 3 - 5 2 8 , bes. 509-514. Eine andere strukturalistische Beurteilung der Vorlieben Freuds für das Schreiben liegt vor in Jacques Derrida, „Freud et la scène de l'écriture" [1966], in: L'Écriture et la difference. Paris 1967, S. 2 9 3 - 3 4 0 . Eine hochinteressante Einführung in die gesamte Strukturalistische Bewegung findet sich in Anthony Wilden, „Lacan and the Discourse of the Other", in: Jacques Lacan, The Language of the Self: The Function of Language in Psychoanalysis. Baltimore 1968, S. 159-311. Siehe auch Jan Miel, „Jacques Lacan and the Structure of the Unconscious", Yale French Studies, Nr. 36-37, 1966, S. 104-111. P. C. Gordon Walker, „History and Psychology", Sociological Review, Bd. 37, 1945, S. 37-49, bes. 48. Suzanne C. Bernfeld, „Freud and Archaeology", American Lmago, Bd. 8, 1951, S. 107-128, bes. 119. Freud, „Zeitgemäßes über Krieg und Tod", in: GW. Bd. 10, London 1946, S. 354. Siehe Georg Groddeck, Uber das Es [1920], in: Psychoanalytische Schriften zur Psychosomatik. Wiesbaden 1966, S. 46—76. Uber Groddeck siehe Lawrence Durrell, „Studies in Genius. VI. Groddeck", Horizon, Bd. 17, 1948, S. 384-403; Egenolf Roeder von Diersburg, „Georg Groddecks Philosophie des Es", ZfphF, Bd. 15, 1961, S. 131-138; Carl und Sylvia Grossmann, The Wild Analyst: The Life and Work of George Groddeck. New York 1967 (eine Lobeshymne auf Groddeck). Nietzsche, Jenseits von Gut und Böse. Vorspiel einer Philosophie der Zukunft. 1886, Teil 1, Abschn. 17. Zu Freuds Verweise auf Nietzsche siehe Bruce Mazlish, „Freud and Nietzsche", Psychoanalytic Review, Bd. 55, 1968-1969, S. 360-375. Franz Alexander, „The Need for Punishment and the Death instinct", IJP, Bd. 10, 1929, S. 269. Siehe Wilhelm Reich, Character Analysis. 3. Aufl. New York 1949 (deutsch: CharakterAnalyse). Über Reich siehe Philip Rieff, „The World of Wilhelm Reich", Commentary, Bd. 38, Sept. 1964, S. 50-58; Paul Edwards, „Reich, Wilhelm", EP, Bd. 7, 1967, S. 104-

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115; M a r y Higgins u n d Chester M . Raphael (Hg.), Reich Speaks of Freud: Wilhelm Reich Discusses His Work and Relationship With Sigmund Freud. N e w York 1967 (dieses Gespräch gibt mehr Aufschlüsse über Reich als über Freud); Paul A. Robinson, The Freudian Left: Reich, Roheim, Marcuse. New York 1969, S. 9 - 7 3 ; Ilse Ollendorf-Reich, Wilhelm Reich: A Personal Biography. N e w York 1969 (ein unparteiischer Erinnerungsbericht von Reichs dritter Frau); Michel Cattier, La Vie et l'œuvre du docteur Wilhelm Reich. Lausanne 1969; Charles Rycroft, Wilhelm Reich. New York 1972; Wilhelm Burian, Psychoanalyse und Marxismus. Eine Biographie Wilhelm Reichs. Frankfurt 1972. 45 Frühere Fassungen liegen vor in A n t o n Ehrenzweig, „Unconscious Form-Creation in Art", British Journal of Medical Psychology, Bd. 20, 1948, S. 1 8 5 - 2 1 4 , Bd. 22, 1949, S. 8 8 - 1 0 9 ; Ehrenzweig, „The Origin of the Scientific and the Heroic Urge: T h e Guilt of Prometheus", IJP, Bd. 3 0 / 2 , 1949, S. 1 0 8 - 1 2 3 ; Ehrenzweig, The Psychoanalysis of Artistic Vision and Hearing: An Introduction to a Theory of Unconscious Perception. L o n d o n 1953, 2. Aufl. 1953, 2. Aufl. N e w York 1965; Ehrenzweig, „ T h e Mastering of Creative Anxiety", in: Art and Artist, Berkeley u n d Los Angeles 1956, S. 3 3 - 5 2 ; Ehrenzweig, „The Creative Surrender: A C o m m e n t on J o a n n a Field's' Book An Experiment in Leisure", American Imago, Bd. 14, 1957, S. 1 9 3 - 2 1 0 ; Ehrenzweig, „A N e w Psychoanalytical Approach to Aesthetics", British Journal of Aesthetics, Bd. 2, 1 9 6 1 - 1 9 6 2 , S. 3 0 1 - 3 1 7 . Über Ehrenzweig siehe „Anton Ehrenzweig", Studio International, Bd. 173, 1967, S. 8. 4 6 Ehrenzweig, The Hidden Order of Art: A Study in the Psychology of Artistic Imagination. L o n d o n 1967, S. 186, 1 9 7 - 2 0 5 (bringt Goethes Faust mit Mozarts Zauberflöte in Verbindung). 47 Freud, „Das Unheimliche" [1919], in: GW. Bd. 12, L o n d o n 1947, S. 247. Ehrenzweig, The Hidden Order, S. 1 9 4 - 1 9 5 . 4 8 Siehe Ilse Bry u n d Alfred H . Rifkin, „Freud and the H i s t o r y of Ideas: Primary Sources 1 8 8 6 - 1 9 1 0 " , Science and Psychoanalysis, Bd. 5, New York 1962, S. 6 - 3 6 , bes. 28. 49 50

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Freud legt die Zielsetzungen seiner Bewegung nieder in: Freud, „Das Interesse an der Psychoanalyse" [1913], in: GW. Bd. 8, L o n d o n 1943, S. 3 9 0 - 4 2 0 . Karl Kraus, Nachts [1918], in: Beim Wort genommen, in: Werke. Bd. 3, M ü n c h e n 1955, S. 351. Die Pathographie Wittels' findet sich in Wittels, „Die Fackel-Neurosis", in: N u n berg u n d Federn, Minutes, Bd. 2, S. 3 8 2 - 3 9 3 (Sitzung vom 12. Jan. 1910). Kraus, Nachts, in: Werke, Bd. 3, S. 349. Ibid., S. 3 4 9 . Weitere A p h o r i s m e n , in d e n e n Freud v e r h ö h n t wird, f i n d e n sich ibid., S. 3 4 6 - 3 5 5 . Siehe auch Kraus, „Die Psychoanalen", in: Worte in Versen, in: Werke. Bd. 7, M ü n c h e n 1959, S. 4 1 2 - 4 1 6 . Egon Friedell, Kulturgeschichte der Neuzeit [ 1 9 2 7 - 1 9 3 1 ] , M ü n c h e n 1965, S. 1 5 1 7 - 1 5 3 3 , bes. 1522. Z u r A u f n a h m e , die die Psychoanalyse anfänglich fand, siehe J. H . Schultz, „Psychoanalyse. Die Breuer-Freudschen Lehren, ihre Entwicklung u n d A u f n a h m e " , Zeitschrift fur angewandte Psychologie, Bd. 2, 1 9 0 8 - 1 9 0 9 , S. 4 4 0 - 4 9 7 ( f ü h r t 172 Titel an, Besprechungen inbegriffen). Siehe auch W l a d i m i r G . Eliasberg, „Early Criticism of F r e u d s Psychoanalysis: T h e Conscious versus the Unconscious", Psychoanalytic Review, Bd. 41, 1954, S. 3 4 7 - 3 5 3 .

55 Alexander, S. 5 6 - 5 7 .

The

Western

Mind

in

Transition:

An

Eyewitness

Story.

N e w York

I960,

17. Kapitel 1 D e n g r ü n d l i c h s t e n U b e r b l i c k ü b e r die S c h ü l e r F r e u d s geben D i e t e r Wyss, Die tiefenpsychologischen Schulen von den Anfängen bis zur Gegenwart. 2. A u f l . G ö t t i n g e n 1966; Franz Alexander u n d S h e l d o n T. Selesnick, The History of Psychiatry: An Evaluation of Psychiatric Thought and Practice from Prehistoric Times to the Present. N e w York 1 9 6 6

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(deutsch: Geschichte der Psychiatrie. 1969); Franz Alexander, Samuel Eisenstein und Martin Grotjahn (Hg.), Psychoanalytic Pioneers. New York 1966 (Biographien von 41 Freud-Anhängern); Vincent Brome, Freud and His Early Circle. New York 1968. Siehe Max Graf, „Reminiscences of Professor Sigmund Freud", Psychoanalytic Quarterly, Bd. 11, 1943, S. 471-475. Siehe Wilhelm Stekel, „In Memoriam Herbert Silberer", Fortschrittliche Sexualwissenschaft und Psychoanalyse, Bd. 1, 1924, S. 408-420, bes. 415. Siehe Freud, „Über die weibliche Sexualität" [1931], in: GW. Bd. 14, London 1948, S. 515-537. Robert R. Holt, „Freuds Cognitive Style", American Imago, Bd. 22, 1965, S. 163-179, bes. 167. Zu Beispielen betreffend die frühen Arbeiten Sadgers und Stekels siehe Hermann Nunberg und Ernst Federn (Hg.), Minutes of the Vienna Psychoanalytic Society. Bd. 1 und 2, New York 1962-1967; Bd. 3 u. 4 in dt. Sprache, Frankfurt a. M. 2001. Besonders interessant ist Sadgers Psychoanalyse Lenaus, ibid., Bd. 1, S. 6 2 - 6 9 (28. Nov. 1906), desgleichen Stekels Analyse Grillparzers, ibid., Bd. 2, S. 2 - 1 2 (14. Okt. 1908). Über Stekel siehe Fritz Wittels, Bespr. von Stekel, The Interpretation of Dreams [1944], in: Psychoanalytic Quarterly, Bd. 14, 1945, S. 540-544. Siehe Herbert Silberer, Problems of Mysticism and its Symbolism. New York 1917 (deutsch: Probleme der Mystik und ihrer Symbolik. Nachdr. der Ausg. 1914. 1969). Über Silberer siehe Stekel, »In Memoriam Herbert Silberer", S. 408-420. Abgedruckt in Eduard Hitschmann, Great Men: Psychoanalytical Studies. New York 1956 (führt die Schriften Hitschmanns an). Eine revidierte Version liegt vor in Graf, From Beethoven to Shostakovich: The Psychology of the Composing Process. New York 1947. Siehe auch Graf, „Methodology of the Psychology of Poets", in: Nunberg und Federn, Minutes, Bd. 1, S. 259-269 (Referat vom 11. Dez. 1907). Über Graf siehe André Michel, L'Ecole freudienne devant la musique. Paris 1965, S. 21-30, 447-477. Siehe Wittels, Sigmund Freud: His Personality, His Teaching and His School. London 1924, überarb. Aufl. New York 1931; Wittels, „Revision of a Biography", AJP, Bd. 45, 1933, S. 745-749. Siehe Wittels, „The Position of the Psychopath in the Psycho-Analytic System", IJP, Bd. 19, 1938, S. 471-488; Wittels, „Collective Defense Mechanism Against Homosexuality", Psychoanalytic Review, Bd. 31, 1944, S. 19-33; Wittels, „Economic and Psychological Historiography", AJS, Bd. 51, 1945-1946, S. 527-532; Wittels, „Heinrich von Kleist Prussian Junker and Creative Genius: A Study in Bisexuality", American Imago, Bd. 11, 1954, S. 11-31. In Nunberg und Federn, Minutes, finden sich sieben Beiträge Wittels', die Psychoanalyse Karl Kraus' mitinbegriffen: Minutes, Bd. 2, S. 382-393. Über Wittels siehe Philip R. Lehmann, „Fritz Wittels", Psychoanalytic Quarterly, Bd. 20, 1951, S. 9 6 104 (führt 82 Titel von Wittels an). Über Sachs siehe Hanns Sachs, Freud: Master and Friend. Cambridge, Mass. 1946; Ernest Jones, „Hanns Sachs", IJP, Bd. 27, 1946, S. 168-169; Felix Deutsch, „Hanns Sachs 18811947", American Imago, Bd. 4/2, 1946-1947, S. 3 - 1 4 ; Rudolph M. Loewenstein, „In Memoriam: Hanns Sachs 1881-1947", Psychoanalytic Quarterly, Bd. 16, 1947, S. 151-156 (führt 78 Arbeiten von Sachs an). Siehe Sachs, Gemeinsame Tagträume. Wien 1924; Sachs, „What Would Have Happened If ..." American Imago, Bd. 3/4, 1942-1946, S. 61-66. Sachs, „The Delay of the Machine Age", Psychoanalytic Quarterly, Bd. 2, 1933, S. 4 0 4 423. Zum Narzißmus siehe Freud, „Zur Einführung des Narzissmus [1914], in: GW. Bd. 10, London 1946, S. 139-170. 448

15 Sachs, „Mission of the Movies", Life and Letters Today, Bd. 26, 1940, S. 261-268, bes. 266. Ahnliche Themen liegen auch folgender Arbeit zugrunde: Angelo Montani und Giulio Pietranera, „First Contribution to the Psycho-Analysis and Aesthetics of Motion-Picture" (sie!) [1939], Psychoanalytic Review, Bd. 33, 1946, S. 177-196. 16 Das grundlegende Werk über Adler ist nunmehr Henri F. Ellenberger, The Discovery of the Unconscious: The History and Evolution of Dynamic Psychiatry. New York 1970, S. 571-656. Siehe auch Egon Friedeil, „Exkurs über den Wert der Krankheit" [1927], in: Kulturgeschichte der Neuzeit. München 1965, S. 68-82; Hertha Orgler, Alfred Adler: The Man and His Work: Triumph over the Inferiority Complex. London 1939, 3. Aufl. 1963 (deutsch: Alfred Adler. Triumph über den Minderwertigkeitskomplex. 2. Aufl. 1972; unkritisch); Phyllis Bottome, Alfred Adler: Apostle of Freedom. London 1939 (abzulehnen); Lewis Way, Adler's Place in Psychology: An Exposition of Individual Psychology. New York 1950, 2. Aufl. 1962; Heinz L. Ansbacher und Rowena R. Ansbacher (Hg.), The Individual Psychology of Alfred Adler: A Systematic Presentation in Selections from His Writings. New York 1956, Neudr. 1964; Helene und Ernst Papanek, „Individual Psychology Today", American Journal of Psychotherapy, Bd. 15, 1961, S. 4 - 2 6 (ausgezeichnete Bibliographie); Carl Furtmüller, „Biographical Essay" [1946], in: Alfred Adler, Superiority and Social Interest: A Collection of Later Writings. Evanston, 111. 1964, S. 311-393; Paul Rom, Alfred Adler und die wissenschafiliche Menschenkenntnis. Frankfurt 1966; Brome, Freud and His Early Circle, S. 48-61, 212-218; Manes Sperber, Alfred Adler oder Das Elend der Psychologie. Wien 1970. 17 Siehe Alfred Adler, „On the Psychology of Marxism", in: Nunberg und Federn, Minutes, Bd. 2, S. 172-178, bes. 174 (Referat vom 10. März 1909). 18 Über Rank siehe Ernest Jones, „Otto Rank", IJP, Bd. 21, 1940, S. 112-113; Fay Berger Karpf, The Psychology and Psychotherapy of Otto Rank: An Historical and Comparative Introduction. New York 1953; Ida Progoff, The Death and Rebirth of Psychology. New York 1956, S. 188-253 (vergleicht Rank mit Adler und Jung); Jesse Taft, Otto Rank: A Biographical Study Based on Notebooks, Collected Writings, Therapeutic Achievements and Personal Associations. New York 1958; Jack Jones, „Otto Rank: A Forgotten Heresy", Commentary, Bd. 30, 1960, S. 219-229 (eingehend); Jones, „Rank, Otto", IEES, Bd. 13, 1968, S. 314-319; Anais Nin, The Diary of Anais Nin, 1931-1934. New York 1966, S. 269-300; Brome, Freud and His Early Circle, S. 164-194. 19 Exzerpte aus seinen Tagebüchern von 1903 bis 1905 finden sich in Taft, Otto Rank, S. 3-52. 20 Otto Rank, Beyond Psychology. Camden, N. J. 1941, S. 289. 21 Ibid., S. 16. 22 Ibid., S. 290. 23 Ibid., S. 287-288. 18. Kapitel 1 Nützliche Geschichtswerke über Böhmen und Mähren sind Ernest Denis, La Boheme depuis La Montagne-Blanche. 2 Bde., Paris 1903 (überheblich, protschechisch); Bertold Bretholz, Geschichte Böhmens und Mährens. 4 Bde., Reichenberg 1921-1924; R. W. Seton-Watson, A History of the Czechs and Slovaks. London 1943, Neudr. Hamden, Conn. 1965; Hermann Münch, Böhmische Tragödie. Das Schicksal Mitteleuropas im Lichte der tschechischen Frage. Braunschweig 1949; Helmut Preidel (Hg.), Die Deutschen in Böhmen und Mähren. Ein historischer Rückblick. 2. Aufl. Gräfelfing 1952 (enthält 14 zum Teil unpassenderweise nostalgische Aufsätze); Karl Bosl (Hg.), Handbuch der Geschichte der böhmischen Länder. 4 Bde., Stuttgart 1966-1971 (ausfuhrlich); Stanley Z. Pech, The Czech Revolution of 1848. Chapel Hill, N. C. 1969; Peter Brock und H. Gordon Skilling (Hg.), The Czech Renascence of the Nineteenth Century: Essays Presented to Otakar Odloiilik in Honour of His

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Seventieth Birthday. Toronto 1970. Theorien zur tschechischen Nationalität finden sich skizziert in Eugen Lemberg, „Der Staat im Denken des tschechischen Volkes", Jahrbücher für Geschichte Osteuropas, Bd. 3, 1938, S. 357-394; Joseph F. Zacek, „Nationalism in Czechoslovakia", in: Peter F. Sugar und Ivo J. Lederer (Hg.), Nationalism in Eastern Europe. Seattle 1969, S. 166-206. Zum Sprachenstreit siehe Raimund Friedrich Kaindl, Der Völkerkampf und Sprachenstreit in Böhmen im Spiegel der zeitgenössischen Quellen. Wien 1927; Theodor Veiter, „Die Sudetenländer", in: Karl Gottfried Hugelmann (Hg.), Das Nationalitätenrecht des alten Osterreich. Wien 1934, S. 289-428. Zur Rolle der Juden im Sprachenstreit siehe Guido Kisch, „Linguistic Conditions Among Czechoslovak Jewry: A Legal-Historical Study", Historica Judaica, Bd. 8, 1946, S. 19-32. Madelaine R. Brown, „Arnold Pick (1851-1924)", in: Webb Haymaker (Hg.), The Founders of Neurology. Springfield, 111. 1953, S. 202. Emilie de Laveleye, „Würzburg and Vienna: Scraps of a Diary", Living Age, Bd. 164, 1884, S. 122. Zu weiteren Kontroversen hinsichtlich tschechischer Schulen siehe Walter Goldinger, „The Nationality Question in Austrian Education", Austrian History Yearbook, Bd. 3. 3, 1967, S. 136-156; Theo Keil, Die deutsche Schule in den Sudetenländern. Form und Inhalt des Bildungswesens. München 1967 (ausführlich). Siehe Berthold Sutter, Die Badenischen Sprachenverordnungen von 1897, ihre Genesis und ihre Auswirkungen vornehmlich auf die innerösterreichischen Alpenländer. 2 Bde., Graz 1960-1965. M. J. Landa, „Bohemia and the War", Contemporary Review, Bd. 108, 1915, S. 100-104. Siehe Horst Glassl, Der mährische Ausgleich. München 1967. Uber Mähren siehe auch Lillian Schacherl, Mähren. Land der friedlichen Widersprüche. München 1968. Zu zwei vernachlässigten Romanciers der mährischen Gesellschaft siehe Peter Goldammer, „Jakob Julius David. Ein vergessener Dichter", Weimarer Beiträge, Bd. 5, 1959, S. 323-368; Karel Krejci, Oskar Jellinek. Leben und Werk. Brünn 1967. Zur deutschen Sprache in Prag siehe Fritz Mauthner, Prager Jugendjahre. Erinnerungen [1918]. Frankfurt 1969, S. 3 0 - 3 4 , 4 8 - 5 0 ; Rainer Maria Rilke, Briefe. Wiesbaden 1950, Bd. 1, S. 473; Peter Demetz, „The Czech Themes of R. M. Rilke", German Life and Letters, Bd. 6, 1952-1953, S. 35-49; Demetz, „Noch einmal: Prager Deutsch", Literatur und Kritik, Bd. 1, Sept. 1966, S. 58-59; Willy Haas, Die literarische Welt. Erinnerungen. München 1960, S. 10-11; Johannes Urzidil, Da geht Kafka. 2. Aufl. München 1966, S. 12; Pavel Trost, „Und wiederum: Prager Deutsch", Literatur und Kritik, Bd. 1, Dez. 1966, S. 107—108 (diskutiert Urzidil und Demetz); Emil Skäla, „Das Prager Deutsch", in: Eduard Goldstücker (Hg.), Weltfreunde. Konferenz über die Prager deutsche Literatur. Prag 1967, S. 119-125. Siehe Andrew G. Whiteside, Austrian National Socialism Before 1918. Den Haag 1962, S. 87-111, bes. 105-108 (enthält eine ausgezeichnete Bibliographie); Othmar Feyl, „Sozialdemokratischer Revisionismus und Reformismus und die Anfänge des .Nationalen Sozialismus' in Böhmen vor Hitler", in: Ost und West in der Geschichte des Denkens und der kulturellen Beziehungen (Festschrift Eduard Winter), Ostberlin 1966, S. 700-714. Siehe auch Virginio Gayda, Modern Austria. London 1915, S. 326-337; Erik R. v. KuehneltLeddihn, Freiheit oder Gleichheit? Die Schicksalsfrage des Abendlandes. Salzburg 1953, S. 371-384, 571-578. J. M. Wilson, „Remediable Defects in Our Conception of Elementary Education", Con temporary Review, Bd. 100, 1911, S. 4 9 - 5 9 . Siehe auch Gayda, Modern Austria, S. 6 8 - 6 9 ; Stanley B. Winters, „The Young Czech Party (1874-1914): An Appraisal", Slavic Review, Bd. 28, 1969, S. 426-444. Wehmütige Erinnerungen an Prag finden sich in Herbert Cysarz, Prag im deutschen Geistesleben. Blicke durch ein Jahrtausend. Mannheim-Sandhofen 1961; Jan Neruda, Kleinseitner Geschichten [1878], hgg. v. Josef Mühlberger, München 1965; Johanna Baronin

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Herzogenburg, Prag. München 1968; Traugott Krischke (Hg.), Einladung nach Prag. Wien 1920 (eine Anthologie); Demetz, „Die traurige altberühmte Stadt", Die Zeit, Nr. 13, 2. Apr. 1968, S. 10; Joseph Wechsberg, Prague: The Mystical City. New York 1971. Siehe Ignât Herrmann, Jos. Teige und Zickmund Winter, Das Prager Ghetto. Prag 1903 (mit erschütternden Photos). Zur Unterwelt des Gettos siehe Egon Erwin Kisch, Die Abenteuer in Prag. Wien 1920; Kisch, Prager Pitaval. Berlin 1931. Siehe die Erinnerungen der Tochter Ernst Machs in: K. D. Heller, Ernst Mach. Wegbereiter der modernen Physik. Mit ausgewählten Kapiteln aus seinem Werk. Wien 1964, S. 16-17. Siehe „Flood at Prague", Harper's Weekly, Bd. 34, 1890, S. 799. Zu den Intellektuellen in Prag siehe Karl Kraus, „Elysisches", in: Worte in Versen, Werke. Bd. 7, München 1959, S. 77-78; Demetz, René Rilkes Prager Jahre. Düsseldorf 1953, S. 89-112 über das Verhältnis zwischen Tschechen und Deutschen; Haas, Die literarische Welt, S. 9 - 7 6 (bes. über Werfel); Max Brod, Der Prager Kreis. Stuttgart 1966; Brod, Streitbares Leben, 1884-1968. 2. Aufl. München 1969; Urzidil, Prager Tryptichon. München 1960; Urzidil, Da geht Kafka; Paul Reimann, Von Herder bis Kisch. Studien zur Geschichte der deutsch-österreichisch-tschechischen Literaturbeziehungen. Ostberlin 1961; Hans Tramer, „Die Dreivölkerstadt Prag", in: Tramer und Kurt Loewenstein (Hg.), Robert Weltsch zum 70. Geburtstag von seinen Freunden. Tel-Aviv 1961, S. 138-203 (sehr informativ); Hans Kohn, Living in a World Revolution. New York 1964, S. 1-89; Gustav Janouch, Franz Kafka und seine Welt. Wien 1965; Janouch, Jaroslav Hasek, Bern 1967; Goldstücker, Weltfreunde; N. O. Scarpi, Liebes altes Prag. Rückblicke eines gar nicht zornigen alten Mannes. Zürich 1968. Abgedruckt in Karl Otten (Hg.), Prosa jüdischer Dichter. Stuttgart 1959, S. 153-201, 355-447. Siehe auch Paul Adler, „Vom Geist der Volkswirtschaft", Summa, Nr. 1, 1917, S. 8 4 - 1 1 1 . Über Adler siehe Meir Wiener, „Paul Adler", in: Gustav Krojanker (Hg.), Juden in der deutschen Literatur. Essays über zeitgenössische Schriftsteller. Berlin 1922, S. 251-259; und Otten, Prosa jüdischer Dichter, S. 625-628. Weitere nützliche Anthologien zu deutschen Schriftstellern in Prag sind Oskar Wiener (Hg.), Deutsche Dichter aus Prag. Wien 1919; und Rüdiger Engerth (Hg.), Im Schatten des Hradschin. Kafka und sein Kreis. Graz 1965. Siehe Haas, „Der junge Max Brod. Persönliche Erinnerungen", Tribüne, Bd. 3, 1964, S. 1075-1080; Paul Raabe, „Der junge Max Brod und der Indifferentismus", in: Goldstücker, Weltfreunde, S. 253-269; Berndt W. Wessling, Max Brod. Ein Portrait. Stuttgart 1969; Hugo Gold (Hg.), Max Brod. Ein Gedenkbuch 1884-1968. Tel-Aviv 1969. Paul Kornfeld, „Gebet um Wunder" [1920], abgedruckt in Karl Otten (Hg.), Schofar. Lieder und Legenden jüdischer Dichter. Neuwied 1962, S. 224. Uber Kornfeld siehe Manon MarenGrisebach, „Paul Kornfeld", in: Wolfgang Rothe (Hg.), Expressionismus als Literatur. Bern 1969, S. 519-530. Kohn, Living in a World Revolution, S. 3 3 - 3 4 . Siehe auch Bruno Kisch, Wanderungen und Wandlungen. Köln 1966, S. 4 8 - 4 9 . Der mährische Katholik Rudolf Kassner erzählt mit großer Wärme von seinem Kindermädchen in Die Zweite Fahrt. Erinnerungen. Zürich 1946, S. 26-37. Sigmund Freud, Aus den Anfängen der Psychoanalyse 1887-1902. London 1950, S. 1 8 9 193 (Briefe vom 3. und 15. Okt. 1897). Siehe Suzanne C. Bernfeld, „Freud and Archaeology", American Imago, Bd. 8, 1951, S. 107-128, bes. 115-123; Renée Gicklhorn, „The Freiberg Period of the Freud Family", Journal of the History of Medicine and Allied Sciences, Bd. 24, 1969, S. 37-43. Franz Werfel, Barbara oder die Frömmigkeit. Wien 1929, S. 82. Zur Theologie Werfels siehe auch Adolf D. Klarmann, „Franz Werfel", in: Rothe, Expressionismus als Literatur, S. 410-425. Haas, Die literarische Welt, S. 38-40. 451

19. Kapitel 1 Leibniz, Brief an Nicolas Remond vom 10. Jan. 1714 in: Die philosophischen Schriften, hgg. v. C. J. Gerhardt, Berlin 1887, Neudr. Hildesheim 1960, Bd. 3, S. 607. Ein ganz ausgezeichneter Aufriß des Denkens Leibniz' findet sich in Lewis White Beck, Early German Philosophy: Kant and His Predecessors. Cambridge, Mass. 1969, S. 196-240. Über Leibniz in Österreich siehe Robert Mühlher, „Ontologie und Monadologie in der österreichischen Literatur des 19. Jahrhunderts", in: Joseph Stummvoll (Hg.), Die österreichische Nationalbibliothek. Festschrift Josef Bick. Wien 1948, S. 488-504. 2 Über Bolzano siehe Eduard Winter, Der Bolzanoprozeß. Dokumente zur Geschichte der Prager Karlsuniversität im Vormärz. Brünn 1934; Winter, Der Josefinismus und seine Geschichte. Beiträge zur Geistesgeschichte Österreichs 1740-1848. Brünn-München-Wien 1943; Winter, Der Böhmische Vormärz in Briefen B. Bolzanos an F. Pfihonsky (1824-1848). Ostberlin 1956; Winter, Bernhard Bolzano. Ein Denker und Erzieher im österreichischen Vormärz. Graz 1967; Eduard und Maria Winter, Der Bolzanokreis 1824-1833. In Briefen von Anna Hoffmann, Michael Josef Fest, Franz Schneider und Franz Prihonsky. Wien 1970. Der aus Böhmen stammende Eduard Winter (geb. 1896) ist aus dem Priesterstand ausgetreten und lebt seit dem Zweiten Weltkrieg in der D D R . 3 Siehe Winter (Hg.), Wissenschaft und Religion im Vormärz. Der Briefwechsel Bernhard Bolzanos mit Michael Josef Fesl 1822-1848. Ostberlin 1965. Über Fiebrich siehe Wilhelm Zeil, „Vinzenz Fiebrich - ein vergessener Bolzanist in Wien", in: Ost und West in der Geschichte des Denkens und der kulturellen Beziehungen (Festschrift Eduard Winter). Ostberlin 1966, S. 540-548. Eine nützliche Bearbeitung der Wissenschaftslehre ist Bolzano, Grundlegung der Logik. Ausgewählte Paragraphen aus der Wissenschaftslehre. Band 1/2, hgg. v. Friedrich Kambartel. Hamburg 1963. 4 Siehe Bolzano, Uber das Verhältnis der beiden Volksstämme in Böhmen. Drei Vorträge im Jahre 1816, an der Hochschule zu, Prag gehalten. Wien 1849, bes. S. 2 0 - 2 1 , 4 5 - 4 7 . Siehe auch Helmut Diwald, „Bernhard Bolzano und der Bohemismus", in: Diwald (Hg.), Lebendiger Geist. Hans Joachim Schoeps zum 50. Geburtstag. Leiden 1959, S. 91-115. 5 Über Lambert siehe Robert Zimmermann, „Lambert, der Vorgänger Kants. Ein Beitrag zur Vorgeschichte der Kritik der reinen Vernunft", Denkschriften der phil. hist. Kl., Kaiserliche Akad. d. Wiss., Bd. 29, Wien 1897, S. 1 - 7 4 , bes. 20; Beck, Early German Philosophy, S. 402-412. 6 Arnold Kowalewski, „Bolzano als Kronzeuge im Streit um die Religions-Philosophie des Als Ob", Annalen der Philosophie, Bd. 3, 1923, S. 427-453. 7 Zitiert in Winter, „Bernhard Bolzano (1781-1848)", NÖB, Bd. 16, 1965, S. 177. 8 Bolzano, Von dem besten Staat. Prag 1932. Über Bolzanos Utopie siehe Franz Stephan Schindler, „Bolzano als Sozialpolitiker", Deutsche Arbeit, Bd. 8, 1908-1909, S. 683-699; Arthur Salz, „Bernhard Bolzanos Utopie ,Vom besten Staat'", ASWSP, Bd. 31, 1910, S. 4 9 8 - 5 1 9 ; Cyrill Horäcek, „Bernhard Bolzano und seine Utopie ,Vom besten Staat'", Archiv für die Geschichte des Sozialismus, Bd. 2, 1911-1912, S. 6 8 - 9 7 . 9 Siehe Edmund Husserl, Logische Untersuchungen. Halle 1901, Bd. 2, S. 225-227; Melchior Palagyi, Kant und Bolzano. Eine kritische Parallele. Halle 1902; Hugo Bergmann, Das philosophische Werk Bernhard Bolzanos, mit Benutzung ungedruckter Quellen kritisch untersucht. Halle 1909. 10 Z u m Reformkatholizismus siehe Christoph Thienen-Adlerflycht, Graf Leo Thun im Vormärz. Grundlagen des böhmischen Konservatismus im Kaisertum Osterreich. Graz 1967 (äußerst verständig, mit einer außergewöhnlich guten Bibliographie); Matthias Murko, Deutsche Einflüsse auf die Anfänge der böhmischen Romantik. Graz 1897; Eugen Lemberg, Grundlagen des nationalen Erwachens in Böhmen. Geistesgeschichtliche Studie am Lebensgang Joseph Georg Meinerts (1773-1844). Reichenberg 1932; Johannes Urzidil, Goethe in

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Böhmen. 3. Aufl. Zürich 1965; Winter, Romantismus, Restauration und Frühliberalismus im österreichischen Vormärz. Wien 1968. Siehe auch die Arbeiten über Bolzano in Anm. 2 oben. Zu jüdischen Parallelen siehe Jacob Shatzky, „Jewish Ideologies in Austria During the Revolution of 1848", in: Salo W. Baron u. a. (Hg.), Freedom and Reason: Studies in Philosophy and Jewish Culture in Memory of Morris Raphael Cohen. Glencoe, 111. 1951, S. 413-437. Siehe Oskar Kraus, „The Special Outlook and Tasks of German Philosophy in Bohemia", SEER, Bd. 13, 1934-1935, S. 3 4 5 - 3 4 9 . Leonhardis Der Philosophenkongreß als Versöhnungsrat. Beitrag zu einer Lösung der religiösen Zeitfrage. Prag 1869, war mir nicht zugänglich. Uber Günther siehe Ernst Karl Winter, „Anton Günther. Ein Beitrag zur Romantikforschung", Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft, Bd. 88, 1930, S. 281-333; Joseph Pritz, Glauben und Wissen bei Anton Günther. Eine Einführung in sein Leben und Werk mit einer Auswahl seiner Schriften. Wien 1963; Roger Bauer, Der Idealismus und seine Gegner in Österreich. Heidelberg 1966, S. 80-104; Thomas W. Simons, „Vienna's First Catholic Political Movement: The Güntherians, 1848-1857", Catholic Historical Review, Bd. 55, 1969-1970, S. 173-194, 377-393, 610-626. Zur Entwicklung Herbarts siehe Zimmermann, „Perioden in Herbarts philosophischem Geistesgang. Eine biographische Studie", SKAW-Wien, Phil.-Hist. Kl., Bd. 83, 1876, S. 179-234; G. F. Stout, „The Herbartian Psychology", Mind, Bd. 13, 1888, S. 321-338, 4 7 3 - 4 9 8 ; Charles de Garmo, Herbart and the Herbartians. New York 1896; Benjamin B. Wolman, „The Historical Role of Johann Friedrich Herbart", in: Wolman (Hg.), Historical Roots of Contemporary Psychology. New York 1968, S. 2 9 - 4 6 ; David Ballin Klein, A History of Scientific Psychology: Its Origins and Philosophical Backgrounds. New York 1970, S. 7 6 0 - 7 7 8 (betont Freuds Verpflichtung gegenüber Herbart). Siehe Zimmermann, „Uber den Einfluß der Tonlehre auf Herbarts Philosophie", SKAWWien, Phil.-Hist. KL, Bd. 73, 1873, S. 3 3 - 7 4 . Siehe Wilhelm Jerusalem, „Robert Hamerlings .Atomistik des Willens'" [1891], in: Gedanken und Denker. Gesammelte Aufsätze. Wien 1905, S. 113-121. Zimmermann, Anthroposophie. Wien 1882, S. IX. Siehe C. S. Barach, Kleine philosophische Schriften. Wien 1878. Uber Barach siehe Ernst Topitsch, „Kant in Österreich", in: Philosophie der Wirklichkeit. Festschrift zum 80. Geburtstag Robert Reiningers. Wien 1949, S. 250-253; Johannes Volkelt, „Mein philosophischer Entwicklungsgang", in: Raymund Schmidt (Hg.), Die Philosophie der Gegenwart in Selbstdarstellungen. 2. Aufl. Leipzig 1923, Bd. 1, S. 216. Zu früherer Abneigung gegenüber Kant siehe Karl Wotke, „Kant in Österreich vor 100 Jahren", Zeitschrift für die österreichischen Gymnasien, Bd. 54, 1903, S. 289-305. Augustin Smetana, Geschichte eines Excommunicirten. Eine Selbstbiographie. Leipzig 1863. Zum Verhältnis Zimmermanns zu Bolzano siehe Winter (Hg.), Der böhmische Vormärz, S. 8 - 9 , 6 5 - 6 6 , 183-290. Zur Entwicklung Zimmermanns siehe Bernhard Münz, „Zimmermann, Robert von", ADB, Bd. 45, 1900, S. 294-299; Friedrich Jodl, „Robert Zimmer mann" [1899], in: Vom Lebenswege. Gesammelte Vorträge und Aufsätze. Stuttgart 1916, Bd. 1, S. 4 3 3 - 4 4 0 ; Bernard Bosanquet, A History of Aesthetic. 2. Aufl. London 1904, Neudr. New York 1957, S. 373-381; Bauer, Der Idealismus, S. 7 1 - 7 6 . Eine Kritik findet sich in Otto Flügel, „Zimmermanns metaphysische Ansichten", Zeitschrift für exakte Philosophie, Bd. 12, 1883, S. 266-316. Zitiert in Eduard Hanslick, Aus meinem Leben. 2. Aufl. Berlin 1894, Bd. 1, S. 17. Zimmermann, „Continental Literature: Germany", in: Athenaeum. Von 1870 bis 1886 erschien dies in der letzten Ausgabe für Dezember; von 1887 bis 1898 wurde es in der ersten Juli-Ausgabe veröffentlicht. Arminius Vambery lieferte Beiträge zur gleichen Serie, die sich auf Ungarn bezogen.

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22 Rudolf Steiner, Mein Lebensgang. Dornach 1925, S. 35-36. 23 Siehe Robert Vischer, „Über das optische Formgefühl. Ein Beitrag zur Aesthetik" [1872], in: Drei Schriften zum ästhetischen Formproblem. Halle 1927, S. 1-44, bes. 22 über Einfühlung. Zur Kritik Zimmermanns siehe Drei Schriften, S. 45 Anm. Uber Robert Vischer siehe Hermann Glockner, „Robert Vischer und die Krisis der Geisteswissenschaften im letzten Drittel des neunzehnten Jahrhunderts. Ein Beitrag zur Geschichte des Irrationalitätsproblems", Logos, Bd. 14, 1925, S. 297-343, Bd. 15, 1926, S. 47-102. 24 Siehe Lionello Venturi, „Robert Zimmermann et les origines de la science de l'art", in: Deuxième Congrès international d'esthétique et de science de l'art. Paris 1937, Bd. 2, S. 35-38. 25 Zimmermann, Uber den Antheil Wiens an der deutschen Philosophie. Inaugurationsrede. Wien 1886; Zimmermann, „Philosophie und Philosophen in Österreich", ÖsterreichischUngarische Revue, Bd. 6, 1889, S. 177-198, 259-272. In „Wissenschaft und Literatur", in: Wien 1848-1888, Wien 1888, Bd. 2, S. 129-196, untersuchte Zimmermann 40 Jahre Wiener Literatur und Gelehrsamkeit. 2 0 . Kapitel 1 Zur Entwicklung Brentanos siehe Oskar Kraus, Franz Brentano. Zur Kenntnis seines Lebens und seiner Lehre mit Beiträgen von Carl Stumpf und Edmund Husserl. München 1919; Kraus, „Einleitung des Herausgebers", in: Franz Brentano, Psychologie vom empirischen Standpunkt. 2. Aufl. Leipzig 1924, Neudr. Hamburg 1955, Bd. 1, S. XVIIXCVIII; Kraus, „Franz Brentano", NÖB, Bd. 3, 1926, S. 102-118; Emil Utitz, „Franz Brentano", Kantstudien, Bd. 22, 1918, S. 217-242; Utitz, „Erinnerungen an Franz Brentano" [1938], ZfphF, Bd. 13, 1959, S. 102-110; Mario Puglisi, „Franz Brentano: A Biographical Sketch", AJP, Bd. 35, 1924, S. 414-419; Franziska Mayer-Hillebrand, „Rückblick auf die bisherigen Bestrebungen zur Erhaltung und Verbreitung von Franz Brentanos philosophischen Lehren und kurze Darstellung dieser Lehren", ZfphF, Bd. 17, 1963, S. 146-169 (gründliche Bibliographie der Sekundärliteratur); Hugo Bergmann, „Franz Brentano", „Revue internationale de philosophie, Bd. 20, 1966, S. 349-372 (es handelt sich um eine Brentano-Nummer, die noch weitere acht Artikel enthält). 2 Abgedruckt in Ludwig Lenhart, „Das Franz-Brentano-Gutachten über die päpstliche Infallibilität, Archiv für mittelrheinische Kirchengeschichte, Bd. 7, 1955, S. 295-334. 3 Abgedruckt in Brentano, Meine letzten Wünsche für Osterreich. Stuttgart 1895. 4 Wiederveröffentlicht als Brentano, Aenigmatias. Rätsel. 5. Aufl. Bern 1962. 5 Siehe Brentano, „Über ein optisches Paradoxon", Zeitschrift für Psychologie, Bd. 3, 1892, S. 349-358; Bd. 5, 1893, S. 61-82. 6 Jan Srzednicki, Franz Brentano's Analysis of Truth. Den Haag 1965; siehe auch Gustav Bergmann, Realism: A Critique of Brentano and Meinong. Madison, Wisc. 1967; John L. Sullivan, „Franz Brentano and the Problem of Intentionality", in: Wolman (Hg.), Historical Roots of Contemporary Psychology. New York 1968, S. 248-274 (nützliche Einführung). Zu den Schriften des späteren Brentano siehe sein Wahrheit und Evidenz, hgg. v. Oskar Kraus, Leipzig 1930, und Versuch über die Erkenntnis aus seinem Nachlaß, hgg. v. Alfred Kastil, Leipzig 1925. 7 G. E. Moore, Bespr. von Brentano, The Origin of the Knowledge of Right and Wrong [1902], in: International Journal of Ethics, Bd. 14, 1903, S. 115. 8 Brentano, Vom Ursprung sittlicher Erkenntnis, Leipzig 1889, S. 28. 9 Ibid., S. 27-28. 10 G. E. Moore, Origin of the Knowledge, S. 116. Siehe auch Howard O. Eaton, „The Validity of Axiological Ethics", Ethics, Bd. 43, 1933, S. 253-268.

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11 Brentano, Vom Dasein Gottes, hgg. v. Alfred Kastil. Leipzig 1929, bes. S. 436-445. 12 Siehe Eduard Winter, Franz Brentanos Ringen um eine neue Gottessicht. Nach dem unveröffentlichten Briefwechsel Franz Brentano-Hermann Schell. Brünn 1941. Zu Brentanos Kritik an Schell siehe Brentano, Die Lehre Jesu und ihre bleibende Bedeutung, hgg. v. Alfred Kastil, Leipzig 1922. 13 Brief vom 30. Okt. 1895, zitiert in Winter, Franz Brentanos Ringen, S. 20. 14 Zitiert in Eaton, The Austrian Philosophy of Values. Norman, Okla. 1930, S. 26. Eine Kritik findet sich in Branislav Petronievics, „Kritische Bemerkungen zu Brentanos ,Die vier Phasen der Philosophie'", Philosophia, Bd. 3, 1938, S. 179-187; zu Brentanos Hoffnung auf eine Erneuerung siehe Brentano, Uber die Zukunft der Philosophie [1893], hgg. v. Oskar Kraus. Leipzig 1929, S. 7 - 8 1 . 15 Teile davon werden zitiert in Utitz, „Erinnerungen an Franz Brentano", S. 109-110. 16 Über Meinong siehe „A. Meinong", in: Raymund Schmidt (Hg.), Die Philosophie der Gegenwart in Selbstdarstellungen. 2. Aufl. Leipzig 1923, Bd. 1, S. 101-160; Bertrand Russell, „Meinong's Theory of Complexes and Assumptions", Mind, Bd. 13, 1904, S. 2 0 4 219, 336-354, 509-524; Eaton, The Austrian Philosophy; J. N. Findlay, Meinong's Theory of Objects and Values. Oxford 1933, 2. Aufl. 1963; Rudolf Kindinger (Hg.), Philosophenbriefe. Aus der wissenschaftlichen Korrespondenz von Alexius Meinong. Graz 1965; Rudolf Haller, „Meinongs Gegenstandstheorie und Ontologie", Journal of the History of Philosophy, Bd. 4, 1966, S. 313-324; Haller, „Über Meinong", Revue internationale de Philosophie, Bd. 27, 1973, S. 148-160 (S. 161-287 enthalten sechs weitere Artikel über Meinong); Bergmann, Realism, S. 335-441; Reinhardt Grossmann, „Non-Existent Objects: Recent Work on Brentano and Meinong", American Philosophical Quarterly, Bd. 6, 1969, S. 17-32. Zu Meinongs Schülern siehe Karl Wolf, „Die Grazer Schule. Gegenstandstheorie und Wertlehre", Wissenschaft und Weltbild, Bd. 21/2, Juni-Sept. 1968, S. 3 1 - 5 6 . Das Gesamtwerk Meinongs wird als Gesamtausgabe, hgg. v. H. R. M. Chisholm, R. Haller und R. Kindinger, 7 Bde., Graz 1968-, ediert. 17 Zur polnischen Schule der Logik, gegr. von Twardowski, siehe Z. A. Jordan, Philosophy and Ideology. Dordrecht 1963, S. 5 - 7 5 ; Henryk Skolimowski, Polish Analytical Philosophy: A Survey and A Comparison with British Analytical Philosophy. London 1967. 18 Siehe Edmund Husserl, „Erinnerungen an Franz Brentano", in: Kraus (Hg.), Franz Brentano, S. 153-167. Über Husserl siehe Herbert Spiegelberg, The Phenomenological Movement: A Historical Introduction. 2 Bde., 2. Aufl. Den Haag 1965; Joseph J. Kockelmans, A First Introduction to Husserl's Phenomenology. Pittsburg 1967. Beide enthalten umfangreiche bibliographische Angaben. Eine der klarsten Darstellungen ist Aron Gurwitsch, „Husserl's Theory of the Intentionality of Consciousness in Historical Perspective", in: Edward N. Lee und Maurice Mandelbaum (Hg.), Phenomenology and Existentialism. Baltimore 1967, S. 25-58. 19 Siehe Hermann Lübbe, „Positivismus und Phänomenologie (Mach und Husserl)", in: Helmut Höfling (Hg.), Beiträge zu Philosophie und Wissenschaft. Hermann Szilasi zum 70. Geburtstag. München 1960, S. 161-184, bes. 181-182; Joachim Thiele, „Ein Brief Edmund Husserls an Ernst Mach", ZfphF, Bd. 19, 1965, S. 134-138 (betrifft den Brief vom 18. Juni 1901). 20 Über Ehrenfels siehe Max Brod, „Christian von Ehrenfels zum Gedenken", Kantstudien, Bd. 37, 1932, S. 313-314; Brod, Streitbares Leben, 1884-1968, 2. Aufl. München 1969, S. 209-218; Eaton, The Austrian Philosophy of Values; Imma Bodmershof (Ehrenfels' Tochter), „Christian von Ehrenfels. Eine Skizze", in: Ferdinand Weinhandl (Hg.), Gestalthaftes Sehen. Ergebnisse und Aufgaben philosophischer Morphologie. Darmstadt 1967, S. 427—435; Umar Rolf Ehrenfels, „Zwei Brückenbauer", in: Hugo Gold (Hg.), Max Brod. Ein Gedenkbuch, 1884-1968. Tel-Aviv 1969, S. 243-248 (vom Sohn Ehrenfels'). 455

21 Siehe Christian von Ehrenfels, Richard Wagner und seine Apostaten. Ein Beitrag zur Jahrhundertfeier. Wien 1913; Ehrenfels, Allegorische Dramen für musikalische Composition gedichtet. Wien 1895 (enthält acht Librettos). 22 Ehrenfels, „Über Gestaltqualitäten" [1890], in: Weinhandl (Hg.), Gestalthaftes Sehen, S. 11-43. 23 Ehrenfels, „On Gestalt-Qualities" [1932], Psychological Review, Bd. 44, 1937, S. 521. 24 Husserl, Die Philosophie der Arithmetik. Halle 1891, S. 236. 25 Ehrenfels, „Über Fühlen und Wollen. Eine psychologische Studie", SKAW-Wien, Phil.-Hist. Kl., Bd. 114, 1887, S. 523-634. Siehe W. H . Werkmeister, Historical Spectrum of Value Theories. Lincoln, Nebraska 1970, S. 86-117. 26 Ehrenfels, „The Ethical Theory of Value", International Journal of Ethics, Bd. 6, 1896, S. 371-384. Über den Streit Ehrenfels' mit Meinong siehe John Stuart Mackenzie, „Notes on the Theory of Value", Mind, Bd. 4, 1895, S. 424-449. 27 Ehrenfels, „Die aufsteigende Entwicklung des Menschen", Politisch-Anthropologische Revue, Bd. 2, 1903-1904, S. 4 5 - 5 9 ; Ehrenfels, „Entwicklungsmoral", ibid., Bd. 2, 1903-1904, S. 214-226; Ehrenfels, „Sexuales Ober- und Unterbewußtsein", ibid., Bd. 2, 1903-1904, S. 4 5 6 - 4 7 6 (verwendet Theodor Meynerts Theorie vom Unbewußten, nicht die Freuds); Ehrenfels, „Monogamische Entwicklungsaussichten", ibid., Bd. 2, 1903-1904, S. 706-718; Ehrenfels, „Die sexuale Reform", ibid., S. 970-993; Ehrenfels, „Das Mütterheim", ibid., Bd. 5, 1906-1907, S. 2 2 1 - 2 3 9 ; Ehrenfels, „Grundbegriffe der Ethik", Grenzfragen des Nerven- und Seelenlebens. Nr. 55, 1907, S. 1-30; Ehrenfels, „Die konstitutive Verderblichkeit der Monogamie und die Unentbehrlichkeit einer Sexualreform", Archiv für Rassenund Gesellschaftsbiologie, Bd. 4, 1907, S. 615-651, 803-830; Bd. 5, 1908, S. 97-112. Zu Ehrenfels als Eugeniker siehe Hedwig Conrad-Martius, Utopien der Menschenzüchtung. Der Sozialdarwinismus und seine Folgen. München 1955, S. 9 4 - 9 8 . 28 Ehrenfels, „Beiträge zur Selektionstheorie", Annalen der Naturwissenschaft, Bd. 3, 1904. 29 Ehrenfels, Sexualethik. Wiesbaden 1907, S. 31 und 71. 30 Ehrenfels, Bespr. von Die sexuelle Not von Fritz Wittels in: Nunberg und Federn (Hg.), Minutes of the Vienna Psychoanalytic Society. New York 1967, Bd. 2, S. 8 2 - 9 2 (Referat vom 23. Dez. 1908); Ehrenfels, „A Program for Breeding Reform", ibid., S. 9 3 - 1 0 0 (Referat vom 23. Dez. 1908). 31 Zu diesen wenig schmeichelhaften Punkten siehe Brod, Streitbares Leben, S. 211, 214. Die Sternbraut wurde veröffentlicht in Ehrenfels, Die Stürmer. Drei Chordramen. Prag 1912. 32 Ehrenfels, „Biologische Friedensrüstungen", Archiv für Rassen- und Gesellschaftsbiologie, Bd. 11, 1914-1915, S. 580-613. 33 Ehrenfels, Cosmogony [1916], New York 1948, S. 196-210.

21. Kapitel 1 Über Popper-Lynkeus siehe Josef Popper-Lynkeus, Selbstbiographie. Leipzig 1917, 2. Aufl. 1924; Adolf Gelber, Josef Popper-Lynkeus. Sein Leben und sein Wirken. Wien 1923; Wilhelm Kromphardt, „Die Lösung der Magenfrage durch Josef Popper", Schmollers Jahrbuch, Bd. 49, 1925, S. 563-587; Richard von Mises, J o s e f Popper-Lynkeus", NÖB, Bd. 7, 1931, S. 2 0 6 217; Saul Rosenzweig, „The Idiocultural Dimension of Psychotherapy: Pre- and Post-History of the Relations Between Sigmund Freud and Popper-Lynkeus", Psychoanalysis and the Social Sciences, Bd. 5, 1958, S. 9 - 5 0 ; Paul Edwards, „Popper-Lynkeus, Josef', EP, Bd. 6, 1967, S. 401-407. Fritz Wittels, Die Vernichtung der Not. Wien 1922, war mir nicht zugänglich. 2 Popper-Lynkeus, Das Recht zu leben und die Pflicht zu sterben. 3. Aufl. Dresden 1903, S. I I I . 3 Siehe Freud, „Josef Popper-Lynkeus und die Theorie des Traumes" [1923], in: GW, Bd. 13, London 1940, S. 357-359; Freud, „Meine Berührung mit Josef Popper-Lynkeus"

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[1932], in: GW, Bd. 16, London 1950, S. 261-266. Siehe auch A. A. Brill, „Translators Prologue to Josef Popper-Lynkeus, ,Dreaming like Waking"', Psychoanalytic Review, Bd. 34, 1947, S. 184-188; Wittels, „Freud's Connection with Popper-Lynkeus", Psychoanalytic Review, Bd. 43, 1947, S. 492-497. Über Spann siehe Fritz Sander, „Othmar Spann's .Uberwindung' der individualistischen Gesellschaftsauffassungen", ASWSP, Bd. 53, 1924-1925, S. 11-80; Barth Landheer, „Othmar Spann's Social Theories", Journal of Political Economy, Bd. 39, 1931, S. 2 3 9 248; Engelbert Gutwenger S. ]., „Die Religionsphilosophie von Othmar Spann und ihre metaphysischen Voraussetzungen", Zeitschrift für katholische Theologie, Bd. 70, 1948, S. 456-476; Wilhelm Andreae, „Unitas Multiplex. Der Aufbau der Soziologie nach Othmar Spann", Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, Bd. 162, 1950, S. 4 0 1 - 4 2 0 ; Frederick D. Rodeck, „Othmar Spann", American Sociological Review, Bd. 15, 1950, S. 803; Hans Riehl (Hg.), Othmar Spann. Das philosophische Werk im Auszug. Wien 1950; Johann Fischl, Geschichte der Philosophie. Graz 1954, Bd. 5, S. 41-44; Rolf Amtmann, Die Geisteslehre Othmar Spanns. Ihre Stellung in der Philosophiegeschichte und gegenüber der modernen Psychologie. Graz 1960; Alfred Diamant, Austrian Catholics and the First Republic. Princeton I960, S. 131-140, 229-240; Josef Barwitsch, „Von Marx über Nietzsche zu Othmar Spann", ZfphF, Bd. 19, 1965, S. 692-702. Die Gesamtausgabe der Werke Spanns (22 Bde.) wird von W. Heinrich, H. Riehl, R. Spann, F. A. Westphalen, W. Schöndorfer u. a., Graz 1963 - , besorgt. Othmar Spann, „Preface to the Sixteenth Edition", in: The History of Economics. New York 1930, S. 11. Zu Spanns Interpretation Müllers siehe Otto Weinberger, „Das neue Schrifttum über Adam Müller", ASWSP, Bd. 15, 1924, S. 808-816. Spann, Untersuchung über die uneheliche Bevölkerung von Frankfurt a. M. Dresden 1905; Spann, „Zur Logik der socialwissenschaftlichen Begriffsbildung", in: Festgabe für Friedrich Julius Neumann, Tübingen 1905, S. 161-178. Spann, Die Haupttheorien der Volkswirtschaftslehre auf lehrgeschichtlichen Grundlagen. Wien 1911; Karl Pribram, „Die Idee des Gleichgewichts in der älteren Nationalökonomie", Zeitschrift für Volkswirtschaft, Sozialpolitik und Verwaltung, Bd. 17, 1908, S. 1-28. Spann, Der Schöpfungsgang des Geistes. Die Wiederherstellung des Idealismus auf allen Gebieten der Philosophie. Jena 1928, S. XV-XX. Spann, Geschichtsphilosophie, Jena 1932, S. 448. Karl Polanyi, „The Essence of Fascism", in: John Lewis (Hg.), Christianity and the Social Revolution. New York 1936, S. 359-394, bes. 359-376. Eine ausgeglichenere Beurteilung der Teilnahme Spanns an der Politik bringt Herman Lebovics, Social Conservatism and the Middle Classes in Germany, 1914-1933. Princeton 1969, S. 109-138, 233-236; Martin Schneller, Zwischen Romantik und Faschismus. Der Beitrag Othmar Spanns zum Konservatismus in der Weimarer Republik. Stuttgart 1970. Zu den Schülern Spanns in der Politik siehe John Haag, „,Knights of the Spirit': The Kameradschaftsbund", JCH, Bd. 8/3, Juli 1973, S. 133-153. Zu Broch als Metaphysiker siehe Wolfgang Rothe, „Hermann Broch als politischer Denker", Zeitschrift für Politik, Bd. 5, 1958, S. 329-341; Rothe, „Der junge Broch", Neue Deutsche Hefte, Bd. 7, 1960, S. 780-797; Rothe, Schriftsteller und totalitäre Welt. Bern 1966, S. 160-204; Manfred Durzak, Hermann Broch. Der Dichter in seiner Zeit. Stuttgart 1968. Die Prägung „fröhliche Apokalypse" findet sich in Hermann Broch, Hofmannsthal und seine Zeit. Eine Studie [1955]. München 1964, S. 49 (geschrieben 1947 bis 1949). Abgedruckt in Broch, Die unbekannte Größe. Zürich 1961, S. 276-282. Siehe Harry Slochower, „Julius Bahnsen: Philosopher of Heroic Despair, 1830-1881", Philosophical Review, Bd. 41, 1932, S. 368-384; Heinz Joachim Heydorn, Julius Bahnsen. Eine Untersuchung zur Vorgeschichte der modernen Existenz. Göttingen 1952. 457

22. Kapitel 1 Über Suttner siehe Bertha von Suttner, Memoiren. Stuttgart 1909. Neudr. Bremen 1965; Caroline Elisabeth Playne, Bertha von Suttner and the Struggle to Avert the World War. London 1936 (nicht zu empfehlen); Irwin Abrams, „Bertha von Suttner and the Nobel Peace Prize", JCEA, Bd. 22, 1962-1963, S. 286-307; Alois Hoffmann, „Bertha von Suttner. Z u m 50. Todestag der österreichischen Schriftstellerin", Philologica Pragensia, Bd. 7, 1964, S. 2 4 4 - 2 5 6 ; Beatrix Kempf, Bertha von Suttner. Das Lebensbild einer großen Frau: Schriftstellerin, Politikerin, Journalistin. Wien 1964. 2 Suttner, „Universal Peace: From a Woman's Standpoint", North American Review, Bd. 169, 1899, S. 55. Siehe auch ihr anonymes Das Maschinenzeitalter. Zukunftsvorlesungen über unsere Zeit. Zürich 1890. 3 Suttner, „Universal Peace", S. 52. 4 Siehe Suttner, „The Present Status and Prospects of the Peaee Movement", North American Review, Bd. 171, 1900, S. 653-663. 5 Wilhelm Stekel, Autobiography: The Life Story of a Pioneer Psychoanalyst. New York 1950, S. 62. 6 Richard N. Coudenhove-Kalergi, An Ldea Conquers the World. London 1953, S. 25. In der deutschen Version. Eine Idee erobert Europa. Lebenserinnerungen. München 1958, fehlt diese Passage. Ein ähnliches Bild vom Leben in böhmischen Adelskreisen findet sich in Karl Anton Rohan, Heimat Europa. Erinnerungen und Erfahrungen. Düsseldorf 1954, S. 13-18. Siehe auch Karl Jelusic, „Les Noblesses: La noblesse autrichienne, avant et après la guerre", Annales d'histoire économique et sociale, Bd. 8, 1936, S. 355—365. 7 Uber Richard Coudenhove-Kalergi siehe Coudenhove-Kalergi, Idea; Coudenhove-Kalergi, Paneuropa 1922 bis 1966. Wien 1966; Adolf Grabowsky, „Das Problem Paneuropa", Zeitschrift fur Politik, Bd. 17, 1927-1928, S. 673-704. 8 Siehe Coudenhove-Kalergi, Apologie der Technik. Leipzig 1922.

23. Kapitel 1 Über Gumplowicz siehe Lester F. Ward, „Evolution of Social Structures", AJS, Bd. 10, 1904-1905, S. 589-605; Ward, „Ludwig Gumplowicz", AJS, Bd. 15, 1909-1910, S. 4 1 0 413; I. Kochanowski, „Ludwig Gumplowicz", AJS, Bd. 15, 1909-1910, S. 405-409; Harry Elmer Barnes, „The Struggle of Races and Social Groups as a Factor in the Development of Political and Social Institutions", Journal of Race Development, Bd. 9, 1918-1919, S. 3 0 0 - 3 1 0 ; Barnes, „Gumplowicz, Ludwig", IESS, Bd. 6, 1968, S. 2 0 3 - 2 0 5 ; James P. Lichtenberger, Development of Social Theory. New York 1923, S. 4 3 2 - 4 5 3 ; Bernhard Zebrowski, Ludwig Gumplowicz. Eine Bio-Bibliographie. Berlin 1926 (mit umfassender Bibliographie der Werke von und über Gumplowicz); William M. McGovern, From Luther to Hitler: The History of Fascist-Nazi Philosophy. Cambridge, Mass. 1941, S. 4 7 4 485; Gottfried Salomon-Delatour, Moderne Staatslehren. Neuwied 1965, S. 6 3 1 - 6 4 1 ; Jürgen Hohmeier, „Zur Soziologie von Ludwig Gumplowicz (1838-1909)", Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Bd. 22, 1970, S. 2 4 - 3 8 . Eine gutfundierte marxistische Kritik an Gumplowicz findet sich in Werner Sellnow, Gesellschaft - Staat Recht. Zur Kritik der bürgerlichen Ideologien über die Entstehung von Gesellschaft, Staat und Recht. Ostberlin 1963, S. 436-456. 2 Ludwig Gumplowicz, The Outlines of Sociology [1885]. Philadelphia 1899, S. 190-191. Vgl. auch Das Recht der Nationalitäten und Sprachen in Österreich-Ungarn. Innsbruck 1879. 3 Gumplowicz, Outlines of Sociology, S. 195, 218. Zur wirtschaftlichen Determination des Denkens siehe ibid., S. 163-168.

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4 Zitiert in Bertha von Suttner, Memoiren [1909]. Bremen 1965, S. 300-302. 5 Gumplowicz, „An Austrian Appreciation of Lester F. Ward", AJS, Bd. 10, 1905, S. 643-644. 6 Uber Ratzenhofer siehe Ludwig Gumplowicz, Bespr. von Ratzenhofer, Wesen und Zweck der Politik [1893], in: Annals of the American Academy of Political and Social Science, Bd. 5, 1894-1895, S. 128-136; Gumplowicz, Geschichte der Staatstheorien. Innsbruck 1905, S. 4 4 6 - 4 9 1 , 567-568; Gumplowicz, Bespr. von Ratzenhofer, Soziologie, 1907, in: AJS, Bd. 14, 1908, S. 101-111; Rudolf Holzapfel, „Wesen und Methode der sozialen Psychologie", Archiv für systematische Philosophie, Bd. 9, 1903, S. 38-48; Otto Gramzow, Gustav Ratzenhofer und seine Philosophie. Berlin 1904; Albion W. Small, General Sociology: An Exposition of the Main Development in Sociology from Spencer to Ratzenhofer. Chikago 1905, S. 183-396; Small, „Ratzenhofer's Sociology", AJS, Bd. 13, 1908, S. 4 3 3 438; Arthur F. Bentley, „Simmel, Dürkheim, and Ratzenhofer", AJS, Bd. 32, 1926, S. 2 5 0 256; Lichtenberger, Development of Social Theory, S. 453-465. 7 Gustav Ratzenhofer, „Problems of Sociology", AJS, Bd. 10, 1904, S. 184. 8 Ratzenhofer, Soziologie. Positive Lehre von den menschlichen Wechselbeziehungen. Leipzig 1907, S. 135, 179-180. 9 Eine gut fundierte Einführung zu Chamberlain ist Gerd-Klaus Kaltenbrunner, „Houston Stewart Chamberlains germanischer Mythos", Politische Studien, Bd. 18, 1967, S. 568-583; Kaltenbrunner, „Wahnfried und die ,Grundlagen'. Houston Stewart Chamberlain", in: Karl Schwedhelm (Hg.), Propheten des Nationalismus. München 1969, S. 105-123; Winfried Schüler, Der Bayreuther Kreis von seiner Entstehung his zum Ausgang der wilhelminischen Ära. Wagnerkult und Kulturreform im Geiste völkischer Weltanschauung. Münster 1971, S. 112-127. Zum Leben Chamberlains siehe Chamberlain, Lebensweg meines Denkens. 2. Aufl. München 1922; Anna Horst-Chamberlain, Meine Erinnerungen an Houston Stewart Chamberlain. München 1923; Otto Graf zu Stolberg-Wernigerode, „Houston S. Chamberlain", Neue Deutsche Biographie, 1957, Bd. 3, S. 187-190. Empfehlenswerte Kritiken sind Ernest Seiliiere, „La Religion imperialiste. I. La Race et ses trois incarnations actuelles en Europe", La Revue des Deux Mondes, Bd. 180, 1. und 15. Dez. 1903, S. 6 4 2 672, 860-882; Bd. 181, 1. Jan. 1904, S. 156-179; Jean Real, „The Religious Conception of Race: Houston Stewart Chamberlain and Germanic Christianity", in: Jacques Rueff u. a., The Third Reich. London 1955, S. 243-287; E. J. Young, Gobineau und der Rassismus. Eine Kritik der anthropologischen Geschichtstheorie. Meisenheim am Glan 1968, S. 242-269. 10 Houston Stewart Chamberlain, „Ein Brief über Heinrich Heine" [23. Nov. 1906], in: Walther Killy (Hg.), 20. Jahrhundert. Texte und Zeugnisse 1880-1933München 1967, S. 1119-1122, bes. 1119 (argumentiert, daß Heine dadurch zu entlasten wäre, wenn man seine Liederlichkeit seiner jüdischen Herkunft zuschriebe). 11 Chamberlain, Die Grundlagen des neunzehnten Jahrhunderts. 2. Aufl. München 1900, Bd. 1, S. 296. 12 Chamberlain, „.Katholische' Universitäten", Die Fackel, Nr. 92, Jan. 1902, S. 1 - 3 2 . Ein weiterer in der Fackel erschienener Beitrag ist Chamberlain, „Der voraussetzungslose Mommsen", ibid., Nr. 87, 1. Dez. 1901, S. 1-13. 13 Arnold Keyserling (1922-) führt das Werk seines Vaters in Wien fort. Seine Geschichte der Denkstile, Wien 1968, bemüht sich um eine umfassende Typologie westlicher Denker. 14 Siehe Rudolf Kassner, „Erinnerungen an Houston Stewart Chamberlain", Europäische Revue, Bd. 5, April 1929, S. 22-30; Kassner, „Erziehung", in: Buch der Erinnerung [1938], 2. Aufl. Erlenbach-Zürich 1954, S. 125-131 (beide sehr aufschlußreich). Über Kassner siehe A. Cl. Kensik und D. Bodmer (Hg.), Rudolf Kassner zum 80. Geburtstag. Gedenkbuch. Erlenbach-Zürich 1953. Eine Wiederveröffentlichung der Werke Kassners wird unter nommen; Sämtliche Werke, 6 Bde., Pfullingen 1969-. 459

15 Siehe Wilfried Daim, Der Mann, der Hitler die Ideen gab. Von den religiösen Verirrungen eines Sektierers zum Rassenwahn des Diktators. München 1958. Uber Lanz siehe auch Hellmut Andics, Der ewige Jude. Ursachen und Geschichte des Antisemitismus. Wien 1965, S. 250-257; Richard Hamann und Jost Hermand, Stilkunst um 1900. Ostberlin 1967, S. 65-72; Friedrich Heer, Der Glaube des Adolf Hitler. München 1968, S. 126, 165-169, 7 0 9 - 7 1 8 ; Armin Möhler, Die konservative Revolution in Deutschland 1918-1932. Ein Handbuch. Darmstadt 1972, S. 350-354 (S. 349-350 betreffen Guido List). 16 J. Lanz-Liebenfels, „Die Urgeschichte der Kunst", Politisch-Anthropologische Revue, Bd. 2, 1903-1904, S. 134-156, bes. 154. 17 Zu Lanz' Ehrenrettung von Kraus als „blondem Juden" siehe Karl Kraus, „Er ist doch e Jud" [Okt. 1913], abgedruckt in: Untergang der Welt durch schwarze Magie [1922], in: Werke. Bd. 8, München 1960, S. 331-338, bes. 336-337.

24. Kapitel 1 Robert Musil, Der Mann ohne Eigenschafien [1930-1943]. Hamburg 1952, S. 3 1 - 3 5 . 2 Der klarste Bericht ist Ifor L. Evans, „Economic Aspects of Dualism in Austria-Hungary", SEER, Bd. 6, 1927, S. 529-542. Siehe auch Theodor Mayer (Hg.), Der österreichisch-ungarische Ausgleich von 1867. Seine Grundlagen und Auswirkungen. München 1968; Leslie C. Tihany, „The Austro-Hungarian Compromise, 1867-1918: A Half Century of Diagnosis, Fifty Years ot Post-Mortem", Central European History, Bd. 2, 1969, S. 114-138 (umfassende Bibliographie). Eine erschöpfende Bibliographie ist Elemer Bako, Guide to Hungarian Studies. Stanford 1973. 3 E. B. Lanin, „Count Taaffe and Austrian Politics", Contemporary Review, Bd. 63, 1893, S. 300 Anm. 4 Beispiele separatistischer Ansichten finden sich in Albert Apponyi, „The Army Question in Austria and Hungary", Monthly Review, Bd. 16, 1904, S. 1 - 3 7 ; Ferenc Kossuth, „The Hungarian Crisis: Its Causes and Effects", The National Review, Bd. 45, 1905, S. 251-261. 5 Priscilla Robertson, Revolution of 1848: A Social History. Princeton 1952, S. 262. Zu den Gesellschaftsschichten vor 1800 siehe Béla K. Kiräly, Hungary in the Late Eighteenth Century: The Decline of Enlightened Despotism. New York 1969, S. 15-73. Zum Adel der 1860er Jahre siehe Arthur J. Patterson, „The Electoral Laws of Hungary", Fortnightly Review, Bd. 5, 1866, S. 1-14; Patterson, „Country Life in Hungary before the Elections", Fortnightly Review, Bd. 5, 1866, S. 129-150. Eine marxistische Stellungnahme ist Peter Hanak, „Skizzen über die ungarische Gesellschaft am Anfang des 20. Jahrhunderts", Acta Historica (Budapest), Bd. 10, 1964, S. 1 - 4 5 . 6 Siehe Maurus Jókai, „Das magyarische Volk", in: Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild. Ungarn. Wien 1888, Bd. 1, S. 2 8 2 - 3 5 8 , bes. 299 (eine ausgezeichnete Beschreibung ungarischer Sitten und Bräuche); Oscar Jaszi, The Dissolution of the Habsburg Monarchy. Chikago 1929, Neudr. 1961, S. 220-247. 7 Siehe John Kosa, „Hungarian Society in the Time of the Regency (1920-1944)", JCEA, Bd. 16, 1956, S. 253-265. 8 József Eötvös, The Village Notary [1845]. London 1850, Bd. 1, S. 14. 9 Siehe Arthur J.May, The Habsburg Monarchy 1867-1914. Cambridge, Mass. 1951, S. 2 3 5 238. Ein detaillierter Bericht findet sich in Otto Neurath, „Zum österreichischen Auswanderungsgesetzentwurf', Zeitschrift für Volkswirtschaft, Sozialpolitik und Verwaltung, Bd. 23, 1914, S. 297-378. 10 Siehe Ant.-E. Hörn, „La Question du mariage civil en Hongrie", La Revue de Paris, Bd. 1, 15. Apr. 1894, S. 92-116; Moritz Csaky", Der Kulturkampf in Ungarn. Die kirchenpolitische Gesetzgebung der Jahre 1894/95. Graz 1967. Zur ungarischen Kirche siehe William Juhasz,

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„The Development of Catholicism in Hungary in Modern Times", in: Joseph N. Moody (Hg.), Church and Society: Catholic Social and Political Thought and Movements 1789- 1850. New York 1953, S. 659-719. Siehe Norman Stone, „Hungary and the Crisis of July 1914", JCH, 1/3, 1966, S. 153-170. Zu den Ereignissen von 1919 siehe Rudolf L. Tokés, Béla Kun and the Hungarian Soviet Republic. New York 1967; Ivan Volgyes, The Hungarian Soviet Republic, 1919: An Evaluation and a Bibliography. Stanford 1970; Völgyes (Hg.), Hungary in Revolution, 1918— 1919: Nine Essays. Lincoln, Nebraska 1971; Andrew C. Janos und William B. Slottman (Hg.), Revolution in Perspective: Essays on the Hungarian Soviet Republic of 1919. Berkeley und Los Angeles 1972; William O. McCagg jr., „Jews in Revolutions: The Hungarian Experience", Journal of Social History, Bd. 6, 1972-1973, S. 78-105. Siehe Gyula Szekfii, „Der ungarische Charakter" [1940], in: Julius von Farkas (Hg.), Ungarns Geschichte und Kultur in Dokumenten. Wiesbaden 1955, S. 189-196. Uber Szekfii siehe St. Barta, „Julius Szekfü 60 Jahre alt", Ungarische Jahrbücher, Bd. 23, 1943, S. 2 8 2 286. Eine ausgewogene Beurteilung des Horthy-Regimes findet sich in J. Eros, „Hungary", in: S. J. Woolf (Hg.), European Fascism. London 1968, S. 111-145; George Barany, „Hungary: From Aristocratic to Proletarian Nationalism", in: Peter F. Sugar und Ivo J. Lederer (Hg.), Nationalism in Eastern Europe. Seattle 1969, S. 259-309, bes. 287-299; Nicholas M. Nagy-Talavera, The Green Shirts and the Others: A History of Fascism in Hungary and Rumania. Stanford 1970. Siehe Dorothy Thompson, „Amazing Hungary", Contemporary Review, Bd. 120, 1921, S. 329-336; Jâszi, Revolution and Counter-Revolution in Hungary. London 1924, S. 160176. Gründe für den Antisemitismus nach 1919 werden erwogen in Charles d'Eszlary, „Le premier centre contre-révolutionnaire anti-marxiste: L'Académie hongroise .Ludovica'", Politique, Nr. 13, 1961, S. 7 8 - 9 1 , bes. 81-83. Jakob Kraus, Martyrium. Ein jüdisches Jahrbuch. Wien 1922, war mir nicht zugänglich. George A. Birmingham, A Wayfarer in Hungary. London 1925, S. 67-68. Zum Anwachsen Budapests siehe Albert Shaw, Municipal Governments in Continental Europe. New York 1895, S. 435-468; Schuyler M. Meyer, „Impressions of Budapest", Architectural Record, Bd. 26, 1909, S. 4 2 8 - 4 4 7 (mit ausgezeichneten Photographien); Pal Granasztói, „An Architect's View of Budapest", New Hungarian Quarterly, Bd. 6, Herbst 1965, S. 201-213. Zur wirtschaftlichen Entwicklung siehe V. Sändor, „Die großindustrielle Entwicklung in Ungarn 1867-1900", Acta Historica (Budapest), Bd. 3, 1954-1956, S. 139-237; Ivan T. Berend und György Ränki, „Economic Factors in Nationalism: The Example of Hungary at the Beginning of the Twentieth Century", Austrian History Yearbook, Bd. 3, 1967, S. 163-186. E. Irenaeus Stevenson, „The Cuckoo and the Sparrow: The Hungarian Millenial and its Significance", Outlook, Bd. 54, 1896, S. 504-506. Siehe Vernon Duckworth Barker, „Foundations of Magyar Society", SEER, Bd. 11, 1932, S. 393-395; Robert A. Kann, „Hungarian Jewry During Austria-Hungary's Constitutional Period", Jewish Social Studies, Bd. 7, 1945, S. 357-386; E. R. Kutas, „Judaism, Zionism, and Anti-Semitism in Hungary", JCEA, Bd. 8, 1948-1949, S. 377-389; Bernhard Klein, „Hungarian Politics and the Jewish Question in the Inter-War Period", Jewish Social Studies, Bd. 28, 1966, S. 7 9 - 9 8 ; William O. McCagg jr., Jewish Nobles and Geniuses in Modern Hungary. New York 1972. Über Istóczy siehe Johann Weidlein, Der ungarische Antisemitismus in Dokumenten. Schorndorf 1962, S. 2 5 - 2 6 ; Jenö Zsoldos, „Istóczy, Gyözo", Encyclopedia Judaica, Bd. 9, 1972, S. 1099. Über Tisza-Eszlar siehe Charles H. H. Wright, „The Jews and the Malicious Charge of Human Sacrifice", Nineteenth Century, Bd. 14, 1883, S. 753-778; G. Valbert, „L'Affaire de Tiszla-Eszlar", Revue des Deux Mondes, Bd. 48, 1. Aug. 1883, S. 681-692; Paul Nathan, Der Prozeß von Tisza-Eszldr. Ein antisemitisches Kulturbild. Berlin 1892. 461

Károly Eötvös, Der große Prozeß. 1884 (vom Verteidiger in diesem Verfahren) war mir nicht zugänglich. Eine ungarische Ausgabe der Erinnerungen Eötvös' findet sich zusammengefaßt in Péter Hanák, „Acquittal - But N o H a p p y Ending", New Hungarian Quarterly, Bd. 10, W i n t e r 1969, S. 1 1 9 - 1 2 5 . Arnold Zweig bringt eine dichterische Darstellung des Falles in Die Sendung Semaels. Jüdische Tragödie in fünf Aufzügen [ 1 9 1 4 - 1 9 1 8 ] . Neudr. in: Zweig, Dramen. Ostberlin 1963, S. 6 7 - 1 5 2 . Der Wiener Rudolf Brunngraber (1901 - 1960) behandelte die Ereignisse in dem R o m a n Prozeß auf Tod und Leben. Wien 1948, Neudr. als Pogrom. 1956. 20 Siehe Gyula Szekfü, „Le H o n g r o i s : Langue d ' é t a t " , in: Etat et Nation, Paris 1945, S. 1 1 - 1 0 3 , bes. 2 7 - 2 8 , 3 1 - 3 4 . J o h a n n G o t t f r i e d Herder, Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit [ 1 7 8 4 - 1 7 9 1 ] , 16. Buch, D a r m s t a d t 1965, S. 429; Herder, „Gespräch über d e m T o d e des Kaisers Josephs II." [1793], in: Briefe zur Beförderung der Humanität, 1, Sämtliche Werke. Bd. 17, Berlin 1881, S. 4 7 - 6 3 , bes. 5 8 - 5 9 . Z u r Sprachenfrage siehe T h o m a s Spira, „Aspects of the Magyar Linguistic and Literary Renaissance D u r i n g the Vormärz", East European Quarterly, Bd. 7, 1973, S. 101 - 124. 21 U b e r Széchenyi siehe George Barany, Stephen Széchenyi and the Awakening Nationalism, 1791-1841. Princeton 1968. 22 Leon Kellner, Theodor Herzls Lehrjahre 1860-1895. Wien 1920, S. 1 7 - 1 8 .

of

Hungarian

2 3 U b e r Bleyer siehe Ungarische Jahrbücher, Bd. 1, 1934, S. 1 - 1 9 2 . Z u r d e u t s c h e n M i n d e r heit siehe J o h a n n H e i n r i c h Schwicker, Die Deutschen in Ungarn und Siebenbürgen. Wien 1881; Ferdinand Laban, „Ein Kindheitsidyll aus dem neueren Ungarn", Deutsche Rundschau, Bd. 44, 1885, S. 425—451 (Erinnerungen eines Deutschen in einem ungarischen D o r f ) ; Arpad T ö r ö k , „Das Problem des D e u t s c h t u m s in U n g a r n " , Zeitschrifi für Politik, Bd. 23, 1933, S. 1 6 7 - 1 7 7 ; E d m u n d Steinacker, Lebenserinnerungen, M ü n c h e n 1937; J o h a n n Weidlein, Die verlorenen Söhne. Kurzbiographien großer Ungarn deutscher Abstammung. 2 Bde., W i e n 1 9 6 0 - 1 9 6 7 ; E. V. W i n d i s c h , „Die E n t s t e h u n g der Voraussetzungen f ü r die deutsche Nationalitätenbewegung in U n g a r n in der zweiten H ä l f t e des 19. J a h r h u n d e r t s " , Acta Histórica (Budapest), Bd. 11, 1965, S. 3 - 5 5 (eingehend). A r t h u r Korn, Die deutschen Verfolgungen in Ungarn. M ü n c h e n 1903, war mir nicht zugänglich. 24 Eine tiefgehende U n t e r s u c h u n g der Sprache ist Géza Barczi, „The H u n g a r i a n Language", New Hungarian Quarterly, Bd. 4, Jan. 1963, S. 5 2 - 6 2 . 25 Zitiert in Emilie de Laveleye, „ W ü r z b u r g a n d Vienna: Scraps f r o m a Diary", Living Age, Bd. 164, 1884, S. 126. 2 6 D e n i s de R o u g e m o n t , „Le Paysan d u D a n u b e " [1929], in: Journal d'une époque (1926— 1946). Paris 1968, S. 49. 2 7 Die vollständigsten Darstellungen der ungarischen Literatur in anderen Sprachen sind Joh a n n Heinrich Schwicker, Geschichte der ungarischen Literatur. Leipzig 1889; Béla Menczer, A Commentary on Hungarian Literature. D e t r o i t 1956 (gewährt gute Einblicke); Joseph Reményi, Hungarian Writers and Literature: Modern Novelists, Critics, and Poets. N e w Brunswick, N . J. 1964. Eine detaillierte Bibliographie ist Albert Tezla, Hungarian Authors: A Bibliographical Handbook. C a m b r i d g e , Mass. 1970. Über Jókai siehe Jókai, „My Literary Recollections", The Forum, Bd. 19, 1895, S. 6 6 7 - 6 8 0 ; Eyes like the Sea [1890]. N e w York 1894 (ein autobiographischer R o m a n über die 1840er Jahre); J o h n Bell H e n n e m a n , „Nestor of H u n g a r i a n Letters", Sewanee Review, Bd. 4, 1896, S. 1 8 9 - 2 1 1 ; R. Nisbet Bain, „ M a u r u s Jókai: T h e M a n a n d His W o r k " , Living Age, Bd. 2 3 1 , 1901, S. 1 8 5 - 1 9 4 ; H . W. V. Temperley, „ M a u r u s Jókai and the Historical Novel", Contemporary Review, Bd. 86, 1904, S. 1 0 7 - 1 1 5 ; Alexander Hevesi, „Maurus Jókai: T h e Greatest Novelist of H u n g a r y " , SEER, Bd. 8, 1 9 2 9 - 1 9 3 0 , S. 3 5 6 - 3 6 7 ; Francis Magyar, „Jókai's Reception in England a n d America", American Slavic and East European Review, Bd. 17, 1958, S. 3 3 2 - 3 4 5 ; Miklós Nagy, „Jókais R o m a n b a u k u n s t " , Acta Litteraria (Budapest), Bd. 7, 1965, S. 1 0 3 - 1 4 4 (gründlich).

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28 Zitiert in Zoltân Horvith, Die Jahrhundertwende in Ungarn. Neuwied 1966, S. 180. 29 Siehe I. Kirimi-Kisdégi, „Székely von Adâmos, Bertalan", KML, Bd. 5, 1968, S. 4 6 4 465; A. Ryszkiewicz, „Munkacsy, Mihäly", KML, Bd. 4, 1967, S. 547-549. Zur ungarischen Malerei siehe Antal Kampis, The History of Art in Hungary. Budapest 1966. 30 Siehe George F. Cushing, „Problems of Hungarian Literary Criticism", SEER, Bd. 40, 19611962, S. 3 4 1 - 3 4 5 ; eine Entgegnung ist Peter Nagy, „Problems of Hungarian Criticism: Some Remarks on George F. Cushing's Study", New Hungarian Quarterly, Bd. 4, Juli 1963, S. 132-135. Zum Nationalismus unter Historikern siehe Tibor Barâth, „L'Histoire en Hongrie, 1867-1935", La Revue Historique, Bd. 177, 1936, S. 8 4 - 1 4 4 , 595-644; Bd. 178, 1936, S. 25-74. 31 Siehe Ludwig Hatvany, „Das alte und das junge Ungarn", Neue Rundschau, Bd. 21, 1910, S. 3 8 3 - 4 0 0 ; André Karâtson, Le Symbolisme en Hongrie: L'influence des poétiques françaises sur la poésie hongroise dans le premier quart du XXe siècle. Paris 1969 (eingehend). 32 Reichs Arbeiten über Österreich-Ungarn umfassen u. a. Emil Reich, „Hungary at the Close of Her First Millennium", Nineteenth Century, Bd. 39, 1896, S. 837-849; Reich, „AustriaHungary and the Ausgleich", Nineteenth Century, Bd. 43, 1898, S. 466-480; Reich, Hungarian Literature: An Historical and Critical Survey. London 1898; Reich, „Austria and Hungary in the Nineteenth Century", in: F. A. Kirkpatrick (Hg.), Lectures on the History of the Nineteenth Century. Cambridge 1902; Reich, „The .Partition' of Austria-Hungary", International Quarterly, Bd. 7, 1903, S. 4 5 - 5 8 ; Reich, „The Crisis in Hungary", Contemporary Review, Bd. 88, 1905, S. 516-525, 635-648; Reich, „The Crisis in the Near East: I. The Austro-Hungarian Gase", Nineteenth Century, Bd. 64, 1908, S. 7 0 5 - 7 1 8 . - Der Ungar Emil Reich ist nicht zu verwechseln mit dem aus Mähren stammenden Philosophen Emil Reich (1864-1940), der ab 1904 an der Wiener Universität lehrte. 33 Siehe Reich, „Jew-Baiting on the Continent", Nineteenth Century, Bd. 40, 1896, S. 4 2 2 438; Reich, „Zionism", ibid., Bd. 42, 1897, S. 260-274. 34 Siehe Reich, General History of the Western Nations from 5000 B. C. to 1900. London 1908, Bd. 1, S. 35-42. 35 Reich, Hungarian Literature, S. 228-239. 36 Siehe Reich, Plato as an Introduction to Modern Criticism of Life. London 1906; Reich, Woman Through the Ages. 2 Bde., London 1906; Reich, Success in Life. New York 1907. 37 Clara Laughlin, So You're Going to Germany and Austria. Boston 1930, S. 507. 38 Zitiert in de Laveleye, „Würzburg and Vienna", S. 216. 39 Eine andere Ansicht, die sich auf Gespräche mit Wigner und Teller stützt, findet sich in Laura Fermi, Illustrious Immigrants: The Intellectual Migration from Europe 1930-41. Chikago 1968, S. 53-59. 40 Siehe Scotus Viator (R. W. Seton-Watson), Racial Problems in Hungary. London 1908; Seton-Watson, „Hungary and the Southern Slavs", Contemporary Review, Bd. 101, 1912, S. 820-830. 41 Seton-Watson, Corruption and Reform in Hungary: A Study of Electoral Practice. London 1911. Siehe auch C. J. C. Street, Hungary and Democracy. London 1923, S. 3 3 - 9 1 . Eine neuere marxistische Darstellung ist Z. Horväth, „The Rise of Nationalism and the Nationality Problem in Hungary in the Last Decades of Dualism", Acta Historica (Budapest), Bd. 9, 1963, S. 1-37. 42 Suum Cuique, „Hungarian Tyranny and Roumanian Suffering", Contemporary Review. Bd. 106, 1914, S. 766-774. 43 Michael Pupin, From Immigrant to Inventar. New York 1922, Neudr. 1960, S. 9. Zu den Bräuchen im Banat siehe S. 3 - 2 2 . 44 Seton-Watson, „Austria-Hungary as a Balkan Power", Contemporary Review, Bd. 102, 1912, S. 801-806. 45 Emily Gerard, „Transylvanian Peoples", Living Age, Bd. 173, 1887, S. 131-142.

463

46 Gerard, „Transylvanian Superstitions", Nineteenth Century, Bd. 18, 1885, S. 1 3 0 - 1 4 9 . 47 Ibid. S. 143. 48 Siehe Oscar Jäszi, „ T h e Problem of S u b - C a r p a t h i a n R u t h e n i a " , in: R. J. Kerner (Hg.), Czechoslovakia. Berkeley u n d Los Angeles 1945, S. 1 9 3 - 2 1 5 , bes. 1 9 7 - 1 9 9 . 49 U b e r die Szekler siehe Linda D e g h , Folktales and Society: Story-Telling in a Hungarian Peasent Community [1962], Bloomington, Indiana, 1969. 50 Z u den ungarischen Zigeunern siehe Erasmus Schwab, Land und Leute in Ungarn. Leipzig 1865, S. 369—408; Victor Tissot, Voyage au pays des Tsiganes (La Hongrie inconnue). Paris 1880; E r d m a n n D o a n e Beynon, „The Gypsy in a N o n - G y p s y Economy", AJS, Bd. 42, 1 9 3 6 - 1 9 3 7 , S. 358—370; Paul Graf Pälffy von E r d ö d , Abschied von Vorgestern und Gestern. Stuttgart 1961, S. 2 1 3 - 2 3 3 ; Miklos T o m k a , „Die Zigeuner in der ungarischen Gesellschaft", East European Quarterly, Bd. 4, 1 9 7 0 - 1 9 7 1 , S. 2 - 2 4 . 51 H a n n s Gross, Handbuch für Untersuchungsrichter als System der Kriminalistik. M ü n c h e n 1914, Bd. 1, S. 5 0 2 - 5 3 0 . 52 Elbert F. Baldwin, „Twin City of the Magyars", Outlook, Bd. 81, 1905, S. 515.

6. Aufl.

25. Kapitel 1 Ü b e r Herzl siehe T h e o d o r Herzl, Tagebücher ¡895-1904. 3 Bde., Berlin 1 9 2 2 - 1 9 2 3 ; HerzI, Gesammelte Zionistische Werke. 3. Aufl., 5 Bde., Tel-Aviv 1 9 3 4 - 1 9 3 5 ; Sidney W h i t m a n , „ T h e o d o r Herzl", Contemporary Review, Bd. 86, 1904, S. 3 7 1 - 3 7 6 ; Leon Kellner, Theodor Herzls Lehrjahre 1860-1895. W i e n 1920; Stefan Zweig, Begegnungen mit Menschen, Büchern, Städten. W i e n 1937, S. 9 3 - 1 0 0 ; Saul Raphael Landau, Sturm und Drang im Zionismus. Rückblick eines Zionisten. Vor, mit und um Theodor Herzl. W i e n ca. 1937; Alex Bein, Theodor Herzl: A Biography [1934]. Philadelphia 1941; Bein, „Herzl, T h e o d o r " , Encyclopedia Judaica, Bd. 8, 1972, S. 4 0 7 - 4 2 0 ; H a n n a h Arendt, „The Jewish State: Fifty Years After", Commentary, Bd. 1, Mai 1946, S. 1 - 8 ; Israel C o h e n , Theodor Herzl: Founder of Political Zionism. N e w York 1959; Peter Loewenberg, „ T h e o d o r Herzl: A Psychoanalytical Study in Charismatic Political Leadership", in: B. B. W o l m a n (Hg.), The Psychoanalytic Interpretation of History. N e w York 1971, S. 1 5 0 - 1 9 1 (betont Herzls Kindheit). 2 Zitiert in Zweig, Begegnungen,

S. 98.

3 Herzl, „Der Basler Kongreß" [1897], in: Gesammelte zionistische Werke. 3. Aufl. Tel-Aviv 1934, Bd. 1, S. 203. 4 Ibid., S. 596. Z u Vorläufern des politischen Zionismus siehe Ismar Elbogen, A Century of Jewish Life. Philadelphia 1944, S. 2 2 4 - 3 0 8 ; Bein, „Von der Zionssehnsucht zum politischen Zionismus (Zur Geschichte des Wortes u n d Begriffes .Zionismus')", in: H a n s Tramer u n d Kurt Loewenstein (Hg.), Robert Weltsch zum 70. Geburtstag von seinen Freunden. Tel-Aviv 1961, S. 3 3 - 6 3 ; N o r m a n Bentwich u n d J o h n M . Shaftesley, „Forerunners of Z i o n i s m in the Victorian Era", in: J o h n M . Shaftesley (Hg.), Remember the Days: Essays on AngloJewish History Presented to Cecil Roth. L o n d o n 1966, S. 2 0 7 - 2 3 9 ; Walter Laqueur, A History of Zionism. L o n d o n 1972, S. 4 0 - 8 3 . 5 Über Hertzka siehe J. Jastrow, „Ein deutsches Utopien", Schmollers Jahrbuch, Bd. 15, 1891, S. 5 1 5 - 5 3 2 ; C . G o d f r e y G ü m p e l , „A Possible Solution of the Social Q u e s t i o n " , Westminster Review, Bd. 138, 1892, S. 2 7 0 - 2 8 5 ; Edward S a l m o n , „Sidelights on Socialism: Experiments by Colonisation", Fortnightly Review, Bd. 63, 1895, S. 2 6 0 - 2 6 6 ; Franz O p penheimer, Erlebtes, Erstrebtes, Erreichtes, Erinnerungen. Berlin 1931, S. 1 5 1 - 1 7 9 ; G . D . H . Cole, A History of Socialist Thought. Bd. 3, T. 2, L o n d o n 1956, S. 5 5 9 - 5 6 5 ; G o t t f r i e d Heindl, „Freiland", Literatur und Kritik, Bd. 1, März 1967, S. 1 1 0 - 1 1 5 ; Gerhard Stavenhagen, „Hertzka, T h e o d o r " , Neue Deutsche Biographie, Bd. 8, 1969, S. 7 1 8 - 7 1 9 ; Isa PerlisKressel, „Hertzka, T h e o d o r " , Encyclopedia Judaica, Bd. 8, 1972, S. 399.

464

6 Über N o r d a u siehe Vernon Lee, „Deterioration of Soul", Fortnightly Review, Bd. 65, S. 9 2 8 - 9 4 3 ; James H u n e k e r , „The Gase of Dr. N o r d a u " , Forum, Bd. 54, Nov. S. 5 7 1 - 5 8 7 ; A n n a u n d Maxa N o r d a u , Max Nordau: A Biography. N e w York 1943 Lobpreisung von seiner Frau u n d seiner Tochter); Meir Ben-Horin, „Nordau, Max", clopedia Judaica, Bd. 12, 1972, S. 1 2 1 1 - 1 2 1 3 .

1896, 1915, (eine Ency-

7 Max N o r d a u , „Philosophy and Morals of War", North American Review, Bd. 169, 1899, S. 792. 8 N o r d a u , „A Reply to My Critics", Century, Bd. 50, 1895, S. 549. Z u den vernichtendsten Kritiken von Entartung zählen die von Louis Weber in La Revue de métaphysique et de morale, Bd. 2, 1894, S. 3 5 6 - 3 7 0 , u n d die von Kenyon Cox, A n t o n Seidl u n d Mayo W. Hazeltine in North American Review, Bd. 160, 1895, S. 7 3 5 - 7 5 2 . 9 10 11 12

Nordau, „Reply", S. 546. Jones, Bd. 1, S. 205. Nordau, „Reply", S. 550. Siehe Robert H . Sherard, „Dr. N o r d a u on the Jews a n d T h e i r Fears", Review of Reviews, Bd. 17, 1898, S. 3 1 5 - 3 1 7 . Siehe auch Michael R. Marrus, The Politics of Assimilation: A Study of the French Jewish Community at the Time of the Dreyfus Affair. O x f o r d 1971, S. 2 6 5 - 2 6 8 . Weniger beunruhigende Ansichten finden sich in Nordau, Zionistische Schriften. 2. Aufl. Berlin 1923.

2 6 . Kapitel 1 Ausgezeichnete Einführungen zu Lukäcs sind George Lichtheim, Georg Lukdcs. New York 1970 (deutsch 1971), und G. H . R. Parkinson (Hg.), Georg Lukäcs: The Man und His Ideas. London 1970. Die beste Darstellung des Lukäcs von vor 1918 ist Zoltän Kenyeres, „Beginn der Laufbahn G. Lukäcs' und sein Weg zum Marxismus", Acta Litteraria (Budapest), Bd. 7, 1965, S. 3 6 1 - 3 7 5 , wo seine ungarischen Schriften untersucht werden. Anregend, aber sehr speziell ist Peter Ludz, „Vorwort", in: Georg Lukäcs, Schriften zur Literatursoziologie. Neuwied 1961, 3. Aufl. 1968, S. 1 1 - 6 8 . Allgemeinverständlicher ist Ludz, „Der Begriff der, demokratischen Diktatur' in der politischen Philosophie von Georg Lukäcs", in: Lukäcs, Schriften zur Ideologie und Politik, hgg. v. Peter Ludz, Neuwied 1967, S. XV1I-LV. Siehe auch Ludz, „Georg Lukäcs. Biographische D a t e n " , Schriften zur Ideologie, S. 7 0 9 - 7 1 8 . Z u Parallelen zwischen Lukäcs und der hegelianischen Ästhetik Friedrich T h e o d o r Vischers siehe Horst Althaus, Georg Lukäcs oder Bürgerlichkeit als Vorschule einer marxistischen Ästhetik. Bern 1962. Provokativ, aber unzuverlässig ist Victor Zitta, Georg Lukäcs' Marxism: Alienation, Dialectics, Revolution: A Study in Utopia and Ideology. Ein unentbehrlicher Arbeitsbehelf ist Jürgen H a r t m a n n , „Chronologische Bibliographie der Werke von Georg Lukäcs", in: Frank Benseier (Hg.), Festschrift zum achtzigsten Geburtstag von Georg Lukäcs. Neuwied 1965, S. 6 2 5 - 6 9 6 . 2 T h o m a s M a n n , „Brief an Dr. Seipel", Werke. Bd. 11, Frankfurt 1960, S. 7 8 0 - 7 8 2 (ein Brief etwa aus dem Jahr 1928, in dem ersucht wird, Lukäcs nicht aus Osterreich auszuweisen). Z u m Kontakt M a n n s mit anderen ungarischen Intellektuellen siehe Päl Réz, „Thomas M a n n and Hungary: His Correspondence with Hungarian Friends", New Hungarian Quarterly, Bd. 2, Juli 1961, S. 8 4 - 9 9 . 3

Lukäcs, „Georg Simmel. Ein N a c h r u f ' [1918], in: Kurt Gassen und M . L a n d m a n n (Hg.), Buch des Dankes an Georg Simmel. Briefe, Erinnerungen, Bibliographie. Berlin 1958, S. 1 7 1 - 1 7 6 . 4 Lukäcs, „Die Subjekt-Objekt Beziehung in der Aesthetik", Logos, Bd. 8, 1917, S. 1 - 3 9 . Dieser schwierige, Kant, Hegel und Husserl verpflichtete Text sollte gemeinsam gelesen werden mit Lukäcs, „Emil Lask. Ein N a c h r u f ' . Kantstudien, Bd. 22, 1917, S. 3 4 9 - 3 7 0 . Z u Lukäcs u n d Weber siehe Marianne Weber, Max Weber. Ein Lebensbild. Tübingen 1926, S. 473—476. Lukäcs'

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Absage an seinen eigenen „Neo-Romantizismus" findet sich in Lukacs, „Vorwort" [datiert Juli 1962], in: Die Theorie des Romans. 2. Aufl. Neuwied 1963, S. 5 - 18, u n d „Vorwort", in: Ästhetik, Bd. 1, Teil 1, Neuwied 1963, S. 31. 5

Siehe Erwin Szabó, „Aus den Parteien- u n d Klassenkämpfen in der ungarischen Revolution von 1848", Archiv für die Geschichte des Sozialismus, Bd. 8, 1919, S. 2 5 8 - 3 0 7 . Über Szabó siehe Lukacs, „Taktik u n d E t h i k " [1919], in: Schriften zur Ideologie und Politik. S. 32; O s k a r Jâszi, „Erwin Szabó u n d sein Werk. Ein W o r t der E r i n n e r u n g " , Archiv für die Geschichte des Sozialismus, Bd. 10, 1922, S. 2 2 - 3 7 ; Z o l t a n H o r v ä t h , Die Jahrhundert wende in Ungarn. N e u w i e d 1966, S. 3 5 4 - 3 6 1 . Z u Nyugat siehe H o r v ä t h , Jahrhundertwende, S. 3 8 6 - 4 1 2 . Z u Lukâcs' späterer Beurteilung der ungarischen Literatur vor 1918 siehe Lukacs, „The I m p o r t a n c e and Influence of Ady", New Hungarian Quarterly, Bd. 10, H e r b s t 1969, S. 5 6 - 6 3 , u n d Ferenc Tökei, „Lukacs and H u n g a r i a n C u l t u r e " , New Hungarian Quarterly, Bd. 13, Herbst 1972, S. 1 0 8 - 1 2 2 .

6

Karl Kerényi, „Zauberberg-Figuren. Ein biographischer Versuch", in: Tessiner Schreibtisch. Mythologisches, Urmythologisches. Stuttgart 1963, S. 1 2 5 - 1 4 1 ; Alasdair Maclntyre, „Marxist Mask and R o m a n t i c Face: Lukacs on T h o m a s M a n n " , Encounter, Bd. 24, April 1965, S. 6 4 - 7 2 . In Der Zauberberg läßt M a n n N a p t h a bei einer Familie namens Lukaçek wohnen.

7

E r i n n e r u n g e n an Lukacs in W i e n finden sich in Victor Serge, Memoirs of a Revolutionary 1901-1941. L o n d o n 1963, S. 1 8 5 - 1 9 2 . Lukacs, „Mein Weg zu Marx" [1933], in: Schriften zur Ideologie und Politik, S. 3 2 3 - 3 2 9 . Ein weniger geharnischter Bericht über seine ersten Jahre als Marxist findet sich in Lukacs, „Vorwort" [März 1967], in: Frühschriften 2. Neuwied 1968, S. 1 1 - 4 1 .

8

9

Lukacs, „Die Theorie des Romans. Ein geschichtsphilosophischer Versuch über die Formen der großen Epik", in: ZAAK, Bd. 11, 1916, S. 2 2 5 - 2 7 1 , 3 9 0 - 4 3 1 , N e u d r . Berlin 1920, 2. Aufl. N e u w i e d 1963. Siehe Fredric Jameson, Marxism and Form: Twentieth-Century Dialectical Theories of Literature. Princeton 1971, S. 1 6 0 - 2 0 5 (eingehend). 10 Lukacs, „Vorwort", Die Theorie des Romans, S. 7. 11 Die deutsche Fassung ist Lukacs, „Zur Soziologie des m o d e r n e n Dramas", ASWSP, Bd. 38, 1914, S. 3 0 3 - 3 4 5 , 6 6 2 - 7 0 6 . 12 Lukacs, „Von der A r m u t am Geiste. Ein Gespräch u n d ein B r i e f ' , Neue Blätter, 2 / 5 - 6 , 1912, S. 6 7 - 9 2 . 13 Lucien G o l d m a n n , „Georg Lukacs: L'essayiste", Revue d'esthétique, Bd. 3, 1950, S. 8 2 95; G o l d m a n n , Le Dien caché: Etude sur la vision tragique dans les Pensées de Pascal et dans le théâtre de Racine. Paris 1955; G o l d m a n n , „ I n t r o d u c t i o n aux premiers écrits de Georges Lukâcs", Temps modernes, Bd. 18, 1962, S. 2 5 4 - 2 8 0 . 14 Rudolf Kassner, „Sören Kierkegaard. Aphorismen", Neue Rundschau, Bd. 17, 1906, S. 5 1 3 543. Eine Auffassung des Todes als „Gestalter" des Lebens findet sich bei Georg Simmel, „Zur Metaphysik des Todes", Logos, Bd. 1, 1910, S. 5 7 - 8 0 .

15 Fünfzehn Arbeiten aus der Zeit von 1919 bis 1922 finden sich in Lukacs, Frühschriften 2, S. 4 3 - 1 5 9 . 16 Z u Lukâcs als Kommissar siehe R u d o l f L. Tökes, Béla Kun and the Hungarian Soviet Republic. N e w York 1967, S. 149, 1 5 2 - 1 5 4 , 2 5 4 - 2 5 5 . 17 Ü b e r M a n n h e i m siehe Albert Salomon, „Karl M a n n h e i m 1 8 9 3 - 1 9 4 7 " , Social Research, Bd. 14, 1947, S. 3 5 0 - 3 6 4 ; Leopold Wiese, „Karl M a n n h e i m " , Kölner Zeitschrift für Soziologie, Bd. 1, 1 9 4 8 - 1 9 4 9 , S. 9 8 - 1 0 0 ; H e l m u t R. Wagner, „The Scope of M a n n h e i m s T h i n king", Social Research, Bd. 20, 1953, S. 1 0 0 - 1 0 9 ; G ü n t h e r W. R e m m l i n g , „Karl M a n n heim: Revision of an Intellectual Portrait", Social Forces, Bd. 40, 1 9 6 1 - 1 9 6 2 , S. 2 3 - 3 0 ; Kurt H . Wolff, „Karl M a n n h e i m in seinen A b h a n d l u n g e n bis 1933", in M a n n h e i m , Wissenssoziologie. Auswahl aus dem Werk. N e u w i e d 1964, S. 1 1 - 6 5 , 6 9 1 - 7 1 0 ; David Kettler, „Sociology of Knowledge and Moral Philosophy: T h e Place of Traditional Problems in the

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21

Formation of Mannheims Thought", PSQ, Bd. 82, 1967, S. 3 9 9 - 4 2 6 ; Remmling, Wissenssoziologie und Gesellschaftsplanung. Das Werk Karl Mannheims. Dortmund 1968 (mit umfassender Bibliographie). Eine deutsche Übersetzung findet sich in Mannheim, Wissenssoziologie. Neuwied 1964, S. 6 6 - 8 4 . Neudr. ibid., S. 8 5 - 9 0 ; zuerst veröffentlicht in Logos, Bd. 9, 1920-1921, S. 5 0 - 5 3 . Uber Grünwald siehe Walther Eckstein, „Vorwort", in: Grünwald, Das Problem der Soziologie des Wissens. Versuch einer kritischen Darstellung der wissenssoziologischen Theorien. Wien 1934, Neudr. Hildesheim 1967; Wolff, „Emst Grünwald and the Sociology of Knowledge: A Collective Venture in Interpretation", Journal of the History of the Behavioral Sciences, Bd. 1, 1965, S. 1 5 1 - 1 6 4 ; Hermann Kramer, Ursachen der Meinungsverschiedenheiten in der Philosophie. Berlin 1967, S. 143-147. Werner Stark, The Sociology of Knowledge. London 1958, S. 195.

2 7 . Kapitel 1 Über Ferenczi siehe Sandor Lorand, „Sandor Ferenczi", in: Franz Alexander, Samuel Eisenstein und Martin Grotjahn (Hg.), Psychoanalytic Pioneers. New York 1966, S. 1 4 - 3 5 ; Frank Auld jr., „Ferenczi, Sandor", IESS, Bd. 5, 1968, S. 3 6 7 - 3 6 9 ; Ilse Barande, Sandor Ferenczi. Paris 1972. Seine Werke sind erhältlich unter dem Titel Schriften zur Psychoanalyse. 2 Bde., Frankfurt 1972. 2 Jones, Bd. 3, S. 8. 3 Siehe Sandor Ferenczi, „Stages in the Development of the Sense of Reality" [1913], in: First Contributions to Psycho-Analysis [1916]. London 1952, S. 2 1 3 - 2 3 9 . 4 Uber Szondi siehe Michael Balint, „On Szondis ,Schicksalsanalyse' and ,Triebdiagnostik'", IJP, Bd. 29, 1948, S. 2 4 0 - 2 4 9 ; „Test by Portraits", Life Magazine. Bd. 24, 22. März 1948, S. 6 7 - 6 9 ; Susan Deri, Introduction to the Szondi Test: Theory and Practice. New York 1949; Roy Schafer, Besprechung von Deri, Szondi Test, in: Journal of Abnormal and Social Psychology, Bd. 45, 1950, S. 1 8 4 - 1 8 8 ; L. J. Borstelmann und W. G. Klopfer, „The Szondi Test: A Review and Critical Examination", Psychological Bulletin, Bd. 50, 1953, S. 112-132; Wilhelm Hinterleithner, „Menschenbild und Machtübertragung. Eine Würdigung der Psychologie L. Szondis", Wissenschaft und Weltbild, Bd. 11, 1958, S. 3 9 - 4 7 ; Armin Beeli, „Der Beitrag der Schicksalsanalyse Szondis", in: Wilhelm Bitter (Hg.), Psychotherapie und religiöse Erfahrung. Stuttgart 1965, S. 1 5 7 - 1 7 6 (eingehend). H. Ellenberger, „Das menschliche Schicksal als wissenschaftliches Problem. Zur Einführung in die Schicksalsanalyse von Szondi", Psyche, Bd. 4, 1950-1951, S. 5 7 6 - 6 1 0 , war mir nicht zugänglich. 5 Siehe Lipot Szondi, „Contributions to ,Fate Analysis': An Attempt at the Theory of Choice in Love", Acta Psychologica, Bd. 3, 1937, S. 1-80. Szondi faßt seine späteren Ansichten zusammen in „Mensch und Schicksal. Elemente einer dialektischen Schicksalswissenschaft (Anakologie)", Wissenschaft und Weltbild, Bd. 7, 1954, S. 15-34. 6 Zitiert in Gustav Janouch, Gespräche mit Kafka. Frankfurt 1951, S. 93. Siehe auch Wolfgang Jahn, „Kafka und die Anfänge des Kinos", Jahrbuch der deutschen Schillergesellschaft, Bd. 6, 1962, S. 3 5 3 - 3 6 8 . Kafkas Freund Max Brod hat ein Drehbuch geschrieben, das in Kurt Pinthus (Hg.), Das Kinobuch. Kinostücke [1914]. Zürich 1963, S. 7 1 - 7 5 , veröffentlicht wurde. 7 Egon Friedell, „Kunst und Kino" [ca. 1912], in: Wozu das Theater? Essays, Satiren, Humoresken. München 1965, S. 9 9 - 1 0 7 . 8 Friedell, Kulturgeschichte der Neuzeit [1927-1931]. München 1965, S. 1513.

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9 Joseph Roth, Der Antichrist [1934], in: Romane, Erzählungen, Aufsätze, Köln 1964, S. 6 2 5 632. Z u Roths Ansichten über das Kino siehe Fritz Hackert, Kulturpessimismus und Erzählform. Studien zu Joseph Roths Leben und Werk. Bern 1967, S. 1 6 - 2 1 . 10 Georg Lukâcs, „Gedanken zu einer Ästhetik des Kinos" [1913], in: Schriften zur Literatursoziologie. 3. Aufl. N e u w i e d 1968, S. 75—80. Siehe auch G u i d o Aristarco, „Lukäcs' Beiträge zu Film u n d Filmkritik", in: Frank Benseier (Hg.), Festschrift zum achtzigsten Geburtstag von Georg Lukdcs. Neuwied 1965, S. 5 8 8 - 6 0 4 . 11 Siehe Zoltan Kenyeres, „Beginn der L a u f b a h n G . Lukàcs u n d sein Weg zum Marxismus", Acta Litteraria (Budapest), Bd. 7, 1965, S. 3 7 0 - 3 7 1 . Über Balazs siehe Robert Musil, „Ansätze zu neuer Ästhetik. B e m e r k u n g e n über eine D r a m a t u r g i e des Films (Béla Balazs: Der sichtbare Mensch)" [1925], in: Musil, Tagebücher, Aphorismen, Essays und Reden. H a m b u r g 1955, S. 6 6 7 - 6 8 3 ; Ervin Gyertyän, „Béla Balazs a n d the Film", New Hungarian Quarterly, Bd. 2, Juli 1961, S. 1 8 9 - 1 9 4 ; Lee C o n g d o n , „The Making of a Hungarian Revolutionary: T h e Unpublished Diary of Béla Balazs", J C H , Bd. 8/3, Juli 1973, S. 5 7 - 7 4 . 12 Béla Balazs, Der sichtbare Mensch oder Die Kultur des Films. W i e n 1924, S. 1 1 - 1 2 . Erstaunliche Statistiken über Kinobesuch in G r o ß b r i t a n n i e n in den zwanziger Jahren finden sich in A. J. P. Taylor, English History 1914-1945. O x f o r d 1965, S. 3 1 4 - 3 1 5 . 13 A r n o l d Hauser, Sozialgeschichte der Kunst und Literatur. M ü n c h e n 1953, S. 1 0 0 7 - 1 0 3 0 . Siehe auch Hauser, Die Philosophie der Kunstgeschichte. M ü n c h e n 1958, S. 3 9 5 - 4 0 4 , 435-438. 14 Hauser, „Conceptions of T i m e in M o d e r n Art and Science", Partisan Review, Bd. 23, 1956, S. 332. 15 Siehe M a n f r e d Durzak, „ H e r m a n n Broch u n d der Film", Der Monat, Bd. 18, Mai 1966, S. 6 8 - 7 5 . Z u anderen Österreichern, die den Film b e w u n d e r n , siehe H a n s W i n g e , „Die Intellektuellen u n d der Film", Forum, Bd. 5, 1948, S. 4 2 1 - 4 2 2 . 16 Hauser, „The N e w O u t l o o k " , Art News, Bd. 51, J u n i 1952, S. 45. 17 Hauser, „Conceptions o f T i m e " , S. 327. 18 Hauser, Sozialgeschichte der Kunst, S. 692. Eine Kritik Hausers findet sich in Ernst G o m brich, „ T h e Social H i s t o r y of Art" [1953], in: Meditations on a Hobby Horse and Other Essays on the Theory of Art. L o n d o n 1963, S. 8 6 - 9 4 .

28. Kapitel 1 Karl Kraus, „Großer Sieg der Technik" [1912], in: Untergang der Welt durch schwarze Magie [1922], Neudr. in: Werke. Bd. 8, M ü n c h e n 1960, S. 51. 2 Eine zeitgenössische W ü r d i g u n g ist Felix Poppenberg, „Apokalypse", Neue Rundschau, Bd. 21, 1910, S. 4 1 3 - 4 1 8 (vergleicht den R o m a n Kubins mit Valéry Bryusovs The Republic of the Southern Cross). 3

Das unentbehrliche H a n d b u c h zu Sittlichkeit u n d Sexualität ist Magnus Hirschfeld, Sittengeschichte des Weltkrieges. 2 Bde., Leipzig 1930, 2. Aufl. H a n a u 1966 (enthält seltene Illustrationen). Eine Anthologie in Auswahl betreffend deutsche u n d österreichische Reaktionen auf den Krieg ist Ernst Johann (Hg.), Innenansicht eines Krieges. Bilder - Briefe - Dokumente 1914/ 1918. Frankfurt 1968 (legt etwa 500 Auszüge in chronologischer Reihenfolge vor). Z u Erfahrungsberichten von Schlachtfeldern siehe William K. Pfeiler, War and the German Mind: The Testimony of Men of Fiction Who Fought at the Front. N e w York 1941. Z u m geistigen Z u s a m m e n b r u c h siehe Georges D u m a s und Henri Aimé, Névroses et psychoses de guerre chez les Austro-allemands. Paris 1918. 4 Robert Musil, Der Mann ohne Eigenschaften. H a m b u r g 1952, S. 40. Musil behandelte die geistige Verwirrung der Nachkriegszeit in Musil, „Das hilflose Europa oder Reise vom H u n d e r t sten ins Tausendste" [1922], in: Tagebücher, Aphorismen, Essays und Reden. H a m b u r g 1955, S. 6 2 2 - 6 4 0 .

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5 Albert Ehrenstein, Gedichte und Prosa, hgg. v. Karl O t t e n , Neuwied 1961, S. 2 3 - 2 4 . 6 Joseph Roth, Die Kapuzinergruft [1938], M ü n c h e n 1967, S. 44, 46, 5 1 - 5 2 . 7 Siehe Elisabeth Pablé, „Der vergessene Welterfolg. H a n s von C h l u m b e r g " , Literatur und Kritik, Nr. 3 6 - 3 7 , 1969, S. 3 8 2 - 3 9 5 . 8 „Horrors of Austrian Prisons: I n h u m a n Treatment of Civilian W o m e n and Men at Internm e n t C a m p s " , New York Times Current History Magazine, Bd. 8, Teil 2, 1918, S. 9 7 - 9 9 (von einem K o r r e s p o n d e n t e n des L o n d o n e r Telegraph). U b e r G e f a n g e n e in U n g a r n siehe Charles d'Eszlary, Les Français en Hongrie pendant les guerres napoléoniennes et mondiales. Paris 1966, S. 5 3 - 1 0 1 . 9 Kraus, „Apokalypse" [1908], in: Werke. Bd. 8, M ü n c h e n 1960, S. 11. 10 Franz Werfel, „Die christliche S e n d u n g " , Neue Rundschau, Bd. 38, 1917, S. 99. Spätere Werke, die sich ebenfalls gegen die Technologie w e n d e n , werden b e h a n d e l t in Joachim G . Leithauser, „Im Gruselkabinett der Technik. Kritische Bemerkungen zur M o d e des rom a n t i s c h e n Pessimismus", Der Monat, Bd. 3, 1 9 5 0 - 1 9 5 1 , S. 4 7 4 - 4 8 6 . Eine Anthologie österreichischer Stellungnahmen zur Kriegsführung liegt vor in Albert Massiczek und Erica W a n t o c h (Hg.), Weltkrieg - Weltfriede. 161 österreichische Autoren in einer Anthologie. W i e n 1967, bes. S. 4 5 - 1 3 6 . 11 Roth, „Der Merseburger Zauberspruch" [25. Dez. 1930], Werke. Köln 1956, Bd. 3, S. 423. Ein weiterer Österreicher beklagte ebenfalls die Verwüstungen bei Leuna: H a n s N a t o n e k , „Germany's City of Robots", Living Age, Bd. 339, 1 9 3 0 - 1 9 3 1 , S. 4 8 - 5 1 . 12 Zitiert in Josef Paul H o d i n , The Dilemma of Being Modern. New York 1959, S. 69. 13 Arthur Schnitzler, „Briefe zur Politik", Neues Forum, Bd. 15, 1968, S. 6 7 8 (Brief an Elisabeth Steinrück vom 22. Dezember 1914). 14 Ernst Stein, „Mit Schiele hat sich die Nachwelt blamiert", Die Zeit, Nr. 15, 16. Apr. 1968, S. 11. 15 Zitiert in O t t o Schulmeister, Die Zukunft Österreichs. Wien 1967, S. 81. 16 Musil, Mann, S. 34. Schon 1913 stellte Musil fest, daß in der österreichischen Politik H e u chelei vorherrsche. Siehe Musil, „Politik in Osterreich" [1913], Tagebücher, S. 5 8 9 - 5 9 2 . 17 Roth, Radetzkymarsch [1932], Köln 1967, S. 2 3 7 - 2 7 2 . 18 Schnitzler, Der Weg ins Freie [1908], Berlin 1918, S. 414. 19 C. D. Darlington, The Evolution of Man and Society. L o n d o n 1969, S. 6 7 8 - 6 7 9 (deutsch: Die Entwicklung des Menschen und der Gesellschaft. Eine Kulturgeschichte. 1971). Darlington interpretiert die Konsequenzen der habsburgischen Inzucht, ibid., S. 5 2 1 - 5 2 6 . 20 Béla Bartók, „Race Purity in Music", Horizon, Bd. 10, 1944, S. 405. 21 Walter Brecht, „Österreichische Geistesform und österreichische D i c h t u n g " , D V L G , Bd. 9, 1931, S. 624. 22 A n t o n Wildgans, Rede über Österreich. Wien 1930, S. 27. 2 3 H e r m a n n Bahr, „Selbstinventur", Neue Rundschau, Bd. 23, 1912, S. 1297. 24 Bertha von Suttner, Memoiren [1909]. Bremen 1965, S. 302. 25 Musil, Mann, S. 35. 26 Siehe Michael Polanyi, Personal Knowledge: Towards a Post-Critical Philosophy. C h i k a g o 1958, 2. Aufl. 1962; Friedrich von Hayek, The Sensory Order: An Inquiry into the Foundations of Theoretical Psychology. C h i k a g o 1952; Ludwig von Bertalanffy, Robots, Men, and Minds: Psychology in the Modern World. N e w York 1967; Bertalanffy, General System Theory: Foundations, Development, Applications. N e w York 1968. Z u Bertalanffy siehe William M . J o h n s t o n , „Von Bertalanffy's Place in Austrian T h o u g h t : Strategies of Integrative T h i n k i n g A m o n g Leibnizians and Impressionists", in: William Gray u n d Nicholas D . Rizzo (Hg.), Unity Through Diversity: A Festschrift for Ludwig von Bertalanffy. L o n d o n 1973, Bd. 1, S. 2 1 - 2 9 .

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Literatur

Diese Bibliographie soll die weitere Forschungstätigkeit auf dem Gebiet der politischen, der sozialen und der Geistesgeschichte des Habsburgerreiches und seiner Nachfolgestaaten anregen und erleichtern. Allgemeinen Werken über die Zeit ab 1800 wurde der Vorzug gegeben, in Zeitschriften publizierte Artikel hingegen fanden in geringerem Maß Berücksichtigung. Eine Zusammenstellung von Memoirenwerken wird, wie wir hoffen, die Heranziehung dieser oft vernachlässigten Quellengattung fördern. Monographien über einzelne Denker, die bereits in den Anmerkungen angeführt wurden, scheinen in der Bibliographie nicht mehr auf. Sie berücksichtigt Werke, die bis etwa Mitte 1973 in englischer, deutscher und französischer Sprache erschienen sind. Die A n o r d n u n g der Bibliographie erfolgt nach diesen Gesichtspunkten:

Teil 1: Politische und soziale Geschichte ab

1800

A) Politische und soziale Geschichte Österreichs B) Politische u n d soziale Geschichte Ungarns C) Memoirenwerke über Österreich-Ungarn

Teil 2: Geistesgeschichte ab A) B) C) D) E) F)

1800

Nachschlagewerke zur Geistesgeschichte Darstellungen österreichischen Denkens und österreichischer Literatur Darstellungen ungarischen Denkens und ungarischer Literatur Darstellungen der Philosophie in Österreich Darstellungen der Gesellschaftstheorie in Österreich Darstellungen über die Kunst in Österreich

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T E I L 1: P O L I T I S C H E U N D S O Z I A L E G E S C H I C H T E AB 1800

A) Politische und soziale Geschichte Österreichs Allmayer-Beck, J o h a n n Christoph, Der Konservatismus in Osterreich. M ü n c h e n , Isar-Verlag, 1959. Andics, Hellmuth, Der Staat, den keiner wollte. Österreich 1918-1938. Wien, Herder, 1962. 2. Aufl. 1964. Arkel, Dirk van, Antisemitism in Austria. Leiden 1966 (gründlich). Auerbach, Bertrand, Les Races et les nationalités en Autriche-Hongrie. Paris 1898. 2. Aufl. 1917. Baiti, H e r m a n n , Osterreichische Rechtsgeschichte. Graz, Leykam, 1959. Bauer, O t t o , Die österreichische Revolution. Wien 1923. Neudr. 1965. Benedikt, Heinrich (Hg.), Geschichte der Republik Österreich. M ü n c h e n 1954. - Die wirtschaftliche Entwicklung in der Franz-Josephs-Zeit. W i e n , Herold, 1958. - Die Monarchie des Hauses Österreich. Ein historisches Essay. M ü n c h e n , O l d e n b o u r g , 1968 (eingehend). Berchtold, Klaus (Hg.), Osterreichische Parteiprogramme 1868—1966. M ü n c h e n , O l d e n b o u r g , 1967 (nützliche E i n f ü h r u n g , S. 11—105). Bernatzik, E d m u n d , Die österreichischen Verfassungsgesetze. Leipzig 1906. Bibl, Viktor, Der Zerfall Österreichs. 2 Bde., W i e n 1 9 2 2 - 1 9 2 4 . Böhm, Wilhelm, Konservative Umbaupläne im alten Osterreich. Gestaltungsprobleme des Völkerreiches. W i e n , Europa-Verlag, 1967. - „Die Konservativen in Österreich". In: Gerd-Klaus Kaltenbrunner (Hg.), Rekonstruktion des Konservatismus. Freiburg, Rombach, 1972, S. 1 8 9 - 2 1 8 . Bosl, Karl (Hg.), Handbuch der Geschichte der böhmischen Länder. 4 Bde., Stuttgart, Hiersemann, 1 9 6 6 - 1 9 6 9 (ausgezeichnetes u n d informatives Nachschlagewerk mit umfangreichen Bibliographien). Bourgoing, Jean de (Hg.), Briefe Kaiser Franz Josephs an Frau Katharina Schratt. W i e n , Ullstein, 1949. Brügel, Ludwig, Soziale Gesetzgebung in Österreich von 1848 bis 1919. Eine geschichtliche Darstellung. W i e n 1919. - Geschichte der österreichischen Sozialdemokratie. 5 Bde., W i e n 1 9 2 2 - 1 9 2 5 . Bullock, Malcolm, Austria 1918-1938: A Study in Failure. L o n d o n 1939. C h a r m a t z , Richard, Geschichte der auswärtigen Politik Österreichs im 19. Jahrhundert. 2 Bde., 2. Aufl. Leipzig 1918. - Lebensbilder aus der Geschichte Österreichs. W i e n 1947. C o l q u h o u n , Archibald Ross und Ethel, The Whirlpool of Europe: Austria-Hungary and the Habsburgs. L o n d o n 1907 (mit einer Fülle von Anekdoten). Czedik, Alois von, Zur Geschichte der k. k. österreichischen Ministerien 1861 bis 1916 nach den Erinnerungen. 4 Bde., Wien 1 9 1 7 - 1 9 2 0 . Czeike, Felix, Wirtschafts- und Sozialpolitik der Gemeinde Wien in der Ersten Republik 1919 bis 1934. 2 Bde., Wien, Verlag für Jugend u n d Volk, 1 9 5 8 - 1 9 5 9 . Danzer, Alfons, Unter den Fahnen. Die Völker Österreich-Ungarns in Waffen. Wien 1889 (Darstellung des militärischen Alltags). Denis, Ernest, La Bohème depuis la Montagne-Blanche. 2 Bde., Paris 1903 (ausführlich, protschechisch). D i a m a n t , Alfred, Austrian Catholics and the First Republic: Democracy, Capitalism, and the Social Order, 1918-1934, Princeton, Princeton University Press, 1960. Drage, Geoffrey, Austria-Hungary. L o n d o n 1909 (schwerfällig). Feldl, Peter, Das verspielte Reich. Die letzten Tage Österreich-Ungarns. Wien, Zsolnay, 1968. Franz, Georg, Liberalismus. Die deutschliberale Bewegung in der habsburgischen Monarchie. M ü n chen, Callwey, 1955.

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TEIL 2: GEISTESGESCHICHTE AB 1800

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KOMMENTIERTE BIBLIOGRAPHIE - Ergänzungen ** bezeichnet Werke, die neue Begriffe in die Debatte einführen. Amann, Klaus und Armin A. Wallas, Hg. Expressionismus in Osterreich: Die Literatm und die Künste. Wien Böhlau, 1994. [Untersucht Dutzende von bekannten und weniger bekannten Literaten der Periode 1900-1920 aus allen Regionen der Habsburgermonarchie.] ** Beller, Steven. Wien und die Juden 1867 bis 1938. Wien: Böhlau, 1993 / Vienna and the Jews, 18671938: A Cultural History. Cambridge: Cambridge University Press, 1989. [Führt statistische Analysen, zahlreiche Fallstudien, bahnbrechende Argumente an.] Beller, Steven, Hg. Rethinking Vienna 1900. New York - Oxford: Berghahn Books, 2001. [Fundierte Auseinandersetzung mit dem „Schorske-Paradigma".] ** Blaukopf, Kurt. Pioniere empiristischer Musikforschung: Osterreich und Böhmen als Wiege der modernen Kunstsoziologie. Wien: Hölder-Pichler-Tempsky, 1995. [Streng durchdachte Darstellung der Kunst- und Musikwissenschaftler Wiens bis 1900, ergänzt durch eine hervorragende Bibliographie.] Brix, Emil, Ernst Bruckmüller und Hannes Stekl, Hg. Memoria Austriae. 3 Bde. Wien: Verlag für Geschichte und Politik Oldenbourg, 2004-2005. [Untersucht das österreichische Kulturgedächtnis und die Hauptgedenkorte anhand von etwa 50 Essays.] ** Clair, Jean, Cathrin Pichler und Wolfgang Pichler, Hg. Wunderblock: Eine Geschichte der modernen Seele. Wien: Wiener Festwochen, 1989. [65 Aufsätze über Bemühungen um die „Seele" in Kunst, Literatur, Medizin und Psychiatrie 1789-1939.] Congdon, Lee. Exile and Social Thought: Hungarian Intellectuals in Germany and Austria 1919— 1933. Princeton: Princeton University Press, 1991. [Vergleiche zwischen Ungarn und Osterreich als Kulturnährboden.] Flotzinger, Rudolf und Gernot Gruber, Hg. Musikgeschichte Österreichs. 2 Bde. Graz - Wien - Köln: Styria Verlag, 1977-1979. ** Gellner, Ernest. Language and Silence. Wittgenstein, Malinowski and the Habsburg Dilemma. Cambridge: Cambridge University Press, 1998. [Radikale Umwertung Wittgensteins und seiner österreichischen Umwelt.] ** Gilman, Sander L. und Jack Zipes, Hg. Yale Companion to Jewish Writing and Thought in German Culture 1096—1996. New Häven - London: Yale University Press, 1997. [Deckt anhand ausgewählter Bibliographien ungewöhnliche Zusammenhänge auf; etwa 30 der 120 Aufsätze behandeln Österreicher.] ** Grassl, Wolfgang und Barry Smith. "A Theory of Austria," in J. C. Nyiri, hg., From Bolzano to Wittgenstein: The Tradition of Austrian Philosophy. Wien: Hölder-Pichler-Tempsky, 1986, 1130. [Außerordentlich erfindungsreicher Essay über die Interdependenz kultureller Motive und Paradigmen („Bezugssysteme") als Wurzel der Kreativität in der Habsburgermonarchie.] Hanák, Péter. Der Garten und die Werkstatt: Ein kulturgeschichtlicher Vergleich. Wien und Budapest um 1900. Wien: Böhlau, 1992. ** Heer, Friedrich. Der Kampf um die österreichische Identität. Wien: Böhlau, 1981. [Eine Fundgrube großteils vergessener Texte, leidenschaftlich dargestellt.] Kann, Robert und Friedrich E. Prinz, Hg. Deutschland und Österreich: Ein bilaterales Geschichtsbuch. Wien und München: Jugend und Volk, 1980. [Aus lebenslanger Erfahrung vergleichen zwanzig Gelehrte deutsche und österreichische Politik, Gesellschaft und Kultur in thematischen Aufsätzen mit detaillierten Bibliographien.] ** Le Rider, Jacques. Das Ende der Illusion: Die Wiener Moderne und die Krisen der Identität. Wien: Österreichischer Bundesverlag, 1990 / Modernité viennoise et crises de l'identité. Paris: Presses universitäres de France, 1990. [Zahlreiche anregende bzw. provozierende Interpretationen im Sog von Nietzsche, Weininger und der Tradition der französischen Moralisten.]

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Le Rider, Jacques. Freud — von der Akropolis zum Sinai. Die Rückwendung zur Antike in der Wiener Moderne. Wien: Passagen Verlag, 2004. Luft, David S. Robert Musil and the Crisis of European Culture. Berkeley - Los Angeles - London: University of California Press, 1980. Luft, David S. Eros and Inwardness in Vienna: Weininger; Musil, Doderer. Chicago and London: The University of Chicago Press, 2003. [Eine nuancierte Weiterführung der Gedanken des vorangehenden Werkes, ausgezeichnete Bibliographie.] Nautz, Jürgen, und Richard Vahrenkamp, Hg. Die Wiener Jahrhundertwende: Einflüsse Umwelt Wirkungen. Wien: Böhlau, 1993. [50 zusammenfassende, oft bahnbrechende Aufsätze über alle Aspekte des Themas, sehr ausführliche Bibliographie.] Prisching, Manfred. „Die österreichische Moderne und die Ambivalenz", in Hedwig Kopetz, Joseph Marko und Klaus Poier, hg., Soziokultureller Wandel im Verfassungsstaat: Phänomene politischer Transformation. 2 Bde. Wien - Köln - Graz: Böhlau Verlag, 2004, 1507-1530. [Subtile und witzige historische Analyse der Suche nach einer österreichischen Identität seit 1900.] Schorske, Carl E. Wien: Geist und Gesellschaft im Fin de Siecle. Frankfurt, 1982 / Fin-de-Siecle Vienna: Politics and Culture. New York: Knopf, 1980. [Klassische Darstellung eines vorgeschlagenen Paradigmen wechseis.] Smith, Barry. "The Neurath-Haller Thesis: Austria and the Rise of Scientific Philosophy," in Keith Lehrer and Johann Christian Marek, Hg. Austrian Philosophy Past and Present: Essays in Honor of Rudolf Hatter. Dordrecht: Kluwer, 1997, 1-20. [Höchst originelle Auseinandersetzung mit verschiedenen Thesen über Provenienz und Kohärenz der „österreichischen Philosophie".] Steinberg, Michael. Listening to Reason: Culture, Subjectivity and Nineteenth-Century Music. Princeton: Princeton University Press, 2004. [Tiefgehende Umdeutung der Stilbegriffe und ihrer Rezeption am Beispiel von Mozart, Beethoven, Schubert, Brahms, Wagner, Dvorak, Mahler und Schönberg.] Thurm, Volker, Hg. Wien und der Wiener Kreis: Orte einer unvollendeten Moderne. Ein Begleitbuch. Wien: Facultas, 2003. [Phantasievolle Anthologie großteils zeitgenössischer Texte über Volksbildung, Philosophie, Architektur, Malerei, Musik und deren historischen Kontext.] Timms, Edward. Karl Kraus: Satiriker der Apokalypse 1874-1918. Wien: Deuticke, 1995. Übersetzt von Karl Kraus — Apocalyptic Satirist: Culture and Catastrophe in Habsburg Vienna New Haven London: Yale University Press, 1986. [Nuancierte Analyse der schöpferischen Gruppierungen und deren sozialen Umständen.] Urban, Otto. Die Tschechische Gesellschaft 1848-1918. 2 Bde. Wien: Böhlau, 1994. Weiler, Bernd. "E Pluribus Unum?The Kakanian Intellectual and the Question of Cultural Pluralism," in The Contours of Legitimacy in Central Europe: New Approaches in Graduate Studies. Oxford: St. Antony's College, 2002. [Thesen zum Thema Einheit gegen Vielfalt in der Habsburgermonarchie bei Gumplowicz, Ehrlich, Malinowski und Mannheim.] Weinzierl, Erika, Hg. Österreich 1918 bis 1938: Geschichte der Ersten Republik. 2 Bde. Graz: Styria Verlag, 1983. [Band 2 bezieht sich auf Kulturgeschichte, d.h. Wissenschaften, Literatur, Musik, Architektur, Malerei, Kino, Presse.] Wistrich, Robert. S. Die Juden Wiens im Zeitalter Kaiser Franz Josephs I. Wien: Böhlau, 1999 / The Jews of Vienna in the Age of Franz Joseph. Oxford - New York: Oxford University Press, 1989. [Ein Meisterwerk ausgewogener historischer Urteile, ausgehend von feinsinnigen Analysen jüdischer Dichter und Denker.]

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Namenregister

Abel, Heinrich 76 Abraham a Sancta Clara 30 Ackeret, Jakob 192 Adler, Alfred 40, 122, 183, 187, 256, 259, 260, 261 ff., 266, 267, 382, 383 Adler, Friedrich 114, 116, 195 Adler, Guido 144 f., 162, 166 Adler, Max 112, 114, 122 ff., 203, 314, 374, 380 Adler, Paul VI, VII, 276 f., 278, 308, 387, 395 Adler, Ra'issa (geb. Epstein) 262 Adler, Viktor 38, 42, 61, 112 ff., 116, 119, 122, 195, 248, 274 Ady, Endre 351, 353 Aehrenthal, Aloys 64 Alarcön, Pedro de 167 Albert, Eduard 233 Albrecht, Erzherzog 53 Albrecht I., Herzog von Österreich 27 Alexander, Bernhard 257 Alexander, Franz 254, 257, 354 Alfonso von Bourbon 69 Alt, Rudolf von 151, 293 Altenberg, Peter 130, 131, 132, 134, 138, 147, 150, 161, 178, 182, 214, 223, 387, 399, 400 Amerling, Friedrich 150 Anaxagoras 299 Andersen, Hans Christian 135 Andrässy, Gyula (d. Ältere) 337, 338 Andrässy, Gyula (d. Jüngere) 339 Andreas-Salome, Lou 130, 146, 187, 278 Andreas II., König von Ungarn 339 Andreski, Stanislaw 43 Andrian-Werburg, Leopold von 155

Angelus Silesius 314 Anna O . siehe Pappenheim, Bertha Anschütz, Gerhard 109 Antal, Frigyes 164, 378 Antoine, André-Léonard 367 Anzengruber, Ludwig 73 Arany, Janós 351, 352 Aristoteles 82, 94, 170, 186, 211, 212, 292, 294, 296, 299, 315 Arlt, Ferdinand von 234 Arndt, E m s t Moritz 197 Arnim, Achim von 385 Arnim, Bettina von 294 Auenbrugger, Leopold von 2 3 2 Auersperg, Adolf Fürst 50, 71, 83, 119, 252, 271 Auffenberg von Komarow, Moritz 70 Augustinus 217, 221, 315 Austin, John 109, 111 Avenarius, Richard 192, 195, 211 Baader, Franz 205 Bach, Alexander 340, 347, 350 Bach, Johann Sebastian 225 Bacon, Francis 92, 206, 299, 363 Badeni, Kasimir Graf 53, 62, 246, 273, 331 Bahnsen, Julius 319 Bahr, Hermann X, 46, 47, 65, 77, 129, 130, 131, 137, 141, 146, 147, 175, 179, 182, 183, 190, 194, 195, 214, 246, 248, 249, 250, 255, 310, 359, 399, 401 Bajza, József 3 5 2 Bakan, David 250, 252 Baläzs, Béla XI, 108, 378, 385 ff.

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Balzac, Honoré de 241, 369 Bânffy, Dezsö 339 Barach, Carl Sigmund 290 Baro, Geno 155 Baross, Gabriel 345 Barrés, Maurice 249 Bartok, Béla 352, 357, 378, 385, 4 0 0 Bartsch, Adam von VII Baudelaire, Charles 351, 365, 366 Bauer, Otto 90, 98, 99, 109, 112, 114, 115 ff., 119, 120, 121, 122, 123, 124, 203, 264, 325 Baum, Oskar XVI, 277, 278 Baumgarten, Alexander Gottlieb 280 Baumgartner, Andreas von 284 Bayley, John XVIII, X I X Beardsley, Aubrey 153 Beck, Max 53 Becquerel, Antoine Henry 192 Beda Venerabiiis 3 3 2 Beer-Hofmann, Richard 178, 180, 370, 373 Beethoven, Ludwig van 136, 143, 145, 146, 169, 186, 311 Béla IV., König von Ungarn 339 Belinskij, Wissarion 3 5 2 Bellamy, Edward 311, 364 Beller, Steven X , XIII, XVII Benda, Julien 318 Bendix, Roderich 140 Benedek, Ludwig von 53, 61 Benedikt, Moritz 39, 360 Benes, Eduard 274 Benesch, Otto 155, 164 Bentham, Jeremy 297, 298 Benussi, Vittorio 300 Beöthy, Zsolt 367 Berchtold, Graf Leopold 45, 53, 54, 58, 131 Berg, Alban 88, 149, 156, 186 Bergbohm, Karl Magnus 109 Bergmann, Hugo 282, 299, 308 Bergson, Henri 225, 387 Bernatzik, Edmund 84, 85, 108 Bernays, Anna 210 Bernays, Edward L. 229 Bernays, Eli 229 Bernfeld, Suzanne 253 Bernheim, Hippolyte 243, 248 Bertalanffy, Ludwig von 403 Bertram, Ernst 182, 183 Bessenyei, György 31 Bethlen, Istvän 343 Bettauer, Hugo 44, 198 Bettelheim, Bruno 43 Beust, Ferdinand 53 Biedermann, Gustav 290 Bihari, Janos 358 Billroth, Theodor 144, 157, 234, 235, 241, 242, 320

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Birnbaum, Nathan 360 Bismarck, Otto von 23, 61, 64, 206, 238, 341, 348 Black, Max 199 Blackstone, William 109 Blei, Franz 134 Bleyer, Jakob 348 Bloch, Ernst 123, 368 Blumberg, Albert E. 199 Böcklin, Arnold 84 Böhm-Bawerk, Eugen von 82, 95, 96, 97, 98, 99, 100, 116, 259, 274 Böhme, Jakob 223 Böer, Johann Lukas 231 Boerhaave, Hermann 231 Bogdanow, Alexander 195 Bohr, Niels 197 Boltzmann, Ludwig 121, 184 f., 186, 195, 196 f., 198, 216, 300, 317 Bolyai, Jänos 189 Bolzano, Bernhard VI, XIX, 20, 34, 100, 206, 272, 274, 276, 279 ff., 283, 284, 285, 288, 289, 290, 291, 292, 293, 294, 296, 297, 298, 299, 300, 301, 302, 303, 304, 310, 314, 316, 327, 332, 369, 376 Bolzano, Johann 280 Bonitz, Hermann 81, 82, 288 Bortstieber, Gertrud 368 Botstein, Leo XIII, XVII Botticelli, Sandro 313 Bowditch, Henry Ingersoll 2 3 2 Brahm, Otto 367 Brahms, Johannes 130, 142, 144, 146, 147, 216, 234, 293 Braunthal, Julius 72, 116 Brecht, Walther 38, 401 Brehm, Alfred 144 Breitner, Hugo 89 Brentano, Christian 294 Brentano, Clemens 294 Brentano, Franz 19, 39, 74, 92, 94, 95, 99, 195, 199, 208, 211, 242, 256, 259, 282, 285, 289, 292, 294 ff., 300, 301, 302, 303, 304, 305, 306, 308, 309, 310, 4 0 2 Brentano, Lujo 202, 294 Breuer, Josef 67, 81, 146, 194, 234, 242 ff., 245, 246, 259, 295 Brix, Emil X Broch, Hermann VIII, X, XVI, 19, 40, 41, 42, 59, 133, 142, 171, 176, 177, 183, 194, 196, 197, 220, 222, 223, 224, 228, 317 ff., 388, 394, 4 0 2 Brod, Max 47, 206, 275, 276, 277, 309 Bronner, Ferdinand 171 Brouwer, Jan 219 Brown, Norman O. 254 Broz, Josip 114

Brücke, Ernst Wilhelm 24, 84, 157, 205, 229, 237 ff., 239, 242, 243, 244, 250, 259, 267 Brücke, Hans 238 Bruckner, Anton 59, 143, 144, 145 f., 147,150, 295, 305 Bruno, Giordano 330 Buber, Martin XIII, 19, 41, 42, 90, 183, 206, 222 ff., 227, 228, 252, 266, 277, 278, 315, 318, 387, 388, 400, 401, 403 Buber, Salomon 222 Bucharin, Nikolaj 99 Büchner, Ludwig 123 Bühler, Charlotte 122 Bühler, Karl 122 Burke, Edmund 383 Burstyn, Günther 70 Busch, Wilhelm 220 Calderón de la Barca, Pedro 37 Campbell, Joseph 265 Canisius, Petrus 28 Cankar, Ivan XVI Carlyle, Thomas 134 Carnap, Rudolf 198, 199, 201, 203, 204, 219 Carneri, Bartholomäus von 320 Carus, Carl Gustav 286 Cervantes, Miguel de 164, 369, 372, 376 Chamberlain, Houston Stewart 84, 168, 170, 171, 324, 327, 329 ff. Chamberlain, Joseph 80 Charcot, Jean 229, 238, 239, 247 Chargaff, Erwin XVII Chiavacci, Vinzenz 133 Chlumberg, Hans von 395 Chotek, Sophie 52 Chrobak, Rudolf 234, 242, 247 Clam-Martinic, Heinrich 271 Clarke, Samuel 293 Clausewitz, Carl von 394 Cleve, Felix 208 Coch, Georg Theodor 61 Cohen, Hermann 109, 123 Columbus, Christoph 250 Comenius, Jan 284 Comte, Auguste 177, 293, 363 Condorcet, Antoine de 311 Congdon, Lee XI Conrad von Hötzendorf, Franz 52, 53 Conze, Alexander 162 Corneille, Pierre 31 Coudenhove-Kalergi, Heinrich 321, 322 Coudenhove-Kalergi, Richard XVI, 59, 82, 176, 177, 205, 224, 284, 310, 321 ff., 333, 402 Coué, Émile 263 Croce, Benedetto 164 Csäky, Moritz X Cunow, Heinrich 374

Cupr, Frantisek 288 Cuvaj, Slavko 356 Daim, Wilfried 331 Daladier, Édouard 117 Danhauser, Joseph 151 D'Annunzio, Gabriele 134 Dante Alighieri 109, 186 Darlington, C. D. 4 0 0 Darwin, Charles 117, 148, 170, 240, 261, 307, 365 Daumier, Honoré 215 David, Jakob Julius 85, 184, 393 Deak, Ferenc 50, 337 Decken, Joseph 76 Demelius, Gustav 324 Denifle, Heinrich 294 Descartes, René 50, 286, 304, 330 Deubler, Konrad 76 Dickens, Charles 350 Dietl, Joseph 232 Dilthey, Wilhelm 164, 165, 223, 368, 369, 371, 376 Dittel, Leopold von 234 Dobner, Felix 272 Dobroljubow, Nikolaj 352 Dobrovsky, Josef 272, 281 Dollfuß, Engelbert XIV, 71, 117, 118, 199 Döllinger, Ignaz 294 Dostojewski), Fjodor M . 225, 241, 260, 368, 370, 373 Dreyfus, Alfred 44, 346, 366 Droste-Hülshoff, Annette von 206 Drucker, Peter XVIII Du Bois-Reymond, Emil 237 Duhem, Pierre 193 Dühring, Karl Eugen 206, 364 Dumas, Alexandre (Vater) 350 Duns Scotus 299 Durkheim, Emile 326 Düse, Eleonora 182 Dvorak, Max 86, 88, 163 ff., 224, 378, 387, 388 Eastman, Max 247 Ebert, Karl Egon 272 Ebner, Ferdinand XIII, 171, 210, 222, 225 ff., 266, 315, 387, 388, 394, 403 Ebner-Eschenbach, Marie von XVII, 37, 42, 108, 177, 180, 182, 184, 187, 225, 242, 274, 295, 320 Eckart, Meister 207, 223 Ehrenfels, Bernhard von 305 Ehrenfels, Christian von VI, V i l i , XVI, XIX, 59, 95, 145, 156, 164, 168, 246, 276, 294, 297, 298, 299, 300, 304 ff., 330, 332, 383, 393 Ehrenfels, Joseph Michael 304

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Ehrenfest, Paul 197 Ehrenstein, Albert 68, 85, 179, 180, 183, 189, 190, 212, 217, 278, 318, 395 Ehrenzweig, Anton 254 f., 258, 265, 403 Ehrlich, Eugen 101, 102 ff., 106, 107, 108, 110, 317 Eichrodt, Ludwig 35, 233 Einstein, Albert 192, 310 Eisenmenger, Johann Andreas 43 Eisler, Rudolf 20, 96, 122, 197, 304 Eitelberger-Edelberg, Rudolf von 159, 162, 237, 238, 2 9 2 Elisabeth, Kaiserin 49, 50, 152, 348, 350 Elßler, Fanny 129 Engelmann, Paul 217 Engels, Friedrich 116 Engländer Richard siehe Altenberg, Peter Eötvös, Jozsef 120, 323, 325, 340, 351, 352, 355, 366, 372 Erdmann, Johann Eduard 290 Ericsson, John 37 Erkel, Ferenc 3 5 2 Ernst, Erzherzog 59 Ernst, Paul 367, 371 Ettingshausen, Andreas von 191 Eugen von Savoyen, Prinz 29, 279 Ewald, Oskar 169 Exner, Franz 81, 82, 281, 288, 290, 291 Fechner, Gustav Theodor 176, 191, 193, 194, 212, 286 Federn, Paul 259 Feigl, Herbert 198, 199, 219 Felder, Cajetan 79 Feld], Peter 45 Fenichel, Otto 43 Ferdinand I., Kaiser von Österreich 34, 48, 49, 275 Ferdinand I., röm.-deutsch. Kaiser 28 Ferdinand II., röm.-deutsch. Kaiser 29, 7 6 Ferenczi, Sdndor 258, 348, 381 f. Ferstel, Heinrich 158, 159, 289 Ferstel, Marie 84 Fesl, Michael Josef 280, 281, 2 9 2 Feuchtersieben, Ernst von 176, 233, 236 Feuerbach, Anselm von 152 Feuerbach, Ludwig 123, 152, 223, 225, 226, 365 Fichte, Johann Gottlieb IV, 285, 286, 329 Ficker, Ludwig von 217, 226 Fiebrich, Vinzenz 281 Fischer, Kuno 134 Fischer, Wolfgang Georg 89 Fischhof, Adolf 119 Flaubert, Gustave 277, 369, 3 7 2 Fliess, Wilhelm 170, 244 Flotow, Friedrich von 140

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Forel, August 243 Förster, Ludwig 78, 157 Frank, Johann Peter 231 Frank, Philipp 192, 198, 204 Frankl, Viktor XVII Franko, Ivan XVI Franz I. (II.), Kaiser von Österreich, röm.deutsch. Kaiser 28, 33, 34, 48, 54, 55, 280 Franz Ferdinand, Erzherzog 51 f., 55, 57, 157, 339, 355 Franz Joseph I, Kaiser von Österreich 28, 34, 48 ff., 60, 61, 62, 65, 66, 67, 69, 70, 71, 72, 75, 77, 78, 79, 115, 134, 140, 151, 152, 157, 158, 185, 229, 247, 337, 338, 339, 342, 348, 355, 356, 362, 399, 400 Franzos, Karl Emil XVI, 42, 361 Franz Stephan, röm.-deutsch. Kaiser 28 Frege, Gottlob 198, 302 Freud - , Amalie (Mutter von Sigmund) 229 - , Anna (Tochter von Sigmund) 230 Anna (Schwester von Sigmund) 229 - , Heinz Rudolf Halberstadt (Enkel von Sigmund) 230 - , Jakob (Vater von Sigmund) 229 - , Julius (Bruder von Sigmund) 278 - , Martha Bernays (Gattin von Sigmund) 210, 229 - , Martin (Sohn von Sigmund) 55, 128, 129 - , Sophie (Tochter von Sigmund) 88, 230, 254 Freud, Sigmund IV, VII, XIX, 19, 21, 24, 39, 41, 42, 46, 62, 66, 67, 80, 82, 83, 84, 87, 90, 91, 92, 110, 113, 116, 129, 130, 133, 135, 146, 148, 156, 167, 168, 170, 171, 172, 180, 182, 183, 185, 186, 187, 194, 195, 210, 212, 213, 221, 224, 225, 228 ff., 230, 234, 236 ff., 245 ff., 250 ff., 255 ff., 258 ff., 274, 278, 286, 288, 295, 307, 312, 360, 366, 381, 382, 388, 398, 399, 400, 401, 402, 403 Frey, Dagobert 164 Fried, Alfred 320, 3 2 2 Friedeil, Egon 134 f., 188, 212, 220, 256, 257, 260, 264, 353, 384, 386, 388, 400 Friedjung, Heinrich 64, 82, 113, 359 Friedmann, Egon siehe Friedell, Egon Friedrich I. Barbarossa, Kaiser 27 Friedrich II., König von Preußen 31 Friml, Rudolf 140 Frint, Jakob 280 Frisch, Karl von XVII Fromm, Erich 254 Führich, Josef von 293 Füßli, Johann Heinrich 2 4 7 Gabrilowitsch, Ossip 148 Gandhi, Mahatma 276

Gayda, Virginio 48 Geliert, Christian Fürchtegott 280 Gellner, Ernst XV Geoffroy, Julien Louis 132 George, Stefan 137, 161, 182, 368, 370, 376 Gerstl, Richard 156, 186 Girardi, Alexander 136, 241 Glaßbrenner, Adolf 132 Glöckel, O t t o 262 Gobineau, Arthur de 325, 326, 329 Gödel, Kurt XVII, 198 Godwin, William 106 Goethe, Johann Wolfgang von 133, 136, 162, 164, 192, 213, 217, 221, 229, 251, 255, 283, 284, 287, 288, 291, 292, 312, 330, 352, 365, 370, 372, 374, 3 8 3 Gogh, Vincent van 155, 156 G o l d m a n n , Lucien 3 7 3 Goldmark, Peter 354 Goldscheid, Rudolf 122, 311 Goltz, Friedrich 194 Goluchowski, Graf Agenor 324 Gömbös, Gyula 343 Gombrich, Ernst 251, 4 0 3 Gomperz, Heinrich 191, 211 Gomperz, T h e o d o r 84, 92, 191, 211, 295 G o o d m a n , Paul 254 G o r d o n , Charles George 88 Gottsched, Johann Christoph 280, 293 Goya, Francisco de 153, 164 Graf, Max 46, 58, 252, 260 Gramsci, Antonio 114 Greco, El 164 Grillparzer, Franz 34, 37, 38, 47, 136, 176, 178, 227, 260, 282, 350, 3 8 3 G r i m m , Jacob 332 Groddeck, Georg 254 Gropius, Walter 148 Gross, H a n n s 102, 107 ff., 239, 240 Grünberg, Karl 105 Grünwald, E m s t 379, 380 Gumplowicz, Ludwig XVI, 96, 120, 123, 185, 186, 321, 324 ff., 328, 329, 330, 332, 333, 380 Gumplowicz, Maximilian Ernest 185, 186, 187, 324 Gundolf, Friedrich 368, 376 Günther, A n t o n 73, 283, 284, 291, 3 0 3 Günther, John 205 Gutzkow, Karl 324 Guyau, Jean Marie 199 Gyulai, Pal 352 Haas, Willy 213, 215, 273, 278 Haberler, Gottfried 98 Hacker, Friedrich 246

Haeckel, Ernst 289 Haecker, T h e o d o r 226, 2 2 7 H a h n , H a n s 198, 199, 219 H a h n , Olga 202 Haller, Rudolf VI Halpern, Ben 40 H a m a n n , Brigitte V H a m a n n , Johann Georg 225, 226 Hamerling, Robert 151, 289, 292 Hammer-Purgstall, Joseph von 36 Hampshire, Stuart 220 Hanâk, Péter XI Hannibal 251 Hansen, Theophil von 158 Hanslick, Eduard 130, 142 ff., 145, 146, 163, 166, 234, 287, 292, 365 Hanus, Ignac 290 Hardy, T h o m a s 351 Härtel, Wilhelm von 84 H a r t m a n n , Eduard von 206, 211 H a r t m a n n , E m m a von 305 H a r t m a n n , Heinz 198, 256 H a r t m a n n , Ludo Moritz 86 H a r t m a n n , Moritz 86, 272 Hasek, Jaroslav 274 Hasenauer, Karl von 158 Hatvany, Lajos 353 Hauer, Josef Matthias 149, 225 Haugwitz, Friedrich Wilhelm Graf von 31 H a u p t m a n n , Gerhart 148, 365 Hauser, Arnold 164, 178, 182, 195, 354, 378, 3 8 7 ff., 4 0 3 Hauswirth, Ernest 82 Haydn, Joseph 30, 138, 145, 146, 175 Hayek, Friedrich von XVII, 97, 4 0 3 Haynau, Julius Jacob von 343, 350 Hebbel, Friedrich 372 Hebra, Ferdinand von 234 Heer, Friedrich I, V, VIII, XIV Hedrich, Franz 186 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich IV, VIII, 91, 104, 123, 165, 212, 285, 287, 288, 289, 290, 292, 293, 316, 372, 374 Heidegger, Martin 304, 377, 395 Heine, Heinrich V, 133, 134, 324 Heinrich, Gustav 348 Heinrich II., Herzog von Österreich 27 Heller, H e r m a n n 110 Helmholtz, H e r m a n n 237, 250 Heraklit von Ephesos 210 Herbart, Johann Friedrich IV, 100, 101, 143, 144, 165, 170, 211, 212, 237, 239, 250, 276, 280, 285 ff., 292, 293, 296, 299, 300, 302, 314, 316 Herder, Johann Gottfried 272, 283, 284, 3 4 7 Herodot 134

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Herrmann, Emanuel 191 Hertzka, Theodor 96, 105, 107, 161, 202, 224, 348, 359, 361, 363 f., 365, 400 Herzl, Theodor 19, 41, 42, 69, 133, 172, 188, 189, 205, 223, 224, 230, 321, 348, 359 ff., 364, 365, 366, 393, 400, 402 Hesiod 211 Hetzendorf von Hohenberg, Johann Ferdinand 33 Hellberger, Richard 140 Heydrich, Reinhard 314, 316 Hilferding, Rudolf 116 Hilsner, Leopold 43, 44 Hindemith, Paul 156 Hippokrates 231 Hirsch, Moritz de 360 Hirschl, Josef Adolf 240 Hitler, Adolf XIV, 76, 81, 90, 115, 118, 274, 316, 318, 332, 343, 358, 376 Hitschmann, Eduard 260, 265 Hobbes, Thomas 232, 325, 326 Hoelzel, Adolf 156 Hofbauer, Klemens Maria 73, 228, 235, 284 Hoffmann, Ernst Theodor Amadeus 385, 396 Hoffmann, Josef 130 Hoffmann, N. 280 Höfler, Alois 299, 300 Hofmannsthal, Franz 188 Hofmannsthal, Hugo von 38, 47, 68, 77, 81, 130, 134, 137, 147, 155, 165, 178, 179, 182, 183, 188, 189, 190, 194, 195, 208, 211, 221, 223, 394, 400 Hogarth, William 351 Hohenwart, Karl Graf 82, 120, 271 Holbach, Paul H. D. 123 Hölderlin, Johann Christian Friedrich 164, 189 Holt, Robert R. 237, 259 Holzapfel, Rudolf 195 Hönigswald, Richard 195, 302 Horb, Felix 164 Horst, Anna 329 Horthy, Miklós 340, 342 ff., 348, 383 Horväth, Ödön von 141 Huet, Pierre D. 290 Hugo, Victor 350 Humboldt, Alexander von 275, 290 Humboldt, Wilhelm von 285 Hume, David 92, 109, 199, 201, 206, 293, 300 Hus, Jan 76, 272 Husserl, Edmund 19, 20, 22, 39, 41, 87, 156, 164, 194, 195, 224, 259, 274, 280, 294, 297, 299, 300, 301 ff., 306, 388,402 Hyrtl, Josef 232, 234 Ibsen, Henrik 241, 366, 367, 372 Ihering, Rudolf von 102, 120, 297

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299,

123, 282, 377,

Illyés, Gyula 378 Inama-Sternegg, Karl Theodor von 61 Ingarden, Roman 304 Ingres, Jean Auguste Dominique 151 Istöczy, Géza von 346 Itelson, Gregorius 203 Jaeger von Jaxthal, Eduard 234 James, William 190, 230 Janik, Allan IX, XVIII Jean Paul 133, 134, 213, 221, 285 Jellacic, Josef 82 Jellinek, Georg 102, 109, 110, 111, 207 Jerusalem, Wilhelm 83, 122, 193, 202, 304 Jesenskä, Milena 278 Jesser, Franz 273 Jevons, William Stanley 94 Jodl, Friedrich 83, 87, 92, 169, 171, 191, 196, 198, 202, 223, 292, 300 Johann, Erzherzog 36 Johnson, Samuel 260 Johnston, William M . XVIII Jökai, Mör 47, 50, 56, 140, 247, 320, 349 ff., 352, 353, 354, 357, 361, 366, 372, 375 Jonas, Hans 308, 309 Jones, Ernest 230, 245, 260, 265 Joseph, Erzherzog 344, 357 Joseph I., röm.-deutsch. Kaiser 29 Joseph II., röm.-deutsch. Kaiser 31, 32, 33, 34, 60, 76, 102, 231, 340, 347, 357 Joyce, James 180, 181, 182 Jözsef, Attila 187 Juhasz, Gyula 187 Jung, Carl Gustav 183, 259, 261, 266, 2 6 7 Jungmann, Josef 272 Kafka, Franz IV, VI, VII, 19, 39, 42, 65, 134, 171, 207, 276, 277, 278, 308, 309, 384, 394, 401 Kahler, Erich von 39 Kainz, Josef 136 Kalbeck, Max 144 Kailay, Béni 338, 349 Kâlnoky, Gustav 338 Kandinsky, Wassili) 156 Kant, Immanuel IV, 82, 104, 122, 124, 170, 193, 211, 220, 280, 283, 286, 287, 289, 290, 293, 297, 298, 302, 329, 374 Karl der Große, Kaiser 57 Karl I., Kaiser von Österreich 44, 57, 114 Karl V., röm.-deutsch. Kaiser 28 Karl VI., röm.-deutsch. Kaiser IV, 29, 31 Karl Ludwig, Erzherzog 51 Kârmân, Theodor von 354 Karner, Josef siehe Renner, Karl Karolyi, Mihâly 341, 342 Karpischek, Luise 225, 227

Kaschnitz von Weinberg, Guido 164 Kassner, Rudolf 183, 3 3 1 , 3 6 9 , 3 7 1 , 3 7 4 , 3 7 6 Kastil, Alfred 2 9 7 , 2 9 9 Kauder, Emil 100 Kaufmann, Felix 198, 3 0 4 Kaunitz, Wenzel Anton Fürst 31 Kautsky, Jan 114, 123 Kautsky, Karl 114 Kekulé, August 196 Kéler, Sigismund von 9 7 Keller, Gottfried 2 2 0 , 2 2 1 , 3 5 2 Kelsen, Hans VII, 39, 42, 81, 89, 90, 102, 108 ff., 122, 2 0 0 , 2 5 0 , 2 5 5 , 2 6 4 , 2 7 4 , 3 0 9 , 3 1 7 , 3 1 8 , 388, 402 Kemény, Zsigmond 3 5 1 Kern, Vinzenz von 231 Kerr, Alfred 3 6 7 Ketteier, Wilhelm Emmanuel von 2 9 4 Keyserling, Hermann 3 3 1 Kielmansegg, Erich G r a f 7 8 , 8 5 Kienzl, Wilhelm 121 Kierkegaard, Sören 131, 2 0 6 , 2 2 5 , 2 2 6 , 2 2 7 , 370, 371, 373, 374 Kindermann, Gottfried-Karl X I V Kinsky, Bertha von siehe Suttner, Bertha Kirchhoff, Robert 197 Kisch, Egon Erwin 70, 8 3 Kitchener, Lord Herbert 3 3 2 Kjellén, Rudolf 3 5 3 Klages, Ludwig 2 5 4 Klein, Johann 2 3 3 Kleist, Heinrich 146, 3 6 9 Klimt, Ernst 153

Kottowitz, Anna von 2 4 0 Krafft-Ebing, Richard 108, 168, 2 3 9 ff., 2 4 4 , 256, 262 Kraft, Victor 198 Kralik, Richard von 3 3 2 Krasnopolski, Horaz 85 Kraus, Karl V i l i , X, 22, 39, 4 1 , 4 2 , 4 4 , 4 5 , 6 3 , 65, 6 8 , 82, 85, 89, 112, 128, 130, 131, 132, 133, 134, 135, 136, 137, 149, 156, 161, 169, 170, 171, 179, 2 0 8 , 2 1 0 , 2 1 2 ff., 2 1 6 , 2 1 7 , 218, 219, 220, 221, 222, 224, 226, 228, 230, 245, 247, 249, 256, 257, 260, 274, 318, 332, 360, 393, 396, 397, 400, 404 Kraus, Oskar 8 5 , 9 4 , 2 9 5 , 2 9 7 , 2 9 9 Krause, Karl Christian Friedrich 2 8 4 Kress, Wilhelm 87 Kriehuber, Josef 37 Kris, Ernst 2 5 1 , 2 5 6 Kronecker, Leopold 301 Kropotkin, Pjotr 106, 3 6 5 Kubin, Alfred 186, 3 9 3 Kues, Nikolaus von 2 9 9 Kuhn, Thomas V I I I Kun, Béla 3 4 2 , 3 4 3 , 3 4 5 , 3 6 8 , 3 7 7 , 3 8 5 Kuncz, Aladar 3 4 1 , 3 4 2 , 3 9 5 , 3 9 6 Kunschak, Leopold 114 Kunschak, Paul 114 Kuntze, O t t o 3 2 9 Kupka, Franz 156 Kürnberger, Ferdinand 131, 132, 178, 190, 2 1 8 , 249 Kußmaul, Adolf 3 5 , 2 3 3

Klimt, Gustav 130, 148, 150, 153 ff., 155, 156, 162, 165 Kluckhohn, Paul 3 5 Knaus, N. 7 4 , 7 5 Kochel, Ludwig Ritter von V I I Köchert, Melanie 146 Kodily, Zoltan 3 7 8 Koestler, Arthur 86, 128 Koffka, Kurt 3 0 6 Köhler, Wolfgang 3 0 5 , 3 0 6 Kohn, Hans 83, 2 7 8

Laborfalvi, Róza 3 4 9 Lacan, Jacques 2 5 2 , 2 5 3 Lamarck, Jean Baptiste 3 0 7 Lambert, Johann Heinrich 2 8 1 Lammasch, Heinrich 6 0 , 61 Landauer, Gustav 2 0 6 , 2 2 3 Lane, William 3 6 4 Lange, Konrad 164 Langer, Suzanne K. 144 Lanner, Josef 139 Lanson, Gustave 3 8 7

Kokoschka, Oskar 148, 153, 1 5 6 f., 164, 179, 189, 2 5 7 , 3 9 3 , 3 9 7 Kolbenheyer, Erwin Guido 2 0 8 Kölcsey, Ferenc 3 5 2 Koller, Alexander von 2 7 1 Kompert, Leopold 4 2 , 3 6 1 Königstein, Leopold 2 4 7 Korda, Alexander 3 8 5 Kornfeld, Paul VI, VII, X V I , 148, 2 7 6 , 2 7 7 , 2 7 8 Körösi, József 3 4 5 Korsch, Karl 123 Kossuth, Ferenc 53, 6 6 , 3 3 9 , 3 4 9 , 3 5 6 Kossuth, Lajos 3 3 9 , 3 4 0 , 3 4 7 , 3 4 8

Lanz, Adolf Josef siehe Liebenfels, Lanz von Lasaulx, Ernst von 2 9 4 Lask, Emil 123, 3 0 2 , 3 0 4 , 3 6 7 , 3 6 8 , 3 6 9 , 3 7 1 , 377 Lassalle, Ferdinand 110 La Tour du Pin, René de 7 4 Laube, Heinrich 139 Lawrence, Thomas 151 Lazarsfeld, Paul 122 Lechner, O t t o 6 2 Lederer, Emil 3 7 7 Leeuw, Gerardus van der V I I I Lehär, Franz 140, 141

499

Leibniz, Gottfried Wilhelm 23, 30, 100, 111, 204, 228, 232, 248, 255, 276, 279 ff., 291, 294, 302, 303, 308, 309, 310 ff, 316, 317 ff, 324 ff, 331, 395, 399 Leidesdorf, Maximilian 238 Lemberg, Eugen 34, 283 Lenau, Nikolaus 152, 189, 240 Lenin, Wladimir J. 99, 110, 118, 123, 195, 368, 374 Lenz, Adolf 108 Léon, Viktor 140 Leonardo da Vinci 313, 330 Leonhardi, Hermann von 205, 284 Leopardi, Giacomo 164 Leopold I., röm.-deutsch. Kaiser 29, 356 Leopold II., röm.-deutsch. Kaiser 33, 36, 55 Leo XIII., Papst 51, 73, 76, 341 Leschetitzky, Theodor 142 Le Rider, Jacques XIII, XVII Lessing, Gotthold Ephraim 252, 291 Libényi, Jänos 158 Lichtenberg, Georg Christoph 221 Lieben, Ida 295 Liebenfels, Lanz von 331 f., 333 Liebmann, Otto 290 Liechtenstein, Prinz Aloys von 73 Lifton, Robert ]. XII Lindner, Gustav Adolf 237, 288 Lipps, Theodor 211 List, Guido 332 List, Kurt 148 Lister, Josef 233 Liszt, Franz 352, 354, 357 Liszt, Franz von 107 Locke, John 92, 287, 299 Loewe, Karl 147 Loewenstein, Rudolph 43 Lombroso, Cesare 255, 260, 265, 365 Loos, Adolf 148, 149, 150, 156, 161, 1 6 6 , 2 1 2 , 217, 221, 225, 228, 274, 402 Lorenz, Adolf 233 Lorenz, Konrad XVII Loschmidt, Josef 196 Lothar, Ernst 60, 61, 84, 245 Lotze, Rudolph Hermann 168, 211 Low, Rabbi 397 Löwe, Johann Heinrich 205 Löwith, Karl 304 Löwy, Emanuel 251 Lucka, Emil 169, 195 Ludwig, Otto 206 Ludwig II., König von Bayern 49, 240 Ludwig II., König von Ungarn 28, 29 Ludwig XIV., König von Frankreich 29 Lueger, Karl 65, 72, 73, 75, 76, 77, 78 ff, 114, 132, 136, 152, 261, 330, 355, 362, 363 Luft, David S. X

500

Lukäcs, Béla 345, 367 Lukäcs, Georg XI, 19, 99, 123, 178, 304, 318, 327, 348, 351, 353, 354, 367 ff, 378, 379, 380, 381, 385, 386, 402 Lukäcs, Josef von 367 Lukäcs, Laszló 3 6 7 Lukrez 121 Lullus, Raimundus 299 Lunatscharskij, Anatolij W. 195 Luther, Martin 72, 76, 251, 359 Luxemburg, Rosa 375 Maaß, Ferdinand 33 Macartney, C. A. 127 Mach, Ernst VII, 19, 39, 84, 87, 95, 114, 121, 160, 183, 190 ff, 196, 197, 198, 205, 206, 208, 210, 211, 223, 242, 243, 249, 256, 259, 289, 301, 302, 305, 306, 310, 317, 399 Mach, Heinrich 187, 191 Mach, Ludwig 191 Machiavelli, Niccolò 313 Maclntyre, Alasdair 124 Madäch, Imre 276, 351 Madersperger, Josef 37, 87 Maeterlinck, Maurice 149, 365 Magris, Claudio XIII, 47, 48, 133 Mahler, Gustav V, XVII, 19, 39, 42, 130, 143, 145, 146, 147 ff, 150, 188, 189, 208, 245, 274, 276 Mahler-Werfel, Alma 148, 157, 166, 188 Makart, Hans 59, 130, 150 ff, 154, 155, 158, 159, 165, 240, 241, 258, 352 Mally, Ernst 300 Malthus, Thomas 263 Mann, Thomas 131, 367, 368, 369 Mannheim, Karl 19, 21, 110, 122, 199, 258, 304, 327, 351, 354, 368, 375, 377 ff, 385, 388, 402 Marcion 135, 275 f., 277, 278 Marcus, Siegfried 87 Marcuse, Herbert 254 Maria Annunciata, Prinzessin 51 Maria Antoinette 231 Maria Josepha, Erzherzogin 57 Maria Louise 34, 55 Maria Theresia, Kaiserin 31, 55, 60, 66, 67 Marr, Wilhelm 43 Marty, Anton 92, 200, 294, 295, 297, 299 Marx, Karl IV, V, 20, 22, 91, 99, 100, 105, 110, 122, 123, 195, 262, 326, 368, 372, 374, 376 Masaryk, Thomas G. 44, 274, 295, 299, 300, 301 Maulbertsch, Anton 157 Mauthner, Fritz 41, 83, 92, 194, 204, 205 ff, 209, 211, 212, 214, 218, 219, 221, 222, 223, 226, 227, 228, 253, 272, 273, 289, 387 Maximilian I., König von Bayern 49

Maxwell, James 196 Mayer-Hillebrand, Franziska 2 9 7 Mayreder, Karl 166 Mayreder, Rosa XVI, 146, 147, 166 ff., 171, 183, 199, 208, 230, 246, 259, 402 Mehring, Franz 123 Meinecke, Friedrich 223 Meinong, Alexius 92, 156, 194, 294, 296, 297, 299 ff., 303, 305, 306, 388 Meißner, Alfred 186, 272 Meitner, Lise 196 Mendel, Gregor 37, 49, 87, 282 Menger, Anton 93, 102, 103, 105 ff., 119, 124, 311, 315, 363 Menger, Carl VII, 39, 50, 51, 56, 63, 92 ff., 96, 99, 100, 105, 106, 119, 236, 306, 317, 326, 363, 402 Menger, Karl X, 198 Menger, Max 105 Menzel, Adolf 109, 111 Merkl, Adolf 111 Metternich, Fürst Klemens von 34, 35, 54, 56, 84, 283, 289 Metternich, Fürstin Pauline 56, 59, 113, 141 Meyer, Eduard 202, 326 Meynert, Theodor 113, 211, 238, 244, 262, 295 Meyrink, Gustav VI, 148, 276, 396 f. Michelangelo Buonarroti 237, 238, 252, 3 1 3 Michelet, Karl Ludwig 290 Migazzi, Christoph Anton 32 Mildenburg, Anna 137 Mill, John Stuart 92, 302, 379 Millöcker, Karl 140 Miltiades 351 Mises, Ludwig von 81, 97, 99, 100, 236 Mizera, Maria 225 Möbius, Paul 170, 260 Moholy-Nagy, Läszlo 156 Moleschott, Jacob 123 Molnar, Franz 46, 141, 3 5 3 Moltke, H e l m u t h von 70 M o m m s e n , T h e o d o r 86 Montaigne, Michel de 216 Montenuovo, Fürst Alfred 52, 53, 55 Moore, G. E. 216, 218, 219, 297 Morelli, Giovanni 162 Moreno, Jacob Levy XVII, 264 Mörike, Eduard 175, 217 Morris, Charles 204 Moser, Justus 2 8 3 Moses 150, 252, 330 Mosonyi, Mihäly 352 Mozart, Wolfgang Amadeus 37, 138, 143, 145, 175, 176, 177, 225, 276 Müller, Adam 73, 74, 91, 314, 316 Müller, Johannes Peter 2 3 7 Müllner, Laurenz 2 2 3

M ü n c h , Edvard 153, 155, 156 Munkácsy, Mihály 159, 352 Musil, Robert V i l i , X, XVI, XIX, 21, 46, 47, 67, 183, 195, 337, 388, 394, 399, 401 Mussolini, Benito 3 4 3 Näcke, Paul 251 Napoleon Bonaparte IV, 28, 34, 55, 59 Namier, Louis XVII Nautz, Jürgen X Neill, A. S. 254 Neipperg, Adam Alfred 55 Nemeth, László 3 5 3 Nerval, Gérard de 189 Nestroy, Johann 37, 133, 137, 140, 212, 213, 216, 221, 398 N e u m a n n , John von 354 Neurath, O t t o XVI, XIX, 24, 87, 90, 118, 193, 195, 198, 199, 201 ff., 219, 230, 258, 317, 380, 381, 394, 402, 4 0 3 Neurath, Wilhelm 201 f. Neutra, Richard 160 Newton, Isaac 197 Nicolai, O t t o 143 Niekisch, Ernst 202 Nietzsche, Friedrich IV, 22, 146, 147, 152, 189, 199, 205, 206, 214, 226, 240, 254, 261, 264, 316, 318, 332, 365, 369 Nikisch, Arthur 148 Nikolaus I., Zar 53 Nikolaus IL, Zar 321 Nobel, Alfred 319 Nordau, Max 19, 133, 202, 241, 307, 359, 361, 364 ff., 399, 400 Nothnagel, H e r m a n n 234 Novalis 134, 315, 369, 370 Obermayr, F. 166 O c k h a m , Wilhelm von 116, 192, 299 O'Conor-Eccles, C . 235 Offenbach, Jacques 140, 221 Olbrich, Josef Maria 154 Olsen, Regine 370 Oppenheimer, Franz 326, 363, 364, 3 7 7 Oppolzer, Johann von 234, 242 Ostwald, Wilhelm 192, 196, 197 O t t o , Erzherzog 57, 156 O t t o I., Kaiser 27 Pacelli, Kardinal Eugenio 71 Paderewski, Ignac 142 Paine, T h o m a s 110 Palacky, Frantisek 120, 272, 274, 275, 284 Palágyi, Melchior XVI, 282, 304 Panizza, Oskar 189, 251 Pappenheim, Bertha 243, 244 Paracelsus 208, 314

501

Parmenides 209 Parsons, Talcott 36, 38 Pascal, Blaise 225 Pauli, Wolfgang XVII Pellico, Silvio 35 Pernerstorfer, Engelbert 57, 61, 113, 114, 235, 248 Pestalozzi, Johann Heinrich 285, 287 Peterfy, Jenö 186, 354 Petöfi, Sändor 349, 351, 352, 372, 375, 378 Petzold, Alfons 115, 394 Petzval, Josef 196 Pfänder, Alexander 304 Pfizmaier, August 36 Pherekydes von Syros 211 Philippe, Charles-Louis 370 Philipp der Gute, Herzog von Burgund 312 Pick, Arnold 273 Piloty, Karl Theodor von 151 Pinsent, David 216 Pistor, Fanny 241 Pius VI., Papst 32 Pius IX., Papst 71, 294 Planck, Max 198 Plaschka, Richard XVI Plato 110, 111, 135, 170, 186, 330 Plotin 287, 373 Poe, Edgar Allan 385, 396 Polanyi, Karl 189, 316, 354 Polanyi, Michael 189, 354, 403 Pollock, George H. 244 Popovici, Aurel 47, 120, 322, 325 Popper, Karl XVII, 111, 198, 403 Popper-Lynkeus, Josef XVI, XVII, 92, 107, 161, 191, 192, 199, 206, 224, 230, 249, 260, 274, 310 ff., 320, 333, 363, 364, 400, 402 Pötzl, Eduard 133 Pound, Roscoe 103 Premysl, Ottokar 27 Pribram, Karl 20, 90 ff., 93, 101, 111, 122, 314, 315, 317, 328 Prihonsky, Franz 281 Proudhon, Pierre-Joseph 106 Pupin, Michael 356 Puvis de Chavannes, Pierre 365 Puzyna, Kardinal Jan 77 Quine, Willard Van Orman 199 Racine, Jean Baptiste 31 Radetzky, Feldmarschall Johann Graf 66, 82, 129 Rahl, Carl 153, 293 Raimund, Ferdinand 37, 184 Rainer, Erzherzog 59 Rampolla, Kardinal Mariano 77 Ramsey, Frank 219

502

Rank, Otto XVI, 189, 224, 255, 259, 260, 261, 263, 264 ff., 382, 394, 400, 403 Rapaport, David 237, 354 Ratzenhofer, Gustav 92, 311, 324, 3 2 7 ff., 333 Ravel, Maurice 216 Redl, Alfred 70 Redlich, Josef 52, 65, 118, 122 Reich, Emil (Essayist) 41, 67, 348, 353 f. Reich, Emil (Philosoph) 292 Reich, Wilhelm 254 Reik, Theodor 135 Reinhold, Karl Leonhard 293 Rembrandt van Rijn 247 Renner, Karl 47, 88, 99, 102, 106, 109, 112, 114, 116, 117, 118 ff., 122, 325 Ressel, Josef 37, 87, 382 Ricardo, David 94, 96 Richter, Hans 143, 147, 377 Rickert, Heinrich 123, 315 Rieger, Franz 119, 272, 275 Riegl, Alois 82, 154, 160, 162 f., 164, 166, 223, 293 Riehl, Alois 199 Riehl, Regine 63 Riesinger, Anni 97 Rilke, Rainer Maria 68, 206, 217, 273, 276, 394 Robespierre, Maximilien de 21 Roda Roda 134, 396, 400 Röntgen, Wilhelm C. 108 Róheim, Géza 355 Rohling, August 43, 346 Rokitansky, Carl von IX, 231, 232, 233, 234, 235, 236, 238, 258 Roland, Ida 332 Roller, Alfred 137 Romako, Anton 153, 157, 182, 188 Romberg, Sigmund 140 Rosegger, Peter 320 Rosenfeld, Friedrich siehe Roda Roda Rosenkranz, Karl 290 Rosenstock-Huessy, Eugen 223 Rosenzweig, Franz 223, 224 Rosenzweig, Saul 312 Roth, Joseph XVI, 21, 39, 46, 47, 66, 68, 77, 132, 134, 171, 180, 259, 384, 385, 395, 397, 399, 402 Rothe, Wolfgang 394 Rougemont, Denis de 308, 309, 349 Rousseau, Jean-Jacques 21, 241, 287 Rubens, Peter Paul 152 Rudigier, Franz Josef 71 Rudolf, Kronprinz 49, 50 f., 56, 77, 92, 177, 184, 185, 188, 240, 350 Rudolf I., deutscher König 27 Rudolf II., röm.-deutsch. Kaiser 29, 276, 397 Rümelin, Wanda 241

Ruskin, John 199, 3 6 5 Russell, Bertrand 198, 2 1 6 , 2 1 8 , 2 1 9 , 2 9 0 , 3 0 1 Rüstow, Alexander von 3 2 6 Ryazanow, Nikolai 3 6 8 Saar, Ferdinand von 3 7 , 4 2 , 73, 108, 130, 139, 165, 176, 177, 178, 184, 225, 241, 283, Sacher, A n n a 57, 58 Sacher-Masoch, Leopold von XVI, 2 4 0 f., 312 Sachs, H a n n s 58, 128, 2 6 0 f., 2 6 5 , 2 6 7 , Sadger, Isidor 187, 2 6 0 Safarik, Pavel Josef 2 8 1 Saint Denis, Ruth 3 8 6 S a i n t - S i m o n , C l a u d e H e n r i de 2 5 8 Salomon 312 Saiten, Felix 133, 134, 4 0 0 Salzmann, S i e g m u n d siehe Saiten, Felix Saphir, M o r i t z Gottlieb 132, 133 Sartre, Jean-Paul 3 0 4 , 3 8 3 , 3 9 5 Saussaye, C h a n t e p i e de la VIII Saussure, Ferdinand de 2 5 3 Sauter, Samuel Friedrich 35 Savigny, Friedrich von 2 9 4 Savonarola, G i r o l a m o 3 1 3 Sax, Emil 9 6 Schäffle, Albert 53 Scharf, József 3 4 6

153, 295 256, 387

Schaukai, Richard 7 7 , 150, 178, 179, 182, 183, 195, 2 5 1 , 3 9 9 Scheler, M a x 2 2 , 3 0 4 , 3 7 7 , 3 7 8 Schell, H e r m a n n 2 9 8 S c h e l l i n g , Friedrich W i l h e l m Joseph IV, 2 1 1 , 280, 285, 286, 289, 290, 308, 314, 315 Schiele, Egon 88, 150, 155 f., 171, 189 Schiller, Friedrich von 127, 145, 177, 2 0 0 , 2 0 6 , 251, 2 5 2 , 2 7 2 , 2 8 7 , 2 9 3 , 3 5 0 , 3 6 9 , 3 7 2 , 374, 376 Schindler, A l m a siehe Mahler-Werfel, A l m a Schindler, Emil Jacob 148 Schlegel, Friedrich 7 3 Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst 109 Schlick, M o r i t z VII, 90, 9 2 , 197 ff., 2 0 4 , 2 0 9 , 219, 267, 403 Schlögl, Friedrich 132 Schlosser, Julius von 96, 145, 164 Schmerling, A n t o n von 53 S c h m i d t , Friedrich von 158, 2 8 9 Schmidt, W i l h e l m 2 5 6 Schmitt, Eugen Heinrich XVI, 2 0 7 , 3 0 8 Schmitz, Ettore siehe Svevo, Italo Schmoller, Gustav 9 2 , 9 3 Schnabel, Arthur 80, 142 Schneider, Franz 2 8 1 Schneider, H a n n e s 142 Schnitzler, Arthur 39, 4 2 , 58, 6 9 , 7 5 , 81, 83, 99, 129, 130, 131, 133, 134, 135, 136, 137,

1 3 8 , 1 4 7 , 1 5 5 , 1 6 5 , 1 7 2 , 176, 1 7 8 , 1 8 1 ff., 184, 188, 190, 195, 2 0 7 , 2 1 0 , 214, 223, 246, 248, 249, 255, 310, 360, 387, 388, 398, 399 Schnitzler, U l l i 188 Schober, Johannes 88, 9 0 , 108 Schoeps, H a n s - J o a c h i m 3 0 8 , 3 0 9 Schönberg, Arnold 145, 149 f., 156, 157, 221, 257

180, 211, 373,

Schönerer, Georg von 7 6 , 7 8 , 2 7 3 , 3 3 1 , 362 Schopenhauer, A r t h u r IV, 6 8 , 127, 147, 180, 2 0 6 , 2 2 0 , 2 2 1 , 2 4 0 , 2 6 0 , 2 6 4 , 2 7 7 , 287, 289, 292, 319 Schorske, Carl IX, XVIII Schratt, Katharina 50, 58, 59 Schrödinger, Erwin XVII Schubert, Franz 36, 146, 147, 2 1 6 , 2 6 0 Schuhmeier, Franz 114 S c h u m a n n , Robert 147, 189 Schumpeter, Joseph 82, 96, 9 7 ff., 99, 100,

332,

161,

170, 286,

104,

112, 118, 2 5 9 , 2 7 4 , 3 1 7 Schuschnigg, Kurt XIV Schwicker, J o h a n n Heinrich 3 4 8 Sedlmayr, H a n s VIII, 164 Seibt, Karl Heinrich 2 8 0 Seipel, Ignaz 117, 118 Seitz, Karl 117 Semmelweis, Ignaz 2 3 3 , 2 3 4 , 2 3 5 Semper, Gottfried 158, 160, 162, 163, 2 9 3 Senefelder, Alois 3 7 Serge, Victor 114 Seton-Watson, Robert W . 4 8 , 3 5 5 Shakespeare, W i l l i a m 189, 2 0 6 , 2 1 3 , 2 2 5 Sharkey, Walter 3 5 4 Shaw, George Bernard 3 6 7 Siccardsburg, August Sicard von 157, 158, 160, 185 Sickel, T h e o d o r 162 Sieczynski, Rudolf 139 Silberer, Herbert 187, 2 5 5 , 2 5 8 , 2 5 9 , 2 6 0 , 2 6 5 S i m m e l , Georg 109, 2 2 3 , 3 6 7 , 3 6 8 , 3 7 6 , 3 7 7 , 387 S i m o n , Ernst 2 5 2 Sitte, C a m i l l o 159 f., 161 Skoda, Emil von 2 3 2 Skoda, J o s e f I X , 2 3 1 , 2 3 2 , 2 3 3 , 2 3 4 , 2 3 5 , 2 5 8 Slatin, R u d o l f Karl von 8 8 Small, Albion W. 3 2 7 Smetana, Augustin 2 9 0 Smith, A d a m 91, 93, 94, 100 Smolenskin, Perez 3 6 0 Sokrates 2 7 6 Solymosi, Eszter 3 4 6 Sombart, W e r n e r 3 8 7 Somló, Felix 187 Sonnenfels, Josef von 31, 136

503

Sonnenthal, Adolf von 136 Sophie, Erzherzogin 49, 151, 241 Sophokles 82, 251 Spann, Othmar VIII, 82, 92, 109, 111, 123, 165, 224, 228, 313 ff., 328, 332, 388 Spann-Rheinisch, Erika 314 Speidel, Ludwig 132, 133 Spencer, Herbert 170, 3 0 2 Spender, Stephen 118 Spengler, Oswald VIII, 165, 201, 202, 330 Spinoza, Baruch 210, 211, 279, 286, 311 Spitteier, Carl 261 Spitzer, Daniel 133, 360 Spitzmüller, Alexander 60 Srzednicki, Jan 297 Stäche, Friedrich 157 Stadion, Franz Graf 78 Stalin, Jossif 99, 112, 124, 376 Stark, Werner 20, 22, 379 Steed, Henry Wickham 48 Steele Commager, Henry XVIII Stefan, Josef 196 Stein, Ernst 398 Stein, Lorenz vom 95 Steinach, Eugen 171 Steinacker, Edmund 348 Steinbach, Emil 61, 113 Steiner, George XVII Steiner, Max (Chemiker) 186 Steiner Max (Librettist) 140 Steiner, Rudolf 292, 293 Stekel, Wilhelm 40, 68, 187, 188, 255, 257, 258, 259, 260, 265, 321 Stendhal 35 Stephanie von Belgien, Prinzessin 51 Stephan I. (der Heilige), König von Ungarn 338 Sternberg, Adalbert 57, 321 Sternberg, Kaspar 34, 283 Sterne, Laurence 370 Stifter, Adalbert 36, 37, 47, 73, 82, 100, 157, 176, 184, 189, 282, 283, 284, 350, 3 5 2 Stirner, Max 316 Stoessl, Otto 149, 188 Stöhr, Adolf 194, 197, 199, 205, 208 ff., 211, 212, 221, 225, 227 Stoker, Bram 356 Stoneborough, Margarethe 217 Storni, Theodor 370, 371 Strauß, David Friedrich 76 Strauß, Johann Vater 66, 139 Strauß, Johann Sohn 139 ff., 146, 151, 155, 320, 351 Strindberg, August 64, 149, 169, 171, 277, 332, 367 Stroßmayer, Josef Georg 338 Strzygowski, Josef von 164, 331

504

Stumpf, Carl 294, 296, 299, 306 Stürgkh, Karl Graf 62, 114, 195 Suess, Eduard 79 Südfeld siehe Nordau, Max Supilo, Frank 64 Suppe, Franz von 140 Suttner, Arthur von 319, 320 Suttner, Bertha von 68, 2 3 0 , 2 5 9 , 274, 284, 310, 319 ff., 323, 326, 333, 401, 4 0 2 Svevo, Italo 180 f., 183, 184 Swedenborg, Emanuel 277 Swieten, Gerard van 231 Swinburne, Algernon 134 Swoboda, Hermann 169, 170, 172, 225, 227, 244 Szabö, Ervin 368, 378 Szechenyi, Istvän 189, 236, 249, 347, 350, 352, 353 Szekely von Adämos, Bertalan 352 Szekfü, Gyula 47, 343 Szeps, Moriz 39, 51, 64, 86, 93 Szilard, Leo 354 Szondi, Lipot VIII, XVI, 3 8 2 5. Taaffe, Eduard Graf 50, 61, 64, 65, 271, 272, 339 Tagore, Rabindranath 220 Tandler, Julius 2 6 2 Tatarkiewiecz, Wladyslaw 156 Tausk, Viktor 187 Teilhard de Chardin, Pierre 308 Teller, Edward 354 Thaies von Milet 299 Thausing, Moriz 162, 186 Thienen-Adlerflycht, Christoph 283 Thomas von Aquin 91, 289, 299, 315 Thukydides 83 Thun-Hohenstein, Graf Leo 73, 81, 283, 284, 288, 291 Tietze, Hans 164 Tisza, Istvän 339 Tisza, Kälman 50, 338, 339, 341 Tito, Marschall siehe Broz, Josip Tocqueville, Alexis de 323, 3 5 2 Toepler, August 192 Toldy, Ferenc 3 5 2 Tolstoi, Leo 95, 96, 217, 218, 221, 308, 365, 369 Tönnies, Ferdinand 35, 36, 38, 90 Toulmin, Stephen IX Toulouse-Lautrec, Henri de 155 Trakl, Georg 45, 68, 186, 217, 394 Trebitsch, Arthur 172 Trendelenburg, Friedrich Adolf 294 Troeltsch, Ernst 387 Trotzkij, Leo 114, 2 6 2 Tschechow, Anton 367

Tschernyschewskij, Nikolai 352 Turgenjew, Iwan 240, 369, 372, 376 Twain, Mark 62 Twardowski, Kazimierz 299, 300 Tyrs, Miroslav 272 Uchatius, Franz von 185 Uhl, Friedrich 64 Ungar, Josef 111 Urzidil, Johannes 206, 2 7 3 Utitz, Emil XVI, 200, 201, 299 Vahrenkamp, Richard X Vaihinger, Hans 198, 262 Valerie, Erzherzogin 59, 145 Valjavec, Fritz 33, 348 Välyi, Istvän 3 5 7 Van der Nüll, Eduard 157, 158, 160, 185 Veigelsberg, H u g o 3 5 3 Veith, Mizzi 130 Velde, H e n r y van de 160 Velikovsky, Immanuel 40 Verdi, Giuseppe 2 7 3 Verlaine, Paul 189, 365 Verne, Jules 350 Veronese, Paolo 152 Vetsera, Mary 51 Viktoria, Königin von England 48 Viereck, George Sylvester 182, 2 4 8 Virchow, Rudolf 234, 237, 238 Vischer, Friedrich T h e o d o r 2 9 3 Vischer, Robert 2 9 3 Voegelin, Eric 308, 309 Vogelsang, Karl Freiherr von 73, 74, 77, 78, 92, 328, 3 6 3 Volkelt, Johannes 302 Volkmann, Wilhelm Fridolin 205, 288 Voltaire 31, 50, 92, 310, 311, 3 1 3 Vörösmarty, Mihäly 349, 352 Waelder, Robert 46 Wagner, Cosima 329 Wagner, Eva 329 Wagner, O t t o 160 f., 165 Wagner, Richard 142, 143, 144, 145, 146, 147, 152, 166, 169, 273, 305, 327, 329, 330, 348, 365 Wagner-Jauregg, Julius 262 Wahle, Fritz 210 Wahle, Richard 194, 195, 197, 205, 210 ff., 214, 221, 230 W a h r m u n d , Ludwig 75 Waismann, Friedrich 198, 199, 219, 220 Waldmüller, Ferdinand 150, 151, 153 Walker, Patrick G o r d o n 2 5 3 Wallenstein, Albrecht von 29, 145 Walras, Leon 94, 97

Walter, Bruno 148 Watnick, Morris 375 Weber, Alfred 326, 377, 378 Weber, Ernst Heinrich 193 Weber, Marianne 368, 3 7 3 Weber, Max 91, 93, 96, 109, 202, 367, 371, 376, 380, 387, 388 Webern, A n t o n von 149 Weierstraß, Karl T h e o d o r 301, 304 Weiler, Gershon 2 0 7 Weinheber, Josef 137 Weininger, Leopold 169 Weininger, O t t o X, XIX, 41, 42, 82, 85, 130, 149, 167, 168, 169 ff., 179, 180, 186, 189, 190, 207, 208, 212, 214, 215, 222, 223, 224, 225, 226, 227, 230, 236, 250, 256, 266, 317, 318, 324, 366, 373, .402

368,

108, 183, 216, 244, 400,

Weiß, Ernst 188 Weiss, Nathan 186 Wells, H . G. 134 Weltsch, Felix 277, 308 Weltsch, Robert XVI Werfel, Franz 148, 176, 276, 278, 393, 395, 396 Werner, Alfred 155, 171 Werner, Zacharias 7 3 Wertheimer, Max 305, 306 Wertheimer, Samson 41 Whistler, James 153 Whitehead, Alfred N o r t h 198 Wickhoff, Franz 86, 145, 162, 2 2 3 Wieser, Friedrich von 82, 93, 95 ff., 97, 98, 99, 100, 111, 3 2 3 Wiesner, Julius von 84, 329, 330 Wigner, Eugene 354 Wilbrandt, Adolf von 151, 295 Wilczek, Graf H a n s 59, 129, 151, 235, 321 Wilde, Oscar 365 Wildgans, A n t o n XIV, 401 Wilhelm, Julius 364 Wilhelm I., deutscher Kaiser 53 Wilhelm II., deutscher Kaiser 51, 58, 66, 329 W i n d , Edgar 163 Windelband, Wilhelm 109 Windischgrätz, Alfred 272 Winter, Eduard 34 Winter, Ernst Karl 285 Wistrich, Robert XIII, XVII Witasek, Stephan 300 Wittels, Fritz 135, 234, 2 5 0 , 251, 256, 257, 260, 307, 310, 312, 400 Wittgenstein, Karl 215 f. Wittgenstein, Ludwig IV, 19, 21, 24, 39, 41, 68, 87, 90, 104, 112, 150, 175, 189, 198, 199, 204, 205, 206, 208, 209, 210, 212, 215 ff., 230, 245, 253, 301, 317, 387, 400, 402

505

Wittgenstein, Paul 216 Wittlin, Joseph 68 Wolf, Hugo 130, 143, 144, 145, 146 f., 150, 152, 167, 168, 186, 214, 224 Wolf, Karl 80 Wolff, Christian 280 Wölfflin, Heinrich 163 Wolfram, Ludwig Hermann 202 Worringer, Wilhelm 165 Wunberg, Gotthart 195 Wundt, Wilhelm 223, 286 Zalai, Béla 377 Zamenhof, Ludwik Lazar 323 Zarathustra 210

506

Zays, Graf 354 Zdarsky, Matthias 142 Zeller, Eduard 294 Zeller, Karl 140 Zemlinsky, Alexander von 149 Zilsel, Edgar 188, 198 Zimmermann, Johann August 281, 291 Zimmermann, Robert 95, 162, 163, 274, 281, 282, 290, 291 ff., 295, 327 Zola, fimile 241, 365 Zuckerkandl, Emil 85 Zuckerkandl-Szeps, Berta 51, 148, 166 Zweig, Stefan X, 42, 46, 66, 129, 133, 176, 188, 220, 360, 404

Friedrich H e e r

Europäische Geistesgeschichte Herausgegeben von Sigurd Paul Scheichl. 2004. 750 S., Br. EUR 45.00 ISBN 3-205-77266-0

Friedrich Heer hat seine 1953 erstmals erschienene, jahrzehntelang vergriffene „Europäische Geistesgeschichte" trotz ihres Umfangs von über 700 Seiten einen „Essay" genannt. Bedenkt man den eigentlichen Sinn des Wortes „Essay" - Versuch, Wagnis -, dann entspringt diese Bezeichnung nicht falscher Bescheidenheit. Das Werk zieht einen großen Bogen von Auseinandersetzungen im frühen Christentum bis zur Zeit Goethes und skizzenhaft weiter bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts - immer bemüht, zugleich die gemeineuropäischen geistigen Entwicklungen und die Eigenart der einzelnen Nationen gerecht zu würdigen. Die Perspektive ist eine katholische, nicht in einem engen kirchlichen Sinn, sondern im Bewusstsein der Bedeutung der Kirche flir die Herausbildung dessen, was wir als Europa kennen. „Essay" ist das Buch als Versuch, als Wagnis, große (und manchmal verkannte) Linien der europäischen Geistesgeschichte herauszuarbeiten. Zum „Essay" macht es auch die Leidenschaft, mit der es geschrieben ist. Andererseits ist der Band ein wissenschaftliches Werk von hohem Rang, in welches das enzyklopädische Wissen seines Autors eingeflossen ist. So werden in spannender Weise Zusammenhänge hergestellt, die ein überzeugendes Bild von Einheit und Unterschiedlichkeit der geistigen Entwicklung dieses Kontinents entstehen lassen.

W l E S I N G E R S T R A S S E I , A - I O I O W l E N , T E L E F O N ( + 4 3 i ) 3 3 0 2 4 2 7 , FAX 3 3 O 2 4 3 2

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