Die Raumfahrt der Gesellschaft: Wirtschaft und Kultur im New Space Age 9783839457627

Alle Menschen sind Astronaut*innen - nachzulesen nicht nur bei Buckminster Fuller, sondern auch bei Michel Serres. Aber

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Die Raumfahrt der Gesellschaft: Wirtschaft und Kultur im New Space Age
 9783839457627

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Dierk Spreen, Bernd Flessner (Hg.) Die Raumfahrt der Gesellschaft

Kulturen der Gesellschaft  | Band 50

Dierk Spreen, Bernd Flessner (Hg.)

Die Raumfahrt der Gesellschaft Wirtschaft und Kultur im New Space Age

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung des Zentralinstituts für Wissenschaftsreflexion und Schlüsselqualifikationen (ZiWiS) der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg.

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Inhalt

Der Weltraum wird Gesellschaft Ein Overview Dierk Spreen, Bernd Flessner ........................................................ 7

Raumfahrer-Ökonomien Nutzen, Gewinn und Nachhaltigkeit in der Weltraumfahrt Dierk Spreen ....................................................................... 35

Destination Moon Die Privatisierung der Raumfahrt in Science-Fiction und Realität Bernd Flessner .................................................................... 125

Frauen in der Science-Fiction – immer noch lost in Space? Die Wechselwirkung von Raumfahrtdiskursen zwischen Gesellschaft, Gender und Science-Fiction in Film und Fernsehserien Hannah Fleßner ....................................................................179

Utopien im All? Mediale Visionen der kosmischen Besiedlung Peter Podrez ...................................................................... 207

Zur Philosophie der Raumfahrt von Günther Anders Zwischen kopernikanischer Wende und Wiederverwurzelung Marie-Luise Heuser................................................................ 241

Semantik der Kugel Kugelraumschiffe und andere sphärische Technologien Dierk Spreen ...................................................................... 269

Willkommen auf dem Planeten Corona Dierk Spreen, Dominik Irtenkauf, Bernd Flessner ................................... 301

Zu den Autorinnen und Autoren ........................................... 307 Abkürzungsverzeichnis ..................................................... 309

Der Weltraum wird Gesellschaft Ein Overview Dierk Spreen, Bernd Flessner »In der praktischen Beherrschung der Welt von oben erhalten aber notgedrungen die an die Erde gebundenen Siedlungsformen und Bauformen wie überhaupt alle erdgebundenen Umweltbezüge des Menschen einen bisher unbekannten Charakter. Sie werden im wahrsten Sinne des Wortes relativiert.« Helmuth Plessner

Im Vorwort zu Die Wissenschaft der Gesellschaft erklärt Niklas Luhmann den Titel seiner Untersuchung. Die Titelwahl zeige an, dass die Wissenschaft »nicht als freischwebender Weltbeobachter« aufgefasst, sondern vielmehr »als wissensforderndes Unternehmen der Gesellschaft« behandelt werde. In der Wissenschaft selbst dagegen stoße man auf eine »traditionsbestimmte Vorrangbehauptung« der Wissenschaft. Anders als die Politik und andere Funktionssysteme situiere sich die Wissenschaft nicht in, sondern »über der Gesellschaft« (Luhmann 1990: 7). Vergleichbar dieser Selbstsituierung der Wissenschaft als freischwebender Weltbeobachter über der Gesellschaft wird auch die Raumfahrt, die als technologisches Großprojekt zudem vielfach eng mit der Wissenschaft verbunden ist, gerne als ein überirdisches Sonder- und Eliteunternehmen begriffen. Nicht nur, dass Weltraumvehikel aller Art begriffsnotwendig den Erdenraum verlassen, um entweder zu Deep-Space-Missionen aufzubrechen oder die planetare Weltgesellschaft im freien Fall zu orbitieren . Vielmehr war die Raumfahrt lange Zeit ein wesentlich aus öffentlichen Geldern finanziertes und von Großforschungseinrichtungen, Raumfahrtagenturen und einer mit

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ihnen eng verbundenen Systemindustrie betriebenes Unterfangen staatlicher Technologiepolitik, dessen Akteure sich als elitäre Avantgarde der Menschheit im »Neuen Raum« (Schmitt 1994) verstehen konnten. Im Diskurs der institutionellen Raumfahrt finden sich zahlreiche Großvisionen einer interplanetaren Raumfahrt, an der die breite Masse lediglich als steuerzahlender Finanzier und Betrachter faszinierender Bilder teilgehabt hätte. Solche visionären Pläne zerschellten entweder an begrenzten Haushaltsmitteln oder verblieben gleich im Bildband. Besonders prominent dürfte hier das von der National Aeronautics and Space Administration (NASA) Ende der 1980er Jahre entwickelte Raumstation-Mond-Marsprogramm Space Exploration Initiative (SEI) sein, das für die damaligen Möglichkeiten völlig überdimensioniert war und zudem einen erheblichen institutionellen Zuwachs zur Folge gehabt hätte: »NASA will request a significant augmentation of civil service positions to support the Human Exploration Initiative« (NASA 1989: 1-7).

Die neue Raumfahrtwirtschaft Derzeit sind Visionen der Ausdehnung der Menschheit in das Sonnensystem und die Verwandlung der Menschheit in eine »multiplanetare Gattung« (Elon Musk) wieder im Kommen. Allerdings hat sich die Raumfahrt verändert, die dahinter steht. Treiber der Visionen sind heute jene unter dem Label »NewSpace« segelnden, milliardenschweren Privatunternehmer, die die Raumfahrt nicht als Projekt einer technokratischen Wissenschaftselite verstehen, sondern die eine weitgehende Partizipation des Publikums versprechen und außerdem eigenes Kapital ins Spiel bringen. Ihre Raumfahrtunternehmungen zielen nach dem Vorbild der digitalen Revolution und der Erschließung des Cyberspace für alle darauf ab, einen möglichst breiten Markt zu schaffen. Beobachter konstatieren: »Sie bereiten dem Menschen einen Weg in den Weltraum und zu anderen Himmelskörpern, damit sie dort eines Tages leben und arbeiten« (Scheider 2018: 23). NewSpace erhebt den Anspruch, die Raumfahrt zu normalisieren. Zielgruppen des neuen Marktes werden dafür diversifiziert angesprochen: Weltraumtourismus für die Reichen und Schönen, virtuelle Orbitalerlebnisse für die Vielen. Mit den NewSpace-Unternehmen hält ein neues Paradigma in die Raumfahrt Einzug. Es geht um Gewinne aus der Weltraumexploration, die nicht nur an öffentlichen Budgets parasitieren. Diesseits überdimensionierter Projektvisionen stehen kostengünstigerer Weltraumzugang, Klein- und Mi-

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niatursatelliten, Weltraumtourismus, Weltraumbergbau und vieles andere, das ein Geschäft verspricht, auf der Agenda dieser Unternehmen. Dass sich Marktakteure als Avantgarde der Partizipation positionieren, ist ein kluger strategischer Schachzug, allerdings auch kein allzu verwunderlicher, zielt doch der Kapitalismus auf die Transformation der Vielen in Konsumentinnen und Konsumenten. Der consumer ist »als ein Rollenangebot zu verstehen, welches dazu einlädt, an der generalisierenden Logik des Wirtschaftssystem zu partizipieren« (Schrage 2009: 116). Markt demokratisiert Konsumoptionen. Nicht (berufs-)ständische Kriterien – wie etwa die Zugehörigkeit zu einer wissenschaftlichen oder militärischen Elite – entscheiden, sondern Wünsche und finanzielle Mittel. »Das hier ist für Kunden gebaut!«, sagt Ariane Cornell, die Leiterin der Unternehmensentwicklung des NewSpaceUnternehmens Blue Origin über das vollständig wiederverwendbare und für Weltraumtourismus ausgelegte Raketensystem New Shepard (zit.n. Schneider 2018: 50). Und so kam auch der 18-jährige Oliver Daemen im Sommer 2021 zu einem Weltraumerlebnis, für das sein Vater bezahlte. Die institutionelle Raumfahrt kann aber auch von der NewSpaceRevolution profitieren, weil Raumfahrt insgesamt günstiger und vielfältiger wird. Gleichzeitig dient sie als ein Ankerkunde, der dem neuen überirdischen Markt auf die Beine hilft. Deutlich wird aber auch, dass die institutionelle Raumfahrt kostenintensiver und konservativer ist, als ihr privates Gegenstück. Das ist ein strukturelles Problem (Schneider 2018: 271-279). Für die institutionelle Raumfahrt sind Legitimationsprobleme absehbar. Wie viele Steuermittel sollen in ihre Entwicklung gesteckt werden, wenn private Unternehmen deutlich günstigere, dazu zuverlässige und sichtlich innovative Technologien anbieten können?

Space Culture Die Raumfahrt der Gesellschaft ist zunehmend in normale wirtschaftliche und kommunikative Prozesse integriert, und sie hat eine kulturelle Dimension. »Kultur« wird im Folgenden in einem weiten Sinne als Sinn- und Bedeutungsordnung inklusive damit verbundener Diskurse, Wertorientierungen, Habitusformen, Selbstbilder oder Verkörperungen aufgefasst. Dass es zwischen Wirtschaft und Kultur enge Beziehungen gibt, wird dabei immer wieder deutlich. Auch deshalb werden die wirtschaftlichen Seiten der Welt-

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raumfahrt im Folgenden aus kultursoziologischer bzw. kulturwissenschaftlicher Perspektive betrachtet. Mit der Raumfahrt geht ein »kultureller Lift-Off« einher. Sie mündet in ein transnationales Raumverständnis, das sich auf »die Welt« als Horizont menschlichen Erlebens und Handelns bezieht (Spreen 2014b: 107). Der Blick aus dem Weltraum oder vom Mond auf die Erde zeigte eine blau-weiße Murmel mitten in der Schwärze des Alls und weckte eine neues Bewusstsein von Fragilität und Verletzlichkeit, das die allgemeine Sensibilität für die atomare Bedrohung und andere Umweltrisiken steigerte und sicherlich an jenem »Aufstand des Publikums« (Gerhards 2001) Teil hat, der technokratische Entscheidungsmonopole seit dem Space Age zunehmend hinterfragt und zweifelhaft erscheinen lässt. Das Space-Age-Verständnis des Heimatplaneten als einem »Raumschiff« popularisierte eine systemische und auf Nachhaltigkeit abzielende Vorstellung der Weltgesellschaft und -ökonomie. Plötzlich erschienen die Gesellschaftsmitglieder als Raumfahrerinnen und Raumfahrer, die pfleglich mit jener Karavelle umgehen müssen, die sie durch den kalten und luftleeren Weltraum trägt. Das Raumschiff-Erde-Konzept ist auch ein Beispiel für Wechselwirkungen zwischen Welt- und Selbstverständnissen einerseits und einer ökonomischen Perspektive andererseits. Der kulturelle Lift-Off reicht zudem über Globalisierungseffekte hinaus. Allein schon die realistische Option auf die Befahrung des Weltraums fördert eine »dezentralisierte Weltkonzeption«, insofern die Erde nur als ein planetares Habitat unter vielen erscheint (Schwonke 1957: 140). Der irdische homo sapiens ist nun »im möglichen Unterschied von Menschen, die auf anderen, in ihrer chemisch-physikalischen Konstitution etwa verschieden zusammengesetzten Sternkörpern leben, im Verhältnis zur Idee des Menschen nur ein spezieller Fall« (Scheler 1947: 35, Herv. i.O.). Es zeichnet sich eine transglobale Gesellschaft ab, die über das Erdsystem und den Erdorbit hinausreicht. Und schließlich umfasst die kulturelle Dimension der Raumfahrt nicht nur besondere Sinnprovinzen wie etwa Fan- oder Expertenkulturen, sondern sie beeinflusst auch die Alltagskultur und die Welt- und Selbstverständnisse. Die gegenwärtige »Upgradekultur« und der Drang zur Selbstoptimierung verweisen auch auf Raumfahrtdiskurse (Spreen 2014: 77-89). Und in der ersten Hochphase der Raumfahrt, dem Space Age der 1960er Jahre, orientierte sich das Design an der Kugelform früher Satelliten wie Sputnik I oder Vanguard 1. Die Wertform, könnte man in Anlehnung an Marx sagen, nahm die Form von Satelliten an und eilte der Entfaltung eines transglobalen Kapitalismus, wie

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er sich heute abzeichnet, voraus. Der Weltgeist erwies sich wieder einmal als listig.

Raumfahrt von der Gesellschaft her denken In Deutschland beschränkt sich die sozial- oder kulturwissenschaftliche Beschäftigung mit dem Phänomen der Raumfahrt bislang auf vereinzelte Desiderate, die noch weit davon entfernt sind, ein institutionalisiertes Forschungs- und Diskursfeld zu bilden. Das soll an dieser Stelle gar nicht weiter diskutiert werden. Wir hoffen vielmehr, dass sich das ändert, wenn neue Generationen die Raumfahrt als Forschungsfeld entdecken. Mit dem vorliegenden Band wollen die Herausgeber daher lediglich ein Prolegomenon zu einer breiten sozial- und kulturwissenschaftlichen Befassung mit der Thematik abliefern. Wir möchten zu einer Forschung anregen, die im deutschen Sprachraum durch den Band Soziologie der Weltraumfahrt initiiert wurde, der ebenfalls im transcript-Verlag erschienen ist (Fischer/Spreen 2014). Wichtig erscheint uns der Hinweis auf eine Perspektivenverschiebung, die mit einer solchen, von der Gesellschaft ausgehenden Analytik verbunden ist. Viele der Texte, die sich mit dem Verhältnis von Raumfahrt und Gesellschaft befassen, verstehen die Raumfahrt als ein übergeordnetes und visionäres Menschheits-Projekt. Es ist aber sehr idealistisch und realitätsfremd, Raumfahrt als ein Phänomen sui generis zu verstehen, das einer eigenen Logik folge und in einem tief verwurzelten humanen Entdeckertrieb oder gar einem evolutionären universellen Prinzip verwurzelt sei. Aber selbst idealistischen Raumfahrtphilosophien lassen sich soziologisch relevante Erkenntnisse entnehmen. Etwa hat sich der amerikanische Weltraumphilosoph Frank White (1989) durch die Analyse des Overview-Effektes verdient gemacht. Er zeigt, dass der Außen-Blick auf die Erde, gründe er nun in menschlich-astronautischer Erfahrung oder in remote sensing mittels Satelliten, eine systemische und ganzheitliche Perspektive fördert. Diesem neuen »Gewahrsein« des Planeten kommt, so arbeitet es White anhand von Interviews mit Astronauten heraus – Astronautinnen waren in dem InterviewSample nicht dabei, wie White bedauernd feststellt –, eine moralische Wirkung zu, insofern es das ökologische und globale Verantwortungsgefühl fördert. White rahmt diesen kultursoziologischen Befund durch eine Philosophie, die »aus der Sicht des Universums«, aber nicht der Gesellschaft argumentiert.

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Er bezeichnet diese Sicht auch als »Overview Systemtheorie« (White 1989: 151). Gemeint ist damit eine Perspektive, die immer von einem umfassenderen Ganzen als Bezugszusammenhang ausgeht und dabei untergeordnete Teilsysteme betrachtet, die wiederum einen übergeordneten Rahmen für ihre Subsysteme bilden: Das Ganze ist das Universum. Dieses besteht aus Galaxien als Subsystemen, welche in Sonnensysteme unterteilt sind. Die Erde ist als Teil des Sonnensystems aufzufassen. White klagt eine Bewusstseinserweiterung ein, die in der Raumfahrt enthalten sei und die es der Menschheit erlaube, sich in einen »universalen Sinn« einzufügen und »einen Beitrag zum Universum zu leisten« (White 1989: 130). Wie schon die Eroberung des Landes durch »Kundschafter-Fische« (White 1989: 25-29), diene die Raumfahrt einem »umfassenderen evolutionären Zweck« (White 1989: 122): »Die Erkundung des Landes diente einem viel umfassenderen evolutionären Zweck, als der Fisch sich jemals vorstellen konnte, und die Erkundung des Weltraums mag genau dasselbe für die Menschen bedeuten. Diese Bemühungen ausschließlich vom Standpunkt des menschlichen Eigeninteresses zu bewerten, dürfte für das Begreifen […] ein zu enger Rahmen sein. Es auf den Kopf zu stellen, erfordert, dass wir zu fragen aufhören, in welcher Weise die Weltraumforschung für uns allein von Nutzen sein kann. Die Frage muss aus universaler Sicht beantwortet werden, statt aus der Perspektive eines Einzelnen oder selbst einer ganzen Spezies. Diese Verschiebung der Perspektive, dieser Overview, macht den ganzen Unterschied aus.« (White 1989: 122) Bei Whites Systementwurf handelt es sich um ein teleologisches Evolutionskonzept. Die ausgreifende Landnahme und der »anhaltende[…] Erkundungsprozess« werden zu universalen Prinzipien der Evolution immer umfassenderer Systeme und Zivilisationen erklärt (White 1989: 117). Die Raumfahrt ermögliche zunächst aus dem Orbit eine Bewusstseinserweiterung, die es erlaube, die Menschheit als Einheit und als Teil eines umfassenden physikalisch-biologisch-technischen Erdsystems zu sehen. Anschließend führe sie in eine solare Zivilisation, dann – ggf. unter Einbeziehung von Alien-Gesellschaften – in eine galaktische und schließlich in eine universelle Zivilisation. Das Hinausgreifen in den Weltraum erscheint in dieser Sicht als ein »logische[r] Schritt in der Evolution der menschlichen Gesellschaft und des menschlichen Bewusstseins« (White 1989: 16). Als Menschheits- und Evolutionsprojekt kommt der Raumfahrt somit ein höherer Sinn zu. Profane Kosten-Nutzens-Erwägungen oder gesellschafts-

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politische Ziele ohne raumerweiternden Bezug verschwinden dagegen im Nirvana der Bedeutungslosigkeit: »Letzten Endes ist die Planung des Raumfahrtprogramms gleichbedeutend mit der Planung der Evolution der menschlichen Gesellschaft.« (White 1989: 117) Eine solche normative Entwicklungstheorie unterstellt der Evolution ein sinnhaftes Ziel – eine teleologische Sichtweise, die Charles Darwin gerade vermied (Gould 1984: 26-30). Der Whites Entwurf zugrunde liegende Impuls, den »menschlichen evolutionären Prozess zu lenken« (White 1989: 133) erinnert darüber hinaus an die innerweltlichen Erlösungsprogramme transhumanistischer Sozialtheorien, in diesem Falle insbesondere an den »Evolutionären Humanismus« Julian Huxleys (Spreen 2018: 41ff.). Die Vervollkommnungsvisionen des Transhumanismus tarnen sich im Mantel der Wissenschaftlichkeit, greifen aber auf magische und mythische Vorstellungen zurück und betreiben damit eine »Wiederverzauberung der Welt« (Flessner 2018). Ähnlich wie dort wird Technologie auch bei White zu einem Heilsversprechen, denn sie weist den Weg zu einem höheren, universellen und kollektiven Sinn. Signifikante Parallelen zum Transhumanismus weist auch der russische Kosmismus auf, der schon im 19. Jahrhundert dafür plädierte, den Menschen wissenschaftlich-technisch im Sinne einer zielgerichteten und kontrollierten Evolution zu vervollkommnen, in unsterbliche Übermenschen zu verwandeln und mit ihnen das Universum zu besiedeln (Hagemeister 1992: 159ff.). Raumfahrt als gesellschaftliches Phänomen zu denken, heißt hingegen sie mit gesellschaftlichen – darunter insbesondere ökonomischen und kulturellen – Prozessen in Wechselwirkung zu sehen. Je genauer man hinschaut, umso sichtbarer wird, dass es hier keine »logische«, sondern eine historische Entwicklung zur raumfahrenden Gesellschaft gibt, wobei sich Diskurse überschneiden, die das Verhältnis Gesellschaft/Raumfahrt jeweils anders ausmessen. Auch aus der Perspektive der Philosophischen Anthropologie der Raumfahrt, wie sie insbesondere der Dresdener Soziologe Joachim Fischer in Anlehnung an Helmut Plessner entwickelt hat, ist hervorzuheben, dass die Raumfahrt lediglich »eine Real-Möglichkeit des menschlichen Lebewesens« (Fischer 2014: 38) darstellt und nicht in einer höheren evolutionären Logik gründet. Wie auf White und den russischen Kosmismus gemünzt, schreibt Fischer:

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»Kosmonautik ist zwar ein Geschehen in der Natur, ein Ausgriff in die Natur, in den Kosmos, aber es ist selbst kein naturgeschichtliches Faktum, nicht selbst naturgeschichtlich oder naturwissenschaftlich aufklärbar. Das heißt, eine evolutionsbiologische Erklärung, die den Menschen selbst – verkettet mit anderen Lebensformen – als Fortsetzung eines naturgeschichtlichen Mechanismus begreift, kommt an das Phänomen der Weltraumfahrt nicht heran. Im Phänomen der Weltraumfahrt kommt der Darwinismus an seine Erklärungsschranke. […] Nur ein von Natur aus nicht an die Natur natürlich angepasstes Lebewesen, das sich seine Lebenswelt in der Natur künstlich baut, kann auf eine kosmotechnische Existenz im Weltraum unter künstlich selbst hergestellten Bedingungen – in Raumstationen – kommen.« (Fischer 2014: 33, Herv. i.O.) Letztlich ist die Raumfahrt ein Projekt der Fantasie, nicht der naturgeschichtlichen Evolution. »Raumfahrt ereignet sich nicht als Anpassungsrationalität des Lebens, also nicht in Analogie des Übergangs des Organischen vom Meer zum Land« (Fischer 2014: 32; vgl. Henkel 2019: 28). Damit gilt es, den gesellschaftlichen Rahmen und die anthropologischen Bedingungen aufzuklären, unter denen eine Weltraumnahme erfolgt. Aus den anthropologischen Bedingungen wird ersichtlich, warum es Raumfahrt überhaupt geben kann (Fischer 2002, 2014). Der soziologische Blick macht ersichtlich, wie sie faktisch erfolgt und in die Gesellschaft zurückwirkt. Metaphysische Raumfahrphilosophien können in diesem faktischen Prozess durchaus ihre Rolle spielen; dies aber nur, weil es gesellschaftliche Akteure gibt, die ihnen Glauben schenken. Raumfahrt der Gesellschaft heißt: Es ist die Gesellschaft, die in ihrer Raumfahrt zum Ausdruck kommt. Raumfahrt ist in politische, wirtschaftliche, kulturelle und diskursive Prozesse eingebunden. Sie schwebt nicht über dem Sozialen, über Wirtschaft und Kultur, sondern sie steht in Wechselwirkung mit gesellschaftlichen Prozessen. Sie kommt nicht mit dem Urknall in die Welt, sondern erst dann, wenn es Lebewesen gibt, die sich die Befahrung des Weltraums vorstellen können und sie sodann als gesellschaftliches und technologisches Projekt betreiben. Raumfahrt der Gesellschaft heißt dieser Band folglich, weil die Raumfahrt in der Gesellschaft situiert wird. Sie wird nicht als ein außerhalb oder über ihr schwebendes Technikprojekt wahrgenommen. Dafür gibt es im Wesentlichen fünf Gründe: Erstens gibt es per definitionem kein von Menschen betriebenes, technisches Projekt, dass außerhalb oder über der Gesellschaft stattfinden

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könnte, denn, um auf Luhmann zurückzukommen, »wo soll diese Position außerhalb der Gesellschaft zu finden sein?« (Luhmann 1990: 7) Zweitens konstatiert die Soziologie generell seit den 1960er Jahren einen »Aufstand des Publikums«, d.h. ein zunehmendes, von unten kommendes Partizipationsinteresse, das Experten- und Elitenzirkel unter Druck setzt und das auch innerhalb der Wissenschaft spürbar wird (Gerhards 2001). Technologie und Raumfahrt sind von diesem »Aufstand« ebenfalls betroffen. Hierzulande macht sich das etwa in der Form von Akzeptanzproblemen technischer Großprojekte wie der Atomkraft oder einem deutschen Raumgleiter bemerkbar. Drittens verweist das Partizipationsversprechen von NewSpace auf eine neue Rolle der Raumfahrt in der Gesellschaft: Raumfahrt wird in gesellschaftliche Vollzüge als selbstverständliches Phänomen integriert, auch in den Alltag. Wirtschaftliche und kulturelle Integration sind hier für die soziologische Beobachtung interessant, weil hier die Verflechtungstiefe in die Gesellschaft besonders groß ist. Viertens ist die Raumfahrt ein Produkt utopischer Fantasie und der menschlichen Fähigkeit, die Wirklichkeit in der Vorstellung zu verändern. Die Vorstellung von neuen oder anderen Möglichkeiten ist aber selbst wirkmächtig. Insbesondere dann, wenn vorstellbare Möglichkeiten aus der Wirklichkeit heraus entwickelt und breit kommuniziert werden wie in der Science-Fiction, können sie den gesellschaftlichen Boden für Erfindungen und Innovationen wie etwa die Raumfahrt bereiten. Und fünftens trägt die Raumfahrt zu einem holistischen Verständnis des Erdsystems bei. Der Overview-Effekt und das Wissen um das Raumschiff namens Erde, auf dem wir als Astronautinnen oder Astronauten leben, fördern ein systemisches und synthetisches Verständnis der Zusammenhänge physikalischer, biologischer, technischer und sozialer Prozesse. Die Diskurse über den Overview-Effekt, über Weltraumhabitate und über das »Raumschiff Erde« machen deutlich, dass die Gesellschaft das Weltall an Bord von Trägermedien durcheilt, sich auf einer Raum-Fahrt befindet. Auf wie viele Trägermedien die Weltgesellschaft sich zukünftig auch verteilen wird – eines sticht hervor. Aber die Frage ist: Wie geht die Gesellschaft mit ihrem Basisschiff um?

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Werthaltigkeit der Raumfahrt? Eine Frage, die White im Rahmen seiner metaphysischen Argumentation zu beantworten sucht und die trotz aller Kritik ernst zu nehmen ist, ist die nach einer inneren Werthaltigkeit der Raumfahrt. Gibt es eine solche? Für White repräsentiert sie einen höheren Zweck, nämlich den eines Blicks zurück, aus dem ein kollektives Selbst- und Verantwortungsbewusstsein für die Zivilisation folgt, die sich im Overview erkennt, sei das nun »Terra«, »Solarius« oder »Galaxia«. »Je weiter die Menschen ins All blicken, desto tiefer blicken sie in ihr eigenes Innere« (White 1989: 95). Und um zurück blicken zu können, um einen Overview gewinnen zu können, muss man Abstand gewinnen. Die Raumfahrt ermögliche einen solchen Overview und sei daher in sich ein normativ begründetes Unternehmen, dessen Legitimation nicht von kurzfristigen Kosten-Nutzen-Erwägungen und haushalterischen Überlegungen abhängig betrachtet werden dürfe (White 1989: 121-126). Vielmehr solle dem Raumfahrtbudget für die Errichtung menschlicher Außenposten auf Mond und Mars ein konstanter Anteil am Bruttosozialprodukt zugewiesen werden (White 1989: 171). Aber auch die historische und sozialtheoretische Selbstreflexion kann ein kollektives Verantwortungsbewusstsein begründen, indem sie nicht die Raum-, sondern die Zeitdimension nutzt und hieraus einen reflexiven Rückblick gewinnt. Wie der räumliche Overview muss auch dieser Rückblick medial kommuniziert und verbreitet werden. Auch White nutzt die aus dem zeitlichen Abstand resultierende Möglichkeit zur Reflexion, um sein Lob der Raumfahrt als moralischer Technologie zu begründen: Er analysiert ein vergangenes Geschehen, indem er Astronauten nach ihren Flugerfahrungen und -interpretationen befragt und formuliert auf dieser Basis seine Theorie über Overview-Systeme. Aus der Möglichkeit des verantwortungsgenerierenden Overviews folgt also keineswegs eine zwingende normative Begründung der Raumfahrt, da es alternative Methoden der wissenschaftlichen und gesellschaftsbezogenen Selbstreflexion gibt. Es ist aber nicht schwer festzustellen, dass viele Menschen der Raumfahrt faktisch einen inneren Wert zuschreiben, der sich nicht in einem Nutzen erschöpft, den sie an anderer Stelle – politisch, wissenschaftlich oder technologisch haben mag. Von der Möglichkeit der Erschließung des Sonnensystems und des weiteren Weltraums lassen sich auch die Leserinnen und Leser unzähliger Science-Fiction-Romane gerne faszinieren. Die radikalste Gegenposition übt sich in planetarer Selbstbescheidung und fordert, man solle

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ganz auf die Befahrung des Weltraumes verzichten und sich allein auf irdische Problemen konzentrieren. Zudem gibt es einen Streit um die bemannte Raumfahrt. Diese sei im Vergleich zu ihren Nutzen zu kostspielig. Neuerdings kommt es zu Konflikten zwischen privatwirtschaftlicher Raumfahrt und Astronomie, weil kommerzielle Megakonstellationen am Nachthimmel zu sehen sind und die astronomische Himmelsbeobachtung stören (Urban 2021). Was sich somit sicher konstatieren lässt, ist, dass es einen vielstimmigen Streit über die Raumfahrt gibt und dass sie sich in einem normativen Spannungsfeld befindet. Aus der Philosophischen Anthropologie Helmuth Plessners heraus lässt sich der Streit um die Werthaltigkeit der Raumfahrt entlang der Dimensionen »Einschränkung/Förderung von Weltoffenheit« und »Außengerichtetheit/Erdgerichtetheit« ordnen. Auf Plessner greifen wir an dieser Stelle zurück, weil sich sein Theorieangebot als »raumflugtauglich« erwiesen hat (Spreen 2000) und es in dieser Hinsicht expliziert wurde (Fischer 2014, Pötzsch 2016: 91-100, Schumann 2020). Helmuth Plessner begreift den Menschen als ein Naturlebewesen, dem die »Natürlichkeit der anderen Lebewesen« »unerreichbar« geworden ist (Plessner 1975: 310). Resultierend aus diesem Existenztyp braucht der Mensch »ein Komplement nichtnatürlicher, nichtgewachsener Art. Darum ist er von Natur, aus Gründen seiner Existenzform künstlich« (Plessner 1975: 310). Er muss den Umweg über die »zweite Natur« der Kultur gehen. Die menschliche Lebensform ist durch »Ergänzungsbedürftigkeit« gekennzeichnet (Plessner 1975: 311). »Existenziell bedürftig, hälftenhaft, nackt ist dem Menschen die Künstlichkeit wesensentsprechender Ausdruck seiner Natur« (Plessner 1975: 316). Menschen bedürfen einer Gesellschaft aus ihresgleichen, um erwachsen zu werden, Produktion und Reproduktion zu gewährleisten. Sie benötigen artifizielle Hilfsmittel, um sich ihre Umwelt zu erschließen. Sie nutzen Sprache und Zeichensysteme, um sich zu verständigen und den Dingen auf den Grund zu gehen. Sie distanzieren sich mittels ihrer Fantasie von ihrer Standortgebundenheit. Um solche Phänomene zu verstehen, bringt Plessner den Begriff der »exzentrischen Positionalität« ins Spiel. »Positionalität« umfasst die Aspekte der Leiblichkeit, der Natürlichkeit sowie der örtlich-zeitlichen Situiertheit. »Exzentrizität« betont Aspekte des Aufrichtens und Aufbrechens, des Schöpferischen, der Nutzung von Sprache und Medien, des Perspektivenwechsels, der Reflexion und der Utopie, kurz der »Weltoffenheit« (Max Scheler). »Das Leben ist im Menschen exzentrisch geworden, aber alle Exzentrierungen müssen wegen der Lebensgebundenheit rezentriert werden. Theo-

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retisch bedeutet das, die kopernikanische Wende systematisch mitzugehen bei Berücksichtigung der Unaufhebbarkeit der ptolemäischen Erdlagerung« (Fischer 2002: 236). Aus dieser exzentrischen Positionalität folgt, dass der Mensch durch Technik seine Umwelt formen und mittels Kultur und Gesellschaft die Beziehungen unter seinesgleichen regeln muss. Als Lebewesen ist der Mensch Teil der Natur. Als Mensch ist er aber auf keine bestimmten Umweltbedingungen festgelegt. Er kann sich wünschen, woanders und anders zu sein und dies mittels Technologie und Kultur auch erreichen. Für ein solches Lebewesen ist »konstitutive Heimaltlosigkeit« charakteristisch (Plessner 1975: 309).1 Aus der Notwendigkeit, sich in der Natur künstlich einzurichten, lässt sich auf die Raumfahrt als einer Möglichkeit des Menschen schließen (Fischer 2002: 238, Fischer 2014: 38). Wer konstitutiv ein Reisender ist, kann – entsprechende Technologie vorausgesetzt – auch in den Weltraum reisen. Wer konstitutiv auf Technik und Medien verwiesen ist, kann auch Raumsonden und Satelliten zum Zwecke der Wissensgenerierung oder der Kommunikation verwenden. Dass die Raumfahrt selbst wiederum der exzentrischen Positionalität gehorcht, zeigt sich in der ihr eigenen »Doppelaspektivität«. Diese ist einerseits außengerichtet und zielt auf die Erschließung und Besiedlung des Sonnensystems. Andererseits ist sie erdgerichtet und betreibt Erdbeobachtung zum Nutzen der planetaren Gesellschaft (Spreen 2014b). Wie auf das Leben in einer Raumstation gemünzt, schreibt Plessner schon in seinem Hauptwerk 1928: »Ortlos, zeitlos, ins Nichts gestellt schafft sich die exzentrische Lebensform ihren Boden. Nur sofern sie ihn schafft, hat sie ihn, wird sie von ihm getragen.« (Plessner 1975: 316) 1

Plessners Anthropologie trennt den Menschen nicht im Sinne des cartesischen Dualismus aus dem Lebens- und Evolutionsprozess heraus. Vielmehr rekonstruiert er ihn als eine Form und Option des Lebens selbst. Er situiert den Menschen im Feld der Dinge und des Lebens. Insofern nimmt er die Perspektive einer symmetrischen Anthropologie vorweg, wie sie in Anlehnung an Bruno Latour (1998) diskutiert wird. Allerdings beschreibt Plessners Kategorie der exzentrischen Positionalität eine besondere Falte im Vitalen, die von den Positionalitäten der Pflanzen und Tiere – und als Erscheinungsform des Lebens auch von den Dingen und Sachen – differenziert werden muss. Er klagt somit eine sozialtheoretische Unterscheidungsfähigkeit ein, die nicht nur innerhalb einer Ebene differenziert, sondern auch Kompetenzstufen berücksichtigt (Lindemann 2008). Es ist keineswegs ausgeschlossen, über weitere Positionalitätsoptionen des Lebens nachzudenken, wie sie etwa Jos de Mul (2019) vorschlägt.

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Aber soll man Raumfahrt betreiben? – Aus Sicht der Philosophischen Anthropologie wäre ein gänzlicher Verzicht auf die Raumfahrt prinzipiell als eine Hemmung der Entfaltungsmöglichkeiten und der Ergänzungsbedürftigkeit des Menschen zu betrachten. Umgekehrt ist aber auch zu berücksichtigen, inwiefern neue Technologien die Weltoffenheit des Menschen einschränken können, z.B. indem sie den Blick in den Himmel und damit Wissenschaft behindern oder öffentliche Mittel und gesellschaftliche Arbeit binden, die dann an anderer Stelle fehlen. Der Technikphilosoph Carl Friedrich Gethmann argumentiert, dass die Selbstbescheidung in Sachen bemannter Raumfahrt »ein Luxus« wäre. Die bemannte Raumfahrt sieht Gethmann als eine »kulturelle Option«, die durch »trans-utilitäre« Zwecke jenseits von Kosten-Nutzen-Erwägungen begründet sei und die man sich offenhalten solle: »Generell muss der Mensch ständig bereit sein, vorgegebene Umweltgrenzen durch […] Kulturerrungenschaften zu überschreiten. Die Erdhülle stellt dabei nicht eine natürliche Barriere des menschlichen Lebensraumes dar, so wenig wie es in der Vergangenheit die Alpen oder der Atlantik waren.« (Gethmann 2000: 172)2 Der Exosoziologe Michael Schetsche votiert dafür, Weltraumfahrt im Unterschied zur Weltraumforschung als »kulturelles Projekt« voranzutreiben. Anders als Gethmann denkt er dabei aber nicht an eine steuerbasierte Förderung, sondern an eine zivilgesellschaftliche Finanzierung bemannter Missionen durch »Spenden und Sponsoring, Weltraumtourismus oder den Verkauf medialer Vermarkungsrechte«. Schetsche sieht die Raumfahrt in einem »lebensnotwendigen Streben nach Verstehen der Umwelt« und in der »zivilisatorisch veredelte[n] Lust an der Fremde und ihrer sinnlichen, kognitiven und emotionalen Aneignung« begründet, womit kulturelle Aspekte angesprochen werden: »Was die Menschen an den Fotos des Hubble-Teleskops oder der Sonden von Mars, Jupiter und Saturn so fasziniert, ist ja nicht deren […] wissenschaftli2

Gethmann knüpft damit an die Philosophische Anthropologie an. Bei Arnold Gehlen findet sich das Argument, dass »die technische Betätigung geradezu zu den menschlichen Konstitutionsmerkmalen« zu rechnen sei. Es sei daher, so Gehlen, zunächst abzulehnen, die technische Betätigung, »nach einem verbreiteten Schema, auf die ›bloße Ratio‹ oder die ›bloße Nützlichkeit‹ zu beziehen, mit dem abwertenden Ton, der diesen Reden eigen ist« (Gehlen 1961: 95).

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cher Gehalt, sondern es sind ihre ästhetischen und transzendenten Qualitäten.« (Schetsche 2005: 27) Aus der Doppelaspektivität der Raumfahrt (Außengerichtetheit und Weltoffenheit vs. Erdgerichtetheit und »Raumfahrt für die Erde«) heraus ist jedoch auch eine normative Haltung wohl begründet, die Raumfahrtprojekte zu anderen gesellschaftlichen Projekten in Verbindung setzt, sie also utilitaristisch nach ihren Kosten-Nutzen-Verhältnissen befragt oder Technikfolgenabschätzung betreibt. Das gilt insbesondere dann, wenn es sich um institutionelle Raumfahrtprojekte handelt, also solche, die aus öffentlichen Mitteln bestritten werden. Die Frage, ob es nicht günstigere und alternative Wege gibt, die mit Weltraumprojekten verbundenen öffentlichen Ziele zu erreichen, ist nicht nur erlaubt, sondern zeugt von gesellschaftspolitischer Verantwortung. Vor dem Hintergrund der Philosophischen Anthropologie bleiben Raumfahrtmissionen somit am Ende auf vielfältige gesellschaftliche Legitimationsdiskurse verwiesen. Ein umfassender und pauschaler Verzicht auf die Raumfahrtoption wäre allerdings als generelle Einschränkung der technisch und kulturell möglichen Weltoffenheit des modernen Menschen zu bewerten. Eine solche prinzipielle Selbstbeschränkung käme dem Versuch gleich, der Fantasie den Stecker ziehen. Durch ihre Overview-Effekte leistet die Raumfahrt zudem ihren Beitrag, um Hunger, Armut, Gewalt und Umweltzerstörung als Weltprobleme zu erfassen und zu verstehen. Weiterhin ist sie ein Weg, der aus der existenziellen planetaren Verwundbarkeit der Gattung, der durch kosmische Einflüsse oder eigene Unvernunft ein Ende gesetzt werden kann, heraus führt. Der russische Raketenpionier Konstantin Ziolkowski machte außerdem das Argument stark, dass es erst die Lösung von der Erde ermögliche, allen Menschen gute Lebensbedingungen und -chancen zu bieten, weil das Problem begrenzter Ressourcen so überwunden werden könne (Heuser 2009: 66f.). Einer modernen technischen Zivilisation, so wird zudem argumentiert, sei eine rein planetengebundene Existenz nicht angemessen, vielmehr sei die »Heimat Weltall« ins Auge zu fassen (Marsiske 2005, vgl. Heppenheimer 1977: 26-33). Und faktisch ist der Orbit längst Teil weltgesellschaftlicher Kommunikations-, Wissens- und Wirtschaftsprozesse, so dass diese grundsätzliche Frage bereits zugunsten der Raumfahrt beantwortet wurde.3 Wie alle Technologieprojekte und auch die Wissenschaften, steht die Raumfahrt in einem normativen Spannungsfeld. Dieses versteht man letzt-

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Einen knappen Überblick zu weltraumethischen Problemen bietet Wagnsonner 2009.

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endlich nur, indem man Technologie und Wissenschaft zur Gesellschaft in Beziehung setzt. Frank Whites Versuch, die Raumfahrt als Medium der kritischen Reflexion zu positionieren und sie gleichzeitig der kritischen Reflexion zu entziehen, erscheint daher wenig überzeugend. Zudem wirken die um die Jahrtausendwende geführten Diskurse überholt, die um den kulturellen Sinn der bemannten Raumfahrt streiten. Kommerzielle Raumfahrtakteure projektieren inzwischen die Besiedlung von Mond und Mars oder den Abbau von Weltraumrohstoffen. Sie bringen ein weiteres normatives Muster ins Spiel, nämlich »Kapitalismus«, d.h. die Erschießung des Sonnensystems als Markt mit breit angelegten Partizipationsoptionen.

Alles nur Science-Fiction? Die innovativen technologischen Erfolge, die NewSpace-Akteure inzwischen vorweisen können, die Geschwindigkeit, mit der sie ihre Projekte vorantreiben und die merkliche Absenkung der Weltraum-Zugangskosten legen ebenso wie die ins Auge gefassten weiteren Ziele sowie der neue, kapitalistische Rahmen nahe, dass die weitreichenden Ziele einer über die Erde hinausreichenden »Transglobalisierung« (Spreen 2020), die NewSpace-Akteure verfolgen, nicht »Science-Fiction« bleiben werden. Science-Fiction wird man vielmehr neu lesen müssen. Wenn die Raumfahrt konstitutiv auf das exzentrische menschliche Vorstellungsvermögen zurückverweist, wird man mit dem in der Science-Fiction eingenommenen utopischen Standort anders umgehen müssen, als dies gemeinhin der Fall ist. Als literarisches oder filmisches Genre ist ScienceFiction ist nicht einfach abgehobene Fiktion oder Nerd-Spinnerei, sondern sie erschießt der Gesellschaft einen Möglichkeitsraum – im Unterschied zur Foresight-Prognostik, die einen Wahrscheinlichkeitsraum eröffnet (Flessner 2020). Die utopische Methode der Science-Fiction erzeugt Modelle jenseits der jeweiligen Standortgebundenheit und Positionalität. In seiner klassischen wissenssoziologischen Untersuchung zur Science-Fiction weist Hans-Jürgen Krysmanski genau darauf hin: »Der Einzelne kann, wenn es sich für Denkmomente in das utopische Modell begibt, dort seine Standortgebundenheit ›wegarbeiten‹, d.h. er kann im vorgedachten Modell nicht nur sein Weltanschauungswissen hinter sich lassen,

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sondern auch die letzten als gültig anerkannten Werte seiner Kultur« (Krysmanski 1963: 4). Die utopische Methode macht den Kopf frei. Und sie unterscheidet sich von der wissenschaftlichen Prognostik, welche Entwicklungen fortschreibt, die dem jeweiligen Standort entstammen. Auch prognostische Modelle sind nur Fiktionen, allerdings fehlt ihnen das Novum, das den Möglichkeitsraum eröffnet, insofern die probabilistischen Logik versucht, »aus dem Normalen eine Norm zu machen« (Esposito 2007: 63). Die Science-Fiction fügt dem Normalen das Plus des Novums hinzu und entzieht sich damit der Versuchung, das was ist, zur Norm zukünftiger Entwicklungen zu erheben. Der »Bildgehalt der utopischen Romane erhöht die Zahl der erwarteten Möglichkeiten um die unendliche Zahl der unerwarteten; er […] bereitet den Boden für ›soziale Erfindungen‹« (Krysmanski 1963: 138). Standortgebundenheit und Positionalität sind auch die anthropologischen Quellen für Unmöglichkeitsprognosen, die sich auf Expertenwissen berufen. Der Sachverstand hält die Zukunftsaussichten in einem engen Rahmen. Etwa äußerte sich Wilbur Wright, 1909 befragt nach der von dem Science-Fiction-Autor H. G. Wells im Jahr zuvor in dem Roman The War in the Air dargestellten Möglichkeit, Lasten im Flugzeug nonstop über den Atlantik zu bringen, dahingehend, dass es unmöglich sei, dass ein »airship« jemals von New York nach Paris fliegen könne. Kein bekannter Motor könne mit der geforderten Drehzahl ausreichend lange laufen. Die Gebundenheit in der Expertenerfahrung limitiert hier die Zukunft (Flessner 2020: 233-237). Die Rolle des »autonomen Möglichkeitsmodells« der Science-Fiction besteht dagegen darin, sich »fühlerhaft« »auf das Kommende, aber nicht Erwartete« zu richten (Krysmanski 1963: 128). Das macht die Science-Fiction inzwischen auch für die zeitgenössische Futurologie interessant, wobei Zukunftsforscherinnen und Zukunftsforscher davon ausgehen, dass die Science-Fiction eine Sensibilität für »Zukunftskeime« oder »Portents« hat, also in der Gegenwart angelegte Optionen mit Veränderungswert, die aber dem standortgebundenen Bewusstsein und der statistischen Prognostik in der Regel entgehen (Flessner 2020: 245, vgl. Mayo 1968). Nun wird vor unseren Augen, die Möglichkeit einer Weltraumgesellschaft wahrscheinlich, die in der Science-Fiction in diversen Variationen eine Selbstverständlichkeit ist. Die »Weltraumgerichtetheit« zählte zu den Merkmalen insbesondere der frühen angelsächsischen SF (Krysmanski 1963: 109, vgl. Schwonke 1957: 83-88) und wurde in der deutschen Nachkriegs-

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Abbildungen 1/2: Cover eines Science-Fiction-Romans von E. C. Tubb, der 1958 in Deutsch erschien (links, Abb. 1) und Cover des ersten Perry-Rhodan-Romans von 1961 (rechts, Abb. 2)

Quelle: Eigenes Archiv. Abb. 1: Moewig Verlag, Rastatt, Abb. 2: Pabel-Moewig Verlag, Rastatt

SF übernommen (Esselborn 2020: 317-324). Abbildung 1 zeigt das Cover eines Science-Fiction-Romans von Edwin Charles Tubb, der 1958 in einer »mittelklassigen«4 Heft-Serie erschien und der ein autarkes Generationenraumschiff zum Thema hat. Die britische Vorlage The Space-Born kam schon drei Jahre zuvor heraus. Der Roman zeichnet sich durch einen klaren Blick auf Biopolitik und Sozialstruktur in einem totalen5 und über Generationen durchgeplanten Sozialsystem aus und kann auch als astrosoziologische Abhandlung zum Forschungsgebiet »space societies beyond earth’s atmosphere« (Pass 2014: 7) gelesen werden. Abbildung 2 zeigt das Cover der

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So die Bewertung der Serie »Terra Sonderband« im Lexikon der Science Fiction Literatur (Alpers et al. 1980: 986). Unter totalen Institutionen versteht Ervin Goffman geschlossene Sozialsysteme, die eine »Welt für sich« darstellen (Goffman 1972: 15ff.).

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ersten Ausgabe der wöchentlich erscheinenden, deutschen Fortsetzungsserie Perry Rhodan. Die Helden sind 1971 auf dem Mond gelandet, über ihnen die Erde. Sie entdecken auf dem Mond das weiblich kommandierte Raumschiff einer außerirdischen Zivilisation. Nachdem sie den doppelten Kulturschock einer überlegenen Technologie unter weiblicher Führung verwunden haben, befahren die »Terraner« das Universum – nicht zuletzt mit Hilfe von Raumschiffkommandantinnen. 2021 feierte die Serie ihr sechzigjähriges Jubiläum. Zudem wohnt der Science-Fiction als »Akzeptanzbeschleuniger« (Flessner 2000) eine ideengebende Kraft inne, die man nicht unterschätzen sollte – gerade was NewSpace-Akteure angeht. So sind viele Nova, Inventionen und Innovationen dank der Science-Fiction dem Publikum schon vertraut, lange bevor sie in die Realität überführt werden. Die entsprechenden Begriffe werden dann oft aus der Literatur oder dem Film einfach übernommen, etwa der Roboter, die Atombombe oder der Cyberspace. Science-Fiction wirkt demnach der von Odo Marquard diagnostizierten »tachogenen Weltfremdheit« entgegen, da uns mögliche Zukünfte zumindest tendenziell bekannt werden, bevor sie sich als Gegenwart manifestieren (Marquard 1986: 82).6 Nicht Alexa und andere Smart Speaker konfrontieren uns erstmalig mit sprechenden Maschinen – wir kennen sie längst aus Science-Fiction-Romanen und -Filmen. NewSpace zielt neben der tiefgreifenden Integration in Wirtschaftskreisläufe auf die unmittelbarere Beteiligung der Vielen. Weil die Raumfahrt als Elitenprojekt an ihr Ende kommt, verwandelt sie sich im Wortsinne in eine »soziale« Erfindung. Die Milliardäre entwickeln neue Geschäftsmodelle für die Raumfahrt und sie haben die Mittel und den Willen, aus Fantasien Wirklichkeiten werden zu lassen und neue Wege zu riskieren. Diese Entwicklung ist – wie in diesem Band gezeigt wird – ebenfalls ein in der Science-Fiction schon bekannter Vorgang.

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Unter dem Begriff versteht Marquard jene Form der Weltfremdheit, die aus der »beschleunigten Schnelligkeit des modernen Wirklichkeitswandels« resultiert (Marquard 1986: 86). Die Welt ändert so schnell, dass der Mensch nicht mehr mithalten kann und ihm diese fremd wird.

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Beiträge des Bandes Der vorliegende Band fokussiert auf wirtschaftliche und kulturelle Aspekte der Raumfahrt, die allerdings nicht künstlich voneinander getrennt werden sollen. Darum verzichten wir auf eine Binnengliederung. Im ersten Beitrag fragt Dierk Spreen nach ökonomischen Topoi in raumfahrtbezogenen Diskursen. Der Autor rekonstruiert drei Diskusstellen von Raumfahrer-Ökonomien. Die institutionelle Raumfahrt, die bislang tonangebend war, ist immer auch ein Instrument staatlicher Industrie- und Technologiepolitik gewesen und ist es weiterhin. Das bedeutet aber, dass sie sich an ihrem Nutzen für die Gesellschaft messen lassen muss. Dieser Nutzen ist umstritten, so dass dieses Elitenprojekt laufend durch Legitimationsdiskurse begleitet wird. Bei der neuen privatwirtschaftlich gestützten Raumfahrt, die unter den Label »NewSpace« bekannt geworden ist, sieht das anders aus, weil sie einen breiten Markt ausgerichtet ist und Gewinne erwirtschaftet werden sollen, die nicht lediglich aus öffentlichen Haushalten stammen. NewSpace greift weltoffene und transglobale Raumfahrtkonzepte wie Asteroidenbergbau, Raumstationen, Mond- und Marsbesiedlung wieder auf, stellt sie aber in einen partizipativen Rahmen. Steht NewSpace zuallererst unter dem Signum einer kapitalistisch motivierten Weltraumerschließung, so segelt der dritte ökonomische Raumfahrtdiskurs unter der Flagge der Nachhaltigkeit und der reflexiven Moderne im Sinne Ulrich Becks. Der Beitrag untersucht daher auch die Wirtschaftskonzepte von Buckminster Fuller, Barbara Ward und Kenneth Boulding, die sich um die Metapher des »Raumschiffs Erde« anordnen. Es wird gezeigt, wie die astronautische Perspektive sich in Konzepten nachhaltigen Wirtschaftens niederschlägt. Dabei wird auch deutlich, welche Querverbindungen und Konflikte sich zwischen diesen Diskursstellen der Raumfahrt auftun. Es gibt also nicht eine Raumfahrer-Ökonomie, sondern viele, die miteinander in Wechselwirkungen stehen. Im folgenden Beitrag befasst sich Bernd Flessner mit dem Möglichkeitsraum der Science-Fiction und untersucht, welche Realisierungsoptionen in Bezug auf die Befahrung des Weltraums sie anbietet. Schon früh betonen Science-Fiction-Autoren die Bedeutung der Milliardäre, die Kraft Eigenkapital und Fantasie das Projekt über vorgebliche Unmöglichkeitsschwellen heben und so die Gesellschaft transglobalisieren. Ebenso sehr fassten sie Raumfahrt als ein Kollektivprojekt auf. Raumfahrt ist nicht für Eliten, sondern für die Vielen. Diese Topoi aus der SF, die sich nun als realistisch entpuppen, zeigen, dass die Zukunft nicht lediglich aus Fortschreibungen des Bekannten

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bestehen kann und der probabilistischen Logik nicht gehorcht. Der Milliardär als Visionär und risikofreudiger Raumfahrtunternehmer und eine privatwirtschaftlich motivierte Raumfahrt sind altbekannte Motive der ScienceFiction, galten jedoch dank der zunächst staatlich finanzierten und organisierten Raumfahrt als prognostischer Irrtum des Genres. NewSpace revidiert dieses Urteil eindrucksvoll und plädiert so für eine Neuinterpretation. Hannah Fleßner geht der Frage nach, welche Wechselwirkungen zwischen Raumfahrtdiskursen, Gesellschaft, Gender und Science-Fiction bestehen. In ihrem Beitrag thematisiert sie die Emanzipationsgeschichte von Frauen in der Raumfahrt und ihre Darstellung in den Massenmedien. Dabei entsteht ein Netz verschiedener Akteure in einem historisch eingebetteten Kontext. Die Erfindung der Pille, der erste All-Woman-Spacewalk und die Entwicklung geschlechterneutraler Raumanzüge bilden dabei die Turningpoints der Realität. Durch die Analyse diverser weiblicher Figuren in US-amerikanischen Science-Fiction-Serien wie Star Trek oder Lost in Space wird gleichzeitig herausgearbeitet, dass sich Frauen nicht nur in der Raumfahrt von dem Gender-Gap lösen, sondern auch ihre fiktionalen Rollen immer mehr Einfluss und Handlungsspielraum erlangen. Die Wechselwirkung zwischen realen Raumfahrtdiskursen, gesellschaftlichen Umbrüchen und Science-Fiction wird dabei permanent herausgearbeitet und veranschaulicht die Rolle der Massenmedien und ihrer Reality-Loops in der Historie der Raumfahrt seit den 1960er-Jahren. Fantasien der kosmischen Besiedlung lassen sich bis in die Antike zurückverfolgen. Heute sind sie in den milliardenschweren Visionen von Entrepreneuren wie Jeff Bezos oder Elon Musk prominent. Sie werden in gesellschaftlichen Diskursen ausgehandelt und durch die Science-Fiction weiter befeuert. Der Weltraum wird dabei einerseits als Projektionsfläche für Dimensionen des Utopischen perspektiviert, andererseits schreiben sich auch Ambivalenzen in diese utopischen Dimensionen ein. Peter Podrez arbeitet in seinem Beitrag sowohl die verschiedenen Spuren des Utopischen als auch deren inhärente Schattenseiten heraus. Im Mittelpunkt stehen dabei die (All-)Machtfantasien der Expansion in den Kosmos, die verschiedenen Formen orbitaler und planetarer Habitate, die Ideen der technischen Kontrollierbarkeit von Natur und Umwelt in artifiziellen ökologischen Systemen sowie die Entwürfe des sozialen humanen, aber auch nonhumanen Zusammenlebens im Weltraum. All diese Aspekte werden an Beispielen aus dem Bereich der Bildmedien von der Illustration über den Film bis hin zum Computerspiel erörtert, wobei jene sowohl dem wissenschaftlichen als auch dem populärkulturellen

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Diskurs entstammen, um mögliche Schnittstellen zwischen diesen Diskursen aufzuzeigen. Theoretisch verbinden sich dabei Perspektiven der Utopieforschung mit kulturwissenschaftlichen (Raum-)Theorien und medienwissenschaftlichen Ansätzen. Auf diese Weise will der Beitrag nicht nur die zentralen Themenfelder in Siedlungsvisionen und ihre (ambivalenten) utopischen Dimensionen näher beleuchten. Es soll auch diskutiert werden, welche kulturellen Funktionen solche Visionen für die Gesellschaft spielen können und welche Rolle Medien dabei einnehmen. Marie-Luise Heuser befasst sich in ihrem Beitrag mit Günther Andersʼ Philosophie der Raumfahrt. Die ersten Schritte der Menschheit in den Weltraum haben seltsamerweise nur wenige dazu inspiriert, umfassendere philosophische Arbeiten über diesen epochalen Schritt vorzulegen. Zu diesen Wenigen gehörte Günther Anders, der mit dem 1970 veröffentlichten Buch Der Blick vom Mond eine hohe Wertschätzung der Raumfahrt zum Ausdruck brachte und dies, obwohl er zu den profundesten Technikkritikern jener Zeit gehörte. Er selbst versucht eine Erklärung für die »Allergie gegen die Raumfahrt« (Anders 1970: 61) zu finden und sieht diese in der Angst vor dem Verlust der Zentralstellung der Erde, denn mit der Raumfahrt wurde erstmals sinnlich erfahrbar, was man zuvor nur theoretisch wusste: unsere Erde ist eine kleine, kosmisch gesehen irrelevante Kugel. Das Sinnlichwerden der Kopernikanischen Wende hätte eigentlich Reflexionen über die Rolle des Menschen im Universum auslösen müssen. Dass dies nicht geschah, führt Anders auf die provinzielle Perspektive des üblichen Fernsehzuschauers zurück, der das Universum zu einem dritten Möbelstück zwischen dem Plattenschrank und der Getränkebar gemacht habe (Anders 1970: 73). Die singuläre Rolle von Anders als philosophischem Denker der Raumfahrt, der die »wahrhaftig Mythengröße erreichende Leistung« (Anders 1970: 143) der Astronautik würdigte, ist erklärungsbedürftig. Was machte Anders so besonders im Kontext seiner philosophischen Zeitgenossen? Die These, die in diesem Beitrag vertreten wird, ist die: er war kein Heideggerianer. Näher lag ihm dagegen Ernst Bloch, dem er in Freundschaft und Bewunderung seine Reflexionen über Weltraumflüge widmete. Der erste künstliche Körper, der als kleines Raumschiff die Erde umkreiste, war eine Kugel. Sputnik 1 war mit Stickstoff gefüllt, um Schäden durch Mikrometeoriten zu detektieren, die zu einem Druckabfall geführt hätten. Auch in der Science-Fiction ist die Vorstellung kugelförmiger Raumschiffe nicht selten. In einem genealogisch angelegten Beitrag untersucht Dierk Spreen, welche kulturelle Bedeutung dem Kugelförmigen im Kontext neuer Techno-

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logien zukommt. Diskutiert werden Medialität und sphärische Sozialmetaphorik, Kugelhäuser, Kugelraumschiffe, das Kugeldesign im Space Age sowie die Containment-Kuppeln von Atomkraftwerken. Die Kugelform erweist sich als »exzentrisch«. In ihr überschneiden sich einerseits organische, andererseits konstruktivistisch-artifizielle Bedeutungsinhalte. An dem Bild der Kugel wird die semantische Überdeterminierung technologischer Hardware deutlich. Technologien werden mit Bedeutungen – Hoffnungen, Wünschen, Erwartungen, Emotionen – gewissermaßen angereichert, was ihre soziale Implementation erleichtert. Daher regt Spreen an, die Kugelsemantik in Bezug auf Technologien als möglichen Hinweis auf einen »Zukunftskeim« zu interpretieren. Der Band schließt mit einem kurzen, raumfahrerisch inspirierten Nachwort zur Corona-Pandemie, das die Herausgeber gemeinsam mit Dominik Irtenkauf verfasst haben. Die Autorinnen und Autoren dieses Werkes nutzen jeweils individuelle Wege des geschlechtersensiblen Sprachgebrauchs. Die Erfahrungswelten von Trans- oder Cyborgidentitäten sowie möglicher außerirdischer, aber lesekompetenter Lebensformen und ihrer Geschlechter, denen dieses Buch in wie auch immer geartete Wirkorgane fallen mag, sollen durch geschlechtsbezogene, aus irdischen Erfahrungswelten abgeleitete Funktionsbezeichnungen keinesfalls ausgeschlossen werden. Wir halten diese Anmerkung nicht für trivial: Legt man das Konzept »exzentrischer Positionalität« zugrunde, dann verliert die gestalthafte Erscheinung ihre definitorische Bedeutung – Hautfarbe, Geschlecht, Alter, Abstammung, leibliche Unversehrtheit zum Beispiel können dann keine Definitionsmerkmale des Humanum sein. Nicht einmal die körperliche Gestalt der biologischen Art homo sapiens taugt dazu, weshalb Max Scheler von der Idee des Menschen spricht und Helmuth Plessner die Gestaltoffenheit des Menschen hervorhebt: »Mensch sein ist an keine bestimmte Gestalt gebunden und könnte daher auch unter mancherlei Gestalt stattfinden, die mit der uns bekannten nicht übereinstimmt. Gebunden ist der Mensch an die zentralistische Organisationsform, welche die Basis für seine Exzentrizität abgibt.« (Plessner 1975: 293) Der Hinweis Plessners auf die »Basis« der Exzentrizität ist nicht zufällig, sondern rührt aus der Doppelaspektivität der exzentrischen Positionalität her. Eine leibliche Basis muss es geben. Aus dieser Sicht können auch außerirdi-

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sche Zivilisationswesen »eine exzentrisch positionierte Struktur in ganz anderer Gestalt« sein (Fischer 2014: 34, vgl. Schumann 2020: 390f.). »Die Möglichkeit anderer weltmächtiger Lebensformen, die über Vernunft verfügen, war nie auszuschließen. Heute, da man unserem irdischen Provinzialismus technisch bereits zu Leibe geht, spricht man von dieser Möglichkeit schon als einer Wahrscheinlichkeit. Wir auf der Erde kennen die Menschen nur als Hominiden. Wer aber sagt uns, dass seine Lebensgestalt die einzig mögliche für ein endliches Wesen ist, das über Einsicht und schöpferische Kraft verfügt?« (Plessner 1983: 246)

Technologiereflexion Die Studien in diesem Band können auch als Beitrag zur Technologiereflexion und Ergänzung zur Wissenschaftsreflexion verstanden werden. Letztere »thematisiert in umfassender und disziplinübergreifender Weise die epistemischen, historischen und sozialen Bedingungen und Voraussetzungen von Wissenschaft sowie die epistemischen, praktischen und ethischen Konsequenzen ihrer Ergebnisse resp. ihrer Anwendung und Vermittlung« (Jungert et al. 2020: 5). Wissenschaftsreflexion ist somit nicht an bestimmte Disziplinen und Methoden gebunden, sondern ein Forum, in dem verschiedenste Wissenschaften miteinander interagieren können und dabei auch die Perspektiven anderer interessierter Gruppen ausdrücklich einschließen. Das können etwa Bürgerinnen und Bürger als Betroffene oder Beteiligte von Citizen-Science-Projekten sein oder auch Science-Fiction-Autorinnen und -Autoren, Wissenschaftsjournalistinnen und -journalisten sowie SF-Fans oder Umweltaktivisten. Technologiereflexion begreifen wir als einen Spezialfall der Wissenschaftsreflexion, denn »die Wissenschaft selbst transformiert sich tendenziell in Technologie« (Bulthaup 1996: 14). Gerade die Raumfahrt setzt instrumentelle technische Rationalität in erheblichem Ausmaß voraus. Zugleich gibt sie der Wissenschaft neue Mittel und neues Wissen an die Hand – man denke nur an die Möglichkeit, auch längere Experimente in Schwerelosigkeit durchzuführen, an Weltraumteleskopie, die Erd- und Planetenforschung, inklusive der Exobiologie. Da sie aber immer auch ein Produkt der Fantasie ist, geht sie in Wissenschaft und Rationalität nicht auf, was sie für die Reflexion umso interessanter macht. Jenseits der Erdoberfläche eröffnet sich ein freier

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Raum für die technische Konstruktion und die konstruktive Fantasie. Der Weltraum ist der Ort, an dem die »konstruktive Moderne« (Spreen 2014a) sich entfalten kann. Zu den Produkten dieser Fantasie zählen wiederum volltechnische Lebenssphären, die ein Reflexionsmodell für das »Raumschiff Erde« abgeben. Raumfahrt zu reflektieren, bedeutet, wie durch ein Brennglas auf die Probleme der gesellschaftlichen Technologie-Umwelt-Problematik zu schauen, was zweifellos in die Wissenschaftsreflexion einzurechnen ist. Und wie auch das Projekt der Wissenschaftsreflexion soll Technologiereflexion bestehende Ansätze wie etwa Techniksoziologie oder Technikfolgenabschätzung nicht ersetzen. Sie kann allerdings dazu beitragen, für diese Bereiche einen breiteren reflexiven Kontext zu bieten, der auf Disziplinen oder Expertenrollen weniger Rücksicht nehmen muss. Die Beiträge in diesem Band sind daher disziplinär aufgefächert. Sozial-, Medien- und Kulturwissenschaft haben darin ebenso ihren Platz wie Philosophie und Zukunftsforschung. Wir versprechen uns davon eine Multiperspektivität, die einem reflexiven Projekt nur dienlich sein kann – und dennoch nur ein Prolegomena für weitere Forschungen ist. Ein besonderer Dank der Herausgeber gilt dem Zentralinstitut für Wissenschaftsreflexion und Schlüsselqualifikationen (ZiWiS) an der FriedrichAlexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU), das diesen Band durch seine finanzielle Unterstützung ermöglicht hat. Wichtige Literaturhinweise verdanken wir Franz Rottensteiner, Wolfgang Both und Karlheinz Steinmüller.

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Der Weltraum wird Gesellschaft

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Raumfahrer-Ökonomien Nutzen, Gewinn und Nachhaltigkeit in der Weltraumfahrt Dierk Spreen »Wir sind allesamt Astronauten geworden, völlig deterritorialisiert«. Michel Serres

1.

Drei raumfahrtbezogene Wirtschaftsdiskurse

Die Befahrung des Weltraums mittels unbemannter oder bemannter künstlicher Vehikel ist ein Projekt, das seit über einem Jahrhundert propagiert und verfolgt wird. Es scheint, dass der Weltraum auf viele moderne Menschen wie ein Magnet wirkt. Dieser Fernwirkung des Weltraums folgend, erdenken Science-Fiction-Autorinnen und -Autoren und konstruieren Ingenieurinnen und Ingenieure Raketen, Raumschiffe, Raumsonden und Weltraumstationen. Solche Fahrzeuge sind zwar dazu gedacht, die Erde zu verlassen, deshalb aber befreien sie sich noch lange nicht aus dem Schwerefeld der Gesellschaft. Diese fliegt vielmehr immer mit. Raumfahrtvehikel sollen vielfältige gesellschaftliche Zwecke erfüllen: Kommunikation, Information, Wissenschaft, Technologieerprobung, Sicherheit und Verteidigung, Verkehrsmittel. Wenn die Gesellschaft sich in den Weltraum ausdehnt, dann macht sie allerdings eine neue Raumrevolution durch und wandelt sich zu einer transglobalen Gesellschaft (Spreen 2014b, 2020), aber sie bleibt Gesellschaft. Gesellschaft basiert immer auch auf der Erzeugung, Verteilung und Konsumption von Gütern oder Dienstleitungen im Rahmen zunehmend komplexerer vertikaler und horizontaler gesellschaftlicher Arbeitsteilung. Wirtschaft und Gesellschaft verweisen aufeinander. Menschen produzieren in einem gesellschaftlichen Zusammenhang, um Bedürfnisse zu befriedigen. Da-

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Dierk Spreen

bei reproduzieren sie sich und ihre sozialen und kulturellen Verhältnisse. Und weil Raumfahrt ein Phänomen der Gesellschaft ist, steht sie nicht außerhalb wirtschaftlicher Überlegungen und ökonomischer Diskurse. Wie verhält es sich also mit wirtschaftlichen Aspekten der Raumfahrt, mit Kosten, Gewinnen oder Rückwirkungen der Raumfahrt auf Wirtschaftsdiskurse? Der Zweck dieser Untersuchung ist es, die beiden Felder »Raumfahrt« und »Wirtschaft« gemeinsam zu untersuchen, um die Beziehungen herauszuarbeiten, die zwischen ihnen bestehen. Wie der hier eingenommene kultursoziologische, auf Diskursfelder gerichtete Blick zeigen kann, erweisen sich diese Beziehungen als recht vielfältig. Verdeutlicht werden soll dies an drei wesentlichen raumfahrtbezogenen Wirtschaftsdiskursen: Das ist erstens die sozioökonomische Legitimationsbedürftigkeit der institutionellen Raumfahrt. Fragen der Wirtschaftlichkeit sowie des gesellschaftlichen Nutzens setzen die öffentlich finanzierte Raumfahrt unter Rechtfertigungsdruck. Kosten-Nutzen-Analysen haben sich für ambitionierte Raumfahrtprojekte vielfach als Hemmschuh erwiesen. Aus Sicht von Raumfahrtbegeisterten nachgerade »logisch« erscheinende und mit vielen beeindruckend bebilderten Büchern oder Webseiten beworbene Projekte zerschellten an der Vernunft von Haushaltspolitikern – und das sogar im Land der Pioniere. Hier deuten sich also Spannungsverhältnisse an. Der sich aktuell vollziehende Strukturwandel der Raumfahrt hat allerdings ein gewisses Potential, dieses im Rahmen der institutionellen Raumfahrt notwendige Spannungsverhältnis zwischen technologisch-konstruktivistischem Pioniergeist und Kosten-Nutzen-Rationalität zu lockern. Im Raumfahrtsektor erscheinen neben staatlichen oder staatsnahen Großakteuren auch private und gewinnorientierte Unternehmen. Unternehmen wie SpaceX sind in der Lage, belastbare und günstige Raumfahrtdienstleistungen anzubieten. Sogar Start-ups oder kleine und mittlere Unternehmen (KMUs) können sich im Raumfahrtfeld behaupten. Nach einer durch staatlichpolitische Imperative gekennzeichneten Phase der Weltraumerschließung und Technologieförderung verspricht der Weg ins All inzwischen auch Gewinne. Die Privatisierung der Raumfahrt ist daher das zweite untersuchte Beziehungsfeld. Drittens wird die Bedeutung der Raumfahrt für das Leitbild nachhaltigen Wirtschaftens und als ökonomisches Modell der reflexiven Moderne in den Blick genommen. Die Betrachtung unseres Heimatplaneten als »Raumschiff«, d.h. die Rede vom »Spaceship Earth«, ist für die öffentlichkeitswirksame Durchsetzung von Nachhaltigkeit als wirtschaftspolitischem Ziel von erheblicher

Raumfahrer-Ökonomien

Bedeutung. In der Soziologie wird in diesem Zusammenhang in Anlehnung an Ulrich Beck auch von einer »reflexiven Moderne« gesprochen. Mit dem Begriff der reflexiven Moderne werden Diskurse und Denkformen bezeichnet, die die Abhängigkeit der Industrie und des Wirtschaftens von ihren Naturund Umweltbedingungen im Blick haben. Die technologisch-industrielle Umformung der natürlichen Umwelt wirkt im Sinne eines negativen Regelkreises auf Wirtschaft und Gesellschaft zurück und wird daher problematisiert. Das »Raumschiff Erde« wiederum dient als Modell, das sowohl die wechselseitige Verschaltung von Industrie und Umwelt als auch die Notwendigkeit nachhaltigen Wirtschaftens einsichtig machen soll. Insofern hat die Raumfahrt in der Politischen Ökonomie einen erheblichen Stiefelabdruck hinterlassen. Zweck der hier vorgelegten Untersuchung ist es somit, die Vielschichtigkeit der Beziehungen zwischen Raumfahrt und Wirtschaft aufzuweisen und damit sichtbar zu machen, dass der erd- und bodengebundene Blick auf die Gesellschaft nicht mehr hinreichend ist.

2.

Legitimationsbedürftigkeit der institutionellen Raumfahrt

2.1

Der Weg zur institutionellen Raumfahrt

Der Verlauf der Raumfahrtgeschichte verweist auf ihre machtpolitische und institutionelle Einbettung. Wie der Techniksoziologie Johannes Weyer am Beispiel Deutschlands und anhand dreier großtechnischer Fallbeispiele (A4/V2, Azur, Galileo) zeigen kann, verdankte sich die Entwicklung der Weltraumtechnologie lange Zeit vor allem staatspolitischen »Machtspielen«. Bei großtechnischen Raumfahrtprojekten ging es immer auch um den »Auf- und Ausbau politischer Domänen« und um die Festigung eines »zentralistischen Interventionsstaates« (Weyer 2008: 233-234, vgl. Weyer 2005). Industriepolitische Interessen sowie die Möglichkeit, auf Forschung und Technologieentwicklung strategischen Einfluss zu nehmen, motivieren politische Akteure, sich im Raumfahrsektor aufzustellen und die Raumfahrt als Feld der strategischen Industriepolitik zu definieren. Zudem ergeben sich für die Akteure Profilierungschancen. Die strategisch-staatspolitische Hinwendung zur Raumfahrt macht große finanziellen Ressourcen verfügbar, wodurch eine Nachfrage und ein Markt für Raumfahrtlösungen entstehen.

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Dierk Spreen

Die staatsgetragene Raumfahrt, die sich in den Technologieprojekten großer Raumfahrtagenturen1 und einiger Big Player der Luft- und Raumfahrtindustrie niederschlägt, ist von öffentlichen Mitteln und damit von politischen Entscheidungen abhängig. Im Großen und Ganzen werden weder die Raumfahrtmissionen noch die mit ihnen verbundene Forschung und Entwicklung (FuE) auf privates Risiko hin unternommen, sei es etwa durch Wirtschaftsunternehmen oder als zivilgesellschaftliche Projekte. Die Risiken der Erschließung des Weltraums trägt vielmehr die öffentliche Hand. Es handelt sich daher um eine institutionelle Raumfahrt. Das ist nicht immer so gewesen. Der 1927 in Breslau ins Leben gerufene Verein für Raumschiffahrt (VfR), dem Raumfahrtpioniere wie Max Valier, Hermann Oberth, Johannes Winkler und Rudolf Nebel und ab 1930 auch Wernher von Braun angehörten, sammelte Spenden aus der Zivilgesellschaft und warb um Unterstützung aus der Wirtschaft. »Der Hauptzweck des Vereins bestand […] im Beschaffen von Geld« (Buedeler 1982: 196, vgl. Both 2020: 60f.). Um ein paar Beispiele für privatwirtschaftliches Engagement zu nennen: Der Rüsselsheimer Autobauer Opel schloss Ende 1927 mit Max Valier einen Vertrag und finanzierte dessen Raketenversuche (Both 2020: 61f.). Anlässlich einer Vorführung des Raketenwagens auf der Avus im Mai 1928 formulierte Fritz von Opel u.a. »die Entwicklung der bemannten Rakete« und die »Erreichbarkeit benachbarter Himmelskörper« als Ziele (zit.n. Both 2020: 69). Anschließend fand Valier zeitweise Unterstützung durch das Unternehmen J. F. Eisfeld Pyrotechnische Fabriken (Both 2020: 70, 82), bis er schließlich bei den Heylandt-Werken in Berlin-Britz die Arbeit an einem Flüssigkeitstriebwerk übernimmt. An Valier interessiert zeigte sich auch der Ölkonzern Shell (Both 2020: 130). Auch bei den Junkers-Werken in Dessau wurde zu Raketen gearbeitet; tätig war hier Johannes Winkler, der 1927-1930 dem VfR vorsaß (Both 2020: 109). Der Industrielle Hugo August Hückel unterstützte den VfR mit Spenden (Both 2020: 63, 157f., Buedeler 1982: 197) und die Universum Film AG (Ufa) schließt mit Oberth 1929 einen Vertrag über »die Entwicklung einer Rakete« (Both 2020: 96). Im selben Jahr gewinnt Oberth den frisch ausgeschriebenen, französischen REP-Hirsch-Preis, mit dem herausragende Werke zur Weltraumfahrt ausgezeichnet wurden. Die Auszeichnung wurde von dem

1

Beispiele dafür wären NASA oder ESA. Auch das zur Helmholtz-Gemeinschaft gehörende Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) zählt zur institutionellen Raumfahrt (vgl. § 1 Absatz 1 RAÜG).

Raumfahrer-Ökonomien

Bankier André Louis-Hirsch und dem Luftfahrtpionier und Sohn eines Textilfabrikanten Robert Esnault-Pelterie gestiftet (Buedeler 1982: 152). Dem 1930 eröffneten Raketenflugplatz Berlin wiederum halfen zahlreiche Unternehmen mit Sachspenden (Both 2020: 166f.). »Lastwagenweise rollten […] Material und Werkzeuge an, bis hin zu Drehbänken und Bohrmaschinen« (Buedeler 1982: 204). Das Gelände des »Raketenflugplatzes« wurde allerdings schon von der Reichswehr gegen eine symbolische Pacht zur Verfügung gestellt (Both 2020: 160, Hensel 2019: 23). Die Raumfahrtidee wurde populär; zeitgenössische Beobachter sprachen von einem »Raketenrummel« (Neufeld 1990: 734) oder konstatierten sogar eine epidemische »Marspsychose« (Debus 1927: 357). Für die Raketenentwicklung interessierte sich aber auch das Heereswaffenamt (HWA), denn die Rakete war ein potenzielles Waffensystem, das sich nicht im Versailler Vertrag aufgeführt fand (Both 2020: 117, 121f., Buedeler 1982: 210). Die »private Initiative zur Entwicklung von Flüssigkeitsraketen«, die der VfR verkörperte, wurde letzten Endes »durch massive Eingriffe des Militärs abgewürgt«, wie der Chronist des VfR, Wolfgang Both, in seiner umfangreichen Dokumentation feststellt (Both 2020: 288).2 Etwa forderte der spätere Kommandeur der Heeresversuchsanstalt Peenemünde, Walter Dornberger, als Vertreter des HWA die Vereinigten Aluminiumwerke im April 1933 auf, ihre Kontakte zur Raumfahrtinitiative auf dem Raketenflugplatz zugunsten einer Zusammenarbeit mit dem HWA aufzugeben (Both 2020: 253). Die Raketenentwicklung fiel in staatliche Hände, d.h. die private Raumfahrt wurde in eine institutionelle überführt. Zudem hatte die Weltwirtschaftskrise finanzielle Probleme der privaten Aktivitäten zur Folge (vgl. Buedeler 1982: 198). Der Zugriff der Reichswehr auf die Raumfahrt verwandelte diese in ein großtechnisches Projekt, das schließlich Hitlers »Vergeltungswaffen« hervorbrachte (Hensel 2019: 23-33). Aber selbst Hitler ließ »[n]ach dem Sieg über Polen […] die Zuwendungen [für das Raketenprogramm] um die Hälfte kürzen und während der Vorbereitungsphase für den Westfeldzug im Frühjahr 1940 wurde das Programm sogar völlig aus der Dringlichkeitsliste gestrichen« (Hensel 2019: 28). Die staatsabhängige, institutionelle Raumfahrt steht immer in Beziehung zu gesellschaftlichen und politischen Zwecken, die die Verwendung von Haushaltsmitteln für Raumfahrtprojekte gerechtfertigt erscheinen lassen. 2

Die Arbeit von Both (2020) dokumentiert umfänglich die Geschichte des VfR und stellt somit einen wichtigen Beitrag zur Technikgeschichte dar.

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Dierk Spreen

Bereits den Raumfahrtpionieren war das bewusst, denn – so Hermann Oberth – wenn man »von der Allgemeinheit für irgendeinen Zweck Geld haben will, so muss man […] in der Lage sein, ihr einen direkten greifbaren Vorteil zu sichern« (Oberth 1923: 84).3 Daher wurden nützliche Anwendungsmöglichkeiten weltraumbasierter Technologien diskutiert. Vorgeschlagen wurde der Gebrauch von Raketen für den Eilflugverkehr, zur Beförderung von Fracht oder Post und als strategisches Waffensystem. Als Anwendungen für (bemannte) künstliche Monde wurden aufgeführt: Durchführung wissenschaftlicher Experimente und Beobachtungen, Satellitentelegrafie, Erdbeobachtung, Navigationsunterstützung, Geoengineering und Wetterkontrolle, landwirtschaftliche Nutzung, Beleuchtung der Nachtseite der Erde, Stationierung von Weltraumwaffen sowie die Nutzung als Treibstofflager für Raumschiffe, um Reisen zum Mond oder zu den Planeten zu erleichtern (Oberth 1923: 84-88, Noordung 1929: 84-88, 157-163). Auch eine industrielle Nutzung des Mondes, die Erforschung des Mars sowie Besiedlungsprojekte wurden als Zukunftsoptionen diskutiert (Gail 1928: 102ff., Noordung 1929: 174-179). Nach dem Zweiten Weltkrieg war es der Ost-West-Konflikt, der die Raumfahrt als institutionelles Projekt vorantrieb. Der Weltraumhistoriker André T. Hensel (2019) datiert den Beginn des Wettlaufs ins All auf das Jahr 1954. In diesem Jahr begann die Vorbereitung für das erste International Geophysical Year (IGY). Von Mitte 1957 bis Ende 1958 »sollten weltweit koordiniert geophysikalische Messungen durchgeführt werden, um mehr über unseren Heimatplaneten zu erfahren« (Hensel 2019: 48). Dabei wurde empfohlen, auch den Einsatz eines Erdsatelliten zu prüfen. Damit begann das »Race to Space«. Spätestens nachdem es der UdSSR gelang, pünktlich zum IGY zuerst einen Satelliten in den Orbit zu bringen und die westlichen Gesellschaften damit zu verunsichern, gewann die Raumfahrt erhebliche politische Relevanz und der Wettlauf zum Mond begann. Zur Durchführung ihres Mondprogrammes verfügte die NASA in der zweiten Hälfte der 1960er-Jahre daher »über nahezu unbegrenzte Ressourcen« (Hensel 2019: 143). Gerade aber die Rolle staatspolitischer Akteure führt auch zu jener Legitimationskrise der Raumfahrt, die schon zur Zeit des Apollo-Programms ihren Schatten vorauswirft. Haushaltspolitische Überlegungen und Fragen nach der Wirtschaftlichkeit sowie dem gesellschaftlichen Nutzen kommen 3

Oberth fügt an dieser Stelle hinzu, dass alternativ die Möglichkeit bestehe, »die Sache wenigstens sehr populär« zu machen.

Raumfahrer-Ökonomien

notwendig ins Spiel, sobald die politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen der Raumfahrt sich hinreichend ändern. Diese Situation trat ein, nachdem die NASA das Rennen zum Mond gewonnen hatte und die wirtschaftliche und gesellschaftliche Prosperitätsphase der 1950er und 1960er Jahre an ihr Ende kam. Im Verlauf der politischen Versuche, Massenarbeitslosigkeit und Legitimationskrisen im Griff zu behalten, wurden einerseits die Märkte entfesselt, wodurch »sich die Staaten des entwickelten Kapitalismus auf Druck der Eigentümer und Dirigenten ›ihrer‹ Wirtschaft zunehmend ihrer in der Jahrhundertmitte übernommenen Verantwortung für Wachstum, Vollbeschäftigung, soziale Sicherheit und sozialen Zusammenhalt [entledigten] und […] die Wohlfahrt ihrer Bürger mehr denn je dem Markt« überließen (Streeck 2015: 100). Andererseits wurde die Staatsverschuldung als politisches Mittel der »Pazifizierung sozialer Konflikte« zunehmend relevant. Schließlich sollten die desintegrativen Effekte der Deregulierung sozialpolitisch einigermaßen eingehegt werden (Streeck 2015: 106). Aber sowohl die zunehmende Bedeutung von Marktargumenten als auch die von fiskalpolitischen Überlegungen drängen in dieselbe Richtung: Mit ihnen gewinnen ökonomische und gesellschaftspolitische Kosten-Nutzen-Kalküle an Bedeutung.

2.2

Kosten-Nutzen-Studien

Bis in die 1970er Jahre hinein sah man in der NASA keine besonders gewichtigen Gründe, sich mit dem ökonomischen oder gesellschaftlichen Nutzen der eigenen Programme und insbesondere der Investitionen in FuE zu befassen. Die Aufgabe der Raumfahrtagentur und ihrer Ingenieursintelligenz bestand zuallererst darin, künstliche Objekte zu planen und herzustellen, die den Weltraum befahren. Für diese Aufgabe wurde sie finanziert (Hertzfeld 1998). Dennoch gründete die NASA schon 1962 das Industrial Applications Office, um den Technologietransfer in andere zivile Bereiche zu überwachen (Glismann et al. 1993: 59). Und schon Mitte der 1960er erschien eine erste Studie über die sozioökonomischen Aktivitäten der NASA. Die »Faucett-Studie« konstatierte diesbezüglich lediglich vereinzelte, unkoordinierte und zufällige NASA-Aktivitäten. Die Studie empfahl zwar eine bessere Koordination, aber dieser Rat wurde nicht besonders ernst genommen: »The goal of stimulating economic growth through NASA technology was very much a side issue to the space agency during the 1960s and 1970s« (Hertzfeld 1998: 388).  

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Titel d. Studie

»Preliminary Survey of Socio-Economic C apabilities for Meeting, NASAʼs Future Policy and Program Analysis Requirements«

»Economic Impact of Stimulated Technological Activity«

»Quantifying the Benefits of the National Economy from Secondary Applications of NASA Technology«

Jahr

1965

1971

1976

Mathematica

Midwest Research Institute

Jack Faucett Associates, Inc.

Forschungsinstitution

Fallstudien zu Gasturbinen, Tieftemperaturtechnik, integrierten Schaltkreisen, NASTRAN-Software

Makroökonomische Prognosen

Sichtung vorhandener Daten, Berichte und Studien mit ökonomischem Background

Methode

C a. 7 Mrd. USD geschätzter Ertrag des NASA-Beitrags zu den vier Technikbereichen innerhalb von 10 Jahren

Multiplikatoreffekt von 7:1, diskontierte rate of return von ca. 33 Prozent

Ökonomische NASAEntscheidungen werden ad hoc und ohne Koordination des Managements getroffen

Ergebnisse

Kleiner Datensatz, kein umfassender Überblick über das TechnologietransferPortfolio der NASA, eher traditioneller Zugang, begrenzt auf Umsatzgenerierung

Beschränkt auf Verhältnisse zwischen FuE-Ausgaben zum volkswirtschaftlichen Ertrag

Bezieht sich lediglich auf der Relevanz ökonomischer Aspekte bei NASA-Entscheidungen

Einschränkungen

Tafel 1: Auswahl ökonomischer Studien zur NASA bis Mitte der 1990er Jahre (Quellen: Comstock/Lockney 2011, Hertzfeld 1998, Logsdon 1998: 401-577, eigene Ergänzung, Bearbeitung und Übersetzung)

42 Dierk Spreen

 

»The Economic Impact of NASA R&D Spending«

»Economic Impact and Technological Progress of NASA Research and Development Expenditures«

»An Exploration of Benefits from NASA ›Spinoff‹«

»The Nature and Extent of Benefits Reported in NASA ›Spinoff‹«

»The Economic Impact of the Space Program: A Macro and Industrial Perspective«

1976

1988

1989

1993

1994

Vorbereitet für Rockwell International von The WEFA Group

C hapman Research Group, Inc.

C hapman Research Group, Inc.

Midwest Research Institute

Chase Econometric Associates, Inc.

Ökonomische Modellierung

Untersuchung von 353 Spinn-Off-Fällen Telefoninterviews und -erhebungen Wiederholung von 1989

259 belastbare Fälle Telefoninterviews und erhebungen

Makroökonomische Prognosen

Simulationen und Modellierung

Geschätzt 380.000 NASA-erzeugte Jobs bis 1997, 130 Mrd. USD Gesamtbeitrag zum BIP durch NASA-bezogene Aktivitäten zwischen 1995 und 2000

32 Mrd. USD Umsatzbeiträge, 1 Mrd. USD Kosteneinsparungen

Umsatzbeiträge von 21,3 Mrd. USD Kosteneinsparungen von ca. 316 Mill. USD

Multiplikatoreffekt von 9:1, diskontierte rate of return zwischen 19 und 33 Prozent

Multiplikatoreffekt von 7:1, historical rate of return von NASA-FuE-Investitionen von ca. 43 Prozent

Begrenzt auf Beschäftigungswachstum Begrenzt auf bemannte Raumfahrt und ISS

Begrenzte Datensätze Eingeschränkt auf Umsätze und Einsparungen Nicht wiederholt

Begrenzte Datensätze Eingeschränkt auf Umsätze u. Kosteneinsparungen

Beschränkt auf Verhältnisse zwischen FuE-Ausgaben zum volkswirtschaftlichen Ertrag

Beruht lediglich auf ökonomischen Prognosen

Raumfahrer-Ökonomien 43

44

Dierk Spreen

Gleichwohl erhöhte sich über die Jahre die Schlagzahl von Studien erheblich, die nach sozioökonomischem Nutzen bzw. einer nationalen Rendite von NASA-Investitionen fragten. Tafel 1 gibt einen Überblick über einige dieser, zum Teil sehr unterschiedlich angelegten, Untersuchungen. Die Tabelle dokumentiert den steigenden Bedarf, Investitionen im Bereich der Raumfahrt im Hinblick auf Kosten-Nutzen-Abwägungen zu rechtfertigen. 1971 gab die NASA eine Studie in Auftrag, die langfristige Erträge der FuE-Aufwendungen zu messen suchte und darüber hinaus in einer Reihe von Fallstudien erfolgreiche Beispiele der kommerziellen Verwendung von NASA-Technologie beschrieb. Der »Midwest Research Center Report« ergab einen Multiplikatoreffekt von 7:1 in Bezug auf FuE-Ausgaben im Allgemeinen. Dieser Multiplikatoreffekt wurde dann als »konservative Schätzung« auf die NASA-FuE übertragen, wobei »eventuelle Besonderheiten der NASA-FuE in Struktur und Wirkung nicht berücksichtigt« wurden (Glismann et al. 1993: 83). Obwohl der Report viel Kritik auf sich zog, bescherte er der NASA »some extra ammunition for its budget battles« im Kongress (Hertzfeld 1998: 389). Auch die jährlichen Technologietransfer- und Spin-off-Studien spielen eine erhebliche Rolle in Legitimationsdebatten. »NASA had a need to justify its budget by showing that there were more and longer benefits than successful space missions. Agency officials were trying to answer the political questions raised by statements such as: ›It’s fine to walk on the Moon, but what have you done that improves the everyday life of the average American citizen?‹« (Hertzfeld 1998: 398) Heute betreibt die NASA eine eigene Webseite, die ihre Spin-offs dokumentiert.4 Aber auch über die Bedeutung von Spin-offs aus der institutionellen Raumfahrt wird gestritten. So war eine Rezension zu der umfangreichen Studie über die Wohlfahrtseffekte von Rüstungs- und Raumfahrtausgaben (Glismann et al. 1993) kurz und prägnant unter dem Titel Die Mär von den Spin-Offs erschienen.5 Nachträglich gesehen, lässt sich die Debatte über produktive Nebeneffekte der Raumfahrt auch unter dem Gesichtspunkt der zunehmenden Bedeutung von Technikfolgenabschätzungen (TA) deuten. Die sich abschwächende Systemkonkurrenz und die zugleich zunehmende Bedeutung sozial-, gesundheits- und bildungspolitischer Großprojekte trugen »dazu 4 5

https://spinoff.nasa.gov, geöffnet am 27.05.2021. TA-Datenbank-Nachrichten, Jg. 3, H. 2, Juni 1994, S. 36f.

Raumfahrer-Ökonomien

bei, dass die Raumfahrtprojekte insbesondere in den USA erstmals massiv unter Rechtfertigungsdruck gerieten. In dieser Phase entstanden die ersten Untersuchungen, die man nachträglich unter die Rubrik ›TA-Studien‹ subsumieren könnte. Thema waren in dieser Phase vor allem die ökonomischen Ausstrahlungseffekte der Raumfahrt, der sog. ›Spin-off‹, den die NASA als Argument bemühte, um eine Kürzung der Haushaltsmittel nach Abschluss des Apollo-Projekts zu verhindern« (Weyer 1997: 466). Dennoch darf man die zahlreichen Studien, welche Multiplikatoreffekte feststellten, Spin-offs darlegten, die Beschleunigung technologischer Entwicklung maßen, volkswirtschaftliche Langzeiterträge ins Auge fassten oder die Stimulation industrieller und kommerzieller Aktivitäten nachwiesen, nicht automatisch mit einer umfassend verstandenen Technikfolgenabschätzung in eins setzen, da letztere auch soziale, politische und ökologische Folgen miteinbezieht und Vergleiche mit möglichen Alternativentwicklungen zumindest ins Auge fasst (vgl. TAB 1992: 65f.). Zudem ist es eine Sache, einen ökonomischen Effekt nachzuweisen. Die andere ist, die möglichen negativen Folgen staatlicher Subventionierung auf die Privatwirtschaft zu berücksichtigen. Der Wirtschaftswissenschaftler Klaus Schrader mahnt an, dass bei Studien, die eine beschleunigte Technologieeinführung durch die institutionelle Raumfahrt nachweisen möchten, der breitere wirtschaftliche Kontext einbezogen werden müsse: Wenn »wie selbstverständlich die beschleunigte Einführung einer Technologie als nutzensteigernd unterstellt wird […][,] übersieht man […] die Kosten, die eine solche NASA-Beschleunigung hervorrufen kann. Denn zum einen werden die NASA-FuE-Ausgaben mit staatlichen Mitteln finanziert, die zuvor, etwa über Steuern, den privaten Sektoren entzogen worden sind. Diese Mittel fehlen bei der Finanzierung privatwirtschaftlicher, gewinnorientierter FuE-Ausgaben, die zu einer Steigerung des technischen Fortschritts beitragen würden. Des Weiteren entzieht die NASA der Privatwirtschaft mit Hilfe dieser Mittel knappe FuE-Ressourcen, die ansonsten in privaten FuEProjekten ebenfalls fortschrittssteigernd verwendet würden. […] Aber auch unter der Annahme, dass die NASA-FuE zu einem kommerziell verwertbaren Ergebnis führt, entstehen Kosten: Es werden der Privatwirtschaft die Anreize genommen, eigene FuE-Risiken auf sich zu nehmen, weil man als Trittbrettfahrer von der NASA-FuE profitieren kann. Auf diese Weise wird der fortschrittsfördernde dezentrale Suchprozess der Unternehmen beeinträchtigt,

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dessen Erfolgswahrscheinlichkeit größer ist als die des mit außerökonomischen Zielsetzungen belasteten Vorgehens der NASA.« (Schrader 1993: 243) Die im engeren Sinne ökonomische Nutzenbetrachtung und eine weitere gesellschaftliche Nutzenbetrachtung sind allerdings nicht deckungsgleich. Letztere ist wesentlich weiter gefasst und kann auch sicherheits- und wirtschaftspolitische sowie wissenschafts-, umwelt- oder klimapolitische Ziele umfassen, wodurch sich für die institutionelle Raumfahrt zahlreiche Legitimationsoptionen eröffnen. Allerdings bleibt die Frage nach dem wirtschaftlichen Kosten-Nutzen-Verhältnis dabei immer virulent und eine Herausforderung, solange die Raumfahrt vor allem eine institutionelle ist, also aus öffentlichen Mitteln finanziert wird.

2.3

Fehlstarts und Streit um die Raumfahrt

Der mit sozioökonomischen Kalkülen verbundenen Legitimationskrise fielen eine ganze Reihe raumfahrerischer Großprojekte zum Opfer. Das prominenteste Opfer waren die Apollo-Missionen. Im Dezember 1972 betraten Menschen zum vorerst letzten Mal den Mond (Apollo 17). Die NASA hatte zwar noch weitere Missionen geplant, diese wurden aber nicht mehr durchgeführt. 1977 wurden schließlich auch die an den Apollo-Landepunkten aufgestellten Messstationen abgeschaltet, weil sie jährlich zwei Millionen USD verschlangen (Buedeler 1982: 448). Bereits in den sechziger Jahren begann die NASA mit Planungen für ein Post-Apollo-Programm (PAP). Hierbei wurden verschiedene Szenarien entwickelt, die u.a. den Bau von modularen Raumstationen im Erd- und Mondorbit mit Besatzungen von 50 bis 100 Personen, eines Orbiters für den Pendelverkehr zwischen LEO6 und Erdoberfläche, eine Mondstation und einen Flug zum Mars projektierten (Space Task Group 1969: 11, 14). Von diesem aufgeblähten Programm, das Ideen aufgriff, die Wernher von Braun schon vor dem Sputnik-Start propagiert hatte (Braun 1953, Neufeld 2010), wurde lediglich das Space Shuttle verwirklicht (Williamson 1999: 166). Sozioökonomische Überlegungen, die in budgetären Krisen und einer ansteigenden Inflation wurzelten, spielten hierbei eine wesentliche Rolle (Reinke 2007: 328f., Woods 2003: 8-20).

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Low Earth Orbit = 200 km bis 2000 km Höhe.

Raumfahrer-Ökonomien

Fulminant gescheitert ist die Space Exploration Initiative (SEI), die USPräsident George Bush am 20. Juli 1989 ausrief und die das Ziel formulierte, innerhalb von zwei Dekaden Amerikaner zum Mars zu bringen. Bush sagte: »Why Mars? Because it is humanity’s destiny to strive, to seek, to find. And because it is America’s destiny to lead« (zit.n. Hogan 2007: 1). An einer Projekt-Führerschaft ließ es das Weiße Haus trotz der markigen Ankündigung dann aber mangeln. Vielmehr überließ man der NASA die Initiative (Hogan 2007: 160f.). Diese legte mit dem sogenannten »90-Tage-Report« ein Gesamtkonzept vor, das auf bekannte Ideen und Visionen zurückgriff. Als die enormen Kosten durchsickerten, hatte SEI sich praktisch erledigt. »Angesichts der damaligen Staatsverschuldung der USA von fast drei Billionen Dollar hatten Raumfahrtkritiker auf dem Capitol Hill und anderswo leichtes Spiel« (Rauchhaupt 2009: 237). Kritiker sprachen von interplanetaren Raumkreuzern, die an Filme wie Kampfstern Galactica erinnern würden (Zubrin/Wagner 1997: 83). Auch die International Space Station (ISS) steht immer wieder in der Kritik. Die Angaben zu ihren Bau- und Unterhaltungskosten schwanken je nach Quelle und Art der Berechnung; sie dürften aber auf jeden Fall über 100 Mrd. USD liegen7 und »sind ein ständiger Kritikpunkt, vor allem bei den einflussreichen Gruppen in allen US-Regierungen, die für die kommerzielle Raumfahrt kämpfen« (Schneider 2018: 151). Jedes Jahr kostet der Unterhalt der Station allein die NASA etwa 2,9 Mrd. USD. Die Entwicklung der Falcon 9 von SpaceX kostete zwischen 2002 und 2012 dagegen lediglich 1 Mrd. USD. »Obwohl die ISS also eine beispielhafte Erfolgsgeschichte ist, bindet sie jedes Jahr Milliardensummen aus den Staatsetats für die Raumfahrt ‒ Beträge, die für andere ambitionierte Projekte nicht mehr zur Verfügung stehen« (David 2017: 114). Allerdings erwiesen sich Kritiker-Prognosen aus der Mitte der NullerJahre, wonach die ISS »in wenigen Jahren verschrottet werden« wird (Weyer 2004: 15), als falsch. Vielmehr dient sie heutzutage als ein institutionelles Ankerprojekt, mit dessen Hilfe die Privatisierung des Raumfahrsektors vorangetrieben werden kann (Schneider 2018: 300-308). In Deutschland geriet die Raumfahrt in den 1980er Jahren in den Strudel einer neuen Politisierung der Technik, die einerseits von sozialen Bewegungen getragen wurde, andererseits in der Erkenntnis wurzelte, dass insbesondere großtechnologische Projekte wie die Kernenergie keineswegs rein sachlogisch begründet sind, sondern sich vielmehr auf vielfältige Art und 7

David (2017: 114) schätzt die Kosten auf 150 Mrd. USD.

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Weise als durch kulturelle und ideologische sowie politische Prozesse vermittelt erweisen. Technik büßte ihre »scheinbare Neutralität und Sachlichkeit« ein (Sieferle 2001: 53). Die aufgeheizte Debatte um den weltraumgestützten Schirm gegen Interkontinentalraketen (SDI) sowie der spektakuläre Absturz des Space-Shuttles Challenger 1986 wirkten in die gleiche Richtung. Insbesondere die bemannte Raumfahrt geriet unter Druck. Dies kommt etwa in einem Positionspapier der Deutschen Physikalischen Gesellschaft (DPG) zum Ausdruck. Die Stellungnahme wurde Ende 1990 veröffentlicht und positionierte sich unter Hinweis auf Kosten und Nutzen sehr kritisch zur bemannten Raumfahrt.8 »Raumfahrtpolitik«, so resümiert der TA-Experte und Techniksoziologe Johannes Weyer, »konnte nicht mehr in klientelistisch-elitistischen Zirkeln betrieben werden; sie fand im Parlament und – zunehmend – auch in den Medien und in der Öffentlichkeit statt. Dies war der Nährboden, auf dem eine Technikfolgenabschätzung zur Raumfahrt entstand« (Weyer 1997: 470). Diese Entwicklung mündete institutionell in der Etablierung des Büros für Technikfolgen-Abschätzung des Deutschen Bundestages (TAB). Ein prominentes Opfer von Nutzenabwägungen wurde der von deutschen Entwicklern favorisierte und vorangetriebene Raumgleiter Sänger (benannt nach dem Raumfahrtpionier Eugen Sänger, der sich für eine friedliche Nutzung des Weltraums einsetzte). Der 1992 erstellte Abschlussbericht des Büros für Technikfolgenabschätzung des Deutschen Bundestages legte nahe, »dass die Entwicklung eines neuen Raumtransportsystems nur Sinn macht, wenn man eine erhebliche Ausweitung der Raumfahrtaktivitäten unterstellt, etwa in Form einer bemannten Mars-Mission oder der Energiegewinnung im Weltall. Der Einstieg in ein solches Szenario müsse jedoch als eine raumfahrtpolitische Grundsatzentscheidung erfolgen« (Weyer 1997: 480, vgl. TAB 1992: 114). Faktisch bedeutete das den Ausstieg aus dem Sänger-Projekt, welches raumfahrthistorisch als »zwar ehrenhaft«, aber »kaum zu verwirklichender Wunschtraum« bewertet wird (Reinke 2010: 76). Sichtbar wird ein Spannungsverhältnis zwischen den mehr oder weniger ambitionierten Plänen institutioneller Raumfahrtakteure und KostenNutzen-Abwägungen im politischen Bereich. Insbesondere gilt das für die institutionelle bemannte Raumfahrt, da sie insgesamt teurer ist (TAB 1992: 47). In Deutschland findet diese Verbindung zwischen politisch-gesellschaftlichen Zwecken und institutioneller Raumfahrt in dem Slogan 8

https://www.dpg-physik.de/veroeffentlichungen/publikationen/stellungnahmen-der-d pg/bemannte-raumfahrt/mem_raum_1990, geöffnet am 25.06.2021.

Raumfahrer-Ökonomien

»Raumfahrt für die Erde« seinen Ausdruck. Die Raumfahrt erscheint unter dieser Perspektive als »Mittel zur Befriedigung erdweltlicher Bedürfnisse und menschlicher Wissbegier« (Kries 1992: 628). »Die Raumfahrtpolitik und die Raumfahrtforschung in Deutschland«, so auch die Auffassung der Bundesregierung, »orientieren sich in erster Linie am gesellschaftlichen Nutzen« (BT-Drucksache 19/3745: 4, BMWi 2010a: 11). Der insbesondere an die bemannte Raumfahrt angelegte Kosten-NutzenMaßstab blieb allerdings nicht unwidersprochen. So wies der international bekannte und angesehene NASA-Experte Jesco von Puttkamer schon zu Beginn der 1990er Jahre darauf hin, dass Raumfahrt auch als ein »sozio-kulturelles Phänomen« zu verhandeln sei. Die »Erschließung der Weltraumumwelt« war für ihn »ein kultureller Prozess […], der die Welt verändert, wie es die Seereisen von Columbus Ende des 15. Jahrhunderts und die nachfolgende Eröffnung der Neuen Welt getan haben […]. Raumfahrt ist […] ein gesamtgesellschaftliches Phänomen und Agens kulturellen Wandels und Wachstums, ein Ausdruck menschlicher Kultur, der dem Gemeinwesen künftige Potentiale erschließt« (Puttkamer 1992: 593f.). Der Technikphilosoph Carl Friedrich Gethmann expliziert das KulturwertArgument. Er argumentiert, dass die Erschließung des Weltraums eine »Kulturaufgabe« darstelle, die den Aktionskreis des Menschen und der Gesellschaft erweitert und die daher grundsätzlich als Option zu bewerten sei. Ebenso wenig wie in der Vergangenheit die Alpen oder der Atlantik könne heute die Erdhülle als »natürliche Barriere« des menschlichen Aktionsbereichs angesehen werden. Vielmehr ist Raumfahrt, so Gethmann, »anthropologisch adäquat«. Damit ist gemeint, dass einem Wesen, das einem »strukturellen Anpassungsdefizit […] an die Natur« unterliegt, die Erschließung neuer Möglichkeitsräume und die Erweiterung des Aktionsradius eingeschrieben ist. »Generell muss der Mensch ständig bereit sein, vorgegebene Umweltgrenzen durch […] Kulturerrungenschaften zu überschreiten« (Gethmann 2000: 172). Auch der Exosoziologe Michael Schetsche sieht in der Raumfahrt ein »kulturelles Projekt«, insofern sie auf eine sinnliche, kognitive und emotionale »Aneignung« der Fremde verweise (Schetsche 2005: 27). Schetsche weist zudem darauf hin, dass von der Befassung mit dem Weltraum eine Faszination ausgeht, die sich nicht in wissenschaftlichem, gesellschaftlichem oder ökonomischem Nutzen erschöpft. Er spricht von »ästhetischen und transzendenten Qualitäten« (Schetsche 2005: 27). Als kulturellem Projekt komme der Raumfahrt somit ein Wert jenseits instrumenteller Zwecke zu.

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Ende 2018 relativiert die DPG ihre kritische Haltung zur bemannten Raumfahrt und erklärt zur »gesellschaftlichen Dimension der Raumfahrt«: »Dass Menschen ins All fliegen, ist für die Gesellschaft bedeutsam als Vision, Faszination und Herausforderung – für manche sogar eine langfristige Notwendigkeit zur Erschließung neuer Ressourcen oder Lebensräume. Diese Dimension der bemannten Raumfahrt ist vergleichbar mit anderen großen gesellschaftlichen Herausforderungen wie Mobilität, Gesundheit, Klimaschutz oder Energieversorgung etc.«9 Ob nun Fragen nach Rendite- und Multiplikatoreffekten oder nach der Wirkung von Spin-Offs gestellt werden, ob ein gesellschaftlicher Nutzen nachgewiesen werden muss oder ob der Kulturwert geprüft wird – es zeigt sich, dass eine Raumfahrt, die aus öffentlichen Mitteln finanziert wird, der Verankerung in gesellschaftsbezogenen Wertzuschreibungen bedarf. Sie ist in einem gesellschaftlichen und kollektiv-öffentlichen Rahmen legitimationsbedürftig.

2.4

Integration der Raumfahrt in die Gesellschaft

Bei genauerer Überlegung ist das Spannungsverhältnis zwischen weitreichenden Raumfahrtvisionen einerseits und ökonomisch-gesellschaftlichen Nutzenabwägungen andererseits nicht so verwunderlich. Denn hier treffen konflikthaft zwei maßgebliche Triebkräfte menschlicher Raumfahrtbestrebungen aufeinander. Die einen sehen in der Raumfahrt eine »Kulturaufgabe«, mittels derer der Mensch die Möglichkeit gewinnt, »die Alpen zu überqueren« und damit die Welt weiter zu erschließen (Gethmann 2000: 172). Die anderen sehen in der Raumfahrt ein Instrument zur besseren Gestaltung des Lebens auf der Erde und dringen auf ihre gesellschaftliche Funktionalität. Sowohl welterschließender als auch instrumenteller Diskurs sind wirkmächtig und beide Sichtweisen entsprechen aus der Perspektive der zeitgenössischen Philosophischen Anthropologie der Raumfahrt Aspekten der spezifisch menschlichen »exzentrischen Positionalität« (Helmuth Plessner, vgl. Fischer 2014, Pötzsch 2016, Schumann 2020, Spreen 2014a): Denn der Mensch lebt in der Doppelaspektivität von Leib-Sein und Körper-Haben, 9

https://www.dpg-physik.de/veroeffentlichungen/publikationen/stellungnahmen-der -dpg/bemannte-raumfahrt/haltung-der-dpg-zur-bemannten-raumfahrt, geöffnet am 30.06.2021.

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von Raumgebundenheit und Raumbehauptung, von der Bindung an die Geschichte und der Offenheit für die Zukunft, von Naturverwiesenheit und artifizieller Vergesellschaftung. Der instrumentelle Blick von oben auf die Erde und das Hineinrücken der Himmelssphäre in den menschlichen Wirkungsbereich sind mit der Entfaltung der Raumfahrt beide wirkmächtig geworden. Sie kennzeichnen die Raumfahrt als »exzentrisches« Projekt im Sinne Helmuth Plessners, d.h. als ein Projekt, dem die Doppelaspektivitäten von Erdgerichtetheit und Außengerichtetheit sowie gesellschaftlichem Nutzen und Welterschließung eigen sind.10 Dem einen oder anderen Raumfahrtenthusiasten mag die skizzierte gesellschaftliche Legitimationsbedürftigkeit vielleicht als Hindernis seiner Visionen vom menschlichen Ausgriff in den neuen Raum erscheinen. Man kann es aber auch andersherum sehen: Die Tatsache der sozioökonomischen Begründungsverpflichtung institutioneller raumfahrerischer Projekte zeigt an, dass die Raumfahrt in der Gesellschaft angekommen ist, dass sie ein integraler Faktor des sozialen und wirtschaftlichen Lebens geworden ist. Und genau deshalb, weil die Raumfahrt ein gesellschaftliches Phänomen geworden ist, ist es denkbar, dass sie am Ende alle Menschen in ein kosmisches und transglobales Zeitalter mitnehmen kann. Mit der neuen Ökonomisierung und Privatisierung der Raumfahrt ist dieser Schritt vielleicht näher als gedacht. Außerdem nötigt der Legitimationsbedarf sogar Enthusiasten dazu, kostengünstigere und daher realistischere Konzepte zu entwerfen. Ein Beispiel dafür ist der »Mars Direct«-Plan, den ein Team des Luft- und Raumfahrtkonzerns Martin Marietta um den Nuklearingenieur Robert Zubrin als Reaktion auf den 90-Tage-Report ausgeheckt hat. Dieser Plan sah umweglose Flüge zum Mars in schneller Folge vor. Die Reisen selbst würden zwar sehr viel länger dauern, als die, an die man bei SEI dachte, aber sie würden auf sehr treibstoffsparenden Bahnen verlaufen. Eine kostentreibende Megainfrastruktur im Erdorbit und auf dem Mond entfiele. Auf dem Mars angekommen, blieben den Astronautinnen und Astronauten fast zwei Jahre für Forschungstätigkeiten (statt 30 Tage). Zubrins Leute konzipierten die Marsmissionen so, dass der Mars selbst die wesentlichen Rohstoffe für den Betrieb von Fahrzeugen und die Erzeugung von Raketentreibstoff liefern sollte. In seinem Buch diskutiert Zubrin daher ausführlich die Möglichkeit, einen marskonformen Verbrennungsmotor zu bauen (Zubrin/Wagner 1997: 208-225). Die Kosten für drei

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Vgl. zur Doppelaspektivität der Raumfahrt auch die Einleitung zu diesem Band.

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Marsmissionen nach diesem Muster wurden von Zubrin auf etwa ein Zehntel der im 90-Tage-Report vorgesehenen Kosten veranschlagt (Zubrin/Wagner 1997: 20). Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die zahlreichen Studien zum Nutzen der Raumfahrt einen bedeutenden Legitimationsmodus reflektieren. Raumfahrt soll für die Gesellschaft wertvoll erscheinen. Dieser Modus wurde umso wichtiger, je mehr das Wettrennen ins All als politischer Rahmen an Bedeutung verlor. Zahlreiche Untersuchungen dienen dazu, eben diesen Nutzen nachzuweisen und semistaatliche Raumfahrtakteure wie NASA oder ESA argumentativ aufzumunitionieren, wobei sich zahlreiche methodologische Probleme ergeben (Glismann et al. 1993, Hertzfeld 1998: 392, Schrader 1993). Insgesamt gesehen, sind raumfahrtbezogenen Kosten-Nutzen-Fragen als Teil des politischen Streits um die Raumfahrt zu betrachten, der näherungsweise durch Tafel 2 dargestellt wird. Tafel 2: Das Feld des institutionellen Raumfahrtdiskurses in Deutschland Raumfahrt-Leitbild

normative Orientierung

bemannte Raumfahrt

Welterschließung, Kulturaufgabe

automatische/autonome Systeme

Instrument, gesell. Nutzen

}

    Machtspiele

Quelle: Eigene Darstellung nach Vorlage in Fischer/Spreen 2014, S. 13

Fasst man diese Skizze zusammen, so ergibt sich eine Diskursstruktur, in der verschiedene Raumfahrt-Leitbilder und normative Orientierungen kombiniert werden können. Die Leitbilder dieses Diskurses lassen sich in grober Annäherung in ein Vier-Felder-Tableau eintragen, wobei die Zeilen sich zeitweise zu einer Diskursoption verdichtet haben, was aber durchaus nicht zwingend ist. Das Leitbild einer bemannten Raumfahrt umfasst demnach normative Aspekte wie Welterschließung als Kulturaufgabe oder Herausforderung durch das Fremde, die das Selbstbild des Menschen und seine Stellung im Kosmos betreffen. Unbemannte Raumfahrt wird dagegen in zweckrationale Kontexte eingebettet. Übergreifend spielen politische Machspiele eine Rolle. Allerdings umfasst das Leitbild der instrumentell legitimierten »Raumfahrt für die Erde« inzwischen auch bemannte Projekte, insbesondere in Bezug auf das Columbus-Modul der ISS (BMWi 2010b). Mit der Integration der Raumfahrt in die Gesellschaft und ihrer inzwischen unabweisbaren

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Bedeutung ist ihre grundsätzliche Ablehnung weitgehend verstummt. »Institutionell« kann man diese Leitbilder nennen, weil sie das Legitimationsfeld einer politisch gewollten, geförderten und gesteuerten Raumfahrt abbilden. Aus Sicht der Bundesregierung beispielsweise erscheint die Raumfahrt in erster Linie als eine »strategische Fähigkeit«, für die »staatliche Finanzierungen weltweit immer eine Rolle spielen« würden (BT-Drucksache 19/3745: 11). Sicherheitsinteressen und Abnehmer aus dem militärischen Sektor spielen dabei selbstverständlich ihre Rolle (Spreen 2014b: 116-121). Sie lassen sich dem instrumentellen Feld zuordnen. Dass die Raumfahrt durch diese institutionellen Leitbilder nicht mehr vollständig abgedeckt wird, macht der neue Trend zur Privatisierung offensichtlich. Die institutionelle Raumfahrt wird durch eine »Raumfahrt für den Markt« (Marsiske 2005: 8) ergänzt. Eine grundsätzliche, kritische Anmerkung zu einem in der RaumfahrtCommunity verbreiteten diskursiven Legitimationsmuster sei am Ende dieses Kapitels noch erlaubt: Das Argument, wonach dem Weltraumprojekt eine »logische« Entwicklungsfolge eingeschrieben sei, ist im Raumfahrtdiskurs durchaus verbreitet, aber irreführend.11 Die hier zusammengetragenen Ergebnisse machen mehr als deutlich, wie oft der vermeintlich nächste »logische« Schritt in die Tiefen des Alls nicht umgesetzt wurde und stattdessen alternative Entscheidungen getroffen wurden. Zwar ist in der Techniksoziologie durchaus der Begriff der »Entwicklungstrajektorie« üblich. Damit ist aber gemeint, »dass ab einem gewissen Stadium einer Technologieentwicklung ein ebenso perspektiveneröffnender wie Alternativen ausblendender Entwicklungspfad entsteht, der die zukünftigen Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten leitet« (Häußling 2014: 126). Diese Entwicklungsträgheit bleibt daher immer auf ein zugrundeliegendes Paradigma bezogen und kann es auch verändern. PAP oder der 90-Tage-Report zum Beispiel liegen am ehesten in der Trajektorie des Aufbruch-Paradigmas. Allerdings gibt es weitere raumfahrtbezogene Paradigmen. Und alle diese Paradigmen sind konstitutiv von politisch-ökonomischen Einflüssen durchdrungen, so dass es sich auch gar nicht um »reine« technologische Paradigmen mit einer intrinsischen Entwicklungsträgheit handelt. Von einer Logik in der Raumfahrtentwicklung zu sprechen, kommt eher einer Mythologisierung der Technikgeschichte nahe. Die Annahme einer solchen Logik ignoriert die vielfältigen Kontingenzen, der 11

So entwickelt der Mitte der 1980er Jahre erstellte Bericht der US-RaumfahrtKommission einen »logical approach« im Hinblick auf die zukünftige Entwicklung der Raumfahrt (National Commission on Space 1986: 5-7).

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die Raumfahrtentwicklung unterworfen ist, eben weil sie ein integraler Bestandteil der Gesellschaft und der Gesellschaftsgeschichte ist.

3.

Privatisierung der Raumfahrt

Die zahlreichen methodischen Probleme ökonomischer Kosten-NutzenAbwägungen im Kontext steuerfinanzierter Raumfahrtprogramme und der damit verbundene politische Streit erübrigen sich, wenn es zu einer weitreichenden Kommerzialisierung der Raumfahrt kommt. So schreibt Schrader: »Überzeugende technisch-wirtschaftliche Perspektiven könnten privates Kapital für die Finanzierung von Raumfahrtprojekten mobilisieren, so dass sich die Frage nach einer ökonomischen Rechtfertigung nicht mehr stellen würde – vorausgesetzt die privaten Investoren tragen auch das Risiko ihres Kapitaleinsatzes.« (Schrader 1993: 251) Schon zu Beginn der 1990er Jahre ließ sich in der mit Raumfahrtaktivitäten befassten amerikanischen Telekommunikationsbranche eine Kommerzialisierung feststellen. Als weitere kommerziell interessante Weltraumsektoren wurden bewertet: Herstellung von Werkstoffen, Bau von Forschungsstätten für die Produktentwicklung oder die Einrichtung von Wartungs- und Reparaturstützpunkten (Schrader 1993: 252). Aus heutiger Sicht ist auch der Weltraumbergbau zu nennen, zu dem der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) ein ausführliches Positionspapier veröffentlicht hat. In den Blick geraten hierbei insbesondere Rohstoffe, die für moderne Technologien nützlich sind (BDI 2018: 6).

3.1

Der Aufstieg der NewSpace-Bewegung

Inzwischen haben neue privatwirtschaftlich orientierte Akteure die Weltraumszenerie betreten. Dabei handelt es sich um kleine, mittlere und inzwischen auch große Raumfahrtunternehmen, die zukünftige Profitraten im Blick haben und die Raumfahrt als ein lukratives Geschäftsfeld betrachten. Diese Unternehmen unterscheiden sich in ihren Zielen, ihrer Unternehmenskultur, ihrer Herangehensweise und in ihrer Herkunft grundsätzlich von den Raumfahrtagenturen oder den mit ihnen kooperierenden Großunternehmen. Um den damit einhergehenden Kulturwandel in der

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Raumfahrtbranche zu markieren, wird von einer »NewSpace-Bewegung« gesprochen (Hansen 2017). NewSpace sieht den Zweck der Raumfahrt weder in dieser selbst noch in gesellschaftlichen Vernutzungen oder Spin-offs, sondern Raumfahrt erscheint als Medium der Vermehrung von Kapital. »Raumfahrt der Raumfahrt wegen wird es bei NewSpace nicht mehr geben. Stattdessen erfolgt eine nüchterne Abwägung des Verhältnisses von Kosten und Nutzen aus rein kommerzieller Perspektive« (SpaceTec Partners/BHO Legal 2016: 9). Dieser Wandel rührt ganz wesentlich aus der Herkunft der trendsetzenden, paradigmatischen Unternehmen aus der angloamerikanischen Digital- und Medienwirtschaft her. SpaceX, das mit den Trägerraketen Falcon 9 und Falcon Heavy derzeit die günstigsten Angebote für Flüge zum LEO anbietet und mit dem DragonRaumschiff Güter und Personal zur ISS sowie Weltraumtouristinnen und -touristen in den Orbit transportiert, wird von Elon Musk (Tesla, früher: PayPal) geleitet. Das für bemannte wie unbemannte Missionen gedachte Schwerlastsystem Starship ist dem Unternehmen zufolge auch für Missionen zu Mond, Mars »and beyond« geeignet.12 Der Gründer des Raumfahrtunternehmens Blue Origin ist Jeff Bezos, zugleich Gründer von Amazon. 2013 erwarb er die renommierte Washington Post, die seitdem ihr Online-Angebot ausbaut. Blue Origin verfügt über das wiederverwendbare Raumfahrtsystem New Shepard, das für den suborbitalen13 Weltraumtourismus gedacht ist. Im Portfolio des Unternehmens befindet sich außerdem die Schwerlastrakete New Glenn. Darüber hinaus arbeitet Blue Origin an der Technologie für einen Shuttleverkehr zum Mond.14 Google-Entwickler und ehemaliger Google-CEO Larry Page ist Eigentümer der Google-Tochter Planetary Ventures. Weiterhin lobte Google 2007 den »Google Lunar X Prize« aus, womit private Initiativen gefördert werden sollten, die einen mobilen Roboter zum Mond schicken. Der britische Milliardär Richard Branson wurde durch das Plattenlabel Virgin Records bekannt. Zur umfangreichen Virgin-Unternehmensgruppe gehört auch Virgin Galactic – ein Unternehmen, das 2004 gegründet wurde und kommerzielle Suborbitalflüge für den Weltraumtourismus anbietet. Im Dezember 2018 stieg ein bemannter Virgin Galatic-Raumgleiter des Typs

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https://www.spacex.com/vehicles/starship/, aufgerufen am 11.06.2021. Suborbital bedeutet, dass der Raumflugkörper nicht in einen Orbit einschwenkt, sondern nach Überschreitung der Weltraumgrenze zur Erde zurückkehrt. Der Spiegel vom 11.05.2019, S. 100-102.

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SpaceShipTwo, nachdem er von seinem Trägerflugzeug abgekoppelt wurde, in eine Höhe von rund 82 Kilometer auf. Das US-Verteidigungsministerium zieht die Weltraumgrenze bei 50 Meilen bzw. 80,5 Kilometer Höhe (Foust 2018; Paladini 2019: 235f.). Im Februar 2019 erreichte der Raumgleiter VSS Unity knapp 90 Kilometer Höhe. Sowohl Branson als auch Bezos nutzten 2021 ihre eigenen Raumschiffe zu einer suborbitalen Stippvisite im Weltraum und demonstrierten damit ihr Vertrauen in die Technologie. Der 2018 verstorbene Mitbegründer von Microsoft, Paul Allen, engagierte sich in dem Raumfahrtunternehmen Vulcan Aerospace. Außerdem investierte er in das SpaceShipOne – das Vorgängermodell des SpaceShipTwo. Bereits 2004 gewann ein SpaceShipOne den Ansari X Prize, der für den ersten bemannten und privaten suborbitalen Raumflug ausgeschrieben worden war. Bei diesen Geschichten fällt zunächst ins Auge, dass erfolgreiche Unternehmer mit Bezug zur Digital- und Medienbranche in die Raumfahrt investieren und dabei trotz einiger Rückschläge vergleichsweise rasch technologisch erfolgreiche und ökonomisch attraktive Ergebnisse erzielen. So kostet der Transport von einem Kilogramm Nutzlast in den LEO laut einer Übersicht in der Wirtschaftswoche mit einer Falcon Heavy von SpaceX lediglich 1.200 USD, mit einer Falcon 9 zwischen 2.100 und 2.700 USD. Zum Vergleich: Mit einer Soyuz FG von Roskosmos kostet dieselbe Ladung 6.400 USD, mit der europäischen Ariane 5 8.900 USD, mit einer Altas V von Boing/Lockheed Martin als Trägerrakete für bemannte Missionen 13.000 USD und mit einer Pegasus XL von Northrop Grumman sogar 89.000 USD.15 Preise, wie die, die SpaceX anbietet, bringen die Ein-Kilogramm-Nutzlast von der Größenordnung her in die finanzielle Reichweite privater Mittelschichthaushalte. NewSpace macht die Raumfahrt günstig. Die Bedeutung der Milliardäre für den Aufstieg von NewSpace innerhalb der 2010er Jahre darf man nicht unterschätzen. Ihr Einstieg in die Raumfahrt wird als Vertrauen in die neuen Space-Projekte wahrgenommen. Nicht nur bringen sie selbst erhebliche Kapitalmengen ein, sondern sie ziehen Risikokapital mit sich. Allein im Jahr 2018 investierten 114 Venture-Fonds erstmalig in die Raumfahrt (SpaceNews Staff 2019: 10f.). Möglich sind solche Erfolge durch ein im Vergleich zur etablierten institutionellen Raumfahrt (»OldSpace«) anderes Verständnis von technologischer 15 16

Wirtschaftswoche vom 31.08.2018, S. 8. Bayern-Chemie ist ein Experte für Antriebssysteme und bietet Know-how für Staustrahl- und Raketenmotoren.

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Abbildung 1: Kleinsatellit mit Triebwerk und eingeklappten Solarpanel

Quelle: ILA Berlin 2018, Messestand von Bayern-Chemie16 , Foto: Dierk Spreen

Innovation. NewSpace-Unternehmen nutzen bestehende Technologien, kombinieren sie und optimieren die Software. Beispielsweise verzichtete SpaceX auf umständliche Testreihen zur Abstimmung der Triebwerkshardware und setzte stattdessen konsequent auf Softwaresteuerung zum Ausgleich der Hardwaredifferenzen zwischen den Triebwerken (SpaceTec Partners/BHO Legal 2016: 31). NewSpace-Akteure nehmen in Kauf, dass die Hardware nicht perfekt sein muss, wichtig ist, dass sie zuverlässig funktioniert und günstig ist. Statt eine »allseits bewunderte Satellitenkomponente in deutscher Premium-Qualität« einzukaufen, lässt man eine eigene, weniger hochwertige im 3D-Drucker erstellen. »Durch die Einsparung und den signifikanten Gewichtsvorteil konnte man es sich aber leisten, die gewünschte Funktionalität durch Redundanz zu sichern – und war trotzdem um ein Vielfaches günstiger« (SpaceTec Partners/BHO Legal 2016: 32). Auch die Nutzung wiederverwendbarer Technologie senkt die Kosten. Es macht einen Unterschied, ob man eine Rakete mit dem Start praktisch zeitgleich verschrottet oder ob man sie zumindest in wesentlichen Teilen mehrmals wiederverwendet und im Idealfall lediglich neu durchcheckt und betankt (Schneider 2018: 54-58, SpaceNews Staff 2019: 8f.). In der institutionellen Raumfahrt setzt man

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dagegen auf Hardwareoptimierungen, Einzellösungen und »Ingenieursperfektionismus« (SpaceTec Partners/BHO Legal 2016: 108) und ist daher unterm Strich deutlich kostspieliger. Ein neues, bedeutendes Geschäftsfeld, das NewSpace eröffnet hat, sind Klein- und Kleinstsatelliten (Abb. 1). »Small satellites are big business« (Zur 2019). Inzwischen hat sich ein Standard für solche Miniatursatelliten herausgebildet. Ein CubeSat – kurz »1U« für »one unit« – misst 10x10x10 Zentimeter. »2U«, »3U« usw. bezeichnet entsprechende Vielfache. Für solche Miniatursatelliten werden oftmals herkömmliche Technologien verwendet, wie man sie auch in Autos, Computern oder Smartphones finden kann. Da die Strahlungsbelastung im LEO nur fünf bis zehnmal höher liegt als in einer Flughöhe von ca. zehn Kilometern ist das möglich. Das Zauberwort dafür lautet »COTS« für »commercial off-the-shelf«, also handelsübliche Produkte aus dem Regal. Kleinsatelliten können insbesondere dann, wenn sie in Schwärmen eingesetzt werden, sehr leistungsfähig sein. Sie ermöglichen ein satellitenbasiertes und topographieunabhängiges Breitbandinternet, das auf Konstellationen aus einer Vielzahl von Satelliten im MEO17 oder im LEO basiert. Wegen der durch die Erdnähe geringeren Signallaufzeiten eignen sich gerade solche Satellitenkonstellationen für Dienstleistungsangebote, die auf webbasierter Steuerung oder Echtzeitkommunikation (z.B. Online-Games) beruhen oder Sprachübertragung beinhalten. Auch attraktive Internetangebote für mobile Plattformen wie Flugzeuge oder Schiffe lassen sich so generieren. Erst recht lassen sich Nutzungsformate aus dem Orbit bedienen, bei denen die Signallatenz nur eine geringe Rolle spielt, z.B. Videostreaming, File Sharing oder das tägliche Surfen durchs Netz (Hofmann 2019). Die Bestückung des LEO mit Megakonstellationen – Verbünden von hunderten bis zu mehreren tausend Kleinsatelliten – hat bereits begonnen.18 Ein weiteres Geschäftsfeld privater Satellitenbetreiber bildet die Bereitstellung von »Discountaufnahmen aus dem All« etwa für Kunden aus der Landwirtschaft.19 Deutlich wird an solchen Beispielen, wie die Miniaturisierung elektronischer Bauteile, basierend auf der exponentiellen Verbesserung von Rechenleistung und der Verwendung von C OTS, die

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Medium Earth Orbit. wiwo.de vom 24. Mai 2019, »SpaceX rollt riesige Satelliten-Flotte aus«. Nach Angaben der Fachzeitschrift SpaceNews könnten SpaceX, Amazon und OneWeb zusammen bis zu 47.000 Kleinsatelliten ausbringen (SpaceNews Staff 2019: 13). Wirtschaftswoche vom 01.02.2019, S. 6.

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Raumfahrt für private Unternehmen öffnet, denn sie »können ihre Raumfahrzeuge nun für relativ wenig Geld mit leistungsstarken Steuerungseinheiten ausstatten« (Schneider 2018: 220). Dass mit dem Aufbau von Megakonstellationen auch die Unfallgefahr im Orbit steigt, hat nicht zuletzt die drohende Kollision eines von SpaceX betriebenen Starlink-Kleinsatelliten mit dem ESA-Windbeobachtungssatelliten Aeolus gezeigt.20 Aus der Kommerzialisierung des Orbits erwächst internationaler Regulations- und Abstimmungsbedarf, denn mit Megakonstellationen steigt die Wahrscheinlichkeit, dass Satelliten ausfallen und so zu »Felsen« oder »Riffen« im Orbit werden. In den USA läuft hierzu bereits die Debatte. OneWeb hat öffentlichkeitswirksam eine »Responsible Space«-Initiative gestartet (Foust 2019). Die mit der Digitalisierung verbundene Miniaturisierung ist eine ganz wesentliche Voraussetzung für die Kleinsatelliteninfiltration des Erdorbits. Dieser Invasion liegt aber nicht allein der technologische Fortschritt in der IT-Industrie zugrunde, sondern vielmehr die neue Herangehensweise an die Raumfahrt. Diese ist eher pragmatisch, nutzt bestehende Technologien aus anderen Wirtschaftssektoren radikal aus (sog. »Spin-ins«), produziert leichte Satellitenkomponenten oder -strukturelemente mittels 3D-Druck, optimiert die Softwaresteuerung, präferiert Serienproduktion und setzt bei Eigenentwicklungen weniger auf eigene Hardwareforschung, sondern verwertet bereits vorhandene Erkenntnisse. Vor allem zählt der Markterfolg. Insbesondere die amerikanischen NewSpace-Unternehmen übertragen die Geschäftsphilosophie des Silicon Valleys auf die Raumfahrt. Verwunderlich ist das nicht – schließlich kommen sie genau daher (Schneider 2018: 310-312, SpaceTec Partners/BHO Legal 2016: 24ff.). »Im NewSpace ist die ›Digitalisierung in den Köpfen‹, d.h. die Bereitschaft, mit IT-Technologiemanagement zu denken und unternehmerisch zu agieren, weit fortgeschritten. Viele NewSpace-Geschäftsmodelle orientieren sich an den Plattform-Geschäftsmodellen der IT-Industrie […]. Statt Raumfahrtingenieure werden IT-Experten eingestellt« (SpaceTec Partners/BHO Legal 2016: 32). Nach der Erschließung und Kolonisierung des Cyberspace kommt jetzt der Weltraum an die Reihe. Fokussierung auf Kundenbedürfnisse und Apologie 20

sueddeutsche.de vom 04. September 2019, »SpaceX: Software an SatellitenAusweichmanöver schuld«.

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des freien Marktes, Technologiebegeisterung und -determinismus, die Adressierung kompetenter und leistungsbereiter Fachkräfte, die Förderung von Individualismus und innovativen Problemlösungen sowie ein entscheidungsfreudiges und risikoaffines Management sind Merkmale, die nicht erst NewSpace erfunden hat, sondern die schon aus den Zeiten der digitalen Revolution bekannt sind (Barbrook/Cameron 1996, Rötzer 1996). Insbesondere die synthetische Philosophie, wonach durch »die Integration verschiedener Technologien […] etwas erzeugt [wird], was mehr ist als die Summe seiner Teile« (Barbrook/Cameron 1996: 52, Schneider 2018: 313), die Orientierung an einem partizipativen Prinzip durch Popularisierung des Zugangs zu neuen Technologien (Rötzer 1996: 80f., Schneider 2018: 312f., 315f.) und ein starkes humanistisches oder altruistisches Pathos (Barbrook/Cameron 1996: 52, Schneider 2018: 27f.) finden sich sowohl in der »kalifornischen Ideologie« der Cyberkultur als auch in der Kultur des New Space Age. Elon Musk nennt drei Bedingungen für ein erfolgreiches Raumfahrt-Unternehmen: »Als Erstes muss es wirtschaftlich lebensfähig sein. Zweitens soll es interessant sein und Spaß machen. Und drittens: Sollte es erfolgreich sein, muss es der Welt etwas geben können« (zit.n. Schneider 2018: 36). Google schreibt auf seiner Webseite: »Unsere Mission: Die Informationen dieser Welt organisieren und allgemein zugänglich und nutzbar machen.«21 Das kann man auch auf den NewSpace übertragen. »Unsere Mission: Den Weltraum erschließen und allgemein zugänglich und nutzbar machen.« – Dieser Satz trifft die Geisteshaltung und Kultur von NewSpace ziemlich genau. Denn über die derzeitigen Angebote in den Bereichen Space-Access und Kleinsatelliten für einen kundenorientierten Markt hinaus, wird auch visionär und »groß« gedacht. Zukünftige Projekte wie Weltraumtourismus, Weltraumhabitate, Marsbesiedlung oder Asteroidenbergbau zielen darauf ab, den Weltraum in die Weltökonomie zu integrieren und ihn nicht nur einigen teuren Wissenschaftsrobotern oder exklusiv ausgewählten HighEnd-Astronautinnen und Astronauten zugänglich zu machen. Tafel 3 gibt einen Eindruck von der Vielfältigkeit der NewSpace-Geschäftsfelder. Dem Schaubild liegt eine Darstellung aus der Studie von SpaceTec Partners und BHO Legal (2016) zugrunde, die vom Bundeswirtschaftsministerium in Auftrag gegebenen wurde. Die aus der IT-Branche übernommene, partizipative Geisteshaltung im NewSpace-Sektor verweist, wie auch die kalifornische Ideologie selbst, auf 21

http://www.google.com/intl/de/about/, aufgerufen am 27.05.2021.

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Tafel 3: Gegenwärtige und zukünftige NewSpace-Geschäftsfelder

Quelle: SpaceTec Partners/BHO Legal 2016, S. 2, eigene Nachbearbeitung und Ergänzung

Quellen in der amerikanischen Gegenkultur (Barbrook/Cameron 1996). Man hört gewissermaßen den Nachhall des zwischen Ende der 1960er und Anfang der 1970er Jahre publizierten Whole Earth Catalogs. Dieser Katalog war eine Art Bibel der amerikanischen Gegenkultur, die einen Überblick über alle möglichen Innovationen, Technologien und Werkzeuge bot. Dahinter stand ein kybernetisch-ökologischer Ansatz und ein Technologieverständnis, das elitäre großtechnische Systeme ablehnte und stattdessen auf zweckdienliche und kleinformatige Technologien setzte, die der Rettung der Erde sowie der Selbstverwirklichung dienen und breit zugänglich sein sollten (Rosenberg 2008, Drucker 2011: 71-117). Ihre Kritiker sehen in der kalifornischen Ideologie den Ausdruck einer apolitischen und neoliberalen Cyberkultur, »die das Versprechen auf Öffnung, der individuellen Freiheit und des allgemeinen Glücks jenseits aller großen Organisationen enthält. […] Sie befürwortet die Vernetzung von allen mit allen und allem mit allem, die Entstehung von virtuellen Gemeinschaften, die sich frei und ohne lokale Verbindung entwickeln, und eine ›kollektive Intelligenz‹, in der auf der Basis einer Ökonomie des Geschenks alle Informationen frei zugänglich sein sollen« (Rötzer 1996: 76f.). Die »Schaffung und Erhaltung von Pluralität« seien zwar Ideale, die in diesem Diskurs mitgeführt werden, aber sie würden bloß der Apologie des freien Marktes und des technologischen Fortschritts dienen (Rötzer 1996: 76f.). Positiv gewendet kann man aber

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auch sagen, dass im Silicon Valley eine weltoffene Haltung und technologieaffines Innovationsklima vorherrschen (Kutsch 2019).

3.2

Weltraumwirtschaft in Deutschland

Nach den Angaben des Bundesverbandes der Deutschen Luft- und Raumfahrt (BDLI) entwickelt sich das Raumfahrtcluster in Deutschland seit 2004 stetig und beständig. In den Krisenjahren nach der Jahrtausendwende zeigt sich zwar eine Delle, denn pünktlich zum Jahrtausendbeginn sorgte seinerzeit die Dotcomkrise für Irritationen im Technologiesektor. Die Finanzkrise hat die deutsche Raumfahrt dagegen nicht beeindruckt. 2017 hatte die Raumfahrt in Deutschland über 9.000 Beschäftigte und erwirtschaftete einen Gesamtumsatz von ca. drei Milliarden Euro. Das entspricht einem Anteil von acht Prozent am Gesamtbranchenumsatz der Luft- und Raumfahrt bzw. einem Plus von drei Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Insgesamt waren 2017 in der Luft- und Raumfahrt in Deutschland 109.000 Menschen beschäftigt. Die Branche ermöglicht damit jeden achten Arbeitsplatz in Deutschland (BDLI 2018). Im Geschäftsjahr 2018 hielt die Raumfahrt erfolgreich ihr hohes Niveau, die Zahl der Beschäftigten legte sogar noch etwas zu (BDLI 2019). 2019 und 2020 verzeichnete die Weltraumwirtschaft dagegen leichte Rückgänge im Umsatz (Abb. 2). Dies ist einerseits auf die auf die Abrechnung von Großprojekten zurückzuführen. Andererseits kam es bedingt durch die COVID-19Krise zu Problemen in der Lieferkette und zu weniger Starts. Die Beschäftigtenanzahl entwickelte sich 2019 aber weiter positiv. Auch im Krisenjahr 2020 blieben signifikante Einbrüche aus (Abb. 3). Um dies zu bewerten, muss man nur den Vergleich zur zivilen Luftfahrt ziehen, die 2020 verglichen zum Vorjahr rund ein Drittel ihres Umsatzes einbüßte und knapp 10 Prozent ihrer Beschäftigten verlor. Dass die Auswirkungen der Krise für die Beschäftigten in der zivilen Luftfahrt im Berichtszeitraum nicht noch größer geworden sind, ist vor allem dem arbeitsmarktpolitischen Instrument der Kurzarbeit zu verdanken (BDLI 2020, BDLI 2021). Unternehmen mit NewSpace-Geschäftsfeldern gibt es auch in Deutschland. Die Berliner Astro- und Feinwerktechnik Adlershof verfügt über eine hohe Fertigungstiefe für Kleinsatelliten. Der zu 75 Prozent aus Eigenfertigung stammende Technologieerprobungsträger 1 (TET-1), der eine leistungsstarke Sensorik für die Feuerfernerkundung aus dem Orbit an Bord hat (Oertel et al. 2019), ist dafür ein Beispiel. Zum Portfolio von »Astrofein« gehören aber auch intelligente Reaction Wheels, d.h. Schwungräder zur Lagesteuerung von Sa-

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Abbildung 2: Umsatzentwicklung der deutschen Raumfahrt von 1997-2020 (preisbereinigt). Der Umsatzrückgang 2019 ist insbesondere auf die nichtlineare Abrechnung von Großprojekten zurückzuführen.

Quelle: Eigene Grafik auf Basis von BDLI-Branchendaten

telliten im Raum, die den Satellitenhauptcomputer nicht belasten. An der Spree in den Treptowers entwickeln die Mitarbeiter von Space Structures ultraleichte Satellitentragestrukturen aus Kohlefasern. Gewerkelt wird auch an einer Reihe weiterer Produkte sowie und an innovativer Software für die Raumfahrt. Im Charlottenburger Innovationszentrum CHIC residiert Blue Sky Solutions, ein Start-up, welches ebenfalls eine breite Palette von Leistungen anbietet, etwa Qualifizierungen für Satellitentechnologien inklusive Null-G-Tests oder die Organisation von Kleinsatellitenstarts bis hin zur Kleinsatellitenfertigung. Bekannt sind die Part Time Scientists, die sich am GoogleX Prize beteiligten.22 Die Rocket Factory Augsburg ist ein NewSpace-Unternehmen, das kostengünstige Launch-Systeme anbietet. Henry Fords Verfahren der Serienproduktion wird auf Raketen übertragen: »We maximize the cost advantages of serial production because we build rockets just like cars«.23

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Nach der Insolvenz 2019 wurden die »Teilzeitwissenschaftler« vom Berliner Logistikunternehmen Zeitfracht übernommen (Sürig 2019). Sie heißen jetzt Planetary Transportation Systems, womit die Abkürzung PTS dieselbe bleibt. https://www.rfa.space/mission, aufgerufen am 24.06.2021. Die namentlich aufgeführten Unternehmen stellen lediglich eine illustrierende Auswahl dar.

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Abbildung 3: Entwicklung der Beschäftigungszahlen in der Raumfahrtbranche in Deutschland 1997-2020

Quelle: Eigene Grafik auf Basis von BDLI-Branchendaten

Neben dem traditionellen Raumfahrtstandort Bayern ist die Region Berlin-Brandenburg ein Eldorado für NewSpace-Akteure. In Bremen dagegen sind etwa mit Airbus und OHB auch große Systemhäuser tätig. KMUs sind dabei als Unterauftragnehmer oder Zulieferer im Boot (BT-Drucksache 19/3745: 11). Die bereits mehrmals zitierte, vom Bundeswirtschaftsministerium in Auftrag gegebene Studie zum NewSpace-Potenzial ermahnt allerdings die Politik, dass die zarten Pflänzlein der Innovation, die in Deutschland wachsen, der wirtschaftspolitischen und gesetzgeberischen Flankierung bedürfen (SpaceTec Partners/BHO Legal 2016). Denn auch in den USA ist NewSpace nicht nur aus sich heraus erfolgreich. Neben innovativen und in Deutschland bzw. Europa eher unüblichen Finanzierungsmodellen wie Business Angels, Risikokapital, Crowdfunding oder Anreizwettbewerben fungieren NASA, NGA24 oder US-Militär als institutionelle Ankerkunden, die einen sicheren Markt bereitstellen und neuen Firmen über die Gründungsphase hinweghelfen können. Umso wichtiger ist es aus deutscher und europäischer Sicht, gute Rahmenbedingungen für die Raumfahrtindustrie zu schaffen und den innereuropäischen Wettbewerb zu fördern. Europäische NewSpace-Unternehmen sowie Wirtschaftsverbände plädieren zum Beispiel für gleiche Wettbewerbsbedingungen für Start-ups bei Ausschreibungen 24

National Geospatial Intelligence Agency.

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(Sürig 2021a, BDI 2021: 3). Die Mahnung, dass mentale Blockaden, die aus einem verkrusteten Institutionalismus resultieren, Europa von dem Zug in das neue Weltraumzeitalter abkoppeln könnten, ist kaum zu überhören.

3.3

Wem gehören Weltraum-Rohstoffe?

Zu den projektierten Geschäftsfeldern von NewSpace gehört auch der Abbau von Rohstoffen auf Asteroiden, Mond oder Mars. Denkbar ist dabei einerseits eine direkte Verwertung vor Ort bzw. in einem geschlossenen WeltraumStoffkreislauf. Andererseits kann man sich auch eine Versorgung der irdischen Wirtschaft mit weltraumgewonnenen Metallen wie Platin, Eisen, Nickel oder Kobalt vorstellen (BDI 2018: 6). »Space Mining« wird nicht erst und nicht nur von NewSpace-Akteuren ins Auge gefasst. Schon in den 1970er Jahren wurden Konzepte zur Rohstoffgewinnung und zum Rohstofftransport außerhalb der Erdatmosphäre entwickelt. Der Gedanke war, dass eine außerirdische Rohstoffgewinnung und -distribution notwendig für den Bau von Weltraumhabitaten sei (Heppenheimer 1977: 79). Weltraumbergbau für eine Nutzung der Rohstoffe an einem anderen Ort erfordert aber, dass die gewonnen Materialien bewegt werden müssen, d.h. Massen müssen beschleunigt werden, um sie in einen passenden Transferorbit zu befördern. Der für die Geschwindigkeitsveränderung (ΔV = »Delta-V«) benötigte Raketentreibstoff wiederum kann die Kosten des Transfers erheblich in die Höhe treiben (Lewis 1992). Diskutiert wurde daher, ob man nicht statt des Transports mit Raumschiffen innovative technologische Alternativen ins Auge fassen sollte. Ein Beispiel wären »Massetreiber«. Dabei handelt es sich im Prinzip um elektromagnetische Katapultrampen, die Lastpakete von atmosphärelosen und gravitationsschwachen Himmelskörpern wie etwa dem Mond in einen Transferorbit schleudern können. Am Ziel sollen die so versandten Pakete mittels spezieller »Massenfänger« aufgenommen werden (Heppenheimer 1977: 82-93). Neben den technologischen Herausforderungen spielen bei solchen Projektkonzepten Fragen der Wirtschaftlichkeit eine erhebliche Rolle. Denn Weltraumbergbau lohnt sich nur, wenn die Förder- und Transportkosten signifikant geringer sind als der Wert der abgebauten Rohstoffe. Neben steigenden Rohstoffpreisen fallen insbesondere die Transportkosten bei der ökonomischen Prognose ins Gewicht. Außerdem ist zu bedenken, dass durch technologische Innovation nicht nur die Möglichkeiten steigen, sich extraterrestrisch zu versorgen, sondern auch die Möglichkeiten, an Tiefsee-

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rohstoffe heranzukommen – was dann relevant ist, wenn man zunächst die Versorgung der irdischen Industrie im Blick hat. Positiv zu Buche schlägt allerdings, dass man Rohstoffe in der Regel bereits auf der Oberfläche von Asteroiden vorfindet. »Der Rohstoffabbau könnte unabhängig von Eingriffen in den Boden […] durchgeführt werden« (BDI 2018: 8). Allerdings müssen auch dafür neue Technologien entwickelt werden, denn aufgrund der geringen Schwerkraft muss der Abbauapparat sich an dem Asteroiden verankern können, was nicht ohne weiteres möglich ist, da jede Einwirkung auf den Boden sogleich eine Gegenwirkung auslöst und damit die Schürf- oder Sammelmaschine aufgrund der fehlenden Schwere wiederum vom Himmelskörper wegtreibt. Die gewinnorientierte Veräußerung von extraterrestrischen Rohstoffen setzt natürlich voraus, dass den abbauenden Förder- und Schürfunternehmen Rechte an den gewonnenen Rohmaterialen zugesprochen werden, die ihnen die Veräußerung dieser Materialen auf dem Weltmarkt erlauben. Auf die privatwirtschaftliche Vernutzung von Weltraumressourcen ist aber das internationale Weltraumrecht bislang nur schlecht vorbereitet. Eröffnet wurde die Diskussion um die rechtlichen Aspekte der privaten Weltraumnutzung schon zu Beginn der dreißiger Jahre des letzten Jahrhunderts. 1932 veröffentlichte der Pilsener Rechtsanwalt Vladimír Mandl seine kurze Grundlagenschrift Weltraum-Recht. Ein Problem der Raumfahrt. Diese Schrift ist aus mindestens drei Gründen bemerkenswert. Mandl stellt erstens fest, dass der Weltraum jenseits der Erdatmosphäre kein rechtsfreier Raum ist. Zweitens bestimmt er diesen Raum als einen »hoheitslosen« Raum, d.h. er nimmt die atopische Grundstruktur des Weltraums, die ihn von irdischen Territorien strukturell unterscheidet, wahr und übersetzt diese Atopie in eine rechtliche Begrifflichkeit (Mandl 1932: 33). Und drittens erwartet er, dass eine zukünftige »demokratische« Erschließung des Weltraums Rückwirkungen auf das irdische Souveränitätskonzept haben wird. Die Möglichkeit, sich jederzeit dem Zugriff eines Staates durch das Ausweichen in einen unbegrenzten Raum zu entziehen, führe letztlich das Prinzip der Souveränität als »Herrschergewalt« ad absurdum: »Das Individuum wird die rechtliche Anerkennung seiner Selbstbestimmung erreichen. […] Die neue Staatskörperschaft wird nur aus dem Personenelement bestehen, wird begrifflich raumlos sein, sie wird nur irgendeinen Schauplatz für ihre Betätigung brauchen […]. Eine derartige

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Beweglichkeit, Gebietslosigkeit oder Durchdringlichkeit wäre mit dem heutigen juristischen Staatsbegriffe unvereinbar« (Mandl 1932: 45). Mandl sieht den Weltraum damit generell als eine Sphäre an, in der Privatgesellschaften und Privatverbände das Regime übernehmen (Mandl 1932: 45-48). Die Überlegungen Mandls sind keineswegs veraltet. Aus heutiger Sicht verweisen sie zuallererst darauf, dass mit der Erschließung und Nutzung des Weltraums und der Himmelskörper komplexe rechtliche Fragen verbunden sind, die noch nicht in ihrer Ganzheit durchdrungen sind. Eine wesentliche, aus Mandls Überlegungen ableitbare Forderung ist die, dass der Weltraum und die Himmelskörper dem Zugriff staatlicher Souveräne entzogen werden und der gesamten Menschheit zugesprochen werden sollten. Eine zweite ist die, dass privaten Weltraumunternehmungen rechtlich besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden sollte. Hierunter wären nicht nur privatwirtschaftlich motivierte Unternehmungen zu rechnen, sondern auch zivilgesellschaftliche »Privatverbände«. Der erste Aspekt fand in der internationalen Debatte, die im Space Age verstärkt einsetzte, durchaus Widerhall. Diese Debatte mündete im Weltraumvertrag von 1967 (WRV) und im – allerdings nur von wenigen Staaten ratifizierten – Mondvertrag von 1979.25 In Artikel I des Weltraumvertrages heißt es: »Die Erforschung und Nutzung des Weltraums […] wird zum Vorteil und im Interesse aller Länder […] durchgeführt und ist Sache der gesamten Menschheit«. Artikel II erklärt: »Der Weltraum einschließlich des Mondes und anderer Himmelskörper unterliegt keiner nationalen Aneignung durch Beanspruchung der Hoheitsgewalt, durch Benutzung oder Okkupation oder durch andere Mittel«.26 Diese beiden Artikel sprechen dem Weltraum den Status einer res communis omnium zu, d.h. sie definieren ihn rechtlich als einen Bereich, der allen Staaten offensteht, aber nicht von ihnen angeeignet werden darf (Tronchetti 2015: 779, Paladini 2019: 194). Der Mondvertrag erklärt die natürlichen Himmelskörper darüber hinaus zum gemeinsamen Erbe der Menschheit (Artikel 11), einem weiterreichenden, aber auch sehr umstrittenem Konzept (Taylor 2012, Tronchetti 2015: 782-788). Beiden Konzepten ge-

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Der Mondvertrag wurde mit Ausnahme Australiens von keiner raumfahrtrelevanten Nation unterzeichnet. Gesetz zu dem Vertrag vom 27. Januar 1967 über die Grundsätze zur Regelung der Tätigkeiten von Staaten bei der Erforschung und Nutzung des Weltraums einschließlich des Mondes und anderer Himmelskörper vom 2. Oktober 1969, BGBl. 1969 II, 1967 (1971).

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meinsam ist, dass sie auf verbindliche Normen für die Nutzung von Räumen jenseits der Souveränität abzielen. Wie aber steht es um den zweiten Aspekt, den Mandl hervorhebt? Wie verhält es sich mit der privaten Nutzung des Weltraums zu wirtschaftlichen Zwecken, insbesondere mit privaten Besitzrechten an Rohstoffen, die außerhalb der Erde gewonnen werden? Bislang gibt es kein internationales Regime, dass die Rohstoffentnahme auf außerirdischen Himmelskörpern zureichend regelt. Das liegt nicht zuletzt daran, dass die Befahrung des Weltraums zur Zeit der Verhandlungen zum WRV eine wesentlich staatlich-institutionelle Angelegenheit war. Die Doktrin des Weltraumvertrages erscheint NewSpaceAkteuren daher als »outdated« (Vernile 2018: 72). In Anbetracht des Aufkommens von NewSpace fordern Wirtschaftsverbände in Deutschland von der Politik, Rechtssicherheit für die private Nutzung des Weltraums zu schaffen, zumal der U.S. Commercial Space Launch Competitiveness Act von 2015 US-Bürgerinnen und -Bürgern Rechte auf den Erwerb, den Besitz und den Umgang mit Weltraumressourcen einräumt. Dort heißt es: »A United States citizen engaged in commercial recovery of an asteroid resource or a space resource under this chapter shall be entitled to any asteroid resource or space resource obtained, including to possess, own, transport, use, and sell the asteroid resource or space resource obtained in accordance with applicable law, including the international obligations of the United States.«27 Dieses US-Gesetz befeuert, ebenso wie eine vergleichbare Gesetzesinitiative Luxemburgs, die Diskussion. Bei der rechtlichen Debatte über die privatwirtschaftliche Nutzung von Weltraumrohstoffen stechen zwei Interpretationsstränge hervor. Auf der einen Seite findet sich die Auffassung, dass die Aneignung von Ressourcen für wirtschaftliche Zwecke erst dann erlaubt sei, wenn es ein entsprechendes internationales Regulierungs- und Konzessionsregime gebe. Auf der anderen Seite findet sich die Auffassung, dass die geltende Rechtslage lediglich die Aneignung von Gebieten auf Himmelskörpern untersage, nicht aber als ein faktisches Verbot der Extraktion und Verwertung von Weltraumrohstoffen gedeutet werden dürfe. Es genüge, wenn privatwirtschaftliche Ak27

http://www.congress.gov/bill/114th-congress/house-bill/2262/text, 27.05.2021.

aufgerufen

am

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teure in staatliche Regulierungen eingebunden seien und sichergestellt werde, dass internationale Verpflichtungen wie Schadensausgleich oder friedliche Nutzung eingehalten werden. Der deutsche Weltraumrechtsexperte Stephan Hobe steht für die erste Position. Hobe zufolge haben Nationalstaaten nicht die Befugnis, ein Recht zu übertragen, das sie gar nicht haben (Hobe 2019: 75, 164f.). Da Staaten keinen hoheitlichen Anspruch auf Weltraumkörper haben, können sie auch nicht in einer unilateral-nationalen Gesetzgebung die Vergabe von Eigentumsrechten an Weltraumressourcen für privatwirtschaftlichen Zwecken regeln. »As a consequence, unilateral legal acts giving as legal title to ownership and possession over space resources are a legal ›nullum‹ (nothing)« (Hobe 2019: 165, Herv. i.O.). Für die Entnahme von Ressourcen zu ökonomischen Zwecken bedürfe es daher vor jeder nationalen einer klaren internationalen Regelung vergleichbar des Konzessionsregimes zur Nutzung des Tiefseebodens (Hobe 2019: 160, vgl. Deutscher Bundestag – Wissenschaftliche Dienste 2018: 11f.). Hobe steht mit seiner Sichtweise keineswegs alleine da. Etwa vertritt auch der Rechtsprofessor Marcus Schladebach von der Universität Potsdam die Auffassung, dass die US-Gesetzgebung zum Weltraumbergbau »gegen das Aneignungsverbot des Art. II WRV« verstoße (Schladebach 2019: 30). Der niederländischen Weltraumrechtler Frans von der Dunk neigt dagegen der zweiten Position zu. Seiner Auffassung nach verbiete die Rechtslage lediglich die Reservierung vorhandener Ressourcen (»resources in place«), nicht aber die Aneignung und Verwertung entnommener Ressourcen (»extracted resources«). »[A]fter the natural resource has been extracted it could become the property of an individual state« (lawless.tech 2018). In dieser Sicht entspricht die Gesetzgebung der USA durchaus dem Weltraumvertrag, insofern zwar Bodenschätze entnommen und verwertet werden, aber keine hoheitliche Aneignung beansprucht wird. »The resources are for grab, but not the ground that contains them« (Paladini 2019: 207). Dunk zieht einen Vergleich mit der Nutzung der freien See: »No country can point at a certain part of the high seas and say ›that area is mine and everybody else needs to stay out.‹ However, the moment when a private fisherman goes to that particular part, and catches the fish therein and takes that fish in their net, nobody disagrees that the fisherman, as long as they comply with all the rules of the international law about overfishing, whaling, and pollution, etc, is entitled to own the fish.« (lawless.tech 2018)

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Dunk zufolge kämen die USA mit einer nationalen Gesetzgebung ihrer aus der absehbaren technischen Umsetzbarkeit von Weltraumbergbau und Artikel VI des Weltraumvertrages resultierenden Verpflichtung nach, die privatwirtschaftliche Nutzung von Weltraumrohstoffen zu regeln.28 Die nationale Regelung sei zugleich als eine Einladung an die internationale Gemeinschaft zu verstehen, zusammen ein internationales Nutzungsregime auszuarbeiten (Dunk 2015: 3). Einigkeit zwischen beiden Positionen besteht also insoweit, als eine internationale Regelung für wünschenswert gehalten wird. In Frage steht dagegen, ob sie eine notwendige rechtliche Voraussetzung für den privatwirtschaftlichen Weltraumbergbau darstellt. Natürlich sind auch Zwischenpositionen denkbar. So argumentiert etwa Fabio Tronchetti, dass es Staaten prinzipiell erlaubt sei, nationale Gesetze zu verbschieden, die die private Verwertung von Weltraumressourcen regeln. Er gibt aber zu bedenken, dass damit neues politisches Konfliktpotential entstehen kann, das sich auch auf der Erde auswirken kann (Tronchetti 2015: 810). Vor dem Hintergrund der sehr grundsätzlichen Überlegungen Mandls, der die atopische und hoheitslose Grundanlage des Weltraumrechts unmittelbar mit seiner Erschließung durch Privatgesellschaften und Privatverbände verbindet, sollte man den Trend zu nationalen Weltraumgesetzen nicht voreilig abqualifizieren, denn der Sinn dieser Gesetzgebung ist es, entsprechend der technologischen Möglichkeiten eine private Nutzung des Weltraums zu befördern, die letztlich der Menschheit als Ganzes zu Gute kommen würde, wenn sie dem Menschen neue, positive Möglichkeiten erschließt oder helfen kann, wichtige Probleme der Weltgesellschaft zu bewältigen. Durchaus denkbar wäre ein sich nach und nach prozesshaft entwickelndes kommerzielles und privates Weltraumrecht – vergleichbar der Entwicklung im internationalen Handel. Hierbei würden nicht nur privaten Verträgen und einer Schiedsgerichtsbarkeit zu Beilegung von Streitigkeiten eine bedeutende Rolle zukommen, sondern auch dem öffentlichen Sektor (Salter 2020). Mandl erwartet ebenfalls, dass »eine Rechtsregel […] nicht mehr durch einen einseitigen, souveränen Staatsakt zustande kommen« wird, sondern »viel-

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Art. VI WRV verlangt, dass »Tätigkeiten nichtstaatlicher Rechtsträger im Weltraum einschließlich des Mondes und anderer Himmelskörper […] der Genehmigung und ständigen Aufsicht durch den zuständigen Vertragsstaat [bedürfen]« (BGBl. 1969 II, 1967 (1975)).

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mehr frei – ausdrücklich oder stillschweigend durch Übung – zwischen den Teilnehmern vereinbart« wird (Mandl 1932: 46).29 Wie stellt sich die Frage nach der privatwirtschaftlichen Nutzung von Weltraumressourcen für Deutschland dar? Nach Auffassung des BDI ist die deutsche Industrie in der Lage, bei der Entwicklung der notwendigen Technologien für den Weltraumbergbau »ganz vorne dabei zu sein« (BDI 2018: 11). Sowohl aus Sorge um den Erhalt der bisherigen Schlüsselposition Deutschlands in der Luft- und Raumfahrt als auch im Hinblick auf die Chancen, dem Standort Deutschland einen neuen Innovationssektor zu erschließen, fordert der BDI, dass »die Bundesregierung rasch ihren im Koalitionsvertrag angekündigten Plan umsetzen [solle]: die Verabschiedung eines Weltraumgesetzes mit einem gesonderten Kapitel für den Weltraumbergbau« (BDI 2018: 15). Aus Sicht der deutschen Wirtschaft geht es also darum, Rechtssicherheit zu schaffen und Deutschland als Standort attraktiv für Investitionen und kommerzielle Raumfahrtprojekte zu machen. Auf der Agenda der großen Koalition stand in der Tat ein Weltraumgesetz. Dieses sollte »vor allem die völkerrechtlichen Genehmigungs-, Überwachungs- und Haftungsverpflichtungen« konkretisieren (BT-Drucksache 19/3745: 13). Den Abbau von Rohstoffen im Weltraum hält die Bundesregierung für eine »völkerrechtlich grundsätzlich zulässige Nutzung« (BT-Drucksache 19/6326: 6). Das Gesetz kam in der Legislatur 2017-21 allerdings nicht zustande. Dabei spielte die Frage nach der öffentlichen Haftung für private Raumfahrtprojekte eine nicht unerhebliche Rolle (Sürig 2021b). In Bezug auf eine nationale Regelung zum Space-Mining nach USamerikanischem Vorbild legt die Bundesregierung in mehreren Antworten auf Kleine Anfragen aber dar, dass sie ein internationales oder multilaterales Regelungsregime als Voraussetzung für die privatwirtschaftliche Nutzung von Weltraumrohstoffen ansieht (BT-Drucksache 19/3745: 14, BT-Drucksache 19/6326: 6). In die gleiche Richtung zielt auch ein gemeinsamer Antrag der 29

Ein blinder Fleck dieser Debatte ist die Möglichkeit einer nicht-irdischen Staatsgründung etwa durch Marskolonisten. In der Science-Fiction sind solche außerirdischen Staatsgründungen ein gängiger Topos. Artikel II WRV verbietet aber die Beanspruchung einer Hoheitsgewalt im »Weltraum einschließlich des Mondes und anderer Himmelskörper«. Das hat zur paradoxen Folge, dass die Erde, rechtlich gesehen, nicht als Himmelskörper betrachtet wird, denn auf ihr gibt es zahlreiche Staatsgebilde. Aus der Perspektive des Weltraumvertrags liegt die Erde quasi außerhalb des Weltraums. Der Vertrag ist geozentrisch (Miller 2018). Zu Recht darf man fragen, ob das noch angemessenen ist.

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Regierungsfraktionen CDU/CSU und SPD vom November 2019. Hier wird von der Bundesregierung gefordert, »Fragen des Eigentums an Rohstoffen aus dem Weltraum […] nicht durch nationale Alleingänge zu klären« (BT-Drucksache 19/15060: 10). Industrievertreter drängen daher bereits, auf dem eingeschlagenen Pfad zu einer übergreifenden Regelung wenigstens zügig voranzuschreiten (BDI 2019: 29, Wachter 2018). Hintergrund des Drängens und Mahnens aus der Industrie ist die Befürchtung, dass die wirtschaftlichen Chancen des Standortes Deutschland politisch ausgebremst werden, dass Deutschland nach der Digitalisierung »the Next Big Thing in Tech« erneut verschläft und die Zukunft an Deutschland und Europa vorbei zieht.

3.4

Ein All für alle?

NewSpace heißt zuallererst, dass der Space-Access »demokratischer« werden soll. Es gehe darum, so etwa Richard Branson (Virgin Galactic), »Raumfahrt in der Zukunft für jedermann zu ermöglichen« (zit.n. Schneider 2018: 139). Andrew Rush, CEO von Made in Space, bekennt in einem Interview mit dem Wissenschaftsjournalisten Peter M. Schneider: »Wenn ich an die Demokratisierung des Raums denke, dann meine ich damit, die Eintrittsbarrieren zu ihm zu senken. Der Weltraum ist nicht mehr für eine […] exklusive Industrie reserviert und auch kein Bereich, in dem nur Nationen Fahnen aufstellen« (zit.n. Schneider 2018: 315). Natürlich handelt es sich hier um die Demokratie des Marktes. Jeff Bezos (Blue Origin) erfüllt die Vision eines »dynamischen Unternehmertums« mit »Tausenden von Firmen, die im Weltraum, kreative Dinge tun«. Dabei greift er auf den Vergleich mit der erfolgreichen Cyberspace-Industrie zurück, um seine Vision zu erläutern: »[T]he vision is to figure out how there can really be dynamic entrepreneurialism in space. I’ve witnessed this incredible thing happen on the internet over the last two decades. I started Amazon in my garage 24 years ago and drove all the packages to the post office myself. Today we have 600,000-plus people, millions and millions of customers, a very large company. How did that happen in such a short period of time? It happened because we didn’t have to do any of the heavy lifting. All the heavy-lifting infrastructure was already in place for Amazon. There was already a telecommunications network, which became the backbone of the internet. There was already a payments system, called the credit card. There was already a transportation net-

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work, called the U.S. Postal Service and Royal Mail and Deutsche Post, all over the world, to deliver our packages. We didn’t have to build any of that heavy infrastructure. An even more stark example is Facebook. Here is a guy, Mark Zuckerberg, who started a company in his dorm room, which is now worth half a trillion dollars, less than two decades ago. So how do you get that kind of entrepreneurial dynamism in space? You need to lower the price of admission. Right now, to do anything interesting in space, the entry price point is hundreds of millions of dollars. Nobody’s going to do that in their dorm room. You can’t have the Mark Zuckerberg of space today. It’s impossible. Two kids in their dorm room can’t start anything important in space today. That’s why I want to take the assets I have from Amazon and translate that into the heavy-lifting infrastructure that will allow the next generation to have dynamic entrepreneurialism in space, to build that transportation network. That’s what’s going on. That’s what Blue Origin’s mission is. If we can do that, the whole thing will take off, and there will be thousands of companies doing creative things in space.«30 Es geht Blue Origin darum, eine leistungsfähige, verlässliche und günstige Logistik-Infrastruktur für den nahen Weltraum zu schaffen. Diese soll es dynamischen Unternehmen ermöglichen, kreative Geschäftsideen umzusetzen, ohne dass sie über unüberschaubare Kapitalmengen verfügen müssen, was das Engagement solcher Unternehmen schlicht unterbinden würde. Die von Blue Origin eingesetzten Vermögenswerte basieren letztlich auf dem geschäftlichen Erfolg des Onlineversandhändlers Amazon, den Bezos 1994 gegründet hat. Dreh und Angelpunkt von NewSpace ist die Vision eines Alls für alle. Diese Vision verweist nicht nur auf die ökonomischen Möglichkeiten eines neuen Marktes, sondern sie steht auch für ein partizipatives Legitimationsmuster der Raumfahrt. Im Rahmen der institutionellen Raumfahrt tritt eine kleine Elite von wissenschaftlich und technisch speziell ausgebildeten, körperlich wohl trainierten Astronautinnen und Astronauten als Stellvertreter der Menschheit an. NewSpace dagegen verspricht, den Zugang zum Weltraum zunächst für neue Akteure zu öffnen. Am Ende aber soll analog zum Cyberspace eine breite Nutzung ermöglicht werden. Die NewSpace-Vision einer er-

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»The cosmic vision of Jeff Bezos« (Interview), in: SpaceNews vom 25.02.2019, Vol. 30, H. 2, S. 9-13, hier S. 11.

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weiterten Partizipation wirft natürlich die Frage auf, wie es sich mit dem Publikum der Raumfahrt verhält. Diejenigen, die im Rahmen der institutionellen Raumfahrt und des professionellen Berufsbildes »Astronaut (m/w/d)« den Weltraum befahren, lassen sich soziologisch als Inhaber von Raumfahrt-Leistungsrollen beschreiben. Leistungsrollen sind »organisierte Rollen beruflicher Arbeit«, die der Gesellschaft die kontinuierliche und sachlich kompetente Wahrnehmung spezieller Funktionen ermöglichen (Luhmann 1982: 236). Weltraumtouristen nehmen hingegen als Konsumenten an der Raumfahrt teil. Sie buchen aus privatem Vermögen einen Aufenthalt auf der ISS, einen suborbitalen Flug oder eine Orbitreise, um das Erlebnis »Weltraum« zu genießen. Soziologisch betrachtet, agieren sie dabei im Rahmen einer Publikumsrolle. Publikumsrollen ermöglichen komplementär zu jeweils funktionsspezifisch ausdifferenzierten, professionellen Leistungsrollen die Teilnahme von Laien an den ausdifferenzierten sozialen Funktionen. Sie ermöglichen die »Einbeziehung von jedermann« in ein Funktionssystem (Stichweh 1988: 262). Die Rolle des Weltraumtouristen ist eine Variante, Laien an der Raumfahrt teilhaben zu lassen. Die soziologische Differenzierung Experte/Publikum bietet sich somit an, das NewSpaceLeitbild einer »Raumfahrt für alle« abzuklopfen. Wie verhält es sich mit der Inklusion der Vielen in die Raumfahrt, d.h. mit dem Publikum der Raumfahrt? Das Laienpublikum der Raumfahrt war bislang in erster Linie vermittelt über den Staat an der Raumfahrtunternehmung beteiligt. Hierbei agierte es aber nicht in einer ökonomischen Publikumsrolle, sondern war lediglich mittelbar in seiner Funktion als Publikum der Politik – d.h. als Wählerinnen und Wähler bzw. als Steuerzahlende – am Geschehen beteiligt. In der Landwirtschaft werden weltraumgenerierte Informationen immer wichtiger. In solchen Fällen spielen Dienstleistungsangebote, die auf satellitengestützter Fernerkundung beruhen, eine Rolle in der Produktionsund Wertschöpfungskette. Ähnlich verhält es sich mit Spin-Off-Effekten der Raumfahrt, die sich in Konsumgütern niederschlagen können. Im Falle der irdischen Verwertung von Weltraumrohstoffen würden Asteroidenmaterialien über die Produktionskette in Massenkonsumgütern auch bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern ankommen. Dann steckt vielleicht ein Stück aus einem Asteroid in der IT-Steuerung der Waschmaschine oder der Batterie des E-Mobils. Die Verbraucherinnen und Verbraucher nutzen die Raumfahrt in solchen Fällen aber nicht als Raumfahrt, ja, sie werden sich in der Regel nicht einmal dafür interessieren, wie viel Raumfahrt in

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den Konsumgütern jeweils steckt. In Bezug auf den Konsum von Gütern, in die Raumfahrt quasi »eingebaut« ist, kann also nicht von einer spezifisch raumfahrtbezogenen Publikumsrolle gesprochen werden. Im Rahmen einer weltraumbasierten Telekommunikation ist das Verhältnis der Verbraucherinnen und Verbraucher zur Raumfahrt weniger vermittelt. Das ist schon seit den 1980er Jahren der Fall, was man an den von Parabolantennen überwucherten Balkonen erkennen konnte. Heute gilt das für die Individualnavigation mittels weltraumgestützter Satellitensysteme. Auch bei einem weltraumbasierten Internet wäre das der Fall. Genutzt werden Raumfahrtsysteme hierbei allerdings in ihrer Funktion als technisches Medium. Das Publikum nutzt primär Unterhaltungsangebote oder Navigationsservices. Die Raumfahrt ist auch ein Mittel, um wissenschaftliche Erkenntnisse zu erlangen. Die Rezeption dieses Wissens durch Laien fällt aber in den Bereich der Wissenschaftskommunikation und ist ein Beispiel für die zunehmende Bedeutung partizipativer Ansprüche der Bevölkerung im Wissenschaftssystem (Spreen et al. 2021). Etwas anders sieht es aber aus, wenn Privatpersonen eigene Mini-Raumsonden – zum Beispiel sogenannte »Sprites« – erwerben, die im Rahmen von Citizen-Space-Projekten eingesetzt werden (Peck 2011). In einem solchen Fall läge eine unmittelbare Publikumsbeteiligung an der Raumfahrt vor. In den Medien kann die Raumfahrt allerdings durchaus als Raumfahrt interessant werden. Das machen nicht nur zahlreiche Science-FictionProduktionen deutlich. Schon das Weltraumfieber der 1920er Jahre war in vielerlei Hinsicht ein Medienphänomen. Auch heute erfreuen sich spektakuläre Weltraumthemen der Aufmerksamkeit des Medienpublikums. Man denke nur an die Hypes um Alexander Gersts ISS-Kommando oder um das Landeunternehmen der Philae-Sonde auf dem Kometen »Tschuri«. Youtube-Videos zur Marslandung des NASA-Rovers Perseverance erreichten viele Millionen Zuschauerinnen und Zuschauer. Das Youtube-Video zum Start der ersten bemannten SpaceX-Dragon im November 2020 zur ISS wurde bis zum Sommer 2021 über sechs Millionen Mal aufgerufen.31 Die unmittelbare Publikumsrolle, die in den genannten Fällen ausgefüllt wird, ist zwar eine mediale Rezipientenrolle, allerdings zeigt die große Aufmerksamkeit für solche Space-Events, dass es ein breites Raumfahrtpublikum und eine

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https://www.youtube.com/watch?v=bnChQbxLkkI, Stand 20.07.2021.

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zunehmende Einbindung der Gesellschaft in die Raumfahrt gibt (Paladini 2019: 244f.). Ökonomisch gesehen, entsteht eine Nachfrage. Solche Nachfrage bringt auch neue Angebote hervor, die das Raumfahrterlebnis dem Alltag näher bringen. Unter der Parole »democratise space live« verspricht Space Time Enterprises seiner Kundschaft mittels VR-Technologie ein Weltraumerlebnis aus dem 600-Kilometer-Erdorbit in Echtzeit-3D (Paladini 2019: 239). Das britische Unternehmen möchte damit die Möglichkeit bieten, »to feel what it’s like to be an astronaut«.32 Die Satelliten, die dieses Erlebnis ermöglichen sollen, ähneln Avataren des Publikums im Orbit, so dass hier von einer medial vermittelten bzw. virtuellen Raumfahrtpublikumsrolle gesprochen werden kann. Auf der Webseite des Unternehmens wird dies grafisch gut zum Ausdruck gebracht, denn die Seite zeigt eine junge Frau mit VRBrille in sommerlicher Alltagsbekleidung, die im Orbit schwebt und mittels ihrer Sinneserweiterung auf die Erde herab sieht (Abb. 4). Dieses kommerzielle Angebot zielt auf eine Generalisierung des »Overview-Effektes« ab und könnte dadurch dazu beitragen, systemische Verantwortung für die Menschheit und die Erde zu popularisieren.

Abbildung 4: Screenshot der Webseite von Space Time Enterprises

Quelle: http://spacetime.enterprises/, Screenshot vom 28.04.2021

Unter dem Begriff »Overview-Effekt« versteht man in Anlehnung an die Untersuchung Frank Whites zunächst eine Erfahrung von Astronautinnen 32

http://spacetime.enterprises, aufgerufen am 27.05.2021.

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und Astronauten, die die Erde aus dem Orbit oder vom Mond aus sehen, wobei sich eine Transformation der Wahrnehmung einstellt. Erde und Menschheit erscheinen als ein Ganzes, gewaltsame Konflikte und Umweltzerstörung wirken unverantwortlich. »Der umfassende Blick von oben besagt im Grunde alles: Wir sind eins; wir leben hier zusammen; Krieg und Streit bringen keine Lösung« (White 1987: 76). Der Overview-Effekt fördere, so White, eine systemische Sichtweise. Erdsystem, Biosphäre und Weltgesellschaft können leichter als Teile eines Gesamtsystems physikalischer, biologischer und sozialer Prozesse verstanden werden (White 1987: 109). Diese Erfahrung könne medial in die Gesellschaft transferiert und zu einer Erfahrung für jedermann werden. Gewöhnliche Erdbewohnerinnen und Erdbewohner verwandeln sich dabei in »Terranauten«: »Man hört den Vortrag eines Astronauten, sieht einen Film oder betrachtet ein Plakat mit dem Foto der im All schwebenden Erde: Damit beginnt ein Übernahmeprozess, der dem Auditorium das Gewahrwerden des Overview beschert. Zwar sind die Ergebnisse nicht so tiefgreifend wie ein direkter Aufenthalt im Weltraum, doch erfasst die Wirkung breitere Schichten […]. Ich bezeichne Menschen, die das Gewahrsein von Astronauten erlangt haben, ohne im Weltraum gewesen zu sein, als Terranauten.« (White 1987: 99)33 Das Angebot von Space Time Enterprises zielt auf eine solche Breitenwirkung, wobei das astronautische »Gewahrsein« möglichst intensiv vermittelt werden soll. Die visionären Strategien von NewSpace streben eine möglichst breite Einbindung der Raumfahrt in den Markt an. Sie adressieren nicht nur Geschäftskunden oder institutionelle Abnehmer, sondern ebenfalls die Ebene der Verbraucherinnen und Verbraucher: Weltraumtouristinnen und Weltraumtouristen, die einen Flug bei Virgin Galactic oder Blue Origin buchen oder gar in einem privat geführten, orbitalen Hotel übernachten (Marsiske 2005: 125-129, Schneider 2018: 148-152, Paladini 2019: 238f.), nehmen in einer Publikumsrolle unmittelbar an der Raumfahrt teil. Angebote für Erdverbliebene versuchen, Weltraumerfahrungen möglichst nah zu reproduzieren.

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Tatsächlich sind die Umweltbewegung und ihre Parole »Global denken, lokal handeln« eng mit dem Bild des aus dem Weltraum gesehenen »Blauen Planeten« verknüpft (Buell et al. 2011: 421). Zu Whites »Overview Systemtheorie« vgl. die Einleitung zu diesem Band.

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Jeff Bezos Vision eines dynamischen und vielfältigen Unternehmertums im Weltraum wiederum orientiert sich am Modell der Erschließung des Cyberspace. Es geht darum, eine günstige Access-Infrastruktur für den Weltraum zu schaffen, auf die dann andere Unternehmen aufsetzen können. Die Frage bleibt natürlich, wie kostengünstig, sicher und easy-to-use der Zugang zum Weltraum tatsächlich gestaltet werden kann, um diesen Vergleich mit dem Internet zu gestatten, welches ja tatsächlich für unzählige kleinere, mittlere und große Unternehmen und nicht zuletzt für das breite Publikum eine gut zugängliche Cyberspace-Infrastruktur bietet. Welche Raumfahrtangebote künftig wirklich für ein breites Publikum erschwinglich sind, wird sich erst noch zeigen müssen: In dem Film Elysium (USA 2013) zeigt Neill Blomkamp ein rotierendes Orbitalhabitat, auf dessen Innenseite eine luxuriöse Gartenlandschaft appliziert ist. Dabei handelt es sich um das in den Kosmos projizierte Beverly Hills. In diese orbitale gated community hat sich die Gesellschaft der Reichen und Schönen zurückgezogen, um sich von den prekarisierten Existenzen auf einer übervölkerten Erde zu separieren. Man lehnt sich sicher nicht allzu weit aus dem Fenster, wenn man in eben jenem Stadtteil von Los Angeles auch eine Zielgruppe der kosmotouristischen Angebote von Virgin Galactic und Blue Origin vermutet. Die Geschichte in Elysium endet allerdings mit einer sozialen Revolution, die den Orbit »vergesellschaftet« und damit die Raumfahrtpublikumsrolle generalisiert. Man muss also abwarten, wie viel »Demokratisierung« in dem NewSpaceVersprechen der Raumfahrt für jedermann tatsächlich steckt und wie sich die Partizipation des Publikums schließlich gestalten wird.

3.5

Vertiefung der Integration in die Gesellschaft

Die privatwirtschaftlich ausgerichtete Raumfahrt fügt dem Raumfahrtdiskurs neue Perspektiven hinzu. Die Privatisierung der Raumfahrt lässt eine Vertiefung der Integration der Raumfahrt in die Gesellschaft und in ihren Wirtschaftskreislauf erkennen, weil NewSpace an Marktchancen ausgerichtet ist und eine partizipative Strategie verfolgt. Raumfahrt wäre damit nicht länger nur indirekt über staatliche »Machtspiele« (Johannes Weyer), institutionelle Akteure und komplexe Legitimationsdiskurse durch entweder philosophische Höhenflüge oder umständliche Kosten-Nutzen-Analysen in die Gesellschaft eingebunden. Sie ließe sich vielmehr als Raumfahrt mit Profit und Raumfahrt für die Vielen leicht legitimieren.

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Dennoch sind Fragen offen, die die private Erschließung des Sonnensystems betreffen. Wie verhält es sich mit weltraumrechtlichen Fragen und wie weit kann das neue, partizipative Versprechen von NewSpace wirklich reichen? Hinter diesen offenen Fragen stehen mentale Blockaden in der Politik, aber auch das Problem der Kosten. Wie günstig kann privatwirtschaftlich genutzte Raumfahrttechnologie und -infrastruktur zukünftig werden, um das Partizipationsversprechen von NewSpace einzulösen? Erkennbar ist allerdings bereits heute, dass die Annahme, Weltraumtechnologie sei prinzipiell extrem kostenintensiv und daher notwendig auf den Staat verwiesen, ein Produkt institutioneller Ideologie ist. Ein Kilogramm Nutzlast kann schon gegenwärtig durch private Anbieter deutlich günstiger in den LEO gebracht werden als durch institutionelle. Die vertiefte Einbindung in die Gesellschaft zeigt sich auch in der Verschaltung insbesondere des US-amerikanischen NewSpace mit der New Economy der IT-, Digital- und Medienbranche. Die kalifornische Ideologie, d.h. der Pioniergeist der Cyberspace-Siedler, macht sich daran, den Weltraum zu erobern. Die weitere Integration der Raumfahrt in die gesellschaftliche Arbeitsteilung und den Wirtschaftskreislauf steht auch auf der Zukunftsagenda der deutschen Wirtschaftspolitik, was sich an diversen Förderprogrammen und -initiativen ablesen lässt, die im Kontext von Digitalisierung und Industrie 4.0 auf branchenübergreifende Aktivitäten zwischen Raumfahrt, Mobilitätssektor, Landwirtschaft und Digitalwirtschaft abzielen (SpaceTec Partners/BHO Legal 2016, BT-Drucksache 18/11692, BT-Drucksache 19/3745). Ob sich allerdings die institutionellen Akteure und die Politik in Deutschland auf die privatwirtschaftliche Raumfahrt und ihr partizipatives Potential ausreichend einstellen können, wird sich erst noch zeigen müssen. Grundsätzlich betrachtet, lässt sich die Bedeutung der Raumfahrt nicht allein an der Ausdifferenzierung breiter raumfahrtspezifischer Publikumsrollen messen, auch wenn das NewSpace-Leitbild eine solche Ausdifferenzierung strategisch adressiert. Denn eine vertiefte Integration der Raumfahrt in die Gesellschaft impliziert zunächst nur, dass immer mehr gesellschaftliche Prozesse über den Rahmen des Erdsystems hinausgreifen. Die obige Diskussion der Bedeutung der Raumfahrt für verschiedene Publika zeigt aber gerade an, wie tief die Raumfahrt bereits in gesellschaftliche Prozesse integriert ist. Das heißt aber auch: Am Horizont der Zukunft werden Konturen einer transglobalen Gesellschaft sichtbar, d.h. einer Gesellschaft, in der funktionale Systemprozesse nicht länger auf die Erde und den nahen Orbit beschränkt sind (Spreen

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2020). Ein Beispiel für eine solche Transglobalisierung im Kontext des ökonomischen Funktionssystems wäre der Weltraumbergbau, der das Dilemma begrenzter planetarer Ressourcen mildern könnte. Ein anderes wäre der Aufbau einer weltraumbasierten Industrie. Es erscheint wahrscheinlich, dass es im Rahmen dieses Transglobalisierungsprozesses zur Ausdifferenzierung breiterer raumfahrtspezifischer Publikumsrollen kommt – wie etwa private Miniatursonden zur Erforschung des Sonnensystems, Weltraumtourismus, Weltraumhotels, Orbitalkunst, Echtzeiterlebnisse aus dem Weltraum oder von der Mondoberfläche mittels VR-Technologie, kommerzielle Krypta-Satelliten in einem »Trauerorbit«, erdgerichtete Werbung aus der Umlaufbahn, Planetenbesiedelung oder Wohnen und Arbeiten in Weltraumhabitaten.34

4.

Die Astronauten-Ökonomie der reflexiven Moderne

4.1

Lebenserhaltungssysteme

Während die Sowjetunion Anfang der 1960er Jahre den ersten Start eines Menschen in den Weltraum vorbereitete, begann am Moskauer Institut für Flugmedizin der erste Test einer künstlichen Biosphäre. Jewgenij Schepeljew begab sich in einen hermetisch verschließbaren Container, in dem sich außer ihm Chlorella-Grünalgen befanden. In dem von der Umwelt getrennten System sollten ihm die Algen für einen Tag den nötigen Sauerstoff liefern, was sie auch pflichtschuldigst taten. Jewgenij Schepeljew war damit der erste Mensch, dessen Leben zeitweilig »komplett von einer Kunstnatur abhängig« war (Schwägerl 2010: 7). Der Moskauer Algencontainer ist ein Lebenserhaltungssystem auf biologischer Basis gewesen. In der Sowjetunion führte man weitere Experimente mit solchen künstlichen Biosystemen durch. 1972 lebten drei Menschen ein halbes Jahr lang in einem luft- und wasserisolierten Habitat, welches neben dem bereits erprobten Algentank auch Kabinen für den Anbau von Getreide und Gemüse hatte. Bis zum Ende der Sowjetunion konnte der Anteil der innerhalb des Containers erzeugten notwendigen Nahrung auf drei Viertel gesteigert werden (Alling et al. 1990: 23, Nelson et al. 2008: 789, Schwägerl 2010: 11).

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Dieser Liste liegen auch Antworten auf eine kleine Expertenumfrage bei Twitter zugrunde. Sie ist sicher nicht vollständig.

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Weitaus bekannter ist das Biosphäre 2-Experiment in der Wüste Arizonas, das während der ersten Hälfte der 1990er Jahre durchgeführt wurde. Diese zweite Biosphäre sollte ein verkleinertes und verdichtetes Modell der ersten sein. Das Projekt stand im Kontext der Forschung zu Weltraumhabitaten. Es handelte sich um ein privatwirtschaftlich getragenes, ökologisches Raumfahrtprojekt (Anker 2017). Das Experiment bestand aus einem von der Atmosphäre und dem Untergrund abgeschlossenen Kuppelbau mit einer Grundfläche von 1,2 ha. Hierin befanden sich verschiedene, 1000 bis 2000 m2 umfassende Bereiche, die den natürlichen Lebensräumen der tropischen Zone nachgebildet waren, darunter auch ein Regenwald und ein künstliches Korallenriff. Innerhalb jeder dieser Umwelten wurden wiederum eine Reihe verschiedener Landschafts- oder Subökosysteme nachgebildet. Im Gegensatz zum Schepeljew-Experiment wurde also eine Strategie der Maximierung von Diversität verfolgt – dies auch, um möglichst viele Daten über Wechselwirkungsprozesse zu erhalten, die in der Erdsystemforschung oder für die Habitatforschung nützlich sein könnten. Zur Biosphäre 2 gehörte außerdem eine ausgefeilte Technik: Es wurden 120 Pumpen und 50 Klimageräte betrieben. Mehrere Kilometer Leitungen wurden verlegt. Genutzt wurden außerdem Wasserspeicher, Computersteuerungen, Videosysteme, Kommunikationssysteme, Filter, ein algenbasiertes System zur Nährstoffentfernung für den Ozean und den Sumpf, künstliche Regenbewässerung, Wärme- und Kältetauscher, Entsalzungsanlagen, Lichtanlagen, ein chemisches Recyclingsystem für Kohlendioxid, Tauchausrüstung sowie eine Kompostieranlage. Ständig lief ein fünfstufiges System zur Sammlung und Analyse von Daten mit, das Veränderungen im Wasser, in der Atmosphäre, in der Erde, bei Temperatur, Lichtzufuhr, Biomasse, Biodiversität, Gesundheit und Ernährung erfasste und dadurch Steuerungswissen generierte (Allen et al. 2003). Durch die hohe innere Diversität erinnert das Experiment ein wenig an Noahs Arche. Die Komplexität der Biosphäre 2 machte es aber auch schwierig, Wechselwirkungen oder sich selbst verstärkende Prozesse vollständig zu kontrollieren. Außerdem gab es zwischenmenschliche Konflikte in den Bionauten-WGs. Neben einer Fülle von Daten und wissenschaftlichen Erkenntnissen, die gewonnen werden konnten, machte das Experiment im Ganzen deutlich, wie schwierig es ist, die vielfältigen Wechselwirkungen und Feedbacks ein einem komplexen systemischen Erd-Modell zu verstehen und so zu kontrollieren, dass eine dauerhafte Systemstabilität gewährleistet wer-

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den kann. Abbildung 5 zeigt die System- und Feedbackbeziehungen innerhalb der Biosphäre 2 und verdeutlicht die Komplexität eines Systemzusammenhangs, der aus ineinander verschränkten natürlichen, technologischen und sozialen Anteilen besteht. Und dabei wurde mit dem Biosphäre 2-Experiment ein immer noch vergleichsweise einfaches Modell einer geschlossenen und mit Menschen besiedelten Umwelt erprobt.35

Abbildung 5: Funktionskreise und systemische Feedbacks in der ›Biosphäre 2‹

Quelle: Allen 1990, S. 13, Bild: Space Biosphere Ventures, © 1986

Am Anfang der wissenschaftlichen Erforschung der Ökologie geschlossener Kabinen- oder Habitatsysteme standen militärische Erkenntnisinteres35

Im physikalischen Sinne handelt es sich weder bei der Biosphäre 2 noch bei Weltraumhabitaten um geschlossene Systeme, weil ein Energie- und Informationsaustausch stattfindet (Allen 1990). Im sozialen Sinne handelt es sich allerdings um geschlossene Räume, insofern mindestens der physische Übertritt in andere Sozialräume erschwert ist. Der Verkehr zwischen weit voneinander entfernten Habitaten ist zeitaufwendig. Es ist auch denkbar, dass Habitate sich ähnlich wie Klöster oder andere totale Institutionen sozial schließen. Als »Systeme« werden artifizielle Biosphären hier bezeichnet, weil ihre Reproduktion in der Zeit eine ständige Kontrolle und Regulierung der in ihrem Inneren sich vollziehenden und miteinander wechselwirkenden Prozesse erfordert (s. Abb. 5).

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sen. Es ging um Wissen im Zusammenhang mit dem U-Boot-Bau oder der Errichtung postatomarer Schutzräume (Anker 2005: 240f.). Mit Beginn der bemannten Raumfahrt Anfang der 1960er wuchs aber auch in diesem neuen Sektor ein Interesse an solchen lebenswissenschaftlichen Forschungen. Dieses Interesse ist heute nicht erloschen. Zum Beispiel brachte Anfang Mai 2019 ein SpaceX-Raumfrachter einen experimentellen Photobioreaktor an Bord der ISS. Dieser nutzt ebenfalls Grünalgen, um Kohlendioxid per Photosynthese in Sauerstoff umzuwandeln. Der von Airbus Defence and Space in Friedrichshafen gebaute Versuchsreaktor soll die physikalisch-chemische Luftaufbereitungsanlage der ISS ergänzen.36 Die grundsätzliche Idee, im Weltraum geschlossene künstliche Biosphären zu errichten, die Menschen einen dauerhaften Aufenthalt außerhalb der Erde ermöglichen, findet sich allerdings schon bei den Vätern der Raumfahrt. Konstantin E. Ziolkowski entwickelte Ende des 19. Jahrhunderts die Idee einer kegelförmigen Struktur, die um ihre Längsachse rotiert, so dass an der Innenseite der Struktur durch die Fliehkräfte eine Quasi-Gravitation simuliert wird (Abb. 6). Die Kegelbasis stellte Ziolkowski sich lichtdurchlässig vor. Seine Raumstation stellt im Kern ein freischwebendes und rotierendes Glasgewächshaus mit Menschen dar. Er bezeichnet sie folglich auch als »Orangerie«. Die kegelförmige Zuspitzung hätte außerdem zur Folge, dass die menschlichen Insassen der Weltraum-Orangerie nach Belieben zwischen verschiedenen Schwerkraftzuständen wählen können, inklusive schwerelosem Schweben. Hermann Oberth diskutierte später riesige »Wohnwalzen«. Unter einer solchen Wohnwalze im Weltraum habe man sich »einen Zylinder von beliebiger Länge vorzustellen, der einen Durchmesser von acht Kilometern hat. Er kann zehn Kilometer lang sein, aber auch hundert oder tausend. Die Zylinderwand ist aus zusammengeschweißten Lagen viereckiger Drähte entstanden. Darauf liegt vier bis zehn Meter hoch Sand und Erde. […] Man kann in der Walze künstlich Höhenzüge mit hübschen kleinen Wäldern schaffen und anderes mehr« (Oberth 1954: 197f.). Ende der 1960er Jahre werkelte dann ein Team um den amerikanischen Physiker Gerard K. O’Neill an Konzepten riesiger Raumstationen, letztlich gewaltiger rotierender Megadosen im All, auf deren Innenseite ganze Biotope, Städte oder Farmen errichtet werden sollten.

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DLR-Pressemitteilung vom 3. Mai 2019: »Algen auf außerirdischer Mission: Atemluft für die ISS-Astronauten«.

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Abbildung 6: Skizze Ziolkowskis, die das Schema einer Weltraum-Orangerie zeigt. Von links fällt das Sonnenlicht ein. Der Körper rotiert um seine Längsachse.

Quelle: Ciolkovskij 1977, S. 185

O’Neills rotierende Zylinder sollten zwischen 6,5 und 26 Kilometer Durchmesser aufweisen und zwischen 32 und 128 Kilometer lang sein.

4.2

Gärten in der Maschine: Charakteristika von Weltraumhabitaten

Gemeinhin stellt man sich Natur als ein Außen- oder Umweltphänomen vor. Wohn- oder Industrieanlagen werden »in« eine sie umgebende Natur hineingebaut. Diese Umwelt ist lebenserhaltend und stellt allerlei Ökosystemdienstleistungen bereit. Sie liefert Atemluft, ist zumindest in mittleren Breiten einigermaßen angenehm temperiert, hält Rohstoffe zum industriellen Verbrauch vor und bietet zudem noch Naturschönes für das ästhetische Empfinden. Ein rotierendes Weltraumhabitat dagegen bildet eine gegen den umgebenden Weltraum sorgsam abgedichtete, selbstragende Infrastruktur. An der Innenseite ihre Außenhülle wird durch Rotation Schwerkraft simuliert, so dass auf dieser Innenseite Kulturlandschaften aller Art ihren Platz finden können. Wenn man nach oben schaut, sieht man keinen Himmel, sondern wieder eine Landschaft. In diese Ersatzlandschaften können dann Menschen einziehen. Lebenserhaltende Natur und menschengerechte Umwelt sind hier kein Außen mehr, sondern werden in eine im Weltraum frei fallende, technische Großanlage eingefügt. Die künstlerischen Darstellungen von »O’Neill-Kolonien«, »Stanford-Tori« oder »Bernal-Sphären«, wie sie sich auf

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der Webseite des NASA finden lassen,37 zeigen kultivierte Biotope, die in volltechnische Architekturen eingeschlossen sind. Bei diesen eingefügten Landschaften kann es sich um Gartenstädte, um Parklandschaften oder um industrielle Landwirtschaftsanlagen handeln (Abb. 7). Landschaft und Natur werden zu kultivierten Innenphänomenen, zu »Gärten in der Maschine« (Spreen 2014a: 52, 64).

Abbildung 7: Querschnitt einer kosmischen Landwirtschaftsanlage

Quelle: NASA Ames Research Center, Datei-ID: AC78-0330-4, Bild: Rick Guidice

In den Konzepten für solche Weltraumhabitate kommt daher eine radikale Verkehrung des Verhältnisses zwischen Natur und Technik zum Ausdruck. Diese Verkehrung ergibt sich zwangsläufig daraus, dass der gesamte innersphärische Lebensbereich beständig und sicher durch künstliche Außenwände vom umgebenden Weltraum abgetrennt werden muss. Die räumliche Schließung des Systems ist existenziell, wenn die organischen und sozialen Systemanteile erhalten bleiben sollen. Einzig Kommunikation, die Zufuhr von Energie

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https://space.nss.org/settlement/nasa/70sArtHiRes/70sArt/art.html, aufgerufen am 24.02.2021.

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und von materiellen Ressourcen, der Austausch von Personal sowie die Abführung von Wärme stellen Beziehungen zur Welt außerhalb des Habitats her. Eine Raumstation ist daher ein »künstlich geschlossenes Atmotop« und eine »Immanenzmaschine« (Sloterdijk 2004: 320f.). Ein solches Weltraumhabitat darf man sich aber nicht einfach als eine Summe technischer, organischer und sozialer Elemente vorstellen. Vielmehr bildet es ein höchst komplexes und geschlossenes Gesamtsystem, das aus einer Vielzahl verschiedenartiger, zugleich aber miteinander wechselwirkender Prozesse besteht. Die Vorstellung einer Weltraumkapsel, in der technologische, biologische und soziale Prozesse eine innige und nach Außen abgeschlossene Verbindung eingehen, impliziert ein Verständnis des sich daraus ergebenden Gesamtzusammenhangs als »zyklisches ökonomisches und ökologisches System« (Höhler 2006: 48). In dem Biosphäre 2-Experiment wird dieser zyklische Systemzusammenhang augenscheinlich (Abb. 5). In dem Augenblick, in dem Menschen in das lebenserhaltende Kapselsystem einziehen, werden sie selbst Teil dieses Systems, d.h. ihre physiologischen und sozialen Stoffwechselprozesse gehen in die systemischen Abläufe ein. Zum einen werden sie zu einem Moment der organischen Prozessabläufe, zum anderen können sie durch individuelle und kollektive Entscheidungen das Gesamtsystem entscheidend beeinflussen. Der klassische, instrumentelle Technikbegriff kommt in Bezug auf Weltraumhabitate an seine Grenzen. In Anlehnung an den Kultursoziologen Wolfgang Eßbach kann man Weltraumhabitate als »bioartifizielle Symbiosen« fassen, in denen technische, lebende und soziale Dimension einen Gesamtzusammenhang bilden: »Bioartifizielle Symbiosen nenne ich Artefaktbeziehungen, wenn unter Artefakten vermehrt solche sind, die wir nicht wieder wie Handwerkszeug aus der Hand legen können. Der Instrumentcharakter wird hier schwächer. Eine Vielzahl moderner Artefakte sind mehr Grund als Mittel unseres Lebens geworden« (Eßbach 2011: 72f.). Diese Begriffsbestimmung verweist darauf, dass Weltraumhabitate lediglich eine reale technikgeschichtliche Tendenz der Moderne fortschreiben und zuspitzen. Während aber Systeminstabilitäten der Biosphäre 2 durch eine kurzfristige Aufhebung der Isolation von der Umwelt ausgeglichen werden konnten, ist ein solches Verfahren in einem Weltraumhabitat nicht möglich. In Weltraumstationen ist daher eine abgesicherte und dauerhafte technisch-kybernetische Steuerung des Gesamtsystems unbedingt zu gewährleisten. So-

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wohl das Sozial- als auch das Umweltsystem eines großen Weltraumhabitats wird man sich als von elektronisch-kybernetischen Steuerungsmechanismen durchzogen und kontrolliert vorstellen müssen. Mindestens aber die »Basisfunktionen« solcher artifiziellen Planeten müssten »von einer künstlichen Intelligenz verwaltet werden« (Marsiske 2005: 146). Das wirft ein – auch auf der Erde nicht unbekanntes – politisches Problem auf, nämlich jenes nach dem Verhältnis von Freiheit und Sicherheit (Marsiske 2006: 149). Welche Antworten hier auch im Einzelnen gefunden und implementiert werden; im Weltraum gibt es eine unhintergehbare Rahmenbedingung: Die Habitatgesellschaft muss in Partnerschaft oder »Harmonie« mit ihrer Umwelt, d.h. mit ihrem Raumschiff, leben. »Close management of the population dynamics of species onboard would be of paramount importance for the ship’s survival. The astronauts would have to live in harmony with the spaceship« (Anker 2005: 242).38 Ein Weltraumhabitat ist ein systemisches Ganzes. In einer künstlichen Hülle, die das Innere gegen den Weltraum schützt und die im besten Falle rotiert, um Schwerkraft zu simulieren, befindet sich eine Menschenwelt. Habitate, die einen dauerhaften Aufenthalt von großen Gruppen oder ganzen Gesellschaften gewährleisten sollen, werden neben einem Lebenserhaltungssystem und einem Agrarsektor möglicherweise auch Natursimulationen enthalten, die irdischen Biotopen nachgebildet sind. Biosphäre 2 kann dafür ebenfalls als Blaupause verstanden werden. Funktionsbedingung dieses systemischen Gesamtgefüges aus technischen, natürlichen sowie sozialen Anteilen ist die Aufrechterhaltung des

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Ausgehend von dem Gleichgewichtsparadigma geschlossener Kreislaufsysteme weist schon E. C. Tubb in der 1955 erstmals auf Englisch erschienenen Science-FictionGeschichte The Space-Born auf das Szenario eines rigiden Habitatregimes hin. Das um seine Zentralachse rotierende, eiförmige Generationenschiff ist auf einer mehrere hundert Jahre andauernden Reise zu einem anderen Sternensystem, um dort neue Planeten zu besiedeln. Um die innere Ökologie des Habitatsystems zu erhalten, wurde an Bord ein autokratisches Sozialsystem eingerichtet, das auf eugenischer Bevölkerungskontrolle beruht und sowohl Eheschließung und Reproduktion als auch das Lebensalter kontrolliert. Wiederverwendung und Nachhaltigkeit werden nicht nur technisch umgesetzt, sondern sind auch soziale Norm. Verschwendung wird hart bestraft (Tubb 1958).

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reproduktiven Systemgleichgewichts.39 Eine »harmonische« Partnerschaft mit dem Raumschiff – und das heißt mit »der Umwelt« – ist die fundamentale Rahmenbedingung der astronautischen Existenz. Astronautinnen und Astronauten suchen den Konsens mit der künstlich geschaffenen Umwelt, in der sie leben.

4.3

Vom Systemgleichgewicht zur Nachhaltigkeit

Eine im Vakuum des Weltalls treibende oder umherreisende generationenübergreifende Habitatgesellschaft muss bei Strafe des eigenen Untergangs lernen, für die kontinuierliche Reproduktion des biosphärischen Systems zu sorgen, dessen Teil sie ist. Es handelt sich dabei um ein fragiles Gesamtsystem aus vielseitig miteinander verbundenen Funktionskreisläufen, das nicht in Unwucht gebracht werden sollte. Die Kapsel-Ökologie steht daher für ein soziales und ökonomisches Programm, nämlich »to bring human activities into balance with the ecosystem through natural, social, and technological engineering« (Anker 2005: 242). Balance und Gleichgewicht sind für ein solches geschlossenes Gesamtsystem von elementarer Bedeutung. Dieses Gleichgewicht darf man sich aber nicht als einen statischen und fixierten Zustand vorstellen, sondern vielmehr als ein prozessuales Gleichgewicht, das dadurch entsteht, dass die bestimmenden Regelkreise sowie deren Wechselwirkungen untereinander in einem Bereich stabiler Systemreproduktion verbleiben. Kritische Schwellen oder Kipppunkte, die das ganze System in Unwucht bringen könnten, dürfen nicht überschritten werden, um auch den nachfolgenden Bewohnern der Weltraumarche das Leben zu ermöglichen. Die unmittelbare »Umwelt« des astronautischen Menschen – also das Habitatraumschiff – kann folglich nicht als ein bloßes »Außen der Gesellschaft« verstanden werden, das beliebig ausgebeutet oder manipuliert werden kann. Als geschlossene Weltraumkapsel bietet sich daher das »Raumschiff« als eine wirkungsvolle Metapher an, um das politische Leitbild nachhaltiger Entwicklung verdichtet zu illustrieren. Das Leitbild nachhaltiger Entwicklung formuliert den Grundgedanken, »dass die Bedürfnisse der Gegenwart nicht auf Kosten derjenigen zu verwirklichen seien, die zukünftig ihre Bedürfnisse realisieren wollen«. Es um39

Dieser komplexe Systemzusammenhang ist jeweils gemeint, wenn in dieser Untersuchung von Weltraumhabitaten als »künstlichen Biosphären« die Rede ist.

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fasst neben ökologischen Aspekten auch soziale und ökonomische Problemperspektiven (Bauer 2008: 18, Griggs et al. 2013) und strebt ein »Gleichgewicht zwischen Ressourcenverbrauch und Ressourcenerhaltung« an (Neckel 2018: 12). Nachhaltigkeit verbindet zwei strategische politische Zielsetzungen und zwar zum einen die Sicherung der Regenerativität und zum anderen die Sicherung der Potentialität (Neckel 2018: 16). Einerseits muss fortlaufend das Funktionieren des Erdsystems gewährleistet werden, andererseits soll es seiner Besatzung auch in Zukunft noch ausreichend kollektive und individuelle Handlungs- und Verwirklichungsmöglichkeiten bieten. Das Konzept eines zu sichernden prozessualen Gleichgewichts des Erde-Gesellschaft-Systems spiegelt sich in dem Nachhaltigkeitsleitbild wider. Die Vorstellung, dass das Habitatsystem »Erde« in ein Gleichgewicht gebracht werden müsse, um seine langfristige Bewohnbarkeit zu sichern, durchzieht schon den Bericht des Club of Rome über die »Grenzen des Wachstums«, der zu Beginn der 1970er Jahre öffentlichkeitswirksam den Blick auf die Nachhaltigkeitsproblematik lenkte. »Es erscheint möglich«, heißt es dort, »die Wachstumstendenzen zu ändern und einen ökologischen und wirtschaftlichen Gleichgewichtszustand herbeizuführen, der auch in weiterer Zukunft aufrechterhalten werden kann« (Meadows 1972: 17). Das Leitbild nachhaltiger Entwicklung unterläuft die Trennung zwischen gesellschaftlichen und natürlichen Dynamiken, indem es beide Seiten dieser Unterscheidung durch übergreifende Steuerungsmodelle verschränkt.40 Die Umstellung sozialer, politischer und ökonomischer Konzepte auf das Leitbild der Nachhaltigkeit impliziert auch, das Erdsystem als Ganzes zum Objekt von Steuerungsversuchen zu machen. Dieses System nämlich droht, aus den Fugen zu geraten. Als Ursachen (oder »Treiber«) dieser Entwicklung gelten dabei im Wesentlichen großflächig angewandte Technologien. Menschliche Aktivitäten wie industrielle Fabrikation, motorisierte Mobilität oder industrialisierte Agrarwirtschaft bringen das stabile Erdsystem des Holozän-Zeitalters aus dem Gleichgewicht, weshalb auch vom »Anthropozän« als Folgeepoche gesprochen wird. Die sicheren planetaren Belastbarkeitsgrenzen (»planetary boundaries«) der Selbstregulation des Erdsystems wurden bereits in mehreren Bereichen

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Diese Trennung manifestiert sich etwa in der Kultur/Natur-Differenz oder in der getrennten Untersuchung von Gesellschaftssystem und Erdsystem in den Sozial- und Geowissenschaften.

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überschritten (Rockström et al. 2009, Steffen et al. 2015). Da diese Überschreitungen aber durch menschliche Aktivität hervorgebracht wurden, sind auch Regulative denkbar, die gegensteuern und versuchen, die soziale und wirtschaftliche Entwicklung innerhalb der Grenzen planetarer Belastbarkeit zu halten, um so einen »safe operating space for humanity« (Rockström et al. 2009) zu schaffen. Damit unterbricht das Leitbild der Nachhaltigkeit in der gesellschaftlichen Zeitdimension bislang als selbstverständlich unterstellte Kontinuitätsbezüge. Das Erdsystem verkraftet die Aktivitäten der Weltgesellschaft nicht mehr umstandslos. Der Diskurs der Nachhaltigkeit betont vielmehr die Verantwortung gegenwärtigen Handelns für die Entfaltungsmöglichkeiten künftiger Generationen. Das liberale Vertrauen in die gesellschaftliche Eigendynamik oder Entwicklungslogik wird somit erschüttert. Nachhaltige Entwicklung stellt demnach ein »Transformationskonzept« dar, »das sich nicht auf evolutionäre Trends oder langfristige Kontinuitätsannahmen stützen kann, sondern allein auf die Handlungsmöglichkeiten und -ziele gesellschaftlicher Akteure und Akteursgruppen« (Wehling 1997: 35). Analog müssen Habitatgesellschaften nicht nur ihre aktuelle Systemhomöostase im Blick haben, sondern auch die zukünftige Stabilität des Habitatsystems jederzeit mitberücksichtigen. Alles bleibt gewissermaßen im Fluss, bezieht sich aufeinander und verlangt nach ständiger sorgender Kontrolle, um selbstverstärkende und Unwucht erzeugende Feedbackschleifen zu unterbinden. Viele Aspekte der Nachhaltigkeitsdebatte lassen sich daher im Rahmen einer Raumschiffs- oder Habitatsmetaphorik verdichtet thematisieren.

4.4

Reflexive Moderne

Die Mega-Lebenserhaltungssysteme im Weltraum wurden und werden von ihren geistigen Schöpfern als Lebensräume für große Gruppen oder sogar für ganze Gesellschaften vorgestellt. Ihre Konzepte bringen idealtypisch zum Ausdruck, was Soziologinnen und Soziologen als wesentliche Merkmale des modernen Strukturwandels ansehen. Dieser Wandel ist erstens gekennzeichnet durch Prozesse der Entbettung – das meint das »Herausheben sozialer Beziehungen aus ortsgebundenen Interaktionszusammenhängen« (Giddens 1995: 33). Zweitens werden Prozesse der institutionellen und artifiziellen Neueinbindung bzw. Reintegration wichtig (Beck 1986: 209-210). Weltraumhabitate »entbetten« in einem doppelten Sinne. Einerseits heben sie eine Gesellschaft aus der Planetenökologie heraus. Weltraumhabita-

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te stellen eine vollständig künstlich erschaffene Umwelt dar. Andererseits lockern sie die Beziehungen der Insassen zur planetaren Gesellschaft, insofern jedes Habitat eine Art Welt für sich darstellt. Habitatgesellschaften bilden künstliche und entortete Migrantengemeinschaften, wobei verschiedene Grade der sozialen Schließung vorstellbar sind. Ihre Mitglieder könnten sich nach Ideologie, Religion oder Kultur sogar zu homogenen und quasi-klösterlichen Nischengemeinschaften zusammenfinden, wie es etwa OʼNeill andeutet: »Im Weltraum, wo jeder Gemeinschaft, sei sie auch noch so klein, kostenlose Sonnenenergie und optimale landwirtschaftliche Bedingungen zur Verfügung stehen, wird jede Gruppe mit speziellen Interessen die Möglichkeit haben, ›nach ihrer Fasson selig zu werden‹ und ihre eigenen kleinen Welten unabhängig vom Rest der Menschheit zu bauen.« (OʼNeill 1978: 210f.) Neueinbindung wiederum beruht auf dem Vertrauen in artifizielle Strukturen aller Art, vor allem Institutionen, Expertensysteme und künstliche Medien (Giddens 1995: 39-43). Die Sozialisierung in das Wertesystem einer spezifischen Habitatgemeinschaft entspräche einer institutionellen Reintegration. Und da menschliches Leben in Weltraumhabitaten sich als eine totale bioartifizielle Symbiose beschreiben lässt, stellt es auch die maximal denkbare Steigerung des Vertrauens in künstliche Expertensysteme dar. Neben neuen Weltraum-Verkehrsmitteln käme technischen Medien die Funktion zu, das Habitat wieder in die transglobale Gesellschaft einzubinden. Eine weiterführende Konsequenz, die sich anhand der Diskursfigur des Raumschiffs/Habitats verdeutlichen lässt, ist die, dass das methodische Programm der Soziologie, Soziales nur aus Sozialem zu erklären, in dieser puritanischen Reinheit nicht mehr durchzuhalten ist (Wehling 1997: insbes. 47). Vielmehr treten zunehmend die Wechselwirkungen und Mischverhältnisse zwischen Sozial- und Erdsystem ins Bewusstsein. Ulrich Beck, der das Schlagwort von der »Risikogesellschaft« prägte, argumentiert ganz in diese Richtung. Natur ist am Ende des 20. Jahrhunderts zunehmend »unterworfen und vernutzt […] und damit von einem Außen- zu einem Innen-, von einem vorgegebenen zu einem hergestellten Phänomen geworden« (Beck 1986: 9). Natur als Innenphänomen – diese Formulierung charakterisiert auch ein Weltraumhabitat. Auf der Erde erwächst aus dieser Integration der Natur in das Industriesystem eine neue »immanente ›Natur‹abhängigkeit« (Beck 1986: 9) und damit ein »Bumerang-Effekt« (Beck 1986: 50), der die technologisierte Marktgesellschaft mit den Versehrungen der Umwelt und den ökologischen Schäden

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verkoppelt, die sie selbst erzeugt. Weil soziale und ökologische BumerangEffekte nicht an nationalen Grenzen halt machen, hat Beck eine von bodengebundenen und im wörtlichen Sinne »eingeschränkten« Orientierungsmustern unabhängige Kehre angemahnt. Beck kritisiert den in Politik, Wissenschaft und Gesellschaft nach wie vor vorherrschenden »methodischen Nationalismus« und plädiert für eine Globalisierung der Denkkonzepte (Beck 2007). Natürliche oder ökologische Eigendynamiken werden im Kontext dieser Globalisierung wichtige Kategorien, aber dies gerade deshalb, weil sie von künstlichen Systemen durchdrungen oder in sie eingebettet sind. »Natur« bekommt Bedeutung und wird Gegenstand von Diskursen, weil sich sozioökonomische, technologische und natürliche Prozesse unlösbar miteinander verschränken und so ein Gesamtsystem bilden, dessen fortwährende Reproduktion der Mensch wiederum »nachhaltig« administrieren muss. Wie das Leben auf einem Raumschiff nur gewährleistet werden kann, wenn das Raumschiff intakt bleibt, so muss auch das belebte Erdsystem als Ganzes innerhalb eines »safe operating space« verbeiben. Die Weltraumkonzepte verleihen dieser Entwicklung einen nachgerade idealtypischen Ausdruck: Wenn das Leben seine Biotope auf der Erde verlässt und in ein Kabinensystem eingebettet wird, wird dieses zu einem Lebenserhaltungssystem, für dessen Erhaltung und Pflege die Kabinenbewohner wiederum Sorge tragen müssen. Anhand des Bildes der Weltraum-Kabinen-Biosphäre lässt sich auch gut illustrieren, was Beck mit reflexiver Modernisierung meint. Das meint nicht – oder jedenfalls nicht in erster Linie –, dass die moderne Gesellschaft über sich selbst nachdenkt. Vielmehr wird damit eine nicht lediglich ideelle, sondern vielmehr sehr handfeste Rückbiegung der durch die Industrialisierung erzeugten Risiken auf die Industriegesellschaft selbst bezeichnet. Beck spricht von Bumerang-Schleifen, zirkulären Gefährdungseffekten oder auch Gefahrenstrudeln (Beck 1986: 48-50). In einem geschlossenen Habitat wirkt sich jede Störung, jede Gefährdung und jedes Risiko auf alle Insassen aus – im schlimmsten Falle kommt es zum mehr oder weniger plötzlichen gemeinsamen Tod (Beck 1986: 50). Die Rückbiegung von sozial und ökonomisch erzeugten Risiken auf Gesellschaft und Wirtschaft, resultiert aus der technologischen und wissenschaftlichen Durchdringung der Natur. Dies hat das Aufkommen reflexiver Diskursfiguren zur Folge, die die wechselseitige und prozessuale Abhängigkeit von natürlichen, technologischen, wissenschaftlichen, sozialen und ökonomischen Prozessen problematisieren (Spreen 2014a). Das Weltraumhabitat ist eine solche Diskursfigur.

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4.5

Zwei ökonomische Konzepte

Interessanterweise führt der Diskurs über Weltraumhabitate zwei ökonomische Konzepte mit sich. Weil Raumstationen ein »lebenserhaltendes« System darstellen, das auf gekoppelten Kreisläufen und Steuerungsroutinen beruht, werden sie erstens zu einer starken Metapher für reflexive ökonomische Modelle, die sich der Kontrolle von systemischen Umweltrisiken zuwenden, die auf die Industrialisierung zurückzuführen sind. Künstliche Biosphärensysteme müssen genau reguliert werden und nötigen zu einer nachhaltigen Wirtschaftsweise. Natur wird zu einem Innenphänomen, weshalb man sie nicht einfach als eine »selbstverständliche« Außenwelt betrachten kann, die die Veränderungen, die man vornimmt, und die Schäden, die man verursacht, schon ausgleichen wird. Habitatinsassen sind vielmehr integrierte Momente eines austarierten und regulierten, hybriden Gesamtsystems. Die reflexive, auf die Steuerung von Systemparametern und Rückkopplungen abstellende Seite der Weltraumfahrt kommt in der sehr populär gewordenen Rede vom »Raumschiff Erde« zum Ausdruck. Das zweite wirtschaftliche Konzept, das sich in den visionären Entwürfen zukünftiger Weltraumhabitate finden lässt, ist das einer Überflussökonomie. Hier werden die praktisch unbegrenzten Möglichkeiten der Verfügung über Raum und Rohstoffe betont, die sich jenseits planetarer Grenzen eröffnen. Im Weltall – so die Argumentation O’Neills – entfallen die Schranken und Gefahren planetengebundenen Wirtschaftens. Debatten über die Grenzen des Wachstums, die zeitgleich mit OʼNeills visionären Überlegungen stattfanden und die Ausdruck einer zunehmenden Sensibilität für ökologische Risiken waren (und sind), seien zwar einerseits eine Folge der technischen Zivilisation und der Industrialisierung, andererseits aber habe man sie einem »planetarischen Dilemma« zu verdanken, worunter O’Neill die Beschränkung der Energie, des Lebensraumes und der Rohstoffe versteht (O’Neill 1978: 33-44). Anders als auf der Erde stünden im Outer Space jedoch unbegrenzte Mittel aller Art zu Verfügung. O’Neill zählt im Einzelnen auf: 1. Unbegrenzte, billige Energie, 2. unbegrenzte Landflächen und 3. unerschöpfliche Rohstoffreserven, »erschließbar ohne Raub, Mord und Umweltverschmutzung« (O’Neill 1978: 37). Zudem wäre Müllentsorgung kein Problem – ein gut berechneter Schubser Richtung Sonne genügt. Der Verkehr zwischen Weltraumhabitaten benötigt nur verschwindend geringe Energiemengen, wenn man zur Überbrückung der Entfernungen ausreichend Zeit investiert. So gesehen enthält die

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Debatte um die Grenzen des Wachstums bzw. planetare Grenzen ein starkes Argument für die Forcierung der Raumfahrt und die ökonomische Erschließung des Weltraums. Dieses Argument lautet: Man hebe die Begrenztheit der planetaren Immanenzmaschine auf, in dem man sich bei den schier unerschöpflichen Rohstoffquellen des Universums bedient. Alles was es dazu braucht, ist Technologie. Und die kann man erfinden. Schon zeitgenössische Beobachter bemerkten diese Entgrenzung des Möglichkeitsbewusstseins im Raumfahrtdiskurs und sprachen daher vom »never-never storybook of outer space« (Dempewolff 1975: 97). Dieses Wachstums-Narrativ zur Raumfahrt durchzieht auch schon Ziolkowskis Darlegungen. O’Neill jedenfalls kommt nach einer ausführlichen Diskussion der strukturellen Risiken der Industrialisierung und der Möglichkeiten der Weltraumbesiedlung zu dem Schluss, dass die planetengebundene Existenz einer modernen technischen Zivilisation nicht angemessen sei (O’Neill 1978: 38-43, Heppenheimer 1977: 26-27, Johnson/Holbrow 1977: 148; 153). Zudem entlaste »das Öffnen des Tors zum Weltall« die irdische Biosphäre, so dass parallel zur Ausfahrt ins All eine ökologische Versöhnung zwischen Zivilisation und Umwelt denkbar werde (O’Neill 1978: 248-250). Das WeltallBesiedlungskonzept formuliert folglich eine konsequente und strukturell pro-moderne Lösung für das globale Zivilisationsdilemma. Deutlich wird aber auch die enge Beziehung zwischen Weltraumdiskursen einerseits und ökologischen bzw. zivilisationskritischen Diskursen andererseits.

4.6

Buckminster Fuller und das Raumschiff Erde

Konzipiert man das ganze Geosystem »Erde« als ein Raumschiff, betrachtet man es ebenfalls als ein geschlossenes Habitatsystem, das tendenziell einer umfassenden Kontrolle und fein abgestimmten Steuerung seiner hybriden inneren Prozesse bedarf. »[S]pace colonies came to represent a rational, orderly, and wisely managed contrast to the irrational, disorderly, and ill-managed state of affairs on Earth« (Anker 2007: 426). Bewohnbare, große Raumstationen und erst recht das »Raumschiff Erde« wurden zu Metaphern für eine rationale, in der Tendenz durchaus technokratisch ausgerichtete global governance. Einer der wohl bekanntesten Vertreter einer solchen Sichtweise ist Richard Buckminster Fuller, der Autor der 1969 veröffentlichten Bedienungsanleitung für das Raumschiff Erde, die zur Bibel der amerikanischen Gegenkultur avancierte. Fuller war ein Architekt und ehemaliger Marineoffizier, der

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aufgrund der vielfältigen Einflüsse auf sein Leben eine hohe Sensibilität für Globalisierungsprozesse und Globalisierungsprobleme entwickelte. Bis heute wird Fuller zumeist als Architekt rezipiert, obwohl die Bedienungsanleitung, die, wie es der Titel schon sagt, in ein technokratisches Steuerungsverständnis globaler Prozesse mündet, der Politischen Ökonomie zuzurechnen ist. Fuller setzt zwar auf ein Expertenregime in Verbindung mit Computersystemen, das ändert aber nichts an seinem Thema, nämlich Steuerungsprobleme, die sich durch gesellschaftliche Arbeitsteilung und funktionale Ausdifferenzierung ergeben. Fuller konstatiert einen Verlust der umfassenden oder, in seinen Worten, »komprehensiven« Perspektive nach dem Ersten Weltkrieg. Vormals sei den Vertretern des Kapitals, den »Großen Piraten«, eine solche Perspektive eigen gewesen. Das Kapital, insbesondere Handels- und Finanzkapital habe ein weltumfassendes Verständnis entwickeln können, da es letztlich die Perspektive von Seefahrern gehabt habe. »Durch die Entwicklung immer größerer und tüchtigerer Schiffe waren die Seefahrer schließlich imstande, monatelang auf hoher See zu bleiben, bis sie normalerweise auf See lebten. Das führte sie zwangsläufig zu weltweiten, schnellen und gewinnbringenden Unternehmungen. So wurden sie die ersten Weltmenschen« (Fuller 1998: 17). Die »große Übersicht und ein Denken, das von der sphärischen Gestalt der Erde und der Orientierung an den Himmelskörpern geprägt war, [blieb] ausschließlich den Großen Piraten vorbehalten«, so Fuller weiter (1998: 29). Während des Weltkrieges aber hätten die Spezialisten die Macht übernommen, allerdings ohne eine Gesamtperspektive zu entwickeln: »Der Erste Weltkrieg entließ die Großen Piraten in die Unfähigkeit, das wissenschaftlich erschlossene Neuland der Industrie zu bewältigen. Die Piraten delegierten die Aufsicht an die Experten, ihre Sorgentöter, aber sie selber hatten sich nun mit Informationen aus zweiter Hand zu begnügen. […] Damit waren die Großen Piraten nicht mehr die Herren. Das war das Ende.« (Fuller 1998: 32) Und weiter: »Als die Großen Piraten […] ihren Wissenschaftlern im Ersten Weltkrieg freie Hand ließen, waren sie selbst so sehr damit beschäftigt, Reichtum anzuhäufen, dass sie nicht nur den Anschluss an die Tätigkeit ihrer Wissenschaft-

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ler verloren, sondern ihre eigene Komprehensivität aufgaben und einseitige Spezialisten wurden. Sie machten Geld mit der Industrieproduktion.« (Fuller 1998: 38) Auf den ersten Blick klingt die Rede von den »Großen Piraten« vielleicht etwas blumig. Das ändert sich, wenn man zum Beispiel Carl Schmitts Grundlagenschrift zur modernen Raumrevolution Land und Meer von 1944 danebenlegt (Schmitt 1993). Hier ist von »Seeschäumern« und »Landtretern« – Fuller spricht auch von »Füßlern« als »Festland-Spezialisten« – und ihren unterschiedlichen Perspektiven die Rede. Schmitt konstatiert eine mit der Seefahrt verbundene Raumrevolution, die das Denken in territorialen Grenzen überschreitet und neue strategische Konzepte wie Verbindungslinien, Basen und Hinterland ins Spiel bringt. Ganz ähnlich verhält es sich bei Fuller, der Schmitt vielfach nahekommt. Die komprehensive Perspektive der Großen Piraten ist letztlich nur der Ausdruck einer mit der überseeischen Handelsseefahrt einhergehenden Raumrevolution. Wie Schmitt beschreibt auch Fuller eine weitere Raumrevolution, die zu einer Entortung und Depotenzialisierung des Politischen führt. Die Entdeckung des elektromagnetischen Spektrums, also die an der Wende zum 20. Jahrhundert einsetzende Kommunikationsrevolution, habe die Großen Piraten blind gemacht. »Bis dahin hatten die Piraten die Welt durch ihre außerordentlich wachen Sinne regiert. Sie bildeten sich ihr eigenes Urteil und verließen sich nicht auf die Augen eines Anderen. Sie vertrauten nur auf das, was sie selber sehen, hören, riechen oder umfassen konnten. Aber die Großen Piraten konnten nicht sehen, was im Bereich elektromagnetischer Realität vor sich ging.« Und so entließ der Erste Weltkrieg »die Großen Piraten in die Unfähigkeit, das wissenschaftliche Neuland zu bewältigen« (Fuller 1998: 31f.). Fuller konstatierte also eine Entortung, versinnbildlicht durch die Nutzung des elektromagnetischen Spektrums. Er sah einen Ordnungs- und Steuerungsverlust, da die auf der Seefahrt beruhende komprehensive Perspektive in vielfältige Spezialisten-Perspektiven zerfällt. Schmitt wiederum galt die Raumfahrt als Signum der Entortung und des Steuerungsverlusts bzw. der Neutralisierung des Politischen. Mit der Raumfahrt werde ein atopisches und transnationales Zeitalter sichtbar, in der die Bindung von Ordnung und Ortung, von Politik und Territorium sich auflöse und damit gesellschaftliche Ordnung überhaupt in Gefahr bringe. Deshalb meinte Schmitt, gegen allgemeine Menschenrechte, den Völkerbund oder das Raumfahrtzeitalter opponieren zu müssen (Spreen 2014b). Er empfahl »bei der Erde und auf der

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Erde« zu bleiben. Der Mensch sei »ein Sohn der Erde, und er wird es bleiben, solange er Mensch bleibt« (Schmitt 1955: 10). Vor dem Hintergrund, dass der Weltraumrechtler Vladimír Mandl von der Erschließung des atopischen Raums jenseits der Erdatmosphäre eine dekonstruktive Rückwirkung auf die staatliche Hoheitsgewalt erwartete,41 dürfte dieser Appell des Souveränitätsjuristen Schmitt wenig erstaunlich sein. Schmitt verweigert der Raumfahrt den Status einer »dritten Raumrevolution«, obwohl sie sich durchaus als eine solche verstehen lässt (Spreen 2014b). Ein solches Verständnis nötigt aber dazu, die Menschenrechte, einen terrestrischen Bund der Völker wie die Vereinten Nationen und ein globales Sicherheitssystem positiv einzuschätzen, d.h. eine Bewertung dieser rechtlichen und politischen Gegenstände vorzunehmen, die sich zur Schmittʼschen konträr verhält. Auch Fuller kam zu anderen Schlussfolgerungen als Schmitt. Denn im Gegensatz zu Schmitts Apologie territorial gebundener Ordnung betonte er die Möglichkeit, eine neue Gesamtperspektive zu bilden. Diese Möglichkeit ergibt sich für Fuller gerade aus der Kommunikationsrevolution und insbesondere aus der elektronischen Informationsverarbeitung: »Eine neue metaphysische Initiative, die materiell kompromisslos und von unbeeinflusster Integrität wäre, könnte die Welt einen. Dies könnte und wird vielleicht von den vollkommen unpersönlichen Problemlösungen der Computer bewerkstelligt werden. Nur der übermenschlichen Kapazität ihrer kalkulatorischen Leistungen könnten alle politischen, religiösen und wissenschaftlichen Führer ihre Zustimmung geben, ohne das Gesicht zu verlieren.« (Fuller 1998: 33) Und an anderer Stelle: »Der Mensch hat ein ständig wachsendes Vertrauen in den Computer. […] Während kein Politiker und kein politisches System es sich jemals leisten kann, seinen Feinden und Gegnern entgegenzukommen, können und werden alle Politiker den zuverlässigen Steuerungsfähigkeiten des Computers Platz machen, wenn es um eine glückliche Landung der gesamten Menschheit geht.« (Fuller 1998: 119) Und während für Schmitt die Raumfahrt zur Metapher des Niedergangs wird, ist das »Raumschiff Erde« bei Fuller die Metapher der Rettung. Die Erde als 41

Siehe oben Kapitel 3.3.

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Raumschiff zu sehen, heißt, sie wieder als Ganzes zu sehen und für ihre Funktionsfähigkeit Verantwortung zu übernehmen: »Was unser Raumschiff so interessant macht, ist die Tatsache, dass es ein mechanisches Fahrzeug ist – ganz wie ein Automobil. Wenn Sie ein Auto besitzen, merken Sie, dass Sie Öl und Benzin einfüllen müssen und Wasser in den Kühler und dass Sie sich um das Auto insgesamt kümmern müssen. […] Sie wissen, entweder halten Sie die Maschine in Ordnung, oder es gibt Ärger und sie funktioniert nicht richtig. Wir haben bisher unser Raumschiff Erde nie als integral konstruierte Maschine angesehen, die zum Zwecke dauerhafter Leistungsfähigkeit als Ganzes begriffen und bedient werden muss.« (Fuller 1998: 47f.) Für das Raumschiff, in dem man lebt, muss man Sorge tragen. Und man muss es steuern. Beides gehört zusammen. Der Technikoptimist Fuller setzt seine Hoffnungen daher in ein »computerised command centre for spaceship earth« (Anker 2007: 426). Die Offiziere, die dieses Kommandozentrum bevölkern, sollen die »Planer, Architekten und Ingenieure« sein (Fuller 1998: 119). Fuller fordert diese Experten auf, sich zu verbinden und ihrer Verantwortung für das Raumschiff Erde gerecht zu werden: »Geht ans Werk, und vor allen Dingen, arbeitet zusammen und haltet nicht voreinander hinterm Berge, und versucht nicht, auf Kosten der anderen zu gewinnen« (Fuller 1998: 119). Aus Schmitt’scher Perspektive wäre eine globale und expertenbasierte Steuerungsperspektive als technokratische Neutralisierung des Politischen zu brandmarken. Der Clou bei Fuller ist, dass die komprehensive Perspektive, die aufgrund des Baus immer seetüchtigerer Schiffe erstmalig geschichtsmächtig wurde, nun als Perspektive der Besatzung des »Raumschiffs Erde« eine zweite Chance bekommt. Wichtig ist, dass die Menschen begreifen: »Wir sind alle Astronauten« (Fuller 1998: 43). Von dieser Generalisierung der Astronautenrolle erhofft sich Fuller eine Revitalisierung der komprehensiven Perspektive. In seinem grundlegenden Werk über den Naturvertrag beschreibt der französische Philosoph Michel Serres etwa zwei Jahrzehnte nach Veröffentlichung der Bedienungsanleitung die Menschheit mit ähnlichen Worten wie Fuller als eine astronautische Gesellschaft. »Wir sind allesamt Astronauten geworden, völlig deterritorialisiert« (Serres 1994: 197). Serres spielt auf den Overview-Effekt an und macht auf Bezüge zwischen der komprehensiven Perspektive und der realen Raumfahrt aufmerksam. Astronautinnen und Astro-

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nauten werden der Erde als einem Ganzen gewahr und können daher ein Verständnis systemischer Zusammenhänge entwickeln. Vor den Augen des astronautischen Menschen »objektiviert sich die ganze Welt, ihm vor die Füße geworfen […]; was ihn betrifft, so sieht er sich herausgeworfen: völlig vom Globus abgelöst; […] nicht von einem bestimmten Ort, hier oder da […], sondern von der gesamten ERDE … Der schönste wirbelnde Ball oder Globus. Das prächtigste Schiff, unsere ewige und neue Caravelle. Die schnellste Raumfähre. Die gigantischste Rakete. Das größte Raumschiff.« (Serres 1994: 198f., Herv. i.O.) Auch Serres sieht die Entortung und Deterritorialisierung, die Schmitt als Verlust begreift, als einen Gewinn. Als Astronautinnen und Astronauten sind die Menschen Mitglieder einer Schiffsbesatzung, einer im Weltall dahinfahrenden »Caravelle«. Die Besatzung dieser Caravelle kann es sich nicht länger leisten, sich zu dem Schiff, mit dem sie im Weltall dahinfährt, parasitär zu verhalten. Die astronautische Sichtweise eröffnet für Serres daher die Chance auf einen neuen Bund oder Vertrag mit der Natur, d.h. auf eine wechselseitige bzw. »symbiotische« Beziehung. Wie Fuller war Serres ebenfalls eine Zeitlang bei der Marine. Fuller interessierte sich schon während des Weltkrieges für eine sphärische und »komprehensive« Perspektive und einen anderen Blick auf die Erde. Deutlich wird dies etwa an der von ihm entwickelten »Dymaxion Map«, die 1943 als Faltglobus in der Illustrierten Life einem großen Publikum bekannt wurde. »Der Witz der Sache war, dass das Endprodukt verschiedene Gestalt annehmen konnte. Einmal gab es die Möglichkeit, die überstehenden Falze der Dreiecke und Vierecke zum Zusammenkleben mit den anschließenden Teilen zu benutzen; folgte man dieser Anleitung, so erhielt man ein räumliches Objekt, einem Globus ähnlich, jedoch in der Form eines regelmäßigen Vielecks, bestehend aus 14 Flächen, acht Dreiecken und sechs Vierecken. In der Größe entsprach dieser Vierzehnflächner einem Globus mit ca. 30 cm Durchmesser.« (Krausse 2012: 59) Das war aber nicht alles, denn der Globus ließ sich zu verschieden perspektivierten, flachen Weltkarten auseinanderlegen. »In diesen vielen richtigen Lösungen des Weltkartenspiels wurden nun nicht nur fixe Vorstellungen von der Welt, wie sie bestimmte Kartenprojektionen

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in unseren Köpfen erzeugen, verfremdet und relativiert, sondern es wurde auch demonstriert, wie sich Bilder vom Zusammenhang der Kontinente und Ozeane durch bestimmte Standpunkte und Interessen in Geschichte und Gegenwart formieren. Im Handumdrehen war aus dem harmlosen KartenSpiel eine geographisch-politische, eine historisch strategische Lektion für Fortgeschrittene geworden.« (Krausse 2012: 59) In nuce lässt sich die komprehensive Perspektive der Politischen Ökonomie Fullers schon diesem globalen Kartenspiel entnehmen. Und faltet man diese Karte zu einem dreidimensionalen Körper zusammen, so erhält man eine sehr artifiziell wirkende Figur der Erde, die weniger an einen Globus, denn an ein Raumschiff denken lässt.

4.7

Das Raumschiff Erde bei Barbara Ward und Kenneth Boulding

Mit der Nutzung der Metapher vom »Raumschiff Erde« war Fuller in der 1960er Jahren nicht allein unterwegs. Auch andere Ökonomen benutzten diesen Begriff. So etwa Barbara Ward oder Kenneth Boulding. In ihrem 1966 publizierten Buch Spaceship Earth übernimmt Ward die Metapher von Buckminster Fuller, weil sie ihr besonders geeignet erscheint, den neuen Charakter des gesellschaftlichen Zusammenhangs in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts auf den Punkt zu bringen (Ward 1966: 15).42 Aufgrund des technologischen und gesellschaftlichen Wandels, insbesondere im Hinblick auf Kommunikation, Verkehr und die Dimension der Zerstörung, die mit der Verfügbarkeit von Atomwaffen gegeben ist, müssen alle Menschen sich als »Nachbarn« und als Mitglieder eines »humanen Gemeinwesens« begreifen (Ward 1966: 14). Im Kern beschreibt Ward die Folgen einer neuen Raumrevolution, die die Menschheit bei Strafe des Untergangs aus den beschränkten Perspektiven lokaler, traditionaler oder nationaler Gesellschaften herausführt und sie in ein Zeitalter unhintergehbarer globaler Wechselbeziehungen und gegenseitiger Verwiesenheit (»interdependence«) versetzt. Sie konstatiert daher einen »underlaying trend towards unity« (Ward 1966: 4). Die Dialektik aus Entbettung und Neueinbindung findet sich in dieser Analyse wieder.

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Fuller benutze den Ausdruck »Raumschiff Erde« erstmalig 1951 im Rahmen eines Vortrags an der Universität Michigan (Krausse 1998: 252).

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An der Rolle des Krieges illustriert Ward die historische Dialektik, die die »world society« hervorbringt. Die beiden Weltkriege haben demnach wesentliche technologische und gesellschaftliche Fortschritte motiviert. Kommunikation, Computer, Kernenergie einerseits, aber auch die in den Kriegsgesellschaften entstandene Einsicht, dass die Kräfte des Marktes und der Ökonomie reguliert und gelenkt werden können. So ergeben sich aus Krieg und Feindschaft letztlich auch die Mittel, einer gemeinsamen und vernünftigen Steuerung der weltgesellschaftlichen Angelegenheiten. Aus diesen Mitteln erwächst aber auch die moralische und politische Pflicht, Krieg und Feindschaft hinter sich zu lassen und dem Pfad der »world society« zu folgen. Denn nun sitzen wir gemeinsam in einem fragilen Raumschiff, dessen innere Prozessabläufe und dessen Kurs vernünftig geregelt und bestimmt werden müssen: »The most rational way of considering the whole human race today is to see it as the ship’s crew of a single spaceship on which all of us, with a remarkable combination of security and vulnerability, are making our pilgrimage through infinity. Our planet is not much more than a capsule within which we have to live as human beings if we are to survive the vast space voyage upon which we have been engaged for hundreds of millennia – but without yet noticing our condition. This space voyage is totally precarious. We depend upon a little envelope of soil and a rather larger envelope of atmosphere for life itself. And both can be contaminated and destroyed. […] We are a ship’s company on a small ship. Rational behavior is the condition of survival.« (Ward 1966: 15) Es kommt daher alles darauf an, den Kräften, die die Geschichte vorangetrieben haben – Ward denkt hier vor allem an Macht, wirtschaftliche Interessen und ideologisch motivierte Feindseligkeit –, ihre destruktiven Potentiale zu nehmen und die institutionellen Steuerungslücken zu schließen, die auf weltgesellschaftlicher Ebene bestehen (Ward 1966: 17). Sie schlägt vor, Weltinstitutionen zu schaffen, welche an Bord des Raumschiffs Erde für eine angemessene »balance of power«, »balance of wealth« und »balance of ideology« Sorge tragen. Die Vereinten Nationen sind für Ward ein Anfang: »The age of the rocket and the spacecraft already has a few post-national experiments and institutions on which to base a new planetary loyalty. The United Nations is an embryo of world order with a hint of a police force and a sketch of a judiciary […]. We have some kind of world institutions for the first time« (Ward 1966: 145f.).

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Auch Ward plädiert dafür, dass die politische und moralische Weltordnung und das Verhältnis zur Umwelt sich an einer holistischen, astronautischen Sichtweise ausrichten sollten (Anker 2007: 426). Diese astronautische Metaphorik Wards ist in einem ganz fundamentalen Sinne ernst zu nehmen, denn mit dem »Spaceship Earth« hat Ward auch einen wesentlichen Beitrag zu den Security Studies vorgelegt, der mehr als fünf Jahrzehnte nach seinem Erscheinen aktueller ist denn je: »If some member of the human race gets dead drunk on board our spaceship, we all are in trouble. This is how we have to think of ourselves« (Ward 1966: 15). Man muss nur ihre Ausführungen über die Risiken nationalistischer Regungen in europäischen Gesellschaften lesen, um die Analogien zum zweiten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts zu sehen (Ward 1966: 39-47). Unter den Bedingungen atomarer Vernichtungsoptionen sind nationalistische Experimente für Ward keine Option des Politischen mehr. Sie analysiert dies illusionslos und plädiert für eine politische Vernunft, die die ökonomischen, technologischen und politischen Interdependenzen der Weltgesellschaft ernst nimmt. Dabei formuliert sie den Leitsatz moderner globaler Sicherheitspolitik: »multilateral arrangements are security itself« (Ward 1966: 48). Kenneth Boulding wiederum kritisierte in dem ebenfalls 1966 erschienenen Aufsatz The Economics of the Coming Spaceship Earth die entfesselten und rücksichtslosen Folgen einer raumgreifenden »Cowboy-Ökonomie« und forderte stattdessen eine Astronauten-Ökonomie, die nicht »Produktion und Verbrauch« in den Vordergrund stellt, »sondern Form, Ausmaß, Qualität und Komplexität des gesamten Kapitalbestands, einschließlich des geistigen und gesundheitlichen Zustands der Menschen in diesem System« (Boulding 2006a: 15). Boulding schreibt: »Die geschlossene Erde der Zukunft erfordert wirtschaftliche Prinzipien, die sich von denen für die offene Erde der Vergangenheit unterscheiden. Weil es so ein schönes Bild ist, möchte ich die offene Ökonomie die ›Cowboy-Ökonomie‹ nennen. Der Cowboy ist Symbol für grenzenlose Ebenen und gilt außerdem als rücksichtslos, ausbeuterisch, romantisch und gewalttätig – was auch für offene Gesellschaften charakteristisch ist. Die geschlossene Ökonomie der Zukunft könnte man entsprechend die ›Raumfahrer‹-Ökonomie nennen. Die Erde ist zu einem einzigen Raumschiff geworden, auf dem alle Vorratslager, die man anzapfen oder verschmutzen könnte, begrenzt sind, so dass der Mensch seinen Platz in einem zyklischen ökologischen System finden muss, dem ständige Reproduktion in materiel-

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ler Form möglich ist, wozu es allerdings Energieinput braucht.« (Boulding 2006a: 15) Im Grunde, so Boulding (2006b: 24), sei die Raumfahrer-Ökonomie eine »Planwirtschaft«. Mit dieser Feststellung markiert er auch die doppelte Problematik dieser ökologischen Kabinen-Ökonomie. Erstens provoziert sie den Gebrauch von klassischen Notstandsmetaphern, die eine Art alltägliches Heldentum motivieren sollen: »Sparsamkeit«, »Zurückhaltung«, »Verminderung«, »Selbstbeschränkung, »Bescheidenheit« werden typischerweise gefordert. Peter Sloterdijk spricht sogar von einem der Nachhaltigkeitsethik inhärenten »ökologischen Calvinismus« und warnt vor einer »Art von ökologischem Kriegsrecht« (Sloterdijk 2011: 203, 206). Zweitens ist das Bild einer Kabinen-Ökonomie geeignet, ein umfassendes und mikrophysikalisches Machtregime im Sinne Michel Foucaults zu legitimieren, dass das Verhalten des Einzelnen jederzeit auf die Nachhaltigkeit seiner Umweltbeziehungen hin prüft und nachreguliert. Der erste Kritikpunkt trifft auf Fuller nicht unbedingt zu, da er das »Raumschiff Erde« durchaus als ein Medium der demokratischen Reichtumsvermehrung ansah (Fuller 1998: 36, 83f.). Der zweite Kritikpunkt betrifft ihn aber schon, denn seine »Bedienungsanleitung« legt ein umfassendes Planungs- und Steuerungsregime nahe, das aus Planungsexperten und teilautonomen Computersystemen besteht: »In Fuller’s vision, the political realm would fade away and be replaced by an enlightened regime of technocrats« (Anker 2007: 433). Möglicherweise hat die Zukunftsvision eines planetenweiten, planwirtschaftlichen Asylregimes Boulding dazu veranlasst, in dem 1993 erschienen Aufsatz Spaceship Earth Revisited auch das Verlassen des Raumschiffs Erde durch Beiboote ins Auge zu fassen und über die seit Ende der 1960er Jahre entwickelten »ernsthafte[n] Vorschläge für Kolonien im All« nachzudenken (Boulding 2006b: 22): »Ins All zu gehen, wäre für den Evolutionsprozess ein Übergang von ähnlicher Bedeutung wie der Schritt aus dem Wasser ans Land. […] Das würde wohl ein breites Band von Weltraumkolonien auf beiden Seiten der Erdumlaufbahn bedeuten, die Sonnenenergie nutzen und auf Asteroiden Rohstoffe abbauen würden.« (Boulding 2006b: 23)43 43

Zur Evolutionsanalogie in Bezug auf die Raumfahrt vgl. kritisch die Einleitung zu diesem Band.

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Im dritten Teil des SF-Romans Seveneves (dt. Amalthea) von Neal Stephenson wird ein solches Band eindrücklich beschrieben. Der Autor des Romans war zudem der erste Mitarbeiter, den Jeff Bezos bei Blue Origin einstellte.44 Aus soziologischer Sicht ist im Zusammenhang mit Überlegungen zur Einrichtung und Besetzung einer Kommandozentrale für das Raumschiffs Erde noch ein weiteres Argument wichtig – ein Argument, das überzogene Steuerungsfantasien unrealistisch erscheinen lässt: Denn aus prinzipiellen Gründen ist das globale soziale System nur eingeschränkt steuerbar. Soziale Funktionssysteme wie Wirtschaft, Politik, Wissenschaft prozessieren grundsätzlich nach ihren eigenen Codes und Programmen und strukturieren darüber Kommunikation und Wissen. Globale politische Institutionen und Sicherheitsstrukturen können daher lediglich die grundlegende Reproduktionsbedingungen der Weltgesellschaft absichern und für entsprechende Regulierungen sorgen (Spreen 2012). Von einer Planwirtschaft ist das aber meilenweit entfernt. Nicht umsonst vergleicht der Soziologe Anthony Giddens das gegenwärtige moderne und globalisierte Leben mit der Fahrt in einem DschagannathWagen. Dieses hinduistische Prozessionsgefährt ist aus Gründen seiner grundsätzlichen Verfasstheit schwer zu steuern und bewegt sich daher auf einer Risikoroute. Gerade die Angewiesenheit auf Expertensysteme schickt auch die moderne Gesellschaft auf eine solche Route, denn diese Systeme basieren auf einer ständigen Reformulierung ihrer Wissensbasis und verändern damit immer aufs Neue »das Wesen dieser Welt und lassen sie in bisher unbekannte Richtungen schlingern« (Giddens 2011: 189). Während der COVID19-Pandemie wurden solche Schlingerbewegungen nur zu deutlich, weil sich die Wissensbasis des Steuerungsregimes ständig änderte, Kontingenzen einwirkten und im Politischen verschiedene Interpretationen der Situation miteinander konkurrierten. Giddensʼ Dschagannath-Gesellschaftsmetapher legt den Akzent auf prinzipielle Unschärfen in den Steuerungssystemen. Sie hebt Kontingenzen, Bedienungsrisiken und Zukunftsoffenheit hervor. Ein zu technokratisches Verständnis der Metapher vom »Raumschiff Erde« kann somit dazu führen, dass planwirtschaftliche Aspekte, Steuerungs- und Machtphantasmen sowie ab- und einschließende Weltkonzepte überbetont werden. In Bezug auf die moderne Weltgesellschaft erweist sich die Habitatmetapher als unzureichend. Wenn man realistisch bleiben will, dann darf man sich 44

Der Spiegel vom 27.10.2018, S. 115.

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Gesellschaft nicht wie ein gewaltiges Raumschiff Enterprise vorstellen, dessen innere Ordnung militärisch strukturiert ist. Die »Funktion eines Chefingenieurs des Raumschiffs Erde« entschlüsselt sich vielmehr als ein technokratisches Machtphantasma (Latour 2017: 475, Herv. i.O.). Und die transglobale Gesellschaft der Zukunft mag sozial homogene Habitatgemeinschaften im Weltraum inkludieren; sie selbst wird aber vermutlich ebenso wenig deren Modell nachgebildet sein, wie auch die gegenwärtige Weltgesellschaft zwar verschiedene Formen sozialer Schließung inkludiert, selbst aber funktional, sozial, politisch und kulturell hochgradig ausdifferenziert ist.

4.8

Integration der Gesellschaft in die Raumfahrt

Zusammengefasst lässt sich sagen, dass der Verweis auf die Systemlogiken von Weltraumhabitaten und Raumschiffen genutzt wird, um das Leitbild einer nachhaltig ausgerichteten, ökologischen Weltökonomie zu plausibilisieren und zu propagieren. Das »Raumschiff Erde« ist damit ebenfalls eine Diskursfigur der reflexiven Moderne. Mit dieser Diskursfigur verbindet sich der Imperativ der Nachhaltigkeit: Die Besatzungsmitglieder des »Raumschiffs Erde« sollten sich dem astronautischen Rollenbild entsprechend verhalten. Aus astronautischer Perspektive ist es ziemlich leichtsinnig, das Schiff, in dem man durch den Weltraum reist, während der Reise anhaltend zu schädigen. In Anlehnung an den Techniksoziologien Bruno Latour können die von einem Weltraumhabitat Beherbergten als Habitatverbundene gesehen werden, die von ihrem künstlichen »Lebensterrain« (Latour 2018: 101, 110) abhängig sind und deshalb mit ihm einen Bund eingehen müssen. Eine Politische Ökonomie, die ihr Quartier im Weltraum als bloßen »Produktionsfaktor« (Latour 2018: 91) sieht und es damit zum Abriss freigibt, können die Beherbergten sich nicht leisten. Die Diskursfigur des »Raumschiffs Erde« begreift die Gesellschaft als in die Raumfahrt integriert. Alles Soziale vollzieht sich in Raumfahrt-Medien.45 Mit Buckminster Fuller oder Michel Serres heißt das: Wir sind alle Astronautinnen und Astronauten. Diese Integration der Gesellschaft in die Raumfahrt reflektiert aber nicht nur den Imperativ nachhaltigen Wirtschaftens, sondern zudem die Verkeh45

Solche Medien sind etwa Himmelskörpercaravellen, Satelliten- oder Technosphären, Raumfahrzeuge, -stationen und -habitate, Skaphander oder weltraumkompatible Cyborgerweiterungen. Zu letzteren Spreen 2014a.

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rung des Verhältnisses von Natur und Technik sowie die Entbettungsprozesse der Moderne und die Einbindung der Gesellschaft in Expertensysteme. Mit ihr sind atopische Diskurse verbunden, die erdumfassende, teilweise sogar über die Erdsphäre hinausweisende Wirtschaftsperspektiven propagieren. Nicht zuletzt aber verweist diese Integration auf die wachsende Bedeutung der Raumfahrttechnologie, denn schon heute fällt es nicht schwer, sich die Weltgesellschaft als abhängig von einer die Erde umgebenden orbitalen Technosphäre aus Satelliten vorzustellen (Spreen 2014b). Da das »Raumschiff Erde« aber auch »Beiboote« entsenden kann oder mittels Terraforming der Bau eines »Raumschiffs Mars« zumindest vorstellbar wird,46 ist in diesen Diskursstrang eine Konfliktlinie eingelassen. Denn die planwirtschaftliche Seite es Nachhaltigkeitsraumschiffs lebt von dem Axiom, dass der Menschheit nur diese eine Erde zur Verfügung stehe (Sloterdijk 2011: 103). Vor dem Hintergrund der den von neuen Akteuren der Raumfahrt geäußerten Plänen, nicht nur mit Kleinsatelliten ins All zu fahren, erscheint ein Axiom, das ein Monopol des »Ökosystemdienstleisters Erde« behauptet, dem gesellschaftlichen Möglichkeitshorizont nicht länger angemessen. Im New Space Age werden transglobale Projekte mit verbreitertem gesellschaftlichen Partizipationsradius vielmehr ökonomisch interessant. Und sie schaffen sich neue technologische Optionen.

5.

Zusammenfassung und Blick in die Zukunft

Bis hierhin wurden drei mächtige ökonomische Diskurse zur Raumfahrt nachgezeichnet. Nun soll abschließend versucht werden, ein Gesamtbild dieses Diskursfeldes zu entwerfen sowie einige potenzielle zukünftige Konfliktlinien aufzuzeigen. Dazu eignet sich das in Tafel 2 bereits vorgestellte Schaubild, das sich nun folgendermaßen erweitern lässt. Tafel 4 erfasst die Möglichkeiten, über Raumfahrt in ökonomischen Kontexten zu sprechen. Es gibt darüber hinaus weitere Diskursfelder, wie zum Beispiel das der Science-Fiction, das hier aber nicht Gegenstand der systematischen Untersuchung war, obwohl auch ökonomische Aspekte der Raumfahrt in der Science-Fiction weitsichtig thematisiert wurden.47 Der Zeitpfeil

46 47

Siehe dazu den Beitrag von Peter Podrez in diesem Band. Siehe hierzu den folgenden Beitrag von Bernd Flessner.

Raumfahrer-Ökonomien

beschreibt in etwa eine Abfolge, wobei die Diskursfelder sich überlappen können. Heute sind alle vier im Spiel. Die Leitbilder der institutionellen Raumfahrt – bemannte Raumfahrt und automatische/autonome Systeme – kreisen um die Spannung zwischen dem Kulturwert der Raumfahrt und gesellschaftlichen Nutzenerwägungen. Für die NewSpace-Bewegung ist die Raumfahrt ein profitversprechendes Geschäftsfeld. Und in der reflexiven Moderne erscheint die Erde als ein Weltraumhabitat, weshalb auf nachhaltiges Wirtschaften und ein systemisches Verständnis der Mensch-Umwelt-Beziehungen Wert gelegt wird. Tafel 4: Das Feld des Raumfahrtdiskurses

 



Zeit

Raumfahrt-Leitbild

normative Orientierung

bemannte Raumfahrt

Welterschließung, Kulturaufgabe

automatische/autonome Systeme

Instrument, gesell. Nutzen

Raumschiff Erde, Habitate, Biosphären, Siedlungen

Nachhaltigkeit, systemisches Denken

NewSpace

Marktfähigkeit, Partizipation

Quelle: Eigene Darstellung

Wie bei Tafel 2 lassen sich auch hier Querverbindungen ziehen. Besiedlungsvisionen spielen eine Rolle in den Feldern »bemannte Raumfahrt« und »NewSpace«. Das NewSpace-Geschäftsfeld »Kleinsatelliten« befasst sich per definitionem mit automatischen Systemen. Im NewSpace-Geschäftsfeld spielen auch Dienstleitungsangebote aus der Erdbeobachtung eine Rolle, die sich etwa an die Landwirtschaft wenden, weshalb sich hier Überscheidungen mit dem Diskurstypus »Raumschiff Erde« ergeben. Die sich um die Erde legende Sphäre kommerzieller und nicht-kommerzieller Satelliten kann als eine künstliche Haut aus Sensoren, Informatoren und Nervenknoten aufgefasst werden, die die Erde einem Kugelraumschiff ähnlich werden lassen. Weil sich aber gewisse Verdichtungen in den Zeilen der Diskurstafel feststellen lassen, lässt sich obiges Modell rechtfertigen. Die Querverbindungen dürfen zudem nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich auch Konfliktlinien anbahnen. Hierzu sollen abschließend drei Thesen vorgestellt werden: These 1: NewSpace und OldSpace: Disruption oder Kooperation? NewSpace ist zwar bislang noch in vielfacher Hinsicht auf institutionelle Auftraggeber angewie-

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sen, trotzdem gehört nicht viel dazu, disruptive Effekte vorherzusehen, etwa wenn sich zeigt, dass die Angebote der institutionellen Raumfahrt gerade im Bereich Space-Access im Vergleich zu teuer und zu kompliziert erscheinen und damit sowohl die institutionellen Anbieter als auch ihr technologisches Paradigma vom Markt verdrängt werden könnten. Idealtypisch zugespitzt erscheinen institutionelle Raumfahrt und NewSpace einander entgegengesetzt: Auf der Seite der traditionellen Raumfahrt herrschte bislang ein Ingenieursperfektionismus, der insbesondere deutschen Hardwareangeboten als guter Ruf vorauseilt, allerdings zugleich den Steuerzahler bluten lässt. Auf der NewSpace-Seite findet man dagegen eine hemdsärmelige, technologie- und risikoaffine Synergiekultur vor, die nutzt, was geht, und die Systemintegration über innovative Software herstellt, was die Preise erheblich senkt. Wird der Steuerzahler nicht irgendwann beginnen nachzufragen, warum überhaupt noch Geld in die Ariane gesteckt werden soll, wenn der Transport von Nutzlasten in den LEO mit SpaceX oder anderen Anbietern weniger als ein Viertel kostet? NewSpace verspricht Raumfahrt für alle, der Nachhaltigkeitsdiskurs sieht uns alle als Raumfahrerinnen und Raumfahrer – es liegt nicht so fern anzunehmen, dass die zunehmende Integration der Raumfahrt in die Gesellschaft Nachfragen provozieren könnte, die sich auf überflüssige finanzielle Kosten für die Allgemeinheit beziehen. Dieser Kostendiskurs ist bereits in der Welt. Der Spiegel etwa schreibt: »In den vergangenen Jahrzehnten haben wenige Staaten für unvorstellbar viele Milliarden an Steuergeldern weniger als 600 Menschen in den Weltraum entsandt. Das erklärte Ziel der jetzt angetretenen Raumfahrtfirmen im Besitz von Multimilliardären ist es, mehr Erdlinge sicher und preiswert ins All zu bringen und dort neuartige Branchen und bessere Perspektiven für die Menschheit entstehen zu lassen.«48 Andererseits ist NewSpace in vielfacher Form auf die Unterstützung durch institutionelle Akteure angewiesen. Inzwischen ist die ISS zu einer Goldgrube für NewSpace-Unternehmen geworden. »Die Station ist nicht nur ein heroischer Außenposten der Menschheit, sondern vor allem eine willkommene und zuverlässige Einnahmequelle. Sie ist mit 100 Milliarden Dollar Baukosten so teuer, dass ihre Betreiberstaaten sie nicht von einem Tag auf den anderen aufgeben werden« (Schneider 2018: 300). Der Erfolg des amerikanischen NewSpace ist nicht zuletzt einer völlig veränderten Ausschreibeprozedur der 48

Der Spiegel vom 11.05.2019, S. 100.

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NASA zuzuschreiben. Auch der BDI fordert »[k]ommerzielle und institutionelle Raumfahrt besser [zu] verzahnen« und einen »Systemwechsel nach USamerikanischem Vorbild mit mehr Ankeraufträgen« anstelle »der bisher vorwiegenden Projektförderung« zu vollziehen (BDI 2021: 3). Auch in dem Zukunftsfeld der Abwehr von Near-Earth-Objekten (NEOs) bzw. Asteroiden bahnen sich Kooperationen zwischen institutionellen Akteuren und NewSpace-Unternehmen an. Institutionelle Raumfahrt und NewSpace werden sich somit in Zukunft vermutlich eher wie die beiden Seiten einer Medaille zueinander verhalten: Die eine kann ohne die andere nicht sein. In Europa und Deutschland liegt das Hauptrisiko in erster Linie darin, dass Politik und Öffentlichkeit die Möglichkeiten von NewSpace nicht ausreichend ernst nehmen. Einerseits besteht das Risiko, in institutioneller Bequemlichkeit zu verharren. Es ist für die Entfaltung der neuen, privaten Weltraumambitionen aber wichtig, dass NewSpace nicht bloß an der langen Leine der institutionellen Raumfahrt und ihrer Systemindustrie geführt wird. Andererseits besteht das Risiko, in erdgerichteten Denkschemata und Vorstellungswelten stecken zu bleiben. Die USA bieten NewSpace Rechtssicherheit und räumen Unternehmen Abbaurechte im Weltraum ein. Amerikanische Unternehmen können die Hirne in ihren ihre FuE-Abteilungen daher schon qualmen lassen. Die Amerikaner werden nun den Orbit mit Megakonstellationen auffüllen; ebenso werden sie den Weltraumbergbau in den Blick nehmen. Aber besteht zwischen der expansiven und technologieaffinen Ausrichtung des NewSpace und einem erdgerichteten und erdverbundenem Nachhaltigkeitsdispositiv notwendig ein Widerspruch? Diese Frage führt zur nächsten These. These 2: Weltanschauungskampf – New Frontier oder Einkapselung? Eine weitere Konfliktlinie zeichnet sich ab zwischen Nachhaltigkeitszielen, die von einem regulativ-geschlossenen Erdsystem ausgehen, und einem New-FrontierDiskurs, der auf eine Kolonialisierung und Ausbeutung des Weltraums abzielt. Nachhaltigkeitsziele können durchaus mit Verzichts- und Notstandsrhetorik einhergehen und eine Planwirtschaft nach kriegsgesellschaftlichem Vorbild nahelegen. Schon Fuller weist auf die prinzipielle Parallelität der Steuerungserfordernisse des von innerer Zusammenhangslosigkeit bedrohten Raumschiffs Erde mit einer Wirtschafts- und Gesellschaftssteuerung im Ausnahmezustand hin: »Synergie ist das Wesentliche. Nur unter den Belas-

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tungen totaler gesellschaftlicher Ausnahmezustände kommen die adäquat wirksamen Alternativen technischer Strategien synergetisch zum Vorschein« (Fuller 1998: 89). Damit zeichnet sich ein Konfliktverhältnis ab, das sich zwischen zwei idealtypischen Polen aufspannt: Auf der einen Seite der Ausblick auf eine in das »Raumschiff Erde« eingekapselte Menschheit und ein umfassendes Nachhaltigkeitssteuerungsregime, auf der anderen Seite der Hinweis auf die expansiven und profitablen Möglichkeiten, die sich im Weltraum bieten. Verdichtet sich auf der einen Seite eine »expressions- und emissionsfeindliche Ethik« (Sloterdijk 2011: 103), während auf der anderen Cowboy-Kapitalisten nach neuen Räumen greifen? Bahnt sich ein weltanschaulicher Konflikt zwischen Kabinenfahrern und Space-Cowboys an, der vor dem Hintergrund des sich abzeichnenden, notwendigen globalen Umwelt- und Klimaregimes grundlegende Debatten um die Freiheit des Einzelnen, um das Verhältnis von Staat und Gesellschaft und um die Grundlagen der Wirtschaftsordnung neu eröffnet? Es finden sich aber auch versöhnliche Töne, die auf einen Diskurskrieg der Welten nach dem Motto »Erde statt Mars« verzichten. Beispielsweise zeigt schon O’Neill, wie die irdische Biosphäre durch den Ausgriff ins All entlastet werden kann. Eine ähnliche Idee ventiliert auch Blue Origin-Gründer Jeff Bezos, der in der Ausweitung der Gesellschaft in den Weltraum eine Option erkennt, der Dystopie eines eingekapselten und »statischen« Nachhaltigkeitsregimes zu entkommen: »So, we go to space to protect this planet. This is why the company’s named Blue Origin: blue planet, it’s where we’re from. But we also don’t want to face a civilization of stasis, and that is the real issue if we just stay on this planet. That’s the long-term issue. This planet is, actually, finite. If we take current baseline energy usage, globally, and compound it at just a few percent a year for just a few hundred years, you have to cover the entire surface of the Earth in solar cells. A life of stasis would be population control, combined with energy rationing. That is the stasis world that you live in if you stay. And even with improvements in efficiency, you’ll still have to ration energy. That, to me, doesn’t sound like a very exciting civilization for our grandchildren’s grandchildren to live in. And we don’t have to have that. The solar system can support a

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trillion humans. And then we’d have a thousand Mozarts, and a thousand Einsteins. Think how incredible and dynamic that civilization would be.«49 Konzepte wie die von O’Neill oder Bezos weisen darauf hin, dass es nicht notwendigerweise um eine Entweder-Oder-Entscheidung darüber gehen muss, ob man innerhalb der planetaren Grenzen in einem umfassenden Regulationssystem verbleiben oder in den Weltraum hinausfahren möchte. Vielmehr lassen sich nachhaltige Bewirtschaftung der Erde und wirtschaftliche Erschließung des Weltraums verbinden. Faktisch deutet sich diese Verbindung bereits an, da die Fernbeobachtung des Erdsystems mittels Satelliten für die wissenschaftliche Datengewinnung und das Wissen über das Klima von erheblicher Bedeutung ist. Zudem sind terrestrische Verbundenheitsethik und -ökonomie mit der Raumfahrt verwoben, denn sowohl der Diskurs über das »Raumschiff Erde« als auch der zum Overview-Effekt zielen in die Richtung einer solchen Ethik und Ökonomie. These 3: Weltordnung – Anarchisierung oder transglobale Sicherheit? Wie sollen politische, soziale und ideologische Disruptionen, die die Weiterfahrt des Raumschiffs Erde mit Besatzung gefährden können, kontrolliert werden? Auf welche Formen des Problem- und Konfliktmanagements werden die Besatzungsmitglieder sich einigen können? – Nach dem Kalten Krieg zeichneten sich Chancen für eine globale Sicherheitsordnung ab, die dem Weltsicherheitsrat und den Vereinten Nationen sogar Gendarmerie-Funktionen jenseits von Blauhelm-Missionen zubilligte. Leider scheint es, als hätten die Regierungen der Welt diese Chancen verspielt, einerseits, weil sie die Möglichkeiten einer solchen Weltordnung nicht erkannten oder ihre Konsequenzen nicht akzeptieren wollten und folglich auch nicht strategisch nachhaltig umsetzen konnten (Spreen 2016), andererseits, weil sie eine transhumane Weltökonomie durchsetzten, sozialen Ausgleich grundlegend beschädigten und dadurch exklusiv-nationalistischen Solidaritätsdiskursen einen Weg zurück in die Parlamente bahnten (Spreen 2018). Von einer umfassend verstandenen globalen Sicherheitsordnung ist die Welt weiter entfernt als vor 20 Jahren. Stattdessen erhebt sich erneut das Gespenst nationalistischer Ideologie, nicht nur in Russland und Europa, sondern auch in den USA.

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»The cosmic vision of Jeff Bezos« (Interview), in: SpaceNews vom 25.02.2019, Vol. 30, H. 2, S. 9-13, hier S. 13. Vgl. Der Spiegel vom 11.05.2019, S. 102.

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Droht vor dem Hintergrund des Klimawandels eine konfrontative und lediglich um die Rettung der Eigengruppe kreisende politische Anarchisierung der Weltordnung? In einer Welt aus sich als »souverän« begreifenden »Vaterländern« dürfte es sehr schwer werden, allgemeine verbindliche Regelungen zur Begrenzung des Klimawandels und generell zur Bordsicherheit des Raumschiffs Erde zu finden. Die Schwierigkeiten, sich auf eine internationale Regelung zum Rohstoffabbau im Weltraum zu einigen, sind da nur ein Vorgeschmack. Vor einer solchen Renationalisierung der Weltpolitik hat Barbara Ward schon Mitte der 1960er Jahre gewarnt – seinerzeit im Hinblick auf die Atom- und Machtpolitik Charles de Gaulles. Im Raumfahrtzeitalter gibt es schlicht keinen Ort auf der Erde mehr, der nicht aus dem Orbit heraus oder über einen suborbitalen Umweg (mittels ICBMs) vollständig zerstört werden könnte. Kein Nationalstaat kann sein Territorium und seine Bevölkerung dagegen absichern. Die Folgen des Klimawandels und des Verlusts der Biodiversität machen vor staatlichen Grenzen ebenfalls nicht halt. Das gilt auch für die Risiken, die mit der zivilen Nutzung der Atomspaltung verbunden sind. Mit Ward muss man daher hoffen, dass der Politik und den Bevölkerungen diese unhintergehbare Verwundbarkeit wieder stärker bewusst wird, die die Metapher vom »Raumschiff Erde« so deutlich gemacht hat. Mehr denn je erscheint es heute notwendig, die Bemühungen um eine globale Sicherheitsordnung, um den Schutz der Menschenrechte und um ein nachhaltiges und sozial ausgeglichenes Bewirtschaften des Planeten zu stärken. Ja mehr noch: Es bedarf auch transglobaler, d.h. in den Weltraum hineingreifender Strukturen, um die Ökonomisierung des Weltraums zu regeln und in eine Richtung zu lenken, die den Weltraum zum Nutzen der Menschheit und der Erde erschließt. Die allseitig ernsthafte Inangriffnahme einer international zustimmungsfähigen, offenen Weltraumordnung, die privates wirtschaftliches Engagement fördert und zugleich den Nutzen für Menschheit und Erde im Auge behält, könnte auch der Startpunkt für eine neue globale Sicherheitsordnung sein. »Offen« wäre eine solche Ordnung dann, wenn sie wirtschaftliches Engagement, individuelle Initiative und Nutzen für Menschheit und Erde vereint und daher versucht, die transglobale Ausbreitung der Gattung zu ermöglichen. Die Chancen auf eine globale und transglobale Sicherheitsordnung sind nicht verschwunden, wie widrig die Umstände auch erscheinen mögen. Was 1966 galt, gilt heute wieder:

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»Is it then too audacious to hope that if, in the next decades, most of mankind can be set, by way of the new technologies, on the path of growth, then human conquest – which used to be for slaves and land and treasure – may now become the conquest of things of the mind, of the inventions which flow from science, of the ›inner space‹ of human imagination and capacity? Nor need we exclude the high adventure of ›outer space‹. Just possibly, the age of bloody physical conquest which has lasted for a hundred thousand years – from the tribe to the empire – may now reaching its term. If the triumphs and contests of abundance take the place of the old grinding enmities bred of scarcity, then, perhaps, we shall not destroy ourselves. We shall not find it entirely irrational to live in hope.« (Ward 1966: 51) *** Als ein wichtiges Ergebnis der hier vorgestellten diskursanalytischen Skizze lässt sich festhalten: Die Raumfahrt wurde über die letzten Jahrzehnte in die Gesellschaft integriert und umgekehrt. Die Raumfahrt sieht sich daher mit einer ganzen Reihe unterschiedlichster gesellschaftlicher Zwecke und Wertkontexte konfrontiert, die sich nicht zuletzt in ökonomischen Diskursen und in Nachhaltigkeitskonzepten manifestieren. Wer vielleicht noch darauf hofft, mithilfe der Raumfahrtidee zumindest im Geiste den Problemen und Konflikten der Weltgesellschaft zu entkommen, der wird enttäuscht werden. Und umgekehrt gilt, wer die transglobale Dimension der Gesellschaft ausblendet, greift zu kurz – sowohl was das Gesellschaftsverständnis als auch was politische Zukunftsstrategien angeht.

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Destination Moon Die Privatisierung der Raumfahrt in Science-Fiction und Realität Bernd Flessner »A most fantastic voyage.« Frank Borman, Apollo 8, 26.12.1968

Moonstruck Seit der Mensch seinen Blick auf den Nachthimmel richtet, fasziniert ihn der Mond, allen Sternen zum Trotz. Es ist der Mond, der ihn in seinen Bann schlägt, der Fragen evoziert, allen voran jene, um was es sich beim Mond eigentlich handelt und warum er permanent und periodisch seine Gestalt wandelt und bisweilen sogar komplett verschwindet. Zunächst geben sich die Menschen mit der Erklärung zufrieden, es mit einer Gottheit zu tun zu haben, deren Einfluss auf die Jahreszeiten nicht zu unterschätzen ist. Im Neolithikum entsteht in Stonehenge die bekannte Kultstätte, die, ebenso wie die bronzezeitliche Himmelsscheibe von Nebra, mit großer Wahrscheinlichkeit einen Lunisolarkalender mit verblüffenden Eigenschaften darstellt: »Die Funktionsprinzipien der Lunisolarkalender erinnern an einen modernen Computer: Der Mond fungiert als Taktgeber (Prozessor), die kreisförmig angeordneten Pfosten speichern Informationen und es wird mit einfachen Mitteln ein Algorithmus in Form einer Kalendersoftware ausgeführt. Die Himmelsscheibe von Nebra könnte – bildlich gesprochen – als portable und weiterentwickelte Laptopversion dieses Computers angesehen werden.« (Herten/Waldmann 2018: 275) »Der bronzezeitliche Mensch denkt und zählt im Mondzyklus«, erläutert der Archäologe Christoph Sommerfeld (Sommerfeld 2012: 118). Bedeutung und

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Faszination des Mondes werden zur prähistorischen Kontinuität, die auch in historischer Zeit Bestand hat. Vor allem griechische Philosophen und Astronomen befassen sich intensiv mit dem Mond, der nach und nach seinen Status als mythologische Wesenheit verliert. Der griechische Mathematiker Aristarchos von Samos (um 310-um 230) nutzt den Erdschatten des Mondes, um sein heliozentrisches Weltbild zu entwerfen (Heath 1913). Der Mond wird säkularisiert, wird zum Spiegelbild der Erde und rückt so näher an diese heran. Eine Kugel, die um eine Kugel kreist. Der Mond scheint den Griechen zum Greifen nah und ist dennoch unerreichbar. Oder vielleicht doch nicht? Der Satiriker Lukian von Samosata (um 120um 180) etabliert mit seinem fiktiven Reisebericht Wahre Geschichten das literarische Motiv der Mondreise. In seiner Erzählung schlägt er ein Schiff als mögliches Fahrzeug vor, das von einem gewaltigen Sturm in den Himmel gerissen wird: »Wir mussten uns also dem Winde überlassen und wurden neunundsiebzig Tage lang vom Sturm herumgetrieben« (Lukian 1982: 17). Prompt erfolgt dann die Landung auf dem Mond, der von »Seleniten« bewohnt ist, die Krieg mit den Bewohnern anderer Himmelskörper führen (Lukian 1982: 25). Der Krieg der Sterne ist eine Idee der Antike, nicht eine der Moderne. Lukians Erzählung hat indes weitreichende Folgen, denn sie begründet nicht nur das Motiv der Mondreise, sondern mit ihr beginnt die Erosion der Vorstellung einer absoluten Unterreichbarkeit des Mondes. Der Satiriker erweitert literarisch den menschlichen Möglichkeitsraum, der jetzt auch den Mond impliziert. Der Mond wird zum säkularen Sehnsuchtsort, zum möglichen Reiseziel, auch wenn noch kein annähernd reales Fahrzeug imaginierbar ist, wobei Lukian mit dem Schiff ja nicht komplett falsch lag. Seine satirische Erzählung überdauert die Zeit, die weltanschaulich bedingten Tabus des Mittelalters, und inspiriert zahlreiche Autoren, das von ihm geschaffene Motiv zu variieren. Mit dem Beginn der Neuzeit kehrt auch das heliozentrische Weltbild zurück und der Mond wird wieder zu einem möglichen Reiseziel. Der Astronom Johannes Kepler schildert in seiner Erzählung Somnium, entstanden 1609, eine Reise zum Mond. Ihm folgt 1629 der englische Schriftsteller Francis Godwin mit der Erzählung The Man in the Moone Or a Discourse of a Voyage thither by Domingo Gonsales, the Speedy Messenger; 1649 schreibt der Franzose Cyrano de Bergerac die Histoire comique des états et empires de la lune. Es sind nicht die einzigen Werke dieser Art, lediglich die bekanntesten. Ihnen ist aber nicht nur das Motiv gemein, sondern der Versuch, Reise und Reiseziel auf der Grund-

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lage der damaligen Kenntnisse zu schildern und diese Kenntnisse auch zu vermitteln (Nickel 2014). Nach der Erfindung einer neuartigen Wahrnehmungsprothese, dem Fernrohr, beginnt Galileo Galilei ab 1610, auch den Mars in den menschlichen Möglichkeitsraum zu rücken. »Da Kontakt-Halten-Können bedeutet: Distanzen aufheben können, und da der Raum nichts anderes ist als das System von Distanzen, dürfen wir in unserer Fähigkeit, Kontakt mit Entferntem aufrechtzuerhalten, die Fähigkeit sehen, den Raum zu annullieren«, notiert Günther Anders nach den ersten Apollo-Flügen zum Mond (Anders 1994: 130, Herv. i.O.). Die Metapher von der Annullierung des Raums ist indes nicht neu. So schreibt Heinrich Heine nach dem Erlebnis einer Eisenbahnfahrt 1843: »Durch die Eisenbahnen wird der Raum getötet, und es bleibt uns nur noch die Zeit übrig« (Heine 2014: 176). Die Aufhebung des Raums, der Distanz, erfolgt durch Maschinen, durch Fahrzeuge. Doch kann man diese Eigenschaft nicht auch Wahrnehmungsprothesen zusprechen, also Teleskopen oder Raumsonden? Denn auch sie annullieren den Raum und gewähren uns distanzlose Blicke auf die Oberflächen von Monden und Planeten. Folgt man dieser Perspektive, beginnt der »Kontakt mit Entferntem«, wie Anders es formuliert, mit Galileis erstem Blick durch sein neues Fernrohr, auch wenn er selbst sein Studierzimmer nicht verlässt. Mond, Mars und andere Planeten des Sonnensystems gelangen dank der optischen Aufhebung der Distanz in den Wahrnehmungsradius des Menschen. Nach dem Mond wird der Mars der neue Sehnsuchtsort, das neue Ziel für den menschlichen Geist, der den Nachbarplaneten – wie zuvor schon den Mond – umgehend in einen »humanisierten Raum« verwandelt (LeroiGourhan 1984: 395). Die Inbesitznahme erfolgt gleich zweifach, wissenschaftlich-optisch und literarisch-fiktiv, wobei der menschliche Geist Interferenzen nicht ausschließen kann und keineswegs auch immer ausschließen will. Imagination und Wissenschaft sind auch bei der Erkundung des Alls Partner, die sich wechselseitig motivieren. Schon 1659 skizziert der niederländische Astronom Christiaan Huygens die erste Marskarte. »Damit begann der Mars im menschlichen Bewusstsein eine neue Stelle einzunehmen: als eine der Erde ähnliche Welt« (Puttkamer 1997: 62). Von nun an überbieten sich die Astronomen mit immer größeren Teleskopen und immer genaueren Marskarten, die auch bald die Polkappen zeigen. Mitte des 19. Jahrhunderts machen Astronomen wie Richard Proctor, Camille Flammarion und vor allem Giovanni Schiaparelli und Pervival Lowell

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den Mars schließlich zu einer von intelligenten Lebewesen bewohnten Welt (Eisfeld/Jeschke 2003: 50f.). Die Literatur ist dazu bereits hundert Jahre früher in der Lage. Der kursächsische Astronom Eberhard Christian Kindermann veröffentlicht 1744 seine Erzählung Die Geschwinde Reise auf dem Lufft-Schiff nach der obern Welt, welche jüngstlich fünff Personen angestellt um zu erfahren, ob es eine Wahrheit sey, dass der Planet Mars den 10. Jul. dieses Jahres das erste Mahl, so lange die Welt stehet, mit einem Trabanten oder Mond erschienen? Wie Lukian wählt auch Kindermann ein Schiff als Fahrzeug, überlässt Flug und Navigation jedoch nicht dem meteorologischen Zufall, sondern setzt sechs luftleere Kupferkugeln als Auftriebsaggregate ein. Die Expedition gelingt; die Reisenden kommen dem Mars so nahe, »daß wir viel erbaute Behältnisse für vernünftige Creaturen erblicken konnten« (Kindermann 2006: 55). Mit der Zeit entsteht ein diversifiziertes Angebot an Marsvisionen, das die Marsianer mal als aggressive Invasoren beschreibt, wie in Herbert George Wells Krieg der Welten von 1898, mal als Vorreiter einer utopisch-ökologischen Gesellschaft wie in Albert Daibers Vom Mars zur Erde von 1910 (Flessner 2018). Aktueller Höhepunkt der fiktiven Inbesitznahme ist Andy Weirs WeltraumRobinsonade The Martian (dt. Der Marsianer) von 2011, die 2015 erfolgreich verfilmt wird (Kramm 2015).

Von der Annullierung des Raums zur Verzeitlichung der Utopie Mitte des 19. Jahrhunderts erfährt das literarische Motiv der Mondreise eine gravierende Veränderung durch Jules Verne. Zuvor hat allerdings Vernes Landsmann Louis-Sébastian Mercier die Insel- bzw. Raumutopie aufgegeben, die nicht mehr zeitgemäß ist, nicht zuletzt, weil die implizierte Kritik, der Gegenentwurf zur bestehenden Gesellschaft, zu schnell veraltet (Gnüg 1983: 103f). Mercier pariert die die Neuzeit prägende, »beschleunigte Schnelligkeit des modernen Wirklichkeitswandels« durch die Verlagerung des Gegenentwurfs in die Zukunft, wo sie Alterungsprozessen besser widerstehen kann (Marquard 1986: 82). Da nun der Ort, also die vor unbekannten Gestaden situierte Insel, als gattungsspezifisches Merkmal nicht mehr benötigt wird, kann dieser frei gewählt werden. Merciers 1771 erschienener Roman Das Jahr 2440. Der Traum aller Träume spielt in seiner Heimatstadt Paris. Der deutsche Historiker Reinhart Koselleck beschreibt diesen Schritt bekanntermaßen und sehr treffend als »Verzeitlichung der Utopie« (Koselleck 1982: 2).

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Dieser fundamentale Schritt wiederum »hängt eng mit dem neuzeitlichen Konzept der Geschichte zusammen, welches die Geschichte erstmals als einen zusammenhängenden Prozeß der Menschheitsentwicklung entworfen hat« (Hölscher 1999: 7). Erst die Reflexion der Geschichte als kontinuierlicher Prozess führt zu der Vorstellung einer vor uns liegenden Zukunft, die Teil dieses Prozesses ist, jedoch noch nicht stattgefunden hat. Das heutige Verständnis von Zukunft wird im Laufe der Aufklärung erfunden und hat weitreichende Konsequenzen, »der Mensch wird vom passiven Zuschauer zum aktiven Gestalter des kollektiven Fortschritts« (Esselborn 2020: 15). Geschichte wird nicht mehr erlebt, erduldet und ertragen, sie ist nicht mehr das Produkt höherer Mächte, sie wird generiert, sie wird erdacht, konzipiert, geplant und entwickelt, wie die verschiedenen Revolutionen zeigen, von denen Mercier die Französische erlebt und vor allem überlebt. Verne folgt dem neuen Konzept Merciers und schreibt 1863 den Roman Paris im 20. Jahrhundert, der 1960 spielt (Verne 1996). Er geht jedoch über die Verzeitlichung der Utopie hinaus, indem er zugleich deren Verwissenschaftlichung und Plausibilisierung betreibt. Weitaus deutlicher und umfassender als alle seine Vorgänger liefert Verne dem Leser wissenschaftliche Begründungen für seine technischen Nova. Keiner seiner Vorgänger »hatte es verstanden, das der Forschung vielleicht Mögliche und technische Details so kunstvoll wie Verne in eine spannende Handlung einzuarbeiten« (Evans/Miller 1997). Vernes Mondromane Von der Erde zum Mond (1865) und Reise um den Mond (1870) beschreiben erstmalig eine Reise, die, zumindest in ihren Grundzügen, realisierbar zu sein scheint. Die Romane ersparen dem Leser weder wissenschaftliche Berechnungen noch grafische Darstellungen. »Verne bemüht in seinen Ausführungen die parabolische Geschwindigkeit (Fluchtgeschwindigkeit), liefert durchaus konkrete Informationen über die Bahnmechanik und schildert (allerdings nicht ganz richtig) die Schwerelosigkeit« (Buedeler 1999: 112). Der Autor transformiert das bislang immer wieder bemühte Segelschiff in ein Raumschiff, in ein detailliert beschriebenes Raumfahrzeug aus Aluminium, ausgestattet mit einem Lebenserhaltungssystem, mit einer Sauerstoffaufbereitung und in der Lage, die erforderliche Fluchtgeschwindigkeit zu erreichen. Edgar Allan Poe hatte seinen Helden Hans Pfaall 1835 noch mit einem Ballon zum Mond geschickt, der diesen, wie allgemein üblich, als bewohnt vorfindet (Lee 2018). Vernes Mond dagegen ist eine unbelebte, graue Wüste ohne Atmosphäre und ohne jede Romantik. Selbst Vernes britischer Kollege Herbert George Wells verzichtet 1901 in seinem Roman Die ersten Men-

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schen auf dem Mond nicht auf Seleniten, die unter der Oberfläche leben, und ersinnt eine weitaus unrealistischere Reise (Schenkel 2001: 12). Verne ist nicht nur wissenschaftlich relevanter, er hat auch mehr Nova zu bieten. Das Novum ist ein unabdingbares, gattungsspezifisches Merkmal der Science-Fiction und wird von dem Literaturwissenschaftler Darko Suvin als »notwendige Bedingung für die SF« definiert (Suvin 1979: 95). Gemeint ist die fiktive Invention, die in der Regel »eine Veränderung im gesamten Universum der Erzählung zur Folge hat, oder zumindest in Aspekten, die von entscheidender Bedeutung für die erzählerische Welt sind« (Suvin 1979: 94). Bei Lesern wie Kritikern werden gerne technische Nova in den Fokus gerückt, bei Vernes Mondromanen also das Projektil und die gigantische Columbiade. Übersehen wird oft, dass Verne sich auch um soziale, kulturelle oder ökonomische Nova bemüht hat. Die Fragen, mit denen sich Impey Barbicane, der Initiator des Mondflugs in Von der Erde zum Mond, konfrontiert sieht, sind keineswegs nur technischer Natur. So thematisiert die Presse auch die ökonomische Seite (Verne 1976: 36). Der Autor antwortet souverän, denn »Verne [sah] die organisatorischen und finanziellen Probleme des Projekts. Seine sorgfältigen Kalkulationen breitet er vor dem Leser aus. Womöglich hat er also auch noch das Projektmanagement erfunden« (Küveler 2015). Erwähnt werden muss an dieser Stelle, dass parallel zu Verne die Frage nach der Finanzierung von Raumfahrt literarisch thematisiert wird. In der 1869 erschienenen Kurzgeschichte The Brick Moon beschreibt der Autor Edward E. Hale ein privatwirtschaftliches Weltraumprojekt – nämlich den Start eines Navigationssatelliten. Ausführlich werden die zur Basisfinanzierung notwendigen Aktiengeschäfte und die darauf aufsetzende Spendenakquise in der Zivilgesellschaft thematisiert. Jedenfalls verankert Verne die Mondreise auch ökonomisch im Möglichkeitsraum, liefert eine literarische Projektskizze, zeichnet ein plausibles Zukunftsbild, das jenseits des reinen, auf Unterhaltung abzielenden Lesevergnügens auch ein Orientierungsangebot impliziert, das eine tatsächliche Realisierung zumindest in Aussicht stellt (Flessner 2020: 238). Insbesondere Vernes Mondromane liefern so die Motivation für spätere Raumfahrtpioniere, wie der amerikanische Historiker Walter McDougall resümiert: »The great pioneers of modern rocketry – Tsiolkovsky, Goddard, Oberth and their successors Korolyov, von Braun, and others – were not inspired primarily by academic or professional interest, financiel ambitions, or even patriotic duty, but by the dream of spaceflight. To a man they read the fantasies

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of Jules Verne, H. G. Wells and their imitators, and the rocket for them was only a means to an end.« (McDougall 1985: 20) Zu einem vergleichbaren Ergebnis kommen auch andere Autoren wie etwa Laura M. Delgado (Delgado 2010: 1) oder Steven J. Dick (Dick 2012: 35). Hermann Oberths Tochter Erna Roth (1922-2012) berichtet über ihren Vater, als Elfjähriger Vernes Romane gelesen zu haben (Roth-Oberth/Jelnina 2000: 114). Ernst Stuhlinger und Frederick I. Ordway nennen in ihrer Wernher von Braun-Biografie ebenfalls Vernes Romane als initialisierende Lektüre für den Raketeningenieur (Stuhlinger/Ordway 1992: 279f., vgl. Both 2018). Vernes fundierte literarische Projektskizze ist eine Art initialisierender Impuls für nachfolgende Autoren wie für Raumfahrtpioniere. Sein Roman Von der Erde zum Mond erweist sich, nicht nur literarisch, als Startschuss für eine nunmehr wissenschaftsbasierte Auseinandersetzung mit dem Mondflug im Besonderen und dem Raumflug im Allgemeinen. Und somit implementiert Verne die Idee der Raumfahrt als wissenschaftlich-technisches sowie gesellschaftliches Projekt in die Kultur der Moderne. Verne ist nicht nur Vater der Science-Fiction, er ist auch Vater der Astrokultur, also eines erweiterten Kulturbegriffs, der den Raumfahrtgedanken fokussiert und diesem positiv gegenübersteht. Die Astrokultur steht für ein soziokulturelles Klima, in dem die Raumfahrt als wichtiger oder sogar konstitutiver Bereich des technischen Zeitalters betrachtet wird. Technik- und Kulturhistoriker Alexander T. C. Geppert definiert den Begriff folgendermaßen: »Astroculture comprises a heterogeneous array of images and artifacts, media and practices that all aim to ascribe meaning to outer space while stirring both the individual and the collective imagination« (Geppert 2012: 8). Der von dem amerikanischen Anglisten und Kulturwissenschaftler De Witt Douglas Kilgore eingeführte Begriff des Astrofuturismus bezeichnet dagegen eine auch politisch relevante Bewegung, die sich für »the conquest of space« engagiert und die Zukunft der Menschheit im All sieht, Siedlungen auf anderen Planeten inklusive (Kilgore 2003: 35). Während Kilgore im Astrofuturismus ein spezifisch amerikanisches Phänomen sieht, spricht Geppert auch von einem europäischen Astrofuturismus (Geppert 2012: 3). Beide Begriffe interferieren und werden mitunter sogar synonym verwendet, lassen sich jedoch durchaus differenzieren. Ohne Verne ist indes das Entstehen einer Astrokultur wie eines Astrofuturismus nur schwer vorstellbar. Sein Verdienst besteht darin, die utopischfantastische Dimension eines Flugs zum Mond drastisch zu reduzieren, so-

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dass nun primär lösbare, technische und finanzielle Probleme und Aspekte zur Debatte stehen. Ausgerechnet der Autor, der gerne als technischer Utopist gesehen wird, nimmt dem Motiv der Mondreise einen Teil eben dieser utopischen Qualität (Evans/Miller 1997). Einer der frühen und von Verne beeinflussten Raumfahrtpioniere ist der Russe Konstantin E. Ziolkowski (1857-1935), der auch der philosophischen Strömung des Kosmismus zuzurechnen ist, die wiederum Gemeinsamkeiten mit dem Astrofuturismus ausweist (Hagemeister 1992: 163). Als maßgeblicher Denker des Kosmismus gilt der russische Philosoph Nikolai Fjodorowitsch Fjodorow (1829-1903), der noch vor Ziolkowski »die Eroberung und Besiedlung des Weltraums« vorschlägt (Faure 2018). Der Raumfahrtpionier verfügt also über einen geeigneten Background und sieht auch eine klare Abfolge der Ideengeschichte: »Erst kommen das Denken, die Fantasie und die Märchen, dann die wissenschaftliche Berechnung« (zit.n. Faure 2018). Die Entwicklung ist damit natürlich noch nicht abgeschlossen, auch wenn es Ziolkowski gelingt, die Raketengrundgleichung zu erstellen und 1903 zu veröffentlichen. Vernes visionäres Projekt erhält durch Ziolkowski ein veritables wissenschaftliches Fundament, und das noch zu Lebzeiten des französischen Autors. Da die später so berühmte Raketengleichung jedoch in einer kleinen russischen Zeitschrift erscheint und für keinerlei Aufsehen sorgt, erfährt, soweit bekannt, Verne nichts von seinem sekundären Erfolg. Die utopisch-fantastische Dimension des Mondflugs erodiert indes weiter. Hermann Ganswindt (1856-1934), Robert H. Goddard (1882-1945) und andere Entwickler arbeiten bereits an der Realisierung des Projektes; die Bastler und Ingenieure, zunächst noch belächelte und kaum bekannte Einzelgänger, suchen seit Ende des 19. Jahrhunderts intensiv nach praktikablen technischen Lösungen (Buedeler 1999: 120f.). Zwei wesentliche Faktoren fehlen jedoch noch, der ökonomische und der gesellschaftliche, also zwei Faktoren, die Verne ausdrücklich betont. Das Projekt muss finanziert und – soweit möglich – gesellschaftlich verankert und medial vermittelt und aufbereitet werden. Ohne die Zukunftsbilder der Science-Fiction ist letzteres kaum möglich, denn, so resümiert der Raumfahrthistoriker Alexander Geppert: »Popular understanding of outer space is chiefly a product of images and representations, and their composition into narratives« (Geppert 2012: 14).

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Mit der Science-Fiction zum Mond Verne wird dank seiner Modernisierung der Zeitutopie, wie Roland Innerhofer herausarbeitet, zu einem Paradigma für nachfolgende Schriftsteller (Innerhofer 1996: 77). Insbesondere deutsche und amerikanische Autoren, durchaus auch beflügelt von Vernes kommerziellem Erfolg, eifern ihm nach und konkurrieren mit ihm. Der aus Südafrika stammende Autor und Verne-Übersetzer Idrisyn Oliver Evans tituliert Verne 1928 nicht zu Unrecht als »the Father of Science Fiction« (Evans 1928: 5). Ein neues literarisches Genre entsteht, dessen Name sich vor allem dank Hugo Gernsback etabliert, einem aus Luxemburg in die USA emigrierten Autor und Herausgeber. Die Bezeichnung Science-Fiction existiert zwar schon länger, doch Gernsback kann sie mithilfe seiner Pulp-Magazine endgültig durchsetzen (Pichler 2013: 105). Bis dahin reicht der Hinweis auf Jules Verne, dessen Name die noch fehlende Genrebezeichnung ersetzt. So wurde etwa Otto Willi Gails von Max Valier als »neuer Jules Verne« und »Jules Verne unserer Zeit« bezeichnet (zit.n. Die Rakete: 1928: 47). Das allgemein akzeptierte Paradigma und der wissenschaftlich-technische Fortschritt führen dazu, dass nun die Autoren ihren Raumreisen soweit wie möglich Plausibilität verleihen. Gleichzeitig nimmt die fiktive Reisetätigkeit zu, Mond, Mars und andere Planeten werden zu obligaten literarischen Reisezielen. Herbert George Wells, Kurd Laßwitz, Albert Daiber, Oskar Hoffmann, Robert Kraft, Carl Grunert, Waldemar Schilling, Hans Dominik, August Niemann, Leopold Engel und viele andere lassen noch vor Beginn des Ersten Weltkriegs ihre Helden ins All ausschwärmen. Zu einem großen Erfolg wird die Heftserie Der Luftpirat und sein lenkbares Luftschiff, dessen Verfasser nicht bekannt ist. Sie erscheint von 1908 bis 1912 und umfasst 165 Bände. Im Zuge des Ersten Weltkriegs wird die Serie von den preußischen Behörden als Schundliteratur indiziert und der Verkauf 1916 verboten (Alpers et al. 1988: 1185). Held ist der Luftpirat ist Kapitän Mors, der im All mit seinem Weltenfahrzeug, dem Meteor, gegen Widersacher aller Art kämpft (Innerhofer 1996: 272). Unschwer sind Jules Vernes Helden Kapitän Nemo und Robur als Vorbilder zu erkennen und bestätigen das Paradigma. Das Interesse an der neuen Gattung ist nicht nur dem Erfolg von Verne zu verdanken, denn die Science-Fiction füllt laut Innerhofer in der ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts eine markante Lücke:

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»Ein Informationsbedürfnis der Leser über aktuelle wissenschaftliche Entdeckungen und technische Erfindungen. Dieses Bedürfnis wurde wegen des Mangels an gemeinverständlichen Sachbüchern hauptsächlich durch populärwissenschaftliche Periodika, aber eben auch durch wissenschaftlich-technische Reise- und Abenteuerromane befriedigt.« (Innerhofer 1996: 77) Dieses Informationsbedürfnis entgeht auch Hugo Gernsback (1884-1967) nicht, der die von ihm edierten, populärwissenschaftlichen Magazine adäquat auf dem Markt zu platzieren weiß: »Neben der wichtigen Arbeit als Inhaber der Firma Electro Importing Company […] hat Gernsback durch die Herausgabe einer Reihe von Magazinen einen ganz großen Beitrag zur Popularisierung der Funk- und Radiotechnik, eingeschlossen auch das Fernsehen, geleistet. Seine Magazine stellen aber auch grundlegende Beiträge zu einem neuen literarischen Gebiet, dem Gebiet des Science Fiction dar.« (Pichler 2013: 9) Gernsback nutzt also seine Magazine, vor allem Modern Electrics, The Electrical Experimenter oder Science and Invention, um nicht nur spektakulär und nicht selten spekulativ über neue wissenschaftliche Erkenntnisse und Erfindungen aller Art zu berichten, sondern auch, um Science-Fiction-Storys zu publizieren. Der Erfolg führt dazu, dass er im April 1926 mit der Herausgabe eines eigenständigen Science-Fiction-Magazins beginnt, den Amazing Stories, das zum Vorbild weiterer Pulp-Magazine dieser Art wird (Ashley 1978: 52). Großen Anteil am Erfolg auch dieser Magazine hat der aus Wien stammende Illustrator Frank R. Paul (1884-1963), der seit 1914 für Gernsback arbeitet und auch die Cover der populärwissenschaftlichen Magazine zeichnet (Korshak 2009: 11). Paul illustriert nicht einfach nur die von Gernsback ausgewählten Stories, sondern nutzt seine zeichnerische Fantasie, um sich aktiv an der Konstruktion von Zukunftsbildern zu beteiligen. Für die von Gernsback herausgegebenen Science Wonder Stories etwa zeichnet er im August 1929 »the first color painting of a space station ever published« (Miller 1978: 136). Erwähnt werden muss an dieser Stelle, dass der österreichische Raumfahrttheoretiker Hermann Noordung (eigentlich Herman Potočnik) (1892-1929) in seinem Buch Das Problem der Befahrung des Weltraums – Der Raketenmotor, erschienen

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1929, ebenfalls eine Raumstation präsentiert, von ihm Raumwarte genannt (Noordung 1929: 155).1 Pauls Illustrationen folgen jedoch nicht der Intention, möglichst plausible oder wahrscheinliche Entwürfe zu liefern, sondern haben die Aufgabe, das Interesse des Lesers bzw. potentiellen Käufers zu wecken. »Medien sind an möglichst packenden, spannenden Zukunftsbildern interessiert. […] Paradoxerweise sind bei der künstlerisch-medialen Gestaltung von Zukunftsbildern zwar die Spielräume für die Imagination am größten, die Klischees jedoch am hartnäckigsten«, schreibt der Berliner Zukunftsforscher Karlheinz Steinmüller (Steinmüller 2007: 166). Entsprechend artenreich und exotisch ist der von Paul gezeichnete Alienzoo, dem sein Angebot an skurrilen Robotern in nichts nachsteht, während die Raumschiffe den Gigantismus der RolandEmmerich-Filme mühelos antizipieren. Hinzu kommen noch maskuline Helden, die feminine Opfer aus misslichen Situationen befreien, sowie der für die Klischeeerfüllung unverzichtbare Mad-Scientist (Frizzoni 2004: 23). Insofern trifft Steinmüllers Analyse natürlich zu, obwohl Paul mit seinen implizierten Prognosen auch oft richtig liegt. So oder so, der Illustrator aus Wien und die von Hugo Gernsback edierten Pulp-Magazine prägen mit ihren Zukunftsbildern die Zukunftsdiskurse in den USA seit 1926 maßgeblich (Ashley 2000). Auch wenn der Eingangssatz von Niklas Luhmanns Realität der Massenmedien schon unzählige Male zitiert, kritisiert und variiert worden ist, bleibt er unverzichtbar: »Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien« (Luhmann 1996: 9). Das gilt natürlich auch für die von Gernsback und Paul publizierten Zukunftsbilder, deren Details in diesem Kontext weniger interessant sind als deren Kernbotschaft, die sich wie folgt skizzieren lässt: Sonnensystem und Weltall zählen in Zukunft zum humanisierten Raum, der selbstverständlich von Menschen aller Art bereist und auch ökonomisch genutzt werden kann. Die zweite Kernbotschaft, die jedoch im gesetzten Rahmen keine zentrale Rolle spielt, lautet: Aliens und Roboter aller Art machen dem Menschen den humanisierten Raum regelmäßig streitig, auch wenn es bisweilen freundliche Exemplare unter ihnen gibt. Der Weltraum wird in den Romanen, Pulps und Illustrationen als obligater Teil der Welt behandelt, dessen Eroberung ebenso selbstverständlich imperialen und kolonisatorischen Ambitionen folgt, wobei der Begriff der Er1

Was beweist, dass Österreicher bei der Entwicklung der Raumstation eine führende Rolle innehatten.

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oberung euphemistisch schwer zu überbieten ist. Geprägt wird der Begriff durch den amerikanischen Schriftsteller David Lasser (1902-1996), einem engen Mitarbeiter Gernsbacks, der 1931 das Buch The Conquest of Space veröffentlicht. Zuvor gründet Lasser am 4. April 1930 die American Interplanetary Society und wird deren erster Präsident (Kilgore 2003: 31f.; Winter 1992: 108). Die Erde jedenfalls ist unsere Erde, der Mond unser Mond, das Sonnensystem unser System, die Galaxie unsere Galaxie. Dieses Bild ist zumindest den Massenmedien zu entnehmen und prägt seit Mitte der 1920er Jahren die kollektive Vorstellung von einem Universum, das uns als Spezies, als Gesellschaft, zur freien Verfügung steht, sofern wir in der Lage sind, geeignete Transporttechnologien zu entwickeln. Letzteres ist, auch das versprechen die Medien, lediglich eine Frage der Zeit. Bis dahin erfolgt die Inbesitznahme weiterhin antizipativ und fiktiv. Wie etwa in dem Skylark-Zyklus des Amerikaners Edward Elmer »Doc« Smith (1890-1965), dessen erste Episode, The Skylark of Space, 1928 in Gernsbacks Amazing Stories erscheint. In dem Roman entdeckt der Wissenschaftler Richard »Dick« Seaton eine Methode der »totalen Konversion atomarer Energie« von Kupfer, die für einen Raumschiffantrieb nutzbar gemacht wird (Smith 1991: 32). Das Vorhaben wird von dem Multimilliardär Martin Reynolds Crane finanziert, der mit Seaton gemeinsam ein neues Unternehmen gründet, ein Start-up mit einer Kapitaleinlage von einer Million Dollar, die Seaton-Crane Company. Ab 1929 wird das mediale Science-Fiction-Angebot um die Graphic Novel erweitert, denn Buck Rogers, erfunden von dem Amerikaner Philip Francis Nowlan (1888-1940), erscheint erstmals in Zeitungen. Der erste ScienceFiction-Comicstrip der Welt ist auf Anhieb ein großer Erfolg und findet zahlreiche Nachahmer, darunter ab 1933 Brick Bradford und ab 1934 Flash Gordon (Clute 1996: 51, 242). Von Buck Rogers werden ab 1932 Hörspiele und ab 1933 Filme produziert, von Flash Gordon ab 1936 (Browne/Browne 2001). Buck Rogers im Besonderen und der Science-Fiction-Comicstrip im Allgemeinen liefern zahllose implizierte Prognosen, die der Gattung in der Regel gar nicht zugetraut werden (Flessner 2019). In Europa bleibt es bei der Distribution von Science-Fiction in Buchform, wobei die europäischen Autoren gerne auch von Hugo Gernsback in seinen Pulp-Magazinen veröffentlicht werden, Verne und Wells inklusive. Nach dem Ersten Weltkrieg hat vor allem ein deutscher Schriftsteller großen Erfolg, der aus Gunzenhausen stammende Physiker Otto Willi Gail. Gleich sein erster Roman, Der Schuß ins All, erschienen 1925, macht ihn nicht nur in Deutschland, sondern auch in den USA und anderen Ländern bekannt (Innerhofer 2000).

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Gail beruft sich in einem kurzen Vorwort auf Jules Verne, verweist aber zugleich »auf die modernsten Forschungsergebnisse und physikalische Wirklichkeiten« und wählt daher für sein Raumschiff den Raketenantrieb (Gail 1925: 7). Die beiden Raketenpioniere Robert Goddard und Hermann Oberth dienen ihm als Referenzen und verleiten ihn zu dem Schluss: »die Menschheit steht am Vorabend einer wahren Weltwende« (Gail 1925: 9). Held des Romans ist der Chefingenieur der staatlichen Luftkreuzerwerft in Friedrichshafen, Gustav Korf, der es sich in den Kopf gesetzt hat, mit einem Raumschiff zum Mond zu fliegen. Allerdings hat er einen Konkurrenten, den russischen Ingenieur Suchinow, der in den Karpaten eine Rakete entwickelt hat. Beide Ingenieure haben ein Finanzierungsproblem, das sie auf unterschiedliche Weise lösen. Suchinow lässt sich von dem rumänischen Ölmagnaten Romano Vacarescu sponsern, während Korf auf ein Crowdfunding-Modell setzt. Als er erfährt, dass sein »Gesuch an die Regierung um die Bereitstellung eines entsprechenden Kredits […] kein Gehör gefunden [hat]«, wendet er sich an die Öffentlichkeit: »Die breite Masse wird mehr Verständnis haben für die Wichtigkeit meiner Sache als das engherzige Parlament« (Gail 1925: 34). Der Bezug zur von Graf Ferdinand von Zeppelin initiierten Zeppelinspende des deutschen Volkes, die über 6 Millionen Reichsmark für den Bau eines weiteren Luftschiffs und der Gründung der Luftschiffbau Zeppelin GmbH einbrachte, ist nicht zu übersehen (Meyer 1996: 25). Ebenso evident ist der Bezug auf Vernes Roman Von der Erde zum Mond, denn der Gun Club finanziert sein Raumfahrtprojekt auch per Crowdfunding, sogar mit einer internationalen Sammelaktion, die schnell zum Erfolg führt (Verne 1976: 124f.). Korf wie der Gun Club unterbreiten ihre Mondprojekte der Öffentlichkeit, die wiederum die Vorhaben goutiert und finanziert. Beide nehmen auch größere Spenden entgegen, Korf sogar von Romano Vacarescu, dem Finanzier seines mittlerweile gescheiterten Konkurrenten. Dennoch werden aus den ursprünglich persönlichen Projekten kollektive. Technisch unterscheidet sich Gails Konzept hingegen explizit von Vernes, wie bereits erwähnt. Sein Raumschiff entspricht dem damaligen Wissensstand und zeigt bereits den später von der realen Raumfahrt eingeschlagenen Weg auf. Die Distanz zwischen literarischer Fiktion und Realisierung schrumpft dank Gails Roman noch einmal deutlich: »Das startbereite Raumschiff wird aus drei ineinander geschobenen Einzelraketen bestehen. Die unterste reine Alkoholrakete treibt das ganze System aus der Ruhelage an bis auf etwa 2000 Meter pro Sekunde. Sobald sie aus-

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gebrannt ist, wird sie abgekuppelt und abgeworfen. Dann tritt die zweite Hilfsrakete in Tätigkeit, die mit einer Mischladung aus Alkohol und Wasserstoff die Geschwindigkeit weiter beschleunigt und nach Aufbrauch der Tankvorräte ebenfalls abgeworfen wird. Zum Schluss bleibt dann die reine Wasserstoffrakete übrig, in der sich natürlich Passagiere, Instrumente und Leitung des Schiffs befinden.« (Gail 1925: 130) Und nicht nur das. Nach seiner Rückkehr vom Mond entpuppt sich das Raumschiff als Raumfähre oder Raumgleiter, denn »das Raumschiff operierte in der Luft wie ein gigantisches Flugzeug« und setzt wie ein Flugboot auf dem Bodensee auf (Gail 1925: 266). Ganz ähnliche Eigenschaften weist das Raumschiff in Gails Roman Hans Hardts Mondfahrt auf, der 1928 erscheint. Finanziert wird die Expedition ins All diesmal von dem amerikanischen Journalisten Tommy Bighead, der für die Michigan Evening Post arbeitet. Im Gegenzug erhält die Zeitung die Exklusivrechte an der Story. Auch die Frage, welchem Sinn einem derartigen Projekt verliehen werden kann, hat Gail eine Antwort. Unmittelbar vor dem Start wird der Ingenieur Korf von Vacarescu mit der Frage konfrontiert: »›Mein Herr, welchen Zweck verfolgen Sie letzten Endes mit Ihrer Erfindung? ›Letzten Endes?‹, erwiderte Korf mit leuchtenden Augen, ›letzten Endes will ich die unerschöpfliche Wärmeenergie der Sonne für die Menschheit dienstbar machen. Weit draußen im Raum, an der Schweregrenze der Erde, sollen Kraftstationen entstehen, ungeheure Sonnenlicht-Reflektoren, welche die Konzentration riesiger Energiemengen an jeden beliebigen Punkt der Erde ermöglichen […]‹.« (Gail 1925: 135) In Hans Hardts Mondfahrt stellt der Journalist die entsprechende Sinnfrage und erhält von dem Ingenieur Hardt dieselbe Antwort, und zwar wortwörtlich (Gail 1928: 49). Korf und Hardt wollen »die Menschheit unabhängig machen […] von den schwindenden Kohlenvorräten der Erde und jede Kriegsrüstung im Keime ersticken«, dafür jedoch »Reichtum und Wohlstand« für »ein glückliches Menschengeschlecht reifen lassen« (Gail 1928: 49). Selbstverständlich geht es beiden Ingenieuren auch um den Beweis, dass sie einen Flug zum Mond realisieren können. Selbstverständlich geht es ihnen auch um das damit verbundene Abenteuer, um das Vordringen ins Unbekannte. Doch letzten Endes, um Korfs Worte aufzugreifen, geht es um eine Energiewende, die der ganzen Menschheit zugutekommt. Der Raumflug

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wird somit von Korf zum Projekt eben dieser Menschheit deklariert und legitimiert. Gails Mondmissionen bleiben nicht die einzigen der 1920er Jahre. Außergewöhnlich aktiv ist der aus Poppelsdorf bei Bonn stammende Autor Otfried von Hanstein (1869-1959), dessen Werk rund 200 Romane, Erzählungen und Sachbücher umfasst. Seine fünf Science-Fiction-Romane erscheinen in Fortsetzungen auch in den von Hugo Gernsback edierten Pulp-Magazinen Wonder Stories und Wonder Stories Quarterly (Alpers et al. 1988: 521). Sein Mondroman Mond Rak I. Eine Fahrt ins Weltall wird 1929 publiziert und handelt ebenfalls von einer Mondrakete, die den Ideen Hermann Oberths folgt. Konstrukteur ist der Deutsche Waldemar Apel, Geldgeber der amerikanische Milliardär Joe Allister. Als Startplatz dient eine künstliche Insel, Nova Atlantis, die in der Bucht von San Francisco schwimmt. Das privat finanzierte Unternehmen, dem die internationale Presse große Aufmerksamkeit entgegenbringt, hat – selbstverständlich – zunächst einmal das Ziel, die technische Machbarkeit eines Mondflugs zu beweisen. Dann jedoch folgen verschiedene Vorschläge, den Mond für wissenschaftliche und wirtschaftliche Projekte zu nutzen. »Es wäre gigantisch, auf dem Mond eine Sternwarte zu errichten und, ohne durch unsere Luftschicht behindert zu sein, die Sterne und die Lebensbedingungen erforschen zu können«, schlägt einer der Astronauten vor (Hanstein 1929: 91). Dieses Mondobservatorium könnte »gewissermaßen als Zwischenhafen« dienen, »von dem aus die großen, endgültigen Weltraumschiffe zu den anderen Planeten hinüberfahren« (Hanstein 1929: 92). Raketentreibstoff und Atemluft sollen aus dem Wassereis gewonnen werden, das die Astronauten auf dem Mond vorfinden. Das Mondobservatorium soll noch einem weiteren Zweck dienen: »Von diesem sicheren Hause aus könnten Bergingenieure in die Tiefe des Mondkörpers eindringen. […] Er kann kostbare Metalle, er kann sogar Metalle bergen, die uns noch gar nicht bekannt sind und die die Wirtschaftsverhältnisse auf der Erde in vollständig andere Bahnen lenken. Eben der Umstand, daß hier und im Weltall die Schwerkraft kaum mitspricht, macht es ja möglich, gewaltige Lasten spielend vom Monde zur Erde zu bringen.« (Hanstein 1929: 92) Die abenteuerliche und beinahe tödlich endende Reise dient keinem Selbstzweck, sondern besteht im Ausloten von astronautischen, astronomischen und ökonomischen Optionen, die weit über eine kurze Expedition hinausreichen. Der Mond wird nicht besucht und anschließend unangetastet wieder

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zurückgelassen, der Mond wird vielmehr okkupiert, erschlossen und umgehend irdischen Nutzungsformen unterworfen. Dieser Akt der Aneignung und Inbesitznahme folgt, wie in anderen Romanen auch, einer klaren kolonisatorischen Logik, deren Fundament im Fiktionalen, in der Imagination gelegt wird. Die wissenschaftlich-technisch und ökonomisch realisierte Raumfahrt im 20. Jahrhundert ist somit auch nicht der Beginn einer »Erdwerdung des Mondes«, sondern lediglich der Beginn deren tatsächlicher Realisierung (Flessner 1991: 96). Die Mondreise-Romane, insbesondere natürlich jene, die seit Jules Verne erschienen sind, lassen sich auch als Geschichte der Planung des dann später erfolgenden, tatsächlichen Mondflugs lesen, wobei die Planung dank neuer Erkenntnisse der Wissenschaft zunehmend konkreter wird. Wechselwirkungsprozesse zwischen der Arbeit von Science-Fiction-Autoren und der von Wissenschaftlern und Ingenieuren sind nicht zu übersehen und gewinnen an Bedeutung, sofern sie nicht regelrecht konvergieren.

Astrofuturistische Netzwerkarbeit Als der Regisseur Fritz Lang (1890-1976) unmittelbar nach Metropolis, dem ersten abendfüllenden Science-Fiction-Film der Filmgeschichte, den Film Frau im Mond dreht, der 1929 in die Kinos kommt, legt er größten Wert auf eine möglichst plausible und wissenschaftlich-technisch korrekte Darstellung des Mondflugs. Die Idee geht auch auf die Versuche der Millionärs Fritz von Opel (1899-1971) zurück, der zusammen mit den Raketenpionieren Max Valier (1895-1930) und Friedrich Wilhelm Sander (1885-1938) raketengetriebene Autos, Schienenfahrzeuge und Flugzeuge entwickelt. Für großes Publikumsinteresse sorgt die öffentliche Vorführung des Raketenautos Opel RAK2 auf der Avus in Berlin am 23. Mai 1928, bei dem das Fahrzeug 238 km/h erreicht (Buedeler 1999: 224). »Diese Versuche lösten ein gewaltiges Medienecho aus […]. Die Öffentlichkeitswirkung dieser Versuche bestärkte auch Fritz Lang in seinem Entschluss, einen Film über den Mondflug zu drehen«, schreibt der Raumfahrthistoriker Michael J. Neufeld (Neufeld 1999: 21). Lang setzt schlicht auf das grassierende »Raketenfieber« der späten 1920er Jahre, um seinen nächsten Science-Fiction-Film zu drehen (Schnorbusch 2009: 50). Das Drehbuch schreibt wie immer seine Frau Thea von Harbou (1888-1954), die zugleich auch eine Romanfassung vorlegt, die 1928 erscheint. Die Autorin bedankt sich darin ausdrücklich für »die wissenschaftlichen und technischen Anregungen« bei Otto Willi Gail, Willy Ley und

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Hermann Oberth (Harbou 1989: 2). Willy Ley (1906-1969) ist ein bekannter Raumfahrtpionier und Publizist und seit August 1927 Mitglied des im selben Jahr in Breslau gegründeten Vereins für Raumschiffahrt (Seherr-Thoß 1985: 425f.). Ley gibt 1928 die Anthologie Die Möglichkeit der Weltraumfahrt heraus, zu dessen Autoren auch Hermann Oberth zählt (Ley 1928). Nach dem Verbot des Reichspropagandaministeriums von 1935, weiterhin über Raketentechnologie zu publizieren, wandert Ley in die USA aus. In der entsprechenden NS-Presseanweisung vom 28. Januar heißt es: »Es sollen möglichst wenig Berichte über Raketenflugzeuge, Raketenautos usw. erscheinen, auch nicht in Romanform« (zit.n. Toepser-Ziegler 1987). Doch noch ist alles möglich, also engagiert Fritz Lang die Raumfahrtpioniere Hermann Oberth, Willy Ley und Rudolf Nebel (1894-1978) als technische Berater. Die Experten sorgen dafür, dass die im Film gezeigte Rakete, die den Namen »Friede« erhält, dem aktuellen Wissensstand entspricht. Zurecht schreibt daher Willy Ley anlässlich der Premiere am 15. Oktober 1929: »Es ist nicht ›Kientopp‹, was hier gespielt wird, es ist eine, wenn auch praktisch noch nicht vollkommen erreichte Wahrheit« (zit.n. Brill 2009). Ein tatsächlicher Mondflug, das legen der Film, aufwendige PR-Aktionen und entsprechende Beurteilungen wie die von Ley der Öffentlichkeit nahe, ist nunmehr historisch in greifbare Nähe gerückt. Frau im Mond führt dazu, »dass in Deutschland begeisterter auf die Möglichkeiten der Rakete reagiert wurde als in jedem anderen Land«, so Neufeld (Neufeld 1999: 21). Die Filmrakete ist mehrstufig und auch heute noch eindrucksvoll. Vor allem ist sie kein reines Setdesign, denn die inneren und äußeren Merkmale der Konstruktion basieren auf dem Wissen von Oberth und seinen Kollegen. Indem Lang nicht Bühnenbildner mit der Aufgabe betraut, erhält er einen Entwurf aus dem Wahrscheinlichkeitsraum der Scientific Community. Während sich der Film bei technischen Wahrscheinlichkeiten bedient, verwendet die reale Raumfahrt dramaturgische Ideen des Regisseurs. »Als ich das Abheben der Rakete drehte«, erzählt später Fritz Lang, »sagte ich: Wenn ich eins, zwei, drei, vier, zehn, fünfzig, hundert zähle, weiß das Publikum nicht, wann die losgeht. Aber wenn ich rückwärts zähle – zehn, neun, acht, sieben, sechs, fünf, vier, drei, zwei, eins, NULL! – dann verstehen sie« (zit.n. Brill 2009). Der von Lang erfundene Countdown wird später zu einem markanten Element vieler realer Raketenstarts (Freund 2020). Der Roman sowie das Drehbuch von Thea von Harbou wiederum bedienen bekannte Muster: Der Ingenieur und Flugwerftbesitzer Wolf Helius baut eine Mondrakete und lädt den wissenschaftlich diskreditierten Professor Ge-

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org Manfeldt ein, mit ihm zum Mond zu fliegen. Manfeldt ist nämlich überzeugt davon, dass auf dem Mond Sauerstoff, Wasser und vor allem Gold zu finden sind. Diese Idee ruft eine Gruppe von Investoren auf den Plan, die das Edelmetall in großem Maßstab abbauen wollen und Helius erpressen. Relevant ist wieder einmal die letzten Endes ökonomische Perspektive der Raumfahrt. Auch bei Thea von Harbou verbergen sich, der unvermeidlichen Lovestory zum Trotz, langfristige, pekuniäre Interessen hinter dem Mondflug. Es gibt indes auch militärische, die erst nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 zum Vorschein kommen. Der Film ist dem Reichspropagandaministerium zu realistisch geworden; es sieht in ihm eine Art potenziellen Geheimnisverrat in Bezug auf die in Entwicklung befindlichen Raketenwaffen. Langs Filmvision, so Paul Virilio, »war nun in den Bereich der Wahrscheinlichkeit gerückt« (Virilio 1989: 114). Noch dazu ist Hermann Oberth an der Entwicklung dieser Waffen, später auch der Konstruktion der A4-Rakete (V2) in Peenemünde, beteiligt (Buedeler 1999: 237ff.). Der Name Oberth taucht nicht ohne Grund immer wieder auf, denn der aus Rumänien stammende Raumfahrtpionier ist eine Art Vaterfigur der Raumfahrtidee und inspiriert zugleich Science-Fiction-Autoren wie Ingenieure. Seit seiner zunächst nur in Fachkreisen bekannten Arbeit Die Rakete zu den Planetenräumen, die er 1922 vergeblich in Heidelberg als Dissertation einreicht und sie ein Jahr später dennoch veröffentlicht, fungiert er als Knoten eines Netzwerks aus Fantasten, Enthusiasten, Autoren und Entwicklern, darunter auch Wernher von Braun (1912-1977) und eben Willy Ley, der nach seiner Emigration in die USA zu einem der produktivsten Autoren von Beiträgen für populäre Wissenschaftsmagazine und Science-Fiction-Magazine aufstieg und die Popularisierung der Raumfahrt betrieb wie kein Zweiter (Seherr-Thoß 1985). Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs trifft Ley erneut mit Wernher von Braun zusammen, den er bereits aus Deutschland kennt, und arbeitet mit ihm an verschiedenen Publikationen, aber auch als Berater für die NASA und Walt Disney. Gleich zweimal wird er mit dem Hugo Award ausgezeichnet, den nach Hugo Gernsback benannten und 1953 erstmals vergebenen Leserpreis für Science-Fiction (Buss 2017). Autoren, die sich mit dem amerikanischen Astrofuturismus befassen, sehen Ley daher auch in einer Reihe mit Robert Heinlein, Arthur C. Clarke und Wernher von Braun und bezeichnen ihn als besonders einflussreichen »science populizer« (Geppert 2012: 14, Dick 2012: 47)

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Auch Gernsback repräsentiert einen wichtigen Netzknoten, denn er ist nicht nur wesentlich in den USA an einer Popularisierung der Raumfahrtidee beteiligt, sondern ermöglicht auch zahlreichen europäischen Science-FictionAutoren, in seinen Pulp-Magazinen Romane und Erzählungen zu veröffentlichen, darunter auch, wie bereits erwähnt, die deutschen Schriftsteller Otfried von Hanstein und Otto Willi Gail (Clute 2017). Gails Roman Der Schuss ins All etwa erscheint im Magazin Science Wonder Quarterly (1/1929) unter dem Titel The Shot Into Infinity (Mullen 1975). Beide Netzwerke sind also wiederum untereinander verbunden und bilden ein transatlantisches Metanetzwerk, das auch die Zeit des Nationalsozialismus und den Zweiten Weltkrieg überdauert. Natürlich ist der Kreis der Mitglieder zunächst überschaubar, wächst aber im Laufe der 1920er Jahre stetig an. Im deutschsprachigen Raum steht Verein für Raumschiffahrt im Zentrum. Dass dieser Verein nicht aus einem kleinen, hermetischen Grüppchen besteht, zeigen die zahlreichen prominenten Mitglieder, darunter Thomas Mann, Herbert George Wells und George Bernard Shaw (Stuhlinger/Ordway 1992: 20). Auch Wernher von Braun wird natürlich Mitglied. Der Verein gibt die Zeitschrift Die Rakete heraus, um die Raumfahrtidee zu verbreiten. Das Magazin enthält nicht nur wissenschaftliche Beiträge zur Raumfahrt, sondern auch Rezensionen und Science-Fiction-Erzählungen, zumeist von bekannten Raketentüftlern und Raumfahrtenthusiasten. Wie etwa Die Fahrt ins All vom Vorstandmitglied Max Valier. Wieder einmal geht es grundsätzlich um die Frage der Realisierbarkeit eines Mondflugs und die physikalischen Kräfte, die zu berücksichtigen sind. Aber es geht auch um Sinn und Zweck und die Nutzung von Bodenschätzen, nicht zuletzt für den Flugbetrieb selbst. Einer der Raumfahrer versichert: »wir wissen, was auf dem Monde zu finden ist, was wir benötigen, um unseren Betriebsstoff durch Sonnenkraft selbst zu erzeugen, Eis nämlich, das wir elektrolytisch zersetzen in seine Teilkörper – Wasserstoff – Sauerstoff« (Valier 1927: 88). Diskutiert werden auch die Kosten für einen Flug zum Mond, wobei die technischen Fragen als schnell lösbar erörtert werden: »Aus obigen Ausführungen geht hervor, dass das Weltraumschiff in erster Linie ein finanzielles Problem ist. Zwei Wege führen zu seiner Lösung. Der eine bezweckt eine Verminderung der Kosten, der andere die Beschaffung des Kapitals.« (Die Rakete 1927: 171)

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Auszugsweise werden 1928 auch Gails Romane Der Schuß ins All und Der Stein vom Mond abgedruckt sowie ein Probekapitel aus Flug in die Sterne von Walter Vollmer (1903-1965), das 1929 erscheint. Selbstverständlich unterscheiden sich der amerikanische Astrofuturismus und der deutsche »Raketenrummel« der 1920er Jahre in vielen Aspekten, wie auch Michael J. Neufeld festgestellt (Neufeld 1990: 738). Gernsbacks PulpMagazine und Die Rakete sind sehr verschiedene Periodika. Ist in den USA eher eine sich ändernde »consumer culture« für den Raumflug-Enthusiasmus verantwortlich, so basiert die deutsche Begeisterung verstärkt auf einem spezifischen und nationalistisch verankerten Technikoptimismus (Neufeld 1990: 571). Zudem stellt der Film Frau im Mond von 1929 einen Höhepunkt des »rocketry and spaceflight fad« der 1920er in Deutschland dar, während der amerikanische Astrofuturismus später an Relevanz gewinnt und schließlich nach dem Zweiten Weltkrieg das Space Age inspiriert bzw. in diesem aufgeht (Neufeld 1990: 571). Eines jedoch haben beide kulturellen Strömungen gemein, nämlich ihre ideengeschichtliche Herkunft, denn beide beziehen ihre Vorstellungen und Zukunftsbilder aus der Science-Fiction. Und noch dazu sind es dieselben Autoren, die diese Bilder liefern, allen voran Jules Verne, Kurd Laßwitz und Otto Willi Gail. Wie sehr die Science-Fiction die reale Entwicklung prägt und vorantreibt, verdeutlicht Neufeld anhand eines signifikanten Beispiels: »In the 1930s and 1940s, the association between spaceflight and science fiction became so great that the American Interplanetary Society (founded in 1930 by science-fiction writers) became the American Rocket Society« (Neufeld 1990: 571). Mitten im klassischen Space Age, 1963, wird der Verein erneut umbenannt, und zwar in American Institute of Aeronautics and Astronautics, also den maßgeblichen Verband für Luft- und Raumfahrttechnik in den USA, der eng mit der Deutschen Gesellschaft für Luft- und Raumfahrt (DGLR) kooperiert (AIAA 2021). Auch Kilgore betont dieses verbindende Element: »Astrofuturismʼs literary experiments are supported by a substantial social and political phenomenon, institutionalized in what William Sims Bainbridge has called pro-space movement. The German Verein für Raumschiffahrt (Society for Space Travel), the American Interplanetary Society, and the Britisch Interplanetary Society organized the efforts of sciencefiction-writers and early rocket pioneers as early as the 1920s and 1930s.« (Kilgore 2003: 6)

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Wie populär die Raumfahrtidee in der Sowjetunion ist, lässt sich indes schwer sagen, doch sorgen zumindest der Kosmismus und die steigende Prominenz von Konstantin Ziolkowski für eine Ausgangsbasis. Auch Science-FictionAutoren sind in der UdSSR aktiv, allen voran Alexander Romanowitsch Beljajew (1884-1942), der Mitte der 1920er Jahre zu schreiben beginnt. Wie die deutschen Autoren orientiert sich auch Beljajew zunächst an Verne, aber auch an Wells und Ziolkowski (Clute 2019). Bekannt werden u.a. seine Werke Professor Dowells Kopf (1924), Der Amphibienmensch (1928) und Der Luftverkäufer (1929) von denen einige auch in wissenschaftlichen Periodika erscheinen. Der Luftverkäufer wird 1929 in dem russischen Magazin für Geografie Вокруг света (dt. Um die Welt) abgedruckt (Fantlab 2021). Dieses publizistische Phänomen ist nicht so ausgeprägt wie in den USA oder Deutschland, aber dennoch nachweisbar. Ein vergleichbarer »Raketenrummel« bleibt indes aus. Dafür kommt 1924 ein Film in die Kinos, der Science-Fiction-Elemente enthält und sich mit der Konstruktion eines Raumschiffs befasst. Andererseits ist Аэлита (dt. Aelita) trotz seiner Länge von 111 Minuten kein Genrefilm, da der Hauptteil die Gegenwart thematisiert und sich die Reise zum Mars als Tagtraum erweist. Als Vorlage dient der gleichnamige Roman von Alexei Tolstoi (1882-1945) (Giesen 1984: 18). Als erster sowjetischer Genrefilm gilt daher Космический рейс (dt. Kosmische Reise), gedreht 1935/36 von Vasily Zhuravlyov. Erzählt wird die Geschichte eines erfolgreichen sowjetischen Flugs zum Mond, wobei die Rakete den Namen Josef Stalin trägt. Kurioserweise handelt es sich um einen Stummfilm und somit um einen eindeutigen Anachronismus. Es gibt allerdings noch weitere Parallelen zu Frau im Mond. Während Fritz Lang sich von Hermann Oberth beraten lässt, bemüht Zhuravlyov den greisen Ziolkowski, der auch am Drehbuch mitwirkt (Schwartz 2017a: 101). Und selbstverständlich ist der Einfluss von Jules Verne immer spürbar, was auch der zunehmenden Zensur nicht entgeht: »Doch ein Jahr nach der Etablierung des Sozialistischen Realismus als allgemein verbindlicher Doktrin, die nach positiven Helden im irdischen Diesseits verlangte, konnte die eher an Jules Verne denn an Maxim Gorki erinnernde, etwas schematische und noch nicht einmal kurzweilige Handlung wenig Begeisterung wecken, worüber auch ein paar gelungene Kulissen und Raketenmodelle nicht hinwegtrösteten.« (Schwartz 2017b: 87) Der russische Kosmismus fällt dem Stalinismus bereits vorher, Ende der 1920er Jahre, zum Opfer (Faure 2018). Die Kosmische Reise passt ebenso wenig ins Kalkül der stalinistischen Sowjetunion wie Frau im Mond in jenes der Na-

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tionalsozialisten. Auch wenn die Gründe unterschiedlich sind, führen Zensur, normative ideologische Vorgaben und der Zweite Weltkrieg in Deutschland und der Sowjetunion zu einer kulturellen Diskontinuität in Bezug auf fiktive Reisen zum Mond. Doch während die sowjetische Raketenentwicklung, die in den 1930er Jahren begonnen hatte, durch Stalins Säuberungsaktionen 1938 mehr oder weniger zum Erliegen kommt, arbeiten Hermann Oberth und Wernher von Braun zunächst in der Heeresversuchsanstalt Kummersdorf und später in Peenemünde an weltraumtauglichen Raketen (Hensel 2019: 19). Folgt man Wernher von Braun, so ist die Konstruktion einer Rakete, die den Mond erreichen kann, das eigentliche Ziel seiner Arbeit (Buedeler 1999: 256, Stuhlinger/Ordway 1992: 119). Den militärischen Einsatz seiner bis Kriegsende entwickelten Raketen nimmt er dabei billigend in Kauf, ebenso die große Zahl an Opfern unter den Häftlingen des Konzentrationslagers Mittelbau-Dora (Neufeld 199: 202f.). Dem selbstgesetzten Ziel kommt von Braun Ende des Zweiten Weltkriegs verblüffend nahe: »Am 20. Juni 1944 ließ man eine A4 senkrecht in den Weltraum fliegen. Nach den Aufzeichnungen der Heeresversuchsanstalt erreichte die Rakete dabei eine Gipfelhöhe von knapp 175 km. Nach der Definition des Internationalen Luftsportverbandes (Fédération Aéronautique Internationale, FAI) liegt die Grenze zum Weltraum bei 100 km, der sogenannten Kármán-Linie. Gemäß dieser Definition handelte es sich somit um den ersten unbemannten Weltraumflug eines Raumflugkörpers.« (Hensel 2019: 32) Verblüffend deshalb, weil die Produktion des Films Frau im Mond gerade einmal 15 Jahre zurückliegt, das Erscheinen von Otto Willi Gails Roman Der Schuß ins All 19 Jahre und das Erscheinen von Jules Vernes Von der Erde zum Mond 79 Jahre. Der Flug über die Kármán-Linie hinaus nimmt der Idee der Weltraumrakete den letzten verbliebenen visionären Rest; die Weltraumrakete ist nun nicht mehr länger Fiktion. Der englische Science-Fiction-Autor Harry Harper (1880-1960) gilt als Namensgeber des Space Age, das er 1946 als solches definiert (Harper 1946, Flessner 2019b). Der 20. Juni 1944 ist jedoch nicht der einzige Stichtag, der geeignet ist, dem bereits vielnamigen Zeitalter einen weiteren Namen zu geben (Marquard 1986: 76). Legt man die Definition der US Air Force zugrunde, so liegt die Grenze zum All bereits in einer Höhe von 50 Meilen (ca. 80 Kilometern). Demnach hat am 3. Oktober 1942 eine A4-Rakete bereits den Weltraum erreicht (Neufeld 1999: 201). Andere Autoren präferie-

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ren den Start des ersten Satelliten, Sputnik 1, am 4. Oktober 1957, als Beginn des Space Age (Geppert 2015: 224f.). Legt man rein technische und geologische Kriterien beim Periodisieren zu Grunde, gehören die genannten historischen Daten sicherlich zur ersten Wahl. Erweitert man diese Kriterien jedoch um soziale, kulturelle und ideengeschichtliche, wird die Wahl zur sprichwörtlichen Qual, denn die Anzahl möglicher Stichtage wird bei genauem Hinsehen schnell unüberschaubar und kann ebenso schnell zu Kontroversen führen, nicht zuletzt auch über den Sinn von Periodisierungen selbst. Wahrscheinlich kommt man dem Ziel näher, wenn man die historischen Stichtage als weniger relevant erachtet und das Heraufziehen eines Zeitalters, dem der Name Space Age verliehen wurde, als zivilisatorischen Prozess interpretiert, der auf visionäre Vorstellungen, Wünsche und Bilder zurückgeht. Am ehesten vergleichbar ist der »Traum vom Fliegen«, der anthropologisch und mythologisch fest verankert ist, wie die Historikerin Constance Ott-Koptschalijski und der Historiker Wolfgang Behringer in ihrem Werk ausführlich darlegen (Behringer/Ott-Koptschalijski 1991). Im Kern geht es »nicht nur um technische und scheinbar gradlinige Entwicklungen, sondern um die Vorstellungen, die sich die Menschen vom Fliegen gemacht haben und auch heute noch machen« (Behringer/Ott-Koptschalijski 1991: 14). Selbstverständlich soll hier nicht dafür plädiert werden, den Beginn des Space Age auf den Tag des Erscheinens von Lukians Wahren Geschichten zu datieren oder gar auf die »Entwicklung des astronomischen Weltbildes« in prähistorischer Zeit (Buedeler 1999: 46). Doch übersehen darf man genau diese Entwicklungsschritte nicht, denn der Flug ins All, das belegen die zahlreichen literarischen Fiktionen, ist, wie der Traum vom Fliegen, eine visionäre Konstante, eine Art Leitvision. Das wissen auch die Raumfahrthistoriker, die in ihren Publikationen zurecht immer wieder auf die visionären Wurzeln verweisen (Buedeler 1999: 41ff.). Zumindest Jules Vernes Mondromane werden als historische Wendepunkte genannt (Hensel 2019: 1ff.). Dank Verne, so könnte man es formulieren, wurde die betagte Vision spürbar komprimiert und zu einem tatsächlichen Projekt der Moderne. Autoren, Mathematiker, Raumfahrtpioniere und Ingenieure agieren seit Verne gemeinsam, sofern sie nicht ohnehin Schriftsteller und Verwirklicher in Personalunion sind wie etwa Ziolkowski, Ley oder von Braun. Die Wechselwirkungsprozesse zwischen Autoren, Ingenieuren und Öffentlichkeit kulminieren Mitte des 20. Jahrhundert.

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Lunare Kontinuität Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs teilen sich Sowjets und Amerikaner die raketentechnologische Beute, die sie in Deutschland vorfinden. Das maßgebliche deutsche Personal, darunter von Braun, wird mittels der »Operation Paperclip« in die USA gebracht (Stuhlinger/Ordway 1992: 135). Die Beute der Sowjets fällt zwar geringer aus, reicht jedoch aus, um am nun beginnenden Space Race teilzunehmen (Buedeler 1999: 340; Crim 2018: 119f.).2 In den USA setzen deutsche Vorkriegs- und Nachkriegsemigranten ihre Arbeiten fort, und das oft auch gemeinsam, wie Oberth, von Braun und Ley zeigen. Auch die Science-Fiction-Szenen Deutschlands und der USA sind keineswegs so separiert, wie man vermuten könnte: »1955 kann als Gründungsjahr der offiziellen deutschen SF-Szene betrachtet werden: In diesem Jahr wurde in der Bundesrepublik der ›Science Fiction Club Deutschland‹ gegründet. Unter den ersten einhundert Mitgliedern des SFCD waren u.a. Walter Ernsting alias Clark Darlton, der spätere Mitbegründer der Perry-Rhodan-Reihe, Forrest Ackerman, der damalige Famous Monsters-Herausgeber, der ausgewanderte deutsche SF-Autor Curt Siodmak, Willy Ley, ein bekannter Sachbuchautor, Hugo Gernsback, jener legendäre Gründer der Science Fiction in Amerika, der Raketenexperte Krafft-Ehricke sowie die amerikanischen SF-Autoren A. E. van Vogt und Theodore Sturgeon.« (Galle/Bauer 2003: 84, Herv. i.O.) Unterstützung erhält der SFCD auch von Wernher von Braun, der sich 1958 in einem Schreiben an den Verein wendet und die gemeinsamen Interessen von Science-Fiction und realer Raumfahrt betont: »Sie haben sich dem Gedanken der Weltraumfahrt ebenso verschrieben wie wir Ingenieure und Wissenschaftler, deren Aufgabe es ist, die notwendigen technischen Voraussetzungen hierfür zu schaffen. Jede technische Neuschoepfung ist ein Produkt der Phantasie, und die Aufgabe des Ingenieurs besteht darin, den Gedankenflug seiner Phantasie mit den harten Realitäten der Naturgesetze und der technischen Moeglichkeiten in Einklang zu

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Der amerikanische Komiker Bob Hope (1903-2003) bot 1957 folgende Erklärung für den erfolgreichen Start von Sputnik 1 an: »All this proves is that their Germans are better than our Germans« (zit.n. Ramsey 2017).

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bringen. Helfen Sie uns Technikern der Weltraumfahrt, die populaerwissenschaftlichen Veröffentlichungen ueber die Zukunft der Weltraumfahrt von offensichtlichem Unsinn zu reinigen. Wenn Ihnen dies gelingt, koennen Sie einen wertvollen Beitrag fuer die Verwirklichung des Flugs zu anderen Himmelskoerpern leisten.« (zit.n. Ernsting 2003: 29) In der Science-Fiction toben seit den 1920er Jahren die Weltraumschlachten der Space Opera, ohne dass die Autoren Mond oder Mars vergessen haben. Insbesondere der Film will nun am definitiv begonnenen Space Age wie an der Space Race partizipieren. Der Luft- und Raumfahrttechniker Robert Anson Heinlein (1907-1988) wechselt ins literarische Fach und veröffentlicht 1947 den Roman Rocket Ship Galileo, der sich gezielt an ein junges Publikum richtet. Helden sind drei Teenager, die mit einer neuartigen Rakete zum Mond fliegen. Vieles spricht dafür, dass die Romane von Gail als Vorbilder gedient haben. Als neues Element hat Heinlein eine Mondbasis eingefügt, die von Nazis betrieben wird (Heinlein 1947). Der Roman dient 1950 als Vorlage für den Film Destination Moon (dt. Endstation Mond); Heinlein wird als einer der Drehbuchautoren engagiert, die Mondbasis der Nazis jedoch gestrichen. Dafür versuchen, wie bei Frau im Mond, fremde Mächte das Projekt zu verhindern. Und wie in Langs Film geht es am Ende darum, ob einer der Astronauten auf dem Mond zurückbleiben muss, da der Sauerstoff knapp ist. Als technischer Berater fungiert, wie bei Frau im Mond, Hermann Oberth (Giesen 1984: 136). Das Vorbild für die Mondrakete ist die A4, die neben dem Setting für die realistische Wirkung des Films sorgt. Nicht nur die echte Raumfahrt setzt auf Kontinuität. Der Film wird ein großer Erfolg und eröffnet »die SF-Filmwelle der fünfziger Jahre« (Giesen 1979: 32). Produzent ist der aus Ungarn stammende George Pal (1908-1980), der 1951 den Science-Fiction-Film When Worlds Collide (dt. Der jüngste Tag) drehen lässt, in dem es erneut um die Konstruktion einer Rakete geht. Der Bau der Rakete in Destination Moon wird von dem Industriellen Jim Barnes und reichen Partnern finanziert; den Bau der Rakete in When Worlds Collide finanziert der Milliardär Sydney Stanton. Somit wird auch das Konzept einer privat finanzierten Raumfahrt nach dem Zweiten Weltkrieg in der Science-Fiction beibehalten. George Pal produziert einen Science-Fiction-Film nach dem anderen und nutzt dabei bevorzugt ältere Romanvorlagen. So entsteht 1955 der Film Conquest of Space (dt. Die Eroberung des Weltalls) nach dem populärwissenschaftlichen Buch The Conquest of Space, veröffentlicht 1949 von Willy Ley, illustriert

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mit Zeichnung von Chesley Bonestell (1888-1986). Erzählt wird die Geschichte der ersten bemannten Landung auf dem Mars. Leys Buch kann ebenfalls als Beginn des Space Age angesehen werden, denn der Bestseller beflügelt mit seinen Bildern, Prognosen und Spekulationen geradezu den amerikanischen Astrofuturismus: »In this atmosphere, Leyʼs The Conquest of Space with its Bonestell paintings and coffee-table presentation reached a popular audience hungry for information that would explain the technology of the rocket and its possible impact on American culture. […] Leyʼs The Conquest of Space introduced its audience to what Michael A. G. Michaud calls the ›classical agenda‹ for manned spaceflight: a technological plan that represents the core of the space future as it was imagined in the 50s and 60s. […] The Conquest of Space set the epistemological framework for the astrofuturist project by weaving together the literary, scientific, and technological background to the spaceflight idea.« (Kilgore 2003: 74) Ley fügt, diese Formulierung bietet sich an, zusammen, was zusammengehört. Sofern dies überhaupt notwendig ist, denn Ley selbst sieht ScienceFiction und reale Entwicklung immer als untrennbare Einheit an. Gleichzeitig bestätigt das Werk, das das Space Age nachhaltig prägt, die Kontinuität der Raumfahrtidee der 1920er Jahre, die nach dem Zweiten Weltkrieg in den USA erst ihr ganzes Potential offenbart. Mit Leys Buch bekennt sich das Space Age zu seinen (europäischen) Wurzeln. Auf dem Erfolg des Werkes aufbauend, veröffentlicht Ley weitere Bücher zum Thema und kooperiert dabei auch mit Wernher von Braun, etwa 1956 bei dem Buch The Exploration of Mars. »In that text, they present a plan for reaching the red planet, a goal of American space visionaries since the fantastic speculations of Percival Lowell in the early years of the twentieth century« (Kilgore 2003: 77). Bis zu seinem Lebensende legt Ley pro Jahr mindestens ein Buch vor und wird somit zum wichtigsten Lieferanten von Zukunftsbildern für den amerikanischen und europäischen Astrofuturismus, denn seine Bücher werden auch in anderen Ländern, vor allem in Deutschland, erfolgreich verlegt. Der »German-born science populizer and space expert Willy Ley« ist eine der maßgeblichen Schlüsselfiguren des Space Age (Geppert 2012: 14). Einen großen Anteil haben auch die realistischen Illustrationen, die nun nicht mehr jenen von Frank R. Paul gleichen. Eine neue Generation von Zeichnern, zu der Fred Freeman, Rolf Klep und der bereits genannte Chesley Bonestell zu zählen sind, entwirft eine fast fotorealistische Zukunft: »These men were introduced to the public as part of a community

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who took the space alternative seriously and had concrete, realizable proposals« (Kilgore 2003: 77). Unzählige Male verfolgt die Öffentlichkeit, verfolgt die amerikanische Gesellschaft, und in geringerem Maße auch die europäische, bemannte Landungen auf Mond und Mars. Die medialen Bilder sind längst vertraute Bilder, längst im kollektiven Bewusstsein gespeichert, als Neil Armstrong am 21. Juli 1969 tatsächlich den Mond betritt. Zu diesem Zeitpunkt ist die Mondlandung längst in die Geschichte diffundiert, ist Kulturgeschichte, ist astrofuturistische Geschichte und nur mehr Beleg für die betagten Antizipationen. Der Mond ist 1969 längst vertrautes Terrain, das unzählige Menschen, das Visionäre, Autoren und Leser schon seit Jahrzehnten umfassend erkundet haben. Der große Schritt für die Menschheit ist sozial- und kulturgeschichtlich ein deutlich kleinerer, ebenso Armstrongs Triumph, als erster Mensch den Mond betreten zu haben (Buedeler 1969: 7). Selbst der Comic-Held Tintin war schon da, im Band Objectif Lune (dt. Reiseziel Mond), erschienen 1953, wobei sich der Zeichner Hergé (1907-1983), wie kann es anders sein, an den Werken Willy Leys orientiert und die A4 als Vorbild für seine Comic-Rakete nimmt (Farr 2006: 135f.). Die neue Epoche der Menschheit, deren Anbruch im Kontext der Mondlandung in den Medien und auf wissenschaftlichen Tagungen ausgiebig diskutiert wird, ist zu diesem Zeitpunkt schon längst umfassend etabliert (Geppert 2015: 219).3 Der entsprechende Diskurs der Scientific Community erfolgt retrospektiv, da er sich primär an technikhistorischen Realitäten orientiert und die Einbettung in (technik)utopische und astrofuturistische Vorstellungen und deren Geschichte übersieht (Dick 2012: 47) Das sowjetische und das amerikanische Raumfahrtprogramm der 1950er und 1960er Jahre sind nicht der Beginn einer neuen Epoche, sondern bereits deren erster Höhepunkt.

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Der 1954 von Bart Howard getextete und komponierte Song Fly Me to the Moon wurde zur inoffiziellen Hymne des Space Age, vor allem in der 1964 aufgenommenen Interpretation von Frank Sinatra. Die Crew von Apollo 10 – Tom Stafford, John Young und Gene Cernan – hatte den Song auf einer Musikkassette während ihres Flugs im Mai 1969 an Bord ihres Raumschiffs (McGlynn 2006). Der Song wurde vielfach gecovert und gilt längst als Klassiker. Zu den Interpreten gehören u.a. Paul Anka, Shirley Bassay, Agnetha Fältskog (Abba), Helge Schneider, Robbie Williams, Michael Bublé und Roger Cicero.

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Unendliche Weiten »Auch wenn bereits nach der ersten der insgesamt sechs Mondlandungen die öffentliche Begeisterung rapide zurückging«, erläutert Alexander Geppert, »erhöhte allein der Nachweis technischer Machbarkeit die Plausibilität des Gesamtunterfangens ›Eroberung des Weltraums‹ und validierte die damit verbundenen Zukunftsversprechen« (Geppert 2015: 232). Dennoch lässt sich nach dem Abklingen des der Space Race zu Beginn der 1970er Jahre ein Rückgang des öffentlichen Interesses an der Raumfahrt konstatieren, der mit Utopieverlusten anderer Bereiche korreliert. Stellvertretend sei ein Buch genannt, Die Grenzen des Wachstums, das 1972, also pünktlich im Jahr der letzten Mondlandung des 20. Jahrhunderts, erscheint. »Es gibt nur wenige Bücher, die die Welt bewegen. Dieses gehört zweifelsfrei dazu, schärfte es doch das Bewusstsein für die Endlichkeit natürlicher Ressourcen und trug dazu bei, Ökologie als Argument ernster zu nehmen als zuvor«, kommentiert Nils Freytag rückblickend (Freytag 2006: 469). Der Blick in die Zukunft, nunmehr vollends Teil der Geschichte, richtet sich verstärkt auf die Erde. Die Raumfahrt kann warten, zumal der Space Race ja entschieden ist. Doch ist der Stimmungswandel nur partiell, denn die Antizipationsambitionen von Autoren und Visionären stagnieren auch und gerade im Space Age nicht. Während die NASA 1966 die letzten Gemini-Flüge absolviert und das Apolloprogramm vorbereitet, ist Captain James T. Kirk (William Shatner) mit seiner Enterprise bereits zu anderen Sonnensystemen unterwegs. Mond und Mars verlieren für den Astrofuturismus zeitweise an Bedeutung. »Die letzte Grenze, die es zu erforschen galt, sollte eben nicht ein unbekanntes Land, sondern das All sein«, fasst Ralph Sander die Grundidee des Star TrekErfinders Gene Roddenberry (1921-1991) zusammen. Mond und Mars sind da bereits der Erdwerdung zum Opfer gefallen und dem bekannten Land zuzurechnen, die Entwürfe der Autoren reichen längst viel weiter; es geht um Lichtjahre, nicht mehr um Meilen oder Kilometer. Der Erfolg von Star Trek stellt sich erst mit der Zeit ein, doch schließlich wird die Serie zu einem starken Segment der Popkultur und verleiht dem Astrofuturismus neue Impulse. Illustratoren werden nun kaum noch benötigt, die Trickstudios der Film- und Fernsehproduzenten übernehmen diese Aufgabe. Mit jedem technischen Entwicklungsschritt erweitert sich die Rezeption des Konsumenten zur virtuellen Teilnahme. Mittlerweile ist Star Trek zu einem seriösen Objekt der Wissenschaft avanciert, die sich darum bemüht, wie »aus dem Phänomen Star Trek wissen-

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schaftliche Erkenntnisse gewonnen werden können, die dabei helfen, uns, unsere Zeitgeschichte und unsere Gesellschaft besser zu verstehen« (Bauer 2019: 3). Vorbei sind die Zeiten, in denen Science-Fiction per se als Schundliteratur angesehen und daher einer wissenschaftlichen Betrachtungsweise entzogen wurde (Flessner 2020: 233). Schon lange geben sich in der Phantastischen Bibliothek in Wetzlar Vertreter verschiedener Firmen die Klinke in die Hand, um Science-Fiction-Literatur als Quelle für mögliche Produktideen zu nutzen. Die Qualität der Nova hat sich bei Entwicklern längst herumgesprochen (Hildebrand 2013). Star Trek nimmt in diesem Kontext eine besondere Rolle ein, denn es ist ein Langzeitphänomen, das seit mehr als 50 Jahren Bestand hat und das klassische Space Age in die Gegenwart prolongiert. Noch vor der Mondlandung tritt die Serie das Erbe des amerikanischen Astrofuturismus an und macht diesen (endgültig) zu einem globalen Phänomen, sodass man von einem Star TrekFuturismus sprechen kann. Diese Entwicklung ist nicht zuletzt dem Erfinder Gene Roddenberry zu verdanken, der seiner Serie mit einer humanistischen Grundüberzeugung ausgestattet hat (Vieweg 2019: 17). Die Enterprise fungiert als Paradigma, als Modell für eine zukünftige, befriedete Erde ohne Rassismus, Diskriminierung, Armut, Kapitalismus und Diktatur und stellt insofern tatsächlich eine gesellschaftliche Utopie dar (Stoppe 2014: 125). Sogar als ökonomische Utopie wird die Serie mittlerweile interpretiert (Webb 2019). Roddenberry sieht in der Enterprise »eine Art Raumschiff Erde« (Takei 1997: 238). Diese Metapher ist auch bei dem amerikanischen Architekten Buckminster Fuller (1895-1983) zu finden, der 1969 ebenfalls diese Deutung aufgreift und vom »Raumschiff Erde« spricht, womit alle Menschen umgehend zu Astronauten werden, die vor allem die Lebenserhaltungssysteme zu schützen haben (Fuller 1998: 45). Der Modellcharakter von Star Trek sowie dessen Funktion als soziale Utopie wird durch diese Metapher evident und verdeutlicht, das Roddenberry keineswegs nur auf das Prinzip der reinen Unterhaltung setzt. Der von Reinhart Koselleck geprägte Begriff der »Verzeitlichung der Utopie« kommt hier in aktueller Form zum Tragen (Koselleck 1982: 2). Während Jules Verne die immobile, utopische Insel in die mobile Nautilus transferiert und Nemo und seine Besatzung die utopische Gesellschaft repräsentieren, so transferiert Roddenberry die utopische Insel in sein Raumschiff Enterprise, dessen Crew nun die utopische Gesellschaft repräsentiert. Die nachhaltigsten Bilder liefert indes der Film 2001: A Space Odyssey von Stanley Kubrick (1928-1999), der 1968, also ein Jahr vor der Mondlandung,

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uraufgeführt wird. Zum ersten Mal gelingt es einem Kinofilm, gedreht im 70mm-Format, das All mitsamt der Schwerelosigkeit tatsächlich fotorealistisch zu zeigen. Es sind Bilder, die Maßstäbe setzen und eine ganze Generation von jungen Regisseuren inspirieren. Exemplarisch sei George Lukas genannt, der in Interviews immer wieder die Bedeutung des Films herausstellt: »Stanley Kubrick made the ultimate science fiction movie, and it is going to be very hard for someone to come along and make a better movie, as far as Iʼm concerned. On a technical level, it can be compared, but personally I think that ›2001‹ is far superior.« (zit.n. Benson 2000: 434) Kubricks Film setzt nicht nur tricktechnisch neue Maßstäbe, sondern beschert dem Filmgenre einen regelrechten Neustart: »In American filmmaking, 2001ʼs visual power and excellent box office gave an emphatic green light to Hollywood, which set about funding successor projects« (Benson 2000: 434). Nach dem Erfolg von 2001: A Space Odyssey und der erfolgreichen Mondlandung wendet sich auch das Blatt für die Star Trek-Serie, die der produzierende Sender NBC eigentlich schon abgeschrieben hat. Nach dem Verkauf an kleine amerikanische Privatsender zeigen nun auch europäische Sender Interesse; ab 1970 ist die Serie in Großbritannien zu sehen, ab 1972 in Deutschland. Im zweiten Anlauf stellt sich der globale Erfolg der Serie ein; Sequels, Prequels und Kinofilme folgen (Sander 1989: 143ff.). Star Wars, erdacht von George Lucas, entwickelt sich ab 1977 zur großen Konkurrenz von Star Trek und wird ebenfalls zu einem globalen Phänomen. Inklusive Merchandising ist Star Wars laut Forbes-Magazine heute das kommerziell erfolgreichste Filmprojekt der Filmgeschichte (Chew 2015). Und eben dieser Filmgeschichte ist sich auch George Lucas bewusst und versteht den von Ralph McQuarrie entworfenen Roboter C-3PO als Hommage an den Filmroboter aus Metropolis von Fritz Lang (Bülow 2017). Doch das ist nur die Spitze des Eisbergs, die Zahl von Hommagen dieser Art bei ScienceFiction-Filmen von Regisseuren wie George Lukas, Steven Spielberg, Ridley Scott oder Luc Besson, um nur einige zu nennen, ist unüberschaubar (Bould 2017: 43ff.). Nicht nur im Design von C-3PO, auch in Ridley Scotts Alien (1979) und Bladerunner (1982), in Luc Bessons Le Cinquième Élément (1997) oder Alex Garlands Ex Machina (2015), ebenfalls nur exemplarisch genannt, leben die Science-Fiction-Filme der 1920er, 1930er und 1950er Jahre weiter; trotz Computer Generated Imagery (CGI) und neuen Gesichtern bleibt dank der vielen Selbstbezüge und Filmzitate zumindest für Cineasten die Kontinuität sichtbar (Kilgore 2003: 230).

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Kontinuität besitzt auch die von Fritz Lang inaugurierte Beratung durch ausgewiesene Experten, an der Hollywood mal mehr, mal weniger festhält. Der deutschstämmige Raumfahrtingenieur und NASA-Mitarbeiter Jesco von Puttkamer (1933-2012) fungiert als technischer Berater bei der Realisierung des Films Star Trek: The Motion Picture (1979) (Starlog 1980: 25). Als wissenschaftlicher Berater für den Film Interstellar (2014) engagiert Regisseur Christopher Nolan den Physiker und Caltech-Professor Kip Thorne, der 2017 für seine Gravitationswellenforschung den Nobelpreis erhält. Thorne sorgt dafür, dass die im Film gezeigte Raumfahrttechnologie dem aktuellen Stand der Forschung entspricht, die antizipierte Reise durch das Wurmloch (EinsteinRosen-Brücke) also theoretisch möglich wäre (Lüdemann/Stockrahm 2017). Ridley Scott wiederum lässt sich während der Produktion seines Film The Martian (2015) von Raumfahrt- und Marsexperten der NASA beraten (Bradley 2015). Filme dieser Machart sind somit bewusst innerhalb eines Möglichkeitsraums situiert, der auch für wissenschaftliche Zukunftsszenarien kennzeichnend ist (Steinmüller 1995: 105). Die Interferenz beider Sphären, die der Science-Fiction und die wissenschaftlich-technische, ist nach wie vor signifikant. Mit dem anhaltenden finanziellen Erfolg der letzten Jahrzehnte ist der Science-Fiction-Film endgültig in der Mainstream-Kultur angekommen und hat sein Nischendasein aufgegeben, das eng konnotiert ist mit dem europäischen wie amerikanischen Astrofuturismus. Kilgore vertritt den Standpunkt, dass die emanzipatorische, reformistische und mitunter auch revolutionäre Kraft dieser soziokulturellen Strömung damit weitgehend erloschen ist: »Astrofuturism has also been motivated by a desire to push the boundaries of convention, to exceed the physical and social imperatives that structure the contemporary order« (Kilgore 2003: 238). Sebastian Stoppe sieht hingegen in Star Trek, trotz aller Kommerzialisierung, weiterhin eine »politische Utopie«, deren dystopischer Gegenentwurf die Borg darstellen (Stoppe 2014: 253, 281). Auch im Nachkriegsdeutschland bleibt die Vorstellung eines humanisierten Weltraums lebendig. Hier ist es vor allem die 1961 ins Leben gerufene und seitdem wöchentlich erscheinende Perry Rhodan-Romanserie aus Rastatt, deren historisch-reflexives, ethische Fragen mitthematisierendes Weltbild, für einen optimistisch gestimmten Astrofuturismus eintritt (Kaspar 1999, Spreen 2014). Nach aktuell sechs Jahrzehnten durchlaufender Seriengeschichte mit zahlreichen Sequels, internationaler Reichweite und multimedialen Ablegern – Hörspiele und -bücher, ein Rollenspielsystem, Computerspiele, Sammelkarten und einer aktiven Fanszene – handelt sich um den wohl komplexes-

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ten und umfangreichsten Science-Fiction-Kosmos überhaupt. Die Geschichte der »Terraner« beginnt im ersten Roman mit einer fiktiven Mondlandung im Jahr 1971. Perry Rhodan und seine Getreuen reisen in der Stardust, einer mehrstufigen Rakete, die dem Wiki Perrypedia zufolge an einen Entwurf Wernher von Brauns angelehnt war. In der Tat sind die Ähnlichkeiten verblüffend, wie ein Vergleich der serienimmanenten Risszeichnung (Perry Rhodan, H. 583) mit dem Entwurf von Brauns (1953: 34) zeigt. Auf dem Mond findet Perry Rhodan den havarierten außerirdischen Kugelraumer Aetron. Mit Hilfe der Kommandantin und des leitenden Wissenschaftsoffiziers gelingt es ihm, in der Wüste Gobi ein neues Staatssystem zu gründen, den Kalten Krieg zu beenden, die Erde zu einen und »Terra« als kosmische Macht zu installieren. Finanziert wird der Ausgriff der Terraner in die Galaxis durch die von dem Finanzgenie Homer G. Adams geführte General Cosmic Company Ltd. (GCC), einem Staatsunternehmen, das sich strickt nach privatwirtschaftlichen Kriterien richtete. Sicher ist ein Wandel des Astrofuturismus nicht zu leugnen, doch ist die Kernidee, die Menschheit als raumfahrende, interplanetare, interstellare Spezies zu etablieren, erhalten geblieben. Allein die utopischen Elemente in den Science-Fiction-Mythen Star Trek und Star Wars reichen als Indizien dafür aus. In Russland wiederum ist schon seit Jahren eine Renaissance des Kosmismus zu beobachten, der ebenfalls eine Kolonisierung des Alls propagiert: »Fjodorows Philosophie ist eine der wenigen Strömungen, die alle Zäsuren der neueren russischen Geschichte überdauert hat. Er war der letzte Religionsphilosoph, der in der Sowjetunion Erwähnung fand, und der erste, der seit den 1970er Jahren neu publiziert wurde. Unter dem Begriff Kosmismus versammelte sich nun eine bunte Anhängerschar von Theologen, Naturwissenschaftlern und Künstlern.« (Faure 2018) Der Kosmismus prägt in Russland nicht nur transhumanistische Vorstellungen und Ziele, sondern weiterhin auch astronautische und raumfahrttechnische, die wiederum Einfluss auf das Raumfahrtprogramm haben (Hagemeister 1992: 161). Trotz unterschiedlicher Probleme bleiben Russlands Raumfahrtpläne ambitioniert (Vidal 2021). Weitere große Player sind Japan, Indien und natürlich China, das im 21. Jahrhundert Anschluss an die Amerikaner erlangt und Europas Raumfahrt überrundet. Die erfolgreiche Landung eines Marsrovers und die im Bau befindliche Raumstation sind eindrucksvolle Belege für den Stand der chinesischen Technik (Pluta 2021, Stirn 2021a). Bereits 2010 warnt Eric Seedhouse von einer »new manned space race« zwischen den USA und China und scheint recht zu behalten (Seedhouse 2010: 221). Da ist es nicht

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überraschend, dass auch die weltweit erfolgreichste Science-Fiction-Trilogie, Die drei Sonnen von Cixin Liu, aus China stammt. Selbst renommierte Literaturkritiker wie Denis Scheck zeigen sich beeindruckt, für den das Werk »das Aufregendste und Innovativste ist, was ich im Genre der Science Fiction in den letzten 30 Jahren gelesen habe« (Scheck 2017). Cixin Liu liefert auch die Vorlage für den chinesischen Science-Fiction-Film Die wandernde Erde, der mühelos mit amerikanischen Produktionen mithalten kann. Entsprechend positiv fällt auch hier die Kritik aus: »Die wandernde Erde ist umwerfend. Chinas erster Scifi-Megahit kommt so wuchtig daher wie ein echter Hollywood-Blockbuster, ist überwältigend groß, perfekt getaktet, hier und dort leise melancholisch und an den richtigen Stellen witzig. Das in gut zwei Stunden entworfene Bedrohungsszenario fühlt sich drastisch zukünftig an und ist zugleich so verständlich, als könne es schon morgen eintreten. Nur dass es diesmal nicht die Amerikaner sind, die uns alle retten müssen, sondern die Chinesen.« (Marchal 2019) Somit konkurriert China also auch auf dem literarischen und medialen Markt, und das durchaus erfolgreich. Zu den vertrauten westlichen Zukunftsbildern gesellen sich nun neue chinesische.

New Space Age Die reale Raumfahrt des 21. Jahrhunderts kennt indes nicht nur staatliche, sondern auch zunehmend ambitionierte, privatwirtschaftliche Player, die unter dem Schlagwort NewSpace subsumiert werden. An erster Stelle stehen die Milliardäre Elon Musk, Richard Branson und Jeff Bezos mit ihren Raumfahrtunternehmen. Nach deren Gründungen lange Zeit von der Presse und der Öffentlichkeit belächelt, sind ihre Unternehmen SpaceX (Musk), Virgin Galactic (Branson) und Blue Origin (Bezos) heute fester Bestandteil der globalen Raumfahrt. Die Unternehmen sind Quereinsteiger und gelten als risikofreundlich, effizient und innovativ; innerhalb von rund zwei Jahrzehnten haben sie nicht nur in jeder Hinsicht konkurrenzfähige Trägersysteme und Raumfahrzeuge entwickelt, sondern die staatlichen Unternehmen in den USA, Europa und China in vielen Segmenten sogar übertrumpft (Schneider 2018: 213ff.). Nicht vergessen darf man eine Vielzahl von Start-up-Unternehmen mit vergleichbaren Plänen und Zielen, vornehmlich in den USA und Europa (Kirsch 2021).

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»Tatsächlich lässt sich vom Beginn eines Booms im All sprechen, der nicht nur in den Köpfen von Träumern stattfindet, sondern in den HightechWerkstätten auf dem gesamten Globus«, resümiert der Journalist Peter M. Schneider (Schneider 2018: 12). Ergänzen muss man, dass es eben jene Träumer, Visionäre und Autoren sind, die seit jeher die unabdingbaren Narrative liefern und somit als Agens für Wissenschaft, Technik, Wirtschaft, Kultur und Gesellschaft fungieren. Nicht, dass es in anderen Disziplinen keine Wechselwirkungsprozesse zwischen Science-Fiction und realer Forschung gibt, doch bei der Raumfahrt sind diese besonders evident: »Astronautics is the only science that can be said to have been not just shaped, but kept alive, by writers and artists«, erklärt Randy Liebermann 1992 anlässlich der Ausstellung Blueprint for Space: Science Fiction to Science Fact, die er zusammen mit dem Raumfahrthistoriker Frederick Ira Ordway für das U.S. Space & Rocket Center in Huntsville/Alabama konzipiert hat (zit.n. The Futurist 1992: 39, Ordway/Liebermann 1992). Der vorliegende Befund bringt die Periodisierungsbemühungen ins Schwanken, also die Absicht, die historische wie kulturelle Epochenbezeichnung Space Age auf den Zeitraum von 1942 bis 1972 zu limitieren (Geppert 2015: 218). Denn die Eingrenzung unterstellt nicht nur einen rein technikhistorisch definierten Beginn (Erreichen des Weltraums durch eine A4-Rakete), sondern auch ein ebensolches Ende (letzte Mondlandung im 20. Jahrhundert durch Apollo 17). Dabei wird die zeitweise Priorisierung der unbemannten Raumfahrt (z.B. Pionier 10 und 11, Voyager 1 und 2) ebenso unterbewertet wie die Installation von Raumstationen, die 1971 mit der sowjetischen Station Saljut 1 beginnt, gefolgt u.a. von dem US-amerikanische Skylab (1973), der russischen Mir (1986) und der Internationalen Raumstation (ab 1998), ganz so, als würden bemannte Reisen zu Mond und Mars Raumfahrt definieren. Übersehen wird auch das kontinuierliche Interesse an Science-FictionLiteratur wie -Filmen, das wiederum ein kulturelles wie gesellschaftliches Langzeit-Phänomen darstellt. Die Produktion von Zukunftsbildern steigt seit Beginn der 1970er Jahre sogar, zumal der Science-Fiction-Film nun nicht mehr vorwiegend als B-Movie in Erscheinung tritt, sondern dank 2001: A Space Odyssey in die Kategorie des A-Movies bzw. Blockbusters wechselt und sich dort fest etabliert.4 4

Allein die Zahl der Teilnehmer an Star-Trek-Conventions ist ein Indiz für das gestiegene Publikumsinteresse, auch in Deutschland, das wiederum mit astrofuturistischen Vorstellungen korrespondiert (Tanger 2014).

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Nimmt man jetzt noch den von Schneider zurecht diagnostizierten Raumfahrt-Boom sowie die Neuauflage eines Space Race, an der nicht nur die USA und China teilnehmen, sondern auch die New-Space-Milliardäre, dann zeichnet sich eine klare Kontinuität, ein langfristig und global wirksamer Transformationsprozess ab, der den Kriterien der von John Naisbitt 1982 beschriebenen Megatrends entspricht (Naisbitt 1982). Selbstverständlich kann man ein Oszillieren der globalen Raumfahrtambitionen und deren Zielsetzungen sowie des gesellschaftlichen Interesses konstatieren, was auch für den europäischen wie amerikanischen Astrofuturismus gilt, jedoch ist die Raumfahrt zu keinem Zeitpunkt in Gefahr, als Projekt der Menschheit aufgegeben zu werden. Betrachtet man das Space Age tatsächlich als langfristig wirksamen Transformationsprozess, so eröffnen, wie bereits erläutert, Vernes Mondromane diesen Megatrend, der zu einer historischen Kontinuität geworden ist und nicht 1972 endet, sondern sich einfach nur permanent wandelt und dabei andere kulturelle und soziale Facetten zeigt. Wir leben immer noch und auch weiterhin im Space Age, technologisch und ökonomisch, aber auch kulturell und gesellschaftlich. Raumfahrt ist kostspielig. Nicht ohne Grund erörtern Science-FictionAutoren seit Jules Verne daher die Finanzierung von Raumreisen und präferieren, wie schon aufgezeigt, zwei Modelle. Entweder übernimmt die Gesellschaft in Form von Spenden oder Crowdfunding die Finanzierung oder Milliardäre bzw. Konzerne stellen die benötigten Mittel bereit. Den Staat als Akteur und Geldgeber sehen die wenigsten Autoren. Hier ist vor allem Star Trek zu nennen, wobei die Vereinte Erde, die Mitglied der Vereinten Föderation der Planeten ist, ein zwar demokratisches, jedoch auch neosozialistisches Gemeinwesen darstellt, das mit heutigen Staatenkonstruktionen wenig gemein hat (Stoppe 2014: 172, Webb 2019: 25). Das Milliardärs-Modell findet sich in der Science-Fiction durchgehend seit Beginn des 20. Jahrhunderts und ist oft mit unternehmerischen Zielen verknüpft, die primär im Bereich des Bergbaus liegen. Der Handlungsort des Films Outland, 1981 von dem Briten Peter Hyams geschrieben und inszeniert, ist eine kommerziell betriebene Mine auf dem Jupitermond Io, während es sich beim Raumschiff Nostromo im Film Alien, 1979 von Ridley Scott gedreht, um einen Erzfrachter des Konzerns Weyland-Yutani handelt. In dem Film Moon, 2009 von dem Briten Duncan Jones inszeniert, baut der Konzern Lunar Industries Limited Helium-3 mit Hilfe von geklonten Menschen auf dem Mond ab. In Frank Schätzings Roman Limit, erschienen 2009, betreibt der

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Milliardär Julian Orley nicht nur eine Raumstation und einen Weltraumlift, sondern lässt ebenfalls auf dem Mond Helium-3 abbauen (Schätzing 2009). In allen drei Filmen und dem Roman bestimmen Konzerninteressen den Plot und sind auch für die dramaturgisch relevanten Plot Points verantwortlich. In den Prequels zu Alien, dem 2012 gedrehten Prometheus und der 2017 entstandenen Fortsetzung Alien: Covenant, beide von Ridley Scott inszeniert, tritt der Konzernchef Peter Weyland (Guy Pearce) sogar höchstpersönlich in Erscheinung und ist der Initiator der Expedition zu den vermeintlichen Schöpfern des Menschen. Ob Jupitermond, lunarer Tagebau oder Erzfrachter, die filmischen und literarischen Zukunftsbilder zeigen das All nicht nur als humanisierten, sondern auch als ökonomisierten Raum, als Raum für Investoren und als ganz gewöhnlichen Arbeitsplatz, abgesehenen natürlich vom unabdingbaren Tragen von Raumanzügen. Während die Science-Fiction einen permanent expandierenden Möglichkeitsraum eröffnet, so definiert die Wissenschaft einen wesentlich kleiner dimensionierten Wahrscheinlichkeitsraum, der sich am aktuell Machbaren, an Prognosen und an Modellierungen orientiert, die auf der Wahrscheinlichkeitstheorie basieren (Esposito 2007: 31, Flessner 2020). Der Wahrscheinlichkeitsraum wird zudem regelmäßig durch Unmöglichkeitsprognosen aus der Scientific Community begrenzt, die im Möglichkeitsraum situierte Prognosen und Visionen mehr oder weniger kategorisch ausschließen. Wer den von der Science-Fiction im 20. Jahrhundert eröffneten Möglichkeitsraum mit dem Wahrscheinlichkeitsraum vergleicht, wird zum einen natürlich Interferenzen feststellen, zum anderen jedoch konstatieren, dass die Scientific Community deutlich mehr prognostische Irrtümer zu verzeichnen hat. Insbesondere die Unmöglichkeitsprognosen erweisen sich regelmäßig als falsch (Flessner 2020: 244). Lange sah es danach aus, als sei das Modell einer privatwirtschaftlich betriebenen Raumfahrt, auf das viele Science-Fiction-Autoren setzen, ein prognostischer Irrtum aus dem Möglichkeitsraum. NewSpace korrigiert diese Annahme eindrucksvoll. Sogar der literarische Topos, dass der Milliardär selbst die Rakete besteigt und ins All fliegt, wurde im Juli 2021 von Jeff Bezos und Richard Branson medienwirksam in die Realität überführt (Lindner 2021a, Lindner 2021b). NewSpace verleiht dem Milliardärs-Modell retrospektiv eine verblüffende Plausibilität und lässt selbst die zum Teil betagten Romane in neuem Licht erscheinen. Und noch in einem weiteren Punkt liegen die Autoren, exemplarisch vertreten durch Gail und Hanstein, richtig, nämlich in der Beantwortung der

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Sinn- bzw. Zweckfrage. Ihre Raumfahrtmissionen dienen langfristig wirtschaftlichen Zielen, dienen der Energiegewinnung, dienen der Beschaffung von Ressourcen. Die Nutzungsform ist auch eine gesellschaftliche, da beides, Energie und Ressourcen, der Gesellschaft in Form von Waren und Produkten zur Verfügung gestellt werden sollen. Nicht einzelne Menschen betreiben somit Raumfahrt, nicht eine Elite, sondern die Gesellschaft als Ganzes, da sie das All in den irdischen Wirtschaftsraum involviert bzw. diesen ins All ausdehnt. Bergbau auf dem Mond, auf einem Asteroiden oder einem Jupitermond ist auch nur Bergbau, lediglich die Bedingungen für den Abbau der Erze sind andere (Pyle 2019: 151). Das sieht ein Unternehmensverband wie der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) ebenso und sekundiert Gail und Hanstein: »Jahr 2020 – Eine Weltraumsonde nähert sich dem erdnahen Asteroiden (3554) Amun. Der nicht mal 1,6 Kilometer breite Asteroid ist einer von mehr als 15.000 und einer der kleinsten Asteroiden, die je in Erdnähe geortet wurden. Mithilfe eines Spektroskops tastet die Sonde die Oberfläche ab und sammelt Daten über die Beschaffenheit des Asteroiden, die er dann zurück auf die Erde sendet. Seine Auswertung ergibt: Amun enthält Platin, Nickel, Eisen und Kobalt – Rohstoffe, die auf der Erde einen Marktwert von rund 20 Milliarden US-Dollar haben sollen.« (BDI 2021a) Während die Ressourcen auf der Erde schrumpfen und die Marktpreise für viele Metalle unaufhörlich steigen, bietet das Sonnensystem einen gigantischen, ungenutzten und noch nicht abgesteckten Claim, eine schier unerschöpfliche Bonanza, wie es die Sprache des Goldrush auszudrücken pflegte. Der BDI fordert daher eine gezielte Expansion des Wirtschaftsraums, die nicht irgendwann in einer fernen Zukunft stattfinden soll, sondern in der Gegenwart: »Um die Zukunft des Weltraumbergbaus entscheidend mitgestalten zu können, müssen heute die Weichen gestellt werden« (BDI 2021a). Und auch die nötige Kompetenz hält der BDI für gegeben: »Deutsche Bergbautechnik ist weltweit aufgrund ihrer hohen Qualität und Standards gefragt. Deutsche Hersteller von Bergbaumaschinen zählen zu den innovativsten der Branche; ihre Maschinen sind daher weltweit für den Rohstoffabbau im Einsatz. […] Damit steht in Deutschland schon heute die wesentliche Expertise für fast alle notwendigen Technologien des Weltraumbergbaus in Theorie und Praxis bereit. Dieses gebündelte Know-how

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hat das Potenzial, die Zukunft des Weltraumbergbaus entscheidend mit zu gestalten.« (BDI 2021a) Der BDI dient hier nur als Beispiel für andere Verbände und Unternehmen, die mittlerweile die Option einer ökonomischen Nutzung des Alls sehen. Entsprechende Postulate führen schnell zu der Frage nach den Weichenstellern dieser Entwicklung sowie nach der erforderlichen raumfahrtechnologischen Infrastruktur. Denn irgendwie müssen ja die innovativen Bergbaumaschinen zum Asteroiden transportiert werden. Ob dazu die primär staatlich organisierte Raumfahrt Europas in der Lage sein wird, ist mehr als fraglich, da sie in erster Linie dem Forschungsgedanken verpflichtet ist, nicht aber einem umfassenden ökonomischen Handeln. Die Finanzierung erfolgt vor allem aus staatlichen Quellen, also aus Steuermitteln; Strukturen und Hierarchien unterliegen politischen, administrativen und bürokratischen Regeln. Nachdem Johann-Dietrich Wörner, langjähriger Chef der Raumfahrtagentur ESA, seinen Posten 2021 vorzeitig räumen muss, verweist er auf die Befindlichkeiten und starren Strukturen: »Ich habe all diese nationalen Überlegungen vollkommen unterschätzt. Diese Frage: Haben wir einen Direktor aus unserem Land oder gar einen Generaldirektor? Dabei hätte ich es eigentlich besser wissen müssen. Bereits vier Jahre vor meiner Wahl, 2010, war ich als ESA-Chef im Gespräch. Meine Position damals: Die Nationalität ist völlig egal, es muss jemand sein, der die ESA voranbringen will. Dafür habe ich aus Deutschland heftige Kritik kassiert. Es hieß: Selbstverständlich müsse es ein Deutscher werden.« (Wörner 2021) Auch sein Versuch, die Anzahl der Direktoren von zehn auf fünf zu verringern, um die Hierarchie zu straffen und die Zusammenarbeit zu intensiveren, scheitert. Die ESA signalisiert ihm: »Wir mögen unsere zehn Direktoren« (Wörner 2021). Und trotz eines gigantischen Etats von 14,5 Milliarden Euro für einen Zeitraum von drei Jahren kann Wörner nicht mit Erfolgen glänzen: »Zum Beispiel die Trägerrakete Ariane 6, die nun erst 2022 starten wird und nicht wie geplant 2020, das tut weh. Oder unsere ExoMars-Mission, die mehrfach verschoben werden musste – vom Jahr 2018 zunächst auf 2020 und nun auf 2022. Das hat massiv wehgetan. Und natürlich, dass unsere Sonde Schiaparelli auf dem Mars zerschellt ist.« (Wörner 2021).

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Insbesondere bei den Trägerraketen sieht Wörner – mit Blick auf SpaceX und das Falcon-Programm – die bisherige Strategie der ESA als reformbedürftig an: »Da ist allem voran natürlich die Sache mit den Trägerraketen. Hier brauchen wir einen offeneren Wettbewerb, bei dem die Politik lediglich ihre Ansprüche und Abnahmegarantien definiert, der Industrie ansonsten deutlich weniger hineinredet. Das wäre für mich ein ganz wichtiger Punkt.« (Wörner 2021) Die privatwirtschaftliche Konkurrenz ist dank NewSpace längst auf der Überholspur. Sie ist innovativer, risikofreudiger, akzeptiert Rückschläge und gewinnt diesen sogar noch Positives ab, sie ist effizient und versteht sich als Player auf einem globalen (und orbitalen) Markt. In nur rund 20 Jahren hat NewSpace diesen Markt umfassend verändert, was vor allem dem technologischen Fortschritt zu verdanken ist, der eine neue, unkonventionelle Ökonomie hervorbringt, wie Schneider ausführt: »Diese beinhaltet unter anderem erschwingliche Technologien, mit deren Hilfe selbst relativ kleine Unternehmen heute Raumfahrzeuge bauen können: Kleine und leistungsfähige Rechner, ein breites Spektrum an spezieller Software, 3-D-Druck für die Produktion von Satelliten- und Raketen-Teilen und eine Vielzahl industrieller Bauteile, die man einfach kaufen kann, statt sie teuer entwickeln zu müssen.« (Schneider 2018: 214) Das Resultat dieser Entwicklung verändert die Konditionen für Raumfahrtprojekte nachhaltig. Die bisherigen staatlichen Raumfahrtbehörden und -organisationen sind nicht mehr zwingend erforderlich, um Raumfahrt betreiben zu können. Der Zugang zum All ist nicht mehr länger militärisch oder staatlich gekürten Eliten und Akteuren vorbehalten, sondern steht faktisch jedem offen: »Heute hingegen können NewSpace-Unternehmen winzige Start-ups sein, mit einigen wenigen Gründern, die einen neuen Motor entwickeln, aber auch etablierte Firmen wie SpaceX, die schon im Weltraum unterwegs sind. Die Größe spielt keine entscheidende Rolle, eher die Denk- und Herangehensweise.« (Schneider 2018: 214f.) Dieser gravierende Wandel der technologischen wie ökonomischen Rahmenbedingungen führt auch zu einem Wandel des Space Age, das nun weitaus mehr Partizipation erlaubt als in 1950er und 1960er Jahren bzw. überhaupt

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erst Partizipation erlaubt. So sind, um nicht immer auf die USA zu verweisen, allein 2021 in Deutschland 125 Privatfirmen in der Raumfahrtbranche aktiv, darunter viele Start-ups (Holzki/Jahn 2021). Ein großes Segment stellen dabei Microlauncher dar, kleine, preisgünstige Raketen, die etwa Mini-Satelliten in den Orbit schießen können. Zu den Wettbewerbern gehören auch deutsche Start-ups, die im Begriff sind, »Europas Raketenbranche umzukrempeln« (Stirn 2021). Der Zeitpunkt ist laut BDI günstig: »Schätzungen zufolge wird der globale Raumfahrtmarkt von 360 Milliarden US-Dollar (2018) bis 2040 auf bis zu 2.700 Milliarden US-Dollar um mehr als das Siebenfache wachsen« (BDI 2021b). Damit nähert sich die Legitimationskrise ihrem Ende, deren wichtigstes Kennzeichen die ebenso reflexhafte wie repetitive Frage nach den Kosten ist.5 Einer tendenziell privaten und kommerziellen Raumfahrt bleibt diese Frage erspart, da sie sich über Aufträge finanziert. Für die Legitimation und die Zukunftsdiskurse bleibt ein umfangreiches Angebot an Zukunftsbildern unverzichtbar. Darum kümmern sich weiterhin Autoren, Regisseure und Medien, also altbewährte Instanzen des Space Age, die für die von Geppert herausgestellte »composition into narratives« sorgen (Geppert 2012: 14). Sind die verschiedenen Ziele der Raumfahrt in entsprechende Narrative eingebettet, dann wirken »literarische Schilderungen phantastischer Weltraumreisen auf die Entwicklung der Raumfahrt als Technik und gesellschaftliche Aktivität zurück« (Steinmüller 1995: 114). Das boomende Satellitengeschäft, dessen Treiber Datenerhebung und Datenübermittlung sind, also letzten Endes die Digitalisierung, ist erst der Anfang der Kommerzialisierung der Raumfahrt. Der Weltraumtourismus steht schon länger in den Startlöchern und eröffnet Optionen für Hotels im Orbit und auf Mond und Mars. Der Markt wird dafür sorgen, dass die Angebote steigen und die Preise fallen. Was heute nur Superreichen vergönnt ist, kann morgen schon für Reiche in Frage kommen und übermorgen für den Mittelstand. Der deutsche Physiker und Astronaut Ulrich Walter prognostiziert bereits einen »Weltraummassentourismus« und ist sich sicher, »die Preise werden so bröckeln, dass es sich irgendwann fast jeder leisten kann, wenn er will« (Walter 2021). Darüber hinaus sieht Walter, der sich auf eigene Erfahrungen stützen kann, im Weltraumtourismus keineswegs eine Form von Welt- oder Realitätsflucht, sondern vielmehr einen »Bewusstwerdungsprozess« in Bezug auf unsere irdischen Lebensbedingungen und 5

Siehe dazu den vorhergehenden Beitrag von Dierk Spreen in diesem Band.

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unsere Position im Universum, denn »wir sehen aus dem Weltraum die Kleinheit der Menschen, die Bedeutungslosigkeit, die richtige Einordnung des Menschen in das kosmische Geschehen. Und wir sehen, dass wir auf der Erde alle in einem Boot sitzen. Das bewirkt eine Bewusstseinsänderung, das erreichen wir durch den Weltraumtourismus« (Walter 2021). Bislang war der bewusstseinsverändernde Blick vom Orbit auf die Erde nur wenigen Privilegierten vorbehalten. Der Weltraumtourismus schafft die Option, eben diesen von Astronauten immer wieder als epistemisch relevant bezeichneten Blick der ganzen Gesellschaft zugänglich zu machen. Der in das All verlagerte Bergbau wird sich dank steigender Rohstoffpreise und sinkender Raumfrachtpreise ebenfalls rentieren. Doch auch diese Modelle werden nur der Anfang sein. So hat das New Yorker Auktionshaus Christieʼs 2021 eine Flasche Rotwein aus dem Weingut Château Petrus bei Bordeaux versteigert, die auf der ISS gelagert worden ist (Spiegel 2021). Raumstation und Mondbasen als Veredler für Lebensmittel? Oder gar als Produzent exotischer Gemüsesorten? Das All wird als »Space Market« ausgelotet (Tkatchoba 2017). Wer jetzt mit Unmöglichkeitsprognosen kontert, unterschätzt den Möglichkeitsraum: »In short, imagination is not to be trifled with, but constitutes a real force with real-life consequences« (Dick 2012: 35). Auch diese Idee wird bei weitem nicht die letzte sein. Wir können heute allenfalls erahnen, welche Geschäftsmodelle uns das All noch eröffnen wird. Selbstverständlich wird die staatliche Raumfahrt durch die zunehmende private Konkurrenz nicht automatisch zu einem Auslaufmodell, sondern vielmehr zu einem Partner und Auftraggeber, zu einem Koordinator unterschiedlicher Technologien und Interessen, insbesondere jener der Wissenschaft. Sie wird sich jedoch an die neuen Regeln und vor allem Preise anpassen müssen, will sie weiterhin zu den maßgeblichen Playern gehören. Denn die private Raumfahrt wird die Entwicklungszeiten beschleunigen und die Preise weiter senken. »Einfacher, schneller, billiger«, fasst Schneider das Credo des NewSpace zusammen (Schneider 2018: 214). Die private Raumfahrt wird die Transportkosten ins All bestimmen, sie wird eigene Ziele jenseits der wissenschaftlichen Erforschung des Alls definieren und umsetzen, die Forschungsergebnisse jedoch auch nutzen, ganz wie auf der Erde. Längst gewinnen die Szenarien von Mondbasen und bemannten Marsflügen an Schärfe, längst werden von Staaten und Investoren die entsprechenden Weichen gestellt (Sivolella 2019, Woodward 2020, Schräer 2021). Diese auch und gerade von den NewSpace-Unternehmen forcierte Entwicklung der Raumfahrt als »Eskapismusphantasmen« und »private Expansionsträume«

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einiger Milliardäre zu bezeichnen, wie Alexander Geppert dies tut, kann in diesem Kontext indes nicht nachvollzogen werden (Geppert 2019). Gleiches gilt für die These von Daniel Brandau und Tilmann Siebeneicher, bei der ISS handele es sich um ein »nostalgisches Relikt« der »Idee der bemannten Raumfahrt« (Brandau/Siebeneicher 2020: 132). Beide Autoren sehen im Space Age wie im Astrofuturismus »ein historisch kontingentes Phänomen des Kalten Krieges«, eine letzten Endes zufallsbasierte Besonderheit, die nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion weitgehend verschwunden sei (Brandau/Siebeneicher 2020: 122). Später räumen die Autoren zwar ein, dass der Astrofuturismus als soziales und kulturelles Phänomen den Kalten Krieg wohl doch irgendwie überdauert hat, sprechen ihm jedoch jegliche visionäre Potenz und Zukunftsrelevanz ab. Astrofuturismus und Space Age werden weder als soziokulturelle Kontinuitäten gesehen, noch als Lieferanten von Portents im Sinne von Bernard Mayo identifiziert, also als Vorzeichen möglicher Zukünfte (Mayo 1966: 290), sondern, wie bereits aufgezeigt, als Relikt der Vergangenheit, als Anachronismus: »Tatsächlich zählen astrofuturistische Visionen des 20. Jahrhunderts auch weiterhin zum Alltag des frühen 21. Jahrhunderts, weniger jedoch als wegweisende Orientierungen denn als nostalgische Erinnerungen« (Brandau/Siebeneicher 2020: 133). Die bekannten Visionen seien unter dem Begriff des »Retrofuturismus« zu verorten und als eine reine »Marktstrategie« zu verstehen (Brandau/Siebeneicher 2020: 133). Diese wiederum lasse den Schluss zu, »dass eine utopische Zukunft in den Sternen in unserer Gegenwart sehr viel unkonkreter und unabsehbarer erscheint als noch während des Kalten Krieges« (Brandau/Siebeneicher 2020: 133). Ganz abgesehen davon, dass eine verzeitlichte Utopie eine »Projektion des Hypothetisch-Möglichen« darstellt, eine »kontrafaktische Antizipation des Zukünftigen«, der das Konkrete und Absehbare als gattungsspezifisches Merkmal gar nicht anhaftet, sind die Pläne der Raumfahrtagenturen und der NewSpace-Unternehmen durchaus konkret und absehbar (Voßkamp 1985: 6, Tkatchova 2017, Pyle 2019: 245ff., Pelton 2019). Der amerikanische Raumfahrthistoriker Rod Pyle kommt denn auch zu einem ganz anderen Urteil über NewSpace als Brandau und Siebeneicher: »Space 2.0 is upon us. Our adventure in the universe beyond our earth is just beginning« (Pyle 2019: 261). Bei Musk, Branson und Bezos jedenfalls handelt es sich nicht um verwirrte Solitäre, sondern lediglich um außergewöhnlich finanzstarke Akteure, die keineswegs außerhalb der aufgezeigten Entwicklung stehen, sondern in diese umfassend integriert und aus dieser hervorgegangen sind. Dass sich et-

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wa Musk auf Science-Fiction-Romane als Inspirationsquelle für seine Raumfahrtambitionen beruft, stellt keinesfalls einen Widerspruch zu seinen ökonomischen Ambitionen dar. Vielmehr belegen seine Verweise auf Zukunftsbilder aus der Science-Fiction die kulturelle und historische Kontinuität des Space Age und des Astrofuturismus (Vance 2015). Musk gibt The Hitchhikerʼs Guide to the Galaxy von Douglas Adams als maßgeblichen Einfluss an und bekennt sich damit zu eben jener auch astrokulturell und astrofuturistisch geprägten Kontinuität, die wiederum ein gesellschaftliches Phänomen darstellt (Wood 2015). Jeff Bezos lässt sich hingegen von Autoren wie Robert Heinlein und Isaac Asimov inspirieren, vor allem jedoch von Star Trek (Wired 2019). Im Kinofilm Star Trek Beyond wirkt Bezos sogar mit und verkörpert einen außerirdischen Sternenflottenvertreter (Savall 2016). Zurecht schreibt daher Roman Pletter in der ZEIT angesichts von Bezosʼ Raumflug: »Science-Fiction-Ideen hat er wahr werden lassen« (Pletter 2021: 1). Den drei Milliardären soll hier keineswegs das Wort geredet werden; sie stehen lediglich exemplarisch für NewSpace als dessen bekannteste Protagonisten. Und NewSpace perpetuiert lediglich einen Expansions- und Transformationsprozess, der mit Jules Vernes Von der Erde zum Mond seinen initialisierenden Impuls erhalten hat.

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Frauen in der Science-Fiction – immer noch lost in Space? Die Wechselwirkung von Raumfahrtdiskursen zwischen Gesellschaft, Gender und Science-Fiction in Film und Fernsehserien Hannah Fleßner »Itʼs a warm July night in 1969, and millions of Americans sit before their television sets, with a gleam of hope and a beer can in hand, awaiting the arrival of history. There, on the small screen oft he living room console, a man steps out of his large white spaceship and onto a crater-covered surface. […] This is Apollo 11, the mission to the moon, the realization of a decade-long American dream, the biggest crowd pleaser in television memory.« Lynn Spiegel, 1991

1. Amerika hat es schließlich geschafft. 1969 gelingt es den USA, das Space Race mit der Sowjetunion für sich zu entscheiden. John F. Kennedy hat sein Versprechen vom 25 Mai 1961 gehalten: »We choose to go to the Moon.« Und das noch innerhalb des laufenden Jahrzehnts. Die Apollo 11-Mission macht es möglich, dass Neil Armstrong, Edwin »Buzz« Aldrin und Michael Collins tatsächlich zum Mond fliegen, die amerikanische Flagge in den extraterrestrischen Boden rammen und wohlbehalten wieder zurückkehren – und das

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vor globalem Publikum. Dieses historische Ereignis hat einen enormen Einfluss, nicht nur für die Raumfahrt, sondern auch und vor allem für die (USamerikanische) Gesellschaft. Als Bindeglied zwischen diesen beiden Polen – Raumfahrt und Gesellschaft – erweisen sich hierbei die Massenmedien, allen voran das Fernsehen, das es nicht nur den Amerikanern, sondern der ganzen medial angeschlossenen Welt ermöglicht, mit Neil Armstrong den »step for menkind« auf den Mondboden zu wagen. Drei Astronauten, viele Fernseher und keine Frau. Nicht ganz. Beim Start der Saturn V-Rakete befindet sich unter den nervös dreinblickenden Männern an den Kontrollmonitoren eine einzige Frau: JoAnn Morgan (Geboren 1940 in Huntsville, Alabama), damals »Senior ingeneer«, verfolgt als einzige Frau im sogenannten »Firing Room« im Kennedy Space Center die Apollo 11-Mission (Deutsches Patent- und Markenamt 2021). JoAnn Morgans erfolgreiche Teilnahme ist hart erkämpft und ein prägnantes Beispiel dafür, wie schwer es amerikanische Frauen in den 60er und 70er Jahren haben, einen Fuß auch nur in die Nähe von Raketen setzen zu können. Dass Frauen in der maskulin dominierten Raumfahrt keinen Platz haben, ist sogar in der Architektur des Space Centers manifest. Dort gibt es in den relevanten Gebäudeteilen nicht einmal eine Damentoilette (Hannoversche Allgemeine 2019). In der Sowjetunion hingegen betrachtet man die Gleichstellung im All aus sozialistischer Perspektive und setzt alles daran, auch bei der ersten Frau das Space Race zu gewinnen. Bereits 1963, gut zwei Jahre nach Gagarins Flug, wird die Kosmonautin Valentina Tereschkowa (geb. 1937) in die unendlichen Weiten geschickt (Buedeler 1999: 420). Während die gelernte Näherin inzwischen als Nationalheldin gefeiert wird, muss sich die erste US-amerikanische Astronautin Sally Ride (19512012), die 1983 zu ihrem ersten Flug startet, noch gegen massive Vorurteile bezüglich ihres Geschlechts durchsetzen. In einem Interview darf sich die junge Astrophysikerin Fragen über die mögliche Anzahl an Tampons anhören, die sie im All benötigen wird. Vor der medialen Öffentlichkeit sieht sie sich damit einer diskreditierenden Neugier ausgesetzt, die mit Ervin Goffman als eine jener »Invasionen des Privaten« beschrieben werden müssen, die den Betroffenen das Gefühl geben, »ausgesetzt zu sein« (Goffman 1967: 26). Das Geschlecht der Astronautin wird Anlass, sie zu stigmatisieren. Ihre Alltauglichkeit wurde folglich aufgrund ihrer Weiblichkeit grundsätzlich in Frage gestellt:

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»Among questions about her training, she was also asked questions about how space was going to affect her ability to reproduce, and what kind of makeup she was going to take on the mission.« (Anderson 2018) Diese und andere Fragen, müssen sich weibliche Astronautinnen auch heute noch in der Öffentlichkeit stellen. Solche diskriminierenden Fragen sorgen in vielen Fällen dafür, dass die Frauen in diesem Kontext lange Zeit ignoriert wurden. Dafür sorgten diverse Vorurteile wie angebliche geringere physische oder kognitive Leistungen. Die Frau musste sich ihr Geschlecht somit als Mangel anrechnen lassen. Wie lang und beschwerlich der Weg für Frauen bis zu einem Einsatz im All war, zeigt das Beispiel der NASA, die in den 1960er Jahren ausschließlich Männer für die Raumfahrt einsetzte: »In the early 1960s, when the first groups of astronauts were selected, NASA didnʼt think to look at the qualified female pilots who were available. Instead, the agency focused on test and fighter pilots, roles that were denied to women, no matter how well they could fly. As a consequence, the U.S. didnʼt fly women in space until the 1980s, while the Russians flew their first female astronaut in 1962.« (Greene 2020) 1961 bestand die Pilotin Jerrie Cobb als erste Frau den Astronautentest. Insgesamt 13 Frauen bestanden die anstrengenden körperlichen Tests und wurden als Mercury 13 bekannt. Aber die NASA hatte bereits ihre Mercury 7-Astronauten, alle Jet-Testpiloten und Militärs (Dunn 2019).1 Zu den 13 Anwärterinnen gehört auch Wally Funk, die Zeit ihres Lebens gehofft hat, eines Tages doch noch ins All zu fliegen. Am 1. Juli 2021 wurde schließlich vom USamerikanischen Raumfahrtunternehmen Blue Origin bekannt gegeben, dass Jeff Bezos Wally Funk mit an Bord seines ersten Raumflugs nehmen wird. 19 Tage später erreichte Wally Funk während des rund zehnminütigen Flugs mit der New Shepard-Rakete eine Höhe von 106 Kilometern. Sie wurde somit zur ältesten Astronautin der Welt und brach den Rekord von John Glenn (1921-2016), der 1998 im Alter von 77 Jahren mit der Raumfähre Discovery ins All geflogen war (BBC 2021). Die USA sind aber auch noch in den 1980er Jahren einen riesigen »step for gender equality« entfernt. In der Science-Fiction-Literatur wie im Science-

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Bei dem Mercury-Programm handelt es sich um das erste bemannte Raumfahrtprogramm der Vereinigten Staaten in der Zeit von 1958 bis 1963. Ziel war es, einen Astronauten in einen Orbit um die Erde zu bringen.

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Fiction-Film oder -Serien zählen zu diesem Zeitpunkt Raumfahrt-Missionen für Frauen längst zum Alltag. Welche Wechselwirkungen und Feedbackschleifen zwischen Realität und Medien entstehen können und wie sich das Bild der Frau sowohl in der Science-Fiction als auch in der Raumfahrt geändert hat, wird im Folgenden intensiver beleuchtet.

2. Die Wechselwirkung zwischen realen historischen Ereignissen und den Medien tritt vor allem in der Zeit des Space Race vielfach in Erscheinung. 1960 gibt John F. Kennedy (1917-1963) seine Kandidatur als Präsident der USA bekannt. Es ist der erste Wahlkampf, der im Fernsehen übertragen wird und damit erstmalig von einem Großteil der Bevölkerung medial verfolgt werden kann. Als Kennedy schließlich als 35. amerikanischer Präsident am 12. September 1962 seine berühmte Rede im Rice Stadium in Houston, Texas hält, löst seine Ankündigung ein großes Medienecho aus und führt zur Übernahme eben dieser Ankündigung durch die Medien selbst: »In this general programming context, the space race became a privileged focus on attention. Documentary formats found space travel to be particulary compelling subject on inquiry, and news teams eagerly covered rocket launchings throughout the decade. Here, the political agenda of Kennedyʼs New Frontier and the networkʼs search for cultural validity merged harmoniously. Kennedyʼs promise to land on the moon before the end of the decade became televisionʼs promise as well.« (Spiegel 1991: 212) Doch nicht nur gezielte Berichterstattungen und Dokumentationsformate schaffen es in das amerikanische Fernsehprogramm, auch diverse neue Serien, beginnen sich in dieser Zeit zu etablieren. Bewitched (1964-1972), I Dream of Jeannie (1965-1970), The Jetsons (1962-1963), Star Trek (1966-1969) oder Lost in Space (1965-1968) beamen, wenn man so will, das Space Age in die Wohnzimmer der Menschen. Bei all diesen Serien handelt es sich oft um Genrehybride, die alltägliche Familienthemen mit fantastischen Elementen und interstellaren Settings kombinieren. Unter dem Deckmantel der täglichen Vorabend-Komödie spricht der Inhalt jedoch auch soziale Missstände an und verpackt geschickt mitunter vehemente Kritik an konservativen gesellschaftlichen Zuständen. Besonders die Rolle der Frau profitiert von den neuen Formaten, extrapoliert aber gleichzeitig auch die angespannte Si-

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tuation zwischen den Geschlechtern und ihren vermeintlich klar definierten Rollen. Diese werden zusehends medial und gesellschaftlich aufgebrochen: »If the space race provided a critique of gender in fictional forms, it also gave voice to feminist views in the culture at large. […] However, the domestic situation comedy was, by its very nature, predicated on the gender conflicts of the American family, and in the 1960s hybrid version, these conflicts were augmented by the fantastic scenarios of space-age situations.« (Spiegel 1991: 222f.) In den 60er Jahren schlagen mehr Frauen in den USA als je zuvor eine berufliche Laufbahn ein, was gleichzeitig zu einer immensen Unzufriedenheit führt. Dies liegt insbesondere an den enormen geschlechtsspezifischen Unterschieden bezüglich der Aufstiegsmöglichkeiten und der prägnanten Gender-PayGap, dem Lohngefälle zwischen Mann und Frau. Hinzu kommen Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen, sowie sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz.

3. Doch nicht nur auf wirtschaftlicher und beruflicher Ebene ereignen sich gesellschaftliche Umbrüche, auch andere tiefgreifende kulturelle Veränderungen finden in der amerikanischen Gesellschaft statt (Walsh 2010). Seit den 1920er Jahren wird immer wieder nach einer Möglichkeit gesucht, hormonell zu verhüten. Den ersten entscheidenden Schritt seitens der Wissenschaft macht der österreichische Psychologe Ludwig Haberlandt (1885-1932). Er beweist 1919 mittels eines Tierversuchs, dass durch eine Schwangerschaft ein Heranreifen von weiteren Eizellen nicht möglich ist. Folglich ist das Resultat dieser Studien, dass eine mögliche Blockierung der Reifung zusätzlicher Eizellen durch den gezielten Einsatz von Hormonen zu einer Empfängnisverhütung führt. Haberlandts Forschungen bleiben jedoch aufgrund fehlender Entwicklungen im Bereich der Pharmazie und auf dem Gebiet wissenschaftlich angewandter Technik zunächst ohne weitere Folgen. Zudem leistet die Kirche vehementen Widerstand (Janz 2019). 1938 gelingt es schließlich einigen Wissenschaftlern des deutschen Chemie-Konzerns Schering, den Grundstoff für die spätere Entwicklung der Pille zu finden: Ethinylestradiol. Es handelt sich dabei um einen synthetischen Arzneistoff aus der Gruppe der Östrogene. Bis

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heute ist Ethinylestradiol das effektivste Östrogen bei einer oralen Einnahme (Der Spiegel 2006). Nun ist es möglich, Östrogen künstlich herzustellen, doch die orale Wirksamkeit ist stark limitiert. Zusätzlich benötigt man zur Herstellung immer noch Östrogen von Menschen oder Tieren. Dieser Umstand hält das pharmazeutische Ergebnis nicht nur gering, sondern macht die gesamte Produktion zu einem kostspieligen Verfahren. In den 1940er Jahren beschäftigt sich der US-amerikanische Chemiker Russel M. Marker mit der Erforschung und Untersuchung der ursprünglich aus Mexiko stammenden Jamswurzel. Diese bilden schließlich die endgültige Forschungsgrundlage für eine industriell finanzierbare Herstellung von Steroidhormonen. Dem Chemiker Carl Djerassi (1923-2015) gelingt es schließlich 1951, durch die Forschungsergebnisse von Marker einen Abkömmling des weiblichen Schwangerschaftshormons zu synthetisieren (Janz 2019). Betrachtet man die Vita von Djerassi genauer, so findet sich wiederum eine bedeutsame Fußnote der Geschichte. Der gelernte Chemiker wird in späteren Jahren zum Science-Fiction-Autor. Um wissenschaftliche Inhalte unterhaltsam einer breiten Masse präsentieren zu können, entwickelt er sogar ein neues Genre: »In recent years, Djerassi has taken a somewhat sneaky approach to informing the public about science, including assisted reproductive technologies. Writing novels and plays in a genre he calls ›science-in-fiction‹ – not to be confused with the often unrealistic portrayal of science and scientists in science fiction – Djerassi has been doing his part to bridge the gap between scientific and nonscientific cultures posited by C.P. Snow.« (Levy 2000) Die Forschungsergebnisse sprechen für sich, doch muss die Entwicklung zunächst finanziert und angestoßen werden. Diesen entscheidenden Schritt machen schließlich die beiden Frauenrechtlerinnen Katharine Dexter McCormick (1857-1967) und Margaret Sanger (1879-1966). Letztere arbeitet als Krankenschwester und bekommt tagtäglich bei ihrer Arbeit die Folgen von einem fehlenden Verhütungsmittel drastisch vor Augen geführt. Fehlgeburten, heimliche Abtreibungen und verpfuschte Operationen sind die Folgen. Margaret Sanger kommentiert das Schicksal ihrer Generation von Frauen und beschreibt dabei auf drastische Weise deren psychische und körperlichen Leiden: »Es sind die Bataillone ungewünschter Babys, die das Leben für die Arbeiterfrauen so hart machen und sie von Generation zu Generation in Stress und

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Armut halten«, wird Sanger später in ihrer Autobiografie schreiben. »Frauen, deren müde, schwangere Körper sich weigerten, den Wünschen ihrer Ehemänner zu Diensten zu sein, mussten zusehen, wie diese Ehemänner ihre lüsternen Blicke auf andere Frauen warfen, manchmal auch auf ihre eigenen Töchter, die sechs oder sieben Jahre alt waren. Die Bedrohung einer weiteren Schwangerschaft hing wie ein Damoklesschwert über dem Kopf einer jeden Frau, mit der ich in Kontakt kam. Und die Frage, die sie mir stellten, war immer die gleiche: ›Was kann ich tun, um es zu verhindern?‹« (Chantal/Sanger 2018) Auch Katharine McCormick hat ihre Beweggründe, eine Möglichkeit zur Empfängnisverhütung zu finden. Sie ist Vizepräsidentin der National American Suffrage Association und studierte Biologie am Massachusetts Institute of Technology (MIT). Die vermögende Frau hat einen an Schizophrenie erkrankten Mann; da die Krankheit erblich ist, will das Paar auf keinen Fall eigene Kinder bekommen. Die beiden Frauen lernen sich in Boston kennen, und gemeinsam bringen sie die entscheidenden Steine ins Rollen, die zur Entwicklung und öffentlichen Verbreitung der Pille führt (Louis 2020). Als Sanger 1951 den Endokrinologen Gregory Pincus kennenlernt, ist es nur noch eine Frage der Zeit. McCormick finanziert aus ihrem Vermögen die benötigten zwei Millionen Dollar Forschungsgeld für Pincus, und nach einigen Jahren gelingt tatsächlich die Herstellung eines hormonellen Verhütungsmittels. Es folgen klinische Tests in Haiti und in Puerto Rico. 1957 erhält Envoid, so der Name des »Medikaments«, zunächst als Mittel gegen Menstruationsschmerzen ausgewiesen, die Zulassung. Es dauert weitere drei Jahre, bis die Pille schließlich offiziell als Verhütungsmittel auf dem Markt deklariert wird (Bundeszentrale für politische Bildung 2015). Aus diesem Grund kommt es unter anderem zu einem tiefgreifenden Wandel in den amerikanischen Schlafzimmern. Gegen Ende der sechziger Jahre setzen bereits über 80 Prozent der Frauen im gebärfähigen Alter das neue Verhütungsmittel ein. Dieser Umstand befreit viele Frauen von ungewollten Schwangerschaften und gibt ihnen bislang ungeahnte individuelle Freiheiten (Walsh 2010).

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4. Diese zunächst pharmazeutische und anschließend gesellschaftliche Entwicklung bleibt nicht ohne Folgen für die Darstellung der Frau und ihrer Rolle in der Science-Fiction. Parallel zur sozialen Entwicklung hat auch die Emanzipation der Frau in der Science-Fiction mit verschiedenen Widerständen zu kämpfen, von denen einige so alt sind wie das griechische Drama und deren Rollenschemata, vor allem, was den männlichen Helden betrifft. Bereits der antike Held Perseus errettet Andromeda, da diese dem Meeresgott Poseidon geopfert werden soll. Der männliche Held kämpft und stirbt, während die Frau entweder gerettet wird oder zurückbleibt, wenn der Mann zu einem Abenteuer aufbricht. Die Frau ist lediglich unterstützendes Element der Geschichten und Sagen. Ihr obliegt es, Haus und Hof instand zu halten und damit die Basis des Helden aus sicherer Entfernung heraus zu sichern (Sennewald 2003: 54f.). Folglich stellt eine Heroine eine Art Umprogrammierung eines konservativen, seit Jahrtausenden bestehenden Regelwerkes dar: »Die Machtverhältnisse zwischen den Geschlechtern sind, wie gezeigt, in narrative Regeln fest eingeschrieben. Das heißt, dass eine weibliche Heldenfigur, die andere rettet, eine sehr lang tradierte narrative Konvention bricht.« (Sennewald 2003: 55) Während auch noch im 19. Jahrhundert die Frau auf der Bühne einem starren Rollenbild zu entsprechen hat und mit Attributen wie Schwäche, Passivität und emotionaler Verletzlichkeit versehen wird, entwickelt sich die Rolle der Frau im 20. Jahrhundert zusehends vom charmanten Sidekick zur selbstbestimmten Heroine, was auch für den Science-Fiction-Film gilt (Clute 1989: 84 f). In den Filmen Metropolis (D 1927), Forbidden Planet (USA 1956) und Planet Ot The Apes (USA 1968) treten die weiblichen Protagonisten ausschließlich als von Männern begehrte Nebenfiguren in Erscheinung: »Women appear mostly as supporting characters, enhancing the male heroʼs central status in the narrative« (Kac-Vergne 2016: 1). Doch nicht nur in Filmen, auch in diversen Serien wird die zunehmende charakterliche Umkonnotierung der Frau vollzogen. Zunächst noch unter der Tarnkappe traditioneller optischer Merkmale. Das konservative Auftreten der Frau dient jedoch lediglich dazu, dem männlichen Blick das zu geben, nachdem sein Weltbild verlangt:

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»By posing as super-feminine types, these women were able to minimize anxiety about the negative reactions they anticipted from male associates. In the 1960s television version, powerful female charakters were shown to threaten gender expectations of the patriarchal world; their masquerade as ideal housewives might well have alleviated audience tensions about the changing role of women at the time.« (Spiegel 1991: 224) In den Serien I Dream of Jeannie und Bewitched erscheinen sowohl der Flaschengeist Jeannie als auch die Hexe Samantha als primär dekorative Objekte männlicher Begierde. Besonders Samantha entspricht optisch den Idealen einer perfekten Hausfrau.2 Doch beide Frauenfiguren verfügen über enorme Kräfte und magische Fähigkeiten, die sie trotz der Reglementierungen ihrer Männer immer wieder einsetzen und demonstrativ vorführen. Zugleich demonstrieren Jeannie und Samantha den Machtverlust der Männer. Doch nicht allein das Frauenbild in Serien mit einem irdischen Setting ist einem Wandel unterzogen, auch die Serien, die explizit der Kultur des Space Age zuzurechnen sind, weisen in den 60er Jahren der Frau neue Positionen zu. Als eines der prägnantesten Beispiele ist in diesem Kontext sicherlich die Serie Star Trek (USA 1966-1969). Nach anfänglichen Akzeptanzproblemen bei Sendern und dem Publikum entwickelt sich Star Trek zur wohl einflussreichsten Science-Fiction-Serie der USA und der Welt: »In September 8, 1966 at 8:30 PM on NBC, America received its first glimpse of what was to become a legend. Star Trek made its debut that night, and Amerika was never be the same.« (Snyder 1995:1) Die Serie begleitet bekanntlich die Besatzung des Raumschiffes Enterprise bei ihren Missionen in den unendlichen Weiten des Alls. Historisch ist die Handlung im 23. Jahrhundert situiert; die Menschheit hat sich gewandelt und Kriege und Materialismus auf der Erde hinter sich gelassen. Stattdessen erkunden die Menschen mit ihren interstellaren Verbündeten fremde Planeten und sind bemüht, diplomatische Beziehungen zu knüpfen und zu stärken. Konflikte mit Aliens und intelligenten Maschinen sorgen für Abwechslung. Somit folgt die Serie den gattungsspezifischen Merkmalen und Handlungsmustern der Space Opera, einem beliebten Subgenre der Science-Fiction (Alpers et al. 1988: 56ff).

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Samantha ist blond, gutaussehend und trägt diverse elegante Kleider und Blusen.

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Außergewöhnlich und jenseits der vertrauten Muster ist hingegen die Zusammensetzung der Offiziere, die von der Brücke aus die Missionen dirigieren. In vergleichbaren TV-Serien, etwa The Time Tunnel (USA 1966-1967), The Invaders (USA 1967-1968) oder UFO (GB 1970-1971), dominieren weiße Männer nach wie vor die Kommandozentralen und treffen die Entscheidungen, während Frauen die (dekorativen) Nebenrollen zukommen (Der Spiegel 1971). In diesem Kontext mutet die multikulturell zusammengesetzte Offizierscrew der Enterprise geradezu utopisch an und spiegelt die Funktion des Einwanderungslandes USA als Melting Pot wider (Dorschner 2003). Dieser Melting Pot dient auch dem Erfinder der Serie, Gene Roddenberry (1921-1991), als Vorbild für eine erstrebenswerte Gesellschaftsordnung, wie Ingrid Weber erläutert: »Die Classic-Serie, mit der das Raumschiff Enterprise in den sechziger Jahren erstmals auf die Reise ging, präsentiert eine Besatzung, die auf den ersten Blick als eine Verkörperung der amerikanischen melting-pot-Metapher erscheint: unter dem Kommando des als new frontiersman auftretenden amerikanischen Captain Kirk bestimmen der Südstaatenamerikaner Dr. McCoy, der schottische Ingenieur Mr. Scott, der asiatische Navigator Lieutenant Sulu, der russische Fähnrich Chekov und die Schwarzamerikanerin Lieutenant Uhura über die Geschicke des Raumschiffs und seiner Crew. Die eigentliche Ausnahmeerscheinung stellt der erste Offizier Mr. Spock da, der nur zur Hälfte terranischer Herkunft ist.« (Weber 2000: 145) Eine schwarze Frau, die den Rang eines Lieutenants bekleidet und als vollwertiges Crewmitglied auf der Kommandobrücke agiert, ist bis dato undenkbar im US-amerikanischen Fernsehen: »Lieutenant Uhura, weiblich und schwarz, verkörpert gleich zwei verunglimpfte Gruppierungen. Sie ist zwar noch kein Captain, aber sie hat schon ihren Platz auf der Brücke« (Clute 1989: 85). Obwohl der Civil Rights Act 1964 von Präsident Lyndon B. Johnson (19081973) unterschrieben wird und eine Diskriminierung bezüglich Herkunft, Hautfarbe, Religion Geschlecht oder Rasse von nun an untersagt ist, besteht dieses Bürgerrechtsgesetz faktisch nur auf dem Papier. Nyota Uhura ist folglich die Repräsentation zweier sozialer Randgruppen, die sich zwischen den männlichen Crewmitgliedern absolut souverän bewegt. Wie viel Wert auf die konkrete Darstellung der Uhura in der Serie gelegt wurde, berichtet Schauspielerin Nichelle Nichols, die eng mit Gene Roddenberry an der Ausarbeitung der Rolle zusammenarbeitete:

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»Der Biographie zufolge, die Gene und ich für meinen Charakter entwickelten, war Uhura weit mehr als eine Telefonistin. Als Kommunikationsoffizier befehligte sie ein zumeist unsichtbares Korps aus Kommunikationstechnikern, Linguisten und anderen Spezialisten, die in den Eingeweiden der Enterprise in der ›Kommunikationszentrale‹ arbeiteten. Sie ist Diplomlinguistikerin, hat die Starfleet-Akademie mit Auszeichnung abgeschlossen« (Nichols 1997: 162). Allein dieser biographische Hintergrund verdeutlicht, dass Nichelle Nichols keine tradierte Science-Fiction-Nebenfigur verkörpert, die von dem typischen »Conquering Hero« aus der klassischen Space Opera vor einem Weltraummonster gerettet werden muss, da sie selbst dazu unfähig ist (Hill 1978: 41). Im Gegenteil, Uhura ist eine starke weibliche Figur, die mit dem Phaser umgehen kann und fit im Bereich STEM (Science, Technology, Engineering, Mathematics) ist. Die Ausstattung dieser Frauenrolle mit bis dato überwiegend maskulinen Fähigkeiten und Attributen ist entscheidend für die Entwicklung von nachfolgenden weiblichen Crewmitgliedern und Captains an Bord von Raumschiffen: »Die Frau, die Technik beherrscht und Vernunft repräsentiert, stellt gegenüber dem dualistischen Schema, das beides dem Mann zuordnet, bereits eine Neuformulierung von Geschlecht dar« (Schleicher 2003: 13). Doch diese Fähigkeiten sind nur ein Teil ihrer fiktiven Persönlichkeit – sie spricht etwa fließend Suaheli und absolviert den Hundert-Meter-Lauf in Rekordzeit. Und dennoch, all diese Charakteristika zum Trotz gibt es keine einzige Episode, die sich gezielt auf Uhura konzentriert (Reich-Shackelford 2016). Nichelle Nichols hat es zudem äußerst schwer am Set der Serie. Oft bekommt Uhura nur wenig Text und nimmt in vielen Fällen eine eher passive Rolle an Bord des Schiffes ein: »Während die männlichen Crewmitglieder minutenlang Pläne auf der Brücke schmieden, sitzt Uhura stumm außerhalb des Bildausschnittes. Szenen, in denen sie mehr auftaucht, wurden häufig vor dem Dreh gestrichen. Fanpost wurde nicht an sie weitergeleitet.« (Puschnig 2016) Bereits nachdem die erste Staffel von Star Trek abgedreht ist, will Nichols kündigen und die Serie verlassen. Doch eine bedeutsame Begegnung mit einem außergewöhnlichen Fan, soll die frustrierte Schauspielerin und Sängerin umstimmen. Nicholls beschreibt in späteren Jahren in einem Interview in der Washington Post, wie dieses Treffen ihre Meinung änderte:

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»On Saturday night, I went to an NAACP fundraiser, I believe it was, in Beverly Hills. And one of the promoters came over to me and said, Ms. Nichols, thereʼs someone who would like to meet you. He says he is your greatest fan. And Iʼm thinking a Trekker, you know. And I turn, and before I could get up, I looked across the way and there was the face of Dr. Martin Luther King smiling at me and walking toward me. And he started laughing. By the time he reached me, he said, yes, Ms. Nichols, I am your greatest fan. I am that Trekkie.« (Nichelle Nichols, zit.n. Ohlheiser 2015) Martin Luther King überzeugt die junge Schauspielerin davon, dass Ihre Rolle mehr ist, als nur die einer Frau an Bord eines Raumschiffs. Dr. King unterstreicht Uhuras Bedeutung, da sie eine Rolle verkörpert, welche in keiner Weise stereotyp ist. Dieser Charakter vereint Intelligenz, Selbstbewusstsein und Schönheit. Dadurch ist Uhura ihren Kollegen gegenüber ebenbürtig, ist nicht nur für die schwarze Bevölkerung von Bedeutung, sondern für die gesamte Welt des Fernsehens (Nichols 1997: 185). Schließlich macht Nichols weiter und dreht in der dritten Staffel von Star Trek eine Episode, die für enormes Aufsehen im amerikanischen Fernsehen sorgt. In Platos Stepchildren (Staffel 3, Folge 10) kommt es nämlich zum Kuss zwischen Uhura und Captain Kirk. In dieser Folge empfängt die Crew der Enterprise Notrufe von einem ihr unbekannten Planeten. Das Sonderbare daran: Er scheint unbewohnt zu sein. Als Kirk mit Spock und Dr. McCoy beschießen, sich auf die Oberfläche des Planeten beamen zu lassen, treffen sie auf die Bewohner, welche sich selbst als Platonier bezeichnen und in einer Art römischfuturistischer, antiker Gesellschaftsordnung leben. Die drei Männer werden Parmen, dem Oberhaupt der Platonier, vorgestellt. Dieser ist lebensbedrohlich erkrankt und benötigt Dr. McCoys ärztliche Betreuung. Als dieser Parmen untersucht, stellt er immense mentale Kräfte bei ihm fest, was auch auf die anderen Bewohner des Planeten zutrifft (es gibt nur eine Ausnahme: Den von allen unterdrückten, kleinwüchsigen Alexander). Die Bewohner verfügen über telekinetische Fähigkeiten und können sogar die Körper »gewöhnlicher« Menschen kontrollieren. Parmers Zustand verschlechtert sich jedoch rapide, was schließlich dazu führt, dass er allmählich die Kontrolle über seine Kräfte verliert. Sämtliche Gegenstände in seinen Räumlichkeiten schweben umher und auch die Enterprise wird schließlich von seinen Kräften erfasst. So können Kirk und seine Begleiter nicht mehr zurückgebeamt werden und sitzen auf dem Planeten fest. Zudem werden nun Uhura und Schwester Chapel von den Bewohnern auf den Planeten teleportiert, um sie zur Unterhaltung zu

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kontrollieren. Kirk wird schließlich durch die mentalen Kräfte der Platonier gezwungen Uhura zu küssen. Dieser Filmkuss avanciert augenblicklich zu einem Skandal in der Fernsehöffentlichkeit. Mehrere Sender weigern sich, die Folge aufgrund dieser Szene auszustrahlen. Ingrid Weber verweist auf die gezielte Inszenierung des Kusses und weshalb er gleich auf mehreren Ebenen konnotativ aufgeladen ist: »Auf der Handlungsebene hat das Ereignis deshalb den Charakter des Unerhörten, weil ein Captain sich keinesfalls privat mit einem Mitglied seiner Mannschaft einlassen darf, auf der Publikumsebene wird das Unglaubliche des Dargestellten durch das Faktum des (fiktiven) Zwangs ebenfalls ›entschärft‹.« (Weber 2000: 148) Obwohl die Szene durch den Zwang der Platonier keine Liebesszene zwischen Kirk und Uhura darstellt, versuchte der Regisseur, eine Alternative zu drehen, welche den Kuss nicht explizit zeigen sollte. Um dies zu verhindern, sabotierte William Shatner (alias Captain Kirk) jede weitere Aufnahme, indem er Nichelle Nichols zum Lachen brachte. So musste schließlich aufgrund des begrenzten Budgets und des Zeitmangels die ursprüngliche Kussszene verwendet werden (Nichols 1997: 218 ff). In der Episode Mirror, Mirror (Staffel 2, Folge 4) wiederum zeigt Uhura aktiv, wie sie sich gegen einen körperlichen Übergriff eines Mannes erfolgreich zur Wehr setzt. In besagter Folge befindet sich die Besatzung der Enterprise auf dem Planeten Halkan. Captain Kirk, Dr. McCoy, Commander Scott und Lieutenant Uhura sollen über den Abbau von Dilithium verhandeln. Das friedliche Volk lehnt jedoch die Förderung ab, da es nicht möchte, dass das Dilithium für die falschen Zwecke missbraucht wird. Da Kirk den Bewohnern versichert, keine Gewalt anzuwenden, um in den Besitz des kostbaren Rohstoffes zu gelangen, verlässt er mit seinem Bodenteam den Planeten und lässt sich auf die Enterprise beamen. Allerdings kommt es zu einem Ionensturm, der dafür sorgt, dass Kirk und die anderen in ein Paralleluniversum transportiert werden. So gelangt dieser Teil der Crew zwar auf die Enterprise, doch dessen gespiegelte Besatzung ist machthungrig und extrem gewaltbereit. Hier besteht das Vorhaben, die Halkaner zu vernichten, um schnellstmöglich an das Dilithium zu gelangen. Inzwischen sind die Spiegelbilder von Kirk, McCoy, Uhura und Scott auf der anderen Enterprise angelangt. Damit der Captain mit den anderen wieder auf sein eigenes Schiff zurückkehren kann, müssen sie so lange »getarnt« als ihre bösartigen Pendants agieren. Scott versucht währenddessen, alle wieder

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zurück zu beamen. Um dafür die notwendige Energie mithilfe des Antriebssystems zu generieren, muss der Chefingenieur unbemerkt bleiben. Das gilt auch für den Alarm, der dabei ausgelöst wird. So erhält Uhura von Kirk den Auftrag, Sulu, welcher das Steuerpult überwacht, von dem dadurch ausgelösten Alarmsignal abzulenken. Uhura nutzt daher die Anziehung, welche sie auf den Spiegel-Sulu ausübt, für sich aus und becircet ihn, sich von dem Steuerpult abzuwenden. Als er ihr doch körperlich zu nahekommt, wehrt sich Uhura mit einer Ohrfeige und zeiht schließlich ein Messer aus ihrem Stiefelschaft. Erfolgreich kann sie sich gegen den aggressiv-lüsternen Steuermann verteidigen.

5. Doch obwohl Uhura in Star Trek als selbstbewusstes Teammitglied agiert, gibt es auch immer wieder Kritik an weiteren Frauenrollen in der Serie. In vielen Episoden sind traditionelle weibliche Charaktere zu sehen, die entweder nur knapp hinter dem zurückblieben, was ursprünglich vorgesehen war, oder die gängigen Rollenklischees entsprechen (Snyder 1995: 1). Folglich müssen Frauen in der Regel dann doch wieder von männlichen Besatzungsmitgliedern gerettet werden, nehmen eine Opferrolle ein oder werden zum reinen Sexobjekt degradiert. Erst ab den 1980er Jahren werden Frauen nicht mehr überwiegend als Sexualobjekt inszeniert, sondern zunehmend auch als autonom agierende Charaktere mit Kompetenzen, welche die Story aktiv vorantrieben (Kac-Vergne 2016: 2). Gerade die historischen Umbrüche in dieser Zeit verdeutlichen daher, welche Wechselwirkungen zwischen medialen Inhalten und realen Entwicklungen bestehen: »Their inclusion as active women with agency in the 1980s can be attributed to the impact of 1960s – 1970s Second Wave feminism, its criticism of media representations of women and demands for recognition and equality in the public sphere.« (Kac-Vergne 2016: 2) In dem Artikel Whoʼs Come a Long Way, Baby? im Time-Magazine vom 31. August 1970 wird aufgezeigt, worauf es der Frauenbewegung in dieser Zeit ankommt:

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»They want equal pay for equal work, and a chance at jobs traditionally reserved for men only. They seek nationwide abortion reform – ideally, free abortions on demand. They desire round-the-clock, state-supported childcare centers in order to cut the apron strings that confine mothers to unpaid domestic servitude at home. The most radical feminists want far more. Their eschatological aim is to topple the patriarchal system in which men by birthright control all of societyʼs levers of power – in government, industry, education, science, the arts.« (Time 1970) Gleiche Bezahlung für gleiche Arbeit, Kindertagesstätten, Abtreibungsreform. Die Frauen streben nicht nur in den USA eine Gleichstellung und Autonomie der Geschlechter an. Diese sozialen Diskurse spiegeln sich auch in der Science-Fiction. Neue, selbstständigere und stärkere Frauen spielen nun vermehrt in Filmen und Serien signifikante Rollen. Darunter sticht insbesondere die Figur der Ellen Ripley (Sigourney Weaver) in Alien aus dem Jahr 1979 deutlich hervor. Mit der Darstellung der dritten Offizierin an Bord des Raumfahrtkreuzers Nostromo, die sich inmitten einer Männerdomäne gegen ein kaltblütiges Alien durchsetzt, entsteht ein vollkommen anderes, neues Bild von einer Frau im Weltall: »This realistic depiction of a human being trying to survive under gruesome circumstances differs dramatically from other female characters in popular science fiction, who depend on strong, independent, and notably male characters.« (Christian 2017: 166) Während Uhura zwar Mitglied der Crew der Enterprise ist und sich ebenfalls verbal und physisch verteidigen kann, wird ihre Rolle doch mit erheblichen Limitierungen und weiterhin bestehenden Rollenmustern versehen, die in Alien (USA/GB 1979) bei der Inszenierung von Ripley nicht mehr existent sind. Alexander Christian sieht in Ripley einen expliziten Gegenentwurf zu Uhura und kritisiert deren Aufgabenspektrum an Bord des Schiffes: »Think, for example, of Lt. Uhura in Star Trek, who seems to be on telephone duty during her entire service on the Enterprise. Although a bridge officer, sheʼs depicted as little more than a space secretary whose job it is to answer urgent phone calls from Starfleet Headquarters in service to Kirk, an inveterate womanizer.« (Christian 2017: 166) Ein weiterer Unterschied liegt insbesondere in der Individualität. Sowohl Uhura als auch Ripley sind Teil einer Weltraum-Crew. Doch während Uhura

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in einigen Fällen zwischen den männlichen Crewmitgliedern verschwindet, agiert Ripley als Individuum und setzt ihre Meinung dementsprechend gegenüber ihren männlichen Kollegen durch. Deutlich wird dies in der Szene, als ein Teil der Crew auf dem Planeten Lv-426 landet, um dem vermeintlichen Notsignal eines Raumschiffes nachzugehen. Auf dem Schiff entdeckt Crewmitglied Kane riesige Eier und untersucht diese. Dabei öffnet sich solch ein Ei und attackiert den Mann. Das später als »Facehugger« bekannte Wesen umklammert nun das Gesicht von Kane, der bewusstlos geworden ist. Dallas kehrt zurück zum Schiff und bittet um Einlass für sich und sein Team, inklusive des attackierten Kane. Doch Ripley verweigert ihrem Captain den Zutritt zum Schiff und verweist auf die Quarantänevorschriften. Doch Ash, der Wissenschaftsoffizier, öffnet dennoch die Schleuse, sodass Kane auf die Krankenstation gebracht werden kann. Ripley konfrontiert ihn daraufhin mit der Befehlsverweigerung, als er sich um die Analyse des Facehuggers kümmert: ASH: Well itʼs an interesting combination of elements, making him a tough little son of a bitch. RIPLEY: And you let him in. ASH: I was obeying a direct order, donʼt you remember? RIPLEY: Ash, when Dallas and Kane are off the ship, I am senior officer. ASH: I must have forgotten. RIPLEY: You also forgot the science divisionʼs basic quarantine law. ASH: No, that I did not forget. RIPLEY: Ah, I see, you just broke it. Ripley benennt klar ihren Rang und ihre Position, die sie auf dem Schiff vertritt. Gegenüber Ash verweist sie konkret auf die Einhaltung der Vorschriften und lässt sich in dem Wortgefecht nicht zurückweisen. Mit ihrer rationalen, souveränen Art, ihrem Kampfgeist und ihrem Selbstbewusstsein in einer Männerdomäne avancierte die Figur der Ellen Ripley zu einer der einflussreichsten Heldinnen im Science-Fiction-Genre. Ursprünglich als männliche Figur konzipiert, bildet Ripley das Herz und die Seele der Alien-Reihe. Die Figur ist unter anderem ein Novum, da sie kein romantisches Interesse zu haben scheint. Stattdessen ist sie pragmatisch und stellt sich mit stählerner Entschlossenheit jedem Angriff des Aliens. Es ist Ripley, die die richtige Entscheidung trifft, indem sie sich weigert, den befallenen Kane auf das Schiff zu lassen (Brooks 2009).

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Ripley wurde somit zum Vorbild für viele weitere starke Frauencharaktere. Insbesondere in den 90er Jahren erlebte das Genre des Science-Fiction etliche autonome Protagonistinnen. Darunter Sarah Connor in Terminator 2: Judgment Day (USA 1991),3 Leeloo in Le Cinquième Élément (F 1997) oder der weibliche Cyborg Trinity aus der Matrix Trilogie (USA/AUS 1999-2003): Sie alle verfügen über eine enorme körperliche Fitness und können ebenso mit diversen Waffen umgehen wie ihre männlichen Kollegen. Aber auch in diversen Serien entwickelt sich die Heroine konstant weiter. Serien wie Terminator: The Sarah Connor Chronicles (USA 2008-2009), Buffy the Vampire Slayer (USA 19972003) oder Charmed (USA 1998-2006) stellen selbstbewusste, junge Frauen in den Fokus, die versiert den Kampf gegen böse Mächte antreten und nicht mehr auf maskulinen Beistand angewiesen sind: »Zwar bleibt es im Rahmen der Unterhaltungsfiktion, aber innerhalb dieses Rahmens entwickelt sich die Idee des technisch verbesserten Körpers von dem unheimlichen Gegner über den moralisch handelnden Superhelden zur fast alltäglichen Powerfrau.« (Spreen 2020:58)

6. Auch das Star Trek-Universum entwickelt sich zusehends weiter. Während Uhura noch als ein Mitglied der Besatzung zu sehen ist, bekommt die fünfte Serienauskoppelung nun einen weiblichen Captain. In Star Trek Voyager (USA 1993-2001) entfernt sich die Crew der US Voyager durch eine fremde Lebensform tausende von Lichtjahren von ihrer Heimat, in den sogenannten DeltaQuadranten. Captain Kathryn Janeway (Kate Mulgrew) setzt von nun an alles daran, sich und ihre Crew sicher wieder zur Erde zurückzubringen. Auch diese Frauenrolle zeichnet sich durch selbstbewusstes Handeln, Durchsetzungsvermögen und Schlagfertigkeit aus. Damit positioniert sich Captain Janeway in eine überaus machtvolle Heldenrolle:

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In The Terminator (USA 1984), dem ersten Teil der Reihe, ist Sarah Connor noch das unschuldige und hilflose Mädchen, dass von ihrem Begleiter Kyle Reese vor dem Terminator beschützt werden muss. Erst im zweiten Teil wird sie zu einer selbstbewussten jungen Frau, was auch auf optischer Ebene inszeniert wird. Während Sarah im ersten Teil noch Jeans, Turnschuhe und eine roséfarbene Lederjacke trägt, ist sie in Terminator 2: Judgment Day in engem weißen Top und Sonnenbrille gekleidet. Außerdem wird gezeigt, dass sie regelmäßig trainiert und den Umgang mit Waffen erlernt hat.

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»Durch ihre Entscheidungsmacht über Raumschiff und Crew nehmen die Captains die zentrale Rolle unter den Figuren ein. Sie sind Idealfiguren, denen Autorität, Kompetenz, Verantwortung und Entscheidungsmachtzugeschrieben wird, und tragen die narrative Pflicht, im Dienste des Guten die zu Beginn des Films oder der Fernsehepisode gestörte Ordnung immer wieder von neuem herzustellen. Als wahre Helden haben sie dabei nicht nur ihr eigenes Schicksal in der Hand, sondern auch das von anderen, manchmal sogar das des ganzen Universums.« (Sennewald 2003: 53) Wie gut sie mit ihrem Rang als weiblicher Captain umgehen kann, demonstriert gleich Caretaker, die erste Episode der Staffel. Als sich die Besatzung der US Voyager bereit macht, um auf ihre Mission aufzubrechen, melden sich Lieutenant Tom Paris und Fähnrich Harry Kim bei Captain Kathryn Janeway, um ihren Dienst auf der Brücke anzutreten: JANEWAY: Gentlemen, welcome aboard Voyager. KIM: Thank you, Sir. JANEWAY: Mister Kim, at ease before you sprain something. Ensign, despite Starfleet protocol, I donʼt like being addressed as sir. KIM: Iʼm sorry, Maʼam. JANEWAY: Maʼam is acceptable in a crunch, but I prefer Captain. Weʼre getting ready to leave. Let me show you to the bridge. Janeway entscheidet sich gegen das Protokoll und verweist in ihrem Dialog mit Kim auf die genderunabhängige Position des Captains. Sie löst sich damit von geschlechtsspezifischen Etikettierungen und macht sich dadurch frei von femininen und maskulinen Konnotationen ihres Ranges an Bord des Schiffes. Doch Janeway bleibt nicht auf Dauer Captain der US Voyager. Im Film Star Trek: Nemesis (USA 2002) tritt sie als Admiral in Erscheinung und gibt Captain Jean-Luc Picard die Order, sich als diplomatischer Gesandter der Föderation der Sternenflotte zum Planeten Romulus zu begeben. Janeway gehört zu einer neuen Generation von Frauen in der ScienceFiction. Und sie ist nicht allein; immer öfter ist die Position eines Commanders oder eines Captains mit einer Frau besetzt. In Red Planet (USA 2000) hat die Kommandantin Kate Bowman (Carrie-Ann Moss) den Auftrag, mit ihrer Crew die anstehende Kolonialisierung auf dem Mars einzuleiten.4 In The Mar4

In Red Planet ist sogar der Roboter feminin: Die künstliche Assistenz zur Unterstützung der Crew ist ein Ortungs- und Kampfroboter mit der Bezeichnung A.M.E.E. (Autonomous Mapping Exploration and Evasion). Durch eine Beschädigung ihres Prozessors,

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tian (USA 2015) leitet Commander Melissa Lewis (Jessica Chastain) die Mission Ares III, die Untersuchungen auf dem Mars vornimmt. Als der Botaniker Mark Watney (Matt Damon) des Forschungsteams während eines starken Sandsturmes auf dem Planeten von einem Trümmerteil getroffen wird, schickt Lewis die anderen Mitglieder ihrer Crew bereits in das Mars-Modul, um zum Raumschiff zurückzukehren. Sie unternimmt währenddessen als Einzige den Versuch, Watney während des Sturmes wiederzufinden. Ihr selbstbewusstes Auftreten, ihre uneingeschränkte Autorität und Loyalität hinsichtlich ihrer Besatzung zeigt auf, wie präsent die Frau im 21. Jahrhundert in der Raumfahrt des Science-Fiction-Genres geworden ist. Sie ist keine unbedeutende Nebenfigur, kein Sidekick mehr. Während Bowmann noch als Frau allein auf dem Raumschiff zurückbleibt und die männlichen Crewmitglieder den Roten Planeten erkunden, ist Lewis fest in den Plot eingebunden und trägt durch ihre Entscheidungen, ihre Intelligenz und ihren Mut zu Watneys Rettung am Ende des Films bei. Ein wesentlicher Marker findet sich zudem im Bezug auf die Optik. Während in den 1960er Jahren Frauen entweder in Hosenanzügen oder Miniröcken durch das Weltall spazieren, trägt die Frau der 1990er Jahre Funktionskleidung, Lederjacken und Sonnenbrillen. Doch während in Film und Serie die Kleidungsfrage geklärt zu sein scheint, verdeutlicht ein Problem in der Realität, dass Frauen noch immer nicht ganz in den Tiefen des Alls angekommen sind. Im Oktober 2019 absolviert die NASA-Astronautin Jessica Meir mit ihrer Kollegin Christina Koch den ersten rein weiblichen Weltraumspaziergang. Das Duo führt 2020 zwei weitere Weltraumspaziergänge zusammen durch. Doch es zeigt sich, dass Frauen immer noch über einen gewissen exotischen Status bezüglich ihres Einsatzes verfügen. Der All-Woman Spacewalk, wie er inzwischen genannt wird, kann nicht, wie ursprünglich geplant, Ende März 2019 stattfinden, weil ein organisatorisches Geschlechterproblem der besonderen Art besteht. Auf der ISS existieren nämlich zu diesem Zeitpunkt keine geeigneten Raumanzüge, also Raumanzüge für zwei weibliche Astronautinnen mit der Konfektionsgröße M. Das konkrete Problem besteht darin, dass die vorhandenen Raumanzüge bereits 2015, also vor damals vier Jahren, hergestellt worden waren. Sie waren zu dieser Zeit vor allem für die Be-

attackiert sie die männlichen Besatzungsmitglieder und avanciert so zu einer gefährlichen Antagonistin.

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dürfnisse männlicher Astronauten designt worden.5 Das hatte insbesondere auch Auswirkungen auf die Funktionalität der Anzüge: Das Beatmungs- und Kühlsystem war auf maskuline Körper ausgerichtet, in Bezug auf ihr spezifisches Schwitzverhalten und das generelle Körperklima. Weibliche Körper von sportlich aktiven Frauen schwitzen in der Regel weitaus weniger und auch an anderen Körperstellen als Männer (Stockrahm/Tröger 2019).

7. Nichts desto trotz zeigt der All-Woman Spacewalk, dass die Zeiten der ausschließlich männlichen Raumfahrt vorbei sind, sowohl in der Science-Fiction als auch an Bord der ISS. Wie intensiv sich dabei Science-Fiction und der gesellschaftliche Wandel gegenseitig befruchtet haben, verdeutlicht eine weitere Science-Fiction-Serie. Lost in Space wird 2018 durch den Streamingdienst Netflix neu verfilmt und ausgestrahlt. Bis jetzt gibt es zwei Staffeln, die dritte ist bereits in Produktion. Die Serie basiert auf dem Original Lost in Space (USA 1965-1968) aus den 1960er Jahren. In der Originalserie wird die Familie Robinson ausgewählt, einen neuen Planeten im Alpha-Centauri-System urbar zu machen und für eine Besiedlung der Menschheit vorzubereiten. Mit dem Raumschiff Jupiter 2 brechen das Ehepaar John und Maureen Robinson mit ihren drei Kindern Judy, Penny und Will sowie ihrem Navigator Major Don West in die Weiten des Alls auf. Doch durch einen eingeschleusten Saboteur – Dr. Zachary Smith, gespielt von Jonathan Harris – findet sich die Familie irgendwo in einer fernen Galaxis wieder und tritt eine schier unendliche Odyssee zurück zur Erde an. Auf ihrer Irrfahrt durchs All treffen die Robinsons und Dr. Smith auf zahlreiche Gegenspieler, Monster und Zeitsprünge.

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Schließlich ließ die NASA vollkommen neue Raumanzüge herstellen. Die sogenannten xEMUs (Exploration Extravehicular Mobility Unit) sind geschlechterneutral designt und können somit grundsätzlich von jedem Astronauten getragen werden. Dafür wurden etwa 100 Körperformen- und -größen als Referenz verwendet. Lindsay Aitchison, die leitende Designerin der Anzüge kommentierte die neue Generation der Funktionskleidung und verwies damit auf eine Nova in der Geschichte der Raumfahrt: »We’re designing spacesuits for humans, not men or women specifically, just humans. But over the years, we’ve really had to evolve our thinking about what that means. It’s kind of a shift from thinking not just of men as bigger women or women as small men, our bodies are all different« (Lindsay Aitchison, zit.n. Botkin-Kowacki 2020).

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Mittendrin läuft das Familienleben jedoch weiter, selbst an Bord eines Raumschiffes. Während John Williams Professor für Astrophysik ist und gleichzeitig als Familienoberhaupt in Erscheinung tritt, ist seine Frau Maureen der Bezeichnung nach Biochemikerin. Doch trotz ihres wissenschaftlichen Berufs verbringt Maureen die meiste Zeit in der Serie überwiegend damit, als Hausfrau und Mutter zu aktiv zu sein. Selbst eine Waschmaschine hat sie in den Untiefen des Alls an Bord, um bei jeder ihr sich bietenden Gelegenheit ihren hausfraulichen Aufgaben nachzugehen. Ansonsten putzt, kocht und umsorgt sie ihre Familie nach allen Regeln hausmütterlicher Kunst. Das Remake von 2018 wartet mit einigen Aktualisierungen auf, insbesondere im Bereich der Genderadaption.6 Die Ausgangssituation der Serie ist die Kolonisation eines neuen Planeten, da der Einschlag eines Asteroiden auf der Erde die Existenz der Menschheit gefährdet. Es werden daraufhin einige wenige Menschen ausgewählt, sich mit dem Raumschiff Resolute auf den Weg ins Alpha-Centauri-System zu begeben, um einen neuen Planeten zu kolonisieren. Als das Schiff jedoch von Außerirdischen angegriffen wird, müssen die einzelnen Familien mithilfe kleiner Rettungsschiffe, den Jupiters, ins All flüchten. Die Serie verfolgt von nun an die Abenteuer der Familie Robinson und setzt dabei auf eine etwas andere Darstellung als das Original von 1965. Dies gilt insbesondere bei der Charakterisierung von Maureen Robinson. Im Remake von 2018 sind die Eheleute John und Maureen getrennt. Maureen ist dadurch nicht nur alleinerziehende Mutter, sondern auch zum Familienalpha avanciert. John Robinson hingegen ist in der Serienadaption ein ausgebildeter Navy Seal und hat sich von seinen Kindern weitgehend entfremdet. Als die Robinsons ausgewählt werden, eine der Kolonistenfamilien zu werden, fliegt schließlich die ganze Familie mit – und Maureen und John müssen sich partnerschaftlich und familiär arrangieren, um sich den diversen Abenteuern zusammen mit ihren Kindern stellen zu können. Die Figur der Maureen ist in dieser Neuverfilmung sicherlich die größte Innovation:7 6

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Zwischen den beiden Serien gab es auch noch eine weitere Adaption in Form eines Spielfilms. Lost in Space (USA/GB 1998) versucht den Inhalt der aus drei Staffeln bestehenden Serie von 1965 in 125 Minuten zusammenzufassen. Hier steht allerdings die Vater-Sohn Beziehung zwischen John und Will Robinson im Vordergrund. Allerdings gibt es eine weitere Neuerung in der Besetzung: Dr. Zachary Smith. Aus dem Antagonisten ist die Gegenspielerin Dr. Zoe Smith (Parker Posey) geworden. Folglich werden nicht nur die Protagonisten vermehrt mit Frauen besetzt, auch ihr Wiederpart wird inzwischen vermehrt vom weiblichen Geschlecht verkörpert.

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»Maureen is depicted as the person keeping the family together, setting ambitious goals both for her children and herself, and brooking no argument. Her woman-of-action approach is possibly the showʼs best innovation from the 60s show, which framed the character as a ›biochemist‹ but largely depicted her as a traditional housewife. The new Maureen is the kind of woman who switches between hosting clear-eyed family discussions and flying a solo mission to the stratosphere, all while healing up from a brutal spiral fracture in her leg. For her, life in space is not impossible.« (Snow 2018) In Trajectory (Staffel 1, Episode 8), sind die Kolonisten mit ihren Jupiters auf einem unbekannten Planeten gestrandet, der sich rapide der Sonne nähert und schließlich ein Überleben für die Menschen unmöglich macht. Doch der Kraftstoff ist knapp und reicht lediglich für eine Jupiter, die zurück zum Mutterschiff fliegen kann, um Hilfe anzufordern. Doch die Jupiter-Raumschiffe sind zu schwer für den noch verbliebenen Treibstoff und würden es daher nicht schaffen, aus dem Gravitationsfeld des Planeten zu starten. Allein das Navigationssystem hat ein Gewicht von 1,3 Tonnen. Doch Maureen kommt schließlich auf die Idee, die Navigation auszulagern. Sie nimmt dabei Bezug auf die Raumfahrt der 1960er Jahre, wo die Raumkapseln vollständig von der Bodenstation aus gesteuert wurden. So kann das Navigationssystem ausgebaut werden und die Jupiter ist leicht genug, um mit dem restlichen Treibstoff Hilfe anzufordern. Diese Folge demonstriert auf vielfältige Weise Maureens Fähigkeiten. Ihr gelingt es nicht nur, einen Plan zur Rettung der Kolonisten auszuarbeiten und in die Tat umzusetzen, sondern das gesamte Unterfangen zu delegieren und die enormen technischen und logistischen Anforderungen zu meistern. Von der Weltraum-Hausfrau zur Raumfahrtingenieurin: Die Maureen Robinson der 2000er Jahre ist selbstbewusst, technisch versiert und kann gleichzeitig ihre Familie beschützen. Frauen haben ihren Platz im All erkämpft, und das sowohl in der Science-Fiction als auch in der realen Welt. Aktuell, im Jahr 2021 möchte Suzanna Randall ins All fliegen. Sie ist dabei eine von zwei Frauen, die sich aufgrund des Programms Die Astronautin der Stiftung Erste deutsche Astronautin gGmbH auf einen Flug in den Weltraum vorbereiten. Die SZ-Reporterin Johanna Pfund interviewte die 41-jährige Astrophysikerin. Diese kommentiert dabei besonders die derzeitige Situation von Frauen in der Raumfahrt und nimmt hierbei eine klare Position ein: »Bei Tereschkowa ging es der damaligen UdSSR darum, Erste zu sein. Die Nasa schickte 1983 mit Sally Ride ihre erste Frau in den Weltraum. Seitdem

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waren 65 Frauen im All, das entspricht etwa zehn Prozent der Astronauten. Die meisten davon sind Amerikanerinnen, weil sich die NASA aktiv darum bemüht hat. In Europa gab es bisher nur drei Astronautinnen. Das ist ein Armutszeugnis für die europäische und die deutsche Raumfahrt. Es geht nicht um ein exakt gleiches Verhältnis, sondern darum, wenigstens ein paar Frauen als Vorbilder zu zeigen. Oft höre ich bei Vorträgen: Was? Frauen können Astronautin werden? Früher war ich gegen eine Quote, aber das hat sich geändert. Ich finde, man muss aktiv gegensteuern. Denn wer bestimmt, wer die beste Person für einen Job ist? Die Noten werden von Männern gemacht, das begünstigt wiederum Männer.« (Suzanna Randall, zit.n. Pfund 2021) Der Weg zur vollständigen Gleichberechtigung ist also noch lange nicht abgeschlossen, aber die Entwicklungen seit den 1960er Jahren lassen erkennen, dass Frauen in der Raumfahrt nicht mehr wegzudenken sind. Durch die Feedbackschleife von Medien und Realität wurden und werden immer neue Synergieeffekte freigesetzt, die Auswirkungen darauf haben, wie sich die Gesellschaft entwickelt. Dabei ist die Fähigkeit der Science-Fiction, reale Probleme und gesellschaftliche Diskurse in die Zukunft zu projizieren, nicht zu unterschätzen: »Popular culture in the form of literature, music, art, film and television serves as a mirror to convey aspects of the human condition; especially in the case of science fiction. The science fiction genre is arguably a medium where concerns are magnified, where themes and issues are explored in a futuristic or hyper-developed space.« (Adams 2012: 1) Nicht ohne Grund bezeichnen Frank Hörnlein und Herbert Heinecke ScienceFiction als »besonders dankbares Untersuchungsobjekt« (Heinecke/Hörnlein 2000: 7). Beide Autoren verweisen in diesem Kontext darauf, dass es im Science-Fiction-Film nicht nur um wissenschaftliche Errungenschaften und technische Entwicklungen geht, sondern auch und vor allem um die Darstellung und Diskussion gesellschaftlicher Veränderungen und Verhältnisse (Heinecke/Hörnlein 2000: 7) Es wird daher weiterhin viele unterschiedliche starke Frauen in der Science-Fiction geben und sie werden die Realität mit ihren Darstellungen ebenso massiv beeinflussen, wie Astronautinnen in der Realität es tun. Denn eines ist sicher: Many steps for woman werden noch folgen.

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Frauen in der Science-Fiction – immer noch lost in Space?

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The Matrix Reloaded (AUS/USA 2003, R: Andy Wachowski, Larry Wachowski). The Matrix Revolution (AUS/USA 2003, R: Andy Wachowski, Larry Wachowski).

Serien Bewitched (USA 1964-1972). Buffy the Vampire Slayer (USA, 1997-2003). Charmed (USA 1998-2006). I Dream of Jeannie (USA 1965-1970). Lost in Space (USA 1965-1968). Lost in Space (USA 2018-2021). Star Trek (USA 1966-1969). Star Trek: Voyager (USA 1995-2001). Terminator: The Sarah Connor Chronicles (USA 2008-2009). The Invaders (USA 1967-1968). The Jetsons (USA 1962-1963). The Time Tunnel (USA 1966-1967). UFO (GB 1970-1971).

Utopien im All? Mediale Visionen der kosmischen Besiedlung Peter Podrez »There’ll be whole new kinds of architecture. These are ideal climates […] This is Maui on its best day – all year long. No rain, no storm, no earthquakes.« Jeff Bezos   »We don’t want to be one of those single-planet species; we want to be a multi-planet species.« Elon Musk

1.

(New) Space Race: Die Besiedlung des Alls als Utopie?

Die obigen Zitate verdeutlichen den Drang der beiden reichsten Menschen der Welt (Forbes 2021), Jeff Bezos und Elon Musk, die Besiedlung des Weltraums mittels ihrer Konzerne Blue Origin bzw. SpaceX voranzutreiben und dadurch bessere Zukünfte für die Menschheit zu erschließen. Gerne wird in diesem Zusammenhang darauf verwiesen, dass nicht zuletzt durch solche Ambitionen die nächste Ära des space race begonnen habe – ein »New Space Race« (Fernholz 2018), der von »Space Barons« (Davenport 2018) befeuert werde. Das Neue daran ist sicherlich, dass das Streben ins All nicht mehr an staatliche Bemühungen gebunden ist, wie dies im »klassischen« amerikanisch-sowjetischen space race des 20. Jahrhunderts der Fall war; stattdessen übernehmen nun privatwirtschaftliche Unternehmen mit finanzieller Strahlkraft (und Unternehmensführern mit medialer Strahlkraft) diese Rolle. Doch deren Visionen sind keineswegs neu, sondern knüpfen an eine lange ideengeschichtliche Traditionslinie an, in der es um Imaginationen der

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Weltallbesiedlung geht. Die Vorgeschichte dieser Tradition lässt sich bis in die Antike zum griechischen Satiriker Lukian zurückverfolgen (Zinsmeister 2005: 17f.), doch erst im 19. Jahrhundert etabliert sich die Besiedlung des Weltalls als fester Topos in der zunächst literarischen, dann ab dem 20. Jahrhundert auch in der filmischen, televisuellen, ludischen usw. Science-Fiction. Parallel zu dieser Entwicklung nimmt auch durch den realhistorischen space race die Menge an Entwürfen, die sich mit der Besiedlung des Alls beschäftigen, in gesellschaftlichen Diskursen stetig zu. Bezos oder Musk stehen also nicht alleine, sondern in ihren Visionen manifestieren sich exemplarisch zentrale Merkmale vieler aktueller, das heißt aus den letzten 50 Jahren stammender, Besiedlungsfantasien des Alls, weshalb noch ein näherer Blick darauf lohnenswert ist. Denn trotz aller persönlichen und auch inhaltlichen Unterschiede finden sich Gemeinsamkeiten: Diese liegen nicht nur im Primat der neoliberalökonomischen Denklogik beider begründet, welche augenscheinlich in ihren Rollen als CEOs von globalen wirtschaftlichen Unternehmen wurzelt. Auch greifen Bezos und Musk auf Versatzstücke aus wissenschaftlichen Diskursen zurück, um zu unterstreichen, dass ihre Visionen einen seriösen Anspruch und die Möglichkeit zur Verwirklichung besitzen. Bezos nimmt gerne Bezug auf die Konzepte des Physikers Gerard K. O’Neill, der in den 1970er Jahren diskursprägende Ideen von im Orbit positionierten Habitaten entwarf (O’Neill 1978, Ma 2019). Musk hingegen referiert oft – recht punktuell – physikalische oder ingenieurwissenschaftliche Grundlagen seiner Vorstellungen (Devlin 2017). Gleichzeitig betonen Bezos’ und Musks Visionen sehr stark ihre Fiktionalität. Diese ist erstmal nichts Besonderes, denn notwendigerweise besitzen alle Zukunftsentwürfe fiktive Komponenten (Bühler/Willer 2016: 9). Doch die angesprochenen Imaginationen bedienen sich besonders häufig bei Inhalten der Populärkultur, insbesondere der Science-Fiction. Dafür ausschlaggebend ist nicht zuletzt die Form der visuellen Darstellung. Wenn Bezos auf Illustrationen zurückgreift, die stilistisch in der Tradition von NASA-Darstellungen der 1970er Jahren stehen (Reilly 2019), dann bezieht er sich nicht nur auf den Ursprung dieser Quellen; denn genau jene Bilder haben seit Jahrzehnten Einfluss auf populärkulturelle Produkte wie Science-Fiction-Filme, aktuell etwa Elysium (USA/MEX/CDN 2013) oder Interstellar (USA/GB/CDN 2014). Hingegen erinnert bei einer Präsentation wie derjenigen von Musk im Kontext des International Astronautical Congress in Adelaide (Lee/Orwig 2017) der Blick von oben (Doosry 2014) auf eine Mars-Stadt stark an Bilder des Computerspiels,

Utopien im All?

genauer: der auf fremden Himmelskörpern angesiedelten Städtebausimulation im Stile von Moon Tycoon (Legacy Interactive 2001) oder Anno 2205 (Bluebyte 2015). Mit dem wissenschaftlichen und dem populärkulturellen verbindet sich in den Visionen von Bezos und Musk aber noch ein dritter Diskurs, nämlich der utopische. Dabei lässt sich der Begriff der Utopie in vielen seiner heterogenen Facetten (Berghahn/Seeber 1983, Otto 2009, Schölderle 2011) zugrunde legen, wie auch im Folgenden argumentiert wird. Um nur ein wenig vorzugreifen: In den Entwürfen wird im Sinne des utopischen Denkens Kritik an einer defizitären Gegenwart geübt, um dieser scheinbar bessere Zukünfte entgegenzuhalten (Berghahn/Seeber: 10ff.); außerdem werden diverse Motive, die utopischen Vorstellungen der Idealstadt (Eaton 2003, Zinsmeister 2005) entstammen, aufgegriffen. Aber nicht nur in den Visionen selbst sind Spuren des Utopischen zu finden, auch in der Anschlusskommunikation wird häufig auf Konnotationen des Utopischen rekurriert, insbesondere auf negative. Denn kaum einmal werden die Entwürfe im Sinne utopischen Denkens als »inspiring« (Carter 2017) gefeiert, vielmehr erscheinen sie als träumerische, realitätsferne Konstrukte von »cartoonish megalomaniacs […] [that] propose escapish fantasies in space« (Fleming 2019); oder aber sie ernten Kritik, weil in ihrem utopischen Ansatz zugleich das Umkippen in eine Dystopie gesehen wird, etwa aufgrund der privatwirtschaftlichen Basis der Visionen als Motor der Entwicklung hin zu totalitären, neoliberal-ausbeuterischen Szenarien (Applin 2018, Marx 2019). Versteht man also Bezos’ und Musks Visionen zusammenfassend als repräsentativ für Siedlungsimaginationen der letzten 50 Jahre, dann lassen sich folgende Punkte abstrahieren, die für den vorliegenden Beitrag instruktiv sind. Erstens: Siedlungsvisionen sind nicht unbedingt Utopien, aber sie tragen verschiedene Spuren des Utopischen in sich, die ausdifferenziert werden können; der Beitrag möchte also diesen Spuren nachgehen und prominente Themenfelder des Utopischen in kosmischen Besiedlungsimaginationen herausarbeiten. Zweitens: In den utopischen Einschreibungen schwingt auch ihre Schattenseite mit – denn die Utopie »birgt in ihrer Struktur die negative Utopie […] [immer] schon in sich« (Werner, zit.n. Müller 2010: 54, auch Hug 2007: 4ff.); der vorliegende Beitrag möchte also auch die Ambivalenzen des Utopischen in den Siedlungsvisionen herausarbeiten. Drittens: Für das Verständnis der Visionen und ihrer utopischen Bedeutungen ist nicht nur die Berücksichtigung ihres jeweiligen historischen und kulturellen Kontexts, sondern auch ihrer Medialität nötig; der Beitrag nimmt in diesem Zu-

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ge den Begriff der Vision als etwas Sichtbares wörtlich, weshalb im Folgenden Imaginationen der Weltraumbesiedlung in unterschiedlichen bildlichen Formen näher diskutiert werden, wobei deren spezifische Medialität Berücksichtigung findet. Und viertens: Siedlungsvisionen lassen die Grenzen zwischen wissenschaftlichem und populärkulturellem Diskurs verschwimmen, weshalb als Gegenstände im Folgenden (audio-)visuelle Beispiele diskutiert werden, die sowohl der Wissenschaft als auch der Science-Fiction entstammen, um auf deren Unterscheide, aber auch Gemeinsamkeiten aufmerksam zu machen.

2.

All-Machtfantasien: Grenzüberschreitungen

Doch bevor eine solche Betrachtung konkreter medialer Gegenstände vorgenommen wird, soll erörtert werden, weshalb – aus einer bestimmten Perspektive – in kosmischen Siedlungsvisionen, unabhängig von ihren Inhalten oder ihrer Medialität, Dimensionen utopischen Denkens gefunden werden können. Hierzu ist die Entfaltung eines weit gefassten Utopieverständnisses nötig. Dieses lässt sich im Anschluss an den Politikwissenschaftler Thomas Schölderle als das »sozialpsychologische« Utopieverständnis bezeichnen (Schölderle 2011: 377ff.). Darin gelten Utopien nicht als literarische Gattung oder als gesellschaftliche Idealentwürfe, wie es etwa im »klassische[n]« Verständnis der Fall ist; vielmehr wird darin eine bestimmte Denk- und »Bewusstseinsform mit Wirkung auf historische Transformationsprozesse« als utopisch bezeichnet (Schölderle 2011: 335ff., 29). Utopisches Denken zielt demnach darauf ab, Veränderungen in der Welt in Gang zu setzen; eine solche Art des Denkens findet sich etwa bei dem Soziologen und Philosophen Karl Mannheim oder dem Philosophen Ernst Bloch. Mannheim unterscheidet zwischen Ideologien und Utopien. Während erstere für ihn reaktionär sind, weil sie sich an alten Ordnungsvorstellungen orientieren, versteht er zweitere als progressiv, da sie darauf ausgerichtet sind, bestehende Strukturen aufzubrechen und neue Ordnungen zu etablieren (Otto 2009: 983). Utopisch ist für Mannheim jedes »Bewusstsein, das sich mit dem es umgebenden ›Sein‹ nicht in Deckung befindet« (Otto 2009: 983), denn aus diesem Spannungsfeld resultiert eine Antriebskraft, die das Potential hat, die Gegenwart zu revolutionieren. Für Bloch hingegen ist der Mensch gekennzeichnet durch ein fortwährendes Streben, um bestehende, immer in irgendeiner Form

Utopien im All?

mangelhafte Daseinszustände zu überwinden. Das utopische Denken ist also ein ständiger »Traum nach vorwärts« (Berghahn/Seeber 1983: 9) und da mit jedem Erreichen eines neuen Zustands neue Mängel evident werden, kommt utopisches Denken niemals zum Ende. Sowohl bei Mannheim als auch bei Bloch gilt das utopische Denken also als kreativer und selbstermächtigender Antrieb zur Veränderung der Welt, wobei sich dieser Antrieb in verschiedensten Formen äußern kann – etwa in Zukunftsvisionen. Das Weltall bietet solchen Zukunftsvisionen einen besonders geeigneten Nährboden, schließlich handelt es sich um den unbekannten Raum schlechthin, der eine grenzenlose Projektionsfläche für Ideen zur Gestaltung bietet. Die unendliche Freiheit des Kosmos im Hinblick auf Raum und Ressourcen sowie die Unabhängigkeit von irdischen Gebundenheiten befeuert Imaginationsmöglichkeiten von Siedlungsvisionen. Dabei wird der Weltraum im Sinne einer tabula rasa zum idealen Versuchsraum des utopischen Bewusstseins, denn hier lässt sich »alles […] als konstruier- und kontrollierbar […] denken« (Pias 2008: 40). Und in letzter Konsequenz auch als verwirklichbar, denn gerade weil das All eine tabula rasa ist, kann nicht nur, sondern es muss alles neu gemacht werden. »Der Weltraum ist daher der Raum, der der modernen Macht des Machens […] am besten entgegen kommt« (Spreen 2015: 78). Damit wird nicht nur die Möglichkeit, sondern auch die Notwendigkeit der Selbstermächtigung in Siedlungsvisionen stark gemacht – auch im Sinne einer Problemlösung, denn der Kosmos ist ein Raum, in dem die Besserung aller misslichen (sozialen, ökologischen usw.) Zustände auf der Erde realisierbar erscheint. Das bedeutet, über die erwähnten Möglichkeiten hinaus, die der Weltraum für die Aktivierung utopischen Denkens bietet, und an die sich jegliche Siedlungsvisionen anschließen lassen, können bestimmte Siedlungsvisionen im Sinne Mannheims utopisch sein, wenn sie ein Spannungsfeld zwischen defizitären irdischen und besseren extraterrestrischen Lebensumwelten formulieren. Im Bloch’schen Sinne dagegen führen Besiedlungsvisionen des Alls dazu, dass das utopische Denken in besonderer Weise befördert wird, denn die Unendlichkeit des Kosmos erzeugt ein permanentes »Noch-Nicht« (Bloch, zit.n. Schölderle 2011: 395): »Since space can never be fully mapped or tamed, it constitutes […] the premise that one set of […] aspirations eventually generates the […] conditions from which the next, substantially refined, set of aspirations can be

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articulated. More succinctly put: utopia is born from utopia.« (Yorke 2016: 69) Diese Auf-Dauer-Stellung des Utopischen resultiert auch aus einer permanenten Überschreitung von Grenzen. Der Philosoph Christopher C. Yorke kategorisiert Blochs Ansatz als Variante des »horizonal model of utopia« (Yorke 2016: 64ff.), das davon lebt, zum Zwecke der Verbesserung des Lebens die Grenzen des Erreichbaren beständig zu verschieben. Yorke verbindet dieses Modell mit der historischen Tradition des in den USA ausgeprägten »frontierism« (Yorke 2016: 68ff.), gemäß dem es gerade der mühsame Kampf gegen (Siedlungs-)Grenzen war, der die US-amerikanische Nation zu einer besonders potenten gemacht hat. In Analogie dazu bietet für Yorke auch eine Überwindung der Siedlungsgrenzen, die der Weltraum dem Menschen auferlegt, die Möglichkeit für kulturellen Fortschritt mit utopischem Potential. »Therefore, the attempt to colonize space has the best odds of producing the greatest virtues in humankind« (Yorke 2016: 68f.). Vor dem Hintergrund all dessen nimmt es nicht wunder, dass der Weltraum sowohl in wissenschaftlichen – man denke etwa an den Titel von O’Neills Werk: The High Frontier: Human Colonies in Space – als auch in populärkulturellen Diskursen – hier sei zum Beispiel an das Star Trek-Motto: space, the final frontier zu denken – als ultimative Grenze verstanden wird. In solche Vorstellungen ist nicht nur der Gedanke menschlicher Selbstermächtigung eingeschrieben, diese Grenze mittels eigener Kraft zu überwinden, sondern es verbinden sich darin auch zwei Formen der Grenzüberschreitung, denn die Erweiterung der räumlichen Siedlungsgrenzen wird verkoppelt mit einer Erweiterung intellektueller Grenzen (Danaher 2019). Zugleich erweist sich die Verschiebung der Siedlungsgrenze als Raumrevolution. Dieser von dem Staatsrechtler und Philosophen Carl Schmitt geprägte Begriff wird von dem Soziologen Dierk Spreen auf die Weltraumfahrt bezogen, die er als Raumrevolution eigenen Rechts konturiert. Dabei werden im und durch das All, das per se ein ortloser, »atopischer Raum« (Spreen 2014b: 89, Herv. i.O.) ist, bisherige Grenzen relativiert und Raumstrukturen verändert, neue Raumordnungen werden etabliert, kurzum, es entsteht eine »Umwälzung im Raumverständnis« (Spreen 2014b: 107, Herv. i.O.). Spreens Ansatz ist soziologisch, lässt sich aber gut mit einer Analyse von erzählenden (Bild-)Medien zusammendenken. Denn die Vorstellung einer räumlichen Revolution, die mit einer Grenzveränderung einhergeht, findet sich auch im narratologischen Modell des russischen Literaturwissenschaftlers Jurij Lot-

Utopien im All?

man (und seinen Erweiterungen). Lotman (1972) zufolge sind erzählte Welten in der Regel in zwei oppositionelle Räume gegliedert, wobei der Gegensatz sich erstens auf konkrete topographische Räume beziehen kann, die aber zweitens auch mit nicht raumspezifischen Bedeutungen aufgeladen werden, sich also in semantisierte topographische Räume verwandeln können. Und schließlich, drittens, kann die binäre Opposition eines Weltentwurfs auch auf der Ebene abstrakter semantischer Räume verortet werden, die nicht an konkrete Topographien gebunden sind (Renner 2004). Im Hinblick auf Siedlungsvisionen ist deren zentrale Opposition »Erde/menschlicher Raum« versus »Weltraum/nichtmenschlicher Raum«. Lotmans Modell folgend, werden oppositionelle Räume in einer Erzählung stets durch eine Grenze voneinander getrennt, die nur von bestimmten – ermächtigten – Handlungsträger*innen überschritten werden kann; diese Grenzüberschreitungen fungieren als Ereignisse einer Erzählung. Bei einem normalen Ereignis bleibt die Ordnung der Räume innerhalb der erzählten Welt erhalten; die Erde bliebe in diesem Fall also ein Raum des Menschlichen, der Kosmos ein davon separierter, nichtmenschlicher Raum. Bei einem Meta-Ereignis hingegen wird die Ordnung der Räume in der erzählten Welt transformiert, die bisherigen Grenzen werden im Akt ihrer Überschreitung verschoben und formieren sich neu. Eine solche Revolution der erzählten Räume erfolgt bei einer Besiedlung des Weltalls. Mit dem Attribut »menschlich« wird dann nicht mehr nur der Raum »Erde« bezeichnet, sondern auch der erschlossene Teil des Weltraums; die Grenzen des menschlichen/nichtmenschlichen Raums verschieben sich, indem der menschliche Raum, ausgehend von einem Ereignis, das durch handlungsfähige Figuren ausgelöst wird, expandiert. Das »horizonal model of utopia« ist demnach auch in medialen Erzählungen ein anthropozentrisch-ermächtigendes. Gerade diese Aspekte des Anthropozentrismus und der Ermächtigung in Siedlungsvisionen tragen jedoch auch Ambivalenzen in sich. So kann die Selbstermächtigung so extreme Züge annehmen, dass sie in Omnipotenzfantasien umkippt, in denen alles machbar erscheint (vgl. dazu auch Spreen 2014a: 53f.): All-Machtfantasien im wahrsten Sinne des Wortes. Dazu gehört auch, dass die anthropozentrische Vorstellung des Weltraums als tabula rasa Fragen nach ethischer Verantwortung, etwa gegenüber dem Außerirdischen, zunächst einmal ausklammert: »Die Leere des Raums ist eine Option, frei von Rücksichten zu sein« (Pias 2008: 40). Ein Beispiel, in dem ein leeres und von Zivilisationen freies Universum angenommen wird, das durch technische Intelligenz besiedelt werden kann, darf und soll, findet sich etwa

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bei dem Transhumanisten Ray Kurzweil. Er meint, es sei »unser ultimatives Schicksal, […] Energie und Materie [des Universums] vollständig mit unserer Intelligenz zu sättigen« (Kurzweil 2014: 375). Ebenso kann das Streben nach Entgrenzung zu einer Rücksichtslosigkeit gegenüber dem Gegenwärtigen führen; wenn die Erde als Lebensraum verzichtbar erscheint, müssen keine Anstrengungen darauf verwendet werden, sie in bestmöglichem Zustand zu erhalten (Munévar 2016: 37) – wenngleich Siedlungsvisionen von O’Neill bis Bezos bemüht sind, sich von dem möglichen Vorwurf der »terrestrischen Obsoleszenz« zu distanzieren, wovon schon die Benennung von Bezos’ Raumfahrtunternehmen, Blue Origin, das darauf zielt, den »blauen Ursprung« der Erde zu erhalten, Zeugnis ablegt. Bei Fragen der Grenzüberschreitung vom alten Lebensraum der Erde in den neuen Lebensraum des Kosmos stellen sich zudem Fragen zur Ausgestaltung des Neuen, das einen prekären Status annehmen kann: Denn auf der einen Seite kann es als »zu neu« gedacht werden, wenn Siedlungsvisionen einen kompletten Bruch mit dem Bisherigen fordern, der die Geschichte auslöschen soll (Pias 2008: 34); auf der anderen Seite kann das Neue als »zu alt« imaginiert werden, wenn Strukturen und Muster (etwa der Gesellschaft oder der Politik) im Weltraum reproduziert werden, die schon auf der Erde als problematisch empfunden werden. Und schließlich kann der Ermächtigungsvorwurf auch mittels des totalitarismustheoretischen Arguments gegen die Utopie als Problem artikuliert werden (Schölderle 2011: 404ff.). Demnach neigen utopische Entwürfe zu Absolutheitsansprüchen, die ins Totalitäre umkippen können, und etwa mit einer Unterdrückung individueller Freiheiten einhergehen (Müller 2010: 11). Diese lässt sich in Siedlungsvisionen vor allem auf die Tatsache beziehen, dass die neuen kosmischen Lebensbedingungen von Wenigen, die über ökonomische, wissenschaftliche oder intellektuelle Deutungsmacht verfügen, für Viele bestimmt werden. Das ist zugleich ein Vorwurf, der auch Bezos’ oder Musks Entwürfen gemacht wird (Applin 2018).

3.

Architektur und Städtebau: Orbitalhabitate und urbane Planeten

Jenseits dieser allgemeinen utopischen Dimensionen schreiben sich in mediale Siedlungsimaginationen auch durch die konkrete Form der Habitate utopische Spuren ein.

Utopien im All?

Grundsätzlich lassen sich zwei Arten von Habitaten im All unterscheiden, für die auch die Visionen von Bezos und Musk repräsentativ sind. Der erste Ansatz ist die Gründung von Siedlungen auf Himmelskörpern wie dem Mond, dem Mars – auf diesen zielen Musks Pläne ab – oder, in populärkulturellen Visionen, fiktiven Planeten. Solche Visionen werden insbesondere in der Science-Fiction entworfen, während sie in wissenschaftlichen Diskursen eher ein Randphänomen darstellen. Vor allem der Film arbeitet sich an dem Thema ab und verleiht dem Menschen seit den 1970er Jahren verstärkt die Macht, andere Planeten zu urbanisieren (Podrez 2021: 510ff.). Damit einhergehend zeigt er einerseits die Resultate dieser Urbanisierung, nämlich Megacities, die so enorme Züge annehmen können, dass sie gesamte Planeten bedecken, wie im Falle von Coruscant in der Star Wars-Reihe (USA 1977-2019). Andererseits reflektiert der Film den Prozess der planetaren Urbanisierung, indem er Städte entwirft, die sich in der Entstehung und im Wachstum befinden. Dabei nehmen Space Western wie Oblivion (USA/ROM 1994) die Thematik der frontier kulturhistorisch wörtlich, indem sie von der Erschließung fremder Planeten durch den Bau von Pionierstädten erzählen, die oft nach US-amerikanischen Vorbildern modelliert sind. Der zweite Ansatz zielt darauf ab, die Vorstellung, die menschliche Existenz sei notwendigerweise planetar gebunden, zu überwinden (z.B. O’Neill 1978: 38ff.); errichtet werden sollen vielmehr künstliche Lebensumwelten im Orbit. Diese Art der Siedlungsform wird trotz ihrer Prominenz in Filmen wie Elysium oder Fernsehserien wie Babylon 5 (USA 1993-1998) vor allem im wissenschaftlichen Diskurs imaginiert. Prägend sind hier etwa die Entwürfe des Physikers John Desmond Bernal, des Ingenieurs Thomas A. Heppenheimer oder des bereits angesprochenen O’Neill, an deren Tradition bis heute Ansätze anknüpfen, unter anderem derjenige von Bezos, aber auch aktuelle NASAVisionen wie Kalpana One (National Space Society 2007). Bemerkenswert ist, dass die meisten dieser Entwürfe von Illustrationen begleitet werden. Das Bild, insbesondere das künstlerisch gestaltete Bild, wird hier also bewusst eingesetzt, um eine Evidenz und auch Persuasion zu erzeugen, die der Text scheinbar nicht liefert. Ob urbanisierter Planet oder Orbitalhabitat, ob wissenschaftlicher oder populärkultureller Diskurs, übergreifend lässt sich in den Siedlungsvisionen ein Primat des Wachstums und der Expansion identifizieren. Dies wird nur selten problematisiert, sondern vor allem im Sinne einer utopischen Entgrenzungsfantasie imaginiert; dem »horizonal model of utopia« wird hier quasi konkrete Gestalt verliehen. O’Neill etwa entwirft nicht nur ein Weltraumhabi-

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tat, sondern gleich drei, wobei diese einer Logik des Wachstums folgen: Bietet Island One noch Platz für 10.000 Bewohner*innen, sind es bei Island Two bereits 140.000 und bei Island Three schließlich 10 Millionen (van Pelt 2017: 105ff., O’Neill 1978: 68). Freilich geht dieses Wachstum niemals auf Kosten des Lebenskomforts, denn alle Habitate bieten nicht nur die Grundausstattung für extraterrestrische Existenz, sondern auch alle möglichen Annehmlichkeiten von Restaurants über Schwimmbäder bis zu Parks und Kinos. Außerdem sind die zunächst noch im erdnahen Orbit verorteten »Inseln« ohnehin erst der Anfang einer ausgreifenden Expansionsbewegung, die dazu führt, dass der Mensch sich in wenigen Jahrzehnten in milliardenfacher Zahl im Sonnensystem verbreiten kann (O’Neill 1978: 237). Zu einer Zeit entstanden, da im Anschluss an den gleichnamigen Club of Rome-Bericht die Grenzen des Wachstums (Meadows 1972) auf der Erde betont werden, ist Wachstum im Weltraum mit seinen unerschöpflichen Ressourcen für O’Neill sozial und ökologisch unproblematisch. Ähnliches gilt für die meisten Visionen der Populärkultur. So erzählt der Film über seine Geschichte hinweg von einer zunehmenden Verstädterung des Alls (Podrez 2021: 485ff.). Dabei lässt er planetare Megacities zu so gewaltiger Größe heranwachsen, dass sie im Extremfall die einzige Lebenswelt darstellen – und macht dies nur selten zum Problem. Im Gegenteil wird etwa der Stadtplanet Coruscant bereits bei seiner Einführung in Star Wars: Episode I – The Phantom Menace filmisch zelebriert. Ein Blick aus dem All enthüllt nicht nur die vollkommene Verstädterung des Planeten, sondern lässt die urbanen Strukturen – gemäß der Wortbedeutung von to coruscate: glitzern, funkeln – auf der Oberfläche des Himmelskörpers als farbig funkelnde Muster erscheinen, während auf der Tonspur Fanfaren und Orchestermusik erklingen. Auch einzelne funktionale Elemente des Städtischen, die durch ihr Wachstum problematisch sein könnten, werden im Verlauf der Erzählung positiv aufgefasst, darunter etwa der Verkehr. Der Medialität des Films als Bewegtbildmedium entsprechend, wird dieser als unendlicher Fluss dargestellt, wie eine Einstellung verdeutlicht, in der im Licht der untergehenden Sonne Qui-Gon Jinn und Obi-Wan Kenobi über Coruscant in die Ferne blicken, während am Himmel unzählige Raumschiffe in makelloser Ordnung ihre Bahnen ziehen (Abb. 1). Durch Verkehrswachstum bedingte Probleme wie Umweltverschmutzung, Staus oder Unfälle spielen hier keine Rolle. Diese Inszenierung des Verkehrs rekurriert auf ein Motiv, das in Siedlungsvisionen häufig zum Einsatz kommt und der jahrtausendealten Traditionslinie des Idealstadtentwurfs entstammt: die Verwendung geometrischer

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Abbildung 1: Der Stadtplanet Coruscant und seine perfekte Verkehrsordnung in der ersten ›Star Wars‹-Episode

Quelle: Star Wars: Episode I – The Phantom Menace (USA 1999), Filmstill, TC: 1.26.13

Strukturen als Ausdrucksmittel von Perfektion. Diese Idee beruht einerseits auf der ordnungsstiftenden Funktion der Geometrie, die mit Vorstellungen des Idealen zusammengedacht wird (Oechslin 1988), und andererseits auf der Verbindung zwischen ästhetischer und sozialer Perfektion, die zahllose Idealstadtentwürfe von Thomas Morus’ Amaurotum in Utopia (1516) bis zu Le Corbusiers Plänen der Ville Contemporaine (1922) durchzieht (Podrez 2021: 117ff.). Die geometrische Form ist auch für Orbitalhabitate essentiell. So sind für diese aufgrund der Notwendigkeit, um eine Achse rotieren zu können, um künstliche Schwerkraft zu erzeugen, nur wenige Formen symmetrischer Natur möglich: die Sphäre (etwa bei der Bernal-Sphäre), der Torus (etwa beim Stanford-Torus), der Zylinder (etwa bei den O’Neill-Zylindern), der Kegel (etwa bei dem Raumfahrpionier Konstantin Ziolkowski) und die Hantel (National Space Society 2007). Die Symmetrie der geometrischen Form wird durch Visualisierungen der Habitate gerne noch mehr betont, wie etwa die Verbildlichung von Kalpana One durch den Konzeptkünstler Bryan Versteeg (2011/2012) veranschaulicht. In der Animation Kalpana One exterior, die das Habitat von außen zeigt, wird Kalpana One nicht nur als kreisförmige, durch mehrere Ringe gegliederte Struktur visualisiert, die zudem eine kreisförmige Rotationsbewegung vollführt. Auch die virtuelle Kamera kreist um das Objekt, bis es den Bildraum frontal ausfüllt und dabei an Blicke auf die utopische Idealstadt erinnert (Abb. 2), und sich dann wieder in die Gegenrichtung aus dem

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filmischen Bild dreht. Die mehrfach betonte, makellose Form des Kreises impliziert, wie erwähnt, in der utopischen Tradition auch soziale Perfektion: Kalpana One wird bereits beim Blick von außen als ideales Habitat in Szene gesetzt. Dieser Eindruck wird durch eine andere animierte Ansicht von innen, Kalpana One tour, ergänzt (Abb. 3). Auch hierbei vollzieht die virtuelle Kamera eine angedeutete kreisförmige Bewegung innerhalb des Habitats. Dabei werden aber noch zwei weitere, auf die Tradition der Idealstadt rekurrierende Aspekte deutlich, die auch in anderen Siedlungsvisionen zu beobachten sind. Erstens findet hier der Blick von oben Anwendung, der im Kontext der Utopie Ordnungsstiftung und Kontrolle ausdrückt (Doosry 2014). Ein so konnotierter Blick findet sich auch in diversen NASA-Darstellungen der 1970er Jahre, die von den Künstlern Don Davis und Rick Guidice angefertigt wurden, oder in populärkulturellen Beispielen wie Elysium. Und zweitens ist die Ausgestaltung des Inneren von Kalpana One wichtig, denn das Habitat erscheint als eine durchgrünte Idylle mit einzeln im Raum verstreuten – wiederum geometrischen – Bauten. Damit wird die Tradition utopischer Gartenstädte (z.B. Howard 1907, Wright 1932) aufgerufen, die auch andere Siedlungsvisionen durchzieht (Pias 2008: 39ff.) und sich in überschaubaren, dezentralisierten Raumgestaltungsprinzipien sowie der Bedeutung natürlicher Räume äußert. In allen beschriebenen utopischen Einschreibungen sind wiederum Ambivalenzen enthalten. So kann das propagierte Wachstum der menschlichen Lebensräume in totalitäre Entwürfe umschlagen, in denen die planetaren Megacities oder Orbitalhabitate alles in ihrer Umwelt verdrängen. In Bezug auf außerirdisches Leben wird ein solcher rücksichtsloser kolonialer Gestus im dazugehörigen Abschnitt noch näher diskutiert. Und in Ausnahmefällen warnen Siedlungsvisionen selbst vor »tyrannous environments« (Baxter 2016: 20) im All, die zugleich als gigantische Gefängnisse inszeniert werden können, wie in Dark City (USA/AUS 1998). Doch abseits solcher eindeutig als Dystopien markierten Visionen wird bereits beim Blick auf das scheinbar optimistische Beispiel von Coruscant deutlich, dass auch hier ein ambivalenter Triumph der Stadt gefeiert wird, geht dieser doch auf Kosten der Natur: Diese wurde von der, mit dem Philosophen Peter Sloterdijk gesprochen, menschlichen Kulturleistung der Stadt (Münker 1996: 129) komplett überbaut. Wie die enormen Bevölkerungszahlen oder der überschießende Verkehr scheint dies auf Coruscant allerdings kein Problem zu sein. Das wiederum zeigt, dass eine utopische Inszenierung der menschlichen Weltraumsiedlung – nicht nur in Star Wars – auch in eine glorifizierende Verklärung oder komplexitätsreduzierte Verdrängung komplexer sozialer, ökologischer, kultureller usw. Prozesse um-

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kippen kann – womit einmal mehr auf die Vorwürfe gegenüber den Visionen von Bezos und Musk zu verweisen ist.

Abbildung 2: ›Kalpana One‹ als ideales Habitat von außen ... Abbildung 3: ... und von innen.

Quelle: Screenshots. Abb. 2: Kalpana One exterior. Bryan Versteeg 2011/2012, TC: 0.00.26, Abb. 3: Kalpana One tour. Bryan Versteeg 2011/2012, TC: 0.00.03

Und schließlich ist auch das utopische Potential der Geometrie ambivalent, denn wo sie auf der einen Seite Ordnung schafft, dort kann diese Ordnung auf der anderen Seite antithetisch in Unterdrückung umschlagen,

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wenn individuelle Freiheiten sowie Abweichungen beschränkt werden und Normierung sowie Standardisierung regieren (Berghahn/Seeber 1983: 18). Zudem kann das Primat der Geometrie einen statischen Zustand symbolisieren, wie dies bereits in klassischen literarischen Utopien der Fall ist (Schölderle 2011: 452); indes kann diese Statik nicht nur positiv als Dauerhaftigkeit oder wertneutral, sondern auch kritisch gelesen werden, nämlich als Leblosigkeit.

4.

Technik und Ökologie: Der Umgang mit Umwelt und Natur

Kosmische Siedlungsvisionen sind Utopien der Machbarkeit. Dies wird besonders evident, wenn man die Siedlungsentwürfe auf das ihnen inhärente Verhältnis zu Technik und Umwelt befragt. Die Imagination eines Lebensraums im Kosmos ist analog zur Utopie ein modellhafter Weltentwurf. Wenn O’Neill seine Habitate als »Islands« bezeichnet, dann lässt sich, trotz seiner wiederholten Distanzierung vom Utopiebegriff (z.B. O’Neill 1978: 65, 207), die Nähe zum Inselmotiv, das bereits in der klassischen literarischen Utopie prominent ist (Schölderle 2011: 450ff.), nicht von der Hand weisen. Die Insel fungiert aufgrund ihrer Begrenzung und Isolation in der Tradition der Utopie als Metapher für einen Versuchsraum: »[D]adurch [wird] gleichsam ein experimenteller Rahmen mit Bedingungen geschaffen, unter denen sich die Variablen […] durchrechnen lassen, und unter denen die vorhandenen Kräfte nun auch ein ganz bestimmtes und bestimmbares Ergebnis zeitigen.« (Schölderle 2018: 57) Im Vergleich zur klassischen literarischen Utopie sind es im Falle von Siedlungsvisionen nicht nur soziale, sondern auch ökologische Variablen, mit denen kalkuliert wird. Die Basis dafür bieten oft kybernetische Prämissen, denn der neue Lebensraum wird vor allem im wissenschaftlichen Diskurs über Orbitalhabitate als ein regulierbares (Öko-)System verstanden (Spreen 2015: 82). Voraussetzung ist dafür eine Geschlossenheit des Raumes, und so dient die materielle Hülle um die Siedlung nicht nur als Schutz vor Einflüssen von außen (z.B. Strahlung, Meteoriteneinschläge), sondern rahmt auch ein Innen, in dem mittels Technologien verschiedenste Parameter nach Wunsch gesteuert werden können. Für Orbitalhabitate ist eine solche Geschlossenheit des Raums per se gegeben, aber auch in planetaren Siedlungen wird sie oft imaginiert, etwa in Form des Kuppelstadt-Motivs (Gellai 2020).

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Innerhalb des geschlossenen Siedlungsraums wird in der Regel die Herstellung einer bestmöglichen Umwelt imaginiert, die, losgelöst von irdischen (Natur-)Gesetzmäßigkeiten, mittels technologischer Apparaturen frei gestaltet werden kann. Um die Komplexität des Systemgedankens einer solchen Umwelt zu verdeutlichen, wird in den Siedlungsvisionen gerne auf die Visualisierungsform des Diagramms (Bauer/Ernst 2010) zurückgegriffen, genauer: des Kreislaufdiagramms, das auf einen Blick nicht nur die verschiedenen Regelkreise klarmacht, sondern auch deren Verhältnis zueinander. So zeigt das NASA-Diagramm »Gleichgewicht lebenserhaltender Substanzen« (Abb. 4) in Anschluss an Harry Jebens und Heppenheimer (Heppenheimer 1977: 159) mittels Pfeil- und Verweisstrukturen, wie innerhalb eines Orbitalhabitats der Fluss von verwertbaren Materialien wie Futtermitteln oder nicht mehr verwertbaren Materialien wie Abfällen verläuft bzw. optimalerweise verlaufen soll – denn im Mittelpunkt steht letztlich die Idee einer perfekt berechneten und regulierbaren Homöostase.

Abbildung 4: Das Orbitalhabitat als komplexes, geschlossenes Ökosystem mit verschiedenen Kreisläufen

Quelle: Heppenheimer (1977), S. 159, Bild: NASA

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Ein solches Ökosystem ist ohne den massiven Einsatz von Technik unvorstellbar. So werden Tag- und Nachtzyklen durch ein Zusammenspiel von Spiegelkonstruktionen, die für den jeweils gewünschten Sonneneinfall sorgen, geregelt (O’Neill 1978: 67); Apparaturen steuern Temperatur sowie Luft- und Bodenfeuchtigkeit, um die optimalen klimatischen Bedingungen für den Anbau von Nahrungsmitteln zu generieren (Heppenheimer 1977: 151f.); und auch Flora, Fauna oder Atmosphäre können nach ähnlichen Prinzipien technologisch reguliert werden. So lässt sich vor diesem Hintergrund auch der bereits angesprochene Rekurs vieler Siedlungsvisionen auf die utopische Gartenstadttradition präzisieren, denn »entworfen wird das Bild von Gärten in Maschinen. Leben und Natur beruhen auf artifiziellen Bedingungen, d.h. auf einem ›lebenserhaltenden‹ technologischen Systemganzen« (Spreen 2014a: 64, Herv. PP). Wirkt bereits die Konstruktion solcher artifizieller Lebensräume wie die technisch-utopische Selbstermächtigung schlechthin, so steigert sich dies noch, wenn Siedlungen auf fremden Planeten errichtet werden sollen, die menschliches Leben eigentlich nicht ermöglichen. Dann kommt die Vorstellung des Terraforming zum Einsatz: »To ›terraform‹ a planet is to make it habitable by […] human beings. A habitable planet has to have an appropriate atmospheric pressure, the proper atmospheric composition, and the right range of surface temperature.« (Abbott 2006: 67) Mögliche Terraforming-Methoden umfassen etwa die biochemische Manipulation der Atmosphäre, die Aufheizung eines Planeten mittels von gigantischen Spiegeln reflektiertem Sonnenlicht und viele andere mehr. Obwohl solche Visionen auch im wissenschaftlichen Diskurs existieren, liegt ihr Ursprung und zugleich ihre reichhaltigste Quelle in der Science-Fiction (McCurdy 1997: 157). Terraforming geht von der Prämisse aus, dass ein existierendes ökologisches System durch den Einsatz von Technik verändert werden kann; es erscheint so im Kern als »an ›engineer’s dream‹« (Abbott 2006: 79) und stellt ein Phantasma der konstruktiven Moderne dar (Spreen 2014a). Zugleich spiegelt sich darin die traditionelle utopische Idealvorstellung einer historischen Zäsur, eines Nullpunkts, von dem aus ein neues Kapitel der menschlichen Existenz geschrieben werden kann. In visuellen Medien findet sich Terraforming in besonderer Ausprägung im Computerspiel, denn dort kann es nicht nur als Ereignis in der Narration oder als audiovisuelles Motiv, sondern als ludische Kategorie fungieren. So sehen sowohl die Regeln als auch die Ziele verschiedener Strategiespiele

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und Wirtschafts- sowie Städtebausimulationen vor, fremde Planeten im Zuge ihrer Besiedlung zu verändern. Dabei kann eine – im wahrsten Sinne des Wortes – »one button solution« (Markley 2005: 301) zum Einsatz kommen, die mittels einfachem Mausklick die instantane Veränderung von Landschaftsformationen ermöglicht, wie in Imagine Earth (Serious Brothers 2021). Oder aber der Terraformingprozess leitet das gesamte Spiel an, wie in Surviving Mars: Green Planet (Haemimont Games 2019), in dem die Umgestaltung des Planeten als Zusammenspiel von Variablen präsentiert wird, das es durch den geschickten Umgang mit finanziellen und ökologischen Ressourcen zu steuern gilt. Die suggerierte Komplexität des Spiels drückt sich in seiner visuellen Gestaltung aus: Einerseits lässt sich so nahe an das Geschehen heranzoomen, bis auch der kleinste, von spärlichem Grün umwachsene Tümpel en détail zu sehen ist (Abb. 5), bzw. in den distanzierten planetary view schalten, aus dem der gesamte Himmelskörper mit seinen neu entstandenen Wasserflächen und Vegetationszonen beobachtet werden kann (Abb. 6), so dass den Spielenden durch diese Skalierung und den »Über-Blick« von oben der Eindruck größtmöglicher Kontrolle vermittelt wird. Andererseits ist der Bildraum oft überfüllt mit Schaltflächen oder textuellen Erläuterungen einzelner Objekte und Werte (Abb. 5), so dass das Spielgeschehen quasi überdeckt wird. Immer zentral, nämlich oben mittig positioniert, bleibt indes die Fortschrittsanzeige der Terraformingfaktoren Atmosphäre, Temperatur, Wasser und Vegetation (Abb. 5 & 6), die je nach Prozentzahl Änderungen am Planeten in Form von Grünstreifen oder Aquazonen bewirken. Dabei sind die Parameter und ihre Beeinflussungsmöglichkeiten klar definiert, das Ergebnis hängt von der Fähigkeit der Spielenden ab. Gilt also für das Medium Computerspiel per se, dass Spielende mittels ihres Handelns, das Konsequenzen in der Spielewelt zeitigt, in eine ermächtigte Position gerückt werden (Adelmann/Winkler 2010), werden in Surviving Mars: Green Planet die Spielenden als mächtige Terraformer*innen adressiert, die über einen ganzen Planeten verfügen. Auch all diese utopischen Spuren in den Siedlungsvisionen weisen ausgeprägte Ambivalenzen auf. So bringt die Vorstellung eines »inselhaften«, geschlossenen, kontrollierbaren Versuchsraumes die Schattenseite der Utopie als »aseptische[s] Syste[m]« (Müller 2010: 12) zum Vorschein, das als Maßstab das sterile Laborexperiment anlegt, um es auf eine mögliche Lebenszukunft zu übertragen (Pias 2008: 39). Zudem droht die schützende Begrenzung einer geschlossenen Weltraumsiedlung ihre positive Funktion zu verlieren und antithetisch in die Konnotationen von Gefängnis und Isolation umzukippen,

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so dass die »Islands in Space« (van Pelt 2017: 100) zu »Cages in Space« (Baxter 2016: 21) mutieren.

Abbildung 5: Der Blick in Details des Terraforming ... Abbildung 6: ... und auf den gesamten Planeten in ›Surviving Mars: Green Planet‹

Quelle für beide Abbildungen: Surviving Mars: Green Planet. Haemimont Games 2019. In Jez Corden (2019)

Ferner erscheint die Vorstellung eines ökologischen Systems, dessen Variablen alle kalkulierbar und zielgenau beeinflussbar sind, vor dem Hintergrund ökologischer Diskurse, welche die Unberechenbarkeit und Verfloch-

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tenheit unzähliger für Umweltsysteme bedeutsamer Faktoren betonen, als Mischung aus radikaler Komplexitätsreduktion, Kontrollillusion und quasigöttlicher Omnipotenzfantasie (um einmal mehr auf den Anfang zurückzuverweisen, auch ein Vorwurf, der gerade Musks Visionen gemacht wird). Zudem verweist die Perspektivierung der Natur als einem herstellbaren Phänomen (Ulrich Beck, n. Spreen 2015: 83) auf ein mechanistisches Weltbild und eine Herrschaft instrumenteller Vernunft über die Natur, die jener den Status als bloßes Objekt zuweist, das nach Belieben behandelt, das heißt auch unterworfen werden kann. Gerade Siedlungsvisionen, die auf dem Terraforminggedanken basieren, machen in der Regel ohne Zweifel klar, dass der fremde natürliche Raum sich der menschlichen Aneignung vielleicht erst einmal widersetzt, aber in letzter Instanz überwunden und erdähnlichen Verhältnissen angeglichen werden kann – und soll. Ethische Fragestellungen wie die folgenden werden in Siedlungsvisionen hingegen kaum diskutiert: »Does the space environment […] contain anything of inherent value […]? […] To what extent should we preserve pristine space environments, such as asteroids or planetary surfaces? […] Would it ever be permissible to terraform a planet […]?« (Schwartz/Milligan 2016: 1f.) Und schließlich liegt eine große Ambivalenz der technischen Machbarkeitsutopien gerade im Stellenwert der Technik und der mit ihr verbundenen Akteur*innen begründet. Denn zum einen herrscht in den Siedlungsvisionen meist ein nahezu unerschütterlicher Fortschrittsglaube in die Technik, der Dysfunktionen entweder gar nicht vorsieht oder sie als kontrollierbar erachtet. Zum anderen existieren Technologien auch im Weltraum nicht im Vakuum, sondern werden durch Akteur*innen aus der Wissenschaft, die wiederum Akteur*innen aus der Politik unterstehen, entworfen und produziert, wobei auch Akteur*innen aus der Wirtschaft eine Rolle spielen usw. Weltraumtechnologien sind also immer das Ergebnis komplexer Selektions- und Aushandlungsprozesse, wobei in diesen bestimmte Akteur*innen in verschiedenen Größenordnungen über Deutungsmacht verfügen. Auf diese Weise entsteht in den Siedlungsvisionen gleich eine doppelte Abhängigkeit in die Technologie und die sie hervorbringenden Akteur*innen. »Das Leben in künstlichen Weltraumhabitaten stellt die maximal denkbare Steigerung des Vertrauens in Expertensysteme und der Angewiesenheit auf Technologie dar« (Spreen 2014b: 105).

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5.

Humane und nonhumane Gesellschaften: Soziales Leben im All

Die klassische Utopie ist der Entwurf einer idealen Gesellschaft (Otto 2009: 985). Ausgerechnet diesbezüglich zeigen sich bei Besiedlungsvisionen des Alls aber neben utopischen Einschreibungen die vielleicht größten Ambivalenzen. In diesem Kontext ist zunächst zu betonen, dass »Gesellschaft« in kosmischen Siedlungen nicht zwangsläufig rein human sein muss. Wissenschaftliche Diskurse um die Begegnung oder sogar Koexistenz mit Außerirdischen, etwa in der Exosoziologie (Schetsche/Anton 2019), sind ein Nischenphänomen. Doch in populärkulturellen Visionen werden Siedlungen häufig von Menschen und Außerirdischen bevölkert, wobei deren Machtverhältnisse bedeutsam sind. Ganz allgemein, und dies beginnt schon bei der Wahl von Begriffen wie »Kolonialisierung des Alls« (Zevallos 2015), stehen kosmische Siedlungsvisionen oft in der Tradition des Kolonialismus und seinen Konnotationen von rücksichtsloser Inbesitznahme – einmal mehr ein Vorwurf gegen die Entwürfe von Bezos und Musk (Zevallos 2015) –, aber auch Unterwerfung und Ausbeutung anderer Individuen oder Kollektive. Solche Muster finden sich auch in denjenigen Szenarien der Populärkultur, die den konfliktreichen Erstkontakt zwischen Menschen und Außerirdischen aus der Perspektive eines colonial gaze (Rieder 2008: 6ff.) in den Mittelpunkt rücken und klarmachen, dass erfolgreiche humane Besiedlung mit der Überwindung oder sogar Vernichtung des Extraterrestrischen verbunden ist. Dabei sind die Aliens das Fremde, das Andere im wahrsten Sinne des Wortes, was Prozessen des Othering Tür und Tor öffnet. Die häufigste Strategie besteht in der Dämonisierung der Außerirdischen als gefährlich und/oder bösartig, so dass eine Legitimation gegeben ist, sie im Zuge der Besiedlung von der planetaren Oberfläche zu tilgen; dieser Prämisse folgend werden etwa extraterrestrische Lebensformen im Computerspiel Aven Colony (Mothership Entertainment 2017) als monströse Kreaturen oder infektiöse Bedrohungen imaginiert. Eher selten wird die koloniale Perspektive kritisiert, etwa durch die Einnahme des außerirdischen Blickwinkels, die Stigmatisierung der humanen Kolonialist*innen als rücksichtslos und gewalttätig und demnach die Zurückweisung ihrer Expansionsbestrebungen, wie im Film Avatar (USA/GB 2009). Freilich findet auch darin ein Othering der Außerirdischen statt, die durch den Rekurs auf das aus der Kolonialgeschichte bekannte Motiv des »Edlen Wilden« als utopisch-unberührte und mit der Natur in Einklang lebende Spezies verklärt werden (d’Idler 2017). Am seltensten wird der Versuch einer friedlichen Kontaktaufnahme thematisiert, die in eine harmonische Koexis-

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tenz mündet. Ansatzweise nahe kommt dem der Film Battle for Terra (USA 2007), der zwar die Begegnung von Menschen und Außerirdischen als Kriegsszenario imaginiert, aber in ein versöhnliches Ende mündet. Die zentrale Botschaft der Koexistenz, die gleichwohl auf einer Autonomie der Spezies basiert, verdichtet sich im Schlussbild des Films, das in einer extremen Totalen die organischen, pilzförmigen Wohnstätten der Außerirdischen und die artifizielle Kuppelstadt der Menschen unter strahlendem blauen Himmel zusammenführt, aber klarmacht, dass es sich um verschiedene, voneinander separierte Lebensräume handelt (Abb. 7). Thematisieren Siedlungsvisionen nicht den Erstkontakt zwischen den Spezies, sondern setzen die menschliche Besiedlung als geglückt voraus, indem sie ihre Erzählungen erst danach beginnen lassen, ist das Extraterrestrische oft entweder vollkommen verschwunden oder die friedliche Koexistenz von Menschen und Außerirdischen in einem gemeinsamen Lebensraum scheint geglückt. Doch bei näherem Hinsehen kann sich dies als ambivalente, weil anthropozentrische Utopie der Assimilation offenbaren. Ein Blick auf eine Vision aus dem Star Trek-Universum, dem gerne utopisches Potenzial zugesprochen wird (Bauer 2019), nämlich Star Trek Beyond (Diverse 2016), macht das deutlich: Die Einführung des Orbitalhabitats Yorktown – dessen Name Assoziationen an New York City weckt – erfolgt durch einen rotierenden Kameraflug, der suggeriert, dass dieser Raum mit seinen in alle Richtungen ausgreifenden urbanen Strukturen von verschiedenen Spezies bewohnt wird. Doch die den Bildraum durchquerenden Figuren besitzen nicht nur alle eine humanoide Physis, sondern erscheinen auch durch ihre Kleidung und ihr Verhalten anthropomorph. In der (extremen) Totalen sind Menschen und Außerirdische kaum voneinander unterscheidbar, denn alles Extraterrestrische wurde dem Menschlichen angeähnelt bzw. genuin fremdartige Aliens scheinen hier keine Daseinsberechtigung zu haben (Abb. 8); Star Trek erscheint in diesem Fall nicht nur als »humanistische« (Bauer 2019), sondern auch als anthropozentrische Utopie. In anderen Visionen geglückter Besiedlung ist diese anthropozentrische Perspektive absolut, denn extraterrestrisches Leben existiert darin schlichtweg nicht (mehr). Etwaige Konflikte werden zwischen Menschen ausgetragen, wobei meistens soziale Ungleichheit der Auslöser für eine Auseinandersetzung ist, die jedoch erstaunlich oft zu einem scheinbar positiven, ja utopischen Ende führt. In sozialistischen Visionen wie dem Film Im Staub der Sterne (DDR 1976), die indes mit dem Fall des Eisernen Vorhangs ihr Ende finden, ist die Revolution unterdrückter Arbeiter*innen und der dadurch bewirkte Sturz

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Abbildung 7: Autonome und assimilierte Koexistenz der Spezies in ›Battle for Terra‹ ... Abbildung 8: ... und ›Star Trek Beyond‹

Quelle: Battle for Terra (USA 2007), Filmstill, TC: 1.13.07 (Abb. 7), Star Trek Beyond (Diverse 2016), Filmstill, TC: 0.09.08 (Abb. 8)

ausbeuterischer Kapitalist*innen ein Standardtopos (Podrez 2021: 571ff.). Und auch in anderen (filmischen) Entwürfen werden zwar soziale Ungleichheiten, etwa ökonomischer Natur, imaginiert (Baxter 2016: 22f.). Doch mit Lotman gelesen werden die Gegensätze von »arm« versus »reich« mit ihren dazugehörigen Räumen am Ende gerne, wie dies etwa bei Elysium geschieht, durch eine Revolution in einen scheinbar glückselig machenden Lebensraum für alle überführt. Allerdings bleibt in nahezu allen solchen Fällen das Ende eine Leerstelle, denn die suggerierte neue, ideale Ordnung wird nicht mehr gezeigt; die Erzählung bricht an diesem Punkt ab und belässt das utopische Potential in der Schwebe bzw. verlagert es in die Vorstellung der Rezipient*innen.

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War der konflikterzeugende Ausgangspunkt bei solchen Visionen eine Form sozialer Ungleichheit, finden sich in Siedlungsvisionen sogar noch häufiger – auf den ersten Blick – bemerkenswert harmonische Gesellschaftsordnungen: Vielerorts gibt es Annehmlichkeiten für alle, verschiedene Kulturen und Gesellschaftsschichten leben friedlich zusammen. Doch solche Vorstellungen makelloser Gesellschaften entpuppen sich bei näherem Hinsehen oft als ambivalent, da homogenisiert und hierarchisiert; denn Ungleichheiten existieren, sie werden nur nicht als Probleme behandelt, sondern einfach ausgeblendet bzw. als natürlich gegeben imaginiert. Um nur ein Beispiel herauszugreifen: Populärkulturelle Siedlungsvisionen sind – selbst wenn sie nicht dem US-amerikanischen Produktionskontext entstammen – gerne in vornehmlich, wenn nicht vollständig amerikanisierten Räumen situiert; allenfalls gibt es noch Platz für – stereotyp inszenierte – »Asiazität« aus Nah- und Fernost, wohingegen etwa Einflüsse aus Südamerika oder Afrika in Weltraumhabitaten so gut wie keine Rolle spielen. Die amerikanische Dominanz wird durch die Inszenierung von US-Markensymbolen oder von in den USA situierten Räumlichkeiten verdeutlicht. So spielt etwa ein Film wie The Adventures of Pluto Nash (USA/AUS 2002) in einer Art lunarem Las Vegas; in dessen Clubs und Casinos vergnügt sich eine scheinbar bunt gemischte Bevölkerung und zur Suggestion kultureller Diversität existiert auch ein – heruntergekommenes! – asiatisches Viertel. Doch die Hierarchie der Kulturen wird bereits durch die Namensgebung klar: Die Mondsiedlung Little America ist ein Teil der Lunar States of America. So wie kulturelle Vielfalt suggeriert wird, die aber doch wieder unter der Flagge US-amerikanischer Dominanz segelt, so weisen Siedlungsvisionen oft auch ein ethnisches, ökonomisches oder geschlechterbezogenes Ungleichgewicht auf. Die zukünftige kosmisch-utopische »Chance zur Diversität« (Pias 2008: 50) wird dergestalt häufig zu einer konservativen Reproduktion gegenwärtiger terrestrischer Sozialstrukturen und Machtverhältnisse. Und dies ist nicht nur der Fall in populärkulturellen Visionen, sondern auch ein zentraler Vorwurf gegenüber den Entwürfen von Bezos und Musk (Maney 2015) und auch in einschlägigen wissenschaftlichen Diskursen zu finden. So imaginiert Heppenheimer (1977: 130) die Bewohner*innen der Weltraumsiedlungen als »vorzugsweise ledige männliche und weibliche Personen unter dreißig Jahren«, die das Ideal der Ehe mitsamt Kindern und einem »schuldenlose[n] Eigenheim« (Heppenheimer 1977: 131) anstreben, und reproduziert damit das Bild eines gutbürgerlichen – patriarchalen und weißen – Mittelklasse-Amerikas.

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O’Neill (1978: 207ff.) versucht diesem Dilemma dadurch zu entkommen, dass er den Entwurf einer sozialen Struktur in seinen Habitaten verweigert. Stattdessen imaginiert er diese als Möglichkeitsräume, in denen Gesellschaften sich selbst verwalten und nach selbstgewählten Prinzipien leben können, wobei ab einem bestimmten Zeitpunkt »jede Gruppe mit speziellen Eigeninteressen die Möglichkeit haben [wird], ›nach ihrer Fasson selig zu werden‹« (O’Neill 1978: 211), indem sie einfach ihre eigene neue Siedlung gründet. In Anlehnung an den Philosophen Robert Nozick lässt sich eine solche Vorstellung als Meta-Utopie bezeichnen: »The ideal society won’t be a single society at all but, rather, a society-generating mechanism that allows people to create communities that prioritise and favour the values that they prioritise and favour.« (Danaher 2019) Doch spätestens die Konkretheit der Illustrationen zu O’Neills Entwürfen holt die abstrakte Idee einer solchen Meta-Utopie wieder ein. Denn eine Abbildung wie Bernal Sphere Interior von Guidice zeigt nicht nur die architektonische Struktur eines der Weltraumhabitate, sondern in einem kleinen Ausschnitt im unteren rechten Bildeck auch eine soziale Szene: Die Bewohner*innen – überwiegend weiß und jungen bis mittleren Alters – vergnügen sich vor dem Hintergrund von Vorstadthäuschen, in gutbürgerliche Kleidung gehüllt, bei Konversationen an einem mit Getränken und Essen gedeckten Tisch bei einer Art »California-style wine and cheese party« (National Space Society o.J.) (Abb. 9). Die dominante Form auch dieser Meta-Utopie ist wieder eine »in den Pastelltönen eines amerikanischen Mittelschicht-Arkadiens gezeichnete« Idylle (Spreen 2014b: 104). Und so überdeckt hier einmal mehr, und exemplarisch für Siedlungsvisionen allgemein, gerade bei dem klassisch-utopischen Topos schlechthin, nämlich dem Entwurf einer idealen Gesellschaft, mit Mannheim gesprochen eine konservative Ideologie das tendenziell progressive Denken der Utopie (und auch der Science-Fiction).

6.

Kulturelle Funktionen medialer Siedlungsvisionen

Imaginationen der kosmischen Besiedlung sind qua natura Zukunftsvisionen. Als diese erfüllen sie wichtige kulturelle Funktionen, die abschließend skizziert werden sollen. Die westliche Gesellschaft lebt seit der Moderne mit »extrem verunsicherten Zukunftsperspektiven« (Luhmann 2006: 130). Die Ambivalenz der Zu-

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Abbildung 9: Kosmischer Konservativismus in ›Bernal Sphere Interior‹ – zu sehen unten rechts

Quelle: NASA Ames Research Center, Datei-ID: AC76-0628, Bild: Rick Guidice

kunft gegenüber, das Schwanken zwischen Optimismus und Pessimismus ruft das Bedürfnis nach und die Produktion von futurischen Bildern hervor. Dabei weisen diese stets eine Gleichzeitigkeit zukünftiger Ausrichtung, aber auch gegenwärtiger Verankerung auf. Dass Zukunftsvorstellungen nicht nur in der Gegenwart gründen, sondern wesentlich um sie zentriert sind, ist in der Science-Fiction-Forschung eine gängige Denkfigur (Csicsery-Ronay 2008: 78). Auch in Anlehnung an die Soziolog*innen Niklas Luhmann (2004: 104, 2006: 133) und Elena Esposito (2007: 76) präsentieren sich Zukunftsvisionen, verstanden im Sinne von Fiktionen, als Mittel der Selbstbeschreibung der Gesellschaft, mehr noch, auf Grundlage imaginärer Prämissen überschreiten sie die reale Realität und erlauben es durch die entstandene Distanz, Beobachtungen zu entwickeln, die die reale Realität nicht zulassen würde. Sie sind mithin nicht nur Ausdrucksmittel gegenwärtiger Zustände, sondern sie etablieren auch einen Rahmen für deren Reflexion. Dadurch können sie dazu

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beitragen, sich ihrer überhaupt bewusst zu werden – sie besitzen also eine Erkenntnisfunktion. Aus dieser Perspektive betrachtet, erzählen Visionen der Weltallbesiedlung weniger von möglichen Zukünften als von gegenwärtigen Befindlichkeiten; denn aus ihnen lässt sich ablesen, wie die Gesellschaft über den Weltraum denkt, über Expansionsdenken und Grenzüberschreitungen, über ökologische Systeme und technischen Fortschritt, über Begegnungen mit dem Fremden und Formen des Zusammenlebens, aber auch über den Status des Utopischen und seine vielfältigen Ambivalenzen. Als Grundlage der Reflexion von Gewünschtem und Ungewünschtem konstruieren Siedlungsvisionen – und hier lässt sich eine Analogie zur »utopischen Methode« beobachten – komplexe Welten, um Situationen in experimentellen Anordnungen durchzuspielen (Schölderle 2018: 58, vgl. Krysmanski 1963). Dabei bietet der Status des Imaginären nicht nur einen geschützten Rahmen für diese Gedankenexperimente, sondern zudem eine prinzipiell unbegrenzte Freiheit der Fantasie – wobei als Kehrseite auch eine konstante Reproduktion wiederkehrender (und konservativer) Muster zu beobachten ist. Mittels ihrer Entwürfe können Siedlungsvisionen Kritik an gegenwärtigen Zuständen üben und zukünftige Alternativen im Sinne von Möglichkeitsräumen aufzeigen. Auch dies ist zunächst eine Analogie zu Zielen und Funktionen der klassischen Utopie (Schölderle 2017: 24ff.). Die Kritik kann dabei direkt über eine Schilderung gegenwärtiger Defizite erfolgen oder, im Falle von Siedlungsvisionen häufiger, indirekt ausfallen, nämlich über die Etablierung scheinbar besserer Modelle, die, einem Spiegel ähnlich, den Blick auf die faktische Gegenwart zurückwerfen (Schölderle 2017: 13). Durch die vielen herausgearbeiteten Brüche und Ambivalenzen ist, möchte man bei der Metapher bleiben, der Spiegel der Siedlungsvisionen aber immer schon ein Zerrspiegel, in dem sich bestimmte Aspekte anders oder gar nicht reflektieren und das bessere Modell vielleicht nur eine Widerspiegelung des Bestehenden oder sogar dessen negative Distortion ist. Wichtiger scheint hier deshalb ein anderer Aspekt: Indem die Siedlungsvisionen futurische Vorstellungs- und Möglichkeitshorizonte eröffnen, lassen sie sich als Mittel zur Einübung von Zukunftsdenken begreifen, das einerseits auf die Dynamik und Flexibilität von Entwicklungswegen verweist und damit andererseits »die bestehende Wirklichkeit als lediglich eine denkmögliche unter vielen« markiert (Schölderle 2011: 469). Auf diese Weise erscheint Zukunft nicht starr und unveränderlich, sondern Zukünfte zeigen sich formbar und plural.

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Darüber hinaus leisten Siedlungsvisionen einen Beitrag zum Umgang mit der Ungewissheit des Zukünftigen. Im Sinne Luhmanns (2004: 98ff.) und Espositos (2007: 7ff., 55ff.) dienen sie zum einen der Komplexitätsreduktion der gegenwärtigen realen Realität, indem sie deren Unübersichtlichkeit in überschaubare, mit eigenen, klaren Regeln versehene fiktive Realitäten überführen. Zum anderen tragen sie genau dadurch zur Bindung zukünftiger Kontingenz bei (Esposito 2007: 70) – indem sie aus der unendlichen Anzahl von Möglichkeiten Szenarien auswählen und entwerfen, überführen sie diese aus der Virtualität in die Aktualität und schreiben ihnen damit eine hohe Bedeutung zu. Für diese Aktualisierung, die Zukünftiges erst begreifbar macht, sind Medien entscheidend, denn Zukunftsvisionen zeigen sich immer in medialisierter Gestalt, durchlaufen also Selektions- und Übersetzungsprozesse von der geistigen Vorstellung in eine textuelle, bildliche, filmische, ludische usw. Form. Gerade in verschiedenen visuellen Medien mitsamt ihren jeweils spezifische Bildlogiken werden vage futurische Möglichkeitsräume konkretisiert und anschaulich; sie erhalten prägnante audiovisuelle Formen. Diese Formen prägen zugleich die kollektive Imagination, wie Weltraumhabitate in Zukunft aussehen könnten, denn mediale Siedlungsvisionen sind mit an der Erzeugung eines Bildrepertoires der Gesellschaft beteiligt. Sie stellen Produkte und gleichzeitig Motoren einer fortwährenden Kombination, Transformation und Zirkulation von Bildern dar. So finden sich kanonische Ikonographien wie etwa diejenigen der O’Neill-Habitate eben nicht nur als Illustrationen im dazugehörigen Buch wieder, sondern verbreiten sich massenhaft und tauchen in Filmen, Comics oder Fernsehserien, auf Briefmarken oder Buch- und Zeitschriftencovern, ja sogar als Design von Spielzeugen auf. Bereits auf dieser Ebene ist klar, dass Siedlungsvisionen Einfluss auf die Gesellschaft haben, in der sie entstehen: »Die fiktive Realität der fiction bleibt nicht ohne Folgen für die reale Realität« (Esposito 2007: 11, Herv. i.O.). Die Bilder von Orbitalhabitaten, planetaren Städten oder terrageformten Umwelten haben aber auch Einfluss auf die Gesellschaft, indem sie, im Luhmann’schen Sinne, Anschlusskommunikation in Gang setzen. Auf diese Weise fördern Siedlungsvisionen eine diskursive Konfrontation mit dem Status Quo der Gegenwart und seinen potentiellen Entwicklungsmöglichkeiten, mit den Formen und Funktionen des Utopischen und auch seinen scheinbar nicht wegzudenkenden Schattenseiten. Und in einigen Fällen lösen sie auch Anschlusskommunikation aus, die sich nicht nur mit den Möglichkeiten, sondern auch mit den Realisierbarkeiten von Siedlungsvisionen auseinandersetzt – ganz besonders dann, wenn Impulse zur Verwirklichung implizit oder sogar ex-

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plizit in den Entwürfen mitschwingen, was vornehmlich der Fall ist, wenn Wissenschaftler*innen oder milliardenschwere Entrepreneur*innen die Urheber*innen sind. Auch deshalb ist dann einerseits Euphorie umso größer, aber andererseits fallen Skepsis oder Kritik gegenüber solchen Siedlungsvisionen besonders intensiv und affektgeladen aus: Es schwingt die Angst mit, sie könnten vielleicht irgendwann wahr werden – als Utopie der einen und Dystopie der anderen.

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Abbildungsverzeichnis Abb. 1: Star Wars: Episode I – The Phantom Menace. USA 1999, R: George Lucas. DVD. 20th Century Fox 2001. TC: 1.26.13 Abb. 2: Kalpana One exterior. Bryan Versteeg 2011/2012. In: Bryan Versteeg Studios Inc.: Kalpana exterior-hi. Online: https://vimeo.com/92732219. TC: 0.00.26 Abb. 3: Kalpana One tour. Bryan Versteeg 2011/2012. In: Bryan Versteeg Studios Inc.: Kalpana One tour. Online: https://vimeo.com/92732220. TC: 0.00.03 Abb. 4: »Gleichgewicht lebenserhaltender Substanzen«. In Thomas A. Heppenheimer (1977): Eine Arche auf dem Sternenmeer. Besiedlung des Weltalls. Regensburg: Pustet, S. 159 Abb. 5: Surviving Mars: Green Planet. Haemimont Games 2019. In Jez Corden (2019): Surviving Mars DLC »Green Planet« review: A breath of fresh air, literally. Online: https://www.windowscentral.com/surviving-mars-gree n-planet-dlc-review

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Abb. 6: Surviving Mars: Green Planet. Haemimont Games 2019. In Jez Corden (2019): Surviving Mars DLC »Green Planet« review: A breath of fresh air, literally. Online: https://www.windowscentral.com/surviving-mars-gree n-planet-dlc-review Abb. 7: Battle for Terra. USA 2007, R: Aristomenis Tsirbas. DVD. Sony Pictures Home Entertainment 2011. TC: 1.13.07 Abb. 8: Star Trek Beyond. Diverse 2016, R: Justin Lin. DVD. Paramount Home Entertainment 2016. TC: 0.09.08 Abb. 9: Bernal Sphere Interior. Rick Guidice o.J. Online: https://space.nss.org/se ttlement/nasa/70sArtHiRes/70sArt/Bernal_Interior_AC76-0628_5716.jpg

Zur Philosophie der Raumfahrt von Günther Anders Zwischen kopernikanischer Wende und Wiederverwurzelung Marie-Luise Heuser »Obwohl die Leistung so groß ist und unsere, des Menschen, Größe bezeugt – als groß haben wir uns, als wir die Erde im Nichts schweben sahen, nicht erfahren. Im Gegenteil. Als winzig. Sogar als so erschreckend winzig, wie wir uns nie zuvor erfahren hatten.« Günther Anders, 1970

Die ersten Schritte der Menschheit in den Weltraum haben seltsamerweise nur wenige Philosophinnen und Philosophen zu umfassenderen Reflexionen inspiriert, obgleich es sich hierbei zweifellos um einen epochalen Vorgang handelte. Zu diesen Wenigen gehörten Hans Blumenberg und Günther Anders, wobei die »astronoetischen Glossen« von Blumenberg, wie er sie selbst nannte, mit dem Titel Die Vollzähligkeit der Sterne erst posthum 1997 veröffentlicht wurden. Es gibt also tatsächlich nur einen einzigen Philosophen in Westdeutschland, der als Zeitgenosse der ersten Raumflüge ein ganzes Buch über Raumfahrt in dieser Zeit publiziert hat: diese Ausnahmeerscheinung ist Günther Anders mit Der Blick vom Mond. Reflexionen über Weltraumflüge von 1970. Sein Buch hat zwei Teile. Mit dem ersten Teil begann der Gesellschaftskritiker Anders sicher nicht zufällig, als der Sowjetunion am 12. August 1962 erstmals ein Gruppenflug ins All gelang. Der Kosmonaut Andrijan Nikolajev flog mit Wostok 3 und der Kosmonaut Pawel Popowitsch mit Wostok 4 in den Orbit. Ihre Raumschiffe näherten sich bis auf sechs Kilometer und hatten direkten Funkkontakt miteinander, was als enorme Leistung galt, da es zur damaligen

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Zeit noch keine Nachrichtensatelliten gab. Damit konnte die Sowjetunion ihre Erfolgsserie im Weltraum weiter ausbauen, nachdem Juri Gagarin am 12. April 1961 mit Wostok 1 der erste Mensch im All war und German Titow am 6. August 1961 mit Wostok 2 die Erde mehr als 24 Stunden lang und mit mehr als einer Erdumdrehung umfliegen konnte. Veröffentlicht wurde dieser erste Teil von Andersʼ Raumfahrtbuch zunächst in der Zeitschrift Merkur im März 1963.

Abbildung 1: DDR-Briefmarke vom 13.12.1962 nach einem Entwurf von Hans Georg Urbschat. Erster Gruppenflug der Raumschiffe Wostok 3 und Wostok 4 mit Pawel Popowitsch und Andrijan Nikolajew

Quelle: Eigenes Archiv

Zur Philosophie der Raumfahrt von Günther Anders

Den zweiten, umfangreicheren Teil seines Buchs schrieb Anders in der Zeit der amerikanischen Mondumkreisungen und Mondlandungen 1968 und 1969, als die USA das Weltraumgeschehen dominierten und mit ihrer ersten Mondlandung am 21. Juli 1969 die Sowjetunion übertrumpften. Der erste und zweite Teil seines Buchs unterscheiden sich voneinander. Im ersten Teil bewundert er noch vorbehaltlos den »unwiderstehlichen Übermut« (Anders 1970: 21) der sowjetischen Kosmonauten und ihren »Ikarusgesang« (Anders 1970: 21) und meint: »Was kann, nachdem man als singender Gott die Erde umkreist hat, der Broadway noch bieten? Was der Rote Platz? Was die auf die Brust geheftete Medaille?« (Anders 1970: 23) Er vermutet, dass sich zwar die technischen Absichten und Problemlösungen in der UdSSR und den USA ähnelten, dass aber vieles Nicht-Technische in der Sowjetunion völlig anders als in den Vereinigten Staaten sein könnte. Dem schließt er eine Empfehlung an, die bis heute in der Philosophie noch nicht umfassend, zumindest nicht in deutscher Sprache eingelöst wurde und der er selbst wegen fehlender Russischkenntnisse ebenfalls nicht nachkommen konnte: »Gewiß wäre es erforderlich und auch lohnend, eine gesonderte, ebenfalls nicht-technische Untersuchung der Rolle der Raumschiffahrt in der Sowjetunion durchzuführen« (Anders 1970: 17). Arbeiten zum russischen Kosmismus und zur Raumfahrtbegeisterung in der russischen Avantgarde der 1920er Jahre haben die lange zurückreichende Geschichte des Raumfahrtgedankens in Russland aufzeigen können, die dazu führte, dass die Russen im Weltraum etwas anderes suchten als die Amerikaner.1 Ein detaillierter, kulturgeschichtlicher Vergleich von russischer und amerikanischer Raumfahrtphilosophie steht jedoch noch aus. Während Andersʼ Haltung zur sowjetischen Raumfahrt im ersten Teil seines Buchs noch vorwiegend positiv ist, verschärft sich seine Kritik der amerikanischen Raumfahrt im zweiten Teil deutlich, aber nur im Hinblick auf die Rezeption der Raumfahrt durch die Bevölkerung, die Medien und auch die Astronauten selbst. Die wissenschaftlichen und technischen Leistungen werden von ihm nach wie vor ausschließlich positiv als Überschreitung jeglichen

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Zum russischen Kosmismus siehe die Arbeiten von Hagemeister 2003 und Groys 2005, zur russischen Raumfahrtphilosophie Heuser 2009 und zur sowjetischen Raumfahrtkultur die Arbeiten von Maurer et al. 2011 und Schwarz 2014. Mit dem russischen Kosmismus war eine religionsphilosophische Perspektive auf die Raumfahrt verbunden, die in Russland zu einer philosophischeren, aber auch spirituelleren Sicht auf die Raumfahrt führte als in den USA.

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irdischen Maßes angesehen (Anders 1970: 59-60, 62)2 , allerdings mit einem paradoxalen Ergebnis: »Das geschichtlich Epochale unseres Mondfluges besteht darin, daß wir uns haben fähig machen können, den Bereich, innerhalb dessen es menschliche Geschichte gibt, zu verlassen und in die luft- und geschichtslose Luft von anderen Planeten einzudringen. Und darin, daß wir, den Erdball vor Augen, nun dazu gezwungen sind, zuzugestehen, daß wir: nämlich unsere Geschichte auf der Erde, sofern von dieser kosmisch überhaupt Notiz genommen werden sollte (was höchst unwahrscheinlich ist) bestenfalls eine Episode im geschichtsfremden Raum der Natur bleiben, etwas Zeitliches, umschlossen vom Raum des zeitlich Neutralen.« (Anders 1970: 67, Herv. i.O.) Seiner zentralen philosophischen Aussage gemäß, dass das Sinnlichwerden der kopernikanischen Wende zu einer »Degradierung der Erde« (Anders 1970: 59) geführt habe und sich daraus auch die »Allergie gegen die Raumfahrt« (Anders 1970: 61) erkläre, wollte Anders sein Buch zunächst »Die Antiquiertheit der Erde« nennen, um an sein Hauptwerk Die Antiquiertheit des Menschen anzuschließen, wovon er aber dann doch Abstand nahm, da er die Zeit noch nicht für gekommen sah, dass wir unsere Zelte auf anderen Planeten aufschlagen und damit die Erde obsolet würde (Anders 1970: 12). Andersʼ Buch enthält authentische, zeitgenössische Reflexionen eines Philosophen, der selbst kein Techniker oder Naturwissenschaftler war, der aber, wie sonst kaum einer, in die aktuellen politischen Ereignisse seiner Zeit als Oppositioneller involviert war. Sein Buch ist nicht als systematisches Werk angelegt, sondern in Form fortlaufender Reflexionen geschrieben, wobei er in der Vorbemerkung betont, dass die Raketentechnik von ihm nicht behandelt wird, da er auf diesem Gebiet »blutiger Laie« sei und sich zudem 99 Prozent der Raumfahrtliteratur nur auf die Erklärung der technischen Details beschränken würden. Er hat selbst gesehen, dass es auf weiter Flur in der damaligen BRD nur wenige Intellektuelle gab, die sich geisteswissenschaftlich mit der Raumfahrt auseinandersetzten. Sein Buch erschien nach den ersten beiden Mondlandungen der USA, wobei die erste Mondlandung weltweit noch Millionen Menschen vor die Bildschirme zog, während bei der zweiten

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Er meint sogar, dass die Ehrungen, mit denen die Astronauten gewürdigt wurden, Federn seien, »die eigentlich nur den Wissenschaftlern und Technikern zukommen werden« (Anders 1970: 28).

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Mondlandung das Interesse der Bevölkerung schon merklich geschwunden war.

Anders als philosophische Ausnahmeerscheinung Meine folgenden Ausführungen geben weniger eine Darstellung des Inhalts von Andersʼ Der Blick vom Mond, auch keine hermeneutische Interpretation, sondern fokussieren sich auf die Frage, wie es kommen konnte, dass Anders, noch dazu als nicht-universitärer Philosoph, der einzige weit und breit in der philosophischen Scientific Community Westdeutschlands war, der als Zeitgenosse der frühen Raumfahrt ein ganzes philosophisches Buch über die Raumfahrt schrieb und auch in dieser Zeit veröffentlichte. Was machte Anders zu einer solchen Ausnahmeerscheinung?3 Obwohl Anders im Umkreis der Frankfurter Schule um Theodor W. Adorno, Max Horkheimer und Herbert Marcuse zu den neomarxistischen Technikkritikern gehörte, die die Technik als Ergebnis einer bloß instrumentellen Vernunft werteten, und er mit seinem zweibändigen Werk Die Antiquiertheit des Menschen von 1956 (erster Band) und 1980 (zweiter Band) die Selbstabschaffung des Menschen durch die industrielle Entwicklung prophezeite, war er von der Raumfahrttechnik doch in hohem Maße fasziniert.4 Er sah darin eine großartige Verwirklichung alter Wunschträume und Mythen der Menschheit und teilte nicht die Auffassung vieler damaliger Kulturträger, die eine technische Entzauberung dieser uralten Erzählungen beklagten: »Für die Hüter der ›Kultur‹ ist es jedenfalls selbstverständlich, daß Sagen, die von mißlungenen Heroenleistungen berichten, wie der Mythos des Ikaros, 3

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Philosophen wie Edmund Husserl, Carl Schmitt, Helmuth Plessner, Arnold Gehlen, Hannah Arendt, Emanuel Levinas oder Martin Heidegger setzten sich in der Frühzeit der Extraterrestrik ebenfalls mit der Raumfahrt auseinander, aber nur am Rande, ohne dazu eine Monografie zu verfassen. Hans Blumenbergs Reflexionen zur Raumfahrt erschienen, wie schon ausgeführt, erst posthum (Blumenberg 1998). Die philosophische Situation in der ehemaligen DDR war eine andere und ist hier nicht Thema. Hannah Arendt dagegen, die mit Anders von 1929 bis 1937 verheiratet war, befürchtete eine Zerstörung der evolutionär entstandenen, terrestrischen Wahrnehmungsmodalitäten und Denkkategorien des Menschen durch die Raumfahrt und damit eine Zerstörung der »Statur des Menschen«, eine »Mutation der menschlichen Gattung« als Folge der bemannten Raumfahrt, die vom »sinnlosen Formalismus der mathematischen Zeichen« geprägt sei (Arendt 2000: 388).

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›Kulturgüter‹ darstellen, während wirkliche Flüge bestenfalls in die Chronik der ›technischen Zivilisation‹ eingetragen werden. Warum eigentlich? Warum sollten die gestrigen Sehnsuchtsträume vom Fliegen etwas Besseres, Nobleres, Kultivierteres sein als die heutigen wirklichen Erfüllungen dieser kollektiven Sehnsüchte? Ist Fiktivität vielleicht ein Adelsprädikat, Verwirklichung ein Manko? Machen wir uns von diesen Kulturvorurteilen frei. Nicht nur gilt, daß die enormen Leistungen, die der Technik von heute gelungen sind, die Träume der Menschheit genauso deutlich enthüllen, wie das die Mythen und Märchen der Vorzeit getan hatten, sondern außerdem, daß sie diese Träume erfüllen. Mit ruhigstem Gewissen dürfen wir sogar erklären, daß die Kosmonauten, da sie die Region der Erde verlassen und über dieser geschwebt, jedenfalls außer dieser rotiert haben, eine wirkliche ›Himmelfahrt‹ unternommen haben und wirklich ins ›Überirdische‹ vorgestoßen sind; so wirklich, daß wir eigentlich auf die Anführungszeichen beim Schreiben der Worte ›Himmelfahrt‹ und ›überirdisch‹ verzichten dürfen.« (Anders 1970: 137f., Herv. i.O.) Dieses Zitat zeigt deutlich, wie Anders über den Kulturbetrieb im Westen dachte. Im Bildungsbürgertum schätzte man zwar den Mythos des Fliegens in den extraterrestrischen Raum, wie den Ikarus-Mythos, als hohes Kulturgut, aber sobald Fiktionen prometheisch in technische Realität übertragen wurden und diese nicht scheiterten, winkten sie gelangweilt ab. Aber, so Anders, nicht nur Techniker haben Mythen säkularisiert und durch ihre Kunstfertigkeit verändert, sondern auch Dichter und Musiker: »Als Stefan George vor 60 Jahren in seinem Gedicht ›Entrückung‹ dichtete: ›Ich fühle luft von anderen planeten‹, und als Schönberg diese Worte in sein zweites Streichquartett einbaute, da hatten die zwei das Überirdische natürlich auch schon der Religion oder den Mythen ›entrückt‹, nämlich der Dichtung und der Musik einverleibt. Wenn man das Wort ›überirdisch‹ für unantastbar hält, dann müßte man gegen dessen Verwendung in der Kunst oder in der Philosophie ebenso schroff protestieren wie gegen dessen Verwendung zur Bezeichnung der heutigen technischen Leistungen, die uns tatsächlich über die Sphäre des Irdischen hinaustragen. Aber warum sollte unsere heutige Fähigkeit, uns in der ›Luft‹ (bzw. in der Luftlosigkeit) anderer Planeten aufzuhalten, weniger sein als das bloße ›Fühlen‹ Georges oder Schönbergs? Und warum sollte das Surrogat etwas Besseres sein als das, was es substituiert?« (Anders 1970: 140f., Fußnote 1, Herv. i.O.)

Zur Philosophie der Raumfahrt von Günther Anders

Die Differenz zwischen schöngeistiger Kultur und prosaischer technischer Zivilisation findet sich im Rahmen konservativen Denkens besonders in Deutschland schon seit dem frühen 20. Jahrhundert, man denke nur an Georg Simmel, Rudolf Eucken oder Erich Rothacker. Die damit einhergehende Eigentümlichkeit des deutschen Kulturbegriffs, der sich, lebensphilosophisch und antiamerikanisch gefärbt, gegen die industrielle und großstädtische Zivilisation richtete, wirkt bis heute nach und beeinflusst bis heute die Definition von Kultur und Kulturwissenschaften, ungeachtet der Verstrickungen einiger dieser Denker in den Nationalsozialismus.5 Der konservative Kulturbegriff wurde von Anders nicht geteilt. Er lehnte es sogar ab, »Kulturphilosoph« genannt zu werden (Gʼschrey 1991: 5). Stattdessen verteidigte er die amerikanische Zivilisation, die er im Exil kennengelernt hatte. Die Amerikaner seien seit Generationen mit Recht stolz auf ihre neue Welt (Anders 1967: 15f.). Offenbar ging es Anders bei seiner Technikkritik nicht darum, die moderne Technikentwicklung auszubremsen und die Menschen in einen vorindustriellen Zustand zurück zu versetzen, sondern darum, die Menschen so zu stärken, dass sie der technischen Entwicklung gewachsen sind. Seine Technikkritik erfolgte vor der Folie humanistischer Anthropologie, die einige Ähnlichkeiten mit der Philosophischen Anthropologie von Helmuth Plessner aufweist, insbesondere mit dessen Gesetz von der natürlichen Künstlichkeit. Demnach ist der Mensch von Natur aus nicht festgelegt wie eine Pflanze oder ein Tier, sondern seine Natur besteht darin, künstlich zu sein und künstliche Welten aufzubauen. Seine »›Natur‹«6 bestehe »eben gerade darin […], dass er seine Welten selbst produziert, und sie wechseln und immer wieder neu erfinden kann«, so Anders einen Vertreter der Philosophischen Anthropologie wiedergebend (Anders 1967: 205). Seine Erfindungsgabe und Kreativität befreit den Menschen von seiner Umweltabhängigkeit und seiner Fesselung an organische Kreisläufe. Er ist fähig, vollkommen neue Welten zu schaffen. Dazu gehört auch die Raumfahrt, die ihn dazu befähigt, die Biosphäre zu verlassen und sich als kosmisches Wesen zu etablieren, eine Intention, die bereits in den Mythen angelegt war

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So unterschrieb beispielsweise Erich Rothacker zusammen mit dreihundert Kollegen 1933 eine Wahlkampfhilfe für die NSDAP: »Die deutsche Geisteswelt für Liste 1. Erklärung von 300 deutschen Universitäts- und Hochschullehrern«, erschienen am 4. März 1933 in der NSDAP-Zeitung Völkischer Beobachter. Anders setzt »Natur« an dieser Stelle selbst schon in Anführungszeichen.

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und die Phantasie seit den Uranfängen der Menschheit beflügelte. »Und darin liegt eben seine ›Natur‹. Also in seiner Künstlichkeit. Oder wenn Sie lieber ›Freiheit‹ sagen: in seiner Freiheit, so zu sein, oder auch so« (Anders 1967: 204).7 Seit 1929 schrieb Anders nach eigener Aussage an einem systematischen Werk zur philosophischen Anthropologie, die in eine Naturphilosophie eingebaut war. Auch in seinem Pariser Exil war er damit noch befasst (Anders 1987: 27).8 Damit gehörte Anders zu denen, die eine »anthropologische Wende« innerhalb der Philosophie vollzogen.9 Leider konnte er sein Werk nicht vollenden, da er in die USA emigrieren musste und zunächst einmal um seinen Lebensunterhalt zu kämpfen hatte. Einiges davon ist aber in seinen Aufsatz Pathologie de la Liberté eingegangen, der in der renommierten, unter anderem von Alexandre Koyré herausgegebenen Zeitschrift Recherches philosophiques erschien (Anders 1936/1937). Seine dort von ihm vertretene These von der »Verurteilung zur Freiheit« soll, so ein spätes Bekenntnis von Jean-Paul Sartre (nach Auskunft von Anders), nicht unwesentlich die Entstehung des Existentialismus beeinflusst haben (Schubert 1992: 33, König 1993: 1079). Die Freiheit des Menschen ist für Anders ein sehr hohes Gut, das er, oft mit Rekurs auf Immanuel Kant und Johann Gottlieb Fichte, gegen alle verteidigt, die den Menschen wieder einbinden möchten in eine organizistisch verstandene Natur oder ein fundamentalontologisch verstandenes Sein.10 »Das freie Subjekt, das in der Epoche von Kant und Fichte am Aufbau einer Gesellschaft freier Bürger hatte mitwirken wollen« (Anders 2001: 94-95), bleibt 7

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Auch diese Sätze stammen von einem Vertreter der Philosophischen Anthropologie, den Anders hier nur wiedergibt. Jedoch gleich anschließend schreibt er in diesem Tagebucheintrag vom Juni 1951, dass er die Formel von der Nichtfestgelegtheit der Natur des Menschen vor zwanzig Jahren »selbst leidenschaftlich vertreten« (Anders 1967, 205) habe und dafür sogar von Cassirer angegriffen worden sei. In Paris hielt er sich von 1933 bis 1936 auf. Dann musste er vor den Nazis in die USA fliehen. Zur »anthropologischen Wende« von 1928 bis 1934 siehe Fischer 2008, S. 97-133. Fischer geht zwar auf die Aufsätze von Anders aus jener Zeit ein, nicht aber auf Andersʼ unvollendetes, systematisches Werk zur philosophischen Anthropologie. Möglicherweise harren die entsprechenden Manuskripte noch auf ihre Entdeckung. Anders sagte dazu: »Das alles war systematisch vorbereitet, vom Jahre 1929 an, und sehr viele dieser Materialien werden, in dem sehr unwahrscheinlichen Falle, daß sich jemand einmal dafür interessieren sollte, gefunden werden« (Anders 1987: 27). Zu Kants Begriff der Autonomie siehe Anders 2001, S. 101 oder S. 93, wo er beklagt, dass in Heideggers Philosophie »keine Krume bleibt vom politischen Begriff der ›Freiheit‹, wie ihn die großen Theoretiker der bürgerlichen Revolution formuliert hatten.«

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für Anders zeitlebens das Ideal, das es zu verwirklichen gelte, das aber durch die realen Machtverhältnisse immer wieder behindert worden sei. Auffällig ist seine besondere Wertschätzung Fichtes, dessen Theorie der Selbstsetzung des Ichs von Anders politisch verstanden wird, wobei er scharfsinnig bemerkt, dass diejenigen, die die Natur gegen diese Freiheitsphilosophie ins Felde führten, meist von Ressentiments angetrieben worden seien, die sich aus dem Zurückbleiben rückständiger Gruppen ergeben hätten, die nicht in die bürgerliche Gesellschaft integriert worden seien (Anders 2001: 86-87).11 Dazu zählt er auch das Kleinbürgertum. Eine naturalistisch verankerte Theorie, die gesellschaftliches Handeln nach Maßgabe der Natur oder nach Maßgabe eines natürlichen Seins ausrichten wollte, war Anders äußerst suspekt. Das Gegenteil einer humanistisch gefassten Anthropologie ist für ihn eine Anthropologie, die die Freiheit der Entwicklung, aber auch die Freiheit der Bewegung, sei sie nun horizontal auf der Erde oder vertikal in Richtung extraterrestrischen Raum, einschränken würde. Die von ihm hergestellte Verbindung von Freiheit und Raum in Auseinandersetzung mit Martin Heideggers Sein und Zeit ist philosophiehistorisch sehr interessant12 und zeigt, dass Anders schon frühzeitig in Konfrontation zur sich abzeichnenden Bodenorientierung der philosophischen Hauptströmungen in Deutschland ging, woraus sich auch seine singuläre Rolle als Raumfahrtphilosoph erklärt. Als Anders »1926 oder 1927« (Anders 1987: 23) Heidegger in Marburg besuchte, kam es zu einer stürmisch verlaufenden Diskussion, während der das Reisen und auch das »Flug-Zeitalter« eine zentrale Rolle spielte: »Ich warf ihm [Heidegger, MLH] vor, daß er eigentlich nur die Zeit, aber nicht den Raum als ›Existenzial‹ behandelt habe. Zwar komme der ›Umraum‹ bei ihm vor. Aber nicht zufällig heißt ja auch sein opus magnum nicht ›Sein und Raum‹ […] kurz: ich machte ihm den Vorwurf, daß er den Menschen als Nomaden, als Reisenden, als Internationalen ausgelassen, daß er die menschliche Existenz eigentlich als pflanzliche dargestellt habe, als die Existenz ei-

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Fichte und Cusanus gehörten zu den Themen seiner Promotionsprüfung bei Husserl (Anders 1987: 26-27). Eine Verbindung von Freiheit und Raum wurde meines Wissens vor ihm nur von Friedrich Wilhelm Joseph Schelling in seiner Berliner Vorlesung von 1843/44 hergestellt, wo es wörtlich heißt: »diese Weite und Freiheit ist der Raum« (Schelling 1861: 313). Schelling war es auch, der in der gleichen Vorlesung die zunehmende Freiheit der Bewegung von pflanzlichen zu tierischen Organismen als evolutionären Fortschritt wertete und die Freiheit von der Erdgebundenheit als menschliches Charakteristikum ansah.

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nes Wesens, das eingewurzelt sei an einer Stelle und diese Stelle nicht verlasse. Was ja biographisch auch wirklich auf ihn zutrifft, denn er hat mit einer Zähigkeit an der Gegend seiner Geburt gehangen, die mir bei anderen Zeitgenossen unseres Flug-Zeitalters niemals begegnet ist. […] Ich machte ihm also damals den Vorwurf, daß er dem Menschen noch nicht einmal die Beweglichkeit des Tieres zugestehe, diese jedenfalls nicht als Existenzial behandle, nein, daß er ihn eigentlich als ein Wurzelwesen, also als eine Pflanze betrachte, und daß eine solche Wurzel-Anthropologie die ominösesten politischen Folgen nach sich ziehen könnte.« (Anders 1987: 24) Zur Kritik an der »Wurzel-Anthropologie« passt Andersʼ Kritik an der rückständigen, am Handwerk orientierten »Schuster-Ontologie«. Diesen Topos der Heidegger-Kritik griff er von Max Scheler auf, der neben Plessner ein weiterer Vertreter der Philosophischen Anthropologie war, die Anders demnach sehr gut kannte und deren Position er, zumindest zeitweise, teilte. »Seine [Heideggers, MLH] ›Zeugwelt‹ ist eine des dörflichen Handwerkers, eine Werkstattwelt. Scheler nannte seine Philosophie zu Recht eine ›Schusterontologie‹. Fabriken gibt es in Sein und Zeit noch nicht, die Analysen sind nicht nur un- oder anti-, sondern vormarxistisch, nein, sogar vorkapitalistisch. Sofern er in den frühen zwanziger Jahren irgendwelche politischen Neigungen gehabt hat, so waren diese […] eigentlich nur Abneigungen, so gegen die Großstadt und gegen die Demokratie, die er mit der ›doxa‹ identifizierte. Im Reichstag eine ›Quatschbude‹ zu sehen, war ihm nicht weniger natürlich als Hitler.« (Anders 1987: 22f.) Anders wollte nicht zurück in eine vorkapitalistische, dörfliche Scheinidylle naturnahen Lebens. Schon in jungen Jahren erkannte er, dass die zur Zeit der Weimarer Republik von vielen gewünschte Konservative Revolution politische Verwerfungen nach sich ziehen würde und die Weltanschauung von »Blut und Boden« nicht fern lag. Statt eine Wiederverwurzelung im Boden favorisierte Anders die zunehmende Freiheit vom Boden, die sich schließlich in der Raumfahrt verwirklichte. Mit der Zurückweisung der Heideggerʼschen Position als »Wurzel-Anthropologie« und mit dem Hinweis auf ihre möglichen, fatalen politischen Folgen traf Anders den Nagel auf den Kopf, und dies Jahre bevor mit der Veröffentlichung der »Schwarzen Hefte« (Heidegger 2020a, 2020b) und der darin zum Ausdruck gebrachten nationalsozialistischen An-

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sichten die Diskussion um Heideggers Ziel der »Wiederverwurzelung« Gegenstand der Auseinandersetzung wurde.13 Die Technikkritik von Anders resultiert aus einer vollkommen anderen philosophischen Position aus als diejenige Heideggers.14 Anders geht es um eine Rettung der Menschheit, um eine Aufrechterhaltung seiner subjektiven Handlungsautonomie trotz Mechanisierung aller Handlungsabläufe und drohender Selbsteliminierung durch seine Produkte. Das »prometheische Gefälle«, das er in seinem Hauptwerk Die Antiquiertheit des Menschen als Topos eingeführt hatte, womit er ausdrücken wollte, dass vor allem die Vorstellungskraft des Menschen der technischen Entwicklung nicht mehr gewachsen ist, der aber oft so missverstanden wurde, als sei die von uns geschaffene Technik schuld daran, dass wir uns überflüssig machen, wird in seinem Raumfahrtbuch immer wieder aufgegriffen, aber korrigierend exemplifiziert (z.B. Anders 1970: 25). Demnach sind nicht unsere Produkte mangelhaft oder lassen dies oder jenes zu wünschen übrig. Im Gegenteil ist ihre Perfektion märchenhaft, ihre Leistungen sind immens. Deren Leistungen sind für uns nur »überschwellig« (Anders 1970: 44), was für Anders eine andere Bezeichnung für »übersinnlich« ist, woran man seine phänomenologische Herkunft erkennt. Aber er konzediert, dass es diese Überschwelligkeit auch in anderen, nichttechnischen Bereichen gibt, wo sie ganz natürlich ist: »Keinem Mathematiker würde es einfallen zu versuchen, einen von ihm selbst axiomatisch entworfenen (und damit in gewissen Sinne von ihm ›produzierten‹) nichteuklidischen Raum sinnlich ›einzuholen‹, sich diesen also zur Anschauung zu bringen; und auch wir Laien operieren ja bedenkenlos mit Zahlen, die unsere Vorstellungskraft hinter sich lassen. In diesem Gebiete ist uns also das ›Gefälle‹, die Tatsache, daß eigene Produkte für unsere Sinnlichkeit ›überschwellig‹ werden, vertraut, und mit Recht liegt uns nichts ferner, als in diesem ›Gefälle‹ zwischen Sinnlichkeit und Denken ein menschliches Manko zu sehen. Umgekehrt beweist dieses Gefälle sogar Freiheit: nämlich unsere Fähigkeit, uns von dem gerade Sichtbaren und dem Vorstellbaren loszumachen und wunderbarerweise trotzdem in der Dimen-

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Siehe beispielsweise Rohkrämer 2005, der allerdings selbst Heideggerianer ist und Heideggers Philosophie zu retten versucht. Ich danke Dierk Spreen für seine wichtigen Hinweise zur frühen Heidegger-Kritik von Anders.

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sion des Verifizierbaren zu bleiben. Dieser Punkt darf nicht unterschlagen werden.« (Anders 1970: 44f., Herv. i.O.)15 Mit dieser Wertschätzung der Freiheit des Menschen, sich vom sinnlich Gegebenen abziehen zu können, um kreativ neue, künstliche Welten zu schaffen, ist Anders auch meilenweit weg von seinem Lehrer Edmund Husserl, dem Begründer der Phänomenologie, der umgekehrt ein Zurück zu den Sachen selbst und eine lebensweltliche Orientierung gefordert hatte und der mit dem von ihm eingeführten Konzept der Intentionalität immer auf das (nur) Gegebene schaute, es aber kaum vermochte, einmal wirklich abzuheben. Husserls Bewegungslehre, die Kinästhese, kennt nur sukzessive Verschiebungen wahrgenommener Mannigfaltigkeiten und damit Horizontverschiebungen (Husserl 1991: 154-203), aber kein Gewahrwerden des Raumes selbst (Heuser 2020). Die ersten Raumfahrer waren aber genau davon ergriffen, von der ungeheuren, ungegenständlichen Schwärze des Weltraums. Emmanuel Levinas war einer der wenigen, der dies, implizit gegen Husserl gewendet, erfasst hatte. Zu Gagarins Raumflug schrieb er: »Eine Stunde lang hat ein Mensch außerhalb jedes Horizonts existiert – alles um ihn herum war Himmel, oder genauer gesagt, alles war geometrischer Raum. Ein Mensch existierte im Absoluten des homogenen Raumes« (Levinas 1992: 176). Die Fähigkeit, auch theoretisch vom eigenen lokalen Standort abstrahieren zu können, zeigte sich in der kopernikanischen Wende, die erstmals aus der Perspektive der Sonne unser Planetensystem betrachtete und damit den Geozentrismus aufhob.

Philosophiehistorische De- und Reterritorialisierungen Das zur Zeit der Mondlandungen zur Schau gestellte Desinteresse der akademischen Philosophie an der Raumfahrt scheint umso erstaunlicher, als das Universum zu den zentralen Themen der Philosophiegeschichte seit der Antike gehörte. Es war zudem ein Philosoph, Giordano Bruno, der in der Zeit der Renaissance erstmals den Weltraum für den Menschen kognitiv öffnete und als Freiheitsraum mit zahllosen Möglichkeiten dachte. Mittels Gedankenexperimenten durchquerte er »mit den Flügeln des Geistes« die vielen Welten 15

Der letzte Satz dieses Zitats bezieht sich möglicherweise auch auf Hannah Arendts vollkommen andere, vorwiegend negative Bewertung der Mathematik in ihrem Raumfahrtessay von 1968, der auf einen Vortrag von ihr von 1962 zurückging (Arendt 2000: 477).

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des Universums und überlegte sich, wie wohl die Erde vom Mond aus betrachtet aussehen würde und zu welch kleinem Punkt unsere Erde aus der Perspektive eines entfernten Planeten würde. In seinem Werk von 1591 De Immenso findet sich eine erste Philosophie des Raumfluges zum Mond und anderen Himmelskörpern auf der Grundlage der neuen kopernikanischen Astronomie, die er als Befreiung aus dem geschlossenen, geozentrischen Weltsystem des Mittelalters feierte. Er machte sich auch bereits Gedanken über eine Anthropologie der Raumfahrt, indem er danach fragte, was der Antrieb für den Menschen ist, Grenzen immer wieder überwinden zu wollen, auch die Grenzen der Erde. Seine verblüffende Antwort war, dass der Mensch ein Grenzgänger zwischen dem Endlichen und Unendlichen ist, da er über einen endlichen Körper, aber einen unendlichen Geist verfüge, wie die Mathematik ja zeige.16 Aus dieser Spannung resultiere eine Sehnsucht, mit dem endlichen Körper das Unendliche erreichen zu wollen. Je Erreichtes genüge daher nicht. Die Sehnsucht treibe ihn zu immer neuen Möglichkeiten. Für Bruno sind es also affektive Energien, die die Menschen auch über die Grenzen der Erde hinaustreiben.17 Es ist sicher nicht zufällig, dass sich Helmuth Plessner und Hans Blumenberg, die, wie Anders, ebenfalls ein kritisches, aber grundsätzlich positives Verhältnis zur Raumfahrt hatten, auf die Renaissance-Philosophie Giordano Brunos zurückbezogen, allerdings vornehmlich auf seine italienischen Schriften, ohne auf sein wichtiges lateinisches Werk De Immenso näher einzugehen.18 Letzteres gilt auch für die Raumfahrtpioniere der Weimarer Republik (Heuser/Hühn 2020). Eine weitere bedeutende historische Station in der Deterritorialisierung des Menschen war die Zeit des Deutschen Idealismus und der Romantik. Der Begründer der dynamistischen Naturphilosophie der Romantik, Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, war ein großer Verehrer von Giordano Bruno, zu dessen Metaphysik er eine Monografie schrieb (Schelling 1802). Er rezipierte aber auch intensiv die zeitgenössischen naturwissenschaftlichen Forschungsergebnisse, insbesondere die der Kosmologie. Er beschäftigte sich unter anderem mit den astronomischen Entdeckungen Wilhelm Herschels,

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Der Mathematiker Georg Cantor bezog sich auf Brunos Unendlichkeitsidee und auf die des Cusanus, als er seine transfiniten Zahlen einführte. Siehe dazu Heuser 1991. Weitere Ausführungen in Heuser 2008 und 2016. Siehe Plessner 2014, Blumenberg 1976 sowie Blumenberg 1975 und beispielsweise Anders 1970, S. 61 und S. 149. Auch Ernst Bloch (1972) hat die Philosophie Brunos und insgesamt die der Renaissance besonders gewürdigt.

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der erstmals die durch Teleskope sichtbaren, entfernten Nebel als andere Galaxien bestimmen konnte, nachdem schon Immanuel Kant eine entsprechende Nebularhypothese aufgestellt hatte. Schelling fragte sich, ob der Anthropozentrismus eigentlich noch zu rechtfertigen ist, da anzunehmen sei, dass in anderen Galaxien Wesen existieren, die mit uns wenig Ähnlichkeiten haben. Das Wesen des Menschen bestimmte er als nicht erdgebunden. Die Menschheit sei zwar auf der Erde ursprünglich entstanden, aber nicht, um an sie gefesselt zu bleiben. Die Menschen sind keine lokalen, sondern universale Wesen. Sie sollten das Universum als ihre Heimat ansehen.19 Von dieser Sichtweise und der durch sie bestimmten Rolle des Menschen im Universum war offenbar auch noch Anders geprägt, wahrscheinlich vermittelt über Max Schelers Die Stellung des Menschen im Kosmos von 1928 (Scheler 1928). Die in der Philosophie seit ihren antiken Anfängen verankerte universale Denkweise und kosmische Anthropologie wurde im Verlaufe des späten 19. Jahrhunderts zunehmend in Frage gestellt. »Zurück zu den Sachen selbst« wurde eine einflussreiche Devise. Konzentriert euch auf die sinnlich erfahrbare, lokale »Lebenswelt« war die Forderung, die insbesondere von Edmund Husserl, dem Begründer der philosophischen Richtung der Phänomenologie, an seine Zeitgenossen gerichtet wurde. Auf die Spitze getrieben wurde dieser Rückgang auf die beschränkte Alltagswelt mit dem von Husserl 1934 verfassten, aber erst 1968 posthum veröffentlichten Aufsatz, in welchem er den »Umsturz der kopernikanischen Lehre«, mithin einen neuen Geozentrismus postulierte. Demnach ist die »Ur-Heimstätte« Erde für ihn ein unhintergehbares Absolutes, auf das sich jegliche Raumrelationen beziehen, und der Erdboden aus der Perspektive des »Seinssinns« das Apriori aller raumzeitlichen Koordinatensysteme. Sein Antikopernikanismus gipfelte in der Behauptung: »Die Ur-Arche Erde bewegt sich nicht« (Husserl 1968: 307). Der Raumfahrt steht er skeptisch gegenüber (Heuser 2020). Diese Ansicht ist durchaus eine logische Konsequenz seiner phänomenologischen Reduktion. Ob beabsichtigt oder nicht, fügte sich seine Bodenorientierung recht gut in die BodenIdeologie dieser Zeit um 1934 ein.

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In seiner Berliner Vorlesung von 1843/44 verknüpfte er den Übergang von der Naturphilosophie zur Anthropologie, also den Übergang von der Natur zum Menschen interessanterweise mit der Frage nach der Erdgebundenheit des Menschen, also mit der Frage, ob wir wirklich nur Erdlinge sind (Schelling 1861: 389-390). Weitere Ausführungen in Heuser/Hühn 2020.

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Die Phänomenologie Husserls übt bis heute einen kaum zu überschätzenden Einfluss auf die Art und Weise aus, wie von uns Realität wahrgenommen wird. Grundlegende Denkweisen in Europa wurden durch sie geprägt, auch deshalb, weil sie von Deutschland nach Frankreich wirkte und dort die großen Denker des 20. Jahrhunderts von Jean-Paul Sartre bis hin zu Jacques Derrida beeinflusste.20 Auch Anders war ein Schüler Husserls und bekannte sich zeitlebens zu dessen Philosophie. Es wäre zu untersuchen, wie sich dies auf seine eigene Denkentwicklung auswirkte, denn ganz so durchschlagend konnte dieser Husserlʼsche Einfluss zumindest mit Bezug auf die Bewertung des Kopernikanismus und der Raumfahrt nicht gewesen sein, da Anders die kopernikanische Wende als das wesentliche neuzeitliche Ereignis und als primär wissenschaftliche Tatsache wertete. Die durch die Raumfahrt möglich gewordene extraterrestrische Sicht wird von Anders geradezu als ein Sinnlichwerden der kopernikanischen Wende beschrieben. Das, was die Menschheit vorher nur theoretisch wusste, wurde nun erstmals mit eigenen Augen gesehen: »die vereinsamt durch die Schwärze des Raums rollende irrelevante Kugel unserer Erde« (Anders 1970: 61). Damit hätte die Menschheit eigentlich ihre Geozentrik und Egozentrik verlieren müssen. Das Gegenteil ist aber eingetreten, wahrscheinlich, so vermutet Anders, weil das Trauma der Erniedrigung zu groß war: »Trotz der Tatsache, daß wir die kopernikanische Degradierung der Erde, von der wir lange genug gewußt hatten, aber doch eben nur gewußt hatten, nun zum ersten Male mit eigenen Augen wahrnehmen, trotz dieser Tatsache enthält doch die Faszination, mit der wir statt auf unser Reiseziel: den Mond, auf die vom Monde aus sichtbare Erdkugel starren, ein anti-kopernikanisches Element in sich. Der Anblick war erschreckend, so rasch wird dieses Trauma nicht verheilen.« (Anders 1970: 59) Mit Martin Heidegger21 erreichte die Umkehrung der kosmischen Orientierung in eine lokal erdgebundene seit den 1930er Jahren schließlich einen Hö-

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Traugott König schreibt zu den dreißiger Jahren: »Drei deutsche Philosophen: Hegel, Husserl, Heidegger, haben das Denken der Generation Sartres im Frankreich der dreißiger Jahre so nachhaltig geprägt, daß man heute von der Generation der drei großen H spricht« (König 1993: 1075). Anders zitiert bezogen auf Heidegger eine französische Zeitschrift, die sogar von der zweiten deutschen Invasion sprach: »La deuxieme invasion allemande« (Anders 2001: 42). Heidegger wurde 1919 Assistent von Husserl und war ein enger Vertrauter von ihm.

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hepunkt, indem dieser eine »Wiederverwurzelung« im lokalen Sein der Heimat forderte. Die Raumfahrt war daher für ihn nur noch mit einem Schrecken verbunden. So beklagt er in einem berühmten Spiegel-Interview von 1966, das erst nach seinem Tod 1976 veröffentlicht werden durfte: »Es funktioniert alles. Das ist gerade das Unheimliche, daß es funktioniert und daß das Funktionieren immer weiter treibt zu einem weiteren Funktionieren und daß die Technik den Menschen immer mehr von der Erde losreißt und entwurzelt. Ich weiß nicht, ob sie erschrocken sind, ich bin jedenfalls erschrocken, als ich jetzt die Aufnahmen vom Mond zur Erde sah. Wir brauchen gar keine Atombombe, die Entwurzelung des Menschen ist schon da.« (Heidegger 1976: 206) Heidegger ist also erschrocken, als er die Fotos sah, die vom Mond aus von der Erde gemacht wurden, aber nicht etwa, weil er sich plötzlich der kosmischen Dimensionen unserer extraterrestrischen Umgebung bewusst geworden wäre und darin die zu einer kleinen Kugel geschrumpfte Erde als existentiell bedroht angesehen hätte, sondern weil damit sinnfällig wurde, dass die Menschen nicht mehr an die Erde gebunden sind, also in seiner Terminologie »entwurzelt« wurden. Die Spiegel-Interviewer kannten sich in der Geschichte gut genug aus, um zu erkennen, dass genau diese Topoi der »Entwurzelung« und »Wiederverwurzelung« die Nähe Heideggers zum Nationalsozialismus und deren »Blut- und Boden«-Ideologie zeigten. Da es in dem Interview vor allem um Heideggers politische Verstrickungen im Dritten Reich ging, führten sie das Gespräch bezogen auf die Verwurzelungs-Metapher auf diesen politischen Kontext zurück: »Kommen wir zu unserem Anfang zurück. Wäre es nicht denkbar, den Nationalsozialismus einerseits als Verwirklichung jener ›planetarischen Begegnung‹ [der modernen Technik mit dem neuzeitlichen Menschen, M.H.], andererseits als den letzten, schlimmsten, stärksten und zugleich ohnmächtigsten Protest gegen diese Begegnung der ›planetarisch bestimmten Technik‹ und des neuzeitlichen Menschen anzusehen?« (Heidegger 1976: 214) Jemand wie Heidegger, der sich dem Nationalsozialismus zumindest eine begrenzte Zeit lang angeschlossen hatte, wisse sicher, so die Interviewer Rudolf Augstein und Georg Wolff, dass Begriffe wie »Heimat« und »Verwurzelung«, an die sich Heidegger klammere, »keinen Bestand haben« (Spiegel-Interview 1976: 214). Darauf erwiderte Heidegger:

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»Das würde ich nicht sagen. Mir scheint, sie nehmen die Technik doch zu absolut. Ich sehe die Lage des Menschen in der Welt der planetaren Technik nicht als ein unentwirrbares und unentrinnbares Verhängnis, sondern ich sehe gerade die Aufgabe des Denkens darin, in seinen Grenzen mitzuhelfen, daß der Mensch überhaupt erst ein zureichendes Verhältnis zum Wesen der Technik erlangt. Der Nationalsozialismus ist zwar in die Richtung gegangen; diese Leute aber waren viel zu unbedarft im Denken, um ein wirklich explizites Verhältnis zu dem zu gewinnen, was heute geschieht und seit drei Jahrhunderten unterwegs ist.« (Heidegger 1976: 2014) Damit hatte sich Heidegger im Kontext von antimoderner Technikkritik und Nationalsozialismus genauestens verortet. Er distanzierte sich auch 1966 noch nicht grundsätzlich vom Nationalsozialismus, da dieser aus seiner Sicht durchaus in die richtige Richtung gegangen sei, aber leider geleitet von Führern, die zu »unbedarft im Denken« gewesen wären. Implizit sagt Heidegger damit, die richtige Richtung des Nationalsozialismus hätte nur besser denkerisch begleitet werden müssen, um zu einem Erfolg werden zu können. Dies könnte man als eine elitäre NS-Position kennzeichnen. Vor dem Hintergrund der skizzierten einflussreichen, philosophischen Strömungen der Phänomenologie Husserls und der Fundamentalontologie Heideggers ist es nicht mehr so verwunderlich, dass sich in der BRD bis heute eine eher skeptische Haltung gegenüber der Raumfahrt manifestiert hat22 und offenbar aus Mangel an Interesse kaum philosophische Bücher über Raumfahrt geschrieben wurden. Die Ausnahmen Blumenberg und Anders waren beide entschiedene Gegner der rückwärtsgewandten »WurzelAnthropologie« Heideggers, die den Menschen wieder an den heimatlichen Boden binden wollte. Meine These ist, dass Anders auch deshalb aufgeschlossen für die Raumfahrt sein konnte, da er schon in den 1920er Jahren erkannt hatte, dass die Antimoderne Heideggers eine gefährliche Nähe zum Nationalsozialismus aufwies, was er dann im französischen und amerikanischen Exil in den 1930er und 1940er Jahren als grundsätzliche Heidegger-Kritik weiter ausbaute.23 22

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Das Motto »Raumfahrt für die Erde«, das unter anderen von der Wissenschaftsministerin Edelgard Buhlman ausgegeben wurde, um die Erdorientierung der Raumfahrtausgaben zu betonen, wurde durch die philosophische Skepsis gegenüber der kosmoserschließenden Seite der Raumfahrt gestützt. Leider wurden Andersʼ hervorragende Analysen der Philosophie Heideggers, mit denen er zeigen konnte, was an Heideggers Philosophie (und nicht nur dessen äußeren Le-

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Anders und Blochs Geschichtsphilosophie der »Ungleichzeitigkeit« und »Unsynchronisiertheit« Die Kritik an Heidegger teilte Anders mit dem Philosophen Ernst Bloch, dem er sein Raumfahrt-Buch »in Freundschaft und Bewunderung« widmete.24 Bloch hatte Anders, als dieser aus dem amerikanischen Exil zurückkehrte, ein Ordinariat an der Universität Halle vorgeschlagen, das dieser jedoch ablehnte, da sich seine Philosophie gegen den üblichen Universitätsbetrieb sperren würde (Schubert 1992: 60). Bloch hatte schon 1935 mit seinem Buch Erbschaft dieser Zeit der marxistischen Faschismus-Theorie widersprochen, der zufolge der Faschismus nur ein konsequenter Ausdruck des Kapitalismus und Imperialismus sei (Bloch 1935). In einer detaillierten Analyse kam Bloch, der wie Anders Marxist war, zu dem Ergebnis, dass sich sowohl der italienische Faschismus als auch der deutsche Nationalsozialismus ideologisch vornehmlich aus vorkapitalistischen Quellen des Kleinbürgertums und Bauerntums speiste, woraus er die Konsequenz zog, das lineare Geschichtsmodell des Marxismus um eine »Theorie der Ungleichzeitigkeit« zu erweitern, die anerkennt, dass in jeder Geschichtsepoche tradierte Reste vergangener Utopien wirken, mit denen nicht auf die Zukunft, sondern auf die Wiederherstellung der Vergangenheit orientiert wird: »Das Fundament des ungleichzeitigen Widerspruchs ist das unerfüllte Märchen der guten alten Zeit, der ungelöste Mythos des dunklen alten Seins oder der Natur« (Bloch 1935: 122). In das »dunkle alte Sein« wollte uns insbesondere Heidegger wiederverwurzeln und uns zurückführen in Heim, Boden und Volk mit dörflichem Handwerk und Agrarromantik.25 Blochs Theorie der Ungleichzeitigkeit hat ein Pendant in Andersʼ Konzept der »Unsynchronisiertheit«, das er 1948 in seinem Aufsatz Die Schein-

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bensverhältnissen) die Nähe zum Nationalsozialismus bewirkte, innerhalb der akademischen Philosophie und der medialen Öffentlichkeit viel zu spät rezipiert. Die vielen, oft schwer zugänglichen Aufsätze erschienen erst mit Jahrzehnten der Verzögerung (Anders 2001). Wenn seine fundamentale und hellsichtige Heidegger-Kritik bereits in der Nachkriegszeit allgemeiner bekannt geworden wäre, hätte es vielleicht nicht eine solche Heidegger-Dominanz im Denken Europas gegeben. Zum Beispiel kann Blochs »Ontologie des Noch-Nicht-Seins« (Bloch 1961) als Alternative zu Heideggers Fundamentalontologie gelesen werden. Die Antimoderne des Nationalsozialismus ist seit einiger Zeit Gegenstand einer Vielzahl von historischen Untersuchungen, die auch eine Verbindung zum Ökologismus herstellen. Siehe beispielsweise Brüggemeier et al. 2005, Musser 2017, Heuser 1991.

Zur Philosophie der Raumfahrt von Günther Anders

Konkretheit von Heideggers Philosophie als Kapitel zu »Heideggers Unsynchronisiertheit. Der Begriff der ›Geschichtlichkeit‹« entwickelt und wo es heißt: Heidegger »wuchs provinziell auf – nicht umgeben vom ›modernen Leben‹, von gesellschaftlichen Problemen, von Industrialisation« (Anders 2001: 96). Andersʼ Kritik Heideggers liest sich wie ein Exempel der Blochʼschen Theorie der Ungleichzeitigkeit: »Seine Haltung ist absichtliche Selbst-Provinzialisierung, weitestgehend entfernt von jeder philosophischen Seefahrer-Haltung. Nur in den Tiefen der Geschichte nimmt er seine Lotungen vor. Geschichte kann ihm niemand wegnehmen. Überhaupt kein Interesse führt ihn in ökumenische Weiten, in die ›eine Welt‹, in die ›Fremde‹, geschweige denn in primitive Kulturen. Seiner Ansicht nach seien diese nur Objekte der Neugierde und gingen uns nichts an. Offensichtlich stimmt diese Abriegelung zusammen mit dem Rückzug Deutschlands in sich selbst nach der Niederlage, dem Verlust seiner Flotte und seiner Kolonien 1918. Sie geht einher mit Mißtrauen und Femdenhaß, die später Heideggers Gleichschaltung mit dem Nationalsozialismus förderten.« (Anders 2001: 99-100, Herv. i.O.) Was Bloch und Anders verbindet, ist neben ihrer Geschichtstheorie und der Theorie des Nationalsozialismus auch ihre Abneigung gegen alles Provinzielle, Philisterhafte und Kleinbürgerliche.26 Beide sahen im Kleinbürger den Hauptträger der völkischen Bewegung. »Die Vergangenheit wird vom Kleinbürgertum heute freilich geschönt, es setzt sein Unerfülltes gerade mit dem relativ Besseren der Vergangenheit gemischt dem Jetzt entgegen« (Bloch 1935: 117). Wenn Heidegger die gesamte Geschichte der Philosophie seit den Vorsokratikern als Verfallsgeschichte liest, entspricht diese Sichtweise der von Bloch geschilderten Vergangenheitsorientierung des Kleinbürgers, der sich aber für die realen Lebensumstände dieser Frühkulturen nicht wirklich interessiert (wie dies oben in dem Anders-Zitat auch betont wird), denn dann würde er erkennen, dass diese Zeiten nicht so paradiesisch waren, wie dabei unterstellt wird.

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In Andersʼ Raumfahrtbuch nimmt die Kritik an der Provinzialität, dem Philisterhaften und Beschränkten der Reaktion auf die Raumfahrt einen Hauptteil ein, wovon er auch die Astronauten nicht ausnimmt, denen er sogar ein ganzes Kapitel dazu widmet: »Die Kosmonauten müssen Philister sein«, wobei er sich auf die amerikanischen Astronauten bezieht.

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Der Kern der Philosophie der Raumfahrt von Anders besteht meines Erachtens darin, dass er sein an Blochs Theorie der Ungleichzeitigkeit angelehntes Geschichtsmodell der Unsynchronisiertheit auf die Epoche der Raumfahrt überträgt. Demzufolge ist die Raumfahrt als wissenschaftliches und technisches Unternehmen ein Zukunftsprojekt, das ins Übermorgen reicht, was von Anders emphatisch begrüßt wird. Gleichzeitig sind aber die Beweggründe und Zielsetzungen, die mit der Raumfahrt verbunden werden, atavistisch und gehören noch dem Vorgestern an, was Hauptgegenstand seiner Kritik ist. Er schreibt: »Die zwei Mammutmächte kämpfen um die Eroberung des Außerirdischen? Gewiß. Aber um hier auf Erden zu triumphieren. Die Unternehmungen sind grandios? Gewiß. Aber deren Beweggründe medioker. Die Zukunft hat schon begonnen? Gewiß. Aber im Dienste der Vergangenheit. Motor des Extraglobalismus: Nationaleitelkeit. Motor des Zentrifugalismus: Egozentrismus. Motor des Prometheismus: Mißgunst. Ergo: ›Zwitter‹ sind nicht nur die individuellen supermen, sondern auch die Supermächte selbst. Und zwar ›Geschichtszwitter‹ – was bedeutet, daß ihre technischen Mittel zwar schon ins Übermorgen hineinreichen, aber ihre politisch-egozentrischen Ziele noch dem Vorgestern angehören. ›Unsynchronisiertheit‹ als Geschichtskategorie.« (Anders 1970: 27)27 Anders ist offenbar wie Bloch von einem »Prinzip Hoffnung« getragen, was die mögliche historische Entwicklung ins Übermorgen angeht. Mit der Raumfahrt wäre eine Überwindung der irdischen Provinzialität unseres Fühlens, Denkens und Handelns möglich. Wir könnten über uns selbst hinauswachsen. Dies ist als Potential beziehungsweise als »Latenz«, wie Bloch es sagen würde, in unserer Jetztzeit angelegt. Unsere aus dem Tierreich stammende Vergangenheit in der irdischen Biosphäre zwingt uns allerdings Verhaltensmuster auf, die aus dem jahrtausendelangen Kulturprozess resultierten, die aber zum anbrechenden Raumfahrtzeitalter nicht mehr passen. Wir

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Auch die Raumfahrtpioniere seien mit ihren technischen Leistungen nicht synchronisiert gewesen: »Selbst diejenigen, die das Weltraumzeitalter inaugurieren, sind mit dessen Leistungen nicht synchronisiert« (Anders 1970: 83).

Zur Philosophie der Raumfahrt von Günther Anders

sind noch egozentrisch, missgünstig, eitel und erdzentriert. Die gegenteiligen Eigenschaften werden im obigen Zitat von Anders angedeutet: Extraglobalismus, Zentrifugalismus und Prometheismus. Ein kosmisches Bewusstsein, das Anders für adäquat halten würde, wurde zwar innerhalb der Geschichte des Mythos, der Religionen und der Philosophie sukzessive entwickelt, aber nicht mehrheitlich realisiert. Andersʼ Technikkritik intendierte demnach keine Überwindung der modernen Technik per se wie diejenige Heideggers. Er sieht in der Technik keine planetarische Gefahr, vor der uns nur noch ein Gott retten kann, wie Heidegger. Vielmehr könnte es aus seiner Sicht auf der Basis technischer Entwicklungen ein besseres Übermorgen geben, eine neue Denkweise und eine neue Gesellschaft, wenn wir als Menschen unsere archaische Vergangenheit überwinden würden und auf den Entwicklungsstand der von uns geschaffenen Technik gelangen könnten. Dieses Übermorgen ist für Anders vor allem mit der Raumfahrttechnik verbunden. In dieser Hinsicht unterscheidet sich Anders von Bloch, der zwar auch eine futuristische, »nicht-euklidische« Technik gegenüber der biologistischen von Ernst Kapp favorisierte (Bloch 2013: 771778), der aber dem Verlassen der Erde und einem kosmischen Bewusstsein nicht so viel abgewinnen konnte: »Denn nimmt man die Verlängerungslinie zu der humanisierbaren Erde gänzlich weg, dann bleibt jeder menschliche Einbau in die Welt letzthin nichtig« (Bloch 2013: 928). Bloch zufolge müsse der Draht zur Erde bestehen bleiben, um nicht in eine sinnlose Leere zu fallen. Das Gewahrwerden der kosmischen Einsamkeit und Verlorenheit der Erde beim Blick vom Mond zurück auf die Erde, für Anders eine wichtige philosophische Einsicht im Ausgang von Kopernikus, ist für Bloch eine spätkapitalistische Verirrung, die nur in die Sackgasse des Nihilismus und die »totale Einsamkeit der menschlichen Ziele auf der Erde« (Bloch 2013: 928) führen könne. Mit Blick auf den Pessimismus eines Arthur Schopenhauer schreibt er: »Vor allem in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts hat ein unendliches zentrifugales Allgefühl, ohne die Gewichtigkeit Erde darin, überwiegend Verlorenheit erzeugt. Die menschliche Entwertung, die Kapitalismus heißt, wurde derart durch die quantitative Entwertung des menschlichen Schauplatzes überhaupt, die nur noch Weltozean heißt, ideologisch verstärkt.« (Bloch 2013: 928) Blochs Humanismus vertrug sich nicht mit der Ansicht von der Kümmerlichkeit der kleinen Erde, die für ihn bei aller kosmopolitischen Gesinnung im

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Zentrum seiner chiliastischen Hoffnungen verblieb. Damit hat er nicht ganz Unrecht, denn die exoplanetarische Forschung hat unter den mittlerweile detektierten, tausenden von Exoplaneten noch keinen finden können, auf der Leben oder sogar intelligente Wesen nachweisbar gewesen wären. Unsere Erde bleibt also etwas Besonderes, auch wenn sie eine verschwindend kleine Kugel innerhalb kosmischer Dimensionen ist. Dem würde Anders sicher nicht widersprechen, wenn auch sein Fokus auf der Erkenntnis der realen »kosmischen Mittelmäßigkeit und Provinzialität unserer Erde« (Anders 1970: 142) lag. Damit will Anders meines Erachtens nicht unsere Existenz herabwürdigen, sondern eher zu einem kosmischen Bewusstsein beitragen.

Schluss Es ist außergewöhnlich, dass ausgerechnet Günther Anders als einer der prononciertesten Technikkritiker, der sich selbst als Maschinenstürmer verstand (Anders 1982: 298), ein ganzes Buch zur Raumfahrt veröffentlichte, deren Reflexionen nicht primär von Ablehnung, sondern von Faszination geprägt sind. Außergewöhnlich ist darüber hinaus, dass er dies nicht nur in einem politischen Milieu tat, das der Raumfahrt wenig abgewinnen konnte, sondern auch in einem geistes-, kultur- und sozialwissenschaftlichen Umfeld in Westdeutschland, das sich mit Raumfahrt offenbar nicht meinte, intensiver und grundlegender beschäftigen zu müssen, obwohl damit eine neue Epoche eingeläutet wurde. Günther Andersʼ Raumfahrtbuch und seine vorwiegend positive Einstellung zur technischen Raumfahrt lässt sich nur wenigen, aber zentralen Bemerkungen in seinem Buch Der Blick vom Mond entnehmen. Die philosophischen Gründe für diese positive Einstellung erläutert er dabei nicht. Meine Anfangshypothese war, dass es spezifische philosophische Ressourcen gewesen sein mussten, die Günther Anders für die Raumfahrt prädisponierten und offen machten. Ich vermutete, dass diese intellektuellen Ressourcen aus der Zeit vor 1933 stammten. In der Tat lässt sich Andersʼ Herausfallen aus der technikskeptischen Diskursatmosphäre der Achtundsechziger und Post-Achtundsechziger zumindest ansatzweise mit seiner philosophischen Provenienz vor 1933 erklären. Sein Denken hatte offenbar einen unzerstörbaren technikaffinen Kern, den er mit der Schule der Philosophischen Anthropologie teilte. Seine Ablehnung des Mediokren, des Philistertums und der provinziellen Beschränkung sind noch Restbestände des Diskurses der Romantik. Hinzu kommt seine Freundschaft mit Ernst Bloch, dem sein Buch

Zur Philosophie der Raumfahrt von Günther Anders

Der Blick vom Mond gewidmet ist und auf dessen Geschichtsphilosophie er Bezug nimmt. Bloch gilt zu Recht als Schellingianer unter den Marxisten. Für Schelling war der Mensch kein lokales, sondern universales Wesen, dessen Wohnort nicht die Erde, sondern das Universum sein sollte. Dieses Menschenbild beeinflusste auch Max Scheler, auf dessen philosophische Arbeiten Günther Anders Bezug nahm. Der Enthusiasmus der Raumfahrtpioniere in den 1920ern hatte ebenfalls romantische Wurzeln (Heuser/Hühn 2020). Dies ist also meine These: Es sind die philosophischen Ressourcen der Aufklärung, des Deutschen Idealismus, der Romantik, des Marxismus und der Philosophischen Anthropologie, die Günther Anders früh prägten und sein Raumfahrtbuch erklärlich machen. Insbesondere sein starkes Freiheitsideal, das an Kant, aber vor allem an Fichte angelehnt war, machten ihn resistent gegen alle Versuche, den Menschen in irgendein unüberwindbares System einsperren zu wollen und sei es auch nur das irdische. Hinzu kommt seine außergewöhnlich frühe, ausführliche und sehr profunde Heidegger-Kritik, die in der Öffentlichkeit viel früher hätte wahrgenommen werden müssen und der ich wünsche, dass sie in die Aufarbeitung um Heidegger, die Antimoderne und den Nationalsozialismus stärker eingehen möge.

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Semantik der Kugel Kugelraumschiffe und andere sphärische Technologien Dierk Spreen (x1 – m1 )2 + (x2 – m2 )2 +(x3 – m3 )2 = r2

1.

Kugeln für den Outer Space »Vor ihnen dehnte sich eine Höhle von rund zwanzig Meter Tiefe. Das Licht der Morgensonne lag in ihr. […] Unmittelbar vor den dreien wölbte sich eine mächtige Kugel zur Decke. Sie besaß ungefähr zehn Meter Durchmesser und schimmerte in einem wundersamen Zartblau. Sie lag nicht auf. Zwischen ihr und dem Boden befand sich fast ein Meter Abstand.« (Holk 1954: 31f.)

Mit diesen Worten beschreibt Paul Alfred Müller alias Freder van Holk in dem 1938 erstmals erschienenen Science-Fiction-Roman Blaue Kugel, wie seine drei Helden bei einer Bergtour in den Anden ein kugelförmiges Raumschiff entdecken. Dieses stammt vom Mars und wurde vor langer Zeit von einer längst degenerierten, fremden Zivilisation gebaut, zur Erde geflogen und dort zurückgelassen. Die Idee, das Weltall in Kugeln zu bereisen, ist allerdings schon zu dieser Zeit nicht mehr neu. In Edward E. Hales Science-Fiction-Story The Brick Moon, die 1869 – ein Jahrhundert vor der Mondlandung – als Fortsetzungsgeschichte erscheint, geht es um einen aus Ziegelsteinen gemauerten, ca. 60 m durchmessenden, ausgehöhlten Kugelsatelliten (Hale 1999). Dieser soll in einem Greenwich-Orbit die Erde umkreisen, um der Seefahrt die Bestimmung des Längengrades zu erleichtern. Optimal wären, so die Planer, vier solcher künstlicher Monde, damit jederzeit eine Bestimmung der Länge möglich ist. Hale entwirft in seiner Kurzgeschichte also ein Satellitennavigationssystem. Ein Unfall will es, dass der erste, aus privater Hand finanzierte Ziegelmond mit den Arbeitern und ihren Familien vorzeitig in den Orbit gelangt, so dass

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Dierk Spreen

er als bewohnte Raumstation die Erde umkreist. Auch in Kurd Lasswitz’ Auf zwei Planeten (1897) und H.G. Wells’ The First Men in the Moon (1901) taucht das Motiv kugelförmiger Raumschiffe bereits auf. In Edward E. Smith‹ SkylarkRomanen (1928-1965) und in seinem Lensmen-Zyklus (1937-1960) findet es sich ebenfalls. Später spielen Kugelraumschiffe in Karl Herbert Scheers ZbV-Romanen (1957-1980), in der deutschen Comic-Serie Nick, der Weltraumfahrer (1958-1963) oder in der Perry Rhodan-Romanserie (seit 1961) eine Rolle. Auch aus dem Science-Fiction-Film sind kugelförmige Raumschiffzellen bekannt: So aus Stanley Kubricks 2001: A Space Odyssey (USA 1968), als das Raumschiff Comet aus der Captain Future-Zeichentrickserie (Japan 1978-1979) und aus George Lucas’ Star Wars II. Attack of the Clones (USA 2002). Auf den ersten Blick erscheint die Idee, den Weltraum in künstlichen Globen zu bereisen, sogar plausibel, weil die Kugel aufgrund ihres optimalen Verhältnisses von Volumen und Oberfläche eine ideale Druckkammer darstellt. Schon Otto von Guericke verwendete für seine Druckversuche Halbkugeln. Allerdings stellen Kugeln aus aerodynamisch-technischer Sicht sehr ungünstige Flugkörper dar, weshalb Raketenkonstrukteure von jeher eine schlanke Bauweise bevorzugen. Wieso also ausgerechnet Kugeln, um (in der Fantasie) die Erde zu verlassen? Diese Frage soll Anlass sein, um eine kleine Genealogie der Kugel als Metapher bzw. als semantische Form für neue Technologien zu entwickeln. Technologien brauchen solche Bilder und Semantiken, um gesellschaftlich denkbar und machbar zu werden. Welche Form technische Artefakte oder Medien schließlich tatsächlich annehmen, ist für diese Frage nicht sonderlich relevant, denn sie liegt als Diskursstelle gewissermaßen »vor« der Realisation, ja gelegentlich selbst »vor« dem ersten konkreten Entwurf (Lösch et al. 2001). Allerdings wird durch diesen Hinweis ein engerer genetischer Zusammenhang auch nicht notwendig ausgeschlossen. Ein solcher wäre zum Beispiel gegeben, wenn die runde oder kugelige Form von Artefakten eine kulturpsychologische oder symbolische Funktion erfüllt.

2.

Das runde semantische Feld

Für Parmenides ist das vollkommene Sein »kugelförmig, das ganze All erfüllend, unbeweglich, stetig, unveränderlich, unaufhörlich. Es ruht in sich, und es gibt keinen Raum außerhalb seiner Grenzen, in dem es sich bewegen

Semantik der Kugel

könnte. […] Das Sein als das Allerfüllende und unverletzlich Eine fällt also mit der begrenzten, kugelförmigen, überall und stetig erfüllten Ausdehnung zusammen« (Gosztonyi 1976: 66). Die Kugel ist hier ein philosophisches Modell für den Raum, welches zugleich Einheit und Vollkommenheit des Seins ausdrückt. Oder moderner Gaston Bachelard: Ihm zufolge erfüllt das Bild der vollen Rundung die Funktion, »uns um uns selbst zu versammeln, uns selbst eine ursprüngliche Verfassung zu geben, unser Dasein innerlich zu bestätigen, von drinnen aus. Denn von drinnen aus erlebt, ohne Außengestalt, kann das Dasein nur rund sein« (Bachelard 1999: 231). Das Bild der Kugel ist für ihn ein Daseinsmodell; es erfasst das Dasein »als eine Zentralisierung des von allen Seiten behüteten Lebens« (Bachelard 1999: 234). Diese Liste symbolischer Bedeutungen ließe sich beliebig fortsetzen. Hierbei steht die Kugel für Einheit, Ruhe, Schutz, Harmonie, Geschlossenheit, organisches Sein und Vollkommenheit. Sie symbolisiert gewissermaßen das »Qualitäts-Prinzip« der göttlichen Perfektion (Düllo 2018: 29). Weiterhin ist die Kugel aber eine reine geometrische Form, die in der Natur nicht vorkommt, sondern konstruiert werden muss. Das TechnischKonstruktive, Artifizielle und Formale ist ihr inhärent, so dass sie sich auch als Modell für Künstliches, Neues und Mögliches anbietet. So steht sie auch für »alles Weiter, für das nie endende Rollen« (Düllo 2018: 30). Die Kreisfigur und insbesondere die aufsteigende Entwicklungsspirale dienen in Literatur und Film als Metapher der Heldenreise (Düllo 2018: 42). Aufgrund dieses Doppelcharakters von Ruhe und Bewegung, Organischem und Künstlichem, Geschlossenheit und Entwicklung bietet die Kugelform nicht nur eine ambivalente Figur, sondern auch die Möglichkeit der wechselseitigen Überblendung sinnhafter Bedeutungen und materieller Technologien. Die Kugel eignet sich, Technik, Künstlichkeit, Konstruktion, Bewegung und Entwicklung einerseits mit Harmonie, Vollkommenheit, organische Perfektion andererseits zu verknüpfen. Damit bildet sie eine konstruierte und technische Gestalt oder Struktur, die zur Projektion von Phantasien, Hoffnungen, Wünschen oder Utopien nachgerade einlädt (Schwonke 1957: 134f.). Das Kugelmodell erweist sich somit als »exzentrisch« im Sinne Helmuth Plessners, denn verbunden werden auf eine Mitte ausgerichtete Harmonievorstellungen und über Beschränkungen hinausgreifende Phantasien. Die semantischen Eigenschaften der Kugel und des Runden sind dafür prädestiniert, die Gesellschaft auf Zukunftstechnologien vorzubereiten und einzustimmen. Dass solche Semantiken wichtig sind, wird auch in der Zu-

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kunftsforschung reflektiert (Steinmüller 2007). Die »exzentrischen« Symbolgehalte der Kugelform eigenen sich besonders dazu, Ambivalenzen aufzunehmen und damit die soziale Implementation technologischer Innovationen zu unterstützen, die von widerstrebenden Emotionen und Einstellungen begleitet werden. Beispiele dafür finden sich etwa in der medienvermittelten Kommunikation und in der Raumfahrt. Sphärische Semantiken müssen aber auch nicht immer erfolgreich sein. Ein Beispiel dafür ist das soziale Scheitern der Atomtechnologie. Aus diesem Assoziations- und Bedeutungshorizont heraus soll die Kugelform in Bezug auf einige technologische Felder – Medien, Architektur, Raumfahrt, Design und Nukleartechnologie – in ihrer semantischen Funktion untersucht werden. In keinem dieser technologischen Felder stellt sie ein zwingendes Modell für die Umsetzung in Hardware dar, wohl aber ein mögliches und teilweise auch gewähltes. Exemplarisch wird damit der Frage nachgegangen, wie Technologie semantisch angereichert werden kann, um in die Gesellschaft aufgenommen zu werden.

3.

Sphärische Gesellschaftsmetaphorik

Heute verwendet man als erklärende Metapher der medial durchdrungenen Gesellschaft das Bild des Netzes: Vernetzung, Verschaltung usw. Aber die Diskursstelle der modernen Kommunikationsmedien wurde zuerst von dem Bild der Kugel geprägt. Dieses findet sich explizit medientheoretisch ausformuliert in den politisch-ökonomischen Schriften des Romantikers Adam Heinrich Müller (Spreen 1998, Spreen 2004). Müller bemüht das Bild der Kugel, um die gesellschaftlich-kulturellen Kommunikationsverhältnisse als funktional-relationale Verhältnisse fassbar zu machen, in denen Bedeutungen in einem Gefüge aus ökonomischen, politischen und kulturellen Kräften und Gegenkräften ihren Wert bekommen. Dabei hat er die Vorstellung, dass diese Kräfte sich gegenseitig sowohl bedingen als auch ausgleichen und daher eine Art systemisch-autopoietischen Schwung entwickeln, kurz zu »Productions-Kräften« werden. Es handelt sich um ein mediales Vermittlungsmodell des gesellschaftlichen Zusammenhangs. Als Medium gilt Müller alles, was Bedeutungen bzw. Werte ins Spiel bringt und zirkulieren lässt: Kultur, insbesondere Poesie und »Beredsamkeit«, Öffentlichkeit, Staat und Ökonomie.

Semantik der Kugel

Auch wenn Müller von dem modernen Kommunikationstechnologien noch nichts wusste, formuliert er doch in wesentlichen Aspekten das Modell der medial vermittelten Kommunikationsgesellschaft. Als Platzhalter aller späteren Medientechnologien fungiert dabei die »Beredsamkeit« oder das »Gespräch«. Im Vergleich zum bereits als modernem Nationalstaat konstituierten Frankreich beschreibt Müller diese Beredsamkeit als Medium, deren Funktion darin bestehe, den bindenden Geist einer Gesellschaft herzustellen: »Können wir Deutsche von Beredsamkeit sprechen, nachdem längst aller höhere Verkehr bei uns stumm und schriftlich oder in einer auswärtigen Sprache getrieben wird? […] Und wenn die Natur Talente für die Beredsamkeit über Deutschland so reichlich ausstreute wie über dem Boden irgendeines anderen Landes, so sind es ja in Deutschland nur einzelne, die hören; es gibt kein Ganzes, keine Gemeinde, keine Stadt, keine Nation, die wie mit Einem Ohre den Redner anhörte. Im Gespräch mit dem einzelnen sind wir zu ungebunden, zu unbeschränkt; wir lassen uns gehn, wir reden nachlässig, und so verliert sich aus der Sprache des Volks der allgemeine, bindende Geist; sie zerbröckelt sich in unzählige Dialekte und Idome; jede Sekte und jede Kotterie verunstaltet sie in ihrer eigenen Manier.« (Müller 1967: 297, 298) Müller liest sich streckenweise wie eine Betaversion des kanadischen Medienwissenschaftlers Marshall McLuhan. Für beide ist das Medium schon die Botschaft. »Die Kunst zu hören besteht«, so Müller, »in der Fähigkeit, im Sinn des anderen zu hören und doch zugleich sich selbst zu hören« (Müller 1967: 335). Wahres Hören gilt hier als ein Hören des Zusammenhangs zwischen »sich selbst« und dem »Sinn des anderen«. Insofern dieses Hören auch »eine Manier des Antwortens« ist, erzeugt es eine Kommunikationsgemeinschaft. »Medien-Verstehen« zielt für Müller wie für McLuhan auf eine »tieferlebte Beteiligung der Gesamtperson an […] der menschlichen Gemeinschaft« ab (McLuhan 1992: 17). Kern des medientheoretischen Vermittlungsmodells Müllers ist ein dynamisches Schema, das aus gegensätzlichen Kräftevektoren zusammengesetzt ist. Müller nennt die zugrunde liegende Philosophie die »Lehre vom Gegensatz«. Als Modell der Medialität dient ihm eben die Kugel (Abb. 1): »Das große Schema aller menschlichen Angelegenheiten ist […] die Kugel, die Gestalt des großen Körpers, der alle diese menschlichen Angelegenheiten hält und trägt.« (Müller 1922: 125f.)

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Abbildung 1: Adam Müller: Die Kugel, »das große Schema aller menschlichen Angelegenheiten« (1816)

Quelle: Müller 1922, S. 277

Noch heute zeichnet man, möchte man Studierenden die Systemtheorie erklären, das Sozialsystem und seine Subsysteme gerne als Kreise an die Tafel. Aber auch für die ökologische Transformation der Gesellschaft nach Nachhaltigkeitskriterien wird das Bild der Kreislaufwirtschaft bemüht. In der sozialtheoretischen Nachbetrachtung auf Müllers sphärische Gesellschaftsmetaphorik kann man auch an Michael Serres’ Theorie des Quasi-Objektes denken: Durch die Teilnahme an der Zirkulation von Werten und Bedeutungen werden Serres’ zufolge Kollektive geformt, Rollen definiert und Subjektivierungen vorgenommen. In dieser relationalen Theorie gelten Objekte nicht als »Knechte« (Serres 1981: 347). Vielmehr sind sie Zwischendinge, also QuasiObjekte und Quasi-Subjekte zugleich. Sie sind nicht regungslos und passiv, sondern sie wandern umher und bewegen sich, wie, so Serres’ eigenes Beispiel, ein Ball im Spiel. Auf ihren Bahnen nehmen sie Subjektivierungen vor und formen Kollektive: »Wir sind nichts anderes als dieser fließende Wechsel des Ich. Das Ich ist eine Spielmarke im Spiel, die man austauscht. Und dieses Wandern, dieses Netz von Übergängen, diese Stellvertretungen des Subjekts weben das Kollektiv. Jetzt bin ich Ich, bin ich Subjekt, das heißt dazu verurteilt, aus meiner Höhe hinab auf den Boden geschleudert zu werden, verurteilt zu fallen, unter die feste Masse der anderen geraten; dann kommst du an die Reihe, du trittst an die Stelle des Ich, und später ist er es, der es an dich weiter-

Semantik der Kugel

gibt, wenn seine Arbeit getan, seine Gefahr bestanden, sein Teil am Kollektiv geschaffen ist. Das Wir entsteht aus dem wechselnden Aufblitzen und Verdunkeln des Ich. Das Wir entsteht aus der Weitergabe des Ich, aus dem Austausch des Ich. Und durch die Ersetzung, und durch die Stellvertretung des Ich.« (Serres 1981: 349) Und was sagt Müller? Für ihn formen die Bewegung und Dynamik von Bedeutungen und Werten ein sphärisch-geschlossenes System, als dessen Funktionen die Subjekte erscheinen.1 Der semantische Horizont der Kugelmetapher für die Mediengesellschaft ist allerdings ein durchaus anderer als der des Netzes. Während das Netz auf die Ver- und Zerstreuung der Kräfte (und auf die Gefahr der Verstrickung) hinweist, symbolisiert die Kugel einen organischen Zusammenhang, in dem sich die gegensätzlichen Kräfte verbinden. In Müllers Lehre des Gegensatzes ist es daher nicht möglich, Verluste und Selektionen sowie die Autopoiesis des Bewusstseins zu denken, was dann auch wieder den Unterschied dieses romantischen Gesellschaftsmodells zur abgekühlt-abgeklärten Systemtheorie Niklas Luhmanns markiert. Im Modell der Kugel erscheinen die gesellschaftlichen Kräfte der Moderne noch auf eine Mitte ausgerichtet. Alle menschlichen Angelegenheiten werden »getragen«. Dabei macht allerdings schon Müllers Kritik der politischen Ökonomie deutlich, dass dieses Sinnbild nicht mehr hinreicht, sondern eher als eine Art kontrafaktisches Ideal zu verstehen ist. Denn Müller konstatiert allerorten Entfremdungserscheinungen, die sich dem Kugelmodell zu entziehen drohen.

4.

Kugelhäuser »In einer friedlich-weiten, ebenen Landschaft liegt in einer architektonisch gefassten Vertiefung des Geländes wie in einem Bassin eine riesige Kugel – Durchmesser 10 Toisen, das ist rund 20 m – wie ein gelandetes Raumschiff, das vier Brücken ausgelegt hat. Die geschlossene Oberfläche der Kugel wird

1

Durchaus dazu passend hat Thomas Düllo die Bedeutung der Kugelform in der modernen Popkultur herausgestellt: »Bälle und Narrationen sind sich verflüchtigende InBesitznahmen zur Weiterleitung und Kollektivierung. Deshalb«, folgert Düllo, »ist im Pop so vieles rund« (Düllo 2018: 49).

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durch die vier Öffnungen im erweiterten Palladiomotiv durchbrochen, zu denen die Brückenstege führen« (Sedlmayr 1939: 284). Mit diesen Worten beschreibt der konservative Kunstkritiker Hans Sedlmayr Claude-Nicolas Ledoux’ Entwurf für ein Kugelhaus: das Haus der Flurwächter. Die innere Einteilung dieses Gebildes »ist rein schematisch aus quadratischen Entwürfen übertragen: je zwei Wände horizontale und vertikale, kreuzen sich, schaffen drei Stockwerke und in jedem Stockwerk neun Abteilungen. Das mittlere Stockwerk, zu dem die Brücken führen, enthält in den Zwickelräumen Schlafzimmer, in der Mitte die gemeinschaftliche Küche; das obere Speicher; das untere in einer Achse zwei Stallungen und in den Ecken je eine ›serre‹, also Gewächshäuser. Es ist nicht zu ersehen, wie diese Licht empfangen, nicht, wie die Pferde in ihre Ställe gebracht werden und dort Platz finden können.« (Sedlmayr 1939: 285)

Abbildung 2: Claude-Nicolas Ledoux, Haus der Flurwächter

Quelle: Metken/Gallwitz 1970, S. 106f., Bild: Stich nach Ledoux von Van Maëlle, nach 1785 gezeichnet

Abbildung 2 macht augenfällig, wie sehr das Haus der Flurwächter einer in sich geschlossen Sphäre gleicht. Es ist ein autonomes Gebilde, das sich aus seiner »innerlich begründete[n] Form« heraus legitimiert (Kaufmann 1970: 13). Auch darin ähnelt es einem Raumschiff oder einer Raumstation, insofern es eine Welt »souveräner Ausschließlichkeit« bildet, die lediglich auf der »Ratio des Planes« beruht (Kaufmann 1970: 14).

Semantik der Kugel

Ledoux’ Entwürfe zählen zu der Revolutionsarchitektur Ende des 18. Jahrhunderts. Für Ledoux spiegelt sich die soziale Ordnung in der architektonischen Form. Seiner Auffassung nach, erhält der Architekt innerhalb der sozialen Ordnung eine Führungsaufgabe; er wird zum Erzieher. Im Zentrum dieser Architektur steht die Symbolik der geometrischen Formen. Die Kugel »wird als eine der in sich vollkommenen geometrischen Grundformen um ihrer selbst willen zum Gebäude erhoben. Sie sucht erst nachträglich nach einer Zweckbestimmung« (Sedlmayr 1939: 286). Ledoux war wie Etienne-Louis Boullée ein Schüler von Jacques-François Blondel. Boullée wiederum fasst ähnlich wie Ledoux die architektonische Form in ihrer symbolischen Funktion auf. Seine Theorie zielt auf die in der Architektur enthaltene »Poesie« ab. Es geht um die bildhafte Wirkung von Körpern. Die Kugel gilt Boullée als »Bild der Vollkommenheit« (zit.n. Kruft 1995: 178). Die Priorisierung der Form ist auch deshalb möglich, weil Ledoux nicht rangmäßig zwischen verschiedenen Bauprojekten differenziert. Es kam ihm darauf an, »auch die schlichteste Bauaufgabe zu adeln durch Anwendung der gleichen ›vollkommenen Formen‹, die auch für die höchste Aufgabe – Denkmal, Tempel oder Grab – gut genug wären« (Sedlmayr 1939: 286). Daher findet die poetisch-symbolische Funktion, die Boullée und Ledoux der Architektur zusprechen, eine Entsprechung im ironischen »Occasionalismus« der Romantik, der, wie der politische Theologe Carl Schmitt kritisch anmerkt, »von einer Realität zur anderen entweicht« (Schmitt 1991: 131). Jede Wirklichkeit, jedes Gebiet oder jede soziale Funktion werde demnach im romantischen Denken zum Anlass einer höheren Bedeutung oder Idee. Dieser Kritik zufolge ist Müllers runder Politischer Ökonomie eine ganz ähnliche Indifferenz der Bedeutung gegenüber der sozialen Wirklichkeit eigen, wie der symbolischen Funktion gegenüber dem Gebrauchszweck der Gebäude in der Theorie Ledoux’ bzw. Boullées. Weder der romantische, zwischen Realitätsebenen surfende Occasionalismus, noch die Ablehnung hierarchischer Rangunterschiede durch Ledoux steht für eine Aufhebung der sozialen Unterschiede. Gedacht wird diese Ordnung vielmehr als eine Ausdifferenzierung in verschiedene Funktionen, die allerdings alle ästhetisch in gleicher Weise zu würdigen seien. Mit dieser Gleichwertigkeit meint Ledoux »eine égalité morale innerhalb des ordre social, nicht die égalité der Französischen Revolution« (Kruft 1995: 183). Die Kugel symbolisiert die Vertauschbarkeit von oben und unten und drückt damit eine wertmäßig-ästhetische Äquivalenz differenzierter ge-

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sellschaftlicher Funktionen aus. »Oben und Unten wird in vielen Fällen schlechthin ununterscheidbar« (Sedlmayr 1939: 289). Adam Müllers ideales Kugelmodell der Mediengesellschaft vermittelt einen ähnlichen Gedankengang. Die Ausdifferenzierung insbesondere in »Staat« und »Gesellschaft« bleibt erhalten. Machtunterschiede, Herrschaftsfunktionen und soziale Strukturdifferenzierungen sollen keineswegs aufgelöst werden. Vielmehr bekommt jede Kraft in dem gegensätzlichen Wechselspiel ihren funktionalen und ästhetischen Wert zugesprochen, so dass das hierarchische Differenzierungsmodell ausgehebelt wird. Daher lässt sich das Argument des Kritikers Sedlmayr, die Kugel verdichte in besonderer Art und Weise die Prinzipien der abstrakt-konstruktiven Ästhetik, noch erweitern: Sie drückt auch eine ästhetische und moralische Äquivalenz aller Funktionen der gesellschaftlichen Ordnung aus. Sie steht für Vollkommenheit, Harmonie, Organismus und in sich geschlossenes Systemprozessieren (Spreen 1998: 86-91). Die »Loslösung von der Erdbasis« (Sedlmayr 1939: 289), die die Kugelarchitektur außerdem anzeigt, verstärkt diese Bedeutung noch. Mit dieser Ablösung wird zugleich ihr rein konstruktiver Charakter hervorgehoben und damit bereits auf das verwiesen, was Kulturkritiker nicht unbedingt immer zu Unrecht beklagen: Die Tendenz der konstruktiven Moderne, in alle gesellschaftlichen Prozesse planend, steuernd und erziehend einzugreifen, d.h. die Gesellschaft selbst als ein Artefakt zu betrachten, das beliebig umkonstruiert werden kann. Zur richtigen Einordnung, der Kritik Carl Schmitts an der romantischen Ökonomie der Gegensätze und ihrem Kugelmodell der Gesellschaft sei bemerkt, dass sie innerhalb des konservativen Diskursfeldes verbleibt. Immerhin gilt Adam Heinrich Müller als einer der Väter konservativen Denkens (Koehler 1980: 20-27); Schmitt gehört ebenfalls in diese Tradition. Was späteren Konservativen an kugelförmigem Gesellschaftsmetaphern aber verdächtig erscheinen muss, ist die angedeutete Bedeutungssymmetrie unterschiedlicher sozialer Funktionen und Statuslagen sowie die vorstellbar werdende Vertauschbarkeit von oben und unten. Schmitt kritisiert, dass »der Staat« in Müllers romantischer Ökonomie und ihrem Kugelmodell »alle Gegensätze, insbesondere den für die Gliederung des Organismus notwendigen Gegensatz der Stände (Adel, Geistlichkeit und Bürgertum) […] in einer großen, lebensvollen, organischen Einheit verbinden« solle (Schmitt 1991: 158f.). Die heftige Kritik, die Sedlmayr an Ledoux’ Kugelentwürfen und an der russischen Revolutionsarchitektur der 1920er Jahre, welche die Kugel als Element wiederentdeckte, übt, speist sich ebenfalls aus konservativen Motiven.

Semantik der Kugel

Man wittert »Gleichmacherei« (Sedlmayr 1939: 286). Die Vertauschbarkeit von oben und unten, die Bodenlosigkeit und Freiheit, die Momente des Spielerischen und Ironischen, die innere Verwandtschaft mit Spektakel, Unterhaltung und Reklame und die revolutionären Assoziationen verdichten sich in der Kugel als »schauerliches Symbol für den Geist, der die Erde verneint« (Sedlmayr 1939: 303). Tatsächlich gebaut wurde das erste Kugelhaus 1928 in Dresden (Durchmesser: 24 m). Die Konstruktion von Peter Birkenholz war die Attraktion der Ausstellung »Die Technische Stadt«. Die Kugelschale bestand ausschließlich aus Stahl und Glas; der Trägerkörper war eine reine Stahlkonstruktion. 1938 wurde das Haus wieder abgerissen, nachdem es in der NS-Presse als »entartete Technik« angegriffen wurde und sich auch kein Käufer mehr fand (Adam 2002). 2005 wurde in Dresden gegenüber dem Hauptbahnhof am Wiener Platz ein neues Kugelhaus der Öffentlichkeit übergeben, das an das ursprüngliche Kugelhaus erinnern soll. Im Gegensatz zu seinem freistehenden Vorgänger wird das neue Glaskugelhaus aber durch zwei Würfelhäuser umfangen, die in Traufhöhe durch eine durchgehende Betonkante miteinander verbunden sind. Die Kugel scheint dadurch an den Boden gefesselt zu werden (Abb. 3).2 Dennoch befindet sich ganz oben unter der Glaskuppel das Restaurant »Schwerelos«. Der Webseite zufolge sollen sich die Gäste dort »fühlen […] wie in einem Raumschiff«: »Über eine Kommandobrücke gelangen Sie in die verschiedenen Bereiche des Restaurants, von der Captain’s Lounge bis zum Offizierscasino. Die gläserne Küche übernimmt die Rolle des Maschinenraums, der das Raumschiff steuert.«3 Ebenfalls gebaut, und zwar massenhaft, wurden die Geodesic Domes von Richard Buckminster Fuller. Hierbei handelt es sich um Kuppeln, die so konstruiert sind, dass sich die vielfach verwendeten Zugbänder und Druckstäbe die Waage halten, so dass die Kuppel sich in einem stabilen Gleichgewicht befindet, sich somit selbst hält und trägt und folglich auch ohne Stützpfeiler auskommt. Fuller vertrat einen komprehensiven Ansatz, d.h. ihm ging es darum, das Ganze sichtbar zu machen und für die vielfältigen Zusammenhänge und Relationen des Systems Erde-Mensch bzw. des »Raumschiffs Erde« zu 2 3

Vgl. für beide Kugelhäuser auch die Webseite das-neue-dresden.de, aufgerufen am 27.04.2019. http://www.rollercoaster-dresden.de, geöffnet am 27.04.2019.

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Abbildung 3: Das neue Glaskugelhaus in Dresden am Wiener Platz. In der Glaskuppel befindet sich auch das Restaurant »Schwerelos«

Foto: Dierk Spreen, 2013

sensibilisieren (Fuller 1998). Daher entwickelte er auch die Idee, solche Kuppeln mit einem Computersystem zu verbinden und mittels solcher MiniaturErden bzw. Geoscopen wesentliche historische Parameter des »Raumschiffs Erde« in ihrem Gesamtzusammenhang erfahrbar zu machen (Drucker 2011: 52ff.). Die über die gesamte westliche Hemisphäre verstreuten, geodätisch verkleideten Radarstationen insbesondere des US-Militärs leisteten dies dann auch tatsächlich. Allerdings konnte die Öffentlichkeit auf dieses komprehensive Wissen nicht zugreifen.4

5.

Kugelraumer

Wenn Ledoux’ Flurwächterhaus als »Raumschiff« beschrieben wird, »wie von einem anderen Planeten herabgefallen« (Sedlmayr 1939: 292), dann zeigt diese Metaphorik an, dass zwischen Ledoux’ Entwurf und diesen (kritischen) Beschreibungen noch etwas Neues – die Technologie der Weltraumfahrt – denk-

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Vgl. zu Fuller den Aufsatz »Raumfahrer-Ökonomien« in diesem Band (Kap. 4.6).

Semantik der Kugel

bar geworden sein muss. Zwar steht die Semantik der Kugel natürlich von Anfang an im Kontext des Kosmologischen – sowohl Ledoux als auch Boullée stellten diese Verbindung her –, aber an Raumschiffe wurde dabei nicht gedacht. Zur Zeit Ledoux’ erschien es durchaus vorstellbar, dass auf den anderen Planeten des Sonnensystems Leben existieren könnte. Immanuel Kant geht in seiner Theorie des Himmels von 1755 ganz selbstverständlich davon aus, dass dies so sei. Aber Kant erscheint die Befahrung des Weltraums mittels technischer Hilfen schon deshalb unmöglich, weil jede Lebensform in einer ihm und nur ihm gemäßen Welt situiert sei. Kant teilt das Planetensystem in Sphären auf und versucht zu beweisen, dass die Lebewesen, die in diesen Sphären entstanden sind, unhintergehbar an sie gebunden bleiben (Kant 1977: 377). Trotz einiger Versuche des 17. Jahrhunderts, den Mond im Medium der Fiktion zu erreichen, gab das 18. Jahrhundert insgesamt »wenig Anlass, einen Vorstoß in den Weltraum möglich oder überhaupt nur wünschenswert erscheinen zu lassen« (Schwonke 1957: 23). Auch im 19. Jahrhundert finden sich lange Zeit kaum technischen Fiktionen, die mit der Idee eines Schiffes aufwarten, mit dessen Hilfe andere Welten erreichbar würden. Immerhin berührt Jules Verne dieses Thema zweimal, allerdings ohne seine Raumfahrer auf einem außerirdischen Himmelskörper – in diesem Falle dem Mond – landen zu lassen.5 Um 1890 zeigt sich dann allerdings ein sprunghaftes Ansteigen von Planetenromanen. Diese Romane bringen einen neuen Aspekt ins Spiel: Der fremde Planet rückt »in den Aktionsbereich der Erde oder umgekehrt die Erde in den Aktionsbereich anderer Planeten« (Schwonke 1957: 443). Mit der Science-Fiction wird die Anschauung verabschiedet, dass »die Gestalt der Naturdinge einschließlich des Menschen stabil sei, dass das Wissen um sie einmal bis zur Vollkommenheit gelangen werde, dass die Vollkommenheit auf weiten Bezirken bereits erreicht sei und dass dort nichts Neues und Unerwartetes mehr zu finden sei« (Schwonke 1957: 43). Die Möglichkeit, aktiv über den tellurischen Raum hinauszugreifen, wird durch in Romane eingekleidete Propaganda auch öffentlich. Zudem erscheinen technische Abhandlungen, die in dieselbe Richtung wirken wollen. 1903 wurden in Russland die ersten, technisch ernstzunehmenden Schriften zur Astronautik veröffentlicht (Clarke 1970: 14f.). Insbesondere in Deutschland wurden im Laufe der 20er Jahre eine ganze Reihe von ingenieurtechnischen

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Vgl. den Beitrag von Bernd Flessner in diesem Band.

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Werken herausgegeben, deren Credo darin besteht, »zu zeigen, dass die Befahrung des Weltraums […] ein Problem darstellt, welches sehr wohl technisch gelöst werden kann« (Noordung 1929: 188). Wenn Ledoux’ Flurwächterhaus Ende der 1930er Jahre wie ein Raumschiff aussehen kann, dann deshalb, weil es zu dieser Zeit nicht nur sinnvoll erscheint, solche Raumschiffe zu bauen, sondern auch, weil bereits an den notwendigen Technologien gearbeitet wurde – eine FuE, die letztlich in der großtechnologischen Heeresversuchsanstalt Peenemünde unter der technischen Leitung Wernher von Brauns zur Entwicklung des strategischen Raketen-Waffensystems Aggregat 4 führte, welches erstmals am 3. Oktober 1942 bei einem Versuchsstart die 50-Meilen-Grenze zum Weltraum überquerte (Dornberger 1991: 27, Hensel 2019: 29).6 Aber warum erscheint ausgerechnet eine Kugel als Raumschiff? – Nicht nur, dass dies unter aerodynamischen Aspekten die denkbar ungünstigste Form ist, steht nicht gerade die Kugel für ein in sich geschlossenes System und damit der Vorstellung eines Hinausgreifens über das Himmelsgewölbe entgegen? Hier zeigt sich der exzentrische Doppelaspekt der Kugelsemantik, die es erlaubt, organizistische und konstruktivistische, schließende und hinausgreifende, passive und aktive Motive zusammenzudenken. Einerseits Bild eines in sich geschlossenen, harmonischen, tragenden Funktions- und Kräftegefüges, versinnbildlicht die Kugel anderseits auch die Aufhebung der Schwerkraft; »sie leugnet den tektonischen Bezug zur Erdbasis« (Sedlmayr 1955: 66). Als Artefakt, das quasi immer schon abhebt und zu Abenteuer und Handeln aufruft, eignet gerade die Kugel sich als Bild eines Raumschiffs. Darüber hinaus sieht sich die Astronautik, sobald sie nicht nur bewegungstechnische Aspekte der Weltraumfahrt, sondern auch Überlegungen zum Transport von Menschen durch das All anzustellen hat, auf Probleme des Luftdrucks und der künstlichen Bereitstellung von Atemluft verwiesen. Die Antwort auf die Frage, wie solche astronautischen Transportkörper verfasst sein müssen, lautet folgendermaßen: »Der Hauptsache nach wird es sich dabei wohl nur um größere, geschlossene Räume von der Ausdehnung einer Kammer bis zum Ausmaße ganzer Gebäude handeln, wie sie für längeren Aufenthalt allein in Frage kämen. Die Wandungen derselben müssten nach den Grundsätzen des Dampfkesselbaues

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Die 100-Kilometer-Marke (»Kármán-Linie«) wurde am 20. Juni 1944 überschritten (Hensel 2019: 32).

Semantik der Kugel

ausgeführt sein, da sie einem inneren Luftüberdruck (gegenüber dem leeren Weltraum) von 1 Atmosphäre standzuhalten haben; sie sollen also nicht nur entsprechende Stärke, sondern womöglich nur gekrümmte Flächen aufweisen.« (Noordung 1929: 118) Ganz entsprechend dieser Überlegungen gestaltete Wernher von Braun nach dem zweiten Weltkrieg die Kugelkabine eines Mondraumschiffes (Braun 1958: 82-110). Diesem Entwurf von Brauns kann durchaus der in großen Auflagen gedruckte, für die deutsche Science-Fiction paradigmatische Roman von Kurd Lasswitz Auf zwei Planeten zugrunde gelegen haben, in dem der Autor die Raumschiffe der »Martier« als vollkommene Kugeln schildert. Nach eigenem Bekenntnis »verschlang« von Braun diesen Roman in seiner Jugend mit »Neugierde und Spannung« (Braun 1969: 6).

Abbildung 4: Kugelkabine eines Raumschiffes für 20 bis 25 Besatzungsmitglieder nach Wernher von Braun

Quelle: Braun 1958, S. 96, Zeichnung: Fred Freeman

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In der deutschen Nachkriegs-Science-Fiction-Serie Perry Rhodan schließlich fliegen die Menschen in bis zu 2,5 km durchmessenden »Kugelraumern« in den intergalaktischen Raum hinaus. Dass von Brauns Entwurf (Abb. 4) und diese Kugelraumschiffe sich nicht wesentlich unterscheiden, sieht man auf den ersten Blick (Abb. 5). Daher darf vermutet werden, dass zwischen diesen beiden Raumschiffkonzepten ein näherer Zusammenhang besteht (Kasper 1999a: 103). Darüber hinaus ist die innere Raumaufteilung des Kugelraumers und des Flurwächterhauses recht ähnlich. Abbildung 5: Risszeichnung eines Kugelraumers der Perry Rhodan-Serie

Quelle: Perry Rhodan, H. 192, 1965, S. 34f., Zeichnung: R. Zengerle

Einer der geistigen Väter Perry Rhodans – Karl Herbert Scheer – charakterisierte die fiktive Technologie in seinen SF-Romanen gern als »Übertechnik«. Diese Technik eröffnet nicht nur mittels neuartiger Energietechnologien quasi überirdische Möglichkeiten, wie schwerefreies Schweben (Antigravitation), Materiesimulation durch Energiefelder (Formenergie), Transport von Körpern durch Energieübertragung (Transmitter), überlichtschnelles Durchqueren der Raumzeit (Transitions- oder Linearflug) oder Zeitreisen (Nullzeit-

Semantik der Kugel

deformator), sondern dank »positronischer« oder »syntronischer« Rechentechnologie findet sich in ihr auch der Traum kybernetischer Intelligenz verwirklicht. Scheer war es auch, der in seinen SF-Romanen diese technologische Potenz im imposanten Bild des Kugelraumers zu verdichten wusste. Schon im ersten Perry-Rhodan-Band wird der Kugelraumer entsprechend in Szene gesetzt. Die Raumfahrer von der Erde entdecken auf dem Mond ein gestrandetes, fremdes Kugelraumschiff: »›Nein – nein, das nicht, das nicht…‹ […] An der glatten Oberfläche des kugelförmigen Riesen war nichts zu bemerken. Es gab keine einzige Ausbuchtung, keine sichtbare Öffnung. Nur in Höhe der Äquatorlinie zeichnete sich ein starker wulstartiger Ring ab. […] Die ganze Konstruktion ruhte auf kurzen, säulenartigen Landebeinen. Sie waren kreisförmig angeordnet und waren offensichtlich aus dem unteren Viertel des Kugelkörpers ausgefahren oder hervorgeklappt worden. Das war alles, was sich ihren Blicken bot. Im grellen Licht der voll einfallenden Sonnenstrahlung schimmerte das Material der gewaltigen Hülle in einem blassroten Farbton. […] Auch Reginald Bull hatte sich wieder gefangen. Seine raue, beherrscht klingende Stimme bewies es. ›Absolute Kugelform, die idealste Bauweise für ein Großraumschiff, vorausgesetzt man besitzt entsprechende Triebwerke.‹« (Scheer 1961: 35f.) Da nun aber in einer Science-Fiction-Serie, die im Wesentlichen mit »Übertechnik« arbeitet, letztlich jede denkbare Raumschiffform vertretbar ist (in den inzwischen sechs Jahrzehnten realer Seriengeschichte werden auch eine Vielzahl von Formen mehr oder weniger glaubhaft durchgespielt), darf man fragen, wieso gerade die Kugel die von den »Terranern« bevorzugte Form darstellt? Denn jene übernehmen die Kugelform von den notgelandeten »Arkoniden« und befahren das Universum bis in die Seriengegenwart hinein bevorzugt mit Kugelraumern. Auch hier muss vermutet werden, dass die symbolische Doppelaspektivität der Kugel dafür verantwortlich ist. Denn der ins Nichts und die Bodenlosigkeit des Alls hinaustretende Mensch muss eine künstliche Lebenssphäre mitnehmen. Die Kugel kommt dieser Notwendigkeit nicht nur drucktechnisch entgegen, sondern sie symbolisiert, dass dieser künstliche Lebensraum ebenso wie der des »Raumschiffs Erde« gegen das feindliche Vakuum abgedichtet ist. Darüber hinaus lässt das Kugelmodell ein Raumschiff nicht nur als

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einen technisch-effizienten, sondern auch als einen harmonisch-organischen Funktionszusammenhang erscheinen. Diese Konnotation verstärkt noch die Schutzsymbolik: Der Kugelraumer umgibt den Menschen und beschützt ihn mittels seiner übertechnischen Macht. Nicht zu vergessen, dass die Kugel als Symbol für Vollkommenheit auch darauf verweist, dass, wer in ihr reist, auf der moralisch »richtigen« Seite steht (Kasper 1999b: 83). Als Science-Fiction, die dazu noch in Form des kleinen Massenmediums des »Heftchens« vertrieben wird, sah sich die Perry-Rhodan-Serie lange Zeit ebenso barscher Anfeindungen seitens der Kulturkritik ausgesetzt, wie die Kugelhäuser oder die Romantik (Esselborn 2003, Spreen 2014: 167f.). Auffällig ist, dass zumindest ein Motiv dieser Kritiken übereinstimmt: Das Unbehagen an der losgelassenen Phantasie, die den Menschen nicht in einem festgefügten und bodenständigen kulturellen Orientierungssystem belässt, sondern in Zerstreuung, Unterhaltung oder Ironie mündet. »Fantasie ist zugleich Begeisterung und Einbildung«, heißt es 1798 in den Athenaeum-Fragmenten (Schlegel/Schlegel 1798: 244). Phantasie weist über das hinaus, was ist. Sie aktiviert den Sinn für das Mögliche, sogar Unwahrscheinliche. Sie »hebt ab«. Und das erscheint verdächtig.

6.

Rundes Design im Space Age

Der erste künstliche Körper, der die Erde dann wirklich in einem Orbit umrundete, Sputnik I, hatte ebenfalls eine Kugelform (Abb. 6). Das Design des sowjetischen Beitrags zum Internationalen Geophysikalischen Jahr war Berichten zufolge dem sowohl ästhetischen als auch technischen Empfinden Sergei Koroljows zu verdanken. Die Kugelform ermöglichte einerseits die genaue Kontrolle des Innendrucks des mit Stickstoff gefüllten Satelliten während seines Fluges. Diese Druckkontrolle diente dazu, einen eventuellen Mikrometeoriteneinschlag festzustellen (Siddiqi 1997: 20 [8]). Kollegen vermuten zudem, dass Koroljow ästhetischen Überlegungen folgte: »Today, after decades have passed«, erinnert sich der sowjetische Ingenieur Mark Gallai, »we simply cannot imagine the first sputnik to be anything other than what it was: an elegant ball« (zit.n. Harford 1997: 36 [8]). Der Satellit sollte eine einfache und ikonische Form haben, damit seine Nachbildung in einem Museum zur Geltung kommen konnte (Siddiqi 1997: 21 [9]). Er war also für Koroljow vermutlich nicht nur ein schlichtes, technisches Artefakt, sondern zugleich Designobjekt und Kunstwerk. Man kann daher spekulieren, ob die Kugelform von »Russias

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moon«7 – zugleich Symbol des technischen Könnens und der Vollkommenheit – ihren Teil zum politischen »Sputnik-Schock« beitrug. Mit dem Sputnik-Start am 4. Oktober 1957 verbindet sich in den USA die Angst vor der Überlegenheit des Kommunismus und seinem technokratischzentralistischen System – eine Angst, die durch das Design des ersten Satelliten perfekt getriggert wurde. Die Wahl der Kugelform als Symbol der Vollkommenheit offenbart jedenfalls eine feinsinnige politische Ästhetik. Die unterschwellige politische Botschaft des Kugeldesigns wäre allerdings verpufft, wären die Sowjets dem Vanguard-Programm der US-Marine nicht zuvorgekommen. Peinlicherweise schaffte es der kurz darauf folgende Vanguard-Startversuch am 6. Dezember 1957 nur auf eine Höhe von 1 41 Meter, bevor die Rakete dann in einer eindrucksvollen Explosion verging: »Project Vanguard became the whipping boy for the hurt pride of the American people« (zit.n. Green/Lomask 1970: 211). Der erste erfolgreiche amerikanische Start erfolgte am 1. Februar 1958, als das Team Wernher von Brauns den Explorer I in eine Umlaufbahn brachte. Zuvor gelang den Sowjets noch der Start von Sputnik II, mit dem sie die Hündin Laika in den Orbit brachten. Der erste erfolgreiche Vanguard-Start gelang der US-Marine schließlich am 17. März 1958. Der Testsatellit war zwar deutlich kleiner als Sputnik I, aber ebenfalls kugelförmig. Die »amerikanische Pampelmuse im Weltall«, so das Wording Chruschtschows (zit.n. Buedeler 1982: 350), war immerhin der erste Satellit, der Solarzellen zur Energieversorgung verwendete. Für die politische Seele östlich des Eisernen Vorhangs war die amerikanische Vanguard-Misere Balsam. Amüsiert berichtete man von der »verspäteten Vorhut« und über die »Weltraumpampelmuse« (Eichler/Körner 1958: 137, 149): »Die Vorhut war von zwei sowjetischen Satelliten und dem Explorer I überholt worden.« (Eichler/Körner 1958: 146) Der stotternde Aufbruch Amerikas in den Weltraum wurde als »zwangläufige Folge der kapitalistischen Gesellschaftsordnung« (Eichler/Körner 1958: 137) gedeutet. Das Sputnik-Programm wurde zum Beweis der Überlegenheit der sozialistischen Produktionsweise, denn es sei nicht »zu vernachlässigen«, »dass die gelegentlichen Erfolge der USA Zufallsergebnisse in der kaum noch zu überblickenden Reihe der Versager sind, während die Sowjet-

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Life vom 21.10.1957, S. 19.

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union ihre Erfolge mit der virtuosen Sicherheit eines Meisters errang.« (Eichler/Körner 1958: 152) Auf der westlichen Seite des Eisernen Vorhangs befeuerte der Sputnik-Start nicht nur Befürchtungen, dass in der östlichen Selbststilisierung ein wahrer Kern stecken könnte, sondern sie weckte auch Atomängste. Es wurde befürchtet, dass nachfolgende sowjetische Satelliten oder Raumstationen mit atomaren Sprengköpfen ausgestattet werden und so beliebige Ziele der Erdoberfläche bedrohen könnten (Green/Lomask 1970: 188). »Dual Use«-Optionen sind also von Anfang an in die Weltraumtechnologie eingeschrieben, ebenso wie in die Computer- und Medientechnologie. Die Rede vom »Sputnik-Schock« zeigt an, dass der sowjetische Satellitenstart in Teilen der westlichen Welt ein traumatisches Aggressionserlebnis darstellte. Unter anderem wird er als »technologisches Pearl Harbor« beschrieben (Deese 2009: 74, Hensel 2019: 61). Zugleich ist die weite Verbreitung runder und sphärischer Formen (sowie Anspielungen auf Raketenelemente) in Ästhetik und Design des Space Age auffällig: Verner Phantons freischwingender Plastikstuhl erfreute sich in den 60er Jahren großer Beliebtheit. Eero Aarnios Ball Chair ist im Prinzip ein Sputnik, in dem man sitzt. IBM brachte die Selectric auf den Markt, eine elektrische Schreibmaschine mit Kugelkopf, die sich zudem durch ein klares, abgerundetes Design auszeichnete. Weitere Beispiele für die Beliebtheit runder Formen sind die Arco-Bogenleuchte, die wie ein Satellit über dem Sofa oder dem Esstisch schwebte, oder der ergonomisch geformte Braun Sixtant-Rasierer (vgl. Albus/Kras/Woodham 2000). Die an eine Rakete erinnernde Lava- oder Astrolampe eroberte die Wohnzimmer. In ihrem Innern bildeten sich in einem unendlichen Prozess der Schöpfung und des Vergehens sphärische Formen – ein Medium, dessen bloßer Betrieb bereits Botschaften generierte. Diese Liste lässt sich fortsetzen: »Chandeliers resembled space platforms; dinnerware assumed the elliptical shape of a satellite orbit; vases, ashtrays, and appliances disguised their functions within new forms and facades« (Rosenberg 2008: 179). Auch an runde Häuser wurde wieder gedacht, wie z.B. »das Traumhaus des Space Age, das Futuro (1968) von Matti Suuronen – eine Ellipse auf vier Stelzen und mit Rundumsicht, die von Eero Aarnios Ball Chair von 1962 perfekt möbliert wäre, wenn der Raum groß genug gewählt worden wäre« (Delitz 2014: 147f.). Runde, hyperbolische und sphärische Formen erfahren in der Architektur des Space Age eine merkbare Aufwertung (Delitz 2014). Erinnert sei außerdem an den Sputnik Sundae-Eisbecher oder den

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Abbildung 6: Mockup des Sputnik I im sowjetischen Pavillon auf der Paris Air Show 1976

Quelle: NASA History Office, Bild-ID: SPD-SLRSY-382

Sputnik Cocktail – »one third vodka, two thirds sour grapes« (Green/Lomask 1970: 188). Das auffallend häufig genutzte, runde Designschema des dem SputnikStart folgenden Space Age lässt sich mithilfe des von Anna Freud in die Diskussion eingebrachten psychoanalytischen Topos der »Identifikation mit dem Angreifer« interpretieren. Der psychoanalytische Topos der Identifikation mit dem Aggressor besagt unter anderem, dass die Psyche im Falle einer Bedrohung mit einer Übernahme von Eigenschaften oder Attributen des Aggressors reagieren kann, um wenigstens in der Phantasie an der Macht und den Eigenschaften des mit aggressiver Energie besetzten Mächtigen teilzuhaben (Freud 1936: 125-139). Freud diskutiert das Beispiel eines Jungen, der auf Kritik durch seine Lehrer mit dem Schneiden von Grimassen reagiert. Dabei bewältigt er »seine Angst durch unwillkürliche Nachahmung des Zornigen«. »Das Grimassieren dient hier also der Angleichung oder Identifizierung mit dem gefürchteten Objekt der Außenwelt« (Freud 1936: 126). Freud arbeitet noch weitere Identifikationsmechanismen heraus. Ihr Gemeinsames ist aber die »Verarbeitung unlustvoller oder traumatischer Erlebnisse« (Freud 1936: 129f.). Kulturpsychologisch gewendet verweisen Identifikationen mit dem Aggressor auf ästhetische Bewältigungs- und Aneignungsmuster, die etwa hervorstechende Merkmale angstbesetzter und bedrohlich empfundener feind-

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licher Objekte übernehmen. Peter Gendolla (1982) etwa hat am Beispiel des Mensch-Technik-Verhältnisses eine solche kulturtheoretische Interpretation vorgeschlagen. Wie solche kulturellen Identifikationen allerdings zu bewerten sind, muss am Fall entschieden werden. Sie können sowohl Formen der Bewältigung, der ironischen Wendung oder der Selbstermächtigung als auch ideologische Motive darstellen, die letztlich nur eine schlechte Realität ästhetisieren (Spreen 2015: 94ff.). Ist es zu viel vermutet, dass die Kugelform des Sputniks auch deshalb zum Kennzeichen der Popkultur und der Architektur im Space Age werden konnte, weil sich so sowohl die »rote Bedrohung« als auch Atomängste zumindest symbolisch verwinden ließen? Handelt es sich um eine Art des ästhetischen »Grimassierens« – um das Beispiel von Anna Freud aufzugreifen? Es erscheint durchaus plausibel, die kulturelle Abundanz zugleich schützender und artifizieller sphärischer Formen mit der Ambivalenz eines Zeitalters in Verbindung zu bringen, das auf der einen Seite Individualismus und Fortschritt verkündete und auf der anderen Ängste vor politisch-struktureller Entmündigung (»Kommunismus«, »Technokratie«) und atomarer Verseuchung und Vernichtung weckte. Denn ein Kugeldesign hilft, mit Ambivalenzen zurechtzukommen, die sich aus der fortschreitenden technischen Artifizialisierung von Gesellschaft ergeben. Aus einer kulturpsychologischen Perspektive kann die Sputnikisierung populärer kultureller Ausdrucksformen als eine Bewältigungsstrategie verstanden werden: Atomare und rote Bedrohung erschienen durch die Adaption runder Formen weniger gefährlich, weil ein auffälliges Attribut dieser Aggression – nämlich die Gestalt des sowjetischen Kugelraumers – zum Teil des Eigenen gemacht wurde.

7.

Containment-Kuppeln

Augenfällig ist die Kuppelarchitektur von Kernkraftwerken, mit deren Bau in Deutschland ebenfalls zu Beginn des Space Age begonnen wurde. 1957 wurde der erste deutsche Forschungsreaktor, das »Atom-Ei« in München, in Betrieb genommen. Im selben Jahr wurde das erste Atomprogramm aufgelegt, das zweite folgte 1963-67. Die Atomreaktoren befinden sich in aller Regel in einem kuppelförmigen Containment aus Beton. Sie stellen umfassend gesicherte, »verbotene Zonen« dar (Hilpert 2012: 8). Unter Bezugnahme auf Peter Sloterdijk kann man sie auch als invertierte atmosphärische Inseln begreifen.

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Sloterdijk konzipiert »atmosphärische Inseln« als artifizielle Strukturen, die als »Hülle für umbaute Luft« dienen, »die ihrerseits als Milieu für Einwohner besonderer Art bereitgestellt wird« (Sloterdijk 2004: 341). Das können exotische Pflanzenwelten mit oder ohne Faunabeigabe sein. Beispiele sind Glasgewächshäuser, Orangerien oder Polyäthylen-Hüllen für Gemüse-Massenkulturen. Ein nachgerade idealtypischer Fall solcher »Klima-Konstruktionen« ist die in Arizona errichtete Biosphäre 2 – ein von der Umwelt abgekoppeltes System, das eine Biosphäre mit Menschen in eine Technosphäre implantiert. Konzipiert wurde diese »Totalsimulation einer selbstgenügsamen und menschlich brauchbaren Biosphäre« im Hinblick auf den dauerhaften Auszug von Menschen in den Weltraum (Sloterdijk 2004: 354). Im Gegensatz zu einer solchen versiegelten atmosphärischen Insel, soll die Reaktorkuppel eines Kernkraftwerks keine kontrollierte »Lebens-Welt« umschließen. Vielmehr soll sie die Erdatmosphäre vor der Kontamination durch jene Radioaktivität bewahren, die im Werk zur Energieerzeugung genutzt wird. Gesellschaft und Natur sollen von dem »kugelförmigen gasundurchlässigen Sicherheitsbehälter« (Hilpert 2012: 8) geschützt werden. Das Containment schützt also nicht nur das Innere des AKWs vor äußeren Einflüssen, sondern vor allem sein Außen vor dem kernenergetischen Prozess, der sich im Inneren des Werks vollzieht. Nur das Ergebnis dieses Prozesses soll nach Außen gelangen, um so die elektrifizierte Gesellschaft zu versorgen. So gesehen, verwandeln die global verstreuten Kernkraftwerke die ganze Erdatmosphäre von einer Außen- in eine Innenwelt, indem sie auf der Erdoberfläche neue, aus der irdischen Lebenswelt herausgestanzte »Leerräume« schaffen. Das Betreten der Reaktorkuppel verlangt daher auch ganz ähnliche Maßnahmen wie ein Weltraumspaziergang. Die Nuklearnauten innerhalb der Kuppel tragen hermetisch geschlossene Anzüge und scannen per Dosimeter permanent den sie umgebenden Gefahrenraum. Die Reaktorumhüllungen erfüllen also zwei Funktionen. Erstens dienen sie der Sicherheit des Reaktors selbst. Die Beton-Kathedralen der AKWs sollten sogar einen Flugzeugabsturz überleben. Zweitens schützen sie die Atmosphäre vor jener inneren Kernsingularität, die wie ein Black Hole aus der Raumzeit des umgebenden Erd- und Sozialsystems herausgeschnitten ist. In seinem 1986 erschienenen und ganz wesentlich auf die Risiken der Atomtechnologie Bezug nehmenden Buch Risikogesellschaft kommt Ulrich Beck zu dem Schluss, dass Natur »von einem Außen- zu einem Innen-, von einem vorgegebenen zu einem hergestellten Phänomen geworden« ist

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(Beck 1986: 9). Und in der Tat: Die Atom-Dome sind Schutzumhüllungen der Erdatmosphäre. Sie verwandeln den Planeten gewissermaßen in ein Raumschiff aus Beton. Entsprechend ihrer doppelten Rolle sind die Reaktorumhüllungen wuchtige Schutzkuppen. Ihre Architektur erscheint aus druckphysikalischen und sicherheitstechnischen Überlegungen heraus funktional. Mit wenigen Ausnahmen sind die halbkugelförmigen Containments eine Form des anonymen Industriedesigns, das in der Regel ohne Verweis auf einen gestaltenden Architekten auskommt (Hilpert 2012).8 Dennoch ist eine AKW-Kuppel ein absichtsvoll erzeugtes Kulturprodukt, deren Ästhetik einen gesellschaftlichen, technologischen und kulturellen Wandel verkörpert (Kieselhorst 2017: 10-12, 26). Die Leichtigkeit und Mobilität der zahlreichen Konsumund Wohnobjekte der Space Age-Popkultur fehlt den Containment-Kuppeln völlig – dies ist ebenfalls eine Invertierung. Statt im eigenen Wohnzimmer durch den Raum zu schweben, mauerte man den Planeten in Beton ein und verwandelt ihn in eine Großversion des Haleʼschen »Brick Moon«. Aus kulturpsychologischer Sicht erscheint die runde Form der Betonkuppeln funktional: Sie suggeriert einen vollkommenen Schutz und scheint daher geeignet, dem kollektiven Druck der Atomangst standzuhalten. Aber ebenso wenig, wie die AKW-Beton-Dome radioaktive Belastungen abhalten konnten, zeigte sich die politische Ästhetik dieser Dome in der Lage, die Diskurse der neuen sozialen Bewegungen abzuwehren.

8.

Semantische Überdeterminierung

Die Kontrastierung von Semantiken und Technologien der Kugel illustriert, dass Technologien auf kulturelle Sinnbilder verwiesen sind. Diese Sinnbilder – und nicht nur ökonomische oder instrumentelle Zwecke – spielen eine Rolle bei der gesellschaftlichen Implementation von neuen Technologien, auch wenn diese später ihren frühen Bildern gar nicht mehr entsprechen.

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Ausnahmen sind etwa die in Frankreich von dem namhaften Architekten Claude Parent mitgestalteten Kernkraftwerke, darunter auch das Werk in Cattenom. Parent hat »zwischen 1974 und 1982 an der Realisierung der zwölf bedeutsamsten Komplexe für Atomkraftwerke in Frankreich mitgewirkt. […] Das Ziel seiner Mitwirkung hatte Parent als ›Herausbildung von Tempeln der Energie‹ umrissen. […] Denn ›le dome‹ […] symbolisiere ›auf perfekte Weise das Nukleare‹« (Hilpert 2012: 9).

Semantik der Kugel

Die Romantik formuliert ein Kugelmodell der Mediengesellschaft und öffnet damit überhaupt erst die Diskursstelle, in der neue Medien gesellschaftlich und kulturell zur Wirkung kommen können (Spreen 1998). Aber heute benutzt man nicht nur die Netzmetaphorik, um die gesellschaftliche Funktion von neuen Medien zu beschreiben, sondern das romantische Modell ist faktisch vergessen worden. Konstruktivistische Prinzipien werden in der Architektur weitgehend akzeptiert, aber Kugelhäuser werden nach wie vor nur sehr selten gebaut. Was die Weltraumfahrt betrifft, sind viele Überlegungen der frühen Pioniere verwirklicht worden oder zumindest in den näheren Bereich des Möglichen gerückt, aber Kugelraumer gibt es nicht – abgesehen von dem einen oder anderen Satelliten. Die Sputnikisierung der Popkultur war dann aber selbst eine Form, mit ambivalenten Eindrücken des Space Age umzugehen. Die AKW-Containment-Architektur dagegen konnte die symbolische Legitimationsfunktion nicht einlösen. Das Kugeldispositiv erweist sich als exzentrisch. In der Kugelform überschneiden sich einerseits auf Zentrierung, Organismus, Selbstreferenz und Vollkommenheit und andererseits auf Konstruktion, Entwicklung, Neu-Machen und Möglichkeiten verweisende Aspekte. Die Verwendung dieser Form macht die semantische Überdeterminierung technologischer Hardware deutlich. Technologien werden mit Bedeutungen – Hoffnungen, Wünschen, Erwartungen, Emotionen – gewissermaßen angereichert. Diese semantische Anreicherung hilft bei der kulturellen Akzeptanz neuer Technologien und sie erleichtert, damit verwoben, den Umgang mit Ambivalenzen, die sich aus solchen Technologien immer wieder ergeben. Sie öffnet der strukturellen technologischen Innovation, die für die moderne artifizielle Gesellschaft kennzeichnend ist, einen gesellschaftlichen Vorstellungs- und Aneignungsraum. So gesehen könnte man Kugelsemantik und -ästhetik im Zusammenhang mit technologischen Entwicklungen als Hinweis auf eine mögliche zukünftige Relevanz dieser Entwicklungen deuten. Aus der Sicht der Zukunftsforschung wäre sie dann ein »Portents«, ein Vorzeichen, das eine mögliche Relevanz andeutet (Mayo 1968, Steinmüller 2007). In den diskutierten Fällen sind sie jedenfalls, nachträglich betrachtet, ein Mittel der sozialen Implementation und des Umgangs mit Ambivalenzen.

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9.

Ein letzter Start ins Kugelinnere

In dem eingangs erwähnten Roman Paul Alfred Müllers kommen die drei Helden mit ihrem Raumschiff nicht weit. Sie fliegen zum Mond und zum Mars, bemerken dabei allerdings eine Reihe merkwürdiger Effekte. Die Erde können sie nach dem Abheben nicht als Kugel erkennen, vielmehr scheint es ihnen, als blickten sie in einen Trichter hinein. Im Weltall wird es nicht kälter, sondern wärmer. Die Erde erscheint in einem schwachen Dämmerlicht, sie liegt »wie unter stumpfen, leicht rötlichen Schleiern« (Holk 1954: 191). Die Geschwindigkeit des Raumschiffs lässt sich nicht über 2000 Stundenkilometer steigern. Der Oberfläche des Mondes wird nach nur 3000 zurückgelegten Kilometern erreicht und der Mond erweist sich als »Kraterball« mit einem Durchmesser zwischen 50 und 100 km. Nach der Landung auf diesem Körper, erkennt man, wie sich die Erde um ihn herumwölbt. Das Rätsel löst sich schließlich: »Die Erde ist eine Hohlkugel, in der sich das ganze Universum befindet. Unsere bisherigen Vorstellungen waren alle falsch« (Holk 1954: 217).

Abbildung 7: Illustration der Hohlwelttheorie P. A. Müllers

Quelle: Müller 1939, Innenillustration

Semantik der Kugel

Die Hohlwelttheorie, die P. A. Müller nicht nur in Romanen, sondern auch in theoretischen Schriften vertreten hat, postuliert, dass die Menschen »nicht außen auf der Erdkugel, sondern auf der Innenfläche einer Hohlkugel leben. Im Zentrum dieser ›Erdwelt‹ schwebt eine sich drehende Zentral- oder Sternenkugel, um diese herum kreisen Mond, Sonne und die übrigen Planeten, während der Erdboden die konkav gewölbte Innenfläche der gesamten Hohl- oder Erdwelt ausmacht. Gegenteilige optische Befunde etwa der Astronomie werden mit einer gesetzmäßigen Krümmung der Lichtstrahlen erklärt, die sich experimentell weder beweisen noch widerlegen lässt« (Galle/Bauer 2003: 37, vgl. Müller 1939, Kasper 2000). Interessanterweise gelingt es nämlich nicht, dieses Weltbild kurzerhand durch empirische Hinweise zu entkräften, wenn man von geeigneten physikalischen Grundsätzen ausgeht (Sexl 1983).9 Abbildung 7 zeigt das Hohlweltmodell, wie es in Müllers Roman Und sie bewegt sich doch nicht abgebildet findet. Die Darstellung kommt allerdings nicht umhin, das geschlossene Modell des Universums zu öffnen, um es visuell verständlich zu machen. Müller fiel es schwer, sich von seiner Theorie zu verabschieden, aber nachdem Sputnik I erfolgreich die Erde umrundete, ohne auf der anderen Seite herunterzufallen, wie er leichtfertig in der Öffentlichkeit vorhergesagt hatte, bekam sein Weltbild Risse (Galle/Bauer 2003: 79f.). Trotzdem findet dieses esoterische Modell noch Anhänger (Galle/Bauer 2003: 83). Steht der Kugelraumer für den Aufbruch und das Abheben in neue Welten, so verspricht die Hohlwelt – gemäß der Doppelaspektivität der Kugel – Heimat und Geborgenheit. So schreibt Müller: »Das kopernikanische Weltbild mit seinem endlosen Nichts, seinen unvorstellbaren Entfernungen, seiner Leere und Kälte, in dem das Leben eine zufällige Krankheitserscheinung und der Mensch ein aus Zufällen entwickeltes Geschöpf weit unterhalb der kosmischen Messbarkeit ist, hat einfach weder Raum noch Heimat für Gott, Geist oder Seele.« (P. A. Müller, zit.n. Galle/Bauer 2003: 31) 9

Der theoretische Physiker Roman Sexl nutzte die Hohlwelttheorie didaktisch, um Studierende zu irritieren und auf die Bedeutung der Wissenschaftstheorie hinzuweisen: »Etwa ein bis zwei Stunden dauert üblicherweise [der] Dialog, mit dem alle Einwände der Studenten gegen das neue Weltbild widerlegt werden können. Die Stimmung im Hörsaal schwankt zwischen Resignation und Empörung. Jahrelanges Physikstudium ermöglicht es nicht, eine derartig sinnlos erscheinende Behauptung wie die Hohlwelttheorie in wenigen Minuten auszuschließen« (Sexl 1983: 456).

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In der geschlossenen Welt sind dagegen Raum und Heimat für den Menschen gesichert. Startet er, kommt er schnell wieder auf die Erde zurück. Und so erweist sich das Kugelraumschiff in Müllers Roman schließlich als moralische Last für die Menschheit, denn in seinem sicher umgrenzten Hohlweltkosmos ist es nur das sinnlose Konstrukt eines offenen, darum aber beunruhigenden Weltbildes. Am Ende verschwindet das Raumschiff daher unbemannt im Hohlwelt-Innern: »›Die Kugel?‹ flüsterte Roxas, dessen Augen offen zum Himmel starrten. Schürbrand suchte den Himmel ab. ›Sie ist verschwunden, Herzog. Zur Erde wird sie wohl nicht wieder zurückkehren.‹« (Holk 1954: 234)

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dicchio, Silke Bellanger, Gereon Uerz (Hg.), Landschaft, Geschlecht, Artefakte. Zur Soziologie naturaler und artifizieller Alteritäten. Würzburg: Ergon, S. 49-59. https://doi.org/10.14361/9783839430088 Spreen, Dierk (2014): »Weltraumfahrt als Unterhaltung. Das kleine Massenmedium Perry Rhodan«, in: Fischer/Spreen, Soziologie der Weltraumfahrt, S. 163-195. https://doi.org/10.14361/transcript.9783839427750.163 Spreen, Dierk (2015): Upgradekultur. Der Körper in der Enhancement-Gesellschaft. Bielefeld. transcript. https://doi.org/10.14361/9783839430088 Steinmüller, Karlheinz (2007): »Zeichenprozesse auf dem Weg in die Zukunft: Ideen zu einer semiotischen Grundlegung der Zukunftsforschung«, in: Zeitschrift für Semiotik, Bd. 29, H. 2-3, S. 157-175.

Willkommen auf dem Planeten Corona Dierk Spreen, Dominik Irtenkauf, Bernd Flessner

In dem Science-Fiction-Roman Vector Analysis (dt. Das fremde Virus) entwirft der Biologe und Parasitologe Jack C. Haldeman das Szenario einer infektiösen und schweren Lungenkrankheit auf einer großen Raumstation. Im Verlauf der Geschichte stellt sich heraus, dass der Erreger außerirdischen Ursprungs ist, denn die Station ist im Prinzip ein gewaltiges Orbitallabor zur Untersuchung extraterrestrischer Lebensformen. Es handelt sich um einen zooanthroponotischen Erreger. Aufgrund der Herkunft aus einem fremden ökologischen Kontext hält der menschliche Organismus gegen den Erreger keine passende Immunabwehr parat, so dass zunächst nur isolierende und distanzierende Maßnahmen ergriffen werden können, während in den Labors händeringend nach einem Impfstoff gesucht wird. Durch einen Zufall befindet sich an Bord der Raumstation ein karrierebesessener Politiker, der alles daransetzt, zur Erde zurückzukehren, dabei allerdings als Vektor den Erreger auf die Erde tragen würde. Am Ende gelingt es gerade noch, einen Impfstoff zu finden, weil es einige Menschen auf der Station gibt, die durch besondere Merkmale Antikörper entwickelt haben, die dafür genutzt werden können. Die Raumstation, die Haldeman beschreibt, ist für heutige Verhältnisse sehr groß, ein invertierter Miniaturplanet für sich. Der Roman zeigt, wie wichtig es ist, Zeit zu kaufen, um ein Gegenmittel zu finden. Er illustriert auch, wie ein Verhalten, dass sich der naturgesetzlich verlaufenden Ausbreitung der Pandemie nicht anpasst, sondern anderen Logiken folgt – in diesem Falle der Logik der Politik und einer populistischen Wahlkampfstrategie –, die Gegenwehr unterwandert, Prozesse chaotisiert und der Pandemie in die Hände spielt. In der postpandemischen Gesellschaft, d.h. einer Gesellschaft, die mit mehr oder weniger kontrollierten Pandemierisiken sowie ihren Folgen lebt und das nach Jahrzehnten der Verdrängung nun auch weiß, wirkt das in dem Roman geschilderte Szenario nicht mehr wie »Science-Fiction«.

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Mit Viren und pandemischen Zuständen hat sich die Science-Fiction zudem wiederholt auseinandersetzt (Irtenkauf 2020). In Harry Harrisons Plague from Space (1965, dt. Die Pest kam von den Sternen) beispielsweise bringt eine Raumschiffbesatzung ein fremdartiges Virus mit heute gut bekannten Folgen für den Alltag auf die Erde: »Die Menschen mieden einander in diesen Tagen, wo sie nur konnten« (Harrison 1966: 101). Die englischsprachige Erstausgabe der Vector Analysis erschien 1978, die deutsche Übersetzung 1980. Heute durchlebt die Besatzung der Weltraumstation Erde ganz ähnlich wie in diesem Science-Fiction-Roman eine Pandemie. Er kann daher als eine Anregung gelesen werden, um aus einer Weltraumperspektive über die postpandemische Gesellschaft nachzudenken. Im Weltraum und auf Himmelskörpern ohne oder mit fremder Atmosphäre ist die Umwelt ein für den Menschen qua Natur ungastlicher Ort: Fremde oder fehlende Atmosphäre, andere Druckverhältnisse, Strahlung, extreme Temperaturen. Das Lebewesen »Mensch« zeichnet sich aber gerade dadurch aus, dass es sich davon nicht abschrecken lässt. Der Mensch ist der Möglichkeit nach ein weltoffenes Wesen, das auf keine Umwelt festgelegt ist, sondern verschiedenste Umwelten erschließen und gestalten kann. Ob nun Forschungsstationen in der Antarktis, Unterseeboote, Raumstationen oder Habitate auf dem Mars – in solchen Fällen betreten und leben Menschen in Umgebungen, die von ihnen den Einsatz spezifischer künstlicher Mittel verlangen, um ihr Weiterleben zu sichern. Mithilfe von Lebenserhaltungssystemen erschließt sich die Gesellschaft neue Räume. Der Anthropologie Arnold Gehlens zufolge hat die Menschheit das im Prinzip auch immer schon so gemacht. »Ohne eine artspezifische Umwelt, in die er eingepasst wäre […], aus Mangel […] an spezifischen Organen und Instinkten, sinnesarm, waffenlos, nackt, embryonisch in seinem Habitus, instinktunsicher« sind Menschen immer schon genötigt gewesen zur »intelligente[n] Veränderung der beliebigen vorgefundenen Naturumstände« (Gehlen 1961: 95). Da der UmweltOrganismus-Funktionskreis »eines so riskierten Wesens« (Gehlen 1961: 95) nicht geschlossen ist, kann es sich auch in ziemlich abweisenden Umgebungen einrichten oder sie so umformen, dass sie bewohnbar werden. Die Lebenswelt des Menschen wird so zu einer Weltprothese (Flessner 1991). Um im Weltraum oder auf Mond oder Mars zu leben, müssen sich Menschen in Räume einschließen, die von der Umgebung getrennt sind und in sich geschlossene Lebenserhaltungssysteme darstellen. Wenn sie diese Räume verlassen wollen, müssen sie Schutzmaßnahmen ergreifen. An der Schnittstelle zur Außenwelt gibt es Schleusensysteme, in denen der

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Abbildung 1: Entwurf einer Mondbehausung von Foster + Partners für die ESA.

Bild: ESA/Foster + Partners

Luft- und Druckaustausch vollzogen wird. Der Entwurf für ein Mondhaus, der von Foster + Partners für die europäische Raumfahrtagentur ESA erstellt wurde, macht diesen Isolationscharakter gegen die Umgebung fasslich. Die Abbildung zeigt einen Mondbewohner, der sich in einem Raumanzug auf die Schleuse eines Habitathügels zubewegt, welcher durch eine Regolithumhüllung über einer Kuppel gegen Strahlung geschützt ist (Abb. 1).1 Immer gilt es, die Respiration sicherzustellen. Dabei helfen auf dem Mond Raumanzüge. In fremden Atmosphären genügen vielleicht Atemmasken. Um den Kontakt mit Gesellschaftsfragmenten in anderen Wohnungen oder Siedlungen zu halten, werden digitale Kommunikationsmittel zur Sprach-, Bild- und Datenübertragung genutzt. Im Rahmen des Artemis-Mondprogramms wurde Nokia von der NASA beauftragt, ein Mobilfunknetz auf dem Mond einzurichten.2 Was aber geschieht während einer akuten Pandemie wie der Covid-19Pandemie denn viel anderes? Menschen isolieren sich in ihren Wohnungen 1 2

https://www.esa.int/ESA_Multimedia/Images/2013/01/Lunar_base_made_with_3D_pri nting, aufgerufen am 27.05.2021. https://www.nokia.com/about-us/newsroom/articles/nokia-aims-for-the-moon-with-lt e4g, aufgerufen am 27.05.2021.

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und verbleiben auch bei der Arbeit im Home-Office. Im Außenraum nutzen sie FFP2-Masken oder medizinische Masken, um sich und andere zu schützen. Der Raumanzug wird auf einen Mund-und-Nasen-Schutz verkleinert. Handlich und kompakt lässt er sich am Handgelenk oder in der Handtasche transportieren. Einkapselung wird zum Alltagsphänomen. Wie eine Studie des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) zeigt, werden öffentliche Verkehrsmittel gemieden. Im privaten PKW schützt man sich vor sozial geteilter und daher gefährlicher Luft (Nobis 2021). Kommunikation wird weitgehend digitalisiert, um die Übertragung einer Lungenkrankheit zu verhindern, die durch Aerosole die Luft infiltriert und eine Risikoatmosphäre erzeugt. Auf den Corona-Stationen bewegt sich das medizinische Personal nur noch in einer Ganzkörper-Schutzkleidung, die sich von einem Raumanzug auf den ersten Blick kaum mehr unterscheidet. Sicherheitsschleusen trennen diese Stationen vom Rest der Krankenhäuser. Und um die Wirkungen der Pandemie einzugrenzen, um möglichst viel »Umwelt-Normalität« wiederzuerlangen, wird das menschliche Immunsystem künstlich erweitert, d.h. mittels wissenschaftlich neu entwickelter Vakzine optimiert. Die Begrenzung im Raum verbindet die pandemische mit der Raumfahrt-Gesellschaft. In einer Kapsel schützt man sich vor einer unkontrollierbaren Außenwelt. Ebenso gilt das für Space-Shuttles, Landemodule, Raumstationen. Viren sind Andere im Körper. Das Coronavirus führt daher auch zu einer veränderten Selbstwahrnehmung. Nicht nur die Anderen, auch man selbst wird zum Risiko. Die Gefahr lauert nicht einfach nur im Außen, sondern man schleppt sie mit sich; man könnte ein »Spreader« sein. Die Menschen lernen, sich selbst als Risikosubjekte wahrzunehmen und sich von ihren Mitmenschen zu distanzieren. Sie befinden sich in einem permanenten Alarmzustand, in einer andauernden Grenzsituation. Distanz wird nun zur guten Sitte, eine sachliche Verhaltenslehre wird Ausdruck von Solidarität. Dass Gefahr immer auch innen und nicht nur außen lauert, ist ebenfalls ein Raumfahrttopos: Nicht nur wie in dem Habitat-Setting von Haldemans Roman in Bezug auf Infektionskrankheiten, sondern auch im Hinblick auf Emotionen. Für Astronautentrainer, die Weltraumtouristen coachen, ist Emotion das »Thema schlechthin. Überall lauert es« (Faßbender 2021: 76). Es gilt, Panik oder Schockstarre zu vermeiden, um andere und sich selbst in Stresssituationen nicht zu gefährden. Space Coaching verspricht dabei zugleich, die »Erfolgsrezepte[.] der Astronauten« für den »Alltag und im

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Business« nutzbar zu machen.3 Auch bei Langzeit-Weltraummissionen ist die kontrollierte Gestaltung des sozialen Umgangs in einer kleinen, isolierten Gruppe von erheblicher Bedeutung. Emotionen und Gefühle erscheinen als natürlich-mitgegebene Risikofaktoren (Krämer 2008). Astronautische Subjektivierung bedeutet also, sich selbst als Risikosubjekt wahrzunehmen und Selbsttechniken zum Zwecke der Risikoreduktion zu nutzen. Folgt man der Selbstdarstellung des entsprechenden Coaching-Angebots, soll sie auch der Selbstoptimierung im Alltags- und Geschäftsleben dienlich sein, womit auch deutlich wird, wie man sich das heutige Alltags- und Geschäftsleben vorzustellen hat. Astronautische Subjektivierung erscheint zeitgemäß. Die pandemische Gesellschaft weist Vergleichbarkeiten mit einer astronautischen Habitatgesellschaft etwa auf dem Mond oder dem Mars auf. In einer transglobalen Gesellschaft würden astronautische Lebens-, Wohn- und Selbstverhältnisse ein selbstverständliches Aperçu sein, weil es dann auf Mond oder Mars zumindest Forschungssiedlungen gibt, wie man sie auch heute schon in der Antarktis findet. Früher oder später wird es wohl auch außerirdische industrielle Anlagen geben. Man kann die Pandemiezeit daher auch als eine Einführung in die Transglobalität verstehen. Ein Intro, in dem Lebens- und Verhaltensweisen ausprobiert werden, die unter einer Kohlendioxidatmosphäre mit geringem Luftdruck wie auf dem Mars normal sein würden. Corona ist ein »airborne disease, eine in der Luft schwebende Krankheit« (Horn 2020: 9). Sie vergiftet den Planeten und zwingt die Menschen in die Lebensweise von Marssiedlern. Die Pandemie hat die Erde in eine fremde Welt verwandelt. Willkommen auf dem Planeten Corona. Werden in der pandemischen Gesellschaft neue Regeln für ein transglobales Zeitalter eingeübt?

Literatur Faßbender, Alexander Maria (2021): Astronaut? Kann ich! Was du als Weltraumtourist unbedingt trainieren solltest und wie sich dein Alltag dadurch verändern wird. Siegendorf: Fortuna Reading. Flessner, Bernd (1991): Weltprothesen und Prothesenwelten. Zu den technischen Prognosen Arno Schmidts und Stanislaw Lems. Frankfurt am Main: Peter Lang. 3

https://www.alexander-maria-fassbender.de, aufgerufen am 22.06.2021.

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Dierk Spreen, Dominik Irtenkauf, Bernd Flessner

Gehlen, Arnold (1961): Anthropologische Forschung. Zur Selbstbegegnung und Selbstentdeckung des Menschen. Reinbek: Rowohlt. Haldeman, Jack C. (1980). Das fremde Virus. München: Droemer/Knaur. Harrison, Harry (1966): Die Pest kam von den Sternen. München: Moewig. Horn, Eva (2020): »Airborne. Corona, die Luft und das Klima. Was uns die Krise lehrt«, in: Journal der Künste, Jg. 4, H. 12, S. 9-10. Irtenkauf, Dominik (2020): »Viren in der Science Fiction«, in: Hardy Kettlitz, Melanie Wylutzki (Hg.), Das Science Fiction Jahr 2020. Berlin: Hirnkost, S. 431-447. Krämer, Tanja (2008): »Stressfrei zum Mars«, in: spektrum.de vom 15.08.2008. https://www.spektrum.de/news/stressfrei-zum-mars/964932 Nobis, Claudia (2021): »Covid-19: Veränderungen des Mobilitätsverhaltens«, in: Earth System Knowledge Platform [eskp.de] vom 01.02.2021, Jg. 8. ht tps://doi.org/10.48440/eskp.065

Zu den Autorinnen und Autoren

Bernd Flessner (Dr. phil.), geb. 1957, arbeitet als Zukunftsforscher am, Zentralinstitut für Wissenschaftsreflexion und Schlüsselqualifikationen (ZiWiS) der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Zudem ist er als wissenschaftlicher Beirat des Deutschen Museums für das Zukunftsmuseum in Nürnberg zuständig. Mitarbeit an zahlreichen Zukunftsund Szenariostudien u.a. für DHL, Telekom, Imbus AG, Adolf-Grimme-Institut, Roman-Herzog-Institut. Er schreibt u.a. für Neue Zürcher Zeitung, Kursbuch, Kultur & Technik, Archiv – Magazin für Kommunikationsgeschichte, Mare – Zeitschrift der Meere, Schweizer Monat. Hannah Fleßner, geb. 1991, studierte in Erlangen Kunstgeschichte und Medienwissenschaft und schreibt derzeit ihre Dissertation über Kontrollkonflikte mit posthumanen Kreaturen im Film am Institut für Theater- und Medienwissenschaften der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Außerdem arbeitet sie als Lektorin und Autorin in Nürnberg. Schwerpunkte: Filmanalyse, Filmgeschichte. Marie-Luise Heuser (Dr. phil), geb. 1954, studierte Philosophie, Geschichte, Physik und Mathematik. Sie lehrte und forschte an den Universitäten Düsseldorf, Stuttgart, Heidelberg und Braunschweig. Von 2015 bis 2020 leitete sie am Institut für Raumfahrtsysteme der Technischen Universität Braunschweig die Arbeitsgruppe Kultur und Raumfahrt. Sie ist seit 2010 Geschäftsführerin der Gesellschaft für Kultur und Raumfahrt e.V. und übernahm 2020 zusätzlich die Leitung des Fachausschusses für Raumfahrt und Kultur in der Deutschen Gesellschaft für Luft- und Raumfahrt e.V. (DGLR). Ihre Forschungsschwerpunkte sind: Philosophie der Raumfahrt, Raumontologie, Naturphilosophie, Metaphysik, Kultur- und Technikphilosophie.

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Die Raumfahrt der Gesellschaft

Dominik Irtenkauf, geb. 1979, freier Wissenschafts- und Kulturjournalist in Berlin. Studierte in Münster Germanistik, Philosophie und Komparatistik. 2007 MUSA-Stipendium des georgischen Ministeriums für Bildung und Wissenschaft. 2017 FONDS-Stipendium der Kulturstiftung des Bundes für eine Recherchereise nach Botswana und Namibia. Schreibt regelmäßig für Das Science Fiction Jahr, Telepolis, Raumfahrt Concret, Zukunft (A) u.a. Betreibt mit Hardy Kettlitz den Memoranda Science Fiction Podcast (www.memoranda.eu/?page_id=1188). Interessiert an: Erkundung des Weltraums, Science & Theory Fiction, planetare Ökologie, anthropologische Aspekte der Popkulturen (www.anthropop.de). Peter Podrez (Dr. phil.), geb. 1983, studierte von 2003-2009 Theater- und Medienwissenschaft sowie Pädagogik an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Seit 2010 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Theater- und Medienwissenschaft der FAU Erlangen-Nürnberg und übernimmt seit 2018 Lehraufträge am Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft der Universität Wien. Er promovierte zu filmischen Entwürfen der Zukunftsstadt. Seine weiteren Forschungsschwerpunkte sind u.a.: Bildlichkeit, Räumlichkeit und Dispositive des Films und Computerspiels, medialer Horror, medienwissenschaftliche Human-Animal Studies, Game Studies. Dierk Spreen (Prof. Dr. phil.), geb. 1965, Soziologe und Politikwissenschaftler. Derzeit Gastprofessor für Gesellschaftswissenschaften an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin (HWR) und Lehrbeauftragter an der Hochschule Magdeburg-Stendal. Zweiter Vorsitzender der Gesellschaft für Kultur und Raumfahrt e.V. Schwerpunkte: Wissenschaftskommunikation, Politische Ökonomie, Sicherheit, Militärsoziologie, Raumfahrt, Cyborgkultur, Soziologie der Unterhaltung, Science-Fiction.

Abkürzungsverzeichnis

A4: Aggregat 4 (= »V2«-Waffensystem) AKW: Atomkraftwerk AUS: Australien BDI: Bundesverband der Deutschen Industrie e.V. BDLI: Bundesverband der Deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie e.V. BGBl.: Bundesgesetzblatt BIP: Bruttoinlandsprodukt BMWi: Bundesministerium für Wirtschaft und Energie BT: Deutscher Bundestag CDN: Kanada CHIC: Charlottenburger Innovations-Centrum, Gründungszentrum der WISTA Management GmbH COTS: Commercial Off-The-Shelf DGLR: Deutsche Gesellschaft für Luft- und Raumfahrt e.V. DLR: Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V. DPG: Deutsche Physikalische Gesellschaft e.V. ESA: European Space Agency FAU: Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg FSS: Fixed Satellite Service, Kommunikationssatellitendienst FuE: Forschung und Entwicklung GEO: Geostationary Earth Orbit (Bahnhöhe ca. 36000 km) GPS: Global Positioning System HWA: Heereswaffenamt HWR: Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin ICBM: Intercontinental Ballistic Missile IGY: International Geophysical Year ILA: Internationale Luft- und Raumfahrtausstellung Berlin ISS: International Space Station

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Die Raumfahrt der Gesellschaft

KMU: Kleine und mittlere Unternehmen LEO: Low Earth Orbit (Bahnhöhe bis 2000 km) MEO: Medium Earth Orbit (Bahnhöhe 2000-35000 km) MIT: Massachusetts Institute of Technology MSS: Mobile Satellite Service, Kommunikationssatellitendienst NASA: National Aeronautics and Space Administration NBC: National Broadcasting Company NEO: Near-Earth object NGA: National Geospatial Intelligence Agency PAP: Post-Apollo-Programm der NASA REP: Robert Esnault-Pelterie ROM: Romänien SDI: Strategic Defense Initiative SEI: Space Exploration Initiative SF: Science-Fiction SFCD: Science Fiction Club Deutschland e.V. STEM: Science, Technology, Engineering & Mathematics TA: Technikfolgenabschätzung TAB: Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag TET-1: Technologieerprobungsträger 1 (Satellit) Ufa: Universum Film AG USD: United States Dollar, $ VfR: Verein für Raumschiffahrt VSS: Virgin Space Ship WRV: Weltraumvertrag 1967 ZiWiS: Zentralinstitut für Wissenschaftsreflexion und Schlüsselqualifikationen

Soziologie Michael Volkmer, Karin Werner (Hg.)

Die Corona-Gesellschaft Analysen zur Lage und Perspektiven für die Zukunft 2020, 432 S., kart., Dispersionsbindung, 2 SW-Abbildungen 24,50 € (DE), 978-3-8376-5432-5 E-Book: PDF: 21,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-5432-9 EPUB: 21,99 € (DE), ISBN 978-3-7328-5432-5

Gabriele Winker

Solidarische Care-Ökonomie Revolutionäre Realpolitik für Care und Klima März 2021, 216 S., kart. 15,00 € (DE), 978-3-8376-5463-9 E-Book: PDF: 12,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-5463-3

Wolfgang Bonß, Oliver Dimbath, Andrea Maurer, Helga Pelizäus, Michael Schmid

Gesellschaftstheorie Eine Einführung Januar 2021, 344 S., kart. 25,00 € (DE), 978-3-8376-4028-1 E-Book: PDF: 21,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4028-5

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Soziologie Bernd Kortmann, Günther G. Schulze (Hg.)

Jenseits von Corona Unsere Welt nach der Pandemie – Perspektiven aus der Wissenschaft 2020, 320 S., Klappbroschur, Dispersionsbindung, 1 SW-Abbildung 22,50 € (DE), 978-3-8376-5517-9 E-Book: PDF: 19,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-5517-3 EPUB: 19,99 € (DE), ISBN 978-3-7328-5517-9

Detlef Pollack

Das unzufriedene Volk Protest und Ressentiment in Ostdeutschland von der friedlichen Revolution bis heute 2020, 232 S., Klappbroschur, Dispersionsbindung, 6 SW-Abbildungen 20,00 € (DE), 978-3-8376-5238-3 E-Book: PDF: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-5238-7 EPUB: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-7328-5238-3

Juliane Karakayali, Bernd Kasparek (Hg.)

movements. Journal for Critical Migration and Border Regime Studies Jg. 4, Heft 2/2018 2019, 246 S., kart. 24,99 € (DE), 978-3-8376-4474-6

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