Sprach- und Stimmstörungen (Stammeln, Stottern usw.) [1. Aufl.] 978-3-7091-4558-6;978-3-7091-4708-5

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German Pages IV, 67 [73] Year 1929

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Sprach- und Stimmstörungen (Stammeln, Stottern usw.) [1. Aufl.]
 978-3-7091-4558-6;978-3-7091-4708-5

Table of contents :
Front Matter ....Pages ii-vi
Sprachentwicklung (Emil Fröschels)....Pages 1-6
Physiologie der Laute (Emil Fröschels)....Pages 6-13
Künstliche Lautbildung (Emil Fröschels)....Pages 13-17
Aphasien und Hörstummheit (Emil Fröschels)....Pages 18-22
Stammeln (Emil Fröschels)....Pages 22-35
Stottern (Emil Fröschels)....Pages 35-55
Poltern (Paraphrasia praecox) (Emil Fröschels)....Pages 55-58
Stimmstörungen und Hygiene der Stimme (Emil Fröschels)....Pages 58-63
Back Matter ....Pages 64-67

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BUCHERDER

ÄRZTLICHEN PRAXIS 17

SPRACH- UND STIMMSTÖRUNGEN,

(STAMMELN, STOTTERN USW.) VON

PROFESSOR DR. ENUL FRÖSCHELS

SPRINGER-VERLAG WIEN GMBH

Verlag von Julius Springer in Wien 1. In Verbindung mit den Büchern der Ärztlichen Praxis und nach den gleichen Grundsätzen redigiert, erscheint die Monatsschrift

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Die Arztliehe Praxis

Unter steter Bedachtnahme auf den in der Praxis stehenden Arzt bietet sie aus zuverlässigen Quellen sicheres Wissen und berichtet in kurzer und klarer Darstellung über alle Fortschritte, die für die ärztliche Praxis von unmittelbarer Bedeutung sind. Der Inhalt des Blattes gliedert sich in folgende Gruppen: Originalbeiträge: Diagnostik und Therapie eines bestimmten Krankheitsbildes werden durch erfahrene Fachärzte nach dem neu esten Stand des Wissens zusammenfassend dargestellt. Fortbildungskurse: Die internationalen Fortbildungskurse der Wiener medizinischen Fakultät teils in Artikeln, teils in Eigenberichten der Vortragenden. Das Gesamtgebiet der Medizin gelangt im Tur~us zur Darstellung. Seminarabende: Dieser Teil gibt die Aussprache angesehener Spezialisten mit einem Auditorium von praktischen Ärzten wieder. Neuere Untersuchungsmethoden: Die Rubrik macht mit den neueren, für die Praxis geeigneten Untersuchungsmethoden vertraut. Aus neuen Büchern: Interessante und in sich abgeschlossene Abschnitte aus der neu esten medizinischen Literatur. Zeitschriftenschau: Klar gefaßte Referate sorgen dafür, daß dem Leser nichts für die Praxis Belangreiches aus der medizinischen Fachpresse entgeht. Der Fragedienst vermittelt jedem Abonnenten in schwierigen Fällen, kostenfrei und vertraulich, den Rat erfahrener Spe~ zialärzte auf brieflichem Wege. Eine Auswahl der Frageil wird ohne Nennung des Einsenders veröffentlicht. Die Ärztliche Praxis kostet im Halbjahr zurzeit Reichsmark 3,60 zuzüglich der Versandgebühren. Alle Ärzte, welche die Zeitschrift noch nicht näher kennen, werden eingeladen, Ansichtshefte zu verlangen. Innerhalb österreich wird die Zeitschrift nur in Verbindung mit den amtlichen "Mitteilungen des Volksgesundheits;.. amtes" ausgegeben.

SPRACH· UND STIMMSTÖRUNGEN (STAMMELN, STOTTERN usw.)

VON

PROFESSOR DR. EMIL FRÖSCHELS WIEN

MI'!' 16 TEXTABBILDUNGEN

SPRINGER-VERLAG WIEN GMBH 1929

ISBN 978-3-7091-4558-6 ISBN 978-3-7091-4708-5 (eBook) DOI 10_1007/978-3-7091-4708-5 ALLE RECHTE, INSBESONDERE DAS DER üBERSETZUNG IN FREMDE SPRACHEN, VORBEHALTEN. COPYRIGHT 1929 BYSPRINGER-VERLAG WIEN URSPRÜNGLICH ERSCHIENEN BEI JULIUS SPRINGER IN VIENNA 1929

Vorwort. Dieses für den praktischen Arzt geschriebene Büchlein hat den Zweck, die Logopädie, wenn auch wissenschaftlich, so doch in einer Form darzustellen, deren Verständnis keine spezialistische Ausbildung voraussetzt. Ich hoffe, die junge Wissenschaft damit auch dem AlJgemeinpraktiker zugänglich zu machen. Wie n, im März 1929.

E. Fröschels

Inhaltsverzeichnis. I. 11. 111. IV.

Sprachentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . Physiologie der Laute. . . . . . . . . . . . . . Künstliche Lautbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. Aphasien und Hörstummheit . . . . . . . . . . V. Stammeln. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Stottern. . . . . . . . . . Zur Deutung der bisher besprochenen Symptome des Stotterns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Statistisches über Entstehen und Verbreitung des Stotterns Prognose des Stotterns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . " Prophylaxe des Stotterns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . " Therapie des Stotterns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Poltern (Paraphrasia praecox). . . . . . . . . . . . . . . . . . .. VIII. Stimmstörungen und Hygiene der Stimme . . . . . . . . . . . . Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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I. Sprachentwicklung. Um die für die Sprachfunktion hauptsächlich nötigen Gehirnpartien und ihre Beziehungen zueinander zu veranschaulichen, wurden zahlreiche Geh i r n s ehe m e n konstruiert ; am gebräuchlichsten ist das von W ernicke-Lichtheim in der Liep mannschen Modifikation, das ich erweitert habe (Abbildung 1). Wir werden es am besten verstehen lernen, wenn wir die Sprachentwicklung des Kindes besprechen. Das e r s t e S ehr eie n erfolgt wohl unbewußt, als Re/ flex auf die Einwirkung der / Temperaturveränderung, auf den A Reiz deI: Luft auf die Haut und M auf den Reiz "des Lichtes auf das Auge. Auch in den nächsten Wochen dürfte das Schreien noch als ein Reflexakt aufzufassen sein, wobei Hunger, Schmerzen usw. auslösend wirken. Später jedoch dürfte es sich immer Mund Auge Ohr mehr um eine bewußte, beAbbildung 1. Schema der absichtigte Leistung handeln; erSprachzentren. fährt doch der Säugling allmählich, daß auf sein Schreien hin die Mutter kommt, nm ihn zu beruhigen, ihn zu nähren, ihn trocken zu legen us w. Das Schreien dürfte für die ganze Sprachentwicklung "von Bedeutung sein. Nicht nur, daß der Kehlkopf zu arbeiten beginnt -sind doch die Schreie vokalischer Natur -, auch die Atemfunktion wird für ihre spätere Rolle vorgebildet. Wir müs~en nämlich zwischen Ruh e- und S p r e c hat m n n g unterscheiden. Während bei der Ruheatmung ein gleichmäßiges Heben und Senken des Brustkorbes und des Zwerchfelles erfolgt, wobei Fr ö s c hel

8,

Sprach- und Stimmstörungen

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an die Hebemuskeln des Brustkorbes keine zu großen Anfor derungen gestellt werden, ist es beim Sprechen nötig, die Brust schnell mit Luft zu füllen und anderseits durch ganz allmähliches Senken zu verhindern, daß die Luft zu schnell ausströme. Das bedeutet schon eine Leistung, für welche die Muskeln erst erzogen werden müssen. Daß das so ist, können wir sowohl aus der Pathologie als auch aus 'dem Verhalten von Kunstsängern und Kunstsprechern erschließen. Stotterer, die ja die Luft ge waltsam auszupressen gewöhnt sind, können, auch wenn sie nicht reden, nicht mehr langsam ausatmen und der gut geschulte Sänger und Sprecher ist imstande, viel länger in einem Atem zu phonieren (Stimmen zu geben) als ein ungeschulter. Die physiologisch notwendige Atemfertigkeit erwirbt nun der Säugling wenigstens teilweise in der Schreiperiode, denn die Schreiatmung erfolgt nach dem Typus der Sprechatmung. Aus diesen Gründen soll gegen das Schreien der Säuglinge, so lange es sich in normalen Grenzen bewegt, nicht angekämpft werden. Anders, wenn sich durch übermäßiges Brüllen jener Zustand einstellt, den das Volk als "Wegbleiben" bezeichnet. Ein derartiges Kind wird plötzlich blau im Gesichte, der Atem stockt und es treten leicht Zuckungen im Körper auf. Da dieses Bild - so harmlos es in Wirklichkeit ist - doch recht beängstigend aussieht, läßt sich die Umgebung leicht dazu verleiten, ganz falsch vorzugehen, indem sie mit allerlei Mitteln kommt und dem Kinde dann um jeden Preis seinen Willen läßt, damit es sich nur nicht aufrege. Da jedoch - von wenigen, vielleicht besonders erregbaren und zu Krämpfen neigenden Kindern abgesehen - die Anfälle dadurch dauernd zu beseitigen sind, daß man dem Schreier energisch die Freude am Brüllen verdirbt, soll man sich nicht scheuen, mit Strenge einzugreifen. Dies um so mehr, als es erwiesen ist, daß besonders im Kindesalter die Selbstnachahmung (auf ha;lbbewußter Basis) das Wiederauftreten gewisser pathologischer Zustände begünstigt. Um die Mitte des ersten Lebensjahres tritt das Lall e n auf. Es werden vom Kinde allerlei vokal- und konsonantenähnliche Laute einzeln und in Verbindung hervorgebracht. Dabei entstehen Laute, die in den höher kultivierten Sprachen nicht mehr vorkommen, zum Beispiele Schnalzlaute. Kußmaul nannte daher die Laute der Lallperiode Ur lau t e. Das Lallen ist auch als eine Art Reflex aufzufassen; es ist bis zu einem hohen Grade von der Sprache der Umgebung unabhängig und

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tritt aue h bei tau ben Kin der n auf. Freilich kann man es fördern und das Kind zu stärkerer Lalltätigkeit anregen, indem man es durch Freudebezeugung und aufmunternde Gesten und Worte anspornt. Die Lallperiode ist für die spätere Sprechtätigkeit von großem Werte; denn in ihr wird die Nachahmungslust und Nachahmungsfähigkeit geübt, indem die Kleinen zufällig gebildete Urlaute mit dem Ohre erfassen und sich selbst nun immer wieder nachahmen. Ist das der Fall, dann ist schon ein Teil der Stationen und Bahnen, die wir auf dem Schema sehen, in Funktion. Der vom Ohre zu a ziehende Pieil bedeutet den in das Gehörzentrum (a) ziehenden Hörnerven. Der Hörnerv wird erregt, leitet den Reiz nach a und von dort geht er in den benachbarten Bezirk A (s e n SOl' i s ehe s S p r ach zen t rum), jenen in der obersten Schläfenwindung liegenden Teil des Gehirns, in welchem die Lautklangbilder aufgenommen und erinnert werden. (Das sensorische Sprachzentrum wurde von Wernicke entdeckt; es liegt in der Regel bei Rechtshändern in der linken, bei Linkshändern in der rechten Hemisphäre. Das Gleiche gilt von dem Brocascheri Zentrum.) Da das Kind, wie wir annehmen, dieses Lautklangbild nach· ahmt, das heißt durch entsprechende Bewegungen der Sprach werkzeuge es neuerdings hervorhringt, müssen einerseits die Sprachwerkzeuge in Bewegung kommen, anderseits eine Verbindung zwischen ihnen und A bestehen. Das Wissen, wie man einen Laut erzeugt, also die (vielleicht niemals klar bewußte) Lautbewegungsvorstellung, ist in M zu suchen. Mist das sogenannte Lau t b ewe gun g s zen t rum, das Broca entdeckt hat und welches in der dritten Stirnwindung liegt. Von da aus geht der Reiz nach m, dem in der Zentralwindung gelegenen B ewe gun g s zen t rum, von dort nach der Station der Nervenkerne (Nucleus motoricus) und durch die Nerven in die Sprachorgane. Da nun aber schon beim Lallen ein anderer Atemtypus vorhanden ist als sonst, muß auch eine mit den höheren Sprachzentren in Verbindung stehende Bahn ins Rückenmark und von da in die Brustmuskulatur und ins Zwerchfell gehen. Die Nachahmungsübung in der Periode der Urlaute ist deshalb so wichtig, weil die übrige normale Sprachentwicklung auf der Nachahmung des gehörten Wortes beruht. Die art i k u 1 i e r t e S p r ach e taucht in der Regel um das Ende des ersten Jahres auf. Mehr oder minder deutlich kommen einzelne Worte zum Vorschein. Es ist aber keineswegs nötig, 1*

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daß das Kind diese Worte auch versteht. S p r e c he n ü n d Ver s t ehe n si n d z w eie r lei T ä t i g k e i t e n; wir sind ja auch imstande, ein Wort einer fremden Sprache nachzusagen, ohne daß wir seine Bedeutung kennen. Anderseits kommt es vor, daß ein Kind manches Wort versteht, das es noch nicht spricht. Die Bahnen beim einfachen, verständnislosen Nachsprechen sind zum Teile dieselben wie beim Lallen, nämlich Ohr-a--A -M-m-periphere Sprachorgane. Aber es spielt auch das Auge beim Sprechenlernen eine nicht zu unterschätzende Rolle, worauf besonders Gutzmann hingewiesen hat. Denn blind Geborene sollen eine verlangsamte Sprachentwicklung haben. Demnach muß auch vom Auge ein Weg zu dem Brocaschen Zentmm gehen und diesen finden wir in unserem Schema als Auge-o (Zentrum für optische Wahrnehmung)-O (Zentrum für die optischen Erinnerungsbilder)-M angedeutet. In diesem Stadium kommt das Plappern unverständlicher Worte vor, welchen Vor· gang man als höheres Lallen bezeichnen kann. Wenn das Kind ein gehörtes Wort schon versteht, das heißt, wenn es weiß, was mit dem Namen gemeint ist, so ist eine neue Geistestätigkeit dazugekommen. Man nimmt nun an, daß diese nicht in die bisher besprochenen Zentren, etwa in das Lautklangbildzentrum. zu lokalisieren sei, sondern daß andere Gehirnpartien, das t r ans kor t i kaI e Zen t rum (B) genannt, die Begriffe als solche enthalten und nun durch eine Verbindung zwischen A und B das Sprachverständnis entstehe. Für diesen Vorgang allein habe ich den Ausdruck S p r ach ver s t ä n d n i s vorgeschlagen, während die zweite Leistung, auf die gleich genauer eingegangen werden soll, das Sprechen von verstandenen Worten, W 0 r tb e d e u tun g heißen möge. Denn beide decken einander keineswegs völlkommen. Vornehmlich Meumann hat darauf verwiesen, daß die ersten vom Kinde mit Verständnis gesprochenen Wörter W uns c h w ö r t e r seien, daß es nämlich mit jedem Wort einen ganzen Wunsch zum Ausdruck bringe. Deshalb haben diese Wörter Satzwert. Es ist also jedenfalls ein anderer psychischer Vorgang mit dem Ausdrucke verknüpft, wenn das Kind ihn selbst gebraucht, als wenn es ihn hört. Allzugroß ist aber der Unterschied nicht, denn das kleine Kind hört wohl aus einem Satze anfänglich nur die ihm schon bekannten Wörter heraus und es ist gleichgültig, ob etwa ein Fragesatz oder ein Befehl vorliegt. Das Kind wird lediglich nach dem

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Gegenstande sehen, zeigen oder greifen. Die nächste Stufe nennt Meumann die ass 0 z i a t i v - r e pro d u k t i v e. Hier werden schon einzelne Eigenschaften, zum Beispiel eines Gegenstandes mit dem Worte verbunden (assoziiert) und dieses selbst nicht mehr ausschließlich als Ausdruck des Wunsches gebraucht. Darauf folgt dann die log i s c h - beg r i f f 1 ich e Stufe, welche der Sprache der Erwachsenen nachgebildet ist. Die ein z eIn e n Lau t e lernt das normale Kind erst ganz allmählich. Eine Regel dafür, welche Laute es friiher spricht als andere, läßt sich nicht aufstellen. Meistens treten die Gaumenlaute (G, K, hinteres eh) später auf als die Lippenund Zahnlaute, meistens auch erscheint das Sch sehr spät; doch all das ist keineswegs immer der Fall. Das Fehlen von Lauten in der Zeit der Sprachentwicklung nennen wir p h y s i 0 log i· sc he s S t a m m eIn. Wir werden später nochmals darauf zurückkommen, früher aber wollen wir unser Schema weiter be· sprechen. Es dürfte dem Leser wohl aufgefallen sein, daß zwischen A und B zwei Pfeile ziehen, und zwar einer in der Richtung von A nach B, ein anderer in umgekehrter Richtung. Man nimmt nämlich an, daß meistens das Spontansprechen so vor sich geht, daß wir zuerst das Klangbild zum Aufleuchten bringen und von da CA) der Reiz erst zu M usw. geht. Einzelne Forscher hingegen tehaupten, das spontane Sprechen (dieser Ausdruck sei hier nur als Gegensatz zum Nachsprechen gebraucht) gehe direkt von B nach M, ohne das Lautklangbild primär anzuregen. Die Streitfrage ist nicht völlig gelöst. Am richtigsten dürften diejenigen vorgehen, die Unterschiede je nach den Vor s t e llu n g s typ e n machen. Der eine Mensch ist leicht vom Obre aus anregbar, ein anderer vom Auge, ein dritter vom Tastsinne aus. Man spricht von akustischen, visuellen und ta k t i I e n Typ e n. Der leichter ansprechbare Sinn hat mehr Gelegenheit aufzunehmen und daher werden die Eindrücke ein und desselben Reizes (des gehörten Wortes) bei dem einen mehr ein akustisches, beim anderen ein Bewegungsbild (wenn er selbst das Wort nachspricht) zurücklassen. Auf diese Weise sei auch die Art der Reproduktion der Worte bestimmt. Es gibt wohl noch viele andere Typen, zum Beispiel Leute, die den G e gen s t a nd sehen, wenn sie von ihm reden, während andere nur das Wort im Kopfe haben usw. Man muß auch bedenken, daß nicht alle Worte auf dem gleichen Wege eindringen, daß

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sie sich nach der Situation verschiedentlich assoziieren, und es ist noch die Frage, ob es den Worten so geht, wie den Teufeln und Gespenstern, daß sie auf demselben Wege heraus müssen, auf dem sie eindrangen. Wenn die Kinder s c h r e i ben I ern e n, so sehen sie den vorn Lehrer vorgeschriebenen Buchstaben; der Gesichtseindruck wird von 0 nach 0 geleitet und dort als Erinnerungsbild sozusagen deponiert. Da das Kind von vornherein gewöhnt ist, beim Schreiben eines Buchstabens den Laut zu sagen, wird eine Verbindung zwischen 0 und A und M bestehen bleiben. Von dort aus geht dann erst der Weg zum Transkortex. Das A b s c h r e i ben 0 h n e Ver s t ä n d n i s etwa fremder Schriftzeichen geht über 0-0 zu m usw., das Ab s c h re iben von F rem d w 0 r t e n i n b e k a n n t e n S c h r i f tz e ich e n über 0-0 bei gleichzeitiger Erregung von A-M-m, das A b s c h r e i ben von Ver s t a n den e m über 0-0 bei gleichzeitiger Erregung von A, B, M, und das Spontanschreiben über B-A-O-M. Lesen 0 h n e Ver s t ä n d n i serfolgt auf dem Wege o-O-A-Musw.; aber mit Erregung von 13. wenn damit Verständnis verbunden ist.

II. Physiologie der Laute. Die Sprachlaute sind teils das Ergebnis der Atmung, teils das der sogenannten Art i k u I a t ion, das sind die im Ansatzrohre auftretenden Sprechbewegungen; das Ans atz r 011 rist der Mund, die Nase mit den Nebenhöhlen, der Nasenrachenraum und der Rachen bis zu den Stimm lippen (Stimmbändern). Die Länge des Ansatzrohres kann an Kehlkopf und Lippen verändert werden; es wird länger, wenn sich der Kehlkopf senkt oder wenn sich die Lippen vorstülpen; hebt sich dagegen der Kehlkopf oder zieht sich der Mund in die Breite, so tritt eine Verkürzung des Ansatzrohres ein. Jeder Laut hat nun seine Artikulation, das ist seine eigene Form des Ansatzrohres. Wir unterscheiden Mund- und Nasenlaute (Abbildung 2 und 3). Die M und 1 a u t e entstehen, wenn durch die Hebung des weichen Gaumens und Vorwölbung von Schlundmuskeln die Mundhöhle von der Nasenhöhle abgeschlossen wird, wodurch

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die aus dem Kehlkopfe kommende Luft genötigt ist, durch den Mund zu strömen. Bei der Entstehung der Na sen lau t e (M, N, Ng) berührt der weiche Gaumen die Rachenwand nicht, weil er in seiner ganzen Ausdehnung in die Mundhöhle hinunterhängt, wobei er sich gar nicht oder sehr wenig hebt. Es bildet sich nun im Munde ein Verschluß, durch den die Sprechluft nicht dringen kann, weshalb sie genötigt ist, durch den Rachen hinter dem Gaumensegel in die Nase zu fließen und aus dem Nasenraume zu entweichen. Die Nasenlaute sind, wie bemerkt, M, N und Ng; alle anderen deutschen Laute sind Mnndlaute.

m

a

~)zlR L

L Abbildung 2. Ein Mundlaut.

Abbildung 3. Ein Nasenlaut.

H harter Gaumen, W weicher Gaumen, Z Zunge, R hintere Rachenwand,

L Luftweg bei der Aussprache des Lautes.

Wir wollen zuerst die P h y s i 0 log i e der M und lau t e besprechen. Beim A liegt die Zungenspitze hinter den unteren Schneidezähnen auf dem Mundboden. Die Lippen sind dabei weit geöff· net. Der Zungenrücken steigt nur so wenig gegen den hartE;n Gaumen an, daß noch immer ein breiter Raum übrig bleibt. Der hinterste Teil des Zungenrückens springt gegen die Rachenwand vor. Der Kehlkopf steigt ein wenig. Beim E liegt die Unterlippe der Oberlippe viel näher als beim A; der Abstand der Mundwinkel von einander wird hingegen etwas größer. Die Zungenspitze liegt an den unteren mittleren Schneidezähnen. Der Zungenrücken ist an seiner höchsten Stelle nur wenig vom harten Gaumen entfernt. Diese höchste Stelle entspricht etwa der Mitte des harten Gaumens.

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Der Kehlkopf ist ungefähr doppelt so weit von seiner Ruhestellung entfernt wie beim A. Beim Ae nehmen Lippen und Zunge die MittelsteIlung zwi· sehen der A- und E-Stellung ein. Das I wird mit leicht geöffneten und stark gedehnten Lippen gesprochen, so daß die Mundöffnung nieder und breit ist. Die Zungenspitze liegt etwa an derselben Stelle wie beim E; da der Zungenkörper stark gegen den harten Gaumen aufsteigt. so daß seine vordere Partie fast vertikal gerichtet ist, liegt der hinter der Zungenspitze befindliche Zungenteil (Zungenblatt ) den mittleren unteren Schneidezähnen an. Beim 0 sind die Lippen leicht vorgestülpt und berühren einander entlang des äußeren Drittels, so daß nur in der Mitte eine längsovale öffnung sichtbar ist. Die Zungenspitze ist etwas abgerundet und liegt so an den unteren Schneidezähnen, daß sie auch die seitlichen Schneidezähne berührt. Das Zahnfleisch berührt sie aber nicht, da sie etwas gehoben ist. Nach hinten senkt sich der Zungenkörper und erhebt sich in der Tiefe des Mundes seicht, so daß sich eine Mulde ergibt. Der Kehlkopf ist ein kleines Stück nach unten gewandert. Das Oe ähnelt mehr dem E als dem O. Die Lippen berühren einander seitlich nur längs einer kleinen Strecke, die Mundöffnung ist nieder. Eine Vorstülpung der Lippen ist kaum be· merkbar. Die Zungenspitze liegt in der Höhe der Mundöffnnng knapp hinter den Schneidezähnen frei im Munde. Der Kehlkopf ist etwas höher als beim O. Beim U sind die Lippen vorgestülpt und bilden nur in der Mitte eine kleine runde öffnung. Die Zungenspitze liegt ein wenig hinter den unteren Schneidezähnen; das Zungenblatt steigt ziemlich hoch an und der Rücken fällt nach hinten flach ab. Der Kehlkopf steht tiefer als bei allen anderen Vokalen. Das Ue liegt zwischen U und I und zeigt ähnliche Verhältnisse wie U, nur ist die Mundöffnung etwas breiter und der Zungenkörper liegt sehr hoch, besonders in seiner vorderen Partie. Bei den Zwielauten nehmen die Sprachwerkzeuge hinter· einander in allmählichem übergange die Stellung der heiden Teilvokale ein. Beim Au sehen wir demnach zuerst die breite Mundöffnung des A und dann die kreisrunde des U. Das Ei besteht akustisch nicht aus E und I, sondern aus A und 1. Das Eu enthält ein 0 und 1.

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Wir dürfen uns in der Pathologie, Pphysiologie und 'rherapie der Sprache nicht dur c h die Sc h I' i f t z eie h e n i I' I' e f ü h I' e n lassen, wir müssen vielmehr nur auf die Art der Aussprache achten. Die Schriftzeichen sind zum Teile historisch begründet, zum Teile kennen wir ihre I~nt­ stehungsursache nicht. Wir aber müssen uns nach der lebenden Sprache richten und müssen trachten, daß Defekte bei einem Patienten so ausgeglichen werden, daß seine Sprache normal klingt. Vor allem muß man sich merken, daß die Buchstaben allein nie zur genauen Erlernung der Sprache führen würden, und muß sich am meisten auf sein Ohr verlassen. Die wenigsten Laute können durch ein Schriftzeichen genau wiedergegeben werden und es würde zu einem unendlichen, praktisch unver· wendbaren Alphabet führen, wollte man jeden in der Sprache gebrauchten Laut durch ein anderes Zeichen ausdrücken. Die anderen Mundlaute, die Nicht-Vokale, haben ihre Ein· teilung nach den Artikulationsgebieten, an denen sie entstehen. Der Teil des Ansatzrohres, der durch Veränderung seiner Gestalt der Sprechluft ein Hindernis bietet, bei dessen überwin· dung der Laut entsteht, ist das Artikulationsgebiet. Wir unterscheiden im Deutschen drei Artikulationsgebiete oder Artikulationszonen. Das er s t e Art i k u I a t ion s g e b i e t liegt entweder zwischen den Lippen oder zwischen der Unterlippe und den oberen Schneidezähnen. In die erste Artikulationszone gehört das P und das B, das F, Wund M. Wenn ich die Lippen aufeinanderlege und meine Nase zuhalte, so entsteht, natürlich nur wenn ich genügend viel Luft im Munde gestaut habe, beim plötzlichen Öffnen des Lippen· verschlusses das P. Die Artikulationszone des P liegt, wie wir hören, zwischen den Lippen. Die Lippen bilden für die Sprechluft das Hindernis, bei dessen überwindung der spezifische akustische Wert des Lautes P entsteht. Beim Sprechen muß sich der gesunde Mensch nun nicht die Nase zuhalten, um den Laut P zu sagen. Das Zuhalten hat den Zweck, der Sprechluft ein Entweichen aus der Nase unmöglich zu machen. Diese Aufgabe besorgt nun das Gaumensegel, indem es sich durch Hehen an die Rachenwand anlegt. Würde der Gaumensegelverschluß unmöglich gemacht werden, was ja bei zahlreichen Krankheiten vorkommt, so gelänge es nicht, jene Luftmenge im Munde zu

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sammeln, die notwendig ist, um beim Öffnen des Verschlusses durch genügend starkes Explodieren ein P zu erzeugen. Da das P zu seiner Bildung einen Verschluß braucht und da anderseits die Luft explosiv den Mund verläßt, so heißt das P, sowie alle Mundlaute, die mit einem Verschlusse gebildet werden, Ver s chI u ß- 0 der E x p los i vIa u t. Im ersten Artikulationsgebiete entsteht noch ein zweiter Verschlußlaut, das B. Beim B legen sich die Lippen auch aufeinander und die Luft staut sich eine Zeit lang hinter ihnen, bis sich der Verschluß wieder plötzlich öffnet und die Luft explosiv aus dem Munde ausströmt Die wichtigsten Unterschiede zwischen P und B sind folgende: Der Verschluß beim P ist inniger, die Berührungsflüche der Lippen kleiner als beim B. Die Kraft der ausströmenden Luft ist beim P größer. Das P wird ohne Stimme gebildet, während beim B die Stimmlippen rhythmisch schwingen, weshalb es stimmhaft ist. Von der letzten Differenz kann man sich sehr leicht überzeugen: Wenn man die Hand an den Mundboden drückt, während man zuerst das P und dann das B sagt, fühlt man beim P nur Bewegung des Unterkiefers und Mundbodens, beim B dagegen auch ein ganz deutliches Vibrieren. Das Vibrieren kommt von den Erschütterungen, welche die schwingenden Stimmlippen ihrer Umgebung mitteilen. Nähern wir unsere Unterlippe den oberen Schneidezähnen, ohne sie anzupressen, und lassen wir durch diese Öffnung die Luft durchstreichen, so hören wir ein F. Wir machten keinen Verschluß, es kann sich hier also um keinen Verschluß- oder Explosivlaut handeln. Das F ist ein Re i bel au t. Ein Reibelaut entsteht, wenn die Luft durch einen im Ansatzrohre gebildeten Engpaß streicht". Ein Unterschied zwischen Reibelauten und Explosivlauten ist, daß man die Reibelaute, wie sich jeder zum Beispiel beim F überzeugen kann, kurz sprechen oder so lange halten kann, als man Luft in den Lungen hat; die Ex· plosivlaute hingegen können nur einen Augenblick dauern. Ähnlich wie das F wird das W gebildet. Auch da streicht die Luft zwischen Oberzähnen und Unterlippe, so lange man will, durch, aber es tönt Stimme mit, was beim F nicht der Fall ist. Das M wird später besprochen werden. Dem z w e i t e n Art i k u 1 a t ion s g e b i e t e gehören

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an: Die Explosivlaute T und D und die Reiblaute S, Sch, vorderes Ch und J. Das zweite Artikulationsgebiet liegt zwischen der Zungenspitze und den vorderen Schneidezähnen oder dem vorderen Teile des harten Gaumens. Die Explosivlaute dieses Gebietes entstehen also, wenn sich die Zungenspitze an die oberen Schneidezähne anlegt und die Luft nach dem öffnen dieses Verschlusses plötzlich ausströmt. T ist stimmlos, D stimmhaft; T wird mit mehr Kraft gebildet als D. Beim D liegt die Zungenspitze breiter an den Zähnen als beim T. Das D hat also, vom Artikul(j,tionsgebiete abgesehen, dieselben Eigenschaften wie das B, das T dieselben wie das P. Bei S liegt die Zungenspitze knapp hinter den Schneidezäh~ nen, der Zungenkörper flach im Munde. Es gibt Leute, welche die Zungenspitze den unteren Schneidezähnen nähern, während andere sie heben, so daß sie bei den oberen Schneidezähnen steht. Längs der Mittellinie der Zunge bildet sich eine Rinne, durch welche die Luft streicht, um den Mund genau in der Mitte in scharfem Strahl zu verlassen. Das scharfe S ist stimmlos, beim weichen klingt die Stimme mit. Beim Sch zieht sich die Zungenspitze weiter in den Mund zurück und ist nach oben gerichtet. Wenn man die Zungenspitze eines Menschen, der S spricht, mit einer Sonde nach hinten schiebt, so wird der Laut immer mehr dem Sch ähnlich. Wenn man die Lippen der Versuchsperson gleichzeitig nach vorne zieht und so die Mundöffnung seitlich verschmälert, erhält man ein deutliches Sch. Das deutsche Sch enthält keinE' Stimme, wohl aber das französische j, das sonst gleich gesprochen wird ("je"). Das vordere Ch (wie im Worte "ich") und das J werden gleichartig gebildet, nur daß beim J die Stimme mitklingt. Die Zahnreihen sind in kleinem Abstande voneinander, die Lippen halb geöffnet. Die Zunge berührt vorne die untere Grenze der unteren Schneidezahnkronen und steigt gleich darauf rapid auf, so daß sie fast den harten Gaumen berührt. Dann fällt sie nach und nach ab. Im d r i t t e n Art i k u I a t ion s g e b i e t e (hinterem Teile der Zunge und Grenze zwischen hartem und weichem Gaumen) entstehen die Explosivlaute Kund G. Der hinterste Teil des Zungenrückens drückt sich an den harten Gaumen oder an

-

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die herunterhängende Partie des weichen Gaumens und der Verschluß wird unter Explosivgeräusch der Luft gesprengt. (K. ist ohne, G mit Stimme.) Das sogenannte hintere Oh, wie es z. B. lW

~ VJls

~71 sch

)\

~

IX

dt

) Abbildung 4. Schemen der Mundstellung bei sechzehn deutschen Lauten (nach Röntgenbildern).

Worte "lachen" vorkommt, ist der dem dritten Artikulationsgebiete entsprechende Reibelaut.

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Z und Cf Q und X sind zusammengesetzte Konsonanten. Man beachte, daß Z und C gleichartig lauten und daher auch gleichartig gebildet werden. (Z und C = T + S, Q = K + W, X=K + S.) Eine Sonderstellung unter den Mundlauten haben die Lund R-Laute. Das L ist ein Laut, der in verschiedenen Sprachen sehr verschieden erzeugt wird. Bei unserem deutschen L hat die Zunge etwa die Stellung wie beim D. Der Pole, der mit der Zungenspitze bis zum Ansatze des weichen Gaumens geht, bildet bei L ein tiefes, volles Geräusch. Die Luft geht beim deutschen L zu beiden Seiten der Zunge stimmhaft aus dem Munde. Der Engländer spricht auch ein stimmloses L; ein Beispiel dafür ist das erste L des Wortes Lloyd. Die R-Laute entstehen dadurch, daß an einer der drei Artikulationsstellen ein Engpaß gebildet wird, welcher von der aus· strömenden Luft geöffnet wird und sich gleich wieder verengt.Dieser Vorgang wiederholt sich öfters, wodurch der Vtut länger oder kürzer und mehr oder weniger schnarrend wird. Das Li p p e n - R ist in unSerer Sprache nur bei kleinen Kindern gebräuchlich. Das Zu n gen - R ist die Folge wiederholter schneller Kompressionen des Luftstromes zwischen Zungenspitze und den oberen Schneidezähnen. Das Gau m e n - R mitsteht auf die gleiche Weise zwischen dem Zungenrücken und dem weichen Gaumen, das Z ä P feh e n - R zwischen Zungenrücken und Zäpfchen. Zu den Na sen lau t engehören M, N, Ng. Jeder der drei Nasenlaute entspricht einem Artikulationsgebiete. (Siehe Abbildung 3.) Bei M entsteht der Verschluß zwischen den Lippen, bei N zwischen Zungenspitze und den oberen Schneidezähnen. bei Ng zwischen Zungenrücken und dem Gaumensegel. Bei allen hängt das Gaumensegel schlaff herunter und die stimmhafte Luft entweich_t durch die Nase. (Siehe Abbildung 4, I-XII, die Schemen nach Röntgenbildern von Haudek und Fröschels darstellen.)

lli. Künstliche Lautbildung. Die Frage der künstlichen Lautbildung kommt dann in Betracht, wenn jemand einen Laut nicht richtig bildet. Einem solchen Sprachkranken muß man dann die richtige Lautbildung

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künstlich beibringen. Und da können manche Patienten mit Sprachfehlern die richtige MundsteIlung nach vorheriger genauer Aufklärung und Vorzeigung ohne Nachhilfe von selbst machen, andere mit Hilfe eines Spiegels, während bei vielen der Arzt die MundsteIlung bilden muß. Zu diesem Zwecke ist es gut, sich folgende Handstellung anzugewöhnen: Mit den beiden Mittelfingern verschließt man die Nase durch Seitendruck auf die Nasenflügel. Die beiden Daumen werden rechts und lin~s unmittelbar unter das Rot der Unterlippe, die beiden Goldfinger rechts und links unmittelbar über das Rot der Oberlippe gehalten. So hat man einen Ring um die Lippen gelegt und kann sie nun nach allen Richtungen bewegen. Indem man den Unterkiefer nach abwärts zieht, öffnet man den Mund weit zum A. Manchmal ist es auch nötig, die ZUl1ge nach unten zu halten, meistens aber folgt sie der Bewegung des Unterkiefers. Beim E macht man eine mäßig hohe Mundöffnung. Häufig wird von seiten des Patienten der Fehler ge· macht, daß auch bei dieser Mundstellung ein A angeschla,~en wird, so daß ein dumpfes A zum Vorscheine kommt. Da ist es nun besser, daß I zu üben. Zum I zieht man, wenn nötig, die Mundwinkel auseinander und verwendet einen Daumen, um einen leichten Druck nach oben gegen den Mnndboden aU8ZUüben. Dadurch steigt die Zunge in die Höhe. Man kann nun vom I zum E übergehen, wenn man mit diesem Drucke nachläßt und den Unterkiefer ein wenig nach unten zieht; gleichzeitig vermindert man den Zug an den Mundwinkeln. Für das 0 wird die Mundöffnung gerundet und dadurch entsteht, wenn man vom A ausgeht, ein gut klingendes 0, indem die enge Mundöffnung den Schall des A verdumpft. Das U verlangt die kleinste Mundöffnung von allen V olmlen; ein leiser Druck gegen den Mundboden verursacht die richtige Zungenstellung. Es kann durch starke Verengung der Mundöffnung ebenso das 0 direkt aus dem A erzeugt werden. Die Umlaute werden so gebildet, daß man den Patienten den dumpferen der beiden Teile sagen läßt, während man die Mundstellung des zweiten formt; der Patient sagt bei der Erzeugung des Ae das A, während man den Mund in die E-Stellung bringt. Das Oe entsteht, wenn der O-sprechende Mund zur E-Stellung gebracht wird und das Ue durch Kombination der U- mit der I-Stellung.

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Die Zwielaute erzeugt man, indem man mit ein e m tönenden Atemstrom die beiden Vokale hintereinander sprechen läßt. Au ist demnach ein in ein U überfließendes A. Das Ei ist schwieriger zu erreichen. Man geht vom A aus und läßt allmählich ein I sprechen. Das Eu erzeugt man aus 0 und 1. Mit der Erlernung der Konsonanten geht man am besten nach den Artikulationszoilen vor. Die erste Artikulationszone läßt sich noch vollkommen mit dem Auge überblicken und ist deshalb leichter zu beobachten als die zweite. Bei der dritten Artikulationszone läßt uns das Auge ganz im Stiche. Zeigt man dem Patienten die MundsteIlung des F, so wird er den Laut leicht nachsprechen, indem man selbst auf seine Hand bläst. Die an den Mundboden gelegte zweite Hand fühlt bei dem stimmlosen F keine Vibration. Beim VV, das sonst in jeder Hinsicht dem F gleicht, treten Stimmvibrationen hinzu. Das scharfe stimmlose S wird erzeugt, indem man den Patienten ein F sprechen läßt und dabei die Unterlippe von den Oberzähnen wegzieht. Läßt man den Patienten zu diesem neuerlernten Laut Stimme hinzufügen, so entsteht das weiche S. Aus dem stimmlosen S ist das Sch leicht zu entwickeln, indem man die Zungenspitze ein wenig nach hinten schiebt und die Lippen vorstülpt. Dann läßt man den Luftstrom des Seh mit dem des S vergleichen. Dieser ist dünn und scharf, jener rund und voll. Zur Bildung des vorderen Ch ziehe man den Unterkiefer ein wenig nach unten und fixiere mit dem Finger des Patienten die Zungenspitze an der Innenseite der unteren Schneidezähne. Die Lippen bleiben in der Stellung, in welche sie die Kieferbewegung gebracht hat, und nun veranlaßt man das Ausströmen der Luft. Es kommt aber auch vor, daß dieser Weg zu keinem befriedigenden Resultate führt. Da läßt man ein H sprechen und drückt dabei die Zungenspitze nach unten gegen die Schneidezähne; dadurch steigt der Zungenkörper vorn gegen den harten Gaumen und bildet den Engpaß, in dem der Reibelaut eh €lltsteht .. Hat man das Ch erzeugt, so ist es nicht schwer, das J hervorzubringen; man muß nur noch die Stimme anschlagen lassen, also den Patienten veranlassen, die am Halse des Behandelnden fühlbaren Vibrationen nachzuahmen. Auch der umgekehrte Weg ist unter Umständen zu ver-

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suchen. Der Behandelnde kann zuerst das J erzeugen, was durch Vereinigung von I mit einem anderen Vokale gelingt. I A, I E, I 0, I U schnell ausgesprochen ergibt ja, je, jo, jn. Wenn man besonders von je ausgeht und das e immer kürzer und schwächer werden läßt, so bleibt schließlich das J übrig. Die Explosivlaute sind B, P, D, T, G und K. Ich stehe auf dem Standpunkte, daß in unserer Mundart die weichen unter diesen Lauten stimmhaft sind. Die Explosivlaute der ersten Artikulationszone sucht man zu erreichen, indem man dem Patienten den Lippenschluß zeigt und ihn dann die Luftexplosion vor dem Munde fühlen läßt. . Für das P ist ein kräftigerer Verschluß und ein kräfti gerer Luftstoß nötig als für das B. Das B enthält Stimme und das läßt man den Kranken am Kehlkopf fühlen . . Kommt man so nicht weiter, so kann man Lippen und ~ase verschließen, bis sich genügend Atemluft im Munde gestaut hat. Dann hebt man den Lippenverschluß auf. BeimD und T kommt man häufig noch mit dem optischen Zeigen der richtigen Artikulationsstellung nebst Fühlenlassen der Explosion aus. Ergibt diese Methode ein negatives Resultat, so empfiehlt sich die Bildung des interdentalen T und D, indem man die Zunge zwischen die zusammenbeißenden Schneidezähne legen läßt, um sie dann mit dem Unterkiefer kräftig nach abwärts bewegen zu lassen. Dadurch entsteht ein interdentales D oder T, das allerdings einen Sprachfehler bedeutet, der sich aber später leicht beheben läßt, indem man den Patienten lehrt, die Zähne zuerst zu schließen. Dadurch wandert die Zunge allein an die oberen Schneidezähne; während der Explosion zieht man den Unterkiefer nach abwärts. G und K gelingen häufig, wenn man die Zungenspitze des Patienten kräftig nach hinten schiebt und sie zu Beginn der Explosion frei gibt. Die Hände des Patienten liegen vor dem Munde und am hinteren Teile des Mundbodens des Therapeuten. An dieser letzten Stelle fühlt man deutlich ein stoßartiges Senken (entsprechend dem Herunterschnellen des zur Artikulation hochgehobenen Zungenrückens). In nicht seltenen Fällen kommt es nach diesem Verfahren zu keiner festen Artikulation zwischen Gaumen und Zungenrücken und es entsteht nur ein hustenähnlicher Laut. Nun versucht man es mit dem Nasallaut der dritten Artikulationszone, dem Ng. Dil:lses setzt sich aus einem nasa-

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lierten und einem explosivün G zusammen. Dabei gleicht der erste '['eil akustisch einem N, ohne ein solches zu sein; denn es kOIl1l11t die N-Artiknlation überhaupt nicht zustande, dieZullge legt sich ,ielmehr von vornherein in die G-Stellung.Lasse ich ein ~ sprechen und drücke nun die Zungenspitze auf' den Mundbodell, so sagt der Pai ien! sein N weiter, ~wobei jetzt der Zungenrücken den Gaumen berührt, um so den Verschluß zu bilden. In der Tat habell wir jetzt schon das nasalierte Civor uns. Nun müssen wir noch die Nase kräftig sehließen uud gleichzeitig die Zungellspitze freigeben, worauf das explosive G entsteht. Dann gelingt es allmählich, das Ci- zu isolieren und (lern Patienten als eigenen Laut zmn Bewnßtseill zu bringen. Um das L zu lehren, bringt man die Zungenspitze Hn den Gaumen, worauf man mir noch die Stimme ansehlagen mnß. Das Zäpfehen-R bildet der Therapent, indem er das Hollen. das dieser Laut am hinteren Mundboden erzeugt, fühlen läßI und gleiehzeitig mit dem Zeigefinger des Patienten wiederho11 sehwaehe Stöße gegen den Zllngenrüeken in der Riehtung von \"orne naeh hinten ausübt, während man die Stimme ertUll('1l läßt. Dabei liegt die Znngellspitze auf dem Mundboden. Der Patient steht dabei am besten so, daß er den Hinterkopf an die linke Sehulter des Behandelnden lehnt. Das Einüben der Doppelkonsonanten bedarf oft einer besonderon Sorgfalt. Am leichtesten gelingen das Z nnd das C. Entsprechend ihrer Znsammensetznng müssen wir, um das Z oder C zu erreiehen, ein T mit einem stimmlosen S verbindelI. Diese beiden Laute gehören der gleichen Artikulationszoue Hll lind es gelingt dem Patienten gewöhnlieh, sie ohne dazwischellliegenden Vokal auszusprechen. Immerhin muß lIlan ihn lehren, erst ein '1' und dann ein stirnmloses S zu sagoI!. Später verlangt man die Vereinigung beider Laute. Das X besteht aus Kund S und beansprucht die dritte und die zweite Artikulationszone. Man beginnt wieder mit dem getrennten Nachsprechenlassen jedes der beiden Lall tc. Oft sehiebt sich ein Vokal dazwischen; da läßt man den Patienten fühlen, daß der Normale zwisehen Kund S keine Stimme erzeugt. Beim Q muß von der dritten znr ersten ArtikulationszollP übergegangen werden CE: + W). J' r öRe hell", Hpra(;h- und Rtirnm~tÖl'llJ]gpn

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IV. Aphasien und Hörstummheit. Störungen in der Funktion der Zentren oder der Bahnen zwischen ihnen erzeugen Aphasien. Die A p ha sie n können aus praktischen Gründen in motorische und sensorische geteilt werden. Die sensorischen Aphasien zeigen gröbere Ausfälle an Sprachyerständnis und in der Regel auch Ausfälle der Spontansprache, des Nachsprechens, Lesens und Schreibens; die motorischen Aphasien haben ähnliche Defekte bei leidlich gutem Sprachverständnisse. Sollte Yielleicht ein Kollege daran Anstoß nehmen, da ß ich im Gegensatze zu der in den Studienjahren gehörten .,klas'sisehen" Lehre die motorischen Aphatiker nicht generell als Besitzer eines intakten Sprachverständnisses anspreche, so sci ;lls Erklärung meiner Definition angeführt, daß meine Erfah, nmg zeigte, daß ein völlig normales Sprachverständnis bei aphatischen Erscheinungen zu den größten Seltenheiten gehört. Dem Stande unser'es heutigen Wissens gemäß trachten wir vornehmlich, durch systematisches Lehren des Vergessenen die Aphasie zu beheben. Doch werden auch Beobachtungen von Bessersprechen einzelner Aphatiker in Affekten insoferne berücksichtigt, als wir immer wieder aufmunternd und durch Gebrauch von Bildern und spielzeugartigen verkleinerten Gegenständen anregend zu wirken trachten und überhaupt während der ganzen langwierigen Behandlung unser Bestes yersuchen, um den Kranken in guter Stimmung zu erhalten. Ein Therapeut, der etwa StrEmge oder' ungeduldiges Wesen zeigt, schadet mehr. a.ls er nützt. Ein einheitliches Schema für die Be h a n d 1 u n gAp h [lt i s ehe r läßt sich nicht aufstellen. Man muß dort einsetzen, wo sich Ausfälle finden. So muß ein total motorisch Aphatischer vor allem die Lautbildung erlernen, während dies bei einem Patienten, der amnestisch-aphasisch ist, dem also besonders Gegenstandsbezeichnungen, Tier- und Personennalllen Schwierigkeiten bereiten, wohl überflüssig ist. Hier wird man mit Bildern und Spielsachen übungstherapie betreiben. Es ist in einem dünnen Buche nicht möglich, die Behandlung jeder Gruppe ausführlich zu besprechen. Doch wird der ärztliche Blick das Richtige treffen, wenn die Idee der Beh,mdlung der Aphasien wenigstens an einer Gruppe erläutert wird. Bei tot ale I' mo tor i s ehe rAp h a sie ycrwendeu wir die optisch-taktile (kinaesthetische) Methode. Sie heruht

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darauf, daß man den Kranken die für jeden Laut charakteristi· sehe Stellung der Artikulationsorgane zeigt und ihn die li:rschütterungen, welche die Luft vor dem Munde oder vor der Nase und bei stimmhaften Lauten in der Gegend des Kehlkopfes erzeugt, fühlen läßt. Hat man die einzelnen Laute optisch-taktil wiedergewonnen, so geht man zu Si I ben, dann zu W ö r tel' n und Sät zen über. Möglichst bald wird man darangehen, das N ach s p r e c h e n, das ja anfangs nur durch Ablesen vom Mund geübt wurde - ist der Kranke einmal so weit, daß er den Laut sprechen kann, so ist das Heranziehen des Tastgefühles in der Regel nicht mehr nötig - au c h vom 0 h I' e aus zu lehren. Das stößt merkwürdigerweise in vielen Fällen auf keine l·der nur sehr geringe Schwierigkeiten. Natürlich muß, wenn Lese- und Schreibstörungen \'()rliegen, auch hier eine übungs ehandlung einsetzen. Am besten 8chreibt man je einen Buchstaben auf je eine Karte und fängt mit zwei bis drei solchen zu üben an. Wenn der Kranke einiges spricht, aber eine schwere Agra.· l)hie hat, empfiehlt sich folgendes Verfahren. Es werden Buchstaben b, 1, a, u (blau) mit blauer Farbe, r, 0, t mit roter, g, r, Ü, n mit grüner, sch, w, z mit schwarzer Tinte, und zwar je einer auf ein Kärtchen, die restlichen Buchstaben des Alphabets mit schwarzem Bleistift auf je ein Kärtchen geschrieben. Dadurch wird der Kranke in die Lage versetzt, unter einer kleinen Gruppe auszuwählen. Erkennt er z. B., wenn man ihm nach einiger übung ein 0 mit schwarzem Bleistift aufschreibt, diesen Buchstaben nicht, so fragt man: "In welcher Farbe ist er?" Darauf erinnert sich der Patient an die rote Farbe, sagt sich das Wort rot und hat nunmehr nur zwischen den drei Buchstaben zu wählen. In der Tat hilft diese Methode oft sehr gut. So konnte Ich einmal einen Aphatiker in sechs Wochen von einer Alexie (Le3estörung) heilen, die anderwärts sieben Monate lang vergeblich behandelt worden war. Dem Erlernen des Lesens ist schon deshalb Aufmerksamkeit zu schenken, weil ein Kranker, der lesen kann, immer auch ohne Arzt Gelegenheit hat, seinen Wortschatz zu vermehren, was für Leute, die in absehbarer Zeit ohne ärztliche Behandlung sein dürften, von Bedeutung ist. Bei am n e s t i s ehe n A p h a sie n, also solchen, die besonders Bezeichnungen vergessen haben, e'mpfiehlt sich zu

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tJbnngszweeken eine Sammlung von mensehliehen Figuren_ Tieren, Bäumen, Häusern, Gebrauehsgegenständen u. s. f. in Miniatnrausführung, wie man sie sieh in jeder größeren Spielwarenhandlung zusammenstellen lassen kann. Sen s 0 r i s ehe A Tl hat i k e r können entweder nach spreehen und verstehen nicht oder sie können nicht verstehen und au eh nicht nachspreehen. Gutzmann empfiehlt hier (heim Nichtverstehen und Nichtnachsprechenkönnen) das Ablesenlehren vom Munde; ich trachte nach derartigen Vorübungen in der -Weise wieder den normalen Perzeptionsweg gangbar zu machen, daß ich, nachdem ich den Kranken einen Laut ablesen ließ, ihm diesen Laut ins Ohr spreche. So gelingt es oft, ihn wiedclzum a k u s t i s ehe n Verstehen zu bringen. - Für den ersten Fall (des Niclltverstehens aber Nachsprechenkönnens) empfiehlt es sich, den Zusammenhang zwischen Wort und Gegenstal1t1 mitte1st Bildern wieder zu schaffen, die man mit ihrem ~aIllcn beschreibt; aber auch umgekehrt durch Aussuchenlassen eitles einzelnen bestimmten bezeichneten Bildes aus einer größeren Menge von Bildern heraus. Manchmal kann man' als einziges sprachliches SymptOIOl einer Gehirnverletzung eine Verlangsamung der Rede konstatieren. Man nennt diesen Zustand B rad y 1 a 1 i e. Mit Silbenübungen (z. B. ba be bi bo bu usw.) und Nacheprechen VOlt Sätzen erreicht man schöne Resultate. Im vorschulpflichtigen Alter existiert symptomat(Jlogisch lediglich eine einzige Form von Aphasie nicht, die sich ans dem Wernicke-Lichtheimschen Schema ergibt, das ist die sogenannte subkortikale motorische. Der hervorstechendste differential-- diagnostische Unterschied der subkortikalen motorischen Aphasie gegenüber der kortikalen motorischen besteht darin, daß. die kortikale auch das Schreiben, die subkortikale aber nur das Sprechen stört. Es ist begreiflich, daß dieses Merkmal im V()l'schulpflichtigen Alter wegfällt. Sonst aber finden wir im Kindesalter alle Formen der Aphasie. Ich behandle gerade jetzt im logopädischen Ambulatorium der Ohrenklinik Prof. Neumanns ein Mädchen, das während einer unbekannten Krankheit von einer vollständigen motorischen Aphasie befallen wurde; sie hat ein sehr gutes Sprachverständnis, ohne in der Lage zu sein, irgend eilt Wort spontan, auf Befehl oder nachzuspre ehen; nur einzelne Laute gelingen mühsam.

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Auch alle Formen der sogenannten sensorischün Apha8ie können bei Kindern vorkommen. Es gibt Zustandsbilder, die man freilich in logopä, disehen Kreisen nicht mit dem:'liarnen Aphasie zu belegen gewöhnt ist, die ihnen aber trotzdem so verwandt sind, daß es 'zweckmäßig erscheint, sie hier ebenfalls kurz _zu besprechen. "'ViI' meinen die sogenannten i d i 0 P a t his c he n S t lt m m· h ei t e n oder Hör s. t u m m h e i t e n, die sich recht häufig hei Kindern finden. Es ist bekannt, daß im zweiten Lebensjahre physiologischerweise schon eine gewisse Spontansprache auftritt und daß sich etwa bis zum sechsten Lebensjahre schon ein nennenswerter Wortreichtum gepaart mit syntaktisch-gramnm. tikalischer Geschicklichkeit einstellt. Wenn aber trotz hrauchbaren Gehöres und guter Intelligenz - sei es das SpredlOn allein, sei es auch das Verständnis von Gesprodwuem ausbleibt, so liegt das Krapkheitsbild der Hörstummheit vor. ,Venn solch ein stummes Kind ein einigermaßen nennenswertes Sprach verständnis aufweist, so reden wir von motorischer Hörstnmmheit, wenn auch das Spmchverständnis fehlt, von sensoris(·her Hörstummheit. Über die Ursachen diesel' in sozialer Beziehung natürlich sehr s.chädigenden Zustände ist nicht sehr viel bekannt. Die Statistik scheint darauf zu deuten, daß die motorische F0rni hpsonders bei schweren Schädelrachitikern, die sensorische bei l'raisenkindern oder solchen, die in den ersten Lebensja,hren sehr schwächende Krankheitpn durchgemacht haben, auftritt. Auch F,rbliehkeit dürfte eine begünstigende Rolle spielen. Es gibt jerloch auch Formen der Hörstummheit, die auf mangelnden Sprechwillen zlll-ückzuführen sind und von denen manche vielleicht mit I'~rziehungsfehlern zusammenhängen. Die Untecschei· dung, ob eine derartige psychogene oder eine andere, wohl vermutlich auf mikroorganische Abnormitäten des Zentralnervensystems zurückzuführende Hörstummheit vorliegt, ist sehr \viehtig, da von dieser Unterscheidung die Therapie abhängt. Es muß n l1ßerdem erwähnt werden, daß die Differentialdiagnose zwischen reinen Hörstummheiten und solchen, die mit geringgradigelll Sc-hwaehsinne kompliziert sind, wenigstens im frühen Alter kaum mit Sicherheit zu stellen ist. \Vas nun die '1' h () rap i e betrifft, so wollen wir yor allem mit wenigen Worten die der psychogenen Hörstummheit be:OlJre1:·hel1. Sie liegt gegebenenfalls in Veränderung deI' Erziehung;

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in allen derartigen Fällen aber wird man eine spra(;hanregeIld~ Methode anwenden, beispielsweise nach Liebmann das Benennen kolorierter Bilder, die einfache Gegenstände, Personen oder Tiere darstellen. Dabei soll llIan das Kind nicht zum Nachsprechen auffordern; die Erfahrung zeigt, daß die Verbindung des Wortes mit den den Kindern sehr angenehmen optischen Eindrücken genügt, um schon nach einigen vVochen die Sprachscheu zn überwinden. - Die Behandlung der nichtpsychogenen Hörstummheiten deckt sich völlig mit der der Aphasien, die wieder im Prinzipe die gleiche ist, ob es sich um einen kindlichen oder um einen erwachsenen Patienten handelt.

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Stammeln.

Iu der ersten Zeit der Sprac4entwicklung ist die artii-.. ulierte Sprache sehr mangelhaft. Es werden noch nicht alle Laute gebildet und die fehlenden einfach ausgelassen oder durch schon vorhandene ersetzt. Diese Sprach unvollkommenheit, bestehend also aus dem Fehlen einzelner Laute oder Ersatz eines durch einen anderen (Stein), nennt man S tarn m ein; sie ist in einem gewissen Alter physiologisch. Mit vier Jahren ist sie in der Regel verschwunden und an ihre Stelle ist eine lautreine Sprache getreten. Besteht jedoch der beschriebene Zustand über diese Grenze hinaus, so ist man schon berechtigt, von p a t hol 0 gis ehe m S tarn m ein zu sprechen. Der Begriff des pathologischen Stammelns ist ein weiterer als der des physiologischen, indem zu dem Fehlen einzelner Laute noch die falsche Aussprache hinzukommt. I-Iieher ge hören die verschiedenen Formen des Si gm a t i s mus. Darunter versteht man eine fehlerhafte Bildung der S-Laute. In Anbetracht der Wichtigkeit dieser Sprachfehler müssen wir uns näher mit ihnen befassen. Preßt ein Mensch die Zungenspitze an die Schneidezähne, 30 kann sich die Rinne nicht bilden nnd die Luft nicht mehr im dünnen Strahle entweichen, weil sich hinter der angepreßten Spitze der Zungenkörper in seiner ganzen Breite gleichmäßig erhebt, wodurch die Luft gezwungen wird, sich selbst längs seiner auszubreiten. Deshalb klingt dieses S nicht so spitz wie ein normales. Man spricht von einem Si g m at i s mus a d den tal i s ("Anstoßen") oder Si g l1i :1, 111 U I ti I 0 c nl are (Frösehels ); er kann auch durch starke A 11-

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näherung der Zungenspitze an die oberen Schneidezähne eH; stehen, die der Luft nur mühseligen Austritt gestattet. Schieht sieh die Zungenspitze zwischen beide Zahnreihen oder in eine vordere Zahnlücke, so kann die Luft nur an beiden Seiten, alst' geteilt aus dem Munde entweichen oder, wenn kein fester Kiefersehluß entsteht, wieder nur längs eines breiten Hindernisses; das ist der Zustavd bei dem sogenannten Si gm at i. smus in tel' den tal i s ("Zuzeln"). Dieser Sprachfehler ist fast immer mit interdental er Aussprache anderer Laute der zweiten Zone verbunden (D, T, N, L, Sch), woraus folgt, dal~ eine mangelhafte Funktion der Retraktoren der Zunge vorliegt und Zahnanomalien nicht verantwortlich zu machen sind (mllltiple Interdentalität). Wenn sich ein Rand der Zunge stärker hebt und die Luft nur einseitig oder auf einer Seite im stärkeren Strahle entweicht, so entsteht der S i g m a t i s mus I a t e I' a I i s; man teilt in einen dexter und einen sinister, je nach der Austrittseite der Luft ("Hölzeln"). Endlich gibt es noch einen auf die Zunge zurückzuführenden S-Fehler, nämlich den Si gm 9ti s mus s tri den s ("Zischeln"), bei dem die Rinne zu tief gemacht wird, wodurch der Laut unangenehm schneidend klingt. Eine letzte Art des Sigmatismus beruht auf falscher FUlltdion des Gaumensegels; besorgt nämlich, während der S-Lant gesprochen wird, das Gaumensegel den Abschluß zwischen MUlldund Nasenhöhle nicht, so entweicht die Luft oder doch der größte Teil dmch die Nase. Daraus ergibt sich aber ein fast unhörbarer Laut und das ist wohl der Grund, warum diese Patienten gleichzeitig ein eigentümliches Reibegeräusch im Rachen erzeugen, wodurch eine Art Schnarchlaut entsteht. (über diesen "Parasigmatismus nasalis" hat Stern gründliche Forschungen angestellt. ) In die Gruppe des Stammelns gehören auch die vel'schie denen Formen des N äse 1 n s. Man unterscheidet offenes, geschlossenes und gemischtes Näseln (Rhinolalia aperta, cIallbil und mixta). Die Rh i n 0 1 al i a a per t a ("Schnaufeln") kommt durch eine pathologische Kommunikation zwischen Mund- und Nasenhöhle zustande. Von ihrem akustischen Eindrucke kann Illan sich am besten ein Bild machen, wenn man ein Wort wie "Mann" noch französischer Manier ausspricht. (Die Franzosen sprechen die Vokale vor Mund N durch die Nase, z. B. in dem Worte "enfant".) Die pathologische Kommunikation kann sowohl im Bereiche des harten, wie auch des weichen Gaumens

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bestehen. So yerhindern Defekte des Palatum durum, z. B. ,Volfsn'chcll oder Gummen, den für Nichtnasenlaute nötigeIl AbschluU zwischell Mund lind Nase. Denselben Effekt haboll Lähmungszustände des Velums, wie sie nach Diphtherie, P8elldobulbärparulyse (am·h kongenital) und Hirntumorcn etc. vorkommf'll. Es gitt aber 11uch eine rein funktionelle Lähmung des Gaumensegels beim Sprechen und diese untersl"heidet sich VOll den orgtlllischcll vor allem dadurch, daß beim ERscn keine Speisen in die Nasenhöhle gelangeu; denn bei dieser Funktion kommt das Gaumensegel seiner Aufgabe nal"h. Gerade die rein sprachlich-koordinatorische Lähmung des Gaumensegels ist in Arzlekreisell noch sehr wellig bekannt und gibt hällfig gelllig Zll unnützcn OperationC'1l Anlaß. Das geR chI 0 s sen e N üs eIn ("Rec!Pn Hlit verstopfter Nase") entsteht in der Mehrzahl der .Fälle dnrch Formveränderungen im NasPllracholl und in der Nasenhöhle. Hieher sind vor allem die adenoiden Vegetationen im Nasenrachellraume, ferner Choanalatresien, Yel·dickte hintere l~nden der Nasenmnscheln, Polypen nnd stn,h:e Deviationen der Nasenseheidewand zu zähleIl. Der akustische Effekt (\erartiger Deformitäten ist der, daß die Stimme,' alf.w die VOll den' Stimmlippen rhythmisch erschütterte Luft, bei Nasenlauten (welehe immer stimmhaft sind) in der Nase am Schw'ingC'll yerhindert wird. Nun spielt nber die Nasenhöhle tiuch bei NiehtnasClllallten eine akustische Rolle. Denn auch dun·h den harten und den gehobenen weichen Ga.umen hindurch iibertragt'll sieh die SchwingllngPIl der stimmhnften Mnndlaule, also \'01' allem der Vokale, auf die Nasenluft, ebenso wie die Stimme eines Sprechers 1I11("h dun·lI eine geschlossene Türe ünd die Mauer hindurch hörbar ist. Dieses Mitschwingen der Na8enluft, daR man Nasenresonanz nennt, trägt wesentlich zum Wohlklange unserer Sprache bei. Fällt es nun weg oder ist es wesentlich gehemmt, so resultiert daraus ein Sprechen "mit: verstopfter Nase" oder eine sogenannte t () t e S p l' a (" h e. Das Sprechen mit verstopfter Nase tritt bei Formverändernnj!cn in der Nasenhöhle, die tote Sprache bei solchen im Nasopharynx auf. Auch Bewegl1ngsanomalien des weichen Gaumens, hei denen sich dieses Organ maximal hebt und aueh andere M uskdgruppen des Ansatzrohres sirh versteifen, und zwar auch bei den Nasenlauten, .können der Grund für die tote Sprache sein. - Bestehen bei pathologisehen Kommunikationen zwischen Mund und Npse mit einer Rhinolalia aperta gleif"hzeitig stärkere tonhemmf'ude

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Formveränderungen in der Nase oder illl Nasenraehell, so kOlllmt das gemischte Näseln, die Rh i n 0 I a I i ami x t a zwstande. Fragen wir uns nun nach den Gründen des pathologischen StammeIns, so können diese sowohl in der sensorischen und apper, zipierenden, als auch in der motorischen Sphäre liegen. :Mangelhaftes Gehör führt häufig zu mangelhafter Aussprache. So macht Leuten mit einer Laesio auris internae häufig dasS Schwierigkeiten, da dieses die akustisch höchsten TeiHöne dn· serer Sprache enthält und diese Patienten gerade die hohen Töne schlecht hören. Als rein funktionelle Störung auf der sensorischen Seite begegnet man nicht selten einer mangelhaften Leistungsfähigkeit des Wernickeschen Lautklangbildzentrums, woraus begreiflicherweise auch Stammeln resultiert. Es handelt sich hier inder Regel um Leute, die überhaupt eine verlang· samte Sprachentwicklung durchmachen und länger, als es physiologisch ist, stumm waren. Auch akustische Unaufmerki samkeit ist unter den Gründen des Stammelns Z~l nennen. Solche Fälle (Kinder) sind in der Regel dadurch gekennzeichnet, daß sie einen Laut einmal richtig und ein anderesmal falsch oder gar nicht sprechen. Auf der motorischen Seite des Sprechapparates finden wir ebenfalls organische und funktionelle l;rsachen für den Sprachfehler. Ein Wolfsrachen führt zu einer intensiven Rhinol,alia aperta, während große adenoide Vegetationen ein geschlossenes Näseln erzeugen. Anderer anatomischer Gründe gerade dieser Sprachstörung wurde schon gedacht. Auch die angewachsene Zunge, das An k y log los s u m spielt beim Stammeln eine Rolle, wenn dies auch sehr selten der Fall ist. So behandelte ich einen Knaben böhmischer Nationalität, der das seiner Muttersprache eigene Zungenspitzen-R wegen dieser Abnormität nicht sprechen konnte; sonst war seine Spmehe ganz korrekt, woraus hervorgeht, daß das Ankyloglossum in der Pathologie der Sprache keineswegs so bedelltnngsvoll ist, wie das in Laienkreisen angenommen wird. Von Einfluß für die Entwicklung des Stammelns sind s chI e c h t e s p I' ach I ich e Bei s pie I e. Als solche sind yor allem andere Stammler, aber auch normal Sprechende anzusehen, wenn sie mit dem Kinde nach jener Art reden, die unter dem Ausdruck "sich zärteln" bekannt ist. Viele Müttdl' bedenken nicht, daß das Kind das Streben hat, seine Sprache d-er der Erwachsenen allmählich anzugleichen, und finden Freude daran, ihm gegenüber seine eigene noch unentwickelte Sprache

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zu gebrauchen. Von der Bedeutung der Nachahmung für die Aetiologie des Stammelns kann man sich dadurch überzeugen, daß manchmal Kinder, die mit einer richtigen Sprache in die Schule kommen, dortselbst den Sprachfehler von einem Kameraden erlernen. In der Regel freilich ist das nicht der Fall und wir sehen, daß sich das Stammeln in der Schulzeit oft verliert. Das gilt in erster Reihe für jene Form, der Ungeschicklichkeit der Sprachwerkzeuge oder akustische Unaufmerksamkeit zugrunde lag. Doch. gilt diese Verbesserung der Aussprache in der Schulzeit keineswegs ausnahmslos. Besonders die Hhinoialien und die Sigmatismen, unter diesen wieder vornehmlich der Sigmatismus lateralis, pflegen sich zu behaupten; aber auch VOll den anderen Stammeladen geht ein gut Teil in der Schule nicht zurück. Das ist einer der Gründe, warum wir in Wien ein eigenes Schulsystem für sprach- und stimmgestörte Kinder gegründet haben. Aus dem bisher Gesagten ergeben sich die Regeln für die Ver h ü tun g des S tarn meIn s von selbst. In erster Linie gebe man den Kindern stets das Bei s pie lei n e r v ö I 1 i g e x akt e n Aus s p r ach e und vermeide es, sie mit Leuten zu· sammenzubringen, die an einem Sprachfehler leiden. Man erz i ehe sie fe r n erz u l' Ruh e und Auf m e r k s a mk e i t. Es ist nicht gut, wenn ein Kind von zuviel Perd')lH'fl umgeben ist. Die Kinderstube soll nicht der Aufenthaltsrallll1 der ganzen Familie sein und die Erwachsenen sollen sich nicht unausgesetzt mit den Kleinen befassen. In der Heilanstult kann man sieh so recht davon überzeugen, welch wohltuenden Einfluß auf die nervösen Kinder eine relative Isolierung hervorruft. Zu wiederholtenmalen werden einem kleine Patienten übergeben, die in ihrer ewigen Ruh.elosigkeit und Wildheit einen geistesgestörten Eindruck machen. Läßt man sie ~edoch mit ihrer Pflegeperson in ihrem Zimmer allein, umgibt man sio nicht mit einern Berge von Spielsachen, so ist nach kurzer Zeit eine völligB Veränderung ihres Wesens zu konstatieren und lediglich unter dem Einflusse eines guten sprachlichen Vorbildes verschwindet ein oft schwerer Sprachfehler nach wenigen Wochen. Bs kann ferner nicht genug davor gewarnt werden, ein Kind zu geistigen Leistungen anzuspornen, denen es noch nicht gewachsen ist, wie das so häufig Eltern aus persönlicher Eitelkeit tun; solch ein kleines Wesen wird immer nufgemuntert, sich zu produzieren; es muß, wenn Besuch ills

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Haus kommt, die Unterhaltung bestreiten und immer aufs Neue zeigen, "wie gescheit es ist". Durch das ewige Verhimmeln in seiner Anwesenheit wird sein Ehrgeiz ins Maßlose gesteigert. es will immer neue Verstandesprodukte zeigen und vernachlässigt auf diese Weise nur zu häufig die äußere Form der Sprache; es wird oberflächlich und geht über die Gegenstände und Ereignisse seiner Umgebung infolge ungenügender Aufmerksamkeit hinweg. Das Endresultat ist dann sehr oft eine geistige Zerfahrenheit, ein ruheloses Wesen und ein mehr oder minder schwerer Sprachfehler. Verzögert sich die normale sprachliche Entwicklung, dauert das S t a m m ein übe r die p h y si 0 log i s ehe G r e nz e hinaus an, so kann man im Elternhause durch rechtzeitiges Eingreifen die Fixierung des Sprachfehlers noch manchmal Terhindern. Der beste Weg ist dann der, dem Kinde an der Hand geeigneter Bilderbücher einfache Sätze in exakter Ausspraehe vorzuerzählen und sie nachsprechen zu lassen. Die gebräuchlichen Bilderbücher sind für diesen Zweck fast ausnahmslos nicht zu empfehlen. Sie enthalten in der Regel viel zu viel Bilder auf einer Seite, was eine Konzentrierung der Aufmerksamkeit behindert. Nicht selten sind auch noch die Zeichnungen bizarr und nicht geschaffen, die Vorstellungswelt des Kindes nützlich zu bereichern. In noch höherem Maße gilt das von dem Texte, der häufig von Leuten verfaßt ist, die für die sprachlich-geistige Entwicklung der Kleinen kein Verständnis haben. Sehr verwendbar für unsere Zwecke ist Bohnys Bilderbuch und der erste Teil der Walther'schen Anschauungsbücher. Ferner empfehle ich die bei Oehmke in Neuruppin und Schneider in München erscheinenden Bilderbogen, die nach einem vom Verlage versendeten Katalog ausgewählt werden können; sie enthalten' Erzählungen mit reichlichen Abbildungen. Der Text soll nur zur Information dienen, dann aber weggeschnitten werden, da er für junge Kinder zu schwer ist. Man klebe nun je ein Bild auf eine Seite eines gewöhnlichen Schreibheftes und das Bilderbuch ist fertig. Es wird so verwendet, daß man in einfachen Sätzen Szene nach Szene beschreibt und das Kind zum Nachsprechen anhält. über die Einzelheiten auf den Bildern wird man am besten sprechen, indem man mit einem Bleistifte auf sie hinweist, um so das Kind zu lehren, seine Aufmerksamkeit nur dem eben besprochenen Gegenstande zuzuwenden. Ergeben derartige, durch mehrere Wochen fortgesetzte Maß-

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nahmen keine völlig normale Sprache, so ist es nötig, einen Arzt zu konsultieren. Ausschließlich ärztlicher Behandlung ,verden diejenigen Fälle zugeführt werden müssen, bei denen organische Gründe das Stammeln erzeugen. Hier kommen, wie erwähnt, vor allem Schwerhörigkeit, adenoide Vegetati(HlCll, Polypen etc. und Gaumenspalten in Betracht. Die T her a pie des Stammelns wird in der Hegel das Auge und das Tastgefühl zu Hilfe rufen oder aber mit Sonde nnd Spachtel die zur richtigen Lautbildung geeignete Mundstellung erzeugen. Einer besondern Besprechung bedarf die Therapie der Rhinolalien und der Sigmatismen. Die Therapie organischer Defekte des Gaumens ist naturgemäß in erster Linie eine chirurgische oder stomatologische, doch wird, besonders wenn auch der weiche Gaumen von r1em Defekt befallen war, eine logopädische nachfolgen müssen. Die Frage der Sprach verbesserung bei Gau m e n s p alt e nbeschäftigt seit langem die Gelehrten aller Länder, ohne dal) es bisher gelungen wäre, eine Operationsmethode oder einen Obturator zu finden, der die hauptsächlichsten Sprachfehler -das offene Näseln - ausschalten könnte. Die Sprache der mit Uranoschisma behafteten Menschen weist eine Heihe von Abnormitäten auf, die wir, abgesehen von gewissen Funktionen des Kehlkopfes und gewisser Mitbewegungen, in zwei große Gruppen einteilen können: einerseits in solche, die durch pathologi sches Eindringen von Luft in die Nase zustande kommen, und anderseits in solche, die durch eine falsche Funktion der Arlikulationswerkzeuge entstehen. Nur von der ersten Gruppe von Sprachabnormitäten bei Gaumenspalten soll hier die Rede sein. leh konnte zeigen, daß bei Gaumenspalten besonders eine Form der Resonatoren, und zwar von starren Hesonatoren, nämIieh die Nasengänge, für die Klangunterschiede der normalen Sprache gegenüber verantwortlich zu machen sind. Die Vorstellung, die mich dabei leitete, war die Ähnlichkeit eines W olfrachen·Mundes mit einem Munde mit hohem, gotischem Gaumen, bei dem wir aber niemals Näseln vorfinden können. Ich habe nun versucht, bei Uranoschismen die Nasengänge mit Watte zn verstopfen und so aus der buchtig-gekerbten Nasenwand in Vereinigung mit der Mundhöhle gleichsam einen gotischen Gaumen herzustellen. Der Klang der einzelnen Vokale und insbesonders der sehr schlecht gesprochenen u und i veränderte sich sofort, das offene Näseln yersdnvand, ja es ging mnnehmal so-

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gar in ein geschlossenes Näseln über. Damit wal' nun \ler Be· weis erbracht, daß der Resonator "Nasen gang" bei Gauml~ll­ spalten tatsächlich am offenen Näseln schuld sei. Die nellen Obturatoren, welche Dr. Schalit von der Kieferstation der Klinik Eiseisberg (Leiter: Prof. PichIer) nach meinem Plane konstruierte und di.e wir Na sen ga n g 0 b t nrat 0 ren oder Me a tob t u I' a t 0 l' e 11 nennen, verstopfen also den hinteren Zugang zum oberen nnd mittleren Nasengang, sowie zur Kuppel der Nasenhöhle llnd gewährleisten dem Patienten dnreh ein medianes Loch freie Nasenatmung und die Möglichkeit, Nasenlaute zu bilden. Die alten starren Obturatoren wurden so allgefertigt, daß sie bei der Phonation einen möglichst vollständigen Abschluß des Cavum pharyngo-nasale vom Cavum pharyngo-orale herbeigeführt haben. vVar dieser Abschluß tatsächlich ein völliger, haben also die Nicht-Nasallaute vollkommen normal geklungen, so konnte der Patient die Nasenlaute nicht sprechen. vVenn aber anderseits der Abschluß kein völliger war und genügend Zwischenraum zwischen Obturatorkloß und Rachenwand vorhanden war, damit die Luft bei den Nasenlautc]1 in die Nase eindringen konnte, so waren auch Nichtnasenlau te mit einem nasalen Beiklang gemischt, wenn sich nicht die Muskeln der Rachenwand bis zur Berührung mit dem Obturator vorwölbten, was aber nur selten tatsächlich geschieht. Der neue Obturator erzielt nnn in beiden Richtungen, sowohl in bezug anf die Bildung der nicht nasalen Laute als auch der Nasenlau1e, ein möglichst günstiges Resultat. Ausst:hließli.ch logopädisch ist die Therapie bei Lähmungszuständen des Ve-. lums, und zwar ist eine Kombination von Elektromassage des weichen Ganmens mit Artikllhtionsübllngen besonders angezeigt. Zu Abbildung 5. Palatoelektromasseur. diesem Zwecke empfiehlt sich der von der Firma Castagna-vVien hergestellte Palato-Elektromasseur (Abbildung 5 nnd 6); er besteht aus zwei Metallrinnen, in welche die unterün und oberen Schneidezähne einbeißen: je nach dem Alter des Patienten und der Größe seines 1-fundet> können die beiden Rinnen einander mehr genähert oder 'OD · einander weiter entfernt werden. Zwei Schrauben fixieren sie in

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der jeweiligen Stellung. Ein aus Hartgummi bestehender, ab· schraubbarer Handgriff ist an seinem oberen Ende durchbohrt und durch dieses Loch ist eine Elektrode näher zu oder weiter \'on den Metallrinnen verschiebbar; eine Schraube hält sie in der nötigen Stellung fest. Der Handgriff ist um ein an die untere Rinne angesehweißtes Metallstäbehen in einer Pendelebene drehbar. Der Patient beißt die Schneidezähne in die Rinne ein. Unter reflektiertem Lichte wird dann die Elektrode, welche dureh Gummiliberzug gegen die Rinne isoliert ist, bis zum weichen Gaumeu Abbildung 6. Palatoelektromasseur in vorgeschoben und in dieAnwendung. ser Stellung fixiert. Wird jetzt an ihrem anderen Ende ein Pol eingeschaltet, während der Patient den zweiten, mit einer gewöhnlichen Elektrode verbundenen Pol inder Hand hält, so wirkt der elektrische Strom auf das Velum ein. Nun faßt der Patient den Handgriff an und bewegt ihn in der Richtung gegen das Kinn. Dadurch wird das Mundende der Elektrode gehoben und ein Druck nach oben ge· gen das Gaumensegel ausgeübt. Dieser Druck verschwindet in dem Augenblicke, in welchem der Handgriff wieder in seine ursprüngliche Stellung zurückgebracht wird oder von selbst zurücksinkt. Es ist durch dieses Instrument möglich, Elektrizität und Massage, diese wichtigen Heilfaktoren gegen jede Muskelschwäche, gleichzeitig anzuwenden. Der Hauptvorzug des Instruments ist der, daß der Patient den Apparat auch allein ohne Elektrizität benutzen kann, da er, einmal richtig eingestellt, jedesmal wieder die richtige Stelle, nämlich das Gaumensegel. erreichen muß. Die Behandlung mit dem Elektromasseur 8011 täglich 3-4mal durch fünf Minuten durchgeführt werden. Neben diesen Maßnahmen zur Kräftigung der Muskuhtur des Gaumensegels ist es notwendig, sie auch in ihrer Funktion zu üben, indem man den Patienten zuerst Vokale, dann Silben, 'Wörter usw. unter kräftiger Hebung des Velnms aussprechen läßt. Zur Unterstützung kann man anfänglich die Nase

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zuhalten, was, wofern noch immer Luft in die Nase dringt, erfahrungsgemäß die Elevation des Gaumensegels unterstützt. Die Therapie wird immer einige Monate beanspruchen. Besonders Abwärtsstoßen der Arme während der Aussprache einzelner Silben ist eine zweckmäßige Unterstützung bei der Erziehung des weichen Gaumens zu einer physiologischen Funktion. Man kann sich vorstellen, daß sich der kräftige Im· puls während des Arinstoßens auch dem Velum mitteilt, das sich dann immer kräftiger hebt. Auch Paraffininjektion in die hintere Rachenwand kann den Zustand bessern; da sich (las ge· lähmte Velum nicht zur Rachenwand bewegt, soll ihm das injierte Paraffin als Vortreibung entgegenkommen. Die Rhinolalia clausa kann organisch oder funktionell bedingt sein. Unzweckmäßige Kontraktionszustände gewisser Muskeln innerhalb des Ansatzrohres, unter anderen der des weichen Gaumens, können zu einem ähnlichen störenden Klange führen wie Wucherungen und dann müssen sie durch Übungen, die in der Regel am gesamten Sprechapparat ansetzen müssen, beseitigt werden. - Die Rhinolalia mixta ist eine Kombination der clausa und der aper ta und äußert sich in einem abwechselnden Auftauchen beider. Hier muß eine nasenärztliche Behandlung der sprachärztlichen vorausgehen. Die Therapie des Si gm at i s mus habe ich mich bemüht, möglichst einheitlich zu gestalten. Die schon im Absatz "Künstliche Lautbildung" beschriebene F-Methode kann gegen jede Form von Sigmatismus verwendet werden. Man läßt den Patienten ein F sagen und zieht die Oberlippe stark nach oben, die Unterlippe- ebenso nach unten. Dann geht die Luft zwischen den Zahnreihen heraus, ohne die Unterlippe zu berühren und dieser Reibelaut ist ein S oder ähnelt ihm doch sehr. Allmählich kann man zu Silben- und Wortübungen fortschreiten, wobei es anfangs ratsam ist, zwischen das S und einen nachfolgenden Vokal ein H einzuschieben, also z. B. "bessher"; später kann man dieses H verkürzen, bis es unhörbar wird. In schwereren Fällen empfiehlt sich die "P I a t t e n met h o· d e" (Abbildung 7, 8 und 9): Man nimmt eine unter dem Na.men "Stents" käufliche Wachsplatte, wie sie die .Zahnärzte verwen· den, zerbricht sie in vier Sektoren und erweicht einen davon in heißem Wasser. Dann legt man ihn über die Zunge des Patienten so tief in den Mund, daß nur die Spitze des Sektors herausragt, und läßt kräftig zubeißen. Dadurch entstehen in dm'

Abbildung i. Platte mit ZahneilHlrii eken

Masse die Eindrücke der oberen und llo/eren Zähne. Man nilllmt den Sektor hera n;;, schneidet mit eille!" s(·harfen Schere entsprechend den Eindrücken uer heiden mittleren Schneidezähne ein Stü.·k so allS , (hlß dieses p"bgescllllittene Stück, welches ja der Spitze des Sekro\"s entspricht, eine rhOlll" bische Form hat. ~ Im härtet IIHll1 den übri-

gen Sektor in kaltem ·Wasser unu gibt ihn wieder in den M lIud des Patienten, wobei man uaranf achtet, daß die Zähne in die entsprechenden Eindrücke neuerdings einheißeu. Läßt Illall nUll deH Patienten eill S spredlelJ, so klingt es sdlOn annähernd richtig, da jetzt folgende physiologische Bedingungen vorhanden sind. 1\ bbildung 8. Platte nach Ausschneiden Die Zunge mllß flaeh im des rhombischen Stuckes :.vI uude liegen, sie kann wedel' an, noch zwischen die Zahnreihen gelangen und die Luft kann nur an der Stelle des ausgeschnittenen Stückes, als!) genan in der Mitte, den Mund verlassen. Der Patient nimmt das Stück mit nach Hause, um mögli