Friedrich Nietzsche: Also sprach Zarathustra [2., bearb. Aufl.] 9783050057385, 3050028726, 9783050049380

Friedrich Nietzsche hielt seine philosophische Dichtung "Also sprach Zarathustra" für so wichtig, daß er glaub

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Friedrich Nietzsche: Also sprach Zarathustra [2., bearb. Aufl.]
 9783050057385, 3050028726, 9783050049380

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Friedrich NietzscheI

Also sprach Zarathustra

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Klassiker Auslegen Herausgegeben von Otfried Höffe Band 14

Otfried Höffe ist o. Professor für Philosophie an der Universität Tübingen.

Friedrich Nietzsche

Also sprach Zarathustra Herausgegeben von Volker Gerhardt

Akademie Verlag

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IV Titelbild: Friedrich Nietzsche, 1882 Stiftung Weimarer Klassik, Goethe-Schiller-Archiv

Die Deutsche Bibliothek – CIP-Einheitsaufnahme Friedrich Nietzsche, Also sprach Zarathustra / hrsg. von Volker Gerhardt. – Berlin : Akad. Verl., 2000 (KLASSIKER AUSLEGEN ; Bd. 14) ISBN 3-05-002872-6

© Akademie Verlag GmbH, Berlin 2000 Das eingesetzte Papier ist alterungsbeständig nach DIN/ISO 9706. Alle Rechte, insbesondere die der Übersetzung in andere Sprachen, vorbehalten. Kein Teil dieses Buches darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form – durch Photokopie, Mikroverfilmung oder irgendein anderes Verfahren – reproduziert oder in eine von Maschinen, insbesondere von Datenverarbeitungsmaschinen, verwendbare Sprache übertragen oder übersetzt werden. All rights reserved (including those of translation into other languages). No part of this book may be reproduced in any form – by photoprinting, microfilm, or any other means – nor transmitted or translated into a machine language without written permission from the publishers. Gesamtgestaltung: K. Groß, J. Metze, Chamäleon Design Agentur, Berlin Satz: Sabine Gerhardt, Berlin Druck: GAM MEDIA, Berlin Bindung: R. Oldenbourg Graphische Betriebe, Kirchheim Printed in the Federal Republic of Germany

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Inhalt

Siglenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX 1. Die Erfindung eines Weisen. Zur Einleitung in Nietzsches Zarathustra Volker Gerhardt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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2. Zarathustras Weg Beatrix Himmelmann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 3. Kompositionsprobleme von Nietzsches Also sprach Zarathustra Henning Ottmann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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4. Die Grundconception des Zarathustra Jörg Salaquarda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 5. Zarathustra als Verkünder des Übermenschen und als Fürsprecher des Kreises Annemarie Pieper . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 6. Die „grosse Vernunft“ des Leibes. Ein Versuch über Zarathustras vierte Rede Volker Gerhardt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 7. For whom the Sun shines: A Reading of Also sprach Zarathustra Alexander Nehamas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165

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Inhalt 8. Anti-Lehren. Szene und Lehre in Nietzsches Also sprach Zarathustra Werner Stegmaier . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 9. Ein Text wie Nietzsches Zarathustra Josef Simon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 10. Die andere Perspektive: Ein Gott, der zu tanzen verstünde. Eine Skizze zur Ästhetik des Dionysischen im Zarathustra Renate Reschke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 11. A Bridge too far: Asceticism and Eternal Recurrence Bernd Magnus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 12. Umkehr und Wiederkehr. Zarathustra in seinen Bildern Vivetta Vivarelli . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 13. „Wer ist Nietzsches Zarathustra?“ Eine Auseinandersetzung mit Martin Heidegger Ernst Behler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351 Auswahlbibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 395 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 399 Hinweise zu den Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 405

VII

Siglenverzeichnis

Nietzsches Zarathustra wird nach der KSA zitiert und allein durch Angabe der Seitenzahl ausgewiesen. Die Schriften Nietzsches werden mit Bezug auf die von ihm selbst vorgenommene Einteilung seiner Werke zitiert. Nach dem Hinweis auf den Text Nietzsches erfolgt jeweils nach dem Semikolon die entsprechende Band- und Seitenzahl der KSA. Stellen aus dem Nachlaß (N ) sind unter Angabe der Jahreszahl und Nummer des Fragments ebenfalls nach der KSA zitiert. Auch hier folgt nach dem Semikolon die Angabe von Band- und Seitenzahl. Auf sonstige Literatur wird stets durch eine Abkürzung aus Autorname, Erscheinungsjahr und gegebenfalls Seitenzahl hingewiesen. Am Ende der Beiträge wird die zitierte Literatur aufgeschlüsselt; Kommentare zum Zarathustra und weitere Forschungsliteratur zu Nietzsche finden sich in der Bibliographie am Schluß des Bandes.

Nietzsches Schriften (in ihrer zeitlichen Reihenfolge) GT PdW PhtZ WL UB MA 1 MA 2 WS M FW J GM W

Die Geburt der Tragödie Ueber das Pathos der Wahrheit Die Philosophie im tragischen Zeitalter der Griechen Ueber Wahrheit und Lüge im aussermoralischen Sinne Unzeitgemässe Betrachtungen Menschliches, Allzumenschliches I Menschliches, Allzumenschliches II (1. Teil: Vermischte Meinungen und Sprüche) Der Wanderer und sein Schatten (als 2. Teil von MA 2) Morgenröthe Die fröhliche Wissenschaft Jenseits von Gut und Böse Zur Genealogie der Moral Der Fall Wagner

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Siglenverzeichnis GD

AC EH NW

N

Götzen-Dämmerung (die abgekürzten Zusätze verweisen auf die Überschriften der einzelnen Abschnitte) Der Antichrist Ecce homo (die abgekürzten Zusätze verweisen auf die Überschriften der einzelnen Abschnitte) Nietzsche contra Wagner (die abgekürzten Zusätze verweisen auf die Überschriften der einzelnen Abschnitte) Nachgelassene Fragmente 1869–1889

Ausgaben von Nietzsches Werken KGW

KSA

KGB

KSB

BAW

Friedrich Nietzsche, Werke. Kritische Gesamtausgabe, hrsg. v. G. Colli und M. Montinari, Berlin/ New York 1967 ff. Friedrich Nietzsche, Sämtliche Werke. Kritische Studienausgabe, hrsg. v. G. Colli und M. Montinari, 2., durchgesehene Aufl., München/Berlin/New York 1988. Friedrich Nietzsche, Briefwechsel. Kritische Gesamtausgabe, hrsg. v. G. Colli und M. Montinari, Berlin/ New York 1975 ff. Friedrich Nietzsche, Sämtliche Briefe. Kritische Studienausgabe, hrsg. v. G. Colli und M. Montinari, München/Berlin/New York 1986. Friedrich Nietzsche, Frühe Schriften, 5 Bde., hrsg. v. H. J. Mette, K. Schlechta und C. Koch, München 1933–1940 (Neuausgabe mit einer editorischen Vorbemerkung v. R. Schmidt, München 1994).

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Vorwort

Nietzsches Zarathustra ist darauf angelegt, ein Buch mit sieben Siegeln zu sein. Es sollte Rätsel bieten, die erst die Jahrhunderte würden lösen helfen. Eine stärkere Herausforderung, es dennoch schon mit dem Wissen der Gegenwart zu deuten, kann es gar nicht geben. Das aber verlangte eine Lebensarbeit, die bislang noch niemand auf sich genommen hat. Zwar hat das Werk schon manchen Kommentar nach sich gezogen. Doch die Arbeiten blieben entweder auf einzelne Teile beschränkt, oder sie hatten lediglich eine Verdeutlichung zum Ziel. Sie sollten in anderen Worten noch einmal sagen, was Zarathustra spricht. So wurde der erste (ausdrücklich auch so genannte) „Kommentar“ für die Lektüre in den Arbeiterbildungsvereinen verfaßt. Vor dem ersten Weltkrieg schien es tatsächlich so, als sei es Nietzsche gelungen, ein „Volksbuch“ zu schreiben. Die Popularität, die Nietzsches Werk heute genießt, täuscht darüber hinweg, daß Also sprach Zarathustra dieses Ziel bislang nicht erreichen konnte. Es ist ein Text für Gebildete geblieben, ein beinahe schon klassisches Erweckungsbuch für den Jüngling und ein bevorzugter Referenztext der Historiker und Literaten. Die Philosophen nutzen das Werk vornehmlich selbst als Kommentar zu Nietzsches anderen Schriften und kehren so das übliche Verhältnis zwischen Dichtung und wissenschaftlicher Prosa um. Solange sich Nietzsche hinter der Maske Zarathustras versteckt, spricht er vieles aus, was im aphoristischen und essayistischen Werk nur angedeutet ist. Das gilt vor allem für die großen Themen seiner Experimentalphilosophie: für den Willen zur Macht, die ewige Wiederkehr des Gleichen, den Übermenschen, die Umwertung der Werte und den ihr vorausgehenden Nihilismus. Nietzsche ist wie kein zweiter Denker des 19. Jahrhunderts zum Gegenstand historisch-philologischer Forschung geworden. Darin liegt gewiß ein Akt ausgleichender Gerechtigkeit: Die Philologen und die Historiker, die er so leidenschaftlich schmähte, nehmen sich seiner an. Um so erstaunlicher ist es, daß ein gelehrter Kommentar, der auch nur den zeitgenössischen Ansprüchen des altphilologisch geschulten Autors ent-

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Vorwort sprochen hätte, bis heute fehlt. Der Zarathustra wäre daher der ideale Gegenstand für einen kooperativen Kommentar. Doch es hätte den Rahmen der Buchreihe gesprengt, wenn auch nur für einen der vier Teile der Versuch einer den heutigen Ansprüchen genügenden Kommentierung in Angriff genommen worden wäre. Die komplexe Erzählweise des Buches, die Streuung seiner philosophischen Aussagen, die forcierte Metaphorik, die gesuchten Anspielungen auf altorientalische, antike und biblische Quellen sowie der auffällig getarnte Angriff auf die eigene Epoche – alles dies würde einen gelehrten Aufwand erfordern, den man in einem Hilfsmittel für die philosophische Lektüre des Textes nicht hätte rechtfertigen können. Der vorliegende Band bietet daher keinen Kommentar zu den einzelnen Reden. Er macht auch nicht den fragwürdigen Versuch, die vier Bücher, in denen die Reden und Geschichten aufeinanderfolgen, wie vier sachlich zusammengehörende Abschnitte eines systematischen Werkes zu behandeln, um sie dann so auszulegen, als seien sie in sich einheitlich verfaßt. Zwar kann man szenische und kompositorische Schwerpunkte ausmachen, die Aussagen über thematische Akzente in den einzelnen Büchern erlauben, die wiederum in einer dramatischen Beziehung zueinander stehen. Doch jede Rede, jede Episode Zarathustras steht für sich. Man müßte schon alle einundachtzig Textstücke einzeln durchgehen, um der Form eines Kommentars nahezukommen. Welchen Aufwand dies erfordern würde, wird im vorliegenden Band an einem Beispiel vorgeführt: Zarathustras vierte Rede Von den Verächtern des Leibes haben wir einer exemplarischen Auslegung unterzogen. Trotz der Beschränkung auf die dominierende Formel von der „grossen Vernunft“ des Leibes – also unter Verzicht auf jede Erläuterung zu den dramatischen, historischen und philologischen Konnotationen – ist daraus der längste Beitrag zum vorliegenden Band geworden. Wären wir bei den anderen Reden und Geschichten ähnlich verfahren, wäre der Umfang auf einiges mehr als das Zehnfache angewachsen. Dies wäre ein anderes Unternehmen gewesen. Deshalb haben wir uns damit begnügt, das Buch in seiner dramatischen Anlage, seinem kompositorischen Aufbau und vor allem in seinen zentralen philosophischen Aussagen zu kommentieren. Erstmals

Vorwort wird der Weg Zarathustras durch das ganze Buch hindurch verfolgt und die mit der ganzen Darstellung verbundene Absicht in mehreren Beiträgen gedeutet. Im Vordergrund steht die Kommentierung der großen Themen dieses Buches: Übermensch, Wille zur Macht, Umwertung und ewige Wiederkunft. Dafür konnten Autoren gewonnen werden, die in der Nietzsche-Debatte der letzten Jahre eine herausragende Rolle gespielt haben. Der weitaus größte Teil der Aufsätze wurde eigens für diesen Band geschrieben. Besonders hervorzuheben ist der auf die Einleitung folgende Beitrag von Beatrix Himmelmann, die den dramatischen Aufbau des Buches – durch alle vier Teile hindurch – nacherzählt und damit eine wesentliche Voraussetzung für das Verständnis des Werkes schafft. Die auf die Rahmenerzählung, die Reden und die Traumgesichter bezogene Handlungsschilderung kann als Einführung in Nietzsches Buch wie auch in den vorliegenden Sammelband gelesen werden. Denn sie erlaubt, die nachfolgenden Aufsätze genauer in den Zusammenhang von Zarathustras Leben und Reden einzuordnen. Zwei Autoren sind vor der Fertigstellung dieses Bandes gestorben: Ernst Behler hat in seinem großen literaturhistorischen Werk Bedeutendes bei der Erschließung des romantischen Hintergrunds von Nietzsches Denken geleistet. Er war ein souveräner Vermittler zwischen den Interpretationswelten in Europa und Nordamerika. Jörg Salaquarda gehörte zu den produktiven Grenzgängern zwischen Philosophie und Theologie. Ihm verdanken wir wichtige historische Aufschlüsse über den christlichen und den szientifischen Hintergrund von Nietzsches Denken. Beide Interpreten haben sowohl durch ihre Arbeit wie auch durch den Charme ihres persönlichen Wirkens dazu beigetragen, für Nietzsches Werk eine undogmatische, weltoffene Leserschaft zu gewinnen. Ihnen ist das vorliegende Buch gewidmet. Schließlich darf der Dank an Jacqueline Karl nicht vergessen werden, die bei der Einrichtung der Texte, der Herstellung des Literaturverzeichnisses und schließlich auch bei den Korrekturen einmal mehr ihre Umsicht und Sorgfalt unter Beweis gestellt hat. Berlin, den 25. Februar 2000

Volker Gerhardt

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Die Erfindung eines Weisen

Volker Gerhardt

Die Erfindung eines Weisen Zur Einleitung in Nietzsches Zarathustra

1.1 Epochale Hoffnung Zarathustra soll alles wenden. Mit Also sprach Zarathustra will Friedrich Nietzsche Epoche machen. Es soll das Buch der Zeitenwende werden, ein Buch, wie es bislang erst einmal – als Neues Testament – geschrieben worden ist. Als „Bibel der Zukunft“ soll es seinen angeblich mißratenen Vorläufer ablösen und aus eigener Kompetenz die Zeichen einer anderen Zukunft setzen. Es soll zur Schrift werden, in deren Sog alles, was bislang als heilig galt, nur noch als rachsüchtige Erfindung gelten kann. Der Bericht über Wirken und Reden des geläuterten Propheten Zarathustra soll eine überindividuelle, überhistorische, gleichsam mythische Autorität errichten, in deren Zeichen sich der Zeitgeist der Epoche selbst überwindet. Nietzsche glaubt, sein „bestes“, „tiefstes“, „hellstes“ Buch zu schreiben, hofft ernstlich, es könne eine neue Zeitrechnung einleiten, und hält es für möglich, mit dieser Schrift die Menschheit „in zwei Hälften [zu] spalten“ (Brief an Franz Overbeck vom 8. 3. 1884; KSB 6, 485). Das alles macht verständlich, warum der Autor, nach eigenem Bekunden, alles zusammennimmt, was er „comme poèteprophète“ mitzuteilen hat (Brief an Heinrich Köselitz vom 14. 3. 1885; KSB 7, 21). Morgenröthe und Fröhliche Wissenschaft sollen nur als „Einleitung, Vorbereitung und Commentar“ zum Zarathustra dienen, der selbst wieder nur die „Vorhalle“ zu jener Philosophie darstellen soll, an der Nietzsche in den nachfolgen-

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Volker Gerhardt den Jahren zu bauen beabsichtigt (Brief an Overbeck vom 7. 4. 1884; KSB 6, 496). „[K]ünftige Jahrtausende“, so glaubt der Autor, werden auf seinen „Sohn Zarathustra“ ihre „höchsten Gelübde“ tun (Brief an Heinrich von Stein vom 22. 5. 1884; ebd., 508). Das Große, Neue, Andere der Zukunft soll weder der Vernunft noch der Wissenschaft noch der politischen Tat anheimgegeben sein. Statt dessen soll es aus einer in geheimnisvollen Tiefen schimmernden Wahrheit erwachsen, wo sie nur vom einzigartigen Einzelnen erahnt, erspürt und angeeignet werden kann. Nietzsche spricht zu einer Gemeinde, die mit diesem Buch erschaffen werden soll; er schreibt in einer Sprache, die erst noch erlernt werden muß; er sucht nach einem neuen Pathos prophetischer Heiterkeit, das um so vernehmlicher sein soll, je weiter man sich von Kanzel und Katheder entfernt (zur literarischen Stellung des Zarathustra: Bennholdt-Thomsen 1974).

1.2 Philologischer Traum Man ist geneigt, die überspannten Erwartungen Nietzsches für Vorboten des späteren Größenwahns zu halten. Die Hoffnung auf eine neue Stunde Null erscheint uns heute wie der Reflex einer höchst verdächtigen antichristlichen Fixierung. Und ob die verrätselten Geschichten Zarathustras Nietzsches beste literarische Leistung darstellen, ist eine Geschmacksfrage, über die noch nicht einmal mehr gestritten wird. Es gibt höchst eindrucksvolle Passagen in Zarathustras Reden, gewaltig dunkle Stellen, reizvolle Vieldeutigkeiten und einen abgründigen Überschuß an Phantasie. Alles in diesem Buch ist mit Bedeutung schwer beladen. Selbst noch die angestrengte Heiterkeit des Propheten hat ihren erkennbar tiefen Sinn. In Art und Anlage des Buches liegt etwas völlig Neues vor: Der gelernte Interpret klassischer Texte, der weiß, daß man aus jedem Detail eine Unmenge an Sinn herausholen kann, versucht nun selbst, einen klassischen Text zu schreiben. Dazu füllt er ihn vorab im Vorder- wie im Hintergrund mit jener Vieldeutigkeit, die klassische Texte im Gang der Jahrhunderte annehmen. So schafft sich der Philologe selbst das Werk, an

Die Erfindung eines Weisen dem er zum Philologen wird. Bedenkt man dazu noch das Maskenspiel, das Nietzsche hier betreibt, daß er Zarathustra erfindet, um gleichermaßen von Jesus, Buddha, Sokrates und von sich selber abzulenken und trotzdem als der allein aus sich selbst schöpfende Erfinder des Ganzen die größte Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, dann hat man in der Tat ein Buch vor sich, das allein durch seinen bloßen Anspruch viel zu denken gibt. Denn schon die literarische Erfindung von etwas, das als Menschheitsdokument die Geschichte wenden soll, bringt dieses Werk in Gegenstellung zu seinem Ziel: Es soll sein wie eine Tat, die alles ändert – und ist doch nur ein Buch, das selbst von keiner epochemachenden Tat berichten kann. Gäbe es ein die Geschichte wendendes Ereignis, wäre etwa von einem neuen Kometen, einem weiteren Erdteil oder einer zweiten Offenbarung zu berichten, brauchte man das Buch nicht so wichtig zu nehmen; es wäre dann ja nur der Bericht von dem, worauf es eigentlich ankommt. So aber ist das Buch selbst das Ereignis, und die Offenbarung liegt in dem Gedanken, es niederzuschreiben und aus der Hand zu geben.

1.3 Dominanz des Gedankens Tatsächlich stilisiert Nietzsche den Einfall zu diesem Buch nach Art einer himmlischen Eingebung: „Ich erzähle nunmehr die Geschichte des Zarathustra. Die Grundconception des Werks, der Ewige-Wiederkunfts-Gedanke, diese höchste Formel der Bejahung, die überhaupt erreicht werden kann –, gehört in den August des Jahres 1881: er ist auf ein Blatt hingeworfen, mit der Unterschrift: ‚6000 Fuss jenseits von Mensch und Zeit‘. Ich gieng an jenem Tage am See von Silvaplana durch die Wälder; bei einem mächtigen pyramidal aufgethürmten Block unweit Surlei machte ich Halt. Da kam mir dieser Gedanke“ (EH, Zarathustra 1; 6, 335). Man kann nicht leugnen, daß die Art, in der dieser Blitz einschlägt, sich wie die Praxis der im Gedanken formulierten Theorie ausnimmt (Gerhardt 1996, 167 ff.). Die ganz und gar auf den Augenblick gegründete Lehre kann strenggenommen nur in einem Augenblick gefunden werden.

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Volker Gerhardt Mit Blick auf das Buch wird dadurch noch klarer, wie zeitund ortlos der Wendepunkt ist. Der Anlaß für den Umschlag der Geschichte liegt nicht in einem historischen Ereignis, sondern in einem intellektuellen Erlebnis. So tritt die Macht des Gedankens schärfer hervor als in allen religiösen Lehren, die im Licht eines neuen Gedankens abgelöst werden sollen. Am Anfang steht eine rein philosophische Abstraktion, deren empirische Elemente auf nichts anderes als auf den Autor verweisen können. Auch wenn sich alle Aufmerksamkeit auf den wunderlichen Wanderer und Lehrer Zarathustra richten soll, ist doch die eigentümliche Geschichtslosigkeit der offenbarten Geschichte darauf angelegt, den Urheber dieser Erfindung, nämlich Nietzsche selbst, ins Blickfeld zu rücken. Der entscheidende Effekt dieser personalisierten Wendeakrobatik liegt in der restlosen Literarisierung der Weltgeschichte. Es ist eine Schrift, die alles umkehren soll; ein Buch, das aus dem Niedergang in einen Aufschwung führen soll. Und mit dem allein auf Gedanken gegründeten Text wird niemand anders als der aus seinen eigenen Quellen schöpfende Autor zum Medium, in dem die Realgeschichte in ein neues Stadium übergeht. Das kann man nur als einen echten Philologen- und Autorenwunsch ansehen: Der Denker und Interpret wird zum eigentlichen Täter. Schrift und Realgeschichte kommen zur Deckung. Nur im Lichte von Nietzsches Absicht verstehen wir die epochalen Erwartungen, die mit der inszenierten Wiederkehr des altpersischen Weisen wirksam werden sollen. Hinter Also sprach Zarathustra, dem Buch, das mit dem bloßen Denken und dem reinen Sollen endlich Schluß machen soll, steht ein gebietender Gedanke: Auch wenn alles in die Form einer mythisch klingenden Erzählung zurückgenommen ist, auch wenn jede Einsicht, jede Tugend, jedes Gesetz durch das romanhafte Geschehen ästhetisch gebrochen ist, so ist doch das Ganze Ausdruck einer Idee, die allein einem Menschen namens Friedrich Nietzsche entspringt. Durch diese ausschließlich auf den Einfall des Autors gegründete Erfindung tritt der mitgeteilte Gedanke als Gedanke nur um so schärfer hervor. Denn würde er im Medium der Probleme Schritt für Schritt entwickelt, bliebe er mit seinem Anlaß und Stoff begrifflich verbunden. Da er aber weder analytisch vorgeführt noch argumentativ vertreten, sondern gleich-

Die Erfindung eines Weisen sam mythologisch bebildert wird, hat er den Charakter einer Botschaft. Als Botschaft, als „Neues Evangelium“ aber beansprucht er größere Selbständigkeit gegenüber den missionierten Individuen, als er im Zeichen der Verleiblichung des Denkens eigentlich haben dürfte. Zarathustras Weg illustriert den Zuwachs an Einsichten, die der Autor längst hat. Somit geht ein tiefer Widerspruch durch die Konzeption des Buches: Es soll die Theorielastigkeit eines Zeitalters überwinden und ist doch in eben der Art, in der es sich vom reinen Denken verabschieden möchte, nur ein Bilderbogen für einen fertig vorliegenden Gedanken.

1.4 Maskenspiel und Selbstversuch Ein Effekt der bewußten literarischen Präsentation eines singulären Einfalls ist die persönliche Manifestation des Autors. Der zeigt sich hier als ein an seinem Überreichtum von Einsichten leidendes Individuum, das seiner Einfälle als Wissenschaftler und Künstler nicht Herr wird und sich in einer neuen literarischen Gattung versucht. Da schafft sich ein Pfarrerssohn einen eigenen Propheten für eine von allen Göttern befreite Zeit. Das Buch sollte das Brennglas einer neuen Zukunft werden; man nimmt es heute aber eher wie eine Lupe zur Hand, durch die man den Autor aus größerer Nähe betrachten kann. „Es ist schwer zu erkennen, wer ich bin“, schreibt Nietzsche, während er den vierten Teil des Zarathustra abschließt; „warten wir 100 Jahre ab: vielleicht giebt es bis dahin irgend ein Genie von Menschenkenner, welches Herrn F. N. ausgräbt.“ „Werke dieser Art“, so heißt es weiter, „sind sehr anspruchsvoll, sie wollen Zeit. Da muß erst die Autorität von Jahrhunderten dazu kommen, daß so Etwas recht gelesen wird“ (Entwurf eines Briefes an von Stein, Mitte März 1885; KSB 7, 27). Die ersten Leser des Buches haben vor allem nach dem Autor gesucht, der sich darin in aller Offenheit versteckt. Nicht Zarathustra, sondern der kranke, syphilitisch vergiftete und schließlich im Wahn gestorbene Nietzsche wurde zur Kultfigur. Nach ihm sucht man noch heute. Er interessiert aber kaum noch als Künstler, auch nicht als Symbolfigur einer anderen Lebensform. Aufmerksamkeit fordert er primär als Kritiker und Theoretiker,

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Volker Gerhardt der zwar den Versuch macht, die überlieferten Formen der Theorie und der Kritik zu überwinden, dabei aber von Kritik und Theorie nicht ablassen kann. Man schätzt ihn als eine Art lebendigen Selbstwiderspruch des theoretischen Denkens. Folglich nimmt man ihn gerade als Denker ernst. Anfangs waren es vornehmlich die Künstler, die in Nietzsche den Philosophen suchten, dann aber haben ihn auch die Philosophen des 20. Jahrhunderts für sich entdeckt. Seine künstlerische Leistung als Lyriker oder als Meister des aphoristischen Stils ist damit nicht bestritten (Gerhardt 1992, 10 ff.). Gesagt ist nur, daß man ihn in seiner kritisch-theoretischen Leistung besonders schätzt. Selbst noch in seinen Versuchen, von der Philosophie loszukommen, wird nach einem Aufschluß über die Philosophie gesucht. Gerade in seinem Scheitern als systematischer Denker gilt Nietzsche als exemplarischer Fall der jüngeren Philosophiegeschichte. Seine „ExperimentalPhilosophie“ schließt auch noch den Versuch darüber ein, ob Philosophie heute noch möglich ist. Es ist ein experimentum crucis – es geht, wie man bei Nietzsche wohl ohne Übertreibung sagen darf, auf Leben und Tod der Philosophie. Damit ist der wohl wichtigste Grund für die expansive Beschäftigung mit Nietzsches Werk genannt. Sein Name steht für einen riskanten Selbstversuch mit dem menschlichen Denken. In seiner Anstrengung sieht man immer auch den Ausdruck des Leidens an der Philosophie. Er hat das Unbehagen am philosophischen Denken artikuliert, an einem Denken, das ganz in den Schatten der Einzelwissenschaften geraten ist und den Titel einer Wissenschaft nicht mehr zu verdienen scheint. Nietzsches Unbehagen steigert sich zur Qual, wann immer er erfährt, daß er von eben diesem hoffnungslos antiquiert erscheinenden Geschäft nicht lassen kann, daß es gerade die existentiellen Lebensimpulse sind, die das philosophische Fragen nicht vergessen lassen. Gewiß ist Nietzsche nicht der erste, der solche Erfahrungen macht. Aber er hat sie auf unerhörte und schrecklich überzeugende Weise geäußert. Was bei anderen nur Zweifel war, ist bei ihm zur Verzweiflung geworden, die auch noch das scheinbar Selbstverständliche, die Mitteilbarkeit der Gedanken, in Mitleidenschaft zieht.

Die Erfindung eines Weisen

1.5 Erschütterung des philosophischen Selbstbewußtseins „Ich habe fast jeden Tag 2–3 Stunden diktirt“, so schreibt Nietzsche in der Entstehungszeit von Jenseits, „aber meine ‚Philosophie‘, wenn ich das Recht habe, das, was mich bis in die Wurzeln meines Wesens hinein malträtirt, so zu nennen, ist nicht mehr mittheilbar, zum Mindesten nicht durch Druck“ (Brief an Overbeck vom 2. 7. 1885; KSB 7, 62).1 Das Selbstbewußtsein der Philosophie ist nach dem Vertrauensverlust des Hegelschen Systemdenkens, das ja selbst schon eine grandiose Abwehrmaßnahme gegen den neuzeitlichen Empirismus und Subjektivismus darstellt, von immer neuen Krisen erschüttert worden. Der rapide technische und soziale Wandel sowie das Vordringen der Einzelwissenschaften führten zur notorischen Verspätung der philosophischen Reflexion und ließen zwangsläufig den Glauben an die leitende Kraft des Gedankens schwinden. Die Philosophie suchte Zuflucht bei einzelnen Wissenschaften. Was dabei an Erkenntnisansprüchen verlorenging, wurde durch die Beschäftigung mit der eigenen Geschichte kompensiert. Philosophie wurde vornehmlich Philosophie der Geschichte. Schopenhauer war einer der ersten, der die Neutralisierung der Philosophie durch Historisierung und Spezialisierung geißelte. Doch die Metaphysik, die er als Gegenmittel anbot, hielt dem geschärften Methodenbewußtsein des 19. Jahrhunderts nicht mehr stand, und, was das Wichtigere ist, auch Schopenhauer gelang es nicht, Denken und Leben überzeugend zu verbinden. Im Gegenteil: Er forderte alle geistigen Kräfte zur Verleugnung des Lebens. Die Kunst, für die er große Worte fand, galt ihm schließlich nur als Einübung in den Verzicht, auf den alle Philosophie vorzubereiten habe. „Askesis“ ist für Schopenhauer die einzige Konsequenz, in der die Philosophie sich noch rechtfertigen kann. In Nietzsches Augen war dies die letzte Verzweiflungstat der traditionellen Metaphysik, die damit gerade noch die Kraft hatte, die endgültige Niederlage in einen Sieg umzudeuten. Philosophie dieser Provenienz konnte nur noch 1 Weil er der schriftlichen Mitteilung nicht mehr traut, „sehnt“ er sich nach einer „heimlichen Conferenz“ mit Burckhardt und Overbeck.

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Volker Gerhardt ein Herrschaftsmittel asketischer Priester sein, nur noch ein Instrument zur Unterdrückung des Lebens im Dienst des Ressentiments. Wollte er einer solchen Philosophie entgehen, so hatte er, Nietzsche, einen neuen Anfang zu machen. Wir sind heute weit davon entfernt, in Nietzsche diesen Neubeginn zu sehen. Doch seine abenteuerliche, von keinen Konventionen eingeschränkte Suche nach diesem Anfang wird für uns um so zwingender, je stärker die Indizien dafür sprechen, daß seine Ausgangslage auch noch die unsere ist. Nach den Erfahrungen des 20. Jahrhunderts erscheint die von Nietzsche seismographisch registrierte Erschütterung des philosophischen Selbstbewußtseins wie ein leichtes Beben vor dem schweren Stoß. Inzwischen an ganz anderes gewöhnt, empfinden wir nur sein Pathos übertrieben – seine Einsichten haben sich längst auf katastrophale Weise bestätigt. Schon vor dem Ersten Weltkrieg konnte Georg Simmel sagen: „Ich weiß gar nicht, weshalb Nietzsche solch Aufhebens davon macht, daß Gott tot ist. Das wissen wir doch längst“ (nach: Marcuse 1964, 208). Daß Gott tot sei und es keine Wahrheit mehr gebe, daß unser Bewußtsein nur eine späte, willfährige Erfindung des Leibes sei und der Mensch selbst ein sich unablässig entfremdendes Wesen: von seiner Moral unterdrückt, von seiner Wissenschaft überfordert und durch die Hoffnung auf den Fortschritt tyrannisch gemacht: was gibt es daran nach zwei Weltkriegen, nach Auschwitz, dem Archipel Gulag, mitten in der ökologischen Krise und angesichts einer möglichen atomaren Zerstörung noch zu deuten? Der Nihilismus, wie Nietzsche ihn voraussagt, ist zu weltpolitischer Realität geworden. Die Einsichten des vergangenen Jahrhunderts haben uns die von Nietzsche vertretenen philosophischen Positionen nur noch vertrauter gemacht.

1.6 Prophet der Kultur Durch seinen Zarathustra wurde Nietzsche das, was Zarathustra sein sollte: zum Propheten einer neuen Kultur. Jugendstil und Expressionismus, Kubismus und Futurismus, alle Varianten des L’art pour l’art, aber eben auch des Realismus; hinzu kommt das weite literarische Feld von Hofmannsthal, Rilke oder Morgen-

Die Erfindung eines Weisen stern über Heinrich und Thomas Mann bis hin zu Stephan George und Robert Musil und Gottfried Benn, und vor allem die großen weltanschaulichen Stimmungen mit ihren Mystagogen wie Rudolf Steiner und Kassandren wie Oswald Spengler – in allen diesen teils singulären, teils massenhaften Erscheinungen wirkt Nietzsche als ein Zeitgenosse des 20. Jahrhunderts.2 Ernüchterung und Begeisterung, Kulturpessimismus und Aufbruchsstimmung, Ideologiekritik und politisches Pathos waren gleichermaßen durch ihn angeregt. Er demaskierte und stimulierte in einem. Die ihn auszeichnende Einheit von analytischem Scharfsinn und ästhetischem Anspruch bot allen etwas, die das Unbehagen an der Kultur zum Ausdruck bringen wollten – und jedem einzelnen immer noch etwas mehr als das, was alle anderen darin fanden. So bestätigte sich die Ankündigung des Zarathustra, ein „Buch für Alle und Keinen“ zu sein. Hinzu kam schließlich noch, daß Nietzsches eigenes Schicksal, sein Ende im Wahnsinn, sich nur zu leicht als individuelles Vorspiel für den Abgesang der Epoche deuten ließ. Auch in der Philosophie gab es spontane Reaktionen mit beachtlichen Folgen. Es ist keineswegs so, daß der „Dichterphilosoph“ totgeschwiegen oder bloß mißverstanden wurde. Der amerikanische Pragmatismus zum Beispiel war durch Ralph Waldo Emerson auf die Lebensphilosophie Nietzsches gut vorbereitet. William James nahm sie noch zu dessen Lebzeiten auf ( James 1907), und schon an John Dewey, einem der kreativsten Denker des 20. Jahrhunderts, kann man studieren, daß Hegel und Nietzsche in eine produktive systematische Verbindung zu bringen sind (vor allem in: Dewey 1995). In Deutschland ist es Hans Vaihinger, der Nietzsche mit Kant in Verbindung zu bringen versucht (Vaihinger 1911), und in Frankreich ist es Alfred Fouillée, der Nietzsche im Spiegel der Schriften seines Landsmanns Guyau wiederzuerkennen glaubt und den Boden für die weltweite Aufmerksamkeit für Philosophie von Zeit und Leben bereitet (siehe dazu: Fouillée 1920). Das Denken Bergsons war keine bloße „Lehre“ mehr, sondern eher eine „Bewegung“, der erst der Existentialismus eine ontologische, moralische und 2 Siehe dazu die umfangreiche Dokumentation von Krummel 1974/83/98; ferner: Hillebrand 1978, Schubert 1981/82, oder auch schon: Becker 1908. Zur politischen Wirkung siehe neuerdings: Ottmann 1987.

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Volker Gerhardt politische Richtung gegeben hat. Hinter den Existentialismen verschiedenster Provenienz, stammen sie nun von Heidegger, Jaspers oder Sartre, steht allemal der Schatten Zarathustras. Sogar die akademische Philosophie hat Nietzsches Werk gleich zur Kenntnis genommen. Alois Riehl, Karl Joël, Raoul Richter, Rudolf Eisler oder, schon etwas später, Robert Reininger haben Nietzsche ernsthafte Untersuchungen gewidmet. Doch solange der Neukantianismus an den deutschen Hochschulen herrschte, mußte Nietzsche ein Außenseiter bleiben, obgleich er in der Kulturphilosophie der südwestdeutschen Schule, vor allem durch die sogenannte „Wertfrage“, auch in der Nachfolge Kants präsent war. Solange man glaubte, Philosophie nur als „strenge Wissenschaft“ betreiben zu können, wie dies noch 1912 von Edmund Husserl gefordert wurde, galt Nietzsche mehr als Literat denn als Philosoph. Gleichwohl war er spätestens nach dem Ersten Weltkrieg überall anwesend und blieb, bis in die fünfziger Jahre hinein, der allgegenwärtige Philosoph im Hintergrund.3 Dafür sorgten in Deutschland die heterogenen Interpretationen von Heidegger, Jaspers und Löwith. Überdies war Nietzsche der Stichwortgeber von Psychologie und Psychoanalyse. Über Tönnies, Simmel und Max Weber gehörte er – gleichsam gegen seinen Willen – zu den Gründerfiguren der deutschen Soziologie. Die sich wie Antipoden aufführenden Vertreter der Leipziger und der Frankfurter Schule – Arnold Gehlen und Helmut Schelsky auf der einen, Max Horkheimer und Theodor W. Adorno auf der anderen Seite – waren gleichermaßen von Nietzsche inspiriert.

1.7 Die historische Wende in der Wirkungsgeschichte Mit dem Übergang in die siebziger Jahre gewinnt der Autor des Zarathustra eine Aktualität neuer Art. Die lange nachwirkenden Nachlaß-Manipulationen von Nietzsches Schwester werden endlich überwunden. Durch die beharrliche Initiative von Gior-

3 Ein Beispiel dafür liefert auch die Rezeption Nietzsches in der Theologie des 20. Jahrhunderts. Dazu sehr gut: Köster 1981/82.

Die Erfindung eines Weisen gio Colli und die aufopfernde Arbeit seines Schülers Montinari kommt es endlich zu einer kritischen Gesamtausgabe, die es erlaubt, Nietzsche zum Gegenstand historischer Forschung zu machen. Erst jetzt kann eine philologische Beschäftigung einsetzen, die sich gleichermaßen auf den Textbestand, auf die geschichtlichen Bedingungen, Einflüsse und Folgen, auf die Person und ihre philosophischen Aussagen bezieht. Systematische Fragen werden dabei nicht ausgeschlossen; sofern sich die Deutung als philosophische Auslegung versteht, gehören sie notwendig dazu. Sie werden nunmehr aber genauer an den historischen Nietzsche gerichtet. Parteinahme oder Bekenntnis für oder gegen ihn werden entbehrlich, auch wenn sich das Bedürfnis nach einem gegen den Zeitgeist gerichteten Nietzscheanismus beharrlich hält. Gegenüber Zweifeln an der Solidität und Konsistenz von Nietzsches Denken hilft notfalls der Hinweis auf den mittlerweile zum Faktum gewordenen historischen Rang. Auch wenn Nietzsche sonst keine Geltung besäße: Als Exponent einer inzwischen zum Gegenstand geschichtlicher Forschung gewordenen Epoche verdient er Aufmerksamkeit; folglich bedarf es keiner besonderen Begründung, wenn man sich um die Erschließung seines Werkes bemüht. Der bislang wichtigste Ertrag der historischen Forschung zu Nietzsches Zarathustra liegt im Band VI /4 der Kritischen Gesamtausgabe (KGW ) vor. Es ist der von Mazzino Montinari begonnene und von Marie-Luise Haase zu Ende geführte „Nachbericht“, der die verschiedenen Textstadien zusammenführt und die Verbindungen zum umgebenden Werk kenntlich macht (Haase/Montinari 1991). Viele der zahlreichen Lesefrüchte, die ungenannt im Werk enthalten sind, werden nachgewiesen. Nietzsches eigene Korrespondenz wird als Kommentar zur Entstehung des Werks genutzt. Dadurch wird der exzessive biographische Gehalt der vier Bücher bestätigt: Nietzsche treibt den größten Aufwand, um sich in der Gestalt des persischen Weisen zu verstecken. Die Wiedergeburt Nietzsches im Geist historisch-kritischer Forschung ist aber nicht allein historisch motiviert. Sie geschieht in der Erwartung, daß sein bislang nur unvollkommen erschlossenes Werk in einzelnen Problembereichen, vor allem aber im Hinblick auf das Selbstverständnis der Philosophie, noch wichtige Impulse freisetzt. Wie kaum einem anderen traut

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Volker Gerhardt man Nietzsche zu, wichtige Dinge gesagt zu haben, die noch nicht ganz verstanden worden sind. Die historische Einkreisung Nietzsches geschieht in dem Bewußtsein einer durch die zeitliche und persönliche Distanz noch immer nicht aufgehobenen Nähe. Nach wie vor ist Zarathustra – als Gestalt und als Buch – das große Rätsel.

1.8 Experimental-Philosophie Die Aktualität Nietzsches ließe sich auf viele Begriffe bringen. Sinnfällig und weitreichend ist jene Formel, die er selbst zur Kennzeichnung seines Denkens gebraucht. Er spricht – worauf vor allem Friedrich Kaulbach aufmerksam gemacht hat (Kaulbach 1980; Gerhardt 1988, 1992) – von seiner „ExperimentalPhilosophie“. Durch Aneignung der treibenden Kraft der Moderne, d. h. durch Selbstanwendung, durch „Einverleibung“ der experimentellen Methoden, möchte er die Entwicklung seines Zeitalters vollenden und überwinden. Der mit der neuzeitlichen Wissenschaft eingeleitete Selbstversuch der menschlichen Gattung soll nunmehr bei vollem Bewußtsein fortgeführt werden. Das aber heißt für Nietzsche: ohne die Illusion bleibender Wahrheiten und allgemeingültiger Werte, ohne Hoffnung auf ein Jenseits, auch ohne Glauben an ein Ziel der Geschichte oder an die Überlegenheit des Menschen. Das Ende der Menschheit, in welcher Form auch immer, ist stets im Horizont der von Nietzsche gedachten Möglichkeiten. Im historischen Selbstversuch der menschlichen Gattung wird kein Zweck außerhalb des Daseins benötigt. Der Sinn liegt im Dasein selbst, jedoch nicht im bloßen Vollzug, sondern in der Steigerung der besten Kräfte, die sich ihrerseits nur im Erkunden der eigenen Möglichkeiten erreichen läßt. Auf diese Weise erscheint alles Leben auf experimentelle Selbstüberwindung angelegt, und der Mensch hat die Chance, durch Bejahung dieses sich an ihm und durch ihn selbst vollziehenden Geschehens sich nicht nur reflexiv zu steigern. In der Bejahung stellt sich überdies die Liebe zum eigenen Schicksal ein – amor fati, die einzige das Leiden nicht verdrängende, nicht in die Utopie ausweichende Form der versuchten Versöhnung des Menschen mit der Natur und mit sich selbst.

Die Erfindung eines Weisen Wer Nietzsches „Experimental-Philosophie“ nicht mit den Erfahrungen des 20. Jahrhunderts in Verbindung bringen kann, wird möglicherweise dem damit angezeigten Selbstversuch des philosophischen Denkens nichts abgewinnen können. Wer Philosophie lediglich als eine Metatheorie zu vorgegebenen Theorien betreibt, der wird sich auch durch den Autor des Zarathustra nicht verunsichern lassen. Sobald aber auch die Bedingungen und Ziele des Philosophierens fragwürdig werden, stellt sich das Verständnis für Nietzsche gleichsam von selber ein.

1.9 Das Experiment mit der Weisheit In der mitunter exzessiven Beschäftigung mit dem Werk Friedrich Nietzsches ist Also sprach Zarathustra vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit geschenkt worden. Natürlich sind die Bezüge zahlreich; der Verweis auf das Buch und seine Gestalt gehört zum Repertoire. Zarathustra ist die Maske Nietzsches; insofern ist sie immer präsent, wenn es um den Autor geht. Aber das Werk hat sich bislang einer genaueren Analyse noch nicht erschlossen. Seine Doppelfunktion zwischen Mythos und Kritik, sein zwiespältiger Charakter als antichristliche Heiligenlegende und als philosophische Illustration der in den Aphorismenbüchern aufblitzenden Gedanken machen die Interpretation sachlich wie persönlich zu einem schwierigen Unterfangen. Es gibt exzellente Einzelstudien und zahlreiche Versuche der Annäherung – aber eben noch keine Deutung, die es mit dem ganzen Werk aufzunehmen vermöchte (Klossowski 1969). Das liegt gewiß nicht nur am Umfang des Buches, und auch nicht nur an dem aufwendigen Versteckspiel, das der Philologe hier ja nicht zuletzt auch deshalb treibt, um seinen Interpreten möglichst lange ein Rätsel zu bleiben. Ein wesentlicher Grund für die Schwierigkeit, Also sprach Zarathustra adäquat zu deuten, dürfte darin liegen, daß hier ein Mensch in sichtlicher Distanz zum Gedanken vorgeführt wird, der gleichwohl nur durch das Denken erfaßt werden kann. Wo aber der Gedanke tatsächlich nicht ausreicht, hilft in dem Fall, um den es Nietzsche geht, kein bloßer Text, so poetisch-prophetisch er auch immer geschrieben sein mag:

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Volker Gerhardt Die vier Bücher des Zarathustra führen einen Weisen vor, mehr noch: einen Menschen, der zu einer neuen Art von Weisheit gelangt sein soll. Es ist klar, daß man das Neue dieser einzigartigen Figur nicht durch ein Argument oder einen Beweisgang vorführen kann. Aber es liegt in der Natur der Sache, daß auch eine bloße Beschreibung, eine fiktive Geschichte mit erdachten Reden und Lehren nicht ausreichen kann, um das historische Novum wirklich überzeugend zu machen. Man müßte schon die Weisheit mitsamt der durch sie bewältigten Wirklichkeit fassen können, um sie auch nur für wahrscheinlich zu halten. Dazu aber reicht es nicht aus, einen Weisen zu erfinden und ihn in lauter erdichtete Lebenslagen zu führen. Er hätte leben und sterben müssen wie Sokrates, um wenigstens die Chance zu haben, als Dokument einer möglichen Wende Epoche zu machen. Die literarische Stärke des Buches, sein poetischprophetischer Charakter, erweist sich so als das entscheidende Hindernis der von Nietzsche gewollten Wirksamkeit. Nietzsche hätte wirklich Zarathustra sein müssen, um auf die Inauguration einer neuen Zeitrechnung wenigstens hoffen zu können. Es kann für die philosophische wie für die philologische Rezeption eines Buches nicht ohne Folgen sein, wenn es seine ihm vom Autor zugedachte Funktion so offensichtlich verfehlt. Gleichwohl bleibt Nietzsches Zarathustra ein bedeutendes Werk, das uns vor allem hilft, die kritische Potenz seines aphoristischen Werks zu erschließen und zugleich etwas von den Zielen zu erfahren, mit denen Nietzsche seine Zeit überwinden will.

Die Erfindung eines Weisen

Literatur Becker, Wilhelm Carl 1908: Der Nietzschekultus. Ein Kapitel aus der Geschichte der Verirrungen des menschlichen Geistes, Leipzig. Bennholdt-Thomsen, Anke 1974: Nietzsches „Also sprach Zarathustra“ als literarisches Phänomen, Frankfurt/M. Dewey, John 1995: Erfahrung und Natur (1925), Frankfurt/M. Fouillée, Alfred 1920: Nietzsche et l’immoralisme, Paris. Gerhardt, Volker 1988: „Experimental-Philosophie“. Versuch einer Rekonstruktion, in: ders., Pathos und Distanz. Studien zur Philosophie Friedrich Nietzsches, Stuttgart, 163–187. Gerhardt, Volker 1992, 31999: Friedrich Nietzsche, München. Gerhardt, Volker 1996: Vom Willen zur Macht. Anthropologie und Metaphysik der Macht am exemplarischen Fall Friedrich Nietzsches, Berlin/New York. Haase, Marie-Luise/Montinari, Mazzino 1991: Nachbericht zu „Also sprach Zarathustra“, in: KGW VI/4. Hillebrand, Bruno (Hrsg.) 1978: Nietzsche und die deutsche Literatur, 2 Bde., Tübingen. James, William 1907: Pragmatism. A New Name for Some Old Ways of Thinking, New York. Kaulbach, Friedrich 1980: Nietzsches Idee einer Experimentalphilosophie, Köln/ Wien. Klossowski, Pierre 1969: Nietzsche et le cercle vicieux, Paris (dt.: Nietzsche und der Circulus vitiosus deus, München 1986). Köster, Peter 1981/82: Nietzsche-Kritik und Nietzsche-Rezeption in der Theologie des 20. Jahrhunderts, in: Nietzsche-Studien 10/11, 615–685. Krummel, Richard Frank 1974/83/98: Nietzsche und der deutsche Geist, 3 Bde., Berlin/New York. Marcuse, Ludwig 1964: Aus den Papieren eines bejahrten Philosophie-Studenten, München. Ottmann, Henning 1987, 21999: Philosophie und Politik bei Nietzsche, Berlin/ New York. Schubert, Dietrich 1981/82: Nietzsche-Konkretionsformen in der bildenden Kunst 1890–1933. Ein Überblick, in: Nietzsche-Studien 10/11, 278–327. Vaihinger, Hans 1911: Die Philosophie des Als Ob. System der theoretischen, praktischen und religiösen Funktionen der Menschheit auf Grund eines idealistischen Positivismus. Mit einem Anhang über Kant und Nietzsche, Berlin.

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Volker Gerhardt

Zarathustras Weg

Beatrix Himmelmann

Zarathustras Weg

Zarathustra ist das alter ego Nietzsches. Obwohl Nietzsche das eine oder andere Detail der Lebensgeschichte des altpersischen Propheten und Reformators Zarathustra aufnimmt – so den Beginn der Lehrtätigkeit im Alter von vierzig Jahren –, ist sein Zarathustra doch durch und durch eine Kunstfigur. Sie ist die Maske, durch die Nietzsche von seiner Philosophie im Stile der Verkündigung spricht. Und insbesondere ist es der mit der Aura des Geheimnisträchtigen versehene Gedanke der ewigen Wiederkehr des Gleichen, den Nietzsche Zarathustra anvertraut. Zarathustra und sein abgründigster Gedanke wurden von Nietzsche lange verborgen gehalten: In seinen unveröffentlichten Texten sind sie schon präsent,1 bevor er sie in den beiden Schlußaphorismen des vierten Buchs der Fröhlichen Wissenschaft erstmals preisgibt. Im folgenden nun soll der Weg, den Nietzsche seinen Zarathustra gehen läßt, im ganzen nachgezeichnet werden. Es stehen also nicht einzelne Motive und Themen der Zarathustra-Dichtung im Blickpunkt, sondern es ist eine Gesamtansicht der den Text durchlaufenden Bewegung, die gegeben werden soll. Sie bildet den Rahmen für die Reden und Lehrvorträge Zarathustras, die den Text dominieren und ihm sein charakteristisches Gepräge verleihen. Es wird sich zeigen, daß diese Bewegung vor 1 Vgl. N 1870/71, 5/54; 7, 106; N 1881, 11/141 ff., 11/195, 12/79, 12/112, 12/128, 12/131, 12/136, 12/157, 12/225, 15/50, 15/52; 9, 494 ff., 519, 590, 596, 598 f., 603, 616, 651 f.

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Beatrix Himmelmann allem eine des Auf- und Niedersteigens ist. Zarathustras Rückzug in die halkyonische Sphäre einer in jedem Sinn erhöhten Existenz korrespondiert die herabsteigende Zuwendung zur Welt der Menschen, die oft ärgerlich, entmutigend und höchst unvollkommen wirkt, doch auch Anlaß zu größten Hoffnungen und Zukunftsvisionen bietet. In der Spannung dieser beiden gegenläufig zueinander sich verhaltenden Impulse verläuft Zarathustras Weg, der nachfolgend in seinen Stationen dargestellt wird.

2.1 Erster Teil Im Gebirge Mit dreißig Jahren, so erfahren wir als erstes, verläßt Zarathustra seine Heimat und steigt hinauf in das Hochgebirge. Er führt dort ein Leben in vollständiger Einsamkeit und Isolierung. Nur zwei Tiere, Schlange und Adler, sind bei ihm. Sie sind, wie sich im Verlauf der Geschichte Zarathustras erweisen wird, seine Berater und Helfer und die einzig verläßlichen Freunde. Symbolisch stehen sie auch für das Höchste und Tiefste des an die Erde gebundenen Lebens: Der Adler ist das Tier, das sich am höchsten hinaufschwingt und der Sonne am nächsten sich aufhält, und die Schlange das Tier, das mit seinem Leib gleichsam an der Erde haftet und in ihren Klüften und Spalten verschwindet. Zarathustra leidet nicht unter seinem Alleinsein, sondern er genießt es. Zehn Jahre lang bleibt er im Gebirge, dann bricht er auf und geht fort, weil er eine Verwandlung an sich selber erlebt: Er möchte den Reichtum an Einsicht, den er im Lichte seiner über die Menschen erhobenen Existenz gewonnen zu haben glaubt, an sie weitergeben. Er fühlt sich dabei der Sonne verwandt, vor die er eines Morgens hintritt und die er anspricht. Wie die Sonne als das strahlende und majestätische Gestirn gleichwohl armselig wäre ohne diejenigen, denen sie leuchtet, so braucht Zarathustra solche, an die er sich mit seiner Einsicht wenden und verschenken kann. Der Anderen bedürftig ist er nicht aus Mangel, sondern aus Fülle und Überfluß. So entschließt sich Zarathustra hinabzusteigen, und es beginnt sein erster Untergang.

Zarathustras Weg Abstieg und Aufenthalt in der Stadt am Rande der Wälder Lange wandert Zarathustra einsam, dann trifft er in den Wäldern einen alten Mann. Der lebt dort als Einsiedler und Heiliger. Er wendet sich an Zarathustra, weil er ihn wiedererkennt. Bereits als Zarathustra ins Gebirge hinaufstieg, waren beide einander begegnet. Der Greis entdeckt an Zarathustra Veränderungen: mit der Leichtigkeit eines Tänzers und eines Kindes bewege er sich nunmehr. Warum er aus der Höhe seiner Einsamkeit hinuntersteige in die Tiefe einer erdenschweren Existenz, will er von Zarathustra wissen. Zarathustra antwortet, er liebe die Menschen, denen er seine Lehren als Geschenke bringen wolle. Der Einsiedler warnt Zarathustra vor den Menschen, die seine Gaben nicht zu schätzen wüßten, und empfiehlt statt dessen, allein Gott zu lieben. Zarathustra verabschiedet sich von dem alten Mann, dem er nichts zu geben vermag, und wundert sich, daß der Greis noch nichts vom Tode Gottes gehört hat. Zarathustra kommt in eine Stadt, die am Rande der Wälder liegt. Auf dem Marktplatz haben sich zahlreiche Menschen versammelt, die auf einen Seiltänzer warten. Zarathustra wendet sich an sie und spricht zu ihnen vom Übermenschen. Der Übermensch sei der „Sinn der Erde“ (14). Er beschwört seine Zuhörer, der Erde treu zu bleiben und Hoffnungen, die diese Erde transzendieren, aufzugeben. Gott sei gestorben. Der Mensch müsse nun selbst über sich hinauswachsen; dazu sei die gründliche Verachtung jener lauen Behaglichkeit nötig, die unter den Titeln Glück, Vernunft, Tugend das durchschnittliche Menschenleben bestimme. Der „Wahnsinn“ des Übermenschen, der wie ein „Blitz“ einschlage, habe an ihre Stelle zu treten (16). Die Leute reagieren auf Zarathustras Ansprache mit Lachen und Unverständnis. Sie glauben, daß Zarathustra vom Seiltänzer gesprochen hat, den sie endlich zu sehen begehren. Dieser zeigt sich daraufhin auch und beginnt mit seiner Vorführung. Zarathustra ist verwundert, fährt dann aber fort, zu reden. Er bedient sich nun einer Metaphorik, die auf das artistische Spektakel Bezug nimmt: Der Mensch müsse als ein Seil über einem Abgrund begriffen werden, das zwischen Tier und Übermensch geknüpft sei. In diesem Sinne sei der Mensch eine Brücke, ein Übergang zu einem Zukünftigen. Wieder lachen die Menschen über Zarathustra. Er erscheint ihnen als Narr.

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Beatrix Himmelmann Doch noch einmal richtet Zarathustra sich an sie; er versucht jetzt an ihren Stolz zu appellieren. Denn er stellt ihnen nun nicht mehr das vor Augen, auf das hin zu leben sei – den Übermenschen –, sondern er hält ihnen den Spiegel vor. Er spricht vom letzten Menschen, in dem sie sich selbst erkennen sollen. Zarathustra zeichnet ihn als Menschen eines beklagenswerten Mittelmaßes. Seine auf Einpassung in eine Herde von Gleichen bedachte Existenz scheut vor allem die Ausbildung von Profil und Individualität. Der dazu erforderlichen Phantasie und des Mutes ist der letzte Mensch nicht fähig. Die bloße Bequemlichkeit, in der er sein Leben eingerichtet hat, hält er schon für das Glück. Die erste Rede Zarathustras, die Vorrede (20), endet an dieser Stelle. Das Lärmen der Menge, die Zarathustra völlig mißverstanden hat und den letzten Menschen bejubelt, beendet sie. Zarathustra nimmt Gelächter und auch Haß, der ihm in diesen Reaktionen mitzuschwingen scheint, mit Traurigkeit auf. Im selben Augenblick ereignet sich ein Unglück. Der Seiltänzer, der das zwischen zwei Türme gespannte Seil bereits zur Hälfte überquert hat, wird plötzlich von einem aus der Turmtür herausgetretenen Possenreißer verfolgt. Dieser beschimpft ihn als „Lahmfuss“ und „Faulthier“ (21) und springt schließlich mit wildem Geschrei über ihn hinweg. Der Seiltänzer verliert das Gleichgewicht und stürzt. Neben Zarathustra schlägt er auf. Bevor er stirbt, spricht er mit Zarathustra: Er habe gewußt, daß der Teufel ihm ein Bein stellen und ihn zur Hölle schleppen werde. Zarathustra entgegnet, er habe nichts zu fürchten, denn es gebe weder Teufel noch Hölle. Den Gedanken des Seiltänzers, in diesem Fall verliere er mit seinem Leben, das ohnehin nur das eines dressierten tanzenden Tieres gewesen sei, nichts, weist Zarathustra mit Entschiedenheit zurück: Sein Leben sei mitnichten wertlos; er habe es der Gefahr gewidmet und sei schließlich an der Gefahr zugrunde gegangen. Aus Wertschätzung für dieses Leben wolle er den Seiltänzer begraben. Der Sterbende sagt nun nichts mehr, bewegt aber die Hand wie zum Dank. Zarathustra bleibt neben dem Toten sitzen, der Abend ist gekommen, und die Menschenmenge hat sich zerstreut. Zarathustra denkt über den Erfolg seiner Reden nach. Er gesteht sich ein, daß er bisher keinen Menschen mit seinen Ideen

Zarathustras Weg berührt hat – außer einen einzigen, der nun als Leichnam neben ihm liegt. Er lädt den toten Seiltänzer auf seinen Rücken, um ihn zu begraben, und entfernt sich vom Marktplatz.

Auszug aus der Stadt am Rande der Wälder und neuer Aufbruch Zarathustra ist in der Dunkelheit unterwegs, als sich jemand an ihn heranschleicht, in dem er den Possenreißer erkennt. Der Possenreißer flüstert ihm Warnungen und Drohungen zu. Von den Menschen in der Stadt werde Zarathustra gehaßt, und er müsse sie schnellstmöglich verlassen. Bisher hätten die Menschen nur gelacht und Zarathustra für einen Narren gehalten, aber Todesgefahr bestehe, wenn er nicht verschwinde. Zarathustra geht weiter und trifft am Tor der Stadt auf Totengräber, die ihn verspotten. Zarathustra erwidert nichts und setzt seinen Weg, der ihn aus der Stadt herausführt, fort. Schließlich gelangt er zum einsam gelegenen Haus eines alten Mannes. Er klopft an, weil er Hunger hat. Der alte Mann, obwohl mürrisch und sonderbar, bietet zu essen und zu trinken an – befremdlicherweise richtet er sein Angebot auch an den toten Seiltänzer, den Zarathustra trägt. Zarathustra bricht noch in der Nacht wieder auf. Im Morgengrauen legt er den Toten in einen hohlen Baum, um ihn vor den Wölfen zu schützen. Er selbst legt sich nieder und schläft einen tiefen Schlaf. Am Mittag wacht er auf und hat einen Gedanken, den er als Erleuchtung empfindet: Mit seiner Lehre dürfe er sich nicht mehr einfach an die Menge wenden und darauf vertrauen, daß eine solche Herde der Mittelmäßigen ihm zu folgen vermöge. Folgen müßten ihm vielmehr „Gefährten“, die zur Gefolgschaft bereit seien, damit sie sich selber folgen könnten. Und lebendige Gefährten brauche er, nicht tote wie den mitgeführten Leichnam des Seiltänzers. Gleichwohl gilt ihm dieser als sein „erster Gefährte“. Er läßt ihn in seinem Grab im hohlen Baum zurück. Als die Sonne am höchsten steht, hört Zarathustra den Ruf eines Vogels. Er sieht einen Adler über sich kreisen, an dessen Hals eine Schlange hängt. Anders als in einer entsprechenden Szene in Homers Ilias (XII, 200 ff.) ist die Schlange nicht Beute, sondern Freundin des Adlers. Und beide, der schon dem mäch-

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Beatrix Himmelmann tigen Zeus als Bote und Helfer dienende göttliche Vogel ebenso wie die sprichwörtlich kluge Schlange, sind für Zarathustra Künder eines vielversprechenden Aufbruchs. Er erkennt und begrüßt in ihnen „seine Tiere“, die schon im Gebirge bei ihm waren und die er jetzt bittet, ihn zu führen und zu geleiten.

Zarathustra als Lehrer in der Stadt „die bunte Kuh“ Zarathustra ist inzwischen in der Stadt „die bunte Kuh“2 eingetroffen, wo er sich als Redner und Lehrer aufhält. Gefährten, die er als „Brüder“ anredet und seine „Jünger“ nennt, sind um ihn versammelt. Zarathustra spricht zu ihnen in einer ersten ausdrücklich so genannten Rede von den „drei Verwandlungen“ des Geistes (29). Der Geist ist zunächst wie ein Kamel: Beladen mit Pflichten und Vorschriften gewinnt er Schwere und Stärke. „Du sollst“ heißt seine Losung, die ihm einen Stand und eine Richtung gibt. Auf einer zweiten Stufe hat der Geist vom Kamel zum Löwen sich zu verwandeln: Er will nunmehr frei sein und sein eigener Herr. Dazu muß er die überkommenen und übernommenen Werte in Frage stellen und abschütteln. „Ich will“ ist die Losung des Geistes als Löwe und „ein heiliges Nein“ (30) allen bereits etablierten Werten und Tugenden gegenüber. Die dritte Stufe erfordert eine Verwandlung des Löwen zur Unschuld des Kindes. Der Geist kann und will auf Werte und Zwecke nicht verzichten, die Phase des Löwen muß überwunden werden. Doch eine Rückkehr zur Stufe des mit unzähligen überlieferten Traditionen beladenen Kamels ist ausgeschlossen. Also hat der Geist in Unschuld von selbst und neu anzufangen: Sich selbst und dem, was sein eigener Wille ihm aufgibt, fühlt er sich nun verpflichtet. „Ein heiliges Ja-sagen“ (31) zu sich selbst ist die Losung des Geistes als Kind. Nach diesem Plädoyer für Selbstverantwortung, Selbstüberwindung und Selbstgesetzgebung, das sich auch in weiteren seiner Reden findet, erlebt der Leser Zarathustra als Hörer eines berühmten Weisen. Der Weise zieht die jungen Leute in 2 „Die bunte Kuh“ ist eine wörtliche Übersetzung des Namens der Stadt Kammasuddamam, die Buddha im Verlaufe seiner Wanderungen besuchte. Vgl. Kommentar zu Also sprach Zarathustra; KGW VI/4, 868.

Zarathustras Weg seinen Bann. Er lehrt über den Zusammenhang von Tugend und Schlaf: Traumloser, unbelasteter Schlaf gilt ihm als Sinn und Ziel des Lebens und nichts darüber hinaus. Vier Grundtugenden sind tagsüber zu befolgen, um ihn zu ermöglichen: Selbstüberwindung, Selbstversöhnung, Wahrheitsfindung, Lachen. Zarathustra ist belustigt über die Gedanken des Weisen, die stellenweise wie eine Parodie seiner eigenen Lehre klingen. Er würdigt allerdings, daß der Weise seine Theorie auch lebt: Gegen Ende seines Vortrags droht er nämlich einzuschlafen. Zarathustra hält nun eine Reihe von Reden in der Stadt „die bunte Kuh“. Diejenige über „die Hinterweltler“ enthält unter anderem einen kritischen Rückblick auf den eigenen intellektuellen Werdegang. Denn auch Zarathustra war nicht von Anfang an überzeugt vom „Sinn der Erde“ (38). Wie viele hing er der Idee einer Wahrheit an, die jenseits des Menschen anzusiedeln ist. Er entwarf eine Welt hinter den Dingen und pries sie als die wahre Welt, als das „Sein“. Jedoch ist es allein das Ich des Menschen, dem redlicherweise die Rolle solchen „Seins“ zukommt und das Maß und Wert der Dinge bestimmt. Und es richtet sich dieses wertende und Maß gebende Ich auf Leib und Erde; nur auf sie bezogen und mit ihnen verbunden existiert es. Deshalb ist am Leib nichts geringzuschätzen, wie Zarathustra in einer weiteren Rede den „Verächtern des Leibes“ (39) vorhält. Der Leib ist eine „grosse Vernunft“ (ebd.): eine Vielheit von Kräften und Vollzügen, die jedoch aus einem Sinne lebt. Und diese Vielheit, die der eine Sinn durchpulst, der Leib, ist das Selbst des Menschen. Es liegt noch „hinter“ Ich und Geist. Aus seinen jeweiligen „Freuden- und Leidenschaften“, über die Zarathustra im Anschluß spricht, hat es seine eigene Tugend zu modellieren. Sie ist Inbegriff des individuellen Wegs, den das je unterschiedlich disponierte Selbst sich zu bahnen und dem es dann zu folgen hat. Er wird nicht ohne Kampf und Krieg mit sich selbst zu finden sein. Dieser Krieg ist Antrieb jener Selbstüberwindung, die über den Menschen hinaus auf den Übermenschen weist. Wenn Zarathustra die Individualität des Menschen heraushebt und gegen die stumpfe Herdenexistenz abhebt, so bestimmt dieser Leitgedanke seiner Reden auch sein Selbstverständnis als Lehrer. Er sei ein „Geländer am Strome“ für seine Schüler, deren „Krücke“ aber sei er nicht (47). Denn selbst zu

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Beatrix Himmelmann gehen, sollen sie befähigt werden. Dies zeigt sich exemplarisch im Abschnitt Vom Baum am Berge, der die Begegnung Zarathustras mit einem seiner Schüler schildert.

Am Baum auf dem Berg Zarathustra trifft seinen Schüler bei einem abendlichen Spaziergang in den Bergen nahe der Stadt „die bunte Kuh“. Dieser Schüler war Zarathustra bereits aufgefallen, weil er sich ihm zu entziehen schien. Nun sieht er ihn, wie er an einen Baum gelehnt dasitzt und müde in das Tal schaut. Der junge Mann reagiert betroffen auf Zarathustras Erscheinen, denn er hat soeben an ihn gedacht. Zarathustra gibt in Gleichnisreden zu verstehen, daß er um den Zustand seines Schülers weiß: Er ist mit sich nicht im reinen, sondern hin- und hergerissen von seinen Wünschen und Leidenschaften. Obwohl er wie der Baum nach Wachstum ins Höhere und Lichte strebt, sieht er sich doch auch zum Tiefsten, ja zum Bösen hingezogen. Schließlich gesteht der junge Mann, es sei der Neid auf seinen Lehrer Zarathustra, der ihn zu zerstören drohe. Zarathustra hatte in der dieser Episode vorausgehenden Rede vom „Geist der Schwere“ (49) gesprochen, der das Leben in die Tiefe ziehe und der deshalb überwunden werden müsse. Gepriesen hatte er dort die Leichtigkeit des Daseins und von sich selbst gesagt, er fühle sich so leicht, daß er fliege und daß ein Gott durch ihn tanze (50). Vom Schwebenden und Mühelosen eines solchen Zustands weit entfernt, empfindet der Schüler die Last und Anstrengung der Arbeit an sich selbst doppelt schwer. Zarathustra legt den Arm um ihn und ermutigt ihn, weiter nach seiner Freiheit zu suchen, die nicht Zarathustras Freiheit ist. Und er ermuntert den jungen Mann, an seiner Hoffnung und seiner Liebe festzuhalten und nicht den Weg der schnellen und kurzen, über den Tag nicht hinausweisenden Lüste zu wählen.

Reden in der Stadt „die bunte Kuh“ Neben Selbstformung und Selbstüberwindung sind Einsamkeit, Freundschaft und Liebe weitere zentrale Themen, über die

Zarathustras Weg Zarathustra in der Stadt „die bunte Kuh“ vorträgt. Die Einsamkeit, so meint Zarathustra, ist unerläßlich, um den Weg zu sich selbst finden und auch an ihm festhalten zu können. Auszuweichen ist darum „den Fliegen des Marktes“ (65). Sie sind die Parasiten, die sich vom Reichtum des Produktiven nähren wollen: die bloßen Schauspieler des Geistes, die mit den gierig angeeigneten und nicht selbst erworbenen Früchten des Schaffenden posieren. Vor ihrer Zudringlichkeit gilt es ebenso zu fliehen wie vor der Gehässigkeit der Herde. Die Einsamkeit ist nötig, um sich selbst zu bewahren. Nur ist auch der Einsame der Freundschaft bedürftig: Er bedarf eines Widerparts. In diesem Sinne sagt Zarathustra, im Freunde solle man seinen besten Feind haben (71). Selbst die abgründige und auf Vernichtung zielende Feindschaft begreift Zarathustra im übrigen nicht als zerstörende Kraft, wenn sie auf einen Willen trifft, der sie in ein Produktives zu verwandeln weiß (87 f.). Der Freund als der beste Feind ist derjenige, mit dem schöpferische Auseinandersetzung möglich ist, eine Auseinandersetzung, die zum Wachstum und zur Steigerung der eigenen Persönlichkeit führt. Gerade daß der Freund vom Freund nicht verlangt, zu ihm „überzutreten“ (71), macht ihn für Zarathustra wertvoll. Dagegen hält er die Liebe im allgemeinen für vereinnahmend, blind und ungerecht. Sie sieht nur das Geliebte und ist gegen alles andere gleichgültig. Als ihre in den meisten Fällen zu veranschlagenden, jedoch mehr oder minder verborgenen Motive nennt Zarathustra die „Nothdurft“ des Tiers im Menschen, die Vereinsamung, den Unfrieden mit sich selbst (90). Nicht der Austausch zweier sich selbst genügender, aber nach Steigerung verlangender Individuen, wie er in der Freundschaft gegeben sei, trage die Liebe. Dies gilt nach Zarathustra für alle ihre Formen: für die Nächstenliebe wie für die Geschlechtsliebe. Immer gehe es darum, entweder als Selbst im Anderen untergehen oder aber den Anderen als tyrannisches Ich sich einverleiben zu wollen. Doch entwirft Zarathustra in seiner Rede Von Kind und Ehe auch die Vision einer Liebe zwischen Mann und Frau, die sich „hinaufpflanze“ und über sich „hinausbaue“ (90). Damit trägt sie Züge der Freundschaft und geht noch über sie hinaus, weil die Steigerung zweier Einzelner in ihr leiblich wird. Frauen hält Zarathustra tendenziell für freundschaftsunfähig: Sie verstehen

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Beatrix Himmelmann sich in seinen Augen allein auf die mit sklavischen ebenso wie tyrannischen Elementen durchsetzte Liebe (72 f.).

Der Abschied von der Stadt „die bunte Kuh“ Zarathustra verläßt nun die Stadt „die bunte Kuh“, obwohl sein Herz an ihr hängt. Er will wieder allein sein, auch damit seine Schüler fortan die Selbständigkeit, das Für-sich-Gehen erproben. Die Schüler begleiten ihn ein Stück weit und schenken ihm zum Abschied einen Stab mit einem goldenen Griff, der eine um die Sonne sich ringelnde Schlange zeigt. Zarathustra stützt sich auf diesen Stab und hält seine vorerst letzte Rede Von der schenkenden Tugend. Er fordert seine Schüler auf, mit der gewonnenen Einsicht und Erkenntnis nicht an sich zu halten, sondern sie ab- und weiterzugeben. In der Sonne, die nicht für sich, sondern für andere leuchtet, sieht er – wie schon einmal im Gebirge – diese „schenkende Tugend“ symbolisiert und in der Schlange die Erkenntnis. Zarathustra deutet so die symbolischen Anspielungen, die seine Gefährten mit ihrem Geschenk verbunden hatten. Den „Sinn der Erde“ legt er seinen Schülern nochmals als den höchsten Wert ans Herz. Die Hoffnung auf den Übermenschen ist unlösbar an ihn geknüpft. Zarathustras Stimme verwandelt sich bei diesen Bitten und Ermahnungen. Und ein zweites Mal verwandelt sie sich, als er seine Schüler zuletzt auffordert, sich von ihrem Lehrer Zarathustra zu befreien, ja ihn zu verleugnen. Selbst und für sich sollen sie nun weitergehen und somit die Selbstüberwindung und Autonomie auch leben, die er sie gelehrt hat. Mit der Aussicht auf seine Wiederkehr nach Ablauf dieser Reifungsstufe, der ein erneuter Rückzug in die Einsamkeit folgen soll und eine abermalige Wiederkehr, verabschiedet Zarathustra sich. Er schließt mit der Vision der Feier des großen Mittags: des Scheitel- und Wendepunkts auf dem Weg des Menschen vom Tier zum Übermenschen, in dem die Hoffnung auf dessen Ankunft sich erfüllen soll.

Zarathustras Weg

2.2 Zweiter Teil Zweiter Aufenthalt im Gebirge und erneuter Abstieg Zarathustra führt nun wieder ein einsames Leben im Gebirge. Nur seine Tiere, Schlange und Adler, sind bei ihm. Vor den Menschen hat er sich in seine Höhle zurückgezogen. Über Jahre hält er sich dort auf, obwohl er schon bald ungeduldig ist, wieder zu lehren. Aber er will das, was er seinen Anhängern in der Stadt „die bunte Kuh“ nahegebracht hat, gedeihen und wachsen lassen. Endlich gibt ein Traum das Zeichen zum Aufbruch: Zarathustra träumt von einem Kind, das ihm einen Spiegel vorhält. Er blickt hinein und ist entsetzt, denn er sieht das höhnische Gesicht eines Teufels. Der Traum sagt ihm, daß seine Lehre entstellt ist und daß er seine Schüler verloren hat. Zarathustra ist glücklich, das Gebirge nun verlassen und seine Schüler, denen er selbst zur Verleugnung ihres Lehrers geraten hatte und die er nun „Freunde“ nennt, suchen und aufsuchen zu können. Zu seinen Tieren spricht er in einer metaphorisch aufgeladenen, immer neue Bilder und Gleichnisse bemühenden Sprache von seiner überbordenden Freude. Zarathustra fühlt sich von einer „wilden Weisheit“ erfüllt (107) und zeigt sich damit als ein neuer „rasender Sokrates“ (vgl. GT 14; 1, 93)3.

Auf den „glückseligen Inseln“ In einem Wechsel des Schauplatzes erlebt der Leser Zarathustra im folgenden auf den „glückseligen Inseln“. Von Namen und Szenario her erinnern sie an die Insulas Beatorum oder Nêsous markárôn, wie sie die antiken Schriftsteller gerühmt und beschworen hatten. Die Freunde Zarathustras sind um ihn, und er wendet sich an sie. Wo das Paradies nahe ist, liegt die Rede über Gott nicht fern: Zarathustra spricht von Gott als einer Vorstellung, die dem, an das der Mensch selbst schaffend und sich abarbeitend heranreicht, schlechthin entzogen und entgegen-

3 Zur kynischen Rede vom „rasenden Sokrates“ vgl. Diogenes Laertius VI, 54.

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Beatrix Himmelmann gesetzt ist. Deshalb gelte es, sich nicht an Gott, sondern am Übermenschen als dem „Sinn der Erde“ zu orientieren. Die Sinne des Menschen selbst müßten „zu Ende“ gedacht werden (110), und auf dieses Ziel und diese Hoffnung hin sei zu leben. Nicht die Ewigkeit, Unvergänglichkeit, Unbeschreiblichkeit Gottes, sondern Zeit und Werden, Vergänglichkeit und Sinnlichkeit als Bedingungen menschlicher Schaffens- und Schöpferkraft sind für Zarathustra Maß der Dinge. Zarathustra formuliert seine Lehre in ausdrücklicher Umkehrung der Schlußverse von Goethes Faust. Der Mensch hat sich selbst gleichsam auszufalten und nicht auf ein Transzendentes hin zu übersteigen: Im Wollen und Schaffen und Umschaffen auf ein Zukünftiges aller menschlichen Möglichkeiten hin liegt die Erlösung. Des weiteren hält Zarathustra Reden über verschiedene Lebenshaltungen, die dem Ideal des Übermenschen entgegenstehen. Er spricht „von den Mitleidigen“, denen die Scham vor dem Leid der Anderen fehlt. Er spricht „von den Priestern“, die unter ihrem Gott leidend an ihrem Leben Schaden nehmen: abhold der Schönheit, rachsüchtig aus Demut und süchtig nach dem, was wehe tut. Er spricht „von den Tugendhaften“, denen es um den Lohn einer Tugend geht, die nur aus abgegriffenen Etiketten besteht und nicht Ausdruck des Selbst in einer Handlung ist. Er spricht „von den Taranteln“, die als Prediger der Gleichheit alle diejenigen mit ihrer Rache verfolgen, die ihre eigenen, individuellen Wege einschlagen und so zur Steigerung menschlichen Lebens beitragen. Er spricht „von den berühmten Weisen“, die sich als willfährige Gehilfen dem Zeitgeist dienstbar machen. Sie sind die Gegenfiguren der freien Geister und der Wahrhaftigen, denen die Leidenschaft der Erkenntnis Antrieb ist.

Zarathustras Anfechtungen Danach spricht Zarathustra nicht mehr, sondern er singt. Er wendet sich auch nicht an Andere, sondern es ist ein Selbstgespräch, das er führt und das lyrische Züge trägt: Er singt „das Nachtlied“. Es artikuliert Zarathustras Klage über die Einsamkeit, die Preis seiner Existenz als Künder einer neuen und umstürzenden Lehre ist. Zum ersten Mal spricht aus Zarathustra

Zarathustras Weg eine abgrundtiefe Verlassenheit und Qual, wie sie die Tugend des Schenkens: die Selbstpreisgabe aus Fülle und Überfluß, das Leuchten für Andere hat entstehen lassen. Auch Zarathustra begehrt nun zu nehmen und geliebt zu werden, möchte dunkel sein und andere Sonnen für sich scheinen lassen. Noch zwei weitere Episoden des Haders und des Zwistes durchlebt Zarathustra. Abends, mit den Freunden unterwegs, singt er für Mädchen, die im Tanz mit Cupido vorgestellt werden, ein „Tanzlied“. Zarathustra kündigt es als Spottlied auf den „Geist der Schwere“ an (140), gegen den er schon in der Stadt „die bunte Kuh“ gesprochen hatte. Er singt dann ein Lied nicht über die Leichtigkeit des Daseins, sondern über die Unergründlichkeit, Bosheit und Falschheit des Lebens. Als die Mädchen gegangen sind, richtet Zarathustra Worte tiefen Zweifels an die Freunde: warum, wofür, wodurch und wohin er lebe, und ob es nicht töricht sei, noch am Leben zu sein? Sofort aber entschuldigt er sich für seine Traurigkeit. Wieder ohne Zuhörer stimmt Zarathustra ein drittes Klagelied an. In einem „Grabgesang“ gedenkt er seiner liebsten Augenblicke, in denen er ganz aufzugehen schien und die ihm trotz der Vergänglichkeit ihrer sinnlichen Präsenz doch als erinnerte immer zu bleiben versprachen. Dieses Liebste und Eigenste aber stirbt ihm ab, weil es sich als untreu, falsch und trügerisch erweist. Zarathustras Fähigkeit zur Selbstüberwindung, zum Neuleben und Neuanfang im Angesicht des Verlusts, ist auf die Probe gestellt. Zarathustra gibt seiner großen Verwundbarkeit und tiefen Verletzlichkeit Ausdruck, die der von ihm stets vertretenen Zuversicht auf die Möglichkeiten der Selbstüberwindung Hohn zu sprechen scheinen. Doch schließt sein Klagegesang mit einem Bekenntnis zum Willen als dem einen Festen, Beharrlichen, Unzerstörbaren.

Reden auf den „glückseligen Inseln“ An dieses tröstliche Moment in der Trauer, die Beständigkeit des Willens, knüpft Zarathustras erste Lehrrede nach den Episoden der Anfechtung an. Sie spricht „von der Selbst-Ueberwindung“ (146–149). Der Wille wird nun näher bestimmt als ein Wille zur Macht. Er trägt das Leben in allen seinen Äußerun-

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Beatrix Himmelmann gen. Die Struktur des Willens zur Macht bildet ein Wechselspiel von Befehl und Gehorsam: Es sorgt für die Dynamik, die alles Lebendige in Bewegung hält und vorantreibt. Dies gilt für die Perspektive des lebendigen Individuums auf sich selbst – hier sind die ineinander greifenden Vollzüge des Befehlens und Gehorchens als Selbstgesetzgebung anzusprechen – und dann auch intersubjektiv für das Verhältnis eines Willens zur Macht zu einem anderen Willen zur Macht. Niemals befindet sich das Leben in einer Lage des Stillstands, sondern es ist Inbegriff permanenter Selbstüberwindung. In weiteren Reden hebt Zarathustra sein Selbstverständnis als „freier Geist“, der sich allein der leidenschaftlichen Erkenntnis verpflichtet weiß, von verschiedenen Gegenbildern ab. Zarathustra unterscheidet sich von „den Erhabenen“, die feierlich und finster Jagd auf die Erkenntnis machen und deren Häßlichkeit Zarathustra abstößt. Er unterscheidet sich von „den Gebildeten“, die ein Flickenkleid aus zusammengewürfelten Bildungsfetzen tragen, das ihren dürren Körper doch nur unzureichend bedeckt. Zarathustra bekennt in ironischer Abwandlung des berühmten Achill-Wortes (Odyssee XI, 489–491), lieber als Tagelöhner bei den Schattenwesen der Unterwelt sein zu wollen als in Gesellschaft der Gebildeten-Skelette: denn voller und fülliger seien jene (154). Zarathustra unterscheidet sich von den „Rein-Erkennenden“ (156), die leugnen wollen, daß alle Erkenntnis in irdischen Bestrebungen wurzelt: Auch die Erkenntnis ist Ausdruck des Willens zur Macht. Im Blick auf das Schaffen-Wollen und Zeugen-Wollen hat sie ihren Sinn. Das Glück der Erkenntnis besteht nicht im enthaltsam sich gebenden willenlosen Anschauen der Dinge. Zarathustra unterscheidet sich von „den Gelehrten“, die Uhrwerken und Mühlwerken gleich ihren monotonen Dienst verrichten und nur noch den Schafen als wahrhaft Gelehrte gelten können. Auch von „den Dichtern“ distanziert sich Zarathustra, obwohl er zu ihnen in einem zwiespältigen Verhältnis steht. Denn er zählt sich selbst zu den Dichtern und behauptet doch zugleich, ihrer überdrüssig zu sein (163–165). Wie bereits in seiner ersten Rede nach der Rückkehr aus dem Gebirge sind es die Schlußverse von Goethes Faust, an denen Zarathustras Kritik sich entzündet und in Ironie und Spott sich entlädt. Daß Vergängliches und Unvergängliches, Beschreibliches und Unbeschreib-

Zarathustras Weg liches aufeinander verweisen sollen, hält Zarathustra für „Dichter-Gleichniss“ und „Dichter-Erschleichniss“ (164).4 Zarathustra verwirft die Wünsche nach Versöhnung dessen, was er für miteinander unversöhnlich hält: Es ergebe sich nur eine unreinliche Mischung.

Die Vulkaninsel Einmal entfernt sich Zarathustra für fünf Tage von seinen Freunden, und niemand weiß, wo er sich befindet. Sein Schatten wird unterdes auf einer nahe den glückseligen Inseln gelegenen und von einem Vulkan beherrschten Insel gesehen: Zarathustras Schatten fliegt auf den rauchenden Vulkan zu, und man hört eine Stimme sagen, daß es Zeit werde, sogar höchste Zeit. Durch den Vulkan, so heißt es, gibt es einen Weg in die Unterwelt. Man munkelt, der Teufel habe Zarathustra geholt. Nach seiner Rückkehr zu den Freunden berichtet Zarathustra von seinem Gespräch mit einem „Feuerhund“ (168), der im Namen der Freiheit für Umstürze sorgt, für den Fall von Städten und Bildsäulen. Zarathustra hat im Verlauf der Unterredung den Eindruck gewonnen, daß der Feuerhund wie das Staatstier, der Leviathan, einen Höllenlärm um nichts veranstaltet. Leise werde die Welt bewegt. Zarathustras Anhänger hören kaum zu, die Geschichte der Erscheinung von Zarathustras Schatten bewegt sie. Zarathustra reagiert verwundert auf die Geschichte und rätselt vor allem über die Bedeutung der geheimnisvollen Stimme.

Eine erneute Anfechtung Zarathustras Auch weiterhin zeigt sich Zarathustras Verwundbarkeit. Die Rede eines Wahrsagers, alles sei leer, gleichgültig, vergänglich: das Leben vergeblich und ohne Gewinn, geht ihm zu Herzen. Dabei hatte er einst in der Stadt „die bunte Kuh“ mit Verach-

4 Vgl. auch das Gedicht An Goethe aus den Liedern des Prinzen Vogelfrei; KSA 3, 639.

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Beatrix Himmelmann tung von solchen „Predigern des Todes“ gesprochen (55). Zarathustra versinkt in große Traurigkeit, ißt und trinkt drei Tage lang nicht und vermag nicht mehr zu sprechen. Schließlich fällt er in einen tiefen Schlaf. Seine Schüler sind besorgt um ihn. Als er wieder aufwacht, erzählt er ihnen mit einer Stimme wie aus weiter Ferne einen Traum: Nacht- und Grabwächter auf der Burg des Todes sei er im Traum gewesen, nachdem er dem Leben entsagt habe. Särge habe er dort in beklemmender Stille zu hüten gehabt. Nur ein knarrendes Tor, zu dem er rostige Schlüssel besessen habe, sei schrecklich anzuhören gewesen. An dieses Tor habe es plötzlich dreimal donnergleich geschlagen, es habe sich nicht öffnen lassen. Schließlich habe ein tosender Wind es aufgerissen und Zarathustra einen Sarg entgegengeschleudert, der durch den Druck zerborsten sei: Ein Hohngelächter unzähliger Fratzen von Kindern, Engeln, Eulen und Narren habe sich entladen und ihn furchtbar erschreckt. Zarathustras liebster Schüler deutet den Traum: Zarathustra selbst ist der Wind, der die Tore des Todes aufreißt, und er ist auch der Sarg voller lachender Fratzen. Mit Gelächter und auskehrend wie ein Sturmwind fährt Zarathustra als Fürsprecher des Lebens allen Nacht- und Grabwächtern und allen Todesmüden in die Glieder. Zarathustra hat sich in seinem schwersten Traum in die Perspektive seiner Feinde hineingeträumt und nicht zuletzt in den Feind, der in ihm selbst lauert.

Die Flucht vor dem Gedanken der ewigen Wiederkehr Bevor er seine Freunde und Schüler erneut verläßt, spricht Zarathustra noch einmal von seiner Vision einer Zukunft, auf die hin zu leben sei. Die Menschen gelten ihm ohne Ausnahme als bloße „Bruchstücke“ (179) dieser Zukunft und noch gar nicht als wahrhafte Menschen. Sich selbst nimmt Zarathustra nicht aus. Auch er stellt nicht mehr als eine „Brücke“ dar, die in die erhoffte Zukunft bloß weist (ebd.). Zwar ist der Wille als Träger der Selbstüberwindung und als Befreier von alten Fesseln ein wesentlicher Baustein dieser Zukunft. Doch das Programm einer „Erlösung“ (ebd.) des Menschen verlangt in Zarathustras Augen mehr. Das, was selbst den Willen beschränkt, nämlich

Zarathustras Weg die Gebundenheit an die Zeit: an die Unumkehrbarkeit im Verlauf der Dinge, die Gestaltungsspielraum allein in der Zukunft eröffnet und das Vergangene als erstarrte Notwendigkeit hinzunehmen zwingt, ist auch noch zu überwinden. Das „‚Es war‘“ ist „umzuschaffen“ in ein „‚So wollte ich es!‘“ (ebd.). Die miteinander zusammenhängenden Gedanken des Amor fati und der ewigen Wiederkehr des Gleichen klingen an. Sie sind es auch, die Zarathustra in einem verstörenden Traum bedrängen und ängstigen und den erneuten Abschied von seinen Schülern veranlassen. Zarathustra träumt ein fürchterliches Flüstern: „‚Du weisst es, Zarathustra?‘“ und ein wiederholtes: „‚Du weisst es, Zarathustra, aber du redest es nicht!‘“ (187 f.). Zarathustra bejaht die Frage und antwortet, er wolle nicht reden und er könne es auch nicht, denn ihm fehle die Kraft. Das Traumgespräch setzt sich fort, das unheimliche Flüstern fordert Zarathustra auf, seine Macht einzusetzen und zu befehlen. Als Künder des Kommenden müsse er nun zum unschuldigen Kind werden und vorangehen selbst um den Preis des persönlichen Zerbrechens. Zarathustra gibt zur Antwort, daß er nicht will. Ein entsetzliches Lachen beendet den Traum und ein letztes Flüstern: Die Früchte Zarathustras seien reif, aber Zarathustra sei nicht reif für sie. Deshalb müsse er wieder einsam leben, um „mürbe“ zu werden (190). Zarathustra ist erschüttert und weint beim Abschied von seinen Freunden laut. In der Nacht verläßt er sie.

2.3 Dritter Teil Auf dem Weg zurück ins Gebirge: der Gang über die Insel Noch in der Nacht geht Zarathustra über die Insel, um von der gegenüberliegenden Seite aus das Gebiet der „glückseligen Inseln“ mit dem Schiff zu verlassen. Dabei hat er einen Berg zu passieren. Während er ihn besteigt, denkt er in Metaphern des Wanderns und Steigens über sich selber nach. Seinen letzten, härtesten und einsamsten Weg sieht er bevorstehen. Dieser Weg wird von ihm die Fähigkeit fordern, gleichsam über sich selbst hinauszusteigen, ohne im Zurückgelassenen noch Halt zu haben. Selbststeigerung und Selbstüberwindung in unver-

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Beatrix Himmelmann gleichlichem Maß scheint er abzuverlangen. Diese Aussicht läßt Zarathustra erschauern, er verspürt eine große Einsamkeit und ein starkes Begehren nach etwas, dem er sich liebend zuwenden könnte. Über sein Bedürfnis, zu lieben, ist Zarathustra zornig, so daß er aus Ärger und Sehnsucht gleichermaßen weint.

Die Traumerzählung auf dem Schiff An Bord des Schiffes, das ihn von den „glückseligen Inseln“ entfernt, wird Zarathustra von Mitreisenden erkannt. Obwohl man neugierig ist und ihn hören möchte, schweigt er zwei Tage lang, traurig und unfähig zur Antwort. Die Geschichten merkwürdiger und gefährlicher Begebenheiten, die unter den Passagieren kursieren, aber bewegen Zarathustra und lösen schließlich den Bann. Er erzählt vor Zuhörern, denen er einen Sinn für das Seltsame und Zwielichtige zutraut, einen höchst rätselhaften Traum: Er selbst steigt durch Geröll einen unwegsamen Pfad hinauf. Er ist beschwert durch ein auf ihm sitzendes Wesen, das halb einem Zwerg, halb einem Maulwurf gleicht. Der Zwerg verhöhnt Zarathustra: Wer sich selbst als Stein der Weisheit in die Höhe geworfen habe, müsse wie jeder Stein fallen. Der unter der Last und dem Spott des Zwergs leidende Zarathustra spricht sich selbst Mut zu. Erfüllt von diesem Mut spricht Zarathustra zum Zwerg: „Ich! Oder du!“ (199) und fügt hinzu, seinen abgründigsten Gedanken vermöchte der Zwerg wohl nicht zu ertragen. Der Zwerg springt Zarathustra von der Schulter und setzt sich neugierig aufmerkend hin. Das geschieht an einem Torweg. Zarathustra nimmt ihn als Gleichnis, um seinen abgründigsten Gedanken zu veranschaulichen: Zwei Wege treffen am Tor zusammen, die in zwei einander genau entgegengesetzte Richtungen unendlich weit verlaufen. Der Punkt ihres Aufeinandertreffens ist der Augenblick. Befragt, ob sich beide Wege ewig widersprechen, antwortet der Zwerg, die Zeit selbst sei ein Kreis. Diese Auskunft erscheint Zarathustra zu einfach. Vom Augenblick aus gedacht, müßten doch alle Dinge, die überhaupt geschehen könnten, durch die nach rückwärts in die Vergangenheit weisende Gasse schon einmal gegangen sein. Alles müsse schon einmal dagewesen sein. Dies gelte auch für

Zarathustras Weg den Augenblick selbst. Zudem müßten alle Dinge auch in die nach vorwärts zeigende Richtung verknüpft sein: Der Augenblick sei bestimmend für alle zukünftigen Geschehnisse, so daß die Dinge auch durch die Gasse Zukunft noch einmal laufen müßten. Und abermals gelte dies auch für den Augenblick selbst. Das ist der Gedanke der ewigen Wiederkunft des Gleichen, und von ihm spricht Zarathustra, weil er sich vor ihm fürchtet, immer leiser. Plötzlich hört er einen Hund heulen. Die Traumszenerie wechselt. Zarathustra ist nun allein im fahlen Mondschein. Der Hund springt und winselt und heult. Zarathustra sieht jetzt einen Menschen daliegen, einen Hirten, der an einer Schlange würgt, die sich in seinem Hals festgebissen hat und ihm aus dem Mund hängt. Ekel und Grauen zeigt sein Gesicht, und Ekel und Grauen erfaßt auch Zarathustra. Er versucht, die Schlange aus dem Hals des Hirten zu zerren. Als es ihm nicht gelingt, schreit er dem Hirten zu, ihr den Kopf abzubeißen. Der Hirte beißt zu, speit den Schlangenkopf aus, springt auf und lacht befreit, wie noch nie ein Mensch gelacht hat. Zarathustra beneidet den Hirten um dieses Lachen sehr. Damit endet der Traum. Zarathustra rätselt über das Geträumte und fühlt Bitternis angesichts des übermenschlichen Lachens, dessen er selbst nicht fähig zu sein glaubt. Mehrere Tagesreisen entfernt von den „glückseligen Inseln“ aber überwindet er seinen Schmerz. Er hat die Kraft, Bilanz zu ziehen, wozu ihm die Deutung seiner verschiedenen Träume und auch der merkwürdigen Geschichte von der Erscheinung seines Schattens verhilft. „Es ist höchste Zeit!“ (204) – und zwar Zeit, die Schüler zu verlassen und den Gedanken der ewigen Wiederkehr wirklich anzunehmen: Dies Zeichen entnimmt er ihnen allen. Zarathustra sieht sich aufgefordert, den Gedanken der ewigen Wiederkunft nicht bloß unter Widerstreben zu ertragen wie bisher, sondern ihn dereinst sogar wie einen Geist „herauf zu rufen“ (205). Dazu fehlte ihm bislang die Stärke. Er gesteht sich ein, sich lieber im Kreise der Anhänger gewärmt zu haben. Nach dieser Selbstprüfung fühlt Zarathustra sich einem Zustand des Glücks wieder näher. In solcher Verfassung hält er noch vor Sonnenaufgang Zwiesprache mit dem Himmel.

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Beatrix Himmelmann Auf dem Weg zurück ins Gebirge: der Gang durch die Städte Zarathustra geht an Land. Er kehrt aber nicht sogleich und auf kürzestem Weg in die Abgeschiedenheit des Gebirges und seiner Höhle zurück, sondern bewegt sich langsam und auf Umwegen dorthin. Er selbst vergleicht sich mit einem Fluß, der in vielen Windungen zur Quelle zurückfließt (211). Zarathustra hat die Absicht, unterwegs nach den Menschen zu forschen. Zum ersten Mal seit der Vorrede in der Stadt am Rande der Wälder wendet er sich wieder der Menge zu und nicht allein seinen Gefährten und Schülern. Er mischt sich unter die Menschen und muß erkennen, daß sie an Kraft und Geist verloren haben: Überall findet er nur die „kleine Tugend“, die „verkleinernde Tugend“ (212 f.). Sie geht einher mit Behagen, Bescheidung und Feigheit vor jedem Wagnis: sie ist die vollendete „Mittelmässigkeit“ (215). Zarathustra gilt die kleine Tugend als Verrat an der Zukunft des Menschen. Er prophezeit die „Stunde des Blitzes“, welche die Verehrer der kleinen Tugend versengen werde, und den großen Mittag (217). Zarathustras Weg zurück in die Einsamkeit des Gebirges führt ihn durch viele Städte. Als er zum Tor der „grossen Stadt“ kommt, springt ihm ein Narr entgegen. Das Volk nennt ihn den „Affen Zarathustra’s“ (222), weil er in Zarathustra-Manier Weisheiten zum besten gibt. Der Narr warnt Zarathustra und fordert ihn auf, die „grosse Stadt“ zu meiden. Kein gutes Klima herrsche hier für Zarathustras ausgesuchte Gedanken, und nachfolgend hält der Narr Zarathustra einen Vortrag, der wie eine Imitation seiner eigenen Rede über die „verkleinernde Tugend“ wirkt. Zarathustra verweist dem Narren seine Verachtung der Menschen. Und er wehrt sich gegen die Vereinnahmung: er will nicht verwechselt werden. Also geht er an der „grossen Stadt“ vorbei; ihn ekelt vor ihr nicht weniger als vor dem Narren. Zarathustra erreicht jetzt erneut die Stadt „die bunte Kuh“, die ihm noch immer am Herzen liegt. Ganz nah ist er nun schon dem Ziel seiner Wanderung: dem Gebirge und der Höhle. Er muß erkennen, daß viele seiner einstigen Jünger ihm abtrünnig geworden sind: Müde sind sie zur Anbetung des alten Gottes zurückgekehrt. Ihre Schwäche reizt Zarathustra zum Lachen, und am Lachen sind für ihn noch alle Götter gestorben.

Zarathustras Weg Wieder im Gebirge Zarathustra ist wieder im Gebirge, und seine Freude entlädt sich in einem Hymnus an die Einsamkeit. Nicht mehr ist wie bei der ersten Heimkehr der Gedanke an die zurückgelassenen Freunde und die Ungeduld, wieder zu ihnen zu sprechen, beherrschend. Im Gegenteil erfüllt ihn nun die Erinnerung an das Gefühl abgrundtiefer Verlassenheit in der Gesellschaft der Menschen, gegen das er die Einsamkeit als produktive und glücksgesättigte Form des Alleinseins stellt. Den Menschen fühlt Zarathustra sich fremd: Sie haben keine Organe, um ihn zu verstehen, und überdies haben sie ihn in seiner eigenen Existenz angegriffen. Denn Zarathustra wollte es ihnen leicht machen und sich ihnen auf ihre Weise zu verstehen geben. So hat er aus Mitleid dazu geneigt, sie durch Ermäßigung seiner Ansprüche zu schonen, und ist dabei Gefahr gelaufen, sich selbst zu verkennen. Inzwischen hält er alle Bemühungen um die Menschen „da unten“ (232 f.) für vergeblich. Vergessen und Vorbeigehen scheinen ihm die angemessenen Strategien eines Umgangs mit ihnen zu sein. Zarathustra genießt seine „BergesFreiheit“ (234). Und so spricht er im folgenden nicht mehr zu Anderen, sondern sich selber zu. Er spricht über die „drei Bösen“, Wolllust, Herrschsucht und Selbstsucht, die als verwerflichste Laster auf Erden gelten. Böse sind sie für Zarathustra allein, wenn die Schlechten sich an ihnen versuchen. Dem starken und seiner selbst mächtigen Menschen, wie er Zarathustra vorschwebt, werden sie dagegen uneingeschränkt zum Guten ausschlagen: die Wollust als das große „Gleichniss-Glück“ (237), die Herrschsucht als Form der „schenkenden Tugend“, die Selbstsucht als Ausdruck souveräner Selbstlust und Lebensbejahung. Zarathustra spricht über den „Geist der Schwere“, der durch die Liebe zu sich selbst überwunden wird. Zu seiner Bezwingung gehört, sich zur eigenen Tugend zu verpflichten und einen eigenen Weg zu gehen. Entbehren lassen sich dann die Gewichte auferlegter fremder Tugenden, die den Geist auf der Stufe des Kamels anleiten, aber auch beschweren. Zarathustra wartet darauf, das Gebirge erneut zu verlassen. Zum dritten Mal will er zu den Menschen hinabsteigen, doch ist der rechte Zeitpunkt noch nicht gekommen. Ein Zeichen wird

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Beatrix Himmelmann ihn ankündigen: ein lachender Löwe mit einem Taubenschwarm. Unterdessen hat Zarathustra viel Zeit, und da niemand ihm etwas erzählt, erzählt er sich selbst etwas. „Von alten und neuen Tafeln“ spricht er, von alten Gesetzestafeln, die zerbrochen werden müssen, und neuen, die aber erst zur Hälfte beschrieben sind. Diese Rede in dreißig Teilen ist ein Kommentar zu vielen Einzelheiten seiner Lehre, wie er sie seinen Anhängern vorgetragen hatte. Sie, die Abwesenden, spricht Zarathustra in seinem Selbstgespräch immer wieder an. Trotz aller Bekenntnisse zu den Vorzügen der Einsamkeit scheint er nach wie vor der Gefährten zu bedürfen. Mit ihnen zusammen hofft er, den von ihm propagierten neuen Tugenden die Zukunft zu ebnen.

Die Beschwörung des Gedankens der ewigen Wiederkehr Eines Morgens springt Zarathustra von seiner Schlafstätte in der Höhle auf und verhält sich wie im Wahn. Er schreit furchterregend und erweckt den Anschein, noch ein Zweiter befände sich auf seinem Bett, den er zum Aufstehen zwingen wolle. Alles Getier ringsumher flüchtet. Zarathustras Tiere, Adler und Schlange, kommen erschreckt herbei. Zarathustra ruft: „Herauf, abgründlicher Gedanke, aus meiner Tiefe!“ (270) Wie er es sich gewünscht hatte, beschwört er nun den Gedanken der ewigen Wiederkunft wie einen Geist mit entsprechenden Formeln herauf. Als der sich meldet und Zarathustra meint, sein Tiefstes reden zu hören, erfaßt ihn ein gewaltiger Ekel. Er fällt nieder und bleibt lange bewußtlos liegen. Dann wacht er auf; seine Tiere weichen ihm nicht von der Seite. Der Adler bringt unablässig Nahrung herbei,5 die Zarathustra aber nicht anrührt. Sieben Tage lang befindet er sich in diesem Zustand. Als er sich schließlich aufsetzt und an einem Apfel riecht, wenden sich seine Tiere an ihn und sprechen zu ihm. Sie zeigen sich als Wesen, die beratende und auslegende Fähigkeiten

5 Auch der kleine, hilflose und vor dem Vater verborgen gehaltene Zeus soll, wie Athenaios überliefert, von einem Adler versorgt worden sein. Vgl. Deipnosophistae, XI 491b.

Zarathustras Weg haben; als solche hatten sie ja bereits der Antike gegolten.6 Die Tiere fordern Zarathustra auf, seine Höhle zu verlassen und in die Welt hinauszutreten, die ihre Heilungskräfte für ihn bereithalte. Zarathustra fühlt sich durch die Ansprache belebt; die Welt wird dem Einsamen zum Garten. Die Tiere stellen eine Verbindung dieser Welt der Schönheit und Anmut zum Gedanken der ewigen Wiederkehr her: Erstmals scheint die mit ihm sonst stets verknüpft gedachte Bedrückung und Qual überwunden. Entsprechend berichtet Zarathustra, er habe – dem Hirten in seinem Traum (201 f.) gleich – an der Schlange Ekel gewürgt und ihr schließlich den Kopf abgebissen (273). Dies gilt Zarathustra als seine Selbsterlösung: die Befreiung vom großen Überdruß daran, daß nicht allein das Hoffnungsvolle und Zukunftsweisende am Menschen ewig wiederkehrt, sondern nicht minder das Häßliche, Kleine, Mittelmäßige. Die Weltverneinung des Wahrsagers (172) ist wiederum Zarathustras Gefahr und Krankheit gewesen (274). Zarathustra ist auf dem Weg der Genesung, weil er bereit ist, das Leben als ganzes anzunehmen und gutzuheißen. Er ist bereit, es in allem, auch im Schmerzlichen und sogar im Niedrigen, in sich aufzunehmen und mit ihm zu wachsen und weit zu werden: vertrauend auf die Stärke der eigenen plastischen und heilenden Kräfte. Zarathustras Seele will nun singen. So singt er dem Leben das „andere Tanzlied“ zu und das „Ja- und Amen-Lied“: „Die sieben Siegel“. Beide Lieder huldigen der ewigen Wiederkunft des Gleichen. An dieser Stelle sollte Zarathustras Weg nach dem Willen des Autors – zumindest für das allgemeine Leserpublikum – enden. Den vierten Teil seiner Zarathustra-Dichtung hat Nietzsche nicht für die „Öffentlichkeit“ bestimmt (vgl. Kommentar zu Also sprach Zarathustra: KGW VI/4, 955–957 und KSA 14, 281 f., 326).

6 Der Adler galt ihr als mantischer Vogel (Aristoteles, Historia animalium 601b2), und auch der Schlange wurden Qualitäten der Weisung und Weissagung zugeschrieben (Pausanias, Periegesis II 10, 3 und III 23, 6 f.; Ovid, Metamorphoses XV, 669 ff., 722 ff.). Die Schlange, in Kreisform daliegend, ist überdies Symbol der ewigen Zeit ohne Anfang und Ende, Symbol des Aion.

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Beatrix Himmelmann

2.4 Vierter Teil Zarathustra im Gebirge Zarathustra hält sich über Monate und Jahre in der Einsamkeit des Gebirges auf. Sein Haar ist inzwischen weiß geworden. Vor seiner Höhle sitzend, spricht er mit seinen Tieren, die ihn nach seinem Glück fragen. Zarathustra fühlt sich schwer vor Glück, einer süßen und reifen Frucht gleich. Aber er wird nicht herabsteigen zu den Menschen wie schon zweimal, um ihnen dort von der Fülle seines Glücks abzugeben. Denn Zeichen, daß er gehen sollte, sind bisher ausgeblieben. Zarathustra zeigt sich darüber nicht besorgt oder bedrückt; er meint, Zeit im Übermaß zu haben. Von seiner Sendung nämlich ist er unbedingt überzeugt: Das „Zarathustra-Reich von tausend Jahren“ (298) wird dereinst Wirklichkeit sein. Und so sieht er sich auf festem und sicherem Grund. Mit diesen Visionen trägt sich Zarathustra auf dem Gipfel eines hohen Berges. Er hat ihn bestiegen, um dort – als Sinnbild seines Überflusses an Glück und Reife – ein „HonigOpfer“ darzubringen. Den Reichtum seines Glücks will er künftig wie einen Köder, wie süßen Honig, auslegen, um die Menschen zu sich nach oben zu locken. In die von ihm schon erreichte Höhe möchte er sie ziehen; er selbst muß nicht mehr zu ihnen hinuntergehen.

Die Ankunft der „höheren Menschen“ Eines Tages, während Zarathustra vor seiner Höhle sitzt, tritt plötzlich ein Schatten neben seinen Schatten: Der Wahrsager, der Prediger der Vergeblichkeit allen menschlichen Strebens und Verkünder des Nihilismus, ist gekommen. Sein Gesicht erschreckt Zarathustra: Es hat sich noch weiter verdüstert. Zarathustra begrüßt den Wahrsager und lädt ihn – wie schon einmal – ein, mit ihm zu essen und zu trinken. Der Wahrsager prophezeit Not und Bedrängnis, die Zarathustra erreichen werden. Und beide hören den lang anhaltenden Schrei eines Menschen. Der Wahrsager fordert Zarathustra auf, dem „Nothschrei“ (301), der ihm gelte, nachzugehen. Der „höhere Mensch“ rufe nach ihm. Zarathustra reagiert entsetzt; er ver-

Zarathustras Weg mutet, daß er zu einer letzten Sünde, dem Mitleid, verführt werden soll. Doch er macht sich auf, um nach dem „höheren Menschen“ zu suchen: In Zarathustras Bezirk dürfe niemand zu Schaden kommen. Der Wahrsager bleibt bei der Höhle, um am Abend wieder mit Zarathustra zusammenzutreffen. Auf seinem Weg trifft Zarathustra nacheinander eine Reihe höchst wunderlicher Figuren, die er allesamt für den Abend in seine Höhle einlädt. Als erstes stößt er auf zwei bunt gekleidete Könige mit einem beladenen Esel. Die Könige sind vor dem Pöbel, über den sie herrschen, geflohen. Denn das Gesindel, zu dem sie auch und gerade die sogenannte „gute Gesellschaft“ zählen, drohe sie mit ihren schlechten und faulen Sitten zu infizieren. Auch sie halten, wie sich herausstellt, Ausschau nach dem „höheren Menschen“: nach einem, der besser ist als sie selbst. Für ihn ist der mitgeführte Esel bestimmt. Die Könige haben von Zarathustra bereits gehört, besonders seine Gedanken über die Nützlichkeit des Krieges haben ihnen imponiert. Sie geraten, von Zarathustra belächelt, ins Schwärmen über die Zeiten ihrer kriegerischen Väter. Zarathustra läßt die Könige zurück und setzt seine Suche nach dem „höheren Menschen“ fort. In Gedanken versunken, tritt er auf einen am Boden liegenden Menschen. Der gibt sich schließlich als „der Gewissenhafte des Geistes“ (311) zu erkennen und als Zarathustras Schüler. Er fühlt sich in der Nachfolge Zarathustras der äußersten Strenge der Erkenntnis verpflichtet und an die Tugend der Redlichkeit gebunden. Zarathustras Lehre von der leidenschaftlichen Erkenntnis und vom Leben als Experiment des Erkennenden hat der Gewissenhafte des Geistes gleichsam blutig ernst genommen: Seinen nackten Arm hat er zu Studienzwecken in den Sumpf gehalten, und zehn Blutegel haben sich festgebissen. Er nennt sich einen Kenner und Experten des Blutegels und speziell seines Gehirns. Nur an diesem engen Wissensgebiet zeigt er sich interessiert. Zarathustra geht weiter und stößt alsbald auf die nächste seltsame Gestalt. Wie ein Tobender schwankt jemand vor ihm her und stürzt zu Boden. Zarathustra findet einen zitternden alten Mann. Er singt ein Klagelied, das sich an einen unbekannten Gott richtet, der sich offenbar an Menschenqualen weidet: an Verlassenheit, Einsamkeit, vergeblicher Sehnsucht nach Liebe. Zarathustra hört lange zu, unterbricht dann aber das

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Beatrix Himmelmann Lied und schlägt den Mann mit seinem Stock. Zornig wirft er ihm vor, ein bloßer Schauspieler der vorgetragenen Gefühle zu sein, ein Lügner und ein Zauberer.7 Der Mann gibt Zarathustra recht. Auch bekennt er, seiner Schauspielkunst überdrüssig zu sein: Er empfinde Ekel vor seiner Verstellung. Den großen Mann, als der er gelte, gebe er nur vor. Er suche jedoch einen wirklich Großen, einen redlichen, aufrichtigen und echten Weisen: er suche recht eigentlich Zarathustra. Der nächste, auf den Zarathustra trifft, ist der letzte Papst. Er ist nicht mehr im Dienst, denn sein Gott ist tot. Nun sucht er den einzigen Menschen, der vom Tod dieses Gottes noch nichts gehört hat und ihn weiterhin anbetet: den auch Zarathustra bekannten Einsiedler und Heiligen. Und der Papst sucht Zarathustra, den er den Frömmsten aller Gottlosen nennt. In Zarathustras Nähe, gesteht der alte Papst, sei ihm wohl und wehe: Denn Zarathustras Augen, Hand und Mund seien zum Segnen bestimmt, und sein Unglaube sei in seiner großen Redlichkeit nichts anderes denn hohe Frömmigkeit. Zarathustra ist verwundert. Er geht weiter und gelangt in ein Tal von beklemmender Ödnis, in dem nichts wächst und das die Hirten „SchlangenTod“ (327) nennen. Dort sieht er ein abstoßend häßliches Wesen am Weg sitzen. Zarathustra wendet vor Scham seinen Blick von ihm ab. Das Wesen, der häßlichste Mensch (329), ist der Mörder Gottes. Er hat Gott deshalb getötet, weil dessen Mitleid mit seiner Häßlichkeit und Schmach schamlos gewesen sei: Selbst in die letzten Winkel seines Elends habe dieser Gott geschaut und ihn in allem erkannt. Einen solchen Zeugen seiner gequälten Existenz vermochte der häßlichste Mensch nicht zu ertragen. Er dankt und lobt Zarathustra für seine Verachtung des Mitleids und für die Ehrfurcht seiner Schamhaftigkeit. Er warnt Zarathustra davor, nicht selbst wieder dem Mitleid nachzugeben, wenn die Leidenden und Verzweifelten an ihn herantreten.

7 Mit der Figur des Zauberers spielt Nietzsche auf Richard Wagner an, dem er – zunächst allein in unveröffentlichten Texten – immer wieder vorgeworfen hatte, nur ein Schauspieler zu sein. Vgl. N 1874, 32/8 ff.; 7, 756 ff.

Zarathustras Weg Zarathustra verläßt den häßlichsten Menschen und stößt beim Weitergehen auf eine Kuhherde. Inmitten der Tiere hält ein Mann eine Rede: Es ist der freiwillige Bettler (335), der seinen Reichtum aus der Hand gegeben hat, um den Armen zu dienen. Doch diese nahmen, was er ihnen an Wohltaten zukommen lassen wollte, nicht an. So ist er zu den Kühen gegangen, auch um von ihnen über das Glück und die Überwindung der Trübsal zu lernen. Der einzige Mensch, den der freiwillige Bettler bewundert, ist Zarathustra; er gilt ihm als Bezwinger des Ekels. Kaum vermag sich Zarathustra seiner Verehrung zu erwehren. Bevor Zarathustra wieder allein ist und die Einsamkeit genießt, wird er noch mit einem letzten Gegenüber konfrontiert: mit seinem Schatten. Schwach und kränklich wie ein Gespenst ist der Schatten, weil er sich auf der Spur Zarathustras verzehrt hat. In die fernsten und kältesten Gegenden ist er ihm gefolgt und hat dabei alle Tugenden und allen Glauben, aber auch alle Ziele und damit alle Wege verloren. Zarathustra erkennt in seinem Schatten die Gefahr des „freien Geistes“: Das Abstreifen der alten abgelebten Werte und der Aufbruch in die Freiheit radikaler Selbständigkeit kann in die ebenso radikale Orientierungslosigkeit münden. Zarathustra warnt den Schatten vor ihren möglichen Folgen: vor einem unbändigen Verlangen nach Enge, nach Grenzen und nach Sicherheit, dem schließlich selbst das Gefängnis willkommen ist. Der Schatten ist gegangen, und Zarathustra ist allein. Obwohl er selbst die Menschen zu sich in die Höhe zu locken gewünscht hatte, bereitet ihm ihre geballte Präsenz doch Verdruß. So ist er glücklich, sich um die Stunde des Mittags, als die Sonne im Zenit steht, einsam unter einem Baum niederlassen zu können. Die Welt erscheint ihm in dieser Mittagsstunde in ihrer Stille vollkommen.

In und vor der Höhle Zarathustras Spät am Tage kehrt Zarathustra zu seiner Höhle zurück. Als er ihr nahe ist, hört er den aus vielen Stimmen sich mischenden „Nothschrei“: Ihm geht auf, daß alle die wunderlichen Gestalten, die ihm im Verlauf des Tags begegnet waren und die nun in seiner Höhle auf ihn warten, den gesuchten „höheren Men-

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Beatrix Himmelmann schen“ verkörpern. Zarathustra begrüßt die Versammelten und bietet ihnen seine Gastfreundschaft an, macht aber keinen Hehl aus seiner reservierten Haltung: Noch andere und bessere Menschen, kriegerische und höhere Menschen als sie, die ihn in ihrer Verzweiflung aufgesucht haben, erhofft sich Zarathustra. Mit solchen Gefährten plant er, zum dritten und letzten Mal das Gebirge zu verlassen. Alle Gäste nehmen mit Zarathustra zusammen eine lange Mahlzeit ein, das sogenannte „Abendmahl“, von dem später in „Historien-Büchern“ berichtet worden sein soll (355). Der Leser wird Zeuge einer ins Groteske spielenden Parodie des christlichen Abendmahls. Werden die anwesenden Tiere: Esel, Schlange und Adler mitgezählt, so nehmen neben Zarathustra auch genau zwölf Jünger am Höhlen-Abendmahl teil. Während es abgehalten wird, spricht Zarathustra in zwanzig Teilen „vom höheren Menschen“ (356 ff.). Die Rede enthält noch einmal eine Zusammenfassung der Lehren Zarathustras und zudem Aufforderungen an die „höheren Menschen“, über sich hinauszuwachsen. Sie gipfelt im Lobpreis des Lachens, des Tanzes und der Leichtigkeit. Nach seiner Ansprache tritt Zarathustra aus der Höhle heraus ins Freie und ruft auch seine Tiere zu sich. Gemeinsam genießen die drei die gute Luft der Stille und der Distanz zu den in der Höhle verbliebenen „höheren Menschen“. Das Verlassen der Höhle ist jetzt und im folgenden die von Zarathustra gewählte Form des Rückzugs vor den Menschen. Umgekehrt ist der Wiedereintritt Zeichen seiner erneuten Zuwendung zu ihnen. Zarathustras Wege sind kurz geworden. In der Höhle nutzt derweil der alte Zauberer Zarathustras Abwesenheit, dessen Widerwillen gegen seine Kunst er kennt, und singt ein „Lied der Schwermuth“. Alle sind fasziniert, nur der Gewissenhafte des Geistes hält Abstand. Im Namen aller freien Geister stellt er die Wissenschaft gegen die Betörungen des Zauberers. Zarathustra kommt in die Höhle zurück und ist belustigt über die Gewißheiten und Sicherheiten, die der Gewissenhafte des Geistes sich von der Wissenschaft verspricht. Zarathustra will die Höhle schon wieder verlassen, als der Schatten ihn aufhält und seinerseits einen Gesang ankündigt. Dröhnend trägt er ein Lied über die „Töchter der Wüste“, Dudu und Suleika, und ihre Reize vor. Jubel und Lärm erfüllt die Höhle

Zarathustras Weg nach dem Lied: Alle reden und lachen durcheinander, und der Esel schreit dazu. Zarathustra sieht sich einerseits bestärkt durch die allgemeine Heiterkeit, die er als das Signal der Genesung derjenigen wertet, die mit einem „Nothschrei“ an ihn herangetreten waren. Andererseits ist er befremdet über ihre allzu laute Fröhlichkeit, in der er den von ihm propagierten Geist der Leichtigkeit nicht erkennen kann. Deshalb entfernt Zarathustra sich und hält sich mit seinen Tieren vor der Höhle auf, aus der noch immer das Gelächter schallt. Plötzlich wird es still, und Weihrauchgerüche kommen aus der Höhle. Zarathustra geht wieder hinein und sieht, wie alle um den Esel geschart sind und ihn anbeten. Statt über die alte Religion hinauszuwachsen, fallen die „höheren Menschen“ auf deren früheste Stufen zurück: auf die Götzenanbetung, auf den Tanz um das goldene Kalb. Zur Ernüchterung schickt Zarathustra alle aus der Höhle hinaus in die Nacht. Der häßlichste Mensch, den die Selbstverachtung fast aufgezehrt hatte, spricht dort, von Zarathustra an der Hand gehalten, überraschenderweise von seiner Liebe zum Leben: Er möchte es genauso noch einmal leben. Zarathustra aber besingt die Vollkommenheit der Welt in der Stille der Mitternachtsstunde. Das „Nachtwandler-Lied“ schließt wie die Schlußlieder des dritten Teils der Zarathustra-Dichtung mit einer Huldigung an das Gesetz der ewigen Wiederkunft des Gleichen. Bei Tagesanbruch, während alle bis auf seine Tiere noch schlafen, tritt Zarathustra vor die Morgensonne. Wie schon einmal spricht er sie an, immer noch auf der Suche nach Gefährten, denen er sein Bestes geben kann. Da erscheint das ersehnte Zeichen: Ein Löwe mit einem Taubenschwarm findet sich ein. Zarathustra ist überglücklich über die Aussicht, daß die rechten Gefährten endlich kommen möchten. Die „höheren Menschen“, die inzwischen aufgewacht und aus der Höhle gegangen sind, werden vom laut brüllenden Löwen vertrieben. Zarathustra erwartet nun nach einem solchen, so verheißungsvollen Morgen die Stunde des großen Mittags. Mit dieser Szene des Aufbruchs und der Hoffnung endet Nietzsches vierter Zarathustra. Entwürfe zu einer Fortsetzung der Zarathustra-Dichtung sind Fragment geblieben.

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Beatrix Himmelmann

Kompositionsprobleme

Henning Ottmann

Kompositionsprobleme von Nietzsches Also sprach Zarathustra

3.1 Der Zarathustra – ein nach Plan aufgebautes Werk? Seit dem Erscheinen der Kritischen Gesamtausgabe von Nietzsches Werken hat die philologische Erschließung der Schriften Nietzsches große Fortschritte gemacht. Immer mehr treten die Lektüren, Quellen und Einflüsse ans Licht, von denen der zunächst als „einsamer“ Denker verstandene Nietzsche beeindruckt und beeinflußt worden war. Gleichwohl wissen wir immer noch wenig, was manche fundamentale Frage der Nietzsche-Philologie angeht. Kommentare zu einzelnen Werken Nietzsches sind eher die Ausnahme als die Regel (Ausnahmen von der Regel: Heller 1972; Reibnitz 1992). Was den Zarathustra betrifft, so sind die frühen Kommentare zum Werk zunächst unbrauchbar gewesen, da der Text entweder nur paraphrasiert wurde oder in freien Assoziationen weiterentwickelt worden ist.1 Es gab Zarathustra-Predigten (Kalthoff 1904), aber wenig nüchterne philologische Erschließung des Werks. Es verwundert aus diesem Grunde nicht, daß bis heute eine der Grundfragen des Zarathustra nicht geklärt ist, die Frage nämlich, welche Komposition diesem Werke zugrunde liegt. 1 Frühe Kommentare: Naumann 1899–1901, Gramzow 1907, Messer 1922, Weichelt 21922. – Schon sehr viel nützlicher: Vitens 1951, Bennholdt-Thomsen 1974, Roth-Bodmer 1975. – Noch ertragreicher die neuesten Versuche: Pieper 1990, Lampert 1986.

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Henning Ottmann Sogar die Frage selbst – Was ist die Komposition des Zarathustra? – kann auch heute noch auf Ablehnung stoßen. Nietzsches Verwerfung eines Systems2; sein Philosophieren in Aphorismen; die verstreuten Fragmente im Nachlaß der 80er Jahre; der Stil der décadence, den Nietzsche so hellsichtig analysiert hat und dem er sich selbst doch nicht immer entziehen konnte3 – das alles kann gegen eine Komposition des Werkes ins Feld geführt werden. Der Zarathustra könnte Nietzsche einfach so unter der Hand entstanden sein, ohne daß von einem nach Plan komponierten Werk überhaupt die Rede sein kann. Nietzsches Zarathustra ist allerdings kein Werk, das aus Aphorismen oder verstreuten Fragmenten besteht. Es hat, wie der Leser sofort bemerken kann, eine streng gegliederte Vorrede. Es besitzt, wie man bei weiterer Lektüre feststellen wird, viele mit äußerster Sorgfalt komponierte Kapitel. (Kann man ein Kapitel strenger gliedern als das Die sieben Siegel überschriebene letzte Kapitel des dritten Teils, das aus sieben Strophen von jeweils sieben Zeilen mit einem sich siebenfach wiederholenden Refrain besteht?) Und warum soll, bei soviel Strenge in Teilen, nicht auch der Zarathustra als ganzer durch eine Komposition zu erklären sein? Der Philosoph und Politikwissenschaftler Leo Strauss hat uns in seinen Interpretationen klassischer Werke des öfteren vor Augen geführt, wie sinnvoll die Suche nach der Zahlensymbolik eines Werkes sein kann. So hat uns Strauss etwa darauf aufmerksam gemacht, daß die 142 Kapitel der Discorsi des Machiavelli den 142 Büchern von Livius’ Ab urbe condita nachgebildet sind (Strauss 1958, 88 ff.). Man mag bei Nietzsche solche Zahlensymbolik nicht vermuten. Es gibt jedoch, was zu beweisen wäre,

2 Vom Willen zum System heißt es: „[B]ei einem Philosophen moralisch ausgedrückt eine feinere Verdorbenheit, eine Charakter-Krankheit, unmoralisch ausgedrückt, sein Wille, sich dümmer zu stellen als man ist – Dümmer, das heißt: stärker, einfacher, gebietender, ungebildeter, commandirender, tyrannischer …“ (N 1887, 9/188; 12, 450). 3 Nietzsches Beschreibung des décadence-Stils, die er von Bourget übernimmt und gegen Wagner wendet, trifft auch ihn selbst. „Damit, dass das Leben nicht mehr im Ganzen wohnt. Das Wort wird souverain und springt aus dem Satz hinaus, der Satz greift über und verdunkelt den Sinn der Seite, die Seite gewinnt Leben auf Unkosten des Ganzen – das Ganze ist kein Ganzes mehr“ (W 7; 6, 27).

Kompositionsprobleme zumindest einige Teile des Werkes, die von geradezu mathematischer Strenge geprägt sind. Auch beim Zarathustra als ganzem sollte zumindest erwogen werden, ob ihm nicht eine Gesamtkonzeption zugrunde liegt. Es lohnt sich bei der Deutung des Zarathustra zu rechnen, auch wenn man bei Nietzsche – das ist zuzugeben – letztlich mit allem zu rechnen hat. Ich beginne mit einem Blick auf die Entstehungsgeschichte des Zarathustra. Was kann sie beitragen für eine Erklärung der Komposition des Werks (2)? Es folgt eine Diskussion der Haupthypothesen zur Komposition, wie sie bisher vorgebracht worden sind (3). Den Schluß bilden Kompositionsbeispiele einzelner Teile des Zarathustra (4), eine Erörterung der Frage, ob der Zarathustra aus drei oder aus vier Teilen besteht (5), sowie schließlich Überlegungen, von welchen Elementen der Lehre Nietzsches die Komposition des Zarathustra wohl am ehesten erschlossen werden kann (6).

3.2 Zur Entstehungsgeschichte des Zarathustra Die Entstehungsgeschichte des Zarathustra ist heute lückenlos rekonstruierbar (dies dank der Rekonstruktion von Haase 1991). Aus ihr läßt sich entnehmen, daß der Plan zu einem solchen Werk wie dem Zarathustra schon in Nietzsches Basler Zeit aufgekommen sein muß. Damals sind es die Entwürfe zu einem Empedokles-Drama, die man als eine Vorstufe des Zarathustra betrachten kann. Ähnlichkeiten zwischen diesen Entwürfen und dem Zarathustra sind erstaunlich (N 1870/71, 5/116–118; 7, 125–126 und N 1870–71/72, 8/30–37; 7, 233–237).4 Man darf im Blick auf diese frühen Wurzeln des Werkes fragen: Ist auch der Zarathustra ein Drama – so wie diese frühen Fragmente ein

4 Die zahlreichen Parallelen zwischen den Empedokles-Fragmenten und dem Zarathustra wären eine neue Untersuchung wert. Empedokles, der den Pan stürzt („‚Der große Pan ist todt‘“, N 1870/71, 5/116; 7, 125) und den Trug der Religion durchschaut hat, will die Agrigenter von der Pest heilen. Er verkündet, bevor er in den Krater des Ätna steigt, „die Wahrheit der Wiedergeburt“ (ebd., 5/118; 7, 126). Eine große Nähe zum Zarathustra auch in den Fragmenten N 1883, 10/45– 46, 13/2 und 16/55. Siehe Haase 1991, 962.

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Henning Ottmann Drama skizzieren? Ist er eine Tragödie, so wie die EmpedoklesFragmente von Nietzsches Basler Begriff der Tragödie geprägt worden sind?5 Freilich, zwischen diesen Entwürfen vom Beginn der 70er Jahre und der Abfassung des Zarathustra liegt Nietzsches Lösung von Schopenhauer und Wagner. Dazwischen liegt die Philosophie der Freigeisterei, welche die Werke Nietzsches von Menschliches, Allzumenschliches bis zur Fröhlichen Wissenschaft geprägt hat. Als Nietzsche den Plan zur Abfassung des Zarathustra faßt, da hat er sogar schon die Freigeisterei selbst wieder relativiert. Nicht daß Nietzsche sie hätte verabschieden wollen. Was er in den 80er Jahren suchte, sollte eine „neue Aufklärung“ sein.6 Aber der Weg der Freigeisterei hatte Nietzsche von der Aufklärung in den Nihilismus geführt. Der moderate, heitere, mediterrane Ton der Freigeisterei weicht am Anfang der 80er Jahre einem neuen Ernst. Nietzsche sucht Wege aus dem Nihilismus heraus, und diese Wege sind ihm die Lehren von der „ewigen Wiederkunft“ und vom „Willen zur Macht“, von der Überwindung des „letzten Menschen“ und von der Selbstgesetzgebung des „Übermenschen“, der sich den Sinn seines Daseins selbst zu schaffen hat. Eine Ankündigung des Werkes gibt der Aphorismus 342 der Fröhlichen Wissenschaft (1882). Dieser Aphorismus kehrt in der Vorrede zum Zarathustra wieder.7 Vorausgegangen war die „Entdeckung“ der neuen, den Nihilismus überwindenden Botschaft von der „ewigen Wiederkunft“. Nietzsche hat sie in der berühmten Aufzeichnung vom August 1881 – „Anfang August 1881 in

5 Die Empedokles-Fragmente verwenden auffällig oft die aristotelische Katharsis-Formel von „Furcht und Mitleid“, wobei Nietzsche deren Bedeutung allerdings schopenhauerianisch und wagnerianisch einfärbt. Kern des Dramas ist, wie im „Vierten Theil“ des Zarathustra, das Übermaß des Mitleidens, mit dem Empedokles so wie Zarathustra zu kämpfen hat. 6 So überschreibt Nietzsche selbst ein Fragment abwechselnd mit „Die neue Aufklärung“ oder „Die ewige Wiederkunft“ (N 1884, 27/79 und 80; 11, 294 f.). Zum Thema Aufklärung bei Nietzsche: Montinari 1982, Ottmann 1985. 7 „Incipit tragoedia. – Als Zarathustra dreissig Jahr alt war, verliess er seine Heimath und den See Urmi und gieng in das Gebirge“ (FW 342; 3, 571). Davor im Aphorismus 341 „Das grösste Schwergewicht“ eine Ankündigung der Wiederkunftslehre (ebd., 570).

Kompositionsprobleme Sils-Maria, 6000 Fuss über dem Meere“ (N 1881, 11/141; 9, 494) – nach der Damaskus-Vision des Saulus stilisiert, die Plötzlichkeit der „Offenbarung“ und die überwältigende Macht der „Bekehrung“ hervorhebend. Besonders glaubwürdig ist diese Stilisierung angesichts von Nietzsches früher Bekanntschaft mit dieser Lehre nicht.8 Jedenfalls aber ist die Lehre von der „ewigen Wiederkunft“ die „Grundconception“ des Zarathustra (EH, Zarathustra 1; 6, 335). Sie ist die Botschaft, mit Hilfe derer Nietzsche den Nihilismus überwinden und den „Übermenschen“ zur Selbstgesetzgebung ermuntern will. Der Paradoxalität solcher Aufforderung zur Selbstgesetzgebung ist Nietzsche sich bewußt. Der Zarathustra ist als ganzer ein hochreflektiertes Werk paradoxaler Rhetorik, das seine Botschaft immer wieder auch zurücknimmt und allem Offenbarungsstil zum Trotz immer auch eine Distanz zu schaffen versucht, in der Reflexion möglich werden kann. Nietzsche schreibt den Zarathustra zwischen 1883 und 1885. Was in den heutigen Editionen als erster Teil fungiert, erschien im Mai des Jahres 1883 ohne den Zusatz „Erster Theil“ und ohne die Ankündigung weiterer Teile. Man könnte daraus folgern wollen, daß Nietzsche zunächst gar nicht mehr hatte veröffentlichen wollen als dieses eine Zarathustra-Buch. Dieser Vermutung widerspricht allerdings, daß in diesem ersten Buch das eigentliche Thema, die Wiederkunftslehre, noch gar nicht behandelt wird. Es wäre schon seltsam, wenn Nietzsche sich damit hätte bescheiden wollen, von „Übermensch“ und „letztem Menschen“ zu sprechen, ohne daß die Lehre, die den „Übermenschen“ bildet und ihn vom „letzten Menschen“ unterscheidet, überhaupt thematisch geworden wäre. Es folgen im Herbst 1883 und im April 1884 die nun als „Zweiter“ und „Dritter Theil“ deklarierten weiteren Bücher. Der „Dritte Theil“ war als Finale gedacht, und er ist auch als ein solches ausgeführt worden (siehe hier Abschnitt 5). Nietzsche hat sich jedoch noch im Herbst des Jahres 1883 zur Abfassung eines „Vierten Theils“ entschlossen, der im April 1885

8 Hier wäre nicht nur Nietzsches Kenntnis der Wiedergeburtslehre zu nennen, sondern auch die explizite Erwähnung und Ablehnung der Wiederkunftslehre in der 2. Unzeitgemässen Betrachtung (2. UB 2; 1, 261).

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Henning Ottmann als Privatdruck von nur 40 Exemplaren gedruckt worden ist. Dieser „Vierte Theil“ wird nun ebenfalls als Schluß des Werkes ausgegeben. Schon im Titel heißt es „Vierter und letzter Theil“.9 Bereits diese Entstehungsgeschichte des Zarathustra macht auf ein Grundproblem des Werks und seiner Komposition aufmerksam. Endet der Zarathustra mit dem dritten oder mit dem vierten Teil? Das Problem verschärft sich, sieht man, daß Nietzsche sogar Pläne zu einer weiteren Fortsetzung des Zarathustra erwogen hat (Haase 1991, 969 ff.). Sie finden sich schon ab dem Frühjahr 1885 etwa unter dem Titel „Mittag und Ewigkeit“ (N 1885, 34/78; 11, 443 f.). Diese Pläne sind allerdings nie realisiert worden. Es blieb bei den Teilen I bis IV. In den Nietzsche-Editionen – die KGW macht da keine Ausnahme – findet der Leser heute stets einen vierteiligen Zarathustra. Das ist keineswegs selbstverständlich. Die erste Gesamtausgabe, der Nietzsche noch sein Imprimatur hatte erteilen können, bestand allein aus den Teilen I bis III, und sie erschien 1887. Den „Vierten Theil“ hatte Nietzsche nicht nur als Privatdruck drucken lassen, er hatte ihn auch 1888 von Köselitz zurückgefordert.10 Einen vierteiligen Zarathustra gab es erstmalig 1893, herausgegeben von Peter Gast. Da Nietzsche seit 1890 umnachtet war, kann er diese Edition nicht mehr autorisiert haben. Man kann, so besehen, vertreten, daß es beim Separatdruck des „Vierten Theils“ hätte bleiben sollen. Er ist, wie sich zeigen wird, von den Teilen I–III deutlich abgegrenzt und abgehoben. Er steht für sich.

9 In zahlreichen Briefen nennt Nietzsche den „Vierten Theil“ das „Finale“ des Werks (Brief an Carl von Gersdorff vom 12. 2. 1885; KSB 7, 9); „der vierte und letzte Theil“ (Brief an Heinrich Köselitz vom 14. 3. 1885; ebd., 21; Brief an Franz Overbeck vom 7. 5. 1885; ebd., 46; Brief an Paul Heinrich Widemann vom 31. 7. 1885; ebd., 74). 10 Brief an Köselitz vom 9. 12. 1888; KSB 8, 514: „ Jetzt eine ernste Sache. Lieber Freund, ich will alle Exemplare des vierten Zarathustra wieder zurückhaben“. Die in Fußnote 9 genannten Briefe enthalten fast alle eine Bitte um „Diskretion“.

Kompositionsprobleme

3.3 Hypothesen zur Komposition Soweit die Entstehungsgeschichte! Was die Komposition des Werks angeht – handelt es sich nun um ein drei- oder vierteiliges Werk –, so liegen heute drei erwägenswerte Hypothesen vor: 1. die „musikalische“, der Zarathustra komponiert wie eine Symphonie; 2. die „dekadische“, die Vermutung, das Werk folge einer Gliederung in 10er-Einheiten; und 3. die „biblische“, die These, daß Nietzsche sich an der Zahl der biblischen Bücher orientiert hat.

3.3.1 Der Zarathustra als Symphonie oder Bar-Form (Curt Paul Janz) Die Hypothese, der Zarathustra sei komponiert wie eine „Symphonie“, stammt vom Basler Musiker Curt Paul Janz (Janz 1981, 211–221). Seine Hypothese hat den Vorzug für sich, daß Nietzsche selbst den Zarathustra so bezeichnet hat. Er schreibt an Köselitz: „Unter welche Rubrik gehört eigentlich dieser ‚Zarathustra‘? Ich glaube beinahe, unter die ‚Symphonien‘“ (Brief an Köselitz vom 2. 4. 1883; KSB 6, 353). Die Struktur des Zarathustra entspräche demnach der klassischen Gliederung einer Symphonie, die aus einer Einleitung und vier Sätzen besteht. Nach der Entdeckung von Curt Paul Janz folgen die vier Sätze sogar dem „Gesetz der wachsenden Glieder“. Sie wachsen in der vierteiligen Ausgabe des Zarathustra um jeweils genau 16 Seiten: Teil I Teil II Teil III Teil IV

86 Seiten 102 Seiten 118 Seiten 134 Seiten

(86 + 16) (102 + 16) (118 + 16)

Die Hypothese des Musikers Janz hat Charme. Man dürfte das Wort Komposition wörtlich nehmen, und mit dem „Gesetz der wachsenden Glieder“ hätte Nietzsche sich eines bekannten Prinzips der Rhetorik bedient – bei einem solchen Kenner der Rhetorik, wie Nietzsche einer war, eine naheliegende Möglichkeit.

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Henning Ottmann Freilich – in den Vorarbeiten zum Zarathustra, in den Vorstufen des Werks oder in den Briefen, die das Werk erwähnen, wird auf einen solchen Plan nirgends angespielt. Der vierteilige Zarathustra ist ein Buch erst des Jahres 1893. Der „Vierte Theil“ macht Schwierigkeiten, wenn man ihn als Aufgipfelung oder Finale der Teile I bis III würde betrachten wollen. Vielleicht hat Nietzsche sein eigenes Wort von der „Symphonie“ so wörtlich nicht gemeint, wie immer musikalisch seine Dichtung auch ist. Curt Paul Janz hat seine These von der Symphonie in vier Sätzen selbst noch relativiert. Er schlägt eine weitere Hypothese vor. Erinnernd an Wagners Meistersinger und Walthers „Preislied“ spricht Janz auch von der „Bar-Form“ des Zarathustra. Teil I und II wären demnach die beiden Stollen des „Aufgesangs“, Teil III der „Abgesang“; Teil IV stünde dann „für sich“. Für diese, wenn man so sagen darf, Meistersinger-Form des Zarathustra könnte man die Fröhliche Wissenschaft als Zeugen bemühen. Diese spielt an auf die altprovenzalische gaia scienza, auf die Bezeichnung der Toulouser Meistersinger-Schule. Zweifelsohne wußte Nietzsche, was Meistersingerei gewesen war und was sie bei Wagner zu bedeuten hat. Auffallend an den Hypothesen von Curt Paul Janz ist jedoch, daß sie einander widersprechen. Die Symphonie-Hypothese geht von vier Sätzen, die Meistersinger-These von drei Strophen aus. Drei oder vier Teile – hier müßte eine Entscheidung möglich sein. Wagner wiederum ist im Zarathustra weniger in den Teilen I bis III als vielmehr im „Vierten Theil“ präsent. Einmal geht es dort um eine Art Anti-Parsifal und eine Kritik des (christlichen, schopenhauerischen und wagnerischen) Mitleidens. Zum anderen begegnet Wagner im „Vierten Theil“ in der Gestalt des „Zauberers“, die dort allerdings nur eine Figur unter vielen ist. Der Zarathustra als ganzer dürfte eher eine antichristliche Schrift als ein Anti-Wagner sein.

3.3.2 Dekadische Gliederung (Claus-Artur Scheier) Eine andere Hypothese, welche die Komposition des Zarathustra erklären soll, hat Claus-Artur Scheier in seinem Buch Nietzsches Labyrinth eher beiläufig vorgestellt (Scheier 1985, 167–170). Ähnlich wie Janz so ist auch Scheier von einer

Kompositionsprobleme „kompositorischen Organisation“ des Werkes überzeugt. Auch Scheier geht davon aus, daß bei dieser Komposition Zahlenverhältnisse von Bedeutung sind. Das Gliederungsschema erschließt sich nach Scheier, wenn man das Werk in Vorrede – Hauptteil – Nachrede unterteilt sieht. Also: Vorrede – Hauptteil (Teile I–III) – Nachrede (Teil IV). Innerhalb der Teile I–III ist noch einmal dieselbe Gliederung mit Vorrede – Hauptteil – Nachrede zu suchen. Dabei ergibt sich nach Scheier eine Gliederung in 10er-Einheiten. Diese läßt sich folgendermaßen schematisieren: Gesamtgliederung Vorrede

= Vorrede

10 Kapitel

Erster Teil Zweiter Teil Dritter Teil

= Hauptteil

60 Kapitel

Vierter Teil

= Nachrede

20 Kapitel

Gliederung der Teile I–III Erster Teil Zweiter Teil Dritter Teil

1 (Vorrede) + 20 (Hauptteil) + 1 (Nachrede) 1 (Vorrede) + 20 (Hauptteil) + 1 (Nachrede) 3 (Vorrede) + 10 (Hauptteil) + 3 (Nachrede)

An den von Scheier genannten Zahlen ist zunächst nicht zu rütteln. Die Vorrede besteht aus 10 Kapiteln. Die Teile I–III des Werkes umfassen 60 Kapitel (22 + 22 + 16 = 60). Der Teil IV ist in 20 Kapitel gegliedert. So weit, so gut. Was diesen Zehner-Einteilungen fehlt, ist allerdings eine Anbindung an den Sinn des Werkes. Warum gerade die dekadische Gliederung? Sie ist in Teil III in Abweichung vom sonstigen Schema durchgeführt, wenn dort jeweils drei Kapitel als Vorund Nachrede zu zählen sind. Warum hier drei, wenn ansonsten immer nur ein Kapitel für Vor- oder Nachrede steht? Fraglich ist des weiteren, ob den in Scheiers Gliederung jeweils als Vor- oder Nachrede bezeichneten Kapiteln ein solcher Status eindeutig zukommt. Man kann ein besonderes Gewicht der einzelnen Schlußkapitel erkennen: I. 22 Von der schenkenden Tugend; II. 22 Die stillste Stunde; und besonders ge-

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Henning Ottmann wichtig III. 16 Die sieben Siegel. (Oder: das Ja- und Amen-Lied). Bei den ersten Kapiteln eines Zarathustra-Teils ist ein solches Gewicht nicht immer ersichtlich (zum Beispiel nicht im Kapitel II. 1 Das Kind mit dem Spiegel oder bei III. 1 Der Wanderer). Zehnereinteilungen sind vorhanden bei der Vorrede und im vierten Teil. Bei den Teilen I–III sind sie nur auf dem Umweg über das Vorrede-Nachrede-Prinzip konstruierbar, das nicht immer nachweisbar zu sein scheint.

3.3.3 „Biblische“ Anordnung (Laurence Lampert) Eine andere, sehr schöne Hypothese hat der aus der LeoStrauss-Schule stammende Philosoph Laurence Lampert entwickelt (Lampert 1986, 240 f.). Für Lampert ist die Komposition des Zarathustra weder eine musikalische noch eine dekadische. Es ist vielmehr eine die Bibel parodierende Einteilung. Die jeweils 22 Kapitel der Teile I und II des Zarathustra verweisen nach Lampert auf die 22 Kapitel der Apokalypse. Die Gesamtzahl der Kapitel ist nach Lampert die der biblischen Bücher, nämlich 66. Die Zahl 66 läßt sich für den Zarathustra errechnen, wenn man das letzte Kapitel des dritten Teils, Die sieben Siegel, siebenfach zählen darf. Dann ergibt sich: Teil I 22 Kapitel, Teil II ebenso, Teil III 15+ 7 Siegel = 22, also insgesamt 3 x 22 = 66. Schematisiert: Erster Teil Zweiter Teil Dritter Teil Insgesamt

22 Kapitel 22 Kapitel 22 Kapitel (15 + 7 Siegel) 66 Kapitel

Von den bisher vorgeschlagenen Hypothesen ist die von Lampert die verführerischste. Sie erlaubt es, die Frage nach der Komposition des Zarathustra mit Nietzsches Antichristentum zu verbinden. Der Zarathustra parodiert die Bibel auf Schritt und Tritt, und bekanntlich hat Nietzsche selbst den Zarathustra ein „fünftes ‚Evangelium‘“ (Brief an Ernst Schmeitzner vom 13. 2. 1883; KSB 6, 327) genannt. Das Ende des dritten Teils mit dem Kapitel Die sieben Siegel wäre, so besehen, nicht nur eine Anspielung auf die „Sieben Siegel“ der Johannes-Apokalypse.

Kompositionsprobleme Darüber hinaus würde dieser Schluß besagen: So wie die Apokalypse des Johannes am Ende der biblischen Bücher steht und so wie sie das christliche Ende aller Tage siebenfach besiegelt, so folgt auf das letzte Wort der Bibel die neue Botschaft des Zarathustra, die „Offenbarung des Zarathustra“ sozusagen, das neue Evangelium einer antichristlichen Lehre von der Zeit, eine Gegenoffenbarung, die an die Stelle der christlichen Lehre vom Ende aller Tage die siebenfache Besiegelung der Lehre von der „ewigen Wiederkunft“ setzt. Der Zarathustra wäre so wie die „Apokalypse“ Offenbarung und versiegelte Botschaft, Ankündigung und Besiegelung zugleich. Eine solche Deutung des Zarathustra läßt sich verbinden mit Nietzsches Umkehrung von Platonismus und Christentum. Ohne die Abstoßung von diesen Traditionen und die in der Abkehr noch bleibende Verbindung mit ihnen läßt sich Nietzsches Denken nicht verstehen. So wie der Antichrist eine Gegenlehre gegen das Christentum sein soll und doch eine Figur der christlichen Endzeit als Titel trägt, so wäre der Zarathustra Antichristentum, das noch in der Darstellungsform mit dem Gegner verbunden geblieben ist. Soll man Lamperts Vorschlag folgen und in der Komposition des Zarathustra eine die Bibel und ihre Form parodierende Schrift sehen? Unstrittig ist, daß die Johannes-Apokalypse in 22 Kapitel gegliedert ist. Schwieriger ist eine Sicherung der Zahl 66, die Lampert als Zahl der biblischen Bücher und als Zahl der Zarathustrakapitel nennt. Hat die Bibel 66 Bücher? Die Luther-Bibel – es ist doch wohl anzunehmen, daß sich Nietzsche, wenn er sich an der Bibel hätte orientieren wollen, an der Luther-Bibel orientiert hätte – enthält nicht 66, sondern 65 Bücher.11 Das N. T. besteht in Luther-Bibeln aus den 4 Evangelien, der Apostelgeschichte, 21 Briefen und der Offenbarung des Johannes (= 27). Das A. T. enthält dort 17 Geschichtsbücher, 5 Lehrbücher und 16 prophetische Bücher (= 38). Die Bücher von N. T. und A. T. zusammen ergeben so die Zahl 65. 11 Luther-Bibeln, in denen diese Zahl überprüft werden konnte, stammen aus den Jahren 1885 und 1901. Nietzsches Exemplar aus dem Jahr 1827, das in der im Nietzsche-Archiv aufbewahrten Bibliothek Nietzsches enthalten war, ist nach Auskunft von Herrn von Wilamowitz-Moellendorff verlorengegangen.

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Henning Ottmann Nun wird man Bibel-Ausgaben finden – und ich vermute, daß amerikanische darunter sind –, in denen 39 Bücher des A. T. aufgeführt werden. Wenn etwa die Klagelieder des Jeremia nicht zum Buch Jeremia gerechnet werden, sondern extra gezählt werden, ergeben sich 39 Bücher des A. T. (und zusammen mit den 27 Büchern des N. T. doch 66 Bücher insgesamt). Gleichwohl überzeugt die Zahl 66 nicht. Erstens hat diese Zahl keine erkennbare theologische oder kabbalistische Bedeutung. Wann je hätten Theologen über die Zahl 66 diskutiert? Wo käme sie im A. T. oder im N. T. an bedeutsamer Stelle vor? Zweitens, wo wäre im Zarathustra die Schnittstelle zwischen A. T. und N. T. (zwischen 39 und 27) anzusiedeln? Eine solche Zäsur findet sich im Werke nicht. Allenfalls könnte man sagen, daß der Zarathustra die ganze Bibel zum A. T. werden läßt. Eine engere Anbindung an die Struktur der Bibel, von der Genesis bis zur Apokalypse, ist jedoch nicht ersichtlich. Auch von vier „Evangelien“ kann im Blick auf die Teile I–IV des Zarathustra nicht die Rede sein. Schade, daß sich die Hypothese von Lampert nicht exakt nachweisen läßt! Man wird wohl nur die sicher auch wertvollen Hinweise auf die Johannes-Apokalypse würdigen müssen.

3.4 Strengste Kompositionsprinzipien in einzelnen Teilen Die Diskussion der bisher vorgebrachten Hypothesen zur Komposition des Zarathustra könnte dazu verleiten, dem Zarathustra eine eindeutige Gliederung abzusprechen. Es ist aber eher zu vermuten, daß uns noch vieles am Zarathustra verborgen geblieben ist und daß zu dieser terra incognita auch die Gesamtkonzeption des Werkes gehört. In dieser Lage empfiehlt es sich, erst einmal festzuhalten, was wir wissen, und das ist als erstes, daß Teile des Werkes strengstens komponiert sind. Ich zeige dies an zwei Beispielen, anhand der Vorrede und anhand des „Vierten Theils“.

Kompositionsprobleme 3.4.1 Die Vorrede Die Vorrede des Zarathustra ist in zehn Teile gegliedert. Sie beginnt mit einer Rede Zarathustras, die wiederum aus zehn Sätzen besteht. Die Rede vom „letzten Menschen“ (19) in Abschnitt 5 ist die Mitte der Komposition, die diese in jeweils fünf Teile teilt. Das erste und das letzte Stück der Vorrede (Teil 10 übrigens wiederum aus zehn Abschnitten bestehend) enden jeweils mit demselben Satz: „Also begann Zarathustra’s Untergang“ (12 und 28). Wie vieles im Zarathustra so ist auch das Wort von „Zarathustra’s Untergang“ mehrfach kodiert. Nietzsche parallelisiert den „Untergang Zarathustra’s“ mit dem Auf- und Untergang der Sonne; er spielt an auf den platonischen Aufstieg aus der Höhle und den Abstieg in diese zurück, und man darf den „Untergang“ auch ganz wörtlich verstehen, als Scheitern oder Untergehen, wie etwa den Untergang eines Schiffes. Die Einrahmung der 10 Teile der Vorrede durch ein und denselben Satz, „Also begann Zarathustra’s Untergang“, zeigt den ersten Gang als einen Gang im Kreis, was man wiederum als Anspielung auf die Wiederkunft, aber auch als ein Irren im Kreise deuten kann. Zarathustra erfährt, daß die Verkündigung der Lehre vom „letzten Menschen“ und vom „Übermenschen“ eine Verkündigung am falschen Platz und vor falschen Ohren gewesen war. Die Lehre gehört nicht auf den Markt, und sie gehört nicht vor das Volk. Am Ende des ersten Kreises oder Irrgangs steht die Erkenntnis, daß der „Untergang Zarathustra’s“ noch einmal zu beginnen hat. Zarathustra sucht nun nach Gefährten, „die mir folgen, weil sie sich selber folgen“ (25). Die Botschaft des Zarathustra richtet sich an jene, die in der Lage sind, sich selbst zu folgen und ihren eigenen Weg zu gehen.

3.4.2 Der „Vierte Theil“ Ein weiteres Beispiel denkbar strenger Komposition gibt der „Vierte Theil“ des Zarathustra. Wenn wir seine Stellung im Werk für einen Moment außer acht lassen und nur seine Binnenkomposition betrachten, so ist dieser „Vierte Theil“ ähnlich streng dekadisch gegliedert wie die Vorrede.

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Henning Ottmann Der „Vierte Theil“ umfaßt 20 Kapitel. Diese folgen dem Verlauf eine Tages, und sie enden einerseits mit den Glockenschlägen der Mitternachtsglocke (im Nachtwandler-Lied), andererseits mit dem „Zeichen“, das am nächsten Morgen auf den verheißenen „grosse[n] Mittag“ (408) verweist. Die Mitte bildet hier das Kapitel 10 mit dem Titel Mittags. Dieses Kapitel in der Mitte hat selbst wieder eine exakt bestimmbare Mitte. Bestehend aus 104 Zeilen insgesamt ist diese in den beiden Zeilen 52/53 zu finden. Dort stehen die beiden entscheidenden und passenden Sätze: „Scheue dich! Heisser Mittag schläft auf den Fluren. Singe nicht! Still! Die Welt ist vollkommen“ (343). Nur diese mittleren Zeilen des mittleren Kapitels enthalten das „ist vollkommen“, den einen Augenblick des Glücks und der erfüllten Zeit.12 Die Komposition des „Vierten Theils“ läßt sich folgendermaßen verdeutlichen. Links und rechts die Kapitelzahlen und die Titel der Kapitel, neben den Kapiteln 2–10 jeweils noch eine Erläuterung des Inhalts (siehe die Tabelle auf Seite 61). Man könnte weitere Beispiele strenger Komposition und Zahlensymbolik nennen.13 Beide Beispiele sollten aber genügen, Nietzsches Willen zur Komposition zu dokumentieren. In Teilen des Werks ist er eindeutig nachweisbar.

12 Das Kapitel enthält zahlreiche Anspielungen auf Pan und Dionysos, den panischen Schrecken und den Pan im Gefolge des Dionysos. Dreimal heißt es: „Ward die Welt nicht eben vollkommen?“ Siebenmal ein Beginn mit „Still!“ (342 ff.). 13 Die 12 Teile des Nachtwandler-Liedes (IV. 19) etwa entsprechen den Schlägen der Mitternachtsglocke, wobei das Schlußgedicht aus Das andere Tanzlied übernommen wird. Auch die große Bedeutung der Zahl 7 ist unverkennbar. Im Kapitel Der Genesende (III. 13) 7 Tage und 7 Reden. Noch strenger die der Zahl 7 folgende Gliederung von Die sieben Siegel. Zu beachten wären auch die Zahl der Anfänge mit „Von den …“ oder die Kapitelschlüsse mit der Formel „Also sprach Zarathustra“ oder die Vielzahl der Responsionen (vgl. Janz 1981, 218 f.).

Mittags

10

Mittags

Der hässlichste Mensch Der freiwillige Bettler Der Schatten

Ausser Dienst

Der Zauberer

Der Blutegel

Gespräch mit den Königen

7 8 9

6

5

4

3

Der Nothschrei

V O R M I T T A G S

2

V O R M I T T A G S

Tag zuvor Das Honig-Opfer

1

Vorspiel des „grossen Mittag“

Der Gottesmörder Der Bergprediger Der Freigeist

Der Künstler (Wagner) Der letzte Papst

Der Wissenschaftler

Der Philosoph (Schopenhauer) Die Machthaber

Teil I

15

14

13

12

11

Das Zeichen

Die Erweckung Das Eselsfest Das Nachtwandler-Lied

20

17 18 19

Unter Töchtern der Wüste 16

Von der Wissenschaft

Das Lied der Schwermuth

Vom höheren Menschen

Das Abendmahl

Die Begrüssung

Teil II N A C H M I T T A G S

Abends Nacht, Mitternacht Morgens

N A C H M I T T A G S

Kompositionsprobleme 61

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Henning Ottmann

3.5 Der Zarathustra – drei Teile und ein Separatum Was des weiteren mit Blick auf die Komposition des Zarathustra entschieden werden kann, ist die Frage, ob von einem drei- oder vierteiligen Werk die Rede sein muß. Hier kann mit Sicherheit gesagt werden, zusammengehören die Teile I–III, wobei der Teil III das Finale ist. Der „Vierte Theil“ dagegen ist ein Separatum, das für sich alleine stehen kann (auch wenn Nietzsche es als neues Finale einzugliedern versucht hat). Daß der Teil III das Finale sein sollte und als solches auch ausgearbeitet worden ist, läßt sich nicht übersehen. Im Kapitel Der Genesende (III. 13) „endet“ Zarathustras Untergang. Es ist eindeutig, daß von da an eine Schlußkomposition und eine Steigerung zum Finale beabsichtigt ist. Da ist die siebentägige Krise des Zarathustra, welche Paradies und Schöpfung parodiert, da ist die Überwindung des Ekels an der Wiederkunftslehre, da ist die Auflösung des Konflikts zwischen Lebensliebe und Weisheitsliebe (im Kapitel III. 15 Das andere Tanzlied). Da findet sich überhaupt die Steigerung zu Tanz und Lied sowie zum Ende des Endes selbst, das durch das Kapitel Die sieben Siegel besiegelt wird. Dieser Schluß des Zarathustra wertet die Apokalypse des Johannes um, wenn das christliche Ende der Geschichte dieser Welt in das Kreisen der Wiederkehr und in die Bejahung dieser Welt verwandelt wird. Der „Vierte Theil“ dagegen hat einen eigenen Ton und eine eigene Stellung. Der Ton ist satirischer, fast schon karnevalistisch, possenhaft, burlesk. Wie Nietzsche selbst einmal schreibt, ist dieses Werk „gedichtet mit der Laune eines Hanswursts“ (Brief an Köselitz vom 14. 2. 1885; KSB 7, 12). Zwar ist es abwegig, den „Vierten Theil“ als eine Nachahmung von Apuleius’ „Goldenem Esel“ zu betrachten (Higgins 1987). Der „Esel“ im „Vierten Theil“ hat eine ganz andere Provenienz.14 Aber man darf sagen, die Verwandtschaft der literarischen Gattungen ist da.

14 Esel und Eselsfest im Kapitel IV. 8 beziehen sich nicht auf Apuleius, sondern auf die mittelalterlichen Narren- und Eselsfeste, im engeren Sinne auf das Eselsfest von Sens. Nietzsche zitiert im Brief an Gersdorff vom 9. Mai 1885 (KSB 7, 51) zwei Zeilen aus dem Conductus ad tabulam von Sens (Salaquarda 1966–1972).

Kompositionsprobleme Auch vom Inhalt her ist der „Vierte Theil“ des Zarathustra ein eigenes, separates Werk, dem der Separatdruck durchaus angemessen war. Sein Thema ist die „Versuchung Zarathustra’s“ (Brief an Köselitz vom 14. 2. 1885; KSB 7, 12)15, die im Mitleiden mit den „höheren Menschen“ besteht. Diese „höheren Menschen“ gehören nicht zum Typus des „letzten Menschen“, sind aber auch noch nicht der verkündigte „Übermensch“. Sie alle leiden daran, daß sie große Menschen zu sein scheinen und es doch nicht wahrhaft sind. Sie sind Gestalten des Endes und des Übergangs. Der „Vierte Theil“ ist – trotz der vielfachen Versicherung Nietzsches, es handele sich um das Finale des Zarathustra – kein Ende, sondern ein „Zwischenspiel“ oder „Zwischenakt“ (Brief an Carl Fuchs vom 29. 7. 1888; KSB 8, 374; Brief an Georg Brandes vom 8. 1. 1888; ebd., 228). Nietzsche hätte damit auch ein neues Werk beginnen können, wenn er es nicht vorgezogen hätte, das Werk unter Ausschluß der Öffentlichkeit nur Freunden und Bekannten zugänglich zu machen.

3.6 Die Lehre von der ewigen Wiederkehr des Gleichen als ein Schlüssel zum Verständnis der Gesamtkonzeption Wissen wir mehr, als daß Teile des Zarathustra streng komponiert worden sind? Wissen wir mehr, als daß die Gesamtstruktur deutlich zwischen den Teilen I–III und dem Separatum des Teils IV zu unterscheiden zwingt? Wissen wir, was der Zarathustra seiner Form nach ist? Ein Drama? Eine Tragödie? Ein neues „Evangelium“? Ein prophetisches Buch? Ist er Dichtung oder Philosophie? Aufklärung oder Offenbarung? Die Antwort hat Nietzsche uns nicht leicht gemacht, weil er die vertrauten Gattungen und Stile unterläuft und konterkariert. Nichts bleibt so, wie es war. Für ein Drama besitzt der Zarathustra zu wenig Handlung und Geschehen, ist er zu sehr ein Werk der Thesen und der Lehre, erinnernd an ein antikes Lehrgedicht. Die Tragödie scheint ihm näher zu stehen. Aber kann der Zarathustra eine Tragödie sein? 15 Das Motto des „Vierten Theils“ gibt das Thema des Mitleidens vor.

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Henning Ottmann Zunächst scheint vieles dafür zu sprechen, daß im Zarathustra Nietzsches Philosophie der Tragödie ihren Ausdruck fand. Da ist das Pathos des „Untergangs“, des Scheiterns, des Vergeblich und Umsonst, auf das gleichwohl mit dem Dennoch des tragischen Heroismus geantwortet wird. Selbst die Versuche des höchsten „Willens zur Macht“, „[d]em Werden den Charakter des Seins aufzuprägen“ (N 1886/87, 7/54; 12, 312), sind zum Scheitern verurteilt. Alles kehrt ewig wieder, der große und der kleine Mensch (274 und N 1888, 14/182; 13, 369 f.). Die Wiederkunftslehre hat eine eigene „Oekonomie“ (ebd., 370), die dem starken und dem schwachen Willen sein Recht widerfahren läßt. Warum nicht von „tragischer Gerechtigkeit“ sprechen, da in der Welt der Wiederkunft alles in gleicher Weise scheitert und wieder entsteht, ohne daß es endgültige Sieger oder endgültige Verlierer geben kann?16 Aber der Zarathustra ist keine Tragödie im strengen Sinne des Wortes. Die Tragödie lebt von der Zweideutigkeit der Schuld, von der „unschuldigen Schuld“. Sie lebt vom bloßen Versehen (hamartia) und dem disproportional Ungeheuerlichen, was die Tat ist und bewirkt. Diese Wurzel des Tragischen wird abgeschnitten, wenn Schuld oder Unschuld nur noch eindeutig sind. Es ist nicht tragisch, wenn der Verbrecher seine verdiente Strafe erhält, und es ist auch nicht tragisch, wenn die reine Unschuld leidet. Das Geschehen wird ihr, wo nicht einmal ein Versehen vorliegt, einfach nur beziehungslos und fremd. Platon hatte die Tragödie moralistisch beseitigt,17 und auch das Christentum kennt die Tragödie nicht mehr (sondern nur 16 Heideggers Nietzschedeutung scheint auf eine solche „tragische Gerechtigkeit“ zuzulaufen, wobei allerdings bei Heidegger die „Tragödie“ des „Willens zur Macht“ sogar noch zu wenig erfaßt wird, da Heidegger den „Willen zur Macht“ allzu einseitig auf die Subjektivität und einen sich zu sich selbst ermächtigenden Willen festlegt. Diese Deutung ist seit Müller-Lauter (1971) relativiert. Vgl. Kaulbach 1980, 256 ff.; Ottmann 1987, 389 ff. 17 Das Thema „Tragödie“ würde weiterer Ausführungen bedürfen. Es ist schon bei Platon dadurch verkompliziert, daß Platon die Dichter der Tragödie nicht nur aus dem besten Staat vertreibt, sondern auch mit ihnen konkurriert (Kuhn 1970). Nietzsche hat auch im Blick auf die Tragödie Platon umzukehren versucht. Wenn es bei Platon heißt, allein Gott und nicht der Mensch sei des „großen Ernstes“ wert (Nomoi 803c), so kehrt Nietzsche dies, etwa im Aphorismus 628 von Menschliches, Allzumenschliches, „Ernst im Spiele“ (MA 1, 628; 2, 354), um. Gleichwohl kann es weder bei Platon noch bei Nietzsche Tragödie im alten Sinne geben.

Kompositionsprobleme noch die Divina Commedia). Nietzsche kann keine Tragödie schreiben, weil er ein Immoralist ist. Wo es keine Schuld mehr gibt und die „Unschuld des Werdens“ regiert, wird der Tragödie genauso der Boden entzogen, wie wenn der gerechte Gott und die moralische Weltordnung jedem letztlich doch wieder zuteilen, was er verdient. Die von Nietzsche gepriesene „Unverantwortlichkeit“ (MA 1, 107; 2, 103–106) löst das Tragische nicht weniger auf als die Gerechtigkeit Platons oder des Christentums. Ein neues „Evangelium“? Ein prophetisches Buch eines Dichter-Philosophen? Aufklärung in Offenbarungsform? Die Charakterisierungen sind spannungsreich in sich, und jeder Versuch der Klassifizierung des Zarathustra muß damit rechnen, daß Nietzsche sich alter Formen nur als einer Hülle für eine neue Lehre bedient. Es ist eine hypermoderne Lehre von den pluralen Machtwillen und ihren unendlich vielfältigen Perspektiven, die Nietzsche in die alten Formen gekleidet hat. Inhalt und Form geraten im Zarathustra ständig in Konflikt. Die neue Lehre imitiert alte Formen, aber sie parodiert und denunziert sie zugleich. Wir werden aus diesem Grunde Komposition und Konzeption des Zarathustra erst dann verstehen, wenn es gelingt, die Form des Werkes auf seine Lehre zu beziehen. Dabei muß Nietzsches Lehre von der „ewigen Wiederkunft“ von besonderer Bedeutung sein. Insofern sie Gegen-Lehre und GegenBotschaft ist, verdanken sich ihr die zahlreichen Umkehrungen, Konversionen und antithetischen Parallelismen, von denen der Zarathustra geprägt ist. Insofern sie eine antifinalistische Lehre ist, wird in ihr auch der Schlüssel zum Verständnis des doppelten „Finales“ des Zarathustra zu suchen sein. Die „ewige Wiederkunft“ kennt kein Telos und kein Finale mehr. Sie fordert das Immer-Wieder, das Noch-Einmal, das Da Capo. Das „Ende“ wird ihr offen. Es verliert seine Endgültigkeit und Einmaligkeit. Aus dem Finale wird der Kreis, der keinen Anfang und kein Ende mehr hat. In Komposition und Stil des Zarathustra liegt aus diesem Grund ein so großes Gewicht auf den Wiederholungen und den Refrains, auf den Leitmotiven und den Gängen im Kreis. Vergleicht man Nietzsches Zarathustra mit den Werken Wagners, so läßt dies weniger an eine Meistersinger-Form als an die

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Henning Ottmann „unendliche Melodie“ denken, die bei Wagner an die Stelle der traditionellen Schlußkomposition tritt. Wie oft hat nicht auch Wagner etwa im Ring des Nibelungen zu einem neuen „Finale“ angesetzt! Das Kapitel Die sieben Siegel sollte ursprünglich „Vom Ring der Ringe“ überschrieben sein, und vielleicht ist es kein Zufall, daß Zarathustra und Der Ring des Nibelungen mit Ringen schließen, in denen unterschiedliche Formen von Anfang und Ende, von Vermählung und Hochzeit symbolisiert sind.

Literatur Bennholdt-Thomsen, Anke 1974: Nietzsches „Also sprach Zarathustra“ als literarisches Phänomen, Frankfurt/M. Gramzow, Otto 1907: Kurzer Kommentar zum Zarathustra, Berlin-Charlottenburg. Haase, Marie-Luise 1991: Zur Überlieferung und Entstehung von „Also sprach Zarathustra“, in: KGW VI/4, 934–978. Heller, Peter 1972: „Von den ersten und letzten Dingen“. Studien und Kommentar zu einer Aphorismenreihe von Friedrich Nietzsche, Berlin/New York. Higgins, Kathleen M. 1987: Nietzsche’s “Zarathustra”, Philadelphia. Janz, Curt Paul 1981: Friedrich Nietzsche. Biographie in drei Bänden, Bd. 2, München. Kalthoff, Albert 1904: Zarathustra-Predigten. Reden über die sittliche Lebensauffassung Friedrich Nietzsches, Jena. Kaulbach, Friedrich 1980: Nietzsches Idee einer Experimentalphilosophie, Köln/ Wien. Kuhn, Helmut 1970: Die wahre Tragödie. Platon als Nachfolger der Tragiker, Hildesheim/New York. Lampert, Laurence 1986: Nietzsche’s Teaching. An Interpretation of “Thus Spoke Zarathustra”, New Haven/London. Messer, August 1922: Erläuterungen zu Nietzsches „Zarathustra“, Stuttgart. Montinari, Mazzino 1982: Aufklärung und Revolution: Nietzsche und der späte Goethe, in: ders., Nietzsche lesen, Berlin, 56 –63. Müller-Lauter, Wolfgang 1971: Nietzsche. Seine Philosophie der Gegensätze und die Gegensätze seiner Philosophie, Berlin/New York. Naumann, Gustav 1899–1901: Zarathustra-Commentar, 4 Teile, Leipzig. Ottmann, Henning 1985: Nietzsches Stellung zur antiken und modernen Aufklärung, in: J. Simon (Hrsg.), Nietzsche und die philosophische Tradition, Bd. 2, Würzburg, 9–35. Ottmann, Henning 1987, 21999: Philosophie und Politik bei Nietzsche, Berlin/ New York. Pieper, Annemarie 1990: „Ein Seil geknüpft zwischen Tier und Übermensch“. Philosophische Erläuterungen zu Nietzsches erstem „Zarathustra“, Stuttgart. Reibnitz, Barbara von 1992: Ein Kommentar zu Friedrich Nietzsche, „Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik“ (Kap. 1–12), Stuttgart/Weimar.

Kompositionsprobleme Roth-Bodmer, Eugen 1975: Schlüssel zu Nietzsches „Zarathustra“. Ein interpretierender Kommentar zu Nietzsches Werk „Also sprach Zarathustra“, Diss. Zürich. Salaquarda, Jörg 1966–1972: Zarathustra und der Esel. Eine Untersuchung über die Rolle des Esels im Vierten Teil von Nietzsches „Also sprach Zarathustra“, in: Theologia Viatorum XI, 181–213. Scheier, Claus-Artur 1985: Nietzsches Labyrinth. Das ursprüngliche Denken und die Seele, Freiburg/München. Strauss, Leo 1958: Thoughts on Machiavelli, Chicago/London. Vitens, Siegfried 1951: Die Sprachkunst Friedrich Nietzsches in „Also sprach Zarathustra“, Bremen-Horn. Weichelt, Hans 21922: Zarathustra-Kommentar, Leipzig.

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Henning Ottmann

Die Grundconception des Z ARATHUSTRA

Jörg Salaquarda

Die Grundconception des Zarathustra *

4.1 Probleme der kategorialen Einordnung des Zarathustra Also sprach Zarathustra wird in der Literatur gewöhnlich als eine „philosophische Dichtung“ bezeichnet. Das ist eine ziemlich unklare Kennzeichnung, die aus einer verständlichen Verlegenheit erwachsen ist. Schon Nietzsche selber hatte von Anfang an Probleme mit der Einordnung seines Werks. Kurz nach Fertigstellung des ersten Teils bezeichnete er diesen als „eine wunderliche Art von ‚Moral-Predigten‘“ (Brief an Heinrich Köselitz vom 1. 2. 1883; KSB 6, 321). Nur wenige Tage später nahm er diese – ohnehin schon unbestimmte – Kennzeichnung zurück und betonte die Neuartigkeit seines Werks: „Es ist eine ‚Dichtung‘, oder ein fünftes ‚Evangelium‘ oder irgend Etwas, für das es noch keinen Namen giebt“ (Brief an Ernst Schmeitzner vom 13. 2. 1883; ebd., 327). Gegenüber dem alten Freund Rohde nahm Nietzsche ein Jahr später davon die These auf, daß der Zarathustra eine „Dichtung“ (geworden) sei, obwohl er den * Der Beitrag geht auf einen Vortrag zurück, den ich am 24. Oktober 1992 anläßlich der Zweiten Jahreshauptversammlung der Förder- und Forschungsgemeinschaft Fr. Nietzsche e. V. in Halle gehalten habe. Der Vortrag wurde in der Jahresschrift der Förder- und Forschungsgemeinschaft Fr. Nietzsche e. V., Bd. III, Halle 1994, 7–22, und (in leicht überarbeiteter Form) in Nietzsche und die Schweiz, hrsg. v. D. M. Hoffmann, Zürich 1994, 85–95, veröffentlicht. – Für den vorliegenden Sammelband wurde der Beitrag (bei Wahrung der zentralen These) völlig neu gestaltet.

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Jörg Salaquarda Drang zum Dichten in sich bekämpft habe1 (Brief an Erwin Rohde vom 22. 2. 1884; ebd., 479 f.). Kurze Zeit später warf er gegenüber seinem Adlatus, dem Musiker Gast (Pseudonym von Heinrich Köselitz), die Frage der Zuordnung erneut auf: „Unter welche Rubrik gehört eigentlich dieser ‚Zarathustra‘?“, um diesmal zu behaupten: „Ich glaube beinahe, unter die ‚Symphonien‘“ (Brief an Köselitz vom 2. 4. 1883; ebd., 353; vgl. Janz 1978/II, 211 ff.). Gast antwortete mit einem Gegenvorschlag, der Nietzsches frühere Kennzeichnung des ersten Teils als „fünftes Evangelium“ verallgemeinerte: Das Werk gehöre „unter die ‚heiligen Schriften‘“ (Brief von Köselitz vom 6. 4. 1883; KGB III/2, 361). Nietzsche nahm das postwendend positiv auf: Er habe ein neues „‚heiliges Buch‘“ geschaffen, teilte er stolz der alten Freundin Malwida von Meysenbug mit (Brief vom 20. 4. 1883; KSB 6, 363). Alle diese Kennzeichnungen heben in der Tat wichtige Aspekte von Also sprach Zarathustra hervor. Von „Predigten“ kann Nietzsche im Blick auf die rhetorische Tradition sprechen, an die er angeknüpft hat; von einer „Symphonie“, wenn er die klangliche und rhythmische Gestaltung seines Werks sowie die Durchführung der darin auftauchenden Motive in den Blick nimmt; von einer „Dichtung“, wenn er die Gesamtkomposition meint; von einem „Evangelium“ oder einer „heiligen Schrift“, um seinen Kampf gegen das zentrale Paradigma der Tradition hervorzuheben. Aber keiner dieser Aspekte reicht aus, die Schrift insgesamt zu kennzeichnen. Dies schon deswegen nicht, weil sie alle in gewissem Sinne auch nicht zutreffen bzw. weil die Kategorien eine Veränderung erfahren, wenn das Werk unter sie befaßt wird. Also sprach Zarathustra ist in der Tat eine „Predigt“, denn der Autor läßt seinen Protagonisten thetisch reden und bedient sich dabei aller rhetorischen Figuren und Kniffe, die die protestantischen Prediger – gleichsam von Luther bis Ludwig Nietzsche – entwickelt haben. Er achtet auf Tempo, Rhythmus und Klangfarbe, und er schreibt eine Prosa im schwebenden Übergang zur Poesie. Aber der Zarathustra ist auch eine Anti-Predigt, denn Zarathustra fordert uns dazu auf, unser

1 Durch die selbstverordnete „positivistische Kur“ nach seinem Bruch mit Schopenhauer und Wagner.

Die Grundconception des Z ARATHUSTRA eigenes Selbst sprechen zu lassen und nichts auf bloße Autorität hin anzunehmen. Ebenso ist das Werk zweifellos eine „(philosophische) Dichtung“, aber in ihm wird andererseits betont, daß alle Dichter lügen – der eigene Autor nicht ausgenommen. Was ist das ferner für eine „heilige Schrift“, in der der „Tod Gottes“ verkündet und alles Heilige als Setzung eines menschlichen Machtwillens dargestellt wird? Was sind das schließlich für „Moralpredigten“, die zum Zerbrechen aller „alten Tafeln“ animieren? Ähnliche Ambivalenzen und Spannungen finden sich auch in Nietzsches Kennzeichnungen seines Protagonisten. Wer ist dieser Zarathustra (vgl. Heidegger 1954; Wohlfart 1997)? Er ist Dichter, Prophet, Religionsstifter, Moralist und anderes mehr –, und wiederum ist er nicht das, was man üblicherweise unter einem Dichter, Propheten, Religionsstifter und Moralisten versteht (vgl. 177–182 und EH, Vorwort 4; 6, 259 ff.). Er ist zweifellos ein Verführer, aber einer, der eine jede und einen jeden zu ihr bzw. ihm selber verführen möchte. Voraussetzung seiner Mission ist „die grosse Gesundheit“ (EH, Zarathustra 2; 6, 337), die es ihm erlaubt, verschiedenste Rollen einzunehmen und sie sogar besser zu verkörpern als je einer, der sich mit ihnen identifiziert hat – wie der Schauspieler, der auf der Bühne den König königlicher darstellt, als ein echter König es getan und gekonnt hätte (WL 2; 1, 888). Zugleich wahrt Zarathustra Distanz zu seinen verschiedenen Rollen, indem er, wie in einem Brechtschen Lehrstück, seinen Leserinnen und Lesern gelegentlich ein „Schau’, so wird es gemacht!“ zuzwinkert, um danach genauso erfolgreich, aber mit der gleichen Distanz, in eine andere Rolle zu schlüpfen. Ist Zarathustra ein Chamäleon? Hat er gar kein Selbst? Oder steht er doch für eine bestimmte Position ein? Welche Absicht hat Nietzsche geleitet, als er das Werk abfaßte? Nietzsche gibt in Also sprach Zarathustra, in anderen Schriften und in Briefen eine Reihe von Hinweisen, die es ermöglichen, auch diese Fragen einigermaßen plausibel und konsistent zu beantworten. Es war ihm mit dem Werk um (intellektuelle) Redlichkeit zu tun, um Selbstwerdung und Eigenständigkeit, um eine machtvolle Synthese menschlicher Möglichkeiten. In und mit dem allen zielte er auf eine Überwindung der Grenzen des bisherigen Menschenseins (vgl. 29–31, 74 –76, 146 –149). Dazu gehört, als

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Jörg Salaquarda wesentliche Voraussetzung, die „Selbstüberwindung der Moral“ (vgl. besonders EH, Schicksal 3; 6, 367 und N 1888, 18/15; 13, 536). Nach Fertigstellung des zweiten Teils räumte Nietzsche ein, daß es auch ihn ein beträchtliches Maß an (Selbst-)Überwindung gekostet habe, dieses Buch abzufassen. Es sei ihm damit ein „nicht geringe[r] Sieg über den ‚Geist der Schwere‘“ gelungen (Brief an Köselitz von Ende August 1883; KSB 6, 442). Fast „hinter jedem Wort“ stehe „eine Selbst-Überwindung ersten Ranges“ (Brief an Elisabeth Nietzsche vom 29. 8. 1883; ebd., 439). Von früh an war Nietzsche überzeugt, daß wir Menschen nur dann zu (übermenschlicher) Größe vordringen können, wenn wir jene Faulheit und Furchtsamkeit überwinden, die uns in der Regel „mit den Wölfen heulen“ und unser „wahres Selbst“ zugunsten der gängigen Vorurteile verleugnen lassen. An dieser Auffassung hielt er auch im Zarathustra fest. Wenn Zarathustra zu Beginn des zweiten Teils „[s]eine Lehre […] in Gefahr“ sieht (105), so nicht deswegen, weil Sätze oder Gedanken von ihm nicht wörtlich festgehalten werden. Im Gegenteil: Die Gefahr besteht für ihn darin, daß seine Lehren von Leuten nachgesprochen werden, die kein Recht dazu haben, weil sie das darin Ausgedrückte nicht selber errungen und erlitten haben. Lehren dürfen wir nur, was aus eigenen „Überwindungen“ erwächst. Zu Ende des ersten Teils hatte Zarathustra seine Jünger deswegen aufgefordert, ihn zu verleugnen und sich selber zu suchen. Nachbeter, „Affen Zarathustra’s“ (222), wollte und will er nicht. Da sind ihm die „höheren Menschen“ lieber, weil sie den Mut zu sich selbst haben, auch wenn sie in anderer Hinsicht hinter seinen Erwartungen zurückbleiben. „Werde, der du bist!“ blieb Nietzsches Motto, auch bei der Abfassung seines Zarathustra. In diesem Sinn schrieb er Ende April 1884 an Paul Lanzky: „Alle Menschen aber, die irgend einen heroischen Impuls in sich haben zu ihrem eigenen Ziele hin, werden sich eine große Kraft aus meinem Zarathustra herausnehmen“ (KSB 8, 597).2

2 Aufschlußreich ist Nietzsches Haltung gegenüber Heinrich von Stein, den er zu nichts drängte, von dem er aber viel erwartete, weil er einen „heroischen“ Grundzug in ihm wahrzunehmen meinte. „[…] einstweilen noch trop wagnetisé“ schrieb Nietzsche über ihn an Franz Overbeck (Brief vom 14. 9. 1884; KSB 6, 531), aber durch die rationale Zucht, die er bei Dühring erhalten hatte, „sehr zu mir vor-

Die Grundconception des Z ARATHUSTRA Die kategoriale Einordnung von Also sprach Zarathustra und von Zarathustra bereitet deswegen Schwierigkeiten, weil Selbstwerdung durch Selbstüberwindung ein Lebensprozeß ist, den ein jeder und eine jede selbst vollziehen muß und nur selbst vollziehen kann. In seinen allgemeinen Zügen läßt er sich begrifflich bestimmen, nicht aber in den „jemeinigen“ Inhalten. Daher sind bei diesem von Nietzsche mit Bedacht als Buch für Alle und Keinen bezeichneten Werk zumindest zwei verschiedene Aspekte zu unterscheiden. Zum einen führt es vor, wie und auf welchen Wegen es seinem Helden gelingt, er selbst zu werden. Er schreitet durch Aufdecken von Irrtümern, Überwindung von Versuchungen und Ernstnehmen seiner Erfahrungen voran. Er überwindet dabei das Zufällige als Zufälliges und schafft es in Eigenes um. Zum anderen stellte Nietzsche in dem Werk dar, was diesen besonderen Menschen Zarathustra bewegt, den er als sein alter ego oder als seinen „Sohn“ aufgefaßt hat3; welche Probleme diesem Zarathustra so zu schaffen machen, daß sie ihn an der Selbstwerdung hindern, solange er sich ihnen nicht stellt und sie überwindet. Die beiden Aspekte sind im Sinne des bereitet“. Trotz zeitweiliger Entfremdung hegte Nietzsche in Bezug auf v. Stein große Hoffnungen und war deswegen über seinen frühen Tod tief erschüttert: „[…] ich bin immer noch ganz außer mir […]. Ich hatte ihn so lieb, er gehörte zu den wenigen Menschen, deren Dasein an sich mir Freude machte. Auch zweifelte ich nicht daran, daß er mir gleichsam für später aufgespart sei“ (Brief an Overbeck vom 30. 6. 1887; KSB 8, 103; vgl. auch das literarische Denkmal, das Nietzsche v. Stein in EH, Weise 4; 6, 269–271 gesetzt hat). Ersichtlich hat Nietzsche bei alledem nicht gemeint, daß der Jüngere seine „Lehren“ und Ansichten übernehmen sollte (vgl. die ausführlichere Dokumentation dieser Episode in Borchmeyer/Salaquarda 1994/II, 855 f.). – Auch von Lou Salomé erwartete Nietzsche kein bloßes Nachbeten seiner Gedanken. An dem Tautenburger Aufenthalt im September 1882 hat ihm vielmehr gerade der Gedankenaustausch mit einer geistig selbständigen Person gefallen. Die generelle Einstellung Nietzsches kommt gut in der folgenden Nachlaßnotiz zum Ausdruck: „Dies sind meine Urtheile: und ich gebe, dadurch daß ich sie drucke, noch Niemandem das Recht, sie als die seinen in den Mund zu nehmen: am wenigsten halte ich sie für öffentliches Gemeingut, und ich will dem ‚auf die Finger klopfen‘, der sich an ihnen vergreift“ (N 1885, 34/156; 11, 473). 3 Natürlich ist Zarathustra eine literarische Gestalt. Aber Nietzsche hat ihn mit vielen Zügen ausgestattet, die er von sich selber genommen hat. Er hat das ausdrücklich hervorgehoben: „Im Einzelnen ist unglaublich Vieles persönlich Erlebte und Erlittne darin, das nur mir verständlich ist“ (Brief an Köselitz von Ende August 1883; KSB 6, 443; vgl. Brief an E. Nietzsche vom 29. 8. 1883; ebd., 439 ff.).

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Jörg Salaquarda Autors Nietzsche für die Leserinnen und Leser, die dem Vorbild Zarathustras folgen wollen, in unterschiedlicher Weise verbindlich. Der erste Aspekt ist unabdingbar: Der Weg zur Größe führt nur über diesen „schmalen Pfad“. Der zweite Aspekt ist nur insofern exemplarisch, als er zeigt, daß der Mensch, der zu sich selbst finden will, genauso den Mut zu seinen Meinungen wie zum Angriff auf seine Meinungen haben muß (vgl. N 1888, 14/159; 11, 343 f.). Er darf nicht aus Feigheit und Faulheit an Meinungen und Gewohnheiten festhalten, deren Ungegründetheit und Kontraproduktivität er längst durchschaut hat. Was Zarathustra will, hat Nietzsche später wie folgt ausgedrückt: „[…] diese Art Mensch, die er concipirt, concipirt die Realität, wie sie ist: sie ist stark genug dazu –, sie ist ihr nicht entfremdet, entrückt, sie ist sie selbst, sie hat all deren Furchtbares und Fragwürdiges auch noch in sich“ (EH, Schicksal 5; 6, 370). Das Motiv der „Überwindung“ durchzieht den Zarathustra. Besonders deutlich tritt es in der Lehre vom „Übermenschen“ hervor (vgl. Haase 1984), die Zarathustra von Beginn des Werkes an verkündet. So wichtig das ist – seine zentrale Aufgabe ist es nicht. Obwohl er in der Vorrede mehrfach betont, daß er den „Übermenschen“ lehrt, wird er weder in dem Werk selbst noch andernorts als der „Lehrer des Übermenschen“ bezeichnet. Denn nach Nietzsches Plan ist dies (noch) nicht der Kern seiner Botschaft an die Menschen, sondern dient dazu, die Mitteilung der (laut EH, Zarathustra 1; 6, 335) „Grundconception“ des Werks vorzubereiten – des Gedankens von der „Ewigen Wiederkunft des Gleichen“. Hier taucht freilich ein weiteres Problem auf: Wenn Nietzsche bei der Abfassung seines Zarathustra wesentlich auf die Mitteilung dieses seines „Gedankens der Gedanken“ abzielte, dann steht das Ergebnis in merkwürdiger Spannung zur Absicht. Zarathustra soll „der Lehrer der Ewigen Wiederkunft“ sein, tatsächlich lehrt er in dem uns vorliegenden Werk den Gedanken nicht! Dieser ist zwar von Anfang an in Bildern, Metaphern und Anspielungen präsent, etwa im Kreisen des Adlers und im Sich-Ringeln der Schlange,4 aber er wird erst spät

4 Pieper (1990, 371) betont dies zu Recht gegen Lampert (1986, 81 u. ö.), der es bestreitet.

Die Grundconception des Z ARATHUSTRA ausdrücklich genannt. Die Passagen, in denen dies endlich geschieht, machen wohl den dramatischen Höhepunkt und gedanklichen Abschluß von Also sprach Zarathustra aus. Doch auch in ihnen lehrt Zarathustra den Gedanken nicht, sondern vollzieht nur die von ihm lange hinausgezögerte „existenzielle“ Auseinandersetzung mit ihm. Es ging Nietzsche weniger darum, Zarathustra die „ewige Wiederkunft“ lehren zu lassen, als darzustellen, wie er zum „Lehrer (der ewigen Wiederkunft)“ wird, und wie andere es ihm nachtun können – durch (Selbst-)Überwindung!

4.2 Die Entfaltung der zentralen „Lehre“ Nietzsches Daß alles ewig wiederkehrt, mag Nietzsches zentrale „Lehre“ sein – gewiß ist es seine merkwürdigste, und zwar der Sache wie der Form nach. Wo immer Nietzsche von ihr handelte, in seinen Werken und Aufzeichnungen genauso wie in Briefen und Gesprächen, umgab er sie mit dem Flair des Geheimnisvollen und Außerordentlichen. Zudem wies er ihr einander widerstreitende Bewertungen zu. Einerseits sei sie niederdrückend und todbringend, andererseits befreiend, ja sogar die „höchste Formel der Bejahung“ (ebd.). Dabei deutete Nietzsche in den von ihm selbst veröffentlichten Werken nur knapp und beiläufig an, was er mit der Formel „Ewige Wiederkunft (oder Wiederkehr) des Gleichen“ eigentlich meinte, und das Ergebnis ist eher enttäuschend: die seit der Antike bekannte Auffassung, daß der Weltlauf sich in identischen Zyklen wiederhole. „Die Lehre von der ‚ewigen Wiederkunft‘, das heisst vom unbedingten und unendlich wiederholten Kreislauf aller Dinge – diese Lehre Zarathustra’s“ heißt es unmißverständlich in Ecce homo (Tragödie 3; 6, 313). Doch warum schreckt Zarathustra vor dieser längst bekannten und immer schon als höchst fragwürdig erachteten Hypothese zurück? Wieso hat die Vision in den Schweizer Bergen Nietzsche sosehr bewegt, während er Jahre zuvor über den Gedanken in nüchterner Distanz handeln konnte (vgl. 2. UB 2; 1, 258–265)? Was Nietzsche im August 1881 während eines Ausflugs im Oberengadin erfaßte, war zweifellos ein ihm der

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Jörg Salaquarda Sache nach keineswegs neues Motiv. Seine Reaktion ist nur verständlich, wenn er erst dort und damals, mit Hegel zu sprechen, den Wiederkunftsgedanken, der ihm seit langem bekannt war, in seiner eigentlichen Bedeutung erkannte. Nietzsches für die Öffentlichkeit bestimmte Äußerungen bestätigen diesen Eindruck – allen voran die erste Mitteilung seines Gedankens im vorletzten Aphorismus des vierten Buches der Fröhlichen Wissenschaft durch einen „Dämon“ (FW 341; 3, 570. – Vgl. zum folgenden Salaquarda 1989). Inhaltlich treibt er dabei das Motiv der Wiederholung des Lebens auf die Spitze, denn er verkündigt sie als Wiederkehr – von allem: Nichts geht je verloren; selbst der kleinste „Seufzer“, jeder Gedanke, jede Lust und jeder Schmerz, alle kleinen und großen Ereignisse werden wiederkehren; – von allem in der gleichen Anordnung, ohne Variation: „Alles in der selben Reihe und Folge“; – von allem in der gleichen Reihenfolge, die immer wieder geschieht: Wir werden unser Leben nicht nur „noch einmal“, sondern „noch unzählige Male leben müssen“. Unausgesprochen impliziert das natürlich, daß wir es auch schon unendlich oft gelebt haben. „Die ewige Sanduhr des Daseins wird immer wieder umgedreht“ (FW 341; 3, 570). Diese Zuspitzung wird in Nietzsches erster Veröffentlichung des Gedankens nicht begründet und ohne Widerspruch zur Kenntnis genommen. Der „Dämon“ repräsentiert wohl eine innere Stimme, die in der Zurückgezogenheit der „einsamsten Einsamkeit“ ausspricht, was sich in einem Menschen seit langem vorbereitet hat. Bisher unbewußt Gebliebenes läßt sich nicht mehr abdrängen, die Auseinandersetzung damit nicht mehr aufschieben. So ist es allem Anschein nach auch Nietzsche selber ergangen: Der Wiederkunftsgedanke ergriff während einer seiner langen Wanderungen an einer von ihm genau bezeichneten Stelle am Südufer des Silvaplaner Sees von ihm Besitz. Nur zehn Tage später, also noch unter unmittelbarem Eindruck des Geschehens, äußerte er sich darüber in einer Form, die an eine Vision denken läßt5: „An meinem Horizonte sind Gedanken aufge5 Vergleichbar der Vision des Saulus vor Damaskus, über die sich Nietzsche in M 68; 3, 64 ff. geäußert hat. – Siehe dazu Salaquarda 1980.

Die Grundconception des Z ARATHUSTRA stiegen, dergleichen ich noch nicht gesehn habe“ (Brief an Köselitz vom 14. 8. 1881; KSB 6, 112). Jahre später ließ Nietzsche im Rückblick dieses Motiv erneut anklingen: „Im Sommer, heimgekehrt zur heiligen Stelle, wo der erste Blitz des Zarathustra-Gedankens mir geleuchtet hatte“ (EH, Zarathustra 4; 6, 341). Aufschlußreich ist ferner, daß Nietzsches erste literarisch faßbare – wenn auch noch nicht für das Publikum bestimmte – Reaktion auf das ihn aufrüttelnde Erlebnis nicht darin bestand, den Gedanken inhaltlich zu kennzeichnen oder ihn gar lehrhaft zu entfalten. Offensichtlich verstand sich der „Inhalt“ für ihn von selbst, bzw. es kam ihm darauf nicht in erster Linie an. Dieser Eindruck wird durch die Beobachtung verstärkt, daß sich Nietzsche in von ihm veröffentlichten Werken auch später so gut wie gar nicht über den Sachgehalt seiner „Lehre“ äußerte und keine Argumente zur Stützung ihres Wahrheitsanspruchs beibrachte. Aus vielen Nachlaßnotizen wissen wir zwar, daß er auch dahingehende Überlegungen anstellte,6 aber sie sind nicht zur Veröffentlichungsreife gediehen. Doch zurück zu Nietzsches erster Aufzeichnung (N 1881, 11/ 141; 9, 494): Sie trägt die Überschrift „Die Wiederkunft des Gleichen. Entwurf.“ Nietzsche fügte die Datums- und Ortsangabe „Anfang August 1881 in Sils-Maria“ hinzu und unterstrich durch den Zusatz: „6000 Fuss über dem Meere und viel höher über allen menschlichen Dingen! –“ den exzeptionellen Charakter seiner Wiederkunfts-Erfahrung. Die folgende fünfteilige Planskizze läßt erkennen, daß er bei ihrer Darstellung von der „Leidenschaft der Erkenntnis“ ausgehen wollte, die er seit Menschliches, Allzumenschliches als Grundhaltung des „Freien Geistes“ beschrieben hatte (vgl. Montinari 1982; Brusotti 1997). Wer von dieser Leidenschaft ergriffen ist, kann und darf mit seinem Leben „experimentieren“. Der Wiederkunftsgedanke verleiht nun jeder Einzelheit unseres Lebens eine ungeheure Bedeutung: „Unendliche Wichtigkeit unseres Wissen’s, Irren’s, unsrer Gewohnheiten, Lebensweisen für alles Kommende“ (N 1881, 11/141; 9, 494). Diese Funktion des Wiederkunftsgedankens faßte Nietzsche schon hier, wie dann im Titel von 6 Eine Übersicht über die wichtigsten derartigen Aufzeichnungen und eine genaue Diskussion ihres philosophischen Ertrags bietet Magnus 1978.

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Jörg Salaquarda Aphorismus 341 der Fröhlichen Wissenschaft, in der Formel „[d]as neue Schwergewicht“ (ebd.) zusammen. Er plädierte dafür, sich nach jener Leidenschaft auch dieses Schwergewicht „einzuverleiben“. Das beste Mittel dazu sei, den Wiederkunftsgedanken zu lehren. Später hat Nietzsche diese Aufgabe seinem „Sohn Zarathustra“ zugedacht. Während der Abfassung von Also sprach Zarathustra muß er den Plan dahingehend geändert haben, daß er Zarathustra die „Ewige Wiederkunft“ nicht lehren, sondern nur in der Tiefe erfahren und seinen Widerstand dagegen überwinden ließ. In den ersten beiden Teilen des Werks spricht sein widerspenstiger Protagonist den Gedanken nicht einmal aus. Doch zu Ende des zweiten Teils (Die stillste Stunde) sagt ihm seine „furchtbare Herrin“, die „stillste Stunde“, auf den Kopf zu, daß er – „‚Du weisst es, Zarathustra?‘“ (187) – den Gedanken schon lange kennt, ihn aber abdränge. Zarathustra gesteht das ein: Er wolle den Gedanken nicht lehren. Aber alles, was er vorbringt, um seine Weigerung zu begründen, hält vor der Konfrontation mit seinem (wahren) Selbst in der „einsamsten Einsamkeit“ der „stillsten Stunde“ nicht stand. Es sind Ausreden, die ihm teils seine Klugheit eingibt, z. B. daß niemand ihm zuhören und Glauben schenken werde, weil ihm Einfluß, Position und Auftreten fehlen, und teils sein Stolz vorgaukelt, nämlich daß er sich schäme, eine solch’ abstruse Lehre zu verkündigen. Die Argumente sind vorgeschützt. Später, nachdem er den tatsächlichen Grund erkannt und seinen Widerstand endlich überwunden hat (271–277; vgl. EH, Zarathustra 1; 6, 335–337), sind es gerade sein Stolz und seine Klugheit, die ihn auf die Rolle des „Lehrers der ewigen Wiederkunft“ festlegen. Dies geschieht gegen Ende des dritten Teils. Dort spricht Zarathustra den Gedanken endlich aus und diskutiert ihn sogar, aber nur, wenn er allein ist, in der „einsamsten Einsamkeit“. Dies macht den gedanklichen Abschluß des gesamten Werks aus. Im Abschnitt Der Genesende gibt Zarathustra „the most direct statement of the meaning of eternal return“, wie Lampert zutreffend schreibt (Lampert 1986, 211). Aber er bedient sich dazu auch bei dieser Gelegenheit Parabeln und Bilder. Wie Zarathustras Tiere und sein Widersacher, der „Geist der Schwere“, die „Ewige Wiederkunft“ verstehen, drückt Nietzsche weniger zwei-

Die Grundconception des Z ARATHUSTRA deutig aus. Aber er läßt zugleich erkennen, daß beide nicht das treffen, worauf es Zarathustra ankommt. Was das ist, erfahren wir eher nebenbei und so, daß es leicht überhört werden kann. Sich ausführlich und genau zu erklären, gar den Gedanken in der von ihm gemeinten Fassung zu lehren – das kommt diesem seltsamen „Lehrer der ewigen Wiederkunft“ auch nach seiner siegreichen Auseinandersetzung nicht in den Sinn. Es bedarf daher einer genauen Analyse des Textes, um die „Grundconception“ von Also sprach Zarathustra in der von Nietzsche gemeinten Bedeutung – und damit die Absicht des gesamten Zarathustra-Werks – zu erfassen.

4.3 Die Radikalisierung des Gedankens von der Ewigen Wiederkunft des Gleichen Der Abschnitt Der Genesende weist zwei Unterabschnitte auf. Im ersten fordert Zarathustra den Gedanken heraus, fällt aber in Ohnmacht, bevor der Kampf richtig in Gang kommt. Im zweiten erholt er sich von seiner Auseinandersetzung auf Leben und Tod und unterredet sich mit seinen „Tieren“. Worüber gekämpft worden ist, welchen Verlauf der Kampf genommen hat und wie er schließlich ausgegangen ist, wird nicht mitgeteilt, ist allerdings schon in einem früheren Abschnitt (Vom Gesicht und Räthsel ) geschildert worden. Zarathustra benimmt sich eines Morgens so, als ob er nicht allein in seinem Bett läge. Da aber nur er den Eindringling wahrnimmt, kann es sich, wie bei dem „Dämon“ aus dem Aphorismus 341 der Fröhlichen Wissenschaft, auch hier nur um einen inneren Gegner handeln. Zarathustra nennt ihn denn auch seinen „Abgrund“ bzw. seine „letzte Tiefe“, die er nun „an’s Licht gestülpt“ habe (271).7 Er erkennt in ihm den Gegner, der ihn bisher daran gehindert hat zu werden, der er ist. Sobald ihn „das Gesicht des Einsamsten“ überkommt, ergreifen selbst seine „Tiere“ – sein Stolz und seine Klugheit, die ihm vorher

7 Vgl. J 146; 5, 98: „Wer mit Ungeheuern kämpft, mag zusehn, dass er nicht dabei zum Ungeheuer wird. Und wenn du lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich hinein.“

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Jörg Salaquarda schlechte Argumente dafür lieferten, sich dem Kampf zu entziehen – die Flucht: Er muß diese letzte innere Auseinandersetzung, bei der es für ihn um Sein oder Nichtsein geht, ganz alleine bestehen. Die Initiative dazu kann natürlich auch nur von ihm selbst ausgehen: Er fordert den „Abgrund“ heraus, er will den „Wurm“ wachkrähen (270)8 und dafür sorgen, daß er danach auch wach bleibt, also nicht wieder in den bisherigen unbewußt-halbbewußten Zustand zurücksinkt.9 Mit dem anfänglichen „Röcheln“ (271) des sich nur widerstrebend der Helle des Bewußtseins aussetzenden Gedankens gibt Zarathustra sich nicht zufrieden. Der Widersacher soll ihm Rede und Antwort stehen, statt nur unartikulierte Laute auszustoßen.10 Die dann folgende Szene hat Nietzsche nach dem Modell eines mythischen Kampfes gestaltet.11 Der Held fordert das Ungeheuer zum Kampf heraus, indem er ihm kundtut, wen es vor sich hat. Dabei fährt er in einer verbalen Drohgebärde seine stärksten Geschütze auf. Er präsentiert sich als – der Gottlose, der lehrt, daß alle Götter tot sind, und daher auf keinen überirdischen Beistand hofft;

8 Wie in Wagners Siegfried der Held den Drachen weckt, um ihn zum Kampf herauszufordern. 9 Mit dem Ausdruck „Urgrossmütter“ (270) spielte Nietzsche in diesem Zusammenhang auf Wotans Beschwörung der Erda im ersten Akt von Wagners Siegfried an. – Vgl. dazu W 9; 6, 34: „In summa: eine Scene voller mythologischer Schauder, bei der der Wagnerianer ahnt …“ – Die Leser des Zarathustra sollen dagegen nicht nur ahnen, sondern begreifen. 10 Vgl. die autobiographische Notiz von ca. 1868 (BAW 5, 205): „Was ich fürchte, ist nicht die schreckliche Gestalt hinter meinem Stuhle sondern ihre Stimme: auch nicht die Worte, sondern der schauderhaft unartikulirte und unmenschliche Ton jener Gestalt. Ja wenn sie noch redete, wie Menschen reden!“ – Im vierten Teil des Zarathustra hebt Nietzsche zweimal ausdrücklich das „Röcheln“ des „Häßlichsten Menschen“ hervor, das beide Male in eine Anspielung auf den Wiederkunftsgedanken übergeht: Im Abschnitt Der hässlichste Mensch wird es zur Frage, was es mit der „Rache am Zeugen“ (328) auf sich habe, und im Abschnitt Das Nachtwandler-Lied zur Aufforderung nach Wiederholung: „Noch Ein Mal!“ (396) 11 Das Modell des Wettkampfs, im Sinne des griechischen agon, spielte im Denken Nietzsches von früh an eine wichtige Rolle. Daß Nietzsche mit seinem Zarathustra andere Werke und Weltauffassungen zum Wettstreit herausgefordert hat, ist z. B. gegenüber der Bibel offensichtlich. Sein bevorzugter zeitgenössischer Gegner war Wagner, wie in letzter Zeit besonders Hollinrake (1982) und Kreis (1995, 140 ff.) nachgewiesen haben.

Die Grundconception des Z ARATHUSTRA – der Fürsprecher des Lebens, der sich gegen Weltflucht und -verneinung in jeder Form wendet; – der Fürsprecher des Leidens, der dieses zwar als Grundtatsache des Lebens kennt und anerkennt, sich aber weigert, es als Einwand gegen das Leben aufzufassen; – der Fürsprecher des Kreises, der die lineare Zeitauffassung und mit ihr jede Art von teleologischer Weltbetrachtung verwirft. Der „Abgrund“ nimmt die Herausforderung an. Zarathustra ist darüber so erfreut, daß er „Heil mir!“ ruft und den Widersacher auffordert, ihm die Hand zu reichen (ebd.).12 Oder geht die Aufforderung dazu von diesem aus, der dadurch die Initiative wiedergewinnen will: Wie es im Finale von Mozarts Oper der „Steinerne Gast“ ist, der Don Giovanni auffordert, ihm die Hand zu reichen? Jedenfalls verändert der Händedruck, wie dort, so auch hier, mit einem Schlag die Situation. Zarathustra scheint dem „Dämon“ nicht gewachsen zu sein. Er kann nur noch stammeln: „lass!“, „Ekel“, „wehe mir!“ (ebd.)13 – und fällt in Ohnmacht. Als er nach langer Bewußtlosigkeit wieder zu sich kommt, ist er bleich und zittert. Er bleibt sieben Tage lang liegen, verweigert die Nahrung und spricht kein Wort. Seine Tiere sind zurückgekehrt und umsorgen ihn. Was sich ereignet hat, erfahren wir im Abschnitt Vom Gesicht und Räthsel, dessen Ausgangssituation mit der in dem Abschnitt Der Genesende geschilderten Rekonvaleszenz übereinstimmt. Zarathustra ist zu Beginn einer Schiffsreise traurig und schweigsam. In den Seeleuten – den „Suchern, Versuchern, […] RäthselTrunkenen, den Zwielicht-Frohen“ (197), die lieber erraten als erschließen14 – findet er dann aber das geeignete Publikum. Er teilt ihnen sein „Gesicht des Einsamsten“ mit und bittet sie, ihm diese „Vision“ zu deuten. Sein Bericht weist drei Teile auf: Im ersten trägt er den Gegner einen Berg hinauf, im zweiten setzt er sich mit ihm auseinander, und im dritten rät er dem bedräng-

12 Wohl als Zeichen für einen fairen Kampf, nach dem Motto: „Möge der Bessere siegen!“ 13 Vgl. die Beschwörung des Erdgeists in Goethes Faust (1, 460 ff.): „Schreckliches Gesicht! […] Weh! ich ertrag dich nicht!“ 14 D. h. den Menschen, die – wie er selber – alle Sicherheiten preisgegeben haben.

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Jörg Salaquarda ten Hirten und erlebt dessen Verwandlung. – In der folgenden Interpretation beschränke ich mich auf die Teile von Zarathustras Bildrede, die zum Verständnis des Wiederkunftsgedanken beitragen. Zarathustra geht durch eine düstere Landschaft, durch „leichenfarbne Dämmerung“, und auch er selbst ist „düster und hart“, weil ohne Hoffnung. „Nicht nur Eine Sonne war [ihm] untergegangen“ (198). Die Bilder beschwören die Erfahrung des Nihilismus nach dem Wegfall der christlich-platonistischen Voraussetzungen. Nur sein „Fuss“ – Teil der „grossen Vernunft des Leibes“ – treibt Zarathustra voran, ja hinauf, allen widrigen Umständen zum Trotz. Am meisten zu schaffen macht ihm die Last auf seiner Schulter, halb „Zwerg“, halb „Maulwurf“. Dieser unerbetene „Reiter“ ist nicht nur schwer zu tragen, er redet überdies höhnisch auf Zarathustra ein. „Bleitropfen-Gedanken in [s]ein Hirn träufelnd“ (ebd.), will er sein Opfer davon überzeugen, daß alles Streben und Tun vergeblich ist. Was nütze das Voranschreiten und Hinaufsteigen; wie weit und hoch jemand auch gelangen mag, er werde doch wieder fallen,15 auf ihn selber zurückfallen. Auch in diesem Fall bediente Nietzsche sich mythischer bzw. märchenhafter Erzählmotive,16 um die innere Auseinandersetzung zu illustrieren. Der Sache nach knüpfte er an ein bekanntes Bild Schopenhauers an: Der starke Blinde (= der Wille) trägt den lahmen Sehenden (= den Intellekt).17 Für Nietzsche ist das Schopenhauersche Bild eine Karikatur des Menschen, eine Folge der zweitausendjährigen Herrschaft des christlich-platonistischen Paradigmas. Der lahme Reiter Intellekt hat die Herr-

15 Vgl. Emerson 1858, 341: „Wir können einen Stein für einen Augenblick in die Luft werfen, aber dennoch ist es nicht abzuändern, daß alle Steine immer wieder herunter fallen“. 16 Vorlage ist vermutlich ein Märchenmotiv aus Tausendundeiner Nacht: Auf seiner 5. Reise wird Sindbad von einem Dschinn versklavt. – Vgl. Haases Erläuterungen zur Stelle in dem von ihr und Montinari hrsg. Nachberichtsband zu Also sprach Zarathustra (KGW VI/4, 898). 17 A. Schopenhauer, Die Welt als Wille und Vorstellung, Bd. II, Kap. 19. – Lampert (1986, 162 ff.) interpretiert den „Zwerg“ und „Maulwurf“ daher zu Recht als Verkörperung des „schwachen“, weil weltflüchtigen Nihilismus à la Schopenhauer.

Die Grundconception des Z ARATHUSTRA schaft auf Kosten des Leibes an sich gerissen, hat diesen versklavt, die Erde zu einem Jammertal gemacht und uns Menschen als einzige Hoffnung das Eingehen ins Nichts gelassen. Dieses Problem beschäftigte Nietzsche schon in seiner zweiten Unzeitgemässen Betrachtung. Dort diagnostizierte er den Nihilismus als Folge des „historischen Fiebers“. Denn die historische Betrachtung stutzt per definitionem, durch ihre methodischen Voraussetzungen, alles Geschehen auf Durchschnittsmaß zurecht. Alles Große wird durch sie in ein Werden aufgelöst, in dem es nur Quantitäts-, keine Qualitätsunterschiede gibt. Im neunten Abschnitt der Historienschrift sprach Nietzsche von den „Lehren vom souverainen Werden, von der Flüssigkeit aller Begriffe, Typen und Arten, von dem Mangel aller cardinalen Verschiedenheit von Mensch und Thier“ (2. UB 9; 1, 319), und fügt ausdrücklich hinzu, daß er diese Lehren für wahr halte, freilich auch für tödlich! Als Heilmittel empfahl er damals die unhistorischen Kräfte des Vergessens und Aufgehens im Unmittelbaren sowie die überhistorischen Mächte der Religion, Philosophie und Kunst. An der Diagnose hielt er bei der Abfassung des Zarathustra noch fest, die Therapie hatte er inzwischen als unzureichend erkannt: Sie löst das Problem nicht, sondern weicht ihm aus. Selbst von seinem Stolz und seiner Klugheit verlassen, kann Zarathustra sich bei der Auseinandersetzung mit seinem Erzwidersacher, dem „Geist der Schwere“18, nur noch auf seinen Mut stützen. Dieser reißt ihn aus Traum, Müdigkeit und Bedrückung heraus. Zarathustra ist ein Kriegsmann. Er findet sich nicht ab, sondern sucht die Entscheidung. Mut gehört für Nietzsche, zusammen mit Einsicht, Mitgefühl und Einsamkeit, zu den Grundtugenden eines Philosophen ( J 284; 5, 232). Erkennen setzt Mut voraus, lehrt der (Tiefen-)Psychologe Nietzsche. Wir „wissen“ viel mehr, als wir uns zu wissen getrauen. „Auch der Muthigste von uns hat nur selten den Muth zu dem,

18 Vgl. 243: „Der Mensch ist schwer zu entdecken und sich selber noch am schwersten; oft lügt der Geist über die Seele. Also schafft es der Geist der Schwere. Der aber hat sich selber entdeckt, welcher spricht: Das ist mein Gutes und Böses: damit hat er den Maulwurf und Zwerg stumm gemacht, welcher spricht: ‚Allen gut, Allen bös.‘“

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Jörg Salaquarda was er eigentlich weiss …“ (GD, Sprüche 2; 6, 59). So „kennt“ auch Zarathustra seinen abgründlichen Gedanken schon lange, die „stillste Stunde“ hatte darin ganz recht. Doch erst jetzt, wo die Not am größten geworden ist, faßt er den Mut zum schaffenden Willen als der möglichen Wende aller Not. Er beruft sich nicht auf eine „Überzeugung“, sondern er wendet sich endlich gegen sein am tiefsten sitzendes Vorurteil.19 Es kommt zum Kampf auf Leben und Tod, wie im Mythos oder im Märchen. Wer ist stärker? Der schaffende Wille Zarathustras? Oder der lähmende „Geist der Schwere“? Wie im Ödipus-Mythos oder im Märchen vom Rumpelstilzchen soll ein Rätsel, das Zarathustra dem Zwerg aufgibt, die Entscheidung herbeiführen. Wenn der Zwerg es „löst“, ist Zarathustra verloren, andernfalls der Zwerg. Dabei geht es nicht um ein intellektuelles Wissen, sondern um die Fähigkeit, den „abgründlichen Gedanken“ zu ertragen, ja um mehr als das: nämlich darum, ihn nicht nur zu ertragen, sondern ihn als „höchste Formel der Bejahung“ zu begrüßen. In der ersten Runde des Schlagabtauschs kommt es Zarathustra nur darauf an, die Last nicht weiter tragen zu müssen. Das Maß ist voll. Alles ist besser, als diesen Zustand andauern zu lassen. „‚Zwerg! Du! Oder ich!‘“ (198) – Doch die sich anschließende Besinnung auf seinen Mut und seinen schaffenden Willen läßt Zarathustra gewiß werden, daß er siegreich aus dem Kampf hervorgehen wird. Zu Beginn der zweiten Runde wiederholt er daher die Herausforderung in umgekehrter Folge, unter Nennung des Streitthemas und Betonung seiner Siegesgewißheit: „‚Halt! Zwerg! sprach ich. Ich! Oder du! Ich aber bin der Stärkere von uns Beiden –: du kennst meinen abgründlichen Gedanken nicht! Den – könntest du nicht tragen!‘“ (199) Zum Zeichen, daß er die Herausforderung annimmt, springt der Zwerg von Zarathustras Schultern. Auch er ist sich seiner Sache sicher. Der Gedanke vom Kreislauf ist natürlich auch ihm geläufig. Zarathustras großspurige Selbstvorstellung scheint ihn nicht beeindruckt zu haben. Atheist ist er schließlich schon

19 Vgl. N 1888, 14/159; 13, 344: „– sehr populärer Irrthum: den Muth zu seiner Überzeugung haben –? aber den Muth zum Angriff auf seine Überzeugung haben!!!“

Die Grundconception des Z ARATHUSTRA lange. Vom Leiden weiß er ein Lied zu singen. Das Vertrauen auf einen übergeordneten Sinn hat er genauso verabschiedet wie sein Kontrahent. „Neugierig“ kann ihn wohl nur machen, wie sein Opfer unter diesen gemeinsam akzeptierten Voraussetzungen ein „Fürsprecher des Lebens“ sein will. Er ist gewiß, daß Zarathustra nicht recht weiß, wovon er redet, und deswegen den Mund so voll nimmt. Zarathustra knüpft in seinem verbalen Angriff an den „Thorweg“ (ebd.) an, vor dem sie hocken. Das Tor markiert eine räumliche Grenze. Zarathustra zieht eine Analogie zum „Augenblick“ als einer zeitlichen Grenze. Wie der durch das Tor führende Weg zwei entgegengesetzte Richtungen aufweist, so auch die im Augenblick gegenwärtige Zeit. Die beiden in entgegengesetzten Richtungen verlaufenden Wege führen auseinander, aber da unsere Erde kugelgestaltig ist, münden sie letztlich wieder ineinander. Sollte es sich nicht auch mit der scheinbar in Vergangenheit und Zukunft auseinanderstrebenden Zeit so verhalten? Sollte nicht auch der „Weltverlauf “ in sich selbst zurückmünden, kreisförmig sein? Nun – so dachten Heraklit und die Stoiker, es war die Auffassung der Pythagoreer (vgl. 2. UB 2; 1, 258–265), und auch Schopenhauer lehrte es in der weniger krassen Form des „eadem, sed aliter“20. Kein Wunder, daß der Zwerg sich bestätigt sieht und, enttäuscht über dieses durchsichtige Rätsel, „verächtlich“ kundtut: „‚Alles Gerade lügt, […]. Alle Wahrheit ist krumm, die Zeit selber ist ein Kreis.‘“ (200) Das ist seine Fassung des Wiederkunftsgedankens. Kann Zarathustra es ihm so leicht gemacht haben? Kenner von Rätseln und Märchen vermuten eine Falle, und so ist es in der Tat. Zarathustra wollte den Widersacher nur zum Eingeständnis des Kreischarakters der Zeit verleiten, um ihm desto sicherer den tödlichen Streich versetzen zu können.21

20 A. Schopenhauer, Die Welt als Wille und Vorstellung, Bd. II (Werke, hrsg. v. A. Hübscher, Bd. 3, Mannheim 41988, 508). – Zu Schopenhauers Geschichtsverständnis siehe Weimer 1982, 93 ff.; zur Beziehung von Nietzsches Wiederkunftsgedanken zu Schopenhauers Zeitverständnis siehe: ebd., 145 f. 21 Vgl. Lamperts in diesem Punkt einfühlsame und zutreffende Auslegung (1986, 160 ff.), während Heidegger (1961/I, 289 ff.) diese Pointe übersehen hat.

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Jörg Salaquarda Die zweite Etappe der Auseinandersetzung auf Leben und Tod endet mit dem Verschwinden des Zwergs und einem Wechsel der Szenerie. Zarathustras nächstes Argument muß den Schritt über die bloße Kenntnis des Wiederkunftsgedankens hinaus tun – bzw. besser: einen Schritt. Denn die eigentliche Probe für Zarathustra selbst folgt erst danach. Die Pointe von Zarathustras Argumentation ist dieselbe wie im Aphorismus 341 der Fröhlichen Wissenschaft: Der bloße Kreis- bzw. Wiederholungsgedanke wird gesteigert zur unendlichen Wiederholung von allem in der gleichen Reihe und Folge. Diese Radikalisierung trifft den „schwachen Pessimismus“ des Zwergs ins Mark. Zarathustras Erzfeind kennt und bejaht wohl den Kreisgedanken, aber er liebt das Leben nicht. Er sehnt sich nach Erlöschen und lehrt, mit Schopenhauers „Buddhismus“, die Möglichkeit eines Eingehens ins Nichts. Er verkündet den Wiederkunftsgedanken, um dadurch den Lebenswillen der törichten und „ruchlosen“ Optimisten zu brechen. Zarathustras zugespitzter Wiederkunftsgedanke, der auch den Ausweg ins Nichts verwehrt, ist für ihn unerträglich. Auf den Zwerg trifft zu, was Nietzsche in der Fröhlichen Wissenschaft in Frageform als wahrscheinliche Reaktion auf die Botschaft des Dämons formulierte: „Würdest du dich nicht niederwerfen und mit den Zähnen knirschen und den Dämon verfluchen, der so redete?“ (FW 341; 3, 570) Im LenzerHeide-Fragment über den „europäische[n] Nihilismus“ (N 1886/ 87, 5/71; 12, 213) notierte Nietzsche in diesem Sinne: „Denken wir diesen Gedanken in seiner furchtbarsten Form: das Dasein, so wie es ist, ohne Sinn und Ziel, aber unvermeidlich wiederkehrend, ohne ein Finale ins Nichts: ‚die ewige Wiederkehr‘. Das ist die extremste Form des Nihilismus: das Nichts (das ‚Sinnlose‘) ewig!“ Wer dagegen die Realität bejaht und im Einklang mit sich selber lebt, für den hat der Gedanke auch in dieser zugespitzten Form nichts Erschreckendes. Er wäre, im Gegenteil, die Besiegelung seines Einverständnisses, seines Jasagens zum Leben. Für Zarathustra gilt die in der Fröhlichen Wissenschaft ebenfalls nur in Frageform erwogene Alternative: „Oder wie müsstest du dir selber und dem Leben gut werden, um nach Nichts mehr zu verlangen, als nach dieser letzten ewigen Bestätigung und Besiegelung?“ (FW 341; 3, 570) Zumindest meint Zarathustra bei seiner Selbstvorstellung, daß er bereits zu dieser Haltung vorge-

Die Grundconception des Z ARATHUSTRA drungen ist, die Nietzsche in der Formel „Amor fati“ zusammengefaßt hat. „Zum neuen Jahre“ erlaubte sich der Autor der Fröhlichen Wissenschaft einen Wunsch: Er will nicht mehr verneinen oder anklagen, nicht länger Entlarver, Antichrist und Ideologiekritiker sein, sondern nur noch das Positive und Schöne sehen und dadurch dazu beitragen, daß die Dinge schön werden. „Amor fati: das sei von nun an meine Liebe! Ich will keinen Krieg gegen das Hässliche führen. Ich will nicht anklagen, ich will nicht einmal die Ankläger anklagen. Wegsehen sei meine einzige Verneinung! Und, Alles in Allem und Grossen: ich will irgendwann einmal nur noch ein Ja-sagender sein!“ (FW 276; 3, 521) Das vermag der Zwerg nicht. Er muß seine Niederlage eingestehen und daher, nach der Logik von Mythos und Märchen, verschwinden. Die Sphinx ist gestürzt, Rumpelstilzchen muß das Königskind freigeben. Zarathustra, der Fürsprecher des Lebens, hat die Auseinandersetzung auf Leben und Tod gewonnen. Oder? … Noch ehe der Zwerg verschwindet und die Szenerie sich verwandelt, beginnt Zarathustra zu stocken. Seine Rede klingt nicht siegesgewiß, sondern wird leiser – „denn“, so berichtet er später den lauschenden Seeleuten, „ich fürchtete mich vor meinen eignen Gedanken und Hintergedanken“ (200 f.). Aber wovor fürchtet er sich? Warum hat er die Mitteilung des Gedankens so lange verzögert? Was hat ihm solchen Ekel eingeflößt, als er den Gedanken endlich wachgerufen hatte? Fürchtet sich Zarathustra vor der Wiederkehr seiner Leiden und Kämpfe, seiner Mühen und Überwindungen? Aber nein – ist er doch der „Fürsprecher des Leidens“. Fürchtet er sich vor der Sinnlosigkeit? Aber nein – er ist der „Leugner Gottes“ und der Teleologie. Er weiß und anerkennt, daß allein der schaffende Wille Götter und Übermenschen hervorbringt. Die Antwort muß in dem nächsten Bild zu finden sein, dem grausigsten im ganzen Zarathustra. Ein junger Hirt windet sich, würgt, zuckt, sein Gesicht ist verzerrt: Ekel und bleiches Grauen sind darauf geschrieben. Eine „schwarze schwere Schlange“ (201) war ihm in den Mund gekrochen und hatte sich festgebissen. Zarathustra bemüht sich vergebens, sie herauszureißen. Auch hier gilt, daß in dem entscheidenden inneren Kampf ein Anderer keine Hilfe bringen kann. Zarathustra kann nur raten,

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Jörg Salaquarda aktiv muß der Hirt selber werden. Auf Zarathustras Rat hin beißt er der Schlange den Kopf ab, spuckt ihn weg, springt auf, lacht, ist verwandelt.22 In Der Genesende gesteht Zarathustra ein, was Nietzsche in Vom Gesicht und Räthsel den Seeleuten in den Mund gelegt hat: Er selbst ist dieser Hirt. Ihm ist die „Schlange des Nihilismus“ in den Schlund gekrochen, er hat sie durch seine Tat besiegt. Zarathustra hat endlich seine „schwerste Überwindung“ vollzogen. Er ist aus dem Kampf auf Leben und Tod als Sieger hervorgegangen. Aber hat er die „Schlange des Nihilismus“ tatsächlich getötet? Wenn wir nach der Darstellung im zweiten Teil des Abschnitts Der Genesende urteilen, ist er jedenfalls nicht gerade ein strahlender Sieger. Aber wo liegt das Problem? Wenn wir die Wendung „Schlange des Nihilismus“ unbesehen nachsprechen, droht uns die entscheidende Nuance zu entgehen. Zwar handelt es sich auch bei Zarathustras Problem um eine Gestalt der nihilistischen Verzweiflung an der Realität, aber sie entzündet sich nicht an der für den Zwerg unerträglichen ewigen Wiederkehr – und damit Unausweichlichkeit – des Leidens. Was Zarathustra zu schaffen macht, ist vielmehr: „Der grosse Überdruss am Menschen – der würgte mich und war mir in den Schlund gekrochen: […]. ‚Ewig kehrt er wieder, der Mensch, dess du müde bist, der kleine Mensch‘ – so gähnte meine Traurigkeit […]. – ‚ach, der Mensch kehrt ewig wieder! Der kleine Mensch kehrt ewig wieder!‘“ (274) Unter der Perspektive des zu schaffenden Übermenschen sind der kleinste und der größte bisherige Mensch einander allzu ähnlich, beide sind allzumenschlich. Der zugespitzte Wiederkunfts-Gedanke verwehrt auch die Hoffnung darauf, daß der Pöbel-Mensch je überwunden werden kann. Als Zarathustra sich das während seiner Rekonvaleszenz in Erinnerung ruft, droht ihn der Ekel erneut zu übermannen. Unser Held hat sich

22 Zu den Vorlagen aus Tausendundeiner Nacht (in Sindbads 7. Reise wird allerdings umgekehrt ein Mann von einer Schlange so weit verschluckt, daß nur noch sein Kopf herausschaut) und aus Emersons Die Führung des Lebens (Leipzig 1862) (wo von grausamen Praktiken bei „Bekehrungen“ im alten Skandinavien berichtet wird, z. B. daß der „Missionar“ einem „verstockten Heiden“ eine Viper in den Mund schiebt) vgl. den Nachbericht zu Also sprach Zarathustra (KGW VI/4, 898 f.).

Die Grundconception des Z ARATHUSTRA seinem Problem zwar einmal gestellt und es überwunden, aber es kann immer wieder neu aufbrechen. Er erträgt den Wiederkunftsgedanken nur, weil und solange er auf den Übermenschen sieht, der dem „kleinen Menschen“ Paroli bietet. Doch macht er, im Sinne von Nietzsches Doppelstrategie, aus seiner Problematik kein allgemeines Gesetz. Denn er weiß: „Zu jeder Seele gehört eine andre Welt; für jede Seele ist jede andre Seele eine Hinterwelt“ (272). Es mag sein, daß andere Menschen den Wiederkunftsgedanken anders empfinden, andere Einwände haben. Entscheidend ist, daß der Gedanke in seiner zugespitzten Nietzscheschen Fassung keinen Ausweg offen läßt. Wer auf ein anderes, besseres Leben hofft, und auch, wer hofft, sich dem Leben irgendwann und irgendwie endgültig entziehen zu können, wird durch diese Fassung des Wiederkunftsgedanken in die Krisis getrieben. Entweder er schluckt auch diese Kröte, beißt selbst dieser schwärzesten und ekligsten Schlange den Kopf ab, oder er muß verzweifeln. Zarathustras Tiere repräsentieren in diesem Kontext die Naturwesen, die im Einklang mit der Erde leben. Für sie wirft auch der zum Extrem getriebene Wiederkunftsgedanke keine Probleme auf. Er drückt ihre normale Befindlichkeit aus. Sie singen ein harmonisches Wiederkunftslied. Was der „Zwerg“ und „Maulwurf“ gar nicht und Zarathustra nur mit äußerster Aufbietung aller Kräfte erträgt, ist für sie das selbstverständlich Akzeptierte: „‚[…], Solchen, die denken wie wir, tanzen alle Dinge selber: das kommt und reicht sich die Hand und lacht und flieht – und kommt zurück. […] In jedem Nu beginnt das Sein; um jedes Hier rollt sich die Kugel Dort. Die Mitte ist überall. Krumm ist der Pfad der Ewigkeit.‘“ (272 f.) Zarathustra freut sich über diese Harmonie, nimmt sie mit wohlwollendem Lächeln zur Kenntnis. Aber die Begeisterung seiner Tiere kann er nicht teilen. Er ist krank vom Beißen und Wegspeien, krank von seiner Selbst-„Erlösung“. Als ihn der Ekel wieder zu übermannen droht, wird er von den Tieren unterbrochen. Sie fordern ihn auf, in die Welt hinauszugehen und von den Naturwesen das Einverständnis zu lernen. Insbesondere solle er von den Vögeln das Singen lernen. Denn er brauche ein neues Instrument für neue Lieder:

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Jörg Salaquarda „Singe und brause über, oh Zarathustra, heile mit neuen Liedern deine Seele: dass du dein grosses Schicksal tragest, das noch keines Menschen Schicksal war! Denn deine Thiere wissen es wohl, oh Zarathustra, wer du bist und werden musst: siehe, du bist der Lehrer der ewigen Wiederkunft –, das ist nun dein Schicksal!“ (275) Es ist ein Schicksal23, weil er der erste ist, der diese Lehre lehrt. Aber erster zu sein bringt Gefahren mit sich; Fehlgriffe und Krankheit drohen. Die Tiere wissen, was Zarathustra lehrt, sie wiederholen es noch einmal: die unendliche Repetition von allem in der gleichen Reihenfolge. Sollte Zarathustra in diesem Moment sterben, so würde er sagen: „‚[…] Ich komme wieder, mit dieser Sonne, mit dieser Erde, mit diesem Adler, mit dieser Schlange – nicht zu einem neuen Leben oder besseren Leben oder ähnlichen Leben: – ich komme ewig wieder zu diesem gleichen und selbigen Leben, im Grössten und auch im Kleinsten, dass ich wieder aller Dinge ewige Wiederkunft lehre, – – dass ich wieder das Wort spreche vom grossen Erden- und Menschen-Mittage, dass ich wieder den Menschen den Übermenschen künde. Ich sprach mein Wort, ich zerbreche an meinem Wort: so will es mein ewiges Loos –, als Verkündiger gehe ich zu Grunde! Die Stunde kam nun, dass der Untergehende sich selber segnet. Also – endet Zarathustra’s Untergang.‘“ (276 f.) Das ist der Abschluß der gedanklichen Entwicklung von Nietzsches Also sprach Zarathustra. Zarathustras „Untergang“, der im ersten Abschnitt der Vorrede begonnen hatte, endet damit, daß der Protagonist sein Schicksal akzeptiert. Er ist seinem „Abgrund“ nicht länger ausgewichen, hat seine „schwerste Überwindung“ auf sich genommen und sie – in bestimmten Grenzen – bestanden. Dadurch ist er in die Haltung des „Amor fati“ eingetreten. Zarathustra hat (existenziell) vollzogen, was er lehren soll. Er ist der geworden, der er ist.

23 Warum ich ein Schicksal bin hat Nietzsche den letzten Abschnitt seiner philosophischen Autobiographie Ecce homo überschrieben, und geantwortet: Weil ich eine Krisis darstelle, „die tiefste Gewissens-Collision“, „eine Entscheidung […] gegen Alles, was bis dahin geglaubt, gefordert, geheiligt worden war“ (EH, Schicksal 1; 6, 365). In Formel: „Umwerthung aller Werthe“ (ebd.). Zur weiteren Illustration verwies Nietzsche natürlich auf seinen Zarathustra.

Die Grundconception des Z ARATHUSTRA Nun hätte Nietzsche eine Fortsetzung oder ein neues Zarathustra-Werk in Angriff nehmen können, in der bzw. in dem Zarathustra seinen so schwer errungenen Wiederkunftsgedanken anderen verkündet. Nietzsche hat das erwogen, es aber nicht mehr realisiert. Er hat – als „vierten und letzten Theil“ – nur noch eine Art Satyrspiel nachgereicht, in der er das Mitleiden mit den „höheren Menschen“ seiner Zeit, als „Versuchung Zarathustra’s“ darstellte. Diese Leute brauchen Zarathustra, d. h. jemanden, der, wie er, durch das Bestehen seiner „schwersten Überwindung“, zu dem geworden ist, der er ist. In Zarathustras Gegenwart werden die „höheren Menschen“ mutig und schwingen sich, um seinetwillen, sogar zur Bejahung des Wiederkunfts-Gedankens auf, an dem der Zwerg und der Maulwurf zerbrochen sind. Aber sich selbst überlassen und um ihrer selbst willen, vermögen sie es nicht.24 Zarathustra durchschaut die Gefahr, daß er sich, aus Mitleid mit den in diesen „höheren Menschen“ ohne seine Hilfe zu verkümmern drohenden Ansätzen zu übermenschlicher Größe, in eine „Erlöserrolle“ drängen lassen könnte, und überwindet auch diese Versuchung. Der dritte Teil des Zarathustra ist mit der Vollendung von „Zarathustras Untergang“ im Abschnitt Der Genesende nicht zu Ende. Es folgen noch drei Hymnen, in denen zwar die gedankliche Entwicklung nicht weitergeführt wird, aber Zarathustra zu einem tieferen Einverständnis mit seinem Schicksal vordringt.25 Er folgt der Anregung seiner Tiere und gibt sie an seine „Seele“ weiter. Diese läßt sich nicht lange bitten und hebt zu singen an. Auch jetzt lehrt der „Lehrer der ewigen Wiederkunft“ die Lehre nicht. Aber das Werk endet damit, daß seine „Seele“ das Leben26, die Ewigkeit und die Wiederkehr besingt.

24 Vgl. Nietzsches Bemerkungen in J 256; 5, 203 über die Künstler seiner Zeit, die die Menge den Begriff „höherer Mensch“ zu lehren hatten, aber – „allesammt zuletzt an dem christlichen Kreuze zerbrechend und niedersinkend“ – nicht stark genug waren, den „Tod Gottes“ zu ertragen. 25 Anders Lampert (1986, 224 ff.), der das in diesen Partien Ausgeführte als „culmination of Zarathustra’s course“ versteht (ebd., 224). 26 Vgl. Nietzsches Hymnus auf das Leben, die Vertonung des Gedichts Gebet an das Leben von Lou Salomé. Im Rückblick (EH, Zarathustra 1; 6, 336) bezeichnete er dieses Stück als Ausdruck des „ jasagende[n] Pathos par excellence“.

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Jörg Salaquarda

Literatur Borchmeyer, Dieter/Salaquarda, Jörg (Hrsg.) 1994: Nietzsche und Wagner. Stationen einer epochalen Begegnung, 2 Bde., Frankfurt/M./Leipzig. Brusotti, Marco 1997: Die Leidenschaft der Erkenntnis. Philosophie und ästhetische Lebensgestaltung bei Nietzsche von „Morgenröthe“ bis „Also sprach Zarathustra“, Berlin/New York. Emerson, Ralph Waldo 1858: Versuche (Essays), aus dem Engl. v. G. Fabricius, Hannover. Haase, Marie-Luise 1984: Der Übermensch in „Also sprach Zarathustra“ und im Zarathustra-Nachlaß 1882–1885, in: Nietzsche-Studien 13, 228–244. Heidegger, Martin 1954: Wer ist Nietzsches Zarathustra?, in: ders., Vorträge und Aufsätze, Pfullingen, 101–126. Heidegger, Martin 1961, 31976: Nietzsche, 2 Bde., Pfullingen. Hollinrake, Roger 1982: Nietzsche, Wagner, and the Philosophy of Pessimism, London. Janz, Curt Paul 1978/79: Friedrich Nietzsche. Biographie in drei Bänden, München/Wien. Kreis, Rudolf 1995: Nietzsche, Wagner und die Juden, Würzburg. Lampert, Laurence 1986: Nietzsche’s Teaching. An Interpretation of “Thus Spoke Zarathustra”, New Haven/London. Magnus, Bernd 1978: Nietzsche’s Existential Imperative, Bloomington/London. Montinari, Mazzino 1982: Nietzsches Philosophie als „Leidenschaft der Erkenntnis“, in: ders., Nietzsche lesen, Berlin/New York, 64 –78. Pieper, Annemarie 1990: „Ein Seil geknüpft zwischen Tier und Übermensch“. Philosophische Erläuterungen zu Nietzsches erstem „Zarathustra“, Stuttgart. Salaquarda, Jörg 1980, 21996: Dionysos gegen den Gekreuzigten. Nietzsches Verständnis des Apostels Paulus, in: ders. (Hrsg.), Nietzsche, Darmstadt, 288–322. Salaquarda, Jörg 1989: Der ungeheure Augenblick, in: Nietzsche-Studien 18, 317–337. Weimer, Wolfgang 1982: Schopenhauer, Darmstadt. Wohlfart, Günter 1997: Wer ist Nietzsches Zarathustra?, in: Nietzsche-Studien 26, 319–330.

Zarathustra als Verkünder des Übermenschen

Annemarie Pieper

Zarathustra als Verkünder des Übermenschen und als Fürsprecher des Kreises

5.1 Die zwei verschiedenen Bedeutungen des über Im dritten Abschnitt von Zarathustra’s Vorrede (14 ff.) taucht das Wort „Übermensch“ zum ersten Mal auf, und zwar als sich Zarathustra, der nach zehn Jahren Einsamkeit aus dem Gebirge herabgestiegen ist, unversehens mit einem Menschenauflauf konfrontiert sieht. In dieser Situation treffen verschiedene Faktoren zusammen, die der Lehre vom Übermenschen den Boden bereiten. Zum einen hat sich bei Zarathustra ein Übermaß an Weisheit angesammelt, und er brennt geradezu darauf, sein Wissen unters Volk zu bringen. Zum zweiten ist die Gelegenheit dafür günstig, weil die Konstellation auf dem Markt ihn Bilder finden läßt, die das, was er den Menschen mitteilen möchte, durch das Geschehen vor aller Augen ungemein anschaulich machen. Anlaß für die Menschenansammlung auf dem Markt ist ein Seiltänzer, der sich anschickt, ein zwischen zwei Türmen gespanntes Seil zu überqueren. Was alle mit emporgereckten Gesichtern sehen, ist ein Mensch hoch über ihnen, der sich auf ein riskantes Unternehmen einläßt. Und so eröffnet Zarathustra seine Rede mit den Worten: „Ich lehre euch den Übermenschen. Der Mensch ist Etwas, das überwunden werden soll“ (14). Zweimal kommt in dieser ersten Äußerung Zarathustras das Präfix „über“ vor: in Übermensch und in überwinden. Die beiden fundamentalen Bedeutungsfelder, die sich durch eine Analyse des

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Annemarie Pieper „über“1 erschließen lassen, sollen den Auftakt bilden zu meinem Versuch einer Erläuterung der Lehre vom Übermenschen im Zarathustra. Das über in „Übermensch“ hat in diesem Kontext unverkennbar eine vertikale Bedeutung. Es verweist in die Höhe auf ein Oben, das dem Unten diametral entgegengesetzt ist – so wie der Seiltänzer sich auf seinem schwankenden Seil oberhalb der gaffenden Menge befindet, die ihrerseits unten, auf festem Boden steht. Diese vertikale Bedeutung des über im Sinne von oberhalb ist statisch und signalisiert einen konträren Gegensatz, dessen beide Pole einander nicht ausschließen, wie dies bei einem kontradiktorischen Gegensatz der Fall ist, sondern Zwischengrade zulassen.2 Das über in „überwinden“ hingegen hat eine horizontale Bedeutung; es impliziert eine Bewegung von etwas weg auf etwas hin, die Dynamik eines Hinüber, mit welcher die Vorstellung eines Zwischenraums, einer Kluft suggeriert wird, die es zu überbrücken gilt. Vertikales und horizontales über werden am Beginn von Zarathustras Rede miteinander verkoppelt: Der Mensch ist das zu Überwindende; sein Untergang soll durch das Hinübergehen zu einem radikal neuen Selbstverständnis herbeigeführt werden.

1 Ludwig Klages ist schon die Bedeutung des „über“ im Zarathustra aufgefallen: „Alles in allem ist der Zarathustra eine schwärmerisch unheimliche Exegese des Bezugswortes ‚Über‘. Überfülle, Übergüte, Überzeit, Überart, Überreichtum, Überheld, sich übertrinken, das sind einige aus der großen Zahl teils neugebildeter, teils immer wieder verwendeter Überworte und ebenso viele Lesarten des einen ausschließlich gemeinten: der Überwindung“ (Klages 1926, 204). Gianni Vattimo bringt das „über“ in einen Zusammenhang mit dem Begriff der Hybris, wie ihn Nietzsche in der Genealogie der Moral (GM 3, 9; 5, 357) zur Charakterisierung des experimentellen Charakters des menschlichen Selbstverhältnisses einführt (Vattimo 1986, 49 f.). Peter Gasser kommentiert: „Wenn ein Kräftespiel und die Ausübung der Hybris die Selbstüberschreitung auslösen und begleiten, ist das Individuum selber als Experiment zu betrachten, da es über das alte Ich ständig hinweglebt in ein neues hinein“ (Gasser 1992, 67). 2 Vgl. Müller-Lauter (1971, 15): „Dem genaueren Zusehen zeigt sich nämlich, daß Nietzsche allein jede als absolut verstandene Gegensätzlichkeit bestreitet, in der für sich bestehende, in sich beruhende Seiende unvermittelt einander gegenüberstehen sollen.“ Müller-Lauter entfaltet Nietzsches gesamtes Denken als eine „Philosophie der Gegensätze“ und stellt die Widersprüche heraus, die dieses Denken erzeugt.

Zarathustra als Verkünder des Übermenschen Dabei fungiert der Übermensch als Leitidee, ja geradezu als Utopos, vermittels dessen ein Ziel als das Woraufhin der Bewegung in die Zukunft projiziert wird. Der Übermensch, so könnte man nun sagen, übersteigt den Menschen, sowohl der Idee nach – in vertikaler Hinsicht – als auch in bezug auf die projektierte zukünftige Praxis – in horizontaler Hinsicht. Zarathustra faßt die beiden unterschiedenen Dimensionen des über in dem Ausdruck „über sich hinaus schaffen“ zusammen. Was sich selbst überwindet, entwickelt sich zugleich höher, indem es in seinem Schaffen eine gesteigerte Form sowohl des Schaffenden als auch des durch sein Schaffen hervorgebrachten Produkts herbeiführt. Die Evolution ist demnach nicht als ein naturales Geschehen aufzufassen, das sich den zufälligen Konstellationen eines blinden Kausalmechanismus verdankt. Vielmehr war es das machtvolle Über-sich-hinausSchaffen lebendiger Organismen, das die Evolution vorangetrieben und den Weg von der Pflanze über den Wurm und Affen bis hin zum Menschen ermöglicht hat.3 Diese Bewegung hat nach Zarathustra im Menschen keineswegs ihr Ende gefunden, auch wenn die meisten der Ansicht zu sein scheinen, der Mensch könne sich im Erreichten beruhigen, es gebe nichts mehr, das auch ihn dazu nötigte, sich höher und weiter zu entwickeln, da die Natur im humanen Wesen alles ausgewickelt habe und damit an ihrem unüberbietbaren Höhepunkt als ihrem Letztziel angelangt sei. Aus Zarathustras Sicht ist diese Stagnation tödlich. Was nicht mehr über sich hinaus schafft, verkümmert und ist dem Untergang geweiht. Selbst der Einsatz der Kräfte zur Aufrechterhaltung des bloßen Status quo fordert den Menschen zu wenig und läßt ihn auf die Stufe des Tieres zurückfallen. Deshalb will Zarathustra den Menschen die Augen für ein höherrangiges Ziel öffnen. „Seht, ich lehre euch den Übermenschen!“ (Ebd.) Schaut nur hin,4 nach oben und voraus in die Zukunft, dann werdet ihr euer 3 „Den Übermenschen schaffen, nachdem wir die ganze Natur auf uns hin gedacht, denkbar gemacht haben“ (N 1882/83, 4/80; 10, 137). 4 Auch Zarathustra hatte den Übermenschen geschaut, in einer Vision, für die er eine eigene Sprache und Bilder erfand. „Also lehre ich und werde deß nicht müde: der Mensch ist Etwas, das überwunden werden muß: denn siehe, ich weiß es, daß er überwunden werden kann – ich schaute ihn, den Übermenschen“ (N 1883, 18/ 56; 10, 581).

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Annemarie Pieper Ziel in der fortgesetzten Anstrengung des Schaffens erblicken und über euch selbst, die ihr es schon bis zum Überaffen gebracht habt, hinausgelangen. Zarathustra fährt fort: „Der Übermensch ist der Sinn der Erde. Euer Wille sage: der Übermensch sei der Sinn der Erde!“ (Ebd.) Der erste Satz „Der Übermensch ist der Sinn der Erde“ drückt das vertikale über aus: die statische Idee des Übermenschen, die man erblickt, wenn die horizontale Ebene geschichtlichen Selbstwerdens ausgeblendet wird und sich der idealtypische Umriß eines Schaffenden als bleibender Maßstab der Selbstüberwindung konturiert. Der zweite Satz „Der Übermensch sei der Sinn der Erde“ drückt das horizontale über aus, insofern die an den Willen gerichtete Aufforderung beinhaltet, daß die Idee des Übermenschen verwirklicht werden soll in einem konkreten Individuum, das im Schaffen über sich hinaus seiner selbst mächtig wird und damit seinen Willen zur Macht zu verkörpern strebt.5

5.2 „Der Übermensch ist/sei der Sinn der Erde.“ – Synthesis von Leib und Seele In der Bewegung des Seiltänzers geschieht jene Synthese von statisch-vertikalem und dynamisch-horizontalem über, in welcher sich der Sinn menschlichen Über-sich-hinaus-Schaffens erfüllt. Der Seiltänzer steht nicht in ewiger Präsenz unbeweglich auf dem Seil, sondern er geht darüber, in jedem Augenblick sein Gleichgewicht austarierend, auch und gerade dann, wenn er für einen Moment stillsteht. Dieses Balancieren, durch wel-

5 „[D]as aristokratische Princip sich selber steigernd erfindet immer eine höhere Art unter den Höheren. Der Mächtige wird immer mehr zu dem Seiner-selberMächtigen, Kraftausströmenden: man sieht, daß die Vornehmheit viele Grade hat – und etwas im Einzelnen Menschen selbst Wachsendes ist“ (N 1883, 7/101; 10, 277). Henning Ottmann hat darauf aufmerksam gemacht, daß es Nietzsche um die agonale Kultur gegangen sei, vermittels welcher die menschliche Natur über den Wettkampf zur Humanität geläutert werde. Auf Jacob Burckhardt verweisend, der bereits vom „Ringen nach Übermenschlichem“ gesprochen habe, hält er fest: „‚Übermensch‘ und Agon gehören zusammen, schon bevor Nietzsche den Begriff des Übermenschen systematisch verwendet“ (Ottmann 1987, 51).

Zarathustra als Verkünder des Übermenschen ches er sich auf dem Seil hält, indem er der Erdanziehungskraft Widerstand leistet und sie durch eine gleich starke Konstellation von Gegenkräften überwindet, ist der Sinn seines Tuns. In dem Wort „Sinn“ wiederholen sich die beiden Bedeutungen des über. Zum einen meinen wir mit „Sinn“ eine alles umfassende übergeschichtliche Geltungskraft, die vertikal von oben nach unten das faktisch Bestehende zu jedem Zeitpunkt normativ aufwertet. So verstanden ist der Übermensch der Sinn der Erde. „Sinn“ kann aber auch dynamisch aufgefaßt werden in der Bedeutung von nhd. sinnan = reisen, streben, gehen. Darin gelangt der dynamische Aspekt des horizontalen Vorwärtsschreitens und Überwindens einer Wegstrecke zum Ausdruck, wobei diese Überwindung das immanente Ziel des Vorwärtsschreitens ist: Der Übermensch sei der Sinn der Erde. In dieser dynamischen Auffassung von „Sinn“ schwingt auch noch das ahd. sinnen = mit den Sinnen wahrnehmen mit. Wer sich bewegt, tut dies nicht mit geschlossenen Augen, sondern offenen Blicks – für die möglichen Gefahren, aber auch für die Schönheit des im und am Wege Liegenden.6 In dem Satz „Der Übermensch ist der Sinn der Erde“ wird die Abkehr von der christlichen Metaphysik offenbar. Diese zeichnet den Menschen – qua Krone der Schöpfung – als den Sinn der Erde aus. Damit wird eine Hierarchie gesetzt, in welcher das Obere das Bessere und das Untere das Schlechte ist. Das Unterste und Verächtlichste der Schöpfung ist die anorganische Materie, über der sich die organische Natur aufbaut mit der Spitze im Menschen. Darüber erhebt sich in unermeßlicher Transzendenz der Schöpfergott als der eigentliche Sinngeber und Sinngarant der Welt. Gegen diese christlich-metaphysische Vorstellung wendet sich Zarathustras Diktum vom Übermenschen als dem Sinn der Erde. 6 In dem Wort Uhrzeigersinn kommen noch beide Bedeutungen von Sinn zum Tragen: zum einen das Moment der Gerichtetheit und zum anderen das der Vorwärtsbewegung. Sofern diese Bewegung kreisförmig erfolgt, gelangt hier im Unterschied zur linearen Zeitauffassung eine in sich geschlossene, ihren Sinn in sich bergende Vorstellung von Zeit zum Tragen, die für die Lehre von der ewigen Wiederkehr fruchtbar gemacht wird. „Die Rede von der Reihe ist aufschlußreich. Nietzsche denkt den Kreis alles Geschehens von der Reihe her, die auf etwas hinausläuft; die Reihe erfährt ihre Rechtfertigung durch den Kreis, der alles wiederbringt“ (Müller-Lauter 1971, 182).

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Annemarie Pieper Der Unterschied zwischen dem Menschen als Sinn der Erde und dem Übermenschen als Sinn der Erde besteht darin, daß der Genitiv im ersten Fall als genitivus objectivus, im zweiten Fall als genitivus subjectivus zu verstehen ist. Der Sinn der Erde statuiert als objektiv vorhandener gedacht einen Dualismus zwischen dem Sinn, der unerreichbar fern oberhalb der Erde angesiedelt ist, und der Erde, die von der erhabenen Dimension des Sinns abgetrennt ist und sich allenfalls mit der Spitze ihrer hierarchisch strukturierten, pyramidal geschichteten Seinsformen dem Sinnbereich anzunähern vermag. In Zarathustras subjektiver Version des Sinns der Erde ist die Erde nicht bloße passive Sinnempfängerin, die den Wert ihres Seins von woanders her entgegennimmt, sondern sie verschafft sich ihren Sinn selber, indem sie ihn aus sich heraus produziert. Der Übermensch ist das Movens in der Bewegung der Selbstüberwindung, und er ist nichts anderes als die Kraft, die das Individuum aufwendet, um sich ununterbrochen über sich hinaus zu treiben. Auch dieser Überschritt ist ein Transzendieren auf eine höhere und insofern bessere Stufe, aber es handelt sich bei dieser Bewegung um eine immanente Transzendenz, wie sich noch einmal am Beispiel des Seiltänzers zeigen läßt, dessen Ziel nicht darin liegt, fliegen zu lernen, d. h. sich irgendwann einmal vom Seil loslösen zu können. Vielmehr will er das Seil immer besser beherrschen, was ihm nur durch vollendete Körperbeherrschung gelingt. Für diese Bewegung einer immanenten Transzendenz, die sich durch das Aushalten von Gegensätzen als eine gegenstrebige Harmonie erzeugt, hat Nietzsche eine Reihe von eindrücklichen Bildern geschaffen: den Baum für das vertikale Streben, die Fahrt auf hoher See für das horizontale Streben und den Fluß, der sich selber zum See staut, dessen Wasseroberfläche ständig steigt, für ein sich selbst begrenzendes und erfüllendes Streben.7

7 „[…] es ist mit dem Menschen wie mit dem Baume. Je mehr er hinauf in die Höhe und Helle will, um so stärker streben seine Wurzeln erdwärts, abwärts, in’s Dunkle, Tiefe, – in’s Böse“ (51). „Im Horizont des Unendlichen. – Wir haben das Land verlassen und sind zu Schiff gegangen! Wir haben die Brücke hinter uns, – mehr noch, wir haben das Land hinter uns abgebrochen! Nun, Schifflein! sieh’ dich vor! Neben dir liegt der Ocean, es ist wahr, er brüllt nicht immer, und mitunter liegt er da, wie Seide und Gold und Träumerei der Güte. Aber es

Zarathustra als Verkünder des Übermenschen Nach christlich-metaphysischer Lehre erfolgt die Annäherung an den objektiv vorgegebenen Sinn durch eine Aufstiegsbewegung, für deren Stufenfolge Platons Höhlengleichnis als Modell herangezogen werden kann. Ohne hier auf die zurückzulegenden Etappen im einzelnen einzugehen, möchte ich das Augenmerk nur auf das lenken, was bei dieser vertikalen Bewegung aus der Höhle heraus auf die obere, die Welt der Ideen symbolisierende Erde geschieht. Es ist die Seele, die diesen Aufstieg vollzieht, und sie bewältigt den steilen Weg nach oben nur, indem sie Stück für Stück Ballast abwirft. Dieser Ballast setzt sich aus all dem zusammen, was mit Materie infiziert ist: zuerst die sinnlichen Genüsse, dann die Sinneswahrnehmungen und schließlich das Prinzip, das die Welt der materiellen Dinge regiert, das Kausalitätsprinzip. Nachdem die Seele sich von allem Leiblichen gereinigt hat und nach dieser Katharsis geläutert auf der oberen Erde eintrifft, ist sie in der Verfassung, des dort in ewiger Präsenz wesenden Sinns teilhaftig zu werden. Sie bietet sich gleichsam als Gefäß für die übersinnlichen Ideen an, die sie dann in einer Abstiegsbewegung vom überhimmlischen Ort in die Höhle – das Sinnvakuum – zurücktragen soll, um diese aufzuwerten. Die gleiche Leibverachtung findet sich denn auch in der christlichen Version der Überhöhung des Menschen durch Vergeistigung der Seele, verbunden mit einer Abtötung körperlicher Bedürfnisse und Begierden. Dies läßt sich ablesen an der Menschwerdung Gottes, dessen Verfleischlichung als Abstieg und Opfer gedeutet wird, wohingegen die Aufstiegsbewegung mit einem verklärten Leib erfolgt, der die Bedingung der Vergöttlichung ist. Gegen die Chefideologen dieser Lehren richtet sich Zarathustras Polemik: „Ich beschwöre euch, meine Brüder, bleibt der Erde treu und glaubt Denen nicht, welche euch von überirdischen Hoffnungen reden! […] Verächter des Lebens sind es, Absterbende […], deren die Erde müde ist“ (15). Er bezeichnet

kommen Stunden, wo du erkennen wirst, dass er unendlich ist und dass es nichts Furchtbareres giebt, als Unendlichkeit“ (FW 124; 3, 480). „Es giebt einen See, der es sich eines Tages versagte, abzufliessen, und einen Damm dort aufwarf, wo er bisher abfloss: seitdem steigt dieser See immer höher. […] vielleicht wird der Mensch von da an immer höher steigen, wo er nicht mehr in einen Gott ausfliesst“ (FW 285; 3, 528).

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Annemarie Pieper sie als Giftmischer, anspielend auf die Transsubstantiationslehre, der gemäß etwas Materielles in etwas Immaterielles verwandelt wird. Aber ihnen, den Priestern, wird es nicht anders ergehen als jenem ersten Giftmischer unter den Philosophen, der dann selber durch einen Giftbecher zu Tode gekommen ist. Was aber hat Zarathustra den Verächtern des Lebens, die an der Erde freveln,8 entgegenzusetzen? Seine Lehre vom Übermenschen als dem Sinn der Erde setzt keine dualistische Zäsur zwischen Leib und Seele, zwischen Unten und Oben. Er wirft der christlichen Metaphysik vor, daß die vorgebliche Wert- und Sinnlosigkeit alles Leiblich-Materiellen ja gerade daraus resultiert, daß die Seele sich daraus zurückgezogen hat und – anstatt mit dem Leib zu kooperieren – es vorzieht, sich in einem fiktiven Jenseits mit abstrakten, toten, rein geistigen Gebilden zu erfüllen, für die es in der Empirie kein Äquivalent gibt. Der „Übermensch“ genannte Sinn hingegen existiert nicht schon in ewiger Präsenz, sondern muß allererst zur Existenz gebracht werden, und zwar so, daß der Leib ihn gemeinsam mit der Seele generiert. Es gibt keinen Sinn außerhalb des Leibes, und was am oder im Leib Seele heißt, hat nur Funktionen in bezug auf den Leib, nicht aber solche, die ihn „mager, grässlich, verhungert“ (ebd.) sich selbst überlassen.9 Daß der Mensch aufrecht gehen kann mit erhobenem Kopf, verdankt er nicht dem Kopf – wenn wir einmal unterstellen, daß der Kopf der Sitz der Seele samt ihrer geistigen Aktivitäten ist –, sondern dem Zusammenspiel des gesamten Organismus, in welchem die mentale Kraft der Seele aufgrund ihrer ordnungsstiftenden, strukturierenden und koordinierenden Funktionen zwar eine zentrale ist, die aber gleichwohl auf ein Material angewiesen ist, an dem sie ihre Kraft ausüben kann.10 Der

8 „Man sagt Lust und denkt an die Lüste, man sagt Sinn und denkt an die Sinnlichkeit, man sagt Leib und denkt an den Unterleib – und so hat man drei gute Dinge um ihre Ehre gebracht“ (N 1882/83, 4/70; 10, 132). Nietzsche begreift sein Philosophieren entsprechend als ein „Attentat auf zwei Jahrtausende Widernatur und Menschenschändung“ (EH, Tragödie 4; 6, 313). 9 „Der Mensch war es, der zwei Jahrtausende am Kreuze hieng: und ein gräßlicher Gott trieb seine Grausamkeit und nannte sie Liebe“ (N 1883, 13/1; 10, 424). 10 „Das Geistige ist als Zeichensprache des Leibes festzuhalten!“ (N 1883, 7/ 126; 10, 285)

Zarathustra als Verkünder des Übermenschen menschliche Leib in seiner vertikalen Gestalt ist das beste Beispiel dafür, daß Oben und Unten nicht als feindliche Entgegensetzung von Gut und Böse zu begreifen sind, sondern als gleichwertige, einander gegenseitig bedingende Pole: Wie die Kopfregion nicht ohne einen tüchtigen Bauch funktioniert, so entgleist die Bauchregion ohne einen klaren Kopf. Die Synthese von Kopf und Bauch, gleichsam die Sinnmitte ihrer Wechselbezüglichkeit, ist das Herz als der lebendige Motor, der den Organismus in seiner Vitalität erhält und seine Beweglichkeit ermöglicht. Die Formel „Der Übermensch ist/sei der Sinn der Erde“ ist demnach so zu verstehen, daß die Seele im Wechselspiel mit dem Leib die Idee der Selbstüberwindung erfindet und diese dem Leib als ein gleichsam utopisches Woraufhin vorgibt, das er aus sich heraus anstrebt, weil es sich um eine Selbstprojektion handelt, der ein Leib gegeben werden soll. Auch in diesem horizontalen Streben nach Verleiblichung eines ideellen Konstrukts der Seele wird etwas als Überwundenes zurückgelassen, etwas, das „untergeht“. Doch anders als im christlich-metaphysischen Aufstiegsmodell wird nicht ein wesentlicher Teil des Menschseins als wertlose Materie ausgegrenzt und durch ein übersinnliches Substrat ersetzt, vielmehr bleibt beim horizontalen Fortschrittsmodell eine Vergangenheit zurück, die als eine in sich geschlossene, aber gleichsam abgelebte Sinneinheit betrachtet werden kann. Und die Reihe dieser durchlebten Sinneinheiten macht die Geschichte eines Menschen aus, die zusammengehalten wird durch jene eigentümliche Dialektik des über, die Seele und Leib so zusammenspannt, daß sie sich wechselseitig zu immer neuen Kreationen des Kunstwerks Individuum herausfordern. Diese geschichtlich abgelebten Formen einer Sinnganzheit, in welcher sich eine versuchte, mehr oder weniger gelungene Leib-Seele-Synthese dokumentiert, sind nichts Verächtliches, sondern Stadien eines Weges, auf dem ein Mensch in immer neuem Anlauf über sich hinaus zu schaffen sich bemüht, ohne je beim Erreichten stehenzubleiben. So ist es z. B. immer derselbe Weg, den der Seiltänzer zurücklegt, aber mit der Zeit gelingt es ihm immer besser, die Schwerkraft zu überwinden, bis er am Ende auf dem Seil sogar tanzen kann. Der Tanz ist für Zarathustra die vollendetste Bewegung, da in ihr vertikales und horizon-

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Annemarie Pieper tales über miteinander verschmelzen.11 Der Tänzer im Vorwärtssprung wäre die Analogie für ein dynamisches Selbstverhältnis, das die räumlichen Vorstellungen von Höhe und Weite, wie sie durch die Interpretationsbegriffe eines vertikalen und horizontalen über nahegelegt werden, vergeschichtlicht, indem durch die raumeröffnende und horizonterschließende Interaktion von Leib und Seele das Heraustreten des Übermenschen aus den repressiven Strukturen der das traditionelle Menschenbild fixierenden Moral- und Begriffssysteme allererst möglich wird. Mit der Projektion des Übermenschen als dem Sinn menschlicher Praxis werden sämtliche alten Sinnvorstellungen samt Sinngaranten obsolet. „‚Todt sind alle Götter: nun wollen wir, dass der Übermensch lebe.‘“ (102) – mit dieser Akklamation endet das erste Buch des Zarathustra. Für einen transzendenten Gott ist in einer Welt, die vertikal und horizontal durch das schaffende Individuum begrenzt und erfüllt wird, kein Platz mehr. Sein Tod rückt die Dimensionen des Menschlichen wieder zurecht, insofern mit der Korrektur des falschen, ein Diesseits und ein Jenseits statuierenden Bewußtseins auch der Dualismus zwischen Gott und Mensch aufgehoben wird. Der Übermensch ist ein ganz und gar menschliches Geschöpf, in welchem der Mensch sich auf seine selbst gesetzte und als solche willentlich affirmierte Bestimmung hin übersteigt.12

5.3 Das Selbstverhältnis des Übermenschen Wollte man das über-menschliche Selbstverhältnis geometrisch13 beschreiben und damit eine erste Hypothese für die Ver-

11 „Dein Schritt verräth, daß du noch nicht auf deiner Bahn schreitest, man müßte dir ansehen, daß du Lust zu tanzen hättest. Der Tanz ist der Beweis der Wahrheit“ (N 1882, 3/1; 10, 65). „Ich würde nur an einen Gott glauben, der zu tanzen verstünde“ (ebd., 69). 12 „Der Name ‚Übermensch‘ nennt das Wesen des Menschentums, das als das neuzeitliche in die Wesensvollendung seines Zeitalters einzutreten beginnt. ‚Der Übermensch‘ ist der Mensch, welcher Mensch ist aus der durch den Willen zur Macht bestimmten Wirklichkeit und für diese“ (Heidegger 1950, 232). 13 Man kann das Wort geometrisch hier durchaus wortwörtlich auffassen im Sinne von: die Erde vermessen, um ihr Sinn zu verleihen, den Sinn des Übermenschen.

Zarathustra als Verkünder des Übermenschen einbarkeit der Lehre vom Übermenschen mit der von der ewigen Wiederkehr des Gleichen vorbereiten, so könnte man sagen: Vertikales und horizontales über – Seele und Leib14 – bilden zwei rechtwinklig aufeinander stehende Koordinaten. Der Nullpunkt, in dem sie sich berühren, ist jener Ort, an welchem die Auseinandersetzung zwischen den entgegengesetzten Strebekräften ausgetragen wird.15 Die christlich-metaphysische Leibfeindlichkeit hat zur Verkümmerung der horizontalen LeibKoordinate und zu einer vertikal entsprechend hoch emporschießenden Seele-Koordinate geführt.16 Zarathustra hingegen sieht die über-menschliche Leistung im Kampf um ein Gleichgewicht zwischen beiden das menschliche Sein bestimmenden Kraftpotentialen. 14 Mit Leib ist in diesem Modell auf der horizontalen Achse nicht Nietzsches Begriff vom Leib als großer Vernunft gemeint, sondern die bloße Materialität des Körperlichen als für sich gesetztes Residuum des ursprünglichen Selbstverhältnisses, das durch die Figur des Kreises symbolisiert wird. Was Nietzsche unter Leib verstanden wissen will, wird in der folgenden Graphik durch die Resultante verbildlicht, die das Streben des Übermenschen signalisiert, Vertikalität zu horizontalisieren und damit geistige Selbstentwürfe zu verleiblichen. 15 Seele (qua reiner Geist)

Übermensch (qua Leib als große Vernunft) Leib (qua bloße Materie)

Es ist darauf zu achten, daß die Genealogie dieses Modells im Grunde umgekehrt zu rekonstruieren ist, insofern Nietzsche zuerst den Wiederkunftsgedanken und darauf aufbauend die Lehre vom Übermenschen entwickelt hat, d. h. die Kreisfigur ist das Primäre; sie steht für das in sich geschlossene, als „Leib“ resp. „Erde“ materialisierte Selbstverhältnis der großen Vernunft, die sich aus der Spannung ihrer Gegensätze heraus verleiblicht. Dieser Akt der Verleiblichung des Seelischen bei gleichzeitiger Vergeistigung des Körperlichen kann durch die Struktur des Koordinatensystems veranschaulicht werden, das die innere Dynamik des Selbstverhältnisses sichtbar macht. Da Zarathustra die „Geschichte“ der Leibwerdung des Übermenschen so erzählt, daß sie zur These von der ewigen Wiederkehr hinführt, gehe ich mit ihm den Weg von der Differenz (Geist-Materie, Seele-Körper) bis zu deren Aufhebung im Sinn der „Erde“, dem zum Selbst ausgespannten „Leib“ des Übermenschen. 16 In bezug auf die deutschen Idealisten notiert Nietzsche: „Sie sehen hinauf, ich sehe hinaus, – wir sehen nie das Gleiche“ (N 1885, 34/135; 11, 465).

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Annemarie Pieper Sowohl ein einseitiger Spiritualismus als auch ein ebenso einseitiger Materialismus17 führen zur Stagnation, weil ohne einen Widerstand leistenden Gegenpol das Über-sich-hinaus-Schaffen sich im Grenzenlosen verliert und eine Selbstüberwindung nicht stattfindet. Mit dem Selbst-Verhältnis geht dann auch das Selbst zugrunde, das sich als pures Seelesein im Netz leerer Reflexionsstrukturen gefangengesetzt hat, während es sich als pure Leiblichkeit in die Trägheit der Materie verstrickt und zur Immobilität verurteilt hat. Diese beiden Fehlformen menschlichen Selbstseins müssen erst einmal als solche eingesehen werden, bevor eine Konfiguration des Übermenschen ins Auge gefaßt werden kann. Denn der erste Schritt dorthin besteht darin, daß die bisher dominierende Kraft sich eine Zeitlang zurücknimmt, um der matt gesetzten Kraft die Möglichkeit zu geben, sich von ihrer Erschlaffung zu erholen und Widerpart zu bieten. Dann erst können sich beide Kräfte miteinander messen und aneinander ihre Potenz steigern.18 Kehren wir noch einmal zum eben beschriebenen Koordinaten-Modell zurück, um die von Zarathustra antizipierte Bewegung auf den Übermenschen hin weiter zu veranschaulichen. Stellen wir uns dabei den Seiltänzer vor, der sich über das Seil bewegt, indem er sich mit Hilfe einer Stange oder seiner Arme im Gleichgewicht hält.19 So balanciert auch derjenige, der sich an der Idee des Übermenschen orientiert, auf jener gedachten Linie, die im Idealfall in jedem Punkt den gleichen Abstand zur Leib-Achse und zur Seele-Achse aufweist. Je steiler die das

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Spiritualismus (Einsiedler, Priester)

Materialismus (letzter Mensch)

18 „Ziel: Höherbildung des ganzen Leibes und nicht nur des Gehirns!“ (N 1883, 16/21; 10, 506) 19 Der Gott am Kreuz kann nicht balancieren, seine Arme sind fixiert und verweisen auf ein statisches Menschenbild: Selbstüberwindung als ununterbrochenes Leiden an sich selbst.

Zarathustra als Verkünder des Übermenschen übermenschliche Streben verbildlichende Linie (die Resultante) mit zunehmendem Abstand von den Achsen ansteigt, desto stärker wird die Spannung, die ausgehalten werden muß, und mit jedem zurückgelegten Schritt wachsen die beiden Koordinaten im gleichen Verhältnis mit. Die Kraft eines Menschen, seine Selbstmächtigkeit bemißt sich letztlich daran, in welchem Ausmaß es ihm gelingt, sich vom Nullpunkt zu entfernen und auf seinem Weg die Mitte zwischen den Ansprüchen von Leib und Seele zu finden. Denn anders als für den Seiltänzer, der immerhin das Seil als Richtschnur benutzen kann, entsteht für den über-menschlichen Akrobaten der Weg erst mit jedem Schritt, den er tut. Zwar kann man rein theoretisch jeden Punkt auf der gedachten Linie geometrisch exakt ermitteln, aber in dieser Abstraktheit taugt das Modell nur für eine Groborientierung; die jeweilige, geschichtlich konkretisierte Leib-Seele-Synthesis muß jedes Individuum in seiner Besonderheit unter Einsatz seiner Kräfte selbst hervorbringen und sich dabei ständig dem Risiko des Scheiternkönnens, sei es des Absturzes auf die LeibAchse, sei es der Flucht auf die Seele-Achse, aussetzen. Trotz der erwähnten Abstraktheit20 des geometrischen LeibSeele-Modells sei dieses noch einmal herangezogen, um den angedeuteten Übergang zur Lehre von der ewigen Wiederkehr des Gleichen am Kreismodell vorzubereiten. Wie wir gesehen haben, stellen sich die geglückten Akte von Selbstüberwindung graphisch als eine Abfolge von Punkten dar, die den gleichen Abstand zu den beiden als Leib- und Seele-Koordinate bezeichneten Achsen aufweisen. Die durch diese Punkte gebildete Linie qua Weg des resp. zum Übermenschen läßt im gleichen Maß, wie sie wächst, auch die beiden Koordinaten mitwachsen. Da diese Ausweitung des Weges prinzipiell bis ins Unendliche gehen kann, kommt die Tätigkeit nie zu einem Ende, bzw. das Ende der Linie wird durch den Tod des Individuums markiert. Daraus folgt, daß man zu keinem Zeitpunkt von einem Menschen sagen kann, er sei Übermensch,21 auch wenn er es im

20 „ Je abstrakter die Wahrheit ist, die man lehren will, um so mehr muß man erst die Sinne zu ihr verführen“ (N 1882, 1/45; 10, 23; vgl. N 1882/83, 5/1; 10, 193). 21 „Der ‚Übermensch‘ ist keine Chiffre für eine ‚Art‘; er ist ein Gleichnis vielmehr für Möglichkeiten des Menschseins, und diese werden, wenn überhaupt, von Einzelnen verwirklicht“ (Ottmann 1987, 268).

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Annemarie Pieper Über-sich-hinaus-Schaffen noch so weit gebracht hat. Denn Übermensch ist man nur gleichsam im Sprung, im Vollzug der Selbstüberwindung. Der Übermensch kann somit nur als werdender begriffen werden, nie als ein erreichter Zustand im Sein. Der Übermensch ist und bleibt Utopos.

5.4 Das Kreis-Paradigma Was sich im Prozeß des werdenden Übermenschen mit jedem Schritt wiederholt, ist der Kampf der Kräfte um die Vorherrschaft, der unbedingt unentschieden bleiben muß, soll die fruchtbare Spannung22 zwischen Leib und Seele in einem Gleichgewicht der Kräfte aufrechterhalten werden. Wenn Zarathustra den Übermenschen als den Sinn der Erde deklariert, so kann die mit dem Sinnbegriff vermittelte Vorstellung von umfassender Ganzheit durch die Kreisfigur verbildlicht werden, in welche die ins Unendliche hin offene Struktur des Koordinatensystems integriert wird. Dazu muß man sich nur daran erinnern, daß das Spannungsfeld der Kräfte ja nicht ein objektiv vorgegebenes ist, in das der Mensch nachträglich hineingestellt wird, vergleichbar einem Stück Eisen, das zwischen zwei Magneten gerät. Ganz im Gegenteil organisiert sich der Mensch selber als seelisch-leibliches Kraftfeld, und je größer die Spannung, die er zwischen den beiden Polen zu erzeugen vermag, desto größer die Selbstüberwindung und Selbstverwindung ins Übermenschliche. „Redlicher redet und reiner der gesunde Leib, der vollkommne und rechtwinklige: und er redet vom Sinn der Erde“ (38).23 22 „[D]ie höchste Spannung der Vielheit von Gegensätzen zur Einheit zu bringen – Ziel“ (N 1883, 17/27; 10, 547). Müller-Lauter unterscheidet zwischen zwei Typen des Übermenschen, die er für unvereinbar hält: dem gewalttätigen und dem synthetisierenden Übermenschen (Müller-Lauter 1971, 135 ff.). Mir scheint, daß diese beiden unterschiedenen Typen letztlich zwei gegensätzliche Aspekte des utopischen Konstrukts namens Übermensch sind, insofern das Moment des Gewalttätigen auf die Anstrengung des Auseinanderhaltens der Gegensätze verweist, das ja mit einem Zerreißen der Identität verbunden ist, während sich das Moment der Synthesis auf den einheitsstiftenden Aspekt der Selbstüberwindung bezieht. 23 Der Übermensch ist der rechtwinklige Mensch, der vertikales und horizontales über in seinem Leib vereint: „Als ich den Übermenschen geschaffen hatte, ordnete

Zarathustra als Verkünder des Übermenschen Der Übermensch hat somit nur in einem zum vertikalen und horizontalen über ausgespannten Selbstverhältnis als der Sinn der Erde Realität. Er existiert ausschließlich als jenes kreisförmige Kraftfeld, das der über sich hinaus schaffen wollende Mensch aus sich heraustreibt, indem er die beiden an sich selber maßlosen Strebekräfte seiner Natur – man könnte sie mit Schiller als Formtrieb und Stofftrieb bezeichnen24 – so aufeinanderbezieht, daß sie, jede auf ihre eigentümliche Weise, dazu beitragen, die Selbst-Projektion ins Übermenschliche in die Tat umzusetzen. Im Selbstwerden gründet sich durch Zusammenspannung der auseinanderstrebenden, sich verselbständigen wollenden Kraftpotentiale ein Selbstverhältnis, das die Struktur immanenter Transzendenz aufweist und in dieser gegenstrebig verfugten Harmonie jenen Sinn erzeugt, der mit dem Wort „Übermensch“ gemeint ist. Dieser Sinn bricht nicht aus einer außermenschlichen, überirdischen Transzendenz in die Immanenz ein, sondern entsteht durch Ausweitung oder Ausdehnung der Immanenz zur Transzendenz – mittels des Willens zur Macht, der den Menschen aus sich heraustreibt zur Selbstvervollkommnung im Übermenschlichen. Damit hat sich das Leib-Seele-Koordinatensystem in die Kreisfigur integriert. Der Nullpunkt, in dem der geistige und der materielle Pol noch ungeschieden sind, wird zum Kreismittelpunkt, und die beiden Achsen werden zu Radien. Im Mittelpunkt befindet sich der Mensch, der im Vollzug des Über-sichhinaus-Schaffens vertikales und horizontales über so entwirft, daß durch eine doppelte Spannung die kreisförmige Geschlossenheit entsteht: die Dimension des Übermenschen. Zum einen ist es die Spannung zwischen dem Kreismittelpunkt und dem

ich um ihn den großen Schleier des Werdens und ließ die Sonne über ihm stehen im Mittage“ (N 1883, 12/17; 10, 403). Der rechtwinklige wird auch als der wohlgeratene Mensch bezeichnet, der nicht stillsteht, sondern sich bewegt und fortentwickelt: „Der wohlgerathene Mensch freut sich an der Thatsache ‚Mensch‘ und am Wege des Menschen: aber – er geht weiter!“ (N 1885, 34/133; 11, 465) 24 Passenderweise wäre dann das diese beiden Triebe zusammenspannende, den Übermenschen hervorbringende Selbstverhältnis als „Spieltrieb“ zu charakterisieren. Zarathustra hat ja in der Rede Von den drei Verwandlungen die Metapher des Kindes verwendet, um den Akt der Selbsthervorbringung des Übermenschen zu beschreiben: „Ja, zum Spiele des Schaffens, meine Brüder, bedarf es eines heiligen Ja-sagens“ (31).

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Annemarie Pieper durch den Überschritt markierten Punkt am Ende der Resultante und zum anderen die Spannung zwischen den beiden Endpunkten der auseinanderstrebenden Achsen, wodurch es zur Vorstellung einer kreisförmigen Bewegung kommt, denn der Idealfall einer geglückten, ihren Sinn erfüllenden Selbstüberwindung liegt dann vor, wenn die vom Menschen aufgewandte Kraft einerseits und die zwischen Leib- und Seele-Achse erzeugte Gegenkraft andererseits einander die Waage halten, was geometrisch ausgedrückt daran kenntlich ist, daß beide Kräfte sich in demselben Punkt treffen, und zwar in jenem Punkt, der das Ende der Resultante ausmacht und von den Enden der beiden Achsen gleich weit entfernt ist. Denkt man dieses Modell nicht statisch, sondern dynamisch von der Kraft der Resultante her, die die beiden Achsenkräfte rechtwinklig auseinandertreibt und in gleichem Maß aufeinander bezieht, so ergibt sich von selbst die Form eines Kreisviertels, dessen Peripherie durch die das Gleichgewicht der Kräfte signalisierenden idealen Punkte gebildet wird.25 Das Kreisviertel läßt sich mühelos zum Kreis vervollständigen, wenn die horizontale Leib-Achse nach links, in die Vergangenheit, und die vertikale Seele-Achse nach unten, über den Nullpunkt hinaus in die „Tiefe“ hinausgezogen wird.26 Die Peripherie des so 25

An diesem Modell läßt sich noch einmal die Fehlform des Christentums aus der Sicht Zarathustras verdeutlichen: Zwar kann auch das Kreuz als Koordinatensystem aufgefaßt werden, aber da sein Zentrum zu hoch liegt, um den Mittelpunkt eines Kreises bilden zu können, wird der Sinn des Menschlichen dualistisch gespalten. Das tote Fleisch des gestorbenen Christus zieht nach unten, während der Mast des Kreuzes nach oben in die vertikale Transzendenz weist und damit die Richtung und die Sinnregion angibt, in die der auferstandene Leib verschwinden wird. 26 „Der Weise als Astronom. – So lange du die Sterne noch fühlst als ein ‚Überdir‘, fehlt dir noch der Blick der Erkenntniß: für diese giebt es kein Über und Unter mehr“ (N 1882, 3/1; 10, 83).

Zarathustra als Verkünder des Übermenschen entstandenen Kreises kann unendlich ausgedehnt werden, je nachdem in welchem Ausmaß es einem Menschen gelingt, in vertikaler und horizontaler Richtung über sich hinaus zu gelangen und damit die Immanenz seines Seins in beiden Hinsichten zu erweitern.27 Wer gleichsam nur im Punkt bleibt, ohne diesen durch Selbsttranszendenz zum Kreis auszudehnen, verfehlt sich in der puren Immanenz in seinem Menschsein ebenso wie derjenige, der nur eine unbegrenzte lineare Transzendenz – sei es vertikal ins Abstrakt-Geistige, sei es horizontal ins Materialistische – gelten läßt. Der Übermensch realisiert sich nur in jenem Raum, der durch das Gleichgewicht der Kräfte je und je eröffnet wird, als Sinn der Erde – als ein Sinn, der in sich geschlossen ist und dennoch ins Unendliche gesteigert werden kann.28 Auf der Folie dieses Modells will ich im folgenden zur Ergänzung und Korrektur von Standardinterpretationen einige ausgewählte Textstellen zum Übermenschen im Zarathustra, in Ecce homo und im Nachlaß heranziehen, um dann abschließend noch einmal auf die Wiederkunftslehre zurückzukommen.

5.5 Selbstüberwindung als Selbstwerden Es findet sich im Zarathustra eine Reihe von Bildern, die das Kreis-Paradigma im Hinblick auf das Übermensch-Werden stützen. „Pfeil der Sehnsucht“ (17): Dieses Bild des gespannten Bogens und der gestrafften Sehne stellt sich geometrisch ziemlich genau als das vorhin beschriebene Kreissegment dar, das durch die Leib-Seele-Koordinaten und die Verbindung ihrer Endpunkte über den Endpunkt der Resultante gebildet wird. Die Krümmung des Bogens bei rechtwinklig ausgezogener Sehne fungiert dabei gleichsam als die Vorgabe für den Pfeil, der sich nach Maßgabe des Ersehnten sein Ziel sucht und im Treffen der Mitte den Übermenschen als das Gleichgewicht von

27 Freunde „sollten bewundern, wohinaus einer kommt, auf dem Wege seiner Leiden – sie sollten vorwärts und hinauf blicken lernen und nicht zurück, hinab“ (N 1883, 7/111; 10, 280; Fettdruck A. P.). 28 „Unsere Verachtung des M‹enschen› trieb uns hinter die Sterne. Religion, Metaphysik, als Symptom einer Begierde, den Übermenschen zu schaffen“ (N 1882/83, 4/214; 10, 171).

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Annemarie Pieper Leib und Seele zur Erscheinung bringt. Ähnlich verhält es sich mit dem Blitz, der aus der dunklen Wolke über den Menschen herausschießt: „dieser Blitz aber heisst Übermensch“ (18). Er erhellt schlagartig die in ihrer Immanenz verschlossene Nullpunktexistenz der Menschen und weitet den Blick für eine neue Art von Transzendenz. Zarathustra sieht sich selbst in der Rolle des Verkünders des Übermenschen: „den Regenbogen will ich ihnen zeigen und alle die Treppen des Übermenschen“ (26). Den „Verächtern des Leibes“ hält er entgegen: „Ihr seid mir keine Brücken zum Übermenschen!“ (41) Regenbogen und Brücke – halbkreisförmige Gebilde – stehen hier nicht für vorhandene Wege, die man einfach begehen kann, um den Dualismus von Leib und Seele zu überwinden. Es sind Wege, die erst geschaffen werden müssen, indem man sich zu sich selbst wie Bogen und Sehne verhält und aus diesem gespannten Selbstverhältnis heraus zum Pfeil wird, der den Hiatus überbrückt, indem er ihn hinter sich läßt. „Um die Mitte der Bahn entsteht der Übermensch“ (N 1883, 17/56; 10, 556).29 Der Übermensch ist höchste Aktivität, kein Seinszustand.30 Wenn Zarathustra konstatiert, „Niemals noch gab es einen Übermenschen.“ (119; vgl. N 1883, 13/26; 10, 471), so bedeutet dies nicht, daß es dereinst einen solchen als Gattungstypus geben wird. Übermenschen wird es nie als Exemplare einer eigenen Gattung geben, so wie es Pflanzen und Tiere gibt, auch wenn es im Zarathustra heißt: „Aufwärts geht unser Weg, von der Art hinüber zur Über-Art“ (98)31. Es mag überraschen, daß sich

29 Zur Kreismetaphorik vgl. auch: „Des Ringes Durst, sich wieder zu erreichen – ihn dürste ich“ (N 1883, 9/13; 10, 349). „Und ewig gleich des Ringes Durst, ist auch mein Durst nach mir: sich wieder zu erreichen, dreht und ringt sich jeder Ring“ (N 1883, 13/1; 10, 417). „‚Kreis‘ ist das Zeichen des Ringes, dessen Ringen in sich selbst zurückläuft und so immer das wiederkehrende Gleiche erringt“ (Heidegger 1954, 103). 30 „Ihr müßt eure Auf- und Untergänge haben. Ihr müßt euer Böses haben und zeitweilig wieder auf euch nehmen. Ihr ewig Wiederkehrenden, ihr sollt selber aus euch eine Wiederkehr machen“ (N 1882/83, 5/1; 10, 213). „Wir dürfen nicht Einen Zustand wollen, sondern müssen periodische Wesen werden wollen = gleich dem Dasein“ (N 1882, 1/70; 10, 28). „Ein unendlicher Prozeß kann gar nicht anders gedacht werden als periodisch“ (N 1883, 15/18; 10, 483). 31 „Der Mensch sei der Ansatz zu etwas, das nicht Mensch mehr ist! Arterhaltung wollt ihr? Ich sage: Art-Überwindung!“ (N 1882/83, 5/1; 10, 202) „Die Lehre der Wiederkehr ist der Wendepunkt der Geschichte“ (N 1883, 16/49; 10, 515).

Zarathustra als Verkünder des Übermenschen nach Nietzsche unserer These zufolge aus der Spezies Mensch nicht eine neue Spezies Übermensch herausbilden soll, nachdem im Verlauf der Evolution die jeweils nächsthöhere Stufe eine neue Spezies darstellte: die Pflanze als Übermaterie, das Tier als Überpflanze, der Mensch als Überaffe. Entsprechend müßte das über in Übermensch als ein vom Menschen verschiedener, ihm übergeordneter eigener Typus von Lebewesen verstanden werden. Daß dies nicht so ist, läßt sich im Hinblick auf den Gang der Evolution begründen, der nach Nietzsche durch das Über-sich-hinaus-Wollen der Wesen angetrieben wird. Schaut man sich die verschiedenen Stufen an, so zeigt sich, daß im Verlauf des Prozesses eine fortwährende Auseinandersetzung und Ausdifferenzierung der materiellen und geistigen Kraftpotentiale stattfindet. Erst auf der Stufe des Menschen lassen sich Körper und Seele vollständig voneinander abtrennen, und es bedarf eines menschlichen Selbstbewußtseins, um den auf den vorhergehenden Stufen naturwüchsig vollzogenen Willen zur Macht als Prinzip des Seiner-selbst-mächtig-werden-Wollens erkennen und bejahen zu können. Erst auf der Stufe des Menschen also kommt die Struktur des rechtwinkligen Leibes voll zum Tragen – in einem Wesen, das sich zu sich selbst zu verhalten vermag. Damit endet die Evolution als lineares Geschehen und mündet in die Selbstbezüglichkeit einer großen Vernunft, die die Dynamik des über in sich aufnimmt, indem sie an die Stelle einer linearen Höherentwicklung eine kreisförmige Bewegung setzt und durch die Tätigkeit des Über-sich-hinausSchaffens das Selbst unendlich auszudehnen trachtet: Der Übermensch wird so verstanden zu einem radikalisierten Selbstverhältnis.32

32 Vgl. auch Gerhardt (1992, 178): „Durch den naturgeschichtlichen Vergleich darf man sich freilich nicht täuschen lassen: Zarathustras Vision ist keine biologistische Utopie; es wird kein Modell für eine künftige Evolution des Menschen entworfen. Die Projektion des Übermenschen erfolgt vielmehr aus einer kulturgeschichtlichen Diagnose und die wiederum vornehmlich aus der Sorge um das Schicksal des Menschen. Daß dabei auch das mögliche Ende des Menschen in Rechnung gezogen wird, ist nicht mehr als realistisch. Wenn kein Gott das Dasein des Menschen garantiert, kann es jederzeit damit zu Ende sein. Daran erinnert der Begriff des Übermenschen in durchaus ernüchternder Weise.“

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Annemarie Pieper Wie wir gesehen haben, ist mit Übermensch nicht ein feststehendes Ziel gemeint, das linear erreicht werden kann, entweder durch einen Aufschwung ins Reich der Ideen oder durch den Gang in eine ferne Zukunft, ans Ende der Geschichte. Vielmehr ist die Totalität eines Sinns gemeint, der sich nur je jetzt im individuellen Vollzug einer immanenten Selbsttranszendenz, momentweise, nicht auf Dauer, herstellt. Entsprechend gesteht Nietzsche: „Ziel: auf einen Augenblick den Übermenschen zu erreichen. Dafür leide ich alles!“ (N 1882/83, 4/ 198; 10, 167) Dennoch spricht nichts dagegen, daß es mehrere Individuen geben könnte, die es durch eigene Kraftanstrengung zu einer über-menschlichen Lebensform bringen.33 In diesem Sinn wäre dann Nietzsches Notiz zu verstehen: „Es muß viele Übermenschen geben: alle Güte entwickelt sich nur unter seines Gleichen“ (N 1885, 35/72; 11, 541). Einer allein vermag nicht auf die rechte Weise über sich hinaus zu schaffen. Er braucht Vorbilder und das Beispiel anderer: „in deinem Freunde sollst du den Übermenschen als deine Ursache lieben“ (78).34 Auch wenn jeder nur für sich selbst den Übermenschen als den Sinn seines Lebens hervorbringen kann, bedarf es dazu doch der Anleitung und Unterstützung durch eine Lehre, wie Zarathustra sie seinen Schülern zu vermitteln sucht. Aber auch für

33 Vgl. hierzu N 1887/88, 11/413; 13, 191: „Der Übermensch: es ist nicht meine Frage, was den Menschen ablöst: sondern welche Art Mensch als höherwerthige gewählt, gewollt, gezüchtet werden soll … Die Menschheit stellt nicht eine Entwicklung zum Besseren; oder Stärkeren; oder Höheren dar; in dem Sinne, in dem es heute geglaubt wird: der Europäer des 19. Jahrhunderts ist, in seinem Werthe, bei weitem unter dem Europäer der Renaissance; Fortentwicklung ist schlechterdings nicht mit irgend welcher Nothwendigkeit Erhöhung, Steigerung, Verstärkung … in einem andrem Sinne giebt es ein fortwährendes Gelingen einzelner Fälle an den verschiedensten Stellen der Erde und aus den verschiedensten Culturen heraus, in denen in der That sich ein höherer Typus darstellt: etwas, das im Verhältniß zur Gesammt-Menschheit eine Art ‚Übermensch‘ ist. Solche Glücksfälle des großen Gelingens waren immer möglich und werden viell‹eicht› immer möglich sein.“ 34 „Der Freund als Dämon und Engel. Sie haben für einander das Schloß zur Kette. In ihrer Nähe fällt eine Kette ab. Sie erheben sich einander. Und als ein Ich von Zweien nähern sie sich dem Übermenschen und jauchzen über den Besitz des Freundes, weil er ihnen den zweiten Flügel giebt, ohne den der eine nichts nützt“ (N 1882/83, 4/211; 10, 170 f.).

Zarathustra als Verkünder des Übermenschen Zarathustra gilt, daß er nicht Übermensch ist. Zwar sagt Nietzsche in Ecce homo in bezug auf Zarathustras zartfühlenden Umgang selbst mit seinen Feinden, den Priestern: „Hier ist in jedem Augenblick der Mensch überwunden, der Begriff ‚Übermensch‘ ward hier höchste Realität“ (EH, Zarathustra 6; 6, 344), doch belegt dies nur, daß es einem Menschen immer nur momentweise, aber nicht auf Dauer gelingt, sich zum Übermenschen auszuspannen. Übermensch ist keine Seinsart, sondern die Qualität eines unaufhebbar prozessualen Selbstwerdens. Die dabei vollzogene Bewegung charakterisiert Nietzsche gegenüber der alles nivellierenden Tätigkeit der Menschen, die sich in der Nullpunktexistenz eingerichtet haben, als die „andere Bewegung: meine Bewegung: [sie] ist umgekehrt die Verschärfung aller Gegensätze und Klüfte, Beseitigung der Gleichheit, das Schaffen Über-Mächtiger. Jene erzeugt den letzten Menschen. Meine Bewegung den Übermenschen“ (N 1883, 7/21; 10, 244).

5.6 Die Verbindung des Konzepts der ewigen Wiederkehr des Gleichen mit der Idee des Übermenschen als dem Inbegriff von Sinnhaftigkeit Doch so wie Mittelpunkt und Peripherie des Kreises einander bedingen, so ist auch der Übermensch nicht losgelöst vom Menschen existent. Der Mensch geht nicht ein für allemal unter, sobald ein Individuum im Überschritt über sich hinaus Kreise um sich zieht und darin den Sinn seines Lebens tätigt. Der Übermensch bleibt unaufhebbar der Sinn des Menschen35 – dies kann ein Anlaß zur Verzweiflung, aber auch Inbegriff menschlichen Glücks sein. Nietzsche hat den Wiederkunftsgedanken vor der Lehre vom Übermenschen gefaßt und letztere vor allem

35 „Mit diesem Namen [Übermensch] bezeichnet Nietzsche keineswegs ein Wesen, das nicht mehr Mensch ist. Das ‚Über‘ als ‚Über-hinaus‘ ist auf einen ganz bestimmten Menschen bezogen, der in seiner Bestimmtheit erst sichtbar ist, wenn über ihn zu einem gewandelten Menschen hinausgegangen wird“ (Heidegger 1961, 284).

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Annemarie Pieper deshalb entwickelt, um erstere erträglich zu machen.36 Die „größte Erhöhung des Kraft-Bewußtseins des Menschen als dessen, der den Übermenschen schafft“, ist nötig, „um den Gedanken der Wiederkunft zu ertragen“ (N 1884, 26/283; 11, 224 f.).37 Was macht diesen Gedanken so unerträglich, daß Zarathustra darüber schier verzweifelte? Es ist die Vorstellung absoluter Sinnlosigkeit, die durch den Tod Gottes heraufbeschworen wird. Wenn Gott als Sinnurheber und Sinngarant negiert wird, fällt die ganze Last der Sinnstiftung auf den Menschen zurück, der sich außerstande sieht, etwas hervorzubringen, das Ewigkeitsqualität besitzt, in vertikaler Transzendenz untangierbar durch die naturalen Prozesse des Entstehens und Vergehens in zeitloser Präsenz sich durchhält. Der Mensch, eingebunden in den Kreislauf des Werdens, vermag nichts dem „unsterblichen“ Sinn des Gottes Vergleichbares zu schaffen, und was immer er an dessen Stelle setzen wird, ist durch Raum und Zeit begrenzt, eingeschlossen in die Dimension des vertikalen und des horizontalen über, die nicht an sich je schon präsent ist, sondern in der Selbstbezüglichkeit des jedesmal wieder bei Null beginnenden Über-sich-hinaus-Schaffens zur Existenz gebracht wird. Wie prekär die Situation des Menschen nach dem Tode Gottes ist, verdeutlicht Aphorismus 125 aus Die fröhliche Wissenschaft. „Der tolle Mensch“ ist es, der dort in erschütternden 36 Marie-Luise Haase hat dies ausführlich belegt und nachgewiesen, daß beide Thesen immer näher aneinanderrücken (Haase 1984). Für Nietzsche gehörten somit beide Lehren zusammen, und die Frage nach der Vereinbarkeit beider stellt sich für ihn gar nicht. Anders als für Löwith, der zwischen beiden Lehren einen fundamentalen Widerspruch sieht (Löwith 1956, 13 f.), gehören für MüllerLauter „Übermenschentum und Wollen der ewigen Wiederkehr als das Äußerste, in dem sich Nietzsches Philosophieren ausspricht, zusammen“ (Müller-Lauter 1971, 143). Vgl. auch Heidegger (1954, 118 und 120): „Zarathustra lehrt als Lehrer der ewigen Wiederkehr und des Übermenschen nicht zweierlei. Was er lehrt, gehört in sich zusammen, weil eines das andere in die Entsprechung fordert. […] Zarathustra lehrt die ewige Wiederkehr des Gleichen, weil er der Lehrer des Übermenschen ist. Beide Lehren gehören in einem Kreis zusammen.“ 37 „Erst die Gesetzgebung. Nach der Aussicht auf den Übermenschen auf schauerliche Weise die Lehre der Wiederkunft: jetzt erträglich!“ (N 1883, 15/10; 10, 482) Zarathustra „vergißt sich und lehrt aus dem Übermenschen heraus die Wiederkehr: der Übermensch hält sie aus und züchtigt damit. Bei der Rückkehr aus der Vision stirbt er daran“ (N 1883, 10/47; 10, 378). Mit Züchtigung und Züchtung im Sinne des Sich-hinauf und -fort-Pflanzens meint Nietzsche weniger einen biologischen Prozeß als eine Form der Selbsterziehung (vgl. Ottmann 1987, 246).

Zarathustra als Verkünder des Übermenschen Fragen die Konsequenz aufzeigt, die der Tod Gottes für uns als seine Mörder nach sich zieht. „Wer gab uns den Schwamm, um den ganzen Horizont wegzuwischen? Was thaten wir, als wir diese Erde von ihrer Sonne losketteten?“ (FW 125; 3, 481) In einer Vorstufe zu diesem Text hieß es noch ergänzend: „Ohne diese Linie – was wird nun noch unsere Baukunst sein! Werden unsere Häuser noch fürderhin fest stehn? Stehen wir selber noch fest? Stürzen wir nicht fortwährend? Und rückwärts, seitwärts, vorwärts, nach allen Seiten! – Giebt es noch ein Oben und ein Unten? Ist es nicht kälter geworden? Kommt nicht immerfort die Nacht und mehr Nacht?“ (Kommentar zu FW; 14, 257) Ohne feststehende vertikale Transzendenz verliert der Mensch jeglichen Halt. Er hat mit der Negation Gottes das Oben – die Sonne – ausgelöscht und damit zugleich das Unten vernichtet, da die Trennlinie zwischen Oben und Unten – der Horizont – verschwunden ist. Von nun an fehlt das Fundament, auf dem der Mensch seine Sinngebilde errichten kann, denn mangels einer unverrückbaren ideellen Richtschnur jenseits des Universums ist er orientierungslos geworden: Er hat kein Ziel und keinen Weg mehr, und selbst wenn es solche noch geben sollte, könnte er sie nicht sehen, weil er die Bedingung seines Sehenkönnens ausgeschaltet hat. Wer die Welt nicht mehr im Lichte des Göttlichen erblickt, ist sinnblind geworden und stolpert, dem Zufall ausgeliefert, im Chaos des Richtungslosen herum. Was am Wiederkunftsgedanken so entsetzlich ist, daß er nicht auszuhalten ist ohne die Vision des Übermenschen, läßt sich vielleicht am Text eines Autors veranschaulichen, der Nietzsche, wenn auch aus kritischer Distanz, stets bewundert hat: Ich meine Albert Camus. Seine grandiose Interpretation des Mythos von Sisyphos auf der Folie der absurden Befindlichkeit des modernen Menschen scheint mir eine Möglichkeit zu sein, wie sich Nietzsches Konzept der ewigen Wiederkehr des Gleichen mit der Idee des Übermenschen als Inbegriff von Sinnhaftigkeit verbinden läßt. Das Problem des Sisyphos besteht ja darin, daß sein Wälzen des Felsblocks auf einen Berg, von dessen Gipfel der unter äußersten Mühen hochgestemmte Brocken immer wieder herabrollt, eine absolut sinnlose Tätigkeit ist. Obwohl Sisyphos eine in sich geschlossene, gleichsam kreisförmige Bewegung vollzieht, indem er den Berg unablässig hinauf- und

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Annemarie Pieper wieder herabsteigt, gelingt es ihm nicht, darin einen Sinn einzuschließen, und zwar so lange nicht, als seine Vorstellung von Sinn mit dem Liegenbleiben des Steins oben auf dem Gipfel verknüpft ist. Solange er den Sinn statisch auffaßt als ein feststehendes Ziel am Ende eines linear dorthin führenden Weges, muß Sisyphos verzweifeln, da seine Hoffnung jedesmal, wenn er auf dem Gipfel angelangt ist, wieder zunichte gemacht wird und ihm nichts anderes übrig bleibt, als trostlos, ohne Sinn wieder ins Tal zurückzukehren. In alle Ewigkeit wird er, dem als Halbgott nicht einmal wie den Sterblichen das Ende der nutzlosen Plackerei durch den Tod in Aussicht gestellt ist, die Wiederkehr des Sinnlosen erleben. „Wenn die Bilder der Erde zu sehr im Gedächtnis haften, wenn das Glück zu dringend mahnt, dann steht im Herzen des Menschen die Trauer auf: das ist der Sieg des Steins, ist der Stein selber. Die gewaltige Not wird schier unerträglich. Unsere Nächte von Gethsemane sind das“ (Camus 1992, 100). Aber Camus läßt seine Version des Mythos von Sisyphos mit dem Satz enden: „Wir müssen uns Sisyphos als glücklichen Menschen vorstellen“ (ebd., 101). Woher kommt dieses Glück, das doch Indiz für eine geglückte Sinnstiftung ist? Von Nietzsche her könnte man sagen, daß Sisyphos die Idee des Übermenschen entdeckt und den Übermenschen als Sinn seines Lebens verwirklicht hat. Der erste Schritt dorthin besteht darin, daß er die Götter, die dieses unmenschliche Schicksal über ihn verhängt hatten, abschafft: „[Er] vertreibt aus dieser Welt einen Gott, der mit dem Unbehagen und mit der Vorliebe für nutzlose Schmerzen in sie eingedrungen war[, und] macht aus dem Schicksal eine menschliche Angelegenheit, die unter Menschen geregelt werden muß. Darin besteht die ganze verschwiegene Freude des Sisyphos. Sein Schicksal gehört ihm. Sein Fels ist seine Sache“ (ebd., 100). Auch Sisyphos sagt also: Gott ist tot. Und damit verändert sich die ganze Perspektive, aus welcher er seine Tätigkeit beurteilt. War es zuvor die Perspektive eines allen Sinn generierenden, transzendenten Gottes, aus der ihm seine Praxis als durch und durch minderwertig erschien, da sie sich ihm als eine sinnlose Iteration erfolgloser Überwindungen des Steins darstellte, so betrachtet er nach der Verbannung der Götter aus seinem Universum sein Wirken mit neuen Augen. An die Stelle

Zarathustra als Verkünder des Übermenschen eines ohnmächtigen Auslangens nach einem unverfügbaren Sinn tritt nun die eigene Sinngebung, die aller abgetrennten Transzendenz den Rücken kehrt und sich auf die Immanenz konzentriert. Dieser neue Sinn erschließt sich nur im Gehen des Weges, denn er ist kein übergeschichtlicher, die Menschheit insgesamt übersteigender Sinn mehr, sondern ein werdender, prozessualer Sinn, den ein Individuum kraft seines Willens je und je hervorbringt. Sisyphos, so sagt Camus, sei „seinem Schicksal überlegen. Er ist stärker als sein Fels“ (ebd., 99). Die ewige Wiederkehr des vom Berg herabrollenden Steins ist für ihn zum bejahten, selbst gewollten Fatum geworden. Dies zeigt sich vor allem darin, daß der Abstieg vom Berg für ihn eine andere Bedeutung bekommen hat. War dieser für ihn zuvor Ausdruck höchster Frustration, weil es lediglich galt, einen erneuten Fehlschlag zu konstatieren und sich einem wiederum vergeblichen neuen Anlauf zuzuwenden, so begreift er jetzt die Rückkehr zum Stein als die Kehrseite der Dialektik, durch die sich sein Glück vollendet. Das Glück des Sisyphos besteht darin, daß er den Stein, anstatt ihn als einen sein Glück verhindernden Fremdkörper abzulehnen, als seine selbst gewählte Aufgabe übernimmt und über den Stein zu einem neuen Selbstverhältnis gelangt. Mittels des Steins gelingt es ihm, sich als ein seiner selbst mächtiges, seinen eigenen Sinn hervorbringendes Wesen wahrzunehmen. Der Stein als solcher ist unüberwindlich, aber das Verhältnis zu ihm kann sich ändern: Er wird nicht mehr als die menschliche Existenz belastender, sie unausweichlich determinierender Faktor widerwillig zur Kenntnis genommen, sondern als Demonstrationsobjekt für den eigenen Sinnanspruch eingesetzt und damit in das Leben integriert. Zwar ist dieser Sinn kein objektiv-inhaltlicher mehr, sondern einer, der am Prozeß des Selbstwerdens festgemacht werden muß, aber nachdem Sisyphos die seine Qual verursachende lineare Zielvorstellung, die seine Bemühungen als immer wieder gescheiterte Anläufe zu einer vergeblichen, da leer in sich zurückschlagenden Selbstfindung machte, überwunden hat, fallen ihm Ziel und Weg zusammen. Es gibt keine Zäsur mehr zwischen dem Weg hinauf und dem Weg hinab. Für Sisyphos hat sich der Kreis geschlossen, in welchem sich der Übermensch als der Sinn seines Lebens zeigt. Das Schaffen und Gehen des Weges ist selbst der Sinn, kein von einer außermenschlichen Instanz

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Annemarie Pieper mehr verheißener und verweigerter Sinn, sondern ein nur mit menschlichen Mitteln gestifteter Sinn. Wenn Zarathustra beschwörend an seine „Brüder“ appelliert: „bleibt der Erde treu“ (15), so hat sich Sisyphos als ein echter Schüler erwiesen, denn Sisyphos „lehrt uns“ – so Camus – „die größere Treue, die die Götter leugnet und die Steine wälzt. […] Dieses Universum, das nun keinen Herrn mehr kennt, kommt ihm weder unfruchtbar noch wertlos vor. Jedes Gran dieses Steins, jeder Splitter dieses durchnächtigten Berges bedeutet allein für ihn eine ganze Welt. Der Kampf gegen Gipfel vermag ein Menschenherz auszufüllen. Wir müssen uns Sisyphos als glücklichen Menschen vorstellen“ (Camus 1992, 101). Auch Nietzsche spricht vom Glück. In einem Nachlaßfragment heißt es: „Darauf erzählt Zarathustra, aus dem Glück des Übermenschen heraus, das Geheimniß daß Alles wiederkehrt“ (N 1883, 20/10; 10, 593).38 Was für Zarathustra die These der ewigen Wiederkehr des Gleichen so schrecklich machte, daß er den Übermenschen erfand, um sie zu ertragen, ist die Einsicht, daß der Kreislauf des Werdens durch keine menschliche Anstrengung, sei sie auch noch so groß, jemals zu überwinden ist und zu keinem Zeitpunkt in einem dauerhaften, vollkommenen Sein zum Stillstand gelangt. Mit Camus gesprochen: Der Stein wird niemals oben liegenbleiben. Wenn aber die Prozessualität Prinzip alles Lebendigen ist, dann folgt daraus, daß eine Höherentwicklung der Menschheit insgesamt nicht möglich ist, denn es wird ja alles wiederkehren, auch die Nullpunktexistenz des letzten Menschen, dem es zu beschwerlich ist, über sich hinaus zu schaffen. Als ganze betrachtet wird sich die Menschheit nie über das Niveau des Menschen erheben;39 es ist im Gegenteil

38 „[…] diese meine dionysische Welt des Ewig-sich-selber-Schaffens, des Ewigsich-selber-Zerstörens, […], wenn nicht im Glück des Kreises ein Ziel liegt“ (N 1885, 38/12; 11, 611; Fettdruck A. P.). Dieses Glück des Kreises ist jedoch nicht etwas, das angestrebt werden kann: „Machtgefühl. – Glück ist nicht das Ziel: sondern eine ungeheure Kraft im Menschen und in der Menschheit will sich ausgeben, will schaffen, es ist eine fortwährende Kette von Explosionen, die keineswegs das Glück zum Ziel haben“ (N 1883, 9/48; 10, 362). 39 Vgl. N 1888, 14/133; 13, 316 f., wo Nietzsche seinen Anti-Darwinismus erläutert: „Meine Gesammtansicht. – Erster Satz: der Mensch als Gattung ist nicht im Fortschritt. Höhere Typen werden wohl erreicht, aber sie halten sich nicht.

Zarathustra als Verkünder des Übermenschen sogar zu befürchten, daß sie nicht einmal die Stufe vom Tier zum Menschen vollauf bewältigt.40 Aus diesem Grund muß die Vorstellung einer durch das Wort „Menschheit“ suggerierten Sinnganzheit verworfen werden.41 Bedeutet dies totalen Sinnverzicht? Ein Ja auf diese Frage würde den Nihilismus in alle Ewigkeit festschreiben und den Menschen in hoffnungslose Verzweiflung stürzen. Daher erfindet Zarathustra den Übermenschen als den Sinn der Erde. Auch wenn es der Menschheit als ganzer nicht gelingt, sich selbst zu überwinden, so wird es doch immer einzelne geben, große Individuen, die für sich selbst, gleichsam im kleinen, das ins Werk setzen, was im großen unerreichbar ist: die Existenzform des Über-sich-hinaus. Daher notiert Nietzsche in den Nachlaß-Fragmenten zum Willen zur Macht: „Nicht ‚Menschheit‘, sondern Übermensch ist das Ziel!“ (N 1884, 26/232; 11, 210)42 Der alte metaphysische Anspruch einer alles umfassenden Sinntotalität wird zurückgenommen in die Immanenz individuellen Selbstwerdens, das sich in sich selbst vertikal und horizontal übersteigt und dabei das durch den Tod Gottes offenbar gewordene Sinnvakuum mit einem neuen Sinn füllt, einem Menschensinn.43 Der Wiederkunftsgedanke wird dadurch er-

Das Niveau der Gattung wird nicht gehoben. Zweiter Satz: der Mensch als Gattung stellt keinen Fortschritt im Vergleich zu irgend einem anderen Thier dar. Die gesammte Thier- und Pflanzenwelt entwickelt sich nicht vom Niederen zum Höheren … Sondern Alles zugleich, und übereinander und durcheinander und gegeneinander.“ 40 „Die Gefahr zur Thierheit ist da. Wir schaffen allen Gestorbenen nachträglich Recht und geben ihrem Leben einen Sinn, wenn wir den Übermenschen aus diesem Stoffe formen und der ganzen Vergangenheit ein Ziel geben“ (N 1882/83, 4/84; 10, 138). „Aber sicher ist, daß wenn Glücklicher- und Leidloser-werden das Ziel wäre, das wir uns zu stecken hätten: die langsame Verthierung rationell wäre“ (N 1883, 7/73; 10, 267). 41 „Der furchtbarste Gedanke einer ewigen Wiederkehr der Vergeudung. Die vergeudete Menschheit (und alles Ringen und Grosse ein ewig zielloses Spiel )“ (N 1883, 20/2; 10, 588). „Die Gefahr der Gefahren: Alles hat keinen Sinn“ (N 1885/86, 2/100; 12, 110). 42 „ Maaß und Mitte zu finden im Streben über die Menschheit hinaus: es muß die höchste und kraftvollste Art des Menschen gefunden werden!“ (N 1883, 16/73; 10, 524) 43 „Das ist der Mensch: eine neue Kraft, eine erste Bewegung: ein aus sich rollendes Rad; wäre er stark genug, er würde die Sterne um sich herumrollen machen“ (N 1882/83, 5/1; 10, 207).

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Annemarie Pieper träglich, daß neben all den verächtlichen Typen verfehlter menschlicher Existenz auch deren schätzenswerteste sich wiederholen wird: „‚Nicht nur der Mensch auch der Übermensch kehrt ewig wieder!‘“ (N 1884, 27/23; 11, 281) Das Glück des Menschen, dem es geglückt ist, seinem Leben einen unüberbietbaren Sinn zu geben, läßt ihn ausrufen: „‚War das das Leben? Wohlan! Noch Ein Mal!‘“ (199) Damit wird die metaphysische Vorstellung einer unteilbaren Sinnqualität in ein naturhaft-geschichtliches Werdensmodell übersetzt und quantifiziert44 . Auch Nietzsche hat – wie sechzig Jahre später Camus – seinem Prototyp für gelebte Übermenschlichkeit bekanntlich den Namen eines Gottes aus der griechischen Mythologie gegeben: Dionysos. Das vierte Buch seines geplanten Werks Umwertung aller Werte sollte den Titel tragen: Dionysos. Philosophie der ewigen Wiederkunft. Und in Ecce homo bemerkt er hinsichtlich des Zarathustra: „Mein Begriff ‚dionysisch‘ wurde hier höchste That“ (EH, Zarathustra 6; 6, 343).45 Er charakterisiert dort auch das Entscheidende einer dionysischen Philosophie als die „Bejahung des Vergehens und Vernichtens, […] das Jasagen zu Gegensatz und Krieg, das Werden, mit radikaler Ablehnung auch selbst des Begriffs ‚Sein‘“ (EH, Tragödie 3; 6, 313). Dionysos Zagreus, von den Titanen zerrissener Sohn des Zeus und der Persephone, der sich wiedergebärt und seine wilden Feste feiert – er verkörpert exemplarisch den die Gegensätze seiner Natur überwindenden und zugleich aushaltenden Menschentypus und damit jenen werdenden Gott, der die Grenzen seines Seins nicht zu überspringen, sondern ins Unendliche hinauszuschieben trachtet.

44 Dieses quantifizierende Moment kommt auch darin zum Ausdruck, daß es nicht mehr das traditionelle Einheitsprinzip ist, das den Sinn des Menschlichen verbürgen soll. An die Stelle der Gleichheit aller soll gerade im Gegenteil die Ungleichheit treten: „Immer ungleicher sollen sich die Menschen werden – um des Übermenschen willen! – also will es meine Liebe selber!“ (N 1883, 12/43; 10, 410) 45 „Die übermenschliche Auffassung der Welt. Dionysos“ (N 1885, 35/73; 11, 541). „Man muß das Sein leugnen“ (N 1884, 25/513; 11, 147). „Daß Alles wiederkehrt, ist die extremste Annäherung einer Welt des Werdens an die des Seins: Gipfel der Betrachtung“ (N 1886/87, 7/54; 12, 312).

Zarathustra als Verkünder des Übermenschen Zarathustra, Dionysos, Sisyphos – sie alle sind fündig geworden bei ihrer Suche nach Sinn, nicht außerhalb der Dimension des Menschlichen, auch nicht in der Utopie einer von allen Zwängen befreiten Weltgesellschaft am Ende der Geschichte. Sie haben den Ursprung alles Sinns im Schaffen, in der Kreativität eines fort und fort sich neu hervorbringenden Individuums gefunden,46 das jeden Augenblick so gestaltet, daß es wollen kann, dieser Augenblick möge ewig genauso wiederkehren.47 „Könntet ihr einen Gott schaffen? – So schweigt mir doch von allen Göttern! Wohl aber könntet ihr den Übermenschen schaffen“ (109). Also sprach Zarathustra.48

46 „Das einzige Glück liegt im Schaffen: ihr Alle sollt mitschaffen und in jeder Handlung noch dies Glück haben!“ (N 1882/83, 4/76; 10, 135) „Der Trieb zur Zeugung, zum Zwecke, zur Zukunft, zum Höheren – das ist die Freiheit in allem Wollen. Nur im Schaffen giebt es Freiheit“ (N 1883, 12/19; 10, 403). 47 „Fürchtet euch nicht vor dem Fluß der Dinge: dieser Fluß kehrt in sich selber zurück: er flieht sich selber nicht nur zweimal. Alles ‚es war‘ wird wieder ein ‚es ist‘. Allem Zukünftigen beißt das Vergangene in den Schwanz“ (N 1882/83, 4/85; 10, 139). 48 Für ergänzende Überlegungen siehe Pieper 1990, 1984 und 1991.

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Annemarie Pieper

Literatur Camus, Albert 1992: Der Mythos von Sisyphos. Ein Versuch über das Absurde, Reinbek. Gasser, Peter 1992: Rhetorische Philosophie. Leseversuche zum metaphorischen Diskurs in Nietzsches „Also sprach Zarathustra“, Bern u. a. Gerhardt, Volker 1992, 31999: Friedrich Nietzsche, München. Haase, Marie-Luise 1984: Der Übermensch in „Also sprach Zarathustra“ und im Zarathustra-Nachlaß 1882–1885, in: Nietzsche-Studien 13, 228–244. Heidegger, Martin 1950: Nietzsches Wort „Gott ist tot“, in: ders., Holzwege, Frankfurt/M., 193–247. Heidegger, Martin 1954: Wer ist Nietzsches Zarathustra?, in: ders., Vorträge und Aufsätze, Pfullingen, 101–126. Heidegger, Martin 1961, 31976: Nietzsche, 2 Bde., hier: Bd. I, Pfullingen. Klages, Ludwig 1926: Die psychologischen Errungenschaften Nietzsches, Leipzig. Löwith, Karl 1956: Nietzsches Philosophie der ewigen Wiederkehr des Gleichen (1935), 2., umgearb. u. erg. Aufl., Stuttgart. Müller-Lauter, Wolfgang 1971: Nietzsche. Seine Philosophie der Gegensätze und die Gegensätze seiner Philosophie, Berlin/New York. Ottmann, Henning 1987, 21999: Philosophie und Politik bei Nietzsche, Berlin/ New York. Pieper, Annemarie 1984: Albert Camus, München. Pieper, Annemarie 1990: „Ein Seil geknüpft zwischen Tier und Übermensch“. Philosophische Erläuterungen zu Nietzsches erstem „Zarathustra“, Stuttgart. Pieper, Annemarie 1991: Nihilismus und Revolte. Camus’ Nietzschekritik, in: Zeitschrift für philosophische Forschung 45, 171–185. Vattimo, Gianni 1986: Jenseits vom Subjekt. Nietzsche, Heidegger und die Hermeneutik, Graz/Wien.

Die „grosse Vernunft“ des Leibes

Volker Gerhardt

Die „grosse Vernunft“ des Leibes Ein Versuch über Zarathustras vierte Rede

In Zarathustras vierter Rede, die unter dem Titel Von den Verächtern des Leibes steht, findet sich ein Ausdruck, der eines der großen und tiefen Rätsel des Daseins mit unüberbietbarer Prägnanz anschaulich macht. Es ist die Formel von der „grossen Vernunft“ des Leibes. Diese Wendung hat nicht die gleiche Popularität wie der Wille zur Macht, die ewige Wiederkunft des Gleichen, die Umwertung der Werte oder die trotzige Tröstung des amor fati. Dafür aber steht sie im unausgewiesenen Zentrum der ExperimentalPhilosophie und trägt alle Hoffnungen, die mit den bekannten Formeln verbunden sind. Nur wenn sich zeigen läßt, daß – und vor allem: wie – der Leib als eine „grosse Vernunft“ verstanden werden kann, ist dem Verdacht zu begegnen, Nietzsches programmatische Wendungen hätten nur eine affektive Botschaft. Gelingt es aber nicht, der Formel von der „grossen Vernunft“ des Leibes einen tragfähigen Sinn abzugewinnen, fehlte Nietzsches Denken die Verbindlichkeit. Zwar bliebe uns der brillante Bilderbogen scharfsinniger Reflexionen, wir hätten nach wie vor die Unruhe seiner Kulturkritik oder den beachtlichen Ertrag seiner entlarvenden Psychologie. Natürlich hätten wir weiterhin das ästhetische Vergnügen an den Expositionen einer nichts Menschliches auslassenden Intellektualität. Unberührt von allen philosophischen Deutungen bliebe schließlich auch die individuelle Wirksamkeit dieser hinter vielen Masken aufschreienden Existenz.

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Volker Gerhardt Dann jedoch gäbe es kein Argument gegen den Vorwurf, die programmatischen Aussagen Nietzsches seien letztlich nur „subjektiv“. Hinter den großen Formeln stehe der für das Jahrhundert typische romantische Voluntarismus: die kategorische Hoffnung auf eine befreiende Dezision, die durch nichts anderes ausgewiesen ist als durch den gesteigerten Überdruß eines Maßlosen, der weder in der Liebe noch im Beruf, weder im Alltag noch in der Wissenschaft, noch in der Kunst seine Bestimmung findet und daher sein exaltiertes Leiden zur öffentlichen Größe steigert. Auch dies hätte symptomatische Bedeutung: Nietzsche wäre auf eine schreckliche Weise zeitgemäß. Doch der Preis einer solchen Deutung wäre hoch: Es gäbe keine plausiblen Gründe, geschweige denn einen Beweis für seine großen experimentalphilosophischen Formeln; die Diagnose des Nihilismus hätte nur für Pastorensöhne Bedeutung, und seine Moralkritik bliebe ohne jeden Anspruch auf Konsequenz. Der mit unerhörten Erwartungen geschriebene Zarathustra wäre nichts als ein Stück Literatur von zweifelhafter Qualität. Mit Sicherheit hätte es in der Reihe großer philosophischer Werke nichts zu suchen. Es ist also nicht unerheblich, wie sich die Formel von der „grossen Vernunft“ des Leibes verstehen läßt. Wir unternehmen daher den Versuch einer philosophischen Interpretation. Dabei gehen wir im ersten Abschnitt vom scheinbar selbstverständlichen Sinn dieser Formel aus. Doch dieser Sinn scheint nicht zum praktischen Verhältnis von Vernunft und Leib zu passen, einem Verhältnis, wie es uns keineswegs bloß in der Tradition des Vernunftdenkens, sondern auch in unseren alltäglichen Erwartungen begegnet. Dieses auf die Dominanz der Vernunft gegründete Verhältnis wird im zweiten Abschnitt geschildert. Damit haben wir eine für Nietzsches Programmformeln kennzeichnende paradoxe Ausgangslage, die verständlich macht, daß die „grosse Vernunft“ des Leibes zugleich provozieren und sedieren kann. Sie hat einen gleichermaßen polemischen wie systematisch fundierenden Sinn. Darauf ist der dritte Abschnitt bezogen. Mit diesem Ergebnis gehen wir im vierten, fünften und sechsten Teil an die Lektüre von Zarathustras Rede. Dabei wird zunächst nach den „Verächtern des Leibes“ gefragt, von deren Lebenswiderspruch bereits die dritte Rede handelt (4). Danach wenden

Die „grosse Vernunft“ des Leibes wir uns der Themafrage zu und deuten die kurze Passage, in der Zarathustra von der „grossen Vernunft“ des Leibes spricht (5). Im Anschluß daran ist der problematische Zusammenhang zwischen „Leib“ und „Ich“ zu erörtern (6). Erst hier treten die Schwierigkeiten hervor, in klarer Begrifflichkeit von der „grossen Vernunft“ des Leibes und der „kleinen Vernunft“ des Bewußtseins zu sprechen. Wollte man Nietzsches Formel wörtlich nehmen, könnte man ihren Sinn nur durch eine ästhetische Deutung retten. Doch Zarathustra spricht nicht nur von „Leib“ und „Ich“, sondern auch vom „Selbst“. Das klingt so selbstverständlich wie rätselhaft. Tatsächlich kann ohne Selbstbezug weder vom „Leib“ noch vom „Ich“ die Rede sein. Die Selbstorganisation des Leibes und die Selbstreflexion des Ich machen, wo immer sie zu sprachlichem Ausdruck kommen sollen, die gedankliche Figur einer Selbstreferenz unumgänglich. Aber ist das mehr als eine sprachliche Hilfskonstruktion? Hätte Nietzsche mit dem „Selbst“ nicht ebenso verfahren müssen wie mit der „Substanz“ oder mit „Gott“? Beide sollen doch nur grammatische Illusionen sein, die darüber hinaus ohne jede Bedeutung sind.1 Beim „Selbst“ des Leibes scheint das jedoch ganz anders zu sein. Es wird behandelt, als habe es die gleiche ontologische Dignität wie der Leib. Tatsächlich erweist es sich als der durch und durch reale Vermittler zwischen Leib und Ich. Dabei zeigt sich, daß es letztlich nur das Selbst ist, was Körper und Seele, Leib und Ich zusammenhält. Diese Einsicht erlaubt uns am Ende, der Formel von der „grossen Vernunft“ des Leibes eine systematische Einsicht abzugewinnen, die einmal mehr beweist, wie viel wir gerade auch in der Perspektive strengen Philosophierens von Nietzsche lernen können. Dieser Darstellung ist der siebte Abschnitt gewidmet. Die Lektüre erfolgt, um es noch einmal zu betonen, in systematischer Absicht. Wollte man auch die historischen Bezüge dieser Passage hinzunehmen, hätte man nicht nur die alte Tradition des Platonismus, sondern auch die junge des Kritizismus heran1 Vgl. die Aussagen: „Ich fürchte, wir werden Gott nicht los, weil wir noch an die Grammatik glauben“ (GD, Vernunft 5; 6, 78). „Substanz“ ist (wie auch die „Freiheit“) „ein ursprünglicher Irrthum alles Organischen“. Sie gehört zu den „Grundirrthümern des Menschen“ (MA 1, 18; 2, 40).

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Volker Gerhardt zuziehen, man müßte die von Fichte erstmals direkt auf das Leben bezogene Selbstauslegung des Selbstbewußtseins ebenso beachten wie die durch Schopenhauer aktualisierte Theorie des Willens. Schließlich hätte man direkt auf die sokratische Position der Selbsterkenntnis zurückzugehen, die sich im 19. Jahrhundert nach Art einer empirischen Wissenschaft zu etablieren sucht und dafür den alten Namen der Psychologie in Anspruch nimmt. Von alledem kann abschließend nicht die Rede sein. Am Ende läßt sich nur versichern, daß die hier entwickelte Deutung eine Konzeption der Vernunft ermöglicht, die mit den Leistungen des Leibes kompatibel ist. Manches spricht sogar dafür, daß Nietzsche selbst über eine solche Konzeption verfügt. Das mag Argwohn erregen. Nietzsches Diskreditierung des systematischen Denkens ist hinlänglich bekannt. Es sieht daher so aus, als gäbe es vernünftige Gründe dafür, daß Nietzsche gar keinen Vernunftbegriff haben dürfte. Doch aus seinen Texten geht zweifelsfrei hervor, daß er als Kritiker und freier Geist eine solche Konzeption in Anspruch nimmt. Erst sie erlaubt, auch den Reden Zarathustras einen nachvollziehbaren Sinn zu unterstellen.

6.1 Die Vernunft als Organ des Leibes Auf den ersten Blick scheint die Formel von der „grossen Vernunft“ des Leibes etwas Selbstverständliches und ganz und gar Natürliches zum Ausdruck zu bringen. Denn alle menschliche Leistung ist immer auch Ausdruck oder Ertrag des menschlichen Leibes. Da wir die Vernunft, wenn überhaupt, nur als Leistung des Menschen kennen, ist auch sie mit dem menschlichen Leib verbunden. Also sind Leib und Vernunft einander nicht fremd. Ja, mehr noch: Wenn es wirklich der Leib ist, der die Vernunft in sich trägt, genügt es nicht, einfach nur eine Verbindung zwischen Leib und Vernunft – irgendeine Form der Kompatibilität – zu unterstellen. Vielmehr muß man annehmen, daß die Vernunft bereits zum Bauplan des menschlichen Leibes gehört. Sie muß, wenn sie sich als leibhaftiges Vermögen in und mit ihm entwickelt, irgendwie schon in ihm angelegt sein. Das aber heißt: Der Leib muß die Vernunft bereits in irgendeiner Form umfassen. Er zielt in seiner Organisation auf eben die

Die „grosse Vernunft“ des Leibes Leistungen, die wir von der Vernunft kennen und erwarten. Also muß er nicht nur die Vernunft in sich enthalten, sondern auch noch das, wozu sie dient. Denn mit einem leiblichen Organ ist immer auch schon dessen Funktion angelegt. Es geht demnach nicht allein um das Ohr oder um das Auge, sondern mit ihnen um Hören und Sehen. Bei der Vernunft ist die Lage nur insofern etwas schwieriger, als wir lediglich die Funktionen kennen, von denen wir allererst auf das, was sich in ihnen äußert, zu schließen haben. Und das ist dann die Vernunft als Organ. Doch die Einzelheiten der Erschließung eines Organs aus seinen Funktionen müssen hier nicht interessieren. Es genügt die Feststellung, daß auch die Leistungen der Vernunft zu den Funktionen des Leibes gehören, die ihrerseits in der Organisation des Leibes angelegt sein müssen, wenn sie nicht von außen implantiert sein sollen. Das aber ist offensichtlich nicht der Fall, so sehr es auch des Stoffwechsels und des Umgangs mit Dingen und anderen Menschen bedarf, damit die Vernunft sich entwickeln kann. Selbst wenn alle einzelnen Leistungen der Vernunft in Auseinandersetzung mit der Welt gelernt werden sollten, müßte deren Anlage leiblich vorgegeben sein. Schon daß vernünftiges Schließen überhaupt gelernt werden kann, spricht für eine Disposition ihres Vollzugs in der Organisation des menschlichen Leibes, der damit eine unheimliche Überlegenheit zu erkennen gibt. Denn, was immer auch passiert, er kann sich stets nur nach den in ihm angelegten Möglichkeiten entwickeln. Also bleibt das Fazit: Die Vernunft ist eine prinzipiell vorgegebene Disposition des Leibes. Daß die Vernunft ein (aus ihren Leistungen erschlossenes) Organ sein soll, klingt befremdlich, wenn wir primär an Organe wie Lunge, Leber und Galle denken. Doch die Fremdheit schwindet rasch, wenn wir zu den Organen auch die Hand, die Stimme oder – ganz allgemein – die Sinne rechnen. Tatsächlich wird die Vernunft in der Regel als eben der „Sinn“ angesehen, der uns das Verstehen möglich macht. Was aber könnte die Vernunft hervorbringen, das nicht selbst vernünftig wäre? Da wir auf diese Frage keine Antwort wissen und von der Vernunft nur auf die Vernunft (als deren „Ursache“) schließen können, müssen wir die Vernunft als Grund der Vernunft gelten lassen. Und eben dieses Eingeständnis liegt in Zarathustras Formel von der „grossen Vernunft“ des Leibes: Da

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Volker Gerhardt die Vernunft sich immer nur in der Trägerschaft eines Leibes findet, muß auch dieser Träger, der Leib, als vernünftig gelten. Und da er in dieser Trägerschaft früher und allemal umfänglicher ist als seine ausdrücklich „vernünftig“ genannte Leistung, kann er tatsächlich als „größer“ angesehen werden. Im Vergleich zu ihm ist die Vernunft, mit der wir etwas bewußt und ausdrücklich als sinnvoll verstehen, tatsächlich gar nicht anders als „klein“ zu nennen. Ihre Kompetenz beschränkt sich nur auf das, was ihr bewußt ist. Deshalb ist es nur konsequent, wenn Zarathustra den menschlichen „Geist“ als eine „kleine Vernunft“ anspricht. Diese „kleine Vernunft“ gilt ihm als das „Werkzeug“ des Leibes und damit als „Werk- und Spielzeug“ der „grossen Vernunft“ (39). Darüber wird noch zu sprechen sein.

6.2 Der Leib als Instrument der Vernunft Soweit das, was auf den ersten Blick als selbstverständlich und natürlich erscheint. Doch wir wissen sehr wohl, daß es so selbstverständlich nicht ist – ganz abgesehen von den Fragen, die sich ohnehin einstellen, wenn ausgerechnet an der Vernunft etwas „natürlich“ sein soll. Erinnern wir uns an die Tradition des Vernunftbegriffs – oder achten wir nur darauf, wie sich uns die Vernunft im eigenen Gebrauch darstellt –, dann scheint zunächst nichts, aber auch gar nichts für ihre Einbindung in die organischen Funktionen des Leibes zu sprechen. Im Gegenteil: Man kann die Formel von der „grossen Vernunft“ des Leibes unschwer als eine gezielte Provokation sowohl des philosophischen wie auch des alltäglichen Vernunftbegriffs begreifen. Denn wenn der Leib in seinen Vollzügen immer schon vernünftig wäre, brauchten wir ihm uns nur einfach zu überlassen und hätten unsere „kleine“ Vernunft gar nicht mehr nötig. Tatsächlich aber ist es so, daß der Leib uns keineswegs für alle Lebenslagen sicher instruiert. Offenkundig ist auch, daß wir seinen augenblicklichen Inspirationen nicht automatisch folgen können. Und weil dies so ist, können wir uns auf die angeblich „größere“ Vernunft des Leibes nicht verlassen. Wir sind vielmehr existentiell auf die „kleine Vernunft“ unserer ausdrücklichen Überlegung angewiesen. Denn nur mit deren Hilfe sind

Die „grosse Vernunft“ des Leibes wir in der Lage, etwas bewußt zu erkennen, genau zu unterscheiden, exakt zu bezeichnen, konsequent zu erschließen, nachvollziehbar vorzustellen und mit verständlichen Gründen zu entscheiden (vgl. dazu: Gerhardt 1999, 314 ff.). Insofern erscheint die Vernunft als eine Fähigkeit, die weit über das hinausgeht, was der Leib zu leisten vermag. Sie scheint die Möglichkeiten des Leibes prinzipiell zu überschreiten. Es geht also nicht um eine bloße Erweiterung seiner Fähigkeiten, um keine – noch so unwahrscheinliche – Ausdehnung im Radius seiner Aktion. Sie vollzieht vielmehr einen Schritt in eine, wenn man so sagen darf, andere Dimension. Und die scheint grundsätzlich nicht mehr leiblich zu sein! Das zeigt sich vor allem daran, daß die Aktivität der Vernunft gegen den Leib gerichtet sein kann. Wenn zum Beispiel der Leib bei der Arbeit ermüdet, ist unter Umständen die vernünftige Einsicht nötig, damit die erforderlichen Kräfte zur Erledigung der Sache mobilisiert werden. Wenn ein Schmerz uns zögern läßt, die Reinigung der Wunde fortzusetzen, muß die Vernunft uns anraten, den Schmerz zu ertragen. Wenn Lust oder Angst uns geneigt machen, ein Versprechen zu brechen, hat die Vernunft uns zu sagen, daß wir unser Wort zu halten haben. Damit soll nicht gesagt sein, daß wir der Vernunft in allen diesen Fällen folgen. Doch es genügt, daß sie sich gelegentlich durchsetzt. In jedem dieser Fälle, in denen sie obsiegt – und seien sie auch noch so selten –, entwirft sie die Ziele für den „ganzen“ Leib. Ja, selbst wenn sie uns nur ernstlich rät, schwingt die Unterstellung mit, daß es möglich wäre, ihr zu folgen. Schon dabei wirkt sie umfänglicher als der Leib, weil sie ein Verhalten empfiehlt, das den Leib als ganzen betrifft. Und gesetzt, wir überwinden die Müdigkeit, die immer auch eine Ermüdung des Leibes anzeigt (auch wenn sie – selbst in der größten körperlichen Erschlaffung – als bewußte Erschöpfung und insofern als ein geistiges Phänomen erfahren wird), dann nötigt die Vernunft den „ganzen“ Leib, die fällige Arbeit auszuführen. Gesetzt, wir widerstehen der Angst oder der Lust und halten unser Versprechen, dann folgt auch in diesem Fall der Körper „ganz“. Dann – so die gleichermaßen klassische wie alltägliche Ausdrucksweise – „herrscht“ die Vernunft, dann „regiert“ der Zweck, dann gibt der Sinn, den sie als vernünftig rechtfertigen kann, die Ziele für den Leib als ganzen vor. „Zweck“, „Ziel“ oder

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Volker Gerhardt „Sinn“ aber sind – auch wenn ihre Reichweite noch so bescheiden ist und in der Sache als unvernünftig erscheinen mag – Begriffe der Vernunft. So gesehen ist es die Vernunft, die gegenüber dem Leib als „größer“ erscheint. Sie kann ausdrücklich Macht über ihn haben, sie kann mit ihren eigenen Mitteln über ihn verfügen, während umgekehrt der Leib nur ihre eigene Schwäche zu nutzen scheint, um seinen Einfluß auszuüben. Zwar haben wir seine – die Vernunft organisch tragende – Ursächlichkeit in Rechnung zu stellen. Doch dabei wirkt er gleichsam nur im Rücken der Vernunft. Er legt das Fundament, setzt Bedingungen und Grenzen, macht möglicherweise auch interne Vorgaben für das, was die Vernunft sinnvoll, schlüssig oder befriedigend findet. Aber schon dort, wo der Leib sich in Leidenschaften, Gefühlen oder Stimmungen äußert, da bewegt er sich in der Sinndimension der Vernunft; da gibt es bereits Intuition und Konsequenz, da sind Einsichten und Schlußfolgerungen im Spiel, an denen immer schon die Vernunft beteiligt ist. In der Sphäre des Sinns, also dort, wo wir etwas einsehen und verstehen, herrscht die Vernunft. Da erscheint sie nicht etwa als das „Werkzeug“ des Leibes, sondern umgekehrt: Die Vernunft disponiert über den Leib. Sie trifft Vorsorge für seinen Schutz und Unterhalt, sie führt ihm, keineswegs bloß wider besseres Wissen, Gifte zu, setzt ihn äußeren Gefahren aus und kann im Grenzfall sogar sein Ende, den Tod, herbeiführen, der stets ihr eigenes Ende ist. Von diesen möglichen Leistungen her gesehen, dominiert die Vernunft über den Leib, sosehr er auch die Bedingungen für ihren Auftritt setzt. Er mag sie stützen, tragen und erhalten: Sobald sie tätig ist, macht sie ihn dienstbar. Unter ihrem disponierenden Anspruch wird der Leib zum Instrument der Vernunft. Das ist die in allen praktischen und theoretischen Vollzügen unterstellte Auffassung vom Verhältnis von Leib und Vernunft. Im Unterschied von der selbstverständlichen oder natürlichen können wir hier von der begrifflichen Beziehung sprechen. Das praktische Fundament der begrifflichen Auffassung bringt es aber mit sich, die Vernunft als prinzipiell überlegen anzusehen und den Leib nicht bloß als Mittel zu ihren Zwecken, sondern gelegentlich sogar als Hindernis derselben aufzufassen. Dabei kann die Vernunft als derart bedeutsam erfahren werden, daß man sich, gleichsam „vor“ ihr, des Leibes schämt. Denn seine Schwerkraft

Die „grosse Vernunft“ des Leibes scheint sie überhaupt erst auf den Boden bloßer Tatsächlichkeit zu ziehen. Der Leib lenkt sie mit seinen Lüsten und Ängsten ab und zwingt sie in das Joch seiner Gewohnheiten. Gesetzt, man versteht das Verhältnis von Leib und Vernunft in dieser durch Alltag und Überlieferung vorgegebenen Weise, dann begreift man augenblicklich, wie es zur Verachtung des Leibes kommen kann: Denn der Leib kann in dieser Zuordnung nicht anders denn als Gegenspieler der Vernunft erscheinen. In dieser Rolle aber steht er ihren Zielen entgegen, stört, lenkt ab und macht die großen Vorhaben letztlich ganz unmöglich. In dieser Gegenposition zur Vernunft ist der Leib der stets „nach unten“ ziehende Opponent zur stets „nach oben“ strebenden Vernunft. Folglich kann man aus der Position des angeblich „höher“ stehenden Vermögens der Vernunft nur mit Verachtung auf die „abwärts“ drängende Kraft des Leibes sehen. Das Niedrige erscheint so niederträchtig, daß man sich seiner nur mit Verachtung erwehren kann.

6.3 Die Paradoxie ästhetischer Begriffe Es kann kein Zweifel sein, daß Zarathustra seinen Hörern die zweite Variante des Vernunftbegriffs als herrschende Meinung unterstellt. Sie paßt zum alltäglichen Verständnis der Vernunft, und sie ist es auch, die man mit der Tradition sowohl des „Platonismus“ wie auch des Kantischen „Kritizismus“ in Verbindung bringt. Um diese alte philosophische Tradition zu unterlaufen, bietet Nietzsche den uralten persischen Weisen auf. Er weiß ja längst, daß die Vorsokratiker bereits sokratisch dachten. Die in der Geburt der Tragödie noch ursächlich dem Sokrates angelastete Logifizierung der Welt hat schon bei Thales und Anaximander begonnen und wurde bereits von Parmenides perfektioniert.2 2 Das wurde Nietzsche klar, als er die in der Geburt der Tragödie aufgestellte Behauptung in einer separaten Schrift, in Die Philosophie im tragischen Zeitalter der Griechen, zu beweisen suchte. Doch seine Darstellung lief unter der Hand auf die Demonstration des Gegenteils hinaus. Es zeigte sich, daß Sokrates in Anaximander, Parmenides und Anaxagoras Vorläufer hat, die ihm in ihrem „theoretischen Optimismus“ und der „Superfötation“ des Logischen (GT 15 und 13; 1, 100 und 90) um nichts nachstehen. Nietzsche ließ den Text unvollendet liegen und veröffentlichte ihn nicht.

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Volker Gerhardt Deshalb muß Nietzsche auf einen älteren Weisen zurückgreifen, um einen Gewährsmann für die gesuchte Alternative zum Platonismus zu finden. Innerhalb der alteuropäischen Tradition scheint es keinen Gegenentwurf zu ihr zu geben. Diese Kleinigkeit hat Heidegger übersehen, als er glaubte, er könne mit Nietzsche Platon bereits von Heraklit her überspielen. Mit Also sprach Zarathustra hat Nietzsche jedoch für Alle und Keinen offenkundig gemacht, daß er keinen in Europa ansetzenden Weg benennen kann, auf dem man von der Metaphysik loskommen könnte. Allerdings scheint er zu glauben, daß die Hörer der Reden Zarathustras nur die praktische Variante des Verhältnisses von Leib und Vernunft kennen. Deshalb unterstellt er, sie seien von der Überlegenheit der Vernunft so sehr überzeugt, daß sie, wenn sie deren Ansprüchen nicht genügen können, zur Leibverachtung gezwungen sind. Denn nach dieser Überzeugung trifft den alles beschwerenden Leib die alleinige Schuld, wenn die Vernunft ihre Ziele verfehlt. Daß diese Konstruktion der Leibverachtung historisch nicht unproblematisch ist, bedarf keiner eingehenden Erörterung. Schon Kants prominenter Vergleich der Vernunft mit der Taube, die sich in der Illusion wiegt, im luftleeren Raum besser fliegen zu können, läßt erkennen, daß im europäischen Kontext auch anders über das Verhältnis von Vernunft und körperlichem Substrat gedacht worden ist (Kant, Kritik der reinen Vernunft, B 8). Nietzsche hat gewiß auch nicht vergessen, wie eng Platon (keineswegs bloß im Symposion) das Verhältnis zwischen der Produktivität des Leibes und der Seele denkt. Doch das gehört zu den historischen Filiationen, von denen hier nicht die Rede sein kann. Wichtiger ist die Paradoxie in der begrifflichen Konstruktion der „grossen Vernunft“ des Leibes, die offenkundig ist, wenn wir aus der unter 2 geschilderten Position die unter 1 skizzierte Auffassung zu denken versuchen. Denn eben dies mutet uns Nietzsches Formel zu. Diese Zumutung entspringt aber keiner Willkür, sondern sie liegt in der Natur der Sache: Auch wenn die Vernunft, wie in 1 geschildert, durch und durch Organ des Leibes wäre, könnten wir diese ihre Stellung nur mit Hilfe der Vernunft erschließen. In dieser Erschließung ihrer Stellung zum Leib aber hat sie bereits,

Die „grosse Vernunft“ des Leibes wie in 2 dargetan, ihre leitende Funktion, in der eben sie (die Vernunft) alles andere führt. Sie führt damit auch den Leib. Folglich dominiert die Vernunft selbst noch in der These, in der sie ihre organische Abhängigkeit behauptet. Sie ist die Instanz, vor der sich jede mögliche Aussage zu rechtfertigen hat. Damit haben wir eine vollendete Paradoxie, der sich schlechterdings nicht entkommen läßt. Denn wir können die Position einer Dominanz der Vernunft gar nicht verlassen, selbst wenn wir uns vollständig auf die Dominanz des Leibes einlassen wollten. Wir benötigen, um die erste Position überhaupt als sinnvoll erscheinen zu lassen, nicht nur ein Verständnis von Vernunft, sondern auch ein Bewußtsein von ihrem konsequenten Einsatz. Schließlich kann es zu der Behauptung, die Vernunft sei ein Organ des Leibes, nur durch vernünftige Schlüsse kommen. Also wird die „kleine Vernunft“ in jedem Fall gebraucht, um überhaupt eine sinnvolle Rede von der „grossen Vernunft“ möglich zu machen. Doch schon in diesem Gebrauch erweist sich die „kleine Vernunft“ als so dominant, daß sie zumindest die Aufmerksamkeit des ganzen Menschen leitet. Aufmerksamkeit bezieht aber mindestens auch die Sinne mit ein. Also herrscht die „kleine Vernunft“ sogar noch in der These vom Leib als der „grossen Vernunft“ über den Leib. Die „grosse Vernunft“ mag noch so groß genannt werden: Sie steht bereits bei der Bestimmung ihrer möglichen Größe unter der Regie der „kleinen Vernunft“.3 Diese paradoxe Lage muß dennoch die Formel von der „grossen Vernunft“ des Leibes nicht sinnlos machen. Es gibt zahlreiche Beispiele für paradoxe Wendungen, die den Kontext menschlicher Erfahrung systematisch erschließen. Ja, in einem für Nietzsche ausnehmend wichtigen Erfahrungsbereich scheint die Theorie sogar zu paradoxen Formulierungen genötigt zu sein, wenn sie überhaupt zu einer angemessenen Beschreibung gegebener Eindrücke gelangen will. Und da sich Nietzsche diesem Bereich besonders nahe wähnt, kann man gar nicht umhin, hier eine Verbindung zu sehen.

3 Um es formal zu sagen: Position 1 schließt Position 2 aus, setzt sie gleichwohl aber voraus, obgleich diese von sich aus mit 1 unvereinbar ist.

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Volker Gerhardt Gemeint ist der Erfahrungszusammenhang der Kunst: Die philosophische Ästhetik hat sich ihrem Gegenstand von Anfang an nur in scheinbar widersprüchlichen Wendungen zu nähern vermocht. Das ließe sich bereits an Platon zeigen, der mehrfach eine alte Einsicht wiederholt, die schon bei den frühen Griechen in Um4 ’ lauf war: „Das Schöne ist schwer“ (χαλεπα′ τα′ καλα′ εστιν). Platon führt sie auf Solon zurück, den Gründer des alten Athen und einen der „sieben Weisen“ des Altertums. Wie Solon seine Einsicht verstand, wissen wir nicht; sie könnte ein Stoßseufzer, aber auch eine Warnung gewesen sein. Doch wie dem auch immer sei: Für Platon ist es eine paradoxale Wendung. Denn er weiß von der erhebenden Schwerelosigkeit im Genuß des Schönen; er umspielt sie in seinen Definitionen,5 ironisiert die Selbsttäuschungen des kunstbesessenen genialischen Menschen6 und führt in der mythischen Schilderung des Phaidros vor Augen, wie sehr die Anschauung des Schönen an die Bändigung gegensätzlicher menschlicher Kräfte gebunden ist. Der Aufstieg zum Schönen fordert die größte Anstrengung überhaupt. Doch auf dem Scheitelpunkt der mit aller Macht der Selbstbeherrschung erzwungenen Fahrt ins Licht bietet sich das Schöne der erkennenden Seele gleichsam von selbst (Phaidros 246–253). Darauf spielt Nietzsche an, wenn er Zarathustra das Erleben des Schönen schildern läßt: „Mit lässigen Muskeln stehn und mit abgeschirrtem Willen: das ist das Schwerste euch Allen, ihr Erhabenen! Wenn die Macht gnädig wird und herabkommt in’s Sichtbare: Schönheit heisse ich solches Herabkommen“ (152). Platon ist für Nietzsche gewiß in allem die wichtigste Quelle. Doch mit Blick auf die paradoxe Umschreibung ästhetischer

4 Hippias I 304e; vgl. Politeia 435c, 497d; Kratylos 384a f. 5 Am deutlichsten in den ersten beiden Definitionen, die er Hippias geben läßt: „[...] ein schönes Mädchen ist schön“ (Hippias I 287e); „Dieses Schöne, wonach du fragst [gemeint ist Sokrates; V. G.], ist nichts anderes als das Gold“ (ebd., 289e). 6 „Denn ein leichtes Wesen ist ein Dichter und geflügelt und heilig, und nicht eher vermögend zu dichten, bis er begeistert worden ist und bewußtlos und die Vernunft nicht mehr in ihm wohnt“ (Ion 534b).

Die „grosse Vernunft“ des Leibes Erfahrung dürfte ein anderer Autor nicht weniger wichtig sein. Es ist Kant, der seine Ästhetik in Verbindung mit einer Theorie des Lebens vorträgt. Der zweite Teil der Kritik der Urteilskraft enthält bekanntlich eine Theorie des Organischen; aber schon der erste Teil des Buches, in dem das „Erleben“ des Schönen und des Erhabenen beschrieben und mit den Leistungen der Vernunft verknüpft wird, ist in eine Philosophie des Lebens eingebunden. Kant deutet die Kunst als Ausdruck des Lebens, der sich freilich nur „verstehen“ läßt – also nur für die Vernunft Bedeutung hat. Tatsächlich gründet Kant seine Ästhetik auf das sich begeisternde Leben. Der Geist, der im Genie ebenso wirkt wie im bloß rezeptiven Urteil, ist, ästhetisch gesehen, „das belebende Prinzip im Gemüthe“. Er bedient sich der „Einbildungskraft“, die unsere Gemütskräfte „zweckmäßig in Schwung“ setzt und wie ein „Spiel“ wirkt, „welches sich von selbst erhält“: So geht der ästhetische Eindruck stets mit einer „Belebung“ der Erkenntniskräfte einher. Das aber bedeutet, daß alle Lebenskräfte des Menschen „in Schwung“ kommen müssen (Kant, Kritik der Urteilskraft, § 49; AA 5, 313 f. – Zum Verhältnis von Kunst und Leben bei Kant siehe: Gerhardt 1993). Diese „Belebung“, so muß man Kants Sprachgebrauch verstehen, kann aus der Perspektive des belebten Wesens nur als etwas Geistiges erfahren werden. Denn es ist ja etwas „Inneres“, das nicht einfach nur erwärmt, den Puls beschleunigt oder eine Gänsehaut erzeugt. Hier wird vielmehr der ganze Mensch erfaßt. Die Kräfte seines „Gemüts“ sind schon deshalb vorrangig einbezogen, weil nur sie die „Belebung“ als eine Stimmung erfahren und zum Ausdruck bringen können. Gleichwohl ließe sich die „Belebung“ ohne den Leib nicht denken. Auch die „Begeisterung“ ist etwas, das sich nur an etwas Leiblichem zeigen kann. Dabei wird der Leib keineswegs nur deshalb als körperliches Substrat benötigt, um den Geist in einer irgendwie erkennbaren Weise hervortreten zu lassen. Vielmehr verstehen wir „Belebung“ und „Begeisterung“ als konsequenten Ausdruck des Leibes und damit als etwas, das die physiologische Verfassung eines lebendigen Wesens gleichsam schlüssig hervortreten läßt: Die Stimmung, die nur der Geist erfassen kann, ist eine Gestimmtheit des Leibes. Dabei versteht es sich für Kant von selbst,

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Volker Gerhardt daß hier nur die Lebenskräfte des Individuums gemeint sind, des „Subjekts“, das durch „Mitteilung“ auf andere Individuen wirken möchte. Man sieht, wie nahe Kant bereits in seiner Ästhetik der „Vernunft des Leibes“ ist. Die Nähe würde noch deutlicher hervortreten, wenn wir seine Theorie der „Organisation“ des Lebendigen hinzunehmen würden. Denn dann ließe sich die Vernunft selbst als „Organisation“ eines selbstbewußten Individuums deuten. Hätte Nietzsche tatsächlich die Dissertation über Kants Theorie des Lebens geschrieben,7 ließe sich über die „grosse Vernunft“ des Leibes gewiß nicht ohne genaueren Bezug zu Kants integraler Theorie von Kunst und Leben sprechen. So aber können wir es bei dem Hinweis auf die paradoxen Grundbegriffe seiner Ästhetik belassen. Kant spricht von vier „Momenten“ des Schönen. Dabei war ihm natürlich die Herkunft des Wortes von lateinisch movere (bewegen) und momen, -inis (Bewegung) bewußt. In der Kritik der reinen Vernunft hatte er es zur näheren Kennzeichnung der Ursachen von Empfindungen verwendet.8 In der Kritik der Urteilskraft bezeichnen die Momente die Ursachen für die gleichermaßen sinnlichen wie geistigen Veränderungen, die sich unter dem Eindruck des Schönen im subjektiven Bewußtsein vollziehen. Und da gibt es der Reihe nach das Wohlgefallen ohne alles Interesse, die Allgemeinheit ohne Begriff, die Zweckmäßigkeit ohne Zweck und schließlich die subjektive Notwendigkeit (vgl. die Formulierungen in der Kritik der Urteilskraft, §§ 5, 9, 17, 22). Aus der Sicht des Verstandes enthalten alle diese Wendungen einen offenkundigen Widerspruch. Und dennoch sind sie nicht sinnlos, weil sie – aus der Perspektive einer den ganzen Men-

7 Nietzsche plante noch 1868 eine Dissertation zur Teleologie bei Kant. Seine Untersuchung sollte sich – neben vielem anderen – auch auf den zweiten Teil der Kritik der Urteilskraft beziehen. Die Skizzen zum Vorhaben finden sich unter dem Titel Zur Teleologie in: BAW 3, 371–394. 8 „Alle Veränderung ist also nur durch eine kontinuierliche Handlung der Kausalität möglich, welche, sofern sie gleichförmig ist, ein Moment heißt. Aus diesen Momenten besteht nicht die Veränderung, sondern wird dadurch erzeugt als ihre Wirkung“ (Kant, Kritik der reinen Vernunft, B 254).

Die „grosse Vernunft“ des Leibes schen erfassenden Vernunft – eine Veränderung aus den an ihr beteiligten gegensätzlichen Kräften zum Ausdruck bringen. Ein Widerstreit kommt zu einem die Antagonisten einbeziehenden Ausgleich. Aus dem Ernst des Gegensatzes zwischen sinnlichem Reiz und geistigem Anspruch wird ein Spiel, das für ein dynamisches Gleichgewicht sorgt. Die Bewegung, die Spannung bleibt erhalten und bringt gleichwohl eine in sich bewegte Einheit hervor. Das Individuum schließlich erlebt den sich ohne bewußte Anstrengung einstellenden Ausgleich seiner besten Kräfte als Erweiterung seiner Möglichkeiten. Sein Leben wächst in seinem zwanglos angeschauten Widerspruch. In alledem werden die physiologischen, sensiblen und intelligiblen Kräfte des Individuums aktiviert. Sie führen aber nicht in einen inneren Konflikt, sondern im Gegenteil zu einer Steigerung der individuellen Dispositionen im Bewußtsein ihrer Stimmigkeit. So wird der Gegensatz zum Medium der Harmonie. Was in streng begrifflicher oder in praktischer Einstellung als Opposition erfahren wird, tritt in ästhetischer Einstellung als komplementär hervor. Ja, mehr noch: Die durch die Organisation des Lebens allererst entstandenen oppositionellen Kräfte erweisen sich im organisierten Zusammenspiel als in jeder Hinsicht „günstig“: In dem sich steigernden Wettstreit der individuellen physischen, sensiblen und intelligiblen Potenzen öffnet sich der Einzelne für Erfahrungen, die ihm gleichsam von außen entgegenzukommen scheinen. Das Schöne entspringt einer „Gunst“ der Natur, für die man disponiert sein muß. Alles das, was Nietzsche im Schlußabschnitt der zweiten Unzeitgemässen Betrachtung mit Blick auf die Kultur als „eine neue und verbesserte Physis“ zu hoffen wagt, findet sich in der ästhetischen Erfahrung vorgezeichnet. Und wenn er es nicht direkt von Kant übernommen haben sollte, dann kannte er es von Schiller, dem Dichter seiner Jugendjahre, den er noch in der Geburt der Tragödie häufiger nennt als Goethe oder Wagner. In seinem Kulturbegriff sucht Nietzsche die „Einhelligkeit zwischen Leben, Denken, Scheinen und Wollen“; der Unterschied zwischen „Innen und Aussen“ soll aufgehoben sein; es soll keine „Verstellung“, keine „Convention“ mehr geben; kein „Schmuck versteckt das Geschmückte“; die „Wahrhaftigkeit“ ist das durchgängige Moment der „sittlichen Natur“ wie auch der „wahren Bildung“ (vgl. 2. UB 10; 1, 334).

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Volker Gerhardt Nirgendwo ist Nietzsche seiner Formel von der „grossen Vernunft“ des Leibes näher als hier. Man wäre nicht überrascht, wenn er von der Kultur als der großen Vernunft der Natur gesprochen hätte. Doch die im Zarathustra gefundene Formel verschärft die ältere Position durch Individualisierung: Die bereits in der zweiten Unzeitgemässen ganz und gar auf das Individuum ausgerichtete Konzeption der Kultur wird radikalisiert. Nun ist es nicht mehr die „Bildung“, die nach Art einer gesellschaftlichen Vernunft das Individuum formt, sondern es ist der Leib des einzelnen Menschen selbst, also die schlechterdings alles Lebendige tragende leibliche Organisation des Individuums, die als „grosse Vernunft“ figuriert. Vor diesem Hintergrund ließe sich auch der exponierte Widerspruch zwischen der natürlichen und der begrifflichen Auffassung der „grossen Vernunft“ des Leibes vermitteln. Sollte es möglich sein, Zarathustras Formel eine ästhetische Bedeutung abzugewinnen, wäre der Widerspruch zwischen der Vernunft als einem Organ des Leibes und dem Leib als dem Instrument der Vernunft zwar nicht ausgeräumt, aber er wäre produktiv gemacht. Die „grosse Vernunft“ des Leibes brächte, so wie Nietzsche es in der geplanten Dissertation behauptet hat,9 eine ästhetische Erfahrung zum Ausdruck, die sich dann einstellen kann, wenn wir uns spielerisch auf den Leib so einlassen, als sei er schon das Ganze unserer selbst.

6.4 Die Verachtung des Leibes Zarathustras vierte Rede steht unter dem Titel Von den Verächtern des Leibes. Es wird nicht gesagt, wer diese Verächter sind, und es wird lediglich angedeutet, worin ihre Verachtung besteht. Gleichwohl glauben wir sofort zu wissen, wer diese Verächter sind: Es sind jene weltflüchtigen Asketen, die „Hinterweltler“, auf die sich die vorausgehende Rede bezieht, diese weltflüchtigen „Prediger des Todes“ (38), die müde geworden sind und nun „mit Einem Sprunge zum Letzten“ (36) wollen. Die Leib-

9 „Die Teleologie ist wie der Optimismus ein aesthetisches Produkt“ (BAW 3, 375).

Die „grosse Vernunft“ des Leibes verächter, so heißt es, wollen „umlernen und umlehren“ (39). Demnach sind es Menschen, die sich selbst zu etwas zu erziehen suchen und es zugleich andere lehren wollen. Wenn diese ihre Lehre (was man wohl unterstellen darf) die Leibverachtung ist, dann bedeutet „umlernen“, daß sie ursprünglich in der Achtung des Leibes leben, nun aber von ihr loskommen wollen. Das klingt trivial, ist aber von einiger Bedeutung für den systematischen Gehalt von Nietzsches Kritik: Jeder Mensch lebt ursprünglich in einem anerkennenden Verhältnis zu seinem Leib; er achtet ihn und nicht nur ihn, sondern in ihm auch sich selbst. Da Zarathustra für die Einsicht in dieses ursprüngliche Leibverhältnis predigt, redet er von den Leibverächtern im Tempus der Vergangenheit: „Kranke und Absterbende waren es, die verachteten Leib und Erde und erfanden das Himmlische und die erlösenden Blutstropfen“ (37). Aber schon bei der Vorstellung der Verächter des Leibes kommt es Zarathustra darauf an, die Inkonsequenz der Ausflucht ins Jenseits des Himmels kenntlich zu machen: „Ihrem Elende wollten sie entlaufen, und die Sterne waren ihnen zu weit. Da seufzten sie: ‚Oh dass es doch himmlische Wege gäbe, sich in ein andres Sein und Glück zu schleichen!‘ – da erfanden sie sich ihre Schliche und blutigen Tränklein! Ihrem Leibe und dieser Erde nun entrückt wähnten sie sich, diese Undankbaren. Doch wem dankten sie ihrer Entrückung Krampf und Wonne? Ihrem Leibe und dieser Erde“ (ebd.). Die Verächter des Leibes bleiben in dessen Bann. Selbst in der Flucht vor ihm müssen sie sich seiner bedienen. Sogar im „himmlische[n] Nichts“ (36) sind sie ihrem Leib und der ihn tragenden Erde verbunden. Gleichwohl verstehen sie den „Sinn der Erde“ (38) nicht. Denn der erschließt sich nur dem „gesunden Leib“: Nur die „redlichere und reinere“ „Stimme des gesunden Leibes“ kann vom „Sinn der Erde“ reden (ebd.). Soviel wissen wir bereits über die „Verächter des Leibes“ und von dem, was ihnen unmöglich ist. Dadurch verstehen wir auch die einleitende Empfehlung Zarathustras an die „Verächter des Leibes“, „ihrem eignen Leibe Lebewohl zu sagen – und also stumm [zu] werden“ (39). Denn ihr Leib ist krank; sie können daher nur „aus der Haut fahren“ wollen (38), können also nur in einem Mißverhältnis zu dem stehen, was „redlicher und reiner“

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Volker Gerhardt aus ihnen sprechen sollte. Die Achtung vor ihrem Leib bleibt ihnen durch die fehlende Gesundheit verwehrt. Es ist dies, wie man sofort sieht, keine unproblematische Bedingung für eine Erkenntnis: Nur wer gesund ist, kann den „Predigern des Todes“ entkommen; er kann die „Hinterwelten“ auf sich beruhen lassen und den „Sinn der Erde“ leibhaftig aus sich selber sprechen lassen. Im zweiten Absatz erkennt Zarathustra diese Bedingung an und spricht vom Kind, das wir einfach als gesund voraussetzen und das in aller „Unschuld“ ausspricht, was es denkt. Welche Bedeutung Zarathustra der Naivität des Kindes beimißt, wissen wir bereits aus seiner ersten Rede: Da ist das Kind, nach Kamel und Löwe, die dritte Gestalt des Geistes. Es ist das in ursprünglicher Selbstverständlichkeit „aus sich rollende Rad“ und steht für jenes kreative „Vergessen“, das ein „Neubeginnen“ ermöglicht. In seinem nicht von Zweifeln belasteten, kindlichen „Ja“ zum Leben findet der Geist erneut „zum Spiele des Schaffens“ und gewinnt für sich selbst die unter der Last des Sollens und der angestrengten Einseitigkeit des Wollens verlorene Welt zurück (31). Man beachte, daß Zarathustra schon in dieser ersten Rede ein Zusammenspiel von Leib und Geist unterstellt: Ein Kind ist zunächst nicht mehr als ein junger Leib. In ihm hat sich – und zwar nur durch das Zusammenspiel zweier älterer Leiber (denen der „Eltern“) – das ganz aus den Bedingungen der Erde hervorgehende Leben verjüngt. Und auf eben diese Verjüngung gründet sich die Hoffnung bei der dritten Verwandlung des Geistes. Im jungen Leib scheint er neu geboren, frei von den Lasten und Verkrampfungen seiner alt gewordenen Gestalt und somit unbekümmert genug, um einfach neu zu beginnen, wie jedes Kind leibhaftig neu beginnt. Um diese Hoffnung zu haben – und wer hätte sie nicht? –, muß man ein tiefes Vertrauen in die Regenerationskraft des Lebens haben. Und da das Leben immer nur als Leib – als einzelner Organismus – gegeben ist, ist tatsächlich alles auf die Zukunft bauende Vertrauen in den Leib investiert. Wo immer man auf eine – wie auch immer verstandene – „vernünftige“ Entwicklung setzt, ist das Vertrauen in den Leib vorausgesetzt. Man kann gar nicht anders, als sich den „Geist“ und die mit ihm verbundene „Vernunft“ als lebendig zu denken: wird doch in

Die „grosse Vernunft“ des Leibes ihnen selbst immer wieder ein Anfang gemacht, suchen sie doch stets, etwas zu schaffen und damit zu einem Ende zu kommen. So zeigt sich bereits in den auf Geist und Vernunft gerichteten Erwartungen eine Orientierung an dem sich in immer neuen Individuen erneuernden Leben. Wenn sich Geist und Vernunft gar nicht anders als lebendig denken lassen, das Lebendige aber nur leiblich hervortritt, dann sind beide nicht nur äußerlich (gleichsam „zufällig“) mit dem Leib verknüpft, sondern sie gehören ihm ursprünglich, d. h. bereits in ihrer elementaren intelligiblen Leistung zu. Die Probleme erschließende und Probleme lösende Kraft des Geistes, seine Einsichten ermöglichende und Zusammenhänge erkennende Leistung, seine alle Erklärungen tragende Macht, etwas gegenwärtig zu halten, schließlich seine in allem erwartete Fähigkeit, durch Erkenntnis zu einer Konsequenz zu gelangen –: alles dies hängt am Paradigma des Leibes. Gäbe er nicht die geschlossene Form vor, die seine Organisation unablässig praktiziert, wäre er nicht selbst in allem Initial, Prozeß und Finitum, gäbe er nicht zwischen Bedürfnis und Befriedigung das gesamte Spektrum einsichtiger Zustände vor –: wir hätten noch nicht einmal eine Ahnung von dem, was Geist und Vernunft leisten könnten. Wenn wir alles dies bedenken, so hebt sich die Verachtung des Leibes von selber auf. Sie ist Ausdruck eines fundamentalen Selbstwiderspruchs der menschlichen Existenz – kein Widerspruch zwischen Geist und Leib, der sich unter anderen Bedingungen schlichten ließe. Vielmehr ist es ein Widerspruch, in dem sich der Geist selbst verfängt, weil er sich gar nicht von den leiblichen Bedingungen seiner Funktionen trennen läßt. – Das kann der Leser bereits wissen, noch ehe er zu Zarathustras vierter Rede von den „Verächtern des Leibes“ gelangt.

6.5 Der Sinn des Leibes Nachdem Zarathustra den Verächtern des Leibes den einzigen Rat gegeben hat, dem sie noch mit hinlänglicher Konsequenz folgen können, nämlich „stumm“ zu werden, zitiert er die Redewendung eines Kindes, wohl wissend, daß sie immer noch die der meisten Erwachsenen ist: „‚Leib bin ich und Seele‘ – so

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Volker Gerhardt redet das Kind. Und warum sollte man nicht wie die Kinder reden?“ (39) Die Unterscheidung zwischen Leib und Seele, die uns bekanntlich noch in den philosophischen Debatten der Gegenwart begegnet,10 soll also Ausdruck eines naiven Bewußtseins sein. „Kinder“ reden auf diese Weise, und man wird als Erwachsener nur dann noch so sprechen dürfen, wenn man wie ein Künstler über sich selber redet, wenn man sich also nicht im strikten Sinn erkennen, wohl aber sich selbst ermuntern und ermutigen will. Als „Erwachter“, als „Wissender“ hat man anders über sich zu sprechen: „Leib bin ich ganz und gar, und Nichts ausserdem; und Seele ist nur ein Wort für ein Etwas am Leibe“ (ebd.). In der erwachten Helle des gereiften Bewußtseins, in der Perspektive des Wissens also läßt sich der Unterschied zwischen Leib und Seele offenbar nicht mehr halten. Es ist nicht unwichtig zu sehen, daß sich Nietzsche hier selbst auf den Standpunkt des Wissens stellt. Die folgenden Aussagen werden von eben dem Bewußtsein gemacht, dessen Begrenztheit er aufweisen will. Der geschärfte Verstand also erkennt, daß es nur noch den Leib gibt – „und Nichts ausserdem“. Der Leib ist somit eine Totalität, neben der es nichts gibt, das einen vergleichbaren Status hat. Wenn das kindliche Gemüt außer dem Leib noch ein ihm ontologisch vergleichbares Zweites, eben die Seele, zu entdecken glaubt, dann fällt es einem Mißverständnis zum Opfer: Es deutet ein Attribut des Leibes als selbständige Substanz. Tatsächlich aber soll „Seele“ nur ein „Wort“ für ein „Etwas am Leibe“ sein. Was ein solches „Etwas“ sein könnte, sagt Zarathustra beiläufig in einer späteren Rede: Es ist der „Muth“, mit dem der Mensch, „das muthigste Thier“, sein Leben bewältigt (198 f.). So wie Platon im Laches am Bei′α) aufzeigt, daß es mehr als bloß die ’ spiel der Tapferkeit (ανδŠει körperlichen Vollzüge eines Kriegers gibt, so beruft sich auch Nietzsche auf eine spezifische Verhaltensweise des Menschen, um dieses ominöse „Etwas am Leibe“ zu exemplifizieren. Im ersten Moment klingt die Redeweise befremdlich. Unter „Etwas am Leibe“ würde man zunächst ein Kleidungsstück, 10 Siehe dazu die einen guten Überblick verschaffenden Darstellungen von Hastedt 1988. Zum Leib-Seele-Problem bei Nietzsche verweise ich auf: Kaulbach 1980; Scheier 1985; Parkes 1994, vor allem: 171–212.

Die „grosse Vernunft“ des Leibes einen Ring, eine Uhr oder eine Prothese verstehen. Gewiß kann auch etwas gemeint sein, was selbst zum Leib gehört, wie etwa ein Buckel, ein Geschwür oder die Behaarung. Ist damit aber der „Muth“ vergleichbar? Tatsächlich brauchen wir uns nur zu erinnern, daß auch eine bestimmte Art zu gehen, zu lachen oder zu sprechen als etwas bezeichnet wird, das jemand „am Leibe“ hat, und schon ist Zarathustras Redeweise verständlich. Gerade das charakteristische Verhalten eines Menschen, sein habitus, kann, ja, muß als etwas angesehen werden, das er „am Leibe“ hat.11 Die Verfassung eines lebendigen Wesens kann sich nirgendwo anders zeigen als „an“ seinem Leib. Selbst wenn wir den Mut nur an einem einzigen offenen Wort, vielleicht auch nur am Blitzen der Augen erkennen, selbst wenn das Verhalten – in einem Lächeln oder in einer geistvollen Bemerkung – als durch und durch „spirituell“ erscheint, bleibt es doch ein „Etwas am Leibe“. Aber ist es deshalb auch schon „Nichts ausserdem“? Das ist die große Frage, die Zarathustra durch eine Art Machtspruch zu beantworten sucht. Aber der Aufwand, den er dabei betreibt, läßt ahnen, daß dieses „Nichts ausserdem“ überaus bedeutungsgeladen ist. Denn offenkundig hat die Vernunft, die selbst auch nichts anderes sein kann als ein „Etwas am Leibe“, vorzüglich mit diesem „Nichts“ zu tun – nicht zuletzt deshalb, weil sie mit dem „Wort“, das sie für die Seele gibt, auch die Bedeutung trägt, die dem Wort zukommt. Doch ehe Zarathustra auf diese ausdrücklich Bedeutung verleihende Vernunft, die „kleine Vernunft“, zu sprechen kommt, führt er die „grosse“ ein. Und das geschieht auf denkbar einfache Weise: Er setzt sie in eins mit dem Leib. Der Leib ist die „grosse Vernunft“: „Der Leib ist eine grosse Vernunft, eine Vielheit mit Einem Sinne, ein Krieg und ein Frieden, eine Heerde und ein Hirt“ (39).

11 Von habeo (= ich habe) hergeleitet, bezeichnet habitus zunächst die Haltung und Stellung des Körpers, dann sein Aussehen und seine Gestalt, dann seine Tracht und sein Gewand, um dann auch metaphorisch auf sein Verhalten, seine Lage, seinen Gesamtzustand und seine Gesinnung übertragen zu werden. Habitus ist somit eben dieses „Etwas am Leibe“. – Zarathustras Wendung kommt übrigens ’ ’′ ′ ′ ′ τι ′ der Beschreibung des Aristoteles nahe: σϖµα µεν γαŠ ουκ εστι, σωµατος δε ([Die Seele] ist kein Körper, aber etwas am Körper; De anima I, 414a20/21).

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Volker Gerhardt Wollte man historisch vorgehen, müßte man zunächst auf Platon verweisen, der sowohl das Viele wie auch das Eine, der sowohl die Sicherung des Zusammenhangs von Krieg und Frieden wie auch die Beziehung zwischen Hirt und Herde als Bedingungen des vernunftgeleiteten Daseins herausgestellt hat (Platon, Politikos 267b–d). Es kann kein Zweifel sein, daß Nietzsche auf diesen Kontext anspielt, zumal ihm, wie kaum einem anderen Leser Platons, der starke Leibbezug dieses Denkers gegenwärtig ist. Auch der greifbare Bezug zum zweiten Buch von De anima müßte Beachtung finden (Aristoteles, De anima II, 412b10 ff.). Angesichts der von Nietzsche gesuchten Nähe zwischen der Figur des Zarathustra und dem „Hebräer Jesus“ wird man bei „Hirt und Heerde“ überdies an die Propheten des Alten und an die Evangelisten des Neuen Testaments zu denken haben. – Doch von alledem sehen wir hier ab, um uns ganz auf den sachlichen Sinn der Gleichsetzung von Leib und Vernunft zu konzentrieren. Da gibt es zunächst die einfache Feststellung, daß nicht von der „grossen Vernunft“ die Rede ist, sondern nur von einer – unter möglichen anderen. Die Mehrzahl einer „grossen Vernunft“ wird damit nicht ausgeschlossen. Im Gegenteil: Es wird nahegelegt, daß der Vielzahl der Leiber auch eine Pluralität der Vernunft entspricht. Denn wenn es nichts außer dem Leib gibt, der Leib aber stets nur einer unter vielen ist, muß auch seine Vernunft eine unter vielen sein. Die sich sogleich einstellende Frage ist allerdings, was „Vernunft“ dann überhaupt noch heißen kann? Denn die Vernunft kann – zumindest in ihrem Gebrauch, also in dem, worin sie sich „am Leibe“ zeigt – immer nur eine sein. Wäre es anders, gäbe es eine echte Vielheit (also nicht nur verschiedene Träger der Vernunft, sondern tatsächlich unterschiedene Funktionen und Instanzen), könnte schon im einzelnen Fall nicht mehr von Vernunft gesprochen werden. Denn es ist nur sinnvoll, von der Vernunft des einen (Menschen) zu sprechen, wenn er eben die Vernunft hat, über die auch andere verfügen. – Eine Klärung kann sich nur ergeben, wenn wir genauer zusehen, worin Vernunft eigentlich besteht. Nach der Aussage Zarathustras schafft Vernunft Einheit, wo Vielheit ist, genauer: Sie gibt der Vielheit einen Sinn. Was dies in der strikten Beziehung zum Leib bedeuten könnte, erschließt

Die „grosse Vernunft“ des Leibes sich am ehesten im Rekurs auf die vektorielle Konnotation von „Sinn“: Der „Uhrzeigersinn“ zeigt an, in welche Richtung sich etwas bewegt. Also kann bereits die gezielte Bewegung des Körpers jenen „Sinn“ anzeigen, in dem eine „Vielheit“ sich auf einen Punkt konzentriert. Man braucht nur an die unendliche Vielfalt von Bewegungsimpulsen zu denken, die für einen einzigen bestimmten Schritt in eine Richtung vonnöten sind, um augenblicklich zu verstehen, was „eine Vielheit mit Einem Sinn“ im leiblichen Vollzug bedeutet. Man sieht dann auch gleich die mögliche Verbindung zum überlieferten Verständnis von Vernunft: Gesetzt, ein lebendiger Körper wäre unfähig, seinem Richtungssinn zu folgen; gesetzt, er würde schon beim ersten Bewegungsimpuls zerfallen, oder er würde nur torkeln, trudeln oder fuchteln (natürlich ohne von seiner Natur her drauf angelegt zu sein):12 Dann wäre der Leib bereits als Leib unmöglich, denn er hätte nichts, worauf er sich richten könnte; er könnte keine Nahrung und keinen Schutz suchen, könnte nicht angreifen und nicht fliehen. Seine Existenz wäre ohne den „Sinn“, der in seinen natürlichen Vollzügen liegt, und damit wäre sie auch schon gescheitert. Ein Leib, der die Vielheit, die er ist, nicht zur Einheit seiner Vollzüge bringen kann, wäre ganz und gar unmöglich. Damit sind wir dem klassischen Verständnis der Vernunft bereits ganz nahe: Der Richtungssinn des Leibes ist der Aktionssinn des lebendigen Wesens, in dem es überhaupt erst zu seiner prozessualen Einheit findet. Wenn aber der Leib ein „organisiertes und sich selbst organisierendes“ Etwas ist (Kant, Kritik der Urteilskraft, § 65; AA 5, 374), dann ist er zunächst nichts anderes als eine sich selbst herstellende Einheit. In allen seinen Vollzügen muß er demnach immer auch auf sich selbst gerichtet sein. Das ist das Minimum von „Sinn“, das er in jedem Akt zu vollziehen hat. Also haben wir ein aus einer Vielfalt bestehendes Ganzes, das seine Einheit in der Stimmigkeit seiner inneren und äußeren Bewegungen findet. Die „Vernunft“ des Leibes liegt somit in der Schlüssigkeit seiner Vollzüge. Der Leib, so können wir im Anschluß an eine bekannte Definition der Vernunft sagen, ist das an sich selbst 12 Auch der taumelnde Flug des Schmetterlings hat einen Richtungssinn, der seine artspezifische „Eindeutigkeit“ hat.

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Volker Gerhardt hervortretende „Vermögen zu schließen“.13 Dieser „Schluß“ kann, je nach Perspektive, als „mittelbar“ oder „unmittelbar“ angesehen werden. „Mittelbar“ ist er insofern, als er immer über die Vielfalt der beteiligten Organe „vermittelt“ ist; „unmittelbar“ insofern, als der Leib in der „Konsequenz“, die er in jedem Akt seines Daseins „zieht“, immer nur sich selbst einbringt. Diese formale Verknüpfung von Leib und Vernunft wird von den materialen Erwartungen gestützt, die stets im Spiel sind, wenn von der Vernunft die Rede ist: Die Vernunft, so wird in alltäglichen wie in philosophischen Zusammenhängen erwartet, soll etwas erbringen, was mit irgendeinem Gut oder Wert in Übereinstimmung steht. Dieser Wert kann so gedacht werden, daß ihn ein Gott garantieren könnte. Das ist gewiß die älteste Option des Denkens, die Nietzsche für historisch überwunden hielt. Der Wert kann auch so begriffen werden, daß er mit einer natürlichen Ordnung koinzidiert oder schlechthin mit dem Ganzen des Daseins verbunden ist. In diesem Sinn haben Kant und Hegel Vernunft und Wirklichkeit zu verknüpfen gesucht. Nietzsche aber traut diesem über den Begriff vermittelten Schema der Verbindung von Rationalität und Realität nicht mehr. Er vermutet zu Recht, daß auch hier die Annahme eines Gottes wirksam bleibt. Also bedarf es einer anderen, sinnlich gegenwärtigen Realität, mit der die Vernunft zur Deckung kommen kann, damit sie auch dem materialen Anspruch auf Vernünftigkeit genügen kann. Diese Realität ist der Leib. Er ist die ganz und gar gegenwärtige Wirksamkeit, die sich in ihrem (Aktivitäts- und Richtungs-) Sinn erfüllt. Systematisch gesehen füllt die Gleichsetzung von Vernunft und Leib die Lücke, die durch den „Tod Gottes“ gerissen ist. Denn die Berufung auf eine kosmisch gegebene oder historisch gewordene Ordnung ist nach dem deklarierten Tod Gottes diskreditiert. Der vergleichende Blick auf die überlieferte Funktion Gottes macht auch verständlich, warum von der großen Vernunft des Leibes die Rede ist. Die Größe ist hier keineswegs bloß komparativ von der „kleinen“ Vernunft abgesetzt. Sondern es bleibt noch etwas von dem alten metaphysi13 Kant, Kritik der reinen Vernunft, B 355/A 299: Mit Blick auf ihren formalen, d. h. ihren logischen Gebrauch wird die Vernunft als das „Vermögen mittelbar zu schließen“ bezeichnet.

Die „grosse Vernunft“ des Leibes schen Anspruch der Vernunft in Erinnerung, die sich nicht nur formal ein Ganzes erschließen kann, sondern auch material für das göttlich-natürlich-geschichtliche Ganze einsteht. Nun ist der Leib der Statthalter dieses Ganzen; folglich ist er die „grosse Vernunft“. Das klingt vermessen, ist aber dennoch keine Usurpation. Denn der Leib, so abhängig er in allem auch von den natürlichgeschichtlichen Bedingungen ist, aus denen er hervorgeht und auf die er in jedem Akt seiner Organisation notwendig bezogen bleibt, setzt tatsächlich nicht nur den Anfang und das Ende des von ihm vollzogenen Sinns allein aus sich; er bestimmt durch die Eigenart seiner Organisation auch den Rhythmus und den Takt der von ihm vollzogenen Aktivität. Was Reiz und was Reaktion, was Bedürfnis und was Befriedigung ist, das liegt in seiner organischen Verfassung begründet; was jeweils als ein „Ganzes“ oder als ein „Teil“ begriffen werden kann, ist auf ihn und seine Konstitution bezogen. Deshalb ist es tatsächlich der Leib, der die Ordnung vorgibt, in der sich der Sinn eines Daseins vollzieht. Man braucht nicht zu befürchten, daß sich der Leib auf diese Weise wie ein idealistisches Bewußtsein von den umgebenden Bedingungen isoliert. Denn der Leib bleibt in allem auf die Gesetzlichkeit des Materials bezogen, aus dem er besteht und mit dem er seinen Stoffwechsel betreibt; er ist nahtlos in den Wirkungszusammenhang der Natur eingebunden, in dem er sich erhält. Überdies läßt sich sowohl seine physiologische Konstitution wie auch die Rhythmik seiner Organisation auf die elementare Gesetzlichkeit seiner Umgebung beziehen: Der Wechsel von Tag und Nacht, von Sommer und Winter, das Nahrungsangebot, die Größe der Population, die Zahl und Eigenart der Feinde oder – nicht zuletzt – das Element, in dem er lebt, sind durch die Erde bestimmt – und damit durch den Ort, den er auf ihr einnimmt. Der einheitliche Sinn, in dem sich die Vielheit der leiblichen Organisation realisiert und den wir als die „grosse Vernunft“ des Leibes zu begreifen haben, ist somit in den Wirkungskonnex der Erde eingelassen. Zwar bewegt sich jeder Leib nach seinem eigenen Gesetz; er hat damit auch seine eigene Vernunft. Doch sein Gesetz konnte nur unter den mundanen Konditionen entstehen, die sein irdisches Umfeld bestimmen. Also ist der

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Volker Gerhardt Sinn des Leibes ursprünglich auf die Erde bezogen, die ihn hat wachsen lassen. Deshalb spricht Zarathustra auch vom „Sinn der Erde“ (38). Nach dieser Erläuterung dürfte klar sein, daß im „Sinn der Erde“ keine Alternative zur „grossen Vernunft“ des Leibes liegt. Der „Sinn des Leibes“ kann vielmehr nur unter den Wirkungsbedingungen der Erde entstehen; er kann sich nur in Kongruenz zu ihm behaupten; schließlich kann vom „Sinn der Erde“ sinnvoll nur gesprochen werden, wo es einen Sinn des Leibes gibt. Denn Sinn im strikten Sinn gibt es nur „am Leib“; der Erde kann nur insofern ein Sinn zugesprochen werden, als da etwas ist, was dem Sinn leiblicher Wesen korrespondiert. Folglich weist der Sinn der Erde auf die Vernunft des Leibes zurück.

6.6 Der Leib und sein Ich Die durch nichts anderes sinnvoll einzuschränkende Umfänglichkeit der „grossen Vernunft“ des Leibes macht von vornherein klar, daß alles, was sich sonst am Leib zeigt, „klein“ erscheinen muß: Es ist entweder partikulares Organ der Gesamtorganisation des Leibes oder ein auf dem Aktivitätssinn beruhender Effekt. Ganz gleich, ob es sich um die physische Kraft oder den Mut, um den harmonischen Fluß der Bewegungen oder die intellektuelle Präsenz handelt: alles ist „ein Etwas am Leibe“. Für den Geist, der gewohnheitsmäßig als das Totum einer wie auch immer begriffenen Einheit verstanden wird, kann diese Einsicht eine Kränkung bedeuten. Darauf scheint es Nietzsche anzulegen: Wenn er den Geist lediglich als „Werkzeug“, ja, sogar bloß als „Spielzeug“ bezeichnet, dann muß das den sich notwendig als geistiges Wesen verstehenden Menschen verletzen. Denn wer sich in seinem Tun auf eigene Gründe stützt, der stellt seine Einsicht an den Anfang und setzt seinen Leib wie ein Mittel zu deren Zwecken ein. Diese für das denkende Wesen notwendige Rangfolge kehrt Zarathustra um: „Werkzeug deines Leibes ist auch deine kleine Vernunft, mein Bruder, die du ‚Geist‘ nennst, ein kleines Werk- und Spielzeug deiner grossen Vernunft“ (39). Es gehört zu den Raffinessen der Reden Zarathustras, daß sie plötzlich zur direkten Anrede eines Anderen übergehen. So

Die „grosse Vernunft“ des Leibes geschieht es an dieser Stelle, und es fällt nicht schwer, darin einen Sinn zu entdecken. Denn an eben dieser Stelle geht die Darstellung sachlich zum individuellen Bewußtsein über, das in der Lage ist, „Ich“ zu sagen. Das Ich aber hat seinen Sinn nur in der Abgrenzung vom Du. Um die Bedeutung von „Ich“ erläutern zu können, benötigt man ohnehin den Bezug zum Du. Das Du ist in der direkten Anrede gleichsam von selbst gegeben. Also hat man in der eigenen Sprache schon die Anschauung für eben das, was man theoretisch sagen will. Aber auch der Geist, von dem nunmehr die Rede ist, kann sich nur in der Beziehung zu einem anderen Ich entfalten. Durch die Anrede eines anderen Menschen als „Bruder“ ist nicht nur eine leiblich gegründete Gemeinsamkeit akzentuiert, sondern zugleich ein unmittelbares Verständnis. Bei einem solchen Verstehen denken wir zwar – vor allem unter Brüdern – an ein verbindendes Gefühl; aber wenn die Verständigung verläßlich sein soll, wenn sie durch genaue Bezeichnung eines Sachverhalts gesichert sein soll, bedarf sie des Begriffs. Hier also ist der Geist im engeren Sinn, nämlich als Verstand, unerläßlich; hier ist er aber auch erstmals vonnöten. Es käme zu der verlangten Verständigung über ein und dasselbe nicht, wenn es keine Begriffe gäbe. Also ist es die Differenz zwischen Ich und Du, die den Geist als Medium der Begrifflichkeit erforderlich macht. Und eben der Geist, der auf diese Weise nötig wird, ist die „kleine Vernunft“. Sie wird als „Werkzeug“ des Leibes bezeichnet; sie soll demnach nur eine dienende, eine instrumentelle Funktion erfüllen. Aber da uns der Leib die Zwecke seines Tuns nicht eindeutig verrät, wissen wir auch nicht genau, wozu seine Mittel dienen. Deshalb hat das „Werkzeug“ als „Spielzeug“ zu gelten. Es ist zu etwas da, das ohne es nicht weitergeht und in sich irgendwie sinnvoll erscheint. Als „Werk- und Spielzeug“ gehorcht es den Regeln des Spiels, an dessen Erhaltung es mitwirkt. Im Zusammenhang des Spiels ist es von offenkundigem Wert; es erweist sich als nützlich, ohne daß man einen über den Kreislauf des Spiels hinausreichenden Zweck benennen könnte. Es kann als zweckmäßig gelten, auch wenn der Zweck nicht exakt benannt werden kann. Die „Zweckmäßigkeit ohne Zweck“ deutet sich an. Im Geist als „Spielzeug“ des Leibes haben wir einen direkten Hinweis auf eine ästhetische Relation.

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Volker Gerhardt Doch ehe man dem nachgeht, hat man sich klarzumachen, daß der Geist in jedem Fall auf das Ich angewiesen ist: Für die Verstandeserkenntnis weiß man dies spätestens seit Descartes’ cogito; dem folgt Kants Diktum vom „ich denke“, das jedes Denken begleiten können muß. Aber auch für die Vernunfteinsicht ist das Ich unerläßlich. Hier ist es schon im Bedürfnis nach Zusammenhang und Vollständigkeit präsent; es hat sowohl das Schlußfolgern wie auch das Verstehen zu organisieren und kann am Ende aus der erhellenden Einsicht auch deshalb nicht weggedacht werden, weil es die Befriedigung anzuzeigen hat, die sich mit der Vernunfterkenntnis einzustellen hat. In Aufnahme der Kantischen Wendung ließe sich sagen, alle Leistungen der Vernunft müssen von einem „ich verstehe“ begleitet sein. Folglich ist das Ich in jenem „Sinn“, den der Geist „erkennt“, gegenwärtig. Es wird in beiden grundlegenden Leistungen des Geistes beansprucht. Und da es immer anwesend sein muß, wenn überhaupt etwas erkannt werden kann, hat es auch seinen Stolz. Die am weitesten ausgreifenden Leistungen des Menschen, zugleich diejenigen, mit deren Hilfe er über sich selbst verfügt, sind ohne das Ich nicht möglich. Das wird von Zarathustra offenkundig anerkannt, wenn er den „Geist“ auf sein „Ich“ „stolz“ sein läßt. Doch die Ernüchterung folgt auf dem Fuße. Denn der Stolz kann nicht als Indiz für die Eigenständigkeit des Geistes gelten. Im Gegenteil: In ihm kommt wohl eher nur die Selbsttäuschung des Geistes zum Ausdruck. Dem Selbstbewußtsein zum Trotz verdeckt die empfundene Eigenständigkeit des Geistes seine Abhängigkeit vom Leib. Entscheidend ist nun aber, daß Nietzsche das Ich nicht in die direkte Verfügung des Leibes stellt, sondern die „grosse Vernunft“ des Leibes dazwischen tritt. Sie ist es, die handelt, nicht jedoch der Leib, der vielmehr immer erst seiner „grossen Vernunft“ bedarf, um überhaupt in einem einheitlichen Sinn tätig zu werden: „‚Ich‘ sagst du und bist stolz auf diess Wort. Aber das Grössere ist, woran du nicht glauben willst, – dein Leib und seine grosse Vernunft: die sagt nicht Ich, aber thut Ich“ (39). Hier sieht man deutlich, daß Nietzsches Formel keinen Reduktionismus impliziert.14 Er hätte ja durchaus behaupten können, daß der Leib „Ich“ sagt. Sind es nicht sämtlich körperliche Werkzeuge, die jene Laute produzieren, die als Sprache ver-

Die „grosse Vernunft“ des Leibes ständlich werden? Sind es nicht Lippen, Zunge, Kehlkopf und Stimmbänder, die im Verein mit den anderen Organen dafür sorgen, daß ein Mensch spricht? Gewiß. Doch die physische Betätigung der Stimmorgane ergibt noch keinen Sinn, also nichts, das sich verstehen ließe. Der (verstehbare) Sinn benötigt ein spezifisches Organ. Und das ist für Nietzsche – wie für Platon, Kant oder Hegel – die Vernunft. Zwar nennt er sie die „grosse Vernunft“ des Leibes. Aber er setzt sie nicht, wie man zunächst glauben könnte, mit dem Leib identisch. Die zitierte Stelle belegt vielmehr, daß es ihm darauf ankommt, eben nicht den Leib, sondern dessen Vernunft als den Autor des Ich auszuzeichnen. Es ist keineswegs so, daß der Leib die referentielle Bedeutung oder den intelligiblen Sinn gleichsam lokal hervorbringt. Verstand und Vernunft sind Leistungen, die in irgendeiner Form das Ganze des Leibes zum Ausdruck bringen. Sie sind kein „Etwas am Leibe“ wie ein Erröten oder ein Laut. Zwar sind sie mit leibhaftigen Äußerungen verbunden, aber ihre Eigenart liegt in dem „Sinn“, den sie bedeuten. Und diesen Sinn inauguriert der Leib nach Art einer Handlung. In der stets ein Ganzes zur Geltung bringenden Handlung kommt auch der Leib als ganzer zur Wirksamkeit. Eine weitere Differenzierung liegt darin, daß die Leibvernunft nicht als der „Sprecher“, sondern als der „Täther“ des Ich fungiert. Sie „sagt nicht Ich, aber thut Ich“. Auch damit ist eine direkte physische oder physiologische Beziehung abgewehrt. Die Zuständigkeit im Tun reicht tiefer und zugleich weiter als beim gesprochenen Wort. Alles Sprechen kann als Handeln begriffen werden; damit ist aber nicht schon alles Handeln wörtliche Rede. Darin liegt eine offenkundige Relativierung der fundierenden Stellung der Sprache, die Nietzsche schon in der übernächsten Rede Vom bleichen Verbrecher ausdrücklich macht: Hier ist die „That“ das eigentliche Geschehen, das sich sowohl

14 Das Verdienst, den nicht-reduktionistischen Charakter der Beziehung zwischen „Leib“ und „Ich“ herausgearbeitet zu haben, kommt Annemarie Pieper zu. Auch wenn ich ihr in der weiter unten anstehenden Deutung der Stellung des „Selbst“ nicht folge und obgleich mir ihr Bild vom „Leib“ als „Kreis“ und vom „Ich“ als (den Kreis schlagender) „Zirkel“ nicht einleuchtet, finden sich bei ihr wichtige Aufschlüsse über die Relation von „Leib“ und „Ich“ in Zarathustras vierter Rede (Pieper 1990, 149 ff.).

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Volker Gerhardt vom nachgeordneten „Bild“ wie auch vom mitlaufenden „Gedanken“ unterscheiden läßt.15 Das eigentliche Geschehen, das, was an anderer Stelle als die eigentlich schöpferische Potenz herausgestellt wird,16 ist nicht das Wort, sondern die Tat. Und die wird hier nicht etwa dem Ich, sondern dem Leib, genauer: der Vernunft des Leibes überantwortet. Wenn also die „grosse Vernunft“ des Leibes es gar nicht nötig hat, Ich zu „sagen“, weil sie Ich „thut“, dann ist damit ihre schöpferische Leistung betont. Wenig später wird vom „schaffende[n] Selbst“ die Rede sein (40). Es schafft „sich [!] Achten und Verachten“, „Lust und Weh“, „Werth und Willen“ und in alledem auch den „Geist“. Ja, „am liebsten“ will es – „über sich hinaus“ schaffen –, „das ist seine ganze Inbrunst“ (ebd.). Damit dürfte außer Zweifel stehen, daß der Leib nach Analogie des Künstlers gedacht wird. Er wird als der schöpferische Grund angesehen, aus dem alle Energie des Anfangs, alle plastische Kraft der Gestaltung und letztlich auch alle Empfänglichkeit für Lust und Schmerz entspringt. Er ist die kreative Instanz schlechthin, aus der alles, was überhaupt Sinn und Bedeutung haben kann, entspringt. Die Analogie mit dem Künstler klärt aber auch die von Nietzsche nicht näher erläuterte Unterscheidung zwischen dem Leib und seiner Vernunft. Kant bezeichnet in seiner Ästhetik den Künstler als „Natur“. Aber die Naturkraft, die sich in seiner letztlich nicht durch bewußte Regeln gesteuerten Produktivität äußert, wird nachdrücklich von den physischen und physiologischen Kräften dieser Natur unterschieden. Die Natur äußert sich hier im „Genie“, also in einer der nach Regeln vorgehenden Vernunft offenkundig vorgelagerten Form von Geist. Und wenn

15 Dort heißt es: „Das Rad des Grundes rollt nicht zwischen ihnen“ (46). Das heißt: Gedanke und Bild sind weder durch Ursachen noch nach notwendigen Gründen mit der Tat verknüpft. Das eigentliche Geschehen, eben die Tat, wird von Gedanke, Wort und Bild umspielt, ohne fest mit ihnen verknüpft zu sein. Wie der Zusammenhang zu denken ist, zeigen die folgenden Überlegungen zur Funktion des Selbst, das u. a. auch zwischen Leib und Ich vermittelt. 16 Das „Schaffen“ des Kindes (31) ist ein Tun. Auch hier gibt es ein „Rad“. Das aber steht nicht still, sondern es ist in tätiger, aus sich selbst (also spontan) erfolgender Bewegung.

Die „grosse Vernunft“ des Leibes wir sehen, daß es der Genius des Künstlers ist, der als der eigentliche Produzent jener Einheit des Kunstwerks zu gelten hat, dann liegt auch die Analogie mit der Vernunft auf der Hand: Die Totalität, die der schöpferische Genius gleichsam als „aus sich rollendes Rad“ hervorbringt, entspricht der Einheit, die sich die bewußt verfahrende Vernunft mit ihren Regeln – aber ganz aus ihrem eigenen Bedürfnis – erschließt. Die Vieldeutigkeit des Kunstwerks, dessen „ästhetische Idee“ nach Kant „viel zu denken gibt“, ist unerschöpflich. Trotz seiner geschlossenen Gestalt enthält sie ein Unendliches an Sinn, der den um Stringenz und Konsequenz bemühten Vernunftbegriff, obgleich auch er auf eine Ganzheit zielt, nicht nur in seiner unabgeschlossenen Prozessualität, sondern auch in seiner gleichermaßen sensiblen wie intellektuellen Fülle übersteigt. Damit kommen wir zu dem Ergebnis, daß die Formel von der „grossen Vernunft“ des Leibes in Parallele zum ästhetischen Begriff des Genius steht. Es ist ein auf die Kunst bezogener Zusammenhang, in dem der Begriff der „grossen Vernunft“ des Leibes seine Tradition hat und in dem wir auch die Paradoxie des Begriffs verstehen. Der Leib wird nach Analogie eines „großen Künstlers“ verstanden. An die „Größe“ seines Werkes haben wir zu denken, wenn wir das Attribut der „grossen Vernunft“ des Leibes begreifen wollen. Es ist eine Größe, die immer auch ihren Urheber überschreitet, die weiter und umfänglicher ist als er und die daher auch nicht einfach auf ihn, seine Herkunft, seine Ausbildung, seine Technik reduziert werden kann. Zugleich hat das große Werk des großen Künstlers eine Einheit, die jedes plane begriffliche Verständnis überschreitet: So geschlossen und vollendet es auch wirken mag, so enthält es doch eine unendliche Vielfalt an Bedeutungen, die schon seine Einheit paradox erscheinen läßt. Die „grosse Vernunft“ des Leibes ist somit ein ästhetischer Begriff. Er ist weit mehr als eine bloße Metapher für die wunderbare Stringenz und Prägnanz leiblicher Vollzüge. Wer bescheiden ist, kann es natürlich bei einer solchen Deutung belassen. Doch im ästhetischen Begriff wird die Differenz zwischen Produzent und Produkt mitgedacht. Die regelhafte, in sich schlüssige Tätigkeit des Leibes wird unterscheidbar von den durch sie hervorgebrachten Gestalten. Damit haben wir eine echte Analogie zu den spezifischen Leistungen der Ver-

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Volker Gerhardt nunft, die sich in Schlüssen und Einsichten vollzieht und insofern mit der inneren Konsequenz eines Kunstwerks verglichen werden kann. Beide, die Vernunft wie auch die Kunst, haben ihren Ursprung wie auch ihr Ziel in den Sinnen, ohne sich auf sie reduzieren zu lassen. Und so hat der paradoxale ästhetische Begriff der „grossen Vernunft“ des Leibes nicht nur das Verdienst, die Nähe von Leib und Intellekt zu illustrieren, sondern zugleich ihre in der Produktion zur Gestalt werdende Differenz. Leib und Vernunft werden von Nietzsche nicht gleichgesetzt. Vernunft ist vielmehr das, was sich – wie das Schöne in der Kunst – nur in den Äußerungen des Leibes zeigt. Es ist somit nur für einen Betrachter da. Das aber heißt: Die Leibvernunft kommt lediglich in einer Welt pluraler Perspektiven zur Geltung. Sie tritt als individueller Ausdruck eines Leibes nur für leibhaftige Individuen hervor, denen dies Eindruck macht. Es muß eine Sphäre der Wahrnehmung geben, in der ein Ausdruck einem Eindruck korrespondiert. Die notwendig individuelle Vernunft des Leibes kann sich nur in einem interindividuellen Raum entfalten. Auch hier trägt die Analogie zur Kunst, die als Kunst nur individuell – und dennoch nur in einem prinzipiell für seinesgleichen zugänglichen Raum – zur Wirkung gelangen kann. Nicht zufällig sucht Kant in seiner Ästhetik dem sensus communis eine neue Pointe zu geben (Kant, Kritik der Urteilskraft, § 40; AA 5, 293 ff.). Entsprechend ist auch die „grosse Vernunft“ des Leibes an einen Sinn gebunden, der gleichermaßen leiblich und gemeinschaftlich ist.

6.7 Ein „unbekannter Weiser“ zwischen Leib und Ich Mit dem Aufweis der nach Analogie der Kunst gedachten Eigenständigkeit der Leibvernunft könnten wir die Untersuchung über die „grosse Vernunft“ des Leibes beschließen. Denn alles das, was in der Rede Zarathustras noch folgt, sind zum einen Illustrationen zum „Werk- und Spielzeug“-Charakter des Bewußtseins und zum anderen Diagnosen und Prognosen für die „Verächter des Leibes“. Die nämlich haben den künstlerischen

Die „grosse Vernunft“ des Leibes Impuls, „über sich hinaus zu schaffen“ (40 f.), verloren. Folglich fehlt ihnen das Selbstvertrauen in die Vernunft ihres Leibes. Nun sind sie krampfhaft bemüht, von ihrer versiegten Produktivität durch Verachtung des Leibes abzulenken. Was sie an sich selbst nicht mehr achten können, strafen sie mit Verachtung. Ihr Zorn auf „Leben“ und „Erde“, ihr „Neid“ gegenüber jedem schöpferischen Umgang mit dem Dasein (41) hat keine Zukunft. In den Worten Zarathustras heißt dies: „Ihr seid mir keine Brücken zum Übermenschen!“ (ebd.) – ein deutlicher Hinweis darauf, daß auch dieser fragwürdige Begriff bestenfalls ästhetisch gerechtfertigt werden kann. Doch Zarathustra verwendet in seiner Rede neben „Leib“ und „Ich“ noch ein weiteres, ansonsten vollkommen unscheinbares Wort und gibt ihm eine derart exponierte Stellung, daß es einfach nicht übersehen werden kann. Es ist das Pronomen „selbst“, das aber durchweg in seiner substantivierten Fassung vorkommt und zur Bezeichnung von etwas dient, das offenkundig eigenständig zwischen „Leib“ und „Ich“ rangiert: „Werk- und Spielzeuge sind Sinn und Geist: hinter ihnen liegt noch das Selbst. Das Selbst sucht auch mit den Augen der Sinne, es horcht auch mit den Ohren des Geistes. Immer horcht das Selbst und sucht: es vergleicht, bezwingt, erobert, zerstört. Es herrscht und ist auch des Ich’s Beherrscher“ (39 f.). Das ist eine verwirrende Rede: Nach allem, was zuvor gesagt worden ist, hätte man annehmen müssen, daß „hinter“ Sinn und Geist nur noch der Leib zu finden ist. Der „schafft“ sich, wie wir gehört haben, seine „grosse Vernunft“, als deren „Werk- und Spielzeug“ das „Ich“ der „kleinen Vernunft“ bezeichnet worden ist. Nun aber kommt „hinter“ dem Ich eben das zum Vorschein, was im üblichen Sprachgebrauch als das Pronomen für das Ich Verwendung findet. Das „Selbst“ ist in alltäglicher Rede ein Ausdruck für Personen, die „ich“ sagen können. Ich-Bewußtsein ist Selbst-Bewußtsein. Erst in übertragener Bedeutung läßt sich das Pronomen auf Einheiten übertragen, die nach Analogie mit dem Selbstbewußtsein „von sich aus“ – und insofern „von selbst“ – tätig werden. So gesehen geschieht dann alles, was nicht offenkundig von außen verursacht wird, „von selbst“. Doch das ist offensichtlich eine Umschreibung für die unterstellte Ursprünglichkeit der angenommenen Ganzheit einer von außen begriffenen Einheit – und nicht mehr. Das „Selbst“ indi-

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Volker Gerhardt ziert die Spontaneität einer Totalität – und verkürzt damit lediglich eine Rede, die viel zu lang werden müßte, sollte der Vorgang in seiner faktischen Komplexität geschildert werden. So sagen wir, daß sich die verpuppte Larve plötzlich „von selbst“ bewegt und ein Schmetterling zum Vorschein kommt. Das „von selbst“ zeigt an, daß hier keine unmittelbare äußere Einwirkung ursächlich ist, auch wenn wir natürlich wissen, daß an der im Kokon ablaufenden Metamorphose zahlreiche äußere Faktoren beteiligt sind. Das „Von selbst“-Aufreißen der Hülle läßt sich mühelos als Folge der von innen her wirksamen Beißtätigkeit des ausgebildeten Schmetterlings erklären. Es wäre absurd, dem beobachteten Vorgang ein „Selbst“ zu unterstellen, das nach Art eines realen Subjekts gedacht werden müßte. Allerdings gibt es zwei Grenzfälle, in denen wir das Pronomen verwenden, ohne den dadurch zugeschriebenen Vorgang ausführlicher schildern zu können. Der erste ist mit dem Ich gegeben. Auch wenn wir noch so viel über den dem Ich zugeschriebenen Vorgang sagen könnten: Das Ich bleibt unersetzlich, und mit dem Ich auch das Selbst, das sprachlich dessen Stelle vertritt. Wann immer eine Person bei vollem Bewußtsein etwas von sich aus tut, kommt sie um das „Ich“ nicht herum.17 Der zweite Grenzfall ist der Leib, allgemeiner: der Organismus überhaupt. Die Spontaneität der in ihm aus endogener Wirksamkeit ablaufenden Prozesse können wir bis heute nur als Selbstherstellung (Autopoiese) und als Selbsttätigkeit (Selbstorganisation) begreifen (Küppers 1996). Daran ändert nichts, daß alle beteiligten Stoffe ursächlich von außen stammen und der Organismus in allen seinen Prozessen auf homöostatischen Austausch mit seiner Umgebung angewiesen ist. Die für ihn wesentlichen, d. h.: die für ihn als lebendiges Wesen spezifischen Vorgänge stammen aus ihm selbst. Was er ist, ist er durch und in seiner Selbsttätigkeit. Wer einen organischen Vorgang zu beschreiben sucht, der kommt ohne die Referenz auf das Ganze des Organismus, der sich „von selbst“ bewegt, nicht aus. 17 Um möglichen Einwänden zuvorzukommen, sei betont, daß die Argumentation hier nur für die unverstellte Rede im indogermanischen Sprachbereich gelten muß. Wir bestreiten nicht, daß es einem Kabarettisten gelingen kann, für die Zeit seiner Vorführung ständig von sich zu sprechen, ohne „ich“ zu sagen. Im übrigen beziehen wir uns hier selbstverständlich nur auf die Sprache, in der Nietzsche seinen Zarathustra Reden halten läßt.

Die „grosse Vernunft“ des Leibes Gewiß ist es kein Zufall, daß ausgerechnet im Übergang jener beiden Aktivitätsfelder, in denen das Pronomen semantisch tatsächlich unvermeidlich ist, also zwischen Ich und Leib, das Selbst auch bei Zarathustra zum Vorschein kommt. Selbst wenn man sachlich mit diesem Auftritt nichts anzufangen wüßte, könnte man ihn als Indiz für die von Nietzsche immer wieder exponierte menschliche Konfiguration aller Erkenntnis werten. Alles verweist auf den Menschen – auf ihn selbst zurück: „Wir erkennen immer nur uns selber“ (N 1880, 6/419; 9, 305).18 Das aber ist vor allem dort der Fall, wo uns ein Vorgang besonders nahe ist und wir seine Ursprünglichkeit nur nach der an uns selbst erfahrenen Spontaneität begreifen können. Und eben darin liegt die epistemische Sonderstellung des Leibes, aus dem wir nun einmal nicht heraus können: Seinen ihn ganzheitlich, d. h. ihn ursprünglich als Einheit zum Ausdruck bringenden Vollzug können wir nur nach Analogie unserer Selbsterfahrung erfassen. Das aber heißt: Wir verstehen ihn nach Analogie unser selbst: „Wir haben den Begriff der Einheit“, so heißt es im späten Nachlaß, „entlehnt von unserem ‚Ich‘-begriff, – unserem ältesten Glaubensartikel“ (N 1888, 14/79; 13, 258). Dieser Zusammenhang aber kann nicht ausreichen, um den Auftritt des substantivierten Selbst zwischen Ich und Leib zu erklären. Nichts deutet darauf hin, daß Zarathustra eine epistemologische Einsicht illustrieren will. Er scheint vielmehr eine Aussage über den realen Wirkungszusammenhang zwischen Leib und Ich machen zu wollen. Es hilft auch wenig, das hier plötzlich wie ein eigenständiger Akteur auftretende Selbst mit anderen Vokabeln zu belegen und es so mit dem Anschein einer Erkenntnis zu verbinden. Natürlich gibt es Ähnlichkeiten mit Schopenhauers „Willen“, die wiederum veranlassen könnten, das von Nietzsche hier gemeinte Selbst als „Wille zur Macht“ zu verstehen (beide Thesen finden sich bei Pieper 1990, 154 ff.). Das paßt zur Herrschaftsund Befehlsfunktion des „Selbst“, aber weniger dazu, daß es

18 Vgl.: „Der Mensch verhüllt uns die Dinge“ (N 1880, 6/432; 9, 309). Die „Welt“, so heißt es in einer Nachlaßnotiz aus der Entstehungszeit des Zarathustra, ist ein „Inventarium der menschlichen Erfahrungen“ (N 1883/84, 24/17; 10, 656). Dazu ausführlich: Gerhardt 1996, 330 ff.

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Volker Gerhardt „horcht“ und „lacht“ und „schafft“. Noch in seiner ersten Rede hat Zarathustra dem Willen die Fähigkeit zur schöpferischen Produktivität entschieden abgesprochen. Und „Wille zur Macht“ soll nach Nietzsche in jeder Wirksamkeit gelegen sein. Deshalb wird man zwar nicht bestreiten können, daß auch das Selbst, wenn es denn überhaupt als tätig gedacht werden kann, als Wille zur Macht wirksam ist. Aber es hat darin gewiß nicht sein Spezifikum. Natürlich ist nicht von der Hand zu weisen, daß dieses Selbst auch jene Instanz bezeichnen könnte, die Sigmund Freud zum „Unbewußten“ erklärte.19 Doch was ist damit für den von Zarathustra angesprochenen „Bruder“ gesagt, der Freud noch gar nicht kennt? Ehe man den Begriff durch geistesgeschichtliche Parallelen erläutert, muß man aus dem Zusammenhang der Rede zu verstehen suchen, wie er gemeint sein könnte. Achten wir also noch ein letztes Mal auf den Text: „Hinter deinen Gedanken und Gefühlen, mein Bruder, steht ein mächtiger Gebieter, ein unbekannter Weiser – der heisst Selbst. In deinem Leibe wohnt er, dein Leib ist er“ (40). Das Selbst also ist ein „Gebieter“ und ein „Weiser“. Dazu paßt, daß es „Zwecke“ hat, daß es das Ich am „Gängelband“ hält, ihm Begriffe „einbläßt“, ihm „sagt“, daß es Schmerz oder Lust fühlen soll (ebd.). Am Ende ist es auch das Selbst, das sich „Achten und Verachten“, „Lust und Weh“ zu schaffen vermag. So ist es nicht nur Ausdruck der produktiven Funktion des Leibes, sondern auch seiner reduzierten Lebendigkeit. Schließlich ist es das Selbst, das „sterben“ will und „sich vom Leben ab[kehrt]“ (ebd.). Auch dann hat ihm das Ich zu folgen, so daß Zarathustra den Verächtern des Leibes sagen kann, ihre Leibverachtung sei nur der Ausdruck ihres lebensmüden Selbst, das einem geschwächten Leib korrespondiert. Sie verachten das, dem sie folgen, und offenbaren so ihren tiefsten Lebenswiderspruch. In ihn geraten sie hinein, weil sie nicht wissen, wie sie – über ihr Selbst – mit ihrem Leib vermittelt sind.

19 Zu dieser naheliegenden Deutung, die natürlich mehr über die mögliche Herkunft von Freuds Begriff als über die von Nietzsche intendierte Bedeutung sagt, vgl.: Conway 1997, 246 ff.

Die „grosse Vernunft“ des Leibes Was also ist das Selbst? Was ist diese aus dem Leib kaum herausgehobene und gleichwohl dessen Produktivität, aber auch dessen Verfall eigenständig umsetzende Instanz? Wie läßt sich dieses Selbst fassen, das nicht mehr bloß Leib ist und offenkundig mehr als bloß Bewußtsein, auf das es in bestimmter Hinsicht gleichwohl angewiesen zu sein scheint? Offenkundig ist die Nähe zur Sphäre des Leibes; „schaffendes Selbst“ und „schaffender Leib“ arbeiten Hand in Hand. Eine Differenz oder gar ein Gegensatz zwischen beiden scheint nicht denkbar. Das Selbst wirkt eher wie ein Ausdruck des Leibes, eine Form, die er sich im Umgang mit sich selbst und mit seinesgleichen zu geben vermag. So vermittelt das Selbst eine (möglicherweise partikulare) Veränderung am Leibe zu einem Gefühl, das zur Expression des ganzen Leibes wird: „Das Selbst sagt zum Ich: ‚hier fühle Schmerz!‘ Und da leidet es und denkt nach, wie es nicht mehr leide – und dazu eben soll es denken. Das Selbst sagt zum Ich: ‚hier fühle Lust!‘ Da freut es sich und denkt nach, wie es noch oft sich freue – und dazu eben soll es denken“ (ebd.). Das Gefühl und das Denken aber sind Sache des Ich. Ihm gegenüber wirkt das Selbst wie ein Verstärker in Angelegenheiten, die den Leib in bestimmten Lagen betreffen und die durch Änderung oder Sicherung der Befindlichkeit beeinflußt werden können. Dabei fällt auf, wie stark das Selbst begrifflich aufgeladen ist, ohne freilich selbst über Begriffe zu verfügen: Es hat die Weisheit eines Weisen, zeigt die Voraussicht eines Erziehers („Gängelband“), hat die Absichten eines Sprechers, hat Zwecke wie ein Befehlshaber und ist als „schaffendes Selbst“ vom Leib als Künstler kaum unterscheidbar. In alledem steht das Selbst auf der Schwelle des Bewußtseins, die es „selbst“ freilich nicht überschreiten kann. Zur bewußten Aussage wie zur schlüssigen Reflexion bedarf es jenes „Werkund Spielzeugs“ der „kleinen Vernunft“. Ihr kann, ja, ihr muß das Selbst Anstöße geben und Vorgaben machen, ohne aber „selbst“ zur begrifflichen Verfügung in der Lage zu sein. Die Gefühle und Begriffe des Ich beziehen sich offenbar auf Umstände, in denen sich der Leib als ganzer befindet und in denen über ihn als ganzen disponiert werden muß. Und das Selbst zeigt – vom Leib her – solche Lagen an. Es figuriert die das Ganze eines Leibes betreffende Impulsivität, um sie für eine die

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Volker Gerhardt Gesamtlage des Leibes betreffende Disposition zugänglich zu machen. Damit haben wir eine Antwort auf die Eigenart des Selbst zwischen Leib und Ich: Das Selbst ist der als Einheit verstehbare Ausdruck des Leibes. Es ist die wirksame Konfiguration des ganzen Leibes, so daß er sich als Einheit präsentieren kann. Im Selbst schafft sich der Leib eine Form, die überhaupt erst Verständnis für ihn als ganzen Leib ermöglicht. In dieser Form ist ein Leib nicht einfach nur Wirkung, sondern er übersetzt sich in eine Bedeutung, die er für sich und seinesgleichen haben kann. Diese Bedeutung konzentriert eine Befindlichkeit des Organismus so, daß er als ganzer in seinem „Sinn“ wahrgenommen, angesprochen und gleichsam von einem Punkt aus gesteuert werden kann. Kurz: Das Selbst transponiert den Leib in einen möglichen Sinn. Es repräsentiert die Richtung, in die der Leib sich bewegt. In ihm hat er seine Einheit, die etwas bedeuten kann und somit für ein begriffliches Verständnis zugänglich ist, ohne freilich selbst schon begrifflich verfaßt zu sein. Im Selbst ist der Leib auf Mitteilungen über seine Lage und seine Verfassung eingestellt, sofern er für eine ihn ganz betreffende Steuerung disponiert ist. Die ihn ausdrücklich betreffende Lenkung hat dann im Namen des Ich zu geschehen. In diesem Sinn steht das Selbst für die „Weisheit“. Es ist der Vernunft des Leibes zum Verwechseln ähnlich. Dort wo Zarathustra davon spricht, daß sich der „schaffende Leib […] den Geist als eine Hand seines Willens“ schafft (ebd.), deutet sich wenigstens an, wie der Leib in seinem Selbst über sich als ganzen hinauszugehen versucht. In der Verbindung mit der „grossen Vernunft“ können wir auch die gleichermaßen integrative wie repräsentative Leistung des Selbst erkennen. Denn es macht ihn fähig zu symbolischen Leistungen, in denen er selbst als Träger fungiert, die aber nur etwas ausdrücken können, was den Körper selbst - also in einer wie auch immer gefaßten perspektivischen Einheit - betrifft. Der Leib findet zu einem verständlichen Ausdruck nur über die ihn repräsentierende Instanz des Selbst. Es ist der Leib, der spricht, nicht, wie wir oben hervorgehoben haben, die Lippen oder die Stimmbänder; sondern der Autor des gesprochenen Wortes ist der ganze Mensch, also – er selbst. Das Selbst ist der Urheber des Sinns und insofern auf das Engste mit der „grossen Vernunft“ verbunden.

Die „grosse Vernunft“ des Leibes Zarathustra kommt es nun vor allem darauf an, daß zwischen dem Selbst als dem Urheber von Sinn und dem Ich unterschieden wird. Dafür können wir nun sogar einen Grund angeben: Während das Selbst nur die Bedingungen von Bedeutung überhaupt zur Verfügung stellt, ist das Ich bereits begrifflich artikuliert. Das Ich ist mit artikulierbaren Gefühlen und mit bestimmten Gedanken verbunden. Es ist fest mit dem Verstehen und dem Denken assoziiert. Also steht es in konkreten Bezügen des Sprachgebrauchs, es ist – wie wir nun genauer verstehen – „Werk- und Spielzeug“ des Selbst. Das Ich disponiert also immer schon in einer bestimmten Hinsicht über den Leib; es hat eine durch seine Begrifflichkeit von vornherein eingeschränkte Verfügungsintention. Auch wenn es den ganzen Leib in seine Wirkungsabsicht aufnimmt (etwa indem es ihm eine Medizin verordnet), bleibt es auf die Perspektive des Begriffs beschränkt. Die „kleine Vernunft“ „sagt […] Ich“, weil sie in bestimmte Mitteilungsbezüge eingebunden ist. Der Leib dagegen „thut Ich“, indem er das die Mitteilung überhaupt erst ermöglichende Selbst hervorbringt. Leider erfahren wir von Zarathustra viel zu wenig über die Leistungen des Ich. Ihm ist es vor allem um eine Kritik der Überschätzung des Ich-Bewußtseins zu tun. Deshalb läßt er sich auf eine Darstellung der Aufgaben des Ich gar nicht erst ein. Offenkundig ist allerdings, daß auf die „kleine Vernunft“ des Ich, also auf die bewußten Leistungen der Begriffe und Urteile nicht verzichtet werden kann. Denn alles das, was das Selbst dem Ich an Aufgaben stellt, das soll es auch erledigen. Durch diese Aufgaben steht es mittelbar im Dienst des Leibes. Dabei hat es den Anschein, als könne es dem Leib tatsächlich wirksam dienen, indem es fühlt und denkt. Denn damit macht es Befindlichkeiten des ganzen Leibes nicht nur ausdrücklich, sondern es führt sie unter Umständen auch einer Behandlung, einer Praxis zu, die dem Leib als ganzem zugute kommen können. Das Ich „soll“ denken, um Zusammenhänge zu erschließen und zu benennen, in denen der Leib sich entfalten und entwickeln kann. Das Ich ist dabei ganz und gar Teil des Selbst. Es ist die Instanz der Ausdrücklichkeit und der bewußten Konsequenz. Sobald es aber seine Einbindung in den Leib überspielt, kehrt es sich vom Leben ab. Ein Ich, das seinen leiblichen Auftrag leugnet und sich zur Instanz sui generis erhebt, kann nur mit

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Volker Gerhardt erstarrten Begriffen operieren. Es erkennt, wie schon der junge Nietzsche gesagt hat, „alles falsch“ (PdW; 1, 760). Will sich der Mensch vor diesem Irrtum bewahren, muß er sich die in ihm wirksamen Impulse des Selbst, in denen der Leib sich einen Ausdruck ermöglicht, der einheitlich Eindruck machen kann, eingestehen. Auch wenn das Ich gar nicht anders kann, als selbstbewußt aufzutreten, hat es sich seiner Stellung als „Werk- und Spielzeug“ des Leibes zu vergewissern. Das wird von den Verächtern des Leibes nicht beachtet. Deshalb warnt Zarathustra vor der Überheblichkeit ihres Selbstbewußtseins, das sich von den Bedingungen seiner Produktivität abschneidet und daher zum Leben unfähig ist. Deshalb wäre es auch viel zu wenig, wenn Nietzsche lediglich zeigen wollte, daß die Verächter in Widerspruch mit ihren eigenen Annahmen über sich und ihren Körper stehen. Er möchte mehr. Er will den Verächtern des Leibes vor allem deutlich machen, daß sie sich selbst nicht richtig verstehen, wenn sie den Zusammenhang zwischen Leib und Geist nicht respektieren. Die Verleugnung des Leibes muß notwendig in eine Selbstverleugnung umschlagen. Auch darin zeigt sich der Zusammenhang zwischen Leib und Ich, zwischen denen das Selbst vermittelt. Am Ende läßt sich nur versichern, daß die im letzten Abschnitt skizzierte Deutung des Selbst sich gut zu anderen Aussagen Nietzsches fügt. Sowohl die große Metapher vom „Vernunft-Räderwerk“ der Selbsterhaltung in Menschliches, Allzumenschliches (WS 33; 2, 565) wie auch die späte Konzeption der Vernunft als „Nothwehr“, gleichsam als ultima ratio (GD, Sokrates 10; 6, 72), passen zu dieser Interpretation; erst recht jene Passagen des Spätwerks, in denen Nietzsche die „Semiotik“ des leiblichen Geschehens zu fassen sucht und alles als Geschehen ein „Mitteilen“ ist. – Da Zarathustra dazu schweigt, muß davon auch hier nicht mehr die Rede sein.

Die „grosse Vernunft“ des Leibes

Literatur Conway, Daniel W. 1997: Nietzsche’s Dangerous Game: Philosophy in the Twilight of the Idols, Cambridge/NewYork. Gerhardt, Volker 1993: Kunst und Leben, in: K.-H. Schwabe/M. Thom (Hrsg.), Naturzweckmäßigkeit und ästhetische Kultur. Studien zu Kants „Kritik der Urteilskraft“, Sankt Augustin, 77–94. Gerhardt, Volker 1996: Vom Willen zur Macht. Anthropologie und Metaphysik der Macht am exemplarischen Fall Friedrich Nietzsches, Berlin/New York. Gerhardt, Volker 1999: Selbstbestimmung. Das Prinzip der Individualität, Stuttgart. Hastedt, Heiner 1988: Das Leib-Seele-Problem. Zwischen Naturwissenschaft des Geistes und kultureller Eindimensionalität, Frankfurt/M. Kant, Immanuel 1900 ff.: Kant’s gesammelte Schriften, hrsg. v. d. Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften (AA), Berlin. Kaulbach, Friedrich 1980: Nietzsches Idee einer Experimentalphilosophie, Köln/ Wien. Küppers, Günter 1996: Selbstorganisation: Selektion durch Schließung, in: ders. (Hrsg.), Chaos und Ordnung. Formen der Selbstorganisation in Natur und Gesellschaft, Stuttgart, 122–148. Parkes, Graham 1994: Composing the Soul. Reaches of Nietzsche’s Psychology, Chicago/London. Pieper, Annemarie 1990: „Ein Seil geknüpft zwischen Tier und Übermensch“. Philosophische Erläuterungen zu Nietzsches erstem „Zarathustra“, Stuttgart. Scheier, Claus-Artur 1985: Nietzsches Labyrinth. Das ursprüngliche Denken und die Seele, Freiburg/München.

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For whom the Sun shines

Alexander Nehamas

For whom the Sun shines A Reading of Also sprach Zarathustra1

7.1 Zarathustra’s attitude to the sun At the beginning of this difficult book – perhaps Nietzsche’s most popular, but certainly least readable and least read work – Zarathustra addresses the sun in the most peculiar terms: “Du grosses Gestirn! Was wäre dein Glück, wenn du nicht Die hättest, welchen du leuchtest!” (11) Grateful for the light, which he considers a gift, Zarathustra has often “blessed” (“segnen”) the sun for it. And as he is about to leave his mountain cave for the world below, Zarathustra likens himself to the star. He wants to offer the people his “wisdom” as the sun, he thinks, bestows his own gift to them: “ich bedarf der Hände, die sich ausstrecken. […] Dazu muss ich in die Tiefe steigen: wie du des Abends thust, wenn du hinter das Meer gehst und noch der Unterwelt Licht bringst, du überreiches Gestirn! Ich muss, gleich dir, untergehen, wie die Menschen es nennen, zu denen ich hinab will” (11 f.). But Zarathustra is wrong. The sun’s light is not a gift. Gifts are intended to make others happy, and, if they succeed, they reflect that happiness back on those who make them. But the sun cannot intend to make others happy; nor can it possibly feel the happiness which Zarathustra is so eager to attribute to it. In 1 In view of the audience for which this essay is intended, I devote exclusive attention to the English-language literature on Zarathustra. My German readers are already familiar with the debates surrounding the work in their own language.

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Alexander Nehamas Nietzsche’s own terms, the sun shines as the lightning flashes: it has no prior intentions and no ulterior purposes; it makes no choices (cf. GM 1, 13; 5, 279). It wants to give nothing; it is unaware of how its light is received and of its effect on the world; it requires no gratitude. Zarathustra’s attitude toward the sun is so prominent, and so prominently placed at the very beginning of the work that it is tempting to think that Nietzsche himself endorses it.2 But since Zarathustra’s view is so problematic, it seems reasonable, as Nietzsche wrote in another context, “hier an der Schwelle bereits zu zweifeln, wo es doch am nöthigsten [ist]” ( J 2; 5, 16). Is Zarathustra’s error significant? Is it an error Nietzsche shares with his hero? Or is Nietzsche attributing to Zarathustra a mistake which he does (or does not) allow him to overcome in the course of his narrative? Perhaps these questions will appear themselves insignificant. And yet, they can lead us directly to the single most serious problem Zarathustra presents – to the fact that the book resists a unified reading, concealing its general structure and strategy, its overall point. Despite some efforts to read Zarathustra as a coherent whole,3 most of Nietzsche’s readers still only dip into the book here and there, dazzled by its brilliant parts and passing over the rest in silence. Having failed to find a unified theme, Michael Tanner, for example, has concluded that the work’s “vision […] is vague and opaque”, and he has recently and characteristically urged that “the only thing one can really do with the book […] is to savour it in a picaresque way” (Tanner 1994, 47; see also the references in Pippin 1988, 67, nn. 3, 4, 5). Interestingly, Tanner’s response is prompted by the same assumption that tempts others to think that Zarathustra’s attitude toward the sun is correct. And that is the idea that in Zarathustra Nietzsche presents and articulates his own positive philosophical theories, his own view of how human life must in general be lived. The sun, Zarathustra believes, shines for the world’s

2 That is what many of Nietzsche’s recent American commentators have assumed. See Lampert 1986, 14 f.; Higgins 1987, 72 f.; Pippin 1988, 47. 3 See the works referred to in note 2 above, as well as Alderman 1977 and, most recently, Rosen 1995. Because of limitations of space, I will not try to explain my differences from these scholars in detail.

For whom the Sun shines sake; it expects its light to be appreciated; and it is made happy by those who appreciate it. Similarly, Zarathustra begins his journey back to the world believing that he carries a definite message and that his own happiness depends on what the world makes of it. There is a three-level parallel here. As the sun shines and as Zarathustra teaches his audience, so Zarathustra offers its readers a general lesson which it is up to them to understand and assimilate correctly. The dispensers of these “gifts” – the sun, Zarathustra and Nietzsche – all require an audience; their “happiness” depends on whether that audience appreciates them correctly. But that philosophical assumption, along with the literary parallel on which it depends, is something I want to put into question.

7.2 Zarathustra as an individualist Zarathustra has always been a difficult book for all of Nietzsche’s readers. But the work’s overwhelmingly didactic style has made it even more difficult for those who, like me, interpret Nietzsche as an individualist thinker (that is the central part of my argument in Nehamas 1985; dt. 1996), as a philosopher concerned primarily with those people whom, in contrast to “the human herd”, he considers as genuine “individuals”. Individuals stand apart, they do not follow the rules that govern life in their time, they cut their own paths through the world. They are the exact opposite of those for whom George Eliot felt such pity (and who, in so doing, gave Nietzsche one more reason for detesting them): “In the multitude of middle-aged men who go about their vocation in a daily course determined for them much in the same way as the tie of their cravats, there is always a good number who once meant to shape their own deeds and alter the world a little. The story of their coming to be shapen after the average and fit to be packed by the gross, is hardly ever told in their consciousness; for perhaps their ardour in generous unpaid toil cooled as imperceptibly as the ardour of other youthful loves” (Eliot 1908, 207). Nietzsche’s individuals never give up such ardor; they never fit a ready-made pattern and they do shape their own deeds and alter the world. They are important. Their lives make a difference to how others may live thereafter.

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Alexander Nehamas They stretch the range of what is humanly possible and they disseminate what they establish. Two things cannot be said in regard to such an approach to philosophy. First, that one should become an individual: that is not a matter of choice, of duty or obligation, but of talent and ability. Second, how one becomes an individual: if you follow someone else’s instructions, you thereby give up the possibility of doing something that is truly your own. Moreover, what counts as an individual depends on what one turns out to be different from. And since that in turn depends on the different historical situations in which people always find themselves, there is no general account of, and no general method for, becoming an individual. “Becoming what one is” can be undertaken only on one’s own (cf. FW 255; 3, 516). Read as such an individualist, Nietzsche is faced with a difficult problem. He desperately wants to communicate an ideal – that the life of individuals is the most valuable type of human life – but he cannot communicate it directly. His ideal has no determinate content: there are just too many ways of being an individual and, in the nature of the case, there cannot be a catalogue of what these are: individuals are just those people who establish unanticipated modes of life. And if Nietzsche, despite all that, tried to give his view a determinate content, if he outlined a particular type of life and urged others to follow it, he would necessarily turn his followers into imitators, copies of his own version of individuality and not into individuals in their own right. That would completely undermine his message. Yet Zarathustra, more than all his other books, has seemed to his readers to contain just such a message: Doesn’t Zarathustra constantly tell various people what to think and feel, and how to act? The book is therefore a problem both for Nietzsche’s readers in general, since its general structure and message have proved so difficult to determine, and for Nietzsche’s individualist readers in particular, since any general message we could extract from Zarathustra would undermine their reading. Are these problems we can resolve? One of the work’s major themes concerns Zarathustra’s search for an appropriate audience. In the Vorrede, Zarathustra tries to address all the people who live in the town called “Bunte Kuh”: the name alludes both to the internally disorganized nature of

For whom the Sun shines these people (see Vom Lande der Bildung (153–155), where “bunt” is used to such an effect) and to their constituting simply a “herd” and not a genuine culture. His effort fails abysmally: the people make fun of him, a jester attacks him, and he leaves town with only the corpse of a tight-rope walker as his “disciple”. He then decides that his audience should neither be the world at large nor the dead, but “Gefährten […] und nicht Leichname, und auch nicht Heerden und Gläubige” (26). But he still needs an audience: “Den Schaffenden, den Erntenden, den Feiernden will ich mich zugesellen: den Regenbogen will ich ihnen zeigen und alle die Treppen des Übermenschen” (ibid.). He still thinks he has a lesson to teach them, and that they should learn it correctly. Throughout Books I and II of the work, Zarathustra addresses his speeches to a group of disciples. But there are strong indications that Zarathustra is not comfortable with that role. That is certainly why, at the end of Book I (Von der schenkenden Tugend), he takes leaves of his followers. He abandons them and he advises them to turn their back on him: “Nun heisse ich euch, mich verlieren und euch finden; und erst, wenn ihr mich Alle verleugnet habt, will ich euch wiederkehren. […] Und eins noch sollt ihr mir Freunde geworden sein und Kinder Einer Hoffnung” (101 f.). But his promise to return shows that Zarathustra has still not given up his earlier desire: “Viele wegzulocken von der Heerde – dazu kam ich” (25).4 He may speak like a wolf, but he is still a shepherd. Zarathustra had asked his disciples to deny him, but he cannot live long with that reality. In the very first section of Book II (Das Kind mit dem Spiegel ), he dreams that the face he sees in a mirror is a devil’s and not his own. He takes that to mean that “meine Lehre ist in Gefahr”: “Meine Feinde sind mächtig worden und haben meiner Lehre Bildniss entstellt, also, dass meine 4 Zarathustra goes on to say that the herd’s “shepherds” (“Hirten”) will call him a robber. But it is crucial to note that in Vom Gesicht und Räthsel, it is Zarathustra himself who appears to himself as a shepherd until he manages, in his vision, to accept the thought of the eternal recurrence and rises as “Nicht mehr Hirt, nicht mehr Mensch, – ein Verwandelter, ein Umleuchteter, welcher lachte!” (202). Affirming the eternal recurrence seems to allow him to put an immense distance between himself and those with whom, as a shepherd, he still was too closely related.

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Alexander Nehamas Liebsten sich der Gaben schämen müssen, die ich ihnen gab. Verloren giengen mir meine Freunde; die Stunde kam mir, meine Verlornen zu suchen!” (105 f.) Zarathustra is afraid that his message has been slandered and therefore misinterpreted; and his friends’ shame reflects on his own happiness. He wants to recapture that happiness, and he already begins to experience it as he gets ready to return to the world: as he anticipates that he will now communicate his message correctly and redeem his friends, he feels his happiness surge once more within him. Like the sun, his own happiness, too, would be nothing had he not those for whom he shines. Thinking of them, he becomes happy again: he prepares to return to the world and to make a second effort to touch his disciples’ hearts.

7.3 To whom Zarathustra speaks Upon returning, and throughout most of Book II, Zarathustra continues his speeches to his disciples; his tone is still urgently didactic and he believes he has something of the greatest importance to communicate to them. But toward the end, he begins to reveal that his faith in his doctrine, whatever exactly that is, is beginning to weaken. “[D]ie Dichter lügen zuviel” (110), he says early on during an attack against the ideas of God and permanence. But now, near the end of Book II, Zarathustra describes himself as a poet too and suggests that his statement about the poets’ lies may have been a lie itself. More distant from his companions than ever before, he smiles ironically and tells one of his disciples, who professes to have faith in him, that “[d]er Glaube macht mich nicht selig […], zumal nicht der Glaube an mich” (164). He is tired, he says, of poets like himself, who place upon the clouds “unsre bunten Bälge und heissen sie dann Götter und Übermenschen” (ibid.; Herv. A. N.).5 Zarathustra appears to begin to doubt the role he has assigned himself as well as the lesson he has been so desperate to communicate to the world. 5 The italics are mine. The occurrence of “bunt” once again in this context underscores Zarathustra’s negative attitude even toward the “doctrine” of the Übermensch.

For whom the Sun shines Zarathustra’s first doubt concerns the manner in which his lesson has come to be accepted, as a doctrine whose specific content is all-important. Zarathustra’s conversations, Robert Pippin has written, “are not dialectical or interrogative, nor are they (despite early appearances) attempts to transmit an already achieved ‘wisdom’ (he is upset when his disciples act as if that were his function). Whatever the ‘reception’ of his gift is supposed to involve, it clearly involves much more than simply coming to believe what Zarathustra says. Zarathustra never finds a proper recipient for his ‘gift’, not the many, his disciples, his animals, not even the so-called ‘higher men’ of part 4” (Pippin 1988, 51). Pippin is right, though only in part. Zarathustra is not unwaveringly upset when his disciples try to extract a direct lesson about life from his words. Sometimes, as we have seen at the end of Book I, he does indeed repudiate such an attitude. But sometimes he does not: his own feelings are not consistent. That is why Book II returns him to his disciples and resumes the didactic style of Book I. Zarathustra still believes that his happiness depends on his being correctly understood. And what he understands by being correctly understood, at least for most of Book II, is his disciples accepting his views about how people should lead their lives and construing them as he himself wants them construed. That is, despite his sporadic moments of doubt and his occasional suspicions of his disciples and himself, Zarathustra often takes his views as a straightforward theory about life. He himself is tempted to believe that accepting his gift is “simply coming to believe what Zarathustra says”. Pippin is also right to claim that “Zarathustra is as much in two major parts as four: the first two, where Zarathustra still attempts to speak publicly (and looks like a teacher), and the latter two, where he does not” (ibid.). The break between those parts occurs in the section entitled Der Wahrsager, where he hears for the first time a version of the thought of the eternal recurrence offered as a reason for not attempting anything, since “‘Alles ist leer, Alles ist gleich, Alles war!’” (172). From here on, Zarathustra tries to come to terms with this thought, turn it into a formula of affirmation rather than denial and, most importantly, progressively withdraws further and further into himself: he now speaks mostly to himself, not to an external audience. What does this change signify, and how complete is it?

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Alexander Nehamas Pippin believes that Zarathustra’s change signifies his realization that, if the eternal recurrence is true, then the view that the Übermensch constitutes a radically new idea and “a radically new kind of human being” is wrong. The Übermensch cannot be “a new ‘teaching’ about a possible state permanently beyond or ‘over’ the ‘man’ we had known”, since, after all, everything returns and “the last man recurs eternally”. Rather, Pippin claims, the Übermensch represents “a radically temporal, contingent ‘ideal’; it answers only the specific, practical incoherence of the ideals of late bourgeois culture”. It may do for out world, but not for the world in general, across cultures and history. But Zarathustra is shocked to realize how easily his own, contingent teaching may one day appear as the timeless teaching of a poet or metaphysician (Pippin 1988, 52). In the rest of the work, therefore, Zarathustra engages in an effort to formulate his view of the Übermensch as a historically contingent alternative, applicable only to “late bourgeois culture” and the pitiful ideals of “the last man”. Zarathustra may indeed be able to save the world, but not forever. New developments will create new predicaments and new predicaments will require new solutions. This attractive view, halfway between Lampert’s universalist interpretation6 and my own individualist reading, has much to recommend it. But the text, especially once we turn to Book III, does not support it. A historically specific ideal can still be accepted universally, if only for a time: its content can be endorsed by all, if only for a while. Yet in Book III, Zarathustra repudiates such an endorsement. He explodes at his “ape” for repeating his words: “Aber dein Narren-Wort thut mir Schaden, selbst, wo du Recht hast! Und wenn Zarathustra’s Wort sogar hundert Mal Recht hätte: du würdest mit meinem Wort immer – Unrecht thun!” (225) But why should Zarathustra’s words in the fool’s mouth hurt him and “do” wrong even if they are right in themselves? Why can’t the fool utter them in the historically 6 Lampert (1986) takes Zarathustra and Nietzsche to be offering a universal theory of the nature of the good life, though his view too refined to correspond to this gross simplification. My main objection to his interpretation is that, in order to maintain it, he has to argue that Book IV of Zarathustra is of no importance, and that everything that matters to the book is given by the end of Book III. That seems to me an unacceptable price to pay for offering a coherent reading of the work.

For whom the Sun shines specific, contingent way that Zarathustra, according to this interpretation, intends them? When, in other words, would one not be Zarathustra’s “ape” or fool? Only when, I answer, one does not repeat his words at all; when one, instead, uses words of one’s own: when one becomes one’s own individual and is no longer an imitator. Exactly the same idea emerges in the magnificent passage where the death of the pagan gods is attributed to the laughter that overtook them when “das gottloseste Wort von einem Gotte selber ausgieng, – das Wort: ‘Es ist Ein Gott! Du sollst keinen andern Gott haben neben mir!’ – […] Und alle Götter lachten damals und wackelten auf ihren Stühlen und riefen: ‘Ist das nicht eben Göttlichkeit, dass es Götter, aber keinen Gott giebt?’” (230)7 Many gods, each mindful of the others’ claims, exist at one and the same time – they do not succeed one another, as particular periods and their specific ideals follow each other in history. Each god represents a distinct way of life, and they are all simultaneous. Nietzsche’s emphasis is on concurrent plurality, not on temporal contingency. In the very next section of Book III, Die Heimkehr, Zarathustra reaches a crucial turning point: he realizes how much of an individual he is. For his “solitude” tells him, “Alles weiss ich: und dass du unter den Vielen verlassener warst, du Einer, als je bei mir!” (231). Zarathustra begins to realize the futility of his earlier efforts to communicate with others, to tell them what to do: he is one; he cannot be among many. His difficulty is not that his contingent message was taken as a timeless, metaphysical truth, but that, being one, he could not survive among the many. Why not? Because the many are just those who, as he says a little further on, keep asking him for “the way” (“der Weg”) and to whom he replies: “‘Das – ist nun mein Weg, – wo ist der eure?’ […] Den Weg nämlich – den giebt es nicht!” (245) Combined with his statement that “[d]er aber hat sich selber entdeckt, welcher spricht: Das ist mein Gutes and Böses: damit hat er den Maulwurf und Zwerg stumm gemacht, welcher spricht ‘Allen gut, Allen bös.’” (243), Zarathustra’s words show that he is 7 Cf. 254: “Vieler Edlen nämlich bedarf es und vielerlei Edlen, dass es Adel gebe! Oder, wie ich einst im Gleichniss sprach: ‘Das eben ist Göttlichkeit, dass es Götter, aber keinen Gott giebt!’”

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Alexander Nehamas coming to realize that his “message” is very peculiar. What he has to say is that those who can do so need to develop their own way, their own table of values; they must, to return to an earlier vocabulary which Nietzsche might not (though perhaps he should) accept, “care for themselves” as Socrates, in Plato’s Apology, had claimed that he advised his fellow-citizens to do (Plato, Apology 30a–b and particularly 36c).8 And that is a message that cannot possibly be generalized. It cannot even be expressed in informative terms. It can only be communicated by example. Pippin believes that the Übermensch is a specific ideal, applicable generally to a particular period though not to others, a reaction and a solution to the concrete, historically situated problems of modernity because he realizes that Zarathustra believes that “his way” is correct, not simply one among others that are equally good (Pippin 1988, 60 f.). That last is true. But it does not imply that Zarathustra must be offering a single theory that is good only for a particular time. Zarathustra, as Pippin is right to say, certainly does not advocate “a simple, individualist relativism” and “he is not just one individual among many others who each have individual, equally worthwhile ways”. He believes that “his way” (about which, recall, he tells us almost nothing) is a correct answer to a variety of problems he encounters in the world, though it need not be the only one. It does not follow from that that every attitude to the world is equally justified; it does not even follow that Zarathustra would not be willing to argue with those who are able to produce their own “way” and to contrast it with his. The pluralism, or perspectivism, which Zarathustra accepts is not relativist. That there can be many ways of living a life is not the same as saying that any way is as good as any other any more than saying that there are many great works of art, which cannot be directly compared to one another, implies that no work of art is better than any other. We must never forget the importance of Nietzsche’s aesthetic approach to the evaluation of life (see Nehamas 1994).

8 I discuss Nietzsche’s irreducibly ambivalent attitude toward Socrates in Nehamas 1998.

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7.4 The dialogue with life As Zarathustra withdraws more and more into himself in the course of Book III,9 his “message” becomes more and more centered on himself. His speeches now have no external audience: he either speaks directly to himself, or he recalls incidents where others have spoken to him. The most important of these incidents, the incident which contains one of the climactic moments of the whole work, is Zarathustra’s final meeting with life, personified as a woman, in Das andere Tanzlied. By that time, Zarathustra has confronted the thought of the eternal recurrence a number of times. First, in the episode with the soothsayer, which we have already mentioned. Second, in the famous section Vom Gesicht und Räthsel. And finally in Der Genesende, where he seems to come to terms with the view, though we cannot be sure what that view is: for it is Zarathustra’s animals, not Zarathustra himself, who describe the eternal recurrence, while Zarathustra (as he also did with the disciple who tried to interpret his dream of the soothsayer, 175 f.) remains silent and looks on at them with affection and condescension (275, 277). The point, I think, is that we are not, and are not supposed to be, absolutely sure of the nature of the eternal recurrence. Nietzsche is tantalizing his readers: he gives them hints about a crucial attitude that Zarathustra finds extraordinarily difficult to accept but which, even when he does accept it (if he accepts it fully: Der Genesende does not answer this question as fully as one might like), still remains opaque. In particular, it is very unclear that the view is the cosmology that is often attributed to Nietzsche. In Vom Gesicht und Räthsel, where Zarathustra seems to espouse such a cosmological theory, his role vis-à-vis the dwarf who represents the spirit of gravity is actually very like that of the demon in section 341 of The Gay Science (FW 1; 3, 370), who announces the view without any commitment as to its truth. And when his animals express such a cosmological version of the theory in Der Genesende, Zarathustra, as we just saw, does not in any way endorse it. Whatever it is supposed to be, Zarathustra’s “way” is not clearly explained in the course of the narrative – and 9 See, for example, 246: “Inzwischen rede ich als Einer, der Zeit hat, zu mir selber. Niemand erzählt mir Neues: so erzähle ich mir mich selber.”

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Alexander Nehamas that is the main reason why the work has so often seemed vague and disorganized.10 But what if we are not supposed to know exactly what Zarathustra’s “way” is in the first place? That is just what Das andere Tanzlied, in which Zarathustra confronts life, comes to terms and makes his final peace with her, suggests. Zarathustra first chases life, tries to catch her and addresses her in a sequence of oxymorons which suggest both that she is difficult to grasp and understand and that she is “beyond good and evil” in the sense which Nietzsche will explain in the series of books that follow Zarathustra: “Deren Kälte zündet, deren Hass verführt, deren Flucht bindet, deren Spott – rührt: – wer hasste dich nicht, dich grosse Binderin, Umwinderin, Versucherin, Sucherin, Finderin! Wer liebte dich nicht, dich unschuldige, ungeduldige, windseilige, kindsäugige Sünderin!” (283) And as Zarathustra pursues life, who continues to escape him, he uses more and more patronizing terms to describe her until life finally slaps him on the face. At that point, he confronts her angrily and directly. Before we see what Zarathustra says to life and what, if anything, their reconciliation entails, we should examine his anger: “Ich bin es wahrlich müde, immer dein schafichter Schäfer zu sein! Du Hexe, habe ich dir bisher gesungen, nun sollst du mir – schrein! Nach dem Takt meiner Peitsche sollst du mir tanzen und schrein! Ich vergass doch die Peitsche nicht? – Nein!” (284) The passage, though that has not always been noticed,11 is a direct allusion to the earlier section Von alten und jungen Weiblein, which contains Nietzsche’s best known “anti-feminist” line: 10 See, again, Tanner 1994, 57: “Zarathustra is a prophet [… whose] problem is that he is resolutely opposed to systems and system-builders, as many remarks show. But it is not clear how he can avoid a system if he is to promulgate a new tablet of values. This dilemma leads him to make the worst of both worlds: he drops tantalizing hints, which lay him open to multiple interpretations and misunderstandings. But though the hints imply a huge submerged richness of thought, we are denied that and told that we must disagree, if we can, with thoughts expressed too fragmentarily for us even to know what to disagree with”, as well as the references in Pippin 1988, 67, nn. 3, 4, 5. 11 Exceptions are Lampert (1986, 236), whose view that “in response to Zarathustra’s whip, Life finally yields; under the force and violence of his commanding presence, a now yielding and responsive Life begins to speak”, as my discussion will show, I am unable to accept; Staten (1990, 171 f.), whose own interpretation is closest to mine; Burgard 1994, 4 f.; Schmidt 1994.

For whom the Sun shines “‘Du gehst zu Frauen? Vergiss die Peitsche nicht!’” (86) That phrase has caused no end of embarrassment to Nietzsche’s sympathetic readers. In general, however, it has proved intractable. Various readers have tried to argue that since the line is not uttered by Zarathustra but by an old woman instead, we should not believe that either Zarathustra or Nietzsche himself endorses it. The authors of Nietzsche’s Case, for example, complain of “the mischief [that] has been done by the remark of the old woman made to (not by) the character Zarathustra, a remark typically passed off as if it were Nietzsche’s official view on this subject”. They protest that, by contrast, no one would ever dream to attribute to Plato the view of justice that a character like Glaucon is made to express in the Republic (Magnus/Stewart/ Mileur 1993, 19 with n. 25). This view is fine as far as it goes, but it does not go nearly far enough. The line is a burden to Nietzsche, whoever the character who utters it, unless we can show that Nietzsche does not endorse it (as we can show Plato does not endorse Glaucon’s theory of justice). And, in fact, that is just what Das andere Tanzlied enables us to do. Once Zarathustra threatens life with his whip, she does stop to answer him. But what she tells him is, “O Zarathustra! Klatsche doch nicht so fürchterlich mit deiner Peitsche! Du weisst es ja: Lärm mordet Gedanken” (284). She then goes on to address him with affection and tells him that since both are beyond good and evil they are not so different from one another after all. But if they are not different, there is no real reason for Zarathustra to want to master and control her, as he has been trying to do throughout the first three Books of the work and especially in the present section: they really can be friends. And Zarathustra, from every indication the text now gives us, abandons his whip! No further mention is made of it, and it plays no further role in the narrative. Life addresses him in friendly terms precisely because he no longer wants to be her master. To think, therefore, as so many people do, that Nietzsche believes that men should “carry whips” and try to master women is a travesty of the subtle use of the image and of the role in Zarathustra’s development which Nietzsche gives it. As long as Zarathustra wields the whip in an effort to master and subdue life, he is incapable of coming to terms with her. Subduing life is, I believe, a metaphor for Zarathustra’s effort to articulate a general

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Alexander Nehamas method for how life can be lived or, as the expression has it, “led”. Carrying a whip is representative of his errors. It is only when he approaches life on an equal footing – one to one – that he manages to become her friend. Trying to whip life into shape, formulating a model to which all lives are to conform, like whipping women into shape, trying to make them one’s followers and not acknowledge them as one’s peers, leads to inevitable failure. The effect of the image of the whip, therefore, is exactly the opposite of what is commonly made of it. Its dangerous misinterpretation is the result of trying to read Nietzsche – that canniest and most careful of writers – in a “picaresque” manner. Life now speaks to Zarathustra with great affection. When she finally says to him that he is thinking of leaving her soon, he tells us that he replied: “‘Ja, antwortete ich zögernd, aber du weisst es auch –’ Und ich sagte ihr Etwas in’s Ohr, mitten hinein zwischen ihre verwirrten gelben thörichten Haar-Zotteln.” And life in turn replies to him: “Du weisst Das, oh Zarathustra? Das weiss Niemand” (285). But what was it that Zarathustra whispered in life’s ear? Why does this most talkative of all philosophical characters remain effectively silent at the most important moment of his effort to accept life and to go on with his work? Why does Nietzsche put such obstacles in his readers’ path at this most crucial point in his narrative?

7.5 Meaning of life But what is it that life herself means when she tells Zarathustra that he is thinking of leaving her soon?12 The common view that she means that he will die soon cannot be right (that life is saying that Zarathustra is about to die is, for example, the view of Lampert 1986, 237 f.). There is no evidence that Zarathustra is planning or foreseeing his death, no literary or philosophical justification for such an interpretation.13 And to the extent that 12 A very good discussion of this question, though his answer is not specific enough for my purposes, is offered by White 1990, 96 –104. 13 In Der Genesende, Zarathustra’s animals suggest something like that in connection with their version of the eternal recurrence. But Zarathustra, as we have seen, does not endorse anything they tell him.

For whom the Sun shines such an approach is wrong, it is equally wrong to assume, as many do, that what Zarathustra whispers in life’s ear is some version of the cosmology of the eternal recurrence: that he will in fact die, but that, like everything else, he too will return (that is, again, the view of Lampert 1986, 238, as well as that of Platt 1988.). If nothing else, life’s doubt that anyone “knows that” makes that response unlikely: after all, the soothsayer, the dwarf and Zarathustra’s animals all “know” (even if they are wrong) that everything recurs eternally. Zarathustra must have whispered something else to her. Still, life’s whole speech is enigmatic. Just when she and Zarathustra finally become friends, she tells him that neither one of them loves the other “from the heart” (“nicht von Grund aus”, 284), that he does not love her nearly as much as he says, and that he is thinking of leaving her. Yet, at the end of their conversation, Zarathustra says that he had never before loved life as much as he does at this moment (“Damals aber war mir das Leben lieber, als je alle meine Weisheit”, 285). The imagery is confusing, almost incoherent. Life tells Zarathustra that he will leave her when the clock strikes midnight, and the song that constitutes the third and final part of this section shows him devoting himself to eternity: “Doch alle Lust will Ewigkeit –, […] – will tiefe, tiefe Ewigkeit!” (286) But is eternity an alternative to life? Isn’t it, on the contrary, the case that it is when one wants everything to be eternal that one most loves life and the world: “[S]pracht ihr jemals ‘du gefällst mir, Glück! Husch! Augenblick!’ so wolltet ihr Alles zurück! – Alles von neuem, Alles ewig, Alles verkettet, verfädelt, verliebt, oh so liebtet ihr die Welt” (402)? In other words, Nietzsche seems to want to make it very difficult for his readers to understand whether Zarathustra does or does not love life, whether he is or is not planning to abandon her, and what he whispers in her ear. Zarathustra’s relationship with life remains irreducibly ambiguous: it is just not possible to tell, apart from the fact that he has come to terms life in some general sense, exactly what about her he has accepted. And his whispered words – his whispered words do not constitute a riddle which Nietzsche invites us to solve, as so many have tried to do so far. On the contrary, they are hidden from us because they are supposed to be hidden. What Zarathustra tells life is something he and only he can say; it is equivalent to “his way”,

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Alexander Nehamas which no others can follow without betraying it. To understand this incident is not to decipher Zarathustra’s concealed response to life. It is, rather, to realize that his response does not matter. What matters is the response one makes oneself to life – a response which, like “the way” that leads to it, cannot be generalized and will be as different from Zarathustra’s as it will be different from that of all others who are capable of formulating their own attitude toward life and the world.14 The effort to decipher Zarathustra’s whispered words is the effort to learn how to live from him: but that is not something that he can teach.

7.6 The importance of Book IV We might try to imagine the first three Books of Zarathustra as a cone lying on its side. We enter at the base, which is wide, addressed to all, full of homiletic advice, instructions and intimations of a general message. As the book progresses, the cone narrows: Zarathustra retreats, his claims become less general and self-assured, less directed toward others and more toward himself. He withdraws more and more into himself, until, at the book’s most climactic moment so far, all he lets us see is a simple dash, a blank, the point of the cone within which, on the basis of the assumptions with which we have been reading this book, we find ourselves trapped. Zarathustra’s relentless speechifying ends in silence. To understand that silence is to stop trying to break it, to stop trying to overhear his whisper and to interpret his secret. For, in the end, his secret is quite useless to us. It is, in fact, as useless to us as it proves useless to “the higher men” of Book IV, the very last part of this complicated work.15 14 A different interpretation, connecting Zarathustra’s whispered words with his earlier statement that the soul’s secret is that “erst, wenn sie der Held verlassen hat, naht ihr, im Traume, – der Über-held” (152), is offered by Robert GoodingWilliams in ch. 6 of his forthcoming study of Zarathustra. 15 My interpretation of Zarathustra depends on assuming that Book IV is the work’s very last part. That is how Nietzsche referred to it in his letter to Gersdorff of 12 February 1885 (“Es giebt einen vierten (letzten) Theil Zarathustra, eine Art sublimen Finale’s”; KSB 7, 9), and that is how, as I shall argue, the book is best read. I believe that Nietzsche’s occasional references to Book IV as an interlude of

For whom the Sun shines The whole Fourth Book with its burlesque characters and carnivalesque atmosphere is, in my opinion, a commentary on how the first three parts of Zarathustra are not to be read. It dramatizes the mistake of Nietzsche’s “positive” readers, who want to get a “theory” of life out of the work. And, in its discussion of Zarathustra’s “pity” for the higher men and his overcoming it, it also dramatizes the pressure their mistake puts on the book’s hero. The satyr play, so to speak, suggests that the tragic trilogy that precedes it must not be taken too seriously. Book IV of Zarathustra is the story of “the higher men” who make their way up the mountain to Zarathustra’s cave and of Zarathustra’s overcoming of his “last temptation” – pity in general and pity for the higher men in particular. But why is pity a temptation for Zarathustra? What does it tempt him to do? And why does it stand in his way once he has reached his reconciliation with life, and seems finally capable of taking his own road and affirming the eternal recurrence as he does at the end of Book III? In the section Die Heimkehr in Book III, Zarathustra’s solitude, which told him that he will always be alone among the many, also told him that “du unter Menschen immer wild und fremd sein wirst: ‘– wild und fremd auch noch, wenn sie dich lieben: denn zuerst von Allem wollen sie geschont sein!’” (231). Zarathustra agrees: “Im Schonen und Mitleiden lag immer meine grösste Gefahr; und alles Menschenwesen will geschont und gelitten sein. […] Und wenn sie mich verkannten: ich Narr schonte sie darob mehr, als mich: […] Wer unter den Guten lebt, den lehrt Mitleid lügen” (233 f.). Because of his pity for sorts, some of which can be found as late as his letters to Brandes (8 January 1888; KSB 8, 227 ff.) and Fuchs (29 July 1888; ibid., 374 ff.) can be perfectly well explained by his writing to Gast (14 February 1885; KSB 7, 10 ff.) and to Overbeck (20 February 1885; ibid., 13 f.) that the possibility of getting the whole book published together by a new house depended on his convincing them that there was more to follow, since sales of the first three parts of Zarathustra had been dismal. For further discussion, see Schaberg 1995, 101–109. As I have already said, I find Lampert’s positive interpretation of the “teaching” of Zarathustra in Nietzsche’s Teaching unsatisfactory precisely because it depends on considering Book IV an excrescence. Hollingdale (1965, 190), also believes that Zarathustra effectively ends with the end of Book III. The view is very widely shared. It has been recently attacked by Higgins 1987, ch. 7; Shapiro 1989, ch. 4 and by Magnus/Stewart/Mileur 1993, 162–185.

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Alexander Nehamas them, Zarathustra says, he has often disguised his views from the people below, and flattered them instead of insulting them. Sorry for them, he misdescribed things and called them by the wrong names. What he had to say was often unpleasant, sometimes even dangerous to them. Caring for what they thought, he told them not what he believed but what he thought they wanted to hear. Pity led him to refrain from hurting them. Pity for those one hurts, however, is one only kind of pity. Another kind, perhaps deeper and certainly more important to Zarathustra, is the pity one feels for those who misunderstand one’s words and use them for purposes that are at best of no use, at worst of harm to them. That sense of pity is essentially connected with a sense of responsibility for what one says and does and what others make of it. It creates the desire to be understood correctly; and if correct understanding proves exceedingly difficult (as it does in Zarathustra’s case) it may also create the desire to withdraw completely, to stop engaging in the activities that mislead and misdirect the rest of the world. That pity is Zarathustra’s “last temptation”. At the beginning of Book IV, Zarathustra, who, after his encounter with life and despite his reconciliation with her, has still withdrawn to his mountain cave long enough for his hair to have turned white, makes a remarkable statement. Asked about his happiness by his animals, he replies: “‘Was liegt am Glücke! […], ich trachte lange nicht mehr nach Glücke, ich trachte nach meinem Werke.’” (295) There is now a deep contrast between the sun, which, as Zarathustra had thought in the Preface, depended on others for its happiness, and his own new disdain for his happiness and concern for his work.16 At that point, we might well expect Zarathustra to go back once more among the people below, less concerned than ever before with what they will make of him. And yet he is still not ready. For he still needs an audience, the “fish” he expects to hook on top of his mountainside. He still thinks of himself as a proselytizer,

16 See also Von der Seligkeit wider Willen, where Zarathustra admits that “die Sonne meiner Liebe” (205) makes it impossible for him to come to terms with the eternal recurrence, which implies that he has to accept all that is bad (including the consequences of his own views and actions in the world) along with the world’s great moments.

For whom the Sun shines though he now expects that men may come up to him: “[N]och gehe ich selber nicht unter, wie ich muss, unter Menschen” (297). Zarathustra, despite his change of direction from pleasing people to “becoming who he is” (ibid.), is still not ready to mix with the world at large. But he still longs for the few who will understand him and make their way to his mountain. Book IV consists of a series of meetings between Zarathustra and those few, the characters we know as “the higher men”. They constitute a motley (bunt) group: A hermit and soothsayer who says he has come to seduce Zarathustra to his final sin (301) – pity for the higher man – two kings (accompanied by the ass who constantly brays “Yea-Yuh” (“I-a, I-a”) in a parody of Zarathustra’s affirmation to life, cf. 243 f.), a man – a parody of scholars – who has devoted himself to studying the brain of the leech, a magician, the last Pope, the ugliest man (God’s murderer), the voluntary beggar, and Zarathustra’s shadow. Having heard a horrible cry of distress, Zarathustra sets out to find where it comes from. On his way he meets these men and sends them to his cave to wait for him there. The soothsayer wants Zarathustra to listen to the higher man’s cry of distress. That cry is directed at Zarathustra, and the soothsayer wants him to respond to it with pity. But what is it to show pity for distress? For Zarathustra, it is to lower himself, since “[w]enn der grosse Mensch schreit – : flugs läuft der kleine hinzu; und die Zunge hängt ihm aus dem Halse vor Lüsternheit. Er aber heisst es sein ‘Mitleiden’” (273). Pity for the higher men, each one of who has accomplished something significant despite the fact that all of them, in the end, cut rather comical figures, will cause Zarathustra to lose whatever he has accomplished so far. For, as we shall see, what the higher men have understood as his accomplishment, has caused them misery; pity for them will in the end force him to repudiate it and to give up trying to turn himself into the sort of person he has almost become. Nietzsche expresses the point perfectly in Ecce Homo: “ich habe […] einen Fall gedichtet, wo ein grosser Nothschrei an ihn kommt, wo das Mitleiden wie eine letzte Sünde ihn überfallen, ihn von sich abspenstig machen will” (EH, Weise 4; 6, 270). But why does Zarathustra pity the higher men? What has he done to cause them misery and distress? Laurence Lampert believes that Zarathustra’s “final temptation is to pity what is

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Alexander Nehamas high in man. Such a temptation to pity is in fact the temptation to despair of man. If the zenith of human greatness is represented by the superior men of part IV, Zarathustra must surrender to the despair to which the soothsayer had invited him at the beginning of part IV” (Lampert 1986, 290). But Zarathustra does not pity the higher men simply because of who they are – his pity is not a generalized pity for the shortcomings of human beings in general. For, as Lampert and all other readers of Book IV agree, the higher men are, in many respects, laughable characters – and that is what provokes Zarathustra’s pity. What, then, makes them laughable? The answer, I believe, is their wrong understanding of Zarathustra’s “message”. Here is one of many things the kings tell Zarathustra when they meet on the mountainside: “Immer wieder stachst du uns in Ohr und Herz mit deinen Sprüchen.” “‘[…] Der gute Krieg ist’s, der jede Sache heiligt.’” (307) – an exact repetition of Zarathustra’s earlier statement in the section Vom Krieg und Kriegsvolke (59). This is a general pattern followed by all the higher men: they constantly repeat Zarathustra’s words to him. That is what the man who studies the leach does over and over again (311 f.). Moreover, he calls Zarathustra “the great leech of the conscience” (“der grosse Gewissens-Blutegel”); but his admission that the whole leech would be too much for him and that he has become a specialist in the leech’s brain suggests how little he understands of the man he considers his master: he knows a very small part of what Zarathustra is about (311). The magician, in turn, tries to incorporate and express in the song he sings the thought of the eternal recurrence: “Von dir gejagt, Gedanke! / Unnennbarer! Verhüllter! Entsetzlicher!” (314) Like the other higher men, the magician concentrates on the content of Zarathustra’s ideas: he has tried to become “an ascetic of the spirit” (“de[r] Büsser des Geistes”) and though he claims he has only been “playing” (“spielen”) that character, Zarathustra realizes that his effort was much more than mere play: “Es war auch Ernst darin, du bist Etwas von einem Büsser des Geistes!” (318) The last Pope, in his own turn, is aware of the death of God, one of Zarathustra’s most central ideas. He has taken Zarathustra’s words to heart, he has accepted them, so to speak, as a doctrine, but he cannot apply them to his life: “Und ich diente diesem alten Gotte bis zu seiner letzten Stunde. Nun aber bin

For whom the Sun shines ich ausser Dienst, ohne Herrn, und doch nicht frei, auch keine Stunde mehr lustig, es sei denn in Erinnerungen” (322). Even the ugliest man, God’s own murderer, who warns Zarathustra against pity, repeats Zarathustra’s words, “alle Schaffenden sind hart” (330, cf. 268). The voluntary beggar echoes Zarathustra’s views on the rabble and the mob (335), and even thinks that Zarathustra is “good” (337) – the last thing Zarathustra would like to hear about himself. Finally, Zarathustra’s “shadow” confesses that he has followed Zarathustra and his “teaching” religiously, though – perhaps just because of that – he has not been able to live as those “teachings” dictate. Zarathustra finally realizes that the cry of despair that took him in search of its source was actually coming from all the higher men together. But though one of the two kings now insists, on everyone’s behalf, that they are no longer desperate, Zarathustra refuses to acknowledge them: “Wer nämlich selber auf kranken und zarten Beinen steht, gleich euch, der will vor Allem, ob er’s weiss oder sich verbirgt: dass er geschont werde” (350). The higher men require the consideration and pity Zarathustra has already disowned in theory, but which, strangely, he still feels incapable of leaving completely behind him. Only when Zarathustra has liberated himself completely from pity will he be ready for what, in the first section of Book IV, he has called his “work”. Only then will those mysterious figures he has been calling his “children” finally appear (cf., for example, 351). And as he spends more time with the higher men, he becomes more and more certain that they are the wrong followers and that he has nothing for them after all: “Ich bin ein Gesetz nur für die Meinen, ich bin kein Gesetz für Alle” (354). But who are those of his own kind?

7.7 Retreat from the audience To answer that question, we must see why Zarathustra gradually abandons the higher men. Already in Vom höheren Menschen he has told them: “Ihr höheren Menschen, meint ihr, ich sei da, gut zu machen, was ihr schlecht machtet? […] Nein! Nein! Drei Mal Nein! Immer Mehr, immer Bessere eurer Art sollen zu Grunde gehn, […] – so allein wächst der Mensch in die Höhe,

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Alexander Nehamas wo der Blitz ihn trifft und zerbricht”. And, at that very point, he has made a strong effort to stop feeling sorry for them: “[W]as gienge mich euer kleines, vieles, kurzes Elend an!” (359) The old god of the higher men has died; but they cannot discover, like Zarathustra, a new one (370). Their “nausea” and despair are retreating (387), but for the wrong reasons. As they gradually recover their equanimity and begin to laugh again, the higher men engage in the most ridiculous form of “new” worship: “Sie sind Alle wieder fromm geworden”, Zarathustra says. “Und, fürwahr!, alle diese höheren Menschen […] lagen Alle gleich Kindern und gläubigen alten Weibchen auf den Knien und beteten den Esel an” (388) – the ass who mouths Zarathustra’s “Yes” to life with his constant “Yeah-yuh” without the least idea of what it means. The last Pope speaks for them all: “Lieber Gott also anbeten, in dieser Gestalt, als in gar keiner Gestalt!” (390) The higher men have mastered Zarathustra’s words, but they have learned nothing from Zarathustra. But why not? Why does mastering his words not turn one into a disciple worthy of Zarathustra? Because the higher men, like so many of Zarathustra’s readers, take Zarathustra’s message literally. They believe that Zarathustra’s importance, and the significance of the work itself, lies in the content of Zarathustra’s speeches from which they try to derive concrete advice, even instructions, about how to live their lives. But, like most people (and authors) who try to imitate Nietzsche directly – people who repeat his views or try to duplicate his style, Zarathustra’s own imitators end up at best as copies, at worst as caricatures. To take either Zarathustra or his author literally, to look at either for a direct example, a general theory, of how life can be lived is to miss their point entirely. That is not only the fault of the higher men and of the kind of readers they represent. Nietzsche’s point is in fact easy to miss. Expressed in general terms, it looks like a description of a new general method for living, whereas in fact it is an exemplification of one way in which a single individual has fashioned itself. Suppose you asked me how you can create a great painting. In answer, I could show you one of Rembrandt’s great late selfportraits and tell you that that is the kind of thing you should produce. At that point you have two choices. You can either copy the painting, and produce an imitation. Or, with great

For whom the Sun shines talent and effort, you may create a very different painting, which may be great for its own, very different reasons. The higher men, and many of Zarathustra’s readers, follow the first course. And so they miss Zarathustra’s point and the point of Zarathustra, which therefore appears vague, disorganized and even useless to them – as, interpreted like a handbook, it really is. And precisely because his point is so easy to miss, because it can only be expressed in misleading terms, it is perfectly reasonable for its author to feel sad and responsible for those who misunderstand him and who, perhaps, may even deform their lives on his account. That, finally, is why Zarathustra pities the higher men – those who, unlike the rabble to whom nothing he said made any difference, took his message to heart, even they could only do so by misinterpreting it. But Zarathustra also finally comes to realize that he cannot control what people make of his own project of self-fashioning: one may always be misunderstood whatever one’s intentions, and to refrain from one’s project out of consideration and pity for those who will misconstrue it is to betray both that project and oneself. He realizes that he is not responsible for others’ follies, and that he should have no pity for the lives such follies create. Zarathustra’s last temptation is responsibility and pity for his imitators. How does Zarathustra overcome his last temptation? Perhaps it is because he believes that better disciples are on their way: “ich schone meine Krieger nicht”, he tells the higher men; “wieso könntet ihr zu meinem Kriege taugen?” (350). But, in fact, what liberates him from pity is not the promise of better disciples in the future, but the knowledge that disciples are precisely what he does not want. But who, then, are the “children” whom Zarathustra seems to be expecting as late as the book’s last section: “meine Kinder sind nahe, meine Kinder” (406)? It is often assumed that they do in fact represent a better future audience (see, for example, Pippin 1988, 63; Lampert 1986, 311; Higgins 1987, 311). But I am not at all sure about that. Zarathustra’s trajectory throughout the course of the book has been a continually more radical retreat from an audience. The image of children does not cohere well with the idea of a new set of better individuals, to arrive in the future, who will understand Zarathustra fully: why should Zarathustra, after all, harbor such a hope? What possible grounds

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Alexander Nehamas does he have for such optimism (if optimism it is)? On the contrary, the image of the child has been consistently associated with one’s own accomplishments: “Ach, meine Freunde! Dass euer Selbst in der Handlung sei, wie die Mutter im Kinde ist: das sei mir euer Wort von Tugend!” (123) There is no more biological significance in Zarathustra’s exhortation, “An euren Kindern sollt ihr gut machen, dass ihr eurer Väter Kinder seid: alles Vergangene sollt ihr so erlösen!” (255), than there is in his proclamation that the Übermensch is to human beings as human beings are to apes (14). In short, Zarathustra’s children are his own works, in which he can now engage without consideration and pity for those who are not capable of understanding them. It is Zarathustra himself, at the very end of the book, who is about to become a child, as he declared in the beginning, in the section Von den drei Verwandlungen (31). In anticipating his children, he has left his audience behind. Completely behind? Not quite. We saw that in the first section of Book IV, Zarathustra rejects his concern with happiness and turns to his work – he is gradually becoming indifferent to what others make of him (as he had thought the sun was not). Now, at the beginning of the book’s very last section, he addresses the sun once more in the very terms he had used at the beginning of the book’s Preface: “Du grosses Gestirn, sprach er, wie er einstmal gesprochen hatte, du tiefes GlücksAuge, was wäre all dein Glück, wenn du nicht Die hättest, welchen du leuchtest!” (405) But now, I believe, his words are ironic. He has learned that the sun’s “proud shame” (“stolze Scham”) would not be at all “angry” if no one were grateful for its light, just as he is himself not angry that the higher men are still asleep and “sie verstehen nicht, was die Zeichen meines Morgens sind” (ibid.). The ugliest man had said, “Meine Freunde, was dünket euch? Wollt ihr nicht gleich mir zum Tode sprechen: War Das – das Leben? Um Zarathustra’s Willen, wohlan! Noch Ein Mal!” (396) But Zarathustra had already warned, “[v]erlernt mir doch diess ‘Für’, ihr Schaffenden: eure Tugend gerade will es, dass ihr kein Ding mit ‘für’ und ‘um’ und ‘weil’ thut. […] Wo eure ganze Liebe ist, bei eurem Kinde, da ist auch eure ganze Tugend! Euer Werk, euer Wille, ist euer ‘Nächster’” (362).17 Zarathustra has learned that the sun does not care for whom it shines.

For whom the Sun shines For whom then does the sun shine? Not “for thee”, as Donne’s and Hemingway’s bell tolls. The sun shines for all: all can receive its light; it shines for none: it glows for no one’s sake. Zarathustra finally understands that. He realizes that he has not worked for anyone else’s sake but his own, he forsakes his pity for those who misunderstand him and he no longer thinks that his happiness depends on being interpreted correctly: “Trachte ich denn nach Glücke? Ich trachte nach meinem Werke!” (408), he says again at the very end of the book. “The laughing lion”, the second of the three metamorphoses of Zarathustra’s own spirit, has arrived; his “children are near” (seine “Kinder sind nahe”). It is at that point, and for the last time, that Zarathustra “verliess seine Höhle, glühend und stark, wie eine Morgensonne, die aus dunklen Bergen kommt” (ibid.). The simile could not be clearer. Zarathustra has truly become like the sun, shining simply because of who he is. And, like the sun and like its own hero, Thus Spoke Zarathustra turns out after all to be what its subtitle has been saying it is all along: a book for all and none; all can read it, but it is written for no one’s sake. We learn no lesson from it. Better, we learn that its lesson cannot be taught.

17 The emphasis on “Kinder” is mine. Kaufmann’s “One is pregnant only with one’s own child” (Thus Spoke Zarathustra, transl. by W. Kaufmann, New York 1968) for “Man ist nur für das eigne Kind schwanger” (362) could as easily have been “One is pregnant only for one’s own child”, which makes the connection between parent and child much less biological than it appears, and more in line with the interpretation above. Similarly, “Nächster”, though it certainly can be translated as “neighbor” also has the connotation, derived from its Biblical context, of “the one who is coming”: that suggests that one’s virtue, work, and will are one’s “child” – which also supports that interpretation. I am very grateful to Bernd Magnus for discussing this point with me.

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Alexander Nehamas

Literatur Alderman, Harold 1977: Nietzsche’s Gift, Athens/Ohio. Burgard, Peter J. 1994: Nietzsche and the Feminine, Charlottesville/London. Eliot, George 1908: Middlemarch, in: The Writings of George Eliot, together with the Life by J. W. Cross, vol. I, Boston. Higgins, Kathleen M. 1987: Nietzsche’s “Zarathustra”, Philadelphia. Hollingdale, Reginald J. 1965: Nietzsche. The Man and His Philosophy, Baton Rouge. Lampert, Laurence 1986: Nietzsche’s Teaching. An Interpretation of “Thus Spoke Zarathustra”, New Haven/London. Magnus, Bernd/Stewart, Stanley/Mileur, Jean-Pierre 1993: Nietzsche’s Case. Philosophy as/and Literature, New York/London. Nehamas, Alexander 1985: Nietzsche. Life as Literature, Cambridge/Mass. (dt.: Nietzsche. Das Leben als Literatur, 2. Aufl., Göttingen 1996). Nehamas, Alexander 1994: Nietzsche, Modernity, Aestheticism, in: Internationale Zeitschrift für Philosophie, Heft 2, 180 –200. Nehamas, Alexander 1998: The Art of Living. Socratic Reflections from Plato to Foucault, Berkeley. Pippin, Robert 1988: Irony and Affirmation in Nietzsche’s “Thus Spoke Zarathustra”, in: M. A. Gillespie/T. B. Strong (Hrsg.), Nietzsche’s New Seas: Explorations in Philosophy, Aesthetics, and Politics, Chicago, 45–71. Platt, Michael 1988: What does Zarathustra Whisper in Life’s Ear?, in: Nietzsche-Studien 17, 179–194. Rosen, Stanley 1995: The Mask of Enlightenment. Nietzsche’s “Zarathustra”, Cambridge. Schaberg, William H. 1995: The Nietzsche Canon. A Publication History and Bibliography, Chicago. Schmidt, Hermann Josef 1994: „Du gehst zu Frauen?“ Zarathustras Peitsche – ein Schlüssel zu Nietzsche oder einhundert Jahre lang Lärm um nichts?, in: Nietzscheforschung. Eine Jahresschrift, Bd. 1, hrsg. im Auftrag der Förderund Forschungsgemeinschaft Friedrich Nietzsche e. V. v. H.-M. Gerlach, R. Eichberg und H. J. Schmidt, Berlin, 111–134. Shapiro, Gary 1989: Nietzschean Narratives, Bloomington. Staten, Henry 1990: Nietzsche’s Voice, Ithaca. Tanner, Michael 1994: Nietzsche, Oxford. White, Alan 1990: Within Nietzsche’s Labyrinth, New York.

Anti-Lehren

Werner Stegmaier

Anti-Lehren Szene und Lehre in Nietzsches Also sprach Zarathustra*

Nietzsche hat wohl recht behalten: „Dieses Werk steht durchaus für sich“ (EH, Zarathustra 6; 6, 343). Also sprach Zarathustra wurde eines der populärsten, vielleicht das populärste philosophische Werk unserer Zeit und blieb zugleich das befremdlichste. Nietzsche scheint beides so gewollt zu haben. Er gab seinem Zarathustra den Untertitel: Ein Buch für Alle und Keinen. Anziehend, auf viele faszinierend wirkte zunächst die dichterische Gestalt, mit der Nietzsche herausfordernde Ansprüche verband: Sie habe „grosse[n] Stil“, und es gebe vorerst niemanden, der „die Kunst, die hier verschwendet worden ist“, auch nur zu begreifen vermöge (EH, Bücher 4; 6, 304 f.). Der künstlerische Wert des Zarathustra, schwankend in den einzelnen Partien, blieb gleichwohl umstritten. Maßloser noch war Nietzsches Anspruch in der Sache, erschreckend seine Prophezeiung einer schweren „Krisis“, die sein Denken herbeiführen werde: Mit ihm trete „die Wahrheit mit der Lüge von Jahrtausenden in Kampf“, und es werde „Kriege geben, wie es noch keine auf Erden gegeben hat. Erst von mir an giebt es auf Erden grosse Politik“ (EH, Schicksal 1; 6, 365 f.). Die „Formel für ein solches Schicksal, das Mensch wird“, finde man in seinem Zarathustra (ebd. 2; 6, 366), der als eine „Offenbarung“ über ihn gekommen * Zuerst veröffentlicht in: Werner Stegmaier unter Mitwirkung von Hartwig Frank, Interpretationen. Hauptwerke der Philosophie. Von Kant bis Nietzsche, Stuttgart 1997. Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Verlags Philipp Reclam jun. Stuttgart.

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Werner Stegmaier sei, von der heute niemand mehr einen Begriff habe: „Alles geschieht im höchsten Grade unfreiwillig, aber wie in einem Sturme von Freiheits-Gefühl, von Unbedingtsein, von Macht, von Göttlichkeit …“ (EH, Zarathustra 3; 6, 339 f.). Wer Maßstäbe zu wahren wußte, konnte das nur als Größenwahn eines geisteskrank Gewordenen abtun. Aber Nietzsche ging es gerade um die Maßstäbe, die man bisher zu wahren versucht hatte und die doch, wie er zu sehen glaubte, brüchig und haltlos geworden waren. „Das Eis, das heute noch trägt“, schrieb er in seiner Fröhlichen Wissenschaft, „ist schon sehr dünn geworden: der Thauwind weht, wir selbst, wir Heimatlosen, sind Etwas, das Eis und andre allzudünne ,Realitäten‘ aufbricht … Wir ,conserviren‘ Nichts […], wir denken über die Nothwendigkeit neuer Ordnungen nach“, – und provozierend setzt er hinzu: „auch einer neuen Sklaverei“ (FW 377; 3, 629).1 Zarathustras Ruf nach neuen „Werten“, neuen „Tafeln“ begeisterte all die, die in irgendeiner Weise „Aufbruch“, „Bewegung“ wollten, und am meisten die, die selbst „Bewegungen“ beitraten oder sie gründeten. Auf Nietzsches Zarathustra beriefen sich künstlerische, politische und religiöse Bewegungen mit unterschiedlichsten Zielsetzungen (vgl. Fleischer 1991; Aschheim 1996); lange vor dem Nationalsozialismus, der seinen Rassenwahn und seine Züchtungsexperimente bei ihm bestätigt fand, gab es jüdische Nietzscheanismen, die im Zarathustra das Grundbuch einer neuen Erwählung des jüdischen Volkes entdeckten (vgl. Stegmaier/Krochmalnik 1997). Wie man Nietzsche auch verstand, alle waren sich sicher, ihn verstehen zu können; nur wichen die Deutungen extrem voneinander ab. Nietzsche gilt seither als notorisch widersprüchlich. Das hat das Interesse sozialer Bewegungen an ihm schließlich erlahmen lassen, das philosophische dagegen gesteigert. Als man sich fragte, warum und wie Nietzsches Werk extrem widersprüchliche Deutungen hervorrufen konnte, stieß man bei ihm selbst auf ein unablässiges Nachdenken über das Interpretieren als solches, das Verstehen und Nichtverstehen und das notwendige Mißverstehen. Hinter dem grellen und lauten wurde ein nuancierter und leiser Nietzsche erkennbar, der in

1 Vgl. 252 und N 1884, 25/9; 11, 11–13.

Anti-Lehren der Tat jahrtausendealte Plausibilitäten des Denkens zu erschüttern vermochte. Im V. Buch der Fröhlichen Wissenschaft, das nach dem Zarathustra entstand, schrieb Nietzsche „Zur Frage der Verständlichkeit“: „Man will nicht nur verstanden werden, wenn man schreibt, sondern ebenso gewiss auch nicht verstanden werden“ (FW 381; 3, 633). Daß alle einander gleichermaßen verstehen sollten und könnten, war nach Nietzsche ein moralisches Vorurteil der europäischen Philosophie, ein Vorurteil, aus dem sie über Jahrtausende hinweg ihre Begriffe von Vernunft, Metaphysik und Moral entwickelte. Ihm steht nach Nietzsche eine unaufhebbare Distanz im Verstehen entgegen. Was man versteht, kann man immer nur aus den eigenen Erfahrungen und Erlebnissen heraus verstehen, die nicht auch die der andern sind (vgl. J 268; 5, 221 f.). Beansprucht man, sie zu verstehen, unterschiebt man ihnen damit die eigenen Erfahrungen und Erlebnisse und wird sie auf diese Weise unvermeidlich mißverstehen. Nietzsche geht nicht mehr vom Verstehen-, sondern vom Nichtverstehen-Können aus. „Es ist schwer verstanden zu werden“, notiert er für sich; glaube man dennoch, es sei „besser mißverstanden als unverstanden zu werden“, solle man andern „einen reichlichen Spielraum zum Mißverständniß zugestehen“. Dagegen sei „etwas Beleidigendes darin, verstanden zu werden. Verstanden zu werden? Ihr wißt doch, was das heißt? – Comprendre c’est égaler“ (N 1885/86, 1/182; 12, 50 f.). Wer beansprucht, einen andern ohne weiteres zu verstehen, gleicht lediglich dessen Verständnis dem eigenen an und beschränkt es darauf. Nietzsche zeigt in Also sprach Zarathustra einen zunächst verspotteten, dann immer mehr bewunderten und schließlich wie einen Gott verehrten „Lehrer“, der mit seinen Lehren „untergeht“ und untergehen will. Lehren sind das, was einer dem andern übermitteln kann, ohne daß der Sinn sich verändert, das, was alle trotz unterschiedlicher Voraussetzungen gleich verstehen können. Zarathustra lehrt die Lehren, mit denen Nietzsche berühmt wurde, die Lehren vom Tod Gottes, vom Übermenschen, vom Schaffen, vom Willen zur Macht und vor allem von der ewigen Wiederkehr des Gleichen. Nietzsche hat sie so jedoch nur seinen Zarathustra lehren lassen, und er wollte auch mit Zarathustra nicht verwechselt

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Werner Stegmaier werden.2 Man kann darum vermuten, daß Nietzsche im Zarathustra das Lehren von Lehren selbst und damit das Verstehen und notwendige Mißverstehen als solches zum Problem machte. Die Lehren Zarathustras müßten dann Anti-Lehren, Lehren gegen das Lehren, sein, Lehren, die die Unmöglichkeit des Lehrens über die Distanz im Verstehen hinweg deutlich machen. Sie würden so eine neue und radikalere Vernunft-Kritik einschließen, eine Vernunft-Kritik, die nicht mehr voraussetzt, daß Individuen irgendetwas a priori verbindet. Danach bliebe jeder in seiner Vernunft vereinzelt, mit seinem Verstehen allein. Nietzsche stellt Zarathustra als einen Einsamen dar, einen Einsamen auch und gerade im Denken, einen Einsamen, der Mut zu dieser Einsamkeit hat und sein Glück in ihr findet. Doch weil er sein Glück nicht bei sich behalten will und kann, gibt er die Einsamkeit preis und geht unter Menschen, um sie sein Glück zu lehren und damit „unterzugehen“. Nietzsche hat Also sprach Zarathustra als „Tragödie“ eines Einzelnen angelegt, der damit scheitert, sich anderen mitzuteilen, nicht als theoretische Abhandlung. Eine Tragödie, eine Dichtung aber kann man, wenn man sie ernst nimmt, nicht in begriffliche Theoreme und Systeme, in die lehrbare Wahrheit einer allgemeinen Vernunft auflösen. Vielmehr zeigt der „Untergang“ Zarathustras den Untergang eben dieser Art von Wahrheit an, der Wahrheit, auf die Sokrates die europäische Philosophie in ihren Anfängen verpflichtet hatte.

8.1 Die Semiotik Zarathustras Was Nietzsche in der Fröhlichen Wissenschaft (FW 342, 382; 3, 571, 635 ff.) als „Tragödie“ angekündigt hatte, gestaltet er schließlich als Erzählung im epischen Präteritum („Also sprach Zarathustra“). Die „Handlung“ bleibt ereignisarm und blaß; sie umrahmt vor allem Gespräche, Lehren und Gedichte. Dennoch hat sie wohl ihre Bedeutung, und sie könnte, so arm sie sein 2 Vgl. EH, Bücher 1; 6, 298: „Das Eine bin ich, das Andre sind meine Schriften.“ – An seine Schwester schrieb er: „Glaube ja nicht, daß mein Sohn Zarathustra meine Meinungen ausspricht. Er ist eine meiner Vorbereitungen und ZwischenAkte. – Verzeihung!“ (Brief an Elisabeth Nietzsche vom 7. 5. 1885; KSB 7, 48)

Anti-Lehren mag, ihre Bedeutung einfach darin haben, daß sie eine Handlung ist. Etwas in Gestalt einer Handlung darzustellen heißt schon, ihm eine Bedeutung zu geben; Handlungen sind für uns nur Handlungen, wenn sie eine Bedeutung haben; wenn wir etwas überhaupt als Handlung verstehen, haben wir ihm schon einen Sinn gegeben, haben es unwillkürlich gedeutet. Die Gestalt einer Handlung wiederum bekommt etwas dadurch, daß es „erzählt“ wird, und erzählt wird etwas in der Regel so, daß es einen Anfang, einen Gang und einen Schluß hat, also eine erkennbare Abfolge in der Zeit darstellt; allein dadurch ergibt es schon Sinn (vgl. White 1990). Der Sinn liegt dadurch aber noch nicht fest und wird in der Regel auch nicht eigens festgelegt. Der Reiz von Geschichten liegt gerade darin, daß jeder sie auf seine Weise verstehen kann, und jeder wird sie so verstehen, wie seine eigenen Erfahrungen und Erlebnisse es ihm nahelegen. Bei Lehren dagegen wird die Bedeutung eigens ausgesprochen und festgelegt und, wo es notwendig erscheint, zudem erläutert und begründet, mit dem Ziel, daß sie von allen auf möglichst gleiche Weise verstanden werden. Dieses Ziel wird konterkariert, wenn Lehren in den Rahmen von Handlungen versetzt werden. Der Sinn, den jeder unwillkürlich und auf seine Weise der Handlung gibt, überlagert dann den eigens dargelegten allgemeinen Sinn der Lehren; der allgemeine Sinn der Lehren bricht sich am individuellen Sinn der Handlung. So aber hat man, wenn man glaubt, die Lehre in ihrem allgemeinen Sinn verstanden zu haben, sie nur im Rahmen des individuellen Sinns verstanden, den man der Handlung gegeben hat. Man glaubt, die Lehre zu verstehen, und versteht doch nur sich selbst. Und dabei hat man, so Nietzsche, „keinen Begriff mehr, was Bild, was Gleichniss ist, Alles bietet sich als der nächste, der richtigste, der einfachste Ausdruck“ (EH, Zarathustra 3; 6, 340). Es wird zum Zeichen, das man unmittelbar versteht. Nietzsches philosophische Erzählung hat ihre Einheit in der Gestalt Zarathustras und seinem Gang unter die Menschen. Die vorgetragenen Lehren werden nicht eigens miteinander verknüpft; sie ergeben keine philosophische Theorie, sondern bleiben „Bruchstücke“ und „Räthsel“ und „grauser Zufall“. Nietzsche läßt Zarathustra dies eigens sagen: „Ich lehrte sie all mein Dichten und Trachten: in Eins zu dichten und zusammen zu

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Werner Stegmaier tragen, was Bruchstück ist am Menschen und Räthsel und grauser Zufall“; er will nur „Dichter, Räthselrather und Erlöser des Zufalls“ sein (248). Der persische Prophet Zarathustra hatte, so Nietzsche, als erster „im Kampf des Guten und des Bösen das eigentliche Rad im Getriebe der Dinge gesehn, – die Übersetzung der Moral in’s Metaphysische, als Kraft, Ursache, Zweck an sich, ist sein Werk. […] Zarathustra schuf diesen verhängnissvollsten Irrthum, die Moral: folglich muss er auch der Erste sein, der ihn erkennt“ (EH, Schicksal 3; 6, 367).3 Er steht bei Nietzsche für einen Einzelnen, der auf eigene Verantwortung Begriffe von Gut und Böse bildete, die dann mehr und mehr zu allgemeinen Begriffen wurden (vgl. Colpe 1993, 20 f.); so sollte er es auch sein, der diese Begriffe wieder aufhob. Nachdem er Lehrer für Jahrtausende gewesen war, sollte er nun eine neue „Zukunft“ schaffen (249). Als Bruchstücke einer „Erziehung“ zu einer neuen Zukunft sah Nietzsche im Rückblick auch seine eigenen Schriften. In seinen Unzeitgemässen Betrachtungen erkennt er nun „ein Problem der Erziehung ohne Gleichen, ein[en] neue[n] Begriff der Selbst-Zucht, Selbst-Vertheidigung bis zur Härte, ein[en] Weg zur Grösse und zu welthistorischen Aufgaben“, der „nach seinem ersten Ausdruck“ verlangt habe. Er habe ihn in „zwei berühmte[n] und ganz und ‹gar› noch unfestgestellte[n] Typen“ gefunden, Arthur Schopenhauer und Richard Wagner, und habe sie „beim Schopf“ genommen, „wie man eine Gelegenheit beim Schopf nimmt, um Etwas auszusprechen, um ein Paar Formeln, Zeichen, Sprachmittel mehr in der Hand zu haben“. Er setzt hinzu: „Dergestalt hat sich Plato des Sokrates bedient, als einer Semiotik für Plato“ (EH, Unzeitgemässe 3; 6, 319 f.).

3 Vgl. N 1884, 25/148; 11, 53. – Nietzsche hatte nachträglich „zufällig“ erfahren, „was ,Zarathustra‘ bedeutet: nämlich ,Gold-Stern‘. Dieser Zufall machte mich glücklich. Man könnte meinen, die ganze Conception meines Büchleins habe in dieser Etymologie ihre Wurzel: aber ich wußte bis heute nichts davon“ (Brief an Heinrich Köselitz vom 23. 4. 1883; KSB 6, 366). Die Deutung erwies sich jedoch als längst widerlegt. Vgl. D’Iorio 1993, 396. – Zum sozial-, mythenund religionsgeschichtlichen Hintergrund nach dem heutigen Stand der Forschung vgl. Colpe 1993.

Anti-Lehren Platon, der für seine Ideenlehre berühmt wurde, war ebenfalls Dichter. Er trug die Ideenlehre ebenfalls nicht im eigenen Namen vor, sondern schrieb Dialoge, in denen er sie Sokrates darlegen und ebenfalls mit ihr „untergehen“ ließ. Auch die Ideenlehre hat ihre Einheit nur in der Figur des Sokrates, der sich mit seinem Bekenntnis, er wisse, daß er nichts wisse, seinerseits von jeder Lehre distanziert. Er trägt die Ideenlehre gegenüber unterschiedlichen Gesprächspartnern auf unterschiedliche Weise vor; dort aber, wo er sie am schlüssigsten entfaltet, als junger Mann im Dialog Parmenides, wird sie vom alten, weisen Parmenides auch am schlüssigsten erschüttert (vgl. Wieland 1982, 125–150). In Platon fand Nietzsche so ein Vorbild, wie man philosophisch Zeichen setzen und doch eine Lehre vermeiden konnte (vgl. Stegmaier 1995). Sofern es in seiner Sicht aber Sokrates war, der die „Übersetzung der Moral in’s Metaphysische“ bewirkte, wollte er mit seinem Zarathustra zugleich hinter ihn zurückgehen. Auch dafür gab ihm schon Platon das Mittel an die Hand. Wo er Sokrates Lehren und Begründungen für sie vortragen läßt, geht auch Platon vom Streitgespräch ab und zur Erzählung über: Sokrates erfindet dann Mythen und Gleichnisse. Der Logos, der den Mythos überwinden soll, wird so zugleich durch den Mythos begründet; der Mythos bezeichnet auch bei Platon die Grenze des Logisch-Begründbaren. Indem Nietzsche Also sprach Zarathustra nun ganz als Mythos anlegt, stellt er diese Grenze in den Vordergrund und macht sie zum eigentlichen Thema. Mit der Form des Mythos, der Erzählung, erinnert Nietzsches Zarathustra aber zugleich an die andere Quelle der abendländischen Moral und Metaphysik, die christlichen Evangelien. Auch sie erzählen vom „Untergang“ eines Lehrers mit seiner Lehre, auch sie lassen, schon durch ihre Vielfalt und die Widersprüche unter ihnen, kein einheitliches Verstehen, sondern bestenfalls „Spielräume zum Mißverständniß“ zu. Die Evangelien, ihre Lehren und ihre Sprache, scheinen überall in Nietzsches Zarathustra durch, als Vorbild ebenso wie als Gegenstand der Parodie. Nietzsche spricht im Nachlaß auch kurzerhand von seinem „Zarathustra-Evangelium“ (N 1886/87, 6/4; 12, 234).4 4 Es handelt sich um den Entwurf einer Vorrede zu J.

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Werner Stegmaier Christus selbst versteht er später so, daß er „alles Natürliche, Zeitliche, Räumliche, Historische nur als Zeichen, als Gelegenheit zu Gleichnissen verstand“ (AC 34; 6, 206) und die Geschichte des Christentums als „die Geschichte des schrittweise immer gröberen Missverstehns“ dieses „ursprünglichen Symbolismus“ (AC 37; 6, 209; vgl. AC 27 und 31). In Also sprach Zarathustra sind so stets die beiden Stifter der abendländisch-christlichen Moral, Sokrates und Christus gegenwärtig. Wie schon Schopenhauer und Wagner fungieren sie in zeichenhaften Abkürzungen als „Typen“. Auch seinen Zarathustra versteht Nietzsche als „Typus“ (EH, Zarathustra 1; 6, 337), den er dem Typus Sokrates und dem Typus Jesus halb anverwandelt, halb entgegenstellt. Zarathustra soll einerseits der Typus der „grosse[n] Gesundheit“ sein, einer Gesundheit, „welche man nicht nur hat, sondern auch beständig noch erwirbt und erwerben muss, weil man sie immer wieder preisgiebt, preisgeben muss“, und andererseits das „Ideal eines Geistes, der naiv, das heisst ungewollt und aus überströmender Fülle und Mächtigkeit mit Allem spielt, was bisher heilig, gut, unberührbar, göttlich hiess“, und das sind im europäischen Denken vor allem der Typus Sokrates und der Typus Jesus. Zarathustra wird als Figur kaum charakteristisch, weit weniger als Sokrates bei Platon und Christus in den Evangelien. Er ist vielmehr „das Ideal eines menschlich-übermenschlichen Wohlseins und Wohlwollens, das oft genug unmenschlich erscheinen wird […] und mit dem, trotzalledem, vielleicht der grosse Ernst erst anhebt“ (FW 382; 3, 636 f.; zit. EH, Zarathustra 2; 6, 338 f.). Auch insofern ist er bloße „Semiotik“. Wer vom „Untergang“ Zarathustras erzählt, läßt Nietzsche kunstvoll im unklaren. Ist Zarathustra es selbst, der sagt „Also sprach Zarathustra“? Auch wenn von ihm in der dritten Person die Rede ist, wird das Geschehen doch weitestgehend aus seiner Sicht erzählt, und Nietzsche läßt ihn eigens sagen: „Niemand erzählt mir Neues: so erzähle ich mir mich selber“ (246). Zarathustra erzählt jedoch auch manches, was er selbst kaum wissen kann, etwa, daß er tagelang in totenähnlichen Schlaf versank. Könnte er das immerhin im Rückblick erzählen, so wird wiederum schwer verständlich, wie er mit Zarathustra’s Vorrede beginnen kann. Eine Vorrede gehört gewöhnlich zu einem geschriebenen Werk, und am Ende wird Zarathustra auch sagen: „Zu meinem

Anti-Lehren Werke will ich, zu meinem Tage“ (405). Doch dies ist wiederum eine offensichtliche Anspielung auf Hesiods Werke und Tage, und hier handelt es sich nicht um literarische Werke, sondern um das Tagewerk der Bauern. Auch von Zarathustra wird man kaum erwarten, daß er sein „Werk“ im bloßen Niederschreiben seiner Geschichte sehen würde. Statt dessen ist mitunter davon die Rede, wie seine Lehren sich schon während des Geschehens verbreitet haben, und ganz nebenbei werden „Historien-Bücher“ (355) und „Erzähler“ eingeführt, die jedoch Unterschiedliches berichten (396). Der, den Nietzsche von diesen Erzählern sprechen läßt, redet unmittelbar die Hörer oder Leser an – „Und was glaubt ihr wohl, dass damals sich zutrug?“ –, ohne sich selbst zu erkennen zu geben. Nietzsche läßt ihn statt dessen anheimstellen, was „in Wahrheit“ der Fall war, und „das Sprichwort Zarathustra’s“ zitieren: „‚was liegt daran!‘“ (ebd.). Der Erzähler, der im Dunkel bleibt, spricht von Zarathustra so, wie Zarathustra in der Erzählung spricht. So entsteht der unbestimmte Eindruck eines großen Selbstgesprächs, das auch fiktiv, vielleicht sogar ein Traumgespräch sein könnte. Nietzsche entzieht der Erzählung von den Lehren Zarathustras einen erkennbaren Autor, der die Verantwortung für sie übernimmt. So sind sie Zeichen, die für sich stehen, und jeder, der sie deutet, hat selbst dafür die Verantwortung zu übernehmen.

8.2 Der Untergang Zarathustras Zarathustras Geschichte beginnt – in seiner Vorrede – damit, daß er als Mann von vierzig Jahren „mit der Morgenröthe“ vor seine Höhle im Gebirge tritt und zur Sonne spricht, die, so sieht er es, zu ihm heraufgekommen ist, damit er ihr ihren „Überfluss“ abnehme. So wolle nun auch er zu den Menschen gehen, damit sie ihm von seiner Weisheit abnehmen, von der er „zu viel gesammelt“ hat. Er ist bedürftig aus Überfluß, einem Überfluß, der den der Sonne übersteigt. Er hat zehn Jahre „seines Geistes und seiner Einsamkeit“ genießen können, nachdem er, als er „dreissig Jahr alt“ war, „seine Heimat und den See seiner Heimat“ verlassen hatte, um ins Gebirge zu gehen (11). Anspielungen auf Christus und die Bibel verweben sich mit Erinnerungen an Sonnengötter verschiedener Religionen,

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Werner Stegmaier aber auch an irdische Götter wie Goethe, der von goldenen „Becher[n]“ gedichtet hatte und dem farbigen „Abglanz“ (12), an dem wir das Leben haben, und schließlich an Nietzsche selbst, seine Morgenröthe und seine Geburt der Tragödie mit der Gegenüberstellung des Sonnengottes Apollo und des wilden Gottes Dionysos. Nietzsche überlädt die Eingangsszene so mit Deutungsmöglichkeiten, daß sie einander durchkreuzen und sich gegenseitig in der Schwebe halten. Im Verlauf der Vorrede steigt Zarathustra hinab, kommt in Wälder und begegnet dort einem heiligen Greis, der noch nichts davon gehört hat, „dass Gott todt ist“ (14). Zarathustra läßt ihm höflich seinen Glauben und gelangt am Rande der Wälder in eine Stadt, wo viel „Volk“ sich versammelt hat, um einen Seiltänzer zu sehen. Unvermittelt beginnt Zarathustra, in einer beschwörenden Rede, den „Übermenschen“ zu lehren, vor dem alles Gegenwärtige zu „erbärmliche[m] Behagen“ werde (14 ff.). Aber das Volk lacht über Zarathustra, es will den Seiltänzer sehen. Zarathustra versucht hier anzuknüpfen, nimmt den Seiltänzer als Bild des Menschen und spricht nun davon, was am Menschen zu lieben wäre, immer neu anhebend mit „Ich liebe“ (17 f.). Das Volk, das in seiner Rede eine provokative Umkehrung der Bergpredigt Christi hätte erkennen können, läßt sich auch davon nicht beeindrucken. So versucht es Zarathustra schließlich mit einer „Wehe“-Rede über das „Verächtlichste“ (19), dieses Volk selbst. Aber dessen Belustigung steigert sich nur noch, und Zarathustra gibt auf: „Sie verstehen mich nicht“ (20). Was das Volk beeindruckt, ist dann weniger der Seiltänzer als ein „Possenreisser“, der sich „wie ein Teufel“ aufführt, auf dem Seil über den Seiltänzer hinwegspringt und ihn zum Absturz bringt (21). Nur Zarathustra kümmert sich um ihn. Er achtet ihn, weil er aus der Gefahr seinen Beruf gemacht habe, und will ihn mit den eigenen Händen begraben. Als er sich mit dem Leichnam auf den Weg macht, tritt der Possenreißer auch an ihn heran, nennt ihn selbst einen Possenreißer und rät ihm, die Stadt und ihre Menschen, die ihn haßten, zu verlassen – sonst werde er mit ihm wie mit dem Seiltänzer verfahren. Seiltänzer, Possenreißer, Zarathustra gehen ineinander über. Unterwegs trifft Zarathustra auf Totengräber und einen Einsiedler, die mit dem Toten nichts zu tun haben wollen; aber auch

Anti-Lehren er begräbt ihn nicht, sondern legt ihn „in einen hohlen Baum sich zu Häupten“ (25) und schläft tief. Am neuen Tag sieht er „eine neue Wahrheit“: Er brauche Gefährten für seine Lehre, nicht irgendwelches Volk. Er sucht „Mitschaffende“ (ebd.) für sein „Schaffen“ über „Gute und Böse“ hinaus, und sein „Gang“ mit ihnen soll der „Untergang“ der „Guten und Gerechten“ sein (26 f.). Ein Adler und eine Schlange, „das stolzeste Thier“ und „das klügste Thier“, „gefährliche“ Tiere, aber weniger gefährlich als Menschen, gesellen sich zu ihm (27); er nimmt sie als Zeichen seines Stolzes und seiner Klugheit an. Aber damit beginnt aufs neue „Zarathustra’s Untergang“ (28). Im I. Teil des Werkes, der Die Reden Zarathustra’s überschrieben ist, entfaltet Zarathustra eine streitbare Kritik der herrschenden Moral und Metaphysik, die Folgerungen daraus für ein künftiges Philosophieren und die Umrisse einer neuen Ethik im Zeichen einer Lehre vom „Schaffen“. Er weilt währenddessen zusammen mit „Brüdern“, die er nun um sich hat, in einer Stadt mit dem (noch immer rätselhaften) Namen „die bunte Kuh“ (31), macht aber auch Spaziergänge allein durch die Berge um die Stadt, die zu bedeutungsvollen Begegnungen führen, insbesondere mit einem alten Weiblein, das ihn daran erinnert, die Peitsche nicht zu vergessen, wenn er zu Frauen gehe (ohne freilich zu sagen, wer sie da in der Hand hat)5, und mit einer giftigen Natter, die er nicht „beschämt“, indem er ihr Böses mit Gutem vergilt. Schließlich verläßt er, inzwischen von vielen „Jüngern“ umgeben, auch die Stadt Bunte Kuh, mit dem Geheiß an die Jünger, Zarathustra zu verlieren, also seine Lehren zu überwinden, und sich selbst zu finden. Doch dies scheint zu mißlingen. Nachdem Zarathustra – nun im II. Teil – sich auf Jahre wieder ins Gebirge und seine Höhle zurückgezogen hat, wird ihm – durch einen Traum – klar, daß seine Lehre von seinen Jüngern verfälscht wird. Er freut sich, wieder reden zu dürfen, und bricht erneut auf, nun zu den „glückseligen Inseln“. Er heilt Blinde und macht Lahme laufen, wird beliebt beim Volk, das bereit ist, von ihm zu lernen. Im Zentrum seiner Reden steht jetzt die Lehre vom Willen zur Macht und die Befreiung, die sie für das Leben bringen kann, auch hier verbun-

5 Auf dem berühmten Photo mit Lou Salomé und Paul Rée ist es die Frau.

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Werner Stegmaier den mit Kritik an der zeitgenössischen Philosophie und Folgerungen für ein künftiges Philosophieren. Gedichte verdrängen nun zunehmend die Reden. Am Ende aber verfällt Zarathustra in Schwermut und Furcht: Seine schwerste Lehre steht noch aus. Er weiß, daß er die Macht hat, mit seinen Gedanken die Welt zu verändern, und sie nun auch gebrauchen muß. Im III. Teil verläßt er die glückseligen Inseln und kehrt durch die Städte zurück in seine Höhle. Alle dort reden nun von Zarathustra, aber er verachtet sie. In der Einsamkeit kehren seine Tiere wieder zurück. Nach langen und bangen Vorbereitungen ruft Zarathustra den „abgründliche[n] Gedanken“ aus seiner „Tiefe“ herauf (270), den die Tiere als „Lehre“ von der ewigen Wiederkehr von allem formulieren. Sie machen, so Zarathustra, sogleich „ein Leier-Lied“ (273) daraus; der Gedanke kommt mißverstanden zur Welt; Zarathustra beklagt die ewige Wiederkehr des „kleinen Menschen“, des Menschen, der alles Große klein macht. Als die Tiere ihn dann „de[n] Lehrer der ewigen Wiederkunft“ und es sein „Schicksal“ nennen (275), als solcher ewig wiederzukehren, schweigt er dazu. Er sehnt sich danach, zu „singen“, singt dem „Leben“ sein Lied „Oh Mensch! Gieb Acht!“ (285) und versiegelt es mit „sieben Siegeln“, die jedesmal lauten: „Denn ich liebe dich, oh Ewigkeit!“ (287 ff.) Das Geschehen der Vorrede hat sich an einem Tag und in einer Nacht ereignet, das folgende in unbestimmt langer Zeit, einer Zeit jedoch von Jahren. Das Geschehen des IV. Teils nimmt wieder nur einen Tag bis zum nächsten Morgen in Anspruch. Zarathustra ist alt und weiß geworden. Eines Tages steigt er wieder auf eine Höhe, um den Honig seines überquellenden Glücks auszugießen und Menschen damit heraufzulocken. Er wartet auf sein „grosses fernes Menschen-Reich, das Zarathustra-Reich von tausend Jahren“ (298).6 Ein Wahrsager ver6 Vgl. Colpe 1993, 25: „Dies ist das einzige eindeutige iranische Mythologem, das in verwandelter Form im Neuen Testament wiederkehrt: es steht hinter der Endzeitvision der Offenbarung des Johannes (20, 1–8), daß Satan, ,die alte Schlange‘ oder auch ,der Drache‘, der gleichzeitig Diabolos ,der Verleumder‘ genannt wird, tausend Jahre eingesperrt ist und während dieser Zeit Frieden auf Erden herrscht.“ Dieses „tausendjährige Reich“ „ist nicht die Zeit, wo der Satan endgültig entmachtet ist. Er liegt gefesselt irgendwo im Kosmos und wird noch einmal wiederkommen. Erst danach beginnt die eigentliche Zeit der Erlösung. Es geht also nicht so sehr um die zerbrochene Macht als vielmehr um die Bändigung des Bösen.“

Anti-Lehren kündet ihm eine Flut von Menschen und warnt ihn vor seiner letzten Versuchung, dem Mitleid. Zarathustra hört einen Notschrei und geht ihm nach. Auf dem Weg trifft er eine Reihe von „höheren Menschen“, die alle am „grossen Ekel“ leiden, weil ihnen der „alte Gott“ gestorben ist und sie keinen neuen finden können. Sie finden in Zarathustra ihren höheren Menschen und preisen sich dafür glücklich. Zarathustra lädt sie alle ein, am Abend hinauf in seine Höhle zu kommen, wo ein Fest mit einem „Abendmahl“ stattfinden soll. Mittags aber findet Zarathustra mit einem Mal zu seinem Glück, zu einem Augenblick vollkommener Stille, in dem er in einen wachen Schlaf versinkt. Als er zu seiner Höhle zurückkehrt, erkennt er in dem Notschrei, dem er nachging, den vielstimmigen Schrei aller höheren Menschen. Er ist voll Erwartung, mit ihnen seine eigene „neue schöne Art“ beginnen zu können, wiederholt noch einmal die Lehre vom Übermenschen und vom Schaffen, fügt die Lehre vom Lachen hinzu, das der alten Moral allein Herr werden könne. Aber die höheren Menschen brauchen die dauernde Gegenwart Zarathustras, um von ihrer Schwermut und ihrem Ekel loszukommen, und sinken ohne ihn sogleich dahin zurück. Als er die Höhle verläßt, beten sie das Nächste, das sich bietet, einen Esel, an. Zarathustra, zuerst empört darüber, findet sich schließlich damit ab und deutet vor ihnen sein Lied „Oh Mensch! Gieb Acht!“ als Lied von der ewigen Wiederkehr des Gleichen, nicht jedoch auf begriffliche, sondern auf ästhetisch-musikalische Weise. Auch „der hässlichste Mensch“, der Mensch, der sich in seiner ganzen Häßlichkeit zu sehen gelernt hat, glaubt nun die ewige Wiederkehr bejahen zu können. Am nächsten Morgen aber empfängt Zarathustra „das Zeichen“, den „lachenden Löwen“, und als ihn der Wahrsager noch einmal an seine letzte Sünde, „[d]as Mitleiden mit dem höheren Menschen“, erinnert, weiß er, daß auch dies seine Zeit hatte, und bricht neu auf, nun nicht mehr zu seinem „Glücke“, sondern zu seinem „Werke“, und geht seinem „grosse[n] Mittag“ entgegen, „glühend und stark, wie eine Morgensonne, die aus dunklen Bergen kommt“ (408).

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8.3 Anti-Lehren Also sprach Zarathustra ist nicht die dichterische Gestaltung von Nietzsches Lehre, sondern Dichtung als Lehre, und Dichtung und Lehre sind in Nietzsches Werk die Ausnahme. Von der Lehre des Übermenschen spricht Nietzsche nach dem Zarathustra, abgesehen von dessen Darstellung in Ecce homo (EH, Zarathustra 6 und Schicksal 5), nur noch indirekt, anhand von Zitaten seiner Kritiker und Freunde, von denen er sich mißverstanden sah (GD, Streifzüge 37; EH, Bücher 1). Nur einmal, in Der Antichrist, führt Nietzsche sie noch in einem weiterführenden Zusammenhang an, dort jedoch in der vorsichtig zurückgenommenen Wendung „eine Art Übermensch“ (AC 4; 6, 171). Die Lehre vom Willen zur Macht erwähnt Zarathustra zunächst in einer Weise, als ob sie längst bekannt gewesen wäre (74–76); sie erscheint hier jedoch zum ersten Mal im veröffentlichten Werk Nietzsches. In Jenseits von Gut und Böse, das den Zarathustra erläutern soll (N 1886/87, 6/4; 12, 232–234), tritt sie dann wieder zunächst fast beiläufig auf; dort aber, wo Nietzsche sie eigens zum Thema macht, in einem seiner berühmtesten Aphorismen – „Die Welt von innen gesehen, die Welt auf ihren ,intelligiblen Charakter‘ hin bestimmt und bezeichnet – sie wäre eben ,Wille zur Macht‘ und nichts ausserdem.“ ( J 36; 5, 55) –, nimmt er sie ausdrücklich in eine „Hypothese“ zurück, die er nur versuchsweise „wagen“ will; ähnlich in Zur Genealogie der Moral (vgl. GM 2, 12). Die Lehre von der ewigen Wiederkehr des Gleichen schließlich beschäftigt Nietzsche zwar, wie aus dem Nachlaß zu ersehen ist, lebhaft weiter, im veröffentlichten Werk erscheint sie jedoch überhaupt nicht mehr, außer wiederum in Ecce homo. Selbst innerhalb der Zarathustra-Dichtung distanziert Nietzsche seinen Zarathustra Schritt für Schritt von diesen Lehren. Zarathustra selbst trägt nur die Lehre vom Übermenschen vor; auf die Lehre vom Tod Gottes beruft er sich als auf etwas schon Bekanntes: „[…] Nichts davon gehört, dass Gott todt ist!“ (14; vgl. FW 125) Vom „Geheimniss“ des Lebens, dem Willen zur Macht als Selbstüberwindung (146–149), läßt Nietzsche das „Leben selber“ zu Zarathustra sprechen und die Lehre von der ewigen Wiederkehr des Gleichen, wie schon erwähnt, die Tiere ausplaudern (270 –277).

Anti-Lehren Aber auch die Lehre vom Übermenschen bringt Nietzsche noch im Zarathustra wieder in die Schwebe. Nachdem Zarathustra von den Dichtern gesagt hatte, sie „lügen zuviel“ (110), bezieht er bald auch sich selbst ein – „Aber auch Zarathustra ist ein Dichter […] – wir lügen zuviel“ – und fügt dann hinzu: „Wahrlich, immer zieht es uns hinan – nämlich zum Reich der Wolken: auf diese setzen wir unsre bunten Bälge und heissen sie dann Götter und Übermenschen“ (163 f.). Die Lehren vom Tod Gottes, vom Übermenschen, vom Willen zur Macht und von der ewigen Wiederkehr des Gleichen gehören zu den gewaltigsten, die die Philosophie kennt. Nach Nietzsche mißversteht sich jedoch die Philosophie, wenn sie Lehren geben will; Lehren „für Alle“ wären Lehren für „Keinen“. Aber er rechnet damit, daß Lehren auch von ihm erwartet werden, und weiß, daß er „unverstanden“ bleiben wird, wenn er keine Lehren bietet. So bietet er gewaltige Lehren, aber auf eine Weise, die sehen läßt, daß es sich nicht um Lehren im gewöhnlichen Sinn handeln kann, überläßt es jedoch den Lesern, dies sehen zu wollen. Denen, die Lehren suchen, die auf „Lehrstühlen der Tugend“ vorgetragen werden, um einen „Sinn des Lebens“7 zu finden (34), gesteht er sie zu. Sie mögen nicht anders können; von ihnen wird er ohnehin mißverstanden werden und will er darum auch mißverstanden werden. Die aber, „welche keine extremen Glaubenssätze nöthig haben“ (N 1886/87, 5/71; 12, 217), werden in den Lehren des Zarathustra vielleicht Anti-Lehren erkennen. Die Lehren des Zarathustra scheinen so gedacht zu sein, daß sie die, die Lehren brauchen, von denen unterscheiden, die sie nicht mehr brauchen. Nietzsche nennt sie „Gedanken“, die eine „ Auslese“ bewirken, die „züchtend“ wirken sollen (N 1885/86, 2/100; 12, 110 und N 1884, 26/376; 11, 250).

7 Nietzsche scheint die Formel „Sinn des Lebens“ erfunden zu haben. Vgl. Gerhardt 1995.

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8.4 Der Tod Gottes und das Leiden am Menschen Am Anfang von Zarathustras „Untergang“ steht der Gedanke vom Tod Gottes. Er ist Voraussetzung der folgenden Gedanken Zarathustras, jedoch nicht Zarathustras eigener Gedanke. Er setzt ihn, wenn er von dem „alten Heiligen“ sagt, er habe „in seinem Walde noch Nichts davon gehört, dass Gott todt ist“ (14), schon als bekannt voraus. Nietzsche hatte das III. Buch seiner Fröhlichen Wissenschaft mit dem Aphorismus begonnen: „Neue Kämpfe. – Nachdem Buddha todt war, zeigte man noch Jahrhunderte lang seinen Schatten in einer Höhle, – einen ungeheuren schauerlichen Schatten. Gott ist todt: aber so wie die Art der Menschen ist, wird es vielleicht noch Jahrtausende lang Höhlen geben, in denen man seinen Schatten zeigt. – Und wir – wir müssen auch noch seinen Schatten besiegen!“ (FW 108; 3, 467) Im 125. Aphorismus erzählt er dann die Geschichte eines „tollen Menschen“, der „am hellen Vormittage eine Laterne anzündete“, um Gott zu suchen, und damit bei den Umstehenden, die längst nicht mehr an Gott glauben, Gelächter erregt (FW 125; 3, 480).8 Der Tod Gottes, die Gleichgültigkeit gegenüber Gott, war am Ende des 19. Jahrhunderts zu einem Gemeinplatz geworden. Was der tolle Mensch sucht, sind die Schatten Gottes, und er findet sie bei dessen arglosen „Mördern“. Er versucht, ihnen die Augen dafür zu öffnen, was geschehen ist: „Was thaten wir, als wir diese Erde von ihrer Sonne losketteten? Wohin bewegt sie sich nun? Wohin bewegen wir uns? […] Irren wir nicht wie durch ein unendliches Nichts? […] Kommt nicht immerfort die Nacht und mehr Nacht? Müssen nicht Laternen am Vormittage angezündet werden?“ (ebd., 481) Die Umstehenden horchen schließlich auf. Einen Gott, den man töten kann, hat man auch geschaffen. Man hat ihn geschaffen, um dem Leben im ganzen einen Sinn zu geben, einen für alle gleichen, gemeinsamen, lehrbaren Sinn. Der Gott, den man getötet hat, war ein Gott, der die moralische Ordnung des

8 Nietzsche hatte diese Geschichte ursprünglich Zarathustra zugedacht, die Zuschreibung dann jedoch verändert. Vgl. Kommentar zu FW; KSA 14, 256.

Anti-Lehren Lebens garantieren sollte, ein „moralischer Gott“.9 Nun, da er tot ist, bleiben seine Schatten, die moralischen Werte, ohne Licht, entwertet zurück. Später verbindet Nietzsche dies mit dem Begriff des Nihilismus.10 Mit der „Tötung“ des „moralischen Gottes“ ist, so Nietzsche, der alte Glaube an eine gute Ordnung des Lebens verloren. Damit hat ein „[m]oralisches Interregnum“, eine Zeit der „Experimente“ begonnen, in der man auf eigene Verantwortung die „Gesetze des Lebens und Handelns neu aufbauen“ muß, mit stets ungewissem Ausgang (M 453; 3, 274). Dazu sind „Menschen der Experimente“ notwendig, Menschen, die sich nicht auf bestehende Lehren von „herrschend gewordenen“ Werten berufen und zu berufen brauchen, sondern die sich durch „gewitzten Muth, das Alleinstehn und Sich-verantworten-können“ auszeichnen und die Kraft haben, neue Werte zu „schaffen“ ( J 210, 211; 5, 142–145). Solche „Schaffende“ sucht Zarathustra, und als ein solcher ist er selbst konzipiert. Nietzsche läßt ihn sehr sorgsam mit dem Glauben an Gott umgehen. Der alte Heilige, auf den Zarathustra zuerst stößt, hält an Gott nicht fest, weil er sich den Sinn des Lebens, sondern weil er sich die „Liebe“ zum Leben bewahren will, und Zarathustra läßt ihm diesen Glauben. Der alte Heilige hat die Menschen „allzu sehr“ geliebt, ist darüber mißtrauisch und bitter gegen sie geworden und liebt nun nur noch Gott. Seine Liebe zu Gott ist aus dem Leiden, dem „Ekel“ an den Menschen erwachsen. Zarathustra dagegen hat, wie der Heilige sofort erkennt, in den Jahren seiner Einsamkeit diesen Ekel überwunden: „Rein ist sein Auge, und an seinem Munde birgt sich kein Ekel. Geht er nicht daher wie ein Tänzer?“ (12) Als aber Zarathustra unschuldig wie ein Kind verkündet: „‚Ich liebe die Menschen.‘“, warnt er ihn, sich ihnen neu auszusetzen, und Zarathustra korrigiert sich daraufhin: „‚Was sprach ich von Liebe! Ich bringe den Menschen ein Geschenk.‘“ (13) Es wird das „Geschenk“ des Gedankens vom Übermenschen sein, den die Menschen nicht wollen werden. 9 Vgl. N 1886/87, 5/71; 12, 213: „Im Grunde ist ja nur der moralische Gott überwunden.“ 10 Vgl. N 1887, 9/35; 12, 350: „Der Nihilism ein normaler Zustand. […] was bedeutet Nihilism? – daß die obersten Werthe sich entwerthen.“

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Werner Stegmaier Das Leiden am Menschen wird auch ihm zur schwersten Last werden, nicht nur in Gestalt des Ekels, sondern mehr noch in Gestalt des Mitleids. Mitleid ist wie die Liebe eine unmittelbare Zuwendung zu anderen Menschen, zu einzelnen anderen Menschen, anders als die Liebe aber eine Zuwendung zu ihnen nur deshalb, weil sie leiden. Schopenhauer, der sich entschieden von Gott losgesagt hatte, machte das Mitleid zur höchsten Tugend neben der Gerechtigkeit und nahm dadurch wie kein Philosoph vor ihm das Leiden am Dasein ernst: Er ließ keine Rechtfertigung und keine Verklärung des Leidens zu, das Leiden des Menschen sollte durch nichts aufzuheben sein. Die Konsequenz daraus war für ihn der Verzicht auf das Leben im ganzen, der Wunsch nach einem „Finale ins Nichts“ (N 1886/87, 5/71; 12, 213; vgl. GM 3, 28). Nietzsche sieht in diesem Wunsch eine Folge des Nihilismus (N 1886/87, 5/71; 12, 212) und im Mitleid selbst die größte Gefahr für das Schaffen neuer Werte. Zarathustra will das Mitleiden überwinden, indem er das Leiden überwindet, und er will das Leiden überwinden, indem er es anders sehen lehrt. Hier beginnt seine „Unmenschlichkeit“: Danach ist das Leiden am Dasein nicht dem Dasein, sondern dem Leidenden zuzurechnen; am Dasein zu leiden heißt lediglich, es so, wie es ist, nicht hinnehmen, nicht ertragen zu können. Wer ein schweres Leiden leicht ertragen kann, wird hoch dafür geschätzt und gilt als stark; so muß es eine Schwäche sein, Leiden als solches nicht hinnehmen zu können.11 Seine Schwäche aber nimmt dem Leidenden auch noch die Achtung vor sich selber, und so gebührt ihm von andern nicht Mitleid, das er als zudringlich empfinden muß, sondern Scham, die auf Distanz hält. Den Mitleidigen, so Zarathustra, „gebricht es […] an Scham“, und „was in der Welt stiftete mehr Leid, als die Thorheiten der Mitleidigen?“ Sein erstes Gebot ist hier, „nicht zu beschämen“ und sich „besser freuen“ lernen: „lernen wir besser uns freuen, so verlernen wir am besten, Andern wehe zu thun und Wehes auszudenken“ (113–115).

11 Vgl. N 1883, 16/85; 10, 529: „Hauptlehre: In unserer Macht steht die Zurechtlegung des Leides zu einem Segen, des Giftes zu einer Nahrung.“

Anti-Lehren Die Distanz im Leiden ist nach Zarathustra jedoch schwerer zu wahren als die Distanz im Verstehen. Denn wenn dem andern sein Leiden dadurch leichter wird, daß er Rechtfertigungen dafür in allgemeinen moralischen Lehren findet, wäre es „hart“, diese ihm entziehen zu wollen. Dies, daß er solche Menschen ihrem Leiden den Schatten des toten Gottes überlassen muß, ist das Schwerste für Zarathustra, ist sein eigenes Leiden, wenn er sagt, daß er „am Menschen“ leidet (359). Der Tod des moralischen Gottes wird für ihn zum Leiden am Menschen. Im IV. Teil tritt unter den „höheren Menschen“ auch „der alte Papst“ auf. Er ist „ausser Dienst“: Anders als für den „alten Heiligen“ ist auch für ihn der „alte Gott“ gestorben. Er kann nun nicht mehr aus „Ekel“ an den Menschen sich der „Liebe“ zu Gott zuwenden; er, der Gott „am meisten liebte und besass, der hat ihn nun am meisten auch verloren“. Er führt, hierin „aufgeklärter als Zarathustra selber“, beherzt die Widersprüche des alten Gottes auf, derentwegen dieser schließlich „sterben“ mußte. Was aber das Mitleid, das Mitleid Gottes mit den Menschen, betrifft, so schweigt der alte Papst „mit einem schmerzlichen und düsteren Ausdrucke“. Zarathustra muß seine „Hintergedanken“ aussprechen: „Ist es wahr, was man spricht, dass ihn das Mitleiden erwürgte, – dass er es sah, wie der Mensch am Kreuze hieng, und es nicht ertrug, dass die Liebe zum Menschen seine Hölle und zuletzt sein Tod wurde?“ (322 f.) Die christliche Religion, die lehrte, daß Gott für das Leiden der Menschen starb, vergöttlichte danach das Mitleid und ging daran zugrunde. Gott selbst wurde, mit den Worten des alten Papstes, „weltmüde, willensmüde, und erstickte eines Tags an seinem allzugrossen Mitleiden“. Aber Zarathustra läßt das so nicht stehen: „Es könnte wohl so abgegangen sein: so, und auch anders. Wenn Götter sterben, sterben sie immer viele Arten Todes“ (324). Aber Götter, die auf viele Arten „sterben“ können, können auch auf viele Arten „geschaffen werden“.

8.5 Der Übermensch Am Ende der Reden des I. Teils gibt Zarathustra seinen Jüngern auf den Weg: „‚Todt sind alle Götter: nun wollen wir, dass der Übermensch lebe.‘“ (102) Der Gedanke vom Übermenschen soll

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Werner Stegmaier ihnen helfen, leben zu können ohne Leiden am Dasein und ohne einen moralischen Gott, der es sie ertragen läßt. Bei seinem Versuch, das „Volk“ den Übermenschen zu „lehren“, knüpft Zarathustra zunächst an die Evolutionstheorie an: Der Weg hat vom „Wurm“ zum „Affen“ und vom Affen zum Menschen geführt und muß über den Menschen hinausführen; es hängt nun vom „Willen“ der Menschen ab, über ihr „Glück“, ihre „Vernunft“, ihre „Tugend“, ihre „Gerechtigkeit“, ihr „Mitleiden“ und ihre „Genügsamkeit“ hinauszuwachsen und sich mit dem „Wahnsinn“ des Übermenschen „impfen“ zu lassen. Dann verweist er, an die Darbietung des Seiltänzers anknüpfend, auf den „Abgrund“ unter dem Menschen: Der Mensch hat nichts mehr, worauf er bauen, hierarchische Ordnungen zu Gott hin errichten kann; er muß sich nun frei über dem Abgrund bewegen, und je leichter er das kann, desto mehr will ihn Zarathustra lieben. Das Publikum Zarathustras kann damit nichts anfangen; das Publikum des Buches Zarathustra konnte es um so mehr. „Das Wort ,Übermensch‘ zur Bezeichnung eines Typus höchster Wohlgerathenheit, im Gegensatz zu ,modernen‘ Menschen, zu ,guten‘ Menschen, zu Christen und andren Nihilisten – ein Wort, das im Munde eines Zarathustra […] ein sehr nachdenkliches Wort wird, ist fast überall mit voller Unschuld im Sinn derjenigen Werthe verstanden worden, deren Gegensatz in der Figur Zarathustra’s zur Erscheinung gebracht worden ist, will sagen als ,idealistischer‘ Typus einer höheren Art Mensch, halb ,Heiliger‘, halb ,Genie‘ … Andres gelehrtes Hornvieh hat mich seinethalben des Darwinismus verdächtigt“ (EH, Bücher 1; 6, 300). Die Mißverständnisse lagen nahe. Die „Lehre“ vom Übermenschen ließ einen neuen allgemeinen Begriff des Menschen erwarten, eines Menschen, der, wie zuvor Gott, in irgendeiner Weise „über“ den Menschen stehen sollte. Wenn nach dem Tod Gottes die Verantwortung für das Leben im ganzen an die Menschen übergehen sollte, so mußte ein neuer Begriff des Menschen gebildet werden, der den Begriff des alten Gottes in sich aufhob – so wie ihn Feuerbachs Begriff des Menschen in sich aufgehoben hatte. Dies wäre jedoch eher der „letzte Mensch“, von dem Zarathustra bei seinem dritten Versuch spricht, dem „Volk“ den

Anti-Lehren Übermenschen nahezubringen. Der „letzte Mensch“ ist der, der die letzte Bestimmung des Menschen, also die seiner Zeit, für die Bestimmung des Menschen an sich hält und auf diese Weise die Bestimmung des Menschen bei sich selbst, bei seinen Erwartungen an die Ordnung des Lebens enden läßt. Das wäre, so Zarathustra (im Blick auf die Erwartungen am Ende des 19. Jahrhunderts), eine Ordnung, in der es kein Leiden – keine Kälte, keine Härte, keine Krankheit, kein Mißtrauen, keine sozialen Gegensätze, keine Herrschaft – und nur noch Glück und Unterhaltung geben soll. „Nachdenklich“ und zugleich „mit Wahnsinn geimpft“ wäre es statt dessen, auf solche Bestimmungen ganz zu verzichten. Der „Typus Mensch“, den Zarathustra konzipiert, erläutert Nietzsche in Ecce homo, ist „ein relativ [!] übermenschlicher Typus, gerade im Verhältniss zu den Guten übermenschlich“, zu dem Begriff des Guten, den jetzt „die Guten und Gerechten“ sich nach ihrem Bild vom Menschen gebildet haben (EH, Schicksal 5; 6, 370). Je mehr sie aber auf diesem Begriff bestehen, desto mehr muß ihnen alles Abweichende als „Wahnsinn“ erscheinen. „Der Mensch“ ist ein Begriff des Menschen, der, wie der Begriff des alten Gottes, für alle gleich gelten soll und allen gelehrt werden kann; wenn also „der Mensch“ „überwunden werden soll“, müssen solche Begriffe, solche Lehren vom Menschen überwunden werden. Als Anti-Lehre verstanden ist der Gedanke des Übermenschen die Überwindung des Begriffs des Menschen überhaupt. Jeder allgemeine Begriff des Menschen, und sei er noch so „human“ gemeint, wirkt normierend, wird zum Maß der einzelnen Menschen gemacht und zur Rechtfertigung dafür gebraucht, sie nach ihm zu richten und auf ihn hin abzurichten. Der Gedanke des Übermenschen dagegen wäre der Gedanke von Menschen über alle Normierung hinaus. Er bedeutete, notiert Nietzsche für sich, die „Erlösung des Menschen von sich selber“ und als „praktisches Ziel“, „Künstler (Schaffender), Heiliger (Liebender) und Philosoph (Erkennender) in Einer Person zu werden“ (N 1883, 16/11; 10, 501).

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8.6 Das Schaffen Wenn „Übermensch“ ein Begriff gegen alle Begriffe vom Menschen ist, kann man von niemand und niemand von sich sagen, er sei ein Übermensch. Insofern gibt es keine Übermenschen; man kann nur von Fall zu Fall versuchen, es zu sein. Am ehesten wird man es, so Zarathustra, als „Schaffender“ sein, im Schaffen von Begriffen, die aus dem „Schatten“ des alten Gottes hinausführen. „An dieser Stelle“, fährt Nietzsche in seiner Erläuterung des Zarathustra fort, „und nirgends wo anders muss man den Ansatz machen, um zu begreifen, was Zarathustra will: diese Art Mensch, die er concipirt, concipirt die Realität, wie sie ist: sie ist stark genug dazu –, sie ist ihr nicht entfremdet, entrückt, sie ist sie selbst, sie hat all deren Furchtbares und Fragwürdiges auch noch in sich, damit erst kann der Mensch Grösse haben …“ (EH, Schicksal 5; 6, 370). Die Realität, „wie sie ist“, wäre danach die Realität jenseits aller allgemeinen, lehrbaren Begriffe. Aber auch diese Realität ist natürlich „concipirt“, gedacht, nach Begriffen gedeutet. Realität kann immer nur die sein, die wir als solche deuten. Der Schluß daraus, den schon Kant gezogen hat, ist, daß die Deutung selbst die Realität ist. Nietzsche geht darüber nur darin hinaus, daß er keine Deutung mehr als „a priori“, als immer schon gültig, hinnimmt, sondern alle als von Einzelnen geschaffene betrachtet. Wer aber als Einzelner Deutungen „schaffen“ kann, die über bisher geltende hinausführen, „ist“ dann „selbst“ die Realität, Realität im Sinne dessen, daß sie Deutung ist. Deuten als „Schaffen“ von Realität ist schöpferisch; in ihm ist untrennbar Erkennen, Wollen und Werten verbunden. Zarathustra nennt das „Schätzen“: „Schätzen ist Schaffen: hört es, ihr Schaffenden! Schätzen selber ist aller geschätzten Dinge Schatz und Kleinod“ (75). „Schätzen“ in diesem Sinn ist nach Nietzsche die nachhaltigste Art, schöpferisch zu sein: Es verändert die Werte des Lebens, indem es das Denken der Menschen verändert. Aber es ist auch das Schwerste: denn es kann sich durch nichts rechtfertigen, sondern geschieht ganz auf eigene Verantwortung. Im Bewußtsein eines solchen Schaffens schreibt Nietzsche selbst seinen Zarathustra: „Die geistige Freiheit und Freudigkeit mir zu erobern, um schaffen zu können und nicht

Anti-Lehren durch fremde Ideale tyrannisirt zu werden. (Im Grunde kommt wenig darauf an, wovon ich mich loszumachen hatte: meine Lieblings-Form der Losmachung aber war die künstlerische: […] so Schopenhauer, Wagner, die Griechen (Genie, der Heilige, die Metaphysik, alle bisherigen Ideale, die höchste Moralität) – zugleich ein Tribut der Dankbarkeit“ (N 1883, 16/10; 10, 501). Die Reden Zarathustra’s im I. Teil sind vom „Pathos der Distanz“ (vgl. J 257 u. ö.) des Einzelnen zum Allgemeinen getragen. Zarathustra gibt bewußt provozierende Umwertungen der Vernunft (die nur eine „kleine Vernunft“ und nur „Werk- und Spielzeug“ der „grossen Vernunft“ des Leibes sei), der Leidenschaften (wie Wollust, Habsucht und Herrschsucht, die zu „Freudenschaften“ werden sollen), des Lebensüberdrusses (an dem die Überdrüssigen sterben mögen), von Kampf und Krieg (denen man sich zu stellen habe), des Staates (der eine „Sprachverwirrung des Guten und Bösen“ und „für die Überflüssigen“ erfunden sei), des Freitods (zu dem man sich „zur rechten Zeit“ entscheiden solle) und der Gerechtigkeit (die auch dem Ungerechten noch gerecht werden müsse). Er will dabei nicht selbst neue Werte schaffen – sie wären wieder nur „letzte“ Werte –, sondern eine neue Freiheit zum Schaffen von Werten, zur Überwindung des Glaubens an „letzte“ Werte. Zugleich warnt er vor dieser Freiheit, der Einsamkeit, die mit ihr verbunden ist, und der Gefahr, sich in ihr zu vergreifen, mehr aber noch vor dem „Geist der Schwere“, dem dauernden Wunsch in der Mühe des „Schaffens“, sich wieder auf festen Boden niederlassen zu können. Um sich im Schaffen halten zu können, sucht Zarathustra sich einen neuen Gott zu „concipiren“, einen Gott des Schaffens, der zu „tanzen“ versteht (49) und zum Tanzen ermutigt, der Umwertungen leicht macht und den er sich aus seinen „sieben Teufeln“ schaffen müßte (82).

8.7 Der Wille zur Macht Zu Beginn des II. Teils, den Nietzsche schrieb, als er den I. schon veröffentlicht hatte (vgl. Kommentar zu Zarathustra; KSA 14, 281), läßt er Zarathustra jedoch die Rede von einem neuen Gott aufwendig widerrufen. In der Konzeption eines

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Werner Stegmaier neuen Gottes würde er den Begriff des alten Gottes schwer loswerden können: „Gott ist ein Gedanke, der macht alles Gerade krumm und Alles, was steht, drehend. Wie? Die Zeit wäre hinweg, und alles Vergängliche nur Lüge?“ Gott ist schwerlich anders als außer der Zeit und über der Zeit zu denken. „Aber von Zeit und Werden sollen die besten Gleichnisse reden: ein Lob sollen sie sein und eine Rechtfertigung aller Vergänglichkeit!“ (110) Als bestes Gleichnis, um von Zeit und Werden zu reden, erscheint ihm nun der „Wille zur Macht“. Auch der Gedanke des Willens zur Macht ist als Lehre (miß)verstanden worden, als Lehre zur Rechtfertigung der Übermächtigung anderer. Als Gleichnis „von Zeit und Werden“ aber muß er gerade gegen Rechtfertigungen durch Lehren gerichtet sein. „Schätzen“ als „Schaffen“ steht immer gegen geltendes Schätzen, muß sich mit ihm auseinandersetzen und gegen es durchsetzen. Der Gedanke des Willens zur Macht kann dafür Gleichnis sein: Ein Wille zur Macht steht immer gegen andere Willen zur Macht. Er ist erst „Wille“ gegen einen anderen Willen und als Wille will er „zur Macht“, will er sich gegen den anderen Willen durchsetzen. Er ist nichts „an sich“ außerhalb solcher Auseinandersetzungen, und er kann sich darum nur in solchen Auseinandersetzungen erfahren. So aber erfährt er andere immer nur von sich selbst und sich selbst immer nur von andern her; Wille zur Macht ist daher unablässige „Selbst-Ueberwindung“ (146–149). Daß beide Seiten sich in ihrer Auseinandersetzung unablässig selbst überwinden, heißt aber, daß sie darin unablässig andere werden. Dann aber sind sie selbst nichts als Zeit: sofern Zeit darin besteht, daß immer alles anders wird. Der Gedanke des Willens zur Macht als Gleichnis von Zeit und Werden ermöglicht es, auf alles Überzeitliche zu verzichten. Zarathustra kehrt zu Heraklit zurück: „‚Alles ist im Fluss.‘“ Das Eis über dem Fluß, das Jahrtausende zu tragen schien, die überzeitliche, unbedingte Wahrheit der Moral und der Metaphysik, habe nun der „Thauwind“ zerbrochen (252). Nun sei die Zeit der „Erlösung“ vom Widerwillen gegen die Zeit als solche gekommen (177–182). Zarathustra ruft eine „wilde“ und „fröhliche Weisheit“ aus (132–135, 142–145), die nichts mehr Festes bestehen läßt. Wohl sei Glaube an Festes lebensnotwendige „Menschen-Klugheit“

Anti-Lehren (183–186). Aber es zeuge von „Weisheit“ und „Güte“, auf diese Klugheit auch wieder verzichten und sich von allem Festen lösen zu können, insbesondere in der Moral und der Metaphysik.

8.8 Die ewige Wiederkehr des Gleichen Den „Ewige-Wiederkunfts-Gedanke[n]“, der im III. Teil erscheint, hat Nietzsche in Ecce homo die „Grundconception“ des Zarathustra genannt. Er sei die „höchste Formel der Bejahung, die überhaupt erreicht werden kann“ (EH, Zarathustra 1; 6, 335). Zugleich aber ist er der „schwerste“ (N 1884, 26/284; 11, 225), „lähmendste“ (N 1886/87, 5/71; 12, 213) und „abgründliche“ (199) Gedanke, der „züchtend[e]“ Gedanke (N 1884, 25/211; 11, 69)12 par excellence. Er wurde zur geheimnisvollsten und umstrittensten Lehre Nietzsches. Von Zarathustra selbst wird er als „Gesicht und Räthsel“ von einem „Thorweg“ eingeführt, der „‚Augenblick‘“ heißt. Dort kommt von der einen Seite alles in gleicher Folge wieder, was nach der andern weggegangen ist. Zarathustra läßt in der Schwebe, ob es sich um einen Traum handelt; er wird unterbrochen vom Heulen eines Hundes, der seine Gedanken „zurücklaufen“ läßt und ihm einen Hirten vor Augen führt, in dessen Mund sich eine „schwarze schwere Schlange“ festgebissen hat, die er nur loswerden kann, indem er ihr – auf Zarathustras Schreien hin – den Kopf abbeißt. Dann springt der Hirte auf und lacht „ein Lachen, das keines Menschen Lachen war“. Zarathustra aber stürzt in Sehnsucht und Schwermut (197–202). Dabei wird es bleiben. Zarathustra erzählt das Rätsel, ohne es je aufzulösen; er wartet selbst auf „die selige Stunde“, zu der es ihm aufgehen wird, betont, daß sie ihre Zeit hat und „wider Willen“ kommt, daß ihr Kommen nicht beschleunigt werden kann. Er weist alle Berechnungen nach der „alten“, „kleinen“ Vernunft von sich; sie liegen nun wie eine Wolke vor dem „segnenden Ja-Sagen“. Er läßt den „kleinen Leuten“ ihre

12 Siehe auch: N 1884, 26/376; 11, 250; N 1886/87, 2/100; 12, 110; N 1887, 9/8; 12, 343.

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Werner Stegmaier „kleinen Tugenden“ (wenn auch mit Verachtung, die er freilich wiederum selbst verachtet): „Könnten sie anders, so würden sie auch anders wollen“ (227). Auch die Gottesfrage tritt zurück. Zarathustra erinnert an das „gute fröhliche Götter-Ende“: Die Götter hätten sich zu Tode gelacht, als ein Gott der einzige sein wollte (230). Er kehrt heim zur Stille, zum Schweigen allen Verstehens und Mißverstehens in der Einsamkeit seiner Höhle, wo sich ihm eine andere Art der Erfahrung auftut, die er so beschreibt: „Hier springen mir alles Seins Worte und WortSchreine auf: alles Sein will hier Wort werden, alles Werden will hier von mir reden lernen“ (232). Dann stellt er die Weisheit zusammen, die er bisher erworben hat: von der Freiheit zur Umwertung des bisher Bösesten, von der Überwindung des „Geist[es] der Schwere“, vom Ideal, „sich selber lieben“ zu lernen, der „feinste[n], listigste[n], letzte[n] und geduldsamste[n]“ Kunst – denn jeder ist „schwer zu entdecken und sich selber noch am schwersten“ (242 f.). Alle „Grenzsteine“ sind verrückt, Zarathustra hat sein eigenes Gutes entdeckt und fühlt sich frei von fremdem Guten und Bösen. Und dennoch sind seine „neuen Tafeln“ erst „halbbeschrieben“. Er will und muß nun den „abgründliche[n] Gedanke[n]“ heraufrufen, der ihn „wie ein[en] Tolle[n]“ geschüttelt hat (270). Doch er wird vom „Ekel“ wie ein Toter niedergestreckt, bleibt sieben Tage unfähig zu essen und zu trinken, „krank noch von der eigenen Erlösung“ (273). Später deutet er das so, daß das „Räthsel“ vom Hirten an ihm wahr geworden ist – die Deutung des Rätsels ist die Erfahrung selbst, die Zarathustra mit ihm gemacht hat. Endlich sprechen ihn die Tiere an. Zarathustra redet zuerst über das Reden, das damit zurückgekehrt ist und bei dem „die kleinste Kluft […] am schwersten zu überbrücken“ sei. Es bringe, als Reden, den Schein gemeinsamer „Dinge“ hervor: „schöne Narrethei, das Sprechen: damit tanzt der Mensch über alle Dinge“. Das aber tun nun die Tiere: Sie versuchen eine Lehre vom Sein, nach der sich „Alles“ zu einem „Rad des Seins“ verknüpft, das „ewig rollt“ (ebd.). Zarathustra nennt das ein „Leier-Lied“. Er wirft ihnen vor, sie hätten seinem Erleben und Erleiden zugeschaut mit „Mitleiden“, in dem „Lust“ und „Anklage“ sei. Was aber ihn „würgte“, ist nicht irgendein Böses, auch nicht das „Böseste“, sondern der

Anti-Lehren „grosse Überdruss am Menschen“ (274). Und nun nimmt er die Rede der Tiere von der ewigen Wiederkehr auf, aber nur, um die ewige Wiederkehr des „kleinen Menschen“ zu beklagen und zu enden mit „Ekel! Ekel! Ekel!“ (275). Die Tiere lassen ihn nicht weiterreden, sondern empfehlen ihm, nun eben „neue Leiern“ für seine „neuen Lieder“ zu schaffen. Sie glauben zu „wissen“, wer er ist und werden muß, nämlich „der Lehrer der ewigen Wiederkunft –, das ist nun dein Schicksal!“ (ebd.). Sie sind es auch, die „wissen“ und formulieren, was er lehrt: „dass alle Dinge ewig wiederkehren und wir selber mit, und dass wir schon ewige Male dagewesen sind, und alle Dinge mit uns“ (276). Zarathustra aber hört sie gar nicht, er hört ihnen nicht zu, hört noch nicht einmal, „dass sie schwiegen“. Er „unterredete sich eben mit seiner Seele“: er denkt weiter nach (277). Und dann wird er nur noch „singen“, sein Lied von der „Ewigkeit“, das er mit „sieben Siegeln“ versieht. Daß Zarathustra von seinem „Gedanken“ entbunden wird, so stellt es Nietzsche dar, ist seine „Genesung“ – mit dem Preis, daß der „abgründliche“ Gedanke sogleich zur „Lehre“ für jedermann und es sein „Schicksal“ wird, ihr „Lehrer“ zu sein. Als Lehre aber scheint der Gedanke nicht zu Ende gedacht zu sein. Während der Arbeit am III. Teil notiert Nietzsche: „NB. Der Gedanke selber wird im dritten Theil nicht ausgesprochen: nur vorbereitet“ (N 1883, 16/63; 10, 520). Erzählt wird nur, wie unterschiedlich Zarathustra und die Tiere mit dem Gedanken umgehen. Zarathustra begnügt sich mit der Erzählung, wie ihn der Gedanke überkam, die Tiere versuchen ihn theoretisch zu formulieren und scheinen ihn dabei schon mißzuverstehen. Sie unterscheiden sich im Umgang mit dem Gedanken, dadurch, daß die Tiere nicht anders können, als eine Lehre daraus zu machen, Zarathustra aber schweigt. So unterscheidet der Gedanke sie selbst, seligiert den, der ihn sich durch eine Lehre zurechtlegen muß, von dem, der darauf verzichten kann, und insofern ist er ein „züchtender“ Gedanke. (Sofern die Tiere Zeichen Zarathustras selbst, seines Stolzes und seiner Klugheit, sind, unterscheidet er bei Zarathustra selbst die zwei Weisen des Umgangs mit ihm.) Als theoretische „Lehre“ ließe sich der „Gedanke“ kaum schwer, lähmend, abgründlich nennen. Und er würde sich

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Werner Stegmaier offensichtlich selber aufheben: Denn wenn alles ewig wiederkehrt, kann man nicht wissen, daß es ewig wiederkehrt, denn mit diesem Wissen hätte sich ja schon etwas verändert. Schwer, lähmend und abgründlich scheint für Zarathustra gerade zu sein, daß aus dem Gedanken eine Lehre gemacht wird: daß das, was jeder nur auf seine Weise erleben, erfahren und verstehen kann, dadurch, daß es mitgeteilt und damit verallgemeinert wird, unvermeidlich vernichtet wird und daß diese unablässige Vernichtung alles Individuellen im Namen des „Guten und Gerechten“, der Moral, geschieht. „Bejahung“ in ihrer „höchsten Form“ wäre dann die Bejahung des Individuellen, das unbegreiflich ist, ohne Deutung, ohne Zurechtlegung und Beschönigung. Aber man kann wiederum nur von seinem individuellen Standpunkt aus bejahen, und so müßte man zuerst die eigene Individualität bejahen können. Man müßte sie, gegen alle Leiden an sich selbst und gegen alle Verachtungen seiner selbst, so bejahen können, daß man ihre ewige Wiederkehr wollen könnte. Dies bejahen zu können aber hieße, darauf verzichten zu können, irgend etwas anders haben zu wollen, und alles so hinnehmen zu können, wie es ist. Denn wenn alles auf irgendeine Weise miteinander verknüpft ist, so müßte man, wenn man irgend etwas anders haben will, zugleich alles anders haben wollen (vgl. J 56; 5, 75 und N 1881, 11/157–160; 9, 502 f.). Auch dies mag als Gedanke nicht schwer sein. Aber es wird schwer sein, ihn zu leben, ihn zum ethischen Maßstab des eigenen Lebens zu machen. Im Lenzer-Heide-Fragment, das wir mehrfach zitiert haben (N 1886/87, 5/71; 12, 211–217), führt Nietzsche den Gedanken so ein, daß mit der Entwertung der obersten Werte nicht nur „[e]ine Interpretation“ des Lebens zugrunde gegangen sei, sondern, weil sie „als die Interpretation galt“, der Glaube an Interpretationen überhaupt. So erscheine es nun, „als ob es gar keinen Sinn im Dasein gebe, als ob alles umsonst sei“ (ebd., 212). Dies aber sei der „lähmendste Gedanke, namentlich noch wenn man begreift, daß man gefoppt wird und doch ohne Macht ‹ist›, sich nicht foppen zu lassen“. In seiner „furchtbarsten Form“ gedacht aber sei dies der Gedanke „‚d[er] ewige[n] Wiederkehr‘“: „das Dasein, so wie es ist, ohne Sinn und Ziel, aber unvermeidlich wiederkehrend, ohne ein Finale ins Nichts“ (ebd., 213).

Anti-Lehren Es hänge, fährt Nietzsche fort, dann vom „Individuum“ ab, wie es den Gedanken aufnehmen könne: „Jeder Grundcharakterzug, der jedem Geschehen zu Grunde liegt, der sich an jedem Geschehen ausdrückt, müßte, wenn er von einem Individuum als sein Grundcharakterzug empfunden würde, dieses Individuum dazu treiben, triumphirend jeden Augenblick des allgemeinen Daseins gutzuheißen. Es käme eben darauf an, daß man diesen Grundcharakterzug bei sich als gut, werthvoll, mit Lust empfindet“ (ebd., 214). Für Nietzsche selbst blieb es eine offene Frage, wie „die Stärksten“ – das sind für ihn „[d]ie Mäßigsten“, die „die erreichte Kraft des Menschen mit bewußtem Stolze repräsentiren“ –, wie „ein solcher Mensch an die ewige Wiederkunft“ dächte (ebd., 217). Während der Arbeit am Zarathustra notiert er: „Vielleicht ist er“ – der Gedanke der ewigen Wiederkunft – „nicht wahr: – mögen Andere mit ihm ringen!“ (N 1883, 16/63; 10, 521)

8.9 Das Lachen Die „höheren Menschen“, die im IV. Teil auftreten, kommen mit ihren höheren Ansprüchen an die Moral vom „Ekel am Menschen“, an sich selbst und an anderen, nicht los. Sie finden ihre Erlösung von der Moral des „wolkigen feuchten schwermüthigen Alt-Europa“ (380) nicht von sich aus, sondern suchen sie in Lehren Zarathustras und setzen ihn damit der letzten großen Versuchung zum Mitleid aus. Um so mehr sucht und findet Zarathustra sein Glück allein, in der Mittagsstille, wenn die Sonne auf einen Augenblick keine Schatten wirft und das Schweigen alle Spielräume des Mißverstehens vergessen läßt. Doch ein solches Glück ist nur auf Zeit möglich; bald ist Zarathustra wieder den höheren Menschen, ihren Reden und seinem Mitleiden mit ihnen ausgesetzt. Als er sich ihnen zuletzt entzieht, kommt das „Zeichen“ des „lachenden Löwen“ zu ihm. Er hatte es lange erwartet (vgl. Vom Gesicht und Räthsel, das mit dem Lachen des Hirten endet (197– 202), und 246–269). Der Löwe ist in Zarathustras Semiotik der, der will, der erkennen, handeln, schaffen will (29–31). Solange er aber will, will auch er etwas anders haben, als es ist, und so folgt er selbst unvermeidlich einer Moral, wenn nun auch viel-

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Werner Stegmaier leicht einer andern und eigenen. Die Moral gibt dem Handeln seinen Ernst; das Lachen aber schützt vor diesem Ernst, indem es ihn kompromittiert. Wer lacht, kann seiner Moral folgen und sich zugleich dessen bewußt sein, daß es seine Moral ist, der er folgt. Das Lachen löst von der Identifikation mit einer Moral, ohne sie aufzulösen, es distanziert von ihr, ohne sie zu destruieren, es macht auf sie aufmerksam, ohne mit ihr zu brechen. Der Zwang, den eine Moral über den Handelnden ausübt, wird durch Lachen zu einem „Zeichen“, zu dem sich der Handelnde frei verhalten kann. Wenn Schweigen die Moral verstummen läßt, so erinnert das Lachen an die Moral in allem Reden; macht das Schweigen die Moral schwer, so macht das Lachen sie leicht, es läßt, in Zarathustras Sprache, wieder „tanzen“. Nietzsche konzipierte den lachenden Löwen „als drittes Thier Zarathustra’s – Symbol seiner Reife und Mürbe“ (N 1883, 16/51; 10, 517).

8.10 Der Untergang der Wahrheit Zarathustra nennt sich selber einen „Wahrlacher“ (366). Die höheren Menschen, die sich von ihrer alteuropäischen Moral nicht lösen können, kommen auch von der Wahrheit nicht los. Als Zarathustra während des Festes die Höhle „für eine kurze Weile“ (369) verläßt, singt der „alte Zauberer“ sein „Lied der Schwermuth“, ein Lied vom Verlust der Wahrheit, und der „Gewissenhafte des Geistes“ (375) sucht gegen ihn die Wissenschaft zu retten. Wahrheit ist nach Nietzsche eine Sache der Moral. Als ihm im August 1881 der Gedanke der ewigen Wiederkunft kommt (vgl. EH, Zarathustra 1; 6, 335), versucht er, dessen Konsequenzen abzuschätzen, darunter auch die Konsequenzen für den Sinn von „Wahrheit“ und die Möglichkeit von „Wissenschaft“. Im Nachlaß sind dazu ausführliche Notizen erhalten. Wissenschaft ist auf Allgemeines ausgerichtet, das erkannt, gewußt und gelehrt werden kann. Aus dem „ewigen Fluß der Dinge“ (N 1881, 11/155; 9, 500) gewinnt sie, so Nietzsche, ihr Allgemeines, indem sie das Individuelle tilgt, auf seiten der Dinge wie auf seiten der Erkennenden; sie sucht Dinge, die für

Anti-Lehren alle gleich sein sollen, auf Kosten des Individuellen einerseits der Dinge, andererseits der Erkennenden: „Im Grunde ist die Wissenschaft darauf aus, festzustellen, wie der Mensch – nicht das Individuum – zu allen Dingen und zu sich selber empfindet, also die Idiosyncrasie Einzelner und Gruppen auszuscheiden und das beharrende Verhältniß festzustellen. Nicht die Wahrheit, sondern der Mensch wird erkannt und zwar innerhalb aller Zeiten, wo er existirt. D. h. ein Phantom wird construirt, fortwährend arbeiten alle daran, um das zu finden, worüber man übereinstimmem [sic!] muß, weil es zum Wesen des Menschen gehört. Dabei lernte man, daß Unzähliges nicht wesenhaft war, wie man lange glaubte, und daß mit der Feststellung des Wesenhaften nichts für die Realität bewiesen sei als daß die Existenz des Menschen bis jetzt vom Glauben an diese ,Realität‘ abgehangen hat (wie Körper Dauer der Substanz usw.) Die Wissenschaft setzt also den Prozeß nur fort, der das Wesen der Gattung constituirt hat, den Glauben an gewisse Dinge endemisch zu machen und den Nichtglaubenden auszuscheiden und absterben zu lassen. […] Es ist der Masseninstinkt, der auch in der Erkenntniß waltet: ihre Existenzbedingungen will sie immer besser erkennen, um immer länger zu leben. Uniformität der Empfindung, ehemals durch Gesellschaft Religion erstrebt, wird jetzt durch die Wissenschaft erstrebt: der Normalgeschmack an allen Dingen festgestellt, die Erkenntniß, ruhend auf dem Glauben an das Beharrende, steht im Dienste der gröberen Formen des Beharrens (Masse Volk Menschheit) und will die feineren Formen, den idiosyncrasischen Geschmack ausscheiden und tödten – sie arbeitet gegen die Individualisirung, den Geschmack, der nur für Einen Lebensbedingung ist“ (N 1881, 11/156; 9, 500 f.). Nun können sich Individuen, wenn sie die Kraft dazu haben, durchaus gegenüber eingeführtem Allgemeinen geltend machen und Neues durchsetzen. Sie tun das im Namen der Wahrheit, sind darum aber noch nicht näher an der Wahrheit als die andern; alles, was sich als Wahrheit ausgibt im „ewigen Fluß der Dinge“, der sich durch keinerlei Begriffe fassen läßt, ist notwendig „Irrthum“. Wahrheiten unterscheiden sich lediglich als „gröbere“ und „feinere“ Irrtümer: „Die Gattung ist der gröbere Irrthum, das Individuum der feinere Irrthum, es kommt später. Es kämpft für seine Existenz, für seinen neuen Geschmack, für seine relativ einzige Stellung zu

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Werner Stegmaier allen Dingen – es hält diese für besser als den Allgemeingeschmack und verachtet ihn. Es will herrschen. Aber da entdeckt es, daß es selber etwas Wandelndes ist und einen wechselnden Geschmack hat, mit seiner Feinheit geräth es hinter das Geheimniß, daß es kein Individuum giebt, daß im kleinsten Augenblick es etwas Anderes ist als im nächsten und daß seine Existenzbedingungen die einer Unzahl Individuen sind: der unendlich kleine Augenblick ist die höhere Realität und Wahrheit, ein Blitzbild aus dem ewigen Flusse. So lernt es: wie alle genießende Erkenntniß auf dem groben Irrthum der Gattung, den feineren Irrthümern des Individuums, und dem feinsten Irrthum des schöpferischen Augenblicks beruht“ (ebd., 501 f.). Auch der schöpferische Augenblick in Zarathustras Lehre vom Schaffen bleibt ein Irrtum, ein Irrtum, der um der Verständigung und des Zusammenlebens des Menschen willen, also aus moralischen Gründen notwendig ist. Der Irrtum gehört zum Erkennen als solchem; er liegt tiefer als die Unterscheidung von Wahrheit und Falschheit im Erkennen; alles Erkennen unterstellt schon „eine unwirkliche Welt des Irrthums […]: Wesen mit dem Glauben an Beharrendes an Individuen usw. Erst nachdem eine imaginäre Gegenwelt im Widerspruch zum absoluten Flusse entstanden war, konnte auf dieser Grundlage etwas erkannt werden“ (ebd., 11/162; 9, 503 f.). Je mehr der Irrtum aber verfeinert wird, desto mehr wird man auf ihn selbst aufmerksam werden, „ja zuletzt kann der Grundirrthum eingesehn werden worauf alles beruht (weil sich Gegensätze denken lassen)“. Er kann nicht aufgehoben werden, wenn das Leben der Menschen nicht selbst unmöglich werden soll, kann „nicht anders als mit dem Leben vernichtet werden: […] Leben ist die Bedingung des Erkennens. Irren die Bedingung des Lebens und zwar im tiefsten Grunde Irren. Wissen um das Irren hebt es nicht auf!“ (ebd., 504) Nietzsche fügt hinzu: „Das ist nichts Bitteres!“ Wir können mit dem Grundirrtum über die Wahrheit leben, indem wir Wahrheit und Irrtum verzeitlichen. Wir werden dann zu einer Zeit erkennen und damit auch irren wollen und dennoch zu einer andern Zeit den Irrtum in aller Erkenntnis erkennen können: „So entdecken wir auch hier eine Nacht und einen Tag als Lebensbedingung für uns: Erkennen-wollen und Irren-wollen sind Ebbe und Fluth. Herrscht eines absolut, so geht der Mensch zu Grunde; und zugleich die Fähigkeit“ (ebd.).

Anti-Lehren Wahrheit jenseits von Gut und Böse ist eine Wahrheit auf Zeit. Während der Arbeit am III. Teil des Zarathustra notiert Nietzsche: „Die Geschichte redet immer neue Wahrheiten“ (N 1883, 16/78; 10, 525). Er hatte die „Tragödie“ Zarathustras zunächst so konzipiert, daß Zarathustra stirbt, halb aus Glück über die Verkündigung seiner Lehre, halb aus Schmerz über ihre Wirkung.13 In der veröffentlichten Fassung läßt Nietzsche Zarathustra statt dessen zu seinem „Werk“ aufbrechen und für dieses Werk den „großen Mittag“ erwarten. Nietzsche notiert dazu: „es läßt sich die Wirkung nicht voraussehn! – der größte Gedanke wirkt am langsamsten und spätesten!“ Und: „Furcht vor den Folgen der Lehre: die besten Naturen gehen vielleicht daran zu Grunde? Die schlechtesten nehmen sie an?“ (N 1883, 16/63; 10, 521)

13 Vgl. Nachbericht zu Also sprach Zarathustra (KGW VI/4, 963 ff.).

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Werner Stegmaier

Literatur Aschheim, Steven E. 1996: Nietzsche und die Deutschen. Karriere eines Kults, aus dem Engl. v. K. Laermann, Stuttgart/Weimar. Colpe, Carsten 1993: Religion und Mythos im Altertum, in: ders./W. SchmidtBiggemann (Hrsg.), Das Böse. Eine historische Phänomenologie des Unerklärlichen, Frankfurt/M., 13–89. Fleischer, Margot 1991: Das Spektrum der Nietzsche-Rezeption im geistigen Leben seit der Jahrhundertwende, in: Nietzsche-Studien 20, 1– 47. Gerhardt, Volker 1995: Artikel „Sinn des Lebens“, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 9, Basel, Sp. 815–824. D’Iorio, Paolo 1993: Beiträge zur Quellenforschung, in: Nietzsche-Studien 22, 395– 401. Stegmaier, Werner 1995: Philosophieren als Vermeiden einer Lehre. Inter-individuelle Orientierung bei Sokrates und Platon, Nietzsche und Derrida, in: J. Simon (Hrsg.), Distanz im Verstehen. Zeichen und Interpretation II, Frankfurt/M., 214 –239. Stegmaier, Werner/Krochmalnik, Daniel (Hrsg.) 1997: Jüdischer Nietzscheanismus, Berlin/New York. White, Hayden V. 1990: Die Bedeutung der Form. Erzählstrukturen in der Geschichtsschreibung, aus dem Amer. v. M. Smuda, Frankfurt/M. Wieland, Wolfgang 1982: Platon und die Formen des Wissens, Göttingen.

Ein Text wie Nietzsches Z ARATHUSTRA

Josef Simon

Ein Text wie Nietzsches Zarathustra

9.1 „bis der Text unter der Interpretation verschwand …“ ( J 38; 5, 56) Wie soll man einen Text interpretieren, für dessen Autor das Interpretieren ein „Mittel“ ist, „Herr über etwas zu werden“, und der es generell als „Wille zur Macht“ bezeichnet (N 1885/86, 2/ 148; 12, 139 f.)? Nietzsche will offensichtlich das Individuelle des Textes gegen seine subjektive Aneignung in Schutz nehmen, die immer eine Verallgemeinerung sein muß, wenn sie mit ihm „dem Sinn nach übereinstimmen“, aber gerade diesen „Sinn“ selbst erst noch verdeutlichen will. Er will den Text in seiner individuellen Gestaltung davor bewahren, daß der Leser ihn von dem her versteht, was er von sich aus problemlos verstehen kann. Gegen diese Möglichkeit einer „einverleibenden“ Interpretation soll der Text geschrieben sein. Damit stellt sich zunächst die Frage, wie Nietzsche zu lesen sei (vgl. Montinari 1982). Sein Zarathustra will uns offensichtlich schon dem Titel nach mitteilen, wie Zarathustra sprach („ Also sprach Zarathustra“) und wie das Gesagte sich aus dem „Munde“ dieses „Typus“ anhört. So verstanden läßt ein Text sich nicht anders verstehen, als er geschrieben ist, und wenn man davon ausgeht, daß Nietzsche vom Zarathustra als von seiner „Dichtung“ spricht, wäre jede „Übersetzung“ des Textes in die philosophische Prosa des Interpreten und jede „Verwechslung“ der „Sprüche“ des erdichteten Zarathustra mit „den“ Gedanken Friedrich Nietzsches schon eine „vereinfachende“ Abstraktion,

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Josef Simon nicht vom „Wesentlichen“, denn gerade das wollte die Interpretation ja herausstellen, sondern vom Individuellen des Textes, der sich gegen Interpretationen aufspreizt und sie „schwer“ macht. Nach Derrida hat erst Nietzsche in diesem Sinn „geschrieben, was er geschrieben hat“, gegen die „Erfahrung“, daß der sinnliche Laut verklingt, um eine unsinnliche „Bedeutung“ zu „repräsentieren“. Die „Schrift“ steht metaphorisch für das Zeichen, insofern es gegenüber jeder Angabe seiner Bedeutung in anderen Zeichen „für es“ zugleich stehenbleibt für andere Deutungen. Nietzsche hat nach Derrida so „geschrieben, daß die Schrift – und allererst seine eigene – dem Logos und der Wahrheit nicht ursprünglich unterworfen ist“ (Derrida 1974, 37). „Die Wahrheit“ ist hier die „Wahrheit“ im Sinne der metaphysischen Tradition und ihres Zeichenbegriffs, nach dem die Zeichen auf ein Sein jenseits aller Zeichen deuten sollen, auf dessen definitive Repräsentation auch das „richtige“ Interpretieren hinarbeite. Die „Schrift“ Nietzsches wäre dann das Zeichen, das nicht mehr dem „Sein“ als dem Grundbegriff der Metaphysik unterworfen ist, weil es sich gegen die Unterwerfung sperrt und sie „schwer“ macht. Dieses Zeichen wäre dann – im Sinn des metaphysischen Begriffs einer „Relation“ zwischen Zeichen und Ding – das „schlecht benannte Ding […], das als einziges sich der Grundfrage der Philosophie: ‚Was ist …?‘ entzieht“ (ebd., 36). Aber auch Nietzsche kann sich der Frage nach der „Bedeutung“ seiner Schriften nicht entziehen: „Man hat mich nicht gefragt, man hätte mich fragen sollen, was gerade in meinem Munde, im Munde des ersten Immoralisten, der Name Zarathustra bedeutet: denn was die ungeheure Einzigkeit jenes Persers in der Geschichte ausmacht, ist gerade dazu das Gegentheil. Zarathustra hat zuerst im Kampf des Guten und des Bösen das eigentliche Rad im Getriebe der Dinge gesehn, – die Übersetzung der Moral in’s Metaphysische“. Er „schuf diesen verhängnissvollsten Irrthum, die Moral: folglich muss er auch der Erste sein, der ihn erkennt“. „[D]ie ganze Geschichte ist ja die Experimental-Widerlegung vom Satz der sogenannten ‚sittlichen Weltordnung‘ –: das Wichtigere ist, Zarathustra ist wahrhaftiger als sonst ein Denker. Seine Lehre und sie allein hat die Wahrhaftigkeit als oberste Tugend“ (EH, Schicksal 3; 6, 367).

Ein Text wie Nietzsches Z ARATHUSTRA Also soll Zarathustra doch ein Lehrer sein, der sich an viele wendet, weil er allgemein Gültiges mitzuteilen hat, und der deshalb in dem metaphorischen Sinn, nach dem der Text jeweils für das individuelle, andere Verstehen stehenbleibt, gerade nicht schreibt. Nur Nietzsche schreibt seinen Zarathustra, dieser selbst spricht und lehrt. In dieser Schrift ist „die Bedeutung“ das Individuelle „im Munde“ des Autors und nicht das „allgemein Verständliche“, das in der Absicht einer „Lehre“ und auch einer „Interpretation“ liegen könnte, die sich als abschließend versteht. Die „Lehre“ Zarathustras wird in Nietzsches „Schrift“ zum Zeichen, das in aller Deutung zugleich stehenbleibt für andere Deutungen. Allein die Wahrhaftigkeit „verbindet“ Nietzsche mit dem historisch fernen Zarathustra über „das Gegentheil“ hinweg, aber keine inhaltliche Wahrheit, „in“ der sie über die Zeit hinweg „übereinstimmten“. Nietzsche schreibt ja von sich, er habe „erst […] die Wahrheit entdeckt, dadurch, dass ich zuerst die Lüge als Lüge empfand – roch …“ (ebd. 1; 6, 366). Sie liegt nicht im vermittelnden Urteil, sondern in der jeweiligen Empfindung, was immer auch inhaltlich „gelehrt“ werden mag. Gerade der von Nietzsche geschriebene „Typus“ Zarathustra steht gegen die Möglichkeit einer Lehre. Es soll deshalb, wenn es hier um den Text des Zarathustra geht, keine Interpretation „des Inhalts“ versucht werden, sondern nur ein Hinweis darauf, „wie“ diese „Schrift“ als Schrift zu lesen – oder vielmehr nicht zu lesen ist. Vor allem ist sie nicht auf einen herauszuinterpretierenden „Inhalt“ hin zu lesen. Der Begriff des Inhalts suggeriert, wie der der Interpretation, die Gleichgültigkeit der Form. Von anderen Texten und Fragmenten Nietzsches und von seinen eigenen Äußerungen zum Zarathustra her soll vielmehr versucht werden, etwas zu der Art oder vielmehr der individuellen Un-Art dieses Textes und seiner Gestaltung des „Typus Zarathustra“ zu sagen, und es soll versucht werden, dieses Werk in den Rahmen des Gesamtwerkes Nietzsches zu stellen.

9.2 Zarathustra als „Typus“ Wir werden es Nietzsche abnehmen müssen, daß er seinen Zarathustra als sein Hauptwerk ansah, auch wenn diese Schrift

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Josef Simon ihrer Form und Gattung nach nicht unmittelbar als ein philosophisches Werk erscheint und es nicht zuletzt an ihrem Stil gelegen haben wird, daß Nietzsche es „schwer“ hatte, als Philosoph verstanden zu werden. Die Gestalt des Zarathustra, die Nietzsche dichtend „beschreibt“ und die er erst aus dieser Schrift heraus reden läßt, ist Fiktion, und es ist der Anspruch der Philosophie, selbst nicht Fiktion zu sein. So stellt sich die Frage, warum der Philosoph, der Nietzsche doch sein wollte, diese Gestalt zur Darstellung seiner Philosophie erdichtet hat. Er gibt selbst einige Hinweise. Schon der Untertitel Ein Buch für Alle und Keinen verweist auf eine bewußte Autorschaft und auf ein reflektiertes Verhältnis zum Leser. Einen weiteren wichtigen Hinweis gibt Nietzsche in der zurückblickenden Schrift Ecce homo. Dort wird „der Ewige-Wiederkunfts-Gedanke, diese höchste Form der Bejahung“, als „die Grundconception des Werks“ bezeichnet (EH, Zarathustra 1; 6, 335). Nietzsche spricht von diesem „Gedanken“ als von einem plötzlichen Einfall: „Ich gieng an jenem Tage am See von Silvaplana durch die Wälder; bei einem mächtigen pyramidal aufgethürmten Block unweit Surlei machte ich Halt. Da kam mir dieser Gedanke.“ Das erinnert an mystische Eingebungen, und es stellt sich die Frage, wie solch ein „Gedanke“ denn dann überhaupt mitteilbar oder „lehrbar“ sein könnte. Um Mitteilung ist es dem Autor Nietzsche doch offensichtlich zu tun. Das Unvermittelte dieses „Gedankens“ nimmt Nietzsche in seinem autobiographischen Rückblick dann auch wieder zurück oder schränkt es zumindest ein: „Rechne ich von diesem Tage ein paar Monate zurück, so finde ich, als Vorzeichen, eine plötzliche und im Tiefsten entscheidende Veränderung meines Geschmacks, vor Allem in der Musik. Man darf vielleicht den ganzen Zarathustra unter die Musik rechnen; – sicherlich war eine Wiedergeburt in der Kunst zu hören, eine Vorausbedingung dazu“ (ebd.). Der „Gedanke“ erscheint damit unter einem ästhetischen Vorzeichen, also als „individueller“, nicht mehr im traditionellen Verständnis des Begriffs „allgemein“ und damit leicht zu verstehender. Nietzsche nennt ihn seinen „schwerste[n]“ Gedanken, der, wie alle Gedanken, „Voraussetzungen“ haben müßte, „welche wahr sein müßten, wenn er wahr ist“ (N 1884, 26/284; 11, 225). Solange diese Voraussetzungen selbst nicht in Frage gestellt werden, ist der Gedanke „leicht“ mitteilbar. Zu-

Ein Text wie Nietzsches Z ARATHUSTRA letzt aber müßten sie doch individuell gelten gelassen werden, als ästhetische „Gründe“, die nicht unbedingt mit allen geteilt werden. Der Wiederkunftsgedanke führt offenbar unvermittelt an diesen Punkt. Nietzsche fragt deshalb auch, wie dieser Gedanke zu „ertragen“ sei. Er berichtet von Wanderungen durch eine besondere Landschaft, die er eine „kleine vergessne Welt von Glück“ nennt. Unter diesen besonderen Umständen fiel ihm „der ganze erste Zarathustra“ ein; „vor Allem Zarathustra selber, als Typus“ „überfiel“ ihn dabei (EH, Zarathustra 1; 6, 337). Der Begriff des „Typus“ weist darauf hin, daß hier zwar nicht das historische Individuum gemeint ist, aber doch etwas, das nur durch diesen Eigennamen charakterisiert werden kann. Der historische Zarathustra bietet das Beispiel für diesen „Typus“, ohne aber in einem ihn interpretierenden Begriff aufzugehen. In diesem Sinn spricht Nietzsche auch vom „Typus Jesu“ als einem Gegentypus. Schon die ersten Sätze des Zarathustra lassen erkennen, daß es um eine Beziehung, um eine begriffslose, ästhetische Konfrontation dieser beiden „Typen“ geht: Zarathustra war „dreissig Jahre alt“, als er „seine Heimat und den See seiner Heimat“ verließ und in die Einsamkeit, in das Gebirge ging. Allerdings blieb er hier länger als vierzig Tage; er wurde der Einsamkeit „zehn Jahre nicht müde“. Dann erst steigt er hinab „in die Tiefe“, zum Volk, um, wie die Sonne, zu der er spricht, unterzugehen, „wie die Menschen es nennen“. Er will „wieder Mensch“ unter Menschen werden. „Also begann Zarathustra’s Untergang“ (11 f.). Die Sonne, Zarathustras unmittelbares Gegenüber, kehrt aber ewig wieder. Der Wiederkunftsgedanke als die „höchste Form der Bejahung“ stellt sich gegen die negative Wertung des „Untergangs“. Man kann sich an diesem Beginn der Tragödie und über die vier Bücher des Zarathustra hinweg viel „einfallen“ lassen, um weitere Analogien herauszulesen oder um den Text in eine gewohntere philosophische Sprache zu übersetzen und dadurch „leichter“ zu machen. Solch ein „Aneignen“ wird sich auch nicht vermeiden lassen, weil niemand beim Lesen dieser Geschichte von seinen früheren Lektüren und seiner eigenen Geschichte abstrahieren kann. Man kann aber doch auch die besonderen Schwierigkeiten bemerken, die der Text solch einem „Aneignen“ bereitet. Der Text legt verstehende Vergleiche nahe

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Josef Simon und sträubt sich zugleich gegen jeden Vergleich. Er will offensichtlich so gelesen werden, wie er geschrieben ist, ohne daß (in „eigenen Worten“ des Lesers) dazugesagt werden müßte, „was“ er „in Wahrheit“ bedeuten solle. Er soll nicht anders sein, als er (geschrieben) ist, und in diesem Sinn unterliegt er keiner Moral des Verstehens. „Man darf“ nach Nietzsche nicht einmal „fragen: ‚wer interpretirt denn?‘ sondern das Interpretiren selbst, als eine Form des Willens zur Macht, hat Dasein (aber nicht als ein ‚Sein‘, sondern als ein Prozeß, ein Werden) als ein Affekt“ (N 1885/86, 2/151; 12, 140). In diesem „Prozeß“ verschiebt sich die Perspektive des Lesens mit der Zeit. Sie wird von der Lektüre „mitgenommen“ und läßt sich nicht von einem übergeordneten Standpunkt aus „selbst“ feststellen. Nur von einem bestimmten Standpunkt aus erscheinen verschiedene Aussagen als Widerspruch, aber auch er läßt sich wiederum nur feststellen, wenn statt dieses Prozesses der Interpretation, der die interpretierenden Subjekte gerade in ihrem Selbstverständnis mitnimmt, die „Einheit“ eines Subjekts vorausgesetzt wird, das „sich“ widerspricht. Insofern beruht das „Gebot“ der Widerspruchsfreiheit auf dem Anspruch einer Interpretationsmacht auf „die Wahrheit“ ihrer eigenen Interpretation der Zeichen gegenüber anderen Interpretationsansprüchen. Sie hat den Willen, von sich aus zu bestimmen, wie etwas „im Grunde“ gemeint sei, und damit zu entscheiden, ob „es“ sich widerspreche oder nicht. Die Gestalt des Zarathustra ist in ihrem „dionysischen“ Charakter gegen den Gedanken solch einer bestimmenden „subjektiven Einheit“ konzipiert, als eine Person, die den Prozeß der Zeit in sich erträgt, so daß sie alles bejahen kann, was ihr in ihm erscheint. Sie „erträgt“ den erscheinenden Widerspruch und damit den Menschen in seinem „bewegten“ Schicksal. Der „Gedanke“ der ewigen Wiederkunft „überfiel“ Nietzsche zugleich mit dem des „Typus“ Zarathustra. Er faßt diese beiden Gedankenereignisse in seinem autobiographischen Rückblick zusammen. Zarathustra, als „Typus“ genommen, erscheint als „Lehrer“ der ewigen Wiederkunft. Er ist nicht ihr „Subjekt“, das sie ohne jede Bedingung „allgemein“ und für alle für wahr hielte, denn es muß sich erst zeigen, ob sie sich darstellen und damit lehren läßt. Lehrbarkeit war aber immer schon ein Indiz der metaphysisch verstandenen Wahrheit. Zunächst spricht

Ein Text wie Nietzsches Z ARATHUSTRA Zarathustra ganz unvermittelt und daher unverständlich zum Volke: „Ich lehre euch den Übermenschen“ (14), so als ob dieser Gedanke, der sich auf den Menschen bezieht, der den Wiederkunftsgedanken ertragen kann, allen mitteilbar wäre, auch denen, die ihn nicht ertragen können. Es wird ja auch immer noch zu verstehen versucht, „was“ Nietzsche mit diesem und mit seinen anderen Gedanken, dem vom „Willen zur Macht“ und vom „Tode Gottes“, „gemeint“ habe. Man fragt nach anderen Worten „für“ das, „was“ diese „Lehren“ bedeuten sollen. Von Zarathustra selbst erfahren wir „es“ allerdings noch etwas genauer: „Der Übermensch ist der Sinn der Erde“, und auch das wird noch näher erklärt: „Euer Wille sage: der Übermensch sei der Sinn der Erde!“ Es geht hier also nicht um eine theoretische Belehrung, sondern um einen Appell an den Willen. Man soll so denken wollen: „Ich beschwöre euch, meine Brüder, bleibt der Erde treu und glaubt Denen nicht, welche euch von überirdischen Hoffnungen reden! Giftmischer sind es, ob sie es wissen oder nicht“ (14 f.). Es sind Propheten, die das Leben anders haben wollen, als es wirklich ist, die ein anderes Leben haben wollen. Zarathustra wendet sich gegen die Neinsager gegenüber dem Leben, und es ist seine Tragik, daß auch er sich damit immer noch „moralisch“ gegen etwas wendet. Der historische Zarathustra war für Nietzsche der erste entschiedene Morallehrer der Geschichte; seine Begriffe sind „Gegenbegriffe“, und auch Nietzsches Zarathustra ist als Bejaher selbst immer noch ein Neinsager gegenüber den Neinsagern, allein weil er als Lehrer und sogar als ein beschwörender Lehrer auftritt. „Das psychologische Problem im Typus des Zarathustra ist, wie der, welcher in einem unerhörten Grade Nein sagt, Nein thut, zu Allem, wozu man bisher Ja sagte, trotzdem der Gegensatz eines neinsagenden Geistes sein kann; wie der das Schwerste von Schicksal, ein Verhängniss von Aufgabe tragende Geist trotzdem der leichteste und jenseitigste sein kann“ (EH, Zarathustra 6; 6, 344 f.). Zarathustra ist also eine in sich widersprüchliche Problemgestalt. Er bezeichnet als Gestalt ein Problem, das Nietzsche sich gegenüberstellt, so wie er auch den Gegentypus Jesu sich (im Antichrist) gegenüberstellt (vgl. hierzu Simon 1989, 127). Nietzsche nennt diesen „Typus“ „Begriff des Dionysos“. Es ist ein „Begriff“, der dem herkömmlichen Begriff als Allgemeinbegriff nicht entspricht. Der Versuch seiner Dar-

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Josef Simon stellung beruht auf einer ästhetischen, die Abstraktion vermeidenden Vereinigung des dionysischen, sich dem Begriff entziehenden, ihn zerstörenden, und des apollinischen, begreifenden „Prinzips“.

9.3 Die Performation des „schwersten Gedankens“ Es geht Nietzsche also um eine Kunst des Schreibens. Die Überlegung, warum er „so gute Bücher schreibe“, beginnt er mit dem Satz: „Das Eine bin ich, das Andre sind meine Schriften“ (EH, Bücher 1; 6, 298). Zwischen sich und die bekannten vier „Lehren“ schiebt er im Zarathustra den (scheiternden) Lehrer Zarathustra. Für Nietzsche selbst bleiben die „mystischen“ Situationen der „Einfälle“ Überfälle, die als solche nicht allgemein lehrbar sind. Zarathustras „Untergang“ als Lehrer ist die eigentliche Lehre. Dieser Untergang als Prozeß läßt sich nur (ästhetisch) darstellen, nicht theoretisch auseinanderlegen und nicht durch letzte und allgemein geltende Gründe begründen. Die Kluft zu eingefahrenen Denkgewohnheiten läßt sich nicht überbrücken, und so hat „das Volk“ auch zum Schluß nichts begriffen: Es ist wieder ein Morgen, und die Sonne ist wieder aufgegangen. Sie kehrt immer noch wieder, aber die „höheren Menschen“, die das gelehrte Publikum bilden, „schlafen noch“, und ihnen fehlt, wie Zarathustra klagt, immer noch „[d]as Ohr, das nach mir horcht, – das gehorchende Ohr“ (405). „Kein Mensch“ hört auf den Lehrer Zarathustra. Mit „allgemeinen Ideen“ ist die Vorstellung der Mitteilbarkeit verbunden. Dafür stand die Platonische Anamnesislehre. Wer „der Erde treu“ bleiben will, kann sich dagegen nicht auf überzeitliche Ideen und auf ein „Gedächtnis für sie“ beziehen wollen, das im Blick auf sie gerade das Individuelle übersieht. Er muß ein Ohr, ein Organ für den Lehrer haben, sonst überhört er ihn. Auch das ist also, wenn es denn so ist, zu ertragen: Auch der „kleine Mensch kehrt ewig wieder“ (274). Das ist der Kern der Tragödie jeder Lehre mit allgemeinem Anspruch, die „Lehre“ der ewigen Wiederkehr eingeschlossen, und das ist der Gedanke, von dem Nietzsche zugleich mit dem vom „Typus Zarathustra“ überfallen wurde.

Ein Text wie Nietzsches Z ARATHUSTRA Daß Nietzsche Zarathustra für sich reden läßt, macht seine Schriften erst möglich. Dadurch entzieht er sich dem performativen Widerspruch, der Anwendung „seiner“ Aussagen auf sich selbst, und behält den Standpunkt, den er als Autor benötigt. Wenn andere Schriften Nietzsches auch auf solch eine Maske verzichten, so ist sie im „zusammenfassenden“ Hauptwerk doch nötig. Der Autor kann sich nicht selbst zusammenfassen. Er bleibt außerhalb. Gegenüber diesem „Hauptwerk“ bleiben deshalb die anderen Schriften „esoterisch“, nicht „aus sich“ heraus verständlich, denn „was“ sollte das Publikum – und d. h. „Alle und Keiner“ oder jeder beliebige Leser – verstehen, wenn der Autor z. B. in der Genealogie der Moral schreibt: „‚Nichts ist wahr, Alles ist erlaubt‘“, und diese performativ widersprüchliche Aussage sogar ein „Symbol und Kerbholz-Wort“ nennt? Im Assassinen-Orden, dem dieses Wort zugeschrieben ist, sollte es „nur den obersten Graden […] vorbehalten“ sein (GM 3, 24; 5, 399). Müßte nicht doch wenigstens dieser Satz von einem Autor, der ihn offensichtlich für sich beansprucht, für wahr gehalten werden, um einen „performativen Widerspruch“ zu vermeiden? Die Performation des „schwersten Gedankens“ kann logisch nicht gelingen; sie kann nicht allgemein ertragen werden. Es muß dargestellt werden, wie und von wem er ertragen wird, d. h. es ist davon auszugehen, daß in Darstellungen, die vom eigenen Standpunkt aus unverständlich erscheinen, dennoch „Sinn und Verstand“ liegen könnte. Der in der „usuellen“ Sprache unverständliche, weil performativ widersprüchliche Satz, daß nichts wahr und alles erlaubt sei, steht im Zusammenhang der Abhandlung über „asketische Ideale“ und über „freie Geister“, die sich von den asketischen Idealen der Moral frei glauben. Sie sind nach Nietzsche jedoch „noch lange keine freien Geister“, weil sie sich selbst noch „zu nahe“ stehen und daher „noch an die Wahrheit“ glauben. So soll ihnen gesagt werden, „was sie selbst nicht sehen können“ (ebd.). „‚Die Wahrheit ist da‘: dies bedeutet, wo es nur laut wird, der Priester lügt …“ (AC 55; 6, 239). Wie könnte einer definitiv sagen, „was“ wahr sei, und wie könnte sich dem ein „Lehrer“ entziehen? Mit der Erfindung des lehrenden „Typus“ Zarathustra sucht Nietzsche sich in eine Distanz zu diesem Problem zu bringen. Zarathustra will lehren, und damit glaubt er zumindest an seine

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Josef Simon „Wahrheit“. Er „beschwört“ das Volk und will, daß es auf ihn höre, damit es ihn verstehe. Er beschwört das Verständnis. Damit tritt er wie die früheren Philosophen auf, die glaubten, eine allgemein mitteilbare, jedem Verständigen zugängliche „theoretische Wahrheit“ lehren zu können. Daß hier aber „Wille gegen Willen“ steht, ist Zarathustras Erfahrung mit dem Volk. „Esoterisch“ sagt Nietzsche dagegen, daß es „gar keinen Willen“ gebe (N 1886/87, 5/9; 12, 187) und daß die Rede vom Willen „eine falsche Verdinglichung“ (N 1885/86, 1/62; 12, 26) sei. Wir werden uns mit solchen Fragen noch näher zu beschäftigen haben. Hier soll zunächst nur festgehalten werden, daß Nietzsche einen (fiktiven) anderen für sich scheitern läßt, damit er selbst – als der Autor der Tragödie – „darüber“ schreiben kann. Man kann nicht „lehren“ wollen, daß es keine Wahrheit gebe. Auch könnte umgekehrt nur jemand, der an die Wahrheit glaubt, eine (wahre) „Lehre“ von anderen übernehmen wollen. „Die“ Wahrheit ohne nähere, „schätzende“ Wertung des Inhalts zu wollen, ist für Nietzsche gerade das Kennzeichen der traditionellen, platonisch geprägten Philosophie; sie ist für ihn eine Verneinung des Lebens. Im „Leben“ hat eine „Erkenntnis“ ihren Wert gerade darin, daß sie sich in die Lücken eines überkommenen Fürwahrhaltens einfügt und dadurch eine Orientierung in der Welt weiterhin ermöglicht. Das unbedingte Streben nach „der“ Wahrheit, als der Versuch, endgültig „hinter“ die Phänomene des Lebens zu kommen, entzieht sich diesem Lebensbedürfnis. Insofern kann der „esoterische“ Satz, daß nichts wahr und alles erlaubt sei, keine „Lehre“ sein wollen. So verstanden würde er sich selbst aufheben. Wenn Nietzsche ihn dennoch ein „Symbol und Kerbholz-Wort“ nennt, greift er damit in eine Zeit zurück, in der der „Ernst“ des Denkens (für das Leben) noch „im Ausspinnen von Symbolen und Formen“ lag. „[U]nsere Künste“ sind seitdem „immer intellectualer, unsere Sinne geistiger“ geworden. So wie man „zum Beispiel jetzt ganz anders darüber urtheilt, was sinnlich wohltönend ist, als vor hundert Jahren: so werden auch die Formen unseres Lebens immer geistiger“ (MA 1, 3; 2, 26). Für Nietzsche handelt es sich also um einen ästhetischen Unterschied gegenüber einer anderen Zeit, aus der man wegen ihrer anderen Orientierungsbedürfnisse nicht ohne weiteres in die eigene Zeit „übersetzen“ kann. Daß „nichts […] wahr“ sei, entspricht nicht dem logisch sensiblen Zeit-

Ein Text wie Nietzsches Z ARATHUSTRA geschmack, der eine allgemeine Geltung voraussetzen will. Dennoch kann man verstehen, daß niemand einen privilegierten, die Phänomene definitiv interpretierenden Zugang zur Wahrheit haben und deshalb auch niemand eine „Lehre“ verkünden könne, die andere unbedingt verstehen müßten. Das ist Zarathustras Erfahrung mit dem Volk, das nicht auf ihn hören, ihm nicht gehorchen will. Es würde dabei viel, nämlich seine gewohnte Weltorientierung verlieren. Dieser Sinn für die Bewahrung der Identität, innerhalb derer sich das Neue, Unerhörte interpretierend, d. h. durch Reduktion auf das Gewohnte verstehen läßt, ist ein nicht weiter zu begründender ästhetischer Sinn. Er ist ein „Instinkt“. Begründungen, als befriedigende Antworten auf die Frage nach Gründen, kommen nur innerhalb solcher Orientierungsrahmen zum Ende. Nietzsche versteht sich als Philosoph am Ende einer zweitausendjährigen Epoche einer Form des abendländischen Philosophierens. Sie beginnt für ihn signifikant mit Sokrates, und somit nimmt er, wenn er sich mit der Erfindung des morgenländischen Lehrers Zarathustra in eine Distanz zu dieser Epoche setzt, von den abendländischen Philosophen nur die „Vorsokratiker“ aus. Am Anfang dieser Epoche stand die Sokratische Erfindung des „theoretischen Menschen“, dem es nach seinem Selbstverständnis „rein“ um die „intuitiv“ geschaute und den anderen „diskursiv“ zu vermittelnde, lehrbare Wahrheit geht. Die „dialektische“ Vermittlung einer geschauten Wahrheit gilt für Platons Sokrates, der selbst nicht schrieb, zwar nur als die „zweitbeste Fahrt“ (vgl. Platon, Phaidon 99c9–d1), aber sie ist doch immerhin möglich, wenn die Philosophen die anderen Menschen, die keine Philosophen und zu der intuitiven Schau nicht in der Lage sind, nicht zu überreden, sondern logisch argumentierend zu überzeugen suchen und diese anderen sich auch nicht überreden, sondern nur überzeugen lassen wollen.

9.4 Nietzsche als Postkantianer Um der von der Kunst ihrer Darstellung abgelösten, „reinen“ Wahrheit willen soll sich nach Sokrates jeder „widerlegen“ lassen wollen. Sokrates rechnet sich selbst zu denen, „die sich gern widerlegen lassen“, wenn sie nicht recht haben, „und die auch

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Josef Simon gern widerlegen, wenn sonst jemand nicht recht haben sollte“ (Platon, Gorgias 458a3–5). Dabei ist vorausgesetzt, daß „Erkannthaben und Fürwahrhalten oder Wissen und Glauben“ nicht dasselbe sind (vgl. ebd. 454d1–3) und daß das Wissen im Unterschied zum Glauben sich auf Gründe und erst dadurch rein auf „die“ Wahrheit bezieht. Es ist zugleich vorausgesetzt, daß die letzten Gründe für alle dieselben sind. Wenn aber bedacht wird, daß man, wie dann Kant sagt, „einen jeden Begriff als einen Punkt ansehen“ kann, „der, als der Standpunkt eines Zuschauers, seinen Horizont hat“ (Kant, Kritik der reinen Vernunft, B 686), und daß „alles unser Begreifen […] nur relativ, d. h. zu einer gewissen Absicht hinreichend“ ist, ja daß wir „schlechthin“ „gar nichts“ begreifen (Kant, Logik; AA IX, 65),1 dann muß der Unterschied zwischen Glauben und Wissen anders verstanden werden. Auch das „begründete“ Wissen kann sich dann nicht mehr auf „letzte“ Gründe beziehen, sondern nur auf solche, die das jeweilige Subjekt als befriedigende Antwort auf die Frage nach Gründen gelten läßt. Dann ist bedacht, daß „Überredung […] von der Überzeugung subjektiv […] nicht unterschieden werden“ kann und daß nur der „Versuch“, den man mit den „Gründen“ seines subjektiven Fürwahrhaltens „an anderer Verstand macht“, um zu prüfen, „ob sie auf fremde Vernunft eben dieselbe Wirkung tun, als auf die unsrige“, hilfreich ist, um „die bloße Privatgültigkeit des Urteils, d. i. etwas in ihm, was bloße Überredung ist“, in der eigenen Vernunft zu „entdecken“ (Kant, Kritik der reinen Vernunft, B 849). Entsprechend schreibt Nietzsche: „‚Alles begreifen‘ – das hieße alle perspektivischen Verhältnisse aufheben[,] das hieße nichts begreifen, das Wesen des Erkennenden verkennen“ (N 1885/86, 1/114; 12, 37). Auch nach Nietzsche ist es ein „Grundmißverständniß“, wenn „ein Mensch […] nach sich jeden Anderen“ auslegt (ebd., 1/100; 12, 34). Nur „[d]ie Worte bleiben: die Menschen glauben, auch die damit bezeichneten Begriffe“ (ebd., 1/98; 12, 34), weil sie Begriffe metaphysisch auf 1 Kant, der wie Nietzsche die Notwendigkeit des „Doktrinalen“ begreift, schreibt in der Vorrede zu seiner letzten Kritik, der Kritik der Urteilskraft, daß er „hiemit“ sein „ganzes kritisches Geschäft“ endige, um „ungesäumt zum doctrinalen [zu] schreiten“ (AA V, 170). Das unverzichtbare Doktrinale „lehrt“ er in dem durch die Kritik vorbereiteten Bewußtsein der subjektiven Bedingungen des „Fürwahrhaltens“.

Ein Text wie Nietzsches Z ARATHUSTRA ein den Worten als deren „Bedeutung“ zugrundeliegendes, unzeitliches und überpersönliches Allgemeines beziehen. So ist das Lehren aufgefaßt: Der Zusammenhang der Rede ist von einem in die Redeform zu bringenden Allgemeinen her zu verstehen. Nietzsche sieht dagegen, mit dem Blick auf das Schreiben, den Text anders zustande kommen: „[I]ch streiche einen Satz durch, der mir mißrathen ist, so gut ich die Nothwendigkeit einsehe, vermöge deren er mir mißrieth, denn der Lärm eines Karrens störte mich“ (ebd., 1/114; 12, 37). Das kann aber wiederum nur eine „Erklärung“ als Erdichtung einer „Ursache“ für den jeweiligen Zusammenhang des Textes sein (vgl. N 1886/87, 7/56; 12, 314). Nach Nietzsche muß, „[b]evor ‚gedacht‘ wird“, „schon ‚gedichtet‘ worden sein“ (N 1887, 10/159; 12, 550). Die Erdichtung des Zarathustra als Figur, als erarbeitete Schrift macht den Gedanken erst möglich, der dem Werk „zugrunde liegt“, und es muß sich zeigen, ob seine Darstellung gelingt und wie sie verstanden wird. Nietzsche ist mit der „Lehre“ von der Standpunkt- und Willensbedingtheit des Erkennens Postkantianer2, auch wenn er selbst Kant noch nicht so versteht. Jedes Urteil, auch das über andere Philosophen, ist eine lebensdienliche Interpretation: Wille zum Leben und, insofern es unmodifiziert gebildet wird, Wille zur Macht. Wenn es demgegenüber keine „höheren“ Urteile geben soll, ist auch diese Aussage „nur“ Interpretation und nicht „die“ Wahrheit. Nietzsche räumt das ohne weiteres ein: „Gesetzt, dass auch dies nur Interpretation ist – und ihr werdet eifrig genug sein, dies einzuwenden? – nun, um so besser“ ( J 22; 5, 37). Es darf nach ihm so sein, und nur nach dem traditionellen Verständnis von „Sinn“ „erscheint es, als ob es gar keinen Sinn im Dasein gebe, als ob alles umsonst sei“ (N 1886/87, 5/71; 12, 212), wenn eine bestimmte Interpretation und mit ihr die sich von ihr her verstehende „Welt“ zugrunde geht. Aber es „erscheint“ nur so, weil diese eine Interpretation „als die Interpretation galt“ (ebd.) und man sich nicht von ihr lösen konnte, als sie „ihre Zeit“ gehabt hatte und eine andere „Grundorientierung“ an der Zeit war (vgl. Simon 1986, 62 ff.). 2 „Was will ich? (frägt der Verstand) – Worauf kommts an? (frägt die Urteilskraft) – Was kommt heraus? (frägt die Vernunft.)“ (Kant, Anthropologie in pragmatischer Hinsicht; AA VII, 227).

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Josef Simon Wie schon Kant löst Nietzsche sich von der Vorstellung einer „Übersicht“ über das Leben durch die Teilhabe an einer zeitlosen „visio dei“ und damit von der Vorstellung einer Übereinstimmung in allgemeinen, überzeitlichen „Ideen“, ohne nun aber etwas anderes positiv „lehren“ zu können. Wer andere belehren will, muß „denken“, er könne sie, statt sie zu überreden, im Blick auf eine „Sache selbst“ überzeugen, von „Vorurteilen“ befreien und zu einer überzeitlichen Wahrheit führen. Nietzsche setzt dagegen, daß eine Lehre nur dann gelingt, wenn sie auf ein Bedürfnis trifft und eine Not behebt. Er spricht von den „Vorsokratikern“ als von „Philosophen“, die nicht „rein“ theoretisch „über“ die Welt zu denken anfangen, sondern ihr System jeweils in eine „Lücke“ der vorhandenen Kultur und damit in einen lebensdienlichen, zeitlichen Zusammenhang stellen: „Der Philosoph soll erkennen, was noth thut, und der Künstler soll es schaffen. Der Philosoph soll am stärksten das allgemeine Leid nachempfinden“ (N 1872/73, 19/23; 7, 423), aber der Künstler kann das Heilmittel erfinden, so wie auch Nietzsche „seinen“ Zarathustra als die positive Gestaltung des „Untergangs“ der Lehre und des Lehrers erfunden hat. Wie von den „alten griechischen Philosophen jeder eine Noth ausdrückt: dort, in die Lücke hinein stellt er sein System. Er baut seine Welt in diese Lücke hinein. Es sind alle Mittel zu sammeln, durch die es möglich ist den Menschen zur Ruhe zu retten: bei absterbenden Religionen“ (ebd.), also dann, wenn das (mythische oder religiöse) bisher als „verbindlich“ geltende Fundament einer tradierten Lebensform an bestimmten Stellen problematisch geworden ist. Nietzsche sah solch eine Stelle in der moralischen Fundierung der Religion. Wäre das Fundament generell fraglich geworden, könnte nichts mehr verstanden, aber auch nichts „Sinnvolles“ mehr gesagt werden. Deshalb stellt sich Nietzsche auch nicht einer „höheren“ Wahrheit wegen gegen die Religion. Auch daß „Gott tot“ sei, läßt sich nicht im abstrakten Gegensatz zu einem bestehenden Gottesglauben „lehren“. „Gott ist todt: aber so wie die Art der Menschen ist, wird es vielleicht noch Jahrtausende lang Höhlen geben, in denen man seinen Schatten zeigt“ (FW 108; 3, 467). Es sind platonische Höhlen mit ihren Schatten für das Volk. In der bekannten Stelle der Fröhlichen Wissenschaft ist es ein „toller Mensch“, der Gott sucht und auf die spöttischen Fragen der

Ein Text wie Nietzsches Z ARATHUSTRA Menschen, „welche nicht an Gott glaubten“, ruft: „Wir haben ihn getödtet, – ihr und ich!“ (FW 125; 3, 480 f.) Der Unglaube hat ihn getötet. Zarathustra weiß, wie vorsichtig man gerade mit einer „Lehre“ vom Tode Gottes umzugehen hat, da im Leben immer etwas absolut gesetzt werden muß, wenn es sich nicht verlieren soll. Noch im Juni 1887 notiert Nietzsche, „[i]m Grunde“ sei „ja nur der moralische Gott überwunden“ (N 1886/87, 5/ 71; 12, 213), und in der Götzen-Dämmerung schreibt er, er fürchte, wir würden „Gott nicht los, weil wir noch an die Grammatik glauben …“ (GD, Vernunft 5; 6, 78). Wir glauben an die grammatischen Formen unserer Urteilsbildung als an allgemeine Wahrheitsformen. Nietzsche ist zudem nicht originell, wenn er diesen „Glauben“ kritisiert, ohne ihn deshalb für verzichtbar zu halten. Nach Kant kann, wie gesagt, „jeder Begriff“ als ein „Standpunkt“ angesehen werden, der seinen „Horizont“ hat, und es ist auch besser, das zu tun, weil es einem dazu verhilft, sein Urteil auch im Modus des „Wissens“ (und nicht nur des „Glaubens“) als ein immer auch subjektiv begründetes „Fürwahrhalten“ zu reflektieren (vgl. Kant, Kritik der reinen Vernunft, B 850) – und nach Hegel ist ein Urteil schon „durch seine Form einseitig und insofern falsch“ (Hegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften von 1830, § 31). Als letztes Wort zur Sache genommen, ist es falsch, denn dann verfestigt es die Aussage zu einer „letzten“ Bestimmung, „was“ etwas sei. Es ist auch nicht originell, wenn Nietzsche selbst die Denkform, „den Interpreten noch hinter die Interpretation zu setzen“ und ihr somit doch noch einen „Grund“ (ein subiectum) zuzudenken, zu einer besonderen „Grammatik“ rechnet und das schon „Dichtung, Hypothese“ nennt (vgl. N 1886/87, 7/60; 12, 315). Auch Kant denkt „das Subjekt“ nicht als einen erkennbaren und begrifflich bestimmbaren Gegenstand; „ich“ ist für ihn Bezeichnung des „Standpunktes“ der Urteilsbildung und des Fürwahrhaltens in den „Modi“ des „Meinens“, des „Glaubens“ oder des „Wissens“; auch er versteht das Urteil als die Form, in der wir das, was uns in der Anschauung „gegeben“ ist, von uns aus jeweils „als bestimmt ansehen“ (vgl. Kant, Kritik der reinen Vernunft, B 128). Das Subjekt dieses Ansehens-als-bestimmt ist „durch das dem Gedanken angehängte Ich nur transzendental bezeichnet“, „ohne die mindeste Eigenschaft desselben zu bemerken“ (ebd.,

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Josef Simon A 355). Rein deiktisch ist es als das „Ich denke“ bezeichnet, das „alle meine Vorstellungen“ „muß begleiten können“, aber selbst „von keiner weiter begleitet werden kann“ (ebd., B 132). Ich kann mir meinen „Standpunkt“, wenn ich mir von ihm aus ein Bild von etwas mache, selbst nicht ins Bild bringen. Er ist für mich der „höchste Punkt“ (vgl. ebd., B 134). Auch hier könnte man also schon sagen: „Soweit überhaupt das Wort ‚Erkenntniß‘ Sinn hat, ist die Welt erkennbar: aber sie ist anders deutbar“, als sie gerade jetzt und hier von einer bestimmten Person gedeutet wird; „sie hat keinen Sinn hinter sich, sondern unzählige Sinne“ (N 1886/87, 7/60; 12, 315). „Unsre Bedürfnisse sind es, die die Welt auslegen: unsre Triebe und deren Für und Wider. Jeder Trieb ist eine Art Herrschsucht, jeder hat seine Perspektive, welche er als Norm allen übrigen Trieben aufzwingen möchte“ (ebd.), auch noch in einem Widerstreit der Triebe innerhalb eines Individuums. Auch andere können die Bedürfnisse und Absichten nicht erkennen, die mein Denken und Urteilen aus meinem „Horizont“ jeweils bewegen; sie können sich immer nur aus ihrer Sicht ihre „Vorstellungen“ davon machen. Keiner hat die absolute Übersicht oder Einsicht, und deshalb ist es nach Nietzsche „schwer, verstanden zu werden“, so daß man „[s]chon für den guten Willen zu einiger Feinheit der Interpretation […] von Herzen dankbar sein“ soll. „[A]n guten Tagen verlangt man“ sogar „gar nicht mehr Interpretation.“ Man läßt dann zwar nicht „die anderen“ überhaupt, aber doch, ohne „Rücksicht“ auf die eigenen Bedürfnisse, bestimmte andere ganz von sich aus verstehen. Zumindest soll man „seinen Freunden einen reichlichen Spielraum zum Mißverständniß zugestehen“, auch wenn im allgemeinen „etwas Beleidigendes darin“ ist, „verstanden zu werden“; „[c]omprendre c’est égaler“ (N 1885/86, 1/182; 12, 50 f.). An weniger guten Tagen bleibt man dagegen vom „Ressentiment“ beherrscht und besteht auf der eigenen Aussage. Man verhält sich wie ein „logischer Egoist“ im Kantischen Sinn (vgl. Kant, Anthropologie in pragmatischer Hinsicht; AA VII, 128 ff.). „Alles“, auch der Wille zum gemeinsamen Fürwahrhalten, der „Freunden einen reichlichen Spielraum“ zugesteht, hat „seine Zeit“. „Ein Jeder hat“, wie Nietzsche schon früher geschrieben hatte, „seinen guten Tag, wo er sein höheres Selbst findet; und

Ein Text wie Nietzsches Z ARATHUSTRA die wahre Humanität verlangt, Jemanden nur nach diesem Zustande“ und nicht nach den „Werktagen“ des Lebens als den Tagen „der Unfreiheit und Knechtung zu schätzen“ (MA 1, 624; 2, 351). Damit ist zugleich zugestanden, daß an solchen „Werktagen“ jeder wieder an sich denken, den eigenen Standpunkt zur Geltung bringen und sich fragen muß: „Wie viel Einer aushält von der Wahrheit? Wie viel Einer auf sich nimmt, zu verantworten? Wie viel Einer auf sich nimmt, zu versorgen und zu schützen?“ (N 1885/86, 1/200; 12, 55) Zarathustra ist einer, der viel auf sich nimmt, der „herabsteigt und zu Jedem das Gütigste sagt“ (EH, Zarathustra 6; 6, 344). Aber er als Person ist erdichtet; Nietzsche nennt sich „den Dichter des Zarathustra“ (ebd. 4; 6, 340). Von sich selbst sagt er dagegen, daß er den Gedanken der „ewigen Wiederkehr“ nicht ertragen habe. „Ich will das Leben nicht wieder. Wie habe ich’s ertragen? Schaffend. Was macht mich den Anblick aushalten? der Blick auf den Übermenschen, der das Leben bejaht. Ich habe versucht, es selber zu bejahen – Ach!“ (N 1882/83, 4/81; 10, 137)

9.5 Nietzsches Zarathustra und Platons Sokrates Die erdichtete Figur des Zarathustra ermöglicht es Nietzsche, sich hinter ihr und hinter dem, was sie sagt und vor allem wie sie es sagt, zu verbergen. Zarathustra ist in diesem Sinn Nietzsches Freund an guten Tagen. Er ist, so „wie er herabsteigt und jedem nur das Gütigste sagt“, „fein“ und einläßlich im Verstehen, vom „Typ“ her ohne egoistisches Ressentiment und ohne Behauptungswillen. Seine Erdichtung hat etwas mit der Frage nach dem Verstanden- oder Nichtverstandenwerden der Schriften Nietzsches zu tun, aber für ein Verstandenwerden war es nach Nietzsche „noch nicht an der Zeit“, und deshalb ist es für ihn wichtig, nicht „verwechselt“ zu werden (EH, Vorwort 1; 6, 257). Er läßt an seiner Statt die erdichtete Figur mit ihren „Lehren“ „untergehen“. Die „Erfindung“ des Zarathustra hat demnach mit der Kritik am metaphysischen Wahrheitsbegriff zu tun. „Wer“ könnte, wenn es keine Wahrheit geben soll, dies sagen und zugleich seine Aussage als einen selbst wahren Satz beanspruchen? – Die Kritik am metaphysischen Wahrheitsbegriff hatte schon Kant

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Josef Simon damit begründet, daß wir über kein „allgemeines materiales Wahrheitskriterium“ verfügten, ja daß dieser Begriff „sogar in sich selbst widersprechend“ sei (Kant, Logik; AA IX, 50). Wir könnten immer nur unsere Vorstellungen mit anderen Vorstellungen vergleichen; Vorstellung ist aber „noch nicht Erkenntniß“, und sogar „was Vorstellung sei“ muß man, wenn es nicht unmittelbar verstanden wird, „wiederum durch eine andere Vorstellung erklären“ (ebd., 34). Man muß es beim Ersetzen einer Vorstellung durch eine andere bewenden lassen bzw., in der Darstellung gegenüber anderen, beim Ersetzen von Zeichen durch andere Zeichen, in denen man zu sagen versucht, „was“ als Bedeutung eines unverstandenen Zeichens gelten soll. Ein Wahrheitsanspruch wird dagegen weder von Kant noch von Nietzsche geleugnet. Es wird vielmehr argumentiert, daß sich „im Leben“ „Wille gegen Wille“ – z. B. der Wille zu einer weiteren „Erklärung der Bedeutung“3 gegen den Willen zum Abbruch der Erklärung bei einer subjektiv als hinreichend erscheinenden Deutlichkeit – und damit Anspruch gegen Anspruch stelle und daß dabei wesentlich offenbleiben müsse, wie die Ansprüche dem Inhalt nach „letzten Endes“ gemeint seien. Gerade das Leben (unter Zeitbedingungen) verlangt solch einen Willen zum individuellen Abbruch im Versuch zu sagen, „was“ etwas „in Wahrheit“ sei oder wie eine Aussage zu verstehen sei.4 Es muß sich jeweils zeigen, „[w]ie viel Einer aushält von der Wahrheit“ (N 1885/86, 1/200; 12, 55), die er selbst beansprucht, und welche „Spielräume“ er anderem Verstehen einräumen kann. Es geht um den Ernst der Ansprüche im Leben, in dem (verantwortbares) Handeln notwendig ist, nicht darum, daß Ansprüche rein theoretisch erhoben werden. Natürlich „gibt“ es auch für Nietzsche Wahrheit, wenn er sie als solche beansprucht oder sie den Freunden als deren Ansprüche aus ihrer „fremden Vernunft“ zugesteht. Nietzsche wendet sich gegen die Vorstellung einer Wahrheit, die über die subjektiven Horizonte hinweg unbedingt

3 Vgl. L. Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, Nr. 560: „‚Die Bedeutung des Wortes ist das, was die Erklärung der Bedeutung erklärt.‘“ 4 Nach W. v. Humboldt ist „die Wirksamkeit des Einzelnen […] immer eine abgebrochene“ (Ueber die Verschiedenheiten des menschlichen Sprachbaues und ihren Einfluss auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts; Akademieausgabe VII, 32).

Ein Text wie Nietzsches Z ARATHUSTRA „überzeugend“ und damit argumentativ erzwingbar wäre. Das Entscheidende ist hier die Anerkennung einer Pluralität von Personen. Zarathustra ist Nietzsches erfundenes „alter ego“, mit dem er nicht gleichgesetzt werden will. Diese „Erfindung“ soll ihn selbst vor einer Identifizierung durch andere schützen, auch vor der Identifizierung durch Interpretation. Auch schon Platon hatte in seinen geschriebenen Dialogen mit Sokrates einen erfundenen „Typus“ für sich reden lassen, dem es gleichgültig ist, „wer“ nach der Wahrheit fragt. Der „theoretische Mensch“, der über dem Leben steht und den Sokrates vertritt, ist nicht der historische Sokrates, sondern diese (Platonische) Erfindung. Die Dialogform ermöglicht das aporetische Ende des Diskurses angesichts verschiedener Positionen. Es soll den anderen nicht in „langen Reden“ etwas vorgesetzt werden, wovon sie sich nicht in allen einzelnen Denkschritten selbst überzeugen können. Deshalb soll die Argumentation des Lehrers erst dann zum nächsten Schritt übergehen, wenn die Zuhörer dem bisher Erörterten von sich aus zugestimmt haben. Sie sollen nicht übergangen werden. Das ist auch schon keine „reine“ Lehre mehr. Der fiktive Charakter der Dialogpartner und der geschriebenen Dialoge gestattet es dem Autor, zugleich für beide Seiten zu sprechen und den Dialog „methodisch“ zu einer „sachlichen“ Übereinstimmung als der Übereinstimmung in „der“ intendierten Wahrheit zu lenken. Bei einem realen Dialog müßte ungewiß bleiben, ob wirklich Übereinstimmung im Selben erreicht worden ist, weil sein Abschluß sich praktisch dann ergibt, wenn keiner mehr nach den Prämissen oder dem Sprachgebrauch, in dem sie verstanden werden sollen, zurückfragt. Man kann daher nicht wissen, ob sich alle Beteiligten im Selben verstehen und ob sie das überhaupt wollen. Bei Platon wollen sie es in der Regel, bzw. er als Autor will, daß sie es wollen, und insofern steht nicht wie im Leben „Wille gegen Willen“. Aristoteles hat dann ja auch die Logik als formales „Organon“ vornehmlich an „materialen“ Beispielen aus den Platonischen Dialogen herausgearbeitet. Die Frage nach der interpersonalen Vermittlung der Wahrheit und auch das theoretisch-methodische Übergehen dieser Frage standen demnach schon am Anfang der abendländischen Philosophie. „Die Wahrheit“ soll „am Ende“ allen gemeinsam, für alle faßlich und dieselbe sein, so daß alle „überzeugt“ und nicht

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Josef Simon nur „überredet“ in ihr übereinstimmen. Als „absolute“ soll sie von den subjektiven Ansichten aus besonderen Lebenssituationen und ihren Bedürfnissen, also von allem individuell und zeitlich Bedingten abgelöst sein. Damit ist sie auch von der feinsinnig nuancierten Bedeutung der Wörter abgelöst, wie sie sich jeweils im Zusammenhang eines besonderen Redegebrauchs in Rücksicht auf das andere Verstehen anderer ergibt. Die Platonischen Dialoge sind ja streckenweise „Klärungen“ des Sprachgebrauchs, der dadurch erst als „der gemeinsame“ – man müßte hinzufügen: unter den Anwesenden – sichergestellt werden soll. Die dialogische Gesprächsform und ihr Ziel, das Aufheben von Vorurteilen und das Erfassen einer absoluten Wahrheit, dienen dem Zweck der Aufhebung des Unterschieds zwischen Lehrer und Belehrten und damit auch der Aufhebung der Dialogform bzw. des Dialogs in diese „Form“ der Präsentation „der“ Wahrheit. Für Nietzsches Zarathustra gilt dieses platonische Ideal der Einigkeit im allgemeinen Selben offensichtlich nicht. Zarathustra kehrt am Ende aus der Zuwendung zu den Menschen wieder in seine Einsamkeit zurück. Als „öffentlicher“ Lehrer ist er gescheitert. Wenn Heidegger schreibt, das, was Nietzsche „zeit seines Schaffens selbst veröffentlicht“ habe, sei immer nur „Vordergrund“, und „die eigentliche Philosophie“ bleibe „als ‚Nachlaß‘ zurück“ (Heidegger 1961/I, 17), ist natürlich auch und, soweit er als das veröffentlichte „Hauptwerk“ gilt, vor allem der Zarathustra gemeint. Heidegger steht aber selbst noch zu sehr unter dem Wahrheitsbegriff der „nachsokratischen“ Philosophie, um in der ästhetisch-literarischen Form der Veröffentlichung ein philosophisches Moment der Wahrheit zu sehen. Es ist einzuräumen, daß der „Nachlaß“ Nietzsches die „großen Themen“ seiner Philosophie und ihre philosophischen Zusammenhänge im traditionellen Sinn deutlicher und in einem gewissen Sinn auch reflektierter darbietet als die veröffentlichten Schriften und besonders als der Zarathustra, mit dem Nietzsche zumeist verwechselt wurde. Auch fehlt im Nachlaß oft die polemische Zuspitzung. Gerade weil er nicht als „Werk“ abgeschlossen ist, kann Widersprüchliches nebeneinander stehenbleiben, ohne einem Autor, der dafür einzustehen hätte, zugeschrieben zu werden. Das Fehlen der geschlossenen Form ermöglicht es, die Fragmente des Nachlasses zur Interpretation „geschlossen“ erscheinender Werke zu benutzen – so wie es auch hier versucht

Ein Text wie Nietzsches Z ARATHUSTRA wird. Für Nietzsche bleibt aber die Darstellung, als Hinwendung zu anderen in ihrer anderen Lage und damit auch jede darstellende Auslegung aus eigener Sicht, grundsätzlich problematisch. Sie wird gewissermaßen zum eigentlichen Gegenstand der Philosophie. Philosophie wird, um einen Ausdruck des ihm darin verwandten Johann Georg Hamann zu verwenden, bewußte „Autorhandlung“. Der Inhalt kann davon nicht unberührt bleiben. Er ist dann kein „gelehrter“ Inhalt mehr, dessen Form nur noch didaktisch von Interesse wäre.

9.6 Zarathustra als Nietzsches Hauptwerk So steht der Zarathustra in der alle vier Teile umfassenden poetischen Klammer eines philosophischen Vorbehalts, der das Problem der Vermittlung „der“ Wahrheit und von daher den gesamten Inhalt betrifft. Diese Klammer schließt sich am Ende mit einer dem Anfang entsprechenden Szene: Zarathustra spricht wieder zur Sonne, „wie er einstmals gesprochen hatte“. Sie hat zumindest ihn als ihr Gegenüber. Ihm leuchtet sie. Aber die „höheren Menschen“, an die Zarathustra sich verschenken wollte, „schlafen noch“. Sie sind nicht seine „rechten Gefährten“ auf dem Weg zu seinem „Werke“, denn „sie verstehen nicht, was die Zeichen“ seines „Morgens sind“. Die „zweitbeste“, die vermeintlich „menschliche“ Fahrt der Vermittlung ist gescheitert. Zarathustra ist aber gerade nicht Nietzsche. Sonst hätte er ihn nicht erfinden müssen. Unter den Weisheiten, die Zarathustra lehrt, sind solche, die sich auf das „Lesen und Schreiben“ und damit auf die Autorschaft selbst beziehen. Als „Lehren“ verstanden, geraten sie in die Gefahr, selbst wiederum als theoretische Grundsätze „darüber“ verstanden zu werden. Geschriebenes bleibt aber gegenüber jedem einverleibenden „Verständnis“, gegenüber jedem Begriff, den sich der Leser von sich aus machen kann und macht, als immer neu zu deutendes Zeichen in der vom individuellen Autor geprägten Form stehen. Es kann immer wieder gelesen werden und geht nicht in einem, nicht in einem „allgemeinen“ Verständnis als seiner „wahren“ Interpretation auf. „Von allem Geschriebenen liebe ich nur Das, was Einer mit seinem Blute schreibt. Schreibe mit Blut: und du wirst erfahren,

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Josef Simon dass Blut“, als etwas Leibliches, Individualisierendes, „Geist ist“ (48). Geist ist nicht mehr etwas vom Leib Abgehobenes, das der Autor mit dem Leser oder sogar mit jedem Leser „gemein“ haben könnte. „Wer den Leser“ als den, der im Allgemeinen versteht, „kennt, der thut Nichts mehr für den Leser“ (ebd.), sprach Zarathustra. Er berücksichtigt nicht dessen „mögliches“ Verständnis, um ihm gerecht werden zu können. Zarathustra hat einen anderen Begriff von „Gerechtigkeit“, mit dem er aber als Lehrer scheitern muß. Er versucht ihn gegen das Lehrbare zu lehren: „Ich mag eure kalte Gerechtigkeit nicht“. „Sagt, wo findet sich die Gerechtigkeit, welche Liebe mit sehenden Augen ist? So erfindet mir doch die Liebe, welche nicht nur alle Strafe, sondern auch alle Schuld trägt! So erfindet mir doch die Gerechtigkeit, die Jeden freispricht, ausgenommen den Richtenden!“ (88) „Richtende“ sind die, die die anderen nach „allgemeinen“ Normen beurteilen, so wie sie selbst sie verstehen. Die „kalte Gerechtigkeit“ ist eine gleichmachende, die die Individualität übergeht. Zarathustra äußert sich dazu ausführlicher in dem Abschnitt Von den Taranteln, der sich gegen eine Gerechtigkeit wendet, die Gleiches mit Gleichem vergelten will. Er wendet sich gegen die „Prediger der Gleichheit“, nennt sie „versteckte Rachsüchtige“ und will ihre „Verstecke schon an’s Licht bringen“ (128). Aber, und „also“ spricht hier Zarathustra und nicht Nietzsche, auch die psychologisierend „entlarvend“ gemeinten Aussagen, „was“ die „kalte Gerechtigkeit“ in Wahrheit oder in definitiver Bestimmung „sei“ und worin sich ihr wahres „Wesen“ verberge, unterliegen dem fremden Verständnis, sobald sie geäußert sind. Auch sie werden als allgemein mitteilbare „Lehren“ genommen. Nietzsches Zarathustra führt diese Tragik vor, aus der Sokrates die Griechen mit der allgemeinen Idee „des Menschen“ gerade herausführen wollte. „Der“ Mensch, wie er von einer Idee „des“ Menschen her allgemein oder theoretisch zu verstehen wäre, hat kein Schicksal. Ein Schicksal hat nur das Individuum in seinem besonderen Verhältnis zu anderen Individuen, und „Lehren“ sind von individuellen Lehrern dargestellte Lehren. Ihr Schicksal erfüllt sich darin, „im allgemeinen“ von anderen je auf deren „usuelle“ Weise verstanden zu werden. Insofern ist „Verstandenwerden“ der Untergang des Individuellen. Gerade die höchsten Begriffe nivellieren am meisten. Auch wer glaubt, von Nietzsche „etwas“

Ein Text wie Nietzsches Z ARATHUSTRA (dem anderen Verstehen Enthobenes) verstanden zu haben, „hat sich Etwas aus mir zurecht gemacht, nach seinem Bilde“ (EH, Bücher 1; 6, 300). Der Text hat seine Wahrheit darin, daß er demgegenüber stehenbleibt. Insofern der Zarathustra als Text gerade dies ausdrückt, ist er Nietzsches Hauptwerk. Es enthält dem Inhalt nach in den vier Teilen zwar die sogenannten „Lehren“, die Lehre vom „Willen zur Macht“, von der „ewigen Wiederkehr des Gleichen“, vom „Übermenschen“ und vom „Tode Gottes“, aber es relativiert sie als Zarathustras Lehren. „Also“ spricht Zarathustra im ersten Teil des Werkes „zum Volke: Ich lehre euch den Übermenschen“ (14). Im zweiten Teil heißt es: „Nur, wo Leben ist, da ist auch Wille: aber nicht Wille zum Leben, sondern – so lehre ich’s dich – Wille zur Macht!“ (149) Im dritten Teil wird Zarathustra dann als „Lehrer der ewigen Wiederkunft“ bezeichnet, und der vierte Teil stellt den „herrschenden Gedanken“ (vgl. 81) als „Lehre“ vom Tode Gottes dar. Die „Lehre“ formt sich jeweils mit dem Willen zu einer exoterischen Darstellung des eigentlich „einen“ esoterischen Grundgedankens, nämlich des Problems, daß Individuelles sich der logisch-sprachlichen Darstellung entzieht. Die verschiedenen „Themen“ erscheinen zwar auch in anderen Schriften Nietzsches, aber dadurch, daß sie in diesem „Hauptwerk“ einer fiktiven Person, die mit ihrer Lehre tragisch scheitert, als „Grund“ ihres Scheiterns zugeschrieben werden, erhalten sie andere Konnotationen, als wenn sie z. B. als Teile eines philosophischen Systems zusammengefaßt worden wären. Zarathustra entschließt sich, zu den Menschen hinabzugehen und ihnen seine Weisheiten mitzuteilen, und die Tiere sprechen aus, was ihm dabei geschieht: Er stellt sich ihnen als „Fürsprecher des Lebens“ dar, und schließlich ist er für sie der „Lehrer der ewigen Wiederkunft“. Diese „Lehre“ bezeichnet er als seinen „abgründlichsten Gedanken“. „Mein Abgrund redet, meine letzte Tiefe habe ich an’s Licht gestülpt!“ Darin liegt schon ein Widerspruch. Eine „Lehre“ dürfte nicht „abgründlich“ sein. So sprechen seine Tiere mit ihm, weil sie glauben, „die Zeit sei gekommen, mit ihm zu reden“ (271). „Denn deine Thiere wissen es wohl, oh Zarathustra, wer du bist und werden musst: siehe, du bist der Lehrer der ewigen Wiederkunft –, das ist nun dein Schicksal!“ Es ist Zarathustras „grösste Gefahr und Krankheit“ (275 f.).

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9.7 Sprache und Musik Von einem „systematischen“ Philosophieverständnis her liegt es nahe, diese vier Themen in ihrer „inneren“ Beziehung zueinander auszulegen und zu fragen, welches „im Grunde“ das übergeordnete sei. Heidegger z. B. sah in der These, alles sei „Wille zur Macht“, die Vollendung der Metaphysik, die immer schon zu sagen suchte, was „alles“ „in Wahrheit“ und letzter Ausdeutung sei. Das wäre dann eine weitere metaphysische These, die aber die Metaphysik als ganze zugleich auf ihren Begriff brächte: Alle Metaphysik ist „im Grunde“ Wille zur Macht. Wenn diese Aussage aber, wie Nietzsche es zumindest in diesem „Hauptwerk“ tut, Zarathustra in den Mund gelegt wird, ist sie selbst problematisiert. Es ist dann nicht mehr eine These über das Sein, die ihre Zeitgemäßheit ignorierte. Eher könnte man sagen, die vier Themen interpretierten sich gegenseitig. Man folgt dann der Gestalt des Zarathustra mit seinen sich mit der Zeit und von Buch zu Buch verschiebenden Perspektiven als einem Menschen, der von der Zeit mitgenommen wird. Man fügt seinen „Lehren“ nichts anderes hinzu als deren immanente Interpretation durch die anderen „Lehren“. Das käme einem Verstehen ohne Interpretation entgegen. Nietzsche spricht in der Tat von solch einem unmittelbaren Verstehen, das dann auch nicht mehr als „Wille zur Macht“ aufzufassen wäre. Es erfolgte aus einem Zustand, in dem man in der Lage ist, „einen Text als Text ablesen“ zu können, „ohne eine Interpretation dazwischen zu mengen“. Er nennt das „die späteste“ und „kaum mögliche“ „Form der ‚inneren Erfahrung‘“ (N 1888, 15/90; 13, 460; vgl. Simon 1995). Ein solches interpretationsloses Verstehen würde sich nicht des „Gegenstandes“ bemächtigen wollen. Es wäre auf „gute Tage“ verwiesen, und man wäre nicht mehr das „Subjekt“ dieser Möglichkeit. Das steht im Zusammenhang mit dem metaphysischen Begriff der Sprache, nach dem sich der Mensch, „das Tier, das über Sprache verfügt“, als das Subjekt seiner Sprache und damit zugleich als das Subjekt eines endgültigen, in einer „Sache selbst“ zu Ende kommenden Gelingens der sprachlichen Repräsentation von Seiendem voraussetzt. Daran gemessen ist das Reden der Tiere Zarathustras bloße Geschwätzigkeit: „– Oh meine Thiere, […] schwätzt also weiter und lasst mich zuhören! Es

Ein Text wie Nietzsches Z ARATHUSTRA erquickt mich so, dass ihr schwätzt: wo geschwätzt wird, da liegt mir schon die Welt wie ein Garten. Wie lieblich ist es, dass Worte und Töne da sind: sind nicht Worte und Töne Regenbogen und Schein-Brücken zwischen Ewig-Geschiedenem? Zu jeder Seele gehört eine andre Welt; für jede Seele ist jede andre Seele eine Hinterwelt. Zwischen dem Ähnlichsten gerade lügt der Schein am schönsten; denn die kleinste Kluft ist am schwersten zu überbrücken“ (272). Nur zum „Schein“ überbrückt die Sprache die individuellen Unterschiede in einem verbindlichen Verstehen. Sie erzeugt den ästhetisch-apollinischen „Schein“ von Übereinstimmung, mit dem sich leben läßt. Das ist der Geist der Sprache als „Geist der Musik“, aus dem nach Nietzsche aber auch die Tragödie geboren wird. Giorgio Colli spricht von einem „unterirdische[n] Zusammenhang“ des Zarathustra mit der Geburt der Tragödie (Nachwort zu Zarathustra; KSA 4, 413): „[S]ogar das, was nicht geschrieben ist – das Tempo, die musikalische Färbung, dieses oder jenes Cantabile, Smorzando, Crescendo oder Teneramente – gelten mehr als der dahinterstehende Gedanke“ (ebd., 412). Nietzsche sagt selbst, man dürfe „vielleicht den ganzen Zarathustra unter die Musik rechnen“ (EH, Zarathustra 1; 6, 335). Erstaunlicherweise hatte wiederum bereits Kant auf diese musikalische Dimension der Sprache hingewiesen. Von der „Tonkunst“ schreibt er: „Der Reiz derselben, der sich so allgemein mittheilen läßt, scheint darauf zu beruhen: daß jeder Ausdruck der Sprache im Zusammenhange einen Ton hat, der dem Sinne desselben angemessen ist; daß dieser Ton mehr oder weniger einen Affect des Sprechenden bezeichnet und gegenseitig auch im Hörenden hervorbringt, der denn in diesem umgekehrt auch die Idee erregt, die in der Sprache mit solchem Tone“ – im individuell gebildeten Zusammenhang des Sprechens – „ausgedrückt wird; und daß, so wie die Modulation gleichsam eine allgemeine jedem Menschen verständliche Sprache der Empfindungen ist, die Tonkunst diese für sich allein in ihrem ganzen Nachdrucke, nämlich als Sprache der Affecten, ausübt“ (Kant, Kritik der Urteilskraft; AA V, 328; Herv. J. S.). Die „Gedanken“ können, weil jeder von sich aus versteht, nicht das unbedingt „Verbindende“ sein.5 Sprache ist sinnliche 5 Auch Kant bedachte dies schon, und darin liegt ein wichtiger Ansatzpunkt seiner „kritischen“ Philosophie: „Einer verbindet die Vorstellung eines gewissen

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Josef Simon Scheinverbindung. Unter diesem Schein zeigt sich im Zarathustra überall „dionysische Unmittelbarkeit“ (G. Colli, Nachwort zu Zarathustra; KSA 4, 414 f.). Sie unterbricht durch das individuelle, auch affektive Abbrechen diskursiver Erläuterungen den Schein logischer Zusammenhänge. Dennoch hat das Werk eine „Gesamtanlage“. Durch sie soll es, wie Colli bemerkt, auf eine „exoterische Ebene“ gehoben werden. Der Schein logischer Zusammenhänge erweckt auch hier den Schein der Möglichkeit einer „apollinischen Lösung“, aber die „dionysische Unmittelbarkeit“ bleibt im Schein der Vermittlung erhalten. Im Zarathustra „gibt es keine einzige Vorstellung, die eine andere Vorstellung meint oder sich gegen sie wendet, denn seine Wurzeln reichen direkt in die Unmittelbarkeit, wo es nichts gibt, was zerstört werden könnte“ (ebd., 415). Es gibt weder „Beweise“ noch „Widerlegungen“ von einem höheren, umfassenderen Standpunkt aus, der den jeweils individuellen des Augenblicks in sich aufheben könnte.

9.8 Die Hauptgedanken Aber man sollte auch dies nun nicht mehr als „Lehre“ verstehen. Es steht hier nicht mehr Lehre gegen Lehre, sondern die sehende Gerechtigkeit steht, als „amor fati“, gegen die lehrbare und damit nivellierende Gerechtigkeit. Die „ewige Wiederkunft des Gleichen“ kann daher keine theoretische Lehre mehr sein. Es ist ein Gedanke, der „schwer“ und nicht von allen zu ertragen ist. Im Nachlaß nennt Nietzsche diesen Gedanken zwar eine „neue Welt-Conception“ (N 1888, 14/188; 13, 374) und erklärt ihn quasi naturwissenschaftlich: „Wenn die Welt als bestimmte Größe von Kraft und als bestimmte Zahl von Kraftcentren gedacht werden darf – und jede andere Vorstellung bleibt unbestimmt und folglich unbrauchbar – so folgt daraus, daß sie eine berechenbare Zahl von Combinationen, im großen Würfelspiel ihres Daseins, durchzumachen hat. In einer unendlichen Zeit würde jede mögliche Combination irgendwann einmal erreicht

Wortes mit einer Sache, der andere mit einer anderen Sache“ (Kritik der reinen Vernunft, B 140).

Ein Text wie Nietzsches Z ARATHUSTRA sein; mehr noch, sie würde unendliche Male erreicht sein. Und da zwischen jeder ‚Combination‘ und ihrer nächsten ‚Wiederkehr‘ alle überhaupt noch möglichen Combinationen abgelaufen sein müßten und jede dieser Combinationen die ganze Folge der Combinationen in derselben Reihe bedingt, so wäre damit ein Kreislauf von absolut identischen Reihen bewiesen: die Welt als Kreislauf der sich unendlich oft bereits wiederholt hat und der sein Spiel in infinitum spielt“ (ebd., 376). – Doch auch diese „Erklärung“ des Gedankens der ewigen Wiederkunft nennt am Anfang ihre besonderen Voraussetzungen, unter denen sie erst als „Erklärung“ logisch gelten kann, und diese Voraussetzungen müssen, wenn die Erklärung überzeugen soll, unbefragt übernommen werden. Setzen wie Übernehmen der Voraussetzungen sind individuelle Akte, deren Gelingen nicht logisch zu gewährleisten ist, sondern sich immer erst zeigen muß. Ebenso verhält es sich mit den anderen „Hauptgedanken“ Nietzsches. Auch „was“ der Übermensch „sei“, läßt sich nicht allgemein erklären. Es ist der Mensch, der sich gerade nicht an dem mißt, was als allgemein menschlich vorausgesetzt ist, nicht an dem, was ein Mensch von seinem „Wesen“ her sein sollte, sondern der Mensch, der tatsächlich und ohne Ressentiment zu sich selbst und den anderen in ihrer Andersheit „ja“ sagen und den Unterschied ertragen kann. Auch der Gedanke vom Willen zur Macht ist nicht „lehrbar“. Wenn Nietzsche einerseits sagt, „alles“, d. h. alles gleicherweise, sei „Wille zur Macht“ und damit zuletzt doch „dasselbe“, und andererseits in einem „esoterischen“ Sinn, es gebe keinen Willen und die Vorstellung von so etwas wie „Wille“ sei eine „falsche Verdinglichung“ (N 1886/87, 5/9; 12, 187 und N 1885/86, 1/62; 12, 26), dann liegt auch diese „falsche“ Verdinglichung in der Lehre: „Am Anfang steht das grosse Verhängniss von Irrthum, dass der Wille Etwas ist, das wirkt, – dass Wille ein Vermögen ist … Heute wissen wir, dass er bloss ein Wort ist … Sehr viel später, in einer tausendfach aufgeklärteren Welt kam die Sicherheit, die subjektive Gewissheit in der Handhabung der VernunftKategorien den Philosophen mit Überraschung zum Bewusstsein: sie schlossen, dass dieselben nicht aus der Empirie stammen könnten, – die ganze Empirie stehe ja zu ihnen im Widerspruch“ (GD, Vernunft 5; 6, 77). Die Bedeutungen der „Worte“ gründen in einem sicheren und bestimmenden Gebrauch, und

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Josef Simon der „Schluß“ auf universale Bedeutungen erfolgt aus dieser „Gewißheit“. Schließlich ist auch die Rede vom „Tode Gottes“ nicht allgemein begründbar, und sie wird auch nicht von allen „ertragen“. Zarathustra behält sie daher gleich am Anfang des ersten Teiles lieber für sich. Er sagt zu dem Heiligen, der Gott lobt: „‚Was hätte ich euch zu geben! Aber lasst mich schnell davon, dass ich euch Nichts nehme!‘“ Und erst als er wieder „allein war, sprach er also zu seinem Herzen: ‚Sollte es denn möglich sein! Dieser alte Heilige hat in seinem Walde noch Nichts davon gehört, dass Gott todt ist!‘“ (13 f.) Gerade die Rede vom Tod des „moralischen Gottes“ verlangt eine höhere individuelle Verantwortung gegenüber anderen Gewißheiten: „Ihr nennt es die Selbstzersetzung Gottes: es ist aber nur seine Häutung: – er zieht seine moralische Haut aus! Und ihr sollt ihn bald wiedersehn, jenseits von gut und böse“ (N 1882, 3/1; 10, 105). „Die Auflösung der Moral führt in der praktischen Consequenz zum atomistischen Individuum und dann noch zur Zerteilung des Individuums in Mehrheiten – absoluter Fluß. Deshalb ist jetzt mehr als je ein Ziel nöthig und Liebe, eine neue Liebe“ (N 1882/83, 4/83; 10, 138). Die Überwindung des „moralischen Gottes“ bedeutete die Überwindung einer absoluten und d. h. auch lehrbaren Moral. „Man glaubt mit einem Moralism ohne religiösen Hintergrund auszukommen: aber damit ist der Weg zum Nihilismus nothwendig. In der Religion fehlt der Zwang, uns als werthsetzend zu betrachten“ (N 1886/87, 7/64; 12, 318) und den Widerspruch zu ertragen, der in einer absoluten Bindung an selbstgesetzte Werte liegt. In diesem Mangel sieht Nietzsche den „Nihilismus“ der abendländischen philosophischen Tradition, wie sie sich seit Sokrates in einer philosophisch-theoretischen Überwindung des tragischen Bewußtseins der Griechen herausgebildet hat. Von der frühen Schrift Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik an geht es ihm offenbar um die Wiedergewinnung dieses tragischen Bewußtseins. Schon hier schreibt er: „Ja, meine Freunde, glaubt mit mir an das dionysische Leben und an die Wiedergeburt der Tragödie. Die Zeit des sokratischen Menschen ist vorüber“ (GT 20; 1, 132). Doch nicht Nietzsche, sondern seine Erfindung Zarathustra ist ein „tragischer Philosoph“. Die abendländische Philosophie hatte diese Tragik unter dem Schein ihrer „überlegenen“ theo-

Ein Text wie Nietzsches Z ARATHUSTRA retischen Wahrheitsansprüche und der Reduktion des Menschen auf das untragische „Maß“ des „Allgemeinmenschlichen“ verborgen. An Zarathustra zeigt sich die Tragik dieses ganzen „logischen“ Zeitalters als des Zeitalters des „theoretischen Menschen“, der nach theoretischen Vorstellungen von Wahrheit und Gerechtigkeit handelt, auch sein Verhältnis zu anderen Menschen von daher bestimmt und sich gerade dadurch in Aporien verstrickt. Dieses Zeitalter ist nach Nietzsche keineswegs überwunden, aber es ist, wie alle Zeitalter, begrenzt. Es hat einen Anfang und wird deshalb wohl auch ein Ende finden. Die es bestimmenden „Wahrheiten“ haben nur den Schein überzeitlicher Geltung, aber diesen Schein haben sie durchaus. Nietzsches „genealogische“ Philosophie weist darauf hin.

9.9 Nietzsches andere Semiotik Zarathustra ist kein logisches Subjekt. Er „widerspricht mit jedem Wort“ (EH, Zarathustra 6; 6, 343), und nur dadurch, daß er es sagt und erträgt, hat das Gesagte „seinen“ Zusammenhang. Indem er „zu Jedem das Gütigste sagt“, weil er sich zu den jeweiligen anderen in ihren anderen Verstehenshorizont herunterlassen will, hat er schon den „logischen“ Zusammenhang durchbrochen. Dadurch „ist in jedem Augenblick der Mensch überwunden“, wie er dem allgemeinen Begriff des Menschen nach sein sollte, und „der Begriff ‚Übermensch‘“ wird „höchste Realität“ (ebd., 344). Es ist der „Begriff“ des individuellen Menschen und damit schon ein Widerspruch in sich. Nietzsche ist nicht selbst dieser Übermensch. Der Übermensch „zerreißt“ sich für die anderen. „Zerstückelung“ ist „das eigentlich dionysische Leiden“ (GT 10; 1, 72). Das aber ist „der Begriff des Dionysos selbst“ (EH, Zarathustra 6; 6, 344). Um ein Werk zu vollenden, bedarf es einer Form. Die besondere literarische Form des Zarathustra macht den „Typus“ Zarathustra erst möglich. Ihn in „einer andren Form“ (EH, Bücher 1; 6, 299) vorzustellen ist unmöglich. Die gewählte Form ist „die erste Sprache für eine neue Reihe von Erfahrungen“ (ebd., 300), und das sind Nietzsches individuelle Erfahrungen, die er als Autor in eine Form zu bringen sucht, in der sie nicht nivelliert werden. Dabei muß er immer noch dem vorgegebenen Schema der Gram-

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Josef Simon matik folgen. Was inhaltlich auch immer gesagt werden soll, es wird, wenn es denn geäußert wird, im „Glauben“ an die „Grammatik“ geäußert. Nach deren Regeln wird das Gesagte zusammengefügt. Damit wird immer noch für wahr gehalten, daß die Form des apophantischen Urteils die Wahrheitsform sei. Alle anderen Formen, alle außersprachlichen „Semiotiken“, z. B. die der Musik, oder, für den „Tänzer“ Zarathustra (EH, Zarathustra 6; 6, 345), die des Tanzes, sollen immer noch in die eine Semiotik der Sprache übersetzbar sein, für die vorausgesetzt ist, daß definitiv gesagt werden kann, „was“ diese anderen Semiotiken „bedeuten“ sollen. Die Semiotik der Sprache, genauer der Sprache in ihrer Reduktion auf den „Sprechakt“ des apophantischen Urteils, muß für den schreibenden Autor als die letzte Semiotik gelten. Zarathustra dagegen will einer anderen Semiotik folgen. Nietzsche spricht von einer „Rückkehr der Sprache zur Natur der Bildlichkeit“ (ebd., 344). Er selbst steht aber „der“ Kunst als dem, was allgemein dafür gehalten wird, nicht unkritischer gegenüber als der Philosophie. „Was“ Kunst sei oder sein solle, bleibt wesentlich eine kunstmetaphysische Aussage. Nicht nur für „Erkenntnis“ und „Moral“, sondern auch für „Kunst“ kann nicht nach Prinzipien vorgegeben sein, „was“ sie zu sein hätten. Nietzsche geht es um die „Überwindung der Philosophen, durch Vernichtung der Welt des Seienden“ (N 1887, 9/60; 12, 367). Der Philosoph der Zukunft, von dem er spricht, fällt weder unter den „Begriff“ des Philosophen, wie ihn etwa die Dialogpartner in Platons Sophistes seinem Sein nach begrifflich zu umschreiben suchen, noch unter den des „Künstlers“, noch unter irgendeinen anderen Begriff, wie Philosophie ihn auch immer bestimmen mag, denn von der Zukunft und also auch vom „Philosophen“ der Zukunft hat Nietzsche keinen „Begriff“ (N 1888, 16/44; 13, 501). Die Philosophie im tragischen Zeitalter der Griechen hatte sich noch keinen Begriff des Philosophen oder des Künstlers vorgegeben. Hier waren die Philosophen noch – jeder für sich – „Gesetzgeber“, wie sie es nach Nietzsche in Zukunft wieder sein sollen. Sie sollen nicht in der Absicht definitiver Erkenntnis sagen wollen, „was“ etwas sei, sondern „den Werth“ (N 1872/ 73, 19/24; 7, 424) der Erkenntnis bestimmen, die als solche ihre historischen Voraussetzungen in den „herrschenden Gedanken“ (81) einer Zeit hat, bei denen sie ansetzt. In diesem Bewußtsein

Ein Text wie Nietzsches Z ARATHUSTRA von sich könnte die Philosophie auch bestimmen, „bis zu welchem Grade die Wissenschaft wachsen darf “ (N 1872/73, 19/24; 7, 424). Eine Wertbestimmung der Wissenschaft ist nur möglich, wenn ihre Wertschätzung als eine Wertsetzung begriffen ist, die – so wie nach Nietzsche „alles“ – „ihre Zeit“ hat. Zarathustra ist zwar „Einer, der die Wahrheit erst schafft“ (EH, Zarathustra 6; 6, 343), aber auch er hat „seine Zeit“. Er kann kein Vorbild für zukünftige Philosophen sein, weil Philosophie sich nicht vorweg an Vorbilder binden kann. Auch das gehört zu seinem Schicksal. Der „Übermensch“, den er „lehrt“, wird dem modernen, „höheren“ Menschen entgegengesetzt, der glaubt, aus einer überlegenen Übersicht, also rein „theoretisch“ urteilen zu können. Aber der „Übermensch“ ist kein „Ideal“, sondern gerade der „Gegensatz“ zu einem Ideal, und so ist er in der „Figur Zarathustra’s“ literarisch „zur Erscheinung gebracht worden“ (EH, Bücher 1; 6, 300). Der moderne, „höhere“ Mensch dagegen denkt, wenn vom „Übermenschen“ die Rede ist, an etwas, wovon er schon einen Begriff zu haben glaubt, etwa an eine Entwicklung „des“ Menschen (z. B. im darwinistischen Sinn) zu dem, „was“ er heute als Ideal verstehen kann. Die ihn so verstehen, nennt Nietzsche „gelehrtes Hornvieh“ (ebd.). Der „Übermensch“ könnte auch das noch ertragen. Zarathustra wendet sich am Schluß vom „ Mitleiden mit dem höheren Menschen“ (408) ab. Aber sein „Untergang“ begann schon damit, daß er „wieder Mensch werden“ (12), d. h. eine Idee erfüllen wollte. Das letzte Kapitel des Zarathustra hat die Überschrift Das Zeichen. Die „höheren Menschen“ schlafen immer noch, nur Zarathustras Tiere sind wach. Vögel bilden eine „Wolke der Liebe“ über einem „neuen Freund“, und er hörte „ein sanftes langes Löwen-Brüllen“. „‚Das Zeichen kommt‘, sprach Zarathustra, und sein Herz verwandelte sich. Und in Wahrheit, als es helle vor ihm wurde“, lag das „Gethier“ zu seinen Füßen „und wollte nicht von ihm lassen vor Liebe“; „er achtete keines Dings mehr“. Als aber die „höheren Menschen“ zur Tür der Höhle gelangten, „da stutzte der Löwe gewaltig“ und „sprang, wild brüllend, auf die Höhle los“, und die „höheren Menschen“ „waren im Nu verschwunden“ (405 ff.). Der Löwe ist zum Schluß „das Zeichen“. Er schützt vor den „höheren“, aus einer vermeintlichen Übersicht sich auf reine

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Josef Simon „Bedeutungen“ verstehenden Menschen, und Zarathustra begreift nun, daß „gestern am Morgen“ „jener alte Wahrsager“ ihn zu der „Noth“ der höheren Menschen und zum „Mitleiden“ mit ihnen „verführt“ hatte. Dieses Mitleiden brachte ihn dazu, zu ihnen hinunterzugehen und sich auf sie einzulassen. „Das – hatte seine Zeit!“ (407 f.) – Es geht hier nicht um Mitleid und Menschlichkeit unter den Umständen besonderer Begegnungen, sondern um die Überwindung der „Lehren“ vom „Wesen“ des Menschen und der Dinge, nach der Menschen und Dinge gleichermaßen von einer über alle Zeit hinweg gültigen „Wesensbestimmung“ her statt individuell zu verstehen sein sollen. Diese Lehre, die zu ihrer Zeit ihre Berechtigung hatte und über lange Zeit eine große Kultur am Leben hielt, hat nach Nietzsche ihre Zeit gehabt. Der Mensch ist immer noch das „noch nicht festgestellte“, noch nicht begriffene „Thier“ ( J 62; 5, 81). Er begreift die Bedingtheit des Begreifens.

Literatur Derrida, Jacques 1974: Grammatologie, Frankfurt/M. Heidegger, Martin 1961, 31976: Nietzsche, 2 Bde., Pfullingen. Kant, Immanuel 1900 ff.: Kant’s gesammelte Schriften, hrsg. v. d. Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften (AA), Berlin. Montinari, Mazzino 1982: Nietzsche lesen, Berlin/New York. Simon, Josef 1986: Der gewollte Schein. Zu Nietzsches Begriff der Interpretation, in: M. Djuric/J. ´ Simon (Hrsg.), Kunst und Wissenschaft bei Nietzsche, Würzburg, 62–74. Simon, Josef 1989: Welt auf Zeit. Nietzsches Denken in der Spannung zwischen der Absolutheit des Individuums und dem kategorialen Schema der Metaphysik, in: G. Abel/J. Salaquarda (Hrsg.), Krisis der Metaphysik. Wolfgang Müller-Lauter zum 65. Geburtstag, Berlin/New York, 109–133. Simon, Josef 1995: Verstehen ohne Interpretation? Zeichen und Verstehen bei Hegel und Nietzsche, in: ders. (Hrsg.), Distanz im Verstehen. Zeichen und Interpretation II, Frankfurt/M., 72–104.

Die andere Perspektive

Renate Reschke

Die andere Perspektive Ein Gott, der zu tanzen verstünde. Eine Skizze zur Ästhetik des Dionysischen im Zarathustra

„Ich würde nur an einen Gott glauben, der zu tanzen verstünde. […], jetzt tanzt ein Gott durch mich.“ (49 f.) „Komm, seliger Dionysos, … komm, Seliger, Tänzer, und bring allen viel Freud’“ (Orphischer Hymnus, Nr. 45)

10.1 Ein seltsamer Tänzer-Gott oder Dionysos ante portas? Zugegeben, Dionysos ist keine Gestalt im Zarathustra. Seine Auftritte finden bei Nietzsche vorher (in der Geburt der Tragödie) und danach (in den Fragmenten zur Philosophie des Leibes) statt. Ein Porträt des prominenten Gottes ist also nicht zu erwarten. Seine ambivalente Erbschaft allerdings schlägt auch im Zarathustra zu Buche. Er gehört zu den gedanklichen Ressoursen Nietzsches, und man kann mehr als nur vermuten, daß seine Spuren in der Bildwelt des Zarathustra präsent und konstitutiv in sie eingelagert sind. Eingedenk der Gewißheit, daß Dionysos in abendländischer Tradition – und seit der Romantik

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Renate Reschke mit eskalierender Radikalität1 – vor allem eine ästhetische Attraktivität besitzt und der Rausch-Gott für Nietzsche seinen Namen nicht nur für die Rehabilitation des Sinnlichen gegen „zwei Jahrtausende Widernatur“ (EH, Tragödie 4; 6, 313) leiht, sondern, im Zwiegespann mit Apollo, für eine Geschichte und Programmatik des Künstlerischen steht, wird eine Zukunftsvision transparent, die wesentlich ästhetisch dimensioniert und strukturiert ist. Am Bild des siegreichen Gottes, für den es gute Gründe gibt, auch im krisenanfälligen Diskurs der Moderne einen fundamentalen Part zu spielen,2 konturiert sich ein Ästhetik-Konzept quer zu den zeitgenössischen Diskursen à la Hegel-Nachfolge oder Neukantianismus und wird folgenreich eine andere Perspektive eröffnet, ein aufgerissenes Verständnis von Kunst, Körper und Körperlichkeit, eine andere Sicht aufs Sinnlich-Sublimierte, aufs Mimetische und Vitale, aufs Differente oder spannungsvoll Identische. Zu kognitiven und ontologischen Denkfiguren wird an der Singularität dieses Gottes kontrovers ein kritisches Potential manifest, das ihn zum Paradigma einer ganzen Ästhetik macht. Jeder Spurensuche nach ihm eignet daher ein dominantes Interesse am genuin Ästhetischen des Nietzscheschen Denkens, aber zugleich auch ein dezidiertes Interesse an den Perspektiven der Moderne insgesamt. Die Spurensuche führt zunächst zu der Stelle, an der im Zarathustra ein Gott aufgerufen und imaginiert wird, der zu tanzen verstünde (49). Dieser auffällige Topos vom tanzenden Gott, nur an einen solchen könnte Zarathustra glauben, provoziert eine Reihe von Kontextbesichtigungen und Fragen: er ist nicht aus sich heraus verständlich. Ist der Topos ein Capriccio, ein (bloßer) Einfall oder besitzt er eine (vielleicht) kulturkritisch-ästhetische Relevanz? Ist es die philosophische Verfüh-

1 Friedrich Schlegel und Friedrich Wilhelm Joseph Schelling treiben mit ihren Vorstellungen einer Neuen Mythologie auch das Wissen um Dionysos in die philosophische Reflexion und geben poetischer Gestaltung Stoff und Inspiration; Nietzsche greift direkt auf Schelling zurück: Darauf macht Manfred Frank einsichtig aufmerksam (Frank 1982, 344 f.). 2 Frank führt die Aktualität des Dionysos im 20. Jahrhundert auf eine um sich greifende Rationalitätsmüdigkeit zurück, auf den modernen Wunsch, in den Mythos zu regredieren und im Rausch eine trügerische Lebenssteigerung zu erfahren; Nietzsche bietet hierfür ein karrieremachendes Beispiel (ebd., 26).

Die andere Perspektive rung eines gottlosen Intellektuellen, der selbst seinem verlokkenden Topos erliegt? Warum die konjunktive Annäherung, deren absichtsvolle Vagheit sich als ambivalente Fürsprache lesen läßt? Wer ist dieser Gott, wessen Züge und welche trägt er und warum? Ist er eine Oppositionsfigur, ein Gegenbild? Wenn ja, gegen wen? Und vor allem, wofür steht er? Gehört er zu den Centauren-Geburten, die Nietzsche bereits 1870 seinem Freund Erwin Rohde angekündigt hat, eine Denkfigur, in der sich künftig Wissenschaft, Philosophie und Kunst zusammenschließen (KSB 3, 95), mit der die Impotenz der Philologie und Philosophie gleichermaßen durch Grenzüberschreitung zu überwinden und ihre ästhetische Dimension zu begründen ist? Fragen, für die Antworten ver(ge)sucht werden sollen. Welcher Gott versteht zu tanzen? Mindestens zwei Angebote finden sich im Denk- und Bildparcour der Mythologien, die vielfältig kulturgeschichtlich konnotativ besetzt sind; sie drängen sich auf: Shiva und Dionysos, die beiden zweigestaltigen Götter, die in sich zerstörerische, leidenschaftliche, gewaltsame und dunkle mit lebensspendenden, lichten, körperintensiven und freudevollen Momenten verbinden und die Nietzsche in der Zeit der Arbeit am Zarathustra immer wieder begegnen.3 Und denen man sich in ihren jeweiligen Kulturkreisen in Tänzen und durch den Tanz nähert; die selbst im Kult als Tänzer, als Herren des Tanzes präsent sind, Gestalt und Legitimation gewinnen. Wie immer auch ihre Zusammenhänge, ihre krypto-mythologischen Bezüge sein mögen, bereits in der Antike ist ihre Ähnlichkeit bekannt und selbstverständlich.4 Das 19. Jahrhundert entdeckt die asiatischen Mythologien für sich und findet erneut Interesse am Gedanken einer Verbindung auch der tanzenden Götter. Seit der Romantik ist es wieder im Bewußtsein, daß „allein Dionysos sich mit Shiva messen“ kann (Detienne 1995, 7), denn er ist der weltläufigste Gott der Griechen, der Fremde und der Befremdliche, der Maskenreiche und

3 Curt Paul Janz belegt für die Zeit der Arbeit am Zarathustra ein intensives Studium diesbezüglicher religions- und mythengeschichtlicher Lektüre ( Janz 1978/II, 228 ff.). 4 Der Gesandte des Königs Seleukos, der nach Alexander Indien mit allen Gottheiten entdeckte, fand den Zusammenhang außer Zweifel (Detienne 1995, 7).

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Renate Reschke der Heimatlose, der von Indien her Kommende5; das sind seine bestimmenden Kennzeichen. Nietzsche sind beide vertraut, wenngleich die Vertrautheit zu dem Griechen-Gott die ungleich größere sein wird. Durch Paul Deussen kennt er die großartige Symbolik Shivas, weiß er um die kulturelle Bedeutung und Wirkmächtigkeit seiner Erscheinung;6 Erwin Rohdes Studien zur antiken Mythologie7 haben gewiß seine Faszination gegenüber Dionysos unterstützt, doch steht der Gott von früh an auch im Blickfeld des eigenen philologisch-ästhetischen Interesses8. Immer ist es das Moment des Tanzes, mit dem die Identität des Dionysos bezeichnet wird, im Tanz, tanzend legitimiert er den allumfassenden Anspruch seiner Macht, tanzend wird sie ihm im bacchantischen Taumel seiner Anhänger bestätigt (ebd., 16 ff.). Im Tanz bringt sich Dionysos uno actu selbst hervor, seine Epiphanien sind spontan und unberechenbar; in der Ekstase, der Entgrenzung, im orgiastischen Szenario des Kultes zeigt sich eine exaltierte Choreographie des Gottes, eine besitzergreifende Radikalität, der sich Nietzsche nicht entziehen will. – Der Philosoph partizipiert aber auch am (Geistes) Gang nach Osten. Shivas getanzte Friedfertigkeit und Schöpfungsallmacht kommt seiner Vorstellung von der Omnipotenz des Tanze(n)s entgegen. Die Transformation der Götter ineinander führt zu einem bemerkenswerten Amalgam, an dem die griechische Überformung unbezweifelbar dominiert, an dem aber der indische Einfluß bemerkbar bleibt. Nietzsche macht es für seine Sicht auf die Kultur notorisch, und diese fällt, wie der

5 Hölderlin vor allem hat den Gott als von Indien her kommend definiert und nicht zuletzt darum gefeiert: „Des Ganges Ufer hörten des Freudengotts / Triumph, als allerobernd vom Indus her / Der junge Bacchus kam, mit heil’gem / Weine vom Schlafe die Völker weckend“ (Dichterberuf) (Hölderlin 1970/I, 434). 6 Paul Deussen arbeitet fast zeitgleich an seinem Das System des Vedanta (Leipzig 1883). 7 Erwin Rohdes Arbeiten zur griechischen Mythologie waren Nietzsche durch einen angeregten Briefwechsel vertraut, so daß ein Gedankenaustausch hinsichtlich Rohdes Überlegungen zur Antike, wie sie vor allem in Psyche. Seelenkult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen (Tübingen 1898) Niederschlag gefunden haben, auch auf Nietzsche Einfluß besaß. 8 Nietzsche hat sich bereits eingehend mit dem Phänomen des Dithyrambus 1869 und 1874/75 in Basel beschäftigt; seine Vorlesungen zur griechischen Lyrik belegen dies (BAW 5, 337 f., 346 ff.).

Die andere Perspektive Tanz der Götter, immer aus der Ordnung. Sein (Gedanken)Tanz sprengt ihr Gewohntes. Wie so oft fallen die Resultate bei Nietzsche auf einen sie verwandelnden (Denk)Boden. Er wählt seine Topoi und Bilder mit Bedacht. Das Ganze ist ein Bild-Dokument der besonderen Art: Seine Konturen wirken wie aus der(n) Zeit(en) gebrochen. Das Bild, das Nietzsche vom tanzenden Gott entwirft, ist fraktal, geprägt von historischen und kulturkreislichen Verwerfungen, eine Bild(ver)störung eigentlich, verkehrt-antikisch, halluzinatorisch, beschworen mit dem Pathos dessen, der weiß, daß auch dieser Gott es nicht schaffen wird, in einer sinnentleerten Wirklichkeit zum Impressario einer neuen, erneuerten Kultur zu werden. Und der es gerade deshalb wert ist, erkundet zu werden. Allerdings kein hic cultus, hic salta! Der tanzende Gott parodiert eine Kultur, die in Agonie verfallen ist, aber er bringt ihre versteinerten Verhältnisse selbst nicht (mehr) zum Tanzen. Die kolportierten Zitate der Antike lassen den Gott als Gefäß erscheinen, dessen mehrfache Brechungen nur noch facettenreiche Bruchstücke, enträtselnde Sequenzen mediokrer Kultur-MythenInszenierungen freigeben, die ihr mnemosynisches Licht auf die Moderne werfen. Die Erinnerung an ihre vergangene Präsenz dechiffriert sich als ein provozierend radikaler Akt der Selbstspiegelung; das Bild vom tanzenden Gott gibt erst in seinem Ultraviolett-Bereich die unsichtbaren, die Tabuzonen der Reflexion frei. Und zeigt ihn hier als Registrator und zugleich als Beteiligten der comédie humaine der Moderne. Der Tanz des Gottes ist der über einem Abgrund und gegen Abgründe. Seine Intention ist aggressiv; er besitzt etwas von der begehrenden Sehnsucht und Sehnsüchtigkeit der Moderne, er vereinnahmt durch seine archaische Modernität, er ist ein Umgetriebener, einer, der sich nur schwer in eine unangefochtene historische Kontinuität stellen läßt; er ist einer, der seine Blessuren bewußt bloßstellt als Insignien seiner kulturellen Unsterblichkeit. Dieser Gott ist nicht antik, er ist ein Moderner par excellence. Was aber macht ihn zu einem Modernen? Nietzsche/Zarathustra spricht von ihm im Zusammenhang der Leichtigkeit des Lebens, er hat die Leichtfüßigkeit gegen den Geist der Schwere vor Augen: „Jetzt bin ich leicht, jetzt fliege ich, jetzt sehe ich mich unter mir, jetzt tanzt ein Gott durch mich“ (50). Von „Schmetterlinge[n] und Seifenblasen und was ihrer Art unter

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Renate Reschke Menschen ist“, die Zarathustra zu Tränen und Liedern verführen, ist die Rede und davon, daß diese „am meisten vom Glücke […] wissen“ (49). Solche Metaphernintensität geht bis an die Grenze zum manieristischen Bildklischee; in einer Art special effect philosophischer Reflexion stürzen die spröden Perspektiven dionysischer Bestimmungen des Gottes in einen Strudel bildgewordener Antike-Demontage. Das Moment des rauschhaften Tanzes, der Aufhebung jeglicher Individuation, der Selbstübersteigerung durch die und in der orgiastische(n) Entgrenzung scheint zurückgenommen und zweitrangig geworden gegenüber den Momenten des Friedlichen, Besänftigenden und Lichtgestaltigen. Es ist, als ob Nietzsche sich selbst und seinen alten, vorolympischen Dionysos überlistet, indem er ihm die Konturen befriedender Leichtigkeit und Heiterkeit einschreibt und seine göttliche Wildheit9 zu einer neuen Kenntlichkeit ästhetisch sublimiert. Der imaginierte Tanz (des Gottes) macht es möglich, die große philosophische Geste dionysischer Weltbetrachtung, die seit der Geburt der Tragödie im Nietzscheschen Denken innovativ präsent ist, wie nebenbei aufzuweiten und seinem Visionär Zarathustra folgenreich anzuverwandeln. Zarathustras: „[…], jetzt tanzt ein Gott durch mich“ (50) klingt wie ein gezügelter Nachhall der fernen Dionysien, in denen sich die Anhänger des Gottes in seinem Gefolge durch ekstatische Tänze in den Zustand des Enthusiasmus brachten und als Besessene den Gott in sich trugen.10 In der Geburt der Tragödie noch entwirft Nietzsche ein vergleichbares Bild; in den Dionysien verschmilzt der Mensch mit dem geheimnisvollen Ur-Einen, und singend und tanzend äußert er sich als Mitglied einer höheren Gemeinsamkeit, offenbart sich „unter den Schauern des Rausches“ (GT 1; 1, 30) die Kunstgewalt der Natur, wird der Mensch selbst zum Kunstwerk. Etwas von dieser Expressivität, vom merkwürdig metaphysischen Grundton als Signum des

9 „Göttliche Wildheit“, diese Bezeichnung wählt Detienne zur Bestimmung des zweigestaltigen Gottes, um das Durchgängige seiner Merkmale zu kennzeichnen. 10 „In tierische Felle gekleidet, nachts, in wilden Urwäldern, vom Klang der Trommel und den Tönen der Rohrpfeife begleitet, in wahnsinnigem, rhythmischem Tanz hetzten sie sich in den Zustand der Ekstase hinein, in der sich die Gläubigen schließlich mit dem Gott gleichrangig fühlten: ,Sie trugen den Gott in sich.‘“ (Hahn 1977, 258)

Die andere Perspektive Exemplarischen an Dionysos ist beibehalten im zarathustrischen Bild vom tanzenden Gott: Er ist eine Figur in einer Krisensituation, ein gewaltsam-gewaltloser Gegensatztyp mit der Aura zum Artifiziellen. Hinter dem leichtfüßig Tanzenden verbirgt sich, noch immer oder immer wieder, der Tiefgründende, der, der auf Menschen tanzt,11 der diese nur als Kulisse für seine furchtbaren Epiphanien braucht. In solcher Zwiegestalt ist er in sich gespalten und für Nietzsche tauglich, den abgründigen Schmerz über das Ambivalente des Daseins ebenso auszudrücken wie den Traum einer sich ästhetisch buchstabierenden Realität, die ihre Friedfertigkeit über die Bilder des Tanzes assoziiert. So ist er nichts weniger als eine gewollte Herausforderung der Moderne und ihrer unhinterfragten Selbstsicherheiten. Aber etwas ist auch anders: Dionysos als der hilflos-hilfreiche Name für Nietzsches Alternative zwischen einer gewaltvollen Expressivität des Vitalen und dem sublimen, sublimierten Geist einer Kultur, die sich am amor fati orientiert und deren stillste Worte den Sturm bringen und, auf Taubenfüßen kommend, die Welt verändern (189). Nicht mehr und nicht weniger. Und der so neue, andere, ästhetische Herrschaftsphantasien inauguriert.

10.2 Das anmaßende Tanzen des Gottes oder Dionysos dementiert Gott Zarathustra nimmt für sich die Selbstbestimmung als Tänzer in Anspruch. „Geht er nicht daher wie ein Tänzer?“ (12), am Tänzerischen erkennt ihn das Volk. Zu seinem Ziele will er über die Zögernden „hinwegspringen“; seine Bewegung ist der Tanz: „Also sei mein Gang ihr Untergang!“ (27) Seinen Tanz will er unterschieden wissen vom „Dreh- und Wirbelwind“ der rachedürstenden „Tarantel-Tänzer“ (131); wer zu Zarathustra gehören will, der muß von „leichten Füssen“ sein (354) und für sich gelten lassen, daß es besser sei, „plump [zu] tanzen als lahm [zu] gehn“ (367). Zarathustra als der Leichtfüßige, ein SeligLeichtfertiger, ein Flugbereiter, ein guter Tänzer. Die Inszenie-

11 Shivas sakraler Tanz auf dem Menschen symbolisiert die ewige Bewegung von Untergang und Erneuerung (ebd., 467).

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Renate Reschke rung des tanzenden Gottes wird zur Selbstinszenierung seines Propheten, und diese wiederum gestaltet sich zur choreographischen und exhibitionistischen Selbstdarstellung ihres philosophischen Regisseurs. Sicher ist die Trinität Dionysos-Zarathustra-Nietzsche nicht ohne eine gewisse Spekulation. Aber durch sie gelingt dem Philosophen ein Intellektuellen-Handstreich ohnegleichen. Nicht nur, daß er auf diese Weise assoziativ Geschichte und Moderne zusammenschließen und sich selbst zu beiden in eine ambivalente und anmaßende Affinität setzen kann, sondern daß er – vor allem durch das Bild des Tanze(n)s – paradox zugleich eine gnadenlose Opposition aufbauen kann gegen die Geschichte (als Christentum) und gegen die Moderne (als Pessimismus). Und diese Opposition ist eine eminent kulturkritische im ästhetischen Gewand. Auf der Suche nach einem Gegenbild zu den kulturellen Reduktionen und Repressionen der Moderne entdeckt Nietzsche früh die dem Dionysischen innewohnenden kreativen künstlerischen Potentiale. Die Rezeptionsgeschichte hat zu Recht diesen Aspekt würdigend beschrieben (Frank 1982, 1. Vorlesung; Sloterdijk 1986, Abschnitt: Centaurische Literatur). Wie sehr sich diese Kreativität für Nietzsche in den Vorstellungen von der innovativen Kraft des Tanzes fokussiert, wird nirgends augenscheinlicher als im Bild- und Aktionsraum Zarathustras, der allerdings nicht ohne den der Geburt der Tragödie verständlich ist. Erst über die bildreflektierende Brücke des Tanzes erhält die ästhetische Dimension der Nietzscheschen Philosophie in ihren vielfältigen Facetten ein – das Element der Musik gehört in dieses Spektrum – sie charakterisierendes Fundament. Erst über sie werden dem umstrittenen Postulat vom nur ästhetisch zu rechtfertigenden Dasein (GT 5; 1, 47) unerwartete Argumente geliefert und findet die radikale Absage an jegliche religiöse (christlich-moralische) Rechtfertigung eine überraschende Bestätigung. Dionysos’ Geheimnis offenbart sich im Tanz, es ist Tanz. Die Welt ist seine Bühne, und wo sein Zauber sie berührt, wandelt sich die ermüdete Kultur zum Leben: „Ein Sturmwind packt alles Abgelebte, Morsche, Zerbrochne, Verkümmerte, hüllt es wirbelnd in eine rothe Staubwolke und trägt es wie ein Geier in die Lüfte. Verwirrt suchen unsere Blicke nach dem Entschwundenen: denn was sie sehen, ist wie aus einer Versenkung an’s

Die andere Perspektive goldne Licht gestiegen, so voll und grün, so üppig lebendig, so sehnsuchtsvoll unermesslich“ (GT 20; 1, 132). Die Energie des Gottes drängt zur (tänzerischen) Tat, leidenschaftlich, in großartiger Virtuosität und mit dem Pathos, das jedem Mimetischen eignet. Durch den Tanz verkörpert er das schlechthin Schöpferische, wird er dem Künstler vergleichbar, ist er Künstler; beide müssen „Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können“ (19). Dieses Bild, in sich gedreht, gibt die göttliche Kraft der Kunst(imagination) frei, den Tanz als Balance-Akt, die Kunst in der Spannung zwischen Balance und Sturz, als Bogen, der das Leben trägt.12 Zwischen Erstarrung und Aktion ist der Tanz von Nietzsche ins Bild gestellt als ausgehaltene, aushaltende Spannung zwischen den Extremen. Einzig der Tanz ist (noch) eine wirkliche Bewegung gegen die Apathie und die Selbstsucht der Moderne. Sein erschreckendes Moment ist die Wahrheit, die er bloßstellt: Dionysos tanzt quasi auf ihren Trümmern und reißt so eine Utopie auf, die eigentlich nur noch Erinnerung ist. Die getanzte Bewegung verhüllt zugleich die maßlose Angst vor dem Nichts. Die Wunde Angst fundiert die Zerbrechlichkeit des Traumes von der (ästhetischen) Kreativität. Dionysos’ Grenzgängertum zum Ästhetischen hin realisiert sich wesentlich in traum(tänzerischer) Vision. Sein bukolisches Moment ist zugleich sein mimetisch-theatralisches. Nietzsche verläßt sich auf die ästhetische Relevanz des Tanze(n)s und radikalisiert sie zur crux seiner Alternative gegen eine Kultur, die sich wesentlich kunst-, körper- und sinnenfeindlich zeigt. Auf der Suche nach dem Körper(lichen) findet er Dionysos, den tanzenden Gott; im Mimetischen des Tanzes, in der virtuosen Beherrschung rhythmisierter Körpersprache entdeckt er den Symbolwert fürs Heitere und Leichte, für den freien Geist. Im und durch den Tanz ist eine ganze Gesellschaft herauszufordern und ad absurdum zu führen. Die Signifikanz der Gesten und die Lust an der Bewegung, das Zusammen- und Wechselspiel von Bewegung und Ruhe oder Tempo, Rhythmus und Takt, der 12 Diesen Gedanken formuliert Nietzsche erstmals in den Unzeitgemässen Betrachtungen: Die Kunst ist ihm hier, angesichts der psychologischen Spannungen, denen der Mensch der Moderne ausgesetzt ist, dazu da, den Bogen nicht zu überspannen, das Gleichgewicht zu tragen (4. UB 4; 1, 453).

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Renate Reschke dadurch körperlich emphatische Vollzug von Selbstdarstellung und Kommunikation in einem lassen für Nietzsche den Tanz zu einer ästhetischen Mitte und zum Maß der (für die) Kultur werden, in der und an dem sie zu werten ist und sich zu beweisen hat. Tanz ist stets Entdeckungs- und Erfahrungsmöglichkeit am eigenen Körper, sei es durch die Selbstaufgabe in ein anderes (wie im bacchantischen Rausch), sei es durch die bewußte Präsenz des Individuellen, sei es durch die Raumbezüglichkeit des Tanzenden, der durch seine Bewegung dem Raum eine neue Ordnung und Wahrheit gibt. Das Furiose der Bewegungen widerspricht mit seinen intensiven Raum- und Bildverdichtungen aller umstellenden und repressiven Erstarrung im Körperlichen und Geistigen. Der Tanz als Mimesis des Menschen (Tänzers) an seinem eigenen Körper (Lippe 1974, 178) assoziiert bildgewordene moderne mit weltalten Wahrnehmungsmustern und Erfahrungsinhalten, auf deren mythologische Formulierungen Nietzsche insistiert. – Tanz ist per definitionem zweierlei: Rebellion gegen Ordnung(en) und Konstitution spezifischer Ordnungsfiguren. Er sprengt gewohnte Ordnungen: Im bacchantischen Taumel entgrenzt er die Tanzenden aus anstrengender Sozialisation und entlastet vom Druck einer unnatürlichen Individuation durch aufgehobene Kulturschranken gegen die Natur; die boukoloi tanzen nach dem Gesetz, nach der Ordnung des Gottes. In den Dionysien herrscht eine göttliche Ordnung: Die Raserei und die mania folgen einer spezifischen paradoxen Choreographie, die in sich Formen der Identifikation und Orientierung am Göttlichen trägt und Gestalt gibt. – Aber auch der nicht-bacchantische Tanz, der leichte, dem Zarathustras lachende Sympathie gehört, sprengt Ordnungen, vor allem die der Schwere, und opponiert gegen zentrierende MachtMitten. In seiner Leichtigkeit entgrenzt, befreit er zu einer Ganzheitserfahrung des Wirklichen und des Selbst (der Tanzenden), die genuin dem Künstlerischen zukommt. In einer ruheund rastlosen Welt bedeutet er eine Erfahrung des Raumes Kultur, die zugleich Fluchtpunkt und Selbstbestätigung sein kann. Im Tanz wird der Tänzer sich selbst Gesetz, erfährt und realisiert er seine Herrschaft über die physis am eigenen Leib. Tanz bedeutet den Entwurf einer ordnungszentrierten Weltsicht, die den Tänzer selbst als ihren Demiurgen weiß; sein

Die andere Perspektive lustvolles Spiel mit der Bewegungspotenz des eigenen Körpers ist die Antwort auf das Bewußtsein der Schwere mittels seiner Infragestellung und Aufhebung durch seine äußerste provozierte Anerkennung. Der Tanz ist Einspruch gegen auf Klischees und Rollenzwänge geschrumpfte Kulturverhältnisse. Nietzsches Sensibilität in Sachen Physiologie und sein histrionischer Blick lassen den Tanz, nicht ohne genaue Wagner-Kenntnis (!),13 in seinen Bildern zur sinnfälligen Projektion des menschlichen Innen und Selbst werden, mit der die Dissonanzen der kulturellen Klangwelten in ein Gleichgewicht zu bringen sind, als besondere Dialektik von Katharsis und Leidenschaft, von (ver)gequälter Sehnsucht und Tanzverfallenheit. In dieser dramatischen Spirale sieht Nietzsche den Tanz zur strategischen Mimikry verkommen; Pessimismus und décadence wissen ihn als Droge gegen die Besinnungslosigkeit der Moderne und als ihre wichtigste Passion. Das verkehrt Dionysische daran reizt den Philosophen zum alternativen Programm. Gegen den Tanzrausch einer gierigen Moderne setzt er den Tanzrausch der dionysischen Mysterien und gegen diese das Bild des Dionysos, dem die Sanftheit nicht mehr fremd ist und nicht die Nüchternheit der freien Geister mit ihrer Heiterkeit und Distanzfähigkeit zu sich selbst und zu den Bedingungen ihrer Existenz. Sowohl der ekstatische als der sanfte Tänzer-Gott sind des christlichen Gottes Rivalen. Ihn zu ehren, tanzt niemand (mehr). Der christlichen Tradition ist es gelungen, den Tanz aus dem kultisch-sakralen Bereich erfolgreich zu verdrängen (Braun/Gugerli 1993, 11). König Davids ekstatischer Tanz vor der Bundeslade zu Ehren Jahwes (2. Samuel 6, 16. 21. 22) drückt alttestamentliche Kultrealitäten aus, in denen der Tanz seine Bedeutung als Dank- und Demutsbezeugung, als Ausdruck von Freude besitzt. Die Gemeinde der Frommen wird aufgefordert: „Singet Jahwe ein neues Lied, / […] Preisen sollen sie seinen Namen mit Reigen, / ihm spielen mit Pauken und Harfen!“ (Psalm 149, 1. 3) Für die zu erwartenden Heilszeiten besitzt er

13 In Wagners Schrift Das Kunstwerk der Zukunft steht zu lesen: „Die realste aller Kunstarten ist die Tanzkunst. Ihr künstlerischer Stoff ist der wirkliche leibliche Mensch, und zwar nicht ein Teil desselben, sondern der ganze, von der Fußsohle bis zum Scheitel, wie der dem Auge sich darstellt“ (Wagner 1983, 40).

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Renate Reschke mehr als nur eine beiläufige Relevanz: Israel wird sich selbst und Gott tanzend und singend preisen ( Jeremia 31, 4). Es ist kein Zufall, daß das Alt-Hebräische zwölf Bezeichnungen für den Tanz kennt, wovon sich elf auf den sakralen Tanz beziehen (Sendrey 1970, 417 ff.). Neutestamentliche Kulthandlungen kommen dagegen ohne den Tanz aus; sein Symbolwert wird dem Christentum suspekt und fremd. Mit wenigen Ausnahmen; die Abtrünnigen tanzen, um den Götzen zu huldigen (2. Moses 39, 19). Dies bleibt erhalten. Ansonsten bestimmt sich der neutestamentliche Gott, wie sein Sohn, am Spirituellen; das unmittelbar sinnliche Moment des Tanzens würde ihre Konturen überreizen. Nietzsche macht dies mit außerordentlicher Subtilität an der Transformation des alten Hebräer-Gottes in seine christliche Gestalt, in den guten Gott, einsichtig als Niedergang und décadence, als siegreichen Aufstand gegen die Freuden der Sinne, gegen die Freude überhaupt (AC 21; 6, 188). Die lebensfeindliche Tendenz des Christentums manifestiert sich ihm in der Abwesenheit alles Tänzerischen zur göttlichen Selbstdarstellung und Huldigung an ihn. Zarathustras Glaube an einen Gott, der zu tanzen versteht, ist daher eine radikale Absage an den Gott der Christen, der ohnehin die Götter zum Lachen gereizt habe mit seinem Anspruch auf Einzigartigkeit und Alleinexistenz (230). Die Vorstellung vom tanzenden Gott opponiert gegen den Christengott, gegen Christus, gegen das Kreuz, gegen das gewaltsam festgehaltene, gemaßregelte Leben. Dionysos und Gott spiegeln sich ineinander auf eine besondere Weise: Indem Dionysos tanzt, durch den Akt des Tanzens zersetzt sich das Bild und die Existenz Gottes. Die ästhetische Vision widerlegt seine religiöse Weltbildlichkeit und Unantastbarkeit. Sie setzt dessen Monströses ins Bild und bezeichnet die Grenze, an der sich seine Macht bricht. Gott zieht nur noch das negative Wissen auf sich, die Gewißheit seines Todes. Und der Mensch vermag allein in einer absonderlichen Art des Tanze(n)s, im tollen Herumspringen, das Verzweiflung, nicht Freude bezeugt, und in einer entstellten, hilflosen Sprache, im Schreien, sich dem Ungeheuerlichen zu nähern, um an seiner Unfähigkeit zum Mitteilen und zum Verstehen folgenreich zu scheitern (Reschke 1994, 85 f.). Der tolle Mensch verkündet den Tod Gottes (FW 125; 3, 480 f.). Die tänzerische Bewegung gerät zur Verrenkung und erstarrt angesichts der Tragödie, die sich selbst

Die andere Perspektive nicht wahrhaben will und kann. Gott ist nicht mehr, und der tanzende Gott ist für Zarathustra auch nur eine Möglichkeit, deren In-die-Wirklichkeit-Treten(Tanzen) nicht sicher ist. So sind Gott und Dionysos wie zwei Abwesenheiten, die sich begegnen, oder wie zwei Trugbilder, die nur so lange existent sind, so lange sie aneinander aufscheinen und sich negieren können. Vielleicht kann Zarathustra den tanzenden Gott überhaupt erst denken, weil Gott schon tot ist? Seine gedachte göttliche Tanz-Performance ist ein sich vollziehender und immer schon vollzogener Akt der Befreiung; sie ist ein getanztes Plebiszit gegen den anmaßenden Gott des Christentums. Eine Anmaßung gegen eine Anmaßung. Ist das ekstatische Außer-sich-Sein des dionysischen Tanzes der alten Mysterien bereits eine Art Generalangriff gegen die christliche Gottessicht schlechthin, so ist das Bild vom sanften Tänzer-Gott mindestens ein ebenso radikaler Affront gegen den alleinigen Gott der Christen. Die Alternative vom leisen, frohen Weltverändern, vom leichten Tanz setzt Nietzsche bewußt gegen die Sanftmut des Gottessohnes, gegen das christliche Bild des Jesus von Nazareth. Dem Erlösungsgedanken, der durch Jesus’ Tod am Kreuz Realität wird,14 der Vorstellung vom frohen Botschafter und Märtyrer, begegnet er im Antichrist mit der abweisenden Frage: „Ist denn das Kreuz ein Argument?“ (AC 53; 6, 235), und schon Zarathustra verhöhnt jeden, der an den Gekreuzigten glaubt. Jenseits seiner Apologie allerdings, hinter der eintausendneunhundert Jahre Mißverständnis stehen (AC 36; 6, 208), ist der Heiland für Nietzsche interessant als der psychologische Typ eines décadents (AC 29, 31; 6, 199, 202), als ein zu wenig geliebter, der sich einen Gott erfinden muß, der nur Liebe ist, und eine Hölle, um dorthin die zu schicken, die ihn nicht lieben wollen ( J 269; 5, 225). Das Moment des Leidens, die asketische Selbstbezogenheit, der Genuß im und am Leiden, die Leidenssteigerung bis zum Tod, darin sieht Nietzsche den absoluten Gegensatz zu allem Leben, zu allem Willen (zur Macht), zu allem Antiken; der Gottessohn der Christen hat alles Antike zwar nicht widerlegt, aber: „Die ganze Arbeit der antiken Welt [war] umsonst“ (AC 59; 6, 247). Wirklich? Indem 14 Nietzsche hat dieser christlichen Vorstellung seine psychologische Deutung entgegengestellt (AC 33; 6, 205 f.).

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Renate Reschke er dem Dionysos der Trunkenheit und Ekstase das sublimierende Element der Sanftheit und der Friedfertigkeit in seiner Bewegung beifügt, staffiert Nietzsche ihn mit den Herrschaftssymbolen seines Widerparts aus; mit kulturkritischer Raffinesse setzt er den antiken Gott (wieder) in seine Rechte und erklärt ihn, gegen alle historische Faktizität, zum Sieger über das anmaßende Gott-Sohn-Duo christlicher Provenienz. Die große Vernunft des Leibes, die Philosophie am Leitfaden des Körpers, das eigentliche Thema der späteren Jahre, feiert ihre ersten Erfolge.15 Im Bild seines Tanze(n)s wird die ganze Phänomenologie des illusionär gewordenen christlichen Machtanspruches transparent. Mit quasi dionysischem Lachen wird deren Sinnenfeindlichkeit im Sinne des Wortes hinweggetanzt, mit leichtem Fuß und leiser Überlegenheit. Der leicht-luftig wirbelnde Tanz des Dionysos steht im direkten Gegensatz zur tradierten Kreuzes-Ikonographie und Kreuzigungs-Choreographie (wenn in diesem Zusammenhang überhaupt von einem choreographischen Moment zu reden ist). Aus der Perspektive des Kreuzes, so man es als gewaltsam festgestellte, abgebrochene, beendete Lebensbewegung sehen will, ist der Tanz der sich fortsetzende Wirbel des Lebendigen, die Sphäre einer unerschöpflichen Kraft, das Prinzip Bewegung par excellence. Auch Gott, ein Schatten, ist satt und vor allem unbewegt, einer, der alles Gerade krumm macht und alles, was steht, drehend. Der Wirbel, den er verursacht, klärt aber nicht(s), er macht schwindlig und ist „noch dem Magen ein Erbrechen“ (110). Zarathustra bedauert daher nicht von ungefähr Jesus’ zu frühen Tod; er hätte mit Sicherheit den Geist der Schwere überwunden: „Wäre er doch in der Wüste geblieben und ferne von den Guten und Gerechten! Vielleicht hätte er leben gelernt und die Erde lieben gelernt – und das Lachen dazu!“ (95) Und vielleicht auch das Tanzen.

15 Hans-Joachim Koch beschreibt einsichtig den Denk(Werde)gang Nietzsches zur Leib-Philosophie (Koch 1997, 75 ff.).

Die andere Perspektive

10.3 Zarathustra und die alten Männer oder Dionysos trifft den Papst In Zarathustras Höhle, dieser absonderlichen Kulisse, haben sie sich versammelt, die alten Männer, die noch immer die Welt regieren (wollen), die Könige und der Papst und ihre Helfer, der Wahrsager, der freiwillige Bettler, der Gewissenhafte (des Geistes), der Esel, der häßlichste Mensch (346). Eine illustre Gesellschaft, gespenstisch und grotesk. Es sind Alptraumgestalten in einer irrealen, artifiziellen Szenerie. Sie täuschen Leben nur vor, nicht wissend, daß sie schon gestorben sind. Sie sind lebende Tote, deren Gesten, Slapstick-Bewegungen ähnlich, jedes wirkliche Leben in ihnen karikieren und negieren. Eine bleiche, gebleichte Gesellschaft, die in ihrer Not mit kraftlosem Begehren auf Zarathustra setzt, den Machtlos-Mächtigen und den Gottlos-Frömmigen, den Diesseitig-Lebendigen. An ihren Deformierungen sind sie kenntlich; in deren Zerrspiegeln entsteht jene Authentizität, an der das Pathos und die Jämmerlichkeit (der Moderne) sich zeigen. Gegen die Tristesse der alten Männer weiß Zarathustra nichts als seine Erkenntnis, daß er für einen kurzen Moment vergeblich geglaubt hat, in ihnen die höheren Menschen zu erblicken, und seine hilflose Gastfreundschaft, die sich aus Liebe und Bosheit speist (348). Was er bereits am Volk, zu dem er geredet hat, beobachten mußte, kehrt wieder in ihrer Gegenwart: „Es ist Eis in ihrem Lachen“ (21). Und ihre Physiognomien sind mißgestaltet, untauglich für jede Bewegung, gar für den Tanz; mit kranken und zarten Beinen taugen sie nicht für Zarathustras Weg: „Mit euch verdürbe ich mir jeden Sieg noch. Und Mancher von euch fiele schon um, wenn er nur den lauten Schall meiner Trommeln hörte“ (350). Auch der letzte Papst, der sich – da Gott tot ist – „ausser Dienst“ (322) weiß, ist ein alter Mann. Als Zarathustra ihm begegnet, findet er ihn mit „hagere[m] Bleichgesicht“, einen müde gewordenen „gesalbte[n] Welt-Verleumder“ (321), der nach dem letzten frommen Menschen sucht, um sich ein Fest zu machen, „wie es einem alten Papste und Kirchen-Vater zukommt“ (322). Noch in seiner Ohnmacht kennt er nur das Ritual der Macht, wenn auch als Erinnerung. Eine bedrückende Vanitas-Atmosphäre beherrscht die Situation. Dieser Papst hat nichts mehr zu repräsentieren, außer sich selbst: Er ist nur noch

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Renate Reschke eine Marionette seiner selbst. So wie er Gott erinnert, als einen alten Mann, der sich „ob seiner schwachen Beine“ (324) härmt und welk, welt- und willensmüde in einem Ofenwinkel sitzt, so ist er selbst. Gott und sein Priester haben viel Gemeinsames. Sie stehen nicht ein für ihre Taten und ihre Geschöpfe. Zarathustra geht dies gegen den guten Geschmack. Es ist ein ästhetisches Kriterium, an das Nietzsche/Zarathustra das Recht bindet, auf Gott zu verzichten: „[L]ieber auf eigne Faust Schicksal machen, lieber Narr sein, lieber selber Gott sein!“ (325) Der Topos vom Narren potenziert die ästhetische Argumentation. Die Gesellschaft der alten Männer gibt nicht auf; sie haben einen Weg gefunden, ihrer Not, ihrem Machtverlust, zu begegnen: Sie lachen und tanzen auf ihre Weise – und sie beten einen neuen Götzen an, sie preisen einen Esel. Das Eselsfest wird zu einem Schlüsselereignis, zur mit Konsequenz vollendeten Selbstblamage seiner Protagonisten. Zarathustra schöpft zunächst Hoffnung, mit ihnen den Geist der Schwere zu vertreiben: „Neue Hoffnungen sind in ihren Armen und Beinen, ihr Herz streckt sich aus. Sie finden neue Worte, bald wird ihr Geist Muthwillen athmen“ (387). Aber weit gefehlt. Die EselsfestInszenierung erweist sich nur als Zweitauflage des Tanzes ums Goldene Kalb und die Litanei als neutestamentliche Parodie; der letzte Papst gibt mit dem Hinweis: „Lieber Gott also anbeten, in dieser Gestalt, als in gar keiner Gestalt!“ (390) ausdrücklich eine ideologische Legitimation. Zarathustras Hoffnung stirbt am Tanz des trunkenen Esels, an den verzerrenden Tanzähnlichkeiten der alten Männer. Sie sind dem Totentanz vergleichbar; die würdelosen Verrenkungen bilden den absoluten Antipol zum dionysischen Tanz. Sie verfestigen die erstarrte Gesellschaft; der wirkliche Tanz bricht sie auf. Nietzsches Kulturkritik artikuliert hier den Wesenszug auch der Moderne: daß sie der Agonie verfallen ist und in verrenkender Hektik sich immer tiefer und endgültiger in sie hinein manövriert. Ohne Hoffnung auf Wiederbelebung. Was Zarathustra von den Abtrünnigen zu sagen weiß: „Wahrlich, Mancher von ihnen hob einst die Beine wie ein Tänzer, ihm winkte das Lachen in meiner Weisheit: – da besann er sich. Eben sah ich ihn krumm – zum Kreuze kriechen“ (226), gilt auch für die vermeintlich höheren Menschen. Ihre Feigheit ist nur hinwegzutanzen, hinwegzuwirbeln. Vor den Füßen Zarathustras, in denen Dionysos ist, haben

Die andere Perspektive Selbstsucht und Knechtssinn keine Chance. Die Füße und die Augen lügen nicht (213); ohne sie wäre der Geist übermächtig und ohne jede Kontrolle: „Der Rest aber ist feige“ (226). Allein im Tanz ist Wahrheit.

10.4 Tanzen-Lachen-Tod oder Der Tanz des Denkens (gegen die Moderne) Im Grablied zieht Zarathustra sein Fazit: „Nur im Tanze weiss ich der höchsten Dinge Gleichniss zu reden“, in Erinnerung an eine Situation, in der er bereit war „zum besten Tanze“, um über alle Himmel hinwegzutanzen; der Sänger mit falschem Rhythmus und mörderisch dumpfer Musik macht ihm die Möglichkeit zunichte: „[N]un blieb mir mein höchstes Gleichniss ungeredet in meinen Gliedern!“ (144) Für einen Tänzer eigentlich eine Unmöglichkeit. Es sei denn, er bewahrt, wie Zarathustra, das Unerlöste der Jugend, seinen Willen und seine Visionen, im leiblichen Zentrum des Tanzes: „Unverwundbar bin ich allein an meiner Ferse. Immer noch lebst du da und bist dir gleich, Geduldigster! Immer noch brachst du dich durch alle Gräber!“ (145) Im Tanz allein kann wirklich werden, was die Begrenzungen des Bewußtseins, genauer des rationalen Wirklichkeitsbezuges verhindern, was ihm unerreichbar bleibt, bleiben muß, weil einzig im Tanz – in musischer Weltbeziehung – jene Ganzheitlichkeit möglich ist, die historisch der Übermacht der Ratio anheimgefallen ist. In der Geburt der Tragödie bereits attackiert Nietzsche mit Vehemenz den Hang der sokratischen Kultur zum Unsinnlichen, ihre sichtliche Verfallenheit an die instrumentalisierte Vernunft und ihre kulturschädigenden Folgen. Allerdings, die sokratische Kultur halte „das Scepter ihrer Unfehlbarkeit“ mittlerweise etwas unsicher in den Händen; „der Tanz ihres Denkens“ stürzt sich „sehnsüchtig immer auf neue Gestalten […], um sie zu umarmen, und sie dann plötzlich wieder, wie Mephistopheles die verführerischen Lamien, schaudernd fahren“ (GT 18; 1, 119) zu lassen. Das Erschrecken des theoretischen Menschen vor den Konsequenzen seiner Art zu denken und vor

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Renate Reschke seiner Kultur hat ihn in eine todessüchtige Verzärtelung getrieben, die ihn alles nur noch aus einer tröstlichen Perspektive erträglich erscheinen läßt. Einer solchen gravierenden und lebensbedrohlichen Korrektur hat sich das moderne Denken (Wissenschaft) verschrieben und ist an seinen „Druckfehlern elend erblindet“ (ebd., 120). Und nach sich selbst süchtig geworden. Zarathustra reflektiert diesen Zustand in aggressiven Bildern der Entfremdung: Die Menschen sind nur noch Krüppelwesen, ihr Vorwärtsschreiten ist ein erbärmliches Humpeln (178, 213), das Wissen der modernen Gelehrten geht „auf lahmen Füssen“ (161). – In der Fröhlichen Wissenschaft empfiehlt er als erste aller Wertfragen „in Bezug auf Buch, Mensch und Musik […]: ,kann er gehen? mehr noch, kann er tanzen?‘“ (FW 366; 3, 614); durch die bloße Vernunft und Begriffsgläubigkeit ist alle Wissenschaft krummgezogen, weil mit eingeklemmten Eingeweiden erdacht, bis zur „Unkenntlichkeit, unfrei, um ihr Gleichgewicht gebracht, abgemagert und eckig überall“ (ebd., 614 f.). Wie die Bücher und Gedanken, so ihre Schreiber und Denker. Oder auch umgekehrt. Tüchtigkeit und Handwerksgeist deklassieren alle Produktivität und lassen nur einer allumfassenden Impotentia Raum und Wirkung. Gegen eine derartige Kulturmisere, die aus ihrem Denken allen (Kunst) Geist systematisch ausgetrieben hat, gibt es für Nietzsche nur eine wirkliche Alternative, die große Gesundheit: „das Ideal eines Geistes, der naiv, das heisst ungewollt und aus überströmender Fülle und Mächtigkeit mit Allem spielt, was bisher heilig, gut, unberührbar, göttlich hiess“ (FW 382; 3, 637). Eine gaya scienza gegen die rabenschwarzen Gedanken der Moderne und einen weichen grünen Grund und Rasen, „das Königreich des Tanzes“ (FW 383; ebd.) für den fröhlichen Tänzer-Philosophen und den Sänger, den Zukunftsmusikanten, nach dessen Musik und Pfeife zu tanzen wäre (ebd., 638). Der Prinz Vogelfrei huldigt in diesem Sinne dem Mistral und läuft ihm jubelnd, tanzend und musizierend entgegen: „Tanze nun auf tausend Rücken, / Wellen-Rücken, Wellen-Tücken – / Heil, wer neue Tänze schafft! / Tanzen wir in tausend Weisen, / Frei – sei unsre Kunst geheissen, / Fröhlich – unsre Wissenschaft!“ (FW, Mistral; 3, 650) – In der Götzen-Dämmerung bezeichnet Nietzsche des Sokrates bizarre Gleichsetzung von „Vernunft = Tugend = Glück“ als unbegreiflich, sieht darin eine „Superfötation des

Die andere Perspektive Logischen“ (GD, Sokrates 4; 6, 69) und einen problematischen Sieg der Dialektik. Das diffamierende Wort von der Idiosynkrasie macht erfolgreich die kritische Runde und diskreditiert alles, „was Philosophen seit Jahrtausenden gehandhabt haben“, denn es waren nichts als „Begriffs-Mumien“ (GD, Vernunft 1; 6, 74), ausgestopfte Leblosigkeiten, götzendienerisch angebetet. Sein Plädoyer für eine fröhliche Wissenschaft kann in diesem Kontext angesehen werden als eine besondere Art zu philosophieren, die sich per definitionem einer Rangordnung zwischen Kunst und Wissenschaft, Bild und Begriff zu entziehen sucht mit einem ausdrücklichen Verweis auf die innere Dynamik allen Denkens, die Nietzsche grenzüberschreitend versteht: „dass Denken gelernt sein will, wie Tanzen gelernt sein will, als eine Art Tanzen“ (GD, Deutsche 7; 6, 109). Dem wirklichen Denker graut vor der steifen Tölpelei (der Deutschen – Nietzsches liebste Feinde), er benötigt für sich und seine Arbeit vor allem die „leichten Füsse im Geistigen“ (ebd.), die ihre Erfahrungen in alle Muskeln strömen lassen. Der Topos des Tanzes, des Tanzens in jeder Form faßt allen Gegensatz zusammen: „Tanzenkönnen mit den Füssen, mit den Begriffen, mit den Worten; habe ich noch zu sagen, dass man es auch mit der Feder können muss, – dass man schreiben lernen muss?“ (ebd., 110) Das Fragezeichen meint den Zweifel, aber auch die Hoffnung auf die große Vernunft. So zu denken wäre ihre zu verwirklichende Fähigkeit (Koch 1997, 91 f.). – Auch Zarathustra läßt seine Philosophie tanzen, sein neues Wissen hervortanzen. Die Sinnbildlichkeit des Tanzes ist für ihn eine existenzielle. Den Gedanken „Gott“ hat der Geist der Schwere zu verantworten, den des „Übermenschen“ Zarathustras Geist. Und der denkt aufwärts, ins Leichte („Ich stieg, ich stieg, ich träumte, ich dachte“ – 198) gegen die drückende Vernunft in allen Dingen. In der Liaison von Denken, Traum und Tanz verschieben sich die Perspektiven der Dinge ins Wesentliche und Lebendige: „dass sie lieber noch auf den Füssen des Zufalls – tanzen“ (209). Der Himmel wird aus dieser Sicht „ein Tanzboden […] für göttliche Zufälle“, „ein Göttertisch […] für göttliche Würfel und Würfelspieler“ (209 f.). Dieses verkehrte Bild vom Himmel als Tanzboden korrespondiert auffällig widersprüchlich mit dem heraklitischen Bild vom Aion als spielendem Knaben, der in seiner weltbildenden Tätigkeit das ewige Auf und Ab des Seins auf

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Renate Reschke dem Würfelbrett realisiert (Mansfeld 1991, 280 f.). Schon in der Philosophie im tragischen Zeitalter der Griechen interessiert Nietzsche die tiefliegende ästhetische Dimension des Heraklit-Fragments, das Gleichnis zum künstlerischen Schaffen (PhtZ 7; 1, 830 f.). Im Zarathustra ist die Präsenz Heraklits in unterschiedlichen Kontexten ein Resümee seiner dionysischen Weltsicht (Wohlfart 1991, 341). Sie verbindet zugleich die unterschiedlichen Diskursbezüge, resp. durch sie wird der Zusammenhang zwischen Philosophischem und Ästhetischem begründbar und transparent. Spiel und Tanz besitzen eine unbezweifelbare Affinität zueinander. Ihre Beziehung öffnet der Phantasie, der Intuition und der ästhetisch-künstlerischen Kreativität (Denk)Raum. Sie konterkariert den Selbstbetrug jeder eindimensionalen Vernunft; Nietzsche findet in ihr die Bestätigung seines Verständnisses der Philosophie: dem Denk-Rhythmus als Klangarbeit zu folgen und in der Bewegung der Körper, in den Körper-Rhythmen die des Geistes zu entdecken. Dies erlaubt die radikale Kritik an den hegelisch oder kantisch infizierten Philosophien/Ästhetiken der Zeitgenossen und den glossierenden Blick auf die um sich greifende Trieb- und Affekt-Versessenheit eines zeit-opportunen Nihilismus-Gehabes der Moderne. Vor allem das Mitleid (christlich belastet) birgt Gefahren; hier setzt Nietzsche eindeutig auf den sublimierenden Faktor der Vernunft: „es muß erst habituell durch die raison durchgesiebt sein“ (N 1887/88, 11/353; 13, 153). Es ist kein Widerspruch darin zur Aversion gegen eine Vernunft, die sich selbst Hybris ist. Im Gegenteil. Daß, um die Kernbegriffe der Geburt der Tragödie zu benutzen, es zwischen dem Dionysischen und dem Apollinischen mehrschichtige Überblendungen gibt und beider Lebensrealität sich aus einem ambivalenten wechselseitigen Ergänzungsverhältnis speist, steht für Nietzsche außer Zweifel. Ein Gedanke, den auch seine späte Leib-Philosophie trägt (Colli 1980, 49). – Zum Tanzen gehört das Lachen; es ist für Zarathustra das dem Tänzerischen komplementäre Element des Weltbezuges. Dem guten Tänzer eignet ein gutes Lachen (367). Als Ausdruck von Herrschaft, als Macht-Habitus vermag es der Lachende einzusetzen zur Demaskierung des Verächtlichen und zum eigenen Schutz zugleich. Dem modernen Denken und seinen Denkern fehlt die Fähigkeit zu lachen, fehlt die Fähigkeit zur Tiefe. Die Spanne liegt dabei

Die andere Perspektive zwischen einem Bild vom Lachen, das, den „Gelächtern der Blitze“ gleich, seine „Hagelschauer in die Tiefe“ (107) wirft, und dem eines „[L]ächeln aus lichten Augen“, einem „wolkenlos [L]ächeln“ (207). Ein Spektrum zwischen Aggressivität und Friedfertigkeit, das dem des Tanzens, der tanzenden Götter, korrespondiert; allerdings neigt sich das Lachen dominant der Seite des bösen (Ver)Lachens zu: Zarathustras Tugend ist die eines Tänzers und seine Bosheit eine „lachende Bosheit“, sein A und O ist, daß „aller Leib Tänzer, aller Geist Vogel werde“ (290). Diesem Lachen entspricht nicht eine Ästhetik des klassischen Komischen, sondern eine des modernen Grotesken. Nietzsche geht es um absolute Opposition; es gibt keine andere Möglichkeit als die Destruktion eines Denkens, dessen einziges Kennzeichen ein eskalierender Vampirismus gegen das Denken und das Leben ist. Nietzsche will eine Denk(Gesinnungs)art aus den Diskursen treiben, an der ihr parasitäres Moment jeden Sinn von Philosophie zuschanden macht. Philosophie, wie er sie verstanden wissen will, als allgemeinste Form von Historie, als Versuch, das Werden zu beschreiben und in Zeichen abzukürzen (N 1885, 36/27; 11, 562), mit einem Ziel gegen die Zukunft hin (N 1884, 26/100; 11, 176 f.), kann nur unter dem Vorzeichen ihrer ästhetischen Grundlegung gelingen. Das Lachen treibt das Groteske, die décadence der Moderne hervor, die ihrerseits nicht anders kann, als das Lachen anerkennend auf sich zu beziehen. Und die dadurch sich selbst ad absurdum führt, ohne es zu bemerken. Indem Zarathustra versucht, tanzend und lachend die Welt (Erde) zu erobern, indem Nietzsche ihm die Forderung diktiert, das gute Lachen zu lernen, und dieses mit emphatischer Geste heiligsprechen läßt (367 f.), fällt dieses Lachen quer in die Diskurse der Moderne. Und erhöht den Kreditverlust jeder Philosophie, die noch immer unbeschadet auf den Kurswert rationaler Begrifflichkeit setzt. Und jeder Ästhetik, die sich nicht auf den brüchigen Grund der Moderne einzulassen bereit ist. – Lachen und Tanzen haben als Kehrseite, als ihr Anderes, den Tod und den Schrecken. Dem Tanz des Gottes steht der Totentanz, der Höllentanz, zur Seite; dem Lachen kann sich der Schrecken und das Entsetzen anverwandeln. Der Tod als Vortänzer im mysteriösen Reigen der Gesellschaft, der zum letzten Tanz ruft und alle (müssen) folgen, diese bekannte Ikonographie hat Nietzsche sicher kaum faszi-

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Renate Reschke niert.16 Ihn interessiert mehr die Todessüchtigkeit der Moderne. Vor allem Wagners kranke und krank machende Kunst besitzt für ihn jenen lebensmüden Gestus, nach dem die Moderne dürstet und dem sie fasziniert erliegt: „Durch Wagner redet die Modernität ihre intimste Sprache: […] man hat beinahe eine Abrechnung über den Werth des Modernen gemacht, wenn man über Gut und Böse bei Wagner mit sich im Klaren ist“ (W, Vorwort; 6, 12). In der Inszenierung des Endes liegt ihre Meisterschaft, in der Art, das Kranke noch kränker zu machen, in der Aufhebung aller Distanz: „Was man zu scheuen hätte, das zieht an. Man setzt an die Lippen, was noch schneller in den Abgrund treibt“ (W 5; 6, 22). Diese Kunst ist Verfall, und sie reflektiert den Verfall der Kultur, die sie bedeutet. Mit Topoi des Toten besetzt Nietzsche ihre Bestimmung: „Überall Lähmung, Mühsal, Erstarrung […]. Das Ganze lebt überhaupt nicht mehr: es ist zusammengesetzt, gerechnet, künstlich, ein Artefakt“ (W 7; 6, 27). Wagners Kunst, ein einziger Totentanz, eine Kunst, die, selbst modern, die Moderne zu Tode bringt. Für Nietzsche ist sie Anti-Ästhetik ohnegleichen; seine Ästhetik dagegen bildet sich an Bizet. Dessen Musik „kommt leicht, biegsam“ (W 1; 6, 13), sie macht den Geist frei und gibt den Gedanken Flügel; sie ist tänzerisch. An ihr bildet Nietzsche den ersten Satz seiner Ästhetik: „‚Das Gute ist leicht, alles Göttliche läuft auf zarten Füssen‘“ (ebd.). Die Assoziation zum Tänzerischen ist offensichtlich, zarathustrische Formulierungen sind hörbar. Mit dessen Merkmalen umreißt der Philosoph die Konturen seiner Kunstsicht und bezeichnet zugleich in nuce eine ganze Ästhetik.

10.5 Zarathustra: Der mit dem Leben tanzt Im Bild des tanzenden Gottes ist das wiederkehrende Muster der Mythologien eingelassen, das Gleichnis vom Göttertanz als Lebenstanz. Was Zarathustra exemplarisch verlangt und vorführt ist nichts als ein getanztes Verlangen nach Leben. Im Tanz

16 Es lassen sich keinerlei Äußerungen Nietzsches finden, die auf ein dezidiertes ikonographisches Interesse schließen lassen.

Die andere Perspektive liegt die Möglichkeit, der Müdigkeit Herr und Herr über sich selbst zu werden; der Tanz bewahrt die Verzweiflung des Leibes am Leibe vor dem Todessprung zu allen Göttern und Hinterwelten (36); in ihm allein ist Lebendigkeit. Er befreit von allen Zwängen und zur Kreativität. Und er macht einsam: „Einsamer, du gehst den Weg des Schaffenden“ (82), und: „Einen höheren Leib sollst du schaffen, eine erste Bewegung, ein aus sich rollendes Rad, – einen Schaffenden sollst du schaffen“ (90). Nietzsches Sicht auf das Kreativitätspotential des Menschen als Schaffenden, aus der Verzweiflung, aus dem Leiden heraus, ist kaum anderswo ausdrucksstärker in seiner Zwiespältigkeit reflektiert. Mit Blick auf den Topos des Tanzes: Der unsägliche Schmerz entwindet sich in den Tanz und erhält in ihm seine ästhetische Gestalt. Nicht zufällig prophezeit der Wahrsager Zarathustra, daß er werde tanzen müssen, um nicht umzufallen (302), daß er tanzen muß, um das Leben zu spüren. Das Lebendige gegen den Geist der Schwere und der Dinge; dies ist Zarathustras große Vision, und Nietzsche bindet sie mit einsichtiger Konsequenz an sein Theorem vom Willen zur Macht und an seine Leib (Dionysos)Philosophie. Beiden spricht er auf diese Weise eine ihnen zukommende ästhetische Dimension zu. Ohne diese wären sie in ihrem lebensbejahenden Affront gegen den Nihilismus nicht mehr als eine philosophische Konstruktion, eine merkwürdige Abwehr gegen den „grossmächtigsten Teufel“, von dem gesagt wird, er sei „‚der Herr dieser Welt‘“ (140), gegen den Geist der Schwere. Erst Zarathustras Tanz- und Spottlied gegen ihn (seine höhere Wahrheit) in der beziehungsreichen Maske des Cupido durchbricht seine Macht und Herrschaft und entlarvt sie als Perversionen gegen das Leben. Die monströse Übermacht wird hinweggetanzt und zu Tode gelacht. Die Macht des Ästhetischen bestätigt alles Lebendige. Jedem Tanz eignet ein nur ihm spezifisches Begehren; er ist nicht ohne ein erotisches Element. Für Nietzsche ist dies eine selbstverständliche Erfahrung und zugleich eine Provokation sondergleichen. Nirgends findet die Gier nach Leben einen ihr so kongenialen Ausdruck wie im und durch den Tanz. Der Mensch erinnert im Tanz sein eigentlich Lebendiges, wird es gewahr, lebt es; in der tänzerischen Bewegung verfremdet, sublimiert sich dabei im mimetischen Vollzug alle Sinnlich- und Körperlichkeit. Der Tanz als eine Art scienza liberale; seine Figu-

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Renate Reschke ren sind wie eine Antwort auf alle Sinne (und den Geist) (Lippe 1974, 207 f.). So sehr Erotik und Sinnlichkeit zum Leben gehören, Nietzsche bleiben sie suspekt. Es sind die „schlimmen tanzenden nackten Mädchen“ (376), die den freien Geistern die Freiheit (wieder) nehmen und die Seelen in erneute Abhängigkeit versetzen, sie zu ihren Sklaven machen. Sich dem falschen Tanz ergeben und den falschen Tänzerinnen, dies gehört zu den dunklen Seiten des Lebens. Sie sind Zarathustra nicht unvertraut, und sie besitzen eine beispiellose Faszination. – Vorerst aber im Tanzlied begegnet er in südlicher Idylle Mädchen „mit schönen Knöcheln“ (139), und er macht sich zum Fürsprecher ihrer Tänze, die – leicht und göttlich – dem Geist der Schwere spotten. Das Leben aber eröffnet ihm im zeitgleichen Gespräch, es sei nicht sanft, sondern „wild und in Allem ein Weib, und kein tugendhaftes“, und nur die Männer besetzen es mit ihren eigenen Tugenden. Zarathustra muß sich von seiner Weisheit sagen lassen, nur weil er das Leben begehre, lobe er es auch; er läßt sich das Geständnis abringen: „Von Grund aus liebe ich nur das Leben – und, wahrlich, am meisten dann, wenn ich es hasse!“ (140) Sein Schatten singt ihm das Lied vom Begehren und den Verführungen; er preist die „Morgenland-Mädchen“ und ihre Geheimnisse, die wie Rätsel, die erraten werden wollen, sich präsentieren (380). Der Tanz wäre ihres Rätsels Lösung. Sie machen lüstern nach sich, wecken Männerphantasien und zeigen – genuin nietzscheanisch – ihr wirkliches Leben als Wunsch und Einfall und bloße Phantasie. Wie die Palme, die „einer Tänzerin gleich, / Sich biegt und schmiegt und in der Hüfte wiegt“ (383), den Wind braucht für ihren Tanz, so bietet der moderne Kulturmensch seinen Gedanken, seinen Töchtern der Wüste, ironisch den „Blasebalg der Tugend“ (384), um ihnen ein vermeintliches Leben zu geben. – Dies ist vorläufig; im Anderen Tanzlied verschieben sich die Präferenzen für den Umgang mit dem Leben. Der Zugriff ist drastischer, mit unumwunden erotischer Symbolik vorgestellt. Dem Leben ins Auge zu blicken, erweckt Wollust: „mein Herz stand still vor dieser Wollust“ (282); das Leben ist eine Tanzmeisterin, der sich zu unterwerfen Lust erzeugt und Lust befriedigt: „Zwei Mal nur regtest du deine Klapper mit kleinen Händen – da schaukelte schon mein Fuss vor Tanz-Wuth. […] meine Zehen horchten, dich zu verstehen“ (ebd.). Das Leben ist die große Versucherin, eine „windseilige,

Die andere Perspektive kindsäugige Sünderin“ (283), der nachzutanzen zum ausfüllenden Elexier werden kann. Die Art des Tanzes ist von banalraffinierter und sinnlicher Art, zupackend in der Spannung von Besitzergreifen und Einander-Fliehen: „Zu dir hin sprang ich: da flohst du zurück vor meinem Sprunge; und gegen mich züngelte deines fliehenden fliegenden Haars Zunge! Von dir weg sprang ich und von deinen Schlangen: da standst du schon, halbgewandt, das Auge voll Verlangen“ (282). Die Bilder vom Jäger und der Gemse, vom „Tanz über Stock und Stein“ (283) bedienen sich aus zeitgenössischen Klischees, in denen ferne Mythologien trivialisiert aufgeboten sind. Am Ende ergibt sich der Jäger: „Oh sieh mich liegen, du Übermuth, und um Gnade flehn!“ (Ebd.) Als merkwürdiger Sieger kehrt er die Situation um: „Ich bin es wahrlich müde, immer dein schafichter Schäfer zu sein! Du Hexe, habe ich dir bisher gesungen, nun sollst du mir – schrein! Nach dem Takt meiner Peitsche sollst du mir tanzen und schrein!“ (284) Und schließlich, das Ende vom Lied? Zarathustra muß dem Leben gestehen, daß er es nicht von Grund aus liebt, aber, daß er von ihm nicht lassen kann. Auch wenn, oder gerade weil es die Weisheit als große Konkurrentin gibt (285). Diese, einem exaltierten Manierismus nahen Bilder geben Nietzsches begehrlichem Blick eine philosophische Tendenz. Das Leben als weiblich, als Frau zu bestimmen, mit der der Lebenstanz zu wagen ist, der Kampf der Geschlechter gegeneinander, von dem gewiß ist, daß man sich seinem Rhythmus lustvoll-leidvoll hingeben will; dieses Bild bedient den Zeitgeist. Literatur, Malerei und Dramatik liefern immer neue naivraffiniertere Vorgaben (Hamann/Hermand 1968, 72 ff.). Vom Geheimnisvollen und Lasziven der Prostitution, vom Lustmilieu mit seiner dumpfen Sinnlichkeit fühlt auch Nietzsche sich angezogen. Der offenen oder unterschwelligen Erotik kann er nicht widerstehen; seine Darstellungen allerdings zeugen von einer gequälten Teilhabe an diesem Part des Lebens, er wird verklemmt erzählt, und eine gewisse Bigotterie ist nicht zu übersehen. Wie seiner Apotheose des Leibes eine Art umgedrehter Puritanismus eignet, so ist sein Verhältnis zur Sinnlichkeit und Erotik nicht frei von einem guten Teil Ekel. Die Unmittelbarkeit des Lebens hat ihn bestürzt, und die Erfahrung des Körperlichen hat ihn in eine nicht zu verhehlende Abneigung getrieben, hat ihn zum Asketen gemacht; Zarathustra ist darin sein

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Renate Reschke Spiegelbild.17 – Der erwarteten Besitzergreifung durch den Körper widersteht er durch einen ambivalenten Wechsel der Perspektive. Was sich ästhetisch lesen will, oder psychologisch, gewinnt philosophisch-ästhetische Relevanz durch die Teilhabe des Eros an seiner sprachlichen Reflexion, als Sprache. Die Passion der Körper, die gewaltsame Beziehung von Ich und Leben als Selbsterfahrung des eigenen Triebhaften hat Nietzsche tief beunruhigt. So sehr, daß er sie einzig als ein dionysisches Erfülltsein vom Schaffen und der Macht des Geistes zu sublimieren vermag; und diesem Dionysischen ist das innere Zerrissensein, der Zagreus charakteristisch (Frey-Rohn 1984, 149, 194). Mehr noch. In ihm artikuliert er das Wissen vom Leben als einem Leibhaften, dem sein Anderes, sein Geist, konfliktreich zugehört: „Leib bin ich ganz und gar, und Nichts ausserdem; und Seele ist nur ein Wort für ein Etwas am Leibe. Der Leib ist eine grosse Vernunft, eine Vielheit mit Einem Sinne, ein Krieg und ein Frieden, eine Heerde und ein Hirt“ (39). Gegen die Anmaßung jeden rationalistisch besetzten Vernunftgebarens reklamiert er die Umfänglichkeit dieser Bestimmung für den Leib als eine schöpferische Ganzheitlichkeit, die er auch der großen Vernunft (einer Weisheit, die auf den Körper vertraut und auf die Ursprünge und das Innen des Selbst insistiert) zuspricht. Der so begründete Zusammenhang von Leib und Vernunft wird zum Paradigma für einen intensiven Lebensbezug, der sich wesentlich künstlerisch buchstabiert und der die große frühe Dialektik von Dionysischem und Apollinischem, von Rausch und Traum, kritisch aufnimmt und sie der Philosophie des Leibes integriert. Leben ist mehr als eine bloße dionysische Macht, es ist dionysischer Tanz. Will heißen, im Kontext des Lebens als einer Steigerung aller kreativen Potenzen, als Willen zur Macht(Steigerung), ist es sein künstlerisches, ästhe17 „Bei ihm ist der Ekel vor dem, was in einem körperlichen Sinne menschlich ist, vor der Sexualität überhaupt, vor dem blinden Impuls des Lebens nicht das Ergebnis einer Katharsis durch Erkenntnis, sondern eine ursprüngliche physiologische Gegebenheit, ein idiosynkratischer Widerwille gegen die Natürlichkeit. Es ist sogar denkbar, daß seine Intuition des metaphysischen Schmerzes, die bestürzende Erfahrung der ,Wahrheit‘, gefärbt ist von dieser instinktiven, unüberwindlichen Abneigung gegen die erschütternde Unmittelbarkeit des Lebens. […] Nietzsche ist also ein geborener Asket, einer, der angewidert den Blick vom Leben abwendet. Auch sein Zarathustra ist ein Asket“ (Colli 1980, 200).

Die andere Perspektive tisches Moment, das über das bloße Leben hinaustreibt, als Vitalprozeß und Geistesakt in einem (Meyer 1993, 70). Das Leben ist ein gefahrvoller Tanz auf dem Seil, und der Lebende ist ein Seiltänzer, ein Unfreier, den man durch „Schläge und schmale Bissen“ (22) zu tanzen gelehrt hat. Diesem Leben wird ein Possenreißer, der Gegenspieler Zarathustras, zum Verhängnis (23). Der Schrecken (über den Sprung des Possenreißers) unterbricht die lebenbewahrende Anstrengung und führt zum Tod. An dieser Erfahrung ist nicht vorbeizudenken: Zum Bild des Lebens gehört die Balance. Sein Tanz bewahrt vor den Abstürzen und Abgründen. Zarathustras Tanz ist einer, der leicht macht und frei, ohne Gewalt und ohne domestizierte Gesten und Posen. Solcherart Tanz kann der eines Narren sein, eines fröhlichen Hanswursts (347), der ein Grenzgängertum zwischen Narr und Dionysos realisiert. Zarathustra wird nicht ohne Grund gerade vom häßlichsten Menschen treffend als Schelm bezeichnet, als Vernichter ohne Zorn, als gefährlicher Heiliger (392), von dem zu lernen ist, daß, wer am gründlichsten töten will, dies durch das Lachen erreicht. Und durch das Tanzen. Der Tanz des Narren ist vielleicht der abgründlichste Tanz mit dem Leben. Das Schauspielerische, die Maske, sie schützen und stellen bloß und gehen an die Grenzen seiner, Zarathustras, Bestimmung. In ihrer eigentümlichen Spannung zwischen Tiefe und Oberfläche (NW, Epilog 2; 6, 439) ist die Maske des tanzenden Gottes eine der ältesten und der modernsten zugleich. Durch sie gelingt eine Verbindung von Leben und Kunst, Philosophie und Ästhetik, die Nietzsche weit nach dem Zarathustra – 1888 – unter dem Titel „Gegenbewegung die Kunst“ quasi programmatisch und (fast) endgültig formuliert: „Alle Kunst wirkt als Suggestion auf die Muskeln und Sinne, welche ursprünglich beim naiven künstlerischen Menschen thätig sind […]. Alle Kunst wirkt tonisch, mehrt die Kraft, entzündet die Lust […], regt alle feineren Erinnerungen des Rausches an, – es giebt ein eigenes Gedächtniß, das in solche Zustände hinunterkommt: eine ferne und flüchtige Welt von Sensationen kehrt da zurück … […] Der aesthetische Zustand […] ist der Höhepunkt der Mittheilsamkeit und Übertragbarkeit zwischen lebenden Wesen, – er ist die Quelle der Sprachen“ (N 1888, 14/119; 13, 296). Was vom ästhetischen Zustand gesagt ist, klingt (fast) wie eine Definition des Tanzes. Auch er ist

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Renate Reschke Sprache, Medium der Kommunikation par excellence. Die Selbstidentifikation Zarathustras mit dem tanzenden Gott macht ihn zu einem Mitteilenden der großen Vision vom (anderen) Leben, einer anderen Ästhetik; von ihm bleibt zu sagen, was Janz über die Bedeutung Ariadnes für Nietzsche gesagt hat, daß er eine ganze geistige Welt, eine ganze Kulturwelt, einen Lebensinhalt, einen Kanon bedeute ( Janz 1979/III, 28).

Literatur Braun, Rudolf/Gugerli, David 1993: Macht des Tanzes – Tanz der Mächtigen. Hoffeste und Herrschaftszeremoniell 1550–1914, München. Colli, Giorgio 1980: Nach Nietzsche, Frankfurt/M. Detienne, Marcel 1995: Dionysos. Göttliche Wildheit, München. Frank, Manfred 1982: Der kommende Gott. Vorlesungen über die Neue Mythologie, Frankfurt/M. Frey-Rohn, Liliane 1984: Jenseits der Werte seiner Zeit. Friedrich Nietzsche im Spiegel seiner Werke, Zürich. Hahn, István 1977: Götter und Völker, Budapest. Hamann, Richard/Hermand, Jost (Hrsg.) 1968: Deutsche Kunst und Kultur von der Gründerzeit bis zum Expressionismus, Bd. 2: Naturalismus, Berlin. Hölderlin, Friedrich 1970: Sämtliche Werke und Briefe, hrsg. v. G. Mieth, Berlin/Weimar. Janz, Curt Paul 1978/79: Friedrich Nietzsche. Biographie in drei Bänden, München/Wien. Koch, Hans-Joachim 1997: Das Chaos und die grosse Fülle des Lebens oder Wie gross ist die „grosse Vernunft“ bei Nietzsche?, in: ders., Friedrich Nietzsche. Beiträge zur Nietzsche-Forschung, Cuxhaven/Dartford, 73–99. Lippe, Rudolf zur 1974: Naturbeherrschung am Menschen, Bd. I: Körpererfahrung als Entfaltung von Sinnen und Beziehungen in der Ära des italienischen Kaufmannskapitals, Frankfurt/M. Mansfeld, Jaap (Hrsg.) 1991: Die Vorsokratiker, Bd. I, Stuttgart. Meyer, Theo 1993: Nietzsche und die Kunst, Tübingen/Basel. Reschke, Renate 1994: Der Lärm der großen Stadt, der Tod Gottes und die Misere vom Ende des Menschen. Zu Nietzsches Kulturkritik der Moderne, in: Nietzscheforschung. Eine Jahresschrift, Bd. 1, hrsg. im Auftrag der Förderund Forschungsgemeinschaft Friedrich Nietzsche e. V. v. H.-M. Gerlach, R. Eichberg und H. J. Schmidt, Berlin, 79–97. Sendrey, Alfred 1970: Musik in Alt-Israel, Leipzig. Sloterdijk, Peter 1986: Der Denker auf der Bühne. Nietzsches Materialismus, Frankfurt/M. Wagner, Richard 1983: Das Kunstwerk der Zukunft, in: ders., Dichtungen und Schriften, hrsg. v. D. Borchmeyer, Bd. 6, Frankfurt/M. Wohlfart, Günter 1991: ,Also sprach Herakleitos‘. Heraklits Fragment B 52 und Nietzsches Heraklit-Rezeption, Freiburg/München.

A Bridge too far

Bernd Magnus

A Bridge too far Asceticism and Eternal Recurrence*

“Die Vorrede ist des Autors Recht, des Lesers aber – die Nachrede.” (MA 1, 38; 14, 127) More than twenty years ago, I argued that Nietzsche’s eternal recurrence Lehre should be construed as an existential imperative, as an action guiding replacement for Kant’s categorical imperative rather than a metaphysical, cosmological, or scientific doctrine (see Magnus 1978). The imperative declares, in effect: “so leben, daß du wünschen mußt, wieder zu leben ist die Aufgabe” (N 1881, 11/163; 9, 505)! It was also argued that this imperative was presented in eternalistic form, by Nietzsche, because he regarded humankind as kronophobic, as inherently aversive to time and transience. Hence, the doctrine of eternal recurrence was expressed as an eternalistic countermyth, a mythpoetic instrument for overcoming the Judaeo-Christian-Platonic tradition, using that tradition’s very own categories and tropes in the service of transvaluating its values. In the subsequent decade I began to have doubts not only about my own interpretation but also about the simplicity and iterability of the Lehre itself. I began to regard all interpretations of this difficult teaching as merely one-sided glimpses of an

* Some remarks made in sections 2 and 3 of this essay have appeared in different form in Magnus/Stewart/Mileur 1993.

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Bernd Magnus almost ineffable insight. Increasingly, I began to view Nietzsche’s central teaching as self-consuming, i. e., as requiring for its assertion and intelligibility the very contrasts it sought to replace or set aside. Critics thought that this “deconstructive” reading was at odds with my earlier interpretation; and so did I. The present essay is therefore a gesture towards reconciliation. I have now come to regard these two very different and seemingly incompatible interpretive stances – existential imperative and self-consuming concept – as entirely compatible rather than incompatible. This essay marks some to the signposts on the way to an Aufhebung of these two hermeneutic possibilities. Specifically, section 1 of this paper sketches a brief, selective overview of Nietzsche’s philosophy from the perspective of the ascetic ideal.1 Section 2 then sketches what is meant by “selfconsuming” concepts; and section 3 applies this to Nietzsche’s doctrine of eternal recurrence, and anticipates some arguments against such an approach. Section 4 spells out the connection between the ideal life and Nietzsche’s Wiederkunftslehre by reviewing some alternative construals of the doctrine of eternal recurrence. Finally, section 5 offers a telegrammic sketch of the implications of this interpretation of the Wiederkunftslehre for an understanding of Also sprach Zarathustra.

11.1 Nietzsche’s philosophy from the perspective of the ascetic ideal In his mature writings Nietzsche was preoccupied by the origins and function of values in human life. If, as he maintained in Götzen-Dämmerung, the value of life cannot be estimated, that existence neither possesses nor lacks intrinsic value and yet is always being evaluated, then such evaluations can usefully be read self-referentially, as symptoms of the condition of the evaluators: “Urtheile, Werthurtheile über das Leben, für oder wider, können zuletzt niemals wahr sein: sie haben nur Werth als Symptome, […]. Man muss durchaus seine Finger darnach 1 Although the ascetic ideal emerges as a central unifying theme only circa 1884 – 85, I believe that it appears in latent form in all of Nietzsche’s earlier writings as well. This argument cannot be prosecuted here, however.

A Bridge too far ausstrecken und den Versuch machen, diese erstaunliche finesse zu fassen, dass der Werth des Lebens nicht abgeschätzt werden kann” (GD, Sokrates 2; 6, 68). This insight lies at the bottom of some of Nietzsche’s most radical and contentious motivating assumptions, including the belief that (i) traditional philosophy, morality, and religion appear to be more important than any other institutional forces in making Europeans who they are – not race, gender, ethnicity, nationality, sexual orientation, social or economic class; (ii) that philosophy, morality, and religion – each one taken separately – share a common feature which is more important than the internal multiplicity that seems to separate each one; (iii) that philosophy, morality and religion – taken collectively – share a common feature that is more important than their obvious differences. This common feature Nietzsche began to call the “ascetic ideal”, beginning in roughly 1884, which finds expression and hides its function in philosophy, morality and religion. The ascetic ideal, put oversimply, just is the need to provide surcease from suffering by providing meaning for suffering, through expiation, atonement, justification, and even explanation for existence. Suffering existence must be atoned for, repented, surmounted, justified, or explained: “Sieht man vom asketischen Ideale ab: so hatte der Mensch, das Thier Mensch bisher keinen Sinn. Sein Dasein auf Erden enthielt kein Ziel; […]. Das eben bedeutet das asketische Ideal: dass Etwas fehlte, dass eine ungeheure Lücke den Menschen umstand, – er wusste sich selbst nicht zu rechtfertigen, zu erklären, zu bejahen, er litt am Probleme seines Sinns. […] aber nicht das Leiden selbst war sein Problem, sondern dass die Antwort fehlte für den Schrei der Frage ‘wozu leiden?’ […] Die Sinnlosigkeit des Leidens, nicht das Leiden, war der Fluch, der bisher über der Menschheit ausgebreitet lag, – und das asketische Ideal bot ihr einen Sinn!” (GM 3, 28; 5, 411) Although it is certainly the case that nonhuman animals suffer pain and deprivations of all sorts, they do not attach a meaning to their distress. Indeed, they are incapable of providing an interpretation for their distress. It is the human animal alone that seeks a meaning for its suffering – often simply to continue to live: “In ihm [the ascetic ideal] war das Leiden ausgelegt; die ungeheure Leere schien ausgefüllt; die Thür schloss sich vor allem selbstmörderischen Nihilismus zu. Die

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Bernd Magnus Auslegung – es ist kein Zweifel – brachte neues Leiden mit sich, tieferes, innerlicheres, giftigeres, am Leben nagenderes: sie brachte alles Leiden unter die Perspektive der Schuld … Aber trotzalledem – der Mensch war damit gerettet, er hatte einen Sinn” (ibid.). Nietzsche’s subtlety is evident here, for if one marks a distinction between suffering in its extensional and its intensional senses, then the human animal alone experiences both sorts of suffering. In consequence, only in the case of the human animal can an explanation for suffering provided at one time – for example to combat suicide – itself become a source of suffering at a later time when the extensional cause no longer obtains, as in the case of religiously inspired guilt, especially sexual guilt, as well as traditional body shame: “Von einem fernen Gestirn aus gelesen, würde vielleicht die MajuskelSchrift unsres Erden-Daseins zu dem Schluss verführen, die Erde sei der eigentlich asketische Stern, ein Winkel missvergnügter, hochmüthiger und widriger Geschöpfe, die einen tiefen Verdruss an sich, an der Erde, an allem Leben gar nicht loswürden und sich selber so viel Wehe thäten als möglich, aus Vergnügen am Wehethun: – wahrscheinlich ihrem einzigen Vergnügen. Erwägen wir doch, wie regelmässig, wie allgemein, wie fast zu allen Zeiten der asketische Priester in die Erscheinung tritt; er gehört keiner einzelnen Rasse an; er gedeiht überall; er wächst aus allen Ständen heraus. Nicht dass er etwa seine Werthungsweise durch Vererbung züchtete und weiterpflanzte: das Gegentheil ist der Fall, – ein tiefer Instinkt verbietet ihm vielmehr, in’s Grosse gerechnet, die Fortpflanzung. Es muss eine Necessität ersten Rangs sein, welche diese lebensfeindliche Species immer wieder wachsen und gedeihen macht, – es muss wohl ein Interesse des Lebens selbst sein, dass ein solcher Typus des Selbstwiderspruchs nicht ausstirbt. Denn ein asketisches Leben ist ein Selbstwiderspruch” (GM 3, 11; 5, 362 f.). But it is not only the ascetic priest in whom the ascetic ideal finds expression. Nietzsche understands traditional philosophy as rooted in and continuous with the religious-ascetic impulse: “Anschaulich und augenscheinlich ausgedrückt: der asketische Priester hat bis auf die neueste Zeit die widrige und düstere Raupenform abgegeben, unter der allein die Philosophie leben durfte und herumschlich … Hat sich das wirklich verändert?” (Ibid., 360 f.)

A Bridge too far Accordingly, it is not at all accidental that the Judeo-Christian tradition made suffering tolerable, for example, by interpreting it as God’s intention and as an occasion for atonement. Moreover, Nietzsche argued in Der Antichrist and elsewhere that Christianity owed its hegemony to the flattering doctrine of personal immortality, i. e., to the “conceit” that each individual’s life and death have cosmic significance: “Dass Jeder als ‘unsterbliche Seele’ mit Jedem gleichen Rang hat, dass in der Gesammtheit aller Wesen das ‘Heil’ jedes Einzelnen eine ewige Wichtigkeit in Anspruch nehmen darf, dass kleine Mucker und DreiviertelsVerrückte sich einbilden dürfen, dass um ihretwillen die Gesetze der Natur beständig durchbrochen werden – eine solche Steigerung jeder Art Selbstsucht ins Unendliche, ins Unverschämte kann man nicht mit genug Verachtung brandmarken” (AC 43; 6, 217). For Nietzsche, therefore, it is no accident that binary oppositions, overt and covert dualisms of all kinds, should come to characterize humankind’s self-interpretations. They are one and all expressions of the ascetic ideal. In philosophy, Nietzsche writes in a typical passage, der “Grundglaube der Metaphysiker ist der Glaube an die Gegensätze der Werthe” ( J 2; 5, 16). Being vs. becoming, reality vs. appearance, necessity vs. contingency, eternity vs. temporality, duty vs. desire, mind vs. senses, soul vs. body, good vs. evil, logic vs. rhetoric, reason vs. emotion, knowledge vs. opinion, and, arguably, male vs. female became traditional philosophy’s stock in trade. Analogous binary oppositions dominate traditional religions: heaven vs. earth, God vs. creation, righteousness vs. sin, salvation vs. damnation, soul vs. body, good vs. evil, immortality vs. death, faith vs. reason, humility vs. pride, asceticism vs. hedonism, abstinence vs. fornication, male vs. female. Nietzsche’s critique of traditional morality centered on the typology of “master” and “slave” morality. By examining the German words gut (good), schlecht (bad), and böse (evil), Nietzsche maintained that the distinction between good and bad was originally a nonmoral reference to those who were privileged, the masters, as opposed to those who were base, the slaves. The good/evil contrast arose when slaves avenged themselves symbolically by converting attributes of mastery into vices. If the favored, the “good”, were powerful, it was soon said that the meek would inherit the earth. If the “good” were active, noble,

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Bernd Magnus proud, beautiful, it was soon said that the reactive (“turn the other cheek”), the base, the humble, the poor would enter the kingdom of heaven. Pride became sin. Charity, humility, chastity, and obedience became tickets out of this vale of tears. Christianity, with an important assist from Judaism, became the ideology of slave morality. It marked both an important advance in the history of moral sentiment, a stroke of genius, as well as a symptom of revenge. As the ideology of slave morality it became crucial to Christianity that it be the only true religion and corresponding morality. As Nietzsche was later to write, in Götzen-Dämmerung, Christianity is Platonism for the masses ( für’s Volk). This insistence on absoluteness, this dogmatism, is as essential to philosophic as to religious ethics. Dogmatism, absolutism and the ascetic ideal work hand in glove. It is widely agreed that Nietzsche often thought of his writings as struggles with nihilism. But is the struggle itself not an instance of what it seeks to overcome, given the pervasiveness of the ascetic ideal? In so far as Nietzsche thought that the will to truth would ultimately undermine Christianity and philosophical dogmatism, is not the will to truth also an ascetic impulse, a solution, perhaps, but also a problem disguising itself as a solution? This point can be put in another, general way: If the human animal is a meaning mongerer, the ascetic ideal incarnate whose search for meaning is a problem as much as it is a solution, is not all striving for explanations then also an instance of the ascetic ideal, including this “overview”? Although Nietzsche mentions “the comedians” of the ascetic ideal as the only possible prophylactic, how are they to be understood? Put differently, is there any way to decide if Nietzsche is playing the same (ascetic) game with a different set of rules or if he is playing an altogether different game? This question gains urgency because most commentators have thought of Nietzsche as offering a penetrating critique of the history of philosophy, morality, and religion, a critique that is parasitic upon a “positive” set of doctrines, for example, “the will to power”, “perspectivism”, “eternal recurrence”, and the Übermensch. Viewed in this way, perspectivism is a concept that holds that there are no immaculate perceptions, that the idea of knowledge from no point of view is as incoherent a notion as is seeing from no particular vantage point. Perspectivism also de-

A Bridge too far nies the possibility of an all-inclusive perspective which could contain all others, and, hence, make reality available as it is in itself, a God’s-eye-view. The notion of such an all-inclusive perspective is as incoherent as the concept of seeing an object from every possible vantage point simultaneously. Viewed as a “positive” doctrine, perspectivism raises the question of how one is to understand Nietzsche’s own theses, for example, the thesis that the dominant values of our common heritage have been underwritten by the ascetic ideal. Is this proposition true unconditionally or only from a certain perspective? It may also be asked if perspectivism can be asserted consistently without self-contradiction, since it must presumably be true in an unmitigated sense. Another favorite candidate for Nietzsche’s “positive” doctrine is “the will to power”. He often identified life itself with “will to power”, that is, with an instinct for growth and durability, as in the following passage: “Das Leben selbst gilt mir als Instinkt für Wachsthum, für Dauer, für Häufung von Kräften, für Macht: wo der Wille zur Macht fehlt, giebt es Niedergang” (AC 6; 6, 172). Construed in this way it provides another way of interpreting the ascetic ideal, since Nietzsche contends “dass allen obersten Werthen der Menschheit dieser Wille fehlt, – dass NiedergangsWerthe, nihilistische Werthe unter den heiligsten Namen die Herrschaft führen” (ibid.). Thus, traditional philosophy, religion, and morality have been so many masks a deficient will to power wears. Many commentators have attempted to extend the notion of the will to power to the organic and inorganic realms as well, ascribing an ontology of will to power to him. But again, one asks, how does this square with his perspectivism – not to mention his published texts? How can a doctrine of the will to power resist the corrosive acid of perspectivism? And are not both teachings merely two more expressions of the ascetic ideal rather than its overcoming?

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11.2 “Self-consuming” conceptions Many years ago, in his book, Self-Consuming Artifacts (1972), Stanley Fish drew a suggestive distinction between self-satisfying2, dialectical3, and self-consuming artifacts4. Stanley Fish’s argument is that it is characteristic of dialectical works to involve the reader in discursive activities – involve the reader in attempting to arrive at “the meaning of the text” – and then to declare invalid or premature the conclusions of such discursive undertakings. The result is disquieting because the reader’s interpretation is always being challenged at the very same time that it is being enabled, until the very possibility of understanding in the conventional vocabulary is itself contested, is itself opened to questioning. Works of this sort are self-consuming in two senses. First, they undermine their own structure; and, second, in undermining their own structure they also undermine the reader’s self-confidence. That, indeed, is their goal. There are many inadequacies in Fish’s story which he has addressed in subsequent works; these are not my concern, however. What I want to suggest instead is that most of Nietzsche’s central philosophic notions – eternal recurrence, the Übermensch, perspectivism, will to power – can profitably be under-

2 “The word ‘satisfies’ is meant literally here; for it is characteristic of a rhetorical form to mirror and present for approval the opinions its readers already hold. It follows then that the experience of such a form will be flattering, for it tells the reader that what he has always thought about the world is true and that the ways of his thinking are sufficient. […] whatever one is told can be placed and contained within the categories and assumptions of received systems of knowledge” (Fish 1972, 1). 3 “A dialectical presentation […] is disturbing, for it requires of its readers a searching and rigorous scrutiny of everything they believe and live by. […]; it does not preach the truth, but asks that its readers discover the truth for themselves, […] the experience of a dialectical form is humiliating” (ibid., 1 f.). 4 “Self-Consuming Artifact […] is intended in two senses: the reader’s self is consumed as he responds to the medicinal purging of the dialectician’s art, and that art, like other medicines, is consumed in the workings of its own best effects. […] it disallows to its productions the claims usually made for verbal art – that they reflect, contain or express Truth – and transfers pressure and attention from the work to its effects, from what is happening on the page to what is happening in the reader. A self-consuming artifact signifies most successfully when it fails, when it points away from itself to something its forms cannot capture” (ibid., 3 f.).

A Bridge too far stood as self-consuming concepts, notions whose very articulation simultaneously invites and refuses meaning and coherence, with the predictable disquieting effect upon his readership. Modifying Fish’s notion, by the expression “self-consuming”, I shall mean that for any given concept to be self-consuming it requires as a condition of its intelligibility (or even its iteration) the very contrast it wishes to set aside or would have us set aside.5 A few familiar illustrations might help, before I focus on the self-consuming character of Nietzsche’s eternal recurrence and the ideal life. As we all know, Descartes’ hyperbolic doubt tries to argue at a critical point that our waking and dreaming states are logically interchangeable and that, in consequence, all perception and bodily-state reports might be delusory dreams rather than veridical perceptions. This is supposed to show that there may be no bodies at all and no spatiotemporal perceptions either. Many philosophers have pointed out, beginning with Descartes’ own critics, that Descartes’ hyperbolic doubt requires the very contrast between waking and dreaming he seeks to set aside in order to undermine the distinction between them. On this interpretation, to be able to distinguish waking states from dreaming states requires the contrast between actual perceptions as opposed to imagined, dream-state, ones. To have the concept “dream-perception” requires as a condition of its intelligibility the contrast with “waking-state perception”. Thus, all that Descartes’ argument could show is that, for any perception taken in isolation, one cannot be certain whether one is waking or dreaming. However, that uncertainty itself is parasitic upon the prior more general certainty that at some determinate point someone’s perceptions must be waking-state perceptions, must be veridical. The details of this reconstruction of Descartes’ argument can no doubt be disputed. That, in fact, is an arresting feature of what I am calling self-consuming concepts. Self-consuming con5 My use of the notion of a self-consuming concept bears only a family resemblance to Fish’s sense and was arrived at independently of his work. In my usage, concepts are themselves self-consuming in Nietzsche’s works, not merely the structure his texts display or presuppose.

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Bernd Magnus cepts remain perennially fresh and plausible in an important sense, even after it has been pointed out that their intelligibility and force are purchased at the cost of presupposing the very concepts to be displaced, to be set aside. In this respect selfconsuming concepts seem to differ from inconsistencies, selfcontradictions, and self-reference fallacies. In contrast, when early logical positivists announced the principle of verification, for example – the principle that to be cognitively meaningful a proposition must be capable of verification in principle – it was widely debated whether historical explanations, as a species, would go the way of metaphysics and poetry into the dark night of cognitive meaninglessness. This situation changed abruptly, however, the moment it was pointed out that positivism itself – that is to say its vaunted principle of verifiability – was itself unverifiable, a consequence which rendered the principle itself cognitively meaningless.6 The point of assembling this reminder from the history of recent analytic philosophy is to underscore the difference between self-consuming concepts, as we are using that term, and the self-exempting fallacy, of which the principle of verification would appear to be but one instance. Thus we remain fascinated by Descartes’ elegantly flawed argument about the logical interchangeability of the waking and dreaming states. But even this way of putting the matter misleads. In the example of the logical interchangeability of the waking and dreaming states, two seemingly opposed and independent notions were seen to require one another. Self-consuming concepts, as I am using the term, differ in that the resources for dissolution are resources for self-dissolution. The negation of self-consuming concepts is their self-negation, inscribed within the body of these concepts themselves. A better series of examples, therefore, might have derived from Hegel, whose philosophy as a whole may exhibit this form, as in his classic Being-Nothingness-Becoming triad. To illustrate this point briefly and superficially, Hegel’s insight, in the Science of Logic, is that the concept “Being” – when properly

6 The historical record concerning the rise and fall of positivism is, of course, much more complex than this brief illustrations suggest.

A Bridge too far understood – does not merely exclude the concept “Nothingness” but requires it, projecting it from itself as it were. For the distinction between Being and particular beings, particular entities, can be drawn by removing predicates successively from any particular entity up for analysis. In this respect, Hegel’s discussion of Being retrieves, recapitulates and recuperates the logic of the debate about “substance” which divided Descartes, Locke, Berkeley, Hume and Kant. To remove all determinations, all specifying conditions, from entities is to arrive at the notion of Being by stripping determinate beings of their particularity, removing all of their predicates. To strip away all predicates, however, leaves only a vacant possibility, an empty X awaiting predication. These are the ‘features’ of no thing at all, however. Indeed, they are the ‘features’ of Nothingness. It is not only Hegel’s Science of Logic that exhibits some of the central features I am here calling self-consuming concepts. For just recall that the unconditional certainty (Gewissheit) that attaches to sense-certainty (Sinnliche Gewissheit) is successively and successfully undermined from within in The Phenomenology of Spirit. Hegel accomplishes this by showing us just how the concept of certainty that attaches to our most directly evident sensations and locutions – indexicals and demonstratives such as “here” and “now”, “this” and “that” – really refers instead to abstract universals in disguise, since “this” and “that”, “here”, “now”, and “there” are applicable to anything in the universe, anywhere, at any time. Each expression of certainty that is based on indexicals and demonstratives such as these requires as a condition of its iteration and of its intelligibility, therefore, the very notion it wishes to contest or set aside. Its claim to concreteness and immediacy is undermined by the universal applicability of its reference. Its certainty evaporates in a sea of abstract indefiniteness. Each claim to certainty implodes, requiring its own concrete negation in order to make sense, in order even to be a candidate for iteration. Through a stroke of genius, Hegel is able to argue successfully that ordinary language is shot through and through with abstract universals – ‘here’ and ‘now’, ‘this’ and ‘that’ – while only his Absolute Idea is concrete. There is one and only one referent for “Absolute Idea”. It is, thus, the most singular and concrete of all expressions.

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Bernd Magnus As in the Descartes example, the details of these reconstructions can be debated. They are rehearsed here for two reasons: First, to underscore the point that self-consuming concepts are self-negating, not negated by external comparison, that the resources for their self-negation are always already there, waiting to surface and to be surfaced; second, as in the Being-Nothingness diad, the diad is in reality a self-propelling triad. In Hegel’s example, the oscillation of Being and Nothingness yields the sublated concept “Becoming”. And I would want to insist that self-consuming concepts, concepts which are self-negating in a special sense, also entail a moment of recuperation in which the content of the original unmediated concept and its negation are both canceled and preserved, annulled and retained in a transfiguration (although not necessarily elevated).7 When a selfconsuming concept is finally understood, the same thing is seen differently, which, paradoxically, amounts to seeing something different. Or perhaps the contrast between seeing the same thing differently and seeing something different is inappropriate in the case of self-consuming concepts. One useful reason for viewing some of Nietzsche’s most discussed themes as self-consuming is that, so regarded, they resist reification, resist reduction to substantive, standard philosophical doctrines. Moreover, so regarded, their fluidity is not merely an accidental feature but a typical and essential feature. Like the literary figure catachresis, many of Nietzsche’s major concerns seem necessarily both to solicit and to reject literal interpretation at the same time. What I mean by the figure catechresis is a special use of that term. The noun phrase “table legs” is a literal expression. There is no other literal expression for which “table legs” is a metaphorical substitute, place-holder or stand-in. Yet, at the same time, “table legs” is itself a metaphor, since tables can be said to have “legs” only in a metaphorical sense, the sense in which a good glass of cabernet sauvignon may be said to have “legs”.

7 This is a further point of contrast between my use and Hegel’s use of the notion of negation. If one subtracts the elevating optimism from Hegel’s Aufhebungen one is left with self-consuming concepts in my sense.

A Bridge too far The catachresis “table leg” is both literal and metaphorical or, if one prefers, is neither literal nor metaphorical at the same time. Many of Nietzsche’s central themes seem to exemplify a similar paradoxical but necessary quality.

11.3 Nietzsche’s doctrine of eternal recurrence Nietzsche’s presentation of eternal recurrence is central to his philosophic project. It is the generating thought of his Also sprach Zarathustra, the thought which most divides commentators. It is unarguably the subject of two of Zarathustra’s speeches – Vom Gesicht und Räthsel and Der Genesende – and it is fully rehearsed in Die fröhliche Wissenschaft under the heading “Das Grösste Schwergewicht”. That well known entry (FW 341; 3, 570) concludes by asking its interlocutors two questions framed as one:8 “Wenn jener Gedanke [of eternal recurrence] über dich Gewalt bekäme, er würde dich, wie du bist, verwandeln und vielleicht zermalmen; die Frage bei Allem und Jedem ‘willst du diess noch einmal und noch unzählige Male?’ würde als das grösste Schwergewicht auf deinem Handeln liegen! Oder wie müsstest du dir selber und dem Leben gut werden, um nach Nichts mehr zu verlangen, als nach dieser letzten ewigen Bestätigung und Besiegelung?” (Ibid.)9 Nietzsche refers to this apho-

8 My discussion centers on this entry rather than any in Zarathustra for many complex reasons, only some of which can be mentioned here. The overriding reason is that aphorism 341 from Die Fröhliche Wissenschaft frames in the sharpest possible relief the points I wish to make. Moreover, the direct incantations of the doctrine of eternal recurrence in Zarathustra contain inherent ambiguities that are far more serious than those in the entry 341 from Die fröhliche Wissenschaft. In Vom Gesicht und Räthsel, for example, it is the “Zwerg”, not Zarathustra, who expresses the doctrine; and in Der Genesende, it is “seine Thiere”, not Zarathustra, who intone the hurdy-gurdy song of recurrence as Zarathustra falls asleep. The often cited penultimate “chapter” of Part IV is rendered moot by its content – it is about the doctrine only indirectly – as well as by its title. Nietzsche gave it two titles, Das Nachtwandler-Lied and Das trunkene Lied. There are manuscript pages that contain each title. The Colli/Montinari editions use the former title, the Grossoktavausgabe used the latter. 9 One of the most interesting and important discussion of this and surrounding texts is Salaquarda 1989.

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Bernd Magnus rism in Ecce Homo when he writes: “Ich erzähle nunmehr die Geschichte des Zarathustra. Die Grundconception des Werks, der Ewige-Wiederkunfts-Gedanke, diese höchste Formel der Bejahung, die überhaupt erreicht werden kann –, gehört in den August des Jahres 1881: er ist auf ein Blatt hingeworfen, mit der Unterschrift: ‘6000 Fuss jenseits von Mensch und Zeit’. […] In die Zwischenzeit gehört die ‘gaya scienza’, die hundert Anzeichen der Nähe von etwas Unvergleichlichem hat; zuletzt giebt sie den Anfang des Zarathustra selbst noch, sie giebt im vorletzten Stück des vierten Buchs den Grundgedanken des Zarathustra” (EH, Zarathustra 1; 6, 335 f.). So the aphorism just cited is the “Grundgedanke des Zarathustra”, a book Nietzsche characterized with predictable hyperbole in Götzen-Dämmerung: “Ich habe der Menschheit das tiefste Buch gegeben, das sie besitzt, meinen Zarathustra” (GD, Streifzüge 51; 6, 153). Despite – or perhaps because of – the importance Nietzsche attached to it, the doctrine of eternal recurrence seems to me to be self-consuming in all of its versions,10 including the cosmological/metaphysical and the many normative versions which try to derive one imperative or another from it. To take but a single illustration, a closer look at the cosmological version which some commentators have asked us to imagine should suggest rather quickly that the concept of eternal recurrence requires a notion of linear time to distinguish a specific configuration from its recurrence – the very mundane conception of time the doctrine allegedly contests and displaces.11 The state-of-the-universe at this instant, for example, will recur, if it is to recur, on some other identical December 5, 1997. But if this state of the universe can occur at some other time, on some other December 5, 1997 then it is not a recurrence of the same

10 This is much too quick and requires more argument and nuance than I am able to provide here. 11 There have been numerous attempts to rescue the Lehre by reinterpreting the notion of time in such a way that the essentially Newtonian (substantivalist) model that I am presupposing (for Nietzsche) is displaced or replaced. For reasons too complex to enter into here, I regard all such attempts as failures. If relationalist conceptions of spacetime are appealed to in order to circumvent the substantivalist notion, it becomes difficult to understand how anything that may be said to be identical can be said to recur. In general, the more one weakens the temporal identity condition, the more one weakens the recurrence of the same.

A Bridge too far but a recurrence of the exactly similar – an argument already anticipated by Isaac Newton, when he remarked that even if all particles in the universe were one day to achieve the identical configuration they exhibit today these would not be identical states, since the time of their occurrence would differ. As I argued elsewhere (Magnus 1978) two decades ago, either occurrence is the case or circular time is the case; but if circular time, then only a single cycle; hence occurrence again rather than recurrence.12 All that is needed for the cosmological version of recurrence to be self-consuming is that it must purchase its intelligibility by asserting a condition it wishes to set aside. The concept of the recurrence of identical, datable events, indeed the concept of recurring, datable identical times is one such conceptual oxymoron, is one such self-consuming notion. The favored normative versions of eternal recurrence may well be self-consuming in much the same way. In such interpretations one is typically admonished to behave as if recurrence is true. Often the emphasis is on the putative psychological consequences which the teaching of eternal recurrence is thought to have upon one’s actions if one believes it to be true – if one behaves as if recurrence is true. The motivating point here, I gather, is that if one acts as if recurrence is true the psychological effect is believed to be monumental. It is not at all clear to me, however, what it is that one is being asked to imagine. If one is asked to behave as if recurrence is true, it is not clear that there can be any consequences. For one is then being asked to behave in ways that one has behaved an infinite number of previous recurrences. The point is that behaving as if recurrence is true entails behaving as if this moment not only will recur again but actually has recurred. This seems to follow from believing the truth of recurrence, from behaving as if it is true. So behaving as if recurrence is true entails behaving as if this moment, how one lives, is how one lived in an infinite number of previous recurrences. Moreover, how one now lives, this moment, must be how one has lived this moment an infinite

12 For detailed discussion of the textual and conceptual issues in the doctrine of eternal recurrence, see Magnus 1978 or the texts of Nehamas 1985 or Clark 1990.

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Bernd Magnus number of previous times. But then what consequences can be said to follow? If believing that recurrence is true entails believing the sort of fatalism which is here proposed, then it is not clear that one can ever decide to believe (or not believe) it, and, accordingly, that any consequences follow from believing it to be true, since a fortiori believing it or not believing it is also fated in advance. One can only act as if recurrence is true if one believes that in a previous recurrence one behaved as if it is true, and so on ad infinitum. One might reply to this line of argument by saying that whatever causes one to behave as one does, it could only be oneself. That is, if this moment repeats a past recurrence, “necessarily”, then one’s present choices are a repetition of one’s past choices. The choices are no less ours for having been past, it might be argued. But if any weight is to attach to such personal pronoun references a different difficulty arises. The self-consuming difficulty is this: The psychological weight, the stress which one is to experience, if recurrence is true, is said to be a consequence of one’s believing that what one does now seals the future, imposes the seal of eternal repetition upon this very event. It is as if one were choosing one’s eternal future self in the very act of choosing one’s present self. But if we change our vantage point, it becomes quickly apparent that one’s “present self ” has here the same logical relation to one’s “future self ” as one’s “past self ” has to one’s “present self ”. Their relationship is precisely symmetrical. So while one is at this very moment to experience the psychological weight, the enormous stress which attaches to choosing one’s eternally recurring future self, how is one to avoid the deflating psychological impact which follows from recognizing that one’s present self has already been chosen eternally, has already been constructed? It would appear that, on this normative reading, we cannot have it only one way. If I am to behave as if I am sealing future recurrences by writing these words, and if this is to be both a stressful and liberating thought, then why is this same thought not also supremely deflating – as the Stoics seem to have recognized – once I realize that whatever words I do write I am merely repeating the very phrases I have written an infinite number of previous times? The principal difficulty with the normative interpretation seems to me to be closely related to the difficulty of the cosmo-

A Bridge too far logical version. Both versions are too closely tied to the truth function of eternal recurrence. The latter, in fact, seems to collapse into the former. The cosmological version argues that Nietzsche thought recurrence is true: The normative version argues that Nietzsche invites us to behave as if it is true. Each version, the cosmological and the normative, requires as a condition of its intelligibility the very distinctions it wishes to avoid or set aside, however. If recurrence is true, it ought to make no difference to my present life, a life then destined to recur as some other life at some other “identical” time and place. It is a future recurring life which quite simply cannot get a conceptual grip on my present life.13 If, on the other hand, I am to behave as if recurrence is true, the giddying liberation of justifying myself to myself unto eternity founders on the dismaying flip-side that my present self-justification is just a repetitious rehearsal of past eternities of self-justification. In Nietzsche’s various published writings in which one is invited to think-through the notion of eternal recurrence, one is asked diagnostic the question “How well disposed would one have to become to oneself and to life to crave nothing more fervently than the infinite repetition, without alteration, of each and every moment?” Nietzsche invites his reader to imagine a finite number of possible states of the universe, each destined to recur eternally, and asks his reader’s reaction to this imagined state of affairs. Presumably most persons should find such a thought shattering because they should always find it possible to prefer the eternal repetition of their lives in an edited version rather than to crave nothing more fervently than the recurrence of each of its horrors. Only a superhuman being (an Übermensch) could accept recurrence without emendation, evasion, or self-

13 This is the strictest conception of personal identity within recurrence theories. It may be too strong. Many persons have argued, in hope, that personal identity can be preserved but weakened. So, one might imagine that a person can retain his or her identity within the doctrine but nevertheless have made different choices at critical junctures. I consider all such rescue attempts unhelpful and question-begging. For example, what sense does it make to speak of “me” as someone who, in some recurrence, chose not to marry Lore Woodcock, or chose not to leave Germany? I would simply not be able to recognize myself under either of those descriptions.

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Bernd Magnus deception, a being whose distance from conventional humanity is greater than the distance between man and beast, Nietzsche tells us in the Prologue to Also sprach Zarathustra. What sort of creature would desire the unaltered repetition of its exact life, would prefer each and every moment of its life just as it is, and would prefer this to any alternative possibility it could imagine? What sort of attitude is suggested by a person, a questor, who could regard his or her life as Leibniz’s God regarded the world: the best of all possible worlds? Here is one possible answer. Virtually all of us have at one time or another experienced a tremendous moment whose repetition we would will unto eternity were this within our power and for the sake of which we would exchange our lives for no other. Artists at work in every medium have been known at one time or another to experience that enormous satisfaction when their work achieves their standard of perfection, when they would not trade places with the gods. Less esoterically, it is said that the agony of the long distance runner is sometimes replaced – after “the wall” has been hit – by an incredible sense of euphoria, well-being and achievement, which is not easily replaced. Most mundane of all, perhaps, human sexual satisfaction can sometimes be so intense and rewarding that one would will its eternal repetition, and exchange lives with none at that instant. These illustrations are contestable, to be sure. Some may be inclined to argue that artistic, athletic, and sexual peak experiences are seldom without self-deception or pathology. We need not enter that debate here, however; for the burden of the remark is not that we know what it is like to achieve Übermenschlichkeit, only that we may on rare occasions perceive it as through a glass darkly. But, again, what sort of creature could live its life under this description? For what sort of creature would this be its defining disposition? What sort of creature would desire the unaltered repetition of its exact life, I ask again, would prefer each and every moment of its life just as it is, and would prefer this to any alternative possibility it could imagine? One way to approach these questions would be to argue that to want each moment unconditionally is to want it for its own sake, not because of something else or as a means to something

A Bridge too far else.14 When Aristotle argues, for example, that happiness is the highest good, he argues that it alone is wanted unconditionally, is wanted for its own sake. On this view, health and medicine are not wanted for their own sakes but because they promote happiness, they are desired as means to ends, are desired in order to achieve happiness. Even pleasure is not the highest good for Aristotle, just because it is pursued not only for its own sake but as a means of achieving happiness. It is not wanted simply and only for its own sake. On this reading of Nietzsche’s eternal recurrence, each moment must be wanted for its own sake, as Aristotle thought happiness was wanted, neither because of something else nor as a means to something else. To make the enormity of this task more transparent and more vivid, imagine or recall for one moment the most entirely satisfactory sexual experience of your life, the moment in which you preferred your beloved to any possible alternative beloveds, a moment in which you also urgently preferred to be the lover you were just then. Imagine further that, upon reflection, you would welcome the eternal recurrence of that experience, just as it is, without addition, subtraction or remainder. Let us say of this unconditionally cherished sexual ecstasy – real or imagined, it does not matter which – that you desired it for its own sake. Now also imagine, in contrast, the moment of your deepest despair, or the searing pain of your most unfulfilled longing, or the shattering blow of your most ruinous humiliation, or the self-deceptive acid of your most secret envy. Finally, if you can, imagine having just the same attitude toward the cataloged moments of your greatest anguish that you were asked to imagine of your most cherished sexual ecstasy or fantasy. Just that is what Nietzsche’s eternal recurrence requires of each and every moment wanted for its own sake, it seems to me, and just that is what turns this requirement itself into a self-consuming human impossibility, a conceptual and existential oxymoron. It ought to give pause to those who think that Nietzsche’s thought of eternal recurrence taught us to “celebrate” each moment: carpe diem. 14 This may well be the arena of the most intractable conflict of intuitions among Nietzsche commentators. Most commentators on the Wiederkunftslehre are holists. Their view tends to be that it is the whole of a life that is to be brought before the bar of recurrence. I discuss my disagreement with this family of views in the next section of this paper.

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11.4 Ideal life and eternal recurrence My way of reading eternal recurrence and the Übermensch contrasts sharply with most previous standard readings, all of them constituting a more or less family-resembling set. In different ways, traditional construals take a readerly approach by interpreting Nietzsche’s remarks about Übermenschlichkeit as endorsing, urging, or recommending some more or less specific character traits or “virtues” – even if these “virtues” are viewed as vices from within some other moral point of view. To be an Übermensch, on this family of readings, is to possess or exhibit certain traits of character, traits which in the typical case are associated with notions of self-overcoming, sublimation, creativity, deliverance from the spirit of revenge, and self-perfection. What I am calling the “areteic” reading of the Übermensch I take to be the standard construal. It has a long, sometimes lurid history. Only a few paradigmatic expressions of this areteic reading need be cited here as a way of assembling reminders. Before discharging this task, however, it may be worth remembering at the outset that Nietzsche himself entered acerbic barbs in Ecce Homo against those who would construe the notion of the Übermensch as a suggestion for a higher type of human being: “Das Wort ‘Übermensch’ zur Bezeichnung eines Typus höchster Wohlgerathenheit, im Gegensatz zu ‘modernen’ Menschen, zu ‘guten’ Menschen, zu Christen und andren Nihilisten – ein Wort, das im Munde eines Zarathustra, des Vernichters der Moral, ein sehr nachdenkliches Wort wird, ist fast überall mit voller Unschuld im Sinn derjenigen Werthe verstanden worden, deren Gegensatz in der Figur Zarathustra’s zur Erscheinung gebracht worden ist, will sagen als ‘idealistischer’ Typus einer höheren Art Mensch, halb ‘Heiliger’, halb ‘Genie’ … Andres gelehrtes Hornvieh hat mich seinethalben des Darwinismus verdächtigt; selbst der von mir so boshaft abgelehnte ‘HeroenCultus’ jenes grossen Falschmünzers wider Wissen und Willen, Carlyle’s, ist darin wiedererkannt worden. Wem ich ins Ohr flüsterte, er solle sich eher noch nach einem Cesare Borgia als nach einem Parsifal umsehen, der traute seinen Ohren nicht” (EH, Bücher 1; 6, 300). Parenthetically, this reference to Cesare Borgia has often been taken out of context to argue that Nietzsche admired the

A Bridge too far Borgias, even that he regarded some of them as Übermenschen. Attention to contexts, of course, makes hash of that claim here. Nietzsche’s point here is that, among all of the implausible candidates, a Parsifal-like character is even more implausible than a Cesare Borgia. He is not suggesting that Borgia is a plausible candidate. Further, this is consistent with Nietzsche’s view that there is no point in commending involuntary eunuchs for their celibacy, cowards for their restraint, lions without teeth or claws for their gentleness. One final caution against the areteic construal is this one, also from the same text: “Das Letzte, was ich versprechen würde, wäre, die Menschheit zu ‘verbessern’. Von mir werden keine neuen Götzen aufgerichtet; die alten mögen lernen, was es mit thönernen Beinen auf sich hat. Götzen (mein Wort für ‘Ideale’) umwerfen – das gehört schon eher zu meinem Handwerk” (EH, Vorwort 2; 6, 258). Two sentences later he adds: “Die Lüge des Ideals war bisher der Fluch über der Realität, die Menschheit selbst ist durch sie bis in ihre untersten Instinkte hinein verlogen und falsch geworden – bis zur Anbetung der umgekehrten Werthe, als die sind, mit denen ihr erst das Gedeihen, die Zukunft, das hohe Recht auf Zukunft verbürgt wäre” (ibid.). Yet despite Nietzsche’s many cautions the Übermensch has typically been construed as an ideal, as a higher type who must be bred by all-too-human humankind, as the great man, the superior individual whose self-perfection – half saint, half genius – places him at a far remove from the mediocrity and stagnation of the crowd, the Herde; he has also been understood as the nonconforming immoralist, and as the value legislator whose values express his own authentic self-possession. Very early, indeed during Nietzsche’s own lifetime he was beset by those who would even breed an Übermensch. His sister, for example, gives us the following account of her brother’s intention, in her own 1906 introduction to Thus Spoke Zarathustra: “The phrase ‘the rearing of the Übermensch’, has very often been misunderstood. By the word ‘rearing’, in this case, is meant the act of modifying by means of new and higher values – values which, as laws and guides of conduct and opinion, are now to rule over mankind. […] a new table of valuations must be placed over mankind – namely, that of the strong, mighty, and magnificent man, overflowing with life and elevated to his zenith – the

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Bernd Magnus Übermensch, who is now put before us with overpowering passion as the aim of our life, hope, and will. And just as the old system of valuing, which extolled the qualities favorable to the weak, the suffering, and the oppressed, has succeeded in producing a weak, suffering, and ‘modern’ race, so this new and reversed system of valuing ought to rear a healthy, strong, lively, and courageous type, which would be a glory to life itself. Stated briefly, the leading principle of its new system of valuing would be: ‘All that proceeds from power is good, all that springs from weakness is bad.’ This type must not be regarded as a fanciful figure […] it is meant to be a possibility which men of the present could realize with all their spiritual and physical energies, provided they adopted the new values” (Förster-Nietzsche 1927, xxi). It might seem trivial to quote these lines of the discredited Elisabeth Förster-Nietzsche; but we ought to remind ourselves that such an interpretation of the Übermensch – as a powermonger who legislates new values to humankind – is scarcely a thing of the past. It surfaces again and again. Consider, for example, J. P. Stern’s influential appraisal: “He [i. e., Nietzsche] seems unaware that he is giving us nothing to distinguish the fanaticism that goes with bad faith from his own belief in the unconditioned value of self-realization and self-becoming – that is, from his own belief in the Superman. We for our part are bound to look askance at this questionable doctrine. We can hardly forget that the solemn avowal of this reduplicated self – the pathos of personal authenticity – was the chief tenet of fascism and National Socialism. No man came closer to full realization of self-created ‘values’ than A. Hitler” (Stern 1978, 85 f.). Stern’s reading of Nietzsche did not change from this 1978 Modern Masters series Penguin book when his 1979 Cambridge University Press publication appeared. In A Study of Nietzsche (Stern 1979) Stern repeats these lines verbatim.15 The Nietzsche who emerges from this monograph is a preacher of a doctrine of “heroic commitment”, of existential self-realization, self-assertion without moral restraint or inhibition; all this in opposition 15 Approximately two-thirds of A Study of Nietzsche is a verbatim repetition of the 1978 Penguin publication.

A Bridge too far to the inherited Judaeo-Christian ontology and moral philosophy. Perhaps most disturbing, the Nietzsche here depicted is a proto-fascist ideologist – unwitting, to be sure – the very distortion Walter Kaufmann’s earlier pioneering work had successfully debunked. Stern writes: “If there is anything in the recent ‘Nietzschean’ era that comes close to an embodiment of ‘the will to power’ it is Hitler’s life and political career” (Stern 1979, 120). And then the coup de grace: “Indeed, the ‘power’ which is the will’s goal need not be conceived in any such ways as the Italian and French fascists and the German National Socialists conceived of it (though it cannot be denied that the intellectual superstructure of these political movements is as inconceivable without Nietzsche’s ideas as these movements are without their superstructure)” (ibid., 121). While I read and reread these elusive yet profoundly regressive lines, the image of Adolf Eichmann in the docket in Jerusalem in 1961, reciting a plausible rendering of Kant’s categorical imperative from The Critique of Practical Reason – a book he claimed to have read – haunted me like a shadow. Those who still subscribe to Stern’s simplistic etiology really ought to read Hannah Arendt’s Eichmann in Jerusalem closely. To be sure, there is a strain in Nietzsche which invites such readings. The apocalyptical rhetoric of much of Nietzsche’s perorations about the Übermensch does indeed appear menacing, especially when taken out of context, a fact with which more scholarly and sensitive commentators have had to contend. Consider, for example, a note from the Nachlaß from the 1885–86 period which he wisely rejected and developed no further: “From now on there will be more favorable preconditions for more comprehensive forms of domination, whose like has never yet existed. And even this is not the most important thing, the possibility has been established for the production of international racial unions [Geschlechts-Verbänden] whose task will be to rear a master race [Herren-Rasse] the future ‘masters of the earth’; – a new, tremendous aristocracy, based on the severest self-legislation, in which the will of philosophical men of power and artist-tyrants will be made to endure for millennia – a higher kind of man, who, thanks to their superiority in will, knowledge, riches, and influence, employ democratic Europe as their most pliant and supple instrument for getting hold of the destinies of

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Bernd Magnus the earth, so as to work upon ‘man’ himself. Enough: the time is coming when politics will have a different meaning.”16 Quite plainly, Elisabeth did not get all of her ideas out of the blue. Perhaps the best thing to be said of these remarks, apart from their prescience, is that Nietzsche was wise enough to develop them no further nor to seek to publish them. There are other such remarks as well. In a note penned earlier, in 1884, one finds: “I write for a species of man that does not yet exist: for the ‘masters of the earth’. […] In Plato’s Theages it is written: ‘Each of us would like to be master over all men, if possible, and best of all God.’ This attitude must exist again.”17 I do not cite these passages to lend support to Nietzsche bashing. There is enough of that around without my help. As a rule, attention to the status (published versus Nachlaß) and context is sufficient to dispose of extreme political interpretations. They are quoted primarily to remind myself that what I am calling the areteic reading of Nietzsche’s Übermensch need not always be benign. After all, monstrous crimes against humanity are to my knowledge seldom understood in such terms by their perpetrators. Rather, as Stanley Cavell rightly puts the matter, “someday, if there is a someday, we will have to learn that evil thinks of itself as good, that it could not have made such progress in the world unless people planned and performed it in all conscience” (Cavell 1969, 136). And that may be the most telling argument against understanding the Übermensch as a value legislator who simply embodies a new, albeit a “higher”, morality. For Nietzsche is not intent primarily upon erecting a new morality, a new set of values upon the ashes of old tablets. Nietzsche’s philosophizing beyond good and evil means to deny not only morality but with it the basis for a contrast with immorality as well. To put this differently: it is the moral perspective itself, the moral point of view as it is called in philosophy, the conceptual contrasts and foundations upon which distinctions

16 This note is reproduced as No. 960 in The Will to Power. I retain the English version of this text, rather than the KSA version primarily to remind myself that this is a pseudo-text, a note Nietzsche neither published nor authorized for publication (see also N 1885/86, 2/57; 12, 87 f.). 17 Ibid., No. 958 (see also N 1884, 25/137; 11, 50). It is long agreed that Theages was not written by Plato but by an imitator of Plato.

A Bridge too far between good and evil may be said to rest noncontextually, that Nietzsche has deconstructed. For Nietzsche denies morality much as he denies alchemy. He does not claim that there are no alchemists and that there are no alchemical motives; rather it is the presuppositions that make alchemy possible that are called into question. And so it is with “morality”. “Ich leugne also die Sittlichkeit wie ich die Alchymie leugne, das heisst, ich leugne ihre Voraussetzungen: nicht aber, dass es Alchymisten gegeben hat, welche an diese Voraussetzungen glaubten und auf sie hin handelten. – Ich leugne auch die Unsittlichkeit: nicht, dass zahllose Menschen sich unsittlich fühlen, sondern dass es einen Grund in der Wahrheit giebt, sich so zu fühlen. Ich leugne nicht, wie sich von selber versteht – vorausgesetzt, dass ich kein Narr bin –, dass viele Handlungen, welche unsittlich heissen, zu vermeiden und zu bekämpfen sind; ebenfalls, dass viele, die sittlich heissen, zu thun und zu fördern sind, – aber ich meine: das Eine wie das Andere aus anderen Gründen, als bisher. Wir haben umzulernen, – um endlich, vielleicht sehr spät, noch mehr zu erreichen: umzufühlen” (M 2, 103; 3, 91 f.). By no means all or even the majority of areteic readings have stressed the alleged political consequences of Übermenschlichkeit. Perhaps the best known interpretation of the Übermensch is the one articulated so successfully in the English-speaking world by Walter Kaufmann: “The unphilosophic and inartistic mass remain animalic, while the man who overcomes himself, sublimating his impulses, consecrating his passions, and giving style to his character, becomes truly human or – as Zarathustra would say, enraptured by the word über – superhuman” (Kaufmann 1974, 312). “The Übermensch […] is the ‘Dionysian’ man who is depicted under the name Goethe at the end of Götzen-Dämmerung (IX, 49). He has overcome his animal nature, organized the chaos of his passions, sublimated his impulses, and given style to his character – or, as Nietzsche said of Goethe: ‘he disciplined himself to wholeness, he created himself’ and became ‘the man of tolerance, not from weakness but from strength’, ‘a spirit who has become free’” (ibid., 316). This construal of the Übermensch as creative self-perfection has also been endorsed by philosophers of markedly differing temperaments and orientations. Consider, for example, the following assessment from the pen of Arthur Danto: “The Über-

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Bernd Magnus mensch, accordingly, is not the blond giant dominating his lesser fellows. He is merely a joyous, guiltless, free human being, in possession of instinctual drives which do not overpower him. He is the master and not the slave of his drives, and so he is in a position to make something of himself rather than being the product of instinctual discharge and external obstacle” (Danto 1965, 199 f.). But precisely this reading of Übermenschlichkeit defeats Nietzsche’s originality in its triumph. For what we are left with is a most unoriginal formula of sorts: “A sultry heart plus a cool head, minus the human-all-too-human. But this, divorced from the extravagant language and the rushing cadences of Zarathustra’s singing, turns out to be a bland and all-too-familiar recommendation, rather squarely in a moralistic tradition. It says only that we should seek to keep our passionate as well as our intellectual life in our command, not to deny one at the price of the other, and that we should not be petty and ‘merely’ human. Here is an ancient, vaguely pagan ideal, the passions disciplined but not denied, in contrast with the life and attitude of guilty celibacy which has been an official moral recommendation until rather recent times” (ibid., 199). Philosophers seem to find irresistible the temptation to assimilate Nietzsche and his Übermensch to the areteic tradition, to convert him into the philosopher’s version of a sublime Ann Landers. For Schacht, for example, the Übermensch “represents the greatest and richest enhancement of life Nietzsche considers possible; […]. Overflowing vitality and great health; powerful affects and the ability to control and direct them; high spirituality and refinement of sensibility and manners; independence of mind and action; the capacity to befriend and to respect and disdain and deal justly with others as they warrant; intellectual honesty and astuteness; the strength to be undaunted by suffering and by disillusionment; persistence in self-overcoming; the resources to undertake and follow through on the most demanding of tasks; and the ability to love and to esteem, and above all to create” (Schacht 1983, 340). Even the least action-guiding interpretations of Nietzsche’s Übermensch can’t seem to resist the temptation to read tacit imperatives – visions of a different, better life – into the concept of recurrence and the ideal life. “The doctrine of eternal recurrence uses aesthetic criteria to

A Bridge too far evaluate the significance of an individual life. The events of one’s life gain significance when one approaches them as artistic raw material, appropriated in aspiring toward some individually determined vision of greatness. This vision is symbolized, in Zarathustra’s scheme, by the overman. […] We can find our lives meaningful if we approach their events as aesthetic material; and according to Zarathustra’s tragic position we ought to do this” (Higgins 1988, 145 f.). One of the more extraordinary features of the areteic construals of the Übermensch and the eternal recurrence is that each seems to believe that the traits of character it privileges follow from a person’s acceptance of the Wiederkunftslehre. Precisely how or why this is the case is left unclear, which may help to explain why each different reader selects a different list of “virtues” to exemplify, embody, the doctrine. The weaker versions of this “areteic” reading – in Higgins’ and Nehamas’ writings, for example, as well as Heidegger’s and Clark’s – do not insist that any specific character traits are privileged (in Heidegger, Higgins, or Clark), but argue nevertheless that the Übermensch is an ideal which either can be constructed (in Nehamas) or ought to be the goal of our lives, whether realizable or not. In all of these cases, I should want to say, an Übermensch is thought to express Nietzsche’s vision of an ideal of some sort or other, a vision of what human beings should or might be like. Heidegger’s influential interpretation, for example, can be made to fit the framework of what I have been calling the “areteic” interpretation of the connection between the doctrine of eternal recurrence and the Übermensch. A single set of remarks from Wer ist Nietzsches Zarathustra? (Heidegger 1954) should suffice to surface my point. “Der Übermensch geht über die Art des bisherigen und heutigen Menschen hinaus und ist so ein Übergang, eine Brücke. Damit wir lernend dem Lehrer, der den Übermenschen lehrt, folgen können, müssen wir, um bei dem Bild zu bleiben, auf die Brücke gelangen. Den Übergang denken wir einigermaßen vollständig, wenn wir dreierlei beachten: 1. Das, von wo der Hinübergehende weggeht. 2. Den Übergang selbst. 3. Das, wohin der Übergehende hinübergeht” (ibid., 107 f.). Heidegger leaves no doubt about the passage from contemporary humanity to the Übermensch across the bridge, eternal recurrence. That bridge

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Bernd Magnus and that passage alone may deliver us from the spirit of revenge, Heidegger asserts: “Anders gewendet: erst wenn das Sein des Seienden als ewige Wiederkehr des Gleichen sich dem Menschen vorstellt, kann der Mensch über die Brücke hinübergehen und, erlöst vom Geist der Rache, der Hinübergehende, der Übermensch sein” (ibid., 118). Heidegger here attributes the most direct sort of apocalypticism to Nietzsche, in which Übermenschlichkeit is achieved by those who embrace eternal recurrence and, in that embrace, are delivered from the spirit of revenge. Regarded in this way, Nietzsche’s project may be viewed as continuous with much of the philosophical tradition. This areteic project, qua project, can be regarded as another spin on the wheel on which Plato and Aristotle, the Stoics, Augustine, Aquinas, Spinoza, and Kant – even the tradition from Marx to Habermas – may be found. Finally, the most interesting recent interpretations of the connection between the eternal recurrence teaching and superhumanity may have been penned by Alexander Nehamas18, and Maudemarie Clark19. Maudemarie Clark has recently attempted to rescue Nietzsche from my unhappy (self-consuming concepts) conclusion – unhappy, that is, as she sees it – by applying the analogy of what she calls “the marriage test” to the questions put by Nietzsche’s demon in Das Grösste Schwergewicht. She suggests that the demon’s question – “would you be willing to live this same life eternally?” – is like the question, “if you had it to do all over, would you marry me again?” (Clark 1990, 269). This is not the place to enter into a protracted discussion of this alleged analogy, but the following points need at least to be mentioned: (1) Clark’s “test of affirmation” – which, for Clark as for Nehamas, is what Nietzsche’s eternal recurrence teaches – is not a single but a plural test in the Nietzsche text she cites as evidence. We are asked by Nietzsche’s demon not only if we would be willing to live the same life eternally but whether we crave

18 See his superb and justifiably influential book Nietzsche: Life as Literature (1985). 19 See her remarkable study Nietzsche on Truth and Philosophy (1990).

A Bridge too far nothing more fervently (in italics in Nietzsche) than this possibility. Perhaps a more proper marriage analogy would therefore have been this: “if you had it to do all over again, and you could marry anyone who ever lived, will ever live, or could ever live possessing whatever traits you wished, would you marry me again?” (2) If the upshot of Nietzsche’s teaching makes sense on the condition that thoughtful deliberation and critical reflection are to be suspended in assessing one’s life, as Clark suggests, it is hard to see how anyone could fail to pass her proposed “test of affirmation”. After all, it is not too hard to guess how most of humankind would respond to the question “would you be willing to live this same life eternally?” What, after all, is the alternative? If the alternative is nothingness, as it will undoubtedly be for the majority of Nietzsche’s readers, who will say no? The heaviest of burdens (Das Grösste Schwergewicht) is not, on Clark’s view, a question of choosing between this life and imagined alternative versions of it. It is simply an unreflective überhaupt assessment of one’s life. As in her version of the “marriage test” she does not allow measuring that life against all possible alternatives. Clark’s problem, like that of all philosophers who insist on converting eternal recurrence into a test of affirmation, is that it trivializes Nietzsche’s insight. It converts Nietzsche’s most horrific and most burdensome measure of a life into something to be enjoyed by everyone save those afflicted with pathological self-loathing or self-directed necrophilia. It seems to me that her test converts most of humankind into Übermenschen. On the view offered here, in contrast, Nietzsche was not in the affirmation test business at all. Only höhere Menschen want Nietzsche to be a sublime Ann Landers. Maudemarie Clark is by no means alone in trying to rescue Nietzsche from our (to their minds unhappy) conclusion that Nietzsche was not in the affirmation test business at all, was not the Ann Landers of philosophers. For example, despite the fact that, in Nietzsche: Life as Literature (1985), Alexander Nehamas (unlike Clark) confines himself to a single and singular instance of Nietzsche’s “life affirmation test” – reading it as realized only in the authorial construct “Nietzsche” – eternal recurrence is nevertheless a philosophical principle of affirmation and justification for him too. Indeed, the doctrine of eternal recurrence simultaneously marks and is the mark of the ideal life for Neha-

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Bernd Magnus mas: “Eternal recurrence is a view of the ideal life. It holds that a life is justified only if one would want to have again the same life one had already had, since, as the will to power shows, no other life can ever be possible [my italics]. The eternal recurrence therefore holds that our life is justified only if we fashion it in such a way that we would want it to be exactly as it had already been” (Nehamas 1985, 7). Important notions are on epigrammatic display here. One is that eternal recurrence is a view of the ideal life, that a “life is justified only if one would” wish its unaltered repetition; a second notion is that, as the will to power presumably shows, “no other life can ever be possible” (my italics). These two suggestions need to be uncoupled, it seems to me. Nehamas conflates these two notions – the idea that there is a test involved in the thought of eternal recurrence on which Übermenschen receive the highest grade, and the quite different idea that no other life can ever be possible for human beings simpliciter than the ones they live. However, these two notions neither entail nor imply one another, from a logical point of view; and the textual evidence to support such an entailment is shaky at best. And yet Nehamas seems to think that there is an entailment, as when he argues that when we accept eternal recurrence “at that point we accept all we have done, since [my italics] every part of the past is by itself necessary and in combination sufficient for us to be what we are” (ibid., 170). But surely the recognition that “every part of the past is by itself necessary and in combination sufficient for us to be what we are” is not strong enough to move us, by itself, to accept all we have done and all we have become. Indeed, the alleged recognition is either trivially true or contentious. For in its benign form, to say that “every part of the past is by itself necessary and in combination sufficient for us to be what we are” is simply to assert that we are products of our past, that to be who we are is, among other things, to have made precisely the choices we made in the circumstances and time-space continuum which are the measure of our lives. And what it means to be “us” just is to be the result of these particular choice matrices, not some other ones. To be Caesar is, necessarily, to have crossed the Rubicon. Had “he” not crossed the Rubicon, there would have been a different “Caesar”. Different choices, different lives. Different lives, different selves.20

A Bridge too far This benign sense of necessity is very like Sartre’s later notion that we are our choices, nothing else besides. To have chosen otherwise would be to have been a different person. Notice, however, that this certainly does not entail the stronger thesis Nehamas needs – the thesis that we could not have had different pasts, could not have been different selves, could not have made different choices. Moreover, and ironically, Nehamas’ conflation consumes itself, for to want the life we “necessarily” have already had requires a comparison of what has been the case with what might have been the case, requires comparing our (at least partly) chosen selves and our lives against rejected or missed alternative possible lives and selves. Surely, to want what must be the case in any case requires an imaginative comparison between the selves we have become and their unrealized alternatives, alternative “selves” we could not have become on Nehamas’s view. After all, that is the point of his argument that when we accept eternal recurrence “at that point we accept all we have done [my italics], since every part of the past is by itself necessary and in combination sufficient for us to be what we are”. It is the imaginative comparing of alternative selves (unrealized or impossible) that does all the work here, however, not the recognition of an alleged cosmic fatalism. Indeed, the recognition requires the comparison. Another way to put this same point is just to say that when Nehamas has Nietzsche claim that “no other life can ever be possible” he trades on two very different senses of “possible”. For, to repeat, it is trivially true that for something to count as “your” life it must consist of the events – the past – that constitute it and individuate it as “yours”. So, it is true that to count as your life no other life is possible; the life of a “Caesar” who did not cross the Rubicon is not the possible subject of Shakespeare’s play. But surely it is as “possible” for you to have lived your life differently, as “possible” to have become a different person than the one you are as it is for Caesar not to have crossed the Rubicon.

20 The most illuminating brief contemporary discussions of the issues involved in the “problem of free will” and moral responsibility are to be found in John Martin Fischer’s excellent Moral Responsibility (1986). Fischer’s introduction is especially helpful and incisive; but, of course, he is absolved of any responsibility for the use made here of his work.

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Bernd Magnus My disagreement with Nehamas is just that an Übermensch’s reason for wishing most fervently the repetition of each unaltered moment is not that s/he recognizes the alleged necessity which alone has made her/him who s/he is, but rather that s/he would prefer to be – wants eternally to be – the very person s/he already is, and s/he wants this more fervently than any alternative possibilities s/he can imagine. Like the höhere Menschen Zarathustra encounters, seduces, misleads, teaches, and – finally – escapes, philosophers typically want Nietzsche to be a sublime Ann Landers. On the diagnostic reading suggested here, the heaviest burden Nietzsche asks us to recognize and to bear is not that of our fated destiny. Rather, it is the realization that our highest aspirations and yearnings turn against themselves in spite of themselves in the endless carnival of the ascetic ideal. Clark’s and Nehamas’ way of viewing Nietzsche’s recurrence, as well as Heidegger’s, contrasts sharply with what I am arguing. In Nietzsche’s first published text on the trope of eternal recurrence, Dass Grösste Schwergewicht, from which I quoted earlier, there are two questions posed by the notion of eternal recurrence, not one. Stated schematically, the questions are: (1) For any x, “do you want this once more and innumerable times more?” (2) For any x, “do you crave nothing more fervently than this eternal confirmation and seal?” The first question specifies what is to be placed under the yoke of eternal repetition – not a life taken as a whole, but each and everything within that life. The second question asks how well disposed one would have to be to oneself and to life to crave nothing more fervently than the eternal recurrence of each moment of one’s life – not even imagined alternative lives, alternative selves and worlds. But who could live, as some of us have had to do, in the midst of extermination camps and love that unconditionally? And who among us would not will the recurrence of our lives minus the deaths of tens of thousands of innocent children who died and still are dying brutal deaths throughout the world? Who among us would not wish an end to the ravages of disease, hunger, and ignorance? Who among us, in brief, would not prefer some other possible life and world, no matter how content one may be with one’s present lot? How can eternal recurrence be willed after Dachau and Auschwitz?

A Bridge too far The point is that no matter how content I may be with my life I can always imagine a better one, for example, my life plus a reduction in the total sum of the world’s pain and suffering, or my life plus an attitude of Übermenschlichkeit for those I love and admire, or for none. But there is still more required by this selfconsuming notion. An Übermensch must not only affirm unconditionally each and every moment but must, as a sign of his or her responsive self-love, be willing to eternalize each moment. To love each moment unconditionally, for the Übermensch, just is to will its eternal return. The Übermensch alone, like the God whose death Nietzsche announces, wants nothing more fervently than the eternity of each and every moment of his or her life. Only God and Übermenschen love each moment unconditionally, want nothing to be different, not forward, not backward, not in all eternity. Only for God, Leibniz and Übermenschen is this the best of all possible worlds. And Nietzsche was right to characterize this as his most abysmal thought; for it is abysmal!21 An Übermensch alone loves life unconditionally, without emendation, evasion or self-deception, on my reading. We mortals should always be able to imagine a better possible life and world, if we allow our imaginations free reign. But that is just to say that Nietzsche’s famous injunction, “become who you are”, is far more difficult than simply coming to terms with one’s own life and destiny. On my reading, only an Übermensch sincerely wills his or her own life. The rest of us will our lives and the world’s in an edited version, if we are honest with ourselves. We live edited lives. We are virtually always the heroes of our lives. Put differently, Nietzsche’s thought of eternal recurrence suggests that the most radical of all desires is to want unconditionally to be the very person one already is at each and every moment of ones life. Milan Kundera grasped this abysmal yet central thought well when he wrote, in The Unbearable Lightness of Being: “If every second of our lives recurs an infinite number of times, we are nailed to eternity as Jesus Christ was nailed to the cross. It is a

21 Nietzsche has Zarathustra summon his most abysmal thought throughout the text of Thus Spoke Zarathustra and try repeatedly to summon up the courage to confront its abysmality.

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Bernd Magnus terrifying prospect. In the world of eternal return the weight of unbearable responsibility lies heavy on every move we make. That is why Nietzsche called the idea of eternal return the heaviest of burdens.” The upshot of these remarks is that if one identifies the ideal life with the Übermensch, and identifies an Übermensch as the person who could sincerely say yes to eternal recurrence without self-deception or pathology, then this conception of the ideal life, too, may be self-consuming, may itself be self-deconstructing. It may be self-consuming in the sense that it requires one to regard each and every moment of one’s life as Leibniz’s God is said to have viewed it – namely, as the best of all possible moments. Only self-deception of theological proportions could affirm the unconditional worth of every moment of one’s life, it seems to me.

11.5 Zarathustra and eternal recurrence Up to this point I have argued that the eternal recurrence teaching, when understood as a quest for the ideal life, is impossible. What I wish to stress in concluding, however, is that it is at the same time a necessity. The longing for an ideal life is necessary because the ontotheological tradition is simultaneously the incarnation of and response to the ascetic ideal, as was suggested in section 1. Unlike other animals, our awareness of our suffering inevitably nurtures our cry of distress, our cry for meaning. I can best bring out this impossibility-as-necessity by contrasting two questions: “Do you want this once more and innumerable times more?” “Do you want this once, and once only?” From a logical point of view, there is no reason why “noch einmal!” should be preferred to “nur einmal!”, no reason why suggesting eternal repetition should be more powerful than suggesting one’s radical finitude. Both questions should allow one to distinguish between what truly sustains and what merely distracts. If one believes, sincerely believes, that nothing awaits one beyond the grave, then reflecting on the radical finitude of all choices ought to give the moment – the Augenblick – its richly deserved and unprecedented significance. Indeed, if each breath that is drawn might well be one’s last breath, should that not

A Bridge too far command unconditional respect for each moment of a life? Should not each moment be invested with unconditional worth if it is to be “nur einmal”? Notice, however, that our psyches remain unmoved by the logical equivalence of the questions “once, and once only?” and “innumerable times more”. What accounts for the seemingly intractable privilege and priority bestowed upon eternal repetition? An answer was already suggested at the outset of this paper. Nietzsche presented the doctrine of eternal recurrence in eternalistic form because he regarded humankind as kronophobic, as inherently aversive to time and transience. This kronophobia, in turn, is the psychological equivalent and basis of the ascetic ideal. Meaning must be certain, absolute, unconditional, and eternal if it is to have foundational significance for our lives. Accordingly, the doctrine of eternal recurrence was expressed as an eternalistic countermyth, a mythpoetic instrument for overcoming the Judaeo-Christian-Platonic tradition, using that tradition’s very own categories and tropes in the service of transvaluating its values. When read in this way, Nietzsche’s positive doctrines, the doctrine of eternal recurrence for example, are little more than bait and hook with which to snare a reader already in the grip of the ascetic ideal. The best example of this latter reading may very well be Also sprach Zarathustra itself, Nietzsche’s masterpiece, when it is read not as a philosopher’s cook book leading to the creation of an Übermensch, but read strategically. Limitations of space permit little more than a telegrammic summary instead of the detailed discussion this topic deserves. Given such limitation, however, the following observations may function as useful hints. 1. Nietzsche believed, that Zarathustra (a. k. a. Zoroaster) (i) had the honor of being the first cosmic dualist, seeing reality itself as the struggle between good and evil; (ii) that he subscribed to the notion of an eschaton, an end of time; (iii) that he subscribed to a doctrine of reward and punishment; and, (iv) that he subscribed to the notion of linear time leading to the eschaton. To affect a genuine transvaluation of values would therefore require the self-consumption of all four elements. And Nietzsche’s Zarathustra accomplishes this task. Reality is neither intrinsically good nor evil. It has no epiphany at the end of time. Your life itself, this life, is your reward or your punishment.

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Bernd Magnus Time is not linear but an eternal wheel of the recurrence of all things. 2. Nietzsche’s subtitle, here as elsewhere, telegraphs his message: Ein Buch für Alle und Keinen. Read as a rehearsal, a performance of the ascetic ideal, “everyone” refers to every reader in so far as he or she is enmeshed in the ascetic ideal. “No one” flags the impossibility of attaining an ideal life, Übermenschlichkeit. Zarathustra both mourns and celebrates this impossible necessity. 3. Read in this way, Also sprach Zarathustra is indeed a Bildungsroman, in which the attentive reader – initially seduced by the promise of authentic “doctrines” – discovers in Part IV that the ascetic ideal cannot be escaped, that it can only be parodied and transmuted.22 4. Also sprach Zarathustra is Nietzsche’s most important work because it successfully incarnates – structurally and rhetorically – the self-consuming character of the bridge to the ideal life. Read in this way, Zarathustra and Also sprach Zarathustra’s readers are so many masks worn by the ascetic ideal. To conclude, then: A useful way of understanding Nietzsche commentators is in terms of a fundamental split: Is one paying Nietzsche a compliment by assimilating him to a tradition in which his criticisms of his predecessors are parasitic upon his “positive doctrines”, or is one denigrating his more broadly therapeutic achievement by construing him in such a way? Is Nietzsche a sublime Ann Landers or does he more closely resemble, say, a Foucault or perhaps the later Wittgenstein, for whom the critiques just are the positive achievement? To read Nietzsche in this latter way is to convert him into the comedian of the ascetic ideal, and Zarathustra into his instrument, not in the sense that he inspires laughter but in the deeper sense in which Nietzsche weds comedy to tragedy. Nietzsche is a comedian of the ascetic ideal in the sense in which Dante was, in The

22 This is in complete agreement with Kathleen M. Higgins’ very fine analysis of the parodic structure of Part Four of Also sprach Zarathustra. I accept her account of the role that the ass festival – in The Golden Ass – played as a model for Nietzsche in Part Four. See Higgins 1987.

A Bridge too far Divine Comedy. Read strategically, many of Nietzsche’s central notions rehearse both the necessity as well as the impossibility of traditional ascetically inspired beliefs. They rehearse, indeed perform, the impossible necessity of a bridge too far.

Literatur Cavell, Stanley 1969: Must We Mean What We Say? A Book of Essays, New York. Clark, Maudemarie 1990: Nietzsche on Truth and Philosophy, Cambridge. Danto, Arthur C. 1965: Nietzsche as Philosopher, New York. Fischer, John Martin (Hrsg.) 1986: Moral Responsibility, Ithaca. Fish, Stanley E. 1972: Self-consuming Artifacts. The Experience of SeventeenthCentury Literature, Berkeley. Förster-Nietzsche, Elisabeth 1927: The Philosophy of Nietzsche. Introduction to “Thus Spake [sic] Zarathustra”, New York. Heidegger, Martin 1954: Wer ist Nietzsches Zarathustra?, in: ders., Vorträge und Aufsätze, Pfullingen, 101–126. Higgins, Kathleen M. 1987: Nietzsche’s “Zarathustra”, Philadelphia. Higgins, Kathleen M. 1988: Reading Zarathustra, in: R. C. Solomon/K. M. Higgins (Hrsg.), Reading Nietzsche, New York, 132–151. Kaufmann, Walter 1974: Nietzsche. Philosopher, Psychologist, Antichrist, Princeton. Magnus, Bernd 1978: Nietzsche’s Existential Imperative, Bloomington/London. Magnus, Bernd/Stewart, Stanley/Mileur, Jean-Pierre (Hrsg.) 1993: Nietzsche’s Case. Philosophy as/and Literature, New York/London. Nehamas, Alexander 1985: Nietzsche. Life as Literature, Cambridge/Mass. (dt.: Nietzsche. Das Leben als Literatur, 2. Aufl., Göttingen 1996). Salaquarda, Jörg 1989: Der ungeheure Augenblick, in: Nietzsche-Studien 18, 317–337. Schacht, Richard 1983: Nietzsche, London. Stern, Joseph P. 1978: Friedrich Nietzsche, Middlesex. Stern, Joseph P. 1979: A Study of Nietzsche, London.

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Umkehr und Wiederkehr

Vivetta Vivarelli

Umkehr und Wiederkehr Zarathustra in seinen Bildern

Von Nietzsches Lektüren ausgehend, lassen sich viele zentrale Bilder in seinen Werken, insbesondere in Also sprach Zarathustra, interpretieren und zu ihren philosophischen bzw. literarischen Wurzeln zurückverfolgen. Kratzt man nämlich an der Oberfläche der aufschlußreichsten Metaphern, so kommt nicht selten der rote Faden einer kritischen Auseinandersetzung mit Autoren zum Vorschein, die er entweder beinahe auswendig kannte oder gerade gelesen bzw. in einer bestimmten Phase seiner Arbeiten wieder zu lesen begonnen hatte. Nietzsche war ein geübter Leser, der sowohl auf die stilistischen Besonderheiten seiner Lieblingsautoren als auch auf gewisse Bilder, in denen sich wesentliche Gedankenstränge verdichteten, genauestens achtgab und auf die er gerne zurückgriff, um seinen eigenen philosophischen Erwägungen plastische Evidenz zu verleihen. Unter dieser Voraussetzung kann ein Werk wie Also sprach Zarathustra, in welchem die Häufung und die symbolische Aufladung des Bildes eine in Nietzsches Schriften – wie überhaupt in philosophischen Werken – einzigartige Relevanz erreichen, eine sozusagen ikonologische Lektüre rechtfertigen, die die Bedeutung dieser Bilder in ihren mehr oder weniger versteckten Bezügen auf jene anderer Denker nachzeichnet. Oft fordert das Bild wie von selbst dazu heraus, „errathen“ zu werden; oder es stellt gleichsam einen Code dar, der erst durch geduldige philologische Entzifferung den dahinter blinzelnden Gedanken sichtbar werden läßt. Doch letztlich kann der Leser

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Vivetta Vivarelli erst in der Auseinandersetzung mit dem Text zum „Rätsellöser“ und „Nüsseknacker“ werden.1 Die von Giorgio Colli und Mazzino Montinari besorgte kritische Ausgabe der Werke Nietzsches bietet in diesem Zusammenhang eine unverzichtbare Grundlage, um seine Lektüren – Quellen, Reminiszenzen und Querverbindungen – aufzuspüren. Vor allem dank der langen und hartnäckigen exegetischen Arbeit Montinaris läßt sich mittlerweile ein Großteil der versteckten Zitate sowie der Texte, deren Lektüre unmittelbaren Niederschlag bei Nietzsche fand, aufspüren. Das versetzt uns in die Lage, den Stellenwert nachzuvollziehen, den er Formulierungen anderer Autoren beimaß, die ihm aufgefallen waren und die er sich in Notizbüchern aufgeschrieben hatte, um sie später entweder direkt zu verwenden oder mit minimalen Abweichungen zu übernehmen, wenn er sie nicht gänzlich wieder fallenließ. Eine „filigrane“ Lektüre der Texte Nietzsches setzt demnach – ganz im Sinne Montinaris – die Rekonstruktion seiner „idealen“ Bibliothek voraus: jenes weitverzweigten Netzes philosophischer und literarischer Bezüge, die ihn mit seiner Zeit und mit der Vergangenheit verbinden und die, Montinari zufolge, dem Text kontrastiv eine historische Tiefendimension verleihen sollen, ohne ihn „in eine letzten Endes nicht gänzlich erschließbare Reihe von Quellen“ aufzulösen (vgl. Montinari, Nachbericht zur siebenten Abteilung; KGW VII/4/2, IX). Die mikrostrukturelle Analyse eines Nietzsche-Textes bietet mithin einen keineswegs sekundären Zugang zum Verständnis neuralgischer Punkte seines Denkens, insofern ihm das Bild zugleich vielseitiges Instrument und Angelpunkt philosophischen Ausdrucks ist. Häufig greift Nietzsche auf seine Lesefrüchte zurück, um die Metaphorik seiner Hauptgegner mit subtiler Ironie zu entstellen: Besonders Autoren wie Hölderlin oder Emerson werden aufgerufen, um Eckpfeiler des Schopenhauerschen (und indirekt auch Wagnerschen) Denkens niederzureißen, als wollte er sich noch einmal der Gründe für seine doppelte Abkehr – oder besser Selbstüberwindung –, nunmehr

1 Vgl. dazu Nietzsches Brief an Heinrich Köselitz vom 20. Juli 1886 (KSB 7, 212): „‚wenn Ihr Anderen nichts an meinen Schriften habt, so liegt es wahrscheinlich daran, weil Ihr nicht genug für dieselben gethan habt!‘“

Umkehr und Wiederkehr aus anderer Perspektive, versichern. Wie schwer ihm die Trennung von einem Teil seiner selbst und seinen jugendlichen Idealen gefallen ist, mag man daran ermessen, daß er jeden neuen philosophischen Entwurf, jede Entdeckung neuer Bezugspunkte vor allem im Verhältnis zu diesem Bruch bestimmt. Dabei werden die Grundsätze der Schopenhauerschen Philosophie und allgemein jeder artistisch-metaphysischen Weltanschauung bereits in Menschliches, Allzumenschliches, einem nicht zufällig Voltaire gewidmeten Werk, in ihren Grundfesten erschüttert. Hier beginnt auch auf der Ebene der Bilder jene theoretisch inzwischen ausgereifte Strategie der Umkehrung,2 die uns in der Morgenröthe, der Fröhlichen Wissenschaft und insbesondere in den prägnanten Bildern von Also sprach Zarathustra begegnet. Diese Strategie erscheint als natürliche Folge eines Denkens, das in Antithesen und Paradoxien fortschreitet. Aus dem Paradox, dem Spiel mit dem Oxymoron – ein Kunstgriff, der philosophische Gewißheiten und Vorurteile aus den Angeln zu heben erlaubt – entsteht eine dialektische Spannung, die das Denken durchzieht und vibrieren läßt. Fast alle stilistischen Strategien Nietzsches lassen sich letztendlich auf das Umkehrspiel zurückführen: der formale Zwang, der wie im „Kettentanz“ die Ausdrucksfreiheit und -gewandtheit bestimmt; die Tiefe, die sich mit Oberflächlichkeit, die Weisheit, die sich mit Tollheit, die Wärme, die sich mit Kälte, das Leiden, das sich mit guter Laune umgibt. Sogar die wesentlichen Eckpfeiler von Nietzsches Philosophie gründen auf dem Paradoxon und der coniunctio oppositorum. Man denke an die Lüsternheit der beschaulichen Menschen im Zarathustra, an die „Armut des Reichsten“ in den Dionysos-Dithyramben und so fort bis zu den zentralen Elementen von Nietzsches philosophischer Botschaft. Was anderes ist der Tod Gottes, wenn nicht die Behauptung der Vergänglichkeit dessen, was per definitionem ewig und unsterblich ist; was die „Ewige Wiederkehr“, wenn nicht der Wille, „dem Werden den Charakter des Seins aufzuprägen“? Diese Aussagen sind eben deshalb so bestechend, weil sie den Grundsätzen der traditionellen Philosophie

2 Für Menschliches Allzumenschliches hat Peter Heller die „Strategie der Umkehrung“ als Ausdruck des „strukturell antithetischen“ Denkens Nietzsches überzeugend analysiert (Heller 1972).

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Vivetta Vivarelli widersprechen und sich in einen bewußten Gegensatz zur Logik bringen. Dasselbe Spiel der Umkehrungen kann man am Geflecht der mehr oder weniger versteckten Zitate beobachten, besonders an den vielen eigensinnigen Verweisen auf die Bibel und die Evangelien. Durch eine, wie Contini sagen würde, aufmerksame „Auskultation der Textoberfläche“ kann man feststellen, wie Nietzsches Umkehrung der Perspektive gegenüber seinem philosophischen Novizentum sich immer wieder im Spiel von Interpretation und Umstürzung der zentralen Bilder seiner wichtigsten Gesprächspartner niederschlägt.

12.1 Von der unbefleckten Erkenntnis und der lunaren Keuschheit „Der große Grund-Fehler Schopenhauer’s liegt darin, nicht gesehen zu haben, daß das Begehren (der ‚Wille‘) nur eine Art des Erkennens und gar nichts weiter ist“ (N 1879, 47/5; 8, 618). Bei Schopenhauer steht der Sonne als Symbol des Willens der Mond als Symbol seines Erkenntnisideals symmetrisch gegenüber: „Alles ist nur so lange schön, als es uns nicht angeht. […] Das Leben ist nie schön, sondern nur die Bilder des Lebens sind es, nämlich im verklärenden Spiegel der Kunst oder der Poesie; […]. Warum wirkt der Anblick des Vollmondes so wohlthätig, beruhigend und erhebend? Weil der Mond ein Gegenstand der Anschauung, aber nie des Wollens ist: ‚Die Sterne, die begehrt man nicht, / Man freut sich ihrer Pracht.‘ – G[oethe]. Ferner ist er erhaben, d. h. stimmt uns erhaben, weil er, ohne alle Beziehung auf uns, dem irdischen Treiben ewig fremd, dahinzieht, und Alles sieht, aber an nichts Antheil nimmt. Bei seinem Anblick schwindet daher der Wille, mit seiner steten Noth, aus dem Bewußtseyn, und läßt es als ein rein erkennendes zurück. […] Dieser wird endlich auch dadurch befördert, daß der Mond leuchtet, ohne zu wärmen; worin gewiß der Grund liegt, daß man ihn keusch genannt und mit Diana identificirt hat“ (Schopenhauer, WWV II, Kap. 30; 1988a/III, 428 f.). Im Bild der keuschen Göttin Artemis drückt Schopenhauer sein Ideal einer von aller Hitze des Willens befreiten Erkenntnis aus. Der kalte Blick des Mondes unterstreicht im Gegensatz zur warmen Sonne die Polarität des menschlichen Wesens: „Wie

Umkehr und Wiederkehr der Mensch zugleich ungestümer und finsterer Drang des Wollens (bezeichnet durch den Pol der Genitalien als seinen Brennpunkt) und ewiges, freies, heiteres Subjekt des reinen Erkennens (bezeichnet durch den Pol des Gehirns) ist; so ist, diesem Gegensatz entsprechend, die Sonne zugleich Quelle des Lichtes, der Bedingung zur vollkommensten Erkenntnißart, […] – und Quelle der Wärme, der ersten Bedingung allen Lebens“ (ebd. I, § 39; ebd./II, 239). Aus diesem Grund muß die Erkenntnis kalt, von winterlicher Reinheit und der Wärme des Willens entgegengesetzt sein (ebd., 240). Diese Darstellung lunarer Keuschheit wird Ziel des Nietzscheschen Sarkasmus im Zarathustra-Kapitel Von der unbefleckten Erkenntniss. Das Kapitel beginnt mit einer fast präexpressionistischen Schilderung des Mondes, der seine Schwangerschaft nur vortäuscht, weil er in Wahrheit nicht ein Bild des Weiblichen ist, sondern eher einem Mönch oder einem Nachtschwärmer ähnelt. Diese Metapher münzt Nietzsche, wie er später erklärt, auf die „Unbefleckten“, die „Rein-Erkennenden“ (womit er, wie schon die Kapitelüberschrift signalisiert, auf das Jungfräulichkeitsdogma des Katholizismus anspielt), die er „Lüsterne“ nennt. Die unbefriedigt bleibende Lüsternheit ist die Strafe für all jene, die sich anheischig machen, um der Erkenntnis willen jedes Band mit der „Begierde“ und der Erde abzuschneiden („Zur Verachtung des Irdischen hat man euren Geist überredet, aber nicht eure Eingeweide“, 157). Und so evoziert Nietzsche den Traum des kontemplativen Geistes, indem er einige Passagen Schopenhauers paraphrasiert und zugleich auf den Kopf stellt: „‚Glücklich zu sein im Schauen, mit erstorbenem Willen, ohne Griff und Gier der Selbstsucht – kalt und aschgrau am ganzen Leibe, aber mit trunkenen Mondesaugen!‘ ‚Das wäre mir das Liebste, – also verführt sich selber der Verführte – die Erde zu lieben, wie der Mond sie liebt, und nur mit dem Auge allein ihre Schönheit zu betasten. ‚Und das heisse mir aller Dinge unbefleckte Erkenntniss, dass ich von den Dingen Nichts will: ausser dass ich vor ihnen da liegen darf wie ein Spiegel mit hundert Augen.‘“ (Ebd.)

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12.2 Vom Schielen Etwas weiter behauptet Nietzsche, daß es keine Unschuld gibt, ohne den Willen zur Zeugung, und fügt hinzu: „Aber nun will euer entmanntes Schielen ‚Beschaulichkeit‘ heissen!“ (Ebd.) Das Bild des Schielens, das Nietzsche gegen Schopenhauer ins Spiel bringt, findet sich in einer Passage der Essays von Emerson, in dem dieser den Charakter der Griechen beschreibt und dabei ein ethisches Modell nachzeichnet: „Der griechische Standpunkt ist die Aera des verkörperten Seins, der Vervollkommnung der Sinne, – des geistigen Wesens, das sich wunderbar schön entfaltet in strenger Übereinstimmung mit dem Körper, von dem es umgeben ist. Hier existieren jene menschlichen Formen […], deren Züge untadelhaft, in scharfer Begrenzung gehalten und vollkommen symmetrisch waren, wo die Augenhöhlen so gebildet sind, daß es dem Auge unmöglich sein würde, mit schielendem Blicke nach dieser oder jener Seite hinzusehen, und zu diesem Zwecke der Kopf sich ganz wenden muß“ (Emerson 1858, 18 f.).3 Dieses Bild nimmt Nietzsche in seinen Emerson-Exzerpten wieder auf und wendet es auf sich selbst an: „Es muß meinem Auge unmöglich sein, mit schielenden Blicken hin und dahin zu sehen: sondern immer muß ich den ganzen Kopf mit drehen – so ist es vornehm“ (N 1882, 17/ 14; 9, 667). Neben der Korrespondenz des Zeitworts schielen fällt bei Emerson in demselben Abschnitt der Zusammenhang von Virilität und Unschuld, den Nietzsche der schlüpfrigen Sterilität der kontemplativen Einstellung entgegensetzt: „Sie verbinden die Energie des Mannes mit der Unschuld des Kindes“ (Emerson 1858, 19). – „Wo ist Unschuld?“, fragt Zarathustra. „Wo der Wille zur Zeugung ist“ (157). Deswegen wird die Blässe des keuschen und verstohlenen Mondes am Ende des Kapitels von der Glut der Morgendämmerung und ihrer Liebe zur Erde gleichsam überrumpelt: denn sie, die Sonnen-Liebe, repräsentiert zugleich die Unschuld und den Zeugungswillen, den Wunsch zu leben und unterzugehen.

3 Emerson wird nach der deutschen Ausgabe der Essays von 1858 zitiert, die Nietzsche vorlag.

Umkehr und Wiederkehr Die reinste Erkenntnis wird von Schopenhauer auch durch das Bild der in einem frostigen Winter erstarrten Natur dargestellt. „Sehn wir nun im strengen Winter, bei der allgemeinen Erstarrung der Natur, die Strahlen der niedrig stehenden Sonne von steinernen Massen zurückgeworfen, wo sie erleuchten, ohne zu wärmen, also nur der reinsten Erkenntnißweise, nicht dem Willen günstig sind; so versetzt die Betrachtung der schönen Wirkung des Lichtes auf diese Massen, uns, wie alle Schönheit, in den Zustand des reinen Erkennens“ (Schopenhauer, WWV I, § 39; 1988a/II, 240). Dasselbe Bild taucht, ironisch aufgeladen, in Nietzsches Morgenröthe wieder auf: „Oder meint ihr, heute, da ihr gefroren und trocken wie ein heller Morgen im Winter seid und euch Nichts am Herzen liegt, ihr hättet bessere Augen? […] Als ob ihr überhaupt mit Gedankendingen anders verkehren könntet, als mit Menschen!“ (M 539; 3, 308) Im Vorwort zur zweiten Auflage der Fröhlichen Wissenschaft findet sich noch eine ironische Anspielung an die eisige, vom Willen abgespaltene Erkenntnis: „Wir sind keine denkenden Frösche, keine Objektivir- und Registrir-Apparate mit kalt gestellten Eingeweiden, – wir müssen beständig unsre Gedanken aus unsrem Schmerz gebären und mütterlich ihnen Alles mitgeben, was wir von Blut, Herz, Feuer, Lust, Leidenschaft, Qual, Gewissen, Schicksal, Verhängniss in uns haben“ (FW 3; 3, 349). Der keuschen Sterilität des Mondes setzt Nietzsche die Zeugungslust und das mütterliche Gefühl, das der Denker für seine eigenen Gedanken und für seine Lehren hegt, entgegen. Und so heißt es im Zarathustra: „Auch im Erkennen fühle ich nur meines Willens Zeuge- und Werde-Lust“ (111). Was bei Schopenhauer „rein erkennendes Subjekt, klares Weltauge“ (Schopenhauer, WWV I, § 36; 1988a/II, 219) heißt, wird im Aphorismus 497 der Morgenröthe zu einem Auge, dessen Erkenntnis rein ist, nicht weil es sich vom Willen befreit hat, sondern umgekehrt, weil es die Welt liebt: das Auge Platons, Spinozas und Goethes. Indem er den Willen nicht mehr als Gegensatz, sondern als Wesen der Erkenntnis betrachtet, überwindet Nietzsche den Dualismus, auf dem sich das Hauptwerk seines eigenen Lehrmeisters gründet.

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12.3 Meeresstille und frischer Wind Um den „zweiten Weg“ zu beschreiben, der selbst die wildesten, leidenschaftlichsten oder bösartigsten Naturen durch das Leiden zur Negation des Willens führt, greift Schopenhauer zu einem Bild des Stoikers Stobaios (das im übrigen eine sprichwörtliche Wendung im Griechischen war): dem der „zweiten Schiffahrt“ (deuteros plous), die bei Windesstille mit Rudern bewerkstelligt wird (ebd. I, § 68, und II, Kap. 48; 1988a/II, 463 und III, 724). Bei Nietzsche findet sich eine explizite Bezugnahme auf das Motiv der „zweiten Schiffahrt“ in einem bedeutenden Fragment aus dem Jahre 1878: „Durch kein Leiden sich ′ zum Glauben an den δευτεŠος πλους bringen lassen“ (N 1878, 28/31; 8, 508). Bei Schopenhauer kann diese Navigation durch den Schmerz zur „gänzliche[n] Meeresstille des Gemüths“ als eines Nirwana, einer Ruhe nach den Stürmen des Willens führen:4 „[J]ene tiefe Ruhe, unerschütterliche Zuversicht und Heiterkeit, deren bloßer Abglanz im Antlitz, wie ihn Raphael und Correggio dargestellt haben, ein ganzes und sicheres Evangelium ist“ (Schopenhauer, WWV I, § 71; 1988a/II, 468). In den Aphorismen 349 von Menschliches, Allzumenschliches („Im Gefrierpunct des Willens“) und 308 („Am Mittag“) aus Der Wanderer und sein Schatten wird mit deutlich antischopenhauerscher Stoßrichtung der fröhliche Wind der Leidenschaften der Meeresstille des Gemüts (im Sinne Schopenhauers) oder der panischen Stille der Mittagsstunde entgegengesetzt: „‚Endlich einmal kommt sie doch, die Stunde, die dich in die goldene Wolke der Schmerzlosigkeit einhüllen wird: wo die Seele ihre eigene Müdigkeit geniesst und glücklich im geduldigen Spiele mit ihrer Geduld den Wellen eines See’s gleicht […].‘ Diess ist Empfindung und Rede aller Kranken: erreichen sie aber jene Stunden, so kommt, nach kurzem Genusse, die Langeweile. Diese aber ist der Thauwind für den eingefrorenen Willen: er erwacht, bewegt sich und zeugt wieder Wunsch auf Wunsch. – Wünschen ist ein Anzeichen von Genesung oder Besserung“ (MA 2, 349; 2, 4 Sowohl das Schopenhauersche Motiv des Lebens als einer Meeresüberquerung bei Sturm als auch das der Meeresstille haben eine lange religiöse Tradition: Die Meeresstille ist die Ruhe der Seele, die von Christus ähnlich wie die tobenden Gewässer in den Evangelien befriedet wurde.

Umkehr und Wiederkehr 520). „Wem ein thätiger und stürmereicher Morgen des Lebens beschieden war, dessen Seele überfällt um den Mittag des Lebens eine seltsame Ruhesucht […]. Er will Nichts, er sorgt sich um Nichts, sein Herz steht still, nur sein Auge lebt, – […]. Da endlich erhebt sich der Wind in den Bäumen, Mittag ist vorbei, das Leben reisst ihn wieder an sich, das Leben mit blinden Augen, hinter dem sein Gefolge herstürmt: Wunsch, Trug, Vergessen, Geniessen, Vernichten, Vergänglichkeit“ (WS 308; 2, 690). Das Nirwana der Schmerzlosigkeit entspricht, so Nietzsche, dem Zustand eines Kranken, der das Schwinden seiner Leiden genießt, das die bedrückende Abwesenheit des Windes in einer berühmten Goetheschen Strophe – Meeresstille – wiederaufzunehmen scheint, der der Dichter sogleich das symmetrische Gegenstück Glückliche Fahrt an die Seite stellte, in dem die Schiffe dank frischer Brise fröhlich Anker lichten. In Nietzsches Aphorismus ist es die Langeweile, die – wie der Wind bei den Schiffen – den an seiner Trägheit krankenden Willen aufzurütteln vermag: „Diese aber ist der Thauwind für den eingefrorenen Willen: er erwacht, bewegt sich und zeugt wieder Wunsch auf Wunsch“ (MA 2, 349; 2, 520). Man kann außerdem leicht feststellen, daß mehrere der in dieser Periode entstandenen Aphorismen und Sentenzen als Auseinandersetzung mit Themen der französischen Moralisten und philosophischen Schriftsteller zu betrachten sind. Es sei als Beispiel wiederum das Bild der Wind- und Meeresstille angeführt, das im Diskurs über das Spiel der Leidenschaften auftaucht. In dem Gespräch zwischen Herostrat und Demetrius von Phaleron von Fontenelle werden die Leidenschaften mit den Winden verglichen, die man herbeisehnt, obwohl sie oft Unwetter verursachen; denn nichts fürchten die Seefahrer mehr als jene windstillen Meere, auf denen man nicht segeln kann.5 Dasselbe 5 Vgl. Bernard de Fontenelle, Dialogues des Morts, Paris 1876. Es handelt sich wahrscheinlich um ein lateinisches Motiv. Siehe z. B. Ovid, der die von Cupido inspirierte Leidenschaft als plötzlichen, das Schiff weit aus dem Hafen hinaus treibenden Wind lobt („ut subitus prope iam prensa tellure carinam / tangentem portus ventus in alta rapit / sic me saepe refert incerta Cupidinis aura“), dagegen aber die tödliche Ruhe des Schlafes verachtet (Amores II, 9b (10)). Vgl. hierzu auch Seneca: „Nihil habere ad quod exciteris, ad quod te concites […] sed in otio inconcusso iacere, non est tranquillitas: malacia est“ (Epistulae 67, 14).

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Vivetta Vivarelli Gleichnis bildet auch den Inhalt einer Reflexion von La Rochefoucauld (VI. De l’amour et de la mer), der eine erschöpfte Liebe mit „jenen langen Meeresstillen“ vergleicht, die man am Äquator antrifft. Die lähmende Wirkung der Meeresstille ist wohl auf eine ′ Auffassung der γαληνη zurückzuführen, die schon bei Plato zu finden ist. Man denke an die Wörter des Sokrates: „Soll ich dir nun auch noch die Windstillen anführen, und was dem ähnlich ist, wie überall die Ruhe Fäulnis und Zerstörung bewirkt, das Gegenteil aber Erhaltung?“ (Theaitetos 153c6–8) Im Symposion ′ dagegen weist γαληνη auf einen beglückenden, von Eros inspirierten Zustand hin (197c5). Diese positive Auffassung der Meeresstille als seelischen Ideals wurde von Winckelmann und Schopenhauer aufgenommen. Bei Schopenhauer führt die zweite Schiffahrt der Stoiker, der Weg der Widrigkeiten und des Leidens, dazu, daß der Fahrende sich ähnlich einem Kranken fühlt, der die von der Kur verursachte Schmerzzunahme willig hinnimmt, weil sie ein Zeichen der Genesung, also der Negation des Willens zu sein verspricht (Schopenhauer, WWV I, § 68; 1988a/II, 470). Nietzsche kehrt das Ähnlichkeitsverhältnis um, wenn er genau denjenigen als krank beschreibt, der das Nirwana des gefrorenen Willens anstrebt. Dieses könne jedoch keineswegs als universell gültiges Ziel gelten, sondern lediglich als ein krankhafter Übergangszustand der Seele, die glücklicherweise vom warmen Wind des Aufbruchs wieder aufgetaut wird. Im 1886 verfaßten Vorwort zu Menschliches, Allzumenschliches bezeichnet Nietzsche seine eigene wagnerianische Vergangenheit als „die schönste, auch gefährlichste Meeresstille meiner Fahrt“ (MA 2, 1; 2, 370). Nicht zufällig erscheint im Zarathustra der Protagonist wie „ein frischer Brause-Wind“ denjenigen, „[d]enen […] es lieblich zu Ohren“ klingt: „‚Es verlohnt sich Nichts! Ihr sollt nicht wollen!‘“ (258) Zarathustra, der von seinem Jünger als „der Wind mit schrillem Pfeifen, der den Burgen des Todes die Thore aufreisst“ und den Pessimismus des besiegten Lebens verjagt, apostrophiert wird, drückt darin die befreiende Eingebung einer Bejahung des Lebens und der Immanenz aus, die über das christlich-Schopenhauersche Ideal träger Meeresstille des Geistes triumphiert (175).6

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12.4 Emerson: Über Freundschaft und Mitleid Emerson reiht sich in die positiven und „sonnigen“ Vorbilder Nietzsches ein, die einen gegenüber den zurückgewiesenen „nächtlichen“ Gottheiten – Wagner vor allem und Schopenhauer selbst – antithetischen Horizont abstecken. Im Grablied Zarathustras an die Phantasmen seiner Vergangenheit kann man in den Schemen der Feinde, die die „Gesichter und liebste Wunder“ seiner Jugend getötet haben, leicht seine Lehrmeister des Pessimismus, Wagner und Schopenhauer, entdecken. Diese haben sich den Vorzeichen des Glücks und der „fröhlichen Weisheit“ seiner Jugend entgegengestellt, die ihn lehrte: „göttlich sollen mir alle Wesen sein“, „[a]lle Tage sollen mir heilig sein“ (143). Mit diesen Maximen knüpft Nietzsche an seinen frühen Lehrer Emerson an, aus dessen Essays der Satz stammt, der der Fröhlichen Wissenschaft als Motto vorangestellt ist: „‚Dem Dichter und Weisen sind alle Dinge befreundet und geweiht, alle Erlebnisse nützlich. alle Tage heilig, alle Menschen göttlich.‘“ (FW; 3, 341) Emerson verbindet eine weite europäische und insbesondere deutsche Kultur mit einer frischen Vorurteilslosigkeit und einem optimistischen Pioniergeist, die typisch für den neuen Kontinent sind. In seinen Schriften stößt man häufig auf anscheinend zufällige und harmlose Überlegungen oder Urteile, die näher besehen schwindelerregende Perspektiven eröffnen, die jedoch durch einen Grundton heiterer oder gutmütiger Gelassenheit verdeckt oder entschärft werden. Solche „abgründigen“ Perspektiven konnten Nietzsche nicht entgehen, der sich deren explosives Potential in seinem Kampf gegen die alten Gewißheiten zu eigen zu machen wußte. So ist Emersons Beschreibung des Denkers, die Nietzsche in Schopenhauer als Erzieher zitiert und die sich auf die Gleichsetzung von schaffen und vernichten gründet, zu einem dionysischen Leitmotiv des Zarathustra geworden. Ein

6 Die „berühmten Weisen“ Zarathustras werden auch deswegen beschimpft, weil sie von keinem „starke[n] Wind und Wille“ getrieben werden: „Saht ihr nie ein Segel über das Meer gehn, geründet und gebläht und zitternd vor dem Ungestüm des Windes? Dem Segel gleich, zitternd vor dem Ungestüm des Geistes, geht meine Weisheit über das Meer“ (134 f.).

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Vivetta Vivarelli Teil von Emersons Einfluß auf Nietzsche geht sicherlich auf dessen – wegen (oder trotz) seines verschwenderischen Umgangs mit Bildern – einnehmenden Stil zurück, der in der unsystematischen Häufung von Anregungen oft die Improvisationskunst des Redners verrät. Gerade im Zarathustra finden sich etliche Bilder aus den Hauptschriften Emersons, also aus den Versuchen und der Führung des Lebens. Zwei von ihnen nehmen das christliche (und Schopenhauersche) Motiv des Mitleids aufs Korn. In dem Erfahrung betitelten Essay beschreibt Emerson das Dilemma des Mitleidenden wie folgt: „Eine sympathetische Person ist in das Dilemma eines Schwimmers unter ertrinkenden Menschen versetzt, die sich alle an ihm anhängen wollen, und wenn er ihnen so viel wie ein Bein oder einen Finger hinhält, so ziehen sie ihn mit hinunter“ (Emerson 1858, 331 f.). Nietzsche greift dieses Bild auf in der Vorstufe eines Zarathustra-Kapitels, das Die Begrüssung heißt: „Von Ertrinkenden spricht mir heimlich meine Schlange: das Meer zieht sie hinab – da möchte sie sich gern an einen starken Schwimmer anklammern. Und wahrlich, so blind und wild greifen Ertrinkende mit Armen und Beinen nach einem Retter und Gutwilligen, daß sie den Stärksten mit in ihre Tiefe hinabziehn. […] Den kleinen Finger strecke ich euch schon entgegen“ (N 1884/85, 31/62; 11, 391). Im Zarathustra bleibt von alledem nur eine unmerkliche Spur, der Sinn hat sich jetzt obendrein ins Gegenteil verkehrt: „Das Zweite aber ist: mein kleiner Finger. Und habt ihr den erst, so nehmt nur noch die ganze Hand, wohlan! und das Herz dazu!“ (348) Zarathustra bietet den höheren Menschen seinen kleinen Finger, auch wenn er sich in derselben Episode erschreckt zurückzieht, weil der König seine ganze Hand nehmen will, um sie ihm zu küssen: Vielleicht liegt gerade in diesem Zurückweichen noch eine ironische Anspielung auf den Schwimmer, der fürchtet, in die Tiefe gerissen zu werden. In dem Essay über Selbstvertrauen greift Emerson die Philanthropie und die gemeine Auffassung des Mitleids hart an, was Nietzsche nicht verborgen bleibt: „Und ebenso sagt mir nicht, wie ein guter Mann mir heute sagte, daß es meine Pflicht wäre, allen armen Menschen zu helfen, daß sie in eine gute Lage kämen. Sind sie meine Armen? Ich sage dir, du thörichter Menschenfreund, mit Widerstreben gebe ich jeden Thaler, Gro-

Umkehr und Wiederkehr schen und Pfennig solchen Menschen, die nicht zu mir gehören, wie ich nicht zu ihnen […]. Obgleich ich zu meiner Schande gestehe, daß ich manchmal erliege und den Thaler gebe, so ist es ein unrechter Thaler, den ich wohl nach und nach die Männlichkeit haben werde, zurückzuhalten“ (Emerson 1858, 38). Man beachte, wie dasselbe Bild im Zarathustra wiederauftaucht: „Wahrlich, ich mag sie nicht, die Barmherzigen, […]. Ich aber bin ein Schenkender: gerne schenke ich, als Freund den Freunden. […] Bettler aber sollte man ganz abschaffen! Wahrlich, man ärgert sich ihnen zu geben und ärgert sich ihnen nicht zu geben“ (113 f.). Das Zarathustra-Kapitel Vom Freunde offenbart eine ganze Reihe von Analogien und Korrespondenzen zu einem Essay von Emerson, der eben der Freundschaft gewidmet ist. Für Schopenhauer ist die Freundschaft im wesentlichen „eine Mischung aus Selbstsucht und Mitleid“ (Schopenhauer, WWV I, § 67; 1988a/II, 444): Sein grundsätzlicher Pessimismus zieht am Ende auch dieses Gefühl in seinen Sog, von den „vierbeinigen Freundschaften so vieler Menschen“ einmal abgesehen (Schopenhauer, PP II, § 114; 1988b/VI, 224). Nietzsche und Emerson sind sich hingegen darin einig, der Freundschaft eine vorrangige Bedeutung zuzuschreiben, wenn auch unter dem Vorbehalt, daß sie den Einsamkeitstempel des Denkers nicht profanieren darf. Im folgenden seien die wichtigsten Entsprechungen zwischen den Texten Emersons und Nietzsches wiedergegeben: „Mit zwei verschiedenen Menschen wirst du eine nützliche und angenehme Unterhaltung führen können, aber kommt ihr drei zusammen, so wird es zu keinem vertrauten und innigen Gespräche kommen“ (Emerson 1858, 153). – „[D]er Dritte ist der Kork, der verhindert, dass das Gespräch der Zweie in die Tiefe sinkt“ (71). „Wenn er [mein Freund] hoch steht, so stellt er mich dadurch auf solche Höhe […]“ (Emerson 1858, 160). – „Darum sehnen sie [die Einsiedler] sich so nach einem Freunde und nach seiner Höhe“ (71). „Laß ihn [den Freund] für dich immer ein schöner Feind sein, unbezwingbar, auf’s höchste von dir verehrt […]“ (Emerson 1858, 157). – „Man soll in seinem Freunde noch den Feind ehren. […] In seinem Freunde soll man seinen besten Feind

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Vivetta Vivarelli haben. Du sollst ihm am nächsten mit dem Herzen sein, wenn du ihm widerstrebst“ (71 f.). „Warum sollten wir edle und schöne Seelen entweihen dadurch, daß wir auf sie eindringen?“ (Emerson 1858, 156) – „Kannst du an deinen Freund dicht herantreten, ohne zu ihm überzutreten?“ (71) „Ich […] finde nun scheinbar mein Wesen […] in einer fremden Form wieder“ (Emerson 1858, 151). „[…], daß im Freunde Jeder nur seine eigene Seele wieder liebe“ (ebd., 158). – „Was ist doch sonst das Gesicht deines Freundes? Es ist dein eignes Gesicht, auf einem rauhen und unvollkommnen Spiegel“ (72). „Sei stille, und deine Seele wird sprechen“ (Emerson 1858, 158). – „Im Errathen und Stillschweigen soll der Freund Meister sein“ (72). In diesem Kapitel geht Nietzsche von Emersons Betrachtungen aus, um einen unverbrauchten, allerdings provozierenden und problematischen Begriff von Freundschaft zu entwerfen. Der Einsame, der Eremit, der hauptsächlich sich selbst und seine Lektüren zum Gesprächspartner hat und der in einem Brief an die Mutter (von Ende April 1885; KSB 7, 43) behaupten wird, daß er „fast nur mit Todten Verkehr“ habe, wünscht sich auch weiterhin einen verwandten und befreundeten Geist, trotz der tiefen Verletzungen, die ihm aus solchen Beziehungen (man denke nur an die mit Wagner, Lou oder Rée) erwachsen sind. In einem Anfall hartnäckigen wie heroischen Optimismus gelingt es ihm, das Vertrauen in dieses Gefühl nicht zu verleugnen: Das Kapitel schließt mit dem Wunsch, „möge es Freundschaft geben!“ (73).

12.5 Der fragmentarische Mensch und die Bilder der Überwindung Gegen Pessimisten und Lebensverächter führt Nietzsche ein weiteres Bild von Emerson ins Feld, das eine physiologische Interpretation des Pessimismus als Geisteskrankheit im Sinne einer „Dyspepsie“ nahelegt. In dem Essay über Erfahrung heißt es: „Die feinen jungen Leute verachten das Leben, aber in mir, und in allen denen, die mit mir von Dyspepsia frei sind, und denen ein Tag ein gesundes und solides Gut ist, findet sich ein

Umkehr und Wiederkehr zu großes Übermaß von allgemeiner Höflichkeit, um verächtlich aussehen zu können“ (Emerson 1858, 316). Dasselbe Motiv liest sich im Zarathustra so: „dass sie schlecht assen, daher kam ihnen jener verdorbene Magen, – – ein verdorbener Magen ist nämlich ihr Geist: der räth zum Tode! Denn wahrlich, meine Brüder, der Geist ist ein Magen! Das Leben ist ein Born der Lust: aber aus wem der verdorbene Magen redet, der Vater der Trübsal, dem sind alle Quellen vergiftet“ (258). Die Bilder, die Nietzsche, besonders im Zarathustra, von Emerson übernimmt, kreisen um das Motiv des pragmatischen Optimismus, einer Mentalität, die zur Eroberung der äußeren Welt drängt, indem sie gegen deren Härte und Feindseligkeit den Überschwang und den athletischen Eifer eines Läufers beim Hindernisrennen mobilisiert. Im folgenden seien wieder einige der vermutlich von Emerson inspirierten Bilder aufgeführt, in denen die Möglichkeit thematisiert wird, sich Hindernisse auf dem Lebensweg zunutze zu machen. Gerade sie verleihen dem Zarathustra einen eigentümlich kämpferischen Akzent. In der ersten Passage beschreibt Emerson, wie die „explosiven Kräfte“, die in den Menschen schlummern, sich je nachdem als schädlich oder als nützlich erweisen können, wenn nur richtig eingesetzt: „Alle Elemente, deren Hülfe der Mensch anruft, und namentlich die von gewaltiger Kraft, werden oftmals seine Herren werden: soll er deswegen dem Dampf, dem Feuer, der Elektrizität entsagen, oder soll er lernen, sie zu bemeistern?“ (Emerson 1862, 47) – „Es ist mir nicht genug, dass der Blitz nicht mehr schadet. Nicht ableiten will ich ihn: er soll lernen für mich – arbeiten“ (360). „Der Frost erstarrt unmerklich euer Blut und läßt einen Menschen wie einen Thautropfen gefrieren, aber lernt Schlittschuh laufen, und ihr werdet auf dem Eise eine anmuthige, sanfte und poetische Bewegung finden“ (Emerson 1862, 22). – „Und wenn es auf Erden auch Moor und dicke Trübsal giebt: wer leichte Füsse hat, läuft über Schlamm noch hinweg und tanzt wie auf gefegtem Eise“ (366). „Wir müssen unsere Pumpe mit schmutzigem Wasser füllen, wenn reines nicht zu haben ist“ (Emerson 1862, 41). – „Und wer unter Menschen nicht verschmachten will, muss lernen, aus allen Gläsern zu trinken; und wer unter Menschen rein bleiben

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Vivetta Vivarelli will, muss verstehn, sich auch mit schmutzigem Wasser zu waschen“ (184). „[…] beachte nicht die Niederlage: erhebe dich wieder, altes Herz!“ (Emerson 1858, 335) – „Und also sprach ich oft mir zum Troste: ‚Wohlan! Wohlauf! Altes Herz! Ein Unglück missrieth dir: geniesse diess als dein – Glück!‘“ (184) Mit der ihm eigentümlichen stilistischen Gewandtheit und literarischen Intelligenz fügt Nietzsche Emersons praktische Anweisungen in eine allgemeine ethische Perspektive, von der aus alles moralisch Negative – das Böse, aber auch die Tragik der Existenz – sich als etwas betrachten läßt, das man nicht vom Leben fernhalten darf, sondern in das man sich hineinbegeben muß: Wer leichte Füße hat, kann über Abgründe tanzen. Die aktive und affirmative Einstellung zur Existenz beinhaltet die objektive Anerkennung der Grenzen des Realen und zugleich das Vertrauen in die eigenen Vermögen und den eigenen Willen zur Verwandlung. Nietzsche scheint bei Emerson – neben einer wohltuenden Kur gegen Pessimismus und Lebensekel – Figuren der Selbstüberwindung gefunden zu haben, die in gewisser Weise auf die Idee des Übermenschen vorausweisen. In Die Führung des Lebens insistiert Emerson darauf, daß die Evolution der Gattung noch nicht abgeschlossen ist und daß nur wenige Individuen der menschlichen Rasse sich als vollendet betrachten können, insofern wir noch verschiedene Überbleibsel der vierbeinigen Art in uns tragen, von der wir abstammen, und deren Epoche sich dem Ende zuneigt: „Es wird die Zeit kommen, in der die rohen Formen, die wir noch kennen, sich nicht mehr ausbilden werden“ (Emerson 1862, 115). Aus den Darstellungen der evolutionären Entwicklung, also des Übergangs von einfacheren zu komplexeren Organismen leitet Emerson weniger die mögliche Überwindung des Menschen als vielmehr die volle Entfaltung seiner latenten Möglichkeiten ab. Dennoch legen beide Autoren den Akzent auf den Übergang von einer niederen Art – der der Menschenaffen, der wir verwandtschaftlich verbunden sind – zu einer höheren. Es wäre interessant, genau festzustellen, ob Nietzsche sich nur für die Figur des Zarathustra von Emerson hat inspirieren lassen – wie es Mazzino Montinari im kritischen Kommentar seiner Edition nahelegt – oder auch für das Thema der Überwindung des Menschen. In den Versuchen kann man jeden-

Umkehr und Wiederkehr falls auch dieses Motiv entdecken: „Wir haben niemals einen Menschen gesehen: diese göttliche Form kennen wir noch nicht, sondern nur den Traum und die Prophezeihung derselben“ (Emerson 1858, 354). Im Zarathustra findet sich ein ähnliches Bild: „Ich wandle unter Menschen als den Bruchstücken der Zukunft“ (179). Das Bild des bruchstückhaften Menschen, das im Zentrum des Kapitels Von der Erlösung steht, taucht auch zu Beginn einer berühmten Rede Emersons von 1837, The American Scholar, auf, in der die fragmentarische Substanz des „sozialen“ Menschen durch die einzelnen amputierten Glieder symbolisiert wird, die als Monster einherschreiten. Die Ähnlichkeit mit den „umgekehrte[n] Krüppel[n]“ Zarathustras, „welche Nichts weiter sind als ein grosses Auge, oder ein grosses Maul oder ein grosser Bauch“ (178), ist frappierend.7 Doch die ganze Tragweite dieses Bildes erschließt sich erst, wenn man sich seine Herkunft aus einer Nietzsche bekannten Formulierung aus dem Hyperion von Hölderlin vergegenwärtigt. Wenn Zarathustra verkündet, „unter den Menschen wie unter den Bruchstücken und Gliedmaassen von Menschen“ zu wandeln und den Menschen „zertrümmert“ und „zerstreuet wie über ein Schlacht- und Schlächterfeld“ zu finden (ebd.), dann greift er auf die Bilder des vorletzten Briefes Hyperions an Bellarmin zurück, wo jener die Barbarisierung und den Humanitätsverlust der Deutschen aufgrund übertriebener Arbeitsteilung und Spezialisierung mit der eindringlichen Metapher des Schlachtfeldes beschreibt, auf dem die einzelnen Glieder amputiert herumliegen, während mit dem Blut jeder Lebenssaft im Sand versickert. Zarathustras Klage über den Mangel an großen Seelen findet ebenfalls bei Emerson eine Entsprechung: „[…] ihr hofftet viel von ihm, er sollte eine See sein, in der ihr schwimmen könntet; nur da ihr die Küsten gefunden habt, merkt, daß es nur ein Teich ist“ (Emerson 1858, 226). – „‚Ach, wo ist noch ein Meer, in dem man ertrinken könnte‘: so klingt unsre Klage – hinweg über flache Sümpfe“ (172). 7 Das Motiv der Fragmentierung der Arbeit und der Kultur findet sich außer in Schillers Briefen zur ästhetischen Erziehung des Menschen auch bei vielen Autoren der Romantik. So z. B. am Anfang der Geschichte vom braven Kasperl und dem schönen Annerl von Brentano.

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Vivetta Vivarelli Wie an den ausgewählten Beispielen deutlich wurde, scheint im Zarathustra das Bild die philosophische Argumentation weniger zu stützen als vielmehr zu ersetzen: Es besiegelt nicht mehr, wie zumeist in den Aphorismen, den Abschluß einer Gedankenführung, sondern es spricht für sich selbst mit einer expressionistischen Eindringlichkeit, die weder der Anmerkungen noch irgendeines stützenden Kommentars bedarf. Das metaphorische Gewebe dieses Werks ist eine Art Herausforderung, jeweils den gebildeten Verweis oder den hinter der Oberfläche aufscheinenden Gedanken zu fassen. Im Fall der Emersonschen Bilder, deren Sinn oft geduldig rekonstruiert werden muß, deren Strenge und Organizität darüber hinaus von den vermittelnden Fähigkeiten des Übersetzers abhängen, ist es leicht, die Distanz auszumessen, die sie von der Nietzscheschen Überarbeitung trennen. Unter seinem genauen Meißel befreit sich die Metapher von stilistischen oder formalen Schlacken, sie wird dicht, schneidend und plastisch, aber auch zum wendigen Instrument des Gedankens und ist in der Lage, sich jedem Kontext anzupassen. Bei der Lektüre des Zarathustra hat man nie den Eindruck einer Zitatencollage, insofern jeder Einfall und jeder Verweis vollständig vom stilistischen Sog des Ganzen absorbiert und gefärbt werden, einem aus Dissonanzen wundersam geflochtenen Gewebe, in dem der dominierende Gestus des biblischen Zitats, meist mit umgekehrten Vorzeichen, die zahlreichen philosophischen und literarischen Bezüge kontrapunktiert.

12.6 Das Glück des Wissenschaftlers und der Apfel Newtons Von einer kurzen Passage Emersons ausgehend, soll im folgenden eine Interpretation des Kapitels Von den drei Bösen versucht werden. Zarathustra beschreibt darin einen Morgentraum, in dem er auf einem Vorgebirge jenseits der Welt eine Waage in der Hand hält und die Welt „wiegt“: „– als ob ein voller Apfel sich meiner Hand böte, ein reifer Goldapfel, mit kühl-sanfter sammtener Haut: – so bot sich mir die Welt: – – als ob ein Baum mir winke, ein breitästiger, starkwilliger […]: so stand die Welt auf meinem Vorgebirge“ (235 f.). Hinter dem Bild des Apfels

Umkehr und Wiederkehr und des Baums kann man ein Emerson entlehntes Motiv erkennen, das in Die Führung des Lebens die Lehre Newtons zusammenfaßt, nach der „die Erde, die wir bewohnen, nur ein großer Apfel, von einem größern Baum abgefallen, ist“ (Emerson 1862, 213). Sowohl Emerson als auch Nietzsche beziehen sich offenkundig auf die Legende, der zufolge Newton das Gesetz der universalen Gravitation anläßlich des Falls eines Apfels entdeckt haben soll. So gesehen enthielte der Traum Zarathustras jenseits seiner irrealen Atmosphäre eine konkrete Anspielung auf die Masse und die Anziehungskraft himmlischer Körper. Die Welt, die sich „wiegen“ läßt, wäre demnach eine, die sich ohne Widerstand der forschenden Neugier des wissenschaftlichen Geistes erschließt. In der Vergangenheit war es die Unendlichkeit des Universums, an der sich die Imagination der Dichter entzündete; kann man sich vorstellen, daß von der Idee eines endlichen Universums,8 das obendrein „messbar“, „wägbar“, „errathbar“ ist, eine ähnliche Faszination ausgeht? Der Traum Zarathustras will zu verstehen geben, daß in eben dieser antimetaphysischen Wahrheit sich die eigentliche Poesie des Kosmos verbirgt. Nietzsches Haltung gegenüber dem wissenschaftlichen Geist ist allerdings nicht frei von Zweideutigkeiten, bedenkt man, wie er ihn in Menschliches, Allzumenschliches gegen seinen überwundenen Wagnerianismus ins Feld führt; oder wie er in der Fröhlichen Wissenschaft einerseits einen Aphorismus zur Verteidigung der Mathematik und ihrer methodologischen Strenge (FW 246) aufnehmen und im fünften Buch (FW 373) die „Wissenschaft“ als Vorurteil aufs schärfste attackieren kann. Der Aphorismus, in dem Nietzsche „mechanistischen“ Philosophen und Naturforschern vorwirft, ihre Interpretationsschemata und ihren beschränkten Standpunkt auf das ganze Universum anwenden zu wollen, endet mit der folgenden Betrachtung: „Gesetzt, man schätzte den Werth der Musik darnach ab, wie viel von ihr gezählt, berechnet, in Formeln gebracht werden könne – wie absurd wäre eine solche ‚wissenschaftliche‘ Abschätzung der Musik!“ (ebd.; 3, 626) Dieser Gedanke erinnert an einige Über8 Auf das Prinzip der Endlichkeit des Kosmos unter der Voraussetzung, daß auch die Kraft endlich sei, könnte auch der Satz „‚wo Kraft ist, wird auch die Zahl Meisterin […]‘“ (235) anspielen. Vgl. auch N 1885, 38/12; 11, 610.

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Vivetta Vivarelli legungen Goethes zur Mathematik (Gespräch mit Eckermann vom 20. 12. 1826): „Ich ehre die Mathematik als die erhabenste und nützlichste Wissenschaft, solange man sie da anwendet, wo sie am Platze ist; allein, ich kann nicht loben, daß man sie bei Dingen mißbrauchen will, die gar nicht in ihrem Bereich liegen und wo die edle Wissenschaft sogleich als Unsinn erscheint. Und als ob dann nur alles existierte, wenn es sich mathematisch beweisen läßt. Es wäre doch töricht, wenn jemand nicht an die Liebe seines Mädchens glauben wollte, weil sie ihm solche nicht mathematisch beweisen läßt.“ Nietzsche und Goethe rufen jeweils die Musik und die Liebe als Beispiele für naturgemäß jeder wissenschaftlichen Erkenntnis oder gar Messung gegenüber resistente Phänomene auf. Der positivistische Optimismus ist seit der ersten Unzeitgemässen Betrachtung beliebtes Angriffsziel Nietzsches gewesen. Im Zarathustra jedoch nimmt die Stoßrichtung seiner Argumentation einen Emersonschen Gedanken auf, dessen Bildlichkeit er im Kapitel Vom höheren Menschen auf ihren nackten Kern zuspitzt: „Wir würden dem Ornithologen ein ganz neues Gefühl entgegenbringen, wer er uns lehren könnte, was die geselligen Vögel sagen, wenn sie ihre Herbstberatung halten und in den Bäumen zusammensprechen. Der Mangel an Sympathie macht seine Berichte zu einem todten Wörterbuche. Sein Resultat ist ein todter Vogel“ (Emerson 1862, 195). – „Hütet euch auch vor den Gelehrten! Die hassen euch: denn sie sind unfruchtbar! Sie haben kalte vertrocknete Augen, vor ihnen liegt jeder Vogel entfedert“ (361). Nietzsches Polemik gegen die Sterilität einer bestimmten wissenschaftlichen Einstellung erinnert in mancher Hinsicht an diejenige in der Unzeitgemässen Betrachtung gegen die historische Gelehrsamkeit und ihre lähmenden Auswirkungen auf das Leben und das Handeln. Doch so, wie ihn das nicht hindern konnte, ein treuer Verfechter der Geschichte und des historischen Sinns zu bleiben, so geht er bereits in der Fröhlichen Wissenschaft dazu über, den Gegensatz von Kunst und Wissenschaft aufzuheben und eine Koexistenz beider in einer „verwandelten Sphäre“ (vgl. G. Colli, Nachwort zu FW; KSA 3, 659 ff.) zu postulieren.

Umkehr und Wiederkehr

12.7 Der Nachmittag und die azurne Glocke Nietzsches Verhältnis zu Emerson wird aus einem Brief vom 7. April 1866 an Carl von Gersdorff deutlich: „gelegentlich kommen Stunden jener ruhigen Betrachtung, wo man in Freude und Trauer gemischt über seinem Leben steht, ähnlich jenen schönen Sommertagen, die sich breit und behaglich über die Hügel hinlagern, wie Emerson sie so vortrefflich beschreibt: dann wird die Natur vollkommen, wie er sagt“ (KSB 2, 119 f.). Die Textstelle, auf die sich der junge Nietzsche bezieht, steht am Anfang des Natur genannten Essays: „Es giebt Tage, an denen die Welt zur Vollendung gelangt […]. Der unendlich lange Tag ruht schlafend auf den breiten Hügeln und den warmen weiten Feldern“ (Emerson 1858, 391). Dieses Bild wird Jahre später im Zarathustra wiederaufgegriffen: „Heisser Mittag schläft auf den Fluren. […] Still! Die Welt ist vollkommen“ (343). Die lange Strecke, die Emersons Satz in den Schriften Nietzsches zurücklegt, beweist die Kontinuität eines dialogischen Verhältnisses, das unangefochten die verschiedenen Phasen dieses Lebenswerks durchlaufen sollte. Die zitierte Briefstelle ist auch deshalb erhellend, weil die Berufung auf Emerson mit einer Überlegung schließt, die deutlich Schopenhauersche Züge trägt („dann sind wir frei vom Banne des immer wachenden Willens, dann sind wir reines, anschauendes […] Auge“, Brief vom 7. 4. 1866 an von Gersdorff; KSB 2, 120). Noch ist Nietzsche bemüht, seinen Säulenheiligen gleiche Reverenz zu erweisen und Schopenhauer mit einem Denker wie Emerson in Einklang zu bringen, der sich den individuellen Willen auf seine Fahnen geschrieben hat. Im Zarathustra dagegen wird Nietzsche Emerson gegen Schopenhauer ausspielen. Die zunächst von Schopenhauer beeinflußte, dann gegen Schopenhauer gerichtete Lektüre Emersons bezeugt ein Verhältnis geistiger Übereinstimmung, das nicht zuletzt von einer gemeinsamen Auffassung des Glücks zehrt, wie eine Anmerkung Nietzsches aus dem Jahre 1881 ahnen läßt: „Stellen des Glücks zu sammeln z. B. Em‹erson›“ (N 1881, 12/227; 9, 616). Ein von Emerson stammendes Bild9 bezieht sich auf das Gefühl 9 Auch Schopenhauer beschreibt die Genugtuung, die man innerhalb eines begrenzten Horizontes wie dem der Kindheit erfährt, und weist darauf hin, daß

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Vivetta Vivarelli idyllischer Geborgenheit, das man innerhalb eines geschlossenen Horizontes genießt. Emerson beschreibt nämlich in Die Führung des Lebens die Empfindung, die man als Kind hat, wenn einem der Horizont wie von einer Glasglocke umschlossen zu sein scheint – und die anschließende Enttäuschung, wenn man entdeckt, daß der Horizont in Wirklichkeit eine unendliche Leere ist: „Als Kinder glaubten wir uns vom Horizonte wie von einer Glasglocke umschlossen und zweifelten nicht, daß wir durch fortgesetztes Wandern an den Ort gelangen müssten, wo Sonnen und Sterne ins Bad hinabstiegen. Beim Versuche flieht der Himmel vor uns und lässt uns in einer unendlichen Leere, die durch keine Glasglocke beschützt wird. Aber es ist sonderbar, wie fest wir an dieser Glocken-Astronomie von einem schützenden, umschließenden häuslichen Horizonte festhalten“ (Emerson 1862, 185 f.). Dieses Bild greift Nietzsche seinerseits auf, um das Glück innerhalb eines geschützten Raums darzustellen, doch sein zugleich transparenter und umhegender Horizont erweist sich als derjenige der ewigen Immanenz, in der es weder den Schopenhauerschen Willen in seinem existenzfernen Raum noch irgendeine metaphysische Instanz gibt: „Das aber ist mein Segnen: über jedwedem Ding als sein eigener Himmel stehn, als sein rundes Dach, seine azurne Glocke und ewige Sicherheit […]. Diese Freiheit und Himmels-Heiterkeit stellte ich gleich azurner Glocke über alle Dinge, als ich lehrte, dass über ihnen und durch sie kein ‚ewiger Wille‘ – will“ (209).

12.8 Hölderlin und die Metaphern des Dionysischen In dem Metapherngewebe des Nietzscheschen Textes läßt sich bei näherer Betrachtung eine vermutlich auf Hölderlin zurückgehende Bildergruppe entdecken, die von besonderer Bedeutung zu sein scheint: Sie führt in eine Sphäre ein, in der das Bild nicht nur eine bestimmte philosophische Anschauung vermittelt, man das von einem umzirkelten Raum untrennbare Glücksgefühl auch in poetischen Idyllen und in der einschlägigen Genremalerei wiederfindet (Schopenhauer, PP I; 1988b/V, 444).

Umkehr und Wiederkehr sondern auch eine wehmütige Stimmung evoziert, die Nietzsche zutiefst ergreift. Darüber hinaus zeigt sich in den Bildern eine komplexe Beziehung poetischer Einfühlung und geistigen Einklangs, woraus sich erklärt, warum Nietzsche auf Hölderlin zurückgreift, wenn er das Dionysische in bald elegischen, bald dithyrambischen Tönen beschwört. Nicht zu Unrecht gilt Hölderlin als Vorläufer Nietzsches bei der Entdeckung der unter einer stillen Oberfläche verborgenen tragischen Substanz der griechischen Welt. Diese Verwandtschaft beruht hauptsächlich darauf, daß beide Autoren aus den gleichen Mythenquellen wie die Werke der großen griechischen Tragiker schöpfen. Nietzsche scheint vor allem in Hölderlins Herbstmetaphern die Wiederkehr eines griechischen Lebensgefühls, in deren Bejahung des Lebens durch den Tod jenes dionysische Element zu erkennen, das den Schlüssel zu seinem Gefühl des Tragischen bildet. Nietzsche findet also bei Hölderlin eine Auffassung des Dionysischen wieder, die seiner eigenen Charakterisierung dieses Elements als „schöpferische Zerstörung“ entspricht. Die Themen einer Notwendigkeit des Todes für das Leben, der Gewißheit des Werdens im Vergehen und der kathartischen Erneuerung von Natur und Geist durch die Zerstörung finden ihren Höhepunkt im Empedokles, in dem der Philosoph aus Agrigent von seinen Freunden auch „Blitz“ oder „fressend Feuer“ genannt wird (Hölderlin 1846, 134)10. In den dionysischen Bildern Hölderlins erblickt Nietzsche das Gefühl der Vollendung, das dem freiwilligen Akt der Selbstopferung für das eigene Ideal vorausgehen muß: Das Gefäß muß im Augenblick höchster Fülle zerbrechen, die Sonne untergehen im Augenblick ihres höchsten Strahlens, Empedokles sich auf dem Zenit seiner Lebenskräfte und seiner Reife in den Vulkan stürzen. Im Hyperion wendet sich der Held mit den folgenden Worten an den Freund Alabanda, der sich nunmehr entschlossen hat, dem eigenen Tod entgegenzugehen: „Ja! stirb nur, rief ich, stirb! Dein Herz ist herrlich genug, dein Leben ist reif, wie die Trauben am Herbsttag. Geh, Vollendeter!“ (Hölderlin 1928, 10 Der Tod des Empedokles wird zitiert nach der von Nietzsche benutzten Ausgabe von Schwab (1846). In jedem Zitat wird ferner auch die Versnumerierung dieser Ausgabe vermerkt.

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Vivetta Vivarelli 265; 1846/II, 89) Das Hölderlinsche Bild der reifen Frucht, des durch den Schmerz wie eine Herbsttraube gereiften Alabanda, findet man in der dionysischen Traube wieder, in der sich die Seele Zarathustras verbirgt, die, wie Ariadne, das Winzermesser des Dionysos begehrt (279 f.).11 Dem Geist Hölderlins sind darüber hinaus die dithyrambischen Töne verwandt, die die Lust an der Auflösung begleiten, während der Wille, anstatt sich zu verneinen, sich erhebt. Die Metapher der Frucht und ihres Falls findet sich auch im Mittelpunkt von Zarathustras Rede Vom freien Tode und der Notwendigkeit, „zur rechten Zeit“ sterben zu können: „Meinen Tod lobe ich euch, den freien Tod, […] den Tod zur rechten Zeit […]. Und Jeder, der Ruhm haben will, muss […] bei Zeiten […] die schwere Kunst üben, zur rechten Zeit zu – gehn. Man muss aufhören, sich essen zu lassen, wenn man am besten schmeckt“ (94). Die „rechte Zeit“, gleichsam der Kairos, um den Tod zu wählen – eine Wahl, die laut Nietzsche auch Wagner12 hätte treffen sollen, um sich nicht selbst zu überleben –, ist eben der Augenblick, in dem die Frucht reif und wohlschmeckend ist und ungebrochen die innere Kraft. Bei Hölderlin erscheint der „Tod zur rechten Zeit“ fast als ein Jungbrunnen für die Völker: „Menschen ist die große Lust / gegeben, daß sie sich selber verjüngen; / und aus dem reinigenden Tode, den / sie selber sich zur rechten Zeit gewählt, / erstehen wie aus dem Styx der Götterheld […] / O gebt euch der Natur, eh’ sie euch nimmt! –“ (Hölderlin 1846, 180; 1. Fassung, Verse 1528 ff.) Seinen Agrigenter Landsleuten offenbart Empedokles sein „Wort“, das er so lange für sie aufbewahrt hat und das nun endlich im Augenblick des Abschieds gereift ist: „Heut ist mein Herbsttag und es fällt die Frucht / von selbst“ (ebd.).

11 Ähnliche Bilder, in denen das Leben vor dem Abschied mit einer erntereifen Ähre oder einer vom Baum fallenden und die Erde segnenden Olive verglichen wird, finden sich bei Euripides (Hypsipyle, Fragm. 757.6, hrsg. v. A. Nauck, Leipzig 1858) und Marc Aurel (Gedanken IV, 48). 12 Vgl. Nietzsches Brief an Malwida von Meysenbug vom 21. Februar 1883 (KSB 6, 335), in dem Nietzsche Wagners Christentum als eine Folge des Alterns interpretiert: „es ist schwer, zur rechten Zeit zu sterben“.

Umkehr und Wiederkehr Die reife Frucht, die „von selbst“ an ihrem „Herbsttag“ fällt, ist seine höchste Lehre, deren Sinn durch den Tod besiegelt und verewigt wird. Wenn bei Nietzsche in einigen Fragmenten von den guten und süßen Feigen, die von den Bäumen fallen, die Rede ist (N 1883, 13/1; 10, 440 und ebd., 13/8; 10, 457), so deckt eine Stelle aus dem Zarathustra auf, daß diese Früchte – wie im Empedokles – für die Lehren der Philosophen stehen, insbesondere für die Lehre des Übermenschen: „Also, gleich Feigen, fallen euch diese Lehren zu, meine Freunde: nun trinkt ihren Saft und ihr süsses Fleisch! Herbst ist es umher und reiner Himmel und Nachmittag“ (109). Der höchste Lehrsatz, der neue philosophische Perspektiven eröffnet und neue Werte begründet, reift langsam und fällt im rechten Augenblick von selbst, indem er den Gesetzgeber die Furcht vor den abgründigen Aussichten überwinden läßt, die dieser hinter ihm erblickt. Die Reife der Frucht fällt mit dem Augenblick der höchsten Fülle des Philosophen zusammen. Für das Thema der fortdauernden kathartischen Erneuerung von Natur und Geist durch die Zerstörung und mithin die erklärte Feindschaft gegenüber aller dogmatischen und institutionalisierten Erstarrung findet sich im Empedokles ein eindringliches Bild, das Nietzsche in einer zentralen Passage des Zarathustra wiederaufnimmt: „Pausanias / […] Und alles soll vergehen! / Empedokles / Vergehen? ist doch / Das Bleiben, gleich dem Strome den der Frost / Gefesselt. Thöricht Wesen! schläft und hält / Der heil’ge Lebensgeist denn irgendwo, / Daß Du ihn binden möchtest, du den Freien?“ (Hölderlin 1846, 190; 1. Fassung, Verse 1892–1894) Man beachte, wie Nietzsche sich daran ergötzt, das Bild von Fließen und Eis im achten Paragraphen des Kapitels Von alten und neuen Tafeln zu variieren: „‚Über dem Flusse ist Alles fest, alle die Werthe der Dinge, die Brücken, Begriffe, alles ‚Gut‘ und ‚Böse‘: das ist Alles fest!‘ Kommt gar der harte Winter, der FlussThierbändiger: dann lernen auch die Witzigsten Misstrauen; und, wahrlich, nicht nur die Tölpel sprechen dann: ‚Sollte nicht Alles – stille stehen?‘ ‚Im Grunde steht Alles stille‘ –, das ist eine rechte Winter-Lehre, […]: dagegen aber predigt der Thauwind! Der Thauwind, […] ein Zerstörer, der mit zornigen Hörnern Eis bricht! […] Oh meine Brüder, ist jetzt nicht Alles im Flusse?“ (252)

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Vivetta Vivarelli Der letzte Satz des Empedokles, die reife Frucht, die er seinem Volke schenkt, besagt eben diese fortdauernde Erneuerung durch den Tod, die durch das unaufhörliche Fließen von allem verbürgt wird: „was ihr geerbt, was ihr erworben, / Was euch der Väter Mund erzählt, gelehrt, / Gesetz’ und Brauch’, der alten Götter Namen, / Vergeßt es kühn“ (Hölderlin 1846, 180; 1. Fassung, Verse 1537–1540). In derselben Rede taucht auch das Motiv der rechten Zeit des Todes auf, die im Kontext der Sonnenmetapher bei Hölderlin wie bei Nietzsche mit dem Augenblick des Mittags zusammenfällt: „Euch ruf’ ich über das Gefild herein / Vom langsamen Gewölk, ihr heißen Strahlen / Des Mittags, ihr gereiftesten, daß ich / An euch den neuen Lebenstag erkenne“ (ebd., 198; 3. Fassung, Verse 1– 4). – „Dies ist mein Morgen, mein Tag hebt an: herauf nun, herauf, du grosser Mittag!“ (408) Und den „gereiftesten Mittagsstrahlen“ des Empedokles entspricht im Zarathustra ebenfalls die Verbindung des höchsten Sonnenstands mit der äußersten Reife des Lebens: „Dass ich einst bereit und reif sei im grossen Mittage“ (269). Die Hölderlinschen Bilder des Dionysischen und der Fülle setzt Nietzsche gegen jede Abwertung des Seienden und des christlich-Schopenhauerschen contemptus mundi ein, widersprechen sie doch im Kern dem Leidensbegriff, den Schopenhauer als Hauptargument gegen den Willen und das Leben selbst anführt.

12.9 Die Glocke der Mitternacht Das Nachtwandler-Lied, mit dem Also sprach Zarathustra schließt, erscheint in seiner lyrischen Schwebe zwischen Ironie und elegischem Gefühl als Nietzsches konsequenteste Aussage, fast könnte man sagen als sein antiromantisches und antischopenhauersches Vermächtnis. Hatte Schopenhauer am Faust, dem Inbegriff des Strebens, dessen langen Weg in die völlige Resignation (Schopenhauer, WWV I, § 68; 1988a/II, 465) hervorgehoben, so zieht für Nietzsche die Bejahung des Augenblicks, des „Ein Mal“ (402) – wie Faust im mephistophelischen Pakt –, unwiderruflich die Bejahung jeden Leidens und jeder Ewigkeit als äußerste Widerlegung einer Negation des Willens durch das Leiden nach sich. Mehr noch: Für Schopenhauer ist das Motiv

Umkehr und Wiederkehr des „Ein Mal“, des einmaligen Geschehens, das entscheidende Argument für die Unmöglichkeit, der Vergangenheit und der Geschichte eine wirkliche Bedeutung beizumessen. In seinen Ergänzungen wirft er der Geschichtsschreibung vor, sich nur für das Vergängliche zu interessieren, von dem zu reden, „was Ein Mal und dann auf immer nicht mehr ist“ (Schopenhauer, WWV II, Kap. 38; 1988a/III, 505). Demgegenüber läßt Nietzsche auf dem Augenblick das Gewicht einer ganzen Ewigkeit lasten, beinahe wie Faust (Verse 1698–1706), der bereit war, seine ganze Existenz auf dem Altar eines einzigen Augenblicks der Schönheit oder des Glücks zu opfern, wenn er ihn überhaupt hätte festhalten wollen. Durch die in der dionysischen Philosophie der Ewigen Wiederkehr des Gleichen festgeschriebene Verewigung und Wiederauferstehung jedes einzelnen Lebensaugenblicks überwindet Nietzsche endgültig jeden Versuch, das Akzidentelle und Ephemere im Namen des Unvergänglichen zu verleugnen. Aber die Glocke der tiefen Mitternacht legt Nietzsche einen weiteren Gedanken nahe, um die nächtlichen Verführungen der Romantik Schopenhauerscher oder Wagnerscher Prägung ein für allemal zu vertreiben: Mag die Nacht noch so tief und einladend sein – wie das kosmische Leiden, das Schopenhauers Philosophie beschwört und Wagners Musik umsetzt –, die vitale Affirmation und das Glück können viel tiefer sein. Man vermeint fast ein Echo auf das Lied an die Nacht zu vernehmen, das Philine im Wilhelm Meister anstimmt: „Mit wie leichtem Herzensregen / Horchet ihr der Glocke nicht, / die mit zwölf bedächt’gen Schlägen / Ruh und Sicherheit verspricht!“ Bei Nietzsche muß die romantische Mitternacht, die ihr Weh und ihre Lust „zurückkauende“ „trunkene Dichterin“ erkennen, daß „wenn schon Weh tief ist: Lust ist tiefer noch als Herzeleid“ (401). Auch Philines zugleich freudige und ironische Einladung zur Liebe klingt fast wie ein Gegengesang zu den traurigen romantischen Melodien. Der Gesang der Nachtigall nur „Gefangnen und Betrübten / […] wie Ach und Wehe klingt“, nicht jedoch den Verliebten: „Jeder Tag hat seine Plage / Und die Nacht hat ihre Lust“. Abschließend können wir festhalten, daß der Umstand, daß Nietzsche sich immer wieder, wenngleich aus diametral entgegengesetzter Perspektive, auf die zentralen Metaphern Scho-

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Vivetta Vivarelli penhauers bezieht, indirekt deren anhaltenden Einfluß und das Ausmaß der Faszination belegt, die von diesen frühen Lektüren ausging. Wenn in der Geburt der Tragödie das Dionysische tendenziell mit der „Freude an der Vernichtung des Individuums“ identifiziert wird, worin noch der unerschöpfliche und allmächtige Schopenhauersche Wille sich auszudrücken scheint, so geht Nietzsche in der Folge dazu über, das Dionysische immer dezidierter gegen Schopenhauer auszuspielen (N 1888, 24/1; 13, 628). Dem tragischen Gefühl ist Schmerz nicht wie bei Schopenhauer ein Quietiv des Willens, sondern im Gegenteil ein Stimulans des Lebens, das sich aus einem „überströmenden Lebensgefühl“ speist und das Leben bejaht. Die dionysische Philosophie, die im Willen zur Ewigen Wiederkehr gipfelt, stellt Nietzsches entschiedenste Absage an jegliche nihilistische oder spätromantische Versuchung dar. Autoren wie Hölderlin, Goethe und Emerson werden als Bundesgenossen in Anspruch genommen, um die Heiligkeit eines Lebens geltend zu machen, das als ganzes in seiner Tiefe und seinen Widersprüchen angenommen und nicht wie in den pessimistischen Philosophien abgewehrt und reduziert werden will. Ins Deutsche übertragen von Daniele Dell’ Agli

Literatur Emerson, Ralph Waldo 1858: Versuche (Essays), aus dem Engl. v. G. Fabricius, Hannover. Emerson, Ralph Waldo 1862: Die Führung des Lebens, aus dem Engl. v. E. S. v. Mühlberg, Leipzig. Heller, Peter 1972: „Von den ersten und letzten Dingen“. Studien und Kommentar zu einer Aphorismenreihe von Friedrich Nietzsche, Berlin/New York. Hölderlin, Friedrich 1846: Der Tod des Empedokles, in: Friedrich Hölderlin’s Sämmtliche Werke, hrsg. v. C. T. Schwab, Bd. 1, Stuttgart. Hölderlin, Friedrich 1928: Hyperion, in: ders., Sämtliche Werke. Historischkritische Ausgabe, Bd. 2, besorgt v. F. Seebass, Berlin. Schopenhauer, Arthur 1988a: Die Welt als Wille und Vorstellung (WWV ), Teil I/ II, in: ders., Sämtliche Werke, nach der 1., v. J. Frauenstädt besorgten Gesamtausgabe neu bearb. und hrsg. v. A. Hübscher, Bde. 2/3, Mannheim. Schopenhauer, Arthur 1988b: Parerga und Paralipomena (PP), Teil I/II, in: ders., Sämtliche Werke, nach der 1., v. J. Frauenstädt besorgten Gesamtausgabe neu bearb. und hrsg. v. A. Hübscher, Bde. 5/6, Mannheim.

„Wer ist Nietzsches Zarathustra?“

Ernst Behler

„Wer ist Nietzsches Zarathustra?“ Eine Auseinandersetzung mit Martin Heidegger

13.1 Das zentrale Postulat von Heideggers Nietzsche-Interpretation Neben den großen Nietzsche-Vorlesungen, die er von 1936 an in Freiburg gehalten und 1961 selbst in zwei Bänden veröffentlicht hat,1 ist Heidegger auch der Autor von zwei Essays über Nietzsche. Dabei handelt es sich um zwei sich symmetrisch zueinander verhaltende Texte: Nietzsches Wort „Gott ist tot“ (1950) und Wer ist Nietzsches Zarathustra? (1954). Sie verhalten sich deshalb symmetrisch zueinander, weil in ihnen die zwei Prinzipien herausgearbeitet sind, welche die beiden Pfeiler der Heideggerschen Nietzsche-Interpretation bilden: der „Wille zur Macht“ in dem ersten und die „ewige Wiederkehr des Gleichen“ in dem zweiten Aufsatz. Bekanntlich beziehen sich diese beiden Prinzipien auf die von Heidegger aufgestellte Forderung, diese zwei Gedanken so zusammenzudenken, daß sie wie zwei Aspekte ein und derselben Sache erscheinen. Er sagt darüber: „Wenn wir nun nicht denkerisch eine Frage entwickeln, die imstande ist, die Lehre von der ewigen Wiederkunft des Gleichen, die Lehre vom Willen zur Macht und diese

1 Heidegger sagt im „Vorwort“, daß die Vorlesungen von 1936 bis 1940 gehalten wurden und die sich anschließenden „Abhandlungen“ in den Jahren 1940 bis 1946 entstanden (Heidegger 1961/I, 9). Die Vorlesungstexte und Abhandlungen sind jetzt in der Gesamtausgabe von Heideggers Werken erschienen (Bde. 6.1 und 6.2, Frankfurt/M. 1996/97).

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Ernst Behler beiden Lehren in ihrem innersten Zusammenhang einheitlich als Umwertung zu begreifen, und wenn wir nicht dazu übergehen, diese Grundfragestellung zugleich als eine im Gang der abendländischen Metaphysik notwendige zu fassen, dann werden wir die Philosophie Nietzsches niemals fassen, und wir begreifen nichts vom 20. Jahrhundert und den künftigen Jahrhunderten, wir begreifen nichts von dem, was unsere metaphysische Aufgabe ist“ (Heidegger 1961/I, 25 f.). Nietzsche selbst hatte sich diese Aufgabe nicht so gestellt, aber für Heidegger bildet sie das zentrale Postulat jeder Nietzsche-Interpretation: „Wer den Gedanken der ewigen Wiederkehr nicht als das philosophisch eigentlich zu Denkende mit dem Willen zur Macht zusammendenkt, begreift auch nicht den metaphysischen Gehalt der Lehre vom Willen zur Macht hinreichend in seiner ganzen Tragweite“ (ebd., 29). Jeder andere Zugang zu Nietzsche wird verächtlich von ihm zurückgewiesen: „Dies alles hindert nicht, daß die heutige Nietzscheauslegung die Lehre von der ewigen Wiederkehr um ihre eigentliche philosophische Bedeutung bringt und so sich selbst von einem fruchtbaren Begreifen der Metaphysik Nietzsches endgültig ausschließt“ (ebd.). Obwohl die beiden Essays erst nach dem Ende des zweiten Weltkriegs publiziert wurden, reicht der in ihnen entwickelte Gedankengang in die Zeit der Freiburger Nietzsche-Vorlesungen zurück. Nietzsches Wort „Gott ist tot“ kann sogar als eine knappe und geschickte Zusammenfassung der Vorlesungen angesehen werden. Wie der in Anführungszeichen gesetzte Titel anzeigt, geht es hier um Heideggers Aufsatz Wer ist Nietzsches Zarathustra?, mit dem eine Auseinandersetzung versucht werden soll. Aber gleich vorweg muß betont werden, daß Heidegger sich hier viel enger an den Text Nietzsches hält, als das in seinen anderen Äußerungen über Nietzsche der Fall ist, ja daß sein Lesen teilweise sogar in einem „close-reading“ besteht. Damit hebt sich diese Schrift auf angenehme Weise von den anderen Texten Heideggers über Nietzsche ab. Sie unterscheidet sich auch dadurch von diesen, daß sie eine von Nietzsche selbst veröffentlichte Schrift, Also sprach Zarathustra, zum Gegenstand hat. Heideggers andere Veröffentlichungen über Nietzsche beruhen meist auf der im Nietzsche-Archiv hergestellten Kompilation Der Wille zur Macht.

„Wer ist Nietzsches Zarathustra?“ Dabei war sich Heidegger über den Textwert dieser Publikation völlig im klaren und bezeichnete sie auf herabsetzende Weise als „sogenanntes Hauptwerk“, das Nietzsches Gedankensystem nur in der Form des „Durcheinandermengens“ darstellt (ebd., 486), oder, wie in der hier untersuchten Schrift, als ein Buch, „das man aus dem Nachlaß zusammengestoppelt und unter dem Titel ,Der Wille zur Macht‘ veröffentlicht hat“ (Heidegger 1954, 120). Dies hinderte ihn freilich nicht, von dieser Kompilation ausgiebigen Gebrauch zu machen. Er rechtfertigte dies mit der schwer beweisbaren Annahme, daß die von Nietzsche selbst veröffentlichten Schriften bloßer Vordergrund wären oder eine Maske, hinter der er sich verstecke: „Die eigentliche Philosophie Nietzsches aber, die Grundstellung, aus der heraus er in diesen und in allen von ihm selbst veröffentlichten Schriften spricht, kommt nicht zur Gestaltung und nicht zur werkmäßigen Veröffentlichung, weder in dem Jahrzehnt zwischen 1879 und 1889, noch in den vorausliegenden Jahren. Was Nietzsche zeit seines Lebens veröffentlicht hat, ist immer Vordergrund. Dies gilt auch von der ersten Schrift ,Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik‘ (1872). Die eigentliche Philosophie bleibt als ,Nachlaß‘ zurück“ (Heidegger 1961/I, 17). Freilich ist die „eigentliche Philosophie“ Nietzsches auch im Nachlaß nicht in toto vorhanden, sondern in zahllose Gedankensplitter, in Fragmente, zerspalten (ebd., 16 f.). So bestand die interpretatorische Aufgabe, die Heidegger sich stellte, darin, daß wir diese Fragmente zusammendenken und auf ihre Grundstruktur, den „Willen zur Macht“, zurückführen. Jedoch war dies nur die halbe Aufgabe. Der weitergehende Schritt besteht darin, die Gedanken „Wille zur Macht“ und „ewige Wiederkehr des Gleichen“ so zusammenzudenken, daß sie Bestandteile ein und derselben Sache, nämlich des philosophischen Systems Nietzsches, werden: als Dasein und Sosein, als existentia und essentia, als Phainomenon und Noumenon, als Seiendes und Sein („Sein des Seienden“) (ebd./II, 13 f.). Hier gebe man sich aber keinen Illusionen hin. Die Edition von Nietzsches Schriften, wie Heidegger sie sich wünschte, konnte keine „historischkritische Gesamtausgabe“ sein, „die alles und jedes Auffindbare bringt und vom Grundsatz der Vollständigkeit geleitet ist“. Denn diese Art von Edition „gehört in die Reihe der Unternehmungen des 19. Jahrhunderts“. Ebensowenig konnte diese Edi-

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Ernst Behler tion „in der Art der biographisch-psychologischen Erläuterung und des gleichfalls vollständigen Aufspürens aller ,Daten‘ über das ,Leben‘ Nietzsches und die Meinungen seiner Zeitgenossen dazu“ verfahren. Denn das ist die „Ausgeburt der psychologischbiologischen Sucht unserer Zeit“ (ebd./I, 18). Heideggers Editionsvorstellung bestand im Vergleich mit dem vorliegenden Text Der Wille zur Macht darin, diesen zu straffen, ihn strikt nach den Systemgedanken Nietzsches („Wille zur Macht“ und „ewige Wiederkehr des Gleichen“) anzuordnen.2 Seine Aversion gegen das Prinzip der „Vollständigkeit“ rührte offensichtlich daher, daß mit all diesen Vordergrundtexten nur störende Elemente in seine Nietzsche-Interpretation hineingetragen würden. Auf diese Weise wird Nietzsche in den Rang der größten europäischen Metaphysiker erhoben, ja, er wird mit Platon als Gegenpol als einer der beiden größten Philosophen des Abendlandes verstanden. Nietzsche hat die himmlische Idee Platons ’ ′ (το′ αγαθον) in einen Trieb hier auf Erden (Wille zur Macht) umgebogen und damit eine völlige Kehrtwendung der Metaphysik, eine „Umdrehung“, eine „Umkehrung“, aber kein „Herauswinden“, kein „Herausdrehen“ aus der Metaphysik vollzogen (ebd., 242). Mit dem Willen zur Macht als Grundprinzip blieb er in den ungebrochenen Bahnen der abendländischen Metaphysik stecken. Mit dieser Lehre wurde zwar das Ende der Metaphysik, ihre Bestimmung, erreicht, da nun alle ihre Möglichkeiten ausgeschöpft waren (ebd./II, 201) und der Nihilismus vor der Tür steht. Aber Nietzsche wurde damit in die „Seinsvergessenheit“ als ihr letzter metaphysischer Repräsentant eingestuft. Er wurde dazu verurteilt, das in der Metaphysik geltende Schema einer Interpretation des Seins vom Seienden her wiederholt zu haben, wobei ihm natürlich der Ausstieg aus der Metaphysik, den er erstrebte, nicht gelingen konnte. Damit rückt die Bedeutung, die Nietzsches Zarathustra für Heidegger besaß, erneut in den Gesichtskreis. Sein diesbezüglicher Essay wird zur streng philosophischen Interpretation eines dichterischen Textes, – einer Aufgabe, der Heidegger nie ausgewichen ist und die sich auch in seinen Interpretationen Hölder2 Heidegger sagt dazu, daß diese Ausgabe „nur in der Bereitstellung des eigentlichen ,Werkes‘ (1881–89)“ bestehen und nur dann „zukünftig“ sein könne, wenn „ihr diese Aufgabe gelingt“ (ebd., 18).

„Wer ist Nietzsches Zarathustra?“ lins, Rilkes, Conrad Ferdinand Meyers und vieler anderer Dichter zeigt. Ja, wenn man Heideggers Aufsatz in seine Gedankengänge aus der Nazi-Zeit versetzt, wohin er ja trotz des späteren Datums gehört, ist er eine der ersten philosophischen Interpretationen Nietzsches, die erst um 1930 einsetzen. In den vorhergehenden Jahrzehnten war die Nietzsche-Rezeption hauptsächlich literarischer, musikalischer und allgemein ästhetischer Natur gewesen (Ausnahmen bilden Simmel 1907; Dilthey 1921, z. B. 528 f., und Scheler 1955). Die philosophische Rezeption Nietzsches setzte um 1930 sogar mit großer Macht ein. Im Jahre 1931 erschien Alfred Baeumlers Buch Nietzsche der Philosoph und Politiker, in dem Nietzsche auf den Willen zur Macht reduziert wird; 1935 die erste Ausgabe von Karl Löwiths Nietzsches Philosophie der ewigen Wiederkehr des Gleichen, in der Nietzsche als Philosoph an das Prinzip der ewigen Wiederkehr gebunden wird; 1936 das große Buch von Karl Jaspers Nietzsche. Einführung in das Verständnis seines Philosophierens; und seit 1936 hielt Heidegger seine großen Vorlesungen über Nietzsche. Für Baeumler waren Wille zur Macht und ewige Wiederkehr des Gleichen unvereinbar gewesen (Baeumler 1931, 80), und so entschied er sich für den Willen zur Macht als das tragende Prinzip der Philosophie Nietzsches, wofür er von Heidegger gerügt wurde (Heidegger 1961/I, 29 f.). Löwith trat mit derselben Exklusivität für die ewige Wiederkehr des Gleichen ein, ohne aber von Heidegger überhaupt erwähnt zu werden. Jaspers schließlich erblickte in der unendlichen Reflexion das Grundmotiv von Nietzsches Denken, das aber, weil es kein greifbares Resultat zeitigt, von Heidegger als philosophisch unbedeutend ignoriert wurde (ebd., 31 f.). So blieben für Heidegger nur Baeumler und Löwith als philosophische Interpreten übrig. Ohne reduktionistisch zu sein, kann man sagen, daß Heideggers Auslegung Nietzsches vom Willen zur Macht und der ewigen Wiederkehr des Gleichen her als Synthese von Baeumler und Löwith angesehen werden kann, wobei er natürlich bei der Ausführung dieser Gedanken völlig eigenständig verfährt und keine Anleihen bei anderen nötig hat. Hier zeigt sich wiederum das Interesse und die philosophische Bedeutung, die dem Essay Wer ist Nietzsches Zarathustra? zuerkannt werden muß: Ein dichterischer Text, den Nietzsche selbst als seinen besten ansah, wird von einem Philosophen vom Range Heideggers ausgelegt. Aber man muß ebenfalls sagen:

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Ernst Behler eine Auslegung, mit der Heidegger der gesamten bisherigen Tradition der Nietzsche-Interpretation entgegentrat. Um dies zu verdeutlichen, soll zunächst die Aufnahme von Also sprach Zarathustra und der damit verbundenen Theorie einer ewigen Wiederkehr des Gleichen an den Hauptrepräsentanten dieser Rezeption vorgeführt werden.

13.2 Die Wiederkunftslehre als Bejahung des Lebens Dabei kann es sich aber nur um eine sehr gestraffte Auswahl handeln, die aus der unübersehbaren Vielheit von Reaktionen auf Nietzsches Zarathustra einige als charakteristisch erscheinende Beispiele herausgreift. Niemand würde bei einem solchen Versuch auf das Buch Friedrich Nietzsche in seinen Werken von Lou Andreas-Salomé aus dem Jahre 1894 verzichten können, mit dem uns die erste zusammenhängende Darstellung von Nietzsches Schriften begegnet, die auch gleichzeitig die Persönlichkeit Nietzsches einzufangen sucht und so eine interessante Zwischenstellung zwischen Werkanalyse und Biographie einnimmt. Damals war es bereits üblich geworden, Nietzsches geistige Entwicklung in drei Phasen zu zerlegen,3 womit sich der Zweck verband, die letzten Schriften wegen ihrer Maßlosigkeit und Radikalität ausklammern zu können. Das drei Jahre später erschienene Buch Der Nietzsche-Kultus des Soziologen Ferdinand Tönnies ist ein gutes Beispiel dafür. Aus dem für Nietzsche kennzeichnenden Antagonismus von Kunst und Wissenschaft und dem damit verbundenen Versuch einer Vereinigung dieser beiden Pole (Tönnies 1897, 25) ergab sich für Tönnies die Gliederung von Nietzsches Philosophieren in drei Phasen. Während in der ersten Periode der Künstler und in der zweiten der Wissenschaftler den Vorrang haben, tritt in der dritten der „atemlose, stürmende, rasende, heulende und ganz besinnungslose Zarathustra“ auf, vor dem Tönnies, der ursprünglich selber ein Anhänger Nietzsches war, die Jugend warnen wollte (ebd., 61). Das Scheitern von Nietzsches Versuch, 3 Zum erstenmal in der Sonntags-Beilage der Vossischen Zeitung Nr. 2, 3 und 4 (1891).

„Wer ist Nietzsches Zarathustra?“ Kunst und Wissenschaft zu vereinen, ist nach Tönnies der Grund dafür, daß dieser in der dritten Phase „das häßliche Bild verzerrter Mienen, oft die Attitüde des Trunkenen, Überspannten, Verzweifelnden, des Dekadenten“ von sich gibt, daß er sich mit einem „Hexensabbat von Gedanken, Ex- und Deklamationen, von Wutausbrüchen und widerspruchsvollen Behauptungen“ äußert, obgleich sich in diesen Schriften auch noch „viele leuchtende und blendende Geisteswitze“ finden (ebd., VI, III). Lou Salomé teilte diese Aversion gegen Nietzsches spätere Schriften nicht, aber sie sah in ihnen ebenfalls Texte, die auf das Exzessive, Überschwengliche hin tendierten und ihr Furcht und Achtung einflößten. Nietzsches Denken findet in immer allgemeineren, aber auch in immer radikaleren Forderungen Ausdruck – Übermensch, ewige Wiederkehr des Gleichen, Umwertung aller Werte. Seine Gedankenentwicklung schlägt eine selbstvernichtende Richtung ein, für die der Wahnsinn das natürliche Ergebnis war. Diese enge Nachbarschaft von Nietzsches Denken und dem Wahnsinn drückte Lou Salomé auch dadurch aus, daß sie ihrem Buch zwei Photographien Nietzsches aus der Zeit der „letzten zehn Leidensjahre“ beifügte, wobei sie der Meinung war, daß „dies die Zeit gewesen, in welcher seine Physiognomie, sein ganzes Äußere, am charakteristischsten ausgeprägt erschien“ (Andreas-Salomé 1983, 37).4 Damit war das Buch natürlich in Weimar verfemt. In der ein Jahr danach erschienenen Biographie Nietzsches von seiner Schwester Elisabeth Förster-Nietzsche wird deshalb der Versuch unternommen, den sie ebenfalls in der Zeitschrift Die Zukunft von Maximillian Harden ausführte, Nietzsche als einen völlig gesunden, kraftstrotzenden Mann zu schildern, dessen beklagenswerter Zustand durch immense Denkarbeit, bei schlechter Diät und falschen Medikamenten herbeigeführt wurde.5 Ein anderer subtiler Zug in Lou Salomés Nietzschebuch besteht darin, die Wichtigkeit der „Maske“ nicht nur für die philosophischen Schriften Nietzsches, sondern auch für seine

4 Es erscheint unbegreiflich, warum in der hier zitierten Neuausgabe (Frankfurt/ M. 1983) diese beiden Porträts ausgelassen und durch ein weithin bekanntes Bild aus der „gesunden“ Zeit ersetzt wurden. 5 Die Zukunft 21 (1897), 11–24; 30 (1900), 9 –27; 31 (1900), 110 –119, 279–280, 314 –316, 407– 409.

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Ernst Behler eigene Persönlichkeit erkannt zu haben. Sie gibt dafür ein Zitat aus Nietzsches Schriften: „Bei Allem, was ein Mensch sichtbar werden lässt, kann man fragen: was soll es verbergen? Wovon soll es den Blick ablenken? Welches Vorurtheil soll es erregen? Und dann noch: bis wie weit geht die Feinheit dieser Verstellung? Und worin vergreift er sich dabei?“ (M 523; 3, 301; Herv. E. B.) Eng verbunden damit ist Lou Salomés Überzeugung von dem tief religiösen Charakter von Nietzsches Schriften, ja von seiner Begabung als „religiöses Genie“ (Andreas-Salomé 1983, 61). Die Ausführungen Lou Salomés über Nietzsches Zarathustra sind schon deshalb von Interesse, weil sie an der Grundkonzeption dieses Werks selbst mit beteiligt gewesen war. Das bezieht sich auf ihr Gedicht Lebensgebet, ein Selbstgespräch, in dem das personifizierte Leben wie ein Freund angesprochen und ihm Dank gesagt wird für alles, was von ihm gegeben wurde, Glück und Schmerz, Freude und Leiden. Das Gedicht ist in einem gemessenen Stil verfaßt und schließt mit der Bitte an das Leben, nichts zurückzuhalten und alles zu geben: „Hast Du kein Glück mehr mir zu schenken – / wohlan – noch hast Du Deine Pein“ (ebd., 302). Lou Salomé übergab Nietzsche dies Gedicht wahrscheinlich am 5. Mai 1882, als die beiden am Ortasee bei Stresa den Monte Sacro bestiegen. Nietzsche war zu dieser Zeit mit dem Abschluß von Die fröhliche Wissenschaft und der Konzeption von Also sprach Zarathustra beschäftigt, und es ist nicht überraschend, daß Lou Salomés Gedicht zu diesem Zeitpunkt einen tiefen Eindruck auf ihn ausübte. Das zeigt sich unter anderem auch darin, daß er den Text vertonte und die Partitur zwei Jahre später unter dem Titel Hymnus auf das Leben veröffentlichen ließ. Nietzsche sagt selbst darüber gleich zu Anfang des Kapitels, das die Entstehung von Also sprach Zarathustra in Ecce homo beschreibt: „Insgleichen gehört in diese Zwischenzeit jener Hymnus auf das Leben (für gemischten Chor und Orchester), dessen Partitur vor zwei Jahren bei E. W. Fritzsch in Leipzig erschienen ist: ein vielleicht nicht unbedeutendes Symptom für den Zustand dieses Jahres, wo das jasagende Pathos par excellence, von mir das tragische Pathos genannt, im höchsten Grade mir innewohnte. Man wird ihn später einmal zu meinem Gedächtniss singen. – Der Text, ausdrücklich bemerkt, weil ein Missverständniss darüber im Umlauf ist, ist nicht von mir: er ist die erstaunliche Inspiration einer jungen Russin, mit der ich

„Wer ist Nietzsches Zarathustra?“ damals befreundet war, des Fräulein Lou von Salomé. Wer den letzten Worten des Gedichts überhaupt einen Sinn zu entnehmen weiss, wird errathen, warum ich es vorzog und bewunderte: sie haben Grösse. Der Schmerz gilt nicht als Einwand gegen das Leben: ,Hast du kein Glück mehr übrig mir zu geben, wohlan! noch hast du deine Pein …‘ Vielleicht hat auch meine Musik an dieser Stelle Grösse. (Letzte Note der Oboe [Klarinette] cis nicht c. Druckfehler.)“ (EH, Zarathustra 1; 6, 336). In ihrem Buch über Nietzsche bezeichnet Lou Salomé die „Lehre von der ewigen Wiederkunft der Dinge“ als „seine lebensfreudigste Lehre“ (Andreas-Salomé 1983, 252), die „sowohl das Fundament wie auch die Krönung“ in seinem „Gedankengebäude“ ist (ebd., 253). Sie hatte auch eine intime Kenntnis davon, wie Nietzsche selbst zu diesem Gedanken stand, und berichtet darüber: „Unvergeßlich sind mir die Stunden, in denen er ihn mir zuerst, als ein Geheimnis, als Etwas, vor dessen Bewahrheitung und Bestätigung ihm unsagbar graue, anvertraut hat: nur mit leiser Stimme und mit allen Zeichen des tiefsten Entsetzens sprach er davon“ (ebd., 255). Im Vergleich mit seiner „eigenen qualvollen Lebensempfindung“ mutete sie die „Quintessenz der Wiederkunftslehre, die strahlende Lebensapotheose“, wie eine „unheimliche Maske“ an, die einen „furchtbaren Widerspruch“ zum Ausdruck brachte: „Verkündiger einer Lehre zu werden, die nur in dem Maße erträglich ist, als die Liebe zum Leben überwiegt, die nur da erhebend zu wirken vermag, wo der Gedanke des Menschen sich bis zur Vergötterung des Lebens aufschwingt, das mußte in Wahrheit einen furchtbaren Widerspruch zu seinem innersten Empfinden bilden – einen Widerspruch, der ihn endlich zermalmt hat“ (ebd.). Zuerst sollte diese Lehre „wissenschaftlich erwiesene Wahrheit“ werden, aber sie nahm dann den „Charakter einer mystischen Offenbarung“ an, und anstatt der „wissenschaftlichen Basis“ ergab sich als „endgültige Grundlage“ für Nietzsches Philosophie die „innere Eingebung – seine eigene persönliche Eingebung“ (ebd., 257 f.). Aus diesem Grunde ist auch der „theoretische Umriß des Wiederkunfts-Gedankens eigentlich niemals mit klaren Strichen gezeichnet“, sondern bleibt „blaß und undeutlich“ und tritt „hinter den praktischen Folgerungen, den ethischen und religiösen Konsequenzen“ zurück, die Nietzsche aus dieser Lehre ableitete (ebd., 259). So wird die Wieder-

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Ernst Behler kunftslehre „die neue Erlösungsphilosophie Nietzsches“ (ebd., 260), das „einzige heilige Moralgesetz des neuen Gesetzgebers“, die „bis zum Rausch entfesselte Lebens-Exaltation“, welche die Stelle der „religiösen Erhebung, ja des Gottes-Cultus“ einnimmt (ebd., 262). Von hier aus betrachtet, erschien es Lou Salomé auch völlig konsequent, „daß Nietzsche diese seine fundamentalste und zugleich mystischste Lehre sozusagen nicht in seinem eigenen Namen vorträgt, sondern in dem seines Zarathustra: nicht der Denker und Mensch soll sie vortragen, sondern Der, dem Gewalt verliehen ist, sie in beseligende Erlösung umzusetzen“ (ebd., 265). Dies erklärt auch die „Gebärde des Schreckens“, die sich mit dieser Lehre verbindet. Sie verweist auf die Stelle in Zur Genealogie der Moral, in der Nietzsche auf emphatische Weise von der Erlösung der Wirklichkeit vom Fluch des Christentums, der „grossen Gesundheit“ spricht und sich dann plötzlich mit dem Ausruf unterbricht: „– Aber was rede ich da? Genug! Genug! An dieser Stelle geziemt mir nur Eins, zu schweigen: ich vergriffe mich sonst an dem, was einem Jüngeren allein freisteht, einem ,Zukünftigeren‘, einem Stärkeren, als ich bin, – was allein Zarathustra freisteht, Zarathustra dem Gottlosen …“ (GM 25; 5, 337).

13.3 Zarathustra – der Prophet des Atheismus In einem für die Nietzscheforschung grundlegenden Aufsatz von 1921, Nietzsche und Luther, hat Emanuel Hirsch auf das Nietzsche-Buch von Lou Salomé Bezug genommen und sein Verdienst darin erblickt, „Nietzsches Werk als Versuch einer religiösen Neuschöpfung von atheistischen Voraussetzungen her“ begriffen zu haben (Hirsch 1986, 410). Er verweist auf die vielen kleinen Stellen, in denen die Verfasserin auch einen persönlichen Bezug zwischen Nietzsche und Zarathustra erblickt hat, wie z. B. den Traum in dem Kapitel Der Wahrsager (173 f.), dem ein Traum Nietzsches aus dem Leipziger Herbst 1882 zugrunde liegt; oder die Stelle in Von den Gelehrten (160 –162), die Zarathustra als einen ehemaligen Philologen erweist; oder das Kapitel Auf dem Oelberge (218–221), dem ein Tag aus dem Leben Nietzsches im winterlichen Nizza bei ungeheizten Zim-

„Wer ist Nietzsches Zarathustra?“ mern zugrunde liegt; oder den Stimmungswandel Zarathustras bei Annäherung an eine Kuhherde im Kapitel Der freiwillige Bettler (333–337), der nach Nietzsches Zeugnis in Ecce homo eine persönliche Erfahrung aus dem Sommer 1884 in Sils Maria widerspiegelt (EH, Zarathustra 5; 6, 342). Auf der anderen Seite hatte Lou Salomé streng zwischen Nietzsche und Zarathustra unterschieden. Was die „Verkündigung einer neuen atheistischen Religion“ anbetrifft, so versteht Hirsch diese zunächst vom Alten Testament her, womit der „prophetisch-religiöse Charakter Zarathustras“ stärker hervortritt und dieser als „eine ganz prophetische Gestalt“ erscheint (Hirsch 1986, 410). Das Kapitel Die stillste Stunde aus dem zweiten Teil des Zarathustra (187–190) ist „eine bewußte Nachbildung der alttestamentlichen Berufungsvisionen“ von Moses, Elias, Jesaja und ebenfalls Johannes dem Täufer. Auch in den zahlreichen Nachbildungen des Evangeliums tritt nach Hirsch „der prophetisch-religiöse Charakter Zarathustras hervor“. Das Kapitel Der Genesende aus dem dritten Teil (270–277) ist für Hirsch eine „Doublette zum Petrusbekenntnis“ (Matth. 16). In diesem Sinne, d. h. auf prophetische Weise, hat Nietzsche nach Hirsch „Zarathustra als Propheten des Atheismus“ gestaltet, was schon deshalb signifikant ist, „weil Zarathustra ein verstecktes Selbstporträt ist“ und „den verklärten Nietzsche bedeutet“ (ebd.).6 Damit erfolgt die Abhebung des Prophetentums Zarathustras vom Prophetentum der Bibel und des Evangeliums, die Hirsch mit scharfen Strichen vollzieht. Er geht dabei von Jes. 55, 10 aus, wo sich eine Antwort auf die Frage findet, ob denn die Botschaft des Propheten „je wahrhaft gehört und empfangen werden würde“ – eine Frage, die sich noch jeder Verkünder gestellt hat. In der Bibel lautet die Antwort darauf: „Denn so wie Regen und Schnee niederfallen vom Himmel und nicht zurückkehren dahin, bis sie die Erde getränkt und befruchtet und zum Sprossen gebracht, um Samen zu geben dem Säenden, und Brot dem, der ißt: So ists auch mit meinem Wort, das aus meinem Munde hervorgeht: Es kehrt nicht erfolglos zu mir zurück, bis es vollbracht, was ich wollte, und erfüllt, wozu ich es sandte.“ In dem Kapitel Die stillste Stunde aus Nietzsches Zarathustra lautet die Abwandlung dieser Stelle: „Und ich antwortete: ,Noch ver6 In dem von Lou Salomé angegebenen Sinne: GM 2, 25; 5, 337.

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Ernst Behler setzte mein Wort keine Berge, und was ich redete, erreichte die Menschen nicht. Ich gieng wohl zu den Menschen, aber noch langte ich nicht bei ihnen an.‘ Da sprach es wieder ohne Stimme zu mir: ,Was weisst du davon! Der Thau fällt auf das Gras, wenn die Nacht am verschwiegensten ist.‘“ (188) Nach Hirsch zeigt sich hier der eigentliche Unterschied zwischen Zarathustra und dem Propheten der biblischen Tradition. Auch Paulus nennt sich einen „Knecht Gottes, dem das Evangelium Gottes zu reden befohlen ist“, wogegen Zarathustra-Nietzsche „keinen Höheren über sich“ haben will und das Wort „aus seinem Eigenen“ nimmt (Hirsch 1986, 413). Darin liegt auch der große Unterschied „zu der Gesinnung Jesu“. Dieser sagt von sich: „Meine Speise ist es, den Willen dessen zu tun, der mich gesandt hat, und sein Werk zu vollenden“ ( Joh. 4, 34), oder: „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Der Sohn kann nichts aus sich selbst tun, sondern nur, was er den Vater vollbringen sieht“ ( Joh. 5, 19). Demgegenüber ist Zarathustra ein „Herr“, ein „weltregierender Geist“, „der Wahrheiten und Werte schafft und damit Schöpfer und Befehler im allerhöchsten Sinne ist, Gesetzgeber der künftigen Gesetzgeber der Völker, ,caesarischer Züchter und Gewaltmensch‘“ (Hirsch 1986, 413). Hirsch weist auch darauf hin, daß in „Zarathustras Berufungsvision, der ,stillsten Stunden‘“, die „Verse, die vom Befehlen und Herrschen reden, fast als fremdartig in ihrer halbbiblischen Umbildung“ wirken: „So stößt hier hart auf hart das Neue an Nietzsches prophetischem Ideal mit dem Alten zusammen“ (ebd.). Mit Thomas Mann tut sich eine ganz andere Sehweise von Nietzsches Zarathustra auf, eine ästhetisch künstlerische, die sich auch auf den maßlosen Anspruch bezieht, den Nietzsche in bezug auf dieses Werk hegte. Strikt chronologisch eingeordnet müßte Mann lange vor Hirsch zu Wort gekommen sein, da die produktiven Jahre seiner Beschäftigung mit Nietzsche in die Zeit vor und nach dem Ersten Weltkrieg fallen und der Höhepunkt in der Schrift Betrachtungen eines Unpolitischen (1918) zum Ausdruck kommt. Die hier herangezogene Schrift Die Philosophie Nietzsches im Lichte unserer Erfahrung wurde 1947 als Vortrag vor dem Pen-Club in Zürich vorgetragen und spiegelt die Erfahrungen wider, die Mann während des Zweiten Weltkrieges mit Nietzsche gemacht hatte, ohne daß sich aber sein Zarathustra-Bild in diesem Text gewandelt hätte. Dies ist näm-

„Wer ist Nietzsches Zarathustra?“ lich durchgehend negativ. Nietzsches Verhältnis „zu dem Zarathustra-Werk“ ist für Mann „dasjenige blinder Überschätzung“. Nietzsche war für Mann „vor allem ein großer Kritiker und Kultur-Philosoph, ein aus der Schule Schopenhauers kommender europäischer Prosaist und Essayist obersten Ranges, dessen Genie zur Zeit von ,Jenseits von Gut und Böse‘ und der ,Genealogie der Moral‘ auf seinen Scheitelpunkt kam“ (Mann 1976, 340). Gegenüber diesen Schriften fällt Also sprach Zarathustra aber bis zur Lächerlichkeit herab. Mann sagt: „Dieser gesichtund gestaltlose Unhold und Flügelmann Zarathustra mit der Rosenkrone des Lachens auf dem unkenntlichen Haupt, seinem ,Werdet hart!‘ und seinen Tänzerbeinen ist keine Schöpfung, er ist Rhetorik, erregter Wortwitz, gequälte Stimme und zweifelhafte Prophetie, ein Schemen von hilfloser Grandezza, oft rührend und allermeist peinlich – eine an der Grenze des Lächerlichen schwankende Unfigur“ (ebd.).

13.4 Wille zur Macht versus ewige Wiederkehr des Gleichen? Alfred Baeumler, der im Prinzip des Willens zur Macht Nietzsches zentralen Systemgedanken erblickte, hatte Schwierigkeiten, einen Zugang zu Also sprach Zarathustra zu finden, obgleich er sich auch über den philosophischen Charakter der dort vertretenen Lehren im klaren war. In seinem Nachwort zur Ausgabe dieses Textes im Alfred-Kröner-Verlag sagt er: „Man kann sagen, daß Nietzsches ganze Philosophie im ,Zarathustra‘ steckt, nur ist sie nicht leicht darin zu erkennen.“ Nach Baeumler sind es „vor allem zwei Begriffe, die wesentlich zu Zarathustra gehören: ewige Wiederkehr und Übermensch“ (Baeumler 1964, 369 f.). Während er beim „Zusammendenken“ dieser beiden Begriffe keine Schwierigkeiten empfand, erschien ihm die Verbindung von Wille zur Macht und ewiger Wiederkehr des Gleichen eine Unmöglichkeit, eine contradictio in adjecto, zu sein. Zwar gibt es im Nachlaß verschiedene Stellen, an denen Nietzsche selbst eine solche Gedankenverbindung anzubieten scheint. Die deutlichste unter ihnen, die von Baeumler auch zitiert wird, ist das Fragment 617 aus Der Wille zur Macht: „Dem Werden den Charakter des Seins aufzuprägen – das ist der

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Ernst Behler höchste Wille zur Macht. […] Daß Alles wiederkehrt, ist die extremste Annäherung einer Welt des Werdens an die des Seins: Gipfel der Betrachtung“ (N 1886/87, 7/54; 12, 312). Hier scheint der Gedanke der ewigen Wiederkunft mit dem des Willens zur Macht tatsächlich verbunden zu sein. Aber das ist nach Baeumler eine Täuschung. Er sagt: „[D]er Gedanke der ewigen Wiederkunft scheint dazu da, um das System aufzuheben. Indem der Begriff der ewigen Wiederkunft erscheint, verschwindet der heraklitische Charakter der Welt.“ Wir stehen hier offensichtlich vor einem „Widerspruch“, bei dem „nur eins gelten“ kann: „entweder die Lehre von der ewigen Wiederkunft oder die Lehre des Willens zur Macht“ (Baeumler 1931, 79). In Wirklichkeit ist der Gedanke der ewigen Wiederkunft von „Nietzsches System aus gesehen“ auch „ohne Belang“: „Wir haben ihn als Ausdruck eines höchst persönlichen Erlebnisses zu betrachten.“ Mit dem „Grundgedanken des ,Willens zur Macht‘“ steht er jedenfalls „in keinem Zusammenhang“, und er würde sogar, „ernst genommen, den Zusammenhang der Philosophie des Willens zur Macht sprengen“ (ebd., 80). Die ewige Wiederkehr des Gleichen ist eine „religionsstiftermäßige“ Angelegenheit, und die „Einführung des Zarathustra-Gedankens in das spätere System“ erfolgte wahrscheinlich nur, „weil der Ruf Zarathustras ungehört verhallte“: „Eine sachliche Einführung des Wiederkunftsgedankens in das System ist nicht möglich: jener Gedanke ist eine religiöse Konzeption, dieses dagegen ist ein streng philosophischer Gedankenzusammenhang“ (ebd., 81). Der „religiöse Grundcharakter des Wiederkunftsgedankens“ lag für Baeumler auf der Hand, und mit ihm erfolgte eine „Ägyptisierung der heraklitischen Welt“. Letztlich gibt es gar „keine Philosophie der ewigen Wiederkunft“, sondern nur „eine Religion der ewigen Wiederkunft“: „Als Nietzsche der Eingebung von Surlei7 nachgab, ist er für einen Augenblick dem gottbildenden Instinkt in sich unterlegen“ (ebd., 82).

7 Surlei, ein von einem mächtigen Felsen gekrönter Ort am See von Silvaplana, ist die Stelle, an der Nietzsche die Vision der ewigen Wiederkehr des Gleichen überkam: „Ich erzähle nunmehr die Geschichte des Zarathustra. Die Grundconception des Werks, der Ewige-Wiederkunfts-gedanke, diese höchste Formel der Bejahung, die überhaupt erreicht werden kann –, gehört in den August des Jahres 1881: er ist auf ein Blatt hingeworfen, mit der Unterschrift: ,6000 Fuss jenseits

„Wer ist Nietzsches Zarathustra?“ Karl Löwith hebt dagegen den philosophischen Charakter der Wiederkunftslehre hervor und überschreibt sein Buch zu diesem Thema eigens Nietzsches Philosophie der ewigen Wiederkehr des Gleichen8. Es war seine bewußte Absicht, sich auf den Philosophen Nietzsche zu konzentrieren, im Gegensatz zu all denen, die über Nietzsche und einen anderen Gegenstand geschrieben hatten, wie über die Romantik (Karl Joël), seine „psychologischen Errungenschaften“ (Ludwig Klages), Schopenhauer (Georg Simmel) oder die Politik (Alfred Baeumler). Wie Heidegger nahm Löwith an, daß es die Aufgabe eines Philosophen sei, einen zentralen Gedanken als das Organisationsprinzip seiner Philosophie hervorzubringen. Ihm schien dies Strukturprinzip mit der Lehre von der ewigen Wiederkehr des Gleichen gegeben zu sein, die Nietzsche von einem bloßen Zeitkritiker und aphoristischen Schriftsteller zu einem wirklichen Philosophen erhob. Als Löwith sein Buch nach dem Zweiten Weltkrieg neu herausgab, fügte er einen Abschnitt Zur Geschichte der NietzscheDeutung (1894 –1954) hinzu, in dem er auch auf Heideggers Nietzschedeutung einging, die ihm bei der Fertigstellung der ersten Auflage (1935) noch unbekannt war. In bezug auf Heideggers Interpretation der Wiederkunftslehre, vor allem in dem Aufsatz Wer ist Nietzsches Zarathustra?, fragte er sich, „ob Nietzsches Lehre Heidegger so zu Gesicht kommt, wie Nietzsche sie selber gesehen hat, nämlich als Urgesetz alles lebendigen Seins“ (Löwith 1956, 222). Heideggers Nietzsche-Interpretation, die nach dem Modell der Seinsgeschichte verfährt und seine Prinzipien als Ausdruck einer bestimmten Epoche der Metaphysik ansieht, als Ausdruck eines „historischen Menschentums“, schien die Lehre der ewigen Wiederkehr zu sehr auf eine bestimmte Zeit zu beschränken, während Löwith sie als Urgesetz allen Seins verstanden haben wollte. Gegen Ende des Aufsatzes Wer ist Nietzsches Zarathustra? hatte Heidegger den Wieder-

von Mensch und Zeit‘. Ich gieng an jenem Tage am See von Silvaplana durch die Wälder; bei einem mächtigen pyramidal aufgethürmten Block unweit Surlei machte ich Halt. Da kam mir dieser Gedanke“ (EH, Zarathustra 1; 6, 335). 8 Stuttgart 1956. Dies ist die zweite Auflage. Die erste Auflage erschien 1935 im Verlag Die Runde, dessen Besitzer G. Bahlsen war. Es handelte sich wegen der politischen Gefahr, die damit verbunden war, um eine sehr kleine Auflage.

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Ernst Behler kunftsgedanken sogar mit der modernen Technologie in Verbindung gebracht und „rotierende Kraftmaschinen“ als eine „Ausformung der ewigen Wiederkehr des Gleichen“ angeführt (Heidegger 1954, 126). Löwith sah dagegen in dieser Lehre den Versuch, „den exzentrisch gewordenen Menschen in den ewigen ,Grundtext der Natur‘ zurückzuübersetzen“ (Löwith 1956, 223). Gegen Ende seines Überblicks Zur Geschichte der NietzscheDeutung (1894 –1954) sagt er: „Hätte Nietzsche nur das bedacht, was ,jetzt‘, im Zeitalter des Willens zur Macht und der kommenden Erdregierung, offenbar an der Zeit ist, so wäre er ein unzeitgemäßer Kritiker seiner Zeit geblieben. Erst dadurch, daß er sich von der Krankheit der Zeit befreite, ist er zu einem ,Genesenden‘ geworden, der als ein letzter Liebhaber der Weisheit um das Immerseiende wußte, das immer wiederkehrt, weil es sich in allem Wechsel und Wandel des Seienden gleichbleibt“ (ebd., 225). Die erste Auflage von Löwiths Nietzsches Philosophie der ewigen Wiederkehr des Gleichen erschien 1935, fünfunddreißig Jahre nach Nietzsches Tod. Im Jahre 1960 ergab sich für Löwith eine neue Gelegenheit, über die ewige Wiederkehr und Zarathustra nachzudenken, was in dem Aufsatz Friedrich Nietzsche nach sechzig Jahren geschah. Er kam darin auf die aus seinem Buch bereits bekannte These zurück, daß Nietzsche die ewige Wiederkehr des Gleichen angesichts des „europäischen Nihilismus“ verkündet und so „auf der äußersten Spitze der Modernität eine uralte Ansicht der Welt wiederholt“ (Löwith 1960, 135) habe. Aber er versah diese Ansicht nun mit gewichtigen Fragezeichen. Die Lehre von der ewigen Wiederkehr des Gleichen blieb für Löwith „das Zentrum von Nietzsches Philosophie“ (ebd., 136), und mit dieser „Rückkehr und Heimkehr des Willens zum Sichselberwollen der Himmelswelt wiederholt Nietzsche um Mittag und Ewigkeit, als ihm die Welt und Zeit vollkommen ward, auf der äußersten Spitze der Modernität eine archaische Ansicht der natürlichen Welt“ (ebd., 137). Jedoch fragte sich Löwith auch, weshalb „Zarathustras ,Erlösung‘ vom Willen, der letztlich ein Wille zum Nichts ist, nicht rein und voll“ klingt, „sondern forciert und gequält“ (ebd.). Die Antwort, die er nun gab, besteht darin, daß Nietzsche zwar „mit seiner neuen Lehre von der ewigen Wiederkunft des Gleichen eine griechische Ansicht der Welt wiederholt, die ihm als klassischem Philologen bekannt

„Wer ist Nietzsches Zarathustra?“ war“. Jedoch hatte sich diese Lehre „auf Grund der veränderten geschichtlichen Situation“ seit der klassischen Antike „verhängnisvoll modernisiert“. Nietzsche „sang mit gebrochener Stimme seinen neuen Hymnus auf die Unschuld des Daseins“: „Kein Grieche dachte so ausschließlich im Horizont der Zukunft oder wollte sie gar herbeiführen.“ Trotz seines Anti-Christentums operierte Nietzsche „auf dem Grunde einer christlichen Erfahrung“ (ebd., 138). Nur so kann es verstanden werden, daß die ewige Wiederkunft des Gleichen für Nietzsche der „‚schrecklichste‘ aller Gedanken und das ,größte Schwergewicht‘“ wird (ebd.). Der Autor von Weltgeschichte und Heilsgeschehen hat sich erhoben und die Verkündigung der ewigen Wiederkehr im modernen Zeitalter als eine Unmöglichkeit bzw. als falsche Rhetorik erkannt. Nietzsche war es möglich, die „Verwandlung des ,Du sollst‘ in das moderne ,Ich will‘“ zu vollziehen, „aber er hat nicht den entscheidenden Schritt von dem ,Ich will‘ zu dem ernsten Spiel des Heraklitischen Weltenkindes vollbracht, welches ,Unschuld‘ ist und ,Vergessen‘, ein ,Neubeginn‘ und ein ,aus sich rollendes Rad‘“ (ebd.).9 In dem Aufsatz Nietzsche nach sechzig Jahren fällt die Kritik an Nietzsche noch viel schärfer aus, insofern Löwith den Zusatz macht, daß Nietzsche der Versuch, den Menschen in die Natur „zurückzuübersetzen“ ( J 230; 5, 169), erst gelang, „als er schon nicht mehr Mensch und noch weniger Übermensch, sondern nur noch ein dahin vegetierender und des Mitleids bedürftiger Wahnsinniger war“ (Löwith 1960, 139). Das erscheint als eine ungewöhnlich harte Feststellung. Auf intellektueller Ebene bringt Löwith die Unsinnigkeit der Lehre von der ewigen Wiederkehr des Gleichen dadurch zum Ausdruck, daß diese Lehre, sobald sie von Nietzsche formuliert wird, in zwei unvereinbare Teile auseinanderbricht: „in eine Darstellung der ewigen Wiederkunft als einer im Wesen der natürlichen Welt begründeten Wahrheit, die er mathematisch und physikalisch zu erweisen versuchte, und in eine gänzlich davon verschiedene Darstellung derselben Lehre als eines moralischen Postulats, das sich durch 9 Dies bezieht sich auf das Kapitel Von den drei Verwandlungen aus dem ersten Teil des Zarathustra: „Drei Verwandlungen nenne ich euch des Geistes: wie der Geist zum Kameele [Du sollst] wird, und zum Löwen das Kameel [Ich will], und zum Kinde [Spiel] zuletzt der Löwe“ (29).

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Ernst Behler seine praktischen Konsequenzen bewähren soll“ (ebd., 140). Der Gedanke mußte nach Löwith entzweibrechen, „weil der Wille zur Verewigung der zufällig ins Dasein geworfenen Existenz des modernen Ich mit der Schau eines ewig notwendigen Kreislaufs der natürlichen Welt nicht zusammenpaßt“ (ebd.). Karl Jaspers vertritt in seinem Buch über Nietzsche ebenfalls den Standpunkt, daß die ewige Wiederkehr des Gleichen von Nietzsche mit dem Anspruch eines „Urgesetzes“ vertreten wird ( Jaspers 1936, 349) und daß er diesen Gedanken sozusagen als „Heilmittel“ ergreift, um ihn der „Relativierung allen Seins und aller Werte“ entgegenzuhalten (ebd., 350). Vor allem aber ist dies ein „fragwürdiger“ Gedanke für Jaspers: „denn er ist für Nietzsche der erschütterndste Gedanke gewesen, während nach ihm wohl sonst niemand von dem Gedanken im Ernst betroffen worden ist; er ist für Nietzsche der entscheidende seines Philosophierens, während die Aneignung Nietzsches zumeist ohne ihn auszukommen suchte“ (ebd.). Jaspers unterscheidet drei Bedeutungsmöglichkeiten, die sich mit diesem Gedanken verbinden können, die physikalische, die metaphysische und die existentielle. Auf der Ebene der Wissenschaft handelt es sich um eine „notwendig scheiternde Argumentation“, die aber auch von Nietzsche nicht als eine solche gemeint sein kann, da es bei dieser Lehre ja gerade auf ein „Transzendieren“ zu einem Sein ankommt, „das wesensverschieden von allem bloß physikalischen und mechanischen Sein in der Welt“ ist. Metaphysisch betrachtet ist der Wiederkunftsgedanke „eine Gestalt dogmatischer Metaphysik nach Art der vorkantischen“. Existentiell ist er ein „Ausdruck der Gottlosigkeit“, der „eine Auslese bewirken und ein Mittel zur Steigerung des menschlichen Wesens in der Zukunft werden“ soll. Jaspers hebt dann noch einen anderen Gesichtspunkt beim Verstehen dieses Gedankens hervor, der eine „kritisch die Wahrheit des Gedankens vergegenwärtigende Betrachtung“ ist, welche „den Gehalt der transzendierenden Vollzüge in diesem Denken“ sieht, ohne an „diesen Gedanken allein gebunden zu sein“ (ebd., 351). Nachdem er alle diese Bedeutungsschattierungen sorgfältig analysiert hat, kommt er jedoch zu dem Resultat: „Aber trotzdem kann uns der Gedanke als solcher in seiner bloßen Rationalität mit seinem unmittelbaren Inhalt gar nicht erschüttern. Er ist für uns ein untaugliches Mittel, Urerfahrungen des Menschseins zum Ausdruck zu bringen“ (ebd., 361).

„Wer ist Nietzsches Zarathustra?“

13.5 Zarathustra als Drama des Scheiterns der abendländischen Metaphysik Hans-Georg Gadamers Einschätzung von Nietzsches Zarathustra und der darin vertretenen Lehre von der ewigen Wiederkehr des Gleichen beruht zunächst auf einer genauen persönlichen Kenntnis der Ereignisse, die sich seit 1930 damit verbanden. Da war zunächst „Karl Löwiths wohlfundierter und höchst kultivierter Versuch, die ewige Wiederkehr des Gleichen als unvereinbar mit dem Willen zur Macht zu erweisen“ und diese Idee als „eine Art Umbruch ,auf der Spitze der Modernität‘ und als unvollziehbare Rückkehr zu der kosmologischen Denkweise der Griechen“ zu konzipieren (Gadamer 1986, 3). Auf der anderen Seite „unternahm es der Faschismus, die ganze Lehre von der ewigen Wiederkehr mit brutaler Einseitigkeit als Unsinn zu eliminieren und Nietzsche als den Entdecker des Willens zur Macht, als den Lobpreiser des Lebens, der großen Vernunft des Leibes und gar der Rassenmythologie zu verherrlichen“. Dies geschah vornehmlich durch Alfred Baeumler, „einen der ideologischen Vorbereiter der nationalsozialistischen Dogmatik“, der „1931 ein sehr romantisches, weit verbreitetes Buch über Nietzsche“ schrieb (ebd.). Die eigentliche philosophische Aufgabe, die Nietzsches Denken stellt, wurde von Gadamer darin erblickt, „die anscheinende Unvereinbarkeit des Willens zur Macht mit der ewigen Wiederkehr des Gleichen aufzulösen“, und darin schien ihm „das eigentliche Verdienst Heideggers zu liegen“. Es kommt aber für Gadamer vornehmlich auf die Art und Weise an, wie Heidegger diese Aufgabe gelöst hat, und daraus geht das direkt hervor, was er im Titel seines Essays als das „Drama Zarathustras“ beschrieben hat. Alles Streben des Willens zur Macht, in dem das moderne Subjektivitätsdenken auf seine höchste Spitze gerät und in dem der Wille nicht mehr etwas, sondern nur sich selbst will, wird mit der ewigen Wiederkunft des Gleichen als „Wahn“ enthüllt (ebd., 4). Die Frage nach dem Sinn von Sein wird damit in ihre „Selbstauflösung“ getrieben. Dies war die „unvermeidliche Sackgasse“, in die sich die gesamte abendländische Tradition verrennt, „deren schicksalhafter Beginn das griechische Fragen nach dem Sein des Seienden, die metaphysische Frage, gewesen war“ (ebd.).

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Ernst Behler Mit diesem katastrophal endenden Drama ist gleichzeitig das „Drama Zarathustras“, sein Scheitern, beschrieben. Es handelt sich um die „Tragödie des Lehrers Zarathustra“, die Gadamer „auf ihre Bedeutung zu befragen“ unternimmt (ebd., 5). Er geht zu diesem Zweck zunächst auf die Parabel Von den drei Verwandlungen, d. h. vom Kamel zum Löwen und zum Kind, ein (siehe Anmerkung 9) und fragt ziemlich unverblümt: „Wie kann man die Unschuld des Kindes als Ziel proklamieren? Wie kann der Botschafter einer neuen Lehre vom Übermenschen zu etwas aufrufen, das man gar nicht wollen kann?“ (Gadamer 1986, 6 f.) Dies ist für Gadamer „die tiefste Spannung“, die das „ganze Buch durchzieht“, nämlich die „Proklamation von Unschuld und Unmittelbarkeit und ewiger Wiederkehr des Gleichen“ – eine Spannung, „die uns als die alte tragische Erbschaft des deutschen Idealismus vertraut ist: das Paradox der wiederhergestellten Unmittelbarkeit, der vermittelnden Unmittelbarkeit“ (ebd., 7). Als Vertreter, ja Begründer der philosophischen Hermeneutik ist sich Gadamer natürlich darüber im klaren, daß es sich hier um ein „literarisches Kunstwerk“ handelt und daß es deshalb „gewiß nicht richtig“ ist, „Zarathustra einfach mit Nietzsche und seine Reden mit Nietzsches Philosophie zu identifizieren“. Es ist vielmehr „eine hermeneutische Aufgabe ersten Ranges, das ,Zwischen‘ von Lehre und Handlung, das hier vorliegt, zu bestimmen, das jedem poetischen Text eigen ist“ (ebd., 5). Darüber hinaus ergibt sich die zusätzliche Schwierigkeit, daß Zarathustra selbst in seinen Reden nicht richtig zum Ausdruck kommt. In dem Kapitel Von der Erlösung fragt der Bucklichte zum Beispiel: „‚Aber warum redet Zarathustra anders zu uns als zu seinen Jüngern?‘“ (182) Jedoch macht es erst diese distanzierte Position Zarathustras möglich, sein meteorisches Erscheinen als ein „Drama“ zu schildern, worauf es Gadamer in erster Linie ankommt. Für diesen Zweck ist das dritte Buch zweifellos „der zentrale Teil des Ganzen“. Zarathustra soll seine Lehre von der ewigen Wiederkunft verkünden, „ohne sich zu schämen“, und das ist „offenbar die Last, die ihn drückt“ (Gadamer 1986, 8). Hier liegt nicht nur die gedankliche, philosophische Schwierigkeit dieses Werkes, sondern auch seine stilistische, schriftstellerische: „im Unterschied zu dem unvergleichlich geschmeidigen

„Wer ist Nietzsches Zarathustra?“ und eindringlichen Stil von Nietzsches Prosa“ erscheint nämlich der Zarathustra wie „vergangen“. Gadamer sagt dazu: „Uns geht die Überdeutlichkeit seiner Kunstmittel, die Dichte der Assonanzen und Alliterationen wie die Häufung und Variationen nicht mehr ein – man denkt an die falsche Pracht des Historismus der Gründerjahre, auch wenn immer wieder Tiefe und Glanz einzelner Wendungen dazwischen leuchten. Im ganzen ist es Vergangenheit“ (ebd.). Erst wenn man sich „statt dieser halbbeschriebenen Tafeln, die Zarathustra sich selber erzählt“, die Tragödie des Verkünders vor Augen stellt, der seinem Untergang entgegengeht, erhält dies Werk für Gadamer eine neue „Unmittelbarkeit“. Dann erscheint uns das Ende „wie ein wirkliches Ende, wie ein unzweideutiger Untergang“: „Zarathustra hat seinen abgründlichsten Gedanken von der ewigen Wiederkunft, vor dem er immer wieder zurückweicht, endlich ausgesprochen und in dem Ja- und Amen-Lied siebenfach besiegelt“ (ebd., 12). Nun könnte man das Drama Zarathustras als „Selbstauflösung seines eigenen theoretischen Unternehmens“ bestimmen. Das geht aber nicht mehr, seit Nietzsche durch Heidegger „die extreme Endposition in der Geschichte der abendländischen Metaphysik, die totale ,Seinsvergessenheit‘“ zugewiesen wurde und damit „sein Denken als eine tragische Verstrickung in das ,Unwesen‘ der Metaphysik“ erscheint: „In der tragisch umwitterten Figur des um den Mut zu seiner Wahrheit ringenden Zarathustra findet der Selbstwiderspruch seinen angemessenen Ausdruck, in dem sich der Zauberkreis der modernen Reflexivität des Selbstbewußtseins verfängt“ (ebd., 13). Das Drama Zarathustras ist demnach ein Drama des Scheiterns nicht nur von Zarathustra selbst, sondern der Gesamtheit der abendländischen Metaphysik. Angesichts dieser sehr kritischen Aufnahme des Zarathustra ist es nicht verwunderlich, daß Hermann Wein im ersten Band der Nietzsche-Studien von 1972 für einen Nietzsche ohne Kitsch, d. h. einen „Nietzsche ohne Zarathustra“, plädierte und diese „Entkitschung Nietzsches“ zugunsten Nietzsches als „kritischer Aufklärer“ vornehmen wollte. „Es will mir nicht in den Kopf“, so argumentierte Wein, „Nietzsche, der kritische Aufklärer, – als solcher erkannt und anerkannt gar sehr in Frankreich und in Italien, stellenweise in Amerika. Nur nicht – in Deutschland. Andererseits: Nietzsches ,Also sprach Zarathustra‘ – in kitschi-

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Ernst Behler gem Hymnenstil, durch Mißverständnis (so frage ich!) hineingeraten in die deutschbürgerliche Hauspostille und in den Tornister des deutschen Soldaten des 1. Weltkriegs?“ Mit anderen Worten ging es Wein darum, „den Nietzsche zu retten, der, eindeutig belegbar, mehr zur Thomas Mann-, Ezra Pound-, Samuel-Beckett-Epoche gehört als zur Vorläuferschaft des Faschismus; der radikal verschiedene Schöpfer auf den verschiedensten Gebieten – Mallarmé, Spengler, Modigliani, Heidegger, Sartre, Camus, Adorno – mitprägte“ (Wein 1972, 359). Wie aber aus der hier vorgeführten Rezeption des Zarathustra hervorgeht, machte Wein sich unnötige Sorgen um die ZarathustraAufnahme in Deutschland. Um auch noch ein Beispiel aus der gegenwärtigen Philosophie anzuführen, sei auf Bernd Magnus verwiesen, der die Lehre von der ewigen Wiederkehr des Gleichen zu den „rätselhaftesten“ Lehren Nietzsches rechnet (Magnus 1980).10 Sie läßt zwei Deutungsmöglichkeiten zu, „als Kosmologie“ und „als ethischer Imperativ“. Die erste muß sich auf den Nachlaß, auf nicht von Nietzsche zur Veröffentlichung bestimmte Texte stützen, wogegen die zweite „praktisch in jedem von Nietzsche nach 1881 verfaßten Werk zum Ausdruck“ kommt (ebd., 219). Die von Nietzsche zurückgehaltene Version des Wiederkunftsgedankens, die kosmologisch-naturwissenschaftliche Lehre, zeigt einen „gravierenden logischen Riß“ auf (ebd., 221) und führt in ein „Netz von Ambiguitäten“ (ebd., 222), wobei die normative Version, der existentielle Imperativ, ebenso „schwerwiegende innere Widersprüche“ aufweist. Einer von ihnen erhebt sich mit der Frage, wie ein „regulatives Verständnis der Lehre von der ewigen Wiederkunft mit einem wiederkehrenden, objektiv identischen Leben vereinbar“ sein kann (ebd., 223). Bin ich frei, mein vorbestimmtes Schicksal zu gestalten? Magnus sieht hier eine Parallele zur christlichen Lehre von der Allwissenheit Gottes, bei der sich auch nur schwer einsehen läßt, „wie der Mensch frei sein kann“. Nietzsche werden diese und andere Widersprüche, die sich aus dieser Lehre ergeben, sicher nicht entgangen sein, womit sich die Frage erhebt: „Warum hat er dann aber die 10 Magnus ist auch der Autor einer umfassenden philosophischen Analyse des Wiederkunftsgedankens: Nietzsche’s Existential Imperative, Bloomington/London 1978.

„Wer ist Nietzsches Zarathustra?“ Lehre von der ewigen Wiederkunft so hoch eingeschätzt?“ Die einzige Antwort, die übrig bleibt, lautet: als „Erlösungsmythos“ von Platonismus, Christentum und Monotheismus, als „aeternalistischer Gegenmythos“, als „romantischer Humanismus, der die Nüchternheit geringschätzt, die ungezwungene Fröhlichkeit verachtet und dem die Hegemonie der Vernunft verdächtig ist“ (ebd., 231 f.). Bloß verwiesen sei hier auf die jahrelange Auseinandersetzung von C. G. Jung mit Nietzsche’s Zarathustra in Seminarübungen von 1934 bis 1939 und zwei Bänden von je 764 und 1578 Seiten ( Jung 1988). Jung verbindet Nietzsche hier mit zwei Traditionen im europäischen Denken, der deutschen philosophischen Tradition und der unterdrückten mystischen Tradition der Alchimie. Was die deutsche philosophische Tradition anbetrifft, so beruht diese für ihn auf Gegensätzen und ihrer anschließenden Auflösung, wie z. B. in Schillers Unterscheidung von Form- und Stofftrieb und ihrer Lösung im Spieltrieb. Nietzsches Zarathustra wird dabei als Versuch einer Verbindung von Unbewußtem und Bewußtsein gedeutet, wobei es sich nicht um eine rationale Antwort, sondern um eine symbolische Repräsentation für die Lösung des Gegensatzproblems handelt (Bishop 1995, 272– 282). Ein näheres Eingehen auf diesen Versuch würde den Rahmen der hier angestrebten Untersuchung sprengen.

13.6 Heideggers seinsgeschichtliche Auslegung – der Zusammenhang der Lehren vom Übermenschen und von der ewigen Wiederkehr des Gleichen Auf dem Hintergrund dieser verschiedenen Deutungen des Zarathustra und der Lehre von der ewigen Wiederkehr des Gleichen hebt sich Heideggers Interpretation in ihrer Eigentümlichkeit ab. Diese Eigentümlichkeit ist so stark ausgeprägt, daß sich seine Auslegung mit keiner der hier vorgeführten Nietzsche-Interpretationen in einen Zusammenhang bringen läßt. Das gilt auch für Gadamers Interpretation des Zarathustra, die sich bewußt in die Nachfolge Heideggers gestellt hatte, in Wirklichkeit aber weit von Heidegger hinter sich zurückge-

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Ernst Behler lassen wird. Da er Nietzsche in die Seinsgeschichte hineinnimmt und seine Philosophie als sachgemäßen Ausdruck für die Wahrheit des Seins in seiner Epoche ansieht, entfällt für Heidegger jede gedankliche Auseinandersetzung mit der „Wahrheit“ oder „Richtigkeit“ seiner Doktrinen, die für jeden der hier angeführten Interpreten von großer Bedeutung gewesen war. Es genügt für Heideggers Beschäftigung mit diesen „Lehren“, wenn er einen denkerischen Bezug zwischen ihnen aufstellen und Nietzsches Denken auf dieser Stufe der Seinsgeschichte plausibel machen kann. Die Wahrheitsfrage wird mit anderen Worten völlig von ihm ausgeklammert. Heidegger geht in seinem Vortrag11 davon aus, daß sich „bis zur Stunde“ kein Denkender gezeigt hat, „der dem Grundgedanken dieses Buches [Also sprach Zarathustra] gewachsen wäre und seine Herkunft in ihrer Tragweite ermessen konnte“ (Heidegger 1954, 101). Vom bloßen Wortlaut des Titels her ist die in diesem Werk auftretende Gestalt Zarathustra ein Sprechender, genauer ein „Fürsprecher“, wie er in dem Kapitel Der Genesende selbst von sich sagt: „Ich, Zarathustra, der Fürsprecher des Lebens, der Fürsprecher des Leidens, der Fürsprecher des Kreises“ (271). Er spricht somit „zugunsten des Lebens, des Leidens, des Kreises“, und wenn wir nur „dieses Dreifache als Eines und das Selbe recht zu denken vermöchten, wären wir imstande zu ahnen, wessen Fürsprecher Zarathustra ist und wer er wohl selbst als dieser Fürsprecher sein möchte“ (Heidegger 1954, 102). Heidegger deutet auch an, wie sich diese Frage mit einer „grobschlächtigen Erklärung“ lösen ließe und wie man „mit unbestreitbarer Richtigkeit“ sagen könnte: „‚Leben‘ bedeutet in Nietzsches Sprache: der Wille zur Macht als der Grundzug des Seienden, nicht nur des Menschen. Was ,Leiden‘ bedeutet, sagt Nietzsche in folgenden Worten: ,Alles, was leidet, will leben …‘, d. h. alles was in der Weise des Willens zur Macht ist. Dies besagt: ,Die gestaltenden Kräfte stoßen sich‘. ,Kreis‘ ist das Zeichen des Ringes, dessen Ringen in sich selbst zurückläuft und so immer das wiederkehrende Gleiche erringt.“ Noch kürzer und noch unvermittelter formuliert könn11 Der Text wurde zuerst am 8. Mai 1953 im Club zu Bremen vorgetragen. Dabei handelte es sich um eine „Vereinigung von angesehensten Vertretern der Kaufmannschaft und des hanseatischen Großbürgertums“ (Petzet 1983, 59).

„Wer ist Nietzsches Zarathustra?“ te man sogar sagen: „Demnach stellt sich Zarathustra als der Fürsprecher dessen vor, daß alles Seiende Wille zur Macht ist, der als schaffender, sich stoßender Wille leidet und so sich selber in der ewigen Wiederkehr des Gleichen will“ (ebd., 103). Während dieses „grobschlächtige“ Vorgehen in anderen Nietzschetexten Heideggers durchaus vorgefunden werden kann, geht es in diesem Vortrag um ein textnäheres Verständnis Nietzsches. In dem gerade herangezogenen Kapitel Der Genesende findet sich die Feststellung durch die „Tiere“ Zarathustras: „du bist der Lehrer der ewigen Wiederkunft“ (275). In der Vorrede sagt Zarathustra selbst von sich: „Ich lehre euch den Übermenschen“ (14). Zarathustra, der Fürsprecher, wird hier als „Lehrer“ bezeichnet: „Er lehrt augenscheinlich zweierlei: die ewige Wiederkehr des Gleichen und den Übermenschen“ (Heidegger 1954, 103). Heidegger führt hier noch den empfehlenswerten hermeneutischen Grundsatz an: „So genügt es denn nicht, nur Sätze zusammenzustellen, aus denen sich ergibt, was der Fürsprecher und Lehrer von sich sagt: Wir müssen darauf achten, wie er es sagt und bei welcher Gelegenheit und in welcher Absicht“ (ebd., 103 f.). Was zunächst die Tiere Zarathustras anbetrifft, so handelt es sich dabei um zwei, einen Adler und eine Schlange, das „stolzeste Thier unter der Sonne und das klügste Thier unter der Sonne“ (27). Sie stehen nicht in einem feindlichen Verhältnis zueinander, sondern sind Freunde. Heidegger zitiert die Stelle aus dem letzten Abschnitt aus Zarathustra’s Vorrede, an der Zarathustra zur Mittagsstunde fragend in die Höhe blickt – „denn er hörte über sich den scharfen Ruf eines Vogels. Und siehe! Ein Adler zog in weiten Kreisen durch die Luft, und an ihm hieng eine Schlange, nicht einer Beute gleich, sondern einer Freundin: denn sie hielt sich um seinen Hals geringelt. ,Es sind meine Thiere!‘ sagte Zarathustra und freute sich von Herzen“ (ebd.). Wenn man sich nun den Ausspruch dieser Tiere aus dem Kapitel Der Genesende genauer ansieht, tritt eine bedeutende Nuance zutage, da die Tiere dort sagen: „Denn deine Thiere wissen es wohl, oh Zarathustra, wer du bist und werden musst: siehe, du bist der Lehrer der ewigen Wiederkunft –, das ist nun dein Schicksal!“ (275) Die Gleichsetzung Zarathustras mit dem Lehrer der ewigen Wiederkunft ist also voreilig, denn „Zarathustra muß allererst derjenige werden, der er ist“ (Heidegger 1954,

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Ernst Behler 105). Diesem Werdeprozeß steht aber als wichtigstes Hindernis Zarathustras „Schrecken“ im Wege, von dem Heidegger sagt: „Wer diesen Schrecken nicht aus allem oft anmaßend klingenden und oft nur rauschhaft sich gebärdenden Reden zuvor vernommen hat und stets vernimmt, wird nie wissen können, wer Zarathustra ist.“ Ferner schiebt sich noch vor die Verkündigung der Lehre von der ewigen Wiederkunft jenes andere Wort: „Ich lehre euch den Übermenschen“, das Zarathustra „am Beginn seines Weges“ ausspricht. Wörtlich genommen bezeichnet das Wort Übermensch denjenigen Menschen, „der über den bisherigen Menschen hinausgeht, einzig um den bisherigen Menschen allererst in sein noch ausstehendes Wesen zu bringen und ihn darin festzustellen“ (ebd., 106). An dieser Stelle, bei der Deutung des Übermenschen, weicht Heidegger freilich vom Text des Zarathustra ab und wendet sich Aussagen Nietzsches in anderen Schriften zu, die den Übermenschen besser mit einer seinsgeschichtlichen Interpretation im Einklang stehen lassen. Nietzsche hatte den Aphorismus 208 aus Jenseits von Gut und Böse, der sich mit der Skepsis im modernen Europa beschäftigt, mit der Feststellung beschlossen: „schon das nächste Jahrhundert bringt den Kampf um die ErdHerrschaft, – den Zwang zur grossen Politik“ ( J 208; 5, 140). Heidegger hatte in seinen Nietzsche-Vorlesungen einen gleichklingenden Gedanken aus Nietzsches unveröffentlichten Fragmenten von 1881/82 herangezogen, der die Wirkungsweise des Willens zur Macht während des Zweiten Weltkriegs verdeutlichen sollte: „Die Zeit kommt, wo der Kampf um die Erdherrschaft geführt werden wird, – er wird im Namen philosophischer Grundlehren geführt werden“ (Heidegger 1961/II, 260 f.). Nietzsches „Einzigartigkeit als Denker“ beruhte für Heidegger auch darauf, daß er „den geschichtlichen Augenblick erkennt, da der Mensch sich anschickt, die Herrschaft über die Erde im Ganzen anzutreten“ (Heidegger 1954, 106). Dieser seinsgeschichtliche Gedanke wird nun von Heidegger unmittelbar mit dem Übermenschen in Beziehung gesetzt, indem dieser der nicht im Zarathustra vorkommenden Frage unterstellt wird: „[…] ist der Mensch als Mensch in seinem bisherigen Wesen für die Übernahme der Weltherrschaft vorbereitet?“ (Ebd.) Aus der gesamten Artikulierung der Übermensch-Problematik zieht Heidegger aber den überzeugenden Schluß: „Zarathustra ist nur der

„Wer ist Nietzsches Zarathustra?“ Lehrer, nicht schon der Über-mensch selbst. Und wiederum ist Nietzsche nicht Zarathustra, sondern der Fragende, der Zarathustras Wesen zu erdenken sucht“ (ebd., 107). Wie bei der Lehre von der ewigen Wiederkehr des Gleichen machen sich auch bei der Lehre des Übermenschen eine eigentümliche Bedingungstechnik und Vermittlungsstruktur bemerkbar, die es verbieten, diese als apodiktische Aussagen und direkte Lehren zu verstehen. Ein anderer Zugangsweg zum Verständnis dieser Problematik ergibt sich für Heidegger aus dem Kapitel Von der grossen Sehnsucht, in dem Zarathustra mit seiner Seele in ein Zwiegespräch eintritt und die Worte „Heute“, „Einst“ und „Ehemals“ als gleichbedeutend ausspricht und damit „in eine einzige Gegenwart“, ein „ständiges Jetzt“, d. h. in die Ewigkeit, zusammenrücken läßt. Diese ist aber keine „Stetigkeit“, kein „Stehen“, sondern ein „Wiederkehren des Gleichen“, und indem Zarathustra „seine Seele jenes Sagen lehrt“, wird er zum „Lehrer der ewigen Wiederkehr des Gleichen“ (ebd., 109). Ähnlich wird bereits im Kapitel Von den Taranteln aus dem zweiten Teil ein solcher Werdeprozeß beschrieben. Dort heißt es: „Denn dass der Mensch erlöst werde von der Rache: das ist mir die Brücke zur höchsten Hoffnung und ein Regenbogen nach langen Unwettern“ (128). Diese Stelle, wenn wir sie nur richtig verstehen, ist für Heidegger nicht nur von Aufschluß, wohin Nietzsches „‚große Sehnsucht‘ geht“, sondern läßt auch die Brücke deutlich sehen, die „vom bisherigen Menschen zum Übermenschen hinüberführen soll“ (Heidegger 1954, 111). Rache wird hier von Heidegger nicht in einem moralischen oder psychologischen Sinne ausgelegt, sondern metaphysisch verstanden, im Verhältnis zum Seienden und damit zum Sein gesehen (ebd., 112). Sie ist das, was „alles bisherige Nachdenken, das bisherige Vorstellen des Seienden hinsichtlich seines Seins“ bestimmt hat, oder genauer: was die Wesensprägung des Seins des Seienden „innerhalb der neuzeitlichen Metaphysik“ bestimmt hat. Der Sinn von Rache wird also seinsgeschichtlich ermittelt. Die Wesensprägung des Seins „innerhalb der neuzeitlichen Metaphysik“ wird seit Schelling durch das Wollen bestimmt. Der „Wille des Wollens“ wird zum „Sein des Seienden im Ganzen“, wie Leibniz, Kant, Fichte, Schelling, Schopenhauer und Nietzsche zeigen: „Das Sein des Seienden erscheint für die neuzeitliche Metaphy-

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Ernst Behler sik und durch sie eigens ausgesprochen als Wille“ (ebd., 114). Rache, in diesem metaphysischen Verständnis, ist demnach genau „des Willens Widerwille gegen die Zeit und ihr ,Es war.‘“, von dem Nietzsche in dem Kapitel Von der Erlösung genau in diesen Worten spricht (180). Für Heidegger ist Rache in diesem gehobenen Verständnis „des Willens Widerwille gegen die Zeit und das heißt: gegen das Vergehen und sein Vergängliches“, aber das impliziert: „Der Widerwille gegen die Zeit setzt das Vergängliche herab. Das Irdische, die Erde und alles, was zu ihr gehört, ist das, was eigentlich nicht sein sollte und im Grunde auch kein wahres Sein hat“ (Heidegger 1954, 116). Dies ist im Grunde die christliche Annihilierung alles Vergänglichen, was unmittelbar die Frage hervorruft: „Wie aber soll der Mensch die Erdherrschaft antreten können, wie kann er die Erde als Erde in seine Obhut nehmen, wenn er und solange er das Irdische herabsetzt, insofern der Geist der Rache sein Nachdenken bestimmt?“ (Ebd., 117) Die Antwort besteht für Heidegger darin, den Widerwillen von seinem Nein zu befreien und in ein Ja umzuformen, und zwar zu einem Ja zu genau dem, was der „Widerwille des Rachegeistes“ verneint, nämlich „die Zeit, das Vergehen“. Dies ist aber nur in der Form der ewigen Wiederkehr des Gleichen möglich, womit sich die beiden Gedanken, Übermensch und ewige Wiederkehr des Gleichen, in einem zusammenschließen: „erst wenn das Sein des Seienden als ewige Wiederkehr des Gleichen sich dem Menschen vorstellt, kann der Mensch über die Brücke hinübergehen und, erlöst vom Geist der Rache, der Hinübergehende, der Übermensch sein“ (ebd., 118). Damit hat sich die Frage der Identifizierung Zarathustras gelöst, die den gesamten Essay Heideggers beherrschte. Er sagt dazu: „Wer ist Nietzsches Zarathustra? Wir können jetzt formelhaft antworten: Zarathustra ist der Lehrer der ewigen Wiederkunft des Gleichen und des Übermenschen. Aber jetzt sehen wir, sehen vielleicht auch wir über die bloßen Formen hinaus deutlicher: Zarathustra ist nicht ein Lehrer, der zweierlei und verschiedenes lehrt. Zarathustra lehrt den Übermenschen, weil er der Lehrer der ewigen Wiederkunft des Gleichen ist. Aber auch umgekehrt: Zarathustra lehrt die ewige Wiederkunft des Gleichen, weil er der Lehrer vom Übermenschen ist. Beide Lehren gehören in einem Kreis zusammen. Durch ihr Kreisen entspricht die Lehre dem, was ist, dem Kreis, der als ewige

„Wer ist Nietzsches Zarathustra?“ Wiederkehr des Gleichen das Sein des Seienden, d. h. das Bleibende im Werden ausmacht“ (ebd., 120). Damit sind diese beiden Gedanken für Heidegger in eine unlösbare Einheit gebracht. Über den Gedanken des Willens zur Macht findet sich freilich in Nietzsches Zarathustra nur sehr wenig Evidenz. Nur an einer einzigen Stelle taucht er direkt auf, als Zarathustra in dem Kapitel Von der Selbst-Ueberwindung im Willen das Prinzip erblickt, das alles Seiende denkbar machen will. An dieser Stelle spricht Zarathustra offenbar zu einer Gruppe von Weisen, von Philosophen, und beschwört diese, sein Wort zu hören und ernstlich zu prüfen, ob es dem „Leben selber“ entspricht. Das Wort selbst lautet: „Wo ich Lebendiges fand, da fand ich Willen zur Macht; und noch im Willen des Dienenden fand ich den Willen, Herr zu sein“ (147 f.). Um die Brücke zwischen der ewigen Wiederkehr des Gleichen und dem Willen zur Macht zu schlagen, zieht Heidegger das bereits von Baeumler angeführte Fragment 617 aus Der Wille zur Macht heran, wo der „höchste Wille zur Macht“ darin erblickt wird, dem „Werden den Charakter des Seins aufzuprägen“ (N 1886/ 87, 7/54; 12, 312). Aber dies ist eine Belegstelle aus einem ganz anderen Diskurs Nietzsches, dem seiner unveröffentlichten Fragmente. Außerdem ist dies für Heidegger kein wirkliches Überwinden der Rache und „des bisherigen Nachdenkens“ (Heidegger 1954, 121), sondern nur eine Fortsetzung des Denkens „im Geist des bisherigen Nachdenkens“ (ebd., 122). In Nietzsches Denken kommt damit etwas zum Vorschein, „was dieses Denken selber nicht mehr zu denken vermag“. Dies bezeichnet für Heidegger die Grenze von Nietzsches Denken, dem der Ausstieg aus der Metaphysik nicht gelang, den Heidegger für sich selbst vorbehielt. Zarathustra bringt damit „nicht die Erlösung von der Rache“ (ebd.). Was Nietzsches Zarathustra dagegen leistet, liegt auf einem ganz anderen Gebiet: „Nirgends sonst in der Geschichte der abendländischen Metaphysik wird die Wesensgestalt ihres jeweiligen Denkens in dieser Weise eigens gedichtet oder, sagen wir gemäßer und wörtlich: erdacht; nirgends sonst außer am Beginn des abendländischen Denkens bei Parmenides, und hier nur in verhüllten Umrissen“ (ebd., 123). Wer aber Zarathustra wirklich sei, „wird uns zum Gesicht im Anschauen der beiden Tiere“, in deren Anblick „wir unmittelbar und leichter festhalten, was die Darlegung als das

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Ernst Behler Fragwürdigste zu zeigen versuchte: den Bezug des Seins zum Lebewesen Mensch“ (ebd., 125). In einer „Anmerkung“ zu diesem Text bringt Heidegger noch zum Ausdruck, daß Nietzsche selbst wußte, „daß sein ,abgründlichster Gedanke‘ ein Rätsel bleibt“, und wir desto weniger hoffen dürfen, „das Rätsel lösen zu können“. Wir sollen aber auch nicht versuchen, dem Dunklen dieses „letzten Gedankens der abendländischen Metaphysik“ auszuweichen, wofür sich zwei „Ausflüchte“ anbieten: Die ewige Wiederkehr des Gleichen sei „eine Art ,Mystik‘ und gehöre nicht vor das Denken“; oder „dieser Gedanke sei schon uralt“ und gehöre unter die „bekannte zyklische Vorstellung vom Weltgeschehen“, die sich bereits „bei Heraklit nachweisen“ läßt (ebd.). Die „zweite Auskunft“ besagt für Heidegger „überhaupt nichts“ und löst sich in „historische Verweisungen“ auf. Die „erste Ausflucht“ jedoch findet im Geschehen der „modernen Technik“ eine unerwartete Belehrung. Denn was „ist das Wesen der modernen Kraftmaschine anderes als eine Ausformung der ewigen Wiederkehr des Gleichen?“ Daß dieser „abgründlichste Gedanke etwas Ungedachtes verbirgt“, zeigt nur, daß Nietzsche „ihn noch metaphysisch und nur so denken mußte“ (ebd., 126).

13.7 Die Divergenz des philosophischen Systems Nietzsches Die Antwort auf die Frage „Wer ist Nietzsches Zarathustra?“ besteht demnach für Heidegger darin, daß es sich bei dieser Figur um die versinnbildlichte Gestalt eines historischen Menschentums handelt, die im Zeitalter der Subjektivität, genauer auf dem Gipfel- und Endpunkt der Subjektivität, d. h. in der Phase des Willens, aber hier wieder in der zugespitzten Form der Philosophie des Willens, als Wille zur Macht, Lehren ausspricht, die zu diesem Zeitpunkt der Seinsgeschichte ausgesprochen werden müssen: die Lehren vom Tod Gottes, vom Übermenschen und von der ewigen Wiederkehr des Gleichen. Die Lehre vom Willen zur Macht liegt, unausgesprochen, als die umfassendste allen diesen einzelnen Lehren zugrunde. Während der Zusammenhang zwischen dem Tod Gottes und dem Willen zur Macht zur Genüge in seinem Aufsatz Nietzsches Wort

„Wer ist Nietzsches Zarathustra?“ „Gott ist tot“ von 194312 herausgearbeitet worden war, wendet sich Heidegger in seinem Vortrag von 1953 Wer ist Nietzsches Zarathustra? dem Zusammenhang der beiden Lehren vom Übermenschen und der ewigen Wiederkehr des Gleichen zu und arbeitet ihre enge Wechselverschränkung heraus. Alle diese einzelnen Interpretationen sind aber, wie die großen Vorlesungen über Nietzsche (Der Wille zur Macht als Kunst, 1936/37; Die ewige Wiederkehr des Gleichen, 1937; Der Wille zur Macht als Erkenntnis, 1939; Die ewige Wiederkehr des Gleichen und der Wille zur Macht, 1939; und Der europäische Nihilismus, 1940), Schritte auf das einheitliche philosophische System Nietzsches hin, von dem Heidegger wie kein anderer Nietzscheinterpret fest überzeugt war. Freilich gab er zu, daß dieses System nirgendwo in Nietzsches Schriften ausgeführt ist und nur durch unsere denkerische Arbeit zustande kommen kann, die sich in diesen interpretatorischen Schritten von rund dreißig Jahren und den daraus hervorgegangenen Texten ausdrückt. Dabei tritt aber bereits eine beträchtliche Divergenz im Systemgedanken ins Spiel, insofern die einzelnen Schritte nicht nur mit zum Teil beträchtlichem zeitlichen Abstand voneinander, sondern jeweils auch unter anderen Themen, d. h. in anderen Kontexten, vollzogen wurden. Wenn dies, wie wohl zuerst von Otto Pöggeler bemerkt wurde (Pöggeler 1990, 104 –135; aber auch schon in der ersten Auflage von 1963), auf Heideggers Vorlesungen zutrifft, die zwar immer wieder dasselbe Thema abschnurren lassen (Wille zur Macht und ewige Wiederkehr), aber immer auf verschiedene Weise, so gilt das im höheren Grade für die beiden gedruckt erschienenen Essays. Während Nietzsches Wort „Gott ist tot“ die oft klobige Argumentation der Vorlesungen fortsetzt und das in der Parabel vom „tollen Menschen“ formulierte Wort einfach Nietzsche in den

12 In dem Band Holzwege beschreibt Heidegger die Entstehungsgeschichte dieses Aufsatzes folgendermaßen: „Die Hauptteile wurden 1943 in kleineren Kreisen wiederholt vorgetragen. Der Inhalt beruht auf den Nietzschevorlesungen, die zwischen 1936 und 1940 in fünf Semestern an der Universität Freiburg i. Br. gehalten wurden. Sie stellen sich die Aufgabe, Nietzsches Denken als die Vollendung der abendländischen Metaphysik aus der Geschichte des Seins zu begreifen“ (Heidegger 1950a, 344 f.).

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Ernst Behler Mund legt, zeigt sich in Wer ist Nietzsches Zarathustra? ein weit ausgebildeterer Sinn für die Komplexität einer schriftstellerischen Aussage. Das mag damit zusammenhängen, daß sich Heidegger, wie bereits erwähnt, hier größtenteils mit einem von Nietzsche selbst veröffentlichten Text beschäftigt, hat aber sicher noch mehr mit der Tatsache zu tun, daß es sich dabei um einen künstlerischen, dichterischen Text handelt. Heidegger bringt dies selbst zum Ausdruck, wenn er sagt, daß es bei diesem Text nicht genüge, „nur Sätze zusammenzustellen, aus denen sich ergibt, was der Fürsprecher und Lehrer von sich sagt“, sondern wir darauf achten müssen, „wie er es sagt und bei welcher Gelegenheit und in welcher Absicht“ (Heidegger 1954, 103 f.). Daraus ergibt sich für Heidegger die folgenschwere Entdeckung, daß das Wort vom „Lehrer der ewigen Wiederkunft“ gar nicht von Zarathustra „aus sich und zu sich selber“ gesagt wird, sondern von seinen Tieren, die sagen: „du bist der Lehrer der ewigen Wiederkunft“ (275). Sie sagen es ihm aber nicht in einem feststellenden, sondern in dem aufrufenden Sinne, daß Zarathustra der Lehrer der ewigen Wiederkunft werden soll: „Denn deine Thiere wissen es wohl, oh Zarathustra, wer du bist und werden musst: siehe, du bist der Lehrer der ewigen Wiederkunft –, das ist nun dein Schicksal!“ (Ebd.) Die damit erfolgende Verzögerung der Wiederkunftslehre erfolgt aber nicht nur auf Grund des „Schreckens“, Widerwillens und Geistes der Rache auf seiten Zarathustras, die erst überwunden werden müssen, sondern ebenfalls wegen der Aufgabe, zunächst das Postulat des Übermenschen zu verkünden, der als der neue Menschenschlag die Wiederkunftslehre überhaupt zu ertragen vermag. Aber auch hier stellt sich heraus, daß Zarathustra selbst keineswegs mit dem Übermenschen identifiziert werden kann, dieser aber auch sonst in keiner vorhandenen Form des Menschseins vorgegeben ist, sondern sich nur als „Brücke“ und „Übergang“ beschreiben läßt (16 f.). Der von Heidegger mit Nachdruck verfolgte Systemgedanke löst sich also in ein Geschiebe von Vorbedingungen auf und ließe sich nur vertreten, wenn von der Art der Mitteilung Nietzsches völlig abgesehen würde, was Heidegger bei diesem Text aber keineswegs tut. Es wurde hier Wert darauf gelegt, die Divergierung des Systems aus Heideggers eigenen Analysen herauszulesen, statt diese von außen als „Kritik“ an ihn heranzutragen.

„Wer ist Nietzsches Zarathustra?“ Zum Abschluß sollen noch zwei Punkte aufgeklärt werden, die bislang nicht genügend berücksichtigt wurden. Daß der Gedanke der ewigen Wiederkunft für Zarathustra der „abgründigste“, ekelerregendste und widerwärtigste Gedanke ist, scheint, wie auch Heidegger bemerkt, daran zu liegen, daß nach dieser Hypothese auch der kleinste und verächtlichste Mensch, von Nietzsche „Herdenvieh“ genannt, wiederkommen wird: „‚Ewig kehrt er wieder, der Mensch, dess du müde bist, der kleine Mensch‘“ (274). Gadamers Deutung, daß die ewige Wiederkehr Nietzsches oder Zarathustras gesamte Philosophie als „Wahn“ entlarven würde („incipit tragoedia“), ist zwar eine Erklärung auf viel höherem Niveau, aber nicht mit Nietzsches Text vereinbar. Was Heidegger als das am tiefsten Fragwürdige an Nietzsches Zarathustra empfindet, nämlich „den Bezug des Seins zum Lebewesen Mensch“ (Heidegger 1954, 125), läßt sich nur schwer erklären. Man kann es vielleicht so auslegen, daß in allen anderen Phasen der Seinsgeschichte oder der Seinsvergessenheit das Wort der Metaphysik sich auf das Sein des Seienden (eidos, energeia, cogito, Wille) bezog, ohne die besondere Form des Menschentums zu berücksichtigen, die sich damit verband. In Nietzsches Zarathustra dagegen bekommen wir mit dem Wort für das Sein auch die Wesensgestalt des dazugehörigen Denkers, Zarathustra, gleich mitgeliefert. Wir sollen ihn auf keinen Fall mit Nietzsche verwechseln, wovor bereits Lou Salomé warnte, da Zarathustra bestenfalls als eine Idealgestalt Nietzsches, als ein gesteigerter Nietzsche, verstanden werden kann. In der Bezeichnung des „Fragwürdigen“ für diese Gestalt scheint somit Heideggers verhaltene Kritik am ästhetischen Gelungensein der Zarathustra-Figur zum Ausdruck zu kommen. Tatsächlich sagt er, daß uns das „Rätsel, wer Zarathustra als der Lehrer der ewigen Wiederkehr und des Übermenschen sei“, beim Anblick seiner beiden Tiere, Schlange und Adler, aufgehen würde und wir bei ihrem Anblick „unmittelbar und leichter festhalten“ können, „was die Darlegung als das Fragwürdige zu zeigen versuchte: den Bezug des Seins zum Lebewesen Mensch“ (ebd.). Wir werden also auf den künstlerischen, literarischen Charakter des Zarathustra verwiesen. Dieser bringt aber nur nochmals eine Verzögerung, eine Verschiebung, eine Bedingung der Mitteilung mit sich. Tatsächlich ringt sich Zarathustra ja trotz allen Widerwillens und „Schreckens“ zur Verkündigung der

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Ernst Behler Lehre von der ewigen Wiederkehr des Gleichen durch, ja er besiegelt sie nicht nur einmal, sondern gleich siebenmal, freilich nicht in der direkten Mitteilung der Philosophie, sondern der indirekten der Poesie, dem Ja- und Amen-Lied (287–291) und dem zwölffach geordneten Lied der Mitternachtsstunde (395– 404). Die Sprache, in der dies geschieht, bedarf demnach einer Interpretation, um all die Elemente von Jubel und Melancholie zu fassen, die in ihr auf dichterische Weise zum Ausdruck kommen: „Sagtet ihr jemals Ja zu Einer Lust? Oh, meine Freunde, so sagtet ihr Ja auch zu allem Wehe. Alle Dinge sind verkettet, verfädelt, verliebt, – – wolltet ihr jemals Ein Mal Zwei Mal, spracht ihr jemals ,du gefällst mir, Glück! Husch! Augenblick!‘ so wolltet ihr Alles zurück! – Alles von neuem, Alles ewig, Alles verkettet, verfädelt, verliebt, oh so liebtet ihr die Welt“ (402).

Literatur Andreas-Salomé, Lou 1983: Friedrich Nietzsche in seinen Werken, hrsg. v. E. Pfeiffer, Frankfurt/M. (Neudruck der Erstausgabe Wien 1894). Baeumler, Alfred 1931: Nietzsche der Philosoph und Politiker, Leipzig. Baeumler, Alfred 1964: Nachwort zu „Also sprach Zarathustra“, in: F. Nietzsche, Sämtliche Werke in zwölf Bänden, Bd. 6, Stuttgart. Bishop, Paul 1995: The Dionysian Self. C. G. Jung’s Reception of Friedrich Nietzsche, Berlin/New York. Dilthey, Wilhelm 1921: Die drei Grundformen der Systeme in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts (1898), in: ders., Gesammelte Schriften, Bd. 4, Leipzig/ Berlin, 528–554. Gadamer, Hans-Georg 1986: Das Drama Zarathustras, in: Nietzsche-Studien 15, 1–15. Heidegger, Martin 1950: Nietzsches Wort „Gott ist tot“, in: ders., Holzwege, Frankfurt/M., 193–247. Heidegger, Martin 1950a: Nachweise, in: ders., Holzwege, Frankfurt/M., 344 – 345. Heidegger, Martin 1954: Wer ist Nietzsches Zarathustra?, in: ders., Vorträge und Aufsätze, Pfullingen, 101–126. Heidegger, Martin 1961, 31976: Nietzsche, 2 Bde., Pfullingen. Hirsch, Emanuel 1986: Nietzsche und Luther. Mit einem Nachwort von Jörg Salaquarda, in: Nietzsche-Studien 15, 398– 439 (zuerst in: Luther-Jahrbuch 1921, 61–106). Jaspers, Karl 1936, 21947: Nietzsche. Einführung in das Verständnis seines Philosophierens, Berlin.

„Wer ist Nietzsches Zarathustra?“ Jung, Carl G. 1988: Nietzsche’s Zarathustra. Notes of the Seminar given in 1934–1939 by C. G. Jung, hrsg. v. J. L. Jarrett, 2 Bde., Princeton. Löwith, Karl 1956: Nietzsches Philosophie der ewigen Wiederkehr des Gleichen (1935), 2., umgearb. u. erg. Aufl., Stuttgart. Löwith, Karl 1960: Friedrich Nietzsche nach sechzig Jahren, in: ders., Gesammelte Abhandlungen, Stuttgart, 127–151. Magnus, Bernd 1980: Nietzsches äternalistischer Gegenmythos, in: J. Salaquarda (Hrsg.), Nietzsche, Darmstadt, 219–233. Mann, Thomas 1976: Nietzsches Philosophie im Lichte der heutigen Erfahrung (1947), in: F. Nietzsche, Also sprach Zarathustra. Ein Buch für Alle und Keinen, mit einem Essay von Thomas Mann, Frankfurt/M. (auch in: ders., Reden und Aufsätze, Gesammelte Werke in 12 Bänden, Bd. 9, Frankfurt/M. 1960, 675–713). Petzet, Heinrich Wiegand 1983: Auf einen Stern zugehen. Begegnungen mit Martin Heidegger 1929–1976, Frankfurt/M. Pöggeler, Otto 1990: Der Denkweg Martin Heideggers, dritte erw. Auflage, Pfullingen. Scheler, Max 1955: Das Ressentiment im Aufbau des Moralen, in: ders., Vom Umsturz der Werte, Gesammelte Werke, Bd. 3, Bern, 33–147. Simmel, Georg 1907: Schopenhauer und Nietzsche. Ein Vortragszyklus, Leipzig. Tönnies, Ferdinand 1897: Der Nietzsche-Kultus. Eine Kritik, Leipzig. Wein, Hermann 1972: Nietzsche ohne Zarathustra. Die Entkitschung Nietzsches: Der kritische Aufklärer, in: Nietzsche-Studien 1, 359–379.

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Auswahlbibliographie

1. Kommentare und Interpretationen zum Zarathustra Bennholdt-Thomsen, Anke 1974: Nietzsches „Also sprach Zarathustra“ als literarisches Phänomen, Frankfurt/M. Colli, Giorgio/Montinari, Mazzino 1988: Kommentar zu „Also sprach Zarathustra“, in: KSA 14, 279–344. Gasser, Peter 1992: Rhetorische Philosophie. Leseversuche zum metaphorischen Diskurs in Nietzsches „Also sprach Zarathustra“, Bern u. a. Gramzow, Otto 1907: Kurzer Kommentar zum Zarathustra, Berlin-Charlottenburg. Haase, Marie-Luise/Montinari, Mazzino 1991: Nachbericht zu „Also sprach Zarathustra“, in: KGW VI/4. Higgins, Kathleen M. 1987: Nietzsche’s “Zarathustra”, Philadelphia. Köhler, Joachim 1989: Zarathustras Geheimnis. Friedrich Nietzsche und seine verschlüsselte Botschaft, Nördlingen. Lampert, Laurence 1986: Nietzsche’s Teaching. An Interpretation of “Thus Spoke Zarathustra”, New Haven/London. Messer, August 1922: Erläuterungen zu Nietzsches „Zarathustra“, Stuttgart. Naumann, Gustav 1899–1901: Zarathustra-Commentar, 4 Teile, Leipzig. Pieper, Annemarie 1990: „Ein Seil geknüpft zwischen Tier und Übermensch“. Philosophische Erläuterungen zu Nietzsches erstem „Zarathustra“, Stuttgart. Rosen, Stanley 1995: The Mask of Enlightenment. Nietzsche’s “Zarathustra”, Cambridge. Roth-Bodmer, Eugen 1975: Schlüssel zu Nietzsches „Zarathustra“. Ein interpretierender Kommentar zu Nietzsches Werk „Also sprach Zarathustra“, Diss. Zürich. Vitens, Siegfried 1951: Die Sprachkunst Friedrich Nietzsches in „Also sprach Zarathustra“, Bremen-Horn. Weichelt, Hans 21922: Zarathustra-Kommentar, Leipzig. Whitlock, Greg 1990: Returning to Sils-Maria. A Commentary to Nietzsche’s “Also sprach Zarathustra”, New York/Bern/Frankfurt/M.

2. Monographien und Aufsätze zum Zarathustra und zur Nietzsche-Forschung Alderman, Harold 1977: Nietzsche’s Gift, Athens/Ohio. Allison, David B. (Hrsg.) 1977: The New Nietzsche. Contemporary Styles of Interpretation, New York. Andreas-Salomé, Lou 1983: Friedrich Nietzsche in seinen Werken, hrsg. v. E. Pfeiffer, Frankfurt/M. (Neudruck der Erstausgabe Wien 1894). Aschheim, Steven E. 1996: Nietzsche und die Deutschen. Karriere eines Kults, aus dem Engl. v. K. Laermann, Stuttgart/Weimar.

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Auswahlbibliographie Baeumler, Alfred 1931: Nietzsche der Philosoph und Politiker, Leipzig. Baeumler, Alfred 1964: Nachwort zu „Also sprach Zarathustra“, in: F. Nietzsche, Sämtliche Werke in zwölf Bänden, Bd. 6, Stuttgart. Baier, Horst 1981/82: Die Gesellschaft – ein langer Schatten des toten Gottes. Friedrich Nietzsche und die Entstehung der Soziologie aus dem Geiste der décadence, in: Nietzsche-Studien 10/11, 6 –33. Becker, Wilhelm Carl 1908: Der Nietzschekultus. Ein Kapitel aus der Geschichte der Verirrungen des menschlichen Geistes, Leipzig. Behler, Ernst 1975: Nietzsches Auffassung der Ironie, in: Nietzsche-Studien 4, 1–35. Behler, Ernst 1978: Nietzsche, Marx und die deutsche Frühromantik, in: R. Grimm/J. Hermand (Hrsg.), Karl Marx und Friedrich Nietzsche, Königstein i. Ts., 38– 62. Behler, Ernst 1984: Zur frühen sozialistischen Rezeption Nietzsches in Deutschland, in: Nietzsche-Studien 13, 503–520. Behler, Ernst 1985: Nietzsche jenseits der Dekonstruktion, in: J. Simon (Hrsg.), Nietzsche und die philosophische Tradition, Bd. 1, Würzburg, 88–107. Behler, Ernst/Venturelli, Aldo 1994: Friedrich Nietzsche, Roma. Biser, Eugen 1982: Gottsucher oder Antichrist? Nietzsches provokative Kritik des Christentums, Salzburg. Bishop, Paul 1995: The Dionysian Self. C. G. Jung’s Reception of Friedrich Nietzsche, Berlin/New York. Blondel, Eric 1981/82: Vom Nutzen und Nachteil der Sprache für das Verständnis Nietzsches: Nietzsche und der französische Strukturalismus, in: Nietzsche-Studien 10/11, 518–564. Borchmeyer, Dieter/Salaquarda, Jörg (Hrsg.) 1994: Nietzsche und Wagner. Stationen einer epochalen Begegnung, 2 Bde., Frankfurt/M./Leipzig. Braun, Rüdiger 1997: Quellmund der Geschichte. Nietzsches poetische Rede in „Also sprach Zarathustra“, Frankfurt/M./Berlin/Bern u. a. Brusotti, Marco 1997: Die Leidenschaft der Erkenntnis. Philosophie und ästhetische Lebensgestaltung bei Nietzsche von „Morgenröthe“ bis „Also sprach Zarathustra“, Berlin/New York. Burgard, Peter J. 1994: Nietzsche and the Feminine, Charlottesville/London. Clark, Maudemarie 1990: Nietzsche on Truth and Philosophy, Cambridge. Colli, Giorgio 1980: Nach Nietzsche, Frankfurt/M. Colli, Giorgio 1982: Distanz und Pathos. Einleitungen zu Nietzsches Werken, Frankfurt/M. Conway, Daniel W. 1988: Solving the Problem of Socrates. Nietzsche’s “Zarathustra” as Political Irony, in: Political Theory 16, 257–280. Conway, Daniel W. 1990: Nietzsche contra Nietzsche. The Deconstruction of “Zarathustra”, in: C. Koelb (Hrsg.), Nietzsche as Postmodernist. Essays Pro and Contra, Albany, 91–110. Conway, Daniel W. 1997: Nietzsche’s Dangerous Game: Philosophy in the Twilight of the Idols, Cambridge/NewYork. Cousineau, Robert H. 1991: Zarathustra and the Ethical Ideal. Timely Meditations on Philosophy, Amsterdam. Danto, Arthur C. 1965: Nietzsche as Philosopher, New York. Deleuze, Gilles 1962: Nietzsche et la philosophie, Paris (dt.: Nietzsche und die Philosophie, Hamburg 1976).

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Auswahlbibliographie Hillebrand, Bruno (Hrsg.) 1978: Nietzsche und die deutsche Literatur, 2 Bde., Tübingen. Himmelmann, Beatrix 1996: Freiheit und Selbstbestimmung. Zu Nietzsches Philosophie der Subjektivität, Freiburg/München. Hirsch, Emanuel 1986: Nietzsche und Luther. Mit einem Nachwort von Jörg Salaquarda, in: Nietzsche-Studien 15, 398–439 (zuerst in: Luther-Jahrbuch 1921, 61–106). Hollingdale, Reginald J. 1965: Nietzsche. The Man and His Philosophy, Baton Rouge. Hollinrake, Roger 1982: Nietzsche, Wagner, and the Philosophy of Pessimism, London. D’Iorio, Paolo 1993: Beiträge zur Quellenforschung, in: Nietzsche-Studien 22, 395–401. James, William 1907: Pragmatism. A New Name for Some Old Ways of Thinking, New York. Janz, Curt Paul 1978/79: Friedrich Nietzsche. Biographie in drei Bänden, München/Wien. Jaspers, Karl 1936, 21947: Nietzsche. Einführung in das Verständnis seines Philosophierens, Berlin. Jung, Carl G. 1988: Nietzsche’s Zarathustra. Notes of the Seminar given in 1934 –1939 by C. G. Jung, hrsg. v. J. L. Jarrett, 2 Bde., Princeton. Kalthoff, Albert 1904: Zarathustra-Predigten. Reden über die sittliche Lebensauffassung Friedrich Nietzsches, Jena. Kaufmann, Walter 1974: Nietzsche. Philosopher, Psychologist, Antichrist, Princeton. Kaulbach, Friedrich 1980: Nietzsches Idee einer Experimentalphilosophie, Köln/ Wien. Kellenberger, James 1997: Kierkegaard and Nietzsche. Faith and Eternal Acceptance, Basingstoke/New York. Kjaer, Jørgen 1990: Friedrich Nietzsche. Die Zerstörung der Humanität durch Mutterliebe, Opladen. Klages, Ludwig 1926: Die psychologischen Errungenschaften Nietzsches, Leipzig. Klossowski, Pierre 1969: Nietzsche et le cercle vicieux, Paris (dt.: Nietzsche und der Circulus vitiosus deus, München 1986). Koch, Hans-Joachim 1997: Das Chaos und die grosse Fülle des Lebens oder Wie gross ist die „grosse Vernunft“ bei Nietzsche?, in: ders., Friedrich Nietzsche. Beiträge zur Nietzsche-Forschung, Cuxhaven/Dartford, 73–99. Köhler, Joachim 1989: Zarathustras Geheimnis. Friedrich Nietzsche und seine verschlüsselte Botschaft, Nördlingen. Köster, Peter 1981/82: Nietzsche-Kritik und Nietzsche-Rezeption in der Theologie des 20. Jahrhunderts, in: Nietzsche-Studien 10/11, 615–685. Kreis, Rudolf 1995: Nietzsche, Wagner und die Juden, Würzburg. Krummel, Richard Frank 1974/83/98: Nietzsche und der deutsche Geist, 3 Bde., Berlin/New York. Lehmann, Günther K. 1993: Der Übermensch – Friedrich Nietzsche und das Scheitern der Utopie, Bern/Frankfurt/M./New York. Löwith, Karl 1956: Nietzsches Philosophie der ewigen Wiederkehr des Gleichen (1935), 2., umgearb. u. erg. Aufl., Stuttgart.

Auswahlbibliographie Löwith, Karl 1936: Jacob Burckhardt. Der Mensch inmitten der Geschichte, Luzern. Löwith, Karl 1941: Von Hegel zu Nietzsche, Zürich/New York. Löwith, Karl 1960: Friedrich Nietzsche nach sechzig Jahren, in: ders., Gesammelte Abhandlungen, Stuttgart, 127–151. Löwith, Karl 1987: Kierkegaard und Nietzsche (1933), in: ders., Sämtliche Schriften, Bd. 6, Stuttgart , 75–99. Lukács, Georg 1954: Nietzsche als Begründer des Irrationalismus der imperialistischen Periode, in: ders., Die Zerstörung der Vernunft, Berlin, 244 –317. Magnus, Bernd 1978: Nietzsche’s Existential Imperative, Bloomington/London. Magnus, Bernd 1980: Nietzsches äternalistischer Gegenmythos, in: J. Salaquarda (Hrsg.), Nietzsche, Darmstadt, 219–233. Magnus, Bernd/Stewart, Stanley/Mileur, Jean-Pierre 1993: Nietzsche’s Case. Philosophy as/and Literature, New York/London. Mann, Thomas 1976: Nietzsches Philosophie im Lichte der heutigen Erfahrung (1947), in: F. Nietzsche, Also sprach Zarathustra. Ein Buch für Alle und Keinen, mit einem Essay von Thomas Mann, Frankfurt/M. (auch in: ders., Reden und Aufsätze, Gesammelte Werke in 12 Bänden, Bd. 9, Frankfurt/M. 1960, 675–713). Marcuse, Ludwig 1964: Aus den Papieren eines bejahrten Philosophie-Studenten, München. Meyer, Theo 1993: Nietzsche und die Kunst, Tübingen/Basel. Montinari, Mazzino 1980: Nietzsches Nachlaß von 1885 bis 1888 oder Textkritik und Wille zur Macht, in: J. Salaquarda (Hrsg.), Nietzsche, Darmstadt, 323–349. Montinari, Mazzino 1982: Nietzsche lesen, Berlin/New York. Montinari, Mazzino/Hillebrand, Bruno (Hrsg.) 1984: Grundfragen der NietzscheForschung, Berlin (Nietzsche-Studien, Bd. 13). Müller-Lauter, Wolfgang 1971: Nietzsche. Seine Philosophie der Gegensätze und die Gegensätze seiner Philosophie, Berlin/New York. Müller-Lauter, Wolfgang 1981: Der Geist der Rache. Zu Heideggers später Nietzsche-Interpretation, in: F. W. Korff (Hrsg.), Redliches Denken. Festschrift für Gerd-Günther Grau zum 60. Geburtstag, Stuttgart, 92–113. Müller-Lauter, Wolfgang 1981/82: Das Willenswesen und der Übermensch. Ein Beitrag zu Heideggers Nietzsche-Interpretationen, in: Nietzsche-Studien 10/11, 132–192. Müller-Lauter, Wolfgang 1999: Nietzsche-Interpretationen, Bd. 1: Über Werden und Wille zur Macht, Bd. 2: Über Freiheit und Chaos, Berlin/New York. Nehamas, Alexander 1985: Nietzsche. Life as Literature, Cambridge/Mass. (dt.: Nietzsche. Das Leben als Literatur, 2. Aufl., Göttingen 1996). Nehamas, Alexander 1994: Nietzsche, Modernity, Aestheticism, in: Internationale Zeitschrift für Philosophie, Heft 2, 180 –200. Ott, Hugo 1988: Martin Heidegger und der Nationalsozialismus, in: A. Gethmann-Siefert/O. Pöggeler (Hrsg.), Heidegger und die praktische Philosophie, Frankfurt/M., 64–77. Ottmann, Henning 1984: Anti-Lukács. Eine Kritik der Nietzsche-Kritik von Georg Lukács, in: Nietzsche-Studien 13, 570 –586. Ottmann, Henning 1985: Nietzsches Stellung zur antiken und modernen Aufklärung, in: J. Simon (Hrsg.), Nietzsche und die philosophische Tradition, Bd. 2, Würzburg, 9–35.

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Auswahlbibliographie Ottmann, Henning 1987, 21999: Philosophie und Politik bei Nietzsche, Berlin/ New York. Parkes, Graham 1994: Composing the Soul. Reaches of Nietzsche’s Psychology, Chicago/London. Pautrat, Bernard 1979: Brief an den Narren, in: A. Guzzoni (Hrsg.), 90 Jahre philosophische Nietzsche-Rezeption, Königstein/Ts., 167–189. Perkins, Richard 1983: Analogistic Strategies in Zarathustra, in: The Great Year of Zarathustra (1881–1981), hrsg. v. D. Goicoechea, New York/London/ Lanham, 316 –338. Pieper, Annemarie 1991: Nihilismus und Revolte. Camus’ Nietzschekritik, in: Zeitschrift für philosophische Forschung 45, 171–185. Pippin, Robert 1988: Irony and Affirmation in Nietzsche’s “Thus Spoke Zarathustra”, in: M. A. Gillespie/T. B. Strong (Hrsg.), Nietzsche’s New Seas: Explorations in Philosophy, Aesthetics, and Politics, Chicago, 45–71. Platt, Michael 1988: What does Zarathustra Whisper in Life’s Ear?, in: Nietzsche-Studien 17, 179–194. Pütz, Peter 1974: Nietzsche im Licht der Kritischen Theorie, in: NietzscheStudien 3, 175–191. Reibnitz, Barbara von 1992: Ein Kommentar zu Friedrich Nietzsche, „Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik“ (Kap. 1–12), Stuttgart/Weimar. Reschke, Renate 1994: Der Lärm der großen Stadt, der Tod Gottes und die Misere vom Ende des Menschen. Zu Nietzsches Kulturkritik der Moderne, in: Nietzscheforschung. Eine Jahresschrift, Bd. 1, hrsg. im Auftrag der Förder- und Forschungsgemeinschaft Friedrich Nietzsche e. V. v. H.-M. Gerlach, R. Eichberg und H. J. Schmidt, Berlin, 79–97. Röttges, Heinz 1972: Nietzsche und die Dialektik der Aufklärung, Berlin/ New York. Rorty, Richard 1981: Der Spiegel der Natur. Eine Kritik der Philosophie, Frankfurt/M. Salaquarda, Jörg 1966 –1972: Zarathustra und der Esel. Eine Untersuchung über die Rolle des Esels im Vierten Teil von Nietzsches „Also sprach Zarathustra“, in: Theologia Viatorum XI, 181–213. Salaquarda, Jörg 1973: Der Antichrist, in: Nietzsche-Studien 2, 91–136. Salaquarda, Jörg (Hrsg.) 1980, 21996: Nietzsche, Darmstadt. Salaquarda, Jörg 1989: Der ungeheure Augenblick, in: Nietzsche-Studien 18, 317–337. Sandvoss, Ernst R. 1969: Hitler und Nietzsche, Göttingen. Schaberg, William H. 1995: The Nietzsche Canon. A Publication History and Bibliography, Chicago. Schacht, Richard 1983: Nietzsche, London. Schacht, Richard 1995: Zarathustra/Zarathustra as Educator, in: P. R. Sedgwick (Hrsg.), Nietzsche: A Critical Reader, Oxford/Cambridge, 222–249. Schank, Gerd 1993: Dionysos gegen den Gekreuzigten. Eine philologische und philosophische Studie zu Nietzsches „Ecce homo“, Bern/Berlin. Scheier, Claus-Artur 1985: Nietzsches Labyrinth. Das ursprüngliche Denken und die Seele, Freiburg/München. Schlechta, Karl 1954: Nietzsches großer Mittag, Frankfurt/M. Schlechta, Karl 1958: Der Fall Nietzsche, München.

Auswahlbibliographie Schlechta, Karl/Anders, Anni 1962: Friedrich Nietzsche. Von den verborgenen Anfängen seines Philosophierens, Stuttgart-Bad Cannstatt. Schmidt, Hermann Josef 1994: „Du gehst zu Frauen?“ Zarathustras Peitsche – ein Schlüssel zu Nietzsche oder einhundert Jahre lang Lärm um nichts?, in: Nietzscheforschung. Eine Jahresschrift, Bd. 1, hrsg. im Auftrag der Förderund Forschungsgemeinschaft Friedrich Nietzsche e. V. v. H.-M. Gerlach, R. Eichberg und H. J. Schmidt, Berlin, 111–134. Schubert, Dietrich 1981/82: Nietzsche-Konkretionsformen in der bildenden Kunst 1890–1933. Ein Überblick, in: Nietzsche-Studien 10/11, 278–327. Shapiro, Gary 1989: Nietzschean Narratives, Bloomington. Simmel, Georg 1907: Schopenhauer und Nietzsche. Ein Vortragszyklus, Leipzig. Simon, Josef 1986: Der gewollte Schein. Zu Nietzsches Begriff der Interpreta´ Simon (Hrsg.), Kunst und Wissenschaft bei Nietzsche, tion, in: M. Djuric/J. Würzburg, 62–74. Simon, Josef 1989: Welt auf Zeit. Nietzsches Denken in der Spannung zwischen der Absolutheit des Individuums und dem kategorialen Schema der Metaphysik, in: G. Abel/J. Salaquarda (Hrsg.), Krisis der Metaphysik. Wolfgang Müller-Lauter zum 65. Geburtstag, Berlin/New York, 109–133. Simon, Josef 1995: Verstehen ohne Interpretation? Zeichen und Verstehen bei Hegel und Nietzsche, in: ders. (Hrsg.), Distanz im Verstehen. Zeichen und Interpretation II, Frankfurt/M., 72–104. Sloterdijk, Peter 1986: Der Denker auf der Bühne. Nietzsches Materialismus, Frankfurt/M. Staten, Henry 1990: Nietzsche’s Voice, Ithaca. Stegmaier, Werner 1992: Philosophie der Fluktuanz. Dilthey und Nietzsche, Göttingen. Stegmaier, Werner 1995: Philosophieren als Vermeiden einer Lehre. Inter-individuelle Orientierung bei Sokrates und Platon, Nietzsche und Derrida, in: J. Simon (Hrsg.), Distanz im Verstehen. Zeichen und Interpretation II, Frankfurt/M., 214 –239. Stegmaier, Werner/Krochmalnik, Daniel (Hrsg.) 1997: Jüdischer Nietzscheanismus, Berlin/New York. Stern, Joseph P. 1978: Nietzsche, Middlesex. Stern, Joseph P. 1979: A Study of Nietzsche, London. Tanner, Michael 1994: Nietzsche, Oxford. Thumfart, Stefan 1995: Der Leib in Nietzsches „Zarathustra“ (zur Überwindung des Nihilismus in seiner Radikalisierung), Frankfurt/M./Berlin/Paris u. a. Tongeren, Paul van 1989: Die Moral von Nietzsches Moralkritik. Studie zu „Jenseits von Gut und Böse“, Bonn. Tönnies, Ferdinand 1897: Der Nietzsche-Kultus. Eine Kritik, Leipzig. Vaihinger, Hans 1911: Die Philosophie des Als Ob. System der theoretischen, praktischen und religiösen Funktionen der Menschheit auf Grund eines idealistischen Positivismus. Mit einem Anhang über Kant und Nietzsche, Berlin. Vivarelli, Vivetta 1984: Das Nietzsche-Bild in der Presse der deutschen Sozialdemokratie um die Jahrhundertwende, in: Nietzsche-Studien 13, 521–569. Vivarelli, Vivetta 1989: Empedokles und Zarathustra: Verschwenderischer Reichtum und Wollust am Untergang, in: Nietzsche-Studien 18, 509–536. Vivarelli, Vivetta 1992: L’immagine rovesciata. Le letture di Nietzsche, Genova.

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Auswahlbibliographie Vivarelli, Vivetta 1998: Nietzsche und die Masken des freien Geistes: Montaigne, Pascal und die Sterne, Würzburg. Vattimo, Gianni 1967: Poesia e ontologia, Mailand. Vattimo, Gianni 1974: Il soggetto e la maschera. Nietzsche e il problema della liberazione, Mailand. Vattimo, Gianni 1986: Jenseits vom Subjekt. Nietzsche, Heidegger und die Hermeneutik, Graz/Wien. Wein, Hermann 1972: Nietzsche ohne Zarathustra. Die Entkitschung Nietzsches: Der kritische Aufklärer, in: Nietzsche-Studien 1, 359–379. White, Alan 1990: Within Nietzsche’s Labyrinth, New York. Wohlfart, Günter 1991: ,Also sprach Herakleitos‘. Heraklits Fragment B 52 und Nietzsches Heraklit-Rezeption, Freiburg/München. Wohlfart, Günter 1997: Wer ist Nietzsches Zarathustra?, in: Nietzsche-Studien 26, 319–330.

Personenregister

Personenregister Adorno, Theodor W. 10, 372 Alderman, Harold 166 Alexander der Große 259 Anaxagoras 131 Anaximander 131 Andreas-Salomé, Lou 73, 91, 201, 336, 356 ff., 383 Apuleius 62 Arendt, Hannah 307 Aristoteles 39, 143, 144, 243, 303, 312 Aschheim, Steven E. 192 Athenaios 38 Augustinus 312 Baeumler, Alfred 355, 363 f., 365, 369, 379 Bahlsen, Gerhard 365 Becker, Wilhelm Carl 9 Beckett, Samuel 372 Behler, Ernst XI Benn, Gottfried 9 Bennholdt-Thomsen, Anke 2, 47 Bergson, Henri 9 Berkeley, George 295 Bishop, Paul 373 Bizet, Georges 278 Borchmeyer, Dieter 73 Borgia, Cesare 304 f. Bourget, Paul 48 Brandes, Georg 63, 181 Braun, Rudolf 267 Brentano, Franz 339 Brusotti, Marco 77 Burckhardt, Jacob 7, 96 Burgard, Peter J. 176 Caesar 314, 315 Camus, Albert 115 ff., 120, 372 Carlyle, Thomas 304 Cavell, Stanley 308 Clark, Maudemarie 299, 311, 312 f., 316 Colli, Giorgio 10 f., 249 f., 276, 282, 297, 324, 342

Colpe, Carsten 196, 202 Contini, Gianfranco 326 Conway, Daniel W. 158 Correggio, Antonio 330 D’Iorio, Paolo 196 Dante Alighieri 320 Danto, Arthur C. 309 f. Derrida, Jacques 226 Descartes, René 150, 293 f., 295, 296 Detienne, Marcel 259, 262 Deussen, Paul 260 Dewey, John 9 Dilthey, Wilhelm 355 Diogenes Laertius 27 Donne, John 189 Dühring, Eugen 72 Eckermann, Johann Peter 342 Eichmann, Adolf 307 Eisler, Rudolf 10 Eliot, George 167 Emerson, Ralph Waldo 9, 82, 88, 324, 328, 333 ff., 350 Euripides 346 Fichte, Johann Gottlieb 126, 377 Fischer, John Martin 315 Fish, Stanley E. 292 f. Fleischer, Margot 192 Fontenelle, Bernard de 331 Förster-Nietzsche, Elisabeth 10, 72, 73, 194, 305 f., 308, 357 Foucault, Michel 320 Fouillée, Alfred 9 Frank, Hartwig 191 Frank, Manfred 258, 264 Freud, Sigmund 158 Frey-Rohn, Liliane 282 Fritzsch, Ernst Wilhelm 358 Fuchs, Carl 63, 181 Gadamer, Hans-Georg 373, 383

369 ff.,

395

396

Personenregister Gasser, Peter 94 Gehlen, Arnold 10 George, Stephan 9 Gerhardt, Volker 3, 6, 12, 111, 129, 135, 157, 205 Gersdorff, Carl von 52, 62, 180, 343 Goethe, Johann Wolfgang von 28, 30, 81, 137, 200, 309, 326, 329, 342, 350 Gooding-Williams, Robert 180 Gramzow, Otto 47 Gugerli, David 267 Guyau, Jean Marie 9 Haase, Marie-Luise 11, 49, 52, 74, 82, 114 Habermas, Jürgen 312 Hahn, István 262 Hamann, Johann Georg 245 Hamann, Richard 281 Harden, Maximillian 357 Hastedt, Heiner 142 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 9, 76, 146, 151, 239, 258, 294 ff. Heidegger, Martin 10, 64, 71, 85, 102, 110, 113, 114, 132, 244, 248, 311 f., 316, 351 ff., 365 f., 369, 371, 372, 373 ff. Heller, Peter 47, 325 Hemingway, Ernest 189 Heraklit 85, 132, 214, 276, 380 Hermand, Jost 281 Hesiod 199 Higgins, Kathleen M. 62, 166, 181, 187, 311, 320 Hillebrand, Bruno 9 Himmelmann, Beatrix XI Hirsch, Emanuel 360 ff. Hitler, Adolf 306 Hoffmann, David Marc 69 Hofmannsthal, Hugo von 8 Hölderlin, Friedrich 260, 324, 339, 344 ff., 350, 354 f. Hollingdale, Reginald J. 181 Hollinrake, Roger 80 Homer 21 Horkheimer, Max 10 Hübscher, Arthur 85 Humboldt, Wilhelm von 242

Hume, David 295 Husserl, Edmund 10 James, William 9 Janz, Curt Paul 53 f., 60, 70, 259, 284 Jaspers, Karl 10, 355, 368 Jesus Christus 3, 108, 144, 198, 199, 200, 229, 231, 268 f., 270, 317, 330, 362 Joël, Karl 10, 365 Jung, Carl G. 373 Kalthoff, Albert 47 Kant, Immanuel 9, 10, 132, 135 ff., 145 f., 150, 151, 152 f., 154, 212, 236 ff., 239 f., 241 f., 249 f., 285, 295, 307, 312, 377 Kaufmann, Walter 189, 307, 309 Kaulbach, Friedrich 12, 64, 142 Klages, Ludwig 94, 365 Klossowski, Pierre 13 Koch, Hans-Joachim 270, 275 Köselitz, Heinrich (Pseudonym: Peter Gast) 1, 52, 53, 62, 63, 69, 70, 72, 73, 77, 181, 196, 324 Köster, Peter 10 Kreis, Rudolf 80 Krochmalnik, Daniel 192 Krummel, Richard Frank 9 Kuhn, Helmut 64 Kundera, Milan 317 Küppers, Günter 156 La Rochefoucauld, François de 332 Lampert, Laurence 47, 56 ff., 74, 78, 82, 85, 91, 166, 172, 176, 178 f., 181, 183 f., 187 Landers, Ann 310, 313, 316, 320 Lanzky, Paul 72 Leibniz, Gottfried Wilhelm 302, 317, 318, 377 Lippe, Rudolf zur 266, 280 Livius 48 Locke, John 295 Löwith, Karl 10, 114, 355, 365 ff., 369 Luther, Martin 57, 70 Machiavelli, Niccolò 48

Personenregister Magnus, Bernd 77, 177, 181, 189, 285, 299, 372 f. Mallarmé, Stéphane 372 Mann, Heinrich 9 Mann, Thomas 9, 362 f., 372 Mansfeld, Jaap 276 Marc Aurel 346 Marcuse, Ludwig 8 Marx, Karl 312 Messer, August 47 Meyer, Conrad Ferdinand 355 Meyer, Theo 283 Meysenbug, Malwida von 70, 346 Mileur, Jean-Pierre 177, 181, 285 Modigliani, Amedeo 372 Montinari, Mazzino 11, 50, 77, 82, 225, 297, 324, 338 Morgenstern, Christian 8 f. Mozart, Wolfgang Amadeus 81 Müller-Lauter, Wolfgang 64, 94, 97, 106, 114 Musil, Robert 9 Nauck, August 346 Naumann, Gustav 47 Nehamas, Alexander 167, 174, 299, 311, 312, 313 ff. Newton, Isaac 299, 340, 341 Nietzsche, Franziska 336 Nietzsche, Ludwig 70 Ottmann, Henning 9, 50, 64, 96, 105, 114 Overbeck, Franz 1, 2, 7, 52, 72, 73, 181 Ovid 39, 331 Parkes, Graham 142 Parmenides 131, 379 Paulus / Saulus 51, 76, 362 Pausanias 39 Petzet, Heinrich Wiegand 374 Pieper, Annemarie 47, 74, 121, 151, 157 Pippin, Robert 166, 171 f., 174, 176, 187 Platon 64 f., 99, 132, 134, 142, 144, 151, 174, 177, 196 ff., 235 f., 241, 243, 254, 308, 312, 329, 332, 354

Platt, Michael 179 Pöggeler, Otto 381 Pound, Ezra Loomis 372 Raffael 330 Reé, Paul 201, 336 Reibnitz, Barbara von 47 Reininger, Robert 10 Rembrandt 186 Reschke, Renate 268 Richter, Raoul 10 Riehl, Alois 10 Rilke, Rainer Maria 8, 355 Rohde, Erwin 69 f., 259, 260 Rosen, Stanley 166 Roth-Bodmer, Eugen 47 Salaquarda, Jörg XI, 62, 73, 76, 297 Sartre, Jean-Paul 10, 315, 372 Schaberg, William H. 181 Schacht, Richard 310 Scheier, Claus-Artur 54 f., 142 Scheler, Max 355 Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph 258, 377 Schelsky, Helmut 10 Schiller, Friedrich 107, 137, 339, 373 Schlegel, Friedrich 258 Schmeitzner, Ernst 56, 69 Schmidt, Hermann Josef 176 Schopenhauer, Arthur 7, 50, 61, 70, 82, 85 f., 126, 157, 196, 198, 208, 213, 326 f., 328, 329 f., 332 f., 335, 343 f., 348 ff., 363, 365, 377 Schubert, Dietrich 9 Schwab, Christoph Theodor 345 Seleukos I. Nikator 259 Sendrey, Alfred 268 Seneca 331 Shakespeare, William 315 Shapiro, Gary 181 Simmel, Georg 8, 10, 355, 365 Simon, Josef 231, 237, 248 Sloterdijk, Peter 264 Sokrates 3, 14, 27, 100, 131, 134, 174, 194, 196 f., 198, 235 f., 241, 243, 246, 252, 274, 332 Solon 134

397

398

Personenregister Spengler, Oswald 9, 372 Spinoza, Baruch de 312, 329 Staten, Henry 176 Stegmaier, Werner 191, 192, 197 Stein, Heinrich von 2, 5, 72 f. Steiner, Rudolf 9 Stern, Joseph P. 306 f. Stewart, Stanley 177, 181, 285 Stobaios 330 Strauss, Leo 48, 56 Tanner, Michael 166, 176 Thales 131 Thomas von Aquin 312 Tönnies, Ferdinand 10, 356 f. Vaihinger, Hans 9 Vattimo, Gianni 94 Vitens, Siegfried 47 Voltaire 325

Wagner, Richard 42, 48, 50, 54, 61, 65 f., 70, 80, 137, 196, 198, 213, 267, 278, 333, 336, 346, 349 Weber, Max 10 Weichelt, Hans 47 Weimer, Wolfgang 85 Wein, Hermann 371 f. White, Alan 178 White, Hayden V. 195 Widemann, Paul Heinrich 52 Wieland, Wolfgang 197 Wilamowitz-Moellendorff, Erdmann 57 Winckelmann, Johann Joachim 332 Wittgenstein, Ludwig 242, 320 Wohlfart, Günter 71, 276 Woodcock-Magnus, Lore 301

Sachregister

Sachregister amor fati 12, 33, 87, 90, 250, 263 Antike 39, 75, 259 f., 261, 269 f., 310, 345, 366 f. apollinisch 232, 249, 250, 276, 282 Apollon 200, 258 Asket, asketisch 7 f., 138, 269, 281 f., 288 Ästhetik 134 ff., 258, 276 ff., 283 f. ästhetisch 134 f., 137 f., 149, 153 f., 174, 228 f., 232, 234 f., 258 ff., 262 ff., 272, 276 ff., 282 f., 310 f. Atheismus 360 f. Atheist 80, 84 Aufklärung 50, 371 Augenblick 3, 34 f., 60, 85, 112, 121, 222, 318 f., 345 ff. Ausdruck 135, 154, 159 f., 162 Autonomie 26 Autor 4, 199, 233 Bedeutung 160, 195, 226 f., 237, 242 Bedürfnis 238, 240 Befehl 30, 157, 310, 362 Begriff, begrifflich 130, 149, 159, 161, 229, 231, 236 Bejahung 22, 75, 84, 86 f., 91, 120, 218, 230, 312 ff., 332, 348, 358 f. Bewußtsein, bewußt 149, 159 Bibel, biblisch 56 ff., 80, 361 f. Bildung 137 f., 196, 320 Böses 37, 98, 338 Bosheit 277 Chaos 115, 265 Christentum 57, 64 f., 108, 198, 268 f., 289 f., 360, 373 christlich 82, 97, 99 f., 101, 103, 197 f., 267 ff., 367 décadence, décadent 48, 267 f., 269, 277 Dialektik 101, 117, 292, 325 Dichter 30 f., 71, 170 Differenz 154, 167 f., 180

dionysisch 120, 230, 232, 250, 253, 267, 269 f., 276, 282, 309, 333, 345 f., 348, 350 Dionysos 120 f., 200, 231, 253, 257 ff., 262 ff., 267 ff., 346 Distanz 13, 51, 71, 169, 193 f., 208 f., 233 Drama 49 f., 63, 369 ff. Dynamik, dynamisch 30, 94, 97, 102, 108, 111, 137, 275 Einheit 137, 144 f., 153, 160, 230 Einsamkeit 24 f., 28 f., 37, 78, 173, 194, 279 Ekel 38 f., 87 f., 207, 281 f. Ekstase 260, 262 Erde 98, 99, 139, 147 f. Erkenntnis, Erkennen 30, 41, 77, 83, 157, 221 f., 234, 254, 326 f., 329 Erlösung 28, 211, 214, 360, 373 Ernst 137, 198, 220, 242 Evolution 95, 111, 210, 338 Ewigkeit, ewig 86, 179, 344, 348 f., 377 existentiell 6, 75, 90, 128, 275, 303, 306, 368 Existenz 37, 100, 119, 141, 338 Experiment, experimentell 12, 41, 77, 94, 207 Experimental-Philosophie 6, 12 f., 123 Fatalismus 300, 315 Feind 25, 32, 169, 335 Fortschritt 8, 118 f. Frau 25 f., 175 ff., 201, 280 f. Freiheit 24, 121, 125, 213 Freund 25, 112, 170, 177 f., 241, 335 f. Freundschaft 24 f., 335 f. Ganzes, Ganzheit 48, 106, 138, 145 ff., 151, 153, 155 Gattung 110, 118 f., 221 f. Gefährten 21, 44, 59, 169

399

400

Sachregister Gegensatz 94, 113, 120, 137, 289 Gehorsam 30 Geist 22, 135, 140 f., 148 ff., 152, 327, 337 – der Schwere 37, 83 f., 175, 213, 279 – freier G. 30, 43, 50, 77, 233, 265, 309 Genealogie, genealogisch 103, 253 Genie 135, 152 f. Gerechtigkeit 64, 246, 250 Geschichte 264, 342 Geschmack 221, 235 Gesetz 147, 185, 266, 360, 368 Gesundheit 71, 140, 198, 274, 360 Glaube 221, 236, 239, 289 Gleichgewicht 103 f., 106, 109, 137, 267 Gleichheit 28, 113, 120, 246 Glück 40, 116 ff., 120, 121, 165, 167, 170, 182, 188 f., 194, 303, 343 f. Gott 27 f., 102, 146, 173, 186, 206 f., 213 f., 238 f., 257 ff., 272, 283 f., 317 Grammatik 125, 239, 253 f. Größe 72, 74, 153, 311 Gutes 37 Gut und Böse 83, 173, 176 f., 289, 308 f., 319 Habitus 143 Handlung 151, 194 f. Herde 20, 167, 169, 305 Heroismus, heroisch 64, 72, 306 Herrenmoral 289 f. Herrschaft, Herrschen 129 f., 157, 177, 362, 376 Herrschsucht 37 Historie, historisch 83, 172 Humanität 96, 241 Ich 23, 149 ff., 155 ff., 239 f. Ideal 168, 172, 198, 305, 311, 326 – asketisches I. 233, 286 ff., 316, 319 f. Idee 4, 95 f., 99, 238, 246 Identität 106, 301 Immanenz, immanent 98, 107, 109, 110, 112, 117, 119, 332, 343

Immoralist 65, 226, 305 Immoralität 308 Imperativ, existentieller 285 f., 372 Individualisierung 138, 221 Individualität 23, 246 Individuum, individuell 94, 96, 101, 102, 105, 117, 121, 136, 137 f., 149, 154, 167 f., 173 f., 186, 218 f., 220 ff., 225 ff., 228 f., 252, 253, 266, 305 Individuum, großes 119 Instinkt 221, 235, 291 Intellekt 82 f., 154 Interpretation 192, 212, 218, 225 ff., 230, 237, 240, 248 Irrtum, Irren 125, 162, 166, 196, 221 f. Kampf 79 f., 84, 87 f., 96, 106, 337 Katharsis 50, 99, 267 Kind 140, 187 ff. Klugheit 78, 214 f. Komödie 320 Kosmologie 175, 179, 298 f., 300 f., 372 Kraft 98, 104, 106, 108 f., 137, 337 Krankheit 39, 139, 278, 330 ff., 366 Kreis 59, 65 f., 81, 85 f., 97, 103, 106 ff., 114, 117 f., 251, 374, 378 Krieg 23, 120, 187 Kritik 5 f., 139, 194, 201 f., 241 Kritizismus 125, 131 Kultur 8 f., 137 f., 261, 263, 265 f. Kulturkritik 264, 272, 273 f. Kunst 134 ff., 153 f., 278, 283, 342, 356 f. Künstler 61, 152 f., 159, 265 Kunstwerk 101, 153 f., 262 Lachen 35, 36, 173, 219 f., 270, 276 f. Leben 30, 39, 81, 86, 90, 135 f., 140 f., 168, 175 ff., 186, 222, 234, 242, 264 f., 278 ff., 331, 336 f., 350, 358 ff., 374 – ideales L. 310 f., 313 f., 316 ff., 320 Lehre 65, 72, 171, 193 f., 195, 204 f., 217 f., 227, 232, 234 f., 237 f., 246 f., 256

Sachregister Lehrer 23 f., 74 f., 78 f., 90, 171, 193 f., 227, 230 ff., 375 ff. Leib 23, 100 ff., 126 ff., 135, 138 ff., 150 ff., 154 ff., 282 leiblich 127, 129, 138, 141 Leib-Seele-Synthese 100 ff., 109 f. Leibverachtung 99, 103, 131, 132, 138 f., 141, 154 f., 158, 162 Leiden 81, 208 f., 269, 287 ff., 330 ff., 348, 350, 374 f. Leidenschaft 77 f., 267, 331 Liebe 24 ff., 179, 207, 342 Lüge 170, 227, 305 Lust 100, 280, 337, 349 Maske 3, 233, 283, 353, 357 f. Materialismus 104 Materie 99, 101, 103, 104 Mensch 19, 28, 88, 95, 97 f., 102, 106 f., 111, 113 ff., 118 f., 210 f., 221, 246, 253, 262, 268, 338 f., 383 – der letzte M. 20, 51, 172, 210 f. – höhere M. 43 ff., 63, 91, 180 f., 183 ff., 255 f., 271 f., 313, 316 Menschheit 112, 118 f. Metaphysik 7, 97, 100, 132, 201, 214 f., 248, 289, 352, 354, 371, 377 f., 379 f. metaphysisch 99, 101, 103, 119 f., 236, 241, 368 Mitleid 42, 91, 181 ff., 187, 208 f., 256, 334 f. Mitteilung 149, 160, 228, 232 Moderne, modern 115, 174, 258, 261, 263, 264 f., 267, 272, 277 f., 366 f. Moral, moralisch 196, 201, 206 f., 214 f., 218, 219 f., 226, 231, 252, 287, 289 f., 308 f., 338 Musik 53 f., 228, 249, 341 f. Mut 34, 74, 83 f., 142 f. Mythologie 259, 260 Mythos 197, 258, 285, 373 Natur 138, 152 Nihilismus 8, 40, 50 f., 82 f., 86, 88, 119, 207, 252, 291, 366 normativ 97, 299 ff.

objektiv 98, 99 Ordnung 146, 266 Organ 37, 127, 132, 138, 232 orgiastisch 260, 262 Paradoxie, paradoxal 51, 133 f., 136, 153 f., 325 Pathos 2, 64, 91, 261, 265, 358 Pathos der Distanz 213 Perspektive 65, 116, 154, 160, 230, 236, 240, 248, 291 Perspektivismus 174, 290 f. Pessimismus 86, 267, 332 f., 335, 336 Philologe 2 f. Philosoph 10, 61, 83, 235, 238, 254, 347, 365 Philosophie 6 ff., 9 f., 205, 228, 234, 244 f., 252 f., 276, 277, 287, 288 Platonismus, platonistisch 57, 82, 125, 131 f., 290, 373 Pluralität 144, 154, 173, 174, 243 Praxis 3, 95, 102, 116, 161 Rache 290, 312, 377 ff. Rausch, rauschhaft 258, 262, 266 Realität 74, 146, 212, 221, 222 Redlichkeit 41, 71 Reduktionismus 150 f. Religion 45, 209, 238, 252, 287, 290, 360 f., 364 Ressentiment 8, 240, 241 Rhetorik 51, 53, 363 Romantik 257, 259, 339 Schaffen 95 f., 106, 107, 121, 140 f., 152, 206 f., 212 f., 279 Schätzen 167, 212, 214, 234 Schein 249 f., 252 f. Schicksal 90 f., 116 f., 246, 300 Schuld 64 f., 288 Seele 99, 100 ff., 141 ff. Sein 23, 103, 120, 216, 363 f., 365, 368, 374, 377 ff., 383 Selbst 23, 104, 111, 125, 152, 155 ff., 240, 267, 300, 314 f. Selbständigkeit 26, 43, 71, 150 Selbstbeherrschung 134, 305

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Sachregister Selbstbewußtsein 111, 155 Selbstbezug 111, 125 Selbsterlösung 39, 89 Selbstformung 186 f. Selbstgesetzgebung 22, 30, 50, 51 Selbstmächtigkeit 96, 105, 111 Selbstrechtfertigung 301 Selbstsucht 37 Selbsttäuschung 150, 301 f. Selbsttranszendenz 109, 112 Selbstüberwindung 12, 22, 29 f., 72 f., 101, 105 f., 108, 214, 304, 310, 324, 338 Selbstverantwortung 22 Selbstverhältnis 94, 102 ff., 107, 111, 117 Selbstverleugnung 162 Selbstvervollkommnung 107, 304, 305, 309 Selbstverwirklichung 188, 306 Selbstwerdung 71, 73, 107, 113, 119, 306, 317 Selbstwiderspruch 6, 141, 288, 371 self-consuming 286, 292 ff., 298 ff., 303, 318, 319 f. Sinn 12, 96 ff., 102, 107, 109, 112, 116 ff., 119 f., 129 f., 144 f., 147, 151, 153, 160, 195, 206, 287 f. Sinn der Erde 96 ff., 100 f., 106 f., 109, 119, 139 f., 148 Sinn des Lebens 205 Sinn des Leibes 148 Sinnlichkeit, Sinne 28, 279 f. Sklavenmoral 289 f. Spiel 107, 119, 135, 137, 140, 149, 275 f., 325 f. Spiritualismus 104 Spontaneität, spontan 152, 156, 157 Sprache 150 f., 248 ff., 254, 283 f. Stolz 78, 150 Subjekt, subjektiv 98, 230, 236, 239, 248 Subjektivität 64, 380 Substanz 125, 142 System 48, 176, 381 f. systematisch 125, 133

Tanz, Tanzen 101 f., 213, 258 ff., 272 ff. Tapferkeit 142 Tat, Täter 3, 4, 151 f. Teleologie, teleologisch 65, 81, 136, 138 Theorie, theoretisch 3, 5 f., 133, 252 f. Tod 32, 178 f., 277 f., 345 ff. Tod Gottes 42, 114 ff., 146, 204 f., 206 f., 209, 238 f., 252, 268 f. Tragödie 50, 63 ff., 194, 229, 232, 252, 268, 345, 370 f. Transzendenz, transzendent 98, 107, 108, 109, 110, 115, 117 Trieb 107, 240 Tugend 23, 28, 36, 37, 83, 188, 226, 280, 304, 311 Typus 112, 196, 198, 210 f., 229 ff., 243, 304 Übergang 19, 32, 110, 311, 338, 382 Übermensch 19, 51, 74, 88 f., 93 ff., 100 ff., 109 ff., 172, 174, 204 f., 209 ff., 231, 251, 253, 255, 301, 304 ff., 316 ff., 375 ff., 381, 382 Übermenschlichkeit 302, 304, 309 f., 312, 317, 320 Überwindung 50, 71 ff., 88, 93 f., 97, 181, 252, 256, 309, 338 Umkehr 57, 325 f., 354 Umwertung 213, 352 Umwertung der Werte 90, 213, 319 Unendlichkeit, unendlich 86, 98 f., 153 Ungleichheit 120 Unschuld 22, 64 f., 140, 328, 367, 370 Untergang 18, 59, 90, 194, 197, 201, 229, 232, 371 Verantwortung 182, 187, 199, 212, 252, 318 Vernunft 126 ff., 138, 140 f., 144 ff., 153 f., 276 – große V. 123 ff., 132 f., 138, 143 f., 146 ff., 150 ff., 282

Sachregister – kleine V. 128, 133, 148 f., 161 Vernünftigkeit, vernünftig 127 f., 129, 146 Verstand 142, 149 Verstehen 127, 149, 151, 192 ff., 230, 240, 241, 245 ff., 248 f. Vorsokratiker 131, 235, 238 Wahnsinn 19, 210, 211, 357 Wahrhaftigkeit 226 f. Wahrheit 194, 214, 220 ff., 226, 230, 233 ff., 241 ff. Weisheit 14, 160, 165, 214 f., 280 f. Welt 39, 157, 250 f., 340 f. Werden 28, 83, 120, 214, 230, 363 f. Werk 182, 188 f. Werte 146, 207, 213, 234, 254, 286 f., 289, 291, 305 f., 308 Wertschätzung 20, 255, 286 f. Wiederkehr 76, 110, 116, 345 Wiederkehr, ewige 17, 33, 34 f., 38 f., 50 f., 65, 75 ff., 88 ff., 113 ff., 118 ff., 171 f., 175, 204 f., 215 ff., 228 f., 250 f., 285 f., 297 ff., 310 ff., 351 ff., 359 f., 363 ff.

Wille, Wollen 22, 82, 157 f., 219, 230, 231, 233 f., 242, 243, 251, 326 f., 329, 330 ff., 344, 377 f. Wille zum Leben 237 Wille zur Macht 29 f., 64, 157 f., 204 f., 214, 237, 248, 251, 291, 314, 351 ff., 363 f., 369, 374 f., 379 f. Wille zur Wahrheit 290 Wille zur Zeugung 328 f. Wirksamkeit, Wirkung 146, 158, 223 Wissen 142, 236, 239 Wissenschaft 220 f., 255, 274, 341 f., 356 f., 368 Wollust 37, 280 Zeichen 195, 198, 199, 220, 226 f., 242 Zeit 28, 33, 85, 97, 214, 222, 230, 248, 298 f., 378 Ziel 72, 95, 96, 106, 112, 117, 119, 129, 211 Zweck, zweckmäßig 129, 149 Zyklus 75, 299

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Hinweise zu den Autoren

Hinweise zu den Autoren

Ernst Behler (1928–1997), Studium der Philosophie und Literaturwissenschaften in Mainz, Paris und München, Promotion in München 1951, Habilitation in Bonn 1961, seit 1965 Professor für Germanistik und Vergleichende Literaturwissenschaft an der University of Washington in Seattle, an dieser Universität seit 1976 Leitung des Instituts für Vergleichende Literaturwissenschaften. Veröffentlichungen u. a.: Die Ewigkeit der Welt. Problemgeschichtliche Untersuchungen zu den Kontroversen um Weltanfang und Weltunendlichkeit im Mittelalter (1965); Friedrich Schlegel (1966, 21978; jap. 1974); Klassische Ironie – Romantische Ironie – Tragische Ironie (1972, 31981); Derrida – Nietzsche/Nietzsche – Derrida (1988); Studien zur Romantik und zur idealistischen Philosophie, 2 Bde. (1988/93); Frühromantik (1992); Romantische Ironie (1996); Ironie und literarische Moderne (1997). (Mit-) Herausgeber u. a.: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe, 35 Bde. (1958 ff.); Friedrich Schlegel. Kritische Schriften und Fragmente. Studienausgabe, 6 Bde. (1988); August Wilhelm Schlegel. Kritische Ausgabe der Vorlesungen, 6 Bde. (seit 1989); The Complete Works of Friedrich Nietzsche, 20 Bde. (1995 ff.); Nietzsche-Studien (seit Bd. 7/1978); Athenäum. Jahrbuch für Romantik; Monographien und Texte zur Nietzsche-Forschung (seit 1978). Volker Gerhardt, geboren 1944, stammt aus Guben/Brandenburg, wuchs in Hagen/Westfalen auf und studierte Philosophie, Psychologie und Rechtswissenschaft in Frankfurt/M. und Münster. Dort auch Promotion (1974) und Habilitation (1984). Seit 1985 Professor für Philosophie in Münster, 1986 Gastprofessur an der Universität Zürich, von 1988 bis 1992 Leiter des Instituts für Philosophie an der Deutschen Sporthochschule in Köln, 1992 Ruf auf die Gründungsprofessur für Praktische Philosophie in Halle, im Oktober 1992 Annahme des Rufes auf den Lehrstuhl für Praktische Philosophie (Schwerpunkt: Rechts- und Sozialphilosophie) an der HumboldtUniversität zu Berlin. Mitglied der Berlinisch-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Buchveröffentlichungen: Vernunft und Interesse (Phil. Diss. Münster); Immanuel Kant (zusammen mit Friedrich Kaulbach, 1980); Pathos und Distanz (1989); Friedrich Nietzsche (1992, 31999); Immanuel Kant: Zum ewigen Frieden (1995); Vom Willen zur Macht (1996); Selbstbestimmung. Das Prinzip der Individualität (1999); Berliner Geist. Eine Geschichte der Berliner Universitätsphilosophie (zusammen mit Reinhard Mehring und Jana Rindert, 1999). Beatrix Himmelmann, Stipendiatin der Deutschen Forschungsgemeinschaft und Lehrbeauftragte am Institut für Philosophie der Humboldt-Universität zu Berlin, Studium in Münster, Bonn, Freiburg i. Br., Promotion 1995 in Gießen. Veröffentlichungen: Freiheit und Selbstbestimmung. Zu Nietzsches Philosophie der Subjektivität (1996); Aufsätze zu Nietzsche, zur NietzscheRezeption und zu Kant.

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Hinweise zu den Autoren Bernd Magnus, Professor für Philosophie und Humanities an der University of California, Riverside. Veröffentlichungen: Heidegger’s Metahistory of Philosophy (1971); Nietzsche’s Existential Imperative (1978); Nietzsche’s Case. Philosophy as/and Literature (1993); zahlreiche Aufsätze und verschiedene Anthologien zu Nietzsche, z. B. The Cambridge Companion to Nietzsche (zusammen mit Kathleen M. Higgins, 1996), und zu Descartes, Derrida und dem zeitgenössischen Marxismus. Herausgeber: The Complete Works of Friedrich Nietzsche (Standford University Press 1995 ff.) auf der Basis der Nietzsche-Ausgaben von Giorgio Colli und Mazzino Montinari. Alexander Nehamas, geboren in Griechenland, Edmund N. Carpenter II Professor für Humanities sowie Professor für Philosophie und Vergleichende Literaturwissenschaft an der Universität Princeton. Buchveröffentlichungen: Nietzsche. Life as Literature (1985); The Art of Living. Socratic Reflections from Plato to Foucault (1998); Virtues of Authenticity. Essays on Plato and Socrates (1998). Übersetzungen (ins Englische, zusammen mit Paul Woodruff) von Platons „Symposion“ (1989) und „Phaedrus“ (1995). Mitherausgeber: Philosophy & Rhetoric: Essays on Aristotle’s Rhetoric (zusammen mit David J. Furley, 1994). Gegenwärtig arbeitet er über Nietzsche und die Philosophie der Kunst. Henning Ottmann, Prof. Dr., geboren 1944 in Wien, Studium der Philosophie und Politikwissenschaft an den Universitäten München und Yale. Professor für Philosophie an der Universität Augsburg (1986 –1987), für Politische Philosophie und Theorie an der Universität Basel (1987–1995), seit 1995 Nachfolger von Nikolaus Lobkowicz auf dem Lehrstuhl für „Politikwissenschaft unter besonderer Berücksichtigung von Politischer Theorie und Philosophie“ am Geschwister-Scholl-Institut für Politische Wissenschaft der Universität München. Veröffentlichungen u. a.: Das Scheitern einer Einleitung in Hegels Philosophie (1973); Individuum und Gemeinschaft bei Hegel (1977); Philosophie und Politik bei Nietzsche (1987, 21999); Politische Philosophie des 20. Jahrhunderts (hrsg. mit K. Graf Ballestrem, 1990; tschech.: Politická filosofie 20. stoliti, 1993). Mitherausgeber von: Zeitschrift für Politik; Jahrbuch Politisches Denken; Hegel-Jahrbuch; Hegel-Forschungen; Basler Studien zur Philosophie; Philosophisches Jahrbuch. Annemarie Pieper, geboren 1941, Studium der Philosophie, Anglistik und Germanistik in Saarbrücken, Promotion 1967, Habilitation an der Ludwig-Maximilians-Universität München 1972, seit 1981 ordentliche Professorin für Philosophie in Basel. Ausgewählte Buchpublikationen: Geschichte und Ewigkeit bei Sören Kierkegaard (1968); Sprachanalytische Ethik und praktische Freiheit (1973; ital. 1976); Pragmatische und ethische Normenbegründung (1979); Albert Camus (1984); „Ein Seil geknüpft zwischen Tier und Übermensch“. Philosophische Erläuterungen zu Nietzsches erstem „Zarathustra“ (1990; korean. 1995); Einführung in die Ethik (31994; jap. 1997); Aufstand des stillgelegten Geschlechts (1993); Selber denken. Anstiftung zum Philosophieren (1997); Gut und Böse (1997). Herausgeber: Geschichte der neueren Ethik, 2 Bde. (1992); Angewandte Ethik (hrsg. zusammen mit Urs Thurnherr, 1998); Philosophische Disziplinen. Ein Handbuch (1998).

Hinweise zu den Autoren Renate Reschke, geboren 1944, Studium der Kulturwissenschaft, Philosophie und Germanistik (Humboldt-Universität zu Berlin), Promotion zu Hölderlins Ästhetik (1972), Habilitation zu Nietzsches Kulturkritik und Ästhetik (1983), seit 1993 Professur für die Geschichte des ästhetischen Denkens (Seminar für Ästhetik, Humboldt-Universität zu Berlin). Veröffentlichungen zur Ästhetik des deutschen Idealismus, zur Geschichte des Schönen, zu Hölderlin, zu Nietzsche; besonders: Friedrich Nietzsche: Die fröhliche Wissenschaft (Hrsg.) (1990); seit 1995 Herausgeberin (zusammen mit Volker Gerhardt): Nietzscheforschung. Ein Jahrbuch. Jörg Salaquarda (1938–1999), Studium der Evangelischen Theologie und der Philosophie in Wien und Berlin. Dr. theol. Berlin (Kirchl. Hochschule) 1969, Assistententätigkeit (Philosophie, Religionswiss.) in Berlin und Mainz, Habilitation im Fach Philosophie Berlin (Freie Universität) 1973, Lehrstuhlvertretungen in Berlin und Wien, Habilitation im Fach Religionsphilosophie Wien (Evangelisch-Theol. Fakultät) 1988. Seit 1989 Professor für Philosophie an der Evangelisch-Theol. Fakultät der Universität Wien. Autor: Das Verhältnis von Theologie und Philosophie in K. Barths „Kirchlicher Dogmatik“ (1969). (Mit-)Herausgeber (u. a.): Nietzsche (1980, 21996); Schopenhauer (1985); Krisis der Metaphysik (zusammen mit Günter Abel, 1989); Nietzsche und Wagner. Stationen einer epochalen Begegnung, 2 Bde. (zusammen mit Dieter Borchmeyer, 1994); Nietzsche-Studien (seit Bd. 24/1995); Monographien und Texte zur Nietzsche-Forschung (seit 1994, zur Zeit zusammen mit Günter Abel und Josef Simon). Josef Simon, geboren 1930, 1950 –1957 Studium der Philosophie, Germanistik, Geographie und Geschichte an der Universität zu Köln, 1957 Promotion in Köln mit der Arbeit „Das Problem der Sprache bei Hegel“, 1957–1960 Referent bei der Studienstiftung des deutschen Volkes in Bad Godesberg, 1960 –1967 Wissenschaftlicher Assistent am Philosophischen Seminar der Universität Frankfurt/M., 1967 Habilitation in Frankfurt/M., 1967–1971 Universitätsdozent, 1971 Professor an der Universität Frankfurt/M., 1971– 1982 Ordinarius für Philosophie in Tübingen, seit 1982 Universitätsprofessor für Philosophie in Bonn, emeritiert seit 1995. Buchveröffentlichungen: Das Problem der Sprache bei Hegel (1966); Sprache und Raum. Philosophische Untersuchungen zum Verhältnis zwischen Wahrheit und Bestimmtheit von Sätzen (1969); Philosophie und linguistische Theorie (1971); Wahrheit als Freiheit. Zur Entwicklung der Wahrheitsfrage in der neueren Philosophie (1978); Sprachphilosophie. Handbuch Philosophie (1981); Philosophie des Zeichens (1989). Werner Stegmaier, geboren 1946, Professor für Philosophie mit dem Schwerpunkt Praktische Philosophie an der Universität Greifswald. Wichtigste Veröffentlichungen: Substanz. Grundbegriff der Metaphysik (Diss. 1974, ersch. 1977); Philosophie der Fluktuanz. Dilthey und Nietzsche (Habil.schr. 1990, ersch. 1992); Zur Philosophie des Zeichens (hrsg. gemeinsam mit Tilman Borsche, 1992); Der Rat als Quelle des Ethischen (hrsg. gemeinsam mit Gebhard Fürst, 1993); Nietzsches „Genealogie der Moral“. Werkinterpretation (1994); Jüdischer Nietzscheanismus (hrsg. gemeinsam mit Daniel

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Hinweise zu den Autoren Krochmalnik, 1997); Von Kant zu Nietzsche – Hauptwerke der Philosophie des 19. Jahrhunderts (unter Mitwirkung von Hartwig Frank, 1997). Zahlreiche Abhandlungen zur Ethik, zur Philosophie der Zeit, des Zeichens und der Orientierung, zu Platon, Kant, Hegel, Nietzsche, Whitehead, Levinas, Derrida, Luhmann u. a. Vivetta Vivarelli, geboren 1950 in Florenz, Professorin an der Philosophischen Fakultät der Universität Florenz (Storia della cultura tedesca), Mitarbeiterin an der von Giorgio Colli und Mazzino Montinari herausgegebenen italienischen Nietzsche-Ausgabe, hat unter der Leitung von Montinari auf dem Gebiet der Quellenforschung zu Nietzsche gearbeitet. Veröffentlichungen: mehrere Aufsätze in den Nietzsche-Studien; L’immagine rovesciata. Le letture di Nietzsche (1992); Nietzsche und die Masken des freien Geistes: Montaigne, Pascal und Sterne (1998).