Sozialdemokratie und Minderheitenrecht. Der Beitrag der österreichischen Sozialdemokraten Otto Bauer und Karl Renner zum internationalen Minderheitenrecht [1. ed.] 3881566864

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Sozialdemokratie und Minderheitenrecht. Der Beitrag der österreichischen Sozialdemokraten Otto Bauer und Karl Renner zum internationalen Minderheitenrecht [1. ed.]
 3881566864

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SCHRIFTEN ZUR POLITISCHEN ETHIK

1-SSN0944-1611 Herausgegeben von Prof. Dr. Ernesto Garz6n Valdes und Dr. Ruth ZimmerHng

SCHRIFTEN ZUR POLITISCHEN ETHIK

Band5-

Peter Riesbeck

Sozialdemokratie

und Minderheitenrecht Der Beitrag der österreichischen Sozialdemokraten Otto Bauer und Karl Renner zum internationalen Minderheitenrecht

Verlag für Entwicklungspolitik Saarbrücken GmbH, 1996

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- 1.JULI1997 Standort: 7-f

Die Deutsche Bibliothek - Cl P-Einheitsaufnahme Riesbeck, Peter: Sozialdemokratie und Minderheitenrecht : Der Beitrag der österreichischen Sozialdemokraten Otto Bauer und Karl Renner zum internationalen Minderheitenrecht/ Peter Riesbeck. - Saarbrücken : Verl. für Entwicklungspolitik Saarbrücken, 1996 (Schriften zur politischen Ethik; Bd. 5) ISBN 3-88156-686-4 NE:GT

ISSN 0931-2420

ISBN 3„sa155 ...595„4

DM 36,-/ÖS 263,-lSF 33,-

© 1996 by Verlag für Entwicklungspolitik Saarbrücken GmbH Auf der Adt 14 · D-66130 Saarbrücken/Germany Tel. (0 68 93) 98 60 94 • Fax 98 60 95 • eMail: [email protected] Printed by TUK Kopierservice, Saarbrücken

Meinen

Eltern

I

"Ein Vorzug bleibt uns ewig unverloren, Man nennt ihn heut die Nationalität, Sie sagt: daß irgendwo ein Mensch geboren, Was freilich sich von selbst versteht."

:FranzGrillparzer

"Überhaupt, wie vieles Merkwürdige ließe sich über dieses versunkene Kakanien sagen! Es war zum Beispiel kaiserlich-königlich und war kaiserlich und königlich; eines der beiden Zeichen k.k. oder ku.k. trug dort jede Sache und Person ... Es nannte sich schriftlich Österreichisch-Ungarische Monarchie und ließ sich mündlich Österreich rufen; mit einem Namen also, den es mit einem Staatsschwur feierlich abgelegt hatte, aber in allen Gefühlsangelegenheiten beibehielt, zum Zeichen, daß Gefühle ebenso wichtig sind wie Staatsrecht und Vorschriften nicht den wirklichen Lebe.nsernst bedeuten. Es war nach seiner Verfassung liberal, aber es wurde klerikal regiert. Es wurde klerikal regiert, aber man lebte freisinnig. Vor dem Gesetz waren alle Bürger gleich, aber nicht alle waren eben Bürger. Man hatte ein Parlament, welches so gewaltigen Gebrauch von seiner Freiheit machte, daß man es gewöhnlich geschlossen hielt; aber man hatte auch einen Notstandsparagraphen, mit dessen Hilfe man ohne Parlament auskam, und jedesmal, wenn alles sich schon über den Absolutismus freute, ordnete die Krone an, daß nun doch wieder parlamentarisch regiert werden müsse. Solcher Geschehnisse gab es viele in diesem Staat, und zu ihnen gehörten auch jene nationalen Kämpfe, die mit Recht die Neugierde Europas auf sich zogen und heute ganz falsch dargestellt werden. Sie waren so heftig, daß ihretwegen die Staatsmaschine mehrmals im Jahr stockte und stillstand, aber in den Zwischenzeiten und Staatspausen kam man ausgezeichnet miteinander aus und tat, als ob nichts gewesen wäre. Und es war auch nichts Wirkliches gewesen. Es hatte sich bloß die Abneigung jedes Menschen gegen die Bestrebung jedes andern Menschen, in der wir heute alle einig sind, in diesem Staat schon früh, und man kann sagen, zu einem sublimierten Zeremoniell ausgebildet, das noch große Folgen hätte haben können, wenn seine Entwicklung nicht durch eine große Katastrophe vor der Zeit unterbrochen worden wäre." Robert Musil, Der Mann ohne Eigenschaften

II

Vorwort Im Jahr 1999 jährt sich der hundertste Jahrestag des Brünner Programms, dem Nationalitätenprogramm der österreichischen Sozialdemokraten. In der Auseinander- Setzung mit dem territorialrechtlichen Ansatz dieses Programms entstanden um die Jahrhundertwende die nationalitätenrechtlichen Arbeiten von Otto Bauer und Karl Renner. Ihr Programm der Personalautonomie sah eine weitreichende kulturelle Selbstverwaltung der nationalen Minderheiten und den Aufbau nationaler Vertretungsorgane vor. Die Vorschläge der beiden Sozialdemokraten wurden mit dem Mährischen Ausgleich (1905) und der Autonomie für die Herzegowina (1910) in der Habsburgerrnonarchre allerdings nur unzureichend in die Praxis umgesetzt. Der persononalautonome Ansatz wurde jedoch nach dem Ersten Weltkrieg vom Völkerbund aufgegriffen und in dessen System eines internationalen Minderheitenrechts implementiert. Die baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen setzten die Personalautonomie nach l 919 in innerstaatliches Recht

um. Angesichts aktueller Minderheitenkonflikte scheint die politische Relevanz der minderheitenrechtlichen Arbeiten von Bauer und Renner ungebrochen. Ausgebend von definitorischen Überlegungen zum Themenkomplex 11Volk, Nation, Minderheit" steht daher die ideengeschichtliche Fundamentierung der Personalautonomie bei Bauer und Renner im Zentrum dieses Buchs. Vor dem Hintergrund der Erfahrungen bei der praktischen Umsetzung der Personalautonomie in der Republik Estland ( 1919-1939) soll abschließend nach dem bleibenden Lösungsbeitrag der minderheitenrechtlichen Arbeiten von Bauer und Renner für aktuelle Minderheitenkonflikte gefragt werden. Das vorliegende Buch entspringt meiner Examensarbeit, die unter dem Titel

'Sozialdemokratie und Nationalitätenfrage. Der Beitrag der österreichischen Sozial- , demokraten Otto Bauer und Karl Renner zum Minderheitenrecht' am Institut für Politikwissenschaft der Universität Mainz entstanden ist. Mein Interesse am Thema Minderheitenrecht reicht zurück auf eine Veranstaltung am Institut für osteuropäische Geschichte, in deren Rahmen ich mich mit dem Minderheitenrecht der baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen beschäftigte und dabei auf die Arbeiten von Otto Bauer und Karl Renner aufmerksam wurde. In dieses Buch sind darüber hinaus Anregungen eingeflossen, die auf ein politikwissenschaftliches Hauptseminar unter dem Titel 1Staat, nation-building und Minderheitenschut:i bei PD Dr. Klaus Dicke zurtickgehen. Mein Dank gilt meinem Betreuer, Prof. Dr. Dr. h.c. Ernesto Garz6n-Valde.s, an dessen Seminaren zu rechtsphilosophischen Fragestellungen ich in den letzten Semestern meines Studiums teilnehmen konnte. Für die Aufnahme der Arbeit in die Reihe Politische Ethik bin ich ihm und Dr. Ruth Zimmerling zu besonderem Dank verpflichtet. Ferner habe ich an dieser Stelle Roswitha Gaßner-Schwenk, Guido Klosterberg, Jörg Matheis und Michael Sauer zu danken, die sich die kritische Korrektur des Manuskripts teilten; gleichwohl gehen Fehler einzig zu Lasten des Autors. Mein Herzensdank aber gilt - trotz allem! - Hilde Ballmann, ohne deren Geduld und Zuspmch ich diese Arbeit nur schwer hätte fertigsteHen können.

Mainz, jm November 1996

Peter Riesbeck

m

Inhaltsverzeichnis

Seite

L Einleitung I.L Warum Österreich? Oder was haben österr~ichischeSozialdemokraten mit dem 1Vlinderheitenrecht zu tun? ................................................................. -1l.2. Grundliniendes Minderheitenrechts ................................................................ -4-

I.3. Forschungsstandund Fragestellungder Arbeit...............................................-8I.3. l. Die Rezeption der Arbeiten von Otto Bauer und Karl Renner zur Nationalitätenfrage ............................................................................................. I.3.2. Fragestellung der Arbeit .................................................................................

-8-13-

II. TerminologischeGrundlagen 11.1.'Volk1

-17-

................................................................................................................

II. L 1. Ethnos und Demos

Vorrechtlicher und staatsrechtlicher Volksbegriff. ........ -17-

ll.1.2. Die Auswirkungen der inhaltlichen Bestimmung von 'Volk' auf den Lösungsansatz der Minderheitenpolitik ...........................................................

-19-

11.2.Nation................................................................................................................ -20Il.2. l. Nation - Semantische Bedeutungen ................................................................

-20-

IL2.2. Nation - Ein Typo1ogisierungsversuch ............................................................

-22-

II.2.3. Staatsnation und Kulturnation .........................................................................

-25-

U.2.3.1. Das staatsrechtlich-voluntaristische Konzept der Nation - Die Staatsnation ................ -26II.2.3.2. Das ethnographische Konzept der Nation - Die Kulturnation ......................................... -28-

II.2.4. Die Auswirkungen der inhaltlichen Bestimmung von 'Nation' auf den Lösungsansatz der Minderheitenpolitik........................................................... -30Il.3. Minderheit ........................................................................................................ -32~ II.3.1. Abgrenzung der Begriffe Volksgruppe, Nationalität, ethnische Gebilde und Minderheit .................................................................

-32-

II.3.2. Minderheit - Ein Typologisierungsversuch..................................................... -36II.3.3. Minderheit- Definitorische Ansätze im Völkerrecht ...................................... -38Il.3.4. Die Auswirkungen der inhaltlichen Bestimmung von 'Minderheit' auf den Lösungsansatz der Minderheitenpolitik .................. -39II. 4. Arbeitsdefinitionen ........................................... ,............................................. -40-

IV

III. Rahmenbedingungen - Die staatsrechtlichen und parteipolitischen Voraussetzungen der Arbeiten von Otto Bauer und Karl Renner 111.1.Grundzüge der österreichischen Nationalitätenpolitik .............................. -43III.1.1. Die staatliche NationalitätenpoHtik ............ ,...................................................

-44-

III. l.l.l. Die verfassungsrechtliche Verankerung der nationalen und sprachlichen Gleichberechtigung .......................................................................................................... -44III. J. L2. Die nationalitätenrechtliche Judikatur der beiden höchsten Reichsgerichte ................... -46III.l.l.3. Die Sprachenpolitik .............................................................. ,......................................... -48-

111.1.2. Föderalisierungsansätze und außerstaatliche Reformdiskussion ................... -50-50III.l.2.2. Träger de.r Föderalisierungsforderungen ......................................................................... -51IIl.1.2.3. Staatsrechtlich~traditionaler Föderalismus .................................................. ,. .................. -53IIJ.1.2.4.EthnographischerFöderalismus...................................................................................... -54III. I.2.5. Personalautonome Ansätze in der österreichfachen Nationaiitätendebatte ...................... -54III. I .2.1. Exkurs: Historische und 'geschichtslose Nationen' .........................................................

III. l.3. Fazit - Österreichische Nationalitätenpolitik .................................................

-56-

111.2.Die Thematisienmg der nationalen Frage innerhalb der österreichischen Sozialdemokratie............................................................................................ -58III.2.l. Die nationale Frage in der österreichischen Sozialdemokratie bis zum Brünner Programm ( 1899) ............................................................................. III.2.2. Das Brünner Nationalitätenprogramm (1899) ................................................

-58-60-

IV. Otto Bauer und die österreichische Nationalitätenfrage IV.1. Bauers Definition der Nation ........................................................................-63IV.1.1. Voraussetzungen ............................................................................................

-64~

IV.1.1.L Methode .......................................................................................................................... -65IV.l.l.2. Sozialdarwinistische Vorstellungen .................................... .., ........................................ -66IVJ .1.3. Bauers Ansätze einer formalenSoziologie-Gemeinschaft und Gesellschaft...................-67-

IV. l. 2. D1eElemente der Bauerschen Definitionder Nation ....................................-69IV.1.2.1. Die Genese der nationalen Kulturgemeinschaft. ............................................................. -69IV.l.2.l.l. Gesamtheit - Die Genese der nationalen Kulturgemeinschaft.. .............................. ~69IV. l.2.1.2. Die Nation als Elite der Klassengesellschaft ......................................................... -70[V.1.2.l .3. Die Vollendungder nationalenKulturgemeinschaftim Sozialismus......................-71IV.l .2.2. Schicksalsgemeinschaft .................................................................................................. -72IV.l.2.3. Charaktel"gemeiuschaft .............................................................. ,.................................... -74-

IV.l.3. Fazit - Bauers Bestimmung der Nation ..........................................................

-76-

IV .2. Bauers Analyse des Nationalismus...............................................................-77 IV.2.1. Das 'Erwachen der geschichtslosen Nationen' ...............................................

-77-

IV.2.2. 'Nationalismus von oben' - Bauers Beschreibung des Nationalismus der 'historischen Nationen' ..................................................................................

-81-

IV.3. Exkurs!DieRezeptionvon BauersArbeitenzu Nationund Nationalismus... -82-

V

IV.4. Bauers Analyse der österreichischenNationalitätenfrage.......................... -85IV .4. l. Bauers Analyse der nationalen Gegensätze ................................................... -85IVA.2. Die nationale Autonomieals Vorbedingungfür die proletarische Revolution .. -87IV.S. Bauers Bewertung des Selbstbestimmungsrechts............................,.......... -89IV.5. l. Bürgerliches und sozialistisches Nationalitätsprinzip ................................... -90IV.5.2. Tagespolitische Bewertung des Nationalitätsprinzips ............... ., .................. -92IV.6. Fazit - Otto Bauer und das Minderheitenrecht...........................................-95-

V. Karl Renner - Die N ationalitätenfrage als Rechtsfrage V .J. Staat und Recht - Kursorische Vorbemerkung zu den Arbeiten Karl Renners ..................................................................................... -99V.2. Renners Theorie der Nation- Die Nation als Rechtsidee...........................-101V.2.l. Nation - Vom Substrat des Rechts zum Nationalstaat.. ............................... , -102V.2.2. Nationalstaat und Nationalitätenstaat ........................................................... V.2.3. Die Internationale als Rechtsidee .........................................................

-104-

,..... ,.. -105-

V.2.4. Die überstaatliche Organisation der Welt - Die 'V{eltschweiz' ..................... -106-

V.3. Die nationale Autonomie .............................................................................. -108V .3. l. Begründung der nationalen Autonomie ........................................................

v .3.1. l.

Staatstheoretische Begründung - Zum Verhältnis von Staat und Na.tion ........................

-108-109-

V.3. l. l.1. Trennung von Staat und N ati.on.............................................................................-109V.3. l .1.2. Trennung von Nation und Territorium .................................................................. -110V,3. l .2. Begründung aus der staatsrechtlichenKritik der österreichischen Nationalifätenpolitik - Ein al1gemeiner Analyserahmenfür Minderheitenpolitik ............................................ -111V.3. l.2.l. Renners System der Organisationsmöglichkeiten der Nationen ..................... : ...... - I 11V.3. l.2.2. Die Kritik am individualrechtlichen Lösungsansatz .............................................. -113V.3.1.2.3.Der gruppenrechtliche Lösungsansatz ................................................................... -114-

V .3.2. Elemente der nationalen Autonomie ............................................................

, -115V.3.2.1. Begriffsbestimmung....................................................................................................... -115V.3.2.2. Die Konstitution der Nation als Rechtskörperschaft.. .................................................... V .3 .2.3. Das Per.sonali tätspdnzip ................................................................................................. V.3 .2.3.1. Begründung des Personalitätsprinzips ................................................................... V .3.2.3.2. Genese des Personalitätsprinzips ........................................................................... V .3.2.4. Das Bekenntnisprinzip ................................................................................................... V.3.2.5. Föderalisierung, Subsidiarität und Demokratie ..............................................................

~ 116-

-117-117-118-

-120-121-

V.3.3. Der materielle Rechtsgehalt der nationalen Autonomie .............................. -123V.3.3.1. Die Verteilung der Kompetenzen zwischen Staat und Nation........................................-124V.3.3.2. Die Rechte des Indjvlduurns ......................................................................................... -124V.3.3.3. Die Rechte der Nation .................................................................................................... -125V.3.3.3. l. Die Konstilution der Nation als Rechtskörperschaft ............................................. -125V.3.3.3.2. Kommunalvertretung, Nationalrat und N;i,tiona1minister - Der Aufbau der nationalen Vertretungsorgane ......................... :..................................................... V.3.3.4. Kommunale Selbstverwaltung, Bundesstaat und Aufbau des politischen Systems

-125-

- Die Rechte des Staates ................................................................................................. -127-

VI

V.4. Karl Rennerund das Selbstbestimmungsrecht. .......................................... -129V.4.1. Inneres und äußeres Selbsbestimmungsrecht.. ........... ,.................................. -129V .4.2. Nationale Autonomie und inneres Selbstbestimmungsrecht ........................ -129V .4.3. Renner und das äußere Selbstbestimmungsrecht .......................................... -131-

V.5. Fazit~ Karl Renner und das Minderheitenrecht........................................-132-

VI. Zusammenfassung und Ausblick - Der Beitrag von Otto Bauer und Karl Renner zum Minderheitenrecht VI.1.Die Personalautonomie im Minderheitenrecht..........................................~ 137Vl.1. l . Die Kulturautonomie der Republik Estland ( 1925)..................................... -13 7VI. I .1.1. Die Rezeption der Arbeiten von Otto Bauer und Karl Renner im Minderheitenrecht der Zwischenkriegszeit ...................................................................... VI.1.1.2. Das Ge.setz über die kulturelle Selbstverwaltung der Minderheiten in der RepubHk Estland (1925) ................................................ ,....................................

-137-141-

V .1.2. Ausblick - Personalau tonome Ansätze im aktuellen Minderheitenrecht ...... -141-

VI.2. SchlußbetrachtU11g ....................................................................................... -143-

VII. Literaturverzeichnis VII.1. Abkürzungs- und Sigelverzeichnis ............................................................ -14 7-

VII.2. Primärquellen.............................................................................................. -147VII.3. Sekundärliteratur....................................................................................... -149-

VII

1.Einleitung 1.1. Warum Österreich? Oder was haben österreichische Sozialdemokraten mit dem Minderheitenrecht zu tun? Warum Österreich? Oder was haben österreichische Sozialdemokraten mit dem Minderheitenrecht zu tun? Auf diese Fragen kann man mit Theodor Schieder antworten: f'Österreich stellt ... für die Nationalitätenfrage eine geistige Verlockung dar, das 19. Jahrhundert auszusparen und vom 18. ins 20. Jahrhundert zu springen. 11 1 Schied.er beschreibt damit den Versuch, auf dem Boden des multinationalen Staatswesens des habsburgischen Österreich2 eine politische Ordnung zu begründen, die von einem vornationalen Zustand direkt eine übernationale Verfassungsordnung etabliert und dabei das nationalstaatliche Zeitalter ausspart. 3 Die Geschichte hat dieses 11geistige Experimentierfeld 114 widerlegt. Dennoch liefert die Beschäftigung mit der Nationalitätenfrage der Habsburgermonarchie einen wichtigen Beitrag zur wieder aktuellen Debatte um ein wirksames System des Minderheitenrechts. Mit zehn Nationalitäten, die in einem Staat zusammenleben, stellt die Habsburgermonarchie in gewisser Weise einen 1Mikrokosmos 1 dar, in dem sich vor dem Hintergrnnd eines wachsenden Nationalismus und einer auf nationale Selbstbestimmung zie.Ienden Politik die Nationalitätenprobleme des 20. Jahrhunderts wie in einem Brennpunkt widerspiegeln. Die Diskussion um die politische Organisation des multinationalen Österreich führt zwischen 1848 und 1918 zu einer befruchtenden nationalitätemechtlichen Debatte mit zahlreichen originären Reformvorschlägen.5 Herausragend sind dabei die Arbeiten der beiden 1 Schieder, Theodor: Nationalstaat und Nationalitätenproblem. In: Zeitschrift für Ostforschung, 1952 (1 ). S. 161-181. hier S. 173. (= Schieder I 952). 2 Unter Österreich soll im Rahmen dieser Atbeit der nichtungaris.cheReichsteil der Doppelmonarchie Österreich-Ungarnnach dem Ausgleich im Jahr 1867 verstanden werden. In der Literatur wird dabei vom cisleithanischen Reichsteil gesprochen, dieser umfaßt alk Kronländer westlich des Grenzflusses Leitha. (vgL Kann, Robert A[dolf]: Das Nationalitätenproblem der Habsburgermonarchie. Geschichte und Ideengehaltder nationalenBestrebungenvom Vormärzbis zur Auflösung des Reiches im Jahre 1918. Bd. L Das Reich und die Völker. Graz-Köln 21964. [ursprg1.Tue multinational Empire. New York 1950]. S. 37ff. (= Kann 1964,Bd. 1)).Vgl. zum Österreich-Begriff Zöllner,Erich: Periodender östen·eichischen Geschichte und Wandlungen des Österreich-Begriffes bis zum Ende der Habsbnrgermonarchie. In: Wandruszka, Adam; Urbanitsch, Peter(Hrsg.): Die Habsburgermonarchie 1848-1918. Bd. III. 1. Teilband: Die Völker des Reiches. Wien 1980. S. 1-32. (;;;;: Zöllner 1980); Stourzh, Gerald: Vom Reich zur Republik. Studien zum Österreichbewußtsein im 20. Jahrhundert. Wien 1990. (= Stourzh 1990). 3 vgl. Schieder 1952, S. l72ff. 4 ebd., S. 164. 5 vgl. zur österreichischen Nationalitätendebatte: Kann 1964, Bd. 1; Kann, Robert A[dolf]: Das Nationalitätenproblem der Habsbutgermonarchie. Geschichte und Ideengehalt der nationalen Bestrebungen vom Vormärz bis zur Auflösung des Reiches im Jahre 1918. Bd. 2. Ideen und Pläne zur Reichsreform. Graz-Köln 2 1964. [ursprgl. The multinational Empire. New York 1950). (= Kann 1964, Bd. 2); Hantsch, Hugo: Die Nationalitätenfrage im alten Österreich. Das Problem der konstruktiven

österreichischen Sozialdemokraten Otto Bauer und Karl Renner, die mit ihrem gntppenrechtlichen Ansatz auf Basis der Personalautonomie einen Paradigmenwechsel im Minderheitenrecht begründen. 11 Man kann diese Idee auf verschiedene Formeln bringen. die eine heißt 'Autonomie statt Souveränität', die andere 'Personalitätsprinzip1, die dritte 1 Mit- und Selbstregierung'. Immer geht es darum, den arroganten. Anspruch, der im Begriff 'staatsführende Nation' steckt, zu bekämpfen; also allen Nationen einer Gesellschaft vergleichbare Rechte zu sichern. Deswegen sollten sowohl die Bildungspolitik als auch die Kommunalverwaltung in der Zuständigkeit der Nationen, nicht des Gesamtstaates liegen. 6 0

Die grundlegenden Arbeiten von Renner und Bauer wirken weit über den Raum der österreichischen Nationalitätendebatte hinaus. Sie bilden eine wesentliche Quelle des gruppenrechtlichen Ansatzes im Minderheitenrecht der VölkerbundÄra 7 und stehen Pate für die - bis heute als vorbildlich angesehenen - Minderheitenregelungen der baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen in der Zwische.nkriegszeit. 8 Daß die baltischen- Staaten auch heute wieder vor der Aufgabe stehen, minderheitenrechtliche Regelungen auszuarbeiten, ist Ausdruck des politischen Wandels in Ostmittel- und Osteuropa. Das Ende des Ost-West-Konflikts führt dabei zu zwei entgegengesetzten Entwicklungen: Supranationalen Integrationsbemühungen auf der einen Seite steht eine Renationalisierung der Politik gegenüber.9 Unter Renationalisierung sollen dabei in Anlehnung an Senghaas zwei nationale Entwicklungslinien bezeichnet werden: Zum einen, der "Entwicklungsnationalismus im Kontext von Peripherien 11,lO mit dem sich die Sezessionsnationalismen sowohl der Dekolonisation als auch in Ostmittel- und Osteuropa beschreiben lassen,11 zum anderen ein 11Ethnonationalismus",12 der Reichsgestaltung. Wien 1953. (Wiener Historische Studien Bd.1). (::::Hantsch 1953); Hugelmann, Karl Gottfried (Hrsg,); Das Nationalitätenrecht des alttn Österreich. Wien-Leipzig 1934. (= Hugelmann 1934); vgl. dazu auch Pkt. III.l. 6 Giotz, Peter: Der Irrweg des Nationalstaats: Europäische Reden an ein deutsc.hesPublikum. Stuttgart 1990. S. 100. (= Glotz 1990). 7 vgL Viefhaus, Erwin: Die Mfoderheitenfrage und die Entstehung der Minderheitenschutzverträge auf der Pariser Friedenskonferenz 1919. Eine Studie zur Geschichte des Nationalitätenproblemsim 19. und 20. Jahrhundert. Würzburg 1960. (1,IarburgerOstforschungen. Bd. 11). S. 25-34. (= Viefhaus 1960); vgl. dazu auch Pkt. VI.1. 8 vgl. zur Minderheitenpolitik der Völkerbund-Ära mit Angabe weiterführender Literatur Kimminich, Otto: Rechtsprobleme der polyethnischen Staatsorganisation. Mainz 1985. (Entwicklung und Frieden. Wissenschaftliche Reihe. Bd. 39). S. 57-62. (= Kimminich 1985). Zur Minderheitenpolitik der Zwischenkriegszeit in Estland, Lettland und Litauen vgl. Garleff, Michael: Die kulturelle Selbstverwaltung der nationalen Minderheiten in den baltischen Staaten.In: Meissner, Boris (Hrsg.): Die baltischen Nationen Estland, Lettland und Litauen. Köln 1990. (Bd. 4 der Schriftenreihe Nationaiitäteu und Regionalprobleme in Osteuropa). S. 87-107. (= Garleff 1990). 9 vgl. Senghaas, Dieter: Vom Nutzen und Elend der Nationalismen itn Leben der Völker. In: Aus Politik und Zeitgeschichte, 31-32/1992. S. 23-32. hier S, 23. (= Senghaas 1992). 10 ebd., S. 28. 11 ygl. ebd., S. 27ff. 12 ebd.• S. 30.

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zur Herstellung der politischen Loyalität auf subnationale Kleingruppen führt. Dieser rekurriert in Europa auf regionale Sprach-, Kultur- und Wirtschaftsgemeinschaften bzw. in Afrika auf tribalistischeVerbände.13 Mit dieser weltweit feststellbaren Renationalisierung des Politischen stellen minderheitenrechtliche Regelungen eine zunehmende Herausforderung für die Internationale Politik dar.14 Im Völkerrecht ist nach 1945 nur eine geringe Neigung zur Verabschiedung minderheitenrechtlicher Regelungen zu beobachten.15 Dies ist auch eine Nachwirkung der traumatischen Erfahrung der Völkerbund-Ära, in der Minderheitenfragen unter Mißachtung der territorialen Integrität von Mitgliedstaaten zunehmend außenpolitisch instrnmentalisiert werden. {'Sudetenfrage'!) 16 Erst in den sechziger Jahren setzt als Reaktion auf die im Zuge der Dekolonisation entstehenden Minderheiten ein Umdenkungsprozeß ein, der sich in Artikel 26 und 27 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte (ICCPR) aus dem Jahr 1966 niederschlägt.17 Die Renationalisienmg der Politik nach dem Ende des Ost-West-Konflikts belegt erneut die Notwendigkeit eines wirksamen Minderheitenrechts. Die verstärkten Anstrengungen zu- internationalen Vereinbarungen im Minderheitenrecht führen nach 1989 auf verschiedenen Ebenen zu internationalen minderheitemechtlichen Verträgen. Sowohl die UN18 als auch die OSZE19 und der Europarat20 haben internationale Verträge zum Minderheitenrecht ausgearbeitet und verabschiedet.21 13 vgl.

ebd., S. 30f. zur Verrechtlichung des Minderheitenschutzes Dicke, Klaus: Die Verrech.tlichung des internationalen Minderheitenschutzes. In: Wolf, Klaus-Dieter (Hrsg.): Internationale Verrechtlichung. Pfaffenweiler 1993. (Jahresschrift für Rechtspolitologie). S. 109-126. (;::;Dicke 1993a). 15 Dicke spricht für die Zeit zwischen 1945und 1975gar von einer "minderheitenrechtlichen Abstinenz der Staaten". (Dicke 1993a, S. 115). Zur Entwicklung des Minderheitenrechts nach dem Zweiten Weltkrieg vgl. Kimminich 1985, S. 62-81; Hofmann,Rainer: Minderheitenschutz in Europa. Überblick über die völker- und staatsrechtliche Lage. In: Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, 1992 (52). S. 1-69. hier S. 6-14. (= Hofmann 1992);Bricke, Dieter W.: Minderheitenim östlichen Mitteleuropa: Deutsche und europäische Optionen.Baden-Baden 1995. (Aktuelle Materialien zur internationalen Politik. Bd. 38). S. 19-33. (= Bricke 1995). 16 vgl. Partsch, Karl-Josef: Von der Souveränität zur Solidatität; Wandelt sich das Völkerrecht? In: Europäische Grundrechte Zeitschrift, 199! (18). S. 469-475. hier S. 474. (= ParLsch 1991). 17 Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte (ICCPR) vom 19.12.1966. Veröffentlicht in: BGBL 1973, II. S. 1533-1555. (::::c ICCPR 1966); vgl. dazu Hofmann 1992, S. 6~10; Tomuschat, Christian: Pcotection ofMinorities under Arficle 27 of the International Coveoant on Civil and Political Rights. In: Völkerrecht als Rechtsordnung - Internationale Gerichtsbarkeit - Menschenrechte. Festschrift für Hermann Mosler. Hrsg. von Rudolf Bernhardt u.a. Berlin-Heidelberg-New York. (Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht. Bd. 81). S. 959-979. (= Tomuschat 1983). l8 UN-Deklarationzurn Minderheitenschutz vom 18.12.1992(Res. 47/135 vom 18.12.1992). Abgedruckt in: Heintze, Hans-Joachim: Selbstbestimmungsrecht und Minderheitenschutz im Völkerrecht. Herausforderungen an den globalen und regionalen Minderheitenschutz. Baden-Baden I 994. _ (Demokratie,Sicherheit, Frieden. Bd. 85). S. 196-202. (= UN-Deklaration zum Minderheitenschutz 1992); vgl. dazu Dicke, Klaus: Die UN-Deklaration zum Minderheitenschutz. In: Europa-Archiv, 4/1993. 14 vgl.

S. 107-116. (::=Dicke 1993). 19 Das Kopenhagener KSZE-Dokument über die Menschliche Dimension vom 29.06.1990. Abgedruckt in: Europa-Archiv, 15/1990. D 330-394. (= Kopenha.gener KSZE-Dokument 1990); Helsinki-Dokument der KSZE vom 10.07.1992. Abgedrucktin: Europa-Archiv,18/1992. D 533-576. (= Helsinki-Dokument

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Die Renationalisierung der Politik und die damit einhergehenden Minderheitenprobleme bieten also Grund genug, sich mit einem Staatswesen zu beschäftigen, das als der weitaus fruchtbarste Boden des Nationalitätendenkensbis zum Ersten Weltkrieg„ angesehen wird.22 Die Erfahrungen und Schwierigkeiten,die sich aus dem Zusammenleben von zehn Nationalitäten in einem Staat ergeben, bilden den Hintergrund der Arbeiten von Karl Renner und Otto Bauer, deren minderheitenrechtliche Lösungsvorschlägeim Mittelpunkt dieser Arbeit stehen sollen. lt

1.2. Grundliniendes Minderheitenrechts Minderheitenrecht zielt auf die gesellschaftliche und die rechtliche Gleichbehandlung der Bevölkerung eines Staates, ungeachtet ihrer religiösen, nationalen, sprachlichen und kulturellen Eigenart (Diskriminierungsverbot).Diskriminiemng meint dabei "nicht einfach unterschiedliche Behandlung, sondern ungleiche Behandlung von Gleichem und gleiche Behandlung von Ungleichem, wenn die gegebenen Umstände eine gleiche bzw. eine ungleiche

Behandlung erfordern würde. 23 0

Das Minderheitenrecht folgt dabei aus der Fundamentalnom1 der Menschenrechte, der jeder Person innewohnenden Würde des Menschen.24 So leitet Pircher das Recht auf _Gebrauc~der eigenen Sprache aus dem ~~n~chenrecht der Meinungsfreiheit ab, das Recht auf Religionsfreiheit folgt aus dem Menschen;~~ht d~~ Gewissensfreiheii:25·· einzelnen neunt Pircher folgende Grund-

Im

der KSZE 1992). Zur Minderheitenpolitikder KSZE vgl. Heintze,Hans-Joachim: Selbstbestimmungsrecht und Minderheitenschutz im Völkerrecht.Herausforderungen an den globalen und regionalenMinderheitenschutz.Baden-Baden1994. (Demokratie,Skherheit, Frieden. Bd. 85). . S. 162-177. (ee:Heintze 1994); Hofmann 1992, S. 12-17; Wi60:Wicrer, Rudolf: Der Föderalismus im Donauraum. Graz-Köln 1960. (Schriftenreihe des Forschungsinstituts für den Donauraum. Bd. 1). Wolffsohn 19!>4:Wolffsohn, Michael: Frieden jetzt? Nahost im Umbruch. München 1994. Wolfrum 1993: Wolfrum, Rüdiger: The Eme.rgenceof"New Minorities" as a result of Migration. In: Brölmann, Catherine [M.]; Lefeber, Rene; Zieck, Marjoleine [Y.A.] (Hrsg.): Peoples and minorities in international Iaw. Dordrecht 1993. S. 153-166. Ziegler 1931:Ziegler, Heinz 0.: Die moderne Nation. Ein Beitrag zur politischen Soziologie. Tübingen 1931. Zöllner 1980: Zöllner, Erich: Perioden der österreichischen Geschichte und Wandlungen des Österreich-Begriffes bis zum Ende der Habsburgermonarchie. In: Wandruszka, Adam; Urbanitsch, Peter (Hrsg.): Die Habsburgermonarchie 1848-1918. Bd. III. 1. Teilband: Die Völker des Reiches. Wien 1980. S. 1-32.

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