Souveränität als Mythos: Hugo von Hofmannsthals Poetologie des Politischen und die Inszenierung moderner Herrschaftsformen in seinem Trauerspiel "Der Turm" (1924/25/26) 9783205794103, 9783205796589

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Souveränität als Mythos: Hugo von Hofmannsthals Poetologie des Politischen und die Inszenierung moderner Herrschaftsformen in seinem Trauerspiel "Der Turm" (1924/25/26)
 9783205794103, 9783205796589

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Literaturgeschichte in Studien und Quellen Band 23 Herausgegeben von Klaus Amann Hubert Lengauer und Karl Wagner

Alexander Mionskowski

Souveränität als Mythos Hugo von Hofmannsthals Poetologie des Politischen und die Inszenierung moderner Herrschaftsformen in seinem Trauerspiel Der Turm (1924/25/26)

2015 Böhlau Verlag Wien · Köln · Weimar

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften in Ingelheim am Rhein, der S. Fischer Stiftung, mit Zuschüssen des Landes Niederösterreich und der Stadt Wien sowie der Ernst Reuter Gesellschaft Berlin. Die Arbeit wurde durch ein Elsa Neumann Stipendium des Landes Berlin gefördert.

© 2015 by Böhlau Verlag Ges.m.b.H & Co. KG, Wien Köln Weimar Wiesingerstraße 1, A-1010 Wien, www.boehlau-verlag.com Umschlagabbildung  : Andreas Lemion, 2005 Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Korrektorat  : Frank Schneider, Wuppertal Umschlaggestaltung  : Michael Haderer, Wien Satz  : Michael Rauscher, Wien Druck und Bindung  : Prime Rate, Budapest Gedruckt auf chlor- und säurefrei gebleichtem Papier Printed in Hungary ISBN 978-3-205-79658-9

»Aber es gibt etwas in dieser Zeit, das nicht unsere Kronen packt und rüttelt, sondern in die Wurzeln greift. Es scheint manchmal der Boden, auf dem man zu stehen meinte, liquid geworden zu sein.« Hugo von Hofmannsthal (1926) »Königtum. Man kann Königtum, wie alles, zweifach anschauen: real und symbolisch. Die menschlichen Bezüge sind Ausgeburten der mythengebärenden Phantasie […]« Hugo von Hofmannsthal (1905)

Inhaltsverzeichnis Danksagung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  11 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Im Vorfeld. Der dunkle Grund des Geschehens . . Präludium in Wien – Spuren einer Bezugnahme. . Vorgehen. Thesen und Aufbau der Studie .. . . . .

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1. Der »Gesamtbereich des Politischen«. Politische Kultur in Hofmannsthals Spätwerk. . . . . . . . . . . . . . . .  33 1.1 Literatur und Souveränität. Perspektivkoordinierung . . . . . . . . . .   34 Das Fiktive und das Politische | Hofmannsthals Weg zu einer Poetologie des Politischen | Herrschaftsformen und Legitimation im Turm

1.2 Literaturforschung als »Proceß« ? Neuere Eingaben zum Turm . . . .   65 ›Das Plädoyer der Staatsanwaltschaft‹  : Carl Schmitt und kein Ende | ›Plädoyer der Verteidigung‹  : Ein Geist des Ausgleichs und der Vermittlung | (Ent-)Scheidungsgründe  : »Konservative Revolution« und Europa | Zusammenfassung der Arbeitsschwerpunkte – und Korrektur

1.3 »Denn Wirklichkeit ist geistige Schöpfung« – das Problem der veritas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   91 Der verlorene Glaube an die rationale Erfassbarkeit der Welt | Das Wunder der Dichtung – die »innere Form« bei Walzel und Vossler | Dualismus der Wahrheit und poetische Konstitution | Barocke Rekurse. Bildung des Subjekts – Wahrung der Gemeinschaft

1.4 »Geistige Souveränität – sieht die Welt von oben«. Autorschaft . . . . 120 Politiken des Lesens | Eklektizismus und Synthese  : Arbeitsweise und soziale Wirkungsabsicht | Herrschaftsszenarien in weiteren Dramen Hofmannsthals

1.5 »Jenseits« der Soziologie. Schwerpunkte von Hofmannsthals Weber-Rezeption. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 Autorität und Zutrauen – Wirkungen des Charisma | Von der Soziologie zur »Mitte der Nation«

2. Der literarische Leviathan und die innere Form der Nation. Hofmannsthals konservative Utopie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 2.1 Poetischer Mehrwert  : Die Analogie des Symbols zum Pekuniären .. 161 2.2 Die »Fiction der Öffentlichkeit«  : Ansatzpunkte einer Poetologie des Politischen.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187

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Inhaltsverzeichnis

2.3 Politischer Geist und sprachliche Form  : Zur Genealogie des sprachlichen Kollektivkörpers bei Hofmannsthal . . . . . . . . . . . . 203 »Die Formen der Verfassung«  : Ein »Politisches Gespräch« von Herder bis Landauer | ›Gespräch über Sprache‹. Karl Vosslers physiologisches Sprachdenken | Politische Physiognomik. Gesicht und Gestalt

2.4 »Geistiger Raum« und innere Form – die Schrifttum-Rede . . . . . . . 238 2.5 Der stammelnde Demos. Prolog zum Sigismund . . . . . . . . . . . . 256 Ästhetik des Liquiden und Fluiden | »Denn ich bin da und nicht da« – Der »geistige Leib der Nation« | »The whole man […] faut glisser« (Fazit)

3. Schwellen. Drei Zugänge zum Turm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 »Wie politisiert man diesen Geist  ?« Politische Romantik und ›Charismatisierung‹. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 »Das Gesetz und der Souverän sind eins« – Verkörperungen politischer Theologie im Turm. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 »Politische Zoologie«  : Charisma und Kreatürlichkeit. . . . . . . . . . 3.4 ›Das alte Spiel von der Souveränität‹. Darstellungsfragen. . . . . . . .

283 284 303 313 322

4. »Denn es ist kein Recht und keine feste Stätte«. Charismatische Führerschaft als »heilsame diktatur«  ? Die dichterischen Fassungen.. . . 337 4.1 Krise, Chaos, Charisma. Ausgangslage des Geschehens.. . . . . . . . 341 »Dem König sein Zutrauen ist dahin« – Die Legitimationskrise und ihre Indikatoren | Hintergründe der handlungstragenden Figuren und Charisma-Typen | »Der Gefangene«. Sigismund als »Wesen aus einem einzigen Edelstein«

4.2 Herrschaftsformen I. Von der traditionalen zur charismatischen Legitimität.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377 »Les grandes crises humaines sont des crises de commandement« – Machtverfall und ›Befehlsnotstand‹ der traditionalen Herrschaft | Zwischenüberlegung zum Fiktiven und Politischen I. Die metaphorische Logik des souveränen Banns | »In mir aber fliesst es ohne Stocken« – Charisma und Massenwirkung | »Ich bin die F o r m von euch allen, u. alle sind mir gleich nahe.« – Sigismund als charismatischer Herrscher

4.3 »Es sind keine Könige mehr.« Umbruch in der politischen Theologie der Neuzeit – der fünfte Aufzug. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 416 Der »legitime König«. Die Zurückweisung der (erneuten) Krönung | Das Paradoxon moderner Souveränität im Turm von 1924/25 – Indizien einer früheren Bezugnahme auf Carl Schmitt  ? | »Du bist nur ein Zwischenkönig gewesen«. Exkurs zu Rangs »car naval«

Inhaltsverzeichnis

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4.4 »Die leben, haben mich über sich gesetzt« – Von der charismatischen zur resakralisierten Legitimität (Herrschaftsformen II).. . . . . . . . 445 »Et renovabis faciem terrae«. Das Fest der Gemeinschaft | »Die Gesetze müssen immer von den Jungen kommen« – Die Gestalt der neuen Ordnung

4.5 »Gebet Zeugnis – Ich war da, wenngleich mich niemand gekannt hat« (Fazit) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 461

5. Die Fatalität des Politischen. Souveräne Diktatur als Dystopie rationaler Herrschaft in der Bühnenfassung des Turm . . . . . . . . . . . 467 5.1 Allegorie und Ausnahmezustand. Die moderne Dramaturgie der Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 474 ›Negative Poetologie‹  ? Benjamins Allegorien und die Metaphysik von Rechtsnormen | Fassungsversuche. Das »Theologisch-Politische« im zeitgeschichtlichen Gehalt | Der souveräne Bann im Kippspiel der Allegorie. Zwischenbetrachtung zum Fiktiven und Politischen II

5.2 Soziologie des Turm – Hofmannsthals Gestaltdramatik und die Typologie des (deutschen) Trauerspiels. . . . . . . . . . . . . . . . . . 511 Geschichtliche Gestalt (1925), Biographie (1926) und dramatischer Typus | Dialektik der Souveränität I – Die »Janushäupter des Gekrönten« | Dialektik der Intrige – zwei Typen Diktatur | Tyrann und Märtyrer. Dialektik der Souveränität II

5.3 Herrschaftsformen III. Vom barocken Absolutismus zur kommissarischen Diktatur und ihrem Scheitern. . . . . . . . . . . . . 548 Entleerter Legitimismus und Tyrannengewalt – Basilius’ Herrschaft vor dem Fall | »Le roi est au royaume«  : Der Staatsrat – »Constitutum« vs. Königliches Charisma 5.3.3 Intermezzi. Legalität vs. Legitimität  : Kommissarische Diktatur und verweigerte Hierophanie | »Vom Reiche und von der Freundschaft« – Der Augenblick der Anarchie als HerrschaftsForm

5.4 »So ist immer gehandelt worden wo eine neue Ordnung gegründet wurde.« Die politische Mechanik des modernen Bösen. . . . . . . . . 579 Enthaltung und Entscheidung. Das Verhängnis des Ausnahmezustands | Der Betrug am Demos (I)  : Revolutionäre Souveränität heißt  : souveräne Diktatur | Der moderne Staat als Fatalität  : »in mir ist Gott (die Keule)« | Das Charisma im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit (Der Betrug am Demos II)

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Inhaltsverzeichnis

5.5 Die Facies hippocratica der Gemeinschaft – Der Untergang des Royalen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 626 Allegorische Totalität – Vitalität des Symbolischen  ? | Destruktive Abwesenheit. ›Es gibt keine Legitimität mehr, weil es keine Paradigmen mehr gibt‹

6. Ausblick. Vom lichten Bau der Sprachgemeinschaft . . . . . . . . . . . . 641 7. Literaturverzeichnis.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 655 7.1 Quellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 655 Siglen | Quellen

7.2 Hofmannsthal-Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 668 7.3 Weitere Forschungsliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 677

8. Werk- und Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 695 8.1 Häufiger erwähnte Werke Hofmannsthals und wichtige Bezugstexte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 695 8.2 Personen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 697

In Memoriam Ilse und Wolfgang Mionskowski († 2014, † 2011)

Danksagung »Wenn ich aber sagen werde: ich will, dann sollst du sehen, wie herrlich ich aus diesem Haus hinausgehe.« (Sigismund, Akt V)

Eine Studie, die vor inzwischen recht genau acht Jahren begonnen wurde, verpflichtet ihren Urheber in alle möglichen Richtungen und aus vielfältigsten Gründen zum Dank  ; zumal ihre Entstehung an verschiedenen Orten und in wechselnden biographischen Konstellationen vor sich ging – längere Zeit in Vilnius, in Marburg, Riga und in Wien, auf dem norddeutschen Land in Nienrade, in Sehlingdorf und Stolzenhagen – doch Anfangs- und Schlusspunkt liegen in Berlin, wo dieses Buch im Mai 2013 an der Freien Universität als Dissertation angenommen und im November desselben Jahres verteidigt wurde. Zu danken habe ich dort meinem Doktorvater Universitätspräsident Prof. Peter-André Alt für seine zügige Hilfsbereitschaft bei mehr als einer Gelegenheit (nicht zuletzt der Disputation), meinem Magistervater Prof. Hans-Jürgen Schings für sein fortwährendes und teilnehmendes Interesse an meinen Überlegungen, Dekanin Prof. Gisela Klann-Delius für den beherzten KommissionsNoteinsatz zur Disputation, Dr. habil. Michael Jaeger für zahlreiche Gespräche rund um das »Projekt Moderne«, ihm und Dr. Alice Staškova auch für die Kommissionsteilnahme  ; den Colloquien von Prof. Gunter Gebauer und Dr. habil. Hans Feger (und beiden Genannten selbst) für jahrelange Horizonterweiterung in Sachen politischer Philosophie und Ideengeschichte, Ina Gumbel für ihre engagierte Unterstützung in vielfacher Hinsicht und insbesondere ihren Einsatz als Korrekturleserin, Dr. Sven Rücker für seine hilfreichen Fragen zum ›literarischen Leviathan‹  ; meinen Mit-Doktoranden bei Herrn Prof. Alt für das kollegial organisierte Anschluss-Colloquium  ; Dr. habil. Burkhardt Wolf für die gemeinsame Suche nach dem Undarstellbaren (in) der Literatur, dem Dramatiker und Dozenten Dr. Djevad Karahasan für die Erschließung der praktischen Dimension des Theaters  ; meinem lieben Kollegium am Lehrstuhl für deutsche Philologie der Universität Vilnius, deren wirklich grandiose Lesesäle ich des Längeren nutzen durfte, sowie dem da a d für die Gewährung eines Auslandsstipendiums 2007/08. Frau Beate Kant von der Boehringer Ingelheim Stiftung danke ich für ihr Engagement und Schnellkurse in Sachen Druckkostenakquise, Herrn RA Joachim Kersten und dem Böhlau Verlag für Unterstützung in eben diesem Bereich und Geduld. Für meine Recherchen notwendig waren mir das Deutsche Literaturarchiv Marbach und das Freie Deutsche Hochstift in Frankfurt am Main,

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Danksagung

das große Teile des Hofmannsthal-Nachlasses bewahrt. Dem Literaturarchiv Marbach verdankt sich ein interessanter Fund in Sachen Karl Vossler, und in Frankfurt entspann sich daraus zeitweilig ein gehaltvolles Gespräch mit Herrn Dr. Konrad Heumann, über dessen Zuspruch und Interesse ich mich sehr gefreut habe. Teilnehmer der letzten Tagung der Hofmannsthal-Gesellschaft in Basel werden dem Inhaltsverzeichnis dieses Buches einen gewissen Grad an thematischer Übereinstimmung entnehmen. Dieser Umstand verdankt sich dem Voschlag Dr. Heumanns, mein Thementableau im Vorfeld der Tagungsorganisation einzubringen, was ich sehr gern getan habe – mit dem beinahe luxuriösen Erlebnis, etliches dann in einem exquisiten Kreis von Hofmannsthalforschern und weiteren Vortragenden diskutieren zu können. Zahlreiche Menschen waren mir in den vergangenen Jahren von anhaltender Bedeutung, erwähnt seien hier zuerst meine Eltern – ich danke ihnen für Ihre Unterstützung und für das, was sie in mich legten. Meinen langjährigen Freunden Alexander Franz und Anatol Sakaras danke ich für ihren steten Zuspruch und die gemeinsamen Stunden bei schwindender Zeit  ; meinem Studienkollegen Dr. Frank Stadler für seine Übersetzungskünste im Hinblick auf Rousseau-Exzerpte Hofmannsthals  ; Elisabeth Arendt für das schöne barocke Titelblatt, das meine Abgabefassung an der Freien Universität zierte  ; Cornelius Demuth für die vielen Kilometer auf zwei Rädern durchs Zentralmassiv des Lebens  ; und meiner Freundin und unermüdlichsten Leserin Ronja Rote danke ich am meisten für die ansteckende Zuversicht. Vieler weiterer Begegnungen und Gespräche vergangener Jahre wäre hier namentlich zu gedenken – Reinhard Rösing zum Beispiel, der im vergangenen Sommer viel zu früh verstarb  ; und auch meinem Kollegium in der Frühredaktion, das immer wieder mit viel Kreativität für die nötigen Lücken im Dienstplan gesorgt hat. Einen besonderen Dank möchte ich zuletzt noch jenem Unbekannten entrichten, welcher mit einem handschriftlichen Eintrag in das Exemplar der Politischen Theologie (Erstauflage, 1922) an der Universitätsbibliothek der Freien Universität Berlin einen so nachhaltigen Impuls für meine Arbeit gab – indem er hinter den letzten Absatz des dritten Kapitels »zur Lehre von der Souveränität« mit schwarzer Tinte vermerkte  : »bis hier SA aus der Erinnerungsgabe für Max Weber«. Dieser Hinweis steht am Beginn der hier unterbreiteten Perspektive auf Hofmannsthals Spätwerk. Alexander Mionskowski

Einleitung

Im Vorfeld. Der dunkle Grund des Geschehens »Welche Welt, in die wir gerathen sind. Das nackte Gebälk tritt hervor und zittert bis in die Grundfeste. Wird man noch Geschichte treiben  ? Wird man Geschichte brauchen  ?« (Hugo von Hofmannsthal an Carl J. Burckhardt, 11 V. 1919)1

Wer im Sommer 1918 von der Unrettbarkeit des Kaisertums ausgeht, muss nicht gerade über prophetische Kräfte verfügen. Das Schicksal der habsburgischen Krone ist seit dem Auffliegen geheimer Verhandlungen zu einem Separatfrieden mit den Alliierten auf Gedeih und Verderb an den Erfolg von Ludendorffs Armeen gebunden. Die Oberste Heeresleitung führt im Deutschen Reich jedoch faktisch eine Militärdiktatur durch und betrachtet Österreich als bloßen Annex. Geldentwertung, Hungersnot und Krankheiten setzen hier wie dort großen Teilen der Zivilbevölkerung in unerträglichem Maße zu, ein Vertrauen in die oberen Stände ist kaum mehr vorhanden. Das Gefühl einer gespenstischen Abwesenheit breitet sich aus, einer Abwesenheit von Autorität  : zuerst im Sinne dessen, was die Würde der Majestät oder des Alters impliziert, dann auch im institutionellen Sinn von Gestaltungsmacht  ; nicht nur in Rodaun bei Wien. Der Mann, der sich in diesen Tagen – man darf ihn sich am Schreibtisch sitzend vorstellen – in ein Konvolut mit zahlreichen, teils seit der Jahrhundertwende aufbewahrten Notizen vertieft, weiß seit Längerem darum. Die »eigentliche Agonie des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation« hat er bereits im Sommer zuvor anlässlich eines Zusammentreffens mit separatistischen tschechischen Intellektuellen in Prag diagnostiziert  ;2 sie hatte sich seither rasend beschleunigt. Abfinden kann er sich damit nicht. In dieser für ihn zutiefst beunruhigenden Situation nimmt Hugo von Hofmannsthal die Arbeit an seiner Calderón-Adaption Das Leben ein Traum wieder auf, 1 BW Burckhardt, 14. Diese Nacktheit ist ›metaphorische Konsequenz‹ eines politischen Umbruchs, den Hofmannsthal als »Erdbeben« empfand (ebd.). 2 BW Bodenhausen, 235 [10. VII. 1917]. Zu den historischen Fakten vgl. die umfassende Studie Manfried Rauchensteiners  : Der Erste Weltkrieg und das Ende der Habsburgermonarchie 1914–1918  ; Wien 2013.

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Einleitung

jene Fabel vom Prinzen im Turmverlies unter dem Berge, die er seit 1901 sporadisch und mit wechselndem Elan betrieben hatte – nur um sie im Herbst ein weiteres Mal zu unterbrechen, sicher nicht allein aufgrund der allzu kurzen Intendanz des Freundes Leopold von Andrian am Wiener Burgtheater. Jedenfalls wird sie erst nach den politischen Umbrüchen im Juni 1920 fortgesetzt – unter alsbald geändertem Titel  : Der Turm. Dem Anspruch nach einer Antwort auf die drängendsten Fragen der Zeit verpflichtet, wird diese Arbeit ihren Autor bis ans Lebensende nicht mehr loslassen. Kein Zufall also, dass nicht weniger als drei publizierte Fassungen des Trauerspiels vorliegen.3 Hinzu kommt ein Inszenierungsvariant für die Bühnenfassung von 1928.4 Dieser Umstand verweist schon darauf, dass Hofmannsthal bei seiner dichterischen Antwort auf jene Fragen (bzw. Infragestellungen) des Politischen ein »Suchender« blieb – denn mit der neuen verfassungsmäßigen Ordnung, daran ließ er keinen Zweifel, konnte sich der vormalige ›habsburgische Repräsentativautor‹, so wie sie war, nicht identifizieren. Gleichwohl oder gerade deswegen konnten die Umstände ihres Entstehens (und der damit empfundene Verlust) Gegenstand seiner »Kulturdichtung« (Christoph König) werden. Diese Studie geht entsprechend von einer Konvergenz der späten kulturprogrammatischen Entwürfe Hofmannsthals und der Herrschaftsinszenierung im Turm aus. Bei der zentralen Thematik des Stücks  : der Souveränität, ihrer Legitimation und ihrem Untergang, setzt sie an. Gefragt wird hierfür nach jenen philosophisch-politischen Einflüssen im Denken des Autors bei der Entstehung des Trauerspiels, welche anhand der überlieferten Textstufen, begleitender Lektüren und Stellungnahmen sowie weiteren Arbeiten nachweisbar sind. Dieses Verfahren hat sich also einer Masse heterogener Bezüge zu stellen, denn die diversen Autoren und Texte, die sich in der scheinbar aleatorischen Nachbarschaft einer »maßlosen Vielheit« in Hofmannsthals Schaffen befinden, eint zunächst nur ein Gesichtspunkt  : sein Interesse. Dessen Motivierung, »Die soziale Seite der Dichtkunst«, soll hier in ihren verschiedentlichen geistigen »Verbindungen«, ihren »Polaritäten« die Hofmannsthal als »lebensfördernde Konstellationen« verstand, rekonstruiert werden.5 3 – welche im Untertitel dieser Studie ihrem Verfertigungsdatum nach angeführt werden  : 1924/ 25/26. 4 Das Trauerspiel liegt in den erwähnten drei Fassungen vor  ; wobei sich aufgrund der geringeren Unterschiede der ersten beiden Fassungen (die v. a. in Kürzungen bestehen) in der Forschung die Einteilung nach erster (die dichterische mit dem Kinderkönig) und zweiter Fassung (Bühnenfassung) durchgesetzt hat. Diese Einteilung wird auch hier übernommen. 5 RA III, 621  ; Ad me ipsum und RA II, 455  ; Österreichische Bibliothek. Letztlich sind damit Zeugnisse eines Denkens in den Blick zu nehmen, das im Vorgriff mit profilierenden Formeln wie

Im Vorfeld. Der dunkle Grund des Geschehens

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Ein solches Vorhaben kann sich auf Materialien und Ergebnisse stützen, welche die Hofmannsthal-Forschung der letzten Jahrzehnte insbesondere im Rahmen der fast abgeschlossenen Kritischen Ausgabe von Hofmannsthals Gesamtwerk erarbeitet hat. Die nun – was die vorhandenen Bestände anbetrifft – nahezu lückenlose Quellenlage wird in wachsendem Maße Ausgangsbasis für neue Ansätze sein.6 Diese begegnen einer Schneise, wie sie seit einigen Jahren durch das Auseinandergleiten von germanistischer und kulturwissenschaftlicher Perspektive vor allem auf die kulturpolitischen Ambitionen des Autors entstanden ist. Es steht aus, diese durch eine kritische Synthese zu schließen und die tendenziell doch übergreifenderen, ihre Gegenstände somit oft eher tangierenden Konzepte kulturwissenschaftlicher Provenienz für einen textbezogenen hermeneutischen Ansatz verfügbar zu machen. Das bedeutet, mit der philologischen Methodik der ersten Perspektive den nicht geringen Bestand an Unerledigtem hinter den qualitativ neuen Hypothesen der zweiten aufzuarbeiten. Eben dies will die vorliegende Studie für den politischen Kosmos des Turm erreichen. Die hier publizierte Fassung wurde der Einleitung und dem Fazit nach erheblich und im Weiteren akzidentiell überbearbeitet, sowie um ein Siglen-Verzeichnis, ein Register sowie Hinweise auf die neueste Forschung ergänzt. Hinsichtlich der (barocken Fülle an) Zitate(n) ist vielleicht die Bemerkung hilfreich, dass längere Kursivsetzungen immer auf die von Hofmannsthal angestrichenen oder exzerpierten Stellen in seinen Büchern verweisen (dies wird zudem jeweils angemerkt)  ; eckige Klammern sind immer Hinweise auf sonstige Variierungen des Originals. Bei der Überarbeitung ist insbesondere die im Herbst 2013 erschienene Kritische Ausgabe zu Hofmannsthals Aufzeichnungen nach Möglichkeit berücksichtigt worden. Dies ist in einem Fall – einem in der zehnbändigen Fischer-Ausgabe von 1979/80 aufgespürten Transkriptionsfehler bei einem Exzerpt aus der Politischen Theologie – mit einigem Bedauern geschehen (hierzu später). Insgesamt bergen die neueren Veröffentlichungen jedoch Informationen zu Bezügen und Gedanken Hofmannsthals, an welchen sich die Fokussierung dieser Studie bestätigt. So ist dem neuen Band nun mit einer Auflistung aus dem Jahr 1927 auch zu entnehmen, dass Hofmannsthal den Turm an einen gewissen ›politische Idee des Autors‹ verfehlt werden muss. Man hat mit Recht von einer verschwommenen Haltung Hofmannsthals in politischen Fragen gesprochen. Es ist jedoch zu berücksichtigen, dass Kunst ihren Status einbüßt, wo sie in einem Maße politisch explizit wird, dass alle Interpretation obsolet wird. Für private Äußerungen gilt natürlich anderes. 6 Wenige der geplanten 40 Bände fehlen noch  ; im Hinblick auf den hier gewählten thematischen Zuschnitt sind es allerdings entscheidende Publikationen. ›Nahezu lückenlos‹ gilt ebenso noch nicht für die Situation bei den Briefen. Hier stehen mit Sicherheit noch einige große Funde bevor.

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Einleitung

»Schmidt-Dorotič« versenden lassen wollte, wohl noch in Erinnerung an die inspirierende Lektüre von dessen Buch Die Diktatur – auf einer aktualisierten Liste fehlte der Name dann allerdings. Dass die poetische Sprache sich jedem versagt, »der sie benutzen will, um den Namen der Herrschenden zu tradieren« (Enzensberger), stand Hofmannsthal spätestens seit seinem publizistischen Kriegsengagement 1914–1917 vor Augen. So vergleichsweise moderat sich seine Beiträge auch ausnehmen, für sein dichterisches Schaffen stellten sie als konkrete Eingriffsversuche in die politische Wirklichkeit eine Bedrohung dar. Mit der Arbeit zuerst am (Fragment gebliebenen) Timon und am Schwierigen7 kehrte Hofmannsthal zum Primat des Poetischen zurück. Die Wahl des Genres (beide sind Komödien) ging mit der wachsenden Distanzierung vom publizistischen Alltag einher. Mit der Komik lassen sich politische Gehalte kommensurabler zur Sprache bringen, Brüche zu Übergängen gestalten – wenn hierfür die treffenden Worte und Gestalten gefunden werden. Im Turm setzt sich dann diese Poetik des Transitorischen fort, welche in Sigismunds Metapher der »zu dicken« Zunge die damit verbundenen Wortfindungsschwierigkeiten reflektiert – und im Ablauf der ersten Fassungen auch überwindet. Hofmannsthals Inauguration der dichterischen Sprache zum gesellschaftlich konstitutiven Medium korrespondiert die stark geschichtsphilosophische Orientierung des Dramas, deren Düsternis eine verbindliche Deutung der Gegenwart durch die Autoren rechtfertigt. Die Schrifttum-Rede von 1926/27 und der Turm postulieren regelrecht eine Logomorphie des Politischen – der politische Aspekt ist dieser Dichtung somit »selber immanent«.8 Eines der Hauptergebnisse dieses Buches ist die Erkenntnis, dass Hofmannsthal offenbar bestrebt war, im Subjekt der Dichtung das Subjekt der Geschichte – welches bis zum Ende des royalen Geschichtsraums der Monarch darstellte – zu ersetzen, und auf diese Weise die Souveränität als genuine Ausdrucksform einer gleichermaßen geistigen wie politischen Idee des Royalen ins Werk zu retten. Vorangestellt sind darum zwei Zitate, die von der Kontinuität dieser translatio und deren existenzieller Bedrohung durch die neue Immanenz des Politischen 7 Vgl. hierzu Mathias Mayer  : Der Erste Weltkrieg und die literarische Ethik. Historische und systematische Perspektiven  ; München 2010. Zu Hofmannsthal das Kapitel  : »Die Strategie des Paradoxen« 165–180. 8 Hans Magnus Enzensberger  : Poesie und Politik  ; in  : Ders.: Einzelheiten  ; Frankfurt/Main 1962. 334–353. »[…] die poetische Sprache versagt sich jedem, der sie benutzen will, um den Namen der Herrschenden zu tradieren. Der Grund des Versagens liegt nicht außerhalb, sondern in der Poesie selbst. […] Der politische Aspekt der Poesie muß ihr selber immanent sein.« (ebd., 345/346).

Im Vorfeld. Der dunkle Grund des Geschehens

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zeugen. Diese prägt v. a. das späte Erleben der Zeit, welche Hofmannsthal hier nicht als einen über die Welt hinwegjagenden Sturm imaginiert, 9 sondern mit der Metaphorik des Sumpfes, des allmählichen Absackens, Vermoderns und Versinkens in den Überschwemmungsgebieten jenes »dunklen Stromes der Geschichte« verbindet, der sich ihm oberflächlich so kontingent wie undurchdringlich zeigte.10 Diese Metaphorik ist ebenso Kennzeichen des »wurzellosen Kollektivwesens« der diesen Zonen entwachsenden Masse,11 die vor allem durch die späten Arbeiten des Autors spukt – im Untergrund der Herrlichkeit (als »jene«, welche »drunten sterben«) allerdings schon früh in seinem Werk präsent und mittels einer Ästhetik des Liquiden immer nur scheinbar, für Augenblicke gestaltet ist. »Das Da-sein des Individuums ist ein Geheimnis. Seit man aber dieses Geheimnis der Menge preisgegeben, hat man das Fundament der Welt zerstört«, lautet ein entsprechende Notat vom Spätherbst 1924. Vor diesem Bild zeichnet sich Hofmannsthals Schreiben nach dem Ersten Weltkrieg als eine auf den Bereich des Sozialen gerichtete Bewältigungsstrategie ab, welche sich schließlich in der konservativen Utopie eines leitenden, vereinigenden »Schrifttums« verdichtet. Die Krise, die der Autor zuerst als geistig-kulturelle, nur in Ableitung davon als politisch-wirtschaftliche auffasste, zeigt sich auch im Turm als das im Umbruch »Drohende der Materie«.12 Ihr wird der Mythos einer Souveränität (bzw. eines souveränen Subjekts) entgegengesetzt, welchen Hofmannsthal aus der Darstellung der geschichtlichen Abfolge ihrer Ausprägungen entwickelte. Seine Inszenierung griff daher aktuelles Geschehen auf und konnte sich nicht allein auf geschichtsphilosophische Studien beschränken  ; das Zitat zum »nackten Gebälk« signalisiert – vielleicht gerade indem es dem Namensvetter eines   9 Er schloss übrigens mit dem Satz:  : »Das hat etwas namenlos Beängstigendes  ; doch müssen in uns die Mittel liegen, auch einer solchen Lage Herr zu werden.« (BW Burckhardt, 198 [7. IV. 26]). An Josef Redlich schrieb Hofmannsthal bei anderer Gelegenheit, er habe mit Österreich »das Erdreich, in welches ich verwurzelt bin« verloren (BW Redlich, 115 [28. XI. 1928]). 10 Vgl. zu Schillers berühmter Metapher im Hinblick das Subjekt der Geschichte Ernst Osterkamp  : Die Seele des historischen Subjekts. Historische Portraitkunst in Friedrich Schillers »Geschichte des Abfalls der vereinigten Niederlande von der Spanischen Republik«. Antrittsvorlesung 15. Mai 1993  ; hg. v. Präs. Prof. Dr. M. Dürkop  ; Humboldt Universität zu Berlin, 1994. 11 Zitiert wird hier der »unzureichende[n] Grund […] moderner Massengesellschaften«  : Burkhardt Wolf  : Fortuna di mare. Literatur und Seefahrt  ; Berlin, Zürich 2014. 323. Auch der chrematische Grund ihrer ökonomischen Disposition ist hier zu suchen  ; wir werden noch sehen, wie Hofmannsthal beide im numerischen Prinzip vermengte. 12 Zuvor  : SW XXXVIII, 951  ; Aufzeichnungen. RA III, 623  ; ad me ipsum [10. XI. 1926] (über die Figur Olivier).

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Einleitung

von Hofmannsthal stets in Ehren gehaltenen Schweizer Historikers galt – eine wachsende Sorge um die Geschichte  ; und zwar weniger um deren Eignung zur Beschreibung der Zeitläufte als um ihren Status überhaupt. Schon deshalb ist die nachfolgend mitzuteilende Begegnung alles andere als marginal.

Präludium in Wien – Spuren einer Bezugnahme » – solch ein Kitsch ist noch nicht dagewesen und Hoffmannsthal [sic  !] kann sich was schämen – mir gefiel nur der Teufel […]« (Max Weber über den Jedermann)13

Als der deutsche Soziologe und liberale Politiker Max Weber für das Sommersemester 1918 an die Universität Wien berufen wurde,14 traf er im Anschluss an eines seiner Kollegien am 16. Juni 1918 auch mit Hugo von Hofmannsthal zusammen. Die Begegnung fällt damit in die Zeit jener erwähnten Wiederaufnahme von Das Leben ein Traum, um dessen Weiterentwicklung und Fertigstellung als Der Turm sich der Dichter noch lange über Webers frühen Tod (1920) hinaus bemühte.15 Im Lebensbild Max Webers (1926) teilt Marianne Weber briefliche Äußerungen ihres Mannes über dieses Treffen mit, in denen sich dieser jedoch betont unbeeindruckt von der Persönlichkeit seines für Österreichs Literatur und Kultur damals so repräsentativen Gegenübers zeigte  : »Gestern war ich beim sächsischen Gesandten (v. Nostitz) mit H. von Hoffmannstal [sic  !], ein kluger feiner Wiener, aber durchaus nicht so raffiniert kultiviert, wie der Tod des Tizian vermuten läßt. Angenehm war die Art, wie er über George und Gundolf sprach, deren Mißachtung gegen sich er kennt.«16 13 Weber besuchte die Münchener Jedermann-Inszenierung von 1919. Max Weber  : Briefe 1918– 1920  ; Max-Weber-Gesamtausgabe II/10.2  ; hg. v. G. Krumreich u. M.R. Lepsius  ; Tübingen 2012. 724 (an Mina Tobler). 14 Anlass für Webers »Ausflug« dürften auch Verhandlungen zur Nachkriegsordnung im deutschsprachigen Raum gewesen sein. Weitere Überlegungen betreffen den »Mitteleuropa-Ausschuss«, den Max Weber zu diesem Zeitpunkt aber längst verlassen hatte. Zu Max Webers Kontakten nach Österreich vgl. Franz Josef Ehrles Freiburger Dissertation  : Max Weber und Wien  ; Freiburg/ Br. 1991. 15 Am 15. Juni hatte Hofmannsthal an Hermann Bahr geschrieben, der Stoff sei ihm durch das Kriegsgeschehen überhaupt erst wieder »ganz fasslich« geworden – vgl. SW XVI.1, 144. 16 Marianne Weber  : Intermezzo  ; in  : Max Weber. Ein Lebensbild  ; Tübingen 1926. 626 [fortan  : Lebensbild]. Die Herausgeberin kürzte die Stelle übrigens um das Urteil über Hofmannsthal, »der etwas

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Es ist dieser kurzen Passage bereits anzumerken, dass Webers wohl vorgefasstes Bild von Hofmannsthal durch den George-Kreis vermittelt wurde  ; gerade den Tod des Tizian (1892) soll George sehr geschätzt haben.17 Dass auch Hofmannsthal Webers Mitteilung gelesen haben dürfte, darauf lässt ein Eintrag im Ad me ipsum vom 5. November 1926 schließen  : »Haltung  : soziale – österreichische (der ›feine kluge Wiener‹).«18 Drei Tage später wird sich Hofmannsthal gegenüber Josef Redlich sehr positiv über das Lebensbild äußern, es bedeute die »conciseste Einleitung« in das Werk Webers.19 Das gemeinsame Zusammentreffen hingegen bleibt auch in seiner Rezension des Bandes unerwähnt.20 Sein Interesse an dem berühmten Soziologen, den er im Rahmen seiner politischen Tätigkeit während des Weltkrieges in Berlin (vor allem im Frühjahr 1916) zumindest ›erlebt‹ haben dürfte, ist offenbar kontinuierlich gewesen.21 Schon Webers Definition von enttäuscht« (vgl. nun MWG II/10.1, 199. Im Briefwechsel zwischen Hofmannsthal und Helene von Nostitz findet dieses Treffen keinerlei Erwähnung. 17 Weber stand über Jahre in Kontakt mit Mitgliedern des Georgekreises, nahm auch an Treffen teil. Nicht zuletzt wurde George zum Vorbild eines Typus’ charismatischer Herrschaft. Zahlreiche Belege finden sich im Lebensbild (v. a. in »Das schöne Leben«, 465 ff.) und im ersten Band der Religionssoziologie selbst (vgl. hierzu Thomas Karlauf  : Stefan George. Die Entdeckung des Charisma. Biographie  ; München 2007. 222 f.). Der Tod des Tizian wurde in den »Blättern für die Kunst« gedruckt  ; noch Kommerells Rede auf Hofmannsthal von 1930 hebt vor allem dieses Stück lobend hervor (wie ja die ganze Strategie des George-Kreises darauf hinauslief, Hofmannsthals Gesamtwerk zugunsten der frühen Texte zu desavouieren. Vgl. Max Kommerell  : Hugo von Hofmannsthal. Öffentliche Antrittsvorlesung, gehalten am 1. November 1930, an der Universität Frankfurt am Main  ; Frankfurt/Main 1930. »Hofmannsthals geschichtliche Art wirkt hier als dramatische Weisheit.« (14). 18 RA III, 622  : Ad me ipsum. 19 Hofmannsthal las die Weber-Biographie im Herbst 1926 und empfahl sie in der Rubrik »Die besten Bücher des Jahres« am 4. 12. 1926 (vgl. RA III, 218 und BW Redlich, 76–79). Die Biographie hat sich in Hofmannsthals Nachlass erhalten  ; Signatur  : FDH 5698. Darin findet sich auch der Durchdruck einer möglichen Notiz auf der Seite 696. Sonst enthält der Band keine Lesespuren, wie auch der kürzlich erschienene Band XL der Kritischen Ausgabe zur Bibliothek hierzu vermerkt (Hugo von Hofmannsthal  : »Sämtliche Werke«. Kritische Ausgabe, Band XL  : Bibliothek (2012) [fortan  : SW XL  ; Bibliothek]). Jedenfalls fällt die Lektüre des Lebensbildes damit deutlich in den Zeitraum des Abschlusses der Bühnenfassung und muss daher als möglicher Bezug berücksichtigt werden. 20 Die Rezension, in welcher das Lebensbild als eines unter vier Büchern positiv beurteilt wird, erschien erst am 25. 12. 1926 in der Wiener Neuen Freien Presse  ; abgedruckt in  : RA III, 93–98. 21 Hofmannsthals politisches Engagement in diesen Tagen war stark an den Freund Eberhard von Bodenhausen gebunden. Es ging hierbei um den von Friedrich Naumann initiierten Mitteleuropa-Ausschuss, dem neben Max Weber (zeitweise) auch Felix Somary und Hans von Seeckt angehörten. Vgl. A. Mionskowski  : Clio’s Anticipator, the Silent Networker and »the Specialist for War

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Soziologie als »eine Wissenschaft, welche soziales Handeln deutend verstehen und dadurch in seinem Ablauf und seinen Wirkungen ursächlich erklären will« dürfte als Verheißung gewissermaßen einer ›Hermeneutik des Politischen‹ »am lebenden Körper der Menschheit« (Burckhardt) Hofmannsthals Beifall und Interesse gefunden haben.22 Das ist auch für die Auffassung des Kapitalismus als »schicksalvollste[n] Macht unseres modernen Lebens« und die Anamnese seines »Geistes« als »Massenerscheinung« und »historisches Individuum« in der berühmten Protestantischen Ethik anzunehmen, welche im ersten Band der Religionssoziologischen Schriften 1920 wieder abgedruckt wurde.23 Im Herbst 1921 teilt er Felix Somary mit, er habe sich die »hinterlassenen Schriften« Webers liefern lassen. Diese Information könnte sich auf die Religionssoziologie oder die ersten Lieferungen des aus dem Nachlass herausgegebenen, fragmentarischen Hauptwerks Wirtschaft und Gesellschaft beziehen.24 Seine Lektüreerwartung fasst Hofmannsthal folgendermaßen zusammen  :

and Crises«  : Felix Somary  ; in  : J. Suchoples/K. Turton (Hg.)  : Forgotten by History. New Research on Twentieth Century Europe and America  ; Berlin 2009. 35–52. In Heinz Lunzers grundlegender Studie Hofmannsthals politische Tätigkeit in den Jahren 1914 bis 1917 (Frankfurt/Main 1981) finden sich auch Belege, dass Kontakt zur »Deutschen Gesellschaft von 1914« bestand und damit z. B. auch schon zu Alfred Weber (vgl. ebd.,171  ; 187). Der kürzlich erschienene Briefwechsel mit Hermann Bahr fördert Weiteres zutage, hierzu anschließend. 22 Vgl. zu dieser Wendung Hans-Jörg Sigwarts Beitrag über den seinerzeit ebenfalls in Wien tätigen Eric Voegelin  : Eine Hermeneutik des Politischen. Eric Voegelins Entwurf einer geisteswissenschaftlichen Staats-und Herrschaftslehre  ; in  : P.J. Opitz (Hg.)  : Erich Voegelins Herrschaftslehre  : Annäherungen an einen schwierigen Text (Occasional Papers LVIII)  ; München 2007. Vgl. insb. 32 f. Voegelins Herrschaftslehre, die übrigens beim Problem des Mythos-Begriffs abbricht, ist in ihrer ideengeschichtlichen Orientierung für Hofmannsthals kulturpolitische Ambitionen aufschlussreich. 23 Max Weber  : Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriß der verstehenden Soziologie  ; (Studienausgabe)  ; besorgt v. J. Winckelmann  ; Tübingen 19805. 1 [fortan WuG]  ; Max Weber  : Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie  ; Bd. I, Tübingen 1920. 4, 30, 42. [fortan  : RS I]. Weber sah als Nebenprodukt seines Werkes »eine Veranschaulichung der Art, in der überhaupt die ›Ideen‹ in der Geschichte wirksam werden«, an (RS I, 82). 24 1921 wurde eine ganze Reihe einzelner Schriften Webers publiziert  : die erste Auflage von Wirtschaft und Gesellschaft (1921/22), die Bände II und III der Religionssoziologie und die Gesammelten Politischen Schriften im Drei-Masken-Verlag (1921). In seiner Bibliothek hat sich außer dem Lebensbild aber nichts erhalten (vgl. jedoch oben nachfolgende Ausführungen). Das Programm des Drei-Masken-Verlages ist Hofmannsthal aber nachweislich bekannt gewesen  ; so lobte er 1920 in einer Rezension die Neu-Herausgabe von Adam Müllers Zwölf Reden über die Beredsamkeit  ; Herausgeber war der mit Max und Marianne Weber gut bekannte Münchener Professor Arthur Salz.

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»Ich habe mir, da ich viel Lust auch zum Aufnehmen habe, Max Webers hinterlassene Schriften herbestellt, freue mich darauf. Im Augenblick wo man auf seinem Niveau ist – ich falle leider leicht unter dieses – erkennt man, was es Grosses auf sich hat, in eine solche zerrissene Zeit hineingeboren zu sein.«25

Einen Tag später folgt ein Brief an Florens Christian Rang, in dem Hofmannsthal berichtet, wie sehr ihn die Arbeit am Turm absorbiere.26 Die These liegt also nahe, dass (auch) diese Lektüre Hofmannsthals mit der Arbeit am zum Lebenswerk geratenden Drama Der Turm in Verbindung zu bringen ist, und zwar mit der Arbeit an allen Fassungen. Ein spektakulärer Zettelfund anlässlich der Ausgabe der Sämtlichen Werke zu Hofmannsthals Bibliothek (2012) unterstützt nun die Vermutung, dass Hofmannsthal Max Weber in weitaus stärkerem Maße rezipiert hat, als dies bislang bekannt ist. In einem Band Ernst Gagliardis fiel den Herausgebern eine kurze Notiz von 1930 in die Hände, aus welcher hervorgeht, dass Hofmannsthal seinem Arzt Max Wimmer drei Bände Religionssoziologie schenkte, sie sich dann aber später von ihm zurücklieh. Daten der Schenkung und Rückleihe sind nicht bekannt  ; Wimmer meldete seinen Eigentumsvorbehalt erst nach Hofmannsthals Tod an.27 Es ist also sehr gut möglich, dass es sich dabei um jene gegenüber Somary erwähnten Bände handelt. Dass er mit seinem Bekannten aus Berliner Tagen über Weber korrespondierte, ergibt sich vielleicht aus dem Umstand, dass Somary über den Mitteleuropa-Ausschuss der »Deutschen Gesellschaft von 1914« viel mit dem Soziologen zu tun gehabt hatte.28 Allerdings könnte die Rezeption bereits früher eingesetzt haben.29 Hofmannsthal hätte sich beispielsweise im Sommersemester 1918 die öffentlichen Vorle25 Ein Mikrofiche des Briefes ist im Deutschen Literaturarchiv Marbach einzusehen. Der zweite Satz findet sich auch als Brieffragment an Felix Somary  ; in  : Hugo von Hofmannsthal  : BriefChronik 1912–1929  ; Regest-Ausgabe (Band 2)  ; hg. v. M.E. Schmid  ; Heidelberg 2003. Sp. 2273 [22.10.1921]. 26 Vgl. ebd., 2274  ; in der Kritischen Ausgabe ist dieser Brief nicht erwähnt. 27 Vgl. hierzu SW XL  ; Bibliothek  ; 221. 28 Von »Max Webers Nachgelassenen Schriften« ist indes auch im Tagebuch Josef Redlichs zu lesen [12. X. 1921]  ; vgl. Josef Redlich  : Schicksalsjahre Österreichs 1908–1919. Das politische Tagebuch Josef Redlichs  ; II. Bd.: 1915–1919  ; hg. v. Fritz Fellner  ; Graz u. a. 1954. 578. Die Seitenzahl bezieht sich auf die kürzlich erschienene, stark erweiterte Neuedition von Doris A. Corradini (Wien 2011). Sie bietet hinsichtlich Webers ansonsten keine neuen Informationen. 29 So war der langjährige Freund und vormalige Studienkollege Hofmannsthals, Felix Oppenheimer, ebenfalls Soziologe und kannte die Webers, wie schon aus den Diskussionsberichten der »Soziologischen Gesellschaft« aus dem Jahr 1912 hervorgeht  ; abgedruckt in den Gesammelten Aufsätze zur Soziologie und Sozialpolitik [1924]  ; (SSP, 488).

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sungen Webers anhören können (»Kollegien«), die zum Ende des Semesters vor vielen hundert Zuhörern stattfanden. Marianne Weber teilt einen zeitgenössischen Zeitungsbericht darüber mit  : »Hochgewachsen und vollbärtig gleicht der Gelehrte einem der deutschen Steinmetze aus der Zeit der Renaissance. Nur die Augen haben nicht das Unbefangene und die Sinnenfreude des Künstlers. Der Blick kommt aus dem Innersten, aus verborgenen Gängen und schweift in weiteste Ferne. Diesem Aeußern […] entspricht auch die Ausdrucksweise. […]. Es ist eine fast hellenische Art des Sehens, die hier zutage tritt. […] Es ist aber keineswegs die rhetorische Meisterschaft des Mannes allein, die diese außerordentliche Anziehungskraft hervorruft, auch nicht das Ursprüngliche und streng Sachliche seines Gedankengangs, sondern in erster Linie die Fähigkeit, Empfindungen zu wecken, die in den Seelen der anderen schlummern. Aus jedem Wort geht deutlich hervor, daß er sich als Erbe der deutschen Vergangenheit fühlt und vom Bewußtsein seiner Verantwortlichkeit vor der Nachwelt beherrscht wird.« (Lebensbild  ; op cit, 619/20)

Auf Hofmannsthal würde dieser Bericht, welcher dem Redner die Attribute seiner eigenen Charismatheorie unterlegt, wahrscheinlich animierend gewirkt haben.30 Ob er eine dieser Veranstaltungen oder auch Webers Sozialismus-Vortrag vor österreichischen Offizieren der »Friedenspropaganda-Abwehr« besucht hat (Hofmannsthal hätte aufgrund seiner zeitweisen Tätigkeit für das Kriegsfürsorgeamt die Möglichkeit dazu gehabt), ist aber bislang nicht belegbar.31 In Hofmannsthals Wiener Bekanntenkreis hatte Josef Redlich den besten Kontakt zu Weber  ; wie sich aus seinem Politischen Tagebuch ergibt, traf er Weber zum ersten Mal am 4. Juni 1916 in Wien.32 Redlich teilte seine Begeisterung später 30 Weber hingegen soll auf den dramatisierenden Bericht dieser »Wiener Zeitung« (d.i. Das Neue Wiener Tagblatt) sehr verärgert reagiert haben (vgl. Wilhelm Hennis  : Max Weber und Thukydides  ; Tübingen 2003. 7). Darin ist auch die Rede von einer »Petroniusnatur«. Weber las über Religionssoziologie und Wirtschaft und Gesellschaft  ; (vgl. hierzu die Informationen der Herausgeber in Max Weber  : Wirtschaft und Gesellschaft  ; Bd. I/22,4 der Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften  ; hg. v. E. Hanke u. T. Kroll  ; Tübingen 2005. 748). 31 Webers Vortrag wurde 1918 im Phöbus abgedruckt, der im Wiener Kommissionsverlag erschien. Heinz Lunzers wichtiger Band Hofmannsthals politische Tätigkeit 1914–1917 (1981) hätte längst eine vergleichbar akribische Fortsetzung verdient  ; angesichts der Brisanz des Themas ist diese Forschungslücke schwer zu verstehen. Auch die Unterbelichtung des Weber-Einflusses rührt daher. 32 In dem vor kurzem erschienenen Buch von Marcus G. Patka  : Freimaurerei und Sozialreform. Der Kampf für Menschenrechte, Pazifismus und Zivilgesellschaft in Österreich 1869–1938  ; Wien 2011 scheint eine weitere, frühere Möglichkeit der Bekanntschaft auf  : Aus einer zitierten Zeitungsrezension (ebd., 70) geht hervor, dass Josef Redlich spätestens ab 1907 einer der leitenden Köpfe der

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Hermann Bahr mit, vermerkte sich im Tagebuch aber neben der »prachtvolle[n] Gescheitheit« auch die »große Nervosität« Webers.33 Ein zweiter Aufenthalt Webers in Wien datiert auf Oktober 1917  ; er blieb gleich eine ganze Woche (vom 23.–30. 10.) und hielt einen Vortrag vor der »Soziologischen Gesellschaft« über »Probleme der Staatssoziologie«  ; mehrere Zeitungen kündigten den Vortrag an, darunter auch die Neue Freie Presse.34 Diese druckte am Folgetag einen ausführlichen Bericht. In dem »brillanten« Vortrag ging es bereits um die »drei Typen legitimer Herrschaft«, nebst einer Erweiterung auf einen sich bildenden vierten Typus, den der okzidentalen Stadt.35 Offensichtlich diente dieser Besuch der Vorbereitung von Webers Übersiedelung zur Professur »auf Probe« im Sommersemester 1918. Nach seinem Abschied aus Wien blieb Weber eine medial sehr präsente Gestalt  : während seiner Reise zu den Verhandlungen des Versailler Vertrages zur Nachkriegsordnung Europas, in den Debatten zur neuen Staatsform in Deutschland und der Münchener Räterepublik sowie den anschließenden Prozessen (seine Verteidigung Ernst Tollers). Sein verfrühter Tod schließlich setzte eine posthume Publikationswelle in Gang. Wie intensiv Hofmannsthal dies alles mitverfolgt hat, ist vielleicht nicht mehr zu klären. Offensichtlich hat er sich jedoch von der Lektüre der »hinterlassenen Schriften« einiges versprochen. Daher ist von einer noch zu bestimmenden Bedeutung von Webers Soziologie für den Herrschaftskomplex im Turm auszugehen, und zwar spätestens seit 1921.36 Wiener »Soziologischen Gesellschaft« war, die wenig später Florens Christian Rang und Alfred Weber zu Vorträgen eingeladen hat. 33 Redlich, Schicksalsjahre Österreichs  ; op cit, 120. 34 Vgl. MWG I/22,4  ; op cit, 748. Schon am 9. Oktober hatte die Zeitung, der Hofmannsthal durch sein amtliches Engagement übrigens nahe stand, über die fragliche Berufung Webers als Nachfolger des verstorbenen von Philippovichs spekuliert. 35 Bei Josef Redlich gibt es hierzu einen Eintrag vom 28. 10. 1917  ; vgl. Redlich  : Politisches Tagebuch  ; op cit, 240. Aus dem Briefwechsel Hofmannsthals mit Rudolf Pannwitz ergibt sich, dass am 2. 11. 1917 ein zweites Treffen Redlichs und Webers unter vier Augen folgte (vgl. Hugo von Hofmannsthal/Rudolf Pannwitz  : Briefwechsel (1907–1926)  ; hg. v. G. Schuster  ; Frankfurt/Main 1993. [fortan BW Pannwitz]. 813). Merkwürdig daher, dass Redlich seine Zusammentreffen mit Weber später gegenüber Hofmannsthal niemals brieflich erwähnt – die einzige Erklärung hierfür ist, dass Hofmannsthal darüber längst mündlich unterrichtet war (und umgekehrt). Zu Webers gesellschaftlichem Leben in Wien sind auch die Ausführungen in Redlichs politischem Tagebuch 278 ff. (7. 6. 1918) instruktiv. 36 Auf dem ersten Konvolut an Notizen findet sich der Eintrag zu Hofmannsthals Bearbeitungsdaten von das »Leben ein Traum […] zum dritten Mal (in Prosa) Juni 1920« (vgl. SW XVI .1, 182). Es wäre überzogen, den Beginn dieses letzten, als Turm dann gleich doppelt (bzw. dreifach) ausge-

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Dies kann sich auf Hofmannsthals fortgesetztes Interesse an Weber als tragischpolitischer Gestalt stützen. So ließ Felix Somary später wissen, Hofmannsthal habe Weber als eine Herrschergestalt, als einen »geistigen Cäsar, der kein Geltungsgebiet findet« bezeichnet.37 Auch Karl Jaspers, dessen Grabrede auf Max Weber sich auf einer Leseliste in Hofmannsthals Nachlass befindet, nannte Weber eine »Herrschernatur«, welche die »politische Struktur Deutschlands in allen ihren Gestalten bis zuletzt […] nicht zur Wirksamkeit [habe] kommen lassen«. Dennoch sei in seinem Leben ein Beweis zu sehen, »daß auch heute der Geist in Gestalten höchsten Maßes existieren konnte«.38 Hofmannsthals eigene Formulierung in der Sammelrezension Biographie (1926) kommt mit schlichterem Pathos aus  : »Hier eine heroische Tatkraft ohne angemessene Sphäre. Dieses gewaltige, leidenschaftliche Ich Webers, dem die Welt des folgenreichen Handelns versperrt ist, überspannt sich an Konflikten […].« »Hier ist der deutsche geistige Mensch dieser nahen dunklen Epoche (1880–1920) vor uns hingestellt.«39 Und der oftmalige Rodauner Gast Redlich, mit dem Hofmannsthal schriftlich nur ein einziges Mal über Weber korrespondierte,40 schrieb über den Soziologen in seinem Antwortbrief von Dezember 1926  : »Max Weber war ein dämonischer Mensch (…) in unseren Tagen der einzige deutsche Gelehrte, der als wirklich großer, heroischer Mensch geboren war (…) einer der stärksten Willensmenschen und zugleich eine unbeugsame, leidenschaftliche Natur, die immer zu einem endgiltigen Urtheil zu kommen strebte.« (BW Redlich, 84) führten Bearbeitungszeitraums auf Webers überraschenden Tod am 14. Juni 1920 zurückzuführen (zuletzt hatte sich Hofmannsthal offenbar im Juni 1918 Notizen gemacht). Auf die augenscheinliche Koinzidenz der Arbeit am Turm und Webers Lebensdaten sei aber zumindest hingewiesen. 37 Felix Somary  : Erinnerungen eines politischen Meteorologen. Mit einem Vorwort von Wolfgang Somary  ; München 1994. 178. Somary kannte Max Weber persönlich seit den Tagen des zu Kriegszeiten auf Initiative Friedrich Naumanns gegründeten Ausschusses für Mitteleuropa und war vermutlich auch an dem Versuch beteiligt, Weber 1917 als Nachfolger Eugen von Philippovichs nach Wien zu berufen. 38 Karl Jaspers  : Max Weber. Rede bei der von der Heidelberger Studentenschaft am 17. Juli 1920 veranstalteten Trauerfeier  ; Tübingen 1921. Zitate  : 25, 14, 22. Ich verdanke den Hinweis auf die Leseliste von 1925 Herrn Dr. Joachim Seng vom Freien Deutschen Hochstift. 39 RA III, 97  ; Biographie. 40 In jenem mittlerweile berühmten Brief vom November 1926, der auch seinen Lektüreeindruck zweier Schriften Carl Schmitts mitteilt (BW Redlich, 77 ff.). Dasselbe gilt für Burckhardt  ; dieser erwähnte Weber in einem Brief vom 1. IV. 1926  : »Ich wundere mich immer, daß die Historiker so wenig am lebenden Körper der Menschheit beobachten. Max Weber hat es unternommen, aber er ist fast allein geblieben […]« (BW Burckhardt 1991, 184).

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Wie sehr Weber als Person präsent blieb, ist den Notizen zum Andenken Eberhard von Bodenhausens (1927/28) zu entnehmen. Darin konstruierte Hofmannsthal eine seltsame Identität zwischen Weber und seinem 1918 verstorbenen Freund, welche er (ausgerechnet  !) zur Grundlage der Figur eines modernen »Jedermann« machen wollte. »Was bedeutet es – ein solcher Mensch drückt den Gehalt seiner Epoche aus« lautet eine dieser Notizen.41 Beide müssen ihm als ein bestimmter Typus, dem des »deutschen geistigen Menschen« der Moderne, erschienen sein, der sich bis zur völligen Erschöpfung an eine Sache (oder deren vieler) verausgabt  ; mit (jeweils) letalen Folgen  : »das Vergebliche auch solcher Opfer«. Genau in diese Richtung weist auch eine Warnung, die Hofmannsthal am Exempel Max Weber dem jungen, in Amerika weilenden Schweizer Werner Jaeger aussprach  : »Die Biographie Max Webers von der Hand seiner Frau zeigt das grausige Beispiel dieses deutschen Zuviel.«42 Er wird sich dabei vielleicht an folgende Stelle erinnert haben  : »Als Weber einmal nach dem Sinn seiner Wissenschaft für ihn selbst gefragt wurde, antwortete er  : ›Ich will sehen, wieviel ich aushalten kann.‹ – Was wollte er damit andeuten  ? Vielleicht – daß er als seine Aufgabe ansehe, die Antinomien des Daseins zu ertragen, ferner  : seine Kraft zur Illusionslosigkeit aufs äußerste anzuspannen und trotzdem die Ungebrochenheit seiner Ideale und die Hingabefähigkeit an sie zu bewahren.«43

Hofmannsthal hat darin, das Andenken deutet es mehrmals an, ein Mahnmal des durch protestantische Ethik geschaffenen Bewährungsdrucks gesehen. Auch Hofmannsthals Bekanntschaft mit Alfred Weber – im Zuge der Treffen der europäi41 RA III, 155 ff.: 156  ; Bodenhausen. Zu Max Weber vgl. ebd. 160, 165. Die bezügliche dramatische Arbeit ist das Jemand-Fragment (ab 1919). 42 Zuvor  : RA III, 160  ; Bodenhausen. Der Brief ist von 1927  ; abgedruckt in  : Martin Staehelin  : »[…] Bei den Meinigen nicht immer unter Wildfremden  !« Hugo von Hofmannsthal in Briefen an Werner Jaeger  ; in  : Catalipton. Festschrift für Bernhard Wyss  ; hg. v. C. Schäublin  ; Universität Basel 1985. 203–212  : 204/205. Für den Hinweis darauf ist Frau Dr. Kaluga und Herrn Dr. Heumann vom Hofmannsthal-Archiv am Freien Deutschen Hochstift zu danken. Werner Jaeger war Herausgeber der Zeitschrift Die Antike und von Hofmannsthals Vortrag Vermächtnis der Antike (1926) sehr angetan. 43 Marianne Weber  : Lebensbild  ; op cit  ; 690  ; »Der Lehrer und Denker«. Der erwähnte Durchdruck findet sich wenige Seiten später auf Seite 696  ; Hofmannsthal dürfte diesen Bericht also gelesen haben. Auf Hofmannsthals eigene Sicht dieser Antinomien des Daseins – die er zwischen verfließender Zeit und Dauer sowie Individuum und Gemeinschaft wirksam sah (vgl. RA III, 613  ; Ad me ipsum), ist noch vermehrt zurückzukommen. Auch für Weber kann jedenfalls der Satz gelten »Für ihn war kein Pietismus, kein Ausweg in die Mystik.« (RA III, 159  ; Bodenhausen [1927]).

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schen »Kulturbünde« ab 1926 – soll in diesem Vorbericht noch kurz Erwähnung finden  : »[…] gleich wird Christianerl kommen mich zu einem Spaziergang abholen, dann esse ich a l l e i n mit Alfred Weber, abends ist irgendwo eine Soireé.« berichtete er am 9. Februar 1928 seiner Frau Gerty aus Heidelberg.44 Die Hervorhebung Hofmannsthals sagt einiges über das Ansehen, in dem sein Tischnachbar bei ihm stand. Der Kontakt scheint sich daraufhin intensiviert zu haben – jedenfalls folgte ein recht offener Briefwechsel, wie aus einem Brief Hofmannsthals von Mai 1928 hervorgeht (»Ich fand Ihren Brief hier«), in dem Hofmannsthal mit kritischem Verweis auf den Prinzen Rohan (Herausgeber der Europäischen Revue) eine ihm angetragene »Mission« ablehnt, da sie seine Kräfte übersteige.45 Diese Ökonomie der Enthaltung ist der (Max) Weberschen Verausgabung deutlich entgegengesetzt. Wie sehr ihn dessen Lebensführung dennoch fasziniert hat, belegt neben den Bodenhausen-Notizen die Rezension zur Biographie, welcher man in diesem Zusammenhang einen luziden Hinweis auf eigene Vorhaben entnehmen kann  : »Vielleicht, ja sehr wahrscheinlich, wird dieses große gelebte Leben als folgenreich genug erkannt werden, um noch zu anderer Darstellung aufzurufen.«46 Insofern könnte der deutsche Soziologe offenbar in zweifacher Weise für Hofmannsthals Arbeit bedeutsam geworden sein  : als theoretische Vorlage einer möglichst tiefgreifenden Gestaltung der Zeitläufte und (in biographischer Überblendung mit Bodenhausen) als moderner »Jedermann« – man dürfte fast schließen  : im Zuge eines Racheaktes für die schlechte Kritik (s.o.), wenn Hofmannsthal denn auch von dieser erfahren haben sollte. Ein im Juni 1920 notierter Gedanke Hofmannsthals ließe sich jedenfalls auf das urplötzliche Dahinscheiden Webers beziehen  : »Epoche Ein Gedanke auf den man nicht leicht kommt und der doch zu vielem den Schlüssel gibt, ist dieser, es verberge sich in jeder Epoche aufs neue unter der Maske des besonders Kraftvollen das sonderlich Schwache.« (SW XXXVIII  ; Aufzeichnungen, 824) 44 Brief vom 9. 2. 1928  ; FDH 475. Auch für diesen Hinweis geht der Dank nach Frankfurt  : Frau Dr. Kaluga und Herr Dr. Heumann machten mich darauf aufmerksam. 45 Auch Ludwig Curtius berichtet von dem Besuch Hofmannsthals in Heidelberg im Frühjahr 1928 (L. Curtius  : Deutsche und antike Welt. Lebenserinnerungen  ; Stuttgart 1950. 377). Eberhard Demm zählt zu den Kontakten des literarischen Netzwerks Alfred Webers neben Max Brod und Thomas Mann auch Herrmann Graf Keyserling sowie auch Hofmannsthal. Vgl. Eberhard Demm  : Alfred Weber(1868–1958)  : Machtkapital, Netzwerke und Lebensstil  ; in  : E. Demm/J. Suchoples (Hg.)  : Akademische Lebenswelten. Habitus und Sozialprofil von Gelehrten im 19. und 20. Jahrhundert  ; Frankfurt/Main 2011. 118. Zum Brief an A. Weber vgl. 1.1.3 (Fußnote 81). 46 RA III, 97  ; Biographie.

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Hofmannsthals Rezeption und Anverwandlung so gehaltvoller Themen wie der Herrschaftssoziologie oder der Protestantischen Ethik werden im Zuge der Interpretation seiner späten Kulturprogrammatik und der Inszenierung von Herrschaftsformen im Turm zu rekonstruieren sein. Ihre Bedeutung kann allerdings nur im Zusammenhang mit weiteren, bekannteren Zugängen zu Hofmannsthals Spätwerk erschlossen werden, die kurz vorgestellt werden sollen.

Vorgehen. Thesen und Aufbau der Studie »Der Anstoß aber, eine solche Recension niederzuschreiben, wird sich vielleicht ganz ungezwungen aus der Vergleichung der beiden Fassungen ergeben. In der zweiten tritt vielleicht der actuell politische Gehalt stärker hervor […]« (Hofmannsthal an Redlich)47

Das Trauerspiel erfordert in seiner wahrhaft ›aufgetürmten‹ Materialfülle in den unterschiedlichen Fassungen und der Masse an Notizen, welche diesen großen, so oft umgearbeiteten ›dramatischen Bau‹ wie einen Steinbruch umlagern, vielfach gesonderte Betrachtung. Denn gerade die Konzentration auf den Herrschaftstopos hat sämtliche ›Stockwerke‹ vom Kellerverlies des bloßen Lebens bis unters Dach geistiger Souveränität zu durchmessen, zumal die wesensmäßige Vertikalität der Materie die Struktur der Dramenhandlung prägt, aber nicht immer sichtbar entwickelt wird. Es muss also darum gehen, einen präzisen Weg durch dieses kaleidoskopische Labyrinth an politischen Versatzstücken und theologischen Fermenten der Herrschaft und ihrer Legitimation zu ebnen. Als roter Faden, der dies ermöglicht, wird hier der Charisma-Begriff gewählt, dem eine ästhetische Dimension eignet und dessen rein säkulare Verwendung – das geht

47 BW Redlich, op cit, 76/77. »[…] und nachzuweisen, was es mit diesem Hauch von Actualität bei einem poetisch-mythischen Werk eigentlich auf sich hat […]«, wünsche er sich von Redlichs »wunderbaren Unterscheidungsvermögen[s] für geistige Gegebenheiten«. Der Einfluss des Rechtsprofessors und letzten k.u.k.-Finanzministers Josef Redlich auf die Entstehung des Turm ist als nicht gering anzusetzen, wenngleich der Briefwechsel wenig Einschlägiges bereithält (und die erbetene Rezension auch niemals erschien). Hofmannsthal traf sich jedoch regelmäßig mit ihm und besprach politische Fragen, lieh sich auch Bücher. Er hatte an ihm in der Tat einen profunden Fachmann  : Redlichs Studie zum englischen Parlamentarismus (1905) wird von Philipp Manow noch 2008 zitiert  : Im Schatten des Königs. Die politische Anatomie demokratischer Repräsentation  ; Frankfurt/Main 2008. 83.

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aus Max Webers einschlägigen Arbeiten hervor –,48 selbst im Fall seiner anti-autoritären Umdeutung unmöglich ist  : Weil er immer moderne Vorstellungen des Numinosen transportiert, welche im Prozess der Veralltäglichung zwar erodieren, jedoch einem stets wandlungsfähigen mythischen Denken aufruhen. Für die Frage nach der legitimen Herrschaft ganz wesentlich, vertritt diesem Numinosen in der Bühnenfassung mit dem Fatum der Rationalisierung die ebenfalls von Weber prominent analysierte Gegenmacht den Weg. Hofmannsthals Rezeption Max Webers (Religionssoziologische Schriften, Wirtschaft und Gesellschaft) und deren mutmaßliche Schwerpunkte werden zunächst im ersten Kapitel (1.3 f.) ausgehend von Hofmannsthals Ansätzen einer Poetik des Wissens über das Soziale genauer in den Blick genommen und dann in den Kapiteln der Dramenanalyse konkretisiert. Begleitend ist der »Denkraum« (Wilhelm Hennis) bzw. »geistige Raum« Hofmannsthals abzuschreiten, in dem Der Turm insbesondere seit 1918 bzw. 1920 entsteht  ; hierbei müssen auch die Reden, Essays, Aufzeichnungen und brieflichen Äußerungen Hofmannsthals einbezogen werden, wo diese Rückschlüsse auf die Arbeit am poetologisch-politischen Gehalt des Trauerspiels erlauben. Insbesondere Letzteren ist allerdings auch mit der Frage zu begegnen, inwieweit sie möglicherweise einer Strategie aufruhen, gleichsam ›Bezugsspuren zu legen‹ oder zu verwischen, inwieweit sie also Teil des poetischen Systems ›Hofmannsthal‹ sind – kein Autor lässt sich gern in die Karten sehen, so offen er manche auch aufdeckt. Zudem wird Einblick in die von ihm selbst herausgegebenen Texte verschafft,49 da diese Publikationen den Entstehungsprozess des Turm flankieren, sowie in seine diesbezüglichen Lektüren, sofern sie nicht schon von der Kritischen Ausgabe erarbeitet wurden und vielversprechend für die hier gewählte Perspektive erscheinen.50 48 Vgl. hierzu jetzt Hans Peter Müller/ Steffen Sigmund (Hg.)  : Max Weber-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung  ; Stuttgart 2014. Diverse Einträge beschäftigen sich mit diesem Zentralbegriff Weberscher Soziologie. 49 Zu nennen sind hier das Deutsche Lesebuch (1922/1926), Wert und Ehre deutscher Sprache (1927), das Buch der Freunde (1921), auch schon Deutsche Erzähler (1912), und natürlich die Neuen deutschen Beiträge (ab 1922). Auch das Verlagsprogramm der Bremer Presse (ab 1921) ist in diesem Zusammenhang von Interesse, da Hofmannsthal hier viel Einfluss nahm (der Briefwechsel mit Willy Wiegand mag hier als Beispiel dienen). Hofmannsthals Interesse an günstigen Preisen seiner Bücher geht auch aus einem Brief an Walther Brecht hervor (vgl. BW Brecht, 27 [14. II. 1919]). 50 So werden etwa Schriften Ernst Cassirers, Sigmund Freuds, C.G. Jungs, Gustav Landauers, Gustave Le Bons und Alfred Webers, deren Kenntnis seitens Hofmannsthals vorausgesetzt werden kann, wiederholt einbezogen.

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Der geistige Raum Hofmannsthals ist immer ein sprachlicher, immer als sprachlich verfasster zu denken. Als Hofmannsthals Utopie könnte man das Aufgehen des kollektiv imaginären Politischen in einer gesellig-verbindenden Sprache bezeichnen, in welcher die ganze »Nation« zusammenfindet. Diesen poetologischen Zusammenhängen einer mythischen Präsenz des Politischen in der symbolisch gesteigerten, zur organischen Gestalt geformten Sprache ist das zweite Kapitel (›Der literarische Leviathan‹) gewidmet. Eine derartige Synthese von Geist und Politik war für Hofmannsthal Voraussetzung für die Befriedung des gesellschaftlichen Klimas. »Sigismund« ist insofern ein sprechender Name, wichtige Begriffe sind in diesem Zusammenhang ›Gespräch‹ und ›Geselligkeit‹. Seine diesbezüglichen Strategien werden als Hintergrund des politischen Szenarios im Turm erarbeitet. Ausgehend von Hofmannsthals kritischer Rezeption von Georg Simmels Philosophie des Geldes wird die Übertragung des hier ansetzenden Verfahrens zum Erwerb poetischen Besitzes wie auch seiner Repräsentationskritik an der Sprache auf die kollektive Ebene des gesellschaftlichen Ganzen nachvollzogen. Von erheblicher Bedeutung ist in diesem Zusammenhang auch die Sprachsoziologie Karl Vosslers (vgl. 2.2 und 2.3). Dem Dichter ist für die Behebung der festgestellten Krise selbstredend eine Schlüsselstellung eingeräumt (übrigens durchaus mehr im Sinne Gustav Landauers als Rudolf Pannwitz’, nämlich durch Behauptung vor der Menge).51 Hofmannsthal überführt hierzu die mit der Souveränität und dem Charisma verbundenen Metaphoriken des Liquiden und Fluiden in die Gestaltpoetologie (vgl.2.5). Eine Zusammenfassung und Aufbereitung dieser Ergebnisse für die Interpretation des Trauerspiels nimmt das dritte Kapitel (›Schwellen‹) mit den hier gewählten Turm-Zugängen »Politische Romantik«, »Politische Theologie« und »Politische Zoologie« vor.52 Diese sind kurz zu erläutern  : Politische Theologie 51 Zu Hofmannsthal und Gustav Landauer vgl. Norbert Altenhofer  : Hugo von Hofmannsthal und Gustav Landauer. Eine Dokumentation. Mit dem Briefwechsel Hofmannsthal – Landauer und Landauers Essays über Hofmannsthal  ; in  : N. Altenhofer  : »Die Ironie der Dinge«. Zum späten Hofmannsthal  ; mit einem Nachwort hg. v. L.M. Fiedler  ; Frankfurt am Main (u. a.) 1995. 93–164 und 176–182. Um Pannwitz’ Selbstinszenierung als Priester einer seelenumschaffenden Gewalt zu begreifen, reicht ein kurzer Blick etwa in Die Krisis der europäischen Kultur (Nürnberg 1917). Der Pannwitz-Einfluss ist in der Kritischen Ausgabe des Turm sehr gut dokumentiert und seinem cäsarischen Impetus nach Webers charismatischer Herrschaft benachbart. 52 Dass die beiden ersten ›Kriterien‹ Titel Schmitts zitieren, liegt vor allem an deren ›Griffigkeit‹  ; es bedeutet nicht, dass der Turm vor allem mit Schmitt gelesen werden soll. Vielmehr stellen diese Kapitel den Versuch dar, eine Engführung von wesentlichen Gedanken der drei Haupt-Bezugsgeber vorzunehmen. Die Charisma-Thematik lässt sich zudem unter die ›Politische Romantik‹

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Einleitung

dient nach Carl Schmitt der Legitimation von Herrschaft, und zwar – nach dem Untergang des Königtums – auch im Rahmen einer modernen Diktatur (die eigentlich die Suspension des Legitimationsgedanken ist). Dieser theologischlegitimistische Bereich wird seit der Romantik (spätestens) in seiner metaphorischen Funktionsweise von der Literatur mit dem Konzept einer »neuen Mythologie« (Friedrich Schlegel) usurpiert  ; darum Schmitts empörte Bekämpfung des Führungsanspruchs romantischer Literaten, dessen Wiederkehr er 1919 in München zu erleben meinte. Webers Soziologie ist in diesen Themensetzungen, zu welchen Schmitt die Stichwörter lieferte, ebenfalls präsent zu halten. In diesen umkämpften Zonen eine profilierte Positionierung Hofmannsthals vorzunehmen, kann aber nur im Kontext der Turm-Interpretation gelingen. »Politische Zoologie« schließlich greift ein Konzept auf, die Rhetorik politischer In- bzw. Exklusionsprozesse in solchen Texten zu beschreiben, die sich theriotopischer Vergleiche und Tropen bedienen (gewissermaßen als Vorgeschichte der Herrschergestalt). Die Repliken des Turm bieten hierfür einen reichhaltigen Fundus.53 Hofmannsthals Dramatisierung charismatischer Herrschaft, wie sie in der politischen Kontrapunktik von geistiger und physischer Gewalt in den dichterischen Turm-Fassungen entwickelt wird, ist Gegenstand des vierten Kapitels  ; die Lektüre der stark veränderten Bühnenfassung folgt, teilweise in Parenthese mit Ausführungen Benjamins (Ursprung des deutschen Trauerspiels) und Schmitts (Politische Theologie, Die Diktatur), als fünftes Kapitel. Insbesondere die SchmittRezeption hat in der Forschung eine andauernde Kontroverse um den politischen Autor Hofmannsthal ausgelöst, die in einem eigenen Kapitel zum Forschungsstand (vgl. 1.2) wiedergegeben wird. Benjamin, Schmitt und Weber sind folglich die Hauptbezugnahmen, von deren Konstellation aus das Spätwerk Hofmannsthals und insbesondere der Turm zu erschließen sind. Hinzu treten kapitelweise weitere Bezüge (insbesondere Schriften Florens Christian Rangs, Georg Simmels und Karl Vosslers), die geeignet sind, die jeweilige Motivation von Themensubsumieren, die Herrschaftssoziologie mit ihrem Legitimationshorizont unter die »Politische Theologie« (und umgekehrt). Benjamins Poetik des Trauerspiels wird vor allem in Kap. 5 ausgiebig zu Wort kommen. »Politische Zoologie« betrifft keineswegs nur deren rhetorische Seite, schafft aber Gelegenheit zur Konkretisierung am dramatischen Text. Der Begriff ist dem Band Anne von der Heidens und Joseph Vogls (Hg.)  : Politische Zoologie (Berlin, Zürich 2007) ›abgeluchst‹. Eine Formulierung wie Sven Rückers »Theozoologie« als säkulare Filiation der politischen Theologie wäre ebenfalls denkbar gewesen – S. Rücker  : Das Gesetz der Überschreitung. Eine philosophische Geschichte der Grenze (FU-Dissertation 2009). 53 – wie Roland Borgards kürzlich auf der Basler Tagung der Hofmannsthal-Gesellschaft im Herbst 2014 noch einmal eindrucksvoll bestätigt hat.

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setzung und Wirkungsabsicht entscheidend zu erhellen. Die Studie geht hierbei immer vom dramatischen Text aus. Das heißt, die Bezugstexte werden mit Perspektive Hofmannsthals gelesen, nicht umgekehrt, und dann zur Interpretation herangezogen. Daraus folgt, dass die Schwerpunkte der Lektüre – gemäß der leitenden Frage ›was hat Hofmannsthal daran interessiert  ?‹ – erst in einem Verfahren wechselseitiger Bezogenheit von Bezugstext, etwaigen Lesespuren oder Notizen und Zieltext entwickelt werden müssen. Von hier aus lassen sich dann Zweck und Intensität einer Bezugnahme bestimmen.54 In der Regel wird darum eine Reihe ausgewählter Zitate aus den Szenen des Turm, deren »politischer Mehrwert« bzw. Hintergrund bislang meist nicht erschlossen wurde, Textstellen gegenübergestellt, die sich Hofmannsthal entweder selbst während der Lektüre markiert hat (und dies noch nachzuvollziehen ist) oder aufgrund ihrer inhaltlichen Qualität für ein solches – übrigens an Lorenz Jägers Arbeiten zu Hofmannsthal orientiertes – Verfahren infrage kommen. Starke Berücksichtigung erfordern bei der detaillierten Untersuchung der Bezugnahmen auch die große Zahl an überlieferten Varianten und Notizen aus dem langen Entstehungsprozess des Dramas.55 Der politisch-philosophische sowie kulturgeschichtliche und imaginäre Gehalt des Stoffes prägt sich in Szenarium, Ablauf und Figurenkonstellationen aus. Dennoch ist es Hofmannsthal gelungen, diesen gewaltigen Überbau in ein lebendiges Geschehen zu überführen, das nur dort kryptisch bzw. enigmatisch wirkt, wo er es auch beabsichtigt hat. Besonderes Augenmerk verdienen daher die ›offenen Profile‹ der Figuren, die Hofmannsthal eine Gestaltung geschichtlicher Prozesse im Handlungsablauf erlauben. Sie werden in den Turm-Kapiteln (vgl. 4.1.3 und 5.2) und die aufgrund ihrer Subjektkonstitution besonders komplexe Sigismund-Figur in ihrer kollektiven Dimension zusätzlich unter 2.5 gesondert dargestellt. Denn mit und in ihnen wandert die Geschichte, die nicht allein die Zeit der Dichtung ist, in den Schauplatz ein.

54 Es bleibt zu hoffen, dass hiermit einem Wunsch Eric Santners nach einem »[…] comprehensive reading of the play, a project that would require close comparison of the published versions along with consideration of unpublished drafts, notes, and correspondence pertaining to the play’s long process of evolution, not to mention the wealth of literary and scholary sources from which Hofmannsthal drew in the composition of the work.« entsprochen wurde (Eric L.Santner  : The Royal Remains. The People’s Two Bodies and the Endgames of Sovereignty  ; Chicago 2011. 177/178). 55 Jägers Publikationen finden anschließend Berücksichtigung. Immer wo im Folgenden vom 1.– 5. ›Akt‹ die Rede ist, wird die Bühnenfassung von 1926 zugrunde gelegt  ; Angaben der ›Aufzüge‹ verweisen immer auf die dichterischen Fassungen, deren bloß graduelle Unterschiedlichkeit hier übergangen wird, da sich die zweite v. a. aus (leider sehr weitreichenden) Kürzungen ergibt.

1. Der »Gesamtbereich des Politischen«. Politische Kultur in Hofmannsthals Spätwerk »Hugo von Hofmannsthal [… war es,] der im Zentrum der zerfallenden habsburgischen Monarchie die Kraft, aus der sie gelebt hatte, in einer gleichsam nachgeschichtlichen Reife restlos in Formen verwandelte.« (Walter Benjamin)1

Im November 1927 teilt Hofmannsthal dem Freund Carl J. Burckhardt mit, er habe sich »lebenslang mit dem, was man ›Zeit‹ nennt (in den mehrfachen Bedeutungen des Wortes) herumgeschlagen«, und wolle diesem »schlangenartig[en] Gegner« von nun an »noch mehr ins Gesicht« sehen.2 ›Zeit‹ ist ein Faktor von hoher dramatischer Valenz und zugleich als soziologischer Begriff von jener Doppelsinnigkeit, die Hofmannsthal mit seinen Themensetzungen stets anstrebte  ; in der Tat finden sich in seinem Gesamtwerk Dutzende Belege dieser Auseinandersetzung, die hier folglich auch mehrfach noch beschäftigen wird. Sein Zeitempfinden und das der Epoche generell war, wie eingangs angemerkt, von einer höchst gesteigerten Krisenhaftigkeit,3 welche auf die Wirkungen des abendländischen Rationalismus vor allem im fortschrittsgläubigen 19. Jahrhundert zurückgeführt wurde – und zwar oftmals in Berufung auf Max Weber. Dieser Krisenhaftigkeit Herr zu werden, diente auch die Suche nach Konzepten der Souveränität, die eben nicht im politischen Bereich Halt machte. Wenn man mit Emil Lederers »Kultursoziologie«, veröffentlicht in der Weber-Gedenkgabe Hauptprobleme der Soziologie von 1923,4 unter ›Zeit‹ das »gesamte Ensemble der 1 GS III, 275  ; Theologische Kritik. Zu Willy Haas’ »Gestalten der Zeit« (Über Kafka und Hofmannsthal). 2 BW Burckhardt, 263 [29. XI. 1927]. 3 Zu den geschichtlichen Gründen hierfür vgl. Jürgen Osterhammel  : Die Verwandlung der Welt. Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts  ; München 2009. Zum Zeitempfinden der Epoche (allerdings mit Fokus auf Deutschland)  : Rüdiger Graf  : Die Zukunft der Weimarer Republik. Krisen und Zukunftsaneignungen in Deutschland 1918–1933  ; München 2008. 4 »Endlich wird drittens viel darauf ankommen, was das ›gesamte Ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse‹ sei  ? Von diesem letzten, dem soziologischen Zentralbegriffe, von welchem jede soziologische Analyse der Kulturphänomene ihren Ausgangspunkt nehmen muß, sei zunächst die Rede. Wir bezeichnen ihn als ›Zeit‹, womit natürlich nicht die physikalische, gestaltlose Chronologie, sondern die konkrete Zeit gemeint ist. Was ist denn in diesem Sinn ›Zeit‹  ?« Emil Lederer  : Aufgaben einer Kultursoziologie  ; in  : M. Palyi (Hg.)  : Hauptprobleme der Soziologie. Gedenkgabe für

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Der »Gesamtbereich des Politischen«. Politische Kultur in Hofmannsthals Spätwerk

gesellschaftlichen Verhältnisse« versteht, erschließt sich Hofmannsthals metaphorischer Gebrauch des Begriffes im Hinblick auf seine Gegenwart. Die Liquidität dieser Verhältnisse und den Ort der Soziologie darin hat er dann in seiner Rezension des Lebensbildes betont  : Hofmannsthal imaginierte Max Weber »in Abgrundtiefen unter Wasser schwimmen[d]«  ;5 gewissermaßen als Ausdruck einer modernen, »dämonischen« Intellektualität, die sich der eigenen Kontingenzverursachung schuldig weiß. Hofmannsthals Bemerkung gegenüber Marie-Luise Borchardt, ihr Mann und er selbst seien »einem unheimlichen Beruf verfallen«, impliziert eine Bekanntschaft mit den ›Schattenseiten des Daseins‹, welchen er in der ›Zeit‹ und der (sozialen) Masse als ihren Abgründen zu begegnen suchte.6 Zunächst sind die begrifflichen und methodischen Voraussetzungen dieses »unheimlichen Berufs« und seines Deutungsanspruchs mit einigen grundsätzlichen Überlegungen zum ›literarisch-politischen Feld‹ zu erschließen, welche dann auf Hofmannsthals Poetologie zu beziehen sind.

1.1 Literatur und Souveränität. Perspektivkoordinierung »Es beginnet nemlich der Reichtum / Im Meere. Sie, / Wie Mahler, bringen zusammen / Das Schöne der Erd’ und verschmähn / Den geflügelten Krieg nicht, und / Zu wohnen einsam, jahrlang, unter / Dem entlaubten Mast, wo nicht die Nacht durchglänzen / Die Feiertage der Stadt […]« (Hölderlin, Andenken).7

1.1.1 Das Fiktive und das Politische »Die Weltanschauung ist die mystische, immanente Einheit der Welt des Dramas, die nur durch das Ganze des Dramas unmittelbar zum Ausdruck kommen kann […]« (Georg Lukács)8

5 6 7 8

Max Weber. Bd. II  ; München, Leipzig 1923. 147–171  : 153. Als künstlerisches Hauptproblem identifizierte Lederer die Veränderlichkeit der Zeit (ebd., 159). Hofmannsthals Kenntnis des Bandes geht aus seinem Briefwechsel mit Willy Wiegand hervor (vgl. BW Wiegand, 98). RA III, 97  ; Biographie [1926]. BW Borchardt, 374 [27. VI. 1929]. Friedrich Hölderlin  : Andenken, in  : Friedrich Hölderlin  : Sämtliche Werke  ; Bd. II  : Gedichte nach 1800  ; 1. Hälfte  ; hg. v. F. Beissner  ; Stuttgart 1951. 188 f. Georg Lukács  : Entwicklungsgeschichte des modernen Dramas  ; in  : Werke, Bd. 15  ; hg. v. F. Benseler  ; Darmstadt und Neuwied 1981. 31.

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Vom Theater zu sprechen sei, so schrieb Hofmannsthal 1911 über Das Spiel vor der Menge, »immer ein Politikum«. Spricht man von Souveränität und Literatur, lädt man sich die Verpflichtung auf, eins der besonders ambivalenten und gehaltreichen Begriffsfelder abendländischer Kulturgeschichte zu vermessen – nach den Koordinaten Hofmannsthals zwar, doch diese reichen bekanntlich weit, machen weder vor Epochenschwellen noch Ländergrenzen (oder -küsten) halt. Souveränität ist natürlich zuerst ein Begriff der Staatsrechtslehre, in Kurs gesetzt wohl in den berühmten Sechs Bücher[n] über die Souveränität von Jean Bodin. Was er genau bezeichnen soll, ist seit dieser Übertragung theologischer Vorstellungen auf ein irdisches Subjekt der Geschichte umstritten  ;9 man könnte sagen, dass mit den Positionen dieses Aushandlungsprozesses auch die geschichtliche Abfolge von Herrschaftsformen seither beschrieben ist. Es genügt daher zunächst festzustellen, dass es sich um eine höchste, nicht abgeleitete Entscheidungsbefugnis handelt, die Problematik der Rechtfertigung solcher Machtvollkommenheit in etwa so alt ist wie die Menschheit selbst und schon deshalb vielfältigste Bearbeitungen in der Literatur initiiert hat. Dies gilt in besonderem Maße für Situationen des Übergangs (etwa des Interregnums) bzw. Umbruchs (Revolutionen). In diesen kann das situativ aufgehobene Recht in seiner Funktion als normatives und repräsentatives Medium der Herrschaft zum Objekt der Literatur werden, und zwar ausgehend von dessen organisierendem, setzenden Zentrum. Dass der Souverän der Archetyp der mythischen, aus dem Raum kodifizierten Rechts heraus­ragenden Gestalt ist, davon gibt schon das barocke Trauerspiel vielfältiges Zeugnis, eine Form, deren politisches wie poetologisches Reflexionsniveau Hofmannsthal mit dem Turm erneuern wollte.10 Das einleitende Zitat Hölderlins birgt ein Gleichnis von Dichtung und Seefahrt, das auf den Kontext des Souveränen übertragen werden kann. Die ›Seefahrt‹ ist hier als Metapher für das literarische Spiel in einem extralegalen Raum

  9 Vgl. den ausgiebigen Beitrag zum Begriff Souveränität in O. Brunner, W. Conze, R. Koselleck (Hg.)  : Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland  ; Bd. 5  : Pro-Soz  ; Stuttgart 1994. 10 Walter Benjamins Ursprung des deutschen Trauerspiels (1928) hält ein eigenes Kapitel zur Souveränität des Fürsten bereit, das dieser Studie in starkem Maße aufgegriffen wird (v. a. in 5). Vgl. hierzu auch Albrecht Koschorke  : Das Problem der souveränen Entscheidung im barocken Trauerspiel  ; in  : C. Vismann/Th. Weitin (Hg.)  : Urteilen/Entscheiden  ; München 2006. 175–195  ; sowie Peter-André Alt  : Der Tod der Königin. Frauenopfer und politische Souveränität im Trauerspiel des 17. Jahrhunderts  ; Berlin, New York 2004  ; sowie Burkhardt Wolf  : Die Sorge des Souveräns. Eine Diskursgeschichte des Opfers  ; Zürich, Berlin 2004.

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zu verstehen,11 einer maritimen Zone gesteigerter Kontingenz, welcher im Übrigen auch der Leviathan in seiner mythischen Ausprägung als Seeungeheuer entstammt. Der Autor fischt gewissermaßen im vorrationalen Bereich der Legitimität und verschafft der Gesellschaft ein Wissen über sich, über ihre Vorstellungen, Werte und vor allem deren Wandel, welches sie sonst entbehren müsste. Denn Literatur besitzt im Vermögen über das »Als-ob« (Hans Vaihinger) einen Zugang zu dieser Zone, die anders nicht als fiktional positivierbar ist und in welcher man, mit einem Wort Hofmannsthals, die Präexistenz gesellschaftlicher Entwicklungen erblickt hat.12 Darum ist hier die Rede von einer ›Autorität der Literatur‹, welche in den Inszenierungen gesellschaftlicher Totalitäten und ihrer kollektiven Imaginationen eine Deutungsmacht13 über die politische Souveränität behaupten kann, und zwar insbesondere im Hinblick auf deren Legitimität. Ihr steht der Staat als Legalkonstruktion einer realen Welt des gesellschaftlichen Lebens mit der Symbolordnung seiner Repräsentanzen gegenüber. Figurationen des Souveränen14 sind als Bewältigungsversuche eines eben nicht auf den Begriff zu bringenden Politischen zu werten, welches sich auch im literarischen Gewand einem Forschungsgebiet wie jenem von ›Recht und Literatur‹ latent entzieht – falls darunter nicht lediglich die Fiktionalisierung von Normengefügen, sondern auch von deren Außen verstanden wird, also das, was diese ausschließen bzw. notwendig über sich erdulden müssen.15 Denn genau dies impli11 Vgl. hierzu jetzt Wolf, Fortuna di mare.; op cit, 393 f. 12 Es ist allerdings anzumerken, dass Literatur im Fiktionsbegriff alles andere als ein Alleinstellungsmerkmal besitzt  ; juristische und soziologische Konstruktionen arbeiten ebenfalls explizit damit, und zwar durchaus auch in Verbindung mit einer »Selbstanzeige« (Wolfgang Iser). Der wesentliche Unterschied liegt dann in der Form, in welcher sich die Fiktion konkretisiert. Vgl. Albrecht Koschorke [et al.]  : Der fiktive Staat. Konstruktionen des politischen Körpers in der Geschichte Europas  ; Frankfurt/Main 2007. Das wird diese Studie anhand von Schriften Carl Schmitts und Max Webers noch zu zeigen haben. 13 Vgl. zu diesem Begriff jetzt  : Philipp Stoellger (Hg.)  : Deutungsmacht. Religion und belief sytems in Deutungsmachtkonflikten  ; Tübingen 2014. 14 Vgl. Friedrich Balke  : Figuren der Souveränität  ; München 2009 – dessen Lektüre/n sich zahlreiche Einblicke in hier verhandelte Zusammenhänge verdanken. 15 Hier geht es folglich zunächst darum, das Forschungsfeld von Literatur und dem Politischen zu umreißen. Eine maßgebliche Vorarbeit auf diesem Forschungsfeld sei hier bereits erwähnt  : Der von Uwe Hebekus, Ethel Matala de Mazza und Albrecht Koschorke herausgegebene Band Das Politische. Figurenlehren des sozialen Körpers nach der Romantik (München, 2003). Herrschaft in fiktiven Darstellungen und ihre politischen Voraussetzungen (Legitimationsbedarf, Ausübungstechniken, Usurpation/Revolution etc.) sind selbstverständlich Themen der Literatur und insbesondere der dramatischen, ohne sie deswegen zum bloßen Medium der Macht zu degradieren.

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ziert der Begriff der Souveränität  : Der Herrscher besetzt die Schwelle zwischen beiden Bereichen – sein Thron ragt, von der schlammigen tellus (dem lehmigen ›Zombie‹ theologischer Allegorese) unter entsetzlicher Anstrengung hinauf gestemmt, hinein in den Himmel. Das ist allerdings die mittelalterliche Perspektive, wie sie sich auf dem spätestens von Ernst Kantorowicz berühmt gemachten Gemälde im Aachener Dom findet.16 Mit Einsetzen der Säkularisierung, dem »leergefegten Himmel« des Barock (Walter Benjamin), gerät die Legitimation von Souveränität dann in ein juristisch letztlich unauflösliches Paradox. Sie beginnt fortan, eine »Gigantomachie rund um eine Leere« (Giorgio Agamben) zu zelebrieren, wird mehr und mehr abhängig von der Öffentlichkeit, die sie sich selbst zur Feier schuf – und verfällt dann vor deren zusehends kritischem Diskurs der Krise, deren Ausgang schließlich, nachdem jenes Postulat des rex est populus umgepolt und das ihn schützende Gehäuse von der Revolution geschliffen wurde, der verwaiste Thron ist. Gerade die Literatur hatte bzw. hat Anteil an der Entwicklung dieser Öffentlichkeit, indem sie die Aporien souveräner Entscheidungen des Politischen aufzeigen und offenhalten kann.17 Ob bewusst oder unbewusst  : Fest steht, dass der steil anwachsende Repräsentations- bzw. Darstellungsbedarf von Herrschaft Adornos Bemerkung  : »Die ungelösten Antagonismen der Realität kehren wieder in den Kunstwerken als die immanenten Probleme ihrer Form« ins Recht setzt.18 Denn Solche Darstellungen setzen vielmehr am Repräsentationsbedarf von Herrschaft an, der die Transponierung in den rein fiktiven Symbolraum der Literatur erlaubt (gleichgültig, ob dieser nun revolutionär oder legitimistisch konnotiert ist). Die dramatische Gattung unterliegt natürlich gerade in diesem Bereich besonderen Bedingungen (Stichworte Performativität, Theatralizität und Inszenierung). Dieser Topos ist als transitorischer erwiesen, denn nicht umsonst hat andererseits auch die (politische) Philosophie immer wieder exemplarisch auf Konstellationen in der Literatur zugegriffen. Der Selbstevidenz und Fülle der Beispiele wegen sei hier ganz auf diese verzichtet. 16 Ein weiterer wichtiger Gesichtspunkt Kantorowicz’ betrifft die Imaginationsgeschichte des corpus mysticum. Vgl. hierzu die katholische Perspektive  : (Kardinal) Henri de Lubac  : Corpus mysticum – Eucharistie und Kirche im Mittelalter  ; Einsiedeln 19952. 17 »Poesie tradiert Zukunft. Im Angesicht des gegenwärtig Installierten erinnert sie an das Selbstverständliche, das unverwirklicht ist. […] Sie ist Antizipation, und sei’s im Modus des Zweifels, der Absage, der Verneinung. […] Solches Vorgreifen schlüge ihr zur Lüge aus, wäre es nicht zugleich Kritik  ; solche Kritik, wäre sie nicht Antizipation im gleichen Atemzug, zur Ohnmacht.« (Enzensberger, Poesie und Politik, op cit, 354). 18 Theodor W. Adorno  : Ästhetische Theorie  ; hg. v. T. Adorno u. R. Tiedemann  ; Frankfurt/Main 19903. 16. »Die Verbindlichkeit ihrer Objektivation sowohl wie die Erfahrungen, aus denen sie leben, sind kollektiv. Die Sprache der Kunstwerke ist wie eine jegliche vom kollektiven Unterstrom konstituiert […] ihre kollektive Substanz spricht aus ihrem Bildcharakter selbst […]« (ebd., 133).

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nach dem Fortfall ihres transzendenten Ornats bleibt der Souveränität nur noch das Feigenblatt des Mythos, mit welchem die politischen Theologen wie auch die Autoren beliebig (bzw.: souverän) schalten und walten können. Das Genre der Königs- bzw. Königinnendramen hat möglicherweise auch deshalb wenig demokratische Nachfolge erlebt  ; eine Feststellung, der Foucault mit seinem berühmten Satz vom noch nicht gerollten Kopf des Königs in der Literatur Ausdruck verlieh. Das entscheidende poetologische Problem ist hierbei die tradierte Imagination eines politischen Körpers auf der Bühne der Macht, dessen Darstellung als kollektives Staats-Wesen (Thomas Hobbes’ Leviathan ist hier das ewig bemühte Beispiel) jedes Theater sprengen müsste (zumindest jedes naturalistische) – wenngleich theatrokratische Ansätze (etwa seitens Max Reinhardts) dieses Problem durch Inklusion des Publikums in die Inszenierung zu umgehen suchten. Man könnte sagen, dass die politische Theologie eine vorauseilende Rechtfertigung der Herrschaft vor den Fragen der Öffentlichkeit ist und sich hierfür mythopoetischer  : symbolischer, metaphorischer und allegorischer Praktiken bedient. Ihre Rechtfertigung kann sich darum nicht im Verweis auf legale Normen (wie alt und ehrwürdig das Gesetz auch sei) erschöpfen – ihr schärfstes Argument, ihr eigentliches Produkt ist überhaupt nicht logisch-rationaler Natur, sondern nimmt mit dem zweiten, stets ›königlich-imaginären‹ Körper eine überzeitliche Gestalt bzw. Formation an und als Subjekt der Geschichte auf dem Thron Platz.19 Diese Vorstellung ist darum metaphorisch (bzw. allegorisch), weil sich die Souveränität auf jene unverfügbare, zunächst transzendente, dann sakrale und schließlich rein immanente (immer aber konstitutiv abwesende und unverfügbare) Zone eines Dritten bezieht, welches sie zu verkörpern vorgibt. Carl Schmitt hat denn auch – übrigens nach Lektüre von Walter Benjamins Trauerspielbuch – Hobbes’ divinen Makroanthropos als »literarischen Einfall« bezeichnet.20 Ausgehend von Wolfgang Isers Überlegung »Daher ließe sich das Fiktive als eine eigentümliche ›Übergangsgestalt‹ qualifizieren, die sich immer zwischen das Reale Dass in manchen Kunstwerken aber Versuche vorliegen, Einfluss auf diesen »kollektiven Unterstrom« zu nehmen, ihn gar zu lenken, hat Adorno offenbar nicht andenken wollen. 19 Zum Fortleben der politischen Theologie in der Raumordnung des parlamentarischen Zeitalters vgl. Philip Manow  : Im Schatten des Königs. Die politische Anatomie demokratischer Repräsentation  ; Frankfurt/Main 2008. 13. Diese Studie ist quasi die topographische Bestätigung von Claude Leforts rhetorischer Frage nach einer Fortdauer des Theologisch-Politischen  ? (Wien 2001) in postroyalen Ordnungen. 20 Vgl. hierzu A. Mionskowski  : Der politische Mehrwert des Tragischen. Zur Dramaturgie des Ausnahmezustands in Carl Schmitt »Hamlet oder Hekuba« (1956)  ; in  : C. Fossaluzza/P. Panizzo (Hg.)  : Literatur des Ausnahmezustands (1914–1945)  ; Würzburg 2015. 267–298.

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und das Imaginäre zum Zweck ihrer wechselseitigen Anschließbarkeit schiebt«, soll eine solche Leistung auch der literarischen Fiktion für den Bereich des Politischen behauptet werden.21 Durch die Auszeichnung als offenes Spiel unterliegt diese Vermittlung sogar ungleich freieren und unmittelbareren Bedingungen. Wenn hier im Folgenden von der an Isers berühmten Titel angelehnten Formel ›das Fiktive und das Politische‹ ausgegangen wird, ist damit also auf den gesamten Bezugsraum poetischen Wissens vor allem auch abseits des im »Band der Teilung« (Nicole Loraux) konstituierten Politischen bzw. politischen Seins angespielt.22 Man wird den Ideen literarischer Souveränität jedenfalls näher gelangen, wenn man sie nicht als bloße Reflexion erst theologischer, dann staatsrechtlicher Repräsentation und Machtausübung begreift, da schließlich beides (denn in der Repräsentation liegt die Macht)23 von der Literatur beansprucht werden sollte.24 21 Wolfgang Iser  : Das Fiktive und das Imaginäre. Perspektiven literarischer Anthropologie  ; Frankfurt/ Main 1990. 50. Isers Kategorie des Imaginären fand allerdings aufgrund der ihr unterlegten »Annahme einer quasi-ontologischen Qualität« Kritik (Peter-André Alt  : Ästhetik des Bösen  ; München 2010. 527). Man könnte also vielleicht stattdessen eine ontologische Qualität des Imaginären für die diegetische Welt der Fiktion annehmen, welche sich dann allerdings das Politische zum Sachgehalt assimiliert. Dem Politischen wiederum, das wird gleich deutlich, wurde im frühen 20. Jahrhundert seit Schmitts berühmter Begriffsbestimmung ein sogar absoluter ontologischer Status zuerkannt. Diese Theorie gilt heute zwar als halbwegs überholt, kann vom demokratischen Verfassungsstaat aber auch nicht links (bzw. rechts) liegen gelassen werden. Auf die imaginäre Qualität des Schmittschen Politischen hat übrigens Uwe Hebekus schon hingewiesen  : »Das Politische ist das Imaginäre.« (Uwe Hebekus  : Ästhetische Ermächtigung. Zum politischen Ort der Literatur im Zeitraum der klassischen Moderne  ; München 2009. 50). 22 Rancière hat entsprechend erklärt  : »Die Literatur ist unauflöslich eine Wissenschaft der Gesellschaft und die Erschaffung einer neuen Mythologie.« ( Jacques Rancière  : Die Aufteilung des Sinnlichen. Die Politik der Kunst und ihre Paradoxien  ; Berlin 2006. 33). Hinzu trete, dass »das Regime des literarischen Schreibens sich jenseits seiner selbst entwirft.« (ebd., 45). Die Literatur erfinde somit erst die »Hermeneutik des Gesellschaftskörpers« (ebd., 35), welche seine grundsätzliche Infragestellung erst ermöglicht. 23 Vgl. hierzu Louis Marin  : Das Porträt des Königs  ; Berlin 2005. 24 Das seitens der Philologie lange ›verschlafene‹ Forschungsfeld ist in den letzten Jahren stärker in den Fokus mehrheitlich kulturwissenschaftlicher Publikationen getreten  ; hierbei stehen allerdings weit überwiegend Anwendungsfälle im Vordergrund. Möglicherweise geht dieser Umstand auf die sehr viel emsigere juristische Beschäftigung mit der Thematik zurück, hier ist aus literaturtheoretischer Sicht sozusagen noch immer der Zopf nicht abgeschnitten (denkt man an die so schmerzlich vermisste Perücke des Dorfrichters Adam in Kleists Zerbrochenem Krug). Exemplarisch seien aufgeführt  : Bernhard Greiner  : Das Forschungsfeld ›Recht und Literatur‹  ; in  : B. Greiner/B. Thums/W. Graf Vitzthum (Hg.)  : Literatur und Recht  ; Heidelberg 2010. 7–26. Ino Augsberg/Sophie-Charlotte Lenski (Hg.)  : Die Innenwelt der Außenwelt der Innenwelt des Rechts. Annäherungen zwischen Rechts- und Literaturwissenschaft  ; München 2012. Cornelia Vismann/

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Zu komplex ist der Zugriff der Autoren auf dieses Feld theologischer bzw. mythischer Bedeutsamkeit, auf welchem sich »die Differenz zwischen Imaginärem – als bildproduzierendem Vermögen – und Fiktion – als dessen Formung« in ›politischen‹ Varianzen ausagiert.25 Worum es also eigentlich geht, ist eine Art ›Metaphysik‹ der instituierten Macht, die aufgrund jenes »kollektiven Unterstroms« (Adorno), welchem die Formprobleme der Moderne (und erst recht die politischen) emanieren, zum Einflussgebiet der Literatur erklärt worden ist.26 Dass diesbezüglich zu Hofmannsthals Zeit ein morphologisch-organisches Verständnis der (Beg-)Leitung gesellschaftlichen Werdens überwog, welches (nicht erst seit Nietzsche) in der Verbindung von Mythos und Weltbild kondensierte,27 zeigt sich auch beim späten Heidegger noch (mit der typischen Idiomatik)  : »Immer wenn das Seiende selbst die Gründung in die Offenheit verlangt, gelangt die Kunst in ihr geschichtliches Wesen als die Stiftung.« In Schmitts Politischer Theologie – mit ihrem Rekurs auf Kierkegaard – liest sich dieser existenzielle Moment so  : »In der Ausnahme durchbricht die Kraft des wirklichen Lebens die Kruste einer in Wiederholung erstarrten Mechanik.«28 Das Thomas Weitin (Hg.)  : Urteilen/Entscheiden  ; München 2006. Ulrich Mölk (Hg.)  : Literatur und Recht. Literarische Rechtsfälle von der Antike bis in die Gegenwart  ; Göttingen 1996. Vor allem die juristischen Zugänge zur Thematik verzeichnet das umfangreiche Buch Thomas Sprechers (Hg.)  : Literatur und Recht. Eine Bibliographie für Leser  ; Frankfurt/Main 2011. 25 Peter-André Alt  : Beobachtungen dritter Ordnung. Literaturgeschichte als Funktionsgeschichte kulturellen Wissens  ; in  : W. Erhart (Hg.)  : Grenzen der Germanistik. Rephilologisierung oder Erweiterung  ?  ; Stuttgart u. Weimar 2004. 186–209  : 191. »Weil das Wissen im Text nicht dem Prärogativ einer epistemischen oder pragmatischen Modalität, sondern dem Prozess der Fiktionsbildung untersteht, gewinnt es neue Formen jenseits heuristischer Gesetzmäßigkeiten.« (ebd., 193)  ; »Literarisches Wissen ist ein normativ kaum einhegbares und daher auch analytisch schwer kontrollierbares Wissen […]« (ebd., 195)  ; »Demzufolge lässt sich literarisches Wissen als Ermöglichungsform von Realitätsversionen begreifen […]« (ebd., 197). Dies sind gerade hinsichtlich einer Literaturgeschichte des Politischen wesentliche Befunde. 26 Dies wird insbesondere an Hofmannsthals Schmitt-Rezeption zu erläutern sein  ; vgl. hierzu v. a. 3.2. 27 Dass man das Mythos-Verständnis in den zwanziger Jahren jedenfalls nicht notwendig auf Alfred Bäumler und Rosenberg zuspitzen muss, zeigen Zeitgenossen wie Cassirer und Adornos Doktorvater Paul Tillich  : »Hinter jedem Weltbild steht ein Mythos, eine Uranschauung vom Sinngrund  ; aber es ist nicht identisch mit ihm.« – Paul Tillich  : Religion, Kultur, Gesellschaft. Unveröffentlichte Texte aus der deutschen Zeit (1908–1933). Erster Teil, hg. v. E. Sturm  ; Berlin, New York 1999. 358. Zu Cassirer anschließend. 28 Martin Heidegger  : Holzwege  ; hg. v. F.-W.  von Herrmann  ; Frankfurt/Main 2003. 64. Carl Schmitt  : Politische Theologie. Vier Kapitel zur Lehre von der Souveränität  ; München und Leipzig 1922. 15 [fortan PT].

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anthropologische Prinzip darin hatte zuvor schon Ernst Cassirer beschrieben  : »Der Prozeß des Werdens strebt danach, sich in bestimmten, scharf ausgeprägten Formen zu befestigen, aber er drängt, sobald er dieses Ziel erreicht hat, über dasselbe alsbald wieder zu neuen Bildungen hinaus.«29 Dieses wirkliche, bloße Leben in seinem Werden zu bannen und zu vertreten, ist die Behauptung der politischen Souveränität30 – es gleichsam einzukleiden und begleitend abzubilden, die ästhetische der Literatur. Hier steht gewissermaßen ›Logopolitik‹ gegen Biopolitik. Darin begründet sich ihr Vermögen, unter bestimmten Umständen nicht nur rechtlichen Positivierungen auf Verfassungsebene vorgreifen, sondern auch deren mögliche Durchstoßung zu vergegenwärtigen. Sie kann genau dann zum Präludium des Wandels werden, wenn sie in ihren fiktiven Setzungen eine politische Ordnung auf den Bereich des kollektiv Imaginären bezieht, welcher – von Schmitt auf den Begriff des Politischen getrimmt – dem des kodifizierten Rechts vorausgeht. Denn das »Beziehungsfeld des Politischen ändert sich fortwährend, je nach den Kräften und Mächten, die sich miteinander verbinden oder voneinander trennen, um sich zu behaupten«.31 Literatur und Staatlichkeit sind entsprechend vor allem dort als konkurrierende »symbolische Formen«32 einer Zeichenordnung des Politischen verstanden worden, wo man eine Souveränität der Literatur besonders vehement behauptete – der messianische Expressionismus mit seinem exaltierten Gemeinschaftsdenken ist hierfür ein Paradebeispiel, zumal einige seiner Protagonisten in der 29 Ernst Cassirer  : Freiheit und Form [1916]  ; zit.n. Heinz D. Kittsteiner  : Wir werden gelebt. Formprobleme der Moderne  ; Hamburg 2006. 9. Kittsteiner erörtert diesbezüglich, ob ein solches Prinzip sich übersteigender Metamorphosen auch für die Geschichte (der politischen Formen) angenommen werden könne – eine Frage, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts von allen »Organikern« frenetisch bejaht worden wäre. 30 Giorgio Agamben hat dies in seinem berühmten Buch Homo sacer. Die souveräne Macht und das nackte Leben (Frankfurt/Main 2002) überzeugend dargelegt. 31 Carl Schmitt  : Der Begriff des Politischen. Text von 1932 mit einem Vorwort und drei Corollarien  ; Berlin 19793. 9 [fortan BdP]. Das weitverbreitete Missverständnis, die Symbolordnung von Souveränität und staatlichen Institutionen sei »das Politische«, geht dem »Als ob« (Vaihinger) dieser Repräsentationen auf den Leim. Jede Souveränität muss sich als vollkommene Umsetzung des Politischen, also dem, was ihrer Zeit »als Form ihrer politischen Organisation ohne weiteres einleuchtet«, inszenieren. Schmitt, PT, 42. Dem so ›begriffenen Politischen‹ wohnt jedoch aufgrund seiner Wandelbarkeit die Tendenz der Vorläufigkeit inne. 32 »Unter einer ›symbolischen Form‹« versteht Cassirer »jede Energie des Geistes […] durch welche ein geistiger Bedeutungsgehalt an ein konkretes sinnliches Zeichen geknüpft und diesem Zeichen innerlich zugeeignet wird«. (Ernst Cassirer  : Der Begriff der symbolischen Form im Aufbau der Geisteswissenschaften  ; in  : Bibliothek Warburg (Hg.)  : Vorträge 1921/22  ; Leipzig 1923. 15).

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Münchener Räterepublik auch politisch konkret handelten. Dass es, wenn eine solche translatio der Autorschaft in Form »ästhetischer Selbstermächtigung« (Daniela Gretz) imaginiert wurde, vor allem um deren Funktionen ging, etwa der Vergemeinschaftung (so auch, allerdings mit erheblicher Hermetik, im GeorgeKreis), zeigt die Brisanz dieser Vorgänge im Fiktiven an.33 In den zwanziger Jahren, dem Zeitraum einer schweren Krise der Staatlichkeit in weiten Teilen Europas, geriet der Agon legitimistischer, d. h. monarchischer Konstruktionen und anderen konkurrierenden fiktionalen Bestimmungen des Politischen in eine eigentümlich reale (und häufig propagandistische) Dimension  ; zumal Weimarer und ›Wiener Republik‹ die vormalige Zensur aufgehoben und einen nennenswerten Schutz von Wesenskernbeständen der Verfassung nicht entwickelt hatten.34 Wenn der erkenntniskritischen Haltung dieser Epoche die Wahrheit nur als »ein Wort« erschien, so ließe sich im Hinblick auf die staatliche Ebene formulieren  : ›Die Verfassung ist nur ein Text‹. Dieses »wilde Denken« des Politischen (LéviStrauss), dem in der tendenziellen Gleichsetzung von staatlicher und literarischer Fiktion die eigene Souveränität gewissermaßen in actu zum Mythos wird, ist ein typisches Phänomen von Umbruchs- oder Schwellenzeiten. 35 Nicht von ungefähr erwog etwa Gerhart Hauptmann, Friedrich Ebert als Reichspräsident zu beerben, scheute dann aber vor den Wahlen zurück. Noch der frühe Anspruch Hof33 Daniela Gretz  : Die deutsche Bewegung. Der Mythos von der ästhetischen Erfindung der Nation  ; München 2007. Als Mythos wird von Gretz vor allem auch die Idee eines »deutschen Sonderwegs« betrachtet (ebd., 10). »Nation ist hier gerade nicht ›lebendige Volksgemeinschaft‹, sondern antizipierte ›Gemeinschaft der Geister‹, sie wird zu einer inneren Haltung.« (ebd., 20). Auf Gretz’ Studie wird im Zusammenhang mit Hofmannsthals Utopie des Schrifttums zurückzukommen sein. 34 Vgl. zum zeitgeschichtlichen Hintergrund Rüdiger Graf  : Die Zukunft der Weimarer Republik. op cit, insb. 347–360 sowie 317 f. In Österreich gab es ein (bis heute geltendes) Gesetz gegen die Wiedereinführung der Monarchie, da Karl I. von Habsburg nicht abgedankt hatte. 35 Den Mythos als symbolische Form beschreibt Ernst Cassirer wie folgt  : »Wo wir ein Verhältnis der bloßen ›Repräsentation‹ sehen, da besteht für den Mythos, sofern er von seiner Grund- und Urform noch nicht abgewichen und von seiner Ursprünglichkeit noch nicht abgefallen ist, vielmehr ein Verhältnis realer Identität. Das ›Bild‹ stellt die ›Sache‹ nicht dar – es ist die Sache  ; es vertritt sie nicht nur, sondern es wirkt gleich ihr, so daß es sie in ihrer unmittelbaren Gegenwart ersetzt.« (Ernst Cassirer  : Philosophie der symbolischen Formen  ; Bd. II  : Das mythische Denken  ; Darmstadt 19644. 51). Dass für die Autoren der zwanziger Jahre – dem wohl prägnantestem Zeitraum jenes von Erika Fischer-Lichte als »Krise der Repräsentation« bezeichneten Vorgangs letztlich symbolischer Säkularisierung – eine Partizipation an solcher Unmittelbarkeit attraktiv war, liegt auf der Hand. Eine Krise der Repräsentation ist aber immer eine der Legitimation, ob es sich um die Aporien des aufgeklärten Geistes und seiner rationalen Weltanschauung handelt (welchem die Rationalität zum Mythos gerät) oder um das Bild des Königs auf einer entwerteten Münze.

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mannsthals auf eine erhöhte Lesbarkeit der Welt  : »was nie geschrieben wurde, lesen«, ließe sich in diesem politischen Kontext ganz anders auslegen. Man kann sich hierbei auf die (Lese-)Spuren Benjamins begeben  : »Die historische Methode ist eine philologische, der das Buch des Lebens zugrunde liegt. ›Was nie geschrieben wurde, lesen‹ heißt es bei Hofmannsthal. Der Leser, an den hier zu denken ist, ist der wahre Historiker.« (GS I, 1238  ; Das dialektische Bild)

Souveränität ist als Konzept im Übrigen selbst transitorisch,36 weil sich im Souverän eine Figur dezidierter Überschreitung findet, die sich auf der erwähnten Schwelle des rechtlichen Normengefüges bewegt (welches sie zugleich setzt). Es handelt sich also um die Vorstellung eines Subjekts mit geschichtlicher Handlungsmacht, welche das kontingente Geschehen (oder doch zumindest die Perspektive darauf ) zentralisiert. Carl Schmitts Kritik am Rechtspositivismus zielte genau auf diesen Punkt  : Den Ausfall aller transzendenten Legitimation mit der behaupteten Totalität eines rein immanenten Legalitätssystems beantworten zu wollen, dessen Funktionalität ohne substantiellen Souverän auskomme, sei vor der »Kraft des wirklichen Lebens« zum Scheitern verurteilt. Das somit verdrängte Politische schlage entweder in neue politische Konfliktlinien aus oder residiere, so später Cassirer – als ein der Dialektik der Aufklärung (Horkheimer/Adorno) verwandtes Rezidiv – im Mythischen.37 In diesem Fall wird der Mythos der Souveränität zum Säkularisat ihrer vormals theologischen Legitimation, das weiterhin über den Horizont rechtlicher Normierung hinausragt, und in den Händen der modernen Totalitaristen zur gefährlichen Waffe wurde. 36 Vgl. Ulrich Haltern  : Was bedeutet Souveränität, Tübingen 2007. Halterns Antwort auf diese Frage beabsichtigt eine »Genealogie der Imagination des Politischen« am Souveränitätsbegriff (vgl. ebd., 3). Hofmannsthals Poetologie ist ihm, wie noch zu zeigen bleibt, darin vorausgegangen. 37 Cassirer schrieb später rückblickend (und überaus selbstkritisch) zum Mythus des Staates  : »Wir müssen auf abrupte Konvulsionen und Ausbrüche vorbereitet sein. In allen kritischen Augenblicken des sozialen Lebens des Menschen sind die rationalen Kräfte, die dem Wiedererwachen der alten mythischen Vorstellungen Widerstand leisten, ihrer selbst nicht mehr sicher. In diesen Momenten ist die Zeit für den Mythus wieder gekommen. Denn der Mythus ist nicht wirklich besiegt und unterdrückt worden. Er ist immer da, versteckt im Dunkel und auf seine Stunde und Gelegenheit wartend. Diese Stunde kommt, sobald die anderen bindenden Kräfte im sozialen Leben des Menschen aus dem einen oder anderen Grunde ihre Kraft verlieren und nicht länger im Stande sind, die dämonischen mythischen Kräfte zu bekämpfen.« (Ernst Cassirer  : Vom Mythus des Staates  ; Zürich 1949. 364).

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Auf das literarisierte Politische lässt sich allerdings eine Feststellung PeterAndré Alts zur Ästhetik des Bösen beziehen  : Es »verliert im Akt der literarischen Modellierung eine systematische Bedeutung, die es im juristischen, moralphilosophischen oder theologischen Diskurs aufweist […]«.38 Das Böse erhalte aber eine andere Form von Präzisierung, die Alt »ästhetische Evidenz« nennt. Die »ästhetische Evidenz« des Politischen kann durchaus eine des Bösen sein  ; die Legionen entworfener Feindbilder (fast unausweichlich mit mythischer Überhöhung) zeugen davon. Ihr Gegenbild findet sich mit der Utopie der guten Herrschaft und Vorstellungen säkularen Heils (mit vergleichbarer Überhöhung). Solche Legitimität, die in ästhetischen Kategorien meist als (Gewalt der) Schönheit zu denken ist, kann allerdings auch dem ästhetischen Mehrwert zerbrechender Ordnungen entspringen. Im Hinblick auf die Monarchie in Österreich-Ungarn ist diese Variante prägend  ; der »habsburgische Mythos« (Claudio Magris) ist in besonderem Maße ästhetisches Kondensat einer (damit neo-barocken) Schönheit des Vergehenden, mithin in Teilen eine modernisierte, säkulare Form der pietas austriaca – welche dem Gegenstand ihres sanften Spotts umso mehr die Treue hält.39 Die Dialektik ›gut/böse‹ bzw. ›Freund/Feind‹ wird im Hinblick auf die Charisma-Figurationen auch für die verschiedenen Fassungen des Turm zu berücksichtigen sein. Der charismatische Herrscher, der hier mit Max Weber als genuines Krisenphänomen zu begreifen ist, bewirtschaftet in seiner heilsgeschichtlichen Abkunft bzw. (post-)säkularen Mythenaffinität ebenfalls jenen Raum des kollektiv Imaginären, in welchem ein Legitimitätsglaube entworfen (und in welchen hinein er projiziert) wird. Die so erzeugte Evidenz des Politischen im Text, so könnte man folgern, nimmt in dem Maße zu, in dem die Glaubwürdigkeit der realen gesellschaftlichen Institutionen als räumliche ›Verfassung des Politischen‹ abnimmt. Diese Evidenz kann, das zeigen schon die Beispiele der griechischen Dramatiker oder Shakespeares, von nachgerade ewiger Dauer sein, immer neue Lesarten anregen. Darum sind für die Betrachtung von Souveränität und Literatur gerade 38 »[…] (das entspricht Isers ›Abbau‹ von realer Bestimmtheit).« (Alt, Ästhetik des Bösen  ; op cit, 527). In der Fiktion werden Wirklichkeiten in Möglichkeiten transformiert (was, wie Alt sagt, die Bedeutungsoffenheit des literarischen Textes begründet  ; vgl. ebd., 529). Die andere Seite dieses Verhältnisses von Realität und Fiktion wird für das Politische relevant  ; hier wird durch literarische Inszenierung ein mögliches Imaginäres durch den Akt der Selektion fiktiv verwirklicht. 39 Zur pietas austriaca und damit verbundenen Praktiken höfischer Repräsentation vgl. Wolf, Die Sorge des Souveräns.; 40 f. Einen aktuellen Anlauf zu solcher Arbeit am Mythos stellt Hannes Steins Der Komet (Berlin 2013) dar, der eine fiktive Geschichte des 20. Jahrhunderts ohne die Urkatastrophe des Ersten Weltkriegs erzählt.

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die Krisenszenarien von größtem Interesse  ; der Ausnahmezustand, von Schmitt mehr als Dispositiv des Rechtsstaats als der Herrschaft definiert, gilt folglich in dieser Studie als ein leitendes Merkmal poetischer Texte mit politischer Dimension. Literatur kann also die ästhetische Umfassung und Übersetzung des Politischen als jenen Bereich des kollektiv Imaginären bezwecken, welchem die Modulationen sozialer Ordnungsvorstellungen und deren Anerkennung entspringen.40 Die Vorstellung eines beherrschenden Zugriffs darauf, wie er sich in der erwähnten Münchener »Literatenrepublik« institutionell manifestierte (also nach systematischem Charakter strebte), rechtfertigt für diesen Augenblick der ›deutschsprachigen Geschichte‹ vielleicht die Bezeichnung »Souveränität der Literatur« – ihrem Anspruch nach gewiss. Die Erkenntnis, »dass sich das Gemeinwesen in Bildern der Einheit vergegenwärtigt, die seinen Mitgliedern eine substanzielle Teilhabe am Sozialen verheißen« sollte hier – etwa seitens Ernst Tollers – in konkrete Praxis umgesetzt werden.41 Blickt man auf die Begleittexte zu den Salzburger Festspielen, findet sich dieses Vorhaben auch beim späten Hofmannsthal noch zitiert, dessen Wirkungsabsicht aber weit weniger unmittelbar ausgerichtet war (vgl. 2.4).42 Als ästhetisch-politisches Leitmedium erhielt die Literatur (vor allem die dramatische) jedoch zur selben Zeit schärfste Konkurrenz durch den weitaus massentauglicheren Film (weniger durch den Rundfunk). Vielleicht auch deshalb war diesem ganzen konkreten »Beginnen« meist kurze Dauer oder aber wenig literarische Substanz beschieden.43 40 Vgl. hierzu U. Hebekus/I. Stöckmann (Hg.). Die Souveränität der Literatur. Zum Totalitären der Klassischen Moderne 1900–1933  ; München 2008. Eine Souveränität der Literatur begründen die Herausgeber damit, dass diese »die kontingente Verfaßtheit der Gesellschaft nicht bloß als Grundtatsache ihrer eigenen Seinsweise behandelt« (ebd., 9  : Einleitung), sondern als Möglichkeitsraum ihres ästhetischen Eingriffs betrachte. 41 Albrecht Koschorke  : Macht und Fiktion  ; in  : Thomas Frank [et al.] (Hg.)  : Des Kaisers neue Kleider. Über das Imaginäre politischer Herrschaft. Texte – Bilder – Lektüren  ; Frankfurt/Main 2002. 73–84  : 78. Zu Toller vgl. meinen Aufsatz »Nur manchmal in Theatern springt es uns entgegen«  : Ernst Tollers Wirken in der Münchener Räterepublik (1919) als gelebte Utopie und deren Verarbeitung im Drama »Masse Mensch«  ; in  : Literatura 50 (2008). 55–67. Anzumerken ist, dass die Intellektuellen des linken Anarchismus eine Führungsposition nur für den Übergang zu einer identitären Form der Demokratie und Volkssouveränität anstrebten. 42 Vgl. hierzu neuerdings Norbert Christian Wolf  : Eine Triumphpforte österreichischer Kunst. Hugo von Hofmannsthals Gründung der Salzburger Festspiele  ; Salzburg 2014. 43 Insofern ist Franz-Josef Deiters Studie  : Drama im Augenblick seines Sturzes. Zur Allegorisierung des Dramas in der Moderne. Versuche zu einer Konstitutionstheorie  ; Berlin 1999 schon dem Titel nach ein trefflicher Kommentar zum modernen Drama.

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Was ansonsten mit der Wendung »Souveränität der Literatur« intendiert scheint, läuft eher auf den Begriff der Autorität hinaus (der übrigens bei Max Weber weitaus präsenter ist als bei Schmitt).44 Es sind jene aufgrund eines Deutungsanspruches über das kontingente Geschehen unternommenen Prolepsen auf die verfasste Realität der Gesellschaft, in welchen sich das Wechselverhältnis von ästhetischer Form (literarische Fiktion) und politisch Imaginärem manifestiert. Dies ist für den fiktionalen Bereich sicher als Typus der Souveränität zu bezeichnen, deren Diegese jedoch keine gesellschaftliche Faktizität eignet. Sie behält den Charakter des Spiels von Fiktivem und Imaginärem auch dort, wo das Politische ihren Horizont bildet. Für die poetische Herrschaftskonstitution soll daher eine g­ rundsätzliche ›Legitimität der Literatur‹ angenommen werden (ohne ›Blanko-Schecks‹ auszustellen).45 Dies ist dem Umstand verpflichtet, dass solche Darstellungen mit dem Licht, in welchem das Gezeigte erkennbar wird, dessen Kritik fast zwangsläufig mit entwerfen müssen – auch wenn sie es mitunter gleich wieder im Mythos, Hölderlins »dunklem Licht«, abzuschatten suchen.46 Diese Verfahren wären dann an den einzelnen Autoren erst konkret zu bestimmen  ; poetologisch z. B. im Hinblick auf die Vorstellung von Autorität, wie sie mit Behauptungen 44 Vgl. Max Weber  : Grundriss der Sozialökonomik. III. Abteilung  : Wirtschaft und Gesellschaft  ; bearb. v. Max Weber  ; Tübingen 1922 [fortan WuG/1922]  ; insbesondere 753 ff. Zum Status bei Schmitt vgl. PT, 37 (Hobbes). 45 Eine treffliche Formulierung ist in diesem Zusammenhang  : »von Legitimitäten wird immer nur gesprochen, wenn sie bestritten werden.« (Hans Blumenberg  : Säkularisierung und Selbstbehauptung  ; Frankfurt/Main 1974. 112). Das gilt in besonderem Maße für die Literatur der Moderne selbst. Die Legitimität der Literatur ist hierbei als eine Kategorie jener Blumenbergschen Formel von der »Legitimität der Neuzeit« zu denken, die Schmitts tiefempfundene und nachhaltige Empörung fand. 46 Dem Leser werden die divergierenden Verwendungen des Mythos-Begriffes bereits aufgefallen sein. Dessen sich spätestens seit Platon und Aristoteles hinstreckende Diskursgeschichte hat in den letzten Jahrzehnten allein im Bereich der Literatur- und Kulturwissenschaften eine solche Konjunktur erlebt, dass diese hier nur selektiv einbezogen werden kann. Generell ist jedenfalls zwischen einem ästhetisch-anthropologischen und einem semiotisch-verschleierndem Konzept des ›Begriffs‹ sowie dessen umgangssprachlichen Gebrauch zu unterscheiden. Beide allerdings können eine politische Dimension erhalten, insbesondere dort, wo mit dem ›Mythos‹ Machtstrukturen beglaubigt werden, wie insbesondere schon Benjamins Kritik der Gewalt betont hat. Vgl. zu dieser zweiten Auffassung des Mythos Roland Barthes  : Mythen des Alltags  ; übers. v. Helmut Scheffel  ; Frankfurt/Main, 1964. Der ästhetische, kompensierende Aspekt ist hier mit Blumenberg berücksichtigt worden, der anthropologische bereits mit Cassirer. Zur literaturwissenschaftlichen Diskussion vgl. jetzt Bent Gebert/Uwe Mayer (Hg.)  : Zwischen Präsenz und Repräsentation. Formen und Funktionen des Mythos in theoretischen und literarischen Diskursen  ; Berlin 2014.

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von »Sprachmagie« vorliegen, ethisch etwa hinsichtlich deren Position zu einem Humanismus klassischer Prägung.47 Hier liegt die Möglichkeit eines differenzierteren Blickes auf die politische Literatur im frühen 20. Jahrhundert (zwischen Avantgardismus und Heimatbewegung), als ihn der politisierende Rekurs auf den Begriff der Souveränität gewährt. Denn vor dessen zuweilen hypokritischem Diskurs kann heute zuletzt jede Form der Fiktions- und damit Anschauungssetzung als Akt ästhetischer Selbstermächtigung und Teilhabe am totalitären (Un-)Geist der Moderne erscheinen, welcher im Übrigen doch alles andere als »klassisch« war.48 Die Wendung ›Souveränität als Mythos‹ setzt sich insofern von nachholenden Eingemeindungen politischer Autorschaftskonzepte und poetischer Herrschaftsgestaltungen in zeitgeschichtliche Ideologie-Konstrukte ab. Sie geht von einem rezipierenden, reflektierenden und auch (re-)produzierenden Verhältnis von Literatur und Souveränität aus, welches sein tertium comparationis in der Verfassung des Politischen, also im Glanz einer Kontingenzkontrolle findet, die jeweils anders scheinhaft bleibt. Dies berücksichtigt den spielerischen Charakter der literarischen Fiktion. Dem Mythos als »Proteus-Kategorie der Kunst« (Ernst Bloch), verstanden als ästhetisches Medium der translatio imperii, fällt hierbei eine schillernde Funktion zu, deren Ausführung ihrem jeweiligen Gehalt nach zu

47 Der von Hans-Jürgen Schings erarbeitete Begriff des Mitleids ist als geeignetes Unterscheidungskriterium zu nennen. Schings hat dessen Relevanz in seiner Studie Der mitleidigste ist der beste Mensch. Poetik des Mitleids von Lessing bis Büchner  ; Würzburg 20122 auch für den hier behandelten Zeitraum bereits aufgezeigt  : »Unter dem weitmaschigen Titel des aristotelischen Theaters liquidiert Brecht die Tradition der ›bürgerlichen‹ Mitleidspoetik.« (ebd., 14). Vgl. hierzu neuerdings auch den Band von Thomas Doll und Oliver Kohns  : Außer-sich-sein. Die imaginäre Dimension der Politik. Einleitung  ; in  : Dies. (Hg.)  : Die imaginäre Dimension der Politik, München 2014. 7–18  : 10. 48 Der von Hebekus und Stöckmann herausgegebene Band  : Die Souveränität der Literatur. Zum Totalitären der Klassischen Moderne 1900–1933 (op cit) lässt in dieser Hinsicht eine qualitative Differenzierung vermissen. Wo den Texten ein kaum definiertes, modernes Souveränitätsverständnis unterlegt wird, gerät der Terminus ›Klassische Moderne‹ wirklich zum bloßen Etikett der Epoche 1900–1933, in welcher, so signalisieren es jedenfalls der Untertitel und einige der Beiträge, potentiell jeder Autor zum Diktator werden konnte. Die grundverschiedenen ethischen Motivationen im literarischen Zugriff auf das Politische (schon diese Formulierung wäre zu differenzieren) etwa seitens Ernst Jüngers und Rainer Maria Rilkes (Mobilisierung/Bewältigung) geraten davor zu Marginalien. Zur ›unklassischen Moderne‹ vgl. Ulrich Fröschle  : Dichter als Führer und Ingenieure der menschlichen Seele. Zur literarischen Verhandlung von Führung in der Zwischenkriegszeit  ; in  : Ute Daniel [et al.] (Hg.)  : Politische Kultur und Medienwirklichkeiten in den 1920er Jahren  ; München 2010. 205–231.

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beurteilen bleibt.49 Mythen können ebenso revolutionär wie restaurativ ausfallen, wo es sich um die »Stiftung« eines Weltbilds handelt (die Synthese beider Varianten strebte Hofmannsthal im Terminus »Konservative Revolution« an). Diese verheißt in jedem Fall Komplexitätsreduktion und Sinngebung (»Bindungen«)  ; das »In-Sinn-Setzen« (Claude Lefort) der Gesellschaft erfolgt daher auch hier durch die Vorstellung einer (immanenten) Transzendenz, an welche, aller erlebten Kontingenz der Verhältnisse zum Trotz, wieder geglaubt werden soll. 1.1.2 Hofmannsthals Weg zu einer Poetologie des Politischen »Es hatten aber die Dichter schon / Und die Erbauer der königlichen Paläste / Etwas geahnt vom Ordnen der Dinge.« (Hofmannsthal, Das Kleine Welttheater  ; Der Wahnsinnige [1897])50

Die Wiederbeschaffung einer gefühlten Stabilität ist die Absicht hinter ­jener Kulturprogrammatik (nicht allein) Hofmannsthals, die auch als ›poetische Theologie‹ bezeichnet werden kann, weil sie, das teilt sie mit ihrer ›hässlichen‹ politischen Verwandtschaft (dem »bucklicht Männlein«), theologische Bedeutsamkeitspotentiale erschließt und in die Dichtung transferiert. 51 Dass sich in dieser – insbesondere mit der Adaption barocker Formen bewusst angestrebten – Analogisierung der Anspruch von Hofmannsthals Idee einer »geistigen Souveränität« ausprägt, ist eine der antreibenden Thesen dieser Studie. Dabei richtet sich der Blick auf das, was als »kollektiver Unterstrom« bzw. Metaphysik einer Zeit im mythischen ›Bild des Souveränen‹ nicht nur vermittelt, sondern zugleich 49 Auch darin liegt ein epischer Trend, den Szondis Theorie des modernen Dramas (Frankfurt/Main, 1963) als epochentypischen v. a. an Brechts Theater dargelegt hat. Gerade die dichterischen Fassungen des Turm zeugen auf andere Weise ebenfalls davon (der zeitliche Bruch zwischen viertem und fünften Aufzug wäre hier zuerst zu nennen). 50 Vgl. auch das spätere Postulat einer Wirklichkeit (i.S.v. Gegenwart) erzeugenden Funktion des Dichters im oder besser gesagt  : über dem sozialen Gefüge  : »Denn in seine Ordnung der Dinge muß jedes Ding hineinpassen. In ihm muß und will alles zusammenkommen. Er ist es, der in sich die Elemente der Zeit verknüpft. In ihm oder nirgends ist Gegenwart.« (RA I, 68  : Dichter und diese Zeit). 51 Im dritten Kapitel dieser Studie wird darum aus naheliegenden Gründen auch zu erwägen sein, ob man dieses Vorgehen Hofmannsthals nicht in die Tradition einer politischen Romantik zu stellen hätte. Zu den Reaktionen auf moderne politische Theologie vgl. den instruktiven Band von Christoph Schmidt  : Die theopolitische Stunde. Zwölf Perspektiven auf das eschatologische Problem der Moderne  ; München 2009.

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eben auch entworfen – bzw. mit Hölderlin  : gestiftet wird. Die Überführung der gesamten Lebenswelt in eine restaurierte Ganzheit (eine moderne unio mystica) ist das Hauptanliegen Hofmannsthals bei der Wiederbelebung des barocken theatrum mundi,52 welches ihm entsprechend eher zu einem ›Weltbild-Theater‹ bzw., angesichts der eingewanderten Zeit, zu einem ›Theater der Weltgeschichte‹ gerät (jedenfalls der neueren).53 Die darin dargestellte Entwicklungsgeschichte abendländischer Souveränität hat, so die bereits erläuterte Vermutung, ihre wissenschaftliche Grundlage zunächst in Max Webers Herrschafts- und Religionssoziologie, bevor die Rezeption von Carl Schmitts Diktaturtheorie und politischer Theologie einsetzt. Insbesondere der ›massen-affine‹ Typus der charismatischen Herrschaft sticht hierbei hervor (zentral die Führergestalt). Deren Legitimität aber, das ist Webers Ausführungen klar zu entnehmen, siedelt im Bereich des Irrationalen, ist letztlich ein gegen die rationale »Entzauberung der Welt« in Umlauf gesetzter Mythos des geschichtsmächtigen Individuums – an welchen, in Form kollektiver Anerkennungsprozesse, geglaubt werden (können) muss. Die charismatische Herrschaftsform ist ein Modus der Machtausübung, welcher eine Souveränität inszeniert, deren Mythos es immer bleiben muss, legitim zu sein.54 Lukács’ Feststellung »Was Gegenstand des Mythos zu werden vermochte, ist schon seinem Stoffe nach poetisch«55 gilt in besonderem Maße für das Politische selbst. Gerade die Erfahrungen geschichtlicher Ereignisse wie auch der Wandel von Rechtsnormen und Souveränitätsauffassung können sich damit im »zusammengezogenen Weltbild« (Nietzsche) des Mythos als dem Gehalt von Dramen anreichern (das älteste Beispiel hierfür ist wohl Sophokles’ »Antigone«) – und 52 Vgl. zu diesem ›Begriff‹ Björn Quiring (Hg.)  : Theatrum Mundi. Die Metapher des Welttheaters von Shakespeare bis Beckett  ; Berlin 2013. »Die Metapher des theatrum mundi kann das Leben im beständigen Wandel von Rollen, Darstellern und Handlungen als kontingent, unbeständig und hinfällig erscheinen lassen  ; aber andererseits kann sie ihm durch den Gedanken Stabilität verleihen, dass das Schicksal jedes Handlungsträgers von der Macht eines transzendentalen Regisseurs gelenkt wird.« (ebd., 8). 53 – und damit die »Metapher des Welttheaters« zur Allegorie (im nicht figürlichen Sinn). Dass deren Gehalt dennoch ein Mythos entspringen kann, hat Hofmannsthal, Benjamins Missbilligung entgegen, mit der Bühnenfassung des Turm (1926) gezeigt. 54 Eine Entsprechung findet das Charisma in Schmitts Vorstellung des entscheidungsmächtigen Souveräns. Beide Konzepte betreffen Bereiche des kollektiv Unbewussten, des latent, krisenhaft und utopisch in den Raum der Geschichte Hineinragenden, beide setzen auf das außeralltägliche Subjekt, das sich in der Entscheidung über das drohend Abseitige als numinos behauptet (vgl. dezidiert hierzu 3.1 und 3.2). 55 Lukács, Entwicklungsgeschichte des modernen Dramas  ; op cit, 114.

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sich in der Figur des Herrschers bzw. erhabenen Individuums verdichten. Die poetische Verfahrensweise ist dabei von größter Bedeutung, wie an Walter Benjamins Trauerspielbuch und darin dargelegten allegorischen Verfahren zur (destruktiven) Herrschaftsinszenierung zu belegen sein wird.56 Hofmannsthal bediente sich hierfür der Ergebnisse und teils auch der Methodik historischer, psychologischer und soziologischer Forschung, um (im Wortsinne) ein Textkorpus zu erzeugen,57 das im Turm in Gestalt des corpus mysticum eine Übertragung und Fortsetzung royaler politischer Theologie auf die bzw. in der Literatur zumindest implizit durchführt.58 Zentral ist hierbei, das hat Benjamin zu Hofmannsthals tiefem Eindruck ausgeführt,59 die Figur des Herrschers, welche jedoch als Verkörperung der Geschichte dem Wandel der Zeit unterliegt und melancholisch ihrem Schicksal  : der Entscheidung ihrer »eignen Frage in Gestalt« (Theodor Däubler) entgegentreibt. Wenn für Max Weber die Rationalisierung das Schicksal ›unseres‹ ­Zeitalters ist, dann setzt Hofmannsthal ihr im Turm (und eigentlich mit seinem Gesamt­ werk) das Ideal einer mythisch zeitenthobenen Welt bzw. das einer utopischapokalyptischen Endzeit entgegen. In welchem Maße und mit welcher Wirkungsabsicht das Trauerspiel auf diese Weise aus der »Remythisierung der wissenschaftlichen Vernunft als Korrektiv positivistischer Wissenschaft« um 56 Vgl. 5.1. Insbesondere ist hierbei ein Wechsel der poetologischen ›Verfahrensordnung‹ vom Mythos bzw. mythischen Symbol zur Allegorie als wesentlicher Unterschied der ersten beiden und der letzten Fassung zu bedenken. Darin liegt auch ein spezifisches Moment der Modernität, vgl. Deiters, Drama im Augenblick  ; op cit, 24/25. Zu den politischen Implikationen  : »Walter Benjamin erzeugt so einen Antimythos des Politischen und der Herrschaft, den er im Hamlet zur Allegorie der totalen Krise von (Macht)Politik überhaupt – ihrer totalen Sinnlosigkeit und Überflüssigkeit erhebt.« (Schmidt, Theopolitische Stunde  ; op cit, 267). 57 Der Turm entwirft entlang und zugleich abseits wissenschaftlicher Diskurse Repräsentationen des Wissens über Souveränität. Er ist damit ein Beispiel für eine Literatur, die »auf Ebene dessen, was erzählt wird, eine vergangene Justizordnung in ihren Grenzen charakterisiert«, während sie auf der Ebene ihrer Poetologie aus der Perspektive »des neu geordneten Rechtssystems« praktiziert. (Roland Borgards/Harald Neumeyer  : Der Ort der Literatur in einer Geschichte des Wissens. Plädoyer für eine entgrenzte Philologie  ; in  : W. Erhart (Hg.)  : Grenzen der Germanistik. Rephilologisierung oder Erweiterung  ?  ; Stuttgart u. Weimar 2004. 210–222  : 220. 58 Ein anderes Beispiel für solche Konstruktionen ist Werfels Drama Bocksgesang (1921), in welchem sich eine charismatisierte Gefolgschaft um ein lang von den Eltern schamvoll verheimlichtes Fabelwesen von grotesker Hässlichkeit schart. Die Szenerie versinkt zuletzt in Rausch und Chaos. 59 Vgl. hierzu Christoph König  : Hugo von Hofmannsthal. Ein moderner Dichter unter den Philologen  ; Göttingen 2001. 368–380 und schon Wolfgang Matz  : Hofmannsthal und Benjamin  ; in  : Akzente, 36. Jg., 1/1989. 43–65.

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1900 hervorgeht60 und theologischen Gehalten in zerrissenster Gestalt Asyl gibt – wie Benjamin attestierte –,61 wird v. a. an der enigmatischen SigismundFigur zu zeigen sein. Deren Konzeption – zunächst mehr als Kreatur und »charismatisches Tier« ( Joseph Vogl) denn als geistiger, sakraler Leib – reicht ja mit den Arbeiten an Das Leben ein Traum bis an die lebensreform-bewegte Jahrhundertwende zurück. Diese Gestalt ruht tatsächlich einer Hermeneutik der Kulturgeschichte auf, die in der Gegenwart zu einer des Politischen wird – Hofmannsthal notierte sich 1921  : »Der Einzelne und die Epoche als Mythos gesehen sic  : das was in der Epoche seit Kant an verändertem Weltgefühl lebt irgendwie gespiegelt im Sigismund.«62 Man kann in Hofmannsthals Fall also tatsächlich von einer ›Literatursoziologie‹ sprechen  ; allerdings in umgekehrten Sinn als eine, die vom Autor mittels Fiktionalisierung wissenschaftlicher Erkenntnis durchgeführt wird.63 Die epistemische Qualität verbürgt damit die Deutungsmacht eines Autors und folglich die Autorität seines Textes.64 Dass die Ausübung von Deutungsmacht zuerst eine Frage der Autorität ist, hat Hofmannsthal sehr früh verstanden und in Person Stefan Georges abgelehnt, zugleich aber (und in Abgrenzung von dessen Ansinnen einer »heilsamen diktatur«) selbst poetologisch umgesetzt.65 Autorität zu beanspruchen wird im 60 Diesen Zusammenhang erhellt die kürzlich erschienene Studie von Antonia Eder  : Der Pakt mit dem Mythos. Hugo von Hofmannsthals »zerstörendes Zitieren« von Nietzsche, Bachofen, Freud  ; Freiburg i.Br. 2013. 235. In diese Richtung weist auch die ebenfalls neue Studie von Katharina Meiser  : Fliehendes Begreifen. Hugo von Hofmannsthals Auseinandersetzung mit der Moderne  ; Heidelberg 2014. 61 Walter Benjamin  : Hugo von Hofmannshals »Turm«. Anläßlich der Uraufführung in München und Hamburg [sic  : und Würzburg]  ; in  : GS III, Kritiken und Rezensionen  ; hg. v. H. Tiedemann-Bartels  ; Frankfurt/Main 1972. 98–101. [1928]. 62 RA III, 617  : Ad me ipsum. Auch hinter dieser kritischen Reflexion des aufgeklärten Verstandes verbirgt sich die Frage  : »wie kommt es, daß die Rationalisierung zur Raserei der Macht führt  ?« Michel Foucault  : Was ist Kritik  ?  ; Berlin 1992. 24. 63 Dass er dann allerdings von der symbolischen Form des Mythos zum allegorischen Verfahren Benjamins wechselte, zeigt, dass er mit der Durchführung seiner Poetologie des Politischen in den dichterischen bzw. mythischen Fassungen des Turm nicht überzeugt war. In dieser Skepsis wurde er übrigens auch von Martin Buber bestärkt, dessen Brief zu den dichterischen bzw. mythischen Fassungen des Turm später noch berücksichtigt wird. 64 Vgl. zur »Epistemische[n] Autorität« Martin Saar  : Die Immanenz der Macht. Politische Theorie nach Spinoza  ; Berlin 2014. 28. 65 Ernst Robert Curtius hat Hofmannsthals Verständnis von Autorität in seinen Kritischen Essays zur europäischen Literatur  ; Frankfurt/Main 19842 [1934] erstmals konkret thematisiert (vgl. ebd., Zu Hofmannsthals Gedächtnis und George, Hofmannsthal und Calderón. 158–201).

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20. Jahrhundert, dem »Zeitalter der Massen« (Gustave Le Bon),66 zur Option derjenigen, die eine hierarchische Ordnung auch in der Krise des modernen Staatsgedankens aufrechterhalten wollten.67 ›Autorität‹ ist, verglichen mit aller verfassungsmäßig gebundenen potestas, ein kontingenzkompatibleres und darum krisenaffines Konzept – jedenfalls, wenn es sich um eine im Weberschen Sinn »charismatische Autorität« handelt, als welche etwa Stefan George sich zweifellos empfohlen haben würde. Bei Hofmannsthal wechselten Selbstwahrnehmung und Wirkungsabsicht in den verschiedenen Lebensphasen. Seine Überlegungen zur Gestaltung der Atmosphäre seiner Epoche um die Jahrhundertwende sind Dokumente einer Poetologie, die, keineswegs ästhetizistisch verkapselt, bereits mit einem klaren Deutungsanspruch auftritt. Die zurückgezogene Habilitationsschrift über Victor Hugo von 1901 und die 1906 gehaltene Rede Der Dichter und diese Zeit sind hierfür gute Belege. In seiner Antwort auf eine Umfrage Ernst Bernhards schrieb Hofmannsthal 1901, dass alle wortwörtlichen Bezeichnungen für die Atmosphäre einer Zeit »viel zu begriffsmäßig, zugleich zu eng und zu weit« seien  ; diese enthalte vielmehr ein »schwebendes Durcheinander« aller ihrer Elemente  : »Landschaft«, »Vision menschlicher Zustände«, zeitgeschichtliche Bedingtheit  : »Andererseits ist sie viel bestimmter als alle diese Worte, ist ganz einheitlich von einem Duft durchsetzt, von einem bestimmten Lebensrhytmus [sic] beherrscht, sie ist eine Möglichkeit ganz bestimmter Gestaltungen, die miteinander ganz bestimmte Rhytmen [sic] bilden können und keine andern. – Dann tritt, oft nach Tagen oder Wochen, aus dieser Atmosphäre ein Einzelnes heraus, wie die Fichte am Bergeshang, wenn der Morgennebel sich klärt  : dieses Einzelne ist dann eine Gestalt mit bestimmter Geberde [sic], ein Ton (Ton eines Monologes, Ton einer Unterredung, einer Massenscene) […]. Diese präzise Vision lässt sich dann verstehen. Sie ist immer Symbol, wie alles im Leben, wenn man es in einem günstigen Augenblick tief genug erblickt. Dann verzweigt sich das Begriffliche, formt den Stoff in seinen Theilen, und aus jener vagen schwälenden [sic] Atmosphäre, in die der Gedanke immer wieder taucht, holt er sich seine ihn völlig

66 »Während alle unsere alten Anschauungen schwanken und verschwinden und die alten Ge­sell­ schaftsstützen eine nach der anderen einstürzen, ist die Macht der Massen die einzige Kraft, die durch nichts bedroht wird und deren Ansehen nur wächst. Das Zeitalter, in das wir eintreten, wird in Wahrheit die Ära der Massen sein.« (Gustave Le Bon  : Psychologie der Massen  ; übers. v. R. Eisler  ; Stuttgart 19224. 2.) Hofmannsthal besaß die französische Ausgabe von 1905. 67 Zur Begriffsgeschichte seit der Antike vgl. Heinrich Popitz  : Phänomene der Macht  ; Tübingen 19922. Kapitel »Die Autoritätsbindung«, 104 ff.

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umhüllende Metaphorik, worunter ich Gestalten, Hintergründe, Rede und Gegenrede und alles verstehe.« (Hofmannsthal an Ernst Bernhard, XII 1901)68

Da sich die Umfrage auf die dichterische Inspiration bezog, muss man diese Ausführungen als Beschreibung eines inneren Vorgangs im Autor-Subjekt begreifen, welches in dieser »umhüllenden Metaphorik« die Atmosphäre seiner Zeit zu einer Ganzheit gestaltet, bzw. in Gestalten einer Ganzheit übersetzt. Die ›Atmosphäre‹ ist demnach selbst ein metaphorisch verästelter Begriff, den Hofmannsthal häufiger als Umschreibung auch gesellschaftlicher Situationen nutzte.69 Dies impliziert also auch jene begrifflich nicht zu fassende Metaphysik (der Vorstellungen), das »Fluidum« und »namenlos Lebendige« einer bestimmten Zeit, deren Gestaltung oben bereits als vorausweisendes Potential der Literatur bestimmt wurde. Dass auch eine »Massenscene« Ausdruck dieser in die Sprache übertragenen Atmosphäre sein kann (als Ausdruck der »rohe[n] Materie des Daseins«), 70 und ihr genereller Ganzheitsanspruch machen tendenziell schon diese frühe Poetologie zu einer politischen.71 In jedem Fall ist sie auf das Transitorische gerichtet, 68 Antwort auf eine Anfrage von Ernst Bernhard zur dichterischen Inspiration  ; in  : Hugo von Hof­ manns­thal  : Reden und Aufsätze 2 (1902–1909)  ; Bd. XXXIII der Sämtlichen Werke (Kritische Ausgabe)  ; hg. v. K. Heumann u. E. Ritter  ; Frankfurt/Main 2010. 207 f.: 207. 69 Etwa in Shakespeares Könige und große Herren (1905)  : »[…] wie ähnlich sind wir alle untereinander, wie gleich  ! Auch dies ist Atmosphäre. Auch knüpft ein Etwas das Nahe und Ferne, das Große und Kleine aneinander, rückt eines durchs andere in sein Licht, verstärkt und dämpft, färbt und entfärbt eins durchs andre, hebt alle Grenzen zwischen dem scheinbar Wichtigen und dem scheinbar Unwichtigen, dem Gemeinen und Ungemeinen auf und schafft das Ensemble aus dem ganzen Material des Vorhandenen, ohne irgendwelche Elemente disparat zu finden.« (Hugo von Hofmannsthal  : Gesammelte Werke. Reden und Aufsätze I  ; Frankfurt/Main 1979. 46/47. [Fortan  : RA I, 46/47  ; Shakespeares Könige]). 70 Der Dichter und diese Zeit (1906)  ; RA I, 54–81  : 62. »Vermöge der Sprache ist es, daß der Dichter aus dem Verborgenen eine Welt regiert, deren einzelne Glieder ihn verleugnen mögen, seine Existenz mögen vergessen haben.« (ebd., 63). Diese muss jedoch das Lebendige dieser Welt in sich fassen können – Hofmannsthals Sprachkritik richtete sich genau auf den angeblichen Niedergang dieser Fähigkeit (insbesondere im Chandos-Brief, 1902). Spätestens jedoch das publizistische Weltkriegs-Engagement hat Hofmannsthal die ›Regierung der Dichter‹ als Irrtum vor Augen geführt. Seine Reaktion darauf ist nicht zuletzt Der Turm. 71 In einem bemerkenswerten Aufsatz hat kürzlich David E. Wellbery die Gestaltung von Souveränitätsszenarien in Hofmannsthals Lyrik herausgearbeitet und damit den ›Mythos‹ des unpolitischen Frühwerks endgültig verabschiedet  : Wellbery  : Souveränität und Hingabe. Zur Struktur lyrischer Subjektivität bei Hofmannsthal  ; in  : HJB 20/2012. S.9-35. Darin komme bereits die »epochale Konsistenz des Imaginären« (ebd., 17) zur Anschauung – und zwar durchaus bereits in poetologischer Konnotierung (vgl. ebd., 25).

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auf das, was »gleitet und vorüberrinnt« und welches das Autorsubjekt in mystischer Entgrenzung in sich nachempfinden muss. Dem Bereich des Sozialen hat sich Hofmannsthal spätestens mit seiner Entscheidung für die dramatische Form in einem konkreten und bewussten Sinn zugewendet. Eine spezifische Verbindung von Dichter und Volk, wie sie die erwähnte poetologische Rede von 1906 intendiert, von Autor und Masse hat Hofmannsthal seiner Lektüre Le Bons entnehmen können, der zwar die unbewusste »Massenseele« zum Quell der Sprache bestimmte, diese aber wiederum als Instrument zur Beherrschung jenes »kollektiven Unterstroms« (Adorno) verstand und damit den Redner nobilitierte.72 Dies ist auch seine Position in der Zusammenarbeit mit Reinhardt in den nachfolgenden Jahren (vgl. 1.4.2). Als jäh politisierte wird die ›Atmosphäre‹ dann im Weltkrieg für Hofmannsthals publizistisches Engagement virulent, darauf weist, neben den bekannteren Äußerungen, in besonderem Maße ein Zitat Walt Whitmans in den Aufzeichnungen von 1915 hin  : Darin heißt es, dass der gesamte »Organismus der Nation« allein von den erhobenen Stimmen der Dichter ausgesungen und gebildet werden könne –73 eine Nation, die es im k. u. k.-Vielvölkerreich in der Tat nicht gab. Wie sich zeigt, beginnt Hofmannsthal nun vollends, die Poetik der Atmosphäre auf den (ebenfalls ›verzweigten‹) Begriff der Masse zu beziehen – den »furchtbarste[n] und gefährlichste[n] Begriff in diesem Kriege und in den Dezennien vor ihm« –, den er zunächst zur Erklärung einer produktiven Krise seiner Autorschaft gebraucht  : »Nie in meinem ganzen Leben hat das productive Element diesen Raum eingenommen, von unten her mit solcher Kraft sich nach oben gedrängt, meine bürgerliche Lebensführung so erschwert und gewissermaßen ironisiert wie in diesen Jahren seit 1916. Das was nach oben will, sind Massen, die ich natürlich seit weit längerer Zeit in mir trage.« (Hofmannsthal an Bahr, 15. VI. 1918)74

72 »Was gibt es z. B. Komplizierteres, Logischeres, Wunderbareres als eine Sprache  ? Und woher anders entspringt dennoch dieses so wohl organisierte und subtile Ding als aus der unbewußten Massenseele  ?« (Le Bon, Massenpsychologie, op cit, VIII). Hofmannsthals Lektüre ist ab 1905 belegt. In diesem Zusammenhang muss auch auf Hofmannsthals Beschäftigung mit der Sprachphilosophie Fritz Mauthners hingewiesen werden, die in 2. aufgegriffen wird. 73 »I heard the voice arising, demanding bards/ by them  – by them alone can the States/ be fused into the compact organism of a Nation« (Walt Whitman  ; zit. n. Hugo von Hofmannsthal  : Aufzeichnungen. Text. Sämtliche Werke Bd. XXXVIII  ; hg. v. R. Hirsch, E. Ritter in Zus. m. K. Heumann und P.M. Braunwarth  ; Frankfurt/Main 2013. 636 [1915]). 74 BW Bahr, 317.

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Die Massenhaftigkeit der Eindrücke, welche das Dichtersubjekt und seine Imaginationskraft bestürmen, entspricht der zeitgeschichtlichen Sozialdynamik, die sich alsbald zur Revolution steigerte. Die ›Masse‹ erscheint hier als Phänomen eines Lebens, das, kollektiv geworden, zum krisenhaften Ausdruck einer Atmosphäre gerät, die von der Agonalität des Politischen zerklüftet wurde – und welche der Autor als ›Material‹ seines Schaffens in sich zu bewältigen und aus sich heraus zu gestalten hat.75 Es ist darum alles andere als ein Zufall, dass Hofmannsthal im selben Monat das Konvolut mit den Notizen zu Das Leben ein Traum erneut zur Hand nimmt, in welchem er Bahr über die Massen schreibt – und in welchem er Max Weber begegnet.76 Der ›Masse‹-Kontext, der sich schon in den frühesten Ausführungen findet, weist bereits auf jenes abgründige VergilZitat voraus, mit welchem im Turm der Arzt den Königsgegner Julian zum Pakt mit den unteren Kräften, den Massen animiert – »Acheronta movebo  !«. Der Umstand, dass dieses »Flectere si nequeo superos, Acheronta movebo« aus Vergils Aeneis das Vorblatt der Traumdeutung (1899) Sigmund Freuds ziert, betont nochmals die Innerlichkeit des Vorgangs, das offensichtlich Imaginäre, Traumgleiche dieser ästhetischen Faktur, die sich – schon 1901, allerdings noch auf den ›Begriff‹ »Leben« gerichtet – mit der modernen Massengesellschaft auseinandersetzte.77 Infolge von deren zunehmender Desorganisation gegen Ende des Krieges weitete Hofmannsthal sein Verfahren dahingehend aus, diese (geistig wie sozial) von der untergehenden monarchischen Ordnung weggebrochenen Sphären überhaupt erst wieder sichtbar zu machen und in der Darstellung ihres ›Schismas‹ zumindest ästhetisch zu reintegrieren – in ein geistiges Reich, das 75 Über den ›Volkstribunen‹ Victor Hugo schrieb Hofmannsthal schon um die Jahrhundertwende  : »Denn diese Reden sind über dem Niveau menschlicher Beredsamkeit, sie sind wie Naturgewalten, Wildbäche, Eruptionen, die mit schwindelnder Heftigkeit eine ungeheure Masse mit sich fortreißen. Die Vehemenz des Geistes, welche eine solche Masse von Worten vor sich hertreibt, wirkt an sich schon wie ein grausiges, erhabenes Schauspiel. Wir glauben mitzufühlen, wie ein Wille, ein atmendes Wesen sich in die Wucht der Materie einbohrt, mit titanischer Energie von innen heraus das Übergewaltige erschüttert, emportreibt, durch die Masse hindurchkommt, das Unglaubliche vollbringt.« (RA I, 275–293  : 278  ; Victor Hugo). 76 Übrigens als Bewältigungsversuch auch in eigener Sache  : »Seit 6 Jahren liege ich hier wie ein Hund an der Kette, zuerst in grausiger Angst, dann in dumpfen stupor, ohnmächtigen Zucken, Hangen und Bangen, Verzweiflung, Resignation, Grausen, Ekel, Abscheu – in einer langsam zusammenstürzenden, dann verwesenden Welt.« (BW Burckhardt, 39). 77 Hofmannsthals Rezeption v. a. der zeitgenössischen konservativen Massentheorie ist gut belegbar. Gustave Le Bon und Sigmund Freud – ab 1921 auch mit Massenpsychologie und Ich-Analyse – werden daher wiederholt zu berücksichtigen sein. Übrigens nutzt Hofmannsthal deren Gemeinplätze auch im Hinblick auf Schillers Dramatik (vgl. RA I, 351  ; Schiller [1905]).

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bald schon keine reale Entsprechung mehr hatte. Dieses Vorgehen entgegnet der numerischen Dimension der Masse, deren Kontingenz- und Ironisierungseffekt Hofmannsthal auch später immer wieder betont hat (etwa in Drei kleine Betrachtungen, 1921 und Vermächtnis der Antike, 1926).78 Eine Vielzahl nachgelassener Fragmente kann auf diese eklektische Arbeitsweise zurückgeführt werden (vgl. 1.4.2, 1.4.3). Die Bewältigung des numerischen Aspekts, so eine weitere These dieser Studie, steuert Hofmannsthal mit einer poetischen Adaption sozialer Wirkungsprinzipien des Geldes an, wie sie Georg Simmel in seiner Philosophie des Geldes (1900) beschrieben hat (insbesondere die Begriffe »Besitz« und »Tausch« sind hierbei leitend). Mit dem feinen Unterschied allerdings, dass die Dichtung Werte schafft, wo diese in den ökonomischen Bezügen erodieren. Besonders scharf tritt dieser Gegensatz von poetischer und fiskalischer Mengenlehre in den wirtschaftlich katastrophalen Jahren ab dem Kriegsende hervor (vgl. 2.2). Von einer der Inflation entgegnenden Poetik der symbolischen Akkumulation zeugt in besonderem Maße der aus dieser ›Gemengelage‹ hervorgegangene Turm,79 Metapher auch für Hofmannsthals Suche nach Übersicht, mit welchem dann allerdings die monarchische Ordnung selbst, welche den Krieg und den Aufstand der Massen (Ortega y Gasset) nicht überlebte, in den Mythos, ins Werk gerettet werden sollte – bzw. das, was Hofmannsthal als ihr Wesen, ihre Idee empfand und gestaltete. Seine Poetologie strebt im Turm mit der einenden Souveränitätsidee eine ästhetische Bewältigung der Masse – dem »Nichts mit tausend Köpfen«, wie es im Drama heißt – im Subjekt der Dichtung an und wird so zu einer veritablen Sprachgestaltung des Politischen, zu dessen poetischer Mengenlehre. 80 Diese Souveränitätsvorstellung geht hierbei aus der Polarität von sozialer Masse (Potestas) und geistiger Autorität hervor, welche sie in der Transformation der Masse zur Gemeinschaft überwindet. Der ›Ort‹ dieser entstehenden unio mystica ist der lite78 Damit verbunden ist eine Lektüre zumindest von Georg Simmels Philosophie des Geldes (spätestens ab 1905), auch Werner Sombart könnte hier zum Stichwortgeber geworden sein (vgl. 1.5 und 2.1). Die beiden Texte finden sich in den bereits zitierten Bänden der ›kleinen Fischer-Ausgabe‹ der Reden und Aufsätze  : Drei kleine Betrachtungen im Band RA II, 138–149 und das Vermächtnis im Band RA III, 13–16. 79 »Mit Sigismund wollte Hofmannsthal eine Figur schaffen, die in ihrer Innerlichkeit die Welt enthält.« (König, Dichter unter den Philologen  ; op cit, 369). 80 »Poetologie ist stets auch ›Logomorphie‹, Sprachgestaltlehre und psychologische Ästhetik.« (Rüdiger Görner  : Grenzen, Schwellen, Übergänge zur Poetik des Transitorischen  ; Göttingen 2001. 11). Eine Sprachgestaltlehre des Politischen würde also auf Figurationen der Souveränität hinauslaufen, wie Hofmannsthals Turm zeigt.

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rarische Leviathan, verkörpert im Drama in der Figur Sigismund als dem corpus mysticum dieser neuen Gemeinschaft (vgl. 2.5), dessen Leib der Treffpunkt der Unzähligen sein soll, wie es in einer Notiz zum Turm heißt. Mit deren Erfolg ist das Politische besiegelt. Hofmannsthals Poetologie ruht also einer »Wirklichkeitswissenschaft« (Simmel, Weber) auf, die in ihrer Welthaltigkeit, zunächst verbunden mit ›Begriffen‹ wie »Leben« oder »Atmosphäre«, auf deren Wiederverzauberung unter Anverwandlung wissenschaftlicher Erkenntnis zielt, und auch darin (dem Katalysator des Entzauberungsprozesses gewissermaßen die Spitze nehmend) in die Nähe einer politischen Romantik zu rücken ist (vgl. 3.1). Die Bedeutung der inneren Vorgänge, welche der ästhetischen Formung der Masse vorausgehen, hat Hofmannsthal etwas später auch gegenüber Alfred Weber betont  : »Mein ganzes höheres Dasein ist auf Concentration gestellt. Sie verstehen von selber, dass man in einer zerrütteten Welt, in einer flackernden Atmosphäre Dinge wie den ›Turm‹, aber auch wie den Münchener Vortrag nur durch Concentration hervorbringen kann.«81

In diesen im Hinblick auf ihre poetologische Dimension nicht banalen Worten82 klingt noch die in der Dichter-Rede von 1906 bemühte Repräsentationsanekdote vom einsamen Dichter unter der Treppe nach, der, unerkannt, seiner Zeit die Stichworte unter die Zunge legt und so als Abwesender allgegenwärtig ist. Eine solche Vorstellung von Wirkungsmacht ist also nur mittelbar auf die Ausübung einer charismatischen Autorität gerichtet.83 Deren Modell ist zwar personenbezogen zu denken, Max Weber hielt jedoch auch ein Charisma anleitender Ideen für denkbar (›Weltbildcharisma‹), welche etwa der Vorstellung einer legitimen Herrschaft vorausgehen, und den Erwartungshorizont, die Wunschstruktur einer Epoche beeinflussen können. Gerade diese Variante ist für Hofmannsthals Autorschaftskonzept einschlägig (vgl. 2.3). In seiner Poetologie fallen Idee und Gestalt mit dem Ziel einer charismatischen Verklärung der Literatur selbst zusammen bestes Beispiel hierfür ist die Idee Österreich (– im 81 Vgl. Alfred Weber   : Gesamtausgabe   ; Bd  10/1   : Ausgewählter Briefwechsel  ; hg. v. E.  Demm und H. Soell  ; Marburg 2003. 117. 82 Deutlicher wird das am Beispiel der Aufzeichnungen  : »Der Geist besiegt die Materie. Ihre stärkste Waffe im Kampf mit ihm ist ihre Flüchtigkeit.« (SW XXXIX, 641  ; Aufzeichnungen). 83 Vgl. hierzu den Aufsatz von Marco Rispoli  : Der Leser im Umbruch. Zu einigen Aufsätzen Hugo von Hofmannsthals  ; in  : W. Adam (Hg.)  : Der Umbruchsdiskurs im deutschsprachigen Raum zwischen 1900 und 1938  ; Heidelberg 2011. S.95-111. Hier ist abermals die Frage der (modernen) Subjektivität berührt.

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Spiegel seiner Dichtung). Auch diese verfolgt den Anspruch, politischen Konstruktionen von Identität vorzugreifen – indem sie allerdings den Mythos mit dem Logos verbindet, nicht mit politischer Faktizität. Hofmannsthals Inszenierung von Herrschaft, Menge und Gemeinschaft ist transponiert in die Imagination eines sprachlich verfassten geistigen Raumes der Nation, der auch sein Trauerspiel überwölbt (vgl. hierzu 2.4). Dieses Fiktive steht nicht im Dienste des Politischen, sondern dient, indem es souveräne Konstitutionsprinzipien adaptiert, dessen Bewältigung. Daher hat Hans-Heinrich Schaeder Hofmannsthal wohl das schönste Kompliment zum Turm gemacht, indem er betonte, dieser habe darin dem Drama den »Gesamtbereich des Politischen als geistiger Form« zurückerobert84 – hätte Hofmannsthal damit doch den luziden Doppelsinn eines Eintrags im Buch der Freunde als ästhetisch eingelöst betrachten können  : »Das Genie bringt Übereinstimmung hervor zwischen der Welt, in der es lebt, und der Welt, die in ihm lebt.«85 Solche ›Lorbeeren‹ erwirbt sich allerdings der Sigismund der dichterischen Fassungen. Er gibt dem poetologischen Anspruch nach jener Vorstellung des Politischen Gestalt, in welcher nach Claude Lefort die Gesellschaft über Symbole und Zeichen eine alternative Repräsentation ihrer selbst erzeuge. Diese Formgebung eines (imaginären) Ganzen geschehe durch einen Akt der »Interiorisierung«,86 welchen die Literatur wiederholen bzw. vorwegnehmen kann. Hofmannsthals Poetologie des Politischen richtet sich ganz in diesem Sinne auf die literarischen Gestaltungsmöglichkeiten von dessen imaginärer und ästhetischer Dimension.87 Sie ist darin geradezu Voraussetzung einer Poetik des 84 Hugo von Hofmannsthal  : Der Turm. Zweite und dritte Fassung  ; [fortan  : SW XVI.2,] 473. 85 RA III, 297  ; Buch der Freunde. Die Aphorismensammlung erschien 1921. Ähnliches vermeldet später übrigens auch Lederer  : »Die Leistung des produktiven Genies ist es […], diese neue Zeit fruchtbar zu machen und zu gestalten, und es dauert allerdings einige Zeit, bis die Möglichkeiten der Rezeption gegeben sind. Diese würden aber nie kommen, wenn das Werk nicht aus einem Rohstoff geformt würde, den die Menschen selbst bilden und daher im Werk wieder erleben können.« (Lederer, Aufgaben einer Kultursoziologie  ; op cit, 167). 86 Man könnte sagen, auch Hofmannsthal »sucht in einem Regime, in einer Gesellschaftsform ein Prinzip der Interiorisierung, welches eine einzigartige Weise der Ausdifferenzierung und des InBeziehung-Setzens der Klassen, Gruppen und der Stände erklärt, und gleichzeitig sucht er eine einzigartige Weise der Unterscheidung von Bezugspunkten, mit Hilfe derer die Erfahrung des Zusammenlebens sich ordnet – ökonomische, rechtliche, ästhetische, religiöse …« Der Griff nach soziologischer Lektüre lag also nahe. Denn möglicherweise im Unterschied zu Leforts Philosoph, sollte sich eben doch eine Ahnung dieses »unfaßbaren Objekt[s], das Totalität hieße« in seinen Arbeiten vermitteln (Claude Le Fort  : Fortdauer des Theologisch-Politischen  ?  ; Wien 2001. 39). 87 Dies hat Uwe Hebekus bereits in einem Aufsatz angemerkt  : »Woher – so viel Gewalt  ?« Hofmanns-

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Souveränen, die neben deren Funktion auch ihre Substanz (also letztlich ihren Legitimationsgrund) umfasst und über die ästhetische Bewältigung jener fiktionalen und imaginären »Doppelmasse« (Canetti), der »Synthesis des Mannigfachen« (Cassirer) von entsprechend mythischen Anleihen in der Selbstwahrnehmung des Autors zeugt. Im Turm hat er sie ausagiert.88 1.1.3 Herrschaftsformen und Legitimation im Turm »Die Gegenwart oktroyiert Formen. Diesen Bannkreis zu überschreiten und andere Formen zu gewinnen, ist das Schöpferische.« (RA III, 272  : Buch der Freunde)

Der Bearbeitungszeitraum des Trauerspiels erstreckt sich von den Vorarbeiten zur Jahrhundertwende bis zum Münchener Inszenierungsvariant von 1928 über Hofmannsthals halbes Leben. Entsprechend reichhaltig bzw. überzeichnet erscheint das Bild, welches sich aus Hofmannsthals Genealogie des SouveränitätsGedankens seit der Barock-Zeit ergibt.89 Die beiden dichterischen Fassungen und die Bühnenfassung gehen hierbei unterschiedliche Wege. Der Beginn mit der Krise der barocken bzw. traditionalen Souveränität bleibt aber gemeinsamer Ausgangspunkt, bis zum Fehlschlag des ›Resozialisierungsprogramms bei Hofe‹ gibt es nur geringfügige Änderungen. Dann aber gleitet das Geschehen diametral auseinander.

thals Poetologie des Politischen in der ersten Fassung des ›Turm‹  ; in  : A. Härter (Hg.)  : Dazwischen. Zum transitorischen Denken in Literatur- und Kulturwissenschaft  ; Göttingen 2003. 139–156  : 141. Anders als Hebekus leitet die vorliegende Studie diese Poetologie jedoch nicht in erster Linie vom Opfer ab, sondern von Hofmannsthals Vorhaben einer alternativen Gestaltung eines gesellschaftlichen Ganzen, welcher das ›Leben‹ eben nicht zum Opfer fallen sollte. Dass er allerdings die daran anknüpfende liturgische Praktik (wenngleich weit weniger, als etwa der George-Kreis) zitiert, wird v. a. in 2.1 und bei den Betrachtungen der entsprechenden Turm-Szenen berücksichtigt. 88 An Burckhardt schrieb er am 24. August 1924  : »Der fünfte Act [= Aufzug  ; amion] kann nur was Lebendiges werden, wenn ich ihn jetzt noch für eine kurze Weile ins Unbewußte untertauchen lasse – es braucht noch etwas aus dieser Region.« (BW Burckhardt, 157). Dass er zwei Jahre später Weber mit einem Taucher vergleichen wird, ist hier in aller Vorläufigkeit anzumerken. 89 Zur Psychopathologisierung der Calderónschen Vorlage hat Maximilian Bergengruen Maßgebliches geäußert, so dass diese Studie nur punktuell auf den fragmentarischen Beginn des Turm aus den Materialien zu Das Leben ein Traum zu rekurrieren braucht  ; vgl. M. Bergengruen  : »Woher – so viel Gewalt  ?«  : Der psychopathologische Kern von Hofmannsthals politischer Theologie (Das Leben ein Traum, Turm I–III)  ; in  : M.B.: Mystik der Nerven. Hugo von Hofmannsthals literarische Epistemologie des »Nicht-mehr-Ich«  ; Freiburg 2010. 133–198.

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»Ich nehme mir heraus, dass ich beides in diesem Dasein vereine  : zu ordnen und aus der alten Ordnung herauszutreten.« (Sigismund, V. Aufzug) »Es ist keine Obrigkeit – aber es sind die, denen ihr auferlegt habt, zu sorgen, daß getan werde, was getan werden muß.« (Olivier, 5. Akt)

Diese Zitate von Sigismund und Olivier sind als die entscheidenden Legitimationsformeln der verschiedenen Fassungen des Turm zu verstehen. Sie weisen jeweils auf einen Wechsel in der Politischen Theologie als Rechtfertigungspraxis von Herrschaft (zu Regierung) hin, die das Drama thematisiert bzw. problematisiert, wirken sich ihrem Anspruch nach aber diametral aus. Max Weber, der Herrschaftstypen nach der Form ihrer politischen Legitimation bestimmte, wäre damit ein guter Gewährsmann für eine Betrachtung der Abfolge politischer Formen (und ihrer Rechtfertigungspraktiken) im Turm, selbst wenn man keine Rezeption seitens Hofmannsthals annehmen würde.90 Die sich vor dieser Perspektive abzeichnende ›Phänomenologie moderner Souveränität‹ veranschaulicht die Abfolge der Erscheinungsformen von Herrschaft in der abendländischen Neuzeit. Mit einer Abwandlung Hegels könnte man sagen  : Der Turm in seinen verschiedenen Versionen fasst »die verschiedenen Gestalten der Souveränität als Stationen des Weges in sich, durch welche sie reine Majestät oder absolute Herrschaft wird«.91 Oder mit Weber  : »Er zeigt die verschiedenen Staatsformen und ihre historische Entwicklung, die verschiedenen Typen politischer Herrschaft, stellt die Typen politischer Figuren […] hin und 90 Webers bekannte Definitionen lauten wie folgt  : »Im Fall der traditionalen Herrschaft wird der Person des durch Tradition berufenen und an die Tradition (in deren Bereich) gebundenen Herrn kraft Pietät im Umkreis des Gewohnten gehorcht. Im Fall der charismatischen Herrschaft wird dem charismatisch qualifizierten Führer als solchem kraft persönlichen Vertrauens in Offenbarung, Heldentum oder Vorbildlichkeit im Umkreis der Geltung des Glaubens an dieses sein Charisma gehorcht.« »Im Fall der satzungsmäßigen Herrschaft wird der legal gesatzten sachlichen unpersönlichen Ordnung und dem durch sie bestimmten Vorgesetzten kraft formaler Legalität seiner Anordnungen und in deren Umkreis gehorcht.« (WuG, 124). 91 Abwandlung von Hegels Selbstanzeige der Phänomenologie des Geistes im Intelligenzblatt der Jenaischen Allgemeinen Litteraturzeitung  ; 28. 10. 1807 (in  : Georg Wilhelm Friedrich Hegel  : Phänomenologie des Geistes  ;in  : Ders.: Gesammelte Werke Bd. 9  ; hg. v. W. Bonsiepen  ; R. Heege  ; Hamburg 1980. 446 f.). Statt »Geist« wurde ›Souveränität‹, statt »Wissen«  : ›Majestät‹ und statt »Geist«  : ›Herrschaft‹ eingefügt. Das Zitat wurde auch deshalb gewählt, weil das entelechische Geistesdenken und damit verbundene teleologische Geschichtsdenken des transzendentalen Idealismus in Hofmannsthals späten kulturpolitischen Ambitionen und im Stück sehr präsent ist (über die Figuren Julians und des Arztes).

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führt von der Warte historischer Universalität aus zu der Einsicht, daß […] das spezifische Mittel des Staats zu allen Zeiten die auf legitime physische Gewaltsamkeit gestützte Herrschaft ist, und Politik überall das Streben nach staatlichem Machtanteil bedeutet. Also wer Politik treibt, erstrebt Macht – sei es um ihrer selbst willen, sei es im Dienst idealer oder egoistischer Ziele, und um sie zu erreichen, wird er sich, wenn nötig, der hinter ihm stehenden physischen oder psychischen Gewalt gegen andere bedienen.«92

Das Geschehen setzt in der Welt des ancien régime ein – kurz vor ihrem Fall. Das absolute Königtum als Garantie gesellschaftlicher Ordnung schwankt, seine Macht ist kaum mehr spürbar, schwelende Aufstände und eine galoppierende Inflation beuteln das Land. Der designierte Thronfolger, ein Neffe des Königs Basilius, ist durch den Sturz in eine Wolfsgrube umgekommen, die Friedhöfe haben »allbereits die Dörfer aufgefressen«.93 Zugleich erscheint die Krise als (apokalyptisch) »erhöhter Augenblick«, in dem mehr auf dem Spiel steht als nur das Reich des Basilius.94 Merkwürdiger Aberglauben beherrscht die Gemüter in der Auftaktszene, Utopisten predigen, Schmuggler und Aufsässige treiben ungehindert ihr Werk, das Volk kniet in den Kirchen und betet das Bildnis eines »Armeleute-Königs« an. Sigismund, der eigentliche Prinz und Erbe des Reiches, wird derweil seit Jahren schmachvoll in einem Turmverlies gefangen gehalten, weil ein fataler Orakelspruch seine einstige Usurpation voraussagte. Nur mit einem Wolfsfell bekleidet, hockt er in einem Käfig und schlägt mit einem Rossknochen auf das ihn umlagernde Ungeziefer ein. Vom untersuchenden Arzt (dem Pharmakos) als der zum Herrschen Geborene erkannt, verkörpert Sigismund das »charismatische Tier« ( Joseph Vogl), das der Souverän ist, in Reinformat und ist auf der Stufe des bloßen Lebens in vielleicht noch ursprünglicherem Maß »Herr der Kreaturen«, als es Benjamin mit dem barocken Souverän vorgeschwebt haben mag (vgl. 3.3 und 5.2). Der eigentliche Potentat Basilius erlebt einen ersten großen Tiefpunkt, als er seinem vormaligen Berater (Grossalmosinier), der jetzt als »Bruder Ignatius« ein 92 Marianne Weber  : Lebensbild  ; op  cit, 695  ; Der Lehrer und Denker. Diese Worte gelten Webers wohl berühmtestem Vortrag Politik als Beruf (1919). 93 Auf den Nachweis der zitierten Stellen aus den verschiedenen Fassungen des Dramas wird hier zu Beginn konsequent verzichtet. Angegeben werden Figur, Akt/Aufzug und Szene. Der Verfasser empfiehlt stattdessen den Turm zur Lektüre, bei welcher die zitierten Stellen eine gute Orientierung an die Hand geben sollten. 94 Vgl. Reinhart Koselleck  : Kritik und Krise. Eine Studie zur Pathogenese der bürgerlichen Welt  ; Frankfurt/Main 1973 [1959]. »Die politische Struktur des absolutistischen Staates und die Entfaltung des Utopismus sind ein komplexer Vorgang, mit dem die politische Krise der Gegenwart anhebt.« (ebd., 9).

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Kloster leitet, um die Rückkehr als theologische Autorität an den Hof bitten muss, wo dieser ihn während des Krieges entscheidungsunfähig zurückgelassen hatte. Er geht gewissermaßen »nach Canossa«, doch verweigert der Geistliche dieser aufgesetzten, »lumpigen Farce« (Marx) spöttisch jede Erneuerung des dépot sacré. Der gedemütigte König befiehlt daraufhin seinen Höflingen den Angriff auf Ignatius, der »wie tot« fortgetragen wird. Basilius’ Herrschaft wird nun (vom servilen Beichtiger) deistisch begründet  : »Der Souverän und das Gesetz sind eins« (III. Aufzug), ein göttliches Naturrecht (etwa auf Widerstand) ist damit faktisch ausgeschlossen. Der seit Geburt verbannte Sohn Sigismund bekommt dies alsbald zu spüren  ; er soll einer Probe seiner Fähigkeit zur Nachfolge unterzogen und zum Hof gebracht werden. Der Vorschlag stammt von seinem Wächter und Erzieher, der Reformations- und Aufklärungsfigur Julian. Dieser wittert nach dem Rückzug des Kardinalministers (seines schärfsten Gegners) die Möglichkeit zur Rückkehr ins Zentrum der Macht. Den königlichen Anweisungen entgegen hat er Sigismund durch Bildung (aber nicht durch Freiheit) aus dem rein kreatürlichen Stand erhoben  ; ihn aber dennoch in einem Zustand gefangen gehalten, den der zur Überprüfung des Gefangenen hinzugerufene Arzt mit »hier wird woferne Gott nicht Einhalt tut, die Majestät gemordet« kommentiert.95 Der Arzt, eine humanistische Paracelsus-Figur, sorgt fortan für das Wohlergehen Sigismunds und mischt den ›göttlichen‹ Trank, der diesem die Rückkehr in die höfische (bzw. überhaupt in die Menschen-) Welt ermöglichen soll. Nachdem Julian die Nachfolge des Großalmosiniers als Berater des Königs angetreten hat, schmiedet er Pläne für Sigismunds (und damit seinen eigenen) Aufstieg am Hof. Die Rückkehr des Thronfolgers unter seiner Kuratel ist der eine, der andere zielt auf die Schwächung der königlichen Macht. Jedoch beauftragt er mit dem Anzetteln eines Aufstands zugunsten seines Schützlings ausgerechnet den »rebellischen Soldaten« Olivier. Er begeht hierbei, in Zeiten von Inflation und verfallender Autorität auf Befehl und Bezahlung vertrauend, einen letalen Fehler. Denn Oliviers Machtwillen kommt der Auftrag sehr gelegen. Er überdehnt seine Befugnisse kaltblütig und überwindet später als Haupt der Revolte nicht nur das Königtum, sondern auch seinen Auftraggeber (IV. Aufzug, V. Akt). Die zunächst als nicht sichtbare Parallelhandlung (Intrige) durchgeführte, dann 95 »Ihr habt ihn eingemauert in die Fundamente  ! den Sklaven aus ihm gemacht, der im Finstern Euch die Mühle tritt […]« (Arzt, Aufzug I, 2  : zu Julian). – »Die Mühle ist ein altes Symbol der Unterwelt. Mag sein, daß es aus der auflösenden und verwandelnden Natur des Mahlens sich herschreibt.« (GS I 1, 139  ; Wahlverwandtschaften).

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offene Insubordination (Revolte) ist damit als ein tragendes Element des Geschehens anzusehen. Denn auch eine Delegation von Kompetenzen setzt »Zutraun« voraus – und ohne dieses ist »in der ganzen Welt nichts mehr geheuer« (Simon, I,2). So markieren Momente gelingender Insubordination die Peripetien des Handlungsablaufes – und den Umbruch von traditionalen zu modernen Herrschaftsformen. Sigismund, nach der Betäubung durch den ärztlichen Trank in den Palast gebracht, ist geblendet von der geballten Repräsentationsmacht des Herrschers  : »Woher – so viel Gewalt  ?« (Sigismund, III) fragt er den König und stellt damit zugleich die Frage der Legitimation. Basilius beruft sich auf die Tradition, die das Königtum als Stellvertreter Gottes auf Erden rechtfertigt  : »Von Gott unmittelbar«. Auch er hat seine Pläne mit Sigismund und ist zwecks Machterhalt zur vorgeblichen Teilung der Souveränität bereit  : »Es ist von nun ab ein König in Polen  : aber er wandelt in zwei Gestalten.« (Basilius, III).96 Sigismund soll für den als tyrannisch wahrgenommenen Basilius nur die ›Drecksarbeit‹ machen, die Aufstände im Reich niederschlagen, doch zuerst seinen Lehrer Julian beseitigen. Sigismund schlägt in einer Mischung aus Verzweiflung und Empörung den unnahbaren Vater nieder, der sich vor ihm nicht überzeugend legitimieren kann, und ruft sich im Machtrausch selbst zum absoluten Herrscher aus (»Seit ich da bin, bin ich König  ! Wozu riefest du mich sonst  ?«  ; Sigismund, III). Seine Gewalt soll so weit reichen wie sein Wille. Sein Auftritt kann die höfische Gesellschaft jedoch (noch) nicht überzeugen. Er wird überwältigt und vom rachsüchtigen Basilius in den dichterischen Fassungen zurück in den Turm verbannt, in der Bühnenfassung zum Tod auf dem Schafott verurteilt. Eine Adelsverschwörung, eine Interessenkoalition der intermediären Kräfte und Monarchomachen, stürzt daraufhin Basilius (in den dichterischen Fassungen sind es die von Julian entfesselten Massen). Der nun eingerichtete Staatsrat bringt als konstitutionelle Versammlung dem geretteten Sigismund anstatt der Hinrichtung die Würde des Königsamtes und damit eine neuerliche »Wiedergeburt« (wie schon nach dem als Schierlingsbecher missdeuteten Trank, als »Prinz 96 Die Lehre von den zwei Körpern des Königs findet sich hier deutlichst zitiert. Dass Sigismund in dieser Aufstellung als der politische Leib zu interpretieren ist, wird noch zu erörtern sein. Auf Ernst Kantorowicz’ berühmte Studie The King’s Two Bodies. A Study in Mediaeval Political Theology  ; Princeton 1957 ist hier natürlich hinzuweisen  ; schon 1927 allerdings erschien der ebenfalls einschlägige (und nicht nur aufgrund der George-Nähe politisch prekäre) Band Kaiser Friedrich der Zweite (Berlin 1927). Vgl. hierzu Balke, Figuren der Souveränität  ; op cit, 351 f. Kantorowicz war übrigens, nicht als einziger ›Jünger‹ des George-Kreises, Teilnehmer an Max Webers Münchener Kolleg (1919/1920).

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von Polen«). Der Regietext führt ihn jedoch nicht mit dem Amtstitel (den gestürzten König aber mit »Basilius«), vielleicht weil er als König keine Entscheidungsgewalt haben soll  : »Ein königlicher Ratschluß ohne unsere Zustimmung ist null und nichtig  !« (Woiwoden, IV. Akt), womit klar ist, dass die Souveränität auf das Adelsgremium übergehen soll. »Sigismund« bleibt im Regietext auch danach unverändert bestehen (in allen Fassungen). Julian löst die auf eine (polnische) Adelsrepublik hinauslaufende Versammlung als Sigismunds »Minister« auf, indem er die Garde unter Berufung auf die Legitimität des Königtums für sich mobilisiert. Die Absage an die Adligen bedient sich des rhetorischen Potentials der Ausnahmesituation  : »Dazu, Ihr Herrn, sind Könige gesetzt, daß sie Unordnung in Ordnung überführen« (IV. Akt).97 Julians Traum der Souveränität, »Jetzt sind wir die Weissager und Wahrmacher zugleich«, einer sprachlich verfügten Einheit von Geist und Macht, endet jedoch gleich nach der »Absetzung« des Adels. Sigismund, seiner selbst bewusst und damit als Subjekt souverän und mündig geworden, verabschiedet Julian »aus seinen Diensten«. Dessen cäsaristischen bzw. geistesaristokratischen Vorstellungen einer gemeinsamen Diktatur folgt er nicht. Julian kämpft also auf eigene Faust gegen das Chaos der unkontrollierten Revolte und unterliegt der entfesselten Masse, deren Führung Olivier mit seiner »Klasse der Namenlosen« nun vollends übernimmt (in den dichterischen Fassungen eine Art Brüderhorde, »Brandrotten«, die er kommandiert). Sigismund bleibt ohne alle Instrumente weltlicher Gewalt und Souveränität im Palast zurück. Am nächsten Morgen zieht die revolutionäre Menge, vom sterbenden Julian als »Nichts mit tausend Köpfen« verflucht, zunächst noch ohne Olivier in den Palast ein, um Sigismund zu krönen. Dieser erfüllte Augenblick, in dem Autonomie und Majestät eins zu werden scheinen, ist aber nur von kurzer Dauer. Schon die dichterischen Fassungen führten Sigismund nur als »Zwischenkönig«, denn  : »Die Gesetze müssen immer von den Jungen kommen« (Kinderkönig, V ). Jedoch wird diese Synthese dort anschließend in einer Form charismatischer Herrschaft des Kinderkönigs als dauerhaft erreichte gezeigt. Das Ende der Bühnenfassung hingegen veranschaulicht die größtmögliche Konzentration der Gewalt (violentia), symbolisiert durch das »eiserne Ding« in Oliviers Faust. Dies ist Folge eines Rationalisierungsprozesses, der auf sprachlicher Ebene im Befehlsreduktionismus und der Propaganda der »Bilderschrift« endet. Olivier wird als Typus des modernen Despoten schließlich Inhaber einer verheimlichten »plenituda potestatis« – also der Machtvollkom97 Dieses Zitat ist gewissermaßen die Entsprechung zu Sigismunds Ankündigung in den dich­ter­ ischen Fassungen, er werde aus der alten Ordnung heraustreten und diese neu setzen.

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menheit, die sich mit der Ermordung des Friedenskönigs Sigismund (des abermals »nackten Lebens«) und seiner Ersetzung durch eine Marionette als pure, das Recht verschlingende Gewalt erweist  : »Autoritas non veritas. Nichts ist hier wahr, alles ist hier Befehl.«98 Versuchte Hofmannsthal also zunächst, die Utopie eines pazifistischen, goldenen Zeitalters und der reinen Majestät mit messianischen Zügen im Auftreten des Kinderkönigs zu inszenieren, zeigt die Bühnenfassung deren Niedergang im Märtyrer Sigismund. Sie spielt hierbei die rechtsgeschichtlichen Epochen des neuzeitlichen Souveränitätsdenkens durch, und zwar als »Staatsgestaltungskrise« die aus »Konstellationsveränderungen« von »Einzelkräften«99 resultiert – dargestellt an der Konfliktstruktur der Figuren. Ab dem vierten Akt ergibt sich eine schemenhafte Folge von konstitutioneller (aufgeklärter) Monarchie bzw. Adelsrepublik  ; Anarchie und schließlich  : Diktatur, die letztlich für die sich überschlagende Geschichte selbst steht. Die Utopie einer erfüllten Zeit weicht auf der Bühne der Dystopie von Blut und Eisen, die sich mit nichts als mit der Notwendigkeit rechtfertigt.100 Dass dieses diktatorische Zeitdiktat als Ausgang absoluter Vergänglichkeit eine scharfe Anti-Utopie darstellt, ist jedoch umstritten – gerade hier zeigt sich, dass Hofmannsthal bis auf den heutigen Tag polarisiert. Dem trägt der folgende, entsprechend aufgegliederte Forschungsbericht Rechnung.

1.2 Literaturforschung als »Process« ? Neuere Eingaben zum Turm »Hofmannsthal ist 1928 [sic] gestorben. Er hat ein non liquet in der Strafsache, die Sie gegen ihn vertreten, wenn es ihm sonst nicht gesichert wäre, mit seinem Tod erkauft. Ich würde meinen, Sie sollten diese Stelle nochmals überdenken  ; ich bin nahe daran, Sie darum zu bitten.« (Benjamin an Adorno [7. V. 1940])101  98 Carl Schmitt  : Der Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes. Sinn und Fehlschlag eines politischen Symbols  ; Köln-Lövenich 1982 [1938]. 82.  99 Alfred Weber, Krise des modernen Staatsgedankens  ; op cit, 69. 100 Diese Beobachtungen ergeben sich aus den Analysen der verschiedenen Fassungen in 4. und 5. 101 Benjamin kritisierte Adornos erst später publizierten Aufsatz George und Hofmannsthal. Zum Briefwechsel (1942). In den von Benjamin verwendeten Worten liegt zudem ein Verweis auf die Beschreibung des Tragödienhelden im Trauerspielbuch  : »Aber es klingt im Schluß der Tragödie ein non liquet stets mit. […] ›Der Held, der Furcht und Mitleid in andern erweckt, bleibt selber unbewegtes starres Selbst. […] Jeder bleibt für sich, jeder bleibt Selbst. Es entsteht keine Gemeinschaft.‹« (GS I 1, 296). Hofmannsthals Opfertheorie sei zwar »suspekt«, gleichzeitig aber

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Das mittlerweile vor dem Abschluss stehende Großunternehmen einer historischkritischen Gesamtausgabe der Sämtlichen Werke mit einem leistungsfähigen Varianten-, Kommentar- und Anmerkungsapparat sowie der Zusammenstellung relevanter Äußerungen Hofmannsthals zum jeweiligen Text hat die Grundlagen der Hofmannsthal-Forschung seit den siebziger Jahren völlig verändert.102 Die überlieferten Materialien können nunmehr weitgehend genutzt und wohl erst nach und nach voll ausgeschöpft werden (für die Herrschaftsthematik im Turm soll das hier aber nebst einigen Ergänzungen versucht werden). Gerade zu Hofmannsthals großem Trauerspiel ist entsprechend seither vermehrt publiziert worden  ; ein Umstand, der grundsätzlich erfreulich ist. Setzt man sich detaillierter mit der jüngsten Diskussion in der Forschung zur ›politischen Verfassung‹ des Turm auseinander, wird allerdings schnell klar, warum Hofmannsthals Spät- und Lebenswerk kaum zur Aufführung kommt. Neigten wohlwollende Stimmen früher in der Regel dazu, den politischen zugunsten des ästhetisch verträumten Autors zu unterschätzen (exemplarisch sei hier auf den noch immer lesenswerten Essay Hermann Brochs verwiesen),103 so ist inzwischen von einer Orientierungskrise die Rede, deren Ausmaß und Lösungsstrategien unterschiedlich bewertet werden. interpretiert Benjamin Julian als dessen alter ego, also gewissermaßen als Adressat dieser Theorie selbst. Dies geht einher mit dem Begriff der »Einsamkeit«, die als Haltung den Einsamen zum »Diktator aller, die wie er einsam sind« mache und den »Ort seiner geschichtlichen Leere« bezeichne. Er schließt  : »Haltung, wie ich sie verstehe, unterscheidet sich von der, die Sie denunzieren, so wie das Brandmal von der Tätowierung.« (Walter Benjamin  : Gesammelte Briefe VI (1938–1940)  ; hg. v. H. Lonitz, C. Gödde  ; Frankfurt/Main 2000. [GB VI]. 449–451). Gegen die Deutung Julians als »Selbstporträt« wird jedoch noch zu argumentieren sein. 102 Allerdings mit den typischen Auswirkungen, welche die Autorität einer solchen Referenz mit sich bringt  : Es gibt beste Gründe, die Kritische Ausgabe von Hofmannsthals Werken als Ausgangsbasis der eigenen Forschungsarbeit mit viel Gewinn zu nutzen  ; sie ist jedoch nicht als kanonisch und abschließend für die vorgefundenen Bezüge zu betrachten, wie das zuletzt Corinne Wagner-Zoelly getan hat  : »Die Herausgeber der ›Kritischen Ausgabe‹ haben für die Erläuterungen ausserordentlich [sic] viel Material zusammengestellt und alle Bezüge akribisch aufgezeichnet.« (C. Wagner-Zoelly  : Die »Neuen Deutschen Beiträge«. Hugo von Hofmannsthals Europa-Utopie  ; Heidelberg 2010. 85). Neue Publikationen werden sich hingegen auch daran messen lassen müssen, ob sie zum bestehenden Kenntnisstand noch etwas beitragen – was nun tatsächlich gewachsenen Anforderungen unterliegt. Auch die Reorganisation vorhandenen Materials kann natürlich neue Perspektiven eröffnen. 103 H. Broch  : Hofmannsthal und seine Zeit, in  : Schriften zur Literatur 1. Kritik  ; Frankfurt/Main 1975. 111–284 [fortan  : HuZ]. Zur Betonung des unpolitischen Hofmannsthals ebd., 208/209. Zu Brochs Aufsatz vgl. Gotthart Wunberg  : Jahrhundertwende. Studien zur Literatur der Moderne  ; hg. v. S. Dietrich  ; Tübingen 2001. 276 f. (Wirkungsgeschichte Hofmannsthals). Vgl. zur älteren Forschung v. a. König, Moderner Dichter  ; op cit, 384 ff.

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1.2.1 ›Das Plädoyer der Staatsanwaltschaft‹  : Carl Schmitt und kein Ende »Haltung, wie ich sie verstehe, unterscheidet sich von der, die Sie denunzieren, so wie das Brandmal von der Tätowierung.« (Benjamin an Adorno  ; GB VI, 451)

Gerade einige der neueren Perspektiven sind aus der Diskussion um Hofmannsthals Rezeption Carl Schmitts hervorgegangen, welche den Forschungsvorhaben und -ergebnissen vorzugreifen beginnt. Das Problem liegt hierbei darin, dass nicht von Hofmannsthal, sondern von Schmitt aus gelesen wird (seitdem dieser Bezug im Gespräch ist104) – und dies zudem aus einer heutigen Perspektive. Diese lädt natürlich zu gefälligen Moralisierungen ein. Die Interpretation aus dem literarischen Stoff heraus droht damit aber hintan gestellt zu werden, was etwa an willkürlichen Zusammenstellungen ›passender‹ Zitate ohne Angabe von deren Entstehungsdatum und -anlass deutlich wird. Solche Methodik der Distanznahme kann sich auf Adorno berufen, dessen Anzeige einer politischen Zwielichtigkeit Hofmannsthals von der Opfertheorie des Gesprächs über Gedichte (1904) ausgeht.105 Die von Adorno gerügte Gewaltsamkeit der in diesem Text berichteten, durch ein Opfer vorgenommenen Ersatzhandlung – die er als mit dem Symbol identisch setzte – geht aus einer Betrachtung von Gedichten Stefan Georges hervor (den Adorno weit milder beurteilte). Die in den Jahren danach folgenden Adaptionen antiker Dramen (Elektra, König Ödipus, Pentheus) legen einen Bezug aber auch zu Hofmannsthals eigenem Werk nahe. Es war jedoch kein Geringerer als Benjamin, der dem Georgekreis geradezu eine Vermeidungshaltung in Sachen ästhetischer Aufopferung attestiert  : »Es ist ein Stier, dessen Blut die Grube erfüllen muß, wenn an ihrem Rande die Geister der Abgeschiedenen erscheinen sollen. Diese tödliche Stoßkraft des Gedankens ist es, welche den Werken des Kreises fehlt. Statt es zu opfern, meiden sie das Heute. In jeder 104 Dieser Trend wird übrigens auch in der Benjamin-Literatur beklagt, vor allem hinsichtlich des »Theologischen« in Benjamins Schriften, dessen Darstellung über den Schmitt-Bezug »implizit auf ein politisches Vorverständnis [reduziert] und […] dabei von einer fundamentalen und oft nicht bemerkten Einseitigkeit geprägt« bleibe  ; vgl. Daniel Weidner (Hg.)  : Profanes Leben. Walter Benjamins Dialektik der Säkularisierung  ; Berlin 2010. 29 (Einleitung). 105 Vgl. grundsätzlich zu Adornos Kritik  : Hans-Jürgen Schings  : Lyrik des Hauchs. Hofmannsthals »Gespräch über Gedichte«  ; in  : Hofmannsthal. Jahrbuch zur europäischen Moderne 2003. 311–339. Vgl. auch Ute Nicolaus  : Souverän und Märtyrer. Hugo von Hofmannsthals späte Trauerspieldichtung vor dem Hintergrund seiner politischen und ästhetischen Reflexionen  ; Würzburg 2004. 82 ff. Die weitere Diskussion dieses sehr umstrittenen Themas wird noch zu referieren sein (vgl. 2.1).

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Kritik muß etwas Martialisches wohnen, auch sie kennt den Dämon.« (Benjamin, GS III, 259  ; Meisterwerk)

Vielleicht ist Adornos später veröffentlichte, George exkulpierende, Hofmannsthal anklagende Schrift George und Hofmannsthal (1942) auf diese Eingabe zurückzuführen. Sie verbindet allerdings die beiden unterdessen schon Verstorbenen, den Dichter und den Kritiker, in einer Weise, die Adorno wohl ebenso wenig gefallen haben dürfte wie der Brief an Carl Schmitt von 1930.106 Während der »Chandos«-Brief unbestritten als wesentliches Dokument der literarischen Moderne gilt, wird die beanstandete ›Blutrünstigkeit‹ des fast zur selben Zeit entstandenen Gesprächs über Gedichte zum Anlass genommen, Hofmannsthals spätes, rein geistig gefasstes Nationskonzept gewissermaßen ›aufzumischen‹. Der Opferdiskurs hatte zuletzt einige Konjunktur in der Hofmannsthal-Forschung und führte im Kurzschluss mit der Schmitt-Rezeption im Turm geradewegs zu einer Inkriminierung des späten Hofmannsthal ins Prä-Faschistische. 107 Für eine so orientierte Perspektive müssen Äußerungen Benjamins wie die von Werner Kraft erinnerte geradezu schockant wirken  : »Gewalt ist berechtigt, die keinen Sanktionscharakter hat, die nichts dazutut, ohne Sinnbild, wie z. B. die ›Krone‹ des Königs usw Man darf töten, wenn man es so tut, wie man einen Ochsen tötet.«108 106 Zitat im Text zuvor  : Walter Benjamin  : Wider ein Meisterwerk. Zu Max Kommerell, »Der Dichter als Führer in der deutschen Klassik«  ; in  : W.B.: Gesammelte Schriften III  ; Kritiken und Rezensionen. 252–259. [= GS III, 259]. Die rhetorisch glänzende Rezension zielt vor allem darauf, den Literaten des George-Kreises etwas ›Blutleeres‹ nachzuweisen  ; dies mag die Schärfe der Wortwahl begründen. Benjamin endet  : »Nicht eher als gereinigt kann diese Erde wieder Deutschland werden und nicht im Namen Deutschlands gereinigt werden, geschweige denn des geheimen, das von dem offiziellen zuletzt nur das Arsenal ist, in welchem die Tarnkappe neben dem Stahlhelm hängt.« (ebd.). Der Brief an Carl Schmitt datiert auf den 9. 12. 1930  ; vgl. Walter Benjamin  : Gesammelte Briefe III (1925–1930) [= GB III, 558.]. 107 Zu bemerken ist zudem eine Tendenz, Benjamin zum Kronzeugen gegen Hofmannsthal zu berufen, was nur durch selektives Zitieren gelingt. Vgl. Benjamins Brief an Scholem vom 11. März 1928 (vgl. GB III, 345), in dem über die Treffen mit Hofmannsthal berichtet wird, und Twellmann  : Das Drama der Souveränität. Hugo von Hofmannsthal und Carl Schmitt  ; München 2004. 27. Generell seien positive Kommentierungen Benjamins allein der Notwendigkeit geschuldet gewesen, sich mit seinem zeitweiligen Mentor Hofmannsthal gut zu stellen (vgl. ebd.). Die Unterstellung eines so ausgreifenden Opportunismus hat bislang noch keinen Widerspruch gefunden. 108 Werner Kraft  : Tagebucheintragungen  ; transkr. von V. Kahmen  ; in  : I. u. K. Scheurmann (Hg.)  : Für Walter Benjamin. Dokumente, Essays und ein Entwurf  ; Frankfurt/Main 1992. 47 f. Ich verdanke den Hinweis auf diese Bemerkung Dr. Sami Khatib, Freie Universität Berlin. Im Gespräch über Gedichte ist es allerdings ein Widder, der wegen der Angst vor dem Unbekannten, den Göttern, getötet wird.

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Auf Seiten der ›Anklage‹ wären neben den folgenden etliche weitere Vertreter zu nennen  ; es soll hier aber darum gehen, in kurzen Zügen wesentliche Stationen dieser Argumentationslinie wiederzugeben. Nach den Superlativen in Pickerodts Antisemitismus-Verdikt von 1968109 gab Claus Sommerhage 1993 gewissermaßen den Auftakt zu einer erneut110 von Polemik dominierten Beschäftigung mit Hofmannsthals Spätwerk, indem er sich Hofmannsthals Verhältnis zu Pannwitz vorknöpfte. Aus Hofmannsthals »Verliebtheit« (Sommerhage) in Pannwitz und dem – angesichts des vollständigen Zusammenbruchs seiner bisherigen Lebenswelt – stark empfundenen Wunsch nach politischer Stabilität, aus Hofmanns­ thals verzweifeltem Glauben etwa an Pannwitz’ Prager Friedensmission destilliert Sommerhage mit zynischen Hinweisen auf eine Homosexualität Hofmannsthals die Haltung vollständiger Unterwerfung unter den dezisionistischen Zeitgeist.111 Der an sich lohnende Ansatz – Hofmannsthals Verortung innerhalb einer Tradition der (politischen) Romantik – gerät darüber zeitweise aus dem Blick.112 Die 109 Gerhart Pickerodt  : Hofmannsthals Dramen. Kritik ihres historischen Gehalts  ; Stuttgart 1968. Zum Turm  : 241–267. Ruppiger ist das Drama wohl nie abgefertigt worden – gerade vier Sätze braucht Pickerodt, dann ist er bei seinem Thema, das für den Turm einzig Relevanz hat  : dem Antisemitismus. Zwar treten im Stück in der Tat entsprechende Figuren auf (die Höflinge und Olivier als Antisemiten  ; Simon tatsächlich mit Zügen einer Typenverkörperung »des Juden«). Diese werden aber in keiner Weise positiv inszeniert (mit Ausnahme Simons). Pickerodt war zudem offenbar dermaßen vertieft in seine Invektiven, dass ihm nicht einmal die Bedeutung der feinen Distinktion »getaufter Jude« (Simon) aufgefallen ist. Als solcher wurde Hofmannsthal jedoch selbst betrachtet (etwa seitens Josef Nadlers und übrigens auch Othmar Spanns). 110 Schon Norbert Altenhofer hat bemängelt, dass viele Beiträge »sich zur Charakterisierung des Hofmannsthalschen Spätwerks bereitliegender Leerformeln bedienen  : Reaktionär, restaurativ, konservativ, traditionalistisch, affirmativ, resignativ. Das ist schon zu Hofmannsthals Lebzeiten ausgiebig geschehen. Man wird nicht einmal sagen können, daß Urteile dieser Art gänzlich falsch sind  ; aber sie charakterisieren nur höchst unzulänglich einen Gedanken- und Formenkomplex, der bei Hofmannsthal selbst längst zum Problem geworden ist – in viel gründlicherer Weise als bei seinen Kritikern.« Norbert Altenhofer  : »Die Ironie der Dinge«. Zum späten Hofmannsthal  ; hg. v. L.M. Fiedler  ; Frankfurt am Main 1995. Darin  : »Wenn die Zeit uns wird erwecken …«. Hofmannsthals »Turm« als politisches Trauerspiel. 61–79  : 62). 111 Claus Sommerhage  : Romantische Aporien. Zur Kontinuität des Romantischen bei Novalis, Eichendorff, Hofmannsthal und Handke  ; Paderborn 1993. 247 ff. Pannwitz  : 282 f.: 285  : »mit unterwürfiger Wonne«  ; etc.; zum Turm  : 298 ff. 112 Formulierungen wie »Sigismund […] auf die Machtergreifung vorzubereiten« (Sommerhage, Aporien  ; op cit, 302) und die Analogisierung des Arztes mit Goebbels (  ! ebd., 303) zeigen Sommerhages Deutungswillen an. Zu Hofmannsthals Einstellung zur Romantik vgl. mit explizit politischem Kontext  : Friedmar Apel  : Suchbilder. Landschaft und Gesicht in der politischen Romantik der Weimarer Republik  ; in  : Cl. Schmölders/S.L. Gilman (Hg.)  : Gesichter der Weimarer Republik.

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Verhandlung von Hofmannsthals Kulturprogrammatik verlief bis dahin noch ›prä-schmittianisch‹. Das änderte sich kurz darauf, Schmitt wurde als Hofmannsthals »advocatus diaboli« entdeckt. Ingeborg Villinger hatte in ihrem politikwissenschaftlichen Aufsatz Der Souverän verläßt den Turm (1995) zum ersten Mal eine dezidierte und auch tiefdringende Lektüre des Turm mit Schriften Carl Schmitts präsentiert.113 Dazu ist Folgendes zu bemerken  : die Eindringlichkeit, mit der hier eine Aufnahme und Dramatisierung Schmittschen Gedankenguts durch Hofmannsthal teils nachgewiesen, teils nahegelegt wird, hat im Folgenden zu einem verzerrten Bild von Drama und Autor geführt. Das Stück wird seither ›mit Schmitt‹ gelesen, eine geistig eigenständige, anverwandelnde Haltung Hofmannsthals marginalisiert. Der Turm ist jedoch bereits vor der ›finalen‹ Bezugnahme auf Schmitt, deren Datum bislang nur ab dem Herbst 1926 belegt ist, ein politisches Drama gewesen. Villingers initialer Versuch lässt es zudem an einigen (aber entscheidenden) Punkten an philologischer Genauigkeit fehlen, so wird z. B. nicht immer konsequent zwischen den Fassungen unterschieden. Insbesondere aber die Fehlinterpretation, Sigismund werde durch das revolutionäre Volk ermordet, deutet auf eine allzu flüchtige Lektüre an entscheidender Stelle hin (es handelt sich hingegen um die Schergen Oliviers). Clemens Pornschlegel wird sich dann in seinem Aufsatz Bildungsindividualismus und Reichsidee (1999) auf eben diese Ausführungen in Villingers »genaue[r] Analyse« beziehen und erklärt anschließend jedwede Inszenierung des »contrat socials freier citoyens« im »legitimistisch-monarchistisch angelegten Turm« für »undenkbar«,114 womit die zuvor kritisierte abgründige Modernität des Schmittschen Souveränitätstheorems allerdings unterschritten wird. Marcus Twellmann schließlich, der sich ebenfalls auf Villingers Aufsatz beruft, widmet mit dem Drama der Souveränität (2004) dem Turm und Hofmannsthals Eine physiognomische Kulturgeschichte  ; Köln 2000. 228–249  ; sowie die Monographie Hans R. Klienebergers  : George, Rilke, Hofmannsthal and the romantic tradition  ; Stuttgart 1991 und 3.1. 113 Ingeborg Villinger  : Der Souverän verläßt den Turm. Hofmannsthals Dramatisierung des Verlustes politischer Einheit nach Carl Schmitt  ; in  : A. Göbel/D. van Laak/dies. (Hg.)  : Metamorphosen des Politischen. Grundfragen politischer Einheitsbildung seit den 20er Jahren  ; Berlin 1995. 119–135. Der Aufsatz ist hinsichtlich der bestehenden Analogien, die er erarbeitet, etwas zu unbekümmert in Voraussetzung der Einflussnahme Schmitts auf Hofmannsthal. 114 Vgl. Villinger, Souverän  ; op cit, 120. Clemens Pornschlegel  : Bildungsindividualismus und Reichsidee. Zur Kritik der politischen Moderne bei Hugo von Hofmannsthal  ; in  : G. von Graevenitz (Hg.)  : Konzepte der Moderne, Stuttgart, Weimar 1999. 251–267  : 265. Hofmannsthals »adventistische« Reichserwartung sei rein retrospektiv aufzufassen.

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Beeinflussung durch Carl Schmitt eine ganze Monographie. Er stößt hierbei zwar auf bestehende weitere Bezugsverhältnisse (z. B. Freud, Le Bon, Simmel), liest diese aber allein im Rahmen einer Zurichtung des Dramas auf den Dezisionismus des Bonner Staatsrechtlers und validisiert die theoretischen Zugänge generell eher selten am literarischen Text. Damit fehlt aber die Grundlage für eine substanzielle, richtungsoffene Interpretation – die bloße Bezugnahme auf Carl Schmitt, zu der Twellmann im Vergleich zu Villingers Aufsatz überdies nicht viel Neues hinzuzufügen hat, reicht ihm als Nachweis einer Kontamination mit totalitärem Gedankengut aus. Schon der Untertitel »Hugo von Hofmannsthal und Carl Schmitt« impliziert etwas reißerisch eine erhebliche biographische Nähe der beiden Zeitgenossen, für welche Twellmann allerdings den Nachweis schuldig bleiben muss.115 Sein ›Plädoyer‹ lautet dennoch auf (die heutige) Nichtverwendbarkeit von Hofmannsthals »Kunst«  : Sie sei »endgültig unmöglich«.116 Diese Einschätzung übernimmt in wesentlichen Zügen Richard Faber, welcher Hofmannsthal als Adepten Carl Schmitts abkanzelt und sich vor allem auf das 115 Die unterstellte Innigkeit entpuppt sich im Verlauf der das Thema mehr umkreisenden als durchdringenden Studie als Desiderat des Verfassers  : einzig an der Figur Olivier lasse sich – möglicherweise – stichhaltig der Einfluss Schmitts nachweisen, der über das Vorhandensein evtl. bloß zufälliger Koinzidenzen hinausweise, wie an einer Stelle im Mittelteil der Arbeit konzediert wird (Twellmann, Drama  ; op cit, 148). Darum muss Twellmann die Olivier-Figur zum Schluss als dramatisch positiv gewollte missdeuten (darin übrigens Gerhart Hauptmann folgend), um zu retten, was nicht zu retten ist  : Die Behauptung, Hofmannsthal habe das Faszinosum der Schriften Schmitts ästhetisch umsetzen wollen  : »Mit Oliviers Plan einer Prozession nach dem Vorbild des auto sacramental wird hier jenes Paradigma ritueller Theatralität zitiert, dem die ›Deutschen Festspiele zu Salzburg‹ verpflichtet waren […]« (ebd., 230). Zur Lektüre Hauptmanns »Ich bin Olivier  !« Peter Sprengel  : Hauptmann über Hofmannsthal  : Aristophanisches und anderes  ; in  : U. Renner/B. Schmid (Hg.)  : Hugo von Hofmannsthal. Freundschaften und Begegnungen mit deutschen Zeitgenossen  ; Würzburg 1991. 37–53  : 46. 116 Twellmann, Das Drama der Souveränität  ; op cit, 231. In ähnlicher Manier hat Twellmann später auch Thomas Mann abgefertigt  ; vgl. M.T.: Gesetz und Gestalt. Zu Thomas Mann  ; in  : Die Souveränität der Literatur  ; op cit, 363–394. Dem Turm gesteht er immerhin einen Informationswert hinsichtlich des blinden Fleckes von Demokratien gegenüber dem Fortbestehen symbolischer Gewaltverhältnisse zu (vgl. Drama, op cit, 153), also hinsichtlich eines nicht vollends bewältigten »Strukturwandels der Öffentlichkeit« (Habermas). Das ist in der Tat ein interessanter Gedanke. Twellmann scheint gegen Ende seiner Studie sogar den wissenschaftlichen Zeitgeist zu bedauern, welchem diese aber verpflichtet ist  : »Heute stellt sich die Frage, ob auch eine Kunst, die lange als kompromittiert gelten mußte, ›halbvergessene Aufgaben‹ zurückgelassen haben könnte, an die zu erinnern wäre. Möglich wäre diese Erinnerung erst, wenn das Verständnis von Kunst aus seiner negativen Bindung an den Totalitarismus gelöst werden könnte.« (ebd., 231). Twellmanns Studie hat dies jedenfalls nicht unternommen.

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Salzburger große Welttheater und die Schrifttum-Rede bezieht.117 Uwe Hebekus schließlich überführt Twellmanns Befunde, das entsprechende Kapitel lautet ebenfalls »Hugo von Hofmannsthal und Carl Schmitt«, in seiner Habilitationsschrift von 2009 zur Ästhetischen Selbstermächtigung in eine Konstellation des Totalitären.118 Zwar weist Hebekus darauf hin, dass Hofmannsthal lediglich »einige« Merkmale mit dem »Dynamismus der nationalsozialistischen ›Bewegung‹« teile  ; dieser findet sich hier allerdings neben Brecht und George in einem als Kontinuum zu denkenden Ensemble, das mit Georg Simmels Sehnsüchten nach ästhetischer Totalität anhebt und mit Leni Riefenstahl und Alfred Rosenberg schließt. Die ästhetische Modernität Hofmannsthals sieht Hebekus genau in dieser Nachbarschaft.119 Die kardinale These lautet in diesem Zusammenhang  : Hofmannsthals Ästhetik ist »nicht mehr so weit entfernt von dem, […] was als Modell auch die nationalsozialistische Theorie der ›Bewegung‹ entscheidend prägt«.120 Die Gewaltsamkeit, mit welcher die Ästhetik des Nationalsozialismus Konzepte (längst nicht nur) der klassischen Moderne absorbierte und pervertierend wiederholte, ist hinlänglich bekannt, hier aber ausgeblendet. Eine ästhetische bzw. metaphorische Nähe zur ›Bewegung‹ – die allerdings, so die These dieser Studie, sinnvoll zuerst mit Max Weber charismatischer Herrschaftsform in Verbindung zu bringen ist – wird mit der politischen Szenerie im keineswegs »monarchistischen« Turm tatsächlich zitiert. Hofmannsthals Motivation hinter dieser ›Ästhetik des Liquiden‹ bleibt zu klären (vgl. 2.5). Die vereinnahmende Stringenz solcher Ableitungen ins Totalitäre scheint der Viel117 Richard Faber  : »Wir sind Eines«. Über politisch-religiöse Ganzheitsvorstellungen europäischer Faschismen  ; Würzburg 2005. Zum Welttheater 13 f., Schrifttum-Rede 59 f. 118 Uwe Hebekus  : Ästhetische Ermächtigung. Zum politischen Ort der Literatur im Zeitraum der Klassischen Moderne  ; München 2009. 127 ff.; zum Turm  : 265 ff. Im Vergleich zu Hebekus’ früherem, lesenswerten Aufsatz  : »Woher – so viel Gewalt  ?« Hofmannsthals Poetologie des Politischen in der ersten Fassung des Turm  ; in  : A. Härter (Hg.)  : Dazwischen. Zum transitorischen Denken in Literatur- und Kulturwissenschaft  ; Festschrift für Johannes Anderegg  ; Göttingen 2003. 139–156  ; sind die neueren Ausführungen zu sehr auf den Zweck der Studie, eine Kontinuität formalistischen Totalitarismus’ vorzustellen, ausgerichtet. 119 In dieser Einschätzung ist ihm kürzlich Hans-Richard Brittnacher mit Nachdruck gefolgt  : »Das ist die Wurzel aller Poesie.« Das Blutopfer bei Hugo von Hofmannsthal und Joseph De Maistre  ; in  : A. Honold/V. Luppi/A. Bieri (Hg.)  : Ästhetik des Opfers. Zeichen/Handlungen und Spiel  ; München 2012. 263–280. 120 Hebekus  : Ästhetische Ermächtigung  ; op cit, 31 und 300. Zu Konstellation und Kontinuum der Ermächtigung vgl. ebd., 15, zum »Dynamismus«  : 24. »Hugo von Hofmannsthal und Carl Schmitt«  : 127 f. Die Angaben beziehen sich auf ein ungebundenes Rezensionsexemplar und könnten darum von der endgültigen Druckfassung leicht abweichen.

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seitigkeit Hofmannsthals jedenfalls nicht gerecht zu werden. Vor einer Literaturforschung, die dergestalt mit Walter Benjamins Wort von der Kritik als »Mortifikation der Werke« Ernst zu machen droht, kann der Eindruck entstehen, man müsse den Dichter vor seinen Exegeten in Schutz nehmen.121 Hier scheint sich die »Strafsache«, die Adorno in Benjamins Augen gegen Hofmannsthal vertrat, verselbstständigt zu haben. Das in Frage stehende »non liquet«, welches sich Hofmannsthal aber keineswegs »mit seinem Tod« erkaufen musste, wird daher mit der Betrachtung der verschiedenen Fassungen des Turm nochmals aufgegriffen. Im Übrigen ist der bezügliche Brief Benjamins an Adorno vom 7. 5. 1940 insgesamt als recht freundliche Weise des Ohrfeigens zu verstehen, denn er ist mit Adornos Gewichtung Georges und Hofmannsthals überhaupt nicht d’accord  ; die Causa Hofmannsthal beschließt er mit der (auch nicht ganz angemessenen) Bekräftigung von dessen kindlicher »Unschuld« und Naivität, die aber »nicht zur Preisgabe dessen, was wir an ihr lieben können« berechtige.122 1.2.2 ›Plädoyer der Verteidigung‹  : Ein Geist des Ausgleichs und der Vermittlung »so sehr handelt es sich darum, das Votum derer zu gewinnen, deren Gefühl in diesen Fragen besonders gespannt und empfindlich ist […]« (RA III, 81  ; Europäische Revue)123 121 So hat auch Twellmann berechtigtermaßen darauf hingewiesen, dass Hofmannsthal im Turm versuche, »jene Metaphorik der Herrschaft zu literarisieren, die [seine] Äußerungen über Dichtung durchzieht« (Twellmann, Drama  ; op cit, 224). Dass die Darstellung von politischer als literarischer Herrschaft im Trauerspiel eine Selbstreflexivität erzeugt, ist Twellmann nicht entgangen. Warum er dann allerdings den Schluss daraus zieht, dass sich darin nun gerade Hofmannsthals »Gewaltsamkeit« und »imperative« »Hinwendung zum Sozialen« erweise, ist, auch argumentationsintern, nicht nachzuvollziehen. Auch der Turm bleibt ja zuerst  : Text. Dem liegt eine Fehlinterpretation von Hofmannsthals Verständnis des ›Nation‹-Begriffes und der Ziele von Hofmannsthals Ästhetik vor. »Kompromittiert« (sämtlich  : ebd.) ist Twellmann zufolge hierdurch auch das Frühwerk. Tatsächlich wird man sagen können, dass es sich – wenn, dann – umgekehrt verhält  : Dichterische Gewaltsamkeit in Form von Opfervorstellungen als jener dunklen Seite des Mythos sind in der frühen Dichtung viel präsenter als beim späten Hofmannsthal. Der Turm ist eben gerade keiner Dichterdiktatur und schon gar keiner Propaganda der Schicksalsverfallenheit verpflichtet, wie an der Figur des Olivier zu zeigen ist. 122 Vgl. Benjamin, GB VI, 449  : Adorno. Benjamins Verteidigung Hofmannsthals, die angesichts seiner sich katastrophal entwickelnden Lage und seiner wachsenden Angewiesenheit v. a. auf seine in den USA weilenden Brieffreunde (z. B.: Adorno) erstaunlich deutlich ausfällt, fand bislang wenig Beachtung. Adorno hat sich diese Argumentation denn auch nicht zu eigen gemacht. 123 Denn »[…] sobald in der Rede des Redners nicht alle Argumente des Gegners enthalten sind,

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Maximilian Bergengruens Studien zur Psychopathologie des Politischen im Turm und Hofmannsthals »politischer Theologie« darin (2009/10) sind Beispiele einer umsichtigen Auseinandersetzung mit dem politischen Gehalt des Stücks im Werkzusammenhang. Hier wird ein wichtiger anthropologischer Zugang aus der Materie heraus (beginnend mit Das Leben ein Traum) präzise und fundiert erarbeitet, wenngleich fraglich bleibt, ob sich der politische Kosmos wirklich allein oder doch ganz weitgehend aus (s)einer psychopathologischen Wurzel erklären lässt. Eine andere Perspektive auf Hofmannsthals kulturpolitisches Wirken vertrat zuvor bereits Alexander Honold – den Führungsanspruch im Verein mit dem deutschen Repräsentativ-Autor Thomas Mann führt Honold unter anderem auf Montaigne zurück. Die zwei Körper des Autors (2002) gilt dem Versuch einer ›klassisch-modernen‹ Behauptung von geistiger Souveränität und widmet sich deren poetologischen Implikationen, entdeckt dieses gedoppelte Körperschema dann auch im Turm und bezieht es – in Kenntnis von Hofmannsthals Hobbes-Exzerpt aus der Politischen Theologie – dem Titel gemäß dennoch in erster Linie auf Kantorowicz.124 Als weitere Beispiele einer nicht derart von politischen Debatten dominierten Beschäftigung mit Hofmannsthals Person und Werk wären die teilweise schon älteren Arbeiten von Norbert Altenhofer, Heinz Hiebler, Lorenz Jäger, Christoph König, Jacques Le Rider, Mathias Mayer, Ute Nicolaus, Severin Perrig und Sabine Schneider zu nennen.125 Diese Arbeiten, die allerdings mit Ausnahme der von Nicolaus noch sobald ist er seines Gegenstandes Meister noch nicht und seines Sieges nicht gewiß. Jede wahre Rede ist also Gespräch  : in dem Munde des einen Redners sprechen notwendig zwei, er und sein Gegner.« (Adam Müller  : Zwölf Reden über die Beredsamkeit und deren Verfall in Deutschland. Mit einen Essay und einem Nachwort von Walter Jens  ; Frankfurt/Main 1967. 307). Wo der Gegner allerdings dazu übergeht, statt Argumenten Gewehrkugeln zu senden, ist das Gespräch in der Tat beendet. Das hat Hofmannsthal verhindern wollen. 124 Alexander Honold  : Die zwei Körper des Autors. Hofmannsthal, Thomas Mann und die Politik der öffentlichen Einsamkeit  ; in  : Das Argument, 4/2002. 523–534  : 529, 530 (Montaigne). 125 Die Auflistung ist angesichts der Menge an relevanten Beiträgen an dieser Stelle notwendig unvollständig. Maximilian Bergengruen  : »Man liebkost, um zu tödten, man ehrt, um zu schänden, man straft ohne Verzeihen«. Der psychopathologische Kern von Hofmannsthals politischer Theologie (›Das Leben ein Traum‹, ›Turm‹ I–III)  ; in  : Ders./R. Borgards (Hg.)  : Bann der Gewalt. Studien zur Literatur- und Wissensgeschichte  ; Göttingen 2009. Vertieft in seiner Monographie Mystik der Nerven (2010) mit dem Kapitel »Woher – so viel Gewalt« (133 ff ). Von Lorenz Jäger vgl. z. B.: Die Kreatur im Bürgerkrieg. Zu Hofmannsthals Trauerspiel »Der Turm«. (Nachwort)  ; in  : Hugo von Hofmannsthal  : Der Turm, Frankfurt/Main 1999  ; 91–95. Christoph König  : Dichter unter den Philologen, op cit (zum Turm 323 ff.; mit Berücksichtigung Benjamins und Max Reinhardts  : 368 ff.). Severin Perrig  : Hugo von Hofmannsthal und die Zwanziger Jahre. Eine Studie zur späten

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keine explizite Auseinandersetzung mit der Schmitt-Thematik bieten, werden – neben weiteren – anschließend noch verschiedentlich begegnen. Den bislang letzten Anlauf zur Deutung des Politischen im Turm mit Schmitt hat Eric L. Santner unternommen.126 Auch hier fällt insbesondere die Konzentration auf eine körperlich-mystische anstelle der dezisionistischen politischen Theologie auf. Die Beobachtungen in The Royal Remains (2011), die sich anscheinend nicht auf die Diskussion in Deutschland beziehen, bieten jedoch im Vergleich zu Bergengruens und Honolds erwähnten Lektüren und den Bearbeitungen seitens Hebekus’, Twellmanns und Villingers keine qualitativ neuen Gesichtspunkte. Der Rekurs auf Schmitts weniger bekannte Schrift Hamlet oder Hekuba (1956) ist zwar eine interessante Ergänzung für die Betrachtung des pazifizierten Sigismund im Rahmen von Benjamins Trauerspielbuch (zumal sich Schmitt kritisch auf Benjamin bezieht). Aber das im Untertitel der Studie »The People’s Two Bodies« signalisierte Analyse-Potential wird für den Turm noch kaum eingelöst, welcher jedenfalls nicht dabei stehen bleibt, das Scheitern der Lehre von den zwei Körpern des Königs an der Moderne aufzuzeigen  ; das Drama ist ja, gerade im Versuch der ästhetischen Gestaltung von Massen, eine spezifische Reaktionsform darauf.127 Die eigentliche Innovation einer körperbezogenen Lektüre des Turm hätte darin bestanden, den Zugang zur Deutung dessen freizulegen, was – so nochmals die hier vertretene These hinsichtlich der politischen Theologie im Trauerspiel – Hofmannsthal in Sigismund zu gestalten suchte  : die Fortsetzung der abendländischen politischen Theologie in der Ablösung des politischen Körpers des Königs als leitendes Paradigma durch das Volk bzw. den »Volksgeist« Orientierungskrise  ; Frankfurt/Main 1994. Die Bibliographie zu den weiteren genannten Autoren folgt dann bedarfsweise  ; Nicolaus’ Souverän und Märtyrer (2004) wurde schon genannt  ; der darin entwickelten Perspektive auf das Spätwerk Hofmannsthals verdankt sich eine Vielzahl an Gesichtspunkten, die in diesem Rahmen aber, meist als ›Spuren‹ aufgelesen, kaum einmal bis an ihren Anfang (bzw. ihr Ende) nachverfolgt werden konnten. 126 Santner, The Royal Remains  ; op cit (Chicago 2011). Zu Hofmannsthal mit Perspektive auf Schmitt  : 142–186. Zum Turm  : 177 f. Die schon erwähnte, kürzlich erschienene Studie Katharina Meisers, Fliehendes Begreifen  ; op cit beinhaltet ebenfalls ein längeres Kapitel zum Turm, konnte für diese Studie aber nicht mehr herangezogen werden. 127 Vgl. Santner, Royal Remains  ; op cit, 183  : »It is, as I have argued, in just such motion and commotion at the jointure between nature and culture that human life takes on the surplus of flesh that, at least in the context of the early modern period, was still capable of attaching itself to royalty, of being shaped into the king’s two ‹second’ body. What Hofmannsthal’s The Tower explores is precisely what happens, when this creaturely excess can no longer be contained and deployed by the figure of a sovereign master. « Die hinzutretende psychopathologische Perspektivierung Sigismunds mit Freud ist bei Bergengruen erheblich substanzieller durchgeführt.

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(als »innere Form«, deren äußere die Sprache ist). Eine solche ›Veranlagung‹ der Figur als literarischen ›zweiten Körper der Nation‹ hat die auf Schmitt bezogene Forschungsliteratur bislang nicht ausreichend in den Blick bekommen. Der Metaphorik von Kollektiv-Leiblichkeit als dem Hintergrund des politischen Geschehens im Turm wird hier darum, ausgehend von Hofmannsthals Poetologie, größte Aufmerksamkeit zu widmen sein. Hofmannsthals Rede Der Dichter und diese Zeit und ihr Postulat, eine poetische Synthese der zerklüfteten Zeit zu leisten, ist viel zitiert worden.128 Dieser Anspruch ist aktuell geblieben, wenngleich er ihn nach seinem ›Kriegseinsatz‹ mit weniger Emphase vertreten hat.129 Unter den komplexer gewordenen Zuständen nach der Revolution hat Hofmannsthal daher auch produktionsbedingt gelitten  ; dies dokumentiert sich in der großen Zahl der (politisch ambitionierten) Fragmente in seinem Nachlass. »Rhetor der Zeit«130 zu sein, bedeutete für Hofmannsthal, diese bis zu ihren Extremen zu erfassen und in ein Weltbild zu überführen, kommensurabel zu machen, wie es schon die Studie über die Entwicklung des Dichters Victor Hugo (1901/1925) an dessen Beispiel darlegte. Dass Hofmannsthal hierbei verschiedentlich Irrtümer (Pannwitz, Nadler, Rohan) unterliefen, ist offensichtlich. Denn das Vorgehen, »die Personen nicht immer auf der ganzen Linie zu nehmen […] sondern je zu dem Punkt einer Einigung mit ihnen zu gehen«, barg natürlich Risiken, vor allem für die Bestimmung einer eigenen Position.131 Die v. a. von Perrig und neuerdings auch Santner attestierte späte »Orientierungskrise«, die auch immer wieder zum Rekurs auf die Leerformel der »Ideen von 1914« führte, mag eine Konsequenz davon sein  ; die riskante Mystifikation der Macht des ›Geistes‹ deren Kompensation.132 Dass Hofmannsthal »Herzensmonarchist« war, dessen ungebrochenes Zugehörig128 Immer noch lesenswert im Hinblick auf Hofmannsthals Rhetorik  : Peter C. Kern  : Zur Gedankenwelt des späten Hofmannsthal. Die Idee einer schöpferischen Restauration  ; Heidelberg 1969. Vgl. 32 ff. Der eigentlich politische Aspekt der darin zum Ausdruck kommenden Schriftkritik ist von Steiner hervorgehoben worden  ; vgl. Uwe Steiner  : Zeit der Schrift. Die Krise der Schrift und die Vergänglichkeit der Gleichnisse bei Hofmannsthal und Rilke  ; München 1996. 129 Vgl. hierzu Andreas Schumann  : »Macht mir aber viel Freude.« Hugo von Hofmannsthals Publizistik während des Ersten Weltkriegs  ; in  : Schneider/Schumann  : »Krieg der Geister«. Erster Weltkrieg und literarische Moderne  ; Würzburg 2000. 137–149. 130 RA I, 74  ; Dichter und Zeit. 131 So formulierte Rang dieses Verhalten in einem Keyserling betreffenden Brief vom 28. III. 1924  ; Hugo von Hofmannsthal – Florens Christian Rang  : Briefwechsel 1905–1924  ; hg. v. W. Volke  ; in  : Die Neue Rundschau  ; Jg. 70  ; 1950. 402–448 [fortan BW Rang], 448. 132 Der Formulierung »Heilsgeschichte des Geistes« Sommerhages wäre daher zuzustimmen (vgl. Sommerhage  : Aporien  ; op cit, 281).

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keitsgefühl zum Heiligen Römischen Reich eine beherzte Teilnahme an der ersten Österreichischen Republik verhinderte (die dann auch eher der Tätowierung im Sinne Benjamins entsprochen hätte), liegt auf der Hand. Dass zudem die deutschsprachigen Republiken und mit ihnen der zu geschichtlicher Wirkung gelangte Liberalismus flächendeckend unter dem von Koselleck so einprägsam formulierten Phänomen von »Kritik und Krise« litten, ebenso.133 Ob aber nicht doch eine Art Vernunftrepublikanismus bei Hofmannsthal auszumachen ist  ; oder jedenfalls doch eine weit gemäßigtere politische Einstellung, als von der ›Anklageseite‹ annonciert, wird v. a. die Interpretation der TurmFassungen ergeben. 1.2.3 (Ent-)Scheidungsgründe  : »Konservative Revolution« und Europa »Die notwendige Richtung aufs Extreme […] weist […] die Forschung an, unbefangen die Breite des Stoffes ins Auge zu fassen. […]« (GS I 1, 238  ; Trauerspiel)

Die Kritik des politischen Autors Hofmannsthal zieht neben der Archaik im Gespräch über Gedichte oftmals die Münchener Schrifttum-Rede (1927) heran,134 die immer wieder für die politische Brauntönung der Geisteshaltung des späten Hofmannsthal im Sinne einer als faschistisch apostrophierten »konservativen Revolution« herhalten muss – zumal sich Hofmannsthal diese rhetorische Schlinge ja in offenbarster Weise selbst gelegt zu haben scheint. Der Eifer, mit dem gerade von Seiten deutscher Kulturwissenschaftler an der ›NS-Imago‹ Hofmannsthals gestichelt wird, kann sich auf Adornos vernichtende Feststellung berufen  : »Der Flügel der deutschen Rechten, dem Hofmannsthal angehört, ist zum National­sozialismus 133 Vgl. hierzu übrigens Twellmann  : »In dem Maße wie politische ›Immanenzvorstellungen‹ einer irreduziblen Transzendenz nicht Rechnung tragen, die monarchische Herrschaft ostentativ zur Schau gestellt hatte, kommt den Einwänden der Reaktion ein kritischer Wert zu. Nicht als Vorschlag zu seiner Lösung, aber als Hinweis auf das Problem könnten sie interessant sein.« (Twellmann, Drama  ; op cit, 138). 134 Vgl. etwa Jens Dreisbach  : Disziplin und Moderne. Zu einer kulturellen Konstellation in der deutschsprachigen Literatur von Keller bis Kafka  ; Berlin 2009  ; der, sich auf Pornschlegel stützend, Hofmannsthals »Konservative Revolution« als Annihilisationsprogramm gegen die Neuzeit begreift (ebd. 258). Vgl. Clemens Pornschlegels Interpretation der Rede in Bildungsindividualismus und Reichsidee  ; op cit, 265  : Die »Inhibition« des »souveränen, Politischen« sei es, »die Hofmannsthals Ablehnung des contrat social und der ihm verbundenen politischen Formen motiviert und ihn statt dessen zusammen mit einer neuen pietistischen Gemeinde von ›Stillen im Lande‹ adventistisch warten läßt auf eine renovatio des Reichs«.

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übergegangen, soweit man es ihm erlaubt hat.«135 Eine dahingehende Tendenz der so ausgewiesenen Gruppen nach 1933 ist unstrittig. Nur  : Ob Hofmannsthal als ›Habsburger a.D.‹ ihnen so sehr angehört haben kann, wie Adorno 1940 unterstellte, darf und muss hinterfragt werden.136 Man könnte aus poetologischer Sicht sogar umgekehrt argumentieren, dieser ›rechte Flügel‹ habe als Phänomen der Epoche dem Erfahrungsraum Hofmannsthals notwendig angehören müssen, der ja offenkundig bestrebt war, das gesamte politische Spektrum lesend und schreibend (in sich) zu erfassen. Dass Hofmannsthal, wie Benjamins so gerne zitierte Feststellung gegenüber Adorno lautet, »keinerlei Vertrautheit mit dem Gelichter schrecken« konnte (was dann jedenfalls ebenso für den Urheber dieser maliziösen Formulierung gilt),137 kann auch dahingehend verstanden werden, dass Hofmannsthal das Bild seiner Zeit eben von deren politischen Extrempunkten ausgehend entwarf – mit dem Ziel einer ausgleichenden Synthese, die jedenfalls nur aufgrund einer depotenzierenden Allegorese des Politischen hätte zustande kommen können.138 Adorno selbst hat übrigens später von Hofmannsthals »anderer Seite […] als der der Salzburger Festspiele« gesprochen und dabei eigens den Turm erwähnt, den als Oper zu komponieren er einmal Alban Berg vorgeschlagen habe. 139 Diese »andere Seite« Hofmannsthals – zu der man auch seinen Einspruch gegen deutschtümelnde »Entwelschungsprogramme« während des Ersten Weltkriegs 140 und die 135 Theodor W. Adorno  : George und Hofmannsthal  ; in  : Max Horkheimer/Theodor W. Adorno  : Walter Benjamin zum Gedächtnis  ; Institut für Sozialgeschichte 1942. 61-122  : 77. 136 Dies hat in dem erwähnten Brief bereits Benjamin getan  : Hofmannsthal sei keinesfalls das »Haupt« einer »Schule« nach Geschmack eines Hans Carossa gewesen, auf welche die Gleichschaltung der deutschen Schriftsteller seit 1933 zurückgehe (Benjamin, GB VI, 449). Adorno hat Benjamins Denkanstoß hingegen nicht berücksichtigt, sondern die beanstandeten Ausführungen über Hofmannsthal sogar im Rahmen einer Gedächtnisgabe für Benjamin veröffentlicht. 137 Benjamin, GB VI, op cit, 448/49  : Adorno. Zur Verbindung Benjamins mit Carl Schmitt vgl. Susanne Heil  : Gefährliche Beziehungen. Walter Benjamin und Carl Schmitt  ; Stuttgart 1994  ; und Giorgio Agamben  : Ausnahmezustand  ; Frankfurt/Main 2004. 138 Das poetologische Programm des erwähnten Vortrags Der Dichter und diese Zeit (1906) entwirft bereits einen dahingehenden Anspruch Hofmannsthals, der in den späteren Jahren sogar gemildert erscheint. Zum »Überhistorischen« vgl. Walther Brecht  : Gespräch über die »Ägyptische Helena  ; op cit, 339–342. 139 Theodor W. Adorno  : Erinnerung an Alban Berg  ; in  : Gesammelte Schriften Bd. 13  ; hg. v. R. Tiedemann  ; Frankfurt/ Main 1971. 357 f.). 140 Vgl. hierzu Tobias Heinz  : Hofmannsthals Sprachgeschichte. Linguistisch-literarische Studien zur lyrischen Stimme  ; Tübingen 2009. 261. Heinz ist auch die Verbindung Hofmannsthals zu Karl Vossler nicht entgangen, dessen Die romanischen Kulturen und der deutsche Geist er ins Programm der Bremer Presse aufnahm (1926).

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späteren Eingaben zu einer deutsch-französischen und europäischen Aussöhnung im Rahmen der »Kulturbünde« zu zählen hätte – soll daher im Folgenden stärkere Aufmerksamkeit erhalten. Die in Frage stehende Rede hat Jaques Le Rider sogar als »unvereinbar« mit der politischen Bewegung bezeichnet.141 Denn abgesehen davon, dass die unter dem Siegel oder vielmehr Verdikt »Konservative Revolution« subsumierten Autoren alles andere als einen monolithischen Block rechter bzw. rechtskonservativer Intelligenz abgeben,142 werden Hofmannsthals eigene Auffassung dieser dialektischen Formel sowie Anlass und Adressierung der Rede zu wenig beachtet. Hofmannsthal hielt sie im Auditorium Maximum der Münchener Universität (auf Einladung des Rektors der Universität München, Karl Vosslers),143 vor einem Publikum fast ausschließlich männlicher Studenten, deren Moden im Führungsdenken Hofmannsthal zumindest zu kennen meinte und daher aufgreifen und lenken wollte (in Sigismund und dem Kinderkönig sind diese Vorhaben Gestalt geworden). Die Intention dieses rhetorischen Unternehmens war mehr Überredung als Vermittlung.144 Die Rede unternimmt den Versuch, eine Verständigung mit dem Gegenüber durch Antizipation von dessen (natürlich 141 Jaques Le Rider  : Hugo von Hofmannsthal. Historismus und Moderne in der Literatur der Jahrhundertwende  ; Wien (u. a.) 1997. 273/274. 142 Vgl. Armin Mohler  : Die Konservative Revolution in Deutschland 1918–1932  ; Stuttgart 1950  ; und Stefan Breuer  : Anatomie der Konservativen Revolution  ; Darmstadt 1993. 143 Vossler war langjähriger Freund Max Webers, den die Kritische Ausgabe der Sämtlichen Werke immerhin als einen von Hofmannsthal mit den »Suchenden« zur Führung bestimmten Intellektuellen ausmacht (vgl. SW XVI.1, 597). Weber und Vossler standen auch zeitweise im Briefwechsel (einige Briefe sind dokumentiert in Max Weber  : Gesamtausgabe  ; Bd. II/6  : Briefe 1909–1910  ; hg. von M.R. Lepsius und W.J. Mommsen  ; Tübingen 1994) und lehrten in Heidelberg und München an denselben Universitäten. Hofmannsthal ehrt Vossler zwar durch die Erwähnung in seiner Rede (vgl. RA III, 27), stand ihm aber durchaus auch kritisch gegenüber (vgl. Hugo von Hofmannsthal  : Briefe an Willy Wiegand und die Bremer Presse  ; hg. v. W. Volke  ; in  : Jahrbuch der Deutschen Schillergesellschaft  ; 7. Jg. (1963). 44–189. [BW Wiegand], 174). Vossler wurde nach dem Krieg (1946) nochmals Rektor der Universität München  ; 1937 war er aufgrund antifaschistischer Einstellung zwangsemeritiert worden. 144 Zum politischen Sprachgebrauch vgl. Ludwig Jäger  : Sprache als Medium politischer Kommunikation. Anmerkungen zur Transkriptivität kultureller und politischer Semantik  ; in  : U. Frevert und W. Braungart (Hg.)  : Sprachen des Politischen  : Medien und Medialität in der Geschichte  ; Göttingen 2004. 332–355. Eine »wesentliche Funktion von Transkription [besteht] darin, dass sie ein Verfahren bereitstellt, […] die Gelingens-Unwahrscheinlichkeit von Kommunikation zu minimieren« (ebd., 345). Wohin Hofmannsthals Entgegenkommen ihn führte, hängt damit aber wesentlich von seinem Gesprächspartner ab. Dass von diesen manche schon zu Hofmannsthals Lebzeiten inakzeptable Haltungen vertraten (z. B. Nadler), ist unstreitig.

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letztlich unterstellten) Positionen zu erreichen  ;145 ihr Ziel ist die Initiation eines Gesprächs (unter Leitung geistiger Autoritäten). Der an sich überraschende Umstand, dass Hofmannsthal als geographischen Raum der deutschen Nation das damalige Gebiet der Weimarer Republik und Deutsch-Österreichs bestimmt, erklärt sich aus der gemeinsamen Sprache, deren Bedeutung er hervorheben wollte.146 Darin liegt eine deutliche Unterscheidung von Staats-und Kulturnation, deren Erbe in einer sprachlich gestifteten Gemeinschaft bewahrt werden sollte.147 Dieser sprachlich-konstitutive Formdiskurs des Kollektiven bei Hofmannsthal wurde bislang von der politischen Lesart verdeckt.148 Das Kalkül hinter dieser Einheitsvorstellung ist es hingegen gerade gewesen, die Studenten gegen die Verführbarkeit durch Freiheitsverheißungen (gerade durch politisch extreme), generell gegen die »schrankenlose Orgie des weltlosen Ich« zu immunisieren. Denn die Frage nach dem Wovon dieser Freiheit betrifft nicht nur Patriarchat und ancien régime, sondern eben auch das kulturell Tradierte.149 Hofmannsthal konnte sich hierbei auf die zeitgenössische Kultursoziologie berufen  : »Insofern bedeuten frühere Zeiten […] eine viel stärkere Bindung des Menschen  ; sie setzen ihn in einer gesellschaftlichen Form und demgemäß in einer Bestimmt145 Auch Hofmannsthals Briefe sind Zeugnisse einer Politik im Privaten. Es ist bei Betrachtung der Briefwechsel darum unbedingt zu beachten, wem Hofmannsthal zu welchem Thema etwas schrieb. Der Nachweis, dass er in Briefen selben Datums an verschiedene Personen mitunter diametral unterschiedliche oder doch zuweilen stark abweichende Haltungen vertrat, wäre leicht zu erbringen. Liest man etwa die Briefwechsel mit Andrian und Bodenhausen im Jahr 1916 gegeneinander, finden sich bezüglich der Polen-Politik der Mittelmächte völlig verschiedene Positionen Hofmannsthals, die sich anscheinend an der vorausgesetzten oder ihm bekannten Haltung der Briefpartner orientiert. Hofmannsthals Briefe sind folglich die Bühne seiner Selbstinszenierung. 146 Vgl. RA III, 35  : Das Schrifttum als geistiger Raum der Nation. Hofmannsthal hat zwischen politischem und geistigem Raum deutlichen Unterschied gemacht  ; an Burckhardt schrieb er  : »Wenn der Anschluß kommt, werde ich Schweizer.« (BW Burckhardt, 163 [Dezember 1924]). 147 1916 in Berlin allerdings sah er diese Sprachvergemeinschaftung durchaus noch kritischer  : »Ich verwirre Ihnen die Einfalt der Gefühle und statuiere einen Dualismus dort, wo Sie in der Einheit der Sprache jede übrige Einheit mit dem großen deutschen Volk, wie es sich zum größten Teil im deutschen Nationalstaat verkörpert, verbürgt wissen wollen.« (RA II, 21/22  ; Österreich im Spiegel seiner Dichtung). Vgl. hierzu Le Rider, Historismus und Moderne  ; op cit, 239 f. 148 Vgl. aber Heinz, Hofmannsthals Sprachgeschichte  ; op cit, 287 ff. 149 RA III, 38  ; Schrifttum. Ernst Robert Curtius sekundierte in diesem Zusammenhang  : »Sind das die Worte eines Dichters  ? Redet so ein Poet  ? Ist es nicht die in Deutschland so selten vernommene Stimme einer geistigen Autorität, die das Dichterische, die Sprache, das Schrifttum, die Bestände und Kräfte unserer Bildung, aber auch unseres Volkes und Staates verwaltet  ?« (vgl. Curtius, Kritische Essays zur europäischen Literatur  ; op cit, 160).

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heit. Die gesellschaftsbildende Kraft des Kapitalismus im Sinne einer in sich zusammenhängenden Gruppierung der Menschen ist daher geringer als die vergangener Zeiten, und […] so bedeutet eben gerade diese Steigerung der wirtschaftlichen Motivationsreihen, daß die Menschen an abstrakte Elemente, nicht an konkretes Leben gebunden werden […] Dieses Fehlen der Bindung, diese ›Freiheit‹ ist zugleich Fehlen eines Weges, bedeutet die Möglichkeit grenzenloser Desorientierung gegenüber den Kultursphären und ihren Inhalten, wie wir sie tatsächlich seit dem Eindringen der kapitalistischen Wirtschaftsform beobachten können.« (Lederer, Aufgaben einer Kultursoziologie  ; op cit, 170 [1923])

Auch Hofmannsthals Wort gegen das von Lederer namhaft gemachte Phänomen lautet  : »Bindung« – an immaterielle Werte, Bindung im Sinne einer Vermittlung »produktiver Anarchie« mit dem Bestehenden, Überlieferten, wie sie Hofmannsthal schon in der 1901 zurückgezogenen, 1925 wieder aufgelegten Habilitationsschrift über Victor Hugo als Aufgabe des Dichters postuliert hatte – andernfalls könne eine Revolution nicht glücken.150 Entsprechend fasste Hofmannsthal sein Vorhaben als Teil einer übernationalen kulturellen »Geistesumwälzung« auf, die letztlich dem Todestrieb im Fortschrittsdrang der Avantgarden einen salto vitale ins gemeinschaftliche kulturelle Erbe verordnete und der er den heute so folgenschwer anmutenden Titel »konservative Revolution« gab.151 In der Tat ist

150 Vgl. hierzu König, Dichter  ; op cit, 55. Bei Dreisbach (Disziplin  ; op cit, 259) findet sich zudem der Versuch, Hofmannsthals Wortwahl dem »Jargon der Eigentlichkeit« (Adorno) unterzuordnen  ; Hofmannsthals »Bindung« sei nur »Zumutung und Zucht«. In der Tat taucht der Begriff bei Adorno auf  ; vgl. Theodor W. Adorno  : Gesammelte Schriften Bd. 6. Negative Dialektik. Jargon der Eigentlichkeit  ; Frankfurt/Main 19903. 413–523  : »Zwanghaft feiert man die Bindungen, anstatt in die Spekulation sich zu stürzen, die doch den radikalen Fragern die Bindungen allein rechtfertigen können.« (ebd., 434). Die Verbindung zu Hofmannsthal zieht Adorno aber selbst nicht, sie ist Dreisbachs Idee. Hofmannsthal wird auch keineswegs »verdächtig häufig« erwähnt (vgl. Disziplin, 258). 151 Zuvor schon wird dieses dichotome Syntagma von Thomas Mann in der Russischen Anthologie (1921) in Bezug auf Nietzsche verwendet. Er geht wohl zurück auf eine Formulierung Friedrich Engels’ zum polnischen Aufstand von 1830, dieser sei eine konservative Revolution gewesen, keine nationale oder gar soziale oder politische, denn sie habe an der »inneren Lage des Volkes« nichts geändert. Vgl. Karl Marx/Friedrich Engels  : Reden auf der Gedenkfeier in Brüssel am 22. Februar 1848 zum 2. Jahrestag des Krakauer Aufstandes von 1846  ; in  : Werke, Bd. 4  ; Berlin/DDR 1972. 519–525  : 523. Zum destruktiven »Todestrieb« vgl. Sigmund Freud  : Jenseits des Lustprinzips  ; Wien und Zürich 1920. »Bindungen« sind hingegen hier den libidinösen Lebenstrieben der Selbsterhaltung zugeordnet.

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die weitere Karriere dieser Formel wenig vorteilhaft gewesen.152 Der exilierte Thomas Mann wird einige Jahre danach feststellen  : »Konservative Revolution. Was haben Dummheit, Renitenz und böser Wille, was hat die belesene Roheit gemacht aus dieser Parole, die von geistigen und Künstlermenschen einst ausgegeben wurde  !«153 Und Hofmannsthal, der doch einen geistigen Umwälzungsprozess hatte in Gang setzen wollen, scheiterte offenbar mit seinem Vorhaben an dem anwesenden Publikum, welches die Darbietung möglicherweise schlichtweg nicht verstanden hat (Benjamin und Alfred Weber äußerten sich in späteren Briefen würdigend).154 Ein Gespräch über das »unmittelbar Notwendige« kam also vereinzelt immerhin zustande.155 152 Hofmannsthal, der z. B. durchaus kritisch Spenglers Untergang des Abendlandes (1918/1922) gelesen hat (vgl. RA III, 197 ff.: Geschichtliche Gestalt [1925]) ist sicher nicht ohne weiteres unter die später namhaft gemachten Vertreter der Konservativen Revolution zu zählen. Explizit zu Hofmannsthal vgl. Hermann Rudolph  : Kulturkritik und konservative Revolution. Zum kulturellpolitischen Denken Hofmannsthals und seinem problemgeschichtlichen Kontext  ; Tübingen 1971  ; Karl Pestalozzi  : Zur Problematik von Hofmannsthals Schrifttumrede  ; in  : Pestalozzi/M. Stern (Hg.)  : Basler Hofmannsthal-Beiträge  ; Würzburg 1991. 241–249  ; Werner Köster  : »Das Schrifttum als geistiger Raum der Nation«. Zur Restitution der symbolischen Vergesellschaftung bei Hugo von Hofmannsthal  ; in  : G. Bollenbeck, (Hg.)  : Kulturelle Enteignung – die Moderne als Bedrohung  ; Opladen 2003. 111–125  ; Friedmar Apel  : Gemeinschaft aus dem Elementaren. Hugo von Hofmannsthal und Josef Nadler  ; in  : W. Braungart/K. Kauffmann (Hg.)  : Essayismus um 1900  ; Heidelberg 2006. 213221. 153 Thomas Mann  : Vorrede  ; in  : Maß und Wert. Zeitschrift für freie deutsche Kultur  ; 1/1939 hg. v. Thomas Mann [et al.] – dass Mann hiermit gerade Hofmannsthal gemeint haben dürfte, geht aus seinem Briefwechsel mit Willy Haas hervor  ; noch 1955 schrieb er über den großen Verlust, den ihm Hofmannthals plötzlicher Tod bedeutet habe, seine Sympathie für Hofmannthals »Conservatismus« gerade auch der Schrifttumrede, der allerdings dem »Mißbrauch ausgesetzt war«. (15. Februar 1955)  ; zit. n. Klaus Dieter Krabiel  : »Die Beiden«  : Ein Sonett Hugo von Hofmannsthals, fortgeschrieben von Eugen Berthold Brecht (mit der Bilanz einer Beziehung)  ; in  : Hillesheim, Jürgen/Brockmann, Stephen (Hg.)  : Der junge Herr Brecht wird Schriftsteller = Young Mr. Brecht becomes a writer  ; Das Brecht-Jahrbuch = The Brecht Yearbook Nr. 31  ; Pittsburgh 2006. 62–81  : 74. 154 Zitat zuvor  : RA III, 626  : Ad me ipsum. Benjamin meinte, hinter der Gestalt des einen Suchenden das Porträt Rangs erkennen zu können  ; vgl. Brief an Hofmannsthal vom 4. XII. 1927 (GB III, 309 f.). Die Belegstelle im Brief an Alfred Weber wurde bereits zitiert (AWG 10/1, 117). 155 Insofern hat Adorno hinsichtlich des Gebrauchs des Begriffs ›Bindung‹ doch Recht behalten  : »Bindungen werden als Medizin gegen den Nihilismus, nicht um ihrer eigenen Wahrheit willen, ausgeboten […] Sie rechnen zur geistigen Hygiene und unterminieren dadurch die Transzendenz, die sie verordnen  ; der Feldzug, zu dem der Jargon aufbricht, reiht einen Phyrhussieg [sic] an den anderen.« (Adorno  : Jargon  ; op cit, 459/460). Auch Jochen Schmidt wirft einen skeptischen Blick auf die von Hofmannsthal im ersten Typus der Suchenden entworfene Syn-

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Hofmannsthals Rede weist in dem, was sie der Macht des Faktischen entgegensetzen wollte, eine explizit europäische Dimension auf, die für den späten Hofmannsthal kennzeichnend ist.156 Einem solchen Vermittlungsvorhaben ist auch der Turm in allen Fassungen verpflichtet, wie z. B. ein Brief an Paul Eisner belegt  : »[…] Es ist mein Gedanke (aber durchaus nicht politischer oder gar geschäftlicher Sphäre – sondern rein der Phantasie entsprungen) daß dieses Stück wenn eines von mir, wenn überhaupt eines von einem Ausländer, in die cechische Sprache übertragen zu werden geeignet wäre – auch geeignet dort zu existieren u. zu wirken, ganz außerhalb des Bereiches internationaler Courtoisie – ebenso übrigens in Warschau, u. unter anderen politischen Umständen (nur ein wenig anderen  !) auch in Moskau.« (Hofmannsthal an Paul Eisner, 12. Juli 1927, in  : Hofmannsthal-Blätter, Heft 3/1969. 209)

Entsprechend schrieb er in seiner insgesamt äußerst freundlichen Rezension der Europäischen Revue Karl Anton Prinz Rohans den dort versammelten jungen mehrheitlich Rechtsintellektuellen ins Heft, »darüber zu wachen, daß die Spannungen in den nationalen Eigenheiten (diese Spannungen, die ›Europa liebenswert machen‹) erkannt werden in ihrer Vereinbarkeit mit dem Bestehen einer geistigen Gemeinschaft« und »in ihrer Unvereinbarkeit (der Idee nach) mit den barbarischen Tendenzen der Machtaspiration«.157 Zur Führung berufen waren für Hofmannsthal also geistige Autoritäten, die sich solchem Ausgleich verpflichtet fühlten, was von einer jedenfalls nicht rein restaurativen Haltung zeugt.158 Seine Unterstützung Bertolt Brechts (Das Theater des Neuen, 1926) und these von Führer und Genie  : Jochen Schmidt  : Die Geschichte des Genie-Gedankens in der deutschen Literatur, Philosophie und Politik 1750–1945  ; Bd. 2  : Von der Romantik bis zum Ende des Dritten Reichs  ; Darmstadt 19882. 195–196. Auch hier lohnt eine Lektüre von Heinz’ Studie Hofmannsthals Sprachgeschichte  ; op cit, 311 f., der das Nicht-Elitäre von Hofmannsthals Vereinigungsstreben betont. 156 Zu Hofmannsthals Europa-Vorstellungen gibt es inzwischen sehr viel Literatur. An dieser Stelle sollen darum Hinweise auf den erwähnten Band von Wagner-Zoelly zu Hofmannsthals EuropaUtopie (im Zusammenhang der Neuen Deutschen Beiträge) und Wolfram Mauser  : Hofmannsthals ›Idee Europa‹  ; in  : Hofmannsthal-Jahrbuch 2 (1994). 201–222 genügen. 157 Jedoch vergebens, blickt man auf den weiteren Weg dieser Zeitschrift und ihres Herausgebers  ; zu Hofmannsthals skeptischer Einschätzung um 1926 vgl. RA III, 635  ; Bibliographie. 158 Zitat zuvor  : RA III, 83  : Europäische Revue. Hofmannsthal notierte sich entsprechend  : »Gefühl der Zugehörigkeit zum Heiligen Römischen Reich ungebrochen.« (RA III, 622  : Ad me ipsum [5. XI. 26]). Vernunftgemäß hatte er sich natürlich zum Faktum des Umbruchs der Ordnung irgendwie zu verhalten. Er tat dies analytisch, mit dem Turm.

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Benjamins wie auch sein Interesse an Martin Buber und Gustav Landauer etwa sprechen dagegen.159 Und es ist daran zu erinnern, dass Max Weber das charismatische Führungsdenken – durchaus skeptisch – am Beispiel der Auslese des politischen Personals in Demokratien vorstellte.160 »Die ›plebiszitäre Demokratie‹ – der wichtigste Typus der Führer-Demokratie – ist ihrem genuinen Sinn nach eine Art der charismatischen Herrschaft, die sich unter der Form einer vom Willen der Beherrschten abgeleiteten und nur durch ihn fortbestehenden Legitimität verbirgt. Der Führer (Demagoge) herrscht tatsächlich kraft der Anhänglichkeit und des Vertrauens seiner politischen Gefolgschaft zu seiner Person als solcher.« (WuG, 156)

Demokratie war aber, wie jedenfalls 1923 vertreten wurde, für Max Weber »das unentbehrliche Mittel zur Erhaltung der Einheit der Nation«.161 Ein Argument, das Hofmannsthal, der den deutsch-österreichischen Dynastiedualismus als geschichtliche Fehlentwicklung bedauerte, mit seinem deutschsprachigen Nationskonzept aufgegriffen haben könnte.162 Wenn aber Hofmannsthal vielleicht weniger ›demos-avers‹ war (tatsächlich lehnte er aber das Prinzip von dessen numerischer Bestimmung ab), als es etwa Clemens Pornschlegel in seinem Aufsatz »Bildungsindvidualismus und Reichsidee« nahelegt, dann droht in einer solchen Hinwendung zum Sozialen womöglich die von Adorno geltend gemachte Abgründigkeit auf ganz andere Weise, denn die Karriere des Modells der charismatischen Herrschaft im 20. Jahrhundert ist nur zu gut bekannt. Näheres wird die Interpretation der Turm-Fassungen ergeben. Das Programm geistiger Führerschaft in Republiken, welches Alfred Weber, in den zwanziger Jahren ebenso 159 Zu Hofmannsthal und Bertolt Brecht vgl. jetzt Klaus-Dieter Krabiel  : »Die Beiden«  : Ein Sonett Hugo von Hofmannsthals, fortgeschrieben von Eugen Berthold Brecht  ; op cit  ; 65. Auch Krabiel geht von dem Gemeinplatz aus, Hofmannsthal habe auf die Umbrüche 1918 nicht mehr »angemessen reagieren« können (ebd., 62). 160 »[…] gestatten die Parteien in einer voll entwickelten Massendemokratie denn überhaupt Führernaturen den Aufstieg  ? Sind sie imstande, neue Ideen überhaupt zu rezipieren  ? Sie verfallen ja der Bürokratisierung ganz ähnlich wie der staatliche Apparat.« (Max Weber  : Parlament und Regierung im neugeordneten Deutschland  ; in  : GPS, 401). 161 Gerhart von Schulze-Gaevernitz  : Max Weber als Nationalökonom und Politiker  ; in  : Hauptprobleme der Soziologie. Erinnerungsgabe für Max Weber  ; I. Band  ; hg. v. M. Palyi  ; München/Leipzig 1923. X–XXII  : XX. 162 Zu diesem Thema finden sich ausgehend von den Essays wie Maria Theresia, Die Österreichische Idee und Preusse und Österreicher seit 1916/17 vielfältige Bemerkungen Hofmannsthals. Abgedruckt in RA II, 443 ff.

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wie Carl Schmitt mit der Europäischen Revue163 in Verbindung stehend, als Krisenausweg propagierte, ist jedoch definitiv ein politischer Orientierungspunkt Hofmannsthals gewesen. Auf Alfred Weber, einen der »geistigen Väter« der Bundesrepublik Deutschland, gehen Begriffe wie »nichtegalitäre Demokratie« und »Führerdemokratie« zurück, die heute natürlich prekär wirken – Eberhard Demm hat in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass der Begriff »Führer« »in der Weimarer Republik noch nicht depraviert« war.164 Auch die anarchistische Bewegung um Gustav Landauer verwendet ihn in ihren verschiedenen Schriften immer wieder  ; die Gestalt des Sehend-Führenden ist zumal aus dem messianischen Expressionismus überhaupt nicht wegzudenken.165 Was Hofmannsthals späten Kontakt nach Heidelberg (vgl. hierzu 1.3) noch bemerkenswerter macht  : Dort war von Seiten Richard Thomas, Webers Kollegen, bereits 1925 heftig Front gemacht worden gegen die anti-demokratische Linie in Schmitts Schriften bzw. deren Gegenüberstellung des Weimarer Systems mit einem utopisch-identitären Demokratiemodell nach Rousseau.166 Wie ausgeführt haben Vertreter der neuesten Forschung Hofmannsthal als dramatischen Exekutor von Schmitts Souveränitätstheorie zuletzt auf die ›Anklagebank‹ gesetzt. Die Schmitt-Bezugnahme erscheint darum regelmäßig als problematisch, ein konzentrierter Abgleich mit dem Dramentext bringt jedoch auch ›entlastende‹ Befunde (vgl. v. a. 5.). Denn immer wieder 163 Daher wird im weiteren Verlauf punktuell auf Alfred Weber zurückzukommen sein  ; insbesondere auf A.W.: Die Krise des modernen Staatsgedankens in Europa  ; Stuttgart 1925  ; und Die Bedeutung der geistigen Führer in Deutschland (1918/1927)  ; in  : Alfred Weber Gesamtausgabe (AWG)  ; Bd. 7  : Politische Theorie und Tagespolitik (1903–1933)  ; hg. v. E. Demm  ; Marburg 1999. 347–368. 164 Eberhard Demm  : Einleitung  ; in  : AWG 7 op cit, 7–21  : 10. »Führer« und »Elite« seien hingegen in der Weimarer Republik geradezu »Modewörter« gewesen (ebd., 12). Übrigens taucht der Begriff auch schon in Wilhelm Meisters Wanderjahre in Odoards Hymnentext auf – vgl. Johann Wolfgang von Goethe  : Werke  ; Hamburger Ausgabe [HA] Bd. 8  : Romane und Novellen III  ; hg. v. E. Trunz  ; München 199413. 413. 165 Ihm korrespondiert allerdings das Selbst-Opfer  ; verwiesen sei hier nur auf Georg Kaisers Die Bürger von Calais (1914), Ludwig Rubiners Die Gewaltlosen (1918/19) und Ernst Tollers Die Wandlung (1919). Zur Geschichte solcher Figurationen vgl. Katja Malsch  : Literatur und Selbstopfer. Historisch-systematische Studien zu Gryphius, Lessing, Gotthelf, Storm, Kaiser und Schnitzler  ; Würzburg 2007. 166 Richard Thoma  : Zur Ideologie des Parlamentarismus  ; [1925] in  : K. Kluxen (Hg.)  : Parlamentarismus  ; Köln und Berlin 1967. 54–58. Zu Schmitts Umgang mit seiner ›Vorlage‹ vgl. Ulrich Thiele  : Advokative Volkssouveränität. Carl Schmitts Konstruktion einer ›demokratischen‹ Diktaturtheorie im Kontext der Interpretation politischer Theorien der Aufklärung  ; Berlin 2003.

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stoßen isolierende Lesarten auf die Aporie einer kenntnisreichen früheren Bearbeitung des Herrschaftsthemas in Hofmannsthals Werk – gerade im Zusammenhang mit seinem kulturpolitischen Vorhaben einer Erneuerung des Barock. Zuzustimmen ist daher Bergengruens Feststellung, »dass Hofmannsthals Auseinandersetzung [mit] Benjamin und Schmitt nicht etwa, wie oft behauptet wird, den Anfang« darstelle, »sondern vielmehr das Ende seiner Beschäftigung mit dem Thema der souveränen Gewalt im Turm-Projekt«.167 Hofmannsthal war weder der Herold eines dezisionistisch entfesselten Leviathans politischer Totalität, noch der erbittert aus der Zeit gefallene, gramversunkene Grübler, dem die zwanziger Jahre wie Mühlsteine auf die überreizten Nerven drückten.168 1.2.4 Zusammenfassung der Arbeitsschwerpunkte – und Korrektur »Druck des protestantischen unfreien Weltbilds. Die vielen Dinge, die man leisten muß.« (RA III, 164  ; Andenken Bodenhausens [1928])

Der Diskussion um den politischen Gehalt des Turm sind drei für die Interpretation des Dramas wesentliche Gesichtspunkte zu entnehmen bzw. hinzufügen. Erstens Hofmannsthals quasi unbekannte Beschäftigung mit den soziologischen Schriften Max Webers, welche der Schmitt-Lektüre in jedem Fall vorausgeht und damit ein verändertes Licht auf diese Bezugnahme wirft (und übrigens auch auf die Benjamins).169 Die Konsequenzen von Hofmannsthals ›soziologischem Interesse‹ gilt es anhand einer Lektüre der Szenerie mit Webers Modellen der traditionalen und charismatischen Herrschaft (vgl. 4.) sowie der rationa167 Maximilian Bergengruen  : »Woher so viel Gewalt  ?« Der psychopathologische Kern von Hofmannsthals politischer Theologie  ; in  : M.B.: Mystik der Nerven. Hugo von Hofmannsthals literarische Epistemologie des »Nicht-mehr-ich«. Zum Turm  : 133–198  : 133. 168 – als welcher er sich, zeitweise grenzdebil und magenkrank, durch Walter Kappachers Roman Der Fliegenpalast dahinschleppt (Salzburg 2009) – dessen eigentliche Pointe aber die Bekanntschaft mit einem Herrn Dr. Kracauer ist. Hofmannsthals liberale Züge betont etwa Fredrik Lindström  : Empire and Identity  : Biographies of the Austrian State Problem in the Late Habsburg Empire  ; Purdue University, 2008. 21. 169 Allein bei Ute Nicolaus findet sich eine Berücksichtigung des charismatischen Herrschaftsmodells (Nicolaus  : Souverän und Märtyrer  ; op cit, 68–70 und 221 f. Twellmann behandelt den Befehl bei Weber und die anti-autoritäre Auslegung des Charismas (vgl. Twellmann, Drama  ; op cit, 23, 83, 122) und bezieht Webers Begriff des »Legitimitätsglaubens« an einer Stelle recht aleatorisch in die Drameninterpretation ein (vgl. ebd., 90), jedoch ohne eine konkrete Bezugnahme anzunehmen oder philologisch aufzuarbeiten.

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len Herrschaftsform (vgl. 5.) nachzuvollziehen. Die dem voranstehenden Zitat anzumerkende Rezeption der Protestantischen Ethik und ihrer kulturkritischen Aspekte (insbesondere der Ableitung des Kapitalismus aus dem Calvinismus bzw. der Reformation) wird bereits gleich anschließend (vgl. 1.3 f.) und dann in 2. beschäftigen. Dass dieser (ohne konkretere Zeugnisse wie Lesespuren oder Exzerpte) sehr breite thematische Zugang über weitere Bezugsverhältnisse konkretisiert werden muss, ergibt sich aus der wie aufgezeigt noch sehr schmalen Faktenlage. Zweitens eine präzise Rekonstruktion des Einflusses von Walter Benjamin nicht nur auf die Umarbeitung des Turm, die bislang einzig von Ute Nicolaus in größerem Rahmen unternommen wurde. Benjamins Bedeutung wird bislang unterschätzt  : »Irreführend wäre die Annahme, Hofmannsthal habe sich Benjamins Theorie anzueignen gewußt, um ihr entsprechend sein Drama zu verfassen« lautet etwa eine Position der aktuellen Forschung.170 Die Bezugnahme erschöpft sich dementgegen auch keineswegs allein in der Übermittlung des Schmittschen Souveränitätsdenkens in Person des barocken Souveräns (der entscheidende Typus ist vielmehr die Figur des Intriganten, wie im fünften Kapitel zu zeigen sein wird). Lorenz Jägers methodisch überzeugender Ansatz der Parenthese171 wurde bislang 170 Nochmals gibt Twellmann hierfür das Beispiel (Twellmann, Drama  ; op cit, 25 f.: 32). Die Ausführungen zu Benjamins Trauerspielbuch sind dabei nicht zu beanstanden, Twellmann hat es am Ende seines Buches aber versäumt, diese zu Beginn geöffnete Klammer auch wieder zu schließen und damit Hofmannsthal mit jener zu Beginn bei Benjamin aufgelesenen »ausgangslosen Trauer« (ebd., 29) einer gescheiterten ›Schmitt-Seligkeit‹ überantwortet. Denn Hofmannsthal hat nach Ansicht Twellmanns von Benjamins Trauerspieltheorie nichts begriffen, davon zeugt ihm die »Verwerfung der langwierig [–  !] überarbeiteten, dabei aber so wenig gelungenen Bühnenfassung.« (ebd., 31)  ; die Korrespondenzen zwischen Benjamins Theorie des Trauerspiels als Idee und Hofmannsthals dramatischer Ausführung seien zufällig (ebd.). Twellmann drängt damit auf eine Entmischung der Bezüge, was dazu führt, dass Hofmannsthals Drama ganz der Perspektivierung mit Schmitts Souveränitätstheorie ausgeliefert wird. Diese aber mündet für Twellmann mit der Selbstverständlichkeit der nachgeborenen Generationen im Nazi-Terror. Das sind die »finsteren politischen Möglichkeiten«, die Hofmannsthals Kulturpolitik nicht ausgeschlossen habe (ebd., 230). Diese ›gespenstische‹ Entmischung kann aber schon deshalb nicht gelingen, weil die Schmittsche Souveränitätstheorie ja selbst ins Trauerspielbuch eingegangen ist – und zwar nicht nur für die Figur des Souveräns, sondern auch methodisch, wie noch zu zeigen bleibt (vgl. hierzu 5.1). Ob also der Schmitt-Bezug solitär  : ohne den Benjamins als vermittelndes Gegenüber überhaupt sinnvoll entwickelt werden kann, daran zu zweifeln bietet Twellmanns Studie in ihren Resultaten den besten Anlass. Dass sich Twellmann von Benjamins Poetik des Trauerspiels zudem selbst wenig angeeignet hat, zeigt die Behauptung, die Bühnenfassung breche »ergebnislos« ab (ebd., 44). 171 L. Jäger  : Hofmannsthal und »Der Ursprung des Deutschen Trauerspiels«  ; in  : Hofmannsthal-Blätter

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nicht mit einer vergleichbar intensiven Auseinandersetzung zum Turm fortgesetzt, Systematik und Relevanz sind für die Poetologie des Politischen großenteils erst noch herauszuarbeiten. Die Rekonstruktion der Bezugnahme am Dramentext hat zudem auch den in den Neuen Deutschen Beiträgen veröffentlichten Wahlverwandtschaften-Essay Benjamins einzubeziehen (vgl. 4.).172 Insbesondere aber ist der Aspekt der Verzeitlichung des kulturgeschichtlichen Gehalts und Hintergrundes der Figuren bislang unkommentiert geblieben. Denn nach Benjamin wandert im Trauerspiel die Geschichte in den »Schauplatz« ein173 – und in Hofmannsthals Bühnenfassung des Turm geschieht dies in zweifacher Weise  : Die fünf immer hektischeren und kürzeren Akte können stellvertretend für die Jahrhunderte vom 16. bis zum 20. verstanden werden, die ›Welt des Turms‹ modernisiert sich (wie es die Figur Anton im fünften Akt auch leidvoll empfindet), indem sie sich – wie übrigens auch die Welt des Zauberberg (1924)174 – zunehmend beschleunigt. Dies bedingt, dass auch der kulturelle Hintergrund der Figuren, die zuvor mit einer spezifisch politischen Valenz des 17. Jahrhunderts als Folien auf die Gegenwart der Stückentstehung fungierten, in Bewegung gerät – denn Hofmannsthal fasste ganze Genealogien in ihnen zusammen, die er 31/32 (1985). 83–106. »Die Beziehung von Benjamin und Hofmannsthal, […] eine der bedeutenden literarischen Konstellationen der zwanziger Jahre – läßt eine ausführliche Darstellung sowohl für die Hofmannsthal- wie für die Benjaminforschung als dringendes Desiderat erscheinen […]« (ebd., 103). 172 Hofmannsthal bezeichnete diesen Aufsatz in einem Brief an Florens Christian Rang (von dem er ihn zuvor erhielt) als »schlechthin unvergleichlich« (BW Rang, 440). 173 »Denn nicht die Antithese von Geschichte und Natur, sondern restlose Säkularisierung des Historischen im Schöpfungsstande hat in der Weltflucht des Barock das letzte Wort. Dem trostlosen Laufe der Weltchronik tritt nicht Ewigkeit, sondern die Restauration paradiesischer Zeitlosigkeit entgegen. Die Geschichte wandert in den Schauplatz hinein.« (Walter Benjamin  : Ursprung des deutschen Trauerspiels  ; GS I 1, 271). Dies geht deutlich über die zunächst nur im Szenario des messianischen Übergangs gestaltete Zeit im Drama hinaus. 174 Roman und Drama zeigen hierbei gegensätzliche Konsequenzen  : Während bei Mann die letzten beiden Kapitel aufgrund des anwachsenden Geschehens so lang geraten sind wie alle vorigen zusammen und das so lang konservierende ›Zeit-Vakuum‹ im Kurort am Schluss mit einem Schlag zusammenfällt, sind die Akte 4 und 5 in der Bühnenfassung von bemerkenswerter Knappheit und Prägnanz. Dennoch sind beide Ausprägungen jener »fließenden Zeit« als Form von Geschichtlichkeit, wie sie Lukács in der Theorie des Romans (vgl. Georg Lukács  : Die Theorie des Romans. Ein geschichtsphilosophischer Versuch über die Formen der großen Epik  ; München 1994 [1916]. 8 und 136) geltend gemacht hatte  : »So wird die Zeit zum Träger der hohen, epischen Poesie des Romans  : sie ist unerbittlich existent geworden, und niemand vermag der eindeutigen Richtung ihres Stromes nunmehr entgegenzuschwimmen, noch seinen unvorhergesehenen Lauf mit den Dämmen der Aprioritäten regeln.« (ebd., 110).

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in Konflikt- und Bündnis-Konstellationen zu tatsächlichen »Geschichtskörpern« (Alfred Weber) präzisiert.175 Von dieser Überlegung aus kann die Bedeutung etwa des Schmittschen Souveränitätsdenkens oder auch der Herrschaftssoziologie Max Webers für das überarbeitete Stück erst beurteilt werden. Der Einfluss Benjamins verläuft also (ähnlich wie der Simmels) auf ›methodischer‹ (bzw. poetologischer) Ebene  ; er wird für Hofmannsthals Neufassung gleich zweifach wirksam  : über die Figurentypologie des barocken Trauerspiels für die Konzeption des Dramenpersonals (der Souverän als Märtyrer oder Tyrann sowie der Intrigant)  ; darüber hinaus jedoch mit der kippfigur-artigen Beschreibung der Allegorien im Trauerspielbuch auch für den Ausgang des Stücks und die Präzisierung Sigismunds zum reinen Märtyrer. Damit sind zugleich die wesentlichen ›bezugspolitischen‹ Koordinaten bezeichnet, in denen die Perspektivierung des Turms erfolgt. Drittens. Zur Schmitt-Rezeption gibt es hier noch Wesentliches vorwegzunehmen. Dies bezieht sich auf die Lesespuren in Hofmannsthals eigenen Exemplaren von Die Diktatur und Politische Theologie und einige Übertragungen. Bei deren ›Autopsie‹ in der Handschriftenabteilung des deutschen Hochstifts fiel mir zunächst eine Korrektur der bei Schmitt zitierten Hobbes-Formel »Autoritas non veritas facit legem« auf – Hofmannsthal berichtigte in »auctoritas«.176 Die Berichtigung Schmitts ist vielleicht nur eine pedantische Marginalie – aber doch von mindestens symbolischem Wert (für Hofmannsthal keine Kleinigkeit). Auctoritas leitet sich von augere, ›tun‹ bzw. ›mehren‹ ab, macht den Autor also zugleich zum Auctor, zum tätigen Mehrer und weist so auf die bereichernde Handlungspraxis des alten, »wunder-thätigen« Königtums hin (das Urbild findet sich wohl 175 Darum lässt sich das, was Hofmannsthal über Molières Dramenpersonal sagte, auch auf sein eigenes Schaffen übertragen  : »Nicht in den Gestalten liegt […] das Eigentliche, sondern in den Relationen.« (RA III, 531  ; Aufzeichnungen). Präziser formuliert  : Durch ihre Relationen (statt Konflikt-/und Bündnis- könnte man auch bedingt Freund-/Feind-Konstellationen schreiben) erhalten die Figuren erst ihren sozialen Umriss und ihren kulturgeschichtlichen Gehalt. Den Malteser-Ritter im Andreas-Fragment etwa (seit 1911), in Notizen auch »Sacramozo«, »Sagredo« oder »der Chevalier« genannt, bezeichnete Hofmannsthal selbst als eine Kreuzung aus »Kessler George Pannwitz Stendhal Charlus« (Hugo von Hofmannsthal  : Roman  ; Bd. XXX der Sämtlichen Werke  ; hg. v. M. Pape  ; Frankfurt/Main 1982. 161). Dies gibt einen Eindruck von der Bedeutung, die der Konfiguration für Hofmannsthals Poetik der Gestalt zukam. 176 Carl Schmitt  : Politische Theologie  ; op cit, 32 (FDH 1935). Mit Schmitts Auslegung dieser Stelle bei Hobbes hat sich Dietrich Schotte befasst  : Auctoritas, non veritas, facit legem  ! Zur angeblichen Politischen Theologie in Thomas Hobbes’ Leviathan  ; in  : Deutsche Zeitschrift für Philosophie, Nr. 57 (2009). 709–724  : 716 f. vgl. hierzu auch Michael Günther  : Masse und Charisma. Soziale Ursachen des politischen und religiösen Fanatismus  ; Frankfurt/Main u. a. 2005. 106.

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im römischen Kaiser Augustus).177 Das »Tat-Denken« der zwanziger Jahre kann in diesem Zusammenhang als Nexus zwischen poetologischen und staatsrechtlichen Diskursen verstanden werden, strebte aber offenkundig – in wie übertragenem Sinn auch immer – die Position der alten Vorstellung an.178 Die Einschreibung in Schmitts Souveränitätsdiktat (welches dieser ja der Vertragstheorie im Leviathan entnahm) verweist auf eine analoge Rolle des Autors hinsichtlich einer gesellschaftlichen Diegese. Schwerer noch aber wiegt ein interessanter Übertragungsfehler bei der Niederschrift einer weiteren, höchst prägnanten Stelle aus der Politischen Theologie, nämlich der »Soziologie des Souveränitätsbegriffs« – in Hofmannsthals Transkription werden dort aus der »politischen Organisation« Schmitts »politische Organismen«.179 Diese Variation  – welche nun in der Neuausgabe der Aufzeichnungen im Rahmen der Kritischen Ausgabe allerdings zurückgenommen ist – würde, willentlich oder nicht, auf ein stark abweichendes, geradezu romantisches Verständnis von politischer Theologie hinweisen, nämlich auf ein traditional-körperhaftes. Dieses hatte Schmitt im Abstellen auf das reine Nichts der Entscheidung (als dem Ursprung der Souveränität) mitsamt dem augere-Prinzip zugunsten eines regelrechten Autismus der Macht verabschiedet (vgl. 3.2).180 177 Augustus rechtfertigte sein Prinzipat (die Machtvollkommenheit von potestas, dignitas und auctoritas) in einer eigenen Schrift (res gestae), die er überall in seinem Reich aufstellen ließ (auf Hermann Brochs hier angesiedelten Vergilroman wäre bei anderer Gelegenheit einzugehen). Zur Begriffsgeschichte vgl. Giorgio Agamben  : Ausnahmezustand. (homo sacer II.1)  ; Frankfurt/Main 2004. 95 f. und Heinrich Popitz, Phänomene der Macht  ; op cit, 104 f. 178 Zur Gestaltung bei Hofmannsthals vgl. schon Wolfgang Nehring  : Die Tat bei Hofmannsthal. Eine Untersuchung zu Hofmannsthals großen Dramen  ; Stuttgart 1966. 179 – so jedenfalls in der Fischer Taschenbuchausgabe von 1979 (RA III, 587). Der gerade erschienene Band der Kritischen Ausgabe zu den Aufzeichnungen macht daraus wieder »Organisation« (Hugo von Hofmannsthal  : Aufzeichnungen. Text. Sämtliche Werke Bd. XXXVIII  ; hg. v. R. Hirsch, E. Ritter in Zus. m. K. Heumann und P.M. Braunwarth  ; Frankfurt/Main 2013. 1001–1003). Man sollte das entsprechende Notat Hofmannsthals, das sich im Besitz der Handschriftenabteilung des Freien Deutschen Hochstifts befindet, vielleicht nochmals einer ›graphologischen‹ Analyse unterziehen, um zu entscheiden, wer Urheber des Übertragungsfehlers ist – denkbar wäre ein solcher ›freudscher Verschreiber‹ bzw. eine absichtliche Variierung bei Hofmannsthal durchaus. 180 An deren Stelle tritt die Diktatur des Hobbes’schen Souveränitätsautomaten. Es handelt sich im Übrigen keineswegs um ein Versehen Schmitts. Wo Schmitt Hobbes mit dieser Formel zitiert, fehlt das ›c‹. Man könnte daraus folgern, Schmitt habe mit Hobbes das Prinzip der Autorschaft auf den neuzeitlichen Souverän übertragen wollen. Benjamin scheint diese Lesart der Politischen Theologie als eine der literarischen Souveränität im Trauerspielbuch anzudeuten  : »Die radikale Konsequenz der Angleichung der theatralischen an die historische Szenerie wäre gewesen, daß

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Hofmannsthal hat es wieder eingefügt. Welche Konsequenzen dies für die Analyse der Herrschaftsdarstellung im Einzelnen hat – und für Hofmannsthals Poetologie –, bleibt noch zu klären. Dieser komplexen Thematik nähert sich die Untersuchung in mehreren Zwischenschritten (vgl. 2.1, 3.4, 4.1.2, 5.1.3), um die Ergebnisse der Beschäftigung mit weiteren Texten und Bezügen des Autors einzubeziehen. In jedem Fall signalisiert die Korrektur, dass Hofmannsthals Faszination an Schmitts Texten keine unreflektierte war. Von diesen Überlegungen ausgehend, ist die konservative Utopie des Schrifttums in seinem Spätwerk in den Blick zu nehmen, welche bereits als »Variante politischer Theologie« bezeichnet wurde181 – wie übrigens auch die Herrschaftssoziologie Max Webers  : »Das für Theologen und Nicht-Theologen auffälligste Beispiel neuester politischer Theologie [ist] Max Webers ›charismatische Legitimität‹ […].«182 Die schroffe Missachtung des Wahrheitsbegriffs im Hobbes-Zitat wird Hofmannsthal jedenfalls kaum behagt haben, da sich für ihn Autorität epistemisch generierte.

1.3 »Denn Wirklichkeit ist geistige Schöpfung« – das Problem der veritas »Wir sind ohne Zweifel auf dem mühsamen Wege, uns eine neue Wirklichkeit zu schaffen, und diese Schöpfung geht nur durch den vollkommenen Zweifel an der Realität, also durch den Traum hindurch.« (Hofmannsthal, 1923)183 für das Dichten selbst vor allen andern der Mandatar historischen Vollzuges selber wäre aufgerufen worden.« (GS I 1, 244  ; Trauerspiel). Tatsächlich lässt sich Schmitts Souveränitätstheorie als Punktspiegelung romantischer Autorschaftskonzepte deuten. 181 Daniela Gretz  : ›Fundamentalisierung des Ästhetischen – Ästhetisierung des Politischen. »Ästhetischer Absolutismus« als Variante politischer Theologie in Hugo von Hofmannsthals Schrifttumsrede‹  ; in  : J. Brokoff/J. Fohrmann (Hg.)  : Politische Theologie. Formen und Funktionen im 20. Jahrhundert  ; Paderborn 2003. 81–95. 182 Carl Schmitt  : Politische Theologie II. Die Legende von der Erledigung jeder Politischen Theologie  ; Berlin 1970. 62. Schmitt betont insbesondere deren akklamative Dimension. Weber hätte diese Zurüstung vermutlich empört zurückgewiesen. 183 RA II, 291  ; Wiener Brief III. Die Bedeutung des Traums – »Unser Volk hat ein schlaffes Gedächtnis und eine träumende Seele, trotz allem  ; was es besitzt, verliert es immer wieder, aber es ruft sich nachts zurück, was es am Tag verloren hat.« (RA I, 431  ; Deutsche Erzähler) – hat sich beim späten Hofmannsthal – möglicherweise aufgrund der ›anschwellenden‹ Romantik-Kritik – etwas relativiert, vielleicht begründet sich von hier auch der Wechsel zum Titel Der Turm. Im Sinne einer ›Kollektiv-Fiktion‹ (mit einem anderen Wort  : Mythos) aber bleibt der Begriff aktuell (vgl. z. B. Der Ersatz für die Träume [1921], RA II, 141 f.).

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»Denn die Welt um uns, die wir die Wirklichkeit zu nennen gewohnt sind, ist ein Kampf (und ein Ausgleich) von Mächten, die Fiktionen sind  ; ihnen aber eine neue Fiktion zu gesellen oder überzuordnen, ist die Befugnis der geistigen Potenz.« (Hofmannsthal, 1926)184

Schrieb Hofmannsthal im dritten Wiener Brief noch von »Zweifel« und »Traum«, so werden diese Begriffe drei Jahre später ersetzt durch jene von »Kampf« und »Fiktion«. Ungeachtet deren Adressierung (der Wiener Brief galt einem internationalen amerikanischen, die Rezension der Europäischen Revue einem konservativen deutsch-österreichischen Publikum) lässt dies auf eine gewisse Politisierung des Autors schließen. Das Medium jener neuen Wirklichkeit musste für Hofmannsthal aber die Sprache sein, und zwar die gehobene Sprache der »geistigen Potenz«, zu welcher jedenfalls die epistemisch bewehrten Dichter eher gehörten als ihre Zeitungsredakteure. Der ethische Anspruch Hofmannsthals hierbei sollte mittlerweile wohl eigens erwähnt werden185 – in der Krise allerdings, dem »erhöhtem Augenblick«, hielt er ein deutendes (aber nicht  : entscheidendes) Hervortreten für angezeigt. Hofmannsthal sah sich hierbei angesichts der allgemein empfundenen Kultur- und Wissenskrise vielleicht nicht zuerst in einer Konkurrenz mit den Wissenschaften – wenngleich er in der Rationalität ihrer begrifflichen Sprache eine Gefahr für das »Zauberische« erblickte – als in einer Phase gegenseitiger Ergänzung im gemeinsamen Gespräch, jedenfalls mit den Geisteswissenschaften.186 Christoph König hat darum mit Recht betont, dass Hofmannsthal »in der Tradition der Dichter, die die Wissenschaften mitbegründeten 184 RA III, 79  ; Europäische Revue. Zitat im Titel  : RA III, 14  : Vermächtnis der Antike. 185 Das Ethische an Hofmannsthals Kunst hat schon Hermann Broch betont – vgl. Hermann Broch  : Hofmannsthal und seine Zeit  ; in  : Ders.: Schriften zur Literatur 1. Kritik  ; Frankfurt/Main 1975. 111–284. Insbesondere 253 ff. Schon der 23-jährige Hofmannsthal habe seine Bestimmung klar erkannt  : »Seher zu sein, ohne Führer werden zu dürfen.« (ebd., 262). Den »SuperHeroismus« des Georgeschen Ästhetiszismus habe er nie geteilt (ebd., 263). 186 Selbst um die »neuromantische« Jahrhundertwende gab es bei Hofmannsthal im Vergleich etwa mit George keine selbstermächtigende Rangfolge  : »Die Wissenschaften. Hier spricht das dumpfe Gefühl, daß nichts über den Einzelnen hinausgeht – daher dürfen Märchen und exakte Forschungen nebeneinanderstehen.« (RA III, 466  ; Aufzeichnungen [1905]). Allerdings liegt in deren Gleichsetzung natürlich eine Aufwertung der Fiktion. Stärker noch findet sich diese Aufwertung der eigenen Handlungsmacht im Vortrag Der Dichter und diese Zeit (1906). Zu den ›symbiotischen Zügen‹ in Hofmannsthals Kreis vgl. König  : Dichter unter den Philologen  ; op cit  ; v. a. die Kapitel »Goethe in Hofmannsthals Kultur« und »Eine Wissenschaft für die Kunst«. 151– 268. Zur Konkurrenzsituation von Schriftstellern und Philologen vgl. Dieter Burdorf  : Poetik der Form. Eine Begriffs- und Problemgeschichte  ; Stuttgart/Weimar 2001. 430.

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und ernst nahmen«, stehe – »Nutzt er ihre Theorien und ihr Wissen, so stellt er naturgemäß Ansprüche nach Maßgabe seiner Poetologie.«187 Die Setzung einer neuen »Wirklichkeit« – die ein lesendes, deutendes Heraustreten aus der alten impliziert – war für Hofmannsthal demnach Sache einer noch unbestrittenen Autorität  ; so ist der etwas sonderbare Ausdruck »geistige Potenz« im sozialen Rahmen aufzufassen (tatsächlich bezieht sich die Stelle im Wiener Brief auf Max Reinhardt). Seine diversen akademischen Bekannten hatten in diesem Zusammenhang wohl doch eher die Funktion von Zulieferern.188 Umgekehrt sprach übrigens Carl Schmitt diesbezüglich recht abfällig von »jene[r] Art Soziologie, die man am besten der schönen Literatur anweist« – Hofmannsthal hat sich die Stelle in seinem Exemplar der Politischen Theologie angestrichen. Allerdings räumte auch Schmitt die Bedeutung von derartig – literarisch – initiierten »Bewußtseinslagen« für die »Struktur metaphysischer Begriffe« der »juristischen Gestaltung« ein – eben der umkämpften »Soziologie des Souveränitätsbegriffs«.189 Hier traf er sich dann mit Gustav Landauer, der die Soziologie ebenfalls nicht unter die »exakten Wissenschaften« zählte und beschied  : »Mit Analysen, Zerfaserungen und antithetischer Sprech- und Verstandesmethode kommt man den Wirklichkeiten des Lebens niemals bei.«190 Angesichts solcher Methodenkritik durfte sich Hofmannsthal in seinem (synthetischen) Ansinnen, »den Wirklichkeiten des Lebens« poetisch beizukommen, bestätigt fühlen. Ausgehend von der These, Hofmannsthal habe seine Gegenwart (die »Wirklichkeit«) als kontingent und damit auch im kulturkritischen Sinne als veränderlich erfahren, skizziert dieses Kapitel eine Mythopoetik des historischen und 187 König, Dichter unter den Philologen  ; op cit, 172  ; zu Hofmannsthal und Goethe vgl. 157  ; zu Nietzsche  : 112). Insbesondere Goethes Methoden einer »exakten Phantasie« und »zarten Empirie« sind für Hofmannsthals Idee einer »geistigen Souveränität« anzuführen. 188 Zu erinnern wäre hierbei auch an den Streit um den Rosenkavalier zwischen Hofmannsthal und Kessler. 189 Schmitt  : PT, 42. Er gibt damit zu, dass jeder scheinbaren Reproduktion im Vollzug eines vorwaltenden Imaginären faktisch eine Veränderung der Wirklichkeit gelingt (vgl. hierzu Iser, Das Fiktive  ; op cit, 20/21). Der »Akt des Fingierens […] bestimmt sich als die Grenzüberschreitung dessen, worauf er sich bezieht, wie auch dessen, was er zur Gestalt erweckt«. In diesem Sinne kommt der Literarisierung der Souveränität als Mythos doch eine gewisse Faktizität zu, welche Hofmannsthal in der schon zitierten Habilitationsschrift über Victor Hugo im Hinblick allerdings auf dessen direkte, rhetorische Wirkungsmacht vor der Menge sehr betont hat. 190 Landauer  : Die Revolution  ; op cit, 7/42. Für die Revolution gebe es daher faktisch keine »sozialpsychologische« Erklärung, bei seiner Darstellung geht Landauer daher geschichtsphilosophisch vor.

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soziologischen Wissens bei Hofmannsthal, welches er sich mit dem Vorhaben, seiner Zeit ein Bild leitenden Charakters zu entwerfen, verschaffte. Darin liegt auch eine Reaktion auf die spätestens ab 1900 virulent, nach 1918 existenziell gewordene Weltanschauungskrise der Geistes- und Gesellschaftswissenschaften191 – das große Stichwort von der »Entzauberung der Welt« auf welches das von der »Krisis der europäischen Kultur« (Pannwitz) folgte. Deren Auswirkung auf zeitgenössische Poetiken wird hier nur kurz (am Beispiel Walzels und Vosslers) und stichpunktartig (Lektüren Hofmannsthals aufnehmend) veranschaulicht  ; es finden sich aber bei Hofmannsthal selbst zahlreiche Äußerungen hierzu, die eine Janusköpfigkeit seiner Schreibweise zwischen Re- und Entmythisierung zeigen. Ziel dieser Heranführung ist es, die Bedingungen zu veranschaulichen, unter welchen die Weber-Rezeption (vgl. 1.5) einsetzt. »Und doch ist auch dem Mythos, so wahr er nicht ausschließlich im Kreis unbestimmter Vorstellungen und Affekte verharrt, sondern sich in objektiven Gestalten ausprägt, auch eine bestimmte Art der Gestaltgebung, eine Richtung der Objektivierung eigen, die – so wenig sie mit der logischen Form der ›Bestimmung zum Gegenstande‹ zusammenfällt – doch eine ganz bestimmte Weise der ›Synthesis des Mannigfaltigen‹, der Zusammenfassung und der wechselseitigen Zuordnung der sinnlichen Elemente in sich schließt.« (Ernst Cassirer  : Die Begriffsform im mythischen Denken  ; Leipzig 1922. 7)

Hofmannsthals Anspruch auf eine solche Synthesis von Macht im Fiktiven und Autorität im Sozialen prägt sich in der Idee einer »geistigen Souveränität« aus, die im Prinzip rationales und mythisches Denken in sich fasst und zur Erzeugung kollektiver Wirklichkeit nutzt (vgl. 1.4). Sie ist darum auch in ihrer Wirkungsabsicht zumindest latent immer auf das Bestehende gerichtet. 192 Gert Mattenklotts Hinweis, dass der Mythengebrauch »kritisch« werde, wo er das 191 Vgl. hierzu im Hinblick auf Nietzsche Michel Foucault  : Die Wahrheit und die juristischen Formen  ; Frankfurt/Main 2003, sowie den von Gerhart von Graevenitz herausgegebenen Band Konzepte der Moderne  ; Stuttgart 1999 und immer noch die Beiträge des sehr ergiebigen, von Karl Heinz Bohrer herausgegebenen Bandes  : Mythos und Moderne. Begriff und Bild einer Rekonstruktion  ; Frankfurt/Main 1982. 192 RA III, 599  ; Ad me ipsum. Dass die »mythologische Renaissance« aber keine exklusive Arena der radikalen Rechten gewesen ist, hat schon Rolf Kauffeldt am Beispiel des pazifistischen Anarchisten Gustav Landauer geltend gemacht  ; R. Kauffeldt  : Die Idee eines ›Neuen Bundes‹ (Gustav Landauer)  ; in  : M. Frank (Hg.)  : Gott im Exil. Vorlesungen über neue Mythologie II  ; Frankfurt/Main 1988. 131–179. Müßig beinahe, aber nachzureichen ist der Verweis auf Blumenbergs so wichtige Studie vorher zitierten Titels Arbeit am Mythos  ; Frankfurt/Main 1978.

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verbindliche gesellschaftliche »Als-ob« auflöse und durch die Konstrukte des Glaubens ersetze, hat darum auch schon bei der Beurteilung eines ›Formdenkens‹ berücksichtigt zu werden, das jedenfalls die strikte Trennung der Aufklärung zwischen Mythos und Logos synthetisch aufzuheben strebte.193 Wenn also »Mythen (und religiöse Weltbilder)«, wie Manfred Frank gesagt hat, dazu dienen, »den Bestand und die Verfassung einer Gesellschaft aus einem obersten Wert zu beglaubigen«, dann ist Hofmannsthals ›Arbeit an der Wirklichkeit‹ mit der Frage nach ihrem obersten Wert zu begegnen - auch und gerade, wo sie auf epistemischer Grund- oder besser  : Vorlage verfährt.194 Mit Anspruch und Arbeitsweise des Autors wird zugleich der Bezugsraum des Turm in seinen wissenssoziologischen, staatsrechtlichen und geschichtsphilosophischen Anleihen beleuchtet (vgl. 1.4). Diese dienen dem Versuch einer poetischen Faktur »neuer Wirklichkeit« mit dem Ziel der Stiftung eines Weltbilds. Im August 1914 hatte Harry Graf Kessler Hofmannsthal geschrieben  : »Das ganze Volk ist wie umgewandelt und in eine neue Form gegossen.«195 – deren Einheitlichkeit über die Kriegsjahre jedoch verloren ging. Angesichts ihres völligen Zerfalls 1918 richtete sich Hofmannsthals Bestreben darauf, die Möglichkeiten neuer kollektiver Form wenigstens zu erahnen und zu gestalten, wenn schon nicht zu antizipieren. Dass er in den Monaten des Zusammenbruchs so glänzend auf Pannwitz’ Autorität hereingefallen ist (dem erhofften geistigen Führer aus der »Schwindelepoche«) ist psychologisch leicht nachzuvollziehen und im Übrigen symptomatisch v. a. für die gehobenen Schichten der zerfallenden Kaiserreiche.196 Im Regelfall hat er sich jedoch auf sich selbst verlassen – 193 Gert Mattenklott  : Der mythische Leib  : Physiognomisches Denken bei Nietzsche, Simmel und Kassner  ; In  : K.H. Bohrer (Hg.)  : Mythos und Moderne  ; op cit, 138–156  : 139, 153. Interessant zum Vergleich ist in diesem Zusammenhang auch Manfred Franks Beitrag zu Musil im selben Band  : Auf der Suche nach einem Grund. Über den Umschlag von Erkenntniskritik in Mythologie bei Musil  ; in  : ebd. 318–362. 194 »Man könnte das die kommunikative Funktion des Mythos nennen, weil sie auf das Verständigtsein der Gesellschaftsteilnehmer untereinander und auf die Einträchtigkeit (oder doch  : Vereinbarkeit) ihrer Wertüberzeugungen abzielt.« Manfred Frank  : Der kommende Gott. Vorlesungen über die Neue Mythologie  ; Frankfurt/Main 1982. 11. Was Frank zum Verständnis des Mythos als direktivem gesellschaftlichen Kommunikationsmittel in der Romantik ausführt, bleibt für das frühe 20. Jahrhundert relevant, wie die Diskussion um das Weltbild belegt. 195 Hugo von Hofmannsthal – Harry Graf Kessler  : Briefwechsel 1898–1929  ; hg. v. H. Burger  ; Frankfurt/Main,1968. 384. [17. VIII. 1914]. 196 – wenngleich sich Sommerhage alle Mühe gibt, daraus die Neurose eines pathologischen Charakters zu machen  : In einem Punkt hat er jedenfalls Recht  : Gerade Pannwitz steht – im Geiste Nietzsches – in vorderster Front gegen das, was er als seinen Gegner benannt hatte – den aufklä-

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das heißt  : auf seine Lektüren  ; sein weit überdurchschnittliches Lesepensum ist hierfür ein allerdings doppelsinniger Beleg. Den prekären Status des Wissens reflektiert schon König Ödipus  : »Nun denn, du großer König / einst schon Erlöser dieser Kadmos-Stadt, / gewaltig Haupt du, ragend, Ödipus, / hoch über allen – hilf doch unser Not, / erfind’ ein Etwas, dring mit deinem Denken / ins Dunkle, find’ uns eine Abwehr, du  !« (Hofmannsthal, König Ödipus  : Priester)

Das Primat des priesterlichen Apells zielt hier offenkundig nicht auf die (besser nicht zu ergründende) Wahrheit, sondern auf die Autorität des Königs, die eben hierdurch in Frage steht. Eine Scheidung von Autorität und Wahrheit ist in diesem Szenario einer Negativbindung jedoch unmöglich. Denn indem er die Wahrheit rational zu ergründen verspricht, setzt Ödipus seine Autorität auf ’s Spiel. Dieser aufklärungskritische Gehalt des Stoffs war seit Nietzsches Kritik an der antiken Vorlage ein Gemeinplatz. Hofmannsthal indes betrieb seine Vorhaben selbst »mit dem tiefsten, entscheidenden Ernst  : als eine wahre Geisteswissenschaft und religios [sic] d. h. von dem Glauben beseelt, daß Wahrheit sei […]«, wie er es 1924 Florens Christian Rang attestierte.197 An dieser Formulierung, die an C.G. Jungs Säkularisierung des theologischen Symbols zur modern-religiösen Glaubenshaltung und primären Erkenntnisweise erinnert,198 wird deutlich, dass Hofmannsthals Bemühen um rationale Wissensformen im Zeichen einer immanenten Transzendenz-Vorstellung stand  ; denn eine geglaubte Wahrheit scheint des Bedarfs an rationaler Begründung enthoben. In der dichterischen translatio führte dies zur Herausbildung quasi mythisierter Episteme, gerichtet auf ein »numinose[s] Nu«199 des Sozialen im schöpferischen Geist. Diese Transzendenzrerischen Geist des 18. Jahrhunderts (vgl. Sommerhage, Romantische Aporien  ; op cit, 291 f.). Die Darstellung von Pannwitz’ Pose als geistiger Imperator ist treffend. 197 BW Rang, 443 [26. I. 1924]. 198 In Hofmannsthals Exemplar der Wandlungen und Symbole der Libido. Beiträge zur Entwicklungsgeschichte des Denkens  ; Wien 1912 (= FDH 1538) finden sich Anstreichungen, die den Ersatz des Glaubens durch das (symbolisch vermittelte) Verstehen betreffen (ebd., 225/226). Zur Kritik an Jungs Archetypik des Symbols vgl. Jacob Taubes  : Surrealismus und Gnosis  ; in  : Poetik und Hermeneutik II  ; hg. v. W. Iser  ; München 1966. 432. 199 König, Philologe, op cit, 70. König erwähnt drei Arten von Rationalität bei Hofmannsthal  : Selbstdeutung, Poetologie und Syntax (vgl. ebd. 69). Diesen ist mit aller Vorsicht eine vierte hinzuzufügen, die man ›Weltdeutung‹ nennen könnte – Vorsicht deshalb, weil Hofmannsthal in seinem Streben nach soziologischem Schlüsselwissen rational vorging (›Politiken des Lesens‹),

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Vorstellung fand eine Fortsetzung im »Symbol des Führers« und »geistigen Repräsentanten« (als welchen Hofmannsthal allerdings Hölderlin ausrief ).200 1.3.1 Der verlorene Glaube an die rationale Erfassbarkeit der Welt »Um die wirklichen Kausalzusammenhänge zu durchschauen, konstruieren wir unwirkliche. Daß es sich um Abstraktionen handelt, wird besonders häufig in einer ganz spezifischen Art und Weise verkannt […]« (Max Weber, WL, 287) 201 »Das Symbol, vom Standpunkt des real Wahren aus betrachtet, ist zwar täuschend, aber es ist psychologisch wahr, denn es war und ist die Brücke zu allen größten Errungenschaften der Menschheit.« (C.G. Jung  ; Anstrich Hofmannsthals) 202

Das von Hofmannsthal in seinem Exemplar angestrichene Zitat Jungs gibt die Richtung der folgenden Ausführungen zum Verhältnis von Philologie und Poesie in Hofmannsthals Umfeld vor. Jungs Vorstellung eines »real Wahren«, welchem der symbolische Schein mit seinen kulturgeschichtlichen Initiationen vorgeordnet wird, wiederholt im Prinzip die zuvor zitierte Denkbewegung Webers, kommt aber zu dem entgegengesetzten Schluss, nämlich dass diese Verkennung psychologisch notwendig sei. Eine solche Philosophie des »Als-ob« (Hans

mit dem so erworbenen Deutungspotential selbst aber in einen Raum des Irrationalen zielte, bzw. diesen überhaupt eröffnete. 200 RA II, 488  ; Wiener Brief IV [1923]  ; RA II, 478  : Geistiger Zustand Europas [1922]. In dem hier angezeigten Defizit bestehen augenfällige Parallelen auch zu Alfred Weber, der 1918 den weithin bekannten Vortrag Die Bedeutung der geistigen Führer in Deutschland hielt (in  : AWG Bd. 7. 347–367). Auf diesen Beitrag, in dem es u. a. um die Formung des Schicksals durch den Geist geht, wird an geeigneter Stelle zurückzukommen sein. 201 Max Weber  : Kritische Studien auf dem Gebiet der kulturwissenschaftlichen Logik  ; in  : Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre [WL]  ; hg. v. J. Winckelmann  ; Tübingen 19856 [1924]. 202 Carl Gustav Jung  :Wandlungen und Symbole der Libido, op cit, 224. (FDH 1538). Auf derselben Seite zudem angestrichen  : Der religiöse Mythus tritt uns aber hier als eine der größten und bedeutsamsten menschlichen Institutionen entgegen, welche mit täuschenden Symbolen dem Menschen doch die Sicherheit und Kraft geben, vom Ungeheuern des Weltganzen nicht erdrückt zu werden.« (ebd., 224) Infolge der Säkularisierung des religiösen Symbols trete dann das »Erkennen« anstelle des »Glaubens«. Hofmannsthal notierte sich in diesem Buch zudem  : »Zu Der Deutsche u. die Form. Symbole u ihre functionelle Bedeutung. Insbes. ab Seite 217« (ebd., 422). Das hier eine Relevanz für eine Betrachtung von psychologischen und theologischen Subjektkonstitutionen bei Hofmannsthal vorliegt, ist offensichtlich.

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Vaihinger)203 war also nach Nietzsches Spott über die »letzten Menschen« und deren »Erfindung« des Glücks unter selbst gezimmerten Himmeln durchaus konsensfähig in den verschiedenen ›Lagern‹ der wissenschaftlichen Weltanschauung.204 Das 19. Jahrhundert mit seinem ungehemmten Fortschrittsprozess und den »eiskalten Skeletthänden rationaler Ordnungen«, welche schließlich zu jenen schon erwähnten Repräsentationskrisen und Aporien innerhalb des Systems des wissenschaftlichen Positivismus um 1900 führten, wollte man hinter sich lassen.205 Daraus resultierte eben jene »Selbstanzeige des Fingierens«,206 die zu einer umfassenden Denunzierung der umgebenden Wirklichkeit als einer konstruierten führte – deren Erforschung mittels rationaler Methoden folglich als tautologisch wahrgenommen werden musste und somit den vorhandenen Bestand an Wissen als Repräsentation von Wirklichkeit in Frage stellte bzw. kontingent erscheinen ließ. Max Weber stellte entsprechend deren Abhängigkeit von divergierenden Glaubensordnungen fest  : »›Irrational‹ ist etwas stets nicht an sich, sondern von einem bestimmten ›rationalen‹ Gesichtspunkte aus. Für den Irreligiösen ist jede religiöse, für den Hedoniker jede asketische Lebensführung ›irrational‹, mag sie auch, an ihrem letzten Wert gemessen, eine ›Rationalisierung‹ sein. Wenn zu irgend etwas, so möchte dieser Aufsatz dazu beitragen, den nur scheinbar eindeutigen Begriff des ›Rationalen‹ in seiner Vielseitigkeit aufzudecken.« (RS I, 35)207

203 Hans Vaihinger  : Die Philosophie des Als Ob. System der theoretischen, praktischen und religiösen Fiktionen der Menschheit auf Grund eines idealistischen Positivismus  ; Leipzig 19228. 204 Zum »Formzwang des Als-ob« vgl. Wolfgang Iser  : Das Fiktive und das Imaginäre  ; op cit, 226 ff.: 397. Zu Nietzsches Nihilismus als Grundlage seines Genie-Glaubens vgl. Jochen Schmidt  : Genie-Gedanken II  ; op cit, 132 ff. 205 Zitat zuvor  : RS I, 56. – und zwar auch mittels mythischen Denkens. Vgl. zu diesem Themengebiet Hans Blumenberg  : Säkularisierung und Selbstbehauptung  ; op cit, 161 f. und Cornelia Klingers Studie  : Flucht, Trost, Revolte. Die Moderne und ihre ästhetischen Gegenwelten  ; München 1995. 206 Iser, Das Fiktive  ; op cit, 397. 207 Politik wäre demnach ein Kampf um die Definition von Rationalität  ; offensichtlich wird, dass diese auf einen speziellen »letzten Wert« bezogen ist  ; folglich könnte man schließen  : Jede Legitimitätsform schafft ihr eigenes Rationalitätssystem. Die Metaphysik des Weltbildes würde hier mit dem Vernunftbegriff koinzidieren. (›Sage mir, was Dir als rationales Verhalten erscheint, und ich erkläre Dir die Metaphysik Deines Weltbildes.‹). Kritik am Rationalismus ist damit zugleich immer Systemkritik, da jede Herrschaftsform ihren spezifischen Rationalismus ausprägt (vgl. WuG, 48).

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Er selbst reagierte darauf, indem er nach dem Ursprung und der Wirkung solcher Rationalitätsregime fragte. Die Wendung des ›Geistes‹ zur wahren Verbindung mit dem Lebendigen, zur »ursprünglichen, vordifferenziellen Einheit« (Simmel) ist hingegen eine Konsequenz, welche die protestierende Bewegung der Romantik, das Ausgreifen hinter die Ränder der aufklärerisch verfassten Vernunft, 208 wenn nicht wissenschaftlich wiederholt, so doch beglaubigt  : »Das schöpferische Genie besitzt jene ursprüngliche Einheit des Subjektiven und des Objektiven […].«209 Dieser Haltung Simmels ist auch der Herausgeber der Mystischen Schriften Meister Eckharts (1903), Gustav Landauer zuzurechnen, der längere Zeit die ›ozeanischen Ambitionen‹ des »Friedrichshagener Dichterkreises« geteilt und mitbestimmt hatte. Ihre entschiedenste Ausprägung fand die lebensphilosophische Bewegung im Münchener »Kosmiker«-Kreis um Ludwig Klages  ; Otto Gross wäre in diesem Zusammenhang ebenso zu erwähnen. Gewisse Akzeptanz erhielten deren Positionen sogar von (ehedem) neukantianischer Seite – Ernst Cassirer war es, der 1921 die symbolische Form des Mythos als eine dem wissenschaftlichen Begriff eben vorgreifende Denkhaltung sozusagen hörsaaltauglich machte (›salonfähig‹ war er längst), nachdem Nietzsche ihn schon in der Geburt der Tragödie (1872) als »zusammengezogene[s] Weltbild« und »Abbreviatur der Erscheinung«210 bezeichnet hatte  : »Als Erkenntnisform ist ihm, wie jeder anderen Erkenntnis, der Zug zur Einheit wesentlich.«211 Insofern könnte man schlie208 Auf deren bekannte ›Einmündung in den stillen Ozean‹ der katholischen Kirche sei hier nur deshalb eigens verwiesen, weil sich auch um 1900 neukatholische Bestrebungen vereinen, die Krise des aufgeklärten Weltbildes für eine Retheologisierung zu nutzen. Ein Beispiel ist Hofmannsthals Jugendfreund Leopold von Andrian, in dessen kurzer Ägide als letzter k. u. k.-Intendant des Burgtheaters auch der Plan eines Zyklus von Calderón-Adaptionen reifte. Hofmannsthal hatte hierbei v. a. an Das Leben ein Traum gedacht, aber auch die Entstehung von Dame Kobold (1918) geht darauf zurück. 209 Georg Simmel  : Der Begriff der Tragödie der Kultur  ; in  : Ders. Philosophische Kultur. Gesammelte Essais  ; Leipzig 1919. 223–253  : 235. Vgl. hierzu Hofmannsthals Notat »Das Genie bringt Übereinstimmung hervor zwischen der Welt, in der es lebt, und der Welt, die in ihm lebt.« (RA III, 297  ; Buch der Freunde). Erstaunlicherweise fehlt Simmel in Jochen Schmidts Geschichte des Geniegedankens (op cit), die damit den vielleicht wesentlichen Vermittlungsschritt der klassischen Moderne zwischen Nietzsche und Hofmannsthal/Borchardt/Jünger (so die Zusammenstellung Schmidts) auslässt. Das hat dann – wie schon bemerkt recht unnachsichtig – Uwe Hebekus in der Ästhetischen Ermächtigung (2009, op cit) nachgeholt. 210 Friedrich Nietzsche  : Die Geburt der Tragödie. Unzeitgemäße Betrachtungen  ; Kritische Studienausgabe Bd. I  ; hg. v. Colli/Montinari  ; Berlin, New York 19882. 145. 211 Ernst Cassirer  : Das mythische Denken  ; op cit, 56. Allerdings fallen diese Publikationen bereits in die Phase der Abnabelung Cassirers vom Neu-Kantianismus (Cohen, Natorp). Zu Benjamins

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ßen  : die bevorzugte symbolische Form in der zerklüfteten Welt der Moderne ist der Mythos. Hier wird die Fluchtlinie jener Interpretation erkennbar, welche schließlich in der Dialektik der Aufklärung (1947) zu der Feststellung führte, die Aufklärung sei im Glauben an die allselig machende Kraft der Rationalität selbst dem Mythos verfallen. Die Konsequenzen im Vorhof dieser kritischen Erkenntnis, die zugleich eine Erkenntniskritik birgt, waren verheerend.212 Hofmannsthal und zahlreiche seiner Gesprächspartner weisen zu dieser Kritik durchaus eine – allerdings unterschiedlich motivierte – Affinität auf.213 Offenherzige Ablehnung der Vorstellung einer rationalen Durchdringung und (ökonomischen) Planbarkeit der Verhältnisse spricht etwa aus den Worten Rangs  : »Sie sehen, daß ich im Innersten mit Ihnen gehe, und glaube, daß Sie zu den guten Geistern unsres Volks erkürt sind, die ihm seine Treppe des Aufstiegs bauen – der wahrlich anders aussieht, als die ›Volkswirte‹ ihn träumen, ach  ! Nicht träumen, sondern ihn mit ihren dürren Fingern möchten schnitzeln.«214 Skepsis gegenüber Cassirers Perforation wissenschaftlicher Begriffsrationalität vgl. GB III, 106 ([28. XII. 1925] an Hofmannsthal). Besprochen wurde zwischen den beiden ein anderer Aufsatz Cassirers, der ebenfalls den Wert des Mythos als vor-logischer Form betont, Ernst Cassirers Die Begriffsform im mythischen Denken  ; op cit (1922). 212 Es kommt hier darauf an, welche Seite das Übergewicht bekommt – und das war im frühen 20. Jahrhundert eindeutig die Kritik rationaler Erkenntnisformen. Max Horkheimer/Theodor W. Adorno  : Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente  ; Amsterdam 1968. 213 Vgl. zu dieser Haltung auch Bohrer  : »Die seit Nietzsche offenbar gewordene Verdächtigung des Wahrheitsbegriffs, wie ihn die tradierte systematische Philosophie und erkenntnistheoretische Forschung vortrugen, blieb nicht nur Erfindern und Repräsentanten des ›weltanschaulichen‹ Denkens vorbehalten, sondern hat sich auch verantwortlich denkenden Geistern wie Max Weber und Ernst Troeltsch mitgeteilt. Beide haben die Möglichkeit einer dezisionistischen Alternative ernst genommen, ohne daß sie selbst Vollstrecker eines dezisionistischen Stils geworden wären. […] Man wird das Problem der Vernunftkrise zurückhaltend beurteilen müssen und diese nicht mehr so mechanistisch wie tautologisch als Ergebnis einer Verschwörung des geistesgeschichtlich und politisch dingfest zu machenden ›Irrationalismus‹ bannen. […] In der Radikalität nämlich, mit der die künstlerische Phantasie konservativer und dezisionistischer Autoren einem absoluten Ideologieverdacht ausgeliefert werden und wurden [sic.], scheint sich selbst jene Verweltanschaulichung zu wiederholen, die für das Denken der präfaschistischen Epoche so bezeichnend ist.« (Karl Heinz Bohrer  : Die Ästhetik des Schreckens. Die pessimistische Romantik und Ernst Jüngers Frühwerk  ; München 1978. 18/19). 214 BW Rang, 411 (11. VII. 1921). Unausgesprochen blieb, gegen wen sich diese den Geist exponierende Invektive genau richtete. Die »dürren Finger« lassen natürlich an die zitierten Knochenhände denken – oder auch an den im »Präludium« wiedergegebenen Bericht einer Wiener Zeitung.

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An Beispielen der zeitgenössischen Philologie sollen die formästhetischen Implikationen dieses anderen Weges beleuchtet werden, der sich als Rettungsversuch vor der Profanierung des rationalen Denkens lesen lässt. 1.3.2 Das Wunder der Dichtung – die »innere Form« bei Walzel und Vossler »Die zunehmende Intellektualisierung und Rationalisierung bedeutet also nicht eine zunehmende allgemeine Kenntnis der Lebensbedingungen, unter denen man steht. Sondern sie bedeutet etwas anderes  : das Wissen davon oder den Glauben daran  : daß man, wenn man nur wollte, es jederzeit erfahren könnte, daß es also prinzipiell keine geheimnisvollen unberechenbaren Mächte gebe, die da hineinspielen, daß man vielmehr alle Dinge – im Prinzip – durch Berechnen beherrschen könne. Das aber bedeutet  : die Entzauberung der Welt.« (Max Weber  : Wissenschaft als Beruf [1917]  ; WL, 594)

So lautet die vielleicht wirkmächtigste Formel der modernen Kulturkritik, welche der Säkularisierung die als Wesenskernbestände aufgefassten Domänen zu entziehen trachtete. Sie findet sich schon in der Protestantischen Ethik (1904/05), das geflügelte Wort von der Entzauberung machte fortan die Runde.215 Aus der Textstelle wird nicht ersichtlich, was man bei breiterer Kenntnis des Weberschen Werkes anzunehmen hat  : Dass hier ein Prozess an Zuschreibungen wirksam wurde, welcher der ursprünglich wohl neutralen Intention des Verfassers diametral entgegenstrebte.216 Die kulturkritische Opposition zu dem von Weber angezeigten Vorgang war gewaltig, wirkmächtig und vielgestaltig in ihren Remythisierungsversuchen, die auf Rettung vor allem legitimierender Bestände des Irrationalen drängte.217 Nicht nur den George-Kreis, die Münchener Kosmiker 215 Vgl. hierzu Norbert Bolz  : Auszug aus der entzauberten Welt. Philosophischer Extremismus zwischen den Weltkriegen  ; Paderborn 1989. Zu den Diskursen der Wiederverzauberung und ihren okkulten Praktiken vgl. Robert Stockhammer  : Zaubertexte der Moderne. Die Wiederkehr der Magie und die Literatur 1880–1945  ; Berlin 2000. Zu deren Vorlauf um die Jahrhundertwende  : Monika Fick  : Sinnenwelt und Weltseele. Der psychophysische Monismus in der Literatur der Jahrhundertwende  ; Tübingen 1993. 216 Vgl. aber Tim Lörke  : Politische Religion und aufgeklärter Mythos. Der Nationalsozialismus und das Gegenprogramm Hermann Brochs und Thomas Manns  ; in  : H.J. Schmidt/P. Tallafuss (Hg.)  : Totalitarismus und Literatur. Deutsche Literatur im 20. Jahrhundert – Literarische Öffentlichkeit im Spannungsfeld totalitärer Meinungsbildung  ; Göttingen 2007. 119–134  : 120/121. Weber teile Nietzsches Nihilismus gegenüber einer Wissenschaft, welche den Mythos abtöte. 217 Die von Borchardt besorgte Eranos-Festschrift zu Hofmannsthals 50. Geburtstag ist voller Beispiele dafür. Zunächst natürlich Borchardts einleitender Brief selbst, dessen narzisstische und vereinnahmende Selbstschau hinterher für erhebliche Misstöne sorgte  ; er strotzt von Zurück-

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oder Rudolf Borchardt, auch zahlreiche Autoren wissenschaftlichen Ranges und Anspruchs wie Georg Simmel,218 C.G. Jung und wohl die Mehrzahl der Germanisten dieser Epoche kann man den Lehrlingen einer – ästhetisch gewandeten, politisch verstandenen – Wiederverzauberung zurechnen.219 Entsprechend hat Dieter Burdorf in seiner Studie Poetik der Form (2001) auf eine zunehmende Konkurrenzsituation hingewiesen, in welcher Schriftsteller und Philologen sich ab der Jahrhundertwende wiederfanden. Die Abwendung von Naturalismus, Positivismus und also dem Fortschrittsglauben des 19. Jahrhunderts ist dabei ein verbindender Strang.220 Neue Wege seien seitens der (philologischen) Forschung nur vereinzelt beschritten worden  ; diese zielten auf eine synthetische Vernetzung (insbesondere) der (geisteswissenschaftlichen) Disziplinen. Burdorf zählt Oskar Walzel und Karl Vossler zu geisteswissenschaftlichen Nachfolgern Diltheys und Jacob Burckhardts, die, bemüht, »die Grenzen ihrer universitären Disziplinen zu sprengen, die Nähe zur aktuellen Kunst und Literatur zu gewinnen und in die breitere Öffentlichkeit hineinzuwirken suchten«.221 Walzel wird sogar ausdrücklich gegen Walter Benjamins vernichtende Kritik von 1926 verteidigt.222 Thesen beider Autoren kommen aus unterschiedlichen Grünweisungen des naturwissenschaftlichen, also rationalen Geistes als Kulturvernichter, dessen zersetzenden Einfluss nun die Dichter auszubügeln hätten. Als Beispiel mag hier aber ein Satz aus Kurt Riezlers Krise des Geistes stehen  : »Die Naturwissenschaft hat zuerst die Erde, dann die Sonne des Anspruchs beraubt, Mitte einer Welt zu sein  ; sie hat das Firmament aus der Einheit eines Kosmos in eine Unermesslichkeit ringender Systeme verwandelt […]«  ; Kurt Riezler  ; Krise des Geistes  ; in  : R. Borchardt (Hg.)  : Eranos. Hugo von Hofmannsthal zum 1. Februar 1924  ; München 1924. 105–108  : 105. 218 So spricht Simmel etwa in Der Begriff der Tragödie der Kultur von der »entseelten Objektivität«, welche infolge der neuzeitlichen Arbeitsteilung den »Kulturinhalt subjektlos« mache. »Die Formlosigkeit des objektivierten Geistes als Ganzheit gestattet ihm ein Entwicklungstempo, hinter dem das des subjektiven Geistes in einem rapid wachsenden Abstand zurückbleiben muß.« Simmel  : Tragödie der Kultur  ; op cit, 252. 219 Zur Tradition dieser Aufklärungskritik und Remythisierungswelle vgl. Manfred Frank  : Der kommende Gott (op cit). 220 Auch Carl Schmitt findet sich zu Beginn der zwanziger Jahre in dieser latent romantischen Phalanx  : »Die wahre Form soll vielmehr aus den immanenten Gesetzen des Stoffes abgelesen werden. Immer wird davor gewarnt, den der rechtlichen Rationalisierung entzogenen Bestand von Irrationalitäten zu vergewaltigen.« (PT, 28  : Kaufmann). Es gibt etliche weitere Stellen in der Politischen Theologie, an denen Schmitt lobend und zustimmend auf Erich Kaufmann zu sprechen kommt (vgl. PT, 26 ff. und 37). 221 Dieter Burdorf  : Poetik der Form. Eine Begriffs- und Problemgeschichte  ; Stuttgart/Weimar 2001. 430. 222 Die von Oskar Walzel »vorgelegten Arbeiten zum literaturwissenschaftlichen Formbegriff [er-

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den für den Abgleich im Rahmen der Skizzierung einer Poetik des sozialen Wissens bei Hofmannsthal in Frage. Beide hat Hofmannsthal, in unterschiedlichem Maße, auch persönlich gekannt.223 Für Walzel, den früheren Hauslehrer Leopold von Andrians, lassen sich einige Anhaltspunkte anführen, die eine Beschäftigung Hofmannsthals mit seinen Texten durchaus möglich erscheinen lassen (– zumal Walzel offenbar Schmitts frühe Schriften kannte).224 Ohne hier zu sehr ins Detail gehen zu können, sei v. a. auf den Berliner Vortrag Die wechselseitige Erhellung der Künste (1917) verwiesen (den Hofmannsthal übrigens gehört haben könnte, da er im Januar 1917 ebenfalls in Berlin war).225 Dieser Vortrag nimmt sich insbesondere für das Vorhaben einer Erneuerung der (theatralischen) Kunstform des Barock ergiebig aus. Walzel entwirft eine »Architektonik der Poesie« mit Hilfe aus der Kunstphilosophie entlehnter Begriffe (Heinrich Wölfflins) und spricht hier bereits von offenen und geschlossenen Formen in »Dichtwerken«  ;226 die offene Form identifiziert er reichen] einen bis heute nicht übertroffenen Standard methodologischer Reflexion und problemgeschichtlicher Erschließung« (Burdorf, Poetik der Form, 418/419). Allerdings macht Burdorf für den späten Walzel (Lebensdaten 1864–1944) eine Einschränkung. Zu Walzel vgl. auch Walther Schmitz  : Oskar Walzel (1864–1944)  ; in  : C. König [et al.] (Hg.)  : Wissenschaftsgeschichte der Germanistik in Porträts  ; Berlin, New York 2000. 115–127. Benjamins Kritik findet sich in GS III, 50 f. Er kritisierte am Wortkunstwerk exemplarisch für weite Teile der ehemals reichsdeutschen Germanistik und besonders für die Vertreter des George-Kreises einen »geile[n] Drang aufs Große«, der ihr »Unglück« sei. 223 Wobei im Fall Walzels wohl das hauptsächlich an dessen Lehrer Jacob Minor gescheiterte Habilitationsverfahren Hofmannsthals eine denkbare Vertiefung der Bekanntschaft möglicherweise verhindert hat. Beide Philologen sind jedenfalls von Christoph König nicht in den Kreis der engsten ›wissenschaftlichen Mitarbeiter‹ (Brecht, Burdach, Nadler) aufgenommen worden. In der Krisis des Burgtheaters (1918) charakterisiert Hofmannsthal den neuen Intendanten von Andrian allerdings mit Leitbegriffen Walzels, Andrian ringe »um den richtigen Kontur« (RA II, 249  ; Krisis Burgtheater). 224 Schmitt erwähnt in seinen Tagebüchern ein gemeinsames Treffen in Bonn am 08.V.1922 – mit Ernst Landsberg, dem Vater von Paul Ludwig Landsberg (Autor des Buchs Die Welt des Mittelalters und wir – Hofmannsthal hat die zweite Auflage stark rezipiert, vgl.1.5). Walzel war seit 1921 in Bonn. Schmitt schrieb allerdings später an Theodor Däubler  : »Walzel, der hier ist, scheint mir ein roher Journalist, und meine Sensibilität wird schon [zu] groß, als dass ich ihn ansprechen könnte.« (Carl Schmitt  : Der Schatten Gottes. Introspektionen, Tagebücher und Briefe 1921 bis 1924  ; hg. v. G. Giesler, E. Hüsmert u. W. H. Spindler  ; Berlin 2014. S.79 und 447 [23.02.1923]). 225 Oskar Walzel  : Wechselseitige Erhellung der Künste. Ein Beitrag zur Würdigung kunstgeschichtlicher Begriffe  ; Berlin 1917 [Philosophische Vorträge der Kantgesellschaft Nr. 15  ; gehalten am 3. I. 1917]. 226 Ebd., 60, 31.

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hierbei mit Barock, Romantik und – Moderne. Das »Atektonisch-Fließende« der Barock-Dichtung spiele ins »Unbegrenzte hinüber«227 – für die Romantik und den messianischen Expressionismus lässt sich das so allgemein sicher auch sagen. Wie nach ihm Benjamin legt er also eine ›Zeitgleiche‹ von Barock und Moderne nahe. Für die Formästhetik des Barock macht er weiterhin das »Malerische« und die »Bewegung«, eben das Unabgeschlossene (im Gegensatz zur Renaissance) aus. Diese Ausführungen zu einem gleichsam ›Kontingenz-adaptiven‹ Stil würden Hofmannsthals Interesse nicht verfehlt haben.228 In Das Wesen des dichterischen Kunstwerks (1924)229 vergleicht Walzel Poesie und Wissenschaft in ihrem epistemischen Streben  : »Gehalt ist das Gedankliche […] alles, was aus dem Umkreis des Erkennens, Wollens und Fühlens in einem Kunstwerk enthalten ist. Denselben Umkreis beschreitet die Wissenschaft«230 – und sieht eine homologe Grundbewegung des Erkenntnisstrebens von Poesie und Philologie. Ihren »Umkreis« bezeichnet er anschließend als »Weltanschauung«. Zu deren Artikulation stehe der Wissenschaft der Begriff zur Verfügung, der Dichtung aber die Gestalt. In ihrer Wirkung zielten sie beide auf die »Massenseele«231 – ein Begriff Gustave Le Bons, den Walzel doch reichlich unkritisch und ohne genauere Verweise (etwa auch auf Freud) als bloßes Wirkungsphantasma bzw. »absolute Metapher« (Blumenberg) aufruft. Was hier noch einigermaßen gleichberechtigt scheint, wird in einem anderen Aufsatz dieser Zeit hierarchisch geordnet  : Der Bezug von Gehalt und Gestalt (1923) im dichterischen Kunstwerk könne »zu den Wundern« gezählt werden, die nur »im Kunstwerk

227 Ebd., 37 und 84. 228 Ebd., 32, 40, 45. Allerdings findet sich in Hofmannsthals Nachlass nur Walzels Strindberg-Buch von 1917 (im Besitz Octavian von Hofmannsthals) und die von Walzel samt Vorwort herausgegebenen Herzensergießungen eines jungen Klosterbruders von Wackenroder und Tieck (1921). In Hofmannsthals Publikationsvorhaben (Neue deutsche Beiträge, Bremer Presse) scheint Walzel keine Rolle gespielt zu haben. 229 Oskar Walzel  : Das Wesen des dichterischen Kunstwerks [1924]  ; in  : Oskar Walzel  : Das Wortkunstwerk. Mittel seiner Erforschung  ; Leipzig 1926. 100–122. 230 Ebd., 101. Hier scheint eine Nähe zu Benjamins kunstphilosophischem Begriff des »Sachgehalts« zu bestehen. 231 Ebd., 110, 106. Es ist aber anzunehmen, dass hier ein Verhältnis von »Massenseele« und Symbol vorausgesetzt wird, wie es sich auch Jungs Wandlungen und Symbole der Libido entnehmen lässt (vgl. Zitate oben). Walzel merkt in Gehalt und Gestalt (1923) an, dass sich die »Formsymbolik« der Sprache der Begriffe entziehe. »Das Symbolische offenbart sich in diesem Zusammenhang als Widerspiel des Begrifflichen.« (Oskar Walzel  : Gehalt und Gestalt im Kunstwerk des Dichters  ; Darmstadt 1957 [1923/29]. 375 und 376).

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und im künstlerischen Schaffen bestehen«.232 Die so entworfene »Formsymbolik« entzieht sich quasi als ›ästhetischer Ausnahmezustand‹ notwendig der Sprache der Rationalisierung wissenschaftlicher Begriffe  ;233 fast genießerisch wirkt es, wie Walzel hier die Grenzen seiner Disziplin verzeichnet. Diesem Verzicht eignet aber eine kollektive Note  : Den Gehalt des poetischen Kunstwerks identifiziert Walzel mit der »Haltung eines Volkes« (aus dem der Dichter entstammt).234 Hier wird demnach ein Raum des Irrationalen, wissenschaftlich nicht Erfassbaren abgesteckt. Eine Kongruenz der Gestalt beider hat er hier zwar nicht gefordert  ; im Wesen des dichterischen Kunstwerks allerdings findet sich der apodiktische Schluss  : »Enger oder fester soll Gehalt und Gestalt sich verknüpfen. Nichts darf den lebendigen Leib beeinträchtigen. Nur Kontur, die ihn umschließt, soll die Gestalt sein.« Dies folge den »inneren Gesetzen« einer »organischen Ästhetik«235 und muss wohl auch im Zusammenhang mit der als in erhöhtem Maße kontingent erfahrenen Epoche gesehen werden. Die Formulierung lässt zudem an das berühmte Zitat Büchners aus Dantons Tod denken, dass die Verfassung den Leib des Volkes möglichst eng, wie eine zweite Haut, umschließen müsse. 236 Im politischen wie ästhetischen Schwellenraum der zwanziger Jahre237 nimmt sich dieses geradezu als Postulat ästhetischer Mobilmachung aus, wobei zu entsprechenden Ausführungen etwa in Jüngers Arbeiter (1931) v. a. hinsichtlich der 232 Oskar Walzel  : Gehalt und Gestalt im Kunstwerk des Dichters  ; op cit, 368. Eine Kenntnis der Schmittschen Souveränitätstheorie wird unter 5.1.3 zu überlegen sein. 233 Hofmannsthal notierte sich  : »Situationen sind symbolisch  ; es ist die Schwäche der jetzigen Menschen, daß sie sie analytisch behandeln und dadurch das Zauberische auflösen.« (RA III, 239  ; Buch der Freunde). 234 Ebd., 387. Dies wie auch der merkwürdig unqualifizierte Begriff »Massenseele« lassen an Hofmannsthals Ausführungen in Das alte Spiel vom Jedermann denken (1911), in dem Hofmannsthal ähnlich nebulös den Begriff der »Menge« (des Publikums) bemüht (Hugo von Hofmannsthal  : Gesammelte Werke in Einzelausgaben. Dramen III 1893–1927  ; Frankfurt/Main 1979 [GW D III], 89–102). 235 Walzel  : Wesen, op cit, 122 und  : Walzel  : Gehalt und Gestalt  ; op cit, 389. 236 Büchner hat sich hier in Dantons Tod wohl an Novalis orientiert, der im Allgemeinen Brouillion und in Glauben und Liebe ebenfalls die Ausprägung der »natürlichsten Form« von der Verfassung des Staatswesens forderte  ; vgl. hierzu Ethel Matala de Mazza  : Der verfaßte Körper. Zum Projekt einer organischen Gemeinschaft in der Politischen Romantik  ; Freiburg 1999. 133. Beide Texte (auch der Novalis’) sind dem Romantik-Spezialisten Walzel zweifellos bekannt gewesen. 237 Maliziös betrachtet wäre das politisch die Schwelle eines demokratischen Intermezzos zwischen Monarchie und Diktatur, die im Ästhetischen vom unbewegten Bildraum der Monarchie einer Ornamentik des Sozialen zur Kollektiv-Gestalt der volkmäßigen Generalmobilmachung führt.

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Wertung des Individuums und aufgrund Walzels Treue zur klassisch-humanistischen Formästhetik ein deutlicher Unterschied besteht.238 Im Hinblick auf mögliche Dramatisierungen des Konzepts charismatischer Herrschaft (als eine der bewegten Form) sind dieser letztlich nur scheinbare Dualismus von Kontur und Gehalt und Walzels Akzeptanz einer transzendenten Dimension der Dichtung jedenfalls interessant.239 Auch bei dem Romanisten Karl Vossler findet sich mit der Akzeptanz eines »Wunders der Dichtung« die Verneigung des wissenschaftlichen Geistes vor einem rational nicht erfassbaren Raum des Mirakulösen. Deren äußere Form sei hierbei als »Körper« ihrer inneren Form zu betrachten, die ohne diesen nicht erkennbar – nicht verwirklicht – sei.240 Er stellte anhand Betrachtungen zur »inneren Sprachform« der Wissenschaft entsprechend Walzels formaler Gleichsetzung von Poesie und Wissenschaft fest, dass »[…] der Körper der wissenschaftlichen Systeme« »mit Poesie getränkt« sei und ihre Prosa damit in einem subversiven Verhältnis zur Dichtung stehe.241 Damit ist intendiert, dass auch deren Begriffe von den »exakten Wissenschaften« Abschied nehmen – und zwar aufgrund ihrer sprachlichen Materialität –, denn mit einer »logischen Natur der Sprache« sei nicht zu rechnen und die Poesie daher zur Vermittlung von »Welterkenntnis« besser geeignet.242 238 Eine solche Ebene wird von Walzel im Bemühen auf die »deutsche Formgebung« (und einen, wenn auch sich schwach mitteilenden formalistischen, »anti-römischen Affekt«) eben doch berührt, die so viel mit dem »deutschen Sonderweg« (Heinrich August Winkler) in dieser Zeit zu tun hat. In Borchardts Eranos-Brief findet sich mit Verweis auf Tacitus die Feststellung einer »geringen Eignung des ungeschlossenen Volkes zur Überwindung von Spannungen, an denen die Nation sich beweist […]« (Borchardt  : Eranos  ; op cit, XIX). Das organische Konzept der »inneren Form« in politischer Gestalt bedeutete nicht nur für die rechten Avantgarden spätestens ab 1918  : keine Demokratie westlichen Stils als ›wesensfremde Staatsform‹ in Deutschland. Zu Jünger vgl. Ingo Stöckmann  : Sammlung der Gemeinschaft, Übertritt in die Form. Ernst Jüngers Politische [sic] Publizistik und Das abenteuerliche Herz (Erste Fassung)  : in  : U. Hebekus/I. Stöckmann (Hg.)  : Die Souveränität der Literatur  ; op cit, 189–220  : 199 ff. 239 Auch Georg Lukács’ Entwicklungsgeschichte des modernen Dramas (1909) betont einen Nexus von Form und Gesellschaft  : »Das wirklich Soziale aber in der Literatur ist  : die Form.« G. Lukács  : Entwicklungsgeschichte des modernen Dramas  ; op cit, 10. 240 Karl Vossler  : Geist und Kultur in der Sprache  ; Heidelberg 1925 [fortan GKS]. 101, 229. 241 »Daß das prosaische Denken die Vorschule des logisch-begrifflichen sei, können wir nur insofern annehmen, als die Sprache überhaupt, also die Poesie, so gut, ja noch besser als die Prosa, den Menschen zur Welterkenntnis anleitet.« Vossler, Geist und Kultur  ; op cit, 9. Zuvor  : Karl Vossler  : Grenzen der Sprachsoziologie  ; in  : M. Palyi (Hg.)  : Hauptprobleme der Soziologie  ; op cit, 369). 242 Vgl. Karl Vossler  : Gesammelte Aufsätze zur Sprachphilosophie  ; München 1923. 214. Denn die Sprache der Wissenschaft sei »ihrem Wesen nach nicht […] terminologisch, nicht technisch

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Vossler konnte sich dank seiner profunden Kenntnisse der internationalen Forschung (etwa Benedetto Croces und de Saussures) auf einem ganz anderen Niveau bewegen als die durchschnittliche germanistische Sprachwissenschaft dieser Zeit (so qualifizierte er insbesondere auch Josef Nadler als unwissenschaftlich ab).243 Termini wie ›Sprechakt‹ oder ›Langage‹ sind ihm bereits geläufig. Vosslers Ansatz wird im folgenden Kapitel zu Hofmannsthals konservativer Utopie der Sprache noch eine stärkere Rolle spielen – zumal Hofmannsthal seine Schrifttum-Rede ja Vossler zueignete. Das Verhältnis einer ›wechselseitigen Erhellung‹ der Dichtung und der Philologie sollte nach Borchardts Plan in der von Hofmannsthal höchst ambivalent aufgenommenen Eranos-Festschrift von 1924 gipfeln, in der neben Max Reinhardt und Thomas Mann auch Vossler mit einem Beitrag vertreten ist.244 Bei den von Vossler immer wieder geltend gemachten poetischen Elementen in der Wissenschaft müsste demnach umgekehrt auch Hofmannsthals Poetologie des Wissens ansetzen – wo die Wissenschaften im Rahmen ihres sprachlichen Ausdrucks sich notwendig poetischer Elemente bedienen, lässt dieses Verfahren auch die umgekehrte Absorption (von Begriffen) ins Literarische zu. Vossler hat dies sogar eigens gefordert  : »Eine lediglich poetische Literatur, ohne wissenschaftliches Schrifttum, ist geschriebener Dialekt, keine vollwertige Literatur«, sondern »geistig unfrei«.245 Bei Hofmannsthal rannte er damit offene Türen ein.

und auch nicht logisch«, sondern »dialektisch« (GKS, 9). Die Dialektik ist dann aber zwischen logischem Anspruch des wissenschaftlichen Begriffs und seiner Sprachmaterialität, also seiner medialen Kondition zu sehen. 243 Vgl. hierzu folgenden Passus  : »An unmittelbare Einflüsse von Klima und Bodenbeschaffenheit auf die Sprechweise der Menschen wagt heute, wenigstens im Lichte der Wissenschaft, niemand zu glauben. Ebensowenig hat zwischen den Rassen der Menschen und ihren Sprachen ein naturnotwendiger Zusammenhang sich jemals erweisen lassen.« (Vossler, GKS  ; op cit, 90). 244 Von Mann war weniger ein Fragment aus dem Zauberberg als ein Kondensat des Zeitdiskurses darin beigesteuert worden. Zum Streit um die Festschrift und der anschließenden Distanznahme Hofmannsthals vgl. einmal mehr Königs Studie Hofmannsthal. Ein moderner Dichter unter den Philologen, op cit, 175 ff. 245 Vossler  : GKS  ; op cit, 239. Als Scharnier könnte man die von Vossler öfter zitierte, mit Humboldt betonte »innere Form« eines jeden Sprechens betrachten. Zur Genese des auf Goethe zurückgehenden Begriffs vgl. Burdorf, Poetik der Form  ; op cit, 119 ff.

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1.3.3 Dualismus der Wahrheit und poetische Konstitution »Eben weil alles überwunden ist, und ein angstvolles Fühlen des Abgrundes, der unter den Dingen ist und unter den Theoremen und unter den Erkenntnissen, uns durchzieht wie ein beständiger Schwindel, eben darum ist allem unseren Tun eine latente Religiosität beigemischt, ein Drang nach dem Form-Gebenden, LebenVerleihenden […]« (RA II, 80  ; Beethoven).

Allerdings drehte Hofmannsthal das Verhältnis angesichts der Wissenskrise um.246 Die Dichtung bedient sich zwar der Ergebnisse der Forschung, behauptet aber über diese hinausgehend einen eigenen Erkenntniswert, der aus ihren poetischen Verfahren resultiert  : »Wer die höchste Unwirklichkeit erfaßt, wird die höchste Wirklichkeit gestalten«.247 Immer geht es dabei um die Bezeichnung dessen, was vitaler Besitz der Dichtung, Stoff der Ausprägung ihrer »inneren Form«, Gegenstand ihrer ›Poetologie des Nicht-Wissens‹ werden soll, sei es das Leben, die Atmosphäre, die Welt, die Wirklichkeit, Zeit – oder das Politische. Es handelt sich daher um Begriffe in metaphorischer Verwendung bzw. bei deren allegorischer Ausdehnung um »Begriffsbilder«, denn auch die »Allegorie möchte die Welt mit sinnlichen Mitteln auf den Begriff bringen«248 – bzw. in Hofmannsthals Fall auch den Begriff zum sinnlichen Mittel machen. Dass diesem »Tun« eine »latente Religiosität« eignet, ergibt sich also aus dessen diegetischer Absicht. Die ›Wirklichkeit‹ ist mit Blick auf C.G. Jungs Wahrheits-Dualismus dialektisch und zudem transzendent(al) aufzufassen  : »Wie der Mensch ein zwiefaches Wesen ist, nämlich ein Kultur- und ein Tierwesen, so scheint er auch zweierlei Wahrheit zu bedürfen, der Kulturwahrheit, d. h. der symbolistischen, transzendenten Theorie, und der Naturwahrheit, welche unserem Begriffe des ›real-Wahren‹ entspricht. […] Daher ist die reale Wahrheit das relativ universell Gültige, die psychologische Wahrheit dagegen ein bloß funktionelles 246 Zum Hintergrund dieser Entwicklung vgl. die empfehlenswerte Anthologie von Volker Meja und Nico Stehr  : Der Streit um die Wissenssoziologie  ; 2 Bde.; Frankfurt/Main 1982 (Beiträge bzw. Auszüge von Barth, Curtius, Jerusalem, Mannheim, Plessner, Scheler, Tillich). 247 RA III, 262  ; Buch der Freunde. Aus begleitenden Notaten geht hervor, dass diese Erfassung symbolisch erfolgen sollte. 248 Peter-André Alt  : Begriffsbilder. Studien zur literarischen Allegorie zwischen Opitz und Schiller  ; Tübingen 1995. 33. Man könnte daher in Hofmannsthals Belesenheit tatsächliche Anklänge an die auctores des Barock sehen, die ihr Wissen bevorzugt in Allegorien kleideten (dezidiert dazu Alt, vgl. ebd., 128).

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Phänomen innerhalb einer menschlichen Kulturepoche.« (Jung, Wandlungen  ; op cit, 225)

Diese von Hofmannsthal in seinem Exemplar angestrichene Stelle aus Jungs Wandlungen und Symbole der Libido birgt Erklärungspotential für Hofmannsthals »Glauben«, »daß Wahrheit sei« (im Brief an Rang), welche man erkennen könne. Ihre anthropologische Disposition ist bemerkenswert – dem Menschen als (vor- oder außerkulturellem) Tierwesen wird nolens volens der tiefgründigere bzw. unmittelbarere Wahrheitsbezug zuerkannt, welchen sich die Epochen der menschlichen Kulturgeschichte immer wieder neu in Form einer bloß abgeleiteten Wahrheit zu erarbeiten hätten  ; mitgeteilt, so darf man mit Borchardt ergänzen, im »Gewebe der Sprache unserer Zeit«.249 Denn, so auch Walter Benjamin, um den sich der Briefwechsel zwischen Rang und Hofmannsthal zu dieser Zeit dreht  : »Entdeckt wird die Wahrheit im Wesen der Sprache.«250 Ein dem gesellschaftlichen Anspruch nach also auch politisches Unterfangen, das sich schon deshalb nicht rational angehen lässt, weil es, wo es hinter die »psychologische Wahrheit« greift,251 auf die »stumme Magie« der (poetischen) Sprache angewiesen ist  : auf »das Symbol  : das sinnliche Bild für geistige Wahrheit, die der ratio unerreichbar ist«. Das »real-Wahre« und seine Wandlungen zu erkennen und mittels Setzung einer neuen Wirklichkeit (einer neuen Symbolordnung) zu übertragen, bedeutet also die vorausgehende Verfassung bzw. Vermittlung durch eine funktionierende, »lebendige Sprache« – nicht durch die »schwächliche Terminologie der Wissenschaft«.252 Hofmannsthals ambivalente Einstellung zum Medium Sprache hat sich schon 1896 dokumentiert  : »Sie ist das große Werkzeug der Erkenntnis, sie ist das große Werkzeug der Verkennung. In ihren schwebenden Bildern verbirgt der Geist sich 249 Wie Borchardt in seinem Brief schrieb (Eranos  ; op cit, XXXIII). Sein Verb hierzu lautete »eingeheimst«. 250 Benjamin befindet sich mit dieser Feststellung anlässlich der Beschäftigung mit Goethe (GS I 1, 197  ; Wahlverwandtschaften) in einer teils erstaunlichen Nachbarschaft  ; es ist vielleicht müßig hinzuzufügen, dass er andere Schlüsse aus dieser ›Sprachgläubigkeit‹ zog. 251 Vgl. hierzu übrigens Bettina Gruber  : Romantische Psychoanalyse  ? Freud, C.G. Jung und die Traumtheorien der Romantik  ; in  : P.-A. Alt/C. Leiteritz (Hg.)  : Traumdiskurse der Romantik  ; Berlin 2005. 334–358. 252 RA I, 63  ; Dichter und Zeit  ; RA II, 145  ; Drei kleine Betrachtungen  ; RA I, 63  ; Dichter und Zeit. Hofmannsthals sprachkritische Haltung wird vor diesem Hintergrund als eine Unterscheidung von dichterischer und Gebrauchssprache erkennbar. Das letzte Zitat stammt von der Figur Gabriel aus dem Gespräch über Gedichte (vgl. hierzu 2.1).

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vor sich selbst. Sie scheint uns alle zu verbinden und doch reden wir jeder eine andere.« Die später rhetorisch glänzend zur Sprache gebrachte Feststellung einer allgemeinen Ausdruckskrise im »Chandos«-Brief (1902) und ihre Verbindung zum Empirioskeptizismus Ernst Machs und auch Fritz Mauthners253 ist so gut erforscht, dass sie hier nicht erneut referiert werden muss.254 Bedeutsamer ist hier die nachmalige Übertragung jenes Dualismus des V/Erkennens auf den politischen Raum, auf eine ›politische Wahrheit‹ der Repräsentation (die nicht die Wahrheit des Politischen ist), welche anschließend noch eine gesonderte Betrachtung des darin wirkenden (sprachlich-symbolischen) Konstitutionalismus erfordert.255 In Wert und Ehre deutscher Sprache (1927), der Vorrede zu jener Anthologie sonderbaren Titels,256 in der Hofmannsthal das geschichtlich gewachsene Sprachverständnis der Deutschen zusammenzutragen suchte, findet sich entsprechend die Feststellung, dass »die Sprache« »auseinandergetreten« sei, die doch »alles vereinigen müßte«, was die Nation in ihrem Selbstverhältnis betrifft. Er führt dies auf die Reformation als erste, religiöse Spaltung sowie die Aufklärung (als Beginn der Überladung moderner Individualität) zurück, insbesondere aber auf den (Ratio253 Ernst Mach  : Analyse der Empfindungen und das Verhältnis des Physischen zum Psychischen  ; Wien 1885. »Nicht das Ich ist das Primäre, sondern die Elemente (Empfindungen). […] Die Elemente bilden das Ich.[…] Das Ich ist keine unveränderliche, bestimmte, scharf begrenzte Einheit.« (ebd., 19). Die Elemente aber sind vor allem sozial konnotiert. Mauthner, mit dem seitens Hofmannsthals nach 1906 kein Kontakt mehr bestand, sei hier noch mit der »sprachkritischen Einsicht« aus Gottlose Mystik (1925) zitiert, dass die Sprache »ein ungeeignetes Werkzeug, die Wirklichkeit zu begreifen« sei. »Der Monismus, wie der alte Materialismus sich schamvoll seit einem Menschenalter nennt, weiß immer noch nicht, daß die Wissenschaft überall da Bankrott gemacht hat, wo die letzten Fragen nach dem Woher, Wohin und Wozu gestellt werden.« (Fritz Mauthner  : Gottlose Mystik  ; Dresden 1925). Das aber sind im Politischen die Fragen nach der Legitimität von Herrschaft. 254 Zuvor  : RA III, 413  : Aufzeichnungen [1896]. Zum Chandos-Brief umfassend  : Timo Günther  : Hofmannsthal  : Ein Brief  ; München 2004  ; vgl. auch Rudolf Helmstetter  : Entwendet. Hofmannsthals Chandos-Brief, die Rezeptionsgeschichte und die Sprachkrise  ; in  : DVjs 77/2003. 446–480 und Wolfgang Riedels konzise Darstellung in Homo Natura. Literarische Anthropologie um 1900  ; Berlin 1996. 1–40. 255 Die folgenden Ausführungen verstehen sich daher als ein notwendiger Vorgriff auf das zweite Kapitel, welches die kreative Dimension dieser Poetik im Sinne einer Poetologie des Politischen stärker betont. 256 Zum Titel schrieb Hofmannsthal an Wiegand  : »ich verstehe u. teile die Bedenken gegen Sprachehre wegen Sprach-lehre. Dann schiene mir aber We r t u n d E h r e d e u t s c h e r S p r a c h e am schönsten, wenngleich ein wenig altertümelnd, aber das tut nichts.« (BW Wiegand, 174 [20. 9. 1927]).

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nalisierungs-)Prozess eines allmählichen Auseinandertretens von Geisteswissenschaften und Naturwissenschaften während des 19. Jahrhunderts  :257 »jenes mathematisch übersprachliche Streben, von dem die Wissenschaften schicksalhaft ergriffen wurden«258 und dem seither nur noch Vereinzelte hätten folgen können. Damit ist die Krise der Sprache als Repräsentationskrise (zunächst des Wissens über die ›Wirklichkeit‹) aufzufassen. Folgerichtig nennt er als letzte ›Station‹ dieser Erosion sprachlicher Verständigung und Gemeinschaft die Epoche der sozialen Konflikte  : »nun reißen neue Glaubensbegriffe, mit religiosem [sic] Eifer in die Massen geworfen, die Klassen der Gesellschaft auseinander […]«  : im Bündnis mit jener Fortschrittsideologie, die eine Vermittlung des (kulturellen) Erbes in das Jetzt und Hier durch die alleinige Betonung des Gewichts der Gegenwart (einem »Götzenbild«) unmöglich mache.259 Hier zeichnet sich ab, dass der prekäre Status der Wahrheit (oder dessen Behauptung) diverse Suggestionsvorhaben autoritären Charakters ermöglicht (und zugleich aus diesen resultiert). Was sich bei Hofmannsthal als tätige Skepsis gegenüber den Wissenschaften und ihren Formen verbürgter Rationalität offenbart, ist soziologisch gewendet eine existenzielle epistemische Krise des politischen Sprechens und Agierens. Denn dieses konnte sich auch in den zwanziger Jahren »nicht mehr an der handlungsleitenden Verbindlichkeit eines normativ wirksamen kulturellen Gedächtnisses orientieren«, welches vielmehr heftig umkämpft war. Daher ist Hofmannsthals kulturpolitische Tätigkeit insbesondere auch als Versuch von dessen (Re-) Konstitution zu verstehen, um jener festgestellten »Verbindlichkeitserosion« aufgrund »fundamentale[r] ›Dispersion‹« des politischen-kulturellen Wissens entgegenzuwirken.260 Denn die von ihm auch am Beispiel der historischen Wissenschaft ausgemachte Krise ist selbst ein geschichtliches Faktum  : 257 Vgl. hierzu RS I, 15  : Der mathematische Geist wäre als Entsprechung des kapitalistischen zu verstehen  ; und Vossler  : Der Geist der Aufklärung, also jener »Bildungswert mathematischer und naturwissenschaftlicher Studien […] beruht auf der Befreiung vom Wort, auf der Überwindung des sprachlichen Denkens, Träumens, Ahnens und Versunkenseins im Mythischen, Magischen und Phantastischen, kurz, auf dem, was man Aufklärung zu nennen pflegt.« (GKS, 222/225). 258 In der Eranos-Festschrift richtet Borchardt sehr ähnlich über die Naturwissenschaften  : »[…] ihre Praktikabilität war es, die die allgemeine knechtische Erfolgsanbetung zu ihnen hinüberriss  ; ihre Umsetzbarkeit in Maschine, Sensation, Spekulation, Gewinnsteigerung, roheste Vermehrung der Bedürfnisse und Ansprüche. Das Zeitalter der Naturwissenschaften war nur das schamhaftere Deckwort für das Zeitalter der Technik.« (ebd., Brief. XVI). 259 Sämtlich zitiert nach RA III, 131/132  : WES [Wert und Ehre deutscher Sprache]. 260 Jäger  : Transkriptivität, op cit  ; 347. Zu Hofmannsthals Verhältnis zu den Medien (und auch immer wieder zu Medialität) vgl. Heinz Hiebler  : Hofmannsthal und die Medienkultur der Moderne  ; Würzburg 2003.

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»Die Geschichtswissenschaft ist in die Krise einbegriffen, in welcher das gesamte geistige Erbe des neunzehnten Jahrhunderts, und nicht dieses allein, in Frage steht. Jeder zusammenfassenden Darstellung traditioneller Art tritt der Zweifel gegenüber  ; ihre Stelle usurpiert die höchst subjektive geistreiche Klitterung der Spenglerschen Manier.« (RA III, 197  : Geschichtliche Gestalt [1925])261

»Universalgeschichte« könnten darum nur jene wirklich verstehen, die selbst eine solche geschichtliche Intensität erlebt hätten. Hofmannsthal nutzte den so (mit Schiller) behaupteten Deutungsraum hinsichtlich des gesellschaftlichen Geschehens und Werdens (die »Verknüpfung großer politisch-religiöser Welttendenzen«), indem er in seinen Werken die Fingierung von Tradition262 und von Soziolekten (z. B. im Rosenkavalier) betrieb, also fiktive »Lebens-Formen« schuf (vgl. 2.3). Mit diesem literarischen »Als-ob« imitierte er ganz bewusst die Modi einer sozusagen kollektiv verbindlichen Wirklichkeit, also deren politische bzw. geschichtliche Konstruktion. Hofmannsthal wollte dem eine literarische Variante nicht allein zugesellen, sondern regelrecht vorordnen, wie er es in der Rezension zur Europäischen Revue mitgeteilt hat. Diese Haltung findet im folgenden Zitat aus dem Buch der Freunde einen entsprechenden Ausdruck  : »In der Gegenwart, die uns umgibt, ist nicht weniger Fiktives als in der Vergangenheit, deren Abspiegelung wir Geschichte nennen. Indem wir das eine Fiktive durch das andere interpretieren, entsteht erst etwas, das der Mühe wert ist.«263 Hofmannsthals geschichtliche wie soziologische Arbeitsweise kommt in der Methodik solcher wechselseitigen Beleuchtung voll zum Tragen. Die Interpretation der Gegenwart durch die Vergangenheit (welcher die umgekehrte Interpretation notwendig vorausliegt) gibt Hofmannsthals Kulturkritik den geschichtlichen Horizont, vor welchem der Turm entsteht.

261 Hofmannsthal bestellte den zweiten Band von Spenglers Untergang 1922, die »Welthistorischen Perspektiven«, und sprach auch mit Thomas Mann darüber. Sein Urteil war negativ – vgl. Christiane von Hofmannsthal  : Tagebücher und Briefe des Vaters an die Tochter  ; Frankfurt/Main 1991. 61. Ein weitaus positiveres Bild hatte Hofmannsthal von der älteren historischen Forschung, Beispiele sind Burckhardt und Ranke. 262 Le Rider sieht darin eine Vorstufe des später verwendeten Terminus »Konservative Revolution«  ; vgl. Le Rider, Historismus und Moderne  ; op cit, 253 f.: 278. 263 RA III, 258  ; Buch der Freunde. An anderer Stelle heißt es entsprechend  : »Wer das Gesellschaftliche anders als symbolisch nimmt, geht fehl.« (ebd., 246).

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1.3.4 Barocke Rekurse. Bildung des Subjekts – Wahrung der Gemeinschaft »Über Prophezeiungen als Element des Barocktheaters und der Wirklichkeit. Wir ziehen immer Folgerungen aus Andeutungen  : wer die Zukunft wüsste wäre stark. Wir sind Spieler, Speculanten.« (SW XXXVIII, 854 [1921])

Hofmannsthals Beschäftigung mit dem Barock ist ein nicht unwesentlicher Bereich des Gesamtwerks. ›Das alte Spiel vom Jedermann‹ (1911) ist Hofmannsthals bekannteste Barock-Adaption und bis heute das wohl am meisten gespielte seiner Stücke  ; weitere Arbeitsprojekte waren Das Leben ein Traum und Semiramis, die er Leopold von Andrian für einen Calderón-Zyklus am Burgtheater vorschlug. Abgeschlossen wurde zunächst nur Dame Kobold (1918), das Salzburger große Welttheater folgte (1922), der Phokas blieb Fragment. Auch die XenodoxusBearbeitungen (ab 1920) und letztlich ebenso die Shakespeare-Adaption Timon der Redner (1916) gehören in den Zusammenhang eines Programms der Erneuerung barocker Formen. Hofmannsthal ging davon aus, dass mit den Stücken Calderóns eine ähnliche Wirkung zu erzielen sein müsse, wie mit der Übertragung der Werke Shakespeares über ein Jahrhundert zuvor.264 Wenn Hofmannsthal hier offenkundig auch abseits ästhetischer Erwägungen »vor Aufklärung und Reformation zurück« wollte,265 dann jedoch nicht zu dem Zweck, sich von deren erhaltener Wertgebundenheit und ihren geistigen Errungenschaften jener »Erziehung und Erhöhung des Einzelmenschen« (Vossler) loszulösen, wie es die charismatisch auftrumpfenden Avantgarden zur selben Zeit propagierten,266 – sondern weil er in beiden Prozessen (und ihrer Dialektik) eine »Erweckung und Vertiefung des nationalen Bewusstseins« (Vossler) und überdies eine Vorläuferschaft gerade der materialistischen Züge der Moderne erblickte.267 Das Stichwort in diesem Zusammenhang lautet »protestantische Ethik«. 264 Anders urteilte übrigens Hermann Bahr, der in einem Brief an Josef Redlich schrieb, Hofmannsthal sei »im Politischen nur ein Improvisateur«, der glaube, die Jahrhunderte versäumter Kulturpolitik ließen sich durch solches Werk binnen Monaten aufholen  ; vgl. Fritz Fellner (Hg.)  : Dichter und Gelehrter. Hermann Bahr und Josef Redlich in ihren Briefen 1896–1934  ; Salzburg 1980. 129. 265 Vgl. zum geistesgeschichtlichen Horizont Nicolaus, Souverän und Märtyrer  ; op cit, 266. 266 Beispiele sind Ernst Jünger (z. B. Der Arbeiter [1932]) und Arnolt Bronnen (z. B. Anarchie in Sillian [1926]), aber auch der Bertolt Brecht der Lehrstückphase um 1930. 267 Karl Vossler  : Die romanischen Kulturen und der deutsche Geist  ; München 1926. 13/14. Vosslers Ausführungen bedeuten eine kritische Würdigung dieser Prozesse  ; Hofmannsthal bestellte diese Sonderpublikation der Neuen deutschen Beiträge gleich dreimal und ließ sie auch von Wiegand an ausgewählte Personen versenden (vgl. BW Wiegand, 153 [14. IX. 1926]). Vgl. hierzu auch

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Gegen die hier (z.T. von Weber selbst) abgeleiteten geschichtlichen Konsequenzen (in etwa eine Genealogie von Luther über Calvin, Hobbes, Adam Smith, Rousseau zu Marx und Ford) machte Hofmannsthal »das unverwesliche Wort Humanismus« stark, auf dessen Grundlage er auch die Französische Revolution als den Ursprung des modernen Nationalismus ablehnte.268 Diese kritische Haltung beruft sich auf die Idee der verlorenen Ganzheit eines geschlossenen Weltbildes, welche der katholische Ordo-Gedanke als Einbindung des subjektiven Willens mit der unio mystica garantiert habe. Hofmannsthal hat sie im wohl darum so antiquiert wirkenden Salzburger großen Welttheater zur Inszenierung gebracht, gleichzeitig darin aber die calvinistische Idee einer sich materialistisch bewährenden Prädestinationslehre allegorisiert. Die religiös erzeugte Ganzheit des Weltbezugs als eine durch Reformation gespaltene und durch Aufklärung und Revolution in eine schließlich nationalisierte Pluralität abgerutschte zu verstehen, setzt ihre ästhetische Ausdrucksform, das theatrum mundi, in eine Analogie zum Schicksal des »Ius publicum europaeum«, den (kontinental-)europäischen Normenverbund, dessen Niedergang mit dem Zeitalter der Staatlichkeit Carl Schmitt später im Nomos der Erde beschrieben hat.269 Impliziert werden damit gleichermaßen das Verschwinden eines Subjekts der Geschichte (bzw. dessen Atomisierung in der Masse) und der Verlust eines einheitlichen Weltbildes. So konnte, im Sinne einer fin-de-siècle-Stimmung endzeitlichen Ausmaßes, die Geschichte seit der Reformation als eine des unausgesetzten Niedergangs erscheinen, an deren Ausgang mit dem verlorenen Weltkrieg das »Ende der materiellen und ideellen Kredite« drohte.270 »Was immer sich im Geistesleben vollzogen hat, von jener Anfangstat des sechzehnten Jahrhunderts an, jener Setzung des Ethos über den Logos, die wir den Protestantismus nennen – mit dem wissenden Auge, das der heutige Tag uns gibt, sehen wir in der Kette der Geschehnisse nichts als die Vorbereitung dessen, was heute Wirklichkeit wird. Der rückwärts gewandte Prophet heftet den gleichen eisigen, undurchdringlichen Blick auf uns wie die Gegenwart selber. […] während rings in Europa und in jenem hybriden

Alfred Webers Aufruf, die »Werte der individualistischen Periode« zu erhalten (A. Weber, Staatsgedanken  ; op cit, 135). 268 Zuvor  : (RA III, 14  : Vermächtnis). Als solchen hat sie auch Max Weber wahrgenommen  ; vgl. Stefan Breuer  : Bürokratie und Charisma. Zur politischen Soziologie Max Webers  ; Darmstadt 1994. 111. Hofmannsthal las übrigens Michelet (vgl. BW Burckhardt, 24 [1919]). 269 Der Erkenntnis dieser Analogie ist Benjamins Trauerspielbuch gewidmet. Carl Schmitt  : Der Nomos der Erde im Völkerrecht und im Jus Publicum Europaeum  ; Berlin 19974. 270 RA II, 43  ; Idee Europa [1917].

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Neu-Europa jenseits des Ozeans der vollständigste, tiefstgreifende Prozeß der Deshumanisation, der je geträumt werden konnte, im Gange ist. […] Wir leben in einem kritischen Weltmoment, der zu Festen kaum Raum gibt […] Sekte ringt mit Sekte, und niemand will es wahrhaben, in welch unheimlicher Weise über Nacht von unsichtbaren Händen die furchtbaren Gewichte des leiblichen und des geistigen Behauptungswillen der Massen lautlos vertauscht werden  : bald verkleidet sich Ökonomie als Geist, bald Geist als Ökonomie.« (RA III, 13–15  : Vermächtnis [1926])271

Hofmannsthals Reaktion auf diesen »Prozeß der Deshumanisation« waren eine Hinwendung zur überstaatlichen bzw. übernationalen »Idee Europa« (welcher er allerdings an keinen contrat social binden wollte), die Sigismund-Gestalt, in welcher sich das Geschehen der »Epoche seit Kant« spiegeln sollte272 und ein entsprechendes poetologisches Programm, das einerseits mit barocken Techniken allegorischer Depotenzierung auf die »Sekten« und die »unsichtbaren Hände« des Kapitalismus, kurz  : die modernen Auswüchse der sogenannten »protestantischen Ethik« abzielte, andererseits durch Remythisierung die Werte einer bedrohten Kultur zu festigen und zu aktualisieren suchte. Die barocke Form des Trauerspiels, welche Benjamin ja als eine allegorische Verfahrensanordnung verstand (vgl. 5.1), ist hier einschlägig.273 Der Versuch einer Depotenzierung von Mythen 271 Die Nähe dieser Formulierungen zu Webers Protestantischer Ethik und Kapiteln darin  : »Die protestantischen Sekten und der Geist des Kapitalismus« (RS I, 207 f.) sowie zur Angelus-NovusFigur Benjamins sind augenfällig. 272 Vgl. RA III, 621  ; ad me ipsum. Die dramatische Entfaltung des Telos’ Sigismunds hin zum souveränen Individuum ist darum auf eine Impfung gegen die im 20. Jahrhundert virulenten sozialistischen Ideologien leninistisch-stalinistischer Zurüstung bzw. ihrer nationalistisch übersteigerten Wiederholung im deutschen Faschismus angelegt. Das ist der Kern der kathartischen Wirkungsabsicht Hofmannsthals hinter der totalitär-allegorischen Ausführung des Turm für die Bühne, die zudem in der Kritik der ideologischen und faktischen Gewalt auf deren Eigenschaft als Filiation einer Dialektik der Aufklärung verweist. Die Feststellung einer solchen Filiation richtet sich nicht zuletzt auch gegen den Begriff einer Souveränität, in deren Namen seit der Säkularisierung die »Auflösung Europas« (des christlichen Abendlandes) in nationale Staaten durchgeführt wird, um nach Erledigung aller religiösen Einhegung spätestens im 20. Jahrhundert dann zu jenem Kampffeld zu werden, auf dem das Schicksal »Entelechie der Schuld« (Benjamin) ist. 273 Franz-Josef Deiters legt nahe, Benjamins Theorie des barocken Trauerspiels habe dieses vor allem auf den Protestantismus bezogen  ; auf der Ebene des Sachgehalts ist dem sicher zuzustimmen. Vgl. Deiters, Drama im Augenblick seines Sturzes  ; op cit, 26 ff. Vgl. zudem Quiring, Welttheater  ; op cit, 13  : Erst seit Renaissance und Reformation habe die Metapher des theatrum mundi ihren Weg auf das Theater gefunden. Sie finde sich bei Luther (Außlegung der Epistel St. Pauli an die Galater, 1517), in besonderem Maße allerdings bei Calvin (Institutio Christianae Religionis, 1559).

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der Rationalität verfolgt gewissermaßen eine Strategie der ›Widerentzauberung‹, die Remythisierung hingegen eine der ›Wiederverzauberung‹ von Beständen, die dem begrifflichen Denken zugleich durch metaphorische Verästelung oder Verdichtung zu Gestalten entzogen und mit Bedeutung aufgeladen werden sollten (vgl. 2.3.3).274 Hofmannsthals Ausdruck für dieses gegenstrebige, auf eine geistesgeschichtliche Bewegung übertragene Verfahren wird dann »konservative Revolution« lauten, darauf gerichtet »das Beharrliche im Wechsel« zu erhalten. 275 Sie setzt bei Thomas von Aquin und der Mitleidsethik Franz von Assisis an (Hofmannsthal ließ sich ja, wie übrigens auch Rilke, in Franziskaner-Kutte bestatten)276 und reicht bis zu den ›modernen Humanisten‹ (wie man den zweiten Typus der »Suchenden« auch nennen könnte), deren Epoche er zu Ende gehen sah. Ein Ziel hierbei war die Re-»Humanisierung der sozialen Einrichtungen und Lebensformen«277 nach dem Krieg. Für die Einschätzung dieses Rekurses auf barocke Formen und Weltanschauung ist die Frage nach der Stellung des Subjekts und seiner Mündigkeit essentiell. Diese scheint das Salzburger große Welttheater nicht ohne weiteres zugestehen zu wollen  ; ein ironisch gewendetes Zitat »protestantischer Ethik« liegt in der Figur des beruflosen Bettlers vor, dessen Leistung im Verzicht auf alles Streben nach 274 Ein allegorisches Mythenverständnis ist immer auf deren Entzauberung gerichtet – seitens des Christentums gegenüber der heidnisch-antiken Mythologie  ; seitens der Aufklärung dann gegen die christliche Religiosität (vgl. Alt, Begriffsbilder  ; op cit, 188) – und seitens der politischen Theologie der Gegenaufklärung (und der Romantik) auf die neuen Mythen der Fortschrittsideologie, den »Traum der Vernunft«. »Die allegorische Mythendeutung wird zum Akt einer Entmythologisierung, hinter der neue Verfügungsmöglichkeiten aufscheinen. Ist der Mythos entzaubert, ist er durchsichtig gemacht und auf den Begriff gebracht worden, dann steht seiner [christlichen] Einverleibung nichts mehr im Wege. Die allegorische Exegese des Mythos erweist sich als Versuch, die Bedrohung, die von seinen ambivalenten Aspekten ausgeht, durch eine feste Ordnung der Bedeutungen zu überwinden.« (ebd., 201). 275 Schiller in einem Brief an August Wilhelm Schlegel (Dezember 1795)  ; zit. n. Oskar Walzel  : Wechselseitige Erhellung der Künste  ; op cit, 14. 276 Vgl. Ludwig Curtius  : Deutsche und antike Welt. Lebenserinnerungen  ; Stuttgart 1950. 378. Dieser Umstand gestattet natürlich Überlegungen zu Hofmannsthals Religiosität. Die Bedeutung des Katholizismus für Hofmannsthal kann ein Beispiel aus dem Briefwechsel mit Hermann Bahr erhellen  : er plädierte für die Wiederaufnahme der Stücke Calderóns, der im Gegensatz zu Ibsen auf deutschsprachigen Bühnen noch Wirkung erzielen könne (BW Bahr, 374 [19. IV. 1918]). Der christliche Glaube mag mehr für ihn gewesen sein als bloße Klaviatur seiner Wirkungsabsicht  ; einbezogen ins dramaturgische Kalkül hat er ihn aber doch. 277 Vossler  : Die romanischen Kulturen  ; op cit  ; 14.

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(weltlichem) Besitz besteht (und damit zugleich eine Allegorie auf die soziale Inkompetenz ihres Autors, sollte Hofmannsthal hiermit tatsächlich die besitzlosen Massen vertröstet haben wollen). Auch im Jedermann wird der Mythos dieses Strebens nach Reichtum auf allegorische Weise still gestellt und in ein geschlossenes Weltbild überführt. In der schließlichen Bekehrung Jedermanns bzw. der schweigenden Abkehr des Bettlers wird eine bestimmte Tendenz moderner Subjektivität, verstanden als »schrankenlose Orgie des weltlosen Ich«, verabschiedet. An die Frage des Subjekts (nicht allein das bildungsbürgerliche) knüpft sich aber Hofmannsthals ganze kulturpolitische Programmatik  ; denn mit dessen bloßer Verabschiedung hätte er sich letztlich in die kollektivistische Front der Avantgarden gegen das kulturell »Erreichte« eingereiht.278 Eine pietätsvolle Sorge für den Kulturbestand setzt das (gebildete) Subjekt voraus. Ob dieses einer neukatholischen, gar okkulten »Wiederverzauberung« – wie sie Thomas Mann im Zauberberg (1924) so blendend ironisierte – oder doch eher einer nationalpädagogischen, modernen ›Aufklärung der Aufklärung‹ ausgesetzt werden soll, ist die hierbei die eine Frage.279 Friedmar Apels Auffassung, dass Hofmannsthal seinem nationalpädagogischen Programm das Prinzip der Individuation zugrunde gelegt habe, ist zwar zuzustimmen  : »Die These, daß die Bildung einer wahren Nation und die Stiftung von Gemeinschaft durch die Form werdende Steigerung der Vereinzelung erfolgen wird, durch ein Mehr an Autonomie des Subjekts, das wie schließlich der Dichterkönig weder herrschen noch dienen will, ist eine provokative Überbietung des neuzeitlichen Individuationspro278 Vgl. hierzu die Kapitel »Authentizität versus Künstlichkeit« und »Individualität versus Kollektivität« in Hans Ulrich Gumbrechts 1926. Ein Jahr am Rand der Zeit  ; Frankfurt/Main 2003. 281–291 und 324–334. »Genealogie, Prophetie und historische Zeit, Besitz und Verlust, Reflexivität, Emanzipation und Sucht sind Verbündete der Authentizität. Es ist die Dimension der Handlungsfähigkeit und der Subjektivität, die durch Interpretation den Glauben an jene kosmologische Ordnung hervorbringt, deren Existenz von den Gedanken und Handlungen des Subjekts stets vorausgesetzt wird.« (ebd., 285). Ein Autor wie Jünger wird hingegen zu Recht der Künstlichkeit zugeordnet (vgl. ebd., 290). 279 Um die allerdings hochkomplizierte Beurteilung des Verhältnisses von Religiosität und kulturpolitischer Haltung Hofmannsthals hat sich zuletzt die Studie von Jeong Ae Nam  : Das Religiöse und die Revolution bei Hugo von Hofmannsthal  ; München 2010 bemüht. Die Annahme eines bedingungslosen Strebens nach Retheologisierung übersieht aber dessen ganz anders gelagerte Ambitionen im sprachlichen und kulturpolitischen Bereich. Vgl. hierzu David Wellbery  : »Transzendenz ist nicht der Gehalt der Texte, sondern deren Suggestionseffekt.« D. Wellbery  : Die Opfervorstellung als Quelle der Faszination. Anmerkungen zum Chandos-Brief und zur frühen Poetik Hofmannsthals  ; in  : HJB 11/2003. 186–212  : 208.

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gramms, die weniger die ›tiefverwurzelte Egozentrik Hofmannsthals‹ zeigt als vielmehr seine Fähigkeit, auch die leidvoll erfahrenen Widersprüche der Moderne gestaltend ausund offenzuhalten.«280

Dieser Weg des Subjekts »durch Absonderung zur Gemeinschaft« (Landauer) zieht seine Autonomie jedoch gerade aus der Absage an die modernen Auswüchse des Individualismus, aus einer Askese, die im Aufgehen in der Gemeinschaft ihre Erfüllung sucht. Es fragt sich daher außerdem, wer oder was eigentlich Subjekt dieses – mystischen, bzw.: pantheistischen – Individuationsprinzips sein kann.281 Man bekommt einen Eindruck davon, wenn man jene schon angemerkte biographische Übereinführung von Max Weber und Eberhard von Bodenhausen als Ausprägungen des »deutschen geistigen Menschen« im frühen 20. Jahrhundert hinzuzieht. Für einen Dramatiker ist ein typisierender Blick nichts Ungewöhnliches. Jedoch wollte Hofmannsthal über die für sie typischen Repräsentanten den Gehalt einer Epoche bestimmen  : »Zeit als etwas Gegebenes  : aber nur in den Charakteren finden wir den wahren Gehalt der Zeit. Und den Sinn ihrer Konstellationen […]«.282 Hofmannsthals Auffassung des Individuellen weist also zugleich eine Dimension der Offenheit bzw. des Kollektiven auf, wie sie sich etwa in einem Brief an Martin Buber mitteilt  : »Denn ein Wir scheint mir schöner, als dieses zweifelhafte Ich.«283 Hier wird die Gemeinschaft, deren Wert sich nicht numerisch bestimmen darf, über das Streben des Einzelnen, auch über deren große Zahl gestellt, sie ist sogar in gewissem Sinn als Restitution für den Verzicht aufzufassen. Passend hierzu notierte er sich einige Zeit später aus Ortega y Gassets Geschichte als Wissenschaft  : »Denn der Komplex aus Ich und Du führt eine eigene Existenz nach neuen Gesetzen, mit individueller Struktur. Aber dies intersubjektive Dasein und jedes seiner individuel280 Apel, Hofmannsthal und Nadler  ; op cit, 221. 281 Vgl. zu diesem Themenkomplex Maximilian Bergengruens grundlegende Studie Mystik der Nerven. Hugo von Hofmannsthals literarische Epistemologie des »Nicht-mehr-ich« (Freiburg, 2009). Zur Verwischung der (subjektiven) Grenzen zwischen innen und außen vgl. auch schon Uwe Spörl  : Gottlose Mystik in der deutschen Literatur um die Jahrhundertwende  ; Paderborn [u. a.] 1997. 375 f  ; sowie, grundlegend  : Martina Wagner-Egelhaaf  : Mystik der Moderne. Die visionäre Ästhetik der deutschen Literatur im 20. Jahrhundert  ; Stuttgart 1989 (in diesem Zusammenhang vgl. insbesondere S.27 ff.). 282 RA III, 156  ; Bodenhausen [1928]. Diese Übereinführung wird gleich noch beschäftigen. 283 Brief an Martin Buber [19. XII. 1926]  ; in  : Hugo von Hofmannsthal – Martin Buber  : Briefwechsel  ; in  : Die neue Rundschau (1962). 757–761  : 760.

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len Elemente findet sich wieder einem dritten Organismus gegenüber  : dem anonymen Leben, das weder individuell, noch interindividuell, sondern Kollektivleben ist. Wir sind eher soziologische als psychische Wesen.« (RA III, 163  ; Bodenhausen [1928])

Das Kollektivleben wird hier also nicht situativ aus Individuen (»Ich und Du«) gebildet, sondern als ein dritter Körper vorgestellt,284 in welchem alle Einzelnen zusammenfinden. Diesen Organismus als sprachlichen zu denken, ihn mit romantischen Ideen wie dem »Volksgeist« bzw. Geist der Nation in Verbindung zu bringen und als literarisches Subjekt zu gestalten, war, schon die Wertschätzung von Kassners physiognomischen Studien deutet dies an, für Hofmannsthal äußerst naheliegend. An den Insel-Verlag schrieb Hofmannsthal im Juni 1922, Kassners Studien würden sich »nicht nur auf Gedichte, Romane und die Bekenntnisse merkwürdiger Individuen« beziehen, »sondern auch auf die Gesichter und Gestalten, auf die Länder und auf die geistige Physiognomie der Kollektivitäten  : auf das, was man Geist einer Epoche oder Geist eines Volkes nennen kann.« In diesem Sinne ist auch seine Äußerung  : »Nie dürfen Individuen ignoriert werden«285 zu verstehen. Die Frage nach dem Subjekt der Dichtung286 und (dessen) geschichtlicher Individuation begegnet mit der Gestalt solcher Kollektivität erneut einem modernen Rekurs auf die von den Mystikern überbrachte Vorstellung jenes corpus mysticum, wie sie die alte, traditionale Fassung politischer Theologie ausbildete.287 In dieser prägte sich das epochale metaphysische Bild von der Gemeinschaft – nicht von der politischen Organisation – noch figürlich, gleichsam als Organismus aus, welchem die im Turmverlies mystisch entgrenzte Subjektivität Sigismunds entspricht.288 Deren größte Gefährdung sah 284 Das gleichnamige Buch Martin Bubers von 1921 dürfte Hofmannsthal gekannt haben. Zu dem sich in der Moderne bildenden dritten Körper vgl. übrigens Wolf, Fortuna di Mare  ; op cit, 352. 285 BW Kassner, 234. Hofmannsthal hatte Kassners Zahl und Gesicht (1919) mit großem Interesse gelesen (vgl. ebd., 205 f.). Zuletzt zitiert  : Unsere Nationen  ; in  : Hugo von Hofmannsthal  : SW XXXIV  ; Reden und Aufsätze III (1910–1919)  ; hg. v. K.E. Bohnenkamp, K. Kaluga u. K.D. Krabiel  ; Frankfurt/Main 2011. 272–275  : 272. 286 Eine »Entgrenzung des schreibenden Subjekts« hat auch Bergengruen über den psychopathologischen Ansatz festgestellt (Bergengruen, Mystik der Nerven  ; op cit, 284). Eine geradezu ›weltumspannende‹ Individualität Sigismunds nach Verabreichung des Trankes wird auch im Turm zitiert. 287 Da sich diese zumal von der theologischen Allegorie, dem corpus mysticum und der ecclesiae militans Jesu Christi (vgl. Alt, Begriffsbilder  ; op cit, 81  ; Hieronymus Lauretus) ableitet, lässt dies umso mehr auf eine »Fortdauer des Theologisch-Politischen« (Lefort) in Hofmannsthals Barock-Rezeption schließen. 288 Auch die zeitgenössische Soziologie ging von solchen Befunden aus – nochmals gibt Lederer das

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Hofmannsthal, nicht überraschend, im modernen Massenzeitalter  : »Die Masse  : die Gefahr der zu grossen Zahl für eine individualistische irreligiöse Gemeinschaft«, welche in diesem unterzugehen drohe. Den »Genius der Nation behüten« und ihm »Leben zu spenden«, betrachtete der späte Hofmannsthal daher als vordringliche Aufgabe der Autoren, den »Wächter[n] des Geistes«.289

1.4 »Geistige Souveränität – sieht die Welt von oben«. 290 Autorschaft »Ich hatte von der Kindheit an ein fieberhaftes Bestreben, dem Geist unserer verworrenen Epoche auf den verschiedenen Wegen, in den verschiedenen Verkleidungen beizukommen.« (Hofmannsthal an George [18. VI. 1902]) 291 »[…] mir hat das Geschick gegeben, dass die Farbe auf der Leinwand nicht eintrocknet, der Thon nicht verhärtet, das Gedächtnis nicht versagt, die Bezüge sich nicht verwirren  ; ich arbeite, wenn ich bei mir selbst bin, mit einer Praesenz des Vielfältigen, die ich kaum erklären kann.« (Hofmannsthal an Bahr  ; BW Bahr, 365 [17. VIII. 1917])

Walter Benjamins geschichtsphilosophischer Methodik, »Die Aktualität als den Revers des Ewigen in der Geschichte zu erfassen und von dieser verdeckten Seite der Medaille den Abdruck zu nehmen«,292 dürfte hinsichtlich des immer von Machtstrukturen durchzogenen und profilierten Bildes der Zeit auch HofBeispiel  : »Aber der Volkscharakter schließt allgemeine Voraussetzungen für die künstlerische Produktion in sich. Wir werden ihn in unserem Zusammenhang auffassen müssen als ein Subjekt, das wir von der ›Erscheinung‹ des Volkes her, von seiner Sprache, seinen Traditionen, der Sitte, bis zu den typischen Bewegungen, konstruieren. Man wird dann unter diesem ›Volkscharakter‹ nicht eine positive greifbare Wesenheit denken, sondern eher eine Hilfskonstruktion, welche sich, allen diesen Ausdrucksformen seiner ›Erscheinung‹ zugeordnet, ergibt. Demgemäß wird man auch die Möglichkeit der Änderung für diesen ›Volkscharakter‹ zugeben müssen – wenngleich nur in langen Intervallen.« (Lederer, Aufgaben einer Kultursoziologie  ; op cit, 162/163). 289 SW XXXVIII, 958  ; Aufzeichnungen [1925] und ebd., 994 [1926] sowie ebd., 866 [1922]. 290 RA III, 599  ; Ad me ipsum. »Eine Überwindung des chaotischen Weltzustands tut not.«  ; RA II, 34  : Aufzeichungen Skandinavien. 291 BW George, 154/155. Vgl. auch Fiechtner, Gestalt des Dichters  ; op cit, 322/323. 292 Walter Benjamin in einem Brief an Hofmannsthal über die Absicht der Einbahnstraße  ; 8. 2. 1928 (GB III, 331). Auch hier ließe sich wieder an den eingangs zitierten Dualismus Jungs denken  ; wobei Geschichte dann die psychologische, dem Ewigen aber die reale Qualität eignete.

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mannsthal ergiebig erschienen sein. Er bemühte sich folglich um Erfassung der gesellschaftlichen Wirklichkeit als Revers des »real Wahren« ( Jung) – somit also um den »Gesamtbereich des Politischen« – und dies vor allem seit Kriegsende. Werfel zum Beispiel schrieb diesbezüglich in einem Brief eher pessimistisch an Hofmannsthal  : »Der Hexenkessel jetzt ist besser  !  ! [als die »geistige Finsternis« der »Vorkriegszeit«  ; amion] Nur ist es namenlos schwer, sich in ihm zu bewehren [sic..  ?] Und vielleicht mit Geisteswaffen überhaupt unmöglich angesichts der Schwimmrekorde aller Zonen.«293

Das Ideal einer »geistigen Souveränität« setzte Hofmannsthal den politisch zerfahrenen und wirtschaftlich zerrütteten Zuständen entgegen, und verband sie zunehmend mit einer auf Einheitlichkeit und Ordnung gerichteten Wirkungsabsicht, für deren Profilierung er erheblichen Leseaufwand betrieb. Christoph König hat erwähnt, dass sich Hofmannsthal als »Sprachkünstler« nach dem Chandos-Brief die Fähigkeit eines »ganzheitlichen Erkennens« nur noch in »erhöhten Augenblicken« zuerkannt habe – und dessen Wiedergabe in der Einzelperspektive des Erzählers (oder lyrischen Ichs) fortan als Aporie betrachtete.294 Dieser sehr umsichtigen Bemerkung ist zu entnehmen, dass die veränderte poetologische Haltung geradewegs in die Karriere des Dramatikers mündete, welchem im Perspektiven-Pluralismus auf gezeigtes Geschehen ein legitimer Zugang des Erkennens zur Verfügung steht (scheinbar ohne leitende Erzählinstanz). Gerade für ein Wissen über das kollektive Unbewusste, die »reale Wahrheit« zu Krisenzeiten (als »erhöhten Augenblicken«) scheint diese Abwendung von Interesse. Der (Selbst-)Anspruch einer gleichsam ›archimedischen Perspektive‹ findet sich in verschiedenen Variationen auch immer wieder im Turm (daneben z. B. auch im Andreas-Fragment)  ;295 vereinzelte Notizen verdeutlichen 293 Der Brief ist ohne Datum, aber jedenfalls nach Hofmannsthals Rede Vermächtnis der Antike und Werfels Publikation von Paulus unter den Juden entstanden  ; Einsicht erhält man im Deutschen Literaturarchiv Archiv Marbach (Signatur  : A  : Haas  ; HS.2007.0022  ; Briefe anderer). Werfel dürfte sich, vielleicht auf Hofmannsthals Anraten, für die Verfertigung des Dramas mit Webers Religionssoziologie (dem Band III über das Judentum) vertraut gemacht haben, er schreibt von einer schweren vorbereitenden Lektüre. Sollte »bewehren« im Sinne von »bewähren« zu lesen sein, wäre einer der Hauptbegriffe der Protestantischen Ethik zitiert. 294 König, Dichter unter den Philologen  ; op cit, 78. 295 Die Perspektive, die für die Bewältigung dieses Auftrags einzunehmen ist, hat Hofmannsthal im Andreas-Fragment beschrieben  : »Seine Augen sahen nach vorn, aber mit einem leeren kurzen Blick, die Augen des Herzens schauten mit aller Macht nach rückwärts. Die Stimme des

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diesen Nexus stärker als der Dramentext, wenn etwa von Basilius der weltliche mit dem »literarischen Souverän«296 gleichgesetzt wird oder der Arzt die Funktion einer Souveränität des Geistes297 als eine die Wirklichkeit erzeugende beschreibt  : »Nur die ganze Gewalt frommt  : die hat so der König wie der Dichter« (SW XVI.1, 281  : Basilius) »DER AR ZT Ich verharre in der Wirklichkeit [  : die beginnt für mich dort, wo der Geist (1) die scheinmässige materiam durchdringt (2) den vordringlichen Stoff der Scheinwelt überwältigt | und mit ihr schaltet als ein Souverän.]« (SW XVI.1, 298)298

Die Idee der sich durch Schaffung einer einheitlichen, verbindlichen Perspektive bewährenden Souveränität des poeta doctus ist wohl in Kombination mit Hofmannsthals Arbeitsweise auch dazu geeignet, die große Menge an Fragment gebliebenen Versuchen, der politischen Wirklichkeit geistig habhaft zu werden, zu erklären. Zunächst aber zur Materie, die Hofmannsthal auf seinen geistigen Beutezügen durchdrang  : Diese ist im Prozess der Werkentstehung offenkundig zunächst eine textliche. Gewissermaßen ›Sediment‹ dieses (lebenslangen) StreFuhrmannes riß ihn aus sich, der mit der Peitsche nach oben zeigte, wo in der reinen Abendluft ein Adler kreiste.« Nach einem Rundblick über ein erhaben im Sonnenuntergang ruhendes Tal imaginiert sich Andreas in die Position des Adlers  : »Ihm war, als wäre dies mit einem Schlag aus ihm selber hervorgestiegen  : diese Macht, dies Empordrängen, diese Reinheit zuoberst. Der herrliche Vogel schwebte oben allein noch im Licht, mit ausgebreiteten Fittichen zog er langsame Kreise, der sah alles von dort, wo er schwebte […] Andreas umfing den Vogel, ja er schwang sich auf zu ihm mit einem beseligten Gefühl. Nicht in das Tier hinein zwang es ihn diesmal, nur des Tieres höchste Gewalt und Gabe fühlte er auch in seine Seele fließen. Jede Verdunklung, jede Stockung wich von ihm. Er ahnte, daß ein Bild von hoch genug alle Getrennten vereinigt und daß Einsamkeit nur eine Täuschung ist.« Hugo von Hofmannsthal  : Andreas oder die Vereinigten  ; in  : Ders.: Die Erzählungen  ; hg. v. H. Steiner  ; Frankfurt 1949. 113–248  : 161/162. 296 Zur Schnittstelle von Dichter und Souverän vgl. die in vielfacher Hinsicht kommentierungs­ bedürftige Studie von Clemens Pornschlegel  : Der literarische Souverän. Studien zur politischen Funktion der deutschen Dichtung bei Goethe, Heidegger, Kafka und im George-Kreis  ; Freiburg/Breisgau 1994. 297 Für die Beurteilung dieses Themenkomplexes ist die Zusammenstellung von Nicolaus hilfreich  ; vgl. Nicolaus, Souverän und Märtyrer  ; op cit, 226 ff. 298 Darauf folgt das berühmte Acheronta-Movebo-Zitat Vergils als Weisung des Arztes an Julian. Eine Analogie ergibt sich aus diesen Zeilen auch zu Goethes Gedicht »Daímon«. (vgl. Goethe, Werke  ; Hamburger Ausgabe, Bd. 1  : Gedichte und Epen I. 359  : »Urworte, Orphisch«). Zur Deutung des Arztes als dem geistigen Souverän bzw. Vertreter geistiger Souveränität im Turm vgl. 4.1.2 und 5.2.2 dieser Studie.

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bens ist Hofmannsthals eindrucksvolle Bibliothek, deren verbliebener Bestand mittlerweile im Rahmen der Sämtlichen Werke als Fundus seines »geistigen Raumes« einzusehen ist.299 Dies gilt z.T. auch für die Bearbeitungsdaten und -weise. Die Technik von Rezeption und Übertragung  : Hofmannsthals sozusagen osmotisches Literarisierungsverfahren mit seinen geradezu ›systemischen Varianzen‹ liegt aber weiterhin im Dunkel einer nie geschriebenen Poetik,300 was auch die Frage nach dem Subjekt der Dichtung, dem ›Geist‹ bei Hofmannsthal an die Textmassen seiner – mithin eklektischen – Entstehung verweist. 1.4.1 Politiken des Lesens »Un auteur est un homme qui trouve dans des livres tout ce qui lui trotte par la tête.« (RA III, 290  ; Buch der Freunde)

Die erstaunliche Belesenheit Hofmannsthals ist oft bemerkt worden.301 Sie ergibt sich schon aus frühen Stationen seiner Biographie, die hier nicht nacherzählt werden kann. Ein kurzer Blick in das seit 1917 entstandene Buch der Freunde (1921) verschafft bereits einen guten Überblick, aus welchem Fonds der späte Hofmannsthal beim Verfassen seiner Texte schöpfen konnte  ; es wurde bereits mehrfach daraus zitiert.302 Für die Sommer 1918 und 1919 findet sich ein bemer299 »Die Bibliothek eines Dichters müßte zum Beispiel ein Buch über Geigenbau und eines über Geigenspiel enthalten […] Ebenso Bücher über Baukunst, Forstwirtschaft, über das Leben der Tiere. Ferner über das stumme Leben der Gesteine und Erze, alle die reichen Worte über das, wie sie einander durchwachsen, wie Kristalle anschießen, sich bilden und entbilden.« (RA III, 462  ; Aufzeichnungen [1905]) – Hofmannsthal hat Wort gehalten, vgl.: Bibliothek. Band XL der Sämtlichen Werke (Kritische Ausgabe)  ; hg. von E. Ritter in Zusammenarbeit mit D. Bukauskaite und K. Heumann  ; Frankfurt am Main 2012. 300 Der hier versammelte Bestand bietet aber die große Chance, nun mehr Licht in den Bezugsraum hineinzubringen. Ein diesen Bestand erschließendes Unternehmen sollte dahin dringen, dieses intertextuelle System zu entschlüsseln. Vgl. auch Alexander Mionskowski  : Politiken des Lesens. Hofmannsthals Bibliothek im Band XL der Kritischen Ausgabe  ; in  : Triangulum. Germanistisches Jahrbuch für Estland, Lettland und Litauen, Achtzehnte Folge (2012)  ; hg. v. H.F. Marten und S.J. Langer  ; Tallinn und Kaunas 2013. 175–181. 301 Vgl. auch zur »Kunst des Nicht-Lesens« Heike Grundmann  : »Mein Leben zu erleben wie ein Buch«. Hermeneutik des Erinnerns bei Hugo von Hofmannsthal  ; Würzburg 2003. Zum »rastlosen«, »ausschweifenden« Leser Hofmannsthal vgl. Gert Mattenklott  : Hofmannsthals Lektüre französischer Realisten  : Stendhal, Balzac, Flaubert  ; in  : Hofmannsthal-Blätter 34/1986. 58–73  : 58. 302 Darin enthalten übrigens auch dieses schöne Notat mit fast aktuellem Bezug  : »Griechen machen aus einem kleinen Fonds das meiste, Deutsche aus riesigem das wenigste.« (RA III, 274  : Buch

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kenswerter Lektürespiegel im Tagebuch der Tochter Christiane, welcher neben zahlreichen anderen Titel wie Rathenaus An die deutsche Jugend (1918), Kaisers Gas (1917–20), Goerings Seeschlacht (1918), Wells Time Machine (1895), Tolstois Herr und Knecht (1895) und Landauers Aufruf zum Sozialismus (1907/1919) auflistet.303 Auch nach dem endgültigen Bruch konnte George nicht umhin, der geistigen Klarsicht und Schärfe Hofmannsthals Respekt zu zollen, wenngleich er sie als wurzellos und unselbstständig abzuqualifizieren suchte.304 Hofmannsthal ist von Konrad Burdach mit Recht als »bewundernswert eindringender Leser selbst schwerster wissenschaftlicher Untersuchungen«305 eingeschätzt worden (auch wenn dieser damit zuerst seine eigenen Abhandlungen gemeint haben dürfte). Und Benjamin, der Hofmannsthal ja durchaus skeptisch gegenüberstand (»unveräußerliche Reserve bei aller Bewunderung«), teilte Scholem nach dem Berliner Zusammentreffen im Frühjahr 1928 in einem Brief sein Erstaunen über Hofmannsthals »wahres Verstehen und Entgegenkommen« mit.306 Rudolf Borchardt nannte ihn einen »Universalgeist von imponierendem Zuschnitte, eine enzyklopädische Natur, der in die Ferne, Breite, die Tiefe das Erforschbare umklammerte«.307 Walther Brecht wiederum, wissend um Hofmannsthals poetische Ansprüche, rühmte die »Einheit« seines »Weltbildes«, die ihn unter die Großen der (Literaturgeschichte) führe.308 Auch solche Sätze sind keineswegs nur als wohlfeile Höflichkeitsadressen etwa im Rahmen der Eranos-Festschrift oder der Nachrufe zu verstehen. Hofmannsthals Werk mit seiner thematisch ungemein weitläufigen literarischen Adaptionsder Freunde), was nicht ökonomisch gemeint gewesen sein dürfte. Benjamin äußerte sich gegenüber Rang fasziniert von dieser Sammlung – Hofmannsthals eigene Aphorismen darin nennt er teilweise »vorzüglich«, »aber auch mit den echten obligaten Hofmannsthalschen Entgleisungen.« (Walter Benjamin  : Gesammelte Briefe. Bd. II (1919–1924)  ; hg. v. C. Lödde u. H. Lonitz  ; Frankfurt/Main 1996. 296/298). Zugleich ist diese Konstellation ein Negativindex auf das zwar bekannte und gelesene, aber nicht mit hineingenommene geistesgeschichtliche ›Material‹ (vgl. etwa die Vorrede zum Deutschen Lesebuch in RA II, 169–175) der Werkentstehung. 303 Christiane von Hofmannsthal  : Tagebücher 1918–1923 und Briefe des Vaters an die Tochter 1903– 1929  ; hg. v. M. Rauch u. G. Schuster  ; Frankfurt/Main. 61 ff. 304 Vgl. Thomas Karlauf  : Stefan George. Die Entdeckung des Charisma. Biographie  ; München 2007. 203. 305 Konrad Burdach  : Der Bewahrer des Erbes  ; in  : Fiechtner, Gestalt des Dichters  ; op cit, 347–348  : 347. 306 GB III, 345 [11. 3. 1928]. »Und nicht nur hierbei ergab es sich, daß er erstaunlich schnell und wirklich beteiligt in meine Intentionen sich hineinfand.« 307 Rudolf Borchardt  : Hofmannsthal  ; in Fiechtner, Gestalt des Dichters  ; op cit, 352–355  : 354. In der Wortwahl von »umklammern« ist wohl eine gewisse Distanzierung zu sehen. 308 Walther Brecht  : Fragmentarische Betrachtung über Hofmannsthals Weltbild  ; in  : Eranos  ; op cit, 24.

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kraft wurde bereits als »überinformiert« bezeichnet (König)  ;309 den hohen Grad »der Komplexität und Vielgestaltigkeit« betont auch Waltraud Wiethölter.310 Die Liste solcher Hinweise wäre beliebig erweiterbar. Lorenz Jäger hat am Beispiel des Melancholie-Kapitels aus Benjamins Ursprung des Deutschen Trauerspiels auf einschlägige Weise nachgewiesen, wie eng bei Hofmannsthal die Lektüre anspruchsvoller Fachliteratur mit dem Entstehungsprozess seiner literarischen Texte in Zusammenhang stand.311 Für seine Arbeitsvorhaben war er stets bereit, sich in komplexe Materien einzuarbeiten  ; das gilt auch und gerade für den späten Hofmannsthal, der sich von einer gesamteuropäischen Krisensituation und weitaus komplexeren Zeitläuften gefordert sah. Dass er hierbei den Bereich des Mythischen (schon aufgrund eines diegetischen Anspruchs) explizit einbezog, ist in diesem Zusammenhang als zeittypisch zu betrachten  ; seine Lektüre von Ernst Cassirers Die Begriffsform im mythischen Denken (im August 1925) verweist nochmals auf ein Verständnis des Mythos als Instrument der (vorrationalen, mystischhumanistischen) Erkenntnis  ; auf eine Logizität außer- bzw. unterhalb der Grenzen wissenschaftlicher Rationalität, welche jedoch Zugang zur ›Metaphysik‹ der »realen Wahrheit« verheißt.312 »[…] die Welt hat für uns die Gestalt, die der Geist ihr gibt. Und weil er bei all seiner Einheit keine bloße Einfachheit ist, sondern eine konkrete Mannigfaltigkeit verschie309 »Hofmannsthals außergewöhnliche, nervöse Sensibilität macht ihn empfänglich für seine Welt und gewährt Leben, Politik, Kunst, Wissenschaft und Tradition Eingang in die Werke.« (König, Dichter unter den Philologen  ; op cit, 95). – Eine nicht auszudenkende ›Begegnung‹ wäre darum die Hofmannsthals mit dem Internet. 310 Waltraud Wiethölter  : Hofmannsthal oder die Geometrie des Subjekts. Psychostrukturelle und ikonographische Studien zum Prosawerk  ; Tübingen 1990. 1. 311 Lorenz Jäger  : Hofmannsthal und »Der Ursprung des Deutschen Trauerspiels«  ; in  : HofmannsthalBlätter, 31/32, 1985  ; 83–106 (allerdings nicht zum Turm). 312 Ernst Cassirer  : Die Begriffsform im mythischen Denken  ; Leipzig 1922. Zu Goethes »Einbildungskraft« und »exakter Phantasie«  : vgl. 37 ff. Prägnanter hat Cassirer in seinem Hauptwerk das Verhältnis von Sprache und Mythos gefasst  : »Die Frage nach dem ›Ursprung der Sprache‹ ist unlöslich mit der Frage nach dem ›Ursprung des Mythos‹ verwoben – beide lassen sich, wenn überhaupt, so nur miteinander und in wechselseitiger Beziehung aufeinander stellen.« (Ernst Cassirer  : Das mythische Denken  ; op cit, IX) Cassirer verbindet damit auch die Anfänge des Rechts, der Wissenschaft und der Kunst (ebd.). Der Mythos erscheint hier als eine »einheitliche Energie des Geistes« und »in sich geschlossene Form der Auffassung, die in aller Verschiedenheit des objektiven Vorstellungsmaterials sich behauptet.« (ebd., 281). Benjamins Skepsis diesbezüglich (der begrifflichen Fassung des Mythischen) drückt sich in dem erwähnten Brief an Hofmannsthal vom 28. XII. 1925 aus  ; vgl. Benjamin, GB III, 106.

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denartiger Richtungen und Betätigungen in sich birgt  : darum muß auch das Sein und seine Klassen, seine Zusammenhänge und seine Differenzen als ein anderes erscheinen, je nachdem es durch verschiedene geistige Medien erblickt wird.« (Cassirer, Begriffsform  ; op cit, 53)313

Insbesondere hinsichtlich des politischen »Seins« war Hofmannsthal darauf bedacht, seinen Anspruch auf eine Deutungsfähigkeit auch durch entsprechende Akkumulation von Spezialwissen zu legitimieren. Sein »soziologisches Interesse« ist dabei zumeist kulturgeschichtlich orientiert. So hob er auch im schon erwähnten Brief an Redlich hervor, dass für Schmitt die »Geschichte ein Lebendiges« sei und seine Schriften eine »vitale Intensität« des Geistes zeigten. Dass also gerade ihm ein ›Charisma des Geistes‹ als Ideal (einer »neuen Mythologie«) erscheinen konnte, kann kaum verwundern. Hofmannsthals Belesenheit zeigte sich zudem in seiner Eigenschaft als Herausgeber auch wissenschaftlich bedeutender Anthologien, die als Fonds seiner kulturpolitischen Haltung und Versuche einer Fassung und Vermittlung des Kulturerbes erst neuerdings vermehrt Interesse finden.314 Diese sind als Kondensate seiner Lektüren in einem Kontinuum (der Selbst-Mitteilung) zu sehen, dass über das Buch der Freunde zum Ad me ipsum führt. Sein Ausspruch »Denn ein Buch ist zur größeren Hälfte des Lesers Werk, 313 Vgl. hierzu übrigens Hofmannsthals Vortrag Vermächtnis der Antike (1926)  : »[…] denn Wirklichkeit ist geistige Schöpfung, und jene wechselnden Mienen sind nichts als der Reflex des inneren Seelenschwindels einer Menschheit, die zur Schöpfung nicht mehr die Seelenkräfte in sich trägt.« (RA III, 14  ; Vermächtnis). 314 »Die erhaltenen Notizen, Entwürfe und die Fülle der Zeugnisse zeugen von der großen Sorgfalt und dem immensen Zeitaufwand, die Hofmannsthal auf die Auswahl der herauszugebenden Texte verwandte, und veranschaulichen die wechselseitige Durchdringung von eigenen Lektüreerfahrungen und geplanten Editionen.[…] Die individuelle, sowohl Chronologie wie auch überkommene Wissensordnungen bewusst durchbrechende Auswahl und Anordnung der Texte rückte für Hofmannsthal in die Nähe eines künstlerischen Aktes.« (Donata Miehe  : Hugo von Hofmannsthals Tätigkeit als Herausgeber zwischen 1920 und 1929. Kritische und kommentierte Edition  ; Wuppertal 2010 (Univ.-Diss.). S.VI. Diese Dissertation ist zugleich Teil des noch nicht erschienenen Bandes [SW] XXXVI  ; Herausgebertätigkeit  ; jedoch bereits abrufbar unter http://dnb.info/1012009068/34 [Abrufdatum  : 8/2012]. Vgl. zudem die bereits erwähnten Arbeiten von Tobias Heinz, der sich stärker auf die Anthologie Wert und Ehre deutscher Sprache bezieht (Hofmannsthals Sprachgeschichte  ; op cit, 260 f.), und Wagner-Zoellys Arbeit zu den Neuen deutschen Beiträgen, die ihre Stärken in der Nachzeichnung der Konstellationen um Hofmannsthals Zeitschrift findet (vgl. Wagner-Zoelly, Europa-Utopie  ; op cit, z.b. 213 f.). Auch Daniela Gretz hat sich dezidiert mit Hofmannsthals Anthologien beschäftigt (vgl. Gretz, Deutsche Bewegung  ; op cit, 275 f.).

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wie ein Theater des Zuschauers« verweist auf seine tiefe Vertrautheit mit dem ›Akt des Lesens‹ – wirklich eine Lebenshaltung bei ihm315 – und signalisiert aus Perspektive des Kunstschaffenden eine gewisse Bescheidenheit, welche die in der Auswahl dokumentierte »geistige Führung« durch das »Schrifttum« konziliant als die einer ›unsichtbaren Hand‹ erscheinen lässt. 1.4.2 Eklektizismus und Synthese  : Arbeitsweise und soziale Wirkungsabsicht »So goethisch ist keine Novelle wie die Frau ohne Schatten, so calderonsch kein calderonsches Drama wie der Turm […] Hofmannsthal fälschte ohne es zu wissen, aber freilich erfüllt von den Werken, die aufs neue in ihm lebendig wurden.« (Benjamin  : Hofmannsthal)316

Hofmannsthals Meldung vom 1. 11. 1926 an Reinhardt, »bis auf einige letzte aber bedeutsame Pinselstriche« sei die Umarbeitung des Turm abgeschlossen,317 lässt auf eine bildliche und reichlich improvisierte Arbeitsweise schließen, die sich ständig mit den »schreibbaren Möglichkeiten« auseinandersetzte. 318 Die »Textschichten« des Stücks sind einem Montageverfahren verpflichtet, das Hofmannsthal zumindest selbst mit Delacroix in Verbindung brachte  ; er hatte die Biographie Julius Meier-Graefes (1921) und wohl auch Baudelaires DelacroixAufsatz gelesen.319 Dieses Vorgehen einer ›Geburt‹ des Dramas aus dem Chaos 315 RA II, 175  ; Lesebuch. Vgl. hierzu Heike Grundmann  : »Mein Leben zu erleben wie ein Buch.« Hermeneutik des Erinnerns bei Hugo von Hofmannsthal  ; Würzburg 2003. 316 Walter Benjamin  : Hofmannsthal  ; in  : GS VI, op cit, 145. Hinsichtlich des Turm wäre ihm zu widersprechen. Die Figur des »Fälschers« ist bei Benjamin im Übrigen nicht per se negativ aufzufassen. Benjamin äußerst sich aber auch noch zu Hofmannsthals bildungspolitischem Anspruch, den er recht gut wahrgenommen hat  : Hofmannsthal habe mit solcher »Beschwörungskunst« der »Bildung« – oder besser gesagt – deren Sachwaltern die »verlorene Autorität« aus der Verbindung mit der Geschichte zurückerstatten wollen. »Das Unternehmen, Bildung auf Magie zu gründen, bringt alles Große und Chimärische dieser Natur zum Ausdruck.« (ebd.) Das »Chimärische« Hofmannsthals sieht Benjamin v. a. im geschichtspolitischen Zugriff auf das Habsburgische Reich und der widerstrebenden »humanistisch protestantische[n] Geisteshaltung« begründet. 317 SW VI.2, 453. 318 So Hofmannsthal an Burckhardt über die Schwierigkeiten der Arbeit am Turm  ; 10. Juli 1926 (BW Burckhardt, 197). 319 Vgl. SW XVI.1, 166. Vgl. Ursula Renner  : Die Zauberschrift der Bilder  : Bildende Kunst in Hofmannsthals Texten  ; Freiburg i.Br. 1999  ; hier wird Delacroix allerdings kein eigenes Kapitel eingeräumt. Hofmannsthal hatte den Vergleich mit dem Maler gegenüber Ottonie Gräfin Degenfeld gemacht (2. VIII. 1923).

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der Bezüge erlaubte es ihm, seinen Reichtum an Bildern, Wissen und Lektürefrüchten in verflochtener und verdeckter Weise im Stück niederzulegen.320 Willy Haas erinnerte sich später  : »Merkwürdig waren seine Entwürfe, eine Formel von höchster Bedeutung. Auf einem Blatt Papier waren drei, vier Lagen Texte übereinandergeschrieben, kreuz und quer, ohne jede Rücksicht auf die etwa ausgesparten Reste weißer Fläche, und daher völlig unleserlich. Sie waren gewissermaßen perspektivisch übereinandergeschrieben.«321

Dies mag auch das Ergebnis seines Umgangs mit Bezugstexten schildern  ; hierzu teilte Carl J. Burckhardt mit  : »Hofmannsthal […] las nie anders als mit dem Bleistift in der Hand, er machte Exzerpte und veränderte oft die ursprüngliche Form des Zitats.«322 Zeugnis dieser Praxis könnte durchaus auch das fragliche Exzerpt aus der Politischen Theologie sein. Dieses anverwandelnde Zitieren ist jedenfalls zu einem nicht geringen Teil dafür verantwortlich, dass Hofmannsthal seitens der Philologen nach wie vor hohe Aufmerksamkeit zukommt. Was Wolfgang Iser als »Konstitutionsprinzip der Intertextualität« bezeichnet hat, kann man Hofmannsthal darum nicht als Stil-Fälscherei vorwerfen (und schon gar nicht als unbewusste)  ; wo nicht in der sprachlichen Verfügung selbst, so doch zumindest in der Kompilation und im Ausgleich dieser »maßlosen Vielheit«, den »Massen« in sich, ist seine Eigenleistung anzuerkennen  ; so schwer ihm auch – und das unterscheidet ihn im Übrigen vom Benjaminschen Allegoriker – jeder »Selektionsakt« bei der »Bündelung von Texten« gefallen zu sein scheint.323 Wie 320 Ein Arbeitsmotto Hofmannsthals lautete  : »[…] um anzufangen, nimm die erste beste Stunde, wieder die nächste, füge Weniges zu Wenigem, sieh es immer nur als Provisorium an, als ausgeführte Notiz, übergehe es immer wieder, lege Schicht über Schicht, nur so kann man in reifen Jahren arbeiten, ohne sich selbst durch eine gesteigerte unerfüllbare Anforderung zu zerstören.« (BW Andrian, 371). 321 Willy Haas  : Der Mensch Hofmannsthal  ; in  : H.A. Fiechtner (Hg.)  : Hugo von Hofmannsthal. Die Gestalt des Dichters im Spiegel seiner Freunde  ; Wien 1949. 254–259  : 256. (Nach Sichtung der handschriftlichen Notizen zum Turm muss der Verfasser Haas’ Einschätzung bestätigen.) 322 Hugo von Hofmannsthal  : Timon der Redner. Sämtliche Werke (Kritische Ausgabe) Bd. XIV  ; hg. v. J. Fackert  ; Frankfurt/Main 1975. 532. 323 Wolfgang Iser  : Das Fiktive und das Imaginäre  ; op cit, 389. Iser betont gerade den Wert einer solchen eklektischen Intertextualität  : »Je mehr ein Text andere Texte in sich versammelt, desto ausgeprägter erscheint die vom Selektionsakt hervorgebrachte Doppelung. Diese manifestiert sich dann als Spielraum aller im Text versammelten Diskurse, um so zur Matrix für eine im Prinzip unabsehbare Beziehungsvielfalt des Textes zu seiner Umwelt zu werden.« (ebd.) Die »ThemaHorizont-Beziehung« gerate auf diese Weise zu einem potentiell unbegrenzten Vexierspiel. Das

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bedeutsam bei diesem eklektischen, riskanten (ebenfalls an eine »Montage höherer Ordnung« erinnernden) Verfahren für Hofmannsthal die Orientierung am Begriff ›Form‹ war, hat schon Broch betont  : »[…] ohne diese selbst auferlegte, Goetheisch geschulte Bindung an die Ordnung, ohne diese strenge Stil- und Traditionsgebundenheit hätte Hofmannsthals ungeheurer Reichtum an Bildern, Assoziationen, Gedanken und Einsichten, hätte seine letztlich impressionistische Fülle wahrscheinlich überhaupt nicht zu zusammenfassender Gestaltung gelangen können.«324

Jaques Le Rider spricht von einem Verfahren »historischer Montage«, die im Ergebnis jedoch »in höchstem Maße überdeterminiert« sei.325 In der Tat zeugt das nachgelassene Material von den Schwierigkeiten dieser eklektischen Arbeitsweise  ; Christoph König hat bei Hofmannsthal dennoch eine »Poesie des Gelingens« auch im Scheitern am inneren Chaos ausgemacht.326 Dieser konnte sich darin übrigens von Karl Jaspers’ Worten über Max Weber bestätigt fühlen, der in seiner Gedenkrede das Fragmentarische als vordringlichen Zug des Weberschen Werkes betonte – der »Fragmentarier« Weber sei nur dann als »geistiger Gipfel der Zeit zu empfinden«, wenn man glaube, »daß das Größte, sofern es sich verwirklicht, notwendig Fragmentcharakter hat«.327 Tatsächlich hat Hofmannsthal sich zur »Geistige[n] Haltung« notiert  : »Es liegt ein Geheimnis des hohen Stils in dem, was nicht erwähnt wird. Darin, daß er so vieles nicht zu sehen geruht, tritt die Haltung eines großen Autors hervor. Indem er mit den Weltmächten und Scheinmächten zum Kampfe antritt, wählt er sein Kampffeld, und in dieser Wahl, durch die er gleichzeitig die Ordnung des Kampfes (wie eines Tanzes) an sich reißt, tritt seine Souveränität, seine eigentliche virtù hervor.« (RA III, 584  ; Aufzeichnungen [23. I. 1926]. Vgl. jetzt auch RA XXXVIII, 990) gilt auch für die Beziehung von Macht-Thematik und dem Politischen (Horizont). »Das Abgewiesene aber verschattet sich in der realisierten Beziehung und gibt ihr Kontur  ; dadurch kommt das Abwesende zur Gegenwart.« (ebd., 29). Zu Benjamins Figur des Allegorikers  : vgl. 5.1.3. 324 Hermann Broch  : HuZ, op cit  ; 216. 325 Le Rider  : Historismus und Moderne  ; op cit, 262/283. 326 König, op cit, 69. Vgl. hierzu auch Joachim Seng  : »Das Halbe, Fragmentarische aber, ist eigentlich menschliches Gebiet.« Der »Andreas«-Roman Hugo von Hofmannsthals  ; in  : B. Fetz/K. Kastberger (Hg.)  : Die Teile und das Ganze. Bausteine der literarischen Moderne in Österreich  ; Wien 2003. 174– 186. 327 Jaspers  : Max Weber  ; op cit, 15 und 5.

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Auch hinsichtlich des Theaters als dem Spielraum der zuvor poetisch erzeugten Komplexität hat er den Wert der Leerstellen im Sinnzusammenhang betont – »der dramatische Text ist etwas Inkomplettes und zwar um so inkompletter, je größer der dramatische Dichter ist«. Gerade für Shakespeare und Calderón sei der »Charakter der Skizze« kennzeichnend.328 An diesen absichtlich der Interpretation besonders bedürftigen Punkten entzündet sich das Publikumsinteresse, findet sich der Umschlagplatz wahrer Identifikation und Teilnahme, des Glaubens. Das Theater selbst erschien Hofmannsthal mithin als eine Institution tradierter Außeralltäglichkeit  : »Alles, was sich aufs Theater – das wahrhafte, nicht das der Literatur – bezieht, ist lebendig, gemeingültig, menschenhaft. Je näher man dem Eigentümlichen des Theaterwesens kommt, desto mehr tritt man aus dem Bann der eigenen Zeit heraus.« »[…] das Theater [ist] ein ewiges Institut […] durchaus eine Welt für sich, und von den großen geselligen Institutionen, die in einer verwirrten und vereinsamten Welt noch in Kraft stehen, die älteste, die ehrwürdigste und die lebensvollste.« (RA II, 270/271  : Komödie [1922])

Dass unter die »großen geselligen Institutionen« einer Realisierung des Imaginären als Formierung des Zeitgeistes auch das Parlament zu zählen wäre, wird von Hofmannsthal allerdings an keiner Stelle erwähnt. Er betont hingegen die außer- und innengesellschaftliche Perspektive einer größeren Unmittelbarkeit, wie sie das Theater in der leibhaften, magisch-identitären Repräsentation der Inszenierung bereithalte. Ein erhöhtes Bewusstsein des performativen Elements im Theaterschaffen (»nicht das der Literatur«) findet sich auch in der ersten Notiz zum König Ödipus (1905), der gewissermaßen während der Proben entstand  : »Der Text. Der Schauspieler. Geist des Regieführers./ Wirkung auf wen  ? Masse Volk.«329 Im Zwischenraum der scheinbar unverbindlichen Nebeneinanderstellung von ›Masse‹ und ›Volk‹ verbirgt sich bereits das Ziel dieser Wirkungsabsicht – aus der zusammengeströmten Masse der Besucher eine Menge (den Begriff Publikum sah Hofmannsthal kritisch), im ›Spielraum des Dramas‹ ein Volk

328 RA II, 312/313  : Reinhardt. 329 Hugo von Hofmannsthal  : Dramen 6. Ödipus und die Sphinx/König Ödipus  ; Sämtliche Werke Bd. VIII  ; hg. v. W. Nehring u. K.E. Bohnenkamp  ; Frankfurt/Main 1983. 533 (N1). Übrigens hat Lukács später in der Entwicklungsgeschichte des modernen Dramas (op cit. [1909]) eben dieses Moment der Wirkungsabsicht im Rückgriff auf die Massenpsychologie beschrieben, ohne allerdings Le Bon zu nennen (vgl. ebd, 18 ff.).

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(für den König Ödipus) zu schaffen.330 Ähnliche Ausführungen zur Formung der Zuschauer zu einem Resonanzkörper der dramatischen Wirkungsabsicht finden sich im Spiel vor der Menge und in Das alte Spiel vom Jedermann, bei dessen Verfassung, wie Hofmannsthal begleitend mitteilte, »eine verborgene Pluralität« ihm »die Hände gelenkt« habe  : »aus den Tausenden von zufällig zusammengekommenen Menschen, deren Gesichter das einzig helle in dem dämmrigen Dunkel waren, [wurde] mit einem Schlag ein Wesen  : die Menge«. Theater ist darum für Hofmannsthal »immer ein Politikum«  :331 »Dramatische Gebilde  : Auseinandersetzung zwischen Individuen und Gesellschaft. Der Dichter und seine Figuren sind eins  : innerlicher Schauspieler. Heraustreten der Person auf das Gerüst, wie hilfeflehend, Vertreter der Gesamtheit  : vor die Menschen, für die Menschen. Der Chor = die Menge  ; […]« (RA II, 30  : Aufzeichnungen Skandinavien [1917])

In diesen Skizzen (zu) einer Szene (sie könnte der Jedermann-Inszenierung entstammen) wird die Transformation der sozialen Masse quasi per Regieanweisung vorgeschrieben, in der Aufführung erzeugt der eklektische Text eine soziale Synthese. Hofmannsthal unterschied hierbei Publikum von Menge/Volk. Das Publikum, als welches er die zeitgenössische Kritik abkanzelte, sei »schwankend, kurzsinnig und launisch«, das in der Menge der tausenden Besucher zusammentretende Volk hingegen »alt und weise, ein Riesenleib, der wohl die Nahrung kennt, die ihm bekommt. Es versteht und empfängt in einer großen Weise und teilt das Heiligste seines Besitzes den Einzelnen mit, die rein und bewußt aus ihm hervortreten.«332 Hier ist der Anspruch der Reinhardtschen »Theatrokratie« (König) herauszuhören und möglicherweise Kierkegaards Kritik des Publikums als Märchen des Zeitalters des Verstandes  ;333 jedenfalls grenzte für die Dauer 330 Vgl. zu Hofmannsthals Antike-Adaptionen Christian Horn  : Remythisierung und Entmythisierung. Deutschsprachige Antikendramen der klassischen Moderne  ; Karlsruhe 2008. 100 f. (Ödipus) und 127 f. (Alkestis, Elektra)  ; 233 (Ariadne auf Naxos). 331 GW D III, 93  ; Das alte Spiel  ; GW D III, 104  ; Spiel vor der Menge. Im dritten Wiener Brief (1923) wird Hofmannsthal schreiben, der Jedermann sei gegen den mit der Französischen Revolution (nicht der Aufklärung) aufgekommenen Rationalismus gesetzt (RA II, 286/287). Auch im Hinblick auf die Lektüre der Religionssoziologie Webers ist diese Selbst-Interpretation von Interesse. Die Masseninszenierungen Reinhardts zielten jedenfalls in der Tat auf die Aushebelung der subjektiven Ratio (vgl. hierzu Horn, Remythisierung  ; op cit, 104). 332 GW D III, 106  ; Spiel vor der Menge. 333 Die Konzeption lässt aber auch an die Vorstellung Landauers vom Dichter vor der Menge den-

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dieser Aufführungen Regie an (mentales) Regiment. Dass dieser Haltung der Übertritt in die gänzlich politische Sphäre, zu einer agitierenden Wendung an das Volk während der Kriegsjahre nicht schwer fiel – so gesittet sich diese bei Hofmannsthal auch ausnahm, da sie symbolisch-integrativ die eigenen Vorzüge betonte, nicht abgrenzend über eine Feindbestimmung –, ist leicht zu begreifen. Die Arbeit in dieser Sphäre politischer Identität richtete sich bereits während des Kriegs auf Österreich und setzte sich danach mit dem zentralen Begriff »Nation« (dem neuen geschichtlichen Subjekt) fort. Mit der Erweiterung seines Adressatenkreises musste auch Hofmannsthals Interesse an synthetischen Verfahren steigen, um der ›inneren Massen‹, von welchen er Hermann Bahr in dem bereits zitierten Brief berichtete (1.1.2), Herr zu werden. Zunächst ist hier an die mythische Konzeption zu denken, welche er sich mit der Bearbeitung antiker Tragödien erarbeitet hatte.334 Landauers Verständnis etwa zielte auf die beschreibende Kraft des Mythos als Metaphysik der Gemeinschaft,335 an einer Humanisierung des Mythos haben sich Broch, an seiner Aufklärung (später) Thomas Mann versucht.336 Hofmannsthals Perspektive entspringt einem kulturkonservativen Denken, ohne jedoch jene regressiven Züge einer politischen Mythologie als Ersatzreligion zu entwickeln  :337 »Poet ken  ; in einem Brief an Mauthner verteidigte Landauer jedenfalls Hofmannsthals (von George scharf kritisierte) »Wendung zu den Massen«  : »Ein Dramatiker wie Hofmannsthal braucht einen großen Raum und braucht eine Volksmenge, ein Volk  : Er nimmt es in seiner Dichtung voraus, das Volk, das es nicht gibt, für ihn und alle Dichter unserer Zeit nicht gibt. Drum muß er die jetzt lebende Masse zu sich holen, um den leeren Raum zu füllen, den Raum, der ihn von seinem Volke trennt.« (Landauer an Mauthner, 16. Februar 1906  ; in  : Gustav Landauer – Fritz Mauthner  : Briefwechsel 1890–1919  ; hg. v. H. Delf  ; München 1994. 122. Die erwähnte Kritik Kierkegaards ist bei anderer Gelegenheit zu erläutern, passt aber gut zur zitierten Briefstelle. 334 Vgl. hierzu jetzt Antonia Eder  : Der Pakt mit dem Mythos (Freiburg 2014). 335 Vgl. hierzu Kauffeldt  : Idee des neuen Bundes  ; op cit, 175  : »[…] um die Konstituierung von Volk ging es Landauer in letzter Konsequenz seines sozial- und kulturrevolutionären Denkens, und hier hatte sich die kommunikative Funktion des Mythos zu bewähren und zu realisieren.« 336 Vgl. den schon erwähnten Aufsatz Tim Lörkes  : Politische Religion und aufgeklärter Mythos  ; op cit. 337 Nehring hat Hofmannsthals Mythengebrauch wie folgt beschrieben  :»Doch Mythos ist, wenn man ihn nicht formalistisch als Sprachfigur versteht, wenn man ihn nicht dogmatisch als Verzerrung und Lüge verwirft, wenn man ihn nicht wie Barthes vornehmlich im Alltagsleben aufsucht, lebendig empfundene Vergangenheit, ist eine Art historisches Gedächtnis, das sich nicht primär um den Zusammenhang von Daten und Fakten sorgt, sondern Bilder und Symbole für spätere Zeiten entwirft.« (Wolfgang Nehring  : Der Prinz Eugen und Maria Theresia. Wiederbelebte Geschichte und Gedächtnis bei Hofmannsthal im Ersten Weltkrieg  ; in  : Studiae austriaca XII (2005). 9–22  : 12.)

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Mythenbildner  : er humanisiert die Phänomene der Welt.«338 notierte sich schon der junge Hofmannsthal in Betonung der symbolisch-kommensurablen Dimension von Mythen. Deren Gemeinschaftsbezug als Mittel einer kollektiven Selbstbeschreibung konnte er bereits seiner Lektüre von Bachofens Mutterecht (1861) entnehmen – dieser bestimmte die Mythen zu »Träger[n] nationaler Erinnerung« in Form einer »Darstellung der Volkserlebnisse« von somit bleibender Präsenz – zu ihnen zählen Massensituationen ihrer Außeralltäglichkeit wegen in besonderem Maße.339 »Da aber das Wie eines solchen Vorgangs nicht zu einer Bestimmtheit kommen kann, läßt es sich nur in Variationen inszenieren. Das gelingt durch ein vom Fiktiven zur Gegenwendigkeit gebrachtes Imaginäres, das sich immer anders zu realisieren vermag. Inszenierung wäre dann die transzendentale Bedingung dafür, einer Sache ansichtig zu werden, die ihrer Natur nach gegenstandsunfähig ist  ; und sie wäre zugleich auch ein Ersatz dafür, etwas zu erfahren, wovon es kein Wissen gibt.« (Iser, Das Fiktive  ; op cit, 406)

Die »mythische Methode« erscheint davor bei Hofmannsthal als poetische Strategie, durch Bezug auf ein der Zeit gegenwendiges Imaginäres ein kulturelles Gedächtnis zu erhalten bzw. zu schaffen. Darin wird zugleich ein ›Wissen‹ über das Politische (dem Ziel der Sehnsucht nach »Einheit«) generiert, um es als gesellschaftlich »neue[s] seelische[s] Verhalten[…] zum Raum«340 im Drama und auf dem Theater mitzuteilen. Genau in diesem Sinn eines wandelbaren und damit kontingenzbeständigen Konzepts ist der Mythos in seiner Eigenschaft als Kulturträger in den zwanziger Jahren zu einem Medium des kulturpolitischen Strebens Hofmannsthals geworden.341 Die Stiftung einer geschlossenen Ganzheit des Mythos war allerdings aufgrund anwachsender Kontingenz und Komplexität der Verhältnisse einer sich zum Massenstaat entwickelnden Gesellschaft mit immer größeren Schwierigkeiten verbunden, die gewünschte Übersicht für deren Allegorese fehlte. Die mythisch-synthetische Methode stand damit infrage als Mittel ästhetischer Evidenzerzeugung, als Spiel-Raum des Akts der Fingierung 338 RA III, 361  ; Aufzeichnungen [1893]. 339 Johann Jakob Bachofen  : Das Mutterrecht [1861]. 27 bzw. 541. FDH 1032. Als Lesedaten sind angegeben »XII 17«, 13 X 07« und »15 II 18«. Hofmannsthal las das Mutterrecht ab 1894 und befand übrigens, dass »Mutterrecht ein schlechter Titel« sei (SW XL, 38). 340 RA II, 291  ; Wiener Brief III (1923). 341 Dies gilt in besonderem Maße für Hofmannsthals Opern-Libretti. Die barocken Rekurse seines Spätwerks allerdings vermengen allegorische Technik mit mythischer Methode  ; vgl. oben und insbesondere 5.1.3.

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und der Re-Kombination von Fermenten des Politischen zu einem symbolisch vermittelten Wissen über die Zeit. Hofmannsthal hat aber eben nicht den Schluss daraus gezogen, das Humane dem Zweck der raunenden Bedeutsamkeit nachzuordnen. Die spezifisch ›andere moderne‹ Konsequenz dieses »Symbolnotstands« ist wenig bemerkt worden  ;342 wenngleich doch eine (ungewollte) produktionsästhetische Nähe zu Benjamins Ursprung des deutschen Trauerspiels (1925/28) besteht, der in Anlehnung an Friedrich Schlegel ein Plädoyer für das Fragment hielt und die Allegorie zur Trope des Ruinenhaften, sogar Apokalyptisch-Ruinösen, jedenfalls zur Trope der Moderne ernannte.343 Auch Hofmannsthals Fragmente und Notizen sind ihrem Umfang nach nicht zu vernachlässigen und machen – dem Gehalt ihrer Lesbarkeit nach – einen nicht geringen Teil des Gesamtwerks aus,344 eben jene »Geisterwelt der Entwürfe« (Borchardt), aus welcher Hofmannsthals Poetik der Fülle ständig rekombinierend schöpfte. Gerade diese, teilweise auf denselben Zetteln notiert wie der Turm, zeugen von einem fortgesetzten Bemühen Hofmannsthals, den »Gesamtbereich des Politischen« geistig zu erfassen. 1.4.3 Herrschaftsszenarien in weiteren Dramen Hofmannsthals »Nin ya s  : Nur die Ordnung, die auf Ungerechtigkeit gegründet ist, fürchtet Unordnung. Herrschaft heißt Zwang, Sonderung, Zerklüftung, Ausschließung.« (GW D III, 576  : Die beiden Götter [1917]) »pier r e  : […] weißt du,/ wem das Gestirn, das über dies Jahrhundert/ regiert, das Regiment der Welt verheißt  ? Dem da  ! (Er schlägt auf seinen Degen.)« (Das gerettete Venedig, 54 [1905])345 342 Wagner-Zoelly findet den klassizistischen Begriff »Torso« dafür (vgl. Wagner-Zoelly  : Die Neuen Deutschen Beiträge  ; op cit, 222 ff. 343 Benjamins Buch, aus welchem Kapitel in Hofmannsthals »Neuen deutschen Beiträgen« vorveröffentlicht wurden, ist auch poetologisch für Hofmannsthals Spiel mit barocken Formen relevant geworden. Die »Beziehung von Mythos auf Allegorie« »mißbilligte« Benjamin am Beispiel Creuzers allerdings (GS I 1, 343  ; Trauerspiel). Für Hofmannsthals eigene Trauerspiel-Konzeption dürfte diese ebenfalls gegenwendige Beziehung jedoch entscheidend sein (vgl. hierzu 5.1). 344 Vgl. zur Bedeutung des Fragments Gerhard Schulz  : Noch-Nicht und Nicht-Mehr. Zum Fragment bei Hofmannsthal und Novalis  ; in  : K. Feilchenfeldt [et al.] (Hg.)  : Goethezeit – Zeit für Goethe. Auf den Spuren deutscher Lyriküberlieferung in die Moderne. Festschrift für Christoph Perels  ; Tübingen 2003. 377–390. 345 Hugo von Hofmannsthal  : Das gerettete Venedig. Trauerspiel in 5 Aufzügen  ; Frankfurt/Main 1905.

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Herrschaft, Macht, Autorität, die Frage legitimer Gewaltausübung – solche Themen haben Hofmannsthal fast seine gesamte literarische Schaffenszeit über beschäftigt, wie auch die voranstehenden Zitate belegen. Die Anfänge des Turm als eminent politisches Drama liegen daher – der Materie nach – sogar noch vor der (Fragment gebliebenen) Calderón-Adaption Das Leben ein Traum, welcher man übrigens ein weiteres unbeendetes Drama, den König Kandaules (1903) an die Seite stellen kann. Schon 1889 hatte sich der jugendliche Hofmannsthal vorgenommen, Schillers Demetrius-Fragment (1922 in der Bremer Presse neu verlegt) zu vollenden. Diese seinerseits ebenso unbeendet gebliebenen Ausführungen bis 1893 – wie auch die zum Revolutionsstück – weisen bereits auf die tumultuarischen Revolte- bzw. Revolutionsszenen im späteren Turm bis zu den Woiwoden als Figurengruppe in der Bühnenfassung voraus. Deren Inklusion in die barocke Calderón-Vorlage hat diesen Stoff eigentlich erst modernisiert und zu Hofmannsthals ganz eigenem Beitrag zu einer Poetik des Souveränen in der Neuzeit (präsent in den Gestalten und der Symbolordnung des Turm) gemacht. Auch Der Kaiser und die Hexe (1897) hinsichtlich der Machtsymbolik (»k aiser  : Auf den Gold- und Silberstücken ist mein Bild, doch hab ich keines  !«) und Elektra (1903) mit dem Kampf zwischen »Mutterrecht« (Bachofen) und patriarchalischer Dynastie sind in diesem Zusammenhang zu nennen. Dies gilt für Das gerettete Venedig als Apologie republikanischer Gewaltherrschaft ebenso wie für Hofmannsthals schon erwähnte Ödipus-Adaptionen (1905). Damit steht fest, dass Hofmannsthal seit seiner Jugend als ein Autor verstanden werden muss, der sich für das Politische interessierte – wenngleich sich diese Eigenschaft hinter vorangehenden ›Begriffen‹ wie »Leben« und »Atmosphäre« verbarg. Auch die Bekanntschaft mit Stefan George hält hierfür einschlägige Beispiele bereit. Im Algabal (1892) hatte dieser bereits seinen literarpolitischen Machtanspruch zum Ausdruck gebracht, später in dem bekannten Satz gipfelnd  : »Ich war des festen glaubens dass wir, Sie und ich, durch jahre in unserm schrifttum eine sehr heilsame diktatur hätten üben können, dass es dazu nicht kam dafür mach ich Sie allein verantwortlich.«346 Hofmannsthals Dissertation zu den Dichtern der Plejade (1898) enthält übrigens bereits eine Absage darauf  : »Dem Äußersten, Obersten einer Sprache vermag die Willkür einer Dichtergruppe eine gewisse Gewalt anzutun, und hier Einiges an Veränderung hervorzubringen, das für die Zeitgenossen den undefinierbar fieberhaften Reiz der Modernität mitträgt, für später 346 Stefan George an Hugo von Hofmannsthal im Mai 1902 (BW George, 149–151).

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aber ein dichterisches Produkt um so schneller altern macht, wie Schminke, wenn sie von der Haut abgefallen ist.« (RA I, 243  ; Plejade)

Auch die frühen Aufzeichnungen zum Naturzustand – Hofmannsthal besaß Rousseaus Confessions und notierte sich neben eine markierte Stelle »1892«347 – lassen bedingt Rückschlüsse auf spätere Gestaltungen entsprechender Szenarien zu. Der später so bedeutsame Allegorie-Begriff, zunächst wohl in Orientierung an Goethes Abwertung in den Maximen und Reflexionen dem Symbol nachgeordnet,348 hat dann über den Zugang Benjamins einen anderen Stellenwert erhalten (vgl. 5.1). Absehbar ist jedenfalls schon in dieser frühen Phase die Absicht der Einheitsstiftung. »Mythische Lebendigkeit, wo für uns starre Allegorien. Metaphern lebendige Ausgeburten der musikalischen Phantasie  : Frevel, Unnatur, Zerreißen der heiligen Nabelschnur […] Der tragische Grundmythos  : die in Individuen zerstückelte Welt sehnt sich nach Einheit, Dionysos Zagreus will wiedergeboren werden.« (RA III, 358/359 [1893])

Die Bezüge, die Hofmannsthals dramatisches Hauptwerk (zumindest seine kulturpolitischen Bemühungen) insbesondere zu den seit Niedergang der Monarchie zahlreich entstandenen, Fragment gebliebenen politischen Stückskizzen unterhält, sind offensichtlich.349 Starke szenische Übereinstimmungen mit dem Turm weist das Fragment Die beiden Götter (1917) auf, das eigentlich die Fortführung des Semiramis-Stoffs (Calderóns Tochter der Luft) seit 1905 ist. Gerade die Dionysos-Thematik würde diesbezüglich – mit Ausblicken auf das PentheusFragment – eine gesonderte Studie lohnen. Die Ausgaben der Sämtlichen Werke machen aber zunehmend auch Schnittmengen im Material der Unmenge an Exzerpten sichtbar, die Hofmannsthal während seiner thematisch weit ausgrei347 »Cet état ne peut pas se décrire  ; et peu d’hommes même le peuvent imaginer, parceque la plupart ont prévenu cette plénitude de vie, à la fois tourmentante de délicieuse, qui, dans l’ivresse du désir, donne un avant-goût de la jouissance.« (Rousseau  : »Les Confessions. Partie I, Livre III. [Bd. I, 92 f.: 1728–1731.] FDH 1874. Vgl. SW XL, 576.). 348 »Eine Wahrheit als Wahrheit fassen, als Ding an sich, nicht als Allegorie, wie schwer, wie spät kommt das.« RA III, 370  ; Aufzeichnungen [1893]. Dass jedoch nicht erst der späte Hofmannsthal ein konstruktiveres Verständnis der Allegorie entwickelte, hat Uwe Steiner mit guten Argumenten dargelegt  ; vgl. Steiner, Zeit der Schrift  ; op cit, 20 f. und 189/190. 349 Maximilian Bergengruens bereits erwähnte Arbeiten zum »psychopathologischen Kern von Hofmannsthals politischer Theologie« im Kontext von Das Leben ein Traum – Der Turm zeigen das Potential solcher Parenthesen an  ; wenngleich diese Konstellation natürlich besonders naheliegt.

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fenden Lektürestreifzüge anfertigte und – wie etwa Gryphius’ Horribilicribifax für den Xenodoxus (seit 1920) und den Turm – für verschiedene Arbeiten nutzte. Doch auch in der Masse an Textstufen aus den verschiedenen Entstehungsprozessen finden sich Überschneidungen teils wortwörtlicher Art, z. B. zwischen dem Turm und Jemand (seit 1918),350 teils in den Figurenkonstellationen – so kommen Arzt und Gouverneur auch in dem geplanten »chinesischen Trauerspiel« Die Kinder des Hauses vor (seit 1927), das auf den Phokas-Stoff folgte und ebenfalls für eine Untersuchung auf den Einfluss Webers infrage kommt. Ähnliches gilt vor allem auch für Benjamins Ursprung des deutschen Trauerspiels, das Hofmannsthal seit Juni 1925 als Typoskript vorlag. Hier gibt es eine parallele Bezugnahme im Kaiser Phokas (seit 1924), im Xenodoxus351 und in der Neufassung des Turm vom Herbst 1926 (die den Schmitt-Bezug ebenso betrifft).352 Auch die Inflation als ultimativer Krisenindikator taucht nicht nur im Turm auf  : »Wachsen der Teuerung in den Sternen gelesen  ; verproviantieren mit Waar«353 lautet eine Notiz zum Xenodoxus. »nur ist es viel zu viel, und alles wahr / eins muß empor, die anderen zerfließen.« (Das kleine Welttheater  : Der Fremde)

In dieser von Zitaten, Leseerfahrungen und Hofmannsthals Wahrnehmungen seines Umfelds und seiner Zeit gesättigten Konstellation entsteht im Spätwerk ein interagierendes Geflecht verschränkter Arbeitsprozesse, deren Schnittmenge zu groß ist, als dass alle Stücke überhaupt zur fertigen Form hätten gelangen können. Tobias Heinz spricht diesbezüglich von »fraktalen Fragmenten«.354 Was davon neben dem Turm (der durch das Vorliegen dreier Abfassungen selbst frag350 Hugo von Hofmannsthal  : Dramen 17. Fragmente aus dem Nachlass 2  ; Band XIX der Sämtlichen Werke  ; hg. v. E. Ritter  ; Frankfurt/Main 1994. 316. Das Jemand-Fragment, für Bodenhausen geschrieben, vermischt dessen Biographie mit dem Stoff des Jedermann (1911) – und biographisch mit der Figur Webers (wie oben dargelegt). Es sollte ein Zeitstück über die Revolution 1918 werden. Vgl. hierzu König  : Dichter unter den Philologen  ; op cit, 322. 351 Vgl. auch SW XIX, op cit, 355. Die Bezugnahme auf Benjamin hat insbesondere Lorenz Jäger maßgeblich (allerdings nicht zum Turm) herausgearbeitet  : Hofmannsthal und »Der Ursprung des Deutschen Trauerspiels«  ; in  : Hofmannsthal-Blätter, 31/32, 1985  ; 83–106. 352 In SW XL, 803 findet sich allerdings die Vermutung, dass es sich bei dem Zitat auf dem Vorblatt zur Politischen Theologie um eine Phokas-Notiz handelt, die noch dazu aus dem Jahr 1924 [  !] stamme. Der Verweis auf den Band SW XIX (mit den entsprechenden Fragmenten) reicht als Erklärung jedoch nicht aus. Dort finden sich entsprechende Notizen erst ab Herbst 1926. 353 SW XIX, 82  ; Xenodoxus  ; N36. 354 Vgl. Heinz  : Hofmannsthals Sprachgeschichte  ; op cit, 228.

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mentarischen Charakter behielt) noch zur Druckreife gebracht worden wäre, wenn Hofmannsthal länger gelebt hätte, bleibt Spekulation. Hatte er sich zur Frau ohne Schatten (1919) schon »Triumph des Allomatischen. Allegorie des Sozialen« notiert,355 so ergibt sich auch die polyvalente Lesbarkeit des Turm wesentlich aus den Schichten jahrelanger Beschäftigung mit der Macht-Thematik und ihren verschiedenen Ausprägungen. Flankiert wird das Drama von den »Gesellschaftscomödien« Der Schwierige (1921) und Der Unbestechliche (1922), sowie von der »politischen Komödie« Timon der Redner (ab 1916), die ebenso den Umbruch der Herrschaft in seiner sprachlichen Dimension, das »Brechen aller Begriffsachsen« (Schmitt) zum Inhalt haben.356 Mit der Form des Trauerspiels nutzte Hofmannsthal dann entsprechend auch Gattungswissen hinsichtlich der Darstellungs-Modi politischer Herrschaft und verwandter – meist geschichtlicher – Topoi. Ab dem Ende des Weltkriegs wollte er diese mit den aktuellen Entwicklungen verbinden und von der literarischen aus der sozialen Masse näher gelangen.

1.5 »Jenseits« der Soziologie. Schwerpunkte von Hofmannsthals Weber-Rezeption »Was wissen wir vom Gehalt des von uns gelebten Zeitraumes wirklich  ?  ?« (RA III, 166  ; Bodenhausen) »[…] von den grauen, undefinierbaren, proletarischen Massen wußte er nur, daß man ihnen ›Bildung‹ übermitteln müßte, und wußte nichts von ihrer Haltung.« (Hermann Broch)357

Ein Interesse an der sozialen Lage hat Hofmannsthal darum in größerem Maße gehabt, als es (der übrigens auch nicht eben ›volksnahe‹) Broch ihm später zubil355 RA III, 603  : Ad me ipsum. 356 Vgl. hierzu Peter-André Alt  : Die soziale Botschaft der Komödie. Konzeptionen des Lustspiels bei Hofmannsthal und Sternheim  ; in  : DVjs 68 (1994). 278–306. 357 Vgl. HuZ, 209. Mit Blick auf das Salzburger große Welttheater könnte man Broch in diesem Punkt sogar zustimmen. Den kurzen Text Der Ersatz für die Träume (1921) übergeht Brochs Urteil. Vgl. zu Brochs großem Essay Robert Weigel  : »Um diese Zeit ist vieles hoffnungslos und krasser«  : Das Schicksalsjahr 1918 als Kulmination und Fortsetzung des Brochschen Wertevakuums  ; in  : K. Müller/H. Wagener (Hg.)  : Österreich 1918 und die Folgen. Geschichte, Literatur, Theater und Film  ; Wien 2009. 59–70.

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ligen mochte. Allerdings versuchte er sich ihr auf seine Weise zu nähern – nämlich in erster Linie lesend. Sein Pensum umfasste neben der täglichen Zeitungslektüre358 stets auch Erträge der soziologischen Forschung, welche eine moderne interpretatio mundi, eine Allegorese des gesellschaftlichen Geschehens versprach. Mit Georg Simmels Philosophie des Geldes (1900) und weiteren Werken hatte Hofmannsthal sich schon jahrzehntelang beschäftigt, als er den Turm schrieb  ;359 Simmels Definition der Soziologie als »eine eklektische Wissenschaft, insofern die Produkte anderer Wissenschaften ihr Material bilden«, welche als Wissenschaft »zweiter Potenz« »neue Synthesen« schaffe, dürfte ihn an sein eigenes literarisches Verfahren erinnert haben – sie hätte sogar zu dessen Vorlage werden können.360 Auch der Zusammenhang von Repräsentation, (Geld-)Symbolik und Entwertung, schon über Nietzsches Analogie von Münzen und Metaphern geläufig, ist ihm also früh bekannt gewesen. Arbeiten Sombarts (ab 1902) und Troeltschs361 kannte er  ; den Schlagworten nach sicher auch Ferdinand Tönnies’ Gemeinschaft und Gesellschaft (1887/1912).362 Nachweisbar ist zudem die Lektüre von Le Bons Psychologie des foules  ; Hofmannsthal besaß die Ausgabe von 1905, die auch Lesespuren von seiner Hand aufweist. Seine Einstellung zur Masse des Volks, die um 1911 wohl noch stärker an der suggestiven Perspektive Le Bons orientiert gewesen sein dürfte, hat sich aber nach 1918 gewandelt. Das sozialpsychologische Interesse Hofmannsthals dokumentiert sich zudem an seinem Exemplar von Freuds Massenpsychologie (1921), das zahlreiche Anstriche (gerade auch in den Passagen zu Le Bon) aufweist. Hofmannsthal hat – als guter Kenner von Freuds Werken – den Band sogar rezensiert (im zweiten Wiener Brief von 358 Hofmannsthal war übrigens auch Leser der Arbeiterzeitung, welche er zu Kriegszeiten der restlichen Wiener Presse vorgezogen haben soll (insbesondere auch jener, für die er schrieb  ; vgl. SW XIV, Timon, 532). 359 Neben der Philosophie des Geldes (1900), die zahlreiche Anstriche und Vermerke aufweist (FDH 1910), besaß Hofmannsthal mindestens auch die Kant-Studien und die 1922 in zweiter Auflage posthum erschienene Soziologie Simmels (in Hofmannsthals Bibliothek unter der Signatur FDH 1912 erhalten). 360 Georg Simmel  : Über sociale Differenzierung. Sociologische und psychologische Untersuchungen  ; Leipzig 1890. 2. 361 Vgl. RA III, 438  ; Aufzeichnungen  : »Gespräch über den Reichtum (zu verschmelzen mit dem Begriff ›Masse‹ aus Sombarts Buch). Vgl. hierzu jetzt auch SW XXXVIII Aufzeichnungen, 1040 f. 362 Vgl. hierzu Lorenz Jäger  : Zwischen Soziologie und Mythos. Hofmannsthals Begegnungen mit Werner Sombart, Georg Simmel und Walter Benjamin  ; in  : U. Renner/B. Schmid (Hg.)  : Hugo von Hofmannsthal. Freundschaften und Begegnungen mit deutschen Zeitgenossen  ; Würzburg 1991. 94–107. Auch im Hinblick auf diese Thematik hat Jäger, soweit ich sehe, keine Nachfolger gefunden. Zahlreiche weitere Autoren kämen infrage, so etwa Max Scheler.

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1922). Dass er zudem auch vor der Zusammenarbeit im Rahmen der »Europäischen Kulturbünde« Schriften Alfred Webers wahrgenommen hat – seit den von Thomas Mann so begrüßten Gedanken zur Deutschen Sendung (1915), die auch im Wiener Dienstagsverein diskutiert wurden – ist belegt.363 Das »soziologische Interesse« Hofmannsthals als epistemischer Grundzug seines Schaffens ist also evident  ; er war diesbezüglich auf der Höhe der Zeit. Dass Rudolf Borchardt Hofmannsthal als Träger eines »poetischen Charismas« bezeichnete, ist vielleicht auch diesem Umstand verpflichtet.364 Die dezidierte Beschäftigung mit dem »ungeheuren soziologischen Material der Schriften Max Webers« setzt also vergleichsweise spät ein, betrachtet man die Bestellung der »hinterlassenen Schriften« als deren Ausgangspunkt – zumal die Protestantische Ethik ja schon kurz nach der Jahrhundertwende erstmals erschienen war, und etwa vom George-Kreis auch rezipiert wurde.365 Im Briefwechsel Josef Redlichs mit Hermann Bahr gibt es Hinweise auf die Kenntnis dieser Schrift ab November 1916.366 Ob und in welchem Maße Hofmannsthal bereits vor 1921 Webers Arbeiten, etwa den Vortrag zu den drei Typen legitimer Herrschaft367 und dessen Wiener Engagement wahrgenommen hat, ist nicht bekannt. Das erwähnte, von Weber brieflich mitgeteilte Zusammentreffen von 1918 deutet aber klar darauf hin. Der Verlust (mindestens) der drei Bände Re363 Vgl. SW XXXIV, 282/1164 und Eberhard Demm  : Ein Liberaler in Kaiserreich und Republik. Der politische Weg Alfred Webers bis 1920  ; Boppard/Rhein 1990. 155. 364 Gregor Eisenhauer  : Antipoden. Ernst Jünger und Johann Wolfgang von Goethe  ; Rudolf Borchardt und Hugo von Hofmannsthal  ; Tübingen 1998. 60. 365 Zitat im Text zuvor  : Schmitt, PT, 19 (von Hofmannsthal in seinem Exemplar markiert). Die Einleitung zum Jahrbuch für die geistige Bewegung III  ; hg. v. F. Gundolf u. F. Wolters  ; Berlin 1912 (Verlag der Blätter für die Kunst) bezog sich explizit auf Webers Ableitung des Kapitalismus aus dem Protestantismus. Damit sollte ein Streben nach Rekatholisierung legitimiert werden – Webers Analyse des Protestantismus habe dessen Verschuldung der kapitalistischen Moderne klar erwiesen. (ebd., VII). 366 »In Bezug auf die Abhandlungen von Max Weber möchte ich Ihnen Folgendes mitteilen  : Die Abhandlung, um die es sich handelt, ›Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitals‹ [sic] ist enthalten im ›Archiv für Sozialwissenschaften und Sozialpolitik‹ […] Jahrgang 1905 […] Mit der ganzen Materie beschäftigt sich ganz besonders die Schrift von Troeltsch ›Die Soziallehren der christlichen Kirche‹, die […] wohl leicht zu haben sein wird.« (Redlich an Bahr [25. XI. 1916]  ; in  : Dichter und Gelehrter  ; op cit, 198/199). 367 Webers Die drei reinen Typen der legitimen Herrschaft erschien zwar erst 1922 in den Preußischen Jahrbüchern (Bd. CCXXXVII  ; 1–12) und dann auch im Rahmen der posthumen Publikation von Aufsatzsammlungen (bizarrerweise in der Wissenschaftslehre)  ; gehalten wurde dieser Vortrag aber bereits 1913. In Wien hielt Weber 1917 auf Einladung Redlichs einen thematisch ähnlichen Vortrag, wie oben dargelegt.

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ligionssoziologie ist für die Aufarbeitung der Weber-Rezeption Hypothek und Verheißung zugleich  ; der Zettelfund nötigt zu Spekulation. Denn die Menge an Themenschnittpunkten von Hofmannsthals kulturpolitischer Programmatik und Webers größtenteils posthum erscheinendem Gesamtwerk ist erheblich – so etwa hinsichtlich des Masse-Begriffs. Schon in der Protestantischen Ethik stellte Weber fest, dass deren Rationalismus für »die Lebensordnung unserer Massen« entscheidend geworden sei. Dies betrifft gewissermaßen die alltägliche Situation. Noch bedeutsamer im Hinblick auf den Turm erscheint das Phänomen ›Masse‹ im Krisenszenario charismatischer Herrschaft, nämlich als deren Resonanzkörper. Wenn Hofmannsthal sich zu Bodenhausen (der biographischen Parallelfigur Webers) notierte  : »Wie dachte er über das Wichtigste  : Woher die Autorität über die Massen kommen soll«,368 kann man das Drama hermeneutisch als Antwort auf diese Frage interpretieren. Denn in der zwanglosen, akklamativen Koordinierung der Masse (auf sich) hat sich der charismatische Herrscher zu bewähren. Die Funktionsgleichung Charisma = Massenbeherrschung, wie sie sich auch bei Le Bon und Freud findet, ist jedenfalls kein abwegiger Ansatz für eine Parenthese. Ein früherer Beleg des soziologischen Interesses Hofmannsthals ist der Tagebucheintrag Harry Graf Kesslers nach einem Treffen mit Hofmannsthal in Weimar  : »Ich zitierte[,] dass Holländer mir gesagt habe, er [Hofmannsthal] dramatisiere Simmels Philosophie des Geldes. ›Ja, ja, das ist gar nicht so übel gesagt. Ich hatte das Bedürfnis, einmal unserer Zeit näherzukommen‹ […]« (31. 10. 1906)369

Als Hauptbegriff seiner ›Dramatisierung Simmels‹ nannte Hofmannsthal gegenüber Kessler  : ›Besitz‹. Dieser Begriff ist interpretationsbedürftig. Materiell aufgefasst scheint der Bezug wohl im Jedermann und, anders gewandet (zeitlich), im Rosenkavalier (jew. 1911) kulminiert zu sein, politisch aber im Salzburger Großen 368 Zuvor  : RS I, 10. Hier  : RA III, 165  ; Bodenhausen (1928)  ; »wie das für die menschliche Kultur unentbehrliche Pathos in Kanäle geleitet werden kann, damit es nicht zerstörend in die Bereiche der Wirtschaft und des Rechtes eindringen kann«, ist auch eine der antreibenden Fragen Webers gewesen  ; vgl. Georg Kamphausen  : Charisma und Heroismus. Die Generation von 1890 und der Begriff des Politischen  ; in  : W. Gebhardt [et al.] (Hg.)  : Charisma. Theorie-Religion-Politik  ; Berlin 1993. 230. 369 Harry Graf Kessler  : Das Tagebuch 1880–1937  ; Bd. 4  : 1906–1914  ; hg. v. J. Schuster  ; 2005. 193 (31. 10. 1906). Über Lektüre-Einträge und –spuren in Hofmannsthals Exemplar der Philosophie des Geldes berichtet Michael Hamburger  : Hofmannsthals Bibliothek. Ein Bericht  ; in  : Euphorion 4/ 1961 (55.Jg.). S.15-76  :34.

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Welttheater  : »Ihr habt und ich hab nicht – das ist die Red, / Das ist der Streit und das, um was es geht  !« (Der Bettler).370 Doch auch in der antimaterialistischen Formel vom »geistigen Besitz der Nation« (Neue Deutsche Beiträge) kommt ihm weiterhin höchste Bedeutung zu. Es liegt daher nahe, auch nach den Hauptbegriffen einer Dramatisierung Webers zu fragen. ›Charisma‹ (als »Dauerbesitztum« einer außeralltäglichen Qualität bzw. »Gnadengabe«, etwa nach der Logik eines nihil habentes, omnia possidentes)371 ist schon seiner Dimension als »symbolisches Kapital« (Bourdieu) wegen unbedingt zu nennen, aber sicher nicht allein. Hofmannsthals Beschäftigung mit Weber dürfte sich zudem ebenfalls in verschiedenen Werken niedergeschlagen haben – im Salzburger Großen Welttheater schon dem Szenario nach und aufgrund der Figur des Reichen (Prädestinationslehre), beim Schwierigen z. B. mit der Figur des antiautoritären Neuhoff, im Unbestechlichen gelangt der Hausdiener Theodor hingegen in die Position der Autorität. Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich sein Zugriff nicht auf Webers Schriften und soziologisches Theorem beschränkt haben dürfte, sondern eben auch dessen ›geistige Physiognomie‹ mit einschloss  ; die Lektüren des Lebensbildes von Marianne Weber und auch der Begräbnisrede Jaspers weisen in diese Richtung. Hervorgehoben wurde bereits, dass Webers Herrschaftssoziologie mit den drei Typen legitimer Herrschaft und hierbei insbesondere die charismatische Herrschaft für eine engführende Lektüre mit dem Turm infrage kommt  ;372 wobei traditionale (Basilius) und legale bzw. rationale (Kronrat der Woiwoden) Herrschaftsform ebenfalls im dramatischen Geschehen präsent sind. Die so prominent gewordene Entzauberungsthese der Protestantischen Ethik muss Hofmannsthal an sich schon vorher geläufig gewesen sein, über Redlich und Bahr oder schon durch die erwähnten Publikationen des George-Kreises. Weber hat sie zudem 1917 in seinem berühmten Münchener Vortrag Wissenschaft als Beruf wiederholt  ; spätestens für den Zeitraum ab Herbst 370 GW D III, 132. Für den Rosenkavalier wäre Besitz von Zeit, für den Jedermann Besitz des Geldes (und dann ebenso an Lebenszeit) anzuführen. Auch der berühmte Vortrag Der Dichter und diese Zeit (1906) und weitere Texte sind in diesem Zusammenhang zu nennen (vgl. Jäger, Soziologie und Mythos  ; op cit). 371 WuG 1922, 762. 372 Hier muss darum Ute Nicolaus’ Fazit  : »Webers Thesen über die charismatische Herrschaft haben nicht den gleichen Niederschlag im Turm gefunden wie etwa Carl Schmitts Souveränitätslehre.« (Nicolaus, Souverän  ; op cit, 222) widersprochen werden. Eine genaue Überprüfung wird unter anderem ergeben, dass die Schmittsche Souveränitätstheorie nur eine Zuspitzung des Herrschaftstopos im Turm bedeutet, welcher zuvor unter Bezugnahme auf Webers Soziologie entstanden ist.

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1921 kann jetzt von einer Kenntnisnahme ausgegangen werden. Der in der Protestantischen Ethik aufgeworfene Problemhorizont neuzeitlicher Rationalität (Beruf und Bewährung) klingt auch in den Notizen zu Bodenhausen/Weber an  : »Was war in seinen Augen Leistung / Geläuterter Begriff von Erfolg. / Das Sittliche nicht beiseite geworfen. […] Wer etwas wirken will und keinen Erfolg hat, der suche den Grund bei sich selber.«373 Angesichts so vielfältiger Möglichkeiten eines ›dramatischen Zugriffs‹ erscheint es allerdings fraglich, ob sich diese Bezugnahme vergleichbar stringent auf einen einzigen Hauptbegriff bringen lässt. »Lehrer das Suchen des Jenseits ihrer Soziologie Sprache als Beschwörung Sprache als Überzeugung Wo bleibt der Alltag  ? Gibt es den Alltag  ? Weber«

Dieser gleichsam gedichtartig untereinander notierte Gedankengang Hofmannsthals findet sich in einem Buch Paul Ludwig Landsbergs Die Welt des Mittelalters und wir,374 das Hofmannsthal in dritter Auflage (1925) besaß und das wohl nicht zufällig zur Unterlage für die Niederschrift dieser Gedanken wurde.375 Der kulturkritische Zug deutet sich schon im Titel an  ; es geht um die im Mittelalter noch intakte unio mystica, Themen mit großer Nähe zu Webers Religionssoziologie also, auf welche Landsberg sich auch bezog. Hofmannsthals Notiz lässt auf den Veralltäglichungseffekt schließen – und an eine Absicht Hofmannsthals, »jenseits« der Soziologie den Rationalismus der wissenschaftlichen Systeme im Hinblick auf die werdende ›Wirklichkeit‹ zu überflügeln.376 Für die beschwö373 RA III, 169  ; Bodenhausen [1928]. 374 Paul Ludwig Landsberg  : Die Welt des Mittelalters und wir. Ein Versuch über den Sinn eines Zeitalters  ; Bonn, 1925 (FDH 1612). 128. Das im Text folgende Zitat ist ein Eintrag in denselben Band (ebd., 6). Dass es sich um Max Weber handelt, geht aus dem Kontext hervor  : Landsberg erwähnt Max Weber in seinem Buch zusammen mit Schopenhauer und Burckhardt (Landsberg, Welt des Mittelalters  ; op cit, 98). 375 Vgl. RA III, 632  ; Bibliographie  : Hofmannsthal nutzte Landsbergs Buch anscheinend im Vorfeld der Schrifttum-Rede und übernahm auch ein Zitat von Thomas von Aquin. 376 Vossler schrieb seinerseits  : »Jedes sprachliche Gebilde, so innig und in sich selbst geschlossen es immer sein mag, das einsamste lyrische Gedicht sogar kann in das Licht der Soziologie gerückt

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renden Funktionen von Sprache kommen weitere Referenzen infrage, die Hofmannsthal weiter vorn vermerkte  : »Wertungen  : die literarische Wertung/ die geistige Wertung/ Vossler Scheler Pannwitz Rang.Buber/ (Dilthey/Cassirer)«. Als Formen sprachlicher Magie zählt Hofmannsthal auf  : drei Typen der »Beschwörung«, von denen zwei rhetorischer Qualität sind  : »Predigt/ Sendschreiben/ Befehlsform«377 – Mitteilungsarten der Autorität folglich. Dass sich Hofmannsthal zuletzt fragte, ob es überhaupt einen »Alltag« gebe, lässt sich darum einerseits auf die stark empfundene Kulturkrise beziehen und als Ausdruck einer Sehnsucht nach gefestigten, eben ›normalen‹ gesellschaftlichen Zuständen deuten. Andererseits könnte auch die »Entzauberungsthese«, welche dem Veralltäglichungsproblem des Charismas korrespondiert, den Hintergrund gegeben haben. 1.5.1 Autorität und Zutrauen – Wirkungen des Charisma »Das Individuum und die Masse Centralgedanke  : wir erfassen aber nur das Individuum, also müssen wir uns an dieses halten.« (SW XXXVIII, 842  ; Aufzeichnungen [ca. VIII 1921])

Tatsächlich ist für die Betrachtung des Turm als einer der wichtigsten funktionalen Bereiche der Herrschaftstheorie bei Weber das Begriffs-Tandem ›Befehl und Gehorsam‹ anzuführen – aufgrund seiner ausgeprägten ›dramatischen Operationalisierbarkeit‹ der Mikroebene von Macht. Hierbei ließe sich z. B. an die Eingangsszenen der ersten Aufzüge mit dem Rekruten vor Olivier und dem jungen Mönch im Kloster des Ignatius denken. Für Webers Rechtssoziologie hat Hofmannsthal sich entsprechend ebenfalls interessiert  : »Daß die Dignität der Normen und als rednerisches Unternehmen eines gesellschaftlichen Suggestions-Künstlers auf seine Wirkung hin geprüft werden.« (Karl Vossler  : Gesammelte Aufsätze zu Sprachphilosophie  ; München 1923. 240. »Dort aber, wo der Kunstwert und die Literarisierung einer Sprache einsetzen und die Pflege ihres ornamentalen oder monumentalen Charakters als Selbstzweck betrieben wird, […] dort wird das soziologische Interesse zwar nicht absterben, aber vernünftigerweise sich mäßigen und gedulden müssen […]« (ebd., 260) – und zwar auf die damit erzielte Wirkung, der Entstehungsvorgang bleibt außen vor. 377 Zu denken wäre angesichts der Namensaufzählung an eine Notiz zur Anthologie Wert und Ehre deutscher Sprache (1927), deren Arbeitstitel zeitweise »Sprachbuch« lautete. Auffällig ist die Klammer um die Namen Diltheys und Cassirers. Eventuell ist Cassirer für Hofmannsthal ebenfalls von größerer Bedeutung gewesen, als bislang aufgearbeitet – der Versuch einer Vermittlung Walter Benjamins an das Warburg-Institut an der Universität Hamburg (deren Rektor Cassirer zeitweise war) scheiterte allerdings völlig.

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erst in ihrem lebendigen Vollzug entdeckt wird, das ist auf der Lebenshöhe die entscheidende Einsicht, und von dann der leitende Gedanke dieser großen Existenz«, schrieb Hofmannsthal nach Lektüre des Lebensbilds,378 die performative Dimension des Rechts im Moment seiner Anwendung und damit eine Problematik des immer von Herrschaftsstrukturen durchzogenen Sozialen betonend. Hofmannsthal, 1894 selbst zum k. u. k.-Dragoner-Regiment in Göding eingezogen, dürfte über eigene Erfahrungen verfügt haben. Die Reitergeschichte (1898) hat dies sogar zum heimlichen Hauptthema.379 Was sich darin offenbart, ist allerdings keine Dignität von Normen, sondern das irreduzible Gewalt-Potential hinter allen gesellschaftlichen Machtverbänden, das erst recht im Kriegs- oder Ausnahmezustand (und damit der Suspendierung dieser Normen) abrupt wieder hervorbrechen kann. Die Problematik des Befehls war Hofmannsthal also schon früh bewusst  ; ein Blick auf fast beliebige weitere Werke von ihm macht deutlich, dass solche Autoritätsszenen sehr oft handlungstreibende Momente sind – auch und gerade in den schon erwähnten Komödien. Ausdruck dieses Bewusstseins ist ein Aphorismus im Buch der Freunde  : »›Einen gelten lassen‹ und ›an einen glauben‹ sind – Begriffe getrennter Sphären«.380 Aus dieser ganz bewussten Unterscheidung von bloßer Akzeptanz und echter Anerkennung lässt sich eine Modifizierung der zugrundeliegenden Bedingung auch des Charismas, nämlich des Glaubens, genauer  : des Legitimitätsglaubens, ableiten. Gehorsam wird dadurch einerseits zu einem bewussten Akt der Akzeptanz, die Befolgung eines Befehls gründet also auf der Entscheidung desjenigen, der die Anweisung empfängt, woraus sich dann durch Gewöhnung eine nicht mehr hinterfragte (legale) Autorität ergibt  : »[…] als ob die Beherrschten den Inhalt des Befehls, um seiner selbst willen, zur Maxime ihres Handelns gemacht hätten (›Gehorsam‹).«381 Diese Perspektive macht 378 RA III, 97  ; Biographie. Übrigens kann man annehmen, dass diese Perspektive auf Webers Herrschaftssoziologie ihre Stringenz auch der Lektüre von Schmitts Politischer Theologie verdankt, in welcher der Anwendungsfall der Normen ganz auf den Moment der Entscheidung bezogen (und reduziert) wird. Vgl. hierzu die nachfolgenden Ausführungen unter 3.2 und dann dezidiert zum Turm unter 5.3, 5.4. 379 Auch hier schon scheint die Machtproblematik in der Ausübung von Befehls- als sofortiger Sanktionsgewalt bei – sogar unerklärter, nur rein spürbarer – Insubordination auf  ; ganz im Sinne eines »schleunigen Rechts«, welches das schockante Ende inszeniert. Vgl. zum Befehlsthema in der Reitergeschichte den Beitrag von Thomas Nehrlich  : Die Insubordinationen des Wachtmeisters Lerch. Zum Konflikt zwischen Ökonomie und Militär in Hofmannsthals »Reitergeschichte«  ; in  : Hofmannsthal-Jahrbuch 18(2010). 143–170. 380 RA III, 242  : Buch der Freunde. 381 Max Weber  : Wirtschaft und Gesellschaft  ; [WuG] op cit, 544. Hofmannsthals Ausführungen zu Individuum und Gesetz können als hier anschließend betrachtet werden  ; vgl. v. a. die oben schon

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andererseits klar, dass Autorität auch dort von Gehorsam abhängig ist, wo sie sich auf Normen stützen kann, im Prinzip durch diesen sogar erst, also durch kreditierende Anerkennung entsteht.382 Sie unterliegt damit im doppelten Sinne – erst recht zu Krisenzeiten – der riskanten Kondition des Humanen. So hielt Hofmannsthal in einem weiteren Eintrag fest  : »Autorität über sich erkennen ist ein Zeichen höherer Menschlichkeit.«383 Fraglich bleibt, wie die Unwillkürlichkeit dieses Vertrauens als von den Subjekten unbewusst Entgegengebrachtes zu stimulieren sei, wie man also von der Akzeptanz über Anerkennung zur Akklamation von Herrschaft gelangt – denn »Gelten lassen ist schwerer, als sich begeistern«. »Man muß im Ganzen an jemanden glauben, um ihm im Einzelnen wahrhaft Zutrauen zu schenken.«384 Und hierbei kommt die Wirkung des Charismas als zumindest teilweise vorbewusster Affektation ins Spiel »[…] als des Keims psychischer ›Ansteckung‹ und dadurch Trägers soziologischer ›Entwicklungsreize‹ […]«.385 ›Charisma‹ ist in einem solchen Maße entscheidend für die Autoritätsgenese, dass Weber sogar beide Begriffe zusammenzog und von »charismatischen Autoritäten« sprach. Dies bedeutet dann, dass eine Autorität ihre Zustimmung, ihren Legitimitätsglauben nicht mehr von Normen abhängig macht. Charismatische Herrschaft gehört daher in den Bereich des Außeralltäglichen, wendet sich notwendig gegen das Fixierende, Rationalisierende jedweder Kodifizierung, muss am kollektiv Unzurechenbaren teilhaben, am Mythischen (bzw. Politischen), mit dessen Deutung sie sich zu beglaubigen bzw. zu bewähren hat.386

zitierten Aufzeichnungen zu Reden in Skandinavien  ; RA II. 28–42  ; insbesondere 34 und 39. Diese Reise steht im Zusammenhang mit Hofmannsthals Berliner Engagement (vgl. hierzu Lunzer, Politische Tätigkeit  ; op cit), wie die Bezugnahme auf die angesichts eines »Denken[s] im Schützengraben« (ebd., 30) »noch nicht formulierbaren Ideen von 1914« (ebd., 33, 40) und die Verwendung des programmatischen Begriffs »Mitteleuropa« (ebd., 41) schließen lassen. 382 Vgl. hierzu die Ausführungen zur »herrschaftsfremden Umdeutung des Charismas« in Wirtschaft und Gesellschaft  ; op cit, 155 ff. 383 RA III, 245  ; Buch der Freunde. 384 RA III, 237 und 236  : Buch der Freunde. 385 WuG, 8. Hofmannsthal, der schon in frühen Jahren in einem Brief an Hermann Bahr über eine »Bakteriologie der Seele« spekulierte (2. VII. 1891), dürfte diese Metaphorik der Infektion gereizt haben. 386 Auf das anti-etatistische Moment eines solchen Führungsdenkens hat auch Foucault in seiner 5. Vorlesung über Geschichte der Gouvernementalität II. Die Geburt der Biopolitik. Vorlesung am Collège de France 1978–1979  ; Frankfurt/Main 2004. 161/162 hingewiesen.

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Daraus ergibt sich auch die Krisenaffinität des Charismas, welche Landauer auf die Gleichung von »Mythoskraft« und Glaube gebracht hat.387 Die Unterscheidung von »Geltenlassen« und »Glauben« wird davor zu einer von Legalität und Legitimität. Denn ob ein Befehl Gehorsam findet (den er quasi begrifflich voraussetzt), und wenn ja, ob dieser affektativ oder freiwillig entgegengebracht oder auf hierarchischen Zwang zurückgeführt wird, ist eine Frage, die sich situativ auf der Grenzscheide von Legalität und Legitimität bewegt. Wird er aus funktionalen, also ›lediglich‹ legalen Gründen befolgt, dann nur so lange, wie dieser Zwang glaubhaft stark genug ausgeübt und durchgesetzt werden kann bzw. wie jeder Einzelne die Befolgung zur eigenen Maxime gemacht hat. Insofern ist »gelten lassen« in der Tat »schwerer« – nämlich für denjenigen, den man gelten lässt  ; er ist der steten Kritik ausgesetzt. Charisma hingegen betrifft mit der Appellation des mythisch oder religiös gestifteten Glaubens zugleich den Bereich einer kollektiven Libido  ; den Hinweis Freuds auf deren Bedeutung für die »Massenseele« hat sich Hofmannsthal in seinem Exemplar angestrichen.388 Auch Weber konzediert der kollektiven Emotionalität die Qualität von ›Liebe‹, wenn er etwa von einem »Liebeskommunismus« spricht, welcher für charismatische Gemeinschaften typisch sei. Nach Gustav Landauer bekommen die Symbole des Glaubens im Zeitalter anhaltender Mythoskraft in solchen ›autoritätsvergessenen‹ Gemeinschaften einen leibhaften Sinn.389 387 Die Gleichung Glaube = »Mythoskraft« findet sich sinngemäß in Die Revolution, op cit, 53. Es ist die Formel auch der politischen Wirkung des Charismas, welche der messianisch versierte Landauer auch in dem evolutionären Dualismus von Topie und Utopie wirksam sah. 388 »Wir werden es also mit der Voraussetzung versuchen, daß Liebesbeziehungen (indifferent ausgedrückt  : Gefühlsbindungen) auch das Wesen der Massenseele ausmachen. Erinnern wir uns daran, daß von solchen bei den Autoren nicht die Rede ist. Was ihnen entsprechen würde, ist offenbar hinter dem Schirm, der spanischen Wand, der Suggestion verborgen.« (Freud  : Massenpsychologie, op cit, 45). Die markierten Satzteile hat Hofmannsthal sich angestrichen. Freud kannte Landauers Schriften vielleicht nicht. Hier wurde der Sozialismus bereits als Massenbewegung und Revolution, die eine neue Religion des Handelns und der Liebe zeuge, propagiert (vgl. Landauer  : Aufruf zum Sozialismus  ; op cit, XVII). 389 »Das Zeitalter der Mythoskraft hat, bei Griechen ebenso wie bei Christen und überall, die Gabe, das Geglaubte nicht wörtlich zu nehmen, sondern symbolisch, diesen Gegenstand aber gar nicht zu Bewußtsein zu bekommen, und so das Symbol als etwas Leibhaftes zu nehmen und zu erleben.« (Landauer, Revolution  ; op cit, 54). Jungs Wandlungen der Symbole und Libido (op cit), das Hofmannsthal mit kollektiver Perspektive las, betrifft ebenfalls die Frage der Symbolwirkung etwa im Hinblick auf theologisches Symbol und Glauben. Seine Notiz im Buch ist in diesem Zusammenhang unbedingt zu beachten  : »Zu Der Deutsche u. die Form. Symbole u ihre functionelle Bedeutung. Insbes. ab Seite 217« (ebd., 422).

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In Hofmannsthals Trauerspiel ist ein solcher Zustand Utopie  ; der Beginn mit der ultimativen Krise resultiert hingegen aus einem absoluten Mangel an Autorität, welcher, befeuert von der wirtschaftlichen Misslage, auch jedwede »Dignität der Normen« verfällt. Die kardinale Frage des Turm lautet daher  : »Woher so viel – Gewalt  ?« (Sigismund, III. Aufzug)  ; und ihr Politikum ist es, überhaupt gestellt zu werden. Denn sie dringt unverhohlen auf das Dilemma jeder Legitimität  : Wo diese sich überhaupt zu rechtfertigen hat, steht sie mit ihrer Selbstverständlichkeit schon gleich selbst grundsätzlich zur Disposition. Genauer  : Wo der Glaube fehlt, ist die Legitimation erodiert  ; denn »Alles Geglaubte besteht, und nur dieses«, wie Hofmannsthal im Buch der Freunde notierte. Es gilt also in der Darstellung derselben eine Form von Unbefragbarkeit zu erzeugen, wie sie Blumenberg für die Wirkungen des Mythos dargelegt hat.390 Das Problem der Anerkennung und des Glaubens ist damit auf gesellschaftlicher Ebene vor allem eines der Repräsentation als »sozialer Magie«,391 also eine Frage der herrschenden Symbolordnung, deren ›leibhafter Sinn‹ (also Präsenz) und substantielle Deckung stets beteuert werden muss. Diese unterliegt dadurch allerdings in besonderem Maße dem von Weber so prominent benannten Prozess der Entzauberung, wie gerade der Turm am Beispiel der traditionalen (also theologischen) Legitimation zeigt. Die sprachliche Medialität von Herrschaft, die im Befehl so deutlich zu Tage tritt, erhält an dieser Stelle entscheidenden Charakter, der Hofmannsthal – die zitierte Notiz zur beschwörenden Magie der Sprache zeigt es an – überaus bewusst war. Vossler hat diesen Zusammenhang am Beispiel des Symbols klar benannt  : »Bei allen Symbolen handelt es sich immer um die Frage  : Gelten sie, oder gelten sie nicht  ? Haben sie Gewißheitswert  ? Sind sie die Sache selbst oder nur der Schein davon  ?«392 Anders formuliert  : Durch den Glauben wird das Symbol zur Sache 390 »Fernrückung ist auch das Verfahren, Aufhebung oder Ablenkung der Befragbarkeit zu bewirken. Mythen antworten nicht auf Fragen, sie machen unbefragbar. Was Forderungen nach Erklärung auslösen könnte, verlagern sie an die Stelle dessen, was Abweisung solcher Ansprüche legitimiert.« (Blumenberg, Arbeit am Mythos  ; op cit, 142). 391 (RA III, 259  ; Buch der Freunde). Zur »sozialen Magie« vgl. die lesenswerte, oben schon herangezogene Studie von Erik Jentges  : Die soziale Magie politischer Repräsentation. Charisma und Anerkennung in der Zivilgesellschaft  ; Bielefeld 2010. »Eine als ›charismatisch‹ empfundene Person hat nur in den Augen einer Interpretationsgemeinschaft so etwas wie ›kollektive Bedeutung‹. Nur in ihr wirkt jene soziale Magie der Repräsentation als eine performative Macht, welche einen gewöhnlichen in einen außergewöhnlichen Menschen verwandelt […]« (ebd., 15). Jentges orientiert sich hier gut erkennbar an Bourdieus Theorie des »politischen Feldes«. 392 Vossler  : Geist und Kultur  ; op cit, 41. »Für den ersten ist der Wein das Blut Christi, für den zweiten bedeutet er es nur. Da kann man nur soviel sagen, daß ein Symbol, wenn es religiösen Wert bekommen und behalten soll, geglaubt werden muß. Denn das Entscheidende in allem religiösen

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selbst. Das ist im politischen Zusammenhang das Entscheidende. Webers oben zitierter Begriff hierfür lautet  : soziale Fiktion (vgl. 1.3). Unter diesen hat er übrigens auch den »Volkswillen« subsumiert. »Solche Begriffe wie ›Wille des Volkes‹, ›wahrer Wille des Volkes‹ u.s.w. existieren für mich schon lange nicht mehr. Es sind Fiktionen. Es ist gerade so, als ob man von einem ›Willen der Stiefelconsumenten‹ reden wollte, der für die Art, wie der Schuster seine Technik einrichten sollte, maßgebend sein müsse.« (Brief an Robert Michels, 1908)393

Als Hauptbegriffe einer Weber-Rezeption kommen demnach neben ›Charisma‹ als dem Glauben stiftenden symbolischen Kapital v. a. ›Autorität‹, ›Befehl/Gehorsam‹, sowie ›Repräsentation‹/›Präsenz‹ als Koordinaten einer Turm-Lektüre infrage. Als weiterer, allerdings verdeckter, in den Figurenhintergründen wirksamer Begriff muss noch ›Rationalität‹ ergänzt werden, den Weber wie den der ›Legitimation‹ in Abhängigkeit von der jeweiligen Herrschaftsform (und umgekehrt) verstand.394 Zum so zentralen Souveränitäts-Begriff, welchen Hofmannsthal später mit der Schmitt-Lektüre profilieren konnte, tritt dann gewissermaßen die Herrschaftssoziologie (auf die Diktatur) konzentrierend hinzu (vgl. 3.2).395 Zugleich erhielt der aus der frühen Simmel-Lektüre extrahierte Begriff ›Besitz‹– geistig gewendet – größte Bedeutung für Hofmannsthals noch darzulegende ›konservative Utopie‹ einer sozial konstitutiven poetischen Sprache.

Verhalten ist die Gewißheit  : eine ebenso persönlich wie absolute, ebenso geheimnisvolle wie selbstverständliche Gewißheit des Glaubens. Ein Symbol ist wertlos, ist Schein, Schleier, Täuschung, Hindernis – genau wie die Sprache und ihr Wortschwall –, sobald es nur noch symbolisch genommen wird. Religiös lebendig ist nur dasjenige Symbol, in dem die Gottheit wirkend, wohnend und gegenwärtig waltend gedacht und geglaubt wird.« (ebd., 40  ; zum Streit zwischen Luther und Zwingli). Die Entsprechungen zu den oben zitierten Ausführungen Jungs zum religiösen Symbol sind deutlich. 393 Max Weber  : Briefe 1906–1908  ; MWG Abt. II/5, hg. v. H. Baier, M. Lepsius und W. Mommsen  ; Tübingen 1990. 615/616). 394 Insofern schafft sich jede Ordnung nicht nur ihr spezifisch Irrationales als mythisch-unbefragbaren Bereich ihrer Legitimation, sondern eben auch ihren Alltag, ihre Konvention von dem, was als rational zu gelten hat (vgl. oben und WuG, 48). 395 Wie erwähnt sah Schmitt diese Anschließbarkeit übrigens später ähnlich. Er schrieb Hans Blumenberg nach »(…) der wiederholten Lektüre von Max Webers Darlegungen, die mich zu der sicheren Erkenntnis geführt haben, dass Weber nur als Versuch politischer Theologie verstanden und begriffen werden kann.« Hans Blumenberg – Carl Schmitt  : Briefwechsel (1971–1978) und weitere Materialien  ; hg. v. M. Lepper u. A. Schmitz  ; Frankfurt/Main 2007. 118 [20. 10. 1974]).

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1.5.2 Von der Soziologie zur »Mitte der Nation« »Die Dinge der Welt aus ihrer praktischen, empirischen und natürlichen Wirklichkeit zu entfernen, im Reiche der Kunst wieder aufleben zu lassen und sprachlich wirksam und wirklich zu machen, ist das Geschäft der Dichter.« (Vossler, GKS, 259)

Bereits in seiner Studie über Victor Hugo ging Hofmannsthal davon aus, dass »Begriffe, welche das gesellige Denken und das Verhältnis der Menschen zueinander regieren, in einer steten Umformung begriffen« seien.396 Auch Weber betonte eine diesbezügliche Volatilität, seine berühmte Definition von ›Macht‹ lautet, dass diese »soziologisch amorph« sei. Den Gehalt von Begriffen fasste Weber geradezu als das primäre ›Kampffeld‹ der Wissenschaften auf. Das diese Arena gleichsam unterspülende Vorgehen Hofmannsthals einer »metaphorischen Verästelung« von Terminologien (diesen damit den Grund entziehend) wurde bereits erläutert.397 Denkt man etwa an Cassirers berühmte Unterscheidung in »Substanz-« und »Funktionsbegriffe«, so würde deren Poetisierung darauf dringen, ihre Trennschärfe zu verwässern, ihren Gehalt »mäandrierend« (Schmidt-Biggemann) zu machen und in seiner gelösten Zeichenhaftigkeit aufzunehmen. Tatsächlich forderte Hofmannsthal nicht erst in der Münchener Rede, dass die »vom Leben weggebrochene« Wissenschaft (wie auch das Politische) durch dichterische Reinklusion in die Sprache für eine Vielzahl überhaupt erst wieder verfügbar gemacht werden müsse. Im Vorstellungshorizont zumindest des späten Hofmannsthal erhielt die Sprache hierdurch ihre sozial konstitutive Dimension. In kulturkonservativer Perspektive hätte er sich hierbei auf Überlegungen Webers stützen können, die explizit die gesteigerte politische Bedeutung von Kommunikation unter demokratischen Bedingungen betreffen und zugleich auch die integrative Macht der Sprache betonen  : »Die Bedeutung der Sprache ist in notwendigem Steigen begriffen, parallel mit der Demokratisierung von Staat, Gesellschaft und Kultur. Denn gerade für die Massen spielt die Sprache schon rein ökonomisch eine entscheidendere Rolle, […] Und dann vor allem  : die Sprache und das heißt  : die auf ihr aufgebaute Literatur sind das erste und zunächst einzige Kulturgut, welches den Massen beim Aufstieg zur Teilnahme an der 396 RA I, 266  : Hugo. 397 Vgl. zu dieser subversiven Manier poetischer ›Unterspülung‹ jetzt Wolf, Fortuna di mare  ; op cit, 16 und 56 über die abenteuernde »Chao-Erranz« der Literatur.

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Kultur überhaupt zugänglich wird. […] Gemeinsame ›Kulturgüter‹ können also ein einigendes nationales Band abgeben.398

Hofmannsthals kulturpolitisches Programm nationaler Identitätsstiftung zielte ganz entsprechend nicht nur darauf, der Erosion des kulturellen Erbes und Bewusstseins (des geistigen »Besitzes«) in der Moderne produktiv entgegenzutreten. Sein Bemühen war darauf gerichtet, einer »zerklüfteten, ja zerrissenen Nation innere Einigung zu bringen, nicht durch Programme, sondern indem man eine Art geistige Mitte herstellt«, wie Hofmannsthal sich gegenüber Hermann Hesse ausdrückte.399 Und die Herstellung einer solchen »geistigen Mitte« (die der Bildung eines Kollektivsubjekts entspricht) war für Hofmannsthal nicht anders denn als sprachliche Operation denkbar. Im erst 1927 geschriebenen Nachwort des Rosencavalier finden sich hellsichtige Hinweise Hofmannsthals zur Fingierung von Soziolekten, welche sich zu einer »imaginäre[n] Sprache der Zeit« zusammenfügen.400 Aus Webers Ausführungen ergibt sich klar, dass dies bei bestehender Wirkungsabsicht nicht in elitärer Form erfolgen konnte. Umso mehr war dies Landauers Aufruf zum Sozialismus zu entnehmen, in dem die kulturelle Teilhabe aller in Form einer geistig-sozialistischen Gemeinschaft postuliert wird.401 Kultur bzw. Sprache verstand Hofmannsthal entsprechend als ein Resultat von Wechselwirkungen zwischen den ländlich geprägten (also nicht verstädterten) unteren Schichten und den Dichtern als den über die Verwerfungen der Moderne erhabenen geistigen Souveränen. Seine eigene textliche Produktion ist ihrer Variabilität zum Trotz allerdings oft weniger für die breite Masse geeignet  ; in besonderem Maße gilt dies für seine Herausgebertätigkeit (etwa die Beiträge), die von Beginn 398 Allerdings dürfte Hofmannsthal Webers Wertneutralität nicht geteilt haben  : »Auf den objektiven Wert dieser Kulturgüter kommt es dabei aber gar nicht an und deshalb darf man ›Nation‹ nicht als ›Kulturgemeinschaft‹ fassen.« (Max Weber  : Diskussionsreden auf dem zweiten Deutschen Soziologentag in Berlin 1912  ; in  : SSP, 485). 399 Zit. n. Rudolf Hirsch  : Hermann Hesse und Hugo von Hofmannsthal  ; in  : Ders.: Gesammelte Aufsätze. Beiträge zum Verständnis Hugo von Hofmannsthals  ; Edition der Texte v. M. Mayer  ; Frankfurt/Main 1995. 428–437  : 433. 400 – auch das Idiom der Figur des Olivier in den verschiedenen Fassungen des Turm wäre in diesem Zusammenhang eine genauere Untersuchung wert. Hugo von Hofmannsthal  : Gesammelte Werke. Dramen V  : Operndichtungen, Frankfurt/Main 1979. 549/550. Zu erinnern ist hier an Rudolf Borchardts Dante Deutsch, eine Übertragung der Göttlichen Komödie in ein fiktives Mittelhochdeutsch. 401 Vgl. Landauer  : Aufruf zum Sozialismus  ; op cit, 56.

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an einen Kreis von geistig Gleichgesinnten adressierte (bzw. imaginierte). Sie dringt auf eine Gemeinschaft v. a. der geistigen Schichten, auf deren gemeinsame Verantwortung des Kulturguts ›Sprache‹ – »[…] denn bei uns in Europa ist ja der Dialekt nicht die vernachlässigte und verderbte, häßlich gewordene Sprache der Oberschicht, sondern es ist der uralte Naturlaut, aus dem sich die Sprache der Gebildeten immer neue Belebung holt.« (RA II, 318  ; Wiener Brief V [1924])

Die »geistige Mitte« der Nation wäre also innerhalb dieses vertikalen, aber wohl doch als osmotisch vorzustellenden Prozesses zwischen gebildeten und unteren (aber vitalen) Schichten zu verorten. Dieses Verhältnis und die hier augenfällige Idealisierung sowie die politischen Dimensionen einer imaginierten Sprachgemeinschaft bilden die Themen der nachfolgenden Kapitel. Weber hatte übrigens bezüglich deren soziologischer Erforschung auf ein bestehendes Defizit und erste Ansätze seiner Behebung hingewiesen  : »Über die eigentlich soziologischen Bedingungen der Entstehung einer einheitlichen Literatursprache und – was etwas anderes ist – einer Literatur in der Volkssprache stecken alle Untersuchungen noch in den Anfängen. Für Frankreich kann auf die Aufsätze meines verehrten Freundes Voßler verwiesen werden.«402 Tatsächlich kannte und besaß Hofmannsthal indes nicht nur dessen hochgelobte sprachsoziologische Aufsätze mit Frankreich-Bezug.403 Ein späterer Titel Vosslers wird in der oben zitierten Weber-Notiz sogar indirekt genannt  : Es handelt sich hierbei um dessen Beitrag zur Gedächtnisgabe Max Webers (1923), der den Titel Grenzen der Sprachsoziologie trägt. Hier ergibt sich also eine weitere biographische Verknüpfung, wenngleich diese sicher nicht die Intensität der Verbindung mit Redlich (als möglichem früheren Zuträger Weberscher Theoreme) erreichte.

402 Max Weber  : Diskussionsreden auf dem zweiten Deutschen Soziologentag in Berlin 1912  ; in SSP. 485–486 [1924]. Zu Weber und Vossler vgl. Wolf Feuerhahn u. Pascale Rabault-Feuerhahn  : Heidelberg um 1900  : eine Hochburg des Idealismus  ? Max Weber und Karl Vossler  ; in  : Grenzüberschreitende Diskurse. Festgabe für Hubert Treiber  ; hg. von K. Waechter  ; Wiesbaden 2010. 279–300. 403 Vgl. die Einträge in SW XL zu Vossler. Allerdings fehlt hier der nachfolgend erwähnte Titel. Der von Weber angesprochene Titel erschien übrigens erst 1913 als Monographie  : Frankreichs Kultur im Spiegel seiner Sprachentwicklung  ; Heidelberg 1913  ; wiederaufgelegt 1921.

2. Der literarische Leviathan und die innere Form der Nation.1 Hofmannsthals konservative Utopie »The Soveraignty is an Artificiall Soul, as giving life and motion to the whole body. (Hobbes  : Leviathan, 9) 2 »Von den Kulturelementen, welche die wichtigste positive Grundlage der Bildung von Nationalgefühl darstellen, steht überall in erster Linie die gemeinsame Sprache.« (Max Weber  : SSP, 485) »Man hat über die Einheit der Physiognomie und der Sprache viel gesagt aber die Sprache ist eben der Geist der Nation und es ist der Geist der sich den Körper baut.« ([SW] XXXVI, 693  ; WES Notiz 10 [Schiller])

Hofmannsthal war mit Karl Vosslers Aufsätzen besser vertraut, als bislang vielfach wahrgenommen wird. Wie erwähnt, hat ihn die Hofmannsthal-Forschung als Zugang zu Hofmannsthals Poetologie bislang nicht gesondert zur Kenntnis genommen.3 Im Briefwechsel mit Willy Wiegand ist Vosslers Bedeutung 1 »Der Begriff der ›inneren Form‹ ist ein gefährliches Arbeitsgebiet […]« (Oskar Walzel  : Grenzen der Poesie und Unpoesie  ; Frankfurt/Main 1937. 18.) Vielleicht ist auch deshalb die Auseinandersetzung mit diesem poetologischen Kernbegriff bislang überschaubar geblieben  ; die ältere Forschung nutzte diesen ohnehin noch analytisch (vgl. Rudolph, Kulturkritik  ; op cit, 65 f.: Die »innere Form von Hofmannsthals Denken« erkennt Rudolph als Polarisierung – ebd., 75). Der Terminus ist in den zwanziger Jahren präsent, wie etwa Friedrich Lippolds Bausteine zu einer Aesthetik der inneren Form (München 1920) zeigen. Tatsächlich spielt die Thematik in Hofmannsthals Denken und Umfeld eine Rolle, die sich nicht auf die Beschäftigung mit dem klassischen Kulturerbe beschränkt. Diese nachfolgend ausgeführte Thematik ist mit Benjamin dann nochmals in 5.1 aufzunehmen. 2 Thomas Hobbes  : Leviathan or The Matter, Forme & Power of A Common-Wealth Ecclesiasticall and Civill [1651]  ; ed. by R.E. Flathman and D. Johnston  ; London, New York 1997. 9. Vgl. gerade zur Ikonologie des Leviathan  : Horst Bredekamp  : Thomas Hobbes Der Leviathan. Das Urbild des modernen Staates und seine Gegenbilder (1651–2001)  ; Berlin 20124. 3 – obgleich Hofmannsthal ja selbst Romanist war. Erst Tobias Heinz nähert sich in seiner Studie Vosslers Einfluss auch auf die kulturpolitische Programmatik von Hofmannsthals Sprachverständnis (vgl. Heinz  : Hofmannsthals Sprachgeschichte  ; op cit, 276 [2009]). Heinz vermutet eine Verbindung der Schrifttumrede mit Vosslers Aufsatzsammlung Geist und Kultur in der Sprache (1925), es kommen jedoch auch weitere Schriften Vosslers für eine Bezugnahme infrage  ; Hofmannsthal hat

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in Hofmannsthals Denken jedoch bereits seit langem dokumentiert. In einem Teilband (SW XXXVI) der Sämtlichen Werke zu Hofmannsthals Herausgeberschaft ist der Name nun überaus präsent.4 Für den Glauben an eine Geschichtsmächtigkeit der Sprache, ihren nicht nur bewahrenden, sondern auch performativen Einfluss auf die kulturelle und politische Entwicklung von Nationen konnte Hofmannsthal, die Tradition seit dem Barock in Anthologien fassend, in Vosslers Texten vielfach Bestätigung finden.5 Die romanischen Kulturen und der deutsche Geist (1926) ließ er in der Bremer Presse verlegen, nachdem er zuvor schon – offenbar erfolglos – über Wiegand Vosslers Beitrag zur Max-WeberGedenkausgabe  : Grenzen der Sprachsoziologie (1923) für die Neuen Deutschen Beiträge hatte anfragen lassen  : »Ich sah angezeigt daß Vossler im Rahmen einer Gedächtnisgabe für Max Weber Betrachtungen über die Sprache (innerhalb des sogenannten sociologischen Complexes) publiciert«.6 Er erhielt aber wohl daraufhin den Sonderdruck des Aufsatzes mit Widmung Vosslers, der jedoch keine Lesespuren aufweist.7 Dass er ihn gelesen hat, davon ist angesichts seiner Anfrage auszugehen, die oben zitierte Notiz zum »Jenseits der Soziologie« (vgl. 1.5) kann ebenfalls als Hinweis darauf gelesen werden. Bei Hofmannsthals verschiedenen Bemühungen um gemeinsame Publikationskreise (z. B. Bremer Presse, Neue deutsche Beiträge) taucht der Name Vossler immer wieder auf. Dass beide auch im Briefkontakt standen, geht aus einem Brief Wiegands an Hofmannsthal hervor  : »Was nun zunächst Vossler betrifft, so war er über Ihren

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etliche sogar besessen, so etwa Vosslers Dante-Kommentar und dessen Studien zur Entwicklung der französischen Sprache (vgl. die entsprechenden Einträge im Band SW XL zu Vossler). Hofmannsthal erwähnt Vossler bei jedem seiner anthologischen Publikationsvorhaben in den zwanziger Jahren  ; vgl. [SW] XXXVI, 722 ff. (i.E.). Mir lag das schon zitierte Teildokument von Donata Miehe vor. Allerdings beabsichtigte Hofmannsthal mit der Vorrede zu Wert und Ehre deutscher Sprache, über Vossler hinauszugehen – »Ich werde in der Einleitung vieles zu berühren haben u. trachten möglichst nahe an das eigentliche, auch einem Vossler verborgene Problem heranzugehen.« (BW Wiegand, 167 [16. V. 1927]). Vgl. auch die Kritik Rangs an Vosslers Borchardt-Aufsatz in den Neuen Deutschen Beiträgen (BW Rang, 420 ff. [20. III. 1923]). »[…] Liesse sich in dies nicht Einblick gewinnen, ob etwa für die Beiträge etwas möglich wäre  ?« (BW Wiegand, 98). Von Vossler erschien dann aber der erwähnte Beitrag über Borchardt. Karl Vossler  : Grenzen der Sprachsoziologie  ; in  : Melchior Palyi (Hg.)  : Hauptprobleme der Soziologie. Gedenkgabe für Max Weber  ; Bd. I, München/Leipzig 1923. 361–390. Der Sonderdruck ist im Deutschen Literaturarchiv Marbach einzusehen (Signatur  : C7  : Rara). Ein Inhaltsverzeichnis zur Gedenkausgabe enthält er nicht, in der sich als Eröffnung des zweiten Teilbandes drei Kapitel aus Schmitts Politischer Theologie finden – dieser Fund wird noch beschäftigen.

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letzten Brief, den er mir vorlas, überaus erfreut.«8 Diese weitere, durchaus gehaltreich wirkende philologische Beziehung wird am Begriff ›Gespräch‹ vertiefend darzustellen sein  ; die Bedeutung der Vosslerschen Aufsätze – insbesondere zum sprachlich vermittelten Geschichtsbild in Geist und Kultur in der Sprache (1925) – für das, was Hofmannsthal als Form einer Koiné,9 also einer gemeinsamen Sprachöffentlichkeit vorschwebte, ist offensichtlich  : »Wir sehen in jeder Kulturgeschichte, wie zögernd die sogenannte ›Entdeckung des Individuums‹ gemacht wird. Insofern darf man allerdings von Herdenseele, Kollektivseele, Massenbewußtsein, Volksseele und dergleichen sprechen. Nur ist dies nicht eine Seele der Völker, Massen und Herden, sondern eine herden-, massen- und volksmäßige Seelenverfassung in allen einzelnen Individuen. Man wird daher gut tun, die Alternative  : Massenseele oder Einzelseele  ? fallen zu lassen und die Menschenseele so, wie wir sie aus uns selbst und aus der Erfahrung kennen, mit all ihren kollektivistischen und individuellen, sozialen und partikularistischen usw. Anlagen und Kräften als die Trägerin der Umgangssprache anzunehmen und festzuhalten.« (Vossler  : Grenzen der Sprachsoziologie, 376)10

Das Abstellen Vosslers auf eine »volkmäßige Seelenverfassung« als deren Grundlage ist im Hinblick auf ihre Korrespondenz mit dem Begriff »innere Form«11   8 Willy Wiegand an Hofmannsthal, 2. XII. 1925  ; abgedruckt in [SW] XXXVI, 33/34.   9 Vgl. hierzu Heinz  : »Funktional vermag diese imaginierte Sprache in ihrer inneren Komplexität die wahrgenommene Wirklichkeitswelt gültig zu erfassen – eine Fähigkeit, die in der Moderne als gefährdet, wenn nicht gar verloren gilt. Hofmannsthal denkt sich hinter diese Verlusterfahrung zurück, indem er dem Dichter grundsätzlich die machtvolle Fähigkeit zuspricht, die Wirklichkeit in ihrer Totalität zu gestalten, ja  : sprachlich zu stiften.« (Heinz, Hofmannsthals Sprachgeschichte  ; op cit, 295). Heinz hat hier zwei Dinge benannt, die gesonderter Betrachtung bedürfen. Die Fähigkeit zur Erfassung der Wirklichkeit – wie unter 1.3-1.5 dargestellt –, die zugleich deren Beschreibbarkeit impliziert, und die »sprachliche Stiftung« der Wirklichkeit  : eine Imitation von deren Repräsentationsprozessen. Darum soll es im Folgenden gehen. 10 Vossler gebraucht hier den Begriff »Massenseele« reflektierter als Walzel (vgl. 1.3.2). 11 Burdorf beschreibt das Verständnis der »inneren Form« als Ausdruck einer Autonomie des Kunstwerks (bzw. seines Schöpfers), das folglich in seiner Form selbstgesetzten Regeln – »Strukturprinzipien« – entspricht. Für den politischen Kontext ist folgende Anmerkung bedeutsam  : »Der Aufwertung der ›inneren‹ korreliert meist die Abwertung der ›äußeren‹ Form.« (Burdorf  : Poetik der Form  ; op cit, 119/120). Für Goethe verweist er hinsichtlich »romanischer Formen« auf einen gegenteiligen Befund Vosslers (ebd.). Von einem »Besitz« der »inneren Form«, wie Goethe ihn dem »in sich vollendet[en]« Künstlergenie noch 1806 zuerkannte, kann beim späten Hofmannsthal aber nur noch in einer abgeleiteten und weniger exklusiven Weise die Rede sein (den Genie-

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und Hofmannsthals Streben nach einer erneuerten Kulturgemeinschaft hervorzuheben, die sich allerdings am Begriff der Nation orientierte (nicht des Volkes) und einen europäischen Kontext aufweist.12 Die Sprache in ihrer Bedeutung als ›kulturgeschichtlicher Speicher‹ des »geistigen Raums der Nation« und ein Gemeinschaftsbewusstsein erfasste Hofmannsthal spätestens seit dem Ersten Weltkrieg als konstitutiv für ein Gemeinschaftsbewusstsein, sie sei »Volksgeselligkeit in sich«.13 Vosslers Ausdruck der »Seelenverfassung« weist zudem darauf hin, dass es sich bei deren Effekten um innere Vorgänge handelt, welche das staatliche Institutionengefüge transzendieren. Mit dem Titel dieses Kapitels und den angeschlossenen Zitaten (von Hobbes in offenem Anachronismus über Weber zu Schillers Wallenstein) ist darum eine latent anti-staatliche Richtung angezeigt  ; denn die Ambition von Hofmannsthals kulturpolitischer Poetologie steht in der Tradition eines ›anti-mechanistischen Affekts‹ – »Das Errechenbare und der Mensch. Im Geldverdienen war die Maschine gefährlich[,] sie schuf ins Unsichtbare hinein Gewalt –«14 und begibt sich mit der Idealisierung einer Sprachgemeinschaft in offene Konkurrenz zur ›Staats-Maschine‹ und deren spezifischem Rationalismus. Als Hofmannsthals Vorhaben lässt sich Folgendes vermuten  : Dieser schon traditionell für ihre Mechanik kritisierten Maschine als Substanz das Erbe der Kulturnation – sprachlich verfügbar gemacht und im öffentlichen Gespräch zirkulierend – literarisch einzuprogrammieren und so nicht nur zu bewahren, sondern auch zum politischen Faktor zu machen. Hierbei nimmt Hofmannsthals konservative Utopie offensichtlich Anleihen bei Körperparadigmen, wie sie die Moderne von der traditionalen politischen Theologie ererbt, bzw. seit der »politischen Romantik« und der »germanistischen Rechtswissenschaft« in wachsendem Maße usurpiert hat. Dies zielt darauf, im »geistigen Raum der Nation« gewissermaßen einen literarischen Leviathan zu errichten, dessen natürliche Seele bzw. Stoff man in der Sprache vermuten kann (in der Vielzahl ihrer Sprecher), und dessen künstliche Seele, die »geistige Souveränität«, folglich ihr Agens in der Dichtung bzw. im »Schrifttum« Begriff hatte er ja schon 1906 im Vortrag Der Dichter und diese Zeit abgelehnt). Diese Aufhebung ist tatsächlich auf den Kontext des Nationalen zurückzuführen, wie noch zu zeigen bleibt. Die Grundhaltung aber »Eine rationale Rekonstruktion der Form wird abgelehnt zugunsten der rein emotionalen Erfassung der inneren Form.« (Burdorf, Poetik der Form  ; op cit, 121) weist schon auf die irrationalistischen Setzungen des frühen 20. Jahrhunderts voraus. 12 Hofmannsthal imaginierte schon 1917 eine neue »Epoche der Seele«, wie sie der Pietismus nach dem Dreißigjährigen Krieg eingeläutet habe (vgl. RA II, 53  ; Idee Europa). 13 RA III, 573  ; Aufzeichnungen [1924]. 14 SW XXXVIII Aufzeichnungen, 751 [Ende 1917].

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finden würde. Entsprechend konzentriert sich dieses Kapitel insbesondere auf den Gebrauch der einschlägigen Tropen eines organischen Gemeinschaftsverständnisses (im Sinne einer kollektiven, aber sprachlich konstituierten Körperschaft). Dabei ist zu beobachten, dass diese organische Metaphorik auf die Sprache selbst, jedenfalls die poetische Sprache, übertragen wird.15 Hier besteht eine funktionale Analogie, die noch im Hinblick auf den von Simmels Philosophie des Geldes übernommenen, geistig gefassten Begriff ›Besitz‹ zu präzisieren ist (vgl. 2.1). Der hier darzulegenden, geradezu transzendenten All-Verbindlichkeit der Sprache korrespondieren zudem frühere Notizen zum Geld, welches sich ebenfalls verbindend zwischen alle Verhältnisse setze (vgl. 2.2). Ziel des Kapitels ist es, eine entsprechende, auf die Sprachnation gerichtete Poetik der Form16 Hofmannsthals als Re-Präsentation von deren »innerer Seelenverfassung« zu erarbeiten und mit einem Vorgriff auf die Gestalt des Sigismund für die Interpretation des Turm zu konkretisieren, in deren Konzeption diese Vorstellungen eingingen (vgl. 2.5). Dies wird in einem ersten Schritt am Beispiel des Gesprächs über Gedichte und dem darin ausgebreiteten Mikrokosmos der metaphorischen Vertauschung entwickelt. Im Folgenden sind der formale Impetus des »kollektiven Bewusstseins« bzw. kollektiv Imaginären, auf welche Hofmannsthal mit der seelischen, »geistige[n] Mitte« gestaltend zuzugreifen suchte (vgl. 2.3), die ›geopolitische‹ Idee eines »geistigen Raumes« (vgl. 2.4), die ästhetischen Antinomien von Hofmannsthals konservativer Utopie (›Form und Verfließen‹) und deren Auflösung in der Gestalt (dem Sprachkörper) zu erschließen.17 Gewissermaßen kontrastierende Einflüsse sprachphilosophischer bzw. -soziologischer Natur sind dabei von Seiten Mauthners und Vosslers auszumachen, 18 wobei die Beschäftigung mit Mauthners Kritik der Sprache schon auf die Jahrhundertwende datiert, Vossler hingegen wohl erst ab ca. 1918 ins Gesichtsfeld 15 Vgl. RA II, 50  ; Idee Europa. 16 (die nicht unmittelbar mit einer Politik der Formpoetik des Sozialen gleichzusetzen ist.) 17 Sprache (vgl. 2.2) – Form (vgl. 2.3) – Gestalt (vgl. 2.3.3/2.5) heißt der Dreischritt, mit dem hier die Analyse von Hofmannsthals sprachlicher Re-Präsentation zum Erfolg zu kommen sucht. Da diese zugleich räumlich imaginiert ist, tritt als weitere Kategorie der Raum der Nation hinzu (vgl. 2.4). En détail war diese Unterteilung so stringent nicht immer durchzuhalten. 18 Und natürlich v. a. beim frühen Hofmannsthal  : Nietzsche  ; vgl. hierzu Grundmann, Hermeneutik des Erinnerns  ; op cit, 160 ff. Dass allerdings diese allein zu einer Abkehr vom Medium der Schrift hin zu sprachlosen Darstellungsformen geführt habe (vgl. ebd., 161), wäre differenzierter zu betrachten. Denn Hofmannsthal versuchte sich vielmehr an deren poetischer Modifizierung, wie unter 2.1 noch zu argumentieren bleibt.

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des Autors tritt. Während der »idealistische Neuphilologe« Vossler (so der Titel seiner von Victor Klemperer und Emil Lerch herausgegebenen Festschrift von 1922) wie gesehen ein emphatisches Verständnis der Bedeutung von Sprache und nationaler Gemeinschaft vertrat,19 richtete sich Mauthners nominalistische Sprachskepsis vor allem gegen deren ästhetische Idealisierung – allerdings nicht ohne ebenfalls auf den Allmende- oder Gemeingut-Charakter der Sprache hinzuweisen  : »Ist die Sprache aber kein Kunstwerk, so ist sie dafür bis heute die einzige Einrichtung der Gesellschaft, die wirklich schon auf sozialistischer Grundlage beruht. Die Sprache ist Gemeineigentum. Alles gehört allen, alle baden darin, alle saufen es, und alle geben es von sich«.20

Die Sozialisierung der Sprache zum Besitz aller weist den Weg zu einer von Hofmannsthal gesuchten Möglichkeit, in einer neuen koiné eine andere Ausdrucksform der Nation zu (er-)finden, als das »in Form des contrat social Erschlichene«.21 Die Idee einer unmittelbaren Teilhabe aller am Medium der 19 – welche den Dante-Spezialisten nicht zuletzt auch in den Umkreis Mussolinis führte  ; allerdings verlor Vossler als erklärter Gegner des Nationalsozialismus in den dreißiger Jahren die Lehrbefugnis und wurde nach dem Zweiten Weltkrieg erneut Rektor der Münchener Universität. 20 Fritz Mauthner  : Beiträge zu einer Kritik der Sprache  ; Bd. I  : Sprache und Psychologie (FDH 1692). 27  ; auch den Staat wollte Mauthner – anders als Landauer und Eisner – nicht als Kunstwerk betrachtet wissen. Zu Mauthner  : vgl. Peter von Polenz  : Deutsche Sprachgeschichte vom Spätmittelalter bis zur Gegenwart  ; Bd. III  : 19. und 20. Jahrhundert  ; Berlin, New York 1999. 300 f. Hofmannsthal hatte Mauthners Beiträge schon um die Jahrhundertwende gelesen (die Bände I und III, 1901 bzw. 1902 erschienen, haben sich in seiner Bibliothek erhalten  ; Bd. I enthält auf 122 die Annotation »idiotisch«). Vossler übrigens hielt Mauthners Kritik für überzogen. Auch Vossler sieht das »Unzulängliche« der Sprache, das ihr anhafte – jedoch vollziehe es nur die menschliche Unzulänglichkeit als deren Ursprung nach – es sei sogar ein vergleichsweise sehr abgemildertes Zitat der anthropologischen Unzulänglichkeit. (GKS, 47). 21 RA II, 43  ; Idee Europa. Zu beachten ist bei dieser scharfen Formulierung, dass sie jedenfalls im Rahmen des Weltkriegsengagements erfolgte und im Kontext mit den Notizen zu Reden in Skandinavien (1916) zu lesen ist, die eine geradezu neukantianisch anmutende Kongruenz von Individuum und Gesetz in der Gemeinschaft, der »res publica litteraria« (  !) anstrebten, welche den numerisch konstituierten contrat social offenbar obsolet machen sollte (vgl. RA II, 34/39 f.; Skandinavien). Später findet sich bei Hofmannsthal keine vergleichbar prägnant formulierte Ablehnung von als abstrakt und numerisch empfundenen demokratischen Prinzipien, sie bleibt vielmehr latent und äußert sich vielfach auch im Turm, ohne allerdings das »Hauptproblem« – den (nicht wirklich bestrittenen) Anspruch einer Volkssouveränität bei gleichzeitiger Gewährleistung einer »Autorität über die Massen«– am Ende dezisionistisch lösen zu wollen.

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Repräsentation ist gewissermaßen dessen Substitut (auch hier wirkt im Hintergrund Ablehnung materialisierbarer Besitzverhältnisse). Die Teilhabe an der Öffentlichkeit ist allerdings ein nicht gerade unwesentlicher Faktor in der politischen Kultur von Demokratien.22 Und dass eine staatlich verfügte Symbolordnung als Sache selbst genommen und damit als Wirklichkeit erfahren wird, ist Ziel jeder Repräsentation, auch jeder demokratischen. Darauf dringt Hofmannsthals Behauptung, eine neue Wirklichkeit aufzudrängen, sei Realpolitik.23 Während die personale Repräsentation des Monarchen zuvor über Effigies und Statuen (und allerdings Münzen) eine eher statische Symbolisierung vorsah,24 müssen sich die Vorstellungen des republikanischen bzw. demokratischen Kollektivkörpers jenseits des Parlaments auf einen kontingenten Bereich des Imaginären beziehen  ; sie tun dies zumeist über »Texte, die diesem Körper eine Geschichte geben und sein Leben aus einer historischen Tiefe anwachsen lassen  ; Texte – und an vorderer Stelle sicher  : literarische Texte –, die keine Rechtskraft haben, aber normative Geltung für sich beanspruchen […]« und sich plural auf ein nicht denotiertes, sondern konnotiertes Gebilde (Volk, Nation, Gemeinschaft) beziehen.25 Wenn die Sprache seit Rousseau und Herder zur anthropologischen Grundkonstante gemacht wurde, liegt eine ähnliche Vermutung hinsichtlich von Gemeinschaften nahe  ; auch Jacob Grimm betonte besonders den Charakter des kollektiven Besitztums  : »Von allem, was die Menschen erfunden und ausgedacht, bei sich gehegt und einander überliefert, was sie im Verein mit der in sie gelegten und geschaffenen Natur hervor gebracht haben, scheint die Sprache das grösste, edelste und unentbehrlichste Besitztum. Unmittelbar aus dem menschlichen Denken empor gestiegen, sich ihm anschmiegend, 22 – die sich über ihren Repräsentationszusammenhalt legitimieren. Vgl. Bernhard Peters  : Deliberative Öffentlichkeit  ; in  : L. Wikpert/K. Günther (Hg.)  : Die Öffentlichkeit der Vernunft und die Vernunft der Öffentlichkeit. Festschrift für Jürgen Habermas  ; Frankfurt/Main 2001. 655–677  : 658. 23 Vgl. RA III, 79  : Europäische Revue. Dass Hofmannsthal die »Wirklichkeit« von 1926 als absterbende wahrnahm, gibt natürlich zu denken  ; die Wortwahl »aufdrängen« birgt allerdings eine kleine Distanzierung. Es ist anzunehmen, dass Hofmannsthal im europäischen Kontext tatsächlich die nationale Wirklichkeit meinte. Den Schwellencharakter des Jahres hat auch Hans Ulrich Gumbrecht in seinem Buch 1926. Ein Jahr am Rande der Zeit (Frankfurt/Main 2003) an zahlreichen, teilweise recht aleatorisch anmutenden Beispielen belegt. 24 »Wahrhaft König, will sagen Monarch, ist der König nur in Bildern. Sie sind seine reale Präsenz  : ein Glaube an die Wirksamkeit seiner ikonischen Zeichen ist obligatorisch.« Louis Marin  : Das Porträt des Königs  ; Berlin 2005. 15. Hofmannsthal notierte sich schon 1905, man könne den König immer zweifach betrachten, »real und symbolisch« (RA III, 460  ; Aufzeichnungen). 25 Matala de Mazza, Verfaßter Körper  ; op cit, 30.

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mit ihm Schritt haltend, ist sie allgemeines Gut und Erbe geworden aller Menschen, das sich keinem versagt, dessen sie gleich der Luft zum Atmen nicht entraten können.« (WES, 279  : Grimm)26

Vossler betonte allerdings, dass eine Sprachgemeinschaft immer in Abhängigkeit der Entwicklungen politischer Verbände (im Sinne eines organischen Wachstums) zu sehen sei.27 Hofmannsthal Haltung hierzu war eine latent gegenläufige  : Eine Notiz zum Turm misst mit der Formulierung »Sprache als Träger des Sozialen« dieser eine konstitutive Bedeutung auch für politische Formationen zu, man könnte auch hier also von einem Wechselwirkungsverhältnis sprechen. 28 Im Hinblick auf seine sprachskeptischen Äußerungen um die Jahrhundertwende (Ein Brief, 1902)29 ist zudem festzuhalten, dass sich Hofmannsthal spätestens mit seiner immer zielstrebigeren sozialen Orientierung von Mauthners Nominalismus gelöst hat, welchen er zunächst auf subjektiver, dann dramatischer Ebene verarbeitete, und die Sprache als zwar defizitäres, aber eben notwendiges Medium nicht einfach bloß »gelten ließ«, sondern im Perspektivenpluralismus der Soziolekte seiner Dramen auch ganz bewusst als solches gestaltete.30 Ein wichtiges Mittel ist hierbei die Metapher als Übertragung eines außersprachlich Unmittelbaren in die Sprache  ; als Repräsentation eines »nie erfahrbare[n] nie übersehbare[n] Ganze[n] der Realität« (Blumenberg) ist sie Medium der Spracherweiterung, potentiell also auch auf das »gesamte Ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse« (Lederer) hin. Solche »absoluten Metaphern« sind dadurch definiert, dass sie sich »nicht ins Eigentliche, in die Logizität zurückholen lassen« – und »der Begriff des Politischen« ist demnach eine solche »absolute Metapher«.31 Man darf mit gewissen Vorbehalten davon ausgehen, dass 26 Hugo von Hofmannsthal (Hg.)  : Wert und Ehre deutscher Sprache in Zeugnissen. Gedanken einiger deutscher Männer über die deutsche Sprache  ; München 1927 [fortan  : WES  ; der jeweilige Verfassername wird angehängt]. 27 »Die Sprache ist keine Wurzel und kein Stamm, sondern eine Blüte und Frucht des sozialen Lebens.« (GKS, 208). Vgl. auch den kurzen Vortrag Karl Vosslers  : Sprachgemeinschaft und Interessengemeinschaft  ; Sitzungsberichte der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Philosophisch-philologische und historische Klasse  ; Jahrgang 1924, 1. Abhandlung  ; München 1924. 28 Vgl. SW XVI.1, 466  ; Notizen [24. VII. 1924]. 29 Vgl. hierzu Claudia Bamberg  : Hofmannsthal  : Der Dichter und die Dinge  ; Heidelberg 2011. 240 ff. 30 Diese Haltung drückt sich auch in den von ihm zusammengestellten Anthologien aus – Herder, Adam Müller, Wilhelm von Humboldt und Jacob Grimm wären Beispiele einer teils emphatischen Bekräftigung von Sprache als Ausdrucksform der Nation. 31 Hans Blumenberg  : Paradigmen zu einer Metaphorologie  ; Frankfurt/Main1998. 25 und 9. Vgl. die Ausführungen zur geistigen Souveränität oben (vgl. 1.4), welche durchaus auch impliziert, eine

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dieser in den zwanziger Jahren so virulente ›Begriff‹ auf den um die Jahrhundertwende so vielsagenden des ›Lebens‹ folgte. Dieser wurde ja ebenso, so schwammig er blieb, jedenfalls in Abgrenzung zu Staat und Gesellschaft verstanden und auch vom jungen Benjamin noch zur »Aufgabe« der Dichtung erklärt.32 Auch die Metapher bedeutet jedenfalls einen Akt souveräner Setzung  ; indem ein Abwesendes anwesend gemacht, ein nicht Existentes als existent gedacht wird, steht sie im Zeichen der Repräsentationslogik. Das ist etwas Anderes, und mehr als der Akt der bloßen Vertauschung, der auf der funktionalen Ebene verbleibt. Hier geht es um den Erwerb von Substanz, den Transfer außersprachlicher Elemente in poetischen Besitz. Das Gespräch über Gedichte (1903/04) wird damit als Referenztext für die Selbstreflexion einer literarischen Souveränität der klassischen Moderne lesbar, die ihren leitenden Begriff noch im ›Leben‹ fand. Dessen poetologische Prämissen gilt es, als Grundlegung einer Poetologie des Politischen Hofmannsthals zu erschließen.

2.1 Poetischer Mehrwert  : Die Analogie des Symbols zum Pekuniären »Die naturalistische Kunstrichtung hat auf die Undifferenziertheit und Unfreiheit des Empfindens hingewiesen, das an das Wort, also an ein bloßes, zu künstlerischen Zwecken verwandtes Symbol, dieselben Empfindungen knüpfe, wie an die Sache selbst  ; die Darstellung des Unanständigen sei noch keine unanständige Darstellung, und man müsse die Realitätsempfindungen von der symbolischen Welt lösen, in der jede Kunst, auch die naturalistische, sich bewege.« (Simmel, PG, 166)33 Wahrheit zu setzen. Bezogen auf die Metapher vgl. nochmals Blumenbergs Paradigmen, ebd. 68 f. (zu Thomas von Aquin). 32 Vgl. GS II 1, 107  ; Hölderlin. Diese Idee ließe sich natürlich umkehren und wäre genauso wahr  ; man darf auch dem jungen Benjamin solche Doppelsinnigkeit zutrauen. Mit voller Selbstverständlichkeit ist in diesem 1914/15 entstandenen Text auch von der inneren Form die Rede (ebd., 105, 108). Diese »innere Größe und Gestalt der Elemente« bezeichnet Benjamin als »annähernd […] mythisch« (ebd., 107) und verband sie mit dem ›Leben‹, dessen Überführung im »Gedichtete[n] der Dichtung«, dem »Übergang von der Funktionseinheit des Lebens zu der des Gedichts« erfolge. »Diese Idee der Aufgabe ist für den Schöpfer immer das Leben.« (ebd., 107). »Das Gedichtete wird sich so als die Voraussetzung des Gedichts, als seine innere Form, als künstlerische Aufgabe zeigen.« (ebd., 108). Vgl. hierzu Peter-André Alt  : Das Problem der inneren Form. Zur Hölderlin-Rezeption Benjamins und Adornos  ; in  : DVjs 61 (3/1987). 631–663. 33 Georg Simmel  : Philosophie des Geldes. Gesamtausgabe Band 6  ; hg. v. D.P. Frisby u. K.K. Köhnke  ; Frankfurt/Main 1989 [fortan  : PG].

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»Niemals setzt die Poesie eine Sache für eine andere, denn es ist gerade die Poesie, welche fieberhaft bestrebt ist, die Sache selbst zu setzen, mit einer ganz anderen Energie als die stumpfe Alltagssprache, mit einer ganz anderen Zauberkraft als die schwächliche Terminologie der Wissenschaft.« (GW EGB, 498/499  : Gabriel)34

Das Gespräch über Gedichte ist so rätselhaft wie umstritten  ; die Frage, ob der darin zentrale Opferbericht Gabriels und die Idee einer poetisch gesteigerten Sprache Clemens’ in einem funktionalen oder einem analogischen Zusammenhang zu verstehen sind, bewegt die Forschung in wachsendem Maße. Hierbei geht es insbesondere um die im Gespräch dargelegte Herleitung des Symbols, die von Adorno auf das Opferblut des Widders, von Hans-Jürgen Schings auf die Metapher des Hauchs bezogen wurde.35 Die entscheidende Frage ist die, ob sich die solchermaßen physio-semiotisch grundierte Dichtung aus einer Identität des Symbols mit dem Opfer oder eben aus einer Analogie mit demselben entspinnt. Im zweiten Fall würde es sich bei deren Gestaltung auch nicht um ein Symbol handeln, sondern um die analogisch bezogene Metapher. Die Diskussion um Hofmannsthal zeichnet damit unversehens die Bruchlinien einer Diskussion nach, die als Abendmahlstreit überliefert ist  : also des mit der Reformation einsetzenden Disputs, ob »Brot und Wein« wirklich Leib und Blut Jesu Christi transsubstantiieren (so die katholische Position), diese symbolisieren (Calvin), oder ob der ganze »Hokus Pokus«, wie Thomas Hobbes meinte, bloß metaphorisch zu verstehen sei (wovon er aber auch nichts hielt).36 Insbesondere die Vermutung 34 Hofmannsthal, Hugo von  : Gesammelte Werke. Erfundene Gespräche und Briefe  ; hg. v. B. Schoeller  ; Frankfurt/Main 1979 [fortan  : GW EGB]. 35 Konsequenterweise bringt Schings die Verbindung von Poesie und Hauch auf den Begriff der Metapher. Vgl. Hans-Jürgen Schings’ ›Plädoyer für das Gespräch‹ von 2003 (Lyrik des Hauchs. Hofmannsthal »Gespräch über Gedichte«  ; op cit). Unumstritten ist seither, dass es sich um einen für die Poetologie des Autors zentralen Text handelt. Seine gegen Adorno argumentierende Lesart ist zuletzt von Hans-Richard Brittnacher scharf angegriffen worden (und mit ihr umso mehr Hofmannsthal)  : »Das ist die Wurzel aller Poesie«. Das Blutopfer bei Hugo von Hofmannsthal und Joseph de Maistre  ; op cit, insb. 276 f. (2012). Hofmannsthals »Argumentation« (die mit der Gabriels gleichgesetzt wird) bade »geradezu im Blut« wobei sogar vom »Sprühen des Blutes der Taube« die Rede ist (ebd.) – im Fackelschein der tanzend Badenden sind es allerdings doch nur Trauben (die nicht zu hoch hingen), welche bei der bacchantischen Weinkelter zerstampft werden. Eine »Lyrik des Hauchs« lässt Brittnacher darum nur als schwülen Dampf gelten, der aus den Strömen vergossenen Bluts in Hofmannsthals Poetik heraufnebele. 36 »War mit der Transsubstantiationslehre der Begriff der Repräsentation (von Fleisch und Blut in Brot und Wein) durch den der (Real-)Präsenz verdrängt worden, so wird mit der protestantischen Kritik nun der Begriff der Repräsentation im Königskörper losgelöst« – und Thomas Hobbes als

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einer »katholischen Verschärfung« sieht in Hofmannsthals Dichtungen letztlich den Wunsch nach einer sich gemäß des Transsubstantiations-Glaubens konkretisierenden Poetik des Politischen auswirken, den Wunsch zumal nach einer ›Verfleischlichung‹ der darin ventilierten politischen Konzeptionen (welche man dann allerdings gesondert zu betrachten hätte).37 Damit ist erkennbar wieder die Frage einer »Fortdauer des Theologisch-Politischen« berührt – ein Diskurs, von dem Lefort sagte, dass er mit sich selbst ein Ganzes bilde, indem er sich die ihn aussprechenden Subjekte einverleibe. Insbesondere aber der Hinweis, dass »die Reaktivierung des Religiösen sich an den Punkten seiner Hinfälligkeit vollzieht« und dessen »Wirksamkeit« darum »nicht mehr symbolisch, sondern imaginär ist«, sollte, gerade im Hinblick auf eine Poetologie, die um 1900 noch eine des ›Lebens‹ ist, also im Hinblick auf literarische Praktiken der Subjektkonstitution, zu denken geben.38 Konsens besteht jedenfalls darin, dass es sich beim Gespräch über Gedichte um wesentliche Ausführungen einer Poetologie Hofmannsthals handelt, wenngleich diese sich bis in die späten zwanziger Jahre weiterentwickelt. Ihre Bezugspunkte sind der archaische Opferkult, antike Mythen (im Keltern des Weines ist die Urszene der Aphrodite zitiert), Autoren wie Friedrich Hebbel, vor allem aber George, mit dessen Gedichten aus dem Jahr der Seele (1897) die Szene des etwas »Vollender der Reformation« (Schmitt) habe hier entscheidende Schnitte gesetzt. Die Festlegung, dass es die staatliche Autorität sei, die über das Wunder zu befinden habe, schaffte gewissermaßen den Abendmahlsstreit aus der Welt. Philip Manow  : Der politische Kampf um theologische Deutungsmacht – das Ende der Divine Right Doctrine und der protestantische Ikonoklasmus im Englischen Bürgerkrieg  ; in  : Stoellger (Hg.), Deutungsmacht  ; op cit, 241–256  : 248 f. Zur theologisch-politischen Dimension dieses Streites zwischen Luthertum und Katholizismus vgl. auch Haltern, Souveränität  ; op cit, 52 f., der aufgrund dessen sogar nach katholischer und protestantischer Souveränität unterscheidet, sowie schon Weber, WuG, 347 und Vossler, GKS, 41. 37 Ralf Simon hat indessen den poetologischen Gegensatz von Hofmannsthal und George auf den von Protestantismus und Katholizismus zurückgeführt – und gibt mit Hofmannsthals Hinwendung zu Goethe (in Absetzung von George, dessen Epigone er nicht werden wollte) auch eine mögliche Begründung, warum ausgerechnet die Poetologie des Österreichers als eine protestantisch-analogische zu werten ist. (Ralf Simon  : Die Szene der Einfluß-Angst und ihre Vorgeschichten beim frühen Hofmannsthal  ; in  : HJB 20/2012. S.36-78  : vgl. 60. Zum Gespräch über Gedichte  : S.5464). Zum Kontext von Hofmannsthals religiösem Hintergrund vgl. Karlheinz Rossbacher  : Literatur und Bürgertum. Fünf Wiener jüdische Familien von der liberalen Ära zum Fin de Siécle  ; Wien 2003. Hofmannsthal wird hier mehrfach thematisiert (287 f  ; 358 f.; 465–522), insbesondere sei aber auf die Ausführungen 382 ff. verwiesen, die sich mit der Bedeutung der Literatur als Substitut der Religion beschäftigen. 38 Vgl. Lefort, Fortdauer  ; op cit, 63 und 94. Lefort bezieht dies übrigens explizit auf die »onto­logi­ sche[n] Schwierigkeit der Demokratie […] sich für sich selbst lesbar zu machen […].« (ebd.).

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ungleichen Dialogs anhebt – und (ein Stück weit entgegengesetzt) Goethe. Diese möglichen Zugänge zu einem Verständnis des sehr dichten Textes sind in der Sekundärliteratur vielfältig dargestellt worden. Auf einen bislang kaum beachteten möglichen Bezug verweist der Umstand, dass Goethe und George auch die beiden poetischen Hauptzugänge der ›Soziologie der symbolischen Formen‹ Georg Simmels bedeuten.39 Insbesondere seine Philosophie des Geldes (1900), jene große Vermessung also des – mit Weber betrachtet – ›fiskalischen Erbes‹ der Reformation, hat Hofmannsthal sehr gut gekannt.40 Spätere Einflüsse im Werk sind teilweise gut belegt.41 Sollte man also nicht auch den eigentümlichen mäandernden Status des Subjekts im Gespräch und die Herleitung des Opfers zu archaischer Zeit bereits sub specie pecuniae betrachten können, sie also einer metaphorischen (da aufeinander beziehenden) Logik des Pekuniären subsumieren, wie sie Simmel nicht wenig zuvor am Beispiel des Geldes dargelegt hatte  ?42 39 Vgl. zu Simmel die umfassende Studie Annika Schlittes  : Die Macht des Geldes und die Symbolik der Kultur. Georg Simmels Philosophie des Geldes  ; München 2012. Die ›Mehrebenen-Semiotik‹ des Geld-Symbols bei Simmel und seine Rezeption Goethes und Georges sind hier ausführlich und lesenswert referiert. Aus literaturwissenschaftlicher Sicht wäre eine Verbindung des Geldthemas mit der Soziologie des Abenteurers als Ausblick auf Spielerfiguren in der Moderne von großem Interesse gewesen. Einen guten Überblick gibt auch der von Jeff Kintzelé und Peter Schneider herausgegebene Band Georg Simmels Philosophie des Geldes (Frankfurt/Main 1993), der aber von Schlittes Dissertation vielfach aktualisiert wird. 40 Vielleicht über George oder über Rilke, den er um die Jahrhundertwende kennenlernt (der Briefwechsel setzt 1899 ein). Rilke lebte mit Lou Andreas-Salomé in den Jahren 1897–1901 zeitweise in Berlin, besuchte Veranstaltungen Simmels im Freundeskreis und auch Lehrveranstaltungen. Die Bedeutung der Soziologie Simmels und insbesondere der Philosophie des Geldes für Rilkes Schaffen hat Hans-Jürgen Schings 2002 am Malte Laurids Brigge aufgezeigt  : Hans-Jürgen Schings  : Die Fragen des Malte Laurids Brigge und Georg Simmel  ; in  : DVjS 4/2002. 643–671  : 649 ff. Zu Hofmannsthals Simmel-Rezeption vgl. Lorenz Jäger, Zwischen Soziologie und Mythos  ; op cit, 95 ff. Zum fiskalischen Erbe der Reformation vgl. jetzt auch Wolf, Fortuna di mare  ; op cit, 74 f. (über Calvins Prädestinations- und Institutionenlehre – und die Opferung eines weißen Schafs auf See). 41 Zu nennen wären das teilweise im Jedermann aufgegangene Fragment Dominic Heintls letzte Nacht (1906), Balzac (1908), Die Notizen zu Die Idee Europa (1917)  ; auch an die Briefe des Zurückgekehrten (1907) wäre zu denken. Der kurze Überblick – für den Dr. Simon Zeisberg, Freie Universität Berlin, gedankt sei – macht deutlich  : Hier gibt es erheblichen Forschungsbedarf. 42 Simmel sprach übrigens von »der Fleischwerdung einer reinen Funktion, des Tausches unter Menschen« (PG, 212).Tatsächlich gibt es vielfach solche Belege der Verwendung von physiologischer Metaphorik in der Philosophie des Geldes. Eine solche säkulare Übertragung oder besser  : Verwendung des Transsubstantiations-Glaubens ist aber metaphorisch (es bleibt zu fragen, ob im Sinne einer Substitutions- oder einer Interaktionstheorie). Simmel spricht allerdings an keiner Stelle der Philosophie des Geldes von Metaphern. Dagegen ist sehr häufig von der Übertragung von

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Das Geld, wie Simmel in seiner Philosophie darlegt, tritt als actus purus an die Stelle des Tauschvorgangs von Gütern, deren Wert es damit zugleich aufeinander bezieht und bestimmt. Eine These für Hofmannsthals Poetisierung dieser Logik – die für diesen Zeitraum, wie gesagt, noch nicht nachgewiesen, aber sehr wohl denkbar ist (der erste Lektüre-Eintrag datiert auf 1906) – müsste wiederum auf das Vorhaben Hofmannsthals zielen, der Wirklichkeit sprachlich habhaft zu werden  ; und zwar mittels einer Synthese der gegensätzlichen Begriffe ›Besitz‹ (Substanz) und ›Bewegung‹ (Funktion).43 In der Philosophie des Geldes spricht Simmel von »Beharrung und Bewegung als Kategorien des Weltverständnisses« und sieht »ihre Synthese in dem Relativitätscharakter des Seins«, dessen »historisches Symbol« das Geld sei. Diese Synthese findet in der poetischen Sprache Hofmannsthals, deren Programm man vorläufig auf die Formel ›Besitz der Bewegung‹ (bzw. Funktion) bringen könnte, ein Gegenüber. Simmels Vorstellung des Geldes als dem alles durchflutenden, alles miteinander in Verbindung setzenden, Differenzen integrierenden Medium ist, übertragen auf die Dichtung, bereits im Gespräch über Gedichte präsent.44 Entscheidend für Hofmannsthals poetologische Rezeption, so die zweite These, ist die Analogisierung dieser Transmitter-Eigenschaft des Geldes im Rahmen des Tausch-Vorgangs mit jenem Prinzip des tertium comparationis innerhalb der Übertragung ›semantisierter‹ Werte (und der Bewegung selbst) zum Besitz der (poetischen) Sprache.

Werten die Rede, so dass hinsichtlich des Geldes zwar immer eine symbolische Setzung besteht, diese jedoch in einem der Metapher analogen Übertragungsvorgang (des Tausches) wirksam wird. Die Geldthematik ist Hofmannsthal, dessen Vater Beamter bei der Central-Bodencreditanstalt war, sozusagen in die Wiege gelegt  ; seine Verse, auf eine Banknote geschrieben, gehen auf das Jahr 1890 zurück. Vgl. hierzu Jochen Hörisch  : Kopf oder Zahl. Die Poesie des Geldes  ; Frankfurt/Main 1996. 72 ff. 43 Zu erinnern ist an die unter 1.5 zitierte Passage aus Harry Graf Kesslers Tagebuch (1906), Hofmannsthal dramatisiere die Philosophie des Geldes und habe als zentralen Begriff dieses Unterfangens »Besitz« genannt. Simmel wiederum hatte festgestellt, dass »die Erscheinungen nicht mehr durch und als besondere Substanzen, sondern als Bewegungen« gefasst würden (seitens der »modernen Wissenschaft«  ; PG, 95). 44 Rilke wird sich der Formel bedienen, dass die »Dinge […] immer mehr in die Vibration des Geldes verlegen« (Rilke, zit.n. Schings, Die Fragen  ; op cit, 658). Einiges spricht dafür, dass Hofmannsthals ebenfalls kritische Aufnahme Simmels nicht nur in poetologischer Hinsicht konstruktiver verlief, sondern auch subjektbezogen (dazu gleich  ; Rilke richtete hingegen scharfen Einspruch gegen Simmels Konzepte des Dritten  ; vgl. Schings, Die Fragen  ; op cit, 667). Doch auch Rilke findet in Simmel eine neue Perspektive auf die Dinge.

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»Für den absoluten Bewegungscharakter der Welt nun gibt es sicher kein deutlicheres Symbol als das Geld. Die Bedeutung des Geldes liegt darin, dass es fortgegeben wird  ; sobald es ruht, ist es nicht mehr Geld seinem spezifischen Wert und Bedeutung nach.45 […] Es ist nichts als Träger einer Bewegung, in dem eben alles, was nicht Bewegung, völlig ausgelöscht ist, es ist sozusagen actus purus […]« (PG, 714)

»Geld« ist für Simmel verkörperte Wechselwirkung des Tausches. Die Wechselwirkung der (sozialen) Relationen zwischen den Subjekten und zwischen den Objekten aber macht für ihn die Gesellschaft überhaupt erst aus, ist deren performative Grundierung (die aber das Individuelle außen vor lasse). Damit ist Geld zugleich ein Agens von deren Veränderlichkeit, bleibt nicht Symbol. Darauf ist gerade im Hinblick auf das morphologische Konstrukt der inneren Form zurückzukommen, das hier latent gefährdet scheint. Sich zu der »rätselhaften Formlosigkeit der Dinge« (als Ausdruck von deren Kontingenz) zu verhalten, 46 ist für Hofmannsthal (spätestens ab 1917) quasi ›Staatsaufgabe‹ der – formenden – Dichtung. Zunächst ist darum der Ansatzpunkt für Hofmannsthals gegenläufige Transkription ins Poetische (bzw.: Einhegung durch das Metaphorische)47 im Gespräch auszumachen  : Diese greift Simmels Befund eines relativierenden, okkasionalistischen »Charakter[s] des reinen Symbols« und einer aus der »Feindseligkeit zwischen der ästhetischen Tendenz und den Geldinteressen«48 resultierenden, 45 PG, 22. Das Geld hat als nicht mehr ruhender Alles-Beweger etwas ›Faustisches‹ bzw. ›Mephistopheleskes‹. 46 PG, 201. »Die innere Formung, die sich zum absoluten Werte der Armut aufgipfelt, wird […] mit reinster Entschiedenheit und unvergleichlicher Leidenschaft von den ersten Franziskanermönchen dargestellt.« (PG, 331). Ansonsten ist dieser Begriff in der Philosophie des Geldes kaum präsent. 47 Vgl. Hofmannsthals Rezension von Alfred Bieses Philosophie des Metaphorischen 1894 (RA I, 190 f.). Dass Hofmannsthal darin für die Darstellung der mystischen und unheimlichen Wirkungsweise an Stelle einer philosophischen Abhandlung den »platonischen Dialog« vorschlägt (ebd., 192), ist für das »Gespräch« sicher nicht unerheblich. 48 PG, 361. (Zitat zuvor PG, 181). Simmel weist auch an anderer Stelle auf dieses Phänomen hin  : »[…] indem das Geld alle Mannigfaltigkeiten der Dinge gleichmäßig aufwiegt, alle qualitativen Unterschiede zwischen ihnen durch Unterschiede des Wieviel ausdrückt, indem das Geld, mit seiner Farblosigkeit und Indifferenz, sich zum Generalnenner aller Werte aufwirft, wird es der fürchterlichste Nivellierer, es höhlt den Kern der Dinge, ihre Eigenart, ihren spezifischen Wert, ihre Unvergleichbarkeit rettungslos aus. Sie schwimmen alle mit gleichem spezifischem Gewicht in dem fortwährend bewegten Geldstrom, liegen alle in derselben Ebene und unterscheiden sich nur durch die Größe der Stücke, die sie von dieser decken.« (Simmel  : Die Großstädte und das Geistesleben. GA 7. 121 f.). Benjamins Figur des Allegorikers scheint diesbezüglich fast eine Reminiszenz zu sein (vgl. hierzu 5.1.3).

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formzerstörenden Wirkung des Geldes auf (bzw. entgegnet dieser). Zum einen betrifft diese Feststellung den symbolischen Komplex des Opfers, das als pekuniäres in der Philosophie des Geldes in Verbindung mit dem Tausch begrifflich sehr präsent ist  ; zum anderen den der modernen Subjektivität, wie sie der Beschreibung Gabriels zu entnehmen ist  : »Wir besitzen unser Selbst nicht.« »Draußen sind wir zu finden, draußen.« Wenn Simmel von der kontinuierlichen »Selbstentäußerung« des Geldes als »direkte[r] Verneinung jedes Fürsichseins« nicht nur in Bezug auf die Dinge (Waren) spricht und den Tausch als Ausdruck unmittelbarer Wechselwirkung zwischen den Einzelnen bezeichnet,49 darf man hier auf eine analoge Konzeption des Subjekts bei Hofmannsthal schließen. Eben dies hat Hans-Jürgen Schings mit Lyrik des Hauchs (2003) gegen Adornos Diktum vom blutrünstigen Opferpoeten Hofmannsthal geltend gemacht  : »Sich-Auflösen ist unverkennbar die Zentralmetapher […]«, »das Schema der Analogie, das Gabriels Gesprächsführung organisiert […]«  : »Nicht das Töten selbst macht das Symbolische aus – vielmehr die ›Ekstase‹, die völlige Hingabe, das Aufgehen, die Wollust, die Entladung.« (Schings, Lyrik des Hauchs  ; op cit, 313–316)

Zunächst also zur (De-)Konstitution des modernen Subjekts im Gespräch, welcher, so auch die These Schings’, die ›Opferszene‹ als Paradigma zu subsumieren ist. Das Phänomen der »Selbstentäußerung« wurde schon von Hermann Bahr und Ernst Mach als »Unrettbarkeit des Ich« aufgrund von dessen physiologischer Abhängigkeit von den Wahrnehmungen für den modernen Menschen ins Feld geführt  ; ökonomisch betrachtet, verdichtet sich diese Abhängigkeit für Simmel im Geld zum Symbol der Moderne. Hofmannsthals Poetologie des »Nicht mehr Ich«50 kann davor geradezu als Strategie zur poetologischen Rettung des Subjekts verstanden werden (durch Bezug auf das Andere), wenngleich dessen Individuation offenkundig nicht autochthon gedacht wird, sondern der riskanten Selbstentäußerung emaniert. Schings weist diesbezüglich zwei Haupttendenzen im Gespräch aus  : »Die eine zielt auf eine Öffnung und Auflösung des ›Subjekts‹. Die andere nimmt in dieser Auflösung die Identifikation mit den ›Objekten‹ wahr, der das Symbolische entspringt.«51 Das Gespräch wird somit selbst zu einem (interaktiven) metaphorischen Vorgang. Die Bedeu49 Zuvor  : GW EGB, 497  : Gabriel  ; hier  : PG, 714  ; zur Wechselwirkung vgl. PG, 209 ff. und 404. 50 Vgl. zum »Höhlenkönigreich Ich« (Hofmannsthal an Bahr) auch Bergengruen, Mystik der Nerven  ; op cit, 33 ff. 51 Schings, Lyrik des Hauchs  ; op cit, 328.

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tung der Dinge im Rahmen einer »Physiologie der Sinne« (Mach) zeichnet sich in der Tat deutlich ab  : »Eine gewisse Bewegung, mit der du von einem hohen Wagen abspringst  ; eine schwüle sternlose Sommernacht  ; der Geruch feuchter Steine in einer Hausflur  ; das Gefühl eisigen Wassers, das aus einem Laufbrunnen über deine Hände sprüht  : an ein paar tausend solcher Erdendinge ist dein ganzer innerer Besitz geknüpft, […] festgewachsen […]« (GW EGB, 497  : Gabriel)

Das ist aber nur die Vorstufe. Das Subjekt wird als inkonsistentes, vom ›Geflecht‹ seiner Wahrnehmungen beeinflusstes und sogar  : konstituiertes vorgestellt. Gabriel geht jedoch noch darüber hinaus, indem er das Selbst (ein somit möglicherweise kollektives Gut) geradewegs als subjektextern imaginiert – und dessen Dasein gewissermaßen als den Rezeptionsvorgang einer permanenten Selbstentäußerung  : »Wollen wir uns finden, so dürfen wir nicht in unser Inneres hinabsteigen  : draußen sind wir zu finden, draußen. Wie der wesenlose Regenbogen spannt sich unsere Seele über den unaufhaltsamen Sturz des Daseins. Wir besitzen unser Selbst nicht  : von außen weht es uns an, es flieht uns für lange und kehrt uns in einem Hauch zurück. Zwar – unser ›Selbst‹  ! Das Wort ist solch eine Metapher. […] Genug, etwas kehrt wieder. Und etwas begegnet sich in uns mit anderem. Wir sind nicht mehr als ein Taubenschlag.« (GW EGB, 497  : Gabriel)

Die dem Hauch verwandte Metapher des Taubenschlags rekurriert wohl nicht zufällig auf Nietzsches Wort von den großen Veränderungen, die auf Taubenfüßen daherkommen. Sie haben hier das moderne Subjekt Bahr/Mach’scher Lesart zum Gegenstand, das sich vor seiner »Ironisierung durch die Masse« durch Selbstentäußerung seines ›Besitzes‹ an ›neuzeitlicher Individualität‹ (ein Stück weit) zu entledigen hat.52 Der späte Hofmannsthal wird diesen Vorgang weitaus kritischer sehen. Damit ist jedenfalls das eigentliche Analogon des Opfers im Selbst-Verlust zu sehen (Hofmannsthals Poetik des Lesens weist in dieselbe Richtung). An die Stelle der »substanziellen Subjektivität« rückt die »Welt der Bezüge«,53 also keine Suspension im eigentlichen Sinne, aber eine Einschrän52 Vgl. zur Dialektik dieser Selbstentäußerung Ulrich Fülleborn  : Besitzen als besäße man nicht. Besitzdenken und seine Alternativen in der Literatur  ; Frankfurt/ Main 1995 [zu Hofmannsthal  : 245 ff.]. 53 Schings merkt an, dass sich Hofmannsthals Poetik von der Konzeption des lyrischen Ichs seitens

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kung des Absolutheitsanspruchs moderner (und damit wohl auch romantischer) Individualität in der »wechselseitigen« Offenheit auf ein Anderes.54 Dieser Anspruch kommt in Gabriels Umgang mit den Gedichten gut zum Ausdruck, indem er über diese wie über eine Geldsumme, die sich in die jeweilig gekaufte Ware verwandelt, verfügen will  : »G A BR IEL . Willst du den Winter  ? Willst du den Sommer  ? Die abenteuernde Sehnsucht des Sommers  ? Die Beklommenheit des Sommers  ? Den Sommermorgen  ? Den Sommerabend  ?« (GW EGB, 496)55

Clemens (der sich übrigens in seiner Haltung beständiger zeigt als Gabriel) 56 weist diesen dagegen wiederholt darauf hin, gewissermaßen nicht mit der Wechselwirkung der ›Wortmünzen‹ zu prassen, sondern »ein Ganzes oder gar nicht« zu lesen. Andernfalls, so ließe sich hinzufügen, werde der symbolische bzw. poetische Mehrwert der gedichteten Sprache auf das Signifikante in Gabriels Werben um Clemens’ Zustimmung reduziert.57 Von dieser Vermutung ausgehend ist nun des Idealismus emanzipiere – mit treffendem Beispiel des Vorfrühling-Gedichtes, das im Prinzip ohne Subjekt auskomme (vgl. Schings, Lyrik des Hauchs  ; op cit, 319 und 321  : »Aufhebung des lyrischen Cartesianismus und Idealismus«, sowie 323). 54 Von einer solchen Suspension geht hingegen Daniela Gretz aus  ; vgl. Gretz, Deutsche Bewegung  ; op cit, 187  : Die »Opferkonzeption« der »Symbollogik« des Gesprächs ziele auf »Auslöschung der eigenen Identität«, welche sich eben an die Symbole verliere. Das ist aber nur die eine Seite dieser »Opferkonzeption«, welche einer metaphorischen Interaktionslogik aufruht, darum das Symbol in sich fasst und mit diesem im Rezeptionsakt das verlorene Selbst – verändert – zurückerstattet. Der Widerspruch dieser »Opferkonzeption« zu der später von ihr ausgewiesenen »deutschen Innerlichkeit«, die sich in einer gegen den Rationalismus gerichteten Subjektivität bei Hofmannsthal auspräge, (vgl. ebd., 277), scheint Gretz nicht aufgefallen zu sein. 55 Und auf Clemens’ Frage, ob es denn dann keine »Vergleiche«, »keine Symbole« gebe, antwortet Gabriel wieder relativierend – »Oh, vielmehr, es gibt nichts als das, nichts anderes. Aber ich glaube, ich langweile dich, wir wollen von etwas anderem sprechen. Wir könnten ausgehen, willst du  ? Wie du willst. Da ist noch ein schönes Gedicht, […]« (ebd.). Genau genommen  : charakterlos. Die Figur Gabriel scheint zeitweise von einer ähnlichen Beliebigkeit zu sein, wie sie Simmel für das Geld dargelegt hatte. Ob darin nun mehr die moderne Subjektivität oder Simmels Symboltheorie des Geldes und ihrer Wirkung zum Ausdruck kommt, kann in der gebotenen Kürze hier nicht thematisiert werden. 56 Es sind aber vermengte Positionen festzustellen, was eine Analogsetzung der Konstellationen Hofmannsthal-George und Clemens-Gabriel ausschließt. Allerdings findet eine Entwicklung in Gabriel statt, auf die auch Schings hingewiesen hat (Schings, Lyrik des Hauchs  ; op cit, 322/323). 57 Simmel merkt übrigens entsprechend an, dass »sich gerade der Reiz der Schönheit immer nur an ein Ganzes knüpft« (PG, 690).

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die Poetologie des Gesprächs nachzuzeichnen, die durchaus ebenfalls die Frage betrifft, ob das Symbol als Zeichen oder als Ding zu verstehen ist,58 welche Simmel für das Geld zwar mit ›sowohl-als-auch‹, aber bei deutlichem Überwiegen des Funktionswerts beantwortet hat.59 »CL E MENS. Sie ist doch nicht ganz die Sprache, die Poesie. Sie ist vielleicht eine gesteigerte Sprache. Sie ist voll von Bildern und Symbolen. Sie setzt eine Sache für die andere.« (GW EGB, 498)

Diese Feststellung Clemens’ entspricht recht gut dem, was Simmel mit dem Naturalismus für die Empfindsamkeit geltend gemacht hat, welche »an das Wort, also an ein bloßes, zu künstlerischen Zwecken verwandtes Symbol, dieselben Empfindungen knüpfe, wie an die Sache selbst«.60 An dieser Stelle zeichnet sich bei dem deutlich als empfindsam inszenierten Clemens eine solche Haltung ab. Gabriels Zurückweisung dieser auf sprachliche Repräsentation (bzw. Substitution) abstellenden These beruft sich auf ein hier ausgeblendetes vermittelndes Drittes zwischen den »Sachen«, die nicht einfach nur ausgetauscht würden. Die Feststellung, dass Clemens hier eigentlich mit der Funktionsweise der Metapher (eine Sache für die andere setzen) lediglich das wesenseigene Prinzip der Sprache beschreibe61 – und eben keine poetische Besonderheit –, wirft die Frage nach deren Beschaffenheit auf. Diesen Sonderfall einer poetisch quasi durch Verkörperung ›ausgesetzten Repräsentation‹ also  : RePräsentation erbietet sich Gabriel, zu klären. Wäre die Poesie bloß metaphorischer Austausch – »Was wollte sie dann neben der gemeinen Sprache  ? Verwirrung stiften  ? Papierblüten an einen lebendigen Baum hängen  ?« – Es liegen diesem Dissens unterschiedliche Auffassungen des Verhältnisses von Metapher und Symbol zugrunde.62 58 Zudem taucht noch die göttliche Chiffre auf, die der Dichter in seine Sprache (welche sie nicht erklärend lösen kann) verweben dürfe  ; vgl. GW EGB, 501  : Gabriel. 59 – dass das Geld mehr ist, als nur das reine Symbol des Tauschs, also der Veränderlichkeit, sondern neben dem Funktions- eben auch einen Substanzwert hat (wobei die gesellschaftliche Bedeutung des Ersteren überwiegt), ergibt sich aus diesem Dualismus von Beharren und Bewegung. Man könnte sagen, dass der Substanzwert der symbolischen Ebene entspricht, der Funktionswert jedoch in einer Äquivalenz zum Metaphorischen steht, da das Geld jenes Dritte symbolisiert, in dem zwei Gegenstände (oder eben auch Subjekte oder Subjekt und Objekt) aufeinander bezogen sind. 60 PG, 166. 61 Dies dürfte auf Nietzsche zurückzuführen sein. Vgl. Friedrich Nietzsche  : Über Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinn  ; in  : Werke III, hg. v. K. Schlechta  ; München 1969. 309–322. 62 GW EGB, 501  : Gabriel. Zum Symbol gab es zwischen Freud und Jung einen Disput, der jene

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Hinsichtlich Clemens’ (analogischem) Verständnis der poetischen als bildhaft und symbolisch gesteigerter Sprache und Gabriels magischer, poietischer Auffassung liegen die Haltungen zunächst scheinbar gar nicht so weit auseinander.63 Dies ändert sich jedoch mit dem von Hofmannsthal zum Zweck der Verdeutlichung hineingebrachten Opferbericht Gabriels (hierzu gleich). Dieser insistiert zudem mehrfach auf die in der poetischen Sprache wirksame Magie eines außersprachlichen Einschlusses, welche beim bloßen Ersetzen eines Dinges durch ein Zeichen (»Welch ein häßlicher Gedanke  !«) verloren gehe und die auf einen tatsächlich körperhaften Bezug der Poesie auf das ›Leben‹, die Natur dringe  : »Die Natur hat kein anderes Mittel, uns zu fassen, uns an sich zu reißen, als diese Bezauberung [des Symbols]. Sie ist der Inbegriff der Symbole, die uns bezwingen. Sie ist, was unser Leib ist, und unser Leib ist, was sie ist. Darum ist Symbol das Element der Poesie, und darum setzt die Poesie niemals eine Sache für eine andere  : sie spricht Worte aus, um der Worte willen, das ist ihre Zauberei. Um der magischen Kraft willen, welche die Worte haben, unseren Leib zu rühren, und uns unaufhörlich zu verwandeln.« (GW EGB, 503  : Gabriel)

Zunächst ist zu bemerken, dass Sprache von Gabriel als ein dualistisches Phänomen gefasst wird (dies wurde schon oben an seiner Unterscheidung von poetischer und Alltags- sowie Wissenschaftssprache deutlich). Offenkundig geht er aber von einer physiologischen Wirkung der Poesie als lebendig-naturhafter Sprache auf den Körper des Subjekts aus – oder aber von einem zweiten, Positionen im Gespräch über Gedichte zwischen Clemens und Gabriel wiederholt. Freud ist nämlich der Ansicht, dass Symbole feststehende Setzungen an Stelle des übertragenen Gegenstandes sind (also wie Geld), Jung hingegen hielt sie für »vielseitig, ahnungsreich und im letzten Grund unausschöpfbar« (also wie eine Chiffre)  ; weder als Zeichen noch als Allegorien seien sie in dieser Tiefe adäquat beschrieben. Jedenfalls bestritt er deren bloßen Substituts-Charakter zugunsten einer quasi magischen Kompensation defizitärer Wirklichkeit (durch das religiöse Symbol). Sigmund Freud  : Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse  ; Frankfurt/Main 1991. 144 ff.; C.G. Jung  : Von den Wurzeln des Bewusstseins. Studien über den Archetypus  ; Zürich 1954. 52. 63 Zur Metapherntheorie vgl. Benjamin Biebuyck  : Die poietische Metapher. Ein Beitrag zur Theorie der Figürlichkeit  ; Würzburg 1999. Zur Substitutionsmetapher, zur analogischen Theorie und zur Interaktionstheorie mit der Tendenz zur Poiesis  : insb. 77 f. und 190 f. Von der Interaktionsmetapher (aus dem englischen Raum), welche als die poietische gilt (Substitutions- und analogische Metapher entsprechen dem klassischeren Verständnis), heißt es, dass sie aus der Kopräsenz zweier Gedanken (tenor und vehicle) hervorgeht. Hierbei sei der tenor keinesfalls mit der Bedeutung der Metapher als ganzer gleichzusetzen, welche im Übrigen in ihrer originären Bedeutung nicht paraphrasiert werden könne.

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sprachlichen Leib auch des Subjekts, welcher dieses in einen größeren, sprachlich verfügten Zusammenhang integriert. Dieser zweite sprachliche Nexus einer Wechselwirkung ist im hiesigen Kontext der interessantere, da er – wie der Chiffren-Leib des Lord Chandos (dessen Briefpartner Francis Bacon übrigens zeitweilig einen Sekretär namens Thomas Hobbes hatte) – auf Hofmannsthals spätere Vorstellung ein corpus mysticum der Sprache vorausweist, das hier noch als überindividuelle Persona zu denken wäre. Das Missverständnis beider Gesprächspartner betrifft Funktion und Substanz des Symbolbegriffs, es soll im Folgenden ausgeräumt werden. Es geht um die sprachliche Integration der Dinge, um eine poetische Anreicherung der Sprache durch Einschluss und Setzung ihr assimilierter Bestände. Dieses poetologische Problem kann auf den Begriff ›Unmittelbarkeit‹ gebracht werden, der auch das Postulat einer ›identitären Repräsentation‹, also sprachlicher Präsenz eines Außersprachlichen ist. »Die Dinge sind für Hofmannsthal darum keine Zeichen  : Sie verweisen nicht auf etwas, das sie selbst nicht sind – sie weisen nicht von sich fort, sondern verharren bei sich selbst.«64 Die poetisch »gesteigerte Sprache« schafft eben solche Dinge (bzw. integriert sie als »Chiffren«), setzt nicht wie die Alltagssprache nur Zeichen für sie. Das ist Kern der Verhandlung zwischen Clemens und Gabriel  : dass die Poesie Sprach-Dinge im Sinne einer steigernden, mehrenden Symbolik schafft, nicht etwas (ein Zeichen) für ein anderes (Ding) setzt und dieses reduziert. Mehr noch als das pekuniäre ist das poetische Symbol Zeichen und Ding, Funktions- und Substanzbegriff zugleich, an dessen Präsenz der Rezipient teilhaben soll. Gabriels Insistieren auf der symbolischen Qualität der Poesie betrifft genau diesen Punkt. Das Symbol repräsentiert das Andere, 65 in dem »wir uns auflösen«  : »Jedes Symbol verursacht ein partielles Sich-verwandeln, ein kleines Drama.« (SW XXXI, Erfundene Gespräche und Briefe, 327  ; Notizen) »Er starb in dem Tier. Und wir lösen uns auf in den Symbolen. So meinst du es  ?« (GW EGB, 503  : Clemens) 64 Claudia Bamberg, Dichter und Dinge  ; op cit, 140, die sich hier auf Gadamers Zeichenverständnis, nicht auf Simmels Symboltheorie bezieht (vgl. zum Gespräch über Gedichte ebd., 163 f.). 65 Zuvor  : PG, 667. Zur zeitgenössischen Bedeutung des von Gabriel häufiger bemühten »Anderen« vgl. Sabine Schneider  : Verheißung der Bilder. Das andere Medium in der Literatur um 1900  ; Tübingen 2006. Schneider macht hier insbesondere auf Julius Meier-Graefe aufmerksam, der Kunst als das »Andere der Sprache« bezeichnete, das mit dieser nur metaphorisch, im Rahmen eines tertium comparationis in Verbindung trete (vgl. ebd., 132). Da Meier-Graefes Abhandlung zur Entwicklungsgeschichte 1904 erschien, könnte sie einen ergänzenden Beitrag zu Hofmannsthals »Philosophie des Metaphorischen« dargestellt haben.

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Aber erst durch den Rezeptionsvorgang wird es die Sache selbst, und damit zugleich zur präsentischen Vergegenwärtigung. 66 Dieser Akt nicht der (zeichenhaften) Ersetzung, sondern der (dinghaften) Neuschöpfung, die aber eben darum keine Identität mit Opfer und Symbol, sondern deren metaphorische Überführung in einen analogischen Zusammenhang bedeutet, rekurriert auf das blutig-dionysische Bild der Opferszene. Diese ist ja auch aus einer Verwechslung motiviert  : Der vom »Absolutismus der Wirklichkeit« (Blumenberg) getriebene Mensch tötet, seinen Ängsten erlegen, statt seiner selbst den ihm zunächst schlafenden Widder, und bricht, seinen Irrtum erleichtert bemerkend, in grässliches 67 Triumphgeheul aus, in welches sich das Stöhnen des verendenden Tieres und das Plätschern des strömenden Blutes mischt, das er zunächst für sein eigenes hielt. Man kann sich leicht denken, dass dieser exaltierte Bericht Hofmannsthals (eigene) Position nicht ist, sondern der Kategorie von Simmels »Unanständigem« (s.o.) zugehört. Clemens’ Unbehagen an dieser archaischen Urszene äußert sich denn auch deutlich  : er lehnt sie als Poetik »schwüler Bezauberung« ab.68 Gabriel nähert sich dieser Haltung nach und nach an, indem er zunächst mit der Szene der dionysischen Kelter die antike Substituierungsstufe des Opfers zitiert, um dann den Topos zusehends in eine ›apollinischere‹ Form der Symbolpoetik zu überführen. Insbesondere wird mit der Beschreibung von ästhetisch initiierten Identifikationsprozessen das ›Subjekt des Opfers‹ vertauscht, so dass die Betrachtung zuletzt bei der Magie jenes »Stirb und werde  !« aus Goethes Diwan verweilt. Inmitten dieser (darum) kathartischen Nahtoderfahrung hat Hofmannsthal die Idee der Verwandlung gesetzt, der Selbstverwechslung im Anderen. Dass sie sich aus den Wechselwirkungen mit der Wahrnehmung des Symbols er66 Das Zeremonial des »dunklen Opfers« aber (vgl. hierzu Karlauf, Entdeckung des Charisma  ; op cit, 393 und z. B. 318  : »Aufgehen in George«), wie es der George-Kreis der poetischen ›Hostie‹ kultisch folgen ließ (in Verkehrung der liturgischen Reihenfolge), war Hofmannsthals Sache nicht. 67 Gabriel sagt »wollüstig«. Grässlich ist aber die Beschreibung der Szene, die Hofmannsthal im Oedipus wenig später noch zuspitzen wird. Es gibt jedoch auch frühe distanzierende Zeugnisse »Glücklich wäre derjenige, der in einer solchen symbolischen, unzulänglichen Handlung aufginge, wie der wahrhaft Gläubige in der Phantasie.« (RA III, 438  ; Aufzeichnungen [1902]). Dass es ein Widder ist, der getötet wird, verweist übrigens auf einen dionysischen Zusammenhang  : Der von der eifersüchtigen Hera verfolgte Dionysos (Zagreus) wurde von Zeus nach dessen Zerstückelung (Titanen), und nach Wiederzusammenfügung und Reanimation durch Athene/Apollon in einen Widder verwandelt (vgl. Frank, Der kommende Gott  ; op cit, 17). 68 »CL E MENS. Und dennoch, ist mir, muß es Gedichte geben, die schön sind ohne diese schwüle Bezauberung. Es gibt Lieder von Goethe, welche leicht sind wie ein Hauch und einfach wie eine Mozartsche Melodie.« (EGB, 504  : Clemens). Mit der Ablehnung des chthonischen Ursprungs des Opfers wird die Metapher des Hauchs eingeführt.

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gibt, berechtigt dazu, von einer ästhetischen Transzendierung (im Sinne einer Auflösung und Neukonstitution) des modernen Subjekts bei Hofmannsthal zu sprechen, welche er später vor allem in Beschreibungen des Tanzes (als Rückkehr auf die physische Ebene einer für authentisch erachteten Körpersprache) weiterentwickelt.69 Doch auch zuvor strebt Hofmannsthal nach einem Ideal der Beredsamkeit der Schriftsprache selbst, deren psychologische Wirkung die der gesprochenen Rede sein soll (daher auch die Wahl der Rhetorik-affinen Form des Gesprächs). Hierbei wird nicht das semantische Gewebe der Sprache durchbrochen, um sie auf eine Hypotypose archaisch-chrematischer Opfersymbolik hin zu öffnen, sondern diese wird – als »gesteigerte Symbolik« – ins bildliche Verfahren der Metapher inkludiert und somit zum Besitz der Sprache. Die Textstelle im Gespräch verfährt, man kennt es schon vom Brief, dementsprechend metaphorisch  : »Aber ich möchte ein vom tiefsten Geist der Sprache geprägtes Wort erst von seiner Lehmkruste reinigen. Weißt du, was ein Symbol ist  ? … Willst du versuchen dir vorzustellen, wie das Opfer entstanden ist  ? Mir ist, als hätten wir früher einmal darüber gesprochen. Ich meine das Schlachtopfer, das hingeopferte Blut und Leben eines Rindes, eines Widders, einer Taube. Wie konnte man denken, dadurch die erzürnten Götter zu begütigen  ? Es bedarf einer wunderbaren Sinnlichkeit, um dies zu denken, einer bewölkten lebenstrunkenen orphischen Sinnlichkeit.« (GW EGB, 502  : Gabriel)

In der Philosophie des Geldes finden sich ähnlich kulturgeschichtliche (wenngleich nicht archäologische) Betrachtungsweisen zum Opfer und seinem Ersatz durch Geld.70 Da Simmel das Geld als Fluidum der Gesellschaft mit dem Blut in einem (bzw. ihrem) Organismus verglich, lässt sich der von Gabriel imaginierte 69 Vgl. zum Körper als Gedächtnis bei Hofmannsthal den Aufsatz von Eva Blome  : ›Schweigen und tanzen‹. Hysterie und Sprachskepsis in Hofmannsthals Chandos-Brief und »Elektra«  ; in  : HJB 19/2011. 255–290. 70 Der kulturgeschichtliche Blick auf das Geld schließt die archaischen Zeiten gerade mit ein  : »Auf den primitiven Wirtschaftsstufen treten allenthalben Gebrauchswerte als Geld auf  : Vieh, Salz, Sklaven, Felle usw. […] Daß man die wertvollsten Dinge gegen einen bedruckten Zettel fortgibt, ist erst bei einer sehr großen Ausdehnung und Zuverlässigkeit der Zweckreihen möglich […].« (PG, 155 f.; vgl. auch PG, 55 ff.) Zudem weist Simmel auf den christlich sakralisierten Opferkult im Rahmen der (Kauf-)Ehe hin  : »Die Kirche hat sich nie gescheut, die schwersten Opfer um der Liebe zu Gott willen zu verlangen, weil sie wohl wusste, dass wir um so fester und inniger an ein Prinzip gebunden sind, je grössere Opfer wir dafür gebracht, ein je grösseres Kapital wir sozusagen darin investiert haben.« (PG, 507).

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Ursprung des Symbols in der Verwechslung (und ebenso des Opfers in der Verwechslung) als Äquivalent eines Dritten verstehen in welchem sie zusammenfallen  : der Verwandlung, die in einem der Fälle eine der ›Welt‹, im anderen des ›Selbst‹ ist.71 Wenngleich die durch das Geld erzeugte ultimative Austauschbarkeit aller Dinge und Werte im modernen Sinn nur abgeleitet auf den Opferer und sein Opfer zu beziehen – da diese Kulturstufe am Ursprung des Kultus noch nicht einmal erreicht – ist, kommt jenes »zur Substanz erstarrte Gelten, das Gelten der Dinge ohne die Dinge« hier dem Prinzip nach bereits zur Wirksamkeit. Es ist zwar nicht das Blut selbst, das da erstarrt  ; aber nach einer moderneren Logik des Pekuniären ist stattdessen der Wert des geopferten Geldes als dessen Transmitter fixiert,72 bzw. als tertium comparationis des Warenverkehrs, das wesensmäßig von den miteinander im Tausch verglichenen Dingen unabhängig sein muss. Der Vergleich des poetischen Symbols im Gespräch folgt dieser nur abgeleiteten pekuniären Logik eines Geltens »ohne die Dinge«, wie es die Interaktionstheorie der Metapher annimmt. So heißt es im Gespräch ja auch  : »Er starb in dem Tier« und nicht  : ›Das Tier starb für ihn‹ – sondern (und dies dann symbolisch) »in ihm«.73 Es ist das Prinzip der individuellen Selbstaufgabe, wel71 Die relativistische Logik eines gesellschaftlichen (offensichtlich in Form organischer Zirkulation gedachten) Ganzen finde ihr »Gelenksystem« und »Blut« im Geld (PG, 652). Zugleich entstehe der Wert einer Sache erst durch das Opfer, das man zu ihrem Erwerb zu erbringen hat  : »Das Fruchtbarere und eigentlich Aufklärende aber ist, mindestens für unsere Betrachtung, der Weg vom Tausche zum Werte, da das Umgekehrte uns bekannter und selbstverständlicher erscheint. – Dass der Wert sich uns als Ergebnis eines Opferprozesses darbietet, das offenbart den unendlichen Reichtum, den unser Leben dieser Grundform verdankt.« (PG, 64). 72 (Zitat zuvor  : PG, 124). Simmel bezeichnet Geld als »Zwischenware, Wertaufbewahrungs- und Werttransportmittel« (PG, 165). Giorgio Agamben weist in seinem als Band II.3 dem Homo sacerProjekt zugeordneten Das Sakrament der Sprache. Eine Archäologie des Eides  ; Berlin 2010 auf die sacertas auch der Sprache hin, indem sich der Mensch im Eid als das Tier, das spricht, selbst aufs Spiel setze  ; die abgeleitete (und folglich bereits humanisierte) Form beschreibt Agamben am römischen Beispiel des Eides vor Gericht, welcher im Prozess den streitenden Parteien auferlegt wurde  : das sacramentum sei in diesem Falle eine Geldsumme gewesen, die bei gerichtlicher Niederlage verfiel (vgl. Agamben, Sakrament, 81). 73 Einer Äußerung wie dieser  : »Dadurch daß wir das Geld erfunden haben, stehen wir über dem Vieh« (zit.n. Martin Stern  : Hofmannsthals verbergendes Enthüllen. Seine Schaffensweise in den vier Fassungen der Florindo/Christina-Komödie  ; in  : DVjS 33 (1959). 53) kommt in diesem Zusammenhang große Bedeutung zu. Hier ist die Analogie von Sprache und Geld ganz fasslich – und zudem die Abgrenzung vom Opfertier im pekuniären Bezug. Das Geld ist hier als eine (rein zeichenhafte) Sprache zu verstehen  ; der Mensch steht nur über dem Tier dank der Sprache (die kulturellen Besitz und Bewegung in Einem fasst). Eigentlich müsste in dem Satz nach gängiger Auffassung »Geld« gegen ›Sprache‹ ausgetauscht werden.

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cher die Geltung der poetischen Sprache aufruht, nicht der Stellvertretung, nach welchem das Opfer an die Stelle des Opferers gesetzt, sterben muss. Und die kulturgeschichtliche Veralltäglichung dieser charismatischen Urszene (»fortan starb das Tier den symbolischen Opfertod«) wird darum freigelegt, weil sich hier das chrematische Symbolverständnis eines bloßen, mortifizierten Zeichens in immer neuen Schichten abgelegt hat.74 Damit ist aber der Zirkelschluss dieser Poetologie noch nicht abgeschritten, denn dann wäre die Rechnung ohne das Subjekt gemacht.75 Der moderne Mensch verliert sich zwar an die Dinge, löst sich in Symbolen auf, aber diese Distribution wird von Simmel nach dem Schematismus der Wechselwirkung beschrieben. Simmel hat das für den Tausch ausgewiesene ›Prinzip des Dritten‹ auch am Beispiel des Gefühls pointiert dargelegt. Und es geht Hofmannsthal bei der Opferbeschreibung ja ersichtlich um die Erregung von Gefühlen und physiologischen Effekten. Simmel beschreibt diese als eine Kategorie, die psychologisch das Gemeinte (»bedeutsamer Inhalt«) realisiere, welches jedoch nicht mit ihm »identisch«, sondern »vielmehr ein Drittes, Ideelles, das zwar in jene Zweiheit eingeht, aber nicht in ihr aufgeht«, sei. Auch Gefühle sind Ausdruck von Wechselwirkungen, die allerdings das Subjekt in seiner Identität direkt betreffen. Simmel hat den »aufopfernden Tausch«76 als Kristallisationspunkt jener Wechselwirkungen bestimmt, aus denen sich die Gesellschaft qua Selbstentäußerung der Subjekte permanent erzeuge (die hierdurch zugleich ihre Teilhaber werden). Hofmannsthals Ambition ist nun (wie schon unter 1.3 bemerkt) darauf gerichtet, jenseits des Zugriffs dieser nivellierenden, rationalen Werteordnung einen Raum zu schaffen, in dem das moderne Ich sich selbst erhalten bleibt – oder vielmehr sich selbst zurückerstattet wird. Das Schema der rezipierenden Wechselwirkung 74 Verwiesen sei in diesem Zusammenhang auf Burkhardt Wolfs Lektüre des Gesprächs mit einer explizit auf die ökonomische Dimension des Opfers bezogenen Perspektive  : Wolf, Sorge des Souveräns  ; op cit, 338 f. (Kapitel »Gemeinschaft in der Gesellschaft«). Wolf entwickelt diese Perspektive an Nietzsches Auffassung des Opfervorgangs als metaphorischen  ; und es ist abzusehen, dass Simmel dieser Auffassung mit einigen Modifikationen entsprochen hat. 75 Auch der bereits herangezogene Text Nietzsches Über Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinne hält am Subjekt fest  : »Jener Trieb zur Metapherbildung, jener Fundamentaltrieb des Menschen, den man keinen Augenblick wegrechnen kann, weil man damit den Menschen selbst wegrechnen würde […]« (Friedrich Nietzsche  : Werke. Bd. III  ; op cit, 319. [Schlechta-Ausgabe]). 76 PG, 61. Zuvor  : PG, 36. Jäger hat schon angemerkt, dass dieses Prinzip nicht Hofmannsthals Option gewesen sein kann  : »Von Hofmannsthals Lektüre der Philosophie des Geldes reden heißt, von seiner Revision dieser Blasphemie reden, von seinem Einspruch dagegen.« ( Jäger, Zwischen Soziologie und Mythos  ; op cit, 97).

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mit der Poesie setzt zwar durch die Veräußerung von Individualität eine notwendige Aufgabe der Idee von der Konsistenz des Subjekts voraus  ; es darf aber aufgrund des Geflechts an Wechselwirkungen auf reichhaltige Rückerstattung, Verwandlung und auf tiefere Erkenntnis (seiner selbst wie seiner Wirklichkeit) hoffen, wo es sich bewusst, etwa im »Akt des Lesens« (Iser), einbringt. Seinem in der Identifikation mit Anderem erfolgenden Selbstverzicht korrespondiert jene mit dem Opferbericht symbolisierte Unmittelbarkeit der poetisch gesteigerten Sprache. Dieses erhält, wie oben überlegt wurde, in seiner ›Nacktheit‹ bei Hofmannsthal eine metaphorische Verkleidung im »Gespräch«. Das bleibt genauer auszuführen. Wie wäre zunächst also das Verhältnis von Symbol und Metapher zu bestimmen  ? Das Symbol gehört grundsätzlich der Semiotik, also dem im Wortsinne Außersprachlichen, die Metapher der Semantik an.77 Die Semantik hatte Hofmannsthal in Ein Brief schon zuvor als defizitär dargestellt, dabei aber bereits die Mittel des aufscheinenden Auswegs einer erhöhten Sprachbildlichkeit benutzt  ; die Verzeichnung der Repräsentationskrise erfolgt selbst mit äußerst virtuos gehandhabten metaphorischen Mitteln. Blumenberg hob an der »absoluten Metapher« hervor, dass diese erlaube, die (begrifflich) unbeantwortbaren, im »Daseinsgrund« gestellten Fragen zu beantworten.78 Eine solche Frage nach dem Daseinsgrund steht auch im Zentrum des Opferberichts Gabriels, denn darin ist von einem ängstigenden Numinosen, einem mysterium tremendum und einer entsprechenden Reaktionsform die Rede, die dann zur kultischen Ersatzhandlung wurde.79 Die »gesteigerte Sprache« ist damit zuerst eine metaphorische Sprache, weil sie Außersprachliches in Symbolzusammenhänge überführt und in Form jener erwähnten, naturhaften »Chiffren« zur Verfügung stellt, welche allerdings deutungsbedürftig bleiben (wie nicht zuletzt die anhaltende Diskussion um diesen Text belegt). Damit entgeht sie auch der von Nietzsche namhaft gemachten Gefahr, an der Realität vorbei zu ›schweben‹.80 77 Haverkamp hat die Metapher als einen »verkürzte[n] Vergleich[,] der auf außersprachliche Ähnlichkeit zielt«, bezeichnet  ; Anselm Haverkamp  : Einleitung in die Theorie der Metapher  ; in  : Ders. (Hg.)  : Theorie der Metapher  ; Darmstadt 19962. 1–30  : 19. Man kann also sagen, indem die Metapher auf Außersprachliches (also Semiotisches) zielt, bezieht sie es in die Sprache ein – das Einbezogene ist gewissermaßen »da und nicht da«, gehört zur sprachlichen Ordnung und steht doch zugleich außerhalb von ihr. 78 Blumenberg, Paradigmen, op cit, 23. 79 Vgl. hierzu Rudolf Otto  : Das Heilige. Über das Irrationale in der Idee des Göttlichen und sein Verhältnis zum Rationalen  ; München 2004 [1917]. 80 »Wir glauben etwas von den Dingen selbst zu wissen, wenn wir von Bäumen, Farben, Schnee und

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Im Gespräch ist die strittige Opferszene (des vermiedenen Selbstmords) also metaphorisch zu lesen  ; Hofmannsthal überführt deren tertium comparationis  : den Akt der Selbstentäußerung als das sich-Auflösen in Symbolen, in die Metapher des »tiefsten Hauch ihres Wesens«, welcher das Pneuma der Dichtung ist. Die Unmittelbarkeit des Symbols ist hierdurch gewissermaßen sprachlich inkludiert81 und bleibt in Form der »Chiffre« dennoch vom semantischen Sinnbezug ausgenommen  : »Chiffren, welche aufzulösen die Sprache ohnmächtig ist«, wie Gabriel sagt. Sie entspringen dem tertium comparationis der Metapher, markieren und verdecken gleichermaßen den ›Ort‹ der Vertauschung und ihres Entstehens und stellen den Übertragungsvorgang (in welchem die »Magie« eines Tausches von Sprachbild gegen Wesenheit, von Gedichtetem gegen Leben ›zum Tragen‹ kommt) auf Dauer.82 Dass dieser komplexen poetologischen Operation, die letztendlich dazu dient, den für die (ästhetische) Transsubstantiation konstitutiven Glauben zu ersetzen,83 etwas notwendig Enteignendes innewohnt, ergibt sich schon aus der Analogie zum Geld. Nicht umsonst wird auch Goethes Märchen (aus den Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten) zitiert  : »Wenn die Poesie etwas tut, so ist es das  : daß sie aus jedem Gebilde der Welt und des Traumes mit durstiger Gier sein Eigenstes, sein Wesenhaftestes herausschlürft, so wie jene Irrlichter in dem Märchen, die überall das Gold herauslecken. Und sie tut es aus dem gleichen Grunde  : weil sie sich von dem Mark der Dinge nährt, weil sie elend verlöschen würde, wenn sie dies nährende Gold nicht aus allen Fugen, allen Spalten in sich zöge.« (GW EGB, 498) Blumen reden, und besitzen doch nichts als Metaphern der Dinge, die den ursprünglichen Wesenheiten ganz und gar nicht entsprechen.« (Friedrich Nietzsche  : Über Wahrheit und Lüge  ; op cit, 312– 313.) Diesen Befund hat Hofmannsthal durch Inklusion des Symbols ausräumen wollen, das – als außersprachliches – mit der Natur bzw. Wirklichkeit in lebendigerem Zusammenhang steht. 81 Aufgegeben scheint diese Inklusion allerdings im König Ödipus, in der sich eine Reminiszenz an die Opferbeschreibung Gabriels findet – als Erlebnisbericht Ödipus’ selbst. Die Thematik taucht auch in einer Notiz zum »Mord der Tiere« auf  : »Hier ist ein Fühlen des Jenseits. Und ein Jenseits des Fühlens.« (RA III, 464  ; Aufzeichnungen [1905]). 82 Im Hinblick auf ein Subjekt der Dichtung lässt sich dem eine Stelle aus dem Chandos-Brief hinzufügen  : »[…] ich fühlte ein entzückendes, schlechthin unendliches Widerspiel in mir und um mich, und es gibt unter den gegeneinanderspielenden Materien keine, in die ich nicht hinüberzufließen vermöchte. Es ist mir dann, als bestünde mein Körper aus lauter Chiffern, die mir alles aufschließen.« (GW EGB, 469  ; Ein Brief). 83 Vgl. hierzu übrigens Arthur C. Danto  : Die Verklärung des Gewöhnlichen  ; Frankfurt/Main 1984  ; wobei dem Originaltitel The Transfiguration of the Commonplace der kunstreligiöse Nexus besser zu entnehmen ist.

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Man kann die Metapher im Rahmen dieser ›vampirischen Akkumulation‹ von Wesenheit als Äquivalent jener von Simmel für den wertbestimmenden Tausch ausgemachten Wechselwirkungen verstehen, die sich im Geld dinghaft symbolisieren bzw. manifestieren – Nietzsche hat mit seiner berühmten (metaphorischen) Gleichsetzung von Metaphern und Münzen und deren Abnutzung den Weg hierhin gewiesen.84 Wo sich jedoch das Geld im Tausch in seiner weniger wertebestimmenden als -annilihierenden Funktion zeigt, zielt die poetische Bewegung auf immatriellen Besitz. Wenn man nun mit Simmel feststellt, dass »Die Funktion des Tausches, eine unmittelbare Wechselwirkung unter Individuen[,] ist [die sich] mit ihm zu einem für sich bestehenden Gebilde kristallisiert [… und] der Tausch selbst […] eine der Funktionen, die aus dem bloßen Nebeneinander der Individuen ihre innerliche Verknüpfung, die Gesellschaft, zustande bringen [, ist…und die] Gesellschaft [damit] nichts als die Zusammenfassung oder der allgemeine Name für die Gesamtheit dieser speziellen Wechselwirkungen« (PG, 209 f.) –,

dann ist klar, dass das wertschaffende Moment der Poesie auf eine ähnliche Gesamtheit rekurriert.85 Die Metapher entspräche in diesem Vorgang der Bewegung des Tausches, das (in der Bewegung beharrende) Symbol dem Geld, dem ermittelten Preis der Ware. Diese Feststellung ist allerdings eine des profanen Symbols (also eines bloßen Zeichens), im Gegensatz etwa zu C.G. Jungs Verständnis des religiösen Symbols (vgl. 1.3.1). Bei Hofmannsthal wiederum ist eine Übertragung dieser pekuniären Logik (des allgemeinen Austausches) auf den sprachlichen ›Bau der Gesellschaft‹ festzustellen, jedoch als eine inverse, die nicht fixiert, sondern vermehrt  : »Wir schaffen uns einer am anderen unsere Sprache, beleben einer den anderen.«86 In einen solchen Kontext gestellt, nimmt diese Bemerkung Erkenntnisse de Saussures vorweg, die sich ebenfalls auf die präsentische Wirkung von Sprache beziehen  : »Damit wird der Begriff der Signifikation nicht mehr als Repräsentation gedacht, sondern als Artikulation. Die Sprache als 84 »[…] die Wahrheiten sind Illusionen, von denen man vergessen hat, daß sie welche sind, Metaphern, die abgenutzt und sinnlich kraftlos geworden sind, Münzen, die ihr Bild verloren haben und nun als Metall, nicht mehr als Münzen, in Betracht kommen.« (Nietzsche  : Über Wahrheit und Lüge  ; op cit, 314). 85 Ob sich auch hinsichtlich der Poesie mit Simmel sagen lässt  : »das Ganze ist um so vollkommener und harmonischer, je weniger der Einzelne noch ein harmonisches Ganzes ist« ([  !] PG, 247), oder doch eher die Vorstellung eines proportionalen Verhältnisses seitens Hofmannsthals vorliegt, wird auch nachfolgend noch beschäftigen. 86 RA III, 465  ; Aufzeichnungen [1905].

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Artikulation geht nicht von einer vorgeordneten Präsenz aus, sondern wird durch eine Differenz bestimmt, die erst nachträglich Identitäten […] als ihre Effekte produziert.«87 Dieser Befund ist für Hofmannsthals Sprachutopie essentiell. Der Metapher kommt durch die Vermittlung zweier Vorstellungen unterschiedlichen Bezugs zu einer einzigen synthetischen ein poietisches Vermögen schon durch die Herstellung von Ähnlichkeiten oder Unterschieden zu.88 Aber das Potential reicht nach Hofmannsthal (bzw. Gabriel) noch darüber hinaus, in dem die Poesie mittels metaphorisch inkludiertem Symbol die Sache performativ selbst erst setzt – was bedeutet, etwas Reales in Fiktion zu verwandeln, ihm ein Imaginäres zu supplizieren und dennoch präsent zu halten  ; und schließlich  : nach dem Modell der (austeilenden) Wechselwirkung aus dieser Fiktion im Rezeptionsakt wieder (eine) Realität (der Gefühle bzw. Affekte) werden zu lassen. Und darum heißt es von diesem Vorgang im Gespräch auch, dass er magisch sei.89 Darin wirkt sich die schon erwähnte ›identitäre Repräsentation‹ 87 Susanne Lüdemann  : Metaphern der Gesellschaft. Studien zum soziologischen und politischen Imaginären, München 2004. 36  ; Samuel Weber. Lüdemann erklärt »Signifikation« mit »Bezeichnung«. Demgegenüber, um dies abzugrenzen, würde der Preis einer Ware ein Zeichen sein. Die Materialität des dafür aufzubringenden »gelts« ist inzwischen durch den elektronischen und virtuellen Zahlungsverkehr vollständig aufgehoben. Die Wahrscheinlichkeit, dass diese Entwicklung auf die sich seit der Jahrtausendwende häufenden Finanzskandale, Banken- und Staatskrisen entscheidenden Einfluss hat, ist sehr hoch  ; hier spielt sich in den Türmen der Banken ab, was im Kleinen den Endverbraucher zur Ausweitung seines Konsums (über jedes vernünftige Maß hinaus) verlocken soll – die Unfühlbarkeit des pekuniären Opfers für erworbene Dinge, die selbst bereits auch wieder entmaterialisiert vorliegen können – der Tendenz nach schon die Dienstleistung mit fraglichem längerfristigen Nutzen (Beratung), vollends dann mit dem Erwerb von Optionen (zum Beispiel auf Aktienpakete zu einem bestimmten Preis zu einem bestimmten Zeitpunkt). Diesbezüglich kann man Joseph Vogls Formulierung vom Gespenst des Kapitals (Zürich 2011) nur zustimmen. Es ist ein Gespenst, das längst nicht mehr nur die wachsende Gruppe insolventer Verbraucher schreckt  ; mit unsichtbaren Händen beginnt es vielmehr, auch den realen Besitz der Steuerzahler aller Länder aufzuzehren. 88 Vgl. Lüdemann, Metaphern der Gesellschaft  ; op cit, 32–35. Diese Macht der Sprache erkennt man im gegenläufigen Fall im Deutschen an der Unterscheidung Pusteblume/Butterblume – dass es sich um dieselbe Pflanze handelt, weiß insbesondere der geborene Städter nicht unbedingt. 89 Auf die Performativität dieser Betrachtungsweise wurde schon hingewiesen  ; hinsichtlich des (fiktiven) Sozialen wird diese Eigenschaft nochmals aufgegriffen (vgl. 2.3). Vgl. hierzu übrigens Novalis  : »Der ganze Staat läuft auf Repraesentation hinaus. / Die ganze Repraesentation beruht auf einem Gegenwärtig machen – des Nicht-Gegenwärtigen und so fort – (Wunderkraft der Fiction.)« (Novalis  : Glauben und Liebe  ; in  : Schriften III  ; hg. v. R. Samuel, Stuttgart [et al.], 1983  ; 421. Ob daher Gabriels Setzung (»der Sache selbst«) wirklich pauschal als »Attacke gegen Novalis« gelesen werden kann, wie Hebekus ausführt (Hebekus, Ästhetische Ermächtigung  ; op cit, 279), er-

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aus (der Terminus ist ein Oxymoron, wie etwa »konservative Revolution«)  ; sie ist ein Ergebnis der metaphorischen Synthesekraft von Form und Unmittelbarkeit. Hier ist die Analogie zur Wirkweise des Geldes hinsichtlich von Werten auszumachen, sowie zu seiner Eigenschaft als Ding gewordenes Symbol, wie Simmel sie beschrieben hat. Heike Grundmann hat mit dem an Ricoeur angelehnten Begriff der »lebendigen Metapher« nahegelegt, dass der lebendige Bezug des Wortes auf das ursprünglich Übersetzte durch Einbeziehung des – metaphorisch gebrauchten – Mythos gewahrt bleibe (und dessen Wandlungsfähigkeit).90 Der Hauch ist Hofmannsthals Metapher für diese Bezugnahme auf ein Lebendiges bzw. lebendig Symbolisiertes, das mit Fiktion und Realität in ähnlicher Weise korrespondiert, wie das Imaginäre bei Wolfgang Iser und das »Gedichtete« mit Leben und Gedicht beim frühen Benjamin. Ihm kommt auch die Eigenschaft einer Anleihe an christologische Vorstellungen von Kollektivleiblichkeit zu. Wenn Friedrich Schlegel schrieb  : »Der Mensch ist allmächtig und allwissend und allgütig  ; nur ist der Mensch in dem Einzelnen nicht ganz, sondern nur stückweise da …«,91 dann trägt Hofmannsthal dem in der Erkenntnis Rechnung, dass diese Unvollkommenheit im (Chiffrenleib des) Schrifttum(s) aufgehoben werden könne. Vor diesem Hintergrund ergibt die Vermutung eines sprachlich konstituierten zweiten Leibs des Einzelnen Sinn, mittels dem er Teil hat am großen Organismus der Sprache und angeleitet von der Literatur in einen nicht vertraglich, sondern durch Hingabe konstituierten Makroanthropos aufgeht. Und dessen Hauch würde dann, um im Bild- und Wortfeld zu bleiben, die Kunde von der lebendigen inneren Form überbringen – als Dichtung, in der sich die Stimmen der Anderen, der Einzelnen sammeln und zusammentreten im »Gespräch, das wir sind« (Hölderlin).92 scheint fragwürdig. Zu Novalis’ Repräsentationsverständnis vgl. Thomas Rahn  : Festbeschreibung. Funktion und Topik einer Textsorte am Beispiel der Beschreibung höfischer Hochzeiten (1568–1794)  ; Tübingen 2006. 155 ff. 90 Vgl. RA III, 360 [1893]. »Wie der Mythos immer nur in seiner Transformation in immer neuen Erzählungen Existenz gewinnt, so verwirklicht sich im metaphorischen Sprachgebrauch des Dichters die Verbindung des Individuellen mit dem Überzeitlichen, da die lebendige Metapher den Wandel ins Bewußtsein hebt […]« (Grundmann, Hermeneutik  ; op cit, 147). Dies ist, Blumenbergs Begriff der absoluten Metapher drängt sich hier auf, zu beziehen auf das Politische in seiner sprachlich-organischen, körperhaften Darstellung bei Hofmannsthal, die unter dem Stichwort ›Allegorie‹ nochmals in 5. beschäftigen wird. 91 Zit. n. Blumenberg, Paradigmen  ; op cit, 87. Vgl. die anschließenden Ausführungen Blumenbergs. 92 Zitiert nach Paul Sailer-Wlasits  : Hermeneutik des Mythos. Philosophie der Mythologie zwischen Logos und Lexis  ; Wien 2007. 156.

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Der von Schings als Zentralmetapher ausgemachte Hauch ist es überdies, den Hofmannsthal als Sinnbild eines seelenhaften Tauschs der Wirkung des Geldes als dem alles nivellierenden, relativierenden Agens der Moderne entgegensetzt.93 Denn der Hauch führt nicht allein vom Ich fort und zum Symbol hin, in dem es sich auflöst und die Seele wiederfindet. Denkt man die flankierende Metapher des Taubenschlages hinzu, so kann die Auflösung des Ich (seine »Unrettbarkeit«) nicht Hofmannsthals letztes Wort sein (vielleicht das Gabriels).94 Denn die Tauben kehren zurück, nachdem sie Botschaften überbracht, übertragen haben. Und sie bringen von draußen neue mit. Die Metapher des Hauchs ist sozusagen der Bote des Selbst und zugleich die Metapher der Poesie schlechthin. Was im Gespräch ebenfalls bereits inbegriffen ist, kann man als Auftakt zu Hofmannsthals ›Poetik des Lesens‹ bzw. der (gläubigen) Rezeption begreifen,95 wie sie sich nicht viel später in Der Dichter und diese Zeit (und verwandten Notizen) findet. Darum ließe sich auch fragen, ob dieser ganze Raum der Wechselwirkungen dem modernen Subjekt möglicherweise nur als Autor zukommt und wie diese Autorschaft zu denken wäre. Nach Hobbes berühmtem Diktum ist ja jeder einzelne Bürger ein Autor jenes Urvertrages, welcher den Leviathan aus der Taufe hebt (aber immer schon geschlossen wurde). Hofmannsthals Position hierzu bleibt noch zu klären.96 Es sind für ihn 93 Soziale (ökonomische) Beziehungen verkörpern sich über den Tausch in einem materiellen Gegenstand, welcher nach und nach alle Lebensbereiche zu dominieren beginnt – darunter versteht Simmel auf gesellschaftlicher Ebene das Geld als dinglich-profanes Symbol. Hofmannsthal hat sich gegen solche materialistische Verkörperung gewendet, deren archaischen Grund er freilegt (das Opfer ist nicht umsonst so blutig beschrieben). Dagegen setzt er die Poesie als anderen Raum dieser Wechselbeziehungen und damit eine metaphorische, also  : nicht materielle Realisierung, die sich lediglich analogisch auf die pekuniären Zusammenhänge bezieht. Dies hat Hans-Jürgen Schings in Lyrik des Hauchs (op cit) herausgearbeitet, ohne allerdings Simmel zu erwähnen – angesichts seines Aufsatzes zu Rilkes Simmelrezeption vom Herbst 2002 (op cit) verdankt sich seine neuartige, solitäre Perspektive auf Hofmannsthals Gespräch vielleicht auch diesem verborgenen Zusammenhang, der hier als Auftakt zu einer Poetologie des Politischen (und sprachlich konstituierten Sozialen) auszuarbeiten war. 94 So befindet zwar auch Clemens  : »[…] es ist schwer, nicht daran zu zweifeln, daß es in der menschlichen Natur irgend eine Wesenheit gibt.« (GW EGB, 498  : Clemens), sieht aber gerade darum in dem gestaltenden Glauben daran (»ein Drama zu schreiben«) eine bewunderungswürdige Leistung. 95 »GABRIEL. Aber es ist wundervoll, wie diese Verfassung unseres Daseins der Poesie entgegenkommt  : denn nun darf sie, statt in der engen Kammer unseres Herzens, in der ganzen ungeheueren, unerschöpflichen Natur wohnen.« (GW EGB, 498). 96 Vgl. 1.4. Wenn Hebekus über die Inszenierung politischer Herrschaft im Turm schreibt, diese entspreche nicht dem Hobbes’schen Vertragstheorem (vgl. Hebekus, Ermächtigung  ; op cit, 291),

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jedenfalls die großen Augenblicke der Poesie, in denen sich das moderne Ich verliert – etwa Gabriels Identifikation mit Hamlet –, um sich auf einer höheren Ebene wiederzufinden. Nicht umsonst beschließt die Bekräftigung des erwähnten morphologischen Prinzips aus Goethes Diwan den Text. Der Tod aber ist darin nicht archaisch überhöht, sondern momenthaft gebannt, in einer »plötzlichen blitzartigen Erleuchtung, in der wir einen Augenblick lang den großen Weltzusammenhang ahnen«, den Daseinsgrund – als kurze Stauung der Verwechslung, deren Erkenntnis und ihrer Wiederholung in den Fluss des Werdens (der Identität) eingeht.97 »In den Euphrat kühn zu greifen, die Flut in den Händen zu ballen, das war ihm Dichten. Spottete er nicht der Schweifenden  ? Der ewig Sehnenden  ? Derer, denen nichts frommt, als ein unablässiges Dürsten nach dem Durste  ? War ihm nicht die Natur die ewige Bildnerin  ? Waren ihm nicht alle Kräfte, alle Dämonen, selber die Schmerzen noch Bildner  ? Antworte mir, Gabriel, ist der geformte Gedanke nicht schön  ? Hat er nicht den Glanz des Lebens verzehnfacht in sich, wie die Perlen den feuchten Schimmer der nackten Hand in sich saugen und zehnfach widerstrahlen  ?« (EGB, 506  : Clemens [über Goethe])98

Hofmannsthals Poetologie unternimmt (mittels der Symbolisierungskraft der gesteigerten Sprache) eine reverse Transkriptase des Relativismus der pekuniären

dann wird diese Feststellung hier später zu bestätigen sein – allerdings aus anderen Gründen. Hebekus geht davon aus, dass Hobbes’ Theorem einer Opferkonzeption entgegengesetzt sei – was hinsichtlich der Zession aller Rechte unwahrscheinlich klingt. Hebekus bezieht sich allerdings auf den Nexus von Opfer und Gründungsgewalt. 97 RA I, 192  ; Philosophie des Metaphorischen. Dass diesem anschließend ein Nexus zu Rousseaus Gemeinwillen, zu Demokratietheorie nachgesagt werden soll, erscheint nur auf den ersten Blick schwer denkbar. Hofmannsthal hat vor solchen Übertragungen nicht Halt gemacht, wie insbesondere die Kapitel zum Turm zeigen können. Der Repräsentationsbegriff ist hier poetisch präludiert, und von dem Streitpunkt einer Opferidentität des Symbols und der Transzendierung oder Negierung des Subjekts hängt unversehens, wie beim Abendmahlstreit, auch politisch eine Menge ab. Hier »wurzelt« die Möglichkeit, die Sigismund-Figur als Gestaltung eines solchen kollektiv›demokratischen‹ Individuums der volonté générale (zu welchem etwa Walt Whitman poetische Vorlagen lieferte), als ›Geist‹ der Nation und Verwirklichung »neuer Mythologie« (Schlegel) zu interpretieren. 98 Der Aufgabe  : »Kunst die Antwort des Menschen auf die undurchdringliche Rücksichtslosigkeit der Natur […] Form hinterläßt Harmonie, Befriedigung« (RA III, 261  ; Aufzeichnungen [1893]) ist auch das Gespräch gewidmet.

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Der literarische Leviathan und die innere Form der Nation

Ordnung der Dinge und ihrer (durch Opfer taxierten) Werte, 99 mit dem Ziel einer ›Wiederlesbarmachung‹ der Welt. In der Stiftung einer »Welt der Bezüge«, die zwischen Individuum und gesellschaftlicher Realität (Dingwelt) vermittelt, ist sie ein der monetären Metaphorik Simmels methodisch sogar homologes, dem Effekt nach aber gegenstrebiges Verfahren (»Überall-Eindringlichkeit«). Zudem wird die ästhetizistische Kluft zwischen Kunst und Leben der Idee nach über die – ein Unmittelbares inkludierende – Denkfigur des tertium comparationis geschlossen. Die kontingente Moderne erscheint auf diese Weise im »Spielraum der Dichtung« und deren charismatischer Wirkung auf die sich hingebenden Subjekte verfügbar  ; zumal Hofmannsthal den Dichter sozusagen an den Ort des tertium comparationis stellt  : »Er schafft die Welt der Bezüge. Er vermittelt zwischen dem eigentlich Unvermittelbaren, er ist geistig was das Geld materiell […].« (Hofmannsthal  : Der Dichter und die Leute, 13)100

– es ist also die Vermittlungsfunktion eines solchen fiktiven Dritten, über welches Hofmannsthal hier den Dichter zum auctor und wahren Mehrer ›gesellschaftlicher Diegese‹ bestimmt. Dies ist als der metaphorische (und zugleich  : metaphysische) Grund der politischen Repräsentation und ihrer Symbolordnung zu begreifen (bei Simmel hält der König diese Position).101 Denn in diesem poetologischen Scharnier wird erst der Bezugsraum für das Politisch-Imaginäre geschaffen. Wie das Geld den Tauschvorgang der Güter und diese selbst symbolisiert (als wertzumessendes Zeichen), so wird die Sprache zum Umschlagplatz für die performative mediale Konstitution des Politischen und schafft hierdurch zugleich ›unmittelbare Repräsentation‹, die ihren höchsten Ausdruck in der poetisch steigernden Dichtung erreicht. Darin erweist sich literarische Souveränität. Die Arbeit an dieser Zwischenebene mit dem Blick auf ihre archaischen Anfänge  99 Vgl. nochmals  : »Die Wirkung, die es [das Geld] unter Umständen im ruhenden Zustand ausübt, besteht in einer Antizipation seiner Weiterbewegung. Es ist nichts als der Träger einer Bewegung, in dem eben alles, was nicht Bewegung ist, völlig ausgelöscht ist, […] es lebt in kontinuierlicher Selbstentäußerung aus jedem gegebenen Punkt heraus und bildet so den Gegenpol und die direkte Verneinung jedes Fürsichseins.« (PG, 714). 100 Der Dichter ähnelt zugleich ein wenig der Figur des Händlers bei Simmel (vgl. PG, 210 ff.). Hugo von Hofmannsthal  : Der Dichter und die Leute. Notizen zu einem Vortrag. Mitgeteilt von Leonhard M. Fiedler, in  : HJb 3/1995, 7–18  : 13. 101 Vgl. PG, 207/208  ; und zum Usus von Diktaturen, sich der Eigenschaft von Metaphern zu bedienen  : Lüdemann, Metaphern der Gesellschaft  ; op cit, 45.

Poetischer Mehrwert  : Die Analogie des Symbols zum Pekuniären

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blanker (metaphysischer) Not und Gewaltsamkeit (sozusagen als Vorgeschichte noch des Mythos) ist darum keineswegs als Versuch einer »Liebhaberey« des modernen Archaischen zuzurechnen. »Man bedenkt niemals genug, dass eine Sprache eigentlich nur symbolisch, nur bildlich sei und die Gegenstände niemals unmittelbar, sondern nur im Widerscheine ausdrücke.« (WES, 117  : Goethe)102

Auch die scheinbare Unmittelbarkeit des Symbols bleibt demnach noch ›sprachlicher Abglanz‹ des Lebens. Sie ist die Unmittelbarkeit einer Selbstverwechslung im Anderen, welches/n sie, durch ihre Hingabe substituiert, metaphorisch übertragen, als »Besitz« ›einhegt‹. Selbst eine Darstellung des Archaischen macht eine Darstellung noch nicht notwendig archaisch, könnte in Anlehnung an Simmel ergänzt werden. Einem Insistieren auf Adornos ursprünglich auf die Symbolik abstellendes Diktum, Hofmannsthals Opferpoetologie exerziere bereits im Vorhof des Nationalsozialismus, lässt sich zudem mit Susanne Lüdemann entgegnen, dass es gerade »der Prozess der Entmetaphorisierung« gewesen ist, »der die symbolische Dimension des Politischen kassiert« hat.103 Indem nämlich ein energetisches Verständnis des Politischen (wie es Schmitt im Freund-/ Feind-Agon vertrat)104 an die Stelle der Repräsentation rückte, und damit die Regression einer Formlosigkeit über das obsiegte, was an institutionellen und sittlichen Schranken (noch) existierte, wurde auf biopolitischem Feld jene von Agamben beschriebene Kluft zwischen souveräner Macht und nacktem Leben 102 C.G. Jung hat diese Feststellung, wie oben zitiert, dann auf eine ›Psychologie der symbolischen Formen‹ übertragen »Das Symbol, vom Standpunkt des real Wahren aus betrachtet, ist zwar täuschend, aber es ist psychologisch wahr, denn es war und ist die Brücke zu allen größten Errungenschaften der Menschheit.« ( Jung, Wandlungen und Symbole  ; op cit, 224). 103 Susanne Lüdemann  : Metaphern der Gesellschaft  ; op cit, 203. Auch Karl Kraus sprach von der »Erledigung der Sprache im Namen der Nation« und »Vernichtung der Metapher, der das eigentliche Anschauen der Zeitdinge bestimmt wäre« (Karl Kraus  : Die Fackel, Nr. 890–905, XXXVI. Jahrgang [ Juli 1934]. 9). Zur Bekräftigung von Adornos Sichtweise vgl. Hebekus, Ästhetische Ermächtigung  ; op cit, 300. 104 Auch dieses energetische Prinzip hat übrigens Entsprechung bei Simmel  : Aus der gesellschaftlichen Dominanz des Geldes »ergibt sich ein Gewebe sachlicher und persönlicher Lebensinhalte, das sich an ununterbrochener Verknüpftheit und strenger Kausalität dem naturgesetzlichen Kosmos nähert und von dem alles durchflutenden Geldwert so zusammengehalten wird, wie die Natur von der alles belebenden Energie […]« (PG, 594). Bei Gabriel findet sich entsprechend eine energetische Konzeption von Symbolen, welche die »Kraft« haben müssten, zu »bezaubern« (GW EGB, 503  : Gabriel).

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erst heraufbeschworen, wie sie der Turm inszeniert. Indem sich eine ideologische Poiesis in Diktatur ›umsetzt‹, wird der in der gebellten Signifikatur der Befehle verkrümmte Symbolraum mit totalitärer Gewalt als der einzig verbleibenden ›Metaphysik‹ aufgeladen. Die von Blumenberg betonte funktionale Kontinuität zwischen Metapher und Allegorie ist auch in der poetologischen Entwicklung Hofmannsthals auszumachen.105 Mit Blick auf Benjamins Verständnis der Allegorie, das einen noch darzulegenden Einfluss auf Hofmannsthals Poetologie hatte (vgl. 5.1),106 ist von einer Problematisierung der ökonomischen Dimension von Symbolpräsenz auszugehen. Das geschlachtete Schwein im Turm (die Traumvision Sigismunds) ist fast eine Reflexion des Opferthemas im Gespräch, welches Werfel gegenüber Hofmannsthal 1919 übrigens besonders hervorgehoben hat.107 Sigismunds merkwürdiger Ausspruch, dass seine Seele in das Tier hineingefahren sei, lässt sich eigentlich nur vor diesem Hintergrund interpretieren (hierzu 3.3, 5.4.4)  ; zitiert wird zudem der im Gespräch beschriebene Selbstverwechslungsvorgang.108 Der analogische Charakter dieses Opferbezugs ist auch daran zu belegen, dass Sigismunds Zeichendeutung scheitert, weil er – hier ist der Topos noch einmal aufgegriffen – Traum und Wirklichkeit zwar nicht mehr verwechselt, die Bedeutung des Traumes aber überschätzt oder missversteht. Die Veränderung der Opferkonzeption ist an der Figur Sigismund (vom sacrificium zum victima) in der Dramenanalyse (vgl. 4.5, 5.5) darzulegen.109 Hier vorab nur so viel  : Der Sigismund der Bühnen105 »Die Allegorie ist zwar der Metapher heterogen, sie ist nicht der Gedanke gleich im Bilde geboren, um ein Wort Fontanes zu gebrauchen, aber nachträglich und in Umkehrung des Projektionsverhältnisses kann die Allegorie in die Funktion der Metapher einspringen.« (Blumenberg, Paradigmen, op cit, 28). 106 Die frühen Texte Hofmannsthal betrachtet Steiner – der immer wieder geäußerten Kritik am Allegorien-Begriff (vgl. etwa RA III, 358 [1893]  : »starre Allegorien«) zum Trotz als allegorische (vgl. Uwe Steiner  : Zeit der Schrift  ; op cit, 20 f.). Warum viel später Benjamin wiederum selbst von der George-Schule mehr Blut forderte (Wider ein Meisterwerk, op cit), ist wohl mehr im Rahmen einer Polemik gegen deren Selbstanspruch zu verstehen, denn als echt sanguinisches Interesse. 107 Vgl. Rudolf Hirsch  : Pathos des Alltäglichen. Briefe Hofmannsthals 1895–1929  ; in  : HJB 1/1993. 99–137  : 120. 108 Dieser Bezug liegt dem Drama auch deshalb nahe, weil Hofmannsthal zu dieser Zeit bereits an Das Leben ein Traum arbeitete – und dem Segismondo/Sigismund hinsichtlich einer Ökonomie der Empfindungen durchaus Züge verlieh, die eine Parenthese mit der Philosophie des Geldes lohnen würden. 109 Der Homo sacer ist im Rahmen einer Opfer-Poetologie als victima zu begreifen. Auch Sigismund darf nicht geopfert, ›nur‹ getötet werden (vgl. hierzu Agamben, Homo sacer  ; op cit, 20). Der Märtyrer führt in der Behauptung seines victima-status die schärfste Einrede gegen die Legitimität

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fassung ist jenem Hauch, den das verendende Tier von sich gibt, jedenfalls näher, als dem Triumphgeheul des Opfernden, das in diesem Szenario ohnehin ganz ausbleibt (auch der Topos der Verwechslung wird anders gehandhabt). In dem, was dort ›geopfert‹ wird, ist Hofmannsthals konservative Utopie der Sprache und des Schrifttums in ihrer kollektiven Dimension inbegriffen. Hierbei geht es um die gesellschaftliche Konstruktion von Wirklichkeit durch die Sprache selbst, die auf dieser Ebene zunächst eine bloße Wirkungsutopie ist, sich in der Wendung gegen den monetären Relativismus der Moderne jedoch als explizit konservative ausweist. Auch hier wird das dargestellte poetische Prinzip von Besitz und Bewegung für das, was oben als ›innere Form der Nation‹ annonciert wurde, einige Bedeutung erhalten. Zunächst aber zu deren ›äußerer‹ Erscheinungsform, der umgebenden Wirklichkeit  ; denn »Politik ist Verständigung über das Wirkliche«110 und »[…] die heutige Politik wird nun einmal in hervorragendem Maße in der Öffentlichkeit mit den Mitteln des gesprochenen oder geschriebenen Wortes geführt«.111

2.2 Die »Fiction der Öffentlichkeit«  : 112 Ansatzpunkte einer Poetologie des Politischen »Es ist unser Denken selber […] die Sprache der Politik, ihr geistiges Element, vermöge dessen ihre wechselnden und ewig wiederkehrenden Formen in unser geistiges Leben eingehen können.« (Ra III, 15  ; Vermächtnis der Antike)

der ihn aufopfernden Instanz. Vgl. zur literarischen Darstellung von victima und sacrificium die Studie von Katja Malsch, Literatur und Selbstopfer  ; op cit., 20 f. Zum Gespräch über Gedichte  : ebd., 129/130. 110 In der Bühnenfassung wird daraus die Zurichtung des Wirklichen, während die dichterischen Fassungen die Schaffung bzw. Setzung des Wirklichen imaginieren. 111 RA III, 278  ; Buch der Freunde und WuG, 829. Vgl. auch RA II, 24  : Österreich im Spiegel seiner Dichtung. 112 Die Fiction der Öffentlichkeit (1914) in  : SW XXXIV, 269 f. In dieselbe Richtung weist folgendes Zitat  : »Oesterreich muss von der deutschen Oeffentlichkeit als ein politisches Wesen ganz einziger Art erkannt werden um von den deutschen leitenden Stellen, deren Orientierung als eine nicht stabilisierte […] angesehen werden darf, mit Gerechtigkeit und nach seinem Werte behandelt zu werden.« (Über die Beeinflussung der öffentlichen Meinung in Deutschland  ; in  : SW XXXIV. 278–282  : 279). Zu Hofmannsthals Österreich- und Mitteleuropa-Politik vgl. Le Rider  : Die österreichische Idee eines mitteleuropäischen Reiches  ; in  : ders.: Historismus und Moderne  ; op cit, 229–252).

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»Innerhalb der deutschen Sprachwelt sind wir im Zusammenhang mit dem, was geschehen ist, gewissermaßen in ein anderes Klima geraten, von wo aus zu dem […] selbstverständlich Vorhandenen ganz neue Richtlinien gezogen werden müssen.« (RA III, 138  ; Lessing [1929])113

Hofmannsthals Auffassung des Begriffs ›Öffentlichkeit‹ (als der umgebenden Wirklichkeit) scheint zunächst eine rein pragmatische im Sinne von etwas zu Beeinflussendem bzw. auch zu Schaffendem zu sein. Jedenfalls ist ersichtlich, dass er den Vorgang ihrer Erzeugung/Beeinflussung als der Politik vorausgehend betrachtete und damit als initiiert von einem gesellschaftlichen Außen, dass durch die Schaffung von Öffentlichkeit auch selbst überhaupt erst Kontur gewinnt.114 Fraglich bleibt seine Einstellung zu dem in der Begriffssemantik von ›Öffentlichkeit‹ mitschwingenden Ideal der Mündigkeit, zum Aufklärungskontext. Mit Blick auf seine im Rahmen der Jedermann-Publikationen geäußerte Ablehnung des bürgerlich-aufgeklärten Publikum-Begriffs (vgl. oben 1.4.2) und die Verantwortung einer kollektiven Allegorese seitens der »Zeichendeuter« als den »geistig Mündigen« in Österreich im Spiegel seiner Dichtung (1916) scheint aufgeklärte Mündigkeit eher das exklusive Gut einer Republik von Geistesaristokraten zu bedeuten,115 deren Grad über die Deutungsmacht und Stellung des Einzelnen (als ihres Inhabers) entscheidet. Sie ist damit aber wesentlich von dessen Erkenntnisfähigkeit hinsichtlich des Weltgeschehens und der eigenen Position abhängig. Von dieser Arbeit an der Sprache als politischem Instrument – »Werkzeug der Gesellschaft«116 profitiert daher auch die Allgemeinheit. 113 Vgl. Vossler zum Verhältnis Sprache und Klima  : »Der Begriff ist statisch, aber er enthält etwas Dynamisches. Ähnlich ist der Begriff der Sprache beschaffen, unter dem wir das in den Gesprächen gewisser Zeiten und Gegenden dauernd Wirksame zusammenfassen.« Karl Vossler  : Sprechen, Gespräch, Sprache  ; in  : DVjS 4/1923. 665–678  : 673. 114 Einem Postulat wie dem folgenden verdankt daher Arndt wahrscheinlich seine Aufnahme in Hofmannsthals Sprach-Anthologie  : »[…] wenn wir ein öffentliches Leben erlangen, wozu alle Klassen des Volks in ihrem Kreise mit gehören, wo das unmittelbare Wort regiert für die tote Schreibfeder  ; wenn jemals die Zeit wieder kommt, wo es Volksfreuden, Volksjubel und Volksfeste gibt, wo alle Stände, alle Klassen sich zusammenleben und zusammenlieben, dann ist ein neuer Tag für die teure Muttersprache aufgegangen, […]« (WES, 216/217  : Arndt). 115 RA II, 25  ; Österreich im Spiegel. Vgl. auch RA II, 45  ; Die Idee Europa  : »Zur civitas dei tritt die res publica litteraria. Organ dieser Gemeinbürgschaft  : international europäischer Briefwechsel. Publizität des Zusammenhangs.« 116 RA II, 142  ; Betrachtungen.

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»Es ist nichts Geringes ob eine Nation ein waches (1) geistiges (2) litterarisches | Gewissen habe – oder nicht  ; zumal die Deutsche […]« (SW XXXVI, [i.e.] 140  ; Vorrede zum Deutschen Lesebuch, Vorstufen).

Literatur hat für Hofmannsthal also eine konstitutive, vermittelnde und überdies auch eine moralische Funktion für die Gesellschaft. Die Sprache ist zunächst als Selbstverhältnis des Einzelnen zu betrachten, der sich ein Bild von der Welt macht, indem er sich deren Phänomene übersetzt.117 Taugt seine Sprache als sein »inneres Auge« (Vossler) nicht für eine solche Erfassungs- und Übersetzungsleistung, wird er vom Geschehen überwältigt. Und der Gesellschaft in toto geschieht dasselbe, wenn sie das Politische nicht mehr beschreiben und wenigstens rhetorisch verfassen kann. Ute Freverts Folgerung wäre in diesem Sinne zuzustimmen  : »Kommunikation ist […] eine ›Grundqualität‹ des politischen Raums  ; wenn sie stockt oder unterbunden wird, verschwindet auch das Politische«118 – aus dem ›gesamtgesellschaftlichen Gespräch‹, um alsbald, den Rissen des (demokratischen) Konsens entspringend, als faktische Gewalt zurückzuschlagen. Eine Teilung von politischer und literarischer Öffentlichkeit119 hat Hofmannsthal entsprechend aufheben wollen und diese auch am dynastischen Österreich als den »Fehler, Politik und Verwaltung, Verwaltung und Kultur gesondert zu behandeln«, kritisiert.120 Hofmannsthals Denken hat sich in den zwanziger Jahren immer wieder gerade mit diesen Themenkreisen beschäftigt und bis zur Schrifttum-Rede und Wert und Ehre deutscher Sprache (jew. 1927) erheblich weiterentwickelt – gerade hinsichtlich einer Teilhabe des Einzelnen.121 Was Juliane Rebentisch für Benjamins »Techniken der Überein117 »In jeder Sprache liegt eine eigentümliche Weltansicht. Wie der einzelne Laut zwischen den Gegenstand und den Menschen, so tritt die ganze Sprache zwischen ihn und die innerlich und äusserlich auf ihn einwirkende Natur. Er umgibt sich mit einer Welt von Lauten, um die Welt von Gegenständen in sich aufzunehmen und zu bearbeiten.« (WES, 153  : Humboldt). 118 Ute Frevert  : Politische Kommunikation und ihre Medien  ; in  : Frevert/Braungart (Hg.)  : Sprachen des Politischen  ; op cit, 7 f.: 10. Diese Formulierung ist nicht mit Schmitts Begriffsverständnis vereinbar, der das Politische ja gerade aus den Brüchen gesellschaftlicher Verfasstheit (also auch der sprachlichen) hervorbrechen sah. 119 Vgl. hierzu Jürgen Habermas  : Strukturwandel der Öffentlichkeit. Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft  ; Neuwied 198314. 73. 120 RA II, 24  ; Österreich im Spiegel. Nur wenig später allerdings (1919) wird er vor der Gefahr des Kultur-Bürokratismus mit der »entseelenden« Wirkung des »Baubüros« warnen. »[…] werden Sie womöglich nie ein Teil der Staatsmaschinerie.« (RA II, 67  ; Bedeutung unseres Kunstgewerbes). 121 Vgl. RA II, 132  ; WES  : »die Urkraft, daran wir teilhaben.« Darum ist das Subjekt aus Hofmannsthals Poetologie jedenfalls nicht ohne weiteres zu verabschieden, wie das Claudia Bamberg in

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kunft« ausgeführt hat  : »Weil nämlich die Mitteilbarkeit der Sprache nie als solche erscheinen kann, ist die unbedingte Gleichheit aller sprechenden Wesen, die auf ihr basiert, Fluchtpunkt aller demokratischen Politik«,122 findet bei Hofmannsthal gewisse Entsprechung  : »Auch die Schlagworte der Parteiversammlung, die Spalten der Zeitung, die täglich daliegt – auch hierin ist nichts, was die Öde des Daseins wirklich aufhöbe. Diese Sprache der Gebildeten und Halbgebildeten, ob gesprochen oder geschrieben, sie ist etwas Fremdes. Sie kräuselt die Oberfläche, aber sie weckt nicht, was in der Tiefe schlummert. Es ist zuviel von der Algebra in dieser Sprache, jeder Buchstabe bedeckt wieder eine Ziffer, die Ziffer ist die Verkürzung für eine Wirklichkeit, all dies deutet von fern auf irgend etwas hin, auch auf Macht, auf Macht sogar, an der man irgendwelchen Anteil hat  ; aber dies ist alles zu indirekt, die Verknüpfungen sind zu unsinnlich, dies hebt den Geist nicht wirklich auf, trägt ihn nicht irgendwo hin.« (RA II, 143  ; Betrachtungen)

Die Form der sprachlichen Organisation, in welcher das soziale Leben einer Zeit unmittelbaren Ausdruck findet (und welche ihr zum selbstverständlich Vorhandenen wird), weniger zu finden und zu beschreiben als mittels einer insbesondere im Drama gestalteten »imaginären Sprache« zu erfinden, ist der Anspruch von Hofmannsthals ›Sprachsoziologie‹ des Fiktiven gewesen. Diese »Geselligkeit der Figuren untereinander« zeigt eine »Lebensluft«,123 in welcher die »geistigen Hauptverhältnisse« der Nation und deren Kontingenz spürbar werden.124 Ein zu Schmitts »Soziologie des Souveränitätsbegriffs« analoges Verständnis kann vorausgesetzt werden.125 Für das »Fehlen der mittleren gesellschaftlichen zusammenfassenden Sprache« war Hofmannsthal daher sensibilisiert  ; denn  : »In dieser ihrer lesenswerten Studie zur Dingpoetik Hofmannsthals getan hat (vgl. Bamberg, Dichter und Dinge  ; op cit, 342). 122 Juliane Rebentisch  : Zur Unterscheidung von Politik und Politischem  ; in  : H. Blumentrath et al. (Hg.)  : Techniken der Übereinkunft. Zur Medialität des Politischen  ; Berlin 2007. 99–112  : 111. 123 GW V, 150/151  ; Rosenkavalier. Geleitwort von 1927. Am stärksten führt wohl Der Schwierige die Veränderlichkeit von Sprache in sozialen Prozessen aus, die sich zum Ende der Bühnenfassung des Turm als so fatal erweist. 124 RA III, 138  : Lessing. Schon in den Briefen eines Zurückgekehrten finden sich diesbezügliche Beobachtungen. 125 Vgl. 2.4  : Die entsprechende Stelle in der Politischen Theologie zur kollektiven Selbstverständlichkeit politischer Formen (die letztlich eine Einteilung von Epochen politischer Ideengeschichte ist) hat sich Hofmannsthal in seinem Exemplar markiert (FDH 1935  : Schmitt, PT, 42). Das wird unter 3.2 und 5.1 genauer auszuführen sein, dann auch in Parenthese mit Benjamins Theorie der dramatischen Form.

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mittleren Sprache fasst sich das Gesicht der Nation zusammen.« Die so betrachtet ›gesichtslosen‹ Deutschen seien dadurch dem Missverständnis preisgegeben, nach außen wie sich selbst.126 Das »Ringen« »um eine wahrhaft gemeinsame Sprache, um Worte, das Unermeßliche in sie zu drängen«,127 eine Übersetzung dieses Politischen zu leisten und damit in der Nation eine Interpretationsgemeinschaft zu formen (wie vordem aus der Menge durch das Spiel), steht im Mittelpunkt von Hofmannsthals kulturpolitischen Bemühen  : »Den Ton der Nation verändern, auf die Sprache einer Nation einwirken, heißt aber nichts anderes, als deren Kultur umgestalten  : denn wer für Kultur ›Sprache‹ setzt, setzt nur an die Stelle eines übermüdeten und darum kraftlos gewordenen Kunstwortes ein reineres und darum wirksameres Wesens- und Hauptwort.« (RA II, 126  : Adam Müller)

Anders, als Tobias Heinz in seiner lesenswerten Studie voraussetzt, 128 wendete sich Hofmannsthal dabei aber weniger an die Öffentlichkeit (die Wirklichkeit der Nation), als dass er diese zu repräsentieren und in ihrem Bezug auf das Imaginäre auch zu verändern, zu schaffen beanspruchte. 129 Das soll die nur vordergründig widersprüchliche Formulierung, die Sprache sei das gegebene »Werkzeug, aus dem Schein zur Wirklichkeit zu gelangen«, eigentlich besagen.130 Denn wie 126 Notiz 11 zu WES, 20. IX. 1927  ; [SW] XXXVI, 694. Diese Feststellung findet sich genauso auch bei Vossler  : »Die Nation selbst ist stumm, und daher jedem Mißtrauen und Mißverständnis fremder Völker preisgegeben.« (GKS, 152). 127 RA II, 80  ; Beethoven [1921]. Zugleich handelt es sich um ein Zitat Adam Müllers  : »Es gibt in Deutschland ein Ringen mit der Sprache, ein Drängen des Unermesslichen in Worte […]«. Hugo von Hofmannsthal (Hg.)  : Deutsches Lesebuch. Band I  ; München 19262. 82  : Müller [fortan  : DL I  ; Autorenname]. 128 Vgl. Heinz  : Hofmannsthals Sprachgeschichte  ; op cit, 286. Zuzustimmen ist aber Heinz’ Feststellung  : »Auf geradezu verstörende Weise offenbart der Ansatz Hofmannsthals […] sein Janusgesicht aus Konservatismus und Modernität.« (Heinz, Sprachgeschichte  ; op cit, 277). 129 Über Kippenberg und das (dann doch nicht realisierte) Programm einer Bibliotheca Mundi im Insel-Verlag schrieb Hofmannsthal  : diese zu publizieren sei »[…] eine große und im strengsten Sinne deutsche Gebärde  ; diese haben zu können, supponiert von der Nation, als deren Vertreter ein Verleger wie jeder andere geistig Hervortretende sich nicht nur empfinden darf, sondern empfinden muß […]«  ; sie zeige eine »[…] gereinigte Seelenverfassung, eine wirkliche Gelassenheit, und den schönen Zustand, den der Lateiner mit compos mentis bezeichnet  : denn nur in dieser Verfassung ist man der vollen Gerechtigkeit gegen fremden Wert, der vollen und reinen Aufmerksamkeit fähig […]« (RA II, 134/135  ; »Bibliotheca Mundi«). 130 RA III, 131/132  : WES. – »Und dies verweist auf jenes Imaginäre, das die Gesellschaft – wenn man so will, durch einen symbolischen Himmel – selbst zu einem Teil der sprachlich konstituierten Wirklichkeit macht. Die imaginären Bedeutungen nämlich, von denen her eine Gesellschaft

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die poetische »die Sache selbst«, so setzt die politische Sprache die Wirklichkeit oder besser  : ist der performative Modus ihrer beständigen Erzeugung. Dieser so mit-geteilten Gegenwart sollte aber ihre kulturelle Vergangenheit inhärent sein. Denn die Lebendigkeit des kulturellen Erbes und der humanistischen Werte im Werk zu gestalten, bedeutete für Hofmannsthal ja vor allem, eine Exitstrategie aus den dehumanisierenden Tendenzen der Moderne und einer zu dieser Zeit so noch nicht erklärten Dialektik der Aufklärung131 zu entwickeln. Daher dringt auch Max Webers Luther-kritische Feststellung  : »Die subjektive Aneignung der Kultur [der protestantischen Deutschen] blieb schwach, weil sie wesentlich auf dem Wege passiver Entgegennahme des ›autoritär‹ Dargebotenen erfolgte«132 genau auf dieses Problem, dem sich Hofmannsthal seit der Revolution – vielleicht markiert schon das Jahr 1917 eine Wende – mit ganzer Intensität gewidmet hat. Die Arbeit an einer verbindenden Sprache zielte auf die Konstitution einer gemeinsamen, ›omni-integrativen‹, kulturell geprägten gesellschaftlichen Wirklichkeit, an welcher der Einzelne (Leser) aktiv teilnehmen konnte und sollte. 133 Um dies im Kontext der Öffentlichkeit auf den Punkt zu bringen – als Hofmannsthals Vorstellung von Aufklärung zeichnet sich folgendes ab  : Eine Mündigkeit ist nur mit und in der Sprache selbst zu erreichen, welche das in seinem Wissen notwendig fallible und verbindungsbedürftige Subjekt transzendiert. Teilhabe ist also eher im Ausnahmefall als ›aktiv‹ im Sinne von ›produktiv‹ zu verstehen  ; eine Bücherschwemme (demnach eine Inflation des literarischen Einflusses) beklagte Hofmannsthal schon kurz nach der Jahrhundertwende.134 In diesem Sinne begann sich die Wirkungsabsicht des Autors gegenüber der Öffentlichkeit auch darauf zu richten, aus dieser gewissermaßen ›sein Publikum‹ herauszusondern  : »Der Kreis verlangt den Kreis  : ein Unterfangen wie die Gründung dieses Verlages postuliert ein Publikum, wie es vor hundert Jahren da war, sich heute versplittert hat und aus sich auslegt, sind ihrerseits auf die Sprache angewiesen, um sagbar und sozial verfügbar zu sein.« (Matala de Mazza, verfaßter Körper  ; op cit, 125/126). 131 Auf die Nähe von Hofmannsthals Spätwerk zu Adornos/Horkheimers Dialektik der Aufklärung hat schon Yoriko Sakurai hingewiesen (Y.S.: Mythos und Gewalt  ; op cit, 5). 132 RS I, 127. 133 Zur Figur des Lesers bei Hofmannsthal vgl. Ausführungen unter 1.4.1 und neuerdings auch Peter Schäfers Studie  : Zeichendeutung. Zur Figuration einer Denkfigur in Hugo von Hofmannsthals »Erfundenen Gesprächen und Briefen«  ; Bielefeld 2012, welche die komplexe Materie einer formpoetisch aufgeladenen Rezeptionsästhetik Hofmannsthals in ihren politischen Implikationen aber nicht recht in Sicht bekommt. 134 Vgl. den kurzen Text Der Tisch mit den Büchern (RA I, 337–440 [1905]).

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tausend Individuen zum Publikum erst wieder gemacht werden müsste. […] Darin, ob wir unserem Unternehmen ein Publikum zu schaffen vermögen werden oder nicht, wird zugleich das Urteil über die Unternehmung selber enthalten sein.« ([SW] XXXVI, 7  ; Bremer Presse [1922])135

Der Gedanke von der Schaffung eines Publikums weist (Anfang der zwanziger Jahre) einerseits noch immer ein gewisses poietisches, andererseits nun aber auch ein akklamatives Selbstverständnis auf, indem sich der Dichter von dem Urteil dieser tausend Individuen abhängig macht und dieses auch beherzigt (Hofmannsthals Briefwechsel mit Rang über die Neuen deutschen Beiträge gibt hierfür gute Beispiele). Auch die Möglichkeit des politischen Missbrauchs von Öffentlichkeiten war ihm evident, wenn er vermutete, dass eine »Pressevorbereitung von vier Wochen« die Deutschen »in einen neuen Krieg führen« könne.136 Hofmannsthals ›Sprachpolitik‹ war nicht im Geringsten mehr darauf erpicht, noch an solchen Praktiken der Massen-Suggestion zu partizipieren, von welchen er sich in der Zusammenarbeit mit Rheinhardt vielleicht noch weniger distanziert hätte. Im Gegenteil ist seine Arbeit an Stil und Wirkung gerade der Aufhebung einer solchen Vergesslichkeit und Verführbarkeit verpflichtet, indem er der Sprache zur »wahren Aufgabe« bestimmte, das »Dahingegangene zu vergegenwärtigen«. Die Überlieferung ist dabei durchaus auf die Gegenwart gerichtet, und zwar im Dienst einer kulturellen Konstitution nationaler Individualität.137 Die Dichter als »Träger des Mythischen, somit des wahren Gedächtnisses« waren diesbezüglich für Hofmannsthal in der Verantwortung. ›Mythos‹ ist hier aber gerade nicht als Instrument mentaler Vereinnahmung, sondern caritativ, im Sinne des ›Kulturspeichers‹ einer Humanisierung der Phänomene verpflichtet – und zugleich als Erkenntnismodus gegenüber einer Situation zu verstehen, die sich dem Zugriff des rationalen Verstandes latent entzieht (vgl. 1.3 und 1.4). »Der Mythus ist also der Schritt, mit dem der Einzelne aus der Massenpsychologie austritt«, wie Hofmannsthal sich in Freuds Massenpsychologie markierte.138 135 Deutlich zeichnet sich hier bereits eine räumliche Entgrenzung des Publikums-Begriffs ab, der nicht mehr die topographisch versammelte Menge meint, aber dennoch Züge einer sozialen Körperlichkeit ausweist, nämlich einer geistigen, und hierdurch eine deutliche Aufwertung erfährt. 136 RA III, 593 [1928]. 137 Sämtlich zitiert nach RA III, 131/132  : WES. Die starke Betonung solcher Verlusterfahrung zielte auf Humanisierung des aus dem 19. Jahrhundert überkommenen Fortschrittdenkens. 138 Zuvor  : RA III, 590  : Aufzeichnungen [1927]  ; Sigmund Freud  : Massenpsychologie und Ich-Analyse  ; Leipzig, Wien, Zürich 1921. 127  : Mit Kreuz markiert. (= FDH 1306).

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Der literarische Leviathan und die innere Form der Nation

Freud legt an dieser Stelle dar, der Dichter müsse sich hierfür zunächst von der »Phantasie der Masse« lösen, um den Mythos zu schaffen, mit dem er die Phantasie der Masse hebe, den Mythos hingegen zugleich »zu Realität herab« »senke«.139 In Hofmannsthals späten Aufzeichnungen tauchen die schon mitgeteilten Formulierungen einer Souveränität des (dichterischen) Subjekts wieder auf, immer wieder davon ausgehend, dass der »geistige Raum der Nation« eben nicht rational im Sinne einer Kausallogik zu erfassen und zu durchmessen sei. Durch Gleichnis soll der Dichter daher Identität innerhalb sich verwandelnder Welten schaffen, Erinnerungsräume des Erlebens. Daraus geht das Konzept einer »Vergangenheit, die als erweiterte Gegenwart gelten kann«140 – bzw. eher deren Ineinander als »beständige Gegenwart« – in der Sprache hervor. Der Zusammenhang von Sprache, Mythos und Dichtkunst als Gedächtniskunst ist in der Vorrede zu Wert und Ehre deutscher Sprache (1927) ganz deutlich ausgeführt  :141 »Die Sprache ist ein großes Totenreich, unauslotbar tief  ; darum empfangen wir aus ihr das höchste Leben. Es ist unser zeitloses Schicksal in ihr, und die Übergewalt der Volksgemeinschaft über alles Einzelne.«  ; »Der Augenblick ist ihr nichts. Aber das Dahingegangene zu vergegenwärtigen, das ist ihre wahre Aufgabe. Das was nicht mehr ist, das was noch nicht ist, das was sein könnte  ; aber vor allem das was niemals war, das schlechthin Unmögliche und darum über alles Wirkliche, dies auszusprechen ist ihre Sache.« (RA III, 132  ; WES)142

Von einer Sprachskepsis ist an dieser Stelle nichts mehr zu bemerken, das »Geltenlassen« scheint dem »Glauben« an die Sprachmagie der umfassenden, ›identitären Repräsentation‹ des Utopischen völlig gewichen. Dieses mythische und zugleich utopische Potential der Sprache zur Subjekt-Transzendierung (und zu139 Freud, Massenpsychologie, op cit, 127. Diese gegenstrebige Doppelbewegung erinnert an jene triadische von Fiktion, Imaginären und Realität bei Wolfgang Iser, die zur Fiktionalisierung des Realen und zur Realisierung des Fiktiven (samt imaginären Gehalt) führt, vgl. Iser, Das Fiktive  ; op cit, 22/23 und 46 f. 140 König, Dichter unter den Philologen  ; op cit, 27. 141 Hans Heinrich Schaeder äußerte zu der unter diesem Titel vereinigten Auswahl von Versatzstücken der deutschsprachigen Literaturgeschichte, sie spiegele die Epochen der »Selbstbewußtwerdung des deutschen Sprachgeistes« wieder (RA III, 637  ; Bibliographie). 142 Hofmannsthal  : Wert und Ehre deutscher Sprache  ; in  : RA III, 128–133  : 132. Bei Abfassung seiner Vorrede zu dieser Anthologie griff Hofmannsthal auch auf Cassirers Die Begriffsform im mythischen Denken (1922) zurück »u. Cassierer [sic]  : über Mystisches Denken« ([SW] XXXVI, 698) lautet eine entsprechende, eigenwillige Notiz.

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gleich  : -bildung) macht gewissermaßen aus dem Homo alalus erst einen Homo (compos) mentis, denn »[…] indem er spricht, bekennt der Mensch sich als das Wesen, das nicht zu vergessen vermag« – und im performativen Vollzug aus der Nation ein Ganzes, denn »Ein Volk wird durch Gedächtnis seiner selbst mächtig. Die Sprache ist das Traumgedächtnis des Volkes«  ; in ihr finde das »wahre Leben der Nationen«, das »immer wieder im Zueinanderstreben aller ihrer Glieder liegt«, statt.143 Es ist die Metaphorik eines sprachlich konstituierten Pendants zum Leviathan, im Schrifttum durch die tausenden Beiträger (und ihre Leser) über die Zeit hinweg korporiert, die sich hier abzeichnet  ;144 und die übergewaltige Volksgemeinschaft der Sprache damit auch nicht als homogene zu denken, weil Hofmannsthal die Bedeutung der Dialekte und Lehnwörter für die Lebendigkeit der Sprache stets betonte.145 143 RA III, 573  ; Aufzeichnungen [1924]  ; RA III, 132, 131  ; WES. Gewisse Entsprechung finden diese Setzungen bei Karl Vossler  : »Die Sprache ist eine solche einheitliche Mannigfaltigkeit. Wir haben sie als Gepflogenheit bestimmt, in deren Medium sich Gespräche abspielen. Diese sind ihrerseits etwas Mediales, in welchem sich Sprecher und Hörer als Personen zusammenfinden. Und die Person hinwiederum muß, insofern sie über sich selbst hinausweist und im Dienst der Sache steht, als das Medium dieser Sache gedacht werden. Die Sprache erscheint sonach als Medium eines Mediums, in dem sich beliebig viele Medien zusammenfinden.« Jedoch  : »Vom Gebrauch ins Gespräch, in die Rollen und Personen wandernd und, von diesen wieder durch all diese Medien hindurchgejagt, verflüchtigt sich uns das eigentliche Wesen der Sprache, und wir sehen nichts als ein Netz von Leitungen oder Straßen vor uns, die ins Blaue verschwimmen oder in sich zurückkehren. […] Wenn wir diesen Funken dennoch haschen wollen, so müssen wir alle Lebensgebiete absuchen, auf denen sich menschliche Gemeinschaften bilden. Dies ist immer nur dort der Fall, wo Persönlichkeiten wachsen. Eine führerlose Herde, eine Masse von Individuen ist keine Sprachgemeinschaft, und wer das Leben und Wesen der Sprache verstehen will, muß eben darum selbst eine Persönlichkeit sein […]« Karl Vossler  : Sprechen, Gespräch, Sprache  ; in  : DVjs 4/1923. 665–678  : 677/678. 144 Übrigens hat Hofmannsthal auch in seiner Rede auf Grillparzer (1922) eine entsprechende Körpermetaphorik verwendet  : »[…] daß zuweilen eine deutsche Volksgliedschaft wie einen Ruf zu sich dringen fühlt, einer anderen edelste Kraft an sich zu ziehen, nicht anders wie in einem bemühten Leibe Erquickung von Brust zu Haupt aufsteigen, von Haupt zu Glied sich niedersenken kann.« (RA II, 87  ; Grillparzer). 145 Diese Haltung kann sich auf Wilhelm Humboldt berufen  : »Wenn man bedenkt, wie auf die jedesmalige Generation in einem Volke alles dasjenige bildend einwirkt, was die Sprache desselben alle vorigen Jahrhunderte hindurch erfahren hat, und wie damit nur die Kraft der einzelnen Generation in Berührung tritt, und diese nicht einmal rein, da das aufwachsende und abtretende Geschlecht untermischt neben einander leben, so wird klar, wie gering eigentlich die Kraft des Einzelnen gegen die Macht der Sprache ist.« (WES, 154  : W. Humboldt). Auch Karl Vossler ist in dieser Tradition zu verorten  ; insbesondere die Aufsätze in Geist und Kultur in der Sprache (1925) geben hierfür viele Beispiele. Das wird nachfolgend noch deutlich.

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»Man hat über die Einheit der Physiognomie und der Sprache viel gesagt aber die Sprache ist eben der Geist der Nation und es ist der Geist der sich den Körper baut.« ([SW] XXXVI, 693  ; WES  : Notiz 10)

In der deutschen Sprache stelle die nationale Gemeinschaft jedoch eine unvollkommene und zerteilte Figur dar, der nur selten eine intakte Ganzheit vergönnt ist  : dort, wo »in den hohen Sprachdenkmälern und in den Volksdialekten« (also zwischen oben und unten) »die Spannung zwischen dem Sprachlaut, in welchem ›die Unmittelbarkeit des Kreatürlichen sich enthüllt‹,146 und im mit höchster Besonnenheit gesetzten Sprachbild […] aufgehoben« ist. Das »eigentliche Gegenüber« der Dichter ist für Hofmannsthal daher »die Nation als Geist = die Sprache«.147 Ihr Ziel müsse »das Hervorbringen des Schönen – das ist des Maßhaften, Geordneten«  : also einer solch pluralen Einheitlichkeit sein, denn in ihren ästhetischen Erzeugnissen bestimme die Literatur (das Schrifttum) den Geschmack ihrer Zeit und werde zur Vermittlerin »zwischen Religion und Welt, zwischen Tradition und Leben«.148 Dass sie damit die Nation und ihre »Fiction der Öffentlichkeit« eigentlich erst schafft,149 macht dieses »Hervorbringen« aber zugleich zu einer Wirkungsutopie – wie die zuvor zitierte Wendung vom »schlechthin Unmöglichen« es schon andeutet – welches aber dennoch als höheres »Wirkliches« erfahrbar gemacht werden müsse. Das allerdings ist der Selbstauftrag für ein unausgesetztes Scheitern (im kontingenten Raum der Moderne)  :150

146 RA III, 130  ; WES [Vorrede]. Möglicherweise ist die ausgewiesene Stelle ein Benjamin-Zitat. Allerdings gibt es auch Übereinstimmungen zu Adam Müllers Zwölf Reden über die Beredsamkeit (1812)  ; dort wird ähnlich auf die Bedeutung von Volksdialekten abgestellt. 147 Denn  : »In der Poesie wird dieses immanente Innere der Sprache, diese seelische Meinung zum Sprechen gebracht. Die Dichter sind Künstler, denen es gegeben ist, aus den Sprachen der Völker die Sprache des Herzens herauszuholen.« (GKS, 100  ; vgl. auch 102). 148 RA III, 592  ; Aufzeichnungen [1928]. Vgl. zu diesem Themenkomplex auch  : Vera Viehöver  : »Gegenwart und Vergangenheit in eins«. Hugo von Hofmannsthals Gedächtnis-Konzept und seine mediale Realisierung während und nach dem Ersten Weltkrieg  ; in  : V. Borsó/G. Krumeich/B. Witte (Hg.)  : Medialität und Gedächtnis. Interdisziplinäre Beiträge zur kulturellen Verarbeitung europäischer Krisen  ; Stuttgart 2001. 119–154. 149 Auch dieser Anspruch hat Nähe zum Barock – »[…] im Deutschland des XVII. Jahrhunderts war die Literatur, so wenig die Nation sie auch beachten mochte, bedeutungsvoll für ihre Neugeburt.« (GS I 1, 236  ; Trauerspiel). 150 »Mit der Fokussierung auf das Politische wird die Konstituierung von Gesellschaft als unendliche politische Aufgabe begriffen.« (Rebentisch, Unterscheidung  ; op cit, 99).

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»Wir versuchen uns zur Klarheit durchzuringen, zu erkennen, was dahingestürzt und was noch aufrecht ist  ; aber der ordnende Sinn in uns selber, der allein zu solchen Urteilen fähig wäre, ist im tiefsten beschädigt. Niemand ist geistesmächtig, niemand scharfsinnig genug, sich über das zu erheben, was alle und alles umstrickt.« (RA III, 13  : Vermächtnis der Antike.[1926])151

Der mit allen Registern der Rhetorik festgestellte Verlust an »Gestaltungssouveränität« (Heinz) ist wesentlich auf die Unübersichtlichkeit und ›Formlosigkeit‹ der modernen Massengesellschaft zurückzuführen, wird aber dennoch – analog der ›Chandos-Strategie‹152 – in souveräner Manier mitgeteilt und von Hofmannsthals sprachlichen Ambitionen zugleich unterwandert. Diesen ordnenden Sinn hingegen wieder zu entwickeln, ihn auch zum Ausdruck zu bringen und damit in der Sprache der Nation ihr Gedächtnis, der volonté générale eine mémoire générale durch Wirken im geistigen Raum wiederzugeben (und sie durch solche Bindung erst zu schaffen), kann als das kulturpolitische Ziel von Hofmannsthals Utopie verstanden werden. Er bezieht sich in geschichtlicher Hinsicht dabei wohl auf Burdach, der den Zusammenhang von Sprachgeschichte und nationaler Einheit stets betonte,153 in soziologischer aber auf Vosslers Ausführungen zu »Geist und Kultur« in Sprachgemeinschaften (und wohl auch auf Landauer).154 Dass er hierbei das Neue nicht verkennen, sondern »Tradition und Leben« hat vermitteln wollen, auch wo es sich um die »rastlose Vereinigung des Unvereinbaren« 155 (das Leben) handelte, ist ihm unter dem Schlagwort der »konservativen Revolution«, das er eben als synthetischen Terminus auffasste, zu Unrecht zum Vorwurf ge151 Zu den Risiken von Hofmannsthals Geschichtspoetik  : »Erst ein Bruch im Zeitgefühl überführt den, der sich so des eigenen Standortes vergewissert, seiner Willkür. Fremd und tot und zusammenhanglos wirkt dann plötzlich die Geschichte, ausgegliedert dem historischen Zugriff […]« (König, Dichter unter den Philologen  ; op cit, 27). 152 Vgl. hierzu auch Werner Konitzer  : Sprachkrise und Verbildlichung  ; Würzburg 1995. Zum Chandos-Brief im Werkzusammenhang  : 196 f. 153 Vgl. König, Dichter unter den Philologen  ; op cit, 211. Zu Nadler vgl. Heinz, Sprachgeschichte  ; op cit, 280 f. 154 Von Landauer besaß Hofmannsthal dessen Auseinandersetzung mit Mauthners Sprachkritik. Daneben scheint Hofmannsthal auch Landauers evolutionäres Revolutionsprinzip der wiederkehrenden Utopie (vgl. 1.5.2) gekannt zu haben  : In der Zürcher Rede auf Beethoven (1920) wird Beethoven »zu den Dichtern« gestellt, welche wie ihn ein vulkanisches Prinzip der Weltgeschichte »herausgeworfen hatte«. Eine überraschende Parallele zieht Hofmannsthal dann zu Rousseau (vgl. RA II, 70 f.; Beethoven). 155 RA III, 592  ; Aufzeichnungen [1928].

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macht worden. Das Konservative ist das bei Hofmannsthal humanisierende Element gegenüber den jeder Utopie eigenen regressiven Zügen. Es ist im Sinne der ›Regeneration‹ Landauers zu verstehen  : »Entweder kommt bald der Geist über uns, der nicht Revolution, sondern Regeneration heißt  ; oder wir müssen noch einmal und mehr als einmal ins Bad der Revolution steigen.«156 Man sollte den Terminus daher nicht als reaktionären Übersteigerungsversuch missdeuten. Im Gegenteil scheint Hofmannsthal die »Verwahrlosung« von Sprache in der Moderne, speziell in Diktaturen, und die Inhumanität von deren politisch-totalitärer Formierung (wie sie später Victor Klemperer in seiner so grundlegenden wie schicksalhaften Analyse »Lingua Tertii Imperii« entwickelte) bereits wahrgenommen zu haben  : »Ton  ; Rhythmus  ; Sprache der Fascisten gegenüber dem Risorgimento  ; bolschewikische Sprache  ; unfreie (aber nicht schlaffe) Sprachen.« ([SW] XXXVI, 699/700  ; WES  : N17) »Vor hundert Jahren in dem Streben nach Vereinigung aller Deutschen in einem Reich lag Religion – dorthin strebten die ahnenden Beiklänge des Religiosen – als die Vereinigung geschaffen war von der das innere Glück erwartet wurde, sank alles ins Unreligiose. Nie war die Sprache ärger verwahrlost als in den Jahrzehnten nach der Gründung des Reiches.« (ebd., 704)

Im zweiten Zitat ist natürlich die Gründung des »klein-deutschen« Hohenzollern-Reiches gemeint, in welchem nach Hofmannsthals Auffassung die religiöse, d. h. immanent-transzendente Dimension der Sprache mit dem Charisma der alten Krone aufgegeben wurde. In den Notizen zur Sprach-Anthologie heißt es an anderer Stelle »Die Sprache unsere unbefleckbare Kirche (von der wir nie wissen ob wir noch in sie eingeschlossen sind)«.157 Das ist nicht nur als Kommentar auf die von Lukács in der Theorie des Romans (1916) ausgerufene »transzendentale 156 Landauer, Revolution  ; op cit, 108. Die Metaphorik des Bades wird noch unter 4.3 beschäftigen. 157 [SW] XXXVI, 693. Dass Hofmannsthal hier einen Weg sah, auch die religiösen Zweiteilungen der Nation sprachlich zu schlichten und zu überwinden, bringt die Frage auf, welchen der repräsentativen Körper des alten Regimes dieser geistige Leviathan denn beerben sollte – hierzu Überlegungen auch in Bezug auf Sigismund nachfolgend. In der Notiz äußert Hofmannsthal auch Bedauern, dass die Sprache der Deutschen selbst als höhere »ohne Religio« auskommen müsse. »Neue bolschewikische Religion (Maschine).« (ebd., 696). Diese gibt den neuen Takt vor. Dass Hofmannsthals Setzung zu überdenken ist, sei nebenbei erwähnt (die Flagge der Sowjetunion zeigte ja Hammer und Sichel). Als Gemeinschaftssymbol allerdings käme mit dem Panzerkreuzer Potemkin doch die Maschinenaffinität zum Tragen  ; die Thematik wird anhand des modernisierten Olivier in der Bühnenfassung noch eine Rolle spielen.

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Obdachlosigkeit« lesbar. Es zitiert ganz offensichtlich das Prinzip der christlichen ecclesia und ihrer Reinheitsdogmen – in Übertragung auf den geistigen Leib der Sprache, den Stoff eines organisch-natürlichen Leviathan. Dass nun in den geistig unfreien, befehlsgeprägten Sprachen der Diktaturen an die Stelle der religiösen die ideologische Disposition rückt, lässt diese jedenfalls – im Stechschritt der Verheißung – nicht »schlaff« werden. Übrigens könnte Hofmannsthal die Metapher der Kirche von Michelet entlehnt haben – dieser nutzte sie als Bezeichnung der Revolution, die er somit als quasi heilsgeschichtliches Geschehen auswies.158 Eine solche Positionierung an vormals theologisch besetzter Stelle hat Hofmannsthal schon 1917 kritisiert, als er mit deutlicher Orientierung an Simmel für das Geld feststellte, dass es als »allgemeines Mittel« zum »allgemeinen Endzweck« werde, ein »alle-verfangendes Netz«159, und dem ein »Zutrauen in seine Allmacht« und die »Kraft, sich an die Stelle Gottes zu setzen« entgegengebracht werde  : »[…] der Gottesgedanke hat sein tieferes Wesen darin, daß alle Mannigfaltigkeit und Gegensätze der Welt in ihm zur Einheit gelangen, er ist die Ausgleichung aller Fremdheiten und Unversöhntheiten des Seins  : daher umschwebt ihn Friede, Sicherheit, allumfassender Reichtum. Das Geld mehr und mehr Ausdruck und Äquivalent aller Werte, über allen Objekten wird es zum Zentrum, worin die fremdesten fernsten Gedanken einander berühren.« (RA II, 50  ; Idee Europa)

Hier zeichnet sich ab, auf welchem Feld sich Hofmannsthal seine(n) Gegner suchte. Von »allumfassenden Reichtum« des ›Gottes der neuern Zeit‹ kann nach dem Krieg erst recht keine Rede mehr sein, auch nicht von Friede und Sicherheit. Hofmannsthal hatte 1917 durch Distanzierung in der Perspektive (er referiert die Sicht eines typischen Zeitvertreters  : »Jener«, mit Nähe zum Jedermann) bereits deutlich gemacht, dass er den blasphemischen Akt der Vertauschung (von Mittel und Endzweck) durchschaue.160 »Nie gab es größere Einsamkeit in einem 158 Vgl. hierzu Lefort, Fortdauer des Theologisch-Politischen  ?  ; op cit, 71 ff. Auf Michelet geht auch die Wendung »Königtum des Geistes« zurück, eine Formulierung, die Hofmannsthal hätte aufmerken lassen (vgl. Lefort, 93). 159 Dieser Ausdruck für das »Geldwesen« stammt aus dem Alten Spiel des Jedermann (GW D III, 96  ; Jedermann). 160 1909 notierte er sich  : »Besitz – Freunde – Feinde – Zeitgeist – dies sind die Formen des unschöpferischen erstarrten Denkens. Der Wechsel, die Unstätheit [sic], der Widerspruch gehören dazu.« (RA III, 499  ; Aufzeichnungen). Vgl. zum »inneren Besitz« bei Hofmannsthal Bamberg, Dichter und Dinge  ; op cit, 160 f.).

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dichteren Gedränge, niemals eine größere Konfusion bei subtilerer Verkettung und Verzahnung  ; die Begriffe sind entwertet wie das Geld, die Menschenmenge wird immer dichter, die Verhältnisse immer undichter, und es wird ein Wunder, daß man noch existieren kann.«161 Diese Sätze stammen von 1911 und sind in den Zusammenhang einer pekuniären Analogie der Sprache zu stellen, wie sie auch der von Schmitt als politischer Romantiker angefeindete Adam Müller vertrat, der im Denken Hofmannsthals zumindest ab 1915 eine nicht unerhebliche Präsenz erhielt.162 Angesichts des »Geld-Chaos« nach der immer schnelleren Rhythmik der Entwertung in den letzten Kriegs- und ersten Nachkriegsjahren hätte jede Anbetung monetären Götzentums völlig zusammenbrechen, der Geist an die Stelle des Geldes treten sollen. De facto wurde die Macht des Geldes im Prozess seiner Entwertung jedoch umso mehr spürbar  ; Hofmannsthal hat diese Erfahrung in den kleinen Betrachtungen (1921) als Ironisierung der gesamten Lebenswelt bezeichnet. Man kann es als Reaktion darauf verstehen, dass spätestens nun in Hofmannsthals Denken ein anderer, geistig gefasster Begriff von Besitz dominant wird, den er jedoch ebenso und tiefgreifender noch von Inflation bedroht sah, und ihn darum durch Werk, Anthologien und die Neuen Deutschen Beiträge zu stabilisieren und zu mehren suchte  : »Zum geistigen Besitz der Nation, demnach zur Sprache  ? Denn wo wäre, als in der Sprache, der geistige Besitz der Nation lebendig zu finden  ? Immerhin. Die Sprache, ja sie ist 161 RA I, 400  ; »Lebensformen« von W. Fred [d.i. Alfred Wechsler]. Das Zitat lässt auch an Nietzsches berühmte bereits erwähnte ›Ökonomie der Wahrheit‹ denken  : »Was also ist Wahrheit  ? Ein bewegliches Heer von Metaphern, Metonymien, Anthropomorphismen, kurz[,] eine Summe von menschlichen Relationen, die poetisch und rhetorisch gesteigert, übertragen, geschmückt wurden und die nach langem Gebrauch einem Volke fest, kanonisch und verbindlich dünken  : die Wahrheiten sind Illusionen, von denen man vergessen hat, dass sie welche sind, Metaphern, die abgenutzt und sinnlich kraftlos geworden sind, Münzen, die ihr Bild verloren haben und nun als Metall, nicht mehr als Münzen, in Betracht kommen.« (Nietzsche, Werke. Band III  ; op cit, 314  ; Über Wahrheit und Lüge). Bei Hofmannsthal liest sich das so  : »Einfluß der Sprache auf das Denken. – Sprache ist überhaupt nur Bild. Manche, erstarrt wie Hieroglyphen, haben nur Münzwert, manche lebendig, wirken direkt auf die Nerven.« (RA III, 360  ; Aufzeichnungen [1893]). 162 Vgl. SW XXXIV, 652. Hierzu nachfolgend Anmerkungen, sowie unter 3.1 und 4.1. Zu Müllers Homologie von Geldschein und »National-Wort« vgl. Wilhelm Köller  : Sinnbilder für Sprache. Metaphorische Alternativen zur begrifflichen Erschließung von Sprache  ; Berlin, Boston 2012. 475 f. (zu Hofmannsthal 361 f.)  ; und einmal mehr Matala de Mazza  : Verfaßter Körper  ; op cit, 334 f. Die Verbindung von Münze und Wort ist eine derart gängige Metapher, dass man sie als Gemeinplatz bezeichnen kann. In beinahe jedem Text der WES-Auswahl kommt sie vor (was sicher Aussagen über das Interesse des Herausgebers zulässt).

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Alles  ; aber darüber hinaus, dahinter ist noch etwas  : die Wahrheit und das Geheimnis.« (RA II, 197  ; Beiträge)163

Dieser geistige Besitz – neben dem repräsentativen Funktionszusammenhang der Sprache ihre ›substantielle‹ Dimension – zu finden vordringlich in den großen Werken der Schriftsteller und den Volksdialekten (und hier bricht sich die alte Sprachskepsis erneut Bahn) – sei ebenso einer ökonomistischen »Wirklichkeit« unterworfen, welche in diesem »kritischen Weltmoment« »dämonisch ihre Mienen« wechsle und zum Irrsal der Massen mit »unsichtbaren Händen« »Geist« mit »Ökonomie« vertausche. Diese Feststellungen korrespondieren der Haltung der Zürcher Rede auf Beethoven (1920), welche der »Magie der Worte« nicht mehr zutraut, »eine Welt zu tragen«, da die Sprache »alles nur noch ironisch zu betasten« scheine, weil ihr die »eigentliche Zaubergewalt, das Göttliche« abhandengekommen sei (an Webers Rationalisierungsformel ist zu erinnern).164 Entsprechend prägte sich diese Haltung im Buch der Freunde aus  : »Hinter den Rücken des Geldwesens zu gelangen, ist vielleicht der Sinn der moralischen und sogar religiösen Revolution, in der wir zu stehen scheinen.«165 Diese dringt in der Tat darauf, ein rhetorisches Charisma, die funktionalistische Entzauberung der Sprache zu einem Mittel des nackten Zweckes hin zu überwinden und einen Zustand der Unmittelbarkeit sprachlicher Übersetzung herzustellen, in welchem (wieder) gelten kann  : »Politik ist Magie. Wer die Mächte aufzurufen weiß, dem gehorchen sie.«166 Hofmannsthal hat das Defizit einer integrativen ›Sprache des Politischen‹ in Deutschland, wie er es empfand, in der Rezension der Neupublika163 Entsprechende Setzungen finden sich in Hofmannsthals Sprach-Anthologie  ; die Sprachen seien »immer ein Eigentum ganzer Nationen« (WES, 147  : Humboldt), »das grösste, edelste und unentbehrlichste Besitztum« (WES, 279  : Grimm). Auch Landauer verstand Kultur generell als Besitz und gerade diesen einer nationalen Umverteilung zugänglich machen wollte  : »Alle Kultur beruht von jeher auf dem Besitz, und gegen den Besitz, sei es nun Gemeindebesitz oder Privatbesitz, ist nichts einzuwenden, sondern gegen die Besitzlosigkeit  !« (Landauer, Aufruf  ; op cit,107). 164 Absatz zuvor  : RA III, 15  ; Vermächtnis. RA II, 80  ; Beethoven. Vgl. zur Rationalisierungsthematik und zum Topos der Entzauberung z. B. RS I, 94, 114  ; und 1.3.1 und 5.1. 165 RA III, 279  ; Buch der Freunde. 166 RA III, 280  ; Buch der Freunde. Der Zweck solchen Zaubers hängt aber allein von der Person des Ausübenden ab und damit abermals vom Ethos des großen Individuums, das, wie das 20. Jahrhundert im Übermaß gelehrt hat, keineswegs (und ohne Rückversicherung) vorausgesetzt werden darf. Wie an der Beredsamkeit deutlich wird, vermisste Hofmannsthal aber v. a. die performative Beweglichkeit des geistigen Besitzes als Ursprung nationaler Identität in der Sprache, weniger den ›großen Rhetor‹.

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tion von Adam Müllers Zwölf Reden über die Beredsamkeit (und deren Verfall) in seinen Auswirkungen klar benannt  : »Man mußte sich eingestehen, daß die Überlegenheit der historisch-politischen Bildung bei den Gegnern lag  ; oder wenigstens war diese Bildung, und darauf kam alles an, bei ihnen in ganz anderer Weise flüssig und allgemein  : sie besaßen eine politische Sprache, welche die höheren und höchsten Begriffe mit der Sphäre des Praktischen, Wirksamen in Einheit zu bringen wußte.« (RA II, 123  ; Adam Müller)167

Ein solches Ineinandergreifen von geistiger und politischer Sphäre in der Beredsamkeit – durchaus im Sinne rhetorischen Charismas zu verstehen – wollte Hofmannsthal ermöglichen, die Metaphorik zeigt es an, durch eine erhöhte Liquidität des in Kurs zu setzenden Geistigen.168 Kaum zu bestreiten ist, dass Hofmannsthal hier zugleich den Finger auf einen neuralgischen Punkt des Scheiterns der deutschsprachigen Republiken zwischen Kaiserzeit und Nationalsozialismus legte, welche in Straßenkämpfen untergingen und sich der Sublimierung durch parlamentarische Debatten entzogen. Hier war genau das eingetreten, was oben als Auseinanderklaffen von politischem Kommunikationsraum und (demokratischer) Öffentlichkeit bezeichnet wurde. Diesen Übersetzungsnotstand auszuräumen, ist Hofmannsthal angetreten, insbesondere mit der Schrifttum-Rede und mit dem Turm als sozialpsychologischer Dramatisierung des kollektiv Imaginären – in sprachlicher Gestalt. Die offensichtliche Reflexion der sprachlichen Dimension von Machtverhältnissen und Kulturentwicklung im Stück ist darum im Folgenden im Blick zu behalten. Denn auch die Sprache der Moderne ist, um es mit Benjamin zu formulieren, »alle Zeit erschüttert von den Rebellionen ihrer Elemente«.169 Es ist nicht einfach eine Übertragung von poetologischen auf politische Formvorstellungen (oder umgekehrt), auch nicht deren bloße Ersetzung, die hinter der von Hofmannsthals konservativer Utopie des Schrifttums bemühten physiologischen Vorstellung einer 167 Der Herausgeber Artur Salz war übrigens mit Max Weber bekannt  ; vgl. Marianne Weber  : Lebensbild  ; op cit, 707. Ein Defizit der Sprache stellte Hofmannsthal auch hinsichtlich der »Schlagworte der Parteiversammlung« fest (RA II, 143  ; Drei kleine Betrachtungen). 168 Geistige, sprachliche Liquidität erscheint hier in einem der Wirkung nach dichotomen Verhältnis zur materiellen (d. h. pekuniären und zeitlichen) Liquidität. Darin ist die Verwechselbarkeit gegeben. Die Betonung geht vielleicht auf ein Beispiel Webers in der Religionssoziologie zurück  : Franklins Bonmot »time is money«. (RS I, 33). Die oben schon herangezogene Philosophie des Geldes von Simmel ist aber mindestens ebenso einschlägig. 169 GS I 1, 381  ; Trauerspiel.

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Sprachgemeinschaft steht. Die Körpermetaphorik, die eine äußere, organische Phänomenalität der inneren Form vorstellt – die auch ihrer konzeptuellen Genese nach als Ausdruck der »Seelenverfassung« zu bestimmen ist) – impliziert zunächst eine Ausdehnung des ästhetischen auf den politischen Bereich, ist der Versuch von dessen Inklusion durch eine Substituierung seiner imaginären Dimension – durch ein ästhetisches Säkularisat des einstmals theologischen Körperparadigmas. Das nachfolgende Kapitel macht eine solche Poetologie zwischen Sprachleiblichkeit und ›innerer Form‹ als dem Scharnier dieser gestaltenden Übertragungsvorgänge in Sprache, Kunstwerk und Staat kenntlich.

2.3 Politischer Geist und sprachliche Form  : Zur Genealogie des sprachlichen Kollektivkörpers bei Hofmannsthal 170 »Dieser Staat […] hat […] sich wohl einen demokratischen Verfassungsauf bau und eine in dessen Rahmen arbeitende Regierung schaffen können, nicht aber eine geistig staatliche Wirklichkeit, die diese trüge. Er ist in Wahrheit nur der Schatten seiner neuen Formen.« (Alfred Weber, Staatsgedanken  ; op cit, 125)171 »Ist nicht die Verzweiflung des gegenwärtigen Zeitalters der verlorengegangene Glaube an die Form  ?« (RA III, 284  : Buch der Freunde)

Das konstitutive Potential der Sprache für den Einzelnen wie für die Öffentlichkeit wird gegenüber ihrem rein repräsentativen Charakter von Hofmannsthal so 170 Auf die ausstehende Aufarbeitung eines durch die (entstehende) Germanistik proponierten ›Deutschen Formalismus‹ – vor allem hinsichtlich seitens der Literaturforschung – kann hier nur hingewiesen werden. Stefanie Arend hat mit Innere Form. Wiener Moderne im Dialog mit Frankreich  ; Heidelberg 2010 nach Uwe Hebekus Ästhetischer Selbstermächtigung (München 2009) einen weiteren Anlauf genommen, die Bedeutungsgeschichte des Form-Begriffes in der Literatur um 1900 darzustellen. Zum frühen Hofmannsthal gibt es entsprechend Ausführungen  ; etwa zu seinem synthetischen Verständnis der »kulturell codierten ›inneren Form‹« (Arend, 316). Zum Formdenken in Deutschland seit dem 18. Jahrhundert vgl. Dietmar Burdorfs große Studie Poetik der Form  ; op cit (2001). Hofmannsthal wird hier aber nur nebenbei behandelt (vgl. Kapitel »Synthetische Formkonzepte in der Wissenschaft, Kulturkritik und Literatur um 1900«, 405 f. und das folgende Kapitel zu Rudolf Borchardt). 171 Die Begriffswahl in Hofmannsthals Rezension der Europäischen Revue ist bezüglich Webers Staatsgedanken frappant  : »eine neue Wirklichkeit aufzudrängen« (op cit). Ebenso sprach Hofmannsthal bezüglich des Turm von einem »Einbruch chaotischer Kräfte in eine vom Geist nicht mehr getragene Ordnung« (zit. n. SW XVI.1, 159  ; an Burckhardt).

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sehr betont, dass aus ästhetischen Formen fiktionalen Gehalts latent politische mit einer mehr als nur geistigen Wirklichkeit werden. Die Nähen und Unterschiede dieser Setzung zu Simmels Philosophie des Geldes sind oben dargestellt worden (vgl. 2.1). Einer solchen metaphorischen Vertauschung durch Schaffung eines ›lebendigen‹ symbolischen Kerns (mit Bezug auf ein ›Drittes‹, hier das Politische) ist Hofmannsthals Formpoetik mit der späteren Konzentrierung zur Gestalt eigentlich verpflichtet. Die Gestalt ragt über die als bloßes Repräsentativmedium defizitäre Sprache hinaus, ist aber gleichzeitig eine (poetische) Ballung derselben. Nochmals als These  : Hofmannsthal setzt in der Gestalt das Medium der Repräsentation als »die Sache selbst« – ein als kontingent vorgestelltes Zentrum ›innerer Form‹ übersetzend (die »geistige Mitte« der Nation), welches er wechselweise mit Sprach- oder Volksgeist als diffus formendes, transzendentales Telos einer organisch zu denkenden Sprachgemeinschaft ausweist  :172 »Denn in der Sprache leidet oder blüht der Geist des Volkes.«173 Dieser Wechselwirkungen poetisch habhaft zu werden, ist für die Schaffung einer neuen Wirklichkeit essentiell. In Sachen Terminologie zeigt sich Hofmannsthal dabei allerdings als unzuverlässiger Autor, der diese Vorstellungen noch dazu en passant in diversen Texten als (fiktionales) Faktum schlicht voraussetzt, nicht entwickelt. So tauchen »Volksgeist«, »Sprachgeist«, auch »Geist der Nation« und andere rückverweisende Umschreibungen für eine jedenfalls am Nationsbegriff, nicht mehr an Reich oder Krone orientierte Metaphysik des Kulturellen auf. Dies erschwert die Darstellung nicht unerheblich.174 In jedem Fall zeichnet sich ab, dass die darunter begriffene 172 Heinz hat in seiner Studie bereits die ontologischen und transzendenten Eigenschaften erwähnt, die Hofmannsthal der Sprache zuweist  : »Alles kann die Sprache nur sein, wenn sie nicht als äußerliches Medium im Sinne eines der Kommunikation dienendes Werkzeugs aufgefasst wird, sondern als ›Repräsentant einer legitimierenden und sanktionierenden transzendenten Substantialität‹. Die Hypostasierung der Sprache ist die Konsequenz der nicht zu überwindenden Fragwürdigkeit früherer Sinnstiftungen  : Gerade weil der Moderne nur die Sprache geblieben ist, darf diese für Hofmannsthal kein bloßes Medium sein.« (Heinz, Sprachgeschichte  ; op cit, 286). Auch Heinz bemerkt die »Trennung zwischen der Sprache als alltäglichem Kommunikationsmittel und der Sprache als sakralisiertem Nationalmythos« (ebd.) bei Hofmannsthal. 173 [SW] XXXVI, 6  ; Bremer Presse. Die von Lüdemann festgestellte Naivität, dass im 19. Jahrhundert die organische Metaphorik nicht unbedingt als solche erkannt und reflektiert worden ist (vgl. Lüdemann, Metaphern der Gesellschaft  ; op cit, 38), ist schon für den frühen Hofmannsthal auszuschließen. 174 Das Unbestimmte dieser Vorstellungen folgt einer Strategie der Mythenkreation und ist daher beabsichtigt. In vergleichbaren Sinn hat Roland Barthes den Mythos als »leere Form« bezeichnet, die seitens des Rezipienten eine Sinngebung appliziert (vgl. Barthes, Mythen des Alltags  ; op cit, 96). Der eigentliche ›Gegenstand‹ dieser Kreation ist jedoch der ›Geist‹ und der Rezipient wird

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geistige Wirklichkeit (oder Wirklichkeit des Geistigen) auch von anderer Seite als staatstragend erkannt wurde  : »Geschriebene Verfassungen oder gesetzliche Urkunden haben keine wirklich bindende Kraft, wenn sie nicht der Ausdruck einer Verfassung sind, die in den Seelen der Bürger geschrieben ist. Ohne diesen moralischen Halt wird gerade die Stärke eines Staates eine ihm anhaftende Gefahr.« (Cassirer  : Vom Mythus des Staates  ; op cit, 102)

Ernst Cassirer und Alfred Weber warnten jeweils vor einem zu großen Auseinanderklaffen der gesellschaftlichen Organisation – als einer äußeren – mit der Innenwelt der Subjekte  ; demnach vor einem Akzeptanzverlust als Ausprägung einer inneren Form (der Nation), welche einmal mit der Seele, einmal mit dem Geist konnotiert wird. Der zitierte Begriff Vosslers einer in der Sprache emanierenden kollektiven »Seelenverfassung« gehört erkennbar in diesen Kontext. Der »verlorengegangene Glaube« an die Verfassung nahm in der Weimarer Republik bekanntermaßen epidemische Züge an  ; allenfalls ließ man sie als Provisorium gelten.175 Am Ende blieb mit der sinkenden Wahlbeteiligung sozusagen auch das Publikum aus. Hofmannsthal sprach von einer »dem Dämon des Formlosen anheimgegebenen, aber des Enthusiasmus fähigen Nation«  ;176 was auch als Beschreibung des Bewegungsprinzips der charismatischen Herrschaft tauglich wäre. in der Offenheit dieser Formulierungen eingeladen, daran mitzuwirken. So wird gewissermaßen Zustimmung zu einem ›Mythos des Logos‹ supponiert, dessen Durchdringungsverhältnis völlig unklar bleibt, Hofmannsthal aber wohl als die bestmöglichste Form der Wirklichkeitserschaffung durch deren gemeinsame Interpretation erschienen sein dürfte (vgl. 1.4.2). Ein solcher ›Mythos des Logos‹ ist im geisteswissenschaftlichen Umfeld der Zeit v. a. auch mit Namen wie Karl Jaspers, Alfred Weber, Victor von Weizsäcker in Verbindung zu bringen, also ›liberal-romantischen‹ Autoren. 175 So war etwa Florens Christian Rang alles andere als ein Verfassungspatriot  : »Gemüt, Geistesbildung, Charakterfestigkeit – daß die in unserem Volk durch die Reichseinrichtung Pflege erfahren, dazu ist die Reichsverfassung auch da. Dazu noch am wenigsten. Eine Reichsverfassung, wie sie sein soll, und wie die von Herrn Preuß entworfne nicht ist, weil sie nur die Form und nicht den Geist behandelt.« (Florens Christian Rang  : Der kulturelle Aufbau  ; in  : J. Viktor Bredt (Hg.)  : Das Werk des Herrn Preuß oder Wie soll eine Reichsverfassung nicht aussehen  ?  ; Berlin 1919. 31 ff.: 33. Schmitts Position, die sich etwa in Die geistesgeschichtliche Lage des Parlamentarismus (1923) und Legalität und Legitimität (1932) mitteilte, ist bereits in Teilen referiert worden. Vgl. hierzu übrigens Ulrich K. Preuß  : Die Weimarer Republik – ein Laboratorium für neues verfassungsrechtliches Denken  ; in  : A. Göbel/D. v. Laak/ I. Villinger (Hg.)  : Metamorphosen des Politischen. Grundfragen politischer Einheitsbildung seit den 20er Jahren  ; Berlin 1995. 177–187. 176 RA III, 577  ; Aufzeichnungen [1925  ; über Goethe].

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Die staatsorganisatorische Relevanz hat man also bei Betrachtung des eigentlich ästhetischen Form-Begriffes mitzudenken. Den von Alfred Weber vermissten Geist zu stiften, »die Nation zu den Formen zu führen, welche aus der Erkenntnis der Gesetze ableitbar sind«,177 hat Hofmannsthal als eine der vordringlichsten Aufgaben der Literatur, seiner kulturpolitischen Sendung als Autor und Dramatiker betrachtet. »Erkenntnis der Gesetze« meint aber gerade nicht das positive Recht,178 das ja nur eine Filiation jener Gesetze einer übergeordneten Wirklichkeit darstellen sollte, sondern vielmehr die Modi seiner Entstehung, die in Analogie zu jener von ästhetischen Werken gesetzt und in deren Horizont das Subjekt der Souveränität hineinprojiziert wird.179 In diesem Sinn hat übrigens Benjamin in seiner ersten Turm-Rezension von der Form als wichtigem Index des schöpferischen Willens eines Kollektivs gesprochen – dies aber auf das Trauerspiel bezogen. Die Koordinaten für eine Betrachtung der Dialektik von äußerer und innerer Form – wie sie oben schon einmal am Beispiel Oskar Walzels referiert wurde (vgl. 1.3.2) – sind damit abgesteckt. Der Nachvollzug der den inneren Formen zugeschriebenen Wirkungszusammenhänge als ein Zurückgehen auf geradezu metaphysische Strukturprinzipen ›der Nation‹ wird u. a. ergeben, dass dieses Zurückgehen die Unterschiede von ästhetischer und politischer, wie auch von äußerer und innerer Form tendenziell aufhebt.180 Die Herleitung dieser durchaus auch »gespenstischen Vermischung« (Benjamin) in jenem Organon von Volksgeist, Nation, Sprachgeist, Rechtsnormen und politischen Formen ist für die Klärung des Ziels von Hofmannsthals Zugriff darauf exkursartig durchzuführen. Dabei geht es vor allem um eine latent charismatische Metaphorik der »Vivifizierung«, wie sie sich in den physiologischen Beschreibungen nicht nur politischer, sondern auch sprachlicher Gemeinschaft 177 RA III, 577  ; Aufzeichnungen [1925  ; über Goethe]. 178 Übrigens findet sich Savignys Beschreibung der Entstehung des positiven Rechts im Deutschen Lesebuch (vgl. DL 1, 266–272  : Savigny). Ein Gegenüber findet diese Passage in Lasalles Ausführungen zur Verfassung (vgl. Hugo von Hofmannsthal  : Deutsches Lesebuch. Band II  ; München 19262 [fortan  : DL II]. 166 f.). 179 Diese Idee findet sich bereits in den Aufzeichnungen zu Reden in Skandinavien von 1916  : »[…] Hineinnehmen des Individuums ins Gesetz, des Gesetzes ins Individuum, ohne Bezug auf die anderen, die Gesellschaft, ohne contrat social. Sich eins wissen mit Gottes Gesetz. Überwindung des Kausalreiches. Kein Kontrast zwischen Individuum und Gesamtheit […]« (RA II, 34  ; Skandinavien  ; vgl. dort auch 39/40). Dies war nur im Bereich des Sprachlichen bzw. Kulturellen zu verwirklichen, mit poetischen Mitteln. 180 Der trüben Karriere der Formpoetik des Sozialen im 20. Jahrhundert geht der von Uwe Hebekus und Ingo Stöckmann herausgegebene Band Die Souveränität der Literatur nach, vgl. übrigens schon Jochen Schmidts Geschichte des Genie-Gedankens (op cit).

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ab 1800 zunehmend findet,181 und die auch Hofmannsthals dahingehende Poetologie prägte. Das sich hiervon auch viel in der kulturpolitischen Substanz bzw. -valenz der Sigismund-Gestalt niedergeschlagen hat, ist eine die Dramenanalyse präludierende, begleitende These. Schon etliche Vorkriegstexte Hofmannsthals zeugen von einer vertieften Wahrnehmung des politischen Potentials einer Formästhetik, die auf das Denkmodell des Dualismus von natura naturans und natura naturata bzw. mit Cassirer  : forma formans und forma formata bezogen blieb.182 Dies setzte sich implizit in den Versuchen einer quasi energetischen Steigerung der poetischen Sprache fort, welche mittels Nutzung ›ekphratischer‹ Mittel, also bildlich erweiterter Sprache,183 die Überwindung des um 1900 weithin empfundenen Gegensatzes von Kunst und Leben bezweckte  ;184 Regieanweisungen, Libretti und Tanzbeschreibungen Hofmannsthals und nicht zuletzt Das Gespräch über Gedichte und der ChandosBrief geben vielfältig Beispiele hierfür.185 Hinter diesem synästhetischen Streben 181 Zu den anthropologischen Wurzeln dieses physiologischen Denkmodells vgl. Hans-Jürgen Schings (Hg.)  : Der ganze Mensch. Anthropologie und Literatur im 18. Jahrhundert. DFG-Symposion 1992  ; Stuttgart, Weimar 1994. Bezogen auf eine organische Vorstellung der Sprache vgl. das Kapitel »Sprache als Organismus« bei Köller, Metaphorische Alternativen  ; op cit, 266 f.; insb. 271 f. Die Verbindung der Phänomenalität von Sprache und Organismus umreißt Köller in drei »Stichwortpaaren«  : »Ganzheit und Gestalt«, »Wirkung und Wechselwirkung«, »Entwicklungsfähigkeit und Evolution« (ebd. 275). 182 Cassirer sprach in seinem Aufsatz Form und Technik (1930) mit dieser Übertragung auf den Formbegriff davon, »vom Gewordenen zum Prinzip des Werdens« zurückzugehen (Ernst Cassirer  : Form und Technik  ; in  : Ders.: Symbol, Technik, Sprache. Aufsätze aus den Jahren 1927–1933  ; hg. v. E.W. Orth u. J.M. Krois  ; Hamburg 1985. 39 f.: 43. In Bezug auf Cassirers Übertragung dieses Prinzips auf das Sprachverständnis Humboldts als energeia vgl. Köller, Metaphorische Alternativen  ; op cit, 304. Spenglers Morphologie der Kulturkreise muss in diesem Zusammenhang als zeitgenössische Erscheinung ebenfalls erwähnt werden  : »Kulturen sind Organismen« für Spengler, deren innere Form sich in der Geschichte auspräge  ; Oswald Spengler  : Der Untergang des Abendlandes. Umrisse einer Morphologie der Weltgeschichte  ; München 1998. 140. Hofmannsthals reservierte Haltung zu Spenglers Kulturfatalismus wurde bereits oben mitgeteilt (vgl. RA III, 197). 183 Vgl. hierzu grundlegend Ursula Renners bereits erwähnte Studie Die Zauberschrift der Bilder, (op cit) und den von H. Pfotenhauer, W. Riedel und S. Schneider herausgegebenen Band Poetik der Evidenz. Die Herausforderung der Bilder in der Literatur um 1900  ; Würzburg 2005. 184 Thomas Manns Tonio Kröger (1903) wäre hierfür ein Beispiel. Zu Literatur und Leben vgl. die grundlegenden Studien von Wolfgang Riedel  : Homo Natura. Literarische Anthropologie um 1900  ; Berlin 1996 und Monika Fick  : Sinnenwelt und Weltseele. Der psychophysische Monismus in der Literatur der Jahrhundertwende  ; Tübingen 1993. 185 Zum Tanz-Motiv bei Hofmannsthal vgl. Claas Junge  : Text in Bewegung. Zu Pantomime, Tanz und Film bei Hugo von Hofmannsthal  ; Universitätsdissertation Frankfurt/Main 2006.

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nach (bildlicher) Evidenz stand die Überzeugung, »[…] daß wir einzig an den Formen das Leben erschauen und erleben  :«186 »Auf Formen will niemand Gewicht legen, und doch hängt und haftet an Formen, was wir tun und treiben. Durch Formen hängt das Vielerlei leidlich zusammen und präsentiert sich allenfalls als Ganzes. Die Formen sind da, Lebensformen, altneu  ; im Stocken und Schwanken fristen sie sich hin und drücken doch das Wesentliche an den Verhältnissen aus, sagen ohne Worte, worüber in Worten und Begriffen sich niemand würde einigen wollen.« (RA I, 400  ; Lebensformen [1911]) »Lebensformen, geistige Formen unseres geheimnisvollen, undeutlich erkennbaren Volkes sind hier kristallisiert, eine ältere deutsche Athmosphäre [sic] umfängt uns, nehmen wir sie in uns ein, so wird die herrschende Atmosphäre aufgehoben oder wenigstens gereinigt.« (RA I, 429  : Deutsche Erzähler [1912])

Hofmannsthal betrachtete seine Zeit also nicht als sonderlich form-bewusst und suchte ihr daher über den (erstmaligen) Rückgriff auf das in dem Band Deutsche Erzähler versammelte literarische Erbe dessen Bedeutung als Hort der kulturellen Identität mitzuteilen, auf deren prekären Status er schon zuvor in den Briefen eines Zurückgekehrten (1907) aufmerksam gemacht hatte. Der Terminus »Lebensform« ist dabei als kultureller gegen dessen biologistisches Verständnis gebildet, nimmt aber von dort so etwas wie die morphologische Idee organischer Gewordenheit mit, die ihm erst recht poetologischen Relevanz verleiht (vgl. 1.1.2). Ihm eignet zudem eine ähnliche Widersprüchlichkeit wie jener späteren Formel der »konservativen Revolution«.187 Denn ein Dilemma der Form ist zunächst schon darin zu sehen, dass diese immer eine Fixation lebendigen Geschehens darstellt und damit notwendig eine Zuständlichkeit konserviert, die sich schnell als veraltet – erstarrt – erweisen kann. Die Frage nach der veränderungsbeständigen Form muss sich also auf deren Elastizität bzw. Wandelbarkeit richten, was bereits als neuralgisches Problem auch jeder Verfassungsgebung oder konkreter  : jedes Herrschaftsmodells benannt wurde. Einen Ausweg versprach hier die Metaphorik des organischen Formdenkens, das nachfolgend hinsichtlich sprachlicher und juristischer Formen ein wichtiger Referenzpunkt der Untersuchung von 186 RA II, 203  ; Beiträge (1923). 187 Agamben hat den – explizit als politisch ausgewiesenen – Terminus daher getrennt  : »Damit konstituiert sich Lebens-Form unmittelbar als politisches Leben.« (Giorgio Agamben  : Lebens-Form  ; in  : J. Vogl (Hg.)  : Gemeinschaften. Positionen zu einer Philosophie des Politischen  ; Frankfurt/Main 1994. 251–257  : 252.

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Hofmannsthals konservativer Utopie sein wird. »Lebende Organismen müssen […] im Prinzip immer als offene Systeme betrachtet werden, weil sie sich in den Wechselwirkungsprozessen mit ihrer Umwelt und ihren Subsystemen morphologisch und funktionell ständig wandeln können und sogar wandeln müssen, um in einem Fließgleichgewicht Stabilität zu gewinnen.«188 Hier scheint die Utopie des Schrifttums noch in weiter Ferne zu liegen. Es hat sich jedoch schon angedeutet, dass Hofmannsthal dieses organische Konzept seinem Sprachdenken unterlegte, und in einer solchen Substantiierung dann wohl auch die Lösung des um die Jahrhundertwende aufgeworfenen Problems des ›toten Buchstabens‹ gesehen hat. Die ästhetisch wie sozial konnotierten »Lebensformen« sind jedenfalls gerade nicht auf den Bereich alltäglichen Geschehens (auf die Alltagssprache) beschränkt – wie sich auch der unter ›Leben‹ subsumierte Bestand an Vorstellungen gerade auf ein Außerhalb der verfassten Gesellschaft bezog –, sondern wurden von Hofmannsthal als authentischer Ausdruck einer durch die poetische Sprache zu vermittelnden Intensität des Daseins gewertet.189 Diese versuchte er auch in seinen Anthologien einzufangen, wie er Willy Haas anlässlich der Neuauflage des Deutschen Lesebuches schrieb  : »Im letzten Grunde ergibt sich als der Verfasser eines solchen Buches der Geist der Nation, für einen gewissen Zeitraum genommen.« (BW Haas, 54–56 [19. I. 1926]) »ich möchte es  : die Mitte der Nation nennen, und mich daran stärken, für mich allein, daß 188 Köller, Metaphorische Alternativen  ; op cit, 278. Eine der »Lebensreform«-Bewegung vergleichbare Abkehr von schriftlicher Fixierung und damit Rationalisierung (im Fahrwasser von Nietzsches Ablehnung des Schriftsinns) hat Riedel auch beim jungen Hofmannsthal ausgemacht, vgl. Riedel, Homo natura  ; op cit, 1 f. Dass Hofmannsthal der Literatur natürlich dennoch bzw. eben darum zutraute, diese zu versprachlichen – als »geistige Formen« mitteilbar zu machen, und durch das erreichte Reflexionsniveau zu reinigen (in der Formulierung klingt die kathartische Setzung des Sichverlierens in Symbolen an), belegt schon (neben seinem eigenen Schaffen) seine erste Anthologie. 189 Die Arbeit mit solchen »Lebensformen« ist Hofmannsthal natürlich geläufig gewesen. Auf Subjektebene manifestieren sie sich als Haltung bzw. Habitus, welche einem bestimmten Welt- und Selbstbild verpflichtet sind. Dadurch lassen sie sich gerade im Hinblick auf Gemeinschaftskonzeptionen gut dramatisieren. Zum Verhältnis des Lebens- zum Gewaltbegriff mit Bezug auf den Turm vgl. Wolfgang Nehring  : Visionen von Macht und Ohnmacht, Gewalt und Autorität beim späten Hofmannsthal  ; in  : Studiae austriaciaca IV (1996), hg. v. Fausto Cercignani. 138–149. »Die Lebensproblematik ist daher der Kontext für Hofmannsthals Auseinandersetzung mit der Gewalt von den frühsten Studien bis zum Andreas-Roman von 1912–13 – nicht etwa die Frage nach Gut und Böse und nach der Rechtfertigung gewaltsamen Tuns.« (ebd., 140). Im Turm hingegen besteht die Gewalt gerade in der Politisierung des Lebens.

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ich es gefunden habe, als eine Zuflucht, zu der ich von Zeit zu Zeit zurückkehren kann, u. immer zurückkehren werde.« (BW Haas, 64 [28. VII. 1926])190

Wie essentiell dieser Nexus für Hofmannsthals politisches Denken eines »deutschen Gesamtwesens« wurde, verdeutlicht das eigentliche Postulat der Schrifttum-Rede  : Dass der »Geist Leben wird« sah er in der »politischen Erfassung des Geistigen« verbürgt, umgekehrt werde das »Leben Geist« durch die »geistige [Erfassung] des Politischen«,191 das oben erarbeitete Schema der sprachlichen Wechselwirkung auf den »geistigen Raum der Nation« übertragend. Den gedanklichen Weg dorthin gilt es im Folgenden nachzuzeichnen. 2.3.1 »Die Formen der Verfassung«  : Ein »Politisches Gespräch« von Herder bis Landauer »Eine Nation in diesem Sinne ist eine durch eine bestimmte Sprache charakterisierte geistige Form der Menschheit, in Beziehung auf idealische Totalität individualisiert.« (WES, 156  : Humboldt) »Welche Revolutionen hat die deutsche Sprache teils in ihrer eigenen Natur, teils durch die Zumischung fremder Sprachen und Denkarten erfahren müssen, dass sich ihr Geist wandelte, wenn gleich ihr Körper derselbe blieb  ?« (WES, 96  : Herder)

Eine Übersicht zur Paradigmengeschichte der ›inneren Form‹ mit Perspektive Hofmannsthals zu skizzieren, legt nahe, sich hierbei auf solche Texte seiner Gewährsmänner zu beziehen, welche er selbst veröffentlicht (andernfalls aber nachweislich gekannt) hat und die daher die Konstellation mit der eigenen Formpoetik rechtfertigen. Diese Paradigmengeschichte ist, wie nach dem Vorangegangenen kaum überraschen wird, eine stark körperbezogene. Hofmannsthal

190 Wenn der junge Hofmannsthal schrieb  : »Mein Leben zu erleben wie ein Buch« (vgl. hierzu das oben schon aufgeführte Buch Heike Grundmanns zu Hofmannsthals Hermeneutik des Erinnerns, das dieses Zitat zum Titel hat), ist bereits auf einen organischen Nexus dieser Metaphorik verwiesen, den auch Blumenberg in seinen Paradigmen einer Metaphorologie (op cit, 91 f.: 109) hervorgehoben hat. Auch die Herausgeberschaft Hofmannsthals hat einen solchen ›organischen‹ Hintergrund, wo sie auf eine Kompilation des Nationalgeistes zielt. 191 RA I, 426  ; Deutsche Erzähler  ; RA III, 40  ; Schrifttum. Die Bibliographie zum Haas-Briefwechsel sei nachgereicht  : Hugo von Hofmannsthal – Willy Haas  : Ein Briefwechsel  ; hg. v. R. Italiaander  ; Berlin 1968.

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hat selbst bekanntlich keine dezidiert ausformulierte Poetik hinterlassen.192 Man ist stattdessen auf eine Fülle von gelegentlichen (etwa die Umfrage Ernst Bernhards, vgl. 1.1.2) oder aber fiktionalisierten Äußerungen zur poetischen »Verfassung unseres Daseins« angewiesen.193 Denn Hofmannsthal ließ sich nicht gerne in die Karten sehen. Dass als Ausgangspunkt hier das Gespräch über Gedichte gewählt wurde, hat seinen Grund in der titelgebenden Tradition des Gesprächs.194 Diese wirkt sich beispielsweise auch in Rudolf Borchardts Gespräch über Formen (veröffentlicht 1905) aus, in welchem sich das Postulat einer Kongruenz von äußerer und innerer Form findet.195 Die (platonische) Metapher des ›Gesprächs‹ (bzw. Dialogs) entspricht der oben dargelegten (poetischen) ›Öffnung des Subjekts‹ auf den ›Ort der Verständigung‹ hin, bzw. in den Raum literarischer und sozialer Wechselwirkungen hinein.196 Der späte Hofmannsthal jedenfalls neigte (abgesehen vom Gespräch in Saleh, 1925) zunehmend zu einer geschichtlichen Öffnung dieser Metapher, zu einer erweiterten Form des Gesprächs  : In Kompendien nach akribischer Auswahl vereinigt ließ er die großen Toten der Kulturnation zu Wort kommen. Allerdings reichen deren Lebensdaten im Deutschen Lesebuch nur bis an das 20. Jahrhundert heran (Mommsen, Nietzsche, Burckhardt), Wert und Ehre deutscher Sprache findet seinen Abschluss schon mit Jacob Grimm. Hofmannsthal plante jedoch eine Ausgabe von Briefen aus seinem Freundeskreis 192 Verwiesen sei auf Claudia Bambergs schon erwähnte Studie Hofmannsthal  : Der Dichter und die Dinge (Heidelberg 2011)  ; die Studie Stefanie Arends zur inneren Form in der Wiener Moderne (op cit, 2009), die gute Arbeit von Tobias Heinz zu Hofmannsthals Sprachgeschichte (op cit, 2009), sowie Christoph Königs Blick auf die Poetologie, welcher die Hugo-Schrift Hofmannsthals folge (König, Dichter unter den Philologen  ; op cit, 56 ff.), sowie Ulrike Stamms Studie »Ein Kritiker aus dem Willen der Natur.« Hugo von Hofmannsthal und das Werk Walter Paters (Würzburg 1997). 193 GW EGB, 498  : Gabriel. Große Erwartungen richten sich bezüglich einer hinterlassenen Poetik auf die Edition seiner Briefe an die Eltern, die in den nächsten Jahren erscheinen wird und z. B. dem Tagebuch Kesslers eine eigene Perspektive entgegenstellen könnte. 194 – welche hier nicht aufbereitet werden kann  ; selbst auf wichtige Vorlagen Hofmannsthals  : Friedrich Schlegels Gespräch über Poesie und Goethes Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten kann hier nur verwiesen werden, weil der Fokus anders liegt. Sie sind in der Forschung im Übrigen ausgiebig diskutiert worden  ; vgl. die Hinweise unter 2.1 und auch 3.1. 195 Vgl. hierzu Burdorf, Poetik der Form  ; op cit, 455 ff. Entsprechendes war oben schon am Beispiel Walzels ausgearbeitet worden. Borchardt berief sich hierbei auf Herder (vgl. Burdorf, 451), der nachfolgend auch mit Hofmannsthals Perspektive noch zu berücksichtigen sein wird. 196 GW EGB, 509. Zu Hofmannsthals Landschaften vgl. Friedmar Apel  : Evidenz aus dem Abgrund. Hugo von Hofmannsthals Reisebilder  ; in  : Pfotenhauer [et al.] (Hg.), Poetik der Evidenz  ; op cit, 67–76.

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bzw. geistigen Umfeld, die demnach seine Zeit umfasst hätte.197 Auffällig ist an seiner »logopädischen« (Daniela Gretz) Auswahl jedenfalls die durchgängige Verwendung einer physiologischen Metaphorik hinsichtlich der Sprache als einem natürlich Gewachsenen, in dessen Veränderung sich auch die Wandlungen der ›inneren Form der Nation‹ (des Volks- oder Nationalgeistes) über-setzen, bzw. ausprägen  : »Die Sprache ist kein freies Erzeugnis des einzelnen Menschen, sondern gehört immer der ganzen Nation an  ; auch in dieser empfangen die späteren Generationen dieselbe von früher dagewesenen Geschlechtern. Dadurch dass sich in ihr die Vorstellungsweise aller Alter, Geschlechter, Stände, Charakter- und Geistesverschiedenheiten […] mischt, läutert und umgestaltet, wird die Sprache der grosse Übergangspunkt von der Subjektivität zur Objektivität, von der immer beschränkten Individualität zu alles zugleich in sich befassendem Dasein.« (WES, 150  : Humboldt) »Die Sprache […] ist das Organ des inneren Seins, dies Sein selbst, wie es nach und nach zur inneren Erkenntnis und zur Äusserung gelangt.« (WES, 158  : Humboldt)

Goethe – in der Vorrede des Deutschen Lesebuchs übrigens zum Kollektivindividuum gekürt, aus welchem der Geist der Nation spreche – ist u. a. mit einem Auszug aus Von deutscher Baukunst präsent. Dieser Text greift bereits die Thematik eines solchen inneren Stilprinzips am Beispiel der Architektur und ihres – genialen – Schöpfers auf  ; aus der an sich einschlägigeren »Morphologie« hat Hofmannsthal allerdings nichts aufgenommen.198 Das physiologische Sprachdenken Herders, Adam Müllers und Wilhelm von Humboldts (als wich197 Vgl. hierzu immer noch Richard Alewyns Aufsatz mit dem trefflichen Titel Unendliches Gespräch. Die Briefe Hugo von Hofmannsthals  ; in  : Ders.: Über Hugo von Hofmannsthal  ; Göttingen 19674. 17–45. Der frisch erschienene Band der Kritischen Ausgabe (SW XXXVIII Aufzeichnungen, 996 [VI 1926]) gibt jetzt möglicherweise einen Hinweis auf diesen Plan  : Hofmannsthal exzerpierte aus einem Brief des Grafen Yorck an Dilthey (exakt aus jenem 1923 erschienenen Briefwechsel, der dann so bestimmend für die Schlusspassagen von Sein und Zeit wurde). 198 Vgl. RA II, 171  ; Deutsches Lesebuch. Schiller wirkt hingegen merkwürdig unterrepräsentiert mit nur einem – allerdings prägnanten – Auszug aus Von der Erziehung des Menschengeschlechts (DL I, 125 f.). Zu Hofmannsthals Goethe-Rezeption  : Joachim Seng/Freies Deutsches Hochstift (Hg.)  : »Leuchtendes Zauberschloß aus unvergänglichem Material.« Hofmannsthal und Goethe  ; Heidelberg 2001 und Manfred Riedel  : Im Zwiegespräch mit Nietzsche und Goethe. Weimarische Klassik und klassische Moderne  ; Tübingen 2009. 228 f. Auch Christoph König widmet diesem Zugang zu Hofmannsthals poetischem Selbstverständnis viel Aufmerksamkeit (vgl. König, Dichter unter den Philologen  ; op cit, 95 ff.).

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tigen »Stationen« dieser Genese eines »organischen Ganzen«)199 sind daher für diesen Kontext stichhaltiger heranzuziehen. Vor allem aber der organische ›Bau der Verfassung‹ – bei Goethe doch immerhin schon Ausdruck eines inneren stilbildenden Prinzips der Nation –, wie sie in den Auszügen des Freiherrn vom Stein, Savigny im Lesebuch, dann Leopold von Ranke reflektiert wird, soll hier als Beleg für die sprachlich-rechtliche Kohabitation mit Ausblick auf die Literatur stehen. Diese ist ja bekanntlich nach der berühmten Formulierung Jacob Grimms mit dem Recht »aus einem Bette aufgestanden«.200 Die spätere Diskussion um solche Verflechtungen juristischer und literarischer Textur wird übrigens von Carl Schmitt in der Politischen Romantik (1919) aufgegriffen, der nachfolgende Band Die Diktatur (1921) setzt sich öfter mit der »staatsrechtlichen Organtheorie« auseinander.201 Auf physiologische Metaphern stößt man im Lesebuch auch hinsichtlich der Französischen Revolution, welche der junge Hofmannsthal aber selbst ungleich krasser (letztlich als Hirn-Infarkt) geschildert hat  : »Die Männer der französischen Revolution  : unreife Atome des Volkskörpers, vom Blutstrom aus Arm oder Bein fortgerissen und ins Gehirn gespült.« (RA III, 337  ; Aufzeichnungen [1891]) »Aber gewiss ist’s, dass die Hauptursache, warum die neue Form zu Stande gekommen ist, in der Veraltung der vorigen lag, wobei die Kräfte anfingen zu 199 Vgl. WES, 170  : Humboldt. Übrigens setzt Humboldt die Sprache als das »organische Ganze« nicht über die Individualität des Sprechers, sondern sieht diese im übergeordneten Ganzen des Sprechzusammenhanges aufgehoben. Das ist für die Frage nach Hofmannsthals Verständnis des ›Nation‹-Begriffes wesentlich (vgl. 2.4). Von einem »kränklichen Leib« ist in dem Auszug aus Ernst Moritz Arndts Schriften die Rede (WES, 208  : Arndt). Vgl. hierzu die kritische Perspektive Walter Gebhards  : Die Erblast des 19. Jahrhunderts. Organismusdiskurs zwischen Goethes Morphologie und Nietzsches Lebensbegriff  ; in  : H. Eggert/E. Schütz/P. Sprengel (Hg.)  : Faszination des Organischen. Konjunkturen einer Kategorie der Moderne  ; München 1995. 13–36. 200 Von der Poesie im Recht, 1816. Hofmannsthal druckt aber eine weniger juvenile Formulierung ab  : »Zwischen Recht und Sprache waltet eine eingreifende Analogie. Das gemeinschaftliche Wesen beider setze ich darin, dass sie zugleich alt und jung. Sie beruhen auf einem alten undurchdringlichen Grund und auf dem Trieb, sich ohne Aufhören neu zu erfrischen und wiederzugebären. […] Sprache und Recht haben eine Geschichte, d. h. es besteht zwischen ihnen ein Band, welches Altertum und Gegenwart, Notwendigkeit und Freiheit mit einander verschmilzt.« (WES, 272  : Grimm). Zur Metaphorik der Gemeinschaft als »großes Ich« vgl. Klinger, Flucht, Trost, Revolte  ; op cit, 171 f.: 176. 201 Vgl. Carl Schmitt  : Politische Romantik  ; Berlin 19915. 45/46. Zur Organstaatstheorie vgl. Carl Schmitt-Dorotić  : Die Diktatur. Von den Anfängen des modernen Souveränitätsgedankens bis zum proletarischen Klassenkampf  ; München und Leipzig 1921. 100 f.

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stocken und ein Stoss nötig war, um einmal alles wieder in frische Bewegung zu setzen.« (DL I, 158  : Forster)

Das sich hier deutlich abzeichnende morphologische Gesellschaftsverständnis findet sich in ökonomischer Hinsicht dann auch bei Adam Müllers202 Analogsetzung von Sprache und Währung  : Die Betrachtung der Banknote als »National-Wort«, die Gleichsetzung von Geld mit der »Eigenschaft der Geselligkeit«, schließlich Müllers Korporation des »höhere[n], lebendige[n] Geld[es]« in der Gestalt des Politikers,203 dessen Währung quasi Beredsamkeit ist – dies erfolgt verglichen mit Hofmannsthals invertierenden Gebrauch dieser funktionalen Analogie (vgl. 2.1) noch vorkritisch und gleichnishaft. Die von Matala de Mazza festgestellte funktionale Äquivalenz von Geldkreislauf und Blutkreislauf in der physiologischen Geldtheorie Müllers (auf welche dieser aber kein copyright beanspruchen kann) war damit leicht auf die sprachliche Zirkulation geistiger Energien übertragbar, Herder hatte dies mit dem Phantasma des Nationalgeistes und der verkörperten Sprache im Prinzip schon vorweggenommen.204 »Dem lebendigen Wort habe ich die Ehre und den Vorrang gegeben, wie es die Natur will  : ich habe Deutschland gegenüber einen besonders grossen Nachdruck auf diese erhabene Materie gelegt, nicht bloss weil unsre Nation abgefallen ist vom lebendigen Wort, […] sondern […] weil Deutschland vor allen andern zeigen könnte die Macht und die unendliche Beweglichkeit des Wortes  !« (WES, 198/199  : Müller)205 202 Und übrigens auch in Fichtes Der geschlossne Handelsstaat (1800), der bei Hofmannsthal aber ebenfalls zugunsten anderer Texte zurückstehen muss. Die folgenden Belegstellen Müllers stammen ebenfalls nicht aus dem von Hofmannsthal abgedruckten Ausschnitt der Reden über die Beredsamkeit, stehen mit diesem aber in engem Zusammenhang. Vgl. hierzu Matala de Mazzas grundlegende Darstellung von Müllers organischem Gemeinschaftsdenken in Der verfaßte Körper (op cit). 203 Zit.n. Matala de Mazza, Verfaßter Körper  ; op cit, 333–335. Vgl auch fortfolgende Ausführungen dort. 204 Die Auswahl stellt hier aber weniger auf diesen körperhaften Zug ab (vgl. aber »schlafender Riese« WES, 97  : Herder). Stärker betont ist hingegen die Darstellung der Rolle Luthers – und die von Moses, der, »mehr Gesetzgeber als Dichter« (DL 1, 71  : Herder), mittels einer Liedersammlung mit Gesetzeskraft zum »Stifter der Nation« wurde  : »dadurch machte oder wollte er ein barbarisches Volk, wenigstens einem Teil nach und in Grundgesetzen der Verfassung, zu einem literaten Volk machen.« (DL 1, 70  : Herder). Herders eigene anthologische Tätigkeit scheint hier durch  ; die Beschreibung des gealterten Moses lässt übrigens an Goethes Faust kurz vor seinem Ende denken. Zu Herders Sprachphysiologie vgl. Michael Gamper  : ,Masse lesen, Masse schreiben. Eine Diskurs- und Imaginationsgeschichte der Menschenmenge 1765–1930  ; München 2007. 64 f. 205 Hofmannsthals Zustimmung zur (Wieder-)Aufwertung der Rhetorik hatte übrigens gerade kei-

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Dass Hofmannsthals Verständnis von Sprache hier Anleihen macht, ist schon aus dem vorherigen Kapitel (vgl. 2.2) zu ersehen  ; Hofmannsthal hatte das Defizit einer mittleren bzw. »politischen Sprache« in Deutschland ja gerade in Bezug auf Müller formuliert. Einbezogen in das organische Sprachdenken wurde zur selben Zeit auch der Bereich des schriftlich fixierten Rechts, also auch der Verfassung, deren verpflichtende Schriftlichkeit durchaus und immer wieder als Abfall »vom lebendigen Wort« – oder vom ›Leben‹ oder mit Schmitt  : vom Politischen – kritisiert wurde. Denn Organismus-Metaphern verwendeten auch (und gerade) die »germanistischen Juristen« und konnten sich dabei einer bis in die Antike zurückreichenden Tropologie des Staatskörpers bedienen.206 Savigny sah im Volksgeist die »Quelle allen Rechts«, und die Gefahr eines Identitätsverlusts des Ganzen durch eine Diskrepanz von Organismus und Verfassung war seit Hegel geläufig. Hegel ist im Lesebuch mit seiner Berliner Antrittsvorlesung präsent, die etwa einen »Glauben an die Vernunft« postuliert, zu Verfassungsfragen jedoch (wohl taktisch) schweigt.207 Der von Savigny aufgenommene Text erweist sich hingegen als ergiebig  : »Sprache, Sitte, Verfassung« seien »in der Natur [eines Volkes] untrennbar verbunden«.208

nen kriegerischen Sinn  : »Dagegen die Macht des gedruckten Wortes über die Deutschen. Eine Pressevorbereitung von vier Wochen würde sie in einen neuen Krieg führen.« (RA III, 593  ; Aufzeichnungen [1928]). 206 Vgl. Albrecht Koschorke [et al.]  : Der fiktive Staat. Konstruktionen des politischen Körpers in der Geschichte Europas  ; Frankfurt/Main 2007. 356 ff. Auf die Homologien von sprachlicher und rechtlicher Metaphorik weist auch Köller hin  : »Deshalb haben schon die römischen Juristen die These entwickelt, dass ein perfekt durchstrukturiertes Recht zur Ungerechtigkeit führen könne, weil es dem unvorhergesehenen Einzelfall nicht mehr gerecht werde (summum ius, summa iniuria). Ähnliches gilt sicherlich auch für die allgemeine pragmatische Funktionalität einer durchstrukturierten Sprache.« (Köller, Metaphorische Alternativen  ; op cit, 289) – das ist nicht gerade als Plädoyer für den Positivismus zu lesen. Für diesen steht linguistisch de Saussure ein, welchen Köller hier auch namentlich erwähnt  ; ihm wäre im juristischen Bereich Kelsen an die Seite zu stellen. Ihre Gegenspieler (einer metaphorischen Alternative) hießen folglich  : Vossler und Schmitt. Sie werden anschließend zu Wort kommen. 207 DL I, 206  : Hegel. Jedenfalls in dem von Hofmannsthal ausgewählten Ausschnitt. Dafür fällt Hegels Bewertung der Napoleonischen Kriege als »jener grosse Kampf des Volkes im Verein mit seinen Fürsten um Selbstständigkeit, um Vernichtung fremder gemütloser Tyrannei« auf (ebd., 201) – ein (vor seinen Potentaten erwähntes) Volk mit verschiedenen Fürsten. Eine weitere, für Hofmannsthal bedeutsame Formulierung lautet  : »[…] aber das Reich des Geistes ist das Reich der Freiheit.« (ebd., 205/206). 208 Savigny  : Entstehung des positiven Rechts  ; in  : DL I. 266–274  : 266. Die folgenden Zitate finden sich ebd., 267–269.

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»Allein jene geistigen Funktionen bedürfen eines körperlichen Daseins, um festgehalten zu werden. Ein solcher Körper ist für die Sprache ihre stete, ununterbrochene Übung, für die Verfassung sind es die sichtbaren, öffentlichen Gewalten […]«»[…] dieser organische Zusammenhang des Rechts mit dem Wesen und Charakter des Volkes bewährt sich auch im Fortgang der Zeiten, und auch hierin ist es der Sprache zu vergleichen. So wie für diese, gibt es auch für das Recht keinen Augenblick eines absoluten Stillstandes, es ist derselben Bewegung und Entwicklung unterworfen […] steht unter dem Gesetz innerer Notwendigkeit. Das Recht wächst also mit dem Volke fort, bildet sich aus mit diesem und stirbt endlich ab, so wie das Volk seine Eigentümlichkeit verliert.« (DL I, 267–269  ; Savigny)

Das dieser Entwicklung zugrundeliegende Prinzip nennt Savigny das der »innere[n] Fortbildung«, zu der sich ein je epochales Rechtsbewusstsein geselle. Dieser Entwicklungsgedanke steht in tiefstem Widerspruch zum Ausdruck »toter Mechanism«,209 wie ihn der Freiherr vom Stein für den bürokratischen preußischen Staat vor den Reformen verwendete, und wie er auch bei Savigny in der Möglichkeit des Absterbens durch Verlust der »Eigentümlichkeit« (ein Synonym des »geistigen Besitzes«) intendiert scheint. »Volksvertretung halte ich für wichtig zur Entwickelung der moralischen und intellektuellen Kräfte der Nation  ; eine Konstitution ist wünschenswert, aber nur keine importierte, doktrinäre oder nachgeahmte, sondern eine aus dem Geschichtlichen, Eigentümlichen des Volkes genommene, die Zeit und Erfahrung zur Vollkommenheit bringt.« »Soll eine Verfassung gebildet werden, so muss sie geschichtlich sein, wir müssen sie nicht erfinden, wir müssen sie erneuern […]« (DL I, 252 und 249  : vom Stein).210

Hofmannsthal dürfte sich mit diesen Überlegungen durchaus identifiziert haben. Vor allem aber soll die Verfassung nicht Ausdruck eines technischen Denkens sein, sondern dem (eigentümlichen) »politischen Prinzip« folgen  ; was für 209 DL I, 248  : vom Stein. Lasalle übrigens sieht die Verfassung immer als Ausdruck der »in einem Lande bestehenden tatsächlichen Machtverhältnisse (DL II, 173  : Lasalle) – er hätte auch schreiben können  : Autoritas, non veritas facit legem. Wer also die Verfassung ändern möchte, muss mit der Verfassungswirklichkeit beginnen. Hofmannsthals Turm dramatisiert genau in diesem Sinn die Aporien der Legalität (des positiven Rechts). 210 In der beigegebenen Gedenktafel heißt es über vom Stein  : »Seine Synthesen waren oft zu kühn für die Gleichzeitiglebenden, und er erschien als ein Revolutionär, wo er ein Wahrer des echten Alten war, und als ein Reaktionär, wo er seiner Zeit vorauslief.« (zit. n. RA III, 117  ; Gedenktafeln). Dass sich Hofmannsthal in diesem Porträt auch selbst gespiegelt haben könnte, ist anzunehmen.

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Lasalle später nichts anderes bedeutete als »die Festschreibung der in einem Lande bestehenden tatsächlichen Machtverhältnisse.«211 Dieses politische Prinzip hat nun gerade Leopold von Ranke in seinem fiktiven Gespräch aufgegriffen. Im Politischen Gespräch (1836), das vielleicht noch besser ›Gespräch über Verfassungen‹ hieße, hat Ranke das Konzept der ›inneren Form‹ als Maßstab auf die Staatsverfassung übertragen, die infolgedessen auch als »innere Verfassung« bezeichnet wird. Der in Berlin lehrende Historiker war ein Freund Savignys, was dem Gespräch anzumerken ist. Ranke erhielt in Hofmannsthals Denken spätestens ab 1916 einige Bedeutung, der Vortrag Österreich im Spiegel seiner Dichtung zitiert den preußischen Historiker, der in jeder Epoche eine Gottesunmittelbarkeit wirksam sah.212 Hofmannsthal schätzte Ranke hoch ein, verglich ihn mit Dilthey und besaß neben der vom Großvater ererbten Gesamtausgabe der 1880er Jahre auch die achtbändige Weltgeschichte Rankes in der 5. Auflage von 1922. 1924 zählte er Rankes Werk unter die besten Bücher des Jahres.213 1924 war auch das Politische Gespräch mit einer Einleitung Friedrich Meineckes erschienen  ; Die Großen Mächte hatte Meinecke schon 1916 neu herausgegeben.214 Im 211 DL I, 270  : Savigny. DL II, 173  : Lasalle  : »Diese tatsächlichen Machtverhältnisse schreibt man auf ein Blatt Papier nieder, gibt ihnen schriftlichen Ausdruck, und wenn sie nun niedergeschrieben worden sind, so sind sie nicht nur tatsächliche Machtverhältnisse mehr, sondern jetzt sind sie auch zum Recht geworden, zu rechtlichen Einrichtungen, und wer dagegen angeht, wird bestraft  ! …« 212 »[…] und sehen als Postulat an  : die Spontaneität eines höheren Individuums  ; das, was für die Teile vorhanden ist, für die Kronländer […] Ein Zusammenhaltendes für dieses Ganze muß gedacht werden [»um seiner fließenden Grenzen willen.«].« Dieser finde sich in dem von Ranke geprägten »Auftrag von Gott«. »Aus diesem Auftrage von Gott, aus der Sendung, resultiert für ihn die moralische Energie als staatenbildende Kraft. Der bloße Machtstaat, der nur auf Geld und Soldaten beruht, hat ihm keine Lebensfähigkeit.« (RA II, 21  ; Österreich im Spiegel). Im neu erschienenen Band SW XXXVIII zu den Aufzeichnungen finden sich insbesondere ab dem Herbst 1924 viele Hinweise auf die Beschäftigung mit Ranke (vgl. ebd., z. B. 952). 213 RA III, 512  ; Aufzeichnungen (1924). Zu Dilthey vgl. BW Burckhardt, 291. In der noch von Ranke selbst autorisierten Gesamtausgabe (1868–1881) fehlen einige Bände, der Band 24 – enthaltend Die großen Mächte – weist allerdings zahlreiche Anstriche auf (5–39)  ; unklar ist jedoch, ob sie von Hugo von Hofmannsthal selbst stammen (vgl. SW XL, 556). Am 11. Januar 1925 schrieb Hofmannsthal jedenfalls Thomas Mann  : »Ich habe eine regelmäßige Lectüre  : ein mehrbändiges Werk von Ranke  ; daneben lese ich eine gewisse Gruppe von Shakespeares Dramen systematisch durch.« (zit. n. SW XIX, 423 Entstehung Phokas). Zur Relevanz von Rankes Weltgeschichte für den Phokasstoff vgl. ebd., 424 f. 214 Zum Schluss des Essays Die großen Mächte verglich Ranke die Staatenwelt mit den Literaturen, die sich nur qua Eigentümlichkeit zur Weltliteratur vereinigt hätten und dies auch erst nach Ende der französischen Hegemonie. »Auf das lebendigste und immerfort können sie sich be-

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Politischen Gespräch diskutieren zwei Studenten, Karl und Friedrich, in freisinniger Atmosphäre über das Problem der Verfassung und der Individualität von Staaten  : »Festsetzungen der Standesverhältnisse mögen allen Staaten notwendig sein. Aber sie sind nicht das ursprüngliche Leben, durch welches vielmehr alle Formen erst ihren Inhalt bekommen. Es gibt etwas, wodurch jeder Staat nicht eine Abteilung des Allgemeinen, sondern wodurch er Leben ist, Individuum, er selber.« (Friedrich, 54) »Dieses geheime Etwas, das den geringsten erfüllt wie den Vornehmsten – diese geistige Luft, die wir ein- und ausatmen –, geht aller Verfassung vorher, belebt und erfüllt alle ihre Formen.« (Friedrich, 57/58)215

Offensichtlich wird hier von einer bloß abgeleiteten, transzendierten Legalität ausgegangen. Es müsse sich folglich darum handeln, das innere Leben dieses (vor-)staatlichen (nationalen) Individuums zu verstehen, aus welchem die »Formen der menschlichen Gesellschaft« hervorgingen, um ein »[…] freiwilliges und vollkommenes Zusammenschließen aller Glieder  !«216 zu erreichen. Die Betonung des zeitlichen Bedarfs darin korrespondiert der oben zitierten Haltung vom Steins, dessen reformerischer Ansatz ebenfalls Entsprechung findet. Denn dies sei als geistiger Prozess zu fassen  : »Durch die geheime Wirksamkeit zusammenhaltender Ideen bilden sich allmählich die großen Gemeinschaften.« Von der Idee leitet Friedrich (man könnte wohl sagen  : Savigny) auch die Verschiedenheit in der Realität ab  : »Durch die Verschiedenheiten, welche hieraus entspringen, werden die Formen der Verfassung, die allerdings eine gemeinschaftliche Notwendigkeit haben, allenthalben anders modifiziert. Von der obersten Idee hängt alles ab.« (Friedrich, 60/61) Damit steht fest, rühren, ohne daß doch eine die andere übermeistere und in ihrem Wesen beeinträchtige.« »Eine Vermischung aller würde das Wesen einer jeden vernichten. Aus Sonderung und reiner Ausbildung wird die wahre Harmonie hervorgehen.« Leopold von Ranke  : Die großen Mächte. Politisches Gespräch  ; hg. v. T. Schieder  ; Göttingen 1955. 42/43. Hofmannsthal ist dem (im Turm) nicht gefolgt, was die Staaten anbetrifft – bzw. die Völker –, scheint Sigismund hingegen den Traum Kaiser Friedrichs des Zweiten (Barbarossas) von der Vermischung der Völker erneuern zu wollen. 215 Zitate nach  : Leopold von Ranke  : Die großen Mächte. Politisches Gespräch  ; op cit. Der Verfasser zog es vor, die Frakturschrift der achtbändigen Gesamtausgabe zu meiden. In Hofmannsthals Anthologien ist Ranke mit einem längeren Auszug zum Kardinal Richelieu vertreten (vgl. DL II, 114–125), der aber im hiesigen Kontext kaum ins Gewicht fällt. 216 Ranke, Politisches Gespräch  ; op cit, 54  : Friedrich.

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»daß in jedem unserer großen Staaten ein lebendiges, individuelles, ihnen inwohnendes Prinzip sei, von dem seine innere Gestaltung abhange […]« (Karl, 65).217

Die daraus abgeleitete Forderung dringt auf den Aspekt der Vergemeinschaftung durch innere Formung »In allen muß das geistige Selbst des Staates leben.«, also das, was oben schon mit dem Begriff »Seelenverfassung« zitiert wurde. 218 Und auch die letztliche Bestätigung der monarchischen Staatsform anhand persönlicher Repräsentation geht von dieser Setzung aus  : »Übrigens ist es etwas Großes, daß das allgemeine Interesse persönlich fixiert ist und sich in dem Selbstbewußtsein des Fürsten notwendig als seine eigne Sache darstellt.«219 In einen demokratietheoretischen Kontext der zwanziger Jahre gestellt, lässt sich dies als Position der liberalen Monarchisten mit Bedingungen lesen  : »Die Formen lassen sich verpflanzen  ; das aber, woher sie ihren Ursprung haben, nicht allein historische Grundlagen, sondern der Geist, welcher Vergangenheit und Gegenwart verbindet und der auch die Zukunft beleben muß, wie wollt ihr den kopieren  ? […] ihr müßtet euch seiner bemächtigen und ihn selbst eurer neuen Schöpfung einhauchen.«220 Dies ist ein klares Bekenntnis zu jener »Eigentümlichkeit«, die in den zwanziger Jahren immer wieder gegen eine Demokratie westlichen Stils ins Feld geführt wurde. Im Turm ist Julian die Figur, die sich an einem solchen »Einhauchen« – ebenfalls ein gängiges Motiv in der von Hofmannsthal zusammengestellten Literatur – versucht (an Sigismund und der revolutionären Masse gleichermaßen).221 In all dem, der Setzung von Reform statt Revolution, von Dauer an Stelle des Bruchs, der Kontinuität des Tradierten in Vermittlung mit dem Zeitgemäßen – der Volksvertretung – hat sich der ›Herzensmonarchist‹ Hofmannsthal sicher wiedererkennen können. Hierbei ist an die eingangs zitierte 217 Zitat zuvor im Text  : Ranke, Politisches Gespräch  ; op cit, 60. An dieser Stelle ist ein indirekter Verweis auf Goethes Konzept der inneren Form zu bemerken, denn Karl wird ironisch als ›Eckermann‹ seines Freundes Friedrich bezeichnet. 218 In der Tat  : »Nation ist hier gerade nicht ›lebendige Volksgemeinschaft‹, sondern antizipierte ›Gemeinschaft der Geister‹, sie wird zu einer inneren Haltung.« (Gretz, Deutsche Bewegung  ; op cit, 20). Bei Gretz bleibt allerdings das Konstrukt der »inneren Form« in seiner Bedeutung für den morphologischen Kern der »deutschen Bewegung« völlig unterbelichtet. Seine Funktion als Scharnier zwischen politischen und ästhetischen Diskursen war hier aufzuzeigen. 219 Ranke  : Politisches Gespräch  ; op cit, 70, 71  : Friedrich (jew.). 220 Ranke  : Politisches Gespräch  ; op cit, 53  : Friedrich. 221 Ganz deutlich zeichnet sich hier eine politische Dimension der Metaphorik des Hauchs hervor, die auf das Gespräch über Gedichte zurückverweist und an eine Übertragung der an Simmels Philosophie des Geldes orientierten Poetologie (vgl. 2.1) vom Leben auf das Politische denkbar erscheinen lässt.

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Feststellung Forsters zur Ursache der Französischen Revolution zu erinnern – das Veralten und darum notwendige Erneuern von Formen aus ihrem Ursprung heraus ist für Hofmannsthal zu diesem Zeitpunkt die zentrale Frage. »Was bedeutet dieses angstvolle Festhalten an den Formen  ? […] Die französische Revolution eine Folge von wechselnden Stilen und ihrer Wirkung. Dagegen die Macht des gedruckten Wortes über die Deutschen. Eine Pressevorbereitung von vier Wochen würde sie in einen neuen Krieg stürzen.«222 (RA III, 593 [1928]) »An einem Kunstwerke höherer Ordnung, ebenso wie beim organischen Gebilde, ist nicht die einzelne Form das Wunderbarste, sondern das Hervortreten einer Form aus der anderen.« (RA III, 299  ; Buch der Freunde)

In dem Prozess des Hervortretens ist die Forderung der juristischen Grammatiker nach Vermittlung mit dem Vorherigen eingelöst. Sie wird uns im Turm wiederbegegnen. Fraglich bleibt natürlich, was unter diesem Gebilde verstanden wird – die Einschätzung des Grades an ›Vernunftsrepublikanismus‹ bei Hofmannsthal hängt davon ab. Als »organisches Gebilde« kann hier durchaus auch das verstanden werden, was bei Gustav Landauer als organische Gemeinschaft aufgefasst wird  : der (anti-marxistische) Sozialismus. Auch Landauer hat die Nation als »Sprachverein« bezeichnet, deren »Sprachgeist« der neuzeitliche Staat nicht mit den ihm vorausgreifenden »Kulturgemeinschaften« habe vernichten können  ; der ›Volksgeist‹ hingegen müsse erst im Sozialismus, »in dem neu werdenden Organismus des Volkes« wiederauferstehen.223 Hofmannsthal, der Landauers Aufruf 1919 gelesen hat, schwebte als anzustrebende Form politischer Organisation wohl kaum der Sozialismus (selbst in dieser vergeistigt-anarchistischen Variante) vor, sondern eher eine Republik des Geistesadels. 224 Die Not222 Broch hat an dieser Stelle präzisiert  : »wo es Stil gibt, da waltet ein Ordnungs- und Auswahlprinzip in allen Formen des menschlichen Seins und Handelns, und jeder Stilwechsel ist auf eine Änderung in der Art des Auswählens und des Ordnungssetzens zurückzuführen.« (HuZ, 214). Der Stil-Begriff – der doch dem des metaphorisch verwendeten des ›Klimas‹ offensichtlich ähnelt – ist eine weitere Möglichkeit, epochale ästhetische Ordnungsregimes historisch zu beschreiben. Er ist dem der ›Form‹ sicher übergeordnet und damit Ausdruck des formenschaffenden »Etwas« oder Ursprungs in übergeordneter Dimension. 223 Gustav Landauer  : Aufruf zum Sozialismus  ; Revolutionsausgabe, Berlin 1919. 9–11, 18. 224 Vgl. 1.4.2. Das Deutsche Lesebuch ist darum mit Recht als »logopädisches Projekt« und »nationalpädagogisches Unternehmen« (Gretz, Deutsche Bewegung  ; op cit, 285 und 298) bezeichnet worden  ; allerdings – wer wollte bestreiten, dass die ›deutsche Nation‹ im frühen 20. Jahrhundert solches bitter nötig gehabt hat  ? »Nur so war es möglich, […] den Raum des Humanen zu vertei-

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wendigkeit einer sprachlichen Vermittlung politischer Prozesse des ›Volksgeistes‹ bzw. der inneren Form der Nation als kommunikative Interaktion aber eint die beiden (auch brieflichen) Gesprächspartner, ist sozusagen ihr tertium comparationis. Jeweils geht es allerdings darum, ein als lebendig Imaginiertes (Ganzes) in seiner Bewegung zu fassen – denn andernfalls gilt »Formen beleben, Formen töten«. Dieses ›formale‹ »Stirb und werde« ist darum von poetologischer Relevanz. Hofmannsthal, der sich schon früh als auf »Gleitendem« ruhenden Geist imaginierte, hat diese mortifizierende Dimension der Form durch ein morphologisches Prinzip vermeiden wollen  : »Ich verließ jede Form, bevor sie erstarrte«.225 Das Erstarren von Formen ist nur als Zurückbleiben und Absinken vor einem fließend gedachten Prozess des (gesellschaftlichen) Werdens (den »Metamorphosen des Politischen«) zu verstehen, und zwar mittels einer lebendigen, den Wandel übersetzenden Sprache, wie auch die Bemerkung zur Französischen Revolution belegt, die möglicherweise von Benjamins Aufsatz zur Aufgabe des Übersetzers beeinflusst ist.226 Wenn sich die gesellschaftliche Veränderung jedoch zu einem »Sturz des Daseins« beschleunigt, gerät die Verfassung als juristische Übersetzung des Politischen in Gefahr. Ein Staatsorganisationsprogramm ist nicht beliebig abzuwandeln und soll es ja auch nicht sein. Dem Verfassungsdenken der Weimarer Republik war allerdings ein Bedarf an Modulationsfähigkeit evident  ; dem kontingenten Geschehen gesellschaftlichen Wandels begegnete es mit einer an Liberalität kaum übertroffenen Reichsverfassung. Diese hatte den Wandel jener geistigen »inneren Form« (etwa Werte und Einstellungen) als eine äußere (forma formata) nachzuzeichnen – ohne Wesensdigen.« (Hans Steffen  : Schopenhauer, Nietzsche und die Dichtung Hofmannsthals  ; in  : Ders. (Hg.)  : Nietzsche. Werk und Wirkungen  ; Göttingen 1974. 65–90  : 85), ein Versuch, der bekanntlich misslang. Die Idee einer Garantie des sittlichen Charakters durch das Nationaltheater (vgl. DL I, 7  ; Lessing) ist jedoch nicht deshalb verwerflich, weil es im 20. Jahrhundert Thingspiele gab  ; und Schillers Konzept ästhetischer Erziehung durch das Schöne (DL I, 128  ; Schiller) nicht darum entwertet, weil es später schwarze Ordensburgen gab. Für solche ›Kontinuitäten‹ sind immer in erster Linie jene verantwortlich zu machen, die sich auf sie berufen und das in diesem Zusammenhang Begangene verschulden. Mit dem Humanismus zu brechen ist immer Konsequenz einer persönlichen Entscheidung (auch dort, wo diese in einem Wegsehen besteht). 225 RA III, 269  ; Buch der Freunde und RA III, 624  : Ad me ipsum [1927]. 226 Hofmannsthal besaß Baudelaires Tableaux parisiens mit dem berühmten Vorwort Benjamins von 1923 (vgl. SW XL  ; Baudelaire [= FDH 6330]). Übrigens hatte auch Vossler bemerkt  : »eine Nationalsprache ist ein Stil.« Dieser präge die in ihr entstehenden Kunstwerke mit inhärenter Notwendigkeit (Vossler, GKS, 155).

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kerngarantien. Es wurde eine Aufgabe der Verfassung daraus.227 Von der Notwendigkeit einer Synthese aus ›kristallinem Formstaat‹ und »demokratische[m] Brei« (  !) hat Julius Curtius, Beiträger zur Weimarer Reichsverfassung, später unter Stresemann Wirtschafts- und dann Außenminister, bereits 1913 gesprochen.228 In Österreich war spätestens nach dem Erlebnis des Niedergangs der deutschen Demokratie unter den ›Bundeskanzlern‹ Dollfuß und Schuschnigg die Situation eine andere.229 Ohne noch auf Othmar Spanns Ständestaatsdenken in Der wahre Staat (1922) eingehen zu können, dem in Österreich in den dreißiger Jahren eine bedeutende Rolle zufiel (eine Kenntnisnahme Hofmannsthals ist auch nicht belegt, im Gegensatz zu Spanns frühem Antisemitismus),230 sollte die genuin politische Valenz der Antinomie von Form und Verfließen deutlich geworden sein. Wenn Hofmannsthal schon in der Dichter und diese Zeit (1906) das Gedicht als »innerstes Gebilde der Zeit«, geprägt »von jedem Druck der Luft« bezeichnete, andererseits Ranke in seinem »Politischen Staat« vom Leben des Staates und seiner Reform spricht, liegt die Frage nach dessen rechtlichem Pendant nahe, das es erlauben würde, »sicher zu schweben im Sturz des Daseins«.231 Hofmanns227 In Legalität und Legitimität (1932) zählt Schmitt im Kapitel »Die drei außerordentlichen Gesetzgeber« gleich drei potentiell verfassungsändernde Instanzen auf  : Legale Diktatur der demokratischen Mehrheit (58 ff.), Souveräne Diktatur durch Plebiszit (62 ff.) und die Diktatur des Reichspräsidenten (70 ff.) per Notverordnung. (Ein solches Verfahren wählte übrigens auch Dollfuß in Österreich). Zwar sei all dies nicht im Sinn der Verfassung  : »Wenn eine Verfassung die Möglichkeiten von Verfassungsrevisionen vorsieht, so will sie damit nicht etwa eine legale Methode zur Beseitigung ihrer eigenen Legalität, noch weniger das legitime Mittel zur Zerstörung ihrer Legitimität liefern.« (LL, 61)  ; aber eben durchaus möglich. 228 Vgl. den Brief von Curtius an Goldschmidt vom 20. VII. 1913  ; abgedruckt bei Helmut Lange  : Julius Curtius (1877–1948). Aspekte einer Politikerbiographie  ; Universitätsdissertation, Kiel 1970. 299–308  : 303. Im Hinblick auf Bruno Taut hat sich Regine Prange mit Curtius beschäftigt  : R.P.: Kunstwollen und Bauwachsen. Zum Mimesiskonzept in Bruno Tauts Architekturphantasien  ; in  : Eggert (Hg., et al.), Faszination des Organischen  ; op cit, 103–143  : 136/137. Diesem Aufsatz verdankt sich der Hinweis auf Curtius. 229 Diese – hochspannenden – politischen Verwicklungen können hier nicht weiter verfolgt werden. Franz Werfel und Hermann Broch jedenfalls konnten sich mit dem »Austrofaschismus« arrangieren  ; vgl. übrigens auch die Haltung Karl Kraus’ in Die Fackel, Nr. 890–905, XXXVI. Jahrgang ( Juli 1934). 60 und v. a. 240 ff. 230 Das Archiv für die Geschichte der Soziologie in Österreich verzeichnet im Nachlass Spanns unter der Signatur 32/1.1, pag. 134 eine Postkarte Spanns an seine Frau von 1909, auf der er schreibt  : »Dem Hofmannsthal schick’ ich nichts, der scheint mir zu minderwertig für die Waren.« (Hintergrund war wohl ein eigener literarischer Text Spanns). 231 RA I, 81  ; Dichter und Zeit.

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thal hat ihn nach 1918 Wirklichkeit sehen werden. Eine dezidiert auf solche grundlegenden Stilprinzipien bezogene Engführung von politischen und ästhetischen Gebilden (also im sprachlichen, nicht ›sanguinischen Kontext‹) findet sich auch bei Gustav Landauer  : »Deutschtum ist Geist, ist verbindende Eigenschaft, ist Sprache. Wäre[n] wirklich der Sprachgeist und das Deutschtum die Grundlage des sogenannten deutschen Staates oder Reiches, dann müßten die Kriege dieses Staates zusammenhängen etwa mit dem Krieg, den Lessing gegen Corneille führte, und die inneren Einrichtungen des Deutschen Reiches hätten eine Verwandtschaft mit dem Rhythmus und dem Geist goethischen Gedichtes.« (Landauer  : Aufruf zum Sozialismus, 15)232

Für den politischen Diskurs der Weimarer Republik wurde die Autorität Goethes (gewissermaßen ihr Namenspatron) in nahezu inflationärem Maße für den politischen Diskurs bemüht, auch von Hofmannsthal.233 Wie angemerkt ›mündet‹ Hofmannsthals Formpoetik gewissermaßen in der synthetisch-lebendigen Gestalt, in welcher die Kulturnation ihr Subjekt findet – und deren größtes Individuum Hofmannsthal in Goethe sah. Diese Entwicklung ist im Folgenden stringenter zu entwickeln (vgl. 2.5). Betrachtungen zu Vosslers Metaphorik eines Kollektivkörpers der Sprache234 und zur ›Soziabilität‹ dieser Poetik durch die Repräsentativfunktionen der ›Gestalt‹ und des ›Raumes‹ sind dem vorangestellt. 232 Burckhardt teilte übrigens später mit, er habe in den zwanziger Jahren mit Hofmannsthal ein »Gespräch über Anarchismus« geführt (vgl. SW XIV Timon, 597). 233 Vgl. hierzu Michael Jaeger  : Goethe im Widerstreit des liberalen und des radikalen Denkens in der Weimarer Republik  ; in  : Goethe-Jahrbuch 116/1999. 112–128. Zu Max Webers Goethe-Rezeption im Säkularisierungskontext  : 115 f. Die »Todes- und Opferfaszination« der Avantgarden habe das »Fundament der Überlieferung« jedoch »zerstört« (ebd., 125). Zu einer solchen Feststellung kam auch der Zeitgenosse Hofmannsthal, wie seine späten Aufzeichnungen ergeben. Für Hofmannsthals Gestaltungen, zumal einer so politischen wie im Turm, wäre ein stilistischer Abgleich der dichterischen Sprache daher vielleicht sogar sinnvoll, denkt man etwa an Rangs Beitrag zu Goethes Seliger Sehnsucht in den Neuen Deutschen Beiträgen. 234 Vossler könnte übrigens auch für die Findung des Titels Wert und Ehre deutscher Sprache Pate gestanden haben  : »So hängt an der nationalen Sprache das nationale Gefühl und pendelt zwischen Liebe und Stolz. Die Wertschätzung, die wir der Sprache entgegenbringen, ist unser Nationalgefühl, und zwar unser ganzes, ungeschmälertes, ungeteiltes, allseitiges nationales Fühlen, aber zugespitzt auf die Sprache allein.« (GKS, 130). Schon die nationale Ehre gebiete Sprachpflege  : »Eine Forderung, die ohne politischen Druck, aber mit metaphysischer Wucht an unser geselliges Verhalten gestellt wird, nennt man Ehrenschuld. Ehrgefühl ist geistiger Selbsterhaltungstrieb.« (GKS, 136).

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Der literarische Leviathan und die innere Form der Nation

2.3.2 ›Gespräch über Sprache‹. Karl Vosslers physiologisches Sprachdenken »Es handelt sich nicht darum, uns in der Sprache, sondern die Sprache in uns auszuprägen.« (RA III, 309/ 647  ; Bibliographie [6. 12. 1925])

Karl Vosslers Darstellung des Verhältnisses von Sprache, Literatur und Leben ist der oben mit Hofmannsthals Perspektive dargestellten (konservativen) Tradition eines Denkens zuzurechnen, welches die Gesellschaft als Dualismus von innerer Form und deren organischer Ausprägung imaginiert. Der Begriff »Wechselwirkung« verweist zudem auf eine vielleicht nicht zufällige Nähe von Vosslers Auffassung der Sprache als konstitutivem Medium der Gesellschaft und deren Definition als Summe ihrer sozialen Wechselwirkungen seitens Simmel. Sprache, Sprechen und Gespräch wären hierbei eine Ebene solcher Interaktion und für Hofmannsthal die wichtigste, da sie potentiell alle anderen in sich fasst. Mit der Vorstellung einer »bewegliche[n] Mittlerin« zielte auch Vosslers Sprachsoziologie auf die interaktive Verbundenheit der Subjekte.235 Wie Simmel sieht Vossler hierbei metaphorische Vorgänge wirksam  : »Die entscheidende und führende innere Form der Beredsamkeit wie der Umgangssprache ist der Tropus. Es gibt in der Tat in keiner menschlichen Sprache einen Ausdruck des Wollens, Wünschens, Begehrens, Befehlens, der nicht übertragen wäre.« »Alle Wirkung, alles Glück des Redners liegt im Tertium comparationis seiner Wortbilder verankert.« (Vossler, Grenzen der Sprachsoziologie, op cit, 377/378)

In Geist und Kultur in der Sprache (1925), einer Aufsatzsammlung, die sich in Hofmannsthals Bibliothek erhalten hat,236 widmet sich Vossler einem für Hof235 Karl Vossler, Gesammelte Aufsätze zur Sprachphilosophie [GAS]  ; München 1923. 156. (Kapitel  : »Der Einzelne und die Sprache«). Vgl. Ausführungen zu Simmel unter 2.1 und Simmels Beschreibung des Vergesellschaftungsprozesses, erstmals in Das Problem der Sociologie (1894)  ; später in der Einleitung zur Soziologie (1908/1922). 236 Vgl. FDH 5692 – allerdings ohne Anstriche. Das spricht für Exzerpte, da Hofmannsthal den Band in jedem Fall stark rezipiert hat, wie noch durch weitere Hinweise zu verdeutlichen sein wird. Ein Hinweis auf die Lektüre eines 1925 erschienenen Buches von Vossler findet sich zudem im Briefwechsel mit Wiegand (vgl. BW Wiegand, 161). Dabei kann es sich nur um Geist und Kultur in der Sprache handeln, dessen Rezeption sich auch an Hofmannsthals Reisebeschreibung Das Gespräch in Saleh (1925) nachweisen lassen dürfte. Hofmannsthal könnte überdies den Vorträgen Vosslers auch selbst beigewohnt haben, die zum Teil etliche Jahre vor der Publikation gehalten wurden.

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mannsthal eminent wichtigen Thema  : der Frage der Authentizität der Sprache, welche er durch einen Dualismus von innerer und äußerer Form verbürgt sah  ; und dieser authentischen Sprache als dem genuinen Medium einer inneren Form, welcher die Nation emaniere. »Die innere Sprachform ist die unübersetzbare, die aufrichtige und jeweils Einzige.« Sie sei damit nichts anderes »als das durch die Sprache hin sich auswirkende seelische Meinen« – habe also die Gesinnung, das Weltbild zum Gehalt  : die »Seelenverfassung« der Zeit. Die innere Sprachform sei seelisch und geistig zugleich.237 Auch die »wahre Lebensform einer Nationalsprache« sei »zentripetal und innerlich, nicht ausfällig«, zudem sei »eine Nationalsprache […] ein Stil«.238 Dieser präge die in ihr entstehenden Kunstwerke mit inhärenter Notwendigkeit. Auch Vossler nimmt gewisse Distanz zur schriftlichen Überlieferung, denn er setzt auf das Prinzip der mündlichen Überlieferung einer gelebten Sprache  : »In jeder Sprache wirkt ein symmetrisches Prinzip, kraft dessen sie den Störungen und Zerstörungen, die aus der Sinnenwelt drohen, Trotz bietet und eine formale Rüstung anlegt, unter deren elastischem Druck ihre zartesten Laute und Klanggebilde sich so gut und rein erhalten […]«, dass auch viel spätere Generationen sie noch rezipieren könnten. Das Schrifttum erlangt aber seine Bedeutung gerade in der Wechselwirkung  : »Daher sind die Übergänge von der volkstümlichen zur literarischen Dichtung und von dieser zu jener von ähnlicher Flüssigkeit, Lebendigkeit und Häufigkeit, wie die zwischen Umgangssprache und Schriftsprache.«239 Dennoch würde die Sprache in der »Volkspoesie« gewissermaßen sich selber dichten  ; durch eine Kollektiv-Autopoiesis sei zugleich die »Volkspoesie […] der Ort, wo die Sprache zur Dichtung wird und sozusagen sich selbst verdichtet«.240 Hier zeichnet sich ab, was Vosslers »Neuidealismus« voraussetzt – ein nebulös wirksames geistiges Zentrum (formata formans), das sich jedoch trotz seiner modernen, wissenschaftssprachlichen Apologie als recht unmittelbare Filiation dessen erweist, was Herder zum Verhältnis von Sprache und Nationalgeist als Kollektivorganismus Ende des 18. Jahrhunderts in Umlauf

237 Vgl. GKS, 242. Zitat zuvor  : GKS, 203. Vgl. hierzu übrigens auch Cassirer  : »[…] um so deutlicher zeigt sich andererseits, daß eben diese Individualität der ›inneren Sprachform‹ nicht nur in einer bestimmten Richtung des Gefühls und der Phantasie, sondern in einer eigentümlichen gedanklichen Gesetzlichkeit gegründet ist. Als Lehre vom ›Denken überhaupt‹ kann die Logik nicht umhin, auch dieser Gesetzlichkeit des sprachlichen Denkens näher zu treten […]« (Cassirer, Begriffsform im mythischen Denken  ; op cit, 6). 238 GKS, 154/155. 239 Jew. GKS, 157/158. 240 GKS, 156.

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gesetzt hatte.241 Bei Vossler, der natürlich die weitere Genese dieser Idee sehr gut kannte, tritt die moderne Unterscheidung von innerer und äußerer Form einer solchen ›Mythopoiesis‹ hinzu, welche im poietischen Akt ein »sprachliches Gemeinwesen« ins Leben rufe  : »Erst dort, wo Gesinnung und Geschmack sich wechselseitig binden, ist die Sprache in ihrem Element und bei sich selbst. Die innere Sprachform ist der Tempel, in welchem jede äußere Sprachgemeinschaft sanktioniert wird. Ohne diesen Segen käme niemals und nirgends ein sprachliches Gemeinwesen zustande. Ein geheimnisvoller Vorgang, der aber glücklicherweise sichtbar und äußerlich gemacht werden kann  : nämlich in der rednerischen Figur der Emphase.« »Mittels der Emphase wird die innerste Sprachform an die Oberfläche gehoben […]« (Vossler, GKS, 209)

›Geschmack‹ ist wohl nicht synonym mit ›Stil‹ zu gebrauchen, aber auf jeden Fall sind hier formale Aspekte gemeint, während ›Gesinnung‹ die Bedeutung der Sprache für die »Seelenverfassung« eines Volkes als Sprachgemeinschaft bezeichnet. Der emphatisch begabte Redner, so kann man folgern, besitzt Zugang zu diesem Tempel. Die Emphase bezieht Vossler auf die Vorstellung einer Sprachmagie. »Was man gemeinhin rednerische Emphase nennt, ist ein abgeblaßter Nachklang oder Widerschein von sprachlichem Zauber- und Beschwörungswesen […].«242 Schauerlichste Verwünschungen, Götzenanbetungen, Dämonenherbeirufungen seien quasi ihr lebendiger Ursprung. Dass sich diese Sichtweise nicht unbedingt mit Versuchen einer Sprachrationalisierung verträgt, ist evident. Diese greift Vossler denn auch an  : »Wer die Sprachen lediglich in ihren äußeren Formen, grammatischen Strukturen und sozialen Systemen studiert und etwa wie Saussure die langue vom langage abtrennt und die abstrakte langue aus sich selbst zu erklären hofft […]«, schneide die »innersprachliche Atmosphäre«, das Formen hervortreibende lebendige Innere der Sprache weg (wie der vom Geld gestiftete Verkehr den Menschen). Die äußere Form sei aber als »Körper« der inneren Form zu betrachten, die ohne diesen nicht erkennbar wäre.243 Mit Blick auf die zuvor zitierte Sprachgemeinschaft ist in 241 Vgl. hierzu die konzentrierte Darstellung Jochen Schmidts  : Geschichte des Genie-Gedankens  ; op cit, 120 ff.: 139. 242 GKS, 212/213  ; zuvor  : ebd., 207/208. 243 GKS, 216  ; GKS, 217  ; GKS, 229. Zum Vergleich mit den Wirkungen des Geldes vgl. PG, 404. Die anti-positivistische Einstellung hinter diesen Ausführungen wird noch deutlicher, wenn man für »Sprachen« »das Politische« einfügt – ›Wer das Politische lediglich in seinen äußeren Formen,

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diesen Setzungen ein Ableitungsverhältnis erkennbar.244 Hofmannsthal sah hier, nicht überraschend, »die Dichter« in der Verantwortung  : »Ruf nach Geistiger Autorität aus dem Volk aufsteigend« heißt es schon in seinen skandinavischen Aufzeichnungen.245 Auch bei Vossler wird nun die synthetische Macht der Dichtung (als höherer Magie) für dieses Ableitungsverhältnis von innerer und äußerer Form essentiell  : »In der Dichtung kommt das Verhältnis von äußerer und innerer Sprachform zur endgültigen Klarheit […]«. Ohne die »Identifikation von äußerer und innerer Sprachform, wie sie in der Dichtung verwirklicht wird, […] müßte der Sprachbegriff schließlich bersten« – darin aber finde er Halt, »Einheit und Geschlossenheit«.246 Man könnte hier also analog zur Figur des Rechtspflegers den Dichter als ›Sprachpfleger‹ – oder eben Arzt, Schamanen – verstehen, wo die Sprache in der »Volkspoesie« (also per »Volksmund«) sich nicht selbst dichte. Wie zahlreiche Beiträge in Hofmannsthals Sprach-Anthologie (bei welcher Vossler Hofmannsthal beriet) betont auch Vossler die Bedeutung eines lebendigen Umgangs mit der Sprache, die auf diese Weise bei ihm ein – der Logik der Körper- bzw. hier architektonischen Metaphorik entsprechend stark hierarchisch geprägtes – Allmende-Gut darstellt  :247

normativ gefügten Strukturen und institutionellen Systemen studiert (…) geht eben am Kern des Begriffs, der extra-konstitutionell ist, und damit an der Wirklichkeit vorbei.‹ Wer sich nur auf die Legalität stützt, und diese systematisch an die Stelle der Legitimität zu setzen sucht, verfällt den Aporien des liberalen Verfassungsdenkens. Das ist eine der geläufigsten Thesen Carl Schmitts, der v. a. die Politische Theologie verpflichtet ist. 244 Sprache fungiert damit als Ausdruck der Individualität eines Kollektivs und organisch-äußerlichen Erscheinung von dessen ›Geist‹ (vgl. etwa WES, 156/159  : Humboldt). Die körperhafte Dimension des Mediums Sprache wird für die Dramenanalyse einige Bedeutung erhalten  ; gerade für das, was man am Ende der Bühnenfassung als lediglich »äußeren« Zugriff Oliviers auf Sigismund zu verstehen hat (»[…] denn wir haben nichts, Dich zu fassen, als den Leib.«  ; Olivier, V. Akt). 245 SW XXXIV Reden und Aufsätze III, 1195  ; Skandinavien. 246 Zuvor  : GKS, 241  ; GKS, 260. Politisch gelesen bedeutet diese Setzung  : charismatische Herrschaft durch den emphatisch begabten Dichter, der das (anarchische) Bersten der Sprache verhindert. »Ja, gerade in den Zuständen ihrer jeweiligen Befangenheit und Zerrissenheit gibt die einheitliche Gemeinsamkeit des Formwillens auf beiden Seiten sich deutlicher zu erkennen, als dort, wo sie eigentlich erreicht und verwirklicht ist  : in den Zuständen der Vollendung. Denn eine Nationalsprache endet sich in der straffen und allgemeinen Gültigkeit ihres grammatischen Gebrauches, eine Dichtung dagegen in der persönlichen Eigenart ihres Schöpfers. Dort tritt ein kollektives System, hier eine individuelle Gestalt uns als das erreichte Ziel entgegen.« Beide seien jedoch Resultate desselben Strebens. (GKS, 161/162  ; [Hervorhebung A.M.]). 247 Vgl. Koschorke et al., Der fiktive Staat  ; op cit, 55 ff.

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»So gleicht die Sprache einem gemeinsamen Bauunternehmen, an dem Dichter und Banausen als Könige und Kärrner derart zusammenwirken, daß keiner des anderen entraten kann  ; […] Doch ist die ausgearbeitete, in ihrer selbstgenügsamen Herrlichkeit auftretende Dichtung der festliche Sonderfall, wo die Phantasie nicht nur als sprachliches Element und Medium, sondern außerdem als Gestalt sich zu Geltung bringt und ihre innerste Sprachform nach außen kehrt.« (GKS, 248 [Hervorh. A.M.])

Damit ist die vollkommene Umsetzung der inneren Formgesetze in die äußere Erscheinung der Gestalt (als dem sichtbaren Schwellenpunkt dieser Übertragung) durch den Dichter, der den »festlichen Sonderfall«  : das »zu Feiernde« (Hölderlin) schafft, erreicht. Solche Identität ist nur in der ›Wirklichkeit der Dichtung‹ möglich, zeitigt als Ideal aber möglicherweise auch Wirkungen auf politischem Feld (Heideggers apodiktische Formel »Darstellung ist Herstellung«248 wäre hier ein Stichwort). Wenn eine »vollendete Dichtung« »das wesentliche Element der Sprache ans Licht« bringt,249 welches man als »Phantasie« aber nicht auf den Einzelnen beschränken kann, dann ist hier jedenfalls wiederum ein kollektiver Vorstellungshorizont gemeint. Dass dessen »Wechselwirkungen« – nicht nur mit der sprachlichen, sondern eben auch der (fiktiven) politischen Form – im Turm darzustellen Hofmannsthals Vorhaben gewesen ist, wird noch in den Interpretationskapiteln zu zeigen sein.

248 Vgl. Martin Heidegger  : Kant und das Problem der Metaphysik  ; Frankfurt/Main 1951. 130 [1929]. 249 GKS, 249. Die Sprachwissenschaft finde entsprechend in der »ästhetischen Kritik« ihre Vollendung (ebd.). Deutlicher noch wird die Propension zum Charismatischen mit einem Zitat Friedrich Wolters’ aus dem Jahrbuch für die geistige Bewegung  : »Da die immer erneute schöpfung der welt, das lebendigwerden des geistes also in seinem sinnhaften sichtbar-sein, in seinem leib-sein als gestalt geschieht, so ist das anschaun einer welt erst möglich, wenn ein besonderer menschlicher geist es als Gestalt verkörpert  : nicht anschauung, nicht form ist zuerst gegeben sondern eine welt, ein geistiges leben als Gestalt durch Gestalt in einem Schaffenden Menschen. In ihm ist die der göttlichen fuge ähnlichste bildhaft und wirkend, ja in ihm offenbart sich dem einzigen auge der welt erst durch ebenbildung das auf gleiche weise sich verhaltende göttliche.« (Jahrbuch für die geistige Bewegung II [1911], hg. v. F. Gundolf u. F. Wolters  ; Berlin 1911 [Verlag der Blätter für die Kunst]. 146  : Wolters).

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2.3.3 Politische Physiognomik. Gesicht und Gestalt »Die ächt poëtische Sprache soll aber organisch lebendig seyn.« (Novalis  : Vermischte Bemerkungen, Blüthenstaub. Nr. 70) 250 »Jenes innerste Reinste in der tiefsten Innigkeit zu findende ist die Form  : Gestalt.« (SW XXXVIII Aufzeichnungen, 912 [1923])

Das repräsentative Moment des Gestalt-Begriffes muss zunächst auf Grundlage von Hofmannsthals Individualitätsvorstellungen entwickelt werden, bevor die Ebene eines Sprach-Körpers (als Analogon des politischen Körpers) in den Blick kommen kann. Die zeitgenössische Physiognomik, eine Disziplin mit starker Tendenz zur Pseudo-Wissenschaftlichkeit, ist für Hofmannsthal weder auf das Gesicht noch auf die Gestalt beschränkt – so können Landschaften ein Gesicht haben,251 Zeitalter und ganze Gesellschaften ebenso. Eine Orientierung an Rudolf Kassner Zahl und Gesicht (1919) lag hierbei nahe  ;252 weniger bekannt sind seine Lektüren von Berdjajew253 und im Rahmen der Bühnenfassung des Turm v. a. René Fülöp-Millers. Bei seinen physiognomischen Studien ging es Hofmannsthal darum, das rätselhafte Gesicht seiner Epoche – und das heißt zugleich ihrer Sprache – lesbar zu machen – an der Gestalt des »Schrifttums«.254 Individu250 Friedrich von Hardenberg (Novalis)  : Werke. Bd. 2  : Das philosophisch-theoretische Werk  ; hg. v. H.J. Mähl  ; München 1978. 225. 251 Vgl. Friedmar Apel  : Suchbilder  ; op cit, 228–249. 252 Elsbeth Dangel-Pelloquin hat bereits auf die Bedeutung für Hofmannsthals Schreiben hingewiesen  : »Hofmannsthals Texte, die prosaischen wie die dramatischen, sind überflutet von Gesichtern.« (E. Dangel-Pelloquin  : »Ah, Das Gesicht  !« Physiognomische Evidenz bei Hofmannsthal  ; in  : Pfotenhauer/Riedel/ Schneider (Hg.)  : Poetik der Evidenz  ; op cit, 51–66  : 58). Auch die metaphorische (bzw. allegorische) Dimension ist mit der »Bildgestalt« der Gesichter erwähnt  ; »Gesichter bei Hofmannsthal sind dramatische Orte, an denen sich Verwandlungen abspielen, Figurationen eines Umschwungs, einer Spannung, eines Kontrasts.« (ebd.) Das Beispiel aus dem Turm (Szene Julian-Arzt im ersten Aufzug/Akt) ist stimmig. 253 Zu Kassner, Berdjajew, Max Picard (einem Schüler Kassners) und weiteren Autoren (z. B. Klages) vgl. den Aufsatz Martin Blankenburgs  : Der Seele auf den Leib gerückt. Die Physiognomik im Streit der Fakultäten  ; in  : Gesichter der Weimarer Republik  ; op cit, 280–301. Vgl. hierzu auch Claudia Öhlschläger  : »Antlitz der Zeit«. Zur soziologisch-politischen Dimension des Physiognomischen in der Ära der Neuen Sachlichkeit  ; in  : Hebekus/Stöckmann (Hg.)  : Souveränität der Literatur  ; op cit, 239–258. 254 Nochmals sei darum aus Benjamins Brief an Hofmannsthal zitiert. »Die Aktualität als den Revers des Ewigen in der Geschichte zu erfassen und von dieser verdeckten Seite der Medaille den

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alität erscheint hiervor als infrage gestellte Kategorie  ; das Individuum wird durch die Einbindung ins Pluriversum der Wechselwirkungen – die »Welt der Bezüge«, die der Dichter schaffen soll – nach dem oben anhand der Analogie zum Pekuniären entwickelten Schema zugleich enteignet und bereichert (vgl. 2.1). »Das Individuum kann nur scheinhaft dort bestehen bleiben, wo ein Kompromiß zwischen dem Gemeinen und dem Individuellen geschlossen wird.« (RA III, 461  ; Aufzeichnungen  ; Elektra [1905]) »Das Individuum ist unaussprechlich.255 Was sich ausspricht, geht schon ins Allgemeine über, ist nicht mehr im strengen Sinne individuell. Sprache und Individuum heben sich gegenseitig auf.« (RA III, 560  ; Aufzeichnungen [1921]) »In seinem Sprechen repräsentiert sich der Einzelne, in der ganzen Sprache repräsentiert sich die Gesamtheit.« (RA III, 129  ; WES [1927]) »Selbstheit von der Sprache annulliert – am Schönsten wo Selbstheit mit der Sprache tiefer zusammenklingt  : das Individuum kommt dann über sich hinaus.« (SW XXXVI, 691  ; WES-Notizen)

Deutlich wird anhand dieser Aufzeichnungen, dass Hofmannsthal Repräsentation als Schein nicht nur für den König (Simmels Zentralgestalt sozialer Wechselwirkungen) reservierte,256 sondern – kritisch – auch als »zweiten Körper« des Bürgers (für den Einzelnen) auffasste  ; und zwar, wie oben vermutet, als sprachlichen. Dessen Individualität bleibe zugunsten des Gemeinwesens in der Regel auf der Strecke (das Opfer auf dem Weg zum Sozialen), denn das Subjekt ist auch im Falle eines innigen Verhältnisses zur Sprache nur bedingt zur Selbst-Mitteilung (und damit zur Mündigkeit) befähigt.257 »Das Ich-Erlebnis, öffentlich sprechen […] der Parteiangehörige, der Standesvertreter kann eigentlich allein öffentlich sprechen  : das Individuum nicht. Es verflüchtigt sich dann  : denn es muß mit jedem Abdruck zu nehmen« (Benjamin, GB III, 331) ist hinsichtlich des Politischen der Auftrag an die geistige Souveränität der Literatur. 255 Das ist übrigens ein Zitat Diltheys  : »individuum est ineffabile«.Wilhelm Dilthey  : Die geistige Welt. Einleitung in die Philosophie des Lebens  ; in  : Ders.: Gesammelte Schriften. Bd. V  ; hg. v. G. Misch  ; Stuttgart, Göttingen 19613. 29. 256 Vgl. Simmel  : PG, 210 f. »Königtum. Man kann Königtum, wie alles, zweifach anschauen  : real und symbolisch. Die menschlichen Bezüge sind Ausgeburten der mythengebärenden Phantasie.« (RA III, 460  ; Aufzeichnungen [1905]). 257 »Der Weg zum Leben und zu den Menschen«, »zum höheren Selbst«, vollzieht sich »durchs Opfer« (RA III, 602  ; Ad me ipsum), wie Hofmannsthal in späten Notizen festhält. Es sei die »Allegorie des Sozialen« (ebd., 603). Ob dieses Opfer auch grundsätzlich die eigene politische Partizipation betreffen sollte (ablehnende Notizen von 1917 zum contrat social werden diesbezüglich immer wieder erwähnt), ist nachfolgend zu klären.

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separat Verträge schließen.«258 Dies sah er zumindest teilweise auch als Defizit der Sprache (die seit dem Chandos-Brief bemängelte Ausdrucksfähigkeit) an – eine Aporie allgemeiner Autorschaft, die sich auch gegen den Gedanken eines Gesellschaftsvertrages richtet. Darum betonte Hofmannsthal auch den Bedarf einer »mittleren Sprache« für das gesellige Zusammenleben der Nation, also zwischen Alltagssprache und Dichtung (gewissermaßen am Ort von deren Wechselwirkung). Deren Funktion war es, eine ›Mündigkeit‹ quasi bereitzuhalten, in der sich die »Volksglieder« zusammenfinden könnten, damit – indem sie eine Repräsentation überhaupt erst ermögliche – dem Einzelnen wie der Nation ein »Gesicht« erwachsen könne  : »Eine Sprache, die mein eigenes Angesicht wird, meine eigenen Gefühle und Gedanken zeigt […].«259 Dass er dieses Repräsentationsverhältnis als wandelbares und wechselseitiges imaginierte (auch zwischen Einzelnem und Nation), geht aus dem oben zitierten »Kompromiß« hervor. Die »Metamorphose geistiger Formen« als Wandlungen der Physiognomie dergestalt zu beobachten, zu interpretieren, auch zu initiieren, ist der erwähnte Selbst-Auftrag des Autors. Die Formen zu verlassen, bevor sie erstarren,260 wird darum zum Programm desjenigen, der diese Entwicklung mit dem Vorherigen vermittelnd begleitet. Dichterische (geistige) Souveränität weist sich folglich im Vollzug des Wandels jener mystischen »inneren Form« der Nation aus, mit der die Idee des Politischen als kollektiv Imaginäres wieder im Raum steht und der politischen Anpassung bestehender äußerer Formen damit sozusagen metaphysisch vorgreift – in etwa wie Böckenförde es auch für das dem Verfassungsstaat konstitutive Sitten-Fundament beschrieben hat, auf welches dieser selbst keinen Einfluss nehmen kann.261 Eine solche Vermittlung kontingenten Geschehens im Dialog mit dem kulturgeschichtlichen, nicht bloß nationalen Vormals suchte Hofmannsthal in der 258 Die Notiz endet fast als Reminiszenz an Simmels Logik des Pekuniären (vgl. 2.1)  : »Mein völliges Verlieren meines Selbst bei einer Messe.« (RA III, 447  ; Aufzeichnungen [1903]). 259 Vossler  : GKS, 149. Zuvor  : RA III, 129  : WES. Auf die Lektüre Vosslers verweist evtl. die oben zitierte Notiz Hofmannsthals, der Einzelne müsse die Sprache in sich ausprägen, nicht sich selbst in der Sprache (vgl. RA III, 309/647  ; Bibliographie. [6. 12. 1925]). 260 RA I, 453  : Dilthey  ; vgl. auch  : »Das Leben ist ein Kampf zwischen der puren Vitalität und den Formen. Das meinte Goethe, als er sagte, daß den Formen, allen, auch den höchsten, etwas Erstarrendes, Todbringendes innewohne. Wir sind immer in Gefahr, das Leben an die Institutionen zu verlieren, an die Abstraktionen, an die Worte (auch sie sind Formen).« (RA III, 231  : Felix Salten zum sechzigsten Geburtstag [1929  ; Hervorh. A.M.]) 261 Ernst-Wolfgang Böckenförde  : Staat und Gesellschaft  ; in  : Staatslexikon, hg. v. d. Görres-Gesellschaft, Bd. 5  ; Freiburg 19897. Sp. 228–235. Und E.-W. Böckenförde  : Gesetz und gesetzgebende Gewalt  ; Berlin 19812.

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Ankündigung zu den Neuen deutschen Beiträgen mit dem (allerdings »weit gefaßten«) Gestalt-Begriff als der nicht nur wandelbaren, sondern vor allem  : sich wandelnden Form zu fassen.262 »Wir wollen uns durchaus an die Gestalt halten, sowohl in der eigenen Darbringung als in der Betrachtung, und die uferlosen gedanklichen Ausführungen und Entgegenstellungen meiden. – Auch die Natur gibt nur durch die Gestalt. Wir vermögen nur die Gestalt zu lieben, und wer die Idee zu lieben vorgibt, der liebt sie immer als Gestalt. Die Gestalt erledigt das Problem, sie beantwortet das Unbeantwortbare.« 263 – Doch »[…] jedes Beharrende wird bezweifelt, die Gestalt wird bezweifelt, sie, die in Politik und Kunst die wunderbare Überwindung der Materie ist.« (RA II, 80  : Beethoven [Hervorh. A.M.])

Der ›Gestalt‹ eignet also ein darstellendes Potential, das über die repräsentative Funktionalität politischer Sprache noch hinausgreift. Ihren Doppelcharakter als politischer und zugleich ästhetischer Form(-gebung) hat Hofmannsthal hier eigens hervorgehoben  : Sie stimmen überein in der »wunderbaren[n] Überwindung der Materie«. Damit erscheint die Gestalt als gesteigerte Art von Form, da sie vor dieser die Mobilität auszeichnet, wenngleich auch die Gestalt als das Beharrende dem Zweifel (der Kritik) ausgesetzt sei. Hofmannsthals ›Gestalt‹ weist zudem, obschon sprachlich konstituiert, wie die »Chiffre« über die Sprache hinaus (vgl. 2.1), und beantworte überdies (analog dem Mythos) das Unbeantwortbare (bei gleichzeitiger Herstellung einer Unbefragbarkeit). Mit der Heraushebung des Präsenz-Phänomens ›Gestalt‹ aus dem repräsentierenden Stoff der Sprache, begibt sich Hofmannsthals Poetik in direkte Nachbarschaft mit dem von Max Weber beschriebenen Charisma der Ideen (vgl. 1.5), welches Hofmannsthal eben mit der Gestaltpoetik adaptiert. Das charismatische Wirkungskonzept (der Initiation von Zuneigung) wird hier jedoch zugleich für das ›Originalgenie‹ Beethoven geltend gemacht.264 Ästhetisch steht erneut jenes Postulat der symbolisch 262 An Walzels Trias Gehalt – Kontur – Gestalt (vgl. 1.3.2) sei erinnert. 263 RA II, 198/199  : Neue deutsche Beiträge. Die Formulierung »Die Gestalt erledigt das Problem« findet sich auch in der Rede auf Grillparzer (RA II, 87 ff.). 264 Die Rede auf Beethoven fällt in einen Zeitraum (1920), der sich als erste Phase einer konkreten Weber-Bezugnahme Hofmannsthals abzeichnet. Wie bereits angemerkt, verglich Hofmannsthal Beethoven mit Rousseau  : »[…] was Beethoven mit dem großen Genfer Rhetor teilt, das ist ein Ewiges, etwas das außerhalb der historischen Bedingtheiten steht und immer wieder kommt, immer wieder, und so auch jetzt als eine furchtbare, umstürzende Kraft in die historischen Bedingtheiten eingreift  : das ist die Vision des primitiven Menschen als Ideal, die aurea aetas, die Utopie – der Glaube an die Reinheit aller ursprünglichen Natur  ; und dahinter liegt der Glaube an

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»gesteigerten Sprache« im Raum, die in der Lage ist, »die Mächte aufzurufen«, und damit die Politik zu einer Sache der sprachlichen »Magie« mache.265 Dass die »Logik der Politik […] die der Magie« ist, hat später auch Pierre Bourdieu befunden. Es handelt sich um eine Magie des verwirklichten Als-ob, weil eine Person oder ein Ding so behandelt wird, als sei sie etwas Anderes – bzw.: Höheres.266 Dem wird man mit Gabriel (aus dem Gespräch über Gedichte) hinzufügen können  : Die wahre Magie (bzw.: Souveränität) der poetischen Sprache liegt darin, dass sie durch bildliche Evokation nicht bloß eine Sache für die andere setzt (Repräsentation), sondern im oben zitierten Sinne Heideggers durch metaphorische (oder gestalthaft allegorische) Darstellung erst herstellt (RePräsentation) – also die Symbolordnung einer gesellschaftlichen Wirklichkeit von dort aus direkt betrifft, wo sie (diese als) Fiktion setzt. 267 Der ganze Vorgang von deren sprachlicher Diegese ist mittels der übergeordneten, funktionalen Ebene der Sprache auto-poietisch bzw. performativ. Denn die Metapher schafft zugleich selbst, was sie repräsentiert  : eine scheinbare Homologie. Im Prozess des Über-Setzens wird Bezug genommen auf ein Drittes, das mit Isers Begriff des Imaginären zusammenzudenken ist, und den in der Fiktion repräsentierten Gehalt nicht unberührt lässt.268 Auch Schmitts Begriff des Polidie Ganzheit des Menschen, und die Kraft und der Drang, Tiefstes zum Höchsten hin zu sehen, den Menschen zu Gott hin, nicht niederwärts zum Chaos.« (RA II, 71  ; Beethoven [Hervorh. A.M.]). Selbst wenn diese positive Einschätzung Rousseaus sich auch dem Ort der Rede (die gastgebende Schweiz) verdanken mag, wirkt sie bei Hofmannsthal erstaunlich. Sie verweist auf das nicht negative, sondern gemischte Menschenbild des Autors. 265 RA III, 280  ; Buch der Freunde. 266 Pierre Bourdieu  : Satz und Gegensatz. Über die Verantwortung des Intellektuellen  ; Berlin 1989. 45. Ich verdanke das Zitat der Lektüre von Jentges’ Repräsentation als soziale Magie  ; op cit  ; vgl. zudem  : Pierre Bourdieu  : Das politische Feld. Zur Kritik der politischen Vernunft  ; Konstanz 2001. 18). Wiederum kann auf Novalis verwiesen werden, diesmal auf das berühmte Fragment über das »Romantisiren« (vgl. Novalis, S II, op cit, 545, Nr. 105). 267 Der von Hebekus/Stöckmann herausgegebene Band Die Souveränität der Literatur (op cit) hält für das frühe 20. Jahrhundert (dessen Etikett nunmehr die Bezeichnung »klassische Moderne« in toto zu werden scheint) zahlreiche Beispiele bereit. Die Souveränität der Literatur begründet sich darin, »daß sie die kontingente Verfaßtheit der Gesellschaft nicht bloß als Grundtatsache ihrer eigenen Seinsweise behandelt.« (Hebekus/Stöckmann, Souveränität der Literatur  ; op cit, 9) – sondern als Möglichkeitsraum ihres ästhetischen Eingriffs betrachtet und folglich auch behandelt. Dies gilt wie erwähnt zumal und in höherem Maße für die Schriftsteller der Avantgarden, in dem hier dargelegten weit impliziteren Sinn aber auch für Hofmannsthal. 268 Das im »Akt des Fingierens« in die »Gestalt« gezogene »Imaginäre« verdanke sich einer »Grenzüberschreitung« des in der Fiktion wiederholten Realen. Jeder »figurative Sprachgebrauch« ziele auf »Ausdruck und Repräsentation.« (Iser, Das Fiktive und das Imaginäre, op cit, 20/21 und 33.

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tischen ist in dieses metaphorische Funktionsgefüge als das Kollektiv-Imaginäre einbeziehbar (vgl. 1.1.1), und es gibt hinsichtlich seiner Souveränitätstheorie Strukturparallelen. Diese ergeben sich allerdings aus Schmitts Konzeption des Souveräns, welchen er vom Selbstverständnis des Autors (lat. auctor, Täter) ableitet. Die Entscheidung des Souveräns würde dann mit der Rechtsordnung eine gesellschaftliche Diegese, eine verbindliche Fiktion ›erlassen‹ und hierfür zuerst den Ort des tertium comparationis  : der Übereinkunft zu bestimmen haben. Das Gefallen von Literatur ergibt sich demzufolge aus der iterativen Verfügbarkeit der souveränen Perspektive, aus der »Anschauungssetzung« (Hebekus) welche das Subjekt im Rezeptionsvorgang transzendiert.269 Allerdings zeichnet Schmitt der Bestimmung des tertium comparationis eine Dialektik ein, weil dieses über die Freund-/Feind-Unterscheidung zu einem (eingeschlossenen, weil konstitutiven) Ort des Auschlusses wird. Dieses Verfahren ist eine re-politisierende ›souveräne Inversion‹ poetischer, auf den politischen Bereich bezogener Verfahren, wie Schmitt sie an der »politischen Romantik« kritisiert hat (vgl. 3.1). Die Literatur jedoch wird auf diese Weise ex negativo als Raum der Mit-Teilung (im Rancièreschen Sinne) von Wandlungen und Symbolen der ›inneren Form‹ der Nation bestätigt.270 Das gilt besonders auch im Rahmen eines allegorischen Verfahrens, dem der ›Gestalt‹-Begriff ja ebenfalls subsumierbar ist.271 Hofmannsthal hat durch die oben (vgl. 2.1) dargelegte Vertauschung von Repräsentiertem (Substanz) und Medium (Funktion) die Sprache als Wirklichkeit erzeugende, absolute Instanz inauguriert. Durch diesen am Verfahren der Metapher (in Analogie zum Geld) erläuterten Akt der Vertauschung, der eigentlich durch Bezug auf ein (außersprachliches, extra-legales) Drittes eine Neusetzung ist, sucht Hofmannsthals Vgl. zum gesellschaftlichen Kontext ebd., 350–377). Die Systematik des Über-Setzens wurde am Beispiel von Simmels Philosophie des Geldes unter 2.1 entwickelt. 269 Schmitts Zugriff auf diese Verfügbarkeit lässt sich mithin als ›Bemächtigung des Ästhetischen‹ bezeichnen, deren Perspektive dann auch die Wendung einer »ästhetischen Ermächtigung« (Gretz, Hebekus) bestimmt. 270 Die Betrachtung der Hofmannsthalschen Poetologie ist später auf Benjamins Begriff der Allegorie zu beziehen. Im Hinblick auf eine RePräsentation des Politischen ist vorab zu vermerken, dass Benjamins Allegorie dem apokalyptischen Denken in der Weimarer Republik verpflichtet war (mit dem diffus bleibenden Rettungsanker einer ponderación misteriosa  ; vgl. hierzu 5.1 ff.). 271 Nicht zufällig reflektiert Hofmannsthals Gespräch über Gedichte metaphorisch über Lyrik  ; ein ›Gespräch über das Drama‹ hätte sich wahrscheinlich allegorischer Verfahren bedient (vgl. hierzu 4.1.2) – wenngleich die beiden Gestalten der Sprechenden bereits als Allegorien für Substanzwert (auf den Clemens immerzu abstellt) und Funktionswert (Gabriel) lesbar wären.

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Poetologie, den »magischen« Moment der metaphorischen Vertauschung bei der Schaffung des ›lebendigen Symbols‹ auf (mythische) Dauer zu stellen. Dem Ablauf erstarrender Formen ordnet er das morphologische Gestaltkonzept über. Dieses zielt entsprechend auf sprach(gestalt)liche Inklusion des Symbols, als welches die Idee zur Anschauung kommt.272 In der als organisch imaginierten Gestalt wird die Darstellung des zu Repräsentierenden (des »Geistes der Nation«) als RePräsentation der Sprache selbst beglaubigt.273 »Nur in der Dichtung, welche das eigene Element und Wesen der Sprache ist, nur hier, wo sie Symbol, Medium, Schauspielerin ihrer selbst sein darf, d. h. aufhört symbolisch, medial und schauspielerisch zu wirken und zu gelten, kommt die irreführende Alternation von innerer und äußerer Form zur Ruhe und gelten innere und äußere Sprachformen ohne den Zwang eines magischen Glaubens274 und Wollens und ohne Vorbehalte der Mystiker als schlechthin gleichwertig.« (GKS, 253 [Hervorhebungen A.M.])

In solcher Identität mit sich selbst, darf man folgern, kann der »Sprachleib« unmittelbar werden, (sich) wandeln und »beharren«. Dass Hofmannsthals ›Gestaltdramatik‹ hier ansetzte – und zwar mit der Figur des charismatischen Herrschers –, ist eine Vermutung, der in den beiden Interpretationskapiteln zum Turm nachgegangen wird. 272 Damit bleibt natürlich auch der analogische Opfer-Bezug der Metapher erhalten, da ein Lebendiges (das Reale) etwas Neugeschaffenem (der Fiktion) unter Bezug auf ein Fluides (dem Imaginären) weichen muss. 273 (und in ihm das Kulturerbe.) Die Bühnenfassung des Turm wird genau im fraglichen Erfolg dieses Verfahrens den entscheidenden Unterschied setzen. Das starre Bild des Monarchen etwa kann auf diese Weise poetisch »vivifizirt« und auch unter Bedingungen einer Massenöffentlichkeit wirksam gemacht werden. ›Gestalt‹ ist bei Hofmannsthal jedenfalls anders aufzufassen, als dies z. B. für Musils Mann ohne Eigenschaften getan wurde  : »Der Gestaltdiskurs […] fungiert als Agent der festen Form, Bewegtheit wird demgegenüber anhand […] der kinetischen Gastheorie ausformuliert.« (Albert Kimmel-Schnur  : Unendlich verwobene Muster  ; in  : Hebekus/Stöckmann (Hg.)  : Souveränität der Literatur  ; op cit, 127–147  : 138). 274 »Der magische Grundsatz pars pro toto in den Gleichnissen wirksam.« (RA III, 581  ; Aufzeichnungen [1925]). – Wie viel »magischer Glauben« in Hofmannsthals Vorstellungen steckt – und wie viel Realismus –, ist nachfolgend am Beispiel der Münchener Rede und dann am Turm zu eruieren  ; Vosslers Magie-Verständnis zielt allerdings auf eine primitivere Kulturstufe, ist darum nicht mit Hofmannsthals poetischer Wiederverzauberungsprogrammatik zusammenzubringen  ; und diese wiederum zu distanzieren von geschichtlich belasteten Beispielen eines politisch-ideologischen Formdenkens. Die Kongruenz von innerer und äußerer Form findet sich so auch bei Oskar Walzel (vgl. 1.3.2).

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Vosslers Feststellung  : »[…] etwas völlig Totes oder hoffnungslos Starres [lasse sich] in keiner Sprache […] denken noch nachweisen […]«275 gibt Gelegenheit, nochmals auf die Analogie von ›Literatur und Recht‹ zurückzukommen  : Carl Schmitt hat in seiner Verfassungslehre in analoger Weise das Prinzip von Darstellung als Herstellung auf die Repräsentation im politischen Raum übertragen. Zugleich verband er damit die Forderung einer bestimmten (homogenen) Qualität des Repräsentierten, die sich für den politischen Raum sehr bedenklich liest.276 »Etwas Totes, etwas Minderwertiges oder Wertloses, etwas Niedriges, kann nicht repräsentiert werden. Ihm fehlt die gesteigerte Art Sein, die einer Heraushebung in das öffentliche Sein einer Existenz fähig ist.«  ; »Die Idee der Repräsentation beruht darauf, daß ein als politische Einheit existierendes Volk gegenüber dem natürlichen Dasein einer irgendwie zusammenlebenden Menschengruppe eine höhere und gesteigerte, intensivere Art Sein hat.«277

Es fällt in diesem Kontext nicht schwer, diese gesteigerte Intensität politischer Existenz auf jenes Prinzip der inneren Form zu beziehen, mit deren Ausprägung sich die so verfasste Gesellschaft (bzw. Gemeinschaft) vor sich selbst und nach außen darstellt  : als die Umsetzung dessen, was einer Zeit »als Form ihrer politischen 275 Vossler, GKS, 114/115. Zuvor  : Karl Vossler  : Gesammelte Aufsätze zur Sprachphilosophie  ; München 1923. 237 (dies ist der Beitrag Grenzen der Sprachsoziologie aus der Gedenkgabe für Max Weber). 276 Sie ergibt sich aus dem agonalen Freund-/Feindschema, welches sich auch hinter seiner Repräsentationstheorie verbirgt, und das er später in Hamlet oder Hekuba (1956) in Abgrenzung von der Benjaminschen Auffassung des Trauerspiels dargelegt hat. Tatsächlich hat das Homogenitätspostulat in Schmitts Denken eine düstere Karriere bis hin zur Bejahung der Nürnberger Rassegesetze als Verfassung der Freiheit erlebt (allerdings kommt dem Freiheitsbegriff bei Schmitt grundsätzlich kritisches Potential zu, wie noch zu zeigen bleibt). Schmitts tragödiale Auffassung der Repräsentation, die Agonalität des Politischen und die geradezu literarische Konzeption des Souveräns sind bereits mehrfach in dieser Studie betont worden. Insofern liegt ein Nachweis von Analogien zur »klassischen Moderne« aufgrund von Schmitts Orientierung nahe, die hinsichtlich Hofmannsthals aber doch deutlich weiterer Differenzierung bedürfen. 277 Carl Schmitt  : Verfassungslehre  ; Berlin 1928. 210. Repräsentation mache daher ein »unsichtbares Sein« sichtbar im Sinne von öffentlicher Anwesenheit (ebd.). Die Modernität von Novalis’ Verständnis der Repräsentation als einer Vergegenwärtigung des Nicht-Gegenwärtigen (durch die »Wunderkraft der Fiction«  ; vgl. 2.1) wird hier an Schmitts stillschweigendem Rekurs deutlich. Vgl. hierzu auch Guiseppe Duso  : Die moderne politische Repräsentation  : Entstehung und Krise des Begriffs  ; Berlin 2006. »Es gibt keine Identität außer durch Repräsentation, welche die Identität präsent und erfahrbar macht und der Identität eines politischen Körpers […] Form verleiht.« Duso ist hierbei erkennbar an Carl Schmitt orientiert.

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Organisation ohne weiteres einleuchtet«. Dass dies mit einer Ausprägung der inneren Form der Nation zu tun habe, der »Metaphysik« als »de[m] intensivste[n] und klarste[n] Ausdruck einer Epoche«, wäre gemäß der hier (vgl. 2.3) vollzogenen Engführung von politischer und poetischer bzw. sprachlicher Form naheliegend. Denn bei »jeder Willenssuggestion ist etwas Ästhetisches im Spiel«, gerade wo sie sich auf kollektive »Phantasie« und »Seelenverfassung« richtet.278 Doch gibt es einen wesentlichen Unterschied zwischen dem Denken der Gesellschaft als Sprachgemeinschaft, wie es sich poetologisch bei Hofmannsthal, sprachsoziologisch bei Vossler findet, zum politischen Dezisionismus Schmitts. Vor allem durch die morphologische Vorstellung der inneren Form, welcher die äußeren Formen (politisch oder poetisch) emanieren, gerät es in fundamentalen, ›romantischen‹ Widerspruch zu Schmitts Technik der Souveränität, die auf Entscheidung des Souveräns drängt (der mit der Freund-/Feindbestimmung letztlich den Ort des Dritten aus der Welt schafft). Für den Dichter und den Sprachsoziologen ist hingegen die Frage nach der Authentizität des Repräsentationszusammenhangs von Fiktivem und Imaginärem essentiell  : also die Wahrheit, welche Schmitt mit Hobbes zum bloßen Annex einer Autorität erklärt hatte, die sich um Genealogien nicht zu scheren braucht (vgl. hierzu 3.2). Die hier vor einem solchen Szenario entsagende ›Wahrheit‹ ist hingegen als authentischer Ausdruck der inneren Form durchaus übereinzuführen mit dem, was Weber für das Charisma als »die große revolutionäre Macht in traditional gebundenen Epochen« ausgeführt hat  : Es könne »eine Umformung von innen her sein, die […] eine Wandlung der zentralen Gesinnungs- und Tatenrichtung« in Gang setzt, und zu einer »Neuorientierung […] zu allen einzelnen Lebensformen und zur ›Welt‹ überhaupt« führen kann.279 Es wird sich im folgenden Kapitel abzeichnen, dass Hofmannsthal diese Wirkungszusammenhänge für seine konservative Utopie des »Schrifttums« zu nutzen bzw. umzulenken beabsichtigte. Mit Vossler ist diese »innere Umformung« als eine von der »gesteigerten Sprache« der Dichtung beschriebene »Seelenverfassung« von »Sprachgemeinschaften« zu verstehen, eine Auffassung, der die erwähnte, möglicherweise von Michelet entlehnte Kirchen-Metapher Hofmannsthals korrespondiert (vgl. 2.2). Diese Vor278 GKS, 212  ; zuvor  : PT, 42. Schmitts spätere Theorie des ›Nomos‹ übernimmt mit der Formel »Metamorphosen des Seins« den Bezug auf die Idee innerer Form für die Rechtsentwicklung  : Der ›Nomos‹ sei »die volle Unmittelbarkeit einer nicht durch Gesetze vermittelten Rechtskraft« und damit ein geschichtlicher Akt der Legitimität. Carl Schmitt  : Der Nomos der Erde im Völkerrecht und im Jus Publicum Europaeum  ; Berlin 19974 [1950]. 42. 279 WuG, 142.

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stellung der Sprache als eines authentischen, nicht rationalisierten immer latent revolutionierenden Transmitters zwischen innerer Form und äußerer Erscheinung – und damit zwischen Ursprung und Gestaltung der für die Gesellschaft konstitutiven Wechselwirkungen – ist nun vor dem Hintergrund des »geistigen Raumes der Nation« zu betrachten. Dieser würde auf einem imaginären Frontispiz gewissermaßen den Horizont bilden, vor welchem der große Organismus des Sprachleibs über die Welt mit ihren leergefegten Thronen blickt.

2.4 »Geistiger Raum« und innere Form – die Schrifttum-Rede 280 »Jede neue Staatstheorie muß heißen, diesen jetzt gewissermaßen nur biologischen gesellschaftlichen Zustand in einen ideell gedachten, dem zerbrochenen Humanitarismus gleichwertigen zu verwandeln, ihn auf eine kulturelle Ebene zu erheben. […] Wie lang wir auf ihre Formulierung werden warten müssen, weiß ich nicht. Die Menschen die sie unausgesprochen in sich tragen, sind da. Sie sind gegenwärtig schon die, wenn auch namenlosen, äußerlich machtlosen, aber doch die Zukunft entscheidenden Führer von Europa. Ihre Zeit wird kommen.« (A. Weber, Staatsgedanken  ; op cit, 172)

Die Bekanntschaft Hofmannsthals mit Alfred Weber wurde eingangs schon erwähnt  ; sie intensivierte sich ab Mitte der zwanziger Jahre aufgrund der gemeinsamen Arbeit für die europäischen Kulturbünde (Hofmannsthal vertrat Österreich, Weber Deutschland).281 Der voranstehende, die Krise des modernen Staats­gedankens (1925) beschließende Satz Alfred Webers mutet aus heutiger Perspektive natürlich fatal an. Gerade in der postulierten Logizität politischer 280 Es gibt übrigens Gründe, anzunehmen, dass auch die Formulierung dieses Titels mit Vossler in Verbindung gebracht werden kann  : Vossler stellte seinerseits klar, dass auch »für die literarwissenschaftliche Betrachtung es nichts Höheres noch Tieferes geben kann, als eben das Dichterische. Dieses ist in der Tat so geräumig und universal, daß der gesamte Geist mit seiner Natur und deren Landschaften, Nationen, Stämmen, und deren politischen, sozialen, religiösem und sonstigem Sehnen darin Raum hat  ; auch ist es so mächtig, daß all diese Dinge nicht in ihm liegen bleiben als Rohstoff, sondern von ihm durchdrungen, zerschmelzt, aufgezehrt und umgewandelt werden in sein eigenes Wesen  ; d. h. in Sprache.« (GKS, 259 [Hervorhebungen A.M.]). 281 An dieser Stelle ist Herrn Prof. Eberhard Demm herzlich für den Hinweis zu danken, Alfred Weber habe in einem Schreiben nach der Zusendung der Rede seitens Hofmannsthals eine begeisterte Reaktion gezeigt  : »das Schönste und, wie ich glaube, zugleich Tiefste, was über unser geistiges Schicksal als Nation mit Beziehung auf den in Wahrheit unermeßlich verantwortungsschweren Moment, in dem wir uns befinden, bisher überhaupt ausgesprochen worden ist.« (25. XII. 1927).

»Geistiger Raum« und innere Form – die Schrifttum-Rede

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Formgebung durch geistige Führer (und der Plural ist hier von großer Bedeutung) hat Webers Versuch einer neuen Grundlegung der zerfahrenen Verhältnisse der Weimarer Republik ein Pendant in Hofmannsthals Rede gefunden,282 in welcher die Dichter – aber diese nicht allein – als ›humanitäre‹ Vordenker jener vereinzelten – man muss wiederum hinzufügen  : geistigen – »Führer von Europa« bzw. als diese selbst inauguriert werden. Während der Arbeit an der Schrifttum-Rede Ende 1926 hat Hofmannsthal also seine Formpoetik endgültig auf einen kollektiven Rahmen, nämlich den der Kulturnation, erweitert – bzw. übertragen.283 Er hat daran auch ganz unzweifelhaft einen Auftrag an die Dichter (die hier als die »Suchenden« auftreten) geknüpft  : eine (sprachliche) Wirklichkeit zu schaffen, an der die Nation als (somit glaubhafte) Ganze teilhaben könne  : »Wo geglaubte Ganzheit des Daseins ist – nicht Zerrissenheit –, dort ist Wirklichkeit«,284 in welcher somit nicht zuletzt auch »der unglückliche Riß in unserem Volk zwischen Gebildeten und Ungebildeten«285 überbrückt werde. Dadurch werde die Nation »Glaubensgemeinschaft« in einer sehr im282 Hinsichtlich der sich häufenden Anklagen einer NS-Steigbügelhalterschaft Hofmannsthals ist die Frage Peter Matusseks sehr berechtigt  : »ob der Formbegriff, den die Schrifttumsrede dieser schlechten Alternative entgegenhält, nicht geradezu als Antidot zur proklamierten Formlosigkeit der präfaschistischen Deutschtümelei angesehen werden kann. Worin besteht denn die ›Form‹, die Hofmannsthal den von ihm unterstellten Tendenzen entgegenstellen zu müssen glaubte  ? Arbeitet sie der geschichtlichen Katastrophe tatsächlich zu oder erinnert sie nicht vielmehr an die von ihr uneingelösten, vernichteten Potentiale  ?« Peter Matussek  : Tod und Transzendenz im geistigen Raum. Das Gedächtnistheater des jungen Hofmannsthal  ; in  : L. Danneberg [et al.] (Hg.)  : Wissen in Literatur im 19. Jahrhundert  ; Tübingen 2002. 313–337  : 314. 283 Hofmannsthal verwendet den auf Friedrich Meinecke zurückgehenden Begriff selbst nicht  ; dem Wortfeld nach sind Hofmannsthals Ausführungen aber genau hier einzuordnen  ; auch die mit dem von Meinecke abweichenden Nationsverständnis noch nachzutragende »Kulturgemeinschaft« Max Webers wäre diesbezüglich zu nennen (WuG 1922, 629/630). Sprache wird hier als ein Grund für einen von Fragen des Prestiges abhängigen »Gemeinsamkeitsglauben« genannt. In seiner begrifflichen Trennung von Nation und Staat hat sich Hofmannsthal vielleicht auch an Schiller orientiert  ; auch dessen ›National‹-Pädagogik könnte ihm Vorbild gewesen sein. Vgl. zu Schiller  : Peter-André Alt  : Auf den Schultern der Aufklärung. Überlegungen zu Schillers ›nationalem‹ Kulturprogramm  ; in  : Prägnanter Moment. Festschrift für Hans-Jürgen Schings  ; hg. v. Peter-André Alt  ; Würzburg 2002. 215–238. Schillers Sprachpatriotismus (vgl. hierzu Alt, 228) hat er jedoch nicht in seine Anthologien aufgenommen. Alt spricht diesbezüglich von einer Sublimationsstrategie, die immerhin die Aufgabe jedes staatlichen Nationalismus bedinge. 284 Hofmannsthal  : Das Schrifttum als geistiger Raum der Nation. Rede, gehalten im Auditorium Maximum der Universität München am 10. Januar 1927  ; in  : RA III, 24–41  : 27. (vgl. hierzu Heinz, Hofmannsthals Sprachgeschichte  ; op cit, 284). 285 RA III, 24  : Schrifttum.

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manenten Form – in dem gemeinsam anerkannten Konstrukt einer gesellschaftlichen Wirklichkeit als dem »natürlichen und kultürlichen« »innere[n] Universum«, das durch das »Sprachlich-Geistige[n] zusammengehalten« werde.286 In diesem Wechselverhältnis drückt sich der Gedanke einer Kohärenz von innerer (Dichtung) und äußerer Form (Öffentlichkeit) der Nation aus. Allerdings ist auch ein Wechsel in Hofmannsthals Metaphorologie der Sprach-Nation zu verzeichnen  ; hier ist plötzlich vom (sakralen) Raum, auch vom »Gewebe« die Rede.287 Die Übersetzung des Politischen durch die – wie gesehen, zwar körperhaft, aber plural zu denkende – Literatur in den sprachlichen Raum macht die Nation jedoch nicht nur zur bloßen Interpretationsgemeinschaft.288 In Bezug auf die oben (vgl. 1.4.2) dargelegte Rezeptionsästhetik Hofmannsthals ließe sich von einer intendierten ›kollektiven Allegorese‹ der vorgestellten – möglicherweise an Vossler angelehnten – Sprachgemeinschaft 286 RA III, 27  : Schrifttum. Dass Hofmannsthal diesem Punkt tatsächlich eine religiös-transzendente Relevanz zuerkannte, geht aus den Notizen zu Wert und Ehre deutscher Sprache hervor  : Hier äußert er Bedauern, dass selbst die höhere Sprache der Deutschen »ohne Religio« auskommen müsse. ([SW ] XXXVI, 696). Die klar performative Tendenz darin, die sich aus dem Repräsentationsakt ergibt, kann man aber nicht als »adventistisch[es] Warten« einer »neuen pietistischen Gemeinde von ›Stillen im Lande‹« bezeichnen  ; zur Idee einer »renovatio des Reichs« (Pornschlegel, Bildungsindividualismus  ; op cit, 265) – welches Reich das sein soll, bleibt noch zu klären (vgl. 2.5 und 4.). 287 RA III, 26  ; Schrifttum – zunächst aber in Bezug auf das in dieser Hinsicht vorbildliche Frankreich. Zum Raum-Begriff vgl. Gert Mattenklott  : Der Begriff der kulturellen Räume bei Hofmannsthal  ; op cit (1991). 288 Pornschlegels Kritik  : »Der Einzelne wird dazu gebracht, ein ihm je schon übergeordnetes, konkretes kulturelles Ganzes zu internalisieren, anstelle an einem artifiziellen, d. h. auch veränderbaren Ganzen, das Kraft eines Vertrags freier und gleicher Einzelner existiert, zu partizipieren.« (Pornschlegel, Bildungsindividualismus  ; op cit, 262) kann man als Beitrag zur Diskussion des Bildungskanons (z. B. Dietrich Schwanitz) um die Jahrtausendwende verstehen. Dem kanonischen Prinzip verdankt sich die Kulturgeschichte, in welche die Einzelnen auf je unterschiedlichem sozialen Niveau hineingeboren werden. Die totalitären Regressionen nach 1933 waren unter anderem auch nur deshalb möglich, weil die Avantgarden im frühen 20. Jahrhundert aller Tradition – und dem Humanitarismus zuerst – den Kampf angesagt hatten. Über den Kanon dieser Internalisierung wär zu diskutieren, nicht über seine Notwendigkeit. Das sieht Pornschlegel im Hinblick auf Goethe genauso (vgl. ebd., 261). Dass ein solcher Bestand aber auf ewig erweiterungsresistent, als monolithischer Block festgezurrt werden müsse, hat Hofmannsthal wiederum nie gesagt. Vgl. übrigens verwandte Ausführungen Ernst Cassirers  : »Die Welt der Sprache umfängt den Menschen, in dem Augenblick, in dem er zuerst seinen Blick auf sie richtet, in derselben Bestimmtheit und Notwendigkeit und in der gleichen ›Objektivität‹, mit der ihm die Welt der Dinge gegenübertritt.« (Cassirer, PSF I  ; op cit, 55).

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sprechen. Ein Zitat des amerikanischen Lyrikers Walt Whitman, dessen Werk Hofmannsthal kannte, ist geeignet, dies zu verdeutlichen  : »Ich singe das Selbst, den Einzelmenschen,/ doch spreche das Wort ›demokratisch‹ aus, das Wort ›en masse‹./ Ich singe Physiologie vom Scheitel bis zur Sohle/ Nicht Physiognomie noch Hirn allein ist würdig für die Muse.« (Walt Whitman  : Widmungen)289

Dass sich »Soziale Körper« als »Produkte imaginärer Institutionen und symbolischer Ordnungen« zunächst »als fiktive Körper« (und damit auch als sprachliche) konstituieren – sich damit also zur Literarisierung eignen –, war Hofmannsthal vollkommen bewusst, wie die vorangegegangenen Kapitel zeigen konnten. Dass diese aber »die Form der Geschlossenheit annehmen« »nur um den Preis«, »daß sie die Selbstverhältnisse der beteiligten Individuen unterbrechen«, 290 wollte er nicht einfach hinnehmen und hat das Subjekt daher nicht aus seiner Hypotypose des im Schrifttum sedimentierten geistigen Raumes verabschiedet, sondern zur rezeptiven Teilnahme im Fiktiven an der gemeinsamen Wirklichkeit ermuntern wollen.291 Denn diese entsteht letztlich aus einem »auf und ab steigen vom 289 Walt Whitman  : Widmungen. Ich singe das Selbst  ; in  : Walt Whitmans Werk Bd. II  ; hg. u. übers. v. H. Reisiger  ; Berlin 1922. 3. Hofmannsthal besaß die Grashalme zudem in einer englischen Ausgabe von 1900  ; als Lesedatum ist 1915 vermerkt  ; vgl. den Eintrag in SW XL zu Whitman. Die dort erwähnten Ausgewählten Werke (in der Ausgabe Hans Reisigers) werden aber mit 1921 angegeben  ; der Band befindet sich im Besitz Octavian von Hofmannsthals. 1921 erschienen allerdings die Widmungen und Gesänge in der Übersetzung Gustav Landauers im Kurt Wolff Verlag (München). Vgl. auch Gustav Landauers Essay zu Whitman in  : Dichter, Ketzer, Außenseiter. Essays und Reden zu Literatur, Philosophie, Judentum  ; hg. v. H. Delf  ; Berlin 1997. 79–85. Zu Hofmannsthals Whitman-Rezeption, z. B. zur Atmung als Symbol für »die wechselseitige Durchdringung von ›Außen und Innen‹«, vgl. Bamberg, Dichter und Dinge  ; op cit, 128 f.: 131. 290 Matala de Mazza/Koschorke, Das Politische  ; op cit, 14 (Einleitung). 291 Vgl. auch Heinz, Sprachgeschichte  ; op cit, 59 f. Allerdings ist dieser geistige Raum auch kein nur sprachlich verfasster, der sich auf den bloßen Logos zurückführen ließe  ; die Teilhabe der Literatur am Mythischen als dem Lebendigen und zu Deutenden wäre ansonsten weggeschnitten. Adorno hatte insofern mit der etwas undifferenzierten Behauptung Recht, Hofmannsthal habe die Literatur von ihrer (schrift-)sprachlichen Verfasstheit lösen wollen  : »Denn Hofmannsthals Schauspielertum verdankt sich […] bis zu den Pseudomorphosen der späteren Zeit einer höchst realen Einsicht  : daß die Sprache nichts mehr zu sagen erlaubt, wie es erfahren ist. Entweder ist sie die verdinglichte und banale von Warenzeichen und fälscht vorweg den Gedanken. Oder sie installiert sich selber, feierlich ohne Feier, ermächtigt ohne Macht, bestätigt auf eigene Faust, kurz, von dem Schlage, wie Hofmannsthal an der Georgeschen Schule es bekämpfte. Sie verweigert sich vollends dem Gegenstand in einer Gesellschaft, in der die Gewalt der Fakten solches Entsetzen annimmt, daß noch das wahre Wort wie Spott klingt. Hofmannsthals Kindertheater ist der Versuch, die Dichtung von der Sprache

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Geist des Individuums zum Geist der Zeiten, vom Geist des Volkes zum Geist des Einzelnen«,292 wenngleich darin eine wirkende Abhängigkeit der Selbstbeschreibung von »Repräsentanzen des Kollektivs« gegeben ist. Dies unterscheidet Hofmannsthal ganz wesentlich etwa von Joseph Nadler, der alles Individuelle der ethnischen Stammeszugehörigkeit unterordnete und somit aufhob.293 Wenngleich das Individuum der sprachlichen »Übergewalt der Volksgemeinschaft« unterliegt, soll es doch darin eine eigene, ihm gemäße Repräsentationsform finden (vgl. 2.3.3). Und diese »Übergewalt« ist als Begriff jedenfalls keineswegs für den deutschsprachigen Raum reserviert  : Als leuchtendes Beispiel einer gesellig in sich ruhenden geistigen Republik nennt Hofmannsthal Frankreich – was sich übrigens gut zur frühen Phase der »Europäischen Kulturbünde« und der Aussöhnungspolitik zwischen Stresemann und Briand wenig später fügt.294 »Die französische Nation« hatte schon Landauer als »Sprachverein und darum […] Geistverband und […] Religionsgemeinschaft« bezeichnet  ; »Rabelais, Molière, Voltaire sind ihr Fürsten und Könige«.295 Die besondere gesellschaftliche Relevanz der französischen Sprache und Literatur ist Hofmannsthal aber spätestens zu emanzipieren. Indem dieser die Substantialität aberkannt wird, verstummt sie  : Ballett und Oper sind die notwendige Folge. Unter den tragischen und komischen Masken ist kein menschliches Antlitz übrig. Daher die Wahrheit von Hofmannsthals Schein. Dort gerade nimmt diese Sprache den Ausdruck des Schreckhaft-Schwankenden an, wo sie aus epischer Vernunft zu reden vorgibt. ›Circe, kannst du mich hören  ? / Du hast mir fast nichts getan‹, heißt es im Text der Ariadne. Das epische Fast, das noch im Angesicht der mythischen Metamorphose einschränkend innehält, entzieht dem gleichen Mythos den Boden durch neuzeitliche Lässigkeit.« (Adorno, George und Hofmannsthal  ; op cit, 88.) Dass es Hofmannsthals Absicht demnach nicht gewesen ist, absolute oder gar Mythen des Totalitären zu schaffen, ist jedenfalls eine Einsicht Adornos. 292 RA I, 453  : Dilthey. 293 Koschorke et al., Der fiktive Staat  ; op cit, 66. Vgl. hierzu Heinz, Sprachgeschichte, op cit, 293 und 315 sowie Apel Hofmannsthal und Nadler (op cit – auf den Heinz sich auch bezieht) sowie König, Dichter unter den Philologen, op cit. Der eigentliche Eklat der Eranos-Festschrift kann auch in Nadlers deutlich hervortretendem Rassismus gesehen werden – er ordnete Hofmannsthal umstandslos der jüdischen Tradition deutscher Literatur zu (die er damals noch gelten ließ). Da Hofmannsthal Katholik war, ist Nadlers Perspektive jedenfalls keine religiöse gewesen. 294 In Österreich regierte Ignaz Seipel. Allerdings war Briand mit der Pan-Europa-Union Coudenhove-Kalergis verbunden, welche Hofmannsthal anscheinend als Konkurrenzunternehmen verstand. »Sprache. Volksgeselligkeit in sich. Ihre Dauer nach rückwärts  : bei den Franzosen und Engländern über Jahrhunderte hin.« (RA III, 573  ; Aufzeichnungen [1924]). Der Grund für Hofmannsthals Ablehnung der französischen Revolution ist v. a. in dem damit in Verbindung gebrachten Ursprung des modernen Nationalismus zu sehen  ; vgl. hierzu Breuer, Bürokratie und Charisma  ; op cit, 111 f. 295 Landauer  : Aufruf zum Sozialismus  ; op cit, 7.

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seit seiner Dissertation über die Dichter der Pléjade (1898) geläufig gewesen, er hat sie auch in seiner Hugo-Schrift (1901/1925) betont. Im Zusammenhang mit seiner Arbeit an der Sprachnation ist jedoch der aktuellere Bezug auf Karl Vosslers Schriften herauszustellen. »In grober und übertriebener Ausdrucksweise könnte man sagen, daß bei den Franzosen die Sprache zwischen der Gesellschaft und der Literatur als Vermittlerin schwebt, während sie bei den Deutschen und Italienern teils in der Gesellschaft mundartlich zerfällt, teils durch die Literatur zu künstlicher Einheit und Reinheit immer wieder erzogen wird.« »Umgangssprache und Kunstsprache klaffen in Deutschland und Italien weiter auseinander als in Frankreich […]« (Vossler  : Grenzen der Sprachsoziologie, 388)296

Entsprechend konstatierte Hofmannsthal  : »Nichts ist im politischen Leben der Nation Wirklichkeit, das nicht in ihrer Literatur als Geist vorhanden wäre, nichts enthält diese lebensvolle, traumlose Literatur, das sich nicht im Leben der Nation verwirklichte.«297 Die Schriftsteller schreiben also der Nation ihren Werdegang vor, indem sie ihr als diejenigen, die über Form, Gestalt, Stil und Ton verfügen, dem politisch Divergenten überhaupt erst Repräsentation verschaffen – das kann man in der Tat als »ästhetische Selbstermächtigung« bezeichnen, allerdings ohne alle Notwendigkeit, diese in einen logischen Zusammenhang mit dem Nationalsozialismus zu stellen. Man kann mit Blick auf die Absicht eines neu zu schaffenden Humanitarismus sogar Gegenteiliges annehmen.298 »Die Blüte dieser Tendenz ist die Sprachnorm, welche die Nation zusammenhält und innerhalb ihrer dem Spiel widerstreitender Tendenzen – der aristokratischen wie der ni296 »Ohne gemeinsamen Lebensstil entsteht, wenigstens unmittelbar, kein gemeinsamer Sprachgeschmack. Wohl aber kann sich nachträglich und mittelbar ein solcher herausbilden, nämlich auf dem papierenen Wege der Bücher. Dann literarisiert sich die Sprache, wie dies in Deutschland durch den Buchdruck, durch die Kanzleien und Schulen, in Italien durch die Grammatiken, Rhetoriken und Akademien geschehen ist im 16. und 17. Jahrhundert.« (GKS, 388). Was Vossler hier schildert, ist Kern von Hofmannsthals Streben nach einer (Re-) Kulturalisierung der Moderne. 297 RA III, 27  : Schrifttum. 298 Ähnlich hat später übrigens Carl Schmitt in einer kaum bekannten Rede den »Legisten« als Createur einer gemeinsamen politischen Sprache im vorrevolutionären und revolutionären Frankreich porträtiert  ; C.S.: Die Formung des französischen Geistes durch den Legisten  ; Hamburg 1942 Auch hier lässt sich eine Verbindung zu Benjamin ziehen, dessen Rezension zu Brunots Geschichte der französischen Sprache in der Revolution im August 1939 erschien (vgl. GS III, 561–564).

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vellierenden, der revolutionären wie der konservativen – Raum gewährt.« (RA III, 25  : Schrifttum)299

Im deutschsprachigen Raum hingegen gebe es im eigentlichen Sinn keine »wahrhaft repräsentativ[e]« oder »traditionsbildend[e]« Literatur und folglich auch kein solches Sprachspiel des Politischen. »Von einem Etwas im geistigen Bestande der Nation, dem eine verkappte, aber kaum bestrittene Macht zukommt, wird jene Ebene negiert, durch deren Setzung sich die Gesamtheit der geistigen Erzeugnisse erst zur Literatur zusammenfassen würde.« Was aber ist dieses kaum bestrittene Etwas  ? Man muss es wohl als das Stilprinzip der ›inneren Form‹ der Nation auffassen, den »Sprachgeist« (etc.), der dann allerdings selbst die Entstehung eines Ganzen vereitelt. Hier wird Hofmannsthal anscheinend widersprüchlich, denn einerseits verweist er auf die »übermütig satte Geisteshaltung«, die von den »Bildungsphilistern« auf die überwiegend »tragisch veranlagte Nation« ausgestrahlt habe und, auf die Romantik als Zeitraum »des Gefährlichen« folgend, zu »Verödung und Entgötterung« (d.i.: Entzauberung) führte. Andererseits macht er hierfür auch den Individualismus »der Geistigen« verantwortlich, »diese fast Unbekannten und doch da und dort heimlich und hinterrücks Autoritativen – diese […] ohnmächtig Mächtigen, geheim Wirksamen«.300 Ihr »Suchen« gehe zu wenig (oder in gewisser  : romantischer Weise zu sehr) aufs Ganze, sei daher solitär und anarchisch, eben verantwortungslos – aber dennoch notwendig. Die »Spannungen und Beklemmungen« »innerhalb der Nation« rufen eben »jene verkappte, aber kaum bestrittene Macht« hervor, die in der Epoche der Klassik zwar kaum Einfluss gehabt habe (woraus sich dann folglich eine unumstrittene Blütephase deutscher Literatur verdankt), der er aber zugleich so etwas wie die Deutungshoheit eines Fatums zubilligt, das »geistige[n] Gewissen 299 Vossler stellte ganz entsprechend mit Berufung auf Dante (De vulgari eloquentia) fest, »daß den Mundarten einer Nationalsprache, genau wie deren Dichtern und Schriftstellern, ein literarischer Höhentrieb innewohnt, so daß sie von den entferntesten Heimaten ausgehend, einer geahnten und gewollten Norm zustreben, bis sie in der Verwirklichung eines nationalen Sprachstiles sich zusammenfinden. […] Jeder Dichter, auch der volkstümlich befangenste, strebt nach einer Norm, und jede Nationalsprache, auch die mundartlich zerrissenste, desgleichen.« (GKS, 161 [Hervorh. A.M.]). Auch an anderer Stelle hat sich Hofmannsthal möglicherweise darauf bezogen  : »Ahnung der Regeln. Ahnung, daß hier von der Gesamtheit etwas gewollt und gesucht wird.« (RA III, 621  ; Ad me ipsum [1. XI. 1926]). Eine zweite mögliche Vorlage wäre die bereits zitierte Stelle aus Benjamins erster Turm-Rezension zur dramatischen Form als Index eines kollektiven Wollens (hierzu 5.1). 300 Zitate in diesem Absatz der Reihenfolge nach aus RA III, 29, 30, 31 und 29  : Schrifttum.

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der Nation«. Dieses entscheide sich aber nunmehr (wieder) für die »Suchenden«, »wenn es die Autorität, die es zu vergeben hat, heute so entschieden und unbedenklich hinüberwirft von den Behausten zu den Unbehausten, von denen die haben zu denen die suchen, von der Literatur zum außer der Literatur stehenden, ringenden Sektierertum, von der geistigen Besitzordnung zur Anarchie […]«, die damit – außerhalb der Literatur, also außerhalb der Öffentlichkeit, der gemeinsamen Wirklichkeit und Weltanschauung – zwar eine »Anarchie«, aber eine »produktive Anarchie« sei.301 In dieser Entscheidung erblickt Hofmannsthal »Kraft und Gesundheit dieses Gewissens, seine deutsche Kühnheit, daß es wieder einmal die Schiffe hinter sich verbrennt […]«. Hofmannsthal scheint dem anarchischen Akt des Stürzens und Neusetzens an dieser Stelle Vorzug vor den Formen des »Erreichten«, der »geistigen Besitzordnung« zu geben.302 »Die echten und ehrlichen Geister aber, die heute noch von Gesicht zu Gesicht der Totalität gegenüber zu treten versuchen, sind einsame Leute, deren Stimme die Nation nicht hört, die, um nicht mißverstanden und verzerrt zu werden, es vermeiden, mit dem, was sie sagen, sich überhaupt an die Allgemeinheit zu wenden, – verborgene Propheten.« (Alfred Weber  : Geistige Führer  ; op cit, 349 [1918/1927].

Mit Weber gelangt man zur geistigen Physiognomie des charismatischen Führers, wie Hofmannsthal sie anschließend in der Figur des ersten Typus der Suchenden entwirft, in der er die »Gesinnung zur Totalität« (Ingo Stöckmann) gestaltet. Zwar ließen sich die »Suchenden« als »Gemeinschaft begreifen«, jedoch als eine unerklärte, fast wollte man meinen  : undarstellbare, denn »einzeln schweifend durchdringen sie diese Nation der Einzelnen«.303 Sie erzeugten den301 Gegenüber Max Rychner bezeichnete Hofmannsthal die Schrifttum-Rede als Versuch, der »furchtbaren Zerklüftung entgegenzuwirken – dem Rasen aller gegen alle (man kann auch in Stumpfheit rasen) – das Gegeneinander Starrende zu versöhnen – das wechselweis sich Befeindende in eine höhere Einheit einzubeziehen.« (Hofmannsthal an Rychner, Aussee, 29. XI. 1927, in  : BW Rychner, 26 f.: 27). 302 RA III, jew. 30/31. Vielleicht hat dieser Passus Jochen Schmidt dazu motiviert, Hofmannsthal in die Tradition eines nietzscheanischen Immoralismus zu rücken (vgl. Schmidt  : Geschichte des Geniegedankens  ; op cit, 196). Den Hasard einer Amputation alles Vorhergehenden wird Hofmannsthal jedoch im Dualismus der »Suchenden« ausgleichen. Vgl. auch den von den Herausgebern in der Bibliographie zitierten Brief Hofmannsthals an Haas (19. 12. 1926), in dem von dem »fruchtbare[n] Gebiet […] unseres Zustandes, unserer Anarchie« die Rede ist (RA III, 632  ; Bibliographie). 303 RA III, 31  : Schrifttum.

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noch eine »Atmosphäre der Ahnung«, wenn nicht Verführung  : »daß beständig alles möglich ist – mit diesem Knistern wie vom Zerfall ganzer Welten, diesem nahen Heranwehen eines ewig Morgigen …«. Die »Formen der gesellschaftlichen, der geschichtlichen Welt« erscheinen der Gestalt jenes »aus dem Chaos hervortretende[n] Geistige[n], mit dem Anspruch auf Lehrerschaft und Führerschaft«, »nicht des Zerbrechens wert«, wenn er auch deren »Gewaltiges« nicht wahrnehme. Genie und Usurpator, der er sei, werbe er »für seinen Kriegszug Gefährten […] Adepten, solche die sich ihm unbedingt unterwerfen« und »seinem titanischen Beginnen«.304 Mit gewisser Entsprechung heißt es bei Max Weber  : »Denn nicht die politisch passive ›Masse‹ gebiert aus sich den Führer, sondern der politische Führer wirbt sich die Gefolgschaft und gewinnt durch ›Demagogie‹ die Masse. Das ist in jeder noch so demokratischen Staatsordnung so.« 305 Der von Hofmannsthal beschriebene Typus ist »eine gefährliche, hybride Natur«, »in seiner empedokleischen Nacktheit« »vielleicht […] mehr Prophet als Dichter« (ebd.) An einer gemeinsamen Sprache der Nation arbeitet er hingegen nicht, er hat vielmehr den Anspruch, sich ihre »magische Gewalt […] dienstbar« zu machen, er verfügt über das transzendente Moment der Sprache, ihr Prestige, um die »Mächte aufzurufen«. Es ist vollends die Lebensform des Genies als Charismatiker, wenn Hofmannsthal diese Figur im Folgenden als fordernd, anarchisch und ordnungsfern beschreibt  : »Je großartiger, fragmentarischer er sich gibt, um so großartiger wird er verlangen, als ein Ganzes, als das einzige Ganze dieser zerrissenen Welt genommen zu werden . . . […] Denn er hat dieses Gesetz über sich gesetzt, daß alles mit ihm, mit seiner Seelenwallung neu anfangen müsse […]«,306 »[…] er verschmäht es, gemäß Ordnungen zu empfangen, und will gemäß Ordnungen, die von ihm gesetzt sind, austeilen […]« (RA III, 34  ; Schrifttum [Hervorhebungen A.M.])

304 Jew. RA III, 32  ; Schrifttum. 305 Das Zitat setzt sich wie folgt fort  : »Und daher ist die gerade umgekehrte Frage weit näherliegend  : gestatten die Parteien in einer voll entwickelten Massendemokratie denn überhaupt Führernaturen den Aufstieg  ? Sind sie imstande, neue Ideen überhaupt zu rezipieren  ? Sie verfallen ja der Bürokratisierung ganz ähnlich wie der staatliche Apparat.« (Max Weber  : Parlament und Regierung im neugeordneten Deutschland  ; in  : GPS [1920], 401). An anderer Stelle hält Weber fest, dass »der Cäsarismus  : die Regierungsform des Genies« sei. (ebd., 314). In »Wirtschaft und Gesellschaft« wird Weber allerdings den »Kürwillen« (Tönnies) der Masse/Gefolgschaft stärker berücksichtigen. 306 RA III, jew. 33  : Schrifttum

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Er erzeuge damit ein quasi ›mimetisches Begehren‹ (Girard), denn »so will es im Herzen jeder«. Wie aber diese Gestalt der puren Hybris, die ein wenig an Nietzsches »Gewalt-Künstler« erinnert, in Dienst zu nehmen sein sollte für Hofmannsthals Ziel, aus einer die Nation »zerrüttende[n] Revolution« eine sie »aufrüttelnde«,307 auf Ausgleich und Vermittlung zielende zu machen, dem Kernproblem seines kulturpolitischen Strebens, ist nicht abzusehen. Hofmannsthal wendet sich denn auch von dieser allzu »scharf und unheimlich« umrissenen Gestalt »voll Überhebung, [… die] frei bis zur Zerrüttung«308 ist, ab – und einem anderen Typus der Suchenden zu, welcher die »sittliche Norm« gelten lasse und Alfred Webers einsamen Denkern vielleicht mehr ähnelt – »an einer der hohen, strengen Stätten der Wissenschaft, inmitten des aufgehäuften Geisteserbes« sei er zu finden, »und dieses Erbe selbst und die Berufung es zu wahren wird ihm zum dunkelsten Geschick. Ein schwermütiger Ernst umfließt diese Gestalt, aber geistige Leidenschaft ist auch in ihr der dunkelglühende Kern, etwas Heroisches ist in ihr […]«. Dieser wolle die »Wissenschaft, dies weggebrochene vom Leben«, dem nun der Mensch zu dienen habe, durch seine »Aufopferung« »zurückbiegen«, »in dieses Klaffende sich mit seinem Individuum hineinzustürzen, damit sich die Kluft schließe«.309 Seine Hybris sei die des »Dienenwollens, überkommenen Ordnungen das Blutopfer zu bringen«.310 Man kann hinter diesem Typus des Suchenden als Zeitgenossen Max Weber vermuten oder auch Eberhard von Bodenhausen  : »Die Todesbereitschaft Bodenhausens […]«  ; »Er hatte Max Weber sterben sehen – das Vergebliche auch solcher Opfer – Die Schwindelepoche –«311 lauten fragmentarische Skizzen zu dessen Erinnerungsbild. 307 RA III, 27  : Schrifttum. Nietzsches »Gewalt-Künstler«  : »Ihr Werk ist ein instinktives Formenschaffen, Formen-aufdrücken  ; es sind die unfreiwilligsten, unbewußtesten Künstler, die es gibt […]« (Nietzsche  : Zur Genealogie der Moral  ; Bd. II, 829.). Ein solcher »Gewalt-Künstler« ist Sigismund in seinem Kofen. 308 RA III, 34  : Schrifttum (hinter der sich wohl die Georges und Pannwitz’ verbergen dürften  ; vgl. SW XVI.1, 597). 309 RA III, jew. 34  : Schrifttum. 310 RA III, 35  : Schrifttum. Man sieht hier, dass Hans-Richard Brittnacher mit seiner Kritik an Hofmannsthals Poetik durchaus ein Motiv von einiger Kontinuität in Hofmannsthals Denken aufgreift (bzw.: -spießt). Auch hier liegt allerdings ein metaphorisch-analogischer Gebrauch vor  ; vgl. Brittnacher, »Das ist die Wurzel aller Poesie«  ; op cit (2012). Es wird in den dichterischen Fassungen des Turm wiederbegegnen. 311 RA III, 159, 160  : Andenken Bodenhausens  ; allerdings starb Bodenhausen vor Max Weber – daher ist dies möglicherweise übertragen, auf Webers politische Sendung bezogen, zu verstehen. Die gewisse Nähe beider Zeitgenossen in Hofmannsthals (Ge-)Denken wurde schon erwähnt  : »Parallel-Dasein mit einer Figur wie Max Weber. Nicht-Begegnung.« (RA III, 165  : Andenken Bodenhausens).

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Es zeichnet sich jedenfalls deutlich ab, dass beide Typen auch im Turm vertreten sind  ; und zwar in den Figuren Julians und des Arztes – in Verbindung mit Sigismund. Denn in der Rede werden auch der »zum frühen Tode bestimmte[n] Jüngling« und die »Sechzigjährigen«, die als Wissenschaftler, Arzt, Geistlicher, Erzieher (»Jugendbildner«) oder Künstler »mit Jünglingseifer ihre Erfahrung aufeinanderlegen«, genannt, die »Deuter« und »Seher« sein könnten, »Schriftleser, Handleser, Sterndeuter«.312 Damit scheint hier ein Dualismus des Charismas auf, welches sich einmal als nur usurpiertes, vor dem Hofmannsthal diskret warnt, und einmal als authentisches (Legitimations-)Potential in den Gestalten der Suchenden verkörpert. Im Zusammengehen von »Wucht der Erfahrung« und »Not der Jugend« liegt eine Konstellation, die Eckart Goebel am Beispiel anderer Texte (von Winckelmann bis Heidegger) als typisch charismatische ausgewiesen hat  – Anmut und Würde (Schiller), verkörpert im Jüngling (als schöne Gestalt ein Krisenindikator)313 und im reifen, sich auf dem Zenit seiner geistigen Gegenwärtigkeit bewegenden Mann. Ein Beispiel für eine solche Konstellation ist im frühen 20. Jahrhundert Georges Maximin-Mythos.314 Wie bei George das Moment der absoluten Hingabe an die Persönlichkeit des Heilsbringers (bzw. seines Propheten) weitab vom konventionellen Alltag des wilhelminischen Deutschland führt, so ist auch mit der »Anmut […] keineswegs mehr sittliche Fertigkeit [verbürgt], sondern […], wie Kleist als Dichter der Penthesilea und Mörike als Dichter des Peregrina-Zyklus dokumentieren,« Zweideutigigkeit als der tendenzielle »Ausdruck der animalischen Seite des Menschen« 315 Dass Sigismund in dieses Schema einzuordnen ist, liegt auf der Hand  ; allerdings macht er in allen Fassungen des Dramas eine Entwicklung durch, die auf die Überwindung dieser animalischen Seite zielt und damit im Subjekt gewachsener Herrschergestalt die Überwindung der Krise als Wiederherstellung (auch) des Sittlichen bedingt. Dies geschieht mit dem in die Fabel des Stücks inkludierten ›Bildungsroman‹ einer Identitätsfindung Sigismunds, welche die »semantische Leere des anmu312 RA III, 35–36. Ein Vergleich bietet sich etwa zum Schluss des dritten Aktes des Turm an  : »JULIAN Gewaltiger Mann, wie dein Sehstern leuchtet  ! Bleibe bei mir, ich werde dich verehren wie einen Engel.« (SW XVI.2, 83). 313 Im Erhabenen begegnet sich das männliche Begehren selbst, wohingegen das Schöne weiblich kodiert ist. Vgl. hierzu Wilhelm Trapp  : Der schöne Mann. Zur Ästhetik eines unmöglichen Körpers  ; Berlin 2003. 25. Zitate im Text zuvor  : RA III, 35/36  ; Schrifttum. 314 Vgl. hierzu Stefan Breuer  : Bürokratie und Charisma  ; op cit, 148 f.: 157 (referiert Webers Haltung dazu). 315 Eckart Goebel  : Charis und Charisma. Grazie und Gewalt von Winckelmann bis Heidegger, Berlin 2006. 107 (Kursiv-Setzung dort).

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tigen Knabenkörpers«316 auffüllt und aus dem schönen (wenngleich verwilderten) Jüngling einen gereiften, aus dem Chaos hervortretenden charismatischen Herrscher, durchaus mit den Zügen des ersten Typus, bzw. in der Bühnenfassung einen seiner selbst bewusst gewordenen Souverän und Märtyrer macht. Hofmannsthal erwähnt für den Part des Älteren namentlich Paracelsus, Böhme und Lavater, für die »Not der Jugend« (wohl stellvertretend) nur ( Jakob Michael) Reinhold Lenz.317 Im Folgenden unterlässt Hofmannsthal nichts, um die Suchenden seiner Zeitgenossenschaft nach dem »furchtbare[n] Erlebnis des neunzehnten Jahrhunderts«318 geläutert, von jenen des Sturm und Drang und der Romantik als ihren Vorgängern und deren »Begriffsgespinsten«, »Kultus des Gemüts«, der auf eine »Suprematie des Traumes über den Geist« hinauslaufe, abzugrenzen – deren Weltfremdheit er scharf kritisiert als »schwärmerisch-sehnsüchtig« und »träumerische Pietät gegen das Gewesene, […] dieses fast wollüstige Sichverlieren in das Naturhafte, […] diesen ganzen raffinierten Sensualismus, mit dem sich die romantischen Geister wie ein Insektenschwarm über alle Lebensblüten des Morgen- und Abendlandes gestürzt haben, ihre trunkenmachende Süßigkeit abzuweiden […]«  ;319 »dieses Weiche und Vage, alles in allem Auflösende, welches das Stigma ist, womit die Romanen diese Geistesart als die deutsche bezeichnen zu dürfen meinen und uns als Knaben, gleichsam schwärmende und schwelgende, unmündige, von ihrem Reich der Klarheit und männlichen Festigkeit absondern.«320

Es liegt nahe, hier eine Kenntnis der von Carl Schmitt in den politischen Diskurs der zwanziger Jahre eingebrachten Kampfformel der Politischen Romantik 316 (Goebel, Charis  ; op cit, 15). »Die schöne Seele ist in der entzauberten Welt zerfallen und entlässt aus sich den charismatischen Propheten eines neuen Gottes und den anmutigen Jüngling, den der Prophet zur Bebilderung der Prophetie in den Dienst nimmt  : Der Leere der Prophetie entspricht die semantische Leere des anmutigen Jünglings, der zum Objekt eines Begehrens werden kann, das die kulturelle Ordnung überschreitet, nicht aber die Erneuerung der schönen Seele verbürgen kann.« (ebd., 113). 317 RA III, 36  : Schrifttum. 318 RA III, 38/39  : Schrifttum. Aus heutiger Perspektive wirkt diese Formulierung erstaunlich, da Hofmannsthal dies inmitten des noch schrecklicheren 20. Jahrhunderts schrieb. Dies relativiert sich, wenn man bedenkt, dass »das lange 19. Jahrhundert« nach einer völligen Revolution der Lebensverhältnisse erst mit dem Ersten Weltkrieg als europäischer Katastrophe endete. Vgl. Osterhammel, Die Verwandlung der Welt  ; op cit (20093) und Jürgen Kocka  : Das lange 19. Jahrhundert. Arbeit, Nation und bürgerliche Gesellschaft  ; Stuttgart, 200110. 319 RA III. 36  ; Schrifttum. – eine deutliche Kritik an der Haltung eines geistigen Materialismus. 320 RA III, 37  ; Schrifttum.

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zu vermuten (vgl. hierzu 3.1). Zunächst ist festzuhalten  : Hofmannsthal setzt auf Resignation statt Romantik. Mit »jene[m] erkennende[n] Sich-Demütigen vor den Formen«321 will er die Energie jener Pietät konservieren und in die Bindungen umleiten  ; er favorisiert sozusagen Goethes Option einer strebsamen, zustimmenden, selig-sehnsüchtigen Bescheidenheit. Vielleicht auch »eine Art virtù im Sinne Machiavells«,322 die zwischen den Polen eines »Allzuviel von Freiheit« – wie Hofmannsthal es für die zwanziger Jahre ausmachte – und eines »Allzuviel von Bindung«, wie es zur Goethezeit vorherrschend gewesen sei, mäandriere.323 Auch diese neuen, geläuterten Suchenden – es fällt nebenbei auf, dass Hofmannsthal zu deren »älteren Brüder[n]« nicht auch die Generation von 1848 zählt – seien gefeit vor der »Verführung, sowohl ans Begriffliche als an das Schwärmerische sich zu verlieren«, sie zeichne »ein Mißtrauen gegen das unverantwortlich Spekulative und ein Mißtrauen auch gegen das unverantwortlich Musikantische«, ein »ausdauernd resigniertes Wesen«324 aus  ; mit allerdings doch, wie gesehen, fanatischen und zugleich asketischen Zügen. »Alles wird darauf ankommen, wie wir als Generation den Begriff der Persönlichkeit erfassen  : ob als Willkürzentrum oder anders« notierte sich Hofmannsthal schon 1916.325 Die Gegenüberstellung »Denn nicht Freiheit ist es, was sie zu suchen aus sind, sondern Bindung« ist darum zu Recht als ein zentrales Postulat der Rede ausge321 RA II, 77  ; Beethoven. Den Bereich kollektiver Fiktionen hatte er hierbei fest im Blick (vgl. 2.3.3). Auch bei Hofmannsthal liegt eine »Aktualisierung des Goetheschen Resignationskonzepts« vor, das an Spinoza orientiert war ( Jaeger, Goethe in der Weimarer Republik  ; op cit, 117)  ; im diametralen Gegensatz zu den zwanziger Jahren als »Epoche der Leidenschaften für das Extreme« (ebd., 128). Vgl. hierzu auch Manfred Riedel  : Im Zwiegespräch  ; (op cit), Kapitel »Rückschein des Geistes. Hofmannsthals Zwiesprache mit Goethe und Nietzsche und die Idee einer ›konservativen Revolution‹«. 228 f. 322 RA III, 577  ; Aufzeichnungen (1925). Goethes Zustimmung zur Welt hat Hans-Jürgen Schings in seiner großen Aufsatzsammlung (Würzburg 2011) dargelegt, durchaus mit Erkenntniswert auch für Hofmannsthals Turm, der in seiner Zentralmetapher eine nicht unbedeutende Vorläuferschaft im Wilhelm Meister besitzt. Dies klang mit der oben festgestellten Inklusion des Bildungsromans ins dramatische Geschehen bereits an. Hierzu passt übrigens die in den Aufzeichnungen von 1924 notierte Frage nach dem Bösen im Wilhelm Meister  : »Inwiefern geschieht des Bösen Erwähnung  ?« (SW XXXVIII, 918). Das »Wilhelm-Meisterliche« des Turm wäre im Hinblick auf die Bezüge, die das Stück zum Fragment des Andreas-Romans (seit 1912) unterhält, in einer eigenen Studie zu untersuchen. 323 RA II, 80  ; Beethoven. 324 RA III, jew. 37  ; Schrifttum. Dieses »ausdauernd resignierte Wesen« als Ermöglichungsbedingung einer nicht in politischer Romantik verfliegenden konservativen Revolution ist wohl als Wirkungsabsicht der Bühnenfassung des Turm zu denken. 325 RA II, 34  ; Skandinavien.

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macht worden  ; dies allerdings betrifft nicht nur die »Sprachnorm«, nicht nur die (auch von Publikum und Leser) geforderte Haltung auf Subjektebene. 326 Denn »Bindung« ist gerichtet auf die höchste »Notwendigkeit […] die über allen Satzungen und gleichsam der geometrische Ort aller denkbaren Satzungen ist.« 327 Diese ›geopoetische‹ Idee Hofmannsthals ist nun deutlich als Hinweis auf die hier in den Vorkapiteln referierte Poetologie der inneren Form zu verstehen  ; an diesem »geometrische[n] Ort« »über allen Satzungen« lokalisiert Hofmannsthal das morphologische Prinzip der forma formans.328 Hofmannsthal bedient sich an dieser Stelle einer typisch charismatischen Rechtfertigungsmethode, nämlich der Einrede absoluter bzw. höchster Notwendigkeit, welche man im vorliegenden Kontext mit Schmitts Begriff des Politischen analog lesen kann. Denn auch dieses steht, wenn nicht über, so jedenfalls außerhalb aller Satzungen und wird von der Schwellenfigur des Souveräns verkörpert  ; auch hier ist der Gedanke eines Ursprungs anzutreffen, des morphologischen Prinzips, welches bei Hofmannsthal die Wirklichkeit transzendiert und den eigentlichen Ort der Souveränität bezeichnet. Anstelle von ›Satzung‹ kann also auch ›Verfassung‹ stehen, ein Begriff, der vom subjektiven Horizont des eigenen Befindens bis hinauf zum Zentraldokument, zum Systemprogramm der Staatsorganisation reicht und unter dem nachlassenden »Glauben an die Form« leidet. Beide Pole und deren gesamte Spannbreite sind hier von Hofmannsthal intendiert. Das performative Element der charismatischen Herrschaft wird dementgegen mit der Formulierung »aller denkbaren 326 »Unzähligen Seelen ist Neues zugestoßen [ !], es ist unausbleiblich, daß dem Kriege eine neue Epoche der Seele folgt, wie im Pietismus hinter dem Dreißigjährigen Krieg eine neue Welt der Seele entdeckt wurde.« (RA II, 52  ; Idee Europa.). Hofmannsthal schwebte ein neues europäisches Ich mit der Pietät gegenüber dem Gewesenen, dem geistigen Besitz des Kulturerbes vor. 327 RA III, jew. 37  ; Schrifttum. Ernst Bloch übrigens hat hier frühe Skepsis angemeldet  : - »[…] sie ermatten den Geist, dessen einzige Sendung es werden sollte, tätig zu sein, Tiefe zu proklamieren, sie reiten alles zu Tode, die Schwätzer und Industrieritter, die Waschzettelgrößen, Agenten und Literaturmacher dieser Zeit, mit dem gleichen schnellen, amüsiersüchtigen Verbrauch. Nichts ist vor ihnen sicher, vor Nietzsches koketten Wanzen, die solange nach dem Unendlichen riechen, bis das Unendliche nach Wanzen riecht  ; und wie vor kurzem der Gedanke der Freiheit, so wird bald auch das Geheimnis der Gebundenheit ausgesogen sein, von der unüberbietbaren Trivialisierungskraft der Zeit.« (GdU, 238). 328 Dies ist durchaus auch auf das oben (vgl. 1.3.1) referierte Schema C.G. Jungs zu beziehen, nach welchem eine reale Wahrheit allen gesellschaftlichen Wirklichkeiten vorgreife. Die »höchste Notwendigkeit« entspräche dann der »realen Wahrheit«. Wichtiger für die Poetologie des Politischen ist aber die später auszuführende Verbindung des Prinzips der inneren Form mit der Souveränitätstheorie Schmitts und Benjamins Poetik des Trauerspiels (vgl. 5.1.3).

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Satzungen« betont  ;329 man kann also sagen, dass auch hier, wie in Wirtschaft und Gesellschaft für diesen Herrschaftstyp ausgeführt, der Formierung des (charismatischen) Subjekts eine Verflüssigung der Form kollektiver Machtverhältnisse bzw. die Beschleunigung von deren Abfolge entspricht (die sich eben an der Notwendigkeit auszurichten hat).330 Diese ›inverse Proportionalität‹ folgt natürlich dem Mythos des großen Einzelnen (in dem das Ganze präsent ist), dem geschichtsmächtigen Individuum als der weitverbreiteten Sehnsucht und Selbstüberforderung dieser Epoche, vor der auch (gerade) der Liberalismus (wie gesehen) nicht gefeit war. Davor wird man bemerken können, dass Hofmannsthals Zitat einer charismatischen Legitimation von Herrschaft nicht auf den Bereich persönlichcharismatischer Bindung reduziert werden darf – wenngleich er etwa Hölderlin und auch Dostojewski im vierten Wiener Brief (1923) als geistige Führer bezeichnete und Goethe ihm für eine gefährdete »höchste Autorität« und das »größte Individuum« »der Nation« stand.331 Charisma, als Gnadengabe ebenfalls ein Haben, korrespondiert jenem von Simmel übernommenen, geistig gewendeten Begriff des ›Besitzes‹, dessen Funktion dem des Geldes analog, dessen Gehalt allerdings im symbolisch gesteigerten, substanziellen Sinne den Auflösungstendenzen des Geldes diametral entgegengesetzt ist. Eine solche Dialektik des Charisma, die man sich an der Notwendigkeit seiner Be-Währung veranschaulichen kann, wird auch im Turm zu bemerken sein. Ein weiterer wichtiger Punkt ist hier zu beachten  : Hofmannsthal schreibt diesem Zentrum aller denkbaren Verfassungen über die Gestalten der Suchenden eine geistige Souveränität ein, welche die höchste Notwendigkeit auszudeuten 329 Die Idee eines entsprechend anarchischen Sprachspiels deutet sich bei Vossler an  : »Denn an und für sich hat die Sprache weder Regeln noch Ausnahmen, weil sie zwischen beiden hin und hergeht, weil sie weder dem Einzelnen noch der Gemeinschaft ganz gehört, sondern die bewegliche Mittlerin zwischen dieser und jenem spielt.« Vossler  : GAS, 155/156. Kapitel »Der Einzelne und die Sprache«. 330 Weber hat immer wieder auf den Umstand hingewiesen, dass der Prozess der Rechtsausbildung (von Sitte und Konventionen zu Normen) amorph, also ein flüssiger sei (vgl. etwa, im Zusammenhang des ersten Typus der Suchenden, das Kapitel »Der Prophet«  ; WuG 1922, 250 f.). 331 Die Notizen im Rahmen des »Versuch[s] über die Gegenwart« sind sämtlich interessant. »Was wir haben ist der Gelehrtengeist.«  ; »Deutscher Ästhetismus [sic] ist das schärfst Abzulehnende, weil völlig eitel, ohne Zusammenhang, parasitär –«  : »Ähnlich das Starre bei den Georgianern – und auch im studentischen Comment.« Und schließlich  : »Mißtrauen gegen Überredung – die Magie des Wortes. Mißtrauen gegen Goethe.« (sämtlich RA III, 593  ; Aufzeichnungen [1928]). Auf den letzten Punkt ist im Rahmen der Bühnenfassung des Turm zurückzukommen – denn hier drückt sich nichts anderes aus als ein Misstrauen gegenüber dem Charisma als Kategorie der Rhetorik.

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hat. In diesem Fluchtpunkt »aller denkbaren Satzungen« kommt es zum Hauptdesiderat von Hofmannsthals kulturpolitischen Bemühungen, zur Synthese von Geist und Politik, dem »Problem der Durchgeistigung der Macht«,332 die er für so notwendig erachtet, einen Ausgang aus den als zerrüttet erlebten Verhältnissen zu finden  : »zu der politischen Erfassung des Geistigen und der geistigen des Politischen«. Diese sei Voraussetzung »zur Bildung einer wahren Nation«, 333 die – sich zumindest als »geglaubte Ganzheit« bewegend – die »schrankenlose Orgie des weltlosen Ich[s]«334 hin »zur höchsten Gemeinschaft« überwinde und in der sich »diese verstreuten wertlosen [  !] Individuen« der Suchenden zum Kern der Nation verbinden könnten mit dem Ziel einer »Sicherung des geistigen Raumes«.335 Zu vermerken ist hier nochmals, dass Hofmannsthals Nation als Gemeinschaft, nicht als Gesellschaft und als Kulturnation, nicht als Staatsnation ausgewiesen wird, deren »entscheidendes Konstituens« eben eine Sprache ist, die der Sphäre politischer Institutionen notwendig vorgreift und den »Gesamtbereich des Politischen« (Hans Heinrich Schaeder) umfasst.336 Das sich anknüpfende Legitimationspotential einer immanenten Transzendenz, wie es auch die ›Leerformeln‹ »Geist der Nation« bzw. des »geistige[n] Gewissen[s] der Nation«, »Genius der Nation« (»von wahrhaft religioser Verantwortung«)337 implizieren, ist im Folgenden bei Betrachtung des Sigismund zu berücksichtigen, in welcher, 332 Auch die Aufzeichnungen in Erinnerung an Bodenhausen tragen dem Rechnung  : »Den Geist nicht gesondert von der Macht erblicken wollen. Die Macht dort erkennen wo sie ist. […] Problem der Durchgeistigung der Macht.« (RA III, 167  ; Bodenhausen). 333 RA III, 40  : Schrifttum. Dass diese »Entdifferenzierung« notwendig in eine »Ästhetisierung des Politischen« münde, ist aber für den Einzelfall nicht ausgemacht. Eine geistige Bewältigung des Politischen, wie sie Hofmannsthal mittels der Ästhetik, genauer  : der Literatur vorschwebte, ist nicht mit der Ästhetisierung des Politischen gleichzusetzen – es sei denn, man wollte den bemerkten Modus der »Entdifferenzierung« auch in der Wissenschaft »konsequent zu Ende« denken. Vgl. Gretz, Fundamentalisierung des Ästhetischen  ; op cit, 82. 334 RA III, 39, 38  : Schrifttum. 335 RA III, 40, 40  : Schrifttum. 336 Vgl. vorangegangene Ausführungen zur ›Sprache des Politischen‹ unter 2.2. Das Konzept der Sprachnation ist damit ähnlich »verfassungsindifferent«, wie Breuer das für die Begriffe Nation und Volk für Deutschland bis weit ins 20. Jahrhundert festgestellt hat. Mit dem Satz »Eine wie immer geartete formende Wirkung konnte von ihr nicht ausgehen.« beschreibt er mehr das Resultat dieser Erblast des Imaginären aus Romantik und Idealismus als dessen Ursachen (Breuer, Bürokratie, op cit, 132). Auch Hofmannsthal scheint diese Entwicklung geahnt zu haben, wenn man das Ende der Bühnenfassung bedenkt. 337 RA III, 24, 30, 40, 40 (in dieser Reihenfolge)  : Schrifttum. »Die Sprache unsere unbefleckbare Kirche (von der wir nie wissen ob wir noch in sie eingeschlossen sind)« lautet die entsprechende Notiz zu WES ([SW] XXXVI, 693).

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so eine überleitende These, ein sprachlicher Ausgleich zwischen »oben« und »unten« symbolisiert werden soll  ; wie auch das Drama mittels zahlreicher Zitate auf Volksdialekte und den hohen Ton der »Sprachdenkmäler« zurückgreift (hierzu gleich anschließend 2.5). »Die als Dichtung erscheinende Sprache ist individuell und universal, […] offen für die romantische Mannigfaltigkeit und Zerrissenheit des Lebens und geschlossen zugleich in der Eigengesetzlichkeit ihres intuitiven klassischen Gestaltungswillens. Sie ruht beschaulich und tendenzlos in sich selbst und strahlt wie eine Sonne nach allen Seiten hin die Wirkung ihres Lichts.« (GKS, 260/261)

Die »Sicherung des geistigen Raumes« auf diesem Weg – das sprachlich verfasste Geschichtsbild von »Geist und Kultur« (Vossler) – ist also Hofmannsthals Erwartung an jenen »Prozeß« einer »konservative[n] Revolution von einem Umfange, wie die europäische Geschichte ihn nicht kennt«338 – und zwar durch Gestaltung auch dessen, was in der gegenwärtigen Sprache nicht (mehr) präsent ist. Hierfür müssten die alten Sünden eines geistigen Dualismus aufgearbeitet, durch geistige Vermittlung ›geheilt‹ werden (womit auch hier auf die religiöse Spaltung und ihre kulturellen Folgen verwiesen ist). Hofmannsthal wiederholt einen Auftrag, wirklich eins seiner Lebensthemen, nämlich die Einung des Disparaten  : »alles Zerklüftete muß hineingerissen werden ins eigene Innere und dort in eines gedichtet werden, damit außen Einheit werde, denn nur dem in sich Ganzen wird die Welt zur Einheit«.339 Und ebenso Zeuge wie Zeugnis dieser Poetologie ist eben »die Nation als Geist = die Sprache«. Max Weber hat in Wirtschaft und Gesellschaft dargelegt, »[…] daß die Idee der »Nation« bei ihren Trägern in sehr intimen Beziehungen zu »Prestige«-Interessen steht«.340 Insofern hat hier der su338 RA III, 41  : Schrifttum. 339 RA III, 40  : Schrifttum. Unübersehbar ist hier die Nähe zu Hofmannsthals Rede von 1906 »Der Dichter und diese Zeit«. In der starken Schnittmenge, welche die beiden Reden aufweisen, ist damit auch eine poetische Konfession Hofmannsthals zu sehen. Dennoch sind sie in Bezug auf Vorstellungen von »Führerschaft« gerade nicht vergleichbar, hier erreicht die spätere Rede ein erheblich höheres Reflexionsniveau, z. B. dort, wo sie sich zu einem Normengewebe der Sprache bekennt, welches die Nation zusammenhalte (RA III, 25  ; Schrifttum). Nochmals  : der Frankreich-Bezug ist anerkennend zu verstehen, nicht ablehnend. 340 Die (fragmentarische) Stelle zur nationalen Idee bei Max Weber sei ihrer Länge wegen hier nachgetragen  : »In ihren frühesten und energischsten Äußerungen hat sie, in irgendeiner, sei es auch verhüllten Form, die Legende von einer providentiellen ,Mission‹ enthalten, welche auf sich zu nehmen denen zugemutet wurde, an welche sich das Pathos ihrer Vertreter wendete,

»Geistiger Raum« und innere Form – die Schrifttum-Rede

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chende Dichter als Seher auch in Hofmannsthals eigener Person einzustehen für diese »ins Chaos projezierte[n] Punkte, deren Verbindungen den Grundriß jenes Geistraumes ergäben«,341 den Hofmannsthals Rede entwarf. Jenen »Raumbegriff, der aus diesem geistigen Ganzen emaniert, […] mit dem Geisterraum, den die Nation in ihrem eigenen Bewußtsein und in dem der Welt einnimmt«,342 in ein Durchdringungsverhältnis zu heben und diesem eine geistige Lebensform zu schaffen, welche die Summe der gesellschaftlichen Wechselwirkungen sprachlich fasst, kommensurabel und ›haltbar‹ macht, ist Hofmannsthals konservative Utopie.343 »Ihr Ziel ist Form, eine neue deutsche Wirklichkeit, an der die ganze Nation teilhaben könne.«344 Dieser aus Formung erwachsende Raum müsse aber und die Vorstellung, daß diese Mission gerade durch die Pflege der individuellen Eigenart der als ›Nation‹ besonderten Gruppe und nur durch sie ermöglicht werde. Mithin kann diese Mission — sofern sie sich selbst durch den Wert ihres Inhaltes zu rechtfertigen sucht – nur als eine spezifische ›Kultur‹-Mission konsequent vorgestellt werden. Die Überlegenheit oder doch die Unersetzlichkeit der nur kraft der Pflege der Eigenart zu bewahrenden und zu entwickelnden ,Kulturgüter‹ ist es denn, an welcher die Bedeutsamkeit der ,Nation‹ verankert zu werden pflegt und es ist daher selbstverständlich, daß, wie die in der politischen Gemeinschaft Mächtigen die Staatsidee provozieren, so diejenigen, welche innerhalb einer ›Kulturgemeinschaft‹, das soll hier heißen  : einer Gruppe von Menschen, welchen kraft ihrer Eigenart bestimmte, als ›Kulturgüter‹ geltende Leistungen in spezifischer Art zugänglich sind, die Führung usurpieren  : die ›Intellektuellen‹ also, [… die] in spezifischem Maße dazu prädestiniert sind, die ›nationale‹ Idee zu propagieren.« (WuG 1922, 629/630). Wer diese Intellektuellen sein sollten und welche Rolle hierbei die Literatur gespielt hätte, lässt sich aus einem von den Herausgebern nachgetragenen Satz nur erahnen  : »Reine Kunst und Literatur von deutscher Eigenart sind nicht im politischen Zentrum Deutschlands entstanden.« (ebd., 630). 341 RA III, 40  : Schrifttum. 342 RA III, 27  ; Schrifttum. Zum Vergleich von französischer und deutscher Nation noch einmal Breuer  : »In Frankreich bezieht die Nation das ihr zugeschriebene Charisma teils aus der Religion, teils aus ihrem weltlichen Surrogat, dem Charisma der Vernunft. In Deutschland sind die verschiedenen Entwürfe einer Nationalreligion direkte Erben der lutherischen und pietistischen Tradition.« (Breuer, Bürokratie  ; op cit, 143). 343 Nochmals sei Vosslers Wendung der »beweglichen Mittlerin« Sprache zitiert (GAS, 156), welcher im »Schrifttum« also dauerhafte Präsenz geschaffen sein soll. 344 RA III, 41  ; Schrifttum. Le Rider hat darin eine geistesgeschichtliche Gleichsetzung von Französischer und (widerstrebender) Konservativer Revolution gesehen (vgl. Le Rider, Historismus und Moderne  ; op cit, 275). Pornschlegel hingegen befindet, die »Inhibition« des »souveränen, [sic] Politischen« sei es, »die Hofmannsthals Ablehnung des contrat social und der ihm verbundenen politischen Formen motiviert und ihn statt dessen [sic] zusammen mit einer neuen pietistischen Gemeinde von ›Stillen im Lande‹ adventistisch warten läßt auf eine renovatio des Reichs.« (Pornschlegel, Reichsidee  ; op cit, 265). Hofmannsthals rege kulturpolitische Tätigkeit ist sicher nicht mit dem Wartestand eines Herzensmonarchisten auf die Rückkehr des Kyffhäusers zu ver-

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inmitten des Kontinuums zwischen der »Vergeudung« des Romantikers und der – bürokratischen – »Verengung« durch den Bildungsphilister entstehen.

2.5 Der stammelnde Demos. Prolog zum Sigismund »So stellt die innere Form sich dem spekulativen Blick als das schöpferische Prinzip des sprechenden Geistes dar […] Dank diesem Sachverhalt ist die innere Sprachform das Stelldichein, […] denn hier gibt sich der Geist in keiner anderen Gestalt, als in der Sprache zu erkennen und ist die Sprache nichts anderes, als Gestalt gewordener Geist.« (Vossler, GKS, 243 [Hervorh. A.M.])345 »Ganz war er  : was ihn traf, das traf den ganzen Menschen. […] An dem Sinn, der ihm das Übersinnliche zubrachte, traf ihn die Prüfung und machte ihn ärmer als den gewöhnlichsten Menschen. Darin gleicht er dem Moses, der reden mußte mit Gott für sein Volk und ein Stammler war.« (RA II, 85  ; Beethoven)

Wie die »neue deutsche Wirklichkeit« für Hofmannsthal aussehen konnte, ist im Turm in den Gestalten des Sigismund (Bühnenfassung) bzw. des Kinderkönigs angelegt. In diesen gefäßartig aufzufassenden Gestalten kreuzen sich Hofmannsthals politische und kulturelle Desiderate hinsichtlich der »geistigen Hauptverhältnisse« der Nation, welche man sich als im Fließen befindliche vorzustellen hat. Die Metaphorik des Liquiden ist in geschichtlicher und politischer Darstellung ein Typikum und als solches in Hofmannsthals Anthologien sehr präsent. Das Liquide ist die tropische Repräsentation von Kontingenz diverser (gesellschaftlicher) Bereiche  : z. B. Massen, Finanzverhältnisse oder die Wissensbestände generell. Die »Sprachkrise« als Teil der »Repräsentationskrisen« um 1900 (Fischer-Lichte) findet hier gleichermaßen den ästhetischen Fonds ihrer (lebensreformerisch inspirierten) Verlustanzeige. Sie dringt auf die Erkenntnis, dass das Subjektbewusstsein sich – zeitlich wie sozial – in einem permanenten Überschreitungsprozess befindet und seine Darstellung daher die Verwendung gleichen. Eine »renovatio des Reiches« kommt als literarische Wirkungsabsicht Hofmannsthals durchaus infrage  ; politisch aber höchstens als dynastielose Erneuerung, nämlich in Verbindung mit der messianischen Reichstheologie von Landauer, Buber, Rang, als Mythos einer kommenden Gemeinschaft, in Betracht. 345 Hofmannsthals oben zitierte (auf Schillers Wallenstein bzw. Anmut und Würde zurückgehende) Feststellung, es sei der Geist, der sich den (Sprach-)Körper baue, ist hier wieder aufzugreifen.

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einer Metaphorik des Fluiden bzw. Liquiden geradezu erfordert.346 Sie ist aber kein Spezifikum des Subjektzustandes, sondern vielmehr ein Echo, ein Reflex von dessen Absorption und Transzendierung in den entstehenden Masse-Kollektiven der Moderne. Deren Beobachtung durch die und in der Literatur führt dann die entsprechende Evidenz im Metaphorischen herauf, nicht ohne dabei auch den in der Darstellung gestaltenden, verfassenden Moment zu reflektieren. Der formende, über die bewältigte Materie leibhafte Geist ist für Hofmannsthal im Prinzip eine absolute Metapher.347 So verwendet Hofmannsthal die Metaphorik auch für das »Schrifttum« selbst, in welchem »der Geist die Augen aufschlägt«, wo nicht das Wort der einzelnen Gebildeten berichtet, sondern das, »was an tausend Stellen dem Leben selber entfließt, wie Harz den angeschnittenen Bäumen« sich mitteilt.348 Gestaltungen von Liquidität und Fluidität gibt es bei Hofmannsthal vielfach – etwa hinsichtlich des Geldes im Jedermann, hinsichtlich der Zeit im Rosenkavalier – und hinsichtlich des Politischen im Turm (Masse, Inflation). »Jener Kreislauf zwischen dem Geistigen und dem Gesellschaftlichen […]«  :349 Das sind sämtlich als im Fließen befindlich zu imaginierende Verhältnisse. Festzuhalten ist hier auch unter Berücksichtigung der notwendigen Varietät solcher Ausprägungen, dass die Figur des Sigismund, der zwar des Lateinischen mächtig ist, dem sich aber manchmal das Wort im Mund »krampft«, im Turm die für solche Konzepte integrative Gestalt ist.350 An Sigismund wird u. a. zu erörtern sein, inwiefern Sätze 346 Wiederum ist Simmel für diese Beobachtung ein guter Gewährsmann  : »Denn das Wesen der Moderne überhaupt ist Psychologismus, das Erleben und Deuten der Welt gemäß den Reaktionen unsres Inneren und eigentlich als einer Innenwelt, die Auflösung der festen Inhalte in das flüssige Element der Seele, aus der alle Substanz herausgeläutert ist, und deren Formen nur Formen von Bewegungen sind.« (Georg Simmel  : Rodin – mit einer Vorbemerkung über Meunier  ; in  : Ders.: Philosophische Kultur  ; op cit, 168–186  : 184.) 347 Vgl. Niklas Luhmann  : Die Kunst der Gesellschaft  ; Frankfurt/Main 1995. 21  : Geist sei die »metaphorische Umschreibung des Mysteriums der Kommunikation«. Eine stark kommunikative Grundlage ist der Vorstellung sicher zueigen. Jedoch spricht zumindest Hofmannsthal (und auch Vossler) nicht im übertragenen Sinne von ›Geist‹ – insofern sollte man im Sinne Blumenbergs von einer »absoluten Metapher« ausgehen (vgl. Blumenberg, Paradigmen zu einer Metaphorologie  ; op cit, 9). 348 RA II, 438  ; Österreichische Bibliothek. 349 RA III, 28  ; Schrifttum. 350 Hofmannsthal inszenierte das liquide Element durchaus auch als tödliches – so stirbt in Das Leben ein Traum Sigismund in einem Wassergraben, bevor an seiner Stelle der Mörder Wenzeslas die Massen begeistert. Der in der Bühnenfassung wieder aufgegriffene Topos der Verwechslung war also schon früh angelegt  : »Sie schlagen ihn nieder, werfen ihn in ein tiefes Loch neben

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Hofmannsthals wie »So war das Leben der Nation in Einem Wesen geworden […] geistigste, unverwirklichte Gegenwart … «351 zu verstehen sind. Immer wieder betont Hofmannsthal hierbei das gewissermaßen anarchische, organisationsfremde und außerhalb der Gesellschaft stehende Element jenes ursprünglichen Kraftzentrums  : »Kräfte wirken auf uns ein und werden unmittelbar gewaltig, denen die politischen Einrichtungen weder Raum zu geben, noch Schranken zu setzen mächtig sind, ein eigentümlicher Zusammenhang wird wirksam zwischen den Geschlechtern, wir ahnen dahinter ein Etwas waltend, das wir den Geist der Nation zu nennen uns getrauen.« (RA III, 26  ; Schrifttum)352

Die Nähe zu den oben referierten Imaginationen ist augenfällig und erklärt sich hinsichtlich der von Hofmannsthal herausgegebenen sprachphilosophischen ›Kondensate‹ von selbst. »Sprachquell«, »Sprachgeist« und »Volksgeist«353 sind entsprechend bei Hofmannsthal metaphorische Formeln einer immanenten Transzendenz und stehen in (mythischem) Bezug zu seinem eigenen Schaffen, das sich somit vor dem Hintergrund einer Idealisierung der Sprache abspielt. Dass es sich hierbei um Gestaltungsversuche eines »imponderabilen Fluidums« dem Kerker, wo Wasser rinnt, und führen der jubelnden Menge den neuen Sigismund […] vor« (SW XV, 245  ; Das Leben ein Traum. Vgl. auch RA III, 454  ; Aufzeichnungen [1905]). 351 RA II, 73  : Beethoven. 352 Zu beachten ist hier abermals der metaphorische Paradigmenwechsel, der Hofmannsthal in die Nähe Bourdieus bringt – der geistige Raum der Nation überwölbt somit ein Feld der (Kultur-) Geschichte, aus dem immer wieder die Nebel des Vergangenen aufsteigen und sich in die Atmosphäre der Gegenwart einmengen. Dass Hofmannsthal mit dieser Rückschau auf Konzepte um 1800 nicht allein da stand, lässt sich etwa mit Blick auf Vossler leicht belegen  : »Der Genius oder Sprachgeist einer Nation ist ihre Genialität, also kein Fabelwesen, sondern eine Kraft, eine Begabung, ein Temperament.« (GKS, 153). Auch Landauer wurde oben mit ähnlichen Anleihen zitiert. 353 RA II, 170/171  : Deutsches Lesebuch. Hofmannsthal machte für das Aufkommen und die Zeit größter Wirkung eines ›Mythos des Logos‹ oder auch  : Utopie des Geistes das Jahrhundert von 1750–1850 aus  ; genau genommen  : 1848 (ebd, 169). Hofmannsthals Terminologie ist übrigens unzuverlässig. Ob der Sprachgeist etwa mit dem Volksgeist synonym zu verstehen ist – und beide wiederum mit dem Geist der Nation –, wird nicht vollends klar. In den meisten Fällen ist von einem synonymen Gebrauch auszugehen. Daneben gibt es auch noch den »Ortsgeist« bzw. die Landschaft als weitere, regionale Kategorien (vgl. z. B. RA II, 66  ; Bedeutung unseres Kunstgewerbes oder RA II, 202  ; Beiträge, hier im Gegensatz zum »Zeitgeist«). Auf diese terminologischen Untiefen ist hier nur hinzuweisen, da der Fokus der Studie anders liegt.

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handelt, bringt Sigismund in eine Nähe zu »nationalromantischen Zirkulationsmodellen« (Harald Schmidt). Denn das Phantasma eines »Nationalgeists«, auf Herder zurückgehend, erhielt in Adam Müllers Zwölf Reden über die Beredsamkeit und deren Verfall (1812) – aus denen Hofmannsthal Auszüge in die Anthologie Wert und Ehre deutscher Sprache (1927) und auch schon ins Deutsche Lesebuch (1921) aufnahm (vgl. 2.3) – und als unsichtbare Zirkulation eines »Atems, Geists, Lebenshauchs« auch bei Ernst Moritz Arndt erhebliche Bedeutung.354 Diesen »Fluidismus« führt Jochen Schmidt auf den pietistischen Patriotismus des 18. Jahrhunderts zurück.355 Dieser geht mit dem »lebendigen« Symbolgehalt in die organisch imaginierte Gestalt ein. Damit ist die Fragestellung zu verbinden, ob Hofmannsthal nicht ebenfalls als »politischer Romantiker« zumindest eines ›modernen Pietismus‹ aufzufassen sei356 – und inwiefern er dabei auf Zeugnisse einer »romantischen Moderne« abseits der eingeschwärzten Phantastik eines Meyrink oder etwa Ewers zurückgriff. Zu nennen wären hier Kreise um den »romantischen Sozialisten« Gustav Landauer,357 der entsprechend ›volkhafte‹ Mythologeme (›Imaginative‹) umstandslos in seine Vorstellung des Sozialismus als geistigen Organismus höherer Ordnung – eben des »neuen Bundes« einer »kommenden Gemeinschaft« – einbezog  : »die Heimat ist der Körper  ; die Sprache aber ist der Geist.« »dieser Geist aber hat keinen Körper als den Geist selber.« »wiederum Geist und sogar Wahn ist, sagen wir  :« »[…] jeder Bund, der die Menschen vereint und aus einer Summe von Einzelwesen ein neues Gebilde, einen Organismus schafft.« (Landauer, Aufruf zum Sozialismus  ; op cit, 10, 8, 11/16) 354 Ernst Moritz Arndt  : Der Rhein, Teutschlands Strom, aber nicht Teutschlands Gränze [1813]). Vgl. hierzu Harald Schmidt  : Umlauf der Sprache, Umlauf des Geistes. Nationalromantische Zirkulationsmodelle als integrative Kulturkonzepte  ; in  : G. Graevenitz (Hg.)  : Konzepte der Moderne  ; Stuttgart 1999. 45–70  : 55. Hofmannsthal nahm allerdings weniger politisierte Auszüge aus Geist der Zeit (1818) in sein Kompendium auf. Vgl. auch sein negatives Urteil über Arndt in den Aufzeichnungen (RA III, 570  ; Aufzeichnungen [1923]). 355 »Er schafft aus den organologischen Gottesvorstellungen der Mystik ein organologisches Staatsund Volksdenken sowie eine metaphysisch aufgeladene Nationalgeistlehre.« (Schmidt, Geniegedanken  ; op cit, 56). 356 Max Webers Religionssoziologie hielt für dessen historische Erscheinung viel Anschauungsmaterial bereit. 357 Vgl. Eugene Lunn, Prophet of Community. The Romantic Socialism of Gustav Landauer, Berkeley 1973. Zu Hofmannsthals Kontakt zum »Forte«-Kreis, dem auch Florens Christian Rang angehörte, vgl. Nicolaus, Souverän und Märtyrer  ; op cit, 20 ff.

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Schon Broch hat diesen romantischen Zusammenhang erwähnt  : »als Dichter keinem der konkreten Stände zugehörig, dafür aber in der spirituellen Volksganzheit beheimatet, ja sogar als deren geheimer Führer sich fühlend und deshalb ihr dienend […]«) habe Hofmannsthal, »lediglich dem Kaiser, […] der Krone unmittelbar untertan«, in der sich diese »Volksganzheit« verkörpere, eine »Traumrealität« geschaffen, welche nur in Korrespondenz mit jener ›wirklichen‹ Traumrealität Österreichs verstanden werden könne.358 Die von Broch attestierte Traditionalität der Hofmannsthalschen Traumrealität hat bis zu Clemens Pornschlegels »adventistischer« Erwartung eines erneuerten Habsburger Reiches Fortsetzung gefunden.359 Es gibt jedoch gute Gründe, sie zu bezweifeln und in Richtung einer moderneren – und darin eben ungewollt auch abgründigeren – Haltung zu korrigieren. Es wird im Folgenden darum gehen, die Sigismund-Gestalt zunächst in ihrer kollektiven  : sprachlichen Dimension zu zeigen und jene damit verbundene Poetik des Liquiden (als dichterischer Verarbeitung der Zeit) und des Fluiden (des Geistigen, des Traums, symbolisiert schon in der »Lyrik des Hauchs« als »Geistwerden des Leibs«360) als einen ästhetischen Hauptstrang in Hofmannsthals Werk auszuweisen,361 welcher allerdings, politisch gewendet, im Konzept einer ›charismatisch verflüssigten‹ Herrschaft zu münden scheint.

358 Broch, HuZ, 210. Broch legt Hofmannsthal allerdings in seinem kritisch-würdigenden Essay viel zu sehr auf die Rolle des unpolitischen Phantasten fest. Zu Hofmannsthals Sprachverständnis vgl. auch Heinz, Sprachgeschichte  ; op cit, 287 ff. 359 Twellmann bezieht sich merkwürdigerweise zustimmend auf diese traditional-reaktionäre Einschätzung Pornschlegels, die doch der These seines Buches  : der Schmittianischen Radikalisierung des politischen Autors Hofmannsthal so offensichtlich widerspricht (vgl. Twellmann, Drama  ; op cit, 215/216). 360 Die Wendung »Geistwerden des Leibes« im Gesang (RA II, 166  ; Tschechische und slowakische Volkslieder) ist eigentlich eine Inversion Herders, der in den Liedersammlungen vielmehr den Nationalgeist inkorporiert sah (Heinz ist diese Umkehrung scheinbar nicht aufgefallen, vgl. Heinz, Sprachgeschichte, op cit, 282). 361 In einem Beitrag über den Begriff ›Stil‹ kritisierte übrigens Gundolf in verwandter Rhetorik, die Kunst sei dahin verfallen, dass ihre Bewegung nicht mehr den ganzen Körper erfasse, sondern ihm äußerlich bleibe, also ohne dass sie »von innen fliesse.« (Jahrbuch für die geistige Bewegung II [1911] hg. v. F. Gundolf u. F. Wolters  ; Berlin 1911 [Verlag der Blätter für die Kunst].121  : Gundolf.).

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2.5.1 Ästhetik des Liquiden und Fluiden »Es ist nicht zu sagen, wie wenig wir ganz eigentlich zu besitzen und zu erleben imstande sind. Alles gleitet und ist augenblicklich, gleitet in das nicht Erreichen, in Erinnern und Hoffen hinein.« (Bloch, Geist der Utopie  ; op cit, 363) »In mir aber fließt es ohne Stocken, und das ist dein Werk.« (Sigismund, Aufzug IV/Akt V)

Vielleicht ist Hofmannsthals selbst annoncierte Hinwendung zum »Socialen« im Wesentlichen darin zu sehen,362 die Dialektik von Form und Verfließen auf den sozialen Bereich übertragen zu haben (was auch für die Ebene des Traums gilt).363 An die Stelle des Begriffs bzw. Imaginativs ›Leben‹ trat hierdurch, wie schon argumentiert wurde, der des »Socialen« vor einem zusehends politischeren Horizont.364 Diese Translation eines »Werde, was Du bist« (Nietzsche) in einen Perspektiven-Pluralismus des »inneren Schauspielers« steht eigentlich am Beginn seines dramatischen Schaffens, das zugleich die Abkehr von der Lyrik bedeutete. Schon diese allerdings ist einer Poetik des Fluiden und Liquiden, von Form und Verfließen in besonderem Maße verpflichtet  ; »daß alles gleitet und vorüberrinnt«365 (Terzinen über Vergänglichkeit) ist eine ziemlich melancholische Feststellung, die nur aus ihrer davon merkwürdig unberührten, gleichsam archimedischen Perspektive heraus etwas Tröstendes hat. Vom Gleiten der Verhältnisse, wie er es um 1900 noch verspürt haben mag, führt Hofmannsthals Zeiterfahrung jedoch nach 1918 tatsächlich zur ultimativen Kontingenzformel eines »Sturz des Daseins«,366 wie er ihn erst später z. B. mit Vermächtnis der Antike (1926) und Blick auf den geistigen Zustand Europas (1922) skizzierte. So kam der 362 Vgl. hierzu RA III, 577 [1925]. Über den »Weg zum Sozialen« vgl. Michael Großheim  : Politischer Existenzialismus. Subjektivität zwischen Entfremdung und Engagement. Philosophische Untersuchungen  ; Tübingen 2002. Zu Hofmannsthal  : 89 f.; insb. 114 f. 363 Wie gezeigt (vgl. 2.2), werden die Befunde seiner Sprachkritik, der festgestellte Verlust an Unmittelbarkeit des Ausdrucks, auf einer Ebene des Politischen bzw. der politischen Sprache problematisiert. 364 Das »Fluidum« des Lebens wird durch die gesellschaftliche Entwicklung hin zum Massenstaat unübersehbar politisiert (nämlich zum »bloßen Leben« Benjamins). Wie sich der ›Geist‹ als das komplementäre Fluidum dazu verhält, ist das Dilemma des modernen Idealismus’, der Turm dramatisiert es mit den Figuren Julians und des Arztes. 365 GW Gedichte. Dramen I, 22  ; Terzinen. 366 RA III, 465  ; Aufzeichnungen [1905].

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kollektiven Spielart des Traums – der Utopie – eine erhöhte Relevanz zu, welcher der Turm in den dichterischen Fassungen mehr Raum gibt als die Bühnenfassung. Die darin intendierte Kompensation kann im Zusammenhang mit Jungs Ausführungen zum religiösen Symbol gelesen werden. 367 Vom Gedanken der Kompensation ist Hofmannsthals Autorschaftskonzept der späten Jahre geprägt – »17. X. – Dichter. Zentral dieses  : Kompensation – das Harmonische fühlen im Gegensatz – vereinigen – Doppelgewichtigkeit – Nacht und Tag – Beharren und Schöpfung – Historisches und Unhistorisches – Sein und Werden ausgleichen – auch Arm und Reich – Heutig und Vergangen – werten und entwerten der Worte« (RA III, 590  ; Aufzeichnungen [1927])

»Gleiten« kann aber im Sinne einer Subjektpolitik des Werdens auch ins Aktivum gesetzt werden (etwa im Bild des Adlers im Andreas-Fragment) und ist daher anders zu bewerten als »Vorüberrinnen« – wenn nicht als ordnende Teilhabe am Geschehen (im Sinne einer »geistigen Souveränität«), so zumindest als Befähigung zur konsistenten Enthaltung davon  : »il faut glisser ne pas appuyer la vie.« Diesen Ausspruch Bourgets hat sich Hofmannsthal verschiedentlich notiert, in den Aufzeichnungen zum König Kandaules ebenso wie, was hier mehr interessiert, zu Das Leben ein Traum. Bereits eine Notiz von 1894 weist auf die Thematik hin  : »Leben und Traum (Kunstwerk) gegeneinander abgewogen.« Die Aufzeichnung zur Kompensation von Sein und Werden von 1927 zeigt die anhaltende Bedeutung dieser Thematik an (die im »werten und entwerten der Worte« erneut eine Analogie zum Geld aufweist). Zur Haltung dieser Balance schreibt Ulrike Stamm  : »Sich dem Fluß der Zeit zu überlassen bedeutet […] paradoxerweise, eine Form der Ruhe zu erreichen«,368 welche dem im kontingenten Geschehen Verharrenden eben nicht mehr zukommt, weil er zu dessen Objekt wird. Genau in dieser Ruhe liegt also eine Enthaltung im Sinne einer Konsistenz des Subjekts, 367 Vgl. 1.3.1. Carl Gustav Jung  : Wandlungen und Symbole der Libido  ; op cit, 224. (FDH 1538). »Der religiöse Mythus tritt uns […] als eine der größten und bedeutsamsten menschlichen Institutionen entgegen, welche mit täuschenden Symbolen dem Menschen doch die Sicherheit und Kraft geben, vom Ungeheuern des Weltganzen nicht erdrückt zu werden.« (ebd, 224  ; Markierung  : Hofmannsthal). Infolge der Säkularisierung des religiösen Symbols trete dann das »Erkennen« anstelle des »Glaubens«. Hofmannsthal notierte sich in diesem Buch zudem  : »Zu Der Deutsche u. die Form. Symbole u ihre functionelle Bedeutung. Insbes. ab Seite 217« (ebd., 422). 368 Bourget  : RA III, 392 [1894]  ; SW XV, Dramen 13  ; Das Leben ein Traum. 222. Zum KandaulesBezug  : ebd., 281.Vgl. hierzu Ulrike Stamm  : »Ein Kritiker aus dem Willen der Natur«  ; op cit. Zur Metaphorik des Fluiden bei Pater  : 62 ff., bei Hofmannsthal  : 74 f.; Zitat  : 83.

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die sich als Besitz des Selbsts aber dessen Beweglichkeit und Elastizität verdankt (vgl. 2.1). Sigismund, dem diese Problematik moderner Individualität also von Beginn an eingezeichnet ist,369 wird diese (innere) Ruhe im vierten Aufzug bzw. Akt erlangt haben und scheint als »Geist auf Gleitendem zu ruhen«. 370 Dieses Stadium erreicht er jedoch erst kurz vor seiner ›Kür‹ durch das revolutionäre Volk, zugleich gewissermaßen der ›Stunde Null‹ gesellschaftlicher Verfasstheit und »Kairos« der Krise  ; einem Moment höchster Bewegtheit also. Dem geistig souverän gewordenen Prinzen aber »[…] erscheint der gesteigerte Augenblick insofern als eine stillgestellte Bewegung, als der Fluß der Zeit gewissermaßen kristallisiert und erstarrt«371 – um anschließend in koordinierter Bewegung fortzuschreiten  : »Du aber sollst Vormäher sein«  ; wie Sigismund im vierten Aufzug Indrik den Schmied mit der Leitung der ›Herde‹ beauftragt. In Bezug auf die Sprache verwendet Hofmannsthal nur die Metaphorik des Liquiden (während das Fluide mit dem Geistigen verbunden ist),372 in Bezug auf die gestaltende Literatur jedoch auch eine des Kristallinen, also der Form. Beides scheint in Sigismund übereingeführt, der in einer Notiz ein »kristallenes Reich« errichten soll.373 Entsprechend stammen Notizen zu einer Poetologie des Kristallinen – »alle die reichen Worte […], wie sie einander durchwachsen, wie Kristalle anschießen, sich bilden und entbilden« – aus der Entstehungszeit von 369 Vgl. hierzu auch die schon erwähnten bemerkenswerten Beiträge Bergengruens zum »psychopathologischen Kern« der Figur, etwa mit Verweis auf Krafft-Ebing  ; Bergengruen  : Mystik der Nerven, op cit, 7 ff.: 17 und insbesondere 155 ff.; wenngleich dieser Zugang zur Interpretation des Turm auch nicht verabsolutiert werden darf. 370 RA III, 465, Aufzeichnungen (1905). Das Liquide ist, wie das Changieren zwischen heller und dunkler Metaphorik, einer »Poetik des Übergänglichen« verpflichtet (Pfotenhauer/Riedel/ Schneider [Hg.]  : Poetik der Evidenz  ; op cit, Einleitung. VII ff.: X.). 371 Stamm, Kritiker der Natur  ; op cit, 60. Auf Nähen zu Walter Benjamins »dialektischem Bild« und zur Allegorie, die sich durch Chock zur Monade kristallisiert, kann hier vorläufig nur verwiesen werden (vgl. hierzu 5.1). 372 Vgl. z. B. RA III, 128  ; WES. 373 Vgl. SW XVI.2, 280  ; N 289  : »ein Kristallenes Reich wird entstehen.« Zur Metaphorik des Kristallinen vgl. Ulrich J. Beil  : Kristalline Schönheit. Die Sehnsucht nach dem Anorganischen  ; in  : Gerd-Klaus Kaltenbrunner (Hg.)  : »Was aber schön ist …« Rechtfertigung des Ästhetischen  ; Freiburg i.Br. u. a. 1983. 122–139. Sowie U.J. Beil  : Die Wiederkehr des Absoluten. Studien zur Symbolik des Kristallinen und Metallischen in der deutschen Literatur der Jahrhundertwende  ; Frankfurt/Main u. a., 1988. Die Metapher der Kristallisation erhielt durch Breuer/Freuds Studien über Hysterie zudem eine psychologische Dimension. Verschiedene Symptome und die Entwicklung der Psyche wurden hier mit dem Kristallwachstum verglichen. Freud hat diese Bildlichkeit später aufgegeben, da sie als metaphorisches Konzept zu starr erschien. Vgl. Josef Breuer/Sigmund Freud  : Studien über Hysterie  ; Leipzig, Wien 1895.

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Das Leben ein Traum.374 Dieses Prinzip des Bildens und Entbildens – man könnte auch sagen  : Gestaltens und Entstaltens –, also einer permanenten permutativen Veränderlichkeit der Form selbst, muss Hofmannsthal fasziniert haben. Denn darin findet das modulierende Wirkungsschema der »inneren Form«, der Wechselwirkungen zwischen Wirklichkeit, Sprache und Schrifttum eine organische Entsprechung, die sich zudem auf den politischen Bereich übertragen ließe. Interessanterweise taucht es als Metapher dann aber nicht mehr bei ihm auf  ; auch die so denkbare Übertragung auf Massenprozesse hat wohl erst Elias Canetti mit Masse und Macht (1960) vorgenommen.375 Zugleich birgt diese Kristallisierung abseits solch bewegter Erscheinungen die Gefahr der dauernden Erstarrung, denn »Formen beleben, Formen töten«.376 Einen ersten Ausweg fand Hofmannsthal zunächst in seiner Betrachtung Englischer Stil (1896) im Bild des Springbrunnens, der scheinbar erstarrten, ruhenden, und tatsächlich doch von völligem Fließen, von reiner Liquidität durchströmten Form. Allerdings ist dies noch eine Ansicht abseits der sozialen Verbundenheit bzw. Gebundenheit des Subjekts, die Hofmannsthal mit dem heraufziehenden Zeitalter des Massenstaates weitaus bewusster wird. Eine eigentlich räumliche Bewegung kann diese Metapher nicht versinnbildlichen. Die Problematik einer Antinomie von Sein und Werden »der vergehenden Zeit und der Dauer« stellte sich dann hinsichtlich der Masse als einem sozialen Phänomen und zugleich ästhetischem Problem in weit schärferem Maße (spätestens seit dem Ersten Weltkrieg)  ; ergänzt darum durch eine zweite  : »die der Einsamkeit und der Gemeinschaft.« Sah er doch das Individuum »bis zu Vernichtung seines Selbstgefühls ironisiert von der Masse« und somit das »Ich als Spiegel des Ganzen«. Diese Haltung begegnet auch in dem Vorhaben, in Sigismund »das was in der Epoche seit Kant an verändertem Weltgefühl lebt irgendwie« zu spiegeln. Das Vorhaben einer Monadologie der Moderne im Individuum aber führt Hofmannsthal zur Figur des – wohl

374 RA III, 462  ; Aufzeichnungen [1905]. Diese doch wohl eindeutig auf die ›performative Struktur‹ von Flüssigkristallen beziehbare Notiz wäre auch für eine Ästhetik der charismatischen Herrschaft (Bewegung) geltend zu machen. (Zugegeben sei, dass zwecks Verdeutlichung einer solchen Analogie jenes Worte und Kristalle trennende »über das« aus dem Zitat herausgekürzt ist.) Möglicherweise besteht ein Bezug zu Novalis, der die »Krystallisation« bereits als Paradigma politischer Formgebung verwendete  : »[…] ein Kern, an den die neue Masse anschieße« (Novalis, Werke. Bd. II 2 [hg. v. Mähl]  ; op cit, 295). 375 Elias Canetti  : Masse und Macht  ; Frankfurt/Main 200329. Zu den »Massenkristallen vgl. 84 f.; zur »Stockung der Masse«  : 36 f. 376 RA III, 269  ; Buch der Freunde.

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nietzscheanisch zu denkenden – »Wahnsinnigen«.377 Züge des Wahnsinns sind darum nicht umsonst auch der Sigismund-Gestalt eingezeichnet. Von dem zwar bewegten, aber unbeweglichen Bild des Springbrunnens führt Hofmannsthals Poetik über die Faszination an den bewegten Körperbildern des Tanzes (die er bildhaft-sprachlich zu fassen suchte)378 und an den Inszenierungen Reinhardts, welche die »fließende[n] Bewegung« in den Dramen durch »ihren eigenen Rhythmus […] zu einer organischen, leidenschaftlich bewegten Einheit«379 mache, schließlich zur sprachlichen Bindung auch des Fluiden in der Gestalt (als Paradoxon eines geistigen Organismus, der allerdings durch Inszenierung im Schauspieler auch realitär körperhaft wird). Deren ›Gehalt‹ kann dabei thematisch wechseln  ; sicher aber muss die Sprache immer mit intendiert sein. Erinnert werden soll an dieser Stelle auch an Oskar Walzels Studie Gehalt und Gestalt im Kunstwerk des Dichters (1923), in welcher das »Kunstwerk als Organismus von eigener Gesetzlichkeit« bestimmt wird,380 sowie insbesondere an die oben zitierte Passage, die Gestalt müsse als ein Kontur innerer Form den (durchaus auf Kollektives zielenden) Gehalt des Kunstwerks – als einen »lebendigen Leib« – umschließen.381 377 Zum Springbrunnen vgl. RA I, 572  ; RA III, 613  ; Ad me ipsum  ; RA II, 139  ; Betrachtungen  ; Sigismund  : RA III, 617  ; Ad me ipsum  ; RA III, 613. 378 Vgl. hierzu die Arbeit von Yongqiang Liu  : Schriftkritik und Bewegungslust. Sprache und Tanz bei Hugo von Hofmannsthal  ; Würzburg 2013. 379 RA II, 301  ; Reinhardt bei der Arbeit (1923). Hofmannsthals Faszination durch Tanz und Bewegung geht der von einer Choereographie der Menge voraus und ist in ihren politischen Implikationen noch nicht ausreichend erfasst worden. Dies Bedeutung des Rhythmus für Hofmannsthal belegt etwa die folgende Notiz  : »Deutsches literarisches Ingenium. Rhythmischer Mangel  : Was seinem Drama fehlt, ist Spannung – das gleiche fehlt seiner Erzählung – ja wird bewußt abgelehnt als nicht deutsch […]« (RA III, 594  ; Aufzeichnungen [1928]). Hofmannsthal wollte den Turm unbedingt von Reinhardt inszenieren lassen. 380 Oskar Walzel  : Gehalt und Gestalt im Kunstwerk des Dichters  ; op cit, 323 f. Zitat  : 324. Walzel ist als vormaliger Lehrer im Hause Andrian und als Schüler Jacob Minors auch Hofmannsthal bekannt gewesen (vgl. König, Dichter unter den Philologen  ; op cit, 122, 136). In diesem Kontext ist der Terminus des »organischen Kunstwerks« von Bedeutung. Walzel unterschied, wie oben erwähnt (vgl. 1.3.2), in Anlehnung an Wölfflin zwischen zwei kunstgeschichtlichen Tendenzen des Stils  : der Renaissance (Geschlossenheit) und dem Barock (Offenheit). In deren Pendelbewegung ordnet er auch Klassik und Romantik ein (vgl. hierzu den Vortrag Wechselseitige Erhellung der Künste  ; op cit [1917]). Eine organische Auffassung des Kunstwerks hätten nach Herder und Goethe (»innere Form«) v. a. Schiller und die Frühromantiker aufgegriffen. 381 »Enger oder fester soll Gehalt und Gestalt sich verknüpfen. Nichts darf den lebendigen Leib beeinträchtigen. Nur Kontur, die ihn umschließt, soll die Gestalt sein.« (Walzel, Wesen des Kunstwerks  ; op cit, 122). Mit dem oben nur erwähnten Büchner-Zitat ist die Übertragbarkeit auf den

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Hofmannsthal selbst äußerte anlässlich der Publikation der Beiträge wie bereits zitiert  : »Die Gestalt erledigt das Problem.«382 Denn in der Gestalt (die man im Drama zudem nach äußerer  : Kontur  ; und innerer  : Figur zu unterscheiden hätte) liegt eben jene Synthese von Form und (Ver-)Fließen, von Bindung und Bewegung (vgl. 2.3.3), die dann im Turm an prägnanter Stelle eine Rolle spielen wird  : »… ich habe dich geformt für diese Stunde [dich selber gebildet aus dir selber, mein Innerstes eingießend in dich  !], nun lasse mich nicht im Stich  !« ( Julian, Aufzug IV).383 Es geht in diesem Augenblick des Ausnahmezustands darum, die politische Macht zu übernehmen. Dem kulturpolitischen Gehalt dieser Gestaltung (und Julians ›Traum der Vernunft‹ dabei) wird man nur über die Interpretation Sigismunds als Kollektiv-Figur gerecht werden. Zunächst aber nochmals zum Traum als jener zu verwirklichenden, fluiden Kreation des Geistes. Die schon angesprochene formale Verbindung von Leben und Traum bedeutet eine weitere Synthese, beide sollen im Kunstwerk »gegeneinander abgewogen« ruhen  ; Hofmannsthal verwendete in derselben frühen Notiz die (mittlerweile gängige) Metapher des Bernsteins, der vor dem Erstarren als Harz »vom grünenden Baum geträufelt ist« (eine Metapher, die erkennbar noch keiner zirkulären organischen Vorstellung von Kunstwerk aufruht).384 Mithin findet sich hier eine Verschränkung von Synthesen, denn Hofmannsthal wollte damit zugleich »jedes Bereich des Politischen evident zu machen  : »Die Staatsform muss ein durchsichtiges Gewand sein, das sich dicht an den Leib des Volkes schmiegt. Jedes Schwellen der Adern, jedes Spannen der Muskeln, jedes Zucken der Sehnen muss sich darin abdrücken.« (Georg Büchner  : Dantons Tod. Ein Drama  ; in  : Ders. Werke & Briefe  ; hg. v. Fritz Eycken  ; Frankfurt/Main 2008. 29  : Camille). Dies hat Walzel für das Gewebe der poetischen Form gefordert – damit Vosslers Ideal von deren Synthese mit der inneren Form  ; auch die ›Begriffe‹ »Kontur« und »Rüstung« (Vossler metaphorisiert selbst) zeigen eine gewisse Konvergenz (vgl. 2.3.2). 382 RA II, 198/199  : Beiträge  ; zu Walzels Bedeutung vgl. den Band von Petra Boden und Holger Dainat (Hg.)  : Atta Troll tanzt noch. Selbstbesichtigungen der literaturwissenschaftlichen Germanistik im 20. Jahrhundert  ; Berlin 1997  ; hier finden sich in verschiedenen Beiträgen etliche Verweise auf Walzel  ; sowie  : Herta Schmid  : Oskar Walzel und die Prager Schule  ; in  : A. Jedličková (Hg.)  : Felix Vodička 2004.Sborník příspěvků z kolokvia pořádaného. 18–47. (v. a. zur Rezeption Walzels durch Mukarovský). 383 Eine explizite Verbindung von geformtem Leib und Kristall hat übrigens Rang vorgenommen  : »[…] der härteste Wortkiesel, in dessen Kristall der Wunderleib des Märchenprinzen eingeraunt ist  ; aber eben das Kristall-Gesetz ist dieser Leib.« Shakespeare »beschloss Welt in Form« durch seine Sonette (Rang, Shakespeare  ; zit. n. Lorenz Jäger  : Messianische Kritik. Studien zu Leben und Werk von Florens Christian Rang  ; Köln 1998. 129). 384 Vgl. zu Hofmannsthals »Schreibkunst der Seele« und zum Traum-Motiv in Bezug auf die Dramen Elektra und König Ödipus  : Peter-André Alt  : Der Schlaf der Vernunft. Literatur und Traum in der Kulturgeschichte der Neuzeit  ; München 2002. 331 ff. (zu Calderóns La Vida es Sueño  : 106 ff.).

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Geschöpf in die Zeit zurückverfolgen, wo es lebendig war«. Das »Überzeitliche« der Traummotivik in den Terzinen hat bereits Ulrike Stamm in Bezug auf Walther Brecht für Hofmannsthals Werk geltend gemacht  : »In der Welt des Traums wird somit die zuvor bedrohliche und zu einem Ende führende Bewegung der Zeit zu einer über der Zeit stehenden Bewegung, durch die auch das durch die ›Geisterhände‹ bezeichnete Vergangene zu einem immer Neuen wird.« Eine solche Souveränität über die Zeit im Schreiben auszuüben, wird für Hofmannsthal zeitlebens attraktiv bleiben.385 In diesem Zusammenhang ist der Hinweis wichtig, dass in Perspektive des späten Hofmannsthal eine Dialektik der Utopie an die Stelle des Traums tritt, und diesen (als dessen kollektive Dimension) für das von der Masse ironisierte Individuum geradezu ersetzt bzw. absetzt. »Es ist der ganze Mensch, der sich diesem Schauspiel hingibt  ; nicht ein einziger Traum aus der zartesten Kindheit, der nicht mit in Schwingung geriete. Denn wir haben unsere Träume nur zum Schein vergessen. Von jedem einzelnen von ihnen, auch von denen, die wir beim Erwachen schon verloren hatten, bleibt ein Etwas in uns, eine leise aber entscheidende Färbung unserer Affekte, es bleiben die Gewohnheiten des Traumes, in denen der ganze Mensch ist, mehr als in den Gewohnheiten des Lebens, all die unterdrückten Besessenheiten, in denen die Stärke und Besonderheit des Individuums sich nach innen zu auslebt.« (RA II, 144/45  ; Betrachtungen [Hervorhebungen A.M.])

Explizit beschäftigt hat sich Hofmannsthal mit dieser kollektiven Ebene des Traums und zugleich mit dessen Rezeption in dem kurzen Text Der Ersatz für die Träume. Dieser zweite Essay aus Drei kleine Betrachtungen (1921) berichtet, präludiert von der Betrachtung über Die Ironie der Dinge, vom Gespräch mit einem Freund über Wirkung und Funktion des Kinos. Als anderer Ort (durchaus im Sinne Foucaults) verheiße das Kino den vom Alltag zermürbten, seelisch und geistig »entleerten« Massen Kompensation (für ihre »unterdrückten 385 RA III, 392  ; Stamm, Ein Kritiker der Natur, op cit, 81. Die auf Adam Smith zurückgehende Metapher der unsichtbaren Hand wird dann in Vermächtnis der Antike (1926) als Organ fataler Verkehrung (Geld gegen Geist) und Täuschung vorgestellt (vgl. RA III, 15  : Vermächtnis). Die unmittelbar auf das bzw. im Subjekt wirkenden »Geisterhände« aus den Terzinen wiederum erinnern ebenfalls nicht zufällig an jene so wirkmächtige Imagination der »invisible hand« und sind gewissermaßen auf Mikroebene der Subjektivität frühe Vorboten dessen, was Hofmannsthal später als den Geist der Nation zu bezeichnen sich »getraute«. Denkt man an die referierte Wirkweise der »inneren Form«, ergeben sich ›ganz natürlich‹ Koordinaten und Funktionsweise von literarischer Souveränität (die Äquivalenz zum Pekuniären mit gegenstrebiger Zielrichtung wurde unter 2.1 ausgeführt).

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Besessenheiten«).386 Der kurze Text läuft wiederum auf das Vakuum in der deutschen Sprache betreffend die Qualität als gesellschaftliche Umgangssprache hinaus, in welchem die Magie stummer Bilderschrift einen solchen Sog entwickeln könne  : »[…] im Tiefsten, ohne es zu wissen, fürchten diese Leute die Sprache  ; sich fürchten in der Sprache das Werkzeug der Gesellschaft.« – ein Werkzeug, an dem sie nicht teilhaben.387 Hofmannsthal thematisiert die Gefahr, dass aus der Verheißung »von der Ziffer zur Vision« zu gelangen, eine neue »Verkettung, noch tieferer Knechtschaft« (bzw.: Hörigkeit), die Gefahr, »der ohnmächtige Teil einer Maschine zu sein«, erwachse, wie auch eine Entwertung des kulturellen Erbes – der »Gestaltenrest von Tausenden von Dramen« flimmere durch den Vorstellungssaal.388 Die Betrachtung endet mit dem zwar optimistischeren Plädoyer

386 Vgl. zur zeitgenössischen Debatte Karl Prümm  : Die beseelte Maschine. Das Organische und das Anorganische in der »Kino-Debatte« und in der frühen Filmtheorie  ; in  : Eggert, H./Schütz, E./ Sprengel, P. (Hg.)  : Faszination des Organischen  ; op cit, 145–172. (Zu Fülöp-Miller, Klemperer, Kracauer, Lukács, Bäumler und Simmel). Der Film erschien in seiner scheinbar viel größeren Annäherung (und damit zugleich  : Okkupation der Phantasie) als adäquates künstlerisches Mittel des Massenstaates, das »in seinem Massenappeal den Geist der massendemokratischen Staatsform in sich trug.« (Anton Kaes  : Schreiben und Lesen in der Weimarer Republik  ; in  : Weyergraf, B.(Hg.)  : Literatur der Weimarer Republik 1918–1933  ; München 1995. 38–64  : 53). 387 Übrigens ist der Punkt auch der kulturellen Teilhabe bei Hofmannsthal problematisch. Norbert C. Wolf hat kürzlich auf die elitäre Preispolitik im Rahmen der Salzburger Festspiele hingewiesen  ; Hofmannsthals »Theater für alle habe die weniger vermögenden Schichten der hohen Eintrittsgelder wegen von Beginn an ausgeschlossen.« (Norbert C. Wolf  : Ordnungsutopie oder Welttheaterschwindel  ? Hofmannsthals Salzburger Festspielkonzepte in ihrem kultur- und ideologiegeschichtlichen Kontext  ; in  : HJB 19/2011. 217–254  : 241). Auch der von Hofmannsthal selbst attestierte »Schein von Buntheit« dieses »Wesen[s] eine[r] organische[n] Einheitlichkeit« (RA II, 256  ; Festspiele) wirkt in diesem Zusammenhang entlarvend. Allerdings wird man Hofmannsthal zugutehalten können, dass Reinhardt die Preispolitik bei der Welttheater-Inszenierung verantwortete. Bei den Festspielen saß Hofmannsthal keineswegs ›fest im Sattel‹ und war aufgrund öffentlichen (auch antisemitischen) Drucks fortwährend zu Kompromissen gezwungen, wie Wolf überzeugend darlegt. Diese Kontinuität des angestammten Bildungselitarismus’ unter kapitalistischen Bedingungen zu klären, wäre gerade hinsichtlich des von Wolf im Titel bemühten Begriffs der »Ordnungsutopie« sehr weiterführend. 388 RA II, 142, 143  ; Betrachtungen  ; und ebd., 144. Auch Benjamin thematisierte später die »[…] Erschütterung der Tradition, die die Kehrseite der gegenwärtigen Krise und Erneuerung der Menschheit ist. Sie stehen im engsten Zusammenhang mit den Massenbewegungen unserer Tage. Ihr machtvollster Agent ist der Film. Seine gesellschaftliche Bedeutung ist auch in ihrer positivsten Gestalt, und gerade in ihr, nicht ohne diese seine destruktive, seine kathartische Seite denkbar  : die Liquidierung des Traditionswertes am Kulturerbe.« (GS I 2, 478  ; Kunstwerk Reproduzierbarkeit).

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des Freundes.389 Hofmannsthals kritische Haltung scheint dennoch durch  : Das moderne Individuum werde zunächst durch die alltäglich betäubende Routine fabrikmäßiger Lebenswirklichkeit seiner Träume beraubt, um dann in seiner brachliegenden Sehnsucht nach kompensativer Transzendierung des eigenen Lebens auch noch bewirtschaftet zu werden.390 Hier liegt ein Bezug oder doch zumindest eine weitgehende Koinzidenz zu dem vor, was Max Weber als unentrinnbare Form moderner Rationalität gerade auch staatlicher Verfasstheit (als Bürokratie) beschrieben hat  : »Eine leblose Maschine ist geronnener Geist. Nur, daß sie dies ist, gibt ihr die Macht, die Menschen in ihren Dienst zu zwingen und den Alltag ihres Arbeitslebens so beherrschend zu bestimmen, wie es tatsächlich in der Fabrik der Fall ist. Geronnener Geist ist auch jene lebende Maschine, welche die bürokratische Organisation mit ihrer Spezialisierung der geschulten Facharbeit, ihrer Abgrenzung der Kompetenzen, ihren Reglements und hierarchisch abgestuften Gehorsamsverhältnissen darstellt.« (Parlament und Regierung im neugeordneten Deutschland  ; in  : GPS, 331/332 und zugleich  : WuG, 834/835)391 389 Der Freund, von dem im Essay die Rede ist, könnte Robert Michel gewesen sein, der seinerseits einige Hoffnungen hinsichtlich des neuen Mediums Film hegte. Hofmannsthal schrieb ihm einige Zeit zuvor  : »Vom Kino wollen wir heute nicht reden. Ich fühle das ist eine Sache, zu der ich nur durch glückliche Zufälle, die mir etwas aufschließen, ein freundlicheres Verhältnis gewinnen kann, nicht durch guten Willen. Wenn sich diese Sphäre mit einer anderen mischt, mit der sie nichts, aber auch gar nichts zu tun hat […] die handgreifliche äußere Welt einer Dichtung auf diese Art entseelt der plumpen Mitwelt preiszugeben, so dreht sich mir der Magen um, sei mir nicht bös  !« (BW Michel, 147 [7. VIII. 1919]). Möglicherweise rekurrieren die Betrachtungen zudem auf ein ebenfalls 1921 erschienenes Buch Frank W. Gilbreths  : Bewegungsstudien. Vorschläge zur Steigerung der Leistungsfähigkeit des Arbeiters  ; Berlin 1921. Gilbreth hat sich darin intensiv mit dem Arbeitsalltag des Kinopublikums auseinandergesetzt. Die Ausführungen zum mimetischen Begehren der Masse nach Freud (dessen Massenpsychologie ebenfalls in diesem Jahr erschien) hätten Hofmannsthal jedenfalls interessiert (vgl. Gilbreth, 50 ff.). 390 Hofmannsthal äußerte sich durchaus auch angetan von den Möglichkeiten des neuen Mediums. Die Authentizität der Gebärde ist zwar beim Kino nur als reproduzierte zu haben  ; allerdings schrieb Hofmannsthal 1928  : »[…] denn der Film ist erstens und letztens eine mimische Kunst, und darin liegen auch seine unbegrenzten Möglichkeiten.«  ; ein »mimetisches«, kulturübergreifendes »Instrument«  ; zit. n. B. Zeller [et al.] (Hg.)  : Hätte ich das Kino  ; München 1976. 196. Letztlich beschreibt er aber mit den Drei kleinen Betrachtungen die Ironisierung seiner eigenen kulturellen Projekte – der Salzburger Festspiele vor allem, auch der Neuen deutschen Beiträge, die jeweils sicher keine zugerichteten »Gestaltenreste« liefern wollten. 391 Vgl. folgende Stelle bei Hofmannsthal »So ist die Fabrik, der Arbeitssaal, die Maschine, das Amt, wo man Steuer zahlen oder sich melden muß  : nichts bleibt davon haften als die Nummer. Da ist der Werktag  ; die Routine des Fabriklebens oder des Handwerks  ; die paar Handgriffe, immer

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In leichter Abwandlung Hofmannsthals ließe sich sagen  : ›In seinen Träumen repräsentiert sich der Einzelne wie die Gemeinschaft‹.392 Dass der Ersatz der Träume damit ein eminent politischer Vorgang ist, in dessen Feststellung erhebliche Kritik am modernen Massenstaat (und dem Film als seiner Kunstform)393 mitschwingt, liegt auf der Hand. Denn er rührt an die Wunschstruktur und Glücksvorstellungen einer Gesellschaft und wirkt so zurück auf das einer Epoche Selbstverständliche. Die ursprüngliche Bedeutung des Traums im Turm geht natürlich auf die Vorlage Calderóns zurück  ; dieses Motiv hat Hofmannsthal jedoch sozialpsychologisch im Hinblick auf ein kollektives Imaginäres modernisiert, im Verlauf der Arbeit am Drama aber zumindest in seiner textlichen Präsenz gemindert. In den dichterischen Fassungen findet sich die übernommene Traum-Motivik folglich noch sehr viel stärker  ; etwa in der Szene Sigismunds und Oliviers vor der revolutionären Menge (»Kein Ding ist anderer Natur als unsre Träume«  ; Aufzug IV). Nach Sigismunds Herrschaftsantritt politisiert sich diese mit Erscheinen des Kinderkönigs vollends zur (unpolitischen) Utopie. Für die Dramatisierung der kollektiven Dimension des Traumes (und seiner Symbolik) zog Hofmannsthal mutmaßlich Schriften von Freud und Jung, vielleicht auch Silberer heran.394 Das kann hier nicht vertiefend betrachtet werden. In der Bühnenfassung hingegen ist dieser poetische Bezug mehr in die gewachsene allegorische Bedeutung der Gestalt zurückgenommen und jeder ›Zeitenthobenheit‹ der Kunst abgesagt, sie unterliegt hingegen der von Weber als unentrinnbar beschriebenen Rationalisierung – »OLIV IER Was aber jetzt dasteht, das ist die Wirklichkeit« (Akt V). Und einen »Ersatz für die Träume« hat er auch schnell parat, wie noch auszuführen bleibt. die gleichen […] daß schließlich der, der sie immer wieder bewältigt, selber zur Maschine wird, ein Werkzeug unter Werkzeugen. Davor flüchten sie zu unzähligen Hunderttausenden in den finsteren Saal mit den beweglichen Bildern. Daß diese Bilder stumm sind, ist ein Reiz mehr  ; sie sind stumm wie die Träume.« (RA II, 142  ; Betrachtungen). 392 Im einleitenden Zitat oben wird die Bedeutung der »Gewohnheiten des Traumes, in denen der ganze Mensch ist« und die »Färbung unserer Affekte« hervorgehoben (RA II, 144/145  ; Betrachtungen). 393 Als Kunstform des »leviathanischen Maschinenzeitalters« hat es 1923 Frank Thiess in Das Gesicht des Jahrhunderts bezeichnet  ; zit. n. Peter Sloterdijk  : Weltanschauungsessayistik und Zeitdiagnostik  ; in  : Weyergraf, B. (Hg.)  : Literatur der Weimarer Republik 1918–1933  ; op cit, 309–339  : 314. Vgl. zur frühen Filmkritik auch Gamper, Masse lesen, Masse schreiben  : op cit, 505 f. 394 Freuds Massenpsychologie wird im zweiten Wiener Brief [1921] ausgiebig besprochen. Auf Hofmannsthals Anstriche von Passagen bei Jung, die sich mit dem religiösen Symbol beschäftigen, wurde bereits hingewiesen  ; ebd., 1.3. Zu Silberers Probleme der Mystik und ihrer Symbolik (1914) vgl. Nicolaus, Souverän und Märtyrer  ; op cit, 103 ff.

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2.5.2 »Denn ich bin da und nicht da« – Der »geistige Leib der Nation« »Wir ertragen keine minder komplizierte Botschaft mehr als die eines ganzen Wesens.« (RA III, 490  ; Aufzeichnungen [1907]) »In einem Leibe muß es mir gelingen/ das Unaussprechlich-Reiche auszudrücken, / das selige In-sich-geschlossen-sein  : / Ein-Wesen ist’s, woran wir uns entzücken  !« (Hofmannsthal  : Das kleine Welttheater  ; Der Fremde)

Schon Werner Volke betonte hinsichtlich Hofmannsthals später Sprachpolitik, dass für diesen »die Sprache der eigentliche geistige Leib der Nation ist«. 395 Mit dieser interessanten Feststellung– der Sprache als einer quasi transzendenten Instanz – hat sich die Forschung erstaunlicherweise erst seit kurzem wieder vertiefend beschäftigt.396 In der bereits erwähnten Vorrede zu seiner Anthologie Wert und Ehre deutscher Sprache (1927), der in diesem Zusammenhang enorme Bedeutung zukommt (wie auch jener zum Deutschen Lesebuch 1922/26), macht Hofmannsthal die erwähnte schwerwiegende Verlustanzeige einer in der deutschen Sprache verhinderten nationalen Einheit. Die Anlehnung an die alte römische Staatsfabel Menenius Agrippas vom Haupt und den Gliedern (des Volkes) ist, wie gesehen, keineswegs zufällig.397 In seinen Anthologien – auch Bibliotheca mundi (1921) Tschechische und Slowakische Volkslieder (1922) und v. a. natürlich die Neuen Deutschen Beiträge (ab 1922) gehören zu diesen nationalpädagogischen bzw. -therapeutischen Gegen-Kanonisierungen – unternahm Hofmannsthal den Versuch, jenes mythische »Ganze« des »Schrifttums« in seinen wesentlichen Linien zu fassen. Der fraglichen Idee einer Volksseele komme nur in der Sprache Wirklichkeitsgehalt zu, »Nur in der Literatur finden wir unsere Physiognomie […]«398 – und deren Interpretation kommt damit allererst denjenigen zu, die sich von den Emanationen jenes Volksgeistes in den höheren Werken am meisten angeeignet haben  ; sie deuten den religiösen Moment der Offenbarung (dieses 395 Werner Volke  : Hugo von Hofmannsthal in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten  ; Reinbek bei Hamburg 1967. 140. Volkes Biographie ist noch immer lesenswert, da bislang nur punktuell aktualisiert. 396 Zu nennen ist hier aber fast allein die Studie von Tobias Heinz zu Hofmannsthals Sprachgeschichte (op cit, 2009). Auch der schon zitierte Aufsatz von Daniela Gretz erwähnt die MakroanthroposThematik in der Schrifttum-Rede  ; allerdings bezieht sie diese Kollektivkörperlichkeit auf die beiden Typen der »Suchenden« (vgl. Gretz, Ästhetischer Absolutismus  ; op cit, 89). 397 Vgl. RA I, 184  ; d’Annunzio. 398 RA II, 169  : Lesebuch. – und vor allem im Turm, könnte man hinzufügen.

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Ganzen), welche an Sigismund allerdings als vorläufige bzw. verhinderte gezeigt wird. Hofmannsthals Position hinsichtlich der Sprachgemeinschaft war darüber hinaus auch keine puristische, auf Reinheit gerichtete (vgl. etwa seine Verteidigung der Lehn- und Fremdwörter zur Zeit des Ersten Weltkriegs Unsere Fremdwörter). Das für diese Zeit typische, regressive Homogenitätsstreben bleibt bei ihm aus, Hofmannsthal ließ das gescheckte ›Narrenkleid‹ der deutschen Sprache gelten, wollte darin quasi »Volksgeist« und »Zeitgeist« zum Ausgleich bringen.399 Dass der Geist sich als »Ganzes regen« müsse, hat Hofmannsthal mit Bezug auf Lichtenberg nicht erst in der Schrifttum-Rede gefordert. Das auf Addison zurückgehende Zitat »The whole man must move at once« gehört zu den Lieblingszitaten Hofmannsthals, das immer wieder Verwendung fand.400 Sigismund verkörpert jedoch dessen Übertragung auf den nationalen Raum, dessen Einheitlichkeit (in Vielfalt) Hofmannsthal entgegen der diagnostizierten Zerrissenheit forderte. Als »organisches Kunstwerk« – und Agens metaphysischer innerer Formprinzipien des ästhetisch gefassten Politischen mit entsprechend kollektiver Wirkungsabsicht – ist er aber nicht als eine Verkörperung der Staatsmaschine, sondern als sprachlich konstituierte Gemeinschaftsgestalt (bzw. Inkorporation dieser Gemeinschaftssprache selbst) lesbar. Julian spricht nicht umsonst von ›seinem‹ »Werk«, das ihm zuletzt jedoch »erbärmlich« erscheint (»Kehre dich ab von mir, du Kloß aus Lehm, dem ich das unrechte Wort unter die Zunge gelegt habe«  ; Aufzug IV bzw. Akt V ).401 Die verschiedentlich zitierten Diskurse der Genie- und Autonomie-Ästhetik (mit ihrer Nähe zum Prometheus-Mythos402) 399 »Die ursprünglichste, reichste, volleste Sprache musste sich wie eine taubstumme Stammlerin und Stotterin gebärden, und als ob sie ohne Sang und Klang, ohne Bild und Idee, ohne Worte und Zeichen war, lieh sie Wörter von allen Völkern, am meisten aber von den Franzosen, und dünkte sich in diesem bunten und närrischen Harlekinsrock recht stattlich und liebenswürdig.« (WES, 209  : Arndt). Hauptmann fluchte übrigens bei Lektüre des Turm über den Sprachnarren Hofmannsthal, der ganze Dialoge schreibe, um nur ein bestimmtes Wort zu bringen  ; vgl. hierzu Sprengel, Aristophanisches  ; op cit, (1991). Vgl. zum Thema Fremdsprache auch Heinz, Sprachgeschichte  ; op cit, 264 f. Dies ist für den – sprachlichen – Reinheitsdiskurs Im Turm nicht unbedeutend (welcher v. a. mit der Figur des Arztes verbunden ist). 400 Zuvor  : RA III, 38  ; Schrifttum  ; vgl. etwa RA III, 475  ; Aufzeichnungen (1906). 401 »Die Sprache, in ihrem wirklichen Wesen aufgefasst, ist etwas beständig und in jedem Augenblicke Vorübergehendes. Selbst ihre Erhaltung durch die Schrift ist immer nur eine unvollständige, mumienartige Aufbewahrung, die es doch wieder bedarf, dass man dabei den lebendigen Vortrag zu versinnlichen sucht. Sie selbst ist kein Werk (Ergon), sondern eine Tätigkeit (Energeia).« (WES, 160  : Humboldt). 402 So ist etwa in der Lehm-Motivik die Sage des Prager Rabbi Löws vom Golem (vgl. SW XVI.1, 341  ; Varianten) mit der prometheischen Schaffung des Menschen aus Schlamm verbunden. Zum

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überlagern sich in dieser Figurenkonstellation, in allen Fassungen des Turm wird Sigismund sich jedoch von diesem überspannten Formdenken einer ästhetischen Mobilmachung – und dem öffentlichen Auftreten in deren Dienst – lossagen. Als ›poetisch vivifiziertes‹ Wesen eigenen Gesetzes ist Sigismund auf die Initiation einer ebenso lebendigen, eben organischen Gemeinschaft gerichtet, deren Medium die poetisch/politisch gesteigerte Sprache (letztlich also er selbst) ist. Ein so »verfaßter Körper« (Matala de Mazza) der Nation nimmt natürlich Anleihen an die (auch zeitgenössische) politische Romantik. Damit ist zugleich ein formästhetischer Ausblick auf das Konzept der »charismatischen Herrschaft« in den dichterischen Fassungen des Turm gegeben (vgl. 3.1 und 4.). Der Gemeinschaftsbezug Sigismunds als Kollektiv-Figur vor allem sprachlicher Provenienz wird im Folgenden noch verdeutlicht. »Du hast mich eine Sprache gelehrt aber ich könnte dich – eine Nicht-Sprache lehren denn Sprache verbindet das Auseinanderliegende, ich aber dringe ein in jedes [Ding  ; amion] für sich« (SW XVI.1, 249)

Die etwas simplifizierende Deutung Josef Nadlers, der Sigismund mit dem Volk gleichsetzte, ist der Tendenz nach richtig,403 greift aber zu kurz (und im »Volk« auch den falschen Begriff ),404 wenn sie sich auch bedingt auf Herders IndividuBezug zur ›Genie-Religion‹ der Aufklärung  : Hans Blumenberg  : Arbeit am Mythos  ; Frankfurt/ Main 1979. Insbesondere ab Kapitel III , 327 f.; vgl. 409. 403 »In dem König, der das Volk nur losgeben will, um es egoistisch zu mißbrauchen  ; in Julian, der es geistig nährt u. mündig macht  ; in dem heiligen Aufruhr Sigismunds u.d. Meuterei des Gemeinen durch Olivier  ; in der tröstlichen Jugendbewegung des Kinderkönigs, der die Zukunft hat  : haben Sie schöpferisch u. gleichnishaft das Zeitalter gestaltet […]« schrieb Nadler am 14. II. 1926 an Hofmannsthal (zit. n. SW XVI.2, 435/436). 404 Denn Hofmannsthals Perspektive führt über den Volksgeist hin zum Begriff der Nation. Das unterscheidet ihn von Nadler. So hat er interessanterweise gerade zu dessen Literaturgeschichte festgehalten  : »Kein Buch geschaffen, das mehr dazu täte, die Nation wahrhaft zu einigen – nur von einem außerhalb der Grenze Geborenen möglich / Er malt die Lebensluft. Die Gestalt  : die Nation (nicht Ideen). / Er schildert fortwirkende Vergangenheit.« (RA III, 147  ; Nadler [1924– 28]). 1916 ist das noch anders  : »Die Geistigkeit des Volkes ist eine wunderbare reine Tafel, auf der wenige Erkenntnisse mit reinen Zügen, die die Jahrhundert durchdauern, eingetragen sind. Das Volk hat sich in dem ungeheuren Erlebnis dieses Krieges einige wenige neue Zeichen auf seine Tafel eingegraben. Alles, scheint mir, wird darauf ankommen, wie man diese Zeichen deutet. In den Naturtiefen, in denen das Volk west, gleichwie in jenen dunklen Tiefen des Individuums, wo zwischen Geistigem und Leiblichem eine fließende Grenze aufgerichtet ist, dort ist nicht Reflexion und Erkenntnis, dort sind Wollen und Glauben zu Hause.« (RA II, 25  ; Österreich

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alisierung der Völker und ihrer Charaktereigenschaften (als spezifischer Genien) berufen kann.405 Sigismund ist nicht das Volk (das ja nicht umsonst in den Regieanweisungen gesondert aufgeführt ist), in seiner natürlichen Majestät verkörpert Sigismund jedenfalls überdies den Volksgeist, den Geist der Nation (als welcher dann noch mehr der Kinderkönig zu verstehen ist), der sich erst noch selbst – sprachlich – zu finden und mitzuteilen, mündig und dadurch für die Öffentlichkeit erst sichtbar körperlich zu werden hat. Hier soll das Subjekt der Dichtung zu einem der Geschichte werden. Denn der jedem Konzept von Volkssouveränität zugrunde zu legende Gemeinwille bedarf zu seiner Artikulation auch einer Gemeinsprache, die ihn durch die Sammlung der Stimmen aller Einzelnen trägt – das ist Hofmannsthals sozusagen Rousseau ergänzender ›demokratietheoretischer‹ Beitrag zur (somit nicht notwendig demokratischen) Kultur der Moderne (vgl. 2.2). Nadlers Festlegung lässt zudem einen wichtigen Abstraktionsschritt der Gestalt-Poetologie vermissen – den oben erarbeiteten performativen Akt der RePräsentation. »Volk aber ist etwas, das es nicht gibt  ; und hier läßt sich nur sagen, daß Volk das Gefühl einer Zusammengehörigkeit vieler Menschen im Gegensatz zu andern solchen Zusammengehörigkeitsgefühlen ist […]« schrieb Landauer mit dem Hinweis darauf, dass diese geschichtlich gewachsene seien.406 Dass der bei Rousseau »nicht repräsentierbare, undarstellbare Volkskörper als ›Natur des Politischen‹ in der Performanz erst hergestellt werden muß  : produziert in einer Sprache«,407 ist damit bei Hofmannsthal eine analoge Einsicht  ; jedoch wollte er »deren einheitliche[n] nationale[n] Signifikant« nicht über ein Verstummen der »regionalen Vulgärsprachen« erreichen, sondern gerade aus deren Einbezug und Integration auch jene Kultur des geistigen Leibs der Nation erzeugen, in welcher die Selbstinszenierung und Erlebnisfähigkeit der souveränen Gemeinschaft erst

Dichtung [Hervorh. A.M.]). Hofmannsthal gibt den Kollektivsingular ›Volk‹ auch später nicht auf, behält aber stets die geistige Perspektive darauf bei. 405 Zu Herder vgl. auch Andreas Gardt  : Nation und Sprache in der Zeit der Aufklärung  ; in  : Ders. (Hg.)  : Nation und Sprache. Die Diskussion ihres Verhältnisses in Vergangenheit und Gegenwart  ; Berlin, New York 2000. 169–198  : 194. Sowie  : Jochen Schmidt, Geschichte des Genie-Gedankens II  ; op cit, 213. 406 Landauer  : Aufruf, op cit, 7. Landauer schied die Begriffe Staat und Nation klar voneinander (vgl. Kauffeldt, Die Idee eines »neuen Bundes«  ; op cit, 177)  ; seine Staatskritik ist dabei ähnlich geschichtsphilosophisch begründet wie die Benjamins, wendet sich aber mit Pointen wie »Riesentölpel« explizit gegen organische Vorstellungen im Sinne des Leviathan (vgl. ebd.). 407 Matala de Mazza, Der verfaßte Körper  ; op cit, 120/121.

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entstehen kann.408 Hofmannsthal bringt mit der Gestalt zwar auch einen symbolisierten Gehalt (welcher zur Interpretation bzw. Identifikation möglichst offen gehalten werden soll), mehr noch aber dessen Konsequenzen und Wirkungsmechanismen zum Tragen, den ›Besitz der Bewegung‹ als Selbstverwechslung im Anderen (auch innerhalb des Stücks wird die charismatische Wirkung auf die Massen ja deutlichst inszeniert). Dieses Vorgehen ist spezifisch (klassisch-) modern,409 weswegen Nadler es auch nicht rezipiert haben dürfte. Sigismund ist also schon deshalb nicht ›das Volk‹, weil er als dessen Symbolfigur und als ›spiritual and political body‹ (bzw. als sein corpus mysticum) zugleich dessen Medium der Selbstdarstellung (Identifikation) ist – bis zur Ankunft des rein seelisch-geistig gefassten Kinderkönigs. Sigismunds Züge sind die des Sprache und Leib gewordenen »Nationalgeistes«  ; sie werden in den dichterischen Fassungen nach seinem Tod mit der Brüdergemeinschaft, die sich als Gemeinde der Erben konstituiert, vervollständigt (vgl. 4.4). Einer Notiz wie jener von 1905 »Wir schaffen uns einer am anderen unsere Sprache, beleben einer den anderen«410 kommt vor diesem Hintergrund also einiges Deutungspotential hinsichtlich dessen zu, was man Hofmannsthals »Sprachgemeinde« – einer sprachlichen RePräsentation der Wechselwirkungen unter Einzelnen in der Gemeinschaft – nennen könnte. Dem korrespondieren die moderneren Paradigmen des Raumes und des Gewebes in der Münchener Rede. Jedoch behält das Konzept natürlich einen elitär-geistigen Zug hinsichtlich der Funktion der Autoren als Sprachbildner  : denn diese politische Sprache gewährt einen exklusiven Zugang – in dessen Konsequenz sie zugleich Ausdruck wird – »Unmittelbar schreiten wir durch sie [die Sprache] in das Volk hinein  ; das fühlen wir.«411 408 Der Rousseau-Diskurs bei Hofmannsthal ist ein verdeckt kontinuierlicher und vor allem  : kritischer, welcher von den erwähnten frühen Notizen von 1892 (vgl. 1.3.1) über die abwertenden Äußerungen zum contrat social um 1917 (RA II, 43  ; Idee Europa) auch in die späte ›Sprachpolitik‹ und in den Turm Eingang findet. Entsprechend hat er sich bei seiner Lektüre der Politischen Theologie und der Diktatur gerade auch Schmitts (mit einiger Schärfe geführte) Diskussion von Rousseaus Demokratietheorie markiert. 409 Vgl. Alts Hinweis, dass die Literatur der Moderne bzw. die moderne Ästhetik »nicht die Inhalte, sondern die Konsequenzen wissenschaftlicher Prozesse […] reflektieren.« (Alt, Schlaf der Vernunft  ; op cit, 331). Dies gilt in diesem Kontext erst recht von einer »sozialen Konditionierung« des soziologischen Wissens. 410 RA III, 465  ; Aufzeichnungen [1905]. 411 RA III, 132  ; WES. Wie oben (vgl. 2.2) herausgearbeitet, vermisste Hofmannsthal eine solche – zwischen den Volksdialekten und der dichterischen Hochsprache und auch den sozialen Schichten balancierten – Umgangssprache im deutschsprachigen Kulturraum nach 1848 und

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»Sie wollten den Redner, der ihr Zerklüftetes in eins brächte und das Übermaß der Empfindung reinigte und heiligte  ; den Priester, der ihr Herz hinauftrüge vor Gott wie ein verdecktes Opfergefäß  : den Wortführer – aber wie sage ich es  ? sie wollten den Priester ohne Tempel, den Wortführer gewaltig wie Moses und doch beschwerten, behinderten Mundes  ; sie wollten den Redner, das Unsägliche zu sagen.« (RA II, 84  ; Beethoven)412

Sigismund teilt mit dem hier beschriebenen Religionsstifter einige Züge, vor allem eint ihn mit Moses der »beschwerte Mund«  : »a nton Der  ? Kann Latein und wird mit einem dicken Buch fertig, wie wenn’s eine Speckseiten wär. – Aber manchmal krampft sich ihm’s Wort im Mund und er bringts nicht heraus.« (Aufzug bzw.Akt I). Auch er scheitert wissend am »Unsäglichen«, am Undarstellbaren, das sich auf die nun kommende Gemeinschaft bezieht  : »Was zu sagen wäre, dazu ist die Zunge zu dick« lautet seine lapidare Feststellung vor dem Angesicht der Menge. Der Bezug zu Moses, dem stammelnden Wortführer seines Volkes vor Gott, wie Hofmannsthal ihn aus Burdachs Abhandlung Faust und Moses (1912) sowie aus Herders Beschreibung (abgedruckt im Deutschen Lesebuch) entnehmen konnte, ist hier offensichtlich. Ein rhetorisches Charisma kommt ihm allerdings nur als mündigem charismatischen Herrscher in den dichterischen Fassungen zu  : »Wundert Euch, dass ich die politische Sprache so schnell gelernt habe  ?« fragt der in Notizen als »legitimer König« geführte Sigismund den Arzt (Aufzug V). Zur Initiation einer sprachlich verfassten und bestimmten Nation durch die Dichtung schreibt Tobias Heinz  : »Hofmannsthals programmatische Bindung der Nation an eine archaische Kräfte freisetzende Sprachgewalt spielt erneut die Denkfigur der Offenbarung durch«, diese kennzeichne auch die Annonce der Neuen deutschen Beiträge  ; »nicht zufällig wird in beiden an die Öffentlichkeit gerichteten Sprachentwürfen ein ›Dahinter‹ beschworen, das durch die Sprache wahrnehmbar wird, ohne mit ihr identisch zu sein«. In der Tat wird also von Hofnoch mehr nach der deutschen Reichsgründung 1871. Dieser Befund prägt – im Scheitern Julians – auch den Dramenablauf, der mit seinem Versuch scheitert, sprechend auf die Massen einzuwirken. 412 Die Rede hat mit der Konzeption der Sigismund-Figur einiges gemein  ; etwa auch diese Stelle  : »und wo sein Leib ruht, da ist wahrlich eine geheiligte Stätte und das Grab eines Heroen.« (ebd., 85). Auch das zum »Wesen« geeinte Volk wäre ein Hinweis  ; sowie der Vergleich mit dem apokalyptischen, Grenzen durchbrechenden Ungeheuer Behemoth (ebd., 78), der in einer Notiz auch Sigismund zugeordnet wird (vom Arzt) – zur Bedeutung dieser politisch-theologischen Charakterisierung gleich anschließend (vgl. 3.3). Den Hinweis auf den Behemoth dürfte Hofmannsthal aus Grillparzers Reden am Grabe Beethovens entnommen haben, welche er in Auszügen im Deutschen Lesebuch (DL II, 201 f.) abdruckte.

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mannsthal mit der Sprache Sigismunds eine andere Art von immanenter Transzendenz (die nicht die politische Theologie der dynastischen Legitimation war) inauguriert, deren kulturpolitscher Zweck evident ist. Ob dieses »Dahinter« allerdings allgemein mit Archaik gleichzusetzen ist, erscheint fraglich. »Die Sprache, ja sie ist Alles  ; aber darüber hinaus, dahinter ist noch etwas  : die Wahrheit und das Geheimnis« schrieb Hofmannsthal einigermaßen kryptisch in der besagten Ankündigung der Neuen Deutschen Beiträge. Die »Ahnung des Transzendenten«, so konzediert Heinz, umspiele Hofmannsthal jedenfalls als ein »der Offenbarung Ausgesetzte[r]«, nicht als ihr Prophet.413 Im Hinblick auf die Figur Julian und Hofmannsthals eigene Sprachkritik sollte man also vielleicht eine skeptischere Position Hofmannsthals erwägen. Zweifel hegte Hofmannsthal zuletzt selbst an Goethe, der sich im »Mißtrauen gegen die Überredung« äußerte, (theatralische) Skepsis zeigt auch der beschließende Satz zu Wert und Ehre deutscher Sprache  : »Einen letzten Glauben, es bestehe unversehrt wenngleich verborgen die Mitte der Nation und werde dies in Empfang nehmen, wollen wir nicht aufgeben.« 414 Im Turm unterliegt diese Sprache der gemeinschaftlichen Offenbarung (oder Offenbarung der Gemeinschaft) einer Aporie – Sigismund, der zu ihrer Verlautbarung Berufene stellt lediglich die Insuffizienz selbst seiner Sprache (die eben noch keine »Nicht-Sprache« ist) fest. Die dichterischen Fassungen lösen diese Aporie im Zeremoniell um den Kinderkönig auf, der damit Hofmannsthal quasi zur ›Gestalt der Utopie‹ geriet und den sterbenden Sigismund wissen lässt  : »Das was du nicht sagen kannst, das allein frage ich dich.« (Aufzug V ). Ob mittels dieser rhetorischen Schließung allerdings das »Unbeantwortbare« durch die Gestalt beantwortet ist (oder nicht eher in sie zurückgenommen), daran hatte Hofmannsthal selbst erhebliche Zweifel. Der Sigismund der Bühnenfassung ist entsprechend nur noch bedingt Symbol jener Repräsentation vor Anwesenden, die sich der Einzelne wie die Nation in ihrer Sprache schaffen  ;415 in seiner Anlehnung an Moses und übrigens auch Kaspar Hauser416 ist er jedoch der lebendige Beweis für die humane, also riskante Kondition jeder sprachlich gestifteten Gemeinschaft – »denn ich bin da 413 Zuvor  : RA II, 197  ; Beiträge. Heinz, Sprachgeschichte  ; op cit, 286. 414 RA III, 593  ; Aufzeichnungen [1928]  ; RA III, 133  ; WES. 415 Vgl. RA III, 129  ; WES. 416 Die Nähen zur Figur des Kaspar Hauser sind von Irene Pieper behandelt worden  : Modernes Welttheater. Untersuchungen zum Welttheatermotiv zwischen Katastrophenerfahrung und Welt-Anschauungssuche bei Walter Benjamin, Karl Kraus, Hugo von Hofmannsthal und Else Lasker-Schüler  ; Berlin 2000.

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und nicht da«.417 Der aus den unpolitischen Höhen der dichterischen Sprache zu den Volksdialekten herabstammelnde Sigismund, den sich das von Olivier um ihn betrogene Volk so sehr zum »Armeleute-König« wünscht, wird somit zugleich zur »Gestalt der unkonstruierbaren Frage« (Bloch)  : nämlich derjenigen nach der Äußerungsform des Politischen, des noch sprachlosen demos – welcher sich in der charismatischen Vereinigung auf einen Sprecher selbst aufs Spiel zu setzen hat. 2.5.3 »The whole man […] faut glisser« (Fazit) »Soll das Leben des Geistes sich nicht in die bloße Zeitform, in der es sich abspielt, auflösen, soll es nicht in ihr zerfließen, so muß sich auf dem beweglichen Hintergrunde des Geschehens ein Anderes, Bleibendes reflektieren, das in sich Gestalt und Dauer hat.« (Ernst Cassirer)418

Mit der Kreuzung zweier in diesem Kapitel verhandelten Kardinalzitate der frühen Poetologie Hofmannsthals sei noch einmal der Ausgleich der Antinomie von Form und Verfließen, wie ihn die Gestaltpoetik darstellt, betont. Deren offensichtlich kollektive Dimension kommt in der Idee eines Sprachleibs, eines literarischen Leviathans in gesteigertem Maße zum Ausdruck. »Der Goethesche Satz, der Deutsche könne auf absehbare Zeit nur als Individuum Kultur haben, nicht als Nation […]«,419 dringt allerdings nochmals auf die Frage nach der Konzeption dieses Individuums und seiner gesellschaftlichen Verortung. In einem Aufgehen dieses Individuums in einem sprachlich, im Gespräch gebildeten nationalen ›Selbst‹ und dessen das ›Ganze‹ der Kulturnation umfassender Bewegung – einem Gleiten – könnte man Hofmannsthals Lösungsweg sehen. Sein »Weg zum Sozialen« führte Hofmannsthal, von einer Poetik des Fluiden und Liquiden ausgehend, die sich schon in den Gedichten, lyrischen Dramen und anderen frühen Texten mit der Vorstellung adlergleich als »Geist auf Gleitendem zu ruhen« findet, über die Beschwörung kultureller Identität in den Kriegsaufsätzen und Reden hin zu einer Poetik des kollektiv Imaginären, welche die Spra417 – und schließlich für deren völlige Abwesenheit  : »Gebet Zeugnis, ich war da, wenngleich mich niemand gekannt hat.« (Akt V ). Nur im Vollzug des aufgetragenen Gedenkens verbleibt der winzigen Gemeinde von Hinterbliebenen etwas von dieser Gestalt. 418 Ernst Cassirer  : Der Begriff der symbolischen Form im Aufbau der Geisteswissenschaften  ; Leipzig 1923. 12. 419 Borchardt, Brief  ; in  : Eranos-Festschrift  ; op cit, VIII.

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che als Medium und Konstituens gesellschaftlicher Wirklichkeit absolut setzte. Dieses suchte er, so kann man im Vorgriff auf das vierte Kapitel dieser Studie schließen, als politische Sprache in Sigismund (in den dichterischen Fassungen) und als rein poetische im ›überirdischen‹ Kinderkönig und seiner geistig geeinten Gemeinschaft zur Gestalt zu bringen.420 Beide Figuren sind aber gerade keine Klassensubjekte, sondern Identifikationsangebote erga omnes im Rahmen von Hofmannsthals Rezeptionspoetik. Dies bleibt noch im Rahmen der Dramenanalyse zu konkretisieren, den poetologischen Hintergrund und das genealogische Fundament seiner konservativen Utopie aufzuarbeiten, war Aufgabe dieses zweiten Hauptkapitels. An die Stelle einer Imagination des politischen Körpers setzte Hofmannsthal die des geistigen Leibs einer all-verbindenden Sprache – auf den Spuren jenes sakralen Ursprungs der Legitimation, welchen die Erneuerung des sacerdotium im »Schrifttum« zitierte.421 Max Webers religionssoziologische Darstellung der geschichtlichen Wirkung des Pietismus in Deutschland und Jungs Ausführungen zur Wirkweise des religiösen Symbols in Wandlungen und Symbole der Libido dürften ihn hierbei inspiriert haben, als wichtigster Bezug ist hier aber Vossler zu nennen.422 Schon die Poetik der Jahrhundertwende ist allerdings gegen die nivellierenden, veralltäglichenden Tendenzen des Warenverkehrs gesetzt  ; hier konnte Simmels Prinzip der konstitutiven, weil all-verbindenden Metapher des Tausches als wichtiger Zugang zur Poetologie Hofmannsthals aufgezeigt werden, die, in funktionaler Analogie und substanziellem Gegensatz zum Geldwesen, ein ›Gespräch aller mit allen‹ in Gang zu setzen strebte. In der Spätphase ab Mitte der zwanziger Jahre ist ein moderateres Selbstverständnis der Funktion des Autors als sprachlich-kulturellem Gesetzgeber v. a. gegenüber dem früheren Vortrag Der Dichter und diese Zeit (1906) zu verzeichnen, welcher die magische Gewalt poetischer Führerschaft noch weitaus mehr betonte. (»Alles, was in einer Sprache geschrieben wird, wagen wir das Wort, alles, was in ihr gedacht wird, deszen420 Nochmals sei auf den musisch-rhythmischen Aspekt dabei hingewiesen  : »Über allem ist der Rhythmus, er trägt das Ganze wie atmendes Leben  ; so sind sich hier Leib und Geist, Musik und Poesie noch ungeschieden nahe. Dem Rhythmus gelingt alles zu versinnlichen, ein Auflachen wie von Kindern, die Neckerei der Verliebten, aber auch wieder wortlose Seufzer, stockende Herzensbedrängnis.« (RA II, 167  : Tschechische und Slowakische Volkslieder). 421 Vgl. zu dieser Haltung übrigens die Studie Roger Mielkes  : Eschatologische Öffentlichkeit. Öffentlichkeit der Kirche und Politische Theologie im Werk von Erik Peterson  ; Göttingen 2012. 422 Hofmannsthal markierte sich entsprechende Ausführungen Jungs zur notwendigen Erneuerung des theologisch verfallenen Symbols als religiösem, um der erfahrenen gesellschaftlichen Wirklichkeit wieder eine substanzielle Deckung zu verschaffen (vgl. Jung, Wandlungen und Symbole  ; op cit, 225).

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diert von den Produkten der wenigen, die jemals mit dieser Sprache schöpferisch geschaltet haben.«)423 Auch die Verwendung von Metaphern wie ›Raum‹ und ›Gewebe‹424 zur Beschreibung des Verhältnisses von ›Literatur und Gesellschaft‹ deutet dies an (bei Beibehaltung der physiologischen Metaphorik eines demgemäß ›poetisch eingekleideten‹ sprachlichen Leviathans der Kulturnation  : »Die Nation, durch ein unzerreißbares Gewebe des Sprachlich-Geistigen zusammengehalten, wird Glaubensgemeinschaft, in der das Ganze des natürlichen und kultürlichen Lebens einbeschlossen ist.« (RA III, 27  ; Schrifttum)425

Hier hat das humanistisch-religiöse Ethos des deutenden Chronisten seiner Zeit die latente Mantik des Dichterpropheten von 1906 endgültig abgelöst. Das Ziel von Hofmannsthals Kulturpolitik ist in der Hauptsache wohl darin zu sehen, den 423 »Vermöge der Sprache ist es, daß der Dichter aus dem Verborgenen eine Welt regiert, deren einzelne Glieder ihn verleugnen mögen, seine Existenz mögen vergessen haben. Und doch ist er es, der ihre Gedanken zueinander und auseinander führt, ihre Phantasie beherrscht und gängelt  ; ja noch ihre Willkürlichkeiten, ihre grotesken Sprünge leben von seinen Gnaden. Diese stumme Magie wirkt unerbittlich wie alle wirklichen Gewalten. […] so sind es immer nur die Dichter, mit denen es die Phantasie der Hunderttausende zu tun hat […]« (RA I, 63/64  ; Dichter und Zeit). Diese an Kubins Gestalt des Patera und Le Bons Psychologie der Masse erinnernden Ausführungen sind aber dennoch dem Wissen verpflichtet, dass »diese Magie« nur »einen Schein von Form gibt« (ebd.). 424 Die Gewebe-Metapher hat Hofmannsthal schon sehr früh verwendet »Beim Nachhausgehen Gedanke der Einwirkung  ; durch uns hindurch webt das Sein sein ungeheures Gewebe. Ihm kommt es darauf an, daß Dinge sind, daß Ideen sich offenbaren.« (RA III, 379  ; Aufzeichnungen [1894]). Zumindest in dieser frühen Phase kommt der Gewebe-Metapher auch eine transzendente Note zu (»Dasein«/Leben). 425 Dass noch dieses sprachliche Gewebe dann »in der souveränen Verfügung über die Sprache« dezisionistisch übersteigert und auf ein radikales Politisches hin perforiert werde, ist eine Behauptung Twellmanns, die eine Analogie von Hofmannsthals Sprachpolitik und Schmitts moderner Theologie der Souveränität unterstellt (vgl. Twellmann, Drama  ; op cit, 222/223). Solche Analogien sind im Akt der souveränen Entscheidung über eine Diegese oder Rechtsordnung tatsächlich gegeben, rühren aber daher, dass Schmitt ein angestammtes fiktionales Verfahren der Literatur auf den staatlichen Raum überträgt und damit quasi den Souverän zum weltschöpfenden Autor macht. Jedenfalls geht aus Hofmannsthals Ausführungen deutlich genug hervor, dass er aus der Pluralität von Suchenden dann doch eher eine Art ›Staatsrat der Literatur‹ mit der Mission einer ›Textur des Politischen‹ formen möchte, als sich selbst zum Diktator über die Wirklichkeit aufzuschwingen. Diese Ausführungen Twellmanns stehen daher auch im Widerspruch zur eigenen Feststellung an anderer Stelle  : »Die Prätention des Dichters, sein Anspruch auf Führerschaft [am Beispiel Georges], ist demnach Anmaßung einer gesetzgebenden Gewalt, deren vorbehaltlose Apologie Hofmannsthals Rede nicht ist.« (Twellmann, Drama  ; 210).

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»Strukturwandel der Öffentlichkeit« (Habermas) reflektierend zu begleiten und dadurch implizit auch zu lenken, ihr im ›Massenkontext‹ etwas von den genuinen Substitutionen der bis dahin ausgebliebenen deutschen Revolution, vom deutschen Idealismus klassizistischer Prägung und auch der Romantik einzuschreiben, und zugleich ein Bewusstsein für den Wert des gemeinsamen Kulturerbes zu stiften und zu erhalten.426 Solch eher paternalistische bzw. therapeutische Züge weisen auch die ›Kondensate‹ des Lesebuchs auf, welches Hofmannsthal mit einem Wort Borchardts seinem Volk »bereitet« hat  :427 »Der Übergang aus dem alten Zustand der Dinge in eine neue Ordnung darf nicht zu hastig sein, und man muss die Menschen nach und nach an selbständiges Handeln gewöhnen, ehe man sie zu großen Versammlungen beruft und ihnen grosse Interessen zur Diskussion anvertraut.« (DL I, 244  : vom Stein)

Man wird aber nicht sagen können, dass Hofmannsthals Vorgehen und Idee geistiger Souveränität allein von restaurativen oder gar reaktionären Gesichtspunkten dominiert gewesen sei  ; auch wenn etwa in Wert und Ehre deutscher Sprache ein Ernst Moritz Arndt den Vorzug vor den Schlegel-Brüdern erhielt, welche die Anthologie ja nicht nur ›politisch‹ erheblich aufgewertet hätten.428 Zu bedenken gilt es überdies, dass gerade die fiktive politisch-utopische Durchführung in den dichterischen Fassungen des Turm, wenn sie nicht gerade einer Retheologisierung im Dienste der Humanität zuzuordnen ist, so doch im ethisch-religiösen Rahmen einer von Hofmannsthal angestrebten modernen, anti-rationalistischen Pietät für die Kulturnation betrachtet werden muss.429 Ob es sich bei hierbei um 426 Soweit abzusehen, ist eine über Habermas hinausweisende Studie umfassender Art noch nicht geschrieben worden. Aspekte bei Klaus Arnold [et al.] (Hg.)  : Von der Politisierung der Medien zur Medialisierung des Politischen  ? Zum Verhältnis von Medien, Öffentlichkeit und Politik im 20. Jahrhundert  ; Leipzig 2010  ; M. Behmer/F. Krotz/R. Stöber (Hg.)  : Medienentwicklung und gesellschaftlicher Wandel. Beiträge zu einer theoretischen und empirischen Herausforderung  ; Wiesbaden 2003. 427 Borchardt, Brief  ; in  : Eranos-Festschrift  ; op cit, II. 428 Wenngleich, wie bereits angemerkt, die von Arndt ausgewählten Textstücke sehr gemäßigte sind. Hofmannsthal ist seiner eigenen Haltung und Ästhetik nach aber deutlich eher an Schlegel orientiert (dazu nachfolgend 3.1). An die Debatte zwischen Ernst Robert Curtius und Carl Jacob Burckhardt um den Traditionalismus Hofmannsthals sei erinnert  ; Burckhardt bezog sich mit seiner progressiven Einschätzung auf den Turm (allerdings der dichterischen Fassungen). Zu Arndt vgl. auch die Gedenktafel zum deutschen Lesebuch (abgedruckt in RA III, 99). Arndts Patriotismus hielt Hofmannsthal nicht mehr für zeitgemäß. 429 Vgl. hierzu WuG 1922, 468 und Wolfgang Nehring  : Religiosität und Religion im Werk von Hugo

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eine Filiation »politischer Romantik« in der klassischen Moderne – oder doch eher um ein poetisches ›Nachbeten‹ politischer Theologie handelt, ist als der eigentliche Kern der Diskussion um Hofmannsthals Auffassung des Terminus »Konservative Revolution« auszumachen.430

von Hofmannsthal  ; in  : Karlheinz F. Auckenthaler (Hg.)  : Numinoses und Heiliges in der österreichischen Literatur  ; Bern 1995. 77–98. 430 In Hofmannsthals Auffassung dürfte jedenfalls eine Menge »politische Romantik« stecken. Dass viele Autoren in den zwanziger Jahren sich weit überwiegend im Gestus der Romantik-Kritik gefielen, taugt als Kriterium der Unterscheidung nur bedingt, da es sich um Distanzierung von einem im politischen Kontext beinahe als Schimpfwort gehandhabten Begriff dieser Zeit handelt.

3. Schwellen. Drei Zugänge zum Turm »SIGISMUND. Was weißt du von mir  ? Hast du den Zugang zu mir  ? da ich unzugänglich bin, wie mit tausend Trabanten verwahrt.« (SW XVI.1, 97)

Mit ›Zugängen‹ ist auf Einsetzpunkte für die Interpretation des Turm-Geschehens und seines kulturpolitischen Horizonts verwiesen, deren Perspektivierung auf den vorangegangenen Kapiteln aufbaut. Die folgenden Ausführungen dienen ihrer Koordinierung. Die Beschränkung auf deren drei ist angesichts des im Turm gebündelten ›Bezugsuniversums‹ notwendig und entspricht den bereits vorgestellten Bezugnahmen, in deren Koordinatenfeld die Analyse jenes politischpoetischen Unterbaus unternommen wird, der das Drama eigentlich trägt. So ist mit und neben der Politischen Romantik und der Politischen Theologie auch die ökonomische Dimension der Souveränität (in der Lesart Simmels und Webers) abzudecken, die sich als spezifisches Wissen beispielsweise in der durch Inflation herbeigeführten Krise der Repräsentation und Ausübung politischer Herrschaft im Turm niederschlägt. Zudem hätte sich an ein Kapitel zur ›Psychologie des Turm‹ denken lassen, um Freud und C.G. Jung zu berücksichtigen, auf welche hier nur gelegentlich (nämlich im Rahmen des sozialpsychologischen Komplexes) verwiesen werden kann.1 An deren Stelle erfolgt hier eine Betrachtung von Metaphern und Figurationen, welche das Drama angesichts einer erschütterten Anthropologie der Moderne als zoologische Phänomenalität des Ausnahmezustands entwirft. Mit der Politischen Romantik ist eine umstrittene, oftmals denunzierte Haltung der spezifisch ordnungsaffineren Politischen Theologie vorangestellt, weil in deren organischer Souveränitätslehre die Vorstellung eines corpus mysticum fortlebt – anders als in Schmitts politischer Theologie (die in diesem Sinne wirklich 1 In den vorangegangenen Kapiteln wurde diese psychologische Dimension in Hofmannsthals Werk bereits mehrfach berücksichtigt. Hofmannsthal war insbesondere mit den Arbeiten Freuds gut vertraut, hatte sogar einige Zeit dessen Seminare besucht. Zu diesem Themenkomplex vgl. Bergengruen, Mystik der Nerven (op cit), Bernhard Neuhoff  : Ritual und Trauma. Eine Konstellation der Moderne bei Benjamin, Freud und Hofmannsthal  ; in  : Hofmannsthal-Jahrbuch 9 (2001). 137– 163, Nicolaus, Souverän  ; op cit, 95 ff. (explizit zur Opfertheorie in Totem und Tabu) und Bernd Urban  : Hofmannsthal, Freud und die Psychoanalyse. Quellenkundliche Untersuchungen  ; Frankfurt/ Main (u. a.) 1978.

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säkular ist). Die politische Romantik der Moderne hingegen steht im Zeichen des Charismas, ihre Tendenz ist die schon oft bemerkte »Wiederverzauberung«  ; da diesem Prozess jedoch zumal im Charisma eine sakrale Note eigen ist, trifft ›Entsäkularisierung‹ den Vorgang in Bezug auf Hofmannsthal wohl besser. So kommt für die zuvor erarbeiteten Gehalte seiner konservativen Utopie auch der Anspruch einer ›poetischen Theologie‹ in Betracht, die – zumindest als romantische – von Schmitt erbittert bekämpft wurde. Zugleich muss der in der politischen Romantik des 20. Jahrhunderts scheinbar notwendig anti-modernistische Charakter relativiert werden  ; nicht nur im Hinblick auf Technik-Mythen (etwa Ernst Jüngers oder Marinettis), sondern auch bezogen auf Konzepte von Sozietät, die sich an einem lebensreformerisch inspirierten Anarchismus orientierten, wie er sich etwa mit der Freundschaft unter ›wahlverwandten‹ Gleichgesinnten entwickelte.

3.1 »Wie politisiert man diesen Geist  ? « Politische Romantik und ›Charismatisierung‹ »Aus immer neuen Gelegenheiten entsteht eine immer neue, aber immer nur occasionelle Welt, eine Welt ohne Substanz und ohne funktionelle Bindung, ohne feste Führung, ohne Konklusion und ohne Definition, ohne Entscheidung, ohne letztes Gericht, unendlich weitergehend, geführt nur von der magischen Hand des Zufalls, the magic hand of chance.« (Schmitt  : PR, 25) »Die Romantiker wollten die Gesetzmäßigkeit des Kunstwerks zur absoluten machen. Aber das Moment des Zufälligen ist nur mit der Auflösung des Werkes aufzulösen oder vielmehr in ein Gesetzmäßiges zu verwandeln.« (Benjamin, GS I 1, 115  ; Romantik)

Hofmannsthals Verhältnis zur Romantik bedürfte einer eigenen Studie, die sich jenem »Andauern der Romantik im Denken des Politischen« stellt, das für die moderne Literatur – und gerade für den Zeitraum der »klassischen Moderne« – ausgemacht worden ist.2 Sie müsste zudem diese Beziehung, dieses »Gespräch« 2 Das Buch über Hofmannsthals »politische Romantik« ist offenbar bereits erschienen – allerdings in italienischer Sprache  ; vgl. Cristina Fossaluzza  : Poesia e nuovo ordine. Romanticismo politico nel tardo Hofmannsthal  ; Venedig 2010. In den bereits mehrfach zitierten Anthologien Das

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mit einer Betrachtung von Hofmannsthals Goethe-Rezeption koalieren, da Hofmannsthal, so eine Hypothese hierzu, die Epoche als Ganzes, in ihren Widersprüchen schlichtend, zu bewahren beabsichtigt haben dürfte. Es liegen einige interessante Ansätze und Arbeiten zu Hofmannsthals Rezeption (etwa der englischen Romantik) vor.3 Jedenfalls würde eine Gesamtdarstellung ein vielfältiges (hinsichtlich der verschiedenen Autoren) und über die Jahre mäanderndes Bild zu zeigen haben  ; von tiefer Ambivalenz durchzogen, was Hofmannsthals späte kulturpolitische Ambitionen anbetrifft. Wenn es den Romantikern darum ging, »den Lesern eine Zusammengehörigkeit der deutschen Sprachgemeinschaft als kulturelles Guthaben vorzustellen« und »diese Zusammengehörigkeit zugleich im Medium der Dichtung herzustellen«,4 dann scheinen mit Blick auf die in den Politische und die Souveränität der Literatur (jew. Hebekus [et al.]) findet sich kein Beitrag zu Hofmannsthal. Die Frage, ob denn nun die politische Romantik oder ihre Kritik die regressiveren Züge angenommen hat, ist jedenfalls nicht ohne weiteres zu beantworten. Hebekus sieht in Hofmannsthal einen Schmitt vergleichbaren Romantik-Hasser (avant la lettre, versteht sich), übergeht damit aber eine mögliche poetische und politische Entwicklung des Dichters (Hebekus, Ästhetische Ermächtigung  ; op cit, 279). Vgl. hinsichtlich Schlegels auch Gretz, Deutsche Bewegung  ; op cit, 291. 3 Zur Frau ohne Schatten und Hofmannsthals politischer Romantik vgl. Cristina Fossaluzza  : Zwischen ›Leben‹ und ›Geist‹. Elementare Kunstreligion in Hugo von Hofmannsthals Märchen »Die Frau ohne Schatten«  ; in  : A. Costazza/G. Lauden/A. Meier (Hg.)  : Kunstreligion. Ein ästhetisches Konzept der Moderne in seiner historischen Entfaltung – Die Radikalisierung des Konzepts nach 1850  ; Berlin 2012. 105–120. Uwe Steiners Studie Die Zeit der Schrift (op cit) wäre hier unbedingt zu nennen, der Hofmannsthals frühe Texte häufig im Hinblick auf Friedrich Schlegel und Novalis liest. Die erwähnten Romantischen Aporien von Sommerhage (op cit). ziehen aus der Konstellation der Autoren (Schlegel, Hofmannsthal, Handke) hingegen kaum einmal Schlüsse. Zum Kontext der romantischen Moderne vgl. Hans R. Klieneberger  : George, Rilke, Hofmannsthal and the Romantic Tradition  ; Stuttgart 1991. 86 f. Hinsichtlich der Politischen Romantik wäre v. a. der bereits genannte Beitrag Friedmar Apels Suchbilder. Landschaft und Gesicht in der politischen Romantik der Weimarer Republik (2000) zu nennen. Zu Walter Pater vgl. die Arbeit von Ulrike Stamm  : Ein Kritiker aus dem Willen der Natur (op cit). Insgesamt wird man sagen können, dass Hofmannsthals GoetheRezeption weitaus besser erforscht ist (vgl. hierzu Hinweise in 2.3/2.4). Zu ergänzen wäre noch ein Beitrag Anke Bosses  : »Dichter steht gegen Dichter und Epoche gegen Epoche«. Hofmannsthal zwischen ›Goethe‹ und Moderne  ; in  : K. Feilchenfeldt (Hg.)  : Goethezeit – Zeit für Goethe. Auf den Spuren deutscher Lyriküberlieferung in die Moderne  ; Tübingen 2003. 391–403. Eine »Anglomanie«, wie Schmitt sie für die »Romantik des Kontinents« behauptete (hinsichtlich Adam Müllers  ; vgl. PR, 59) ist bei Hofmannsthal nicht festzustellen, aber doch eine große Aufgeschlossenheit. Vgl. hierzu etwa Gerold Schipper  : Identität und Entfremdung. Zum Konzept des Dichterischen bei Keats und Hofmannsthal  ; Frankfurt/Main 2004. 4 Matala de Mazza, Verfaßter Körper  ; op cit, 16. Vgl. auch spezifisch zu Novalis’ Programmatik  : »Wo der maschinistische Fürstenstaat seine Untertanen vor vollendete Tatsachen gestellt hatte, da gilt

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Vorkapiteln (vgl. 1.3–2.5) entwickelte Vorstellung eines »spirituellen Sozialkörpers« (Broch) offensichtliche Parallelen auf. Ob diese nun eher methodisch-poetologischer oder eben auch weltanschaulich-politischer Natur sind, wie kritisch also Hofmannsthals Haltung diesbezüglich war,5 soll im Vorfeld der Drameninterpretation geklärt werden. Insgesamt lässt sich für direkte Äußerungen eine überwiegend distanzierte Haltung feststellen, die aber immer wieder in einen eigenartigen Widerspruch mit dem eigenen Schaffen gerät. Die »Abgrenzung unserer Epoche gegen die Romantiker«6 gewinnt davor wenig inhaltliche Prägnanz – übrigens entsteht diese Notiz von 1906 anlässlich einer erneuten Beschäftigung mit Georges Jahr der Seele. Am 23. XI. des Jahres dann ist der Plan weiter ausgereift, der hier nebst weiteren verstreuten Äußerungen Hofmannsthals zur Romantik zitiert sei  : »Ein Aufsatz  : Vorschlag, den Namen Romantik außer Gebrauch zu setzen. (Motivierung  : Mit dem Wort Romantik haben die Dichter jener Epoche sich selbst eine Athmosphäre suggeriert, worin aber das, worauf es einzig ankommt, das Einzelne, Nie-wiederkehrende, das Besonderste verschleiert wird. Das Vage, Unzulängliche, in allen Gleiche, das Unbestimmte, das worüber sich viele verständigen konnten, drängt sich vor und verschleiert die Idee jedes Einzelnen.)« (RA III, 484  ; Aufzeichnungen [1906]) »Die Romantiker machen den Geist zum Spielball ihrer Einbildungskraft, die Jungdeutschen dann machen aus dem Gemüt die Magd ihres kalten, seichten Verstandes. Grillparzer hält Geist und Gemüt zusammen […]« (RA II, 91  ; Grillparzer [1922]) »Geist ist überwundene Wirklichkeit. Was sich von der Wirklichkeit absentiert, ist nicht Geist.«7 (RA III, 266  ; Buch der Freunde)

es nun, eine noch im Werden begriffene Gemeinschaft im Medium der Poesie zu ›vergegenwärtigen‹, und vor allem  ; sie mit ihm zu realisieren.« (ebd., 136). 5 Hebekus verortet Hofmannsthal in der Nähe von Schmitts Kritik an der Romantik (i.S.e. Prolepse)  ; bezieht sich hierbei jedoch vor allem auf den Chandos-Brief (vgl. Hebekus, Ästhetische Ermächtigung  ; op cit, 133 f.). 6 RA III, 475  ; Aufzeichnungen [1906]. 7 »[…] verwandt damit die Stil- und Kulturlosigkeit des gegenwärtigen Deutschland  ; die Glaubenslosigkeit der Gegenwart und der damit empfundene Aberglaube, das Anempfinden jedes Glaubens. Charakteristisch für eine romantische Zeit. Jede der bisherigen romantischen Epochen erzeugte einen neuen Glauben und dieser eine neue Gesellschaft  ; die Romantik der Antike das katholische Christentum und den Feudalstaat  ; die Romantik der Renaissance den protestantischen Glauben mit dem starken Familien- und Klassensinn und der bürgerlichen Gesellschaft.« (RA III, 322  ; Aufzeichnungen [1891]). Das geschichtsphilosophische Interesse ist also schon beim 17-jährigen Hofmannsthal belegt.

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Diese etwas aleatorische Zusammenstellung (von der ›Atmosphäre‹ zur ›Wirklichkeit‹) ist bei gleichzeitigem Rekurs auf die Romantikschelte in der Schrifttum-Rede geeignet, die ambivalente Haltung des Autors zu skizzieren. Da ist der Hofmannsthal, der sich gegen die »schrankenlose Orgie des weltlosen Ichs« (2.4) wendet und damit eigentlich einen Gemeinplatz der nachhegelschen Romantikkritik von der entwirklichten, »leeren Subjektivität« zu reformulieren scheint, indem er sich nominell einer nüchternen ›Realpolitik‹ verschreibt. Oliviers Bescheid an den kooperationsunwilligen Sigismund im 5. Akt gewinnt in dieser Perspektive eine andere Prägnanz  : »Das was jetzt dasteht, das ist die Wirklichkeit.« (Olivier) – denn ›Romantik‹ ist schon vor Schmitts Zugriff auf das Thema ein kritischer Begriff, der »Weltverlust« intendiert. Und da ist der Hofmannsthal, dessen Poetik nicht nur da, wo sie Nähen zur Neu-Romantik aufweist, den Romantikern vieles verdankt. Das gilt gerade für den Zeitraum nach dem Krieg. 1922 erschienen Hölderlins Elegien in der Bremer Presse, Hofmannsthals Hausverlag.8 Geplant war ursprünglich, die Fragmente des Novalis folgen zu lassen – herausgegeben von Hofmannsthal. Während der Arbeit an Der Schwierige beruft er sich bereits auf Novalis – »nach einem unglücklichen Krieg müssten Komödien geschrieben werden«, die Ironie der Romantiker sei die richtige Rezeptur, der allesdurchwaltenden Ironie der Zeit (Hofmannsthal nennt als Beispiel auch die Inflation) beizukommen.9 Novalis ist es auch, welchen er in der Ankündigung des Verlags der Bremer Presse (1922) zustimmend zitiert und gegenüber C.J. Burckhardt sogar als ihm brüderliche Natur bezeichnete.10 Man wird also bei aller (zeitgemäßen) Kritik der Romantik nicht behaupten können, Hof  8 Hölderlin wird in der Regel nicht der Romantik zugeschlagen  ; hinsichtlich einer Remythisierung des Ästhetisch-Politischen ist er aber der Frühromantik nahe. Hofmannsthal las übrigens, die Arbeit am Turm begleitend, Ludwig Pigenots große Hölderlin-Studie Hölderlin. Das Wesen und die Schau (München 1923). In einem Brief an Pigenot schrieb Hofmannsthal, er sehe den Unterschied zwischen Hölderlin und den Romantikern in der Rezeption Rousseaus  : »[…] Bedeutung J.J. Rousseau’s für Hölderlins innere Welt (und der Grenzziehung die sich bei dieser Betrachtung gegen die Romantik ergibt) […]« ([SW] XXXVI, 484/485).   9 RA II, 138 und 140  : Ironie der Dinge. Zuvor  : Vgl. RA II, 179  ; Ankündigung. 10 Vgl. RA II, 177  ; Ankündigung  : »Novalis’ Wort […] die Macht […] des unsichtbaren Bundes der Denker«. Zu Burckhardts Erinnerung  : vgl. ders.: Begegnungen mit Hugo von Hofmannsthal  ; in  : Die Neue Rundschau, 3./4. Heft 1954 (65. Jahrgang). 341–357  : 357. Hofmannsthal hat die Bedeutung des romantischen Autors für ihn mehrfach zum Ausdruck gebracht  : »Eine litterarische Erscheinung wie Novalis und ihr Wert, der in einem gewissen Betracht unschätzbar ist, ist einem NichtDeutschen gar nicht klarzumachen. Er ist mehr das Ingrediens einer potentiellen etwa zu realisierenden Litteratur als das Bestandstück einer wirklichen.« (RA III, 557  ; Aufzeichnungen [1920]). Auch die »mythengebärende Phantasie« des Königtums gehört hierher (RA III, 460 [1905].)

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mannsthal habe sich hier einseitig festgelegt  ; auch nicht, dass er sich höchstens mit der ›katholisierten‹ Restaurationsromantik des späteren Friedrich Schlegel oder Adam Müller identifiziert habe  ; eigentlich ist das Gegenteil der Fall. Hofmannsthals Einstellung zur Romantik ist vielmehr zuerst eine Genrefrage.11 Das Buch der Freunde etwa lässt sich als Aphorismensammlung nach Art eines »Broullion« bezeichnen  ; Die Frau ohne Schatten und insbesondere die Opernlibretti halten zahlreiche Referenzen auf tradierte Topoi der Romantik bereit, und die Zigeunerinnen-Szene im fünften Aufzug des Turm ist geradezu ein Zitat der »dunklen« bzw. »schwarzen Romantik« insgesamt.12 Die dramatische Vorstufe Das Leben ein Traum nennt erstens im Titel ein Zentralmotiv der Romantik und verdankt ihren Stoff zweitens auch der kulturellen Vermittlerschaft der Frühromantik (in Person August Wilhelm Schlegels). Eine weitere formpoetische Parallele drängt sich mit Blick auf die zahlreichen Fragmente in Hofmannsthals Gesamtwerk auf (vgl. 1.4.3).13 Was Hofmannsthal als Einwand anscheinend gelten ließ, waren die Vorwürfe der Weltfremdheit und Formlosigkeit. Hierzu hält Carl Schmitts Politische Romantik von 1919 Etliches bereit.14 Und genau um eine solche Kritik ästhetischer Expansion, wie sie Schmitt hier geübt hat, soll es im Folgenden gehen. Die »neue Kunst« kritisiert Schmitt seinerseits als »eine Kunst ohne Publizität und ohne Repräsentation.«15 – die zu erzeugen jedoch, hier ist an 11 Richard Alewyn hat mit dem Titel seines Aufsatzes Unendliches Gespräch. Die Briefe Hugo von Hofmannsthals  ; op cit, Hofmannsthal womöglich absichtsvoll von der Schmittschen Politischen Romantik abgegrenzt. (Vgl. PR, 28  ; in negativem Bezug auf Adam Müller). 12 Zur Zigeunerin in der Romantik  : Hans-Richard Brittnacher  : Traumwissen und Prophezeiung. Zigeunerinnen als Hüterinnen mantischer Weisheit  ; in  : Peter-André Alt (Hg.)  : Traumdiskurse der Romantik  ; Berlin 2005. 256–282. Die fragliche Szene inszeniert dieses »mantische Wissen« allerdings recht ausschließlich als schwarze Magie. 13 Vgl. hierzu Gerhard Schulz  : Noch-Nicht und Nicht-Mehr. Zum Fragment bei Hofmannsthal und Novalis  ; in  : K. Feilchenfeldt (Hg.)  : Goethezeit – Zeit für Goethe. Auf den Spuren deutscher Lyriküberlieferung in die Moderne. Festschrift für Christoph Perels  ; Tübingen 2003. 377–390. 14 Von Schmitts Polemik, die »Revolution der Romantiker selbst aber bestand darin, eine neue Religion, ein neues Evangelium, eine neue Genialität, eine neue Universalkunst zu versprechen«, die zu dem Schluss kommt »Ihre Taten waren Zeitschriften.« (PR, 51) dürfte sich auch der Herausgeber der Neuen deutschen Beiträge getroffen gefühlt haben. Zum Vorwurf der »romantische[n] Formlosigkeit« vgl. PR, 25 f. So lässt sich Hofmannsthal jedenfalls auch mit Schmitt lesen, wie Hebekus das mit dem Chandos-Brief macht, welchen er als Manifest wider die Schrift-affine Romantik interpretiert (vgl. Ermächtigung  ; op cit, 132 f.). 15 Vgl. Helmut Hühn  : Carl Schmitts Kritik des romantischen Bewusstseins und die Debatte um Symbol und Allegorie am Anfang der ästhetischen Moderne  ; in  : K. Ries (Hg.)  : Romantik und Revolution. Zum politischen Reformpotential einer unpolitischen Bewegung  ; Heidelberg 2012. 261–273.

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den von Hofmannsthal angestrichenen Auftrag aus der Politischen Theologie zu erinnern, ihre eigentliche gesellschaftliche Aufgabe sei (vgl. 1.3). Schmitt stellt die romantische Literatur in einen Zusammenhang mit dem Prozess der religiösen, dann ontologischen und politischen Teilungen in der abendländischen Geschichte und sieht in ihr einen weiteren Indikator der fehlenden »Legitimität der Neuzeit«  : »Die Kritik [der Romantik] gewinnt erst dann eine bedeutendere Tiefe, wenn die Romantik geschichtlich einer großen historischen Konstruktion der letzten Jahrhunderte eingefügt wird. Insbesondere gegenrevolutionäre Schriftsteller haben das in oft sehr interessanter Weise versucht. Sie sahen in der Romantik die Konsequenz jener Auflösung, die mit der Reformation beginnt, im 18. Jahrhundert zur französischen Revolution führt und sich im 19. Jahrhundert in Romantik und Anarchie vollendet. So entsteht das ›Monstrum mit den drei Köpfen‹  : Reformation, Revolution und Romantik.« (PR, 11)16

Dadurch wird die Romantik in eine Kontinuität mit dem Säkularisierungsprozess gerückt, mit Weber  : zu einer der zahlreichen Filiationen protestantischer Ethik erklärt, was zumindest hinsichtlich der katholischen Spätromantik irritierend wirkt. Den Mystizismus eines Johann Arnold Kanne ließ Schmitt gelten, nicht aber die Konvertiten Müller und Schlegel. Bislang lässt sich nicht mit Sicherheit sagen, ob Hofmannsthal die Politische Romantik überhaupt kannte17 – es wäre aber reichlich Potential zur Anknüpfung 16 Schmitt betont jedoch auch  : »Politische Romantik verbindet sich in Deutschland mit der Restauration, mit Feudalität und ständischen Idealen gegen die Revolution.« (PR, 13) – jedenfalls nach der frühen Phase namentlich in Person Friedrich Schlegels und Adam Müllers. Es gebe daher »Restaurations- und Revolutions-Romantik, romantische Konservative, romantische Ultramontane, romantische Sozialisten, Völkische und Kommunisten […]« (ebd.) Schmitt referiert übrigens auch durchaus kritisch die völkische Auslegung der Romantik als Kolonialwerk durch Josef Nadlers Literaturgeschichte der deutschen Stämme (vgl. PR, 14/15). 17 Es erscheint allerdings fraglich, dass Hofmannsthal dieses Buch nicht gekannt haben soll. Denn immerhin war es kein geringerer als Hermann Bahr, der die Zweite Auflage von 1925 rezensierte. Dass diese Rezension einige öffentliche Aufmerksamkeit erzeugt hat, geht aus dem Briefwechsel von Carl Schmitt und Ludwig Feuchtwanger hervor  : Carl Schmitt – Ludwig Feuchtwanger  : Briefwechsel 1918–1935  ; hg. v. Rolf Rieß mit einem Vorwort von Edgar J. Feuchtwanger  ; Berlin 2007. 138. In der Rezension allerdings ist Schmitts Name falsch geschrieben (in der Schreibweise, wie sie Brecht später in Die Maßnahme verwendete)  : Hermann Bahr  : Tagebuch  ; in  : Neues Wiener Journal Nr. 11296 (3. 5. 1925), 8 ff.: Rezension ab Seite 9 über »Karl Schmitts Politische Romantik«. Die ›Selbstanzeige‹ der Diktatur in der Politischen Theologie (PT, 37) hat sich Hofmannsthal allerdings angestrichen und nachverfolgt. Auch die Politische Romantik wird darin vom Verlag beworben.

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gegeben (allein schon das Kapitel über »Kaiser Julian Apostata« müsste ihn interessiert haben). Schmitts polemische Abhandlung von 1919 bzw. 1925 wendet sich (übrigens vor dem historischen Hintergrund der »Literatenrepublik« in München 1918/19) sehr scharf gegen Einmischungen von literarisch inspirierter Seite. Im Bereich des »Nur-Ästhetischen« seien keine politischen Entscheidungen möglich, sie würden durch dessen Expansion vielmehr verhindert.18 Wie die Vorkapitel gezeigt haben, sind ästhetische Anleihen an die Romantik in Hofmannsthals Arbeiten evident  ; insbesondere die Metaphorik eines Kollektivkörpers ist hierbei zu betonen, die vielfach in Hofmannsthals Essayistik nachgewiesen werden konnte. Auch Brochs Hinweis, »Das Volk« sei für Hofmannsthal »eine kollektive Märchengestalt«, dringt auf diesen Punkt.19 Man könnte in Anlehnung an eine berühmte Feststellung Schmitts sagen  : alle modernen Paradigmen von Kollektivkörperschaft sind säkularisierte theologische. Die frühe Romantik hat sie – auf individualistische Weise – remythisieren wollen und die Literatur der klassischen Moderne fasste sich, so könnte man vorläufig für Hofmannsthal sagen, selbst als ein solches corpus auf. Die sich darin formierende Tradition romantischer Aufklärungs- und Modernekritik, den anti-rationalistischen und ›anti-mechanischen Affekt‹ hat Hofmannsthal jedenfalls weitgehend geteilt  ; das gilt auch für deren »Mittel politischer Suggestionen«.20 Übrigens führt Benjamins Dissertation zur frühromantischen Form-Poetik die organische Transzendentalpoesie Schlegels und Novalis’ auf einen Werkbegriff zurück, welchem ein doppeltes Formverständnis zugrunde liege. So kann Benjamin dem ständigen Verdikt der Formlosigkeit entgegen behaupten (welches im Hinblick auf die Imagination eines »verfaßten Körpers« ohnehin Chimäre ist), dass nur eine FormEbene des Werks dem zersetzenden Kritik-Prozess ausgesetzt sei  :

18 PR, 21. Schmitts Haltung hier würde einen Vergleich mit Thomas Manns Betrachtungen eines Unpolitischen lohnen ([1918]  ; vgl. Kapitel »Ästhetizistische Politik«). Das Schmitt hier abseits des Liberalismus auch und besonders den zeitgenössischen anarchistischen Sozialismus kritisiert, entgeht Karl Heinz Bohrers Die Kritik der Romantik. Der Verdacht der Philosophie gegen die literarische Moderne (Frankfurt/Main 1989) übrigens völlig. »Die Mechanisierung des Geistigen« führte auch Hofmannsthal auf den »Liberalismus der sechziger Jahre« (des 19. Jahrhunderts) zurück (RA II, 35  ; Skandinavien). 19 HuZ, 208. Ernst Robert Curtius hat übrigens schon früh vor romantischen Zuschreibungen gewarnt  ; vgl. ders., Zu Hofmannsthals Gedächtnis  ; op cit, 162 f. (»Er ist ein Vertreter der Restauration, und d. h. einer Gesinnung, welche romantische Elemente integriert, aber sie eben damit in einer übergreifenden Synthese aufhebt.«) 20 PR, 222.

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»Die bestimmte Form des einzelnen Werkes, die man als Darstellungsform bezeichnen möge, wird das Opfer ironischer Zersetzung. Über ihr aber reißt die Ironie einen Himmel ewiger Form, die Idee der Formen, auf, die man die absolute Form nennen mag, und sie erweist das Überleben des Werkes […]« (GS I 1, 86  ; Kunstkritik)21

Das, was sie an Absolutem enthüllt, entzieht sich folglich der direkten Verfügungsgewalt des Autors, der es nur durch das Aufopfern der eigenen Gestaltung ins Werk retten kann. Diese selbst recht romantisch anmutende Verteidigung argumentiert demnach vor dem Hintergrund einer Dialektik von (auflösender) Bewegung des Geistes und (himmlischer) Ewigkeit der Form. »Flüssigkeit des Geistes« heißt auch das Mittel, das in sozialer Zirkulation zum »poëtischen Staat« Novalis’ führen soll  ; welcher als Ideal nach einer treffenden Formulierung Matala de Mazzas »dem des Leviathan geradezu punktsymmetrisch entgegengesetzt« ist.22 Zugleich verwies Benjamin in seiner Dissertation auf eine reflexive Selbst-Kritik der Romantik,23 die sich auf eine Nüchternheit richte, welche auch der späte Hofmannsthal als Haltung immer wieder für notwendig erklärte. So dürfte er sich insbesondere über den letzten Satz von Benjamins Rezension der ersten Buch-Fassung des Turm von 1925 gefreut haben  : »Im Geist des Trauerspiels hat der Dichter den Stoff des Romantischen entkleidet und uns blicken 21 Vgl. auch GS I 1, 93 f., 72  ; Kunstkritik. Benjamins kunstphilosophischer Kritik-Begriff ist hier bereits vorbereitet. Auch Georg Simmel, für Benjamin ja nicht ganz bedeutungslos, konnte der Formlosigkeit des objektiven Geistes (im Gegensatz zum beschränkten subjektiven Geist) sogar Positives abgewinnen (vgl. 1.3)  ; betonte andererseits diesen Begriff auch als Konsequenz des Geld-Verkehrs (vgl. 2.1). 22 Matala de Mazza, Verfaßter Körper  ; op cit, 135. Zu den hier ansetzenden Machtaspirationen der Romantik vgl. Michael Gamper  : Genies und Virtuosen der Macht. Über die Emergenz einer politischen Figur der Moderne in den Medien der Romantik  ; in  : G. Brandstetter/G. Neumann (Hg.)  : Genie – Virtuose – Dilettant. Konfigurationen Romantischer Schöpfungsästhetik  ; Würzburg 2011. 99–114. 23 »Diese Romantiker wollten gerade das ›Romantische‹ von sich abhalten – wie man es damals und heute versteht.« »Ich fange an, das Nüchterne, aber echt Fortschreitende, Weiterbringende zu lieben.« zitiert Benjamin zustimmend Kircher und Novalis hintereinander (GS I 1, 107  ; Kunstkritik der deutschen Romantik). Ob Hofmannsthal Benjamins Dissertation von 1921 zur Kenntnis genommen hat, ist nicht belegt. Die Bekanntschaft beginnt durch Vermittlung Florens Christian Rangs, der Hofmannsthal Benjamins Aufsatz über Goethes Wahlverwandtschaften zusendet (vgl. BW Rang, 438 f.). Eine Gegenüberstellung von Schmitts und Benjamins Romantik-Rezeption hat Ralf Simon unternommen  : Politiken des Romantischen (Benjamin, Schmitt)  ; in  : H. Brüggemann/G. Oesterle (Hg.)  : Walter Benjamin und die romantische Moderne  ; Würzburg 2009. 176–190.

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die strengen Züge des deutschen Dramas daraus entgegen.«24 Ein Blick auf das Ende der Bühnenfassung des Turm (»Es ist ein nüchterner Tag angebrochen«, Olivier, Akt V) macht aber deutlich, dass auch diese Haltung bei Hofmannsthal einer tiefen Ambivalenz unterliegt. Einen wichtigen Hinweis zu seinem späten Romantik-Verständnis hat Hofmannsthal in einem Brief an C.J. Burckhardt selbst gegeben  : »Dieser Gedanke, das Romantische sei mit dem Begriff der Zeit notwendig verbunden, das ihr Entgegengesetzte mit dem des Raumes, beschäftigt mich sehr.« (BW Burckhardt, 263 [29. XI. 1927])

Hierzu lässt sich zunächst feststellen, dass ›Raum‹ die wichtigere Kategorie der dichterischen Fassungen, Zeit die bestimmende der Bühnenfassung ist. Allerdings sind es die früheren Fassungen, die es aufgrund des darin dramatisierten Glaubens an einen siegreichen heroischen Geist (über das Politische, »überwältigend Gegenwärtige«)25 erlauben, ihren Autor als politischen Romantiker von konservativ-humanistischer Seite bezeichnen. Der Herrschaftsantritt einer mythischen Gestalt des Geistes über die durch Anschauung (des ›wahren‹ Symbols) zum ›Ganzen‹ gewordene, zeitenthobene Gemeinschaft trägt (wohl nicht unbeabsichtigt) stark romantisierende Züge, die Benjamins Rezension völlig übergeht. Spätestens mit der Umarbeitung zur Bühnenfassung hat Hofmannsthal solche politisch-romantischen Gedankenspiele wie die von George ersehnte »heilsame diktatur« des absoluten Autor-Subjekts (oder deren zwei) offensichtlich verabschiedet  ; ohne indes eine politische Wirkungsabsicht aufzugeben. Die »konservative Revolution« der Münchener Rede wiederum kann man, aller Okkasionalismus-Kritik darin zum Trotz, als (eben konservativ-restaurative) politische Romantik bezeichnen.26 Hofmannsthals Einstellung zu den politisierten Romantikern des 18./19. Jahrhunderts ist jedenfalls eher bei der Alfred Webers als der Schmitts zu verorten  ; auch die zahlreichen Aphorismen im Buch der Freunde (1921) von Novalis bis Adam Müller weisen darauf hin. Der (Heidelberger) Alfred Weber schrieb über die Romantik  : 24 Walter Benjamin  : Hugo von Hofmannsthal, Der Turm. Ein Trauerspiel in fünf Aufzügen. (München  : Verlag der Bremer Presse 1925.)  ; in  : GS III, 29–33. In Anbetracht der nachfolgenden Bühnenfassung kann Hofmannsthal diese »Entkleidung« vom Romantischen nur als Auftrag verstanden haben. 25 Hofmannsthal in einem Brief an Alfred Winterstein (zit.n. SW XVI.1, 490  ; Zeugnisse). 26 Natürlich gibt es hierfür weitaus einschlägigere, auf Österreich bezogene Texte nicht nur Hofmannsthals, zumal aus der Kriegszeit. vgl. hierzu Magris, Der habsburgische Mythos  ; op cit.

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»Hier ist zuerst die anschauliche Erfassung der Nation als eines auch politisch ohne weiteres vorgegebenen Ganzen erwachsen aus der neuen Totalitätseinstellung, dem historischen Begreifen des Volksgeists als einer seelischen Äußerung einer geschichtlich gewordenen, aber in steten Fluß getauchten Einheit, wie die Familie, Sippe usw. vor jedem einzelnen ist, sich in ganz bestimmten gemeinsamen Kulturausdrücken festlegt […] die vor allem durch die Sprache gegeneinander abgegrenzt sind  ; überindividuelle Objektivitäten, die zum Bewußtsein ihrer selbst gelangt, dann in bestimmten Perioden der Geschichte über ihre Kulturkontinuität hinaus zu bewußter Formgebung für den einzelnen und von da zu einheitlicher Staatsform drängen  ; – irrational gewachsene Entitäten also, die die moderne Staatsbildung auf sich hinunterziehen und die diese Staatsbildung in gleichem Zeitpunkt umgekehrt zum Träger und Gehäuse ihrer selbst machen.« (Alfred Weber, Staatsgedanken  ; op cit, 54 [Hervorh. A.M.])

Man kann, wie in Kapitel 2.5 gezeigt, hinsichtlich der Genese Sigismunds im Turm durchaus Vergleiche ziehen zu dem, was Alfred Weber hier für den »Volksgeist« und die politische Perspektive der (anscheinend nicht nur literarischen) Romantiker auf ein »überindividuelles« Gemeinwesen ausführt. Von der bewussten Formgebung der Identität des Einzelnen zur einheitlichen Staatsform, die sich in der geistigen Gemeinschaft aufhebt – das genau ist es ja, was Sigismund auferlegt ist  ; sich selbst zu finden und zunächst in sich das Reich zu einigen. Was Alfred Weber als das zwar irrational gewachsene, aber notwendige »Fluidum« des modernen Staates (als Kulturgemeinschaft) beschrieb, ist bei Hofmannsthal der Geist der Nation, den er im Schrifttum zu versammeln trachtete. Insofern partizipiert Der Turm noch an jener imaginativen Körperlehre der Romantik,27 deren Vorzüge Alfred Weber an der Person Adam Müllers und dessen Staatsverständnis explizit positiv hervorhob (hier in diametralem Gegensatz zu Schmitt)  : im Staat werde »ein aus den Händen der Geschichte uns gegebenes, mit dem Geschichtsstrom fließend fortbewegtes, sich darin wandelndes lebendiges Ganze[s] gesehen […], das vor jedem willkürlich vernunftbestimmten Aufbau da ist, für irgendeine Rationalität und deren Forderungen wesensunerreichbar.«28 Dass 27 Vgl. hierzu die schon mehrfach herangezogene grundlegende Studie Ethel Matala de Mazzas  : Der verfaßte Körper. Zum Projekt einer organischen Gemeinschaft in der Politischen Romantik (insb. 41/42)  ; sowie den hier gewissermaßen anschließenden Sammelband Das Politische. 28 Alfred Weber, Staatsgedanken  ; op cit, 42. Hofmannsthals Überlegungen zur »Übergewalt« der Sprachgemeinschaft (vgl. 2.4) korrespondieren diesem Staatsverständnis in auffälliger Weise. Dass der Liberale Alfred Weber indes eine offenere Haltung zeigte, als der »Dezisionist« Schmitt, lässt sich auch aus dessen polemischer Zuweisung des Liberalismus in den Bereich der Romantik erklären – letztlich geht es hierbei aber nur darum, wer wen überzeugender als romantisch und

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dieses die Kontingenz und die Grenzen der Vernunft gleichermaßen betonende Staatsverständnis seit Beginn der modernen Staatlichkeit allerdings alternativlos ist, geht aus einer weiteren Stelle hervor, welche auch Schmitts OkkasionalismusVorwurf aufzunehmen scheint  : »Aber die Handlungsfähigkeit des so entstandenen Staatsvolks  ? Diese war bei den alten Theoretikern bekanntlich durch einen auf den Urvertrag gesetzten einmaligen Herrschaftsvertrag für alle Zeit gesichert in der Verfassung und deren politischen Handlungsformen fest verankert. Sie ist seit Rousseau Problem geworden. Sie ist ein Fragezeichen für sein Volk, das fließend geworden in seinem ganzen politischen Sein, ebenso die Regeln seiner Verfassung wie die Art und Weise seines Tageshandelns jederzeit ändern kann.« (Alfred Weber, Staatsgedanken  ; op cit, 47 [Hervorh. A.M.])

Es wurde schon bemerkt, dass die ›morphologische‹ Selbst-Feststellung »ich verließ jede Form, bevor sie erstarrte« dem Grad an gesellschaftlicher Veränderlichkeit Rechnung trägt, wie es als Ziel Hofmannsthals Subjekt-Politik entspricht, als »Geist auf Gleitendem zu ruhn« um »die Welt von oben« sehen zu können. Diese Setzungen haben zumindest Nähen zur Beweglichkeit und Liquidität der romantischen Subjektivität, deren völliger Entgrenzung der späte Hofmannsthal jedoch mit Verweis auf die ›edle Resignation‹ zugunsten der Bindung an Werte abgesagt hat.29 Sein Verhältnis zur zeitgenössischen »politischen Romantik« sozialrevolutionärer Kreise konnte schon aus biographischen Gründen – seines Kriegsengagements und seiner staatstragenden Stellung als ›habsburgischer Autor‹ wegen – nur das einer interessierten Distanz sein (Hofmannsthals Rezeption Landauers, seine Kontakte zu Buber und Rang zeigen wiederum seine – wohlverborgene – Vielseitigkeit an). Adam Müller wird im Buch der Freunde mit einem auf Kontinuität und Ausgleich zielenden Satz zitiert, welcher der Haltung Hofmannsthals entsprach  : »Der Staat ist eine Allianz der vorangegangenen Gene-

weltfremd hinstellen kann  : »[…] Kein Zufall, daß jene Nachfahren von Bonald und de Maistre, die politisch tätigen Royalisten der dritten Republik, die revolutionäre Ideologie des liberalen Bourgeois mit derselben Entschiedenheit verhöhnen, wie der liberale deutsche Bürger, als er einen Versuch machte, politisch aktiv zu werden, in seinem reaktionären Bruder den Romantiker entdeckte.« (PR, 224/225  ; vgl. auch Schmitts Kritik an Friedrich Meinecke, PR, 39/40). 29 Er folgt damit der Haltung Goethes, auf dessen Werk morphologische Vorstellungen bei Hofmannsthal ebenfalls und vielleicht besser zurückzuführen sind  ; vgl. hierzu Hartmut Heinze  : Metamorphosen des Geistes. Hofmannsthals Hinweise auf Goethe  ; in  : W. Mauser (Hg.)  : HofmannsthalForschungen. Bd. 8  ; Freiburg im Breisgau 1985. 153–161.

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rationen mit den nachfolgenden und umgekehrt.«30 Umso mehr hat er dies für Sprache und Kultur geltend machen wollen. Hofmannsthals Einwand in der Schrifttum-Rede richtet sich ja gerade gegen die geistige Haltlosigkeit der politischen Romantik als Resultat einer Revolutionierung von außen. Die Französische Revolution habe das geistig nicht gefestigte Deutschland von der Tradition, der Eigenart, »dem Väterglauben jäh losgerissen«.31 Nachdem nun die Revolution in Deutschland und Österreich diese Entwicklung auch in politischer Hinsicht nachgeholt hatte, wollte Hofmannsthal zumindest keine Unbestimmtheit im Geistigen mehr hinnehmen, sondern »sich immer wieder aufraffen und neuen Fragen und Schicksalsentscheidungen auf Leben und Tod ins Auge sehen zu müssen […]« sei das Gebot der Stunde, »gewitzigt zugleich und heroisch« allen »unverantwortlichen Übertreibungen« der »Selbstüberhebung« wie der romantischen »Prostration vor diesem oder jenem geliebten Phantom«32 wie auch der »romantischen Ironie« 30 RA III, 278  : Buch der Freunde. Das Zitat fand er in Friedrich Meineckes »Weltbürgerthum und Nationalstaat (1915)« (SW XXXIV, 652). Hofmannsthals Beschäftigung mit Adam Müllers Werk ist bislang kaum wahrgenommen worden  ; Matala de Mazza (Verfaßter Körper  ; op cit, 329) weist immerhin auf Hofmannsthals Rezension zu den von A. Salz neu herausgegebenen Zwölf Reden über die Beredsamkeit hin (vgl. RA II, 123–126  ; Müller [1920]). Zu den von Othmar Spanns Schüler Jakob Baxa herausgegebenen Schriften Müllers (etwa den Elementen der Staatskunst) hat Hofmannsthal hingegen (ostentativ, könnte man meinen) geschwiegen. Die Thematik kann hier nicht vertieft werden (vgl. hierzu 2.3.1)  ; dass Müller in seinen Vorlesungen über Friedrich II. den Nationalgeist als unsichtbaren König bezeichnete und das Wort zum Fleisch der Staaten werden sah, sei samt einem Zitat aus den Zwölf Reden nachgereicht  : »Man werfe uns nicht vor, daß jeder Einzelne von uns nach dem Unendlichen strebe, alles umfassen, sich eine eigene Welt bauen wolle  : er sucht, er strebt nur nach der Ganzheit, nach der Fülle seines zersplitterten Volks  ; im Innern seines Herzens will er umfassen, was sich in der äußeren Welt für den kurzen Zeitraum seines Lebens nicht hat finden und binden wollen  ; er versammelt die zerstreuten Züge des deutschen Gemeinwesens, wie eines abwesenden Freundes  ; er möchte, was in die Schicksale, in die Gedanken dieser großen Nation eingegriffen – und was hat denn nicht eingegriffen  ? – in ein großes Gebäude, in ein Vaterhaus für die deutsche Nachwelt zusammenfügen […]« (Adam Müller  : Zwölf Reden über die Beredsamkeit  ; op cit, 56). Man könnte meinen, hier spräche einer von Hofmannsthals Suchenden der Münchener Rede. 31 RA III, 38  : Schrifttum. Diese Formulierung könnte ein luzider Hinweis auf die Horen-Debatte zwischen Goethe, Schiller und den Frühromantikern (Novalis, Schlegel) sein  ; vgl. hierzu Matala de Mazza, Verfaßter Körper  ; op cit, 141. 32 Eine Formulierung, die vielleicht auf eine Überlegung Nietzsches zu Napoleon verweist  : »Vielleicht ist gerade er es, der die romantische, dem Geiste der Aufklärung fremde Prostation vor dem ›Genie‹ und dem ›Heros‹ unserem Jahrhundert in die Seele gegeben hat …« (Nietzsche  : Morgenröthe  ; in  : Werke. Bd. I  ; op cit, 1189. Nr. 298).

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abzusagen  ;33 zu erkennen, »daß ohne geglaubte Ganzheit zu leben unmöglich ist – daß im halben Glauben kein Leben ist, daß dem Leben entfliehen, wie die Romantik wähnte, unmöglich ist  : daß das Leben lebbar nur wird durch gültige Bindungen«.34 Der Rekurs auf den ›Begriff‹ »Leben« (tragend in Diltheys Aufsatz Erlebnis und Dichtung von 1905) wird hier einer weltentfremdeten Romantik entgegengesetzt. Die Formulierung »halbe[r] Glauben« aber könnte eine Reaktion auf Schmitts Occasionalismus-Vorwurf sein, der den romantischen Stimmungen die feste Bindung des religiösen Glaubens entgegensetzte. Aus diesem Grund steht dieser Mahnung auch das Zitat Lichtenbergs voran »Als ein Ganzes muß der Mann sich regen«.35 In einem zeitlich benachbarten Text richtet sich Hofmannsthal zudem gegen das »Individual-Geistige, Verantwortungslose« – Schmitt hatte den romantischen Subjektivismus, dessen »subjektivistische Willkür« und Ökonomismus als kardinalen Angriffspunkt der Politischen Romantik ausgemacht.36 Der ästhetischen Adaption (einer »geglaubten Ganzheit« im Körperbild) steht hier die Warnung vor ihren politischen Konsequenzen eines diskursiven Abhebens in die universelle coincidentia oppositorum entgegen. Diese Haltung konnte sich in politischer Hinsicht auch auf Max Weber berufen, der die »sterile Aufgeregtheit« einer Gesinnungsethik monierte, wie sie »in diesem Karneval, den man mit dem stolzen Namen einer ›Revolution‹ schmückt, eine so große Rolle auch bei unseren Intellektuellen spielt  : eine ins Leere verlaufende ›Romantik des intellektuell Interessanten‹ ohne alles sachliche Verantwortungsgefühl«.37 Diese Worte richteten sich v. a. gegen die als »Li33 Der festzustellende Einstellungswandel Hofmannsthals zur romantischen Ironie kann sehr gut auf den möglichen Einfluss einer Lektüre der Politischen Romantik zurückgeführt werden  ; Schmitt wendet sich gerade gegen die romantische Ironie, die immer auch das Gegenteil gelten lasse. (vgl. PR, 140, 226). 34 RA III, jew. 39  : Schrifttum. Vgl. hierzu das Untertitel-Zitat aus der Politischen Romantik (PR, 25). 35 RA III, 38  : Schrifttum. Dies ist – wie gesehen (vgl. 2.5) – zugleich eine der Romantik analoge Übertragung von »Individualismus-Semantik auf historische Großformationen« in eine »Imago vom Kollektivkörper« (Matthias Schöning  : Temporäre Gemeinschaften. Politische Romantik und Hobbessche Provokation  ; in  : Hebekus [et al.] (Hg.)  : Das Politische  ; op cit, 123–132  : 128). Hofmannsthal übernimmt also ästhetische Strategien bei gleichzeitiger Kritik von deren ›Vorverwendern‹. 36 Hofmannsthal  : RA III, 131  : Wert und Ehre deutscher Sprache  ; Schmitt, PR, 5/10. 37 Max Weber  : GPS, 545/546  ; Politik als Beruf. Vgl. auch Webers Wiener Vortrag von 1918  : »Die Romantik des Generalstreiks und die Romantik der revolutionären Hoffnung als solche ist es, die diese Intellektuellen bezaubert. Wenn man sie ansieht, weiß man, daß sie Romantiker sind, dem Alltag des Lebens und seinen Anforderungen seelisch nicht gewachsen oder abgeneigt und daher nach dem großen revolutionären Wunder und – nach Gelegenheit, selbst einmal sich in der

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teratenrepublik« verunglimpfte Münchner Räterepublik und ihre Anhänger, vornehmlich sozialistische Anarchisten (Kurt Eisner, Landauer, Ernst Niekisch) und messianische Expressionisten (Toller und Erich Mühsam).38 Worauf sie sich bei den romantischen Autoren jedenfalls beziehen konnten, war eine Politik der vermittelnden Rede  : »An die Stelle einer Biopolitik, die den Kurerfolg der ›ärztlichen Kunst‹ der Poesie auf Dauer stellt und im Körper des Sozialen eine Mikrophysik der Macht Platz greifen läßt, tritt […] eine Staatskunst der Vermittlung, für die es die treibenden Antagonismen des Sozialen in beständigem Hin und Her zu schlichten gilt. Das hervorragende Mittel dieser Staatskunst aber ist die Sprache, und ist vor allem die Beredsamkeit, die Müller als die ›erste unter allen Funktionen des Helden und Staatsmannes‹ auszeichnet.« (Matala de Mazza, Verfaßter Körper  ; op cit, 295)

Seitens der Autoren ist demnach keine Usurpation einer auf die Bevölkerung gerichteten Biopolitik intendiert, sondern die Verdopplung des Kollektivleibes, den sie im Ästhetischen formt. Im Turm sind diese Praktiken mit Julian und dem Arzt, in der Bühnenfassung zudem mit den messiansichen »Nackten« zitiert. Mit dem Arzt ist auch die Renaissance, mit Julian auch die Reformation und mit Olivier die Revolution im geschichtlichen Ablauf des Trauerspiels präsent (vgl. 4.2.1), so dass Schmitts Begriffs-Trias auf Figurenebene Entsprechung findet. Ihre ›Allianz‹ gegen das ancien régime des Basilius und für die kettenzerreißende »neue Zeit« hat dabei etwas Exklusives, wie es den Romantiker-Clubs oft vorgeworfen wurde.39 Über die beiden Figuren  : Julian zunächst als Reformator, der Arzt als humanistische Renaissance-Gestalt, gelangt die Rhetorik einer politischen Romantik ins Stück, die sich beim Arzt in der Metaphorik eines Kollektivleibs, bei Julian stärker auf die Erziehung des Geistes richtet und sich in beiden Macht zu fühlen, lechzend.« (Max Weber  : SSP, 514  ; Der Sozialismus) Es ist folglich nur logisch, dass die Politische Romantik zu einer Zeit entsteht, als Schmitt Webers Münchener Kolleg besuchte. 38 Zu Landauers Verhältnis zur Romantik vgl. R. Kauffeldt, Die Idee eines »Neuen Bundes«  ; op cit, 168 ff. »Romantik ist immer wieder – […] Einsamkeit der Geistigen.« (Landauer, zit. n. Kauffeldt, 172). Dass die Gemeinschafts-Idee der sozialistischen Anarchisten in den Texten der Romantik viel Material fand, ist evident. Landauers schon zitiertes organisches Sozialismus-Verständnis steht in diesem Zusammenhang. 39 Etwa von Seiten des Jung-Hegelianers Prutz in den Vorlesungen über die deutsche Literatur der Gegenwart, die 1847 erschienen (vgl. hierzu Bohrer, Kritik der Romantik  ; 204 f.: 206). Genausogut könnte man natürlich auch von einer Logenbildung beider Figuren sprechen.

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Fällen auf Sigismund bezieht. Dafür spricht auch der starke Glaube an eine »gegenbildlich zur repressiven Ordnung des Staats gestellte(n) republikanischen(n) Sprachöffentlichkeit«,40 die sich prägnant in dem Moment des von Sigismund allerdings verweigerten gemeinsamen Auftretens vor den Massen zeigt. Dass hier in der Tat zudem ein Konnex zu den »nationalromantischen Zirkulationsmodellen« zu sehen ist, konnte schon am Beispiel der Metaphorik des Fluiden gezeigt werden, wie sie v. a. mit Sigismund verknüpft ist (»In mir aber fliesst es ohne Stocken«) und im Stück an den humoral-pathologischen Diskurs des Arztes über den Säftekörper anschließt.41 Vergleichbare Zitate bedeuten Julians Versuch, in Sigismund eine neue Sprache zu schaffen und dessen Plan, durch Vermischung der Völker »dem Begriff Europa neues Leben einzublasen« – ein Begriff, den auch die Romantiker, vor allem Novalis und Friedrich Schlegel, mit einigem nationalen Pathos aufgegriffen hatten.42 Als ästhetisches Regime ist die Romantik für Hofmannsthal wie gesehen attraktiv geblieben, es war nur an die seit dem 19. Jahrhundert so stark verän40 Harald Schmidt, Zirkulationsmodelle  ; op cit, 61. Die leibliche Dimension dieser Vorstellung hat Matala de Mazza herausgearbeitet  : »So sind denn auch die organischen Kunstwerke der Frühromantiker, die ihr Reproduktionsgesetz der Natur abgeschaut haben, sind aber auch die Programme einer Wiederbelebung der Volksliedkultur, der Beredsamkeit und Sitte des gemeinsamen Mahls gedacht als Stimulationen eines Gemeinschaftsleibs, der sich in seinem Gegebensein als imagined community die Eigenschaft der Leiblichkeit, in der Leiblichkeit aber die Natürlichkeit selber zuschreiben will. In Gang gesetzt werden soll von ihnen allen eine Zirkulation sozialer Energien die als geistige immer auch physische, als sensible immer auch physische Energien transportiert und in der persona ficta des nationalen Kollektivsubjekts einen imaginären Körper heranbildet, in dem die Natur des Menschen ihr soziales Doppel erhält.« Matala de Mazza, Verfaßter Körper  ; op cit, 42/43). 41 Dass diese Thematik implizit auch immer eine kollektive Ebene bespielt, macht ein Zitat wie dieses deutlich  : »Man weiß ebenso Weniges und Ungenaues von dem Volksganzen, dem man zugehört, als von dem eigenen Leib.« (RA III, 274  ; Buch der Freunde). Zum humoralpathologischen und physiologischen Diskurs mit Bezug auf die Romantik vgl. Matala de Mazza, Verfaßter Körper  ; op cit, 51 f. Zum »Stocken« vgl. dagegen SW XVI.1, 541  : Hier wird ein Bezug auf Johannes 4,10–14 vermutet  : »Wer an mich glaubt, aus dessen Innern werden, wie die Schrift sagt, Ströme lebendigen Wassers fließen.« 42 BW Burckhardt, 28. Um Sprachschöpfung geht es in Schlegels Gespräch über die Poesie (Rede über die Mythologie), um der Nation eine Umgangssprache zu verschaffen. Schmitt schrieb zur Verbindung von Volk und Sprache, dass sie einem Dualismus von Revolution und Geschichte entspringe, die zweitere »konstituiert die allgemeine menschliche Gemeinschaft zum historisch konkretisierten Volk, das durch diese Begrenzung zu einer soziologischen und historischen Realität wird und die Fähigkeit erhält, ein besonderes Recht und eine besondere Sprache als Äußerung seines individuellen Nationalgeistes zu produzieren.« (PR, 91). Bei Novalis sind Texte wie Die Christenheit oder Europa, und Hymnen an die Nacht einschlägig.

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derten gesellschaftlichen Bedingungen anzupassen. Wie bzw. ob sich diese Fortschreibung im Paradigmatischen nun in formaler und inhaltlicher, v. a. politischer Hinsicht auswirkt, ist bei Betrachtung der unterschiedlichen Fassungen des Turm zu klären. Novalis beispielsweise verband die Imago einer Zirkulation von Kollektiv-Kräften bekanntlich mit der politischen Ökonomie eines organischen Wirtschaftsmodells, welches von Adam Müller später mit der Bezeichnung der Banknote als »Nationalwort« in eine Analogie mit der Sprache überführt wurde.43 Ausblicke auf die zu klärende Weber-Bezugnahme Hofmannsthals ließen sich unter Berücksichtigung seiner sehr guten Kenntnis von Simmels Philosophie des Geldes auch von der Rezeption dieser ›ökonomischen Romantik‹ aus nehmen. Solche Vorläuferschaft der Romantik beschränkt sich zudem nicht allein auf den Bereich des Ökonomischen. Die Utopie des Geistes – oder mit Bloch  : Der »Geist der Utopie« – schließlich muss – nicht nur hinsichtlich seiner romantischen Fassung im Volksgeist44 – als zentraler Punkt einer Verhandlung des Stücks über die politische Romantik angesehen werden. Vielleicht gerade weil sich die Frühromantik als Substitut der ausgebliebenen Revolution in Deutschland für die Feier und Findung der Nation Herders Phantasma des »Volksgeistes« anstelle eines tatsächlichen Zusammentretens von Volk und Gemeinwillen zu eigen machte,45 konnte die Romantik 43 Vgl. hierzu Eric Achermann  : Worte und Werte. Geld und Sprache bei Gottfried Wilhelm Leibniz, Johann Georg Hamann und Adam Müller  ; Tübingen 1997. 266/267 f. Zur Repräsentativ-Funktion des Geldes  : »Die Münze vertritt jedoch nicht nur die Stelle des Gesetzes und Kredits als staatliches Dauerversprechen, sondern repräsentiert diesen Staat auch, da dessen Geist sich real und positiv in der Münze findet.« (ebd., 276). Damit befinde sich Müller auf den Spuren der Metapherndefinition Jean Pauls. 44 Ernst Bloch kommt in seiner gleichnamigen Abhandlung ebenfalls auf den »Volksgeist« zu sprechen, und zwar im Kapitel »Metaphysik der Innerlichkeit«, Unterkapitel »Jesus« (vgl. Bloch  : GdU, 376). Blochs mit gutem Recht als »neuromantisch« zu bezeichnende Abhandlung hat mit dem Begriff der Innerlichkeit und dem Glauben an ein überlegenes Irreales eine merkwürdig messianische Reichserwartung zum Programm und wird aufgrund dieser Nachbarschaft hier häufiger zitiert, ohne dass eine Kenntnisnahme Hofmannsthals belegt wäre. 45 Auch Schmitt sieht diesen Zusammenhang (vgl. PR, 50), »Die Revolution der Romantiker selbst aber bestand darin, eine neue Religion, ein neues Evangelium, eine neue Genialität, eine neue Universalkunst zu versprechen. […] Ihre Taten waren Zeitschriften.« (PR, 51). Hofmannsthals Rezeption ist diesbezüglich weit zustimmender  : »Heute ist uns diese Verfassung begreiflicher, als sie irgendeiner der dazwischenliegenden Generationen sein konnte, und mit nachdenklichem Staunen lesen wir die Worte, die sie mit einem feurigen Federzug an das finstere sternlose Himmelsgewölbe geschrieben haben  : Denn der Herr ist der Geist. Wo aber der Geist der Herr ist, da ist Freiheit.« (RA II, 141  ; Ironie der Dinge). Das Letzte ist ein Zitat Hegels aus dem Fragment im Deutschen Lesebuch.

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später von R.E. Prutz als ästhetisches Regime der Demokratie ins Spiel gebracht werden.46 Hofmannsthals Utopie eines Nationbuilding durch und in der Sprache, der Herstellung eines tatsächlich mündigen demos bei dessen gleichzeitiger Verpflichtung auf die Wahrung des Bestehenden, gewinnt daher vielleicht erst über den Rückbezug auf die politische Romantik ihre kulturpolitische Substanz. Sein Begriff dafür wurde bereits referiert  : »Konservative Revolution«. Dieser steht wiederum für jene »doppelte Richtung« ein, welche Schlegel seinem eigenen »Zeitalter« attestierte  : »rückwärts nach dem ersten Ursprunge« und »vorwärts nach dem letzten Ziele« zu streben.47 Dass sich diese »konservative Revolution« durchaus als ›revolutionäre Konversation‹ auch im Turm äußert (mit den genannten Figuren), bringt eine weitere Schnittmenge mit dem für die Romantiker bedeutsamen Konzept der Beredsamkeit. Manifest wird diese im Drama in der – säkularisierten – Heilserwartung auf das mythisch verbürgte Charisma.48 Im Vertrauen auf dessen geistige Kraft und den Herrschaftsantritt des Geistes ruft der Arzt eine »Zeit, die sich verändern will« aus. Dies steht entsprechend in Verbindung mit einem Glauben an die Macht der Sprache und des Genies  : »denn dadurch wird der Mund des Menschen gewaltig, dass er in die Buchstaben seinen Geist eingiesst, rufend und befehlend  !« ( Julian III. Aufzug/Akt). Die Stelle ähnelt auffallend jenem Postulat Schlegels vom »Geist« der sich »als Wort constituirt«.49 Die unmittelbare Wirkung des herrschaftlich oder poetisch gesprochenen Wortes ist die eine Form von charismatischer Evidenz im Turm  ; die andere bezieht sich auf die Dimension kollektiver Libido, deren Darstellung die Wirkung des Charisma-Trägers zum Ausdruck bringt. Instruktives konnte Hofmannsthal diesbezüglich schon in einem romantischen Text wie Novalis’ Glauben und Liebe, aktueller und mit wissenschaftlicher Autorität aber bei Freud (Massenpsychologie und Ich-Analyse) und vor

46 Prutz, Vorlesungen über die deutsche Literatur der Gegenwart (1847)  ; vgl. Bohrer, Kritik der Romantik  ; op cit, 204. Vgl. hierzu auch Marquards Plädoyer für den Mythos im postmodernen demokratischen Zusammenhang  ; Odo Marquardt  : Lob des Polytheismus. Über Monomythie und Polymythie  ; in  : Ders.: Zukunft braucht Herkunft. Philosophische Essays  ; Stuttgart 2003. 46–71  ; insb. 62. 47 Friedrich Schlegel, zit.n. Bohrer, Kritik der Romantik  ; op cit, 113. 48 Auch ›Charisma‹ ist ein säkularisierter theologischer Begriff  ; es leitet sich u. a. von Chrismo – dem Öl der Salbung – ab (vgl. Manow, Schatten des Königs  ; op cit, 144). 49 SW XVI.1, 63. Julian erweist sich darin als Anhänger der Regierungsform des Genies, eines geistigen Cäsarismus. Er scheitert jedoch genau an dieser ›Sprachgläubigkeit‹ vor der revolutionären Masse, die er mit Worten nicht erreicht  ; so wie auch seine Befehle an Olivier versagen. Friedrich Schlegel  : Kritische Ausgabe, Bd. XVIII. 291 [Nr. 1145].

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allem bei Max Weber lesen.50 Denn ›Charisma‹ ist als politisches Konzept seiner ästhetisch-politischen Faktur nach spezifisch romantisch. Die frühromantische Aufwertung des Ästhetischen als ›die Sache selbst‹, des Unwirklichen als das ›ächt absolut Reelle‹, vollzog einen Bruch mit der Ästhetik der – als zu mechanisch und seelenlos kritisierten – vorigen Repräsentation des Absolutismus’. Dies gilt zumal für das organische Paradigma des verkörperten (National-)Geistes mit der Imagination von darin zirkulierenden energetischen Kräften. Was hingegen bei Hofmannsthal wesentlich verstärkt hinzutritt, ist die soziale Problematik des Massenstaates.51 Schmitt hatte genau aus diesem Grund  : »Auflösung der alten Gesellschaft zur heutigen Massendemokratie« die gesellschaftliche Basis der Romantik, das liberale Bürgertum schwinden gesehen (»beseitigt«).52 Es ist die seit dem 19. Jahrhundert (genauer  : der Industrialisierung) immer virulenter drängende »soziale Frage« der Integration der Massen in die politische Ästhetik des Organismus-Modells, die das Konzept charismatischer Herrschaft (etwa in Form des Bonapartismus) so attraktiv machte. Denn dieses schien eine ästhetische Bewältigung der Massengesellschaft in Beibehaltung der Körper-Metaphorik (wenngleich mit Zügen der Gefolgschaft als Schwarm) gewährleisten zu können. Der in diesen Kohärenz-Strategien liegende Ausgriff auf die nicht mehr transzendente Unendlichkeit des Irrationalen – welcher jedoch nach Maßstäben einer eigenen (instrumentellen) Ratio erfolgt – birgt in der politischen Ausgestaltung des Führer-Gefolgschaftsmodells einen Keim der deutschen Katastrophe im 20. Jahrhundert. Wie im Vorkapitel dargelegt, handelt es sich bei Hofmannsthal jedoch erstens um dessen geistig-idealistische Spielart, subsumiert unter dem geistigen Leitbegriff der ›Nation‹ (Sprachgemeinschaft) – und eben nicht  : des Volkes (sanguinische Gemeinschaft)  ; zweitens um die Dichter als ›geistige Souveräne‹, nicht um populistische Massenführer  ; und drittens wurde deutlich, dass auch die Masse hier als zu formender ›Sprachstoff‹ vergeistigt, also zuerst eine literarische ist. Das ist politisch braungetönten 50 Die Psychoanalyse erhielt als sich bildende Disziplin nachwirkende Anstöße von der Romantik (man denke nur an E.T.A. Hoffmann)  ; vgl. zu diesem Bezugsverhältnis  : Bettina Gruber  : Romantische Psychoanalyse  ? Freud, C.G. Jung und die Traumdiskurse der Romantik  ; in  : Peter-André Alt (Hg.)  : Traumdiskurse der Romantik  ; op cit, 334–358. Ethel Matala de Mazza hat darauf hingewiesen, dass auch die Texte der frühen Soziologie auf die Beschreibungsform der ästhetischen Gemeinschaftsentwürfe seitens der »Politischen Romantiker« zurückgreifen konnten. (Matala de Mazza, Verfaßter Körper  ; op cit, 14). 51 Zudem ist die Ersetzung des Natur-Begriffs durch den des ›Lebens‹ gegen Ende des 19. Jahrhunderts zu beachten – vgl. hierzu Riedel  : Homo Natura  ; op cit, insb. 157 f. 52 PR, 17.

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Perspektivierungen Hofmannsthals zu entgegnen, die seine Poetologie des Politischen allzu direkt als Sozialästhetik lesen und nicht als Adaption eines morphologischen Prinzips. Dieser Unterschied ist auch nachfolgend am Drama zu belegen. »Wo die politische Aktivität beginnt, hört die politische Romantik auf.« 53 Diese Feststellung Schmitts gilt für die ›romantischen Missionen‹ im deutschsprachigen Raum allerdings spätestens mit Kriegsende nicht mehr  ; man kann Schmitts Satz jedoch auch als Postulat lesen – und Hofmannsthals Problemstellung, wie man diesen Geist politisiere,54 scheint in diesem Sinne darauf zu antworten – im Versuch, Bewusstsein zu schaffen für die Gefahr des vermeintlich Unpolitischen, also jene von Alfred Weber vermisste geistige Haltung zu initiieren, welche die staatlichen Formen auch trägt (vgl. 2.3.1). So weist die »politische Romantik« nach Schmitt durchaus eine Dialektik des Fortschritts auf, den sie verteufeln oder bejubeln könne  ; ein reales politisches Wirken werde aber durch ihre systemaverse, anarchische Tendenz »subjektivistische[r] Willkür und Formlosigkeit« vereitelt  : »Die substanzlosen Formen lassen sich zu jedem Inhalt in Beziehung setzen  ; in der romantischen Anarchie kann jeder sich seine Welt gestalten […].«55 Willkür, Formlosigkeit, Anarchie haben jedoch ihrerseits Repräsentanz im Stück, denn die mit Sigismund verkörperte Utopie bleibt in sozialer Hinsicht in der Bühnenfassung formlos. Mit Hermann Hettner  : »Formlosigkeit bleibt der Fluch dieser Dichtung.«56 Dieser Satz betrifft – politisch gewendet – besonders die Vorstellung eines souveränen Staatsvolkes, gegen welche (als metaphysische Vorstellung einer politisch progressiven Romantik) zumindest Carl Schmitts Kritik eigentlich Sturm läuft. Hofmannsthal hingegen, der »Habsburger«, ließ diesen demokratischen Nexus augenscheinlich gelten – sprachlich gewande(l)t. Mit Novalis ließe sich sagen, Hofmannsthal habe in Sigismund das »schöne, große Individuo« der Sprache zu gestalten versucht  ; in Dalmatica, mit Hirtenstab, vor einem Himmel ewiger Form, von dem die singenden Knaben des fünften Aufzugs künden.

53 PR, 224. 54 Vgl. RA III, 593  ; Aufzeichnungen [1928]. 55 Schmitt, PR, 10  ; PR, 112. 56 Die romantische Schule, 50  ; vgl. Bohrer, Kritik, op cit, 234. Die anti-konstitutionelle Einstellung der Romantiker vermerkt auch Matala de Mazza  ; vgl. Verfaßter Körper  ; op cit, 429.

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3.2 »Das Gesetz und der Souverän sind eins« 57  – Verkörperungen politischer Theologie im Turm »Es ist ein glorreiches Attribut des Monarchen, das Gesetz selbst in seiner unverletzlichen Heiligkeit zu repräsentieren.« (DL II, 77  ;  Gentz) »En politique, les grands créateurs ne sont pas ceux qui conçoivent, ce sont ceux qui executent.« (RA III, 277  ; Buch der Freunde  : Vandal, L’avènement de Napoléon)58

Fragt man sich, wo die eigentliche Kontinuität zwischen den Schriften Politische Romantik und Politische Theologie Carl Schmitts liegt, ist man mit der zitierten geistesgeschichtlichen Linie auf den Begriff der Legitimation verwiesen. Schmitt richtete sich deshalb so scharf gegen die politische Romantik, weil diese in Berufung auf eine Pluralität der Götter und Mythen bzw. einen naturbezogenen Pantheismus den legitimatorischen Bestand der politischen Theologie relativierte. Letztlich wurde hierdurch, so seine Kritik, ein auf Renaissance und Reformation zurückreichender Atomisierungsprozess vollzogen, in dessen Folge das Individuum (bzw. deren Masse) zuletzt zum Subjekt der Souveränität aufstieg. Dem Einzelnen bleibe nun die Entscheidung überlassen, welchem Gott er folgen wolle. Das dépot sacré der traditionalen Dynastien wurde auf diese Weise gewissermaßen zu »Blüthenstaub« zermahlen. Schmitt polemisierte darum gegen die »seit der Romantik herrschende Unfähigkeit, zu erkennen, daß alle große Kunst repräsentativ und nicht romantisch ist«. Aus demselben Grund drang er auch darauf, dass der Katholizismus »nichts Romantisches« sei.59 Denn Friedrich Schlegels »Liebhaberey für das Absolute« gehöre eben zu einer ganz anderen Sphäre, als 57 Titel-Zitat  : SW XVI.2, 170  : Beichtiger. – »c’est Dieu qui a établi ces lois en nature ainsi qu’un roi établi les lois en son royaume« lautet das begleitende Descartes-Zitat bei Schmitt (PT, 43). 58 Ein solches Notat hätte Benjamin wohl unter die »echt obligaten Hofmannsthalschen Entgleisungen« gezählt (vgl. Walter Benjamin  : Gesammelte Briefe, Bd. II. 296/298). 59 PR, 44  : Fn. 2  ; PR, 76. Das repräsentative Potential des Katholizismus hat Schmitt dann explizit in Römischer Katholizismus und politische Form (1923) ausgeführt. Auch die »Franziskanische Bewegung, der deutsche Pietismus« und weitere Strömungen seien mit Romantik verwechselt worden  ; vgl. PR, 8. Allerdings knüpfen die Romantiker durchaus an die pietistische Tradition an  ; sie waren »programmatisch am Vorbild des paulinisch-christlichen Kollektivleibs« orientiert, an »einem Muster spiritueller Leiblichkeit, das so durch die Transfiguration in den sensiblen Organismus eine naturalisierende Umprägung« erfahren habe (Matala de Mazza, Verfaßter Körper  ; 127). An einer Neubelebung bestimmter Elemente der pietistischen Tradition war auch Hofmannsthal gelegen.

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der auch von Hugo Ball geforderte Glaube an eine »wahre Irrationalität«  ;60 deren Bestimmung und Repräsentation Sache der Theologie sei. Aus der Perspektive, dass Kunst nach Donoso Cortes, den Schmitt zustimmend zitiert, nur »das notwendige Resultat des sozialen, politischen und religiösen Zustandes der Völker« sei, ist jede Vorstellung einer Kunstreligion als mythologisches Menetekel zu bekämpfen. Die Repräsentation einer göttlich gewirkten Welt, nicht deren eigenmächtige Schöpfung, die in diesem Zusammenhang zumal bei »Rousseauschen Tendenzen« zum Akt der Blasphemie gerate, ist Schmitts Anspruch an »Werke großen Stils«.61 Die Romantiker hingegen würden die Theologie als »romantisches Alibi« missbrauchen – »[…] Gott kann durch irdische und diesseitige Faktoren ersetzt werden. Das nenne ich Säkularisierung […]«, die von den Romantikern jedoch verschleiert werde.62 Dieser Vorgang, den er durch den säkularisierten Pietismus der Romantiker an ein wechselndes Absolutes vorangetrieben sah, führt für Schmitt letztlich zum Niedergang des ius publicum europaeum. Die existenzielle Entscheidung, Produkt und Ursprung jeder politischen Herrschaft, wird im mäandernden Pluriversum romantischer Legitimationsmythen neutralisiert und verschoben. Systematisch prägt sich für ihn diese Neutralisierung – mit der funktionellen Reduktion der Souveränität letztlich des Politischen selbst – im Rechtspositivismus aus  ; darum hat Carl Schmitt den Wiener Staatsrechtler Hans Kelsen schon früh mit einer wissenschaftlichen, den Liberalismus mit einer politischen Feinderklärung belegt.63 Letztlich ist dies erneut eine Frage des 60 Hugo Ball  : Carl Schmitts politische Theologie  ; in  : Hochland 21 (1924). 266. Balls zustimmender Aufsatz ist auch in Jacob Taubes’ Anthologie »Der Fürst dieser Welt«. Carl Schmitt und die Folgen  ; München 1983 aufgenommen worden (dort 100–116). Zum Nexus von politischer Romantik und Theologie vgl. im Hinblick auf Schmitts Kierkegaard-Rezeption Christoph Schmidt  : Ironie und Kenosis. Von Kierkegaards zu Schmitts Kritik der romantischen Ironie  ; in  : H. Brüggemann/G. Oesterle (Hg.)  : Walter Benjamin und die romantische Moderne  ; op cit, 535–550. 61 PR, 12 (vgl. auch PT, 42)  ; PR, 5/20. Schmitt dürfte hierbei auch Landauers Politik der Schaffung ›aufgeklärter‹ Mythen (Skepsis und Mystik, 1903) im Blick gehabt haben, welche analog den religiösen Weltbildern die Funktion haben, »den Bestand und die Verfassung einer Gesellschaft aus einem obersten Wert zu beglaubigen […]« (Kauffeldt, Idee eines »Neuen Bundes«  ; op cit, 155). Diese kommunikative Leistung des Mythos wollte auch Landauer zur Legitimation des Wandels einsetzen, dessen gelungene Neusetzung eben leitende Vorstellungen in der Gesellschaft verändern kann. Der Versuch, dies mit Kurt Eisner in München (1918/19) umzusetzen, scheiterte bekanntlich. Für Schmitt stellte sich dies bloß als irrationaler Mystizismus, der sich auf »kollektive[] Individualitäten« ausdehnt, dar (PR, 37). Es bleibt darauf hinzuweisen, dass die Politische Romantik genau in diesem Zeitraum und in München entstand. 62 PR, 221 und 23. 63 Hofmannsthal markierte sich diese Ausführungen in seinem Exemplar der Politischen Theologie (zu

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Glaubens oder Geltenlassens (vgl. 1.5.1) – und aus deren Beantwortung ergibt sich bei Schmitt, dass der Titel Politische Romantik polemisch, der Titel Politische Theologie mit Blick auf Schmitts eigenen Katholizismus aber programmatisch zu verstehen ist, denn diese Schrift endet ja mit dem Plädoyer Donoso Cortes’ für die Diktatur des selbst(-)gläubigen Herrschers von dem Moment an, in dem der Glaube seiner Untertanen als theologische Legitimation der Monarchie nicht mehr genügt. »Daß der Monarch in der Staatslehre des 17. Jahrhunderts mit Gott identifiziert wird und im Staat die genau analoge Position hat, die dem Gott des kartesianischen Systems in der Welt zukommt, hat Atger bemerkt […] ›Le prince développe toutes les virtualités de l’Etat par une sorte de création continuelle. Le prince est le Dieu cartésien transposé dans le monde politique.‹« (PT, 43  ; von Hofmannsthal markiert)

Denn wenn der Monarch als »Fürst dieser Welt« letztlich der immanente Gott selbst ist, treffen ihn Säkularisierung und nachfolgende Mythenpluralität im Grunde seiner Autorität und führen letztlich zur Vernichtung des Königtums. Die von Novalis angestrebte charismatische »Romantisirung« durch »Glauben und Liebe« war im Vergleich mit Cortes jedenfalls der konziliantere Weg. Für diesen war die Lösung ein schlichter Wunderglaube an die Entscheidungsmacht des Souveräns  : »Hier sondert sich die Entscheidung von der Rechtsnorm, und […] die Autorität beweist, daß sie, um Recht zu schaffen, nicht Recht zu haben braucht.« (PT, 14  ; von Hofmannsthal markiert)

Wie erwähnt ist Hofmannsthals Kenntnisnahme der Politischen Romantik als gesichert anzunehmen, nicht aber deren Lektüre.64 Dass er sich Redlich gegenKelsen  : PT, 39  ; 42  : »jedem System dienend«). Schmitt zieht hier auch eine Parallele zum willfährig legitimierenden Deismus der absolutistischen Zeit (vgl. PT, 37). Kelsen übrigens hat sich über diese Angriffe hinweggesetzt und Schmitt sogar an die Universität Wien holen wollen  ; die Berufung scheiterte jedoch an den nationalromantischen Kräften um Othmar Spann (welche Schmitt die Angriffe auf ihren ›Hausgott‹ Adam Müller übelnahmen). Zur Entscheidung als Produkt der Souveränität (und umgekehrt  !) vgl. PT, 50 i.V.m. PT, 10 und 13. 64 Schmitt schrieb  : »Seit langem habe ich auf die fundamentale systematische und methodische Bedeutung solcher Analogien hingewiesen (Der Wert des Staates, 1914  ; Politische Romantik, 1919  ; Die Diktatur, 1921).« (PT, 37  ; von Hofmannsthal markiert) – zumindest dem Titel nach hat Hofmannsthal diese Schrift also gekannt.

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über nicht dazu geäußert hat, zeugt vielleicht von der thematischen Festlegung der Bezugnahme auf Schmitt  ; möglicherweise traute Hofmannsthal, anders als Bahr, dem Staatsrechtler in diesen Dingen schlichtweg weniger zu – so weist auch das vierte Kapitel der Politischen Theologie zur »Staatsphilosophie der Gegenrevolution«, welches noch einmal mit einer Kritik der deutschen Romantik anhebt, keine Anstreichungen auf.65 Einen »Occasionalismus, der von einer Realität zur andern entweicht, und dem das ›höhere Dritte‹« als Ausdruck des »Wahren und Höhern« ein beliebig »Anderes und Fremdes« werde, in welchem die Romantik sich vollende, indem »die überlieferte Gottesvorstellung fällt«, lehnte jedenfalls auch Hofmannsthal mit Verweis auf die Notwendigkeit von Bindungen ab. Wie steht es aber mit seiner eigenen konservativen Utopie  ? Die Frage nach deren religiöser Dimension ist schon verschiedentlich angeklungen  ; Notizen wie »Die Sprache unsere unbefleckbare Kirche (von der wir nie wissen ob wir noch in sie eingeschlossen sind)« geben deutliche Hinweise auf deren zumindest ›transzendentale Qualität‹, im Hinblick auf Hofmannsthals späte Beschäftigung mit Lessing, vielleicht auch auf einen in die Sprache verlegten Pantheismus (bzw. neuphilologischen Idealismus wie bei Vossler), welchem die Logos-Affinität des Christentums korrespondiert. Dass sich Hofmannsthal den von Schmitt konstatierten »Immanenz-Pantheismus« der »Gebildeten« in seinem Exemplar angestrichen hat, ist daher nicht verwunderlich.66 Schmitt führt dies darauf zurück, dass »[…] so viele große Schriftsteller ›deklassiert‹ waren, daß im 19. Jahrhundert eine Kunst und Literatur entstand, deren geniale Vertreter wenigstens in entscheidenden Epochen ihres Lebens von der bürgerlichen Ordnung ausgespien wurden, alles das ist in den soziologischen Einzelheiten bei weitem noch nicht erkannt und gewürdigt. Die große Linie der Entwicklung geht zweifellos dahin, daß bei der Masse der Gebildeten alle Vorstellungen von Transzendenz untergehen und ihnen entweder ein mehr oder weniger klarer Immanenz-Pantheismus oder aber eine positivistische Gleichgültigkeit gegen jede Metaphysik evident wird.« (PT, 45  ; Markierung  : Hofmannsthal) 65 Was nicht heißen soll, dass Hofmannsthal es nicht gelesen hat. Die drei Exzerpte aus der Politischen Theologie entstammen jedenfalls dem dritten (zwei) und dem zweiten Kapitel (eins). Konkretere Überlegungen zu den Gründen hierfür in 4.3. 66 [SW] XXXVI, 693. Zitat zuvor  : PR, 131. Hofmannsthals eigene Religiosität kann auch an dieser Stelle nicht näher bestimmt werden. Dass er sich in Franziskaner-Kluft bestatten ließ, wurde schon erwähnt. Als Gipfel der deutschen »Immanenz-Philosophie« nennt Schmitt übrigens Hegel. Es folgen noch zwei weitere Anstriche, einmal zum Atheismus der Links-Hegelianer, die wie Proudhon die Menschheit an die Stelle Gottes hätten stellen wollen, sowie eines Engels-Zitates, das Hofmannsthal sogar exzerpiert hat (hierzu gleich).

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Blickt man nach dieser Hinführung auf den Turm, ist der Feststellung Twellmanns – »In seinem Trauerspiel bringt Hofmannsthal das zeremonielle Unbewußte der ›Politischen Theologie‹ zur Darstellung«67 – durchaus beizupflichten. Nicht, dass Hofmannsthal sich darauf beschränkt hätte. Doch es trifft zu, dass der Turm vor allem im zweiten und dritten Aufzug/Akt sowie im vierten Akt das von den Ritualen souveräner Repräsentation schwindend umkleidete Politische erfahrbar macht, indem der Fluchtpunkt der Unbefragbarkeit von Herrschaft dramatisch eingeholt wird und sich insofern auch eine kritische Perspektive darauf ergibt. Weit wichtiger aber ist Hofmannsthals Rezeption der Ausführungen zu Soziologie und Genealogie des Souveränitätsbegriffs bei Schmitt. Diese prägt sich gewissermaßen im Entlangfahren des Handlungsablaufs an den Bruchlinien des Wechsels von traditionaler zu demokratischer – und das heißt im Turm, wie noch zu zeigen bleibt, im Wesentlichen  : charismatischer – Legitimation einer sakralen Gemeinschaft der Geistigen aus. Den Umbruch in der Legitimationsart zu gestalten, bedeutete hierbei im Wesentlichen, ein Szenario zu entwerfen, das Schmitts Definition des Ausnahmezustands jedenfalls recht nahe kommt  : »In seiner absoluten Gestalt ist der Ausnahmefall dann eingetreten, wenn erst die Situation geschaffen werden muß, in der Rechtssätze gelten können.; Der Souverän schafft und garantiert die Situation als Ganzes in ihrer Totalität. Er hat das Monopol dieser letzten Entscheidung.« (PT, 13  ; Markierung  : Hofmannsthal)

Der Inszenierung der Krise (und deren Verschärfung in der Umarbeitung) wird folglich bei der Betrachtung des Dramas besondere Aufmerksamkeit gewidmet  ; ebenso den darin verhandelten Lösungsstrategien. Für diesen Kontext ist Max Webers Herrschaftssoziologie heranzuziehen, die Schmitt gegenüber Blumenberg nicht zufällig »als Versuch politischer Theologie« bezeichnet hat.68 Unter den drei Typen legitimer Herrschaft Webers gibt es im Charisma eine Verbindungslinie zwischen traditionaler zu charismatischer Legitimation  ; rationale Herrschaft hingegen erlaubt allenfalls die Unpersönlichkeit des Amtscharismas. Es würde vielleicht nicht ausreichen, von einer Dialektik des Charismas zu sprechen, da Weber den Begriff in verschiedene Zusammenhänge stellte und zur Erläuterung diverser Sachverhalte nutzte. Jedoch kreuzen sich darin mehrere Oppo67 Twellmann, Drama  ; op cit, 104. Hofmannsthals Lektürespuren in der Politischen Theologie ist jedoch nur ein kurzer Absatz vergönnt (vgl. ebd., 67). Zum höfischen Zeremoniell im Trauerspiel vgl. Burkhardt Wolf, Die Sorge des Souveräns  ; op cit, 23 ff. 68 Vgl. Blumenberg – Schmitt, Briefwechsel  ; op cit, 118.

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sitionen, die bestimmbar sind. Zunächst liegt im politischen Trauerspiel die Frage einer herrschaftsfeindlichen Umdeutung des Charisma nahe, die in revolutionärer Souveränität gipfelt bzw. endet. Zudem ist die ›säkulare‹ Dimension charismatischer Legitimation zu reflektieren  ; denn im Konzept charismatischer Herrschaft manifestiert sich (auch unter antiautoritärer Umdeutung) keine Abkehr von, sondern vielmehr der Versuch einer Prolongation ursprünglich theologisch verfügter Bedeutsamkeits- und Legitimationspotentiale hinein in den Relativismus politischer Romantik. Gleichzeitig bestehen dies fort, so dass nicht in jedem Fall von einer Form immanenter Transzendenz gesprochen werden kann  ; funktional aber verantwortet Charisma nun den »Legitimitätsglauben« (Max Weber). Schmitt hegte diesbezüglich Unbehagen und warnte z. B. in Die politische Theorie des Mythus (1923) vor den Gefahren einer solchen Setzung für die bestehende Ordnung, wenn sich der Mythos mit Nationalsozialismus oder Kommunismus verbinde (umso blamabler dann sein ›Beitritt‹ nach 1933). Andererseits liegt in dem Gemeinschaftsdenken, welches den Turm in allen Fassungen stark prägt, ein transzendenter Zug, der wiederum auf Hofmannsthals Interesse an Jungs Beschreibung der Wirkweise des religiösen Symbols verweist (vgl. 1.3.3). Dass die politische Theologie der Gegenrevolution versuchte, »aus einer theistischen Theologie die persönliche Souveränität des Monarchen ideologisch zu stützen« (wie sich Hofmannsthal ebenfalls, vielleicht im Hinblick auf den Großalmosinier, anstrich), verweist nochmals auf die Bedeutung, die Schmitt der persönlichen Repräsentation von Souveränität zumaß. Dass deren Resultat dann jedenfalls alles andere als ein aufgeklärter Absolutismus wäre (wie ihn im Turm Julian zunächst anstrebt) und im schärfsten Widerspruch nicht nur gegen die mit Rousseau aufkommende Idee der Volkssouveränität steht, sondern auch gegen das bei Hofmannsthal den Dramenausgang bestimmende Gemeinschaftsdenken, wird bei Betrachtung der verschiedenen Fassungen noch deutlich. Entsprechend gibt es in den ersten drei Aufzügen/Akten des Stücks zahlreiche Anleihen an den Rechtfertigungsdiskurs des alten Legitimismus  ; in den dichterischen Fassungen nochmals in der Szene der vermiedenen Krönung des fünften Aufzugs. Die oben zitierte Vorstellung einer Einheit von Souverän und Gesetz entspricht der unterstellten Kongruenz von weltlicher und göttlicher Ordnung, wobei Gott als rein transzendente Instanz angenommen wird. Zugleich ist diese Setzung positivistisch in dem Sinne, dass sie kein immanentes »Außen« kennt. Was Hofmannsthal hier zum Ausdruck bringt, ist die Position des deistischen Absolutismus, welcher Gott nur noch nominell unterworfen war und den König, den irdischen Stellvertreter des Erlösers, zum Souverän »verabsolutiert« (Matala de Mazza). Der Beichtiger bekommt somit durchaus Nähen zu einer Figur wie

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dem Weltgeistlichen in Goethes Die natürliche Tochter. Im Turm ist der Deismus als historische Legitimationsform auf das absolute Königtum beschränkt und geht mit diesem unter (nicht aber der Positivismus). Politische Theologie als Rechtfertigungspraxis souveräner Machtausübung endet jedoch nicht mit dem ›Legitimationsbruch der Moderne‹, der bis in die Begriffe hineinreicht, die ihrer Funktion nach beibehalten werden.69 Nach dem Sieg über Olivier teilt Sigismund den Adligen mit, er werde ordnen und rechtssetzend aus der Ordnung heraustreten. In der Bühnenfassung findet sich hingegen die Darstellung des Niedergangs hin zu einem Totalitarismus als dystopischer Endstufe der rationalen Herrschaft, wie sie Weber in Politik als Beruf (1919), Wirtschaft und Gesellschaft (1921/22) und auch Parlament und Regierung im neugeordneten Deutschland (1918) vergleichbar drastisch beschrieben hat. Das ›demokratisch-charismatische Abenteuer‹ erscheint so als ein letztlich lebensunfähiges Intermezzo politischer Romantik – mit einem allerdings edlen, erhaltenswerten Kern (vgl. 5.5). Die Darstellung von Herrschaft und damit Phänomenologie der Souveränität erfolgte im abendländischen Herrschaftsdiskurs stark körperbezogen  ; die später von Kantorowicz so prominent gemachte Lehre von den zwei Körpern des Königs spielt dabei eine wesentliche Rolle, wenngleich sie scheinbar nicht an die Moderne heranreicht. Hofmannsthal zeigt vor allem an der Schwellenfigur Sigismund die Genese solcher Kollektiv-Imaginationen einer politischen Theologie. Dies stammt nicht aus den Schmitt-Lektüren, denn dessen Theorie ist vollkommen unkörperlich gedacht und verlegt allen vormaligen Mystizismus in die Entscheidung des Souveräns. Ausgehend von ihren theologischen Wurzeln erscheint Souveränität im Turm zunächst noch in Verbindung mit der kirchlichen Macht (und deren Sanktionsfähigkeit), dann als reformierter, deistischer Absolutismus, in dem aber natürlicher und politischer Leib des Königs (und Souveräns) noch identisch gedacht werden  ; es schließt sich das deutliche Auseinandertreten beider Körper (natürlicher Körper  : Basilius, politischer Leib  : Sigismund) aufgrund Sigismunds Usurpation an. Darauf folgt der Versuch der Woiwoden, das König69 Das berühmte Zitat hierzu lautet, dass »[a]lle prägnanten Begriffe der modernen Staatslehre […] säkularisierte Begriffe« sind  ; so sei etwa die Vorstellung des »allmächtige[n] Gott[es]« in den »omnipotenten Gesetzgeber« überführt worden. (PT, 37). Die Nähen der dichterischen Fassungen zu Schmitts Darstellung des Legitimismus in der Politischen Theologie können übrigens nach derzeitiger Faktenlage nicht auf deren Lektüre zurückgeführt werden  ; diese fällt ja bekanntermaßen erst in den Herbst 1926. Aus dieser Unerklärlichkeit heraus ist überhaupt die Idee entstanden, in Max Webers Arbeiten den Grund dieser signifikanten Überschneidungen freizulegen. Die so eminent wichtige »Soziologie des Souveränitätsbegriffes« wird daher v. a. unter 5. ausführlich einbezogen.

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tum auf den natürlichen Körper zu reduzieren und die Ausübung der Souveränität des politischen Körpers (formiert im Staatsrat) selbst zu übernehmen, und schließlich der Ausnahme- bzw. Naturzustand als das Auftreten der Masse, des »Nichts mit tausend Köpfen«,70 der von dem siegreichen charismatischen Herrscher Sigismund in den dichterischen Fassungen nach langen Wirren wieder in eine Ordnung und Kongruenz beider Körper überführt wird. Die Bühnenfassung sieht hingegen die Vernichtung beider Körper des Königtums durch heimliche Exekution von Basilius (an das Schicksal der Zarenfamilie erinnernd) vor, also dem – allerdings bereits abgesetzten – natürlichen Leib, sowie durch Ermordung Sigismunds mittels Heckenschützen als dem politischen Leib. Dieser ist zudem nicht allein Verkörperung des Königtums, sondern mehr noch des souveränen Willens der Nation und soll daher auch durch eine Marionette ersetzt werden – »Die Bildmaske des Staates exponiert und verbirgt zugleich die absolute Gewalt, mit der der Souverän über Leben und Tod entscheidet.«71 Es ist ein erstaunlicher Umstand, dass Hofmannsthal zwar Schmitts kardinales Hobbes-Zitat exzerpierte (übrigens ohne das zunächst korrigierte ›c‹ in »autoritas«), sich ansonsten aber nicht zu Hobbes, zusammen mit Bodin immerhin ›Ahnherr‹ der politischen Theologie, geäußert hat.72 Der Band der Sämt70 SW XVI.2  : Julian. Twellmann bemerkt, dass Hofmannsthal an sich nicht den Schmittschen Ausnahmezustand inszeniere, den er mit Quaritsch zu recht als ordnungsaffin (Herstellung/Verteidigung von Herrschaft) begreift (vgl. Twellmann, Drama  ; op cit, 158). Das ist eine Frage der Fassungen. Wenn man davon ausgeht, Hofmannsthal habe wenn, dann in Sigismund den Souverän positiv inszenieren wollen (was für die dichterischen Fassungen, die zeitlich vor der SchmittLektüre entstanden, richtig ist), dann scheitert diese Lesart hinsichtlich der Bühnenfassung. Hier liegt ein anderer Ansatz der Dramatisierung vor (vgl. 5.). 71 Iris Därmann  : Figuren des Politischen  ; op cit, 33. 72 Erwähnenswert ist, dass Hobbes von Oskar Walzel unter Berufung auf Dilthey zu den Positivisten gezählt wurde  ; in diametralen Gegensatz zu Schmitts Konzept des Dezisionismus (vgl. PT, 32 und O.W.: Das Wesen des dichterischen Kunstwerks [1924]  ; in  : O. Walzel  : Das Wortkunstwerk  ; op cit, 100–122  : 110/111. In seiner vernichtenden Rezension (vgl. 1.3.2) ging Benjamin auf diesen Punkt nicht ein  ; die Frage ist aber keineswegs leicht abzutun  ; denn den »sterblichen Gott« Leviathan hat man durchaus als Gebilde immanenter Transzendenz aufzufassen und damit eigentlich als deistischen Positivismus, aus dessen vertragsmäßig installierten System es für den Einzelnen kein anderes Entrinnen mehr gibt – als den Tod. Dass der Rechtspositivist Hans Kelsen Schmitt auf einen Wiener Lehrstuhl berufen wollte, zeigt an, dass er ihn genau in dieser Tradition sah. Erik Peterson und Franz L. Neumann haben sich später bei ihrer Kritik an Schmitt dieser Argumentation bedient. Denn ihrer transzendente Weihen entkleidet ist Schmitts dezisionistische politische Theologie nichts anderes als  : »Occasionalismus«  ; und zwar an gefährlichster Stelle. Vgl. Franz L. Neumann  : Behemoth. Struktur und Praxis des Nationalsozialismus 1933–1944, hg. v. G. Schäfer  ; Köln, Frankfurt/Main 1977. 68 ff. Petersons Argumentation gegen Schmitt in Der Monotheismus

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lichen Werke zur Bibliothek weist ebenfalls keine Einträge auf  ; man kann aber davon ausgehen, dass Hofmannsthals politischer Gesprächspartner Josef Redlich (immerhin mit einer Arbeit zum englischen Staatsrecht habilitiert) über eine Gesamtausgabe verfügt haben dürfte. An Redlich schrieb Hofmannsthal ja auch seine inzwischen so oft zitierten Zeilen über Schmitt. Die körperbezogene Denktradition des Souveränitätsbegriffs war ihm jedenfalls so selbstverständlich, dass er sich sehr gut beim Übertragen der so wichtigen Passage zum metaphysischen Bild einer Epoche anstelle von »Form ihrer politischen Organisation« (so bei Schmitt) »Form ihrer politischen Organismen« notiert haben könnte (vgl. 1.2.4).73 Zugleich wäre aus einem solchen Lapsus zu schließen, dass Hofmannsthal das gerade von den Romantikern so kritisierte technisch-maschinelle Staatsverständnis Hobbes’ und dessen Verständnis der Souveränität als »künstlicher Seele« weniger nahegelegen haben wird. Der mit Rousseau einsetzende Umbruch im Gehalt des leitenden Paradigmas der Herrschaftslegitimation, also des politischen Körpers (dem eine andere Legitimationsquelle transfundiert wurde), brachte zumindest eine Aufkündbarkeit des vorgeburtlichen Knebelvertrags von Hobbes ins Spiel. Der Einzelne war jetzt anders unterworfen, nämlich freiwillig  ; der künstlichen Seele (der) Souveränität sollte mit dem Volkswillen Leben eingehaucht werden. Dies konnte allerdings mit der Frage der Homogenität, wer sich demnach widerspruchslos zum Volk zählen dürfe, unter Umständen ähnlich exklusive korporative Züge erhalten.74 Zu den ›metaphorischen Konsequenzen‹ schreibt Manow  : »Der als politisches Problem (1935) wird von Giorgio Agamben zusammengefasst  : G. Agamben  : Herrschaft und Herrlichkeit. Zur theologischen Genealogie von Ökonomie und Regierung. Homo sacer II.2  ; Berlin 2010. 20–31. Differenzierter übrigens die Studie Roger Mielkes  : Eschatologische Öffentlichkeit. Öffentlichkeit der Kirche und Politische Theologie im Werk von Erik Peterson  ; Göttingen 2012. 73 Vgl. PT, 42 und RA III, 587. Die gerade erschienene Kritische Ausgabe der Aufzeichnungen hat diesen Fehler der Ausgabe der Gesammelten Werke (1979) kürzlich berichtigt – allerdings in dessen Unkenntnis, wie ein Gespräch mit den Herausgebern ergab. Gehalt und Bedeutung dieses Kapitels der Politischen Theologie für die Umarbeitung des Turm werden unter 5. erschlossen. 74 Schmitts Ausführungen in Die Diktatur sind diesbezüglich (Freiheitsbegriff ) wirklich lesenswert (insb. DD, 116 ff.) – »Ein Staat soll geschaffen werden, in welchem es keinen einzigen Unfreien mehr gibt, bei dem der einzelne nicht das geringste von seiner Freiheit opfert.« (ebd., 117). Die Freiheit wird aber zum Zwang  : »Die volonté générale wird zu göttlicher Würde erhoben und vernichtet jeden Sonderwillen und alles Sonderinteresse, das ihr gegenüber nur wie ein Diebstahl erscheint. Die Frage nach den unveräußerlichen Rechten des Individuums und einer der Durchführung der souveränen volonté générale entzogenen Freiheitssphäre kann darum gar nicht mehr erhoben werden. Sie wird durch die einfache Alternative beseitigt, daß das Individuelle entweder mit dem Generellen übereinstimmt und dann wegen seiner Übereinstimmung einen Wert hat

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›wirkliche‹, ›leibliche‹ Körper des Volkes, der eigentliche Träger der politischen Souveränität, mußte nun als corpus mysticum imaginiert und aufwendig inszeniert werden.« Dieser mystische Körper beerbe den sakralen Leib des Königs und trete nur bei Wahlen, gewissermaßen den Toden des neuen politischen Körpers (dem Parlament) hervor. »Wahlen und Wahlkämpfe sind Feste, die den Alltag der Repräsentation durchbrechen.« Die Bedingungen der »Kür« Sigismunds durch die revolutionäre Masse (somit  : dem Volk) sind durchaus in der akklamativen Atmosphäre solcher Festivität gehalten, welche Manow in der Demokratie als »Periode inszenierter Formlosigkeit« bezeichnet und entsprechend mit dem Karneval vergleicht. Die turnusmäßige Erneuerung des Parlaments als politischem Repräsentativ-Körper für den größeren, ungeformten des Volkes wurde darum auch mit Kreislaufanalogien beschrieben (so etwa von Sieyès).75 Was also hätte näher gelegen, als Sigismund nun, von Beginn an schon mehr sakraler als politischer Leib der Majestät, zu einem sakralen bzw. mystischen Leib der Nation zu machen, und damit den Paradigmenwechsel politischer Theologie in der Gestalt »zu erledigen«  ? Dass diese Gestalt zudem sprachlich konstituiert oder zumindest konnotiert ist, verweist noch einmal auf jenen von Schmitt so abgelehnten Topos des Dritten, in diesem Fall also eines dritten Körpers (oder besser  : Leibes), der zunächst im mystischen Körper (des Volkes) neben den natürlichen und politischen Körper des Königtums, dann aber nach Ende der Revolution als sakraler Leib an deren Stelle tritt (in den dichterischen Fassungen ist dies die Funktion des Kinderkönigs). Die im Turm inszenierten Typen souveräner Verkörperung spiegeln somit den Prozess ihrer Distribution  : von dem einen Subjekt, das zunächst nur Gott heißen durfte, über den König als Kopf des Leviathan, dem sterblichen Gott, hin zur »gesamten Majestät« einer Adelsrepublik (die an die Stelle des Charisma bezeichnenderweise ein Constitutum stellt) und schließlich zur vollständigen Pluralisierung bzw. Atomisierung einer anarchischen Massengesellschaft, welche dann in den dichterischen Fassungen durch die Selbstaufhebung der Gewalt (Sigismunds Tod) in einer quasi kommunistischen Brüdergemeinde wieder zur Einheit eines Kollektivleibs geführt, in der Bühnenfassung aber vom kalten Techoder daß es nicht übereinstimmt und dann eben null und nichtig, böse korrupt und überhaupt kein beachtlicher Wille im moralischen oder rechtlichen Sinn sei.« (DD, 120 [Hervorhebungen A.M.]). 75 Sämtliche Zitate nach Philipp Manow  : Im Schatten des Königs, op cit, 108/109. Zu Sieyès  : 110). Schon Kantorowicz hat betont, dass aus dem corpus mysticum in der Folge durch die Praxis der Übertragung dieses ursprünglich kirchlichen Terminus auf juristische Gebilde ein »corpus fictum, corpus imaginatum, corpus repraesentatum« wurde (vgl. Kantorowicz, Zwei Körper  ; op cit, 220).

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nizismus einer totalitären Bewegung überrollt wird. Deren Rechtfertigung sind dann allein »die Angst der Menschheit vor sich selber«76 und der Fortschritt als gelebtes Recht des Stärkeren  ; eine politische Theologie der Revolution bzw. des Totalitarismus’, die nichts Romantisches oder Traditionales, kein corpus mysticum mehr anerkennt und nüchtern die Szenerie beherrscht. Eine gegenläufige Entwicklung nimmt davor die Geschichte des Individuums, die am Beispiel Sigismunds zugleich eine Pathogenese der Subjektivität in der Neuzeit vornimmt77 (und an dieser Stelle die Verdienste von Reformation, Aufklärung und Romantik ausdrücklich anerkennt). Dieser in den Interpretationskapiteln mit Max Webers Religionssoziologie in Verbindung zu bringende Entwicklungsstrang des Dramas verläuft nach dem Schema eines Bildungsromans, dessen Form damit ins Drama inkludiert wird, nur auf tiefer liegender Stufe ansetzend  : der junge Sigismund als gefährliches, dynamisch-charismatisches Tier und geborener Souverän findet sich zum Ende auf der Stufe einer natürlichen Majestät wieder. In den dichterischen Fassungen begründet diese seine Funktion als Schwellenfigur, welche über den Bruch der Herrschaftsformen und ihrer Legitimation hinwegführt in die neue Zeit des Kinderkönigs  ; in der Bühnenfassung prägt sie sich zur edlen Resignation hinsichtlich des »Willens zur Macht« aus.

3.3 »Politische Zoologie«  : Charisma und Kreatürlichkeit »Die Kindlichkeit ist es ja, was die junge Menschenkreatur von der Tiergeburt unterscheidet und deren Schutz ist Sigismund verweigert worden.« (Benjamin)78 »sigismund Ungleich dem Tier hab ich Begriff von meiner Unkenntnis. Ich kenne, was ich nicht sehe, weiss was fern von mir ist. Dadurch leide ich Qual wie kein Geschöpf.« (SW XVI.1, 63)

Politische Theologie wie Romantik bedienen sich hinsichtlich ihrer Paradigmen aus einem vergleichbaren rhetorischen Reservoir, das wurde am Beispiel der Kör76 »Das Wesen des Staates wie der Religion ist die Angst der Menschheit vor sich selber.« (Schmitt, PT, 45  ; RA III, 587  : Friedrich Engels [1926]). 77 Einiges hat hierzu bereits, ausgehend von den Vorstufen in Das Leben ein Traum [1903], Maximilian Bergengruen herausgearbeitet  ; vgl. M.B.: Mystik der Nerven  ; op cit. 78 Benjamin an Hofmannsthal [1925]  ; zit.n. SW XVI.1, 502  ; Zeugnisse. Darum sei er weit mehr als »Calderons Segismondo« »Creatur«.

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permetaphorik hinlänglich deutlich. Die Imagination eines solchen Kollektivkörpers ›formatiert‹ gewissermaßen seit der Aufklärung die religiöse menschliche Gemeinschaft zur politischen (Gesellschaft). Für den in dieser Bewegung ausgeschlossenen Bereich ist die Zoologie zuständig.79 Der Leviathan des Thomas Hobbes ist zwar nach dem berühmten Titelbild ein Komposit-Mensch mit gekröntem Haupt, seinen biblisch-mythologischen Wurzeln nach aber ist er ein Tier, ein Seeungeheuer. Die paternalistische Vorstellung des politischen Dualismus von Herde und Hirte als Gemeinwesen und angeschlossener Metaphoriken wäre ein weiteres, weniger amalgamierendes Beispiel, das die Ebene anthropogener Repräsentation über- (bzw.: unter-)schreitet. Da hier im Hintergrund anthropologische Fragen verhandelt werden, die durch Anschauung des Eigenen im Differenten Identität produzieren sollen, liegt es nahe, hierfür jenen auf das Andere der Soziologie zielenden Terminus einer literarischen Anthropologie, die »politische Zoologie« (zurückgehend auf Ethel Matala de Mazza und Joseph Vogl) zu bemühen. Eine solche in sich widersprüchliche, spätestens bei Platon anzusetzende Rubrik besitzt in den mythischen Tieren der Apokalypse, der christlichen Erneuerungsbewegung um Franz von Assisi, den Mystikern der Renaissance, der Fabel seit der Aufklärung bis zur Psychoanalyse Freuds bzw. Jungs und den im 20. Jahrhundert populär werdenden Comics eine gewaltige Tradition, auf die hier zumindest hinzuweisen ist. Für die Figuration des Souveränen und seiner Kehrseite werden entsprechende Vorstellungen relevant, gerade im Hinblick auf Kollektivformationen. Darunter fallen die Verhandlung, Rechtfertigung oder Infragestellung von Machtthematiken, insbesondere von Zugehörigkeit auf der Ebene kreatürlicher Repräsentation und deren Exklusionen.80 Politische Zoologie kann auf den »engen Zusammenhang zwischen Menschenbild und politisch-gesellschaftliche[r] Organisation hinweisen«, deren Verlassen bzw. Verlust z. B. von Platon mit Tierwerdung gleichgesetzt wurde.81 Ins Tierische verzerrte Gestalten bedeuten daher häufig entstellte Sinnbilder des verworfenen Sozia79 Lesenswert ist Sven Rückers Darstellung dieser Prozesse sowie insbesondere die abspaltende Übertragung zoologischer Praktiken auf Teile der Gesellschaft, der eine gleichzeitige Reinklusion des Tieres in diese gegenübersteht das (an)schlagende Beispiel ist hier der Polizeihund. Vgl. Rücker, Gesetz der Überschreitung  ; op cit, 120 f. Die »Theozoologie« hinter dem Gedanken der Züchtung und Abrichtung des gesellschaftlichen Diesseits sieht Rücker als funktionale Filiation der politischen Theologie in der Moderne (vgl. ebd., 111). 80 Zur Repräsentationsfunktion von Tieren vgl. Jaques Deleuze/Felix Guattari  : Tausend Plateaus. Kapitalismus und Schizophrenie  ; hg. v. Günther Rösch  ; Berlin 1992. 326–332. 81 Vgl. hierzu  : Anne von der Heiden  : ›Et in arcadia ego‹. Metamorphosen  ; in  : Dies./Vogl (Hg.)  : Politische Zoologie  ; Zürich, Berlin 2007. 91–118  : 92.

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len – nicht nur in literarischen Texten (ob aus der Perspektive des Autors selbst oder vom sozialen Gefüge seines Dramenpersonals, wäre hierbei zu unterscheiden). Sie bilden sozusagen ein Spaltprodukt, den ›Abfall‹ von Repräsentationsprozessen, die neben der Konstitution von Einheit des sozialen Körpers zugleich ein Außen, ein Ausgegrenztes produzieren.82 Hier sammelt sich das ›schmutzige Revers‹ der souveränen Ordnungssetzung. Roland Borgards nennt den Akt der Differenzierung daher selbst performativ, weil er die Distinktionen im Akt der Beschreibung erst herstelle.83 Das zoon politikon ist nach Entzug (der Qualität) des Politischen nur noch bíos, wie Agamben es am Homo sacer beschrieben hat. Solchen Exklusionen ins Animalische widerstrebend wäre z. B. Peter Kropotkins Gegenseitige Hilfe in der Tier- und Menschenwelt (in der deutschen Übersetzung von Landauer 1920 erschienen) zu erwähnen und auch Maeterlincks Das Leben der Bienen (1901)  ; übrigens ganz im Gegensatz zu seinem späteren Band Das Leben der Termiten (1926).84 Zu betonen ist auch, dass die Konjunktur animalischer Verzeichnungen nicht nur auf Ebene gesellschaftlicher (Selbst-)Beschreibungen relevant wurde, sondern gerade auch auf Ebene der neuzeitlichen, vor allem modernen Subjekt-Konstitution. Freuds und Jungs Schriften, die Hofmannsthal zum Teil sehr gut kannte, sind voller Beispiele von Selbstbeschreibungen, die sich ins bzw. im Animalische(n) reflektieren. Solche Mechanismen der Identifikation – letztlich durch Entmischung des Vermischten – sind für den Bereich des kollektiv Imaginären von großer Bedeutung und spuken in Form von Feindbildern, aber auch Paradigmen des Eigenen durch den gemeinschaftlichen Vorstellungsraum. Im Herrschaftskontext (zu denken wäre auch an die von Tie82 Vgl. hierzu Erik Jentges  : Soziale Magie  ; op cit, 27 f.: Repräsentation erscheint hier als zusammengesetzter Akt, denn »Erst das Eingehegte und das Ausgegrenzte zusammen erzeugt [sic] ein Abbild der politischen Realität.« (ebd.: 28). 83 Roland Borgards  : Wolf, Mensch, Hund. Theriotopologie in ›Brehms Tierleben‹ und Storms ›Aquis Submersus‹  ; in  : Von der Heiden/Vogl  : Politische Zoologie  ; Zürich, Berlin 2007. 131–147. 84 Kropotkin stellte vielmehr das soziale Gruppenverhalten in der Tierwelt als beispielhaft dar und wendete sich gegen (sozial-)darwinistische Interpretationen und auch gegen die Hobbessche Staatsphilosophie. Peter Kropotkin  : Gegenseitige Hilfe in der Tier- und Menschenwelt  ; autorisierte deutsche Ausgabe besorgt von Gustav Landauer  ; Leipzig 1920. »Bessere Zustände werden geschaffen durch die Überwindung der Konkurrenz durch gegenseitige Hilfe.« (ebd., 87) Contra Hobbes  : 90 ff. Maurice Maeterlinck  : Das Leben der Bienen. Mit einem Essay von Gerhard Roth  ; Berlin 2011. Auch Maeterlinck bewunderte die selbstlose Zusammenarbeit der Bienen. Dem Phänomen der Insektenstaaten widmete sich übrigens auch Max Weber – gleich zu Beginn seiner Abhandlung Wirtschaft und Gesellschaft. Der Bienenstaat erfährt bei Maeterlinck jedoch seine grausige Verkehrung durch die »düstere Republik des Kotes« im Termitenstaat  : Maurice Maeterlinck  : Das Leben der Termiten  ; übers. v. K. Illich  ; Zürich 1966.

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ren wimmelnde Heraldik der Adelsgeschlechter) hat vor allem ein Tier Karriere gemacht  : der Wolf. »Für das Bestiarium der politischen Untiere ergeben sich so mehrere Typologien, die sich in das Verhältnis zweier Konkurrenzen und Komplementärfiguren setzen lassen. Dabei ist einerseits ein Gegeneinander von Einheit und Vielheit zu konstatieren  : Dem einen, despotischen Wolfsmenschen im Zentrum der souveränen Macht stehen an den Rändern der Rechtssphäre die vielen Meuten der Werwölfe gegenüber, die das Gemeinwesen heimsuchen und eine Tyrannei der Unzahl, einen multipel gewordenen Despotismus entfachen.« ( J. Vogl/E. Matala de Mazza)85

Hofmannsthal hat mit einem solchen »Bestiarium« tatsächlich zumindest immer dann gearbeitet, wenn er im Rahmen instrumenteller Figurenrede auf den Bereich des Politischen ausgriff – schon im Geretteten Venedig (1905) findet sich zum Beispiel der Vergleich von Soldaten mit Bären.86 Die frühe Verwendung von Tiersymbolik könnte neben Hofmannsthals Beschäftigung mit Schriften Freuds auch auf seine wiederholte Lektüre von Bachofens Mutterrecht zurückgehen, das ebenfalls Beispiele für entsprechende Symboliken gibt. Wie die stark präsente, von den antiken Pastoralen (Vergil) geschaffene und dann biblisch geprägte Hirtenmetaphorik hat auch die triebhafte, ungezügelte Seite der menschlichen Natur als ›animalischer Fond‹ einer Genealogie des menschlichen Geistes Eingang in den Turm gefunden. Nicht nur in Bezug auf die ›Masse‹ lässt Hofmannsthal zu verschiedenen Gelegenheiten immer wieder die ›riskante Kondition des Humanen‹, eine unsichere Anthropologie aufscheinen, auch seine Hauptfigur sorgt sich erkennbar um ihren anthropogenen Status, die ganze Sprachproblematik des Stücks ist in diesem Zusammenhang zu lesen.87 85 Vgl. Ethel Matala de Mazza/Josef Vogl  : Bürger und Wölfe. Versuch über politische Zoologie  ; in  : C. Geulen/A. von der Heiden/B. Liebsch (Hg.)  : Vom Sinn der Feindschaft  ; Berlin 2002. 207–217  : 217. 86 Hugo von Hofmannsthal  : Das gerettete Venedig  ; Berlin 1905. 52. Und auch an die als so blutrünstig abgelehnte Passage des Tieropfers im Gespräch über Gedichte ist hier zu erinnern (an die Selbstverwechslung des Opfernden im Tier). George Bataille jedenfalls hat die »Geburt der Kunst« genau aus einem solchen Moment der Verschränkung von Heiligkeit und Gewalt gedeutet. Georges Bataille  : Die vorgeschichtliche Malerei. Lascaux oder die Geburt der Kunst  ; Genf 1983. 127. 87 SW XVI.1, 60  : »Mutter, wo ist mein End und wo ist dem Tier sein End  ?« – dieser Unsicherheit entspricht Sigismunds Vegetarismus, wie ihn die dichterischen Fassungen erwähnen (wenn ihm die Aufständischen im vierten Aufzug Essen bringen). Aristoteles hat bekanntlich in der Politik (gleich zu Beginn) die Sprache als ein wesentliches Merkmal menschlicher Gemeinschaft bezeichnet, während auch Ameisen oder Bienen staatenbildende Lebewesen seien.

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Der Turm offenbart zudem ein ›Bestiarium der Souveränität‹ in seinem ganzen Spektrum – von Adler, Schlange,88 Fuchs,89 Bär und Hirsch ist in Bezug auf die jeweiligen Machthaber und ihre Antagonisten die Rede, und zwar in der Regel abwertend.90 So erscheint der Souverän hier in der Tat als »Herr der Kreaturen« (Benjamin), und tatsächlich auch als permanent in Frage stehend (etwa durch die Listen des Fuchses oder die Bosheit der Schlange). Und die »fürstliche[n] Kreatur« Sigismund, der Prinz, der »außerhalb der menschlichen Gemeinschaft steht«91 und nackt im Wolfsfell geht, ist im ersten Aufzug/Akt geradezu eine Allegorie auf eine (hobbesianische) Anthropologie, die den Menschen als dynamisches und gefährliches Tier auffasst – »Aus dem Wolfsleib ist ein Menschenkopf gewachsen  !«  ; »Ich sehe ein Tier, das an der Erde kauert«  ; »Achtung  ! Er leidet nicht, dass man ihn angeht. Er hat sich einmal mit einem Fuchs verbissen, den die Wächter ihm zur Kurzweil übers Gitter werfen taten. […] Geb der Herr Achtung. Erschrecken darf er ihn nicht, sonst wird’s bös.« 92 Und zuvor fragte schon Olivier »Sieht das Vieh so kurios aus  ?« Deutlich wird allerdings, dass Sigismund diese Eigenschaften aufgrund seiner Haftbedingungen, bzw. aufgrund von sozialen Zuschreibungen aufweist. Die Ausschließung von der menschlichen Gemeinschaft bezeichnet der Arzt daher auch als Frevel, der »am ganzen Menschen« begangen wurde.93 Sein Urteil »Hier wird woferne Gott 88 Das Wappentier Kaiser Julian Apostatas war die Schlange  ; seine Lanze zierte ein purpurnes Drachenabzeichen (vgl. Schmitt, Leviathan  ; op cit, 19). Die Schlange ist neben der berühmten medizinischen Symbolik auch schon auf den Leviathan, die ›Seeschlange‹, bezogen worden (vgl. ebd., 12–13). 89 Der Fuchs ist das rhetorisch begabte, somit auch charismatische Tier, dessen Schläue und Gefährlichkeit zahlreiche Fabeln thematisieren. Goethes Reineke Fuchs (1793/94) wäre hierfür ein treffendes Beispiel. Als Bild für den listigen Fürsten dient der Fuchs ja auch bei Machiavelli  : Il Principe/Der Fürst  ; hg. v. Ph. Rippel  ; Stuttgart 1986. Vgl. 134–139. Das andere dem Fürsten zugeordnete Tier ist der Löwe. Beide Ausprägungen sind der Szene der Probe zitiert – mit Sigismund, der seine »Tatzen« zeigt und mit Basilius, den er mit einem alten Fuchs vergleicht. 90 Zur Tier-Metaphorik im Turm vgl. Helen Frink  : Animal Symbolism in Hofmannsthal’s Works  ; New York 1987 und schon Heinz Politzer  : Der Turm und das Tier am Abgrund. Zur Bildsprache der österreichischen Dichtung bei Grillparzer, Hofmannsthal und Kafka  ; in  : Grillparzer-Forum Forchtenstein (Hg.)  : Vorträge, Forschungen, Berichte 1968  ; Heidelberg 1969. 24–42. 91 SW XVI.2, 145  : Julian. Für Aristoteles ist der Mensch, der »außer aller staatlichen Gemeinschaft lebt […] entweder mehr oder weniger als ein Mensch.« Sollte er jedoch zu einer solchen Beteiligung generell unfähig sein, »ist er entweder ein Tier oder aber ein Gott.« Aristoteles  : Politik  ; übers. V.E. Rolfes  ; Philosophische Schriften Bd. 4  ; Hamburg 1995. 5 [1, 1253 a]). 92 SW XVI.1, 10  : Rekrut  ; SW XVI.1, 15  : Arzt bzw. Anton. 93 SW XVI.1, 220  ; Varianten  : Arzt. In der Endfassung wird es heißen  : »an der ganzen Menschheit«.

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nicht Einhalt tut, die Majestät gemordet« (Arzt, I) ist dadurch im anthropologischen Kontext einer gefährdeten (Krone der) Schöpfung zu lesen. Animalisch ist auch das spätere Traum-Symbol, das dem schlafenden König Sigismund in der Bühnenfassung erscheint – das am Fensterkreuz aufgehängte ausgeweidete Schwein aus seiner Kindheitserinnerung  ; ein rätselhafter Vorbote kommender Entwicklungen. »[…] gesehen mit den Augen der Poesie […] sind die Tiere die eigentlichen Hieroglyphen, sind sie lebendige geheimnisvolle Chiffren, mit denen Gott unaussprechliche Dinge in die Welt geschrieben hat. Glücklich der Dichter, daß auch er diese göttlichen Chiffren in seine Schrift verweben darf – […] Chiffren, welche aufzulösen die Sprache ohnmächtig ist.« (GW EGB, 501  ; Gespräch  : Gabriel)

Im Turm ist der Gebrauch der Tiersymbolik sicher weniger euphemistisch einzuschätzen. Dennoch liegt hier der Versuch eines Einbezugs von Außersprachlichem (dem Politischen) auf der Hand. Für die Antinomie von Chaos und Ordnung hinsichtlich gesellschaftlicher Verfasstheit sind in dem Trauerspiel zwei widerstreitende Motiviken auszumachen  ; nämlich die von Wolf und Hund. Auch dieses Tandem bewegt sich natürlich im metaphorischen Raum des Herde-/Hirten-Schemas. Wo das ›Wölfische‹ (abgesehen vom Subjekt der Souveränität) gewissermaßen die Abwesenheit von Ordnung und damit den seit Hobbes gefürchteten Naturzustand symbolisiert, markiert im politischen Kontext die Rede vom Hund die Durchsetzung von Ordnung und Hierarchie. Nicht umsonst taucht der Hund auch als bevorzugtes Tier auf den Porträts großer Staatsmänner auf  ; etwa dem Bismarcks.94 Wenn also Olivier sich schon zu Beginn des Turm Sigismund »wie einen Hund« »abrichten« will, gibt diese Brutalisierung des symbolischen Bestands der Hirtenmetapher zu denken. Das Tier symbolisiert hier funktionierende Gewaltverhältnisse absoluter Herrschaft – »der soll mir apportieren« (Olivier) – wie eine Pawlowsche Reflexmaschine.95 Ein Plädoyer für die im Hund indizierte geordnete Welt ist dem jedoch nicht zu entnehmen, eher ein Zeitalter 94 Vgl. Manfred Schneider  : Der Hund als Emblem  ; in  : Von der Heiden/Vogl (Hg.)  : Politische Zoologie  ; op cit, 149–176  ; und Roland Borgards schon erwähnten Beitrag im selben Band  : Wolf, Mensch, Hund (ebd. 131–148). Auch die Studie von Tobias Ronge  : Das Bild des Herrschers in Malerei und Grafik des Nationalsozialismus. Eine Untersuchung zur Ikonografie von Führer- und Funktionärsbildern im Dritten Reich  ; Berlin 2010. (zu Bismarck  : 119). hat sich der Thematik angenommen. 95 SW XVI.2, 131  : Olivier. Zu Pawlows Experimenten mit Hunden um die Jahrhundertwende vgl. Benjamin Bühler/Stefan Rieger  : Vom Übertier. Ein Bestiarium des Wissens  ; Frankfurt/Main 2006. 126 ff.: 132/133.

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»künftiger Hörigkeit« (Max Weber). Denn die Sprache wird hier zum bloßen Befehlsträger reduziert und ersetzt die Geselligkeit, wie sie die Figur Anton erklärt, durch Hierarchie.96 »Mit Reden kommen die Leut zusammen. Hund reden auch, Schaf auch  : machen bäh  !« (Anton I. Aufzug)

In seinem Kofen ist wiederum Sigismund, den Rossknochen schwingend, absoluter Herr über das Getier  ; Kröten, Vipern, Asseln schlägt er tot, »sinds erlöst, kommen harte schwarze Käfer, vergrabens.«97 Er ist somit gewissermaßen Souverän innerhalb einer Schöpfungsordnung, die sich vor der Schwelle zwischen bíos, also bloßem Leben, und der Zone politischer Institution der Gesellschaft tummelt, auf welche Sigismund nach der Logik der einschließenden Ausnahme verbannt ist. Hofmannsthal hat die »Macht der Animalität und der Affekte« im Vergleich zur barocken Vorlage Calderóns noch vertieft und auch psychologisiert,98 Sigismund kann zunächst nicht einmal richtig sprechen (jedoch lesen). Die triebhafte Veranlagung der Figur erinnert an dieser Stelle (und in der Usurpationsszene) an Delacroix’ Löwen-Bildnisse, die am royalen Tier das Moment der 96 Zoologische Metaphern finden sich auch bei der Beschreibung der Sprache selbst  : Nach Wieland spiegelt die deutsche Sprache »in ihren häufige Hunds- und Zischlauten (r, s, sch) die cholerische Mischung« und »Glut« des Nationaltemperaments, welche allerdings von »Asche« verdeckt sei (Wert und Ehre deutscher Sprache [WES]  ; 86  : Wieland). 97 – »Was die Käfer angeht, so haben wir völlig wohlbeobachtete Tatsachen für die gegenseitige Hilfe unter den Totengräbern (Necrophorus). Sie müssen irgendwelche verwesende organische Materie haben, um ihre Eier hineinzulegen und so ihre Larven mit Nahrung zu versehen  ; aber diese Materie darf nicht sehr schnell verwesen. Daher pflegen sie die Leichen aller möglichen kleinen Tiere, die sie gelegentlich bei ihren Streifzügen finden, in die Erde zu graben.« (Kropotkin  : Gegenseitige Hilfe  ; op cit  ; 29/30). Diesbezüglich ist auch eine von Hofmannsthal bei Freud markierte Stelle von Bedeutung  : »Der Heros will die Tat allein vollbracht haben, deren sich gewiß nur die Horde als Ganzes getraut hatte. Doch hat nach einer Bemerkung von Rank das Märchen deutliche Spuren des verleugneten Sachverhalts bewahrt. Denn dort kommt es häufig vor, daß der Held, der eine schwierige Aufgabe zu lösen hat – meist ein jüngster Sohn , nicht selten einer, der sich vor dem Vatersurrogat dumm, d. h. ungefährlich gestellt hat – diese Aufgabe doch nur mit Hilfe einer Schar von kleinen Tieren (Bienen, Ameisen) lösen kann. Dies wären die Brüder der Urhorde, wie ja auch in der Traumsymbolik Insekten, Ungeziefer die Geschwister (verächtlich  : als kleine Kinder) bedeuten.« (Freud, Massenpsychologie  ; op cit, 126  ; von Hofmannsthal markiert). 98 Zuvor  : GS I, 1, 274  ; Trauerspielbuch. Instruktiv zum »Höhlenkönigreich« des Ich (so Hofmannsthal an Bahr)  : Maximilian Bergengruen  : Mystik der Nerven  ; op cit, 18 und insb. dann 133 f. Zur »Nähe von Souverän und Biest«  : 147.

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edlen Wildheit stark herausstellen (etwa  : Löwe ein Pferd reißend, 1829).99 Später wird vom Kinderkönig berichtet, er habe die »Gestalt eines jungen Löwen«. In den überlieferten Textstufen taucht zudem immer wieder der Tiger auf  ; im Dramentext fehlt dieses von Hölderlin und Nietzsche so prominent mit dem Dionysischen in Verbindung gebrachte Tier hingegen völlig.100 Auch der (politische) Kulminationspunkt dieses Diskurses hat indes keinen Eingang mehr in den fertigen Dramentext gefunden  ; es ist der Vergleich des die alte Ordnung bekämpfenden Sigismund mit dem biblischen Monster Behemoth durch den Arzt. 101 Ungenannt bleibt in den Materialien der Kritischen Fassung auch dessen großes Gegenüber, der Leviathan, höchstens Oliviers Selbstbezichtigung als »Drach mit vielen Schweifen« (II. Akt) liefert eventuell Anklänge (bei C.G. Jung taucht die Bezeichnung »Walfischdrache« auf ).102 Da aber Hofmannsthals Kenntnis der gleichlautenden Hobbeschen Schrift schon durch die Eingangsszenerie verdeutlicht wird (vgl. 4.1), kann man Stellen, an denen etwa von der Erneuerung des Staatsgedankens (allerdings in den dichterischen Fassungen durch Sigismund) die Rede ist, durchaus auf Hobbes’ »sterblichen Gott« beziehen. Der Wolf signalisiert seitdem den Eintritt des Naturzustandes – und tritt im Turm gerade in den der gesellschaftlichen Ordnung exemten Figuren des Souveräns und des Ausgestoßenen auf, in denen die Gründungsgewalt, gewissermaßen Nullstelle der in der Kultur bestehenden Machtverhältnisse, latent vorhanden bleibt. Allerdings gibt es hinsichtlich Sigismunds Zähmungsversuche  :

 99 Ralph Ubl bemerkt in seinem Beitrag zur Politischen Zoologie über den imaginären Ort von Delacroix‹Tieren  : »[…] dass Delacroix die Despoten des Tierreichs wieder an jene Grenze der politisch verfassten Welt zurückholt, an der sie in vorrevolutionärer Zeit als Begleiter des Souveräns, der seinerseits eine Grenzfigur des Politischen ist, gehaust hatten […]« (Ralph Ubl  : Delacroix’ Tiere  ; in  : von der Heiden/Vogl (Hg.)  : Politische Zoologie  ; op cit, 177–194  : 177/178. 100 »Er hält mich in den Klauen wie ein Tiger, er wirbelt mich wie ein Wasserstrudel – er lässt mich nicht  ! Er will mich ganz.« (Großalmosinier über den Bettler  ; SW XVI.1, 233). Der Tiger als dionysisches Tier taucht natürlich schon etwa bei Hölderlin auf  ; z. B. Der Einzige (1803). Bei Nietzsche finden sich entsprechende Stellen in der Geburt der Tragödie (1872). Ein Bezug könnte durch den Indologen Heinrich Zimmer auch zu fernöstlicher Symbolik vermittelt worden sein. Zimmer betrachtete die fernöstliche Symbolik des Tiers als Allegorie der immanenten Veränderlichkeit  : als weltliche Präsenz der Göttin Devi, der Gattin Shivas. Heinrich Zimmer  : Indische Mythen und Symbole. Schlüssel zur Formenwelt des Göttlichen  ; Köln 1993. 247. 101 Vgl. SW XVI.1, 302  ; Varianten. 102 Jung  : Wandlungen und Symbole der Libido. Beiträge zur Entwicklungsgeschichte des Denkens  ; Leipzig, Wien 19252. 249.

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»julian Hab ich dich nicht erzogen, will sagen  : gezogen nach oben, heraus gezogen aus der Tiernatur, die auf die Erde starrt, weil sie gebacken ist aus Leim und Asche, und dein Angesicht nach oben gerissen zum Gewölb des Himmels, dahinter Gott wohnt  ? […]« (SW XVI.1, 63)103

Das Kreatürliche bemerkt auch Sigismund selbst an sich, wenn er, die Haltung des gekreuzigten Christus imitierend, fragt  : »Ich brings nicht auseinander, mich mit dem und aber mich mit dem Tier, das aufgehangen war an einem queren Holz und ausgenommen und innen voller blutiger Finsternis. Mutter, wo ist mein End und wo ist dem Tier sein End  ?«104 Dies ist auch die Folge jenes Vorgangs, der im Gespräch über Gedichte als ein Sichauflösen in Symbolen beschrieben wird. Die Anthropologie der Macht ist im Turm daher, schon angesichts der Identitätszweifel ihres herausragenden Subjekts, eine ungesicherte, die an Nietzsches Seil-Metapher auf den Menschen aus der Vorrede des Zarathustra erinnert  : »Der Mensch ist ein Seil, geknüpft zwischen Tier und Übermensch, – ein Seil über einem Abgrunde. Ein gefährliches Hinüber, ein gefährliches Auf-dem-Wege, ein gefährliches Zurückblicken, ein gefährliches Schaudern und Stehenbleiben.« 105 Gefährlich, dies zeigt sich wenig später, ist die Position auf dem Seil aufgrund des hinterherjagenden Possenreißers, der durch seine Kapriolen den Seiltänzer abstürzen und Zarathustra, den nun selbst als »Possenreißer« beschimpften Zeugen, aus der Stadt weisen lässt. Eine »Possenreißerbude« nennt in der Bühnenfassung auch Olivier die niedergehende Welt des Turm. Wo das Calderónsche »Trauerspiel seinen Bogen zwischen Kreatur und Christ« geschlagen habe, schrieb Benjamin in seiner ersten Rezension, in »dessen Scheitelhöhe« der »vollkommene Prinz« gestanden habe, negiere die »Wahrhaftigkeit« Hofmannsthals jenen »christliche[n] Optimismus« und zeige Sigismunds »Untergang« in »dämonischen Gewalten«, denen keine christliche Transzendenz mehr eigne.106 Dass Sigismund diesen unterliege, kann man allerdings für die von Benjamin mit diesen Worten besprochenen dichterischen Fassungen nicht bestätigen (eher stirbt er mit ihnen)  ; und in der Bühnenfassung, 103 Diese Stelle zitiert den Prometheus-Mythos, der für die ›Genie-Religion‹ in Aufklärung und (weitaus stärker) Romantik repräsentativ ist. Vgl. Schmidts schon erwähnte Studie zur Geschichte des Geniegedankens, op cit, Bd. 1  ; sowie Blumenbergs Arbeit am Mythos, op cit, 327 f. 104 SW XVI.1, 60. 105 Friedrich Nietzsche  : Also sprach Zarathustra  ; in  : Werke II  ; op cit, 281. Die Vorrede ist auch ihrer Tiersymbolik nach von Interesse für eine Lektüre des Turm, denn Adler und Schlange sind die Tiere Zarathustras (vgl., ebd., 290). 106 GS III, 33  ; Turm-Rezension I.

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welche den Sieg eines vergleichbar rabiaten Possenreißers zeigt, wird Sigismund deshalb ermordet, weil er für Olivier »nicht verwendbar« ist, der »auf den Dummen« »reiten« möchte. Hier markiert die Figur die Schwelle zur Zone des von der souveränen ratio Ausgenommenen. Im Mord an der Kreatur zeigt der Turm eine »Kritik der Gewalt« (Benjamin), wie sie in gesellschaftlichen Ausschließungsprozessen modern brutalisierter Pastoralmächte virulent und von einer Rhetorik der Entmenschlichung, der Animalisierung des Exemten, legitimiert wird.

3.4 ›Das alte Spiel von der Souveränität‹. Darstellungsfragen »In den letzten drei Stunden des Tages setzt sich Gott und spielt mit dem Leviathan, wie es geschrieben steht  : ›Der Leviathan, den du geschaffen hast, um mit ihm zu spielen.‹« (Talmud, Aboda Zara)107 »Im Staat ist alles Schauhandlung – Im Volk alles Schauspiel.« (Novalis)108

Souveränität zu inszenieren, bedeutete für Hofmannsthal, einer Zeit poetisch habhaft zu werden  ; und zwar durch die geistige Erfassung dessen, was oben mit Iser als deren politisch Fiktives (die gesellschaftliche Wirklichkeit) beschrieben wurde,109 durch das Fiktiv-Politische (also der poetischen Wirklichkeit). Darin liegt die Konkretisierung seiner Utopie einer politischen Sprache 107 Zit. n. Giorgio Agamben  : Das Offene. Der Mensch und das Tier  ; Frankfurt/Main 2003. 11. Auch Schmitt hat auf die Übernahme dieser Vorstellung vom ›deo ludens‹ bei Luther hingewiesen und explizit mit einer Klarstellung auf Shakespeare bezogen  : Carl Schmitt  : Hamlet oder Hekuba. Der Einbruch der Zeit in das Spiel  ; Stuttgart 1956. 40 f. »Die Unverspielbarkeit des Tragischen dürfen wir am wenigsten bei den Trauerspielen Shakespeares außer acht lassen, deren Spielcharakter auch in den sogenannten Tragödien zutage tritt.« (ebd., 42) – Schmitt nimmt ein durch den Mythos tragisch gesteigertes Spiel an (vgl. ebd., 45 und 48). 108 Novalis, Werke. Bd. 2  ; hg. v. H.-J. Mähl  ; op cit, 256. 109 Wenn Wirklichkeit seit der Moderne stets als »gemachte« verstanden wurde, erhielt das auf Machbarkeit dringende Denken hierdurch entsprechend utopische Züge und in der Fiktion den eigentlichen Raum seines Agierens. In diesen utopischen bzw. mythischen Zügen verbirgt sich ein Säkularisat des einstigen, transzendent legitimierten Ideals der unio mystica. Die hier ansetzenden Konzepte von Philosophie und Politik des Subjekts, manifest an der »universellen Vernunft« und an der Souveränität, haben nach Makropoulus in ihrer Parallelität noch weit über die Neuzeit hinein in die Moderne ausgestrahlt. Man könnte sogar behaupten  : Im frühen 20. Jahrhundert sind sie kulminiert. Vgl. Michael Makropoulos  : Wirklichkeiten zwischen Literatur, Malerei und Sozialforschung  ; in  : Graevenitz (Hg.)  : Konzepte der Moderne  ; Stuttgart 1999. 69–81.

›Das alte Spiel von der Souveränität‹. Darstellungsfragen

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(vgl. 2.), jener wechselseitigen Durchdringung von Geist und Politik, die er in der Münchener Rede gefordert hatte und die aufgrund dieser Vermischung bis hinein in die Randzonen anthropologischer Selbstvergewisserung jedenfalls nicht unter Kategorien wie Mimesis subsumiert werden kann (bzw. ist festzustellen, dass deren Gegenstand ein Verfahren ist). Der ›Ort‹ der zuerst literarischen Inszenierung dieser gegenstrebigen Synthese bleibt aber natürlich fiktiv (jedenfalls bis zum »magischen« Moment ihrer Rezeption),110 da sprachlich verfügt. Es ist das Trauerspiel, in dem die sprachliche Erfassung der Welt das hinter deren Formen wirksame Politische fiktional zur Anschauung bringt. Für ›Welt‹ kann wie gesehen auch ›Zeit‹ stehen, der Unterschied dieser Setzung wird an der Bühnenfassung noch deutlich. Was für Hofmannsthal jedoch von Beginn an (1918) feststand  : Der König als Impersonator (Kantorowicz) des transzendenten Souveräns, also der Hauptdarsteller des alten Spiels von der Souveränität, geht unter. Was auf ihn im Turm folgt, wird in den folgenden Kapiteln zu bestimmen sein  ; das Drama spiegelt hier historische und zeitgeschichtliche Vorgänge. Mit dem Fall der alten, katholischen Idee des Impersonators tritt die Vorstellung eines neuen Wesens auf den Plan  :111 »Staat und Souverän sind ein Theatercoup, und die Hobbessche Vertragslehre installiert das Schauspiel als mythischen Grund im Innern des Gesetzes, im Innern des Leviathan.«112 Den religiösen Hintergrund dieses politischen Theaters der Souveränität hatte Hofmannsthal auch im Blick, als er in einem Brief an die Leserschaft von The Dial schrieb, dass das Theater in England aufgehört habe, eine »Sache der Allgemeinheit« zu sein (so wie es das in Wien gewesen und in Paris noch sei) – und in Amerika wäre es darum nie zu einer solchen geworden. Hofmannsthal sah die Ursache hierfür in »jene[r] grundverschiedene[n] Auffassung des Theaters als Institution, wie sie im römischen Katholizismus einerseits, im Puritanismus andererseits begründet ist«.113 Dass jedenfalls das Theater einen 110 »Buchstabe ist fixirter Geist. Lesen heißt, gebundnen Geist frei machen, also eine magische Handlung. –« (Friedrich Schlegel  : Philosophische Lehrjahre 1796–1806 nebst philosophischen Manuskripten aus den Jahren 1796–1828. Erster Teil  ; hg. v. E. Behler  ; München,1963 [KA XVIII, 297  : 1229]. 297). Vgl. hierzu übrigens den Aufsatz Jacques Rancières  : Der emanzipierte Zuschauer  ; Wien 2009. 111 Vgl. hierzu Philip Manow  : Der politische Kampf um theologische Deutungsmacht – das Ende der Divine Right Doctrine und der protestantische Ikonoklasmus im Englischen Bürgerkrieg  ; op cit, 241 f. 112 Joseph Vogl  : Gründungstheater. Gesetz und Geschichte  ; in  : A. Adam/M. Stingelin (Hg.)  : Übertragung und Gesetz. Gründungsmythen, Kriegstheater und Unterwerfungstechniken von Institutionen  ; Berlin 1995 (Akademie). 31–40  : 32. 113 RA II, 279  ; Wiener Brief I [1922]. Dass sich Hofmannsthal im Herbst zuvor mutmaßlich die

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»Ersatz des Mechanismus durch das Leben« verheiße, konnte er Simmels Soziologie des Schauspiels entnehmen  : »Denn ihm entspricht es, daß jede einzelne Wirklichkeit in sich gleichsam einen Lebendigkeitspunkt hat, der ihren Sinn ausmacht und in dessen Entfaltung sie die Lebendigkeiten um sich herum, organisch wechselwirkend, tragend und getragen, einbezieht – während das mechanistische Prinzip die Erscheinungen gleichsam enteignete und sie, mehr oder weniger äußerlich, nur aus anderen zusammensetzte. (Simmel, Der Schauspieler und die Wirklichkeit [1912], 159 [Hervorh. A.M.])114

Gerade hinsichtlich der Inszenierung des Souveränen ergeben sich für das Drama also aufgrund der räumlich-körperhaften Konkretisierung auf der Bühne – also der Reproduktion der Codes und Modi realer Repräsentation – spezifische Konsequenzen für die Wirkungsabsicht.115 Leibhaftig auf der Bühne inszenierte Herrschaft bietet die Möglichkeit zur Reflexion der umgebenden faktischen sozialen Wirklichkeit, und zwar auch dort, wo das Theater ein Wissen vorgeblich nur über Vergangenes vermittelt116 – den Wandel von Rechtsnormen und ihrer sozialen Akzeptanz etwa (meist Bereiche des Strafrechtes betreffend)  ; oder tiefgreifender  : den Wechsel von Legitimitätsvorstellungen und ihrer Paradigmen, also ›das noch nicht begriffene‹ Politische. Die Grundfrage, die das Theater als anderer Ort (mit Foucault  : Heterotopie) dabei an politische Ideen und deren Ausprägungen richtet, ist die nach ihren (re)präsentativen Qualitäten. Denn nach Friedrich Creuzer, mit dessen romantischer Symboltheorie sich Benjamin im Trauerspielbuch befasst, kommen Ideen im Symbol »restlos« zur Anschauung.117 Das Drama kann eine solche ›Restlosigkeit‹ darüber hinaus für die Religionssoziologischen Schriften Webers bestellt hatte, sei hier nebenbei nochmals erwähnt (vgl. Präludium). 114 Georg Simmel  : Der Schauspieler und die Wirklichkeit  ; in  : Das Individuum und die Freiheit. Essais  ; Berlin 1984. Dass mit der Setzung eines Lebendigkeitspunktes gegen den Mechanismus (gerade im sozialen Raum) auch etwas über Hofmannsthals Poetik der Gestalt gesagt ist, wird insbesondere an der Bühnenfassung des Turm« zu verdeutlichen sein. 115 Vor dem Hintergrund seiner Staatstheorie ist es von großem Interesse, dass Schmitt insbesondere dem Aspekt der »gemeinsamen Öffentlichkeit« bei der Inszenierung so große Bedeutung zugemessen hat. 116 Vgl. hierzu Walter Hinck  : Zur Poetik des Geschichtsdramas  ; in  : Ders. (Hg.)  : Geschichte als Schauspiel  ; Frankfurt/Main 20062. 7–21. Vgl. mit narrativer Perspektive auch Holger Korthals  : Zwischen Drama und Erzählung. Ein Beitrag zur Theorie geschehensdarstellender Literatur  ; Berlin 2003. 117 Vgl. Manfred Frank  : Dionysos und die Renaissance des kultischen Dramas (Nietzsche, Wagner, Johst)  ; in  : Ders.: Gott im Exil. Vorlesungen über neue Mythologie II  ; Frankfurt/Main 1988. 9–104  : 35.

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Gestalt behaupten (die das Symbol in sich fasst bzw. zu einem solchen werden kann)  : »Der eine sieht eine Gruppe schicksalsverbundener Gestalten vor sich, der andere glaubt in diesen Figuren Ideen verkörpert zu sehen, wohl politische Ideen, aber nicht solche, die sich genau mit Namen nennen ließen.« (Hofmannsthal über den Turm [1925]  ; SW XVI.1, 506  ; Zeugnisse)

Die ›poietische Haptik‹, die am Beispiel von Symbol und Metapher oben schon für Hofmannsthals Literarisierung des Lebens bzw. des Politischen im Gespräch (über Gedichte) festgestellt wurde, wirkt sich als Besitz einer Bewegung im symbolischen Bild (nach Art der Chiffre von Urszenen) gerade auch im dramatischen Text aus.118 Sigismunds Kindheitserinnerung, die im Traum vom geschlachteten Schwein wiederkehrt, ist offenbar eine solche Urszene. Es ist anzunehmen, dass Hofmannsthal die Poetologie einer Öffnung der Sprache auf Außersprachliches (nicht nur hinsichtlich von Gesten, Handlungen, Tanz, Dingen sondern  : bezogen auf Imaginäres) und deren metaphorische Inklusion im Hinblick auf seinen Wandel im Dramatischen konzipierte.119 In seinem in118 Ein anderer Begriff als der von Hofmannsthal selbst verwendete der »Chiffre« wäre die ›Ikone‹. Tatsächlich kann man, das wird insbesondere bei Betrachtung der Dramenausgänge noch deutlich, von einer ikonologischen Dramatik sprechen (wie sie sich traditionell ja mit dem Heiland als der Urfigur des Martyriums im Christentum verbindet). Zur performativen Ikonologie des Bildes vgl. Christoph Wulf und Jörg Zirfas,  : Bild, Wahrnehmung und Phantasie. Performative Zusammenhänge  ; in  : Dies. (Hg.)  : Ikonologie des Performativen  ; München 2005. 7–32. »Die Repräsentation des Virtuellen gerät gleichermaßen unter den Bann absoluter Verfügbarkeit wie absoluter Kontingenz. Der moderne Narziss verliebt sich nicht mehr in sein Bild, sondern in eine virtuelle Ikone der Vollkommenheit und Unsterblichkeit.« (ebd., 20). Es hat ganz den Anschein, als hätte Hofmannsthal von diesen Zusammenhängen einiges geahnt  : »Bilder werden zu Ikonen, wenn sie einen hohen symbolischen Wert und einen intensiven Bezug zu einer Gemeinschaft haben  ; dann entsteht ihr sakraler, die bloßen bildlichen Gegebenheiten übersteigender Charakter […] (ebd., 27). Es sind dieses Strategien, denen er sich beim Turm bedient – »Visuelle Repräsentationen und Performative geben den Ort einer ›symbolisch-imaginären‹ Einheitsbildung und ›Aneignung der kollektiven Existenz‹ an und vermitteln so den Anschein, als ob Sozialität für die Gesellschaft als ganze hervorgebracht, überblickt und repräsentiert werden könnte.« (Därmann, Figuren des Politischen  ; op cit, 31. [Bezieht sich auf Nancy]). 119 Diese Entwicklung ließe sich mit gewissen Vorbehalten als eine vom lyrischen als der Bühne seiner Träume zum ›sozialen‹ Drama bezeichnen. Die Anführungszeichen sind als Hinweis darauf zu lesen, dass Hofmannsthal natürlich im eigentlichen Sinne keine sozialen Dramen verfasst hat  ; Jedermann, Das Salzburger große Welttheater und natürlich Der Turm zitieren die »soziale Frage« mehr, als dass sie diese auch behandeln (etwa mit der Direktheit Gerhart Hauptmanns).

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tensiven Studium der Schriften Bachofens wird ihm insbesondere ein Detail, welches Manfred Frank mitgeteilt hat, nicht entgangen sein  : das Verständnis des Mythos’ als »Exegese des Symbols«.120 Hofmannsthals Schritt von der Lyrik zur Dramatik wäre also als der von der (›einkleidenden‹) Metapher zum (›entrollenden‹) Mythos zu verstehen. Das ist die Situation kurz nach der Jahrhundertwende. Dieser Wandel setzte sich allerdings fort  ; er führte Hofmannsthal zuletzt im Visuellen, nach der Rezeption von Benjamins Trauerspielbuch, in die Nähe des dialektischen Bildes. Im Politischen als dem zeitgeschichtlichen Gehalt des Dramas führt dieser Weg in die Inszenierung des Schmittschen Ausnahmezustands, des ultimativen Dispositivs aller geltenden normativen Ordnungen und damit auf die Nullstelle gesellschaftlicher Verfasstheit. Hier ist zugleich jenes Forschungsfeld erkennbar überschritten, das, unter dem Titel ›Recht & Literatur‹ firmierend, in den letzten Jahren einige Konjunktur hatte.121 Zu Beginn (vgl. 1.1) war diesbezüglich die Literatur mit Hölderlins Metapher der Seefahrt im Bereich der Legitimität verortet worden, die kein bloßes gesellschaftliches Subsystem darstellt und jedenfalls dem System codierten Rechts tendenziell in dem Maße vorgreift, wie sie ihm entzogen ist. Dass dem Ausnahmezustand als factum brutum der Gesellschaft auf rechtlichem Wege nicht beizukommen ist, hat Schmitt in den Hofmannsthal bekannten Schriften in seiner prägnanten Weise postuliert. Mittels der Literatur allerdings ist er zu veranschaulichen und damit gewissermaßen ästhetisch zu entscheiden  ; und Hofmannsthal hat eben dies für die Bühne versucht. Die scheinbare Offenheit oder Unvollständigkeit des dramatischen Textes (die sich auch durch Verzicht auf einen Erzähler im Replikenschema inszeniert), seine daraus folgende Auslegungsbedürftigkeit, die gerade durch die Auslassungen initiierend wirkt, erhöht seine Theatralizität und bedingt damit Inszenierung und Vorstellungsraum des Subjekts. Hier liegt zugleich das Moment partizipa›Sozial‹ ist in diesem Zusammenhang auf Hofmannsthals Wirkungsabsicht zu beziehen, die über das Publikum der artistischen lyrischen Dramen hinaus auf eine breitere Zone gesellschaftlicher Aufmerksamkeit zielte. 120 Vgl. nochmals Frank, Dionysos und die Renaissance  ; op cit, 37. 121 Vgl. 1.1. Schmitt selbst übrigens hätte dies zumindest für das theatrale Spiel der Zeit Shakespeares abgelehnt  ; in dieser habe das Spiel »noch zum Leben selbst« gehört, »und zwar zu einem Leben, das zwar voller Geist und Grazie, aber noch nicht ›poliziert‹ war.« (Schmitt, Hamlet oder Hekuba  ; op cit, 49). Schmitt betont für diesen Zeitraum auch jenen »elementaren Aufbruch vom Land zum Meer, den Übergang von einer terranen zu einer maritimen Existenz«, den er schon zuvor in Land und Meer (1942) gewissermaßen als geologischen Wechsel im Elementaren zur Grundlage des entstehenden »Leviathan« erklärt hatte.

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tiver Rückerstattung des sich im Akt der Rezeption verlierenden Selbst (substantivisch gebraucht), wie Rancière sie dem emanzipierten Zuschauer attestiert hat122 und welche als Prinzip der poetisch gesteigerten Sprache bei Hofmannsthal festgestellt werden konnte. »Theatermetaphorik«, so auch Helmar Schramm, unterstützt darum »ganz konkret das Bemühen, sich einen Begriff von der Welt zu machen« – meist geht ihr der Text darin allerdings voraus. Wenn dieser Zugriff (Schramm meidet erkennbar den Begriff ›Weltbild‹)123 nach Artaud jedoch unter Bezug auf das erfolgt, was zumindest die (»tätige«) Metaphysik der Wahrnehmung genannt werden kann, umfasst diese Metaphorik also explizit auch irrationale bzw. imaginäre Bereiche des (gemeinschaftlichen) Erlebens  : »[…] wenn wir uns mit den Mitteln des Theaters an das Unbewußte wenden, so geschieht es fast nur, um ihm zu entreißen, was es an unerreichbarer, alltäglicher Erfahrung zu speichern (oder zu verbergen) vermocht hat«  ; »Und deshalb werden wir den Versuch machen, um sagenhafte Figuren, um gräßliche Verbrechen und übermenschliche Aufopferungen ein Schauspiel zu gruppieren, das sich fähig erweist, die in den alten Mythen wirkenden Kräfte auszudestillieren, ohne doch deren verblichene Bilder zu bemühen.« (Artaud, Das Theater und sein Double  ; 49/50 und 90)124

Man kann dieses Unbewusste, das Artaud – übrigens nicht lange nach Hofmannsthals Tod – durch das Theater der Gesellschaft (und entsprechend des Einzelnen) als Wissen über sich selbst verfügbar machen wollte, in einen politischen Kontext stellen und gewissermaßen folgern  : ›Geistige Souveränität – sieht die Welt von 122 Das Theater, das sein Publikum durch Anschauungssetzung eine latente Passivität verordnet, »[…] erlegt sich folglich die Sendung auf, seine Wirkungen umzudrehen und seine Schuld zu sühnen, indem es den Zuschauern den Besitz ihres Bewusstseins und ihrer Aktivität zurückgibt.« (Rancière, Der emanzipierte Zuschauer  ; op cit, 18). »Emanzipation« wäre dann »als Wiederaneignung eines in einem Trennungsprozess verlorenen gegangenen Selbstverhältnisses« zu verstehen (ebd., 25). Rancière bezieht sich hier auf das Theater Brechts und Artauds. 123 Helmar Schramm  : Theatralität und Öffentlichkeit  ; Vorstudien zur Begriffsgeschichte von »Theater«  ; in  : K. Barck/M. Fontius/W. Thierse (Hg.)  : Ästhetische Grundbegriffe. Studien zu einem historischen Wörterbuch  ; Berlin 1990. 202–242  : 212. 124 »Die Metaphysik der artikulierten Sprache verwirklichen, heißt, daß man die Sprache dasjenige ausdrücken läßt, was sie für gewöhlich nicht zum Ausdruck bringt  : heißt, sich ihrer auf neue, ungewohnte, außerordentliche Weise bedienen, heißt, ihr die eigenen Möglichkeiten körperlicher Erregung zurückgeben […] die Sprache als Beschwörung sehen.« (Artaud, ebd., 49). Neben Benjamins Texten zum Theater wäre mit Artauds Dramatologie ein geeigneter Baustein für eine Gegenüberstellung von Hofmannsthals zu Brechts Theater gegeben. Antonin Artaud  : Das Theater und sein Double. Werke in Einzelausgaben Bd. 8  ; Berlin 1996.

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innen‹. Dann wäre dieses Vorgehen als Reaktion auf das »Problem der Demokratie« zu verstehen, das in der »Ästhetisierung ihrer politischen Kultur« besteht,125 welche darum neuer Myth(ologi)en und für Hofmannsthal  : einer neuen Sprache bedarf.126 Ihr zum Emblem bestimmt hat Agamben den leeren Thron  ; denn seit dem Wegfall der Vorstellung Gottes als dem transzendenten, unbewegten Beweger ist das »Zentrum der Regierungsmaschine« verwaist. Ihr folge die »Gigantomachie rund um eine Leere«127 als Signatur der Neuzeit. Mit dem Wechsel von der persönlichen Repräsentation des Monarchen hin zum Volkssouverän wird das Paradigma dieser Abwesenheit konstitutiv für dessen Repräsentation (sofern es sich nicht um eine direkte Demokratie handelt). Die Bühne als leerer, bespielbarer Raum geriet seit der Französischen Revolution vom Analogon zum Ort der Vergegenwärtigung realer Macht.128 Die schon mehrfach erwähnte Studie Philipp Manows zur Raumordnung von Parlamenten (die sich oftmals, wie auch die Münchener Räterepublik, zunächst in Theatern konstituierten)129 hält zahlreiche Beispiele für dieses von Joseph Vogl als »Gründungstheater« bezeichnete Phänomen bereit, welches das »mise-en-forme« (Claude Lefort)130 als sozial verbindliche Inszenierung des Politischen durchführt  :

125 Juliane Rebentisch  : Die Kunst der Freiheit. Zur Dialektik demokratischer Existenz  ; Berlin 2012. 71. Zum Theater als Wissensform vgl. auch Hans-Christian von Herrmann  : Das Archiv der Bühne. Eine Archäologie des Theaters und seiner Wissenschaft  ; München 2005. 126 Er konnte sich hier auf Friedrich Schlegel berufen  : »Es wird eine neue Mythologie entstehn, heißt nichts als es wird eine neue Sprache entstehn. –« (Schlegel, KA XVIII, 394 [888]). 127 Giorgio Agamben  : Herrschaft und Herrlichkeit  ; op cit, 13. 128 Nicht zufällig ist daher geltend gemacht worden, dass der eigentliche »Ort der Macht« in der Demokratie »nicht darstellbar« sei (Claude Lefort  : Die Frage der Demokratie  ; in  : U. Rödel (Hg.)  : Autonome Gesellschaft und libertäre Demokratie  ; Frankfurt/Main 1990. S 293). Undarstellbar erscheint jedoch weniger der Ort der Macht selbst, an dem der abwesende Souverän (das Volk) per Repräsentation durch seine gewählten Stellvertreter überhaupt erst konstituiert wird – undarstellbar bleibt hingegen im Rahmen staatlicher Inszenierung deren metaphysisches ›Back-Up‹ des Politischen, soll nicht die gewählte Repräsentation als staatspolitische Fiktion mit relativer Vorläufigkeit, Zufälligkeit und improvisiertem Charakter kenntlich und damit delegitimiert werden. 129 Die repräsentative Schnittmenge reicht bis hinein in die institutionelle Nomenklatur  : »Das Rechtsmittel gegen die Maßnahmen des Intendanten, der Appell an den Conseil, hatte, wenn nicht der Conseil etwas Anderes bestimmte, keine aufschiebende Wirkung. Der Intendant ernannte Subdelegierte, die er selbst bezahlte und jederzeit abberufen konnte.« (Schmitt  : DD, 99). 130 Claude Lefort  : Fortdauer des Theologisch-Politischen  ?  ; op cit, 37. Dass die (bürgerliche) Revolution von 1848 in Deutschland ihre Nationalversammlung in der Paulskirche abhielt, ist daher schon räumlich als deutliche Abgrenzung zur Französischen Revolution zu verstehen.

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»Demokratie ist hier als ein politisches Theater vorgestellt, in dem das Publikum erst durch die Anschauung seiner Repräsentanten überhaupt zu einem Bewußtsein seiner selbst kommt. Das Volk, nun nicht mehr nach korporativen Ständen verfaßt, sondern aus Individuen zusammengesetzt, zugleich aber ein im Kollektiv souveräner Träger der neuen Macht, ist wie ein Publikum […]« (Manow, Schatten des Königs  ; op cit, 70)

Dem Vergleich mit einem Publikum entsprechend – Hofmannsthal lehnte das mit diesem Begriff implizierte Gebilde allerdings ab (vgl. 1.4.2 und 2.2) – bleibt daher der »Herrschaftskörper in der Demokratie  : das Volk« »nicht sichtbar«.131 Diese Unsichtbarkeit bezeichnet genau das Dilemma jeder ›politischen Theologie der Demokratie‹, wie auch das des Theaters hinsichtlich der Inszenierung dieser Urszene  :132 Es hätte sich letztlich selbst als Ort der politischen Inszenierung zu inszenieren (Arthur Schnitzler hat übrigens genau das im Grünen Kakadu [1898] versucht), ohne hierbei allerdings den Status einer offenen Fiktion (eines Spiels) aufzugeben. Um 1920 wurde solche Vermischung hingegen sogar forciert betrieben, und zwar nicht nur von Seiten Piscators (welcher unter den Theater-Agitatoren dieser Zeit allerdings unangefochten die Spitzenposition halten dürfte).133 So schrieb der mit Hofmannsthal besser bekannte Dramatiker und Mitarbeiter Max Reinhardts, Karl Vollmoeller  : »Was die Entpolitisierung unseres Volkes in fünfzig Jahren des kaiserlichen Regierens verhinderte, ist heute möglich  : die Zusammenfassung des Theaterraums von Tausenden zu einer Gemeinschaft von mithandelnden, mitgerissenen und mitreißenden Bürgern.«  ; 131 Manow, Schatten des Königs  ; op cit, 108. Zu Hofmannsthals Ablehnung des Publikum-Begriffs um 1911 vgl. 1.4.2. Nach dem Weltkrieg lässt sich im Hinblick auf die Salzburger Festspiele und die Neuen deutschen Beiträge dann aber ein gewisser Einstellungswandel beobachten. Aussprüche wie »Publikum ist Publikum, es ist Masse und will das Flache, es ist befangen im Heute und will die Mode von heute, es hat nicht sehr viel Urteil, wenig Geschmack, wenig Unterscheidungsvermögen.« (RA II, 241  ; Krisis Burgtheater) und »Das Vage und Schlaffe eines bloß vom herkömmlichen Bildungsbedürfnis zusammengehaltenen Publikums […]« (RA II, 251  ; Reinhardtsche Theater) behalten ihre Gültigkeit im Hinblick auf das, was Hofmannsthal als den blassen Durchschnitt zurückwies. Stattdessen wurde das Volk (womit er Gebildete und Masse gleichermaßen meinte) zum Subjekt seiner Wirkungsabsicht (vgl. RA II, 259  ; Salzburger Festspiele). Und für die späteren Turm-Aufführungen dürfte ebenfalls gelten  : »Nur aus Aufnehmenden in diesem Sinn kann unser Publikum bestehen.« (RA II, 178  ; Bremer Presse). 132 Im 20. Jahrhundert wird die Frage der »Sichtbarkeit« eine der entscheidenden – und ungelösten – im Theater (vgl. von Herrmann, Das Archiv der Bühne  ; op cit, 19). 133 Vgl. Franz-Josef Deiters  : Auf dem Schauplatz des »Volkes«. Strategien der Selbstzuschreibung von Herder bis Büchner und darüber hinaus  ; Freiburg 2006. Zu Hofmannsthal 198–208.

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»In ihm [dem Theater] schmilzt Kunst, Glauben, Politik ineinander. Es ist  : Theater für alle.«134

Zu einer mitreißenden Gemeinschaft der Bürger ist es in der Weimarer Republik und in Österreich bekanntlich nicht gekommen (die Inszenierung des Salzburger großen Welttheaters wäre so ein Beispiel ›bürgerlichen‹ Massentheaters, das aber nicht über Reinhardts »Theater der 5000« kurz nach der Jahrhundertwende hinausweist), die Bürger wurden von anderen Gemeinschaftsbewegungen absorbiert. Zu einem demokratischen Theater bzw. einem »Theater für die Republik« (Günther Rühle) hat diese Gesellschaft kaum einmal gefunden. Die (direkt-)demokratische Gemeinschaft blieb schon deshalb undarstellbar (und damit unkonstituierbar), weil das Vorhaben einer solchen Inszenierung der Aporie unterliegt, dass »[…] alles, was sich [in ihr] materialisiert, […] im Dienste des Abwesenden [steht], das durch Anwesendes vergegenwärtigt wird, nicht aber selbst zur Gegenwart kommen darf«.135 Mit anderen Worten  : der demos, das neue Subjekt der Geschichte, kann überhaupt nicht inszeniert werden  ; entweder er ist anwesend – dann hebt sich das Theater selbst auf (wie übrigens auch das Parlament)136 – oder aber er wird als das Publikum gewissermaßen auf den Thron vormaliger Anschauungssetzung gebannt, um dem Ablauf seiner Reproduktionen ganz überwiegend passiv beizuwohnen. Beide Vorgänge, die eine nun antiparlamentarisch gewendete Kontinuität der »Krise der Repräsentation« ab der Jahrhundertwende (bzw. eigentlich seit 1848) bedeuten, sind im Turm zitiert  ; das Geschehen kreist um solche Urszenen.137 134 Carl [Karl Gustav] Vollmoeller  : Zur Entwicklungsgeschichte des großen Hauses  ; in  : Deutsches Theater Berlin (Hg.)  : Das Große Schauspielhaus. Zur Eröffnung des Hauses  ; Berlin 1920. 46. Diesen Gedanken des Übertritts aus dem Fiktiven ins Politische fortzuführen bedeutet  : Die derart theatral versammelte Menge »[…] verdichtet sich zu einer bestimmten Entität des Politischen und zeichnet damit eine Konstellation vor, in der die Urszene der Gemeinschaft schließlich nach beiden Seiten hin ausschlagen kann  : zur Figur einer permanenten Revolution und idealtypischen Form einer direkten Demokratie  ; und zum Modell einer plebiszitären Ermächtigung, die sich im Begriff der ›Bewegung‹ zusammenzieht, aus dem eigenen Gesetz das Gesetz der Geschichte hervortreibt und noch etwa Carl Schmitts Option für einen autoritären Staat motiviert.« (Vogl, Gründungstheater  ; op cit, 34). 135 Iser, Das Fiktive und das Imaginäre  ; op cit, 511. Der Begriff der Inszenierung fasst bei Iser nicht allein den Bereich der Dramaturgie, sondern allgemein semantische Darstellungsweisen und stellt im Sinne einer literarischen Anthropologie ein grundsätzliches Reaktionsmuster in der Kulturgeschichte vor. 136 Vgl. hierzu Etienne Souriau  : Dramatische Situation und kollektive Partizipation  ; in  : Texte zur Theorie des Theaters  ; hg. v. K. Lazarowicz und C. Balme  ; Stuttgart 1991. 115–120. 137 Damit steht das Stück an einem Punkt der Entwicklungslinie des modernen Dramas hin zur

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Die Darstellung einer herrschaftsfrei ausgeübten Volkssouveränität stellt den Dramatiker vor das besagte delikate Problem, die Urszene der Demokratie als dauerhafte zu inszenieren (auch Schillers Tell, der klassische Versuch einer Inszenierung demokratischer Entscheidungsfindung, folgt hier der Methode einer Ermächtigung des Einzelnen).138 Insbesondere der ›leere Ort der Macht‹ (Lefort) wäre zu bevölkern,139 also jener kollektive Projektionsraum, in welchem Max Weber nur »Fictionen« als Katalysatoren eines »Legitimitätsglauben« wirksam sah (vgl. 1.5.1)  ; und der in dieser Eigenschaft dem »leeren Raum«, der die Bühne nach Peter Brook ist, so sehr entspricht.140 Im Gegensatz zur »Gigantomachie« (Agamben) der politischen Repräsentation um diese Leere herum kann die theatrale Inszenierung diesen Raum des gesellschaftlich Imaginären jedoch mit Vorstellungen bevölkern und mit entsprechenden Figurationen beschreiten, welche die »Soziologie des Souveränitätsbegriffs« direkt betreffen. Eine zum souveränen Volk gewandelte Menge hätte somit selbst darüber zu befinden, was ihr »als Form ihrer politischen Organisation ohne weiteres einleuchtet« (Schmitt schließt diese Möglichkeit zumindest nicht aus, behauptet jedoch sehr nachdrücklich deren hohen Bedarf an Homogenität). Die Analyse der Bühnenfassung wird erweisen, dass Hofmannsthal zumindest den Moment solcher kollektiven Entscheidungsfindung (wenngleich sie sich auf die Symbolgestalt des Royalen richtet) zu fassen suchte. Hofmannsthal ist bei seinem Versuch einer ›Übersetzung des Politischen‹ mit der modernisierten Form des barocken Trauerspiels jedoch einen vergleichsweise indirekteren Weg gegangen, der den Wandel politischer Theologie in der Neuzeit im Märtyrer zur Anschauung bringt und einem spezifischen Wissen über diese Paradigmengeschichte abendländischer Souveränität bzw. Legitimität – etwa der Performativität, welche Erika Fischer-Lichte als Reaktion auf die Krise des alten Repräsentationssystems (gesellschaftlich wie theatral) dargestellt hat  ; an einem Punkt allerdings, von dem aus eine Vitalisierung jedenfalls nicht mehr allein über die Teilhabe am Kultischen erreicht werden sollte, sondern dezidiert am Politischen, wie es dem Fest der Gemeinschaft solcher Urszenen emaniert. Vgl. Erika Fischer-Lichte  : Einleitung  ; in  : Dies. (Hg.)  : Theatralität und die Krisen der Repräsentation  ; Stuttgart 2001. 1–19 (insbes. 12 ff.). 138 Vgl. hierzu Albrecht Koschorke  : Brüderbund und Bann. Das Drama der politischen Inklusion in Schillers »Tell«  ; in  : Hebekus/Koschorke/Matala de Mazza (Hg.)  : Das Politische  ; op cit, 106–122. 139 Matala de Mazzas Feststellung für Adam Müller gilt nur bedingt für Hofmannsthal  : »Das ›Volk‹, das vaterländisch gefühlt, aber nicht begriffen oder gesagt zu werden vermag, muß insofern einer adäquaten literarischen Darstellung genauso wie einer politischen Repräsentation entgehen.« (Matala de Mazza, Verfaßter Körper  ; op cit, 342). (Vgl. 2.5.2.) 140 Vgl. Peter Brook  : Der leere Raum  ; aus dem Englischen von Walter Hasenclever (jun.)  ; Berlin 2014.

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sich im demokratischen Horizont fortsetzenden Lehre von den zwei Körpern des Königs – aufruht.141 Die theologisch-politische Dimension dieser Dramatik ist darum keine rein rezeptive, sondern eine performative, auf Präsenz zielende, welche übrigens auch Antonin Artaud im Blick hatte  : »Dort, im Schauspiel einer Versuchung, bei der das Leben alles zu verlieren und der Geist alles zu gewinnen hat, muß das Theater seine ureigentliche Bedeutung wiederfinden« um »[…] auf dieser Welt, die dahinschlittert und sich selbst umbringt, ohne daß sie es merkt, diese höhere Vorstellung vom Theater durchzusetzen, die uns allen die natürliche und magische Entsprechung der Dogmen wiedergeben wird, an die wir nicht mehr glauben.« (Artaud, Das Theater und sein Double  ; op cit, 92 und 34)

Die den Vorkapiteln zu entnehmenden Begriffe für die Erschließung des politischen Gehalts der verschiedenen Turm-Fassungen lauten  : Charisma (in den verschiedenen, anhand Webers Wirtschaft und Gesellschaft abzugleichenden Varianten von Autorität),142 Souveränität und Ausnahmezustand. Im Bedingungsverhältnis der letzteren beiden wird zudem der Begriff der Entscheidung bedeutsam, mit welcher sich nach Schmitt die Autorität zum Souverän kürt und gemäß der Logik des Trauerspiels das Opfer, die Leiche »produziert«. Hinzu tritt Benjamins ›Typenlehre‹ des barocken Trauerspiels – also die Idee der dramatischen Form selbst, die Benjamin mit der Allegorie verbindet  ; auf Figurenebene vor allem die beiden »Janushäupter des Gekrönten«, Tyrann und Märtyrer als Ausprägungen des Souveräns sowie der Intrigant, demnach Gestalten dramatischer Repräsentation des Hofes, die aber einer noch zu bestimmenden Modernisierung unterliegen. Im Hinblick auf eine Inszenierung der Wandlungen politischer Theologie und ihres Körperparadigmas im Turm ist auf die Eigenschaft der dramatis personae als Kollektivgestalten zu achten.143 Rancières Behauptung, dass »literari141 Ein solches depotenzierendes Verfahren hat Peter-André Alt für die Dramatik im Vorfeld der Französischen Revolution auch in Deutschland nachgewiesen  ; vgl. P.-A. Alt  : Der zerstückte Souverän. Zur Dekonstruktion der politischen Theologie im Drama des 18. Jahrhunderts (Gottsched, Weiße, Buri)  ; in  : DVjs 1/2010. 74–104. 142 Vgl. WuG, 142 ff. und 1.5.2 mit den weiteren Begriffsfeldern. 143 »Die neuzeitliche Demokratie entsteht aus einer Infragestellung der traditionellen Souveränität des Königs, und diese demokratische Infragestellung der königlichen Souveränität setzt damit ein, dass das Problem ihrer Repräsentation neu gesehen und gestellt wird.« – Christoph Menke  : Die Depotenzierung des Souveräns im Gesang. Claudio Monteverdis »Die Krönung der Poppea« und die Demokratie  ; in  : E. Horn/B. Menke/C. Menke (Hg.)  : Literatur als Philosophie – Philosophie als Literatur  ; München 2006. 281–296  : 285.

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sche Aussagen« bzw. ästhetische Regime der Literatur bezüglich gesellschaftlicher Imaginationen von Kollektivkörpern rein dekonstruktiv wirkten, lässt sich für den Turm und insbesondere für die Gestalt des Sigismund also gerade nicht bestätigen, die oben schon als Kompositleib der Sprache vorgestellt wurde (vgl. 2.5).144 Mit dieser Figur und mit dem Kinderkönig verbindet sich hingegen die Frage, welcher Art die politische Dimension der Utopie ist, welche der Turm birgt, bzw. die in ihm aufscheint. Das darin offensichtlich verhandelte Gemeinschaftsdenken, gipfelnd in den anarchischen und (geistes-) aristokratischen Zügen der Kinderkönigherrschaft und Brüdergemeinde, bildet hier einen Referenzpunkt  ; insbesondere weil dieser Bezug in der Bühnenfassung zu einer nur noch im Negativ durchscheinenden Friedensutopie wird – und damit die Bildung einer neuen Tradition von Humanität, auf Sigismunds Tod gegründet, ins Abseits stellt. Der Blick auf das Wozu dieses Opfers fällt auf das Wovon der Freiheit. Und als Befund kann bei einem Vergleich beider Fassungen nur eine gewachsene Skepsis Hofmannsthals gegenüber utopischen Heilserwartungen einer modernen politischen Romantik stehen, welche in der charismatischen (Selbst-)Inszenierung ihren Eingriff in die Politik ersehnte. Die geschichtliche Faktur solcher Kollektiv-Desiderate inszeniert Der Turm wie kaum ein zweites Drama im 20. Jahrhundert. Denn Charisma-Konzeptionen zeigen auf, wie die Gesellschaft »sich in politischer Hinsicht selbst versteht, welche Probleme als die entscheidenden gelten und welche Strategien zu ihrer Lösung als akzeptabel angesehen werden«.145 Auch für die heutige Zeit noch wurde festgestellt, Charisma sei »unsere Sehnsucht nach dem Gesalbten« (Philip Manow) – eine Sehnsucht nach Einheit, Bedeutsamkeit, Verheißung, Komple-

144 Literarische Aussagen »stellen auch keine Kollektivkörper her, vielmehr versehen sie die imaginären Kollektivkörper mit Bruchlinien, Linien der ›Entkörperung‹.« (Rancière, Aufteilung des Sinnlichen  ; op cit, 63). Hingegen dürfte Hofmannsthal eine literarisch agierende geistige Souveränität gerade in der Fähigkeit zur Schaffung solcher imaginären Körper gesehen haben. Vgl. zu Körperparadigmen der Repräsentation auch den von Hans Belting, Dietmar Kamper, und Martin Schulz herausgegebenen Band  : Quel Corps  ? Eine Frage der Repräsentation  ; München 2002  ; insb. die Beiträge von Rudolf Sievers  : Die Schatten der Körper des Königs (151–163)  ; Cornelia Klinger  : Corpus Christi, Lenins Leiche und der Geist des Novalis, oder  : Die Sichtbarkeit des Staates (219–232) und Christopher Balmes  : Stages of Vision  : Bild, Körper und Medium im Theater (349–364). 145 Peter Ptassek [et al.] (Hg.)  : Macht und Meinung. Die rhetorische Konstitution der politischen Welt  ; Göttingen 1992. 9.

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xitätsreduktion.146 Erst recht muss dieser Gedanke kurz nach dem Zusammenbruch der Habsburger Dynastie verführerisch gewesen sein  ; nach dem Ende der traditionalen Legitimation suchte Hofmannsthal nach alternativen Bindungen, welche den »Einbruch chaotischer Kräfte in eine vom Geist nicht mehr getragene Ordnung« aufhalten könnten.147 Im Konzept charismatischer Herrschaft scheint er zumindest zeitweise fündig geworden zu sein  ; dessen Verheißung lag für diese Epoche nicht nur in einer Adaption der Kontingenz des Politischen, sondern vielmehr in deren souveräner Beherrschung (für das Bürgertum durch den ›Geist‹). Da dem Charisma zumal eine ästhetische Valenz eignet, hat sich Hofmannsthal an eine dramatische Durchführung gemacht, die an ihrem neuralgischem Punkt – dem Herrscher, der die Masse auf sich vereinigt – zugleich eine poetologische ist.148 Die auf die Inszenierung von Charisma bezogene Lektüre des Trauerspiels und seiner Textstufen bedeutet zugleich, dies aus den verschiedenen Perspektiven zu tun, die der Begriff selbst nahelegt – einmal aus theologisch-legitimistischer (Souveränität), einmal aus mytho-utopischer bzw. romantischer (Gemeinschaftsdenken), einmal aus theriotoper bzw. pathologischer und massenpsychologischer Perspektive (auf das »charismatische Tier« als Kollektivgestalt). Hierbei ist vor allem die Eigenschaft des Charismas als Wirkungsphänomen zu berücksichtigen (Beredsamkeit, Überredung, Überzeugung), welches der sprachlichen Kategorie des Befehls gar nicht bedarf – der bei Weber nie ohne sein notwendiges Gegenüber  : den Gehorsam zu denken ist. Letzterer wird im Idealfall freiwillig, aus Liebe oder gläubiger Hingabe erbracht, andernfalls aber durch die im Befehl eingekapselte Drohung oder zuletzt Realisierung des Zwangs erzeugt. Am Erfolg oder Misserfolg solcher Befehlsszenen kann ein (dramatischer) Text anhand kleinster Beispiele auf der Mikroebene von Machtstrukturen zeigen, was 146 Insbesondere gilt dies für den Management-Bereich  : »Charisma ist ein Mythos, der gerade in Krisenzeiten eine besondere Bedeutung erhält. In politisch und wirtschaftlich schwierigen Zeiten wird der Ruf nach charismatischen Führungspersönlichkeiten wach. Ihnen traut man zu, die Not zu wenden und für eine Neuorientierung zu sorgen. Die Magie ihrer Ausstrahlung verspricht Außerordentliches.« (Wolf W. Lasko  : Charisma. Mehr Erfolg durch persönliche Ausstrahlung  ; Wiesbaden 1994. 7). Ihren vorläufigen Höhepunkt fand diese Entwicklung in Figuren wie Thomas Middelhoff oder Bernard Madoff. 147 SW XVI.1, 159  ; Zeugnisse (an Burckhardt). 148 Die traditionale Variante würde davor lauten  : »Nur die ganze Gewalt frommt {in der DU sitzest als der Einzige einsam  : es ist nichts ausser dir in der Welt}  : die hat der König (1) so wie der Dichter. (2) wer noch Gewalt hat, trägt sie von ihm  : sie ist geliehen u. ein Schein.« SW XVI.1, 284  ; Varianten [1920].

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im Großen (deren Makroebene) auf dem Spiel steht  : nämlich die Autorität des Herrschers als Befehlshabenden bzw. die Legitimität von gesellschaftlichen Organisationsformen. Diese unterliegt der Bewährung in »außeralltäglichen« Situationen und damit nochmals einem spezifisch performativen Anforderungsprofil. Hinsichtlich Max Webers Herrschaftstypen lautet darum die These zur Lektüre der unterschiedlichen Turm-Fassungen, dass seine Ausführungen zur charismatischen Herrschaft vor allem das politische Geschehen der dichterischen Fassungen prägt. In anderer Form – der sakralen – wird das Konzept jedoch auch für die Bühnenfassung relevant  ; hier aber mit der ›politischen Kontrapunktik‹ eines sachlich-charismatischen bzw. rationalistischen Widersachers. Mit der von Benjamin beschriebenen absoluten Schwärze am Ausgang des Trauerspiels erfasst das allegorische Verfahren die rationale Herrschaftsform in einer dystopisch aufscheinenden Variante kommender Totalitarismen des 20. Jahrhunderts. Zunächst ist aber Hofmannsthals Versuch einer positiven Dramatisierung charismatischer Herrschaft zu analysieren.

4. »Denn es ist kein Recht und keine feste Stätte«.1 Charismatische Führerschaft als »heilsame diktatur«  ? Die dichterischen Fassungen »ar zt leiser Gewaltig ist die Zeit, die sich erneuern will durch einen Auserwählten. Ketten wird sie brechen wie Stroh, Türme wegblasen wie Staub.« (SW XVI.1, 90) »Genie haben heißt teilhaftig sein der Unvernunft des Kosmos.« (RA III, 571  ; Aufzeichnungen [VIII/1923])

Hofmannsthal begann die eigentliche Arbeit am Turm im Juni 1920 als dritte Bearbeitungsphase von Das Leben ein Traum, diesmal in Prosa.2 Wie zu Beginn dargelegt, ist Hofmannsthal Max Weber während dessen Wiener »Intermezzo« im Juni 1918 persönlich begegnet und hat sich 1921 die »hinterlassenen Schriften« bestellt, später die Max-Weber-Biographie Marianne Webers gelesen. 3 Dass die Lektüre von Webers Soziologie, der am 14. Juni 1920 überraschend verstarb, für die relativ zeitgleich intensivierte Wiederaufnahme der Arbeit am Turm von Bedeutung gewesen sein muss, ist evident. Darum überrascht es, dass sich ein möglicher Weberbezug in den Materialien der Kritischen Ausgabe nicht ohne weiteres erhärten lässt und im Kommentarteil der »Erläuterungen« auch nicht angedacht wird.4 Es finden sich dort (wie auch in den bislang veröffentlichten Briefen und Briefwechseln während dieser frühen Arbeitsphase) kaum Belege für die These einer demnach recht diskreten Bezugnahme.5 Diese gewinnt nun aber durch die gerade erst bekannt gewordene Schenkung der drei Bände von Webers Religionssoziologischen Schriften an den Arzt Maximi-

1 SW XVI.1, 395  ; Varianten. Die »heilsame diktatur« ist ein oben schon erwähntes Zitat Georges. 2 Vgl. SW XVI.1, 182 und 202  ; die Wiederaufnahme des Fragment gebliebenen Das Leben ein Traum datiert auf den Januar bzw. Sommer 1918 zurück. Wie erwähnt, fällt eine sehr intensive Arbeitsphase in den Herbst 1921, was eine Bezugnahme auf Webers posthum erscheinendes opus magnum denkbar macht. 3 Vgl. BW Redlich  ; op cit, 76–78 [8./9. 11. 1926]. 4 Eine Erwähnung ohne direkten Zusammenhang gibt es  : SW XVI.1, 597. 5 Die Ausgabe des Briefwechsels mit Rudolf Pannwitz ist die Ausnahme, weil der Herausgeber hier Informationen aus Pannwitz’ Tagebuch mit einbezieht  ; vgl. BW Pannwitz, 271, 770, 813.

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Charismatische Führerschaft als »heilsame diktatur«  ? Die dichterischen Fassungen

lian Wimmer weitere Plausibilität.6 Da Hofmannsthal sich die Bände, wie aus dem Zettelfund hervorgeht, wieder zurückgeliehen hat, muss man von mindestens zwei größeren Arbeitsphasen ausgehen (deren zweite womöglich bis zum Tod andauerte). In welchem Zusammenhang die ›Rückleihe‹ erfolgte, kann nur spekuliert werden. Dass dies im Rahmen der Lektüre des Lebensbildes und damit etwa zur selben Zeit wie die Erstellung der Bühnenfassung erfolgte, ist jedoch als wahrscheinlich anzunehmen. Etwaig angefertigte Exzerpte aus der Religionssoziologie oder auch aus Wirtschaft und Gesellschaft bzw. Notizen hierzu sind jedenfalls weder aus der früheren Phase, welche Einfluss auf die dichterischen Fassungen gehabt haben dürfte, noch nach 1926 erhalten. Mögliche Anstriche und Kommentare in den Büchern selbst sind entweder mit diesen verschenkt worden oder mit Teilen von Hofmannsthals Bibliothek verloren gegangen.7 Das Exemplar des Lebensbildes weist keinerlei Anstriche oder sonstige Lesespuren auf, nur den Durchdruck einer auf dem aufgeschlagenen Buch angefertigten Notiz, von der aber unklar ist, ob sie von Hofmannsthal stammt. Dass er die Biographie jedoch gegenüber Redlich als »conciseste Einführung« in Webers Werk lobte (und überdies rezensierte), deutet aber auf eine vertiefte Kenntnisnahme hin. Tatsächlich wird im Lebensbild ausgiebig aus den Werken Webers zitiert, diese Kondensate hat Hofmannsthal 1926 also beurteilen können. Jedenfalls reichen die Indizien aus, eine Gegenüberstellung der Turm-Arbeitsphasen Hofmannsthals und den Erscheinungsdaten von Webers Schriften vorzunehmen, die sich in diesem Kapitel mit dem Zeitraum zwischen 1920 und 1924 befassen (die erste Umarbeitung von 1925 besteht ja vor allem in Kürzungen und leichten Nuancierungen, die zwar mit der Charisma-Thematik in Verbindung zu bringen wären, in der Struktur des Dramas aber keine wesentlichen Änderungen erzeugen).8 6 Vgl. SW XL, 220/221  : In Ernst Gagliardis Die Schlacht von Pavia auf den Teppichen des Museums zu Neapel (1915/16) fand sich ein Zettel mit einer Notiz von Lorle Worms  : »Dr. Wimmer hat diese von ihm mit ›von Hofmannsthal‹ bezeichneten drei Bände Weber’s Religionssoziologie seinerzeit als Weihnachtsgeschenk bekommen, später sie über Hugo’s Wunsch zum Einblick gebracht, und erbittet sie zurück. Lorle«. Hofmannsthal hatte die Gagliardi-Bände als Gegengeschenk für den Schwierigen erhalten, wie aus der Widmung hervorgeht. Ein thematischer Zusammenhang dürfte aber – anders als bei Paul Ludwig Landsberg (vgl. 1.5) – auszuschließen sein. 7 Hofmannsthals Praxis des Aussortierens und Verschenkens ist leider selten dokumentiert. Die hinterlassene Bibliothek wurde Schätzungen zufolge während des Zweiten Weltkriegs etwa zu einem knappen Drittel vernichtet. 8 Vgl. zu diesen Änderungen SW XVI.2, 231  ; Entstehung. Der Nachvollzug der Arbeitsphasen macht eine entsprechend starke Einbeziehung der Notizen und Varianten notwendig, auf deren Ebene die »Schichten« des Entstehungsprozesses des endgültigen Drucktextes rekonstruierbar

›Das alte Spiel von der Souveränität‹. Darstellungsfragen

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Am 7. Juni 1920 erscheint der erste Band von Webers Religionssoziologie, enthaltend Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus mit weiteren thematisch verbundenen Aufsätzen, sowie Die Wirtschaftsethik der Weltreligionen – Texte, die zuvor schon an anderen, entlegeneren Stellen publiziert wurden. Ende des Jahres folgen im Drei-Masken-Verlag (also dort, wo auch die von Hofmannsthal rezensierten Zwölf Reden über die Beredsamkeit Adam Müllers neu aufgelegt wurden) die Gesammelten Politischen Schriften mit Vorwort Marianne Webers  ; im Herbst 1920 entstehen auch etliche Notizen zum Turm.9 Die ersten beiden Lieferungen von Wirtschaft und Gesellschaft erscheinen 1921 (die beiden weiteren folgen 1922), wie auch die Bände II und III der Religionssoziologie. Es bleibt also unklar, welche Bände Hofmannsthal mit den gegenüber Somary erwähnten »hinterlassenen Schriften« genau gemeint hat. Der Wimmer-Beleg und der Bericht an Somary schließen ja nicht aus, dass Hofmannsthals Lektüre über die Religionssoziologie hinausging. Davon wird hier ausgegangen. Die entscheidenden Thesen und Definitionen der Herrschaftssoziologie in Wirtschaft und Gesellschaft dürften ihm bereits vor Lektüre des Lebensbildes geläufig gewesen sein. Ziel dieses Kapitels ist es daher, den sehr plausiblen (Max) Weber-Bezug des Turm (gerade auch der Notizen und Varianten) durch Engführung mit ausgewählten Textstellen zu rekonstruieren. Die zugrundeliegende These lautet schlicht, dass Hofmannsthal fast von Beginn an Webers Soziologie für seinen großen dramatischen Entwurf einer ›Phänomenologie der Souveränität‹ der europäischen Neuzeit genutzt haben dürfte – die Ausführungen zu den legitimen Herrschaftstypen kommen hierfür mehr noch in Frage als die ihm nun nachweislich bekannten religionssoziologischen Studien, welche wohl stärker für eine Lektüre mit dem Großen Salzburger Welttheater (1921) herangezogen werden könnten – doch auch im Turm ließe sich an eine Einwirkung auf die Figurenhintergründe denken ( Julian und der Arzt). Für die Szenerie jenes krisengeschüttelten gesellschaftlichen Raumes als »Chaos, das einen Stern gebären will«,10 den Herrschafts-Topos als solchen (auch in seiner auch wirtschaftlichen Bedingtheit) und insbesondere die augenfällige Darstellung charismatischer Wirkung in den verschiedenen Aufzügen bzw. Akten erscheint jedoch eine Lektüre mit Wirtschaft sind. Da nicht alle Notizen in der Kritischen Ausgabe wiedergegeben sind, wird vereinzelt auch auf die Bestände des Freien Deutschen Hochstifts direkt zugegriffen.  9 Webers Gesammelte politische Schriften (GPS) wurden von Siegmund Hellmann, einem Bekannten Karl Vosslers, herausgegeben. Redlichs Schwester Irene Hellmann war mit einem Paul Hellmann (einem tschechischen Industriellen) verheiratet. Möglicherweise besteht hier eine weitere Bekanntschaftslinie. 10 RA II, 40  : Skandinavien.

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und Gesellschaft (1921/22) aussichtsreich. Dabei bleiben das Tandem von Befehl und Gehorsam und insbesondere die Frage der Autorität (gerade auch in ihrer ökonomischen Gefährdung) von großer Bedeutung. Ausgangspunkt dieses Ansatzes war folgender  : Lesarten des Turm, die den ganzen darin entwickelten Machtkomplex auf den Schmitt-Einfluss zurückführen, stoßen regelmäßig auf den Widerspruch, dass Hofmannsthal den Herrschafts-Topos bereits lange vor der Lektüre von Politischer Theologie und Diktatur im Stück gestaltet hat  ; in den beiden hier zu betrachtenden Fassungen ist die Thematik bereits differenziert entwickelt. Zusätzlich ist darum der Überlegung nachzugehen, dass auch die Bekanntschaft mit Schmittschem Gedankengut im Zuge dieser Weber-Rezeption eventuell erheblich früheren Datums ist, als der Redlich-Brief vom Herbst 1926 nahe legt.11 Denn die Übereinstimmungen insbesondere im fünften Aufzug mit Schmitts Staatsrechtslehre des Souveräns sind erheblich, bislang aber nicht eigens thematisiert worden (vgl. 4.3.2).12 Auf Berührungspunkte der Herrschaftsdarstellung im Turm mit den einschlägigen Schriften Carl Schmitts muss darum bei Betrachtung schon der ersten Fassungen fallweise hingewiesen werden.13 Die vorläufige Annahme dieser Studie ging davon aus, dass sich solche Nähen aus dem beiderseitigen Bezug auf Webers Herrschaftssoziologie ergeben haben könnten und Hofmannsthal im Souveränitätstheorem Carl Schmitts 1926 letztlich nur eine willkommene Zuspitzung an allerdings neuralgischem Punkt gesehen haben dürfte (hierzu dezidiert 5.) – eben in der Frage einer legitimen, aber nicht legalen, ›demokratischen‹ bzw. »führerdemokratischen« (Alfred Weber) Machtausübung unter modernen Bedingungen  ; was nach Schmitt dann allerdings Diktatur bedeutet. Zur Rekonstruktion des Weberschen Einflusses ist in der Tat eine starke Berücksichtigung der Textstufen notwendig.14 Ergänzend werden, gerade hinsicht11 Redlich war allerdings sehr häufig Gast in Rodaun, kam manchmal mehrmals die Woche zum Mittagessen  ; Aufzeichnungen dieser Tischgespräche wären demnach wohl ungleich aussagekräftiger als der Briefwechsel. Die biographische Bedeutung des Weber-Bezugs ist unter 5.2 nochmals zu thematisieren. 12 Solche vorgreifenden Übereinstimmungen bemerkt auch Twellmann (vgl. Drama  ; op cit, 148), ohne sie jedoch zu konkretisieren. Eine Erklärung hierfür fehlt bislang. 13 Da Schmitt, »natürlicher Sohn« Webers, als den ihn Habermas bezeichnete (vgl. Wolfgang Mommsen  : Max Weber und die deutsche Politik 1890–1920  ; Tübingen 2004. 408), dessen Schriften sehr gut kannte, und die Politische Theologie als Fortsetzung der Herrschaftssoziologie (Legitimationsaspekt), die Politische Romantik bedingt als Fortsetzung der Protestantischen Ethik lesbar sind, kann man als Grund für diese Koinzidenz des Herrschaftstopos in Drama und Schmitts Schriften die Kenntnis von Webers Soziologie annehmen. 14 Zitate aus der Kritischen Ausgabe werden hier in Absehung orthographischer Kommentierung übernommen, obschon die Textstufen häufiger auf die Flüchtigkeit der Notizen zurückzufüh-

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lich des Gemeinschaftsaspekts, andere Einflüsse herangezogen  ; insbesondere der Exkurs zum »car naval« (vgl. 4.3.3) geht auf einen ebenfalls noch kaum ausgewerteten Bezugstext des »messianischen Kritikers« Florens Christian Rang ein. Gustav Landauer bleibt in diesem Zusammenhang ebenfalls von Bedeutung,15 daneben sind erste Ausblicke auf Benjamins zu dieser Zeit verfasste Texte vorzunehmen, welche Hofmannsthal zum Teil in den Neuen Deutschen Beiträgen veröffentlichte (vor allem ist hier der Wahlverwandtschaften-Aufsatz zu nennen). Für die im Drama reflektierte ökonomische Dimension von Herrschaft ist neben Weber auch wieder Simmel ein guter Stichwortgeber (immerhin weist Hofmannsthals Exemplar der Philosophie des Geldes einen Eintrag von 1919 auf )  ; hinsichtlich der Krisenbeschreibung und Vorstellungen von Kollektivkörperlichkeit ist eine Kenntnis von Hobbes’ Leviathan, Rousseaus Gesellschaftsvertrag und vermutlich auch Jean Bodins Staatsphilosphie16 anzunehmen.

4.1 Krise, Chaos, Charisma. Ausgangslage des Geschehens »Dieses, daß wir uns nicht weiter unterschlagen lassen, unser christlichmessianisches Gedachtwerden in treibender Existenz, im Dunkel, im Urproblem des gelebten, alles verbergenden Augenblicks, das Umgedachtwerden der Welt auf ›den großen Menschen‹ in ihr steht vor der Tür […]« (Bloch, GdU, 388).17 rende Fehler aufweisen. Seitenangaben zum Band XVI.1 der »Kritischen Ausgabe« beziehen sich bis 139 auf den Dramentext, alle höheren Seitenzahlen verweisen auf »Überlieferung«, »Erläuterungen« oder »Entstehung« als Fundstelle. 15 Insbesondere im Hinblick auf Rang ist hier auf die Studie Ute Nicolaus’ hinzuweisen. Bergengruen nutzt Landauer für seinen Zugang zur Materie  ; allerdings v. a. im Hinblick auf das Leben ein Traum-Fragment, das man als Vorstufe nicht ohne Weiteres eins zu eins auf die Turm-Fassungen übertragen kann (es ist ein geänderter Blick auf die monarchische Herrschaft durch deren Untergang anzunehmen). Auch einen Buber-Bezug (Ekstatische Konfessionen) erwähnt Bergengruen (vgl. psychopathologischer Kern  ; op cit, 46). 16 Zuvor  : Hamburger, Hofmannsthals Bibliothek  ; op cit, 34. Vgl. zu Bodin schon  : Bergengruen, Mystik  ; op cit, 142  ; der den Ausspruch »Sic nobis placuit« auf Bodins »car tel est nostre plaisir« in Über den Staat zurückführt. Mehr noch aber scheinen die Figur des Beichtigers und einige Repliken Basilius’ Ausführungen Bodins in Sechs Bücher über den Staat nahezustehen. 17 Eine messianische Zeit des Wandels kündigt auch Ernst Bloch an  ; eine Rezeption seines Buches Geist der Utopie (1918/1923) ist bei Hofmannsthal kaum nachzuweisen  ; der messianische Ausklang der dichterischen Fassungen scheint aber zumindest die sich hier, wie bei Landauer, Buber und Rang abzeichnende ›messianische Reichstheologie‹ zu zitieren. Die christologischen Anklänge Sigismunds sind daher nicht nur in der Tradition des romantischen Zugriffs auf die

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Das vorangestellte Zitat aus Blochs Geist der Utopie ist geeignet, einen Eindruck zu geben, was der Turm vor dem Hintergrund eines Krisenszenarios als Charismatisierungsprozess inszeniert – und was Max Weber als die von innen her revolutionierende Kraft des Charisma beschrieben hat. Dessen Abgrenzung gegen die Macht der Rationalität lautet wie folgt  : »Das Charisma ist die große revolutionäre Macht in traditional gebundenen Epochen. Zum Unterschied von der ebenfalls revolutionierenden Macht der ›ratio‹, die entweder geradezu von außen her wirkt  : durch Veränderung der Lebensumstände und Lebensprobleme und dadurch mittelbar der Einstellungen zu diesen, oder aber  : durch Intellektualisierung, kann Charisma eine Umformung von innen her sein, die, aus Not oder Begeisterung geboren, eine Wandlung der zentralen Gesinnungs- und Tatenrichtung unter völliger Neuorientierung aller Einstellungen zu allen einzelnen Lebensformen und zur ›Welt‹ überhaupt bedeutet. (WuG, 142)

Ein kultur- und geistesgeschichtlich ambitioniertes Werk würde hiermit also zwei antagonistische Entwicklungsprinzipien menschlicher Gemeinschaft und Gesellschaft zu betrachten haben. 18 Hofmannsthals Ansatz im Turm geht eben in diese Richtung, auch in den dichterischen Fassungen. Die Sympathien sind dabei klar auf Seiten der ›charismatischen Revolutionierung‹, wogegen Julians Versuch rationaler politischer Kalkulation an der größeren Gewalt der revolutionären Masse scheitert. So ließe sich der Ausgriff auf das Konzept charismatischer Führerschaft im Dienste eines Ausgleichs der »absolute[n] Deshumanisierung«,19 der totalitären Tendenzen der Moderne verstehen. Dies wird im Folgenden sowie aus dem Vergleich der verschiedenen Fassungen noch paulinische Idee eines christlichen Kollektivleibs zu verorten, sondern weisen auch zeitgeschichtlichen Gehalt auf. Wenn Bloch, reichlich exaltiert, schreibt »– erst in diesem großen kommenden, allmächtigen, dynamisch-innerlichen Christos imperator maximus Theurgos bricht das selbstische Ichdunkel zusammen […]« (GdU, 381), dann ist hier mit der Ebene des notorisch überforderten modernen Subjekts auch ein Topos der Aufklärungskritik berührt – und zugleich einer Hoffnung auf die große Erlösergestalt des Messias Ausdruck verliehen, die sich in ihren heilsgeschichtlichen Implikationen deutlich Max Webers Modell der charismatischen Herrschaft zuordnen lässt. 18 Dass aber auch der Rationalismus letztlich eine Frage der Weltanschauung ist, argumentiert Weber gegen Brentano auf treffende Weise – vgl. RS I, 35. Fn. 1 und 62. 19 RA III, 165  : Bodenhausen. In Politik als Beruf heißt es, der Glaube an den rationalen Fortschritt habe darauf beruht, »daß man, wenn man nur wollte, […] alle Dinge – im Prinzip – durch Berechnen beherrschen könne.« (Weber, WL, 594) – darin eben ist Julians Scheitern begründet, auf welches die »Deshumanisierung« folgt.

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deutlich werden. Für Hofmannsthal jedenfalls bedeutete ein solcher Ausgriff unter demokratischen Bedingungen gewissermaßen die (kulturpolitische) ›Flucht nach vorn‹ in eine allerdings geistig gefasste Vorstellung von Herrschaft, welche den Bedürfnissen des Massenzeitalters Rechnung tragen und diesem zugleich den Gemeinschaftsbegriff entgegensetzen sollte. Die Verbindung von Charisma und Rhetorik, also der Macht der Rede (Beredsamkeit) und die Krisenaffinität des Charismas in der Führungsfigur, die diese im Sinne Webers zu einer inneren Umgestaltung der »geistigen Hauptverhältnisse« der Nation (Hofmannsthal) befähigen, sind hierbei wichtige Ansatzpunkte.20 Die ganze Thematik ist zudem mit dem (biblischen) Paradigma von Hirte und Herde übereingeführt, was dem Ganzen einen latent sakralen Hintergrund verleiht  ; die entsprechende Motivik tritt von dem Moment an auf, in dem die Staatlichkeit durch den »Krieg aller gegen alle« (Hobbes) völlig zusammengebrochen ist. Bei der Darstellung von Prozessen der Massenidentifikation und Affektsteuerung dürfte sich Hofmannsthal außerdem an Freuds Massenpsychologie orientiert haben  ; einige markierte Textstellen sind in diesem Zusammenhang erwähnenswert  : »Erkennt man so als Ziel, die Masse mit den Attributen des Individuums auszustatten, so wird man an eine gehaltreiche Bemerkung von W. Trotter gemahnt, der in der Neigung zur Massenbildung eine biologische Fortführung der Vielzelligkeit aller höheren Organismen erblickt.« »Wir werden es also mit der Voraussetzung versuchen, dass Liebesbeziehungen (indifferent ausgedrückt  : Gefühlsbindungen) auch das Wesen der Massenseele ausmachen. […] Was ihnen entsprechen würde, ist offenbar hinter dem Schirm, der spanischen Wand, der Suggestion verborgen.« (Freud, Massenpsychologie  ; op cit, 35/36 und 45. Markierung  : Hofmannsthal)21 20 Diese wurden oben (2.) ausführlich referiert. Hebekus hat für den Turm festgestellt, er wende die Abkehr vom »Schriftsinn«, wie sie schon der Chandos-Brief thematisiere, ins Politische (vgl. Hebekus, Ermächtigung  ; op cit, 293). Das stimmt mit der rhetorischen Dimension des Charisma überein  ; allerdings wird Sigismund noch im fünften Aufzug als ›lesender Herrscher‹ inszeniert, der seine Lektüren mit dem Arzt bespricht (von Plutarch ist die Rede und von Marc Aurel). Und es ist sehr die Frage, ob man nicht den Ausgang als eine Apologie des Schrifttums als dem geistigen Raum der Nation – bzw. der Brüdergemeinde zu verstehen hat. 21 Zusammen mit einer markierten Stelle aus dem Kapitel X »Masse als Urhorde«, die auf Totem und Tabu verweist (ein Buch, das Hofmannsthal ebenfalls gut kannte), ergibt sich eine klare TurmRelevanz dieser Lektüre, was die Massenszenen anbetrifft. Auch den Verweis auf Trotters Titel »Instincts of the herd in peace and war  ; London 1916« hat sich Hofmannsthal markiert. Deutlich wird übrigens, dass Freud zumindest hier hinter Vosslers differenzierterer Sichtweise einer massenmäßigen Seelenverfassung (vgl. 2.) im einzelnen Individuum zurückbleibt.

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Damit ist die Perspektive konturiert  : die Vorstellung der Masse als vielzelligem Organismus ähnelt jener von der Kollektivgestalt des Leviathan  ; sie befindet sich jedoch eben im nicht verfassten, sondern gewissermaßen im energetischen Zustand, und ist in ihrer somit aleatorischen Figuration von der zentralen Symbolgestalt des charismatischen Herrschers abhängig  : »Der Verlust des Führers in irgendeinem Sinne, das Irrewerden an ihm bringt die Panik bei gleichbleibender Gefahr zum Ausbruch  ; mit der Bindung an den Führer schwinden – in der Regel – auch die gegenseitigen Bindungen der Massenindividuen.«22 Dass diese Figur einer Bindung kollektiver Libido Sigismund ist, dürfte aus dem Vorangegangenen bereits einleuchtend sein (vgl. 2.5), wird in diesem Kapitel mit Sigismunds Charisma aber konkret am Dramentext zu zeigen sein. Nochmals soll betont werden, dass Hofmannsthal sich weder selbst in eine solche Position hineinimaginierte noch anstrebte, solchen Stellungnahmen anderer (George, Pannwitz) Folge zu leisten. Gundolf etwa formulierte  : »Sobald der Heros erscheint, werden die Massen selbst nichts anderes als Werkzeug sein wollen … Die Geschichte hat niemals eine schönere Aufgabe gehabt als jetzt, niemals mannigfaltigere Mittel.« Daher ist charismatische Herrschaft als Typ »heilsamer diktatur« (Stefan George) von Anfang an ambivalent inszeniert  ; Hofmannsthal war sich des darin lauernden Potentials an Demagogie und (geistiger) Gewaltsamkeit bewusst und sprach nicht umsonst von einem »über dem Abgrund gebauten Schloß«, was durchaus Nähen zu jenem von Benjamin festgestellten »Abgrund des Ästhetizismus« aufweist.23 Die im Anschluss an die Betrachtung der Krisendarstellung (vgl. 4.1.1) erfolgende Darstellung der verschiedenen Charisma-Typen der Personnage macht dies bereits deutlich (vgl. 4.1.2, 4.1.3). Eine entsprechende Dialektik des Charismas ist wie erwähnt mit der antiautoritären Spielart auch bei Weber ausgeführt.

22 Freud, Massenpsychologie  ; op cit, 54. 23 Zitat zuvor von Gundolf (Brief an Gustav Roethe von 1906  ; in  : Friedrich Gundolf  : Briefe. Neue Folge  ; Amsterdam 19652 (Castrum Peregrini). 33  ; BW Burckhardt, 129 (9. August 1923). Benjamin  : GS I 1, 281  ; Trauerspiel.

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4.1.1 »Dem König sein Zutrauen ist dahin« – Die Legitimationskrise und ihre Indikatoren »Der Kredit ist eine durch reale Leistungen erzeugte Idee der Zuverlässigkeit.« (Goethe  : Maximen und Reflexionen) 24

Die Zeitangabe des Dramas, die bezeichnenderweise für die Bühnenfassung wegfiel, gibt das Jahrhundert des Dreißigjährigen Krieges an, eine historische Folie, durch welche die während der Niederschrift des Turm noch unmittelbar wirksamen und gegenwärtigen zeitgeschichtlichen Ereignisse stark hindurch scheinen. Es markiert somit den »Beginn der neueren Ära, das ist seit etwa dreihundertfünfzig Jahren«,25 und zeigt zugleich deren zeitgeschichtliche Konsequenzen, wie Hofmannsthal sie wahrnahm. Reich und Thronfolger befinden sich in erbärmlichem Zustand, Sigismund wird als das »bloße Leben« (Benjamin) seit Ausbruch des Krieges nur mit einem alten Wolfsfell bekleidet in einem Käfig am Fuße des Turms gefangen gehalten, in welchem der staatsmännisch gelehrte Gouverneur Julian residiert – schon diese Inszenierung verweist luzide auf das von der Aufklärung verdrängte (bzw. negierte) Tierische im Menschen, ein auch in den Repliken Julians berührter Vorgang. Er unterrichtet jedoch den unter viehischen Bedingungen herumvegetierenden Sigismund in Latein und Griechisch. Zitiert wird das mechanische Aufklärungsdenken auch mit einer Urangst neuzeitlicher Staatsphilosophie  : Hobbes’ Leviathan, dessen berühmte Gleichsetzung der Abwesenheit des Souveräns mit Bürgerkrieg und Naturzustand, dem bellum omnium contra omnes Olivier gleich zu Beginn verkündigt  : »Alle gehen gegen alle. Es bleibt kein Haus. Die Kirchen werden sie mit dem Kehrichtbesen zusammenkehren.«26 Diese apokalyptische Vision ist eine sich selbst erfüllende Prophezeiung, wie der Verlauf zeigen wird. Dass die von Fischer-Lichte für die Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jahrhundert verzeichneten »Krisen der Repräsentation«27 politisch betrachtet wesentlich solche der Legitimation sind, dafür gibt der Turm einleuchtende Beispiele. Die notwendige, vom Souverän ausgehende Distribution von Gewalt zum 24 Titelzitat  : SW XVI.2, 141  : Simon. Johann Wolfgang von Goethe  : Maximen und Reflexionen  ; in  : Werke  ; HA, Bd. 12  : Schriften zur Kunst und Literatur. Maximen und Reflexionen  ; hg. v. E. Trunz, H. v. Einem u. H.J. Schrimpf  ; München 199412 (Beck). 396. 25 RA III, 25  ; Schrifttum. 26 SW XVI.1, 10  : Olivier. 27 Vgl. Fischer-Lichte  : Theatralität und die Krisen der Repräsentation (op cit, 2001).

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Zweck ihrer Ausübung durch Stellvertreter (Repräsentanten) ist eine zentrale Problematik im Turm, an der die Krise des alten Königtums exemplarisch aufgezeigt wird. Diese ist von Beginn an evident, die Szene zwischen Anton und Olivier im ersten Akt bringt es auf den Punkt (»Ich bitt’ den Herrn, dass er den Befehl ausführ  !«). Autorität und ›Vertrauenskredit‹ des Königs sind untergraben. Ein entscheidender Grund hierfür ist die Geldentwertung infolge der Kriegskosten  ; hinzu tritt der Legitimitätsverlust durch den Rückzug des Kardinalministers. Zugleich hat der Untergang der alten Welt auch wieder eine sprachskeptische Note, denn die sich zum vierten Akt hin ultimativ zuspitzende Krise überfordert den politischen Gebrauch der Sprache in offensichtlicher Weise (»In das niedere Volk ist die Hirnwut gefahren«), so dass Julian bei seinem Verständigungsversuch von der revolutionären Masse niedergeschlagen wird und Sigismund folgert  : »Was zu sagen der Mühe wert wäre, dazu ist die Zunge zu dick.«28 – In seiner reinen Form, so kann man folgern, ist der Ausnahmezustand also dann eingetreten, wenn erst die Worte erfunden werden müssen, welche die Situation noch beschreiben können und an deren Deutungskraft in dieser Situation noch geglaubt werden kann. »Grundlage jeder Herrschaft, also jeder Fügsamkeit, ist ein Glauben  : ›Prestige‹-Glauben, zugunsten des oder der Herrschenden. Dieser ist selten ganz eindeutig. Er ist bei der ›legalen‹ Herrschaft nie rein legal. Sondern der Legalitätsglauben ist ›eingelebt‹, also selbst traditionsbedingt  : – Sprengung der Tradition vermag ihn zu vernichten. Und er ist auch charismatisch in dem negativen Sinn  : daß hartnäckige eklatante Mißerfolge jeder Regierung zum Verderben gereichen, ihr Prestige brechen und die Zeit für charismatische Revolutionen reifen lassen. Für ›Monarchien‹ sind daher verlorene, ihr Charisma als nicht ›bewährt‹ erscheinen lassende, für ›Republiken‹ siegreiche, den siegenden General als charismatisch qualifiziert hinstellende, Kriege gefährlich.« (WuG, 153/154 [Hervorh. A.M.])

Das Charisma Basilius’ ist durch den verlorenen Krieg also, der Grossalmosinier weidet sich in der Klosterszene entsprechend daran, schwer infrage gestellt. 29 Zugleich wird mit der Inflation nach dem verlustreichen Krieg die ganze Dimen28 SW XVI.2, 208  : Sigismund. 29 Auch die andere Problemfigur des siegreichen Generals wird noch beschäftigen – »Ich bin ein General in seinem Zelt und muss nach zwei Fronten schlagen.« (Sigismund, V ) – denn in ihm würde die militärische Gewalt bestehen bleiben und damit ›am Ort der Souveränität‹ in die neue Ordnung weiter hineinragen. Die Bezeichnung General findet nicht zufällig für beide Kontrahenten Verwendung  ; auch Olivier wird von der »Zigeunerin« als »General« bezeichnet.

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sion des zunächst symbolischen königlichen Machtverfalls auch materialisiert, so dass das bestehende politische System weder über eine soziale noch über eine ökonomische Integrationsbasis verfügt. Überdies ist auf den durch Materialverschlechterung entwerteten Münzen das Porträt Basilius’ eingeprägt und somit ein Umkehrschub von Machtrepräsentanz und Legitimation zu verzeichnen – die Repräsentation führt zur Delegitimierung, da die Inflation das Ansehen des Königs wortwörtlich direkt betrifft  : »Der wiegt nicht  ! auf den hust’ ich  ! auf den tu ich was  !« ruft Olivier zu Stückbeginn den Autoritätsverlust aus, und wirft eine Münze in den Dreck30 – zielt aber eigentlich auf den König, dessen »landesherrliches Bildnis« die Prägung zeigt. Deutlicher hätte Hofmannsthal Geldwert und politische Macht nicht koppeln können. Die Replik eines der Adligen bringt es ebenfalls auf den Punkt  : »Aber wo ist das gute Geld hin  ? Wie ist es aus dem Land hinausgelaufen und mit ihm der Gehorsam  ? Denn wo kein Lohn ist, da ist keine Ehrfurcht  ; und wo keine Ehrfurcht, da ist kein Gehorsam.«31 Oliviers Haltung gegenüber den Befehlen jeder Autorität ist dieselbe. Julian wird dies erst feststellen, wenn es zu spät ist  : »Verritten ist der in meinem Auftrag. Rebellisch ist der in meinem Sold. Mit Sendungen und Briefen von mir.« Einen analogen Vorgang des Autoritätsverfalls hatte Edmund Burke übrigens am Beispiel der Französischen Revolution und ihrer Assignaten-Politik beschrieben.32 Geldwert und Herrschaftsprestige stehen also in einem direkten Zusammenhang, im Turm wird dies »der getaufte Jude« Simon referieren  :33 30 Diese Haltung entspricht Hofmannsthals Feststellung »Jedes Machtverhältnis in Geld umsetzbar. Geld der Knoten des Daseins, Träger der schwarzen Magie. Man sah jedermann in Geldsachen gegen seine eigene Überzeugung handeln.« (RA II, 49  ; Idee Europa). 31 SW XVI.1, 43. Wie bedeutsam wirtschaftliche Stabilität für die Akzeptanz eines politischen Systems ist, hat das 20. Jahrhundert gerade in Deutschland mehrfach erwiesen  ; die »galoppierende« Inflation« von 1923 als Höhepunkt der Phase schwelender Geldentwertung seit Kriegsende und die damit verbundenen erheblichen Nöte hat auch Hofmannsthal selbst auf empfindliche Weise zu spüren bekommen. Zu Hofmannsthals Inflationserfahrung vgl. Perrig, Zwanziger Jahre, op cit, 55 ff. 32 Zitat zuvor  : SW XVI.1, 98  : Julian. Edmund Burke  : Betrachtungen über die französische Revolution  ; Bd. 2, Berlin 1793. 37 ff. Max Weber erwähnt dieses Vorkommnis ebenfalls (vgl. WuG, 97). 33 Pickerodt wie Pornschlegel entgeht die bittere Ironie, die in der Wendung »getaufter Jude« liegt. (vgl. Pornschlegel Bildungsindividualismus  ; op cit, 253  ; Pickerodt, Hofmannsthals Dramen  ; op cit, 241 f.). Auf Hugo Simon als Vorlage dieser Figur hinzuweisen, Berliner Bankdirektor und kurzzeitiges USPD-Mitglied in der verfassungsgebenden Versammlung 1918/19, führt vielleicht zu weit – obwohl er für Hofmannsthal kein Unbekannter war. Doch Georg Simmel war aus der biologistischen Sicht der Antisemiten ebenfalls ein »getaufter Jude« – wie Hofmannsthal selbst. Die thematischen Nähen sind jedenfalls offensichtlich. Auch Simmels Tod im Herbst 1918 löste

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»Macht der König Geld, machen die Grafen Geld, wer macht nicht Geld  ? […] Aber wer hergegeben hat schweres Geld, soll der nehmen leichtes  ? Wie denn nicht  ! Steht doch dem König er nimmt die Kappe ab sein landesherrliches Bildnis drauf. Aber für Abgaben und Steuern wird das neue Geld verboten  ! […] Und die Soldaten und Bergleut sollen nehmen das leichte Geld  ? Was tut sich  ? Die Bergleut fahren nicht mehr in Berg, der Arzt lauft vom Krankenbett, der Student von der Schul, der Soldat von der Fahn.« (Simon)34

Was Simon hier berichtet, ist die Wirkung eines königlich auferlegten »Zwangsgeldes«, welches »effektiv aufgedrängt wird und effektiv uneinlöslich bleibt«. Zur Bekämpfung der Inflation, die in der Abwälzung von deren Konsequenzen auf die niederen Schichten erfolgt, hat der König »gewuchert« mit seinem Leib (wie Ignatius feststellt) und bezahlt mit seinem Ansehen. Die Entstehung und Wirkweise von Inflation wird in Wirtschaft und Gesellschaft gerade mit Ausblick ihrer Konsequenzen im politischen Bereich ausgiebig beschrieben.35 Der Zusammenhang von »Bergwerksproduktion«, »Ausmünzung«, »Metallgeld« und »Scheidegeld« »mit begrenztem Annahmezwang« – da »unterwertig ausgeprägt« – wird nicht nur in Wirtschaft und Gesellschaft, sondern auch in den Schriften zur Religionssoziologie relevant.36 Auf die sozialen Auswirkungen der Geldverschlechterung wird mehrfach hingewiesen,37 erst recht gilt dies unter Bedingungen einer »protestantischen Ethik«, die einen diesseitigen Bewährungszwang mit materiellem Wertungs-Maßstab installiert (Wohlstand). Insbesondere kommt für den eine posthume Publikationswelle aus  ; so dass sein »geldphilosophisches Denken« Hofmannsthal auch nach 1917 (Aufzeichnungen zu Reden in Skandinavien) präsent geblieben ist. Vgl. in diesem Zusammenhang auch die (gegen Sombart gerichteten) Ausführungen Webers in Wirtschaft und Gesellschaft zum Judentum im Wirtschaftsleben (WuG, 721 f.). 34 SW XVI.2, 141  : Simon. Vgl hierzu eine Textstelle aus der Philosophie des Geldes  : »[…] so verlegt sich die Kohäsion eines Regimentes in seine Fahne […]« (PG, 209) – allerdings nur, so lange der Sold stimmt. 35 Vgl. WuG 40, und dann v. a.: 97 ff.; »Zwangsgeld«. 36 WuG, 103. Zum kriegsbedingten Abstieg der Münzqualität und der »Oktroyierung der verschlechterten Münzen« vgl. auch Kapitel »Stadt, Fürst und Gott« in den Schriften zur Religionssoziologie. Max Weber  : Die Wirtschaftsethik der Weltreligionen  ; in  : RS I, 276 f. Die ganze Thematik dürfte Weber übrigens nicht in Unkenntnis von Georg Simmels Soziologie entwickelt haben (immerhin versuchte er sogar, Simmel zu einer Professur an der Universität Heidelberg zu verhelfen, was scheiterte). In der oben schon herangezogenen Philosophie des Geldes (vgl. 2.1) finden sich wiederum Ausführungen zum »schlechten Geld« als Katalysator des Wirtschaftslebens auf 700 ff. 37 Etwa am Beispiel von Knapps Geldtheorie und deren Mängeln  ; ein Standardwerk dieser Zeit, das besonders in Österreich viel Resonanz fand (vgl. WuG, 110 ff.).

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Turm-Bezug die Repudiation (Annahmeverweigerung wegen Wertlosigkeit) des Geldes durch die »Staatskassen« in Betracht  : Die »Frage, welches Geld sie tatsächlich (›regiminal‹) 1. zur Verfügung haben, also hergeben können 2. dem Publikum, als legales Geld, aufdrängen, – andererseits die Frage, welches Geld sie tatsächlich (regiminal) 1. nehmen, 2. ganz oder teilweise repudiieren« sei »von entscheidender Bedeutung für das Geldwesen.« Denn  : »Derartige starke Umgestaltungen der (materialen) Geltung des Geldes bedeuten heute  : chronische Tendenz zur sozialen Revolution, mögen auch viele Unternehmer intervalutarische Gewinne zu machen in der Lage sein und manche (wenige  !) Arbeiter die Macht haben, sich nominale Mehrlöhne zu sichern.«38 Und daher ist es allerdings ein Risiko, wenn der Staat seinen Bürgern ein entwertungsgefährdetes oder schon wertloses »Zwangsgeld« oktroyiert  ; aus den Schilderungen Simons gehen die entsprechenden Konsequenzen klar hervor  : Anarchie. Das »Zwangsgeld« führt die von Simmel beschriebene Funktion des Tauschs ad absurdum, ist an dieser Stelle nichts anderes mehr, als der bloße Befehl, eine Maßnahme zur Enteignung. Solches lässt sich auf der Grundlage eines bloßen ›Geltenlassens‹ von Machtverhältnissen nicht ohne erheblichen Gesichtsverlust durchführen  ; der Unterschied zum ›Glauben‹ tritt hier auf das Deutlichste zutage. Denn der Befehl stellt gewissermaßen die Währung der Herrschaft dar, seine Befolgung (Gehorsam), die bei dieser Enteignung im pekuniären Opfer ohne Gegenleistung besteht, wird hierdurch automatisch zur Wertzumessung von deren Autorität. Somit lässt sich für den Turm feststellen  : Anarchie ist die Inflation der Souveränität. Und zwar bedeutet deren Atomisierung ihre Endstufe  ; hier kommt vollständig zum Erliegen, was Simmel die »Vergesellschaftung« durch die im Geld substanziierten Wechselwirkungen nannte, die eine »Summe von Individuen zu einer sozialen Gruppe macht«  ; denn der Tausch, den die Abgabe von Rechten seitens des Individuums gegen das Schutzversprechen des Staates bedeutet, ist hier – und zwar zuerst einseitig durch die Herrschenden – suspendiert. Bloßer militärischer Schutz ist ohne Gewährleistung wirtschaftlicher Lebensgrundlagen sinnlos. Damit ist dem so herrschaftswichtigen Tandem ›Befehl-Gehorsam‹ die Basis entzogen, weder besteht die Autorität der Krone, die man gelten lassen könnte, noch der Glaube an ihre Legitimität, ihr Zutrauen fort.39 Für die ökonomische Disposition dieser hierarchischen Gefüge gibt Simmel mit Proudhon, der sie genau mit dieser Perspektive bekämpfte, ein gutes Beispiel  : 38 WuG, 97  ;113. 39 Die Unterscheidung von Autorität und Zutrauen der/zur Krone nimmt Hofmannsthal in seinem sozialpsychologischen Schema Preuße und Österreicher vor (vgl. RA II, 460 [1917]).

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»Proudhon, der alle festen Staatsgebilde beseitigen und die freie unmittelbare Wechselwirkung der Individuen als die einzig richtige Form des sozialen Lebens anerkennen will, bekämpft den Gebrauch des Geldes überhaupt  ; denn in ihm sieht er ein genaues Analogon jener Herrschaftsgebilde, die aus den Individuen ihre lebendige Wechselwirkung heraussaugen und in sich kristallisieren. Es müsse daher die Tauschbarkeit der Werte ohne Dazwischenkunft des Geldes begründet werden, ebenso wie die Regierung der Gesellschaft durch alle Bürger ohne Dazwischenkunft des Königs  ; und wie man jedem Bürger das Stimmrecht gegeben habe, so müsse jede Ware an und für sich und ohne Vermittlung des Geldes zum Wertrepräsentanten werden.« (PG, 207/208 [Hervorh. A.M.])

Im Turm hingegen wird durch Oliviers Aufstieg zwar jeder Wert und jede Repräsentationsform abgeschafft, die mit der alten Ordnung verbunden sind  ; deren Normen ersetzt in diesen Fassungen jedoch ein regressives Freiheitsverständnis als Zwang zu dionysisch-rauschhafter Überschreitung – mit allen denkbaren Gewalthandlungen im Gefolge. Allerdings ist auch die Kinderkönigherrschaft als Aufhebung von Wirtschaft und Gesellschaft am Schluss des Dramas in diesem Zusammenhang zu betrachten. Auf Proudhon ist mit der Perspektive Schmitts (nämlich eines Theologen der Anti-Theologie) noch zurückzukommen  ; der ganze gesellschaftliche Aufbau von Wechselwirkungen (vgl. hierzu auch 2.1) ist jedenfalls von der Inflation essentiell betroffen, wie einige weitere Textstellen aus Simmels Philosophie des Geldes belegen  :40 »Es werden also die Wechselwirkungen unter den primären Elementen selbst, die die soziale Einheit erzeugen, dadurch ersetzt, daß jedes dieser Elemente für sich zu dem darüber oder dazwischen geschobenen Organe in Beziehung tritt. In diese Kategorie substanzhaft gewordener Sozialfunktionen gehört das Geld.« (PG, 209) »[…] Gesellschaft ist nichts als die Zusammenfassung oder der allgemeine Name für die Gesamtheit dieser speziellen Wechselbeziehungen. […] fielen alle fort, so würde es auch keine Gesellschaft mehr geben  : gerade wie die Lebenseinheit eines organischen Körpers […]« (PG, 210)  ; »Wie ohne Glauben der Menschen aneinander überhaupt die Gesellschaft auseinanderfallen würde […] so würde ohne ihn der Geldverkehr zusammenbrechen.« (PG, 215 [Hervorh. A.M.])

Ein solches Auseinanderfallen und Zusammenbrechen  – zuerst des Geldes, dann des »Zutrauens« – dramatisiert der Turm. Hofmannsthal hat die politische 40 Vgl. übrigens hierzu auch die gelungenen Passagen zur Philosophie des Geldes im Turm in Twellmanns Studie Drama der Souveränität  ; op cit, 108 ff.

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Wirkung der Inflation als Desavouierung der Regierungsform nicht nur in den deutschsprachigen Republiken zeitgeschichtlich miterleben und sich darüber etwa mit Josef Redlich (immerhin auch dem letzten Finanzminister des k. u. k.Reiches) beraten können.41 Auch der nach seiner Auswanderung in die Schweiz mit Carl J. Burckhardt in Kontakt stehende Felix Somary könnte hier ein überaus profunder Gesprächspartner gewesen sein.42 Für das Finanzwissen der SimonFigur und das Szenario im Turm kommen als wissenschaftlicher Hintergrund jedoch v. a. Georg Simmels Philosophie des Geldes, ein Buch Sombarts und eben Max Webers Soziologie infrage. Die Passagen zur Geldwertverschlechterung finden sich in Wirtschaft und Gesellschaft direkt vor dem Kapitel »Die Typen der Herrschaft«. Von den Romantikern vermittelte Kenntnisse (v. a. seitens Novalis und Adam Müller) könnten ebenfalls in den wirtschaftlichen Horizont des Stückes eingeflossen sein, was hier aber nicht intensiver nachvollzogen werden kann.43 Hofmannsthal hat möglicherweise im Rahmen seiner oben dargestellten Simmelrezeption (vgl. 2.1) die in der Philosophie des Geldes beschriebene transzendente Geldtheorie Smiths auf seine Poetologie der Repräsentation übertragen, da sie den Einbezug des Unsichtbaren, Nicht-Materiellen erlaubt  : gewissermaßen als die unsichtbare Hand der poetischen Fiktion, die allerdings hier mehr auf den Einbezug des Politischen als des Ökonomischen drängt. Das Verhältnis von Metapher und Symbol bei Hofmannsthal war hier mit dem Begriffsduo Bewegung und Besitz beschrieben, das Symbol im Nachvollzug der Metaphorik eines Kollektivkörpers als ein in die Bewegung der Gestalt inkludiertes verstanden worden (vgl. 2.3.3). Dieses Vorverständnis ist essentiell, um den poetologischen Wirkungsgrad von Webers Beschreibungen der charismatischen Herrschaftsform als eine der Unmittelbarkeit zu ermessen. Diese erschien Hofmannsthal – zumal in ihren revolutionären Tendenzen – offenbar nach dem Zusammenbruch des vormaligen Repräsentationssystems zumindest zeitweilig aufgrund ihrer wesensmäßigen Bewegtheit, ihrer Liquidität als ein Ausweg aus der heißen Umbruchphase der Revolution und wohl auch den anschließenden, unter den Intellektuellen der 41 »Das Gefühl der persönlichen Sicherheit, das der Geldbesitz gewährt, ist vielleicht die konzentrierteste und zugespitzteste Form und Äußerung des Vertrauens auf die staatlich-gesellschaftliche Organisation und Ordnung.« (PG, 216). 42 Hofmannsthal besuchte Somary (und Gagliardi) am 28. V. 1923 (vgl. jetzt SW XXXVIII, 909). Der Verfasser dankt Herrn Wolfgang Somary für die Übersendung der Kopie eines unveröffentlichten Briefs Hofmannsthals an Somarys Schwester Paula, der sich im nachgelassenen Buch der Freunde fand. Dieser berichtet von dem Besuch, welcher auch möglicher Ausgangspunkt für die Frage an Wiegand nach der Gedenkgabe für Max Weber gewesen sein könnte. 43 Vgl. zu diesen Matala de Mazza, Verfaßter Körper  ; op cit, 165 f.

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zwanziger Jahre verbreitet so wahrgenommenen Neutralisierungstendenzen der demokratischen Regierungsform. Auf die Bedeutung einer Flüssigkeit der politischen Sprache (bzw. der geistigen Gehalte in ihr im Sinne einer allgemeinen Verfügbarkeit) hatte Hofmannsthal schon in der erwähnten Adam-Müller-Rezension hingewiesen  ; im Hinblick auf Sigismund ließe sich mit Goethes poetologischer Setzung der »wahren Symbolik« folgern, dass »das Besondere das Allgemeinere repräsentiert, nicht als Traum und Schatten, sondern als lebendig augenblickliche Offenbarung des Unerforschlichen«.44 Die symbolische Dimension des Charismas entspricht jenem oben festgestellten Prinzip einer RePräsentation der poetischen Sprache mit gesteigerter Symbolkraft, also einer unmittelbaren Wirkung. Denn die Symbolgestalt des charismatischen Herrschers ist jene, in der »wir uns auflösen« sollen – also die Individuen – und um welche sich die Masse kristallisiert  ; zugleich findet sich in deren anschließender Transformation zur Gemeinschaft auch ein Moment von Rückerstattung vergemeinschafteter Individualität (dies wird insbesondere am fünften Aufzug zu zeigen sein). Webers Herrschaftssoziologie erlaubt es jedenfalls, das von Simmel übernommene und poetisierte Konstitutionsprinzip sozialer Wechselwirkungen (den Tausch) in ein bewegtes soziales Modell zu überführen.

44 Johann Wolfgang von Goethe  : Werke  ; HA, Bd. 12  : Schriften zur Kunst und Literatur. Maximen und Reflexionen  ; hg. v. E. Trunz, H. v. Einem und H.J. Schrimpf  ; München 199412. 471. Die Stelle direkt zuvor ist in diesem Kontext ebenfalls zitabel (und im Hinblick auf 5.)  : »Es ist ein großer Unterschied, ob der Dichter zum Allgemeinen das Besondere sucht oder im Besondern das Allgemeine schaut. Aus jener Art entsteht Allegorie, wo das Besondere nur als Beispiel, als Exempel des Allgemeinen gilt  ; die letztere aber ist eigentlich die Natur der Poesie, sie spricht ein Besonderes aus, ohne ans Allgemeine zu denken oder darauf hinzuweisen. Wer nun dieses Besondere lebendig faßt, erhält zugleich das Allgemeine mit, ohne es gewahr zu werden, oder erst spät.« (ebd.)

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4.1.2 Hintergründe der handlungstragenden Figuren und Charisma-Typen »Ist Ihnen gegenwärtig, was man in der mineralogischen Wissenschaft eine Allotropie nennt  ? Derselbe Stoff erscheint zweimal im Reich der Dinge, in ganz verschiedener Kristallisationsform, ganz unerwartetem Gepräge. Der dramatische Charakter ist eine Allotropie des entsprechenden wirklichen.« (SW XXXI, 31  : Balzac)45 »Kein Stück der Oberfläche einer Figur kann geschaffen werden, außer vom innersten Kern aus.« (RA III, 289  ; Buch der Freunde)

Als handlungstragend werden hier Sigismund, Julian, der Arzt, Basilius, Olivier, der Großalmosinier und auch Anton angesehen, dem allerdings erkennbar keine charismatische Begabung eignet. Sie sind keine Charaktere, sondern Kompositfiguren, mit welchen Hofmannsthal gewissermaßen die verschiedenen Horizonte, vor denen sein Stück zu lesen ist, ballt und chiffrenartig in den dramatischen Text einbringt. Eine solche »eklektische Konstitution der Figuren« hat bereits Christoph König angemerkt.46 Bergengruen betont zudem die Funktionalität ihrer Konzeption  : »Die Figuren stehen zueinander wie, genauer  : als die einzelnen Teile einer gespaltenen oder sich gerade spaltenden Persönlichkeit, was natürlich a forteriori für die zwei rivalisierenden Häupter des mystischen Körpers des polnischen Reiches, Sigismund und Basilius, gilt.« (Bergengruen, Mystik  ; op cit, 163/164)

Als Subjekt dieser ›gesammelten Persönlichkeit‹ sieht Bergengruen zwar offenbar nicht den Autor selbst an, was zu seiner psychopathologischen Perspektive gepasst hätte  ; jedoch ließe sich dieser zu Recht so prononcierten Problematik mit Vosslers Verständnis des umfassenden Gesprächs näher kommen – demnach müssten sämtliche Konstellationen und Konfrontationen unter den Figuren als Teile ein und desselben fiktionalen Gesprächs etwa über Ausprägungen von 45 Vgl. auch folgende Notizen Hofmannsthals hierzu  : »Man könnte sagen  : es giebt keine Charaktere  : es giebt Schicksale und deren Signaturen  : die Gesichter. / Es ist das Resultat einer zweiten Erkenntniss dass das Leben im Einzelnen aus Phantasmen zusammengesetzt ist  : dass Besitz, Rang, Macht, Weisheit, Reichthum, Charakter, Persönlichkeit nicht Realien sondern Luftspiegelungen sind. Freilich sind diese Luftspiegelungen und ihresgleichen, die sittlichen Mächte, wiederum das eigentlich Wirkliche.« (SW XXXI, 270  ; Über Charaktere im Roman und im Drama [1902]). 46 König, Dichter unter den Philologen  ; op cit, 85.

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Charisma betrachtet werden, in welches der Autor den Rezipienten mittels der Identifikationsangebote seiner Figuren verwickelt. Da Hofmannsthal mit diesem Stück mehr als mit allen anderen eine sozialpsychologische Wirkungsabsicht hegte, sind die Figuren als ›Gefäße‹ dieses Vorhabens zu betrachten und folglich auf den kulturgeschichtlichen Gehalt hin, den sie szenenweise transportieren, in ihren Valenzen als Facetten eines ›Gesprächs über Herrschaft‹ zu lesen.47 »Du bist wie einer der die Fackel trägt und hinter sich Leuchtet, selber mit seinem Fuss im Finstern.«48 »Wer ist der, der mir ein Werk aufgedrungen hat, das über meine Kräfte ging  ?« (Julian, IV. Aufzug)

Julian ist die Figur, deren ›kultureller Fonds‹ am meisten mit Webers Soziologie gelesen werden kann. Die Figur fasst im Verlauf des Geschehens mehrere geistesgeschichtliche Strömungen in sich (Reformation, Aufklärung, Idealismus, Frühromantik, Pessimismus) oder zitiert diese zumindest. Sie ist darum weitaus komplexer angelegt als etwa die des Arztes. Wichtig ist, sich zu vergegenwärtigen, dass Hofmannsthals Ziel bei Erstellung des kulturgeschichtlichen Gehalts die Inszenierung einer modernen, zeitgenössischen Haltung war (eines Intellektuellentyps), welche er auf diese Weise gewissermaßen ›an den Wurzeln‹ packen wollte.49 Hierbei ist zunächst eine Ausprägung eines Typs des »asketischen Protestantismus« zu bemerken, denn auch als Graf gönnt sich Julian keinerlei Hedonismus und ist hierdurch vom restlichen Adel des ancien régime deutlich unterschieden. Dieser asketischen Haltung sind jedoch revoltierende Züge eigen  ; sie ist darum nicht einfach mit dem Luthertum gleichzusetzen  : Denn es »fehlen dem Luthertum jegliche Antriebe zu sozial oder politisch revolutionärer oder auch nur rational-reformerischer Haltung.«50 Im Prinzip lebt Julian, als erklärter und darum 47 Eine letzte Annäherung wird dann unter 5.2 mit der Betrachtung von Hofmannsthals ›Gestaltdramaturgie‹ vor dem Hintergrund von Benjamins Ausführungen zum Personal des barocken Trauerspiels und zur Allegorie vorgenommen. 48 SW XVI.1, 301  ; Varianten  : Arzt. 49 Über Schelling und Hegel schrieb Hofmannsthal in der Vorrede zum Deutschen Lesebuch  : bei beiden könne man meinen, »es habe nicht mehr der ganze Mensch die Feder geführt, sondern etwa nur ein großer seltener Verstand  : Stil aber ist unzerteilte Einheit des höheren Menschen.« (RA II, 174  : Deutsches Lesebuch). Einen solchen Typus hat er mit Julian im Turm inszeniert. 50 WuG, 345. Obwohl dem Adel angehörig, ist Julian daher der habituellen ›Anlage‹ nach auch Ver-

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des Hofes verwiesener Gegner des Grossalmosiniers, in beinahe mönchischer Weltabgeschiedenheit einer allerdings rein »innerweltlichen Askese«,51 wie sie übrigens auch der Beschreibung der inneren Einrichtung seiner Gemächer (Interieur) zu entnehmen ist. Der Arzt bemerkt die Schärfe dieser Kasteiung (unter der vor allem Sigismund zu leiden hat) und stellt entsprechend, einen Topos der Aufklärungskritik zitierend, fest  : »Ihr aber habt in die satanische Trennung gewilligt, die edlen Eingeweide unterdrückt.« Denn Julian hat sich ganz dem (faustisch konnotierten) geistigen Streben nach Wissen und Erfüllung seiner selbst auferlegten Mission verschrieben, als »Bildner des ›Volkscharakters‹« Sigismund aufzuziehen und mit ihm zusammen als »Genies und Virtuosen der Macht« (Michael Gamper) die Herrschaft zu übernehmen  : »nüchtern und stetig, scharf und völlig der Sache hingegeben« charakterisiert seine Arbeitshaltung durchaus, die sich kritisch gegen das kriselnde Königtum wendet – »So kommt Calvin in Rousseau wieder«52 wäre im Hinblick auf Julians Pläne mit Sigismund, der Vertreter des Bürgertums als entstehender Klasse unter Einfluss des Calvinismus bzw. Pietismus. Als Verkörperung einer solchen Protestantischen Ethik fasst er letztlich sogar eine Dialektik der Aufklärung in sich  : Denn Sigismund (Geist) und Olivier (Gewalt) sind gewissermaßen Spaltprodukte seines Machtstrebens, über welche er allerdings jeweils die Kontrolle einbüßt (vgl. hierzu übrigens RS I, 82 und nachfolgend). 51 RS I, 118/WuG, 334. Weber betont hierbei die Bedeutung des »rationalen Charakter[s]«  : »Die welthistorische Bedeutung der mönchischen Lebensführung im Okzident in ihrem Gegensatz zum orientalischen Mönchtum […] beruht darauf. Sie war im Prinzip schon in der Regel des heiligen Benedikt, noch mehr bei den Cluniazensern, wiederum mehr bei den Zisterziensern, am entschiedensten endlich bei den Jesuiten, emanzipiert von planloser Weltflucht und virtuosenhafter Selbstquälerei. Sie war zu einer systematisch durchgebildeten Methode rationaler Lebensführung geworden, mit dem Ziel, den status naturae zu überwinden, den Menschen der Macht der irrationalen Triebe und der Abhängigkeit von Welt und Natur zu entziehen, der Suprematie des planvollen Wollens zu unterwerfen.« (RS I, 116 [Hervorh. A.M.]). Die Reformation aber habe die »rationale christliche Askese und Lebensmethodik aus den Klöstern hinaus in das weltliche Berufsleben« getragen (ebd., 117  ; Fn. 2). Eben hierfür wäre Julian ein Beispiel. Dennoch ist es kein Zufall, dass er von Olivier in der Bühnenfassung als »Jesuit« bezeichnet wird – Weber erwähnt die Nähe von Calvinismus und Jesuitismus nochmals unter dem Stichwort »Kirchenzucht«. »Die kirchenpolizeiliche Kontrolle« sei in den »calvinistischen Staatskirchen bis dicht an die Grenze der Inquisition getrieben« worden (RS I, 161). Hierzu später mehr, vgl. 5.4/5.5. 52 – wie Hofmannsthal sich später zu seinem Freund, dem preußischen Diplomaten und Industriellen von Bodenhausen notierte (RA III, 156  ; Bodenhausen). »Von ihm aus war ein anderes Deutschland da – und eine neue Möglichkeit.« Zuvor  : RS I, 164 und 54. Eine monetäre Affinität wie die des Calvinismus wird in der Verbindung Julians mit dem ›Geldgelehrten‹ Simon aber höchstens angedeutet  ; offensichtlich geht es Hofmannsthal hier – die Linie zu Rousseau zeigt es an – um eine andere Währung. Hinsichtlich Rousseaus wird man zuerst an den Emile oder den Essay über

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körperung des Volksgeistes, dessen Eigenschaft als Symbolgestalt des pouvoir constituant noch darzulegen bleibt, eine treffende Aussage. Als konkrete historische Referenz ließe sich für diese Phase der Figur an den deutschen Calvinisten Johannes Althusius denken, dessen Hauptwerk Politica methodice digesta et exemplis sacris et profanis illustrata (1603) sich entsprechende Setzungen des Volkes als legitimativer Instanz entnehmen lassen, als deren Mittler (Ephore) gegenüber dem Königtum Julian ja tatsächlich auftritt (je nach Interpretation des Sigismund). Dass sich mit Simon ein Vertreter des ›geldgelehrten‹ Judentums an Julians Herrschaftssitz einfindet, hat der Konstellation nach ebenfalls eine Entsprechung bei Weber.53 Doch diese »puritanische Tyrannei«, die sich historisch auch auf Descartes berief, und sich darum nicht zufällig in einer Erziehungsdiktatur ausagiert, ist mit Opfern verbunden. »Furchtbar einsam waren meine Jahre« bestätigt Julian die vom Arzt gestellte Diagnose eines »Rauschs der Askese« (F.C. Rang) – wie werden sie erst für seinen weggesperrten Eleven Sigismund gewesen sein, möchte man hier fragen. »In ihrer pathetischen Unmenschlichkeit mußte diese Lehre nun für die Stimmung einer Generation, die sich ihrer grandiosen Konsequenz ergab, vor allem eine Folge haben  : ein Gefühl einer unerhörten inneren Vereinsamung des einzelnen Individuums.« (RS I, 93  : Calvinismus)

An dem großen »religionsgeschichtliche[n] Prozeß der Entzauberung der Welt« (den Weber mit der Reformation einsetzen sieht) hat Julian in seinem rationalen Streben entsprechend durchaus Anteil – zugleich aber an deren Wiederverzauberung, da seine Säkularisierung auf die Sakralisierung der Sprache zu einem magischen Charisma der ›immanenten Transzendenz‹ des Genies drängt.54 Mit den Ursprung der Sprache denken können  ; die Hinwendung zur Natur ist allerdings Sache des Arztes. 53 RS I, 20, 115, 181. Zur Verbindung bzw. Analogie, die Weber zwischen Puritanern und Judentum sieht  : »Wo immer die Juden auftauchen, sind sie Träger der Geldwirtschaft, speziell (und im hohen Mittelalter ausschließlich) des Darlehensgeschäfts und breiter Sphären des Handels überhaupt. Für die Städtegründungen der deutschen Bischöfe waren sie ebenso unentbehrlich wie für die der polnischen Adligen.« (WuG, 721) – wie bereits erwähnt mit deutlicher Kritik an Sombarts teilweise offen antisemitischer Darstellung in Die Juden und das Wirtschaftsleben  ; Leipzig 1911. Vgl. dort zum »Hofjuden« in Deutschland und Österreich 57 f. 54 Das berühmte Zitat zur Entzauberung findet sich z. B. in RS I, 94  ; zum magischen Charisma vgl. WuG, 699. Interessant ist in diesem Zusammenhang übrigens auch die Beschreibung von Calvins Redegewalt bei Vossler  : »Calvin beherrscht seinen Ausdruck und durch seinen Ausdruck die Ge-

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seiner an Herder, Friedrich Schlegel – oder auch George – erinnernden Gläubigkeit an die magische Gewalt der Sprache ist er Vertreter eines Charismas der Überredung, also der rhetorischen Ausprägung des Charismas im (allerdings schriftlichen) Befehl  : »denn dadurch wird der Mund des Menschen gewaltig, dass er in die Buchstaben seinen Geist eingießt, rufend und befehlend  !«55 Seine Hoffnungen richtet er hierbei auf seinen Zögling Sigismund, in den er, seinen Geist zeugend, »sein Innerstes« eingegossen habe. Doch ist Julian keineswegs als alter ego seines Autors zu verstehen.56 Schon Hofmannsthals frühere, an Fritz Mauthner orientierte Hinterfragung des Mediums Sprache selbst, von der Gustav Landauer später sagte, er sei »glänzend« auf sie »hereingefallen«,57 spricht hier für einige Distanz zur Figur. Charisma als ein auf die Masse gerichtetes rhetorisches Wirkungsphänomen zeigt sich dann in negativer Weise an der erfolgreichen, allerdings in der Auftaktszene auch nur angedeuteten Demagogie seines Gegenspielers Olivier (»[…] so will ich doch inner einem Monat dem Hofkerl sein silbernes Waschbecken um die Ohren hauen  !«). Julian hingegen findet die richtigen Worte vor der Menge nicht und kann sie vielleicht auch nicht finden, da er seitens der Aufständischen bereits der Feinderklärung Oliviers unterliegt, welcher nach Ausbruch der Revolte die Masse beherrscht. Der Grund des Scheiterns dürfte auch in der Art der Ansprache (von der aber nur berichtet wird) zu suchen sein  ; Julian behandelt die Menge quasi als das Publikum eines auf Kant zurückgehenden Öffentlichkeitsverständnisses, nicht als Masse, die in dieser Situation (und nach Le Bon und Freud grundsätzlich) Argumenten nicht zugänglich ist. Ohnehin ist für ihn alles »eitel« »außer der Rede zwischen Geist und Geist«, wie Sigismund seine Lehre formuliert. Insbesondere in dieser vorletzten Szene Julians, vor dem Ausritt hinein in den Aufstand, wird müter der Menschen. Er ist der sprachgewaltigste Mann seiner Zeit  : im Sinn einer Gewalt, die er über die Sprache und mit der Sprache ausübt.« Karl Vossler  : Frankreichs Kultur im Spiegel seiner Sprachentwicklung. Geschichte der französischen Schriftsprache von den Anfängen bis zur klassischen Neuzeit. Vermehrt durch Nachwort, Nachträge, Berichtigungen und Index. Heidelberg 1921 2. 263. 55 »Das Wort aus meinem Munde sei mein Schwert« heißt es mit gewisser Entsprechung bei Bodin ( Jean Bodin  : Sechs Bücher über den Staat [1583]  ; München 1981. 210. 56 »Julian, der Mann, dem nichts als ein winziges Aussetzen des Willens, als ein einziger Moment der Hingabe fehlt, um des Höchsten teilhaftig zu werden, ist ein Selbstportrait Hofmannsthals.« (Benjamin an Adorno, in  : GB VI, op cit, 448/449). 57 Vgl. hierzu Altenhofer, Ironie der Dinge  ; op cit  ; Kapitel  : »Hugo von Hofmannsthal und Gustav Landauer. Eine Dokumentation«. 93–164 und 176–182. Dass die Beschäftigung mit Mauthners nominalistischer Sprachkritik in die Zeit des endgültigen Bruchs zwischen Hofmannsthal und George fiel (1902), ist nicht verwunderlich.

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die »Geist-Philosophie« ( Jochen Schmidt) des deutschen Idealismus und mit den deutlichen Nähen zum Prometheus-Mythos die Genie-Religion von der Epoche des Sturm und Drang bis zur Frühromantik zitiert  : »julian Forsche nicht, bis der Vorhang zerreißt. Steh auf dir selber  ! Allein  ! So habe ich dich ausgestattet  ! Lichtgeist, vor dem Engel knien  ! Feuersohn, oberster  ! Erstgeborener  !« (SW XVI.2, 164)

Auch das im zweiten und dritten Aufzug postulierte ›Charisma der Tat‹ (»durch Taten ist die Welt bedingt«) ließe sich auf die Protestantische Ethik beziehen – die Hauptbegriffe von Webers Religionssoziologie sind ja, abseits des Rationalismus’ kapitalistischen Geistes, ›Beruf‹ und  : ›Bewährung‹, die eben darin liegt, die Sünde »durch die Tat zu überwinden« – welche in Gelderwerb und Investition (also im Sinne von Be-Währung) oder auch im gesprochenen Wort und allerdings auch im Verzicht bestehen kann. Die damit verbundene Haltung der Askese ist, wie auch der Glauben daran, dass »Jedes Machtverhältnis in Geld umsetzbar« (wie sich Hofmannsthal 1918 notierte), für Julian einschlägig.58 Die geschichtliche Entwicklung vom Calvinismus zum Liberalismus und zur national-liberalen Revolution von 1848 konnte Hofmannsthal ebenfalls bei Weber nachlesen  ; eine »Passion bis zur Revolution« (Rang) wird Julian von Seiten des Arztes (»Ihr sucht schärfere Wollust  : Herrschaft, unbedingte Gewalt des Befehlens«) attestiert. Julian ist der Typ Staatsmann mit dem Anspruch, »eine inkalkulable Welt auf kalkulable Werte zu reduzieren« und damit seinen Plänen zu unterwerfen. Den schließlichen Fall der Figur aus dem Idealismus in den Nihilismus der Todesszene ruft indes »die leere Idealität der Moderne« auf den Plan, welche auf »die Unternehmungen« folgt, »Einen Geist [zu] erzeugen« – welcher ihm zuletzt mangelhaft, »erbärmlich« erscheint.59 Mit dem »Kaiser Julian Apostata«, wie ihn Schmitt in der Politischen Romantik als geschichtliche Gestalt darstellt, hat diese Figur allerdings wenig mehr gemein als den Namen (und die Opposition zur Kirche).60 Nach dem berühmten Schema Preuße und Österreicher, das Hofmannsthal 1917 veröffent58 RS I, 121  ; Zur Bedeutung des Handels im Calvinismus  : vgl. 167  ; RA II, 49  ; Idee Europa. 59 Zuvor  : RA I, 86  ; Dichterisches Dasein. RA III, 593  ; über »St. George« (1928). Jochen Schmidt verwendet die Formel von der »leeren Idealität« für die Haltung Nietzsches (Schmidt  : Geschichte des Genie-Gedankens  ; op cit, 167 und 145). 60 Aus der Beschreibung Blumenbergs ließen sich allerdings doch Zusammenhänge vermuten  : »Julian ist der Romantiker der ausgehenden Antike  ; sein großes Heilmittel für ihre Gebrechen ist der Rückgang auf die Ursprünge. Dort steht Prometheus.« (Blumenberg, Arbeit am Mythos  ; op cit, 372).

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lichte, steht Julian für den preußischen Typus nationaler Ausprägung mit dem Anspruch einer rationalen Planbarkeit der Welt.61 Er ist, spätestens im Moment des Ausritts, der cäsar(ist)isch veranlagte Held (daher vielleicht auch der römische Name) mit der »Kraft, den Acheron aufzuwühlen« (nicht aber ihn wieder zu schlichten), in dem sich das nach dem politischen Genie ›lechzende‹ (protestantische) Deutschland spiegeln können sollte.62 Nicht schwer zu folgern ist, dass der Arzt eher die österreichische (als die andere) Seite »dieses rätselhaften Nationalgesichtes« vertritt, wenngleich natürlich auf einer ganz anderen Ebene als der »rekommandierte Herrschaftsdiener aus Wien« Anton. »Gewaltiger Mann, wie dein Sehstern leuchtet.«63 »Poësie ist die große Kunst der Construction der transscendentalen Gesundheit. Der Poët ist also der transscendentale Arzt.« (Novalis, Logologische Fragmente [Nr. 42]  ; in  : Schriften II  ; op cit, 535)

In der Renaissanceaura des Arztes verkörpert sich das prophetische Charisma des Sehers (und Wissenden)  ; die Figur erhält daher Anleihen an Böhme, Erasmus, Paracelsus und umfasst eine Traditionslinie, zu der aus Hofmannsthals Umfeld Namen wie Burdach, Dilthey oder Kassner,64 vielleicht auch Alfred Weber zu zählen sind. Dies ist der mystisch-philosophische ›Strang‹ der Figur, der sich 61 Julian wäre faktisch einer Haltung wie der hier von Simmel vertretenen zuzuordnen. »Daß das Leben im wesentlichen auf den Intellekt gestellt ist und dieser als die praktisch wertvollste unter unseren psychischen Energien gilt – das pflegt, wie nachherige Überlegungen noch ausführlich zeigen werden, mit dem Durchdringen der Geldwirtschaft Hand in Hand zu gehen  ; wie denn auch innerhalb des Handelsgebietes, insbesondere wo reine Geldgeschäfte in Frage stehen, zweifellos der Intellekt im Besitz der Souveränität ist.« (PG, 171). Die Souveränität des Intellekts war für den Hofmannsthal der späten Jahre durch die Inflation ironisiert. »Der Rationalismus, in welchem das neunzehnte Jahrhundert sein Weltbild unzerstörbar für alle Zeiten organisiert glaubte, ist zusammengefallen.« (RA II, 459  ; IV. Wiener Brief). 62 Vgl. RA II, 459 f.; Preuße und Österreicher. Die »Kraft, den Acheron aufzuwühlen« (SW XVI.1, 215  : Arzt). 63 SW XVI.2, 83  : Julian. 64 Die physiognomischen Fähigkeiten des Arztes wurden oben bereits erwähnt  ; Hofmannsthal schrieb übrigens, Kassners Buch Die Grundlagen der Physiognomik enthalte »sehr geistreiche und tiefe Wahrheiten über Mund und Auge, über Ohr und Kinn, über den Gegensatz von Nacken und Gesicht, vom Hinten und Vorn der menschlichen Gestalt […] zu den geheimnisvolleren Begriffen der Ruhe und der Bewegung in den menschlichen Gesichtern […]«.(RA II, 191  ; Wiener Brief II  ; vgl. auch RA III, 53  ; Schatten der Lebenden).

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der Rationalität des Asketen Julian entgegensetzt (zum literarischen, wie ihn die Gleichsetzung von Novalis präludiert, gleich anschließend).65 Die Weltsicht des Arztes »es ist alles zusammenhängend« rekurriert auf jene Vorstellung der Unio mystica, die auch als höchstes religiöses Erlebnis im Luthertum galt. In Webers Religionssoziologie findet sich ein Hinweis auf die Nähe zwischen Luthertum und katholischen Mystikern hinsichtlich dieser Vorstellung. Durch sein Festhalten an einer christlich-humanistischen Mitleidsethik wirkt er mildernd auf den unnachsichtigen Geistesaristokraten Julian ein. Beim Arzt überwiegen »die antirationalen, gefühlsmäßigen Elemente«, wie Weber sie für die »Frömmigkeit der Herrnhuter« im Vergleich mit der sonstigen Einstellung im Pietismus ausmachte. Die Herrnhuter Gemeinde habe einen deutlichen »HeilanstaltsCharakter« gehabt  ; Anleihen an die Idee einer Authentifizierung des Glaubens durch Kindlichkeit (Naivität) des Grafen Zinzendorfs sind jedenfalls denkbar.66 Heilend wirkt auch seine menschliche Behandlung des »Gefangenen«. So bringt Sigismund dem Fremden, der ihn untersucht, gleich Vertrauen entgegen. Dieser bemüht sich nach der Visitation, bei Julian durch Kritik an den unmenschlichen Internierungsbedingungen (»Mühle«) für Sigismund Besserungen zu erreichen. Allerdings lautet das Fazit der Untersuchung  : »Nur Wiedergeburt heilt einen so Zerrütteten.« Diese Formulierung ist ebenfalls in den Kontext mit Webers Soziologie zu bringen – dass es sich dann um eine »charismatische Wiedergeburt« der durch den Trank bewirkten ekstatischen Vervollkommnung handelt, 67 verweist auf den politischen Gehalt dieses Erlösungsgedankens, der mittels einer »Erweckungserziehung«68 zur (Massen-)Wirkung kommen soll  : 65 Zur Unterscheidung beider Typen bei Weber vgl. WuG, 332 f. 66 RS I, 106, 107. »Die Erhaltung der Kindlichkeit und der Tugenden des demütigen Sich-Bescheidens [… tritt] als Ziel der herrnhutischen Askese in den Vordergrund.« (RS I, 140). Bescheidenheit zeigt auch der Arzt, was die von Julian angesprochenen eigenen Verdienste anbetrifft. Gerüchteweise soll übrigens Florens Christian Rang Mitglied der Herrnhuther Gemeinde gewesen sein  ; vgl. hierzu (ablehnend) das Nachwort Lorenz Jägers zu F.C. Rang, Karneval [HPK]  ; op cit, 59 ff. 67 Zuvor  : WuG, 324. »Für die Erzeugung der lediglich akuten Ekstase war natürlich nicht die planvolle Heilsmethodik der Weg, sondern ihr dienten vorzüglich die Mittel zur Durchbrechung aller organischen Gehemmtheiten  : die Erzeugung akuten toxischen (alkoholischen oder durch Tabak oder andere Gifte erzielten) oder musikalisch-orchestrischen oder erotischen Rausches (oder aller drei Arten zusammen)  : die Orgie.« (WuG, 325). Von einer akuten Ekstase ließe sich hinsichtlich Sigismunds Visionen eines Weltinnenraums seiner Seele (nach Einnahme des Tranks) durchaus sprechen, im dritten Aufzug erhält die Musik eine besondere (Neben-)Rolle  ; die Orgie folgt dann allerdings erst mit dem Anrücken der revoltierenden Massen unter Olivier. 68 WuG, 260.

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»Wiedergeburt [der ganzen Persönlichkeit] und dadurch Entfaltung der charismatischen Qualität, Erprobung, Bewährung und Auslese des Qualifizierten ist daher der genuine Sinn charismatischer Erziehung.« (WuG, 677) »Der Besitz des magischen Charisma setzt fast stets Wiedergeburt voraus  : die ganz spezifische Erziehung der Zauberer selbst und der Kriegshelden durch sie und die spezifische Art der Lebensführung der ersteren erstrebt Wiedergeburt und Sicherung des Besitzes einer magischen Kraft, vermittelt durch ›Entrückung‹ in Form der Ekstase und Erwerb einer neuen ›Seele‹, die meist auch Namensänderung zur Folge hat […]« (WuG, 321  ; Hervorh. A.M.).

Was in den ersten Aufzügen im Turm inszeniert wird, ist das Fundament eines (sprachlichen) Charismatisierungsprozesses, der auf das ganze Reich wirken soll. Dass man den Arzt zugleich als eine »transcendentale« Gestalt zu verstehen hat, dafür gibt ein Brief Hofmannsthals an C.J. Burckhardt wichtige Hinweise  : »[…] eine solche Funktion, daß uns das Ganze nicht zum Angsttraum werde, hat auch der Arzt, und er bleibt immer eine Nuance außerhalb und über der Situation.« Sein Einfluss auf das Geschehen ist subtil, aber beträchtlich69 – er ist es, der Julian auf die Idee des ›Thronfolgers auf Probe‹ am Hof bringt, er mischt den heilenden Trank für Sigismund, der einen Rausch der Selbsterkenntnis mit nachfolgendem Schlaf des Vergessens auslöst und den Transfer des Prinzen aus der reinen Kreatürlichkeit in die Zeremonienwelt des Hofes überhaupt erst ermöglicht (»denn zweimal geboren wird der Auserwählte« – Julian im II. Aufzug)  ; dort wird ihm von Basilius das patrimoniale Amt des Leibarztes verliehen  ; es ist wiederum der Arzt, der Julian dazu motiviert, »die Unteren« zu seinem »Werkzeug« zu machen (»Acheronta movebo«),70 und er ist es, der dann aller69 (Zuvor  : BW Burckhardt, 98 [23. X. 1922]). Um nochmals auf die Beschreibung der Genese des französischen Sprach- und Nationalgeistes bei Vossler zu bemühen  : »Rabelais ist es im Sinn einer Gewalt, die er in dieser Sprache selbst findet, nicht über sie ausübt, nicht in sie hineinlegt, sondern aus ihr heraus empfängt. Calvin ist eloquent, Rabelais suggestiv  ; jener ein Redner, dieser im Grund seiner Begabung ein Lyriker.« (Vossler, Frankreichs Kultur  ; op cit, 263). 70 Das Zitat aus Vergils siebtem Gesang der Aeneis  : »Flectere si nequeo superos, Acheronta movebo.« (Kann ich höhere Mächte nicht beugen, bewege ich die Unterwelt) hat Freud seiner Traumdeutung (1900) vorangestellt  ; schon Machiavelli soll es als politische Handlungsmaxime verwendet haben. Als »Pakt mit den acherontischen Kräften« taucht die Wendung auch in Bismarcks Erinnerungen auf  ; Otto [von] Bismarck  : Gedanken und Erinnerungen. 3 Bde.; Stuttgart 1959 [1921]  ; Bd. 3. 611 (in Bezug auf Kaiser Wilhelm II.). Max Weber scheint ebenfalls an dieses Vergil-Zitat gedacht zu haben, als er am 19. 1. 1920 vor überwiegend rechtsgerichteten (ihm also feindlich gesonnenen) Studenten in München mitteilte  : »Aber das sei Ihnen gesagt  : Zur Wiederaufrichtung Deutschlands in seiner alten Herrlichkeit würde ich mich gewiß mit jeder Macht der Erde und auch mit dem leibhaftigen Teufel verbünden, nur nicht mit der Macht der Dummheit.

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dings während der Durchführung dieses Auftrags und deren Konsequenzen ultimativer Krisenzuspitzung vielsagend fehlt (vierter Aufzug). In das Geschehen nach Ausbruch der Revolte, in der Julian zu Tode kommt, greift er nicht ein. Die Zeichen der mythisch überhöhten, krisenhaften »Zeit« allerdings hat er zuvor nicht nur begrüßt, er begreift auch Sigismund als deren Symbolgestalt und versucht daher aktiv, den Wandel zu unterstützen, indem er diesem zur Seite steht (während des dritten und des fünften Aufzugs  ; im gesamten vierten Aufzug ist die Figur abwesend). Hier scheint nach dem Frevel des Königtums gegen Menschheit und Gott die Folgerung »Revolutionen können Pflicht gegen Gott sein« einschlägig – »Gewaltig ist die Zeit, die sich erneuern will durch einen Auserwählten. Ketten wird sie brechen wie Stroh, granitene Mauern wegblasen wie Staub. Das weiß ich. […] Die Kräfte freizumachen ist unser Amt, über dem Ende waltet ein Höherer.«71 Dass dieses messianische Charisma der Verkündung nicht nur seitens expressionistischer ›Erben der Frühromantik‹ (etwa Bloch, Rubiner, Werfel, Toller, aber auch Landauer, Rang, Buber) verwendet wurde, zeigt ein im November 1918 von Angehörigen des Auswärtigen Amtes (Deutschlands) herausgegebenes Flugblatt an die Jugend Deutschlands, das sich einer sehr verwandten Rhetorik bediente  : »Der Geist, der 1848 die deutschen Lande durchwehte, hat sich in jähem Durchbruch den Weg ins Freie gebahnt. Ein Sturmwind hat das alte Gebäude mit samt seinen Grundmauern davon getragen.«72

Solange aber von rechts nach links Irrsinnige in der Politik ihr Wesen treiben, halte ich mich fern von ihr.« (Marianne Weber  : Lebensbild  ; op cit, 685). 71 RS I, 221  ; SW XVI.2, 186  : Arzt. Wenn Hofmannsthal über Bodenhausen, der übrigens Angehöriger des Auswärtigen Amtes in Berlin war, schrieb, dieser habe »zur Kunst ein dienend souveränes Verhältnis festhalten« wollen (RA III, 157  ; Bodenhausen), ließe sich eine ähnliche Haltung auch für den Arzt hinsichtlich Sigismunds und den politischen Mächten im Turm anführen. 72 An Deutschlands Jugend  ; in  : Harry Graf Kessler  : Das Tagebuch  ; Bd. 6 (1916–1918)  ; hg. v. G. Riederer  ; Stuttgart 2006 [17. 11. 1918]. 647/648. Neben Kessler und zahlreichen Angehörigen des Auswärtigen Amtes unterzeichnete diese Flugschrift auch Felix Somary. Hofmannsthal stand mit Kessler insbesondere während der Kriegsjahre in engem Kontakt  ; sein Pamphlet Geist der Karpathen (1915) etwa geht auf dessen Notizen vor Ort zurück.

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Von Amt, Würden – und Orgien  : Die weiteren Figuren im charismatischen Profil »Der Patrimonialismus war, seinem Strukturprinzip entsprechend, der spezifische Ort der Entwicklung des ›Günstlings‹-Wesens  : Vertrauensstellungen beim Herrn mit ungeheurer Macht, aber stets mit der Chance plötzlichen, nicht sachlich, sondern rein persönlich motivierten Sturzes in dramatischen Peripetien sind ihm charakteristisch.« (WuG, 638 [Hervorh. A.M.])

Das Amtscharisma wird neben den bloß funktionalen Zusammenhängen (und Hierarchien) seiner Wirkung nach von Regeln bestimmt und zeremoniell bzw. rituell beglaubigt, besteht also unabhängig aller persönlichen Qualitäten oder Mängel. Beispiele hierfür sind vor allem die Höflinge (Hofmannthal sprach z. B. in dem oben zitierten Brief an Burckhardt von der Figur des Grafen Adam als reiner Funktion) und patrimonialen Beamten73 – Beichtiger, Kämmerer, Mundschenk und Stallmeister – am Königssitz. Doch auch der Bruder Ignatius (der überdies dämonisch inszenierte Abt) und zuletzt der König selbst sind hier zu nennen. Denn das Erbcharisma Basilius’ ist krisenbedingt in seiner Wirkungskraft rein auf die Insignien und das Ornat des Gesalbten reduziert, ihm eignet darum keine persönliche Komponente mehr (welche seine Autorität in der Krise vielleicht hätte retten können), es ist nur noch die Würde des Amtes, die Dignität des Throninhabers, die ihn schützt. Basilius versucht in seinen Monologen vor Begegnung mit seinem vormaligen Berater, über Jagd-Erinnerungen Momente charismatischen und vitalen Auftretens (im Wortsinne) herbeizuzitieren.74 Seine Macht ist ihm nach Rückzug seines Kardinalministers aber nur noch durch tyrannische Gewaltausübung (»so wandelte er wie auf zertretenen Gesichtern«) und Bestechung einflussreicher Adliger (durch Pfründe und Lehen) gegenwärtig,75 deren Forderungen etwa nach einer antisemitischen Politik er nicht abschlagen kann. Sigismund nennt diese Schwundstufe des machiavellistischen Fürsten einen alten stinkenden Fuchs (III. Aufzug). Auch für Basilius gilt, dass »der Verfall der Aura und der Verfall der Potenz am Ende eines« sind.76 In Julians Plan einer Überführung Sigismunds an den Hof wittert er daher die 73 Vgl. Aufzählung in WuG, 594/595. 74 »Leiter von großen Jagdexpeditionen« zählt Weber neben Ärzten, Propheten und militärischen Führern zu Charisma-Trägern auch unter Bedingungen des Monotheismus (WuG, 654). 75 So lautet schon eine Notiz zum König in Das Leben ein Traum (SW XV, 237). Zu der auf Pfründe und Lehen gestützten patrimonialen Politik vgl. WuG, 598 f. (Sportelpfründe für persönliche Vertraute und Günstlinge). 76 Benjamin, GS V, 457  ; Passagen-Werk.

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Befreiungschance gegenüber allen Bindungen ständischen und klerikalen Rechts (hin zum arbiträren Patrimonialismus). »Wie die Ohnmacht des – durchschnittlichen – parlamentarischen Königs in erster Linie die Basis für die Legitimität der Herrschaft der Parteichefs ist, so hat die Ohnmacht des inkarnierten, ›eingekapselten‹ Monarchen […] die Konsequenz der Priesterherrschaft […]«. »Der qualifizierte Träger des königlichen Charisma wird dann von Gott, d. h. den Priestern, beglaubigt oder holt doch diese Beglaubigung nach […]« (WuG, 688/689  ; Hervorh. A.M.)77

Auf den Befund einer Ohnmacht des »parlamentarischen Königs« wird aus naheliegenden Gründen zurückzukommen sein  ; der ehemalige Grossalmosinier jedenfalls wird als dämonischer Abt und Inhaber »hierokratischen Charismas«,78 als Vorsteher einer absolut hierarchisch organisierten Klostergemeinschaft gezeigt, die natürlich nicht zufällig an den von Ignatius de Loyola gegründeten Jesuiten-Orden erinnert. Dieser wird von Weber als Beispiel straffster Organisation angeführt  : »das raffinierteste religiöse Disziplinierungsmittel  : die exercitia spiritualia des Ignatius« sei hierfür tragend  ; der junge Mönch am Einlass zeigt die typischen Deformierungssymptome einer solchen »›Abrichtung‹ […] durch ›Einübung‹ [einer] mechanisierten Fertigkeit«.79 Nicht vergessen werden soll auch der Bettler, der tatsächlich eine Allegorie jenes von Weber in der Religionssoziologie und Wirtschaft und Gesellschaft beschriebenen religiösen Charismas 77 Auch der folgende Satz beschreibt die politisch-theologische Konstellation Basilius-Grossalmosinier recht gut  : »Wo nicht die Priester als solche direkt politisch regieren, empfängt der König seine Legitimation durch Befragung des Orakels ( Juda), Bestätigung, Salbung, Krönung von der Priesterschaft.« (WuG, 692). Wie schon erwähnt, vegetiert Sigismund aufgrund eines Orakelspruchs im Turm, der ihn (wie Ödipus) als kommenden Königsmörder denunzierte. Zur Kirche als Legitimationsfond des Cäsaropapismus vgl. auch WuG, 700 f. 78 »[…] der rational organisierte priesterliche ›Betrieb‹ der Verwaltung göttlicher Heilsgüter als einer ›Anstalt‹ und die Uebertragung der charismatischen Heiligkeit auf diese Institution als solche, wie sie jeder ›Kirchen‹-Bildung eigentümlich und ihr eigentlichstes Wesen ist  : das hier in höchster Konsequenz entwickelte Amtscharisma wird unvermeidlich der bedingungsloseste Feind alles genuin persönlichen, an der Person als solcher haftenden, den auf sich selbst gestellten Weg zu Gott fördernden und lehrenden, prophetischen, mystischen, ekstatischen Charisma, welches die Dignität des ›Betriebes‹ sprengen würde.« (WuG, 693). Dass der Grossalmosinier also Sigismunds Verwahrung im Turm angeordnet hat, wäre vor diesem Hintergrund eine machtrationale, logische Amtshandlung. 79 WuG, 682  ; in der Ausgabe von 1922 ist dieser Abschnitt mit »Legitimität« übertitelt  ; 642 f. Vgl. auch RS I, 116.

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weltabgewandter Askese ist, indem er die ganze Welt für »unwert« erklärt.80 Ein Urteil, dessen antiautoritärer Zug gerade auch den ›schwarzen Abt‹ und seine »Priesterherrschaft« einschließt – obwohl der sich sehr um diesen Namenlosen bemüht, ohne seines königlichen Besuches zu achten. Das Gewinnstreben charismatischer Herrscher hängt jedenfalls entscheidend von einer spezifischen Wertzumessung ab  : »Auch ein genialer Seeräuber kann ja eine ›charismatische‹ Herrschaft im hier gemeinten wertfreien Sinn üben, und die charismatischen politischen Helden suchen Beute und darunter vor allem gerade  : Geld. Immer aber – das ist das Entscheidende – lehnt das Charisma den planvollen rationalen Geldgewinn, überhaupt alles rationale Wirtschaften, als würdelos ab.« »Das ›reine‹ Charisma ist […] der Gegensatz aller geordneten Wirtschaft  : es ist eine, ja geradezu die Macht der Unwirtschaftlichkeit, auch und gerade dann, wenn es auf Güterbesitz ausgeht, wie der charismatische Kriegsheld.« (WuG, 655/656)

Ein größerer Gegensatz als Oliviers prassender Kriegszug lässt sich zu Ignatius’ straffer Organisation und Julians komplementärer Haltung rationaler innerweltlicher Askese nicht denken. Hier wird das Politische in den Kategorien der Orgie gedacht, bzw. der Naturzustand auf ein solches Verständnis reduziert. In den dichterischen Fassungen verkörpert Olivier das Gewaltprinzip in seiner dumpfen und rohesten Form, als das ewig Ochlokratische dringt er auf die Umkehrung des Herr-Knecht-Prinzips  ; insbesondere, nachdem Julian durch Auftragsvergabe auf ihn angewiesen ist. Er ist die Verkörperung der rauschhaft-revolutionären, materialistischen Kehrseite des Charismas, dessen antiautoritäre Variante in Form einer alles umdeutenden Gewaltanarchie auf einen neuen Weltstand zielt, in welchem anstatt der Erde das Fleisch umgebrochen werden soll. Auch der spätere Satzungserlass, mit dem er seine Willkürherrschaft nach dem Tod Julians postuliert (von Basilius ist kaum die Rede), entspricht ganz diesem (Un)Geist eines 80 Der Bettler erscheint als Träger eines durch die Askese erreichbaren mystischen Wissens, eines Habens der »Erkenntnisse von Werten und Unwerten« (WuG 330) – der Preis hierfür ist Weltflucht und »Meidung jeder Berührung mit der sozialen Umwelt.« (WuG, 332). »Die ›Askese‹ im Sinn zunächst der spezifisch mönchischen Lebensführung kann zweierlei sehr verschiedenen Sinn haben  : einerseits, […] bei den christlichen Asketen, das Primäre  : die individuelle Rettung der eigenen Seele durch die Eröffnung eines persönlichen, direkten Weges zu Gott. […] die ›Weltflucht‹ aus Ehe, Beruf, Amt, Besitz, politischer und jeder andern Gemeinschaft [ist] nur die Konsequenz dieses objektiven Sachverhalts. Und in allen Religionen gewinnt ursprünglich der vollendete Asket, der das Außeralltägliche leistet, dies persönliche Charisma  : den Gott zu zwingen und Wunder zu tun.« (WuG, 694). Vgl. auch RS I, 183.

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primitiven Meutedenkens  : »bewegen wir uns immer von der Stell, so braucht es einen Acker nimmermehr.«81 Nicht nur dieser ans charismatische Nomadentum angelehnte Mobilitätszwang, auch die von den anderen Wachsoldaten schon zu Beginn bemerkte agitatorische Begabung – das »harte Mundleder« – weist Olivier als einen Charismatiker mit pervertiertem Heilsversprechen aus. Jedoch zeigt sich an der Figur immer wieder ein dümmliches Maulheldentum, das ihr komische Züge verleiht – vor Sigismund (»Sperrt er seinen Wolfsrachen auf  ?«) hat Olivier erkennbar Furcht und greift zum Schnaps, eine direkte Konfrontation mit der (ohne sein Wissen inzwischen humanisierten) »Bestie« und »epileptischen Kreatur« meidet er,82 sendet stattdessen seinen Adjutanten und Sprecher Aron, der Sigismund dienstbereit zu machen hat, hierbei aber kläglich versagt. Die von Olivier erlassene Bandenordnung (hierzu später), die das Prinzip der verkehrten Welt im Fastnachtsspiel zu zitieren scheint, ist jedenfalls den Statuten der Brüdergemeinde im fünften Aufzug diametral entgegengesetzt. »Die vollkommene Constitution entsteht durch Incitation und absolute Verbindung mit diesem Reize. […] Dieser Reiz ist absolute Liebe« (Novalis, Glauben und Liebe  ; op cit, 500 [Nr. 53])

Der Kinderkönig ist als die reinste, kaum noch irdische Ausprägung eines Jünglings-Charismas und damit einer Heilserwartung auf das Kommende Georges Maximin-Mythos vergleichbar  ; er entspricht als pazifistischer Repräsentant und Zentralgestalt eines »Liebes-Kommunismus« (Weber) der Brüdergemeinde erkennbar nicht dem charismatischen Kriegerstand des Männerhausverbunds nach der Jünglingsweihe  ;83 jedoch scheint sein zunächst »kriegsmäßig geord81 SW XVI.1, 104  : Olivier. 82 Er scheint in ihm einen (von Weber sehr plastisch beschriebenen) Berserker zu fürchten, »Die Fähigkeit zur Heldenekstase des nordischen ›Berserkers‹, der wie ein tollwütiger Hund in seinen Schild und um sich herum beißt, bis er in rasendem Blutdurst losstürzt, oder des irischen Heros Cuculain oder des homerischen Achilleus, ist ein – wie man für die Berserker lange behauptet hat, durch akute Vergiftung künstlich erzeugter – manischer Anfall (man hielt in Byzanz eine Anzahl zu solchen Anfällen veranlagter ›blonder Bestien‹ ebenso wie früher etwa die Kriegselefanten)  ; die Schamanenekstase ist an konstitutionelle Epilepsie geknüpft, deren Besitz und Erprobung die charismatische Qualifikation darstellt […]« (WuG, 654). Sich diese »konstitutionelle Epilepsie« vorzustellen, überlässt Weber dann jedoch dem geneigten Leser. Beides sei jedenfalls »für unser Gefühl nichts ›Erhebendes‹« (ebd.). 83 Vgl. hierzu WuG 1922, 641. Die Kinder wurden »als freie Gewaltunterworfene (›liberi‹) von den Sklaven unterschieden.« (ebd., 680).

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netes Korps« aus einer solchen Formation hervorgegangen zu sein. Dies wird unter 4.4 noch eingehender zu betrachten sein. Diese Figur zitiert in aller Deutlichkeit die sogenannte »Jugendbewegung«, die auch nach dem ersten Weltkrieg noch viel Einfluss hatte (u. a. verbunden mit dem Mythos von Langemarck). So wird verkündet, die Gesetze müssten »immer von den Jungen kommen«, der Kinderkönig ist zudem gewählt  : »Die, die leben, haben mich über sich gesetzt.« (Kinderkönig, Aufzug V )  ; zugleich kommt auch ihm das Erbcharisma zu, da er Gerüchten zufolge ein unehelicher Sohn des Basilius’ ist. Die mit dieser Gestalt verbundene soziale Utopie ist jedenfalls über den (bei Auftritt schon erfolgten) Moment der Kür hinaus demokratisch konnotiert  : »Kinderkönig negiert zugleich sein König­thum – er ist nur die Stimme der Andern« heißt es in den überlieferten Notizen. Das Ende der dichterischen Fassungen folgt einer »Vision des geschichtslosen Lebens, das den von der Zivilisation aufgehäuften und das Leben erdrückenden Ballast abwirft«,84 einer allerdings ethischen Vergemeinschaftung. Die Figur tritt – da sie ohne alle Archaik auskommt, das Opfer Sigismunds zwar annimmt, aber nicht gefordert hat – als einer der »großen erlösenden Menschen« auf, wie sie etwa die Phantasie des jungen Nietzsches bevölkerten.85 4.1.3 »Der Gefangene«. Sigismund als »Wesen aus einem einzigen Edelstein« »[…] ich fühlte ein entzückendes, schlechthin unendliches Widerspiel in mir und um mich, und es gibt unter den gegeneinanderspielenden Materien keine, in die ich nicht hinüberzufließen vermöchte. Es ist mir dann, als bestünde mein Körper aus lauter Chiffern, die mir alles aufschließen.« (GW EGB, 469  ; Ein Brief )

Sigismund ist mit »den höchsten irdischen Kräften« (Arzt) nicht nur die royale Abkunft, sondern auch von Natur aus eine »Gnadengabe« zuteil geworden, deren Wirkung Hofmannsthal in den Reaktionen anderer Figuren, etwa Antons »Diener-Pietät«, der Diagnose des Arztes, der Hingabe der revolutionären Menge erfahrbar macht. Hierbei ist zu bemerken, dass es sich, im Gegensatz zur entsprechenden Trivialliteratur dieser Zeit,86 keineswegs um eine »blonde 84 Zuvor  : SW XVI.1, 412  ; Varianten. Zitat danach  : Schmidt, Geschichte des Geniegedankens  ; op cit, 157 f.: 158. 85 »Die Menschheit soll fortwährend daran arbeiten, einzelne große Menschen zu erzeugen – und dies und nichts anderes sonst ist ihre Aufgabe.« (Nietzsche, Werke I  ; op cit, 327/328). 86 Zuvor  : WuG, 582. Vgl. hierzu die zahlreichen Beispiele bei Jörg Vollmer  : Imaginäre Schlachtfelder.

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Bestie« handelt (wenngleich er im Moment der Usurpation eine Art BerserkerCharisma entfaltet). Sigismund hat im Gegenteil pechschwarzes Haar, wie in der Szene mit der Bäuerin im zweiten Aufzug deutlich wird, in welcher er auch, verunsichert hinsichtlich seiner Verortung zwischen Tier und »Gekreuzigtem« den Versuch einer christomimese unternimmt.87 Wie Vossler es für die Verkehrsbzw. Umgangssprache dargelegt hat, wächst er also zunächst gewissermaßen »im Schoß des Volkes« auf, um dann dem Erziehungsprogramm in Julians Turm unterworfen zu werden, aufgrund dessen er zwar (geschriebenes) Latein beherrscht, die eigene Sprache jedoch nur unter Schwierigkeiten spricht88 – deren Nutzung (und Sprechen überhaupt) ihm im Normalfall zudem verboten ist. Auch dies verweist bereits auf seine prekäre gattungsspezifische Stellung – »Gedulde sich der Herr. Ich führ ihm die Kreatur heraus.« Der »Gefangene« verbringe seine Tage »Wie ein Herr oder wie ein Hund«  ; dass er in einem Wolfsfell vor sich hinvegetiert, ist auch in sprachgeschichtlicher Hinsicht von Bedeutung  : In den alten Lehrfibeln aus der Zeit lateinischer Gelehrsamkeit wurden (jedoch) des Lateins Unkundige als Wölfe dargestellt.89 Dem Arzt erscheint er mit den ersten, sonderbar kehrreimartigen Worten allerdings noch kindlich  ; Sigismunds Sprache könnte man bis zum Ende des vierten Aufzugs mit Novalis eine »Tropenund Räthselsprache« von entrückter Unverständlichkeit nennen, die dann im fünften Aufzug einer generalstabsmäßigen Nüchternheit weicht. Die anthropologische Engführung von Sprachlichem und Politischem wird schon aus den Worten Antons ganz deutlich  : »Reden ist Menschheit. Wenn die Viehheit reden könnt, wären Wolf und Bär die Herren, täten kommandieren auf der Welt« (Anton I,1). Doch für manches ist auch des Menschen Zunge zu dick, wie SigisKriegsliteratur in der Weimarer Republik. Eine literatursoziologische Untersuchung. Inauguraldissertation am Fachbereich Philosophie und Geisteswissenschaften, FU-Dissertation 2003. Vgl. auch Walter Delabar  : Was tun  ? Romane am Ende der Weimarer Republik  ; Berlin 20042. 87 Für die politische Theologie des Mittelalters hat Kantorowicz festgestellt, dass der König »der vollkommene Darsteller Christi auf Erden« sei  : »Da das göttliche Leitbild des Königs zugleich Gott und Mensch ist, muss der königliche christomimetes dieser Verdoppelung entsprechen.« (Kantorowicz, Zwei Körper des Königs  ; op cit, 79). Sigismund wendet sich von diesem Übergang jedoch ab und blickt gewissermaßen nach unten, indem er sich an das geschlachtete Schwein in seiner Kindheit erinnert  : »Mutter, wo ist mein End und wo ist dem Tier sein End  ?« 88 Die Situation zitiert daher ein wenig das Bedauern, »dass wir immer von lateinisch gelehrten Männern erzogen sind« (WES, 73  : Möser). 89 So zeigt etwa ein Bild bei Thomasîn von Zerclaere  : Der welsche Gast, Cod. Pal. germ., 389  ; (Universitätsbibliothek Heidelberg) einen Lehrer mit Rute, der einen Wolf in Latein unterrichten will – welcher sich allerdings nur für das »Limb« (Lamm) auf der nahen Weide interessiert.

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mund am scheiternden Julian erkennt.90 Für die Frage seiner charismatischen Qualifikation sind beide anthropologischen Pole, Animalität und Grazie, von Bedeutung. Zunächst zu letzterer. Sigismund ist den unmenschlichen Umständen entgegen mit den Zügen unschuldiger Kindlichkeit und Grazie ausgestattet  ; noch in erniedrigendster Gefangenschaft erscheint er dem zur Untersuchung berufenen Arzt als der geborene Souverän  : »[…] Die Person, die ich gesehen habe, ist erlaucht und zum Grössten auserlesen. Nie bin ich in gewisserer Ehrfurcht vor einer erlauchten Gegenwart gestanden. Die Knie wollten sich beugen  ; ich habe mich hart überwinden müssen.« Selbst Basilius bemerkt (in einer Variante)  : »Man nimmt dir Überlegenheit nicht übel ja man gefällt sich darin dir zu unterliegen.« 91 Damit ist deutlich auf den ästhetischen Wirkungsgrad des Charismas im Sinne von Anmut (Grazie, Charis) verwiesen.92 Die Behandlung durch den (»transcendentalen«) Arzt wird vor diesem Hintergrund als Initiationsszene (eines ›Erweckungscharismas‹) lesbar – nachdem dieser ihm die Hand aufgelegt und in die Augen gesehen hat, fragt Sigismund »Bin ich nun in der Welt  ?«  ; eine denkbare Anlehnung an Heideggers Immanenz-Formel des »In-der-Welt-seins«.93 Diese Welt ist jedenfalls zunächst vor allem als sprachliche aufzufassen, und mit der Erteilung des »Sakraments der Sprache« (Agamben) kündigt sich der Ausgang aus der Wolfsexistenz 90 Die Stelle könnte übrigens auch auf Shakespeares Coriolanus verweisen  ; Andreas Höfele hat darauf aufmerksam gemacht, dass hier eine Diskussion im Hinblick auf die Auslegung einer Replik besteht  : ob es demnach »wolvish togue« oder »woolish tongue« heißen müsse (vgl. Höfele  : Porträts der Hydra. Das Theater und die vielköpfige Menge  ; in  : Quiring (Hg.)  : theatrum mundi  ; op cit, 61–87  : 67/68. 91 SW XVI.1, 23  : Arzt  ; SW XVI.1, 305  : Basilius. Aus diesem Grund kann hier die Degenerierungsthese Bergengruens nicht geteilt werden (vgl. Bergengruen, pschychopathologischer Kern  ; op cit, 62)  ; natürlich wird der Sigismund der Bühnenfassung nachher als fast körperlose Gestalt inszeniert (jedenfalls erscheint er sich selbst so), dennoch ist seine Niederlage nicht auf mangelnde »Potenz« oder »Violenz« zurückzuführen (vgl. ebd., 64), für Sigismund als charismatischen Herrscher kann dies erst recht nicht gelten. 92 Deren Gewalt der Leichtigkeit etwa durch Philine in Goethes Wilhelm Meister repräsentiert wird. Instruktiv zum Thema Anmut und Gewalt ist Eckhart Goebels Studie Charis und Charisma (op cit). 93 Vor Heidegger hat allerdings bereits Husserl diese Wendung gebraucht. Martin Heidegger  : Sein und Zeit  ; Tübingen 198616 [1927]. Z.B. 110 ff. »Das für das In-der-Welt-sein konstitutive Begegnenlassen des innerweltlich Seienden ist ein ›Raum-geben‹. Dieses ›Raum-geben‹, das wir auch Einräumen nennen, ist das Freigeben des Zuhandenen auf seine Räumlichkeit. […] Mit dem In-der-Welt-sein ist der Raum zunächst in dieser Räumlichkeit entdeckt. Auf dem Boden der so entdeckten Räumlichkeit wird der Raum selbst für das Erkennen zugänglich.« (ebd., 111). Die merkwürdig weltumspannende Subjektivität Sigismunds – »Hier innen (er kreuzt die Arme über der Brust) sind die vier Enden der Welt […]« (II, 2) – ist eventuell ebenfalls in diesem Zusammenhang zu bedenken.

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an. Die geänderte Bewusstseinslage des Prinzen belegt dies, der sich von nun an – von der Usurpationsszene vielleicht abgesehen – auch menschlicher verhält. Dass es Hofmannsthal hier in der Tat mehr um die Inszenierung eines ›logopolitischen‹ als eines biopolitischen Körpers ging, welcher der ›inneren Form der Nation‹ Kontur geben sollte, lässt sich auch mit Hilfe eines Zitats verdeutlichen, das Hofmannsthal zum Zeitpunkt seiner Lektüre des Trauerspielsbuches längst bekannt gewesen ist  ; auch der Arzt scheint demgemäß »[…] vom Ursprung des Humanismus zu reden, als sei er ein lebendiges Wesen, das als Ganzes irgendwo und irgendwann auf die Welt kam und als Ganzes dann weiter gewachsen ist […] Wir verfahren dabei wie die sogenannten Realisten unter den Scholastikern des Mittelalters, die den allgemeinen Begriffen, den ›Universalien‹, Realität beilegten. In gleicher Weise setzen auch wir – hypostasierend wie die Mythologien der Urzeit – ein Wesen von einheitlicher Substanz und von voller Wirklichkeit und heißen es, als wäre es ein lebendiges Individuum, Humanismus. Wir sollten uns aber hier wie in unzähligen ähnlichen Fällen […] darüber klar werden, daß wir einen abstrakten Hilfsbegriff nur erfinden, um unendliche Reihen mannigfaltiger geistiger Erscheinungen und recht verschiedener Persönlichkeiten uns übersichtlich und faßbar zu machen.« (Konrad Burdach  : Reformation, Renaissance, Humanismus  ; zit.n. GS I 1, 220  ; Trauerspiel)94

Sigismund ist zunächst als »fürstliche Kreatur« eine Schwellenfigur in fast jedweder Hinsicht – zwischen Recht und Gewalt, Mensch und Tier (»Mutter, wo ist mein End und wo ist dem Tier sein End  ?«),95 steht zudem auch zwischen den Geschlechtern  : »Dieser ist weder Mann noch Weib, sondern über beiden. […] Seine Natur ist einfach. Es sind keine fremden Elemente in ihm. Er ist heilig und unberührt.«96 Auffällig ist hier auch wieder die Sakralität, sacertas im Zusammenfallen von Unberührtem und Unberührbarem, Majestät und – Homo sacer (»Heiliger«), dessen Leib eben nicht geopfert werden darf,97 sondern, permanent 94 Auch die hier annoncierte Technik der Gestaltkonstitution lässt sich mit der Hofmannsthals vergleichen. Hofmannsthals Relation zu Burdach ist bei König (Dichter unter den Philologen  ; op cit) vertiefend dargestellt  ; die Relevanz für den Turm ergibt sich aus zahlreichen Vermerken in den Erläuterungen der Kritischen Ausgabe (v. a. SW XVI.1). 95 Zuvor  : SW XVI.1, 20  : Arzt  ; SW XVI.1, 60  : Sigismund. Eine Frage, die er sich als unbewusster Homo sapiens eigentlich selbst beantwortet  : »Ungleich dem Tier hab ich Begriff von meiner Unkenntnis. Ich kenne, was ich nicht sehe, weiss was fern von mir ist. Dadurch leide ich Qual wie kein Geschöpf.« (SW XVI.1, 63  : Sigismund). 96 SW XVI.1, 34/35  : Arzt. Das ist übrigens ein Zitat der biblischen Taufformel (Gal. 3, 26–28). 97 – ein Vergehen wider die symbolischen Mechanismen seiner eigenen politischen Ordnung, das Basilius später in der Bühnenfassung begeht, indem er die Hinrichtung anordnet.

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dem Tod ausgesetzt, in den abjekten Raum der einschließenden Ausnahme verbannt ist, ohne aber tatsächlich – leiblich – getötet zu werden (wenngleich Julian dem Arzt von zwei nächtlichen Mordanschlägen auf den Turm-Insassen berichtet). Was auf dem Spiel steht, ist vielmehr mit seiner Humanität die Superiorität der menschlichen Gemeinschaft (der ›Krone der Schöpfung‹) als ganzer  : »Hier wird, woferne Gott nicht Einhalt tut, die Majestät gemordet. An der Stelle, wo dieses Leben aus den Wurzeln gerissen wird, entsteht ein Wirbel, der uns alle mit sich reisst.« Damit ist nochmals klar, dass Sigismunds Bedeutung als Wesen »höchste[n] Geblüt[s]«, »[…] einer quinta essentia aus den höchsten irdischen Kräften« weit über die eines Einzelnen hinausweist. »Der Frevel ist an der ganzen Menschheit begangen worden« und werde erst gesühnt sein, wenn das Königreich zusammenstürze.98 Die Unrettbarkeit des traditionalen Königtums steht für den Arzt also von Beginn an fest. Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch der Hinweis des Arztes auf die Reinheit, also auf Homogenität und Unberührtheit von Sigismund, die insbesondere in Bezug auf seine Eigenschaft als Kollektivgestalt und Märtyrer noch interessieren wird (und jedenfalls angesichts der Ausdünstungen des Kofens nicht körperlich-politisch, sondern leiblich-theologisch gemeint sein dürften).99 Als weitere Schwelle der Sigismund-Figur ist damit die zwischen Mensch und Gott auszumachen  ; den Übertritt (das »Hinüberfließen«) zum Ende des Stücks beobachtet der Kinderkönig am Wandel von Sigismunds Gesicht  : »Wer ist dies Göttliche, das nun auf die Schwelle tritt  ?« Es handelt sich dabei, so könnte man im Kontext des Burdach-Zitats schließen, um eine humanistisch tradierte »Menschengöttlichkeit« (Herder). Entsprechend wird Sigismund von Anton schon in der ersten Turm-Fassung, also vor Hofmannsthals Lektüre des Trauerspielbuchs, als Märtyrer bezeichnet  : 98 SW XVI.1, 22  : Arzt  ; SW XVI.1, 23  : Arzt  ; SW XVI.1, 21  : Arzt  ; vgl. ebd. Auch diese Textstellen sprechen gegen Bergengruens These eines Machtverfalls durch Degenerierung, selbst in der Bühnenfassung ist nicht körperliche Ermattung, sondern psychische Verweigerung der Grund für Sigismunds Niedergang. Gerade mit einer sprachsoziologischen Perspektive auf die Gestalt erscheint Bergengruens Konzentration auf die sexualpathologische Dimension von deren Körper­-lichkeit (mit kollektivem Nexus) jedenfalls nicht als der Hauptschlüssel für die Interpretation, sondern eher als Facette (vgl. Bergengruen, Man liebkost um zu tödten  ; op cit, 47/59 f.; und ders., Mystik  ; op cit, 194 f.). In der Lehre von den zwei Körpern des Königs ist überdies der natürliche triebhafte Körper, verglichen mit dem unsterblichen der Majestät, der unbedeutende und ephemere.  99 Dass Sigismund in Varianten dann als lebensreformbewegter Fructaner auftritt  : »Nicht die Vogelschlinge noch den Angelhaken noch das Messer im Hals des Schweines (aber die Früchte  : in ihnen isst man Ordnung u Weisheit)« (SW XVI.1, 352  ; Varianten), passt daher ins Bild.

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»Schaun doch Euer Gnaden, wie sanft er ausschaut  ! Kniet bei Sigismund, streichelt ihm die Füsse Sieht denn Euer Gnaden nicht, er hat einen Heiligenschein überm Gesicht  ! o du heiliger verklärter Marterer du  !« (wobei diese Wirkung auch auf der Einnahme des ärztlichen Trankes beruhen könnte). Die mit Sigismund verbundenen Tiermetaphoriken sind die von Lamm und Adler100 und damit eines »römischen Cäsars mit Christi Seele« (Nietzsche) bzw. »christliche[n] Herkules’«.101 Entsprechend seiner Ausrufung zum Märtyrer wird er in einer Variante vom Arzt auch als »Heilige[r], der einen neuen Weg« gehe, bezeichnet. Dem entspricht auch die recht elitäre Zurückweisung der Quantität durch die Qualität in den überlieferten Notizen  : »Tausende sind nichts  : einer ist alles  !«102 Zugleich ist darin eine Poetik politischer Allegorese angelegt, wie der Turm sie in der Figur Sigismund als körperlich-gestalthaften Projektionsraum für Ideen organischer Gemeinschaft inszeniert. Entsprechend verfügt Sigismund über einen gewaltigen inneren (seelischen, geistigen) Raum zur Weltaneignung, welcher ihm (allerdings erst) nach Einnahme des Trankes in Form einer ›Ekstase der Innerlichkeit‹ bewusst wird  : »Hier innen er kreuzt die Arme über der Brust sind die vier Enden der Welt  ; schneller als der Adler flieg ich von einem zum andern, und doch bin ich aus einem Stück und dicht wie Ebenholz  : das ist das Geheimnis.« Die Verbindung von Charisma und Geheimnis, staatspolitisch auch Julian als Arkanum bekannt, richtet sich damit ganz auf die Gestalt selbst  : »Dazu bin ich da  : dass euch der Mensch wieder geheimnisvoll werde  :103 unzugänglich wie ein Heiligthum  : einer. Der einzelne  !« Dies lässt sich mit dem von Hofmannsthal für den Turm notierten Zitat Karl Wolfskehls in Verbindung setzen  : »Nichts Geheimnisvolleres hat die Erde hervorgebracht, als den Herrscher«,104 das stellvertretend für eine Reihe vergleichbarer Äußerungen aus dem George-Kreis, etwa Friedrich Wolters oder Gundolfs, stehen kann.105 Als ein solches ›wandelndes Arkanum‹ 100 SW XVI.1, 66  : Anton  ; vgl. z. B. ebd., 65  : Julian. 101 Wobei aus den Notizen nicht klar hervorgeht, wer gemeint ist, Julian oder Sigismund  : Das Schicksal zu »tragen als ein christlicher Herkules« (SW XVI.1, 227  ; Varianten). Die Stelle lautet bei Nietzsche  : »Die Erziehung zu jenen Herrscher-Tugenden, welche auch über sein Wohlwollen und Mitleiden Herr werden  : die großen Züchter-Tugenden (›seinen Feinden vergeben‹ ist dagegen Spielerei), den Affekt des Schaffenden auf die Höhe bringen – nicht mehr Marmor behauen  ! – Die Ausnahme- und Macht-Stellung jener Wesen (verglichen mit der der bisherigen Fürsten)  : der römische Cäsar mit Christi Seele.« Nietzsche, Werke. Bd. 3 [Schlechta]  ; op cit, 421/422. 102 SW XVI.1, 303  : Arzt  ; SW XVI.1, 300  : Arzt. 103 SW XVI.1, 67  : Sigismund  ; SW XVI.1, 369  : Sigismund. 104 RA III, 592  ; Aufzeichnungen [1928]. 105 Dass die Kritische Ausgabe zu den späten Dramenfragmenten eine Kombination des Wolfskehl-Zi-

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gelebter ›Wiederverzauberung‹, zu dem höchstens der Arzt Zugang hat, versteht sich Sigismund, seit er »Herr und König« und damit seiner selbst bewusst ist. Dieses Selbstbewusstsein aus »charismatischer Wiedergeburt« (Weber) gipfelt in der Absage an Julian, die eine souveräne Enthaltung von der Macht und damit eine Selbstenthaltung (im Sinne von Subjekt-Souveränität  : beinhalten) durch das Geheimnis bedeutet  : »sigismund. Was weißt du von mir  ? Hast du den Zugang zu mir  ? da ich unzugänglich bin, wie mit tausend Trabanten verwahrt.«106 Die erbcharismatische Herkunft, das in Kargheit und Belesenheit an einen Jesuitenzögling erinnernde Aufwachsen im Turm und seine natürliche Majestät sind spezifische Attribute des Charisma-Trägers, die jeweils in den verschiedenen Reaktionen seines Umfelds verdeutlicht werden. Sigismunds Charisma stellt als ausgewiesen immanentes (und zugleich doch übermenschliches) eine Säkularisierung jenes dépot sacré der traditionalen Legitimation dar – nicht umsonst drang der Großalmosinier als theologischer Politiker darauf, Sigismund in den Turm sperren zu lassen. In der Figur selbst ist somit gewissermaßen der Übergang vom sakralen zum mystischen Leib der Nation angelegt, in welchem »das ganze Volk ein Wesen ist«,107 und dessen Somatik folglich die kollektive Dimension einer nicht theologisch verfügten Unitas aufweist (bzw. mit einer solchen in Wechselwirkung steht). Dass sich das Volk, die homines sacri der absolutistischen Herrschaft, mit ihm identifizieren, ihn gewissermaßen als den neuen Heiland verehren, ist daher nicht verwunderlich (auch diese messianisch-urchristliche Note bedroht die Kirche als Institution)  : »O dass du da bist, unser Versühner  ! / Volk  : Du Haupt des Volkes  ! Du unser Hüter  !«108 Er scheint diese Rolle auch annehmen zu wollen  :

tates mit einer Notiz zu Donoso Cortes nachtragen (die sich in der RA III-Ausgabe so noch nicht findet), ist für hiesigen Kontext von größter Bedeutung  : »Es könne kein Königtum mehr geben, weil es keine Könige mehr gebe.« (SW XIX, 462  ; Erläuterungen Phokas). Mit dieser Lektürefrucht aus der Politischen Theologie, die den hier nachverfolgten Lösungsweg einer charismatischen Herrschaft direkt betrifft, werden sich die Folgekapitel daher noch eingehend beschäftigen (vgl. 4.3, 5.3). 106 SW XVI.1, 95  : Sigismund  ; SW XVI.1, 97  : Sigismund. Das Bild der antiken Charis war der um sich selbst kreisende Ball – wiederum eine Metapher, die sich nicht nur dem Narziss-Mythos, sondern auch der Zirkulation zuordnen lässt (vgl. hierzu Gerd Ueding  : Ethos und Charisma des Redners  ; in  : Häusermann, Inszeniertes Charisma  ; op cit, 69–82). 107 RA II, 85  ; Beethoven. Auch Bergengruen weist mit einer schlüssigen Herleitung von Gustav Landauers Durch Absonderung zur Gemeinschaft (Skepsis und Mystik) auf diese Funktion hin  ; vgl. Bergengruen, Mystik  ; op cit, 157 f. 108 Zu den Homines sacri  : vgl. Agamben, Homo sacer  ; op cit, 121. Das »Hüter«-Zitat (SW XVI.1, 373  : N 153 »V Anfang«) ist seinem Entstehungsdatum nach unklar (1922 oder Sommer 1923, jedenfalls nicht früher).

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»[…] Da ich gewaltiger Mensch eins bin mit den Sternen, so lehrtest du mich, darum warten sie wissend auf mein Tun. Aus meiner Brust gebäre ich ihnen die Welt, nach der sie zittern. Ihnen ist alles Gegenwart, die sich gebiert – die Qualen, die dem niedrigen Menschen geschehen mit Harren und Stocken, und dass ihn zermalmen will mit zermalmendem Heranschreiten ein Übergewaltiges – derer sind sie ledig. Ihresgleichen aber, so sprachest du, mein Lehrer, – ihresgleichen in Auserwählung ist eines träumenden Menschen herrliche Brust, die aus sich selber die Welt schafft, geniessend ihres innersten Selbst.« (SW XVI.2, 86  : Sigismund [Hervorh. A.M.])109

Als eingesperrter »Armeleute-König« ist Sigismund selbst die Botschaft, jene oben schon aus den Varianten zitierte »Nicht-Sprache«, die Chiffre, die in alle Dinge, alle Kreaturen dringt  : sein Name ist in aller Munde, es sind Bilder von ihm, dem »Ebenbild Gottes«,110 in Umlauf  ; die Massen knien in den Kirchen davor.111 Der Märtyrer im Turm wird quasi Objekt des mimetischen Begehrens der Masse bzw. zum Fetisch der »Massenseele« (Le Bon, Freud), die aber im Sinne Vosslers eher eine massen- oder herdenmäßige Seelenverfassung der Masse von Einzelnen ist (was die schon auf den Chandos-Brief zurückgehende Vision einer Überall-Eindringlichkeit bedeutsam macht) und hier jedenfalls stark sakrale Anleihen zeigt. Der von Weber dargestellte von innen her revolutionierende Zug des Charisma kommt hier voll zur Geltung, ohne dass der Urheber dieser Wirkung öffentlich präsent im Sinne einer körperlichen Anwesenheit wäre. Nach der Überwindung des Königtums durch die Massen richtet sich Julians Hoffnung einer gemeinsamen Herrschaft folglich mit aller Dringlichkeit auf Sigismunds Hervortreten, welches beiden die auf das Entzücken der Massen gestützte »Allmacht« sichern könne. Diese Allmachtsphantasie äußert sich wiederum als sprachliche Utopie  : »Jetzt sind wir die Weissager und Wahrmacher zugleich  !« 109 Damit zeigt Hofmannsthal Sigismund als Inhaber jener schon früher beschriebenen »unheimlichen Kraft« in einer Zeit, »in welcher aber keinem wohl sein kann, als wer die unheimliche Kraft hätte, das ganze Weltbild sich aufzulösen in Beziehungen und mit dem Begriff, daß alles schwebe und schwebend sich trage, hauszuhalten.« (RA I, 87  ; Dichterisches Dasein). 110 SW XVI.2, 131. SW XVI.1, 58. 111 Diese so erzeugte Massenwirkung scheint einen Hinweis auf Nietzsches Einstellung zum Phänomen ›Masse‹ in Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben (1874) zu geben – erzeugt durch »verschwimmende Kopien […], auf schlechtem Papier und mit abgenutzten Platten hergestellt […] als Widerstand gegen die Großen« werde die Masse schließlich zum »Werkzeug der Großen« (Nietzsche, Werke. Bd. I  ; op cit, 273) – so schwebt es auch Julian vor. Anleihen an Le Bon sind für diese Figur durchaus zu berücksichtigen  ; weniger aber für Hofmannsthals eigene Wirkungsabsicht.

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Dass sich diese nicht im Blochschen Sinn konkretisiert, wurde bereits erwähnt und ist anschließend gesondert an der Befehls-Thematik zu betrachten. Sigismund ist als alles erschließende, chiffernhafte Gestalt kollektiver Hingabe die Antwort auf die offenbar gewordene Frage der monarchischen Herrschaft und damit auch die gestaltgewordene Infragestellung der Legitimation Basilius’, die sich in der kardinalen Frage »Woher – so viel Gewalt  ?« äußert. In ihm kreuzen sich monarchische und demokratische Legitimation, durch seine in Absonderung gewonnene mystische Verbindung mit dem Volksganzen (und Julians zusätzliches Werben für ihn) weiß er den demos hinter oder vielmehr  : in sich. Denn er selbst verkörpert diesen in der Eigenschaft als symbolischer Kompositkörper, in welchem »kognitive Sinnbildungsenergien zirkulieren«  :112 im Sinne eines Aufgehens des pouvoir constituant im Volksgeist – in Abwandlung der zitierten Definition des absolutistischen Legalitätsradikalismus’ (Beichtiger) könnte man in (politisch riskanter Zuspitzung) formulieren  : ›Das Volk und der Souverän sind eins‹. Das hieße aber, Nadlers Gleichsetzung ›Sigismund=Volk‹ zu übernehmen. Als ›Ort‹ einer solchen ›rousseauistisch-herderischen Synthese‹ war hingegen oben Hofmannsthals konservative Utopie, das Schrifttum (als »geistiger Raum der Nation«) in seinem eigentümlichen Wechselwirkungsverhältnis mit den Gestalten der Suchenden dargestellt worden. Dass und in welcher Form hier eine Verbindung besteht, wird neben den Betrachtungen zur sprachlichen Dimension des Politischen in Sigismund anschließend zu verdeutlichen sein.113 Die Etymologie des Namens ist in dieser Hinsicht jedoch schon mehr als ›sprechend‹. »Er hat mich nicht gehalten, wie ihm befohlen war, sondern  : er hat mich gehalten, wie er ausgesonnen hatte  : in der Erfüllung seines geistigen Werkes. Denn er war der Meister über dem allen.« (SW XVI.1, 104  ; Sigismund über Julian)

Zum ›animalischen Fond‹ der Figur bleibt indes noch etwas nachzutragen  ; Sigismunds eigene Wortwahl deutet es an  : »gehalten« wird ein Tier, kein Mensch. 112 Man könnte durchaus auch über Sigismund schreiben  : »Es ist die Gestalt eines kollektiven Körpers, in dem keine stimulativen Energien der Wechselreizung, sondern kognitive Sinnbildungsenergien zirkulieren und in dem der lebendige Geist – das Pneuma des Kollektivleibs der christlichen Glaubensgemeinschaft – sich durch das genetische ›Verwachsensein‹ mit dem Buchstaben dem Naturgesetz des biologischen Lebens unterstellt.« (Matala de Mazza, Verfaßter Körper  ; op cit, 250  : über Schlegels Utopie des romantischen Schrifttums). Zuvor (»Gewalt  ?«)  : SWXVI.2, 177. 113 Die Verbindung ließe sich etwa so formulieren  : Die Sprache versammelt gewissermaßen den Volksgeist, gibt ihm Gesicht und Kontur, die allerdings rätselhaft und damit deutungsbedürftig bleiben – eine Aufgabe für die berufenen Dichter.

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Entsprechend erfolgt – der »intellektualistisch-literarischen« Erziehung Sigismunds zum Trotz114 – die Verkörperung der Synthese von demos und Volksgeist zunächst weniger in einer theologisch-leibhaften Weise, sondern in Evidenz des tatsächlichen ›Produkts‹ souveränen »Banns«, welchen Grossalmosinier und Basilius über ihn verhängt haben  : als »ursprüngliche Leistung der souveränen Macht«, nämlich als »biopolitischer Körper«.115 Die gebildete Erscheinung verdrängt die Animalität des »charismatischen Tiers« erst nach und nach und in dem Maße, in dem Sigismunds Subjektwerdung voranschreitet. Benjamin schrieb etwa zur selben Zeit, den Barockdramatikern sei die Überzeugung noch geläufig gewesen, dass »im Herrscher, der hocherhabenen Kreatur, das Tier mit ungeahnten Kräften aufstehen kann«.116 Hofmannsthal kannte diese gattungsmäßige Tradition natürlich sehr gut. Sigismund kennzeichnet demnach (wie erwähnt) nicht allein eine erhaben-sakrale Leiblichkeit, sondern zugleich verfügt er durch sinnlich-rauschhafte Kreatürlichkeit über ausreichend »animal spirit« (Keynes), der als Fond seines Herrschaftswillens erscheint. Dies ist an der ihn ›umkleidenden‹ Wolfsmetaphorik (vgl. 3.3) schon verdeutlicht worden  ; mit dem Roßknochen schlägt er, ›Souverän des Kofens‹, unters Getier »wie ein Hirnschelliger«. Selbst Oliviers Wutausbruch gegen den sich ihm sperrenden Sigismund »Erzkreatur, du epileptische  !« verweist noch auf die physiologische Bedingtheit von Sigismunds Charisma, in welchem er den Berserker fürchtet (vgl. 4.1.2.3). Zwar wird aus dem Dramentext diese typische Erkrankung des Charismatikers kaum ersichtlich, jedoch fragt auch einer der Adelsvertreter nach Sigismunds Zusammenbruch (der allerdings auf die Vergiftung durch die Zigeunerin zurückzuführen ist) »Hat er die fallende Sucht wie sein Vater  ?«117 Die Erläuterungen der 114 »Wo die Herrschaftsstruktur ›präbendal‹ organisiert ist, pflegt die Erziehung den Charakter der intellektualistisch-literarischen ›Bildung‹ anzunehmen […]. Oder sie bleibt in den Händen der Geistlichkeit als Trägerin der für die patrimoniale Beamtenverwaltung – mit ihrem, dem Feudalismus unbekannten Rechen- und Schreibwerk – nützlichen Künste, wie im vorderasiatischen Orient und im Mittelalter. Sie ist alsdann spezifisch literarischen Charakters.« (WuG, 652–653). Das Luthertum habe jedoch nur Untertanengeist produziert. 115 Agamben, Homo sacer  ; op cit, 16. Vgl. zur Denkfigur des Banns auch die gute Zusammenfassung bei Bergengruen/Borgards (Hg.)  : Bann der Gewalt  ; op cit  ; Einleitung  : »Formal betrachtet befinden sich also Souverän und Verbannter in einer Zone der Ununterscheidbarkeit, mithin in einem Raum, von dem die gesellschaftliche Ordnung bestimmt wird, in dem jedoch die Grenzen dieser Ordnung zugleich unbestimmt bleiben.« (ebd., 13). 116 GS I 1, 265  ; Trauerspiel. 117 SW XVI.1, 105  : Olivier  ; ebd., 134.

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Kritischen Ausgabe enthalten hier einen interessanten Hinweis auf Dostojewskijs ebenfalls heiland-ähnlichen Fürsten Myschkin (»Der Idiot«), der Epileptiker ist, sowie auf Shakespeares Julius Cäsar. »Epilepsie wurde in der Antike als Zeichen göttlicher Erwählung gedeutet.« Doch auch das Barock kannte diese Übereinstimmung von Abkunft und Krankheit  : »Die Fürsten/ denen ist der Purpur angebohrn/ Sind ohne Szepter kranck.«118

4.2 Herrschaftsformen I. Von der traditionalen zur charismatischen Legitimität »Die charismatische Herrschaft ist, als das Außeralltägliche, sowohl der rationalen, insbesondere der bureaukratischen, als der traditionalen, insbesondere der patriarchalen und patrimonialen oder ständischen, schroff entgegengesetzt. […] Die bureaukratische Herrschaft ist spezifisch rational im Sinn der Bindung an diskursiv analysierbare Regeln, die charismatische spezifisch irrational im Sinn der Regelfremdheit. Die traditionale Herrschaft ist gebunden an die Präzedenzien der Vergangenheit und insoweit ebenfalls regelhaft orientiert, die charismatische stürzt (innerhalb ihres Bereichs) die Vergangenheit um und ist in diesem Sinn spezifisch revolutionär.« (WuG, 141)

Alle drei von Weber beschriebenen »reinen Typen« finden sich, das wurde bei Beschreibung der Figurenhintergründe schon deutlich, auch im Turm. Hinsichtlich traditionaler und charismatischer Herrschaft ist die Rollenverteilung klar (wenngleich das Charisma eine geradezu apokalyptisch-dichotome Gestaltung in Sigismund und Olivier findet)  ; rational erscheint allerdings weniger die von Julian angestrebte Herrschaft als das Jesuiten-Kloster des Grossalmosiniers – und ein Stück weit auch die Herrschaft Sigismunds vor Eintreffen des Kinderkönigs. Prägend für den Handlungsablauf sind in den dichterischen Fassungen aber der charismatische und der traditionale Typus mit der Dialektik des souveränen Banns, dessen Medium neben Repräsentationsstrategien (Raumordnung, Zeremoniale etc.) der Befehl ist. Weber weist zusätzlich auf die rechtliche Dimension dieser Gewalt des Urteilens, die »Falle der Legalität« (Henning Ritter), hin, wie sie der Turm ebenfalls inszeniert  :

118 – und zwar in aller Doppeldeutigkeit  ! – Lohenstein zit. n. GS I 1, 304  ; Trauerspiel. Zuvor  : SW XVI.1, 550  : Erläuterungen.

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»[Es] pflegen mit Entfaltung der Banngewalt die richterlichen Funktionen des Fürsten in den Vordergrund zu rücken […]« / [Doch] »der Allmacht gegenüber dem einzelnen Abhängigen steht auch hier die Ohnmacht gegenüber ihrer Gesamtheit zur Seite.« (WuG, 638/584)

4.2.1 »Les grandes crises humaines sont des crises de commandement«119 – Machtverfall und ›Befehlsnotstand‹ der traditionalen Herrschaft »Wohl, solange du geformt warst, / Warst du viel. Dein bloßes Blinken / Konnte ungeheure Heere / Lenken wie mit Zauberwinken. / Krone, brauchtest nur zu leuchten, / Nur zu funkeln, nur zu drohn … / Kaum die Dienste eines Knechtes / Zahlt dein Stoff, der Form entflohn.« (Hofmannsthal, Der Kaiser und die Hexe)

Die immense Bedeutung des Befehlstopos für die Inszenierung und Ausübung von Herrschaft bei Hofmannsthal ist bereits betont worden. Der Ausspruch der Figur eines Gesandten in einer Variante bringt dies auf den Punkt  : »Die Kraft des Befehles ist Zeichen der Legitimität.«120 Dieses nicht in den Dramentext übernommene Zitat dringt auf eine Quintessenz des Weberschen Herrschaftsdenkens – dem Dualismus von Befehl und Gehorsam, welcher eben dort versagt werde, wo die Legitimität des Befehlenden infrage steht. »Der soziologische Begriff der ›Herrschaft‹ […] kann nur die Chance bedeuten  : für einen Befehl Fügsamkeit zu finden.«  ; »Bei Herrschenden und Beherrschten pflegt […] die Herrschaft durch Rechtsgründe, Gründe ihrer ›Legitimität‹, innerlich gestützt zu werden, und die Erschütterung dieses Legitimitätsglaubens pflegt weitgehende Folgen zu haben.«121

Dieser Themenkomplex zieht sich wie dargelegt von Beginn an durch das Stück, gipfelnd in Sigismunds Diktum »Dort wo wir hingehen, wird gehorsamt ehe befohlen war […]« (4. Aufzug). Die verschiedenen relevanten Textstellen datieren aus verschiedenen Arbeitsphasen, wurden aber häufig erst spät 119 »Zum ›Turm‹. Les grandes crises humaines sont des crises de commandement (Francois Poncet, ›Reflexions d’un républicain moderne‹«. (RA III, 588  ; Aufzeichnungen [9. März 1927]). 120 SW XVI.1, 417  : Varianten. Hofmannsthals Ausdruck für »Legitimitätsglaube« ist sonst aber das »Zutrauen«. 121 WuG, 29  ; Max Weber  : Die drei reinen Typen der legitimen Herrschaft. [1922]  ; in  : Weber, WL, 475 f.

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eingearbeitet. Es versteht sich, dass die Herrschaftsmodi des ancien régime mit der Legitimation des Königtums zerfallen sind  ; die Krise ist eine der traditionalen Herrschaft und auch Julian scheitert nicht zuletzt an seinem Glauben an deren mögliche Kontinuität in Sigismund. Herrschaft ist nach Max Weber auf »autoritäre Befehlsgewalt« gegründet, die durch »Einfühlung«, »Eingebung« oder »rationale Einredung« agieren kann.122 Gerade im Moment des Agens (oder auch  : Agons) fallen nun aber beide Figuren auseinander, da Julian mit seinen Versuchen »rationaler Beredung« erst an Sigismund und dann an der revolutionären Masse scheitert, Sigismund ihm hier durch »Einfühlung« überlegen ist. Der von Hofmannsthal eingeschlagene Weg aus der Krise des Befehls führt über ein bei Weber ja beileibe nicht bloß hierarchisches Konzept der Überzeugung (die Wirkweisen »Einfühlung, »Eingebung« und »rationale Beredung« sind deutlich unterschieden), welches der Schematik von Befehl und Gehorsam vorausgeht – eben die Wirkung des Charismas bzw. die nicht hinterfragte Legitimität des Befehlenden (vgl. 1.5.1). Diese ist der monarchischen Herrschaft Basilius’ nicht mehr gegeben.123 Wenn »Die Sprache des Barock« nach Benjamin »allezeit erschüttert von Rebellionen ihrer Elemente« ist, trifft dies auch die sprachliche Manifestation von Herrschaft  : den Befehl als Sprechakt.124 Die Eingangsszene des Turm zeigt, dass die Rangverhältnisse unter den Wachsoldaten des Turms schnell geklärt sind, sich aber gegen die übergeordneten Ebenen richten. In den Eingangsdialogen zwischen Olivier, Pankraz und Andreas teilt sich die ›Phänomenologie des Zeitgeistes‹ mit und weist auf einen scharfen Umbruch in der Herr-Knecht-Dialektik hin – »Die Zeitläufte sind nicht danach, dass sie eine Person wie mich schuriegeln könnten.« (Olivier). Die darauf folgende Szene zwischen dem nominell höher stehenden Anton und dem überlegenen Olivier ist gewissermaßen die ›Blaupause‹ auf die weitere Entwicklung. Von einem Funktionieren der Befehlskette kann keine Rede mehr sein, Julian hat hier erkennbar eine stark verminderte »Chance«, den eigenen Willen auch gegen Widerstand durchzusetzen, wie Webers Machtdefinition in 122 WuG, 544. Zuvor  : SW XVI.1, 202. 123 An Leopold von Andrian schrieb Hofmannsthal schon 1913  : »ich habe das Vertrauen vor dem obersten Stand, dem hohen Adel, das ich hatte, das Zutrauen, er habe, gerade in Österreich, etwas zu geben und zu bedeuten, völlig verloren und damit meine Achtung vor dem Stand als solchem – die ich, Gott weiß woher, hatte. […] Aber ich gewahre nirgends den Stand, ja nicht einmal die Elemente des Standes, welche diesen in der Führung ersetzen könnten.« (BW Andrian, 199–200). 124 GS I 1, 381  ; Trauerspiel.

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Wirtschaft und Gesellschaft lautet. Wo Olivier kooperiert (nicht  : gehorcht), tut er es aus eigenem Interesse. Olivier wird zwar beschieden, er habe sich an die Order zu halten, weil der Gouverneur ( Julian) sonst die entsprechenden Maßnahmen ergreifen könne. »Der hat das schleunige Recht. Dem ist Gewalt gegeben über unsere Hälse wie dem Schiffskapitän über seine Mannschaft.« Das von den anderen Soldaten noch gefürchtete »schleunige Recht« – welches man wohl als »zusammengesetzte Amtshandlung« verstehen kann, die in der frühen Weimarer Republik mit dem »Standrecht« häufig (gegenrevolutionär) zum Einsatz kam125 – hat offenbar seinen Abschreckungscharakter verloren. Oliviers Reaktion fällt fordernd aus  : »Das möchte ich sehen  ! Der soll an mich herankommen. Hier steh ich.«126 Mit Schmitt kann man dazu bemerken  : »Soziologisch bedeutet das den richtigen Instinkt der Revolution.«127 Die vom Königtum abgeleitete Ordnung respektiert Olivier nicht mehr, da er den Vollzug ihrer Gesetze nicht fürchtet, sich ihrer Gerichtsbarkeit für entzogen hält (und vom Handlungsablauf darin

125 Erstmals taucht diese Formulierung »Er hat das schleunige Recht« in einem Konvolut mit Notizen vom 14. VII. 1920 auf (SW XVI.1, 208). Der Eintrag ist jedoch späteren Datums, wie sich aus den Informationen der Kritischen Ausgabe ergibt (SW XVI.1, 630)  : die besonderen Einklammerungen weisen auf einen Nachtrag hin. In welchem Lektüre-Zusammenhang die Verwendung steht, konnte nicht ermittelt werden  ; weder bei Weber noch bei Schmitt taucht der Terminus auf. Denkbar wäre eine Sensibilisierung der Thematik über Anselm von Feuerbach, der das Prinzip des »Standrechtes« in besonderen Situationen im Geist des Strafgesetzbuches von 1813 erläutert hat (abgedruckt in DL II, 133 f.: 135). Das Deutsche Rechtswörterbuch der Universität Heidelberg (http://drw-www.adw.uni-heidelberg.de/drw/) vermerkt allerdings diverse Einträge v. a. für das 16. Jahrhundert (Abrufdatum 15. 1. 2012)  : »wie dann auch … die gerichtsoberkaiten allenthalben, jhnen … fürderlichs schleunigs recht, mit geringistem vnd eingezognisten costen mitthailen« (TirolLO. 1573 II 15)  : New Reformierte Landsordnung der Fürstlichen Graffschaft Tirol  : [Geben in … Jnnsprugg, am Viertzehenden tag des Monats Decembris … Fünffzehenhundert, vnd im Dreyundsibentzigisten Jar   ; Hannsen Ernstinger … auf sein aignen Costen vnd Verlag …   ; im Fünffzehenhundert, Vierundsibentzigisten Jar]). Einschlägiger ist aber ein friesisches Beispiel aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges  : »damit die schützmeister in verrichtung ihres ambtes dabey gehandhabet werden, ihnen so offt es vonnöhten, bey insammlung und einforderung der brüche und poen fällen … schleunige execution wieder [sic] die wiederspenstigen [sic] und saumhafftigen … wiederfahren [sic] möge« (1618 OstfriesBauerR. 23  : Ostfriesische Bauerrechte  ; hg. v. W. Ebel  ; Aurich 1964). 126 SW XVI.1, 12  : Pankraz. In den Erläuterungen der Kritischen Ausgabe wird auf die Vorarbeiten zu Das Leben ein Traum verwiesen  ; von hier ist jedenfalls der Vergleich mit dem Kapitän übernommen (vgl. SW XVI.1, 509)  ; SW XVI.1, 12  : Olivier. 127 Schmitt, Römischer Katholizismus und politische Form  ; Nachdruck der 2. Auflage von 1925  ; Stuttgart 1984. 46.

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auch bestätigt wird).128 Die ihm angedrohte »oberste martialische Gewalt« reklamiert er hingegen für sich selbst.129 In kürzester Zeit hat er also die faktische Macht vor Ort an sich gerissen und ist bereits dabei, sein Einflussgebiet auszudehnen, als Julian ausgerechnet ihn für die Erfüllung seiner politischen Pläne einsetzen möchte und dazu entsendet, Aufruhr im Königreich anzuzetteln. Eine Fehlkalkulation des grundsätzlich monarchisch denkenden, aber gegen Basilius arbeitenden Reformators und Aufklärers  ; und eine Reminiszenz an Schillers Maquis Posa, für den schon galt, dass die »scheiternde Revolution […] eine Folge der gescheiterten Aufklärung« ist.130 Der Turm zitiert diesen Befund gewissermaßen im Hinblick auf die Reformation. In Webers Religionssoziologie findet sich die Feststellung, dass »die Kulturwirkungen der Reformation zum guten Teil – vielleicht sogar […] überwiegend – unvorhergesehene und geradezu ungewollte Folgen der Arbeit der Reformatoren waren, oft weit abliegend oder geradezu im Gegensatz stehend zu allem, was ihnen selbst vorschwebte.«131

Das Handeln Julians lässt sich darum in seinen Konsequenzen durchaus so deuten. Er tritt indes bis zum nicht vorauszusehenden Überraschungs-Putsch Sigismunds gegen Basilius (III. Akt) selbst als ein Stellvertreter des Königs auf – hier wird von Hofmannsthal ein im Prinzip funktionelles Ableitungsverhältnis inszeniert, dass dem des Hauslehrers als dem Statthalter des Vaters bei John Locke entspricht.132 Julian füllt diese Rolle allerdings wesentlich subtiler aus, v. a. was die Absorption der ihm verliehenen Macht und damit Unterwanderung der Autori128 Die hier zugrundeliegende ökonomische Dimension des Machtverfalls wurde bereits oben ausgeführt. In der Bühnenfassung kommt zusätzlich eine Betonung der zeitlichen Dimension von Herrschaft hinzu (vgl. 5.1). 129 SW XVI.1, 12  : Olivier – übrigens auch das »schleunige Recht« (SW XVI.1, 107)  ; auch er ist ein Beispiel für den »tobenden Ich-Imperialismus«, den Schmitt am modernen (bzw. romantischen) Subjekt Fichtes ausgemacht hat (vgl. PR, 184). »Wenn ich was will, so geschieht’s  !« (Olivier, ebd.). 130 Hans-Jürgen Schings  : Die Brüder des Maquis Posa. Schiller und der Geheimbund der Illuminaten  ; Tübingen 1996. 214. Zu Schillers Rezeption der Revolution vgl. Schings  : Revolutionsetüden  ; Würzburg 2012. 131 RS I, 82. 132 Das Hauslehrer-Konzept Lockes setzte anstelle der physischen Gewalt des Hobbes’schen Leviathans ein subtiles Ableitungsverhältnis symbolischer Gewalt. Der Lehrer fungierte als »Stellvertreter« des Hausvaters (vgl. John Locke  : Einige Gedanken über Erziehung  ; hg. v. E. v. Sallwürk  ; Langensalza 1910. 152 f.: 160).

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tät der verleihenden Instanz (Basilius) anbetrifft, die darauf zielen, Sigismund als sein »Geschöpf« auf den Thron zu bringen. Gegenüber dem seiner selbst bewusst gewordenen Sigismund verliert er jedoch alle Weisungsbefugnis (wie auch gegenüber Olivier). Im Turm teilen sich die Wechsel der Machtverhältnisse anhand solcher Momente ›gelingender Insubordination‹ mit. Nachlassende Autorität und Befehlsgewalt des alten Legitimismus und das daraus folgende Chaos sind eine Problematik, der Hofmannsthal – so die These – mit dem Charisma des ›Geistes‹ zu antworten suchte, indem er diesen über die Figur Sigismund in das Konzept charismatischer Herrschaft transponierte, deren Medium eben die des Politischen mächtige Sprache sein sollte.133 Gelingende Insubordination ist wiederum ambivalent inszeniert, einmal als innere Bedingung der Subjekt-Autonomie (der sich enthaltende Sigismund), einmal als Auftakt zur Gewalt-Anarchie (Olivier). So verhält es sich im Prinzip mit allen Komponenten des Herrschafts-Topos im Turm, überall ist das Stück von einer Dialektik seines Stoffs durchzogen, die sich aus dem ›Spaltpunkt des Politischen‹ ergibt, dem konfliktualen Ursprung moderner gesellschaftlicher Machtverhältnisse, um den sich die ganze Handlung dreht. Basilius, der im Wirtschaftlichen und zusehends im Politischen impotente König, stellt selbst fest  : »unser Weg ist ins Nicht-mehr-gangbare geraten«.134 Seine letzte Hoffnung ist die Rückholung des verbannten Sohnes an den Hof. Ein solches Vorgehen befürwortet auch der Arzt  : »Aus dem heillosen die Kräfte der Heilung. Das ist encheirsin naturae.« Die Reaktion des Grossalmosiniers auf die Eröffnung dieses Plans fällt rein negativ aus  : »Du hast gewagt, den Schleier zu lüpfen, der behütet war von allen Schrecken der Majestät und bewacht von zehnfacher Drohung des Todes  ?«135 Sigismund, der »Prinz, der nackig geht, mit einem alten Wolfsfell um den Leib« war bis dahin Figuration des qua einschließender Ausnahme »nackten Lebens«, wie sie Agamben für das Herrschaftsprinzip neuzeitlicher Souveränität ausgemacht hat. Er betritt nun als derjenige, »der ausserhalb der menschlichen Gemeinschaft steht«,136 von exemtem Ort aus das Zentrum der Macht. 133 Vgl. 2.5. Dass der ›Geist‹ damit selbst zu einem mythischen Konstrukt wurde (wie einer ganzen Epoche von Weimarer Intellektuellen gerade des liberalen Spektrums wie Alfred Weber, Karl Jaspers oder Rudolf Eucken), hat als Erkenntnis zur Abfassung der Bühnenfassung geführt, ist in den dichterischen Fassungen aber noch nicht reflektiert. Vgl. hierzu Andreas Anter  : Die Macht der Ordnung. Aspekte einer Grundkategorie des Politischen  ; Tübingen 20072. 127 f. 134 SW XVI.1, 43. 135 Zuvor  : SW XVI.1, 24  : Arzt. SW XVI.2, 45. Der Passus ist wohl eine Neuerung im Vergleich zur ersten dichterischen Fassung, denkbar ist hierbei eine Bezugnahme auf Schiller. 136 SW XVI.1, 14  : Anton  ; ebd., 15  : Arzt  ; SW XVI.1, 8  : Olivier  ; ebd., 32  : Julian. Sigismunds

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»Die souveräne Ausnahme ist mithin die Figur, in der die Singularität als solche repräsentiert ist, das heißt, insofern sie unrepräsentierbar ist. Was auf keinen Fall eingeschlossen werden kann, wird in der Form der Ausnahme eingeschlossen. […] Sie ist dasjenige, was nicht in das Ganze eingeschlossen werden kann, zu dem sie gehört, und nicht zu der Menge gehören kann, in die sie immer schon eingeschlossen ist.« (Agamben, Homo sacer  ; op cit, 34/35 [Hervorhebung dort])137

Was bislang auf der verdrängten Rückseite der Herrlichkeit sein Dasein zu fristen hatte, geradezu als Allegorie auf die kauernde tellus unter dem theologisch in den Himmel erhöhten Thron,138 ist »jetzt da« (Sigismund). Das Wagnis, das in diesem Vorgang liegt (den »Schleier zu lüpfen«), entspricht dem einer Propagierung des Charisma als der spezifisch revolutionären Kraft zur Krisenlösung. Denn zur Verhandlung oder besser gesagt  : zur Bewährung steht damit die Singularität der souveränen Ausnahme, das Subjekt dieser Gnadenbegabung und Bevollmächtigung selbst – das sich als Hazardeur und Possenreißer und nur im Idealfall als »Verantwortungsethiker« erweisen kann und zudem zwecks Machtsicherung auf ein Andauern oder ständiges Wiederkehren von krisenhaften bzw. außeralltäglichen Zuständen angewiesen ist. Und mit der anthropologischen Disposition dieses großen Einzelnen, der, das Drama inszeniert es in klaren Zügen, das Volk repräsentiert (ohne es zu sein), steht auch die Urteilskraft des ›stammelnden demos‹ in Frage. Das Modell der charismatischen Herrschaft treibt daher das performative Element der Souveränität, das Schmitt ihr mit dem Fundament der Entscheidung untergeschoben hat, auf die Spitze. Die Entscheidung des Souveräns äußert sich als Befehl (oder dessen Ausbleiben), seine Befolgung signalisiert die Zustimmung zu dessen Urheber, sein Erfolg dessen außerordentliche Fähigkeiten, deren Bewährungsmodi im Takt der Krise vorgegeben werden.



Überführung in den Palast kann zugleich als zweite Geburt (oder mit den Worten des Arztes  : Wiedergeburt) im status civilis verstanden werden. Damit wird die Einschließung des »bloßen Lebens« durch den neuzeitlichen Staat, welches dieser nach der Zession aller Rechte seinen Bürgern garantiert, vollzogen  ; vgl. hierzu Friedrich Balke  : Figuren der Souveränität  ; op cit,. 72 f. 137 (mit Bezug auf Badiou.) »Die originäre Beziehung des Gesetzes mit dem Leben ist nicht die Anwendung, sondern die Verlassenheit [l’Abbandono]« (ebd., 39  ; vgl. auch 59 und 114 f.). 138 In Kantorowicz’ Die zwei Körper des Königs findet sich die Beschreibung einer Miniatur aus dem Aachener Liuthar-Evangeliar (Der thronende Kaiser), welche die verschiedenen Bereiche der kaiserlichen Raumordnung – Mandorla, Tellus, Thron – erläutert (vgl. Kantorowicz, ebd., 86 und zu Kantorowicz’ Interpretation Balke, Figuren der Souveränität, op cit, 34 f.).

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Prekäre Königsgewalt – die entgleitende »Oberfläche der Ewigkeit.«139 »Die ordnende Macht für die Gestaltung dieses Gemeinschaftshandelns ist, neben den für den Patrimonialismus allgemein charakteristischen  : Tradition, Privileg, Weistum, Präjudiz, das Paktieren von Fall zu Fall zwischen den verschiedenen Gewaltenträgern, wie es für den ›Ständestaat‹ des Okzidents typisch war und geradezu sein Wesen ausmachte. Wie die einzelnen Lehen- und Pfründenbesitzer und die sonstigen Inhaber kraft fürstlicher Verleihungen appropriierter Gewalten diese kraft ihres verbürgten ›Privilegs‹ ausüben, so gilt auch die dem Fürsten verliehene Macht als dessen persönliches, durch die Lehens- und sonstigen Gewaltträger anzuerkennendes und zu verbürgendes ›Privileg‹, als seine ›Prärogative‹.« (WuG, 636)

Die prekäre Lage der monarchischen Legitimation spitzt sich im zweiten Aufzug durch die klösterliche Demütigung des Königs vor seinem mitgereisten Hofstaat zu. Die Befolgung von Befehlen kann Basilius auch nach Beseitigung des höhnischen Abtes nur noch erkaufen. Ihm verbleibt aber abgesehen von der Krone nicht mehr viel an Besitztum, sein Prestige ist dahin und das Geld obendrein wertlos. Er kann seine glanzvolle gesellschaftliche Position, Reichtum zu verprassen und den Wohlstand zu mehren, nicht mehr ausfüllen.140 Die Majestät wird 139 »König  : Ich will die Gegenwart fassen u. vermag es nicht – es entgleitet mir diese Oberfläche der Ewigkeit.« (SW XVI.1, 233  ; nochmals auf 254). Dieses Geschichtsbild kennt jedenfalls noch kein »noch-nicht«  ; zugleich liegt darin die Erkenntnis eines Verlustes von souveräner Allmacht, wie sie etwa dem hobbesianischen Fürsten (sozusagen dem natürlichen Körper des Leviathan) zukommt. »Hobbes generalisiert die monarchische Erfahrung des interregnum zur permanenten Möglichkeit der bürgerlichen Ordnung. Gegen die Gefahr des Bürgerkriegs kann sich nicht die natürliche Person des Königs, sondern allein sein im ›beweglichen Bildwerk‹ sichtbar gemachter zweiter Körper behaupten, der die Untertanen ›gefangen nimmt‹ und sie in der Zeit eines profanen, säkularen, politischen Kultes ›festhält‹.« (Balke, Figuren der Souveränität  ; op cit, 71). 140 Wenn Starobinski schreibt  : »Das verteilte Geld ist ein Beweis des Lebens und bestärkt das ›Qu’il vive‹ (›er lebe hoch‹) der Akklamationen«, kann man daraus folgern  : Wenn der König kein Geld mehr zu verteilen hat oder dieses wertlos ist, ist er praktisch tot. ( Jean Starobinski  : Gute Gaben, schlimme Gaben. Die Ambivalenz sozialer Gesten  ; Frankfurt/Main 1994. 36). Denn »Gold und Silber sind das Blut des Staates.« (Novalis  : Glauben und Liebe Nr. 10  ; in  : Schriften II  ; op cit, 292). Und dieses ist aus dem Reich des Basilius gewichen, wie auch die fluchenden Höflinge in der Klosterszene konstatieren. Starobinski sieht in dem Geldsegen eine Entsprechung zum im Öl der Salbung – welches ebenfalls den Namen Charisma trägt – gespendeten religiösen Segen vor der Krönung (vgl. ebd., 35 f.). Dem Charisma selbst vielleicht weniger, aber den Modi seiner Bewährung ist demnach eine explizit ökonomische Dimension zu eigen.

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als ohnmächtig, als von den Abhängigen abhängig erkennbar  : »Der Thron steht nicht [mehr] auf festem Grund.«141 Im Ausweg über die zusehends nackte Gewalt verkommt das Königtum jedoch zur Tyrannei, an der die Dynastie schließlich zerbricht. Zum Zeitpunkt von Sigismunds Eintreffen am Hof ist das Institut des Gottesgnadentums tatsächlich politische Theologie geworden  : Es wird zur Legitimation des Fürsten herangezogen, ohne ihn noch zu verpflichten  ; es ist ein reformierter, aber ( Julians Eigenschaft als neuem Berater des Königs zum Trotz) nicht aufgeklärter Absolutismus, welchen Hofmannsthal im dritten Aufzug mit allem zeremoniellen Pomp inszeniert. Der servile Beichtiger am Hof ist ein untergebener Stichwortlieferant,142 der erst nach der gescheiterten Probe ein wenig eigenes Profil gewinnt (indem er den König mehr anleitet als berät). Dass Basilius sich vor Sigismund zur Rechtfertigung seiner Macht noch auf das theologische Fundament seiner traditionalen Legitimation beruft, wirkt daher hohl und überzeugt Sigismund auch nicht. Es sind erkennbar »leere Formen«, deren Fortsetzung gewährleistet und denen erst durch Sigismunds Einbindung wieder Leben eingehaucht werden soll  ; auch Basilius »[…] erwartet von dem Sohn, dass er alle Herzen gewinnen werde, und dem Scheinhaften, Zweideutigen seines Lebens […] das Giltige, Schöne entgegenstellen wird.« (SW XIX, 178  ; Phokas  : König)

In dem Gespräch kurz vor der Probe werden die rechtlichen Bedingungen dieser Vaterschaft in aller Klarheit ausgehandelt  : Was der Beichtiger dem König über die »Heiden« zuraunt (die Römer, wie sie übrigens auch bei Hobbes genannt werden), ist das Prinzip der vitae necisque oder patria potestas, der »bedingungslosen Gewalt des pater über die Söhne«.143 Im Fall des Ungehorsams steht das Strafmaß allein im Ermessen des Souveräns. Denn in der Figur des Königs wer141 Kantorowicz, Zwei Körper  ; op cit, 86. Auch diese Formulierung rekurriert auf die tellus, welche den Thron bzw. die höfische Welt zu tragen hat. Wenn Julian Sigismund berichtet, er habe die »Erde selber […] wachgekitzelt« und »durchgegriffen bis ans Ende«, lässt sich durchaus an die Erdfiguration des Aachener Evangeliars denken. 142 Für Landauer liegt dies übrigens in der politischen Logik des Absolutismus  : »Bald hatte Luther seine Entscheidung getroffen, verband sich, nunmehr in völlig rasenden Worten der Gewalttätigkeit und Rachsucht, mit den Herren und stabilisierte das Prinzip des Caesarismus  : die von Gott eingesetzte unantastbare Obrigkeit  ; die enge Verbindung von Thron und Altar.« (Landauer, Revolution  ; op cit, 66). 143 Agamben, Homo sacer  ; op cit, 97. Wie unsicher Basilius in dieser Situation auftritt, verdeutlicht eine Notiz zur Szene  : »Souverän noch als Vater« (SW XVI.1, 282  ; Varianten).

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den, soweit die an Bodin erinnernde politische Theologie des Beichtigers, Befehl und Gesetz identisch – »Das Gesetz und der Souverän sind eins.«144 Das heißt, der Wille des Königs ist unmittelbar Gesetz, so wie er geäußert wird, ohne dass dieser selbst aber daran gebunden wäre – ein Zustand des nicht konstitutionellen Absolutismus wird damit bekundet und ähnelt nicht von ungefähr dem berühmten, Ludwig XIV. zugeschriebenen Ausspruch »L’état c’ést moi  !«. Ein Unterschied zum Maßnahmenstaat Schmitts besteht beim verfassungslosen Königtum allein in der pseudo-transzendenten Setzung des Subjekts der Souveränität. In der Szene Basilius–Sigismund, die sich auch um die »Prärogative« des übereigneten Rings dreht (diese »heben den Lauf der Gerichte auf«), wird nochmals deutlich, dass auch der König »das schleunige Recht« inne hat – symbolisiert durch das Richtbeil, das im Moment eines (sogar nächtlichen) Niederschlagens das Urteil durch Vollzug verkündet. Diese Setzung könnte geradezu Schmitts Katalog an Exekutivmaßnahmen in Die Diktatur entstammen.145 Basilius’ Verständnis von Machtausübung, seine Staatsräson, ist dementsprechend eine despotische, da einseitige  : »könig zu Julian, leise Der oberste Begriff der Autorität ist diesem Knaben eingeprägt  ? Der Begriff unbedingten Gehorsams  ? Er sieht ihn scharf an«. »Unbedingter Gehorsam« blendet das dem Gehorsam eigene Moment der Anerkennung aus, deren Verweigerung Thomas von Aquin noch für zulässig erklärte, sofern diese sich gegen tyrannischen Machtmissbrauch richte.146 Hier wird hingegen der hobbesianische Zustand nach Zession aller Rechte zitiert, welcher den Einzelnen (hierdurch Bürger) der permanenten Todesdrohung der souveränen Gewalt aussetzt. So trage jede »Creatur« ihr »Leben von uns zu lehen«, wie der König seinem Thronfolger in einer Variante erläutert.147 Wo aber jedes Moment an Freiheit im zu leistenden Gehorsam annulliert wird, ist die Autorität erst recht vom Erfolg ihrer Befehle abhängig  ; je 144 SW XVI.1, 71  : Beichtiger. Darin könnte eine Bezugnahme auf das Fragment 169 von Pindar zum »Nómos basileús« liegen, das Hofmannsthal zumindest von seiner Beschäftigung mit Hölderlin her bekannt gewesen sein dürfte, der Pindar übersetzte. Agamben schreibt zu diesem Fragment, hier erscheine »der souveräne nómos [als] dasjenige Prinzip, das Recht und Gewalt, indem es sie verbindet, in die Ununterscheidbarkeit drängt.« (Agamben, Homo sacer  ; op cit, 42). 145 SW XVI.1, 84. Da diese Sätze zudem sehr spät eingearbeitet wurden – im Juli 1924 –, ließe sich eine frühere Bezugnahme Hofmannsthals andenken  ; als textuellen Hintergrund macht die Kritische Ausgabe allerdings den Traum in Heinrich Heines Deutschland ein Wintermärchen aus. vgl. jew. SW XVI.1, 534. Zu Schmitts Diktatur folglich später. 146 SW XVI.1, 73  : Basilius. Vgl. Thomas von Aquin  : De regimine principum, I, 6 (dt. Text  : Über die Herrschaft der Fürsten, übers.v. F. Schreyvogl  ; Stuttgart 1981. 22 ff.). 147 SW XVI.1, 281  : Basilius.

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absoluter, desto unbedingter. Anders als Julian setzt Basilius allerdings weniger auf Sprechakte – »Eines Königs Hand ist beredter als die Zunge des Weisen. Ihr Wink ist Befehl und im Befehl ist die Welt eingeschlossen  : denn in ihm liegt die Vorwegnahme des Gehorsams.«148 Aus dieser Allmachtsphantasie wird ersichtlich, wie sehr die Welt mit der königlichen Herrschaft in Gefahr geraten ist. Angesichts apokalyptischer Zustände im Reich, die er allein nicht mehr unter Kontrolle bekommt, wirkt die Rede des Königs reichlich aufgesetzt. Vollends verrät er sich in seinen Absichten, indem er Sigismund den Zustand permanenter Bedrohung durch das rechtlich schrankenlose Potential königlicher Gewalt, des princeps legibus solutus beschreibt  : »[…] wir vermögen nicht misszuhandeln als König an dem Untertan, als Vater an dem Sohn  ; und hätten wir dir ohne Gericht das Haupt auf den Block gelegt  : so war uns heilige Gewalt verliehen und da ist niemand, der wider uns klagete. Denn wir waren vor dir – so bist du in unsere Hand gegeben von Gott selber.« (XVI.1, 81  : Basilius [Hervorhebung A.M.])149

Dass Sigismund daraufhin die Herkunft dieser Machtfülle und damit deren Rechtfertigung erfahren will, ist eine logische Reaktion, die sich nicht mit der Einrede der Tradition abfinden lässt. Sie zeigt, dass Basilius in seiner Selbstherrlichkeit zu weit gegangen ist. Denn allein das Aufkommen dieser Frage – »Woher – so viel Gewalt« weist den Rechtfertigungsdruck des Machthabers exemplarisch aus, welchen sie zugleich schafft. Sie signalisiert daher das Ende der Selbstverständlichkeit dieser Machtausübung, also ihres Legitimitätsglaubens.150 148 SW XVI.1, 81  : Basilius. Übrigens ist in diesem Zusammenhang auf einen möglichen Bezug auf Bodins Souveränitätslehre als Hintergrund hinzuweisen  ; diese wird ja nicht zufällig auch von Schmitt in der Politischen Theologie aufgegriffen. Bodins Perspektive auf das Problem des Tyrannen ist bei Balke, Figuren der Souveränität  ; op cit, 40 f. gut erläutert. 149 Dies ist nochmals die Bekräftigung der patria potestas, wie sie Michel Foucault für das römische Recht dargelegt hat in Sexualität und Wahrheit. Der Wille zum Wissen  ; Frankfurt/Main 1977. 161. Die Untertanen, über die der König wie der Hausvater über seine Kinder verfügte, waren ohne Angabe von Gründen ›tötbar‹ – homines sacri, wie Agamben sie darum genannt hat. Vgl. mit Blick auf Bodin hierzu Balke, Figuren der Souveränität  ; op cit, 30 f. vgl. auch Koschorke et al., Der fiktive Staat  ; op cit, 93 f. 150 »Die Uebergänge von der bloß traditional oder bloß zweckrational motivierten Orientierung an einer Ordnung zum Legitimitäts-Glauben sind natürlich in der Realität durchaus flüssig.« (WuG, 16). Dass die politische Theologie, welche diesen Legitimitätsglauben verantwortet, sich mit der Fiktion des corpus mysticum von der Kirche löste (und darin eigentlich erst politisch wurde) hat Kantorowicz später in Die zwei Körper des Königs ausgeführt (vgl. ebd.; op cit, 215 f.).

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Dies zeigt zugleich an, dass die politischen Mythen, welche die ent-theologisierte Macht (corpus mysticum) umkleiden und unhinterfragbar machen, nicht mehr funktionieren. Dieser im Stück sich abzeichnende Umbruch in der politischen Theologie der Neuzeit wird noch anschließend unter 4.3 präziser thematisiert. Die Notwendigkeit der Rechtfertigung jedenfalls, so viel an dieser Stelle, erweist zugleich deren Unmöglichkeit, denn sie kann nicht anders als unbefriedigend für den Fragenden ausfallen. »Diese Stunde, zu deinem Schrecknis, hat mich geboren.« Die politische (Un-)Logik der Usurpation »sigismund Woher – so viel Gewalt  ? könig lächelt Nur die Fülle der Gewalt frommt  : in der wir sitzen, als der Einzige, einsam. So ist die Gewalt des Königs. Alle andere ist von ihm geliehen und ein Schein. sigismund sehr stark Woher  ? « (SW XVI.1, 82)

Basilius zieht sich hier auf die Rechtfertigung des alten Legitimismus und seine Zeremonien zurück, auf den Archetypus der traditionalen Herrschaft mit Erbcharisma und transzendenter Legitimitätseinrede  : »Am Tage, da es Gott gefiel, sind wir in unser Recht getreten als Erbe. Ein Heroldruf erscholl in die vier Winde. Die Krone berührte das gesalbte Haupt. Dieser Mantel wurde uns umgetan. So war wieder ein König in Polen.«151 Sogar die Lehre von den zwei Körpern des Königs bemüht er  : »Denn es stirbt Basilius oder Sigismund, es stirbt nicht der König. […] Es ist von nun ab ein König in Polen  : aber er wandelt in zwei Gestalten.«152 Sigismund erfährt also von der (dynastischen) Idee des sakralen Dass darin ein spezifisch rationales Element liegt, ergibt sich schon rein logisch aus der Zweckmäßigkeit des Vorgangs. 151 Weber unterscheidet übrigens die »bequeme« Form des traditionalisierten bzw. institutionellen Charismas der Salbung von dem »echten« Charisma des Propheten oder Kriegsführers, welches sich stets situativ zu bewähren habe (vgl. WuG, 656). Das bedeutet, dass ›Charisma‹ im politischen Sprachgebrauch metaphorisch zu einer übermenschlichen Eigenschaft säkularisiert wurde. 152 SW XVI.1, 82  : Basilius. Die Erläuterungen der Kritischen Ausgabe verweisen an dieser Stelle zu Recht auf die Praxis der Bourbonen (überhaupt hingen alle Vertreter des ancien régime dieser Auffassung an)  ; die dahinter stehende politische Theologie hat Ernst Kantorowicz in seiner Studie The King’s two bodies [1957] auf bislang unübertroffene Weise dargestellt. Die Fortsetzung jener Vorstellung des sakralen Leibes unter parlamentarischen Bedingungen hat Philipp Manow unter anderem mit Bezug auf Josef Redlich dargestellt  : vgl. Im Schatten des Königs  ; op cit, 83. Die

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Übergangs des Königtums als dem body politic von einem König zum nächsten.153 Da er zudem mit diesen Worten einen Ring erhält, der ihn nach Basilius’ eigener Aussage an Machtfülle gleichstellt, ist dessen nur noch auf Gewalt ruhender Herrschaftsanspruch endgültig untergraben – und »die Leidenschaft selbst setzt das fatale Requisit in die Aktion«.154 Die Reaktion fällt folglich thronumstürzend aus, er zeigt seine »Tatzen«  : »Seitdem ich da bin, bin ich König  ! Wozu riefest du mich sonst  ?« Sie zeigt, dass Sigismund ein aufmerksamer Zuhörer ist. Aus diesem Grund nimmt er Basilius auch den Mantel ab und hängt ihn sich um. Machtvollkommenheit beansprucht er nun für sich  : »Meine Gewalt soll so weit reichen als mein Wille. Auf die Knie mit Euch  ! Er wirft ihnen das nackte Schwert vor die Füsse Da  ! Ich brauche das nicht  ! Ich bin der Herr  !«155 Das »alte Fleisch«, den Körper des für tot gehaltenen Basilius, will er »in die Grube« werfen lassen, um in seinem Machtrausch die Usurpation abzuschließen. An die Vorstellung Idee einer Doppel-Repräsentation (für Hobbes ein katastrophaler Missgriff ) geht auf Althusius zurück, der anders als Bodin das Volk immer als unvergängliche, legitimierende Instanz des Königtums in der Gestalt der Ephoren neben dieses setzte (vgl. Koschorke et al., Der fiktive Staat  ; op cit, 101). 153 Der Zusammenhang von König und Thronfolger ist in den Varianten geradezu pathologisch gestaltet  : »König  : Ich habe an ihn gedacht wie an den Krankheitskeim in meinem Leib.« (SW XVI.1, 277  : N 75). Und Sigismund ›antwortet‹ mit der Offenlegung der geheimen Verbindung zwischen Souverän und Homo sacer  : »Wie ein eingeschlafenes Glied war ich deines Leibes, ein abgeschnürtes. Etwas war noch bei mir hinter meinem Schlaf  : das warst du […] denn wir zwei sind eins. - Nur mein elendes Teil lag auf dem Stroh  : etwas sog mich aus, zog mich irgendwo hin, wo ich hing zwischen Etwas und Nichts« (SW XVI.1, 291  : Sigismund). Dass die Souveränität (nicht nur figürlich) stets als eine doppelte zu denken sei, hat Agamben im Homo sacer schlüssig dargelegt (vgl. ebd., 57). Man kann diesen Textstellen jedenfalls Hofmannsthals genaue Kenntnis der dynastischen Körperlehre entnehmen. 154 GS I 1, 311  ; Trauerspiel. Zudem begeht Basilius mit der Teilung der Macht einen der von Hobbes im Leviathan aufgeführten Kardinalfehler (im 29. Kapitel  ; die sechste Lehre, die auf den »Untergang des Staates« zielt). 155 SW  XVI.1, jew. 85  : Sigismund. Das Instrument der Durchsetzung von Herrschaft  – das Schwert – verschmäht Sigismund, wohl weil er sich zuvor an seinen Rossknochen im Kofen erinnert hat. Zugleich liegt hier ein Verständnis von Herrschaft vor, nach welchem der König herrscht, aber nicht regiert. Dass diese Überlegungen 1920 noch nicht vergessen waren, davon zeugt eine Rezension zu Redlichs Das österreichische Problem (1921) von Hermann Bahr  : Österreich sei »die uralte Verbindung des Volkes durch die geheiligte Person des Monarchen«  ; »Es lag diesem gewaltigen, die Welt in seinem stolzen Sinn hegenden Hause fern, sich selbst um das Gut zu kümmern  ; […] Es erniedrigte sich niemals bis zum Wunsche, zu regieren, es wollte herrschen.« (Hermann Bahr  : SUMMULA  ; Kritische Schriften XVII  ; hg. v. G. Schnödl  ; Weimar 2010 [1921]. 172.

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einer im Befehl des Herren eingeschlossenen Welt und dessen schrankenloser Macht, die sich auf die im Befehl liegende Positionierung des Herren in ein ›transzendentes‹ Außerhalb zur Welt gründet, glaubt Sigismund ebenfalls. Er wirft daher das Schwert als Requisit der königlichen Gewalt fort und stößt vor in das erwähnte ›konstitutive Vakuum‹ der absoluten Königmacht, welche er für sich verlangt  ; die »[…] Schranken seiner Herrengewalt entstammen ihrerseits ›Normen‹, jedoch ungesatzten, durch die Tradition geheiligten Normen. Immer aber geht die Tatsache, daß dieser konkrete Herr eben der ›Herr‹ ist, im Bewußtsein der Unterworfenen allem anderen voraus  ; und soweit seine Gewalt nicht durch die Tradition oder durch konkurrierende Gewalten begrenzt ist, übt er sie schrankenlos und nach freiem Belieben, vor allem  : regelfrei. Während für den bürokratischen Beamten im Prinzip gilt  : daß sein konkreter Befehl nur soweit reicht, als er sich dafür auf eine spezielle ›Kompetenz‹, die durch eine ›Regel‹ festgestellt ist, stützen kann.« (WuG, 580 [Hervorh. A.M.])

Die Selbstkrönung scheitert allerdings daran, dass er eben nicht als neuer König akzeptiert wird, Julians Intervention durch knieende Überreichung des Reichsbanners und der Ausrufung Sigismunds als neuem König zum Trotz  : weil Basilius, der gesalbte Souverän, noch lebt. »Denn die geheiligte Tradition oder die konkrete charismatische Qualifikation ergeben ja dann entweder die sachliche oder die persönliche Legitimität der einzelnen Befehle und also auch die Schranken ihrer ›Berechtigung‹.«156 Beide Legitimationsformen stehen sich hier diametral gegenüber. Die Szene ergibt klar, dass Sigismunds Charisma noch nicht (gegen das traditionelle Charisma der Salbung) auf eine ausreichende Zahl von Höflingen wirkt  :»[…] daß die wahrgenommenen Zeichen [s]eines Affektzustandes geeignet sind, bei dem Wahrnehmenden automatisch denselben Affekt hervorzurufen«,157 kann nicht behauptet werden  ; das Volk spielt aber im Palast noch keine Rolle. Julian scheint daraus Schlüsse zu ziehen, indem er für seinen neuerlichen Versuch einer Inthronisierung Sigismunds auf die Kräfte der Masse 156 WuG, 448. 157 Komplett lautet die Stelle  : »Dieses Mitfortgerissenwerden der Individuen erklärt McDougall aus dem von ihm so genannten ›principle of direct induction of emotion by the way of the primitive sympathetic response‹ […], d. h. durch die uns bereits bekannte Gefühlsansteckung. Die Tatsache ist die, daß die wahrgenommenen Zeichen eines Affektzustandes geeignet sind, bei dem Wahrnehmenden automatisch denselben Affekt hervorzurufen.« Dieser »automatische Zwang« wachse mit der Zahl der betroffenen Personen an. (Freud, Massenpsychologie  ; op cit, 30. Anstrich Hofmannsthal).

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setzt – ein unberechenbares Vorgehen, das die Weissagung bzw. Aufforderung des Arztes (»acheronta movebo«) umsetzt und Julians Kalkül und politische Sprache (als Kommunikation mit den Aufständischen) entsprechend überfordert. Ex captivitate salus (Schmitt) – Vom Wahrsagen und Wahrmachen als Staatskunst »Wer dich antrifft nur einen Büchsenschuss weit von seinem Gemäuer, er sei ein freier Mann oder leibeigener Sklav, der vollzieht an dir die Acht und Aberacht – gibt dein Blut und Gebein der Erde, dein Auge den Vögeln, deine Zunge den Hunden.« (Aufzug III, Höfling)

Beide werden infolge der gescheiterten Probe in die Kerkerhaft des Turmes zurückverbannt. Nachdem die anschließend von Julian initiierte Revolte Basilius überwunden hat, ist mit ihrer beider Befreiung für Julian nun das goldene Zeitalter nahe – »[…] jetzt ist unsere Stunde gekommen«.158 Die »Erde« habe er »aufgewühlt«, aus »Wolfsrachen« und »Schweinsschnauze« ertöne der Schlachtruf der Massen für Sigismund  ; der Moment der Herrschaftsübernahme, der das Interregnum beende, sei da. »j uli a n Jetzt aber ist Herrschaft vor dir hingebreitet, Allmacht greifbar – Wirklichkeit, goldene  ! […] Jetzt sind wir die Weissager und Wahrmacher zugleich  ! sigismund Wahrhaftig, das sind wir  ! Heil uns, dass wir gewitzigt sind  ! juli an Taten tun, das ist nunmehr uns vorbehalten  ! Nur der Gebietende tut – die anderen braucht er nur nach seiner Willkür, wie Geräte  ! […] sigismund Ich verstehe, was du willst, aber ich will nicht. Ich stehe fest und du bringst mich nicht von der Stelle. Ich habe mit deinen Anstalten nichts zu schaffen.« (SW XVI.1, 95/96 [Hervorh. A.M.])

Julians Herrschaftsutopie ist eine erkennbar cäsarische, wie nicht nur die Nähe dieser Stelle zur oben zitierten Epiphanie des Heros bei Gundolf, 159 sondern 158 SW XVI.1, 97  : Julian. In der Bühnenfassung setzt sein Erfolgsrezept noch deutlicher auf Öffentlichkeit »Jetzt müssen sie dich sehen. Dann steh ich fürs Ende.« und den Moment der Hierophanie  : »Mein König  ! Jetzt versag mir nicht, denn jetzt oder nie ist deine Stunde gekommen.« (SW XVI.2, jew. 203). 159 Vgl. hierzu auch Friedrich Gundolf  : Stefan George in unserer Zeit  ; in  : Ders.: Dichter und Helden  ; Heidelberg 1921. Das Profil des »gewaltigen sagers und tuers« (ebd., 78) ist hier deutlich in dessen eigenes, tiefstes Feindbild (das eines ›protestantischen Ethikers‹) hineinzitiert.

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auch die Begriffe »Allmacht« (plenitudo potestatis) und »Willkür« zeigen. Darin drückt sich die vom Arzt schon zu Beginn attestierte Suche nach »schärfere[r] Wollust  : Herrschaft, unbedingte Gewalt des Befehlens«160 aus. Nicht zufällig ist hier allerdings nicht vom Befehlenden, sondern vom »Gebietenden« die Rede – was kein bloßes, noch mehr auf den damit eröffneten Raum des Politischen verweisendes Synonym ist, sondern auf eine höhere Dignität abstellt  ; der Souverän gebietet, in seiner Abwesenheit befehlen die Delegierten – »le roi reigne, il ne gouverne pas«.161 Gouverneur war Julian schon zuvor, nun sieht er sich aufgestiegen zur »Regierungsform des Genies« (Max Weber)  : der cäsarischen Herrschaft, die einer Utopie der Veridiktion und »sozialen Magie« des Gebietens aufruht (in welcher das Wort zur Tat wird).162 »Einen gewaltigen Magier habe ich aus dir gemacht, gleich Adam und Moses  ! Denn ich habe das Wunder der Sprache in deinen Mund gelegt.« (SW XVI.2, 59  : Julian)

Man kann sagen  : Julian beansprucht die Autorschaft über die Revolution und den Machtwechsel zu dem von ihm »Gezeugten« (hierzu gleich), deren Erfolg er der Wirkung seiner Politik zuschreibt – und nicht, wie der Arzt, den Zeitläuften.163 Jedoch hat er im Glauben an die gemeinsame »heilsame diktatur« mit Sigismund im alten Königtum auch seine eigene Herrschaftsgrundlage zerstört. Da sich dieser aber – in seinem Willen zur Macht geläutert – allen massensuggestiven »Anstalten« verweigert, kann Julian vor den revoltierenden Massen nur als Repräsentant des alten Regimes erscheinen und sich nicht verständlich machen  : »Er will reden, aber sie lassen ihn nicht. Sie stechen auf ihn los  !« (Bub  ; Aufzug IV). 160 Zur Machtvollkommenheit vgl. Giorgio Agamben  : Herrschaft und Herrlichkeit. Zur theologischen Genealogie von Ökonomie und Regierung (Homo Sacer II.2)  ; Berlin 2010. 124  ; SW XVI.1, 30  : Arzt. 161 Agamben, Herrschaft  ; op cit, 96. 162 »Die souveräne Macht ist göttliche oder gottähnliche Macht gerade dadurch, dass sie die Worte unmittelbar in Taten verwandeln zu können verspricht.« (Balke, Figuren  ; op cit, 32). Dieser Hintergrund der Figur ist dicht an Le Bons Vorstellung einer hypotypotischen »puissance des mots«, die also Bilder in der Vorstellungswelt des Einzelnen erschafft  ; wie Hofmannnsthal übrigens in Der Dichter und diese Zeit 1906 recht klar ausgeführt hat (ohne Nennung Le Bons). Vgl. Gustave Le Bon  : Psychologie des foules  ; Paris 1905. 59 f.: 79  ; hier auch Anstriche Hofmannsthals. 163 Julian sieht sich quasi als Instanz der Vertretung (acting for) der monarchischen Souveränität, deren Darstellung (standing for) bzw. »Abbildung« Sigismund verkörpern würde. Der Arzt wäre in diesem triadischen Repräsentationsschema die orientierende Instanz, welche die »Konstruktion und Deutung der Gruppenumwelt« besorgt  ; besonders deutlich wird dies Ende des dritten Aufzugs, im vierten hat diese Figur bezeichnenderweise keinen Auftritt. (Zum triadischen Repräsentationsschema vgl. Jentges, Soziale Magie  ; op cit, 29).

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»Sprechen und Handeln werden im Geltungsbereich der Beredsamkeit eine und dieselbe Sache. Die Zauberkraft, die der Redner über das menschliche Gemüt hat, wird unfehlbar gebrochen durch den Nachweis, daß sein Sprechen kein Handeln, sondern eben nur ein Sprechen ist, seine Worte keine Taten, sondern eben nur Worte sind.« (Vossler  : Grenzen der Sprachsoziologie  ; op cit, 378)164

Einen Moment solchen Nachweises erleidet Julian, der Sigismund zuvor lehrte  : »Durch Taten ist die Welt bedingt« – dieser Satz holt ihn ein und macht ihn zum Opfer böser Ironie, wie ihr auch der Romantiker bei Schmitt unterliegt. Denn tatsächlich wird Julian ja von den Konsequenzen der eigenen Unternehmungen, dem »Inkalkulable[n] und Inkommensurable[n] der Weltgeschichte« überrollt.165 Der »Traum von großer Magie« einer Regierungsform der Unmittelbarkeit ist scheinbar ausgeträumt. In das Vakuum politischer Macht hineinstoßend treibt nun Olivier das Geschehen an. Und folglich bezeichnet jener Moment, in dem die befehlsgestützte Ausübung von repräsentativer Macht, das Gouvernement einer vom König als dem Regenten abgeleiteten Dignitas166 unmöglich wird, das Eintreten des Ausnahmezustands in seiner totalen Form – als Abwesenheit jeder politischen Ordnung und damit als Naturzustand im Sinne Hobbes’, also als Gewaltanarchie. Deren Erscheinungsform wird hier auch nochmals mit aller Konsequenz zitiert  : »Es geht jeder gegen jeden«, wie der Reiterbub berichtet. Die in den Turm eindringenden Massen bringen den sterbenden Julian zurück, an welchem Olivier einen Schauprozess durchführen lässt, ehe sich die Menge teilt – in solcherart Schaulustige und in das Volk, das sich um Sigismund versammelt. Sigismunds Utopie ist jedenfalls das genaue Gegenteil des Krieges aller gegen alle  : eben jener Ort an dem »gehorsamt [wird] ehe befohlen war«.167 Dies verweist 164 Vgl. zu dieser Thematik Ausführungen Webers  : »Der ›Geist‹ ist zunächst weder Seele, noch Dämon oder gar Gott, sondern dasjenige unbestimmt  : materiell und doch unsichtbar, unpersönlich und doch mit einer Art von Wollen ausgestattet gedachte Etwas, welches dem konkreten Wesen seine spezifische Wirkungskraft erst verleiht, in dasselbe hineinfahren und aus ihm – aus dem Werkzeug, welches unbrauchbar wird, aus dem Zauberer, dessen Charisma versagt – auch irgendwie wieder heraus, ins Nichts oder in einen anderen Menschen oder in ein anderes Objekt hinein fahren kann. (WuG, 246). Durch seine Absage hat Sigismund Julian jenem »Nichts« überantwortet, das dessen cäsarischen Duktus in der revolutionären Aktion schon zuvor unterlaufen hatte. 165 Goethe, Maximen und Reflexionen, op cit, 395. »Gesetz und Zufall greifen ineinander, der betrachtende Mensch aber kommt oft in den Fall, beide miteinander zu verwechseln […]« (ebd.). 166 Vgl. hierzu Agamben  : Herrschaft und Herrlichkeit  ; op cit, 26 und Kapitel 4 »Herrschaft und Regierung«  ; 89 ff. 167 SW XVI.1, 99  : Bub  ; SW XVI.1, 115  : Sigismund.

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nochmals auf die höhere Autorität des (gebietenden) Souveräns, der des Befehls nicht einmal bedarf, weil das Verhältnis der »Einfühlung« offenbar ein wechselseitiges geworden ist.168 Diese Vorstellung wird im ›Weltbürgerkrieg‹ der beiden Massenführer Sigismund und Olivier, in denen Hofmannsthal eine dialektische Anthropologie entwirft, zunächst aufgeschoben und kehrt dann in Gestalt des Kinderkönigs zuletzt nach Sigismunds Sieg zurück. 4.2.2 Zwischenüberlegung zum Fiktiven und Politischen I. Die metaphorische Logik des souveränen Banns »Souverän […] er herrscht durch Zeichen. Das Wort in seinem Mund ist mit Gewalt erfüllt – es erfüllt mich mit Gewalt  ! […] Im Befehl ist Anticipation des Gehorsams. Durch Befehl s c h a f f t der König, wie Gott  !« (SW XVI.1, 281  : Basilius)169

Bevor die Erscheinungsform der charismatischen Herrschaft Sigismunds analysiert wird – nämlich als Übertragung des ästhetischen Verfahrens poetischer Besitznahme auf eine fiktionale Masse, die sich mit dieser Symbolgestalt identifiziert und von ihr verkörpert wird –, soll noch einmal die Einbindung dieses Geschehens in die transitorische Poetologie Hofmannsthals verdeutlicht werden, die ihrem biopolitischen Szenario im Turm zum Trotz eben ›Logopolitik‹ bleibt. Diese Feststellung bezieht natürlich auch die Befehlsthematik als einen Akt fiktionaler Weltschöpfung ein, deren gewissermaßen ›tautologische Performanz‹, welche in der Entscheidung des Souveräns, im Bann des Befehls wirksam wird, und deren eigentümliche Ökonomie sich bereits angedeutet hat. Wenn Max Weber die spezifisch religiöse »Erweckung« des »kapitalistischen Geistes« als nicht intendierte Konsequenz der Reformation bezeichnet,170 lässt 168 Vgl. Ausführungen zu Webers drei Arten der Befehlswirkung. In seinen Memoiren gibt Felix Somary eine schöne Anekdote von der Überraschung Kaiser Franz Josephs I. über die Entlassung von Tirpitz’ durch Wilhelm II. Dass dieser nicht von selbst um seine Entlassung gebeten habe, zeige bereits den Verfall der kaiserlichen Autorität (vgl. Somary  : Erinnerungen  ; op cit, 157). 169 Dies ist eine Vorstufe bereits vom 17. X. 1920 zum Königsbefehl im Dramentext. Dessen Verweigerung käme darum quasi einem blasphemischen Akt gleich, wie ihn dann der Beichtiger auch zur Rechtfertigung unbegrenzter Betrafung Sigismunds heranzieht. 170 »Wenn wir demgemäß bei der Untersuchung der Beziehungen zwischen der altprotestantischen Ethik und der Entwicklung des kapitalistischen Geistes von den Schöpfungen Calvins, des Calvinismus und der andern ›puritanischen‹ Sekten ausgehen, so darf das nun aber nicht dahin verstanden werden, als erwarteten wir, daß bei einem der Gründer oder Vertreter dieser Religi-

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sich dies auf die oben dargelegte funktionelle Analogie von Geld und Poesie (vgl. 2.1) als jeweils ›säkularen Transsubstantiationen‹ beziehen,171 die im Turm (vgl. 4.1.1) auf den Bereich der Souveränität ausgeweitet wird (Münze und Befehl sind zugleich deren Repräsentationsformen). In diesem Zusammenhang ist nun die Frage, ob man den am Symbol (dem ›Sprachding‹) ansetzenden Sinn- bzw. Wertschaffungsprozess (von Metapher und Tausch) dergestalt auch auf einen kollektiven, kulturgeschichtlichen Rahmen übertragen kann, von großer Bedeutung – ob etwa ein Gebilde wie der Leviathan zumindest seiner Entstehung nach metaphorisch zu verstehen wäre, als ein »literarischer Einfall« (Carl Schmitt). Am Beispiel der erst noch zu schaffenden Umgangssprache als primärer Aufgabe eines dichterischen nationbuildings und ihrer poetischen Verdichtung in der Gestalt (die ein Gespräch aller mit allen in sich fasst) wurde eine entsprechende Perspektive für Hofmannsthal bereits bestätigt. Leitend war hierbei das Prinzip der konstitutiven Wechselwirkungen in der Philosophie des Geldes. Wenn Simmel über den RePräsentanten einer »Kollektivmacht« schreibt  : »Er selbst ist das Symbol dieser Macht«,172 dann ist diese Feststellung, der man auch das literarische Symbol in seiner Analogie zur pekuniären Logik (gelt) zuzurechnen hat (und ebenso die romantische Idee des Staatsmanns als ›höheres Kapital‹), zuerst auf die SigismundGestalt zu beziehen  ; dem Anspruch nach allerdings auch auf Julian. Symbolgestalt einer »Kollektivmacht« ist dann erst recht der Kinderkönig. Die Poetologie solcher Verkörperungen (letztlich geistig gefasster Massen) soll im Folgenden anhand über den Nachweis einer metaphorischen Funktionsweise des souveränen Banns näher bestimmt werden. Indizien einer konstitutiven sozialen Wechselwirkung wie diese Äußerung im Dramentext  : »sigismund tritt zurück Alles geht in mich hinein, und aus mir wieder heraus und ich bleibe in meinem Gedinge. Ich bin mein eigener Vater und Sohn und lebe mit mir in Eintracht« und  : »[…] bei mir ist kein Ding besser onsgemeinschaften die Erweckung dessen, was wir hier ›kapitalistischen Geist‹ nennen, in irgendeinem Sinn als Ziel seiner Lebensarbeit vorzufinden.« (RS I, 81) – jedoch als deren Resultat. Auch Walter Benjamin hat sich dieser reformationskritischen Thematik angenommen  : »Etwas Neues entstand  : eine leere Welt. Der Calvinismus – wie düster er war – begriff diese Unmöglichkeit und korrigierte sie in etwas. Der lutherische Glaube sah mit Argwohn auf diese Verflachung und widersetzte sich ihr.« (GS I 1, 318  ; Trauerspiel). 171 Hofmannsthal notierte sich bei seiner Lektüre Burdachs  : »Renaissance und Reformation sind nur scheinbar Naturkatastrophen. In Wahrheit hat sie ebenso ein unaufhaltsamer Wille, eine ungeklärte aber ihrer Richtung gewisse Sehnsucht hervorgebracht wie die Erhebung der deutschen Litteratur von Opitz bis Schiller.« (SW XXXVIII, 848 [1. VIII. 21]). 172 Simmel, PG, 167. Vgl. zu diesem Themenkomplex auch Jentges, Soziale Magie  ; op cit, 201 f.

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beherbergt, als ein anderes«173 sind für diesen Kontext höchst aufschlussreich  ; wie auch die vorige Feststellung des untersuchenden Arztes  : »Die Grenze zwischen innen und außen ist verwischt«, welche zusammen mit dem Geheimnis des »Weltinnenraums« auf Sigismunds prekären Status als Kollektiv-Subjekt (und ›Ort‹ der sozialen Wechselwirkungen) hinweisen. Sigismund ist die Gestalt gewordene Transmitterfunktion, die Hofmannsthal um 1900 vom Geldwesen in die Dichtung übertrug (vgl. 2.1) und dessen Vorentwürfe wohl kaum zufällig in diese Zeit zurückreichen.174 Es kommt jedoch nach 1918 zu einer weiteren Analogsetzung der in dieser Gestalt fundierten Poetologie. Denn hier handelt es sich um eine »Grenzfigur des Lebens, eine Schwelle, wo sich das Leben zugleich außerhalb und innerhalb der Rechtsordnung befindet, und diese Schwelle ist der Ort der Souveränität«.175 Gerade als solch mythische Grenzfigur des Politischen kann Sigismund zur Symbolgestalt der nachfolgend darzulegenden Prozesse einer Massenidentifikation werden, welche so kryptischer Ansprachen wie »Ich bin mein eigener Vater und Sohn« zum Trotz gelingt. Vollendet ist dieser folglich anarchische Sprachschöpfungsprozess jedoch erst mit Ankunft der neuen Gemeinschaft um den Kinderkönig,176 deren Pazifismus die politische Sprache ablöst, wie sie Sigismund sich aneignete und die sich in ihm, im ›literarischen Leviathan‹ 173 SW XVI.1, 103 f.: Sigismund. 174 Uwe Hebekus hat in seinem schon mehrfach erwähnten Aufsatz »Woher – so viel Gewalt  ?« (2003) bereits auf diese Nähen der Figur und ihre poetologischen Implikationen hingewiesen. 175 Agamben, Homo sacer  ; op cit, 37. Der Turm ist damit gewissermaßen das Revers des königlichen Palastes. Die Souveränität tritt hier zunächst jedoch nur in Form des Banns auf, welcher Sigismund dort festgesetzt hat, bzw. – dem man Sigismund dort ausgesetzt hat, wie der Arzt dem »Zwingherrn« Julian mit der Metapher der Mühle vorwirft. 176 Karl Vossler hat in seiner von Hofmannsthal intensiv rezipierten Abhandlung über französische Kulturgeschichte (die sich zumal mit Themen von Hofmannsthals Dissertation berührt) die »Entwicklung des nationalen Stils« hervorgehoben  : »Die große, einheitliche, monumentale National-, Kultur- und Kunstsprache, wie die Pléjade sie gefordert und verkündet hat, ist, dank den Bemühungen der Theoretiker und Grammatiker, erst in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts zur Tatsache geworden. […] Diese Sprache hat aber im Kunstgenius des ganzen Volkes wie in einem Mutterschoße vorgebildet und ausgetragen werden müssen.« (Vossler, Frankreichs Kultur  ; op cit, 259). Denkt man an die Ausführungen zum Frankreichbild in der Schrifttum-Rede (vgl. 2.4) zurück, ergeben sich für die Interpretation des Turm als Genese des Sprachgeistes deutliche Überschneidungen (mit der ›Schauzeit‹-Angabe des 17. Jahrhunderts fängt es an). Julian wurde oben schon in die Nähe dieser »Theoretiker und Grammatiker« gerückt, deren wichtigsten Vertreter Vossler ja in Calvin sah  ; der Arzt in die Nähe Rabelais’  ; dass Sigismund am Ende gewissermaßen als Gestalt des Schrifttums dieser darum »einheitlichen, monumentalen National-, Kultur- und Kunstsprache«, wie sie die Kindergemeinschaft lebendig symbolisiert, erhalten bleibt, wird noch zu zeigen sein.

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verkörperte. In dessen zum sakralen Opfer umgedeuteter Vergiftung, welche diese Ablösung vielleicht erst ermöglicht, setzt sie sich Anfang und Denkmal. Dass die Sprache hierbei als Stoff und natürliche Seele dieses literarischen Leviathans aufgefasst werden kann (vgl. 2), geht auch aus einer aufschlussreichen Bemerkung Agambens hervor  : »Die Sprache ist der Souverän, der in einem permanenten Ausnahmezustand erklärt, daß es kein [menschliches, amion] Außerhalb der Sprache gibt, daß Sprache stets jenseits ihrer selbst ist. Die eigentümliche Struktur des Rechts hat ihr Fundament in dieser voraussetzenden Struktur der menschlichen Sprache. Sie formuliert das Band der einschließenden Ausschließung, dem ein Ding aufgrund der Tatsache, in der Sprache zu sein, genannt zu werden, unterworfen ist. Sprechen ist in diesem Sinn immer ius dicere.« (Agamben, Homo sacer  ; op cit, 31)

Der über den gefangenen Sigismund verhängte souveräne Bann (vgl. 4.1.3) ist also gleichermaßen rechtlicher (Basilius, Ignatius) wie sprachlicher Natur ( Julian). In der hier beschriebenen (aus- und ein-)schließenden Logik des Banns liegt eine Übertragung auf den Machtbereich vor, die anscheinend nach demselben Prinzip funktioniert wie die am Warentausch orientierte metaphorische Umfassung des Symbols im Gespräch über Gedichte  ; der sprachlichen Inklusion korrespondiert die gegenläufige Exklusion aus dem Recht (womit einmal mehr auf die extra-legale Qualität der Literatur verwiesen ist). Man könnte hier in Anlehnung an Simmel von einem Gelten des Rechts ohne den Menschen sprechen – eine Situation, der Hofmannsthals Poetologie des Politischen möglicherweise ähnlich entgegengesetzt ist, wie seine frühere Poetik des Besitzes der nivellierenden Wirkung des Geldes. Denkt man den funktionalen Nexus von Metapher, Münze und Befehl hinzu, sowie Proudhons Kritik am vampirischen Materialismus souveräner Repräsentation (das Heraussaugen der lebendigen Wechselwirkungen aus den Individuen vgl. 4.1.1), so ließe sich folgern  : die Metapher verhält sich zum Symbol, wie das Geld zur Ware und der souveräne Bann zur Gestalt, auf welche sich die im Stück inszenierte Ordnung politischer Souveränität bezieht. Wenn Sigismund in einer Variante zur Kerkerhaft äußert  : »etwas sog mich aus«, kann darunter eben jener Effekt des souveränen Banns verstanden werden (so übrigens auch Bergengruen), dessen konstitutive Leistung für die Herrschaft in der Produktion des »bloßen Lebens« als Revers der Souveränität besteht. Abgeschöpft wird hier das Politische des exkludierten zoon, das folglich, des Zusatzes ›politikon‹ beraubt, als bloße(s) zoë am Leben erhalten wird  ; beide Figurationen, Souverän und Homo sacer, stehen damit außerhalb des Rechts. Die

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»einschließende Ausnahme« des aus dem Bereich der Legalität ausgeschiedenen Homo sacer ist ein Funktionsäquivalent zur metaphorischen Öffnung der Sprache auf ein Außersprachliches, das es nicht geben darf – »Die Gewalt einer Sprache ist nicht, dass sie das Fremde abweist, sondern dass sie es verschlingt.«177 Was dieser Befund für die Inszenierung von Herrschaftsformen im Turm bedeutet – und für Hofmannsthals konservative Utopie  : dürfte man etwa folgern ›der Volksgeist (also die Sprache) und die Souveränität sind eins‹  ? –, ist an der Genese des corpus mysticum, des logopolitischen Körpers der in den Turm gebannten Symbolgestalt, nachzuvollziehen, deren Mission sich schließlich im Fest der Gemeinschaft erfüllt (welcher sie nicht angehören kann). Die Legitimität (und Aktualität) von Hofmannsthals Trauerspiel liegt jedenfalls auch darin begründet, dass es solche Vorgänge des Bannens und Verschlingens in ihrer potentiell (bio) politischen Gewaltsamkeit kenntlich und erfahrbar macht – wenngleich deren Mechanismen in den dichterischen Fassungen auch der positiven Darstellung von Souveränität dienen (nicht aber der Basilius’). 4.2.3 »In mir aber fliesst es ohne Stocken« – Charisma und Massenwirkung »Der Menschenbildner Prometheus stellt sich dar an der Belebung der Menschenmasse, gleichsam des Lehms und Bodensatzes der Menschheit, durch das aus seiner natürlichen Quelle entnommene Feuer zu der einen bürgerlichen Person, deren Machtausübung dann Aristokratie oder Demokratie heißt.« (Blumenberg, Arbeit am Mythos  ; op cit, 409  : Hobbes)

Ein antiproportionales Verhältnis zwischen der Ordnungsmacht des alten Regimes und der Subjektwerdung Sigismunds ist jedenfalls unverkennbar – mit deren völligem Versinken in Anarchie, das Julian vergeblich aufzuhalten versucht, tritt Sigismunds Wirkungskraft in den dichterischen Fassungen erst in den Zenit.178 War er zuvor schon die Verkörperung des monarchischen corpus mysticum, repräsentiert er nun auch den mystischen Leib des Volkes (bzw. der Nation), der ja infolge der juridischen Säkularisierung der theologischen Begriffe und Fiktionen den zweiten Körper des Königs beerbte und im Turm mit Sigismund zu Selbstbewusstsein gelangt. Seine Sprache, die Julians Angabe gegenüber Basilius zu177 WES, 112  : Goethe. Zu einer ›heraussaugenden‹ Poetik der Dinge vgl. 2.1. 178 Insofern widerspricht die Inszenierung im Turm übrigens Schmitts Befund eines »unüberwindliche[n] Gegensatz[es] von liberalem Einzelmensch-Bewußtsein und demokratischer Homogenität.« (LP, 23).

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folge durchaus eine der Engel ist, muss sich im nun öffentlichen Raum bewähren. Die ›innere Form‹ jenes mystischen Leibes, wie er in Sigismund Gestalt findet (in dem wie erwähnt die »Grenze zwischen innen und außen« laut Diagnose des Arztes »verwischt« ist),179 wird sichtbar. Auf die symbolische Dimension dieser Gestalt für ein organologisches Modell von politischer Gemeinschaft wurde oben am Beispiel Nadlers bereits hingewiesen (vgl. 2.5.2), der in einem Brief an Hofmannsthal Sigismund etwas vereinfachend als das Volk interpretierte  : »In dem König, der das Volk nur losgeben will, um es egoistisch zu mißbrauchen  ; in Julian, der es geistig nährt u. mündig macht  ; in dem heiligen Aufruhr Sigismunds u. der Meuterei des Gemeinen durch Olivier  ; in der tröstlichen Jugendbewegung des Kinderkönigs, der die Zukunft hat  : haben sie schöpferisch u. gleichnishaft das Zeitalter gestaltet. Dessen Zeugen, Mithandelnde, Mitleidende wir waren.« (SW XVI.1, 506  ; Zeugnisse)

Hofmannsthal hat dem – vermutlich aus einer gewissen Freude an Nadlers Verfehlen des wesentlichen Punktes heraus – nicht widersprochen. Hinsichtlich Julians, Oliviers und des Kinderkönigs sind Nadlers Beobachtungen sicher treffend. Sigismund kann allerdings schon deshalb nicht »das Volk« sein, weil sich dieses ja um ihn als Herrscherfigur schart (und in den Regieanweisungen im vierten und fünften Aufzug auch explizit so aufgeführt wird). Dennoch ist der vormalige, jeder Repräsentation eigene Dualismus von Herrscher und Volk erkennbar aufgehoben. Damit ist auf einen demokratietheoretischen Hintergrund der Subjektwerdung Sigismunds verwiesen, vor dem sich der Wechsel von politischer Theologie und Legitimationsform von der traditionalen zur charismatischen Herrschaft abspielt. Den Vergleich des jungen, nach der langen Kerkerhaft völlig unerfahrenen Sigismund mit dem Volk zieht in einer Variante übrigens Basilius selbst  : »Das Volk ist ein argloses Kind wie Du warst ehe er [ Julian] dich depravierte  !«180 Sigismund lässt sich nicht auf eine bloße Figuration des Volks reduzieren. Vielmehr tritt er als Verkörperung jener mystischen Vorstellung des Volksgeistes, welchen Romantik und Idealismus der politischen Theologie des 179 Der »transcendentale Arzt« könnte übrigens bei Hegel in der Famulatur gewesen sein  : »Die Physiognomik soll sich aber von anderen schlechten Künsten und heillosen Studien dadurch unterscheiden, daß sie die bestimmte Individualität in dem notwendigen Gegensatze eines Inneren und Äußeren, des Charakters als bewußten Wesens und ebendesselben als seiender Gestalt betrachtet und diese Momente so aufeinander bezieht, wie sie durch ihren Begriff aufeinander bezogen sind und daher den Inhalt eines Gesetzes ausmachen müssen.« (Georg Wilhelm Friedrich Hegel  : Phänomenlogie des Geistes  ; Werke in 20 Bänden, Bd. 3  ; Frankfurt/Main 1979. 236.) 180 SW XVI.1, 306  : Basilius.

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Legitimismus gewissermaßen ›unterschoben‹, zur Herrschaft an. In der Gestalt sind Vorstellungen des Volksgeistes bzw. Geistes der Nation mit der Idee eines im Gemeinwillen (volonté générale) zum Ausdruck kommenden pouvoir constituant zusammengezogen. Neben die symbolische Referenz ›Volk‹ tritt also die des ›Geistes‹, womit man wieder auf die entsprechenden physiologischen Vorstellungen der Politischen Romantik verwiesen ist (vgl. 3.1), welche auf diese Weise die Rousseauschen Ideen ästhetisch überformte.181 Diese Vorstellungen werden im Turm offensichtlich nicht nur über die Figurenkonstellationen zitiert  ; der vierte und fünfte Aufzug sind in einer sogar offensichtlichen Kontinuität hierzu gestaltet. Die Dimension der Unmittelbarkeit, wie sie zwischen Sigismund und dem Volk nun auch räumlich besteht, lässt sich mit dem Oxymoron ›identitäre Repräsentation‹ (bzw. ›RePräsentation‹)182 durch Verkörperung beschreiben (vgl. 2.1). Die relevanten Szenen der Herausbildung eines Führer-Gefolgschaftsmodells bilden die Kernhandlung des vierten Aufzugs. »Und doch steht ihr hier, scheint mir, für etwas Anderes das ich nicht sehen kann« 183 »Ich wiederhole also, daß die Souveränität nur der Vollzug des Gemeinwillens ist und niemals veräußert werden darf, und daß der Souverän ein Kollektivwesen ist, das nur durch sich selbst dargestellt werden kann […]« (Jean-Jacques Rousseau  : Du contrat social).184

181 Diese ganze Metaphorik bietet Hofmannsthal in kondensierter Form auch in dem kurzen Text Tschechische und slowakische Volkslieder (1922) auf, in welchem die Arbeit des Übersetzers gerühmt wird  ; vgl. RA II. 165 ff. Für eine entsprechende Traditionslinie werden hier Goethe, die Brüder Grimm, Novalis, Schleiermacher und Fichte erwähnt, deren von Hofmannsthal im Deutschen Lesebuch und in Wert und Ehre deutscher Sprache ausgewählten Textstellen oben z.T. zitiert wurden (vgl. insbesondere 2.3). 182 Dem Begriff »Transsubstantiation« als einem in der Führerfigur säkularisierten Paradigma sozialer Formgebung korrespondiert der hier verwendete neutralere (und ebenso wie »konservative Revolution« dialektische) Terminus ›identitäre Repräsentation‹. 183 Variante der Szene Julian-Masse (Aufständische). Notiz im Bd. 9 (376) von Hofmannsthals Shakespeare-Ausgabe (SW XL, 631). Es dürfte sich um den Coriolanus handeln. 184 Jean-Jacques Rousseau  : Du contrat social  ; ou, Principes du Droit Politique [1762]  ; in  : Politische Schriften  ; hg. v. L. Schmidts  ; München 1995. 58–203  : 74. Dieser Vollzug allerdings erfolgt so lange durch die intermediären Gewalten einer »Zwischenkörperschaft, die die gegenseitige Verbindung zwischen den Untertanen und dem Souverän herstellt«, bis der versammelte Souverän  : das Volk sich selbst vertritt  ; denn »wo sich der Vertretene befindet, gibt es keine Vertretenden mehr«. (Rousseau, Politische Schriften  ; op cit, 118 und 156).

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Die Massenszenen des vierten Aufzugs unterliegen seitens Julians, der als unfreiwilliger Repräsentant des alten Regimes am realen Resultat seiner Utopien verzweifelt, einer pessimistischen bzw. bereits nihilistischen Deutung. Diese Verzweiflung bezieht auch die schon bemerkten Anleihen an den Prometheusmythos mit ein  ; die Metaphorik am lehmigen Grund unwillkommener Erkenntnis steht für das Versagen des Genie-Anspruchs Julians, gewissermaßen aus der tellus conversa »eine neue Sprache entstehn« zu lassen,185 wohingegen die Inszenierung eines Kollektivleibes (gebildet aus innerer Form und Kontur) hierdurch erst wirklich präsent wird. Ein Gespür für das demokratische Potential der Situation entwickelt er nicht. Von großer Bedeutung für den Kontext einer solchen KollektivGestalt ist die Polemik des sterbenden Julian gegen die aufrührerische Masse (und Olivier), die Sigismunds Replik einer organisch-liquiden Zirkulation (»in mir fließt es ohne Stocken«) erst die Vorlage bietet  : »[…] Klumpen ihr, wandelnde  ! […] Ha, du Nichts mit tausend Köpfen, vor mir totem Mann weichst du zurück wie die Schafherde vor dem Hund, und dennoch erdrückst du Erdhaufen den, der in unsagbarer Mühe dich unterwühlt hat um dich über Nacht auf das Dach seines Feindes zu stürzen. Denn ich habe aus einem Nichts ein Etwas gemacht […]« (SW XVI.1, 107  : Julian)186

Diese Textstelle bündelt gleich mehrere zentrale Herrschaftsdiskurse des Stücks und verdient daher eine eingehendere Betrachtung, als sie bislang erfahren hat. Der Bezug auf die Masse als dem unkonstituierten, amorphen Gebilde eines sozialen Nichts (mit tausend Köpfen) ist klar ausgeführt – die Erscheinungsform der aufgewühlten tellus ist für Julian jedenfalls nicht mehr die Öffentlichkeit eines Publikums. Deutlich wird auch ein rein materielles Verständnis der Masse und die Verachtung ihres rauschhaft ungezügelten Wesens, wie Hofmannsthal 185 Friedrich Schlegel  : Kritische Ausgabe Bd. XVIII, 394 [Nr. 888]. Die erdverbundene Sprache wird von der Magie der Zigeunerin noch einmal beschworen. 186 Die Kritische Ausgabe führt die Metapher auf ein Bild bei Horaz zurück, der das römische Volk als »vielköpfiges Ungeheuer« bezeichnete. Ein Querverweis erfolgt hier auch auf den Timon  ; dort ist bereits vom »Thier mit tausend Köpfen« die Rede (SW XIV, 434). Benachbart ist auch ein Zitat aus dem Buch der Freunde, das in einer oben bereits zitierten Variante dem Arzt zugeordnet wird  : »Einer gilt mir für dreißigtausend, doch die Unzähligen für nichts.« (RA III, 262  : Buch der Freunde – Heraklit). Ebenso denkbar ist aber ein Bezug auf die konservative Kritik an der demokratischen Repräsentation durch das Parlament als dem »monster with many heads«, die zudem auf einer Karikatur der Hobbes’schen Kompositgestalt des Leviathan beruht (vgl. hierzu Manow, Schatten des Königs  ; op cit, 49–51).

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sie Le Bons Psychologie des foules entnehmen konnte, die der aristokratischen Sicht auf den ›Pöbel‹ eine wissenschaftliche Legitimation anbot. Wie bereits erwähnt, hat sich Freud 1921 stark an Le Bon orientiert.187 Dies gilt insbesondere für die Inszenierung der Verführbarkeit und Triebhaftigkeit der Masse, deren niedere Affekte in diesen Fassungen ihre Symbolgestalt in Olivier finden (der seitens Julians eine entsprechend theriotopische Beschreibung erhält). Eine ähnlich ›erdverbundene‹ Metaphorik nutzt übrigens auch Max Weber bei seiner Betrachtung zur amerikanischen Demokratie, welche im 18. und 19. Jahrhundert noch kein »formloser Sandhaufen von Individuen« gewesen sei.188 »Erdhaufen« steht als Ausdruck politischer Materialität in ähnlichem Gegensatz zu ›Kristall‹ wie ›Sand‹. Julians voriger Bericht, er habe die Erde aufgewühlt, auf welcher der Thron stand, um die bestehende Ordnung zu stürzen (der Auftrag »acheronta movebo  !« ist damit in die Tat umgesetzt), wird hier nun aber auf die Ebene politischer Körperschaft (und deren De[kon]struktion) übertragen. Ihm ist nur die »geistlose Einheit des Seins« (Hegel) gelungen. Denn dem verzweifelten Julian erscheint Sigismund nicht bloß als »Kloss aus Lehm«  ; in einer Variante nennt er ihn sogar »[…] du … Lehm Golem«. Versteht man den Golem als Kollektivgestalt, als lehmentstiegenen Makroanthropos, der in Klumpen umherwandelt, wäre er Ausdruck einer zur Gewalt-Anarchie oder Tyrannis pervertierten Demokratie – geradezu ein mythisches Pendant zum Behemoth (welchen Hobbes ja im »Langen Parlament« inkorporiert sah).189 Hier wird die Golem-Sage jedenfalls metaphorisch bezogen auf die revolutionäre Masse, und Sigismund erscheint Julian als dessen Identifikationsgestalt  : »wende dich ab von mir, du Kloss aus Lehm, dem ich das unrechte Wort unter die Zunge gelegt habe, ich will dich nicht sehn.« ( Julian, IV. Aufzug) heißt es dann im Dramentext.190 Sie steht zudem in scharfem Gegensatz zum Prometheus-My187 Freuds Massenpsychologie und Le Bons Psychologie der Masse spielen auch für die Herrscher-VolkSzenen im Phokas- sowie im Timon-Fragment eine Rolle  ; vgl. SW XIX, 424/425  ; Erläuterungen, sowie SW XIV, 632. 188 »Aber in der Vergangenheit und bis in die Gegenwart hinein war es ein Merkmal gerade der spezifisch amerikanischen Demokratie  : daß sie nicht ein formloser Sandhaufen von Individuen, sondern ein Gewirr streng exklusiver, aber voluntaristischer, Verbände war.« (RS I, 215). 189 SW XVI.1, 341  ; Varianten  : Julian. Zuvor  : Hegel, Phänomenologie  ; op cit, 491. Vgl. Thomas Hobbes  : Behemoth oder das Lange Parlament  ; [1668] Frankfurt/Main 1991. 190 Vgl. zum Prometheus-Mythos nochmals Blumenbergs Kapitel »Die Entfrevelung des Feuerraubs«  ; in  : Arbeit am Mythos  ; op cit, 324 ff. Auch hier finden sich übrigens Elemente eines VaterSohn-Konfliktes, die dem Orakel-Spruch über Sigismund ähneln. Die ästhetische Materialität des ›Menschentöpfers‹ (»Menschenbildners«) Prometheus ist übrigens ebenfalls der Ton bzw.

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thos, dessen narrativer Kern (der Dignität einer anthropogenen, immanenten Transzendenz des Genies) dem Ergebnis von Julians Plänen nach tatsächlich ins Gegenteil verkehrt erscheint  : Die Herrschaft des Rechts endet in Barbarei und Chaos.191 Dieses Chaos allerdings gebiert vielleicht noch keinen »tanzenden Stern« (Nietzsche), jedoch die Gestalt einer souveränen Sprache, in welcher die Verhältnisse zum Ausgleich kommen können, nämlich das »lebendige Kunstwerk« Sigismund, der inmitten der ihn umringenden Aufständischen Julian als seinen Schöpfer anerkennt. »In der bacchischen Begeisterung ist das Selbst außer sich, in der schönen Körperlichkeit aber das geistige Wesen. Jene Dumpfheit des Bewußtseins und ihr wildes Stammeln muß in das klare Dasein der letzteren und die geistlose Klarheit der letzteren in die Innerlichkeit der ersteren aufgenommen werden. Das vollkommene Element, worin die Innerlichkeit ebenso äußerlich als die Äußerlichkeit innerlich ist, ist wieder die Sprache […]«  ; »weil die Sprache das Dasein des Geistes als unmittelbare[s] Selbst[] ist […]« (G.W. Hegel  : Phänomenologie des Geistes  ; 528–529 und 490 [Hervorh. A.M.])192

Das Credo einer creatio ex nihilo (aus einem Nichts ein Etwas machen) und die in der politischen Philosophie tradierte Metapher der Schafherde – deren Hirte zu sein Julian bemerkenswerter Weise nicht beansprucht  : sondern deren Hund – verweisen nochmals auf den politischen Ordnungswillen des »Werkmeisters« Julian (dem die Einhegung der losgelassenen Herde misslingt). Denn dieses aus dem »Nichts« der Materie geschaffene »Etwas« ist das eigentliche Volk  : »Organisationen gehen weg, sind nichts. Volk ist etwas«  ; wenngleich nicht in dem erwünschten Design. Allerdings liegt Julians Tragik auch in der Wahl des falschen Zeitpunktes  : »Was fehlt  ?« notierte sich Hofmannsthal in einer frühen Variante – »Der Zeitpunkt. Zu einer Zeit kann man aus Menschen O r d n u n g e n machen und zu anderer Zeit wird solch ein cauchemar daraus.«193 Lehm, sein Ziel eine »tellus conversa« (ebd, 385, 389 f.) Auch Kaiser Julians Streitschrift Gegen die ungebildeten Hunde (aus dem Jahr 362 n.C.) und seine »Logogonie« sind hier zumindest erwähnenswert (vgl. ebd., 369, 371). 191 Mit Novalis  : »Die Herrschaft des Rechts wird mit der Barbarei zessieren.« Novalis  : Schriften III  ; Fragmente 2  ; hg. v. E. Wasmuth  ; Heidelberg 1957. 450 (Nr. 3007). 192 Kapitel  : »Das lebendige Kunstwerk«  ; in  : Hegel, Werke  ; Bd. 3. 528–529 und 490. (Hier handelt es sich um die von E. Moldenhauer und M.K. Michel herausgegebene Suhrkamp-Ausgabe der Werke Hegels). 193 Zuvor  : SW XXXIV, 272  : Unsere Nation  ; SW XVI.1, 364  ; Varianten. Dass jede Idee ihre Zeit hat, ist eine Feststellung auch schon Le Bons  : »Die Zeit vornehmlich bereitet die Anschauungen und

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In der Desperatio Julians als dem gescheiterten Sozial-Ästheten, der sich quält, »dass eine Ader in« ihm »aufgehe, von der [er] trinken« könne, und der ihn umlagernden ungeordneten Masse – dem »Nichts mit tausend Köpfen«194 liegt eine Dialektik, die sich mit Schmitt als »Gegensatz von leerer Form und gestaltloser Materie« beschreiben lässt.195 In Julian verlautbart sich daher gewissermaßen der Schrecken der »absoluten Freiheit« (Hegel)  : »Wenn in einer Gesellschaft ein soziales Nichts möglich ist, so ist nämlich dadurch bewiesen, daß keine soziale Ordnung besteht. Es kann keine Ordnung geben, die ein solches Vakuum enthielte.«196 Was sich hier also in entleerter politischer Form und (noch) gestaltloser – sozialer – Materie manifestiert, ist der Ausnahmezustand  ; bzw. tiefgreifender noch  : der Naturzustand und damit das Ende aller vorläufigen Repräsentation  : das im Normalfall eingehegte »unsichtbare Sein« des Politischen fegt ›seine‹ Repräsentanzen – »alles, was herrisch ist«197 – hinweg. Zurück bleiben die Aufrührer, die amorphe Masse des zusammengeströmten Volkes und mit Sigismund die Möglichkeit seiner Selbstrepräsentation. Diesem Vorgang eignet zudem eine räumliche Dimension, nämlich die Distanz, die jede Herrschaftsausübung um sich herum schafft. Gerade diese anthropologische Konstituente von Repräsentation hat Canetti betont  : »Aller freie Raum, den der Machthaber um sich schafft« diene dazu, »sich nicht ergreifen zu lassen«. »Wo immer eine Form des Zusammenlebens sich zwischen Menschen Überzeugungen der Massen, d. h. den Boden, auf dem sie keimen, vor. Das ist der Grund, warum gewisse Ideen nur zu einer bestimmten Zeit, nicht zu einer anderen realisierbar sind.« Gustave Le Bon  : Psychologie der Massen  ; op cit, 57. Hofmannsthal besaß wie erwähnt die französische Ausgabe von 1905. 194 Zuvor  : SW XVI.1, 108  : Sigismund. Als zeitgeschichtlicher Hintergrund der Figur kann hier übrigens auch Spengler vermutet werden, der in Hofmannsthals Umkreis kritisch gesehen wurde  : »Propheten und Gemeinden zerschellen alsbald an irgend einer harten Wirklichkeit. Gestrüppe rankt sich um Trümmer. Das schrankenlose Subjekt, im Nebel verirrt, erfüllt eine trübe Luft mit seinen Klagen. Zu guter letzt [sic] beweist der Geist des Abendlandes sich selbst den eigenen Untergang. Die Zerstörung scheint vollendet.« (Eranos-Festschrift  ; op cit, 107  : Riezler [Hervorh. A.M.]) 195 RK, 19. Diese liege dem synthetisierenden »römischen Katholizismus« jedoch fern (vgl. ebd.). 196 Carl Schmitt  : Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus  ; Berlin 19856. (LP, 74  ; Anm. 1). Auf Hegels Phänomenologie des Geistes wurde schon vereinzelt Bezug genommmen  ; für die Konstellation Sigismund-Julian und die Julianfigur insgesamt ist Hegel ein nicht unwichtiger Bezuggeber. Angesichts der Bedeutung der Sprache für den Geist (welcher sich nach Hegel in ihr verkörpert) überrascht es, dass Hofmannsthal aus der Phänomenologie nichts in seine Anthologien aufgenommmen hat. 197 Zuvor  : Manow, Schatten des Königs  ; op cit, 109. SW XVI.1, 99  : Bub.

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etabliert hat, drückt sie sich in Abständen aus, die ihnen diese unablässige Angst des Gepackt- und Ergriffenwerdens benehmen.«198 Sigismund aber sucht diese Distanz der Repräsentation nicht. Vielleicht, weil er die längste Zeit seines Lebens isoliert auf engstem Raum zubringen musste, macht ihm der Zusammenbruch der Ordnung und damit der Einzug der Masse in ihr Zentrum (das in den dichterischen Fassungen vom Palast zum Turm, also zu Julian und Sigismund wechselt) keine Angst. Er teilt auch nicht Julians elitären Sprachgebrauch, der vor den revoltierenden Massen scheitern muss, welche dieser wie »Geräte« gebrauchen möchte. Das Drängen auf einen eiligen Ausritt und die in einigen Textstufen stärker aufscheinende Metaphorik des Ausnahmezustandes dienen der Aufrechterhaltung einer Ordnung, an der Sigismund kein Interesse (mehr) hat – weil sie dem Innenraum seiner souverän gewordenen Subjektivität nicht mehr entspricht. »Dies ganze Königreich, in dieser Stunde, wie ein Salzschiff flussabwärts tanzt es zu, auf die Klippe die ihm den Leib aufreisst dass es hinunterfährt in den höllischen Strudeln, jammervoll wie ein Strohhalm.« (SW XVI.1, 354/355  : Julian)199

Sigismund stemmt sich jedoch nicht gegen den Lauf der Dinge, hingegen gleitet er sozusagen über diese Klippen, denen das Königreich und Julian samt seinen Plänen zum Opfer fallen. Die hiermit aufgerissene Kluft zwischen geistiger Formgebung und sozialer Masse hat Sigismund also, der erst aus dem Untergang des ›geistigen Cäsaren‹ Julian hervortretende Charismaträger, in sich zu überwinden und auszugleichen, die sich bildende Gefolgschaft aus den »höllischen Strudeln« des Naturzustands wieder zur Schwelle einer gesellschaftlichen Ordnung zu führen. Diesen Vorgang zu dramatisieren ist die Intention hinter dem vierten Aufzug. Im Duktus der Schrifttum-Rede  : »damit außen Einheit werde«, ist alles »Zerklüftete« hier hineingerissen ins »Innere« zunächst des Turms, und zugleich auch in die Gestalt. Denn deren Brust entspricht ja dem Turm, wie Sigismund metaphernverschränkend selbst feststellt  : »Herr und König auf immer in diesem festen Turm  ! (er schlägt sich auf die Brust)«. Seine Anhänger »genießen« folglich »in Auserwählung […] eines wissenden Menschen herrliche Brust, die aus sich

198 Elias Canetti  : Masse und Macht  ; op cit, 242. 199 Die Metaphorik des Schiffbruchs wird nach dem Sieg über Olivier wieder aufgegriffen  : »Wie der Morgenstrahl die Schiffbrüchigen nach grausiger Sturmnacht, trifft uns die milde Anrede unseres gnädigen Königs.« (SW XVI.1, 131  : Bannerherr).

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selber die Welt regiert,« »ihr[em] innerste[s] Selbst«.200 Dies ist die Behauptung eines Kollektivsubjekts (mit offenkundig poetologischer Dimension). Interessant in diesem Zusammenhang ist auch ein früher Vermerk Hofmannsthals zu Sigismund  : »Krystall ringt um die reinste Form.« Denn ein geschliffener Kristall ist vor allem Form – »am Kristall ist alles Grenze« (Canetti), durchsichtige Ordnung und allerdings der fluiden Dynamik des Charisma als Bild eher entgegengesetzt. Jedoch verweist dies darauf (wie auch die Raum-Ordnung des Zeltlagers im fünften Aufzug), dass es Sigismund gelungen ist, eine Gefolgschaft, ein »Massenkristall« zu bilden – indem »jeder einzelne, der dazu gehört, […] als Grenze konstituiert« ist, wie Canetti definiert.201 In den Notizen heißt es dementsprechend, ein »kristallenes Reich« werde (unter Sigismund) entstehen  ; ganz im Gegensatz also zu Julians Wahrnehmung der Masse als erdhafter Materie und vor allem zu Oliviers mobilem ›Kriegshaufen‹.202 Der latenten Ambivalenz zwischen Form und Bewegung in der Metaphorik des Kristallinen hat sich Hofmannsthal in den dichterischen Fassungen über das Duo SigismundKinderkönig zu entledigen gesucht (während Sigismund mit der verfließenden Zeit zu kämpfen hat und ihr erliegt, steht der Kinderkönig für die Dauer einer stillgestellten Zeit). Die Koordinierung der ungeordneten Masse auf die Gestalt des Souveräns verläuft jedenfalls im Sinne einer ›identitären Repräsentation‹  : einer allumfassenden Verkörperung. Bevor es soweit ist, tritt allerdings der Widersacher mit einem eigenen Gefolgschaftsmodell auf den Plan. Das Tribunal – »gestempelt zum wahren Stellvertreter dieses misshandelten geschändeten Volkes« ( Jeronim) »Im Jahre 1912 habe ich die Vermutung von CH. Darwin aufgenommen, daß die Urform der menschlichen Gesellschaft die von einem starken Männchen unumschränkt beherrschte Horde war.« (Freud, Massenpsychologie  ; op cit, 100) 203

200 Zuvor  : RA III, 40  ; SW XVI.2, 397  ; Erläuterungen zur 2. Druckfassung  : Sigismund. SW XVI.1, 277  ; N 75. 201 Canetti, Masse und Macht  ; op cit, 85. Zuvor  : SW XVI.1, 277  ; N 75. 202 SW XVI.2, 280  : N 289. 203 Kapitel X. Die Masse als Urhorde. Diese Vorstellung ist eine der wirkmächtigsten unter den antirousseauistischen Imaginationen des Naturzustands im frühen 20. Jahrhundert. Freud verweist hier auf Totem und Tabu (1912–13), das Hofmannsthal ebenfalls gut kannte, sich aber nicht in seiner Bibliothek erhalten hat. Den Satz hat sich Hofmannsthal in seinem Exemplar der Massenpsychologie angestrichen.

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Mit den in den Turm eindringenden Massen erscheint auch Olivier, der sich auf seine Weise eine »Herrenstellung durch Massensuggestion« sichert, nämlich durch die Forderung, die vormaligen Herren grausam zu strafen. Tatsächlich ist mit dem Zusammenbruch der Ordnung ein archaischer Zustand sozialer Atavismen eingetreten, welche die Sozialdynamiken in Freuds Urhorde zu zitieren scheint. Weniger geht es hierbei allerdings um den Königs- bzw. Vatermord durch die Brüderschar (auch wenn Sigismund dessen Blut aus »einem silbernen Humpen saufen« soll), sondern um den Exzorzismus des ›geistigen Vaters‹ Julian, den Olivier zum Sündenbock erklärt. Die Umkehrung der Machtverhältnisse postulierend  : »so wahr nunmehr das schleunige Recht bei mir ist  !« soll mit dem Schauprozess an Julian, den er im Namen der Revolution verteufelt, »das Rad der Gerechtigkeit aus dem Sumpf« gestemmt werden.204 Es handelt sich natürlich nur vorgeblich um eine Gerichtsbarkeit des »ehrwürdigen Volkes«, in dessen Namen das Blutgericht an Julian vollzogen wird. Sigismund erweist dich hierbei als ungeeigneter Kronzeuge, da er sich wider Erwarten nicht der Hetzmeute um Olivier anschließt und nicht einmal auf Rache sinnt, sondern Julian sogar verteidigt  : »[…] er war der Meister über dem allen. […] in der Erfüllung seines geistigen Werkes […]« (Sigismund IV). Er wird daher für schwachsinnig erklärt. Der Schreiber Jeronim soll der in den Turm gedrungenen Menge »den Galimathias« »verdeutschen«, der sich so undefinierbar von Oliviers Machtstreben abgrenzt  : »Du hast mich nicht. Denn ich bin für mich.« Die in der Szene von Hofmannsthal so beabsichtigten komischen Elemente »[…] und wenn sie vollgesoffen waren, haben sie ihn geprügelt, wie einen störrischen Esel. (Volk stöhnt auf.)« zitieren mit den zahlreichen Anleihen an Elemente des bacchantischen Rausches das mundus traversus-Prinzip des Fastnachtspiels. Julian hat »das Unterste nach oben« gebracht und soll von diesem nun im Zerrbild seiner eigenen schleunigen Gerichtsbarkeit abgeurteilt und hingerichtet werden. Sämtliche bestehenden Verhältnisse drohen in ihr Gegenteil verkehrt zu werden, die Perversion hierbei ist überdeutlich  : »oliv ier […] Regimentsschreiber, schreib  ! An die gesamten Haufen  ! Also setzen, ordnen und befehligen wir  : Die Bauern sind überall vom Pflug zu rufen, weil ein neuer Weltstand eintreten wird, bei dem die Erde nicht mehr umgebrochen wird, sondern das menschliche Fleisch und Bein […]. […] Du hast mich Gestrenger Generalissimus anzusprechen und dein Maul zu halten, wo ich Anordnung treffe. Achtung  ! Wer ist hier Kapitän  ? Trommelwirbel Jedennoch werde ich mich herbeilassen jetzt sogleich unter 204 SW XVI.1, 107  : Olivier  ; zuvor (»Herrenstellung«)  : WuG, 651. Nachfolgend  : SW XVI.1, 107 f.

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währendem Bankett eine ewige Rangliste anzufertigen, gemäss der sich zu halten sein wird in jeglichem Stück, und euch, meine Generalleutnants, will ich Teufelsnamen geben, wie eine alte Hexe mir zugeraunt hat – und unter diesen Namen sollt ihr Brandrotten kommandieren  ! Wo die auftreten, da sollen die Edelleute und Stadtbürger pissen vor Angst205 […]« (SW XVI.1, 108/109)

Olivier wirft sich im Namen der »Blutfahn« gewissermaßen in die Pose des Rousseauschen Gesetzgebers und maßt sich im Namen okkulter Kräfte an, »[…] als Diktator der Menschen ihnen ihr Schicksal zu bescheiden, ihnen Bescheid so zu geben, daß der Menschen Wille sich beuge«.206 Jedoch gelingt ihm dies nur mit einem Teil der versammelten Menge  ; der andere hält zu Sigismund, zumal Jeronim das Volk zuvor aufgerufen hatte, sich mit Sigismund zu identifizieren  : »Denn in dieser gemarterten Person deines Königs erkenne du dich wieder so wirst du armes Volk, von diesen da immer um dein Erbteil gebracht […]«.207 Von den drei in der Personenvorstellung zu Beginn des Stücks zu den »Aufrührern« Gezählten schlägt sich jedoch allein Indrik auf die Seite Sigismunds, der ihn daraufhin zum »Vormäher« macht. Es wurde oben bereits darauf hingewiesen, dass Olivier als Charismatiker eines pervertierten Heilsversprechens interpretierbar ist, die charismatische Herrschaft im Turm daher einer dialektischen Inszenierung unterliegt. Für diese Herrschaftsform ist Max Weber zufolge eine Justiz typisch, die sich geradezu gegen traditionale Rechtsprechung oder rationale Verfahren richtet – womit ein weiteres theatrales Element vorliegt  : »Derivate charismatischer Justiz sind […] natürlich alle Arten des Ordals als Beweismittel.«208 Oliviers Gericht über Julian zeigt jedenfalls durchaus Züge des Ordals als Spektakel (mit dem Volk als Chor), über welches Benjamin schrieb  : »Das Ordal wird durch den Logos in Freiheit durchbrochen. Dies ist zutiefst die Verwandtschaft von Gerichtsprozeß und Tragödie in Athen. Das Wort des Helden, wo es 205 Die Bühnenfassung teilt die Formulierung »pissen vor Angst« übrigens Julian zu. Für diesen Zusammenhang wäre hinsichtlich des Kolorits der »Brandrotten« auch eine Bezugnahme auf Blochs Thomas Münzer als Theologe der Revolution denkbar ([1921]. GA Bd. 2  ; Frankfurt/Main 1977. 50  : »Satanas ist ihr Hauptmann«). 206 Florens Christian Rang  : Historische Psychologie des Karnevals  ; Berlin 1983. 25. Wie konkret Hofmannsthal auf Rangs Karnevalsschrift Bezug genommen hat, wird anschließend (vgl. 4.3.3) zu verdeutlichen sein. 207 SW XVI.1, 337  : Jeronim. 208 WuG, 657/WuG 1922  : 756.

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vereinzelt den starren Panzer des Selbst durchbricht, wird zum Schrei der Empörung. Die Tragödie geht ein in dies Bild des Prozeßverfahrens  ; eine Sühneverhandlung findet auch in ihr statt.« (GS I 1, 295  ; Trauerspiel)

Eine »Sühneverhandlung« findet im Turm an dieser Stelle natürlich nur zum Schein statt  ; dennoch sind Julian Züge des Tragödienhelden eigen209 (der eigenes Fehlverhalten mit dem Leben bezahlt).210 Julians letztes Wort nach dem »empörten Aufschrei« zitiert darum nicht nur den Untergang seiner Gesellschaftsvisionen, sondern auch – in ungewolltem, umgedrehten Messianismus – das »Nichts der Offenbarung« einer neuen Ordnung. Sigismunds Replik »Deine Augen sind vermauert mit dem was nicht ist,211 sonst würdest du erkennen, dass dein Werk gelungen ist und nicht vereitelt« scheint genau auf diesen Punkt hinzuweisen. Der Preis dieses Gelingens ist allerdings der völlige Verzicht auf die Teilhabe an diesem Neuen, für das Julian sich in gewisser Weise doch aufgeopfert hat  : »Kein positives Werk noch Tat kann also die allgemeine Freiheit hervorbringen  ; es bleibt ihr nur das negative Tun  ; sie ist nur die Furie des Verschwindens.«212 209 Den Turm als Tragödie Julians zu lesen, schlug schon Austin vor  ; vgl. Gerhard Austin  : Politik, Theater, Geist. Überlegungen zu Hofmannsthals »Turm«  ; op cit, 123. 210 Er erleidet damit ein Schicksal, das auch bei Le Bon beschrieben wird  : »Die Philosophen des vergangenen Jahrhunderts widmeten sich mit Eifer der Zerstörung der religiösen, politischen und sozialen Illusionen, von denen unsere Völker viele Jahrhunderte lang gelebt hatten. […] Hinter den geopferten Chimären fanden sie die blinden und tauben Naturkräfte  ; unerbittlich der Schwäche gegenüber, kennen sie kein Mitleid. Die Philosophie hat es bei allen ihren Fortschritten nicht vermocht, den Massen ein Ideal darzubieten, das sie reizen könnte  ; da diese aber um jeden Preis Illusionen haben müssen, so wenden sie sich, wie die Motte zum Licht, instinktiv den Rhetoren zu, die ihnen solche bieten.« (Le Bon, Psychologie der Massen  ; op cit, 76). Olivier kann in diesen Fassungen sicher nicht als Rhetor bezeichnet werden, jedoch als wüster, mitleidloser Demagoge durchaus. 211 Dieser Satz gilt in der Bühnenfassung Olivier. Zuvor  : Agamben, Homo sacer  ; op cit, 62. 212 G.W. Hegel  : Phänomenologie des Geistes  ; Kapitel VI B III »Die absolute Freiheit und der Schrecken« (in  : Werke Bd. 3  ; hg. v. E. Moldenhauer u. M.K. Michel  ; op cit, 435–436)  ; zur Logik der Inversion  : »Alle diese Bestimmungen sind in dem Verluste, den das Selbst in der absoluten Freiheit erfährt, verloren  ; seine Negation ist der bedeutungslose Tod, der reine Schrecken des Negativen, das nichts Positives, nichts Erfüllendes in ihm hat.[…] sie ist der allgemeine Wille, der in dieser seiner letzten Abstraktion nichts Positives hat und daher nichts für die Aufopferung zurückgeben kann  ; – aber eben darum ist er unvermittelt eins mit dem Selbstbewußtsein, oder er ist das rein Positive, weil er das rein Negative ist  ; und der bedeutungslose Tod, die unerfüllte Negativität des Selbsts, schlägt im inneren Begriffe zur absoluten Positivität um.« (ebd., 439–440 [Hervorh. A.M.]). Benjamins Verständnis der Allegorie scheint dieser Negationslogik Hegels verpflichtet. An diese schließen Ausführungen zu revolutionärer Regierung und Anarchie (»aufgehobene Unmittelbarkeit«) an.

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Die Phänomenalität konstituierender Gewalt wird jedenfalls nur teilweise als tyrannisch gezeigt (in Olivier), das Volk hingegen konstituiert sich als solches um Sigismund, dem Subjekt seines »Kürwillens« (Tönnies). Die ganze Szene erhält nach Oliviers Abgang somit den Charakter eines Festes  : Die koordinierte Masse wird zu einer Gemeinde von Teilhabern am Charisma Sigismunds, in welchem das Volk nun sich selbst dargestellt sieht.213 Diese Entwicklung zeigt  : »Man hält die Menschen gewöhnlich für gefährlicher, als sie sind.« Denn  : »Es gibt im Menschen auch ein Dienenwollenendes  ; daher die chevalerie der Franzosen eine servage.« Die schon von Goethe vom Befehlshaber geforderten »klaren Begriffe« wird sich Sigismund, für den »nichts ist, von dem wir sagen könnten, daß es anderer Natur sei als unsere Träume«, aber noch erarbeiten müssen.214 4.2.4 »Ich bin die F o r m von euch allen, u. alle sind mir gleich nahe.«215 – Sigismund als charismatischer Herrscher »Repräsentant ist nur, wer das politische Ganze in seiner Person, gleichsam identisch mit ihm, darstellt, er mag nun gewählt seyn oder nicht  ; er ist wie die sichtbare Weltseele des Staats.« (Friedrich Schlegel, Athenaeums-Fragmente) 216

Die vorangegangenen Aufzüge und Szenen zeigten eine Verfestigung und Ausweitung der charismatischen Wirkung Sigismunds auf die in der Krise freigesetzten Massen. In Wiederholung der Eingangsszene – dem Blicke-Messen mit Olivier – siegt Sigismund ein weiteres Mal, indem er sich dessen Zugriff verweigert und dieser mit dem ›schlechteren‹ Teil der Masse, hierdurch Anhängern des Bösen, abziehen muss. Demgemäß vollzieht sich eine platonische Scheidung der ›Herde‹ in zahme und in wilde ›Tiere‹. Sigismund tritt damit Ende des vierten Aufzugs, inmitten des um ihn versammelten (und bei ihm verbliebenen) Volkes, erstmals selbst als charismatischer Herrscher in Erscheinung. Die Notiz 213 Zuvor  : SW XVI.1, 107  : Sigismund. Zur Teilhabe am Charisma vgl. WuG, 656. 214 Goethe, Maximen und Reflexionen  ; op cit, 546/545. 215 SW XVI.1, 424. Diese Notiz zeigt nochmals an, dass Formulierungen wie der Begriff der »totalen Repräsentation« für die Ordnung der »wahren Nation« (Rudolph, Kulturkritik  ; op cit, 197) missverständlich sind, wenngleich sie auf das Problem einer kollektiven Formgebung bei Hofmannsthal rekurrieren. Es handelt, sich, wie bereits argumentiert wurde, im eigentlichen Sinne nicht um Repräsentation  ; die hier verwendete Bezeichnung ›identitäre Repräsentation‹ ist ein begriffliches Oxymoron, das allerdings dazu geeignet ist, das Paradox der Vergegenwärtigung eines konstitutiv Abwesenden zu beschreiben. Vgl. die nachfolgende Diskussion. 216 Friedrich Schlegel  : Athenaeum. Ersten Bandes Zweytes Stück  : Fragmente  ; Berlin 1798. 112.

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»alle sind mir gleich nahe« signalisiert mit dem Entstehen einer Gemeinschaft von Gleichen die Wiedereinführung der räumlichen Dimension von Herrschaft, die insbesondere im (nunmehr unmittelbaren) »Zugang zum Machthaber« (Schmitt) gleiche Rechte gewährt. Das Programm für die Anhängerschaft (»v iele Herr, schütze uns  ! Harre aus bei uns  !«) erinnert jedoch eher an Churchills »Blut, Schweiß und Tränen« als an eine Paradies-Verheißung  : »Dort wo wir hingehen wird gehorsamt ehe befohlen war und gemäht ohne Hoffnung aufs Nachtmahl.«217 Deutlich geht aus dieser Formulierung das Ephemere, auf den Moment konzentrierte und sich daran bewährende Element charismatischer Herrschaft hervor, die eine grundsätzliche Resignation und die völlige Hingabe der Gefolgschaft verlangt. »Ganz erkennbar als Führer wurde er, als es darauf ankam den Weg zur Nahrung zu finden und die Zukunft vorauszusehen« lautet – in Anlehnung an das Leitmotiv des »guten Hirten«218 – eine Variante der Interphase zwischen Herrschaftsantritt Sigismunds und dem Sieg über Olivier zu Beginn des fünften Aufzugs. »Charisma soll eine als außeralltäglich ([…] bei Kriegshelden als magisch) geltende Qualität einer Persönlichkeit heißen, um derentwillen sie als mit übernatürlichen oder übermenschlichen oder mindestens spezifisch außeralltäglichen, nicht jedem anderen zugänglichen Kräften oder Eigenschaften begabt oder als gottgesandt oder als vorbildlich und deshalb als ›Führer‹ gewertet wird.« (WuG 1922, 140)219

217 SW XVI.1, 115  : Viele  ; ebd.: Sigismund  ; und  : SW XVI.2, 101. In der Utopie des den Befehl vorwegnehmenden Gehorsams liegt eventuell ein Bezug auf das Johannes-Evangelium, 10, 14  : »Ich bin der gute Hirt  ; ich kenne die Meinen, und die Meinen kennen mich.« 218 SW XVI.1, 386 ( Juni 1923). Da auch die ur-christlichen Gemeinden charismatisch konstituiert waren, überrascht die Nähe zum Johannes-Evangelium nicht. Foucault hat zudem das dynamisch-nomadische Moment der Herdenbewegung betont  : »Die Macht des Hirten ist eine Macht, die nicht auf ein Territorium ausgeübt wird, sondern eine Macht, die per definitionem auf eine Herde ausgeübt wird, genauer auf eine Herde in ihrer Fortbewegung […]«, welche der Hirte lenke. (Vgl. Foucault  : Geschichte der Gouvernementalität I. Sicherheit, Territorium, Bevölkerung. Vorlesung am Collège de France 1977–1978  ; Frankfurt/Main 2004. 187/188 (Vorlesung vom 8. Februar 1978). 219 Oder auch in Politik als Beruf  : »[…] die Autorität der außeralltäglichen persönlichen Gnadengabe (Charisma), die ganz persönliche Hingabe und das persönliche Vertrauen zu Offenbarungen, Heldentum oder anderen Führereigenschaften eines einzelnen  : ›charismatische‹ Herrschaft, wie sie der Prophet oder – auf dem Gebiet des Politischen – der gekorene Kriegsfürst oder der plebiszitäre Herrscher, der große Demagoge und politische Parteiführer ausüben.« (Max Weber  : GPS, 507  ; Politik als Beruf).

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Die Utopie einer reinen, selbstverständlichen und damit auch von sprachlicher Gewalt freien Herrschaft, einer politischen Einheit aus Befehlshaber und Gefolgschaft (und allerdings des harten Weges dorthin) hat Foucault bei Platon als Ziel der »königlichen Kunst« ausgemacht, nämlich »die Existenzen ›in einer Gemeinschaft‹ […] zu versammeln, ›die auf Eintracht und Freundschaft beruht‹.«220 Allerdings sah Platon auch die Notwendigkeit einer »Säuberung« der Herde zu ihrem Erhalt – dies geschieht mit der Teilung der revolutionären Masse zwischen Olivier und Sigismund  ; sozusagen in Meute und Herde. Der ganze Kontext ist in der Bühnenfassung an dieser Stelle bezeichnenderweise zusammengestrichen. Denn was an deren Ende steht, ist das Szenario ihrer völligen Verkehrung, einer Dystopie. In der Inauguration Sigismunds zum Kollektivkörper der charismatischen Gemeinschaft »Ich bin die Form von euch allen, u. alle sind mir gleich nahe« liegt die Überwindung des »alle gehen gegen alle« im Hobbes’schen Naturzustand, der sich in Olivier verkörpert. Sigismund hingegen soll darauf achten, »dass nicht Wölfe aus den Hunden werden«, demnach der Naturzustand zurückkehrt durch jene, welche die Herde leiten. Weber hielt fest  : »Vergemeinschaftung ist dem gemeinten Sinn nach normalerweise der radikalste Gegensatz gegen ›Kampf‹.«221 Dies gilt in Bezug auf Sigismund natürlich nur gemeinschaftsintern und wird von der von ihm gebildeten charismatischen Gemeinschaft auch nicht in dem Maße erreicht, wie es dann mit der Friedensutopie des Kinderkönigs intendiert scheint. Bei dem hier titelgebenden Zitat ist zudem die Relevanz für die sprachliche Ebene der Herrschaft, die Verfassung des Politischen in der Gestalt (der politischen Sprache bzw. Umgangssprache) zu beachten. Zunächst ähnelt die Konzeption im Turm damit dem, was Weber als »plebiszitäre Demokratie« beschrieben hat (und einen Hintergrund auch in Hofmannsthals Rousseau-Lektüre haben könnte). Diese sei der »wichtigste Typus der Führer-Demokratie«. Sie »ist ihrem genuinen Sinn nach eine Art der charismatischen Herrschaft, die sich unter der Form einer vom Willen der Beherrschten abgeleiteten und nur durch ihn fortbestehenden Legitimität verbirgt. Der Führer (Demagoge) herrscht tatsächlich kraft der Anhänglichkeit und des Vertrauens seiner politischen Gefolgschaft zu seiner Person als solcher.« (WuG, 156)222 220 Foucault, Gouvernementalität  ; op cit, 215 (zum platonischen Politikos). Vgl. hierzu  : Thomas Macho  : Gute Hirten, schlechte Hirten. Zu einem Leitmotiv politischer Zoologie  ; in  : von der Heiden/ Vogl (Hg.)  : Politische Zoologie  ; op cit, 71–88. 221 Zitate zuvor  : SW XVI.1, 420  : Varianten  ; WuG, 22. 222 Das Plebiszit »ist jedenfalls formal das spezifische Mittel der Ableitung der Legitimität der

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Auch der »utopische Einschlag aller Revolutionen« finde »hier seine naturgemäße Grundlage.« Entsprechendes hat Weber für die aus Revolutionen hervorgegangenen Diktatoren Cromwell und Napoleon ausgeführt, die sich ihr Mandat allerdings erst nachträglich per Plebiszit verschafften  : »Die traditionale Legitimität ebenso wie die formale Legalität werden von der revolutionären Diktatur gleichmäßig ignoriert.«223 Diese Situation wird dann in der Bühnenfassung erst recht in Szene gesetzt. Charismatische Herrschaft bewegt sich als krisenaffine, dies macht auch Hofmannsthals Trauerspiel anschaulich, auf Ebene des pouvoir constituant, aus dem sie sich fortwährend legitimiert. Darin liegt der eigentliche »Triumph der Außerordentlichkeit über die Ordentlichkeit«, wie Rang ihn in einem Brief an Benjamin auch für Ordal und Agon geltend gemacht hatte. Im Vermeiden aller rechtlichen Fixierung als dem Übergang zum pouvoir constitué – der ihr drohenden Veralltäglichung – ist charismatische Herrschaft in der Tat »verflüssigte Herrschaft«224 und rekurriert auf derart ursprüngliche Machtverhältnisse, die nur für die Dauer der Außeralltäglichkeit bestehen bleiben. Legitimität ist hier also geradezu mit Liquidität gleichzusetzen – nur im permanenten Bezug auf den pouvoir constituant bleibt die charismatische die Herrschaft der Unmittelbarkeit, die geradewegs zu ihrer (Be-)Währung wird. Ihr tertium comparationis ist ein politisch Imaginäres (d. h.: der inneren Form des Volksgeistes), dem Sigismund Gestalt und Ausdruck gibt (während sich die finsteren Schicksalsmächte in Olivier ballen). Diese verbindet sich mit einer Metaphorik des Liquiden und Fluiden, verlässt also den Kontext der tellus  ; Anregungen hierfür konnte Hofmannsthal etwa bei Landauer finden  : »Denn das ist in unseren Jahrhunderten des Übergangs die Bestimmung der Revolution  : den Menschen ein Bad des Geistes zu sein.« (Landauer, Revolution  ; op cit, 108)225

Herrschaft aus dem (formal und der Fiktion nach) freien Vertrauen der Beherrschten.« (WuG, 156). 223 Jeweils WuG, 157. 224 Zuvor  : Rang an Benjamin (GS I 3, 894/895  ; Anmerkungen). Günther, Masse und Charisma  ; op cit,18. 225 Es ist allerdings ein Feuerbad des Geistes, in welchem »das Bild und das Gefühl der positiven Einung« (ebd., 109) lebendig werde, ohne dass die Menschheit versinken müsse. Eine Notiz von Oktober 1925 »Feuerluft, innen mitten zwischen brennenden Scheitern, sieht aus wie kristallklares, in sich bewegtes Wasser.« (RA III, 580  ; Aufzeichnungen) bringt beide Elemente zusammen, die auch die Sigismund-Figur motivisch umspielen.

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Die charismatische Wirkung Sigismunds vor der Menge prägt sich in einigen Textstufen deutlicher aus  : »Mörder  : (begeistert über Sigismund) Wie in lebendigem Flusswasser gebadeter, du  ! Dieser [Olivier] darf dich nicht kränken  ! […] In diesem [Sigismund] ist unsere Kraft u. unser Saft gesammelt wie in einem Korb aus Birkenrinde.«226 Die Variante macht deutlich  : selbst abseitige Randgestalten der Gesellschaft werden von Sigismunds Charisma affiziert und hineingezogen in die entstehende Gefolgschaft. Sie betrachten Sigismund gewissermaßen als das Gefäß des Gemeinwillens – er wird damit zum politischen Körper,227 wird gekrönt und mit zusammengesuchten Kleidern die Krönungs- und Investiturzeremonie behelfsmäßig imitiert  ; die übrigens ziemlich genau Bodins Darstellung des Kärntner Zeremonials entspricht  : Sie »Behkleiden ihn mit Dalmatica, Krone, Krummstab  : Hirte des Volkes  !« »[…] Hebet ihn auf, unsern König  ! Aber achtet auf ihn wie auf ein wächsernes Bild  !«228 Auf die hier skizzierte Ikonik wird noch zurückzukommen sein. Jedenfalls zeichnet sich deutlich ab, dass Sigismund das »Zutraun« der sich ins Freie bewegenden Prozession von Anhängern besitzt, die ihn – aufgrund seiner Ausstrahlung, Erscheinung und seines Martyriums, nicht aufgrund seiner Eigenschaft als erbrechtlicher Thronfolger – zum König ›erwählen‹ und so einen kollektiven Körper der neuen Souveränität229 bilden, welcher den Wechsel der Herrschaftsform erst willentlich vollzieht  : 226 SWXVI.1, 323. »Auch der roheste kindlichste Mensch würde gern geistiger Autorität gehorchen, wenn sie ihm nur fest und zuverlässig vorkäme.« (RA II, 40  ; Reden in Skandinavien). 227 Die Verwendung einer Metaphorik des Fluiden für das Volk hat ein Vorbild in der Argumentation der französischen Monarchomachen für die demokratische Legitimität  : »Das Volk stirbt nicht, während die Könige einer nach dem anderen von dieser Welt scheiden […] Denn wie der ständige Strom des Wassers dem Fluß eine ewige Dauer verleiht, so macht die Abfolge von Geburt und Tod das Volk unsterblich.« (zit. n. Pierre Rosanvallon  : Le Sacre du Citoyen. Histoire du suffrage universel en France  ; Paris 1992. 28. In der Übersetzung von Philip Manow, Schatten des Königs  ; op cit, 108). 228 SW XVI.1, 320  ; Varianten  ; SW XVI.1, 113  : Einer. Zum Kärntner Ritual vgl. Bodin, Sechs Bücher über den Staat  ; op cit, 211 f. Auch dort wird der kommende Souverän vom Volk mit Hirtenkleid und Hirtenstab ausstaffiert und symbolisch auf den Thron erhoben. Der Vergleich mit dem »wächserne[n] Bild« deutet auf die wächsernen Effigien hin, die z. B. von den Bourbonen des französischen Königshauses im Interregnum ohne natürlichen Leib des Königs (bis zur Salbung und Krönung des neuen Königs) für die verschiedenen Herrscher aufgestellt wurden. Die ganze Thematik findet einen Hintergrund auch in Rousseaus Gesellschaftsvertrag, der hier als weiterer wahrscheinlicher Bezugstext aber nicht vertieft bearbeitet werden kann. Eine wirkliche Identitätsrepräsentation im Rousseauschen Sinn ist aber noch nicht erreicht, da Sigismund als zentrale Symbolgestalt des Volkswillens sich im Kampf mit Olivier zu einer intermediären Gewalt entwickelt. 229 Vgl. hierzu Manow, Schatten des Königs  ; op cit, 108.

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»Sigismund  : Darum weil ich weiss wie alles beschaffen ist, vermag ich handelnd das Wesen zu bewerken/bewerten. – – – Er geht, vor diesen herzureiten  : ich will ihr König sein  : vermöge der inneren Berufung.« (FDH 23809,21 [Hervorh. A.M.])230

Wichtig ist hierbei zu beachten, dass Sigismund diese Identität durch Authentizität (die sich als »innere Berufung« mit der Enthaltung gegenüber Julian und Olivier bewährt) ermöglicht  ; erst dadurch ist er der, der er ist  : »Herr und König auf immer in diesem festen Turm  !«, womit er den vom Geist gebauten Körper meint. Das grundsätzlich anarchische Ideal der Subjekt-Souveränität, die sich in der Figur der Enthaltung ergibt (in der Bühnenfassung ist dieser Punkt noch verstärkt), wird mit dem christlich-pastoralen Ideal des guten Hirten im Johannes-Evangelium übereingeführt und als Ausweg aus dem »Befehlsnotstand« (der »crise de commandement«) inszeniert, weil sie sich jeglicher Repräsentation entzieht. Die Wendung Nietzsches vom »römischen Cäsar mit Christi Seele« wäre hier ein treffender Referenzpunkt, die den Heiland gewissermaßen ins Feldherrengewand steckt – wenngleich Hofmannsthal der Sigismund-Figur einen psychologischen Hintergrund gibt, der allerdings zum Resonanzraum einer kollektiven Libido wird  : »Durch ihn wird der ganze Leib zusammengefügt und gefestigt in jedem einzelnen Gelenk. Jedes trägt ihn mit der Kraft, die ihm zugemessen ist. So wächst der Leib und wird in Liebe aufgebaut«, wie Paulus an die Epheser schrieb. Sigismund ist damit, wie übrigens der später auftretende Kinderkönig, ein »gewählter König«. Darum ist dieser Aufzug in späten Varianten auch »IV. Der legitime König« überschrieben.231 Diese Formel signalisiert eine Verdoppelung der Herrschaftslegitimation  ; traditionale und charismatisch-demokratische Form kreuzen sich in Sigismund, in dessen natürlichem Körper zugleich politischer und sakraler Leib der Gemeinschaft zusammenfallen (Olivier wird die ›repräsentative Teilung‹ im fünften Akt der Bühnenfassung zwecks Täuschung der Massen wieder einführen). Seine Reinheit bekundet sich auch im ostentativen Vegetarismus, er wird zudem durch seine Jünger von den »Weibern« ferngehalten. Sogar der stelzbeinige »böhmische Bruder« der Auftaktszene (»[…] dieser wird der Armeleut-König sein und 230 FDH 23809, 21  : Einzelne Seite mit unzusammenhängenden handschriftlichen Notizen zum Turm, die im Rahmen der Kritischen Ausgabe nicht transkribiert wurde. Der Ausdruck »innere Berufung« könnte auf die Lektüre der Religionssoziologischen Schriften hindeuten, deren zentrale Begriffe ›Beruf‹ und ›Bewährung‹ (aus der Prädestinationslehre) bereits erläutert wurden. »Berufung« taucht auch in direktem Bezug zur charismatischen Herrschaft in Wirtschaft und Gesellschaft auf, dazu gleich anschließend. 231 Zuvor  : Paulus, Eph 4, 15–16. Notiz vom 6. X. 1924  ; FDH E III 253.93  ; SW XVI.1, 364  : Varianten.

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auf einem weißen Pferd reiten und vor ihm wird Schwert und Wage getragen werden«) ist wieder zugegen und verkündet  : »Ein Spalt geht auf und das Reich dieser Welt wird hineinstürzen  !«232 Auf einen solchen plötzlich aufbrechenden »Nichtsabgrund« (Hermann Broch) hat Thomas Hobbes mit dem Makroanthropos des Leviathan (1651) reagiert. Die große mythologische Gestalt ist, wie Horst Bredekamp ausgeführt hat, als Behelfskontruktion für ein permanentes Interregnum zu begreifen, welches sich nur aus der Annahme einer dauernden Abwesenheit Gottes und des Königs denken lässt. Übrigens ersetzte das Titelbild der französischen Ausgabe des Leviathan den Bischofsstab durch eine Waage – für den hiesigen Kontext eines literarischen Kollektivkörpers ist diese Information nicht unbedeutend, wie vielleicht mehr noch der Umstand, dass zu Hofmannsthals Zeit (und bis 1970) davon ausgegangen wurde, die »Head«-Auflage des Leviathan habe das Porträt des protestantischen Generals Cromwell gezeigt, die »Ornament«-Fassung hingegen das Haupt Charles I. (Carolus Stuardos).233

4.3 »Es sind keine Könige mehr.« Umbruch in der politischen Theologie der Neuzeit – der fünfte Aufzug »Es gibt keine Monarchen mehr. – Sich dem erwählten Herrn unbedingt ergeben.« (RA III, 167  : Andenken Bodenhausens [1927/28]) »Nicht die gewaltige Macht als solche ist das tertium comparationis zwischen Leviathan und Staat, sondern die gewaltige Macht, welche die Stolzen unterwirft […]. Nur der Staat ist imstande, den Stolz auf die Dauer niederzuhalten, ja sogar, er hat keine andere raison d’être als die, daß die natürliche Begierde des Menschen der Stolz, der Ehrgeiz, die Eitelkeit ist.« (Leo Strauss, Hobbes’ politische Wissenschaft) 234 232 Ein möglicher Hintergrund dieses Künders  : »Hundert Jahre vor Luther war schon einer aufgestanden, ein starkknochiger Mann nüchternen Geistes und eisernen Willens, ein christlicher Anarchist, der seiner Zeit weit voraus war, der Böhme Peter Chelčický.« (Landauer, Die Revolution  ; op cit, 55). 233 Vgl. hierzu Bredekamp  : Thomas Hobbes  ; op cit, 20 und 36. Zur »Negation des Nichts« durch den Leviathan vgl. ebd., 114 f. Äußerst interessant in diesem Zusammenhang auch ein Zitat von Guerickes  : »Wo das Nichts ist, endet die Gerichtsbarkeit aller Könige.« (Otto von Guericke [1672]  ; zit. n. Bredekamp,122). Die erwähnte französische Ausgabe verbildlichte die pazifierende Wirkung des Leviathan schon auf dem Buchdeckel. 234 Leo Strauss  : Hobbes’ politische Wissenschaft und zugehörige Schriften – Briefe  ; Gesammelte Schriften Bd. III  ; hg. v. H. u. W. Meier  ; Stuttgart, Weimar 2001 [1935]. 26.

Umbruch in der politischen Theologie der Neuzeit – der fünfte Aufzug

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Eine Bemerkung Carl Schmitts, die er sich bei seiner Lektüre des Benjaminschen Trauerspielbuches auf das Vorblatt desselben notierte, weist der deutschen Dramatik einen schwerwiegenden Mangel aus  : »Leviathan fehlt  ! Er fehlt übrigens auch auf der deutschen Bühne  !!«235 Das spricht dafür, dass Schmitt den Turm nicht (oder nicht ausreichend) zur Kenntnis genommen hat. Gerade die sich aus einer klaren Freund-/Feindkonstellation entwickelnde politische Kontrapunktik236 von Gut und Böse, die mit Sigismund als »Nordfürst, ein legitimer Cäsar« und Olivier als »rotem Satan«237 einer sehr politischen (und hier nicht gerade liberalen) Dialektik verschrieben ist, hätte ihn vielleicht zu einer anderen Feststellung gebracht. Die Freund-Feindkonstellation ist in diesen Szenen des Trauerspiels allerdings reichlich übermarkant geraten. Sigismund steht in diesem Koordinatenfeld für den Leviathan (der zudem als großes Seeungeheuer imaginiert, also mit dem Element des Liquiden verbunden wurde) und Olivier für den Behemoth, wie einige Repliken Sigismunds nahelegen  : »du hast einen Stiernacken und die Zähne eines Hundes«  ; »Fletschst du dein unflätiges Hundsgebiss  ?« Der Behemoth gilt als Landungeheuer, er ist eine Chimäre u. a. zwischen Ochse und Hund.238 Das tatsächlich nur sehr unterschwellig vorhandene bipolare Bildfeld der politischen Ungeheuer kommt mit dem Tod beider zum Abschluss. Beide Heeresführer bekriegen sich über Jahre hinweg, bis zu Beginn des fünften Aufzugs Europa in Trümmern liegt und die ›dramatisierte Zeit‹ somit die – von Hofmannsthal so 235 Zit. n. Jürgen Thaler  : »Genial«. Carl Schmitt liest Walter Benjamin  ; in  : M. Atze/V. Kaukoreit (Hg.)  : Lesespuren – Spurenlesen. Wie kommt die Handschrift ins Buch  ? Von sprechenden und stummen Annotationen  ; Wien 2011. 246–264  : 251. Übrigens dürfte Schmitt mit dieser Feststellung falsch gelegen haben (vgl. GS I 1, 252 und hierzu meinen Aufsatz Der politische Mehrwert des Tragischen  ; op cit, 257 f.). 236 Vom »Kontrapunkt in der dramatischen Konzeption« sprach Hofmannsthal schon 1893 mit Schnitzler und Beer-Hoffmann (RA III, 367  ; Aufzeichnungen). 237 SW XVI.1, 415  ; SW XVI.1, 123  : Sigismund. 238 SW XVI.1, 102  : Sigismund  ; SW XVI.1, 319  ; Varianten  : Sigismund. Zu beiden apokalyptischen Tieren vgl. Agamben  : Das Offene  ; op cit, 11 ff.). Dass diese Einteilung aber nicht konsequent durchgehalten wird, eine weitere Variante. Hier soll nämlich Sigismund »hinstreichen« »durch die Wüste der Schöpfung unaufhaltsam wie der Behemoth.« (SW XVI.1, 302  ; Arzt). Den Hinweis auf den Behemoth dürfte Hofmannsthal aus Grillparzers Reden am Grabe Beethovens entnommen haben, welche er in Auszügen im Deutschen Lesebuch (DL II, 201 ff.) abdruckte und in seiner Zürcher Rede auf Beethoven zitiert. In einer anderen Notiz zur außenpolitischen Lage der Sigismundschen Herrschaft ist wiederum die Rede vom Wiedererwecker eines »völkerverbindenden« »Staatsgedankens« (SW XVI.1, 471). In der Bühnenfassung wird Sigismund dieser Schematik ohnehin enthoben  ; Olivier hingegen erscheint nun als Repräsentant der großen »Staatsmaschine« Leviathan.

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Charismatische Führerschaft als »heilsame diktatur«  ? Die dichterischen Fassungen

empfundenen – Zustände der Entstehungszeit des Dramas eingeholt hat. Die Szenerie beginnt mit einer epischen Retrospektive auf die völkerwanderungsartigen Ereignisse. Berichtet wird von seiner »Feldherrnkunst« als »passive[r] Magie«.239 Eine die Geschehnisse reflektierende Variante lautet  : »Aber was war unser Leben  ? was war es  ? inwiefern war es mehr als der Tiger der durch die Stromschnelle schwimmt  ?« – »Durch ihn ist es mehr. Bist du so unbelehrt  ? Könige todt  ! Gewohnheit vernichtet Keine Gewalt mehr als in uns  ! und diese nicht sich erniedrigend zum Besitze  ! Sondern immer in Bewegung.« ( Jew. XVI.1, 392  ; Varianten [1923  ; Hervorh. A.M.])240

Nach dem vorläufigen Ende dieser deutlich als charismatisch apostrophierten Bewegung und der merkwürdig okkulten Zigeunerinnenszene241 treffen die überlebenden Vertreter der alten Ordnung in Sigismunds Feldlager ein und bitten ihn, sich von ihnen rechtmäßig zum König krönen zu lassen. Sigismund, der bei Auszug aus dem Turm schon von den Rebellierenden mit einer Altar-Ausstattung bekleidet und gekürt worden war, soll nun die Krone des Reiches ausgerechnet von dem unvermutet überlebenden Bruder Ignatius, dem früheren Großalmosinier, erhalten. »[…] Herr, lass uns einen großen König sehen, der der schwärmerischen Unkraft der Zeit den Pol der männlichen Gewalt entgegensetzt […].«242 239 »[…] und die Gewalt war gereinigt in ihm – durch Liebe  : sein Auge  : wie er die Feinde ansah […] Sein Blick auf die Landschaft in allen Schlachten, auf die Furt  : oder er hielt auf einen Flügel zu. Oder er stand statt allen in der Mitte. Oder er ging so an den Flügel, dass den andern die Sonne ins Gesicht ging. Feldherrnkunst = passive Magie.« (SW XVI.1, 393  ; Varianten). Dies ist dann nachher ersetzt durch den in seiner reaktionären Rhetorik absichtsvoll unangenehm berührenden Dialog mit dem ältesten Bannerherren. 240 Die Notiz, das wird noch zu denken geben, entstand in der Zeit des Besuchs in Ramsau (22. 7.– 6. 8. 1923  ; vgl. SW XVI.1, 388). Auffällig ist hier das Bild des die Stromschnellen durchschwimmenden Tigers, in dem eine Abwendung von einer Rebellion des bloßen, dionysischen Rausches liegen könnte. In einer weiteren Variante zu dieser insgesamt nicht verwendeten Szene heißt es zudem  : »Herr Diener  ! was war das  ? Freund feind  ! Reich – arm – mutig – feig – vielleicht war dieser der Mutigste. Es war Leben u. Tod confundiert. Aber er hielt uns aufrecht  : sein Glockenwagen.« (SW XVI.1, 377  ; Varianten). Die Negation des Besitzes ist für den Charismatiker typisch. 241 – die ein wenig an Krokowskis Séancen im Zauberberg erinnert, jedoch nicht ›ironisch abgemildert‹ ist (vgl. 4.3.3). 242 SW XVI.1, 132  : Bannerherr. Die Wortwahl referiert auf einen Passus in den Notizen, der Sigismund geradezu als Totengräber der Revolution ausweist  : »Die Selbstpeiniger u die Maßlosen soll man hinüber schaffen. – Ich höre den Ruf des Hahnen. Was sind das für Friedenszeichen  ? – Auch die Schwärmer habe ich ausgestossen, die anarchisch Liebenden, – auch die mich

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Sigismund gibt diesem im Stil einer reaktionären Romantik-Kritik gehaltenen Antrag statt, macht aber anderslautende Bestimmungen, indem er für sich eine Ausnahmestellung reklamiert – hierzu nachfolgend – und jede Bindung an traditionelle Normen ablehnt. Damit vermeidet er auch das, was Max Weber als Veralltäglichungseffekt der charismatischen Herrschaft beschrieben hat  : »Auf die Dauer tritt überall, wo ursprünglich charismatische Gemeinschaften den Weg der Kürung des Herrschers betreten, eine Bindung des Wahlverfahrens an Normen ein. Zunächst weil mit dem Schwinden der genuinen Wurzeln des Charisma die Alltagsmacht der Tradition und der Glaube an ihre Heiligkeit wieder die Uebermacht gewinnt, und ihre Beachtung nun allein die richtige Wahl verbürgen kann. Hinter dem durch charismatische Prinzipien bedingten Vorwahlrecht der Kleriker oder Hofbeamten oder großen Vasallen tritt dann die Akklamation der Beherrschten zunehmend zurück, und es entsteht schließlich eine exklusive oligarchische Wahlbehörde. So in der katholischen Kirche wie im Heiligen Römischen Reich.« (WuG 1922, 766)

In der Szene der abgelehnten Krönung (welcher ein nochmaliges Plebiszit folgen soll) scheint Sigismund diesem Effekt bestehender Ordnungen, der »Bindung« an ein »Wahlverfahren«, das an die Stelle unbedingter Ergebenheit tritt, daher mit (nach Maßgabe des Charismas) rationalen Gründen entgehen zu wollen  : »sigismund tritt einen Schritt auf sie zu Aber dass wir uns recht verstehen  ! Ich nehme mir heraus, dass ich beides in diesem Dasein vereine  : zu ordnen und aus der alten Ordnung herauszutreten. Und dazu bedarf ich euer  : Einwilligung ist das Teil, das ich von euch verlange, Einwilligung, die da mehr ist als Unterwerfung  !« (SW XVI.1, 132)

Die bedingungslose Unterwerfung verlangte der absolute Souverän Basilius, verlangt auch der Leviathan von seinen Untertanen, deren einmaliger Akt der Zustimmung immer schon vorausgesetzt wird. Auch die von Sigismund geforderte Einwilligung kommt de facto einer Unterwerfung gleich.243 Denn dem »gewählten König«, wie die oben zitierte späte Notiz lautet, hat man sich »unbedingt« zu Anbetenden. Nach u nach habe ich jede der Gruppen ausgestossen, die sich mit einem Recht schmückte […]«, übrig geblieben seien nur die Toten (SW XVI.1, 395  : Sigismund). »denn es ist kein Recht und keine feste Stätte […]« (ebd.). Diese Einsamkeit oder vielleicht besser  : Alleinigkeit im Kräftefeld des Politischen verweist nochmals auf das erwähnte, unterschwellige Bildfeld des Leviathan. 243 Das zitiert durchaus jene »Staatstheorien […] der einfachen Logik des einfachen Vertrages, der bei Hobbes nur Unterwerfungsvertrag, bei Rousseau nur Einigungsvertrag ist.« (DD, 118).

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»ergeben«. Zugleich ist hier von Hofmannsthal tatsächlich das dramatisiert, was Weber unter der eigentümlichen Freiwilligkeit des Gehorsams dank Charisma verstand  ; nämlich die ›Produktion‹ eines Glaubens, der über das (legale) Geltenlassen hinausgeht und welcher sich als akklamatives Legitimationspotential der Gefolgschaft für den charismatischen Herrscher darstellt  : »Ueber die Geltung des Charisma entscheidet die durch Bewährung – ursprünglich stets  : durch Wunder – gesicherte freie, aus Hingabe an Offenbarung, Heldenverehrung, Vertrauen zum Führer geborene, Anerkennung durch die Beherrschten. Aber diese ist (bei genuinem Charisma) nicht der Legitimitätsgrund, sondern sie ist Pflicht der kraft Berufung und Bewährung zur Anerkennung dieser Qualität Aufgerufenen. Diese ›Anerkennung‹ ist psychologisch eine aus Begeisterung oder Not und Hoffnung geborene gläubige, ganz persönliche Hingabe.« (WuG, 140 [Hervorh. A.M.])

Der charismatische Herrscher muss überzeugen können, sich Vertrauen (»Zutraun«), einen Glauben an sich erwerben und aufrechterhalten können, andernfalls wird seine Herrschaft illegitim und zur Tyrannis. Als solche erscheint Sigismund aber auch die im Bannerherren verkörperte traditionale Souveränität, die er als Wolfsrecht bezeichnet, nach welchem weiterhin »Wölfe anstatt der Hunde« herrschen würden, wenn man den Bann der Souveränität durch Banner und Ausschluss wieder errichte. Dass Sigismund anstrebt, diesen Typus »kraft Berufung« zu verkörpern  : »ich will ihr König sein  : vermöge der inneren Berufung«,244 und nicht die Position alter Souveränität bekleiden will, machen auch die folgenden Passagen deutlich  : »sigismu nd […] Ich trage den Sinn des Begründens in mir und nicht den Sinn des Besitzens, und die Ordnung, die ich verstehe, ist gefestigt auf der Hingabe und der Bescheidung. Denn ich will nicht dies oder das ändern, sondern das Ganze mit einem Mal, und dann wollen wir alle zusammen Bürger des Neuen245 sein. […]« (SW XVI.1, 131 [Hervorh. A.M.]) 244 SW XVI.1, 132. Den vorigen Sozialdarwinismus scheint Sigismund nach der missglückenden Probe abgelegt zu haben  : »Geiferst du vor Angst  ? Alter Wolf, der das Rudel nicht länger führen darf  ! Heul vor Not  ! Jetzt reisst der junge dich nieder  !« (SW XVI.1, 293  ; Varianten  : Sigismund). Zum Banner der Souveränität in seiner Doppelbedeutung vgl. Agamben, Homo sacer  ; op cit, 121. 245 Für die Aufführung von Brechts Baal am Wiener Burgtheater (1926) hat Hofmannsthal wie erwähnt ein Vorspiel mit dem Titel Das Theater des Neuen geschrieben. Brechts Baal wird auch als Bezugstext der in jeder Hinsicht düsteren Zigeunerinnen-Szene notiert (vgl. SW XVI.1, 199)  ; zu dieser anschließend 4.3.3.

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Das von Hofmannsthal häufiger gebrauchte Zitat »The whole man must move at once« – bereits aus der Schrifttum-Rede in der Übersetzung Lichtenbergs zitiert  : »Als ein Ganzes muß der Mann sich regen.«246 – ist an dieser Stelle auf die Kollektivgestalt des charismatischen Herrschers zu übertragen, und zwar bezogen auf die Ganzheit der politischen Welt des Trauerspiels als dem geistigen Raum (der Nation). Diese Ganzheit findet ihre Grundlage in der Einheit und Integrität ihrer Zentralgestalt, flankiert von den »Suchenden«, für welche im Turm die Bündniskonstellation Julian – Sigismund – Arzt einsteht  ; Letzterer insbesondere für den zweiten, bewahrenden und fördernden Typus (vgl. 2.4)  : »Erkenne in mir den, der dem Geist zu dienen gelernt hat, indem er sich denkend hingab dem Leib, dem Treffpunkt des Unzähligen«, Sigismund aber als deren »organisch lebendig« gewordenes Werk politisch-ästhetischer Synthese und vor allem  : als (sprachlicher) Komposit-Körper, wie aus dieser Formulierung abermals hervorgeht.247 In den Bewegungen dieses Zentralleibs regt sich das soziale Ganze, das »Nichts mit tausend Köpfen« im Rumpf des Leviathan, wie ihn das berühmte Frontispiz zeigt. Der Anspruch des Charisma-Trägers auf die Neuschaffung aller Verhältnisse betrifft hier zudem etwas, das man mit Einbezug der Notizen und früheren Textstufen in die Nähe einer Europa-Idee rücken kann, für die Hofmannsthals Österreich-Mythos Pate steht  : »aber ich will Europa führen«248 – wenn auch in martialischer Weise formuliert  : »es ist Zeit, dass die Grossen einander in grosser Weise begegnen. – Eure kleinen Reiche aber, eure Häuser, die ihr gegeneinander baut, und euren Glauben, den ihr gegeneinander habt, die achte ich nicht und verwische eure Grenzen  : ich will euch kleine Völker neu mischen in einem gro-

246 RA III, 38  : Schrifttum. Zur Herkunft dieses Zitats vgl. Thomas Pekar  : Exotik und Moderne bei Hugo von Hofmannsthal  ; in  : S. Becker, H. Kiesel, R. Krause (Hg.)  : Literarische Moderne. Begriff und Phänomen  ; Berlin 2007. 129–144  : 140. 247 SW XVI.1, 301  : Arzt. 248 Hofmannsthals Europa-Vorstellungen haben inzwischen vielfach Beachtung gefunden  ; so bei Inna Bernstein und Charles A. Weeks, D. Barbaric und zuletzt umfangreich bei C. WagnerZoelly. Vgl. Inna Bernstein  : Die Europa-Konzeption Hugo von Hofmannsthals  ; in  : J.P. Strelka (Hg.)  : »Wir sind aus solchem Zeug wie das zu träumen …« Beiträge zum Werk Hugo von Hofmannsthals  ; Frankfurt/Main 1992. 363–376  ; Charles A. Weeks  : Hofmannsthal and the Myth of European Rebirth  ; in  : Strelka (Hg.)  : »Wir sind aus solchem Zeug«  ; op cit, 377–386 (Der Verbindung zu Pannwitz’ Krisis ist Weeks in einer anderen Publikation nachgegangen  : Ders.: Hofmannsthal, Pannwitz und »Der Turm«. In  : Jahrbuch des Freien Deutschen Hochstifts (1987)  ; 336–359)  ; Damir Barbaric  : Überlegungen zur Idee Europa. Das Beispiel Hugo von Hofmannsthals  ; in  : Internationale Zeitschrift für Philosophie, 2/2000. 282-298  ; C.Wagner-Zoelly, Hofmannsthals Europa-Utopie  ; op cit, 2010 (über die Neuen deutschen Beiträge).

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ßen Mischgefäß.«249 Sigismunds Sprache geht hier zum Gutteil auf Notizen aus Pannwitz’ »Krisis der europäischen Kultur« (1917) zurück wie auch das Napoleon-Zitat vom Sinn des Begründens.250 Dies erklärt den auffallend cäsarischen Duktus der Stelle, den man nicht Hofmannsthals Ideal einer Verkehrssprache gleichsetzen darf  ; dieser ist ihm aber in diesen Fassungen für die Zeit der Krise offenbar als angemessene »politische Sprache« erschienen, wie er sie in der Rezension zu Adam Müllers Zwölf Reden so offen vermisste (vgl. 2.2). Von diesem Typus des martialisch-charismatisch Suchenden hat sich Hofmannsthal jedoch, wie an der Schrifttum-Rede gezeigt, später abgewendet, wenn er ihm auch gewissermaßen als ›Türöffner‹ für die neue Zeit eine gewisse Notwendigkeit zuzusprechen scheint. Sigismund wird zudem ganz explizit auch als geistige Autorität inszeniert, als Philosophenkönig, der sich auf machtgestütztes Tathandeln versteht.251 Der Bezug dieses gebietenden Handelns auf den »geistigen Raum der Nation« darf hier auf keinen Fall übersehen werden – »Wundert Euch, dass ich die politische Sprache so schnell gelernt habe  ?« fragt Sigismund den Arzt zu Beginn des fünften Aufzugs in einer Variante  ; der Dramenttext sieht dann stattdessen »Sprache der Welt« vor. Dass Kommerell in diesem Sigismund die »echte Gestalt der Herrschaft« erblickte, ist jedenfalls nicht verwunderlich.252 Dass diese 249 SW XVI.1, 418  : Sigismund  ; ebd., 132/133  : Sigismund. In einer anschließenden Notiz heißt es zudem  : »[…] er hat das Höhere im Sinn  : die Orientierung seines differenzierten Staates zu dem anderen fruchtbar-mächtigen, im tiefsten Wesen fremden Kontinent, soll die Koherenz [sic] seiner Völker sub Spezie des völlig Andern, gänzlich Fremden, vor dem alle kleinen Unterschiede fallen, in einem tiefen kulturell-politisch-wirtschaftlichen Sinne bewirken.« ([Hervorh. A.M.]). In Bezug zu setzen wäre dies auch mit einem Zitat Jacob Burckhardts (d.Ä.) im Buch der Freunde, das die kollektiven Kräfte des Großstaates zur Erhaltung von Kulturen über die Kleinstaaterei stellt (vgl. RA II, 272  : Buch der Freunde). Hofmannsthals Österreich-Bild vermittelt sich in zahlreichen Texten, so etwa in Österreich im Spiegel seiner Dichtung (1916), Die österreichische Idee (1917), im Schema Preusse und Österreicher (1917) und in den Wiener Briefen (insb. Brief IV, 1923). Die Abgrenzung von Deutschland ist dabei auch während des Krieges eine politisch-militärische, aber keine geistig-nationale gewesen  : »Österreich ist die besondere Aufgabe, die dem deutschen Geist in Europa gestellt wurde. Es ist das vom Geschick zugewiesene Feld eines rein geistigen Imperialismus.« (RA II, 393 f.; Wir Österreicher und Deutschland [1915]). 250 Vgl. SW XVI.1, 548  : Erläuterungen. 251 Sigismund und der Arzt erhalten dadurch als Gespann eine Nähe zum Verhältnis AristotelesAlexander. Der Arzt empfiehlt die Lektüre Plutarchs  : »Es sind grosse Bezüge darin auf uns und unsere Lage trotz der Verschiedenheit der Zeiten« und Marc Aurels »Ein grosser Monarch, – und voll edler Gedanken und weiter Pläne, die Zukunft Europas auf Jahrhunderte in gewisse Bahnen zu lenken«  ; SW XVI.1, 121  : jew. Sigismund). 252 Max Kommerell  : Hugo von Hofmannsthal  ; op cit, 25. Die »Sprache der Welt« könnte wiederum

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aber keineswegs im traditionellen Gewand daherkommt, ist nachfolgend darzulegen. 4.3.1 Der »legitime König«.253 Die Zurückweisung der (erneuten) Krönung »Die Individualität als solche bekommt, je beherrschender die Masse ins Blickfeld tritt, einen heroischen Kontur. Das ist der Ursprung der Konzeption des Heros bei Baudelaire.« (Benjamin, GS V, 468  ; Passagen-Werk)

Hofmannsthal hat in dieser Szene den Phänotyp charismatischer Herrschaft als Ausprägung moderner Souveränität (die zugleich eine des verfassungsgebenden Individuums ist) in den Repliken noch weiter ausgestaltet  : »Sigismund  : M e g a l o p s y c h i a im Ablehnen der Krone«254 und damit an Sigismunds superiorer Subjektkonstitution verdeutlicht, dass es nach der Krisenwende kein Zurück zu den vorigen Formen geben kann  : »der ä lteste ba nner herr Gut und Blut dir, o unser König und Herr  ! Aber lass dich erkennen von deinen Getreuen  ! Nicht neben deinem heiligen Panier wehe der Rossschweif der Heiden  ! Und lass in die Erde vergraben das Banner der zerrissenen Ketten  :255 denn was soll das Zeichen der Empörung, wo du doch der Herr bist  ! — Sondern die heilsame Krone berühre dein Haupt und schaffe es unverletzlich und heilig  ! Mache einen Bund mit uns, die wir deine Vasallen sind und gewähre, dass wir dich krönen mit der Krone deiner Väter  ! auf Hegel verweisen  : vgl. hierzu Hegel, Phänomenologie des Geistes  ; op cit, 399 [Suhrkamp-Gesamtausgabe]. 253 Die Formulierung könnte auf Hofmannsthals Lektüre von Georg Simmels Soziologie. Untersuchungen über die Formen der Vergesellschaftung  ; Berlin 1922 (FDH 1912) zurückgehen, die gleich anschließend noch ausführlich zitiert wird  ; hier ist ebenfalls vom »legitimen König« die Rede (ebd., 386). Hofmannsthal wird dies zur Annonce der Bühnenfassung wieder aufgreifen  ; vgl. hierzu 5.2. 254 SW XVI.1, 427  : Varianten. Die Formulierung dürfte auf Aristoteles und Nietzsche verweisen. In derselben Notiz findet sich auch das Zitat  : »Roi non par le hasard mais par la force et la vérité.« (16-16 X 24.; SW XVI.1, 437  ; Varianten), das sicher nicht im Hobbes’schen Sinne des Primats einer auctoritas zu deuten ist. 255 Dieses Banner erinnert an das Zerreißen der Ketten in Hobbes Leviathan, welche zwischen den Lippen des Souveräns und den Ohren seiner Untertanen gespannt sind (vgl. Hobbes  : Leviathan oder Stoff, Form und Gewalt eines kirchlichen und bürgerlichen Staates  ; op cit, 152). Es ist wohl diese Motivik, gegen die sich Max Weber mit seiner Dystopie eines Zeitalters der stahlharten Hörigkeit richtete.

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indr ik Seine Stirn trägt das Zeichen der Herrschaft für alle und er braucht nicht eure alte Krone. Keinen Bund zwischen ihm und euch  ! die herr en Gewähre die Krönung  ! Gewähre, o Herr  ! – Es lebe unser gekrönter König  ! sigismu nd Halt  ! Ich will nicht Herr sein in den Formen, die euch gewohn und genehm sind, sondern in denen, die euch erstaunen. […]« (SW XVI.1, 132)

Sigismund ist also ganz offensichtlich nicht an der aufgedrängten Erneuerung des ancien régime gelegen. Zu eindeutig ist die Absage an die Vertreter der alten Ordnung, deren Ängste »Furcht vor Communismus. Frauengemeinschaft« und v. a. deren Legalitätsanspruch (der als konstitutioneller seine Vorlage in Simmels Soziologie haben könnte).256 Ihren Legitimitätsglauben aber nimmt er an. Sigismunds Prestige umfasst damit zwar auch das durch seine Herkunft zur Verfügung stehende Legitimitätspotential, er lässt sich entsprechend König nennen  ; die Struktur seiner Herrschaft ist aber schon ihrem Ursprung nach, der Kür durch das Volk, nicht mehr rein monarchisch.257 Es scheint hier fast so, als würde Sigismund den Traditionalisten entgegnen  : ›Ich, der König, sage Euch, dass es kein Königtum mehr gibt.‹ Der wohl auf Claudel zurückgehende, ebenfalls tendenziell anti-hobbesianische Satz in den Notizen »Roi non par le hasard mais par la force et la vérité.”  : Dass Sigismund die Ordnung erlässt und verändert aufgrund von Kraft und Wahrheit (und nicht Autorität), ist aber im gedruckten Text gestrichen  : »Euer König und Herr aus der Kraft und der Notwendigkeit, hier bin ich. – Die alten Könige sind tot, die Gewohnheiten vernichtet, das Verbundene aufgelöst. […]« Sigismund tritt als neuer, traditionsloser und absoluter Herrschertyp auf, er wird entsprechend auch als »Erhabene Majestät  ! Unser aller souveräner König und Herr  !« angesprochen, er duldet den von Indrik postulierten Alleinstellungsmerkmalen entsprechend keine Teilhaber der Souveränität, keine intermediären Kräfte mehr neben sich.258 Dass diese Souveränität 256 SW XVI.1, 437. Das Charisma ist also, neben der Hausgemeinschaft, der zweite, von ihr verschiedene, große historische Träger des Kommunismus […]« (WuG, 660). Zur »Frauengemeinschaft« konnte sich Hofmannsthal an Bachofens Mutterrecht orientieren. Zum Anspruch des »Legalitätsglaubens« vgl. WuG, 19. Die entsprechende Textstelle zum »Krieg« zwischen parlamentarischem und royalistischem König bei Simmel folgt gleich im Text. 257 »Der Bestand einer ›rein‹ charismatischen Autorität […] bedeutet […] nicht etwa einen Zustand amorpher Strukturlosigkeit, sondern ist eine ausgeprägte soziale Strukturform mit persönlichen Organen und einem der Mission des Charismaträgers angepaßten Apparat von Leistungen und Sachgütern.« (WuG, 659). 258 Zuvor  : SW XVI.1, 437  ; Varianten  ; SW XVI.1, 131  : Sigismund  ; SW XVI.2, 115  : Ältester Ban-

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aber nicht auf traditionaler Legitimität beruht, wie sie die Adligen fordern und verkörpern, sondern eben auf Einwilligung, ist eine neuzeitliche, und – sofern sie nicht nur auf Permanenz nach einmaliger Akklamation, sondern auch auf deren Wiederholung gestellt wäre – sogar charismatisch-demokratische Setzung (eines neuen Königtums). »Noch während des Bürgerkrieges unter Karl I. half sich die verfassungstreue Opposition, die an der Unzerstörbarkeit des Königtums festhielt, aber die Verfehlungen des Königs doch nicht in Abrede stellte, mit der Fiktion, daß ›der König im Parlament Krieg führe gegen den König im Lager der Royalisten‹. Auf diese Weise wird es zum nächsten Erfolg der Vorstellung von der Unsterblichkeit des Königs, daß ein jeder, der die reale Macht zum Gewinn der Krone besitzt, auch als der legitime König gelten muß. Die Person ist ja gleichgültig geworden  : welche auch immer den Thron besteigt, sie nimmt in diesem Augenblick das an sich konstituierende Königtum auf  ; so ist es in China unter den erwähnten Voraussetzungen ausgesprochen worden, daß der siegreiche Usurpator eben durch seinen Sieg bewiesen habe, daß die Gottheit jetzt ihn zu ihrem Gefäß erkoren habe.« (Simmel, Soziologie  ; op cit, 386. Markierung  : Hofmannsthal)259

Die Einstellung der Adligendelegation könnte dahingehend gedeutet werden. Deutlich zeichnet sich in dieser Szene jedenfalls die von Weber geltend gemachte Qualität des Außeralltäglichen als Legitimationspotential des Charisma-Trägers ab (Formen, die »erstaunen«), wie auch der Bedarf, die Besonderheit der Situation, man darf ruhig sagen  : den Ausnahmezustand zu erhalten, aus dessen Kontrolle der Charisma-Träger die Legitimation zur Herrschaft bezieht. Darunter ist durchaus das zu verstehen, was Hofmannsthals später »produktive Anarchie« nerherr. Die Fassungen sind hier wortgleich. Die Requisiten Sigismunds sind im Übrigen ebenfalls dem Bildfeld des berühmten Frontispiz entlehnt  : »So wie der vom Leviathan gehandhabte Bischofsstab auf die Erde zielt und damit die irdische Verankerung aller geistlichen Gewalt symbolisiert, legt sich das Schwert, als Inbegriff aller weltlichen Macht des Fürsten, auf den Himmel, um auf diese Weise die, mit Benjamin zu sprechen, ›strenge Immanenz‹ darzustellen, die das absolutistische Regime seinen Bürgern zumutet.« (Balke, Figuren  ; op cit, 45). Bei Sigismund ist der Hirtenstab (der dem Bischofsstab entspricht) dem Schwert gewichen, das er zuletzt – sterbend – in die Höhe reckt. 259 Ähnliches gelte für den russischen Kaiser. Hofmannsthal hat sich die kursiv gesetzten Zeilen in seinem Exemplar unterstrichen, die entsprechende Notiz ist vermutlich 1923 entstanden. Simmel kommt im Anschluss auf Bodin zu sprechen – dessen Souveränitätslehre kannte Hofmannsthal also in jedem Fall schon vor seiner Schmitt-Lektüre. Die Textstelle Simmels ist für die späten Fragmente (insbesondere Die Kinder des Hauses und Kaiser Phokas) vielleicht von noch größerem Interesse.

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genannt hat, wie der anschließende Satz zeigt, der zudem nochmals auf den Bewährungsbedarf des charismatischen Führers verweist  : »Es ist noch die Zeit nicht, dass ihr mein sanftes Gesicht sehet, sondern das kommt später. – Wenn das, was ich schaffen werde, nicht dauern kann, so werft mich auf den Schindanger zu Attila und Pyrrhus, den Königen, die nichts begründet haben.«260 Damit zeichnet sich das Ziel einer wieder verfassten, geordneten Situation ab. Sigismund wird auch durch Formulierungen wie »Hüter der Mitte« abgegrenzt von dem Hazardeurhaften, was dem militärischen Führer zu dieser Zeit aufgrund von Ludendorffs Kriegspolitik auf deutscher, von Hötzendorfs auf österreichischer Seite anhaftete.261 Eine Analogie besteht jedoch unverkennbar zum ersten Typus des Suchenden in der Schrifttum-Rede, jenen »aus dem Chaos hervortretende[n] Geistige[n], mit dem Anspruch auf Lehrerschaft und Führerschaft« – auch Sigismund »verschmäht es« in offensichtlicher Form, »[…] gemäß Ordnungen zu empfangen, und will gemäß Ordnungen, die von ihm gesetzt sind, austeilen […]«.262 Das zitiert jene Vorstellung des »Dichters als Führer« (in der deutschen Klassik  ; Kommerell 1926), wie sie zur selben Zeit der George-Kreis vertrat, bleibt aber nicht dort stehen  ; eine Idee geistiger Souveränität liegt dem zugrunde, die ihre auctoritas im Akt des Austeilens, des (geistigen) Mehrens erweist. Dies ist wiederum im Kontext zu einer politischen Romantik zu lesen  : »Die Monarchie ist deswegen ächtes System, weil sie an einen absoluten Mittelpunct geknüpft ist  ; an ein Wesen, was zur Menschheit, aber nicht zum Staate gehört.« (Novalis, Glauben und Liebe  ; in  : Werke Bd. 2 [Mähl-Ausgabe]  ; op cit, 294  : Nr. 18)

Novalis dürfte bei dieser Bemerkung sehr viel eher an die geistige Souveränität des Dichters als an den preußischen König gedacht haben. Sie verweist auf das 260 SW XVI.1, 133  : Sigismund. Auch diese Formulierung ließe sich mit Bodins Beschreibung des Investiturzeremonials der tartarischen Könige lesen  : den König nur auf den Thron zu erheben, um ihm als nächstes die Umstände seines Sturzes zu vergegenwärtigen, sollte er scheitern (vgl. Bodin, Sechs Bücher  ; op cit, 210). 261 Allerdings ist der Satz »Ich bin ein General in seinem Zelt und muss nach zwei Fronten schlagen.« (SW XVI.1, 125  : Sigismund) vielleicht der deutlichste Hinweis auf den Ersten Weltkrieg. Max Weber trat nach dem Krieg als erklärter Gegner Ludendorffs hervor – am deutlichsten geht dies aus den Passagen im Lebensbild  ; op cit, 662 ff. hervor, die bei Betrachtung der Bühnenfassung noch berücksichtigt werden. Auch Hofmannsthal äußerte sich später empört über die österreichische Kriegsführung. Josef Redlichs Band Österreichische Regierung und Verwaltung im Weltkriege (Wien 1925) hat sich mit diesem Thema eingehend beschäftigt. 262 RA III, 34  : Schrifttum.

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neue Königtum, das der Turm (jedoch nicht in Sigismund) inszeniert – mit republikanischen Zügen, wie noch zu zeigen bleibt. Die sich im Stück ausprägende Generalsherrlichkeit des charismatischen Siegers bewegt sich noch auf Ebene des Befehls, nicht des Gebots (Gebietens). Die Figur des erfolgreichen Generals als für Republiken gefährliche ist bereits oben mit Webers Charisma-Definition verdeutlicht worden. Das von Indrik exponierte »Zeichen der Herrschaft« auf der Stirn deutet auf die Qualifizierung Sigismunds zum geistigen und charismatischen Führer zugleich hin, es liegt jedoch auch die Assoziation mit dem Kainsmal, dem Symbol fortbestehender illegitimer Gewalt nahe. Mit Benjamins Kritik der Gewalt (1921) könnte man sagen, dass hier die »mythische Gewalt« staatlicher Souveränität noch in die aus dem Chaos entstehende Gemeinschaft hineinragt.263 Die geforderte Einwilligung in sein neues Königtum erhält Sigismund vor seinem Tod aber nur bedingt  ; die Stände (Adlige, Krieger, Volk) knien zwar vor ihm, vor einem möglichen zweiten ›Fest der Akklamation‹ erliegt Sigismund jedoch seiner Vergiftung. Höchste Aufmerksamkeit verdient allerdings das postulierte Vorrecht, die Ordnung zu setzen und bei Bedarf aus dieser herauszutreten. Denn darin begründet sich die Suprematie des Souveräns, der nach Schmitt der politischen Ordnung zwar angehört, gleichzeitig jedoch auch außerhalb von ihr steht und damit die Latenz des Potentials konstituierender Gewalt verkörpert. 264 Die Gefahr solcher Konzeptionen hat Hofmannsthal möglicherweise eingesehen, indem er die »schöne Utopie« des Kinderkönigtums als »über dem Abgrund gebautes Schloß« bezeichnete. Die Stelle bedarf jedenfalls noch eines eingehenderen Exkurses, der auf den in den Varianten, Zeugnissen und Erläuterungen der Kritischen Ausgabe dokumentierten Entstehungsprozess zurückgreift. Insbesondere ist der Frage zu begegnen, woraus sich die große konzeptionelle Nähe zur Figur des Souveräns bei Carl Schmitt erklären lässt – dessen Bücher Hofmannsthal nach derzeitiger Faktenlage erst zur Überarbeitung der Bühnenfassung zur Kenntnis genommen und seinen Eindruck Josef Redlich übermittelt hat. Eine mögliche frühere Bekanntschaft mit Schmitts Theorem soll nachfolgend anhand des kon263 Sven Rücker hat darauf aufmerksam gemacht, dass die begründende zugleich die eigentlich sakrale Gewalt sei – weil diese den fortgefallenen Bezug auf die transzendente Legitimation durch Politiken des Sakralen ersetzen müsse  : »Sakrale Gewalt lässt sich […] definieren als gründende Gewalt, die ein Innen konstituiert [d. h.: die Ordnung, amion] und die gründend insofern ist, als sie keinen anderen Grund hat als sich selbst […]« (Rücker, Gesetz der Überschreitung  ; op cit, 383)  ; dies markiere gerade jenen »mystische[n] Grund der Autorität« (Derrida). 264 Vgl. hierzu Friedrich Balke  : Politische Existenz und ›Bloßes Leben‹. Zur Selektivität des Politischen am Beispiel Carl Schmitts  ; in  : M. Brehl/K. Platt (Hg.)  : Feindschaft  ; München 2003. 53–71.

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stitutiven Paradoxons moderner Souveränität erörtert werden, das Agamben auf die griffige (und übrigens komödientaugliche) Formel  : »Ich, der Souverän, der ich außerhalb des Rechts stehe, erkläre, daß es kein Außerhalb des Rechts gibt« gebracht hat.265 4.3.2 Das Paradoxon moderner Souveränität im Turm von 1924/25 – Indizien einer früheren Bezugnahme auf Carl Schmitt  ? »17 IX 23. […] Er nimmt sich heraus dass er beides in diesem Dasein vereine  : zu ordnen u. aus der Ordnung herauszutreten.« (SW XVI.1, 412  : N 196)

Die zweite Fassung des hier für entscheidend erachteten Satzes lautet in den Vorarbeiten  : »Ich nehme mir heraus, dass ich beides in diesem Dasein vereine  : zu ordnen u aus der Ordnung herauszutreten.«266 Die spätere Druckfassung ist fast identisch  : »Ich nehme mir heraus, dass ich beides in diesem Dasein vereine  : zu ordnen und aus der alten Ordnung herauszutreten.«267 Dieser Zusatz könnte allerdings entscheidend sein für das Verhältnis von pouvoir constituant und pouvoir constitué  ; signalisiert er doch, dass Sigismund nach der Setzung (s)einer neuen Ordnung sich dieser zugehörig und verpflichtet fühlt. Die Grundfigur des charismatischen Herrschers, der seine Legitimität nie auf die bestehende Ordnung, sondern stets auf sein erfolgreiches Handeln in außeralltäglichen Situationen stützt, käme hier ans Ende. Das würde zur Wiederbelebung des Staatsgedan265 Agamben, Homo sacer, op cit, 25. Eine frühere Bekanntschaft könnte sich übrigens auch über gemeinsame Münchener Bekanntenkreise ergeben haben. Zu Schmitts Zeit dort vgl. Stefan Breuer  : Carl Schmitt im Kontext. Intellektuellenpolitik in der Weimarer Republik  ; Berlin 2012. Ein Kontakt wäre über den Salon Bruckmann denkbar, den beide besuchten (ebd., 24). Zudem  : Max Weber schrieb in einem Brief vom Februar 1920 an Karl Vossler über die Samstagsrunde seines staatsrechtlichen Seminars, hier ist neben Palyi auch Schmitt erwähnt, beide ohne Vornamen – der spätere Münchener Rektor Vossler dürfte das Kolleg also schon gekannt haben (ebd., 82). Den Briefwechsel Vosslers und Hofmannsthals – soweit er erhalten ist, vgl. hierzu 2. – müsste man dahingehend unbedingt einmal durchsehen. 266 SW  XVI.1, 437. Der Passus wird in der Kritischen Ausgabe den Arbeitsstufen vom 15./16. 10. 1924 zugeordnet. Aus der oben zitierten Vorversion und der Sichtung des in der Handschriftenabteilung des Frankfurter Hochstifts aufbewahrten Nachlasses ergibt sich jedoch, dass als Entstehungsdatum von FDH E III 253 89 (N 196) September/Oktober 1923 infrage kommt. Das ist für die nachfolgende Betrachtung von großer Relevanz, belegt sich doch darin, dass diese Formulierung direkt im Anschluss an den Ramsauer Besuch ( Juli/August 1923) oder evtl. sogar dort entstanden ist wie jener Ausruf »Könige todt  !« (SW XVI.1, 392  ; Varianten). 267 SW XVI.1, 132  : Sigismund [Hervorhebung A.M.].

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kens passen, von der in den Notizen die Rede ist. Hofmannsthals poetologisches Selbstzeugnis  : »Ich verließ jede Form bevor sie erstarrte«268 lässt jedoch auch die Annahme zu, dass damit zugleich ein kontingentes Prinzip des (gesellschaftlichen) Fortschreitens betont wird, das ein permanentes Heraustreten und Neusetzen von Ordnung, ein morphologisches Verständnis voraussetzt. In diese Richtung deutet auch die Formulierung »Herr sein in den Formen, […] die euch erstaunen«.269 Die explizite (Selbst-)Ausnahme Sigismunds von aller bestehenden Ordnung weist in ihrer sonstigen Ordnungsaffinität über Webers Konzept der charismatischen Führerschaft hinaus  ; und zwar auf ein Gedankenpotential, das sich im ›Gefolge‹ von Webers Münchener Wirkungskreis – wenn man so sagen darf – entwickelt hat  : auf Carl Schmitts Politische Theologie (1922).270 Die Szene wird auch in der Kritischen Ausgabe als »politisch-programmatisches Herzstück des Trauerspiels« bezeichnet271 – dies gilt umso mehr, da doch so geläufige Zitate auf sie beziehbar sind wie  : »Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet«  ; »Er steht außerhalb der normal geltenden Rechtsordnung und gehört doch zu ihr, denn er ist zuständig für die Entscheidung, ob die Verfassung in toto suspendiert werden kann.«  ; »Darum ist die Befugnis, das geltende Gesetz aufzuheben – sei es generell, sei es im einzelnen Fall –, so sehr das eigentliche Kennzeichen der Souveränität […] Auch die Rechtsordung, wie jede Ordnung, beruht auf einer Entscheidung und nicht auf einer Norm.« (PT, 9, 10 und 11)

Die Lektüre der Politischen Theologie erwähnt Hofmannsthal in besagtem Brief an Redlich vom 8. November 1926  ; einige Exzerpte und Übernahmen sind in den Aufzeichnungen und in Ad me ipsum für den Herbst 1926 nachzuweisen, sowie für den Kaiser Phokas. Die deutlichste aller Notizen lautet in diesem Zusammen268 RA III, 624  : Ad me ipsum (1927). 269 SW XVI.1, 133  : Sigismund. 270 In Webers Münchener Kolloquium versammelten sich so klangvolle Namen wie Bloch, Kantorowicz, Lukács, Schmitt. Der philologische Aufwand einer Parenthese von Schmitts Schriften und den verschiedenen Fassungen des Dramentextes, v. a. auch der Notizen zum Turm selbst wurde bislang vermieden. Anders lässt es sich nicht erklären, warum diese Stelle in der neueren Forschung bisher unbeachtet blieb (obwohl die SW-Ausgabe eigens darauf hinweist). Neuerdings gibt es die Vermutung, dass es sich bei dem Zitat auf dem Vorblatt von Hofmannsthals Exemplar der Politischen Theologie um eine Phokas-Notiz handelt, die bereits aus dem Jahr 1924 stamme (SW XL, 803). Diese im hiesigen Kontext äußerst wichtige Vermutung lässt sich aus den Materialien im Band SW XIX aber nicht erhärten. 271 SW XVI.1, 172  : Entstehung.

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hang  : »Er versteht plötzlich die Menschheit (u. Ihren Bedarf nach Dictatur) so wie Donoso Cortes versteht. e s s i n d k e i n e K ö n i g e m e h r.« Die prägnante Stelle zu Cortes lautet in der Politischen Theologie  : »Es gibt keinen Royalismus mehr, weil es keine Könige mehr gibt.«272 Die Schlussfolgerung des spanischen Gegenrevolutionärs hieß  : Diktatur. Hofmannsthal zitiert die Stelle in den fraglichen Arbeitsphasen zum Turm nirgends direkt, sie könnte aber über die »todten Könige« in den Notizen präsent sein. Den fünften Aufzug der dichterischen Fassung verfertigte Hofmannsthal jedoch hauptsächlich bereits ab Juni 1923. Auf Herbst 1924 datieren die letzten Ergänzungen zur Szene mit den Adligen und der Zigeunerin. Man könnte daher von einem Zufall ›dichterischer Antizipation‹ ausgehen, dass Hofmannsthal Schmitts Souveränitätskonstruktion ohne deren Kenntnis so präzise dramatisiert hat. Oder stattdessen der Vermutung nachgehen, dass sie ihm doch früher bekannt war. Denn genau dies wäre sehr gut denkbar.273 Aus dem schon erwähnten Brief an Willy Wiegand vom 19. Juni 1923 (vgl. 2.) geht hervor, dass Hofmannsthal die von Melchior Palyi herausgegebene Max-Weber-Gedenkschrift von 1923 kannte und teilweise auch gelesen hat. In dieser ist aber nicht nur Hof272 (SW XIX, Dramen 17. Kaiser Phokas Notiz 125 [1. 10. 1926]  ; 197  : Leontes). Schmitt bezieht sich in Die Diktatur (1921) wie in der Politischen Theologie gleichermaßen auf den spanischen Theologen der Gegenreformation und -revolution. Die entsprechende Stelle findet sich – mit Markierung Hofmannsthals – in der Politischen Theologie (PT, 46), die auch für die marxistischen Anklänge dieser Notiz Hintergrund gegeben haben könnte. Das Ende der Monarchie hat Hofmannsthal auch in den Notizen zu seiner Gedenkschrift über Eberhard von Bodenhausen (RA III, 155 ff.) und bei Notierung eines Zitas von Karl Wolfskehl zum Herrscher beschäftigt (vgl. SW XIX, 462  ; Erläuterungen Phokas). 273 Eine Bekanntschaft hätte z. B. schon über Theodor Däubler (1921 in Rodaun) vermittelt werden können. Über Theodor Däublers Nordlicht (1912) hatte Schmitt 1916 eine enthusiastische, kulturkritische Besprechung veröffentlicht  ; Däubler stand (über den Forte-Kreis) in Kontakt zu Florens Christian Rang  ; zudem gibt es einen Briefwechsel zwischen Carl Schmitt und Wiener Franz Blei, den Hofmannsthal auch persönlich kannte. Denkbar ist insbesondere, dass Hofmannsthal auch früher schon in »mittelbarem Kontakt« mit Schmittschen Gedanken kam (was die partiellen Analogien der ersten Fassung zu Schmitts Theorie erklären könnte) – über Zeitschriften und Aufsätze Bleis und Hugo Balls, die sich u. a. auch Joachim von Fiore und Bonaventura widmeten (wie auch Hofmannsthal  : vgl. Varianten, SW XVI, 2  ; 408, 412, 423, 538). Allerdings, und das spräche wiederum für eine Vermittlung durch Benjamin, las Hofmannsthal im September 1926 nochmals den Ursprung des Deutschen Trauerspiels. Ob sein Typoskript Schmitt erwähnte, ist allerdings nicht mehr belegbar, es ist verschollen. Aus dem Wortlaut des späteren Briefes von Benjamin an Schmitt, der die Übersendung des Trauerspielbuches begleitete (1930), ließe sich aber schließen, dass Benjamin Hofmannsthal zumindest auf Nachfrage seine Quellen offenbart haben würde.

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mannsthals Bekannter Karl Vossler mit einem Beitrag (Grenzen der Sprachsoziologie) vertreten, welchen Hofmannsthal über Wiegand für die Aufnahme in die Neuen Deutschen Beiträge anfragte – sondern direkt auf diesen folgend auch ein Beitrag Carl Schmitts, und zwar als Eröffnungsaufsatz des zweiten Bandes.274 Dieser besteht aus den ersten drei Kapiteln der Politischen Theologie  ; der Titel  : Soziologie des Souveränitätsbegriffes und politische Theologie. Die Lektüre von Vosslers Beitrag ist nachweisbar, wenngleich der Besitz des Sonderdrucks bislang kaum bekannt ist.275 Müsste Hofmannsthal, der zu diesem Zeitpunkt die Abfassung des fünften Aufzugs vorbereitete, ein Beitrag solchen Titels – wenngleich eines ihm noch unbekannten Staatsrechtlers – nicht brennend interessiert haben  ? Selbst ein kurzer Blick hinein, ein Anlesen hätte genügt  ; die kardinalen Zitate (s. o.) folgen sämtlich auf den ersten Seiten. In den sehr spärlich erhaltenen bzw. mitgeteilten Aufzeichnungen von 1923 findet sich möglicherweise eine Notiz die Vossler-Lektüre betreffend  : »Es handelt sich nicht darum, uns in der Sprache, sondern die Sprache in uns auszuprägen«  ;276 auf eine fortgesetzte Lektüre der Max-Weber-Gedenkausgabe deutet hier ansonsten aber nichts hin.277 Bereits am 5. Juni 1923 hatte Hofmannsthal an Wiegand geschrieben, er hoffe, »den letzten Aufzug bald zu schreiben«  ; am 17. Juni schrieb er an Schröder, 274 Melchior Palyi (Hg.)  : Hauptprobleme der Soziologie. Erinnerungsgabe für Max Weber (Bd. I und II)  ; München und Leipzig, 1923. Die Zitate oben aus der Politischen Theologie finden sich entsprechend auch in Carl Schmitt  : Soziologie des Souveränitätsbegriffes und politische Theologie  ; in  : M. Palyi  : Hauptprobleme der Soziologie. Erinnerungsgabe für Max Weber Bd. II  ; München und Leipzig 1923. 3–36. Entsprechend hier 5, 6 und 7. Da Hofmannsthal den Beitrag Vosslers »angezeigt« sah, dürfte in dieser Anzeige der gesamte Inhalt – und direkt nach Vossler eben der Beitrag Schmitts angezeigt gewesen sein. 275 Vgl. besagten Brief an Willy Wiegand vom 19. 6. 1923  ; veröffentlicht im Jahrbuch der Schillergesellschaft  ; Göttingen 1963 (Band VII). 97. Vosslers Beitrag liegt wie erwähnt als Sonderdruck mit Widmung an Hofmannsthal im Deutschen Literaturarchiv Marbach (Signatur C7  :Rara). Lesespuren weist er nicht auf. 276 RA III, 571 (1923). Zur Bedeutung Vosslers für Hofmannsthals Kulturprogrammatik vgl. 2. dieser Studie. 277 Meine Annahme, dass der neue Band der Kritischen Ausgabe zu den Aufzeichnungen hierzu weitere Hinweise liefern könnte, hat sich nicht bestätigt. Allenfalls ließe sich aus einer dort dokumentierten Reisenotiz im Vorfeld zum Brief an Wiegand schließen, dass Hofmannsthal bei einem Besuch bei Felix Somary (und Ernst Gagliardi) von der Gedenkgabe Kenntnis erhalten haben könnte (vgl. SW XXXVIII, 909 [28. V. 1923]) Auf diese folgt die Notiz zur Ausprägung der Sprache, die oben bereits der Rezeption Vosslers zugeordnet wurde. Die Exzerpte aus der Politischen Theologie sind jetzt in vollem Umfang einsehbar (ebd., 1001 f.).

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diesen »in den nächsten Wochen zu Ende zu bringen«,278 am 2. August konnte er dann Ottonie von Degenfeld vermelden, er habe den fünften Aufzug verfertigt, wenn auch nur vorläufig, wie sich an einem Brief an Helene Thimig vom 5. August belegen lässt, in dem er davon spricht, seine Dachkammer (in Graz) nicht mehr verlassen zu wollen, bis das Stück vollendet sei. Das ist ihm in diesem Spätsommer/Herbst nicht mehr gelungen, die nach Hofmannsthals Meinung noch unabgeschlossenen Teile betrafen allerdings überwiegend das Verhältnis Sigismund-Kinderkönig, und die in vielerlei Hinsicht problematisch wirkende Szene mit der Zigeunerin, nicht aber die Ausführung des Herrschaftskomplexes als solchen. In der Kritischen Ausgabe des Turm und den nicht aufgenommenen Materialien der Handschriftenabteilung am Frankfurter Hochstift lässt sich die betreffende, den Souverän als ordnungsexterne aber -setzende Gestalt ausweisende Stelle erst in den schon weit fortgeschrittenen »Textschichten«279 nachweisen  ; v. a. für die Arbeitsphase im Oktober 1924. Weitere Bezugnahmen etwa auf Pannwitz (Krisis der europäischen Cultur [1917]), Bertram (Nietzsche [1918]) oder Claudels Dramen La Ville und Tête d’Or), die für die Erläuterung anderer Textstellen herangezogen werden, kommen nicht in Betracht. Vorstufen dazu sind in den überlieferten Notizen kaum ausfindig zu machen  : eine analoge Szene vom März 1922, in welcher der zurückgekehrte Ignatius (Großalmosinier) Sigismund krönen will, lautet noch  : »Sigismund  : (lehnt ab  :) Es ist keine Ordnung. Dies ist uns nicht gegeben«,280 der hinzu tretende Kinderkönig aber widerspricht ihm, indem er seine neue Ordnung vertritt. Zwischen den ersten Skizzen zu dieser Szene im März 1922 und deren Abschluss im Oktober 1924 hat sich also eine entscheidende Veränderung ergeben. Dass diese auf den August/September 1923 datiert, hat sich als anfängliche Hypothese im Verlauf der Nachforschungen bestätigt  : im Juni 1923 fragt Hofmannsthal über Wiegand Vosslers Text aus der Gedenkgabe an, in einer Notiz spätestens vom September 1923 erscheint der Souverän erstmals als Schwellenfigur  ; die zunächst lapidar anmutende Feststellung »Könige todt« aus dem Ramsauer Variant könnte ein weiterer Hinweis sein (in diesem Fall auf Cortes). Damit ist eine frühere Bezugnahme auf Schmitt nicht nur denkbar, sondern nicht unwahrscheinlich. Für den fraglichen Bezug auf das Paradoxon der Souveränität (im Heraustreten aus der Ordnung) kommt Max Webers Konzeption charismatischer Herrschaft zwar grundsätzlich infrage  ; thematisch stichhal278 Brief an Wiegand, JDSG 1963  ; op cit, 94  ; an Schröder  : zit.n. SW XVI.1, 490  ; Varianten. 279 Vgl. SW XVI.1, 166  ; Entstehung. 280 SW XVI.1, 379  : Sigismund  ; SW XVI.1, 138  : Sigismund.

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tiger aber wäre die Politische Theologie Carl Schmitts anzuführen, die jedenfalls spätestens 1926 mit den weiteren im Brief an Redlich genannten Schriften auch Einfluss auf die Arbeit an der Bühnenfassung bekam (vgl. hierzu detailliert 5.). An Hofmannsthals Exemplar der Politischen Theologie fällt zudem auf, dass nur die ersten drei Kapitel Lesespuren aufweisen – eben jene, die in der Gedenkgabe für Max Weber publiziert wurden. Dass diese Anstriche damit Relikte einer Relektüre sind, ist jedenfalls nicht auszuschließen. Das übernommene EngelsZitat (»Das Wesen der Religion ist die Angst der Menschheit vor sich selber«) und die beiden weiteren kardinalen Exzerpte zur »Soziologie des Souveränitätsbegriffs« und zur historischen Erledigung des Königtums entstammen jedenfalls ebenso dem dritten Kapitel. Die These, dass Hofmannsthal eine so zentrale Stelle des Schmittschen Souveränitätsdenkens bereits etwa drei Jahre früher gedanklich aufgenommen und literarisch verwertet haben könnte als bislang vermutet, ist anhand des überlieferten Materials zwar nicht bis ins Letzte zu erhärten  ; auf diese Möglichkeit soll hier aber mit Nachdruck hingewiesen sein. Was würde aber daraus folgen  ? Die Hofmannsthal vielleicht gar nicht bewusste frühere Kenntnis von Schmitts Theorem (den er im Brief an Redlich aufgrund des Verfassernamens der Diktatur  : Schmitt-Dorotić sogar für einen Österreicher hält) 281 würde die Bezugnahme vom Herbst 1926 in ein völlig anderes Licht stellen  ; und zwar in ein erheblich distanzierteres, wenn diese Lektüre wissentlich erst für 1926 angegeben wäre. Die Bühnenfassung enthält, wie noch zu zeigen bleibt, eine Absage an die positive Darstellung von Souveränität im Ausnahmezustand, wie sie die dichterischen Fassungen inszenieren  ; wenngleich sie Hofmannsthal schon früh mitsamt der schönen Utopie des Kinderkönigreichs282 (und dem darin angedeuteten christ281 Ähnliches gilt erwiesenermaßen für Carl Gustav Jung  ; Hofmannsthal hatte die Lektüre von dessen Wandlungen und Symbole der Libido (1912) zwischenzeitlich schlicht vergessen, wie aus einem Brief an Burckhardt (19. 12. 1928) hervorgeht (BW Burckhardt, 295). Bei einem Namen wie dem Schmitts ist angesichts von Hofmannsthals Lesepensum eine Vergesslichkeit noch denkbarer  ; allerdings ist die Politische Theologie thematisch so spezifisch, dass ein Lapsus innerhalb so kurzer Zeit doch überraschen würde. 282 Dass sich Sigismund die Frage, wer ihn im Sterben noch einmal wecke, selbst mit »Jemand« (SW XVI.1, 137) beantwortet, könnte ein Hinweis auf das Fragment gebliebene Stück Jemand sein – das eine Art Requiem auf Hofmannsthals 1918 verstorbenen Freund Eberhard von Bodenhausen darstellte, den er wiederholt als »wichtigsten Menschen« in seinem »Lebenskreis« bezeichnet hat (vgl. etwa BW Burckhardt, 103). Ein weiterer Bezug zum Jemand-Fragment findet sich in der Szene des nach dem Schlaftrunk kurz erwachenden Sigismund (vgl. SW XVI.1, 530/567).

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lich-kommunistisch renovierten Royalismus) als riskantes politisches Bauwerk erschien. Diese neue Gemeinschaft, für die Sigismund sein Leben lässt, bleibt in ihrer Entstehung und Ausprägung noch genauer darzustellen. Der »höchste Geist ist immer dort, wo die größte Bedrängnis ist […] die größte entscheidende Situation der Epoche […] und dieses war sie  : um Rede hatten sie alle gerungen, um magische Redegewalt […] um die Rede Mosis, um das Hinreißen der Mitmenschen zu Gott – um die Sprache, die alles sagt.« (RA II, 75  ; Zürcher Beethoven)283

Die heraufziehende Ordnung scheint durchaus eine der »neue[n] Sprache«  : »die sagt das Obere und Untere zugleich«284 – und damit auch als das Ideal einer Endzeit, in der die Kontingenz des Geschehens zum Erliegen kommt, in der man »gehorcht, ehe befohlen« wurde. »L’ordre réside dans le sacrifice«285 hat sich Hofmannsthal zu Sigismunds »Sinn des Begründens« notiert – und insofern ist es nur folgerichtig, dass Sigismund diese neue Ordnung nicht mehr erlebt, dass für ihn, den »Vatermörder u. Neugründer der Gewalt« »kein Platz in der Zeit ist«, wenngleich er sich eben nicht nach Art des »neuen Menschen« freiwillig opfert, sondern seine Herrschaft sogar überzeitlich auszudehnen sucht  : »Alle zu mir  ! Mit dem Schwert brechen wir die Tür in die Zeit auf  ! Her  ! Her  ! – Ich reisse euch alle mit mir hinein […]«, sich dabei aber doch als »sterblicher Gott« erweist, der mit dem Schwert usque ad celum erectus sterbend den Himmel der neuen (politischen Form) aufreißt, wie das romantische Kunstwerk Benjamins, das seine Form zerstört. Tatsächlich wäre die auf Novalis zurückgehende Wendung »Transitorische Könige« für Sigismund zutreffend.286 Sigismund bleibt in der Tat als »Zwischenkönig«287 ein auf den Ausnahmezustand bzw. auf das Interregnum zwischen Basilius und dem Kinderkönig beschränkter Souverän (und damit ungewollt beinahe ein »kommissarischer Diktator«), der mit diesem zugleich bei 283 Hofmannsthal wendet sich anschließend Herder zu, der im Deutschen Lesebuch auch mit einer Stelle zu Moses’ Gesetzgebung präsent ist  ; Herder habe »an dem Werden unserer Geistessprache mit gewaltiger Hand mitgewoben […]« (ebd., 77). Wenig später folgt in der Rede jene Passage zum »Behemoth«, der »über ihre Grenzen hinausbricht.« (ebd., 78  ; auf Grillparzer als Bezugspunkt war oben schon hingewiesen worden). 284 SW XVI.1, 125  : der tote Julian (Zigeunerinnen-Szene). 285 SW XVI.1, 437  : Erläuterungen  : Claudel. 286 Zuvor  : SW XVI.1, 414  : Kinderkönig  ; SW XVI.1, 138  : Kinderkönig  ; SW XVI.1, 135  : Sigismund. Novalis  : Schriften II, Fragmente 1  ; (Wasmuth-Ausgabe)  ; Heidelberg 1957. 407. Nr. 1541. 287 Zuvor  : PT, 46. SW XVI.2, 122  : Kinderkönig. Zu den politischen Implikationen dieser ebenfalls vielsagenden Bezeichnung gleich nachfolgend.

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Ankunft bzw. Eintreten der neuen Ordnung weichen muss. Dieses Szenario ist ein feststehender Grundzug in Hofmannsthals Bearbeitung des fünften Aufzugs, der seine symbolische Verdichtung in dem ›finsteren Karneval‹ der Zigeunerinnen-Szene findet. 4.3.3 »Du bist nur ein Zwischenkönig gewesen«. Exkurs zu Rangs »car naval« »Der Karneval ist ein Ausnahmezustand. Abkömmling der antiken Saturnalien, an denen das Unterste sich zu oberst kehrt und die Sklaven sich von ihrem Herren bedienen ließen. Ein Ausnahmezustand hebt sich doch scharf eben nur gegen einen ordentlichen ab.« (Benjamin, GS IV 2, 765  ; Corso) »Weisst du, es ist das in mir, wovon eine geringe Gabe die Menschen störrisch macht, eine grosse aber zahm und folgsam wie Hunde. Du sollst mir Schwert und Wage geben  : denn du bist nur ein Zwischenkönig gewesen.« (SW XVI.2, 122  : Kinderkönig)

Auch Florens Christian Rang, Urheber eines weiteren wichtigen Bezugstextes für die Entstehung des Turm, hat dessen Veröffentlichung (der Aufzüge drei, vier und fünf ) nicht mehr erlebt. Er hätte sich vermutlich darüber gefreut (er war ein Abonnent der Neuen deutschen Beiträge der aufmerksamsten Sorte)  ; denn diese Aufzüge sind in einem erstaunlichen Maße Hofmannsthals Lektüre der Historischen Psychologie des Karnevals verpflichtet.288 Der Verweis auf Rang wird hier daher dem Umfang des Einflusses seines Textes nach in Form eines Exkurses teilweise nachgeholt. Ziel dieser Lektüre ist die Überprüfung, in welcher Weise Staatlichkeit in den dichterischen Fassungen inszeniert wird und wie sich vor ihr das sie ablösende Kinderkönigreich abhebt. Denn vorab ist bei Rangs Karneval eine gewisse Analogie zu Landauers Revolutions-Schematik von Topie und Utopie zu verzeichnen, in welcher der Utopie die Funktion einer Interphase zukommt  ; sowie, in seiner Betonung der »Außerordentlichkeit«, auch zu Webers charismatischer Herrschaft.289 Das wird im Folgenden gleich deutlich. 288 Florens Christian Rang  : Historische Psychologie des Karnevals  ; op cit [fortan HPK]. Ausführungen zu Rang und Hofmannsthal und dessen Kenntnisnahme der Karneval-Schrift finden sich bereits bei Ute Nicolaus  : Souverän und Märtyrer  ; op cit, 39, sowie 72 und v. a. 109 ff. Auch Nicolaus deutet Sigismund mit Rang. Allerdings wird diese Thematik im Hinblick auf die Dramaturgie souveräner Macht im Turm noch wenig konkret. Zu Hofmannsthal und Rang vgl. auch die einschlägigen Arbeiten Lorenz Jägers. 289 Vgl. Landauer  : Die Revolution  ; op cit, 12 ff. Thaler gibt einen Überblick zum Diskussionstand des

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Rang bezieht den Karneval auf den Sternenglauben und dessen impliziten Anspruch, über die Deutung der Gestirne und ihrer Konstellationen die Weltläufte erklären zu können.290 Für jedes Jahr sei hier ein Herrscher-Gestirn ausgerufen, dessen Herrschaft aber nicht nahtlos an die des folgenden grenze, sondern durch ein »Interregnum«, in dem das alte Herrschergestirn abgetreten, das neue jedoch noch nicht aufgezogen sei, eine Schaltzeit verbunden werde. Diese Interphase zwischen »Thron-Entsagung« und »Thron-Besteigung« nennt Rang den Karneval  ; dessen »Korso war das Abbild der Bahn dieser Gestirne«. Daraus ergeben sich für die irdischen Belange erhebliche politische Konsequenzen. Der Karneval ist die Zeit der »gesetzlichen Gesetzlosigkeit«, »Schalt-Zeit« der abwesenden Souveränität im Interregnum, also des – turnusmäßig wiederkehrenden – Ausnahmezustands (so formuliert schon der dänische »Bildhauer«, in welchem Benjamin Rang im Gespräch über dem Corso ein Denkmal setzte).291 Um sich vor dieser ›Leerstelle‹ im politisch-religiösen System nicht fürchten zu müssen, habe man schon früh einen Stellvertreter berufen, der gewissermaßen das ausgebrochene Chaos ordnend repräsentiert. »Der Prinz Karneval ist der älteste aller Präsidenten auf Zeit.« Als dessen antike Imago interpretiert Rang  : Dionysos. »Die Dionysos-Orgien der orphischen Religion auferwecken in Schaltzeiten das ausgeschaltete Chaos«. Der dionysische Geist sei durchaus ein unmenschlicher, wie Rang anmerkt (»Hohn auf Menschlichkeit«), dennoch wird das darin sich ausagierende »Gesetz der Überschreitung« (Sven Rücker) als notwendig erachtet.292 Olivier wie auch das bei Sigismund verbleibende Volk wollen ihn in einem Festzug – dem Korso entsprechend – auf einem Wagen durch das Reich fahren  : »einer Wir wollen einen Wagen rüsten und zwölf paar Ochsen vorspannen. Auf dem sollst du fahren und eine Glocke soll läuten auf deinem Wagen als wärest du eine Kirche auf Rädern.« (SW XVI.2, 100)293 naheliegenden Vergleichs von Rangs und Bachtins Verständnis des Karnevals  ; vgl. Jürgen Thaler  : »Ein Kriseln geht durch unsere schüttere Zeit«. Zur Transformation des Karnevals in den Schriften von Florens Christian Rang (1864–1924)  ; Wien 1996. 105 ff. 290 Den astrologischen Ursprung des Karnevals will Rang über eine etymologische Umdeutung belegen – nicht das Fleisch möge wohl leben »carne vale  !«, sondern der Schiffswagen weiterziehen »car naval«. (HPK, 14). 291 Zuvor  : Jeweils HPK 14. GS IV, 1, 765 [1935] (Die dänische Nationalität dürfte ein Verweis auf Rangs Kierkegaard-Rezeption sein). 292 HPK, 18, 20 und 23. Sigismund wird im Turm immer wieder mit einer Metaphorik des Dionysischen in Verbindung gebracht, »Milch und Honig« etwa (vgl. nachfolgendes Kapitel). 293 Auch Olivier gibt Anweisung, Sigismund auf dem mittleren Wagen in seinem Trupp fahren zu

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Hofmannsthal las die Historische Psychologie (die er 1909 bereits in Wien als Vortrag gehört hatte294) im Herbst 1923 ein weiteres Mal, ohne die (von Rang so erwünschte) Veröffentlichung in den Beiträgen zu signalisieren  ;295 Rang hatte den Vortrag inzwischen zu einem Aufsatz überarbeitet, der den zeitgeschichtlichen Entwicklungen Rechnung trug,296 und diesen am 25. Juni 1923 an Hofmannsthal gesendet. Dass die Lektüre Auswirkungen auf die Arbeit am Turm hatte – sie fiel, wie Rangs plötzlicher Tod im Oktober 1924, mitten in eine der intensivsten Arbeitsphasen –, ist zunächst mit dem Titel-Zitat dieses Abschnittes offensichtlich zu machen. Denn die Botschaft des Kinderkönigs an Sigismund, lassen und bei Bedarf mit Lärm und Geschepper zu übertönen, mit »einer Poesie lästerlicher Kritik« und »schamlos-lachende[r] Bosheit«, sollte er Dinge von sich geben, die Olivier nicht passen. Olivier der »Bescheidgeber« will auf dieses Weise den »Hypokriten« ausbremsen, dessen er – anstelle der stummen Marionette seiner Eingebungen – immerhin habhaft geworden zu sein meint. Rang schreibt, es sei das Wort des Volkes gewesen, »Das den Thespis hinriß, seinen Karren – den car naval der Autoritätslosigkeit – zu besetzen statt mit einer stummen Puppe mit dem Hypokriten, was den ›Schauspieler‹ nur bedeutet, weil einerseits den ›Scheinheiligen‹  : den Gott nämlich, der es wider Recht und Gesetz ist, anderseits den ›Bescheidgeber‹  : diesen Gott unrechtmäßiger Arroganz, wie er auch das eigenste Recht der rechten Götter sich anmaßt, als Diktator der Menschen ihnen ihr Schicksal zu bescheiden, ihnen Bescheid so zu geben, daß der Menschen Wille sich beuge.« (HPK, 25). 294 Der übrigens von derselben »Soziologischen Gesellschaft« anberaumt wurde, die später (1917) auch Max Weber einlud – weitere geladene Gäste waren 1909  : Georg Simmel, Ferdinand Tönnies und Alfred Weber  ; eine äußerst hochkarätige Zusammenstellung also, in der Rangs Vortrag erfolgte. Vgl. hierzu Thaler  : Ein Kriseln  ; op cit, 29 f. Bemerkenswert ist auch, dass diese Gesellschaft SPD-nah war. Dass unter den Initiatoren Josef Redlich gewesen sein dürfte, ist eine Vermutung, die sich auf das kürzlich erschienene Buch von Marcus G. Patka Freimaurerei und Sozialreform  ; op cit, 70 bezieht. 295 Vgl. BW Rang, 444 (26. I. 1924) »Die Abhandlung über den Carneval habe ich wieder gelesen, und wie bedeutend alles von Ihnen ausgesprochene ist, konnte ich daran erkennen, daß mir so vieles über einen Abgrund von siebzehn [15  ; A.M.] Jahren hinweg, entgegentrat, als hätte ich Sie gestern es sprechen hören. Aber von diesem Aufsatz, so wenig ich darin die Klaue des Löwen verkenne und so völlig groß die Einheit in allem ist, was Sie aussprechen, habe ich doch das Gefühl, daß er nach der ›Seligen Sehnsucht‹, nach dem Benjamin nicht an seinem Platze wäre. Ich bin nun begierigst auf das politische Buch. Den Zusammenhang mit Ihnen hat die neue Sendung nur befestigt.« (ebd.). Er hätte auch schreiben können  : ›vor‹ den letzten Aufzügen des Turm sei der Aufsatz nicht an einem Platz. Das angeforderte »politische Buch« Rangs ist die Deutsche Bauhütte. Ein Wort an uns Deutsche über mögliche Gerechtigkeit gegen Belgien und Frankreich und zur Philosophie der Politik  ; Leipzig 1924, dessen Veröffentlichung Hofmannsthal nach Lektüre zu fördern versprach (aber ebenfalls nicht für Bremer Presse oder die Neuen Deutsche Beiträge einplante)  ; vgl. BW Rang, 445 ff. (22. III. 1924). 296 Vgl. die »Editorische Notiz« des Herausgebers Lorenz Jäger  ; in  : HPK, 53 f.

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er sei nur ein »Zwischenkönig«, ist direkt Rangs Aufsatz entnommen  : Zunächst fällt dort die Formulierung eines »Interrex« auf, welchen »die Weisheit, die mit dem Kalender in der Hand die Gesetzlosigkeit gesetzmäßigt hatte, erwählte für die Spanne, da alle geistliche Autorität verblich«  ; dann heißt es  : »[…] diesen Gott in so bunt-scheckig zusammen-geliehenem Kleid wagten sie anfangs nicht auftreten zu lassen außer im offiziellen Durcheinander der Fasching-Verkleidung als den närrischen Narrenführer Prinz Karneval. Selbst die salaminische Schlacht hat Dionysos gewonnen als Zwischenkönig des verrückten Jahr-Endes.« (HPK, 24  ; zuvor  : 18 [Hervorh. A.M.])

Natürlich handelt es sich beim Turm-Szenario nicht um einen bloßen Jahreswechsel, sondern um den umfassenderen Wechsel der Epochen politischer Herrschaft, ihrer Legitimation – und ihrer Artikulation durch eine des Politischen mächtige Sprache. Der Prinz Karneval bei Rang ähnelt auffällig den Beschreibungen der ins Narrenkostüm gesteckten deutschen Sprache in Hofmannsthals Sprach-Anthologie.297 Die Übernahme von Bezeichnung und Schema (Wechsel der Herrschergestirne) dahinter ist jedenfalls augenfällig. Denn der Satz »le roi est mort, vive le roi  ! […]« gilt ja auch für das im Turm angebrochene Zeitalter, nachdem die alten »Könige todt« sind, nur noch unter den Bedingungen der Kür. Doch das deutliche Zitat markiert – mit dem sich anschließenden Opfer-Diskurs, den die Verbindung des Karnevals mit der Figur des Sündenbocks intendiert298 – nur den gut sichtbaren Abschlusspunkt dieser Bezugnahme. Diese reicht weiter in den Ablauf des Stückes und tiefer in den Figuren-Hintergrund hinein. So kann das ganze blutrünstige Bacchanal der Prozess-Szene im vierten Aufzug als Höhepunkt eines karnevalesken Revolutionsgeschehens betrachtet und verstan297 Vgl. hierzu die oben schon zitierten Sätze Arndts  : »Die ursprünglichste, reichste, volleste Sprache musste sich wie eine taubstumme Stammlerin und Stotterin gebärden, und als ob sie ohne Sang und Klang, ohne Bild und Idee, ohne Worte und Zeichen war, lieh sie Wörter von allen Völkern, am meisten aber von den Franzosen, und dünkte sich in diesem bunten und närrischen Harlekinsrock recht stattlich und liebenswürdig.« Die Wahl dieser Bekleidung ist vielleicht nicht zufällig  ; jedenfalls ist sie festtauglich  : »[…] wenn wir ein öffentliches Leben erlangen, wozu alle Klassen des Volks in ihrem Kreise mit gehören, wo das unmittelbare Wort regiert für die tote Schreibfeder  ; wenn jemals die Zeit wieder kommt, wo es Volksfreuden, Volksjubel und Volksfeste gibt, wo alle Stände, alle Klassen sich zusammenleben und zusammenlieben, dann ist ein neuer Tag für die teure Muttersprache aufgegangen, […]« (WES, 209 und 216/217  : Arndt). 298 HPK,14 und 37. Eine Figuration des Sündenbocks ist in diesem Zusammenhang weniger Sigismund als Julian, der als tragischer Held firmiert, indem er gegen die losgelassene Revolte anreitet.

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den werden. Wenn Rang den Karneval als »revolutionäres Attentat gegen alle sittlichen und staatlichen Schranken« bezeichnet, das »politische Körper zerfetzt« und – hobbesianisch – in einem »Toben aller gegen alles«299 münden sieht, entspricht das der Lage der letzten beiden Aufzüge im Turm bis zur Ankunft des Kinderkönigs recht genau. Auch diese lässt sich noch als das Kommende aus der Dynamik des Karnevals erklären (vgl. dazu anschließend 4.4). In diesem »Toben aller gegen alles«, als welches der Aufstand der Massen auch bezeichnet werden kann, hat Olivier, der »Popanz, der zum Wortführer geworden« also die Macht ergriffen  : »Nicht gesetzlich, nein diktatorisch  : über Bundesgenossen, über gleich-freie Griechen, die dem Bann der rauschenden Rhetorik unterlagen«, gelingt dies auch dem Karnevals-Demagogen bei Rang gegenüber dem zunächst siegreichen Volk  : »Das Volk des Dramas prägt das Drama seines Siegs sich verklärend ins Bewußtsein, indem es ihn in die besondere Präge zurückführt, die es dem Karneval-Spektakel von Schicksalswegen [sic] kraft seiner Geschichte geben gemußt. […] Als es der heulenden Beklommenheit, dem gärenden Brausen, dem wüsten Halloh, dem gräßlichen oder lasziven oder läppisch-glücklichen Lachen und den paar sprunghaften Witzen und StegreifAnsprachen des hinter dem Wagen des glückhaften Schiffs einhertollenden Chöre, als es dieser schreiend unberedten Disharmonie Rhythmus, Melodie und Harmonisierbarkeit eingoß, indem es dem Braus einen Text unterlegte, der den Sinn des Unsinns aussprach, der den verworrenen Lärm zu klarem Ton umbefahl […]« (HPK, 25 [Hervorh. A.M.])

Hierbei ist an die oben bereits referierte Szene nach dem Zusammenbruch aller Repräsentation zu denken. Zunächst noch nähert sich die Menge mit wüsten Rufen  : »Jetzt brüllen die Höllenteufel deinen Namen« (Anton, IV ), dann übernimmt Oliviers Bande die Führung und es kommt zum blutigen Fastnachtspiel eines Schauprozesses, welcher allerdings der Sinnverkehrung frönt (und noch keinen »klaren Ton« befiehlt)  : »verdeutsch ihnen den Galimathias  !« lautet der Auftrag Oliviers an seinen Schreiber, das Volk zu belügen. Jeronim verdreht Sigismunds für die Menge unverständliche Worte bzw. erfindet Passendes im Sinne einer Propaganda des »tyrannischen Anti-Tyrannen-Wortes«. Dazu passt auch, dass Olivier Sigismund auf einem Ochsenwagen – »dem car naval der Autoritätslosigkeit« – als seinen Propagandisten und »Dionysos-Götzen« durchs Land fahren und ihm ins Wort trommeln lassen möchte, wo er ihm zuwider reden sollte.300 299 HPK, 31 und 27. 300 HPK, 26, 25 und 36. Dieser letzte Plan zitiert möglicherweise folgende Stelle der Karnevals-

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Die entsprechende Motivik des Dionysischen um Sigismund (v. a. als Zuschreibung von Seiten des Volkes) wurde bereits erwähnt. Olivier erscheint hingegen als »Dämon der Trunksucht«, »dummer Teufel«, »Welt-Possenreißer, der »Sitte und Ordnung zu zerschlagen sich erdreistet«.301 Dieser dionysische Rausch im Zeichen des Stiers, zielend auf die »Sintflut eines Wein- und Blut-Bads« endet in dieser Szene vorerst in »nihilistischem Wahnsinn«,302 der Endstufe von Julians Verzweiflung, welcher sein ganzes politisches Trachten pervertiert sieht. Die Masse erscheint dem Sterbenden geradezu als soziales Geschwulst, das die durch Repräsentation gewährleistete politische Ornamentik überwuchert  : »Klumpen ihr, wandelnde  ! Beim Licht dieser Fackel, die mir eure scheußlichen Gesichter zeigt – ich will über euch lachen, ohne daß ihr mich kitzelt  !« ( Julian, IV ).303 Julian, der – durchaus nun im karnevalesken Sinn – »das Unterste nach oben gebracht« hat, will die Menge Aufständischer, die er selbst in Gang gesetzt hat, zumindest noch mit der Gewalt des Lachens »das nicht zum Lachen ist« abstrafen, die Rang auf den ursprünglichen Sparagmos, das Zerreißen des Opfers im dionysischen Kult, zurückführt. Nicht geistig, sondern tatsächlich körperlich zerrissen ist allerdings Julian selbst, da er der anstürmenden Masse, »dieser schreiend unberedten Disharmonie« unterlag, ohne ihr einen Text unterlegen, »den verworrenen Lärm zu klarem Ton« umbefehlen zu können.304 Die »Klumpen« ließen sich in Zusammenhang mit dem »Erdmutter-Kult« des dionysischen Rausches verstehen. Mit Olivier wiederum, von Sigismund mit »Stiernacken« und »Gebiss eines Hundes« charakterisiert, könnte man die Ausführungen Rangs zum Zähnefletschen in Verbindung setzen  : »des Hundes stummes Fletschen« weist erhebliche Nähe zu jener schon zitierten Notiz »fletschst du dein unflätiges Hundsgebiss  ?« (Sigismund zu Olivier) auf.305 Schrift  : »Ohnmächtige, die nicht mucksen durften, setzten sie an den Herren-Tisch, ließen sie sich sattfressen und übervoll trinken, um sich von ihnen kitzeln zu lassen mit der Andeutung, daß es Herren gäbe, die man mit Fußtritten heimschickte, wenn sie sich beifallen ließen, lästig zu werden, wenn sie sich etwas herausnähmen, das an wirkliche Herrschaft grenzte.« (HPK, 36). 301 HPK, 32, 35, 26 und 29. 302 Jew. HPK, 31. 303 »Ihr Eckzähne wie von Wölfen, ihr Schweinsrüssel, Schweinsstirnen Erdklumpen ihr, wandernde – «  ; »auch wenn du ein riesiger Erdklumpen bist  ! Denn noch | vor mir todtem Mann weichst du zurück wie die Schafherde vor dem Hund.« (SW XVI.1, 340). 304 Zuvor  : HPK, 9 und 10. »dieser schreiend unberedten Disharmonie« (der Oliviers in den dichterischen Fassungen) könne durch das Wort des Volkes (so ist der Abschnitt tatsächlich auszulegen) »Rhythmus, Melodie und Harmonisierbarkeit« eingegossen worden – dies scheint Sigismund nach Abzug Oliviers zu gelingen. 305 HPK, 24 und 35  ; zu letzterem Notat vgl. Ausführungen oben unter 4.3.

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»Urwesenszug des Karneval« ist nach Rang ein grässliches »Hohngelächter« (ebd.), das im gemilderten Spott der Narren fortgelebt habe.306 Denn dieses Lachen ist eigentlich ein »Beißen-Wollen […] das sich, leider  !, begnügen muß, den Gemeinten anzubellen, statt mit den Zähnen zu zerreißen, das ihn aber geistig zerreißt«. Dieser Zug weist auf Benjamins »höllische Lustigkeit« des Intriganten voraus (vgl. hierzu 5.2). Ein solches Hohngelächter holt den siegreichen Sigismund in der ›Zombie-Szene‹ im Zelt mit der mänadenhaft rächenden Zigeunerin ein  ;307 der ›Totentanz‹ der von ihr aus dem Boden308 Herbeigerufenen (Basilius, Julian, Olivier) markiert die »Durchbruchstelle dämonischer Gewalt« inmitten der Ordnung des Heereslagers. »Tanz-Orgien« von Gerippen, Untoten und Dämonen zitieren die »Unterstufe von Religion«, in welcher Sigismund sich auszukennen glaubt, jedoch (vermutlich) im Griff nach dem vermeintlichen Rossknochen den letalen Schnitt in die Handfläche erhält und zur Ader gelassen wird (tödlich ist allerdings das Gift). Walter Benjamin, der beide Texte gut kannte, hat darum in seiner Rezension auch davon gesprochen, der Prinz werde von dem materiellen Urgrund, dem er entstamme, eingeholt  ; der gelt-Bezug ist jedenfalls im Blutverlust abermals hergestellt – und damit auf andere Weise auch Adam Müllers Postulat erfüllt, der Staatsmann müsse zum höheren Geld der nationalen Gemeinschaft werden.309 Zugleich ist mit der Szene im Zelt das räumliche Schema von inkludierter Ausnahme, Grenze und Überschreitung, das zuvor Sigismund aus dem Turm hinausführte, in der Wiederholung des Banns auf ein Inneres hin erneut durchgeführt (den Urspung der Figur). Oliviers Abgesandte erscheint damit fast als eine Inkarnation jenes »ausschlürfenden«, blutsaugenden Prinzips der mythischen Gewalt politisch souveräner Sprache (Bann), die nun Sigismund – den in dieser metaphorischen Schließung perforierten Sprachleib – zum Opfer fordert.310 306 HPK, 8. Diesen »Urwesenszug« der Maskerade leitet Rang aus der Doppeldeutigkeit des arabischen »mascara« ab, das Verkleidung, aber auch Verspottung (oder beides zugleich, also eins durch das andere) bedeutet (vgl. HPK, 8/9). 307 Welche übrigens in der zuvor besprochenen Szene bereits einen kleinen Auftritt (mit dem Waschbecken) hat. Zuvor HPK, 10. 308 Am Boden zu »horchen auf ein tieferes Rauschen der Tiefe« empfiehlt auch Rang zur Klärung des chtonischen Ursprungs des Karnevals (HPK, 19). 309 Zuvor  : HPK, 32 und 20. Vgl. GS III, 33  ; Der Turm  : »Sigismund geht zugrunde. Die dämonischen Gewalten des Turms werden seiner Herr. Die Träume steigen aus der Erde auf und der christliche Himmel ist längst aus ihnen gewichen.« Zu Adam Müller vgl. Köller, Metaphorische Alternativen  ; op cit, 475f. 310 Foucaults Bestimmung der (klassischen) Diskursmacht bleibt übrigens deutlich hinter dieser

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Die Zigeunerin, die ihm »Gesichte« und »das Erdenklichste an Schrecken in den Weg« wirft, und versucht, ihn gewissermaßen im Finale bzw. Fanal der Anarchie zu »besudeln mit allem Gift und Geifer schmählicher Rache-Tücke  : mit stinkender, mit markverzehrender Krankheit, mit Irrsinn, Verrat, Blut-Schuld […]«, trifft ihn aller vermeintlichen Überlegenheit entgegen mit ihrer »teuflische[n] Lache« doch. Weil er Repräsentant des Interregnums ist, muss der durch den Schnitt tödlich vergiftete Sigismund, zuvor das ordnende Element in der Unordnung,311 dem in Rausch und Chaos überwundenen Olivier folgen und aus der Welt weichen. Bevor er verstirbt, gestattet ihm das Szenar jedoch ein staatspolitisches Vermächtnis, wie es oben analysiert wurde. Was folgt, ist die (nicht rauschhafte) Ekstase der Gemeinschaft durch das Opfer.312 vampirischen Setzung magischer Sprachgewalt zurück  : »An dem Punkt des Zusammentreffens der Repräsentation und des Seins dagegen, dort, wo sich Natur und menschliche Natur überkreuzen – an jener Stelle, an der wir heute die ursprüngliche, unabweisbare und rätselhafte Existenz des Menschen zu erkennen glauben –, läßt das klassische Denken die Macht des Diskurses auftauchen. Das heißt  : der Sprache, insofern sie repräsentiert – die Sprache, die die Dinge benennt, zerschneidet, kombiniert, verknüpft und entknüpft, indem sie sie in der Transparenz der Wörter sichtbar macht.« Michel Foucault  : Die Ordnung der Dinge. Eine Archäologie der Humanwissenschaften  ; Frankfurt/Main 1974. 375. 311 Oder auch  : das »gesetzliche« Element der »Gesetzlosigkeit« (HPK, 13). Zuvor  : HPK, 10, 19, 41. Der Konvolutumschlag 26.91 (Oktober/November 1924) trägt die Aufschrift »V. Scene der Zigeunerin/Text«. Darunter zählt Hofmannsthal seine Bezüge für diese Szene auf  : »Sprichw. Malleus malef. Geiler./Pannwitz Elf. G. Heym. Brecht  : Baal/Eduard II/Essig  : Überteufel.« (SW XVI.1, 199). Einschlägiger als dieses Kompendium ist aber der Hinweis in SW XVI.1, 171/173 und SW XIX, 426  ; Erläuterungen Phokas  : Ferdinand Ossendowski  : Tiere, Menschen und Götter  ; Frankfurt/Main 1923. Diese Texte dienten jedoch in erster Linie als Kolorit. Dramaturgisch ist diese ›Zombie-Szene‹ aber vor dem Hintergrund einer blutig-karnevalesken Verkehrung der Welt zu lesen. 312 Was die düstere Verwendung des tradierten Topos’ einer Übergangsfigur zumindest entpolitisiert  : Die Zigeunerin ist durchaus als poetologisch konzipierte Gestalt zu begreifen  : Die Nähe zur Hexe von Endor aus dem ersten Buch Samuel ist auffällig  ; deren Totenbeschwörung für den gottverlassenen Saul (der am folgenden Tag dem neuen König David unterliegen wird) ist hier direkt zitiert. Eine solche Konnotation bzw. Ableitung des poetischen Ingeniums findet sich auch in der Norne in Georges Gedicht Das Wort (»so schläft hier nichts auf festem Grund«). Ralf Simon schreibt hierzu, die Norne sei im Prinzip eine degradierte Muse, da sie dem Dichter bzw. Subjekt des Gedichts nur solches bringen könne, was in ihm selbst angelegt sei  : Ralf Simon  : Das Wasser das Wort. Lyrische Rede und deklamatorischer Anspruch beim späten Stefan George  ; in  : Wolfgang Braungart et al. (Hg.)  : Stefan George  : Werk und Wirkung seit dem »Siebenten Ring«  ; Tübingen 2001. 48–68  : 62. Inwiefern andererseits der Kinderkönig als Teilhabe am Mythos Maximins zu deuten ist, kann hier nicht geklärt werden. Simon schreibt auch, George habe seine »eigne Souveränität, den unbedingten Machtwillen« an diesen abgegeben (ebd., 54). Diesbezüglich sei auf

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»Da ertönt über das Hohn-Lachen, da ertönt über das Hohn-Wort der Elenden, Geschändeten, Betrunkenen ergreifend aus ihrer letzten Begeisterung ein unerhört neues Wort, ein sich erhörendes Gebet  : die Evokation eines Helfers wider das Schicksal, eines hochzeitlichen Gottes, der Geist und Seele in ihrem Widerstreit befriedigend vereine, nicht in einem faulen die Kraft auflösenden Frieden, sondern durch die Pforte der Passion hindurch in den passionierten Triumph.« (HPK, 41)

Ein »Helfer wider das Schicksal« ist im Turm zunächst Sigismund, welcher hier allerdings durch die »Pforte der Passion hindurch« (die er mit dem Schwert nicht öffnen kann) den »passionierten Triumph« im Kinderkönig nur noch erahnen kann. Dieser wiederum sieht jenen »hochzeitlichen Gott« in den Zügen des sterbenden Sigismunds »auf die Schwelle« treten. Es ist damit Rangs teils komplizierter Darstellung des Karnevals jedenfalls eine Dialektik des Rausches zu entnehmen, der nicht nur als chthonischer rein negativ, sondern in seinem befreienden, entgrenzenden Impetus auch im Sinne eines Fortschritts der Menschheit interpretiert wird.313 Für eben diese Linie steht im Turm der Kinderkönig. Rang schreibt, das rauschhaft-anarchische Wesen sei dem Geist zu erhalten, weil dies einzig zur »Außerordentlichkeit« führe  ; Geist ist ihm daher weniger vernunft- als passionsgebunden. Eine »Passion bis zur Revolution« kann man Julian und dem Arzt vor dem Hintergrund eines »Kriselns« in »schütterer Zeit« am Ende des dritten Aufzugs/Aktes aller Fassungen durchaus unterstellen.314 Diese Außerordentlichkeit, die im »Triumphzug des Dramas« zum Sieg über die Ordnung, zur Perforation des Vernunft-Systems aufgeklärter Menschlichkeit gerät, bezeichnet durchaus in einem weitaus grundsätzlicheren Sinn auch den Moment des Heraustretens aus der Ordnung und das Szenario des Ausnahmezustands. Dieses kann aber in seinen paradoxalen Zügen vor diesem Hintergrund nicht geklärt werden  ; der Schmittsche Souveränitätsdiskurs ist für konkrete Inszenierungen wesentlich einschlägiger anzuführen. einen weiteren Beitrag dieses Bandes hingewiesen  : Nina Gutschinskaja  : Sprache als Prophetie  : zu Stefan Georges Gedichtband »Das neue Reich«  ; in  : Stefan George, op cit, 114–124. 313 Vgl. übrigens in diesem Zusammenhang auch die Ansprache des Bannerherren (SW XVI.1, 131  ; ohne Kommentar in den Erläuterung der Kritischen Ausgabe). Zur Dialektik des Rausches vgl. HPK, 23/32. 314 Zuvor  : HPK, 34  ;7. Dass aber die Passionen ebenfalls einer »Kritik der Sinne« bedürfen, welche Goethe in den »Betrachtungen im Sinne der Wanderer« (Goethe, Werke, HA, Bd. 8  ; op cit, 287) als Korrektiv einer »Kritik der Vernunft« beigesellen wollte, dürfte den Goethe-Kennern Hofmannsthal und Rang durchaus bewusst gewesen sein. »Alles was unsren Geist befreit, ohne uns die Herrschaft über uns selbst zu geben, ist verderblich.« (ebd., 293).

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Die Bezugnahme auf Rang, also die Einbettung des politischen Geschehens einer »Staats-Tragik« von weltgeschichtlichem Ausmaß in eine verdeckt karnevaleske Dynamik, bedeutet aber einen großen Einwand gegen die Annahme einer rein positiven Dramatisierung der charismatischen Herrschaft bereits in diesen Fassungen des Turm. Diese folgt vielmehr der beobachteten Dialektik des Rausches kollektiver Ekstase des Karnevals. Dieser Befund ließe sich mit Blick auf Rangs Ausführungen zur Freundschaft und Staatskritik in seinem Kommentar zu Shakespeares Sonetten und in Deutsche Bauhütte wahrscheinlich noch ergänzen  ; Hofmannsthal las beide ebenfalls 1923 und 1924. Stärker haben sie sich dann allerdings über die (oder besser gesagt  : innerhalb der) Bezugnahme auf Benjamin – der sie ja nicht nur chronologisch vorausgehen315 – in der Bühnenfassung ausgewirkt. Der zeitweilige Pastor Rang hat sich ja übrigens auch dezidiert und kenntnisreich mit der geschichtlichen Entwicklung des Protestantismus befasst  ; dieser Bezug tritt daher in Konstellation mit dem Webers und wirkt sich über die Idee anarchischer Gemeinschaft als Variante charismatischer Herrschaft auch auf die politische Makrostruktur des Trauerspiels aus.316 Dass die Erläuterungen der Kritischen Ausgabe etliche Christus-Anspielungen für die Sterbeszene verzeichnen, lässt nochmals an eine Übertragung von Nietzsches Formel des »römischen Cäsar mit Christi Seele«317 auf Sigismund denken, die übrigens auch Max Weber geläufig war.318 Aufschlussreich ist hier auch eine Notiz Hofmannsthals zur politischen Wirkungsabsicht des fünften Aufzugs, die allerdings Rangs Ablehnung des Heldentums nicht teilt  : 315 So dürfte die christliche Deutung des Hamlet im Ursprung des deutschen Trauerspiels von Rangs Sicht auf Shakespeare, der Christ beeinflusst sein. Unter diesem Titel gab Rangs Sohn Bernhard in den fünfziger Jahren jene Texte vorwiegend zu den Sonnetten Shakespeares heraus, die Rang 1923 Hofmannsthal für die Neuen deutschen Beiträge angeboten hatte. Lorenz Jäger ist dieser Verbindung in seinem Buch Messianische Kritik. Studien zu Leben und Werk von Florens Christian Rang (Köln, 1998) sehr detailliert nachgegangen. Vgl. auch Jürgen Thalers schon zitierte Studie zu Rangs Karneval. 316 »Denn wir stehen am Ende des Protestantismus  ; wir müssen ihn töten, indem wir ihn vollziehn.« (Rang, Shakespeare und unsere Religion, zit. n. Jäger, Messianische Kritik  ; op cit, 128). Jäger referiert, der Protestantismus habe sich in Rangs Sicht (der ja seinen Dienst als evangelischer Pastor suspendiert hatte) als »leibloser Geist« zu Körper und Kreatur zurückgewendet. Auch der deutsche Idealismus erschien Rang als »Geist-Despotie« (ebd., 137). 317 Vgl. z. B. SW XVI.1, 554  : Erläuterungen  ; Friedrich Nietzsche  : Werke in drei Bänden  ; hg. v. Karl Schlechta  ; Bd. 3  ; München 1954. 422. 318 Vgl. Kurt E. Beckers recht ungnädig mit Weber verfahrende Studie  : »Der römische Cäsar mit Christi Seele«  ; Max Webers Charisma-Konzept. Eine systematisch kritische Analyse unter Einbeziehung biographischer Fakten  ; Frankfurt/Main 1988.

Von der charismatischen zur resakralisierten Legitimität

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»Es handelt sich um das Ideelle an u. für sich im didaktischen wie in jedem andern Sinne auch. Dabei darf das Ideelle nicht in den (während polit. Katastrophen um sich greifenden) Scheinbegriff des Programmatischen verfallen, sondern es muß sich auswirken als das Mythische des heroischen Menschen überhaupt u. in seiner Wirkung innerhalb der Zeit nicht meßbar noch lesbar sein sondern völlig bestehen in der großen dramatischen Haltung des Helden gegen die Gewalt der Umstände. (Les circonstances ont été toujours plus fortes que moi.)«319

4.4 »Die leben, haben mich über sich gesetzt« – Von der charismatischen zur resakralisierten Legitimität (Herrschaftsformen II) »Das ist wahre Symbolik, wo das Besondere das Allgemeine repräsentiert, nicht als Traum und Schatten, sondern als lebendig-augenblickliche Offenbarung des Unerforschlichen.« (Goethe, Maximen und Reflexionen, op cit, 471) »Wo Kinder sind, da ist ein goldenes Zeitalter« (Novalis, Blüthenstaub  ; zit. n. SW XVI.1, 161)

Dieser heroische Mensch, dessen Mythos sich aus dem Kampf und dem Unterliegen seiner Souveränität gegen die Zeit äußert, ist Sigismund. Hofmannsthal spricht an einer Stelle von der Rache des »Stofflichen« an ihm, welcher er als Schwellenfigur eben nicht entgehen kann. Im hochtheatralisch, aber recht unblutig dargestellten Dahinscheiden, das mit dem Eintreffen des Kinderkönigs als neuem Souverän einer »erfüllten Zeit« zusammenfällt,320 gerät der Tod des charismatischen Heros, der sich auch mit dem Schwert kein Loch in die Zeit mehr zu schlagen vermag, zum Opfer-gelt für die nun kommende Gemeinschaft aller Lebenden.321 Das moderne Konstrukt der charismatischen Herrschaft wird 319 SW XVI.1, 465 [Hervorh. A.M.]. Vgl. hierzu die Aussage des Kinderkönigs über Sigismund  : »[…] In der Zeit könnt ihr diesen nicht messen  : aber ausser ihr, wie ein Sternbild.« (SW XVI.1, 139). 320 Zuvor  : »Rache des Stofflichen, Mütterlichen, Zeitgebundenen.« (SW XVI.1, 172). Zum Messianismus der erfüllten Zeit  : Altenhofer, Ironie  ; op cit, 61. 321 Vgl. SW XVI.1, 137. Damit ist diese neue, ebenfalls in der Bewegung gelebte Ordnung der ›Todesgemeinschaft‹ Sigismunds diametral entgegengesetzt. Hierdurch wird nochmals Hofmannsthals durchaus bestehende Distanz zu seiner Hauptfigur deutlich (vgl. hierzu auch die Variante N 235, SW XVI.1, 427). Darauf deutet auch die »Reflexion dass Männer sich nur zum Sterben

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als das, was sich Hofmannsthal als Form des (sprachlichen) Übergangs politischer Organisation durchaus vorstellen konnte, im Martyrium des Helden resakralisiert und abgelöst. Dieser Übergang vollzieht sich somit abermals am bzw. im Körper des Helden, am political body, der jetzt wieder ganz sterblicher Leib wird. Sein Name hat nunmehr als das »erlösende Wort«322 die endgültige Einung des Disparaten, die Umformung der Masse zur Gemeinde zu garantieren  : »DAS VOLK Sigismund  ! Bleibe dein Name bei uns  !« Hofmannsthals Absicht hinter dieser Resakralisierung des in Sigismund zur Ruhe gekommenen Politischen, in der man mit Rücksicht auf Hofmannsthals Überlegungen zu einer Renovatio der Pietas in der Sprache auch christologische Züge erkennen kann, ist abschließend zu klären. Dieses Kapitel könnte daher aus guten Gründen auch mit »Der Übergang zur Reichszeit« übertitelt werden. Denn die von Bloch in einem »innerlich sonnenlosen Weltalter« geforderte »doch […] irgendwie sittlich und phantastisch konstitutive Kraft, die endlich vollkommen Ernst macht […]« mit einer gewaltfreien Herrschaft, zieht hier nun in einer Gestalt mit Anleihen an den »Christos imperator« in den Schauplatz ein.323 Es bedeutet jedoch nicht die Entstehung einer retheologisierenden ecclesia, wie Hebekus sie für die liturgische Bewegung der »katholischen Klassik« ausgeführt hat als »vollständige Durchbildung der Form von Gemeinschaft« (und schon gar keiner staatlich-militanten).324 Sondern dievereinigen können.« (SW XVI.1, 419  ; Varianten) hin, die durchaus Nähen zu Rangs Texten aufweist  : »Staat gewann den Deutschen heiligen Sinn  ; Reich ward ihnen Entschluss Opfer-Tods in Gemeinschaft. Die königliche Mannenschaft Deutschlands stand in der Tragik. […] Bewundern wir den Helden-Staat, klagen, dass er verdarb – aber vergessen wir nicht seine Entsetzlichkeit  ! Seinen Frevel  ! Was will der Opfer-Tod-Sinn der Männer  ? […] Sie üben schwarze Magie  ; ihre Tragik legt eine Schlinge für Gott  ; ihr Opfer will ihm seine Freiheit abkaufen.« (Rang  : Shakespeare und unsere Religion  ; zit. n. Jäger, Messianische Kritik  ; op cit, 139/140). 322 »Erlösendes Wort«  : Hofmannsthal  : Der Dichter und die Leute. Notizen zu einem Vortrag  ; mitgeteilt von Leonhard M. Fiedler  ; in  : HJB 3/1995. 7–18  : 13  ; SW XVI, 1, 123. Auch Rang verwendet diese Formulierung. 323 Ernst Bloch, GdU, 361 und 363. Bloch steht hier beispielhaft für die messianische Haltung einer nicht zu vernachlässigenden Gruppe v. a. deutscher und österreichischer Intellektueller nach Ende des Ersten Weltkriegs, die Hofmannsthal mit seiner ›jugendbewegten‹ Inszenierung erreichen wollte. Entsprechend eschatologisch hat noch nach dem Zweiten Weltkrieg auch Otto Freiherr von Taube die dichterischen Fassungen interpretiert wissen wollen, Hofmannsthal hätte statt dem Kinderkönig auch den zurückgekehrten Christus auftreten lassen können. (vgl. SW XVI.2, 491 [1951]). Vgl. zum ›Mitteleuropa-Messianismus‹ auch Le Rider, Historismus und Moderne  ; op cit, 233 f. 324 Uwe Hebekus  : Katholische Klassik  ; in  : Ders./Matala de Mazza/Koschorke (Hg.)  : Das Politische  ; op cit, 56. Vgl. zum Sinn des Opfers auch Nicolaus, Souverän und Märtyrer  ; op cit, 115 f., die darin die Grundlage für eine neue Verfassung vermutet.

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ser Dramenschluss trägt neben den Zügen einer romantischen Literaturutopie durchaus auch dem »Geist der Antike« Rechnung, dem »Mythos unseres europäischen Daseins«, welchem »die Kreation unserer geistigen Welt (ohne welche die religiöse nicht sein kann)« dient, als »Setzung von Kosmos gegen Chaos, und er umschließt den Helden und das Opfer, die Ordnung und die Verwandlung, das Maß und die Weihe.« Dies fasst Hofmannsthal mit dem »unverweslichen Wort Humanismus«, die entstehende ecclesia ist eine literarische.325 Der hier komprimiert zitierte Nexus von Opfer, Ordnung und deren Verwandlung ist für den Dramenausgang von entscheidender Bedeutung. ›Ordnung‹ ist hierbei aber nicht automatisch mit einem staatlichen oder staatsähnlichen Gebilde gleichzusetzen  ; die Inszenierung hält die Bezüge spiritueller Gemeinschaft im Spiel. »Nicht Staat, nur Gemeinde kann rechtmäßiges Subjekt gemeinschaftlichen Bodenbesitzes, nicht Staat, nur Genossenschaft Subjekt gemeinschaftlicher Produktion werden. Nicht in der Gesellschaft, nur in Kameradschaften kann neue Sitte wachsen, nicht in der Kirche, nur in Brüderschaften neuer Glaube gedeihen.« (Martin Buber  : Pfade in Utopia, 273)326

4.4.1 »Et renovabis faciem terrae«. Das Fest der Gemeinschaft »Sanfter wurden die Worte gebunden, die Töne zum Rhythmus geordnet  : die Sprache floss in einen volleren Strom, die Bilder derselben in eine angenehme Harmonie  : sie stiegen sogar zum Wohllaut eines Tanzes. Und so ward jenes einzige Gepräge der […] Sprache, das nicht von stummen Gesetzen erpresst […]« (WES, 104  : Herder)

Der »Sinn des Begründens«, den sich Sigismund zuvor selbst attestiert hat, scheint also einer dem »Gründungstheater« (Vogl) spezifischen Ökonomie des 325 RA III, 15/16  ; Vermächtnis der Antike. Vgl. hierzu auch  : »Die Kultur, die uns trägt, und an der, wie an den Planken eines alten Schiffes, der gewaltigste und anhaltendste Sturm seit einem Jahrtausend jetzt rüttelt, ist in den Grundfesten der Antike verankert.« (RA II, 156  : Neumann). 326 Martin Buber  : Pfade in Utopia. Über Gemeinschaft und deren Verwirklichung  ; Heidelberg 19853. (261–312). In Hofmannsthals nachgelassener Bibliothek befinden sich zahlreiche Bände Bubers, der ihm auch einen bedeutenden – und kritischen – Brief zum Turm geschrieben hat und damit Einfluss auf die Umarbeitung 1926 nahm (vgl. zu diesem Brief vom Mai 1926 SW XVI.2, 442). Von besonderer Bedeutung ist auch dessen Gemeinschaftsdenken  ; denn die neue Gemeinschaft geht aus Wahlverwandtschaften hervor (vgl. Buber, Pfade in Utopia  ; op cit, 266). Auch Benjamins Aufsatz zu Goethes berühmtem Werk wäre also einmal im Hinblick auf eine implizite ›Gemeinschaftstheologie‹ – und deren Symbolik – zu lesen. Das ist hier in Bezug auf den Turm punktuell geschehen.

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Opfers verpflichtet. Das Opfer des »Zwischenkönigs« – der dieses aber entgegen Hebekus’ Annahme keineswegs freiwillig erbringt – »[…] soll dafür einstehen, dass der symbolischen Ordnung des Politischen jene substantielle Deckung zurückerstattet wird, die ihr unter der Herrschaft Basilius’ abhanden gekommen war«.327 Einschränkend muss jedoch ergänzt werden, dass die alte symbolische Ordnung zuvor vollständig zusammenbrach und hier eine neue an ihre Stelle tritt, deren Ermöglichungsbedingung Sigismunds Tod ebenso ist, wie er ihr als Verlustgemeinschaft Geltung verschafft. Die von Hebekus festgestellte »substantielle Deckung« der Ordnung wurde ja bereits mit der Kür Sigismunds zum »legitimen König« wiederhergestellt, nur eben nicht zur Gänze gegen das Chaos durchgesetzt. Auch Hebekus kommt zu dem Ergebnis, dass auf dieses hier kein hobbesianischer Gesellschaftsvertrag folge – er geht stattdessen davon aus, dass das Procedere »innerhalb eines modernen Diskurses des Archaischen« stehe.328 Dieser Schlussfolgerung ist allerdings zu entgegnen, dass das Opfer des Herrschers nun gerade nicht einer Archaik der Moderne zuzurechnen ist, denn Sigismund wird ja weder hingerichtet, noch opfert er sich im Namen der alten oder neuen Ordnung selbst  ; es gibt in dem Sinne auch keine Hamartía, die dieses Resultat – mit Benjamin das Schicksal als Entelechie (des Geschehens im Felde) der Schuld – nach sich zöge.329 Sein Tod soll hingegen offensichtlich die durch Julians Pakt mit den acherontischen Kräften freigesetzte Archaik des Naturzustands in sich zurück und aus der Welt nehmen, in welche er hinein geboren wurde. Von hier aus lassen sich auch seine letzten Worte  : »Hier bin ich, Julian  !« erklären. Es ist also vielmehr zu betonen, dass die sich bildende Gemeinschaft nicht »mit der gewaltsamen Tötung des Oberhauptes und der Umwandlung der Vaterhorde in eine Brüdergemeinde zusammenhängt«. Diese Situation bestimmte eher die Szenerie des vierten Aufzugs mit dem Wüten gegen Julian. Hier ist es hingegen der 327 Uwe Hebekus  : »Woher – so viel Gewalt  ?«  ; op cit, 152. Diese von Hebekus erwähnte »Symbolordnung des Politischen«, wie sie der Turm einzufangen und in ihrem Umbruch darzustellen sucht, ist jedenfalls nicht mit der Ordnung der Institutionen als der Semiotik der Macht eines verfassten Zustands zu verwechseln. 328 In seiner Habilitationsschrift von 2009 nimmt Hebekus eine deutlich distanziertere Haltung gegenüber Hofmannsthal ein. Zitat oben  : Hebekus, Ermächtigung  ; op cit, 291. In Konzentration auf Hofmannsthals »Poetik des Archaischen« (ebd., 290) verschweigt Hebekus jedoch, dass gerade der hobbesianische Staatsvertrag in Errichtung jener Grenze zwischen Natur- und Kulturzustand Opfer fordert. Zur Opferthematik bei Hofmannsthal und besonders im Turm vgl. auch Nicolaus, Souverän  ; op cit, 83 ff. 329 GS I 1, 308  ; Trauerspiel. Sondern »Sühne nämlich ist, im Sinne der mythischen Welt, die der Dichter beschwört, seit jeher der Tod der Unschuldigen.« (GS I 1, 140  ; Wahlverwandtschaften).

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Tod des Sohnes, der dem des Vaters folgt (und ihn sublimiert) und dessen Geist die Hinterbliebenen als Verlustgemeinschaft zusammenschweißt. Sigismund stirbt nicht als Sündenbock, nicht als Mensch, der die Maske des Widders zu tragen hatte.330 Die darauf folgende Konstitution der Gemeinde ist darum keine exkludierende, die sich qua Feindbestimmung selbst setzt, sondern eben die integrale des Festes, die sich im neuen Herrscher verkörpert – »Kinderkönig  : Ich bin, indem ich keine Grenzen kenne«.331 »Die kanonische Form des mythischen Lebens ist eben das des Heros. In ihm ist das Pragmatische zugleich symbolisch, in ihm allein mit andern Worten gleicherweise die Symbolgestalt und mit ihr der Symbolgehalt des menschlichen Lebens adäquat der Einsicht gegeben.« (GS I 1, 157  ; Wahlverwandtschaften)

Dennoch ist es berechtigt, von einem Opfer zu sprechen,332 und zwar in poetologischer Hinsicht, denn Hofmannsthal greift mit Sigismund als Gestalt des mythischen Heroen auf seine frühere Analogie des Symbols zum Pekuniären zurück. In der Szene des sich zum sterbenden Sigismund hinabbeugenden Kinderkönigs wirkt sich das in den Notizen häufiger auftauchende Postulat Claudels (La Ville) aus  : »L’ordre réside dans le sacrifice. Il faut, que le sacrifice paraisse beau.«333 330 Zuvor  : Freud, Massenpsychologie, op cit, 100. Vgl. HPK, 39. 331 SW XVI.1, 377  : Kinderkönig. Dass dieser Ausspruch Notiz blieb, spricht für die Schwierigkeiten, die Hofmannsthal mit der Darstellung dieser »undarstellbaren Gemeinschaft« (Nancy) hatte. 332 Benjamins Fragen »Welche Tendenz verbirgt sich im Tragischen  ? Wofür stirbt der Held  ?« sind in diesem Zusammenhang nützlich  ; er hat sie – wahrscheinlich im Austausch mit Rang – selbst beantwortet  : »– Die tragische Dichtung ruht auf der Opferidee. Das tragische Opfer aber ist in seinem Gegenstande – dem Helden – unterschieden von jedem anderen und ein erstes und letztes zugleich. Ein letztes im Sinne des Sühnopfers, das Göttern, die ein altes Recht behüten, fällt  ; ein erstes im Sinn der stellvertretenden Handlung, in welcher neue Inhalte des Volkslebens sich ankündigen. Diese, wie sie zum Unterschiede von den alten todbringenden Verhaftungen nicht auf oberes Geheiß, sondern auf das Leben des Heros selbst zurückweisen, vernichten ihn, weil sie, inadäquat dem Einzelwillen, allein dem Leben der noch ungeborenen Volksgemeinschaft den Segen bringen. Der tragische Tod hat die Doppelbedeutung, das alte Recht der Olympischen zu entkräften und als den Erstling einer neuen Menschheitsernte dem unbekannten Gott den Helden hinzugeben.« (GS I 1, 285/286  ; Trauerspiel). Mit dieser Perspektive ließe sich Sigismunds Tod in den dichterischen Fassungen als tragisch bezeichnen. 333 SW XVI.1, 420  : Erläuterungen  : Claudel. Hebekus hat in dieser Thematik zu Recht eine Kontinuität zwischen dem Gespräch und dem Turm geltend gemacht, sieht darin aber nur die Kontinuität archaischer Gewaltausübung wirken (vgl. schon Hebekus, Woher – so viel Gewalt  ?, op cit, 152). Der Opferbegriff hat auch in Benjamins Wahlverwandtschaften-Essay zentrale Bedeutung. Ottilies Opfer wird hier als eines nach dem Gesetz der Schönheit interpretiert, das die nicht

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Damit das Opfer aber tatsächlich schön erscheinen kann, ist der Vorgang abweichend von der analogen Konzeption im Gespräch über Gedichte aufgeteilt. Der ›hässliche‹ Akt des Opferns findet in dem Sinne gar nicht statt und ist als Mordanschlag von der anschließenden Begründung der Gemeinde im Märtyrer – der zur Symbolgestalt vereinigten Fremd-Identifikation – zeitlich und räumlich getrennt und überdies möglichst unblutig inszeniert (ein Schnitt in die Hand, der schnell verbunden wird). Die Identifikation des archaischen Opferers mit dem Opfer, die im fließenden Blut ihr Medium fand, wurde von Gabriel zum Gleichnis für die Wechselwirkung der Poesie, auch des Helden auf der Bühne erklärt. Dies wird dahingehend zitiert, dass es dem Kinderkönig »bestimmt« ist, mit dem Sterbenden »Blutsbrüderschaft« zu schließen. Darin besteht das Annehmen des Opfers als Sacrificium, das, auf diese Weise zum sakralen Symbol veredelt, Besitz und Konstituens der Gemeinde wird. Die Anlehnung an Benjamins Formulierung in Kritik der Gewalt ist hier ganz bewusst gewählt  ; denn die mythische, Opfer fordernde Gewalt (»der Bannkreis des Mythos«) und die göttliche, Opfer annehmende Gewalt sind in den Figuren der Zigeunerin und des Kinderkönigs präsent.334 Wenn man in Anlehnung an die Definition des Beichtigers zum Souverän folgert, dass (in Sigismund) Souveränität und Sprache eins sind, so bedeutet die Unterscheidung der Gewalt seitens Benjamins auch einen Dualismus des Symbolbegriffs, der für den utopischen Ausgang des Turm entscheidend ist. Wo die Autorität mythischer Gewalt im Blutzoll ihren Tribut von den Lebenden fordert (»die Stetigkeit des Opfers«), nimmt die göttliche das Leben an und entdeckt »die Wahrheit im Wesen der Sprache.«335 Bei Rang heißt es mit gewisser Entsprechung  : eingelöste Liebe fordert  : »Dem Tod muß die Schönheit verfallen, die nicht in der Liebe sich preisgibt.« (GS I 1, 197/198  ; Wahlverwandtschaften). Ottilies Tod zelebriere das Opfer, das auch in der Entsagung der Ehe liegt, was Hebbel übigens als »Verstoß gegen die innere Form« wertete (ebd., 175 und 189). Hofmannsthal hatte diesen Essay Benjamins bei Abfassung des fünften Aufzugs bereits in den Neuen deutschen Beiträgen publiziert. 334 »Die mythische Gewalt ist Blutgewalt über das bloße Leben um ihrer selbst, die göttliche reine Gewalt über alles Leben um des Lebendigen willen. Die erste fordert Opfer, die zweite nimmt sie an.« (GS II 1, 200  ; Kritik der Gewalt). Die göttliche Gewalt sei »auf unblutige Weise letal.« (ebd., 199). Hofmannsthal könnte diese oben zitierte Unterscheidung über Rang bereits bekannt gewesen sein. Vgl. zum »Bannkreis des Mythos« und dem »Schicksal« als »Schuldzusammenhang von Lebendigem«  : GS I 1, 151 und 138  ; Wahlverwandtschaften). 335 »In der ungeheuern Grunderfahrung von den mythischen Mächten, daß Versöhnung mit ihnen nicht zu gewinnen sei, es sei denn durch die Stetigkeit des Opfers, hat sich Goethe gegen dieselben aufgeworfen.« (GS I 1, 164/165  ; Wahlverwandtschaften). »Wahrheit der Sprache«  : vgl. ebd, 197.

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»Im tragischen Bockspiel überwindet der Karneval sich selbst  ; der Rausch, der das freie Wort an sich gerissen, der seine Tollheit in das Hohngelächter und Hohnwort überschlagen, überschlägt dies noch weiter in das erlösende Wort, das den Weg bahnt zu der Tat, die den Hohn und Götter-Sturz und Götter-Mord aus dem Weh kehrt durch Erschaffung eines neuen Gotts  ; des Glaubens an eine neue Art Gott  : den Gott-Menschen.« (HPK, 37)336

Im vorangegangenen Kapitel konnte die Bedeutung der Karnevals-Schrift für die Konzeption v. a. der Revolutionsszenen im Turm verdeutlicht werden  ; auch die feierliche Stimmung der Weihe neuer Herrschaft zum Ende des Stücks kann in diesem Zusammenhang gelesen werden. Sie transferiert nach dem mundus traversus-Prinzip den vorigen Naturzustand in das anthropologische Fest  : »[…] bis zu dem trunkenen Frieden des saturnalischen Lachens, darin das Volk der Majestas selig alle Leiden der Passion hinter sich wirft  : der Passion, die es nicht genarrt, sondern zur Welt-Höhe der Menschlichkeit heraufgezwungen hat  !«337 Was in dieser hymnischen Ankunft der singenden Knaben begründet liegt, ist der endgültige Ausgang aus den agonalen Zirkeln der mythischen Gewalt des vormaligen »Wolfsrechts« (Sigismund, V). Sigismunds Tod ist daher tatsächlich als Aufhebung der Gewalt zu verstehen und nicht als bloße Richtungsänderung (da es ein gesellschaftliches Außen faktisch nicht mehr gibt). Die in ihm verkörperte begründende Gewalt wird im Moment der Stiftung neuer kultureller Ordnung in sich zurückgenommen und erstirbt.338 Wenn Bergengruen schreibt  : »Im paradoxalen Verhältnis der Souveränität – so die Logik der ersten beiden Fassungen – wird alles Böse aufgehoben« ist dem mit dem Vorschlag zuzustimmen, dass es heißen sollte  : ›Mit dem paradoxalen Verhältnis der Souveränität‹. Denn 336 »Alle Personen, alle Orakulanten dieser szenischen Gott-Beschwörung glühn ihre GlaubensKräfte zusammen – und siehe  ! Die Tragödie erlebt die Prophetie  : die Prophetie, daß der neue Gott erscheint, der die Begeisterung durchrettet in eben der Wende, da sie rettungslos enttäuscht und verloren scheinen muß  ; und nicht nur eben durchrettet, sondern herrlich hochhebt, da er sich selber über die Bühne erhebt […]« (HPK, 41). 337 Rang, HPK, 43/44. 338 Es ist damit eben keine Gewaltkontinuität gegeben, wie sie Hebekus ausführt  : »Der Übergang von Natur zu Kultur zeigt sich in der Schwellensituation des Archaischen als Bannung der ersteren durch die letztere. Deshalb muss der Akt der ›Gründung‹ von Kultur genau das Potential von Energie und Gewalt aufbringen, das auch den Naturzustand kennzeichnet, gegen den er sich richtet (…).« (Hebekus, Woher – so viel Gewalt, op cit, 150). Solch pragmatische Legitimation von Gewalt liegt hier jedoch begründet in ihrer Beendigung – der Akt der Gründung ist von der Permanenz der Kultur getrennt durch das Sacrificium, dessen Aufteilung in metaphorische Schließung und Symbolbesitz (wie ausgeführt) hierdurch reproduziert wird.

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das angenommene Opfer verhindert, dass »die Gewalt wieder immanent und gegenseitig wird« (Girard).339 Tatsächlich erscheint der Kinderkönig als zumindest transzendentale Gestalt, die überdies auf alle Waffen verzichtet – in Hofmannsthals dichterischen Fassungen des Turm ist es damit letztlich die politische Souveränität selbst, die geopfert und nur im Andenken an Sigismund heilig bzw. geheiligt wird – gleichsam in der symbolischen RePräsentation des pouvoir constituant, welchen jeder pouvoir constitué nur zitiert. Die reine, göttliche Gewalt ist eben diejenige, die das Opfer »um des Lebendigen willen« annimmt – wie es der Kinderkönig tut, aber nicht fordert.340 Nur hierdurch gelingt die Überschreitung des weltlichen Gewaltprinzips, wie es sich zuletzt im charismatischen Herrscher und souveränen Diktator Sigismund verkörperte, hin zur charismatisch-kommunistischen Brüdergemeinde, die als friedliche Anarchie freier Individualität aber eine andere Ausprägung bedeutet als die »kahl-abstrakte des politischen Westens«.341 »Wenn aber jetzt mit dem ungeheuren Kreisen, das nur unser stumpfes Ohr nicht hört, der Ring einer Revolution, eines Sonnenjahres zurückschließt, sei uns der zarte Ton des Glücks vernehmbar  : daß der Ring nicht mehr bindet, daß eine Fessel losward, und ein Fortschritt in die Freiheit sich dem Menschen zusingt.« (BW Rang, 442 [28. XII. 1923])

339 Vgl. zur sozialen Bedeutung des Opfers René Girard  : Das Heilige und die Gewalt  ; Düsseldorf 2006. 140 f. Zitat  : ebd., 390. Zitat Bergengruen  : Mystik  ; op cit, 178. 340 »Von neuem stehen der reinen göttlichen Gewalt alle ewigen Formen frei, die der Mythos mit dem Recht bastardierte.« (GS II 1, 202–203  ; Kritik der Gewalt). Dieser Text Benjamins ist einer seiner komplexesten und meist diskutierten. »Der Gewaltspirale einer immer neuen mythischen Rechtsgründung enthoben, besitzt sie [die göttliche Gewalt] keine Positivität, die eine neue Gegengewalt heraufbeschwören würde. Nur die reine Negativität, die Konstruktion einer Transgression ohne gleichzeitige Grenzsetzung, kann nach Benjamin die unheilvolle Spirale der Gewalt, die Geschichte heißt, durchbrechen.« (Rücker, Gesetz der Überschreitung  ; op cit, 387/388). Es bleibt noch anzumerken (und nachfolgend auszuführen), dass die Kinderkönigherrschaft von Hofmannsthal nicht als »reine Negativität« inszeniert wird (sondern als deren Ausgang), zumal offenbar eine rechtliche Positivierung von ihr ausgeht. 341 Für Thomas Mann gehörte es zu den »Tatsachen des Volksgeistes […] daß der deutsche Freiheitsbegriff immer geistiger Art sein wird  : ein Individualismus, der, um sich politisch auszuprägen, notwendig andere Institutionen hervorbringen müßte, als der kahl-abstrakte des politischen Westens und der ›Menschenrechte‹.« (Thomas Mann  : Betrachtungen eines Unpolitischen, Frankfurt/Main 20094. 291). Die Utopie der dichterischen Fassungen kann als Versuch einer literarischen Ausprägung verstanden werden, die aber ihrem Gehalt nach doch sehr unkonkret bleibt und im Schlussbild der hochgereckten Arme ein nachmalig pervertiertes Gemeinschaftsritual zitiert.

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Wie die beiden Knaben, Vorhut des Kinderkönigs, singend feststellen  : »hier ist alles gereinigt  !«, bereitet Sigismunds Tod dem Fest der nun kommenden Gemeinschaft den Boden  : »Lasset ihn sterben  ! – Freude  !«342 In der Annahme und Anerkennung des Opfers liegt so zugleich das Moment der entsühnenden Verwandlung (der Welt)  : »Dein Gesicht  ! Wer ist das Göttliche, das jetzt auf die Schwelle tritt  ?«343 Es ließe sich mit Blick auf eine Replik in den Varianten sogar von einem Aufnehmen bzw. einer Anverwandlung des Sacrificiums sprechen  : »Du kannst mich nur geistig in dich aufnehmen« (Sigismund), heißt es dort in deutlicher Anlehnung an das Transsubstantiationsprinzip der Hostie, welches demnach auf ein in der Sprache vermitteltes Numinoses übertragen wird.344 Das die Szene beschließende Zitat aus dem Pfingsthymnus Veni Creator Spiritus führt die christologische Motivik um Sigismund zum Ende  ; doch seine Himmelfahrt (im Gleichnis des »Sternbilds«) beginnt schon vor der Grablegung.345 Die Gemeinschaft, die nicht allein durch Selbstverwechslung im Anderen (also Identifizierung mit dem Sacrificium) zustande kommt, verbürgt im Gedenken an den verstorbenen Geistesheroen ihren Bestand und entzieht sich folglich in der Veralltäglichung des Rituals der Krisenaffinität des charismatischen Herrschaftskonzepts – ohne allerdings dessen mythisch-transzendentale Dimension aufzugeben. Damit ist deutlich darauf verwiesen, dass es sich hier um einen geistigen Leib handelt oder besser gesagt um den Leib des Geistes einer Gemeinschaft, 346 die 342 SW XVI.2, 123  : Die beiden Knaben. – die begleitende Symbolik, etwa die Geste der Hebung des rechten Armes (Sigismund, Kinderkönig, schließlich alle), ist aus heutiger Sicht pervertiert und befremdlich. 343 SW XVI.2, 122  : Kinderkönig. »Das was du nicht sagen kannst, das allein frage ich dich […]« (ebd.) Vgl. hierzu den von Hofmannsthal veröffentlichten Aufsatz Benjamins zu Goethes Wahlverwandtschaften  : »Im Ausdruckslosen erscheint die erhabne Gewalt des Wahren, wie es nach Gesetzen der moralischen Welt die Sprache der wirklichen bestimmt. Dieses nämlich zerschlägt was in allem schönen Schein als die Erbschaft des Chaos noch überdauert  : die falsche, irrende Totalität – die absolute. Dieses erst vollendet das Werk, welches es zum Stückwerk zerschlägt, zum Fragmente der wahren Welt, zum Torso eines Symbols.« (GS I 1, 181  ; Wahlverwandtschaften). 344 SW XVI.1, 411  : Sigismund zum Kinderkönig (Notiz 193). Zur Diskussion des Opfers und seiner poetologischen Implikationen vgl. 2.1. Zum Prinzip des Transsubstantiationsglaubens vgl. Vosslers schon unter 1.5 und 2.1 zitierte Ausführungen (GKS, 40). Auch an Landauers »Zeitalter der Mythoskraft« (s.o.) ist in diesem Zusammenhang zu erinnern. 345 Vgl. hierzu nochmals Benjamin  : »Für diese Symbolik fließt eine der mächtigsten Quellen aus dem Astralmythos  : im übermenschlichen Typus des Erlösers vertritt der Heros die Menschheit durch sein Werk am Sternenhimmel.« (GS I 1, 158  ; Wahlverwandtschaften). 346 Eine solche Eucharistie wird im Nachleben Sigismunds zumindest zitiert – »Wenn Christus in euch ist, dann ist zwar der Leib tot aufgrund der Sünde, der Geist aber ist Leben aufgrund der

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in ihrem Zusammenhang mit dem »geistigen Raum der Nation« noch kenntlich zu machen bleibt. 4.4.2 »Die Gesetze müssen immer von den Jungen kommen«347 – Die Gestalt der neuen Ordnung »Wie kommt es, daß sie gehorchen und niemand befiehlt, daß sie dienen und doch keinen Herren haben  ? […] Dieses Wunder ist das Werk der Gesetze. Dem Gesetz allein verdanken die Menschen die Gerechtigkeit und die Freiheit. Dieses heilsame Organ des Gesamtwillens stellt im Recht die natürliche Gleichheit unter den Menschen wieder her.« (Rousseau, Abhandlung über die politische Ökonomie)348

Damit ist ein letzter Blick auf die demokratietheoretischen Fermente zu werfen, aus denen Hofmannsthal seine ›poetische Theologie‹ zum Dramenausgang entworfen hat. Dass die Gesetze »immer von den Jungen« kommen sollen (was in der Generationsfolge zu verstehen ist), verhindert jenes Hineinragen »schicksalhaft gekrönter Gewalt« ins nunmehr »Bestehende«.349 Der ›stammelnde Demos‹ ist mündig geworden – im »Schrifttum«. Er regte sich erst im Wiedergänger Mose, der als sterblicher mythischer Körper seinem Volk die Gesetze aber kaum mehr verkünden und gemäß dieser selbst gesetzten Ordnung austeilen konnte. Dauerhaft äußert er sich dann im sakralen (Chiffern-)Leib des Kinderkönigs, dem geistigen Substitut bzw. Symbol für den gelungenen pouvoir constitué (»Wir Gerechtigkeit. Wenn der Geist dessen in euch wohnt […] wird er […] auch euren sterblichen Geist lebendig machen […]« (Paulus, Römerbrief, 8, 9–11). 347 Vgl. hierzu Max Weber  : »Die Republik ist eine Saat auf Hoffnungen, von denen wir heute nicht wissen, ob sie alle erfüllt werden. Sie darf nicht bleiben, was sie offenbar heute für nur allzu viele ist  : ein Narkotikum, um durch einen Rausch über den furchtbaren Druck des Zusammenbruchs hinauszukommen. Sonst ist alles bald zu Ende. Weil aber das Vaterland für uns nicht das Land der Väter, sondern der Nachfahren ist, und weil wir zu den Nachfahren mehr Zutrauen haben und haben müssen als zu der älteren Generation, weil wir endlich die entschlossene Absage an die dynastische Legitimität als ein Mittel schätzen, auch das Bürgertum endlich politisch auf eigene Füße zu stellen, deshalb fügen wir uns zwar loyal jeder Mehrheitsentscheidung durch Konstituante und Plebiszit, stehen aber unsererseits ohne Vorbehalt und Zweideutigkeit auf dem Boden der Republik.« (GPS, 454–455  ; Deutschlands künftige Staatsform). 348 Dass dieser Satz auf die Herrschaft des Kinderkönigs beziehbar ist, wird im Folgenden noch verdeutlicht. Damit ist angezeigt, dass (durch Sigismund) die Situation geschaffen wurde, in der wieder Gesetze gelten können, wie Schmitt den Ausgang des Ausnahmezustands definiert (vgl. PT, 13). Rousseau  : Discours sur l’économie politique [1755], in  : Politische Schriften  ; op cit, 9–57  : 19. 349 GS II 1, 188  ; Kritik der Gewalt.

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haben Gesetze gegeben«). Zunächst war diese Gestalt von Hofmannsthal übrigens noch nicht als utopische Figur einer »gesteigerten Sprache«, sondern weit sozialrevolutionärer veranschlagt  : »Unreife. Heftige Willenskraft. Die Revolution sei stecken geblieben  : nichts gewonnen  ; keine neuen Wege  ; dem äussern Feind sei nicht diplomatisch sondern aus der höheren Weltordnung heraus entgegenzutreten. Frauengemeinschaft. Wiedertäuferthum. Joachim de flore. Fleischerne Herzen. Der neue Mensch. ›Du hast ihn uns gestohlen.‹ – – Sigismund verrathe die Ideen seiner Epoche. – Reactionäres Zurückzwingen zum Ackerbau.« (SW XVI.1, 414 [XI 1923])350

Die Idee des Verrats an den Ideen der Epoche ist hierbei natürlich von Interesse  ; darin ist wiederum ein Hinweis auf eine Distanz zu Sigismund als Herrscherfigur zu finden, die eben nicht den ursprünglich angelegten Gehalt der Gestalt verkörpern kann (jenes »gehorcht bevor befohlen«) – was im Arbeitsprozess teilweise noch so vorgesehen war  : »Kinderkönig verehrt ihn als Träger der Sprache und des Befehls«. Zu einer Sprache, die »das Obere und Untere zugleich« sagt, zu einer tatsächlichen Sprachgemeinschaft bzw. -kommune findet nicht Sigismund,351 sondern der Kinderkönig, der die »Stimme der andern« ist. Den Zwischenstatus Sigismunds verdeutlicht auch eine weitere Notiz dieser Arbeitsphase, die ihn wie die zu Beginn des fünften Aufzugs im Regietext erwähnte Regimentskasse in einen Gegensatz zur selbst angekündigten Utopie des dem Befehl vorgreifenden Gehorsams bringt  : »Ich werde nicht sprechen um zu überzeugen, ich werde sprechen um zu befehlen.«352 350 Anschließend folgen mehrere Zitate aus Pannwitz’ Krisis der europäischen Kultur (vgl. SW XVI.1, 603). Der Abschnitt dort bezieht sich auf die Französische Revolution, die Napoleon nötig gemacht habe, und vergleicht diesen mit Cäsar. Der entscheidende Satz für Hofmannsthals Konzeption des V. Aufzuges lautet hier  : »tatsächlich ist die freiheit des menschen und eine auf sie gegründete gesellschaft nur von einem aus dem chaos entstiegenen imperator zu verwirklichen.« (Rudolf Pannwitz  : Die Krisis der europäischen Kultur  ; Nürnberg 1917. 6). Allerdings wird dieser, wenn die Freiheit (vom Chaos) erreicht ist (oder erreichbar scheint), bei Hofmannsthal durch den Kinderkönig abgelöst. Das reaktionäre Zurückzwingen zum Ackerbau bleibt unklar – ob es den Wunsch des Kinderkönigs ausdrückt oder einen Vorwurf an Sigismund. Ständestaatliche Modelle klingen hier an. 351 SW XVI.1, 413  : N 199. Hofmannsthal hatte für solche religiös inspirierten Einheitsvorstellungen jedenfalls Sympathien  : »Wie dieses ist ist Jenes dort,/ Wie Jenes wieder Dieses da, / Das Unten gleich dem Oben hier, / Das Oben hier dem Unten gleich.« (Neue Deutsche Beiträge, I, 2 [Februar 1923], 101  ; Neumann  : Gotamo Buddho). 352 SW XVI.1, 369  : Sigismund. Die Erläuterungen der Kritischen Ausgabe verzeichnen hier einen

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Max Weber unterschied zwischen den charismatischen Formen des Lager- und Beutekommunismus und des Liebeskommunismus.353 Schon die Regimentskasse in Sigismunds Zelt ist insofern ein Hinweis  ; allerdings ist sie zugleich Beleg dafür, dass nicht geplündert wird und der Geldwert wiederhergestellt ist.354 Dem Kinderkönig eignet ein Charisma des Heilsbringers, er besitzt Anmut und Würde zugleich, während Sigismund das Prestige des Feldherrn zukommt, das durch den Einfluss des Arztes auch zu einer geistigen Führerschaft ›veredelt‹ wird.355 Mit dem Kinderkönig scheint dann die Zeit einer neuen Legalität, den Gesetzen der Jungen, angebrochen, die sich übrigens auch im Vergleich mit der Folgsamkeit des Hundes motivisch ausprägt.356 In Bezug auf Robert von Pöhlmanns Geschichte der sozialen Frage und des Sozialismus in der antiken Welt [1912], die Hofmannsthal auch für den Timon herangezogen hat (vgl. SW XVI.1, 606). Ein Einwand gegen diese positive Gestaltung einer Utopie ist auch der Umstand, dass der Kinderkönig eben doch Anweisungen und Befehle erteilt – konsequenterweise hätte dies vermieden und damit allerdings die letzte Szene zur Pantomime bzw. Choreographie des Machtwechsels werden müssen, bei welchem die erhobenen Arme eine noch fatalere Bilderschrift bedeutet hätten. 353 »Der Lager- und Beutekommunismus (in verschiedener Reinheit der Durchführung) findet sich in den charismatischen Kriegerorganisationen aller Zeiten, von dem Räuberstaat der ligurischen Inseln angefangen bis zu der Organisation des Islâm unter dem Khalifen Omar und den kriegerischen Orden der Christenheit und des japanischen Buddhismus. Der Liebeskommunismus hat in irgendeiner Form an der Spitze aller Religionen gestanden, lebt innerhalb der berufsmäßigen Gottesgefolgschaft  : des Mönchtums, fort und findet sich in den zahlreichen pietistischen (Labadie) und anderen hochgespannten religiösen Sondergemeinschaften.« (WuG, 660). 354 Auch daran zeigt sich der ›Zwischenstatus‹ Sigismunds  ; wenn es »Sinn der moralischen und sogar religiösen Revolution« ist, »hinter den Rücken des Geldwesens zu gelangen« (RA III, 279  : Buch der Freunde), dann ist dieser Zustand zu Beginn des fünften Aktes erkennbar noch nicht erreicht. Sold und Befehl bleiben in Kurs. 355 Auch zu Beginn des ersten Bandes der Religionssoziologie unterscheidet Max Weber übrigens zwischen familiären, religiösen und militärischen Formen des Kommunismus  ; vgl. RS I, 9. Um eine militärische Form handelt es sich hier erkennbar nicht. Wirtschaft und Gesellschaft ist aber auch in diesem Punkt ergiebiger  : Zur gewaltlosen Brüderlichkeitsethik bzw. -religiosität vgl. WuG, 357 f. und 365 f. Zur Bedeutung der musischen Knaben und der Musik als Form der milden Ekstasis im hellenischen Sinn vgl. WuG, 335. Zur »Gemeindesouveränität« vgl. WuG, 722. 356 »Weisst du, es ist das in mir, wovon eine geringe Gabe die Menschen störrisch macht, eine grosse aber zahm und folgsam wie Hunde.« (SW XVI.2, 122  : Kinderkönig). Es ist wohl davon auszugehen, dass diese Gnadengabe die Menschen dazu bringt, ihm wie Hunde zu folgen. Eine gegenläufige Interpretation würde diesen Satz auf den Kinderkönig selbst beziehen, was Hofmannsthal offensichtlich ermöglichen wollte. So folgt hier als zoologische Herrschafts-»Chiffre« der zahme Hund auf den zusehends kulturalisierten Wolf, der zuvor, angeleitet von der »Schlange Julian« den machiavellistischen Fuchs (Basilius) beerbte (vgl. 3.3).

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gewisser Weise dauert der Ausnahmezustand aber in der Gemeinschaft der Kinder fort  ; denn Regeln werden in aller Selbstverständlichkeit gelebt, ohne per Gewaltmonopol durchgesetzt werden zu müssen  : »Sie haben besondere Rechte und Bräuche und über sich einen gewählten König, der ein starker und schöner Bursch sein soll und aus den Augen schauen wie ein junger Löwe. Sie pflügen und leben wieder wie die Menschen vordem. Sie verrichten Handwerk und singen dazu.«357 Zudem werden die Kinder als »Revolutionsreste« bezeichnet  : »(Es sind eigentlich Communisten)«.358 Auch der Kinderkönig ist indes mit dem Charisma der royalen Abstammung – also des Blutes bzw. des Erbes – versehen  ; er soll ein unehelicher Sohn des Basilius mit »einem schönen, wilden Weib«359 und in den Wäldern aufgewachsen sein (eine der Sigismunds ganz entgegengesetzte Kindheit an ebenso exemtem Ort). Zudem aber deutet die Formulierung »gewählter König« eine – ultimative – Aufwertung der Gestalt des charismatischen Herrschers und seiner Gefolgschaft an, in dessen sacerdotium sich demos und majestas vereinigen, wie auch Sigismund es zuvor angestrebt hatte.360 Hofmannsthal beabsichtigte, das Moment des Außeralltäglichen in der Gestalt dieses neuen geistigen Souveräns und der Form der Gemeinschaft zu verewigen, die sich eben an Sigismunds Sterbe-Ort bildet  :361 »Hier ist der Fels, aus dem der Quell fließt, Milch und Honig.« (V. Aufzug, Knabe). Der Wandel des Kriegstrosses zur pazifistischen Gemeinde in der aufziehenden Endzeit eines goldenen Zeitalters könnte kaum grundlegender sein. Insofern erscheint der wirkliche charismatische Herrscher eines solchen »Liebeskommunismus« erst mit dem Kinderkönig. 357 Zitiert scheint darin die pädagogische Provinz aus Wilhelm Meisters Wanderjahre. Man muss jedenfalls keineswegs zwangsläufig an den Ständestaat als Idealbild dahinter denken, dessen österreichischer Vordenker wie erwähnt Hofmannsthal aufgrund seiner Abstammung offen ablehnte. 358 SW XVI.1, 427  ; N 235. Dass diese Formulierung einzig auf die Perspektive der Vertreter des alten Adels – übertragen auf zeitgenössische Verhältnisse  : Monarchisten – zurückzuführen ist, wie die Kritische Ausgabe es mit einigen Gründen nahelegt (vgl. SW XVI.1, 547), reicht nach Ansicht des Verfassers nicht aus. Hintergrund ist vielmehr die Idee einer Gemeinschaft des Werkbundes, wie sie sich in den Schriften Landauers, Rangs und Bubers findet. 359 SW XVI.1, 120  : Adam (auch die Vorzitate). Diese Erzählung ist jedoch in der zweiten dichterischen Fassung fortgelassen worden, der traditonale Bezug fehlt hier. 360 Die »Überlegenheit des sacerdotium über das imperium« (Agamben  : Herrschaft  ; op cit, 122) lässt sich damit an der Konstellation Kinderkönig-Sigismund nachvollziehen. 361 Übrigens hat dieser Grab-Kult ein Echo in Hofmannsthals Beethoven-Rede  : »Sein Leib und sein Geist waren eins, schließlich blickte sein gewaltiges, störrisches Antlitz genau wie seine Werke, und wo sein Leib ruht, da ist wahrlich eine geheiligte Stätte und das Grab eines Heroen.« (RA II, 85  ; Beethoven).

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Zu betonen ist, dass der Kinderkönig ebenfalls als Kollektivgestalt bzw. -Individualität angelegt ist, welche aber eine spezifische Form sozialer Wechselwirkungen absorbiert  : »K.K. Ich muss furchtbar sein. Weil ich den Lebensstrom von tausend Todten in mich gesogen habe. Man weiss nicht wo Todte aufhören u. Lebende anfangen.« Was man heute angesichts gängiger Fernseh-Serien umstandslos als Selbstanzeige eines vampirisch veranlagten Zombie-Fürsten interpretieren könnte, ist jedoch abermals sprachlich  : und zwar nur sprachlich-symbolisch zu verstehen. Schon der junge Hofmannsthal hatte befunden  : »Wenn wir den Mund aufmachen, reden immer zehntausend Tote mit«.362 Die allverbindende ›Kirche der Sprache‹ findet als Ausgleich zwischen früher und heute, alt und jung, oben und unten (etc.) im »Schrifttum« bleibende Gestalt. Die geistige Aufnahme der ›Hostie‹ – also des literarischen Symbols – erfolgt hier demnach gewissermaßen innerhalb des Schrifttums als dem Raum des Geistes der Nation – nur so ist Hofmannsthals merkwürdige Äußerung, Sigismund setze sich im Kinderkönig fort, zu verstehen.363 Erkennbar ist hier erneut seine Poetologie des Politischen berührt, die auf der Idee einer eben solchen Akkumulationsbewegung basiert und mit den geistig gefassten Massen durchaus das ›Leben‹ in seiner kollektiven Form umfasst. Einen möglichen Hintergrund könnte dieses Szenario abermals in der Romantik haben. In seiner »Geschichte der alten und neuen Literatur« (1812) setzte Friedrich Schlegel die Idee einer literarisch gebildeten Nation schließlich als »Einheitsfigur mit universellem Anspruch« selbst an »den theoretischen Ort der Mythologie«.364 Oben (vgl. 3.1 f.) wurde ausgeführt, dass die »Neue Mythologie« als Substitut der politischen Theologie der Souveränität gedacht und bekämpft wurde. Man kann durchaus sagen, dass Hofmannsthals Kulturpolitik mit den Lesebüchern und der Sprachanthologie (als geistiger Formung des Nationalen) dementgegen hier wieder anschließt  ; hatte doch Schlegel die »neue Mythologie«

362 RA I, 480  ; Monographie [1895]. Zuvor  : SW XVI.1, 398  ; Varianten. Vgl. zur Kristallisation solcher Wechselwirkungen Simmel, PG, 207. 363 Vgl. RA III, 623  ; Ad me ipsum. Vgl. hierzu auch nochmals Landauer  : »Das Zeitalter der Mythoskraft hat, bei Griechen ebenso wie bei Christen und überall, die Gabe, das Geglaubte nicht wörtlich zu nehmen, sondern symbolisch, diesen Gegenstand aber gar nicht zu Bewußtsein zu bekommen, und so das Symbol als etwas Leibhaftes zu nehmen und zu erleben.« (Landauer, Revolution  ; op cit, 54). 364 Matala de Mazza, Verfaßter Körper, op cit, 264. Jürgen Fohrmann, auf den Matala de Mazza sich hier bezieht, sieht darin den Versuch einer Formung des nationalen Ganzen in der Literatur, der aber gescheitert sei.

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als »neue Sprache« definiert.365 Die Gestalt dieses geistig gefassten nationalen Ganzen betritt als Königtum der poetischen Sprache schließlich die Bühne – während Sigismund zu den Beständen des geistigen Raums der Nation sinkt, doch alsbald, so die Verheißung, im zusagenden Gedenken der Kindergemeinde am Firmament ewiger Formen erstrahlen wird. Damit ist im Trauerspiel die Idee einer Konservierung des latent revolutionären »Geistes der Nation« zu verzeichnen. »Hebet ihn auf. Wir brauchen sein Grab, unsern Wohnsitz zu heiligen.«  ; »In der Zeit könnt ihr diesen nicht messen  : aber ausser ihr, wie ein Sternbild.« (SW XVI.2, 123  : Kinderkönig über Sigismund)

Zu erinnern ist an den Hinweis auf die demokratische Funktionalität (nicht nur Legitimation) der Figur  : »Kinderkönig negiert zugleich sein Königthum – er ist nur die Stimme der Andern.«366 Man könnte also hier von der Erneuerung des Repräsentationsverhältnisses in toto sprechen, das die vormals im charismatischen Herrscher erfolgte Identitätsrepräsentation nunmehr nicht unpersönlich (aber auch nicht parlamentarisch), sondern ›über-persönlich‹ vornimmt.367 Die »Regierung der Gesellschaft« oder vielmehr der Gemeinschaft scheint hier der Idee nach »durch alle« Brüder tatsächlich »ohne Dazwischenkunft des Königs« zu erfolgen (wie Proudhon es gefordert hatte), der allerdings die Symbolgestalt ihrer Übereinkunft ist.368

365 »Es wird eine neue Mythologie entstehn, heißt nichts als es wird eine neue Sprache entstehn. –« (Schlegel, KA XVIII  ; op cit, 394  : Nr. 888). 366 SW XVI.1, 412  : N 197, »26. X« datiert. Mit Blick auf Hofmannsthals Arbeitsweise (gerade beim Turm) kann diese Notiz als poetologische Selbstreferenz verstanden werden. »[…] das Sein der Gemeinschaft ist vielmehr die Exposition der Singularitäten.« ( Jean-Luc Nancy  : Die undarstellbare Gemeinschaft  ; Stuttgart 1988. 68). 367 »Nicht der König ist verschwunden  : Der Gesetzgeber als Repräsentant des nationalen Interesses ist sein Nachfolger  ; aber was verschwunden ist, ist die Repräsentation der gesellschaftlichen Einzelinteressen« (Schmitt  : LP, 119  : Fn. 119). Die Idee der Nation tritt zwar an die Stelle des Königs, jedoch nicht ohne dessen Würdigung und Inklusion in die Repräsentation, die ja grundsätzlich ein unsichtbares Sein sichtbar zu machen hat. Etwas ›Legislatives‹ ist dem Kinderkönig als Gesetzgeber der Jungen in jedem Fall zueigen. Diese Setzung wird in der Bühnenfassung übrigens unter gewechselten Vorzeichen wiederkehren. 368 – und damit tatsächlich auch des goethischen Begriffs des »Dritten« (vgl. SW XVI.1, 160). Die Stelle aus Simmels Philosophie des Geldes (PG, 207/208) wurde oben im Zusammenhang mit der Inflation bereits zitiert.

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»Es ist nach Aufhebung der unterschiedenen geistigen Massen und des beschränkten Lebens der Individuen sowie seiner beiden Welten also nur die Bewegung des allgemeinen Selbstbewußtseins in sich selbst vorhanden, als eine Wechselwirkung desselben in der Form der Allgemeinheit und des persönlichen Bewußtseins  ; der allgemeine Wille geht in sich und ist einzelner Wille, dem das allgemeine Gesetz und Werk gegenübersteht. Aber dies einzelne Bewußtsein ist sich seiner ebenso unmittelbar als allgemeinen Willens bewußt  ; es ist sich bewußt, daß sein Gegenstand von ihm gegebenes Gesetz und von ihm vollbrachtes Werk ist  ; in Tätigkeit übergehend und Gegenständlichkeit erschaffend, macht es also nichts Einzelnes, sondern nur Gesetze und Staatsaktionen.« (Hegel, Phänomenologie des Geistes  ; op cit, 434)369

Die Gestalt einer solchen wechselseitigen Durchdringung von Individuum und Gesetz, Kollektivbewusstsein und Ordnung hält mit dem Kinderkönig Einzug, dessen Charisma die lagernden Heeresmassen »zahm und folgsam wie Hunde« macht. Er ist mit einer Aura der Hingabe umgeben, die er als wahrer Auctor (Mehrer) erzeugt  : »[…] Ich bin der Verteiler des Brotes und der Urheber der Gesetze  : denn es sind Gesetze die von den Jungen ausgehen«.370 Der neuzeitliche Staat hingegen erscheint nach der Krisenwende als überlebtes Konstrukt nicht mehr benötigter Abschreckung – die Gesetze, die von den Jungen kommen sollen, haben ihren Rückhalt nicht in der waffenstarrenden Drohgebärde, sondern im einzelnen »Bewußtsein«, das Teil des »allgemeinen Selbstbewußtseins« ist – in Umformulierung Vosslers  : eine gemeinschaftsmäßige Seelenverfassung ist gestiftet, die dem Gemeinwillen und der Gesetzgebung durch den Législateur vorausgeht. Mit einer solchen hegelianisch anmutenden Konzeption des all-umfassenden Geistes scheint das Szenario also dennoch gewisse Anleihen an Rousseaus Gesellschaftsvertrag zu machen, genauer  : an die Idee einer volonté générale, mit der eine vergleichbare Homogenität von Individuum und Kollektiv intendiert ist. Dieser entspricht das Ideal der freiwilligen und entgegen Rousseau (und Hobbes) aber nicht vertragsmäßig, sondern akklamativ gedachten Zugehörigkeit (»Einwilligung«, nicht  : »Unterwerfung«, wie von Sigismund verlangt), welche die Kinder-Gemeinschaft aufbaut. »[…] der verbindende Geist, der Gruppengeist 369 Eine Frage, die hier immer wieder nur gestreift werden konnte, lautet  : Ist der Turm hegelianisch zu lesen  ? Und wenn, dann in welcher Weise, links- oder rechtshegelianisch  ? Hofmannsthal scheint, wie in allen Dingen so auch hier, die zahlreichen Nähen zu Landauer und Rang und andererseits z. B. Vossler zeigen es an, einen Ausgleich angestrebt zu haben. Eine weitere ›Bezugskaskade‹ aus den Notizen sei noch erwähnt  : Rom/Deutscher Orden/Hegel/Schelling | Demetrius Poliorketes/Bougainville« (SW XVI.1, 385). 370 SW XVI.1, 398  : Kinderkönig.

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Fazit

und der Gesamtgeist, der Geist der Verständigung in den Dingen der Selbstverständlichkeit und der Geist der Freiheit und des Charakters in den Dingen der Selbständigkeit […]«, den Landauer in der Moderne vermisste, ist hier mit Anklängen an Paulus (Aufbau des Gemeinschaftskörpers durch Liebe) ins Werk gesetzt – »Gewaltlose Einigung findet sich überall, wo die Kultur des Herzens den Menschen reine Mittel der Übereinkunft in die Hand gegeben hat«.371 Ihr ›Ort‹ ist das einigende Band der Sprache – zum Hymnus gesteigert –, nicht der Contrat social als »Band der Teilung« (des vergesellschafteten Subjekts von seiner Individualität).372

4.5 »Gebet Zeugnis – Ich war da, wenngleich mich niemand gekannt hat« (Fazit) »Alles Höhere, des Merkens Würdige […] wird durch die Schrift überliefert, so reden wir vom Schrifttum.« (RA III, 24  ; Schrifttum) »Das Mysterium ist im Dramatischen dasjenige Moment, in dem dieses aus dem Bereiche der ihm eigenen Sprache in einen höheren und ihr nicht erreichbaren hineinragt. Es kann daher niemals in Worten, sondern einzig und allein in der Darstellung zum Ausdruck kommen, es ist das ›Dramatische‹ im strengsten Verstande.« (GS I, 1, 200/201  ; Wahlverwandtschaften)

Die titelgebende Replik Sigismunds – eine Mitteilung an Anton, als sei der Kinderkönig ihm nie erschienen – taugt eher als Fazit auf den politischen Gedanken hinter dem Kinderkönigreich. Es ist nicht abzusehen, welche politische Gestalt 371 GS II 1, 191  ; Kritik der Gewalt. Zuvor  : Landauer, Aufruf  ; op cit, 18. Hier scheinen auch ältere Notizen aus der Phase des erwartbaren Kriegsendes auf  : »Aber wo das Ich Persönlichkeit wird, wird es selbst Gesetz und unterliegt nicht mehr dem Schrecken des Seins und der mechanischen Unfreiheit. Wer keinem anderen Gesetz gehorchen muß als dem Gesetz seiner eigenen Person, ist frei.«  ; »Wird das Gesetz ins Individuum, das Individuum ins Gesetz hineingenommen, so ist wahrhaft das Kausalreich überwunden und eine neue Bindung löst den contrat social ab, denn es ist kein Kontrast zwischen Individuum und Gesamtheit. Der geläuterte Freiheitsbegriff  : in der Nation  : Ordnung. – im Individuum  : Gesetz, Karma.« (RA II, 39/40  : Reden in Skandinavien). 372 Vgl. Nicole Loraux  : Das Band der Teilung  ; in  : J. Vogl (Hg.)  : Positionen zu einer Philosophie des Politischen  ; Frankfurt/Main 1994. 31–64. Hier mit Bezug auf die athenische Demokratie, die ebenfalls das ihr Konstitutive ausgeschlossen habe (vgl. ebd., 57). Hofmannsthals in der vorigen Anmerkung zitierte Kritik an Rousseau ist in diesem Sinne zu verstehen.

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diese Utopie des Schrifttums hätte annehmen sollen  ; das römisch-imperiale Endbild der zum Gruß erhobenen Arme nach dem Pfingsthymnus lässt in der Tat Assoziationen zu, die diesen Dramenausgang in eine Nähe mit zeitgenössischen totalitären Symboliken rücken. Die Feststellung Hebekus’, dass es sich um die Idee eines Reiches handelt, »das sich für Hofmannsthal aus dem Opfergang von Krieg und Nachkrieg ergeben soll und von dem in den zwanziger Jahren nicht nur er träumt, sondern mit ihm viele der übrigen Agenten der ›konservativen Revolution‹«,373 ist darum für die dichterischen Fassungen neben Hinweisen auf die politische Universalität dieses Reichsgedankens v. a. dahingehend zu ergänzen, dass es sich eben um ein heiliges Reich deutscher Sprache handeln sollte, in dessen reiner Symbolik die revolutionäre Gewalt des Politischen und das Gedenken an das vergossene Blut der Kriegsopfer gleichermaßen souverän verwandelt und ästhetisch gebannt werden sollten. Zugleich muss aber anerkannt werden, dass hier ein ernsthafter Versuch unternommen ist, den »ewigen Frieden« als Utopie eines königlichen Volkes der unter den Brüdern demokratisierten Vernunft zu inszenieren.374 Die überdeutlich geratene politische Kontrapunktik zwischen Olivier und Sigismund, mit welcher das Stück zwischenzeitlich ein klares Freund-/Feindschema entwirft, kann Unbehagen hervorrufen. Der Turm erreicht aber zu keinem Zeitpunkt die Intensität der Feindschaft etwa in Tolkiens berühmtem Epos Der Herr der Ringe (1954 f.), das mit den Orks ein gattungsmäßiges Feindbild der Kreatur generiert, welche – hors de l’humanité 375 – wegen offensichtlicher Minderwertigkeit nicht nur nicht geopfert werden darf, sondern sogar getötet werden muss. Bei Hofmannsthal hingegen obsiegt die Kreatur schließlich als politisch souveräner Herrscher, muss aber entsprechend der Uto373 Hebekus, Woher so viel Gewalt  ; op cit, 154. Einwände hätten sich jedoch gegen den Terminus »konservative Revolution« zu richten, der ohne eigentliche Analysekraft nur einer so allgemeinen Richtungsbestimmung dient, dass er zum amtlichen Stempel unter Urteilsverkündungen nicht taugt. Denn auch die messianische Linke hing dem Reichsgedanken an  ; verband allerdings ganz andere Vorstellungen damit (ich verweise hier nochmals auf die Arbeit von Ute Nicolaus, Souverän und Märtyrer  ; op cit, die Hofmannsthals Verbindungen zum Forte-Kreis und dessen Protagonisten darstellt). Vgl. auch die Ausführungen unter 1.2 hierzu. 374 Schon die dichterischen Fassungen des Turm wären – gerade auch der zeitgenössischen Diskussion um den Völkerbund-Gedanken und der konkurrierenden Europa-Bewegungen wegen – einmal konsequent mit Kant (und Platon als Gegenüber) zu lesen. Zu Kants Theorie eines in der Garantierung von Gleichheit und Gerechtigkeit majestätischen Volkes und dessen Austritt aus dem Naturzustand zwischen den Staaten vgl. Ottfried Höffe  : »Königliche Völker«. Zu Kants kosmopolitischer Rechts- und Friedenstheorie  ; Frankfurt/Main 2001. 172 ff. und 194 f. 375 Das Präludium hierzu, Der kleine Hobbit, erschien bereits 1937. Zur Praxis der Bekämpfung von Menschheitsfeinden vgl. Schmitt  : BP, 37, 4 f. und 119.

Fazit

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pie einer geistigen Gemeinschaft, die letztlich eine der poetischen Sprache ist, weichen. Diese fasst noch sein Unaussprechliches, sein Mysterium in sich. Es ist der Ernst des Todes, den eventuell für die Gemeinschaftsinteressen zu bestehen, dem Einzelnen hier zugemutet wird. Er trägt der politischen Gemeinschaft ihr spezifisches Pathos ein. Er stiftet auch ihre dauernden Gefühlsgrundlagen. Gemeinsame politische Schicksale, d. h. in erster Linie gemeinsame politische Kämpfe auf Leben und Tod, knüpfen Erinnerungsgemeinschaften, welche oft stärker wirken als Bande der Kultur-, Sprach- oder Abstammungsgemeinschaft. Sie sind es, welche – wie wir sehen werden – dem ›Nationalitätsbewußtsein‹ erst die letzte entscheidende Note geben. (WuG, 515 [Hervorh. A.M.])

Hofmannsthal hat, wie gezeigt werden konnte, den gesamten Souveränitäts-Topos in die Sprache verlegt – und zwar nicht allein durch Fiktionalisierung bzw. Dramatisierung, sondern vor allem dadurch, dass er die Sprache selbst bzw. die Dichtung als souveränes (Kollektiv-)Subjekt inszenierte und ihr den politischen Reichsgedanken unterlegte. Dass mit Sigismund der literarisch gebildete Leviathan im Moment des Eintretens der verheißenen Gemeinschaft verstirbt, nimmt dieser die letzten politisch gewaltsamen Elemente. Aus dem Kreis der geistig Erlösten geht der Kinderkönig als novus dux dieser Gemeinschaft hervor. Dass übrigens Schnitzler den Turm als eine »Überflüssigkeit auf sehr hohem Niveau«376 bezeichnete, ist nicht nur als Hinweis darauf zu lesen, dass Hofmannsthal mit seiner Inszenierung literarischer Souveränität gescheitert ist. Die Äußerung könnte sich auch ironisch auf die deutliche Ästhetik des Liquiden im Stück beziehen – denn tatsächlich ist nach der körperlich-organischen Zirkulation geistiger Wechselwirkung in Sigismund mit dem Kinderkönig diese letzte Aggregatstufe des Fluiden, der völligen Vergeistigung erreicht. Seine Gestalt ist daher als persona ficta des literarischen Leibs der Nation zu verstehen. Dieser soll als Gefäß einer unmittelbaren Phänomenalität des Politischen den Legitimismus monarchischer Staatlichkeit wie auch deren legalistisch-demokratische Umformung (Gesellschaftsvertrag) überflügeln und im »Schrifttum« das kollektiv Imaginäre der Gemeinschaft umfassen – welches er im poietischen Sinn eines mise en scène natürlich erst entwirft. Konservativ ist diese Vorstellung vor allem über die Idee des bewahrenden Ausgleichs zwischen den Epochen und der leitenden paulinischen Leib-/Körpermotivik. Revolutionär ist sie in der Ersetzung aller (kontraktualistischen) Staatlichkeit durch die Unmittelbarkeit der Literatur. In diesen Fassungen 376 SW XVI.2, 428  ; Zeugnisse.

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des Turm ist zuletzt nur das Schrifttum selbst souverän, welches den über das Politische siegreichen ›Geist‹ in sich birgt und so, mit der »Übergewalt der Sprache« den Ursprung aller möglichen Verfassungen der Gesellschaft und ihr Gedächtnis enthaltend, die »vollkommene Constitution« ermöglicht. – Es herrscht mittels einer Sprache, die alles erschließt, alles beschreibt und in einer Allmacht des Benennens in die Dinge dringt, ihre Wesenheit erkennt und ihnen Einheit schafft, indem sie diese bewahrt.377 »– die Apokalypse ist das Apriori aller Politik und Kultur, die sich lohnt, so zu heißen. Nur dieser denkende Wunschtraum schafft Wirkliches, tief in sich hineinhörend, bis der Blick gelungen ist  : in die Seele, in das dritte Reich nach Stern und Götterhimmel, wartend auf das Wo r t , der Erleuchtung hohen Alters zugewendet  ; der Drang, sich gemäß zu werden, zieht Seele herein, er ist die Gedankenlösung für den völligen Krystall erneuter Wirklichkeit […]« (GdU, 341)

Hofmannsthal hat sich dieser Apokalypse zugewendet und sie ästhetisch zu bewältigen versucht über die Stiftung des religiösen Symbols im Mysterium des Dramatischen, dem weder sein »Wahrheitsgehalt« noch sein »Sachgehalt« ohne weiteres abzulesen sind (hierfür ist an sich die Perspektive der Bühnenfassung nötig).378 Das bereits 1921 notierte Zitat »Der erste Weltstand war unter dem Gesetz, der zweite ist unter der Gnade, der dritte wird sein unter reicherer Gnade  : Fides u. Caritas«379 ist jedenfalls ein weiterer Hinweis auf die ›poetische Theologie‹, die hinter dieser utopischen Konzeption des Dramenausgangs wirkt  ; sie erlaubt eine Zuordnung auf die ›Herrschaftszeiten‹ im Turm  : Großalmosinier-Basilius  : theologischer Souverän  ; Basilius-Beichtiger  : Politische Theologie  ; 377 Foucaults Bemerkung, dass der Mensch möglicherweise »[…] eines Tages Symbolsysteme finden wird, die in genügender Weise rein sind, um die alte Undurchsichtigkeit der historischen Sprachen aufzulösen. In der Positivität angekündigt, zeichnet sich die Endlichkeit des Menschen in ihrer paradoxen Form des Unbestimmten ab« scheint hier dramatisch eingelöst zu sein. Diese Sprachgemeinschaft ist jedoch, wie gesehen, nicht ohne Schwelle gedacht, zeigt nicht die »Monotonie einer Bewegung an«, sondern deren Vollzug als auf Dauer gestellte Überschreitung durch und in die Gemeinschaft. (Foucault, Ordnung der Dinge  ; op cit, 379). Vgl. auch die Ausführungen zu Hofmannsthals Sprachutopie unter 2. dieser Studie. 378 In Ergänzung Benjamins mit Jung ließe sich sagen, dass auch im religiösen Symbol die »unauflösliche und notwendige Bindung eines Wahrheitsgehaltes an einen Sachgehalt erscheint.« (GS I, 152  ; Wahlverwandtschaften). 379 SW XVI.1, 368  ; Varianten  : Joachim von Fiore. Die Erläuterungen der Kritischen Ausgabe geben als Zitatquelle Burdachs Aufsatz Sinn und Ursprung der Worte Renaissance und Reformation [1918] an (vgl. SW XVI.1, 583/584).

Fazit

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Julian-Sigismund  : aufgeklärter Absolutismus  ; Sigismund-Arzt  : charismatische Herrschaft  ; Kinderkönig  : »Reichszeit«. Sigismund hat als Träger der Gnadengabe erst den Weg zu bereiten für die noch »reichere Gnade«, an der unter dem Kinderkönig alle zur geistigen Gemeinde Versammelten teilhaben. Die von Sigismund beim Auszug aus dem Turm verkündete Endzeit der Herrschaft, die des Befehls nicht mehr bedarf, wird dann erst der Kinderkönig einlösen, der als gerechter Herrscher »jedem das […] ihm zukommende zuteilen« wird.380 So scheint es Hofmannsthal auch politisch im Sinn gehabt zu haben  ; eine Einung der Nation im Schrifttum setzte ein breites Angebot an Identifikationsmöglichkeiten voraus. Dieses Konglomerat von teils widerstrebenden geistigen Strömungen bzw. Moden seit 1900 zeigt daher auch, wie schwer Hofmannsthal die konkrete, positive Gestaltung seiner Gemeinschaftsutopie als »Restauration paradiesischer Zeitlosigkeit”381 mittels einer poetischen Sprache fiel, in welcher, wie später in Tolkiens mythischer Sprache des Elbenreichs Lórien, alle Zeitalter lebendig bleiben sollten. Die Frage nach der Beliebigkeit symbolischer RePräsentation ist die nach ihrer politischen Verwendbarkeit – eine Tauglichkeit, die Benjamin in der Allegorie zu unterwandern trachtete. Ob sich die mythische Gewalt nicht doch in jenem souveränen Bann auch der Sprache verlängert, welcher das »Zauberische« des reinen Symbols entspringt, ist damit allerdings eine politische Frage. Doch hat Hofmannsthal die ökonomische Dimension dieser metaphorischen Logik des Banns im Spiel der Figuren offengelegt und ins Immatrielle gewendet. Und auch die weitaus mehr anarchischen als archaischen Züge der beschließenden Utopie, die keine Grenzen (und also keine Exklusion) kennt, unterscheiden den Auctor Hofmannsthal essentiell von jenen Anhängern einer charismatisch bewehrten Autoritas, die im 20. Jahrhundert so eifrig an der Abschaffung der Humanität arbeiteten. Fehlende Klarheit ist im dramatischen wie historischen Rückblick immer ein Mangel. Auch Hofmannsthal scheint dies erkannt zu haben. Wenn Repräsentation die performativ-symbolische Dimension ist, in der Souveränität ihre Legitimation behauptet, so scheint dieses Verfahren (einer ›Poetheologie‹ des Symbols) mit der Umarbeitung des Turm zugunsten einer allegorischen Konzeption ein Stück weit aufgegeben. »Wahre Gerechtigkeit, sagt Augustinus, herrscht

380 SW XVI.1, 420  ; Varianten. Wie schon oben angemerkt, ist Hofmannsthal die Dramatisierung dieses vorauseilenden Gehorsams (den jeder letztlich sich selbst gegenüber erbringt) nicht gelungen. 381 GS I 1, 271  ; Trauerspiel.

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Charismatische Führerschaft als »heilsame diktatur«  ? Die dichterischen Fassungen

nur in dem Staat, dessen Gründer und Herrscher Christus ist«382 – oder doch zumindest eine ihm nachgebildete Figur. Dem entspricht die Veränderung der Sigismund-Figur zum wehrlosen ›Lamm Gottes‹ in der Bühnenfassung, wie anschließend zu zeigen sein wird. Es ist die endgültige Verabschiedung des konservativ-romantischen Cäsaren-Glaubens an den geistes- und geschichtsmächtigen »Mann der Tat«, der mit Julian in allen Fassungen einer selbst initiierten Kontingenz unterliegt.

382 Ernst Cassirer  : Der Mythus des Staates  ; Zürich 1949. 144.

5. Die Fatalität des Politischen. Souveräne Diktatur als Dystopie rationaler Herrschaft in der Bühnenfassung des Turm »Denn für’s Vergegenwärtigen der Zeit im Raume – und was ist deren Säkularisierung anderes, als in die strikte Gegenwart sie verwandeln  ? – ist Simultaneisierung des Geschehens das gründlichste Verfahren. […] Die Geschichte wandert in den Schauplatz hinein.« (GS I 1, 370 und 271  ; Trauerspiel) »Der wird kommandieren, dem sich die politische Fatalität anvertraut.« (Olivier, I)

Hatten die dichterischen Fassungen in einem gewissen Maße Teil an der irrationalen Apotheose des modernen Subjekts im Führerdiskurs der zwanziger Jahre, so zeigt das für die Bühne stark überarbeitete Drama eine Abkehr vom Typus des aktiven Charismas und eine Problematisierung des in Julian verkörperten »Tat«Konzepts.1 Dies ist auf Hofmannsthals intensive Rezeption der Benjamin’schen Trauerspieltheorie mit der Figur des Märtyrers zurückzuführen, wenn auch sicher nicht ausschließlich.2 Der mythopoetische Raum, in welchem die Vorversionen die Phänomenologie der neuzeitlichen Herrschaft inszenierten, wird in der Bühnenfassung geradewegs entzaubert (»das Surrogat für den Helden«) und scheint in deren Abgründigkeit auf.3 Schicksalsentscheidung und Notwendigkeit lauten 1 Vgl. zu diesem schon Wolfgang Nehrings grundlegende Studie  : Die Tat bei Hofmannsthal. Eine Untersuchung zu Hofmannsthals großen Dramen  ; Stuttgart 1966. 2 Drei Bände Benjamins haben sich in Hofmannsthals Bibliothek erhalten – die Übertragung der Gedichte Baudelaires mit Vorwort (FDH 6330), Der Ursprung des deutschen Trauerspiels (FDH 3052) – mit Widmung und  : die Einbahnstraße (FDH 3050), ebenfalls mit Widmung. Da beide Bücher 1928 erschienen, hat Benjamin sie anlässlich Hofmannsthals Besuchs bei ihm in Berlin wohl zusammen überreicht. Benjamins Vorwort zum Baudelaire-Band nimmt einen nicht geringen Stellenwert innerhalb seines Werkes ein  ; es ist Die Aufgabe des Übersetzers  ; (Charles Baudelaire  : Tableaux Parisiens  ; deutsche Übertragung von Walter Benjamin  ; Heidelberg 1923). Die Widmung im Trauerspielbuch lautet  : »Hugo von Hofmannsthal / dem Geleiter dieses Buches / zum Dank / 1. Februar 1928 Walter Benjamin«. (zit. n. SW XL, 67). Der Kontakt kam, wie oben ausgeführt, über F.C. Rang zustande. 3 RA III, 590  ; Aufzeichnungen [1927]). Und zwar dadurch, dass die »allegorische Apotheose« (GS I 1, 367  ; Trauerspiel) als Benjamins ›negative Poetheologie‹ an die Stelle einer missbrauchbaren politischen Symbolik der charismatischen Herrschaft drängt.

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nun die Legitimationsformeln Oliviers (anstelle rastloser Bewegung), die – mit weiteren – neu in den politischen Ablauf des Stücks aufgenommen wurden. Um die Geschichte politischer Rechtfertigung, wie sie Hofmannsthal in der Bühnenfassung inszeniert, soll es im Folgenden gehen. Ihr liegt ein Wandel in der Poetologie des Politischen zugrunde, der hier vor allem auf den Einfluss Benjamins zurückgeführt wird (vgl. 5.1). Der Interpretation des stark umgearbeiteten Ablaufs der Herrschaftsformen (vgl. 5.3, 5.4), die sich intensiv auf Hofmannsthals Schmitt-Lektüren bezieht, ist der veränderten Figurenprofile wegen mit der ›Soziologie des Turm‹ erneut ein eigenes Kapitel vorangestellt (vgl. 5.2). ›Untergang des Royalen‹ (vgl. 5.5) lautet das Fazit zu Hofmannsthals rigidem Umbau des Turm. Auch Max Weber ist als »geistiger Cäsar ohne Wirkungsgebiet« mit Werk und als Gestalt, wie sie die von Marianne Weber verfasste Biographie zeichnet, in Hofmannsthals Denken präsent geblieben. Die anhaltende Bedeutung Webers für Hofmannsthal als politischer Denker geht zunächst aus dem Briefwechsel mit Burckhardt, dann einer Tagebuchnotiz Harry Graf Kesslers vom 23. Mai 1926 hervor, die ein einvernehmlich positives Bild Webers festhält.4 Im schon erwähnten Brief an Josef Redlich vom November desselben Jahres wird er diese Wertschätzung anlässlich der Lektüre des Lebensbilds von Marianne Weber erneut mitteilen – flankiert durch das Lob der Carl Schmitt-Schriften. Die Diktatur und die Politische Theologie haben sich in Hofmannsthals Bibliothek mitsamt Lesespuren erhalten  ; Der Wert des Staates und die Bedeutung des Einzelnen (1914/17) wird nur erwähnt, eine Lektüre ist nicht belegt. Des Weiteren enthält der Brief eine Würdigung von Redlichs rechtshistorischer, übrigens Hermann Bahr gewidmeter Betrachtung des »österreichischen Staats- und Reichsproblem[s]«5 sowie die Ermunterung, den Turm vor dem ihm eigenen, 4 Vgl. BW Burckhardt 1991, 184 [1. IV. 1926]. In einem Eintrag vom 23. 5. 1926 vermerkt Kessler ein Frühstück mit Hofmannsthal und Gespräche über Max Weber, von dem beide eine hohe Meinung haben, sowie Anton Prinz von Rohan (und die Europäische Revue), den Hofmannsthal positiver beurteilte als Kessler, ebenso Max Scheler. Zudem berichtet Kessler von Hofmannsthals politischen Plänen – keinen Anschluss an Deutschland, Hofmannsthal befürwortete stattdessen eine engere wirtschaftliche Zusammenarbeit mit den anderen Nachfolgestaaten Österreich-Ungarns, um dem isolierten Wien die Lebensader (das Einzugsgebiet, das wirtschaftliche Hinterland) wieder zuzuführen. Harry Graf Kessler  : Das Tagebuch  ; Achter Band  : 1923–1926  ; op cit, 787. 5 Hofmannsthal zeigte sich von Schmitts lebendiger Geschichtsdarstellung »fasziniert« (BW Redlich, 78). Es finden sich, wie schon oben erwähnt, aus der Politischen Theologie einige Exzerpte in den Aufzeichnungen vom Herbst 1926. Das Lebensbild nannte Hofmannsthal die »konziseste Einleitung« in Webers Werk. Doch auch das Redlichs Buch sollte vielleicht einmal eingehender

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staatsrechtlichem Hintergrund zu rezensieren, was aber nicht zustande kam.6 Mai und November 1926 sind dabei als Eckdaten zu verstehen  : in der Zwischenzeit ist die neue Fassung des Turm im Wesentlichen entstanden. Insofern liegt als begleitende Frage auch für diese Kapitel die nach der Genese des Charisma-Gedankens im neuen Ablauf des Stückes nahe. Die Inszenierung charismatischer Herrschaft bleibt daher gerade ihrer symbolischen Affinität wegen Ausgangspunkt der Interpretation auch der Bühnenfassung. Sie hat aber in einen stark veränderten geistigen und methodischen Bezugsrahmen betrachtet zu werden, wie ihn die dialektisch einwirkenden Bezugnahmen auf Benjamin und Schmitt generieren. Die Umarbeitung betrifft damit sowohl methodische als auch, mit dem geschichtlich-theologischen Gehalt, inhaltliche Bereiche. Das gesamte Gefüge des Stücks kommt heftig in Bewegung, um am Ende doch als facies hippocratica (und zwar die einer kulturpolitischen Idee) der Betrachtung geboten zu werden – »Denn so sicher ein solcher Verlauf aller pragmatischen Geschichtsdarstellung zugrunde zu legen ist, so gewiß beansprucht die Dramatik von Natur Geschlossenheit, um die Totalität, die allem äußeren Zeitverlauf versagt ist, zu gewinnen.« (GS I 1, 255  ; Trauerspiel)

So viel ist im Vorhinein bereits festzuhalten  : Die Änderungen, Einschübe und Neuverfassung von einzelnen Worten, Repliken und ganzen Szenen v. a. im ersten, vierten und fünften Akt sind weit mehr als bloße Konzessionen an die Aufführbarkeit und das von Reinhardt berechnete Publikumsinteresse. 7 Jedoch kommt diesen ›Rationalisierungsversuchen‹ ein erheblicher Interpretationswert zu, der auf die Ökonomisierung der Zeit in der neuen Fassung verweist – und damit auf hinsichtlich der konstitutionellen Bemühungen der Woiwoden im 4. Akt gelesen werden. Immerhin enthält es ein Kapitel zur »Verhängung des provisorischen Ausnahmezustandes in Ungarn« – Josef Redlich  : Das österreichische Staats- und Reichsproblem. Geschichtliche Darstellung der inneren Politik der Habsburgischen Monarchie von 1848 bis zum Untergang des Reiches. Bd. II  : Der Kampf um die zentralistische Reichsverfassung bis zum Abschlusse des Ausgleiches mit Ungarn im Jahre 1867  ; Leipzig 1926. 178 f. Vgl. hierzu (auch im Hinblick auf Hofmannsthal) Fredrik Lindström  : Empire and Identity  : Biographies of the Austrian State Problem in the Late Habsburg Empire  ; op cit (2008). 6 Redlich war Professor für englisches Staatsrecht und hatte als letzter Finanzminister der k. u. k.Dynastie (im Kabinett Lammasch) auch erhebliche praktische Einblicke. »Der Anstoß aber, eine solche Recension niederzuschreiben, wird sich vielleicht ganz ungezwungen aus der Vergleichung der beiden Fassungen ergeben.« (BW Redlich, 76). 7 Vgl. hierzu König, Dichter unter den Philologen  ; op cit, 369 f. und Georgina A. Clark  : Max Reinhardt and the Genesis of Hugo von Hofmannsthal’s »Der Turm«  ; in  : Modern Austrian Literature  ; Heft 17 (1/1984). 1–32.

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Webers dritten Typus der Herrschaftslegitimation (gegen welchen der Soziologe im Übrigen selbst erheblich Skepsis hegte). Denn was an ihrem Ende als der gewaltsamen Entscheidung des Ausnahmezustandes steht, ist nicht nur der Sieg der Autorität über die Wahrheit und also der Macht über das Recht, sondern auch der Rationalität über den »Mehrwert des Politischen« (wie er sich nach Schmitt im Prinzip der personalen Repräsentation mitteilt), ist nicht allein der Sieg des Intriganten über den Souverän, der Regierung über die Herrschaft (und ihre Herrlichkeit) und damit des Staates über die Gemeinschaft, des Befehls über das Gebot, des Kollektivs über das Individuum, sondern auch des Zeitgeistes über das kulturell tradierte Wissen und also der Sieg der Zeit (Kontingenz) über die Dauer (geschichtlicher Konstruktionen), der Immanenz über die Transzendenz und damit der »Fatalität« über die Freiheit. All diese Antinomien, die Hofmannsthal zum Ausgleich zu bringen trachtete, reißen in seinem Trauerspiel einen Abgrund auf, der jede Vermittlung verschlingt, und man erkennt schnell die Radikalität, mit der Hofmannsthal den Wechsel des politischen Vorzeichens von der utopischen Sehnsucht nach tiefer Gemeinschaft einer überzeitlichen Nation von geistig Verbundenen hin zur dystopischen Härte dieses neuen Ausgangs völlig antithetischer Dramatik vorgenommen hat. Deren Zentrum aber lässt sich zusammenfassen in der Formel einer ›Diktatur der Gegenwart‹. Denn was die neue Fassung des Turm noch überaus deutlicher hervorhebt, ist die zeitliche Dimension jeder Herrschaft und Machtausübung, welche die utopischen Fassungen gerade als überwindbar zeigen wollten. Dabei allerdings werden die Verhältnisse nicht mehr nur als permanent von der verfließenden Zeit hinterfragte hingestellt, sondern die Zeit selbst wird im Drama vom krisenhaften Hintergrund einer »Zeit die sich erneuern will« (Arzt, Akt III), über die Darstellung der Epochen ihres Regimes zu einem Medium der Herrschaft selbst. Dies ist die entscheidende Neuerung der Bühnenfassung und sie hat sehr mit Benjamins Geschichtsphilosophie des Trauerspiels und seiner Beschreibung der Figur des Intriganten als moderner Figuration des Bösen zu tun, als welcher nun – so viel sei vorweggenommen – Olivier, dieses neue Herrschaftsmedium selbst verkörpernd, über die Menschheitshoffnung Sigismund triumphiert. Die Bezugnahme auf Schmitt wird hingegen vor allem in der staatsrechtlichen Profilierung der Herrschaftsformen sichtbar, weniger also im (schon vorher bestehenden) Krisenszenario selbst, als in dessen Ausgang. Dies ist mit dem Schmittschen Verständnis des ›Ausnahmezustands‹ in Verbindung zu bringen  ; dieser ist grundsätzlich gerade nicht als der ordnungslose, sondern als der rechtsfreie Zustand gedacht, welcher andauert, bis der Souverän eine neue Verfassung erlässt. Allerdings

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muss im Fall des absoluten Ausnahmezustands hierfür zunächst eine »Situation geschaffen werden«, »in der Rechtssätze gelten können«8 und eine Gewaltenteilung überhaupt erst wieder in Betracht kommt. Der Ausnahmezustand wurde also grundsätzlich als eine zeitlich begrenzte Phase gedacht, ähnlich der Zeit des Interregnums im traditionalen Königtum. Auch für die verschiedenen Gewalten wurden Wiederholungen von Zeitmustern in Abhängigkeit vom politischen System bemerkt  : »[…] Gerichtsbarkeit steht für das, was in der Vergangenheit geschah […] Legislative […] weist in die Zukunft […] Die Exekutive hingegen exekutiert blanke Gegenwart. In Militärdiktaturen werden mit der Abschaffung einer unabhängigen Gerichtsbarkeit und eines unabhängigen Parlaments zugleich Vergangenheit und Zukunft negiert. Alle Gewalt wird der Exekutive unterstellt […].«9

Hofmannsthal hatte eine mythische Wahrnehmung von der Zeit und deren Schicksalhaftigkeit, ohne ihre rationale Abkunft und Wirkung zu leugnen, welche er allerdings zu unterwandern strebte. Den dramatischen und politischen Implikationen dieser Wahrnehmung und ihrer Strategien ist im Folgenden nachzugehen. »Die Macht der Gegenwart in deren Medium zu erschauen, war« Hofmannsthal im eminenten Sinn »gegeben«,10 der nicht umsonst seit dem Jedermann (1911) mit barocken Formen experimentierte, die nicht nur auf Anschauung, sondern Gestaltung des Zeit-Topos drängten. Die geschichtliche Bedeutung der Veränderung der Welt hat Hofmannsthal immer wieder hervorgehoben  : »[…] ich habe mich lebenslang mit dem was man ›Zeit‹ nennt (in den mehrfachen Bedeutungen des Wortes) herumgeschlagen, und möchte nicht sterben, ohne diesem Gegner, der etwas schlangenartig umschlingendes [sic] hat, noch mehr ins Gesicht gesehen zu haben.«11 Dieses Gesicht scheint hinter den   8 PT, 13 – von Hofmannsthal markiert. »Die zwei Elemente des Begriffs ›Rechts-Ordnung‹ treten hier einander gegenüber und beweisen ihre begriffliche Selbstständigkeit.« (PT, 13). Agamben schrieb hierzu  :»Der Ausnahmezustand ist demnach nicht so sehr eine raumzeitliche Aufhebung als vielmehr eine komplexe topologische Figur, in der nicht nur Ausnahme und Regel, sondern auch Naturzustand und Recht, das Draußen und das Drinnen ineinander übergehen.« (Agamben, Homo sacer  ; op cit, 48).   9 Helga Nowotny  : Eigenzeit. Entstehung und Strukturierung eines Zeitgefühls  ; Frankfurt/Main 1993. 151. 10 GS I 1, 278  ; Trauerspiel. 11 Hofmannsthal  ; BW Burckhardt, 263 (29. November 1927). Man kann bei dieser Beschreibung an Delacroix’ Gemälde Apollons Kampf mit dem Python (1850/51) denken, das Hofmannthal zu-

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Masken der Epochen in der neuen Fassung des Turm auf und es hat wenig erfreuliche Züge.12 Was man etwa der veränderten Auftaktszene und dem neugeschriebenen fünften Akt schnell entnehmen kann, ist der rationalisierende Zug, der über den Zeit-Topos ins Stück gelangt und die Zeit der Könige beendet wie auch die gemeinschaftliche, charismatisch-messianische Endzeit-Erwartung annulliert. »oliv ier  : Halts Maul, bis Zeit ist. […] Alle gehen gegen alle. Es bleibt kein Haus. […] Die [Herren] werden kopfunter in den Abtritt fahren […] Wirst es erfahren, bis Zeit ist.« (SW XVI.2, 129 f.) »der mit der fackel Achte nicht auf den Toten  ; denn du wirst ewig bei uns bleiben. ein gr eis drängt sich vor Sehet ihn an, unseren König, wie er dasteht. Wie in lebendigem Flußwasser gebadet, so glänzt er von oben bis unten.« (SW XVI.2, 210) »oliv ier Vorwärts, gebt Luft hier  !« (SW XVI.2, 213) […] Der Basilius ist abgetan  ? jeronim Abgetan. Mit dem Glockenschlag sieben. An einer Kellerwand, einen Sack übern Kopf, und gleich dort vergraben. […] ol i v ier  : Allmählich die Höfe räumen. Er sieht auf seine Taschenuhr Um neun Uhr haben sie geräumt zu sein. […]« (SW XVI.2, 216)

Deutlicher hätte die Verbindung von Herrschaftsform und zeitlichem Regiment sowie beider Wechsel nicht ausfallen können. ›Zeit‹ ist das von außen rationalisierende Element, dem die Könige und die Gemeinschaften verfallen. Die Metapher des Flusswassers kann man – eingedenk möglicher biblischer Anleihen13 – jedenfalls so deuten, dass sie die Verleihung ewigen Lebens impliziert (wie Siegfrieds Bad im Drachenblut ihn nahezu unverwundbar machte) – welches ja auch die Auszeichnung des political body vor den aller Salbung zum Trotz dahinwelkenden Herrscherkörpern ist. Wie aus dem erneuerten Ablauf ersichtlich, ist dieser ›Ewigkeit‹ (auf Erden) jedoch nur kurze Dauer eingeräumt. Das mindest über Julius Meier-Graefe oder Baudelaires Essay über den Maler bekannt gewesen sein dürfte  ; vgl. hierzu Sabine Schneider  : Verheißung der Bilder  ; op cit, 130 f. 12 Übrigens ist diese Haltung keineswegs typisch nur für den Konservatismus dieser Zeit  ; auch Ernst Toller sprach davon, mit dem Drama das Bild einer Epoche [zu] geben« (Ernst Toller  : Gesammelte Werke Band III. Politisches Theater und Dramen im Exil 1927–1939  ; hg. v. J. Spalek u. W. Frühwald  ; München 19952. 327). 13 Vgl. die Ausführungen der Kritischen Ausgabe zur Bedeutung des Wassermotivs im Johannesevangelium und bei Burdach (Faust und Moses)  ; SW XVI.1, 541  ; Erläuterungen. In den Notizen der dichterischen Fassungen war diese Sentenz noch einem Mörder zugeordnet (vgl. 4.2.2/3).

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geht konform mit der genremäßigen Präzisierung des Turm zum Trauerspiel Benjaminscher Lesart, dessen Gehalt eben nicht Mythos sei, wie in der Tragödie, sondern Geschichte. Anders als bei der »prozessualen Dramaturgie« der Tragödie sei daher nicht die Herstellung von Einheiten, sondern die Wiedergabe von Antinomien und damit eine ›antithetische Dramaturgie‹ für das Trauerspiel kennzeichnend, weswegen die Allegorie vor dem Symbol ihr wichtigstes Stilmittel sei.14 Und die Kritik der Geschichte ist bei Hofmannsthal – in Umkehrung einer prägnanten Stelle in Benjamins Kritik der Gewalt – eben die Darstellung ihrer Gewalt, welche das Subjekt der Geschichte – und zugleich Subjekt der Dichtung – erleidet. Diese bedarf, das wurde bereits im Vorkapitel ausgeführt, zur steten Rechtfertigung (die mit jeder Ausübung in Frage steht) des »Legitimitätsglaubens«. Damit kommt der Mythos-Begriff auf anderer Ebene wieder ins Spiel, denn für Benjamin ist die Praxis von Rechtserschaffung und -erhaltung eine Form mythischer Gewalt (vgl. 4.4.1), die allerdings einem rationalen Anspruch folgt. Wurden in den dichterischen Fassungen traditionale und charismatische Herrschaft und ihre Legitimationsformeln inszeniert, tritt hier also Webers dritter Typus der (eigentlich) legitimen Herrschaft die Nachfolge an  : der rationale (denn was eine Zeit als rational empfindet, hängt von ihrem übergeordneten Weltbild – und damit wiederum von Mythen ab). Dies erfolgt abermals dialektisch und in einem derartig verfinsterten Szenario – »Darzustellen das eigentlich Erbarmungslose unserer Wirklichkeit […]« –, dass man meinen könnte, Hofmannsthal habe hier, den Gedanken einer »Dialektik der Aufklärung« von deren dunkler Nachtseite vorwegnehmend, aus der Moderne (und ihren totalitären Tendenzen) eine Schädelstätte des aufgeklärten Geistes gemacht. Denn der völlig veränderte Ausgang »in einer nüchtern-furchtbaren Atmosphäre«15 legt alles andere nahe als die Legitimität des politischen Prozesses.

14 Vgl. GS I 1, 242/243 und 296  ; Trauerspiel. Schmitt hat übigens am Beispiel von Schillers historischem Drama Benjamins Poetik des Geschichtsdramas kritisert  : »Hier käme es darauf an, ob das Bildungswissen um die Geschichte, das bei den Zuschauern vorausgesetzt werden kann, eine gemeinsame Gegenwart und Öffentlichkeit bewirkt oder nicht. Je nachdem, ob diese Frage bejaht oder verneint wird, bedeutet die Geschichte eine Quelle des tragischen Geschehens oder nur die literarische Quelle für ein Trauerspiel. Ich glaube nicht, daß Geschichtskenntnisse den Mythos ersetzen.« (Schmitt, Hamlet oder Hekuba  ; op cit,48/49 [Hervorh. A.M.]). 15 RA III, 625  ; Ad me ipsum  ; BW Burckhardt, 202.

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5.1 Allegorie und Ausnahmezustand. Die moderne Dramaturgie der Entscheidung »Der religiöse Mensch des Barock hält an der Welt so fest, weil er mit ihr sich einem Katarakt entgegentreiben fühlt. Es gibt keine barocke Eschatologie.« (GS I 1, 260) »Der Dichter – […] Sein Gegenstand  : die Identität innerhalb verwandelter Welten. Sein Instrument  : das Gleichnis.« (RA III, 590  ; Aufzeichnungen [1927])

Die dramaturgische Schwäche des utopischen Ausgangs der ersten beiden Turm-Fassungen hatte Hofmannsthal schon während des Schreibprozesses geahnt  ; umso offener zeigte er sich anschließend für Kritik, die häufig auf das Problem mangelnder Authentizität von Dramenausgang und Agonalität zielte (vor allem seitens Bubers und Mells).16 Auch störte ihn selbst der epische (fast  : filmische) Zug darin, der über den langen zeitlichen Abstand zwischen viertem und fünften Aufzug in das Stück geraten war  ; diesen wolle er durch »Wahrung des Dramatischen« zurückdrängen, schrieb Hofmannsthal an Andrian.17 Die Stärkung des »Dramatischen« im Stück, in dem sich die Aktion nach der missglückten Probe nun »Schlag auf Schlag« entwickeln sollte, war auch eine Konzession an Reinhardt, der sich intensiv mit Hofmannsthals Drama auseinandersetzte, es aber nie zur Aufführung brachte.18 Es liegt auf der Hand, dass diese Straffung dem Schmittschen Dezisionismus insbesondere der Politischen Theologie korrespondieren konnte. Die Formulierung des »über dem Abgrund gebauten« Schlosses gestattet zudem die Annahme, dass Hofmannsthal die Ambivalenz jenes ›Mythopos‹ charismatischer Führung mit Endzeitverheißung, die politische Missbrauchbarkeit seiner Symbolik (insbesondere des Schlussbildes) in einer sich radikalisierenden Zeit bewusst wurde – »Abgrund  : symbolische Darstellung« lautet eine Aufzeichnung aus dem Zeitraum der ersten Lektüre des Trauerspielbuches, woraus sich auf das »Wagnis ins Mythische zu gehen« schließen lässt.19 16 Den Kinderkönig befand Buber als zu unwirklich, Mell den Olivier als zu unprofiliert. Vgl. hierzu die Kapitel »Entstehung und Zeugnisse« der Kritischen Ausgabe (SW XVI.2, 235 f.). 17 BW Andrian, 380. 18 SW XVI.2, 237  : Entstehung. Zu Reinhardts Einfluss auf den Turm vgl. Georgina A.Clark  : Max Reinhardt and »Der Turm«  ; op cit. 19 RA III, 577 und 588  ; Aufzeichnungen [1925/27]. Der neu erschienene Band SW XXXVIII zu den Aufzeichnungen stellt jetzt noch erheblich mehr Material (insbesondere Exzerpte) zur Interpretation bereit (SW XXXVIII, 964 f.)

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Gerade dies hat Benjamin – der in den Notizen zur Umarbeitung übrigens zuerst mit »Benjamin  : Teufel« direkt erwähnt wird20 – in seiner Rezension zur Bühnenfassung hervorgehoben, die dichterischen Fassungen damit implizit abwertend  : Den von Calderón herrührenden »Traum als theologisches Paradigma konnte der neuere Dichter unmöglich sich aneignen wollen. […] Der Traum nämlich hat in der ersten Fassung des ›Turms‹ alle Akzente eines chthonischen Ursprungs.«21 Diese Kritik ließ Benjamin möglicherweise bereits vor der Umarbeitung deutlich werden  ; jedenfalls hat sich Hofmannsthal in dieser Fassung um kein politisches Paradigma der Utopie (als dem kollektiven Traum) mehr bemüht, sondern um eine gegenstrebige Physiognomie des modernen Bösen (vgl. 5.1.3, 5.4.4). Einige Jahre nach Hofmannsthals Tod schrieb Benjamin  : »Bei keinem Dichter haben Bild und Schein sich inniger, gefährlicher durchdrungen. Ja, eben diese verborgene Zweideutigkeit in Hofmannsthals Bildwelt gibt ihr den geistigen Glanz, die ideelle Bedeutsamkeit, das Zuviel, das ihren unterscheidenden Charakter ausmacht.« Hier hatte sich womöglich wieder der Eindruck der ersten Fassungen durchgesetzt. Gemeint ist damit v. a. der Pakt mit den »acherontischen Kräften« (Bismarck),22 der sich jedoch wie gesehen auch vor der Umarbeitung schon verderblich auswirkte. In der Bühnenfassung hingegen führt er aus dem ästhetischen Zwielicht in die geschichtliche Katastrophe. Vielleicht auch darum würdigte Benjamin den Turm als eines unter den »Werken derer, die theologischen Gehalten in ihrer äußersten Gefährdung, ihrer zerrissensten Verkleidung Asyl geben«.23 Man kann daraus eine Anerkennung der Arbeit an der allegorischen Form des Trauerspiels entnehmen, wie sie sich in der Bühnenfassung niedergeschlagen hat. Diese Arbeit wird in den drei anschließenden Unterpunkten im Zusammenhang mit Benjamins Darstellung der Allegorie als Trope von geschichtsphilosophischer, ästhetischer und rechtlicher Relevanz in ihrer politischen Dimension aufgezeigt. Es geht darum, die Veränderungen im philosophischen Überbau des Dramas zu erschließen, der hier starken Einfluss erhielt. Im Anschluss wird die Bedeutung von Benjamins Theorie auch ›stückimmanent‹ auf Figurenebene nachvollzogen. 20 SW XVI.2, 264  ; Varianten. 21 Walter Benjamin  : Hugo von Hofmannshals »Turm«. Anläßlich der Uraufführung in München und Hamburg [sic  : und Würzburg]  ; GS III, Turm-Rezenion II. S 98–101 [1928]. 22 Überlegungen zu Bismarcks Pakt als einem möglichen Hintergrund für die Figur des Julian – der jedenfalls in Hofmannsthals berühmten Schema Preuße und Österreicher (1917) den preußischen Typus vertritt – finden sich bei Altenhofer, Ironie  ; op cit, 70. 23 Benjamin  : GS III, 276, 277  ; Theologische Kritik.

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5.1.1 ›Negative Poetologie‹  ? Benjamins Allegorien und die Metaphysik von Rechtsnormen »Gerade eine Philosophie des konkreten Lebens darf sich vor der Ausnahme und vor dem extremen Falle nicht zurückziehen, sondern muß sich im höchsten Maße für ihn interessieren.« (PT, 15) »Allegorien veralten, weil das Bestürzende zu ihrem Wesen gehört.« (GS I 1, 359  ; Trauerspiel)

Hofmannsthals zentrale Frage hinter der Arbeit am Turm lautet  : »Wie politisiert man diesen Geist«  ? Sie betrifft die Problematik einer von Thomas Mann schon behaupteten Unvereinbarkeit24 deutscher Intellektualität mit Politik und richtet sich jedenfalls gegen ein Primat des ökonomischen Denkens. Nur kurze Zeit später wurde die Frage damit entschieden, dass man den Geist schlichtweg aus der Gleichung strich – mit einer Formulierung, die an Napoleons berühmtes Postulat »Die Politik ist das Schicksal« erinnert  :25 »Wir haben nunmehr das Politische als das Totale erkannt« schrieb Carl Schmitt im zeitgemäßen Vorwort zur zweiten Auflage des Begriff des Politischen (1933). Darin tritt einmal mehr die abgründige Schicksalsgläubigkeit eines Teils damals leitender Rechtsintellektueller zu Tage. Zugleich verbirgt sich darin ein Interpretationsanspruch hinsichtlich des aus den Konfliktlinien, Brüchen und Antinomien der Zeit erwachsenden Politischen, also hinsichtlich einer Gesellschaft, deren kollektiv Unbewusstem es entspringt.26 Schmitts »Philosophie des konkreten Lebens« dürfte Hofmannsthal daher, der dessen spätere Karriere nicht voraussehen konnte und seine (eigene) Dramatik durchaus als Teil einer solchen Arbeit am »Sozialen« verstand, begrüßt haben. Wollte er an seinem Anspruch festhalten, »[…] in einem krisenhaften Augenblick der deutschen Geschichte die anarchischen wie die restaurierenden Tendenzen 24 »Die Deutschen und die Form. Es handelt sich nicht darum  : wie kommt Geist in diese Politik – sondern wie politisiert man diesen Geist.« (RA III, 593  ; Aufzeichnungen [1928]). vgl. dagegen Thomas Manns Betrachtungen eines Unpolitischen, (op cit, 129, 141 und v. a. 282), in denen die Forderung nach Politisierung des Geistes als Unverschämtheit zurückgewiesen wird (womit er sich gegen seinen Bruder Heinrich Mann wendete). 25 »Es gibt kein Schicksal, die Politik ist das Schicksal.« RA II, 471  ; Napoleon. 26 Ein Interpretationsanspruch, den Schmitt mit seiner Definition von 1928 natürlich schon eingelöst zu haben vorgab  : »Der Begriff des Staates setzt den des Politischen voraus.« BP, 21.

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aus einer überlegen unabhängigen Haltung des Geistes zu deuten«, 27 bedurfte er eines poetischen Verfahrens, das ausreichend Spannweite zuzugestehen versprach, um die Zeit in ihren politischen Extremen und ihrer Veränderlichkeit noch umfassen und dramatisieren zu können.28 Dieses erhielt ab Juni 1925 mit dem Typoskript von Benjamins Ursprung des deutschen Trauerspiels entscheidende Impulse. Benjamins Poetik (angeblich) des barocken Trauerspiels eröffnet dieser Form ein gewaltiges Einzugsgebiet politischer, zeitgeschichtlicher und historischer Kontexte und beschreibt eine Methodik von deren allegorischer Konzentration zum (Wahrheits-)Gehalt des Kunstwerkes  : »Was immer an weitgreifenden Zusammenhängen in einer hie und da vielleicht noch vage, noch kulturhistorisch anmutenden Methode konnte eingebracht werden, rückt unterm allegorischen Aspekt zusammen, versammelt sich zum Trauerspiel in der Idee.«29 Hierdurch allein, durch die Allegorie als »strömendes Abbild«, könnten die zeitgeschichtlich bedingten Stoffe assimiliert werden, die, im Fluchtpunkt der Negation zum Gehalt des Stücks gedichtet, »außerhalb der theologischen Begriffe« nicht mitteilbar seien  ; ist »doch die Einsicht ins Vergängliche der Dinge und jene Sorge, sie ins Ewige zu retten, im Allegorischen eins der stärksten Motive«30 – und das Trauerspiel damit nur vordergründig eine Angelegenheit bloßer Immanenz. So werde »Im Weltbild der Allegorie […] die subjektive Perspektive restlos einbezogen in die Ökonomie des Ganzen«, bzw. stehe als Negativ für dieses Ganze ein, das sich zwischen den Polen »Astrales Schicksal – souveräne Majestät« bewegt.31 Denn die Ökonomie des Trauerspiels dringt auf Herstellung unerbittlicher Trostlosigkeit, die Benjamin in Analogie zu jener der Geschichte sieht  : »Der drastische Vordergrund sucht in sich alles Weltgeschehen zu sammeln, nicht nur um die Spannweite von Immanenz und Transzendenz zu steigern, sondern auch um die 27 RA III, 63  ; Biographie. 28 So auch Irene Pieper  : »In der Trauerspielschrift arbeitet Benjamin die Allegorie als idealtypische Ausdrucksform des Trauerspiels heraus. Sie ermöglicht es, die Geschichte als ›Gehalt‹ ins Trauerspiel eingehen zu lassen.« (Pieper, Modernes Welttheater  ; op cit, 58). 29 Zum Vorigen vgl. GS I 1, 230  ; Trauerspiel. Zitat  : ebd., 390. Deshalb müsse »[…] die Darstellung beim allegorischen Gefüge dieser Form so insistent beharren, weil nur dank dem das Trauerspiel die Stoffe, die aus der zeitgeschichtlichen Bedingtheit ihm erwachsen, sich als Gehalt assimiliert. Vollends dieser assimilierte Gehalt ist außerhalb der theologischen Begriffe, deren schon seine Exposition nicht entraten konnte, nicht zu entwickeln.« (ebd. [Hervorh. A.M.]). 30 Zuvor  : GS I 1, 342  ; Trauerspiel  ; hier  : ebd., 397. Benjamins ›Anamnese‹ allegorischer Repräsentation wird unter 5.1.3 noch detailliert zu betrachten sein. 31 Zuvor  : GS I 1, 407  ; Trauerspiel  ; hier  : ebd., 309 (über Calderón).

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denkbar größte Strenge, Ausschließlichkeit und Unerbittlichkeit für diese zu erwirken.« (GS I 1, 359  ; Trauerspiel)

Nicht nur der Herrscher, selbst Christus könne in solche Szenarien einbezogen werden (und entsprechend dann auch sein theologisches Gegenüber). Wichtiger noch für den Turm-Kontext aber ist der explizite Einbezug der rechtlichen Konstitution von Gesellschaften in die als vergänglich erfahrene Welt  : »Dabei ist zu bemerken, daß vielleicht die sinnfälligsten Verheerungen diese Erfahrung nicht bittrer den Menschen aufdringen, als der Wandel der mit dem Anspruch des Ewigen ausgestatteten Rechtsnormen, wie er in jenen Zeitwenden sich besonders sichtbar vollzog. Die Allegorie ist am bleibendsten dort angesiedelt, wo Vergänglichkeit und Ewigkeit am nächsten zusammenstoßen.« (GS I 1, 397  ; Trauerspiel/RA III, 580  ; Aufzeichnungen [1925])

Den letzten Satz hat sich Hofmannsthal gesondert notiert, Benjamins Konstruktion einer Äquivalenz von allegorischer »Sprachform« und Rechtsnormen hat ihn offenbar interessiert. Von größter Bedeutung ist im Hinblick auf jene sich hier abzeichnende Analogie der »Zeitwende« von Barock und Moderne zunächst, dass sich an dieser Stelle Benjamins Schmitt-Lektüre deutlich niederschlägt32 – denn sie zeigt eine klare Konvergenz zu jenem Passus der Politischen Theologie über die Soziologie eines solchen Weltbildes, der sich ebenfalls in Hofmannsthals Aufzeichnungen findet  : »Das metaphysische Bild, das sich ein bestimmtes Zeitalter von der Welt macht, hat dieselbe Struktur wie das, was ihr als Form ihrer politischen Organisation ohne weiteres einleuchtet. Die Feststellung einer solchen Identität ist die Soziologie des Souveränitätsbegriffes. Sie beweist, daß in der Tat, wie Edward Caird in seinem Buch über Auguste Comte gesagt hat, die Metaphysik der intensivste und klarste Ausdruck einer Epoche ist.« (PT, 42  ; von Hofmannsthal markiert  ; RA III, 587  ; Aufzeichnungen [1926])33 32 Zuvor  : GS I 1, 318  ; Trauerspiel. Vgl. zu Benjamin und Schmitt auch den Aufsatz Marion Pickers  : Geschichtliche Darstellung. Zu den Intellektuellenfiguren Walter Benjamin und Carl Schmitt  ; in  : M. Gangl /G. Raulet (Hg.)  : Intellektuellendiskurse in der Weimarer Republik. Zur politischen Kultur einer Gemengelage  ; Frankfurt/Main 20072. 283–296  ; sowie bereits die eingangs erwähnte Studie Susanne Heils  : Gefährliche Beziehungen  ; op cit (1994). 33 Vgl. jetzt umfangreicher in SW XXXVIII, 1001 f.. Dass Schmitts Souveränitätstheorie nicht notwendig auf seine spätere Befürwortung des Führerstaates hinausläuft, lässt sich an einem kleinen biographischen Detail belegen  : Stefan Breuer berichtet von einer 1922 in Greifswald vorgelegten

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Hofmannsthal ist beim Übertrag allerdings möglicherweise ein interessanter Fehler unterlaufen. Er schreibt »als Form ihrer politischen Organismen« statt »politischen Organisation«.34 Das würde gut zu dem organischen Staatsdenken, wie es in den Deutschen Lesebüchern anzutreffen ist, passen (vgl. 2.3). Ein Staatsgebilde als »politischen Organismus« zu denken, verweist eher auf Adam Müllers »politische Romantik«, als auf Carl Schmitts Technik der Dezision. Für die Interpretation des Turm ist diese Stelle in der Politischen Theologie darum doppelt bedeutsam, denn auch zu Benjamins geschichts- und kunstphilosophischer Abhandlung zum Trauerspiel gibt es essentielle Parallelen. Bernd Witte hat diesbezüglich einen treffenden Versuch vorgelegt  : »Das metaphysische Bild, das sich ein bestimmtes Zeitalter von der Welt macht, hat die selbe Struktur wie das, was ihr als Form ihres literarischen Ausdrucks ohne weiteres einleuchtet.«35 Hierzu ist zunächst zu bemerken, dass Benjamin von einer historisch analogen Situation zur Epoche seines Forschungsgegenstandes, gewissermaßen von einer ›Barockmoderne‹ ausgeht, deren metaphysische Wahrnehmung sich allegorisch im Trauerspiel als Idee ansammle. »Die Idee ist Monade – das heißt in Kürze  : jede Idee enthält das Bild der Welt. Ihrer Darstellung ist zur Aufgabe nichts Geringeres gesetzt, als dieses Bild der Welt in seiner Verkürzung zu zeichnen.«36 – Verkürzung  : das ist bei Schmitt das fluchtpunktartig Organisierende, das der Souveränitätsvorstellung eignet. »Der Souverän schafft und garantiert die Situation als Ganzes in ihrer Totalität. Er hat das Monopol dieser letzten Entscheidung.«37 Ihre Evidenz für die Form des Trauerspiels hat Benjamin klar herausgearbeitet. Es fehlt aber noch die apokalyptische Zurüstung, die Benjamin der allegorisch gefassten »Metaphysik der Epoche« zumutet. Sie wächst ihr in der geschichtlichen Dynamik zu, welche Benjamin auf den »wirklichen Ausnahmezustand« Doktorarbeit – an der Schmitt »als verdeckter Co-Autor« mitwirkte, da es sich bei der Promovendin um seine Geliebte handelte. Darin ist von der Demokratie als politischer Signatur der Epoche die Rede (Breuer, Carl Schmitt im Kontext  ; op cit, 45 ff.). Zum organischen Staatsdenken vgl. auch PT, 53. 34 So nach dem Wortlaut der Transkription der Exzerpte in der von Bernd Schoeller unter Mitarbeit Rudolf Hirschs herausgegebenen ›kleinen‹ Fischer-Ausgabe von 1979/80. Die Kritische Ausgabe der Aufzeichnungen hat diesen ›Fehler‹ nun ›behoben‹ (vgl. SW XXXVIII, 1003), allerdings ohne dies überhaupt zu vermerken. Der volle Umfang der Hofmannsthalschen Exzerpte ist dafür nun einsehbar und rechtfertigt die hier nachfolgend vorgenommene, detaillierte Anamnese. 35 Bernd Witte  : Walter Benjamin. Der Intellektuelle als Kritiker  ; Stuttgart 1976. 113. 36 Zur ›Barockmoderne‹ vgl. GS I 1, 235/236. Die Idee als Monade  : GS I 1, 228. 37 PT, 13 (Hofmannsthal hat sich den Satz angestrichen). Vgl. das Kapitel »Theorie der Souveränität« (GS I 1, 244 f.). Die folgenden Kapitel werden sich intensiv damit beschäftigen.

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hintreiben sah (Achte »Geschichtsphilosophische These«).38 Künstlerische Form dieser Entwicklung ist das Trauerspiel aufgrund seiner geschichtsphilosophischen Qualität, die es vor der auf den Mythos beschränkten Tragödie auszeichne  : »Das geschichtliche Leben wie es jene Epoche sich darstellte ist sein Gehalt, sein wahrer Gegenstand«39 – und das metaphysische Bild von der Welt ist darum ein Positiv dessen, was sich ein Zeitalter als Form ihres Untergangs imaginiert. Benjamin hat das bei Gelegenheit seiner Turm-Rezension selbst konkretisiert  : »Heißt ›dichten‹ einen Stoff zur Auseinandersetzung mit sich selber bringen, so führt es oft durch eine Reihe von Stationen. Die großen Themen staffeln sich in Formen, von denen eine in die andere greift. Und nirgends gilt dies strenger als im Drama. Denn seine Form ist ein sehr wichtiger Index vom schöpferischen Willen eines Kollektivs. Dessen Gesetz aber besagt, daß in der Spannung zwischen Urform und Variante die echte, die produktive Intensität sich ausschwingt.« (GS III, 30 [1926  ; Hervorh. A.M.])40

Einen solchen »intensivsten und klarsten Ausdruck« nicht nur »vom schöpferischen« sondern auch politischen Willen seiner Epoche strebte Hofmannsthal unbedingt an, findet darin die Idee einer geistigen Souveränität doch erst Aufgabe und Gelegenheit, sich zu bewähren  : Benjamins Kollektivwillen hat er sich mit »Die jeweiligen Ausdrucksimpulse einer Zeit (Benjamin)« übersetzt.41 Rudolf Alexander Schröder etwa hatte diesen Punkt in seiner Rezension schon für die 38 Zu Benjamins Geschichtsphilosophie vgl. die Beiträge des von Bernd Witte und Mauro Ponzi herausgegebenen Bandes Theologie und Politik. Walter Benjamin und ein Paradigma der Moderne  ; Berlin 2005. 39 GS I 1, 242/243. Der Ursprung des deutschen Trauerspiels erfreut sich in den letzten Jahren wachsender Beliebtheit in der Benjamin-Forschung, nicht aber in Bezug auf Hofmannsthal. Statt vieler sei hier auf Bettine Menkes wohl umfassendste deutsche Publikation Das Trauerspiel-Buch. Der Souverän – das Trauerspiel – Konstellationen – Ruinen  ; Bielefeld 2010 hingewiesen. Die Diskussion etwa um seine tatsächliche Tauglichkeit für die Barockforschung kann hier nicht (erneut) geführt werden. Vgl. hierzu Peter-André Alt  : Benjamin und die Germanistik. Aspekte einer Rezeption  ; in  : N. Oellers (Hg.)  : Das Selbstverständnis der Germanistik. Aktuelle Diskussionen  ; Tübingen 1988. Bd. I. 133–146  ; sowie Hans-Jürgen Schings  : Walter Benjamin, das barocke Trauerspiel und die Barockforschung  ; in  : N. Honsza/H.-G. Roloff (Hg.)  : »Daß eine Nation die ander verstehen möge«  ; Festschrift für M. Szyrocki  ; Amsterdam 1988. 663–676. Für Hofmannsthals Umarbeitung des Turm ist der Gewinn durch eine solche Perspektive evident. 40 Jedwede Kunstform enthalte den »Index einer bestimmten objektiv notwendigen Gestaltung der Kunst« heißt es entsprechend im Trauerspielbuch (GS I 1, 230). Ansatzpunkt der Übertragung ist demgemäß das jeweils entworfene geschichtliche Bild. 41 SW XXXVIII, 1016  ; Andenken Bodenhausens [1927].

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dichterischen Fassungen hervorgehoben  ;42 auch Nadler teilte in dem schon zitierten Brief seine Anerkennung für dieses Anliegen Hofmannsthals und seine Umsetzung mit. Umso mehr aber gilt dies für die Bühnenfassung. Darum hat ihm wohl niemand größere bzw.: präzisere Anerkennung für diese gezollt, als Hans Heinrich Schaeder, der in einem Brief davon sprach, »[…] daß es der Gesamtbereich des Politischen als geistiger Form […]« sei, den Hofmannsthal dem Drama als Gattung mit dem Turm »zurückerobere«, welcher sich darum weder katholisch noch protestantisch deuten ließe.43 Diese Wertung impliziert zudem, dass die dramatische Form über diesen »Gesamtbereich« einst verfügt habe und dieses Potential dann verloren ging. Jedenfalls konnte sich Hofmannsthal in seiner Entscheidung, den Turm noch definitiver als Trauerspiel zu gestalten, bestätigt sehen.44 Die Hinwendung zu einem an den Extremen orientierten Prinzip der offenen Fragmentarizität, wie sie Benjamin mit der Allegorie als Dispositiv einer ästhetischen Ganzheitssehnsucht intendiert, ist wohl auch vor dem Hintergrund eines Diskurses der Negation in der Moderne zu sehen. Er nimmt Anlauf mit der Kritik Schopenhauers und Nietzsches am okzidentalen Rationalismus (Max Weber) und am Christentum gleichermaßen und mündet nach Stationen einer »Tragödie der Kultur« (Simmel) und einer »negativen Theologie« (Karl Barth) im Gefolge der Rezeption Kierkegaards in dem dann ästhetisch gewandeten apokalyptischen Denken des Expressionismus und der Weimarer Republik  ; nach dem Zweiten Weltkrieg ist er in Deutschland noch in Adornos »Ästhetik der Negativität« vertreten.45 Dass aber die Allegorie nach ihrem »Umschlagen« dieses imaginierte ›Ganze‹ in ihrer (gemeinsamen) Brüchigkeit spiegeln könne, ist 42 In seiner – stark an Benjamins Vokabular angelehnten – Rezension sprach er von einem Werk »aus dem uns das Bild unserer eigenen Zeit entgegentritt« (in  : Neue Zürcher Zeitung, 20. 6. 1926  ; jew. zit. n. SW XVI.2, 403). 43 Brief vom 8. Januar 1928  ; SW XVI.2, 473. 44 Inwiefern Schaeder zu diesem Zeitpunkt bereits mit Schmitts frühem Werk vertraut war, wäre an anderer Stelle zu erarbeiten  ; 1942 erscheint jedenfalls eine Schrift über die Großraumtheorie, die ihn als Schmittkenner ausweist. Vgl. Hans Heinrich Schaeder  : Die Weltreiche und die Großraumidee der Gegenwart. Vorträge d. Friedrich-Wilhelms-Universität zu Breslau v. Hans Heinrich Schaeder  ; Breslau 1942. 45 Zum apokalyptischen Denken vgl. Jürgen Brokoff  : Die Apokalypse in der Weimarer Republik  ; München 2001. Zur Theorie ästhetischer Negativität vgl. Adorno, Ästhetische Theorie  ; op cit und hierzu etwa Christoph Menke-Eggers  : Nach der Hermeneutik. Zur Negativität ästhetischer Erfahrung  ; Universitäts-Dissertation, Konstanz 1987  ; und für den literaturwissenschafltichen Bereich z. B.: Philipp Schönthaler  : Negative Poetik. Die Figur des Erzählers bei Thomas Bernhard, W.G. Sebald und Imre Kertesz  ; Bielefeld 2011. 263 f.

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eine Idee Benjamins, die er im dialektischen Bild später erneuert. 46 Man kann sie darum als ›defizitäre Monadologie‹ bezeichnen, die den Kritiker erst in seine Rechte einsetzt – Das deutsche Trauerspiel habe »Anspruch auf Deutung«, weil es »im Geiste der Allegorie […] als Trümmer, als Bruchstück konzipiert [ist] von Anfang an.« Diese Deutung habe sich wesentlich auf die Art der »notwendige[n] Richtung auf ’s Extreme« und dessen Bindung in den »Elemente[n] einer Synthesis« zu richten,47 welche sich bei Hofmannsthal durchaus mit einer Staatsidee verband (wohingegen Benjamin den »gegenwärtigen Erben« des »barocken Literaten« hier einen Mangel auswies, sofern sie nicht revolutionär und staatsfeindlich eingestellt waren).48 5.1.2 Fassungsversuche. Das »Theologisch-Politische«49 im zeitgeschichtlichen Gehalt »Die substantiae secundae  : das Theaterstück – das Trauerspiel. | Ahnung der Regeln. Ahnung, daß hier von der Gesamtheit etwas gewollt und gesucht wird. | Die Offenbarungen, durch die Ausübung der Dichtkunst empfangen. / Die Augenblicke der Macht.« (RA III, 621  ; Ad me ipsum [I. XI. 26]) »Die werdende Formensprache des Trauerspiels kann durchweg als Entfaltung der kontemplativen Notwendigkeiten gelten, die in der theologischen Situation der Epoche beschlossen liegen.« (GS I 1, 259  ; Trauerspiel)

Der Begriff des Politischen war eingangs der Studie bestimmt worden als ein vitaler Ausdruck des kollektiv Imaginären, aus welchem dem (rechtlich) Beste46 »Zum dialektischen Bilde. In ihm steckt die Zeit. Sie steckt schon bei Hegel in der Dialektik. Diese Hegelsche Dialektik kennt aber die Zeit nur als eigentlich historische, wenn nicht psychologische, Denkzeit. Das Zeitdifferential, in dem allein das dialektische Bild wirklich ist, ist ihm noch nicht bekannt. Versuch, es an der Mode aufzuzeigen. Die reale Zeit geht in das dialektische Bild nicht in natürlicher Größe – geschweige denn psychologisch – sondern in ihrer kleinsten Gestalt ein. – – Ganz läßt sich das Zeitmoment im dialektischen Bilde nur mittels der Konfrontation mit einem andern Begriffe ermitteln. Dieser Begriff ist das ›Jetzt der Erkennbarkeit‹.« (GS V 2, 1038  ; Passagen-Werk). 47 GS I 1, 409 und GS I 1, 238  ; Trauerspiel. In der Methodik erinnert dies an Hofmannsthals eigene poetologische Ausführungen in Der Dichter und diese Zeit (1906). Insofern steht die Wiederaufnahme des Topos der Zerrissenheit (und deren Synthese im Dichter-Subjekt) in der SchrifttumRede (vgl. 2.4) im Zeichen beider Texte. 48 Vgl. GS I 1, 236  ; Trauerspiel. 49 Vgl. Claude Lefort  : Fortdauer des Theologisch-Politischen  ? (op cit  ; 2001).

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henden eine beständige Infragestellung erwächst (vgl. 1.1). Im apokalyptischen Zug des Trauerspiels erhält es zudem jene politisch-theologische Referenzialität, die bei Benjamin ex negativo einen Stich ins Messianische vollzieht. Jede Eschatologie geht von der Stillstellung der Zeit aus, und Staat wie Kirche als verwaltende geschichtliche Mächte haben sich mit deren Vorboten – dem revolutionär Politischen – herumzuschlagen, bis es so weit ist.50 Eine solche Stillstellung der Zeit mit poetischen Mitteln zu erreichen, die im Trauerspiel der Kategorie Benjamins zur Anschauung kommen kann (und dem deutschen Barock gefehlt habe), schwebte Hofmannsthal durchaus vor  ; die Kinderkönig-Szene der dichterischen Fassungen ist für solche ›Theopoetik‹ Beleg.51 Die Auseinandersetzung mit dem kontingenten Geschehen seiner Zeit prägt sich daher in zahlreichen Äußerungen aus, die nicht selten im Zusammenhang mit dem Turm zu lesen sind  : »Die Zeiten folgen einander. Was für die eine Errungenschaft war, ist für die andere ein schales Selbstverständliches. Wer seine Zeit nicht erfasst, hat verspielt«  ; »Es handelt sich, den Geist der Epoche und den des Individuums zu beschwören und sie beide auseinanderzulösen« (RA III, 276  : Buch der Freunde  ; RA III, 621  ; Aufzeichnungen [I. XI. 26])

Wie im Vorkapitel ausgeführt, hat Benjamin insbesondere die Eigenschaft der Allegorie hervorgehoben, kulturgeschichtliche Kontingenz zu adaptieren  : »Indem mit der Renaissance Heidnisches, mit der Gegenreformation Christliches neu sich belebte, mußte auch die Allegorie, als Form ihrer Auseinandersetzung, sich erneuern«, und zwar gerade in dem, was als Ursache dieses Wechsel zur Darstellung komme.52 Für Hofmannsthals Vorhaben einer dem modernen Ra50 Schmitts Kat-Echon-Theorie zielt genau auf dieses Problemfeld, vgl. hierzu Jacob Taubes  : Ad Carl Schmitt. Gegenstrebige Fügung  ; Berlin 1987. 21 f. und Agamben, Herrschaft und Herrlichkeit  ; op cit, 201 f  ; Kapitel »Angelologie und Bürokratie«. 51 Benjamins Deutung des Barocks als Epoche der reinen Immanenz ist ganz klar und klang schon mehrfach an (so mit dem »Ausfall aller Eschatologie« und weiteren Zitaten  ; vgl. etwa GS I 1, 260  ; Trauerspiel). Dies scheint Bedingung für die ›gelingende Allegorie‹ zu sein, wie teilweise nachfolgend auszuführen ist. Warum Benjamin in seiner Rezension zur Bühnenfassung dennoch von Eschatologie sprach (s.o.), ist an sich überraschend. Dass »Die Poeterey […] anfangs nichts anderes gewesen [ist] als eine verborgene Theologie« war jedenfalls den barocken Schriftsteller schon klar (GS I 1, 349  ; Trauerspiel  : Opitz). Die oben (2.) mit Jacob Grimm zitierte Nähe zwischen Literatur und Recht betrifft denselben – nunmehr jedoch säkularisierten – Punkt. 52 GS I 1, 400 und 359  ; Trauerspiel. »Die dialektische Energie des Allegorischen, die den profanen Gegenstand mit metaphysischer Verweisungskraft ausstattet« (Alt, Begriffsbilder  ; op cit, 23), ist hier offenbar zum Tragen gekommen. Es ist dies allerdings ein Wechselprozess, wenn dieser Gegenstand seine Profanität zuvor aus der Allegorese mythischer Bestände erhielt.

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tionalismus entgegensteuernden »Kulturdichtung« (König) fraglos interessante Bemerkungen. Benjamin führt weiter aus, die Allegorie habe diese Erneuerung geleistet mit dem Bildnis des Bösen, das sich in ihr mitteile, also dem Feindbild der Epoche – Beispiele sind die heillose Verworfenheit des Ränkeschmieds oder auch die Unmenschlichkeit des rasenden Tyrannen. Ein solches Böses, in den dichterischen Fassungen noch als »ewig Ochlokratisches« in Olivier verkörpert, führt Hofmannsthal nun jedoch mit Webers dystopischen Beschreibungen der rationalen Herrschaft überein und modernisiert es auf diese Weise. So besteht die Melancholie dieser ›Barockmoderne‹ nicht zuletzt auch darin, dass ihr die »Ponderación misteriosa«, also »das Eingreifen Gottes ins Kunstwerk« verwehrt ist und das Charisma der Entzauberung verfällt. Versinnbildlicht ist dies in der Folgenlosigkeit des neu eingefügten ärztlichen Stoßgebetes im entscheidenden Moment der Fensterszene. Das erbetene »Wunder« – nach Schmitt das religiöse Äquivalent des Ausnahmezustands – bleibt aus.53 Stattdessen ist in der Tat »ein nüchterner Tag« (Olivier) für die Welt angebrochen  : Sigismund, die Kreatur einer vollkommenen immanenten Transzendenz (»quinta essentia aus den höchsten irdischen Kräften«), wird vom kühl kalkulierenden Machttechniker hinweggeräumt. Die ›Stunde Null‹ gesellschaftlicher Verfasstheit mit der Vielzahl an Entwicklungsmöglichkeiten ist mit einem Schlag beendet und der »Ausfall aller Eschatologie« als der aller Humanität scheinbar erwiesen. Das einsetzende Zeitregiment – »Olivier  : über all hin Uhren« – ist als Auftakt eines Zeitalters ›stahlharter Hörigkeit‹ zu verstehen, das aus Bürgern wieder »ägyptische Fellachen« mache, wie Weber sein Schreckbild der zur totalitären Bürokratie verkommenen rationalen Herrschaftsform beschrieb.54 Das Böse triumphiert zwar auf ganzer Linie, wird aber von Hofmannsthal durch »Verknotung zwischen Materialischem und dem Dämonischen« deutlich in den allegorischen Kontext des Trauerspielbuches gerückt und bleibt – anders übrigens als im Xenodoxus-Fragment55 – immanent  : 53 Zuvor  : GS I 1, 408  ; SW XVI.2, 367  : Arzt  ; Das Zitat Schmitts lautet  : »Der Ausnahmezustand hat für die Jurisprudenz eine analoge Bedeutung wie das Wunder für die Theologie.« (PT, 37). Damit ist das gedankliche Modell von Webers Die Protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus – dass Religion die Entstehung der Wirtschaftsformen bestimmt – auf das Recht übertragen (dessen Begriffe darum »säkularisierte seien). Die Verbindung von transzendenter und ökonomischer Verfassung hat zuletzt auch Agamben auf ihren politischen Aussagegehalt hin untersucht  ; vgl. Agamben  : Herrschaft und Herrlichkeit  ; op cit  ; zum vorliegenden Kontext vgl. Kapitel »Gesetz und Wunder«, 313 ff. 54 Zuvor  : GS I 1, 259  ; Trauerspiel und SW XVI.2, 358  : Olivier. Das entsprechende Zitat aus Wirtschaft und Gesellschaft (WuG, 835/836) wird seiner Länge wegen hier nicht wiedergegeben. 55 GS I 1, 400  ; Trauerspiel. Vgl. zum Xenodoxus die Parenthesen Lorenz Jägers  : Hofmannsthal und

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»Das Böse, das S. in O. verkörpert sieht  : jenes Böse wird das Historische, das Einmalige, wenn es den Anspruch erhebt, das Ewige zu sein. (Demgegenüber vertreten die Sectierer die Religion der Gleichzeitigkeit – des Ausserzeitlichen) Olivier  : Wir Söhne der Hölle nehmen die Last der Freiheit von Ihnen.« (SW XVI.2, 359  ; Varianten)

Zu erinnern ist hier an den bereits zitierten und von Hofmannsthal notierten Satz vom genius loci der Allegorie, wo Ewigkeit und Vergänglichkeit sich am nächsten kämen  : der verfallenden Rechtsnorm. Hinzuzudenken ist eine Bemerkung Benjamins über die notwendige Subjektivität des Bösen, welches darum beschränkt bleibe, denn dort »kommt die eingestandene Subjektivität zu dem Triumphe über jede trügerische Objektivität des Rechts […]«.56 Man kann hier also tatsächlich von einer sinngemäßen Dramatisierung Hofmannsthals sprechen (ob dies auch für den juristischen Bereich gilt, ist noch zu erweisen). Die Wendung zum Subjektiv-Immanenten als Propension des politischen Trauerspiels zum Bösen fällt also mit dem charismatisch-messianischen Moment des Ausnahmezustands, mit dem Hiatus der Krise rechtlicher Ordnung, dem Augenblick des Theologisch-Politischen zusammen. Und die Entscheidung des Souveräns schafft diesen Moment aus der Welt. Benjamin konstatierte daher  : »Mit ganz anderem Nachdruck als vordem gruppiert sich nunmehr das Geschehen um die politische Aktion. […] In der Verschwörung, auf die es hinausläuft, durchdringen sich das politische und das eschatologische Element. Mit diesem Widerspiel ergriff der Dichter ein Ewiges, Providentielles aller Revolution.«57 Insbesondere der letzte Satz dringt wiederum auf einen Themenkomplex, den Benjamin wie Hofmannsthal sich mittels Carl Schmitts Politischer Theologie (1922) erschlossen haben, deren Darstellung der Theologie revolutionärer Antitheo»Der Ursprung des Deutschen Trauerspiels«  ; in  : Hofmannsthal-Blätter 31/32, 1985  ; 83–106. Für so ›faustisch‹ anmutende Notate Hofmannsthals wie »Wissen, nicht Handeln ist die eigenste Daseinsform des Bösen.« (GS I 1, 403  ; Trauerspiel) kommt eine Figur wie der Asmodi sehr viel eher als ›Ziel der Übernahme‹ infrage. 56 GS I 1, 407  ; Trauerspiel. Schmitt schreibt zu dieser »trügerischen Objektivität«  : »Jede konkrete juristische Entscheidung enthält ein Moment inhaltlicher Indifferenz, weil der juristische Schluß nicht bis zum letzten Rest aus seinen Prämissen ableitbar ist, und der Umstand, daß eine Entscheidung notwendig ist, ein selbständiges determinierendes Moment bleibt.« (PT, 30). Es gebe aber gerade in der Massengesellschaft ein ›soziologisches Interesse‹ an der Entscheidung, um Planbarkeit zu erzeugen. Diese Perspektive auf Benjamins ›normative‹ Konzeption des Trauerspielbuches wird im Folgenden beibehalten  ; aus ihr ergibt sich – der Benjamin-Literatur ungenehm –, dass Benjamin in dem bereits erwähnten Brief an Schmitt (1930) nicht untertrieben hat  ; jedenfalls, was die methodischen Anleihen anbetrifft. 57 GS III, 100  ; Turm-Rezension II [Hervorhebung A.M.].

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logen (Bakunin, Proudhon), den »theologisch fest umrissenen Antichrist[en]«, allerdings weniger auf einen providentiellen Zug als vielmehr auf die Abhängigkeit aller Revolution von der Gewalt des Faktischen rekurriert.58 Das gilt jedenfalls, wenn deren Ziel eine neue bzw. überhaupt eine politische Organisation sein soll  : »Autoritas, non veritas facit legem«59 lautet der Hobbessche Grundsatz politischer Gewalt in Schmittscher Diktion, der das Trauerspiel beschließt. Zumindest aus Benjamin hat man aufgrund seiner Lektüre bislang keinen Anhänger der souveränen Staatlichkeit machen wollen. Dies kann sich schon auf seine Ablehnung von »rechtsetzender« und »rechtserhaltender Gewalt« in der Kritik der Gewalt (1921) als den staatlich-mythischen Erscheinungsweisen stützen, lässt sich aber auch wesentlich an seiner Beschreibung des barocken Souveräns festmachen, welcher nachfolgend (vgl. 5.2.2) thematisiert wird.60 Zunächst ist festzuhalten  : Der Hobbes’sche Satz betrifft nach Logik Benjamins die Welt der Immanenz, wie sie der »sterbliche Gott« mit seiner »künstlichen Seele« verkörpert. Diesen galt es demnach, für die Bühne zu präparieren. Und dieser latent anti-staatliche »Triumph der Allegorie« scheint Hofmannsthals Zustimmung

58 Antichrist  : GS I 1, 400  ; Trauerspiel. Schmitts Etatismus hingegen kann bei Hofmannsthal nur bedingt Eindruck gemacht haben. Hofmannsthals Haltung dem Staat gegenüber befürwortet zwar sicher dessen Vorhandensein als Institution, lehnt aber als entschieden österreichische dessen nationale Ausformungen ab – denn in den nationalen Bewegungen hatte ja schon Grillparzer den Untergang Österreichs lauern sehen. Diese »Kristallisationen aus dem neuen Staatswollen« zergliederten mit Österreich auch den europäischen Gesamtkörper weiter in verschiedene Nationalismen als widerstrebende Endpunkte (A. Weber, Staatsgedanken  ; op cit, 15). Im Buch der Freunde findet sich hierzu folgender Passus  : »Alle nationale Politik führt letzten Endes in ein unvermittelbares Element, in den Idiotismus, das Wort in seinem Ursinn verstanden.« (RA III, 274). 59 RA III, 587  ; Aufzeichnungen  ; PT, 32. Dass Hofmannsthal in seinem Exemplar das ›c‹ in »autoritas« ergänzte, wurde bereits erwähnt. Das kardinale Zitat Schmitts verweist auf den Funktionswechsel des neuzeitlichen Staates bei Hobbes  : fort vom mehrenden, austeilenden »Christomimetes« bzw. »Impersonator« Gottes (Kantorowicz). Herrschaft legitimiert sich nun allein in der Garantie des bloßen Lebens. 60 Helmut Lethen befindet  : Beide (Märtyrer/Tyrann) sind ein »Schreckbild für jeden Dezisionisten  ! Mit Benjamins Denkfiguren war kein Staat zu machen.« Er bezieht dies auch auf den Intriganten, was als Ergebnis für den Turm nicht zu bestätigen ist. Helmut Lethen  : Walter Benjamin und die politische Anthropologie der zwanziger Jahre. Helmut Plessner, Carl Schmitt und Walter Benjamin  ; in  : K. Garber/L. Rehm (Hg.)  : global benjamin. Internationaler Benjamin-Kongreß 1992  ; München 1999. 810–826  : 826. Vgl. hierzu den wichtigen Aufsatz Samuel Webers  : Von der Ausnahme zur Entscheidung. Walter Benjamin und Carl Schmitt  ; in  : G.C. Tholen/E. Weber (Hg.)  : Das Vergessen(e). Anamnesen des Undarstellbaren  ; Wien 1997. 204–224.

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gefunden zu haben.61 Zeugnisse solcher Vorbehalte finden sich auch im Deutschen Lesebuch  : »Unser ökonomisch-technologisch populierendes System, durch eine zentralisierende regierungsdurstige Bureaukratie angewandt, frisst sich selber auf wie Saturn seine Kinder  ; wir sind überbevölkert, haben überfabriziert, überproduziert, sind überfüttert und haben mit Buchstaben und Tinte die Beamten entmenscht, die Verwaltung entgeistet und alles in toten Mechanism aufgelöst.« (DL I, 248  ; Freiherr vom Stein)

Blickt man nämlich auf Vorstellungen von Staatlichkeit in Hofmannsthals Werk, wird man Dramen wie dem Geretteten Venedig (1905) oder Reden wie Die Bedeutung unseres Kunstgewerbes (1919)62 keine sonderlichen Präferenzen ablesen können. Eine Affinität Hofmannsthals zum untergegangenen Heiligen Römischen Reich deutscher Nation hat demgegenüber zwar bestanden  ;63 nicht jedoch aufgrund von dessen korporierter Staatlichkeit, die im Turm schon mit Basilius ganz 61 GS I 1, 394  ; Trauerspiel. Zumal die Formulierung an Hofmannsthals Der Triumph der Zeit (1901) erinnert. Wenn die Tragödie nach Benjamin den »heidnische[n] Mensch[en]« daran erinnert, dass er »besser ist als seine Götter« (GS II 1, 175  ; Schicksal und Charakter) – dann dient das Trauerspiel dazu, ihn mit moralischer Überlegenheit gegen seine Herrscher (seine sterblichen Götter) zu investieren. Darin, so könnte man sagen, besteht dann wohl die eigentliche Gewalt der Kritik. 62 Zur Kritik am monarchischen Staat vgl. RA II, 55 f.; Kunstgewerbe. Hofmannsthals Das gerettete Venedig kann mit der Rhetorik vom Steins konkurrieren  : »[…] die Hunde,/ die nur mit diesem Stichwort  : ehrenwert/ uns arme Teufel, mit dem ganzen Blendwerk/ von Ehr und Treue und Gesetzlichkeit, / wohin sie wollen, an der Nase führen, indessen sie mit dem was wir erwerben / sich mästen, mit verderbter Polizei,/ Gesetzen, nur zu ihrem Spaß ersonnen,/ uns niederhalten, und zu unsern Weibern / ins Bette kriechen. / Unsresgleichen hat / in einem Staat, verderbt wie dies Venedig,/ nicht Schutz noch Fried’ noch Eigentum noch Atem  : / Gerechtigkeit ist blind zugleich und lahm / und das Gesetz nichts weiter wie das Werkzeug / verdammter feiger tückischer Tyrannei  ! (er speit aus.)« (Das gerettete Venedig  ; op cit, 42  : Javier). Die Textstelle wendet sich zwar gegen einen republikanischen Staat, Basilius’ Herrschaft wird im Turm jedoch kaum anders inszeniert – die Feststellung des Großalmosiniers »Dein Wollen sitzt unter dem Nabel« (II. Akt) zielt deutlich auf solche Vergleichbarkeit. 63 Vgl. RA III, 622  : Ad me ipsum [5. XI. 26]. »[…] diejenigen Menschen, die in Form eines Baubüros und in unwürdiger Weise, die Pläne eines genialen Menschen wie Semper weiter verwaltend und entseelend […] es für möglich gehalten haben […] daß so etwas wie das Kriegsministerium hingestellt wird, […] so häßlich kann nur mehr ein Staat bauen, der an sich selbst nicht mehr recht glaubt, dieselben Menschen haben keine Ursache, von Pietät zu sprechen. Gehen aber diese Leute zurück auf den großen Begriff des Barock, so müssen wir sagen, daß das Barock für alle Bestrebungen dieser Art, für ehrliche und redliche Bestrebungen kein Trennendes, sondern ein Vereinigendes ist.« (RA II, 63  ; Kunstgewerbe).

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auf das ihr innewohnende Prinzip der Gewalthoheit reduziert scheint  ; sondern aufgrund von dessen sakraler Tradition und Legitimation, in der Hofmannsthal eine Einheitlichkeit von Recht und Macht noch erblicken zu können meinte. »Der Staat ist« ihm daher nur als »eine Allianz der vorangegangenen Generationen mit den nachfolgenden und umgekehrt«,64 welche den Fortbestand eines Reichs des Geistigen (Hegel) gewährleistet, akzeptabel erschienen. Die Krise der Staatlichkeit als solche nationaler Staatlichkeit wird ihn daher wenig berührt haben  ; ganz anders aber die ökonomische und kulturelle Krise, die für seine Wahrnehmung die organisch gewachsenen Fundamente des Staates erodierten (vgl. hierzu 2.3). Das politische Chaos fürchtete Hofmannsthal so sehr, dass er im Herbst 1918 zum Mitbegründer einer Rodauner Bürgerwehr wurde, wenngleich er die Geschehnisse im Rückblick milde beurteilte »au fond von einer erstaunlichen Gutmütigkeit, sonst wäre ja weit mehr passiert«.65 Gerade die Bühnenfassung gerät darum alles andere als zum Ausdruck eines krisenerschütterten Wunsches nach radikalem Durchgreifen souveräner, gleichwie diktatorischer Herrschaft. Sie macht vielmehr den Ursprung gesellschaftlicher Gewalt im Aufzeigen der Legitimationskrise sichtbar, indem sie die Repräsentationen gesellschaftlicher Macht in der allen diesen Umformungen zugrundeliegenden auctoritatis interpositio als hinterfragbar zeigt.66 Es ist darum erstaunlich, dass bei Untersuchungen von Hofmannsthals Bezugnahme auf Schmitt implizit stets von einer rein affirmativen Aufnahme von dessen Gedankengut ausgegangen wird  ; welche zudem immer einer Perspektive (vermeintlich) besseren, da rückblickenden Wissens unterliegt.67 Die Betrachtung der beiden letzten, fast völlig neu gestalteten Akte des Turm wird daher eine am bislang ebenfalls kaum konkretisierten Benjamin-Einfluss orientierte Gegenlesart vor64 RA III, 278  ; Buch der Freunde  : Adam Müller. Vgl. hierzu die scharfe Kritik insbesondere an Müller in der Politischen Romantik (vgl.3.1)– und Thomas Manns »gegensätzisches« Urteil  : »Adam Müller […] dessen staatswissenschaftliche Betrachtungen vielleicht das Geistreichste und Wahrste sind, was je über die Materie gesagt wurde […]« (Mann, Betrachtungen  ; op cit, 282). 65 BW Degenfeld, 391 [26. 11. 1918]. 66 »Daß die Rechtsidee sich nicht aus sich selbst umsetzen kann, ergibt sich schon daraus, daß sie nichts darüber aussagt, wer sie anwenden soll. In jeder Umformung liegt eine auctoritatis interpositio.« (PT, 31). 67 Überdies hat Breuer betont, dass zwischen dem jungen Schmitt und Gustav Landauer in der politischen Haltung nur Nuancen den Unterschied machten (Breuer, Schmitt im Kontext  ; op cit, 30). Das ändert sich durch die Erfahrung der Revolution und Münchener Räterepublik dann zwar beträchtlich – die Abwendung vom Liberalismus auch Max Webers und Hinwendung zu den politischen Theologen ist aber längst noch keine Apologie der Führerbewegung. Zur Diskussion um die Schmitt-Lektüre Hofmannsthals vgl. 1.2.

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zunehmen haben, welche die in diesem Ausgang verborgene »Kritik der Gewalt« an der im Stück vermittelten modernen »Kontrapunktik« des Politischen stärker hervorhebt. »[…] in dem großen zusammengebrochenen Gebiet des alten Legitimismus ist an die Stelle der früheren Kontrapunktik zwischen Demokratie und Legitimismus innerpolitisch eine neue getreten, die zwischen demokratischen Majoritätsprinzipien und ganz bewußten Minoritäts- und Gewalttendenzen, teils proletarischer, teils national-faschistischer Art.« (A. Weber, Staatsgedanken  ; op cit, 122)

Für die Umarbeitung des Turm ist ein ebensolcher Wechsel (zunächst also im Vorstellungshorizont der Zeit) zu verzeichnen  : Der Ablauf der epischen Fassungen zeigte das Unterliegen des Königtums in der Revolution gegen eine (schon dialektisch inszenierte) charismatische Herrschaft, welche als politische zuletzt selbst in der geistigen Gemeinschaft aufgehen soll. Die Bühnenfassung zeigt nun die Niederlage des personengebundenen, royalen Charisma gegenüber den rationalen Gewaltmechanismen einer entstehenden Staatsmaschine, welche, wo nicht selbst an sich böse, nach bürokratischen Prinzipien doch zum Instrument des Bösen werden kann. Benjamin stellte denn auch später fest, Hofmannsthal habe »in der Spanne weniger Jahre inneren Notwendigkeiten der Formen und Stoffe gerecht werden [können], die im Ursprung Jahrzehnte brauchten, sich zu erfüllen«.68 Benjamins Perspektive dürfte, wenn historisch bedingt, dann nur im Zusammenhang der Geschichtsphilosophischen Thesen zu verstehen sein. Denn Hofmannsthals Dramatik war auch beschieden, dass sich die dystopischen Momente des Turm binnen kürzester Zeit realisierten und somit als visionär gelten können.69 Das »Einwandern« der Geschichte in den Schauplatz des Trauerspiels als rationalisierender Faktor, die ›Herrschaftszeit‹ und deren Machtstrukturen in krisenhafte verwandelnd, ist für eine Gesamtinterpretation der fiktiven, nun versachlichten Herrschaft im neuen Turm zielführend – »In der Gegenwart, die uns umgibt, ist nicht weniger Fiktives als in der Vergangenheit. Indem wir das eine Fiktive durch das andere interpretieren, entsteht erst etwas, das der Mühe wert 68 Die Formulierung verweist luzide auf die eigene (zurückgezogene) Habilitationsschrift (GS III, 101). 69 »Die Umstände haben weniger Gewalt, uns glücklich oder unglücklich zu machen, als man denkt  ; aber die Vorwegnahme zukünftiger Umstände in der Phantasie eine ungeheure.« heißt es hierzu passend im Buch der Freunde (RA III, 240). Dieser Satz samt obigem Kontext wäre der Vorstellung des gramgebeugten kulturpessimistischen Autors gegenüberzustellen.

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ist.«70 Diese Mühe aber bleibt dem Interpreten bzw. Kritiker und dem Publikum überantwortet. Umso mehr Geltung behauptet diese Bemerkung für eine Gesellschaft, die mit Einsetzen der Säkularisierung einen unstillbaren Bedarf an Fiktionen als Substituten des Glaubens entwickelt  ; ein Umstand, welcher der Kunst und insbesondere hier Literatur, Dramatik und Film eine solche quasi religiöse Bedeutung verliehen hat71 – im Hinblick auf einen ›spirituellen Ausnahmezustand‹, der sich damit nicht zuletzt auch in der Sprache ausprägt, jedoch in ihr nicht entschieden werden kann  ; denn »dazu ist die Zunge zu dick« (Sigismund). Der Souverän kann sich nicht selbst aussprechen. »Das Wort ist in solchen Situationen nicht fähig, der Bedeutung des politischen Daseins Ausdruck zu verleihen.« 72 Anders als Basilius, der die Welt im Befehl eingeschlossen sieht  ; als Julian, der den Geist »rufend und befehlend« durch Sprachhandlungen als der Welt mächtig glaubt, anders als Olivier, der ebenfalls an die poietische Macht des Befehls glaubt (»wenn ich was will, so geschieht’s«) und damit für einen inneren Bezug von Sprache und Gewalt – von Dichtung und Diktatur, wenn man so will – steht, teilt Sigismund die Skepsis an einer tatsächlich konstruktiven sozialen Wirksamkeit von ( Julians) Sprache mit seinem Autor und wird darin auch nicht mehr vom Handlungsablauf widerlegt. Die Wahl der Form des Trauerspiels und ihrer konziseren Ausführung lag daher auch insofern nahe, als dieses, anders als die Tragödie, nach Benjamin die Grenzen seiner Darstellung nicht in der Sprache findet  ; wenngleich er den Barockpoeten (und deren modernen Erben) durchaus eine »Freude an den gewaltsamen Prägungen […] in denen man der Quellen des Sprachlebens sich zu versichern meint« attestiert. Insofern ist es kein Widerspruch, dass Hofmannsthal an anderer Stelle die Französische Revolution als »eine Folge wechselnder Stile« bezeichnet und damit reales politisches Geschehen auf die Formen seiner sprachlichen (Ver-)Fassung bezogen hat. So ist auch die »innere Sprachform« (Vossler) nicht als (Er-)Zeugnis eines einzelnen Schöpfers zu verstehen, sondern vordem als »Dokument des Sprachlebens und seiner jeweiligen Möglichkeiten«, deren individueller Verwirklichung im geisti70 Zuvor  : vgl. GS I 1, 271  ; RA III, 258  : Buch der Freunde. 71 Ein Vorgang, wie ihn das Drama mit der Entwicklung der Sigismund-Gestalt selbst aufzeichnet – von der theologischen Einfriedung über die Säkularisierung, Verbürgerlichung und Autonomisierung hin zur Politisierung und Entbürgerlichung der Kunst. Vgl. insbesondere zum Film 2.5. Der Charakter der Substitution wird auch und gerade in den Gestaltungen einer »Ästhetik des Bösen« (Peter-André Alt) deutlich. 72 Haltern, Souveränität  ; op cit, 42  ; Fn. 65.

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gen Raum der Nation – und damit ihrer dramatischen Gestaltung im Turm.73 Im Folgenden wird es darum noch einmal um jene schon verzeichnete Analogie zwischen politischer Theologie und der Logomorphie des Politischen gehen. 5.1.3 Der souveräne Bann im Kippspiel der Allegorie. Zwischenbetrachtung zum Fiktiven und Politischen II. »Die Vorstellung des Verhältnisses von pouvoir constituant und pouvoir constitué hat ihre vollkommen systematische und methodische Analogie in der Vorstellung des Verhältnisses der natura naturans zur natura naturata, und wenn diese Vorstellung auch in dem rationalistischen System Spinozas übernommen ist, so beweist sie doch gerade dort, daß dieses System nicht nur rationalistisch ist. Auch die Lehre vom pouvoir constituant ist als bloß mechanistischer Rationalismus unbegreiflich. Das Volk, die Nation, die Urkraft alles staatlichen Wesens, konstituiert immer neue Organe. Aus dem unendlichen, unfaßbaren Abgrund ihrer Macht entstehen immer neue Formen, die sie jederzeit zerbrechen kann und in denen sich ihre Macht niemals definitiv abgrenzt.« (DD, 142  : Sieyès, Spinoza [Hervorh. A.M.])

Dieses Zitat aus Schmitts Diktatur ist hier darum vorangestellt, weil darin zum einen das, was im zweiten Kapitel als Vorstellung eines morphologischen Prinzips der ›inneren Form der Nation‹ dargelegt wurde, ganz explizit in den demokratietheoretischen Kontext von pouvoir constiuant und -constitué überführt ist.74 Im Rhythmus dieses metaphysisch-theologischen Zentrums, welches Hofmannsthal als »geometrische[n] Ort aller denkbaren Satzungen« beschrieb (vgl. 2.4), entfließen gleichsam entelechisch die sich bildenden Formen als Ausprägungen des mystisch-lebendigen Inneren eines neuen Subjekts der Geschichte – welches 73 Zuvor  : vgl. GS I 1, 297  ; GS I 1, 236  ; GS I 1, 230. Vgl. hierzu 2. und nachfolgend. Auch Hofmannsthals »konservative Revolution« wäre übrigens als ein solcher Versuch des Stilwechsels auffassen. 74 Übrigens haben gerade diese Feststellungen harsche Kritik erfahren  : »In seiner Umdeutung wird der verfassungsgebende Wille des Volkes zu einem bloß ideellen Zurechnungsprinzip verdünnt, das für eine akklamativ legitimierte Diktatur in Dienst gestellt werden kann. Diese, Sieyes’ Absichten in ihr Gegenteil verkehrende Deutung prägt auch die hochgradig selektive Rezeption der späten Schriften  : Aufgrund des angeblichen diktaturtheoretischen Grundzugs der Pouvoir-Constituant-Theorie sei Sieyes als theoretischer ›Wegbereiter‹ nicht nur der napoleonischen Herrschaft, sondern auch des Bonapartismus anzusehen.« Ulrich Thiele  : Advokative Volkssouveränität. Carl Schmitts Konstruktion einer ›demokratischen‹ Diktaturtheorie im Kontext der Interpretation politischer Theorien der Aufklärung  ; Berlin 2003. 511.

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sich im Turm in Sigismund verkörpert (vgl. 3.2). Zum anderen wird dieses als ein dem System rationaler Konstitution entzogener, da vorausgehender organischer Vorgang imaginiert. Ein »Begriff des Politischen« gerät davor zu einem beinahe mythischen bzw. utopischen Postulat, denn allenfalls könnten die Terminologien die wechselnden politischen Formen (mit Cassirer  : forma formata) bezeichnen, nicht aber deren Ursprung (forma formans).75 Die Analogie, die Schmitt zwischen der Entwicklung des politischen Gemeinwesens und der Unterscheidung der erschaffenden und erschaffenen Natur wirken sieht, ist eine Grundlegung der politischen Theologie von Demokratien.76 Sie dringt also weniger auf Repräsentation im juristisch-institutionellen  : also begrifflichen Sinn, sondern auf deren fiktiv-ästhetische Dimension. Hier zeichnet sich darum ab, worauf sich Benjamins Trauerspieltheorie mit den erwähnten formästhetischen Implikationen insgeheim auch bezieht. Das Trauerspielbuch behandelt mit dem Barock natürlich eine vordemokratische Epoche und mit dem Trauerspiel eine Form, als deren Hauptfigur zunächst der Souverän, der das Reich in sich fasst, erscheint  : »Allegorie […] führt in ihrer ausgebildeten Form, der barocken, einen Hof mit sich  : ums figurale Zentrum, das den eigentlichen Allegorien im Gegensatze zu Begriffsumschreibungen nicht fehlt, gruppiert die Fülle der Embleme sich. Sie scheinen willkürlich angeordnet  :«

Jedoch ist der politische Gehalt der Form nicht notwendig auf eine Stützung der Fürstenlegitimität beschränkt.77 Insbesondere die Unterscheidung der Repräsentationsformen Symbol und Allegorie ist, mehr und weniger verdeckt, in Verbindung mit dem Ausnahmezustand auf einen eminent politischen Bereich gemünzt, dessen Legitimationskonflikt im Spiel kenntlich wird. Zudem lässt der Übergang des legitimativen Körper-Paradigmas von der monarchischen auf die demokratische Souveränität die Erneuerung der Dramenform, welche ein Bild nur der höfi75 Auf Cassirers ›Kulturalisierung‹ des Naturkonzepts wurde bereits in 2.3 hingewiesen  ; vgl. Ernst Cassirer  : Form und Technik [1930]  ; op cit, 43. Nebenbei sei bemerkt, dass diese Thematik in einen direkten Zusammenhang mit dem Postulat Sigismunds in den dichterischen Fassungen, die Ordnung zu setzen und aus ihr herauszutreten, gestellt werden kann. 76 Im nachfolgenden Band der Politischen Theologie ist diese mystisch-demokratische Phase ihrer Geschichte fast gänzlich ausgespart (vgl. dazu Taubes, Ad Carl Schmitt  ; op cit, 68). 77 – wenngleich ein solches, politisch-theologisches Trauerspiel natürlich denkbar ist  : »Die theistische Überzeugung der konservativen Schriftsteller der Gegenrevolution konnte daher versuchen, mit Analogien aus einer theistischen Theologie die persönliche Souveränität des Monarchen ideologisch zu stützen.« (PT, 37  ; von Hofmannsthal markiert).

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schen Welt gab, zu. Benjamin hat dies mit der Betonung des »wichtigen Indexes« für das politische Wollen eines Kollektivs in seiner ersten Turm-Rezension selbst nahegelegt  : den »gewaltige[n] Entwurf dieser Form […] zu Ende zu denken« heißt nichts anderes, als genau dies – sie auf einen demokratischen Kontext und Ideenhorizont zu beziehen und damit im Zugriff moderner Allegorie die Massengesellschaft ins »Zeitbild« zu bannen.78 Die – stark auf Schmitt bezogenen – Kapitel »Theorie der Souveränität« und »Allegorie und Trauerspiel« sind daher für Hofmannsthals Poetologie des Politischen im Turm und deren Überarbeitung in der Bühnenfassung zuerst heranzuziehen. Das »Spiel vor Traurigen«79 (als den Stummen) erscheint somit politisch gehaltvoller bzw. wirksamer als die Dramatik der Komödien, die Hofmannsthal in Berufung auf Novalis nach dem unglücklichen Krieg zunächst spielen lassen wollte (tatsächlich ist die tragikomische Mischform im Trauerspiel ausgeprägter). Um die poetologische Dimension dieser Modernisierung bzw. Präzisierung des politischen Gehalts im demokratietheoretischen Wechselprinzip von pouvoir constituant und constitué genauer in den Blick zu nehmen, ist ein kurze Vergegenwärtigung der Ökonomie sprachlichen Banns sinnvoll, wie sie oben am Beispiel der Metapher für die Souveränität der (poetischen) Sprache entwickelt wurde (vgl. 2.1). Die hierbei festgestellte Analogie mit dem Recht als symbolischer Form ist auch noch für die Übertragung des poetologischen Schemas auf Gestalt und Mythos einschlägig (vgl. 4.2.2). Sie ist nun um Benjamins Unterscheidung von Symbol und Allegorie zu erweitern. Vom Abgrund der Bedeutung. Symbol und Allegorie »Das Recht lebt von nichts anderem als dem Leben, das es durch die einschließende Ausschließung der exceptio in sich hineinzunehmen vermag  : Es nährt sich davon und ist ohne es toter Buchstabe.« (Agamben, Homo sacer  ; op cit, 37)

Diese Logik des souveränen Banns allen Rechts wurde oben auf Benjamins Begriff der »mythischen Gewalt« bezogen und für die dichterischen Fassungen des 78 GS I 1, 364  ; Trauerspiel. Hofmannsthal hat dies jedoch in anderer Form vollzogen, als von Benjamin intendiert – an sich richtet sich diese depotenzierende Allegorese weniger gegen die geschichtlich ohnehin überwundene traditionale Souveränität (wenngleich Basilius als Tyrann gekennzeichnet ist), als gegen die Ursachen ihres Sturzes. In dieser Gegnerschaft (des okzidentalen Rationalismus) ist er sich dann aber wieder mit Benjamin einig. Wenn man allerdings die Figur des Allegorikers hinzudenkt, der den Emblemen ihre Bedeutung zuweist, wirkt dies auch nicht gerade wie eine ›demosaffine‹ Poetologie. Der größte Allegoriker sei übrigens Jean Paul gewesen (vgl. ebd.). 79 Zuvor  : GS I 1, 409. GS I 1, 298  ; Trauerspiel.

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Turm in ihrer Wirksamkeit und schließlichen Aussetzung durch die Gemeinschaft aufgezeigt. Das Symbol war in diesem Zusammenhang als ein Medium der Präsenz verstanden worden, das im Drama erst durch Inklusion in die Gestalt – und deren Tod im Vollzug des souveränen Banns der Sprache (durch Schließung der Metapher) – zum poetischen Besitz wird.80 Insbesondere gilt dies für die Symbolgestalt des charismatischen Herrschers, der auch schon in den dichterischen Fassungen als Homo sacer erscheint. Das war der Stand Hofmannsthals Poetologie vor der Kenntnisnahme von Benjamins kunstphilosophischer Abhandlung über Trauerspiel und Allegorie, welche zweitere gegen den Begriff des Symbols aufwertet  : »[…] heute ist es nichts weniger als selbstverständlich, daß im Primat des Dinghaften vor dem Personalen, des Bruchstücks vor Totalen die Allegorie dem Symbol polar, aber ebendarum gleich machtvoll gegenübertritt.« (GS I 1, 362  ; Trauerspiel [Hervorh. A.M.])

Benjamin argumentiert zunächst am Beispiel Friedrich Creuzers gegen den wohl letztlich auf Goethe zurückgehenden Vorbehalt,81 die Allegorie sei lediglich das Prinzip der poetischen »Stellvertretung« durch »allgemeine Begriff[e]«, während das Symbol »in die Körperwelt herabgestiegen« sei und das Bild »unmittelbar« gebe. Das Symbol erscheine folglich als Setzung »momentane[r] Totalität«,82 der »Kunst des Symbols« wird daher die »Technik der Allegorie« gegenübergestellt, der poetischen Transsubstantiation das bloße Bedeuten. Die Kürze sei Wesensmerkmal des Symbols. Wie ein »plötzlich erscheinender Geist« oder »Blitzstrahl« sei seine Wirkung. Klarheit und Kürze der Form, das Liebliche und Schöne werden dem Gehalt nach als Eigenschaften des Symbols genannt.83 Benjamin 80 »›Die beste und vollkommenste Allegorie eines Begriffes oder mehrerer, ist in einer einzigen Figur begriffen oder vorzustellen.‹ So spricht der Wille zur symbolischen Totalität wie der Humanismus im Menschenbild sie verehrte.« (GS I 1, 362  ; Trauerspiel  : Winckelmann). 81 Goethe brachte die Allegorie mit dem Begriff zusammen, welche also den Einzelfall als Ausweis des Allgemeinen begreife  ; das Symbol hingegen stelle das Allgemeine vom Einzelfall her dar (Goethe, Maximen  ; op cit, HA 8, 471). Die Stelle wird von Benjamin teilweise zitiert. 82 Jew. GS I 1, 341  ; Trauerspiel  : Creuzer. 83 Vgl. GS I 1, 340  ; Trauerspiel. Zumbusch betont übrigens, dass Benjamin die Allegorie nicht gegen das Symbol ausspielen wollte, und versucht anschließend zu belegen, dass auch Benjamin auf der Suche nach einem Begriff des »echten Symbols« gewesen ist  ; Cornelia Zumbusch  : Wissenschaft in Bildern. Symbol und dialektisches Bild in Aby Warburgs Mnemosyne-Atlas und Walter Benjamins Passagen-Werk  ; Berlin 2004. 283 ff. Hinsichtlich des »theologischen Symbols« (GS I 1, 336) könnte ein solcher Versuch vorliegen. Jedenfalls setzt Benjamin dem »profanen Symbol« der Klassik die »spekulative Allegorie« entgegen (GS I 1, 337  ; Trauerspiel).

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stellt dieser Ansicht das Verständnis von Görres entgegen  : »[…] als ein fortschreitendes, mit der Zeit selbst in Fluß gekommenes, dramatisch bewegliches, strömendes Abbild […]« der Ideen gelte diesem die Allegorie. »Das Zeitmaß der Symbolerfahrung« bezeichnet Benjamin hingegen als »das mystische Nu«, einer Vorstellung, der im Turm die Schwärmer (»Sectierer«) anhängen. Technisch sei die Allegorie seitens der Romantik durch »die Ironie als Umbildung des Allegorischen« erweitert worden.84 Diese Gegenüberstellung macht deutlich, dass mit Blick auf eine Fiktionalisierung des Politischen das Symbol eher für eine Darstellung zeitenthobener monarchischer, die zeitaffine Allegorie eher für die Darstellung demokratischer Souveränität in Frage kommt, welche auf Repräsentation als Vergegenwärtigung eines Abwesenden notwendig angewiesen ist. Jedoch zeigen Begriffsformeln wie »parlamentarischer König« (bei Georg Simmel und Max Weber) an,85 dass diese Unterscheidung als Schablone für die Betrachtung von Repräsentation und ihrer Inszenierung nicht leichtfertig in Dienst zu nehmen sein dürfte. Hierfür spricht auch der Umstand, dass Benjamin eine Unterscheidung von profanem und theologischem Symbol vorgenommen hat, welche der Doppelbewegung der Allegorie (Allegorese/Allegorisierung) Rechnung trägt.86 Zusätzlich ist seine Kritik an der Reduzierung allegorischer Repräsentation auf ein oberflächliches Abstraktes zu berücksichtigen  : Diese fasst deren binäre Phänomenalität nur an einer Seite. Denn das poietische Prinzip einer Herstellung durch Darstellung, der RePräsentation des Politischen, vollzieht sich im poetischen Bereich der Allegorie Benjamins in der paradoxen Weise des Entzugs  :87 »Das Bild im Feld der 84 GS I 1, 342 und 364  ; Trauerspiel. 85 Simmel, Soziologie  ; op cit, 386 (»König im Parlament«)  ; WuG, 688. Weber betont übrigens, dass dessen »Ohnmacht« gegenüber den »Parteiführern« der Normalfall sei. 86 Wenn die Allegorie im Glauben an das metaphysische Telos der Natur überdauern konnte (vgl. Alt, Begriffsbilder  ; op cit, 518) – so gilt dies im politischen Kontext für den pouvoir constituant, der immer neue Formen hervortreibt (zu Spinoza als »heiklem Gewährsmann« vgl. Alt, Begriffsbilder  ; op cit, 523). Als gleichsam entelechische Metaphysik der Gesellschaft ist das Politische per se von allegorischer Brisanz und spezifisch symbolischer Prägnanz, deren Dualismus innerhalb Benjamins allegorischem Verfahren gleich noch verdeutlicht wird. 87 Dies ist nicht unbemerkt geblieben  : »Mit der Allegorie wird von Repräsentation und Entzweiung gehandelt, ist die Verschiedenheit der Dinge von sich selbst markiert und vorgetragen, wird die Äußerlichkeit der ›Repräsentation‹ festgehalten und selbst zur Schau gestellt.« (Menke, Trauerspielbuch  ; op cit, 18/19). Ob das Konzept Benjamins aber nicht doch mehr der Subversion dieser ausgestellten Äußerlichkeitsbehauptung dient, bleibt fraglich. Menke befindet  : »Dem melancholischen Blick entspricht jene ›Welt‹, die im Trauerspiel nicht bloß re-präsentiert, als vielmehr in ihm exponiert, ja vorgefunden wird. […] Das Trauerspiel stellt Benjamin nicht nur als allegorisch

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allegorischen Intuition, [»mit welcher sie in den Abgrund zwischen bildlichem Sein und Bedeuten sich versenkt«)], ist Bruchstück, Rune.«88 Es ist derselbe Abgrund, wie er in jeder politischen ›Re-Präsentation‹ schläft, um, wie im Turm, jäh als ein Riss sich aufzutun »und das Reich dieser Welt« zu verschlingen  ; so wird es vom »böhmischen Bruder« verkündet.89 Was so im Ästhetischen als Politik einer ›negativen Poetologie‹ aufscheint, zeitigt im Feld des (poetisch gefassten) Politischen die Apokalypse, die auch vor dem Gleichnis von pouvoir constituant und natura naturans nicht einhält, deren Mythos doch die Ewigkeit ihres Wesens, das »mystische Nu« ist.90 »Ist aber die Natur von jeher todverfallen, so ist sie auch allegorisch von jeher. […]«  ; »Dieser Umstand führt auf die Antinomien des Allegorischen, deren dialektische Abhandlung sich nicht umgehen läßt, wenn anders das Bild der Trauerspiele beschworen sein will.« (GS I 1, 343 und 350  ; Trauerspiel)

Die Demokratisierung der Natur als Erneuerung der dramatischen Form hieße folglich, den demos als sterblichen Körper sich selbst zur Anschauung zu bringen.91 Und dies geschieht – als ein Spiel vor Traurigen, die Formel bleibt trefflich – im Moment des allegorischen Aussetzens der Ordnung, die ihr Paradigma verfasst dar, sondern es ist selbst die allegorische Lektüre der Tragödie.« (Menke, ebd., 21). Der letztere Hinweis ist auf das Verhältnis von Allegorie und Symbol übertragbar, wobei dessen Dualismus bei Benjamin für diesen Kontext noch erst entwickelt werden muss. 88 GS I 1, [342] 352  ; Trauerspiel (Einschub im Zitat von 342). 89 »de r s t e l z be i n ig e Ein Spalt geht auf und das Reich dieser Welt wird hineinstürzen  !« (SW XVI.2, 99). 90 »Jede politische Macht, also auch die Demokratie, benötigt und produziert ihre eigene politische Mythologie […] dem Prozeß der Entzauberung der alten Ordnung, der mit der demokratischen Revolution einhergeht, ist der Prozeß der Verzauberung der neuen demokratischen Ordnung komplementär.« (Manow, Schatten des Königs  ; op cit, 13). Manow betont gegen Schmitt, dass »jede Zeit mythische Überzeugungen hat, die ihrer politischen Ordnung entsprechen« (ebd.). Für die Demokratie ist dies zum einen der mystische Leib des Volkssouveräns, zum anderen dessen Unsterblichkeit (vgl. hierzu ebd., 118). 91 Tatsächlich gibt es Deutungen, welche das demokratische Institut bzw. Ritual der Wahlen als symbolische Wiederholung der begründenden Enthauptungsszene interpretieren (vgl. hierzu Manow, Schatten des Königs  ; op cit, 113) – der Kopf des »parlamentarischen Königs« (M. Weber) würde demgemäß im Normalfall turnusmäßig in jenen »Abgrund zwischen bildlichem Sein und Bedeuten« rollen, bevor sich der Souverän – das Volk – einen neuen aufsetzt. Das ist jedoch ein legales Verfahren im Rahmen der verfassten Ordnung und bleibt daher (zum Glück  !) weit hinter der Radikalität, mit der solche Herrschaftswechsel im Trauerspiel inszeniert wurden, zurück (und auch hinter den oben zitierten Überlegungen Sieyès’).

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im Ausnahmezustand findet. Im »Nichts« der Entscheidung, die eine Kipp-Figur ist wie die Allegorie,92 folgt die radikale Verdrängung des konstitutiv abwesenden pouvoir constituant durch den pouvoir constitué. Die allegorische Ausstellung einer solchen Antinomie entspricht der Demokratisierung des Scheins, der sich zuvor in der monarchischen Symbolordnung um den Hof zentrierte und nun das Imaginäre auf den leeren Raum des Throns zu projizieren hat. Dass hier der Kopf des Königs im Bereich des Ästhetischen gerollt ist (um die berühmte Säumnisanzeige Foucaults zu zitieren), macht Benjamins Allegorientheorie zu einem singulären Ereignis ›poetischer Theologie‹ (bzw. geradezu einer ›Theopoetik‹), in welcher die politische Anomie der Moderne zur Anschauung kommen kann. Erneuerung als Demokratisierung ist hierbei im Übrigen wenigstens wertneutral zu verstehen – einer anarchistischen Perspektive stellt sich Demokratie, jedenfalls in ihrer repräsentativ-parlamentarischen Variante, auch nur als Fortsetzung mythischer Gewalt dar.93 »In Abstraktionen lebt das Allegorische, als Abstraktion, als ein Vermögen des Sprachgeistes selbst, ist es im Sündenfall zu Hause. Denn Gut und Böse stehen unbenennbar, als Namenlose, außerhalb der Namensprache, in welcher der paradiesische Mensch die Dinge benannt hat und die er im Abgrund jener Fragestellung verläßt. (GS I 1, 407  ; Trauerspiel [Hervorh. A.M.])

Hofmannsthal hat 1922 – ohne jeden politischen Hintergrund – zum Verhältnis von Mythos und Allegorie geäußert  : »Mythos ist Gestalt, nicht Allegorie, der das

92 Im Gegensatz zur »Innerlichkeit des Klassizismus« »ist die barocke Apotheose dialektisch. Sie vollzieht sich im Umschlagen von Extremen.« (GS I 1, 337  ; Trauerspiel). »Hier ist der Gegensatz zwischen machtlosem Recht und rechtloser Macht schon so extrem, daß er umschlagen muß.« (DD, 129). »Das eben ist das Wesen melancholischer Versenkung, daß ihre letzten Gegenstände, in denen des Verworfnen sie am völligsten sich zu versichern glaubt, in Allegorien umschlagen, daß sie das Nichts, in dem sie sich darstellen, erfüllen und verleugnen […]« (GS I 1, 406). 93 Vgl. hierzu etwa Rangs oben zitierte Kritik an der Weimarer Reichsverfassung (vgl. 2.3) oder auch Benjamins Kritik der Gewalt, die sich auf die »gespenstische Vermischung« der Polizei-Gewalt richtet  : Es sei »nicht zu verkennen, daß ihr Geist weniger verheerend ist, wo sie in der absoluten Monarchie die Gewalt des Herrschers, in welcher sich legislative und exekutive Machtvollkommenheit vereinigt, repräsentiert, als in Demokratien, wo ihr Bestehen durch keine derartige Beziehung gehoben, die denkbar größte Entartung der Gewalt bezeugt.« (GS II 1, 189/190). Man muss hierbei allerdings berücksichtigen, dass zum Zeitpunkt der Abfassung dieses Textes (1921) der als »Bluthund« berüchtigte Reichswehrminister Noske noch sehr präsent gewesen sein dürfte. Zu dessen Rolle vgl. Sebastian Haffner  : Der Verrat. Deutschland 1918/19  ; Berlin 2002.

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Spruchband aus dem Munde hängt.«94 Diese Äußerung ist nicht nur die Abgrenzung der Gestalt als symbolischer Form (des Mythischen) von der Allegorie (als inhaltlich leerer Sprachform). Sie wirkt auch erstaunlich abwertend hinsichtlich seines Salzburger großen Welttheaters, in welchem tatsächlich (traditionell) allegorische Figuren den Schauplatz bevölkern. Als mythische Gestalten sind hingegen der Kinderkönig und (antithetisch) auch die Zigeunerin in den dichterischen Fassungen zu betrachten. Hofmannsthals Haltung scheint jedenfalls vor Lektüre des Trauerspielbuches in etwa Benjamins Kritik solcher Einseitigkeit entsprochen zu haben. Dass diese demnach Auswirkungen auf sein Symboldenken hatte, wurde oben mit dem Zitat zum ›Abgrund des Symbols‹ bereits deutlich. Für die Allegorie gilt ein Selbiges, wie sich dem zitierten Notat zu deren genius loci – wo »Vergänglichkeit und Ewigkeit« zusammenstoßen – entnehmen lässt. Diese Doppeltheit, die »Antinomien des Allegorischen«, ergeben sich jedoch aus dessen Bezug auf die Form des Symbols. Denn Benjamins Gegenüberstellung beider bildgebender Verfahren ist methodischer Natur, um deren Profil zu schärfen. Es wird im Weiteren noch zu zeigen sein, dass die Allegorie ihre eigentliche Antithetik mit dem Symbolischen in sich fasst. Benjamins Darstellung hat sich, wie das Typoskript Scholems zeigt, bis zur Veröffentlichung zwar noch erheblich verändert (das Hofmannsthal zur Verfügung gestellte Typoskript ist verschollen). Doch die sich darin mitteilende Auffassung des Symbols dürfte von Beginn an als eine doppelte angelegt gewesen sein, wenn sie sich logisch aus dem Wahlverwandtschaften-Aufsatz ergibt. Der »profane Symbolbegriff« (wie ihn die Allegorese des Klassizismus erzeugt habe)95 tritt quasi als (ein allerdings noch sehr bedeutsames) Säkularisat der »Paradoxie des theologischen Symbols« entgegen, dessen »Einheit von sinnlichem und übersinnlichem Gegenstand […] verzerrt« werde. Diese Unterscheidung trifft mit Hofmannsthals Lektüre auf Überlegungen Jungs zum religösen Symbol und seiner Bedeutung für die kollektiven Formen  :96 94 Brief Hofmannsthals an Alfred Roller, zit.n. SW X, 206  ; vgl. zu dieser offenbar feststehenden Formulierung übrigens GS I 1, 373  ; Trauerspiel. 95 »Und nichts ist kennzeichnender für den Klassizismus als dieses Streben, in dem gleichen Satz das Symbol zu erfassen und zu relativieren.« (GS I 1, 153  ; Wahlverwandtschaften). Dies folgt im Prinzip aus dem Versuch der Aufklärung, religiöse Symbole und Götterglauben zu depotenzieren, eins der besten Beispiele hierfür dürfte Goethes Iphigenie sein. Vgl. auch Benjamins Hinweis auf den prägnanten Satz der Wahlverwandtschaften, der die »Cäsur des Werkes« – und mit ihr das profane Symbol – enthalte (ebd. 199/200). Im Trauerspielbuch wird dieser Befund offenkundig dem Romantischen gegenübergestellt  : »Gleichzeitig mit dem profanen Symbolbegriff des Klassizismus bildet sein spekulatives Gegenstück, der des Allegorischen, sich heraus.« (GS I 1, 337  ; Trauerspiel). 96 GS I 1, 336  ; Trauerspiel. Diese Paradoxie ist möglicherweise in Sigismunds nebulösen Ausspruch

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»Das religiöse Symbol ist nach unvermeidlicher Abstreichung gewisser antiquierter Stücke als Postulat oder als transzendente Theorie und auch als Lehrgegenstand wohl beizubehalten, aber in dem Maße mit neuem Inhalt zu erfüllen, wie es der derzeitige Stand des Kulturstrebens erfordert. Diese Theorie darf aber für den ›erwachsenen‹ Menschen nicht zum positiven Glauben, zur Illusion werden, die ihm die Wirklichkeit in täuschenden Beleuchtungen erscheinen läßt.« ( Jung, Wandlungen und Symbole  ; op cit, 225  ; von Hofmannsthal markiert)

Der hier dargelegten Problematik eines schleichenden Bedeutungswandels und -verlusts ließ sich über das allegorische Verfahren Benjamins begegnen. Cornelia Zumbuschs Feststellung  : »Das Symbol scheint nach Benjamin nur bedeuten zu können, weil es die Unsagbarkeit des Bedeuteten eingesteht«97 ist für den hiesigen Kontext jedenfalls zu teilen und konnte in ähnlicher Form bereits für Hofmannsthals »Chiffren« festgestellt werden (vgl. 2.1). Als Grund für diese Übereinstimmung ist die Rezeption Simmels anzunehmen. Die Allegorie wird davor als inverse Strategie der Mitteilung, nämlich eines durch Zerschlagung sagbar Gemachten lesbar. Eine Abwägung beider Formen wird sich vor allem aus der Betrachtung des Dramenausgangs ergeben. Denn die apokalyptische Zurüstung von Benjamins Formpoetik (Allegorientheorie) hat Hofmannsthal im Szenario des Ausnahmezustands zwar erkennbar aufgegriffen (bzw. in deren Sinne verstärkt)  ; das Inklusionsverhältnis des ›poetischen Banns‹ in den ersten Akten jedoch beibehalten, wie es oben für Metapher und Symbol, dann Symbol und Gestalt dargelegt wurde (vgl. 2.3, 4.2.2). Den poetischen Besitz des echten, lebendigen Symbols wollte Hofmannsthal keineswegs opfern (und so bleibt ja auch die gottergebene Theologie jenes erbetenen, rätselhaften Vorgangs einer ponderación misteriosa allegorischen Umschlagens im Turm aus).98 Der in den dichteri»Denn ich bin da und nicht da« (Akt V) eingeflossen. Jung hatte in Wandlungen und Symbole der Libido die Bedeutung des religiösen Symbols als Medium legitimer Täuschung bzw. notwendiger Fiktion beschrieben (vgl. 1.3) »Der Deutsche u. die Form« – das ist nicht nur ein wiederkehrendes Notat Hofmannsthals (unter anderem bei Jung, ebd., 422) – die Bestimmung dieses Verhältnisses könnte auch hinter seinem dringlichen Wunsch gestanden zu haben, Der Turm solle in Berlin aufgeführt werden. 97 Zumbusch, Wissenschaft in Bildern  ; op cit, 287. Die Feststellung lässt sich auch auf die Mitteilung des Kinderkönigs an Sigismund beziehen, ihn nur nach dem zu fragen, was er nicht sagen könne (vgl. 4.4). 98 GS I 1, 408  ; Trauerspiel. Dieser Vorgang ist aber im Gebet des Arztes kurz vor dem tödlichen Schuss auf Sigismund zitiert  ; sein Ausbleiben überdeutlich. Sein Wunderglaube (Hofmannsthal schreibt »Wendung«) bringt die Figur übrigens in die Nähe der Theologen der Gegenrevolution, wie noch an Schmitts Schriften zu zeigen bleibt.

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schen Fassungen und im Gespräch über Gedichte vergleichsweise vampirisch anmutende Akt der metaphorischen Verschlingung des Gegenstandes (»etwas sog mich aus«) wird – um dessen präsentischer Überführung in die Sprache willen – durch das Verfahren zerstörender, den »Torso des Symbols« rettender Allegorese nicht ersetzt, sondern fortgesetzt. Um es bildlicher zu beschreiben  : Es gibt keine Öffnung der Zentralmetapher des Banns mehr  : also des Turms hin zum Heereslager, in welchen die Symbolgestalt Sigismund eingeschlossen ist (zuletzt mit der medusenhaften Figur der Zigeunerin im eigenen Zelt), ihren Ideengehalt aber übertragen kann (auf den Kinderkönig). An ihre Stelle tritt die (mit Turm und Palast auch räumliche) Geschlossenheit der Allegorie, als welche man mit Benjamin das Trauerspiel in seinem radikalen Immanentismus insgesamt lesen kann. Deren Gehalt aber bleibt auch in der Bühnenfassung des Turm durchaus und umso mehr  : der Mythos einer kommenden Gemeinschaft, dessen (symbolische) Darstellbarkeit nun jedoch aufgegeben scheint.99 Der von Benjamin für die Romantik geltend gemachte formale Dualismus (vgl. 3.1) schreibt auf diese Weise (indem die profane Ordnung zerstört wird) auch dem Turm einen Himmel ewiger Form ein, welcher als leer gefegter aber in der Bühnenfassung die hinterbliebene Gemeinde einer wüsten Immanenz aussetzt. »Ja, auch das Werk, das teuer erkaufte, es bleibe Dir köstlich  :/Aber so Du es liebst, gib ihm Du selber den Tod,/ Haltend im Auge das Werk, das der Sterblichen keiner wohl endet  :/ Denn von des Einzelnen Tod blüht ja des Ganzen Gebild.« (Friedrich Schlegel, Jugendschriften  ; zit.n. GS I 1, 84/85  ; Kunstkritik)

Verfahrensordnung. »Allegorischer Dezisionismus«100 – Dualismus des Symbols Die geschichtsphilosophische Bedeutung, die Benjamin der Allegorie zuerkannte, dringt auf deren Adaptionsfähigkeit hinsichtlich theologischer Gehalte. Zu den verzeichneten »Antinomien des Allegorischen« ist der Umstand zu zählen, dass die Barockpoeten ihrer Mehrheit nach Protestanten waren, die von ihnen drama-

 99 »Die Perspektive des entsponnenen Mythos als Allegorie […] mißbilligt der Verfasser  ; ihre Denkbarkeit aber gesteht er zu […]« (GS I 1, 343  ; Trauerspiel). Diese Missbilligung ist in diesem Zusammenhang darauf zu beziehen, dass die umschlagende Allegorie alle Gemachtheit, Immanenz und damit Nichtigkeit des Bösen erweisen – und nicht der Fortsetzung mythischer Gewaltverhältnisse, also keiner Remythisierung dienen sollte. 100 Zumbusch, Wissenschaft in Bildern  ; op cit, 274.

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tisierte Souveränitätslehre aber »gegenreformatorisch«.101 Für deren ästhetische Figuration in der Moderne bietet sich nochmals der Rekurs auf Oskar Walzels ästhetische Formel einer Legierung von Gehalt und Gestalt (1923) an, wie sie im ersten Hauptkapitel referiert wurde  ;102 deren Verbindung durch das dichterische Kunstwerk zählte Walzel nämlich »zu den Wundern«, die nur »im Kunstwerk und im künstlerischen Schaffen bestehen.« Die so erworbene »Formsymbolik« entziehe sich, quasi als ›ästhetischer Ausnahmefall‹, notwendig der sprachlichen Rationalisierung durch wissenschaftliche Begriffe.103 Es ist bislang kaum davon auszugehen gewesen, dass sich Walzel dessen bewusst war (wenngleich sich Überlegungen zu Hobbes finden), doch steht diese Bemerkung in deutlicher Analogie zu Cortes’ Auffassung von der Diktatur als Ausnahmefall politischer Herrschaft. Denn diese, so referiert die Politische Theologie, sei aufgrund der Durchbrechung der Naturgesetze (auf welche sich die Lehre des pouvoir constituant beruft) als Wunder aufzufassen. Das ›Wunder‹ wird somit zum tertium comparationis von ästhetischer (Kunstwerk) und politischer Form (Staat). Schmitt, den Walzel in seinen Bonner Jahren kennen lernte,104 wendet in der Diktatur übrigens gegen den sonst von ihm so gelobten spanischen Gegenrevolutionär ein, dass die (neusetzende) »Durchbrechung des rechtlichen Zusammenhangs, die in einer solchen neu begründeten Herrschaft liegt« das eigentliche Wunder sei  : also die Entscheidung, nicht die Diktatur selbst.105 – Das ist auch Benjamin nicht 101 »Denn antithetisch zum Geschichtsideal der Restauration steht vor ihm die Idee der Katastrophe. Und auf diese Antithetik ist die Theorie des Ausnahmezustands gemünzt.«  ; »Diese Setzung ist gegenreformatorisch.« (GS I 1, 246  ; Trauerspiel). In einem bereits erwähnten Beitrag Der politische Mehrwert des Tragischen (2015) habe ich versucht, diesen Widerspruch und die hier ansetzende (zeitverzögerte) Diskussion zwischen Benjamin und Schmitt im Hinblick auf Hobbes zu erklären. Zum barocken Souverän, welcher den Ausnahmezustand eben nicht zu entscheiden sondern auszuschließen habe, gleich im Anschluss . 102 Und zwar in erster Linie als Zeitphänomen, nicht als Bezugstext Hofmannsthals. Oskar Walzel  : Gehalt und Gestalt im Kunstwerk des Dichters (op cit, [1923]). Vgl. hierzu v. a. 1.3.2. 103 Walzel, Gehalt und Gestalt  ; op cit, 368. 104 Wie sich aus dem gerade (2014) erschienen Band der Tagebücher Schmitts aus den Jahren 1921 bis 1924 ergibt, sind sich beide persönlich begegnet. Walzel war seit 1921 in Bonn und hat offenbar die Politische Romantik bereits nach der ersten Auflage rezipiert. Das könnte so auch für Die Diktatur und die Politische Theologie gelten – die an sich erstaunliche Erwähnung Hobbes’ in Walzels Poetik und mehr noch die auffällige Entsprechung im Stellenwert des Wunders lassen dies als sehr plausibel erscheinen. Schmitt erwähnt ein gemeinsames Treffen in Bonn am 08.V.1922  ; vgl. Schmitt, Der Schatten Gottes  ; op cit, 79. 105 – in der Politischen Theologie ist diese Äquivalenz von Wunder und Ausnahmezustand dann ganz klar ausgesprochen (vgl. PT, 37).

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verborgen geblieben  : »In diesem Sinn wird die zur Schau getragene, eingestandene Subjektivität zum förmlichen Garanten des Wunders, weil sie die göttliche Aktion selbst ankündigt«, und zwar als die »Wendung« mit welcher106 durch den Eingriff eines (ästhetischen oder politischen) Genies im Sinne Cortes‹ das Königtum restauriert, im Sinne Schmitts der Ausnahmezustand entschieden wird. »Aus der Annahme der abnormen Situation ergeben sich besonders geartete, dezisionistische Konsequenzen, ergibt sich ein Sinn für Durchbrechungen, für eine, oberflächlicherweise sogenannte ›Irrationalität‹ (im Religiösen z. B. für die Lehre von der Prädestination), Anerkennung außerordentlichen Handelns und Eingreifens, wie des a deo excitatus, ferner Diktatur, aber auch Begriffe wie Souveränität und Absolutismus […]«.107

Tatsächlich findet die beobachtete Analogie des ästhetischen (ponderación misteriosa) und politischen Wunderglaubens in der Gestalt des Diktators ihren modernen Übersprungspunkt und geht mit der Idee der formentreibenden Urkraft des pouvoir constituant in den Gehalt von Hofmannsthals Trauerspiel ein. Sie ist ihrer Zeit gemäß, wie ein Blick etwa auf Lukács’ »großen Wertbestimmer der Ästhetik« zeigt.108 Wenn Schmitt die Durchbrechung des rechtlichen bzw. sprachlichen Banns (allerdings im Akt der Neubegründung) als mirakulös bezeichnet, erinnert diese Überlegung nicht von ungefähr an Benjamins Kritik der Gewalt und seine Definition der göttlichen Gewalt als der rechtsvernichtenden Kraft, die Benjamin mit Revolution und Generalstreik als Aussetzungen der Rechtsgewalt in Zusammenhang bringt (auch Schmitt ließ deren Subjekt übrigens – das Volk, eine Klasse oder ein Einzelner – dezidiert offen).109 In sei106 Zitat Benjamin  : GS I 1, 408  ; Trauerspiel. 107 Carl Schmitt  : Zu Friedrich Meineckes »Idee der Staatsräson« [1926]  ; in  : Ders.: Positionen und Begriffe im Kampf mit Weimar – Genf – Versailles. 1923–1939  ; Berlin 1988. 45–52  : 47. 108 »Denn tatsächlich werden im Essayisten seine Maße des Richtens erschaffen, doch er ist es nicht, der sie zum Leben und zur Tat erweckt  : es ist der grosse Wertbestimmer der Ästhetik, der immer Kommende, der noch nie Angelangte, der einzig zum Richten Berufene, der sie ihm eingibt.« (Georg von Lukács  : Über Form und Wesen des Essays  ; in  : Ders.: Die Seele und die Formen  ; Berlin 1911. 1–41  : 35). 109 »Wenn die Herrschaft des Mythos [d.i. die mythische Rechtsgewalt  ; amion] hie und da im Gegenwärtigen schon gebrochen ist, so liegt jenes Neue nicht in so unvorstellbarer Fernflucht, daß ein Wort gegen das Recht sich von selbst erledigte. Ist aber der Gewalt auch jenseits des Rechtes ihr Bestand als reine unmittelbare gesichert, so ist damit erwiesen, daß und wie auch die revolutionäre Gewalt möglich ist, mit welchem Namen die höchste Manifestation reiner Gewalt durch den Menschen zu belegen ist.« (GS II 1, 202  ; Kritik der Gewalt).

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ner Darstellung der barocken Souveränität hat Benjamin allerdings von einer Diktatur gesprochen, »deren Utopie« es immer bleiben müsse, »die eherne Verfassung der Naturgesetze an Stelle schwankenden historischen Geschehns zu setzen«.110 Das bleibt in seiner poetologischen Konsequenz noch auszuführen, geht aber nicht mit dem Cortes’schen Wunderglauben und darum auch nicht mit Schmitts Gleichsetzung überein  ; zumal das Wunder nur ex negativo und damit in Überwindung der Ordnung verwirklicht werden kann. Im »Allegoriker« hat Benjamin jedoch ebenfalls die Figur eines diktatorischen Ästheten entwickelt, von der nicht ganz klar zu sagen ist, ob sie mit dem Autor selbst (dann hinsichtlich seiner Diegese doch ein Äquivalent zum eingreifenden Schöpfer) oder stückintern wirksam wird.111 Dass diese Gestalt mit der Intrige zusammenhängt, aus deren berechnender »Choreographie« sich die Abfolge der Herrschaftsformen im Turm ergibt,112 ist in den anschließenden Kapiteln genauer auszuführen (vgl. 5.2, 5.3). Das mit dieser (Denk-)Figur verbundene Verfahren hat Zumbusch äußerst treffend auf die Formel »allegorischer Dezisionismus« gebracht, welcher das Haben über das Sein stelle. Allerdings zieht sich gerade diese Figur ein »höllisches Gelächter« als Resultat ihres Handelns zu. Über den Gegenstand des Habens, Sachgehalt der Allegorie, schreibt Benjamin (für den allerdings auch die Erkenntnis ein Haben ist)  : »Wird der Gegenstand unterm Blick der Melancholie allegorisch, läßt sie das Leben von ihm abfließen, bleibt er als toter, doch in Ewigkeit gesicherter zurück, so liegt er vor dem Allegoriker, auf Gnade und Ungnade ihm überliefert. Das heißt  : eine Bedeutung, einen Sinn auszustrahlen, ist er von nun an ganz unfähig  ; an Bedeutung kommt ihm zu, was der Allegoriker ihm verleiht.« (GS I 1, 359  ; Trauerspiel)

110 GS I 1, 253  ; Trauerspiel. Eine Utopie, welche die »Herrschaft von Intention, Nominalismus und Urteil, die Herrschaft des Subjektivismus« bedeutet (Schings, Walter Benjamin, das barocke Trauerspiel und die Barockforschung  ; op cit, 670). Denn die Subjektivität der Entscheidung ist unhintergehbar. 111 Benjamins Deutung des Julian als alter ego Hofmannsthals (GB VI, 451  : Adorno) zieht eine solchermaßen »gespenstische Vermischung« offen in Betracht. Bei der Beschreibung eines Typus der Suchenden in der Schrifttum-Rede wirkt evtl. eine allegorische Vorstellung, wie sie Hofmannsthal bei Lektüre Benjamins entwickelt haben könnte, im Hintergrund. »Je großartiger, fragmentarischer er sich gibt, um so großartiger wird er verlangen, als ein Ganzes, als das einzige Ganze dieser zerrissenen Welt genommen zu werden« (RA III, 33  ; Schrifttum). 112 – diese grenzt Benjamin von den Peripetien der Tragödie ab  ; vgl. GS I 1, 274 und 385  ; Trauerspiel. Zuvor  : Schmitt, DD, VI.

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Seine »Willkür« sei »drastische Bekundung von der Macht des Wissens«  ; der Allegoriker schafft und garantiert gewissermaßen die Situation als Ganze und »verrät und entwertet die Dinge auf unaussprechliche Weise. Nicht sowohl Enthüllung als geradezu Entblößung der sinnlichen Dinge ist die Funktion der barocken Bilderschrift. Der Emblematiker gibt nicht das Wesen ›hinter dem Bilde‹.«113 Gerade im Kontext eines demokratischen Repräsentationsgedankens liest sich das in der Tat wie ein Schreckbild. Es findet sich auch im Turm. Eine solche Diktatur war das Fazit Donoso Cortes’ zur »Legitimität der Neuzeit« (Blumenberg)  ; sie kann aber nicht das letzte Wort einer Poetologie sein, welche den politischen Gehalt des Trauerspiels in die Moderne zu überführen anstrebt  : sie muss das Bild des Diktators daher als ein antithetisches zum Stand »paradiesischer Zeitlosigkeit« (des pouvoir constituant) begreifen. »Allegorien veralten, weil das Bestürzende zu ihrem Wesen gehört«  ; »Das Symbol dagegen bleibt, gemäß der Einsicht der romantischen Mythologen, beharrlich dasselbe.«114 Melancholie erscheint auch im Trauerspielbuch als Reaktion der Epoche auf den entleerten Himmel (und damit wie bei Cortes als Folge der Reformation), die dadurch alle Leidenschaft ihres Denkens auf einen Materialismus der Immanenz richtet. Ihr ist aber im Bild des wahnwitzigen Herrschers, im Treiben des luziferischen Intriganten, das Böse als Fall ihres Sturzes vor Augen gestellt.115 »Die Intention der Allegorie ist so sehr der der Wahrheit widerstreitend […]«, dass hier schon die nächste Analogie zum berühmten Diktum Hobbes’ vorliegt  : Der autoritäre Allegorikers schafft zwar die profane Ordnung, nicht aber die Wahrheit, die er darum verdrängen muss. In dieser profanen Ordnung triumphiert die mythische Gewalt des Bösen, deren Aufgabe es ist, die Symbolgestalt des nackten Lebens, die Kreatur zu entblößen, vor deren Angesicht und Martyrium der gefasste Souverän sich zum Weinen versammelt. Das ist, so die These, an der Bühnenfassung des Turm wiederholt zu erweisen, deren Autor nicht umsonst postulierte »Ich verließ jede Form, bevor sie erstarrte«. Sie hält alle folgenden Elemente und Merkmale einer Allegorese politischer Formen (in diesem Kontext also des pouvoir constitué) bereit. Wenn Schicksal »die Entelechie des Geschehens im Felde der Schuld«116 ist, und die Allegorie 113 GS I 1, 360  ; Trauerspiel [Hervorhebung A.M.]. 114 »Zeitlosigkeit«  : GS I 1, 273  ; Allegorien und Symbol  : GS I 1, 359  ; Trauerspiel. 115 »Die absoluten Laster, wie Tyrannen und Intriganten sie vertreten, sind Allegorien.« (GS I 1, 406  ; Trauerspiel). 116 GS I 1, 308  ; Trauerspiel. Zuvor  : RA III, 624  : Ad me ipsum [1927]. Bei anderer Gelegenheit heißt es bei Benjamin übrigens, das Recht verurteile nicht zur Strafe, sondern zur Schuld – auch dem

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»Keimzelle« des Trauerspiels, wie Lorenz Jäger schon im Kontext mit Schriften F.C. Rangs ausgeführt hat,117 dann verhält sich dies strukturell analog zur souveränen Entscheidung des Geschehens im Felde des Politischen. Genau so hat es jedenfalls Schmitt gesehen  : »Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet«, »Die Entscheidung ist normativ betrachtet aus einem Nichts geboren.« Der Ursprung politischer Ordnung ist die Entscheidung selbst (»Ursprung also ist Entelechie«),118 ihre Faktur jene mythische Gewalt des Rechts, die ihre Leere im Akt des Erhaltens und Neusetzens stetig reproduziert – im Sinne jener »Soziologie des Souveränitätsbegriffes«, deren Metaphysik im Idealfall mit der Idee des Formen hervortreibenden pouvoir constituant kongruiert. Dieser erstirbt ein jedes Mal im pouvoir constitué, nur um diesen in dem Moment wieder zu stürzen, in dem er stets »leblose Maschine […] geronnene[n] Geist[es]« (Max Weber) zu werden droht – denn Rechtsformen veralten wie ihre Allegorien. Die Dramatisierung dieser politischen Idee setzt also die mythische Gewalt des Souveräns aufs Spiel, und in dessen Trauer die geschichtlich wechselnden Realisierungen der legitimierenden politischen Idee, die sich ästhetisch in immer neuen Gestalten darbietet.119 Das Geschehen des Trauerspiels drängt demnach auf jenes »Nichts« der Entscheidung hin, welches die leere Abgründigkeit der Allegorie im Moment ihres Umschlagens zur Fülle der Verheißung ausmacht. Das ist auf Figurenebene der Tod des Souveräns als Märtyrer. Im Entrollen des Souveränitäts-Mythos zu einer »gesättigten Konstellation« (und deren blitzartiSchicksal scheint für Benjamin daher eine rechtslogische (und zugleich mythische) Dimension zu eignen. 117 Jäger, Messianische Kritik  ; op cit, 193. Vgl. hierzu auch Irene Pieper  : »Trauerspiel und Allegorie sieht Benjamin als Gattung und Ausdrucksform, die Ersatzleistungen bringen  : Angesichts des Fehlens der Eschatologie, der radikalen Einwanderung der Geschichte in den Schauplatz, treten sie an die Stelle der künstlerischen Darstellung des Heilsprozesses. Sie erscheinen als Säkularisate des Mysterienspiels, der Tragödie, des Symbols.« (Pieper, Welttheater  ; op cit, 68). Säkularisat des transzendent legitimierten Souveräns ist bei Schmitt die souveräne Diktatur, wie noch zu zeigen bleibt. 118 PT, 9 und 11  ; GS I 3, 946  ; Trauerspiel [Scholem]. 119 Der Mythos erscheint so als das Mittel der Wahl, einer Epoche ein politisches Organisationskonzept ohne Weiteres einleuchten zu lassen. Benjamin hat ihn übrigens der Wahrheit ebenso entgegengesetzt (vgl. GS I 1, 162  ; Wahlverwandtschaften). Die Zurschaustellung seines Gehalts als Leere wirkt darum aufklärerisch gegen jeden Legitimitätsglauben. »Der Logos zeigt den Mythos vor, nicht als sein Produkt, nicht als eins seiner authentischen Verfahren, aber als das von ihm Verstandene, Rubrizierte […]«(Blumenberg, Arbeit am Mythos  ; op cit, 382). Zur Idee, die sich immer wieder in neuen Formen realisiert, in neuen Gestalten inszeniert, vgl. GS I 3, 946  ; Trauerspiel Scholem).

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ger Entladung) wird die Idee Monade. Zertrümmert durch die immanente Allegorese der Form, enthält sie »das Bild der Welt«.120 Sie repräsentiert das Ganze »organische[r] Totalität« fortan fragmentarisch, ohne jedoch als »amorphes Bruchstück« (»edelste[r] Materie«) dieses Ganze selbst erst herzustellen oder ›sein‹ zu können. Dies entspricht Benjamins Strategie, »Die Aktualität als den Revers des Ewigen in der Geschichte zu erfassen und von dieser verdeckten Seite der Medaille den Abdruck zu nehmen«  ;121 und es entspricht einer Unterscheidung von Allegorie und Symbol, die jedenfalls für Hofmannsthals Inszenierung als konstitutiv anzusehen ist  : »Den neuen Begriff des Allegorischen als spekulativ zu bezeichnen ist aber dadurch gerechtfertigt, daß er in der Tat als der finstere Fond abgestimmt war, gegen den die Welt des Symbols sich hell abheben sollte.« (GS I 1, 337  ; Trauerspiel)

Neu in die Bühnenfassung aufgenommen ist nämlich eine auffallende Hell-dunkel-Gestaltung der Szenenwechsel, hinter der sich wohl mehr verbirgt als eine bloße Motiv-Anleihe an die Schraffur des Schachfelds (auf welchem die ›Metapher des Turms‹ spielt).122 So ist der Leichnam Sigismunds am Ende in gleißendes Licht getaucht. Die Übernahme oder doch zumindest Adaption des von Benjamin beschriebenen allegorischen Verfahrens, in welchem »Ewigkeit und Vergänglichkeit« für den Moment der Zertrümmerung zusammenfallen, verweist hier nochmals auf ein gewandeltes Symbolverständnis seitens Hofmannsthals  : Denn »das Symbol  : das sinnliche Bild für geistige Wahrheit, die der ratio unerreichbar ist«123 wird dem rationalen Zugriff eben nicht mehr entzogen, sondern geradewegs preisgegeben. Die Katastrophe des Trauerspiels ist aber nach 120 Es sei nochmals ganz zitiert  : »Die Idee ist Monade – das heißt in Kürze  : jede Idee enthält das Bild der Welt. Ihrer Darstellung ist zur Aufgabe nichts Geringeres gesetzt, als dieses Bild der Welt in seiner Verkürzung zu zeichnen.« (GS I, 228  ; Trauerspiel). Nietzsches Definition des Mythos als »Abbreviatur und Erscheinung« des »zusammengezogenen Weltbilds« (Nietzsche, Geburt der Tragödie  ; op cit, 145) dringt jedoch auf denselben Funktionszusammenhang  ; Benjamins Missbilligung sei Abbitte geleistet. 121 Zuvor  : GS I 1, 351/354. Walter Benjamin in einem Brief an Hofmannsthal über die Absicht der Einbahnstraße  ; [8. 2. 1928]  ; GB III, 331. 122 Eine Spielmotivik findet sich auch zu Beginn des vierten Akts, wenn Graf Adam davon spricht, den König zu »stechen« (SW XVI.2, 188). Möglicherweise hat sich Hofmannsthal nur im Vokabular vergriffen und hätte eigentlich »schlagen« schreiben wollen. 123 RA I, 63  ; Dichter und Zeit [1906]. Vgl. hierzu die »Erkenntniskritische Vorrede«  : »Die Idee ist ein Sprachliches, und zwar im Wesen des Wortes jeweils dasjenige Moment, in welchem es Symbol ist.« (GS I 1, 220  ; Trauerspiel).

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Benjamin wesentlich durch die rationale Gewalt der Intrige (Kalkül) angetrieben, welcher der Souverän unterliegt  ; das theologische Symbol als poetischer Besitz (wenn man es so dann noch nennen kann) wird demgemäß mittels des allegorischen Verfahrens aus der Gestalt herausgeläutert. Das ist das ›Opfernde‹ an dieser Poetologie.124 Es unterliegt einem ähnlichen Dualismus, wie ihn Benjamin als destruktiven für den Formbegriff des romantischen Kunstwerks ausgemacht hatte. Dieser kehrt auch in seiner Beschäftigung mit Goethe wieder  : »Das Symbolische aber ist das, worin die unauflösliche und notwendige Bindung eines Wahrheitsgehaltes an einen Sachgehalt erscheint.« 125 Die Unterscheidung von theologischem und profanem Symbol und deren (dialektischer) Einbindung ins allegorische Verfahren im Trauerspielbuch korrespondiert dem.126 »In jedem Ursprungsphänomen bestimmt sich die Gestalt, unter welcher immer wieder eine Idee mit der geschichtlichen Welt sich auseinandersetzt, bis sie in der Totalität ihrer Geschichte vollendet daliegt.« (GS I 1, 226  ; Trauerspiel)

124 »Nicht anders konnte der orthodoxe Emblematiker denken  : der menschliche Körper durfte keine Ausnahme von dem Gebote machen, das das Organische zerschlagen hieß, um in seinen Scherben die wahre, die fixierte und schriftgemäße Bedeutung aufzulesen. Ja, wo konnte dieses Gesetz triumphierender dargestellt werden als am Menschen, der seine konventionelle, mit Bewußtsein staffierte Physis im Stich läßt, um an die vielfachen Regionen der Bedeutung sie auszuteilen.« (GS I 1, 391  ; Trauerspiel). Oliviers Ausspruch »[…] denn wir haben nichts, dich zu fassen, als den Leib« (SW XVI.2, 218), ist nicht zuletzt in diesem Kontext zu verstehen. 125 GS I 1, 152  ; Wahlverwandtschaften. »Das Organ der Transzendentalpoesie als diejenige Form, welche im Absolutum nach dem Zerfall der profanen Formen überdauert, bezeichnet Schlegel als die symbolische Form.« (GS I 1, 96  ; Kunstkritik) »Nichts anderes als die symbolische Form ist unter dem allgemeinen Ausdruck. ›Symbol‹ verstanden, wenn Schlegel von der höchsten Aufgabe der Poesie sagt, sie sei »schon oft erreicht worden, durch dasselbe, wodurch überall der Schein des Endlichen mit der Wahrheit des Ewigen in Beziehung gesetzt und eben dadurch in sie aufgelöst wird  : … durch Symbole, durch die an die Stelle der Täuschung die Bedeutung tritt, das einzige Wirkliche im Dasein‹.« (GS I 1, 97, Kunstkritik  : Schlegel). 126 Die Allegorie selbst ›lokalisiert‹ Benjamin zwischen beiden Symbolformen »Gerecht kann der Begriff des Allegorischen dem Trauerspiele nur in der Bestimmtheit werden, in der er nicht allein vom theologischen Symbol sondern gleich deutlich von dem bloßen Schmuckwort sich abhebt.« (GS I 1, 396  ; Trauerspiel). Was Benjamin unter ›theologisch‹ verstand – nämlich einen anarchischen Messianismus –, kann man am Ehesten wohl mit einer Kunstreligion zusammenbringen  ; vgl. hierzu Daniel Weidner  : Kreatürlichkeit. Benjamins Trauerspielbuch und das Leben des Barock  ; in  : Ders. (Hg.)  : Profanes Leben  ; op cit, 120–138. Allerdings betont Weidner in dem lesenswerten Beitrag nur das Vorhandensein einer religiösen Dimension in Benjamins materialistischer Geschichtsauffassung, ohne diese genauer zu qualifizieren.

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Dieses Verfahren ist in einem letzten Ansatz nochmals in seiner Nähe zu den rechtslogischen Konsequenzen des Schmittschen Ausnahmezustands kenntlich zu machen, bevor die Analyse des Dramas im nächsten Kapitel auf die Ebene gestalthafter RePräsentation (also der Verkörperung von Ideen) wechselt. Wenn nämlich Benjamin das Trauerspiel als eine Idee bezeichnet (so wie die Souveränität eine ist), dann ist die Allegorie nicht sein Gehalt, sondern sein Modus, welcher vielmehr dazu dient, den zeitgeschichtlichen Gehalt des Stückes zu erwerben. Er besteht darin, der Idee des Trauerspiels Formen zu entwerfen, in deren Faktur das Bild ihrer Zeit kenntlich wird. Der allegorische Modus erzeugt also eine profane Form ästhetischen Scheins (»Zeitbild«), der Rechtsordnung bei Schmitt äquivalent, welche im Ausnahmezustand zerschlagen, in der Allegorie depotenziert wird. Dieser Moment des Umschlagens dient (bei Benjamin) der blitzartigen Anschauung der Idee im echten Symbol mit »metaphysischer Verweisungskraft« (Alt), das aber nur ex negativo zum poetischen Besitz werden kann.127 Dieses wird, da niemals in »Reinheit Wirklichkeit werdend« nur als Verlustanzeige ›erworben‹. »Denn jeder Rechtsgedanke überführt die niemals in ihrer Reinheit Wirklichkeit werdende Rechtsidee in einen anderen Aggregatzustand und fügt ein Moment hinzu, das sich weder aus dem Inhalt der Rechtsidee noch, bei der Anwendung irgendeiner generellen positiven Rechtsnorm, aus deren Inhalt entnehmen läßt.« (PT, 30) – »Allegorien sind im Reiche der Gedanken was Ruinen im Reiche der Dinge.« (GS I 1, 354)128

Auf den Verfassungskontext zurückbezogen bedeutet dies  : Das echte, theologische Symbol bewegt sich funktional auf Ebene der Legitimität, gibt nicht nur das Bild des pouvoir constituant – sondern ›ist‹ dieser selbst. Das profane Symbol würde hingegen als ›ästhetischer Legalismus‹ den pouvoir constitué darstellen, welcher der Zeit unterworfen ist. Allegorie wäre hier also das Verfahren, in welchem die innere Form (der Nation) zur äußeren Anschauung kommt  : im Trauerspiel.129 127 Übrigens kann in diesem Zusammenhang abermals auf Landauers Schema ›Topie-Utopie-Topie‹ verwiesen werden, welches den Moment der Utopie (bzw. deren Realisierung) ebenfalls als notwendiges Scheitern und Ausmünden in eine neue Ordnung auffasst  ; (vgl. Landauer, Die Revolution  ; op cit, 12 f.). 128 Zwischen diesen beiden Zitaten steht der Begriff der Rechtsnorm – wenn man diesen als stets insuffiziente Ausprägung des Rechtsgedankens funktional mit der Allegorie gleichsetzt (wie Benjamin es selbst ja tut), wird das Ausmaß der Adaption sichtbar. Vgl. für diesen Zusammenhang die Ausführungen oben unter 5.1.1. 129 Dies ist unter 5.3 wieder aufzugreifen, wenn es um die konkrete Darstellung der Herrschaftsformen geht. Schmitt hat sich später übrigens – in Reaktion auf Benjamin – gegen die Beschränkung der

Allegorie und Ausnahmezustand. Die moderne Dramaturgie der Entscheidung

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Schmitts Konzeption des Souveräns ergibt sich genau aus einem solchen Indifferenzpunkt der Entscheidung, die zu neuer Rechtsform führt. Das ist auch daran zu erweisen, dass diese wesensmäßige, also identitäre Bildgebung kollektiven Seins nicht anders, als in der Gestalt zusammengezogen, als Figur vorstellbar ist. Und hier liegt auch die ganze Gefahr des ästhetischen Konzepts, die Benjamin bewusst war, wenn er vom »leeren Abgrund des Bösen« – eben zwischen Bildbedeutung und Sein – schrieb und welche auch dem Turm immer wieder so scharfe Kritik eingetragen hat (vgl. 1.2)  ; obgleich sie sich bislang noch gar nicht auf das charismatische Moment seiner Herrschaftsinszenierung gerichtet hat.130 Sie hätte Benjamin mit einzubeziehen  : »So bringt mir was Sie schreiben ein Echo, auf das ich fast verzichten zu müssen geglaubt hatte.«131 Allegorese des Feindbilds  : Akkumulationen »Die Moden der Bedeutungen wechselten fast so schnell wie der Preis für die Waren wechselt. In der Tat heißt die Bedeutung der Ware  : Preis  ; eine andere hat sie, als Ware, nicht. Darum ist der Allegoriker mit der Ware in seinem Element. […] Die Welt, in der diese neueste Bedeutung ihn heimisch macht, ist keine freundlichere geworden. Eine Hölle tobt in der Warenseele, die doch scheinbar ihren Frieden im Preise hat.« (GS V, 466  ; Passagen-Werk)

darstellenden Totalität nur auf eine des Verlustes gewendet  : solche Einbrüche »der Zeit in das Spiel« seien »Türen, durch die das tragische Element eines wirklichen Geschehens in die Welt des Spieles eintritt und das Trauerspiel in eine Tragödie, die geschichtliche Wirklichkeit in einen Mythos verwandelt.« (Schmitt, Hamlet oder Hekuba  ; op cit, 50/51). Als Agenten dieser Einbrüche hat Schmitt aber gerade die Figuren bestimmt. Das kann auch für Hofmannsthals Personal behauptet werden, jedenfalls für den Olivier. Der Unterschied zwischen Trauerspiel und Tragödie liegt für Schmitt in der Schaffung des »echten Mythos«, welcher nur tragisch erzeugt werden könne (vgl. Schmitt, Hamlet oder Hekuba  ; op cit, 46). Hofmannsthals Turm scheint geeignet, diese Setzung – mit Benjamins Allegorie – zu widerlegen und gleichzeitig, im Untergang des Königtums, zu bestätigen (vgl. 5.5). 130 Dieser Nexus ist zuletzt – nicht für Hofmannsthal, aber für Benjamin und Brecht – von Juliane Rebentisch bemerkt worden  ; vgl. Rebentisch  : Theatrokratie und Theater. Literatur als Philosophie mit Benjamin und Brecht  ; in  : E. Horn/B. Menke/C. Menke (Hg.)  : Literatur als Philosophie  ; op cit, 297–318  : 301. Gegenüber Rebentischs These, Benjamin habe der Kraft des Charismas aufgrund des faschistoiden Missbrauchs die Macht der Nüchternheit und Ratio entgegengesetzt (welche Rebentisch mit Weber definiert) ist aber Skepsis angezeigt. Der hiesige Kontext macht das gleich deutlich. 131 Zuvor  : GS I 1, 404. »Es ist ein Glück, für das ich nicht einmal Ihnen danken darf, daß Sie die schöpferische Probe auf die Analyse eines (in der Tat nur dem Oberflächlichen und im Oberflächlichen) vergangenen Zustandes des deutschen Dramas machen. Mit verdoppelter Ungeduld erwarte ich die Aufführung und damit die neue Schlußfassung des ›Turms‹.« (GB III, 209 [Brief vom 30. Oktober 1926]).

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Dass Benjamin später schrieb, »[…] die [moderne] Allegorie entsprach in der Tat in vollendeter Weise dem Warenfetisch«, dringt auf die pekuniäre Dimension auch dieser Poetologie, deren (christliche) Urfunktion es nicht umsonst war, »einen ungebrochenen Rest antiken Lebens« zu »bannen«.132 Für die Moderne ergab sich als deren Ziel das individuelle Leben. Hofmannsthal hat für die poetische Bewältigung seines »umschlingenden Gegners«, der veloziferisch ökonomisierten Zeit, in Benjamin den wohl idealen Gesprächspartner finden können.133 Der in diesem Zusammenhang wichtige (metaphorische) Übergang von der Geld- zur Zeit-Ökonomie ist spätestens mit der Darstellung Benjamin Franklins in der Protestantischen Ethik zum Topos geworden. Weber analysierte darin dessen Tugendlehre, auf welche die griffige Formel »Zeit ist Geld« zurückgeht.134 Die Lektüre des Lebensbildes während der Umarbeitungsphase des Turm könnte Hofmannsthal daran erinnert haben. Jedenfalls tritt die drängende Problematik der Zeit in der Bühnenfassung an die Stelle der in den dichterischen Fassungen so krisenrelevanten Geld-Thematik. Bekanntlich endet Webers Darstellung des »Geist[es] des Kapitalismus« als »historisches Individuum« nicht nur mit der Entblößung seiner religiösen Wurzeln – und damit von seiner ethischen Rückversicherung –, sondern mit dem Fazit einer Inversion  : »Nur wie ein dünner Mantel, den man jederzeit abwerfen könne, sollte die Sorge um die irdischen Güter auf den Schultern seiner Heiligen liegen. Aber aus dem Mantel ließ das Verhängnis ein stahlhartes Gehäuse werden.«135 Theologisch betrachtet, formiert sich in dieser Inversion die Religion des Antichrist. So dürfte nicht nur die Haltung der katholischen Gegenrevolutionäre zusammenzufassen sein  ; auch Benjamin sprach vom »Kapitalismus als Religion«.136 132 »Wie die Ware zum Preis kommt, das läßt sich nie ganz absehen, weder im Lauf ihrer Herstellung noch später wenn sie sich auf dem Markt befindet. Ganz ebenso ergeht es dem Gegenstand in seiner allegorischen Existenz. […]« (GS V, 465 und 66  ; Passagen-Werk). Zum »ungebrochenen Rest«  : GS I 1, 396  ; Trauerspiel. 133 Benjamins Zeitwahrnehmung war eine vergleichbare  : »In dem immer schnelleren Veralten der Neuerungen und Erfindungen, die den Produktivkräften des sich entfaltenden Kapitalismus entwachsen waren, erblickte Benjamin die Signatur der frühen Moderne insgesamt.« (GS V, 16  ; Einleitung). 134 Vgl. RS  I, 167 und 31 ff. Franklin, der Deist, sei vom »Geist des Kapitalismus erfüllt« gewesen (ebd., 49). Auch Marianne Webers Lebensbild widmet sich der Protestantischen Ethik und gerade auch der Erscheinung Benjamin Franklins als modernem »nüchternen« »Wirtschaftsmensch[en]« ausgiebig (vgl. Lebensbild  ; op cit, 357). 135 RS I, 30 und Lebensbild, 357. 136 Vgl. hierzu den Beitrag Detlev Schöttkers  : Kapitalismus als Religion und seine Folgen. Benjamins Deutung der kapitalistischen Moderne zwischen Weber, Nietzsche und Blanqui   ; in   :

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»Im Kapitalismus ist eine Religion zu erblicken, d. h. der Kapitalismus dient essentiell der Befriedigung derselben Sorgen, Qualen, Unruhen, auf die so genannten Religionen Antwort gaben.« (GS VI, 100  ; Kapitalismus)

Der Geist dieser Inversion wird in der Religionssoziologie wie folgt zitiert  : »Aus Rindern macht man Talg, aus Menschen Geld« (– Brechts Pierpont Mauler lässt grüßen). Im Turm erwächst dem »Wesen von einheitlicher Substanz und von voller Wirklichkeit […] als wäre es ein lebendiges Individuum, Humanismus«,137 als das Sigismund in der Bühnenfassung umso mehr zu lesen ist, aus dieser »Anti-Theologie« ein vernichtender Feind. Deren ›dramatisches Individuum‹ setzt ›seine Rationalität‹ rücksichtslos durch und wird darin zur Figur allegorischer Zertrümmerung. Warum sich allerdings von solch kühler Wucht so vergleichsweise wenig in den dichterischen Fassungen findet (höchstens an Oliviers Ausdruck des »Bauchfetts«, mit dem er sich die Stiefel schmieren wolle, wäre zu denken) ist nur zu vermuten – das Feindbild oder vielleicht besser  : die von Hofmannsthal wahrgenommene Bedrohungslage hatte sich zur Mitte der zwanziger Jahre offenbar gewandelt, wie auch das »Gesicht« (Fülöp-Miller) der russischen Revolution bzw. der Sowjetunion. Das vom »roten Satan« aber gar keine Rede mehr ist, darf zu denken geben.

5.2 Soziologie des Turm – Hofmannsthals Gestaltdramatik und die Typologie des (deutschen) Trauerspiels »In dem Trauerspiel ›Der Turm‹ […] geht es um das Problem der Herrschaft, der Führerschaft, das in fünf Gestalten abgewandelt wird, dem Monarchen, dem zur Nachfolge berufenen Sohn, dem Kardinal-Minister, dem weltlichen Politiker, dem Revolutionsführer. Es könnte hierbei daran erinnert werden, dass Schillers Dramen vom ›Wallenstein‹ bis zum ›Demetrius‹ sämtlich das Problem des legitimen Königtums zum Zentrum haben.« (SW XVI.2, 471  : Zeugnisse [30. Januar 1928])

Zweifelsohne ist die Soziologie des Turm als eine der Souveränität in ihren geschichtlichen Figurationen zu lesen. Die Formulierung »Problem des legitimen Königtums« in Berufung auf Schiller ist einer gesonderten Betrachtung wert.

B. Witte/M. Ponzi (Hg.)  : Theologie und Politik  ; op cit, 70–81. 137 RS I, 33  : Kürnberger  : »Amerikamüder«  ; GS I 1, 220  ; Trauerspiel  : Burdach.

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Der – wohl auf Simmel zurückgehende – Terminus ist ein Pleonasmus. 138 Er wirft die Frage auf, ob es denn überhaupt ein nicht-legitimes Königtum geben könne – und ob dieses dann als legale also konstitutionelle Monarchie oder etwa als bloße Diktatur bzw. gar Tyrannei bezeichnet werden müsste. Der Problemhorizont dringt aber noch weiter, auf den Wechsel in der Legitimationsart, wie er beim Zeitgenossen der Französischen Revolution Schiller im politischen Raum seiner Dramen zur Inszenierung kommt (z. B.: Don Karlos  ; einschlägiger für die Bühnenfassung  : Demetrius),139 und oben auch als Befund der Analyse der dichterischen Fassungen erarbeitet wurde. 1928 aber unterliegt er veränderten Voraussetzungen. Offensichtlich ist damit eine Frage berührt, die auf jene von Schaeder angezeigte »Wiedereroberung« des »Gesamtbereichs des Politischen« zielt – die obige Annonce folgt denn auch nur drei Wochen nach Schaeders Brief. Bei anderer Gelegenheit schrieb Hofmannsthal  : »Der eine sieht eine Gruppe schicksalsverbundener Gestalten vor sich, der andere glaubt in diesen Figuren Ideen verkörpert zu sehen, wohl politische Ideen, aber nicht solche, die sich genau mit Namen nennen ließen.« (SW XVI.1, 506  : Hofmannsthal [1925])  ; »Sehen Sie, im ›Egmont‹, da sind die Gestalten auch schon verkörperte Mächte, in ein furchtbares und herrliches Spiel verstrickt, […]« (SW XVI.1, 159  : Hofmannsthal an Burckhardt [1922])

Die Orientierung an Goethes Dramatik ist im Verlauf der Entstehung aber offenbar zugunsten Schillers in den Hintergrund getreten. Im Typoskript des Trauerspielbuchs konnte Hofmannsthal lesen, Schiller habe versucht, »das Drama auf den Geist der Geschichte zu gründen, wie der deutsche Idealismus sie verstand«. Er habe sich dem romantischen Schicksalsdrama sehr angenähert, indem es ihm gelang, »im Rahmen des Historischen das Schicksal als Gegenpol der individuellen Freiheit reflexiv zu spiegeln«. Damit hätte er den Mythos als der »unwiederholbaren Voraussetzung der Tragödie […] in Gestalt der Geschichte« ersetzen bzw. erneuern können.140 Entscheidend sind hierbei demnach die Figuren ( Jo138 Vgl. hierzu 4.3.1 in dieser Studie – in Hofmannsthals Exemplar der Soziologie Simmels (in der Auflage von 1922) finden sich Anstriche an entsprechenden Textstellen. 139 Im Don Karlos stehen sich die Legitimation durch die Kirche (Philipp) und durch die ecclesia des Volkes (Karlos) gegenüber  ; im Demetrius-Fragment näherte sich Schiller bereits der CharismaThematik der Auserwähltheit und der politischen Wirkung von Anmut und Abstammung an. 140 GS I 1, 301  ; Trauerspiel. Schmitts diesbezügliche Kritik, dass Geschichtskenntnis nicht den Mythos und das Trauerspiel nicht die Tragödie ersetzen könne, wurde oben referiert. Doch auch Benjamin befand  : »Die Schicksaltragödie ist im Trauerspiele angelegt.« (GS I 1, 312  ; Trauerspiel).

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hanna, Wallenstein, Wilhelm Tell). Und entscheidend für Hofmannsthal bei der Gestaltung des legitimen Königtums sind dessen Erscheinungsformen als Emanationen jenes dramatisch zu fassenden Gesamtbereichs – konkret  : wie der demos als neue Legitimationsart zu inszenieren, wie er mit krypto-demokratischen Formeln wie »sich dem erwählten Herren unbedingt ergeben« zu gewinnen sei. Weitere im Zusammenhang mit dem Andenken Eberhard von Bodenhausens entstandene Notizen dringen ganz explizit auf die Verbindung von (biographischer) Gestalt und Geschichte  : »In solchen Charakteren wird die wahre Tendenz, der tiefere Gehalt der Epoche erfaßt.«141 »Es sind mir Menschen entgegengetreten, auf welche die Natur einige ihrer größten Gaben gehäuft hatte. Es waren wahrhaft imperatorische Naturen – und ihr Geschick hat sie fallen lassen. Schon das müßte einen auf ewig skeptisch machen.« (RA III, 618  : Ad me ipsum [30. VII. 23])

Dass Hofmannsthal Max Weber und Bodenhausen in einer merkwürdigen Weise zusammendachte, wurde bereits ganz zu Beginn ausgeführt (vgl. auch 1.5), die zitierte ›Ergebenheitsadresse‹, ebenso in diesem biographischen Koordinatenfeld entstanden, erinnert nicht von ungefähr an Webers Demokratieauslegung, wie er sie in einem Gespräch Ludendorff erklärt haben soll (die Beschreibung der Szene findet sich im Lebensbild).142 Darum hebt die ›Soziologie des Turm‹ mit einigen Überlegungen Hofmannsthals zur biographischen Gestaltwerdung an, die für die geschichtliche Konzeption seines Dramenpersonals erhellend sind. 5.2.1 Geschichtliche Gestalt (1925), Biographie (1926) und dramatischer Typus »Das vergangene Geschehen (Geschichte) erscheint als ein Gegenwärtiges, wenn alle Umstände (alle Züge der Gestalt) erfaßt, d. h. vergegenwärtigt werden.« (RA III, 581 [31. X. 1925]) »Epoche. Was bedeutet es – ein solcher Mensch drückt den Gehalt seiner Epoche aus  ?« (RA III, 156, 166  ; Bodenhausen [1928])

Die Bühnenfassung weitet in der Temporalisierung aller Binnenverhältnisse und Figuren-›Identitäten‹ einen Ansatz aus, der sich in den dichterischen Fassungen 141 Das prägnante Zitat wurde bereits oben verwendet (vgl. 4.3)  : »Es gibt keine Monarchen mehr. – Sich dem erwählten Herrn unbedingt ergeben.« (RA III, 167  : Andenken Bodenhausens [1927/28]). 142 Szene Ludendorff  : Mar. Weber, Lebenbild  ; op cit, 647.

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des Turm allein auf die Entwicklungsgeschichte Sigismunds bezog (vgl. 4.1.3). Eine Beschreibung der wichtigsten Vertreter als »politischen Figuren dieser Zeit«143 anhand Benjamins Figurentypologie hat daher die ihnen im geistigen Gehalt inwohnende Kontingenz in Rechnung zu stellen. In ihnen sedimentiert sich Ideengeschichte, versehen mit einer politischen Valenz, die sie in Hofmannsthals eigene Zeitgenossenschaft hebt. Damit liegt eine umfassende Dramatisierung von Geistesgeschichte in kontingente(n) Gestalten vor, deren Profil die nähere Betrachtung im Anschluss nachzeichnen wird. »Wer Geistesgeschichte schreibt, sucht die Ideen, nicht ihre Träger  ; auch er läßt das Individuum beiseite, soweit es nicht völlig Geist geworden ist. Die Kunst allein will das Einzelwesen, und sie findet es, indem sie Geist und Leib mit einem Blicke erfaßt.«144 Hofmannsthal wollte beides. Das wurde schon unter 4.1 betont – »geistige Bewegung[en] in ihre[n]« Zentren klar zu erkennen und dann in dramatischen Figuren zu gestalten, kann als Hofmannsthals geschichtliche Vorgehensweise hierbei bezeichnet werden. Diese hat er in einer Aufzeichnung selbst so formuliert  : »Dichter mehr als Geschichtsschreiber. Träger des Mythischen, somit des wahren Gedächtnisses.« Seine Figuren ›enthalten‹ daher zahlreiche Fermente oftmals biographischen Ursprungs, sind somit »überzeitliche« Konglomerate eines gewieften physiognomischen bzw. »mimischen Biographen«, der seine Gestalten durchaus als Bricolage seiner Belesenheit konzipierte.145 Hofmannsthals Interesse an Weber als zeitgeschichtlicher Gestalt wurde bereits dargelegt, ein prägnantes Zitat aus der Rezension von Marianne Webers Lebensbild ist indes noch in Gänze nachzureichen – es steht in einem Zusammenhang mit Hofmannsthals Poetik der (geschichtlichen) Gestalt bzw. Figur  : Es sei, schreibt Hofmannsthal,

143 RA III, 96  : Biographie. 144 RA III, 49  ; Schatten der Lebenden. Hier ist auf Dilthey hinzuweisen, der die Biographie zum Prinzip eines synthetischen Darstellungsverfahrens geisteswissenschaftlicher Analyse kürte  ; vgl. Dilthey, Geistige Welt  ; op cit, 34  ; vgl. hierzu Gretz, Deutsche Bewegung  ; op cit, 23 f. 145 Zuvor  : Schmitt, PR, 8 und RA III, 590  ; Aufzeichnungen[1927]. »[…] die Schule unserer mimischen Biographen […] Ums Theater herum, je näher dem Theater je besser, sind sie gewachsen.« (RA III, 53  ; Schatten der Lebenden). »[…] es gibt keine Charaktere  : es gibt Schicksale und deren Signaturen  : die Gesichter.« (RA III, 435  ; Aufzeichnungen [1902]). Direkt im Anschluss an diese Feststellung kommt Hofmannsthal dann zu »einer ersten Erkenntnis, daß das Leben im ganzen ein Traum ist  ; das Resultat einer zweiten Erkenntnis, daß alles Leben im einzelnen aus Phantasmen zusammengesetzt ist  : Besitz, Rang, Macht, Weisheit […] (ebd.).

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»als sähen wir einen Mann wie Weber immer in Abgrundtiefen unter Wasser schwimmen, einen unmeßbaren Druck mit inneren Kräften ausbalancierend.« (RA III, 97  ; Biographie [1926]) – »Uns sind tragische Figuren wie Taucher, die wir in die Abgründe des Lebens hinablassen – magische Figuren sind sie wie der Schlüssel Salomonis, die uns die Kreise der Hölle aufschließen.« (RA III, 443  ; Aufzeichnungen [1903])146

Das rückt dann doch sehr in die Nähe jenes »acheronta movebo  !« mit welchem der Arzt Julian in bzw. zu seinem revolutionären Handeln motiviert, und ist jedenfalls anerkennend gemeint  : »Die bedeutenden Deutschen scheinen immer unter Wasser zu schwimmen, nur Goethe wie ein einsamer Delphin streicht auf der spiegelnden Oberfläche dahin«.147 Zudem liegt hier ein poetologischer Nexus zur Thematik der Masse. In der Rezension des Lebensbildes wirkt sich die Lektüre des Trauerspielbuches übrigens deutlich aus  : »[…] wir verfolgen seine Lebensspur, der Schauplatz fasziniert uns, auf dem die Gestalt sich hin und her bewegt, die riesigen und dabei wahren Dimensionen, die einmal da waren und nie wieder (ihre Spiegelung zu sein, war der Traum des Barock).« Hofmannsthal schrieb dies zwar im Hinblick auf einen weiteren Band, die Konstellation Weber-Benjamin ist aber in Hofmannsthals Denken offenkundig gegeben.148 Max Weber als tragische Figur, die in die Abgrundtiefen des Meeres – sprich  : des Volkes vordringt, sich hierbei den »Antinomien des Daseins« aussetzend –, dass von diesem Bild auch Wirkung auf die Umarbeitung des Turm ausgegangen sein könnte, ist darum naheliegend.149 Es gibt weitere Zeugnisse aus dieser Zeit, dass 146 Hofmannsthal greift hier also auf eine von ihm schon früh verwendete Metapher zurück  ; vgl. auch  : »,Figuren‹, die wir schaffen, sind wie Taucher, die wir in den Meeresgrund hinablassen, sind magische Figuren, die uns die Kreise der Geisterwelt aufschließen.« (RA III, 467  ; Aufzeichnungen [1906]). 147 SW XXXVIII, 789 [1919]. 148 RA III, 95  ; Biographie  : Cicero. Das Fazit rekurriert nochmals auf das Bild von Weber als Imperator ohne Reich, als den Hofmannsthal ihn Cicero gegenüberstellt  : »Die Aufmerksamkeit, mit der wir diesen fremden Leben folgen, ist zugleich eine halbe, wo nicht eine völlige Erhellung sehr großer Räume in uns selbst, deren Vorhandensein uns kaum bekannt war. Wir loten unsere eigene Tiefe aus, wir ahnen unsere zweite Wirklichkeit – durch Übertragung. Um unser wahres Ich zu entfalten, bedarf es eines großen Raumes, in Ermanglung großer Aktivität. Unsere Fähigkeit zu erleben ist, scheint es, ohne Grenzen, aber es fehlt ihr an Verwirklichung. Ein guter Teil der Schwermut, die auf dem Grunde jeder höhern Existenz liegt, ist unrealisiertes Handeln.« (RA III, 98  ; Biographie [Hervorh. A.M.]). Aus den vorangegangenen Ausführungen zu Benjamin und den Zitaten dürfte sich die gedankliche Nähe von selbst vermitteln. 149 Lebensbild  ; op cit, 690. Auch Hofmannsthals Einschätzung von Weber als »geistigem Cäsar« findet sich im Lebensbild  : »Die Erkenntnis der Wirklichkeit, ihre Beherrschung durch den Ver-

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Hofmannsthal im Gestalt-Konzept ein Medium unmittelbarer Geschichtsvermittlung sah  : »Durch Gestalten aber spricht das zu uns, was einst geschehen ist, sei es im Weltbereich, sei es im Bereich des eigenen Volkes. Der großen Tendenzen, welche die Welt durchwalten, sind wenige  ; unter kaum veränderter Form machen sie sich immer wieder geltend […] und so wird es sein, denn das gleiche bringt wieder das gleiche hervor, und es walten über der Menschenflut, welche die Länder bedeckt, solche Gegensätze wie über dem Meer, das immer wieder an der gleichen Stelle seine furchtbaren Strömungen und Wirbel ansetzt.« (RA III, 197  : Geschichtliche Gestalt [1925  ; Hervorh. A.M.])

Diese »großen Tendenzen« sind offenbar »ein Vorgegebenes« und noch dazu ein Wiederkehrendes. Die Rhetorik dringt geradezu auf eine Gleichsetzung von Masse und Meer  ; die Völker werden gewissermaßen »in der Spenglerschen Manier« als Naturphänomene betrachtet.150 Ein solcher Vergleich findet sich auch in den Notizen zum Turm  : »Das Volk. Das Volk ist großen Sinnes u. versteht die Sachen auseinanderzuhalten. Es reinigt alles wie das Meer.« 151 Einerseits wird also die Erhabenheit ›solcher‹ Naturphänomene rhetorisch genutzt  ; und zwar (wenngleich nicht eben ›volksnah‹) im Rahmen einer Mystifizierung der großen sprechenden »Gestalten«, in der Notiz jedoch mit erkennbar mehr »Zutrauen« zum ›Volkssouverän‹. Zugleich aber drückt sich darin doch der Glaube an eine Gesetzlichkeit der Geschichte – und damit letztlich ihrer Berechenbarkeit durch eine notwendig gegensätzliche »Darstellung der qualitätslosen wiederholbaren Zeit« – aus. Das überrascht zunächst. Denn dieser Glaube wird im Turm auf Geschehensebene des Stücks zumindest für die Figuren Julians und des Arztes deutlich widerlegt und damit in gewisser Weise auch die Wiederholbarkeit von Geschichte als ein spezifischer Wesenszug des Trauerspieles  :152 »AR ZT Zu spät. Treibts weiter, und immer ohne das […]«, worin der Geschichte überhaupt ein Wert zugekommen wäre, wie der letzte Satz des Variants zum Inszenierungstext (1928) beginnt. In deren Bild scheint hingegen jener Riss gedrungen zu sein, stand kann für diesen Mann nur die Vorstufe sein für ihre unmittelbare Gestaltung durch Handeln, denn noch mehr als zum Denken scheint er zum Kämpfen und Herrschen geboren. Es fragt sich nur, ob sich die richtige Form dafür finden wird, ob seine Zeit den angemessenen Gegenstand für die Kristallisation dieser Kräfte besitzt. Er selbst denkt daran, später praktischer Politiker zu werden.« (ebd., 176 [Hervorhebung A.M.]). 150 Zuvor im Text  : GS I 1, 210  ; Trauerspiel  ; RA III, 197  ; Geschichtliche Gestalt. 151 SW XVI.2, 326  ; Varianten. 152 GS I 1, 316  ; GS I 1, 275  ; Trauerspiel.

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dem schon im Unbestechlichen das Porträt des jungen Barons zum Opfer fällt. Die Bühnenfassung macht v. a. den rationalisierenden Kern hinter dem Vorgang der Verzeitlichung erkennbar, indem sie die politische Geschichte der Neuzeit vom theistischen Königtum bis hin zur kulturellen Schwundstufe einer schrankenlosrationalen Gewalt souveräner Diktatur (als der zeitgeschichtlichen Herrschaftsvorstellung) nachzeichnet. Die dialektische Verkörperung von Ideen politischer Organisation verdichtet sich zum Schluss regelrecht zum Konflikt zwischen Zeitund Volksgeist. Das Gesetz der Geschichte kommt dann im Inszenierungsvariant mit dem Aufstand der Massen gegen Olivier aber doch noch zur Anschauung. Hofmannsthal hat das Schema der Verzeitlichung, das den Schauplatz infiltriert, noch in die Gestalten des Trauerspiels transponiert und damit verdeutlicht, dass der Herrschaft nicht nur eine räumliche Ausdehnung, sondern v. a. auch eine zeitliche Dimension eignet.153 Dieser Effekt ist in der nachfolgenden Aktualisierung der Figurenbeschreibung (die unter 4.1 erfolgte) zu verdeutlichen. Auch dieses Vorgehen hatte Benjamins geschichtsphilosophische Perspektive übrigens nahegelegt  : »Der Souverän repräsentiert die Geschichte. Er hält das historische Geschehen in der Hand wie ein Szepter. Diese Auffassung ist alles andere als ein Privileg der Theatraliker. Staatsrechtliche Gedanken liegen ihr zugrunde«. Die staatliche Souveränität, die in dieser Repräsentanz liegt, wird aber – da selbst unbeweglich – als gebrechliche gezeigt  : Eine Stoik, »deren Utopie immer bleiben wird, die eherne Verfassung der Naturgesetze an Stelle schwankenden historischen Geschehns zu setzen«.154 Der auftrumpfende Intrigant als Pendant des modernen Diktators perforiert die Wirklichkeit der höfischen Welt und setzt die »nackte Tathandlung« an die Stelle der »Macht des Wortes« bzw. zieht diese im Befehl zusammen. Mit seinen gefährlichen Possen stört er die Balancen der alten Welt  ; um auf Nietzsches Seil-Metapher zurückzugreifen  : er stößt sie im Absprung sturmreif. Damit besteht in der Personnage eine Konstellation von Repräsentanz der Geschichte und ihrer permanenten Herausforderung durch das kontingente Geschehen als dem eigentlich zu bewältigenden Thema des Trauerspiels. Die Bedeutung eines vermittelten Verhältnisses zwischen Figur und Sujet hatte Hofmannsthal schon früher eigens betont  : »Das Drama verträgt ebensowenig die nackte Tathandlung als die nur auf die Macht des Wortes gestellten Szenen, – wovon es sich eigentlich nährt, das sind Szenen, wo das, was 153 Vgl. hierzu Helga Nowotny  : Eigenzeit  ; op cit, 150  : »Macht, von Zentralgewalten ausgeübt, etabliert sich über Raum und über Zeit. Der territorial errichteten Herrschaft folgt die temporale.« 154 Zuvor  ; GS I 1, 245  ; GS I 1, 251  ; Trauerspiel.

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handlungsmäßig nicht unwichtig, Glied einer sich steigernden Entwicklung ist, stark durchs Medium der beteiligten Figuren reflektiert wird.« (RA III, 556  ; Aufzeichnungen [1919–1920])

Für seine Neukonzeption der letzten Akte konnte er sich auch diesbezüglich am Trauerspielbuch orientieren. Benjamin hatte in seiner Schrift zum deutschen Trauerspiel im Vergleich zu dem spanischen Calderóns und dem englischen Shakespeares etliche Defizite herausgearbeitet.155 Als ›Hauptversäumnis‹ ist die Figur und Inszenierung des Intriganten bzw. der Intrige hervorgehoben  : »Die mangelnde Entwicklung der Intrige, die kaum je die des Spaniers auch von Ferne nur erreicht, macht die Insuffizienz des deutschen Trauerspiels. Nur die Intrige wäre vermögend gewesen, die Organisation der Szene zu jener allegorischen Totalität zu führen, mit welcher in dem Bilde der Apotheose ein von den Bildern des Verlaufes Artverschiedenes sich erhebt und der Trauer Einsatz und Ausgang zugleich weist.« (GS I 1, 409  ; Trauerspiel)

Den sich daran anschließenden Auftrag Benjamins, der »gewaltige Entwurf dieser Form ist zu Ende zu denken«, woran die zeitgenössische Dramatik bislang gescheitert sei, hat Hofmannsthal jedenfalls nicht überlesen. Und auch die Setzung Benjamins zu Beginn des Trauerspielbuchs scheint er beherzigt zu haben  : »Die Darstellung einer Idee kann unter keinen Umständen als geglückt betrachtet werden, solange virtuell der Kreis der in ihr möglichen Extreme nicht abgeschritten ist.«156 Entsprechend einer solchen geschichtsphilosophisch zu denkenden Kontrapunktik ist das Typenhafte der Figuren im Turm der Bühnenfassung weit stärker ausgeprägt  ; dies gilt vor allem für Basilius, Sigismund und Olivier. Die 155 GS I 1, 259  : Bemängelt die Beschränkung der Mysterien-Darstellung auf »Geistererscheinungen« und »Herrscherapotheosen«  ; GS I 1, 261  : Das Spiel im Spiel sei ohne vergleichbaren Glanz und Raffinesse  ; GS I 1, 306. Benjamin bedauert den »starren Typus« der Komik im deutschen Trauerspiel  ; GS I 1, 309  : »große Armut nichtchristlicher Vorstellungen« sei eine Hypothek gewesen  ; GS I 1, 335  : Überlegenheit der Reflexivität bei Shakespeare zeige sich am Hamlet – »Hamlet allein ist für das Trauerspiel Zuschauer von Gottes Gnaden […]«  ; GS I 1, 368  : »Nie hat das deutsche Trauerspiel vermocht, die Züge der Person so geheim in tausend Falten einer allegorischen Gewandfigur, wie Calderon es konnte, zu verteilen. Nicht besser hat ihm Shakespeares große Interpretation der allegorischen Gestalt in neuen, einzigartigen Rollen glücken wollen.« Die letzte Mängelklage betrifft die Intrige (GS I 1, 409  ; Trauerspiel) und ist nachfolgend zu betrachten. 156 GS I 1  ; 227  ; Trauerspiel.

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Darstellung der charismatischen Herrschaft nimmt Hofmannsthal nun demgemäß anhand der Dialektik von Sigismund und Olivier vor  : im Ausnahmezustand als coincidentia oppositorum von bloßem Leben und tyrannischer Souveränität. Allerdings muss in Olivier zunächst eine Intrigantenfigur gesehen werden  ; dass er schließlich souveräne Gewalt ausübt, ist noch gesondert mit Perspektive des Schmitt-Bezugs zu betrachten. Mit diesen Neuerungen sind die diametralen Tendenzen innerhalb der Personnage vertieft – Basilius ist als Souverän nun noch mehr Tyrann, das »Janushaupt« des Souveräns vervollständigt nach wie vor der im Turm vegetierende Sigismund, der aber dieser Latenz nicht mehr entkommt. Julian bleibt als Aufklärungsfigur ein Gegenspieler des Großalmosiniers, Hofmannsthal hat ihm aber einige schwarze Striche hinzugefügt  ; die Sakralgewalt des Abtes opponiert unverändert dem weltlichen König Basilius. Als ein geistiger Souverän steht jedoch nun im fünften Akt der Arzt dem Gewaltmenschen Olivier gegenüber  ; hilflos, das zu retten, »für das zu kämpfen es sich gelohnt hätte«.157 Die von Benjamin beschriebenen Figurentypen sind nachfolgend im Einzelnen anhand des Dramenpersonal im Turm vorzustellen.158 Notwendige Vertiefungen folgen bei Analyse des Ablaufs der Herrschaftsformen unter 5.3 und 5.4. 5.2.2 Dialektik der Souveränität I – Die »Janushäupter des Gekrönten« »Der Bann ist im strengen Sinn die zugleich anziehende und abstoßende Kraft, welche die beiden Pole der souveränen Ausnahme verbindet  : das nackte Leben und die Macht, den homo sacer und den Souverän.« (Agamben, Homo sacer  ; op cit, 120/121)

157 SW XVI.2, 227  ; Inszenierungsvariant. 158 Die Figuren sind als Repräsentanten von Begriffen und Ideen in ihrer »gegenstrebige[n] Spannung der Konstellationen« (Mattenklott, Kulturelle Räume  ; op cit, 12) darzustellen. Sie sind nicht im Sinne der früheren Hofmannsthalschen Unterscheidung von Mythos, Gestalt einerseits und Allegorie andererseits zu verstehen  ; denn die unter 4.1 aufgezeigte genealogische Schichtung ihres Bedeutungsgehalts im Sinne von Ahnreihen stellt definitive Festlegungen in Frage. Auch König befindet  : »Hofmannsthal baute sein Stück mit Kulturgedanken.« (König, Dichter unter den Philologen  ; op cit, 337). Diese sind zu großen Teilen ins Dramenpersonal eingegangen. Keine dieser Figuren erreicht etwa die Prägnanz von Tod (Sensenmann) und Welt im Salzburger großen Welttheater. Sie haben aber ›allegorische Valenz‹ in dem Sinne, dass sie in unterschiedlicher Weise und Funktion in das oben geschilderte allegorische Verfahren einbezogen werden.

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Basilius’ Hinweis an Sigismund im dritten Akt, es wäre nur ein König in Polen, der aber in zwei Gestalten wandele, lässt sich nicht nur auf die »Zwei Körper des Königs«, sondern auch auf die im Trauerspielbuch beschriebenen Typenausprägungen beziehen. »Tyrann und Märtyrer sind im Barock die Janushäupter des Gekrönten. Sie sind die notwendig extremen Ausprägungen des fürstlichen Wesens.«159 Und dieses wird tatsächlich von Beginn an als ein doppeltes gezeigt, da der unterm Bann der souveränen Gewalt stehende Sigismund als »fürstliche Kreatur« wahrgenommen wird (vgl. 4.). In den Notizen zu den dichterischen Fassungen ist auch die Rede von einer geheimen Verbindung, die zwischen Basilius und Sigismund besteht  : »Wie ein eingeschlafenes Glied war ich deines Leibes, ein abgeschnürtes. Etwas war noch bei mir hinter meinem Schlaf  : das warst du […] denn wir zwei sind eins. – Nur mein elendes Teil lag auf dem Stroh  : etwas sog mich aus, zog mich irgendwo hin, wo ich hing zwischen Etwas und Nichts«.160 Die Nähe zwischen Kreatur und König ist also größer, als die repräsentative Ebene der Macht zeigen will  ; die »Sorge des Souveräns« (Burkhardt Wolf ) hat sich vielmehr gerade auf die Verschleierung solcher Nähen zu richten. Dies erklärt sich grundsätzlich schon aus der Natur des souveränen Banns selbst, der den Raum des Politischen in Zonen unterteilt, und zwar nach Art eines ›Gürtels‹ (Matala de Mazza) bzw. als ein »Band der Teilung« (Nicole Loraux).161 Denn nicht nur der Souverän steht außerhalb dieses Banns (bzw. der Verfassung die er erlässt), sondern auch der Verbannte (Agamben hat diesen Bezug am Beispiel des »Abandono« in Homo sacer erläutert). Der Unterschied besteht im Wesentlichen in der Höhenlage  : der Souverän steht über seinen Erlässen  : »Souveränität ist höchste, rechtlich nicht abgeleitete Macht«, 162 der Märtyrer bzw. das bloße Leben als vorgesellschaftliches noch darunter. Und dennoch führen in dieser senkrechten Anordnung verborgene Bezüge vom Turmverlies in den Palast. Sie machen einen weiteren wichtigen Aspekt des souveränen Banns deutlich  : dieser bedeutet nicht nur eine Raumaufteilung in Profanität und Providenz. Er ist viel mehr die Grenzziehung zwischen Lebenden. Der Souverän 159 GS I 1, 249  ; Trauerspiel. 160 SW XVI.1, 291  : Sigismund. Vgl. hierzu die Arbeiten Maximilian Bergengruens, der die Genese dieses Einheits-Topos von den Vorstufen in Das Leben ein Traum nachverfolgt (vgl. Mystik der Nerven und Man liebkost, um zu tödten  ; op cit). 161 Vgl. Ethel Matala de Mazza  : Land unter. Über die Zonen des Politischen  ; in  : J. Vogl (Hg.)  : Gesetz und Urteil. Beiträge zu einer Theorie des Politischen  ; Weimar 2003. 75-94. Nicole Loraux  : Das Band der Teilung  ; op cit. 162 PT, 20. Zur Figur des Verbannten  : Agamben, Homo sacer  ; op cit, 39, 54, 120.

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bleibt als »Herr der Kreaturen« selbst Kreatur163 – und die doppelte Gestaltung im Turm macht dieses Verhältnis sehr deutlich (vgl. auch 3.3 und 4.2.2). »Denn wird im Herrscher da, wo er die Macht am rauschendsten entfaltet, die Offenbarung der Geschichte und zugleich die ihren Wechselfällen Einhalt tuende Instanz erkannt, so spricht für den im Machtrausch sich verlierenden Cäsaren dieses Eine  : er fällt als Opfer eines Mißverhältnisses der unbeschränkten hierarchischen Würde, mit welcher Gott ihn investiert, zum Stande seines armen Menschenwesens.« (GS I 1, 250  ; Trauerspiel)

Der Souverän repräsentiert, wie zitiert, die Geschichte, die eine der Gewalt des Banns ist. So unterliegt er jedoch auch als Erstes ihren Veränderungen. Das »Tempo des Affektlebens« wechselt mit den unterschiedlichen Regimen im Turm und diese Beschleunigung erweist sich für den Souverän – in beiden gekrönten Gestalten – als tödliche Gefahr. Denn Benjamin zeigt ihn als einen quasi Handlungsunfähigen,164 der über sein Machtpotential nur als repräsentatives verfügt. Abseits des Scheins ist er hilflos. Diese »Antithese zwischen Herrschermacht und Herrschervermögen« lässt dem Souverän zwei Optionen – die ›Flucht nach vorn‹ in neurotische Tyrannis oder die ›Duldungsstarre‹ des Martyriums, welches ihm der kontingenz-affine Intrigant bereitet. Kein Wunder also, dass Benjamin den Fürsten als »Paradigma des Melancholischen« bezeichnet. Hofmannsthal zitiert diesen Ausdruck in dem »melancholische[n] Geschäft«, das Basilius nach seiner Absetzung Sigismund übergibt.165 Die Verfallsform des monarchischen Souveräns  : Basilius als Tyrann Diese Melancholie, deren Hintergrund im Trauerspielbuch mit der Acedia, der Herzenskälte beschrieben wird, äußert sich beim Tyrannen in neurotischer Aggressivität. So auch bei Basilius, dessen Weg »ins nicht mehr Gangbare« geraten ist. Wird die grausame Verbannung des eigenen Sohnes von Geburt an noch durch Orakelspruch bzw. die Astronomen und den Großalmosinier gerecht163 GS I 1, 264  ; Trauerspiel. 164 Zuvor  : GS I 1, 277  ; Trauerspiel. Vgl. hierzu Albrecht Koschorke  : Das Problem der souveränen Entscheidung  ; op cit, 175–195. Zum Souverän als Subjekt der Geschichte vgl. zudem Balke, Figuren der Souveränität  ; op cit, 349 f.: Marin. 165 Zuvor  : GS I 1, 321  ; Trauerspiel. »(Basilius  : Ich hinterlasse Ew. Majestät ein melancholisches Geschäft)« (SW XVI.2, 332  ; Varianten).

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fertigt, gilt dies für seinen »eitlen« Krieg, der das Reich ausgezehrt hat, nicht mehr, denn der Abt zieht sich zurück. Nach der Klosterszene und Ignatius’ Ende (denn in dieser Fassung spielt er als späterer Königsmacher keine Rolle mehr) ist Basilius als Monarch absolutistischer Prägung ganz der Immanenz überantwortet und damit der »tötenden Zeit, der unausweichlichen Vergänglichkeit«. 166 Entsprechend aggressiver inszeniert er sein Charisma als Herrschergestalt  ; Hofmannsthal hat hier insbesondere Ende des dritten Aktes erhebliche Verschärfungen vorgenommen. »Wenn der moderne Souveränitätsbegriff auf eine höchste, fürstliche Exekutivgewalt hinausläuft, entwickelt der barocke sich aus einer Diskussion des Ausnahmezustandes und macht zur wichtigsten Funktion des Fürsten, den auszuschließen. Wer herrscht, ist schon im vorhinein dafür bestimmt, Inhaber diktatorischer Gewalt im Ausnahmezustand zu sein, wenn Krieg, Revolte oder andere Katastrophen ihn heraufführen. Diese Setzung ist gegen-reformatorisch.« (GS I 1, 245/246  ; Trauerspiel)167

Es gelingt Basilius aber offenkundig nicht, dieser Funktion noch gerecht zu werden. Drohungen wie diese  : »könig […] Sehr hörbar Denn die Welt ist ausser Rand und Band und wir sind entschlossen, das um sich greifende Feuer zu ersticken, – und wenn nötig, in Strömen Blutes.« verhallen. Die in die Bühnenfassung neu hineingekommene »Vertrauensfrage« zwischen Julian und Basilius dringt sogar direkt auf die dem barocken Souverän nachgesagte Entscheidungsunfähigkeit, in den Textstufen wird das ganz deutlich  : hier heißt es nicht »mit einer Tat«, sondern dezidiert »dein königlicher Entschluss – wird ein Zeichen sein« ( Julian)  ; an dieser Stelle haben sich Benjamin- und Schmitt-Lektüre in Kombination niedergeschlagen (zu Zweiterer anschließend unter 5.3).168 Julians Aufforderung wird 166 GS I 1, 270  : Hübscher. 167 Nicht ersichtlich ist hier zunächst, worin dann der Unterschied zwischen moderner und barocker Souveränitätslehre bestehen soll – den ›Ausnahmezustand auszuschließen‹ mag das Gewicht mehr auf Präventivmaßnahmen legen  ; dass diese gleichwohl exekutiv sind, zeigt ein kurzer Blick in die Geschichte des letzten Jahrhunderts. Benjamins (wie erwähnt nicht Schmitt-konforme) Unterscheidung ist nur vor der für das Trauerspiel festgestellten Entscheidungsunfähigkeit des Souveräns und einer Parteinahme dieser Form für die katholische Souveränität sinnvoll (»gegenreformatorisch«). 168 Zuvor  : SW XVI.2, 65  : Basilius. SW XVI.2, 307  ; N 307. Hierbei ist der Umstand beachtenswert, dass die SW die folgenden Notizen N 310–333 auf Juni 1926 datieren (vgl. ebd., 322). Das lässt auf ein Entstehen während der Benjamin-Lektüre schließen. Die Stelle ist höchstwahrscheinlich sogar ein direktes Zitat.

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von Basilius entsprechend als Bloßstellung wahrgenommen und mit der Frage, ob seine Abdankung erwünscht sei, beantwortet. »Die Antithese zwischen Herrschermacht und Herrschvermögen hat für das Trauerspiel zu einem eigenen, nur scheinbar genrehaften Zug geführt, dessen Beleuchtung einzig auf dem Grunde der Lehre von der Souveränität sich abhebt. Das ist die Entschlußunfähigkeit des Tyrannen. Der Fürst, bei dem die Entscheidung über den Ausnahmezustand ruht, erweist in der erstbesten Situation, daß ein Entschluß ihm fast unmöglich ist.« (GS I 1, 250  ; Trauerspiel [Hervorh. A.M.])

Die Figur des Königs als »wahnwitziger Selbstherrscher«, die zum »Emblem der verstörten Schöpfung« wird, tritt dann zunächst mit Sigismund im Moment der Usurpation auf (vgl. hierzu 4.2). Der aufbegehrende Proband wie auch der nach dessen Überwältigung tyrannisch auftrumpfende Basilius sind Ausdruck der von Benjamin mitgeteilten »Überzeugung« im barocken Trauerspiel, »daß im Herrscher, der hocherhabenen Kreatur, das Tier mit ungeahnten Kräften aufstehen kann.« In diese exaltierte Position drängt dann alsbald nach Sigismunds Überwindung Basilius mit exekutiver Entscheidung  ; dass er im »Zorn den Behörden  ! | Commandeurs abgesetzt.«169 hat, wie es in einer Notiz heißt, scheint dem Vokabular nach der Schmittschen Diktatur entlehnt. Der König tritt jedenfalls nun tatsächlich als alleiniger Herrscher auf, der die intermediären Kräfte (hier die Woiwoden und Adelsstände) unterwirft und Missliebige bestraft. In seinem opferfordernden Rachedurst liegt die Konsequenz, dass »der Hofstaat zum Blutgerüste sich verengt«. Er befiehlt  : »Die Kreatur soll heil und ihrer selbst bewußt unter das sühnende Schwert  !«170 Sigismund hat als aufgeklärtes Subjekt im Auge des tyrannischen Souveräns ein schweres Verbrechen begangen und also alle Menschlichkeit eingebüßt. Er existiert als bloßes Leben nur noch in Form des Schuldzusammenhangs, soll aber diesen Bann nicht mehr wie vordem ertragen müssen, sondern als Sündenbock für die monarchische Ordnung sterben, denn es ist »Sache des Tyrannen, das Trauerspiel« mit (mindestens) einer Leiche zu beliefern, und sei es seine eigne. Die Hinrichtungsprozession ist nichts als »Geste der Vollstreckung«. Allerdings – »Die Kreatur ist der Spiegel, in dessen Rahmen allein die moralische Welt dem Barock sich vor Augen stellte.«171 Und um die Moral des Königs und der höfischen Welt ist es nicht gut bestellt. 169 Zuvor  : GS I 1, 250 und 265  ; Trauerspiel. Basilius  : SW XVI.2, 313  ; Varianten. 170 Zuvor  : GS I 1, 271  ; Trauerspiel. SW XVI.2,183  : Basilius. 171 Der Reihe nach  : GS I 1, 393  ; GS I 1, 249  ; GS I 1, 270  ; Trauerspiel.

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Die »Reinheit des Entsühnten«  : Der monarchische Märtyrer Sigismund »Könige kennen keine Ironie, – nicht einmal im Sinn eines graden und klassischen Mittels der Redekunst, geschweige in einem verwickelteren Sinn.« (Thomas Mann  : Der Zauberberg, 621)172

Die Ausführungen zur Erscheinung des »Gefangenen« oben (vgl. 4.1.3) sind hier nicht zu wiederholen. Das Vorhaben, ganze Epochen der Geistesgeschichte (seit Kant) in der Gestalt zu spiegeln, ist jedenfalls beibehalten, vielleicht sogar hier erst richtig umgesetzt worden. Die Züge der sacertas sind entsprechend verstärkt, da Sigismund den Wegfall der Sakral-Gestalt des Kinderkönigs dramaturgisch auszugleichen hat. »ar zt Sein Leib ist umwittert mit Seelenkraft. Sie spüren die Incarnation des Heiligen«  ; zu Beginn erlebt der Arzt Sigismund mit einer Mischung von »Schrecken und Staunen«.173 Sigismund ist bereits in den dichterischen Fassungen als »Subjekt der Souveränität« lesbar geworden. Seine Passivität nun in der Bühnenfassung kann im Kontext mit Hofmannsthals Lektüre der Politischen Theologie gesetzt werden  : »Weil die Rechtsidee sich nicht selbst verwirklichen kann, bedarf es zu jeder Umsetzung in die Wirklichkeit einer besonderen Gestaltung und Formung.«174 Tatsächlich scheint die Figur jetzt noch stärker auf das bezogen zu sein, was oben als innere Form dargestellt wurde  ; und zwar in einem solchen Maße bezogen, dass sie alleine nicht mehr die Kraft zu deren Veräußerung (als mise en forme der volonté générale) aufbringt. Eine solche 172 Titelzitat  : GS I 1, 288  ; Trauerspiel. Thomas Mann  : Der Zauberberg. Roman  ; Gütersloh o.J. [1924]. 621. 173 SW XVI.2, 377  ; 137  : Arzt. Diese Beschreibung trifft übrigens mit den Wirkungsformen des Heiligen überein, wie sie Rudolf Otto in Das Heilige (1917) beschrieben hat (mysterium fascinans und mysterium tremendum). Auch die zweite von Otto erwähnte Wirkungsweise ist verstärkt worden  : Sigismund wird nun sogar »Wolfsmensch« genannt (SW XVI.2, 129). Olivier fürchtet ihn dennoch nicht mehr. 174 (PT, 29). Gerade in Bezug auf Sigismunds Telos ist eine Textstelle in Gerhard Scholems Trauerspiel-Typoskript erwähnenswert  : »Im ursprünglichen Phänomen eines Bereiches nämlich bestimmt sich die Gestalt, unter welcher immer wieder eine Idee mit der geschichtlichen Welt sich auseinander setzt und aus deren Fakten in unermüdlichen Wiederholungen ihr Bild aufbaut, bis es in der Totalität ihrer Geschichte vollendet vorliegt. Ursprung also ist Entelechie.« (GS I 3, 946  ; Trauerspiel [Scholem]). Die Stelle hat übrigens Nähe zu Spenglers Abfolge der Kulturkreise. »Eine Kultur stirbt, wenn diese Seele die volle Summe ihrer Möglichkeiten in der Gestalt von Völkern, Sprachen, Glaubenslehren, Künsten, Staaten, Wissenschaften, verwirklicht hat und damit wieder ins Urseelentum zurückkehrt.« (Spengler, Untergang  ; op cit, 143. Vgl. zu dieser Stelle Cassirer, Mythus des Staates  ; op cit, 379 f.).

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Perspektive würde eine implizite Zusammenführung von politischer- und Rechtsidee seitens Hofmannsthals annehmen – und zwar, im Hinblick auf die sich während der Arbeit am Turm entwickelnde Utopie einer das Politische verkörpernden dichterischen Sprache, in Gestalt eines poetisch gestifteten Leviathan, welcher die Nation in sich eint und dem Gemeinwesen eine natürliche (nicht künstliche) Seele schafft. Diese Deutung des Sigismund, deren Fundament im zweiten Kapitel gelegt wurde und die sich stark auf Hofmannsthals Beschäftigung mit Vosslers Sprachsoziologie bezieht, ist hier fortzusetzen (vgl. 5.4.3). Dass jedenfalls auch das Staatsrecht zu dieser Zeit auf die nicht vollkommen rationalisierbare »lebendige Form« bezogen werden konnte, zeigt ein zustimmendes Kaufmann-Referat Schmitts  : »Die wahre Form soll vielmehr aus den immanenten Gesetzen des Stoffes abgelesen werden. Immer wird davor gewarnt, ›den der rechtlichen Rationalisierung entzogenen Bestand von Irrationalitäten zu vergewaltigen‹.« (PT, 28  : Kaufmann)

Diese Forderung hat Hofmannsthal mit der Idee des Königtums zusammenbringen wollen. Auf die mystische Verbindung der monarchischen Souveräne Basilius und Sigimund wurde bereits hingewiesen. Der Prinz ist hierbei die weitaus edlere Gestaltung der Majestät. Dass der »Abglanz sittlicher Würde […] einzig auf dem Souverän und dies von keiner andern als der gänzlich geschichtsfremden des Stoikers« liege, trifft für Sigismund nur bedingt zu, dessen Dignität auf anderen Quellen beruht. Dennoch ist sein Verhalten von Stoik – der reflektierten Hamlets vergleichbar, wie sie Benjamin im Trauerspielbuch beschreibt175 – gekennzeichnet, signalisiert demnach das Gegenteil aller aktiven charismatischen Herrschaft.176 Sie wird nur durch den Usurpationsversuch im dritten Akt unterbrochen. Zu politischer Aktion kommt Sigismund danach nicht mehr (mit Ausnahme der Ernennung Julians zum Minister), vielmehr wartet er darauf, abgeholt zu werden. Die Verfehlung gegen den Souverän (als des Sohnes gegen den Vater) aber gibt diesem 175 Zuvor  : GS I 1, 267. »Einmal zumindest ist dem Zeitalter gelungen, die menschliche Gestalt zu beschwören, die dem Zwiespalt neuantiker und medievaler Beleuchtung entsprach, in welchem das Barock den Melancholiker gesehen hat. Aber nicht Deutschland hat das vermocht. Es ist der Hamlet. Das Geheimnis seiner Person ist beschlossen im spielerischen eben dadurch aber gemessenen Durchgang durch alle Stationen dieses intentionalen Raums, wie das Geheimnis seines Schicksals beschlossen ist in einem Geschehen, das diesem seinem Blick ganz homogen ist.« (GS I 1, 334  ; Trauerspiel [Hervorhebung A.M.]). 176 Hofmannsthals Deutung von Nietzsche als »eine Figur fast wie Hamlet.« (RA III, 591  ; Aufzeichnungen [1927]), ist evtl. auf Benjamins Hamlet-Deutung zurückzuführen.

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Gelegenheit zu dem beschriebenen großen Rundumschlag. Die Zweifel, welche die dichterischen Fassungen noch für Basilius vorgesehen hatten  : »König fürchtet, dass die bisher eines Hauptes entbehrende Revolution in dem Märtyrer dieses finde«, plagen diesen nun nicht mehr. Der (»ihrer selbst bewußt[en]«) »Kreatur« soll ganz im Sinne des Trauerspielbuches der Prozess gemacht werden177 und der Turm bliebe auf der Stufe des barocken Trauerspiels, wenn er so endete. Jedoch  : »Die Wiederaufnahme ist im Trauerspiel angelegt und bisweilen aus ihrer Latenz getreten.« Dass man Sigismund als Königs- und Vatermörder in »blutfarbenem Scharlach« kleidet, hat möglicherweise eine Vorgeschichte in Schillers Tell 178 und jedenfalls eine direkte Vorlage bei Benjamin  : »Ein Königsmord ist daher so viel wie ein Vatermord.«179 Da Sigismund allerdings als ein Sündenbock der Majestät geopfert und nicht bloß getötet werden soll, ist dieses Martyrium nicht das des homo sacer. Anders als in den dichterischen Fassungen wird Sigismund nicht in den Bann zurückgestoßen, sondern soll öffentlich für seine Tat und zugleich symbolisch für alle Gegner des Königtums hingerichtet werden, man führt ihn in einer weiteren großen Prozession an »allen Ständen« vorbei und macht ihn damit erst recht zu einer Gestalt des demos. Sigismund wird zum Richtblock geführt, um die königliche Macht qua Hinrichtung zu demonstrieren, die sich in der Aufopferung des Thonfolgers jedoch als saturnische inszeniert. Sigismund ist hier nicht Herr, er ist die Kreatur der Kreaturen und steht doch zugleich in sakraler Hinsicht über ihnen, zuständig für den »Ausnahmezustand der Seele« (Benjamin). An Reinhardt schrieb Hofmannsthal entsprechend »Der Sigismund ist jetzt noch mehr als früher, eine fürstliche Märtyrerfigur […]«.180 Die Modernisierung herrschaftlicher Gewaltverhältnisse, die aus dem zwischenzeitlichen Prinzen wieder einen homo sacer macht, hat sich Hofmannsthal für den fünften Akt vorbehalten, in welchem er – wie Basilius – seitens der revolutionären Sieger auf den »Stande seines armen Menschenwesens« reduziert wird.181 Denn  : »Der Gegensatz liegt darin – dass die Mystiker ihn gekrönt, verherrlicht u. von seinen Leiden als von Geheimnissen umwittert sehen, Olivier aber das alles für nichts achtet.« (SW XVI.2, 358  ; Varianten) 177 Basilius  : SW XVI.1, 226  ; Varianten  ; Prozess  : vgl. GS I 1, 316  ; Trauerspiel. 178 Zuvor  : GS I 1, 316  ; Trauerspiel. SW XVI.2, 185  : Basilius. Vgl. zum Tell den instruktiven Aufsatz von Albrecht Koschorke  : Brüderbund und Bann  ; op cit, 106–122. 179 GS I 1, 264  ; Trauerspiel. 180 Zuvor  : GS I 1, 253  ; Trauerspiel. Brief vom 1. II. 1926  ; zit. n. SW XVI.2, 453  ; Zeugnisse. 181 GS I 1, 250  ; Trauerspiel.

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»Zum Arzt  : Entscheidung«. Geistige Souveränität II »Nur für die herrliche Gestalt des Arztes muß ich Ihnen noch meinen ganz besonderen Dank sagen  ; er wird, in meisterhaftem Spiel, dereinst auf dem Theater große Wirkungen ausüben. Wie er, als neutraler Vertreter einer unsichtbaren Großmacht, ebenbürtig zwischen den irdischen Gewalthabern steht, ist unvergleichlich schön zur Erscheinung gebracht.« (Brief von Hans Carossa an Hofmannsthal [14. 6. 1926]  ; zit. n. SW XVI.2, 443  ; Zeugnisse)

Für diese Figur ist – Benjamins schon erwähnte Interpretation Julians als alter ego Hofmannsthals dahingestellt – zunächst daran zu erinnern  : Der Arzt »bleibt immer eine Nuance außerhalb und über der Situation«. Er blickt also aus einer gewissen Höhe auf die Geschehnisse und sehnt das Chaos als Krisenwendepunkt einer »Zeit, die sich erneuern will« geradezu herbei. In verschiedenen Situationen trifft er zudem Entscheidungen (vgl. 4.1.2) – und mit der Bühnenfassung sind neue hinzugekommen. Beibehalten ist die Verlängerung der Untersuchung (»Ich trage die Verantwortung.«)  ; dann aber setzt sich der Arzt gegen die Übergriffe der Höflinge auf Julian und Sigismund Ende des dritten Aktes durch  : »Hier befehle ich und bin der Majestät verantwortlich, sonst keinem« (also Sigismund)  ; eine dritte Entscheidung gegen Oliviers Abordnung zum Stadtkommando  : »ich bin hier an meinem Platz«, an welchem er dem Diktator des Neuen jedoch unterliegt. In dieser Konstellation formuliert sich zuletzt scheinbar die Einsicht in »Das ›Unmögliche‹ seiner Existenz unter den aktiven Menschen«.182 Dass sich Hofmannsthal auf dem Vorblatt der Politischen Theologie als Gegenstand der Entscheidung notierte, »welcher vitalen Intensität / die Reflexion fähig / sein kann / effective Wirklichkeit / des gesellsch. Lebens«,183 ist in diesem Zusammenhang 182 Der Reihenfolge nach  : BW Burckhardt, 98  ; SW XVI.2, 133  ; SW XVI.2, 186  ; SW XVI.2, 217  ; RA III, 590. 183 Abgedruckt ist diese Notiz nun in SW XL, 602. Hofmannsthal hat die Formel der »vitalen Intensität«, welche Schmitt im Hinblick auf Kierkegaard verwendet (vgl. PT, 15), auch im mehrfach erwähnten Brief an Redlich im Hinblick auf Schmitt selbst verwendet (vgl. BW Redlich, 78 f.)  ; darüber hinaus ist sie in einige weitere Texte dieser Zeit eingeflossen  : in die Ansprache zur Eröffnung des Kongresses der Kulturverbände in Wien (RA III, 19 f.), worauf Ute Nicolaus schon hingewiesen hat, darüber hinaus aber auch in die Rezension der Europäischen Revue (vgl. RA III, 79). Diese datiert bereits auf den 25. 9. 1926 und kann daher als Beleg gelten, dass Hofmannsthal Schmitts Schriften keineswegs kursorisch durchgegangen ist (was sich übrigens auch an den verschiedenen Arten von Anstrichen sowie Bleistiftspuren und schwarzen Tintenrückständen in Hofmannsthals Exemplar der Diktatur belegen lässt).

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zu sehen. Dies legt nahe, auch die Figur des Arztes im Kontext des Souveränitätsbegriffes zu betrachten  ; und zwar einer Souveränität, die sich auf die Konstruktion der »effektiven Wirklichkeit gesellschaftlichen Lebens« richtet184 – demnach eine geistige (vgl. 1.3) bzw.: therapeutische. Eine Notiz bringt dies auf den Punkt  : »Ol  : Sie sind ein schlechter Arzt wenn Sie nicht auf Entscheidung ausgehen.« Solch vitale Intensität der Reflexion hat Hofmannsthal an anderer Stelle den Dichtern zugesprochen, deren »ärztliche Funktion« darin bestehe, »durchs Gleichnis zu heilen (sich selbst und die Welt)«. Diese therapeutische Metaphorik, auch von Novalis verwendet (und in Arthur Schnitzler sozusagen ›organisch‹ geworden), ist von großer Bedeutung für die Selbstwahrnehmung der Autoren als politische Anthropologen. Denn darin manifestiert sich die Quintessenz von Hofmannsthals Vorstellung literarischer Auctoritas  : Die »Auslese des zu Feiernden erfolgt durch sie.«185 »Eine unwiderstehliche, mit naturgesetzlicher Sicherheit funktionierende höchste, das heißt größte Macht gibt es in der politischen Wirklichkeit nicht […]« (PT, 20) »Das Recht, das nur von der höchsten Gewalt ausgehen kann, setzt seinem Begriffe nach höchste Gewalt voraus. Was aber höchste Gewalt ist, bestimmt sich wiederum nicht nach einer Tatsache, sondern nach einer Bewertung […]«.186

– und diese Bewertung ist für Hofmannsthal (vgl. 1.3) eben Sache der geistigen Souveränität  : ein Höchstes zu bestimmen. Mittels seiner allseits anerkannten Erfahrung, Weisheit und Unabhängigkeit übt der Arzt bis zur Rückkehr Oliviers eine solch wertende Deutungshoheit gegenüber den faktischen Mächten aus (Ba184 Schmitt schreibt, Hobbes habe als »juristischer Denker« ebenso sehr »die effektive Wirklichkeit des gesellschaftlichen Lebens wie als Philosoph und naturwissenschaftlicher Denker die Wirklichkeit der Natur erfassen […]« wollen. »Daß es eine juristische Wirklichkeit und Lebendigkeit gibt, die nicht die Wirklichkeit der naturwissenschaftlichen Realität zu sein braucht, hat er sich nicht bewußt gemacht.« (PT, 33 [Hervorh. A.M.]). Diese Kritik (die an sich auf die positivistischen Züge Hobbes’ verweist – wie etwa Walzel sie aufgefasst hat, vgl. 1.3.2) hat Hofmannsthal sicher nicht überlesen, da er sich Auszüge davon auf das Vorblatt notierte. Vgl. jetzt hierzu die Notiz  : »›Wirklichkeit‹ im neueren politischen Jargon der Italiener mit effetualità wiedergegeben.« [16. XI. 26]  ; SW XXXVIII, 1007. Die Interpretation des Handlungsablaufs wird ergeben, in wie direkter Weise diese Gedanken auf den Ausgang des Stückes gewirkt haben. 185 Zuvor  : RA III, 590  ; Aufzeichnungen [1927]  ; SW XVI.2, 360  ; Überlieferung. 186 Carl Schmitt  : Der Wert des Staates und die Bedeutung des Einzelnen  ; München und Leipzig 1917. 47. Dieses Zitat wäre, um die Verbindung zu dem »zu Feiernden« ganz klar zu machen, mit Hölderlins Pindar-Übertragung Das Höchste zusammen zu lesen (dort wird das »Gesetz« bzw. der Gesetzgeber gefeiert).

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silius, Julian). Durch sein Urteil wird, wie oben (vgl. 4.1.3) bemerkt, Sigismunds Charisma und Auserwähltheit stückintern überhaupt erst erkannt und validisiert. Seine »Kenntnisse des Seelenlebens«187 und physiognomischen Künste nutzt er zudem auch für eine ›Kollaboration der Guten‹ mit Julian, den er im Moment der Niederlage am Hof anleitet. Hofmannsthal hat Julians Ausruf (»Gewaltiger Mann  ! Wie dein Sehstern wissend leuchtet  !«) nicht zufällig emphatischer gemacht und ihm das steigernde Adverb »wissend« eingefügt. Er erhält hierdurch (v. a. die Szene zum Schluss des dritten Aktes macht dies deutlich) auch Züge eines Spielleiters bzw. positiven Intriganten (die hingegen bei Julian gemischter sind  ; dazu nachfolgend). Sein Widerpart wäre in dieser Funktion die Arztfigur des Xenodoxus aus dem gleichnamigen Fragment, einem Stoff mit klarem Faustbezug.188 Eine gewisse Kälte legt der Arzt jedoch auch seinem Mitstreiter Julian gegenüber an den Tag  : Zunächst tritt seine (vernünftige) Bemerkung »Bedenken Euer Exzellenz, welch einen Tag der König hinter sich hat« (Arzt, IV ) Julians Bemühungen entgegen, Sigismund vor die Massen zu bringen. Er verbleibt nun, das ist eine wesentliche Neuerung, während des Ausnahmezustands bei Sigismund. Merkwürdig ungerührt ist dann die Reaktion des Arztes auf den Bericht von Julians Untergang – »Ruhig, nicht schreien – der König schläft.« Das wirkt zudem wenig überrascht. Es wäre zu viel, daraus eine »unvergleichliche Zweideutigkeit seiner geistigen Souveränität« zu machen,189 wie Benjamin sie für den höfischen Staatsmann ausgeführt hat. Jedoch wirkt anschließend auch die Passivität fast provokativ, mit welcher der Arzt plötzlich Bodenhaftung erhält  : Das »Schweben über der Szene« endet spätestens mit dem Kniefall des geistigen Souveräns, der wie der monarchische vor dem neuen Machthaber zum »Stande eines armen Menschenwesens« fällt – wenngleich ohne direkt letale Folgen. Hier ist der Figur in der Tat eine Zweideutigkeit eingeschrieben, welche zum Teil auch Hofmannsthals eigene war.190 Die Aufgabe des geistigen Souveräns wäre es 187 GS I 1, 277  ; Trauerspiel. 188 Im Turm findet sich diese Thematik in einer Notiz zu Basilius »König IV Durchdringe dich mit Wissen von ihnen  ; Wissen nicht Handeln ist die eigentl. Daseinsform des Bösen« (SW XVI.2, 330  ; Varianten. Der zweite Satz ist ein direktes Zitat aus GS I 1, 403  ; Trauerspiel). Vgl. zum Faustbezug auch  : »In solchen und ähnlichen Beschreibungen wird der an Macht, Wissen und Wollen ins Dämonische gesteigerte Hofbeamte, der Geheim-Rat vorgeführt, dem der Zutritt in das Kabinett des Fürsten, wo Anschläge der hohen Politik entworfen werden, offen steht.« (GS I 1, 276  ; Trauerspiel). 189 Zuvor  : SW XVI.2, 207  : Arzt  ; GS I 1, 276  ; Trauerspiel. 190 Man kann in dieser (wieder) angewachsenen Skepsis gegenüber Figurationen des geistig Souveränen auch eine Wirkung der Benjamin-Lektüre bzw. -Bekanntschaft sehen (vermittels

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vielmehr gewesen, wertmäßige Orientierung über die Situation zu verschaffen,191 was bis Mitte des fünften Aktes auch gelingt. Dann geht die Fähigkeit zur Allegorese des Geschehens mit dem neu installierten repräsentationslosen Machtgefüge verloren. Ihm wird eine Wirklichkeit aufgedrängt, die ihm keinen Abstand mehr gestattet und die für ihn darum vielleicht nicht undurchdringlich, aber unvorhersehbar geworden ist. Dennoch ist damit der Glanz »seiner Funktion bei den höchsten Individuen« nicht aufgehoben (sondern Teil einer noch detailliert zu bestimmenden Wirkungsabsicht des Dramenschlusses)  ; so dass lediglich die von Hans Carossa gelobte politische Ebenbürtigkeit der Figur revidiert wirkt. 5.2.3 Dialektik der Intrige – zwei Typen Diktatur »Unter allen Umständen mußte der Intrigant eine beherrschende Stelle in der Ökonomie des Dramas einnehmen.« (GS I 1, 277  ; Trauerspiel) »Der kommissarische Diktator ist der unbedingte Aktionskommissar eines pouvoir constitué, die souveräne Diktatur die unbedingte Aktionskommission eines pouvoir constituant.« (DD, 146)

Die Überlegenheit des Intriganten liegt in seiner rationalen Erfassung der (politischen) Situation und der Fähigkeit, dieses Wissen auch für sich zu nutzen. »Der überlegene Intrigant ist ganz Verstand und Wille. Darin entspricht er einem Ideal, das Machiavelli zum ersten Mal gezeichnet hatte […]«. Das Amoralische und »verworfene Berechnen« befähigt den Intriganten, in der prinzipienlosen Welt des Ausnahmezustands wirksam tätig zu werden.192 Das dramatische Mittel der Wahl ist für den Intriganten die Peripetie – ihren Konsequenzen ist der Souverän, und noch mehr der charismatische Herrscher ausgesetzt. Sie müssen kritischer Gestalten wie dem Allegoriker), die u. a. auch zur Streichung zahlreicher heroischer, etwa dem Maximin-Mythos Georges verwandten Züge des Stücks geführt haben dürfte. Zum Verhältnis Benjamins zum George-Kreis vgl. Peter-André Alt  : Gegenspieler des Propheten. Walter Benjamin und Stefan George  ; in  : K. Garber/L. Rehm (Hg.)  : global benjamin. Internationaler Walter-Benjamin-Kongreß 1992  ; München 1999  ; Bd. II. 891–907. 191 Vgl. das triadische Repräsentations-Schema von Handlungs-, Darstellungs- und Deutungsebene bei Jentges, Soziale Magie  ; op cit, 29. Es wurde oben angemerkt, dass dieses auf das Trio Julian – Sigismund – Arzt übertragbar ist. 192 GS I 1, 274  ; Trauerspiel. Vgl. zur weiteren literaturgeschichtlichen ›Karriere‹ dieses Typus PeterAndré Alt  : Dramaturgie des Störfalls. Zur Typologie des Intriganten im Trauerspiel des 18. Jahrhunderts  ; in  : Internationales Archiv für die Sozialgeschichte der Literatur  ; 29. Jg.; 1/2004. 1–28.

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sich den (geschichtlichen) Peripetien aber gewachsen zeigen, deren Choreograph der Intrigant ist und gewissermaßen mit den Fäden des Handlungsablaufs das interne Dirigat im Stück übernimmt.193 Er geht dabei eine Kollaboration mit dem Sujet (der Verfahrensordnung des Stücks) ein, als dessen Anwalt er quasi auftritt. Dazu passt gut Benjamins Diktum »Der Intrigant ist der Herr der Bedeutungen«,194 das diesen eben doch zum stückinternen Allegoriker zu inaugurieren scheint. Jedenfalls hat Hofmannsthal auch diese Auffassung des ästhetischen Diktators inszeniert. Zeichnet die Typologie des Souveräns in der Tat ein »Schreckbild für jeden Dezisionisten  !«, so ist Lethen hinsichtlich derselben Bewertung der Figur des Intriganten nicht zu folgen, in dessen Figur Benjamin das wesentliche Versäumnis des Barock erkannt hat, nämlich eine echte revolutionäre Gesinnung zu gestalten. Dies wird gleich noch deutlicher. »Nirgends begegnet in den zahlreichen Rebellen, die einem in der christlichen Märtyrerhaltung erstarrten Monarchen gegenüber treten, ein Hauch revolutionärer Überzeugung« 195 – diese hat Hofmannsthal mit der Gegenüberstellung von Julian und Olivier als Intriganten ganz unterschiedlichen Formats in den Turm eingebracht und damit die von Benjamin diagnostizierte Harmlosigkeit der Intrige als Schwäche deutschsprachiger Trauerspieldichtungen behoben. Die Rollenverteilung bestand auch schon in den ersten Fassungen, in denen Julian die Revolte gegen die monarchische Ordnung für Sigismunds Befreiung anzettelt, von welcher dann Olivier profitiert. Die Profile sind aber erheblich geschärft, insbesondere das Oliviers  ; bei Julian wird nun die Ambivalenz bzw. Hybris des Herrschenwollens stärker betont. Dies lässt sich an einem Satz Oliviers aus den ersten Fassungen belegen, der gewissermaßen zu Julian ›übergewandert‹ ist – »Jetzt stehen die großen Herrn auf den Balkonen ihrer Paläste und pissen vor Angst«, während in dieser Fassung Oliviers »Augen vermauert sind mit dem was nicht ist«196 – diese Replik diente in den Vorfassungen noch der Absage Sigismunds an Julian. 193 »Peripetie« ist als dramatologischer Begriff nach Benjamin allerdings auf die Tragödie anzuwenden. Das Trauerspiel hingegen verlaufe »choreographisch« im »Kontinuum des Raumes« (GS I 1, 274  ; Trauerspiel) – und der Zeit. 194 GS I 1, 384  ; Trauerspiel. Zu Lotmans Begriff des »Sujets« als einem der Textordnung bzw. -organisation vgl. Zaal Andronikashvili  : Die Erzeugung des dramatischen Textes. Ein Beitrag zur Theorie des Sujets  ; Berlin 2009. 195 GS I 1, 267  ; Trauerspiel. Zuvor  : Lethen, Benjamin und die politische Anthropologie  ; op cit, 826. »der Strahlenkranz des Dezisionisten demontiert und übrig bleibt ein ›Ränkeschmied‹.« (ebd., 824). 196 SW XVI.2, 203  : Julian  ; SW XVI.2, 216  : Sigismund  ; vgl. hierzu SW XVI.1, 541  : Erläuterungen. Man hätte dies jedenfalls auch auf eine Kritik des ökonomischen Denkens zu beziehen.

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Dennoch besteht eine klare Dialektik der Intrige dahingehend, dass Julian aus Treue (bei bestehendem Eigennutz) zu seinem Schützling (und »Werk«) gegen die unmenschliche Verzerrung monarchischer Welt- und Wertordnung im Regime Basilius’ intrigiert, und darin mit dem Arzt einen gemeinsamen Wiedergänger im Diener Theodor, dem »Abglanz sittlicher Würde« in der Komödie Der Unbestechliche (1922) findet.197 Olivier hingegen stellt sich von Anfang an außerhalb aller hierarchischen Ordnung und bedient damit ein Schema des Gewalt-Anarchismus’. Es gibt ein sich durchdringendes, einander ablösendes ›Intrigenmelange‹ im Drama, das sich vor Hintergrund von Hofmannsthals Benjamin-Lektüre in verschiedene Typen gliedern, und mit seiner Schmitt-Lektüre politisch genauer gewichten lässt. Dies gilt vor allem für die beiden hier herausgehobenen Figuren der Intrige, für Julian und Olivier, deren politische Antithetik sich über Schmitts Unterscheidung zweier Typen von Diktatur gut entwickeln lässt. Zunächst ist nochmals zu bemerken, dass Diktatur die Regierungsform des Ausnahmezustands ist, in welchem die Rechtsnormen suspendiert sind  : »Gerade aus dem, was sie rechtfertigen soll, wird die Diktatur zu einer Aufhebung des Rechtszustandes überhaupt, denn sie bedeutet die Herrschaft eines ausschließlich an der Bewirkung eines konkreten Erfolges interessierten Verfahrens, die Beseitigung der dem Recht wesentlichen Rücksicht auf den entgegenstehenden Willen eines Rechtssubjekts, wenn dieser Wille dem Erfolg hinderlich im Wege steht  ; demnach die Entfesselung des Zweckes vom Recht.« (DD  ; VIII/IX)

Interessant für den Turm-Kontext ist die Beobachtung einer zeitlichen Abfolge der beiden Diktaturtypen. Die Entwicklung des 19. Jahrhunderts ist nach Schmitt dahingehend zusammenzufassen, dass die kommissarische Diktatur zugunsten des Typus der souveränen Diktatur zurücktrat. Daraus ergibt sich auch die wesentliche »Unterscheidung von kommissarischer und souveräner Diktatur«  : »Sie konstruiert den Übergang von der früheren ›Reformations-› zur Revolutions-Diktatur theoretisch auf der Grundlage des pouvoir constituant des Volkes.«198 Das Verhältnis beider Figuren hat bereits Villinger mit Perspektive auf Schmitts Diktatur entwickelt. Allerdings nicht mit der naheliegenden Übertragung auf die Dramaturgie des Turm  : die Zuordnung der Diktaturtypen auf je eine intrigante Figur. Stattdessen bringt Villinger das berühmte Zitat aus Schmitts Vorwort  : jenes Diktators, der seinem Auftraggeber diktiert und sich 197 GS I 1, 267  ; Trauerspiel. 198 DD, X.

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gleichzeitig an ihm legitimiert, mit Julian in Verbindung. Aus dem Foglenden ergibt sich, dass vielmehr Olivier hierfür der richtige Bezugspunkt ist und der von Villinger angenommene »graduelle Unterschied« beider Figuren doch ein sehr tiefgreifender ist  ; denn der legitimative Bruch der Moderne kommt darin zur Gestaltung.199 Kollaboration zum Guten. Julian als kommissarischer Diktator »Die Frage, wem, welcher und wie organisierten Autorität die Gewalt zukomme, eine Verfassung zu machen, ist dieselbe [wie die], wer den Geist eines Volkes zu machen habe.« (Hegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse, § 540) 200 – »Hegel hat der Geschichte den ›Weg zur Befreiung der geistigen Substanz‹ verheißen, den Weg zur Selbstbefreiung des Geistigen, – es wurde der Weg zur Selbstzerfleischung aller Werte.« (Broch, Schlafwandler, 618) 201

Die Figur Julian der Kategorie des Intriganten zuzuschlagen, bedarf vielleicht einer gesonderten Rechtfertigung. Zunächst ist auf die Entwicklung der Figur aus dem Material des Fragments Das Leben ein Traum hinzuweisen. Der Typus des Intriganten ist schon in der Vorstufe Julians, dem Clotald angelegt, dort sogar weitaus stärker.202 Für die dichterischen Fassungen hat Hofmannsthal diese Züge abgemildert, übrigens auch für das Skript zur Münchener Inszenierung. Offensichtlich schwankte Hofmannsthal in der Wertung dieser, ihrem Gehalt und ihrer Stellung zu Sigismund nach womöglich komplexesten Figur seines Turm-Personals. Für den Arzt wurde im Vorkapitel eine neu hinzugekommene, gewisse Ambivalenz ausgemacht. Umso stärker ist diese bei Julian ausgeprägt  : 199 Darum ist ihrem Urteil nicht zuzustimmen  : »Hofmannsthal unterstreicht damit, daß zwischen Julian und Olivier kein prinzipieller, sondern nur ein gradueller Unterschied besteht  : Jener ersetzt den bisherigen Souverän durch das Volk und will herrschen nach Ideen, dieser kennt nur ein Programm  : die faktische Macht.« (Villinger, Souverän  ; op cit, 126). Es gibt eine gewisse Kontinuität der Machtausübung, die sich aus der Folge der Herrschaftsformen im Stück ableitet. Beide werden auch hier als Ausprägungen von Diktatur verstanden. Der Unterschied ist für Hofmannsthal jedoch alles andere als graduell, sondern überaus substanziell gewesen – er ist von derselben Tragweite, wie derjenige, den Schmitt zwischen Cortes und Bakunin aufgezeigt hat. 200 Georg Wilhelm Friedrich Hegel  : Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundriß  ; in  : Ders.: Gesammelte Werke. Bd. 20  ; hg. von W. Bonsiepen u. H.-C. Lucas  ; Hamburg 1992. 513 f. Zu Hinweisen auf eine Hegelrezeption Hofmannsthals vgl. jetzt SW XXXVIII, 952 [4. XII. 1924]. 201 Hermann Broch  : Die Schlafwandler. Eine Romantrilogie  ; Frankfurt/Main 1978. 618. 202 Vgl. hierzu Altenhofer, Ironie  ; op cit, 69.

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»die Quelle selber ist getrübt. Die tiefste Wurzel ist angenagt. In furchtbarem Schlangenkampf ringen Gut und Bös in diesen gebieterischen Mienen, lautet die nicht wirklich charmante physiognomische Diagnose des Arztes. 203 Julian tritt jedenfalls unverändert mit dem Anspruch eines geistigen Souveräns auf, der durch Setzung von Wirklichkeit nach echter Regierung strebt. Die begleitenden Textpartien eines Meister-Schüler-Verhältnisses und freundschaftlicheren Repliken sind zur Bühnenfassung aber weitgehend herausgekürzt worden. So ist es tatsächlich »[…] die unvergleichliche Zweideutigkeit seiner geistigen Souveränität, in welcher die durchaus barocke Dialektik seiner Stellung gründet. Geist – so lautet die These des Jahrhunderts – weist sich aus in Macht  ; Geist ist das Vermögen, Diktatur auszuüben. Dieses Vermögen erfordert ebenso strenge Disziplin im Innern wie skrupelloseste Aktion nach außen. Seine Praxis führte über den Weltlauf eine Ernüchterung mit sich, deren Kälte nur mit der hitzigen Sucht des Machtwillens an Intensität sich vergleichen läßt. Die derart errechnete Vollkommenheit weltmännischen Verhaltens weckt in der aller naiven Regungen entkleideten Kreatur die Trauer.« (GS I 1, 276  ; Trauerspiel [Hervorh. A.M.])

Die oben ausgeführte asketische Erscheinung (vgl. 4.1.2) des protestantischen Ethikers und Machtästheten Julian fügt sich gut zum Topos der Melancholie des (faustischen) Gelehrten, wie Benjamin sie im Trauerspielbuch erläutert hat. Er bleibt eine Figur an der Schwelle zur Moderne, die wie Gustave Le Bon an die Macht des Wortes über die Masse glaubt (vgl. 4.2.3), diese als Phänomen des Ausnahmezustands aber unterschätzt. Der Ablauf des Geschehens widerlegt so seine »errechnete Vollkommenheit weltmännischen Verhaltens« in mehrfacher Weise – er verliert die Kontrolle über die losgetretenen Entwicklungen  : erst über Sigismund und damit über die Revolte, die er einzig in dessen Namen initiieren konnte und nur durch dessen Erscheinen beenden kann  ; und über Olivier hat er de facto nie Gewalt ausgeübt, wie ihm zu spät klar gemacht wird. Gerade der Punkt seines Handelns im Namen von Sigismund hat in der Bühnenfassung signifikante Ausweitung erhalten. Dies betrifft vor allem die im nächsten Kapitel in ihrem politischen Gehalt darzulegende Szene des Staatsrats, den er als Sigimunds Minister aus dem Palast drängt. Diese Konstellation erlaubt es, Julian als Diktator kenntlich zu machen, und zwar als kommissarischen Diktator, da er hier nicht auf eigene Rechnung handelt. Hofmannsthal hat sich in seinem Exemplar 203 SW XVI.2, 143  : Arzt. Den »Gezeugten« akzeptiert Julian aber weiterhin neidlos als »über dem Zeugenden« stehend (SW XVI.2, 201  : Sigismund) und ordnet sich damit Sigismund unter.

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der Diktatur einige Stellen markiert, die diesen Zusammenhang verdeutlichen können. »Für den Zustand unmittelbaren Auftretens der staatlichen Allgewalt gebraucht Montesquieu das Wort Despotismus. Das Wort Diktatur ist bei ihm, wie im 18. Jahrhundert überhaupt, abhängig von der klassischen Überlieferung und an die römische Republik gebunden. Er kennt daher nur die kommissarische Diktatur, die innerhalb der bestehenden republikanischen Verfassung eintritt.« (DD, 105  ; von Hofmannsthal angestrichen)

Eine solche auftragsgebundene Diktatur ist aber auch im Rahmen der Monarchie nicht nur möglich, wie Schmitt am Beispiel Wallensteins darlegt, es ist sogar eine typische Form. Als »Aktionskommissar« in kaiserlichen Diensten im Dreißigjährigen Krieg übte dieser eine Art kommissarischer Diktatur zumindest in den ihm unterstellten Ländereien aus. Diese ist gekennzeichnet durch einen klaren Auftrag (seitens des Souveräns, einer »comissio« bzw. »Vollmacht«) und zeitliche Begrenzung.204 Entsprechende Ausführungen Bodins hat sich Hofmannsthal ebenfalls in seinem Band angestrichen  : »Eine Rechtsbeziehung, nämlich Ableitbarkeit der tatsächlich noch so starken Macht, ist das Entscheidende. Damit ist für ihn die Frage nach der Diktatur beantwortet. Aber die Trennung von Diktatur und Souveränität hat bald zu einer Kontroverse darüber geführt, ob die Diktatur wirklich ihrem Begriffe nach kein Fall der Souveränität ist.« (DD, 28  ; Markierung Hofmannsthal)

Letzteres ist für Julian jedenfalls zu verneinen, Julian wäre nicht einmal Souverän, wenn Sigismund mit ihm den Palast verließe. Stattdessen besteht ein eben solches Ableitungsgefüge, welches im Hinblick auf Sigismunds Eigenschaft als Symbolgestalt auch des demos allerdings Fragen nach der Art von Julians Macht aufwirft (denn als Agent des pouvoir constituant wäre er de facto ja doch souveräner Diktator). Er beruft sich jedoch erstens auf das Königtum Sigismunds  : »Standarte  ! Wer ist König in Polen  ?« ( Julian, IV. Akt), zweitens ist er nicht in der Lage, Sigismund zu diktieren, das Ableitungsverhältnis bleibt klar bestehen. 204 Vgl. DD  ; 79 f.; die Diskussion zu Wallenstein verläuft hier nicht ganz stringent. In geheimer (Kom)Mission könnte übrigens auch der Bettler zu Beginn des zweiten Aktes (Kloster) unterwegs sein  ; »Über das Gebiet der Gerichtsbarkeit hinaus gehen Kommissionen wie die Visitationsbefugnisse der Bettelmönche, die nicht nur Mißstände feststellen und darüber hinaus berichten […]« (DD, 47). Die Freundlichkeit des Abtes fände hier eine institutionslogische Erklärung.

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Mit Blick auf die zitierte Feststellung, dass der Souverän herrscht und nicht regiert, ist Julian auf der Handlungsebene der konstituierten Repräsentation lokalisiert (und wird mit dieser untergehen). Zugleich (bzw. zuvor schon) ist er als »Reformationsdiktator« eine der Aufklärungstragödie angelehnte Figur, die als »Held, der Furcht und Mitleid erweckt […] selber unbewegtes starres Selbst« bleibt. Die »Lehre von der Diktatur der aufgeklärten Vernunft« (»despotisme légal)« ist eine passende Formulierung für den Turm-Pädagogen Julian, der hinsichtlich Sigismunds sein idealistisches Pathos beibehält.205 Die Physiokraten weiteten diesen Gedanken als Volkserziehungsregiment dann zwecks Ausschaltung intermediärer Gewalten (welche durch das Parlament ersetzt wurden) zum aufgeklärten Absolutismus aus. Als Anhänger der »starken Monarchie« bis zur vollendeten Volkserziehung mit der Herausbildung einer »aufgeklärte[n] öffentliche[n] Meinung« ist auch Julian erkennbar.206 Die »Aufhebung der Teilung der Gewalten ist die staatsrechtliche Begriffsbestimmung de[s] ›Despotismus‹.« (ebd.), der hier eben in einer kommissarischen, auf Erziehung gerichteten (»heilsamen«) Diktatur besteht. Der entscheidende Fehler bei seinem »schrankenlosen Kompromiß mit der Welt« unterläuft Julian zum Ende des zweiten Akts  : »Du reitest mit deinem Kumpan den näheren Weg. Wo wir uns begegnen, kennst du mich nicht.«207 Es ist die sträfliche Unterschätzung Oliviers, der sogar offen zugibt, den Aufstand, wie Julian ihn anweist, bereits angezettelt zu haben. Julian kann ihn nicht zu seinem Werkzeug machen, ist für seine Pläne aber auf ihn angewiesen. Nach deren Scheitern und dem missglückten Versuch, die Situation noch unter Kontrolle zu bekommen, findet er sich in einem »Zustand problematischer Zerrissenheit und tiefster Unentschiedenheit, dem keine andere Entwicklung möglich ist, als sich selbst zu negieren, um, negierend, zu Positionen zu gelangen.«208 Eine Situation, wie sie Schmitt für den Protestantismus in der Moderne beschrieb. Dass Julian zuletzt von Olivier als »Jesuit« bezeichnet wird, ist eine interessante Neuerung, die man sich auch im Kontext mit den Ausführungen Schmitts zur politischen Theologie der Gegenrevolution erklären kann – gegen welche Olivier erkennbar 205 Zuvor  : GS I 1, 296  ; Trauerspiel. Hier  : DD, 109. Hinsichtlich der demokratischen Valenz vgl. DD, 137 – auf dieser Grundlage ist eine kommissarische Diktatur erst recht denkbar, wenn auch riskant. 206 DD, 111  ; vgl. zum Vorigen auch DD, 101 und 110. Diese Haltung ist übrigens der Max Webers vergleichbar. 207 Zuvor  : GS I 1, 276  ; Trauerspiel  ; SW XVI.2, 167  : Julian. 208 Schmitt, Römischer Katholizismus  ; [RK] op cit, 16.

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opponiert. Aber Julian ist ja gerade keine ›Naphta-Figur‹, sondern als Gestalt der geschichtlichen Prozesse Reformation und Aufklärung angelegt  ; und in seinem idealistischen Beginnen verantwortet der verhinderte Verfassungsbaumeister Julian nicht nur die Genese des »Geistes der Nation« Sigismund, sondern eben auch Oliviers Machtaufstieg. Dieser belegt ihn als seinen Gegner schlichtweg mit seinem schärfsten Feindbild – und das ist für die Theologen einer Anti-Theologie eben der Jesuit gewesen.209 »Ein freimütig soldatischer junger Herr« und »gestrenger Kapitän  !«  :210 Olivier als souveräner Diktator und Figuration des modernen Bösen »[…] das Proletariat hat, weil es die ›historisch aufsteigende Klasse‹ ist, ein Recht zu jeder Gewaltanwendung, die ihm gegenüber der historisch absteigenden Klasse im Interesse der geschichtlichen Entwicklung zweckmäßig erscheint. Wer auf der Seite der kommenden Dinge steht, darf das, was fällt, auch noch stoßen.« (DD, VIII, von Hofmannsthal markiert)

– verkörpert ist diese Feststellung Schmitts im modernisierten Olivier, dem Führer der »Namenlosen«, welche man aber nicht umstandslos mit dem Proletariat gleichsetzen kann. Die Diktatur einer Klasse, wie Schmitt sie in der Diktatur beschreibt, ist für das neue, dezisionistische Profil dieser Figur dennoch prägend. Olivier macht sich bekanntlich von Beginn an frei von aller normativen Gebundenheit des abgewirtschafteten Königtums, das er bekämpft – nun allerdings nicht in schreiender, dümmlicher Weise. Sein Verhalten ist taktil, abwartend und vollkommen rational. »Der überlegene Intrigant ist ganz Verstand und Wille. Darin entspricht er einem Ideal, das Machiavelli zum ersten Mal gezeichnet hatte […]«.211 Und machiavellistisch kommt der neue Olivier in der Tat daher  : »Ich bin ein Drach mit vielen Schweifen. Meiner Person muss man sich so bedienen, wie sie geschaffen ist« bietet er sich »verschmitzt« für Julians Pläne eines Aufruhrs an, den er längst als seinen eigenen begonnen hat. Zuvor schon verstößt er gegen dessen Anweisung, indem er (unbemerkt) nach Überbringung des 209 Den »Jesuitenstaat in Paraguay« führt Schmitt als »ein Beispiel dafür [an], daß das platonische Ideal eines kommunistischen Philosophenstaates tatsächlich realisiert werden kann.« (PT, 56  ; DD, 113.Vgl. hierzu auch RK, 28). Vgl. zudem 4.1.2, Fußnote 51. 210 SW XVI.2, 132  ; Anton und ebd., 130  : Aron. »Olivier ist Fatalist. Er ist der Führer derer die das Kommende Recht für sich haben.« (SW XVI.2, 281  ; Varianten). 211 GS I 1, 274  ; Trauerspiel.

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ärztlichen Trankes im Raum verweilt, den er eigentlich sofort verlassen sollte.212 So erfährt er mit dem in Rausch versetzten Sigismund von dessen königlicher Abstammung. Und der Hinweis »Olivier lacht lautlos«213 zeigt als neu eingefügte Regieanweisung zu Beginn schon dessen gewachsene Souveränität. Wenn nun im Gefolge des Untertitelzitats Hofmannsthals Überlegungen zur »Marxschen Lehre« Raum gegeben wird, geschieht dies nicht in erster Linie, um die Gestalt des modernen Bösen bei Hofmannsthal auf die Kommunistische Internationale festzulegen (obwohl dies nicht falsch wäre), sondern um das scharfe ökonomistische Profil der Figur zu verdeutlichen. Denn der gesamte Kulturaufbau, konnte Hofmannsthal in Schmitts Politischer Theologie lesen, wird gemäß dieser Lehre als Annex der wirtschaftlichen Entwicklung betrachtet  : »In der Marxistischen Geschichtsphilosophie ist dieser Zusammenhang ins Ökonomische radikalisiert und systematisch ernst genommen, indem auch für die politischen und sozialen Änderungen ein Zurechnungspunkt gesucht und im Ökonomischen gefunden wird.« (PT, 41  ; von Hofmannsthal angestrichen)214

Es ist hier nicht der Ort, diese Position zu bewerten  ; jedenfalls hätte sie auf Landauers Zustimmung rechnen dürfen. Zu Hofmannsthals Marx-Rezeption ist bislang wenig bekannt  ; fest steht, dass er sich Mitte der zwanziger Jahre mit den »Marxschen Ideen« auseinandersetzte und nach Gründen für deren Erfolg suchte. Daneben lässt sich eine Weiterentwicklung in Hofmannsthals Wahrnehmung des »real existierenden Sozialismus« feststellen, die nicht mehr vom Feindbild der roten Horden bestimmt ist – sondern auch von den marschierenden Korps deren nationalistischer Bestialisierung.215 Insofern ist auch der »freimütig soldatische 212 Zuvor  : SW XVI.2, 167  : Olivier. Vgl. SW XVI.2, 165/166. Die Szene als solche ist nicht neu, jedoch der Umstand, dass Olivier sich als der vermummte Knecht zu erkennen gibt und dadurch mehr Präsenz im Stück (und der tragenden Handlung) erhält. 213 SW XVI.2, 128. 214 Im Vokabular Webers wäre dies ›Wirtschaft statt Gesellschaft‹, wenngleich Weber die Bedeutung der ökonomischen Entwicklung ebenfalls als beträchtlich oder sogar überwiegend einschätzte, was ihm auch Schmitts Kritik einbrachte (im vierten Kapitel der Politischen Theologie, das in der Gedenkgabe fehlt). 215 Es ist daran zu erinnern, dass Lenin vom deutschen Generalsstab ausgesandt wurde, eine Revolution anzuzetteln, die er bereits anzuzetteln begonnen hatte – was der Figur Julian als Mitinitiator eine ›kleindeutsche‹ Note geben würde, ergänzend zu den schon bemerkten preußischen Zügen. Olivier jedenfalls zeigt die Physiognomie des modernen totalitären Herrschers – Lenins und wohl auch des aufstrebenden Hitlers (vgl. Nicolaus, Souverän  ; op cit, 140/225  ; Perrig, Zwanziger Jahre  ; op cit, 193/194).

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junge Herr«, den Anton in Olivier zu erkennen meint, keineswegs als positive Kennzeichnung der Figur zu missdeuten. »Kraft der Marxschen Ideen. / Es wäre eine Frage für sich, warum diese Idee (der Gerechtigkeit, der Freiheit usf.) gegenüber der Klassenkampfidee eine geringere Rolle für das Proletariat spielen, ja warum gerade die Marxsche Lehre und nicht die Idee eines Louis Blanc, Proudhon, Bakunin oder Lasalle im Proletariat siegten […] Nicht die Größe der Führer, auch nicht ihre hinreißende Überzeugungskraft – die hatten Bakunin und Lasalle wahrscheinlich mehr als Marx und seine Adepten – waren ausschlaggebend, sondern der Umstand, daß bestimmte Inhalte sowie der ganze Geist des Marxismus der seelischen Struktur des Proletariats, insbesondere des deutschen, am meisten entsprachen. Der nüchterne herbe und rücksichtslose Geist der Marxschen Lehre mit seinem düsteren idealistischen Pathos paßte zu der durch Technik und kapitalistische Rücksichtslosigkeit ernüchterten, verbittert und finster gewordenen Seele der Besitzlosen.« (RA III, 589/590  ; Aufzeichnungen [1927  ; Hervorh. A.M.])

Die »nüchtern-schreckliche[n] Atmosphäre«, die Olivier nun ausstrahlt, ist entsprechend nicht mehr das Pseudo-Charisma der bacchantischen Brutalität eines »roten Satans«, sondern das der technischen Präzision. ›So kommt Machiavell in Marx wieder‹ könnte man in Anlehnung an Hofmannsthals Konstellation Calvin-Rousseau (vgl. 4.1.2) formulieren. Die Olivier nun mit dem »eisernen Ding« als Requisit vermachte Uhr symbolisiert neben der zur Durchführung konzertierter Aktionen notwendigen militärischen Exaktheit auch die Zugehörigkeit zum Bereich einer ökonomischen Künstlichkeit  : »Sachlichkeit ist die Würdigung dieses Funktionierens der Teile in einem System und ihrer Unterordnung unter dessen Gesetze.«216 Damit ist die Figur einem ökonomistischen Rationalismus zuzurechnen, der sich rücksichtslos daran macht, die Staatsmaschine auf Vordermann zu bringen.217 Alles Hanswursthafte (in der bösen Spielart), ›unfreiwillig‹ 216 Gumbrecht  : 1926  ; op cit, 286. Dass das System aber unabhängig von den Kräften sei, die es installieren und am Laufen halten, gilt für den politischen Kontext der Staatsmaschine nicht. Dies haben die Ausführungen zur Figur des Souveräns bei Schmitt deutlich gemacht. Die Kritische Ausgabe bringt zu Oliviers Zeitaffinität einige wertvolle Hinweise auf René Fülöp-Millers schon erwähntes Buch Geist und Gesicht des Bolschewismus (1926)  ; unter anderem auf dessen Darstellung einer Moskauer »Zeitliga«, die sich ganz dem Gedanken einer völligen Durchrationalisierung aller Lebensverhältnisse und -momente verschrieben haben soll (vgl. SW XVI.2, 239 f.; Entstehung). 217 Er ist damit bereits die Gestaltung einer Seite jenes Phänomens, das später auf den Begriff »Dialektik der Aufklärung« gebracht wurde, nachdem es die Totalitarismen des frühen 20. Jahrhunderts bis zur Ultima Ratio brutalisiert hatten (die andere Ausprägung im Stück ist Julian). Sein

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Komische der früheren Figur (»Wo ist mein Passauersegen  ?«) ist gestrichen und dem sachlichen Charisma der Exaktheit des politischen Ingenieurs gewichen. Dass diese Modernisierung Oliviers gelungen ist, zeigt übrigens auch Gerhart Hauptmanns Lektüre des Turm, der einzig mit dieser Figur Positives verbinden konnte  : »Ich bin Olivier« lautet eine der zahlreichen Randnotizen in seinem Widmungsexemplar, die Peter Sprengel mitgeteilt hat. Der neue Olivier ist in der Tat intelligent, berechnend und in seiner Brutalität diskret, solange er noch keine beherrschende Position eingenommen hat – »Halt’s Maul, bis Zeit ist« seine Devise.218 Dennoch entspricht diese Haltung schon klar der eines souveränen Diktators, der in der Phase der Latenz noch wissend in sich hineinlacht  : »Die souveräne Diktatur sieht nun in der gesamten bestehenden Ordnung den Zustand, den sie durch ihre Aktion beseitigen will. […] Sie beruft sich also nicht auf eine bestehende, sondern auf eine herbeizuführende Verfassung.« (DD, 137) »Die souveräne Diktatur beruft sich auf den pouvoir constituant, der durch keine entgegenstehende Verfassung beseitigt werden kann.« (DD, 139)

Olivier wird vom ersten Akt an als modernisierter Vertreter des menschlichen Bösen zum Demagogen, der sich auf die »politische Fatalität« als Legitimation seines umstürzenden Handelns beruft. Die andere Legitimationsformel wurde ebenfalls bereits genannt  : »[…] dass getan werde, was getan werden muss«. Da das »sprachlose Volk« selbst nicht dazu in der Lage sei, übernimmt Olivier die Durchsetzung seines (von ihm verordneten) Willens, also der volonté générale. Er legitimiert sich demnach deutlich über die Idee des pouvoir constiuant, wie nachfolgend noch deutlicher zu zeigen ist (vgl. 5.4). Die Fatalität ist hierbei ein fadenscheiniges Zitat alter transzendenter Legitimation  : »Die Menschen sind nämlich […] im allgemeinen egoistisch und nur auf ihren partikulären Vorteil bedacht Rationalismus steht erkennbar in einer Nähe zur »[…] Aufklärung, zu Voltaire sowohl wie zu den Physiokraten, denen die überlieferten Korporationen und erblichen Ämter eine barbarische (damals sagte man gotische) Sinnlosigkeit und Störung ihres rationalen Schemas waren. Die Aufklärung sah wie die deistische Methaphysik das Weltall  : […] wie eine vollkommene Maschine […] ebenso montiert der Gesetzgeber die staatliche Maschine.« (DD, 102  ; von Hofmannsthal markiert, das »h« in Metaphysik korrigiert). Dies ist auch im Plan einer Bilderschrift zitiert. 218 Eine frühe Variante lautete dementgegen  : »ich will dein Maul unter ein Scheisshaus nageln« (SW XVI.1, 204  : Olivier). Zuvor  : Hauptmann, zit.n. Sprengel, Aristophanisches  ; op cit, 46. Hauptmann hat im Übrigen bis in die achtziger Jahre hinein Genossen für diese positive Interpretation gefunden, dazu später. »Passauersegen«  : SW XVI,1, 102  : Olivier  ; »Zeit«  : SW XVI.2, 129  : Olivier. Zum bösen Hanswurst vgl. GS I 1, 304–306.

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[…]. Daraus folgt (so heißt es bei Rousseau), daß es eine Autorität ganz anderer Art sein muß, auf welche sich der Legislator beruft, nämlich eine göttliche Mission. Er diktiert also sein Gesetz auf Grund einer Inspiration.« Oliviers Rechtfertigung ist durchaus die einer Mission, wenngleich nicht einer ›göttlichen‹ (wie bei Oliver Cromwell, der Schmitts erstes Beispiel für einen souveränen Diktator ist).219 Er vertritt die Sache der Fatalität (deren bloße Vorgeblichkeit allerdings nicht feststeht, denn das Geschehen bzw. das Schicksal gibt ihm Recht) und des salus publica (welches er definiert). Alles für die alte Ordnung Repräsentative muß vor seiner neuen Wirklichkeit, die allein der naturwissenschaftlichen Realität verpflichtet ist, weichen.220 Das Charisma des Befehlshabers (von dem man beim Olivier der Bühnenfassung sprechen muss)221 wird auch durch die Figur des ihm sofort hörigen Arons manifest, hier wird von Beginn an ein Führer-GefolgenVerhältnis inszeniert. »ARON Ich verstehs nicht, aber ich weiß, daß du kommandieren wirst. Denn du schaust auf Menschen, wie einer auf Steine schaut.« Aus Benjamins Figur des barocken Intriganten, der den Märtyrer fröhlich zu Tode piesackt, ist ein moderner Diktator (einer »Anti-Diktatur«)222 ohne allen Sinn für Martyrien geworden (da zu zeitaufwendig). Der Intrigant als »komische Person« – die zwei Gesichter des Höflings »Es ist nicht Flüchtigkeit noch unbeholfene Charakterzeichnung der Autoren, wenn in den kritischen Augenblicken die Schranzen, kaum daß sie Zeit zur Besinnung sich gönnen, den Herrscher verlassen, zur Gegenpartei übertreten. Vielmehr trägt ihr Handeln eine Gesinnungslosigkeit zur Schau, die zum Teil bewußte Geste des Machiavellismus […] ist.« (GS I 1, 333  ; Trauerspiel) 219 Der Reihe nach  : SW XVI.2, 131  : Olivier  ; DD, 128 und 138. Die »Inspiration« zum Erlass eines Gesetzes kommt übrigens schon in den dichterischen Fassungen vor  : Als »Inspiration, einen Befehl zu erlassen.« (SW XVI.1, 104  : Olivier). In den dichterischen Fassungen ist es noch eine satanische Mission, hier eine vorgeblich neutrale, die in ihrem allseits entwertenden Charakter jedoch das Böse produziert. 220 Schmitt schrieb über die marxistische Geschichtsphilosophie allerdings auch  : »Gerade wegen ihres massiven Rationalismus kann sie aber leicht in eine irrationalistische Geschichtsauffassung umschlagen […]« (PT, 41) Diese zitiert Hofmannsthal möglicherweise einerseits mit der »Fatalität«, andererseits mit dem Messianismus. 221 »Der militärische Befehl wird in seiner Präzision einem technischen, nicht einem Rechtsideal gerecht. Daß er ästhetisch bewertet werden kann, vielleicht auch Zeremonien zugänglich ist, ändert nichts an seiner Technizität.« (PT, 29). Schmitt bewegt sich hier ganz in der Nähe von Webers Tandem ›BefehlGehorsam‹, den er im Bezug auf ein dreifaches Verständnis der staatsrechtlichen Form auch erwähnt. 222 Zuvor  : SW XVI.2, 131  : Aron. Anti-Diktatur  : PT, 56.

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Weitere Intrige-Figuren finden sich in der höfischen Gesellschaft um Basilius, so etwa im Grafen Adam und im Starost von Utarkow, die für die »illusionslose Einsicht des Höflings« stehen und der Haltung »vindiciae contra tyrannos« entsprechen (die auf Beschränkung der Königsmacht drängte), wie Hofmannsthal sich am Rand seines Exemplares der Diktatur notierte.223 Sie arbeiten nunmehr gegen den tyrannischen König, und trachten nach seiner Absetzung, wenngleich Graf Adam weiterhin als sein Retter im dritten Akt eingreift. Diese Figuren bleiben als Typen randständig und kaum profiliert, ihr Verhalten scheint weniger aus dem dramatischen Geschehen als aus dem politischen Hintergrund motiviert. »Mit dem Intriganten zieht die Komik ins Trauerspiel ein. Sie ist darin jedoch nicht Episode. Die Komik – richtiger  : der reine Spaß – ist die obligate Innenseite der Trauer (…)«.224 Diese Spuren sind im Turm von 1926/27 nur sehr spärlich gelegt. Wie erwähnt, sind Olivier alle vormaligen Züge ins Humorige genommen. Neben Basilius’ Spitzeldienst Gervasy und Protasy, einer halbherzigen Reminiszenz wohl an die zaristische Tscheka, kommt allein Anton noch für entspannende Momente der Komik auf. Er verkörpert die gutartige Variante des Höflings, welchen Benjamin für das barocke Trauerspiel in »den Intriganten als den bösen Geist [seines] Despoten und den treuen Diener als den Leidensgenossen der gekrönten Unschuld« auseinanderfallen sah.225 Anton ist überdeutlich als ›HansWurst-Nachfahre‹ gezeichnet, in der ersten Fassung übrigens fast wortwörtlich (»Anton frisst eine Wurst«). Er ist als »rekommandierter Herrschaftsdiener aus Wien« vor allem auch eine Verkörperung der alten, versinkenden Welt und damit besonders empfindlich für Veränderungen. Denn nicht nur »Das Tempo des Affektlebens beschleunigt sich dermaßen, daß ruhige Aktionen, gereifte Entscheidungen seltner und seltner begegnen«, sondern vor allem die Zeit im Stück als solche und damit auch das dramatische Geschehen  : »Wenn das alles nicht so schnell ging  ! Zwanzig Jahr ist alles recht langsam gegangen  !«226 Grund hierfür ist das sich potenzierende Wirken von Julians und Oliviers Machtstrategien, aus denen der Intrigant neueren, dezisionistischeren Zuschnitts als Sieger hervorgeht (welchem sich Anton sofort unterwirft)227 und Sigismund mit dem Anspruch, der 223 Zuvor  : GS I 1, 275  ; Trauerspiel  ; DD, 19  ; FDH 1934  ; SW XL, 602. 224 GS I 1, 304  ; Trauerspiel. 225 GS I 1, 277  ; Trauerspiel. 226 GS I 1, 277  ; Trauerspiel  ; SW XVI.2, 208  : Anton. 227 Anton ist in dem Sinne also nicht boshaft-intrigant, aber autoritätshörig  ; zugleich betrachtet er Sigismund nach wie vor als seinen »tiefsinnig gewordenen« Schützling. Als er sich dann endlich auf dessen Anweisungen besinnt, das Volk hereinzurufen, um Sigismund abzuholen, ist es schon zu spät (vgl. SW XVI.2, 219  : Anton). Daher trifft ihn, der nach Ankunft Oliviers seinen

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neue Souverän zu sein, entgegentritt. Somit ist der Typen-Dualismus von Tyrann und Märtyrer nun als souveräne Macht und nacktes Leben erneuert. 5.2.4 Tyrann und Märtyrer. Dialektik der Souveränität II »Monarch und Märtyrer entgehen nicht im Trauerspiel der Immanenz.« (GS I 1, 247  ; Trauerspiel) »Olivier  : Wärest du der Wirkliche gewesen, du hättest Krone u Schwert genommen, u. wärest auf seinen Nacken gestiegen – u. wir wären dir freudig gefolgt. Wo ist aber das in dir dem Menschen gehorchen  ?« (SW XVI.2, 281  ; Varianten [Hervorh. A.M.])

Wie zielstrebig Hofmannsthal Benjamins Adaption der Schmittschen Souveränitätslehre für die Dramaturgie des barocken Trauerspiels gefolgt ist, zeigt sich an dessen Beschreibung des Tyrannen  : »Die Theorie der Souveränität, für die der Sonderfall mit der Entfaltung diktatorischer Instanzen exemplarisch wird, drängt geradezu darauf, das Bild des Souveräns im Sinne des Tyrannen zu vollenden.«228 Nimmt man die Szene Basilius’ gegen Ende des dritten Aktes zum Maßstab, so ist dieses Bild in der Tat exemplarisch zuende gedacht. Es gilt aber, den Zeitstrang der Handlung zu beachten, die sich im fünften Akt längst nicht mehr im Zeitalter des Barock bewegt  ; mehr noch  : die das Zeitalter der ›postpersonalen Souveränität‹ bereits erreicht hat. Hier gilt bereits, dass es kein Königtum mehr geben kann, weil die Monarchen fehlen – oder ihnen das fehlt, »dem Menschen gehorchen«. Dennoch wird nach den übereinander in den Ausnahmezustand stürzenden Intrigen und einem kurzen Moment der Abwesenheit wieder ein weltliches Gewaltregiment durch einen Machthaber ausgeübt. In moderner Wendung aber ist dies der souveräne Diktator, welcher den absoluten Souverän in der Machtvollkommenheit beerbt. Auch dieser Erbschaft liegen »staatsrechtliche Gedanken zugrunde«, welche vor allem dem dritten Kapitel der Politischen Theologie entstammen und bei Schmitt einen nun weiter auszuführenden demowirklichen Herren – wie Petrus Jesus Christus – dreimal nicht erhört, durchaus Mitschuld an der Katastrophe. »Krone, Purpur, Szepter sind ja im letzten Grunde doch Requisiten im Sinne des Schicksalsdramas, und sie haben ein Fatum an sich, dem der Höfling als sein Augur am ersten sich unterwirft.« (GS I 1, 333  ; Trauerspiel). Die Treue zum Menschen Sigismund wird durch die Hörigkeit dem Keulenträger Olivier gegenüber verdrängt. Dennoch lautete ein Hinweis Hofmannsthals an Reinhardt  : »Für Berlin würde ich bei der Figur des Anton den oester. Dialekt fallen lassen, nur das Dienend Gütige der Figur betonen.« (SW XVI.2, 383  ; Zeugnisse). 228 GS I 1, 249  ; Trauerspiel.

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kratietheoretischen Hintergrund haben. Zunächst beklagt Schmitt die Verdrängung des »juristisch-ethische[n] Denken[s]« in der Staatsphilosophie durch die Immanenzbewegung politisierter naturwissenschaftlicher Vorstellungen  :229 »Der Souverän, der im deistischen Weltbild, wenn auch außerhalb der Welt, so doch als Monteur der großen Maschine geblieben war, wird radikal verdrängt. Die Maschine läuft jetzt von selbst. […] Bei Rousseau wird die volonté générale identisch mit dem Willen des Souveräns  ; gleichzeitig aber erhält der Begriff des Generellen auch in seinem Subjekt eine quantitative Bestimmung, das heißt das Volk wird zum Souverän. Dadurch geht das dezisionistische und personalistische Element des bisherigen Souveränitätsbegriffes verloren.« (PT, 44)

Das ist zunächst die Grundlage für den Umbruch in der »Legitimität der Neuzeit« (Blumenberg), welche Schmitt so erbittert bestritt. Die Politische Theologie diskutiert die üblichen Einwände gegen die Volkssouveränität (Aporien der Realisierung, Entscheidungsschwäche, Vertretung) und geht dann auf die Haltung der katholischen Gegenrevolutionäre (bzw. ›Widerentzauberer‹) ein, speziell der von Cortes, für den sich der Antichrist im demokratischen Gedanken manifestierte  :230 »Es ist daher ein Vorgang von unermeßlicher Bedeutung, daß einer der größten Repräsentanten dezisionistischen Denkens und ein katholischer Staatsphilosoph, der sich mit großartigem Radikalismus des metaphysischen Kernes aller Politik bewußt war, Donoso Cortes, im Anblick der Revolution von 1848 zu der Erkenntnis kam, daß die Epoche des Royalismus zu Ende ist. Es gibt keinen Royalismus mehr, weil es keine Könige mehr gibt. Es gibt daher auch keine Legitimität im überlieferten Sinne. Demnach bleibt für ihn nur ein Resultat  : die Diktatur. Es ist das Ergebnis, zu dem auch Hobbes gekommen ist […]. Autoritas non veritas facit legem.« (PT, 46  ; von Hofmannsthal markiert)

Hofmannsthal, der diese Stelle stark rezipiert hat, war sich deren Bedeutung bewusst  : Anders als es der heimliche Co-Autor Schmitt seiner australischen Ge229 »Seit dieser Zeit dringt die Konsequenz des ausschließlich naturwissenschaftlichen Denkens auch in den politischen Vorstellungen durch und verdrängt das wesentlich juristisch-ethische Denken, das in der Aufklärung noch vorherrschte. […]« (PT, 44). Mit Blick auf Schmitts Analogie von Ausnahmezustand und Wunder (PT, 37) ist dies die Wiederholung der Entzauberungsthese im rechtsstaatlichen Gewand. 230 Übrigens sei Cortes auch beim Erlebnis der Hegelschen Immanenz-Philosophie in Berlin »von Entsetzen« gepackt worden (vgl. PT, 53).

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liebten 1921 ins Heft schrieb,231 erscheint hier die Diktatur, nicht die Demokratie als Signatur der Epoche (ohnehin war für Schmitt die Demokratie nur ein besonderer Typ der Diktatur). Wenn Benjamin festhält, dass es »Sache des Tyrannen« sei, die bestehende »Ordnung im Ausnahmezustand« gegen alle geschichtliche Unbillen zu verteidigen (was eine Utopie sei),232 klingt dies jedenfalls nicht nach Cortes’ Wunderglauben. Das ist nicht darauf zurückzuführen, dass hier nominell noch der barocke Souverän in seiner transzendenten Legitimation gemeint ist. Sondern »Der überlieferte Legitimitätsbegriff verliert offenbar alle Evidenz«233 und der Monarch somit notwendig Krone und unter Umständen das Haupt. Denn seine Macht ist nun ein rein naturgesetzliches Faktum und daher der Immanenz ausgesetzt, was bedeutet  : Tritt eine faktisch stärkere Macht auf, ist das Königtum nicht zu retten. Die Radikalität, mit welcher Cortes seinen Diktator als Gewalthaber gegen die Massen investieren wollte, ließ sich jedoch umkehren. Schmitt hat dies am Beispiel der Anarchisten Proudhon und vor allem Bakunin, dem »Theologe[n] des Anti-Theologischen« gezeigt.234 Die Naturgesetzlichkeit, die Olivier im Turm nun bemüht, die erwähnte »politische Fatalität« dringt genau auf diesen Punkt  : wo keine Legitimation mehr besteht, steht Gewalt gegen Gewalt. Seiner Diktatur ist keine göttliche Transzendenz mehr als Fluchtperpektive gegeben, es herrscht die bare Immanenz eines erstickenden Schicksalsglaubens. Dieser Schicksalsglaube – den man nicht nur mit den »Marxschen Ideen«, sondern durchaus auch mit Schmitts Begriff des Politischen in Verbindung bringen darf, so weit diese ›Metaphysik sozialer Ordnung‹ mit der »Soziologie des Souveränitätsbegriffes« in den Hofmannsthal bekannten Schriften schon gediehen war – dient Olivier als reichlich nebulöse Legitimation des Umsturzes mittels der Macht des Faktischen. Die Rolle des Usurpators fällt Olivier hinsichtlich des Königtums natürlich nicht zu235 – jedoch, wie noch am Handlungsablauf zu zeigen bleibt, hinsichtlich eines demos, als dessen Agent er sich ausgibt, obwohl dessen Verkörperung  : Sigismund, ihm absagt. 231 Vgl. Breuer, Carl Schmitt im Kontext  ; op cit, 45 ff. 232 GS I 1, 253  ; Trauerspiel. Diese Formulierung widersetzt sich der Haltung Cortes’. Auch Schmitt betonte die Durchbrechung der Naturgesetze  : »Der Ausnahmezustand hat für die Jurisprudenz eine analoge Bedeutung wie das Wunder für die Theologie.« (PT, 37). Benjamin ist hier offensichtlich nicht gefolgt. 233 PT, 45. 234 PT, 55/56. 235 Vgl. dazu GS I 1, 245  ; Trauerspiel. Das Zitat dieser Rolle fällt weiterhin dem tyrannisch gezeichneten Sigismund der missglückten Probe zu, dessen Gewalt »so weit reichen« soll, wie sein Wille (vgl. hierzu 4.2).

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»Im 18. Jahrhundert erscheint zum ersten Male in der Geschichte des christlichen Abendlandes ein Begriff der Diktatur, nach welchem der Diktator zwar Kommissar bleibt, aber infolge der Eigenart der nicht konstituierten, aber konstituierenden Gewalt des Volkes ein unmittelbarer Volkskommissar, ein Diktator, der auch seinem Auftraggeber diktiert, ohne aufzuhören, sich an ihm zu legitimieren.« (DD, X)

Die gespenstische bzw. geradezu vampirische Vermischung von Demokratie und Diktatur, die Schmitt hier präsentiert, findet Widerhall im Turm. Denn die vormalige Ambivalenz souveräner Erscheinung als Tyrann oder Märtyrer ist hier in die Janusköpfigkeit eines neuen Souveräns überführt, dessen dialektische Gesichter jene der modernen Herrschaft sind  : In Sigismund als dem homo sacer, dessen Kreatürlichkeit weniger Ausweis einer Schwundstufe monarchischer Souveränität ist, sondern sich aus dem politischen Körper eines verknechteten Volkes ableitet. Und in dem Diktator Olivier, der Sigismund aufgrund seiner Nichtverwendbarkeit aus der Welt schafft (wie der Staat das Wunder).236 Die politische Idee, die sich in Sigismund royal verkörpert, ist schon vielfach benannt worden – der pouvoir constituant in einer allerdings sprachlichen Ausprägung als Geist der Nation/Volksgeist (vgl. 2.5). Diese von Hofmannsthal mit großer Absicht unklar gelassene Gestaltung ist in den Schlusskapiteln ihrem veränderten Gehalt nach nochmals darzustellen. Sie erhält, so die These, erst durch Hofmannsthals Lektüre der Schmittschen ›Souveränitätslehre‹ ihre entscheidende politische, nach der Lektüre von Benjamins Allegorientheorie ihre letzte poetisch-eschatologische Zuspitzung. Doch auch diese Sakralität des Höchsten ist eine immanente, die am ›Gehalt der Gestalt‹ (wie er anhand der dichterischen Fassungen schon erarbeitet wurde) ansetzt  : Der mystische Leib eines Volksgeists, einer unfasslich bleibenden Kulturnation, in welcher die niedersten Dialekte und die höchsten »Sprachdenkmäler« durch eine vermittelnde Sprache zusammenkommen, welche auch die im Gespräch verbundenen Subjekte transzendiert. Da hier kein rettender Kinderkönig erscheint, geht diese Utopie mit Sigismund unter.

236 »Sigismund, die Kreatur, und Olivier, der gepanzerte Herr der Scharfschützen, sind typische Figuren der Literatur der zwanziger Jahre. Sie stehen für die beiden Möglichkeiten der Zukunft  : die messianische Hoffnung einer Erlösung, die aus der tiefsten Erniedrigung hervorgeht, und die sachlich-kalte der bewaffneten Bürgerkriegsmacht und ihrer anonymen Vollstrecker.« Lorenz Jäger  : Die Kreatur im Bürgerkrieg. Zu Hofmannsthals Trauerspiel »Der Turm« (Nachwort)  ; in  : Hugo von Hofmannsthal  : Der Turm  ; hg. v. L. Jäger  ; Frankfurt/Main 1999. 91–95  : 94.

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»Denn die Welt der Schicksalsdramen [..] ist eine in sich geschlossene.«  ; »Unter solchem Spiel braucht nicht ein zufälliges, es darf ebensowohl ein berechnendes und planmäßiges und somit eins von Puppen gedacht werden, die Ehrgeiz und Begierde an ihrem Faden halten.« (GS I 1, 262  ; Trauerspiel)237

Olivier lässt Sigismund nach dessen Verweigerung durch Heckenschützen vor einer Schar falscher Anhänger erschießen. Dies geschieht am Fenster des Palastes, einem tradierten literarischen Ort des Übergangs, an welchen dieser durch die inszenierte Zustimmung gelockt wurde (die indessen so inszeniert ist, dass selbst Anton sie durchschaut). »Der Mensch« Sigismund wird also nicht öffentlich geopfert, wie Louis Capet, sondern heimlich ermordet wie die Zarenfamilie. (Hofmannsthal hatte seine revolutionskritische Inszenierung zunächst am Beispiel der Französischen Revolution orientiert und dann anhand von Berichten aus der Oktober-Revolution modernisiert).238 Hierdurch tritt der Intrigant in der Tat wie von Benjamin gefordert als Revolutionär und mehr noch  : schließlich in Funktion des revolutionären Souveräns auf. Dass der Märtyrer als sterbender Souverän zugleich eine Schwellenfigur der Zivilisation ist, also nicht nur zwischen Tod und Leben steht, sondern ebenso zwischen Kulturgemeinschaft und Barbarei, macht der Turm der Bühnenfassung überaus deutlich. Ostentativ stellt er das Andere der Moral und Sittlichkeit aus  ; Gehalt der Allegorie ist die Barbarei des modernen Staates und Schwundstufe menschlicher Kulturgemeinschaft, welche sich am Individuum versündigt und es nicht einmal als privates noch gelten lässt. Dies wird an der überarbeiteten Abfolge der Herrschaftsformen zu zeigen sein, für welche zuletzt nicht mehr gilt, dass das Recht mit der Barbarei zessiert, wie Novalis oben schon zitiert wurde – sondern diese das Recht selbst setzt und sich so (als mythische Gewalt) in ihm fortpflanzt.

237 Benjamin lenkt den Blick hierbei auch auf die Romantik  : »Was aber auch die theoretisch gerichteten Romantiker so magisch an Calderon fesselte, […] das ist die beispiellose Virtuosität der Reflexion, die seine Helden jederzeit bei der Hand haben, um in ihr die Schicksalsordnung wie einen Ball in Händen zu wenden, der bald von dieser, bald von jener Seite zu betrachten ist.« (GS I 1, 263  ; Trauerspiel). Diese Magie ist, sofern man dieses Bild überhaupt auf Olivier übertragen wollte, ein zutiefst schwarze geworden. 238 Für die Französische Revolution standen ihm so vielfältige Quellen zur Verfügung, dass hier eine eigene Studie lohnen würde. Landauers Briefe aus der Französischen Revolution (1918/1922) wären hier zu nennen, Edmund Burke mit Sicherheit auch, die Beschäftigung mit Michelet ist erwiesen. Seine Lektüre etwa Fülöp-Millers hinsichtlich der russischen Revolution wurde schon erwähnt und ist in der Kritischen Ausgabe gut belegt.

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5.3 Herrschaftsformen III. Vom barocken Absolutismus zur kommissarischen Diktatur und ihrem Scheitern »Denn wir bedürfen, um leben zu können, der Formen. Aber nur die lebendige Form ermöglicht das Leben, und nur sie teilt das Schicksal des Lebens, sterben zu können. Die abstrakte, nur durch rationales Denken gewonnene Form aber ist hart und starr, und sie kann nicht sterben, weil sie schon tot ist.« (PT, 26/27  : Kaufmann) »Was das Trauerspiel kennzeichnet, ist also durchaus nicht Unbeweglichkeit, ja auch nur Langsamkeit des Vorgangs – ›au lieu du mouvement on rencontre l’immobilité‹, bemerkt Wysocki – sondern die intermittierende Rhythmik eines beständigen Einhaltens, stoßweisen Umschlagens und neuen Erstarrens.« (GS I 1, 373  ; Trauerspiel) 239

Die Abfolge der Herrschaftsformen, wie sie den noch geschichtlicher gewordenen Gehalt des Turm bilden, wurden verschiedentlich schon erwähnt. Was durch die Umarbeitung von 1926 eine Veränderung erfuhr bzw. neu hinzukam, ist hier nachfolgend darzustellen. Die oben bereits erwähnten ›Stationen‹ (tatsächlich erhält der Turm durch diese Abfolge eine gewisse Nähe zum Stationendrama) sind zunächst  : Arbiträrer Absolutismus (Basilius), Adelsrepublik (Woiwoden), Ausnahmezustand (Sigismunds Verweigerung), Anarchie (die »Nackten«) und Diktatur als Entscheidung des Ausnahmezustands. Der oben zitierte Zusammenhang, den Schmitt zwischen dem metaphysischen Bild eines Zeitalters und dessen politischen Ideen, Benjamin zwischen diesen und der dramatischen Form walten sahen, ist für die Betrachtung der inszenierten Herrschaft von essentieller Bedeutung. Denn Hofmannsthals Vorhaben war darauf gerichtet, eben einen dramatischen Index zu dem zu erstellen, was den Epochen »als Form ihrer politischen Organisation ohne weiteres« einleuchtete – und diese Selbstverständlichkeit nicht zuletzt seiner eigenen Zeit vor Augen zu stellen.240 Wenn Kernbestim239 »Barockhaft äußert sich das Bedürfnis, die Wirkung zu steigern, indem alles sich auf eine einzige Stelle hindrängt und zugleich diesem Hindrängen Hemmnisse sich entgegenstellen, die etwas wie eine krampfhafte Anspannung der hindrängenden Kraft bedingen. Wie endlich erreichte, lang ersehnte Befreiung von kaum Erträglichen stellt sich zuletzt erlösend das Erstrebte ein.« (Oskar Walzel  : Das Wesen des dichterischen Kunstwerks [1924]  ; in  : Ders.: Das Wortkunstwerk  ; op cit, 100–122  : 108. 240 Übrigens ist hier nochmals zu betonen, dass Hofmannsthal den Turm unbedingt in Berlin aufführen lassen wollte (vgl. SW XVI.2, 427  ; Zeugnisse) – er hielt den Bedarf an therapeutischer Dramatik (das heilende Gleichnis) in diesem Teil der (geistigen) Nation offenbar für höher.

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mung des Politischen die aus einer Konfliktlage hervorgehende Tendenz zu einer Staatsform ist, kommt deren visueller Präsenz im Drama ein Aussagegehalt zu, dessen Interpretation über das Literarische hinausweist. Das Trauerspiel perzipiert das Politische deshalb so gut, weil es dessen konfliktuale Strukturen in einer Weise zur Anschauung bringen kann, dass es zu einem literarisch-performativen Ausdruck seiner Zeit im eminenten Sinne wird. Indem es geschichtliche Konstruktionen zitiert bzw. vor(weg)nimmt, lässt es die politische Ideengeschichte der Neuzeit in agonaler Verhandlung Revue passieren. Mit Blick auf eine Bemerkung Schmitts  : »Daß die Rechtsidee sich nicht aus sich selbst umsetzen kann, ergibt sich schon daraus, daß sie nichts darüber aussagt, wer sie anwenden soll. In jeder Umformung liegt eine auctoritatis interpositio«, wird der Turm als Geschichte dieser Umformungen seit der abendländischen Neuzeit lesbar.241 Reinhardt hatte entsprechend in seinem (dann doch nie zum Einsatz gekommenen) Inszenierungsbuch bereits einen Einteilung in großen Bildern vorgenommen.242 Die subversive Kraft solcher Bilder ist evident  : »Ich habe Ihnen die ›Mentalitäten‹ als Bildsysteme zu erklären versucht, als unausgesprochene Bildkriterien, die in den unterschiedlichen sozialen Milieus ganz unterschiedlichen Ordnungen unterliegen  ; es sind in Bewegung befindliche Systeme, also Gegenstände der Geschichte, die sich jedoch nicht immer demselben Rhythmus auf den verschiedenen Ebenen der Kultur bewegen, die aber das Benehmen, die Verhaltensweisen der Leute bestimmen, ohne daß diese sich dessen bewußt sind.« (Georges Duby)243

Entsprechend verfügen die »in Bewegung befindlichen Systeme« politischer Natur über eine eigene, fast ikonische Repräsentanz im Stück, die sich natürlich schon in den ersten Akten mit dem Verlies im Turm, mehr noch aber der 241 PT, 31. Sigismund sagt zumindest, für wen er »nicht verwendbar« sein will. Übrigens hat wohl auch Benjamin die Figur so gelesen  ; in einem Brief über sein begonnenes Passagen-Werk teilt er mit  : »Es sind ja nicht nur Erfahrungen aufzurufen, sondern einige entscheidende Erkenntnisse vom historischen Bewußtsein in unerwartetem Licht zu bewähren  ; mir stellt sich – wenn ich das sagen darf – der Gang Ihres ›Priesterzöglings‹ durch die Jahrhunderte als eine Passage dar.« (Benjamin an Hofmannsthal  ; in  : GB III, 373 [5. Mai 1928]). Benjamin ist Hofmannsthals gleichnamiges Fragment evtl. bekannt gewesen  ; gemeint ist hier aber eindeutig Sigismund. 242 Reinhardts Arbeit am Turm wird aus dem Briefwechsel Hofmannsthals mit Helene Thimig ersichtlich. Etliches ist in den »Zeugnissen« in der Kritischen Ausgabe vermerkt  ; vgl. darüber hinaus den erwähnten Aufsatz G. Clarks  ; Max Reinhardt and Der Turm  ; op cit (1984) und König, Dichter unter den Philologen  ; op cit, 369 f. 243 Zit. n. Michael Gibson  : Symbolismus  ; Köln 1995. 7.

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Klosterszene und der Palastprozession auswirken. Auch dies findet Entsprechung bei Benjamin  : »Die visionäre Beschreibung des lebenden Bildes ist ein Triumph barocker Drastik und barocker Antithetik«, »Das Bild des Schauplatzes, genau  : des Hofes, wird Schlüssel des historischen Verstehns«.244 Fast drohend daher die Feststellung des Großalmosiniers »[…] der König aber ist in die Mitte gesetzt und er ist Vater«, die nicht nur das Bild der traditionellen Souveränität theistischer bzw. deistischer Legitimation wiedergibt, sondern auch deren fatale Lage nach dem Wegbrechen der transzendenten Legitimation. Als weitere große dramatische »Gemälde« folgen dann mit Sigismunds Eintreffen am Königspalast die Szene nach der Usurpation, die Abdankungsszene Basilius’, Julians Sieg über die Woiwoden, Sigismund vor den »Nackten«, schließlich Oliviers Eindringen in den Palast und der niederkniende Arzt. Den letzten fünf Bildern lassen sich relativ unkompliziert Herrschaftsformen zuordnen, die sich in den Figurenkonstellationen ausprägen – hier gilt  : »Nicht [nur] in Gestalten liegt […] das Eigentliche, sondern in den Relationen.«245 Auf das absolute Königtum folgt mit dem »Konstitutum« der Woiwoden ein bereits wenig positives Bild der rationalen Herrschaft  : als historisches Vorbild scheint die polnische Adelsrepublik,246 als Herrschaftsform die konstitutionelle Monarchie auf. Das dystopische Bild der rationalen Herrschaft folgt nur kurz darauf nach einem Augenblick friedlicher Anarchie im Palast. Hier ist zuletzt die symbolistische Zentralperspektive der Königsszenen ganz durch die oben beschriebene negative Ästhetik der Totalität neuer Ordnung ersetzt, welche der siegreichen Intrige folgt  : »Die menschlichen Affekte als berechenbares Triebwerk der Kreatur – das ist im Inventar der Kenntnisse, welche die weltgeschichtliche Dynamik in staatspolitische Aktion 244 GS I 1, 369/271. Die große poetologische Bedeutung des Bildes bei Hofmannsthal ist bereits treffend beobachtet worden  : »In der Suche nach einem Ausweg aus der Linearität und Diskursivität einer klassifikatorisch verfahrenden Sprache gewinnen Bild, Metapher und Symbol – Hofmannsthal differenziert zwischen diesen Termini zumeist nicht – den Status ›wahrer‹ Repräsentation von Wirklichkeit, da diese Medien, statt zu zergliedern, das, was immer nur als chaotisches Mischgefüge perzipiert werden kann, als solches analog-synthetisch wiederzugeben vermögen.« (Grundmann, Hermeneutik  ; op cit, 102). Dies ist nur um die Begriffe Gleichnis (der sich problemlos einreihen dürfte) und Allegorie zu erweitern. Zum poetologisch-geschichtlichen Gehalt Zweiterer vgl. oben, v. a. 5.1.3. 245 Zuvor  : SW XVI.1, 233  : Grossalmosinier. Hier  : RA III, 531  ; über Molière [1916]. – »Nicht selten ist die Rede in den Dialogen nur die an allegorischen Konstellationen, in welchen die Figuren zueinander sich befinden, hervorgezauberte Unterschrift« (GS I 1, 372  ; Trauerspiel). 246 Auf die polnische Adelsrepublik unter Sigismund I. als historisches Vorbild verweist auch Villinger, Souverän verläßt Turm  ; op cit, 130.

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umzuprägen hatten, das letzte Stück. Es ist zugleich der Ursprung einer Metaphorik, die in dichterischer Sprache dieses Wissen so wach zu halten sich bemühte wie Sarpi oder Guicciardini unter den Historikern es taten. Diese Metaphorik macht nicht Halt im Politischen.« (GS I 1, 274  ; Trauerspiel)

Es ist die Metaphorik der Uhr, die Benjamin anschließend an barocken Beispielen, Bergson und einem aus der Politischen Theologie übernommenen Zitat F. Atgers über den Prinzen als Pendant des cartesianischen Gottes erläutert.247 Dieser Rationalismus macht schon deshalb nicht im Politischen halt, weil er sich aus dem Bruch mit dem Theologischen ergibt. Die Konsequenz ist eine veränderte Anthropologie, deren mechanistisch-funktionalistischer Kern auf die Ideologien des 20. Jahrhunderts und jenes von Schmitt nur für den Marxismus ausgemachte Umschlagen in Irrationalismus vorausweist. Die Bühnenfassung zeichnet diesen Rationalisierungsprozess – das »Abenteuer des okzidentalen Rationalismus« (Schmitt) – nach. An die Stelle der krisen-affinen, nicht rationalisierbaren, mythisch-heroischen Figur eines charismatischen Führers (»mit Christi Seele«) tritt nun eine Form von Macht-bezogenem Technik-Mythos, der Immanenz-Pantheismus der Gewalt (Sigismund sehnt sich hingegen nach seinen »Gefreundeten«). Denn der neue Souverän kürt sich in der Entscheidung über jenen Ausnahmezustand, der spätestens mit der offenen Revolte gegen Basilius im vierten Akt objektiv besteht. Dies gelingt in den hier zu besprechenden vorherigen Szenen zunächst nicht. 5.3.1 Entleerter Legitimismus und Tyrannengewalt – Basilius’ Herrschaft vor dem Fall j ul i a n  : Es ist leicht für einen großen König, das Vertrauen seines Volkes wiederzugewinnen. könig  : Ah, du meinst, daß ich ihr Vertrauen wiedergewinnen muß – nicht sie das meinige  ? Er sieht ihn starr an. j ul i a n  : Beides, mein Fürst, wird in einem geschehen. könig  : Wenn ich abgedankt haben werde  ? (SW XVI.2, 172/173) 248 247 Auch Hofmannsthal hat sich dieses Zitat zum Prinzen als »Dieu cartésien transposé« (PT, 43) angestrichen  ; bei Benjamin  : GS I 1, 275  ; Trauerspiel. Die Stelle wurde oben schon zitiert (vgl. 3.2). Die Nähe zur Protestantischen Ethik ist offensichtlich. 248 Ingeborg Villinger hat bei dieser Szene vor allem die von Basilius angebotene Handlungsvollmacht für Julian mit Schmitt in Verbindung gebracht  : »Es handelt sich um den Einschub eines

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Diese zu Beginn des dritten Aktes neu eingefügte Unterredung zwischen Julian und Basilius verhandelt bereits ein solches Verständnis, das den König nicht mehr als das Volk (wie Hobbes es in »De Cive« ausführte  : Rex est populus) akzeptiert.249 Und nicht nur das  : Julian macht den Monarchen obendrein vom Vertrauen des Volkes abhängig  : »In dem Kampf des Parlaments gegen die absolute Monarchie trat das Parlament als Repräsentant des (in umfassender Einheit vorgestellten) Volkes auf. Wo das Volk zum Repräsentierten wurde, konnte der König seine Würde nur als Repräsentant des Volkes wahren (wie in der französischen Verfassung von 1791)« – oder abdanken.250 Dieses Beispiel ist geeignet, die wachsende Leere des Legitimismus seit Beginn der Säkularisierung zu verdeutlichen, wie sie auch in den Phrasen des von Sigismund in Frage gestellten Basilius’ anklingt. Bereits der Deismus bezog den Souverän in die Welt ein (indem er Gott ausschloss), machte ihn zu einer – wenn auch allgewaltigen – rein immanenten Gestalt, die sich allerdings noch in Berufung auf Gott legitimierte. Die politische Theologie des Beichtigers bringt dies klar zum Ausdruck.251 Aufgrund dieser Einbeziehung ergab sich dann allerdings überhaupt die Notwendigkeit, die Souveränität in zwei Körpern zu denken (irdisch/transzendent), deren zweiter – unsterblicher – aber nicht notwendig als monarchischer gedacht werden musste  ; theoretischen Ideenreservoirs, das unmittelbar auf Hofmannsthals Lektüre von Carl Schmitts Diktatur zurückgeht und das die Beherrschung des Ausnahmezustands im Spannungsfeld von kommissarischer und souveräner Diktatur thematisiert.« (Villinger  : Der Souverän verläßt den Turm  ; op cit, 124). Man könnte tatsächlich erwägen, dass Julian hier die Ausübung einer kommissarischen Diktatur angetragen wird, um den herrschenden Unruhezustand zu beseitigen und die drängenden fremden Mächte und inneren Aufstände als des Königs ›Wallenstein‹ zu besiegen (vgl. zum Aktions-Diktator  : DD, 57 f.). Allerdings lehnt Julian ab, zumal Basilius ihn für die Zustände ja indirekt verantwortlich macht. 249 »In der Monarchie sind die Untertanen die Menge, und (wenn dies auch paradox ist) der König ist das Volk« (Thomas Hobbes  : Vom Bürger  ; in  : Ders.: Vom Menschen / Vom Bürger  ; hg. v. Günter Gawlick  ; Hamburg 1966. 57–327  : 199). 250 Schmitt, Geistige Lage des liberalen Parlamentarismus  ; op cit, 43/44 (Anm. 3). Julian lockt ihn insofern in eine Falle, wenn er von Rückgewinnung des Vertrauens spricht  : Der König, der sich von der Akzeptanz des Volkes abhängig macht, ist nicht mehr Souverän. Es ist die Forderung der Monarchomachen und des Bürgertums der Aufklärung an den Despoten (entsprechend dem von Reinhart Koselleck als »Kritik und Krise« bezeichneten Vorgangs), die Julian hier formuliert. 251 Vgl. 3.2 und 4.2.1 in dieser Studie. In Schmitts Diktatur hat sich Hofmannsthal entsprechend eine Passage zu Bodins Diktaturverständnis angestrichen  : »Seine [Bodins] Unterscheidung zwischen den beiden Arten staatlicher Tätigkeit setzte einen klaren Gegensatz von Gesetz und Ordonnanz voraus und mußte bei der weiteren Entwicklung des Absolutismus gegenstandslos werden, weil in der absolutistischen Staatslehre jede staatliche Machtäußerung im wesentlichen und ununterschieden nur auf dem Willen des Fürsten beruht.« (DD, 40).

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und im weiteren Verlauf dieser Diskussion auch nicht mehr gedacht wurde. Die zitierte Szene zeigt dies in aller Deutlichkeit. Sie rekurriert möglicherweise auf eine Stelle in der Diktatur, auf welche Anstreichungen Hofmannsthals folgen  : »[…] wie die deutschen Reichsstände (diese allerdings mit anderem Erfolg) der Meinung waren, daß nicht der Kaiser , sondern das Reich, das Imperium, von dem der Kaiser selber nur Teil sei, die majestas habe, so sagen die französischen Parlamente, der König stehe nicht außerhalb des Staates, sondern sei selbst ein Teil des Königreichs. Die ›gradation des pouvoirs intermédiaires‹ betrachten sie als dépot sacré, das die Autorität des Königs mit dem Vertrauen des Volkes verbindet.« (DD, 101 [Hervorh. A.M.])

Eben Letzteres tut Julian.252 Man kann hier zudem den Fortgang jener deistischen ›Inklusion‹ des Monarchen (bei gleichzeitiger Exklusion Gottes aus dem weltlichen Geschehen) entnehmen – nun wird das Königtum nicht einmal mehr außerstaatlich gedacht. Damit ist die Situation bereits hier schon nicht mehr weit von jener charismatischen Lösung der dichterischen Fassungen entfernt  ; der neue Einschub entspricht einer Formulierung, die in den dichterischen Fassungen noch dem Kinderkönig galt  : »Sie haben besondere Rechte und Bräuche und über sich einen gewählten König […]«, und bereits mit Hofmannsthals Notiz »sich dem erwählten Herrn unbedingt ergeben« in Verbindung gebracht wurde. Noch allerdings wird dieser Herr von Julian als Monarch gedacht (zu den Aporien dieses Verständnisses, das sich bei den Woiwoden wiederholt, nachfolgend). Bei Max Weber endet die Odyssee des »eingekapselten Monarchen«253 letztlich mit der anti-autoritären Umdeutbarkeit des Charismas, welches den Herrn nicht mehr transzendent legitimiert  : »Der kraft Eigencharisma legitime Herr wird dann zu einem Herrn von Gnaden der Beherrschten, den diese (formal) frei nach Belieben wählen und setzen, eventuell auch  : absetzen, – wie ja der Verlust des Charisma und seiner Bewährung den Verlust der genuinen Legitimität nach sich gezogen hatte. Der Herr ist nun der frei gewählte Führer.« (WuG, 156) 252 »Wenn eine Körperschaft dem König, d. h. dem Inhaber wichtigster staatlicher Machtmittel, entgegentritt, so kann sie das nur tun, indem sie sich mit dem Volk identifiziert, das sie zu repräsentieren behauptet, und verlangt, die Anwendung jener staatlichen Machtmittel zu kontrollieren und die Normen für ihre Anwendung, d. h. die Gesetze zu erlassen.« (DD, 103). 253 WuG, 688. Zuvor  : SW XVI.1, 120  : Adam. Vgl. auch RA III, 167; Bodenhausen: »erwählte[r] Herr«.

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Infolge der scheiternden Aussöhnung zwischen Basilius und Sigismund 254 wird die prekäre Lage des Königtums öffentlich  ; es wird im Palast revoltiert. Der gerettete Monarch sucht sich sein Charisma durch einen grausamen Aktionismus zurückzugewinnen. Beide Körper des Königtums sind nicht nur auseinandergefallen (»wandelt in zwei Gestalten«), sondern in einen für Basilius existenziellen Gegensatz gerückt. Dass Sigismund dann als Symbolfigur des politischen Volkskörpers aufs Schafott soll – seine Schuld »muss mit Blut abgewaschen werden« (Basilius, Akt III) –, setzt den König endgültig dem Vorwurf der Tyrannei aus. Eine solche Feststellung aber legitimiert die intermediären Kräfte nach Theorie der Monarchomachen zu seiner Absetzung. Deren Kritik am Königtum bleibt daher körperhaft bezogen, wie sie Basilius im Moment seiner scheinbar größten Machtentfaltung mit Gewalt bekämpft  : Dem Starow von Utarkow legt er die Aussage zur Last, »es gäbe innerliche Stockungen und verrottete Säfte, deren Wirkung die sei, daß sie unversehens das überfüllte Haupt strangulieren. Mit dieser Rede hast du angespielt auf Uns, das Haupt dieses Reiches.«255 Eine Motivik, die den allegorischen Bezug der Gemeinschaft auf den Kollektivleib des Königs berührt und von Basilius als Hinweis auf seine nachlassende Kraft zur Verkörperung (RePräsentation) des Politischen gedeutet wird. Die zweckmäßige Zusammenarbeit von Julian und einigen Woiwoden, wie sie anschließend zu Beginn des vierten Aktes deutlich wird, kann also nicht überraschen  ; ebenso wenig, dass diese Kollaboration nach dem Erreichem ihres Ziels (Basilius’ Sturz) sofort zerbricht. In ihrem Absetzungsprozess gegen Basilius werden die Woiwoden – also die Monarchomachen, zu denen Hofmannsthal sich in der Diktatur notierte  : »Vindiciae contra tyrannos« – auf eine ›Verstaatlichung‹ des Königs drängen  : »c’est dans les tribunaux où les lois doivent parler et où le souverain doit se taire«.256

254 – sie liegt übrigens schon in der Logik des Trauerspiels begründet  : »Wer iemand auf den thron / An seine seiten setzt, ist würdig, daß man cron / Und purpur ihm entzieh.« (GS I 1, 247  ; Trauerspiel  : Gryphius [Leo Arminius]). 255 SW XVI.2, 184  : Basilius. 256 DD, 19, 101 und 116. Die Auseinandersetzung um die Position der Extra-Legalität bzw. »over de legers van den staat«, wie die Diktatur an anderer Stelle zitiert (DD, 29), wird von Schmitt in einer Fußnote zur oben zitierten Stelle nachgereicht, die es nachfolgend zu beachten gilt  : Le roi est au royaume.

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5.3.2 »Le roi est au royaume«  : Der Staatsrat – »Constitutum« vs. Königliches Charisma »Ein königlicher Ratschluß ohne unsere Zustimmung ist null und nichtig  !« (SW XVI.2, 199  ; Woiwoden)

Ist der modernisierte Olivier als Ausprägung einer depravierten Form rationaler Herrschaft zu betrachten, stehen die wohl aus Schillers Demetrius entlehnten Woiwoden für deren rechtspositivistische (d. h. legale) Erscheinungsform.257 Als politisch relevante Gruppierung mit eigener, kollektiver Bezeichnung sind sie der Bühnenfassung neu eingefügt, der sich Graf Adam (der in dieser Fassung verprellte Retter Basilius’) anschließt. Sigismund umgebe nunmehr »der Goldglanz eines Heiligen und Märtyrers für ewige Zeiten.« (Palatin von Krakau) Im Schema der Haupt-und Staatsaktionen, das der Turm in diesem Akt doch sehr deutlich aufgreift, intrigieren auch sie gegen den als tyrannisch auftretenden Basilius mit dem Ziel einer konstitutionellen Monarchie bzw. Adelsrepublik. Nach der diesmal erfolgreichen Palastrevolte halten sie über den gefallenen Monarchen Gericht. Basilius wird »erkannt für einen Tyrannen« als der »schuldbeladenste Untertan gedachter Krone« der Rechtsgewalt des Staatsrats unterworfen.258 Hier nun steht jene Diskussion im Mittelpunkt, die Hofmannsthal in seiner oben zitierten Annonce (vgl. 5.2) das »Problem des legitimen Königtums« genannt hat, welches sich schon dem Begriff nach einer verstaatlichten Zone der Legalität entzieht. Das ist die ganze Prägnanz der Formel »Le Roy est au royaume«  : der König wird in der Tat juristisch »eingekapselt« und von der Souveränität abgetrennt.259 257 Titelzitat  : SW XVI.2, 200  : Woiwoden. Schiller war in dieser Arbeitsphase Hofmannsthals wieder von wachsender Bedeutung. 1926 erschien zudem eine von Hofmannsthal herausgegebene Selbstcharakteristik Schillers  : Schillers Selbscharakteristik aus seinen Schriften. Nach einem älteren Vorbilde neu hg. v. Hugo von Hofmannsthal  ; München 1926 (vgl. hierzu auch SW XVI.2, 444, Fn. 37). 258 SW XVI.2, 196  : Kanzler, Basilius. Rechtsgewalt heißt aber keineswegs  : Rechtsschutz, wie ihn Basilius in dieser Szene immer wieder vergeblich einfordert. »[…] es ist die Praxis aller Revolutionen gewesen, den politschen Gegner zum Feind des Vaterlandes zu erklären und ihn dadurch für seine Person und sein Eigentum mehr oder weniger vollständig des Rechtsschutzes zu berauben.« (DD, 94). 259 Die ›Inklusion des Königs‹ bedeute die Abtrennung des Souveräns, »dessen Befugnisse« verfassungsmäßig festgelegt werden sollten, von der Souveränität  ; also einen Entwurf legalistischer Einheit. »– Übrigens antwortet der König mit derselben ›Einheit‹. […] Aus dieser Einheit folgert er allerdings gerade, daß die ›plénitude‹ seiner Autorität keine Schranken haben dürfte.« (DD, 101  ; Fn. 1). Da auf der nächsten Seite ein Anstrich folgt (zu Montesquieu), ist von Hofmannsthals

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»woiwod von lublin  : Bevor wir Eure Hoheit lehenspflichtig auf den Knien als die Majestät unseres neuen Herrn begrüßen, wird sie mit Hand und Mund einen Eid ablegen auf das Konstitutum,260 das ich […] hier in Händen halte. […] k anzler tritt vor Sigismund  : Es erscheint nötig, daß durch ein feierliches Konstitutum vor allem die Befugnisse des Staatsrates festgesetzt werden. Es handelt sich darum, daß Eure Hoheit eidlich gebunden sein wird […] sigismu nd  : […] Aber jetzt gehet meine Vettern, und lasset mich allein mit diesem Mann, er zeigt auf Julian denn er wird mein Minister sein, und ich will mich mit ihm beraten. pa l atin von k r ak au  : Das Konstitutum enthält die Namen der fürstlichen Personen, mit denen allein der König sich beraten darf. k anzler  : Das königliche Siegel verbleibet dem Staatsrat und dem König zu gemeinsamer Hand. (SW XVI. 2, 198/199)

Hier wird deutlich, dass die Absetzung Basilius’ nur scheinbar der Thronbesteigung Sigismunds als legitimen König dient  ; denn diesem wollen die Woiwoden als Kronrat vorsitzen  : »Der König wird durch unseren Mund sprechen.« Sigismund wird also nicht mehr von Gottes Gnaden regieren können, sondern die Gnade gewährt jetzt der Staatsrat. Aus dem legitimen Königtum wird eine Legalkonstruktion mit – austauschbarer – Symbolgestalt. Man könnte sagen  : auch hier wird eine Situation geschaffen, in der die Exekutive ihrem Auftraggeber diktiert, ohne aufzuhören, sich an ihm zu legitimieren. Dass die Woiwoden in einer Variante das »Constitutum dictieren« wollen, lässt auf Schmitts berühmte Definition der modernen Diktatur schließen. Jedoch ist die Frage der »Vindicae contra tyrannos« natürlich älter  ;261 eine von Hofmannsthal mit Markierung versehene Stelle bildet vielleicht den konkreten Hintergrund für das im Turm offerierte Schein-Königtum  : »Die Unterscheidung von Souveränitätsrechten, jura majestatis, von dem bloßen Schein der Souveränität, den simulacra majestatis (letztere kann man ruhig dem deutschen Kaiser überlasKenntnisnahme auszugehen. Vgl. hierzu auch Kantorowicz’ Darstellung der Unterscheidung von König und Krone im englischen Königreich  ; Die zwei Körper des Königs  ; op cit, 364 f. 260 »Sie wollen einen König, der über den Parteien steht, der also auch über der Volksvertretung stehen müßte, und bestimmen gleichzeitig, daß der König nichts tun darf, als den Willen dieser Volksvertretung auszuführen  ; sie erklären die Person des Königs für unverletzlich und lassen ihn doch einen Schwur auf die Verfassung leisten, so daß eine Verfassungsverletzung möglich, aber doch nicht verfolgbar ist.« (PT, 53 [Hervorhebung A.M.]). Vgl. hierzu bereits Villinger, Souverän verläßt Turm  ; op cit, 131. 261 SW XVI.2, 324  ; vgl. DD, X.

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sen) bei Hypolithus a Lapide, de Ratione Status in Imperio nostro Romano-Germanico, 1640, pars II, cap. VI.« (DD, 17  : Fn. 2)

Basilius, der nun ›hasenfüßige Tyrann‹ kommentiert diesen Umstand in Richtung Sigismund in einer Variante dann auch ironisch mit »Ich hinterlasse Ew. Majestät ein melancholisches Geschäft« und in Richtung der Woiwoden »Gott segne Eure gesamte Majestät  !«.262 Damit wird darauf angespielt, dass sich die Monar­ chomachen und Vertreter intermediärer Kräfte, also der Ständeversammlung, durchaus auf das (königlich inkorporierte) Volk beriefen. Der Wandel im Subjekt der Souveränität wird in solchen Repliken verdeutlicht. Die Idee einer Absetzbarkeit des Königs ergibt sich zunächst aus der Vorstellung einer nicht göttlichen Erwähltheit des Monarchen  ; aus der Zwei-Körper-Lehre wurde abgeleitet, dass der Souverän als natürliche Person (Monarch) durchaus mit dem metaphysischen Souverän (mystischer Leib des Königtums) in Widerspruch geraten könne. Im Interesse bzw. in Berufung auf den metaphysischen Souverän, als welcher später das Volk betrachtet wurde, konnte der leibhaftige König demnach übergangen, überstimmt, abgesetzt werden.263 Dieses Szenario hat historisch wiederkehrende Situationen zum Hintergrund (naheliegend natürlich der Gedanke an die polnische Adelsrepublik unter Sigismund I.), deren politische Implikationen für die staatsrechtliche Stellung und Ausübung der Souveränität in analoger Weise etwa in Schmitts Beispiel des Bürgerkönigtums wiederkehren  :264

262 Der Reihenfolge nach  : SW XVI.2, 282  ; Varianten  ; GS I 1, 249  ; Trauerspiel  ; SW XVI.2, 332  : Basilius  ; Varianten  ; SW XVI.2, 196  : Basilius. 263 Vgl. hierzu DD, 142. Diese Haltung wird in den Varianten im Übrigen in einer geradezu ›biblischen Schärfe‹ vorgetragen, die in dieser Formel »Wer nicht für uns ist – ist wider uns.« (SW XVI.2, 332 und 333  ; Varianten  : Woiwoden) im politischen Tagesgeschäft bis in jüngste Zeit immer wieder begegnet. 264 Darum überrascht es nicht, Ähnlichkeiten dieser Szene im Turm mit Zeugnissen der englischen Rechtsgeschichte festzustellen  : »Das hohe Gericht des Parlaments ist nicht nur ein Gerichtshof der Rechtsprechung […], sondern ebenso ein Rat […] dessen Aufgabe es ist, den öffentlichen Frieden und die Sicherheit im Königreich zu erhalten und des Königs Willen in den dazu erforderlichen Dingen zu erklären, und was es hierbei tut, trägt den Stempel der königlichen Autorität, auch wenn Seine Majestät […] in eigener Person demselben widerspricht […]« (Kantorowicz, Zwei Körper  ; op cit, 42 f.). Hier wäre zudem ein möglicher Einfluss von Redlichs erwähnter historischer Darstellung des Österreichischen Reichs- und Verfassungsproblem 1848 bis 1866 (1926) anzudenken  ; Für Bd. 2 sind einige Anstriche Hofmannsthals belegt (FDH 1844). Hofmannsthal besaß auch Redlichs Recht und Technik des englischen Parlamentarismus (1905  ; FDH 5580) mit Widmung.

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»Das Ziel der Revolution von 1830 war […] daß der König ausschließlich die für den Vollzug der Gesetze erforderlichen Anordnungen treffen soll und ausdrücklich hinzugefügt ist, daß er niemals die Gesetze selbst suspendieren noch von ihrem Vollzug dispensieren kann.« (DD, 195)

Das Königtum innerhalb der Grenzen der vernünftigen Gesetze (bzw. der Gesetze der Vernunft) – der (vormalige) Souverän wird in der Tat von der Schwellenposition zwischen Legalität und Legitimität ganz in den Raum des Gesetzes hinein geholt. Seine Funktion wird ganz offensichtlich auf rein repräsentative Befugnisse zusammengestutzt – das ist die politische Idee des Kronrates der Woiwoden. Tatsächlich ist damit die eigentliche Repräsentation der Souveränität auf das Gesetz übergegangen – das Gesetz und der Souverän sind also keine Einheit mehr, nicht mehr »eins«, wie es der Beichtiger zu Beginn des dritten Aktes noch behaupten konnte. Das Beispiel einer beginnenden positivistischen Einhegung der Souveränität ist hier nicht zufällig gewählt. Da Hofmannsthals Dramatisierung eine genealogische ist, weist der Konstitutionalismus der Woiwoden bereits auf die Tradition liberalen Verfassungsdenken hinaus,265 welches Schmitt ganz ähnlich charakterisiert  : »Die liberale Bourgeoisie will also einen Gott, aber er soll nicht aktiv werden können  ; sie will einen Monarchen, aber er soll ohnmächtig sein  ; […] sie will weder die Souveränität des Königs noch die des Volkes.«266 Das eben ist der Fallstrick auch der Woiwoden, dessen Julian sich bedient. 5.3.3 Intermezzi. Legalität vs. Legitimität  : Kommissarische Diktatur und verweigerte Hierophanie »Ist Souveränität wirklich staatliche Allgewalt, und das ist sie für jede, eine Teilung, d. h. Abgrenzung der Gewalten nicht restlos durchführende Verfassung, so ergreift die rechtliche Regelung immer nur den berechenbaren Inhalt der Ausübung, niemals 265 »Zu den entscheidenden liberalen Forderungen zählte vor allem eine schriftliche Verfassung, die dem Staat gewährt werden sollte und in der die Organisation der politischen Herrschaft sowie die Rechte und Partizipationsmöglichkeiten der Bürger festgelegt sind.« (Hartmut Reinalter  ; Aufklärung, Liberalismus und Demokratie  ; in  : Ders. (Hg.)  : Aufklärungsprozesse seit dem 18. Jahrhundert  ; Würzburg 2006. 27–54  : 49. 266 PT, 52. Die weitere Diskussion betrifft die Paralysierung des Königtums durch das Parlament und die Reaktion der gegenrevolutionären Theologen darauf, sowie die ihrer anarchistischen bzw. links-hegelianischen Gegner. Da es im Turm zu keiner inszenierten Parlamentarisierung kommt, Hofmannsthal sich zudem in diesem vierten Kapitel keine Notizen machte, reicht der Hinweis darauf an dieser Stelle aus.

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die substanzielle Fülle der Gewalt selbst. Die Frage, wer über sie, d. h. den rechtlich nicht geregelten Fall entscheidet, wird die Frage nach der Souveränität.« (DD, 194)

Die Stunde der kommissarischen Diktatur »Dazu, ihr Herren, sind Könige von Gott gesetzt, daß sie Unordnung in Ordnung überführen.« (SW XVI.2, 201  : Julian) 267

Der neu ausgeführte vierte Akt nimmt mehr als nur Anleihen an die Darstellung barocker Souveränität bei Benjamin. Der vorstehend zitierte Satz steht in einem konkreten Zusammenhang mit der Passage zur »Theorie der Souveränität« im Ursprung des deutschen Trauerspiels zum Unterschied zwischen barockem und modernem Souveränitätsbegriff. Wie erwähnt, machte Benjamin es zur wichtigsten Aufgabe des barocken Monarchen, den Ausnahmezustand als solchen auszuschließen, einen sozusagen rechtsfreien Raum also überhaupt nicht entstehen zu lassen. Dieser Setzung sind auch noch die Woiwoden zuzurechnen, für welche klar ist, dass man den »losgelassenen Pöbel mit blutiger Gewalt wieder an die Kette legt«. Der moderne Souveränitätsbegriff laufe hingegen auf »eine höchste, fürstliche Exekutivgewalt« hinaus,268 die im Ausnahmezustand zur Diktatur schreite, um die Ordnung wiederherzustellen. Hofmannsthal zeigt hier, dass Julian ein Anhänger der modernen (cäsaristischen) Souveränitätsauffassung ist, welche den Ausnahmezustand zwecks Erreichung außerverfassungsmäßiger Ziele in Kauf nimmt – und sein späterer Niedergang, dass dieses Verfahren hochriskant ist. Zunächst aber nimmt er mit dem Augenblick des Erscheinens das Heft in die Hand und bringt nach kurzem Disput mit den Woiwoden die Palastwache durch die einfache Frage – »Garden  ! Wer ist König in Polen  ?« auf seine (bzw. Sigismunds) Seite. Eine Konkurrenz der Legitimation  : ob das auf die transzendente Legitimation zurückgehende dépot sacré etwa des Königssiegels in Händen des Staatsrates obsiege269 oder der »Kürwillen” (Tönnies) des Volkes, 267 Das ist im Prinzip die Cortes-Formel Schmitts in Kombination mit Benjamins Ausführungen zum barocken Souverän. Die Legitimität ist aber auch hier bereits funktional begründet, denn es handelt sich um eine reine Funktionsbestimmung, also letztlich um eine Legitimität durch Verfahren. Wo dies allerdings ohne Verfassung bzw. vor deren Erlass erfolgt, etwa im Cäsarismus, unterliegt es den Bedingungen charismatischer Herrschaft (Bewährung). 268 Zuvor  : SW XVI.2, 198  ; Diener. GS I 1, 245/246  ; Trauerspiel. 269 Tatsächlich findet sich in den Varianten die Behauptung  : »Woiwod.: Das Siegel ist in unserer Hand. Bei uns ist die Legitimität.« (SW XVI.2, 333  ; Varianten). Darin kommt auch die von Benjamin für den Höfling ausgewiesene Ergebenheit dem Requisit gegenüber zum Ausdruck.

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kommt aber gar nicht auf  : Julian hat sich bereits des Königssiegels bemächtigt. Der Machtkampf ist darum schnell geklärt  : die Standarte entscheidet für den persönlichen Souverän und gegen die »gesamte Majestät«. j uli a n  : Wir werden das königliche Siegel vor Mißbrauch zu wahren wissen  ! […] Begeben sich die Herren unverweilt in ihre Häuser  ! Jeder einzeln  ! Jede Zusammenrottung wird als Hochverrat geahndet. […] (SW XVI.2, 201)

Der Befehl Julians, die Herren sollten sich »unverweilt in ihre Häuser« »begeben«, findet einen rechtsgeschichtlichen Hintergrund im bei Schmitt beschriebenen Rechtsmittel, des loi martiale. Dieses diente dazu, im Unruhezustand Massenansammlungen mit der Drohung eines militärischen Vorgehens dazu zu bringen, sich zu zerstreuen und »friedlich in ihre Wohnung zurück[zu]kehren«.270 Auch der Begriff der »Zusammenrottung«, welche Julian – die Inhabe des »schleunigen Rechts« gewöhnt – unter Strafe stellt, könnte direkt auf die Lektüre der Diktatur zurückgehen, in welcher sich der Begriff in Diskussion der dem loi martiale verwandten Prevotal-(d.i. Sonder-)Gerichtsbarkeit findet.271 Auch der Vorwurf des Missbrauchs von Herrschaftssiegeln und darin verbrieften Rechten hat eine lange Tradition  : Die Mission einer Ausräumung der »Flagitia dominationis« im Namen des Königs verweist zudem ganz klar auf den kommissarischen Status Julians.272 Es ist darum kurz auf die damit abgewehrte, oben erwähnte intermediäre und parlamentarische Strategie einer ›Legal-Inklusion des Königs‹ zurückzukommen, von der Schmitt sagt, sie entspreche der »Unterscheidung zwischen dem Souverain, dessen Befugnisse beschränkt sein sollen, und der Souveränität. – Übrigens antwortet der König mit derselben ›Einheit‹. Er droht jedem, der es wagt, ihn von der Nation als einem corps séparé zu trennen und betont, daß er und das Volk Eins seien. Das sind seine berühmten Worte des lit de justice von 1766. Aus dieser Einheit folgert er allerdings gerade, daß die ›plénitude‹ seiner Autorität keine Schranken haben dürfte. 270 »Mit dem Signal der roten Fahne werden alle Zusammenrottungen (attroupements) mit oder ohne Waffen strafbar und müssen mit Waffengewalt zerstreut werden.«  ; Sie werden »von dem Gemeindebeamten mit lauter Stimme aufgefordert, friedlich in ihre Wohnung zurückzukehren.« (DD, 180 [Hervorh. A.M.]). »Jegliche Versammlung ist unzulässig – u. wird als Zusammenrottung angesehen –« (SW XVI.2, 345  ; Varianten  : Julian). 271 Vgl. auch DD, 49  : »Zusammenrottungen«. »Das martial law bezeichnet demnach einen der sachtechnischen Durchführung einer militärischen Operation freigegebenen Raum, in dem geschehen darf, was nach Lage der Sache notwendig ist.« (DD, 174). 272 Vgl. DD, 16.

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Die Frage ist eben, wer sich mit jener Einheit identifiziert und mit der Identifikation politisch durchsetzt  ; diese Frage ist nicht damit gelöst, daß man sie mit ›beide‹ oder mit ›keiner, sondern ein höherer umfassender Dritter‹ beantwortet.« (DD, 101  ; Fn. 3 [Hervorh. A.M.])273

Eben das hatte Hofmannsthal in den dichterischen Fassungen aber mit dem Kinderkönig getan, während er die Antwort »beide« schon in der Szene Basilius-Sigismund scheitern lässt (»nur ein König in Polen, aber er wandelt in zwei Gestalten«). Die erneuerte Fassung dieser geteilten Souveränität seitens des Staatsrats (im Hintergrund die Idee der Gewaltenteilung Montesqieus) unterliegt wiederum Julian, der im Namen des Königtums antwortet und geradezu cäsarisch auftrumpft.274 Auf die von Schmitt ebenfalls abgelehnte Lösung eines Dritten als Einheitsstifter ist im Rahmen der Bühnenfassung noch zurückzukommen. Ein letztes Mal jedenfalls zeigt der monarchische Legitimitätsglaube seine Wirkung. Julian tritt nun als kommissarischer Diktator (als Sigismunds »Minister«) durchaus im Sinne der Restauration für eine ungeteilte und damit im Wesentlichen  : verfassungsfreie Souveränität Sigismunds ein. »[…] das Königtum der Restauration […] nahm also das [sic.] pouvoir constituant für sich selbst in Anspruch und betrachtete sich nicht als dessen Beauftragten.« Beauftragt sieht sich Julian im Dienste Sigismunds als der (royalen) Gestalt dieses pouvoir constituant, der Hofmannsthal, wie oben dargelegt (vgl. 2.5  ; 4.1.3 f.) zugleich die Züge der Kulturnation (Herders Volksgeist) und die Legitimation durch den demos der für ihn betenden Volksmassen einschreibt. De facto herrscht in dieser Szene bereits ein solches Verhältnis zwischen Sigismund und Julian  : »Der Inhalt der Tätigkeit des Legislators ist Recht, aber ohne rechtliche Macht, machtloses Recht  ; die Diktatur ist Allmacht ohne Gesetz, rechtlose Macht.« Sigismund besitzt die Legitimation, Julian die Fähigkeit zu herrschen. 275 273 Schmitt selbst beantwortet übrigens diese Frage in immer neuen Anläufen seit der Politischen Theologie v. a. mit der Definition des Souveräns durch die Entscheidung. Die fragliche Einheit gehört, bezogen auf das Volk, zu den brisantesten und abgründigsten Bereichen in Schmitts Werk, welches er zumindest zwischen 1933 und 1936 einer NS-konformen Selbst-Interpretation unterwarf  ; die Forschung ist ihm darin weitgehend gefolgt  ; vgl. Richard Faber  : Lateinischer Faschismus. Über Carl Schmitt, den Römer und Katholiken  ; Berlin, Wien 2001 und die hinsichtlich Schmitts kenntnisreiche und lesenswerte Studie von Uwe Hebekus, Ästhetische Ermächtigung  ; op cit (2009)  ; sowie abweichend  : Jacob Taubes  : Gegenstrebige Fügung. Ad Carl Schmitt  ; Berlin 1987. 274 Schmitt erwähnt im Rahmen seines Montesquieu-Referats »die allgemeine Bedeutung außerordentlicher Kommissare für die Entwicklung von der Republik zum Caesarismus«. (DD, 106). 275 Zuvor  : DD, 194. DD, 128/129. Ohne Sigismunds Legitimation wäre das vorige ein bloßer Machtkampf gewesen. »Das ist aber dann nicht der Fall, wenn eine Gewalt angenommen wird, die ohne selbst verfassungsmäßig konstituiert zu sein, trotzdem mit jeder bestehenden Verfassung

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Diese Konstellation birgt durchaus das Potential einer anderen Lösung der politischen Verwicklungen des Geschehens. Verweigerte Hierophanie – Sigismunds erste Enthaltung »Die Idee aber geht in keine Relationsbeziehung ein.« (GS I 3, 928  ; Trauerspiel [Scholem])

Die nachfolgende, weitgehend von den Vorfassungen übernommene Szene Sigismund–Julian mit der Verweigerung des Ersteren deutet daraufhin, dass Julian sich selbst als Königsmacher versteht, als kommissarischer Diktator im Dienste seiner »schöpferischen Restauration« (Borchardt). Er beugt kaum das Knie vor seinem »Werk«, seinem König, denn es geht nun darum, die Situation im Reich als Ganzes zu retten, die allgegenwärtige Unordnung in Ordnung zu überführen. Dies möchte Julian mit Sigismund an seiner Seite erreichen  : »Jetzt versag mir nicht, denn jetzt oder nie ist deine Stunde gekommen.« Von besonderer Bedeutung ist hierbei – neben dem immer stärker anwachsenden Zeitdruck in diesen Szenen – sein Verständnis von Öffentlichkeit.276 Sigismund soll sich zeigen (»Jetzt müssen sie dich sehen.«), um die Massen, die in seinem Namen mobilisiert wurden, zu besänftigen. Die folgenden Textpartien sind von Hofmannsthal im Vergleich zu den dichterischen Fassungen teils gekürzt und zusammengefasst, teils leicht variiert und ergänzt worden. Zentral für das Geschehen ist aber Sigismunds Absage an Julian, vor der revoltierenden Masse zu erscheinen. Dies ist beibehalten worden, muss nun aber in einem veränderten oder vielleicht besser  : präzisierten Kontext betrachtet werden. Zunächst gilt für Sigismund als dem modernen Subjekt der »Epoche seit Kant« wie zuvor  : »Allein der, dessen Wahl im Augenblick nur vom Gutdünken abhängt, ist souverän.«277

in einem solchen Zusammenhang steht, daß sie als die begründende Gewalt erscheint, auch wenn sie selbst niemals von ihr erfaßt wird, so daß sie infolgedessen auch nicht dadurch negiert werden kann, daß die bestehende Verfassung sie etwa negiert.« (DD, 137) Diese Gewalt sei der pouvoir constituant. 276 »Das Licht der Öffentlichkeit ist das Licht der Aufklärung, die Befreiung von Aberglauben, Fanatismus und herrschsüchtiger Intrige. In jedem System eines aufgeklärten Despotismus spielt die öffentliche Meinung die Rolle des absoluten Korrektivs.« (LP, 48). Diesem Licht – der vollen rationalen Erfassbarkeit sozusagen – will sich Sigismund aber nicht aussetzen. 277 Georges Bataille  : Die psychologische Struktur des Faschismus. Die Souveränität  ; hg. v. E. Lenk  ; München 1978. 47.

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Sigismund würde also seiner selbst verlustig, gewissermaßen durch die von Julian geforderte »Tat« den Zustand reiner Potenz überschreiten  ; übertragen auf den Rechtskontext  : durch rechtliche Positivierung seine Wesenheit verlieren. Den Status der Subjekt-Souveränität erwirbt er sich hingegen durch seine Enthaltung – die sonst schwer verständlich bliebe, da dramatisch kaum motiviert  : kurz zuvor noch hat er selbst den Thron verlassen wollen, um Julian, seinen »Lehrer« zu suchen, nun gibt er ihm den Laufpass  : »Ich habe mit deinen Anstalten nichts zu schaffen.« Dieses Umschwenken ist eigentlich nur aus einer politischen Perspektive sinnvoll zu erklären.278 Die verweigerte Hierophanie ist hierbei zugleich als verweigerte Repräsentation zu betrachten – Sigismund bevorzugt, das wurde oben schon deutlich, ein identitäres Modell demokratischer Repräsentation ohne solche Distanznahmen (vgl. 4.2.2 und 4.2.3). Aus den überlieferten Arbeitsstufen zu dieser für Hofmannsthal nach eigener Aussage poetisch forderndsten Szene wird ersichtlich, dass wiederum die Vorstellung eines übermächtigen Kollektivkörpers besteht  : »– ich habe dir eine gewaltige Rüstung geschmiedet, lege sie an, mein König, und die Gewalt wird bei dir sein.« Die Motivik einer Kollektivgestalt, welche Julian gewissermaßen zum Leviathan aufrüsten möchte,279 ist also auch in der Bühnenfassung präsent  ; deren Entfaltung allerdings ganz explizit in einen demokratietheoretischen Kontext gerückt  : »sigismu nd Unzerbrechlich ist mein Wille  : denn ich bin ungeteilt  ! Und in meiner Rede kommt er an den Tag  !« (SW XVI.2, 227  ; Inszenierungsvariant) »Der souveräne Wille des Volkes kann ebensowenig wie das Volk selbst repräsentiert werden.« (DD, 117  : Rousseau)

Über die »Urkraft« des unveräußerlichen und unteilbaren pouvoir ­constituant heißt es in der Diktatur weiter  : »Sie kann beliebig wollen, der Inhalt i­hres Wollens hat immer denselben rechtlichen Wert wie der Inhalt einer Verfassungs­

278 Reinhardt übrigens wollte das Ganze in Richtung einer Metropolis-Schmonzette schieben  : »Nicht Gewalt von oben nicht Gewalt von unten / ich will keine Macht die ererbt keine Macht die erpreßt, erlistet die Macht die in mir, / will ich erweisen die Macht der Liebe.« (SW XVI.2, 254  ; Zeugnisse). Der Pazifismus, den Hofmannsthal mit ganzer Intensität in diese Figur zu legen versucht hat, wäre durch solche Sentenzen zur platten Attitüde verkommen. 279 SW XVI.2, 225  ; Inszenierungsvariant  : Julian. Wieder ein Anklang an die Metaphorik eines Kollektivkörpers ist die Notiz »Schlafloser Riese« (SW XVI.2, 325  : Varianten). Dies ist ein recht direktes Zitat Herders (bzw. Luthers), dessen Verständnis der Sprache als »schlafender Riese« Hofmannsthal in Wert und Ehre deutscher Sprache abgedruckt hat (WES, 97  : Herder).

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bestimmung.«280 Das hat sich bereits in der Szene mit dem Staatsrat gezeigt, der Sigismund nicht in sein Constitutum ›einschließen‹ konnte. Nun scheitert auch Julian an diesem Wollen oder vielmehr  : Vermögen »nicht zu«, in welchem sich der irreduzible Rest nicht rationalisierbarer Souveränität verschanzt.281 Ließ Sigismund in den dichterischen Fassungen noch mit einem Anflug von Unreife verlauten  : »Nein, das wird nicht sein  ! Ich gehöre mir und nichts kann mich berühren  !« und »Höre meine Weigerung und immer wieder meine Weigerung  !«, antwortet Sigismund Julians Drängen entgegen dem intervenierenden Arzt nun vollmündig  : »Nein mein Freund, sondern ich will nicht. Wenn ich aber sagen werde  : ich will, dann sollst du sehen, wie herrlich ich aus diesem Haus hinausgehe.«282 Das ist eine Neuerung von einigem Gewicht  ; in den dichterischen Fassungen ist zudem der Arzt gar nicht anwesend. Dieses Wollen ist einerseits als Zeichen der gefundenen Subjekt-Souveränität zu deuten, die hier jedenfalls sehr viel überzeugender mitgeteilt wird. Mitgeteilt wird andererseits in diesem Zitat des mündigen (Gemein-) Willens nun ganz explizit auch Sigismunds Eigenschaft als Träger des pouvoir constituant. Und als dieser verweigert er Julian, dem kurzzeitigen kommissarischen Diktator, die Repräsentation vor der Öffentlichkeit nicht nur (zumal er sich mittels Rede, nicht visuell offenbaren möchte)  : er verabschiedet seinen »Minister« sogar ganz  : »Leb wohl, Julian  ! wendet sich«. Jedoch folgt aus dieser Absage kein Aufbruch, sie bleibt vielmehr reine Enthaltung. Mit Blick auf Schmitts Ausführungen zum Volkswillen in der Diktatur entbehrt dies nicht einer spezifischen Logik  : »Auch wenn der Wille des Volkes inhaltlich gar nicht vorhanden ist, sondern durch die Repräsentation erst formiert wird, bleibt die unbedingte, im prägnanten Sinne des Wortes kommissarische Abhängigkeit des Repräsentanten von diesem Willen bestehen. Der Wille kann unklar sein. Er muß es sogar sein, wenn der pouvoir constituant wirklich unkonstituierbar ist.« (DD, 143 [Hervorh. A.M.])

Julians Wunsch, Sigismund möge sich mit ihm zeigen, kann man in diesem Sinne als nachgeholtes, ›Napoleonisches Plebiszit‹ lesen, wenngleich er Sigis280 DD, 142. Vgl. hierzu auch Agamben, Herrschaft  ; op cit, 326 f. 281 Das genau ist das Potential, welches Agamben für Melvilles Schreiber Bartleby anführt, der so »jeder Entscheidungsmöglichkeit zwischen Potenz zu und Potenz nicht zu widersteht.« Man kann Folgendes auch auf Sigismund beziehen  : »Diese Figuren treiben die Aporie der Souveränität an die Grenze, doch gelingt es ihnen dennoch nicht, sich vollends aus ihrem Bann zu lösen.« (Agamben, Homo sacer  ; op cit, 59). 282 SW XVI.2, 204  : Sigismund.

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mund als seinen »König« anerkennt.283 Erinnert man sich an Julians Belehrungen über den Mund des Menschen, der »rufend und befehlend« ( Julian, II) mächtig werde, so zeichnet sich ab, was ihm mit der Formel der »Weissager und Wahrmacher« nun vorschwebt  : eine souveräne Diktatur – gestützt auf die »Schlachta« und auf Sigismunds Legitimität, mit der gewissermaßen die Frage beantwortet scheint, woher die »Autorität über die Massen« kommen soll.284 »Und jetzt sitz auf und reite mit mir dahin, wo du die Legionen der Deinigen siehst, wie der Mond am jüngsten Tag die Auferstandenen sehen wird, und sein Auge wird nicht groß genug sein, die Menge zu fassen – Höre mich  ! Verstehe mich  ! […] Diese prahlerischen Großen waren die Fanghunde. Jetzt, da der Hirsch liegt, peitscht man sie weg. Ungeheurer Aufruhr, von ihnen nicht geahnt, schüttelt diese Nacht seinen Rachen über das Land. Ich habe durchgegriffen bis ans Ende, die Erde selber habe ich wachgekitzelt […] « (SW XVI.2, 202  : Julian)285

Die Beschreibung dieses Ausritts erinnert jetzt an den »Weltgeist zu Pferde« und driftet dann zunehmend in ein eher linkshegelianisch anmutendes Szenario  : »Jetzt stehen die großen Herrn auf den Balkonen ihrer Paläste und pissen vor Angst – Hörst Du schreien  ? Es gibt niemanden der diese Nacht nicht marschiert und deinen Namen schreit.« Es ist die Idee der Kreation einer »Autorité irrésistible«, die Julian hier anstrebt – im Namen des Königs, aber auf Geheiß 283 Vgl. hierzu WuG, 156  : Napoleon II. Im Übrigen hat Max Weber immer wieder den Bonapartismus des deutschen Bürgertums kritisiert und ihn für Erscheinungen wie Bismarck (dessen Politik er als gestandener Liberaler ebenfalls ablehnte) verantwortlich gemacht. Die Fluchtlinie dieser ›Cäsarophilie‹ weist dann schon auf die »Brandröte« (Turm, IV. Akt) von Führertum und Bewegung hinaus. Vgl. hierzu die Beiträge des instruktiven Bandes von E. Hanke/H. Mommsen (Hg.)  : Max Webers Herrschaftssoziologie  ; Tübingen 2001. Insbesondere den Beitrag Hans Mommsens  : Politik im Vorfeld der »Hörigkeit der Zukunft.« Politische Aspekte der Herrschaftssoziologie Max Webers. 303–319. 284 RA III, 165  ; Bodenhausen [1928]. 285 Das Anfangsbild ist leicht variiert (mit dem Ausritt), die folgenden Schilderungen – teilweise von Grünewaldscher Apokalyptik – eine Neuerung. Vgl. zu dieser (physiokratischen) Herrschaftsidee  : »Im Interesse einer durchgreifenden Aktion werden alle entgegenstehenden Hemmungen beseitigt und wird eine unwiderstehliche Macht, eine autorité irresistible, geschaffen. Das große Wort dieser Gedankenwelt ist Einheit une seule force, une seule volonté, eine Einheit von Evidenz, Macht und Autorität.« (DD, 111 [Hervorh. A.M.]). Der Zeit-Aspekt wird in einer Textstufe zur Szene ganz deutlich  : »Julian  : Der lebendige Beweis meines Tuns. Das Gewehr an Stelle der Hellebarde Geschütz ist stärker als Mann. Man muss Feuer aus jedem Holz machen – Es gibt niemand, der nicht marschiert u Sigismund schreit.« (SW XVI.2, 34/48).

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Julians. Allerdings  : »Dicter les lois positives, c’est commander und dazu gehört eben die force publique, ohne die jede Gesetzgebung ohnmächtig ist.«286 Diese force publique kommt hier erkennbar nicht zustande, der selbst ernannte Weissager und Wahrmacher wird von der »crise de commandement« eingeholt. Erst kann er sich gegen Sigismund als dem Subjekt der Souveränität, auf welches er sich für sein cäsaristisches Unterfangen berufen wollte, nicht durchsetzen  ; und ohne dessen Rückhalt dann auch nicht vor den revoltierenden Massen bestehen. Diese sind seiner Kontrolle völlig entglitten, die von ihm berechnete Ausbalancierung der Gewalten287 scheitert, wie er aus dem Bericht des zurückgekehrten Simon erfährt  : »Das ist es eben. Sie haben die Losung verändert. Es ist überhaupt alles anders. – Vom neuen Herrn König ist keine Sprach. Von Euer Exzellenz ist keine Sprach. Der ohne Namen hat jetzt drüben alles in der Hand.« 288 Oliviers Durchbrechung der Befehlskette liegt nun offen zutage. Derweil sind am Schloss und darüber hinaus auf Betreiben des unterlegenen Staatsrats alle bewaffneten Kräfte abgezogen. Nun erst nennt Julian das Chaos, welches er zuvor hinter Tiermetaphern verkleidete (Bär, Wolf, Schwein), selbst eine Hölle. Das Heldentum, das er in diesem Moment entfaltet, ist aber ein dem Untergang geweihtes. Sigismund  : »Denn mit den alten Zungen haben wir geschrieen und uns keine Hilfe herbeigeschrieen. Und mit den alten Händen gefochten und sie haben uns niedergeworfen wie Kälber auf dem […] Schlachthof |, und Du willst das Gleiche beginnen und immer wieder das Gleiche  ! Da kann ich nicht mit Dir sein.« (SW XVI.2, 408  ; Notizen zum Inszenierungsvariant)289

286 Zuvor  : SW XVI.2, 202  : Julian  ; hier  : DD, 111. Der die Figurenphysiognomie ein wenig störende Satz Julians ist wie erwähnt im Zuge der Umarbeitung von Olivier übergewandert  ; er verbindet sich stark mit der Zeitmotivik in der Bühnenfassung  : »– der jüngste Tag ist da für alle, die die Zeichen der Zeit nicht verstanden haben –« die Herren »schlottern« in dieser Textstufe übrigens noch (SW XVI.2, 225). 287 »Aber ich halte sie dir zusammen  : ich bändige die Gewalt mit der Gewalt, den Soldaten mit dem Bauer, das flache Land mit den festen Ständen, die großen Herrn mit dem adeligen Aufgebot, das Aufgebot mit den Schweizer Regimentern, die ich auf dich vereidigt habe, und das Heft wird in deiner Hand bleiben.« (SW XVI.2, 202  : Julian). Vgl. hierzu  : »Die Lehre von den Gegengewichten, den ›contre-forces‹, ist eine Chimäre.« (DD, 111  : Mercier). 288 SW XVI.2, 205  : Simon. 289 An das unter 5.1.3 zitierte Beispiel aus der Religionssoziologie sei erinnert (vgl. RS I, 33). Diese Notiz klingt nach einem Vorschlag Reinhardts.

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Da er sich einen Verzicht auf die Zirkel politischer Repräsentation und Herrschaft nicht vorstellen kann, reitet Julian als ein »Mann des alles oder nichts«290 folglich ohne Sigismund hinaus in den Bürgerkrieg, in welchem Olivier bereits die Fäden spinnt. Damit zieht der letzte Exponent weltlicher Gewalt von dannen, während Sigismund mit den wenigen Getreuen im Palast bleibt. In diesen ziehen nach kurzer Nacht die Aufständischen ein, deren »Nacktheit als Emblem«291 des in den Naturzustand abgeglittenen Ausnahmezustands zu verstehen ist. Da nicht nur kein Recht, sondern auch keine Ordnung mehr besteht, herrscht tatsächlich jener zu Beginn schon prophezeite Krieg aller gegen alle. Die letzte Hoffnung liegt auf Sigismunds Märtyrer-Charisma, dass es sich vor den Massen bewähren möge und die »Revolutionierung von innen« (Weber) auf sich vereinige. Die Wirkung des Charisma-Trägers für die Entfaltung zu einem sozialen Phänomen bedarf jedoch einer gewissen – wie auch immer reglementierten, aber vorhandenen – Öffentlichkeit. Genau diese fehlt der Sigismund-Gestalt in der Bühnenfassung am Schluss  ; das ist die tragische Wendung des Führer-Gefolgschaftsmodells. Die Entstehung der Gemeinde wird hintertrieben, die ekklesiastische Wirkung Sigismunds bleibt auf einen kurzen, arkadischen Augenblick, einen Wimpernschlag der Anarchie beschränkt. Auf dieses letzte, nun zu betrachtende Intermezzo folgt dann das Ende aller identitären und persönlichen Repräsentation. 5.3.4 »Vom Reiche und von der Freundschaft«292 – Der Augenblick der Anarchie als HerrschaftsForm »Denn diesen Kräften kann, eben weil sie aus der geistigen Natur des Menschen hervorgehen, freiwillig Gehorsam geleistet werden.« (PT, 23  : Krabbe) »Freundschaft, wie sie aus Shakespeares Sonetten klingt, ist der Widersatz von Staat, wie er als Reich sich vermißt.« (Rang, Shakespeare der Christ, 128) 293

290 Eine solche Formulierung verwendet Marianne Weber im Lebensbild  ; op cit, 678. 291 GS I 1, 395  ; Trauerspiel. 292 Aus einem Brief an Rang (BW Rang, 438 [5. XI. 23]). Hofmannsthal signalisierte Bereitschaft, das von ihm so zitierte VIII. Kapitel von Rangs Shakespeare-Schrift in gekürzter Form zu publizieren. 293 Florens Christian Rang  : Shakespeare der Christ. Eine Deutung der Sonette  ; hg. [u. bearb.] v. B. Rang  ; Heidelberg 1954. 128. Auszüge erschienen auch im ersten Heft der von Martin Buber herausgegebenen Kreatur welches Hofmannsthal noch 1926 zumindest zur Kenntnis genommen hat.

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Zu einer souveränen Diktatur Julians, dem Alchimisten des Sozialen, kommt es also nicht. Dass eine Partizipation Sigismunds an dessen ›Rechenfehler‹ den Weg in den Untergang bedeutet haben könnte, bleibt Spekulation. Das Drama deutet hier mit Sigismund an der Seite Julians als Repräsentanten fortgesetzter Herrlichkeit vor den marodierenden Massen aber keinen Lösungsweg an (vielleicht wäre der umgekehrte Fall  : ein Verbleiben Julians im Palast als solcher zu denken). Auf die Absage folgt in den dichterischen Fassungen allerdings, wie oben gezeigt, das Hervorgehen des charismatischen Herrschers Sigismund, dem sich die Gefolgschaft aufgrund seiner natürlichen Autorität freiwillig anschließt. Einen solchen Moment charismatischer Vergemeinschaftung erlebt Sigismund auch in der Bühnenfassung noch, hier wirkt sich die völlige Abwesenheit jeder weltlichen Autorität nach Julians Fortgang zunächst positiv aus, jedenfalls bis zu dem Moment, in dem Olivier auftritt. Bevor sich dieser mit seiner Truppe im Machtzentrum installiert, gibt es einen Augenblick der Anarchie, eine katapausis der weltlichen Gewalt, welche als letztes Intermezzo vor der Herrschaft des Neuen aber nicht produktiv wird – und die im Kern aber eine Utopie zitiert, die nochmals die Namen Martin Bubers, Gustav Landauers und Florens Christian Rangs in den Kontext der Betrachtung ruft. Landauers Definition des Sozialismus als geistige Bewegung und Bubers Ekstatische Konfessionen auf den »Pfaden nach Utopia« waren Hofmannsthal bekannt und geben fraglos einen guten Rahmen für die Betrachtung des ›Wunders‹ im Turm  : die kurzzeitige gewaltlose Vereinigung des Volkswillens mit dem Geist der Nation, einer universellen Anwesenheit des seiner selbst bewusst gewordenen demos, welche der gemeinsame Auszug aus dem Palast bedeuten würde. Die Perspektive auf diese HerrschaftsForm mit Texten Rangs, wie sie im Abschnitt zum Herrschaftswechsel von Sigismund zum Kinderkönig entwickelte wurde (vgl. 4.3.3), soll auch für diese Fassung aufgegriffen werden.294 Denn die Szene Sigismunds vor den Aufständischen ist gewissermaßen die Allegorisierung der Kinderkönigherrschaft, also das, was von ihr im veränderten – unversehens gewaltsameren – Geschehensablauf übrig bleibt. Rang nämlich setzte dem Glauben an die Führerschaft als der Mode der Zeit ein poetisch-politisches Konzept von Freundschaft entgegen (wie es ihn auch mit Benjamin verband)  :

294 Der Kinderkönig ist oben als Symbolgestalt der »höchsten Gemeinschaft« verstanden worden, die »wahrhaft repräsentativ und traditionsbildend« durch die »heilende[n] Funktion der Sprache« Frieden bringt  ; eine Sprache, in welcher »der Geist Leben wird und Leben Geist« (RA III  ; 29/33/40  ; Schrifttum).

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»Um dieses unerhörten Wortes ›Führer-Beruf‹ willen das in tausenden junger Freundschaft-bedürftiger Herzen gezündet hat, die sich nun den Wortführern uneigen hinterherwerfen  : in lodernde Unklarheit, die ihr Bestes verzehrt, ihr Wahres verfälschend sei gewarnt hier vor der Anmassung zur Führerschaft, vor der Begeisterung zur Gefolgschaft, und festgestellt, dass den Menschen unsrer Menschlichkeit Führerschaft fernliegt.« (Rang, Shakespeare und unsere Religion, zit.n. Jäger, Messianische Kritik  ; op cit, 140)

Aus Rangs Arbeiten zu Shakespeare und unsere Religion, das immerhin als über 300 Seiten starkes Fragment erhalten (aber ungedruckt) blieb, ist Hofmannsthal das relativ abgeschlossene Kapitel VIII  : »Von Freundschaft, Reich, Kirche« zugegangen. Rang schickte ihm im Zusammenhang mit den Neuen Deutschen Beiträgen mehrere seiner Texte. Gerade zu Shakespeare (mit dessen Dramatik sich Hofmannsthal natürlich oftmals in seinem Leben auseinandergesetzt hat) finden sich Aufzeichnungen von 1926, die jedenfalls von einer anhaltenden Beschäftigung Hofmannsthals mit der Thematik zeugen  : »Shakespeares Gleichnisse. In seinen Gleichnissen ist völlig das XVII. Jahrhundert. Von hier aus seinen Stil richtig erkennen.« Dies läuft abermals auf das Verständnis eines im Drama zum Ausdruck kommenden ›Geists der Epoche‹ hinaus und fügt sich daher gut zu Hofmannsthals Arbeit am Turm. Entsprechend sind auch Notizen zum Turm in den Bänden von Hofmannsthals Shakespeare-Ausgabe erhalten, die zum Teil erst kürzlich im Band XL der Kritischen Ausgabe mitgeteilt wurden. Der bereits oben zitierte Ausspruch Julians  : »Und doch steht ihr hier, scheint mir, für etwas Anderes, das ich nicht sehen kann« hätte also durchaus in der Phase der Umarbeitung entstanden sein können.295 Doch auch die Bühnenfassung gestattet der Figur keine solche Anerkennung der Menge, sondern lässt sie im Angesicht der »swinish multitude« voll schwarzer Melancholie sterben. 296 Die politische Bedeutung des Freundschaftsbegriffs über den privaten (und platonischen) Rahmen hinaus ist Hofmannsthal jedoch anscheinend erst später voll zu Bewusstsein gekommen  :297 295 Zuvor  : RA III, 585  ; Aufzeichnungen [1926]. Hier  : Notiz im Bd. 9 (376) von Hofmannsthals Shakespeare-Ausgabe  ; zit.n. SW XL, 631. 296 DL I, 251  : vom Stein. »[…] entstellt vor den Richterstuhl des grossen eitlen, seichten Haufens ›swinish multitude‹[…]«  ; »[…] dann steht ein missleiteter, in keinen Schranken sich haltender Körper dem ministerio gegenüber […]« (ebd., 250). 297 Hofmannsthal teilt Rang am 29. VI. 1923 mit, dass er »das Manuscript der 2 Teile des Shakespearewerks (nebst dem ›Carneval‹)« erhalten habe, »und das große Werk« ihn »völlig in sich hineingerissen hat« (BW Rang, 432). Vgl. hierzu auch Jäger, Messianische Kritik  ; op cit, 119 ff.

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»Es ist das höchste Geheimnis der Freundschaft – daß man durch sie in eine Kollektivität genommen wird. Unzweifelhaft sind die Ränder unserer Individualität nicht scharf umrissen – immer ruht der Mensch in Gemeinschaften aus, die höchsten sind die religiösen.« (RA III, 167  ; Bodenhausen [1928])

Eine solche integrative Ruhe strahlt Sigismund auf die in den Palast strömende Menge aus  ; den vor Angst seine Hände zerbeißenden Anton weist er sogar an, sie zu ihm zu führen. Tatsächlich ist diese Szene ein kurzes Idyll, sie hat etwas Arkadienhaftes in der Abwesenheit aller (weltlichen) Autorität (die allerdings alsbald straff organisiert zurückkehrt), »es ist keiner, der die Hand erhöbe«, wie einer der langhaarigen Fackelträger mitteilt. Die große Frage für den Interpreten ist  : wie demokratisch, bzw. Demokratie-bejahend ist die Szene (überhaupt) aufzufassen  ? Diese Frage richtet sich – mit Rücksicht auf das letzte Bild des vorigen fünften Aufzugs – auf die politische Idee, welche der Turm von 1926 im allegorischen Verfahren mitteilt. Zur Klärung von deren ideeller Substanz sind weitere Anstriche Hofmannsthals in der Politischen Theologie von Interesse, die sich auf ein (kritisches) Referat zu Wolzendorffs Lehre des reinen Staates mit einem genossenschaftlichen Aufbau beziehen  : »Wolzendorffs reiner Staat ist ein Staat, der sich auf seine Ordnungsfunktion beschränkt. […] Der Staat soll das Recht bewahren  ; er ist ›Hüter, nicht Gebieter‹, aber auch als Hüter nicht bloß ein ›blinder Diener‹, sondern ›verantwortlicher und letztentscheidender Garant‹. Im Rätegedanken sieht Wolzendorff eine Äußerung dieser Tendenz zur genossenschaftlichen Selbstverwaltung, zur Beschränkung des Staates auf die ihm ›rein‹ zustehenden Funktionen.« (PT, 25  ; Markierung Hofmannsthal)298 Möglich und wahrscheinlich ist, dass Hofmannsthal sich mit Benjamin anlässlich der erwähnten persönlichen Treffen in Berlin (1928) über Rang und dessen Ideen ausgetauscht haben wird. 298 Wolzendorff »geht davon aus, daß der Staat das Recht und das Recht den Staat braucht, aber ›das Recht als das tiefere Prinzip hält letzten Endes den Staat in Banden. Der Staat ist ursprüngliche Herrschergewalt  ; aber er ist es als die Macht der Ordnung, als die ›Form‹ des Volkslebens, nicht als ein beliebiger Zwang durch irgendeine Gewalt.« (PT, 25  ; Markierung  : Hofmannsthal). Das ist dem Hobbeschen Diktum und Schmitts Konzeption des Ausnahmezustands klar entgegengesetzt. Von hier aus ließe sich auch ein Ausblick auf Otto von Gierkes Theorie des Genossenschaftsrechts denken, welche von einer horizontalen Sozialbeziehung ausgeht. Die sich darin ausprägende antiindividualistische (eben soziale, genossenschaftliche) Perspektive auf das Rechtssubjekt wie auch die Orientierung von Gierkes an der Organsstaatstheorie der von Savigny begründeten germanistischen Rechtslehre wären für Hofmannsthal jedenfalls von Interesse gewesen. Vgl. Otto Gierke  : Das Wesen der menschlichen Verbände  ; Berlin 1902. Die kurze Schrift bringt auch Gierkes Theorie von einer fiktiven Staatspersönlichkeit abseits der verfassten Souveränität zum Ausdruck.

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Ist also mit dem Augenblick der Anarchie so etwas wie ›die Geburt der Demokratie aus dem Geist der Freundschaft‹ intendiert, sowie im Schrifttum jene der Nation  ? Das würde bedeuten, dass die Szene das politische Potential eines Ersatzes für das geopferte Kinderkönigreich birgt. In der Tat ist hier Vergleichbares niedergelegt (durch Oliviers baldiges Eintreffen in zweifachem Sinne)  ; die ›demokratischen Anklänge‹ des Kinderkönigs sind im vorigen Abschnitt herausgearbeitet worden. Der wesentliche Unterschied zwischen den »Nackten« der Bühnenfassung und den singenden Knaben der Kinderkönig-Fassungen ist jedoch in erster Linie  : die Gewaltsamkeit. Das neue apokalyptischere Szenario sieht einen pazifizierten Sigismund, dafür aber messianische Brandstifter als sein Gefolge, also an zentraler Stelle eine Umkehrung vor. Die hier zusammentretende Gemeinde ist eine ecclesia militans mit dem Anspruch richtender Gewalt, welche sich nun jedoch um eine Christus-artige Gestalt  : einen wahren Christomimetes anstatt um einen sterbenden Heeresführer versammelt  : »der mit der fack el Wir sind Lichtträger, die Wiedertäufer im Feuer. Du bist unser Licht, und jetzt werden wir den Fürsten der Finsternis mit unsern bloßen Händen erwürgen.«299

Dies ist erkennbar eine Vergemeinschaftung zum Kampf, wenngleich sie nach dieser Szene nicht mehr in Erscheinung tritt. Auch hier hatte Hofmannsthal übrigens zunächst eine Dialektik des apokalyptischen Denkens vorgesehen  : die Aufständischen sind in den Notizen in »Jehovisten« und »Satanisten« unterschieden – man darf folgern  : in gut und böse.300 Die Unterscheidung ist dann letztlich aber als eine zwischen Aufständischen und Namenlosen in den Dramentext 299 SW XVI.2, 210  : Der mit der Fackel. Vgl. die hinsichtlich Sigismunds deutlichere Textstufe  : »DER EINE […] Wir treten an gegen den Fürsten der Finsternis und Du bist unser Führer im Lichte.« (SW XVI.2, 369  ; Varianten). 300 Vgl. »Jehovisten« vs »Satanisten« (SW XVI.2, 278  ; Varianten). Mit den Jehovisten könnten auch die Anhänger einer messianischen Gemeinschaft von Wahlverwandten (Benjamin, Bloch, Buber, Landauer, Rang) zitiert sein. Letztlich werden aus den »Jehovisten« dann die Nackten mit den Fackeln  : politisch betrachtet Menschen im Naturzustand. Hier gibt es eine weitere Analogie, die darauf dringt, dass Hofmannsthal den (Menschen im) Naturzustand jedenfalls nicht als das Nur-Böse betrachtet haben kann  : »[…] er sieht sich dem nackten Unredbaren gegenüber, da will er in sich, das heißt im Volksgedächtnis, das in ihm lebendig ist, das Tiefste, Nackteste ergraben […]« Die Rede ist hier vom Übersetzer, der an die Wurzeln der Sprachen gehen müsse, um seinen Beruf authentisch auszuüben (RA II, 166  : Tschechische und Slowakische Volkslieder). Die sich im Turm stellende, metaphorisch nahe liegende Aufgabe ist natürlich die Übersetzung des Politischen.

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eingegangen. Hintergrund und Feindbild dieses apokalyptischen Messianismus‹, den Hofmannsthal mit dem demokratischen Potential der Szene kurzschließt, sind mit Schmitts Darstellung der anarchistischen Antitheologie in der Politischen Theologie zu verdeutlichen.301 Hofmannsthal markierte sich in diesem Zusammenhang eine Ausführung Schmitts über den Fortgang der Hegelschen Immanenz-Philosophie, welche Gott ins System des Idealismus einbezogen habe  : »Die deutschen Links-Hegelianer waren sich dieses Zusammenschlusses am meisten bewußt. Daß die Menschheit an die Stelle Gottes treten mußte, haben sie nicht weniger entschieden ausgesprochen wie Proudhon.«  ; »Daß dieses Ideal einer sich selbst bewußt werdenden Menschheit in einer anarchistischen Freiheit enden müsse, haben Marx und Engels niemals verkannt.« (PT, 45  ; Markierung  : Hofmannsthal)

Eine solche anarchistische Freiheit – von Julian, dem überwundenen Hirten verflucht – ist in dieser Szene durchaus gegeben  : »Die Herde hat keinen Hirten. Die aber Stäbe und Schwerter in den Händen haben, sind Teufel. An denen vollziehen wir das Gericht. So bist du gerichtet.« verkündet einer der Fackelträger. Die Regieanweisung beschreibt die Aufrührer als gemischte Menge, teilweise »mit strengen Gesichtern und langem Haar«  ;302 gewissermaßen als ein Zitat der Physiognomien Whitmans, Däublers vielleicht auch Landauers (nicht unbedingt von deren Ideen). Erkennbar wird, wer für die Aufständischen der Teufel ist  : zunächt die alte Herrschaft des monarchisch-kirchlichen Legitimismus’. Auch für sie »gibt es daher nichts Negatives und Böses als die theologische Lehre von Gott und Sünde, die den Menschen zum Bösewicht stempelt, um einen Vorwand für ihre Herrschsucht und Machtgier zu haben.«303 Tatsächlich zeigt sich insgesamt 301 Übrigens lohnt für die Betrachtung des zeitgeschichtlichen Kontextes (und den politischen Gebrauch des Freundschaftsbegriffes) auch ein Blick auf die Ansprache Kurt Eisners bei der Revolutionsfeier im Münchener Nationaltheater [17. November 1918]  : »Freunde  ! Die Klänge, die eben an Ihre Seelen gedrungen, malen die Ungeheuerlichkeit eines tyrannischen Wahnsinns  : Die Welt scheint im Abgrund versunken, zerschmettert. Plötzlich tönen aus Dunkel und Verzweiflung die Trompetensignale, die eine neue Erde, eine neue Menschheit, eine neue Freiheit ankündigen. So sah Beethoven das Schicksal der Welt.« Die Ansprache wurde abgedruckt von Michael Doeberl  : Sozialismus, soziale Reform, Sozialer Volksstaat  ; München 1920. 149 f. 302 SW XVI.2, 209  : Einer mit einer Fackel. 303 PT, 55. Anders als für die Marxisten, die über die Zustände auch die Menschen ändern wollten, »ist für die bewußt atheistischen Anarchisten der Mensch entschieden gut und alles Böse die Folge theologischen Denkens und seiner Derivate, zu denen alle Vorstellungen von Autorität, Staat und Obrigkeit gehören.« (PT, 51).

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ein anti-institutioneller, darin wiederum der Lebensreformbewegung verwandter Charakter. »Sigismund  : Wir wollen im Freien miteinander wohnen. Wir sind sehr verbunden  ! Die in Häusern wohnen gefallen mir nicht.«304 Das sind Indizien eines vielleicht nicht spezifisch demokratischen, aber jedenfalls anti-institutionellen (bzw. –staatlichen) Ingeniums, das in die Szene hineingelegt ist. In einer Replik des Inszenierungsvariants kommt es deutlicher zum Ausdruck  : »Das Ziel weiss ich wohl  : dass ich König sein will unter meines Gleichen, aber den Weg zu ihnen weiss ich noch nicht.« Hier stellt sich natürlich die Frage, wer sich widerspruchsfrei als ihm gleich betrachten dürfte  ; und man wird vielleicht mit Eisner/ Landauer schließen können  : »Alle, die reinen Herzens, klaren Geistes und festen Willens sind, sind berufen, am neuen Werke mitzuarbeiten.« Deutlich ist jedenfalls sein Verzicht auf ein souverän herabblickendes, vertikales Prinzip. In einer überlieferten Textstufe zur »Rettung des Königthum[s]« will er »[S]ein Königtum aufrichten ohne Türme  !«305 Im gedruckten Text heißt es dann schließlich  : »Alle, die mir freund sind, sollen beisammen bleiben und mich abholen.« Das ist die politische Faktur oder vielmehr  : Konfession der Freundschaft, die Rang als eine autoritätslose dachte, nach Art der anti-autoritären Umkehrung des Charismas bei Max Weber  : »Aus dem Reich-Staatsgedanken in den engen Zirkel der Freundschaft tretend, kehren wir völlig die Lebensrichtungen um  : […] von unten nach oben gründet das Heiligtum der Freundschaft, gen Himmel.«306 Ein 304 SW XVI.2, 357  : Sigismund. Im Dramentext liest sich die Stelle dann so  : »SIGISMUND betrachtet die Nackenden Das sind unverzierte Menschen. Wir wollen im Freien miteinander wohnen, die in Häusern wohnen, gefallen mir nicht. / DER EINE MIT DER FACK EL Darum werden wir von den Kirchen keinen Stein auf dem andern lassen  : denn Gott versteckt sich nicht in einem Haus.« (SW XVI.2, 212). Die Haus-Metapher kommt jedenfalls häufiger vor  ; hier ließe sich an eine Kontextualisierung mit Emerson bzw. Nietzsche denken. »Emerson hat jene gütige und geistreiche Heiterkeit, welche allen Ernst entmutigt  ; er weiß es schlechterdings nicht, wie alt er schon ist und wie jung er noch sein wird […]« (Friedrich Nietzsche  : Götzendämmerung  ; in  : Werke 2  ; op cit, 998)  ; in Briefen bezog sich Nietzsche auf Emersons Landschaftsbeschreibungen. 305 Hier sei nochmals an Benjamins »Techniken der Übereinkunft« erinnert  : »Weil nämlich die Mitteilbarkeit der Sprache nie als solche erscheinen kann, ist die unbedingte Gleichheit aller sprechenden Wesen, die auf ihr basiert, Fluchtpunkt aller demokratischen Politik.« Juliane Rebentisch  : Zur Unterscheidung  ; op cit, 111. Zitate im Text oben der Reihe nach  : SW XVI.2, 227  : Sigismund  ; Inszenierungsvariant  ; Eisner, Ansprache  ; zit. n. Doeberl, Sozialismus  ; op cit, 151  ; SW XVI.2, 410  : Sigismund  ; Varianten. 306 SW XVI.2, 215  : Sigismund  ; Rang, Shakespeare der Christ  ; op cit, 128. Hingewiesen werden muss in diesem Zusammenhang nochmals auf Kants Idee des »ewigen Friedens«, die zwar sicher nicht auf eine gesetzlose Anarchie aus war, jedoch letztlich auf die funktionale Unnötigkeit von Ge-

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Heiligtum der kollektiv gestifteten Freundschaft ist der Idee nach einem demokratietheoretischen Kontext sehr viel näher  ; vor allem, weil man Sigismund hier wie den Kinderkönig als »Stimme der anderen« (vgl. 4.4) zu verstehen hat. »In Amerika wird das zu dem vernünftig-pragmatischen Glauben, daß die Stimme des Volkes Gottes Stimme sei, ein Glaube, der Jeffersons Sieg von 1801 zugrunde liegt. Tocqueville sagte noch in seiner Schilderung der amerikanischen Demokratie, im demokratischen Denken schwebe das Volk über dem ganzen staatlichen Leben wie Gott über der Welt, als Ursache und Ende aller Dinge, von dem alles ausgeht und zu dem alles zurückkehrt.« (PT, 44  ; Markierung  : Hofmannsthal)307

Die Stimme dieses Gottes aus dem Mund ihres Erlösers (»du bist der Erwählte«) zu hören, nach der sie sich sehnen und zugleich fürchten, treibt auch die Aufrührer an  : »Sprich zu uns«  ; andere glauben, dass Sigismunds Schrei ihre Seele

setzen, da deren Befolgung dem Einzelnen ›inhärent‹, selbstverständlich sein sollte – wenn also eine Haltung jenes »gehorcht, bevor befohlen« erreicht ist. Zu den Bedingungen einer solchen kollektiven Königlichkeit bei Kant schreibt Ottfried Höffe  : »In der Friedensschrift tritt also an die Stelle von Platons Philosophen-König das Volk, mithin an die Stelle herausragender Individuen die Gesamtheit der Betroffenen und zugleich Verantwortlichen. Das Volk darf sich freilich nur dann den Ehrentitel des Königlichen zulegen, wenn es sich den den von der Rechtsmoral geforderten Kriterien unterwirft. Kant rechtfertigt nicht die bloße Demokratie, sondern eine der Rechtsmoral verpflichtete und allein dann ›königliche Demokratie‹. Um legitim zu sein, muß sie sich ›nach Gleichheitsgesetzen‹ beherrschen […]«  ; »Während Platon Wert auf philosophische Freunde legt – die höchste, ungeschriebene Lehre steht sogar nur dem engsten Kreis von Eingeweihten offen –, vertritt Kant das Prinzip Öffentlichkeit, gibt ihr sogar einen transzendentalen Rang.« (Höffe, Königliche Völker  ; op cit, 177 und 176). In der Betonung der Freundschaft unter Gleichen liegt jedenfalls eine Abkehr vom Elitarismus des George-Kreises, welche auch für Benjamin, den »Gegenspieler des Propheten« (Peter-André Alt) kennzeichnend war. Hofmannsthals Skepsis hinsichtlich des Glaubens an die Macht der Öffentlichkeit spiegelt sich hingegen im Schicksal Julians und dann auch Sigismunds (Bühnenfassung). 307 »Zu dem Gottesbegriff des 17. und 18. Jahrhunderts gehört die Transzendenz Gottes gegenüber der Welt, wie eine Transzendenz des Souveräns gegenüber dem Staat zu ihrer Staatsphilosophie gehört. Im 19. Jahrhundert wird in immer weiterer Ausdehnung alles von Immanenzvorstellungen beherrscht.« (PT, 44  ; Markierung  : Hofmannsthal). In der Idee, dass Gott sich in der Stimme des Volkes mitteilt, ist damit eine Vorstellung immanenter Transzendenz. Zu den Immanenzvorstellungen zählt Schmitt den demokratischen Glauben an die Identität von Regierenden und Regierten wie auch die organische Staatslehre, und im wachsenden Maße besonders die Idee des Rechtsstaates bis hin zum System des Positivismus. Der hier unterschwellig mitschwingende Rousseau-Diskurs wird später noch beschäftigen.

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platzen lassen könne.308 Der sterbend zurückgebrachte Julian wendet sich jedoch verzweifelt von dem ab, was er als seine Idee eines »progrès de l’esprit humain« (Condorcet) nicht mehr (an)erkennt. Auch die Anspielung auf die latent anti-demokratische Golem-Sage (vgl. 4.2.3) ist erhalten geblieben  ; erhält in dem veränderten Szenario (vor Oliviers Eintreffen) aber eine andere Prägnanz. Es ist kein Zufall, dass die Tönung des Lehms von Sabine Doran zur Farbe der Moderne als dem Zeitalter der wieder eingetrübten Aufklärung erklärt wurde.309 Julian, der meint, Sigismund das falsche Wort unter die Zunge gelegt zu haben, ist als vormaliger Herold Prometheus’ nun die gefallene Figur der Aufklärung, welche das positive Potential der Situation nicht mehr wahrnimmt  ; obschon Sigismund ihm »das Wort des Trostes in der Öde dieses Lebens«310 zurückgeben will. »Die Kirche und die Freundschaft sind die einzigen möglich bleibenden Formen echter Menschengemeinschaft. […] Die untereinander Freunde sind, weil sie untereinander nichts mehr zu beichten haben sind die Beichtväter der Massen der andern. Denn die Freunde sind die wenigen einzelnen, die das Wort zueinander gefunden haben. […] Sie haben das neue Wort, das Wort der Freundschaft, der Verbindung, das sie mitteilen können.« (Rang  : Heft Tyrtaeus  ; zit.n. Jäger, Messianische Kritik  ; op cit, 144)311

Die »Apokalypse der Aufklärung« nimmt in der Tat kurz darauf Gestalt an  ; allerdings nicht in der Menge der Aufrührer, die für Julian als »individualistische Masse« dem »Volk als mythischer Persönlichkeit« (die sein »Werk«, aber »erbärmlich« ist) gegenüberstehen.312 Sie betrachten Sigismund vielmehr als ihren »erwählten Herrn«. Tatsächlich markiert Julians Ableben in der Bühnenfassung (mit dem »Nichts«, seinem Todeswort) gewissermaßen die Nullstelle aller staatlich verfassten Gewalt und Ordnung. Sigismund soll des Toten nicht ach308 Die Aufrührer werden wie erwähnt in den Notizen gelegentlich als »Jehovisten« und »Satanisten« unterschieden (worin sich eine ambivalente Anthropologie der Masse abzeichnet)  ; Die Ersteren erbitten von Sigismund  : »Du siehst die Stadt die niemand sieht  ! Zeige sie uns  ! Wir werden dir ein crystallenes Reich errichten  !« (SW XVI.2, 360  ; Varianten). Erneut ist hier die Metaphorik eines Kollektivkörpers präsent  : »Jehovist sieht S. als riesengroß. Unter s. Füssen umarmen wir uns  ! Volk  : sieh unsere Standarte  : Deine  ! Du bist der Erwählte.« (SW XVI.2, 361). 309 Zuvor  : DD, 146  : Bonald  ; Sabine Doran  : Gelbe Momente  : ästhetische Materialität in Hofmannsthal und der Avantgarde  ; Inaugural-Dissertation, Berlin 2004 (Freie Universität). 310 SW XVI.2, 210  : Sigismund. 311 An die oben zitierte Notiz zu Bodenhausen sei erinnert. In diesem Kontext ist auch der Ausruf »Du bist der Erwählte« zu sehen, das ist der »erwählte Herr« der Bodenhausen-Aufzeichnungen. 312 Mann, Betrachtungen einer Unpolitischen  ; op cit, 266.

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ten  : »denn du wirst ewig bei uns bleiben« wie ihm die Fackelträger verheißen.313 Der pouvoir constituant verlässt nach dieser Vorstellung nicht nur sozusagen »jede Form, bevor sie erstarrte«, sondern geht in der lebendigen Gemeinschaft der »Gefreundeten« auf. Hofmannsthal hat tatsächlich mit großer Umsicht darauf geachtet, in diesem Moment auch nicht den Hauch einer Gründungsgewalt in Sigismund zu verkörpern. Er bedauert den Tod seines Lehrers, Befehle gibt er keine. Das einzige, was er vor dem harrenden Volk von sich gibt, ist ein leises, wie träumendes »Ja, ich werde mit Euch hinausgehen.« Bevor es allerdings soweit ist, treten Kräfte auf, die das verhindern und Sigismund für sich verwenden wollen. Doch diesmal kommt kein Schmied dem Prinzen zu Hilfe (denn Indrik ist mit der Bühnenfassung erstens Lette und zweitens Anhänger Oliviers geworden). Der Moment, der die Gründung einer neuen Ordnung aus dem Chaos durch die Mächte des Friedens und der Verständigung hätte sein können, hätte sein müssen, wird von dem ›modernisierten‹ bzw. ›versachlichten Teufel‹ Olivier als neuem Gewalthaber alsbald kühl beendet. Julian ist in dieser Fassung vor Oliviers Eintreffen verstorben  ; man kann also von einem kurzen Aussetzen der Herrschaft, einem Innehalten im politischen Wechsel der Formen sprechen, einem Zusichkommen und Zurückgreifen auf dessen Ursprung, das sich in Sigismund verkörpert. Es ist darum als Zwischenergebnis zur politischen Idee des fünften Aktes festzuhalten  : Es liegt hier zu Beginn eine demokratische Urszene vor, in deren anarchischem Kontext so etwas wie die ›politische Theologie der Demokratie‹ zur Verhandlung kommt.314 Wie schon oben angemerkt, hat Hofmannsthal sich eine weitere Stelle aus der Politischen Theologie notiert, es ist das Engels-Zitat »Das Wesen des Staates wie der Religion ist die Angst der Menschheit vor sich selber.«315 Den Gehalt dieser 313 SW XVI.2, 210  ; Der mit der Fackel. Es sei nochmals an den modernen Übergang des Ewigkeitsglaubens vom zweiten Körper des Königs auf das Volk erinnert  : »Denn wie der ständige Strom des Wassers dem Fluß eine ewige Dauer verleiht, so macht die Abfolge von Geburt und Tod das Volk unsterblich.« (Manow, Schatten des Königs  ; op cit, 108). Vgl. hierzu nochmals auch die schon zitierte Ansprache Kurt Eisners  : »Die Vergangenheit ist tot und (mit erhobener Stimme) wehe denen, die versuchen sollten, diese fluchbeladene Vergangenheit neu zu beleben.« (Eisner, zit. n. Doeberl, Sozialismus  ; op cit, 151). 314 Es wird in der kurzen Zeit der Herrschaft Sigismunds (ab dem Moment, in dem er zu den Aufständischen spricht, bis zu dem ihn lähmenden Trommelwirbel) tatsächlich »gehorsamt, bevor befohlen«. Das Ideal einer (auch sprachlich) gewaltfreien Herrschaft nimmt in Sigismund Gestalt an (vgl. PT, 23  : Krabbe). 315 PT, 45  : Engels  ; von Hofmannsthal markiert und auch notiert  ; RA III, 587  ; Aufzeichnungen [1926].

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Aussage zeigt der Turm in voller Ambivalenz – denn die Erkenntnis der vorigen Kinderkönig-Fassungen, dass diese Angst letztlich unbegründet ist, stellt die Bühnenfassung wieder ins Zwielicht. Hier zu unterscheiden bedarf es einer Interpretation, die sich in die politische Mikrostruktur der heraufziehenden Katastrophe vertieft. Die Frage ist an dieser Stelle auch  : wann erreicht der sich abrollende Zeitstrang des geschichtlichen Dramas seine (Hofmannsthals) ›Jetzt-Zeit‹  ? Wann holt er die Weimarer, die erste Österreichische Republik ein  ? Hier soll für die Möglichkeit plädiert werden, dass es diese Szene ist, welche die Revolution 1918 (der in Österreich das ›Zwischenspiel‹ der Regierung Lammasch/Redlich vorausging) zitiert, und dabei in nicht allzu schwarzen Farben malt – die Konsequenzen dieser Gemengelage danach hingegen sehr. Hier fragt sich, ob Hofmannsthal die zeitgeschichtlich folgende Republikanisierung derartig schwarzmalerisch als Allegorie der souveränen Diktatur eines modernen bzw. mordenden Geistes auf die Bühne bringen wollte – oder ob hier nicht eher einer Furcht vor deren Schutzlosigkeit gegen eine totalitaristische Machtergreifung gleichwelcher Couleur Ausdruck verliehen ist. »Die absolute Monarchie hatte in dem Kampf widerstreitender Interessen und Koalitionen die Entscheidung gegeben und dadurch die staatliche Einheit begründet. Die Einheit, die ein Volk darstellt, hat nicht diesen dezisionistischen Charakter  ; sie ist eine organische Einheit, und mit dem Nationalbewußtsein entstehen die Vorstellungen vom organischen Staatsganzen.« (PT, 44)

Inwiefern Hofmannsthal die kurze Phase zum Ende der österreichischen Monarchie mit Redlich als Finanzminister, Andrian als Direktor des Burgtheaters und vielen weiteren »Gefreundeten« als den Nukleus eines arkadienhaften, von zerfallener traditionaler Macht befreiten, organischen Gemeinwesens erschien, muss dahingestellt bleiben  ;316 seine Abgrenzung gegenüber dem militärisch straff 316 Es ist in diesem Zusammenhang daran zu erinnern, dass Hofmannsthals Freund Josef Redlich anscheinend Freimaurer war. Das bereits erwähnte Buch von Marcus G. Patka Freimaurerei und Sozialreform in Österreich (op cit, 2011) belegt jedenfalls eine Entwicklung zur Sozialdemokratie hin. Hofmannsthal wäre für dahingehende Bekenntnisse – sofern man sie überhaupt als denkbar annehmen wollte – als »habsburgischer« Autor seinem Publikum und Bekanntschaften nach viel zu festgelegt gewesen (Hofmannsthals Schwierigkeiten mit den Salzburger Festspielen, welche von rechtskonservativer Seite einen dauernden – teils antisemitischen – öffentlichen Druck unterlagen, sind hier das beste Beispiel  ; vgl. hierzu Norbert C. Wolf  : Ordnungsutopie oder Welttheaterschwindel  ?   ; op cit, 242/243. Zu Hofmannsthals Monarchismus vgl. Perrig, Zwanziger Jahre  ; op cit, 27 f.

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organisierten preußischen Corpsgeist fällt ab 1917 jedenfalls immer deutlicher aus.317 Die Idee Österreich verband er hingegen mit Ausdrücken wie »Seelenklima«, »wahrer Organismus«, der nicht Teil an der »Mechanisierung des Geistigen« gehabt habe (was die Mechanisierung im Politischen einschließt), wie etwa Preußen, und zudem eine Integration des »nationalen Problems« geleistet habe.318 In der Tat schien ihm dies wohl im republikanisch-nationalen Nachfolge-Staat »Deutsch-Österreich« verloren zu gehen. Für Hofmannsthal war dies nicht viel mehr, als ein fortgesetzter politischer Gebrauch des Namens eines politischen Gebildes, das seine ursprünglich zugrunde liegende Idee verloren hatte. Hervorgehend aus »dem Volksganzen, dem Geschichte und Sprache uns verbinden […]« waren für Hofmannsthal (symbolisch mit der Gestalt der Kaiserin Maria Theresia) die »Formen, in denen sich dies vollzog  : Herrschen und Beherrschtwerden, […] dahin, und für immer. Was dieser Welt Mittelpunkt war, ein Wesen, wunderbare Einheit von Sendung und Begabung, ist geschichtliche Gestalt geworden […]«  ; »Die geschichtliche Gestalt, so wie die mythische, lebt in der Landschaft fort.« (RA III, 204 und 200  : Geschichtliche Gestalt [1925])

Dass Sigismund mit den Aufständischen, die sich als sein Volk verstehen, in »ein weites offenes Land« ziehen möchte, ist in diesem Zusammenhang als die Möglichkeit zur Rettung, Überlieferung all dessen, was in der Gestalt geistig als politische Idee angelegt ist, zu verstehen.319 Man könnte auch hier davon sprechen, dass 317 Im Privaten wurde er nach Kriegsende einmal ganz deutlich  : »Sie sagen ›Teuflisches Weltgeschehen‹, ja, aber ein deutscher Sieg wäre schlimmer gewesen, und verderblicher für die Welt und nach innen.« (Hofmannsthal an Ludwig von Hofmann  ; Brief vom 23. August 1919  ; zit. n. Oswalt von Nostitz  : Hofmannsthal und das Berliner Ambiente. Persönliche Begegnungen  ; in  : U. Renner/B. Schmid (Hg.)  : Hugo von Hofmannsthal. Freundschaften und Begegnungen mit deutschen Zeitgenossen  ; Würzburg 1991. 55–72  : 57. 318 Vgl. hierzu RA II, 457 f.; Die österreichische Idee [1917] und das darauf folgende Schema Preuße und Österreicher. Ein wichtiges Zeugnis für die Art dieser Abgrenzung ist auch eine 1916 gehaltene Rede  : »[…] die alte Idee deutschen Wesens, im Deutschen Reiche offenbart, aber nie völlig verkörpert […] Hier nahm sie ein für allemal Körper an.« (RA II, 23  ; Österreich im Spiegel seiner Dichtung [1916]). Diese Filiation sei »Charisma oder Stigma, Gnadenszeichen oder Leidenszeichen« (ebd., 24). Mit anderen Worten  : Österreich war für Hofmannsthal das ›eigentliche‹ Deutschland. 319 »[…] er versammelt die zerstreuten Züge des deutschen Gemeinwesens, wie eines abwesenden Freundes  ; er möchte, was in die Schicksale, in die Gedanken dieser großen Nation eingegriffen – und was hat denn nicht eingegriffen  ? – […] zusammenfügen  ; er kann nichts Geringeres

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der Volksgeist (und nicht das Volk) für einen Moment souverän geworden ist. Der ideelle Gehalt dieser »Kirche auf Rädern«, als welche »Einige« ihn »aufheben und hinaustragen«, durch das Land führen wollen (Hofmannsthals Metapher auch für die Sprache), ist nach diesem Prospekt ihrer Skizze zuletzt nur aus dem tragischen Schicksal der Gestalt ganz zu entnehmen  ; denn zu ihrer Rettung kommt es nicht.

5.4 »So ist immer gehandelt worden wo eine neue Ordnung gegründet wurde.« 320 Die politische Mechanik des modernen Bösen »La force est une puissance physique  ; le pistolet que le brigand tient est aussi une puissance (Contrat social I, 3). Die Verbindung von faktisch und rechtlich höchster Macht ist das Grundproblem des Souveränitätsbegriffes.« (PT, 20  ; von Hofmannsthal markiert) »Olivier tritt herein, ganz in Eisen und Leder, Pistolen im Gürtel, einen Sturmhelm auf, eine kurze eiserne Keule in der Hand. Hinter ihm Jeronim, der Schreiber, und der Lette Indrik, diese auch mit kurzen Piken bewaffnet.« (SW XVI.2, 212)

Das Idyll eines »politischen Gesprächs« zwischen Volk und Volksgeist im somit parlamentarisch gewordenen Palast endet abrupt und bevor eine konkrete Vereinbarung gefunden ist. Olivier beherrscht die Szene bereits vor seinem Auftreten, ein scharfer Trommelwirbel und herannahende Schritte jagen Sigismund Furcht und Schrecken ein. »SIGISMUND sehr angstvoll Wer sind denn aber die, die jetzt hereintreten  ? / DER EINE NACK EN DE Das sind die ohne Namen, die bis nun über uns den Befehl geführt haben. Dich aber setzen wir über sie. So komm auf unsere Schultern und sprich zu ihnen von oben. / SIGISMUND Nein, jetzt tritt einer herein, dem muß ich mich stellen.« (SW XVI.2, 212)

unternehmen als den Bau einer Welt, weil die Welt, für die er geboren worden, wirklich zerfallen ist.« (Adam Müller, Reden über die Beredsamkeit  ; op cit, 56). 320 »Ich u. einige  : wir nehmen dem Volk die Last seiner Freiheit ab. Damit es nicht schwindlich werde So ist immer gehandelt worden wo eine neue Ordnung gegründet wurde. Arzt fällt nieder.« (SW XVI.2, 377  : Olivier).

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Dieses kurze Beispiel verdeutlicht zunächst nochmals, dass die Figuren im Trauerspiel alles andere als Charaktere sind. Denn dieses plötzlich furchtsame und resignierte Verhalten nach dem zuvor ersehnten Bad in der Menge ist psychologisch kaum zu erklären  ; hier ist offenbar eine Art von Vorsehung (laut Benjamin galt der Melancholiker im Barock als Visionär) am Wirken. Zugleich ist damit ein möglicher guter Ausgang des Geschehens verbaut. »Das Volk gibt Raum.« – dies ist die allegorisch prägnante Sentenz zur katastrophalen Entwicklung des Dramenschlusses  ; sie findet sich im Regietext nach Oliviers Auftritt. In dieser Feststellung ist eigentlich bereits alles enthalten – die revolutionäre Menge ist offenbar vor ihrem »König« Sigismund zum Volk geworden, der Moment eines herrschaftsfreien sich selbst Gegenübertretens des Volkes in der Gestalt des Volksgeistes (als dem Quietiv zugleich seines Willens) damit aber vorbei. Der alte Abstand zur Macht (der Sinn jeder Repräsentation) wird mit einem Wink wiederhergestellt (und erheblich schärfer), nachdem Olivier die Lage sondiert hat. »EINER Das ist der Erwählte  ! Er soll auf einem Glockenwagen vor uns fahren. […] EIN DRIT TER  : Vor seinen Füßen werden sich alle küssen, und der Wolf wird das Lamm umarmen. […] OL IV IER Gut. Es wird so angeordnet werden. Ich kenne ihn [ Julian]. Er war dein Kerkermeister. Er hat dich gehalten, ärger wie einen Hund, und jetzt ist ihm vergolten. […] Schafft den toten Jesuiten hinaus. SIGISMUND Nein, traget ihn da hinein und leget ihn auf mein Bette. Einige heben Julian auf und tragen in ins Nebenzimmer. OLIV IER Vorwärts, gebt Luft hier. EIN Z W EITER MIT EINER FACK EL gegen Olivier gerichtet Wir kennen keine Obrigkeit  ! Wollt ihr ohne Namen euch aufwerfen – so wird man euch richten. OLIV IER Irrtum  ! Es ist keine Obrigkeit – aber es sind die, denen ihr auferlegt habt, zu sorgen, daß getan werde, was getan werden muß. – Lasset mich jetzt allein mit diesem Menschen. Aron, Jeronim und Indrik halten ihre Piken quer und drängen das Volk aus dem Saal. (SW XVI.2, 213)

Die Chance zur (direktdemokratischen) Gemeinschaft ist damit vertan  : »Das Volk weicht lautlos zurück, alle mit den Augen auf Sigismund.« Dieser ist nun dem neuen Machthaber ausgesetzt. Sigismund kann zwar einmal seinen Willen gegen den Befehl Oliviers durchsetzen – die Leiche Julians wird nicht hinausgeschafft, Olivier nimmt dies jedoch mit souveräner Gelassenheit hin und fährt fort, den

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Geschehensablauf zu bestimmen.321 Ein rigides System diktatorischer Macht installiert sich nun im Palast, dessen raumgreifenden Eindringen eine gespenstische Unsichtbarkeit und Stille der Inkubationszeit vorausging – während im Palast die repräsentationslose Gemeinschaft reifte – das ist von Hofmannsthal höchst wirkungsvoll inszeniert. Auffallend ist eine Vielzahl von Wiederholungen, was den Geschehensablauf und auch einzelne Repliken anbetrifft, die sich mit Peter-André Alt als Stilmittel der Dramatisierung des (modernen) Bösen lesen lassen.322 Die Rolle von dessen Agenten im Stück ist klar vergeben. Es sind jene Kräfte, die das Wunder aus der Welt schaffen, um den modernen Staat zu errichten, den sie zugleich der ständigen Bewegung unterwerfen. In den solchermaßen verschlungenen Motiviken von gut und böse, von gemeinschaftlichem und ökonomistischen Denken im zur Anschauung gebrachten geschichtlichen Prozess wird der Turm zuletzt zu einer Sonate auf den Totalitarismus, die jedoch – in allegorischer Ausweglosigkeit – mit dem Kontrapunkt endet. 5.4.1 Enthaltung und Entscheidung. Das Verhängnis des Ausnahmezustands »SIMON Das ist es eben. Sie haben die Losung verändert. Es ist überhaupt alles anders. – Vom neuen Herrn König ist keine Sprach. Von Euer Exzellenz ist keine Sprach. Der ohne Namen hat jetzt drüben alles in der Hand.« (SW XVI.2, 205  : Simon)

Simons Beschreibung der Situation macht deutlich  : hier handelt es sich nicht um einen bloßen »Dekorationswechsel«, hier hat die Intrige anders durchgegriffen.323 Das Hinaustreiben der Aufständischen aus dem Palast bringt eine Konstellation, die dem Untertitel zu Agambens Homo sacer vollauf entspricht  : »Die souveräne Macht und das nackte Leben«. Nach Oliviers Erklärung, dass er zwar keine Obrigkeit repräsentiere, aber das zu tun gedenke, »was getan werden muß« (also was er will), ist seine Anrede Sigismunds nach Ausschluss der ›Öffentlichkeit‹ äußerst 321 In den dichterischen Fassungen hieß es noch »Hab ich dich, damit du mir Insubordination prästierst  ?« (SW XVI.1, 96). 322 Vgl. Alt, Ästhetik des Bösen  ; op cit, 239 f. Kapitel  : »Die Wiederholung als literarische Erscheinungsform des Bösen«. 323 Dies hat wiederum mit der vorangeschrittenen Zeit zu tun »Die barocke Intrige vollzieht sich, man darf es sagen, wie ein Dekorationswechsel auf offener Bühne, so wenig ist die Illusion in ihr gemeint, so aufdringlich die Ökonomie dieser Gegenhandlung betont.« (GS I 1, 254  ; Trauerspiel). ›Barocker‹ war in diesem Zusammenhang noch Julians Vetreibung der Woiwoden aus dem Palast.

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barsch  : »Ich habe mit dir zu reden, und du wirst mir Antwort geben.«324 – der Kommissar lädt also zum Verhör vor. Die Figur des Kommissars wird hier auch deshalb in Anschlag gebracht, weil sie in Schmitts Studie zum Diktatur-Begriff der bedeutendste Typus für dessen Entwicklungsgeschichte ist. Hierbei ist nochmals darauf hinzuweisen, dass der Typus der kommissarischen Diktatur mit dem Königtum faktisch untergeht. Denn ohne die Person des Königs, in welcher sich die Souveränität (natürlich) verkörpert, wird diese Stelle dann durch den natürlichen Körper des Diktators besetzt. Wo diesen nicht einmal eine Verfassung ›behindert‹, wird er dauerhaft souverän. Das gilt es im Vorfeld der Betrachtung des Dramenausgangs zu beachten. »Die im Namen des pouvoir constituant handelnden Repräsentanten sind […] formal unbedingt abhängige Kommissare, deren Auftrag aber inhaltlich nicht zu begrenzen ist.« (DD, 144)  ; »Das martial law bezeichnet demnach einen der sachtechnischen Durchführung einer militärischen Operation freigegebenen Raum, in dem geschehen darf, was nach Lage der Sache notwendig ist.« (DD, 174)

Olivier möchte nach Räumung des Thronsaales feststellen, wie er Sigismund für seine Zwecke gebrauchen kann. Der auf Sigismunds Wunsch verbliebene Anton ist diesem hierbei keine Hilfe, stattdessen zeigt sich die Wirkung des fatalen Requisits (des »eisernen Dings« in Oliviers Faust) auf den Höfling, der sich ihm sofort unterwirft. Sigismunds Anweisungen (die nicht diesen dezisionistischen Charakter haben)325 negiert er sogar offen, jeweils mit dem Verweis auf Oliviers Macht  : »[…] der hat jetzt viel zu sagen«  ; »Achten auf den Herrn, der vermag viel  !«326 In dieser zweiten Replik Antons versteckt sich sogar ein Zitat des pou324 SW XVI.2, 214  : Olivier. Die Legitimationsformel des bloßen Vollzugs der absoluten Notwendigkeit zeitigt übrigens bis heute Wirkung – in der Sekundärliteratur. Twellmann nimmt aufgrund dieser Repräsentationsverweigerung an, dass keine Souveränität mehr bestünde, da der Ausnahmezustand (den er zu Recht noch grundsätzlicher als Naturzustand bezeichnet) nicht entschieden würde (Twellmann, Drama  ; op cit, 158) – das genau ist aber in beiden Endversionen der Fall  : Einmal durch Sigismund, der dann vom Kinderkönig als Gestalt eines literarisch durchgeführten pouvoir constitué abgelöst wird, und hier durch Olivier, dessen Herrschaft im Folgenden noch genauer zu qualifizieren sein wird. 325 »Das Ideal des unbedingt herrschenden Willens wäre der militärische Befehl, dessen Bestimmtheit der Promptheit, mit der er befolgt werden soll, entsprechen muß. Eine solche Bestimmtheit des Befehls ist freilich nicht die Bestimmtheit rechtlicher Form, sondern die Präzision einer Sachtechnik.« (DD, 144). 326 Hofmannsthals Umarbeitung sieht einen dreifachen Verrat Antons in dieser Szene vor, was der Gestalt etwas Petrushaftes verleiht  : »SIGISM U ND Anton, mich dürstet. Bring mir zu trinken,

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voirs. Wenn Twellmann hinsichtlich Oliviers schreibt  : »Mitteleuropa, das ist die Friedensordnung des Reichs, die Hofmannsthal bedroht sieht durch ordnungslose Gewalt«, dann kann dies nur für den Olivier der dichterischen Fassungen gelten. Für den modernisierten Olivier der Bühnenfassung müsste der Satz genau umgekehrt lauten,327 denn die Anarchie weicht der Grabesruhe einer emblematischen Organisation des Sozialen. Die politische Kontrapunktik der vorigen Fassungen wird hier mit Sigismund als Figur der Rechtsidee, der Gerechtigkeit und der Legitimation, Olivier (auf einer »höheren Ebene«) als Vertreter des staatlichen Gewaltmonopols anders besetzt. Denn mit Olivier marschiert gleichsam der bewaffnete pouvoir constitué ein, der behauptet, die neue politische Ordnung, die forma formata durchzuführen, und hierfür zunächst die Bedingungen schafft, indem er den Ausnahmezustand verhängt. Es ist die letzte im Turm inszenierte ›Herrschaftsform‹, welche die vormalige, aus der forma formans des pouvoir constituant hervorgehende Abfolge politischer Formen nun als ein stählernes Gehäuse beschließt. Sie folgt auf Julians gescheiterten cäsaristischen Versuch, der mit der wiederholten Bezeichnung als »Jesuit« von Olivier diffamiert werden soll.328 Anton.« Dieser stellt jedoch stattdessen schweigend einen Kerzenleuchter auf den Tisch. »SIGISMUND […] Anton, schau hinaus, wo sind denn jetzt die, mit denen ich Freundschaft geschlossen habe  ? Ist der Doktor bei ihnen  ? / A NTON Achten lieber auf den Herren da, der hat jetzt viel zu sagen. […]«  ; »SIGISMU ND zu Anton Alle, die mir freund sind, sollen beisammen bleiben und mich abholen./ A N T ON Achten auf den Herrn, der vermag viel  !« (SW XVI.2, 214/215). Die Gütigkeit der Figur, die Hofmannsthal ohne österreichischen Dialekt auch in Berlin betont wissen wollte (vgl. SW XVI.2, 383  ; Zeugnisse), vermittelt sich hier nur sehr bedingt. 327 Zitat  : Twellmann, Drama  ; op cit, 140. Auch Twellmann, der an dieser Stelle eine Deutung der politischen Gesinnung des Autors ausschließt, konzediert  : »Daß Hofmannsthal Olivier als Bolschewik auftreten läßt, ist zunächst insofern relevant, als damit […] auch eine bestimmte Kritik autoritärer Herrschaft im Drama vorkommt.« (ebd., 141). Die Lenin-Zitate zur »eisernen Diktatur« aus Die nächsten Aufgaben der Sowjet-Macht (1918), welche Twellmann in diesem Zusammenhang einbringt, dann als Vorlage für den neuen Habitus der Figur aber doch nicht gelten lassen will, sind vollkommen einschlägig (wenn auch nicht allein). Ein Blick auf den in der Kritischen Ausgabe gut dargestellten Bezug Hofmannsthals auf Fülöp-Millers Buch Geist und Gesicht des Bolschewismus (1926) schafft hier Klarheit. 328 Hofmannsthal kann aus Julian, dem Herold der Aufklärung und Volkserziehungs-Despoten in seinem Drama, nicht einen jesuitischen Diktator gemacht haben wollen. Keineswegs ist Julian als »Repräsentant« der Jesuiten zu lesen, wie Twellmann, gestützt auf Oliviers ›Aussage‹, annimmt (Twellmann, Drama  ; op cit, 141). Die Erläuterungen des Figurenhintergrundes unter 4.1.2 und 5.2.2 sind hier nicht zu wiederholen. Dass allerdings auch Benjamin Sigismund mit einem »Priesterzögling« verglich (vgl. GB III, 373), mag die Beschäftigung mit der Bühnenfassung und den Besuch von deren Inszenierung zum Hintergrund gehabt haben. Der Turm ist eben kein Kloster, Julian kein Jesuit (sondern erbitterter Gegenspieler des Ignatius), die Bedingungen

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Diese Abfolge mit der ›Nullstelle‹ staatlicher Ordnung, dem Abgrund gewissermaßen zwischen Repräsentation und politischer Bedeutung, findet in der Diktatur ihrer Mechanik nach ein klares Vorbild  : »Der Inhalt der Tätigkeit des Legislators ist Recht, aber ohne rechtliche Macht, machtloses Recht  ; die Diktatur ist Allmacht ohne Gesetz, rechtlose Macht. […] Hier ist der Gegensatz zwischen machtlosem Recht und rechtloser Macht schon so extrem, daß er umschlagen muß. Der Legislator steht außerhalb des Staates, aber im Recht, der Diktator außerhalb des Rechts, aber im Staat. Der Legislator ist nichts als noch nicht konstituiertes Recht, der Diktator nichts als konstituierte Macht. Sobald sich eine Verbindung einstellt, die es ermöglicht, dem Legislator die Macht des Diktators zu geben, einen diktatorischen Legislator und einen verfassungsgebenden Diktator zu konstruieren, ist aus der kommissarischen die souveräne Diktatur geworden. Diese Verbindung wird bewirkt durch eine Vorstellung, die inhaltlich die Konsequenz des Contrat social ist, die er [d.i. Rousseau] aber noch nicht als eine besondere Gewalt nennt, den pouvoir constituant.« (DD, 129  ; von Hofmannsthal markiert)

Eine solche Verbindung (von forma formans und forma formata) ist in den dichterischen Fassungen im Übergang der Herrschaft von Sigismund auf den Kinderkönig als ein endgültiger geglückt. Die Bühnenfassung zeigt hingegen erst das Scheitern des Versuchs solch authentischer Umsetzung zwischen Julian und Sigismund, und dann den völligen Abbruch ihrer Möglichkeit durch Olivier – das nämlich ist die »bestimmte Kritik autoritärer Herrschaft im Drama« (Twellmann). Sigismund ahnt diese Machtergreifung im Gewand vorgeblicher Demut, eine Notiz bringt die Wiedererrichtung absoluter Herrschaft auf den Punkt  : »Sig (zu O. in Bezug auf Basilius) DU bist sein richtiger Nachfolger  !)«.329 Da sie jegliche Transzendenz (und damit eben auch Legitimation) negiert, bleibt sie Diktatur. Dass die »Diktatur des Proletariats« als souveräne Diktatur zu betrachten sei, hat Schmitt in seiner gleichnamigen Schrift ausgeführt. Die in den »Varianten« auftauchenden »Bolschewistische[n] Beschimpfungen«330 Oliviers gegen des Aufwachsens allerdings auch nicht (ganz) die eines Kaspar Hausers, der in diesem Zusammenhang als Verbrechen eines experimentierenden aufgeklärten Geistes ebenfalls zu nennen wäre. Die sprachliche Prohibition gilt ja ›nur‹ für die Öffentlichkeit. 329 SW XVI.2, 334  : Sigismund. Zuvor  : Twellmann, Drama  ; op cit, 141. Eine Vorstufe zu Basilius Beschreibung seiner eigenen, im Ring symbolisierten Prärogative lautet  : »Sie heben den Lauf der Gerichte auf. Sie legen den Griff des Richtbeils unmittelbar in die Hand des Trabanten, der dich auf einem nächtlichen Gang begleitet.« (SW XVI.2, 390  : Basilius). Eine solche Exekutivgerichtsbarkeit wird nachfolgend auch noch für Olivier nachzuweisen sein. 330 Vgl. DD, 205  ; SW XVI.2, 278  ; Varianten. Für die »Namenlosen« im Turm kommt auch das

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die Aufständischen verweisen daher nochmals auf die Frontstellung zwischen dem gemeinschaftstheologischen Anarchismus und dem namenlosen Bolschewismus, welcher deutlich als Usurpation des demokratischen Gedankens mit bloßem Legitimationsplacebo inszeniert wird. Olivier versucht zunächst sogar noch, Sigismund von seinem zynischen Programm zu überzeugen, unterschätzt den ehemaligen Gefangenen jedoch, den er nur als »Tier im Turm« (Politzer) kennengelernt hat. »OL IV IER […] Die Klugen werden wir zu uns ziehen, auf den Dummen aber werden wir reiten. Also komm, und man wird sehen, wozu du verwendbar bist unter denen die anordnen. SIGISMU ND mit Verachtung Wer ist das, der dir Macht gegeben hat, daß du sie unter andere austeilst  ? OLIV IER Siehst Du das eiserne Ding da in meiner Hand  ? So wie dies in meiner Hand ist und schlägt, so bin ich selbst in der Hand der Fatalität. (SW XVI. 2, 215)

Dieser Fatalität, so sehr sie auch als Oliviers Rechtfertigung die Stelle Gottes zu usurpieren vorgibt, sieht sich Sigismund allerdings entzogen (»denn ich bin da und nicht da  !«), folglich hält er sich als autonome Gestalt (»Denn ich bin für mich«) nicht Oliviers Befehlen (»Dazu hab ich dich und deinesgleichen, damit ich euch auferlege, wozu ich euch brauchen will«) unterworfen  : »Also hast du mir nicht zu gebieten.« Die Unterscheidung von ›befehlen‹ und ›gebieten‹ ist auch hier wieder präsent. Als Figuration des Ausnahmefalls, der das »Wesen der staatlichen Autorität am klarsten« erweist (also hier das Oliviers), enthält er sich – während diese »Autorität beweist, daß sie, um Recht zu schaffen, nicht Recht zu haben braucht«.331

Programm der Weltkonferenz der III. Kommunistischen Internationale in Moskau 1920 mit den »Leitsätzen über die Grundaufgaben der Kommunistischen Internationale als Vorbild in Betracht – hier geht es um die Formation und Kaderschulung der Partei im Geheimen zur Vorbereitung der Weltrevolution, die erst bei gesicherten Erfolgsaussichten in den einzelnen Ländern durchgeführt werden sollte. Vgl. hierzu Ekkehart Krippendorf  : Staat und Krieg. Die historische Logik politischer Unvernunft  ; Frankfurt/Main 1985. 116 ff. »Die verstaatlichte Revolution«. 331 »Der Ausnahmefall offenbart das Wesen der staatlichen Autorität am klarsten. Hier sondert sich die Entscheidung von der Rechtsnorm, und (um es paradox zu formulieren) die Autorität beweist, daß sie, um Recht zu schaffen, nicht Recht zu haben braucht.« (PT, 14  ; Markierung  : Hofmannsthal). Eindeutig davon zu unterscheiden ist die Idee einer geistige Autorität, die Hofmannsthal dieser politischen Variante diametral entgegensetzt.

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»SIGISMU ND Ich sehe, du hast einen Stiernacken und die Augen eines Hundes. Also taugst du gut zu dem Geschäft, das dir aufgegeben ist. […] Solche, wie du bist, habe ich in meinem Kofen schon immer um mich sitzen gehabt.« (SW XVI. 2, 216)

Auf diese fundamentale Absage, die willentliche Unbrauchbarkeit für alle (als bestialisch identifizierte) Machtausübung, reagiert der hier ins Bildfeld des Behemoth gerückte Olivier mit der Entscheidung, Sigismund erschießen zu lassen. Drei Mal schüttelt Olivier »mit furchtbarer Drohung« den Kopf, ruft dann, seine Entscheidung »Es ist genug« dreimal wiederholend, seine drei Adjutanten herein – diese auffällige Betonung der Wiederholung impliziert bereits Satanisches. Der sich nach und nach enthüllende Plan ist es auch. Dieses Kopfschütteln, das wird anschließend ersichtlich, markiert zugleich die Entscheidung über den Ausnahmezustand durch den Revolutionskommissar  ; und dieser ist allerdings von einem anderen Kaliber, als die von Benjamin in ihrer Harmlosigkeit beanstandeten »Ränkeschmiede« früherer Epochen. Er vollzieht eine Setzung von Gewalt (im Sinne von violentia) anstelle von Gerechtigkeit und die Installation einer Ordnung gegen den Willen der zum Volk vereinten Aufständischen und ihrer Symbolfigur,332 dem dadurch gewissermaßen »parlamentarischen König« Sigismund, in dem sie alle hätten zu Wort kommen sollen. 5.4.2 Der Betrug am Demos (I)  : Revolutionäre Souveränität heißt  : souveräne Diktatur »Ihr bleibt in Rufweite, meine Adjutanten, alle drei. Zu Aron, noch leiser Diese Brandstifter mit den Fackeln absondern im Hof. Mit verläßlichen Leuten umgeben, ohne Aufsehen.« (SW XVI.2, 214  : Olivier) »Daß Leiter und Verwaltungsstab eines Verbandes der Form nach als ›Diener‹ der Beherrschten auftreten, beweist gegen den Charakter als ›Herrschaft‹ natürlich noch gar nichts. Es wird von den materialen Tatbeständen der sogenannten ›Demokratie‹ später gesondert zu reden sein.« (WuG, 124)

In den Vorstufen kommt Oliviers Strategie der Initiierung eines Legalitätsglauben noch deutlicher zum Vorschein  : » Das w a s g e m a c h t w e r d e n muss wird

332 »Die zwei Elemente des Begriffs ›Rechts-Ordnung‹ treten hier einander gegenüber und beweisen ihre begriffliche Selbstständigkeit.« (PT, 13)

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durch euch gemacht werden, u. wir sind eure Beauftragten.«333 In diesem Legalitätsglauben harrt das ausgesperrte Volk vor dem Palast aus. Die Bestimmung der Notwendigkeit allerdings obliegt Olivier und damit auch die faktische Macht. Es ist, als hätte er während seiner Abwesenheit im dritten und vierten Akt nicht nur die Revolution vorangetrieben, sondern auch Schmitts Diktatur gelesen  : »Der Auftrag, das zu tun, was jeweils nach Lage der Sache im maßgebenden Interesse geboten ist, verbunden mit den entsprechenden Befugnissen, die staatliche Autorität zu repräsentieren, ist allerdings der charakteristische Inhalt einer commissio.« (DD, 42)

Olivier stützt sich zur Rechtfertigung seiner Befehlsgewalt allein auf die ›normative Kraft des Faktischen‹, den Vollzug einer solchen commissio, die er vorgeblich vom aufständischen Volk, faktisch aber von niemandem als sich selbst erhalten hat. In der Entscheidung zur Exekution (des Notwendigen) erhebt sich der Intrigant also zum heimlichen Herrscher, der als moderne Verkörperung des Souveräns jedoch souveräner Diktator »der anonymen Obrigkeit« bleibt334 – und zumindest für die Dauer des Ausnahmezustands seinem »Auftraggeber« diktiert, ohne aufzuhören, sich an ihm zu legitimieren  ; Schmitts Darstellung der Ökonomie dieser Faktenlage dringt geradezu auf eine Analogie zum Parasitären, die auch in Sigismunds Hinweis auf den »Kofen« und das »Geschäft« mitschwingt.335 Twellmanns Befund »So eskamotiert Oliviers Bescheidenheit eine Differenz von Repräsentant und Repräsentierten, die durch den Übergang zu einem demokratischen Prinzip der Stellvertretung nicht auf eine Identität zurückgeführt werden kann«, ist darum bedingt zuzustimmen. Unzweifelhaft inszeniert sich der keineswegs ›bescheidene‹ Olivier als Abgeordneter des revolutionären Volkes. Von einem »demokratischen Prinzip der Stellvertretung« aber kann bei dieser Figur allenfalls im (Schmittschen) Sinne einer souveränen Diktatur die Rede sein  ;336 und eine solche ist im Trauerspiel tatsächlich – siegreich über das 333 SW XVI.2, 363  ; Varianten. 334 SW XVI.2, 327  ; Varianten. 335 Die Szene ist darum auf die bereits zitierte Stelle zum modernen Diktator zu beziehen  : »Im 18. Jahrhundert erscheint zum ersten Male in der Geschichte des christlichen Abendlandes ein Begriff von Diktatur, nach welchem der Diktator zwar Kommissar bleibt, aber infolge der Eigenart der nicht konstituierten, aber konstituierenden Gewalt des Volkes ein unmittelbarer Volkskommissar, ein Diktator, der auch seinem Auftraggeber diktiert, ohne aufzuhören, sich an ihm zu legitimieren.« (DD, X). 336 Twellmann, Drama  ; op cit, 149/150. Demgemäß folgert Twellmann zu Recht  : »Während die Nähe des ›Turm‹ zur Souveränitätslehre der ›Politischen Theologie‹ in vielem koinzidentiell scheint,

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inszenierte andere demokratische Prinzip der »Gefreundeten« – allegorisiert. Ein solcher Dualismus findet sich auch bei Max Weber  : »Führer wird nun derjenige, dem die Maschine folgt, auch über den Kopf des Parlaments. Die Schaffung solcher Maschinen bedeutet, mit anderen Worten, den Einzug der plebiszitären Demokratie.«337 »[…] die Leitung der Parteien durch plebiszitäre Führer bedingt die ›Entseelung‹ der Gefolgschaft, ihre geistige Proletarisierung, könnte man sagen. Um für den Führer als Apparat brauchbar zu sein, muß sie blind gehorchen, Maschine im amerikanischen Sinne sein, […] Es ist das eben der Preis, womit man die Leitung durch Führer zahlt. Aber es gibt nur die Wahl  : Führerdemokratie mit ›Maschine‹ oder führerlose Demokratie […]« (GPS, 544  ; Politik als Beruf [Hervorh. A.M.]).

Weber optierte übrigens – unter bestimmten Bedingungen – dennoch für die »Führerdemokratie« (daher auch sein Eintreten für einen starken Reichspräsidenten). Oliviers Mannschaft der »Namenlosen« ist ganz im Sinne eines solchen Apparates oder »Caucus« zu lesen. Die Rationalität von Oliviers Vorgehen, das Verbergen seiner ›Machtergreifung‹ (»bis Zeit ist«), auch sein Bescheid an den Arzt, sich beim »Stadtkommando« zu melden, weisen tatsächlich auf einen legalistischen Typus der Herrschaft hin. Dieser erhält hier allerdings alles andere als eine parlamentarische, vielmehr eine militärisch-bürokratische Ausformung der »Führerdemokratie«, wenngleich sich der »Führer« bedeckt hält. Sein Plebiszit beschränkt sich nämlich auf die entseelte Gefolgschaft, die eigentliche Legitimität hingegen – das ›wahre‹ Plebiszit des Volkes im Thronsaal – wird negiert.338 Der ehemalige Königspalast erscheint nun »[…] eher selbst als eine riesige Antichambre vor den Bureaus oder Ausschüssen unsichtbarer Machthaber.« (Schmitt). Wenn Weber festhält, dass auf diese Weise »Selten der hervorragendste, aber im Durchschnitt doch  : geeignete politische Führer […] so zur erlaubt es dieser Aspekt vielleicht zuerst, einen engeren Zusammenhang dieser Texte zu behaupten.« (ebd., 148). 337 Weber  : GPS, 532/533  ; Politik als Beruf. Zugleich  : WuG, 850. Weber hat nicht umsonst an anderer Stelle von der »Ohnmacht […] des parlamentarischen Königs« gesprochen (WuG, 688). 338 Es wird deutlich, dass Olivier den demos und seine Orientierung auf Sigismund zwar offensichtlich missachtet, im Schein der Selbstaufopferung für das Volk aber doch einen Legalitätsglauben in Gang zu setzen sucht. Mit Sigismund meint er, die Legitimität greifbar zu haben. Ein solches Plebiszit »ist jedenfalls formal das spezifische Mittel der Ableitung der Legitimität der Herrschaft aus dem (formal und der Fiktion nach) freien Vertrauen der Beherrschten.« (WuG, 156). Es markiert nach Weber zudem die Veralltäglichung des Charismas durch Rückbindung an das Legalisierungsverfahren der Wahl.

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höchsten Macht« gelangen,339 trifft sich dies mit Sigismunds zitierter Einschätzung, dass Olivier für das »Geschäft« des Regierens gut geeignet ist. Tatsächlich agiert dieser mit der Exaktheit eines Ingenieurs (oder Managers) des Politischen  ; eine Textstufe zeigt ihn am Schreibtisch sitzend und Verwaltungsakte erlassend.340 Als Machttechniker beginnt er, das selbst vorangetriebene Chaos unter Kontrolle zu bringen, jedoch mit einer deutlichen »Propension zum Bösen« (Kant). Dass er hierbei machiavellistische Bereitschaft signalisiert, Macht zu verteilen (nach dem Prinzip des divide et impera) passt ins Bild,341 sie zieht die schon bemerkte Wiederholung von Sigismunds Frage nach der Legitimation der Gewalt nach sich. Und nicht zufällig ist darum neben der eisernen Keule auch die Uhr Oliviers charakteristisches Requisit.342 Hofmannsthal hat in den Notizen zahlreiche Szenarien durchgespielt, welche die Bedeutung, die er der »Zeit« generell als Signatur der neuen Herrschaft zumaß, belegt. Hinter diesem Motiv verbirgt sich zugleich die Feststellung, dass die Zeit des Königtums abgelaufen ist. »O. Zieht seine Uhr auf, lässt sie repetieren. S  : tritt näher, sie betrachten. S. Wer ist das von dem Du sagst er habe Dir Gewalt über mich gegeben  ? O. Die Zeit. S. beruft sich, dass er außerhalb der Zeit stehe.«343 339 WuG, 853. Das Schmitt-Zitat zuvor lautet komplett  : »Heute erscheint das Parlament eher selbst als eine riesige Antichambre vor den Bureaus oder Ausschüssen unsichtbarer Machthaber.« (LP, 12). Der Palast aber ist mit dem Einzug der Aufständischen zum Parlament geworden. Ein interessanter Umstand ist in diesem Zusammenhang, dass die Sitzung zur Einberufung der Räterepublik mit Landauer, Toller und Mühsam am 6. 4. 1919 im Wittelsbacher Palais stattfand (dem Tag vor Landauers Geburtstag). Vgl. hierzu Georg Köglmeier  : Die Zentralen Rätegremien in Bayern 1918/19. Legitimation – Organisation – Funktion  ; München 2001. 340 »Olivier (herein) sagt ihnen  : Lasset ihn jetzt  ! \Volk  : Der Erwählte  !/ – zu S. Das gefiele dir wohl  ? Du glaubst wohl, dass es nun für dich erst recht angeht. (am Schreibtisch) Soll auf einem Wagen vor euch fahren  ? Gut. Es wird angeordnet werden. (lässt das Volk entfernen)« (SW XVI.2, 356  ; Varianten). 341 Oliviers Formulierung »Willst du ein Commando  ? Ich verstehe Du willst im Comité einen Sitz.« (SW XVI.2, 355) erinnert an die »aus zuverlässigen Einwohnern gebildeten lokalen Comités révolutionnaires« welche Robespierres »Comité de salut public […] als Werkzeug gebrauchte« (DD, 163/164). 342 Das folgt auch einer barocken Metaphorik  : »In der Uhr der Herrschaft sind die Räthe wohl die Räder/ der Fürst aber muß nichts minder der Weiser und das Gewichte […] seyn.« (zit. n. GS I 1, 274  : Männling). 343 Vgl. auch folgende Notizen  : »Olivier  : proponiert S. eine Situation, die ihm convenieren müsse,

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Es ist schon bemerkt worden, dass Oliviers Legitimation mehr als fadenscheinig daherkommt  : bei ihm rechtfertigt sich alles aus der Notwendigkeit eines Schicksalsglaubens, dessen Werkzeug zu sein er vorgibt. Hier nun wird ganz deutlich, dass die Fatalität, die Macht des Faktischen, für Hofmannsthal letztlich die Zeit selbst ist, deren »velofizerische« Beschleunigung in der Bühnenfassung das ganze Gegenteil zum Paradies utopischer Zeitlosigkeit in den Kinderkönigfassungen bedeutet (und als erodierter Bestand dem inflationierten Geldwesen entspricht). Dass ausgerechnet Olivier Julian einen »Volksbetrüger« nennt, gehört wohl zur Ironie des Intriganten (er hätte ihn auch »Possenreißer« nennen können). Eigene Visionen oder Utopien bringt er abseits von Effizienzgeboten (der Verwendbarkeit und auch der Reinheit, hierzu später) jedoch nicht mit. Dafür allerdings als »Diktator der Straße«344 eine schlagkräftige Gefolgschaft, die ihm blind gehorcht und dafür Sorge trägt, dass »dem Volk nicht schwindlig werde«.345 Auffallend ist zudem, dass Olivier sogleich die Kompetenz zur Gerichtsbarkeit – die zuvor die Fackelträger für sich reklamierten – an sich reißt. Dies wird spätestens nach Absage Sigismunds im Gespräch mit den drei Adjutanten deutlich – »Ich habe den Kopf über ihn geschüttelt  : er ist erledigt  : in mir erledigt.«346

wofern er seine Zeit versteht, als deren Abgesandter O. da steht – und der sich dienend zu fügen alles ist.«  ; »O. Bist du ein Jesuit – oder ein Narr, jedenfalls gefährlich, (steht auf ) […] Sie hat mir die Macht gegeben Sie ist die einzige Macht  : die Zeit. – sie hat dich in m Hand gegeben. (Uhr) (1) Vor drei Minuten (2) In dieser Minute | ist der Basilius todt. (Salve)« (SW XVI.2, 357 und 365  ; Varianten). Die Salve könnte ein Hinweis auf Werfels Juarez und Maximilian sein, das Stück wurde am 26. 5. 1924 von Reinhardt im Wiener Theater in der Josefstadt inszeniert  ; Hofmannsthals Kenntnis belegt sich aus einem Brief an Helene Thimig (vgl. SW XVI.2, 427 [17. 10. 1925]). Werfel dürfte dieses Drama übrigens in Kenntnis der Politischen Theologie verfasst haben. 344 Zuvor  : SW XVI.2, 215  : Olivier. »[…] Und nur die Gefolgschaft der Straßendiktatur ist in fester Disziplin organisiert  : daher die Macht dieser verschwindenden Minderheiten.« (GPS, 543  ; Politik als Beruf) 345 »Ich u. Einige  : wir nehmen dem Volk die Last seiner Freiheit ab. Damit es nicht schwindlich werde So ist immer gehandelt worden wo eine neue Ordnung gegründet wurde.« (SW XVI.2, 377  ; Varianten). Schmitt führt aus, »daß natürlich Alle nur das allgemeine Beste, nur das öffentliche Wohl, Recht und Gerechtigkeit zu vertreten behaupten, aber die Frage ist, wessen Entscheidung in letzter und maßgebender Instanz entscheidend ist. Nicht auf den Zweck kommt es an, sondern auf die Entscheidung über die Mittel zu diesem Zweck. Die Frage ist, wer hierüber judiziert […]« (DD, 24  ; Pufendorf  ; Markierung  : Hofmannsthal). 346 SW XVI.2, 266  ; Varianten  : Olivier. Dem neuen Staat »(…) standen seine Kommissare, die Revolutionsgesetzgebung und die Revolutionstribunale zur Verfügung, die den Gegner justizförmig erledigten.« (DD, 185).

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»Wenn ein Revolutionstribunal einen politischen Gegner zum Tode verurteilt und vorher überlegt, ob es wirklich mit einem politischen Gegner zu tun hat und ob das politische Interesse es ratsam erscheinen läßt, ihn beiseite zu schaffen, so ist das Justiz nur nach einem formalen Begriff, der alles, was ein Gericht tut, als Rechtspflege bezeichnet. In Wahrheit ist solche Justiz ein Teil der revolutionären Aktion. Die positivistisch sogenannte ›Form‹ versagt gegenüber Dingen, um die es hier handelt.« (DD, 175  ; Markierung  : Hofmannsthal)

Es ist in der Tat eine äußerst exekutive Gerichtsbarkeit, die hier in Form abgekürzter Verfahren ausgeübt wird  :347 »OL IV IER  : Der Basilius ist abgetan  ? / JERO­N IM  : Abgetan. Mit dem Glockenschlag sieben. An einer Kellerwand, einen Sack überm Kopf, und gleich dort vergraben.« Die revolutionäre Souveränität agiert daher im Turm zunächst ganz wie der von ihr bekämpfte Staat gewaltsam (ein Punkt, den gerade Toller in seinem Drama Masse Mensch [1920] kritisiert hat),348 die Verstaatlichung der Revolution zementiert diese Gewaltverhältnisse dann in unverrückbarer Weise. »Wo die Bürokratisierung der Verwaltung einmal restlos durchgeführt ist, da ist eine praktisch so gut wie unzerbrechliche Form der Herrschaftsbeziehungen geschaffen.«349 Es ist daher ein Blick auf diese Form im Moment ihrer Errichtung, auf dieses Gehäuse zu werfen und auf das, was es bei seiner Konstitution exkludiert. 5.4.3 Der moderne Staat als Fatalität  : »in mir ist Gott (die Keule)« »Die Menschen verehren im Staat eine unsichtbare und heilige Macht, der sie sich unterwerfen. […] Der Staat aber, wenn man ihm die Zwecke nimmt, die Zwecke, die er nicht erreichen kann und die er verpfuscht, ist überdies nichts, ist ein vollendetes Nichts.« (Landauer, Aufruf  ; op cit, 19) 347 »Von der Seite des Rechts kann ein Rechtsverfahren so summarisch werden, daß es in Wahrheit eine sofortige Exekutive ist und die Feststellung, welche der Exekutive vorhergeht, bloß tatsächlichen Charakter hat und sich von der eines Soldaten, der etwa überlegt, ob der ihm gegenüberstehende Mann ein Feind ist oder nicht, weder logisch noch normativ noch psychologisch unterscheidet.« (DD, 175). 348 Zuvor  : SW XVI2., 216. Toller, von der kommunistischen Fraktion der Räterepublik aufgrund seiner pazifistischen Haltung übrigens der »grüne Junge« genannt, konnte sich dabei auf Landauer berufen  : »Obgleich die Utopie ausschweifend schön ist, […] ist doch, was die Revolution erreicht, eben ihr Ende, das sich von dem, was vorher war, nicht allzu sehr unterscheidet.« (Landauer, Revolution  ; op cit, 113). Auf den »absoluten König« folge der »absolute Staat« (ebd., 102). 349 WuG, 569/570  ; 1922  : 668/669. »Die Diktatur des Beamten, nicht die des Arbeiters, ist es, die – vorläufig jedenfalls – im Vormarsch begriffen ist.« (Max Weber  : SSP, 508  ; Der Sozialismus [1918]).

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»Der moderne Staat hat sich als souveräner Staat dann etabliert, wenn er auf seine Bürger in jeder Form zugreifen kann.« (Haltern, Souveränität  ; op cit, 47)

Mit Oliviers Rückkehr auf den Schauplatz (zuvor wirkt er wie gesagt in einem parallelen Handlungsstrang) bricht das rationalistisch-mechanistische Zeitalter im Politischen an  : »Denn jetzt ist eine neue Ordnung – und mir ist auferlegt dass ich sie durchführe.«350 Seine Insignien sind Colt, Sturmhelm und Uhr. Sind die ersten beiden Ausweise für eine moderne Militarisierung (statt Sturmhelm hätte durchaus auch ›Stahlhelm‹ dort stehen können), so verweist die Uhr nicht nur auf die Fatalität der Zeit, sondern auch auf die berühmte mechanische Metapher Hobbes’ für den neuzeitlichen Staat.351 Schmitt beschrieb Hobbes’ Staatsvertrag in den Hofmannsthal vorliegenden Schriften als ein Prinzip absoluter Repräsentation. Die Unterwerfung aller Einzelnen konstituiere den Leviathan.352 Diesen gewissermaßen im ›Vorhof der Entzauberung‹ erfolgenden Akt stellt Schmitt als den Grundgedanken des modernen Staatswesens vor. Die maliziöse Perspektive auf die rationalistische Konzeption des Staates (die ›errechnete Souveränität‹) hat eine Vorgeschichte in der »politischen Romantik«, sie findet sich vor allem auch bei Max Weber. Denn entscheidend für diese Konzeption ist nach Weber »die rationale Uniformierung des Gehorsams einer Vielheit von Menschen« – welche sich hierfür nicht einmal am selben Ort befinden müssten. 350 SW XVI.2, 373  ; Varianten  : Olivier. Vgl. hierzu die »Diktatur«  : »Der generelle Charakter des Gesetzes soll darin liegen, daß es keine Individualität kennt und wie ein Naturgesetz ausnahmslos gilt.« (DD, 107). 351 – wie übrigens auch Oliviers Einschätzung der menschlichen Natur. »Schon bei einer Uhr, die sich selbst bewegt, und bei jeder etwas verwickelten Maschine kann man die Wirksamkeit der einzelnen Teile und Räder nicht verstehen, wenn sie nicht auseinander genommen werden und die Materie, die Gestalt und die Bewegung jedes Teiles für sich betrachtet wird. Ebenso muß bei der Ermittlung des Rechtes des Staates und der Pflichten der Bürger der Staat zwar nicht aufgelöst, aber doch gleichsam als aufgelöst betrachtet werden, d. h., es muß richtig erkannt werden, wie die menschliche Natur geartet ist, wieweit sie zur Bildung des Staates geeignet ist oder nicht, und wie die Menschen sich zusammentun müssen, wenn sie ein Einheit werden wollen.« (Thomas Hobbes  : Vom Menschen. Vom Bürger. Elemente der Philosophie II/III  ; op cit, 67–68). Vgl. hierzu den Artikel von Wilhelm Schmidt-Biggemann  : Maschine  ; in  : Historisches Wörterbuch der Philosophie  ; hg. v. J. Ritter u. K. Gründer  ; Bd. 5  : L–Mn  ; Darmstadt 1980. Sp. 790–802. 352 Vgl. DD, 23. Hobbes ist aber nur der Ausgangspunkt  ; das rationalistische Staatsdenken zeigt Schmitt in weiteren Filiationen  : Die Auffassung der katholischen Staatsphilosophen »von der Diktatur« werde »in der durch Absolutismus und Jakobinertum geschaffenen Zentralisation« bestätigt, weil sie »im modernen Staat, der seinem Kern nach als Diktatur erscheint, ein Werk des Rationalismus sehen […]« (DD, 147).

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Den Sigismund der ersten Fassungen kann man eingedenk seiner ›sprachlichen Materialität‹ als »Erlöser-Leviathan« im Kampf gegen den roten Behemoth Olivier interpretieren (der nach seinem Tod in Hofmannsthals konservativer Utopie des Schrifttums überdauert)  ; die entsprechende Ikonologie wurde oben (vgl. 4.3) dargelegt. Deutlich aber kommt es in der Bühnenfassung zu einer Kehrtwende  ; in Olivier und seiner Klasse der »Namenlosen« ist das Schreckbild einer bürokratisch-gesichtslosen Staatsmaschine zitiert  ; die Figur kommt einer militaristischen Allegorie des Leviathan gleich, der »teufelsmäßig die Rechte von Jedem absorbirt«, wie Nietzsche schrieb  :353 Bepackt mit Leder und Eisen, einem Sturmhelm anstatt der Krone, in der Faust kein Zepter, kein Schwert und schon gar kein Hirtenstab mehr, sondern das erwähnte »eiserne Ding« (in den Notizen die »eiserne Keule«), das Hofmannsthal hier absichtlich nicht weiter präzisiert hat. Es könnte Rousseaus Pistole oder den sowjetischen Hammer zitieren  ; jedenfalls ist es das fatale Requisit eines Zeitalters des Totalitarismus. 354 Schmitts Vermisstenanzeige für den Leviathan in der deutschen Dramatik (vgl. 4.3) sind diese Befunde entgegenzuhalten. Er wäre aber mit dieser Ausgestaltung wohl nicht so recht glücklich geworden. Zur Umarbeitung der Bühnenfassung konnte Hofmannsthal allerdings noch bei Schmitt lesen, der Staat habe »immer dieselbe unerklärliche Identität, als Gesetzgeber, als Exekutive, als Polizei, als Gnadeninstanz, als Fürsorge, so daß einem Betrachter, der sich die Mühe nimmt, das Gesamtbild der heutigen Jurisprudenz aus einer gewissen Distanz auf sich wirken zu lassen, ein großes Degen- und Mantelstück erscheint, in welchem der Staat unter vielen Verkleidungen, aber als immer dieselbe unsichtbare Person, agiert.« (PT, 38)

Die »Unterwerfung« unter eine solche gespenstische Unsichtbarkeit, welcher in den dichterischen Fassungen noch die »Einwilligung« in eine personale Reprä353 Aus dem Nachlaß November 1887–März 1888  ; II [296]  ; in  : Friedrich Nietzsche  : Sämtliche Werke. Kritische Studienausgabe in 15 Bänden  ; Bd. 13 hg. von G. Colli u. M. Montinari  ; München 1988. S. 123. 354 Diese Stelle könnte auf einen Ausspruch Lenins verweisen  : »Niemand außer den utopischen Sozialisten hat behauptet, dass man ohne Widerstand, ohne die Diktatur des Proletariats und ohne die alte Welt mit eiserner Hand anzupacken siegen könne. Ihr habt auch diese Diktatur prinzipiell akzeptiert, übersetzt man aber diesen Ausdruck ins Russische, nennt man ihn ›eiserne Hand‹ und wendet das praktisch an, dann weist ihr warnend auf die Kompliziertheit und Verworrenheit der Dinge hin […]« Wladimir I. Lenin  : Werke  ; Band 26  : September 1917 – Februar 1918  ; Deutsche Ausgabe, besorgt vom Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED  ; Berlin 1961. S. 384 f.

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sentation überordnet werden konnte, ist auch in dieser Fassung zitiert  : »Jawohl  ! Man sollte nach Recht vor uns liegen […]« bekommt der Arzt nun von Olivier beschieden  : »Das Ganze, der Leviathan, wird zum substanziellen Träger allen Rechts«,355 ist aber aus dem Bereich des Repräsentativen verschwunden. Und Subjekt dieser anonymen Souveränität ist nun Olivier, umgeben von der Masse der Entrechteten. Exkurs  : Max Weber über Abrichtung »OL IV IER halblaut, zu Aron Auch solche wie den da werden wir brauchen. [Den Stelzbeinigen] Und den da hinten auch. Den richt’ ich mir ab wie einen Hund  ; der soll mir apportieren.« (SW XVI.2, 131)356

An die modernisierte Figur des Olivier (die einer mindestens so starken Veränderung unterliegt wie Sigismund) knüpft sich in der Bühnenfassung also eine deutliche Kritik an der neuzeitlichen Staatsmaschine, am »Leviathan«, der seine Bürger entrechtend gleichmacht und deren Todesangst als einzig verlässlichen Antrieb nutzt, sie in eine Vergesellschaftung zu zwingen. Diese ist – das Hobbes’sche Bild der Ketten, die von den Lippen des Souveräns an die Ohren seiner Untertanen geknüpft sind, sei in Erinnerung gerufen – durchaus als Form der Abrichtung zu verstehen (auf die staatsbürgerlichen Pflichten der Bürger, denen als ›Gegenwert‹ nur die Sicherung des bloßen Lebens eingeräumt wird). Das Bild des Hundes (des gezähmten Wolfes), welches die Bilder zahlreicher neuzeitlicher Machthaber schmückte, ist aufgrund dieser Kontextualisierung gewählt. Benjamins Interpretation des Hundes als Tier bzw. Emblem des (polizierten) Melancholischen ist daher auch einer politischen Lesart subsumierbar. Es ist ein der Vergessenheit seiner Rechte unterworfener Staatsbürger. Mit dem kritischen Blick des klassischen Liberalismus’ hat auch Weber gerade das Moment der Freiheitsberaubung bis in den Bereich privaten Verhaltens hinein betont  : 355 SW XVI.2, 219  : Olivier  ; DD, 119. 356 Aus dem Dramentext ist an sich nicht klar ersichtlich, wen Olivier eigentlich meint, den Rekruten oder den Gefangenen. In den Textstufen erst findet sich der konkrete Hinweis, wer abgerichtet werden soll – es handelt sich um Sigismund. »Olivier will das face-à-face mit dem Prinzen erzwingen. Ich will ihn abrichten, wie einen Hund, mir zu apportieren.« (SW XVI.2, 282  ; Varianten). Vgl. hierzu auch die Ausführungen unter 3.3 zur politischen Zoologie. Auffällig jedenfalls ist in diesem Zusammenhang Oliviers Behauptung, Julian habe Sigismund »ärger wie einen Hund« gehalten (SW XVI.2, 213).

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»[…] wo die Herrengewalt eines Sklavenhalters die Disziplin schafft […] da ist in der Tat die mechanisierte Abrichtung und die Einfügung des Einzelnen in einen für ihn unentrinnbaren, ihn zum ›Mitlaufen‹ zwingenden Mechanismus, der den Einzelnen […] sozusagen ›zwangsläufig‹ dem Ganzen einfügt […] ein starkes Element der Wirksamkeit aller und jeder Disziplin […]« (WuG, 682).

Zu denken ist hier an die Auftaktszene, in welcher der unterwürfige, ›hündische‹ Rekrut seinen neuen Wachkommandanten Olivier nicht anders als »Herr« nennt (und nicht den geforderten militärischen Dienstgrad verwendet). Die Bühnenfassung zeigt dann die Ausdehnung dieses Unterwerfungsmodells, das zugleich eines der Zeit ist, auf die Welt des Turm in toto. »OL I V IER  : Allmählich die Höfe räumen. Er sieht auf seine Taschenuhr Um neun Uhr haben sie geräumt zu sein. […] drei ausgewählte Scharfschützen dort drüben. Sie sollen die Fenster im Auge haben. Dies sofort. […]«.357 Das der vorigen Wirkung des Charismas (die freie Hingabe) diametral entgegengesetzte Stichwort des »gestrengen Kapitäns« Olivier lautet in der Tat ›Disziplin‹  ; und zwar  : militärisch einsetzbare, stets abrufbare, »eiserne Disziplin« als Modernisierung des von Basilius geforderten »unbedingten Gehorsams«. »An Stelle der individuellen Heldenekstase, der Pietät, enthusiastischen Begeisterung und Hingabe an den Führer als Person, des Kultes der ›Ehre‹ und der Pflege der persönlichen Leistungsfähigkeit als einer ›Kunst‹ setzt sie die ›Abrichtung‹ zu einer durch ›Einübung‹ mechanisierten Fertigkeit und, soweit sie an starke Motive ›ethischen‹ Charakters überhaupt appelliert, [die Ausrichtung auf ] ›Pflicht‹ und ›Gewissenhaftigkeit‹ voraus (›man of conscience‹, gegenüber dem ›man of honours‹ in der Sprache Cromwells),358 alles aber im Dienst des rational berechneten Optimum von physischer und psychischer Stoßkraft der gleichmäßig abgerichteten Massen.« (WuG, 682 [Hervorh. A.M.])

Für eine solche Berechnung ist im Trauerspiel nach Benjamin der Intrigant die zuständige Figur  ; im Turm nimmt Olivier erkennbar ein solches »Optimum« an »Stoßkraft« in den Blick. Weber hat den ursprünglich zoologischen Abrichtungs357 SW XVI.2, 216  : Olivier. 358 »Die Siege [Oliver] Cromwells über die stürmische Tapferkeit der Kavaliere wurde der nüchternen und rationalen puritanischen Disziplin verdankt. Seine ›Eisenseiten‹,« (WuG, 683–684), »[…] ›Ironsides‹, mit der gespannten Pistole in der Hand, ohne Schuß, in scharfem Trabe an den Feind geführt, waren nicht durch derwischartige Leidenschaft, sondern umgekehrt durch ihre nüchterne Selbstbeherrschung, welche sie stets in der Hand des Führers bleiben ließ, den ›Cavalieren‹ überlegen […]« (RS I, 117, Fn. 4).

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gedanken (das Säkularisat des Bildes vom guten Hirten) übrigens selbst auf die politischen Abläufe in der demokratischen Staatsform übertragen (zumindest dem Vokabular nach). Dies ergibt sich aus dem Bericht eines Treffens mit Ludendorff im Lebensbild. Hofmannsthal dürfte das nicht überlesen haben  : »W.: Glauben Sie denn, daß ich die Schweinerei, die wir jetzt haben, für Demokratie halte  ? L.: Wenn Sie so sprechen, können wir uns vielleicht verständigen. W.: Aber die Schweinerei vorher war auch keine Monarchie. L.: Was verstehen Sie dann unter Demokratie  ? W.: In der Demokratie wählt das Volk seinen Führer, dem es vertraut. Dann sagt der Gewählte  : Nun haltet den Mund und pariert. Volk und Parteien dürfen ihm nicht mehr hineinreden. L.: Solche ›Demokratie‹ kann mir gefallen  ! W.: Nachher kann das Volk richten – hat der Führer Fehler gemacht – an den Galgen mit ihm  ! – – « (Lebensbild, 663 f.: 665).359

In diesem Gespräch ist durchaus ein Vorbild für die Szene zwischen Olivier und dem Arzt gegeben (hierzu anschließend)  ; es wiederholt sozusagen das berühmte Zusammentreffen Goethes mit Napoleon »als lumpige Farce« (ohne Webers Verdienste schmälern zu wollen). Wichtiger ist hier für den Abrichtungskontext zunächst, dass Hofmannsthal jenes seitens Olivier verlangte »Parieren« von hier übernommen haben könnte – die Vorstufe der Anweisung Oliviers an seine Adjutanten lautete noch  : besorgt »eine Figur – mit einer Fratze dieser [Sigismunds] ähnlich zum verwechseln. Aber einen Kerl der mir untertan ist wie der Handschuh der Hand«.360 Denn das ist die ultima ratio von Oliviers Intrige  : Sigismund durch eine ihm ähnliche Marionette ersetzen. Im Dramentext heißt es dann  :

359 Das Wort von der »swinish multitude« (vom Stein) scheint gängig gewesen zu sein. Über Ludendorff notierte Weber später  : »Der wahnwitzige Hasard Ludendorffs, dann als Rückschlag diese ›Revolution‹ hat alle geordneten Mächte aufgelöst, speziell in Berlin  : wirklich treue formierte Truppen hat die Regierung nicht gegen die Liebknechtschen Banden, daher ihre unvermeidliche Schwäche. Dauert diese Ochlokratie, wie es zu erwarten ist, an, oder vielmehr siegt sie (temporär) in einem Putsch – der unbedingt kommt – dann kommt die feindliche ›Rettung‹, Okkupation, gerufen oder ungerufen. Solange man das noch vor sich sieht, ist es schwer, etwas öffentlich zu sagen.« (Lebensbild, 647). 360 SW XVI.2, 374  ; Varianten  : Olivier.

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»OL IV IER Prägt euch sein Gesicht ein. Notiert euch im Kopf die Maße, wie er gebaut ist, die Haarfarbe, alles. ARON Auf dem flachen Land geht sein Bild um, ein schlechter Kupferstich, und sie zünden Kerzen davor an wie vor einem Heiligenbild. OL IV IER Eben darum. Ich brauche einen Kerl, ähnlich ihm zum Verwechseln und der mir pariert wie der Handschuh an meiner Hand. ARON  : Was brauchst du noch ein Konterfei,361 wenn du ihn selber hast  ? OLIV IER  : Er selber ist nicht verwendbar.« (SW XVI.2, 217)

Allerdings vertraut er seinen Adjutanten die letzte Grausamkeit seines Plans nicht an  ; hier misstraut er offensichtlich. Den Scharfschützen wird er darum »persönlich Instruktion geben«. Diese intrigante Ökonomie des Mitwissens ist ein Kernbestandteil der hier aufscheinenden »Verhaltenslehre der Kälte« (Lethen), in deren Unterkühlung ein dantischer Höllenfrost sich ausbreitet.362 Wurde die Revolution in den dichterischen Fassungen des Turm durch Erscheinen der Gestalt des Kinderkönigs bzw. ›Einmünden‹ in diese zu einer konservativen, ist hier erkennbar ein Wertenihilismus in Gang gesetzt, der keine anderen Qualitäten akzeptiert als blinde Unterordnung unter das namenlose Regiment einer unsichtbaren Macht. Tatsächlich kann sich Oliviers disziplinierende Nüchternheit ohne Weiteres mit dem Ökonomismus Wilhelm Hugeneaus in Brochs Schlafwandlern messen – als dessen revolutionäres Revers. Der Befund eines dergestalt dialektischen Ökonomismus (Sozialismus/Kapitalismus) ist für deutsche (tendenziell katholische) bzw. österreichische Konservative übrigens durchaus zeitgemäß  ; an die oben zitierten Ausführungen in Webers Protestantischer Ethik (die von den Jahrbüchern für die geistige Bewegung des George-Kreises so euphorisch rezipiert 361 Denkbar, dass hier auf die englische Fassung des Leviathan verwiesen ist  : »Persona in latine signifies the disguise, or outward appearance of a man counterfied on the stage […]« (Hobbes, Leviathan [engl.]  ; op cit, 88). 362 Der berühmteste ›Kälteteufel‹ der deutschen Literatur parliert natürlich auf der Couch Adrian Leverkühns. Olivier vertritt jedenfalls nun das »wissenschaftliche Naturrecht« Hobbes’, das den Staat als die »Einzelheit verschlingende Einheit« auffasst und das Wunder aus der Welt verweist (DD, 118)  ; der zuletzt opponierende Arzt hingegen ein »Gerechtigkeitsnaturrecht«. Dessen Individualitätsbegriff »kann rationalistisch gar nicht erfaßt werden«, das Individuum gegenüber dem Staat sei ein »über jede Rationierung seines Wertes erhabener Träger der unsterblichen, von Gott geschaffenen und erlösten Seele.« (ebd.). Zwischen Hobbes und Rousseau hat Schmitt übrigens keinen allzu großen Unterschied gemacht, was die Totalität ihrer vertraglichen Konzeption anbelangt  : »Das Resultat ist in beiden Fällen, daß der Einzelne und der Staat einander unmittelbar gegenüber stehen.« (DD  ; 118).

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wurden) sei erinnert. Schmitt schrieb nach seinen ersten Ansätzen (zu Däublers Nordlicht und in der Politischen Romantik) mit dem Essay Römischer Katholizismus und politische Form explizit gegen das ökonomistische Denken an, welches sich nur an der Oberfläche unterscheide – der Sozialismus und der Kapitalismus stritten nicht darüber, dass die Welt elektrifiziert werden müsse – nur über den richtigen Weg dorthin. Das passt zu einer späten Notiz Hofmannsthals  : »Neue bolschwikische Religion (Maschine).«363 Doch auch Landauer kritisierte insbesondere den ›inversen Kapitalismus‹ der Marxisten,364 welchem er seine Interpretation des Sozialismus als »geistige Bewegung« entgegensetzte.365 Das führt noch einmal zur Physiognomie der geistigen Bewegung, welche die allegorische Faktur der Bühnenfassung als quasi »theologisches Symbol« der politischen Idee inszeniert. »Denn ich bin da und nicht da« – der geistige Leib der Nation II »wir haben […] einen unsichtbaren König kennen gelernt – nennen Sie ihn Gesetz, Suverän [sic], Nationalgeist, wie Sie wollen  : er ist der eigentliche König der Könige in jedem besonderen Staate  ! […] Dieser unsichtbare König ist der Bürge unsrer Freiheit  : von ihm kommt die Krone, das Zeichen seiner Repräsentanten  ; […] das königliche Wesen […]« (Adam Müller  : Ueber König Friedrich II., 7/8)366

Das »königliche Wesen« Sigismund ist, das war im Verlauf dieser Studie zu belegen, als Verkörperung jener inneren (Sprach-)Form der Nation, ihres morphologischen Prinzips lesbar, welchem nicht nur die sprachlichen, sondern eben auch 363 [SW ] XXXVI, 696. »Der große Unternehmer hat kein anderes Ideal als Lenin, nämlich eine ›elektrifizierte Erde‹. Beide streiten eigentlich nur über die richtige Methode […].« (RK, 22). Zu Schmitts Kulturkritik vgl. neuerdings Andreas Heuer  : Carl Schmitt  : Die Dialektik der Moderne. Von der europäischen zur Welt-Moderne  ; Berlin 2010. 364 Frank Schirrmacher ruft in seinem kürzlich erschienenen Buch Ego genau diesen Umstand, dass der Marxismus die erfolgreichste Form imperialen ökonomischen Denkens war, in Erinnerung  ; Frank Schirrmacher  : Ego. Das Spiel des Lebens  ; München 2013. S. 17. 365 Vgl. etwa Landauer, Aufruf  ; op cit, 114. Hofmannsthal äußerte sich in Briefen wiederholt positiv über Flugblätter Landauers (vgl. Perrig, Zwanziger Jahre  ; op cit, 70). Es ist anzunehmen, dass hierbei die im Aufruf abgedruckten Flugblätter zum neuen »Bund« gemeint gewesen sein dürften  ; Christiane von Hofmannsthals Leseliste vermerkt die Lektüre dieses Buches von Landauer für 1919 (vgl. Tagebuch Christiane  ; op cit, 61). 366 Adam Müller  : Ueber König Friedrich II und die Natur, Würde und Bestimmung der Preussischen Monarchie. Oeffentliche Vorlesungen, gehalten zu Berlin im Winter 1810  ; Berlin 1810. S. 7/8. In derselben Vorlesung setzte Müller übrigens den »thätigen Nationalgeist«mit der öffentlichen Meinung gleich (ebd., S. 6).

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die politischen Formen emanieren. Was in Sigismund aufs Spiel gesetzt wird, ist also weniger eine politische Idee als solche (in der Bühnenfassung ein Republikanismus der Freundschaft), sondern vielmehr die Möglichkeit, überhaupt politische Ideen zu entwickeln und (sprachlich) auszuprägen. Vossler schrieb in Geist und Kultur in der Sprache, dass »Die innere Sprachform […] der Tempel« sei, »in welchem jede äußere Sprachgemeinschaft« – man dürfte hierfür auch ›Öffentlichkeit‹ bzw. Hofmannsthals Wirklichkeitsbegriff setzen – »sanktioniert wird.« »Ohne diesen Segen käme niemals und nirgends ein sprachliches Gemeinwesen zustande.«367 Olivier ist gewissermaßen genau dafür »eingetreten«, sich nämlich nominell dispensieren zu lassen, was er faktisch bereits ausübt  : absolute Befehlsgewalt. Er will mit den Unterworfenen allerdings funktional kommunizieren  : »Das sprachlose Volk muss durch Bilder unterrichtet werden  : Es muss eine gemeinverständliche Sprach eingeführt w.« und  : »ich rede um zu befehlen«.368 Die politischen Implikationen der Figur wurden ja in all ihrer Düsternis bereits ausgeführt  ; auf der sprachlichen Ebene sieht es also nicht viel ›lichter‹ aus  ; die »Bilderschrift« ist es gerade, welche das Volk sprachlos machen soll. Für Sigismunds Autonomie-Formel der Enthaltung (die ein wenig an das »Sein oder nicht Sein« Hamlets erinnert)369 hat er daher nichts übrig. Der in das Schloss (gewissermaßen den »Tempel«) eingedrungene Allegoriker plant lediglich, das »Konterfei« zu geben (eine Emblematik dieses ersten »da«), ohne das Wesen dahinter (»nicht da«) erkennbar werden zu lassen. Dies entspricht der oben erläuterten Unterscheidung Benjamins von echtem (theologischem) und profanem Symbol (vgl. 5.1.3). Erreichbar ist Olivier nur das Oberflächliche, alles andere tut er als »Hokuspokus« ab. Die auf die Umarbeitung zurückgehende Formel der anwesenden Abwesenheit bedeutet politisch gesehen eine inverse Entsprechung zur einschließenden Ausnahme, welcher der Homo sacer unterliegt. Sein Gesicht wird zur Bildfläche der Politik. Auch deshalb kann Olivier als Installateur des neuen Banns keine Enthaltung vor dieser depravierten bzw. vorgetäuschten Form von Öffentlichkeit akzeptieren, in der sich die Illegitimität seines Regimes manifestiert.

367 Vossler, GKS, 209. Vgl. zur inneren Sprachform auch Cassirer, Begriffsform im mythischen Denken  ; op cit, 6. 368 SW XVI.2, 364 und 281  : Olivier. Letztere Sentenz hatte Hofmannsthal auch schon für den Kinderkönig erwogen (vgl. 4.4), bevor er ihn dann zur pazifistischen Kollektivgestalt formte. 369 Hamlet wurde, worauf Benjamin nicht extra hinweist (das hat dann Schmitt für ihn nachgeholt), im 19. Jahrhundert (von Freiligrath) mit dem deutschen Nationalcharakter identifiziert (Deutschland ist Hamlet  !, 1844). Vermisst wurde die »Entschlossenheit«. Vgl. Schmitt, Hamlet oder Hekuba  ; op cit, 11.

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Den in der anwesenden Abwesenheit liegenden poetologischen Konnex 370 belegt auch eine Notiz von 1923, die Sigismund quasi als Zitat in den Mund gelegt ist  : Über einen Dichter N. schrieb Hofmannsthal  : »Er ist da und nicht da. Er ist ein Dichter.371 Die darin zum Ausdruck kommende Idee sprachlicher Repräsentation findet sich stärker noch ausgeprägt in Vosslers Idee, die Poesie als soziale Sondersprache verbinde »wahre Demokratie und […] wahre Aristokratie«, in dem sie die Menschen zu sich selbst erhebe. Diese politisch-pädagogische Dimension ist im Hinblick auf das Entstehen einer äußeren Sprachgemeinschaft im Turm natürlich interessant. Diese kommt jedoch nicht zustande (weder als Aristokratie noch als Demokratie), da Sigismund, der Sprachleib, den »inneren Tempel« nicht verlässt. »Mittels der Emphase wird die innerste Sprachform an die Oberfläche gehoben […]«372 – diese gemeinschaftliche Emphase um Sigismund wird vom Kollektiv der Namenlosen im entscheidenden Augenblick – kurz vor dem Auszug aus dem Palast – abgewürgt. Dennoch finden sich in den Notizen des angeblich so sprachskeptischen Hofmannsthal Formulierungen wie »die Sprache als Wunder«  ; diese dürften auf den Ursprung sprachlicher Vergemeinschaftung rekurrieren.373 Der Wunderglaube einer Sprachgemeinschaft ist im Turm nicht nur in der Szene von Sigismunds Kür durch die Aufständischen präsent, sondern auch im Moment ihrer Verunmöglichung – »Arzt  : Hoffnung einer Wendung u eines Wunders  !« Nicht zufällig ist das »Wunder« nachher aus dem Dramentext verschwunden – ebenso wie der Naturzustand als absoluter Ausnahmezustand, mit dem es zusammen vom neuen Souverän aus der Welt geschafft wird.374 Eine ähnliche Dichotomie wie die zwischen Rechtsidee und politischer 370 Die »Betonung des Zusammenhangs zwischen Sprache und den geschichtlichen Formen gesellschaftlicher Organisation und Herrschaft« sei Hofmannsthals wesentliche Neuerung in der Form des barocken Trauerspiels gewesen, schreibt schon Altenhofer, Ironie  ; op cit, 73. 371 RA III, 619  : Ad me ipsum [1923]. 372 Vossler, GKS, 243 und 209. Vgl. hierzu jetzt SW XXXVIII, 969 und 973  : Ein Valéry-Exzerpt von 1925 könnte Aufschluss geben (zur tanzenden Seele, welcher Hofmannsthal die Sprache gleichgesetzt hat). 373 – allerdings ohne dass ihr Autor ihnen gänzlich zugerechnet werden kann  ; möglicherweise sind es Notizen aus Lektürevorlagen. Vgl. hierzu 1.3.2 und 2.3.2. 374 Zuvor  : [SW ] XXXVI, 702  : WES-Notizen. SW XVI.2, 367  : Arzt  ; vgl. hierzu GS I 1, 408 (»Wendung«) und PT, 37  : »Der Ausnahmezustand hat für die Jurisprudenz eine analoge Bedeutung wie das Wunder für die Theologie.« Dieser Ausnahmezustand ist bei Schmitt allerdings bereits als Ordnungsleistung des Souveräns zu verstehen, sofern nur das Recht suspendiert ist. In der demokratischen Urszene der Bühnenfassung ist es ja genau umgekehrt  ; das Recht herrscht im Gespräch der »Gefreundeten« und durchwaltet mittels verbindender Sprache alle sozialen Beziehungen, ohne der auf Gewalt gegründeten Ordnung zu bedürfen.

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Form hat Vossler übrigens auch für das Verhältnis von Sprachkunstwerk und Nationalsprache geltend gemacht  : »Denn eine Nationalsprache endet sich in der straffen und allgemeinen Gültigkeit ihres grammatischen Gebrauches, eine Dichtung dagegen in der persönlichen Eigenart ihres Schöpfers. Dort tritt ein kollektives System, hier eine individuelle Gestalt uns als das erreichte Ziel entgegen.« (GKS, 161/162)

Wichtig ist wohl das Verhältnis beider zueinander, und hier zeigt der Turm, wollte man das Vosslersche Schema übertragen, eine Dichotomie zwischen dem kollektiven System der von Olivier geplanten Bildersprache und der (nicht verwendbaren) individuellen Gestalt Sigismund. Deren Anwalt und erster Interpret, der Arzt, muss vor Oliviers geballter organisierter Gewalt aber gleichfalls kapitulieren. Sigismunds Eigenschaften als Kollektivgestalt (die sozusagen das höhere Dritte als Synthese der Dichotomie bedeuten würde)375 sind auch in der Bühnenfassung sprachlich-politischer Natur. Insbesondere in den überlieferten Notizen ist die entsprechende Metaphorik präsent  : »Jehovist sieht S. als riesengroß. Unter s. Füssen umarmen wir uns  ! / Volk  : sieh unsere Standarte  : Deine  ! Du bist der Erwählte.«  ; »Die Mühseligen u Beladenen finden jeder in S. gerade die ihm entsprechende Person. Er sucht das einzelne Gemüt, bringt es zur Ruhe, einigt es in sich.« (SW XVI.2, 361 und 359  ; Varianten [Hervorh. A.M.])

Sigismund erscheint hier nochmals als Symbolgestalt der volonté générale, die zugleich, wie der imaginierte Chiffrenleib des Lord Chandos, den Schlüssel zu allen Einzelnen (und allen Dingen) bedeutet, und ihre Zustimmung und Teilnahme findet. Es ist die Figur einer universell erfahrenen Freundschaft, die in sich das Gemüt der Nation vereinigt. Das aber kann nur in einer Sprache gelingen, die der Gesamtheit der Einzelnen eine volle, authentische Ausdrucksweise ihres Selbsts ermöglicht – das ganze Gegenteil zu Oliviers dem Anschein der Bilderschrift nach so ähnlichen Plan einer allgemein verständlichen Verkehrssprache, die (als Revers der poetisch gesteigerten Sprache) doch nur Befehlsreduktionismus meint. Es war oben schon bemerkt worden, dass Hofmannsthal 375 Vossler betonte entsprechend die »Identifikation von äußerer und innerer Sprachform, wie sie in der Dichtung verwirklicht wird« (GKS, 260)  ; »denn hier gibt sich der Geist in keiner anderen Gestalt, als in der Sprache zu erkennen und ist die Sprache nichts anderes, als Gestalt gewordener Geist.« (ebd., 243).

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eine Mündigkeit des Einzelnen nur in der bzw. durch die Sprache verwirklicht sehen konnte welche es als Medium zugleich der Öffentlichkeit in sich auspräge (vgl. 2.2). Ähnliches lässt sich hier auch für den Gemeinwillen festhalten  : auch dieser besteht für Hofmannsthal offenbar nur in und durch die Dichtung, deren Gestaltung allerdings von einer omni-kompatiblen Individualität sein muss.376 Diese darf aber nicht mit jenem »faulige[n] Schimmer des Warencharakters« des kommerziell orientierten »Starkultus« mit seinen wie faule Pilze zerfallenden Parolen verwechselt werden, wie ihn Olivier zwecks Massenlenkung betreiben will.377 Sigismunds Eigenschaft als Quietiv für die Nöte gerade der »Mühseligen« und »Beladenen«, für den widerstrebenden Willen der Besitzlosen und Messianiker will dieser sich allerdings zu Nutze machen. Hier steht die Figur wieder in der Tradition des Erlösers der Unterdrückten. Entsprechend ist jedes Haar auf seinem Haupt gezählt, wie ihm einer der Fackelträger mitteilt  ; und er soll ewig beim Volk bleiben, denn die Aufständischen imaginieren ihn als unsterblich – »denn du wirst ewig bei uns bleiben«378 – wie dieses selbst  : »Das Volk stirbt nicht, während die Könige einer nach dem anderen von dieser Welt scheiden […] Denn wie der ständige Strom des Wassers dem Fluß eine ewige Dauer verleiht, so macht die Abfolge von Geburt und Tod unsterblich.«379

Wenn also die Könige aussterben, Sigismund aber dennoch von dem in den Palast eingezogenen Volk als König ausgerufen wird, der ewig bleiben werde, ist 376 Zum vorigen vgl. jetzt SW XXXVIII, 909 [ Juni 1923]. Hofmannsthal verstand sich in geistiger Hinsicht übrigens selbst als eine Art Kompositkörper – so äußerste er über die Neuen deutschen Beiträge  : »da ich diese Zeitschrift nur mache, um das mir Homogene für ein paar Hundert Menschen hinzustellen […]« (BW Burckhardt 98/99 [Hervorh. A.M.]). 377 Benjamin machte diesen für das moderne Filmwesen aus  ; GS I 2, 452  ; Kunstwerk Reproduzierbarkeit. 378 Was noch auffällt, ist der grenzenlose Sprachglaube der Aufrührer – »Weckt ihn nicht auf. Wenn er schreien wollte, würde uns allen die Seele bersten wie ein Sack.« (SW XVI.2, 211  : Ein Anderer). Dieser Satz ist auf Herders Ausdruck des »schlafenden Riesen« für die Sprache (s.o.) zu beziehen. Die Stelle ist nur leicht variiert im Vergleich zu den Vorfassungen (vgl. SW XVI.2, 99), dort wird er als »scheintot« bezeichnet. Deutlich wird hier wieder auf die Eigenschaft Sigismunds als Kollektivgestalt verwiesen, deren Tätigwerden jeden Einzelnen betreffen kann. 379 Aus einer Streitschrift der Monarchomachen  ; zit. n. Manow, Schatten des Königs  ; op cit, 108  : Rosanvallon. Die Zeit des Königtums also ist vorbei, weil es keine Könige mehr gibt – Cortes Feststellung war 1848 vielleicht weniger innovativ, als Schmitt weismachen wollte.

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damit das traditionelle Königtum auch dem politischen Leib nach nicht mehr gemeint – sondern jener »König der Könige«, das »königliche Wesen«, das nach Adam Müller die Freiheit garantiert  : der Nationalgeist als sakraler Leib einer Republik der Freundschaft (gewissermaßen das synthetisierende Dritte über Demokratie und Aristokratie). In den dichterischen Fassungen ist diese Gemeinschaft als erreichte dargestellt worden. In Sigismund, dem ›Corpus mysticum litterae‹ bleibt sie nun Idee. »Die Republik ist die Gemeinschaft, wo das Gesetz – der Nomos – als lebender Logos existiert  : als Ethos – Sitte, Lebensweise, Charakter – der Gemeinschaft und jedes ihrer Glieder […]«. »Es kann im Gewebe der Gemeinschaft weder eine tote Zeit noch einen leeren Raum geben.« (Rancière  : Unvernehmen, 79)380

Die gewebeartige Gemeinschaftsverbindung Sigismunds kommt auch in seiner Absage an Oliviers ›Angebot‹ der Teilnahme am Comité zum Ausdruck  : in einer Notiz lehnt Sigismund mit einem Verweis auf seine andere Bindung mit dem Volk ab  : »S. Nein. ich bin anders verbunden mit den Andern als durch meine Stimme.«381 Die geheime Übereinstimmung mit dem Volk, die unausgesprochene, stille Entsprechung – das ist die »Nicht-Sprache«, die Sigismund Julian in einer (bereits zitierten) anderen Notiz lehren möchte. Es scheint nun eine ähnliche Verbindung mit einem anderen Körper der Vielen zu geben (bzw. anderen Körpern), wie vormals mit dem des Basilius’ – jedoch eine Bindung abseits des souveränen Banns, die ihn nicht aussaugt. In der letzten Szene wird dieser Glaube Sigismunds aber als Selbsttäuschung entlarvt, er kann seine »Gefreundeten« nicht von einer Schar falscher Anhänger unterscheiden. Allerdings treffen diese günstig im Moment seiner Sehnsucht nach »Bindung« ein  : »Nicht wahr, sie werden mich abholen  ? Dann werde ich vorwärts gehen und mich nicht mehr umblicken. […] Ich bin allein und sehne mich, verbunden zu sein.«382 »Stimme« muss allerdings nicht automatisch mit ›Sprache‹ gleichgesetzt werden  : Die Aussage kann auch als Abwehr des rationalen Systems einer Stimmenzählung, einer bloß mathematisch summierenden Konstruktion des somit akkumulierten demos verstanden werden – deren Ergebnis in jeder parlamentarischen 380 Jacques Rancière  : Das Unvernehmen. Politik und Philosophie  ; Frankfurt/Main 2002. S. 79. Rancière beschreibt hier Platons Ideal in der Politeia  ; die Nähen von Hofmannsthals Utopie der Freundschaft sind sicher keineswegs zufällig. 381 SW XVI.2, 335  : N 335. 382 SW XVI.2, 219  : Sigismund.

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Demokratie mit dem Volkswillen identifiziert wird.383 Das wäre eine Ablehnung des pouvoir constitué, wie Olivier ihn zumindest vorgeblich offeriert (»Sitz und Stimme im Comité«).384 Diese anti-parlamentarische Lesart ist denkbar  ; allerdings ist Olivier ein so offenkundiger Wahlfälscher, dass sich das kritische Potential der Notiz hier eher auf die Gestalt des diktatorischen Parteiführers der Namenlosen richtet. Dafür, dass die Verkörperung des demos keineswegs automatisch mit (parlamentarischer) Demokratie gleichzusetzen sei, hat jedenfalls auch Schmitt in der Parlamentarismus-Schrift von 1923 argumentiert, ein Text, der Hofmannsthal zumindest bekannt gewesen sein könnte  : »Je stärker die Kraft des demokratischen Gefühls, um so sicherer die Erkenntnis, daß Demokratie etwas anderes ist als ein Registriersystem geheimer Abstimmungen. Vor einer, nicht nur in technischen [sic], sondern auch im vitalen Sinne unmittelbaren Demokratie erscheint das aus liberalen Gedankengängen entstandene Parlament als eine künstliche Maschinerie, während diktatorische und zäsaristische Methoden nicht nur von der acclamatio des Volkes getragen, sondern auch unmittelbare Äußerungen demokratischer Substanz und Kraft sein können.« (Schmitt, LP, 22)

Diese direktdemokratische Linie, die sich Schmitt hier zum Zweck der Diskreditierung der repräsentativen Demokratie westlichen Stils zu eigen macht,385 hat in ihrem (zweckmäßigen) Plädoyer für die demokratische Grasnarbe Nähen auch zum anarchischen Konzept einer Freundschaft der Wahlverwandten  ; auf Benjamins Parlamentarismus-Kritik in der Kritik der Gewalt wurde diesbezüglich 383 »Bemerken wir, daß das Wort Stimme, das bei Gelegenheit des allgemeinen Stimmrechts auftritt, einer der vieldeutigen Begriffe ist, die in ›eigentlicher‹ (linguistischer, musikalischer) ebenso wie in ›übertragener‹ (politischer) Bedeutung verstanden werden können. Der Gebrauch des Wortes im politischen Wortschatz ist genügend eindeutig […] Aber man kommt um den Gedanken nicht herum, daß der Begriff Einheit, der bei sozialen Körperschaften auftritt, ein Band um Rousseaus Ästhetik und Politik schlingt, die, [die] eine wie die andere, auf verschiedenen Ebenen eine präzise Antwort auf das grundlegende Problem der Mitteilung zwischen den Individuen liefern, so daß die Geschichte der Gesellschaften als Geschichte der Stimme gedeutet werden kann.« ( Jean Starobinski  : Das Rettende in der Gefahr. Kunstgriffe der Aufklärung  ; Frankfurt/Main 1990. S. 261). 384 Vgl. hierzu Robespierres Herrschaft einer »Kollegialdiktatur des Comité de salut public« (DD, 150). 385 Weber hat allerdings auch im repräsentativen Typus direktdemokratische Elemente wirksam gesehen  : »Denn nicht die politisch passive ›Masse‹ gebiert aus sich den Führer, sondern der politische Führer wirbt sich die Gefolgschaft und gewinnt durch ›Demagogie‹ die Masse. Das ist in jeder noch so demokratischen Staatsordnung so.« (WuG, 866).

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schon verwiesen. Als ein Ideal direkter Verbundenheit will es allerdings nicht nur ohne das Kippspiel von pouvoir constituant/constitué, sondern mehr noch ohne Diktator auskommen – und ohne Befehl. Rang setzte diesem das »Bekenntnis« als »Wort des Wunders« entgegen, eine ›Poetheologie‹ des »Dings« und der »Gabe« dem faulen Zauber und der »Anmassung« des Machtwortes.386 Diese Differenz lässt sich auch an der Akklamationsszene im Schloss und ihrer rüden Beendigung entnehmen. Vossler unterschied zwar weniger akkurat zwischen sprachlicher Transzendenz und beschwörendem Zauber, und sah diesen vor allem weniger kritisch, machte jedoch auch den entzaubernden Charakter des naturwissenschaftlichen Denkens für die Verkümmerung der sprachlichen Wirklichkeit zum tauschbaren Zeichen verantwortlich  :387 »Jenes emphatische Verhalten des Menschen, […] jenes sprachgläubige Beten, Zaubern, Meinen und Sprechen, jenes Verwachsensein der Gesinnung mit dem Wort, wird durch das naturwissenschaftliche Denken gebrochen  ; die Naivität der inneren Sprachform, kraft deren das ›Pferd‹ ein ›Pferde-Pferd‹, eine Sage war, die ganze Eigennamigkeit der Dinge wird zertrümmert, ihr Taufschein zerrissen, so daß nur die äußeren Zeichen, die Gattungsnamen, die Formenordnungen, kurz, der Tauschwert und die Übersetzbarkeit der Wörter und Sprachen übrig bleiben.« (GKS, 225 [Hervorh. A.M.])

Die Zerstörung des Sprachwunders, des symbolischen Scheins verweist über das metaphorische Prinzips des »da und nicht da« und die Auslöschung seines Trägers nochmals explizit auf die Illegitimität des Vorgangs  : »Repräsentieren heißt, ein unsichtbares Sein durch ein öffentlich anwesendes Sein sichtbar machen und vergegenwärtigen. Die Dialektik des Begriffes liegt darin, daß das Unsichtbare 386 »Befehl und Bekenntnis sind Ausprägungen je einer der beiden Grundgegensätze, als die Wort auftritt  : Wort des Zaubers, Wort des Wunders. Wort des Zaubers meint Macht  ; meint nicht, was es sagt, sondern etwas darüber hinaus  ; macht sich zum Mittel. Mit Zauber will der Mensch jedesmal Gott einfangen, in der unendlichen Sucht. […] Das andere Wort steht bei sich, leibt, was es sagt, als Ding, als Gabe nämlich  : Opfergabe. Der Anmassung der Macht ledig empfängt es wunderbare Macht […]. Der Sucht sich begebend, wird es begabt.« (Rang, Shakespeare und unsere Religion, zit. n. Jäger, Messianische Kritik  ; op cit, 143). »Begabt«, so könnte man dieser Logik entnehmen, wird auch der Märtyrer – mit Charisma, während der Diktator nur die Bildmagie der Propagandamaschine anwerfen kann. 387 Ähnliches beschreibt Schmitt ja für das organstaatliche Denken im juristischen Bereich und kritisiert hierbei Hobbes  : »Daß es eine juristische Wirklichkeit und Lebendigkeit gibt, die nicht die Wirklichkeit der naturwissenschaftlichen Realität zu sein braucht, hat er sich nicht bewußt gemacht.« (PT, 33).

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als abwesend vorausgesetzt und doch gleichzeitig anwesend gemacht wird.«388 Und der Totalitarismus der Olivierschen Diktatur ist daher insbesondere darin zu sehen, dieses unsichtbare Sein – die innere Form des Geistes der Nation – in seiner dichterischen, gestalthaften Phänomenalität zu vernichten, eine Kopie als dessen Visualisierung auszugeben und die Vergegenwärtigung einer »königlichen Sprache« nur zu behaupten. Dabei kommt ihm entgegen, dass nur ein geringer Teil der Menge – den er umsichtig (zwecks Exekution) absondern ließ – Sigismund leibhaftig zu Gesicht bekommen hat  ; dem Rest des Volkes ist das Antlitz des jungen Königs nur als »schlechter Kupferstich« bekannt  ; die Situation ähnelt damit späteren befunden Benjamins zur Lage der Demokratien  : »Die Krise der Demokratien läßt sich als eine Krise der Ausstellungsbedingungen des politischen Menschen verstehen. Die Demokratien stellen den Politiker unmittelbar, in eigener Person, und zwar vor Repräsentanten aus. Das Parlament ist sein Publikum. Mit den Neuerungen der Aufnahmeapparatur, die es erlauben, den Redenden während der Rede unbegrenzt vielen sichtbar zu machen, tritt die Anstellung des politischen Menschen vor dieser Aufnahmeapparatur in den Vordergrund. Es veröden die Parlamente gleichzeitig mit den Theatern. […] Das bedingt eine neue Auslese, eine Auslese vor der Apparatur, aus der der Champion, der Star und der Diktator als Sieger hervorgehen.« (GS I 2, 454/45  ; Kunstwerk Reproduzierbarkeit [Hervorh. A.M.])

Die Bilderschrift Oliviers lässt sich spätestens vor diesem Hintergrund als bloße Propaganda enttarnen, eine Methode des modernen Diktators, seine faktische Macht hinter dem Star zu verbergen. Kern des sprachphilosophischen Problems, das über de Saussures Konzept der Abtrennung »der langue vom langage«389 zur 388 Schmitt, Verfassungslehre  ; op cit, 209/210. Über die Kirche heißt es an anderer Stelle  : »Im Repräsentativen liegt ihre Überlegenheit über ein Zeitalter ökonomischen Denkens.« (RK, 32). Rangs Allegorienverständnis verfolgt – im Unterschied zu dem Benjamins – dieselbe Richtung im sprachlichen Bereich  : »So weit war sie [die Allegorie] von jenem Frostigen entfernt, je einen Begriff mit einer Figur zu belegen, daß sie vielmehr durchweg ein Schwebendes fühlt, einen Lufthauch um die Dinge des Geistes, einen Strahlennebel der Unendlichkeit, darin das gegenwärtig Begriffene sich als seinen Nährraum verliert, das klar Gesagte in das unsagbar zu sagende.« (Rang, Shakespeare der Christ  ; zit. n. Jäger, Messianische Kritik  ; op cit, 201). Rang sah in der Allegorie ein »Lebendig ausgedrücktes Bekenntnis der Idee in symbolischem Bild.« (ebd.). 389 Genau dieser für die Linguistik als rationaler Sprachwissenschaft so wichtige Umstand (geradezu ihre Urszene), fand Vosslers harsche Kritik  : »Wer die Sprachen lediglich in ihren äußeren Formen, grammatischen Strukturen und sozialen Systemen studiert und etwa wie Saussure die langue vom langage abtrennt und die abstrakte langue aus sich selbst zu erklären hofft […]«, schneide die »innersprachliche Atmosphäre«, das Formen hervortreibende Lebendige in der Sprache weg (GKS, 217).

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langage des images (Abel Gance) des Films als der Kunstform der Reproduktion par excellance führt, ist der Warencharakter. Die Ablösung der Worte durch die Bilder dürfte für Hofmannsthal gewissermaßen eine Prozess der fortgesetzten Aufspaltung von Metaphern gewesen sein (deren Übertragungsprinzip jede semantische Bedeutung aufruht).390 Der »Taufschein« wird zerrissen, und an die Stelle der präsentischen Wechselwirkung einer poetisch gesteigerten Sprache tritt der bare Tauschwert »äußerer Zeichen«  : ein ornamentales Geprotze mit Signifikanten, den losgebrochenen Fragmenten vormals anderer Bedeutsamkeiten.391 Dies trifft auch und gerade die sprachliche Emanation jener Idee des Nationalgeistes und einer in der Sprache transsubstantiierten gemeinschaftlichen Seelenverfassung, deren Perversion als eine Religion des Zwangs auf den Einzelnen zurückschlägt. Dieser Vorgang hinter Oliviers Projekt lässt sich mit dem Unterschied von Schnittblume und Gartenpflanze vergleichen. Botanisch ist auch die Metaphorik, mit welcher Hofmannsthal diese Angst in den Notizen Ausdruck verlieh  : »ARZT Wer diesen [Sigismund] ausreißt – reißt die Seele des Volkes aus –«.392 »Was aber jetzt dasteht, das ist die Wirklichkeit.«393 Die entseelte Maschine »Die heute herrschende Art ökonomisch-technischen Denkens vermag eine politische Idee gar nicht mehr zu perzipieren. Der Staat scheint wirklich das geworden zu sein, was Max Weber in ihm sieht  : ein großer Betrieb.« (PT, 56)394 390 Vgl. 2.1 in dieser Studie. Grundmann führt aus, dass der Gehalt einer Metapher für Hofmannsthal auf »kollektiven Erinnerungsspuren und Momenten des Unbewußten« beruht habe. In der Metapher komme es zu einer paradoxen Aufhebung der Zeit, indem Abwesendes (signifikat) und Anwesendes (signifikant) zusammenfallen, und »eine Oszillation stattfindet zwischen der textlichen Präsenz und deren Repräsentationsgehalt […]« (Grundmann, Hermeneutik des Erinnerns  ; op cit, 105). Diese Wechselwirkung ist hier am Ende. 391 Vor solchem Hintergrund ist die Bemerkung Benjamins  : »Benannt zu sein – selbst wenn der Nennende ein Göttergleicher und Seliger ist – bleibt vielleicht immer eine Ahnung von Trauer.« (GS I 1, 398  ; Trauerspiel) zu lesen. Hier gilt Benjamins Einschränkung jedoch nur für den Benannten  : »Sigismund  !« ruft die von Oliviers Interesse geleitete Menge auf dem Hof, bevor der Schuss fällt, während die »Mystiker«(vgl. SW XVI, 2  ; 358  ; Varianten) in der Akklamationsszene noch glaubten, dass jene, die ihn beim Namen nennen, stumm werden müssten. 392 SW XVI.2, 375. Einen schwachen Trost bietet an dieser Stelle Benjamins Trauerspielbuch  : »Denn mitten in jener wissentlichen Entwürdigung des Gegenstandes bewahrt ja die melancholische Intention auf unvergleichliche Art seinem Dingsein die Treue.« (GS I 1, 398  ; Trauerspiel). 393 SW XVI.2, 215  : Olivier. 394 Diese Kritik hatte Schmitt, wie das ganze höchst anti-liberale vierte Kapitel, nicht in die Gedenkschrift für Max Weber eingebracht.

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Es liegt in der radikalen Konsequenz von Hofmannsthals Umbau des Turm, dass dieser Albtraum Wirklichkeit wird. Wo Legitimität in den ästhetischen Kategorien der Schönheit gedacht wird, muss sie weichen. Und mit ihr, das ist anschließend zu zeigen, das Charisma. »Arzt  : Ahnen Sie, wen Sie töten wollen  ! Herr  ! Herr  ! […] Ist Ihnen kein Organ gegeben für die Hoheit dieses Wesens  ? OL IV IER […] Es ist ein nüchterner Tag […] angebrochen. […] Ich sehe auf die Welt, die dergleichen hervorbringt, wie auf eine Possenreißerbude« (SW XVI.2, 218  : Olivier)

Die Utopie einer dichterischen Sprache als der natürlichen Seele des Staates, in welcher die Nation das Politische fassend sich ent-spricht, steht also vor jenem Nichts, das von der Schaltzentrale der Staatsmaschine aus um sich greift. Was sich rational nicht disziplinieren lässt, wird »kassiert, annulliert, ausgelöscht« – »Der Mensch da ist soeben vor seinem Richter gestanden. Das ist die nüchterne Tatsache.« (Olivier). Und man kann nicht sagen, dass dieser »Prozeß der Kreatur […] am Ende halb nur bearbeitet zu den Akten gelegt wird.« Olivier schafft Fakten.395 »Das Schicksal des Charisma ist es, durchweg mit dem Einströmen in die Dauergebilde des Gemeinschaftshandelns zurückzuebben zugunsten der Mächte entweder der Tradition oder der rationalen Vergesellschaftung. […] Von allen jenen Gewalten aber, welche das individuelle Handeln zurückdrängen, ist die unwiderstehlichste eine Macht, welche neben dem persönlichen Charisma auch die Gliederung nach ständischer Ehre entweder ausrottet oder doch in ihrer Wirkung rational umformt  : die rationale Disziplin« (WuG, 681 [Hervorh. A.M.])

Dieses Schicksal hatten die dichterischen Fassungen in der Aussetzung der Tradition zu überwinden gesucht (vgl. 4.3). In der Bühnenfassung steht dem Charisma-Träger Sigismund, dem potentiellen Auctor eines sprachlich verfügten Sozialen, nun jene nüchtern-autoritäre Macht der rationalen Disziplin gegenüber und gibt sich alternativlos – »Jede Souveränität handelt, als wäre sie unfehlbar.«396 395 SW XVI.2, 218  : Olivier  ; GS I 1, 316  ; Trauerspiel. 396 Zuvor  : PT, 50  : de Maistre  ; Hofmannsthals Notiz lautet  : »Autoritas, non veritas facit legem. Hobbes« (zitiert bei Schmitt, Politische Theologie)« (RA III, 587  ; Aufzeichnungen [1926]). Die ›automatisierte‹ Form hat Hofmannsthal also für die Hobbes’sche Autorität angenommen, die abseits der Garantie des bloßen Lebens alle Rechte »teufelsmäßig absorbirt« (wie Nietzsche oben zitiert wurde). Der Band SW XXXVIII macht dieses Exerpt nun in vollem Umfang einsehbar (ebd., 1001 f.).

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Dass Hofmannsthal sich angesichts solcher Beschreibungen moderner Staatlichkeit zu einer allegorisch-dystopischen Inszenierung entschlossen hat, ist nicht erstaunlich. Sein Interesse an den entsprechenden Stellen in der Politischen Theologie – Hobbes berühmte Autoritäts-Formel wird wiederholt zitiert – ist daher keineswegs als ein affirmatives zu verstehen  ; eher als ein korrektives. Die Denkfigur der Souveränität als künstliche Seele des Leviathan kann ihm ebenso wenig behagt haben, wie die Distinktion zwischen Autorität und Wahrheit. In der Figur des Olivier hat er dieses Unbehagen verkörpert. Aus dem augere-Prinzip der traditionalen und mehr noch der charismatischen Auctoritas, das mit Jean Starobinski als eines des Austeilens und Mehrens zu denken ist (vgl. 4.2.1), wird das der funktionalisierten, säkularen Autorität (welche nimmt, anstatt zu geben). Die feinen Differenzen machen oft gewaltigen Unterschied – so auch jener ›freud’sche Transkriptionsfehler, der die »Form ihrer politischen Organisation« in die ihrer »Organismen« wandelte, wenn er Hofmannsthal denn wirklich unterlaufen ist – im Turm wird daraus der Antagonismus von Heilsbringer und Widersacher, von Märtyrer und souveränem Intriganten. An die Stelle des Organismus rückt »Die abstrakte, nur durch rationales Denken gewonnene Form«  ; diese »aber ist hart und starr, und sie kann nicht sterben, weil sie tot ist«.397 Das echte Symbol weicht dem nichts als profanen. Der Arzt postuliert vergebens  : AR ZT  : Die Welt wird nicht vom Eisen regiert, sondern vom Geist, der in ihm ist. Er ist ein gewaltiger Mensch. Hütet Euch  ! OLIV IER  : Jetzt habt Ihr sein Urteil ausgesprochen. Darum muß er kassiert, anulliert, ausgelöscht werden. Dazu stehe ich hier. – Denn ich und einige, wir haben uns aufgeopfert und nehmen dem Volk die Last des Regimentes ab, damit es nicht schwindlig werde.« AR ZT […] fällt vor ihm nieder (SW XVI.2, 218)

Gerade das, was der Arzt an Sigismund als übermenschlich und einzigartig rühmt, legt Olivier gegen diesen aus. Er schiebt dem Arzt mit perfider Ironie sogar noch die Verkündung des »Urteils« gegen Sigismund unter, das er zu397 PT, 27  : Kaufmann. Interessiert hat sich Hofmannsthal darum auch für die Theorie des »reinen Staates« von Wolzendorff (1920), welcher ebenfalls eher der organischen Staatslehre zuzurechnen ist. »Sie geht davon aus, daß der Staat das Recht und das Recht den Staat braucht, aber ›das Recht als das tiefere Prinzip hält letzten Endes den Staat in Banden.‹ Der Staat ist ursprüngliche Herrschergewalt  ; aber er ist es als die Macht der Ordnung, als die ›Form‹ des Volkslebens, nicht als ein beliebiger Zwang durch irgendeine Gewalt.« (PT, 25  ; Wolzendorff. Markierung  : Hofmannsthal). Dass sich diese Setzung gegen Hobbes’ Totalität richtet, ist unschwer zu erkennen. Schmitts Dezisionismus hat sie im Ausnahmezustand liquidiert.

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vor längst gefällt hat. Hier ist wirklich die Begegnung zwischen Goethe und Napoleon mit dem berühmten Spruch zitiert, die Politik sei nun das Schicksal – oder in seiner modernisierten Variante  : das Politische sei jetzt »das Totale« (Schmitt).398 Der vom Arzt auserlesene »zu Feiernde« findet vor diesem Richter keine Gnade. Die rein immanente Dimension des »sterblichen Gottes«, welche doch nur die Sterblichkeit aller anderen meint, bringt Oliviers Ausspruch  : »denn wir haben nichts, dich zu fassen, als den Leib« zum Ausdruck. Die Reduktion des Menschen auf seine Leiblichkeit (Olivier) dringt auf den entwertenden Materialismus der rationalen Weltanschauung. »Das Ökonomische in seiner Verbindung mit dem Technischen […] verlangt eine Realpräsenz der Dinge.« (Schmitt). Jedes »da und nicht da« (sein oder nicht sein) verbietet sich davor zwangsläufig. Wo eine Außerrationalität noch verteidigt wird, da sind »Die Begriffe, mit denen der Herr operiert, […] abgetan und liegen auf dem Schindanger.«399 Das ­bedeutet »die Beseitigung aller theistischen und transzendenten Vorstellungen und Bildung eines neuen Legitimitätsbegriffes. Der überlieferte Legitimitätsbegriff verliert offenbar alle Evidenz. Weder die privatrechtlich-patrimoniale Fassung der Restaurationszeit, noch die Fundierung auf ein gefühlsmäßiges, pietätsvolles Attachement halten dieser Entwicklung stand.« (PT, 45)

Schmitt schrieb, Hobbes habe »seinen Staat, den Leviathan, zu einer ungeheuren Person geradezu ins Mythologische (…)« gesteigert.400 Hofmannsthal wendet ihn ins völlig Unpersönliche und Totalitäre. Er bringt ihn mit dem gesichts- und namenlosen Technizismus des modernen Massenstaates zusammen, der eben nicht die »Form des Volkslebens« und, so heikel und vage auch dessen nicht-rati398 »Der Gegensatz liegt darin – dass die Mystiker ihn gekrönt, verherrlicht u. von seinen Leiden als von Geheimnissen umwittert sehen, Olivier aber das alles für nichts achtet. Alles das – ist Olivier’s Gedanke –, was sie Gott nennen, ist einzubeziehen in mir, in dieser eisernen Keule. Alles übrige ist Firlefanz. Furcht u. Gewalt ist alles.« (SW XVI.2, 358). 399 Zuvor  : Schmitt, RK, 35  ; SW XVI.2, 218  : Olivier. »Die Bourgeoisie definiert er [Cortes] geradezu als eine ›diskutierende Klasse‹, una clasa discutidora. Damit ist sie gerichtet, denn darin liegt, daß sie der Entscheidung ausweichen will. Eine Klasse, die alle politische Aktivität ins Reden verlegt, in Presse und Parlament, ist einer Zeit sozialer Kämpfe nicht gewachsen.« (PT, 52). Ähnlich überfordert scheint der Arzt. Zum Einbruch des Politischen in das kollektive Selbstverständnis von Sprache (bzw. Verständnis von Worten) vgl. Lefort, Fortdauer des Theologisch-Politischen  ?  ; op cit, 56. 400 PT, 43.

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onale, sondern dichterische Deutung ist (die ebenfalls bestimmend werden kann, wie das Beispiel Julians zeigt), auch nicht die Form des Volkswillens. Diese Dystopie eines nihilistischen, unsichtbaren Mechanismus ist darum die dramatische Entsprechung zu Webers Formel des »stahlharten Gehäuses künftiger Hörigkeit« und der Hiat dieses Steigerungsprozesses.401 Das Gorgonenhaupt des Totalitarismus wuchert aus dem Chaos nach dem Zusammenbruch der alten Ordnung hervor – jetzt aber als eine eisenhart durchgeführte Ordnung, die sich ihr eigenes Recht und ihre eigene Zeit erst schafft. »Ich sehe auf das Ganze wie auf eine Possenreisserbude  : unterwirf dich mir  : Ich bin dieses Ganze in mir ist Gott (die Keule) nirgend sonst./Gib dich ihr blindlings – oder du bist cassiert.« (SW XVI.2, 365  ; Varianten)

Als (figürliche) Allegorie des übermächtigen Fatums einer alles beschleunigenden Moderne schlägt Olivier den zeitgeschichtlichen Bezug ins Drama ein  ; mehr noch, er okkupiert damit das Drama. Die jeder Ordnung inhärente Gründungsgewalt wird ins Bestialische verzerrt, das nach nutzenrationalen Maßstäben gefällte Urteil zum Gesetz der Zeit  : »Die Revolution kann sich natürlich ebenso gut dieses Begriffes bedienen und ihre Gegner ›durch erschießen aburteilen‹ lassen.«402 Der ultimative rechtliche Grenz-Begriff, der hier den Gewalthabenden zur Verfügung steht, ist der der »Maßnahme«.403 Der Leviathan wird mit der Stille nach dem Schuss eine endgültig entseelte Maschine sein. 401 Möglicherweise geht dies auf Nietzsches Jenseits von Gut und Böse zurück, hier wird die künftige europäische Gesellschaft als eine »von vielfachen geschwätzigen willensarmen und äußerst anstellbaren Arbeitern« beschrieben, »die des Herrn, des Befehlenden bedürfen wie des täglichen Brotes  ; während also die Demokratisierung Europas auf die Erzeugung eines zur Sklaverei im feinsten Sinne vorbereiteten Typus hinausläuft«, erfolge gleichzeitig für die auserlesenen großen Individuen ein ›Diktatoren-Zuchtprogramm‹ (Nietzsche, Werke 2  ; op cit, 708). 402 DD, 174. Schmitt merkt in der umfangreichen Fußnote hierzu immerhin an, dass diese Exekution im Rahmen der Friedlosmachung bzw. zusammengesetzten Amtshandlung nicht mehr von Mord zu unterscheiden sei (vgl. DD, 177). Diese Ununterscheidbarkeit inszeniert auch der Turm in Oliviers Mordanschlag auf Sigismund. 403 Ohnehin aber reicht der Vollzug einer Maßnahme noch darüber hinaus  : »Die nichts als tatsächliche Maßnahme bleibt einer rechtlichen Erfassung unzugänglich und wird auch mit Hilfe des interessanten Begriffes einer zusammengesetzten Amtshandlung nicht erklärt.« (DD, 175). Die »zusammengesetzte Amtshandlung« ist im preußischen Recht vorgesehen  ; sie sieht vor, dass in einer tatsächlichen Aktion zugleich eine rechtliche Verfügung liegen soll – ein Prinzip, das die Staatsgewalt vorgeblich humanisieren sollte, wurde, ähnlich dem Institut der Schutzhaft später, ins blanke Gegenteil verkehrt.

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5.4.4 Das Charisma im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit (Der Betrug am Demos II) »Der Emblematiker »verrät und entwertet die Dinge auf ganz unaussprechliche Weise. Nicht sowohl Enthüllung als geradezu Entblößung der sinnlichen Dinge ist die Funktion der barocken Bilderschrift.« (GS I 1, 360) »A NTON Recht komödiantisch gebärden sich die. Das sind keine ehrlichen Leut.« (SW XVI.2, 220)

Die Grausamkeit und Kälte der ›künstlichen Seele Souveränität‹ will Olivier jedenfalls nicht allzu öffentlich bewusst werden lassen. Darum eben bemüht er sich zunächst darum, Sigismund verfügbar zu machen. Die in den Notizen mehrfach auftauchende Betitelung Sigismunds als »Alraun« könnte auf den Betrug der Bevölkerung in Machiavellis politischer Komödie Mandragola (ca. 1518) verweisen, in welcher die Figur der (durch Trank gefügig gemachten) Lucrezia als Allegorie des Volkes zu verstehen ist.404 Auch Olivier ist sicher  : »Das Volk ist vergesslich u. nimmt leicht einen für den andern.« Nachdem das Thema Sigismund für ihn »erledigt« ist, soll ihm daher dessen »Konterfei« wie ein »Handschuh« parieren  ; denn das »Bild ist im Zusammenhange der Allegorie nur Signatur, nur Monogramm des Wesens, nicht das Wesen in seiner Hülle«.405 Olivier lässt Sigismund durch eine Inszenierung seiner charismatischen Wirkung ans Fenster des Palastes locken – es ist die Imitation (bzw.: Wiederholung) der Akklamationsszene, die Olivier zuvor unterbrach – und mit technischer Präzision erledigen,406 um sich anschließend als Falschmünzer auf Ebene 404 »O / Ich sehe auf die Welt, die dergleichen \Alraunen und dazu euren Enthusiasmus/ hervorbringt wie auf e{ine} Possenreißerbude –« SW XVI.2, 376  ; Varianten. Der Mandragola-Stoff ist vielleicht bezüglich Oliviers Täuschungsabsichten bedeutsam. »Alraun« (Mandragola) heißt dort der betäubende Trank, welcher der Überlistung dient. 405 SW XVI.2, 357  ; Varianten  ; GS I 1, 388  ; Trauerspiel. 406 Zitiert wird durch die Rufe übrigens auch nochmals das Ende der Karnevalszeit  : »[…] jetzt geht das Fest aus der Amtsbefugnis des Archon Basileus, des bestellten Jahr-Herrschers, in die des Archon Eponymus über, des Neujahr-Herrschers, der den Beruf hat, die neue statt der abgelösten Herrschaft mit Namen zu berufen.« (Rang, HPK, 30). In diesem Zusammenhang sind auch die Ausführungen Gampers zur technisch erzeugten Masse, insbesondere das Referat zu Tardes Massen- und Öffentlichkeitstheorie von Interesse  : »So könne es zu ›Verbrechen und Vergehen der Öffentlichkeiten‹ kommen, die sich gegenüber denen der ›Masse‹ dadurch auszeichneten, dass sie erstens ›weniger abstoßend‹, zweitens ›weniger aggressiv und gewalttätig, aber eigensüchtiger und schlauer‹, drittens ›in weiterem, und längerem Umfang unterdrückend‹ und viertens

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der Kollektiv-Symbolik zu betätigen. Hier endet die Revolution schließlich im inszenierten Charisma einer lumpigen Farce. Ganz darauf (»diese kriechenden Angelegenheiten«) verzichten kann sie jedoch nicht. Denn »[…] daß die Rationalisierung und die rationale ›Ordnung‹ ›von außen‹ her revolutionieren«, bleibt im Zeitalter nach dem Wechsel des leitenden Paradigmas der Souveränität ihre Hypothek  ; »[…] während das Charisma, wenn es überhaupt seine spezifischen Wirkungen übt, umgekehrt von innen, von einer zentralen ›Metánoia‹ der Gesinnung der Beherrschten her, seine revolutionäre Gewalt manifestiert. (WuG, 658)

Die Regierbarkeit der Herzen »Stellet ihn hin {den Heiligen.} alles Seelenhafte wird um ihn convergieren. Spüren sie nicht seine Reinheit.« (SW XVI.2, 376  ; Varianten  : Arzt)

Die Rationalisierung von Sigismunds Charisma durch Olivier zu einer bloß visuellen Wirkung entspricht der Feststellung, dass im modernen CharismaVerständnis keine Ausformung der Persönlichkeit als ganzer mehr angestrebt ist. Stattdessen wird dessen performative Erzeugbarkeit wesentlich mehr einberechnet und zwecks öffentlicher Wirkung gezielt genutzt. Die Frage ist, ob es so etwas wie einen inszenierungs-resistenten auratischen Kern der Persönlichkeit gibt, etwas Irreduzibles, nicht Reproduzierbares.407 Diese Diskussion verweist – übrigens auch im »fatalen Requisit« der Bühnenfassung – zurück auf Schillers Anmut und Würde, das von Adorno mit einer Passage zitiert wird, die sich gut zu Webers Entseelung der Gefolgschaft durch den Parteichef fügt  :

›ihrer Straffheit sicherer‹ seien.« (Gamper, Masse  ; op cit, 483). Alle genannten Merkmale treffen auf Olivier zu  ; Sigismund ist kein Opfer der Masse. 407 Vgl. Jürg Häusermann (Hg.)  : Inszeniertes Charisma. Medien und Persönlichkeit  ; Tübingen 2001. S. 9 (Einleitung). Vgl. zur Reproduktion auch Gumbrecht  : 1926  ; op cit, 281 ff.; der allerdings bei seiner Diskussion des Codes »Authentizität versus Künstlichkeit« den in diesem Zusammenhang für die zwanziger Jahre zentral zu diskutierenden Charisma-Begriff gar nicht erwähnt. Ein schlagendes Beispiel wäre Fritz Langs Metropolis (1927) mit der doppelten Maria, die einmal als echte Verkörperung des Massenwillens, einmal als aufpeitschende, ins totalitäre Moment der Revolution zielende technische Reproduktion auftritt. Auch bei Hofmannsthal findet sich dieses Motiv schon früher, nämlich im Andreas-Fragment mit der Doppelgestalt Maria/Mariquita.

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»Wo die wahre Würde zufrieden ist, den Affekt an seiner Herrschaft zu hindern, und dem Naturtriebe blos da, wo er den Meister spielen will, in den unwillkürlichen Bewegungen Schranken setzt, so regiert die falsche Würde auch die willkürlichen mit einem eisernen Zepter, unterdrückt die moralischen Bewegungen, die der wahren Würde heilig sind, so gut als die sinnlichen, und löscht das ganze mimische Spiel der Seele in den Gesichtszügen aus.« (Schiller  : Anmut und Würde  ; zit. n. Adorno, Jargon der Eigentlichkeit  ; op cit, 522/523 [Hervorh. A.M.])

Charisma, wie es die zwanziger Jahre sahen (etwa im Film Metropolis),408 erschien als Möglichkeit, den Legitimitätsglauben zu kreieren, eine Regierbarkeit der Herzen und damit natürliche Autorität über die Massen zu erzeugen  ; um also jenen von Alfred Weber und anderen vermissten Geist bzw. jene Seelenverfassung zu ersetzen, welcher die neuen republikanischen Staaten ermangelten. Auch Hofmannsthal sah die »Gefahr, daß das Ego die Liebe verlerne  : ästhetisch gesprochen, daß die Form erstarre. (Pigenot.)«409 – Dass dieser Äußerung nicht nur eine ästhetische bzw. poetologische, sondern auch soziale Dimension eignet, liegt an ihrer Übertragbarkeit auf die Formen politischer Repräsentation und ihren Vorstellungshorizont. Liebe ist die sich durchdringende, also auf Wechselwirkungen beruhende Entgrenzungserfahrung zweier oder vieler Subjekte, die darin (sozial verbundene) Individuen werden.410 Die Eigenschaft als Projektionsgestalt einer kollektiven Libido (durchaus auch im Jungschen Sinne) bringt Sigismund, 408 Vgl. hierzu Eva Horn  : Die doppelte Maria. Weibliche Führerschaft in Fritz Langs Metropolis  ; in  : S. Krammer/M. Löffler/M. Weidinger (Hg.)  : Staat in Unordnung  ? Geschlechterperspektiven auf Deutschland und Österreich zwischen den Weltkriegen  ; Bielefeld 2011. 25–46. Die sozial performative Qualität des Charismas untersucht explizit Valentin Rauer  : Magie der Performanz. Theoretische Anschlüsse an das Charisma-Konzept  ; in  : P. Rychterová [et al.] (Hg.)  : Das Charisma. Funktionen und symbolische Repräsentationen  ; Berlin 2008. 155–172. Auch der Beitrag von Christoph Schneider  : Charisma. Sinnproduktion durch Reflexionsanästhesie (ebd., 129–154) ist in diesem Zusammenhang lesenswert. 409 RA III, 624  ; Ad me ipsum. 410 Der in den zwanziger Jahren scheinbar notwendig kollektive Kontext von Liebe – Hofmannsthal erwähnte ihn entsprechend in seiner Betrachtung des Libido-Begriffs in Freuds Massenpsychologie (vgl. RA II, 194  ; Wiener Brief II) – spielt auch in Walter Benjamins Moskauer Tagebuch [1926] in Form einer Begegnung mit den »Verhaltenslehren der Kälte« eine Rolle. »Alles Technische aber hat hier Weihe, nichts wird ernster genommen als Technik. Vor allem weiß der russische Film nichts von Erotik. Die Bagatellisierung des Liebes- und Sexuallebens gehört bekanntlich zum kommunistischen Kredo.« (Eintrag vom 30. Dezember 1926  ; GS VI, 340  ; Moskauer Tagebuch). Einen Tag nach diesem Eintrag musste Benjamin in einer frostklirrenden Nacht das neue Jahr, 1927, allein, ohne Asja Lacis begrüßen.

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wie mehrfach herausgearbeitet,411 als seine eigentliche Funktion mit (»Vor seinen Füßen werden sich alle küssen, und der Wolf wird das Lamm umarmen«) – wie die auch von Weber beschriebene Kraft zur inneren Wandlung (Metánoia)  ; auf dass die Menschen leise besser würden, wie Alfred Brust seine Erwartung hinsichtlich Hofmannsthals Werk formulierte.412 Auf eine solche Wirkung hat alle Ostentation von Martyrium unabhängig der religiös bzw. geschichtlich wechselnden Ziele immer gebaut. Ihr ist im Turm jedoch ein Traumbild vorgeschaltet, dass hier, ein letzter ungedeckter Wechsel dieser Interpretation, nicht unterschlagen werden soll  : das ans Fensterkreuz genagelte, ausgeweidete Schwein, das einst blutschwarz die Blicke des Erlösers fing (tatsächlich fürchtete Sigismund, als er in der Szene mit der Bäuerin davon berichtete, um seine Seele). »SIGISMU ND bleibt stehen und blickt auf die Wand neben der Tür zu seinem Zimmer, die vom Widerschein der Morgensonne schwach erhellt wird Der Bauer hatte ein Schwein geschlachtet, das war aufgehangen neben meiner Kammertür, und die Morgensonne fiel ins Innere, das war dunkel  ; denn die Seele war abgerufen und anderswohin geflogen. Es sind alles freudige Zeichen, aber inwiefern, das kann ich euch nicht erklären. Er setzt sich.« (SW XVI.2, 219)

Das Schwein wird landläufig als Glückssymbol verstanden. Als geschlachtetes hingegen ist in einem andern Kontext zu sehen  : dem der Affekte, die als kollektive das Masse-Bild der »swinish multitude« bestimmen.413 Das Bild des 411 »Wir vermögen nur die Gestalt zu lieben, und wer die Idee zu lieben vorgibt, der liebt sie immer als Gestalt. Die Gestalt erledigt das Problem, sie beantwortet das Unbeantwortbare.« (RA II, 198/199  : Neue deutsche Beiträge). Die Formulierung »Die Gestalt erledigt das Problem« findet sich auch in der Rede auf Grillparzer (RA II, 87 ff.). (vgl. 2.3 f.). 412 Alfred Brust schrieb an Hofmannsthal (9. Dezember 1926)  : »Sie haben mich ungewöhnlich reich beschenkt Zuerst kam Ihr Turm und heute das Gedichtbuch. Zwischen beiden wird gewiß ein großes Stück Ihrer Lebensarbeit liegen. Doch es ist in beiden dieselbe königliche Sprache  ; im Gedichtbuch etwas heller, im Turm aber ganz weise. Es wäre schön, wenn ein Dichter, der so im Königlichen sicher ruht und schafft, zu seiner Lebensneige hin auch äußerlich dem Pöbel sichtbar zum König seines Volkes würde. Es ist mein fester Glaube  : die Menschen würden leise besser werden. Und Deutschland hätte seinen Goethe früher und richtiger erkannt als nun.« (zit. n. SW XVI.2, 455  ; Zeugnisse). Dass von Österreich keine Rede ist, erstaunt. 413 Eventuell weist auch Benjamins Rezension der Bühnenfassung in diese Richtung  ; der visionäre Traum wird erwähnt, direkt darauf folgt die Verbindung des Geschehens mit der politischen Aktion, um die es sich »gruppiere« (vgl. GS III, 99/100  ; Turm-Rezension II) – ansonsten wirkt die Stelle aber etwas ratlos, eine dezidierte Deutung teilt Benjamin jedenfalls nicht mit.

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Schweins ist die politische Zoologie der Menge zum Zweck ihrer Denunziation, wie schon anlässlich der Zuschreibungen Julians bemerkt werden konnte. Der knappe Fortgang des Geschehens zeigt jedoch an  : Es ist nicht unter die »nahezu obligaten Wahrträume« des barocken Trauerspiels zu zählen, denn allzu »freudig« geht es nicht weiter. In den Notizen wird »Sigismund= das verwundete Tier« genannt, ein Hinweis vielleicht auf die antike Praxis, die »opferbaren Schweine sacres« bzw. ›rein‹ zu nennen.414 In der Kritischen Ausgabe wird an anderen Stellen mit guten Gründen auf Paul Claudel als Bezugsgeber hingewiesen. Auch das Schwein ist in Claudels Werk kein unerhebliches Symbol.415 Wichtiger aber scheint Benjamins anlässlich der in den Neuen deutschen Beiträgen erschienenen Fassung an Hofmannsthal gerichtete Frage zu Sigismund  : »Ist es im Grund nicht nur die wiederkehrende Gewalt der toten Dinge, des Schweins, mit dem er eines zu werden fürchtete, der er unterliegt  ?« Damit war jedoch nur die unwillkürliche Erinnerung Sigismunds im zweiten Aufzug bzw. Akt gemeint.416 Die Wiederholung dieses Bildes in der Bühnenfassung zeigt hingegen an, dass die Überwindung des Individuums durch die organisierte Masse der neuen Ordnung (als Gewalt der toten Form) nunmehr im Zeichen des Bösen erfolgt  ; und zwar nach dessen Erwägungen der Verwendbarkeit.417 –»Aus Rindern macht man Talg, aus Menschen Geld«  ; bzw. mit Schmitt  : »Nicht jeder ist taugliches Subjekt eines Interesses  ; es wird rechtlich nicht als Verletzung der Interessen des Tieres betrachtet, wenn es geschlachtet wird.«418 Ob jedoch Sigismund als Verkörperung reiner Majestät und geistiger Form des pouvoir constituant, die er ist, überhaupt zu ersetzen sei  ; daran nähren die Be414 GS I 1, 313  ; Trauerspiel  ; SW XVI.2, 354  ; Varianten  ; Agamben, Homo sacer  ; op cit, 96. 415 Ein Blick in die lesenswerte Studie Raphaela Eprester-Bauers  : Der Osten und ›das was ist‹ in Paul Claudels Conaissance de L’Est  ; Tübingen 1997  ; spricht dafür, dass hier weitere Parallelen nachzuweisen wären. 416 Zit. n. GS III, 615  ; Anmerkungen. Es ist der wichtige Brief vom 11. 6. 1925, mit welchem Benjamin Hofmannsthal auch das Manuskript des Trauerspielbuches übersendete. Die Textstelle im zweiten Akt lautet  : »Weißt du noch das Schwein, das der Vater geschlachtet hat – es schrie so stark, und ich schrie mit. Dann ist es an einem queren Holz gehangen, im Flur an meiner Kammertür, ich konnte bis in das Innere schauen. War das die Seele, die aus ihm geflohen war bei dem entsetzlichen Schreien, und ist meine Seele dafür hinein in das tote Tier  ?« (SW XVI.2, 162  : Sigismund). 417 »Denn […] der Begriff der organisierten Masse [hat] in einer unerhörten und völlig sinnfälligen Weise über den des Individuums triumphiert, den wir seit der Renaissance als den Drehpunkt unseres europäischen Denkens anzusehen oder stillschweigend immer vorauszusetzen gewohnt waren.« (RA II, 193  ; Wiener Brief II). 418 Weber, RS I, 33  ; Kürnberger und Schmitt, Wert des Staates  ; op cit, 27.

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schaffenheit und Wirkweise der Figur im Dramentext und die bezüglichen Notizen erhebliche Zweifel. Eine Hoffnung, der Hofmannsthal im Bühnenvariant der Münchener Inszenierung Ausdruck gab. »Kein politisches System kann mit bloßer Technik der Machtbehauptung auch nur eine Generation überdauern. Zum Politischen gehört die Idee, weil es keine Politik gibt ohne Autorität und keine Autorität ohne ein Ethos der Überzeugung.«419 Denn im Inszenierungsvariant werden die Namenlosen, die sich ohne genuine bzw. charismatische ›Autorität‹ zur Herrschaft aufwarfen, tatsächlich gerichtet, nachdem der Arzt statuierte  : »Zu spät. Treibts weiter und immer ohne das, wofür sich zu leben gelohnt hätte.«420 Im Dramentext jedoch erscheint der Arzt zum Ende hin als »ein hervorragendes Beispiel für die unter den Verhältnissen bureaukratischer Rationalisierung unentrinnbare Gebundenheit des einzelnen Gliedes dieses Stabes an seine sachliche Aufgabe«, der gewissermaßen als Angestellter nunmehr sein Auskommen zu finden hat.421 Wie klinisch tatsächlich die Durchführung der neuen Ordnung erfolgen soll, zeigt wiederum eine Notiz. »Olivier  : Es gibt die Unreinigkeit – die Wucherung – die muss abgetan werden – es muss alles zur Reinheit zurückgeführt werden […].«422 Diese Reinheitsvorstellung zeigt bereits regressive Züge und richtet sich allerdings auf ein Kollektiv – während der Arzt von der Reinheit des einzelnen Individuums (Sigismund) spricht  : »Wer ist der Richter über die Reinheit  ? Wo hat die Unschuld ihren Richter  ?«, wird dies von Olivier als Teil der clasa discutidora (Cortes) abgetan.423 Sigismund kann sich der Befehlsgewalt Oli419 Schmitt, RK, 28. 420 SW XVI.2, 227  : Arzt. »Mit Recht hat man vom vorshakespearschen Trauerspiele der Engländer bemerkt, es sei ›ohne richtiges Ende, der Strom fließt weiter‹.« (GS I 1, 314  ; Trauerspiel). 421 WuG, 155. »Ich weiß von Euch. An anderer Stelle wird man Verwendung für Euch haben. Meldet Euch beim Stadtkommando. […]« SW XVI.2, 217  : Olivier. 422 SW XVI.2, 367  ; Varianten. Diese Notizen (eines potenziell auch rassistischen Reinheitsbegriffes) sind geradezu als Perversion des Reinheitstopos bei Hölderlin zu lesen  ; vgl. hierzu die (Hofmannsthal bekannten) Ausführungen Pigenots  : »Das Universum ist als Ordnung wesenhaft gleicher, nur in der Rangstufe verschiedener Kräfte begriffen. Hölderlin ist von der Freundschaft aller Dinge (ihrem Wesen nach) im Innersten überzeugt. Seine Forderung geht daher immer nur dahin, daß jedes Ding rein, d. h. für diese Freundschaft empfänglich sei.« (Ludwig Pigenot  : Friedrich Hölderlin. Das Wesen und die Schau  ; München 1923. 38). Pigenot macht in seinem Buch auch auf »das grobe Mißverständnis« aufmerksam, dem das Hölderlinsche Verständnis unterliege (vgl. ebd., 79). 423 SW XVI.2, 218  : Arzt  ; möglicherweise zitiert Hofmannsthal hier aus dem wichtigen Brief Benjamins über den Turm von 11. 6. 1925  : »Er wird dergestalt Richter von unbestechlicher, furchteinflößender Reinheit.« (GS III, 615  ; Anmerkungen). Der Satz bezieht sich allerdings auf das ungeschützte Aufwachsen Sigismunds.

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viers aber nur durch Ausweichen in eine Transzendenz (der Sprache) entziehen, welche die Welt des Trauerspiels als untröstliche zurücklässt. Klinisch ist auch der Befehl, der in seinem Reduktionismus die Welt auf noch unbarmherzigere Weise einschließt, als dies zuvor bei Basilius der Fall war. Benjamin stellte fest, dass »die Statur des Barockdramas […] aus der Einfriedung der reinen Dichtung sich erhebt«.424 Für die poetologische Valenz der Figurenkonstellation OlivierSigismund gilt dies umso mehr. Statt einer poetischen Sprache als Treffpunkt, Raum und Bewältigung des (sozialen) Unzähligen und seiner Wechselwirkungen kommt ein doktrinäres Befehlsidiom, die Grammatik der Unfreiheit und Deshumanisierung, an die Stelle des im theologischen Symbol vermittelten Wunders tritt der faule Zauber einer ideologischen Emblematik. Olivier ist damit schon ein Vorläufer jenes identitären Begriffs der Führung, der »[…] das personalcharismatisch angemaßte Form- und Gestaltungsprinzip eines Reiches brauner Jakobiner indiziert, das keinerlei Repräsentation und Transzendenz kennt, sondern nur die unmittelbare, konkret-faktische Präsenz apparatförmiger und betriebsamer Diesseitigkeit«.425 So findet sich in der Figur die Anlage zu einer Allegorie des entfesselten Leviathans, welche in der Klasse der »Namenlosen«, deren Führer Olivier ist, die Subsumtion des neuzeitlichen Staates unter die Bewegung vorantreibt. Diese ist aber keine authentische Volksbewegung des »whole man« mehr, sondern die einer organisierten Interessengruppe, welche die Akklamation durch Bildmagie und Überwältigung des Individuums im kollektiven Mobilitätsdruck zu erzwingen sucht. OL IV IER  : Du wirst, wenn wir jetzt marschieren, auf einem Wagen fahren, und sie werden zu Tausenden herbeikommen und Heil rufen über dir, daß du deinen Vater vom Thron gejagt hast. Auf diese Weise wird das sprachlose Volk von uns durch eine Bilderschrift unterrichtet werden, und die Herren werden kopfunter in die Erde fahren. (SW XVI.2, 215)426 424 GS I 1, 263  ; Trauerspiel. 425 Günter Meuter  : Die zwei Gesichter des Leviathan. Zu Carl Schmitts abgründiger Wissenschaft vom »Leviathan«  ; in  : A. Göbel/D. van Laak/I. Villinger (Hg.)  : Metamorphosen des Politischen. Grundfragen politischer Einheitsbildung seit den 20er Jahren  ; Berlin 1995. 95–116  : 97. 426 Um einen weiteren möglichen Kontext der Figur kenntlich zu machen  : »Höchstens ein Flugblatt oder ein Plakat können durch ihre Kürze damit rechnen, auch bei einem Andersdenkenden einen Augenblick lang Beachtung zu finden. Größere Aussicht hat schon das Bild in allen seinen Formen, bis hinauf zum Film. Hier braucht der Mensch noch weniger verstandesmäßig zu arbeiten  ; es genügt, zu schauen, höchstens noch ganz kurze Texte zu lesen […] Das Bild bringt in viel kürzerer Zeit, fast möchte ich sagen auf einen Schlag, dem Menschen eine Aufklärung, die

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Wie man die Absichten dieser »Landsknechtfigur« (Benjamin) mit der Wirkungsabsicht Hofmannsthals identifizieren konnte, ist eigentlich unbegreiflich.427 Die Legalitätsfloskeln, die Hofmannsthal ihr in den Mund gelegt hat, wirken offenbar bis heute irritierend. Wie wenig die Forschung bislang mit dem modernisierten Olivier zurechtgekommen ist, die man auch in der Welt des heutigen Investmentbankings ansiedeln könnte, zeigt sich an etlichen, teilweise bereits erwähnten Beispielen. Wo Olivier »nicht mehr das in aller Niedertracht sich offenbarende Prinzip des Bösen« ist,428 hat man ihn gelegentlich sogar zum anarchischen Weltenrichter stilisieren wollen und das radikal Usurpatorische, radikal Subjektive, völlig Illegitime dieser Figur übersehen.429 Fatal wird es, wo Oliviers Legitimitätsfloskeln Wirkung zeigen. Der diskretere Teufel ist offenbar zugleich der erfolgreichere.430 Selbst Ingeborg Villinger, die den Turm ja explizit und grundlegend mit Schmitt gelesen hat, ist die vehemente Antipathie Hofmannsthals gegen diese Figur der Diktatur einer (vorgeblichen) Anti-Diktatur an entscheidender Stelle verborgen geblieben. Sie unterschätzt vielleicht nicht er aus Geschriebenem erst durch langwieriges Lesen empfängt.« (Aus dem Buch Mein Kampf [1925/26], in der Ausgabe von 1936  : 526). »Das Volk der Analphabeten ist wirklich nicht durch die theoretische Lektüre eines Karl Marx zur kommunistischen Revolution begeistert worden.« (ebd., 532). 427 »Mit Oliviers Plan einer Prozession nach dem Vorbild des auto sacramental wird hier jenes Paradigma ritueller Theatralität zitiert, dem die ›Deutschen Festspiele zu Salzburg‹ verpflichtet waren« (Twellmann, Drama  ; op cit, 230). Es kann gar nicht behauptet werden, diese Beobachtung sei völlig falsch. Twellmann entgeht jedoch die absolute Negation, die in der Figur des Olivier angelegt ist gegenüber all dem, was Hofmannsthal von »Wert und Ehre«, quasi heilig war. Dieser hat hier sein absolutes Feindbild inszeniert  ; vgl. dazu anschließend. Zu Benjamins Deutung der Figur vgl. GS III, 100  ; Turm-Rezension II). Auch Heinz Hiebler hat bereits gefälligen Missdeutungen (in diesem Fall der Schrifttum-Rede) entgegnet, dass Hofmannsthals konservative Revolution sich zur Propaganda der Nationalsozialisten verhalte, wie Sigismund gegenüber Olivier (vgl. Hiebler, Medienkultur  ; op cit, 293). 428 Walter Naumann  : Hofmannsthals Drama »Der Turm«  ; in  : DVjs 2/1988. 307–325  : 320. Gegenbeispiele finden sich mit Altenhofer, Austin, König, Le Rider und v. a. Hiebler, Medienkultur  ; op cit, 293. Hiebler sieht Olivier bereits als ›Hobbes-Gestalt‹ der bloßen Autorität. 429 Die Linie der Fehlinterpretationen wird tendenziell durch eine Formulierung in der Kritischen Ausgabe unterstützt  : Diese verzeichnet ein »Obsiegen des anarchischen Machtmenschen Olivier« (SW XVI.2, 245  ; Entstehung). Anarchisch ist Olivier nämlich nur so lang, bis er seine Ordnung durchgesetzt hat. Anarchisten hingegen sind die – eher positiv inszenierten – »Nackten«, die historisch ein wohl noch schwereres Los erwartete, als es der Turm antizipierte. 430 Unglücklich hier die Interpretation Naumanns, Hofmannsthals Drama  ; op cit, 320  : Olivier erhalte eine gewisse Größe dadurch, das zu tun, »was getan werden muss«  ; überdies, ohne namentlich geehrt werden zu wollen. Dies bedarf keiner weiteren Kommentierung.

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deren Perfidie, jedoch handelt es sich keineswegs um die revolutionäre Masse als Phänomen einer Gewaltanarchie, aus welcher der tödliche Schuss auf Sigismund fällt.431 Es handelt sich vielmehr um einen gezielten Anschlag der entstehenden souveränen Diktatur, die Hofmannsthal als Totalität einer neuzeitlichen Staatlichkeit damit hier in ein überaus kritisches Licht rückt.432 Die Menge, die Sigismund ans Fenster lockt,433 ist vom Revolutionsmanager bloß ›gecastet‹, ein inszeniertes Publikum, das alles und jeden anbeten würde, was ihrem Befehlshaber zweckgemäß schiene. »Es handelt sich […] darum, daß das Gesicht der Welt, das übergroße Haupt, gerade in dem, was das Neueste ist, sich nie verändert, daß dies ,Neueste‹ in allen Stücken immer das nämliche bleibt. Das konstituiert die Ewigkeit der Hölle und die Neuerungslust des Sadisten. Die Totalität der Züge zu bestimmen, in denen dies ,Moderne‹ sich ausprägt, heißt die Hölle darstellen.« (Benjamin, Passagen-Werk)434

431 Vgl. Villinger, Souverän verläßt Turm  ; op cit, 120. Schon Erika Brecht missverstand die Inszenierung von Sigismunds Tod anlässlich der Premiere – eben nicht der revoltierende »Pöbel« bringt Sigismund um (vgl. SW XVI.2, 473), sondern der entstehende totalitäre Staat. 432 Darum wertet auch Götz den Machthaber unzulässig auf, wenn sie ihn zum »Philosophen der anderen Seite« ernennt (Susanne Götz  : Bettler des Wortes. Irritationen des Dramatischen bei Sorge, Hofmannsthal und Horváth  ; Frankfurt/Main 1998. 117), wenngleich damit – wohl unwissentlich – tatsächlich vorhandene Bezüge zur satanistischen Theologie Proudhons, Bakunins und Baudelaires gestreift werden, die bereits ausgeführt wurden. 433 Dieser Ort, der als literarischer Topos für die Schwelle zwischen innen und außen steht, ist für Sigismund ein äußerst gefährlicher  ; so berichtet schon Julian dem Arzt von zwei Streifschüssen, die auf Sigismund als Kind im Kerker vom Fenster aus abgefeuert worden seien (vgl. SW XVI.2, 144/145). 434 Zit. n. GS V, 21  ; Einleitung [Go, ’7] Es handelt sich um eine Notiz des Passagen-Werkes und könnte durchaus, auch gerade der Formulierung nach, auf ein Gespräch mit Hofmannsthal zurückgehen. Benjamin schrieb Scholem am 11. 3. 1928 (GB III, 364/5) »Seit ich Dir zum letzten Male geschrieben habe, habe ich seine [Hofmannsthals] persönliche Bekanntschaft gemacht. Er war kurze Zeit in Berlin, wir sahen uns zweimal, das zweite Mal hier bei mir. […] hierbei ergab sich, daß er erstaunlich schnell und wirklich beteiligt in meine Intentionen sich hineinfand. (Noch mehr als in diesem Falle überraschte mich das, als ich begann, von meiner Arbeit Pariser Passagen zu reden – einem Versuch, der umfänglicher ausfallen könnte, als ich es dachte […]« An Hofmannsthal schrieb er kurz darauf (GB III, 352/353 [17. 3. 1928])  : »Was Sie mir bei Ihrem Hiersein Bestätigendes und Präzisierendes aus Ihren eigenen Plänen zum Projekt der Pariser Passagen sagten, ist mir immerfort gegenwärtig und macht mir zugleich immer klarer, wo die Hauptakzente zu liegen haben«.

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Allegorese des Bösen. Der Feind als eigne Frage in Gestalt (Theodor Däubler) »Einer  : vertraulich zu Olivier. Dessen Blick versteinert ihn.« (SW XVI.2, 361  ; Varianten) »Du bist das Böse ein Betrüger bist du« (SW XVI.2, 359  ; Varianten  : Vermutl. Sigismund zu Olivier)

Für Sartres Befund, dass die moderne Literatur das Böse als verfremdete Imitation des Guten inszeniert, gibt der Turm mit der »Bilderschrift« Oliviers, mit der zur politischen Kategorie pervertierten Reinheit und mit der Figur des selbsternannten Beauftragten des Volkswohls einleuchtende Beispiele. Beklemmend vor dem schwärenden Hintergrund der irdischen Apokalypse zeichnet sich dabei die Wiederholung als Mittel der literarischen Erscheinungsform des Bösen ab. 435 Eine solche »Ästhetik des Bösen« belegt sich hier auf vielfache Weise. »Es ist die Zeitstruktur der Wiederholung, die der Moderne ihr drückendes Gesetz der permanenten Reproduktion zueignet. Was sie als Dynamik ausgibt, offenbart letzthin eine Sterilität […] Hinter den Rhythmen des automatisierten Lebens erscheinen die Fratzen einer alten Schreckvorstellung, die sich im Mythos verdichtet. Wo das Neue stets dasselbe bleibt, wird die Hölle in den Strukturen der Monotonie ästhetisch erfahrbar.« (Alt, Ästhetik des Bösen  ; op cit, 257)

Das Böse, dessen »satanischer Bereich« im »schlechthin Materialischen« und »absolut Geistigen« seine »Pole« findet,436 ist von Hofmannsthal entsprechend der Diskussion der Diktatur als Zäsur politischer Formgebung modernisiert worden  ; und zwar als Aufhebung gewissermaßen im ›schlechthin Materialistischen‹. Wo in den dichterischen Fassungen Olivier als reichlich unbedarfter »roter Satan« sein Unwesen trieb, die zivilisierte Welt im Bürgerkrieg vernichten wollte und sein ›Medusenhaupt‹ im wüsten Rausch der durch die Massen entfesselten Kräfte erhob (vgl. 4.3.2 und 4.3.3), ist die Figur nun von einem versachlichten, beinahe smarten Gepräge, die Nüchternheit eines ihrer charakteristischen Worte. Sie ist nun weitaus bedeutsamer für die Allegorese moderner politischer Herrschaft im Ganzen. Olivier, nun »Führer« des »kommenden Rechts« tritt als 435 Vgl. Alt, Ästhetik des Bösen  ; op cit, 255 und 239 f. 436 »Das schlechthin Materialische und jenes absolute Geistige sind Pole des satanischen Bereichs« (GS I 1, 404).

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Verkörperung der gespenstischen Vermischung von rechtssetzender und rechtserhaltender Gewalt auf den Plan, die auch Schmitts Revolutionskommissar kennzeichnet.437 Insbesondere in den Notizen kommt der Grund für die Feststellung Arons »du schaust auf Menschen, wie einer auf Steine schaut«,438 ein radikaler Immanentismus mit satanischen Zügen, deutlicher zum Ausdruck. »Olivier  : hasst die Idee in der Verehrung des Volkes für den Heiligen. – Olivier will herausbringen, worauf denn der verlogene Hochmut dieses Geschöpfes ruhe. Ob er denn sich nicht klar sei einer Abstammung von besonders Verworfenen, die ein Kainszeichen trugen.«439 (SW XVI.2, 354  ; Varianten)

Der dahinter liegende zentrale Begriff ist noch immer derjenige der Freiheit, die nun allerdings nur noch die Freiheit des Disziplinierenden ist, den Delinquenten jeder willkürlich verhängten Strafe zuzuführen, die ihm beliebt. Die Notiz »Olivier  : Wir Söhne der Hölle nehmen die Last der Freiheit von ihnen«440 zitiert damit nicht das (freiheitsskeptische) Bindungsideal der Schrifttum-Rede, das in Sigismunds Sehnsucht nach Verbundenheit zu Ausdruck kommt, sondern die »diabolische Größe« des »atheistisch-anarchistischen Sozialismus«, der sich als »Satanismus dieser Zeit« in Olivier mit dem »Tritt der eisernen Bataillone des Proletariats«441 und einem nicht mehr in den Dramentext eingegangenen Reinheitsfanatismus verbindet, welcher die individuelle Beziehung des Begriffes auf Sigismund ins Kollektive wendet. Die Bedeutung des Reinheitsdiskurses liegt politisch in der Bestimmung des Subjekts der Sou437 SW XVI.2, 285  ; Varianten. Vgl. hierzu Friedrich Balke  : Die gespenstische Vermischung der Gewalten. Zum Verhältnis von Politik und Polizei bei Walter Benjamin und Carl Schmitt   ; in   : U. Hebekus/I. Stöckmann (Hg.)  : Die Souveränität der Literatur  ; op cit, 337–362. 438 Vgl. hierzu übrigens Benjamins Ausführungen zur Acedia, der Herzenskälte, die motivisch mit dem Stein verbunden ist (GS I 1, 332  : Trauerspiel). Auch hier findet sich ein Gegensatz zur Wirkung des Charismas. 439 Das Letzte erinnert an Rechtfertigungsmuster der Französischen Revolutionäre zur Liquidation von Adligen, in der Diktatur gibt es hierzu einige Ausführungen  : »Das radikalste Freiheitspathos verbindet sich mit rücksichtslosester faktischer Unterdrückung des Gegners, aber das ist eben nur eine faktische und keine moralische Unterdrückung. […] Rousseau hatte sich erboten, zu zeigen, wie ein Staat möglich ist, in welchem es auch nicht einen einzigen Unfreien gibt. Die praktische Antwort war, daß man die Unfreien vernichtete.« (DD, 123/124). 440 SW XVI.2, 359  ; Varianten  : Olivier. 441 Wladimir I. Lenin  : Die nächsten Aufgaben der Sowjet-Macht  ; in  : Werke  ; Band 27  : Februar–Juli 1918  ; Deutsche Ausgabe besorgt vom Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED Berlin  ; Berlin 1961. 268.

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veränität (wer sich mit diesem, etwa dem Volk, identifizieren darf, die Frage der Homogenität). Dem entspricht es umso mehr, dass Olivier wesensmäßig als Widersatz zum Kinderkönig auftritt, der keine Grenzen kennt  ; die Namenlosen sind so als die brutalisierten und abgerichteten Knaben der vormaligen Utopie lesbar. Wo jener als echter Mehrer jedem das ihm Zustehende austeilte (»Ich bin der Verteiler des Brotes und der Urheber der Gesetze  : denn es sind Gesetze die von den Jungen ausgehen«), fordert Olivier jedem das Seine ab – er ist »der Führer« des »kommenden Rechts« das nun in einem Automatismus des Gehorsams, neuer »mythischer Gewalt« (Benjamin) mündet  ;442 an die Stelle der mehrenden Verteilung von Gütern an die Untertanen tritt die Verwendung von allem, was verwendbar ist  : »Denn jetzt ist eine neue Ordnung – und mir ist auferlegt, daß ich sie durchführe […] Dazu habe ich dich hier dass ich erkenne wofür du verwendbar bist […] dass ich dich anschaue u. dir d. Dienst zuteile.« »– und an jeden wird die Frage gestellt  : was taugst du – und keiner darf sich verbergen  !« (SW XVI.2, 373 und 367  ; Varianten  : Olivier)

In der gespenstischen Unsichtbarkeit einer »anonymen Obrigkeit«, die nach innen keinen Rückraum lässt und sich mit der Zuweisung des Berufs eine gottähnliche Position behauptet, erinnert das aufziehende Zeitalter im Turm darum an Maeterlincks endzeitliche Darstellung des Lebens der Termiten (La vie des termites 1926). Diese, so Maeterlinck, exerzierten unbemerkt einen Bolschewismus auf Stufe des Getiers (im »Kofen«), und untergrüben mit unsichtbaren Gängen und Schlupfnestern die Statik jedes Baus so lange, bis er zusammenstürze. Es ließe sich sogar eine geschichtsphilosophische Parallele zwischen dem ›Kontingenz-Ingenieur‹ und Kommissär der Fatalität Olivier zu Maeterlincks Termiten ziehen  : Der Termitenstaat befinde sich nämlich auf der »Rückseite der Geschicke«.443 Das ist die zoologische Endstufe einer sich selbst überschlagen442 SW XVI.1, 398  : Kinderkönig. »Olivier ist Fatalist. Er ist der Führer derer, die das Kommende Recht für sich haben.« (SW XVI.2, 281  ; Varianten). 443 Maurice Maeterlinck  : Das Leben der Termiten und Das Leben der Ameisen  ; Sonderausgabe der Nobelpreisfreunde  ; Zürich o.J. [1966]. 177. Interessant v. a. aber auch die Beschreibung des Vorgehens  : Termiten greifen immer von innen an, sind darum innere Feinde. Natürlich zielt die politische Zoologie von Maeterlincks Darstellung auf die Strategien der KomIntern für die Weltrevolution. Das Angriffsziel, das ist die Taktik der Termiten, implodiert schließlich, ohne dass dies zuvor sichtbar gewesen sei. »Zusammenbruch« und »Ruin« seien die unvermeidlichen Konsequenzen. Fraglos muten Maeterlincks Vergleiche heute grenzwertig an und sind jedenfalls jenseits von Literatur und Wissenschaftsprosa anzusiedeln.

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den, instrumentellen Rationalität, wie sie Weber im Bürokratismus fürchtete – in polemischer Absicht auf den Kommunismus übertragen  : »Eine neue Form des Verhängnisses, und vielleicht die grausamste, das soziale Verhängnis, dem wir alle zuwandeln, ist zu den uns bekannten Formen, an denen wir schon schwer genug zu tragen hatten, hinzugetreten. Keine Ruhe als im Todesschlaf, selbst Krankheit ist nicht gestattet, und jedes Versagen kommt einem Todesurteil gleich. Der Kommunismus wird bis zum Kannibalismus getrieben, ja bis zur Koprophagie […] Es ist die Hölle, wie sie sich die geflügelten Gäste eines Bienenstockes ausmalen könnten.«  ; »Die furchtbare Tyrannei, für die es beim Menschen, wo sie stets zum Vorteil einzelner wütet, noch kein Beispiel gibt, hier bringt sie niemandem Nutzen. Sie ist namenlos, immanent, überall verbreitet, gemeinschaftlich, ungreifbar.« – »Der Gott des Kommunismus wird zum unersättlichen Moloch.« (Maeterlinck, Termiten  ; op cit, 168 und 167)444

Einen solchen Abtritt von der großen Weltbühne der Macht zugunsten einer Politik des Unsichtbaren (die sich aber die Legitimität der Revolution zuspricht), also nicht-Repräsentativen, praktiziert im Turm Olivier. Dieser Bau geronnenen Geistes und vernichtender Disziplin ist fernab aller symbolischen Verschwendung eine Allegorie auf die Ökonomie eines totalen Utilitarismus (die Formel von der Verwendbarkeit zeigt ihn an), welche das Prinzip des im Warencharakter gebannten Gehalts sozialer Wechselwirkungen auf alle Lebensbereiche ausdehnt.445 Sie äußert sich bei Olivier in Form eines Zeitmanagements und einer 444 – und erweist sich damit als Inversion des kapitalistischen Geistes. Hofmannsthal und Maeterlinck sind sich in Paris begegnet und haben sich offenbar sehr geschätzt, auch wenn nach Hofmannsthals Paris-Aufenthalt kein Kontakt mehr belegt ist. Vgl. hierzu  : Dirk Strohmann  : Die Rezeption Maurice Maeterlincks in den deutschsprachigen Ländern, 1891–1914  ; Bern 2006  ; das Kapitel  : »Die Beziehungen zwischen Hugo von Hofmannsthal und Maeterlinck« (457–522). Strohmann hält fest, dass der Einfluss Maeterlincks auf Hofmannsthal der großen persönlichen Nähe zum Trotz nur schwer nachweisbar wäre (517). Vielleicht wäre auch einmal die Spätphase beider Autoren, lange nach dem persönlichen Kontakt zu betrachten. 445 Webers berühmtes Zitat zur toten Maschine sei hier nochmals bemüht  : »Eine leblose Maschine ist geronnener Geist. Nur, daß sie dies ist, gibt ihr die Macht, die Menschen in ihren Dienst zu zwingen und den Alltag ihres Arbeitslebens so beherrschend zu bestimmen, wie es tatsächlich in der Fabrik der Fall ist. Geronnener Geist ist auch jene lebende Maschine, welche die bürokratische Organisation mit ihrer Spezialisierung der geschulten Facharbeit, ihrer Abgrenzung der Kompetenzen, ihren Reglements und hierarchisch abgestuften Gehorsamsverhältnissen darstellt. Im Verein mit der toten Maschine ist sie an der Arbeit, das Gehäuse jener Hörigkeit der Zukunft herzustellen, in welche vielleicht dereinst die Menschen sich, wie die Fellachen im altägyptischen Staat, ohnmächtig zu fügen gezwungen sein werden, wenn ihnen eine rein technisch gute und

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neuen, auf die Gewalt des Befehls reduzierten Sprache, die das Individuum wertzumessend als Ware unter sich begreift. – »Die Entwertung der Dingwelt in der Allegorie wird innerhalb der Dingwelt selbst durch die Ware überboten.« Diese Setzung gilt auch im Poetischen, denn von der Gestalt verbleibt nur mehr ein Zeichen, das ihren Wert taxiert – der Preis als letzte Sichtbarkeit.446 Das Ausmaß an Vernichtung seiner eigenen kulturpolitischen Vorhaben, die Hofmannsthal in der Figur des siegreichen Olivier inszeniert, ist erschreckend – hier wird die »eigene Frage in Gestalt« (literarisch) Wirklichkeit, hier ist ein absolutes Feindbild beschworen. Die oberflächlich nur verfremdete, tatsächlich aber wesensmäßig vollkommen pervertierte Idee einer poetisch gesteigerten, das Politische in sich fassenden Sprache wird von den Wirbeln des Politischen erfasst und soll als Machtmittel missbraucht werden. Insofern erweist sich die Souveränität des Autors hier wirklich in der imaginierten Aufopferung all dessen, was ihm heilig war. »[…] niemand will es wahrhaben, in welch unheimlicher Weise über Nacht von unsichtbaren Händen die furchtbaren Gewichte des leiblichen und des geistigen Behauptungswillens der Massen lautlos vertauscht werden  : bald verkleidet sich Ökonomie als Geist, bald Geist als Ökonomie.« (RA III, 15  : Vermächtnis) »Indem das Zeitalter ihrer technischen Reproduzierbarkeit die Kunst von ihrem kultischen Fundament löste, erlosch der Schein ihrer Autonomie auf immer.« (GS I 2, 447  ; Kunstwerk Reproduzierbarkeit)

Sie verfällt wie das persönliche Moment der Souveränität und jeder humanistische Wert einem materialistischen, nüchternen Pragmatismus  : »Das ökonomische Denken kennt nur eine Art Form, nämlich technische Präzision, und das ist die weiteste Entfernung von der Idee des Repräsentativen.«447 Dies entspricht keiner »Verflüssigung« des Politischen in der Sprache mehr, hier ertönt keine therapeutische »Stimme, die das Gewesene mit allem Künftigen verbindet und die Einsamkeit mit allen Einsamkeiten […]«,448 sondern die Sprache wird bloßes Mittel zum Zweck der Unterwerfung. Das neuzeitliche Staatswesen, der Leviathan, 449 ist in das heißt  : eine rationale Beamten-Verwaltung und -Versorgung der letzte und einzige Wert ist, der über die Art der Leitung ihrer Angelegenheiten entscheiden soll. Denn das leistet die Bürokratie ganz unvergleichlich viel besser als jegliche andere Struktur der Herrschaft.« (WuG, 835). 446 GS I 2, 664  ; Zentralpark [5]. 447 Schmitt, RK, 34/35. Zu Hofmannsthals Skepsis gegenüber den Sprachen der Totalitarismen vgl. 2.2. 448 Broch, Schlafwandler  ; op cit, 716. 449 Der Leviathan war übrigens für Jean Bodin eine Teufelsinkarnation  : »Leviathan, das ist der Teu-

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der Moderne eine rasende Maschine des sich überschlagenden und dennoch zyklisch in sich selbst befangenen Fortschritts, zum kollektiven Wiederholungszwang fundamentaler Gewalt geworden, welche jenes seiltänzerisch lebendigen Pneumas, des poetischen Kollektivgeistes fortan ermangelt. – – – Nicht allerdings das Trauerspiel selbst, in dessen Allegorie einer fensterlosen Vergänglichkeit zumindest die Ahnung irdischer Ewigkeit für einen Augenblick begegnet  : »Wie Stürzende im Fallen sich überschlagen, so fiele von Sinnbild zu Sinnbild die allegorische Intention dem Schwindel ihrer grundlosen Tiefe anheim, müßte nicht gerade im äußersten unter ihnen so sie umspringen, daß all ihre Finsternis, Hoffart und Gottferne nichts als Selbsttäuschung scheint. […] Denn gerade in Visionen des Vernichtungsrausches, in welchen alles Irdische zum Trümmerfeld zusammenstürzt, enthüllt sich weniger das Ideal der allegorischen Versenkung denn ihre Grenze.« (GS I 1, 405  ; Trauerspiel)

5.5 Die Facies hippocratica der Gemeinschaft – Der Untergang des Royalen »Die Demokratie besitzt einen leuchtenden Moment, aber es ist nur ein Moment und man muß ihn teuer bezahlen.« (de Maistre  : Von der Souveränität, 126)450 »SIGISMUND tritt ans Fenster. Von draußen fällt ein Schuß. […] SIGISMUND fällt zurück, tut einen tiefen Atemzug und ist tot. Vorhang.« (SW XVI.2, 220)

Dass hier ein Unsagbares zur Anschauung kommen soll, ist aus den pantomimischen Namensnennungen der verbliebenen Schar ersichtlich, auf welche nach dem Schuss zunächst nur Regieanweisungen folgen, denn ihre letzten Handlunfel, dessen Macht auf Erden Niemand widerstehen kann, wie es im Buche Hiob heißt  ; von ihm wird berichtet, daß er sich nicht mit dem Leibe begnüge, sondern auch den Seelen nachstelle, weshalb man auch mit ihm keinen Vertrag schließen kann. Das gilt denjenigen, die glauben, sie hätten die gemeinen Geister in ihrer Macht.« (Bodin, Dämonologie  ; zit. n. Schmitt, Leviathan  ; op cit, 37). 450 Joseph M. de Maistre  : Von der Souveränität  ; hg. v. W. Burckhardt  ; Berlin 2000. S. 126. Poetologisch liest sich diese Feststellung bei Benjamin wie folgt  : »Während im Symbol mit der Verklärung des Unterganges das transfigurierte Antlitz der Natur im Lichte der Erlösung flüchtig sich offenbart, liegt in der Allegorie die facies hippocratica der Geschichte als erstarrte Urlandschaft dem Betrachter vor Augen.« (GS I 1, 343  ; Trauerspiel). Die Umkehrung des Pfingsthymnus am Ende der dichterischen bzw. utopischen Fassungen ist augenfällig.

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gen sind stumm und trostlos  ; Anton ist es, der nochmals Worte findet, nachdem er sich – als eine letzte Wiederholung – ein weiteres Mal »in die Faust« gebissen hat  : »Sagen doch etwas, Herr Doktor  !« Dem aber hat es die Sprache verschlagen, im Dramentext endgültig, das Gespräch ist verebbt (der Inszenierungsvariant sieht hier, weniger konsequent, noch die schon zitierte Verlustanzeige vor). Denn anstatt sein Wissen von Oliviers Plan in praktisches Handeln umzusetzen (und eine eigene Entscheidung zu treffen), betete er im entscheidenden Moment zu einem Allmächtigen, einem deus ex machina, dessen Eingriff jedoch ausblieb. »Es ist in aller Trauer der Hang zur Sprachlosigkeit und das ist unendlich viel mehr als Unfähigkeit oder Unlust zur Mitteilung. Das Traurige fühlt sich so durch und durch erkannt vom Unerkennbaren.« (GS I 1, 398  ; Trauerspiel)

Wo die dichterischen Fassungen im Schrifttum die wiedergeborene ecclesia des Humanismus feierten, die sich als Kindergemeinschaft die Gesetze selbst gibt und das verbleibende Reich im geistigen Raum der Kulturnation formt, ist die Bühnenfassung der verkahlten Askese verschrieben. All dies wird hier symbolisch in die Gestalt des reinen Märtyrers zusammengezogen, der sich nur »flüchtig offenbart«, sein Erscheinen aber mit dem Leben bezahlt. Die in Sigismund, der nun ganz »Wesen des Humanismus« geworden ist, ahnbare Utopie ist nicht mehr die aus dem gemeinsamen Verlust entstehende Gemeinschaft der Brüder oder der allgemeinen Freundschaft, sondern diese wird hier selbst geopfert. Das Politische wird als bloßer Gewaltmechanismus in Abgrenzung gegen das Schrifttum konstituiert, gegen die innere Form der Nation, deren Wunder (für Olivier »jesuitische Praktiken und Hokuspokus«) damit aus der Welt geschafft ist  ; dem Opfer des Anschlags kommt hierdurch auf Dramenebene keine sacertas zu, sondern es bleibt auf der Ebene bloßer victimas (getötet, nicht geopfert). Kein Nachfolger erscheint einem sterbenden Volkskönig (rex est populus), um sein Vermächtnis, den Geist der Nation zu bewahren. Das Prinzip der dignitas non moritur ist aufgehoben, und zwar auch für den »parlamentarischen König«. Sigismund stirbt vor den verbliebenen Getreuen, dem Arzt und Anton, und darum wirkt diesmal auch sein Sterbesatz angemessen – »Gebet Zeugnis  : Ich war da, wenngleich mich niemand gekannt hat«. Jedoch ist das Entstehen einer solchen Erinnerungsgemeinde in dieser Fassung mehr als fraglich – wem sollten die beiden noch Zeugnis ablegen  ? Es gibt keinen Knabenchor mehr, dessen »Diktion die Trümmer des tragischen Dialogs zu einem diesseits wie jenseits des Konflikts – in sittlicher Gesellschaft wie in religiöser Gemeinschaft – gefestigten Sprachbau« restaurieren könnte. Die mes-

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sianischen Aufständischen sind abgesondert und fortgetrieben oder ebenfalls exekutiert, die Szenerie in der Gewalt Oliviers. Der Arzt und Anton stehen sprachlos zwischen einem drohenden Nichts und einem schönen Nichtgewordenen  ; sie sind in den Sog eines »Leerlauf[s] des Bösen« geraten,451 dessen Produkt – die stumme Bilderschrift toter Zeichen – einem Mechanismus der steten Wiederkehr erstarrter Formen die Verkleidungen liefert. Sigismunds Auftrag richtet sich folglich direkt an das Publikum, welches hier gewissermaßen die ecclesia zu ersetzen hat – denn dies ist die dramaturgische Wirkungsabsicht hinter der Märtyrergestalt  : Im Gespräch über diesen Dramenausgang wird die »Sprache« wieder »unbefleckbare Kirche«,452 die das Proszenium umschließt als eine sich bald zerstreuende, entfernende Gemeinschaft. So folgt das Ansinnen des literarischen Souveräns, durch »Gleichnis zu heilen«, in dieser Fassung der therapeutischen Methode, durch Erzeugung einer Identifikationskrise einen »Teil von dem Raub, den das Sprache gewordene Denken am Leben begeht«, zurückzuerstatten453 – und verlegt den Akt der Vergemeinschaftung durch gemeinsame Verlusterfahrung ins Publikum, deren Gegenstand bzw. ›Subjekt‹ der »Geist der Nation« ist.454 »Je weiter das tragische Wort hinter der Situation zurückbleibt – die tragisch nicht mehr heißen darf, wo es sie erreicht –, desto mehr ist der Held den alten Satzungen entronnen, denen er, wo sie am Ende ihn ereilen, nur den stummen Schatten seines Wesens, jenes Selbst als Opfer hinwirft, während die Seele ins Wort einer fernen Gemeinschaft hinübergerettet ist.« (GS I 1, 287/288  ; Trauerspiel [Hervorh. A.M.])

5.5.1 Allegorische Totalität – Vitalität des Symbolischen  ? »Gleich wesentlich sind diese beiden Seiten der Reflexion  : die spielhafte Reduzierung des Wirklichen wie die Einführung einer reflexiven Unendlichkeit des Denkens in die geschloßne Endlichkeit eines profanen Schicksalsraums. Denn die Welt der Schicksalsdramen […] ist eine in sich geschlossene.« (GS I 1, 262  ; Trauerspiel) 451 Broch, Schlafwandler  ; op cit, 616  ;zuvor  : GS I 1, 300  ; Trauerspiel und Broch, Schlafwandler  ; op cit, 616. 452 ([SW] XXXVI, 693  ; WES-Notizen) – zur Aufführung kommt sie jedoch im Theater. 453 RA III, 582  ; Aufzeichnungen [1925]. 454 »[…] es bleibt uns fast nichts, ich sehe den Moment, ja er ist eigentlich schon da, wo uns dieser ganze Humanismus des deutschen achtzehnten und beginnenden neunzehnten Jahrhunderts als eine paradiesische Episode erscheinen wird, aber durchaus Episode.« (BW Burckhardt, 225 [10. 9. 1926]).

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Eine formale Geschlossenheit ergibt sich für die Bühnenfassung des Turm schon daraus, dass Olivier die beherrschende Figur in Auftakt- und Schluss-Szene ist. Die neue – in ihm verkörperte – Wirklichkeit drängt er der »absterbenden Gemeinschaft« nicht etwa bloß auf, sondern inkludiert diese in den souveränen Bann seiner neuen Ordnung. Er kennt keine Ausnahmen, »kein höheres Drittes« mehr, sondern macht den Ausnahmezustand, das stahlharte Gehäuse suspendierter Rechtlichkeit, zur Regel. Diese Gewalt ist im Benjaminschen Sinne schon fast keine mythische mehr, denn sie will nichts erhalten, als sich selbst. Sie ist die im Akt des Mordes verweilende Gründungsgewalt. Dies vollzieht sich, indem Olivier sich selbst zum Schicksal ausruft. Dass der Schicksalsgedanke aller mythischen Verkleidung entgegen nur in der »Restaurationstheologie der Gegenreformation« zur Sinnerfüllung komme, ist davor eine interessante Feststellung Benjamins – hier ist an Cortes’ Bild von der Menschheit als grölendem barbarischen Haufen auf einem Schiff zu denken, welchen Gott an dem Tag im Ozean versenken wird, an dem er ihn nicht mehr ertragen kann. Ein solcher göttlicher Schicksalseingriff, wie er bei Calderón vorkommt – »Astrales Schicksal – souveräne Majestät, das sind die Pole Calderonscher Welt« 455 –, wird in pervertierter Form durch Oliviers »Fatalität« zitiert, als deren Werkzeug sich Olivier zum »Subjekt des Schicksals« kürt.456 Darin kommt die so zeittypische »Dämonie des Schicksalsglaubens« (Rang) zum Ausdruck. Die beobachtete Gleichsetzung von Fatalität und Zeit im Turm zeigt an, dass Hofmannsthal sich in einer Situation des Kampfes mit dem Schicksal gesehen hat.457 »Schicksal rollt dem Tode zu« trifft damit vor allem für das zu, was ihm verfallen ist  ; dass dies aber »nicht Strafe sondern Sühne« sei,458 ließe sich für den Turm in der Bühnenfassung nur bestä455 GS I 1, 308 (zuvor) und 309  ; Trauerspiel. 456 Auch deshalb dürfte Hofmannsthal die Theologie der Gegenrevolution nicht befürwortet haben  : »Es sind Gegensätze von Gut und Böse, Gott und Teufel, zwischen denen auf Leben und Tod ein Entweder-Oder besteht, das keine Synthese und kein ›höheres Drittes’ kennt.« (PT, 50) Schon gar nicht hat er sich de Maistres Feststellung »tout gouvernement est bon lorsqu’il est etabli.« (PT, 50  : de Maistre) zu eigen gemacht. Anders Schmitt  : Die »Durchbrechung des rechtlichen Zusammenhangs, die in einer solchen neu begründeten Herrschaft liegt«, sei das eigentliche Wunder, nicht die Diktatur selbst, die Cortes mit der »Suspendierung der Naturgesetze« verglich (DD, 139). Diese Setzung ist erstens säkular, und sie bringt zweitens die ganze Abgründigkeit der Schmittschen Souveränitätslehre an den Tag – wo für Cortes die Durchbrechung der Naturgesetze das Wunder war, reicht Schmitt das Zerreißen der Verfassung. Wohin ihn diese Willfährigkeit führte, ist bekannt. 457 »Das Suchen nach der möglichen – notwendigen Tat. […] Die mögliche Tat geht aus dem Wesensgrund, aus dem Geschick hervor.« (RA III, 620/621  : Ad me ipsum [IX. 26]). 458 Zuvor  : Rang, Bauhütte  ; op cit, 51 (mit scharfer Kritik)  ; GS I 1, 310  ; Trauerspiel.

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tigen, wenn ihre Allegorie dystopischer Rationalität mysteriös bzw. religiös umschlagen würde – was ja nicht der Fall ist. Von einer »Strafe« lässt sich hingegen hinsichtlich des Arztes sprechen, der einer Geistestradition angehört, für die – so die intendierte Erkenntnis – es zu kämpfen sich lohnt  : »Humboldt  : neuer deutscher Humanismus. Sein nicht-haltbares.« ([SW] XXXVI 697  : WES-Notizen) »Das Zweifelhaftwerden des durch Bücher Überlieferten überhaupt – die absolute Deshumanisierung.« »Warum wurde er keine öffentliche Figur  ? Soll das Höchste zeitweise von privaten Figuren gelebt werden.« (RA III, 165/166  : Bodenhausen [1928])

– Der »vollständigste, tiefstgreifende Prozeß der Deshumanisation, der je geträumt werden konnte« ist im Gange. Der Geist des Humanismus bzw. seine Agenten und sein »historisches Individuum« unterliegen, während der Geist des Ökonomismus als Machthaber der Wirklichkeit triumphiert. Die Fatalität des Politischen kürt den Souverän, und sie ist nach dem Papst- und Königtum auf die Herolde des Geistigen (Renaissance, Aufklärung und Idealismus), dann aber ins Gebiet des ökonomischen Geistes abgewandert. Diese Entwicklung bestimmt auch die veränderte Opfer-Logik im Sinne allegorischer Entwertung der Welt zur Ware, wie sie die Bühnenfassung zeitigt. »Im Opfer entsteht eine symbolische Ordnung durch Verwandlung  : Die Gewalt, die dem Körper des Opfers von den Opfernden angetan wird, die Tötung des Opfers, verwandelt seinen Körper in ein Symbol. Dies Symbol vermag der Gewalt eine Grenze zu setzen  ; es ermöglicht den Opfernden, innerhalb der Grenzen der neu entstandenen symbolischen Ordnung gewaltfrei zu agieren. In diesem Sinne verdankt Kultur ihre Entstehung einem Gewaltakt, einem Mord, der als ein Akt ultimativer Verwandlung vollzogen wird.« (Fischer-Lichte, Das theatralische Opfer  ; op cit, 152/153)

Am Beispiel dieser Logik wird man feststellen können, dass der Turm den Opfervorgang als politischen Gründungsakt bereits in den dichterischen Fassungen als zwei-taktigen ent-archaisiert hat, in der Bühnenfassung aber direkt negativ zitiert. Denn in der Tat gibt es einen Mord, und in der Tat gibt es eine Ordnungsgründung, eine souveräne Sphäre, die sich mit diesem Mord (der hierdurch keiner mehr ist) installiert – nur dass der Getötete nicht zum Symbol verwandelt wird, sondern in der modernen Diktatur als emblematisches Material für die Abziehbilder des »zu Feiernden« endet.459 Insofern ist dieser Mord auch kein Ende 459 Eine Beobachtung Grundmanns ist so ex negativo zu bestätigen  : »Das ›Erlebnis‹ von Symbol

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der Gewalt (violentia), sondern ihre ultimative Festsetzung als Prinzip moderner Staatlichkeit, welches den Ausnahmezustand zur Regel macht. Dies gilt für die stück-immanente politische Dimension. Auf poetologischer, also übergeordneter Ebene ergibt sich jedoch ein anderer Befund, der allzu oft im undifferenzierten Blick der Kritik dem »Sachgehalt« zugewiesen wird, mit fatalen Folgen für die Interpretation. Vielmehr ist eine doppelwertige Symbolizität Sigismunds zu verzeichnen – im profanen »da«  : dem allegorischen victimas der Figur in der modernen Diktatur, und im religiösen »nicht da«  : als Fortleben ihres Gehalts außerhalb des Dramas im Gespräch. Aus deren Spannung (und ihrer Rezeption) speist sich der »Wahrheitsgehalt« des Stückes (Benjamins Vokabular ist hier angebracht, da es Hofmannsthal bestens bekannt war). Dieser reicht bis in jene oben beschriebene duale Dimension des Symbols (als theologisches und profanes, vgl. 5.1.3), die Benjamin später noch von dem Turm als einem Asyl für theologische Gehalte in zerrissenster Gestalt sprechen ließ. Damit aber meinte er jenen Messianismus der Gemeinschaft, präsent im Arzt und den »Nackten«, welcher in Sigismund seine Symbolgestalt findet, und der sich mit dessen Märtyrertod zur Theologie eines geheimen Reiches deutscher Sprache formierte. Dieses ist aber von den politischen Reichen des modernen Deutschlands scharf zu unterscheiden. Der Gehalt des Schönen ist Wahrheit,460 nicht Autorität. »Gerade darin  : in der Unbegründbarkeit und Unausschöpfbarkeit des eigenen, durch kein Mittel kommunikablen, darin dem mystischen ›Haben‹ gleichartigen Erlebnisses, und nicht nur vermöge der Intensität seines Erlebens, sondern der unmittelbar besessenen Realität nach, weiß sich der Liebende in den jedem rationalen Bemühen ewig unzugänglichen Kern des wahrhaft Lebendigen eingepflanzt, den kalten Skeletthänden rationaler Ordnungen ebenso völlig entronnen wie der Stumpfheit des Alltages.« (RS I, 560/561  ; Wirtschaftsethik)

und Metapher wird so zu einer epiphanischen Erfahrung der Sinnfülle, die die Zeit aufhebt, da das sprachliche Bild aufgrund seiner nicht-arbiträren Zusammenbindung eines Zeichens mit seiner Bedeutung die Kluft zwischen einer sinnlos und chaotisch empfundenen Welt und einer verlorenen Welt des Heiligen, Transzendenten momentan zu schließen vermag.« (Grundmann, Hermeneutik des Erinnerns  ; op cit, 103). Der epiphanische Moment der Allegorie weicht hier allerdings einem Moment der ›Mephistophanie‹, welcher Sigismund entsagt. 460 Vgl. GS I 3, 930  ; Trauerspiel [Scholem].

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5.5.2 Destruktive Abwesenheit. ›Es gibt keine Legitimität mehr, weil es keine Paradigmen mehr gibt‹ »Gesang der Ungeboren  : Vater, dir drohet nichts,/ Siehe, es schwindet schon,/ Mutter, das Ängstliche,/ Das dich beirrte  ! / Wäre denn je ein Fest,/ Wären nicht insgeheim/ Wir die Geladenen,/ Wir auch die Wirte  ?« (Hofmannsthal, Die Frau ohne Schatten, 375)461 »Das Königtum war die innerste Gestalt von Hofmannsthals Weltverhältnis.« (E.R. Curtius)462

Der Gehalt des durch Allegorese gewonnenen theologischen (oder mit Jung  : religiösen) Symbols wurde mit Sigismund, dem souveränen, königlichen Volksgeist in Verbindung gebracht (5.1.3 und 5.4.3), welcher Olivier, dem »Walfischdrachen« (C.G.Jung) unterliegt.463 Diese Kombination ist in ihren (kollektiv) poetologisch-politischen Konsequenzen für das Drama letztmals aufzugreifen, da sich die Aktualität des Turm aus diesem Indifferenzpunkt am Ursprung theologisch-politischer Bedeutsamkeit erneuert. Anhand des Hobbes’schen Gedankens einer Kongruenz des Königs mit dem Volk (rex est populus), vor welcher die Untertanen nur die Menge bildeten, konnte verschiedentlich gezeigt werden, dass Hofmannsthal kein solch klares Präsentationsverhältnis inszeniert, sondern – mit Analogien zu Simmels Soziologie des Symbols – vielmehr die Wechselwirkungen zwischen König und Volk (Menge) als Strukturgesetz der Öffentlichkeit in Sigismund personalisiert. Daher ist Hofmannsthals stark belegtes Interesse an Schmitts Zitat des Donoso Cortes, dass es kein Königtum mehr geben könne, wenn die Monarchen fehlten, als Zeugnis der Klage nicht allein auf die monarchische Majestät zu beschränken. Denn Hofmannsthal hat diesen Satz allem Anschein nach, unter Berücksichtigung des 461 Hugo von Hofmannsthal  : Die Frau ohne Schatten  ; in  : Ders.: Die Erzählungen  ; hg. v. H. Steiner  ; Frankfurt/Main 1949. 375. Vgl. hierzu  : »OL IV IER  : DU Embryo  ! Was tut es ein Embryo abzuschaffen –« (SW XVI.2, 359  ; Varianten)  ; Adressat dieser Feststellung ist Sigismund. 462 Ernst Robert Curtius  : Hofmannsthal und die Romanität  ; in  : Ders.: Kritische Essays zur europäischen Literatur  ; München 1984. 164–171  : 165. Die Äußerung Curtius’ ist unbedingt auf Hofmannsthals Vorstellung von geistiger Souveränität zu beziehen,im Sinne aber eines aufgeklärten Verstandes. 463 Vgl. hierzu Jung  : Wandlungen und Symbole der Libido  ; op cit [19252], 249. Hofmannsthal wurde Mitte der zwanziger Jahre erneut auf Jung aufmerksam, besaß aber bereits die erste Auflage von 1912 (vgl. 1.3).

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Übergangs des corpus mysticum der Souveränität vom König auf das Volk, auch auf den modernen (demokratischen) Staatsgedanken bezogen  : ›Es gibt keine Demokratie mehr, weil es keine Völker mehr gibt‹, dies aber ist nicht ethnisch, sondern ethisch begründet (der demos verstanden als sprachlich verkörperter Geist der Nation, als mystisches Kollektivindividuum der Sprache). In den dichterischen Fassungen, deren diesbezügliche Szenen möglicherweise bereits in Kenntnis der Politischen Theologie verfasst wurden, war diese Setzung zwar noch Teil des in Sigismund positiv verkörperten Reichsgedankens (Aufhebung der Völker durch Vermischung). In der Bühnenfassung ist allerdings nur noch die Rede von einem Volk, das für den kurzen öffentlichen Augenblick der Kür Sigismunds zusammentritt und in seiner Anschauung existent wird. Die Öffentlichkeit aber ist das »Lebensgesetz der Demokratie«,464 und Oliviers eiserne Sturmtruppe marschiert als Ornament anonymisierter Masse darüber hinweg, um sie danach in Form eines gelenkten Substituts darzureichen. »Volk ist ein Begriff, der nur in der Sphäre Öffentlichkeit existent wird. Das Volk erscheint nur in der Öffentlichkeit. Volk und Öffentlichkeit bestehen zusammen  ; kein Volk ohne Öffentlichkeit und keine Öffentlichkeit ohne Volk. […] Erst das wirklich versammelte Volk ist Volk, und nur das wirklich versammelte Volk kann das tun, was spezifisch zur Tätigkeit dieses Volkes gehört  : es kann akklamieren, d. h. durch einfachen Zuruf seine Zustimmung oder Ablehnung ausdrücken […]« (Schmitt, Verfassungslehre  ; op cit, 243/244)

Dass es aber ohne Volk keine Demokratie gibt – wie ohne Königtum keine Monarchien (und wie ohne Publikum kein Theater) –, dürfte Hofmannsthal anhand der einschlägigen Cortes-Zitate in der Politischen Theologie und zur Theorie des pouvoir constituant in der Diktatur bewusst geworden sein. Die in Sigismund angelegte romantisch-idealistische Idee des Volksgeistes ließ sich mit dieser Erkenntnis um eine morphologische Ursprungsidee des Politischen ergänzen, in deren Gestaltung sich das ›Königtum der Literatur‹ erweist. Seine Folgerung aber war die restaurative Diktatur eben nicht.465 Die politische Idee der Gemeinschaft 464 Otto Depenheuer (Hg.)  : Öffentlichkeit und Vertraulichkeit. Theorie und Praxis politischer Kommunikation  ; Wiesbaden 2000. 7 (Vorwort). 465 In der Politischen Theologie konnte Hofmannsthal lesen  : Die Staatsphilosophen der Gegenrevolution steigerten »das Moment der Dezision so stark, daß es schließlich den Gedanken der Legitimität, von dem sie ausgegangen sind, aufhebt. [… Darin liegt] eine Reduzierung des Staates auf das Moment der Entscheidung, konsequent auf eine reine, nicht räsonnierende und nicht diskutierende, sich nicht rechtfertigende, also aus dem Nichts geschaffene absolute Entscheidung.

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bleibt hingegen (wie das Individuum) unaussprechlich, ihre Frage unbeantwortbar, ihr Gehalt nicht realisierbar – ein Symbol des Unsagbar-Unverfügbaren. Sie weicht der nach rationalen Erwägungen getroffenen Entscheidung, die »normativ betrachtet, aus einem Nichts geboren« ist, und die sich nicht zu rechtfertigen braucht, weil es keine authentische Legitimität mehr gibt. An die Stelle der Gesetze der Jungen in den dichterischen Fassungen ist hier ein normatives Nichts des permanenten Ausnahmezustands getreten.466 Die von Curtius so betonte Neigung Hofmannsthals zum Königtum bezog sich spätestens seit 1918 auf die literarische Wirklichkeit des (humanistischen) »Geistes der Nation«. Ohne Volksgeist und -wille als Beseelung des politischen Makroanthropos, ohne die Metamorphosen der inneren Form als Metaphysik lebendigen politischen Geschehens, ohne Zirkulation einer gemeinsamen Sprache, welche den Organismus des Kollektivkörpers durchströmt und noch politische und individuelle Inhalte zu transportieren vermag, verfällt das Volk, gleichermaßen um pouvoir und volonté beraubt, zur dirigierbaren Masse unmündig und blind unterworfener Einzelner. Hofmannsthal hat Adam Müllers Postulat »Um dieses Geistes willen kann man festiglich glauben, daß die Sprache der Besiegten länger leben werde, als die der Sieger, und in diesem Sinne dann dreist verkünden, daß weil die Sprache fortdauern werde, auch das Volk nicht untergehen könne.« (Adam Müller, Zwölf Reden  ; op cit, 200)467

nicht für das Deutsche Lesebuch gewählt. Dies ist nur im Hinblick auf die Problematik des legitimen, nicht monarchischen, sondern geistigen Königtums verständlich. Er dürfte ihm als allzu optimistisch erschienen sein. Dennoch liegt Das ist aber wesentlich Diktatur, nicht Legitimität.« (PT, 56). Eine Reduktion der Dichtung auf bloße Entscheidung hat Hofmannsthal niemals angestrebt. 466 Auch die kritische Demokratietheorie hat auf diesen Punkt hingewiesen  : »[I]n einer Demokratie [ist] jeder normale Bürger ein König – aber ein König in einer konstitutionellen Demokratie, ein König, der nur formell entscheidet und dessen Funktion darin besteht, Verordnungen zu unterzeichnen, die ihm von der ausführenden Verwaltung vorgelegt werden. Das Problem demokratischer Rituale gleicht daher dem großen Problem der konstitutionellen Monarchie  : Wie lässt sich die Würde des Königs wahren  ? Wie kann man den Anschein aufrechterhalten, dass der König tatsächlich entscheidet, obwohl jeder weiß, dass es nicht so ist  ?« (Slavoj Žižek  : Das »unendliche Urteil« der Demokratie  ; in  : edition Suhrkamp (Hg.)  : Demokratie  ? Eine Debatte  ; Berlin 2012. 116–136  : 117). 467 Vgl hierzu jetzt »Centrumlose Nation  : bedarf des Lebensstoffträgers. Von ihm gespendetes Leben erlischt niemals.« (SW XXXVIII, 994 [Frühjahr 1926]).

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genau hier eine weitere Aktualität des Turm und Hofmannsthals Kulturprogrammik begründet, die in der Vergegenwärtigung der Bedeutung von Sprache für eine demokratische Öffentlichkeit besteht – ohne eine integrierende Sprache, welche dem Einzelnen Mündigkeit und Stimme, individuelle Ausprägung und Teilhabe am Sozialen ermöglicht, in welcher sich politische Inhalte überhaupt vermitteln und diskutieren lassen, ohne diesen »Treffpunkt des Unzähligen« (des pouvoir constituant) wird eine Demokratie nur nominell (bzw. konstitutionell) bestehen können. Der geistige Volkssouverän, die »Einheit von Endlichem und Unendlichem«,468 kommt hier entsprechend für einen einzigen Augenblick jenes von Benjamin beschriebenen allegorischen Kurzschlusses, im leuchtenden Moment des Symbols, als sterbender König zur Erscheinung  ; ein vor der Agonie des Endlichen versinkendes Licht der Verheißung. »Im flüchtigen Ausdruck eines Menschengesichts winkt aus den frühen Photographien die Aura zum letzten Mal. Das ist es, was deren schwermutvolle und mit nichts zu vergleichende Schönheit ausmacht.« (GS I 2, 445  ; Kunstwerk Reproduzierbarkeit) »Ich bin ein hingekritzelt Bild, gezeichnet / auf einem Pergament  : vor diesem Feuer / verschrumpf ich.« (König Johann)469

Man kann also über den Turm nicht sagen, dass »mit seinem Abschluß […] keine Epoche gesetzt« sei,470 ganz im Gegenteil. Das Zeitalter des abendländischen Humanismus wird darin beschlossen. Von hier aus lässt sich auch die Frage beantworten, warum Hofmannsthal das Stück unbedingt in Berlin aufführen lassen wollte (und später in weiteren mitteleuropäischen Ländern). Der Grund war nicht nur die erhoffte Suggestionsmacht des Theatrokraten Reinhardt.471 Es 468 Haltern, Souveränität  ; op cit, 74. 469 Notat aus Shakespeares König Johann  ; RA III, 586  ; Aufzeichnungen [1926]. 470 GS I 1, 314  ; Trauerspiel. 471 Auch Artauds Dramatologie weist übrigens in diese Richtung  : »Es geht also für das Theater im Hinblick auf seinen psychologischen und humanistischen Leerlauf darum, eine Metaphysik des Wortes, der Gebärde, des Ausdrucks zu schaffen. Aber all dies nützt nichts, wenn hinter einem derartigen Bemühen nicht so etwas wie eine echte metaphysische Versuchung steht, eine Anrufung gewisser Ideen, die ungewohnt sind und deren Bestimmung eben darin liegt, daß sie weder begrenzt noch ausdrücklich dargestellt werden können.« »Und nun erhebt sich die Frage, ob sich auf dieser Welt, die dahinschlittert und sich selbst umbringt, ohne daß sie es merkt, diese höhere Vorstellung vom Theater durch setzen [lässt], die uns allen die natürliche und magische Entsprechung der Dogmen wiedergeben wird, an die wir nicht mehr glauben.« (Artaud, Das Theater  ; op cit, 96 und 34).

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sollte zuerst und vor allem in Deutschland aufgeführt werden, das zeigt das Ausweichen Hofmannsthals (nach Reinhardts konkludenter Absage) auf München, Hamburg, Würzburg.472 Hofmannsthals Einstellung zum ›großen Nachbarn‹, der für ihn letztlich ein Spaltprodukt der Reformation, des preußischen Militarismus und Hegels Diktum des ›gemachten Volksgeistes‹ bedeutete, war alles andere als affirmativ. Wenn der Turm in der Inszenierung des Bösen den »Geist des Kapitalismus« mit der Allegorie der zeitgeschichtlichen Totalitarismen – den dialektisch pervertierten Filiationen von Aufklärung (Säkularisierung der Souveränität) und Idealismus (Remythisierung des Staates) – amalgamiert,473 also Ökonomismus, Sozialismus und National(sozial)ismus in einer teuflischen Figuration der illegitimen Moderne zusammenzieht und ihr mit dem modernen Subjekt den Geist des Humanismus so offen zum Fraß vorwirft  : dann zielte dies zuerst auf die geistesgeschichtliche Lage in Deutschland.474 Es ist das geschichtsphilosophisch gewendete Prinzip einer Kur bzw. Impfung, welche die damalige moderne deutsche Gesellschaft unter den anrollenden Ideologien (und darunter wurde auch die ›Unkultur des Westens‹ als Auswuchs »protestantischer Ethik« verstanden) vielleicht tatsächlich dringender noch benötigte als die österreichische. »Die Zahl der Menschen, die Filme sieht und keine Bücher liest, geht in die Millionen. Sie alle werden dem amerikanischen Geschmack unterworfen, werden gleichgemacht, 472 Vgl. hierzu die bei Rühle mitgeteilten Kritiken  ; Rühle, Theater für die Republik. Bd. II  : 1926– 1933  ; Berlin 1988. 854–861. Hofmannsthal hatte zuvor an Helene Thimig (Reinhardts Frau) geschrieben, er halte »Berlin für den richtigen Ort« für die Aufführung (zit. n. SW XVI.2, 427  ; Zeugnisse) – und übrigens ebenso Moskau. Interessant ist auch die ökonomische Begründung des Aufschubs der Inszenierung  : »Die Umstellung vom Repertoiretheater zum Serientheater hat sich als lebensnotwendige Reaktion auf die wirtschaftliche Lage vollzogen.« (Helene Thimig, zit. n. SW XVI.2, 428  ; Zeugnisse). 473 Vgl. hierzu Cassirer, Mythus des Staates  ; op cit, 240 f. und 342 f. »Kein anderes philosophisches System hat so viel zur Vorbereitung des Faschismus und Imperialismus getan, als Hegels Lehre vom Staate – ›von dieser göttlichen Idee, wie sie auf Erden existiert‹.« (ebd., 356)  ; diese sei in der Tradition des rechts- und linkshegelianischen Denkens zu einem »planmäßig erzeugt[en]« Mythos verkommen (ebd., 367). Diese gemachten Mythen seien – man darf hier Benjamins Begriff des profanen Symbols koalieren – das Mittel der Propaganda geworden  : »Unsere modernen Politiker wissen sehr wohl, das große Massen viel leichter durch Gewalt der Einbildung bewegt werden, als durch reine physische Gewalt.« (ebd., 377). 474 Die Weimarer Republik, deren Präambel mit der verwirrenden Feststellung beginnt, dass die deutsche Republik ein Reich sei, bekannte sich darin als ein geschichtliches Derivat des untergegangenen Heiligen römischen Reichs deutscher Nation, dem Hofmannsthal sich auch nach Habsburgs Niedergang noch zugehörig fühlte (vgl. RA III, 622  : Ad me ipsum [5. XI. 26]).

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uniformiert […] Der amerikanische Film ist der neue Weltmilitarismus. Er rückt an. Er ist gefährlicher als der preußische. Er verschlingt nicht Einzelindividuen. Er verschlingt Völkerindividuen.« (Herbert Ihering  : Von Reinhardt bis Brecht, 509)475

Eine solche Perspektive war keineswegs auf Intellektuellenkreise des linken Spektrums beschränkt. Max Weber hat den Begriff ›Kultur‹ als einen »vom Standpunkt des Menschen aus mit Sinn und Bedeutung bedachte[n] endliche[n] Ausschnitt aus der sinnlosen Unendlichkeit des Weltgeschehens« definiert. 476 Dass der Weg auch wieder zurück, aus der Sinnhaftigkeit in einen geschichtslosen und mehr noch  : sprachlosen Kulturniedergang führen kann, hat Hofmannsthal insbesondere mit der Bühnenfassung des Turm zeigen wollen.477 Das Stück ist darin Trauerspiel des Humanismus und Tragödie der Aufklärung zugleich. Wo es, zumal im Gemeinschaftsdenken, die (politische) Romantik zitiert  : »Es wird eine neue Mythologie entstehn, heißt nichts als es wird eine neue Sprache entstehn. – « (Friedrich Schlegel), geht diese unter.478 Wie nahe sich diese Dramatisierung an Webers Dystopie einer totalitären Bürokratisierung des modernen Massenstaates bewegt, sei mit einem letzten Zitat noch einmal veranschaulicht  : »[…] Eine ›organische‹, d. h. eine orientalisch-ägyptische Gesellschaftsgliederung, aber im Gegensatz zu dieser  : so streng rational, wie eine Maschine es ist, würde dann heraufdämmern. Wer wollte leugnen, daß derartiges als eine Möglichkeit im Schoße der Zukunft liegt  ? Nehmen wir einmal an  : gerade diese Möglichkeit wäre ein unentrinnbares Schicksal, – wer möchte dann nicht lächeln über die Angst davor, daß die politische und soziale Entwicklung uns künftig zuviel ›Individualismus‹ oder ›Demokratie‹ oder dergleichen bescheren könnte und daß die ›wahre Freiheit‹ erst aufleuchten werde, wenn die jetzige ›Anarchie‹ unserer wirtschaftlichen Produktion und das ›Parteigetriebe‹ unserer Parlamente beseitigt sein werden zugunsten ›sozialer Ordnung‹ und ›organischer Gliederung‹, – das heißt  : des Pazifismus der sozialen Ohnmacht unter den Fittichen der 475 Herbert Ihering  : Von Reinhardt bis Brecht [1926], 509  ; zit. n. Perrig, Zwanziger Jahre  ; op cit, 123. 476 Weber  : WL, 180  ; Die ›Objektivität‹ sozialwissenschaftlicher und sozialpolitischer Erkenntnis. 477 Hofmannsthals Kulturpessimismus drückt sich auch in der Befürchtung bzw. Feststellung aus, Goethe als das »größte Individuum« der deutschen Nation habe kaum Wirkung gehabt, geschweige denn, dass er sie noch habe (vgl. ebd., 28). Zu beachten ist hier der metaphorische Wechsel, der Hofmannsthal in die Nähe Bourdieus bringt – der geistige Raum der Nation überwölbt somit ein Feld der (Kultur-)Geschichte, aus dem immer wieder die Nebel des Vergangenen aufsteigen und sich in die Atmosphäre der Gegenwart einmengen. 478 Schlegel, KA XVIII  ; op cit, 394  : Nr. 888.

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einzigen ganz sicher unentfliehbaren Macht  : der Bürokratie in Staat und Wirtschaft.« (WuG, 835/836)

Wo man der Bühnenfassung akklamationsbezogene Vorbehalte gegen eine repräsentative demokratische Herrschaftsform ablesen kann, richten sich diese allerdings weniger gegen deren rationale Verfahren der Mehrheitsfindung  : Gerade weil Olivier erfolgreich gegen den demos intrigiert (und offensichtlich nicht vorhat, sich zur Wahl zu stellen), erscheinen vielmehr die charismatischen Elemente in der Hand einer »unentfliehbaren Macht« prekär, die in den dichterischen Fassungen noch den Lösungsweg aus der europäischen Krisis eröffneten. Darin liegt eine Absage an die Idee einer »Führerdemokratie« als Ausgang aus dem selbstverschuldeten Bürokratismus, welche gewissermaßen den ›blinden Fleck‹ von Webers Liberalismus bedeutet. Die Bühnenfassung des Turm veranschaulicht hingegen die Gefahr dessen, was aus der Verbindung zweier Totalitäten – des zur Masse verfallenen Volkes und des Führer-Subjekts (ohne Qualität der Megalopsychia) – jederzeit folgen kann, wenn eine ausreichend skrupellose und durchsetzungsfähige »politische Figur« oder eine »offen sich exponierende [souveräne] Diktatur via facti« zeigt, »daß es auch anders geht« – »das Parlament ist dann erledigt«.479 Die Wirkungsabsicht hinter Sigismund als Märtyrerfigur eines Gemeinschaftsgedankens, welcher auch Anleihen des durchschnittlich ohnmächtigen »parlamentarischen Königs« bruchlos integriert, dringt auf die Verbindung zum geistigen Raum der Nation und auf die Gefährdung der Kulturgeschichte jener deutschen Nation,480 die Hofmannsthal staatlich nicht vereinigt sehen wollte. Die Ostentation der Leiche als dem obersten Emblem des Trauerspiels richtet sich gegen den »Ausnahmezustand der Seele, die Herrschaft der Affekte«, deren Takt der Intrigant vorgibt.481 Die Verlusterfahrung wird damit zum Quietiv solcher – nationalistischen – Affekte durch die Initiation einer Pietät kollektiven 479 Schmitt  : LP, 13. Das obige Zitat Webers kann für Hofmannsthal als bekannt vorausgesetzt werden (vgl. 2.5.1). 480 »Gedächtnis realisiert sich für ihn in dem Moment, in dem die unablässige Flucht der Zeit in einem seelischen Akt der Entgrenzung überwunden wird […]« (Viehöver, Hofmannsthals Gedächtniskonzept  ; op cit, 150). Der Anblick des kulturgeschichtlichen Märtyrers ist auf einen solchen Moment berechnet – »Wenn es die Phantasie ist, die der Erinnerung die Korrespondenzen darbringt, so ist es das Denken, das ihr die Allegorie widmet. Die Erinnerung führt Phantasie und Denken zueinander.« (GS V, 436  ; Passagen-Werk). Zum geistigen Raum notierte sich Hofmannsthal zudem  : »bei uns übernational« (RA III, 632  ; Ad me ipsum). 481 Zuvor (»Parlamentarischer König«)  : WuG, 688  ; GS I 1, 253  ; Trauerspiel.

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Gedenkens, einer mémoire générale, der zum Leitbild Hofmannsthal im Turm ein ›heiliges geistiges Reich deutscher Nation‹ evozierte. Hier leuchtet also die mitteleuropäische, die zugleich eine habsburgische Kulturgeschichte ist (›Habsburg ist Hamlet‹),482 ein letztes Mal auf, um im nächsten Atemzug (scheinbar) zu vergehen. Denn »nur als Bild, das auf Nimmerwiedersehen im Augenblick seiner Erkennbarkeit aufblitzt, ist die Vergangenheit festzuhalten«.483 Dies allerdings war auch das Schicksal der Utopie eines Bundes wahlverwandter Freunde, die in den friedfertigen Zügen Sigismunds für einen Augenblick am Fenster des Palastes aufleuchtete.

482 »Während die antike Tragödie den Mythos vorfindet und daraus das tragische Geschehen schöpft, ist im Falle Hamlet der seltene, aber typisch moderne Erfolg eingetreten, daß der Dichter aus der Wirklichkeit, die er unmittelbar vorfindet, einen Mythos stiftet.« (Schmitt, Hamlet oder Hekuba  ; op cit, 51). Wenn Schmitt über die Stuarts schreibt  : »Dieses Königsgeschlecht ist von dem Schicksal der europäischen Glaubensspaltung zerschmettert worden. In seiner Geschichte ist der Keim des tragischen Hamlet-Mythos erwachsen.« (ebd. 55), dann kann man diesbezüglich bei Hofmannsthal an Habsburg denken. Auch dieses Geschlecht wurde zerrieben, allerdings von den nationalen Spaltungen Europas. 483 GS I 2, 695  ; Begriff Geschichte.

6. Ausblick. Vom lichten Bau der Sprachgemeinschaft »Dies aber sage ich, Brüder, die Zeit ist zusammengedrängt. Was bleibt, ist […] als ob […] als ob […] als ob […] als ob […] als ob […]. Es vergeht nämlich die Gestalt dieser Welt.« (I Kor 7, 29–32)1 »Doch gut/ ist ein Gespräch und zu sagen / Des Herzens Meinung, zu hören viel / von Tagen der Lieb‹,/ Und Thaten, welche geschehen (Hölderlin, Andenken)

Diese Studie hat sich Hofmannsthals großem Welttheater der Moderne und dem darin ausgeführten geschichtlichen Ablauf von Herrschaftsformen über die thematischen Zugänge Walter Benjamins, Carl Schmitts und Max Webers genähert  ; wechselweise flankiert durch weitere Bezugsgeber Hofmannsthals, so vor allem Georg Simmel, Karl Vossler, Florens Christian Rang, Alfred Weber, Gustav Landauer und C.G. Jung. Das erste Kapitel befasste sich schwerpunktmäßig mit der Vorgeschichte der Weber-Bezugnahme und Hofmannsthals Poetologie des Wissens, die ihre Legitimität aus dem mit den Wissenschaften konkurrierenden Anspruch bezieht, sich jenseits deren Grenzen die Bereiche des rational Unverfügbaren anzueignen. Ihre Macht erweist sich aber gerade auch darin, bestehende, scheinbar klare Begrifflichkeiten metaphorisch zu unterminieren und auf diese Weise ihrer eigenen Deutungsmacht zuzuschlagen. Das zweite Kapitel hat anhand sprachphysiologischer, rechtsphilosophischer und germanistischer Fiktionen die Grundlagen einer organischen, körperlichen Vorstellung der Sprache in Hofmannsthals Werk nachvollzogen. Diese Vorstellung liegt auch seiner Idee des »Schrifttums« als dem »geistige[n] Raum der Nation« und der poetisch souverän gestalteten Mythengestalt Sigismund zugrunde, welche diesen geistigen Raum in sich fasst und deshalb als literarischer Leviathan gedeutet werden kann. Die Interpretationskapitel konzentrierten sich dann, nach der Engführung der methodisch-theoretischen Hauptbezugnahmen, auf die Genese dieses sprachlichen Kollektivleibs im Geschehen des Turm, in welchem sich Hofmannsthals logopolitische Utopie eines goldenen Zeitalters konkretisiert bzw. als unmöglich erweist. Es soll nun abschließend versucht werden, aus all dem »die Summe zu ziehen«, nach Hofmannsthal auch ein Akt der Entscheidung. Festzuhalten ist, dass seine 1 Vgl. hierzu übrigens Christoph Schmidt, Theopolitische Stunde  ; op cit, 119, der hier das »als ob nicht« betont.

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Ausblick. Vom lichten Bau der Sprachgemeinschaft

bislang so gut wie unbekannte Rezeption der Soziologie Max Webers (spätestens ab 1921) sowie deren Bedeutung für die Arbeit am Turm über den großen thematischen Bogen der fünf Kapitel nachgezeichnet werden konnte. Insbesondere hinsichtlich der Protestantischen Ethik als ›Metaphysik‹ des modernen Rationalismus und ihren kulturgeschichtlichen Filiationen (Materialismus und Nationalsprachlichkeit), sowie der Herrschaftssoziologie ist nun ein erheblicher Einfluss der Weber-Rezeption auf Ablauf und Figurenhintergründe im Turm und Hofmannsthals späte Kulturprogrammatik belegbar. Hierbei ergab sich allerdings, dass mit Georg Simmel ein vorausliegender und in bestimmter Hinsicht noch gehaltvollerer soziologischer Einfluss festzustellen ist  : Hofmannsthals Poetologie konnte in ihrer Zielrichtung auf »das Soziale« (vom ›Leben‹ zum ›Politischen‹) mit Simmels Philosophie des Geldes als ein metaphorisches Verfahren fundiert werden, über welches er bereits um 1903 – in Analogie zum Geld – eine gesellschaftlich konstitutive Transmitterposition für seine Dichtung (und sich selbst) angestrebt hat. Wo allerdings das Geld nach Simmel dazu tendiert, reale Herrschaftsverhältnisse zu relativieren, da richtete sich Hofmannsthals Poetologie zunehmend darauf, eine Dichtung zu entwerfen, welche dem Politischen und seinen ökonomischen Flexionen entgegenwirken sollte. Im Verlauf des hinzutretenden Austauschs mit Benjamin hat Hofmannsthal dieses Verfahren in den zwanziger Jahren für die Form des Trauerspiels mit dem zentralen Souveränitätskomplex allegorisch konkretisiert und zugleich eingeschwärzt (vgl. 2.1/4.2.2/5.1.3.). Hinsichtlich seiner Rezeption von Carl Schmitts Diktatur und Politische Theologie war ein Bedarf zur Korrektur aktueller Darstellungen zu verzeichnen, welche ohne die Konstellation mit Benjamins Trauerspielbuch zu einer ›Schmittianisierung‹ Hofmannsthals tendieren (vgl. 1.2.4 und 5.). Als diesbezüglich diametrales Ergebnis ist festzuhalten, dass Schmitts Modell der souveränen Diktatur im Turm in der Tat präsent ist, in der Bühnenfassung jedoch als Ausprägung des modernen Bösen allegorisiert wird (vgl. 5.4.4). Zwar konnte über die Rezeption der Gedenkgabe für Max Weber auch eine gewisse Plausibilität für die Vermutung einer früheren Kenntnis von Schmitts Schriften festgestellt werden, nämlich bereits ab Juni oder Herbst 1923 (vgl. 4.3.2) – welche, in diesem Fall, die Herrschaftsinszenierung der dichterischen Fassungen den modernen Konzepten politischer Souveränität gegenüber aufgeschlossener erscheinen ließe (die aber letztlich ebenso im geistigen Überbau der entstehenden Gemeinschaft aufgehoben wird). Zudem folgt diese Lektüre Hofmannsthals in jedem Fall auf die Weber-Bezugnahme  ; so lässt sich (schon anhand des Briefes vom Herbst 1926 an Josef Redlich) argumentieren, dass Hofmannsthal die Politische Theologie in erster

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Linie als kulturgeschichtliche Studie über den Prozess der Entzauberung gelesen hat, und zwar im Hinblick auf die moderne Legitimation von Herrschaft (und des damit verfallenden Königtums). Dieser Prozess wird nach dem Niedergang der Monarchien mit der Ablösung der Imagination eines corpus mysticum (gemäß der von Kantorowicz dargelegten, dynastischen politischen Theologie) durch den actus purus der Entscheidung (Schmitt) im geschichtlichen Gehalt der Bühnenfassung manifest (vgl. 5.4/5.5).2 Hofmannsthals Dramatik nimmt hier, nicht überraschend, von der traditionalen Vorstellung ihren Ausgang (die schon in Das Leben ein Traum präsent ist), wodurch sie sich des technischen Dezisionismus’ der Schmittschen Variante enthält. Seine hier ebenso widerstrebende Perspektive auf die sozial konstitutive Dimension von Dichtung und der Morphologie ihrer inneren Form (in welcher der »Geist der Nation« Ausdruck und Gesicht erhalte) verdankt zudem der Sprachsoziologie Karl Vosslers wichtige Gesichtspunkte (vgl. 2.2, 2.3). Dies gilt in anderer Form auch für den Freundschafts- und Gemeinschaftsgedanken hinter der jedem pouvoir constitué vorausliegenden Sprachgemeinschaft um Sigismund, mit welcher sich die Namen der Zeitgenossen Buber, Landauer und auch Rang verbinden (vgl. 5.3.4 und 5.4.3). Hofmannsthals Methodik – und er befindet sich hier in einer offenbar meist diskret verlaufenen literarischen Tradition, die es in dieser Prägnanz erst noch zu erschließen gilt – ist demnach als Poetologie des Politischen zu bezeichnen, weil sie die bildgebenden bzw. verkörpernden Verfahren der gesellschaftlich verbindlichen Imagination von der politischen Theologie übernimmt und deren Bedeutsamkeitspotentiale auf die poetisch gesteigerte Sprache umlenkt. Wie die Untersuchung zeigen konnte, ist dies gerade gegen ein Verfahren rationaler Begriffsbildung mit finalistischem Charakter gerichtet, wie er für Schmitts Theorie so kennzeichnend ist. Denn das tertium comparationis von politischer und poetischer Theologie ist eben das Wunder, das im ersten Fall als biopolitischer Akt durch die staatliche Autorität, im zweiten Fall logopolitisch durch die dichterische auctoritas definiert wird. Auch die Literatur übernimmt damit also eine Form des ›souveränen Banns‹, der – selbst als ein sprachlicher – fraglos ebenfalls zur Re-Etablierung von Autoritätsstrukturen (die »Bindungen«) beitragen kann und in dieser Eigenschaft von Hofmannsthal auch im Dienste der Kulturnation 2 Dass Schmitts Souveränitätstheorie geradewegs als Punktspiegelung poetischer Konzepte der »politischen Romantik« angelegt ist (nämlich in Rückübertragung ihrer Phantasmata des Unbegrenzten auf die plenituda potestatis, den Bereich souveräner Allmacht), hat hinsichtlich deren abermals literarischer Rezeption für einige Verwirrung gesorgt, der hier entgegengearbeitet werden sollte.

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vorgesehen war. Inwieweit solche Charismatisierung der Sprache bzw. Dichtung »hinterrücks autoritär« auf Beeinflussung zielt, ist dann zuerst vom Autor abhängig – und Hofmannsthal hat diesbezüglich in der Münchener Rede auf das »Schrifttum« immerhin sein ›Problembewusstsein‹ mitgeteilt (vgl. 2.4). Souveränität meint beim späten Hofmannsthal darum zuerst eine der Sprache als dem gleichsam metaphysischen Grund nicht nur der Subjektkonstitution, sondern auch gesellschaftlicher Ordnungsvorstellungen generell, die sich, von Poeten verfügt, im Charisma der Dichtung mitzuteilen und zu bewähren hat – auf Ebene des Geschehens der Bühnenfassung jedoch ostentativ an der Bewältigung des Politischen scheitert. Doch gerade durch dieses Scheitern am (sprachlichen) Ursprung politischer Formen eröffnet das Stück einen Horizont, der sich kulturgeschichtlich unabschließbar gibt – dies gilt auch für das Subjekt dieser Kulturdichtung, welches zugleich als das der Geschichte angelegt ist. In den dichterischen Turm-Fassungen wurde Sigismund, heroische Mythengestalt des siegenden Schrifttums, dem heilsamen Andenken einer sprachlich verbundenen, post-souveränen und zeitenthobenen Kultusgemeinschaft unterlegt. In der durchgeführten Allegorie der Bühnenfassung wird er als reines Symbol der mit ihm verkörperten Möglichkeit gewaltfreier Herrschaft getötet und durch ein profanes ersetzt. Hier ist keine Utopie des Schrifttums mehr konkretisiert, sondern nur noch aus deren punktgenauer Negation erahnbar. Mit dieser klaren Gegensätzlichkeit der Dramenschlüsse ist eine Inversion der im Kinderkönig verkörperten messianischen Reichsidee zu verzeichnen, deren rationalisierte, säkulare ›Schwundstufe‹ nun Olivier gegen den Willen des pouvoir constituant und die ihn ›umkleidende‹ Sprachgemeinschaft exerziert. Besonders deutlich zeigt sich dies an der Inszenierung der Zeit in den Handlungsabläufen. An die Stelle eines goldenen Zeitalters ist das disziplinierende Zeitdiktat des modernen Staates getreten  ; die Festgemeinschaft der früheren Fassungen wird in vereinzelt Trauernde, »Gottes unsichtbare Kirche« zerstreut. Die Logik dieser physiognomischen Verfinsterung3 – vom Pfingsthymnus et renovabis faciem terrae zum Ende der dichterischen Fassungen zur facies hippocratica der Gemeinde auf der Bühne – geht auf Vollendung der barocken Form des Trauerspiels aus, welche Benjamin als Versäumnis im deutschsprachigen Raum angezeigt hatte  ; die im Martyrium angestrebte Pietät wird nun dem schöpferischen Rezeptionsprozess überantwortet.

3 Zuvor  : RS I, 104. Tatsächlich sendete Hofmannsthal den Turm an Thomas Mann mit den begleitenden Worten »Diesen finsteren Zeitenspiegel […]« (zit. n. SW XVI.1, 177  ; Entstehung).

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»Leer aus geht die Allegorie. Das schlechthin Böse, das als bleibende Tiefe sie hegte, existiert nur in ihr, ist einzig und allein Allegorie, bedeutet etwas anderes, als es ist. Und zwar bedeutet es genau das Nichtsein dessen, was es vorstellt.« (GS I 1, 406  ; Trauerspiel)

Dieses dialektische Schema war auf den Modus des Stücks zum Erwerb seines politischen Gehalts zu beziehen. Denn wenn das Politische fatal wird, weil es (wie für Carl Schmitt 1933) einen staatlichen Totalitarismus mit ästhetischen Mitteln ausbildet, muss das Ästhetische notwendig totalitär erscheinen, wo es solche Fatalitäten inszeniert.4 Die Radikalität ergibt sich zusätzlich aus dem zitierten sensus apocalypticus der Allegorienauffassung Benjamins. Denn Hofmannsthal hat den von Benjamin im Trauerspielbuch annoncierten ›Auftrag‹ gewissermaßen ›ausgeführt‹  : Er hat die Form des barocken Trauerspiels ›zu Ende gedacht‹, indem er die Gestalt der Souveränität einem modernen, revolutionären Intriganten zum Opfer fallen lässt. Der Souverän ist allerdings kein barocker mehr, noch ist er überhaupt in eminentem Sinn politisch  ; und der moderne Intrigant ist ein Diktator des Neuen, der jeglichen poetischen Mehrwert aus der Welt schafft und den »Taufschein« der Sprache (Vossler) zerreißt. Was Benjamin aber kritisiert hatte – die Aporie bzw. eigentlich Ironie, ausgerechnet eine Figur katholischer Souveränität mittels meist platter Intrige zum Märtyrer eines (oft) protestantisch intendierten Bühnenstücks zu machen –, ist damit hier in anderer Form fortgesetzt. Der kritische Wert, welchen Benjamin der Aufwertung der Intrige zutraute, wird von Hofmannsthal in vollstem Umfang eingelöst – nur dass dieser sich gegen die Intrige und die in ihr zusammengezogenen ›bösen Ausprägungen‹ protestantischer Ethik richtet, und nicht gegen die Gestalt der Souveränität, welche jetzt als Symbol der Humanität geradezu standrechtlich erschossen wird. Das ›Totalitäre‹ im Turm muss daher innerhalb einer bestimmten Bewegung des Poetischen gesehen werden, in einem Umweg (oder Sprung), den es bei der Fiktionalisierung gesellschaftlicher Realität ins Mythische, Imaginäre nimmt, um die Bewegung des Politischen abzubilden und deren Faktizität gestalten zu können. Der geschichtlich-soziologische Gehalt dieses ›theatrum tempi‹ wird in seinen Polaritäten als assimilierte Materie, in die complexio oppositorum des Trauerspiels überführt und im Schweben gehalten. Die der staatlichen Souveränität so notwendige Entscheidung scheint damit im Gespräch, das die Literatur ist, ausgesetzt. Hofmannsthals Dramatik ist also nicht etwa deshalb ›totalitär‹, weil sie 4 »So wenig wie Theorie vermag Kunst Utopie zu konkretisieren  ; nicht einmal negativ. Das Neue als Kryptogramm ist das Bild des Untergangs  ; nur durch dessen absolute Negativität spricht Kunst das Unaussprechliche aus, die Utopie.« (Adorno, Ästhetische Theorie  ; op cit, 55).

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politische Positionen ungefiltert wiedergäbe, was mit Hinblick auf die SchmittBezugnahme immer wieder behauptet wurde – sondern ihrer auf den »Gesamtbereich des Politischen« bezogenen Methodik wegen, in der metaphorischen und allegorischen Erfassung von dessen zeitbedingten Antinomien. Der poetologischen Faktur und seinem kulturpolitischen Prospekt nach ist dieser Versuch dennoch, der aufgezeigten geistesgeschichtlichen wie imaginären Elemente und deren spezifisch visionärer Verdichtung wegen, ein in seiner Substanz und Grundsätzlichkeit bis heute kaum einmal eingeholter Entwurf von hoher Aktualität geblieben. »Das Stück, am Anfang des Jahrhunderts konzipiert, gewinnt am Ende seherische Kraft. All unsere denkbaren politischen Modelle sind am Ende, alle weisen den Weg zur Beseitigung des Menschen durch ihn selbst. Das sehen wir nun, keine Wahrheit mehr besitzend. Und das Ende der Ideologien sah Hofmannsthal voraus.« (Thomas Langhoff )5

Die neue Souveränität, deren Mythos Hofmannsthal im Turm zu schaffen bestrebt war, ist in keiner der verschiedenen Fassungen (Kinderkönig/Sigismund) als eine politische aufzufassen. Allerdings wird eine solche in den politisch-romantischen Fassungen als notwendiger Schritt auf dem Weg zur Souveränität des vom Geist der Nation (also der Sprache) beseelten Gemeinschaftsverbunds veranschaulicht. Die Bühnenfassung wendet sich dann von dieser ›Inkaufnahme des Politischen‹ ab und inszeniert geradewegs eine Dialektik zwischen politischer und geistiger Souveränität, die bei der Frage der veritas ansetzt. Diese zweite Souveränität ist damit Ausdruck einer Poetologie des Politischen, welche die gesellschaftliche Wirklichkeit in Konsequenz imaginativer Verfahren als veränderliche begreift. Die Aufarbeitung von Hofmannsthals Rezeption Max Webers und die Lektüre des Turm im Kontext mit dessen Schriften könnte daher in gewisser Weise auch die Wahl der Form des Trauerspiels erklären. Denn einbezogen in das depotenzierende allegorische Verfahren ist mit dem Vertragsstaatskörper von Thomas Hobbes ein Mythos neuzeitlicher Souveränität, welchen Schmitt später als Vollendung der Reformation bezeichnet hat. Ausgehend von dem Befund einer Protestantischen Ethik und ihren modernen Filiationen,6 die Weber im Geist 5 Thomas Langhoff  : Nachbemerkung eines Regisseurs  ; in  : Hugo von Hofmannsthal  : Der Turm  ; Frank­furt/Main 1992. S. 93 ff. Auch im neuen Jahrtausend bleibt dieses Urteil gültig. 6 Abseits der zitierten Arbeiten Burdachs und Vosslers findet sich auch im Briefwechsel mit Burckhardt eine Würdigung der sprach- und geistesgeschichtlichen Bedeutung der Reformation, ohne die es Hölderlin nicht gegeben hätte. Auch die (nationalsprachliche) Literatur ist Kind dieses Schismas, vgl. BW Burckhardt [1991], 198 (17. 7. 1926).

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des Kapitalismus und Landauer in dessen Invertierung durch den Marxismus erblickten, wird der gesamte numerisch-ökonomische, materialistische Komplex moderner Staatlichkeit mitsamt seines Werte- und Legalitätssystems zum Ziel einer ätzenden Kritik. Diese schließt auch und gerade den Gedanken eines nur errechneten, akkumulierten pouvoir constitué mit ein, dessen Legalität als fauler Zauber erscheint. In diesem Sinne wäre der Turm eher die Dichtung einer politischen »Unkultur«, wenn nicht zugleich die Möglichkeit einer Alternative aufscheinen würde (ebenfalls jenen Spaltungen des 16. und 17. Jahrhunderts entwachsend), welche allerdings, als sprachlich verkörperte, in der Bühnenfassung kaum Lebenskraft zeigt – diese soll sie hingegen in dem von ihr initiierten Gespräch erhalten. Denn Hofmannsthals Trauerspieldichtung ist dem Gedanken eines mehrenden, nicht entwertenden geistigen Königtums (im Reich) der Literatur verpflichtet. Dies gilt insbesondere für die konservative Utopie einer des Politischen bemächtigten poetischen Sprache, in welcher der Einzelne nicht nach Maßgabe des Zensus mündig, die entgrenzte Gemeinschaft der Kulturnation aber durch Gespräch aller mit allen lebendig ist. Dieser am Ursprung der Legitimität siedelnden Gemeinschaft, so waren Hofmannsthals diesbezügliche essayistische Äußerungen, Aufzeichnungen und dramatische Inszenierungen aufzufassen, emaniert der »Volksgeist« als phantasmatische Gestalt, in dessen Sprachleib sich die Nation versammelt, wie die ecclesia im Leib Christi. Die paulinische Metaphorik entfaltet im Hintergrund solcher Logos-Affinität eines – gegen den politischen gesetzten – literarischen Leviathans deutliche Wirksamkeit. Daraus ist also nicht automatisch abzuleiten, Hofmannsthal sei ein Apologet der Rekatholisierung gewesen, wenngleich dahingehende Tendenzen der barocken Form gemäß zu bestehen scheinen. Die geschichtliche Entwicklung des einstmals theologischen Paradigmas zum säkularen Mythologem der Physiokraten und zur Fiktion eines Gemeinwillens in Rousseaus Gesellschaftsvertrag hat Hofmannsthal erkennbar ebenso einbezogen (und nicht durch Schmitts Perspektive determiniert), wie auch deren Remythisierungsversuche seit der Romantik. Wo Hofmannsthal von einer neuen Pietas als der von ›poetischer Theologie‹ zu erzeugenden Haltung spricht, ist diese auf ein unvergänglich Geistiges gerichtet, auf ein Göttliches, das sich nur in der Kirche der Sprache (vgl. 2.2) vermitteln kann (und nicht auf einen, wie auch immer fiktiven, politischen Souverän) – also auf die Sedimente im geistigen Raum der Nation, die, aufgelesen im Schrifttum, in stets sich erneuernder Präsenz zu bewahren sind. Hofmannsthals ›Transzendenz‹ ist darum zuerst eine sprachliche und demnach anthropogene, und, wenngleich nicht vorbehaltlos, dem spinozistischen

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Pantheismus um 1900 vergleichbar (›deus sive lingua‹). Ihr entgegengesetzt ist die Vorstellung eines modernen (nicht theologischen) Bösen, das im ›Mantel‹ des geistig nicht bewältigten Politischen die Ökonomisierung aller Werte und Lebenseinstellungen durchführt und als ›Disziplinierungspolizey‹ einen Gesinnungsterror zu betreiben beginnt. Für solche rückblickende Fortschrittlichkeit, die das Equilibrium zwischen Form und Bewegung suchte (Hofmannsthal meinte, es im Terminus der »konservativen Revolution« gefunden zu haben), ist das Etikett der klassischen Moderne zu Recht in Anschlag gebracht worden. Auch dieses Engagement Hofmannsthals wider die allgemeine Vergesslichkeit bzw. Kulturvergessenheit – wirklich eine Krankheit der stärker noch von Kontingenz geplagten Postmoderne – hat hohe Aktualität behalten. Dem Geist des modernen Rationalismus, wie er ihn bei Weber als religiösen, bei Simmel als pekuniären Faktor für die Totalität der ihm missliebigen Tendenzen der Moderne dargestellt fand, setzte Hofmannsthal in seinem Werk (wie übrigens auch Rilke) eine Poetik der Fülle, des Mehrens und des Reichtums (des dionysischen Verschenkens bzw. Verschwendens) entgegen. Das ist Hofmannsthals »mythengebärende« Souveränität. Sie ist Ertrag einer poetischen Mengenlehre, aus welcher immer wieder neu und anders die Summe gezogen werden kann  ; denn die aus der Wirklichkeit metaphorisch akkumulierten, in symbolische Form verwandelten Massen stehen nach ihrer Transformation im »Treffpunkt des Unzähligen« als Chiffren, man könnte beinahe sagen  : Monaden dazu bereit, die Zeit auszudeuten. Die Vieldeutigkeit dieser Zeitbilder ist in ihren »gesättigten« Konstellationen und ihrem enigmatischen Spielraum an Rekombinationsmöglichkeiten noch lange nicht ausgeschöpft. Sie nötigt dem Philologen im Prinzip denselben Eklektizismus ab, aus welchem sie hervorging – und eine je eigene Bewältigungsstrategie der in der ›reversen Transkriptase‹ seiner Werke aufsteigenden Massen. In dem so absichtsvoll chaotischen Gewirr von Hofmannsthals Textur werden immer weitere Fäden sichtbar, von denen man oft noch nicht weiß, wie weit sie hineinreichen – Ortega y Gasset wäre ein Beispiel. An Anlässen für weitere bzw. vertiefte Beschäftigung mangelt es jedenfalls nicht – quer durch die Disziplinen verbleiben etliche Anknüpfungspunkte. Von den hier aufgenommenen ›Bezugsfäden‹ ist mit Sicherheit der Simmels (schon chronologisch) der längste (doch auch nach Dilthey wäre in diesem Zusammenhang zu fragen), der Webers der am Subtilsten gehandhabte.7 Hinzu treten Fragen literaturgeschichtlicher Positi7 Die Bedeutung Max Webers ist über den Turm hinaus mehrfach angedeutet worden  ; Das Salzburger große Welttheater (und die Calderón-Stoffe generell), Timon der Redner und vielleicht schon Jedermann sind mögliche weitere Kristallisationspunkte dieser Bezugnahme.

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onierung, die hier weniger im Vordergrund standen. Abzusehen ist  : Hofmannsthal bleibt als philologisches Abenteuer und Versprechen gültig, das »poetische Charisma« seiner Dichtung (welches er für sich nicht angestrebt hat) scheint sich angesichts der Vielzahl aktueller und gehaltvoller Publikationen derzeit zu bewähren. Hofmannsthal bleibt im Gespräch. »Das Ferne schien sehr nahe – das Nahe ungreifbar vergeistigt. Alles bebte in sich, aber eine völlige Harmonie hielt alles in zauberhaftem Gleichgewicht, und die Offenbarung des Schönen schien eine ungeheure Bedeutung anzunehmen, die uns im nächsten Augenblick, fühlten wir, sich zu unverlierbarem Besitz enthüllen würde.« (GW EGB, 654  ; Gespräch in Saleh)

Dies gilt derzeit für die Literaturwissenschaft, weniger aber für Hofmannsthals originäre Institution, das Theater, das sich anderen Texten verschrieben hat. Die heutige Literatur hat den Anspruch einer Souveränität des politischen Deutens und Leitens nominell abgelegt, vollzieht dies aber implizit in transportierten Werthaltungen, durch Selektion des Gezeigten sowie durch Teilhabe an Öffentlichkeit unausgesprochen weiter  ; denn Literatur bleibt »Archi-Politik« (Rancière). Sie hat jedoch jenen Bereich der Legitimität eines Außen, aus welchem die Dichter früherer Epochen ihr superiores Wissen über die Gesellschaft zu schöpfen behaupteten, eben das »Wagnis des Mythischen«, in der Regel aufgegeben. Solch äußere Punkte sind jedoch »zugleich notwendig und unverwirklichbar, durch die das Regime des literarischen Schreibens sich jenseits seiner selbst entwirft«.8 Mit Blick auf Hölderlins Andenken ließe sich sagen  : die meisten der 8 Rancière, Aufteilung  ; op cit, 45. Vgl. zu diesem Dilemma nochmals Adorno  : »Daß Kunstwerke politisch eingreifen, ist zu bezweifeln  ; geschieht es einmal, so ist es ihnen meist peripher  ; streben sie danach, so pflegen sie unter ihren Begriff zu gehen. Ihre wahre gesellschaftliche Wirkung ist höchst mittelbar, Teilhabe an dem Geist, der zur Veränderung der Gesellschaft in unterirdischen Prozessen beiträgt und in Kunstwerken sich konzentriert  ; solche Teilhabe gewinnen diese allein durch ihre Objektivation. Die Wirkung der Kunstwerke ist die der Erinnerung, die sie durch ihre Existenz zitieren, kaum die, daß auf ihre latente Praxis eine manifeste anspricht  ; von deren Unmittelbarkeit hat ihre Autonomie allzuweit sich wegbewegt.« (Adorno, Ästhetische Theorie  ; op cit, 359). Doch auch diese »unterirdischen Prozesse«, wie sie Hofmannsthal im Turm mit dem Wandel der politischen Theologie gestalten konnte, sind dem postmodernen Bewusstsein scheinbar entfallen  : »Das Mark der Erfahrung ist ausgesaugt  ; keine, auch nicht die unmittelbar dem Kommerz entrückte, die nicht angefressen wäre. Was im Kern der Ökonomie sich zuträgt, Konzentration und Zentralisation, die das Zerstreute an sich reißt und selbständige Existenzen einzig für die Berufsstatistik übrigläßt, das wirkt bis ins feinste geistige Geäder hinein, oft ohne daß die Vermittlungen zu erkennen wären.« (ebd., 54).

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heutigen Autoren haben die Seefahrt aufgegeben, gehen nur gelegentlich auf den neuesten Wogen surfen. Hier wird kein Leviathan mehr ausgesungen. Aus diesem Verzicht resultiert eine gewisse Gleichförmigkeit der Erzeugnisse des »Literaturbetriebs« (eine vielsagende Selbstbeschreibung), welcher eine übrigens auch zunehmend juristisch sanktionierte Marktkonformität produziert. Die Teilhabe am Mythischen als dem Irrationalen und Illegalen gilt wie dessen Mit-Teilung heute als Menetekel, wo es sich nicht um ausgewiesene Reservate des FantasyGenres handelt. Das ist wirklich eine Fundierung der Kunst auf die Praxis der Politik, aber keine im Sinne Benjamins. Deren prohibitive Konsequenzen wirken sich nicht zuletzt in einem wachsenden Unverständnis für die früheren, mythogenen Archi-Politiken aus, die eine Arbeit an der imaginierten Zentralperspektive auf die Gesellschaft als Ganzes waren.9 Benjamin hat aber die mythische Gewalt des Rechts zurückgewiesen, nicht die der Literatur. Diese birgt vielmehr die Chance, die Normativität des Faktischen in den Gesetzen zu unterwandern und ihre Prämissen der Kritik auszusetzen.10 Daraus entspringt ein gesellschaftlicher Fortschritt, der mithin auch in seinen rechtssoziologischen Konsequenzen sichtbar wird, wo er, literarisch übersetzt, auf den gesellschaftlichen Vorstellungshorizont einwirkt. Momentan scheint sich diese Unterwanderungsbewegung jedoch umgekehrt zu haben, diverse gerichtliche Prozesse um die Freiheit der Fiktion sind hier seit der Jahrtausendwende Beleg. Die Literatur wird juridifiziert, auf den rechtlichen Code staatlicher Entscheidungen heruntergebrochen, bzw.: die Fiktion juristischer Legalität verdrängt die Legitimität literarischer Inszenierungen. Doch »Inszenierung wäre […] der unablässige Versuch des Menschen, sich selbst zu stellen  ; denn sie erlaubt zum einen, durch Simulacra die Flüchtigkeit des Möglichen zu Gestalten zu erwecken, und zum anderen, dem ständigen Entfalten zu möglicher Andersheit zuschauen zu können. […] Nur inszeniert kann der Mensch mit sich selbst zusammengeschlossen sein  ; Inszenierung wird damit zur Gegenfigur aller transzendentalen Bestimmungen des Menschen.« (Iser, Das Fiktive und das Imaginäre  ; op cit, 515) 9 »In dem Augenblick aber, da der Maßstab der Echtheit an der Kunstproduktion versagt, hat sich auch die gesamte soziale Funktion der Kunst umgewälzt. An die Stelle ihrer Fundierung aufs Ritual tritt ihre Fundierung auf eine andere Praxis  : nämlich ihre Fundierung auf Politik.« (GS I 2, 482  ; Kunstwerk Reproduzierbarkeit). Benjamin ließ offen, ob dieser Wechsel als solcher gut oder schlecht war, er nahm ihn als Faktum hin. Ein ermächtigendes Argument liegt darin. 10 Zum Verhältnis von Literatur und Recht sei nochmals verwiesen auf den Umriss im Beitrag Bernhard Greiners  : Das Forschungsfeld ›Recht und Literatur‹  ; op cit. 7–26. Benjamin stand dem Mythos generell kritisch gegenüber.

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Gerade weil die imaginäre Ordnung des Politischen in der Demokratie den Souverän nur noch als virtuelles Element – da konstitutiv abwesend – kennt, ist eine autonome Fiktion notwendig, die ihm eine Präsenz jenseits der eigenen (uneingestanden) rituellen Institutionalisierung verleiht, die kollektiv gedacht (Volkssouverän) im Massenstaat unmöglich geworden, als personale (König, Diktator) jedoch nicht mehr erwünscht ist. Literatur stellt, wie Rancière sagt,11 zwar keine faktischen Kollektivkörper her (sieht man von den Bibliotheken ab), macht deren Imagination aber erfahrbar. Sie gestattet dem demokratischen Souverän die Selbstbegegnung im Fiktiven, und suppliziert auch dem legalen Verfassungsstaat darin gewissermaßen ein ius imaginarium, einen Modus der Selbst-Übersetzung in den Raum der Legitimität, der vor allem in Schalt- und Krisenzeiten relevant wird.12 Auf dem Theater ergibt sich zusätzlich die Möglichkeit, dem Publikum eine Erfahrung von Realpräsenz zu verschaffen, die sich aber ebenso als Spiel zu erkennen gibt und damit jenem »Als-ob«, das seine Fiktionalität ausstellt, verpflichtet bleibt. Eine »Souveränität der Literatur« kann nur als geistige, im subjektiven Vorstellungshorizont herrschende, nicht als eine nach Regierung trachtende sinnvoll agieren. ›La litterature rèigne, elle ne gouverne pas.‹13 Sie setzt die Zeichen, doch vollzieht sie nicht. Auch hier ist der Unterschied von Legalität und Legitimität wirksam. »Nur eine völlig neue Konjugation von Möglichkeit und Wirklichkeit […] wird den Knoten zu zerschneiden vermögen, den Souveränität und konstituierende Gewalt aneinander bindet  ; und nur wenn es gelingt, die Beziehung von Potenz und Akt anders zu denken, ja sogar jenseits von ihr zu denken, wird es auch möglich sein, eine konstituierende Gewalt zu denken, die vom souveränen Bann gänzlich losgelöst ist. Solange nicht eine neue und kohärente Ontologie der Potenz (jenseits der Schritte, die Spinoza, 11 Rancière, Aufteilung  ; op cit, 62 – »vielmehr versehen sie die imaginären Kollektivkörper mit Bruchlinien, Linien der ›Entkörperung‹.« Dieser Befund lässt sich hinsichtlich der Inszenierung moderner Staatlichkeit für den Turm bestätigen. 12 Das ius imaginarium regelte im römischen Reich den Umgang mit Effigien, welche in öffentlichen Prozessionen der wichtigsten Familien durch die Stadt gefahren wurden. Ein solcher Toten-Corso hätte Benjamins Interesse sicher nicht verfehlt, zumal er im jesuitischen Autosacramental und den Passionsspielen als Vorläufern der Form des barocken Trauerspiels in christianisierter Weise zitiert scheint. 13 Vgl. Rancières Feststellung »Die ästhetische Souveränität der Literatur ist also nicht die Herrschaft der Fiktion. Sie ist im Gegenteil ein Regime der tendenziellen Unbestimmtheit zwischen der Ratio der deskriptiven und narrativen Anordnungen der Fiktion und der Beschreibung und Deutung der sozialhistorischen Phänomene.« (Rancière, Aufteilung  ; op cit, 59). Als historisches Beispiel einer solchen Ergreifung von Autorschaft des Sozialen wäre der zeitweilige Londoner Dichter Iossif W. Dschugaschwili zu erwähnen.

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Schelling, Nietzsche und Heidegger in diese Richtung unternommen haben) die auf dem Primat des Akts und seiner Beziehung zur Potenz gegründete Ontologie ersetzt hat, bleibt eine politische Theorie, die sich den Aporien der Souveränität entziehen könnte, undenkbar.« (Agamben, Homo sacer  ; op cit, 55)

Eine solche »konstituierende Gewalt zu denken, die vom souveränen Bann gänzlich losgelöst ist«, eine rein »geistige Potenz« war die Unternehmung des Turm (übrigens aller Fassungen). Hofmannsthal hat es hier mit den Mitteln des Trauerspiels unternommen, diesen gordischen Knoten zu zerschneiden oder besser  : im Spiel fiktionalisierter realgeschichtlicher Entwicklungen seiner Ursprungsdichtung aufzuheben, welche die Möglichkeit und Wirklichkeit einer alternativen, weder ein- noch ausschließenden politischen Idee konjugiert. Ihre Verkörperung ist die Bartleby-Gestalt Sigismund, die, statt das Volk führen zu wollen, von diesem abgeholt zu werden sich sehnt.14 Sigismund verzichtet nicht nur auf den »Primat des Aktes«, er enthält sich auch jeder Teilnahme an der begründeten Gewalt staatlicher Ordnung und zeigt hierdurch erst jene von Agamben betonten Aporien des modernen Staatsdenkens auf. Die Subjekt-Souveränität, die er aus dieser Enthaltung erfährt, trägt ihn politisch aber nur für den Moment der gewaltlosen Anarchie und Akklamation. Der organisierten Gewalt des Faktischen hat er nichts entgegenzusetzen, weil der in ihm verkörperte Geist der Utopie ohne Tat (Akt) überhaupt nicht »ontisch« (Heidegger) prägnant wird. Er kann sich ihr zwar verweigern, aber nur zum Preis seines Lebens15 oder jedenfalls seines Leibs »in der Welt«, der dem rationalen Regime Oliviers verfällt, also dessen Taxierung, was »verwendbar« ist.16 Das zu »Feiernde« wäre davor das von der 14 »Die Frage ist jetzt, ob sich aus Subjektivität und Selbstbewußtsein Maßstäbe gewinnen lassen, die der modernen Welt entnommen sind und gleichzeitig zur Orientierung in ihr, das heißt aber auch  : zur Kritik einer mit sich selbst zerfallenen Moderne taugen. Wie kann aus dem Geist der Moderne eine innere ideale Gestalt konstruiert werden, welche die vielfältigen historischen Erscheinungsformen der Moderne weder bloß nachahmt, noch von außen an diese bloß herangetragen wird  ?« ( Jürgen Habermas  : Der philosophische Diskurs der Moderne. Zwölf Vorlesungen  ; Frankfurt/Main 1988. 31). Diese Frage, die Habermas für den jungen Hegel formuliert hat, könnte man auch der Sigismund-Gestalt unterbreiten. 15 Auch dieser Zug des Dramenausgangs ist übrigens beängstigend visionär geraten  ; denn eine solche ›Sterbegemeinschaft‹ sind die Anarchisten des »Neuen Bundes«, die zwischen den Totalitarismen des frühen und mittleren 20. Jahrhunderts aufgerieben wurden, auf furchtbare Weise geworden. Darauf hat Altenhofer schon hingewiesen (vgl. Altenhofer, Ironie der Dinge  ; op cit, 115). 16 Wenn, wie Weber betont hat, jede Legitimationsform von Herrschaft in dieser ein leitendes Paradigma setzt, aus welchem eine Praxis rationalen Handelns abgeleitet wird, dann ist der Begriff ›Vernunft‹ als ein Derivat zu verstehen, das auf den Zuschreibungen der jeweils leitenden Para-

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souveränen Ratio Ausgenommene. Es sind aber keine geistigen Kapazitäten mehr, die über die entsprechenden Informationen verfügen und entscheiden – insofern zeigt das Trauerspiel im »Wissen« technischer Überlegenheit tatsächlich die Erscheinungsform des modernen Bösen, wie Hofmannsthal sich bei Benjamin notierte. Wie Martin Buber es in einem Brief für den Sigismund empfahl, ist darum Hofmannsthals Turm ein Wiedereintritt in die Geschichte zu wünschen, eine Wiederbelebung im kreativen Akt der Inszenierung, welche den lichten Bau der Sprachgemeinschaft jenseits der finster dräuenden Mauern »mit dem, was nicht ist« wieder sichtbar macht. Was der Allegorie moderner Diktatur verfällt, und was Hofmannsthal damit poetologisch selbst opferte, ist die Idee eines anarchisch-geistigen Royalismus der Sprache, die – überführt man sie konsequent in einen mündigen Individualismus, der das Subjekt autonom setzt und den Menschen »wieder geheimnisvoll« macht – heute noch und immer wieder ein unhintergehbares Fragepotential gegen jedwede Rechtfertigungsform von gesellschaftlicher Machtausübung behaupten wird. Es wäre an der Zeit, sich dem wieder grundsätzlich anzunehmen.

digmen beruht. (RS I, 35  ; vgl. auch Manow, Schatten des Königs  ; op cit, 13). Die Rationalität einer Gesellschaft richtet sich nach dem, was ihr als Glück definiert ist. Für die Gegenwart hat kürzlich Frank Schirrmacher Das Spiel des Lebens (2013  ; op cit) als ein solches leitendes Paradigma ausgemacht, dessen Derivat der homo oeconomicus (als verkörperte Vernunft) ist. Man könnte dieses Spiel aber noch eher als Paradigmenmaschine bezeichnen, die immer dann, wenn sich eine allgemeine Routine vernünftigen Verhaltens einzustellen beginnt, sozusagen die Beleuchtung bzw. die »Losung« (die Mode) wechselt. Es wäre jedenfalls die Frage nach den Spielleitern zu stellen, die nicht nur die Regeln manipulieren, sondern mit diesen auch das Verständnis von Rationalität produzieren.

7. Literaturverzeichnis 7.1 Quellenverzeichnis 7.1.1 Siglen Sigle

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PG

PR

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SSP

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8. Werk- und Personenregister 8.1 Häufiger erwähnte Werke Hofmannsthals und wichtige Bezugstexte Ad me ipsum  : 14, 17, 19, 25, 51, 82, 94, 115, 120, 126, 138, 221, 243, 265, 429, 458, 473, 482, 487, 504, 513, 600, 614, 629, 636, 638 [Andenken Eberhard von] Bodenhausens  : 25, 26, 86, 118, 119, 138, 141, 143, 247, 342, 355, 416, 480, 513, 565, 570, 630 Andreas oder die Vereinigten  : 121, 122, 209, 250, 262, 613 Biographie  : 19, 24, 26, 34, 145, 338, (468), 477, 513–15 Buch der Freunde  : 28, 58, 59, 99, 105, 108, 112, 123, 126, 145, 146, 148, 187, 201, 203, 220, 221, 233, 264, 286, 288, 292, 294, 295, 303, 351, 353, 483, 488–490 Dame Kobold  : 99, 113 Das Gespräch über Gedichte  : 67, 68, 77, 109, 157, 161–187, 207, 211, 219, 233, 234, 316, 321, 397, 450, 500 Das kleine Welttheater  : 48, 137, 271 Das Salzburger Große Welttheater  : 72, 113, 114, 116, 141, 142, 325, 330, 339, 498, 519, 648 Das Schrifttum als geistiger Raum der Nation [Münchener Rede]  : 8, 16, 72,77, 80, 82, 107, 143, 150, 189, 202, 210, 235, 238–255, 257, 258, 272, 275, 280, 287, 292, 295, 296, 323, 345, 396, 405, 421, 422, 426, 461, 482, 503, 568, 622, 644 Das Leben ein Traum  : 13, 18, 23, 51, 55, 59, 74, 99, 113, 135, 136, 186, 257, 258, 262, 264, 288, 313, 337, 341, 363, 380, 520, 533, 643 Der Dichter und diese Zeit  : 48, 52, 53, 76, 78, 92, 109, 142, 156, 182, 222, 254, 279, 280, 392, 482, 506 Der Kaiser und die Hexe  : 135, 378

Der Rosenkavalier  : 93, 112,141, 142, 151, 190, 257 Der Schwierige  : 16, 138, 142, 190, 287, 338 Der Tod des Tizian  : 18, 19 Der Unbestechliche  : 138, 142, 517, 532 Deutsche Erzähler  : 28, 91, 208, 210 Deutsches Lesebuch  : 28, 124, 127, 189, 191, 206, 209, 211–213, 215, 220, 258, 259, 271, 276, 281, 299, 354, 400, 417, 434, 458, 479, 487,634 Die Briefe des Zurückgekehrten  : 164, 190, 208 Die Diktatur  : 16, 30, 89, 213, 275, 289, 305, 340, 386, 430, 433, 468, 491, 501, 527, 528, 530, 532, 535–537, 540, 541, 542, 546, 552–554, 556–565,582–584, 587, 590–593, 604, 622, 629, 633, 642 Die Frau ohne Schatten  : 127, 138, 285, 288, 632 Die Idee Europa  : 83, 114, 115, 156–158, 188, 199, 251, 275, 347, 358, 421 Die Kinder des Hauses  : 137, 425 Die österreichische Idee  : 84, 422, 578 Die Protestantische Ethik (= Religionssoziologische Schriften Bd I)  : 19, 20–22, 25, 27, 28, 49, 87, 98, 101, 111, 113, 115, 121, 131, 140–143, 192, 202, 259, 313, 324, 337–339, 340, 342, 348, 354–360, 362–364, 381, 395, 402, 415, 456, 484, 510, 511, 566, 595, 616, 631, 642, 644, 646, 653 Drei kleine Betrachtungen  : 56, 91, 109, 138, 188, 190, 192, 200–202, 265, 267–270, 287, 299 Ein Brief [des Lord Chandos]  : 53, 68, 110, 121, 160, 172, 177, 178, 197, 207, 230, 286, 288, 343, 367, 374, 601 Elektra  : 67, 131, 135, 230, 266 Eranos-Denkschrift  : 101, 102, 106, 107, 109, 111, 124, 242, 278, 281, 404

696 Europäische Revue  : 26, 73, 83, 85, 92, 112, 159, 203, 468, 527 Festspiele in Salzburg (Salzburger Festspiele  : 45, 71, 78, 268, 269, 329, 577, 619 Geschichtliche Gestalt  : 9, 82, 112, 513–516, 578 Goethes Wahlverwandtschaften  : 62, 88, 109, 291, 341, 447–450, 453, 461, 464, 498, 505, 507 Hauptprobleme der Soziologie (Gedenkgabe Max Weber)  : 33, 154, 236, 351, 430–433, 538, 607, 642 Historische Psychologie des Karnevals  : 360, 408, 435–443, 449, 451, 612 Jedermann  : 18, 105, 113, 117, 131, 137, 141, 142, 164, 188, 199, 257, 325, 471, 648 Jemand  : 25, 137, 433 Kaiser Phokas  : 113, 137, 217, 373, 385, 402, 425, 429, 430, 442 König Ödipus  : 67, 96, 130, 131, 135, 178, 266 Lebensbild  : 18–20, 22, 25, 34, 61, 142, 145, 202, 338, 339, 361, 426, 468, 510, 513–515, 567, 596 Neue Deutsche Beiträge  : 28, 83, 88, 104, 113, 134, 142, 151, 154, 193, 200, 201, 208, 223, 232, 258, 265, 269, 271, 276, 277, 288, 329, 341, 431, 435, 437, 444, 450, 455, 569, 602, 615, 616 Österreich im Spiegel seiner Dichtung  : 80, 187– 189, 217, 422, 578 Österreichische Bibliothek  : 14, 257 Pentheus  : 67, 136 Philosophie des Geldes  : 29, 56, 139, 141, 157, 161–188, 202, 204, 219, 233, 299, 341, 348, 350, 351, 395, 459, 642 Politische Romantik  : 8, 29, 213, 284, 285, 288– 290, 294, 298, 301–306, 340, 479, 501, 514 Politische Theologie  : 12, 15, 30, 40, 74, 89, 90, 93, 128, 190, 227, 274, 283, 289, 304–307,

Werk- und Personenregister 309, 311, 340, 373, 387, 429–431, 433, 468, 474, 478, 479, 492, 501, 524, 527, 538, 543, 544, 551, 561, 570, 572, 576, 577, 587, 590, 608,609, 610, 633, 642 Preuße und Österreicher  : 349, 358, 359, 475, 578 Salzburger Festspiele  : vgl. Festspiele in Salzburg Semiramis (Die beiden Götter)  : 113, 134, 136 Terzinen über Vergänglichkeit  : 261, 267 Timon der Redner  : 16, 113, 128, 138, 139, 223, 401, 402, 403, 456, 648 Ursprung des deutschen Trauerspiels  : 30, 35, 38, 50, 65, 75, 77, 87–91, 114, 125, 134, 137, 196, 202, 319, 324, 326, 331, 332, 344, 370, 371, 376, 377, 379, 389, 395, 409, 417, 430, 444, 448, 449, 465, 467, 469, 471, 473, 474, 476–478, 480, 482- 487,492–510, 512, 515– 526, 529–532, 534, 536, 537, 541–543,547, 548, 551, 557, 562, 559, 587, 608, 617, 618, 626–629, 635, 638, 642, 645 Victor Hugo  : 52, 55, 76, 81, 93, 150 Vermächtnis der Antike  : 25, 56, 92, 114, 115, 121, 126, 187, 197, 201, 261, 267, 447, 625 Wert und Ehre deutscher Sprache  : 25, 28, 56, 92, 111, 114, 115, 121, 126, 144, 153, 154, 160, 185, 189, 191, 193, 194–196, 198, 210–212, 214, 223, 230, 231, 259, 263, 271, 275, 277, 281, 296, 368, 398, 447, 563, 600, 630 Wiener Brief (I-V)  : 91–93, 97, 133, 139, 152, 252, 270, 323, 358, 359, 616 Wirtschaft und Gesellschaft  : 20, 22, 28, 46, 60, 84, 142, 145, 146, 187, 237, 246, 252, 254, 255, 269, 281, 309, 332, 338, 339, 342, 346, 348, 349, 351, 354–356, 360, 361, 363–365, 367, 376–379, 380, 384, 387, 390, 407, 408, 411- 413, 419, 420, 456, 463, 484, 495, 553, 565, 586, 588, 589, 591, 595, 608, 613, 617, 638, 642 Xenodoxus  : 113, 137, 484, 529

Personen

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8.2 Personen Addison, Joseph  : 272 Adorno, Theodor W.  : 37, 40, 43, 54, 65, 67, 68, 73, 77, 78, 84, 162, 167, 185, 481, 613, 614, 649 Agamben, Giorgio  : 37, 185, 315, 322, 328, 331, 369, 382, 383, 397, 428, 493, 519, 520, 581, 652 Alewyn, Richard  : 212, 288 Alighieri, Dante  : 243, 597 Alt, Peter-André  : 11, 39, 44, 116, 239, 332, 483, 495, 508, 581, 621 Altenhofer, Norbert  : 74, 352, 600, 652 Althusius, Johannes  : 355, 389 Andrian, Leopold von  : 14, 103, 113, 474, 577 Apel, Friedmar  : 117 Aquin, Thomas von  : 116, 386 Arndt, Ernst Moritz  : 188, 213, 258, 281 Artaud, Antonin  : 327, 332 Assisi, Francesco de  : 116, 314 Atger, Frederic  : 305, 551 Bachofen, Johann Jakob  : 133, 135, 316, 326 Bahr, Hermann  : 23, 54, 55, 120, 132, 140, 142, 167, 168, 306, 468 Balke, Friedrich  : 36, 383 Ball, Hugo  : 304 Beethoven, Ludwig van  : 108, 201, 232, 256, 275, 434 Benjamin, Walter  : 30, 33, 37, 38, 43, 50, 51, 61, 65, 67, 68, 73, 75, 77, 78, 82, 84, 86–90, 102, 104, 109, 115, 120, 124, 125, 127, 128, 134, 136, 137, 161, 181, 186, 189, 202, 206, 221, 284–292, 313, 317, 321, 322, 324, 326, 332, 335, 341,344, 345, 376, 379, 408, 413, 417, 423, 427, 434–436, 441, 444, 448, 450, 465, 467– 470, 473, 475–480, 482–486, 488–490, 492–95, 497–503, 506–508, 510, 514, 515, 517–519, 521–523, 525–527, 529, 531, 532, 534, 541– 543, 545–548, 550, 551, 559, 569, 580, 586, 594, 595, 599, 604, 606, 616, 618–620, 623, 629, 631, 635, 641, 642, 644, 645, 650, 653 Bergengruen, Maximilian  : 74, 75, 86, 353, 451, 520

Bergson, Henri  : 551 Bertram, Ernst  : 432 Bismarck, Otto von  : 318, 475 Bloch, Ernst  : 47, 260, 277, 299, 341, 342, 362, 374, 446 Blumenberg, Hans  : 98, 148, 160, 173, 186, 307, 398, 504, 544 Bodenhausen, Eberhard von  : 26, 86, 118, 119, 138, 141, 143, 247, 416, 513, 514, 570, 630 Bodin, Jean  : 35, 310, 341, 386, 414, 535, 626 Böhme, Jakob  : 249, 359 Bonaparte, Napoleon  : 301, 303, 413, 422, 476, 565, 596 Borchardt, Rudolf  : 34, 102, 107, 109, 124, 134, 140, 211, 281, 562 Borgards, Roland  : 315 Bourdieu, Pierre  : 142, 233 Bourget, Paul  : 262 Brecht, Bertolt  : 72, 83, 511 Brecht, Walther  : 124, 266 Bredekamp, Horst  : 416 Breuer, Stefan  : 488 Broch, Hermann  : 66, 129, 132, 138, 259, 260, 286, 290, 416, 533, 597 Brook, Peter  : 331 Buber, Martin  : 84, 118, 144, 294, 362, 447, 474, 568, 569, 643, 653 Büchner, Georg  : 105 Burckhardt, Carl J.  : 13, 20, 33, 128, 292, 351, 361, 362, 468, 512 Burckhardt, Jacob  : 102, 211 Burdach, Konrad  : 124, 197, 276, 359, 370, 371 Burdorf, Dieter  : 102 Calderón, Pedro de la Barca  : 13, 113, 127, 130, 135, 136, 270, 319, 321, 475, 518, 629 Calvin, Johannes [Calvinismus]  : 87, 114, 162, 355, 356, 358, 539 Canetti, Elias  : 59, 264, 405, 406 Cassirer, Ernst  : 41, 43, 59, 94, 99, 125, 126, 144, 150, 205, 207, 278, 466, 492 Churchill, Winston  : 411 Claudel, Paul  : 424, 432, 449, 616

698 Croce, Benedetto  : 107 Cromwell, Oliver  : 413, 416, 541, 596 Curtius, Ernst Robert  : 632, 634 Därmann, Iris  :310 Degenfeld-Schonfeld, Ottonie Gräfin von  : 432 Delacroix,Eugène  : 127, 319, Demm, Eberhard  : 85 Dilthey, Wilhelm  : 102, 144, 217, 296, 359, 648 Doran, Sabine  : 575 Duby, Georges  : 549 Eisner, Kurt  : 274, 573 Eisner, Paul  : 83 Enzensberger, Hans Magnus  : 16 Ewers, Hanns-Heinz  : 259 Fischer-Lichte, Erika  : 256, 345, 630 Frank, Manfred  : 95, 326 Franklin, Benjamin  : 510 Freud, Sigmund  : 55, 71, 104, 139, 141, 147, 193, 194, 270, 283, 300, 314–316, 343, 357, 374, 402, 406, 407 Frevert, Ute  : 189 Fülöp-Miller, René  : 229, 511 Gagliardi, Ernst  : 21 Gamper, Michael  : 355 Gance, Abel  : 607 Girard, René  : 247, 452 George, Stefan  : 18, 19, 42, 51, 52, 67, 68, 72, 73, 101, 120, 124, 135, 140, 142, 163, 164, 248, 286, 292, 344, 356, 366, 372, 426, 597 Goebel, Eckhart  : 248 Goering, Reinhard  : 124 Goethe, Johann Wolfgang von  : 129, 136, 155, 164, 173, 178, 183, 185, 212, 213, 223, 250, 252, 277, 278, 285, 294, 309, 345, 352, 410, 445, 494, 507, 512, 515, 596, 610 Gretz, Daniela  : 42, 169, 212, 219 Grillparzer, Franz  : 195, 232, 272, 286, 486 Grimm, Jacob  : 159, 160, 201, 211, 213 Grundmann, Heike  : 181, 550, 607, 630 Gryphius, Andreas  : 137, 554 Gundolf, Friedrich  : 18, 260, 344, 372, 391

Werk- und Personenregister Haas, Willy  : 128, 209, 210 Habermas, Jürgen  : 71, 281, 340, 652 Hauptmann, Gerhart  : 42, 272, 540 Hebekus, Uwe  : 39, 58, 72, 75, 182, 234, 243, 343, 446, 448, 451, 462 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich  : 60, 215, 299, 399, 402–404, 409, 460, 488, 533, 572, 636 Heidegger, Martin  : 29, Heinz, Tobias  : 137, 155, 191, 197, 204, 276, 277 Herder, Johann Gottfried  : 8, 159, 210, 212, 214, 225, 259, 273, 276, 299, 357, 371, 375, 434, 447, 561 Hesse, Hermann  : 151 Heumann, Konrad  : 12, 25, 26 Hiebler, Heinz  : 74, 619 Hirsch, Rudolf  : 151, 474 Hobbes, Thomas  : 38, 74, 89, 91, 114, 153, 156, 162, 172, 182, 237, 310, 311, 314, 318, 320, 323, 341, 343, 345, 385, 393, 398, 402, 412, 416, 439, 448, 460, 486, 501, 504, 544, 552, 592, 594, 609, 610, 646 Hölderlin  : 34, 35, 46, 49, 97, 181, 228, 252, 287, 320, 326, 641, 649 Hofmannsthal, Christiane von  : 112, 124 Hofmannsthal, Gerty von  : 26 Honold, Alexander  : 74, 75 Humboldt, Wilhelm von  : 189, 195, 201, 210, 212, 213, 272, 630 Iser, Wolfgang  : 38, 39, 44, 93, 98, 128, 133, 177, 181, 233, 322, 330, 651 Jäger, Lorenz  : 31, 74, 87, 125, 176, 444, 446, 505, 546, 569, 575, 606 Jäger, Ludwig  : 79,111 Jaeger, Michael  : 11, 250 Jaeger, Werner  : 25 Jaspers, Karl  : 24, 129, 142 Jünger, Ernst  : 105, 284 Jung, C.G.  : 97, 102, 109, 121, 262, 270, 283, 320, 433, 499, 632, 641 Kaiser, Georg  : 124 Kanne, Johann Arnold  : 289

699

Personen Kantorowicz, Ernst  : 37, 74, 309, 323, 385, 429, 643 Kassner, Rudolf  : 119, 229, 359 Kaufmann, Erich  : 525, 548, 609 Kelsen, Hans  : 304, 310 Kessler, Harry Graf  : 95, 141, 468 Kierkegaard, Sören  : 40, 131, 481 Klages, Ludwig  : 99 König, Christoph  : 14, 56, 74, 92, 93, 96, 121, 125, 129, 131, 353 Kommerell, Max  : 19, 422, 426 Koschorke, Albrecht  : 45 Koselleck, Reinhart  : 77 Kraus, Karl  : 185, 222 Kropotkin, Peter  : 315, 319 Lammasch, Heinrich  : 577 Landauer, Gustav  : 8, 29, 84, 85, 93, 99, 118, 124, 132, 147, 151, 197, 198, 210, 220, 223, 242, 259, 274, 294, 297, 315, 341, 357, 362, 413, 435, 461, 538, 568, 572, 573, 591, 598, 641, 643, 647 Langhoff, Thomas  : 646 Lavater, Johann Caspar  : 249 Le Bon, Gustave  : 52, 54, 71, 130, 139, 141, 357, 374, 357, 374, 402, 534 Lederer, Emil  : 33, 81, 119, 160 Lefort, Claude  : 48, 58, 163, 328, 331, 482 Lenin, Wladimir I.: 538, 583, 593, 598, 622 Lenz, Jakob Michael Reinhold  : 249 Le Rider, Jaques  : 74, 79, 129 Lessing, Gotthold Ephraim  : 188, 223, 306 Lethen, Helmut  : 531, 597 Lichtenberg, Georg Christoph  : 272, 296, 421 Locke, John  : 381 Ludendorff, Erich  : 13, 426, 513, 596 Lüdemann, Susanne  : 180, 185 Lukács, Georg  : 34, 49, 198, 502 Machiavelli, Niccolò  : 363, 530, 537, 539, 541, 612 Mach, Ernst  : 167, 168 Maeterlinck, Maurice  : 315, 623, 624 Maistre, Joseph de  : 626 Mann, Thomas  : 74, 82, 107, 117, 132, 140, 476, 524, 575

Manow, Philipp  : 311, 312, 328, 329, 333, 496 Marinetti, Filippo Tommaso  : 284 Matala de Mazza, Ethel  : 214, 241, 273, 285, 291, 297, 308, 314, 316, 520 Mattenklott, Gert  : 94 Mauthner, Fritz  : 110, 157, 158, 160, 357 Mayer, Mathias  : 74 Meier-Graefe, Julius  : 172, 472 Meister Eckhardt  : 99 Meyrink, Gustav  : 259 Michelet, Jules  : 199, 237, 547 Michels, Robert  : 149 Mühsam, Erich  : 297, 589 Müller, Adam  : 191, 200, 202, 212, 214, 259, 288, 292–294, 299, 339, 351, 352, 422, 441, 479, 579, 598, 603, 634 Nadler, Josef  : 76, 107, 242, 273–275, 375, 399, 481 Nicolaus, Ute  : 74, 87 Niekisch, Ernst  : 297 Nietzsche, Friedrich  : 40, 49, 96, 98, 99, 139, 163, 177, 179, 211, 247, 261, 320, 321, 367, 372, 403, 415, 432, 444,481, 517, 593, 652 Novalis  : 229, 287, 290–292, 298–300, 302, 305, 322, 351, 359, 360, 366, 368, 426, 434, 445, 493, 528, 547 Ortega y Gasset, José  : 56, 118, 648 Palyi, Melchior  : 430 Pannwitz, Rudolf  : 29, 69, 76, 94, 95, 144, 344, 422, 432 Paracelsus, Theophrastus (von Hohenheim)  : 62, 249, 359 Perrig, Severin  : 74, 76 Pigenot, Ludwig  : 614 Pornschlegel, Clemens  : 70, 84, 260 Rancière, Jacques  : 234, 327, 332, 603, 649, 651 Rang, Florens Christian  : 21, 76, 96, 100, 109, 144, 193, 294, 341, 356, 358, 362, 413, 435– 441, 443, 444, 450, 452, 567–569, 573, 575, 605, 629, 641, 643 Ranke, Leopold von  : 213, 217, 218, 219, 222

700 Rathenau, Walther  : 124 Redlich, Josef  : 19, 22, 24, 27, 126, 142, 152, 305, 311, 338, 340, 351, 427, 429, 433, 468, 577, 642 Reinhardt, Max  : 38, 54, 93, 107, 127, 131, 265, 329, 330, 469, 474, 526, 549, 635–637 Ricœur, Paul  : 181 Rilke, Rainer Maria  : 116, 165, 648 Ritter, Henning  : 337 Rousseau, Jean-Jacques  : 12, 85, 114, 136, 159, 274, 275, 294, 304, 308, 311, 341, 355, 375, 400, 408, 412, 454, 460, 539, 541, 544, 563, 584, 593, 647 Rubiner, Ludwig  : 362 Rücker, Sven  : 11, 436 Santner, Eric L.  : 75, 76 Saussure, Ferdinand de  : 107, 179, 226, 606 Schaeder, Hans-Heinrich  : 58, 253, 481, 512 Schiller, Friedrich von  : 112, 116, 135, 153, 156, 248, 331, 381, 511, 512, 526, 555, 613, 614 Schings, Hans-Jürgen  : 11, 67, 162, 167, 182 Schlegel, Friedrich  : 30, 134, 181, 281, 288–290, 298, 300, 303, 357, 410, 458, 500, 637 Schmidt, Harald  : 259 Schmidt-Biggemann, Wilhelm  : 150 Schmitt, Carl  : 7, 8, 30, 38, 40, 41, 43, 45, 46, 49, 67, 68, 70–72, 75, 76, 85–87, 89–91, 93, 103, 114, 137, 138, 149, 185, 190, 200, 213, 215, 233, 234, 236, 237, 249, 251, 284, 287–290, 292–297, 301–312, 326, 331, 332, 340, 350, 358, 380, 383, 386, 391, 393, 395, 404, 411, 417, 427–433, 443, 468–470, 476, 478, 479, 484–486, 488, 491–493, 501–503, 505, 508, 509, 519, 522, 523, 525, 532, 535–538, 541, 543–546, 548, 549, 551, 556, 557–561, 564, 572, 582, 584, 587, 588, 592, 593, 598, 604, 610, 616, 619, 622, 632, 633, 641–643, 645–647 Schneider, Sabine  : 75, 263 Schnitzler, Arthur  : 329, 463, 528 Schopenhauer, Arthur  : 481 Schröder, Rudolf Alexander  : 431, 480 Shakespeare, William  : 44, 113, 130, 377, 444, 518, 567, 569

Werk- und Personenregister Simmel, Georg  : 29, 30, 56, 57, 71, 72, 89, 99, 102, 139, 141, 149, 157, 161, 164–167, 169, 170, 173, 174, 176, 179, 181, 184, 185, 199, 204, 224, 230, 252, 279, 291, 299, 324, 341, 349–352, 395, 397, 424, 425, 481, 495, 499, 512, 632, 641, 642, 648 Smith, Adam  : 114, 351 Somary, Felix  : 20, 21, 24, 339, 351 Sombart, Werner  : 139, 351 Sommerhage, Claus  : 69 Spann, Othmar  : 222 Spengler, Oswald  : 112, 516, 524 Spinoza, Baruch de  : 491, 647, 652 Sprengel, Peter  : 540 Stamm, Ulrike  : 160, 262, 267 Starobinski, Jean  : 384, 609 Stein, Freiherr vom  : 213, 216, 218, 281, 487, 569 Stöckmann, Ingo  : 47, 245 Thimig, Helene  : 432 Thoma, Richard  : 85 Tönnies, Ferdinand  : 139, 410, 559 Tolkien, J.R.R.  : 462, 465 Toller, Ernst  : 23, 45, 297, 362, 591 Troeltsch, Ernst  : 139 Twellmann, Marcus  : 70, 71, 73, 75, 77, 87, 280, 307, 583, 584, 587, 619 Vaihinger, Hans  : 36, 98 Vergil (Publius Vergilius Maro)  : 55, 316 Villinger, Ingeborg  : 70, 71, 75, 532,551,552, 553, 619, 620 Vogl, Joseph  : 51, 61, 314, 316, 323, 328, 330, 447 Volke, Werner  :271 Vollmoeller, Karl Gustav  : 329 Vossler (auch  : Voßler), Karl  : 7, 8, 12, 29, 30, 79, 94, 101, 102, 106, 107, 113, 116, 144, 148, 150, 152–158, 160, 189, 195, 197, 205, 223–227, 236, 237, 240, 243, 254, 256, 279, 306, 353, 368, 374, 393, 396, 431, 432, 460, 490, 525, 599–601, 605, 641, 643, 645 Walzel, Oskar  : 7, 94, 101–106, 206, 265, 266, 501, 548

701

Personen Weber, Alfred  : 25, 26, 57, 65, 82, 85, 89, 97, 114, 140, 203, 205, 206, 238, 245, 247, 292–294, 302, 313, 340, 359, 486, 489, 614, 641 Weber, Max  : 7, 12, 18–30, 33, 34, 44, 46, 49, 50, 52, 55, 57, 60, 72, 84–86, 89, 91, 94, 97, 98, 101, 114, 118, 129, 137, 138, 140–144, 145, 146–154, 156, 164, 192, 201, 232, 237, 246, 247, 254, 269, 279, 283, 289, 296, 299, 301, 307–309, 319, 331, 332, 334, 335, 337–344, 351, 352, 354, 356, 358, 360, 364, 366, 373, 374, 377–379, 381, 392, 394, 402, 408, 412, 413, 419, 420, 425, 427, 429–432, 435, 444, 456, 468, 470, 473, 484, 495, 505, 510, 513–515, 553, 567, 573, 588, 592, 594–597,

607, 611, 613, 615, 624, 637, 638, 641, 642, 646, 648 Weber, Marianne  : 22, 61, 337, 514 Werfel, Franz  : 50,121, 186, 362, 590 Whitman, Walt  : 54, 241, 572 Wiegand, Willy  : 110, 153, 154, 430–432 Wimmer, Maximilian  : 21, 338, 339 Winckelmann, Johann Joachim  : 248 Witte, Bernd  : 479 Wolf, Burkhardt  : 11, 520 Wolfskehl, Karl  : 372 Wolters, Friedrich  : 372 Zimmer, Heinrich  : 320

LITER ATURGESCHICHTE IN STUDIEN UND QUELLEN HERAUSGEGEBEN VON KLAUS AMANN, HUBERT LENGAUER, K ARL WAGNER

NICHT AUFGEFÜHRTE BÄNDE SIND

BD. 7 | WENDELIN SCHMIDT-DENGLER

VERGRIFFEN.

‌O HNE‌NOSTALGIE ‌ZUR‌ÖSTERREICHISCHEN‌LITERATUR‌ DER‌ZWISCHENKRIEGSZEIT

BD. 1 | KLAUS AMANN,

2002. 216 S. GB. | ISBN 978-3-205-77016-9

HUBERT LENGAUER, KARL WAGNER (HG.) ‌LITERARISCHES‌LEBEN‌IN‌ÖSTERREICH‌

BD. 9 | DORIS MOSER

1848–1890

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2000. 918 S. GB. MIT SU

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ISBN 978-3-205-99028-4

2004. 550 S. 65 DIAGR. 6 TAB. GB. MIT SU ISBN 978-3-205-77188-3

BD. 2 | WERNER MICHLER ‌DARWINISMUS‌UND‌LITERATUR

BD. 10 | IRENE RANZMAIER

‌N ATURWISSENSCHAFTLICHE‌UND‌

‌G ERMANISTIK‌AN‌DER‌UNIVERSITÄT‌

LITERARISCHE‌INTELLIGENZ‌IN‌

WIEN‌ZUR‌ZEIT‌DES‌NATIONAL-

ÖSTERREICH‌1859–1914

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1999. 560 S. BR.

‌K ARRIEREN,‌KONFLIKTE‌UND‌DIE‌

ISBN 978-3-205-98945-5

WISSENSCHAFT 2005. 214 S. BR. | ISBN 978-3-205-77332-0

BD. 5 | HUBERT LENGAUER, PRIMUS HEINZ KUCHER (HG.)

BD. 11 | KLAUS AMANN, FABJAN HAFNER,

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KARL WAGNER (HG.)

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AUSEINANDERSETZUNGEN 2001. 558 S. GB. MIT SU

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ISBN 978-3-205-99312-4

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‌E XPERIMENT‌UND‌ERINNERUNG

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‌D ER‌SCHRIFTSTELLER‌WALTER‌ABISH

‌D IE‌DETEKTIVLITERATUR‌VON‌CONAN‌

2006. 348 S. BR. | ISBN 978-3-205-77512-6

DOYLE‌BIS‌CORNWELL 2011. 243 S. BR. | ISBN 978-3-205-78602-3

BD. 15 | ANJA POMPE ‌P ETER‌HANDKE

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2009. 249 S. 6 S/W-ABB. GB.

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2012. 686 S. 7 S/W-ABB. GB.

BR. | ISBN 978-3-205-78605-4

ISBN 978-3-205-78828-7

BD. 17 | IRINA DJASSEMY

BD. 22 | MIRJANA STANCIC

‌D IE‌VERFOLGENDE‌UNSCHULD

‌V ERSCHÜTTETE‌LITERATUR

‌ZUR‌GESCHICHTE‌DES‌AUTORITÄREN‌

‌D IE‌DEUTSCHSPRACHIGE‌DICHTUNG‌

CHARAKTERS‌IN‌DER‌DARSTELLUNG‌

AUF‌DEM‌GEBIET‌DES‌EHEMALIGEN‌

VON‌KARL‌KRAUS

JUGOSLAWIEN‌VON‌1800‌BIS‌1945

2011. 266 S. BR. | ISBN 978-3-205-78615-3

2013. 335 S. BR. | ISBN 978-3-205-79460-8

BD. 18 | SIMONE FÄSSLER

BD. 23 | ALEXANDER MIONSKOWSKI

‌VON‌WIEN‌HER,‌AUF‌WIEN‌HIN

‌SOUVERÄNITÄT‌ALS‌MYTHOS

‌ILSE‌AICHINGERS‌»GEOGRAPHIE‌DER‌

‌H UGO‌VON‌HOFMANNSTHALS‌‌

EIGENEN‌EXISTENZ«

POETOLOGIE‌DES‌POLITISCHEN‌UND‌DIE‌

2011. 276 S. 4 S/W-ABB. BR.

INSZENIERUNG‌MODERNER‌HERR-

ISBN‌978-3-205-78594–1

SCHAFTSFORMEN‌IN‌SEINEM‌TRAUERSPIEL‌»DER‌TURM«‌(1924/25/26)

TC102

2015. 701 S. GB. | ISBN 978-3-205-79658-9

böhlau verlag, wiesingerstrasse 1, a-1010 wien, t: + 43 1 330 24 27-0 [email protected], www.boehlau-verlag.com | wien köln weimar