Sämtliche Werke. Lateinisch - deutsch [Annotated] 3110562332, 9783110562330

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Polecaj historie

Sämtliche Werke. Lateinisch - deutsch [Annotated]
 3110562332, 9783110562330

Table of contents :
Inhalt
Einführung
Text und Übersetzung
Satiren
SERMONVM LIBER I. Buch 1 der Satiren
SERMONVM LIBER II. Buch 2 der Satiren
Epoden
EPODON LIBER. Das Buch der Epoden
Oden I–III
CARMINVM LIBER I. Buch 1 der Oden
CARMINVM LIBER II. Buch 2 der Oden
CARMINVM LIBER III. Buch 3 der Oden
Briefe I
EPISTVLARVM LIBER I. Buch 1 der Briefe
Das Jahrhundertlied
CARMEN SAECVLARE. Das Jahrhundertlied
Oden IV
CARMINVM LIBER IV. Buch 4 der Oden
Briefe II
EPISTVLARVM LIBER II. Buch 2 der Briefe
Anhang
Zum lateinischen Text dieser Ausgabe
Anmerkungen
Versmasse
Bibliographie
Namen und Begriffe
Die lateinischen Gedichtanfänge

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SAMMLUNG TUSCULUM

Herausgeber: Niklas Holzberg Bernhard Zimmermann

Wissenschaftlicher Beirat: Günter Figal Peter Kuhlmann Irmgard Männlein-Robert Rainer Nickel Christiane Reitz Antonios Rengakos Markus Schauer Christian Zgoll

QUINTUS HORATIUS FLACCUS SÄMTLICHE WERKE Lateinisch-deutsch

Herausgegeben und übersetzt von Niklas Holzberg

DE GRUYTER

ISBN 978-3-11-056233-0 e-ISBN (PDF) 978-3-11-057383-1 Library of Congress Control Number: 2018935453 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2018 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Für Einbandgestaltung verwendete Abbildungen: Cologny (Genève), Fondation Martin Bodmer, Cod. Bodmer 52: 6v/7r (www.e-codices.unifr.ch) Satz im Verlag Druck und Bindung: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen ♾ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com

Siegmar Döpp σὺν χάριτι

Inhalt Einführung  9

Vom Republikaner zum Augusteer  10 Sittenkritische Plaudereien und amüsante Geschichten  12 Zwischen Aktium und Alexandria  15 »Ich habe ein Monument vollendet, das dauerhafter ist als Erz …«  17 Sendschreiben eines Hausphilosophen  22 Dirigent mit dem Daumen  25 Lyrische Zugabe  26 Poetologisches Vermächtnis  28 Non omnis moriar!  31 Zu dieser Übersetzung  36

Text und Übersetzung

Buch 1 der Satiren  40/41 Buch 2 der Satiren  112/113 Das Buch der Epoden  190/191 Buch 1 der Oden  236/237 Buch 2 der Oden  312/313 Buch 3 der Oden  360/361 Buch 1 der Briefe  446/447 Das Jahrhundertlied  522/523 Buch 4 der Oden  530/531 Buch 2 der Briefe  580/581 1 580/581 2 598/599 3 (»Über die Dichtkunst«)  612/613

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Inhalt

Anhang

Zum lateinischen Text dieser Ausgabe  649 Anmerkungen 655 Versmaße 751 Bibliographie 755 Namen und Begriffe  767 Die lateinische Gedichtanfänge  801

Einführung Über seinen Vorgänger in der Gattung, die er für sein erstes Gedichtbuch wählte, den Satiriker Lucilius, schreibt Horaz: »Er vertraut seine Geheimnisse wie treuen Gefährten seinen Büchern an und weder, wenn es ihm schlecht ergangen war, wandte er sich irgendwo anders hin, noch, wenn es ihm gut ergangen war. So kommt es, dass das ganze Leben des Alten, wie auf einer Votivtafel dargestellt, offen liegt« (Satire 2,1,30–34). Nimmt man Horaz hier beim Wort und liest sein poetisches Œuvre, das uns komplett überliefert ist, chronologisch vom ersten bis zum letzten Vers, kann man den Eindruck gewinnen, auch dort habe man »das ganze Leben« des Dichters »offen« vor sich, vernehme also immer dann autobiographische Äußerungen des Menschen Horaz, wenn der IchSprecher der insgesamt 162 Gedichte etwas über sich selbst sagt. In diesem Sinne pflegte die Latinistik die Texte denn auch bis in jüngere Zeit zu lesen, und so entstanden u.a. mehrere Horaz-Monographien, deren Verfasser ganz selbstverständlich voraussetzten, sie könnten anhand der Gedichte das Leben dessen nachzeichnen, der sie schrieb. Gegen diese Art von Interpretation hat jedoch die moderne Literaturwissenschaft zu Recht eingewandt, dass der in Horazens Gedichten »ich« Sagende zwar zuweilen Versatzstücke der Realität einbeziehe (z. B. die Schlacht bei Aktium), aber ansonsten vom realen Autor zu trennen sei, also nicht jede Aussage sich der Vita des realen Autors zuschreiben lasse, etwa was sein Liebesleben betrifft. Bei Horaz nimmt das sprechende Ich vielmehr verschiedene Rollen an, die das jeweils gewählte poetische Genre ihm vorgibt: diejenige des Lyrikers, des Satirikers, des Jambikers und des Epistolographen. Um dieses Rollenspiel soll es gehen, wenn ich die einzelnen Werke in der Reihenfolge ihrer Entstehung vorstelle, wobei ich das jeweilige Alter Ego der Einfachheit halber Horaz nenne,

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ohne die historische Persönlichkeit zu meinen. Zuvor soll aber das Wenige, was wir über diese wissen, zusammengetragen werden. Vom Republikaner zum Augusteer Während das Datum der Geburt, 8. Dezember 65 v. Chr., als sicher gelten darf, ist das für den Todestag überlieferte, der 27. November 8 v. Chr., nicht ohne Weiteres als authentisch zu betrachten, da es auf der Basis von Ode 2,17 konstruiert sein kann. Dort sagt Horaz zu Maecenas, er werde, wenn der Freund sterbe, ihm noch am selben Tag in den Tod folgen. Für das Ableben des Maecenas ist nun 8 v. Chr. zuverlässig bezeugt, die Buchstaben seines Namens ergeben, griechisch geschrieben und als Ziffern gelesen, die Zahl 330 und, zum 1. Januar addiert, den 27. November. Da man aber die jüngsten Werke des Horaz auf 11/10 v. Chr. datieren kann, erscheint 8 v. Chr. als Todesjahr sehr gut denkbar, und gänzlich unbestritten ist der Geburtsort Venusia in Apulien. Als Rom diese Stadt im Bundesgenossenkrieg (91–89 v. Chr.) erobert hatte, war der Vater des Dichters vermutlich als Bürger Venusias versklavt, aber bald wieder als freier Bürger rehabilitiert und mithin nicht auf die niedrige soziale Stufe eines Freigelassenen gestellt worden. Denn wenn Horaz sich in Satire 1,6,45f. als »Sohn eines freigelassenen Vaters« bezeichnet, legt der Kontext nahe, dass er üble Nachrede zitiert, und überdies gehörte er spätestens 30 v. Chr., aber wahrscheinlich bereits 12 Jahre früher dem Ritterstand an: 42 v. Chr. kommandierte er bei Philippi als Militärtribun, also in einem Rang, den der Sohn eines Freigelassenen schwerlich hätte einnehmen können, eine Legion, und vorher hatte ihm sein Vater, ein Makler, der die nach Auktionen zu zahlenden Gelder kassierte, eine solide Schulausbildung in Rom und anschließend ein Studium der Philosophie in Athen finanziert. Horaz kämpfte bei Philippi auf der Seite der Caesarmörder ge-



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gen Oktavian und Antonius, die in der Doppelschlacht siegten, und es dürfte ihn als Verlierer getroffen haben, dass sein vom Vater geerbtes Landgut gegen Ende der vierziger Jahre konfisziert wurde. Aber schon bald danach konnte er ein angesehenes Amt bekleiden, das eines scriba quaestorius, des »Schreibers« im Dienst des Quästors, und war somit eine Art Staatssekretär. Dies wurde wohl dadurch begünstigt, dass Horaz durch Vermittlung der renommierten Dichter Vergil und Varius Zutritt zu dem Freundeskreis des reichen Ritters Maecenas fand und sich von nun an auch der Gunst seines einstigen Feindes Oktavian, mit dem wiederum Maecenas befreundet war, erfreuen konnte. Vermutlich waren die beiden Männer auf den scriba dadurch aufmerksam geworden, dass sie noch vor der Veröffentlichung von Horazens poetischem Erstling, Buch 1 der Satiren – es erschien zwischen 35 und 33 v. Chr. – einzelne darin aufzunehmende Gedichte kennenlernen konnten. Maecenas muss von der Person des neuen Freundes und dessen Dichtkunst sehr angetan gewesen sein, da er ihm einige Jahre vor 30 v. Chr. ein Landgut in den Sabiner Bergen nahe bei dem heutigen Ort Licenza schenkte. Am 2. September 31 v. Chr. nahmen die beiden Männer, nachdem Horaz möglicherweise bereits 36 v. Chr. in der Seeschlacht bei Naulochos unter Oktavian gegen Sextus Pompejus gekämpft hatte, an der Seeschlacht bei Aktium teil, in der Oktavian Antonius und Kleopatra besiegte. Auf dieses Ereignis spielt der Dichter in seinem zweiten Satirenbuch an (2,5,62f.), und im Buch der Epoden geht er sogar ausführlich darauf ein (9), weshalb beide Gedichtsammlungen in den ersten Jahren nach 31 v. Chr. publiziert worden sein dürften. Während Vergil in der zweiten Hälfte der dreißiger und der ersten der zwanziger Jahre von der Hirtenpoesie (Bucolica) über das anspruchsvollere Lehrgedicht (Georgica) mit der Aeneis zur damals angesehensten Gattung des Epos »aufstieg«, ließ sein Freund Horaz auf die Satirendichtung, seine »Muse, die zu Fuß geht«, wie er einmal sagt (Satire 2,6,17), die im poetischen Niveau etwas höheren

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Epoden und auf der dritten und zugleich höchsten Stufe die lyrischen Carmina (»Gedichte«) folgen, die man später Oden nannte. Sie kamen 26/25, Anfang 24 und Ende 24 v. Chr. sukzessive in drei Büchern heraus und wurden bald nach dem Herbst des Jahres 23 v. Chr. zu einer in sich geschlossenen Trilogie zusammengefasst. Vergil soll geplant haben, nach Erreichen seiner höchsten Stufe sich ganz der Philosophie zu widmen (was dann sein Tod verhinderte), und so ist es vielleicht kein Zufall, dass die nach Carmina 1–3 entstandene Gedichtsammlung Horazens, das auf etwa 19 v. Chr. zu datierende Buch 1 der in Hexametern geschriebenen Briefe, mehrfach Probleme der Ethik thematisiert. Der Dichter verband damit, wie er zu Beginn des ersten Briefes erklärt, seinen Abschied von den »Spielereien« der Lyrik. Doch schon 17 v. Chr. erfüllte er den von Augustus an ihn ergangenen Auftrag, für die Jahrhundertfeier ein Chorlied in lyrischem Versmaß, das Carmen saeculare, zu schreiben und zu komponieren. Das wiederum dürfte ihn dazu angeregt haben, sein Odenbücher-Triptychon durch ein viertes Buch zu erweitern, aus dem klar hervorgeht, dass der einstige Republikaner zum überzeugten Augusteer geworden war. Dieses Buch erschien ebenso wie das zweite der Briefe, das vorwiegend über die Tätigkeit des Dichters reflektiert – es enthält drei lange Texte in Hexametern, als dritten die sogenannte Ars Poetica (»Dichtkunst«) – sehr wahrscheinlich in den Jahren 11/10 v. Chr. Sittenkritische Plaudereien und amüsante Geschichten Die genaue Bedeutung von satura (später satira, beides auf der ersten Silbe zu betonen), woraus sich der Terminus »Satire« für die erste von Horaz gewählte Gattung entwickelt hat, liegt im Dunkeln, aber da mit dem Wort u.a. ein »buntes Allerlei«, speziell eine Speise mit gemischter Füllung, bezeichnet werden kann und der Dichter genau das mit seinen Satiren bietet, soll der Begriff wohl



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die Vorstellung von einer solchen Pastete evozieren. Horaz dürfte seinen beiden Satirenbüchern den Titel Sermones gegeben haben, den man mit »Plaudereien« übersetzen kann. Denn die von dem Dichter behandelten Themen, unter denen moralphilosophische und gattungstheoretische dominieren, werden nicht im Stil von Lehrvorträgen systematisch entfaltet, sondern wie in einem Dialog, der locker voranschreitet, assoziativ zur Sprache gebracht. Christoph Martin Wieland (1733–1813) hat dieses Verfahren Horazens sehr treffend wie folgt charakterisiert: »Der Gang seiner Gedanken ist [ … ] einem Spaziergang ähnlich, wo man sein Vergnügen daran findet kleine Umwege zu nehmen; wo man sich von jedem Gegenstande, der unsre Aufmerksamkeit erregt, aufhalten läßt, und am Ende entweder da, wo man hin wollte, angelangt, oder wieder dahin zurückgekommen ist, wo man ausgegangen war« (Horazens Satiren [1804], Nördlingen 1985, S. 14). Eine solche Art von »Spaziergang« kann der Dichter entweder allein machen, indem er den Leser direkt anredet – das ist in 1,1–4, 6 und 10 sowie 2,6 der Fall – oder zusammen mit einem Gesprächspartner, wie wir es in 2,1–5 und 7–8 finden. In die Reflexion hat Horaz zum Zweck der Exemplifizierung hie und da kleine Geschichten eingelegt, und größere, die er um ihrer selbst willen erzählt, die aber auch zum sittenkritischen Nachdenken inspirieren können, bietet er in 1,5 und 1,7–9 – am bekanntesten ist der komische und durchaus selbstironische Bericht über die Begegnung des Dichters mit einem notorischen Schwätzer (1,9) – sowie in 2,8, der Schilderung eines Gastmahls durch einen Freund. Die insgesamt 18 Satiren sind durchweg im Hexameter, dem Versmaß des Epos, verfasst, aber die Sprache ist nicht erhaben wie dort, sondern nähert sich wie diejenige der antiken Komödie dem lockeren Umgangston der Gebildeten, wobei Ausdrücke einfacher Leute, ja sogar solche obszöner Natur, keineswegs vermieden sind; typisch epische Lexeme werden immerhin in parodistischen Passagen verwendet, so dass auch im Bereich des Stils eine bunte Mi-

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schung geboten ist. Für den Hexameter als Metrum hatte sich Lucilius (158?–103/102 v. Chr.), der eigentliche Begründer des Genres, nach für uns nicht mehr erkennbaren ersten Versuchen früherer Dichter, unter Verzicht auf andere vorher benutzte Versmaße entschieden, und das blieb für Horaz sowie die beiden kaiserzeitlichen Nachfolger Persius (34–62 n.Chr.) und Juvenal (um 55 – nach 130 n.Chr.) verbindlich. Was keiner von den dreien übernahm, muss, soweit es spätere Zitate aus dem verlorenen Werk des Lucilius verraten, bei diesem ein wichtiges Element gewesen sein: die Invektive gegen Zeitgenossen, darunter führende Repräsentanten des Staates. Horaz dagegen attackiert ganz allgemein Schwächen seiner Mitmenschen, vor allem Besitz-, Macht- und Genussstreben. Um den Abstand von Lucilius bemüht er sich auch dezidiert im Formalen. Der ältere Satiriker dichtet in einem Stil, der dem jüngeren, einem Anhänger der Kunstprinzipien des Kallimachos (um 320 – nach 245 v. Chr.), nicht sorgfältig genug gewählt und ausgearbeitet erschien. Außerdem ist Lucilius ein Vielschreiber, während Horaz in der Tradition des hellenistischen Dichters die »kleine« Poesie pflegt; er lässt sich zwar von dem Iter Siculum (»Sizilische Reise«) des Gattungsbegründers zu Satire 1,5, dem Iter Brundisinum (»Reise nach Brundisium«), anregen, aber dieses umfasst nicht ein komplettes Buch wie das Vorbild, sondern 104 Verse. Horaz eröffnet sein Buch 1 mit je einer moralkritischen Plauderei zu den Themen »Habgier«, »außerehelicher Sex« und »Freundschaft«, um dann erstmals in der Rolle des Satirikers von der eigenen Person zu sprechen. Er beginnt in Satire 4 mit Überlegungen zu Lucilius und zur Gattung, die er mit einer Schilderung der bei seinem Vater genossenen Erziehung zur Sittlichkeit kombiniert. In 1,5–9 nimmt er immer wieder sein Verhältnis zu Maecenas in den Blick, und in Satire 10, dem erneut von Lucilius und der Gattung ausgehenden Epilog, präsentiert er sich als Autor für eine Gruppe von Dichtern und literarisch Interessierten, die ihn als fest integriert in die geistige Elite Roms erscheinen lassen. Satire 2,1 setzt



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schon voraus, dass es eine über seine Satiren diskutierende Leserschaft gibt und dass Oktavian Gefallen an den Texten gefunden hat, in 2,6 tritt Horaz als ein von den Mitbürgern für einflussreich gehaltener Freund des Maecenas auf, und die Gastmahlszene in 2,8, der Epilog zu Buch 2, vereint wie derjenige zu Buch 1 Literaten, denen Horaz sich verbunden fühlt. Die übrigen fünf Satiren (2,2–5 und 7) bestehen wie 1,1–3 aus Plaudereien zu bestimmten Themen, aber diesmal führt das Wort nicht Horaz, sondern jeweils ein »Weiser«, den wir offensichtlich nicht in allem, was er lehrt, ernst nehmen sollen, am wenigsten den mythischen Seher Tiresias mit seinen Lektionen zur Kunst der Erbschleicherei (2,5); freilich kann der Dichter auch mit solchen Texten, getreu seiner in 1,1,24 verkündeten Devise, »lachend die Wahrheit sagen«. Während dem Seher der Held Ulixes zuhört, wird in den anderen vier Satiren Horaz unterwiesen, und in zwei von ihnen (2,3 und 7) lässt er sich Charakterfehler vorhalten, erweitert also seine Autobiographie in der Rolle des Satirikers durch Selbstkritik. Eine solche dürfte ebenso in der Fabel von Stadt- und Landmaus stecken, die dem Dichter auf seinem Sabinum ein Nachbar erzählt: Der Kontrast zwischen den beiden Nagetieren soll vermutlich Horazens inneren Zwiespalt zwischen dem Leben in Rom im Licht der Öffentlichkeit und der ruhigen und den geistigen Beschäftigungen gewidmeten Existenz auf dem Landgut allegorisieren. Zwischen Aktium und Alexandria Im Epodenbuch setzt Horaz seine mit den Satiren begonnene moralische Kritik an den Mitmenschen fort, aber diesmal kommt eine politische Dimension hinzu. Wir sollen uns die insgesamt 17 Gedichte sehr wahrscheinlich auf den Zeitraum zwischen den letzten Wochen vor dem Sieg Oktavians über Antonius und Kleopatra am 2. September 31 v. Chr. und seinem Einmarsch in Alexandria

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am 1. August 30 v. Chr. bezogen denken. Erst nach diesem Datum wurde die von dem politischen Gegner und seinen Verbündeten drohende Gefahr für Rom endgültig gebannt, während in den 11 Monaten vorher eine gewisse Unsicherheit aufseiten der Anhänger Oktavians herrschte. Es galt, den Anhängern des Matriarchats, das die ägyptische Königin und ihr Liebhaber in den Augen der traditionell patriarchalisch gesinnten Römer verkörperten, die Zähne zu zeigen, und dazu eignete sich sehr gut die klassische Form der Schmähdichtung: der von Archilochos im 7. Jahrhundert v. Chr. begründete Jambus. Das Wort bezeichnet neben der Gattung einen bevorzugt darin verwendeten Versfuß, die Abfolge von Kürze und Länge (Senkung und Hebung im Deutschen). Verse, für die er das Grundelement ist, werden in den 17 Texten außer in dem letzten nicht wie die Hexameter der Satiren aneinandergereiht, sondern bilden in verschiedenen Kombinationen (in die auch Daktylen integriert sein können) Verspaare, bei denen der jeweils zweite Vers kürzer ist als der erste; diesen zweiten Vers nannte man, wie sekundär auch das Verspaar, auf Griechisch (die) epodós. Daneben gibt es epodé, was »Zauberformel« bedeutet. Unter dem Titel Epodon liber konnte man also »Buch der Epoden« und »Buch der Zauberformeln« verstehen, und das passt gut, da Horazens Gegnerin in den Epoden eine Zauberin ist: die Hexe Canidia. Sie tritt in dem Buch neben Oktavian und Maecenas am häufigsten in Erscheinung, und das lässt vermuten, dass sie das den beiden Männern feindliche Prinzip symbolisiert: nach Macht begierige Weiblichkeit. Dass die Vertreter dieses Prinzips vor Oktavian zu weichen haben und überhaupt sittlich zu verurteilen sind, kommt in den Epoden mehrmals zum Ausdruck, am ausgiebigsten in dem Gedicht 9, das genau in der Mitte platziert ist. Darin sehnt sich Horaz während seiner Teilnahme an der Schlacht bei Aktium nach der Siegesfeier und empört sich über Römer, die, an eine Frau verkauft, Waffen tragen und Eunuchen dienen. Damit meint er die Soldaten des Antonius, und seiner hier artikulierten Einstellung



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entspricht diejenige, die er in den drei vorausgehenden Gedichten an den Tag legt: In 6 bedroht er als Hund die »Bösen«, in 7 beschimpft er seine Landsleute, die nicht vom Bürgerkrieg lassen wollen, womit er primär die Antonius-Partei meinen dürfte, und in 8 schmäht er eine Frau, die, reich und vornehm, philosophische Schriften liest, als alt und hässlich, weil sie ihn gefragt hat, warum seine Kräfte bei ihr versagt hätten. Damit verrät er aber, dass er impotent war, und dieses indirekte Bekenntnis dazu, dass er als Mann versagt hat, findet sich ebenfalls in mehreren Epoden; Nr. 11, 14 und 15, in denen Horaz wie ein elegisch Verliebter spricht, machen das besonders klar bemerkbar. Neben der Kritik am effeminierten Verhalten anderer steht somit diejenige an dem eigenen, was an die Selbstironie der Satiren erinnert. In der letzten Epode erniedrigt Horaz sich sogar vor Canidia, freilich nicht ernsthaft, vielmehr so höhnisch, dass er ihr gegenüber mindestens implizit auftrumpft. Aber was die politisch unsichere Lage betrifft, ist ein Ende in der vorausgehenden Epode 16 noch nicht in Sicht: Dort stellt Horaz fest, dass der Bürgerkrieg schon in der zweiten Generation geführt werde und fordert die »Guten« auf, mit ihm auf die Inseln der Glückseligen auszuwandern. Das paradiesische Dasein, das sie dort erwartet, gleicht dem des neuen Goldenen Zeitalters, das man sich seit Vergils Hirtengedicht 4 – es dürfte um 35 v. Chr. publiziert worden sein, und Horaz spielt in Epode 16 öfters überdeutlich darauf an – von Oktavian erhofft hat. Aber ein solches ist vor dem 1. August 30 v. Chr. noch Utopie. »Ich habe ein Monument vollendet, das dauerhafter ist als Erz … « Ode 1,37, das vorletzte, also an prominenter Stelle platzierte Gedicht in Buch 1 der Carmina von 26/25 v. Chr., setzt Oktavians Einmarsch in Alexandria voraus und knüpft direkt an Epode 9 an: Hatte Horaz sich dort gefragt, wann er mit Maecenas den Sieg bei

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Aktium werde feiern können, ruft er nunmehr aus Freude über den Tod Kleopatras in V. 1: »Jetzt heißt es trinken!« Mit denselben Worten hatte um 600 v. Chr. der über den Tod eines Tyrannen jubelnde griechische Lyriker Alkaios ein in Strophen unterteiltes Gedicht begonnen, und in dem dort von ihm verwendeten und nach ihm benannten Versmaß ist auch Ode 1,37 geschrieben. Erstmals hat Horaz es in Ode 1,9 benutzt und zusammen mit diesem und den beiden folgenden Gedichten eine Trilogie geschaffen, welche die ersten drei Gedichte im Buch der Hymnen des Alkaios evozieren soll. Wie dort das zweite besteht Ode 1,10 aus sapphischen Strophen, und wie dort das dritte reiht Ode 1,11 »große« Asklepiadeen aneinander. Metrische Systeme, die auf Alkaios, die Lyrikerin Sappho (6. Jh. v. Chr.) und den Epigrammatiker und Lyriker Asklepiades von Samos (geb. um 320 v. Chr.) zurückgehen, sind bei Horaz in den vier Büchern der Oden am häufigsten vertreten, seltener solche, die er von den Jambikern Archilochos und Hipponax (6. Jh. v. Chr.) in sein Lyrikkorpus übernommen hat. Zehn von diesen Systemen präsentiert er in 1,1–11, die den Leser zugleich in die wichtigsten Themen der Sammlung einführen: Reflektieren über die eigene Dichtung (1 und 6), Augustus (2), Freundschaft (3), philosophisches Reflektieren (4, 7, 9, 11), Erotik (5, 8, 9), Götterhymnus (10). Nur die sapphische Strophe erscheint in dieser »Parade« in zwei Gedichten, und sie eröffnet dann wieder mit 1,12 einen Zyklus, der intertextuell die Vernetzung mit griechischen Vorgängern im Bereich der Lyrik herstellt: 12 mit Pindar (um 520–nach 446 v. Chr.), 13 mit Sappho, 14 mit Alkaios, 15 mit Bakchylides (um 520–nach 450 v. Chr.), 16 mit Stesichoros (um 630–nach 557 v. Chr.), 17 mit Anakreon (um 570–um 485 v. Chr.) und 18 noch einmal mit Alkaios. Es ist vielleicht kein Zufall, dass die Zahl der metrisch und thematisch »propädeutischen« Oden elf beträgt. Denn die sapphische Strophe, die, wie gesagt, hier in zwei Oden erscheint, besteht aus drei Elfsilblern, die in einen fünfsilbigen Adoneus ausklingen, und



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dazu wiederum passt die Anzahl der Gedichte in Buch 1: 11 + 11 + 11 + 5 = 38. Schon früh in der Sammlung erkennt man, dass Sappho eine große Bedeutung für Horaz hat, und die Tatsache, dass die ersten beiden Augustus-Oden, 1,2 und 1,12, in sapphischen Strophen verfasst sind, bestätigt das. Gewiss, was das Selbstverständnis des Lyrikers Horaz betrifft, fühlt er sich offensichtlich Alkaios als dem Dichter, der einerseits von seiner Tätigkeit im Krieg, andererseits von seinen erotischen Erfahrungen singt, enger verbunden. Das bringt Ode 1,32 klar zum Ausdruck, und der kriegerische Alkaios findet in dem Horaz der politischen Oden, in denen dieser u.a. zum Kampf gegen die Parther ermuntert (vgl. bes. 3,2 mit dem berühmt-berüchtigten dulce et decorum est pro patria mori), eine Entsprechung; die sogenannten »Römeroden« (3,1–6) hat ihr Autor zweifellos ganz bewusst in alkäischen Strophen geschrieben. Dort redet als Lyriker der »männliche« Horaz, der als Satiriker die moralischen Schwächen seiner Zeitgenossen getadelt und dies als Jambiker mit Polemik gegen die Feinde Oktavians in den Jahren 31/30 v. Chr. kombiniert hat. Aber derselbe Horaz hatte in den Sermones vielfach Selbstkritik geübt und sich in den Epoden ein paarmal als unmännlich präsentiert. Ein Pendant dazu bilden in den Oden z. B. mehrere Gedichte, in denen Horaz es ablehnt, Feldherrn episch oder panegyrisch zu besingen und dies mit einem dezidierten Bekenntnis zur »kleinen« Poesie verbindet – erstmals in 1,6 –, und solche, in denen er von Enttäuschungen mit Frauen spricht, was erstmals bereits in 1,5 und dann noch einige Male erfolgt. Hier begegnen wir insofern dem »sapphischen« Horaz, als seine Stimme gelegentlich an die der griechischen Dichterin erinnert, besonders deutlich in den Oden 1,13 und 4,1, die beide Bezug auf je ein berühmtes Sappho-Gedicht nehmen. Freilich geht Horaz in seiner Reaktion darauf, dass sein erotisches Verhältnis zu einer Frau oder einem Knaben seine Hoffnungen nicht erfüllt, in der ersten Odensammlung nie so weit, dass er sich wie ein Elegiker vom Liebeskummer übermannen lässt. Wäh-

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rend die Ich-Sprecher bei Tibull (gest. 19/18 v. Chr.) und Properz (gest. nach 16 v. Chr.) in sklavischer Hingabe nachts vor der Tür ihrer domina liegen und sich durch deren abweisendes Verhalten in ihrer Leidenschaft für sie nicht beirren lassen, lässt sich Horaz in 3,10 zwar auch auf eine solche Situation ein, bricht aber sein Werben um die spröde Lyke damit ab, dass er sagt, sein Körper werde nicht immer die Schwelle und den Regen ertragen; das ist sicherlich so zu interpretieren, dass er nicht bis zum Morgengrauen auszuharren gedenkt. Er liefert sich somit seinen Emotionen und Affekten keineswegs hilflos aus, und das stimmt damit überein, dass zu seiner Rolle als Lyriker auch diejenige des von der Moralphilosophie geprägten Weisen gehört. Als solcher weiß er auf das Unverfügbare zu verzichten, und damit zeigt er sich von den ethischen Lehren hellenistischer Denker beeinflusst, wobei er Epikur (341–271 v. Chr.) am nächsten steht. Exemplarisch lässt er das in 2,16 erkennen, vielleicht mit Absicht etwa in der Mitte der Odenbücher-Trilogie. Mit dem Wort otium (»Ruhe, Muße, Frieden«) beginnend, legt Horaz dieses im Sinne der epikureischen Philosophie als Ataraxie, d.h. als innere Ruhe einer von Sorgen freien Seele aus, die dem Seefahrer – damit dürfte er den nach Erwerb trachtenden Kaufmann meinen  –, dem Krieger und dem nach Macht strebenden Politiker versagt sei, nicht aber ihm in seiner Lebensweise. Denn seine Devise ist, dass er sich mit Wenigem (parvo) begnügt, einem »schmalen (tenui) Tisch« und einem »kleinen (parva) Stück Land«, und damit ist untrennbar verbunden, dass er den »zarten (tenuem) Hauch der griechischen Muse«, also »kleine« Poesie, hervorbringt. Wie die beiden Satirenbücher und das Epodenbuch wollen die drei Carminum libri linear gelesen sein, so wie ja zur Zeit des Horaz während der Lektüre eine Papyrusrolle aufgewickelt wurde. Darauf ist auch eine sorgfältig organisierte Struktur abgestimmt. An Buch 1 fällt besonders auf, dass die Einführung in die neue Gattung – Horaz ist der erste Dichter in Rom, der eine Lyriksammlung vor-



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legt – sich über Ode 1–18 erstreckt, worauf mit Nr. 19, einem Gebet an Venus, die erste Hälfte abgerundet wird. Das Buch hat mit je einem Gedicht an bzw. über die wichtigsten Bezugspersonen, Maecenas, Augustus und Vergil, begonnen, und analog eröffnen die zweite Hälfte ein Gedicht an Maecenas (20), eines, das indirekt Augustus huldigt (21), und eines, das, in sapphischen Strophen geschrieben, intertextuell mit einem im selben Metrum verfassten Catull-Gedicht verknüpft ist (22). Hervorgehoben sei ferner der Übergang von Buch 1 nach Buch 2: Nach der schon erwähnten politischen Ode 1,37 in acht alkäischen Strophen lesen wir als Epilog in zwei sapphischen Strophen eine Art Epigramm, das die Vorstellung von einer Schlussszene erzeugt: Horaz trinkt unter einem dichten Weinstock, bedient von einem Sklavenjungen, und beide sind mit schlichter Myrte bekränzt. Die Abfolge der beiden Oden bereitet vor, dass die ersten elf Gedichte von Buch 2 abwechselnd aus alkäischen (1, 3, 5, 7, 9, 11) und sapphischen (2, 4, 6, 8, 10) Strophen zusammengesetzt sind; wieder begegnen wir der Zahl, die mit derjenigen der Silben im sapphischen Vers identisch ist. Buch 2 ist das kürzeste der gesamten Oden-Tetralogie und thematisch sehr eng geschlossen, was man u.a. daran bemerken kann, dass ein eindringliches »Memento mori« sich in mehreren Varianten wie ein roter Faden durch das Buch hindurchzieht. Horaz selbst allerdings überwindet den Tod im Epilog (2,20): Er verkündet Maecenas, dass er nicht sterben, sondern sich in einen Schwan verwandeln, über die Lande fliegen und überall bekannt sein werde, weswegen niemand bei seiner Bestattung trauern solle. Motivisch verwandt ist die Ode, die Buch 3 und zugleich die Buchtrilogie abschließt (3,30). Diese erklärt Horaz hier zu einem Monument, das dauerhafter als Erz, höher als die ägyptischen Pyramiden und unzerstörbar durch Regen, Sturm sowie die vergehenden Jahre sei. Somit werde er nicht ganz sterben und ein größerer Teil von ihm im Ruhm fortleben. Diesem wahrhaft »monumentalen« Schluss korrespondiert zu Beginn von Buch 3 der große

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Komplex der sechs Römeroden. Etwa in der Mitte des Zyklus, in 3,4,9ff., erzählt der Dichter in der Rolle des Lyrikers seine Vita von der Zeit an, in der er, als Kind auf dem Berg Voltur bei Venusia eingeschlafen, von Tauben zum Schutz vor Schlangen und Bären mit Lorbeer und Myrte bedeckt worden sei, und wie ihn später in verschiedenen Gefahren die Musen beschützt hätten. Aber diese nähmen sich nicht nur seiner an, sondern auch des Augustus, dem sie »milden Rat« spenden würden. Unter diesen Voraussetzungen steht der Poet direkt neben dem Prinzeps, indem er seine Welt der »kleinen« Dichtung der großen Politik gegenüberstellt, und dem entspricht, dass er auf das Pathos der sechs Römeroden, das sie in die Nähe »großer« Dichtung rückt, die wiederum »kleine« Dichtung der sechs Oden 3,7–12 mit ihrer überwiegend erotischen Ausrichtung folgen lässt. Die restlichen Oden des Buches variieren noch einmal alle in 1,1–11 präsentierten Themen und zeigen auf das Buchende zu immer deutlicher »a sense of an ending«, ganz explizit in Ode 3,26, in der Horaz sagt, er werde seine Lyra und die »Waffen«, die er als Liebender benutzt habe, seine Fackel und seine Hilfsmittel zur Öffnung einer verschlossenen Tür, im Tempel der Venus weihen. Man darf das durchaus als den Abschied von der lyrischen Poesie interpretieren, zumal Horaz zu Beginn seines nächsten Gedichtbuches, dem ersten der Briefe von etwa 19 v. Chr., seinem Freund Maecenas vermeldet, er lege nun seine »Verse und übrigen Spielereien« beiseite. Sendschreiben eines Hausphilosophen Mit seinen in Hexametern verfassten Briefen, für die er zweimal den Begriff sermo verwendet (1,4,1; 2,1,4), knüpft Horaz einerseits an seine Satiren an, andererseits kreiert er, da seine »Plaudereien« jetzt Merkmale der Prosa-Epistolographie aufweisen – wie dort verkörpert ein Schreiben des Horaz an einen Freund nach antiker



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Definition »die eine Hälfte eines Gesprächs« (Ps.-Demetrios, Über den Stil 223) –, eine neue Gattung: den Versbrief. An die beiden Satirenbücher erinnert, dass auch in diesem Gedichtbuch zwei beherrschende Themen Moralphilosophie und Dichtungstheorie sind. Aber Ersteres gab es ebenso in Prosabriefen schon vorher: in denjenigen Epikurs und in denen, die unter dem Namen Platons (um 427–um 347 v. Chr.) überliefert sind, sehr wahrscheinlich jedoch nicht von ihm stammen, auch nicht der berühmte siebte Brief, in dem der anonyme Autor seinen »Platon« sich u.a. über sein Verhältnis zu seinem Freund und langjährigen Gönner äußern lässt, dem sizilischen Prinzen und späteren Tyrannen Dion (um 409–354 v. Chr.). Es gibt ein Indiz dafür, dass Horaz die pseudoplatonische Briefsammlung und speziell das siebte Schreiben gekannt hat (ohne wohl auch nur zu vermuten, dass die Texte unecht sind): Der Dichter in der Rolle des Epistolographen sagt zu Beginn seines siebten Briefes in Buch 1, er habe versprochen, fünf Tage auf dem Land zu weilen, lasse sich aber jetzt bereits den ganzen Sextilis (= August) vermissen (1f.), und damit beginnt er eine ausführliche Erörterung seines Verhältnisses zu dem Freund und Patron. Dieser und 18 weitere Schreiben sind an Freunde sowie den Prinzen Tiberius, den Adoptivsohn des Augustus (9), einen Boten namens Vinnius (13) und den Verwalter des Sabinums (14) adressiert; lediglich der letzte, Nr. 20, weicht ab: Horaz richtet ihn an das hinaus in die Welt strebende Briefbuch und beendet ihn mit einem Abriss seiner Vita. Dieser liest sich wie eine Sphragis, das (meist stilisiert) selbstbiographische »Siegel«, das man am Schluss manches antiken Werks findet. Maecenas (an den sich auch Nr. 19 richtet) ist ein ungefähr gleichaltriger Freund Horazens, wie z. B. auch Aristius Fuscus, dem wir schon in Satire 1,9 und Ode 1,22 begegnen und dem der Dichter mit Brief 10 am Ende der ersten Buchhälfte einen exponierten Platz zuweist. Daneben haben wir mehrere jüngere Adressaten, z. B. Julius Florus (3) und Albinovanus Celsus (8), die zum Cortège des

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Tiberius gehörten und vielleicht auch mit ihm befreundet waren. Sie dürften etwa so alt gewesen sein wie der Prinz, also, da er 42 v. Chr. geboren wurde, rund 20 Jahre jünger als Horaz, und am Anfang ihrer Karriere standen offensichtlich Scaeva (17) und Lollius Maximus (18), da der Dichter den beiden Männern Empfehlungen zum Umgang mit mächtigen Patronen gibt. In der Funktion eines persönlichen Beraters, die heutzutage ein Psychiater ausüben würde, konnten in Rom philosophisch gebildete Männer in Erscheinung treten, die Angehörige der Oberschicht bei der Bewältigung beruflicher und privater Probleme zu unterstützen versuchten. Die Rolle eines solchen „Hausphilosophen“ übernimmt auch der Epistolograph Horaz, der zunächst sich selbst zur Beschäftigung mit Lehren der Ethik anhält, solche ferner Lollius Maximus (in einem weiteren Brief, Nr. 2), Numicius (6) und Aristius Fuscus (10) erteilt, aber auch in andere Briefe moralphilosophische Gedanken einfließen lässt. Wie die Satiren enthalten die Briefe viel Selbstironie, z. B. in dem Brief an Albius (4) – er dürfte mit dem Elegiker Tibull zu identifizieren sein –, worin Horaz sich als »Schwein aus der Herde Epikurs« bezeichnet, oder in Äußerungen über seine Wechselhaftigkeit, die wir in den Briefen an Albinovanus Celsus (8) und Vala (15) lesen. Den Satiren sind Horazens Briefe auch darin vergleichbar, dass mehrere von ihnen einiges an Scherzen enthalten; besonders hervorzuheben sind Nr. 5 an Manlius Torquatus wegen der witzigen Anspielungen auf die Familiengeschichte der Manlii und der Bemerkungen über die Vorzüge der Trunkenheit, und Nr. 13 an Vinnius, der Buchrollen an Augustus überbringen und sich dabei nicht tölpelhaft betragen soll. Es fällt auf, dass die beiden letzten Gedichte des ersten Briefbuches die Thematik des zweiten gewissermaßen vorwegnehmen. Denn dort spricht Horaz überwiegend poetologisch, und so bereits hier: In Nr. 19 kritisiert er seine Dichterkollegen wegen ihrer Neigung zu sklavischer Nachahmung, präsentiert sich als Nachfolger des Archilochos und des Alkaios und reflektiert über sein Verhält-



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nis zu seinen Lesern, um anschließend in Nr. 20 seinem Briefbuch auszumalen, wie es diesem von dem Moment an ergehen werde, wenn man es öffentlich zum Verkauf anbiete. Man könnte meinen, Horaz schaffe sich damit einen Übergang zu Teil 2, zumal auch die beiden Bücher der Satiren und die drei der Oden jeweils sichtlich miteinander verknüpft sind. Andererseits ist der Lebensabriss am Ende von Brief 20 als Sphragis so breit ausgeführt, dass möglich erscheint, er impliziere den Abschied von der Poesie. Was immer der reale Autor Horaz plante, als er das uns vorliegende erste Briefkorpus abgeschlossen hatte, muss offenbleiben. Aber eines steht fest: Schon etwa zwei Jahre nach der Publikation dieses seines siebten Gedichtbuches veranlasste ihn der Auftrag, das Jahrhundertlied zu schreiben und zu komponieren, zur Fortsetzung seiner poetischen Tätigkeit. Dirigent mit dem Daumen Gegen Ende von Gedicht 6 in dem 11/10 v. Chr. herausgekommenen vierten Odenbuch redet Horaz die Choreuten an, aus deren Mund sechs oder sieben Jahre zuvor das Jahrhundertlied erklungen war, und sagt, sie sollen, wenn sie Apollo und Diana besängen, den lesbischen (= sapphischen) Versfuß und den Taktschlag seines Daumens beachten (V. 31ff.). Ob er sich dabei in die Situation der Aufführung im Jahre 17 v. Chr. zurückversetzt und wir davon ausgehen sollen, dass der Dichter als reale Person den Chor mit dem Daumen dirigierte – so etwas stellt man sich natürlich nur zu gerne vor!  –, entzieht sich unserer Kenntnis. Wir wissen aber, wie die Jahrhundertfeier ablief und welche Funktion das Lied dabei hatte, da wir dank einer 1890 in Rom geglückten archäologischen Entdeckung die Reste einer Inschrift besitzen, die über das große Ereignis berichtet. Ihr zufolge wurde das Lied am dritten Tag des Festes von je 27 Knaben und Mädchen zweimal gesungen: zuerst vor dem

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Tempel Apollos auf dem Palatin, nachdem Augustus und Agrippa dort dem Gott und seiner Schwester Diana ein Opfer dargebracht hatten, und später vor dem Juppitertempel auf dem Kapitol. Der durch 3 und 9 teilbaren Zahl der Choreuten entspricht, dass 18 von den insgesamt 19 Strophen – die neunzehnte bildet eine Art Sphragis, da hier der Chor Bezug auf sich selbst nimmt – in zwei Hälften zu je neun Strophen gegliedert sind, die in sich wiederum aus drei Triaden bestehen. In der ersten Hälfte werden Apollo und Diana angerufen, in der zweiten zunächst in sechs Strophen namentlich nicht genannte Götter (di), mit denen Juppiter und Juno gemeint sein dürften, und in weiteren drei Strophen erneut Apollo und Diana. Diese beiden bittet der Chor um Fruchtbarkeit für Mensch, Tier und Saaten, während die beiden kapitolinischen Gottheiten der Jugend gute Sitten, den Alten Ruhe und dem Römervolk Besitz, Nachkommenschaft und jede Ehre gewähren sollen; ihnen wird speziell auch Augustus ans Herz gelegt und dabei implizit seiner Reichspolitik und dem Herrschaftsanspruch seiner Familie, den von Äneas abstammenden Juliern, zugestimmt. Horaz, den uns die Inschrift als Autor und Komponisten des Liedes bezeugt, ist auf bestem Wege zur Kaiserpanegyrik des vierten Odenbuches. Lyrische Zugabe Wie die Bücher 1–3 der Oden hat Buch 4 das Nebeneinander von politischer Lyrik und »kleiner« Poesie aufzuweisen, aber Augustus spielt eine größere Rolle als bisher, wobei nun auch Angehörige seiner Familie gewürdigt werden, doch moralphilosophische Gedanken äußert Horaz kaum noch. Dass augusteischer und privater Diskurs sich eng berühren, ist im Eröffnungsgedicht vorläufig nur angedeutet: Horaz erklärt Venus, die bei ihm »lange unterbrochene Kämpfe [ … ] wieder in Gang« setzt, also ihn wieder erotisiert, sie passe jetzt besser zu Paullus Maximus, von dem wir wissen, dass



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er Marcia, eine Kusine des Prinzeps, heiratete; der Dichter gesteht dann aber, dass er in den Knaben Ligurinus verliebt sei. Auch Jullus Antonius, der Adressat von Ode 4,2, ist mit der kaiserlichen Familie verbunden, da er, Sohn des Marcus Antonius, durch Augustus’ Schwester Octavia aufgezogen wurde. Ihm überträgt Horaz die Aufgabe, den Prinzeps zu besingen, wenn dieser von seiner Expedition zu den Sygambrern zurückkehrt, sowie zehn Stiere und zehn Kühe zu opfern; er dagegen werde sich – und das ist offensichtlich metapoetisch zu interpretieren – mit der Schlachtung eines zarten Kalbs begnügen. Literarisches Vorbild für Jullus Antonius soll Pindar sein, und dieser tritt in Buch 4 gegenüber Alkaios und Sappho als evozierter Lyriker in den Vordergrund. Denn mag Horaz sich auch Augustus gegenüber scheuen, ihn mit dem Pathos des Chorlyrikers zu preisen, so widmet er doch Tiberius und Drusus, den Stiefsöhnen des Kaisers, zwei lange Oden, 4 und 14, die den Sieg der beiden über die Vindeliker in einer an Pindar erinnernden Weise verherrlichen und dabei das Familienoberhaupt gebührend einbeziehen. Die beiden direkt an Augustus gerichteten Oden dagegen sind weitgehend der »kleinen« Poesie des übrigen Buches angepasst: In 4,5 schreibt Horaz, das römische Volk sehne sich nach dem (immer noch abwesenden) Kaiser wie eine Mutter nach ihrem Sohn in der Ferne, und in 4,15, der letzten Ode des Buches, lässt der Dichter sich durch Phöbus davon abhalten, von Schlachten zu künden, um anschließend den glücklichen Zustand des römischen Staates in dem von Augustus geschaffenen Frieden zu preisen. Zwei weitere, wie die Kaiserfamilie mehrfach behandelte, Themen des Buches sind poetologische Selbstreflexion (3, 6, 8, 9) und Erotik (1, 10, 11, 13), während Horaz moralphilosophisch immerhin angehauchte Gedanken und seine Verbundenheit mit einem Freund nur je einmal zur Sprache bringt (7 bzw. 12). Als über seine Tätigkeit reflektierender Dichter bekundet Horaz seinen Stolz darauf, dass er durch sein Jahrhundertlied berühmt geworden ist – implizit in 4,3, explizit in 4,6 –, und entwickelt in 4,8 und 4,9 ganz

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neu die »These«, große Taten könnten nur dann Ruhm erringen, wenn sie Gegenstand der Poesie würden. Während hier wie in der Kaiserpanegyrik das Motiv »Fortleben« dominiert, behandeln alle anderen Gedichte im vierten Odenbuch mehr oder weniger das Thema »Vergänglichkeit«. Im Bereich der Erotik wird es wie folgt variiert: Den Knaben Ligurinus warnt Horaz vor dem Bartwuchs und dem dadurch bedingten Ende seiner jugendlichen Anziehungskraft (10), Phyllis, die er zur Feier von Maecenas’ Geburtstag einlädt, bezeichnet er als die letzte der von ihm geliebten Frauen (11), und Lyke schmäht er, weil sie, jetzt eine alte Frau und hässlich, nach wie vor Begierde nach Sex habe (13). Ode 4,7 beginnt wie 1,4 mit einer Schilderung des Frühlings, räsoniert dann aber gleich über den Wechsel der Jahreszeiten und gelangt so zu der Mahnung, dass wir alle sterben müssen, die noch eindringlicher ausgesprochen ist als in dem älteren Text. Der Lenz steht ebenfalls in voller Blüte, als Horaz in Ode 4,12 seinen Freund Vergil zum Weintrinken zu ihm zu kommen bittet, aber der lebt, wie der Leser weiß, zur Zeit der Publikation von Carmina Buch 4 nicht mehr, weshalb er wohl aus der Unterwelt heraufsteigen muss; man glaubt bei der Lektüre des Gedichtes, das zu Horazens schönsten gehört, eines deutlich zu spüren: Sein Verfasser ist sich bewusst, dass er den Freund an dem Ort, wo dieser sich seit 19 v. Chr. befindet, bald wirklich wiedersehen wird. Poetologisches Vermächtnis Horazens in 476 Hexametern geschriebenes Gedicht über das Dichten trägt in den Kodizes die Überschrift Ars poetica und ist dort nicht hinter die Briefe 2,1 und 2,2, sondern entweder zwischen das Jahrhundertlied und die Satiren oder zwischen Oden und Epoden gestellt; außerdem kennt auch Quintilian (um 35–nach 96 n.Chr.) den Text nur unter dem genannten Titel. Die Schreiben



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an Augustus und Florus, aus denen den Kodizes zufolge das zweite Briefkorpus besteht, umfassen aber zusammen nur 486 Verse, was für ein Buch zu wenig scheint, und da sie thematisch sehr eng mit der »Dichtkunst« vernetzt sind und diese ja auch an namentlich angeredete Adressaten, die Pisonen, gerichtet ist, liegt nahe, dass ursprünglich die 962 Verse, die alle drei Texte zusammen ergeben, Buch 2 der Briefe bildeten. Hinzu kommt, dass die Trilogie, wenn man eine solche ansetzt, sich als Sequenz erweist, welche die Abfolge von drei Generationen nachzeichnet. Augustus, der Adressat von Brief 2,1, repräsentiert, 63 v. Chr. geboren und somit nur zwei Jahre jünger als Horaz, mit diesem zusammen die Zeit der »Väter«, Florus in 2,2, vermutlich etwa so alt wie der 42 geborene Prinz Tiberius oder wie Ovid (geb. 43 v. Chr.), diejenige der »Söhne«, und deshalb darf man in den zwei 14- bzw. 15-jährigen Söhnen des L. Calpurnius Pontifex, die sehr wahrscheinlich durch die »Dichtkunst« unterwiesen werden, die »Enkel« sehen; sie dürften ungefähr so alt gewesen sein wie C. Caesar (geb. 20 v. Chr.), der ältere der beiden Söhne von Augustus’ Tochter Julia. Wenn Horaz in dem Brief an Florus, in dem er vom Verseschreiben Abschied nimmt, erklärt, es sei »nützlich, die Produkte kindlichen Leichtsinns« – damit meint er die Oden – »wegzuwerfen, weise zu sein und Knaben das Spiel zu überlassen« (141f.), denkt er doch wohl an die zwei Söhne Pisos, und das gilt dann auch für den Schluss des Briefes; dort sagt er zu sich selbst: »Es ist Zeit für dich abzutreten, damit dich nicht, weil du mehr als recht getrunken hast, das Alter, dem Ausgelassenheit besser steht, auslacht und fortstößt« (215f.). In Brief 2,1 sieht Horaz darin, dass der Adressat Augustus schon auf Erden wie ein Gott verehrt wird, einen Widerspruch dazu, dass vom zeitgenössischen Publikum die ältere Poesie der Gegenwartsdichtung vorgezogen werde. Mit einer Übersicht über die Geschichte des römischen Dramas versucht der Dichter dann zu zeigen, dass z. B. Plautus nicht höchsten ästhetischen Ansprüchen genügen könne; Vergil und Varius dagegen hätten Augustus auf

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hohem Niveau gepriesen. Er selbst könne allerdings nichts Vergleichbares leisten. Im Florusbrief lesen wir eine Begründung dafür, warum Horaz mit dem Dichten aufzuhören wünsche und sich lieber der Moralphilosophie zuwende, von deren Lehren er eine Kostprobe gibt. Nur noch als Theoretiker spricht er schließlich zu den Pisonen über das vollkommene Werk der Poesie, das er anhand ausführlicher Darlegungen zur Tragödie charakterisiert, und den vollkommenen Dichter, bei dem sich Talent und Kunstfertigkeit mit sittlicher Integrität verbinden müssen. Dessen Gegenstück ist der verrückte Poet, den Horaz im Finale des Pisonenbriefs und damit zugleich, wie ich meine, im Finale seines gesamten Œuvres karikiert. Diese komische Figur verfolgt jeden als »gnadenloser Rezitator« und kann dabei in eine Grube stürzen. In übertragenem Sinne darf man das so interpretieren, dass ein solcher Dichter ganz und gar ins Grab sinkt, also nicht in seinem Werk weiterlebt. So gesehen steht der verrückte Poet in Kontrast zu Augustus, dem künftigen Gott – der Anfang von 2,1 und das Ende der »Dichtkunst« bilden mithin eine Art Klammer um die Brief-Trilogie  –, aber auch zu dem Horaz der Oden 2,20 und 3,30, der sich Nachruhm prophezeit. Blickt man aber vom Finale des Pisonenbriefes auf das zweite Briefbuch zurück, wird man daraus, dass er sich dort immer wieder selbst ironisiert, schließen dürfen, er wolle die Porträtierung des verrückten Poeten als eine Satire auf die eigene Person begriffen wissen. Man bedenke: Bereits sein erstes Gedicht, Satire 1, hatte er mit iam satis est (V. 120) beendet, wobei er auf den Gattungsnamen und satur (»satt«) anspielte. Der verrückte Poet ist als Blutegel (V. 476) satt, und Horaz ebenso wie der Leser können nach 476 Versen »Dichtkunst« als dem Finale des Gesamtwerks erneut sagen: iam satis est.



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Non omnis moriar! Die in Ode 3,30 gemachte Prophezeiung Horazens, er werde nicht ganz sterben und ein größerer Teil von ihm im Ruhm fortleben, kann man, wenn man die seit seinem Tod vergangenen mehr als 2000 Jahre überschaut, als erfüllt betrachten. Spätestens Ende des 1. Jahrhunderts n.Chr. war der Dichter als Schulautor etabliert, und dieser Tatsache verdanken wir vermutlich nicht nur, dass der Philologe Valerius Probus aus Berytos (heute Beirut) um ebendiese Zeit eine textkritische Ausgabe erstellte, sondern auch, dass das ganze Opus kommentiert wurde; auf uns sind die Erläuterungen des Pomponius Porphyrio aus dem 3. Jahrhundert sowie ein Konglomerat von solchen, die aus verschiedenen Quellen stammen, aus dem 5. Jahrhundert gekommen; Letztere bezeichnet man als Scholien des Ps.-Acro, weil sie fälschlich einem Kommentator des 2. Jahrhunderts namens Acro zugeschrieben sind. Nachweislich rezipierten zahlreiche Dichter der Kaiserzeit Horaz, aber eher als stilistisches Vorbild und in intertextuellen Bezügen, und nur mit einer seiner vier Gattungen fand er damals Nachfolge: mit den Satiren in denen des Persius und Juvenal. Aber die Anverwandlung von Horaz-Versen an eigene vollzogen lateinisch schreibende Poeten bis in die Spätantike, auch christliche, unter denen Prudentius (um 348–410) hervorzuheben ist. Und noch im Jahre 527 emendierte der Konsul Mavortius den Text der Oden und Epoden, vielleicht auch den der vier in Hexametern verfassten Gedichtbücher. Das Gesamtwerk ist sehr gut überliefert, und bereits aus dem 9. Jahrhundert sind Kodizes erhalten; offenbar gehörte der Dichter in den vorausgegangenen »dunklen Jahrhunderten« weiterhin zur Schullektüre. Sogar schon vom 8. Jahrhundert an wurden Horazverse in Florilegien aufgenommen. Die damit begonnene Tradition, an die man bis in die Neuzeit anknüpfte, erlebte noch im 19. Jahrhundert eine indirekte Fortsetzung in Georg Büchmanns Zitatenschatz Geflügelte Worte, der, erstmals 1864 erschienen und bis heute immer

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wieder aufgelegt, außer im Shakespeare-Abschnitt in demjenigen über Horaz die meisten Passagen aus dem Werk eines fremdsprachigen Autors enthält. Im Hochmittelalter bevorzugte man inhaltlich die sittenkritischen Satiren, las aber ebenso die Oden, verwendete die Metren und sang die Texte wohl auch, worauf hindeutet, dass sie in Handschriften des 9.–12. Jahrhunderts neumiert sind. Auch von hieraus zieht sich eine Entwicklungslinie quer durch die Jahrhunderte, in diesem Falle sogar bis in jüngere Zeit: 1959 publizierte der an der Vertonung antiker Literatur speziell interessierte tschechische Komponist Jan Novák (1921–1984) X Horati Carmina für Gesang und Klavier. Für den bekanntesten spätmittelalterlichen Leser des römischen Dichters, Dante Alighieri (1265–1321), ist er freilich nur »Orazio satiro« (Inf. 4,89). Doch in Italien tritt schon bald nach ihm Francesco Petrarca (1304–1374) als begeisterter Verehrer von Horazens gesamtem Œuvre auf; so macht er ihn z. B. zum Adressaten von drei seiner an antike Autoren gerichteten Briefe, von denen einer (Res familiarum 24) in den »kleineren« Asklepiadeen verfasst ist. Der Frühhumanist steht damit am Anfang einer langen Reihe neulateinischer Dichter, die sich von Oden und Epoden zu verwandten Texten inspirieren ließen. Namentlich genannt seien in dieser kurzen Übersicht zum Fortwirken Horazens lediglich drei deutsche Poeten des 15./16. Jahrhunderts: Conrad Celtis (1459–1508) mit seinen Libri Odarum quattuor, cum Epodo et Saeculari Carmine, die postum 1513 herauskamen, Georg Fabricius (1516–1571), den die Oden zu seinen Poemata sacra (1560) anregten, und Paul Schede Melissus (1539–1602). Dieser trug u.a. zur damals beliebten Methode der Kontrafaktur bei, die man als parodia bezeichnete; er verwandelte z. B. Ode 1,4,1 Solvitur acris hiems grata vice veris et Favoni (»Der harte Winter taut auf im willkommenen Wechsel mit dem Frühling und dem Westwind«) in Pellitur alma quies atra face Martis et Megaera (»Die segenspendende Ruhe wird durch die dunkle Fackel des Mars und der Megäre [eine Furie]



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vertrieben«; Parodiarum libri II, 1559). Im 16. Jahrhundert begann auch eine intensive Beschäftigung mit Brief 2,3, der »Dichtkunst«, durch die u.a. die berühmte Poetik Julius Caesar Scaligers (1484– 1558) von 1561 beeinflusst ist. Während in Deutschland noch im 17. Jahrhundert neulateinische Dichter teilweise ein höheres künstlerisches Niveau erreichten als die deutschsprachigen – speziell zu nennen ist der Jesuit Jacob Balde (1604–1668), der in Anlehnung an Horaz u.a. Lyricorum libri IV. Epodon liber unus (1643) verfasste –, hatten sich in Frankreich bereits in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts die französisch schreibenden Dichter der Pléiade, allen voran Pierre de Ronsard (1524–1585), die Oden Horazens zum Vorbild genommen. Nachdem in England Ben Jonson (1572–1637) und John Milton (1608–1674) die Ode für die englischsprachige Dichtung erschlossen hatten – Jonson ließ Horaz sogar in einem satirischen Drama auftreten, dem Poetaster (1601), worin er sich selber hinter dem Römer versteckt –, folgte im 18. Jahrhundert endlich auch Deutschland mit herausragenden Beiträgen zu diesem lyrischen Genre, verfasst von Friedrich Klopstock (1724–1803). Während er Strophen schrieb, die sich an denen Horazens orientierten, sich in ihrem Pathos aber oft weit von dem Geist seiner Prätexte entfernten, gingen die Anakreontiker in Nachahmung der weinseligen kaiserzeitlichen Anakreonteen mit der Ode spielerisch um; als Kostprobe sei hier die erste Strophe der Ode Auf ein Geschütz von Karl Wilhelm Ramler (1725–1798) von 1760 zitiert (Lyrische Gedichte, 1782, S. 69): O du, dem glühend Eisen, donnernd Feuer Aus offnem Aetnaschlunde stammt, Die frommen Dichter zu zerschmettern, Ungeheuer, das aus der Hölle stammt! Das späte 18. und das frühe 19. Jahrhundert brachten auch die ersten bedeutenden literaturtheoretischen Auseinandersetzungen mit Horaz hervor. Besonders bekannt wurden: Gotthold Ephraim

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Lessing (1729–1781), Rettungen des Horaz (1754), die den Dichter gegen moralkritische Vorwürfe verteidigten, und Johann Gottfried Herder (1744–1803), Briefe über das Lesen des Horaz (1803), eine systematische Anleitung zur Lektüre. Herder gehörte bereits zu den deutschen Dichtern und Denkern, die römische Poesie als epigonal gegenüber der griechischen abwerteten und dadurch die Basis für eine negative Einstellung auch gegenüber Horaz schufen; diese reichte bis ins 20. Jahrhundert hinein und erfasste sogar die Klassischen Philologen. 1913 z. B. schrieb einer der führenden deutschen Vertreter dieser Disziplin, Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff (1848–1931), über die Ode 1,9: »Hübsche Verse, aber noch kein Gedicht« (Sappho und Simonides, S. 311). Er befand sich dabei im Einvernehmen mit Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832), der im November 1806 gegenüber Friedrich Wilhelm Riemer geäußert hatte: »Horaz. Sein poetisches Talent anerkannt nur in Absicht auf technische und Sprachvollkommenheit, d.h. Nachbildung der griechischen Metra und der poetischen Sprache, nebst einer furchtbaren Realität ohne alle eigentliche Poesie, besonders in den Oden« (Goethes Gespräche, 1889, 2, 265). Im 19. Jahrhundert rezipieren Horaz denn auch nur wenige deutsche Dichter; Erwähnung verdienen vor allem August von Platen (1796–1835) und Eduard Mörike (1804–1875). Und in diametralem Gegensatz zu Goethe steht Friedrich Nietzsche (1844– 1900) mit seinem berühmten Urteil: »Bis heute habe ich an keinem Dichter dasselbe artistische Entzücken gehabt, das mir von Anfang an eine Horazische Ode gab. In gewissen Sprachen ist Das, was hier erreicht ist, nicht einmal zu w o l l e n. Dies Mosaik von Worten, wo jedes Wort als Klang, als Ort, als Begriff, nach rechts und links und über das Ganze hin seine Kraft ausströmt, dies minimum in Umfang und Zahl der Zeichen, dies damit erzielte maximum in der Energie der Zeichen – das Alles ist römisch und, wenn man mir glauben will, v o r n e h m par excellence. Der ganze Rest von Poesie wird dagegen etwas zu Populäres – eine blosse Gefühls-Geschwät-



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zigkeit … Den Griechen verdanke ich durchaus keine verwandt starken Eindrücke.» (Kritische Studienausgabe, 6, S.154f.). Im Laufe des 20. Jahrhunderts verschwand Horaz mehr und mehr aus dem Blick der Literaten und spielte eine besondere Rolle nur noch hinter den Mauern von Gymnasien und Universitäten. Ein gewisses öffentliches Interesse weckten die Feiern zu seinem 2000. Geburtstag 1935, da der Dichter wegen seiner Verehrung des Augustus in Italien und Deutschland für den faschistischen Führerkult vereinnahmt wurde, aber das Bimillennium des Todestages 1993 fand im Wesentlichen akademische und schulische Beachtung. Freilich hat es bis in unsere Gegenwart immer wieder Dichter und Schriftsteller gegeben, die den römischen Dichter rezipierten – Theodore Ziolkowskis Aufsatz (s. S.  765) bietet ein beeindruckendes Panorama  –, aber es fehlen literarische Werke, die wie Hermann Brochs Der Tod des Vergil und Christoph Ransmayrs Die Letzte Welt je einen der beiden anderen großen Augusteer, Vergil und Ovid, bei einem breiten Publikum bekannt machten. Horaz ist ohne Zweifel einer der ganz bedeutenden Dichter der Weltliteratur. Er hat maßgeblichen Einfluss auf die Entwicklung der lyrischen Poesie in mehreren Sprachen ausgeübt, wichtige Anregungen für die seit der Renaissance entstandenen Poetiken geliefert und überdies durch seine moralphilosophischen Reflexionen auf Denker der frühen Neuzeit und über sie auf solche späterer Epochen gewirkt. Aber er ist gar nicht leicht zu verstehen und bedarf deshalb einer intensiven Auseinandersetzung mit dem Originaltext, und dabei helfen Werke von Autoren, die ihn rezipierten, wenig, sehr viel dagegen latinistische Kommentare und Untersuchungen der allerjüngsten Zeit, die frei sind von ideologischen und ästhetischen Vorurteilen, wie man sie bei den in dieser Übersicht genannten Rezipienten meistens wahrnimmt. Bertolt Brecht – um zumindest einen von denen, die im 20. Jahrhundert lebten (1898–1956), zu zitieren – vermerkt in seinem Tagebuch vom 15. Juli 1952: »Haus und Umgebung in Buckow ist ordentlich genug, daß ich wieder

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etwas Horaz lesen kann.« Ja, lesen, stets aufs Neue lesen muss man diesen Dichter, und das sehr, sehr gründlich, da sich nur so seine herausragende Formkunst, seine Weltweisheit und seine feine Ironie erschließen. Zu dieser Übersetzung Anders als bei Vergil und Ovid glaube ich, dass Horaz sich für eine metrische Übertragung, die modernen Ansprüchen genügt, nicht eignet. Das gilt vor allem für die Oden mit ihren Metren, die in deutschen Versen nur wiedergegeben werden können, wenn man auf Schritt und Tritt vom Original abweicht. Die Versmaße der Epoden, der Satiren und Briefe lassen sich leichter umsetzen, aber speziell im Falle der beiden hexametrischen Werke sind die Gedankengänge oft so kompliziert, dass nicht nur jedes Wort verdeutscht sein will, sondern auch die syntaktischen Strukturen, so gut es geht, beizubehalten sind, und das verträgt der deutsche Hexameter nicht, der sich narrativen Texten besser fügt. Karl Büchner, dessen metrische Wiedergabe der Satiren in Bernhard Kytzlers Reclam-Edition enthalten ist, hat sich redlich bemüht, so nahe, wie es nur irgend ging, am Original zu bleiben, aber dafür hat er das Deutsche, in dem man pro Vers über maximal 17 Silben verfügt, an vielen Stellen in ein so enges Korsett gezwängt, dass man dort seine Version nur versteht, wenn man in das Latein auf der linken Seite blickt. Freilich fällt es auch bei einer Prosaübersetzung schwer, immer das Richtige zu treffen. Kytzler, der erstmals die Oden und Epoden so wörtlich wie möglich wiederzugeben versucht hat, ging dabei so weit, dass er die lateinische Wortstellung, wenn es ihm irgendwie machbar erschien, beibehielt. Aber das führte zum einen zu Fehlern; ich kann z. B. ein durch Hyperbaton vom Substantiv weit entferntes Adjektiv im Deutschen nicht einfach zu einem Adverb



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oder Adverbiale machen; d.h. nunc et latentis proditor intumo / gratus puellae risus ab angulo (Ode 1,9,21f.) ist durch »jetzt auch aus dem Versteck verräterisch im verborgenen / Winkel des Mädchens verführerisch Lachen« (S.  29) unrichtig übersetzt. Zum anderen erschwert diese Methode, wie das Beispiel gleichfalls lehrt, nicht selten das Verständnis erheblich. Hinzu kommt, dass Kytzler ohne Not Wörter verwendet, die die Versübersetzungen bis in jüngere Zeit in einer Art »Gattungstradition« aus ihren klassizistischen Vorbildern übernahmen, die aber heute kaum mehr verstanden werden; er schreibt also z. B. » die Dräuenden« statt »Drohenden« (S.  93) oder »darob« statt »darüber« (S.  95). Außerdem behält er bei, was für Versübersetzer nützlich war, aber in Prosa manieriert klingt: Er lässt bei Verben im Perfekt die zum Partizip hinzutretende Form von »haben« bzw. »sein« weg, indem er etwa »nachdem du sie … zusammengekauft« schreibt (S. 65). Ferner neigt er wie andere Prosaübersetzer dazu, in Passagen, in denen Horaz eine im Deutschen nicht gebräuchliche Metapher benutzt, diese nicht als solche, sondern frei zu übertragen; so verfährt auch gelegentlich Otto Schönberger in seiner ansonsten vorzüglichen Verdeutschung der Satiren und Episteln. Ich denke aber, man wird Horaz eher gerecht, wenn man, wie ich es versucht habe, seinen Wortlaut beibehält und, sofern es nötig erscheint, in einer Fußnote erklärt, was gemeint sein dürfte. Von Tiberius heißt es z. B. in Ode 4,14,24, er habe sein Pferd in einer Schlacht medios per ignes getrieben. Das heißt gewiss nicht »mitten durchs heiße Getümmel« (Kytzler S.  245), sondern »mitten durchs Feuer«, und meine Anmerkung erklärt: »D.h. durch Gefahren, die ihn wie Feuer bedrohten.« Diese Bemerkungen zu den Vorgängern in der deutschen Prosaübersetzung sollen aber deren Leistung in keiner Weise schmälern, auch nicht diejenige Kytzlers. Im Gegenteil, ich bewundere das Ergebnis seiner und Schönbergers Arbeit am Horaz-Text, und das gilt gleichfalls für Eckart Schäfers Verdeutschung des Pisonenbriefes, die ich für noch gelungener halte als diejenige Schönbergers. A ­ ußer

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von den genannten Übersetzungen habe ich in hohem Maße von den neueren englischsprachigen Kommentatoren einzelner Gedichtbücher des Horaz profitiert: von Emily Gowers zum ersten Satirenbuch (2012), Frances Muecke zum zweiten (1993), Lindsay Watson zu den Epoden (2003), Roland Mayer zum ersten Odenbuch (2012), Stephen Harrison zum zweiten (2017), Robin Nisbet und Niall Rudd zum dritten (2004), Roland Mayer zum ersten Epistelbuch (1994), Richard Thomas zum Carmen Saeculare und zum vierten Odenbuch (2011) und Niall Rudd zum zweiten Briefbuch inklusive der Ars Poetica (1989). Zu danken habe ich ­ferner Richard Tarrant dafür, dass er, der zur Zeit eine neue Oxford-Ausgabe vorbereitet, mir mündlich ausführlich begründete, warum man an die ursprüngliche Überlieferung anknüpft, wenn man, wie es in der vorliegenden Bilingue geschehen ist, die Gedichtbücher und das Jahrhundertlied entsprechend der Chronologie ihrer Entstehung anordnet. Das Wichtigste dazu findet man in seinem S. 765 zitierten Aufsatz. Erneut zu Dank verpflichtet bin ich Sandra Hartl und Regina Höschele als den bewährten Korrektorinnen, die mir auch diesmal ihre scharfen Augen liehen und mich vor manchem Fehler bewahrten. Hinzu trat, mit Horaz besonders gut vertraut, mein Freund und einstiger Münchner Kollege Siegmar Döpp. Ihm sei nun dieser Band gewidmet, auch in Erinnerung an wunderbare Gespräche und gemeinsame Erlebnisse in den vielen Jahren, die wir uns bereits kennen, ob die Szene dafür nun die neutrale Atmosphäre eines Kaffeehauses mit unserer klassischen Kombination Espresso plus Mineralwasser war oder ein Rockpalast, in dem Status Quo auftrat und die Fans bei den langsamen Stücken noch keine Mobiltelefone, sondern Feuerzeuge und Wunderkerzen leuchten ließen. München, im Januar 2018

Niklas Holzberg

Satiren

SERMONVM LIBER I I Qui fit, Maecenas, ut nemo, quam sibi sortem seu ratio dederit seu fors obiecerit, illa contentus vivat, laudet diversa sequentes? ‘o fortunati mercatores!’ gravis annis miles ait, multo iam fractus membra labore. contra mercator navem iactantibus Austris: ‘militia est potior. quid enim? concurritur: horae momento cita mors venit aut victoria laeta.’ agricolam laudat iuris legumque peritus, sub galli cantum consultor ubi ostia pulsat. ille, datis vadibus qui rure extractus in urbem est, solos felices viventes clamat in urbe. cetera de genere hoc – adeo sunt multa – loquacem delassare valent Fabium. ne te morer, audi, quo rem deducam. si quis deus ‘en ego’ dicat ‘iam faciam quod vultis: eris tu, qui modo miles, mercator; tu, consultus modo, rusticus: hinc vos, vos hinc mutatis discedite partibus. eia, quid statis?’ nolint. atqui licet esse beatis. quid causae est, merito quin illis Iuppiter ambas iratus buccas inflet neque se fore posthac tam facilem dicat, votis ut praebeat aurem? praeterea, ne sic ut qui iocularia ridens percurram – quamquam ridentem dicere verum

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Buch 1 der Satiren 1 Wie kommt es, Maecenas, dass keiner mit dem Los, das ihm die Vernunft verschafft oder der Zufall ihm in den Weg geworfen hat, zufrieden lebt, sondern jeder diejenigen glücklich preist, die anderen Beschäftigungen nachgehen als er? »O ihr glücklichen Kaufleute!«, ruft unter der Last der Jahre1 [5] der Soldat, dem viele Strapazen schon die Kraft der Glieder gebrochen haben. Der Kaufmann dagegen sagt, wenn Südwinde sein Schiff hin und her schleudern: »Da ist Kriegsdienst doch besser! Keine Frage! Man trifft aufeinander im Kampf, und in einer Stunde der Entscheidung kommt ein rascher Tod oder die Siegesfreude.« Den Bauern preist der Rechts- und Gesetzeskundige, [10] sobald vor dem ersten Hahnenschrei ein Klient2 an seine Tür klopft. Jener aber, der, weil er Bürgen gestellt hat,3 vom Land in die Stadt zu gehen gezwungen ist, schreit, glücklich seien allein diejenigen, die in der Stadt leben. Alle anderen Beispiele dieser Art – so zahlreich sind sie – könnten den Schwätzer Fabius völlig erschöpfen. Doch damit ich dich4 nicht aufhalte, höre, [15] worauf ich hinauswill. Angenommen, ein Gott spräche: »Ihr da, ich will ja schon tun, was ihr wollt: Du, eben noch Soldat, sollst Kaufmann sein; du, eben noch Rechtskundiger, ein Bauer: Tauscht die Rollen, und dann geht ihr von hier und ihr von dort ab. Auf geht’s, was steht ihr noch da?« Sie würden nicht wollen. Und doch hätten sie die Chance, glücklich zu sein. [20] Welchen Grund gäbe es, Juppiter zu hindern, zornig – und das mit Recht – beide Backen gegen sie aufzublasen5 und zu erklären, künftig werde er nicht so gefällig sein, Wünschen Gehör zu schenken? Außerdem, damit ich nicht so wie einer, der Witze macht, lachend6 das Thema oberflächlich behandle – doch lachend die Wahr-

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quid vetat, ut pueris olim dant crustula blandi doctores, elementa velint ut discere prima? sed tamen amoto quaeramus seria ludo: ille gravem duro terram qui vertit aratro, perfidus hic caupo, miles nautaeque, per omne audaces mare qui currunt, hac mente laborem sese ferre, senes ut in otia tuta recedant, aiunt, cum sibi sint congesta cibaria: sicut parvula – nam exemplo est – magni formica laboris ore trahit quodcumque potest atque addit acervo, quem struit, haud ignara ac non incauta futuri. quae, simul inversum contristat Aquarius annum, non usquam prorepit et illis utitur ante quaesitis sapiens, cum te neque fervidus aestus demoveat lucro neque hiems, ignis mare ferrum, nil obstet tibi, dum ne sit te ditior alter. quid iuvat immensum te argenti pondus et auri furtim defossa timidum deponere terra? quod, si comminuas, vilem redigatur ad assem? at ni id fit, quid habet pulchri constructus acervus? milia frumenti tua triverit area centum: non tuus hoc capiet venter plus ac meus, ut, si reticulum panis venales inter onusto forte vehas umero, nihilo plus accipias quam qui nil portarit. vel dic, quid referat intra naturae fines viventi, iugera centum an mille aret? ‘at suave est ex magno tollere acervo.’ dum ex parvo nobis tantundem haurire relinquas, cur tua plus laudes cumeris granaria nostris?

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heit zu sagen,7 [25] was verbietet es mir, wie ja auch schmeichelnde Lehrer manchmal den Kindern Zuckerplätzchen geben, damit sie das Abc gerne lernen wollen?8 Aber lassen wir dennoch den Spaß beiseite und prüfen die Frage ernsthaft: Der Mann da, der mit dem harten Pflug die schwere Erdscholle umwendet, der unehrliche Schankwirt9 hier, der Soldat, die Seefahrer, die jedes [30] Meer waghalsig durcheilen, sie behaupten, sie würden die Mühsal nur in der Absicht ertragen, dass sie sich als alte Männer in einen gesicherten Ruhestand zurückziehen können, sobald sie sich ihren Speisevorrat aufgehäuft haben: So schleift die winzige, aber große Mühen bewältigende Ameise – denn die dient ihnen als Beispiel – mit dem Maul herbei, was sie nur kann, und fügt es dem Haufen hinzu, [35] den sie aufbaut, nicht unwissend und nicht sorglos im Hinblick auf die Zukunft. Aber sobald der Wassermann das Jahr an seinem Wendepunkt eintrübt,10 kriecht sie gar nicht mehr hervor und ist klug genug, das zu nutzen, was sie zuvor zusammengesucht hat, während dich von der Jagd nach Gewinn weder heiße Sommerhitze zurückhält noch Winterfrost, nicht Feuer, Meer, Schwert, [40] überhaupt nichts dir im Weg steht, solange du verhindern kannst, dass irgendjemand anders reicher ist als du. Welche Freude macht es dir, eine unermessliche Masse an Silber und Gold angstvoll in der heimlich aufgegrabenen Erde zu verbergen? Sie schmölze, wenn du sie verringern würdest, bis auf einen wertlosen As zusammen? Ja, aber wenn das nicht geschieht, welchen Reiz hat dann der aufgeschichtete Haufen? [45] Mag deine Tenne hunderttausend Scheffel Getreide gedroschen haben: Dein Magen wird nicht mehr fassen als meiner, gerade so, wie wenn du in einem Sklaventrupp zufällig den Brotsack auf der schwer bepackten Schulter schleppen und doch um nichts mehr bekommen würdest als einer, der nichts getragen hat. Oder sage mir doch, was es für den, der innerhalb [50] der ihm von der Natur gesteckten Grenzen lebt, ausmacht, ob er hundert oder tausend Morgen pflügt? »Aber es ist angenehm, von einem großen Haufen wegzunehmen.« Solange du es uns überlässt, von einem kleinen die gleiche Menge zu nehmen, warum solltest du da deine Kornspeicher mehr loben als unsere Getreidekörbe? Es ist,

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ut tibi si sit opus liquidi non amplius urna vel cyatho et dicas: ‘magno de flumine mallem quam ex hoc fonticulo tantundem sumere.’ eo fit, plenior ut si quos delectet copia iusto, cum ripa simul avulsos ferat Aufidus acer. at qui tantuli eget quanto est opus, is neque limo turbatam haurit aquam neque vitam amittit in undis. at bona pars hominum decepta cupidine falso ‘nil satis est’, inquit, ‘quia tanti, quantum habeas, sis.’ quid facias illi? iubeas miserum esse, libenter quatenus id facit, ut quidam memoratur Athenis sordidus ac dives, populi contemnere voces sic solitus: ‘populus me sibilat, at mihi plaudo ipse domi, simul ac nummos contemplor in arca.’ Tantalus a labris sitiens fugientia captat flumina – quid rides? mutato nomine de te fabula narratur: congestis undique saccis indormis inhians et tamquam parcere sacris cogeris aut pictis tamquam gaudere tabellis. nescis, quo valeat nummus, quem praebeat usum? panis ematur, holus, vini sextarius, adde quis humana sibi doleat natura negatis. an vigilare metu exanimem, noctesque diesque formidare malos fures, incendia, servos, ne te compilent fugientes, hoc iuvat? horum semper ego optarim pauperrimus esse bonorum. at si condoluit temptatum frigore corpus aut alius casus lecto te affixit, habes qui assideat, fomenta paret, medicum roget, ut te

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wie wenn du nicht mehr als einen Krug [55] oder einen Becher Wasser bräuchtest und nun sagen würdest: »Ich möchte lieber aus einem großen Strom die gleiche Menge schöpfen als aus dieser kleinen Quelle.« So kommt es, dass die, welche an mehr als sinnvollen Vorräten ihre Freude haben, der wilde Aufidus11 mitsamt dem Ufer wegreißt und fortträgt. Aber wer nur so viel begehrt, wie er braucht, der schöpft kein vom Schlamm [60] getrübtes Wasser und verliert nicht sein Leben in den Wellen. Doch ein großer Teil der Menschen sagt, von fehlgeleiteter Begierde getäuscht: »Nichts ist genug, weil man nur so viel gilt, wie man besitzt.« Was soll man mit so einem machen? Du magst ihm sagen, er soll elend sein, da er es ja gerne ist, wie – so erzählt man – in Athen [65] ein reicher Geizhals das Gerede der Leute so mit Verachtung zu strafen pflegte: »Die Leute zischen mich aus, aber zu Hause klatsche ich mir selbst Beifall, sobald ich die Geldstücke in meiner Truhe anschaue.« In seinem Durst hascht Tantalus nach Fluten, die vor seinen Lippen zurückweichen – was lachst du? Nur der Name ist verändert, aber [70] die Geschichte wird über dich erzählt: Du häufst von überall her deine Geldsäcke auf, schläfst auf ihnen mit gierig aufgesperrtem Mund und bist gezwungen, die Goldschätze so zu schonen, als ob es Gottesschätze wären,12 oder dich an ihnen so zu freuen, als ob es Gemälde wären. Weißt du nicht, wozu das Geld gut ist und welchen Nutzen es gewährt? Brot soll man dafür kaufen, Gemüse, einen Schoppen Wein, dazu [75] die Dinge, die, wenn sie verweigert würden, die menschliche Natur Leid empfinden ließen. Oder dass du halbtot vor Angst wach liegst, dich Tag und Nacht vor schändlichen Dieben fürchtest, vor Bränden, vor Sklaven, die dich ausrauben und sich dann davonmachen könnten, macht dir das Freude? An solchen Segnungen möchte ich jedenfalls stets bettelarm sein. [80] Aber wenn dein Körper von Fieberfrost heimgesucht ist und dir Schmerzen bereitet oder ein anderer Krankheitsfall dich ans Bett fesselt, hast du dann jemanden, der bei dir sitzt, dir warme Umschläge zurechtmacht, den Arzt ruft, damit er dir wieder hochhilft und

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suscitet ac reddat gnatis carisque propinquis? non uxor salvum te vult, non filius; omnes vicini oderunt, noti, pueri atque puellae. miraris, cum tu argento post omnia ponas, si nemo praestet, quem non merearis, amorem? an si cognatos, nullo natura labore quos tibi dat, retinere velis servareque amicos, infelix operam perdas, ut si quis asellum in Campo doceat parentem currere frenis? denique sit finis quaerendi, cumque habeas plus, pauperiem metuas minus et finire laborem incipias, parto quod avebas, ne facias quod Ummidius quidam. non longa est fabula: dives ut metiretur nummos, ita sordidus, ut se non umquam servo melius vestiret, adusque supremum tempus, ne se penuria victus opprimeret, metuebat. at hunc liberta securi divisit medium, fortissima Tyndaridarum. ‘quid mi igitur suades? ut vivam Naevius aut sic ut Nomentanus?’ pergis pugnantia secum frontibus adversis componere: non ego avarum cum veto te, fieri vappam iubeo ac nebulonem: est inter Tanain quiddam socerumque Viselli; est modus in rebus, sunt certi denique fines, quos ultra citraque nequit consistere rectum. illuc, unde abii, redeo, qui nemo, ut avarus, se probet ac potius laudet diversa sequentes, quodque aliena capella gerat distentius uber, tabescat neque se maiori pauperiorum turbae comparet, hunc atque hunc superare laboret.

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dich deinen Kindern und deinen lieben Verwandten wiedergibt? Deine Frau wünscht deine Genesung nicht, dein Sohn auch nicht; alle [85] Nachbarn hassen dich, alle Bekannten, selbst die Knaben und Mädchen. Wenn du alles hinter dem Geld zurücktreten lässt, wunderst du dich dann, dass niemand dir die Liebe schenkt, die du nicht verdienst? Du würdest doch wohl, wenn du dir die Zuneigung deiner Blutsverwandten, welche die Natur dir ohne dein Zutun schenkt, erhalten und sichern wolltest, [90] glücklos deine Mühe vergeuden, wie wenn jemand einen Esel lehren würde, auf dem Marsfeld zu galoppieren und dabei dem Zügel zu gehorchen, oder? Kurz und gut: Gelderwerb sei eine Grenze gesetzt, und da du nun mehr hast als vorher, sollst du dich vor Armut weniger fürchten und damit beginnen, deine Bemühungen zu begrenzen, nachdem du erworben hast, was du gierig haben wolltest, damit du es nicht machst wie [95] ein gewisser Ummidius. Die Geschichte ist nicht lang: Er war so reich, dass er sein Geld mit dem Scheffel maß, so geizig, dass er sich nie besser kleidete als ein Sklave, und bis zu seiner letzten Stunde hatte er Angst, der Mangel am zum Leben Notwendigen könnte über ihn kommen. Doch eine Freigelassene spaltete ihn mit einem Beil [100] in der Mitte, die tapferste von den Kindern des Tyndareos.13 »Was empfiehlst du mir also? Soll ich so leben wie Naevius oder Nomentanus?«14 Jetzt bringst du überstürzt Dinge zusammen, die einander Stirn gegen Stirn widerstreiten: Wenn ich dir sage, du sollst kein Geizhals sein, fordere ich dich doch nicht auf, ein Verschwender und Nichtsnutz zu werden: [105] Es gibt einen Unterschied zwischen Tanaïs und dem Schwiegervater des Visellius;15 es gibt ein rechtes Maß in allen Dingen, kurz, es gibt bestimmte Grenzen, jenseits wie diesseits derer das Rechte nicht bestehen kann. Ich kehre dorthin zurück, von wo ich abschweifte: wie niemand, weil er habgierig ist, mit sich selbst zufrieden ist und jeder vielmehr diejenigen glücklich preist, die anderen Beschäftigungen nachgehen als er, [110] und deswegen, weil die Ziege eines anderen ein strotzenderes Euter trägt, dahinschwindet, statt sich mit der größeren Menge der Ärmeren zu vergleichen, und sich abmüht, erst den und dann jenen

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sic festinanti semper locupletior obstat, ut, cum carceribus missos rapit ungula currus, instat equis auriga suos vincentibus, illum praeteritum temnens extremos inter euntem. inde fit, ut raro, qui se vixisse beatum dicat et exacto contentus tempore vita cedat uti conviva satur, reperire queamus. iam satis est. ne me Crispini scrinia lippi compilasse putes, verbum non amplius addam.

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II Ambubaiarum collegia, pharmacopolae, mendici, mimae, balatrones, hoc genus omne maestum ac sollicitum est cantoris morte Tigelli. quippe benignus erat. contra hic, ne prodigus esse dicatur metuens, inopi dare nolit amico, frigus quo duramque famem propellere possit. hunc si perconteris, avi cur atque parentis praeclaram ingrata stringat malus ingluvie rem, omnia conductis coemens obsonia nummis, sordidus atque animi quod parvi nolit haberi, respondet. laudatur ab his, culpatur ab illis. Fufidius vappae famam timet ac nebulonis dives agris, dives positis in faenore nummis: quinas hic capiti mercedes exsecat atque quanto perditior quisque est, tanto acrius urget. nomina sectatur modo sumpta veste virili sub patribus duris tironum. ‘maxime’ quis non ‘Iuppiter!’ exclamat simul atque audivit? ‘at in se pro quaestu sumptum facit hic.’ vix credere possis,

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zu überholen. Wer so vorwärts hastet, dem steht immer ein Reicherer im Weg, wie wenn Pferdehufe die von den Schranken losgelassenen Wagen dahinreißen [115] und der Wagenlenker dem Gespann, das seines besiegt, auf den Fersen ist, wobei er den Überholten verachtet, der unter den Letzten fährt. Daher kommt es, dass wir selten einen finden können, der sagt, er habe glücklich gelebt, und der zufrieden nach Vollendung seiner Zeit aus dem Leben geht wie ein gesättigter Gast. [120] Es ist schon genug. Damit du nicht glaubst, ich hätte die Bücherbehälter16 des triefäugigen Crispinus17 geplündert, will ich kein Wort mehr hinzufügen.

2 Die Genossenschaften der syrischen Flötenmädchen, die Quacksalber, Bettelpriester, Schauspielerinnen, Clowns und alles von dieser Sorte ist tief betrübt über den Tod des Sängers Tigellius. Klar, er war spendabel. Der hier dagegen würde, [5] weil er fürchtet, ein Verschwender genannt zu werden, einem armen Freund nicht das geben wollen, womit dieser Kälte und grausamen Hunger vertreiben könnte. Wenn du ihn ausfragst, warum er den prachtvollen Besitz seines Großvaters und Vaters in unersättlicher Gefräßigkeit ruchlos verprasst, indem er alle Delikatessen mit zusammengeborgtem Geld kauft, [10] dann antwortet er, er wolle nicht als geizig und kleinlich gelten. Von den einen wird er gelobt, von den anderen getadelt. Fufidius fürchtet den Ruf eines Verschwenders und Nichtsnutzes, er, der reich ist an Ländereien, reich an verzinslich ausgeliehenem Geld: Fünf Prozent schlägt er pro Monat von dem Kapital heraus,1 und [15] je schlechter einer dran ist, desto setzt er ihm zu. Er jagt nach Schuldscheinen2 junger Männer, die gerade erst die Männertoga angelegt haben und unter der strengen Aufsicht des Vaters stehen. Wer ruft nicht: »Allmächtiger Juppiter!«, sobald er davon hört? »Aber für sich treibt er einen Aufwand, der seinem Einkommen entspricht.« Nein, man kann es kaum

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quam sibi non sit amicus, ita ut pater ille, Terenti fabula quem miserum gnato vixisse fugato inducit, non se peius cruciaverit atque hic. si quis nunc quaerat ‘quo res haec pertinet?’ illuc: dum vitant stulti vitia, in contraria currunt. Maltinus tunicis demissis ambulat, est qui inguen ad obscenum subductis usque; facetus pastillos Rufillus olet, Gargonius hircum: nil medium est. sunt qui nolint tetigisse nisi illas quarum subsuta talos tegat instita veste, contra alius nullam nisi olenti in fornice stantem. quidam notus homo cum exiret fornice, ‘macte virtute esto’ inquit sententia dia Catonis; ‘nam simul ac venas inflavit taetra libido, huc iuvenes aequum est descendere, non alienas permolere uxores.’ ‘nolim laudarier’ inquit ‘sic me’ mirator cunni Cupiennius albi. audire est operae pretium, procedere recte qui moechos non vultis, ut omni parte laborent utque illis multo corrupta dolore voluptas atque haec rara cadat dura inter saepe pericla. hic se praecipitem tecto dedit, ille flagellis ad mortem caesus, fugiens hic decidit acrem praedonum in turbam, dedit hic pro corpore nummos, hunc perminxerunt calones; quin etiam illud accidit, ut cuidam testes caudamque salacem demeterent ferro. ‘iure’ omnes. Galba negabat. tutior at quanto merx est in classe secunda, libertinarum dico, Sallustius in quas non minus insanit quam qui moechatur. at hic si, qua res, qua ratio suaderet quaque modeste

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glauben, [20] wie wenig er sich selbst ein Freund ist, so dass der bekannte Vater, den die Komödie des Terenz ein elendes Leben führen lässt, nachdem er den Sohn davongejagt hat,3 sich selbst nicht schlimmer gequält hat als der hier. Wenn jetzt jemand fragen sollte: »Worum geht es hier?« – um dies: Während Dummköpfe den einen Fehler vermeiden, verrennen sie sich in den gegenteiligen. [25] Beim Spazierengehen lässt Maltinus seine Tunika bis zu den Füßen herabhängen, ein anderer trägt sie dabei bis zu seinem obszönen Unterleib aufgeschürzt; der Lackaffe Rufillus riecht nach duftenden Lutschpastillen, Gargonius nach Ziegenbock:4 Es gibt keine rechte Mitte. Die einen wollen nur Frauen anrühren, denen der unten ans Kleid genähte Besatz5 die Knöchel bedeckt, [30] ein anderer dagegen nur eine, die in einem stinkenden Puff bereitsteht. Als einmal ein bekannter junger Mensch aus einem Puff herauskam, sagte der göttliche Weisheitsspruch Catos:6 »Sei geehrt für deine Mannestugend; denn wenn schlimme Geilheit den Schwanz anschwellen lässt, gehört es sich für junge Männer, hier abzusteigen, statt fremde [35] Ehefrauen durchzurammeln!« »So möchte ich nicht gelobt werden«, meint dazu Cupiennius, der Bewunderer einer Fotze in weißem Kleid.7 Hört nun – es ist der Mühe wert für euch, die ihr nicht wollt, dass Ehebrecher sehr erfolgreich sind8 –, wie sehr sie in jeder Hinsicht leiden, wie ihnen die Lust von vielem Kummer verdorben wird [40] und wie sie ihnen selten zuteilwird inmitten schwerer und häufiger Gefahren. Kopfüber hat sich der vom Dach gestürzt, den peitschte man fast zu Tode, der floh und fiel einer grimmigen Bande von Räubern in die Hände, ein anderer zahlte Geld für Leib und Leben, den haben Stallknechte durchgefickt; ja, sogar das [45] passierte, dass man einem die Eier und den geilen Schwanz mit einem Schwert abmähte. »Recht so!«, meinten alle Leute. Galba stimmte nicht zu. Doch wie viel sicherer ist die Ware, die eine Klasse tiefer angeboten wird, ich meine die der freigelassenen Mädchen, nach denen Sallust9 freilich nicht weniger verrückt ist als einer, der es mit Ehefrauen treibt. Aber wenn er [50] nur so weit, wie sein Vermögen und

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munifico esse licet, vellet bonus atque benignus esse, daret quantum satis esset nec sibi damno dedecorique foret. verum hoc se amplectitur uno, hoc amat et laudat: ‘matronam nullam ego tango’, ut quondam Marsaeus, amator Originis ille, qui patrium mimae donat fundumque Laremque, ‘nil fuerit mi’ inquit ‘cum uxoribus umquam alienis.’ verum est cum mimis, est cum meretricibus, unde fama malum gravius quam res trahit. an tibi abunde personam satis est, non illud, quidquid ubique officit, evitare? bonam deperdere famam, rem patris oblimare malum est ubicumque. quid interest in matrona, ancilla peccesne togata? Villius in Fausta Sullae gener, hoc miser uno nomine deceptus, poenas dedit usque superque quam satis est, pugnis caesus ferroque petitus, exclusus fore, cum Longarenus foret intus. huic si muttonis verbis mala tanta videnti diceret haec animus: ‘quid vis tibi? numquid ego a te magno prognatum deposco consule cunnum velatumque stola, mea cum conferbuit ira?’ quid responderet? ‘magno patre nata puella est.’ at quanto meliora monet pugnantiaque istis dives opis natura suae, tu si modo recte dispensare velis ac non fugienda petendis immiscere. tuo vitio rerumne labores, nil referre putas? quare, ne paeniteat te, desine matronas sectarier, unde laboris plus haurire mali est quam ex re decerpere fructus.

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die Vernunft es raten würden und wie man im rechten Maße freigebig sein kann, ehrenwert und spendabel sein wollte, würde er nur so viel schenken, wie es gerade genug wäre, und sich nicht Schaden und Schande zuziehen. Doch er hält sich auf diese eine Sache etwas zugute, darin gefällt er sich und dafür lobt er sich: »Eine Verheiratete fasse ich nicht an«, [55] wie einst Marsaeus, der bekannte Liebhaber der Origo, der dieser Schauspielerin seine Erbschaft schenkte, Hof und Haus, und dazu sagte: »Mit fremden Ehefrauen würde ich mich niemals abgeben.« Aber mit Schauspielerinnen ist da was, mit Prostituierten ist da was, und infolgedessen leidet der Ruf schwerer als das Vermögen. Oder genügt es dir schon vollauf, [60] die Rolle des Ehebrechers zu meiden, aber nicht alles, was unter allen Umständen schadet? Den guten Ruf einbüßen, das Vermögen des Vaters im Dreck verschwinden lassen, das ist unter allen Umständen etwas Übles. Wo ist da der Unterschied, ob du es mit einer verheirateten Frau treibst oder mit der Sklavin eines Zuhälters, die mit einer Toga bekleidet ist?10 Villius, der durch Fausta11 Sullas Schwiegersohn war, weil er, der Arme, sich durch den einen großen [65] Namen betören ließ, büßte dafür immer wieder und mehr als genug, mit Fäusten geschlagen, mit einem Schwert angegriffen und ausgeschlossen vor der Tür, während Longarenus drinnen war. Angenommen, sein Verstand würde, wenn er seine so großen Leiden betrachtet, im Namen seines Schwanzes dies zu ihm sagen: »Was willst du denn nur? Verlange ich etwa von dir [70] eine von einem großen Konsul abstammende Fotze, die von einer Stola12 verhüllt wird, wenn meine Leidenschaft total entbrannt ist?« – was würde er antworten? »Das Mädchen ist nun mal die Tochter eines großen Vaters.« Aber wie viel besser und im Widerstreit mit dem, was du tust, ist das, wozu die Natur dich ermahnt, die reich ist an ihr zur Verfügung stehenden Mitteln, wenn du nur richtig damit [75] haushalten und nicht das, was man meiden soll, mit dem, wonach man streben soll, vermengen willst. Meinst du, es macht nichts aus, ob du durch deine eigene Schuld oder die der Umstände leidest? Damit du also nichts bereuen musst, hör auf, Ehefrauen nachzustellen, wodurch du viel mehr böses Unheil erfahren als wirklich Früchte ernten wirst.

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nec magis huic, inter niveos viridesque lapillos sit licet, hoc, Cerinthe, tuo tenerum est femur aut crus rectius, atque etiam melius persaepe togatae. adde huc, quod mercem sine fucis gestat, aperte quod venale habet ostendit nec, si quid honesti est, iactat habetque palam, quaerit, quo turpia celet. regibus hic mos est, ubi equos mercantur: opertos inspiciunt, ne si facies, ut saepe, decora molli fulta pede est, emptorem inducat hiantem, quod pulchrae clunes, breve quod caput, ardua cervix. hoc illi recte: ne corporis optima Lyncei contemplere oculis, Hypsaea caecior illa, quae mala sunt, spectes. ‘o crus! o bracchia!’ verum depugis, nasuta, brevi latere ac pede longo est. matronae praeter faciem nil cernere possis, cetera, ni Catia est, demissa veste tegentis. si interdicta petes, vallo circumdata – nam te hoc facit insanum –, multae tibi tum officient res, custodes, lectica, ciniflones, parasitae, ad talos stola demissa et circumdata palla, plurima, quae invideant pure apparere tibi rem. altera, nil obstat: Cois tibi paene videre est ut nudam, ne crure malo, ne sit pede turpi; metiri possis oculo latus. an tibi mavis insidias fieri pretiumque avellier ante quam mercem ostendi? leporem venator ut alta in nive sectetur, positum sic tangere nolit, cantat et apponit ‘meus est amor huic similis; nam

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[80] Diese13 hat, mag sie auch noch so von Perlen und Smaragden bedeckt sein, deshalb keine zarteren Oberschenkel oder geradere Beine als deine, Kerinthus14; ja, die, die in einer Toga steckt,15 ist da sehr oft besser. Die, das nimm noch hinzu, trägt ihre Ware ohne Schminke herum, offen zeigt sie, was sie zu verkaufen hat, stellt aber nicht, wenn etwas Schönes an ihr ist, [85] dies prahlerisch zur Schau und sucht auch nicht das an ihr Hässliche zu verbergen. Könige haben folgende Gewohnheit, wenn sie Pferde kaufen: Sie lassen sie zudecken, bevor sie sie mustern, damit nicht, wenn, wie es oft geschieht, eine schöne Gestalt auf schwachen Hufen ruht, dies den Käufer in die Falle lockt, der staunt, weil die Hinterbacken schön sind, der Kopf klein und der Nacken stolz aufgerichtet. [90] Damit handeln sie richtig: Du darfst nicht die schönsten Körperteile mit den Augen des Lynkeus betrachten und blinder als Hypsaea diejenigen anschauen, die hässlich sind. »O die Beine! O die Arme!« Aber sie hat keinen Arsch, eine große Nase, einen schmächtigen Oberleib und riesige Füße. Bei einer verheirateten Frau kannst du nichts außer dem Gesicht sehen; [95] den Rest verhüllt sie mit einem Kleid, das tief herabfällt – es sei denn, sie ist eine Catia. Wenn du hinter dem her bist, was verboten und von einem Wall umgeben ist – denn das macht dich verrückt –, dann werden dir viele Hindernisse im Weg stehen: ihre Bewacher16, ihre Sänfte, ihre Frisiersklaven, die Frauen, die ihr Gesellschaft leisten, die bis zu den Knöcheln herabfallende Stola17 und der umgeworfene Mantel, [100] also sehr vieles, was dir missgönnt, dass das eigentliche Ding sich dir so zeigt, wie es ist. Die andere – nichts im Wege: In ihrem koïschen Gewand18 kannst du sie fast wie nackt sehen und prüfen, ob sie nicht etwa schlechte Beine, nicht etwa hässliche Füße hat; mit den Blicken kannst du ihren Oberleib abmessen. Oder willst du lieber, dass dir eine Falle gestellt und dein Geld entrissen wird, [105] bevor man dir die Ware zeigt? Wie der Jäger einen Hasen im tiefen Schnee verfolgt, doch ihn nicht berühren will, wenn er einfach so daliegt, singt da einer, und fügt hinzu: »Meine Liebe ist ihm ähnlich; denn an dem, was mir

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transvolat in medio posita et fugientia captat.’ hiscine versiculis speras tibi posse dolores atque aestus curasque graves e pectore pelli? nonne, cupidinibus statuat natura modum quem, quid latura sibi, quid sit dolitura negatum, quaerere plus prodest et inane abscindere soldo? num, tibi cum fauces urit sitis, aurea quaeris pocula? num esuriens fastidis omnia praeter pavonem rhombumque? tument tibi cum inguina, num, si ancilla aut verna est praesto puer, impetus in quem continuo fiat, malis tentigine rumpi? non ego; namque parabilem amo Venerem facilemque. illam ‘post paulo’ ‘sed pluris’ ‘si exierit vir’ Gallis, hanc Philodemus ait sibi, quae neque magno stet pretio neque cunctetur, cum est iussa venire. candida rectaque sit, munda hactenus, ut neque longa nec magis alba velit, quam dat natura, videri. haec ubi supposuit dextro corpus mihi laevum, Ilia et Egeria est; do nomen quodlibet illi. nec vereor, ne, dum futuo, vir rure recurrat, ianua frangatur, latret canis, undique magno pulsa domus strepitu resonet, vepallida lecto desiliat mulier, miseram se conscia clamet, cruribus haec metuat, doti deprensa, egomet mi. discincta tunica fugiendum est et pede nudo, ne nummi pereant aut puga aut denique fama. deprendi miserum est; Fabio vel iudice vincam.

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bequem zur Hand liegt, fliegt sie vorbei, und nach dem, was vor mir flieht, hascht sie.« Hoffst du, dass dir mit solchen Verslein19 Schmerzen, [110] Liebesglut und schwere Sorgen aus dem Herzen vertrieben werden können? Wäre es nicht nützlicher zu fragen, welches Maß die Natur den sexuellen Begierden setzt, worauf sie verzichten kann und was ihr Schmerz bereiten wird, wenn es ihr verweigert wird, und so Nichtiges von Solidem zu trennen? Wenn dir der Durst die Kehle verbrennt, verlangst du dann nach einem goldenen [115] Becher? Verschmähst du, wenn du Hunger hast, alles außer Pfau und Steinbutt? Wenn dein Schwanz angeschwollen und eine Sklavin oder ein junger Sklave zur Hand ist, über die du sofort herfallen könntest, willst du dann lieber, dass du auseinanderplatzt mit deinem Steifen? Ich nicht; denn ich mag Sex, der rasch verfügbar ist und sich leicht hergibt. [120] Die da mit »Etwas später!«, »Ja, aber du musst mehr bezahlen!«, »Erst, wenn mein Mann weg ist«, die, sagt Philodem,20 ist für die Galli21, sein Typ dagegen sei die, die weder allein für einen hohen Preis zur Verfügung steht noch zögert, wenn sie auf Verlangen kommen soll. Hübsch und von geradem Wuchs soll sie sein und nur so weit nett zurechtgemacht, dass sie weder größer noch weißer scheinen will, als die Natur sie schuf. [125] Wenn sie nun ihre linke Seite unter meine rechte schmiegt, dann ist sie meine Ilia, meine Egeria;22 alle möglichen Namen gebe ich ihr. Und ich muss nicht fürchten, dass, während ich ficke, der Mann vom Land heimkehrt, die Tür aufgebrochen wird, der Hund bellt, das Haus, ringsum von gewaltigem Lärm getroffen, widerhallt, leichenblass vom Bett [130] herabspringt die Frau, die vertraute Sklavin »Ich Unglückliche!« schreit, diese für ihre Beine fürchtet, die erwischte Herrin für ihre Mitgift,23 ich für mich. Mit loser Tunika heißt es dann fliehen und auf nackten Füßen, damit nicht das Geld verloren ist oder der Arsch24 oder am Ende der gute Ruf. Erwischt zu werden ist ein Elend; das könnte ich sogar vor Fabius als meinem Richter beweisen.

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Omnibus hoc vitium est cantoribus, inter amicos ut numquam inducant animum cantare rogati, iniussi numquam desistant. Sardus habebat ille Tigellius hoc. Caesar, qui cogere posset, si peteret per amicitiam patris atque suam, non quicquam proficeret; si collibuisset, ab ovo usque ad mala citaret ‘io Bacchae!’ modo summa voce, modo hac, resonat quae chordis quattuor ima. nil aequale homini fuit illi: saepe velut qui currebat fugiens hostem, persaepe velut qui Iunonis sacra ferret. habebat saepe ducentos, saepe decem servos; modo reges atque tetrarchas, omnia magna loquens, modo ‘sit mihi mensa tripes et concha salis puri et toga, quae defendere frigus, quamvis crassa, queat.’ decies centena dedisses huic parco, paucis contento, quinque diebus nil erat in loculis. noctes vigilabat ad ipsum mane, diem totum stertebat. nil fuit umquam sic impar sibi. nunc aliquis dicat mihi ‘quid tu? nullane habes vitia?’ immo alia et fortasse minora. Maenius absentem Novium cum carperet, ‘heus tu’ quidam ait ‘ignoras te, an ut ignotum dare nobis verba putas?’ ‘egomet mi ignosco’ Maenius inquit. stultus et improbus hic amor est dignusque notari. cum tua pervideas oculis mala lippus inunctis, cur in amicorum vitiis tam cernis acutum quam aut aquila aut serpens Epidaurius? at tibi contra evenit, inquirant vitia ut tua rursus et illi.

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3 Alle Sänger haben diese Unart, dass sie sich im Kreis ihrer Freunde nie dazu herbeilassen können zu singen, auch wenn man sie darum bittet, unaufgefordert dagegen nie aufhören. Der bekannte Sarde Tigellius hatte sie. Wenn selbst Caesar1, der ihn doch hätte zwingen können, [5] ihn im Namen der Freundschaft mit seinem Vater und mit ihm selbst gebeten hätte, hätte der nichts erreicht; doch wenn es ihm behagt hätte, dann hätte er vom Ei bis zu den Äpfeln2 »Io Bacchantinnen!«3 immer wieder intoniert, bald in der höchsten Tonlage, bald in der, die auf den vier Saiten4 am tiefsten klingt. Nichts Konsistentes war an diesem Menschen: Oft rannte er wie einer, der [10] vor dem Feind flieht, sehr oft ging er wie einer, der Junos Heiligtümer trägt.5 Oft hielt er sich zweihundert Sklaven, oft nur zehn; bald redete er, wobei er alles aufbauschte, von Königen und Tetrarchen6, bald sagte er: »Ich wünsche mir einen Tisch mit drei Füßen, eine Muschel mit reinem Salz und eine Toga, die die Kälte abwehren kann, [15] mag sie auch noch so grob sein.« Eine Million7 hättest du diesem sparsamen, mit wenigem zufriedenen Mann geben können: In fünf Tagen wäre nichts mehr in seinen Truhen gewesen. Die Nächte durchwachte er bis zum frühen Morgen, den ganzen Tag schnarchte er durch. Nie war etwas so mit sich selbst im Widerspruch. Jetzt könnte einer zu mir sagen: »Und du? [20] Hast du keine Fehler?« Ja, aber andere und vielleicht geringere. Als Maenius den Novius in dessen Abwesenheit zerpflückte, sagte jemand: »He du, kennst du dich selbst nicht, oder meinst du, wir würden dich nicht kennen, weil du glaubst, du könntest uns was vormachen?« »Mir selbst verzeihe8 ich«, sagte da Maenius. Dumm und unverschämt ist solche Selbstgefälligkeit und verdient, gebrandmarkt zu werden. [25] Während du doch deine eigenen Schwächen mit Augen prüfst, die entzündet und eingesalbt sind, warum siehst du, wenn es um die Fehler von Freunden geht, so scharf wie ein Adler oder wie eine Schlange von Epidauros? Aber umgekehrt geschieht es dir, dass wiederum auch sie deinen Fehlern nachspüren. Einer neigt etwas zu

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iracundior est paulo, minus aptus acutis naribus horum hominum; rideri possit eo quod rusticius tonso toga defluit et male laxus in pede calceus haeret: at est bonus, ut melior vir non alius quisquam, at tibi amicus, at ingenium ingens inculto latet hoc sub corpore. denique te ipsum concute, num qua tibi vitiorum inseverit olim natura aut etiam consuetudo mala; namque neglectis urenda filix innascitur agris. illuc praevertamur, amatorem quod amicae turpia decipiunt caecum vitia aut etiam ipsa haec delectant, veluti Balbinum polypus Hagnae. vellem in amicitia sic erraremus et isti errori nomen virtus posuisset honestum. ac pater ut gnati, sic nos debemus amici si quod sit vitium non fastidire. strabonem appellat paetum pater, et pullum, male parvus si cui filius est, ut abortivus fuit olim Sisyphus; hunc varum distortis cruribus, illum balbutit scaurum pravis fultum male talis. parcius hic vivit: frugi dicatur. ineptus et iactantior hic paulo est: concinnus amicis postulat ut videatur. at est truculentior atque plus aequo liber: simplex fortisque habeatur. caldior est: acres inter numeretur. opinor, haec res et iungit iunctos et servat amicos. at nos virtutes ipsas invertimus atque sincerum furimus vas incrustare. probus quis nobiscum vivit, multum demissus homo: illi tardo cognomen, pingui damus. hic fugit omnes insidias nullique malo latus obdit apertum,

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sehr zum Aufbrausen, er passt nicht recht zu den scharf urteilenden [30] Nasen dieser Welt; man könnte deshalb über ihn lachen, weil sein Haarschnitt zu bäuerisch ist, die Toga bis zum Boden herabhängt und die zu weiten Schuhe kaum an den Füßen festsitzen: Aber er ist ein guter Mensch, wie es keinen besseren gibt, aber er ist dein Freund, aber ein großer Geist verbirgt sich hinter dieser ungepflegten Erscheinung.9 Erst schüttle dich doch selbst [35] durch, um zu sehen, ob dir die Natur oder auch schlechte Gewohnheit in der Vergangenheit irgendwelche Fehler eingepflanzt hat; denn auf vernachlässigten Äckern schlägt das Unkraut Wurzeln, das man verbrennen muss. Lenken wir doch zunächst unsere Aufmerksamkeit darauf, dass die hässlichen Fehler der Freundin ihrem Liebhaber, blind wie er ist, entgehen oder ihn sogar [40] entzücken wie Balbinus der Nasenpolyp seiner Hagna. Ich wünschte, wir begingen einen solchen Irrtum auch im Bereich der Freundschaft, und sittliches Empfinden hätte diesem Irrtum einen ehrenwerten Namen gegeben. Wir sollten doch, wie es bei einem Vater und seinem Sohn ist, so bei einem Freund, wenn er irgendeinen Fehler hat, keinen Widerwillen empfinden. »Blinzler« [45] nennt ein Vater seinen Sohn, wenn dieser schielt, »Küken«, wenn einer einen recht kleinen Sohn hat, wie einst der zu früh geborene Sisyphus10 es war; »Grätschelchen« nennt er liebevoll lallend einen krummbeinigen, »Humpelchen« einen, der auf seinen verwachsenen Knöcheln kaum stehen kann. Zu sparsam lebt der hier: »Solide« soll man ihn nennen. Taktlos [50] und etwas zu aufdringlich ist ein anderer: Er erwartet, dass er seinen Freunden »gefällig« erscheint. Der dagegen ist zu grob und über Gebühr ungeniert: Als offenherzig und beherzt soll er gelten. Der ist zu hitzköpfig: Unter die Enthusiasten soll man ihn rechnen. Ich meine, dieses Verhalten knüpft Freundschaften, und wenn sie geknüpft sind, bewahrt es sie. [55] Doch wir stellen sogar gute Eigenschaften auf den Kopf und sind ganz wild darauf, ein sauberes Gefäß zu beschmutzen. Da lebt unter uns ein braver, sehr anspruchsloser Mensch: Ihm geben wir den Spitznamen »Lahmi« oder »Doofi«. Ein anderer entgeht allen Nachstellungen und bietet keinem üblen Burschen seine offene Flanke,

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cum genus hoc inter vitae versemur, ubi acris invidia atque vigent ubi crimina: pro bene sano ac non incauto fictum astutumque vocamus. simplicior quis et est, qualem me saepe libenter obtulerim tibi, Maecenas, ut forte legentem aut tacitum impellat quovis sermone molestus: ‘communi sensu plane caret’ inquimus. eheu, quam temere in nosmet legem sancimus iniquam! nam vitiis nemo sine nascitur; optimus ille est, qui minimis urgetur. amicus dulcis, ut aequum est, cum mea compenset vitiis bona, pluribus hisce, si modo plura mihi bona sunt, inclinet, amari si volet: hac lege in trutina ponetur eadem. qui, ne tuberibus propriis offendat amicum, postulat, ignoscet verrucis illius: aequum est peccatis veniam poscentem reddere rursus. denique, quatenus excidi penitus vitium irae, cetera item nequeunt stultis haerentia, cur non ponderibus modulisque suis ratio utitur ac res ut quaeque est, ita suppliciis delicta coercet? si quis eum servum, patinam qui tollere iussus semesos pisces tepidumque ligurrierit ius, in cruce suffigat, Labeone insanior inter sanos dicatur. quanto hoc furiosius atque maius peccatum est: paulum deliquit amicus, quod nisi concedas, habeare insuavis; acerbus odisti et fugis ut Rusonem debitor aeris, qui nisi, cum tristes misero venere Kalendae, mercedem aut nummos unde unde extricat, amaras porrecto iugulo historias captivus ut audit.

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[60] da wir in solchen Zeitverhältnissen leben, wo heftiger Neid und Verleumdung gedeihen: Statt »sehr vernünftig« und »nicht unvorsichtig« nennen wir ihn »falsch« und »verschlagen«. Einer ist ein ziemlich linkischer Typ – als ein solcher würde ich dir, Maecenas11, gerne immer wieder einmal auffallen –, so dass er einen von ungefähr beim Lesen [65] oder mitten im Nachdenken durch irgendein Geschwätz belästigt: »Er hat gar kein Feingefühl«, sagen wir dann. Ach, wie blindlings stellen wir gegen uns selbst ein ungerechtes Gesetz auf! Niemand wird ja ohne Fehler geboren; der ist der Beste, der von den kleinsten heimgesucht wird. Ein lieber Freund soll, wenn er, wie es recht und billig ist, [70] meine Vorzüge gegenüber meinen Fehlern abwägt, sich der größeren Zahl von ihnen zuneigen – sofern ich denn mehr Vorzüge habe –, wenn er geliebt werden möchte: Unter dieser Bedingung wird er von mir auf dieselbe Waage gelegt werden. Wer erwartet, dass er mit seinen eigenen Beulen bei seinem Freund keinen Anstoß erregt, wird ihm seine Warzen verzeihen: Es ist recht und billig, dass jemand, der für seine [75] Schwächen Nachsicht verlangt, sie auch wieder gewährt. Kurz und gut: Da das Laster des Zorns sich ebenso wenig wie die anderen Fehler, die den Dummköpfen anhaften, ganz und gar ausrotten lässt, warum benutzt die Vernunft nicht ihre eigenen Maße und Gewichte und ahndet Vergehen mit Strafen so, wie sie dem jeweiligen Fall entsprechen? [80] Wenn jemand den Sklaven, dem befohlen war, eine Schüssel abzuräumen und der dabei vom halb aufgegessenen Fisch und von der halb erkalteten Tunke genascht hat, ans Kreuz schlagen ließe, würde er unter vernünftigen Leuten für noch verrückter erklärt als Labeo. Wie viel wahnsinniger und schlimmer ist folgende Fehlhandlung: Ein Freund hat eine geringfügige Untat begangen, [85] die du ihm verzeihen musst, wenn du nicht für lieblos gehalten werden willst; aber du empfindest bitteren Hass gegen ihn und meidest ihn wie den Ruso sein Schuldner, der, falls er nicht, wenn die für den armen Kerl finsteren Kalenden12 da sind, Zins oder Kapital irgendwoher aufzutreiben weiß, wie ein Kriegsgefangener die Kehle dem Messer hinstrecken und Rusos düsteres Geschichtswerk anhören muss.

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comminxit lectum potus mensave catillum Euandri manibus tritum deiecit: ob hanc rem, aut positum ante mea quia pullum in parte catini sustulit esuriens, minus hoc iucundus amicus sit mihi? quid faciam, si furtum fecerit aut si prodiderit commissa fide sponsumve negarit? quis paria esse fere placuit peccata, laborant, cum ventum ad verum est: sensus moresque repugnant atque ipsa utilitas, iusti prope mater et aequi. cum prorepserunt primis animalia terris, mutum et turpe pecus, glandem atque cubilia propter unguibus et pugnis, dein fustibus atque ita porro pugnabant armis, quae post fabricaverat usus, donec verba, quibus voces sensusque notarent, nominaque invenere; dehinc absistere bello, oppida coeperunt munire et ponere leges, ne quis fur esset neu latro neu quis adulter. nam fuit ante Helenam cunnus taeterrima belli causa, sed ignotis perierunt mortibus illi, quos Venerem incertam rapientes more ferarum viribus editior caedebat ut in grege taurus. iura inventa metu iniusti fateare necesse est, tempora si fastosque velis evolvere mundi. nec natura potest iusto secernere iniquum, dividit ut bona diversis, fugienda petendis, nec vincet ratio hoc, tantundem ut peccet idemque, qui teneros caules alieni fregerit horti et qui nocturnus sacra divum legerit. adsit regula, peccatis quae poenas irroget aequas,

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[90] Betrunken hat dein Freund auf das Speisesofa gepisst oder eine kleine Schüssel vom Tisch fallen lassen, die schon von Euanders Händen abgenutzt wurde:13 Soll er deswegen oder weil er mir in seinem Hunger das Hühnchen wegnahm, das doch vorher auf meiner Seite der Schüssel lag, darum mir ein weniger liebenswürdiger Freund sein? Was soll ich dann erst tun, wenn er einen Diebstahl begeht oder [95] ein ihm anvertrautes Geheimnis verrät oder eine Bürgschaft leugnet? Diejenigen, welche die Ansicht vertreten, alle Vergehen seien mehr oder weniger gleich,14 bekommen Probleme, wenn es zu realen Fällen kommt: Natürliches Gefühl und Moral sprechen dagegen und der Nutzen selbst, der so gut wie die Quelle von Gerechtigkeit und Fairness ist. Als einst aus der jungen Erde Lebewesen hervorkrochen, [100] ein stummes und hässliches Getier, da kämpfte man um Eicheln15 und Lagerstätten erst mit Fingernägeln und Fäusten, dann mit Knütteln und im weiteren Verlauf mit Waffen, die später die Erfahrung geschmiedet hatte, bis man Verben und Substantive erfand, mit denen man die Laute und die Empfindungen verständlich machen konnte; danach ließ man ab vom Krieg [105] und begann, feste Städte zu gründen und Gesetze zu geben, damit niemand ein Dieb, Räuber oder Ehebrecher sei. Denn schon vor Helena16 war eine Fotze die abscheulichste Ursache für einen Krieg, doch ohne dass ihr Sterben berühmt wurde,17 fanden den Tod diejenigen, die sich nach Art wilder Tiere wahllos das Objekt ihrer Liebeslust mit Gewalt holten [110] und die ein Stärkerer dabei erschlug wie ein Stier in einer Herde. Dass das Recht aufgrund von Furcht vor Unrecht erfunden wurde, musst du unbedingt zugeben, wenn du die Kalender der Weltzeitalter zu entrollen bereit bist.18 Die menschliche Natur vermag nicht Recht von Unrecht so zu trennen, wie sie Vorteile von ihrem Gegenteil und das, was man meiden muss, von dem, was man suchen muss, unterscheidet, [115] und niemals wird die Vernunft überzeugend dies darlegen, dass gleich schwer sich der vergehe, welcher zarte Kohlstauden in einem fremden Garten abbricht, wie der, welcher nachts Heiligtümer von Göttern raubt. Es muss einen Maßstab geben, der Verfehlungen mit angemessener Strafe belegt, damit man nicht einen mit der

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ne scutica dignum horribili sectere flagello. nam ut ferula caedas meritum maiora subire verbera, non vereor, cum dicas esse pares res furta latrociniis et magnis parva mineris falce recisurum simili te, si tibi regnum permittant homines. si dives, qui sapiens est, et sutor bonus et solus formosus et est rex, cur optas quod habes? ‘non nosti, quid pater’ inquit ‘Chrysippus dicat: sapiens crepidas sibi numquam nec soleas fecit; sutor tamen est sapiens.’ qui? ‘ut quamvis tacet Hermogenes, cantor tamen atque optimus est modulator; ut Alfenus vafer omni abiecto instrumento artis clausaque taberna tonsor erat: sapiens operis sic optimus omnis est opifex, solus sic rex.’ vellunt tibi barbam lascivi pueri; quos tu nisi fuste coerces, urgeris turba circum te stante miserque rumperis et latras, magnorum maxime regum. ne longum faciam: dum tu quadrante lavatum rex ibis neque te quisquam stipator ineptum praeter Crispinum sectabitur, et mihi dulces ignoscent, si quid peccaro stultus, amici, inque vicem illorum patiar delicta libenter privatusque magis vivam te rege beatus.

IV Eupolis atque Cratinus Aristophanesque poetae atque alii, quorum comoedia prisca virorum est, si quis erat dignus describi, quod malus ac fur, quod moechus foret aut sicarius aut alioqui

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schrecklichen Stachelpeitsche züchtigt, der nur den Riemen verdient. [120] Denn dass du jemanden, der schlimmere Prügel verdient, mit dem Stock schlägst, befürchte ich nicht, da du sagst, Diebstahl und Raub lägen auf derselben Ebene, und drohst, kleine Auswüchse mit der gleichen Sichel zu beschneiden wie große, falls die Menschen dir die Königsherrschaft zuerkennen. Doch wenn, wer weise ist, reich [125] und ein tüchtiger Schuster ist und allein schön und König,19 warum wünschst du dir dann, was du schon hast? »Du verstehst nicht«, lautet die Antwort, »was Vater Chrysipp sagt: Der Weise hat sich niemals Schuhe und Sandalen angefertigt; dennoch ist der Weise ein Schuster.« Wie das? »Ganz wie Hermogenes, auch wenn er schweigt, dennoch ein sehr guter Sänger [130] und Musiker ist; wie der gerissene Alfenus ein Barbier blieb, obwohl er alle Werkzeuge seiner Kunst fortwarf und seinen Laden schloss: So ist der Weise der größte Meister in jedem Handwerk, so ist er allein König.« Die frechen Knaben zupfen dich am Bart; wenn du sie dir nicht mit deinem Stock vom Leibe hältst, [135] wirst du bedrängt von ihrer Schar, die um dich herumsteht, und du Armer zerplatzt von deinem Gebell, du größter aller großen Könige. Um es nicht zu lang zu machen: Während du, der König, für ein Viertelas ins öffentliche Bad gehst und als dein Gefolge dich niemand außer dem verrückten Crispinus begleitet, werden mir meine lieben Freunde [140] es verzeihen, wenn ich in meiner Dummheit einen Fehler begangen habe, und umgekehrt werde ich ihre Versehen gern hinnehmen und als privater Bürger glücklicher leben als du, der König.

4 Die Dichter Eupolis, Kratinus und Aristophanes und die anderen Männer, von denen die alte Komödie1 stammt, pflegten, wenn einer abgeschildert zu werden verdiente, weil er schlecht und ein Dieb, ein Ehebrecher oder ein Meuchelmörder oder sonst wie [5] berüchtigt

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famosus, multa cum libertate notabant. hinc omnis pendet Lucilius, hosce secutus, mutatis tantum pedibus numerisque, facetus, emunctae naris, durus componere versus. nam fuit hoc vitiosus: in hora saepe ducentos, ut magnum, versus dictabat stans pede in uno. cum flueret lutulentus, erat quod tollere velles; garrulus atque piger scribendi ferre laborem, scribendi recte; nam ut multum, nil moror. ecce, Crispinus minimo me provocat: ‘accipe, si vis, accipiam tabulas; detur nobis locus, hora, custodes; videamus, uter plus scribere possit.’ di bene fecerunt, inopis me quodque pusilli finxerunt animi, raro et perpauca loquentis; at tu conclusas hircinis follibus auras usque laborantes, dum ferrum molliat ignis, ut mavis, imitare. beatus Fannius ultro delatis capsis et imagine, cum mea nemo scripta legat, vulgo recitare timentis ob hanc rem, quod sunt quos genus hoc minime iuvat, utpote plures culpari dignos. quemvis media elige turba: aut ob avaritiam aut misera ambitione laborat. hic nuptarum insanit amoribus, hic puerorum; hunc capit argenti splendor; stupet Albius aere; hic mutat merces surgente a sole ad eum, quo vespertina tepet regio, quin per mala praeceps fertur uti pulvis collectus turbine, ne quid summa deperdat metuens aut ampliet ut rem. omnes hi metuunt versus, odere poetas.

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war, ihn mit großem Freimut zu brandmarken. Von ihnen hängt Lucilius ganz ab, ihnen folgte er nach, wobei er nur Metrum und Rhythmus änderte, witzig, mit gut geputzter Nase,2 im Versbau allerdings roh. Denn darin lag sein Fehler: In einer Stunde hat er oft zweihundert Verse, [10] als ob das etwas Großartiges wäre, auf einem Fuß stehend diktiert. Weil er schlammig dahinfloss,3 gab es manches, was man hätte tilgen wollen. Geschwätzig war er und zu faul, die Mühe des Dichtens zu ertragen, des richtigen Dichtens; denn dass viel gedichtet wird, darauf lege ich keinen Wert. Sieh da, Crispinus fordert mich um ein Nichts zu einer Wette heraus: »Nimm, wenn du willst, [15] deine Schreibtafel, und ich will meine nehmen; man bestimme uns Ort, Zeit und Schiedsrichter; wir wollen einmal sehen, wer von uns beiden mehr dichten kann.« Die Götter haben gut daran getan, mich mit einem armen und kleinen Geist zu erschaffen, der nur selten und dann sehr wenig redet; doch du magst, wenn du das lieber willst, die im ziegenledernen Blasebalg eingeschlossene Luft nachahmen, [20] die fortwährend arbeitet, bis das Feuer das Eisen weich macht. Fannius ist glücklich, wenn er unaufgefordert seine Buchbehälter und sein Bildnis unter die Leute gebracht hat, während das, was ich schreibe, niemand liest, und ich mich deshalb scheue, es öffentlich vorzutragen, weil es Leute gibt, die nicht den geringsten Gefallen an dieser Gattung4 finden, da ja die Mehrzahl von ihnen [25] Rüge verdient. Wähle dir mitten aus der Menge, wen du willst: Entweder krankt einer an Habgier oder an elender Ehrsucht. Einer ist vom Verlangen nach Sex mit Ehefrauen verrückt, ein anderer vom Verlangen nach Sex mit Knaben; den fesselt der Glanz des Silbers; Albius ist ganz betört von Bronze; der tauscht seine Waren vom Aufgang der Sonne bis zu dem Gebiet, [30] das von ihr am Abend erwärmt wird, ja, Hals über Kopf lässt er sich durch leidvolle Erfahrungen dahintragen wie Staub, der aufgewirbelt wird von starkem Wind, und das aus Angst davor, etwas von seinem Kapital verlieren oder sein Vermögen nicht vermehren zu können. Sie alle fürchten die Verse und hassen die Dichter.

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‘faenum habet in cornu, longe fuge; dummodo risum excutiat, sibi non, non cuiquam parcet amico et quodcumque semel chartis illeverit, omnes gestiet a furno redeuntes scire lacuque et pueros et anus.’ agedum pauca accipe contra. primum ego me illorum, dederim quibus esse poetis, excerpam numero. neque enim concludere versum dixeris esse satis neque, si qui scribat uti nos sermoni propiora, putes hunc esse poetam. ingenium cui sit, cui mens divinior atque os magna sonaturum, des nominis huius honorem. idcirco quidam comoedia necne poema esset, quaesivere, quod acer spiritus ac vis nec verbis nec rebus inest, nisi quod pede certo differt sermoni, sermo merus. ‘at pater ardens saevit, quod meretrice nepos insanus amica filius uxorem grandi cum dote recuset, ebrius et, magnum quod dedecus, ambulet ante noctem cum facibus.’ numquid Pomponius istis audiret leviora, pater si viveret? ergo non satis est puris versum perscribere verbis, quem si dissolvas, quivis stomachetur eodem quo personatus pacto pater. his, ego quae nunc, olim quae scripsit Lucilius, eripias si tempora certa modosque, et quod prius ordine verbum est posterius facias praeponens ultima primis, non, ut si solvas ‘postquam Discordia taetra belli ferratos postis portasque refregit’, invenias etiam disiecti membra poetae.

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»Der hat Heu an den Hörnern,5 lauf weit weg vor ihm; wenn er nur Gelächter [35] erregt, wird er nicht sich, nicht irgendeinen Freund verschonen, und was er einmal auf seine Seiten geschmiert hat, das – darauf ist er ganz wild – müssen alle kennen, die vom Backofen und vom Brunnen heimkommen, Sklavenjungen und alte Frauen.« Komm her, vernimm wenige Worte der Erwiderung. Zuerst einmal möchte ich mich aus der Zahl derer, denen ich zugestehen würde, dass sie Dichter sind, [40] ausnehmen. Denn du würdest sagen, es sei nicht genug, einen Vers metrisch bis zum Ende zu schreiben, und wenn einer wie ich etwas schreibt, das der Gesprächsprosa sehr nahe kommt, den würdest du nicht für einen Dichter halten. Nur wer Genie, einen nahezu göttlichen Geist und einen Mund hat, der Großes tönen wird, dem würdest du die Ehre dieses Namens geben. [45] Deswegen haben manche Leute gefragt, ob die Komödie6 überhaupt Poesie sei oder nicht, weil feuriger Geist und Kraft weder in ihrer Sprache noch in ihrem Stoff zu finden sind; wenn sie sich nicht durch das feste Versmaß von der Prosa unterschiede, wäre es reine Prosa. »Aber zornglühend wettert der Vater, weil, verrückt in seiner Liebe zu einer Hetäre, sein verschwenderischer [50] Sohn eine Frau mit reicher Mitgift ablehnt und weil er, was eine große Schande ist, betrunken schon vor Anbruch der Nacht mit Fackeln herumläuft.« Bekäme denn Pomponius freundlichere Worte als diese zu hören, wenn sein Vater noch am Leben wäre? Also reicht es nicht aus, in einfachen Worten einen Vers zusammenzuschreiben; [55] denn wenn du ihn auflösen würdest, brächte jeder Vater seinen Zorn in derselben Weise wie der mit der Maske7 zum Ausdruck. Entrissest du dem, was ich jetzt schreibe und was einst Lucilius schrieb, das feste Versmaß und den Rhythmus und stelltest ein Wort, das in der Reihenfolge früher steht, weiter nach hinten, indem du den Schluss vor den Anfang setztest, [60] so würdest du nicht, wie wenn du »Als die grausige Zwietracht sprengte die eisenbewehrten Pfosten und Pforten des Krieges«8 auflösen würdest, auch dann noch die zerstückelten Glieder des Dichters finden.

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hactenus haec: alias, iustum sit necne poema. nunc illud tantum quaeram, meritone tibi sit suspectum genus hoc scribendi. Sulcius acer ambulat et Caprius, rauci male cumque libellis, magnus uterque timor latronibus; at bene si quis et vivat puris manibus, contemnat utrumque. ut sis tu similis Caeli Birrique latronum, non ego sum Capri neque Sulci: cur metuas me? nulla taberna meos habeat neque pila libellos, quis manus insudet vulgi Hermogenisque Tigelli, nec recito cuiquam nisi amicis idque coactus, non ubivis coramve quibuslibet. in medio qui scripta Foro recitent, sunt multi quique lavantes: suave locus voci resonat conclusus. inanes hoc iuvat, haud illud quaerentes, num sine sensu, tempore num faciant alieno. ‘laedere gaudes’ inquit ‘et hoc studio pravus facis.’ unde petitum hoc in me iacis? est auctor quis denique eorum, vixi cum quibus? absentem qui rodit, amicum qui non defendit alio culpante, solutos qui captat risus hominum famamque dicacis, fingere qui non visa potest, commissa tacere qui nequit: hic niger est, hunc tu, Romane, caveto! saepe tribus lectis videas cenare quaternos, e quibus unus amet quavis aspergere cunctos praeter eum, qui praebet aquam; post hunc quoque potus, condita cum verax aperit praecordia Liber. hic tibi comis et urbanus liberque videtur infesto nigris. ego si risi, quod ineptus pastillos Rufillus olet, Gargonius hircum,

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Genug davon, an einem anderen Ort dazu, ob dies echte Poesie ist oder nicht.9 Jetzt will ich nur das untersuchen, ob dir [65] diese Gattung mit Recht verdächtig ist. Der grimmige Sulcius und Caprius10 laufen fürchterlich heiser und mit Anklageschriften herum, jeder von beiden ein großer Schrecken für Straßenräuber; doch wenn einer rechtschaffen lebt und mit reinen Händen, kann er sie beide verachten. Angenommen, du wärst einer wie die Räuber Caelius und Birrius, [70] so bin ich doch kein Caprius oder Sulcius: Warum solltest du Angst vor mir haben? Kein Laden und kein Pfeiler11 hätte meine Büchlein vorrätig, in die die Hände des Pöbels oder des Hermogenes Tigellius hineinschwitzen könnten, und nur meinen Freunden lese ich sie vor, auch das nur gezwungenermaßen, nicht an jedem beliebigen Ort und nicht vor jedermann. Viele gibt es, die ihre Dichtungen mitten [75] auf dem Forum oder im öffentlichen Bad vorlesen: Der umschlossene Platz gibt ihrer Stimme schöne Resonanz. Das gefällt Hohlköpfen, die nicht danach fragen, ob sie es ohne Feingefühl und zu einer unpassenden Zeit tun. »Dich freut es zu verletzen«, meint da einer, »und, boshaft wie du bist, tust du es mit Fleiß.« Woher stammt [80] dies, was du gegen mich schleuderst? Wer ist denn am Ende von den Männern, in deren Kreis ich lebe, dein Gewährsmann?12 Ja, wer einen Abwesenden bissig herabsetzt, wer einen Freund nicht gegen die Beschuldigungen eines anderen verteidigt, wer nach dem ausgelassenen Gelächter der Leute und nach dem Ruf eines Witzbolds hascht, wer erfinden kann, was er nie erlebt hat, Anvertrautes nicht zu verschweigen [85] vermag: Der ist rabenschwarz, vor dem sollst du dich hüten, Römer! Du kannst es oft erleben, dass beim Gastmahl je vier auf drei Speisesofas liegen,13 und einem von ihnen macht es Spaß, irgendwie sie alle zu begeifern, ihn ausgenommen, der das Wasser reichen lässt,14 später, im Rausch, auch ihn, wenn der wahrheitsliebende Liber15 in den Herzen Verborgenes offenlegt. [90] So einer scheint dir witzig, geistreich und freimütig, der du doch die Rabenschwarzen hasst. Doch wenn ich einmal darüber gelacht habe, dass der Lackaffe Rufillus nach duftenden Lutschpastillen riecht und Gargonius nach Ziegenbock,16 komme ich

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lividus et mordax videor tibi? mentio si quae de Capitolini furtis iniecta Petilli te coram fuerit, defendas, ut tuus est mos: ‘me Capitolinus convictore usus amicoque a puero est causaque mea permulta rogatus fecit, et incolumis laetor quod vivit in urbe; sed tamen admiror, quo pacto iudicium illud fugerit’: hic nigrae sucus lolliginis, haec est aerugo mera. quod vitium procul afore chartis, atque animo, prius ut, si quid promittere de me possum aliud vere, promitto. liberius si dixero quid, si forte iocosius, hoc mihi iuris cum venia dabis: insuevit pater optimus hoc me, ut fugerem exemplis vitiorum quaeque notando. cum me hortaretur, parce frugaliter atque viverem uti contentus eo, quod mi ipse parasset: ‘nonne vides, Albi ut male vivat filius utque Baius inops? magnum documentum, ne patriam rem perdere quis velit.’ a turpi meretricis amore cum deterreret: ‘Scetani dissimilis sis.’ ne sequerer moechas, concessa cum Venere uti possem: ‘deprensi non bella est fama Treboni’ aiebat. ‘sapiens, vitatu quidque petitu sit melius, causas reddet tibi; mi satis est, si traditum ab antiquis morem servare tuamque, dum custodis eges, vitam famamque tueri incolumem possum. simul ac duraverit aetas membra animumque tuum, nabis sine cortice.’ sic me formabat puerum dictis et, sive iubebat ut facerem quid, ‘habes auctorem, quo facias hoc’ unum ex iudicibus selectis obiciebat,

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dir dann bösartig und bissig vor? Erwähnt man die Unterschlagungen des Petillius Capitolinus [95] in deinem Beisein, so verteidigst du ihn wohl, wie es deine Art ist: »Capitolinus war seit meinen Kinderjahren mein Tischgenosse und Freund; sehr viel tat er mir zuliebe, wenn ich ihn bat, und dass er unbehelligt in der Stadt lebt, das freut mich – aber dennoch frage ich mich, auf welche Weise er damals der Verurteilung [100] entgehen konnte!« Das ist Saft des schwarzen Tintenfisches, das ist der reine Grünspan.17 Dass diese Unart meinen Buchseiten fern sein soll, auch meinem Herzen, wie es früher war, verspreche ich, wenn ich überhaupt irgendetwas Wahres über mich versprechen kann. Wenn ich etwas zu freimütig, vielleicht etwas zu scherzhaft sage, wirst du mir so viel Recht [105] mit Nachsicht zugestehen: Das hat mir mein lieber Vater angewöhnt, indem er jedes Laster durch Beispiele brandmarkte, damit ich es vermiede. Wenn er mich mahnte, sparsam und haushälterisch zu leben und mit dem zufrieden, was er selbst für mich erworben hatte, dann hieß es: »Siehst du nicht, wie elend der Sohn des Albius lebt und [110] der mittellose Baius? Eine großartige Lektion für jeden, sich nicht einfallen zu lassen, das Familienvermögen zu vergeuden.« Wenn er mich von der schändlichen Liebe zu einer Hetäre abschrecken wollte, sagte er: »Dem Scetanus darfst du nicht ähnlich werden.« Damit ich nicht ehebrecherischen Gattinnen nachliefe, wo ich doch erlaubten Sex genießen könne, pflegte er zu sagen: »Nicht schön ist der Ruf des Trebonius, den man erwischt hat. [115] Ein Philosoph wird dir die Gründe dafür angeben, warum es besser ist, etwas zu meiden oder zu erstreben; mir genügt es, wenn ich dir die von den Vorfahren überkommene Moral bewahren und, solange du noch des Hüters bedarfst, deine Lebensführung und deinen Ruf unverdorben erhalten kann. Sobald dir die Zeit [120] Glieder und Geist gestählt hat, wirst du ohne Korkgürtel schwimmen.« Mit solchen Worten formte er mich in meiner Kindheit, und wenn er mich etwas zu tun anwies, hielt er mir einen von den gewählten Geschworenen vor Augen und sagte: »Hier hast du ein Vorbild für dein Handeln«; oder wenn er mir etwas verbot, sagte er: »Kannst du noch daran zwei-

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sive vetabat, ‘an hoc inhonestum et inutile factu necne sit, addubites, flagret rumore malo cum hic atque ille?’ avidos vicinum funus ut aegros exanimat mortisque metu sibi parcere cogit, sic teneros animos aliena opprobria saepe absterrent vitiis. ex hoc ego sanus ab illis perniciem quaecumque ferunt, mediocribus et quis ignoscas vitiis teneor. fortassis et istinc largiter abstulerit longa aetas, liber amicus, consilium proprium; neque enim, cum lectulus aut me porticus excepit, desum mihi. ‘rectius hoc est; hoc faciens vivam melius; sic dulcis amicis occurram; hoc quidam non belle: numquid ego illi imprudens olim faciam simile?’ haec ego mecum compressis agito labris; ubi quid datur oti, illudo chartis. hoc est mediocribus illis ex vitiis unum; cui si concedere nolis, multa poetarum veniet manus, auxilio quae sit mihi – nam multo plures sumus –, ac veluti te Iudaei cogemus in hanc concedere turbam.

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V Egressum magna me accepit Aricia Roma hospitio modico; rhetor comes Heliodorus, Graecorum longe doctissimus. inde Forum Appi differtum nautis cauponibus atque malignis. hoc iter ignavi divisimus, altius ac nos praecinctis unum: minus est gravis Appia tardis. hic ego propter aquam, quod erat deterrima, ventri

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feln, ob dies ehrloses und nutzloses Handeln ist [125] oder nicht, wo doch dieser und jener deshalb von seinem üblen Ruf wie von Feuer verzehrt wird?« Wie der Tod eines Nachbarn essgierige Kranke entsetzt und die Furcht vor dem Tod sie zwingt, sich zu schonen, so schreckt die Schande des anderen zarte Seelen oft von Lastern ab. Aufgrund dessen bin ich frei von all den Lastern, [130] die Verderben bringen, und nur mit geringeren bin ich behaftet, die du wohl verzeihen könntest. Auch diese werden vielleicht ein langes Leben, ein freimütiger Freund und eigene Einsicht zum größten Teil wegnehmen; nicht einmal dann nämlich, wenn ich auf dem Bett liege oder durch die Säulenhallen wandle, lasse ich mich im Stich; dann sage ich zu mir: »So ist es das Richtigere; [135] wenn ich dies tue, werde ich ein besseres Leben führen; so werde ich auf meine Freunde einen angenehmen Eindruck machen; das war nicht schön von dem da: Ob ich wohl einmal unabsichtlich ähnlich handeln werde wie er?« Das überdenke ich bei mir im Stillen mit geschlossenen Lippen; und habe ich einen ruhigen Augenblick dafür, dann mache ich mir den Spaß und bringe etwas davon zu Papier. Das ist so eines von jenen geringeren [140] Lastern; wenn du mir diese nicht zugestehen willst, wird die große Schar der Dichter kommen, um mir zu helfen – wir sind ja um vieles mehr als die anderen –, und wie die Juden werden wir dich zwingen, unserer Schar beizutreten.18

5 Nach dem Abmarsch aus dem großen Rom empfing mich Aricia1 mit mittelmäßiger Gastfreundschaft; mein Begleiter war der Rhetor Heliodor,2 bei weitem der Gelehrteste der Griechen. Von dort ging es nach Forum Appi, wo es von Schiffern und prellsüchtigen Schankwirten wimmelt. [5] Die Strecke bis hierher hatten wir, bequeme Leute, uns eingeteilt; für die, welche höher geschürzt sind3 als wir, ist sie eintägig: Die Via Appia ist weniger beschwerlich für Langsame. Hier erklärte ich wegen des Wassers, weil es ganz abscheulich war, meinem Magen

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indico bellum, cenantes haud animo aequo exspectans comites. iam nox inducere terris umbras et caelo diffundere signa parabat. tum pueri nautis, pueris convicia nautae ingerere: ‘huc appelle!’ ‘trecentos inseris: ohe! iam satis est.’ dum aes exigitur, dum mula ligatur, tota abit hora. mali culices ranaeque palustres avertunt somnos, absentem ut cantat amicam multa prolutus vappa nauta atque viator certatim. tandem fessus dormire viator incipit, ac missae pastum retinacula mulae nauta piger saxo religat stertitque supinus. iamque dies aderat, nil cum procedere lintrem sentimus, donec cerebrosus prosilit unus ac mulae nautaeque caput lumbosque saligno fuste dolat. quarta vix demum exponimur hora. ora manusque tua lavimus, Feronia, lympha. milia tum pransi tria repimus atque subimus impositum saxis late candentibus Anxur. huc venturus erat Maecenas optimus atque Cocceius, missi magnis de rebus uterque legati, aversos soliti componere amicos. hic oculis ego nigra meis collyria lippus illinere. interea Maecenas advenit atque Cocceius Capitoque simul Fonteius, ad unguem factus homo, Antoni, non ut magis alter, amicus. Fundos Aufidio Lusco praetore libenter linquimus, insani ridentes praemia scribae, praetextam et latum clavum prunaeque vatillum. in Mamurrarum lassi deinde urbe manemus, Murena praebente domum, Capitone culinam.

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den Krieg und wartete in nicht sehr heiterer Stimmung auf meine Gefährten, die zu Abend aßen. Schon begann die Nacht [10] ihre Schatten über die Erde zu breiten und mit Sternen den Himmel zu besprenkeln. Da überschütteten die Sklaven die Fährleute4 mit Beschimpfungen, die Fährleute die Sklaven. »Hier lege an!« »Du stopfst dreihundert hinein: Halt, jetzt ist es genug!« Während das Fahrgeld eingesammelt, während das Maultier angebunden wird, geht eine ganze Stunde dahin. Bösartige Schnaken und Sumpffrösche [15] verscheuchen den Schlaf, während der von viel saurem Wein bezechte Bootsmann und ein Passagier die ferne Freundin um die Wette besingen. Endlich wird der Passagier müde und beginnt zu schlafen, und der faule Bootsmann lässt das Maultier grasen, bindet das Leitseil an einen Stein und schnarcht auf dem Rücken liegend. [20] Und schon war der Tag heraufgezogen, als wir merkten, dass der Kahn sich überhaupt nicht vorwärts bewegt, bis ein Hitzkopf aufspringt und dem Maultier samt dem Bootsmann Kopf und Hintern mit einem Weidenknüppel verprügelt. Um die vierte Stunde5 werden wir endlich an Land gesetzt. Gesicht und Hände waschen wir in deiner Quelle, Feronia. [25] Nach dem Frühstück legen wir dann im Kriechtempo drei Meilen zurück und kommen hinauf nach Anxur, das auf einer weithin schimmernden Felsenhöhe liegt. Hierher wollte der gute Maecenas kommen und mit ihm Cocceius, beide als Gesandte in wichtigen Angelegenheiten geschickt und schon gewohnt, einander entfremdete Freunde zu versöhnen.6 [30] Hier strich ich schwarze Salbe auf meine Augen wegen einer Entzündung. Unterdessen kommt Maecenas an, mit ihm Cocceius und zugleich Fonteius Capito, ein Mann von feinstem Schliff, mit Antonius befreundet wie kein Zweiter. Fundi mit dem Prätor Aufidius Luscus7 an der Spitze [35] verlassen wir gerne wieder, wobei wir über die Insignien des verrückten Magistratssekretärs lachen, seine purpurverbrämte Toga, den breiten Streifen und die Pfanne mit feurigen Kohlen.8 Dann bleiben wir ermüdet in der Stadt der Familie des Mamurra9, wo Murena uns sein Haus, Capito seine Küche bot.

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postera lux oritur multo gratissima; namque Plotius et Varius Sinuessae Vergiliusque occurrunt, animae, quales neque candidiores terra tulit neque quis me sit devinctior alter. o qui complexus et gaudia quanta fuerunt! nil ego contulerim iucundo sanus amico. proxima Campano ponti quae villula, tectum praebuit et parochi, quae debent, ligna salemque. hinc muli Capuae clitellas tempore ponunt. lusum it Maecenas, dormitum ego Vergiliusque; namque pila lippis inimicum et ludere crudis. hinc nos Coccei recipit plenissima villa, quae super est Caudi cauponas. nunc mihi paucis Sarmenti scurrae pugnam Messique Cicirri, Musa, velim memores et quo patre natus uterque contulerit lites. Messi clarum genus Osci; Sarmenti domina exstat. ab his maioribus orti ad pugnam venere. prior Sarmentus ‘equi te esse feri similem dico.’ ridemus, et ipse Messius ‘accipio,’ caput et movet. ‘o tua cornu ni foret exsecto frons,’ inquit, ‘quid faceres, cum sic mutilus minitaris?’ at illi foeda cicatrix saetosam laevi frontem turpaverat oris. Campanum in morbum, in faciem permulta iocatus, pastorem saltaret uti Cyclopa rogabat; nil illi larva aut tragicis opus esse cothurnis. multa Cicirrus ad haec: donasset iamne catenam ex voto Laribus, quaerebat; scriba quod esset, nilo deterius dominae ius esse. rogabat denique, cur umquam fugisset, cui satis una

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Der folgende Tag bricht als der weitaus angenehmste an; denn [40] in Sinuessa stoßen Plotius, Varius und Vergil zu uns, die redlichsten Seelen, welche die Erde je hervorbrachte, und kein anderer ist ihnen dankbarer ergeben als ich. O welche Umarmungen gab es da und welch große Freuden! Nichts möchte ich einem lieben Freund gleichsetzen, solange ich bei Verstand bin. [45] Ein kleines Gehöft, das ganz nahe bei der kampanischen Brücke lag, bot uns Obdach, und die Wirtsleute lieferten uns – dazu waren sie verpflichtet10 – Holz und Salz. Von hier geht es nach Capua, wo die Maultiere früh ihre Satteltaschen ablegen. Zum Spiel geht Maecenas, zum Schlafen ich und Vergil; denn Ballspiel ist für Augenkranke und Magenleidende schädlich. [50] Dann nimmt uns Cocceius’ reich ausgestattetes Landhaus auf, das hoch über den Wirtshäusern von Caudium liegt. Jetzt möchte ich, dass du mir in Kürze vom Kampfe des Spaßmachers Sarmentus und des Messius Cicirrus11 erzählst, o Muse12, und von welchen Vätern abstammten die beiden, die jetzt sich maßen im Streite! Des Messius berühmtes Geschlecht sind Osker; [55] Sarmentus’ Herrin lebt noch.13 Von solchen Ahnen abstammend schritten sie zum Kampfe. Als Erster rief Sarmentus: »Ich behaupte, dass du einem Wildpferd gleichst.« Wir lachen, und Messius selbst sagt: »Ja, das stimmt«, und bewegt den Kopf. »Huch«, sagt Sarmentus weiter, »wäre auf deiner Stirn das Horn nicht ausgeschnitten, was würdest du anrichten, wo du [60] doch auch so, obwohl verstümmelt, uns drohst?« Ihm hatte eine hässliche Narbe die borstige Stirn der linken Gesichtshälfte entstellt. Als Sarmentus über die kampanische Krankheit14 und sein Gesicht noch sehr viele Witze gerissen hatte, bat er ihn, »Der Kyklop als Hirte«15 zu tanzen; eine Maske und den tragischen Kothurn benötige er dazu nicht. [65] Vieles sagte Cicirrus dazu: Ob der schon sein Gelübde erfüllt und seine Sklavenkette den Laren gestiftet habe, fragte er.16 Dass er jetzt Magistratssekretär sei, mindere das Recht seiner Herrin keineswegs. Schließlich fragte er, warum er jemals entlaufen sei, wo doch ein einziges Pfund Mehl genug sei für einen so

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farris libra foret, gracili sic tamque pusillo. prorsus iucunde cenam producimus illam. tendimus hinc recta Beneventum, ubi sedulus hospes paene macros arsit dum turdos versat in igni. nam vaga per veterem dilapso flamma culinam Vulcano summum properabat lambere tectum. convivas avidos cenam servosque timentes tum rapere atque omnes restinguere velle videres. incipit ex illo montes Apulia notos ostentare mihi, quos torret Atabulus et quos numquam erepsemus, nisi nos vicina Trivici villa recepisset lacrimoso non sine fumo, udos cum foliis ramos urente camino. hic ego mendacem stultissimus usque puellam ad mediam noctem exspecto; somnus tamen aufert intentum Veneri. tum immundo somnia visu nocturnam vestem maculant ventremque supinum. quattuor hinc rapimur viginti et milia raedis, mansuri oppidulo, quod versu dicere non est, signis perfacile est: venit vilissima rerum hic, aqua, sed panis longe pulcherrimus, ultra callidus ut soleat umeris portare viator. nam Canusi lapidosus, aquae non ditior urna, qui locus a forti Diomede est conditus olim. flentibus hinc Varius discedit maestus amicis. inde Rubos fessi pervenimus, utpote longum carpentes iter et factum corruptius imbri. postera tempestas melior, via peior adusque Bari moenia piscosi; dein Gnatia Lymphis iratis exstructa dedit risusque iocosque,

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Dünnen und so Winzigen.17 [70] Wahrhaft angenehm dehnen wir so unser Abendessen bis in die Nacht aus. Von hier ziehen wir geradewegs nach Benevent, wo unser betulicher Gastgeber beinahe abgebrannt wäre, während er die mageren Drosseln über dem Feuer drehte. Denn das Feuer breitete sich in der alten Küche aus, die Flammen griffen um sich und begannen bereits, bis zum Dach hinauf zu züngeln. [75] Wie die essgierigen Gäste und die ängstlichen Sklaven hastig nach dem Essen griffen und alle löschen wollten, das hättest du da sehen können. Von nun an beginnt Apulien, mir die vertrauten Berge18 zu zeigen, die der Schirokko ausdörrt und aus denen wir niemals herausgekrochen wären, wenn uns nicht nahe bei Trivicum [80] ein Landhaus aufgenommen hätte, und das nicht ohne Tränen erzeugenden Rauch, da im Kamin feuchte Äste mit Laub brannten. Hier warte ich Riesendummkopf auf ein lügnerisches Mädchen bis Mitternacht; doch der Schlaf nimmt mein Verlangen nach Sex weg. Dann beflecken mir Träume mit obszönen Bildern [85] Nachthemd und Bauch, während ich auf dem Rücken liege. Von hier eilen wir 24 Meilen in Kutschen dahin, um in einem Städtchen zu bleiben, dessen Name zwar im Vers nicht nennbar,19 das aber aufgrund seiner Eigentümlichkeiten sehr leicht identifizierbar ist: Hier kauft man, was sonst am billigsten ist von allem, das Wasser, aber bei weitem das Beste ist das Brot, [90] so dass der schlaue Reisende auf den Schultern welches weiter zu tragen pflegt. Denn in Canusium ist das Brot voll Steinchen;20 dieser Ort, der nicht um das Maß eines Kruges reicher ist an Wasser, wurde einst von dem tapferen Diomedes gegründet. Hier trennt sich Varius betrübt von seinen weinenden Freunden. Von dort gelangten wir müde nach Rubi, weil wir einen langen [95] Weg zurückgelegt hatten und dieser wegen eines Regengusses noch schlechter war als sonst. Am folgenden Tag war das Wetter besser, die Straße noch schlechter bis zu den Mauern des fischreichen Barium. Dann gab uns Gnatia, das, obwohl die Quellnymphen zürnten, erbaut worden war, Gelegenheit zu Gelächter und Witzen, da es uns davon

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dum flamma sine tura liquescere limine sacro persuadere cupit. credat Iudaeus Apella, non ego; namque deos didici securum agere aevum nec, si quid miri faciat natura, deos id tristes ex alto caeli demittere tecto. Brundisium longae finis chartaeque viaeque est.

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VI Non quia, Maecenas, Lydorum quidquid Etruscos incoluit fines, nemo generosior est te, nec quod avus tibi maternus fuit atque paternus, olim qui magnis legionibus imperitarent, ut plerique solent, naso suspendis adunco ignotos, ut me libertino patre natum. cum referre negas, quali sit quisque parente natus, dum ingenuus, persuades hoc tibi vere, ante potestatem Tulli atque ignobile regnum multos saepe viros nullis maioribus ortos et vixisse probos amplis et honoribus auctos, contra Laevinum, Valeri genus, unde Superbus Tarquinius regno pulsus fugit, unius assis non umquam pretio pluris licuisse, notante iudice quo nosti, populo, qui stultus honores saepe dat indignis et famae servit ineptus, qui stupet in titulis et imaginibus. quid oportet nos facere a vulgo longe longeque remotos? namque esto: populus Laevino mallet honorem quam Decio mandare novo censorque moveret

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zu überzeugen wünschte, auf der Schwelle seines Heiligtums schmelze der Weihrauch ohne Feuer. [100] Das glaube der Jude Apella, ich glaube es nicht;21 denn ich habe gelernt, dass die Götter ein sorgenfreies Leben führen und dass, wenn die Natur etwas Wundersames hervorbringt, es nicht Götter sind, die dies in ihrem Zorn vom hohen Himmelshaus herabsenden.22 Brundisium ist das Ende des langen Gedichtes und Weges.23

6 Weil, Maecenas1, von allen Lydern, die je das etruskische Gebiet bewohnt haben,2 keiner von edlerer Abstammung ist als du, und weil du mütterlicher- und väterlicherseits Vorfahren hast, die einst große Legionen befehligten, hängst du doch deswegen nicht, [5] wie es sehr viele zu tun pflegen, die Namenlosen am Haken deiner Nase auf,3 zum Beispiel mich, der ich von einem freigelassenen Vater abstamme. Wenn du sagst, es komme dir nicht darauf an, von was für einem Vater jemand abstamme, wenn er nur frei geboren sei, hast du recht in der Überzeugung, dass schon vor der Zeit, als Tullius die Macht und eine nichtadelige Königsherrschaft inne hatte, [10] viele Männer ohne irgendwelche Ahnen oft rechtschaffen gelebt haben und zu hohen Ehrenämtern aufgestiegen sind, Laevinus dagegen, der Nachkomme jenes Valerius, durch den Tarquinius Superbus aus der Königsherrschaft vertrieben und verbannt wurde, niemals auch nur einen einzigen As mehr gegolten hat, gebrandmarkt von einem [15] Richter, den du kennst, dem Volk, das in seiner Dummheit Ehrenämter häufig an Unwürdige vergibt und in seiner Albernheit dem Ruhm sklavisch ergeben ist, das in Bewunderung erstarrt vor Inschrifttafeln und Ahnenbildern.4 Was sollen nun wir5 tun, die wir weit, weit von der breiten Masse entfernt sind? Denn, lassen wir das nur gut sein: Das Volk würde doch lieber einem Laevinus ein Ehrenamt anvertrauen [20] als einem Decius, wenn dieser ein »neuer Mann«6 wäre; und der Censor Appius

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Appius, ingenuo si non essem patre natus: vel merito, quoniam in propria non pelle quiessem. sed fulgente trahit constrictos Gloria curru non minus ignotos generosis. quo tibi, Tilli, sumere depositum clavum fierique tribuno? invidia accrevit, privato quae minor esset. nam ut quisque insanus nigris medium impediit crus pellibus et latum demisit pectore clavum, audit continuo ‘quis homo hic est? quo patre natus?’ ut si qui aegrotet quo morbo Barrus, haberi et cupiat formosus, eat quacumque, puellis iniciat curam quaerendi singula, quali sit facie, sura, quali pede, dente, capillo, sic qui promittit cives, urbem sibi curae, imperium fore et Italiam, delubra deorum, quo patre sit natus, num ignota matre inhonestus, omnes mortales curare et quaerere cogit. ‘tune, Syri Damae aut Dionysi filius, audes deicere de saxo cives aut tradere Cadmo?’ ‘at Novius collega gradu post me sedet uno; namque est ille, pater quod erat meus.’ ‘hoc tibi Paullus et Messalla videris? at hic, si plaustra ducenta concurrantque Foro tria funera magna, sonabit, cornua quod vincatque tubas: saltem tenet hoc nos.’ nunc ad me redeo libertino patre natum, quem rodunt omnes libertino patre natum, nunc, quia sim tibi, Maecenas, convictor, at olim, quod mihi pareret legio Romana tribuno. dissimile hoc illi est, quia non, ut forsit honorem iure mihi invideat quivis, ita te quoque amicum,

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würde mich aus dem Senat ausstoßen, wenn ich nicht von einem frei geborenen Vater abstammen würde: sogar verdientermaßen, denn ich hätte in meiner eigenen Haut keine Ruhe gefunden.7 Aber Gloria fesselt an ihren funkelnden Wagen8 die Namenlosen nicht minder als die Adeligen und schleift sie hinter sich her. Was hast du davon, Tillius, [25] dass du den abgelegten Purpursaum wieder aufnahmst und Tribun wurdest?9 Die Missgunst ist nur umso größer geworden, die, wenn du ein Privatmann wärst, geringer wäre. Denn sobald einer, verrückt genug, sein Schienbein bis zur Mitte in schwarze Riemen zwängt10 und von der Brust den breiten Purpursaum herabfallen lässt, bekommt er gleich zu hören: »Wer ist dieser Mensch? Von welchem Vater stammt er ab?« [30] Wie einer, der an derselben Sucht wie Barrus leidet und unbedingt als schön betrachtet werden will, den jungen Frauen, wo immer er gehen mag, Neugier einflößt, im Einzelnen zu prüfen, was für ein Gesicht und was für Waden, Füße, Zähne und Haare er hat, so zwingt einer, der für die Mitbürger, für Hauptstadt und [35] Reich, für Italien und die Heiligtümer der Götter zu sorgen verspricht, alle Sterblichen, neugierig zu fragen, von welchem Vater er abstamme und ob er nicht etwa durch eine namenlose Mutter entehrt sei. »Du, der Sohn eines Syrus, Damas oder Dionysios,11 du erdreistest dich, römische Bürger vom Felsen zu stoßen oder dem Kadmus zu übergeben?«12 [40] »Aber mein Amtskollege Novius sitzt ja eine Reihe hinter mir;13 denn er ist, was mein Vater war.« »Kommst du dir deswegen schon wie ein Paullus und Messalla vor? Aber der kann, wenn auf dem Forum zweihundert Lastwagen und drei große Leichenzüge zusammenstoßen, seine Stimme so erdröhnen lassen, dass sie Hörner und Trompeten übertönt: Wenigstens das nimmt uns für ihn ein.« [45] Jetzt komme ich zurück auf mich, den »Sohn eines freigelassenen Vaters«, den alle bissig herabsetzen als »Sohn eines freigelassenen Vaters«, jetzt, weil ich einer von denen bin, die dir Gesellschaft leisten, Maecenas, früher aber herabsetzten, weil mir als Militärtribun eine römische Legion gehorchte.14 Es besteht ein Unterschied zwischen beidem, da den Rang im Heer [50] jeder Beliebige mir wohl mit Recht missgönnen mag, nicht so deine Freundschaft, zumal du

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praesertim cautum dignos assumere, prava ambitione procul. felicem dicere non hoc me possim, casu quod te sortitus amicum; nulla etenim mihi te fors obtulit: optimus olim Vergilius, post hunc Varius dixere, quid essem. ut veni coram, singultim pauca locutus – infans namque pudor prohibebat plura profari –, non ego me claro natum patre, non ego circum me Satureiano vectari rura caballo, sed quod eram narro. respondes, ut tuus est mos, pauca; abeo, et revocas nono post mense iubesque esse in amicorum numero. magnum hoc ego duco, quod placui tibi, qui turpi secernis honestum non patre praeclaro, sed vita et pectore puro. atqui si vitiis mediocribus ac mea paucis mendosa est natura, alioqui recta, velut si egregio inspersos reprehendas corpore naevos, si neque avaritiam neque sordes nec mala lustra obiciet vere quisquam mihi, purus et insons, ut me collaudem, si et vivo carus amicis, causa fuit pater his; qui macro pauper agello noluit in Flavi ludum me mittere, magni quo pueri magnis e centurionibus orti laevo suspensi loculos tabulamque lacerto ibant octonos referentes Idibus aeris, sed puerum est ausus Romam portare docendum artes, quas doceat quivis eques atque senator semet prognatos. vestem servosque sequentes, in magno ut populo, si qui vidisset, avita ex re praeberi sumptus mihi crederet illos.

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behutsam nur die Würdigen wählst, von eitler Ehrsucht weit entfernt. Ich könnte nicht sagen, ich hätte insofern Glück gehabt, als ich dich durch günstige Fügung zum Freund bekommen hätte; denn kein Zufall führte mich zu dir: Einige Zeit zuvor hatte der gute [55] Vergil, danach Varius zu dir gesagt, was an mir sei. Als ich dir von Angesicht zu Angesicht gegenüberstand, sagte ich nur stockend wenige Worte – denn mehr ließ mich sprachlose Schüchternheit nicht hervorbringen –, und ich erzählte nicht, ich würde von einem vornehmen Vater abstammen, nicht, ich würde auf satureianischem Gaul um meine Landgüter herumreiten, [60] sondern einfach das, was an mir war. Du erwiderst, wie es deine Art ist, nur Weniges; ich gehe davon, und erst im neunten Monat danach lässt du mich wieder rufen und sagst, ich solle mich zu deinen Freunden zählen. Darin sehe ich etwas Großartiges, dass ich Gefallen bei dir fand, der du das Ehrenwerte vom Gemeinen nicht mit Blick auf die Abstammung von einem erlauchten Vater, sondern auf die Integrität der Lebensweise und der Gesinnung unterscheidest. [65] Und doch, wenn meine Wesensart mit nur wenigen unbedeutenden Fehlern behaftet, im Übrigen aber anständig ist, wie man ja auch an einem hervorragend schönen Körper, wenn man tadeln will, hier und dort Muttermale finden kann, wenn keiner mir mit Fug und Recht Habsucht oder schmutzigen Geiz oder üble Bordelle vorwerfen kann, wenn ich, [70] um mich selbst zu loben, rein, unbescholten und bei den Freunden beliebt lebe, so ist die Ursache für das alles mein Vater; der wollte mich, obwohl er arm war mit seinem mageren Äckerchen, nicht in die Schule des Flavius schicken, wohin die stolzen Söhne der stolzen Centurionen,15 am linken Arm behängt mit Griffelkasten und Schreibtafel, [75] gingen, die acht As Gebühr immer an den Iden zahlten, sondern er hatte den Mut, seinen Knaben nach Rom zu bringen, damit ich in den Disziplinen16 unterrichtet würde, die jeder beliebige Ritter und Senator seine Sprösslinge lernen lässt. Wenn jemand meine Kleidung und die mir folgenden Sklaven gesehen hätte, wie es ja geschieht in einer großen Menschenmenge, hätte er gedacht, [80] dieser Aufwand werde mir aus altem Erbgut

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ipse mihi custos incorruptissimus omnes circum doctores aderat. quid multa? pudicum, qui primus virtutis honos, servavit ab omni non solum facto, verum opprobrio quoque turpi nec timuit, sibi ne vitio quis verteret, olim si praeco parvas aut, ut fuit ipse, coactor mercedes sequerer; neque ego essem questus. at hoc nunc laus illi debetur et a me gratia maior. nil me paeniteat sanum patris huius, eoque non, ut magna dolo factum negat esse suo pars, quod non ingenuos habeat clarosque parentes, sic me defendam. longe mea discrepat istis et vox et ratio. nam si natura iuberet a certis annis aevum remeare peractum atque alios legere, ad fastum quoscumque parentes optaret sibi quisque, meis contentus honestos fascibus et sellis nollem mihi sumere, demens iudicio vulgi, sanus fortasse tuo, quod nollem onus haud umquam solitus portare molestum. nam mihi continuo maior quaerenda foret res atque salutandi plures, ducendus et unus et comes alter, uti ne solus rusve peregre〈ve〉 exirem, plures calones atque caballi pascendi, ducenda petorrita. nunc mihi curto ire licet mulo vel si libet usque Tarentum, mantica cui lumbos onere ulceret atque eques armos. obiciet nemo sordes mihi, quas tibi, Tilli, cum Tiburte via praetorem quinque sequuntur te pueri lasanum portantes oenophorumque. hoc ego commodius quam tu, praeclare senator,

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geboten. Er selbst kam als mein unbestechlichster Hüter mit mir zu allen meinen Lehrern.17 Was soll ich mehr sagen? In Unverdorbenheit, der ersten Ehre, mit der sich männliche Tugend schmückt, bewahrte er mich, und somit nicht nur vor jeder schimpflichen Tat, sondern auch vor jedem schimpflichen Tadel, [85] und er fürchtete nicht, irgendjemand könnte es ihm als Fehler anrechnen, wenn ich dereinst als Ausrufer oder, wie er selbst es war, als Makler18 geringem Erwerb nachginge; auch ich hätte mich darüber nicht beklagt. So aber schulde ich ihm jetzt umso größeres Lob und umso größeren Dank. Keineswegs möchte ich mich, solange ich bei Verstand bin, wegen dieses meines Vaters schämen, und darum [90] würde ich mich nie so verteidigen wie ein großer Teil der Leute, die sagen, es sei nicht ihr Verschulden, dass sie nicht frei geborene, berühmte Eltern hätten. Grundverschieden von diesen da sind meine Worte und Gedanken. Denn wenn die Natur anordnen würde, dass der Mensch von einem bestimmten Lebensjahr an die zurückgelegte Lebensstrecke noch einmal zu durchlaufen [95] und sich andere Eltern auszusuchen hätte, wie ein jeder sie sich seinem Stolz entsprechend wünschen würde, dann wäre ich mit den meinen zufrieden und würde mir nicht solche wählen wollen, denen die Rutenbündel und Amtssessel19 Ehre verleihen, verrückt zwar nach dem Urteil der großen Masse, aber vielleicht vernünftig nach dem Deinen, weil ich keine lästige Bürde, wie ich sie nie zuvor gewohnt war, tragen will. [100] Denn sofort müsste ich meinen Besitz zu vermehren suchen, mehr Leuten wäre die Aufwartung zu machen,20 ich hätte den einen und anderen Begleiter mitzuführen, um nie allein aufs Land oder auf Reise gehen zu müssen, mehr Stallknechte und Gäule zu füttern und mehr Kutschen mitzunehmen. Jetzt darf ich, [105] wenn ich Lust habe, bis nach Tarent ziehen auf einem kastrierten Maultier, dem der Mantelsack mit seinem schweren Gewicht die Flanken und der Reiter den Vorderbug wund drücken. Niemand wird mir schmutzigen Geiz vorwerfen wie dir, Tillius, wenn dich, den Prätor, auf der Straße nach Tibur nur fünf Sklaven begleiten, die deinen Pisspott und deinen Weinkorb tragen. [110] In dieser Beziehung lebe ich bequemer als du, erlauchter Se-

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milibus atque aliis vivo. quacumque libido est, incedo solus, percontor quanti holus ac far, fallacem Circum vespertinumque pererro saepe Forum, assisto divinis; inde domum me ad porri et ciceris refero laganique catinum. cena ministratur pueris tribus et lapis albus pocula cum cyatho duo sustinet; astat echinus vilis, cum patera guttus, Campana supellex. deinde eo dormitum, non sollicitus, mihi quod cras surgendum sit mane, obeundus Marsya, qui se vultum ferre negat Noviorum posse minoris. ad quartam iaceo; post hanc vagor aut ego lecto aut scripto quod me tacitum iuvet unguor olivo, non quo fraudatis immundus Natta lucernis. ast ubi me fessum sol acrior ire lavatum admonuit, fugio Campum lusumque trigonem. pransus non avide, quantum interpellet inani ventre diem durare, domesticus otior. haec est vita solutorum misera ambitione gravique; his me consolor victurum suavius ac si quaestor avus pater atque meus patruusque fuisset.

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VII Proscripti Regis Rupili pus atque venenum hybrida quo pacto sit Persius ultus, opinor omnibus et lippis notum et tonsoribus esse. Persius hic permagna negotia dives habebat Clazomenis, etiam lites cum Rege molestas,

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nator, und noch in tausend anderen Dingen. Wohin es mir gefällt, bummle ich allein, erkundige mich, wie viel Gemüse und Mehl kosten, durchstreife den trügerischen21 Circus und oft noch am Abend das Forum, bleibe auch mal bei den Wahrsagern stehen; dann begebe ich mich nach Hause [115] zu einer Schüssel Lauch und Kichererbsen mit Pfannkuchen. Das Essen wird mir von drei Sklaven serviert, und die weiße Marmorplatte trägt zwei Becher samt der Schöpfkelle; daneben steht ein billiges Mischgefäß, dazu eine Ölflasche samt der Schale, alles kampanisches Geschirr. Dann gehe ich schlafen, ohne die Sorge, dass ich am nächsten Morgen [120] früh aufstehen und vor Marsyas erscheinen muss, der leugnet, dass er die Visage des jüngeren Novius ertragen könne.22 Bis zur vierten Stunde23 bleibe ich liegen; später streife ich umher oder lese oder schreibe zu meinem eigenen stillen Vergnügen und lasse mich dann mit Olivenöl einsalben24, aber nicht mit einem wie der schmutzige Natta, der die Lampen darum betrügt. [125] Doch sobald die Sonne heftiger brennt und mich, weil ich müde geworden bin, ins Bad zu gehen ermahnt, verlasse ich fluchtartig das Marsfeld und das Dreiballspiel25. Wenn ich zu Mittag gegessen habe, nicht gierig, sondern nur so weit verhindert wird, dass ich den ganzen Tag mit leerem Magen aushalten muss, faulenze ich daheim. Dies ist das Leben derjenigen, die von elendem und drückendem Ehrgeiz frei sind; [130] so werde ich – damit tröste ich mich – angenehmer leben, als wenn mein Großvater, mein Vater und mein Onkel Quästor gewesen wären.

7 Auf welche Weise sich an dem Eiter und Gift, aus dem der proskribierte1 Rex Rupilius bestand, der Mischling2 Persius rächte, ist, glaube ich, allen Augenkranken3 und allen Barbieren bekannt. Dieser Persius, ein reicher Mann, hatte sehr große Geschäftsinteressen [5] in Klazomenai, dazu mit Rex einen ihn in Schwierigkeiten

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durus homo atque odio qui posset vincere Regem, confidens tumidusque, adeo sermonis amari, Sisennas, Barros ut equis praecurreret albis. ad Regem redeo. postquam nihil inter utrumque convenit – hoc etenim sunt omnes iure molesti, quo fortes, quibus adversum bellum incidit; inter Hectora Priamiden, animosum atque inter Achillem ira fuit capitalis, ut ultima divideret mors, non aliam ob causam, nisi quod virtus in utroque summa fuit: duo si Discordia vexet inertes aut si disparibus bellum incidat, ut Diomedi cum Lycio Glauco, discedat pigrior, ultro muneribus missis –: Bruto praetore tenente ditem Asiam, Rupili et Persi par pugnat, uti non compositum melius cum Bitho Bacchius. in ius acres procurrunt, magnum spectaculum uterque. Persius exponit causam; ridetur ab omni conventu; laudat Brutum laudatque cohortem, solem Asiae Brutum appellat stellasque salubres appellat comites excepto Rege; Canem illum, invisum agricolis sidus, venisse. ruebat flumen ut hibernum, fertur quo rara securis. tum Praenestinus salso multoque fluenti expressa arbusto regerit convicia, durus vindemiator et invictus, cui saepe viator cessisset magna compellans voce cuculum. at Graecus, postquam est Italo perfusus aceto, Persius exclamat: ‘per magnos, Brute, deos te oro, qui reges consueris tollere, cur non hunc Regem iugulas? operum hoc, mihi crede, tuorum est.’

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bringenden Prozess, ein harter Bursche, imstande, an gehässiger Art Rex zu überbieten, frech und aufgeblasen und von so bissiger Redeweise, dass er selbst Leute wie Sisenna und Barrus um mehrere Längen4 überholte. Ich komme auf Rex zurück. Nachdem sich die beiden in keinem Punkt [10] hatten einigen können – denn alle Unversöhnlichen beanspruchen dasselbe Recht wie Tapfere, die in einem Kampf aneinander geraten; zwischen Hektor, dem Sohn des Priamus, und dem stürmischen Achilles herrschte so tödlicher Zorn, dass schließlich der Tod sie trennte, und dies aus keinem anderen Grund, als dass Tapferkeit in jedem von beiden [15] in höchstem Maße steckte: Wenn Discordia zwei Feiglinge stachelt oder wenn ungleiche Gegner in einen Kampf geraten wie Diomedes mit dem Lykier Glaukus, dann weicht der Trägere vom Platz, nachdem er noch dazu Geschenke gegeben hat5 –, da trugen also, während Brutus als Prätor6 das reiche Asien innehatte, Rupilius und Persius ihren Kampf aus, ein Paar, wie kein [20] besser aufgestelltes Bacchius und Bithus7 hätten sein können. Sie stürmen hitzig vor Gericht, ein großartiges Schauspiel beide. Persius setzt den Rechtsfall auseinander; er wird von der ganzen Versammlung ausgelacht. Er preist Brutus und preist dessen Gefolge, nennt Brutus die Sonne Asiens, und wohltätige Sterne [25] nennt er dessen Begleiter, ausgenommen Rex; als Hundsstern8, den die Bauern hassen, sei der erschienen. Er stürzte dahin wie ein Strom im Winter dort, wohin selten die Axt getragen wird.9 Dann erwidert ihm, der seinen Witz reichlich verströmen lässt, der Praenestiner10 mit Schimpfworten, die aus dem Weingarten herausgepresst11 sind, wie ein grober [30] und unbesiegbarer Winzer, demgegenüber wohl oft der Wanderer hatte aufgeben müssen, wenn er ihm mit lauter Stimme »Kuckuck« zurief.12 Doch nachdem der Grieche Persius mit italischem Essig übergossen worden ist, schreit er: »Bei den erhabenen Göttern frage ich dich, Brutus, der du doch die Gewohnheit hast, Könige zu beseitigen:13 Warum schneidest du nicht [35] diesem Rex die Kehle durch? Glaube mir, das gehört zu deinen Aufgaben.«

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Olim truncus eram ficulnus, inutile lignum, cum faber, incertus scamnum faceretne Priapum, maluit esse deum. deus inde ego, furum aviumque maxima formido; nam fures dextra coercet obscenoque ruber porrectus ab inguine palus, ast importunas volucres in vertice harundo terret fixa vetatque novis considere in hortis. huc prius angustis eiecta cadavera cellis conservus vili portanda locabat in arca; hoc miserae plebi stabat commune sepulcrum, Pantolabo scurrae Nomentanoque nepoti mille pedes in fronte, trecentos cippus in agrum hic dabat, heredes monumentum ne sequeretur. nunc licet Esquiliis habitare salubribus atque aggere in aprico spatiari, quo modo tristes albis informem spectabant ossibus agrum, cum mihi non tantum furesque feraeque suetae hunc vexare locum curae sunt atque labori, quantum carminibus quae versant atque venenis humanos animos: has nullo perdere possum nec prohibere modo, simul ac vaga Luna decorum protulit os, quin ossa legant herbasque nocentes. vidi egomet nigra succinctam vadere palla Canidiam pedibus nudis passoque capillo, cum Sagana maiore ululantem: pallor utrasque fecerat horrendas aspectu. scalpere terram unguibus et pullam divellere mordicus agnam coeperunt; cruor in fossam confusus, ut inde

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8 Einst war ich der Klotz eines Feigenbaums, unnützes1 Holz2, als ein Tischler, unsicher, ob er eine Fußbank oder einen Priap aus mir machen sollte, lieber wollte, dass ich ein Gott würde. Ein Gott bin ich daher, für die Diebe und die Vögel der größte Schrecken; denn die Diebe hält meine Rechte fern [5] und der rote Pfahl3, der sich unanständig von meinem Unterleib hervorreckt, die frechen Vögel aber schreckt das Schilf auf meinem Kopf und verbietet ihnen, in dem neuen Park zu nisten. Hierher ließen früher Sklaven die Leichen ihrer Mitsklaven, die man aus den engen Zellen geworfen hatte, in billigen Kisten tragen; [10] hier stand der gemeinsame Friedhof für arme Leute, für den Spaßvogel Pantolabus und den Verschwender Nomentanus wies hier eine Säule eine Fläche mit einer Länge von tausend und einer Breite von dreihundert Fuß zu4 und verfügte, dass das Grab nie an die Erben fallen dürfe. Jetzt darf man auf einem gesunden Esquilin wohnen und [15] auf dem Wall in der Sonne spazieren gehen, von dem aus man vor kurzem noch einen traurigen Ausblick auf einen von weißen Knochen entstellten Platz hatte, wohingegen mir nicht so sehr die Diebe und die wilden Tiere, die diesen Ort immer wieder heimsuchen, Sorge und Not bereiten wie die Weiber, die mit magischen Sprüchen und Liebestränken [20] die Sinne der Menschen verhexen: Die kann ich auf keine Weise vernichten, und ich kann nicht verhindern, dass sie, sobald die wandernde Luna ihr schönes Antlitz zeigt, Knochen und schädliche Zauberkräuter sammeln. Ich sah mit eigenen Augen Canidia5 einherschreiten, den schwarzen Mantel hochgeschürzt, mit nackten Füßen und aufgelöstem Haar [25] und Schreie ausstoßen zusammen mit der älteren Sagana6; Blässe hatte beiden einen schauderhaften Anblick verliehen. Mit ihren Nägeln begannen sie die Erde aufzukratzen und durch Bisse ein schwarzes Lamm zu zerreißen; Blut ließen sie in die Grube fließen, um von dort den Totengeistern ihre Seelen zu entlocken, die ihnen auf ihre

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Manibus elicerent animas responsa daturas. lanea et effigies erat altera cerea: maior lanea, quae poenis compesceret inferiorem; cerea suppliciter stabat, servilibus ut quae iam peritura modis. Hecaten vocat altera, saevam altera Tisiphonen. serpentes atque videres infernas errare canes Lunamque rubentem, ne foret his testis, post magna latere sepulcra. mentior at si quid, merdis caput inquiner albis corvorum atque in me veniat mictum atque cacatum Iulius et fragilis Pediatia furque Voranus. singula quid memorem, quo pacto alterna loquentes umbrae cum Sagana resonarint triste et acutum utque lupi barbam variae cum dente colubrae abdiderint furtim terris et imagine cerea largior arserit ignis et ut non testis inultus horruerim voces Furiarum et facta duarum? nam, displosa sonat quantum vesica, pepedi diffissa nate ficus; at illae currere in urbem. Canidiae dentes, altum Saganae caliendrum excidere atque herbas atque incantata lacertis vincula cum magno risuque iocoque videres.

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IX Ibam forte Via Sacra, sicut meus est mos nescio quid meditans nugarum, totus in illis: accurrit quidam notus mihi nomine tantum arreptaque manu ‘quid agis, dulcissime rerum?’ ‘suaviter, ut nunc est,’ inquam ‘et cupio omnia, quae vis.’ cum assectaretur, ‘numquid vis?’ occupo. at ille

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Fragen Antworten geben sollten. [30] Da war ein Bild aus Wolle, ein anderes aus Wachs:7 Das größere, wollene sollte wohl das kleinere durch Strafen unterdrücken; das wächserne stand in flehender Haltung, als müsste es gleich den Tod wie ein Sklave erleiden. Die eine ruft Hekate an, die andere die grausame Tisiphone. Schlangen und [35] Hunde der Unterwelt hättest du sehen können, wie sie herumkrochen, und wie sich Luna, um nicht Zeuge von so etwas zu sein, schamrot hinter großen Grabmälern verbarg. Wenn ich aber auch nur irgendeine Lüge erzähle, soll mein Kopf mit weißer Rabenscheiße besudelt werden, und Julius, die Tunte Pediatia8 und der Dieb Voranus sollen kommen, um auf mich zu pissen und zu kacken. [40] Was soll ich noch Einzelheiten erzählen, auf welche Weise die Schatten im Dialog mit Sagana traurig und schrill antworteten, wie sie die Schnauze eines Wolfes zusammen mit dem Zahn einer gefleckten Schlange heimlich in die Erde gruben, wie die Wachsfigur das Feuer höher auflodern ließ und wie ich als nicht ungerächter Zeuge [45] der Worte und Taten der beiden Furien mein Entsetzen zum Ausdruck brachte? Denn wie eine platzende Blase knallt, so furzte ich los und ließ meine Arschbacken aus Feigenholz auseinander bersten; sie aber rannten in die Stadt. Wie Canidias Zähne und Saganas hohe Perücke herabfielen und von ihren Armen die Zauberkräuter und die verzauberten [50] Liebesknoten, das hättest du mit großem Gelächter und viel Spaß sehen können.

9 Ich ging gerade zufällig auf der Via Sacra,1 nach meiner Gewohnheit in Gedanken über irgendwelche poetischen Kleinigkeiten, ganz darin vertieft: Da läuft einer auf mich zu, der mir nur dem Namen nach bekannt ist, und packt meine Hand: »Wie geht es dir, mein Liebster?« [5] »Ganz nett im Moment«, sagte ich, »und ich wünsche dir alles, was du dir wünschst.« Als er neben mir herging, kam ich Weiterem zuvor mit der Frage: »Möchtest du sonst noch was von mir?« Und er: »Dass

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‘noris nos’ inquit; ‘docti sumus.’ hic ego ‘pluris hoc’ inquam ‘mihi eris.’ misere discedere quaerens ire modo ocius, interdum consistere, in aurem dicere nescio quid puero, cum sudor ad imos manaret talos. ‘o te, Bolane, cerebri felicem!’ aiebam tacitus, cum quidlibet ille garriret, vicos, urbem laudaret. ut illi nil respondebam, ‘misere cupis’ inquit ‘abire, iamdudum video; sed nil agis: usque tenebo; persequar hinc quo nunc iter est tibi.’ ‘nil opus est te circumagi: quendam volo visere non tibi notum; trans Tiberim longe cubat is prope Caesaris hortos.’ ‘nil habeo quod agam et non sum piger: usque sequar te.’ demitto auriculas, ut iniquae mentis asellus, cum gravius dorso subiit onus. incipit ille: ‘si bene me novi, non Viscum pluris amicum, non Varium facies. nam quis me scribere plures aut citius possit versus? quis membra movere mollius? invideat quod et Hermogenes, ego canto.’ interpellandi locus hic erat: ‘est tibi mater, cognati, quis te salvo est opus?’ ‘haud mihi quisquam: omnes composui.’ ‘felices! nunc ego resto. confice! namque instat fatum mihi triste, Sabella quod puero cecinit mota divina anus urna: “hunc neque dira venena nec hosticus auferet ensis nec laterum dolor aut tussis nec tarda podagra; garrulus hunc quando consumet cumque: loquaces, si sapiat, vitet, simul atque adoleverit aetas.”’' ventum erat ad Vestae, quarta iam parte diei

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du mich kennenlernst; ich bin ein Intellektueller.« Da sagte ich: »Umso höher werde ich dich schätzen.« Ich suchte ganz verzweifelt, von ihm loszukommen, ging bald schneller, blieb bald stehen, [10] sagte meinem Sklavenjungen irgendetwas ins Ohr, während der Schweiß mir bis hinunter zu den Knöcheln lief. »O Bolanus, du Glücklicher mit deinem hitzigen Temperament!«,2 sagte ich im Stillen bei mir, während der alles Mögliche schwätzte und die Straßen und die Stadt pries. Als ich ihm immer wieder keine Antwort gab, sagte er: »Du willst verzweifelt von mir weg, [15] ich sehe es längst; aber damit erreichst du nichts: Ich werde mich ununterbrochen an dich hängen; begleiten werde ich dich von hier bis dort, wohin dein Weg geht.« »Es ist nicht nötig, dass du dir den Umweg machst: Ich will jemanden besuchen, den du nicht kennst; er liegt krank im Bett, weit weg über dem Tiber drüben, nahe bei den Gärten Caesars3.« »Ich habe nichts zu tun und bin nicht faul: Ich werde dir ununterbrochen folgen.« [20] Ich lasse meine Ohren hängen wie ein verdrossener Esel, wenn er eine zu schwere Last auf den Rücken hat nehmen müssen. Er fängt an: »Wenn ich mich richtig kenne, wirst du Viscus4 als Freund nicht höher einschätzen, nicht Varius. Denn wer könnte mehr Verse schreiben oder schneller als ich?5 Wer geschmeidiger die Glieder bewegen? [25] Mein Gesang ist etwas, worum selbst Hermogenes mich beneiden könnte.« Hier war Gelegenheit, ihn zu unterbrechen: »Hast du noch eine Mutter, Verwandte, für die dein Wohlergehen notwendig ist?« »Nein, niemanden: Alle habe ich ins Grab gebracht.« »Die Glücklichen! Jetzt bin ich noch übrig. Gib mir den Rest! Denn das traurige Schicksal setzt mir hart zu, [30] das mir in meiner Kindheit eine sabellische Alte sang, nachdem sie ihre Weissagungsurne6 geschüttelt hatte: ›Weder grausiges Gift noch das Schwert des Feinds wird ihn töten, Lungenentzündung nicht, nicht lähmende Gicht noch die Schwindsucht; irgendwann wird ein Schwätzer ihn fertig machen: Sobald er älter ist, meide er, hat er Vernunft, redselige Leute.‹7« [35] Erreicht war der Vestatempel,8 ein Viertel des Tages9 schon ver-

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praeterita, et casu tum respondere vadato debebat, quod ni fecisset, perdere litem. ‘si me amas,’ inquit ‘paulum hic ades.’ ‘inteream, si aut valeo stare aut novi civilia iura; et propero quo scis.’ ‘dubius sum, quid faciam’, inquit, ‘tene relinquam an rem.’ ‘me, sodes.’ ‘non faciam’ ille, et praecedere coepit; ego, ut contendere durum cum victore, sequor. ‘Maecenas quomodo tecum?' hinc repetit. ‘paucorum hominum et mentis bene sanae.’ ‘nemo dexterius fortuna est usus. haberes magnum adiutorem, posset qui ferre secundas, hunc hominem velles si tradere: dispeream, ni summosses omnes.’ ‘non isto vivitur illic, quo tu rere, modo; domus hac nec purior ulla est nec magis his aliena malis. nil mi officit, inquam, ditior hic aut est quia doctior; est locus uni cuique suus.’ ‘magnum narras, vix credibile.’ ‘atqui sic habet.’ ‘accendis, quare cupiam magis illi proximus esse.’ ‘velis tantummodo: quae tua virtus, expugnabis; et est qui vinci possit eoque difficiles aditus primos habet.’ ‘haud mihi dero: muneribus servos corrumpam; non, hodie si exclusus fuero, desistam; tempora quaeram, occurram in triviis, deducam. nil sine magno vita labore dedit mortalibus.’ haec dum agit, ecce Fuscus Aristius occurrit, mihi carus et illum qui pulchre nosset. consistimus. ‘unde venis et quo tendis?’ rogat et respondet. vellere coepi et pressare manu lentissima bracchia, nutans,

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strichen, und zufällig hatte mein Begleiter gerade da einer Vorladung Folge zu leisten; würde er das nicht tun, verlöre er den Prozess. »Willst du mir einen Gefallen tun,« sagte er, »steh mir hier ein wenig bei.« »Ich will des Todes sein, wenn ich das lange Stehen aushalte oder mich im bürgerlichen Recht auskenne; [40] auch bin ich in Eile; du weißt ja, wohin ich will.« »Ich bin im Zweifel, was ich tun soll«, sagte er, »ob ich dich aufgeben soll oder meine Rechtssache.« »Mich, bitte!« Er: »Das werde ich nicht tun«, und begann vorauszugehen. Ich folge, weil es schwer ist, mit einem Sieger zu streiten. »Wie steht Maecenas zu dir?« So nimmt er den Faden auf. »Er ist nur für wenige Leute zu haben und hat ein sehr gesundes Urteil.« [45] »Keiner hat sein Glück geschickter genutzt. Du hättest einen großartigen Helfer, der die zweite Rolle übernehmen könnte, wenn du ihm den Menschen hier empfehlen wolltest: Ich will des Todes sein, wenn du nicht bald alle verdrängt hättest.«10 »Man lebt dort nicht auf die Art, wie du glaubst; es gibt kein Haus, das integrer ist als dieses [50] und weniger vertraut mit diesen üblen Dingen. Es macht mir nicht das Geringste aus, sage ich dir, wenn jemand reicher oder gebildeter ist; jeder Einzelne hat seinen eigenen Platz.« »Großartig, was du da erzählst, kaum zu glauben.« »Und doch verhält es sich so.« »Du entfachst meine Begierde, ihm ganz nahe zu sein.« »Du brauchst nur zu wollen: Tatkräftig, wie du bist, [55] wirst du ihn erobern; er ist auch leicht einzunehmen, und deshalb macht er die erste Annäherung schwer.« »An mir wird es nicht fehlen: Die Sklaven werde ich mit Geschenken bestechen; muss ich heute draußen vor der Tür bleiben, werde ich nicht aufgeben; ich will Gelegenheiten erkunden, ihm auf der Straße begegnen, ihn begleiten. Ohne gewalt’ge [60] Müh’ gibt nichts das Leben den Sterblichen.«11 Während er sich mit diesem Thema beschäftigt, sieh, da läuft Aristius Fuscus12 auf uns zu, ein lieber Freund von mir, der den anderen bestens kannte. Wir bleiben stehen. »Woher kommst du und wohin strebst du?« fragen und antworten wir. Ich begann ihn zu zupfen und mit der Hand seine Arme zu quetschen, die keine Reaktion zeigten,

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distorquens oculos, ut me eriperet. male salsus ridens dissimulare; meum iecur urere bilis. ‘certe nescio quid secreto velle loqui te aiebas mecum.’ ‘memini bene, sed meliore tempore dicam. hodie tricesima sabbata: vin tu curtis Iudaeis oppedere?’ ‘nulla mihi’ inquam ‘religio est.’ ‘at mi: sum paulo infirmior, unus multorum. ignosces; alias loquar.’ huncine solem tam nigrum surrexe mihi! fugit improbus ac me sub cultro linquit. casu venit obvius illi adversarius et ‘quo tu, turpissime?’ magna inclamat voce, et ‘licet antestari?’ ego vero oppono auriculam. rapit in ius; clamor utrimque, undique concursus. sic me servavit Apollo.

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X Nempe incomposito dixi pede currere versus Lucili. quis tam Lucili fautor inepte est, ut non hoc fateatur? at idem, quod sale multo urbem defricuit, charta laudatur eadem. nec tamen hoc tribuens dederim quoque cetera; nam sic et Laberi mimos ut pulchra poemata mirer. ergo non satis est risu diducere rictum auditoris; et est quaedam tamen hic quoque virtus. est brevitate opus, ut currat sententia neu se impediat verbis lassas onerantibus aures, et sermone opus est modo tristi, saepe iocoso,

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wobei ich ihm zunickte [65] und die Augen rollte, damit er mich entreiße. Er machte sich einen schlechten Scherz mit mir, indem er lachend so tat, als begreife er nichts; ich kochte vor Wut.13 »Du hast doch ganz sicher gesagt, du wolltest etwas mit mir unter vier Augen besprechen.« »Ja, ich erinnere mich gut, aber ich will es bei einer besseren Gelegenheit sagen. Heute ist ein dreißigster Sabbat: Du willst doch nicht etwa [70] den beschnittenen Juden ins Gesicht furzen?«14 »Ich habe keine religiösen Bedenken«, sagte ich. »Aber ich; ich bin weniger gefestigt, halt einer von vielen. Du wirst mir verzeihen; ich werde ein andermal reden.« Dass dieser Tag so schwarz15 für mich anbrach! Der Schuft läuft davon und lässt mich unter dem Messer zurück. Zufällig kommt jenem [75] sein Prozessgegner in den Weg und schreit ihn mit lauter Stimme an: »Wohin, du Halunke?« Und zu mir: »Darf ich dich als Zeugen nehmen?« Gleich halte ich ihm mein Ohr hin.16 Er schleppt ihn vor Gericht; Geschrei auf beiden Seiten, von allen Seiten ein Auflauf. So rettete mich Apollo.17

10 Gewiss,1 ich habe gesagt, dass die Verse des Lucilius mit regellos auftretenden Füßen laufen.2 Wer wäre ein so alberner Verehrer des Lucilius, dass er dies nicht zugeben würde? Und doch wird dieser auf derselben Seite auch gepriesen, weil er Rom mit dem vielen Salz seines Witzes abgerieben hat. [5] Wenn ich ihm dies zugestehe, möchte ich ihm dennoch nicht auch noch alles Übrige nachsehen; denn sonst müsste ich ja auch die Mimen des Laberius als schöne Dichtungen bewundern. Es genügt also nicht, den Hörer so zum Lachen zu bringen, dass er das Maul aufreißt; und doch steckt auch darin eine gewisse Leistung. Kürze ist notwendig, damit der Gedankengang dahinläuft und sich nicht [10] in Worten verheddert, die die Ohren ermüden und belasten, und ein Stil3 ist notwendig, der manchmal ernst, aber oft

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defendente vicem modo rhetoris atque poetae, interdum urbani, parcentis viribus atque extenuantis eas consulto. ridiculum acri fortius et melius magnas plerumque secat res. illi, scripta quibus comoedia prisca viris est, hoc stabant, hoc sunt imitandi; quos neque pulcher Hermogenes umquam legit neque simius iste nil praeter Calvum et doctus cantare Catullum. ‘at magnum fecit, quod verbis Graeca Latinis miscuit.’ o seri studiorum! quine putetis difficile et mirum, Rhodio quod Pitholeonti contigit? ‘at sermo lingua concinnus utraque suavior, ut Chio nota si commixta Falerni est.’ cum versus facias, te ipsum percontor, an et cum dura tibi peragenda rei sit causa Petilli? scilicet oblitus patriaeque patrisque Latini, cum Pedius causas exsudet Publicola atque Corvinus, patriis intermiscere petita verba foris malis, Canusini more bilinguis. atque ego cum Graecos facerem, natus mare citra, versiculos, vetuit me tali voce Quirinus post mediam noctem visus, cum somnia vera: ‘in silvam non ligna feras insanius ac si magnas Graecorum malis implere catervas.’ turgidus Alpinus iugulat dum Memnona dumque diffindit Rheni luteum caput, haec ego ludo, quae neque in aede sonent certantia iudice Tarpa nec redeant iterum atque iterum spectanda theatris. arguta meretrice potes Davoque Chremeta eludente senem comes garrire libellos unus vivorum, Fundani; Pollio regum

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scherzhaft ist; bald die Rolle des Redners und des Dichters spielen muss, zuweilen die des feinsinnigen Weltmanns, der seine Kräfte schont und sie mit Absicht zurückhaltend einsetzt. Humor [15] entscheidet wichtige Fragen meistens mit mehr Durchschlagskraft und besser als scharfer Ernst. Darin waren die Männer, welche die alten Komödien schrieben4, erfolgreich, darin sind sie nachzuahmen; die aber hat der Beau Hermogenes niemals gelesen und auch nicht dieser Affe da5, der abgerichtet ist, nichts außer Calvus und Catull6 zu rezitieren. [20] »Doch er7 hat etwas Großartiges damit geleistet, dass er unter die lateinischen Wörter griechische mischte.« O ihr spät Lernenden! Haltet ihr denn wirklich für schwierig und bewundernswert, was dem Rhodier Pitholeon8 gelang? »Aber ein Stil, der beide Sprachen zusammen ertönen lässt, ist lieblicher, genauso wie wenn die falernische Weinsorte mit der aus Chios verschnitten wird.«9 [25] Nur, wenn du Verse machst – ich frage dich ganz direkt –, oder auch dann, wenn du den schwierigen Fall eines Angeklagten wie Petillius zu vertreten hast? Klar, du vergisst dein Vaterland und Vater Latinus und möchtest, wenn Pedius Poplicola10 und Corvinus sich mit ihren Fällen abschwitzen, lieber, dass sie zwischen die Wörter ihrer Muttersprache [30] von auswärts geholte mischen nach Art eines zweisprachigen Canusiners. Doch als ich einmal griechische Verschen machte, ich, geboren diesseits des Meeres11, verbot Quirinus es mir mit folgenden Worten, als er mir nach Mitternacht, wenn Träume wahr sind, erschien: »Trügst du Holz in den Wald, wärest du nicht verrückter, als wenn du [35] lieber die großen Scharen der Griechen12 vermehren wolltest.« Während der schwülstige Alpinus Memnon schlachtet und während er das lehmfarbene Haupt des Rheingotts spaltet,13 spiele ich herum mit dem hier14, was weder im Tempel beim Wettbewerb vor dem Schiedsrichter Tarpa ertönen noch wieder und wieder im Theater aufgeführt werden soll.15 [40] Witzige Büchlein, in denen die geschwätzige Hetäre und Davus den alten Chremes zum Narren halten, vermagst du als Einziger unter den Lebenden, Fundanius, plaudern zu lassen;16 Pollio besingt die Taten von Königen in dreimal betonten

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facta canit pede ter percusso; forte epos acer ut nemo Varius ducit, molle atque facetum Vergilio annuerunt gaudentes rure Camenae. hoc erat, experto frustra Varrone Atacino atque quibusdam aliis, melius quod scribere possem, inventore minor; neque ego illi detrahere ausim haerentem capiti cum multa laude coronam. at dixi fluere hunc lutulentum, saepe ferentem plura quidem tollenda relinquendis. age quaeso, tu nihil in magno doctus reprehendis Homero? nil comis tragici mutat Lucilius Acci? non ridet versus Enni gravitate minores, cum de se loquitur non ut maiore reprensis? quid vetat et nosmet Lucili scripta legentes quaerere, num illius, num rerum dura negarit versiculos natura magis factos et euntes mollius ac si quis pedibus quid claudere senis, hoc tantum contentus, amet scripsisse ducentos ante cibum versus, totidem cenatus, Etrusci quale fuit Cassi rapido ferventius amni ingenium, capsis quem fama est esse librisque ambustum propriis. fuerit Lucilius, inquam, comis et urbanus, fuerit limatior idem quam rudis et Graecis intacti carminis auctor quamque poetarum seniorum turba; sed ille, si foret hoc nostrum fato dilatus in aevum, detereret sibi multa, recideret omne quod ultra perfectum traheretur, et in versu faciendo saepe caput scaberet vivos et roderet ungues. saepe stilum vertas, iterum quae digna legi sint

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Versen;17 das kräftige Epos treibt, feurig wie sonst keiner, Varius voran;18 Zartheit und Charme [45] gewährten dem Vergil die Camenen, die am Landleben ihre Freude haben.19 Es war das hier20 – Varro Atacinus und gewisse andere haben sich ohne Erfolg darin versucht –, was ich besser schreiben konnte, seinem Schöpfer21 aber unterlegen; ich würde es auch nicht wagen, ihm den Kranz zu entreißen, der mit viel Ruhm auf seinem Haupt sitzt. [50] Und doch habe ich gesagt,22 er fließe schlammig dahin und führe freilich oft mehr solches mit sich, was man entfernen müsse, als solches, was man bewahren kann. Nun denn, ich frage dich: Findest du als Kenner nichts am großen Homer zu tadeln? Will Lucilius, so freundlich er ist, nichts bei dem Tragiker Accius geändert wissen? Lacht er nicht über Verse des Ennius, die von geringerer Würde sind, [55] wobei er von sich nicht als jemandem spricht, der größer sein will als diejenigen, die er kritisiert? Was verbietet uns, beim Lesen der Dichtungen des Lucilius zu fragen, ob seine eigene oder die spröde Natur seines Stoffes ihm besser ausgeführte und weicher dahinfließende Verschen versagten als diejenigen, die einer verfasst, der, schon damit zufrieden, etwas in Verse zu je sechs Versfüßen23 einzuschließen, [60] es liebt, zweihundert Verse vor dem Mahl und ebenso viele nach dem Essen zu dichten, wie der Etrusker Cassius, dessen Geist heftiger dahinbrauste als ein reißender Gießbach und von dem die Sage geht, er sei auf seinen eigenen Bücherkassetten und Büchern verbrannt worden? Mag, so sage ich, Lucilius auch [65] witzig und feinsinnig sein, mag er auch ausgefeilter sein als der Schöpfer der noch unkultivierten Dichtung, in welcher die Griechen sich nicht versuchten,24 und als die ganze Schar der älteren Dichter; doch er würde, wenn er vom Schicksal bis in unsere Zeit aufgeschoben worden wäre, vieles abfeilen und alles beschneiden, was über [70] das Vollkommene hinaus ausgedehnt wäre, und er würde sich beim Versemachen oft am Kopf kratzen und die Fingernägel bis aufs Fleisch benagen. Du sollst oft den Griffel drehen,25 wenn du etwas schreiben willst, was ein zweites Mal gelesen zu werden verdient; und du sollst nicht

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scripturus, neque te ut miretur turba labores, contentus paucis lectoribus. an tua demens vilibus in ludis dictari carmina malis? non ego; nam satis est equitem mihi plaudere, ut audax contemptis aliis explosa Arbuscula dixit. men moveat cimex Pantilius aut cruciet quod vellicet absentem Demetrius aut quod ineptus Fannius Hermogenis laedat conviva Tigelli? Plotius et Varius, Maecenas Vergiliusque, Valgius et probet haec Octavius optimus atque Fuscus et haec utinam Viscorum laudet uterque. ambitione relegata te dicere possum, Pollio, te, Messalla, tuo cum fratre, simulque vos, Bibule et Servi, simul his te, candide Furni, complures alios, doctos ego quos et amicos prudens praetereo; quibus haec, sint qualiacumque, arridere velim, doliturus, si placeant spe deterius nostra. Demetri, teque, Tigelli, discipularum inter iubeo plorare cathedras. i, puer, atque meo citus haec subscribe libello.

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darauf hinarbeiten, dass die Menge dich bewundert, zufrieden mit wenigen Lesern. Oder bist du so von Sinnen, [75] dass du es lieber hättest, wenn man in ordinären Klippschulen deine Gedichte diktierte? Ich nicht; denn »mir genügt es, wenn die Ritter mir Beifall klatschen«, wie Arbuscula voll Verachtung für die anderen kess sagte, als man sie ausgezischt hatte. Soll mich die Wanze Pantilius aufregen, oder soll es mich quälen, dass Demetrius an mir in meiner Abwesenheit herumzupft oder dass der alberne [80] Fannius, der Tischgenosse des Hermogenes Tigellius, mich heruntermacht? Mögen26 Plotius und Varius, Maecenas und Vergil, Valgius und Octavius27 und der allerbeste Fuscus28 dies hier gut finden; auch die beiden Brüder Viscus29 mögen es, so hoffe ich, loben. Ohne der Schmeichelei beschuldigt zu werden, kann ich dich nennen, [85] Pollio, dich, Messalla, zusammen mit deinem Bruder30, zugleich euch, Bibulus und Servius, und zugleich mit diesen dich, ehrlicher Furnius, und noch mehrere andere, Literaten und Freunde, die ich jetzt mit Absicht übergehe; ich möchte, dass ihnen dies hier, was auch immer es taugt, Freude bereitet, und es wäre schmerzlich für mich, wenn es ihnen weniger gefiele, als ich hoffe. [90] Aber du, Demetrius, und du, Tigellius, euch sage ich, ihr sollt herumwimmern31 zwischen den Lehnstühlen eurer Schülerinnen. Geh, Sklavenjunge, und schreibe dies noch rasch unten auf mein Büchlein!32

SERMONVM LIBER II I ‘Sunt quibus in satira videar nimis acer et ultra legem tendere opus; sine nervis altera quidquid composui pars esse putat similesque meorum mille die versus deduci posse. Trebati, quid faciam? praescribe.’ ‘quiescas.’ ‘ne faciam, inquis, omnino versus?’ ‘aio.’ ‘peream male, si non optimum erat; verum nequeo dormire.’ ‘ter uncti transnanto Tiberim, somno quibus est opus alto, irriguumque mero sub noctem corpus habento. aut, si tantus amor scribendi te rapit, aude Caesaris invicti res dicere, multa laborum praemia laturus.’ ‘cupidum, pater optime, vires deficiunt; neque enim quivis horrentia pilis agmina nec fracta pereuntes cuspide Gallos aut labentis equo describit vulnera Parthi.’ ‘attamen et iustum poteras et scribere fortem, Scipiadam ut sapiens Lucilius.’ ‘haud mihi dero, cum res ipsa feret. nisi dextro tempore Flacci verba per attentam non ibunt Caesaris aurem, cui male si palpere, recalcitrat undique tutus.’ ‘quanto rectius hoc quam tristi laedere versu Pantolabum scurram Nomentanumque nepotem, cum sibi quisque timet, quamquam est intactus, et odit.’ ‘quid faciam? saltat Milonius, ut semel icto accessit fervor capiti numerusque lucernis;

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Buch 2 der Satiren 1 »Es gibt Leute, denen ich in der Gattung Satire allzu scharf scheine, und weiter, als es erlaubt ist, dehnte ich das Werk;1 ohne Kraft sei alles, was ich verfasst habe, glaubt eine andere Gruppe, und ähnliche Verse wie meine könnte man tausend am Tag abspulen. Trebatius, [5] was soll ich tun? Gib mir fachmännischen Rat!« – »Gib Ruhe.« – »Du sagst, ich soll überhaupt keine Verse machen?« – »Das ist meine Meinung.« – »Hol mich der Henker, wenn das nicht das Beste wäre; aber ich kann nicht schlafen.« – »Mit Öl eingerieben sollen dreimal die durch den Tiber schwimmen, die tiefen Schlaf brauchen, und zur Nacht hin den Körper mit ungemischtem Wein befeuchten. [10] Oder, falls dich so heftige Liebe zum Schreiben packt, wage es, die Taten des unbesiegbaren Caesar2 zu besingen; das wird dir reichen Lohn für deine Mühe bringen.« – »Ich möchte das sehr gern, guter Vater, aber die Kraft dazu fehlt mir; denn nicht jeder Beliebige kann von Speeren starrende Heerscharen beschreiben oder mit zerbrochener Lanze sterbende Gallier [15] oder die Wunden eines Parthers, der vom Pferd gleitet.« – »Und doch könntest du ihn als gerecht und tapfer beschreiben, wie der weise Lucilius den Scipiaden.3« – »An mir soll es nicht fehlen, wenn die Gelegenheit sich bietet. Nur wenn es der richtige Zeitpunkt ist, werden Flaccus’ Worte Caesars aufmerksame Ohren erreichen; [20] wenn man ihm auf falsche Weise schmeichelt, schlägt er aus, um sich nach allen Seiten hin zu schützen.« »Wie viel besser wäre das, als mit unfreundlichen Versen den Spaßvogel Pantolabus und den Verschwender Nomentanus4 zu kränken, wenn jeder für sich selbst fürchtet, und, auch wenn er unangetastet blieb, dich hasst.« – »Was soll ich denn machen? Milonius tanzt, sobald sein vom Wein getroffener [25] Kopf heißer geworden ist und die Zahl der Lampen sich verdoppelt hat; Kastor freut sich an Pfer-

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Castor gaudet equis, ovo prognatus eodem pugnis; quot capitum vivunt, totidem studiorum milia: me pedibus delectat claudere verba Lucili ritu, nostrum melioris utroque. ille velut fidis arcana sodalibus olim credebat libris neque, si male cesserat, usquam decurrens alio neque, si bene; quo fit, ut omnis votiva pateat veluti descripta tabella vita senis. sequor hunc, Lucanus an Apulus anceps; nam Venusinus arat finem sub utrumque colonus, missus ad hoc pulsis, vetus est ut fama, Sabellis, quo ne per vacuum Romano incurreret hostis, sive quod Apula gens seu quod Lucania bellum incuteret violenta. sed hic stilus haud petet ultro quemquam animantem et me veluti custodiet ensis vagina tectus; quem cur destringere coner tutus ab infestis latronibus? o pater et rex Iuppiter, ut pereat positum robigine telum, nec quisquam noceat cupido mihi pacis! at ille, qui me commorit – melius non tangere, clamo –, flebit et insignis tota cantabitur urbe. Cervius iratus leges minitatur et urnam, Canidia Albuci, quibus est inimica, venenum, grande malum Turius, si quid se iudice certes. ut quo quisque valet suspectos terreat utque imperet hoc natura potens, sic collige mecum: dente lupus, cornu taurus petit. unde nisi intus monstratum? Scaevae vivacem crede nepoti matrem: nil faciet sceleris pia dextera – mirum, ut neque calce lupus quemquam neque dente petit bos! –,

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den, sein demselben Ei entsprossener Zwillingsbruder5 am Faustkampf; wie viele Köpfe existieren, so viele tausend Liebhabereien gibt es: Mir macht es Spaß, Worte in Versfüße einzuschließen nach Art des Lucilius, der besser war als wir beide. [30] Der vertraute einst seine Geheimnisse wie treuen Gefährten seinen Büchern an und weder, wenn es ihm schlecht ergangen war, wandte er sich irgendwo anders hin, noch, wenn es ihm gut ergangen war; so kommt es, dass das ganze Leben des Alten, wie auf einer Votivtafel6 dargestellt, offen liegt. Ihm folge ich nach, doch ob als Lukaner oder als Apulier, ist ungewiss. [35] Denn die venusischen Bauern pflügen ganz nahe an beiden Grenzen; wie die alte Sage geht, wurden sie nach der Vertreibung der Sabeller deshalb hierhergeschickt, damit der Feind nicht durch das unbesiedelte Land hindurch Angriffe gegen die Römer führte, ob nun das gewalttätige apulische oder das gewalttätige lukanische Volk irgendeinen Krieg verursachte. Doch mein Griffel hier wird, ohne dass ich provoziert werde, [40] keinen Lebenden angreifen, und er wird mich wie ein Schwert beschützen, das in der Scheide verborgen ist; warum sollte ich denn versuchen, es zu zücken, solange ich sicher bin vor gefährlichen Banditen? O Vater und König Juppiter, möge meine Waffe ruhen und verrosten und niemand mir, der ich den Frieden will, schaden! Doch [45] wer mich reizt – ›Rühr mich lieber nicht an‹, rufe ich –, dem wird es leidtun, und in der ganzen Stadt wird er als Gebrandmarkter Gegenstand von Gerede sein. Wenn Cervius erzürnt ist, droht er mit den Gesetzen und mit der Urne7; Canidia8 droht ihren Feinden mit dem Gift des Albucius, Turius mit großem Unheil, wenn du prozessierst und er Richter ist. [50] Dass jeder mit dem, worin seine Stärke liegt, die ihm Verdächtigen einschüchtert, und dass dies die mächtige Natur so anordnet, schließe mit mir aus Folgendem: Der Wolf greift mit seinen Zähnen, mit seinen Hörnern der Stier an. Woher hätten sie das gelernt, wenn nicht von ihrem Instinkt? Vertraue dem Verschwender Scaeva seine langlebige Mutter an: Seine pflichtgetreue Rechte wird nichts Verbrecherisches tun – seltsam, [55] dass der Wolf niemanden mit einem Huf, der Stier niemanden mit den Zähnen angreift! –, aber übler

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sed mala tollet anum vitiato melle cicuta. ne longum faciam: seu me tranquilla senectus exspectat seu Mors atris circumvolat alis, dives, inops, Romae, seu fors ita iusserit, exsul, quisquis erit vitae, scribam, color.’ ‘o puer, ut sis vitalis metuo et maiorum ne quis amicus frigore te feriat.’ ‘quid? cum est Lucilius ausus primus in hunc operis componere carmina morem detrahere et pellem, nitidus qua quisque per ora cederet, introrsum turpis, num Laelius aut qui duxit ab oppressa meritum Karthagine nomen ingenio offensi aut laeso doluere Metello famosisque Lupo cooperto versibus? atqui primores populi arripuit populumque tributim, scilicet uni aequus virtuti atque eius amicis. quin ubi se a vulgo et scaena in secreta remorant virtus Scipiadae et mitis sapientia Laeli, nugari cum illo et discincti ludere, donec decoqueretur holus, soliti. quidquid sum ego, quamvis infra Lucili censum ingeniumque, tamen me cum magnis vixisse invita fatebitur usque invidia et fragili quaerens illidere dentem offendet solido – nisi quid tu, docte Trebati, dissentis.’ ‘equidem nihil hinc diffindere possum. sed tamen ut monitus caveas, ne forte negoti incutiat tibi quid sanctarum inscitia legum: si mala condiderit in quem quis carmina, ius est iudiciumque.’ ‘esto, si quis mala; sed bona si quis iudice condiderit laudatus Caesare? si quis opprobriis dignum latraverit, integer ipse?’

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Schierling in vergiftetem Honig wird die Alte beseitigen. Um es kurz zu machen: Ob ein ruhiges Alter mich erwartet, oder ob schon der Tod mit schwarzen Schwingen mich umflattert, ob ich reich bin oder arm, ob in Rom oder, wenn es das Schicksal so befiehlt, als Verbannter: [60] Wie auch immer meine Lebensverhältnisse sein werden, ich werde schreiben.« – »Ach, mein Junge, ich fürchte, dass du damit nicht alt wirst9 und einer von deinen mächtigen Freunden dich mit Kälte straft.« – »Was? Als Lucilius erstmals wagte, Gedichte dieser Art zu schreiben und das Fell herunterzureißen,10 mit dem jeder glänzend gestriegelt, aber innerlich schlecht, in der Öffentlichkeit [65] einherschritt, fühlte sich da Laelius oder er, der von der Vernichtung Karthagos seinen wohlverdienten Namen erhalten hatte,11 gekränkt durch Lucilius’ Naturtalent, oder waren sie betroffen, weil Metellus beleidigt und Lupus mit Schmähversen ganz zugedeckt wurde? Und doch griff er die ersten Männer des Volkes und das Volk Tribus für Tribus an, [70] natürlich der Tugend allein und ihren Freunden wohlgesonnen. Ja, wenn sich von der Menge und der Bühne der Öffentlichkeit an einen privaten Ort zurückgezogen hatten der tapfere Scipiade und der milde, weise Laelius, dann pflegten sie mit ihm herumzualbern und ungegürtet12 zu spielen, bis das Gemüse gar gekocht war. Was ich auch immer bin und wie tief ich auch [75] unter dem sozialen Status13 und dem Naturtalent des Lucilius stehe, muss der Neid dennoch, wenn auch widerwillig, immer wieder zugeben, dass ich mit den Großen gelebt habe, und wenn er seinen Zahn in etwas Zerbrechliches hineinzutreiben sucht, wird er auf etwas Hartes stoßen – es sei denn, du, gelehrter Trebatius, bist anderer Meinung.« »Ich kann dir in der Tat nichts davon abspalten. [80] Damit du jedoch gewarnt bist und aufpasst, dass dir nicht Unkenntnis der heiligen Gesetze14 möglicherweise irgendwelche Schwierigkeiten verursacht, dies noch: Wenn jemand gegen jemanden üble Verse15 verfasst, gibt es ein Verfahren und ein Gerichtsurteil.« – »So sei es, wenn jemand üble schreibt. Aber wenn jemand gute schreibt und von Caesar als seinem Richter Lob erntet? Wenn jemand [85] jemanden anbellt, der Tadel verdient, selbst aber frei von Schuld ist?« – »Dann werden die Geset-

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‘solventur risu tabulae, tu missus abibis.’

II Quae virtus et quanta, boni, sit vivere parvo – nec meus hic sermo est, sed quae praecepit Ofellus rusticus, abnormis sapiens crassaque Minerva –, discite non inter lances mensasque nitentes, cum stupet insanis acies fulgoribus et cum acclinis falsis animus meliora recusat, verum hic impransi mecum disquirite. ‘cur hoc?’ dicam, si potero. male verum examinat omnis corruptus iudex. leporem sectatus equove lassus ab indomito vel, si Romana fatigat militia assuetum graecari, seu pila velox molliter austerum studio fallente laborem, seu te discus agit, pete cedentem aera disco – cum labor extuderit fastidia, siccus, inanis sperne cibum vilem; nisi Hymettia mella Falerno ne biberis diluta. foris est promus, et atrum defendens pisces hiemat mare: cum sale panis latrantem stomachum bene leniet. unde putas aut qui partum? non in caro nidore voluptas summa, sed in te ipso est. tu pulmentaria quaere sudando: pinguem vitiis albumque neque ostrea nec scarus aut poterit peregrina iuvare lagois. vix tamen eripiam, posito pavone velis quin hoc potius quam gallina tergere palatum, corruptus vanis rerum, quia veneat auro

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zestafeln unter Gelächter annulliert,16 du wirst entlassen und kannst davongehen.«

2 Was für eine Tugend und welch große es ist, von Wenigem zu leben, ihr guten Leute – diese Rede ist nicht meine, sondern das, was der Bauer Ofellus lehrte, ein keiner Schule zugehöriger Philosoph mit hausbackener Weisheit –, das lernt nicht mitten unter schimmernden Schüsseln und Tischen, [5] wenn der Blick geblendet ist von unsinnigem Glanz und wenn der Geist, dem Falschen zugeneigt, das Bessere zurückweist, sondern hier noch vor dem Essen untersucht es mit mir. »Warum das?« Ich will es euch sagen, wenn ich kann. Jeder bestochene Richter prüft die Wahrheit schlecht. Wenn du einen Hasen gejagt hast oder von einem schwer zu bändigenden Pferd [10] erschöpft bist oder (falls dich, der du gewohnt bist, den Griechen zu spielen,1 römischer Militärdrill ermüdet) wenn der schnelle Ball, bei dem der Eifer dich leicht über die herbe Mühe hinwegtäuscht, oder der Diskus dich in Bewegung hält, ziele nach der zurückweichenden Luft mit dem Diskus – wenn Arbeit dir die Mäkelsucht ausgetrieben hat, wenn du durstig und hungrig bist, [15] verschmähe gewöhnliches Essen und trinke nur Falerner, in dem hymettischer Honig aufgelöst ist. Der Küchen- und Kellermeister ist ausgegangen, und die düstere See ist stürmisch und schützt die Fische: Da wird dir Brot mit Salz den knurrenden Magen ganz gut besänftigen. Woher, glaubst du, kommt das oder wie wurde es erreicht? Nicht in teurem Bratenduft liegt die höchste [20] Lust, sondern in dir selbst. Du erwirb dir die Zukost durch Schweiß: Den durch Sündigen fett und bleich Gewordenen können weder Austern noch Lippfisch oder ein ausländisches Birkhuhn schmecken. Und doch werde ich dich kaum davon wegreißen können, wenn ein Pfau aufgetragen ist, lieber mit diesem den Gaumen zu kitzeln als mit einem Huhn, [25] bestochen vom nichtigen Schein, weil der selte-

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rara avis et picta pandat spectacula cauda, tamquam ad rem attineat quicquam. num vesceris ista, quam laudas, pluma? cocto num adest honor idem? carne tamen quamvis distat nil, hanc magis illa imparibus formis deceptum te petere! esto: unde datum sentis, lupus hic Tiberinus an alto captus hiet, pontesne inter iactatus an amnis ostia sub Tusci? laudas, insane, trilibrem mullum, in singula quem minuas pulmenta necesse est. ducit te species, video; quo pertinet ergo proceros odisse lupos? quia scilicet illis maiorem natura modum dedit, his breve pondus. [ieiunus raro stomachus vulgaria temnit.] ‘porrectum magno magnum spectare catino vellem’ ait Harpyiis gula digna rapacibus. at vos, praesentes Austri, coquite horum obsonia! quamquam putet aper rhombusque recens, mala copia quando aegrum sollicitat stomachum, cum rapula plenus atque acidas mavult inulas. necdum omnis abacta pauperies epulis regum; nam vilibus ovis nigrisque est oleis hodie locus. haud ita pridem Galloni praeconis erat acipensere mensa infamis. quid? tunc rhombos minus aequor alebat? tutus erat rhombus tutoque ciconia nido, donec vos auctor docuit praetorius. ergo si quis nunc mergos suaves edixerit assos, parebit pravi docilis Romana iuventus. sordidus a tenui victu distabit Ofello iudice. nam frustra vitium vitaveris illud, si te alio pravum detorseris. Avidienus,

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ne Vogel für Gold gekauft wird und mit dem bunten, ausgebreiteten Schweif ein prächtiges Schauspiel bietet, als ob es darauf irgendwie ankäme. Isst du denn die Federn da, die du so lobst? Hat er, wenn er gekocht ist, etwa noch dieselbe Pracht? Doch auch wenn beim Fleisch kein Unterschied ist, wie kannst du nur, getäuscht durch [30] die ungleiche äußere Erscheinung, mehr Appetit auf diesen als auf jenes haben! Mag es denn so sein. Aber woher hast du die Gabe, dass du bemerkst, ob man den Seebarsch hier, der sein Maul aufsperrt, im Tiber oder auf hoher See gefangen hat und ob er zwischen den Brücken oder an der Mündung des tuskischen Stromes2 hin und her getrieben wurde? Du lobst, Verrückter, eine drei Pfund schwere Meerbarbe, die du doch in kleine Stücke schneiden musst. [35] Das Aussehen zieht dich an, ich sehe es wohl; doch was soll es dann, dass du große Seebarsche verschmähst? Natürlich, weil die Natur ihnen größere Länge gegeben hat, den Meerbarben aber ein geringes Gewicht. [Ein leerer Magen verschmäht selten das Gewöhnliche.] »Einen großen Fisch möchte ich ausgestreckt in einer großen Schüssel sehen«, [40] sagt ein Schlund, welcher der raffgierigen Harpyien3 würdig wäre. Doch kommt, helfende Südwinde, und kocht ihre Zukost gar! Allerdings geht von frischem Wildschwein und frischem Steinbutt ein Gestank aus, wenn Übersättigung den kranken Magen rebellisch macht und er, voll, wie er ist, lieber Radieschen und scharfen Alant will. Noch nicht jede [45] Armenkost ist von den Tischen der Reichen verbannt; denn billige Eier und schwarze Oliven haben dort noch heute ihren Platz. Vor nicht so langer Zeit war die Tafel des Auktionators Gallonius wegen eines Störs berüchtigt. Warum? Nährte das Meer damals weniger Steinbutte? Der Steinbutt war sicher, und der Storch saß in einem sicheren Nest, [50] bis ein ehemaliger Prätor euch aufklärte.4 Wenn also einer heute verfügt, dass gebratene Tauchervögel5 gut schmecken, wird Roms Jugend, die schnell ist im Erlernen des Schlechten, ihm gehorchen. Eine schmutzige wird sich von einer schlichten Lebensweise unterscheiden, wie Ofellus meint. Denn vergeblich wirst du den einen Fehler meiden, [55] wenn du, verkehrt, wie du bist, anderswohin ab-

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cui Canis ex vero dictum cognomen adhaeret, quinquennes oleas est et silvestria corna ac nisi mutatum parcit defundere vinum et, cuius odorem olei nequeas perferre, licebit ille repotia, natales aliosve dierum festos albatus celebret, cornu ipse bilibri caulibus instillat, veteris non parcus aceti. quali igitur victu sapiens utetur et horum utrum imitabitur? hac urget lupus, hac canis, aiunt. mundus erit, qua non offendat sordibus atque in neutram partem cultus miser. hic neque servis, Albuci senis exemplo, dum munia didit, saevus erit, nec sic ut simplex Naevius unctam convivis praebebit aquam; vitium hoc quoque magnum. accipe nunc, victus tenuis quae quantaque secum afferat. imprimis valeas bene. nam variae res ut noceant homini, credas memor illius escae, quae simplex olim tibi sederit. at simul assis miscueris elixa, simul conchylia turdis, dulcia se in bilem vertent stomachoque tumultum lenta feret pitvita. vides, ut pallidus omnis cena desurgat dubia? quin corpus onustum hesternis vitiis animum quoque praegravat una atque affigit humo divinae particulam aurae. alter ubi dicto citius curata sopori membra dedit, vegetus praescripta ad munia surgit. hic tamen ad melius poterit transcurrere quondam, sive diem festum rediens advexerit annus, seu recreare volet tenuatum corpus, ubique accedent anni et tractari mollius aetas imbecilla volet: tibi quidnam accedet ad istam

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drehst. Avidienus, an dem der Beiname »Hund«6 der Wahrheit entsprechend festhängt, isst fünf Jahre alte Oliven und wilde Kornelkirschen und hütet sich, einen anderen Wein auszuschenken als einen umgeschlagenen, und Öl, dessen Geruch du nicht ertragen kannst, gießt er selbst, mag er auch [60] eine Hochzeit, einen Geburtstag oder ein anderes Fest im weißen Gewand begehen, aus einem zwei Pfund fassenden Horn tropfenweise über seinen Kohl, ohne mit altem Essig zu sparen. Welche Lebensweise wird der Weise also wählen und welche von beiden wird er nachahmen? Hier bedrängt ihn der Wolf, dort der Hund, sagt man!7 [65] Er wird reinlich genug sein, nicht durch Schmutz Anstoß zu erregen und nach keiner von beiden Seiten hin in seinem Lebensstil erbärmlich. Er wird weder nach dem Vorbild des alten Albucius zu den Sklaven grausam sein, wenn er die Arbeiten unter ihnen aufteilt, noch wie der simple Naevius den Gästen schmieriges Wasser anbieten; auch das ist ein großer Fehler. [70] Vernimm nun, welchen und einen wie großen Gewinn eine einfache Lebensweise mit sich bringt. Vor allem bleibst du gesund. Denn wie sehr ein buntes Durcheinander dem Menschen schadet, davon wirst du überzeugt sein, wenn du dich an das schlichte Essen erinnerst, das dir einstmals gut bekam. Doch sobald du Gebratenes und Gesottenes, Austern und Drosseln durcheinandermischst, [75] wird sich das Süße in Galle verwandeln und zäher Schleim deinen Magen rebellisch machen. Siehst du, wie sich jeder blass von einem Essen erhebt, bei dem die Auswahl schwer ist? Ja, ein Körper, der vom gestrigen Sündigen noch belastet ist, zieht auch die Seele mit sich nach unten und heftet dieses Teilchen göttlichen Atems8 am Boden fest. [80] Wenn der andere im Nu seine Glieder versorgt und sie dann dem Schlaf überlassen hat, erhebt er sich munter zu den ihm vorgeschriebenen Aufgaben. Er wird dennoch gelegentlich zu etwas Besserem übergehen können, sei es, dass das wiederkehrende Jahr einen Festtag bringt oder dass er seinen abgemagerten Körper regenerieren will, und wenn [85] die Jahre zunehmen und das kraftlose Alter sanftere Pflege wünscht. Doch was wird bei dir zu dieser Weichheit hinzukommen,

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quam puer et validus praesumis mollitiem, seu dura valetudo inciderit seu tarda senectus? rancidum aprum antiqui laudabant, non quia nasus illis nullus erat, sed, credo, hac mente, quod hospes tardius adveniens vitiatum commodius quam integrum edax dominus consumeret. hos utinam inter heroas natum tellus me prima tulisset! das aliquid famae, quae carmine gratior aurem occupet humanam? grandes rhombi patinaeque grande ferunt una cum damno dedecus. adde iratum patruum, vicinos, te tibi iniquum et frustra mortis cupidum, cum deerit egenti as, laquei pretium. ‘iure’ inquit ‘Trausius istis iurgatur verbis; ego vectigalia magna divitiasque habeo tribus amplas regibus.’ ergo, quod superat, non est melius quo insumere possis? cur eget indignus quisquam te divite? quare templa ruunt antiqua deum? cur, improbe, carae non aliquid patriae tanto emetiris acervo? uni nimirum recte tibi semper erunt res, o magnus posthac inimicis risus! uterne ad casus dubios fidet sibi certius? hic qui pluribus assuerit mentem corpusque superbum, an qui contentus parvo metuensque futuri in pace, ut sapiens, aptarit idonea bello? quo magis his credas, puer hunc ego parvus Ofellum integris opibus novi non latius usum quam nunc accisis. videas metato in agello cum pecore et gnatis fortem mercede colonum

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die du als junger und starker Mann schon vorwegnimmst, wenn eine schwere Krankheit dich befällt oder das lähmende Alter? Einen ranzigen Eber lobten die Männer der alten Zeit, nicht weil sie keine Nasen [90] hatten, sondern, wie ich glaube, in der Meinung, dass passender ein später ankommender Gast den verdorbenen Braten verzehre als der Hausherr gefräßig den noch frischen und ganzen. Wenn doch die Erde in ihrer Frühzeit mich unter diesen Heroen hervorgebracht hätte! Gibst du etwas auf guten Ruf, der angenehmer als Gesang das menschliche Ohr [95] einnimmt? Große Steinbutte und große Schüsseln bringen zusammen mit Schaden große Schande. Dazu kommen ein erzürnter Onkel9, die Nachbarn und du, der du dein eigener Feind bist und vergeblich deinen Tod herbeiwünschst, wenn dir dann doch in deiner Armut ein As fehlt, das Geld für einen Strick. »Mit Recht«, sagt er, »wird mit diesen Worten Trausius [100] gescholten; ich aber habe ein großes Einkommen und Reichtum, der für drei Könige groß genug ist.« Hast du also nichts Besseres, wofür du das, was dir übrig bleibt, verwenden könntest? Warum leidet jemand Not, der es nicht verdient, während du reich bist? Warum stürzen alte Tempel der Götter zusammen? Warum, du Halunke, misst du [105] von einem so großen Haufen nicht etwas deinem teuren Vaterland zu? Klar doch, für dich allein werden die Dinge ja immer gut stehen, o du Anlass zu großem Gelächter für deine Feinde später einmal! Wer kann im Hinblick auf unwägbare Zufälle sich selbst sicherer vertrauen? Der, welcher einen hochmütigen Geist und Körper an Überfluss gewöhnt, [110] oder der, welcher mit wenigem zufrieden und in Angst vor der Zukunft sich wie ein Weiser im Frieden für das rüstet, was der Krieg fordert? Damit du dem hier mehr glaubst, sage ich dir: Ich weiß seit der Zeit, als ich ein kleiner Junge war, dass unser Ofellus hier von seinem damals noch unverminderten Besitz nicht mehr Gebrauch machte als jetzt, wo dieser verkleinert ist. Sehen könntest du ihn auf dem ihm nun zugemessenen kleinen Stück Land [115] mit seinem Vieh und seinen Söhnen als tatkräftigen, für Lohn arbeitenden Bauern, wie er

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‘non ego’ narrantem ‘temere edi luce profesta quicquam praeter holus fumosae cum pede pernae. ac mihi seu longum post tempus venerat hospes sive operum vacuo gratus conviva per imbrem vicinus, bene erat non piscibus urbe petitis, sed pullo atque haedo; tum pensilis uva secundas et nux ornabat mensas cum duplice ficu. post hoc ludus erat captu potare magistro ac venerata Ceres, ita culmo surgeret alto, explicuit vino contractae seria frontis. saeviat atque novos moveat Fortuna tumultus: quantum hinc imminuet? quanto aut ego parcius aut vos, o pueri, nituistis, ut huc novus incola venit? nam propriae telluris erum natura nec illum nec me nec quemquam statuit. nos expulit ille, illum aut nequities aut vafri inscitia iuris, postremum expellet certe vivacior heres. nunc ager Umbreni sub nomine, nuper Ofelli dictus, erit nulli proprius, sed cedet in usum nunc mihi, nunc alii. quocirca vivite fortes fortiaque adversis opponite pectora rebus.’

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III ‘Sic raro scribis, ut toto non quater anno membranam poscas, scriptorum quaeque retexens, iratus tibi, quod vini somnique benignus nil dignum sermone canas. quid fiet? at ipsis Saturnalibus huc fugisti sobrius. ergo dic aliquid dignum promissis. incipe. nil est.

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erzählt: »Nicht leichthin aß ich an einem Werktag etwas außer Gemüse mit der Haxe eines geräucherten Schinkens. Doch wenn nach langer Zeit ein Gastfreund zu mir gekommen war oder als willkommener Tischgenosse, wenn ich während eines Regens nichts zu arbeiten hatte, [120] ein Nachbar, dann taten wir uns gütlich, aber nicht mit aus der Stadt geholten Fischen, sondern mit einem Hähnchen und einem Zicklein; dann schmückten den Tisch zum Dessert getrocknete Trauben, Nüsse und gespaltene Feigen.10 Danach war unser Sport das Zechen mit der Trinkkapazität als unserem Symposiarchen11, und Ceres, zu der wir beteten, sie möge sich in hohen Halmen erheben,12 [125] glättete durch Wein den Ernst der gerunzelten Stirn. Mag Fortuna auch wüten und neue Unruhen erregen: Wie viel kann sie hier von uns wegnehmen? Um wie viel weniger glänzend sehe ich oder seht ihr aus, meine Söhne, seit der neue Siedler hierhergekommen ist? Denn zum Eigentümer seines eigenen Landes hat die Natur weder ihn [130] noch mich noch irgendjemanden eingesetzt. Er hat uns vertrieben, ihn wird entweder seine Nichtsnutzigkeit oder seine Unkenntnis des kniffligen Rechts, am Ende auf jeden Fall der Erbe vertreiben, der ein längeres Leben vor sich hat. Jetzt trägt das Gut den Namen des Umbrenus, jüngst trug es den des Ofellus, aber zu eigen wird es keinem sein, sondern zum Gebrauch [135] bald an mich, bald an einen anderen übergehen. Deshalb lebt tapfer und stellt Widrigkeiten ein tapferes Herz entgegen.«

3 »So selten schreibst du, dass du im ganzen Jahr nicht viermal nach Pergament1 verlangst, weil du alles, was du geschrieben hast, wieder auftrennst,2 zornig auf dich selbst, weil du, reichlich Wein und Schlaf zugetan, nichts verfasst, was eines satirischen Gesprächs würdig wäre. Was wird daraus noch werden? Doch gerade [5] an den Saturnalien bist du hierher geflüchtet und nüchtern geblieben. Also rezitiere etwas, das würdig ist dessen, was du versprachst. Fang an. Nein, es hat

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culpantur frustra calami immeritusque laborat iratis natus paries dis atque poetis. atqui vultus erat multa et praeclara minantis, si vacuum tepido cepisset villula tecto. quorsum pertinuit stipare Platona Menandro, Eupolin Archilocho, comites educere tantos? invidiam placare paras virtute relicta? contemnere miser. vitanda est improba Siren desidia, aut quidquid vita meliore parasti ponendum aequo animo.’ ‘di te, Damasippe, deaeque verum ob consilium donent tonsore! sed unde tam bene me nosti?’ ‘postquam omnis res mea Ianum ad medium fracta est, aliena negotia curo excussus propriis. olim nam quaerere amabam, quo vafer ille pedes lavisset Sisyphus aere, quid scalptum infabre, quid fusum durius esset; callidus huic signo ponebam milia centum. hortos egregiasque domos mercarier unus cum lucro noram; unde frequentia Mercuriali imposuere mihi cognomen compita.’ ‘novi et miror morbi purgatum te illius. atqui emovit veterem mire novus, ut solet, in cor traiecto lateris miseri capitisve dolore, ut lethargicus hic cum fit pugil et medicum urget. dum ne quid simile huic, esto ut libet.’ ‘o bone, ne te frustrere: insanis et tu stultique prope omnes, si quid Stertinius veri crepat, unde ego mira descripsi docilis praecepta haec, tempore quo me solatus iussit sapientem pascere barbam

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keinen Sinn. Grundlos wird das Schreibrohr beschuldigt, und die unschuldige Wand hat zu leiden, weil sie unter dem zornigen Fluch der Götter und Dichter geboren sei. Und doch war deine Miene von der Art, dass du viel Hervorragendes androhtest, [10] wenn du frei sein würdest und dein kleines Landhaus3 dich unter seinem warmen Dach aufgenommen habe. Welchem Zweck diente es, Plato mit Menander und Eupolis mit Archilochus4 einzupacken und so bedeutende Begleiter mitzunehmen? Hast du vor, den Neid zu beschwichtigen, indem du das aufgibst, worin deine Stärke liegt? Dann wirst du nur Verachtung finden, du armer Kerl. Du musst die ruchlose Sirene [15] Trägheit meiden oder alles, was du dir in einer besseren Lebensphase geschaffen hast, mit Gleichmut aufgeben.« – » Die Götter und Göttinnen mögen dir, Damasipp, für diesen wahrhaft guten Rat einen Barbier schenken!5 Doch woher kennst du mich so gut?« – »Seitdem mein ganzes Vermögen beim mittleren Janusbogen6 verloren ging, kümmere ich mich um die Geschäfte anderer Leute, [20] da ich aus den eigenen hinausgeworfen wurde. Denn früher pflegte ich gerne zu untersuchen, in welchem Bronzebecken sich der verschlagene Sisyphus die Füße gewaschen hatte,7 was kunstlos gemeißelt, was zu grob gegossen sei; als feiner Kenner legte ich für eine bestimmte Statue Hunderttausend an. Ich verstand es einzigartig, Gärten und schöne Häuser [25] mit Gewinn zu verkaufen; darum gab mir die Volksmenge an den Straßenecken den Spitznamen »Merkurs Günstling«. – »Ich weiß; und mit Erstaunen sehe ich, dass du von jener Krankheit geheilt bist. Und doch hat erstaunlicherweise eine neue die alte vertrieben, wie es gewöhnlich geht, wenn die Schmerzen aus der kranken Brust oder dem Kopf auf das Herz übergegangen sind, [30] wie wenn dieser oder jener Schlafsüchtige zum Boxer wird und auf seinen Arzt losgeht. Wenn du nur nicht etwas Ähnliches tust, mag es denn sein, wie es will.« – »Mein Lieber, täusch dich nur nicht: Auch du bist verrückt, und fast alle Dummen sind es, wenn Stertinius etwas Wahres erschallen lässt, von dem ich diese wunderbaren Lehren selbst lernbegierig gehört und aufgezeichnet habe in jener Zeit, als er mich [35] tröstete und mich aufforderte, mir einen Philosophenbart wach-

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atque a Fabricio non tristem ponte reverti. nam male re gesta cum vellem mittere operto me capite in flumen, dexter stetit et “cave faxis te quicquam indignum. pudor” inquit “te malus angit, insanos qui inter vereare insanus haberi. primum nam inquiram, quid sit furere: hoc si erit in te solo, nil verbi, pereas quin fortiter, addam. quem mala stultitia et quemcumque inscitia veri caecum agit, insanum Chrysippi porticus et grex autumat. haec populos, haec magnos formula reges, excepto sapiente, tenet. nunc accipe, quare desipiant omnes aeque ac tu, qui tibi nomen insano posuere. velut silvis, ubi passim palantes error certo de tramite pellit, ille sinistrorsum, hic dextrorsum abit, unus utrique error, sed variis illudit partibus; hoc te crede modo insanum, nihilo ut sapientior ille, qui te deridet caudam trahat. est genus unum stultitiae nihilum metuenda timentis, ut ignes, ut rupes fluviosque in campo obstare queratur; alterum et huic varum et nihilo sapientius ignes per medios fluviosque ruentis. clamet amica mater, honesta soror, cum cognatis pater, uxor: ‘hic fossa est ingens, hic rupes maxima, serva!” non magis audierit quam Fufius ebrius olim, cum Ilionam edormit, Catienis mille ducentis ‘mater, te appello’ clamantibus. huic ego vulgus errori similem cunctum insanire docebo. insanit veteres statuas Damasippus emendo: integer est mentis Damasippi creditor? esto.

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sen zu lassen und von der Fabricischen Brücke heiter gestimmt nach Hause zu gehen. Denn als ich, nachdem ich mein Vermögen schlecht verwaltet hatte, bereit war, mich mit verhülltem Kopf in den Fluss zu stürzen, da stand er rechts von mir und sagte: ›Pass auf, dass du nichts tust, was deiner unwürdig wäre. Eine falsche Scham bedrückt dich; [40] denn du fürchtest, unter Verrückten selbst als verrückt zu gelten. Zunächst nämlich möchte ich untersuchen, was es bedeutet, verrückt zu sein: Wenn das in dir allein steckt, will ich dich mit keinem weiteren Wort davon abhalten, tapfer zu sterben. Jeden, den die üble Dummheit und Unkenntnis der Wahrheit blind herumirren lassen, den erklären die Säulenhalle8 und die Herde Chrysipps für verrückt. [45] Diese Regel erfasst Völker, erfasst mächtige Könige mit Ausnahme des weisen Mannes. Nun vernimm, warum alle, die dir den Namen ›Verrückter‹ gegeben haben, in gleicher Weise wie du verrückt sind. Wie in den Wäldern, wo ein Irrtum die Leute vom richtigen Weg abbringt, so dass sie hin und her schweifen [50] und der eine nach links, der andere nach rechts geht, beide derselbe Irrtum täuscht, aber von verschiedenen Seiten her, in diesem Maße halte dich für verrückt, doch so, dass derjenige, der dich auslacht, um nichts weiser ist und einen Schwanz hinter sich herzieht.9 Eine Art von Dummheit ist diejenige dessen, der sich vor etwas fürchtet, wovor man überhaupt keine Angst zu haben braucht, [55] so dass er klagt, Feuer, Felsabgründe und Flüsse würden ihm auf offener Ebene den Weg versperren; die andere Art, von dieser verschieden und um nichts weiser, ist diejenige dessen, der mitten durch Feuer und Flüsse rennt. Da mögen auch die liebe Mutter, die ehrwürdige Schwester, mit den Verwandten der Vater und die Gattin schreien: ›Hier ist ein riesiger Graben, hier ein gewaltiger Felsabgrund, nimm dich in Acht!‹ [60] Er wird es wohl ebenso wenig hören wie einst der betrunkene Fufius, als er die Rolle der Iliona – schlief, mochten auch zwölfhundert Catieni schreien: ›Mutter, ich flehe dich an!‹10 Dass die gesamte Volksmenge an einem Wahnwitz krankt, der diesem ähnlich ist, will ich darlegen. Damasipp ist insofern verrückt, als er alte Statuen kauft: [65] Hat Damasipps Gläubiger einen

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‘accipe quod numquam reddas mihi’ si tibi dicam, tune insanus eris, si acceperis? an magis excors reiecta praeda, quam praesens Mercurius fert? scribe decem a Nerio. non est satis; adde Cicutae nodosi tabulas, centum, mille adde catenas: effugiet tamen haec sceleratus vincula Proteus. cum rapies in ius malis ridentem alienis, fiet aper, modo avis, modo saxum et, cum volet, arbor. si male rem gerere insani est, contra bene sani, putidius multo cerebrum est, mihi crede, Perelli dictantis, quod tu numquam rescribere possis. audire atque togam iubeo componere, quisquis ambitione mala aut argenti pallet amore, quisquis luxuria tristive superstitione aut alio mentis morbo calet; huc propius me, dum doceo insanire omnes vos ordine, adite. danda est ellebori multo pars maxima avaris. nescio an Anticyram ratio illis destinet omnem. heredes Staberi summam incidere sepulcro, ni sic fecissent, gladiatorum dare centum damnati populo paria atque epulum arbitrio Arri, frumenti quantum metit Africa. ‘sive ego prave seu recte hoc volui, ne sis patruus mihi.’ credo, hoc Staberi prudentem animum vidisse. quid ergo sensit, cum summam patrimoni insculpere saxo heredes voluit? quoad vixit, credidit ingens pauperiem vitium et cavit nihil acrius, ut, si forte minus locuples uno quadrante perisset, ipse videretur sibi nequior. ‘omnis enim res, virtus, fama, decus, divina humanaque pulchris

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gesunden Verstand? So soll es gelten. Wenn ich zu dir sage: ›Nimm, was du mir niemals zurückzuzahlen brauchst‹, bist du dann verrückt, wenn du es annimmst? Oder bist du mehr von Sinnen, wenn du den Gewinn zurückweist, den der gnädige Merkur bringt? Buche zehntausend Sesterzen als verliehen durch Nerius.11 Das ist noch nicht genug Sicherheit; nimm [70] den Vertrag des raffinierten Cicuta hinzu,12 nimm hundert, ja tausend Ketten hinzu: Der Halunke wird dennoch als Proteus diesen Fesseln entkommen. Wenn du ihn, der über fremdes Unglück lacht, vor Gericht schleppst, wird er zum Wildschwein, bald zum Vogel, bald zum Felsen oder, wenn er will, zum Baum werden. Wenn es verrückt ist, das Vermögen schlecht zu verwalten, klug dagegen, es gut zu verwalten, [75] dann, glaube mir, ist das Hirn des Perellius noch viel verfaulter, wenn er dir einen Schuldschein diktiert, den du niemals einlösen kannst. Zuzuhören und die Toga zu ordnen13 fordere ich jeden auf, der bleich ist von üblem Ehrgeiz oder von Liebe zum Silber, jeden, der fiebrig ist vor Vergnügungssucht und finsterem Aberglauben [80] oder einer anderen Geisteskrankheit; kommt näher her zu mir, während ich euch der Reihe nach darlege, dass ihr alle verrückt seid. Die bei weitem größte Dosis Nieswurz14 ist den Habgierigen zu geben. Vielleicht würde ihnen Vernunft das ganze Antikyra zuweisen. Die Erben des Staberius ließen auf seinem Grabstein die Erbschaftssumme eingravieren; [85] hätten sie das nicht getan, wären sie dazu verpflichtet gewesen, dem Volk hundert Gladiatorenpaare zu präsentieren, dazu ein öffentliches Mahl nach Maßgabe des Arrius, an Getreide so viel, wie Afrika erntet. ›Ob ich das zu Recht oder zu Unrecht so wollte – spiel mir gegenüber nicht den Onkel!‹15 Dies hat, glaube ich, Staberius’ schlauer Geist vorausgesehen. Was hat er sich also [90] gedacht, als er wünschte, dass die Erben die Erbschaftssumme in den Stein einmeißeln sollten? Solange er lebte, galt ihm Armut stets als riesiger Fehler, und vor keinem hat er sich energischer gehütet, so dass er, wenn er zufällig um ein einziges Viertelas weniger reich gestorben wäre, sich für umso nichtsnutziger gehalten hätte: ›Alles nämlich, [95] Tugend, Ruhm, Ehre, himmlische und irdische Güter, unterwirft

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divitiis parent; quas qui construxerit, ille clarus erit, fortis, iustus sapiensque etiam et rex et quidquid volet.’ hoc veluti virtute paratum speravit magnae laudi fore. quid simile isti Graecus Aristippus? qui servos proicere aurum in media iussit Libya, quia tardius irent propter onus segnes. uter est insanior horum? nil agit exemplum, litem quod lite resolvit. si quis emat citharas, emptas comportet in unum, nec studio citharae nec Musae deditus ulli, si scalpra et formas non sutor, nautica vela aversus mercaturis, delirus et amens undique dicatur merito. qui discrepat istis, qui nummos aurumque recondit, nescius uti compositis metuensque velut contingere sacrum? si quis ad ingentem frumenti semper acervum porrectus vigilet cum longo fuste neque illinc audeat esuriens dominus contingere granum ac potius foliis parcus vescatur amaris; si positis intus Chii veterisque Falerni mille cadis – nihil est: tercentum milibus, acre potet acetum; age si et stramentis incubet undeoctoginta annos natus, cui stragula vestis, blattarum ac tinearum epulae, putrescat in arca: nimirum insanus paucis videatur, eo quod maxima pars hominum morbo iactatur eodem. filius aut etiam haec libertus ut ebibat heres, dis inimice senex, custodis? ne tibi desit? quantulum enim summae curtabit quisque dierum, unguere si caules oleo meliore caputque

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sich dem schönen Reichtum; wer ihn aufgehäuft hat, der wird berühmt, tapfer, gerecht und weise sein, ja, und ein König und was immer er will.‹16 Dies, so hoffte er, werde ihm großen Ruhm bringen, als ob es durch Tugend erworben wäre. Tat etwas Ähnliches [100] der Grieche Aristipp? Er befahl seinen Sklaven, mitten in Libyen Gold wegzuwerfen, weil sie zu langsam gingen, träge wegen der Last. Wer von diesen beiden ist verrückter? Ein Beispiel, das ein strittiges Problem durch ein strittiges Problem zu lösen versucht, bringt nichts. Wenn jemand Kitharen kaufen und nach dem Kauf auf einen Haufen zusammentragen würde, [105] ohne der Liebe zur Kithara oder zu irgendeiner Muse verfallen zu sein, wenn er, ohne Schuster zu sein, Ahlen und Leisten kaufen würde, Schiffssegel, dabei aber dem Handel abgeneigt, würde er verdientermaßen von aller Welt verrückt und wahnsinnig genannt. Wodurch unterscheidet sich von solchen einer, der Geldmünzen und Gold versteckt und doch nicht weiß, [110] was er mit dem tun soll, was er zusammengehäuft hat, und der sich scheut, es anzurühren, als ob es ein Heiligtum wäre? Wenn einer immer ausgestreckt neben seinem riesigen Getreidehaufen läge, mit einem langen Knüppel Wache hielte und es nicht wagen würde, davon trotz seines Hungers und, obwohl er der Besitzer ist, ein Körnchen anzurühren, sondern in seiner Sparsamkeit lieber bittere Blätter verzehren würde, [115] wenn er tausend – nein, das ist ja gar nichts: dreihunderttausend Krüge von Chierwein und altem Falernerwein zu Hause lagern, aber nur scharfen Essig trinken würde, ja wenn er im Alter von neunundsiebzig Jahren auf Stroh schliefe, während er gutes Bettzeug hätte, Futter für Schaben und Motten, und dieses in einer Kiste vermodern würde, [120] dann erschiene er natürlich nur wenigen verrückt, und zwar deswegen, weil der größte Teil der Menschen von derselben Krankheit hin und her geworfen wird. Hütest du dies alles, du gottverdammter Alter, damit dein Sohn oder sogar dein Freigelassener es als Erbe verprassen kann? Damit dir nichts fehlt? Wie wenig wird dir denn jeder Tag vom Ganzen wegkürzen, [125] wenn du anfängst, besseres Öl auf dein Gemüse und auf deinen Kopf zu

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coeperis impexa foedum porrigine? quare, si quidvis satis est, peiuras, surripis, aufers undique? tun sanus? populum si caedere saxis incipias servosve tuos, quos aere pararis, insanum te omnes pueri clamentque puellae; cum laqueo uxorem interimis matremque veneno, incolumi capite es. quid enim? neque tu hoc facis Argis nec ferro ut demens genetricem occidis Orestes. an tu reris eum occisa insanisse parente ac non ante malis dementem actum Furiis quam in matris iugulo ferrum tepefecit acutum? quin, ex quo est habitus male tutae mentis Orestes, nil sane fecit, quod tu reprehendere possis: non Pyladen ferro violare aususve sororem Electran; tantum maledicit utrique vocando hanc Furiam, hunc aliud, iussit quod splendida bilis. pauper Opimius argenti positi intus et auri, qui Veientanum festis potare diebus Campana solitus trulla vappamque profestis, quondam lethargo grandi est oppressus, ut heres iam circum loculos et claves laetus ovansque curreret. hunc medicus multum celer atque fidelis excitat hoc pacto: mensam poni iubet atque effundi saccos nummorum, accedere plures ad numerandum; hominem sic erigit; addit et illud: ‘ni tua custodis, avidus iam haec auferet heres.’ ‘men vivo?’ ‘ut vivas igitur, vigila. hoc age.’ ‘quid vis?’' ‘deficient inopem venae te, ni cibus atque ingens accedit stomacho fultura ruenti. tu cessas? agedum sume hoc tisanarium oryzae.’ ‘quanti emptae?’ ‘parvo.’ ‘quanti ergo?’ ‘octussibus.’ ‘eheu!

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träufeln, der hässlich ist von nicht herausgekämmtem Schorf? Doch wenn dir das Nächstbeste gut genug ist, warum schwörst du Meineide, stiehlst und raubst von überall her? Bist du bei Verstand? Wenn du damit anfangen würdest, nach den Leuten oder nach den eigenen Sklaven, die du für Geld gekauft hast, mit Steinen zu werfen, [130] würden alle Knaben und Mädchen schreien, du seist verrückt; wenn du jedoch deine Frau mit einem Strick und mit Gift deine Mutter umbringst, bist du richtig im Kopf. Warum nämlich? Du tust dies nicht in Argos, du tötest nicht deine Erzeugerin mit einem Schwert wie der wahnsinnige Orest. Oder glaubst du, erst nach dem Muttermord sei er verrückt geworden [135] und er sei durch die bösen Furien nicht eher in den Wahnsinn getrieben worden, als er in der Kehle seiner Mutter das scharfe Schwert wärmte? Im Gegenteil: Seitdem Orest, wie man glaubte, nicht mehr ganz bei Verstand war, tat er wahrhaftig nie mehr etwas, was du tadeln könntest: Er wagte nicht, Pylades oder Elektra, seine Schwester, mit dem Schwert zu verletzen; [140] er beschimpfte nur beide, indem er sie als eine Furie bezeichnete und ihn als etwas anderes,17 was ihm die glitzernde schwarze Galle18 befahl. Opimius19, trotz all des im Hause verwahrten Goldes und Silbers ein armer Mann, der an Festtagen Vejentaner aus einer kampanischen Schöpfkelle und an Werktagen Krätzer zu trinken pflegte, [145] wurde eines Tages von einer schweren Schlafsucht befallen, so dass der Erbe schon vergnügt und jubelnd um Schatullen und Schlüssel herumlief. Doch sein sehr gewitzter und zuverlässiger Arzt macht ihn auf folgende Weise wach: Er lässt einen Tisch aufstellen, Säcke voller Geldstücke darauf ausschütten und mehrere Leute [150] zum Zählen kommen; so bringt er den Mann auf die Beine, und dann sagt er noch: ›Wenn du deine Habe nicht bewachst, wird der gierige Erbe sie jetzt schon davontragen.‹ ›Während ich noch lebe?‹ ›Um also weiterzuleben, sei wach. Pass auf!‹ ›Was willst du?‹ ›Vor Schwäche wird das Blut dir in den Adern stocken, wenn nicht Nahrung und gewaltige Stärkung deinem Magen, der am Ende ist, zu Hilfe kommen. [155] Du zögerst noch? Komm, nimm diese Schleimsuppe mit Reis20 zu dir.‹ ›Was hat sie gekostet?‹ ›Ganz wenig.‹ ›Wie viel also?‹ ›Acht As.‹

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quid refert, morbo an furtis pereamque rapinis?’ quisnam igitur sanus? qui non stultus. quid avarus? stultus et insanus. quid? si quis non sit avarus, continuo sanus? minime. cur, Stoice? dicam. non est cardiacus – Craterum dixisse putato – hic aeger. recte est igitur surgetque? negabit, quod latus aut renes morbo temptentur acuto. non est periurus neque sordidus: immolet aequis hic porcum Laribus. verum ambitiosus et audax: naviget Anticyram. quid enim differt, barathrone dones quidquid habes an numquam utare paratis? Servius Oppidius Canusi duo praedia, dives antiquo censu, gnatis divisse duobus fertur et hoc moriens pueris dixisse vocatis ad lectum: ‘postquam te talos, Aule, nucesque ferre sinu laxo, donare et ludere vidi, te, Tiberi, numerare, cavis abscondere tristem, extimui, ne vos ageret vesania discors, tu Nomentanum, tu ne sequerere Cicutam. quare per divos oratus uterque Penates tu cave ne minuas, tu ne maius facias id, quod satis esse putat pater et natura coercet. praeterea ne vos titillet gloria, iure iurando obstringam ambo: uter aedilis fueritve vestrum praetor, is intestabilis et sacer esto.’ in cicere atque faba bona tu perdasque lupinis, latus ut in Circo spatiere et aeneus ut stes, nudus agris, nudus nummis, insane, paternis; scilicet ut plausus, quos fert Agrippa, feras tu,

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›O je! Was macht es schon aus, ob ich an Krankheit oder durch Diebstahl und Raub zugrunde gehe?‹ Wer ist also bei Verstand? Wer kein Dummkopf ist. Was ist mit dem Habgierigen? Dumm und verrückt ist der. Doch wie? Wenn einer nicht habgierig ist, ist er [160] dann schon gleich bei Verstand? Keineswegs. Warum, mein Stoiker? Das will ich dir sagen. Es ist kein Magenleiden – nimm an, so habe Krateros gesprochen –, woran er erkrankt ist. Es geht ihm also gut und er darf aufstehen? Jener wird nein sagen, weil seine Brust oder seine Nieren von einer schweren Krankheit befallen seien. Der da ist nicht meineidig und auch nicht geizig: Er soll den gnädigen [165] Laren ein Ferkel opfern. Aber er ist ehrgeizig und dreist: Er soll nach Antikyra segeln. Denn was ist da für ein Unterschied, ob du alles, was du hast, einem bodenlosen Abgrund schenkst oder nie genießt, was dir zur Verfügung steht? Servius Oppidius verteilte in Canusium zwei Landgüter, somit reich nach Schätzung früherer Zeiten, an seine zwei Söhne, [170] so erzählt man, und dies soll er im Sterben zu den Knaben gesagt haben, nachdem er sie an sein Bett gerufen hatte: ›Seit ich sah, wie du, Aulus, deine Würfel und Nüsse21 im lockeren Gewandbausch trugst, sie verschenktest und verspieltest und wie du, Tiberius, sie zähltest und mit finsterem Gesicht in Löchern verstecktest, begann ich zu fürchten, euch würden einander entgegengesetzte Verrücktheiten treiben [175] und dass du dem Nomentanus und du dem Cicuta22 nachfolgen könntest. Darum lasst euch bei den göttlichen Penaten bitten, dass du ja nicht verminderst und du ja nicht vermehrst, was euer Vater für ausreichend erachtet und was die Natur in Grenzen hält. Ferner: Damit euch nie die Ruhmsucht reizt, will ich euch beide [180] durch einen Eid verpflichten: Wer von euch beiden Ädil oder Prätor wird, soll ehrlos und verflucht sein.‹23 Für Kichererbsen, Bohnen und Lupinen24 willst du deine Habe vertun, um breitbeinig im Circus auf und ab zu stolzieren und in Erz gegossen dazustehen, entblößt von den Äckern, entblößt von dem Geld deines Vaters, du Verrückter? [185] Natürlich, damit du den Bei-

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astuta ingenuum vulpes imitata leonem? ne quis humasse velit Aiacem, Atrida, vetas. cur? ‘rex sum –’ nil ultra quaero plebeius. ‘ – et aequam rem imperito; ac si cui videor non iustus, inulto dicere quod sentit permitto.’ maxime regum, di tibi dent capta classem redducere Troia! ergo consulere et mox respondere licebit? ‘consule.’ cur Aiax, heros ab Achille secundus, putescit totiens servatis clarus Achivis, gaudeat ut populus Priami Priamusque inhumato, per quem tot iuvenes patrio caruere sepulcro? ‘mille ovium insanus morti dedit, inclitum Ulixen et Menelaum una mecum se occidere clamans.’ tu cum pro vitula statuis dulcem Aulide gnatam ante aras spargisque mola caput, improbe, salsa, rectum animi servas cursum? insanus quid enim Aiax fecit, cum stravit ferro pecus? abstinuit vim uxore et gnato; mala multa precatus Atridis non ille aut Teucrum aut ipsum violavit Ulixen. ‘verum ego, ut haerentes adverso litore naves eriperem, prudens placavi sanguine divos.’ nempe tuo, furiose! ‘meo, sed non furiosus.’ qui species alias veris cerebrique tumultu permixtas capiet, commotus habebitur atque stultitiane erret nihilum distabit an ira. Aiax immeritos cum occidit desipit agnos: cum prudens scelus ob titulos admittis inanes, stas animo et purum est vitio tibi, cum tumidum est, cor? si quis lectica nitidam gestare amet agnam,

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fall bekommst, den Agrippa bekommt, du, der schlaue Fuchs, der den edlen Löwen nachahmt? Dass jemand Ajax bestattet, verbietest du, Atride. Warum? ›Ich bin der König …,‹ Ich frage nicht weiter als ein einfacher Mann. ›… und recht und billig ist, was ich befehle; doch wenn es jemandem scheint, ich sei nicht gerecht, gestatte ich ihm, dass er ungestraft [190] sagt, was er denkt.‹ Größter der Könige, mögen die Götter dir geben, dass du Troja eroberst und die Flotte zurückbringst!25 Darf ich also fragen und du gibst bald Antwort? ›Frage denn.‹ Weshalb muss Ajax, der zweitgrößte Held nach Achilles, vermodern, er, berühmt dafür, dass er die Achiver so oft gerettet hat? [195] Damit das Volk des Priamus und Priamus sich freuen,26 dass der unbestattet ist, durch den so viele junge Männer eines Ahnengrabes beraubt wurden? ›Im Wahnsinn erschlug er tausend Schafe, wobei er schrie, er töte den berühmten Ulixes und Menelaus zusammen mit mir.‹ Wenn du in Aulis deine süße Tochter27 statt eines Kalbes [200] vor den Altar stellst und ihr mit Gerstenschrot und Salz28 das Haupt bestreust, Ruchloser, hältst du da noch den geraden Kurs deines Verstandes? Was hat Ajax denn in seinem Wahnsinn getan, als er das Vieh mit seinem Schwerte niederstreckte? Er hat doch Gewalt von Frau und Sohn ferngehalten; obwohl er für die Atriden viel Böses herbeiwünschte, hat er doch weder Teuker noch Ulixes selbst Gewalt angetan. [205] ›Ich aber habe, um die an der unfreundlichen Küste festsitzenden Schiffe loszureißen, wohlbedacht mit Blut29 die Götter versöhnt.‹ Ganz recht, doch mit deinem eigenen, Wahnwitziger! ›Mit meinem; aber wahnwitzig bin ich nicht.‹ Wer sich Vorstellungen zu eigen macht, die von der Wahrheit abweichen und aufgrund eines Wirrwarrs im Gehirn mit ihr durcheinandergemischt sind, wird für verrückt gehalten werden, und [210] es wird keinerlei Unterschied bestehen, ob er aus Dummheit oder aus Zorn in die Irre geht. Ajax ist verrückt, wenn er unschuldige Lämmer tötet: Wenn du wohlbedacht um eitler Ehren willen ein Verbrechen begehst, bist du dann bei Sinnen, ist dein Herz, das doch von Ehrgeiz aufgebläht ist, von Verfehlung frei? Wenn jemand Spaß daran hätte, in einer Sänfte ein weiß glänzendes Lamm herumtragen zu lassen,

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huic vestem ut gnatae, paret ancillas, paret aurum, Rufam aut Posillam appellet fortique marito destinet uxorem, interdicto huic omne adimat ius praetor et ad sanos abeat tutela propinquos. quid? si quis gnatam pro muta devovet agna, integer est animi? ne dixeris. ergo ubi prava stultitia, hic summa est insania; qui sceleratus, et furiosus erit; quem cepit vitrea fama, hunc circumtonuit gaudens Bellona cruentis. nunc, age, luxuriam et Nomentanum arripe mecum. vincet enim stultos ratio insanire nepotes. hic simul accepit patrimoni mille talenta, edicit, piscator uti, pomarius, auceps, unguentarius ac Tusci turba impia Vici, cum scurris fartor, cum Velabro omne macellum mane domum veniant. quid tum? venere frequentes, verba facit leno: ‘quidquid mihi, quidquid et horum cuique domi est, id crede tuum et vel nunc pete vel cras.’ accipe, quid contra haec iuvenis responderit aequus: ‘tu nive Lucana dormis ocreatus, ut aprum cenem ego; tu pisces hiberno ex aequore verris. segnis ego, indignus qui tantum possideam: aufer! sume tibi decies. tibi tantundem. tibi triplex, unde uxor media currit de nocte vocata.’ filius Aesopi detractam ex aure Metellae, scilicet ut decies solidum absorberet, aceto diluit insignem bacam: qui sanior ac si illud idem in rapidum flumen iaceretve cloacam? Quinti progenies Arri, par nobile fratrum, nequitia et nugis pravorum et amore gemellum, luscinias soliti impenso prandere coemptas,

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[215] es wie eine Tochter mit Kleidung, Sklavinnen und Goldschmuck ausstatten, es Rufa oder Posilla30 nennen und einem stattlichen Mann zur Ehefrau bestimmen würde, nähme ihm der Prätor durch eine richterliche Verfügung alle Rechte, und die Vormundschaft ginge an geistig gesunde Verwandte über. Wie nun? Wenn einer statt eines stummen Lammes seine Tochter opfert, [220] ist der dann gesund im Geist? Sage das nicht. Wo also Dummheit verworfen ist, da herrscht der Gipfel an Wahnsinn; wer ein Verbrecher ist, der wird auch rasend sein; wen die gleißende Ruhmsucht eingefangen hat, um dessen Kopf herum donnert Bellona, die sich an blutigen Taten freut. Nun komm, nimm dir mit mir die Genusssucht und Nomentanus vor. [225] Denn Vernunft wird überzeugend beweisen, dass Verschwender dumm und verrückt sind. Sobald der tausend Talente als Erbschaft empfangen hat, bestimmt er durch Edikt, dass der Fischer, der Obsthändler, der Vogelfänger, der Salbenhändler und die ganze ruchlose Bande aus dem Vicus Tuscus, der Geflügelmäster mit den Spaßmachern, mit dem Velabrum der ganze Fleischmarkt [230] am Morgen zu ihm nach Hause kämen. Was geschieht dann? Sie sind in Scharen gekommen, das Wort führt der Zuhälter: ›Alles, was ich, alles, was auch von denen hier jeder zu Hause hat, das betrachte als dein und fordere es entweder jetzt oder morgen.‹ Vernimm, was darauf dieser junge Mann, ›gerecht‹ wie er war, erwiderte: ›Du schläfst, mit Gamaschen bekleidet, im lukanischen Schnee, damit ich einen Eber [235] verspeisen kann; du schleppst Fische aus dem stürmischen Meer. Ich bin faul und verdiene nicht, so viel zu besitzen: Weg damit! Nimm du dir eine Million Sesterzen. Du dir ebenso viel. Das Dreifache du dir, von dessen Haus die Gattin mitten in der Nacht herbeirennt, wenn ich sie habe rufen lassen.‹ Der Sohn Äsops zog eine herrliche Perle von Metellas Ohr und löste sie in Essig auf, [240] natürlich um eine ganze Million auf einmal hinunterzuschlürfen: Wieso ist er geistig gesünder, als wenn er dasselbe Ding in einen reißenden Fluss oder in einen Abwasserkanal geworfen hätte? Die Sprösslinge des Quintus Arrius, ein edles Brüderpaar, Zwillinge in Nichtsnutzigkeit, Leichtfertigkeit und Leidenschaft für das Perverse, [245] die schon

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quorsum abeant? sani ut creta, an carbone notati? aedificare casas, plostello adiungere mures, ludere par impar, equitare in harundine longa si quem delectet barbatum, amentia verset. si puerilius his ratio esse evincet amare nec quicquam differre, utrumne in pulvere, trimus quale prius, ludas opus, an meretricis amore sollicitus plores, quaero, faciasne quod olim mutatus Polemon? ponas insignia morbi, fasciolas, cubital, focalia, potus ut ille dicitur ex collo furtim carpsisse coronas, postquam est impransi correptus voce magistri? porrigis irato puero cum poma, recusat: ‘sume, catelle!’ negat; si non des, optet. amator exclusus qui distat, agit ubi secum, eat an non, quo rediturus erat non arcessitus, et haeret invisis foribus? ‘nec nunc, cum me vocet ultro, accedam? an potius mediter finire dolores? exclusit; revocat: redeam? non, si obsecret.’ ecce servus non paulo sapientior: ‘o ere, quae res nec modum habet neque consilium, ratione modoque tractari non vult. in amore haec sunt mala, bellum, pax rursum. haec si quis tempestatis prope ritu mobilia et caeca fluitantia sorte laboret reddere certa sibi, nihilo plus explicet ac si insanire paret certa ratione modoque.’

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zum Frühstück für teures Geld gekaufte Nachtigallen zu verspeisen pflegten, in welche Kategorie sollen die gehören? Sind sie mit Kreide als geistig gesund oder mit Kohle zu kennzeichnen?31 Häuschen bauen, Mäuse vor ein Wägelchen spannen, ›Gerade und Ungerade‹32 spielen und auf einem Steckenpferd reiten – wenn einer, der schon einen Bart trägt, daran noch Spaß hätte, würde ihn Wahnsinn umtreiben. [250] Wenn die Vernunft überzeugend beweist, dass Verliebtsein kindischer ist als dies, und dass es nichts ausmacht, ob du im Sand beim Spiel etwas baust wie früher als Dreijähriger oder aus Liebe zu einer Hetäre voll Kummer heulst, dann frage ich dich: Tätest du, was einst Polemon tat, als er seinen Sinn geändert hatte? Würdest du die Abzeichen deiner Geisteskrankheit ablegen, [255] die Wickelgamaschen, Armbinden und Halstücher, wie er, als er betrunken war, verstohlen seine Kränze vom Hals gerissen haben soll, nachdem er von seinem Lehrer, der noch nicht gefrühstückt hatte, getadelt worden war?33 Bietest du einem wütenden Jungen Äpfel an, weist er sie zurück: ›So nimm doch, mein Kleiner!‹ Er sagt nein; gäbst du sie ihm nicht, würde er sie wollen. Inwiefern [260] unterscheidet sich davon der Verliebte,34 der ausgesperrt ist, wenn er mit sich selbst diskutiert, ob er dorthin gehen soll oder nicht, wohin er wieder ginge, auch wenn er nicht gerufen worden wäre, und an der Tür herumhängt, die er hasst? ›Soll ich auch jetzt nicht zu ihr gehen, wo sie mich doch von sich aus ruft? Oder soll ich lieber darauf sinnen, meinen Schmerzen ein Ende zu bereiten? Sie hat mich ausgesperrt; sie ruft mich zurück: Soll ich zurückkehren? Nein, auch nicht, wenn sie mich anflehen würde.‹ Sieh da, [265] der Sklave, der nicht wenig klüger ist: ›O Herr, eine Sache, die weder Maß noch Überlegung kennt, die will nicht mit Vernunft und Maß betrieben werden. In der Liebe sind dies die Leiden, Krieg, dann wieder Frieden. Wenn jemand sich bemühen würde, diese Dinge, die beinahe wie das Wetter wechseln und aufgrund von blindem Zufall dahindriften, [270] für sich beständig zu machen, brächte er nicht mehr zustande, als wenn er sich daranmachen würde, mit unfehlbarer Vernunft und mit Maß verrückt zu sein.‹ Und wie? Wenn du aus picenischen Äpfeln35 die Kerne herauspickst und dich

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quid? cum Picenis excerpens semina pomis gaudes, si cameram percusti forte, penes te es? quid? cum balba feris annoso verba palato, aedificante casas qui sanior? adde cruorem stultitiae atque ignem gladio scrutare. modo, inquam, Hellade percussa Marius cum praecipitat se, cerritus fuit. an commotae crimine mentis absolves hominem et sceleris damnabis eundem ex more imponens cognata vocabula rebus? libertinus erat, qui circum compita siccus lautis mane senex manibus currebat et ‘unum’, – ‘quid tam magnum?’ addens –, ‘unum me surpite morti! dis etenim facile est’ orabat, sanus utrisque auribus atque oculis; mentem, nisi litigiosus, exciperet dominus, cum venderet. hoc quoque vulgus Chrysippus ponit fecunda in gente Meneni. ‘Iuppiter, ingentes qui das adimisque dolores,’ mater ait pueri menses iam quinque cubantis, ‘frigida si puerum quartana reliquerit, illo mane die, quo tu indicis ieiunia, nudus in Tiberi stabit.’ casus medicusve levarit aegrum ex praecipiti, mater delira necabit in gelida fixum ripa febrimque reducet, quone malo mentem concussa? timore deorum.” haec mihi Stertinius, sapientum octavus, amico arma dedit, posthac ne compellarer inultus. dixerit insanum qui me, totidem audiet atque respicere ignoto discet pendentia tergo.’ ‘Stoice, post damnum sic vendas omnia pluris,

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freust, wenn du damit zufällig die Zimmerdecke getroffen hast, bist du dann ganz bei Sinnen? Wie? Wenn du gestammelte Worte aus dem Gaumen eines Erwachsenen hervorbringst, inwiefern bist du dann geistig gesünder, [275] als wenn du Häuschen bauen würdest? Lass zur Dummheit noch eine Bluttat kommen und stochere mit dem Schwert im Feuer herum!36 Neulich erst, als Marius seine Hellas erstach und sich dann selbst von einer Höhe hinabstürzte, war er, sag ich, besessen. Oder wirst du den Mann vom Vorwurf des Wahnsinns freisprechen und ihn zugleich wegen eines Verbrechens verurteilen, [280] indem du wie üblich den Dingen sinnverwandte Namen gibst? Da war ein Freigelassener, der als alter Mann morgens vor dem Frühstück mit gewaschenen Händen an den Straßenkreuzungen37 herumlief und betete: ›Mich allein‹ – ›was ist denn so Großes dabei?‹ fügte er hinzu – ›mich allein entreißt dem Tode! Für Götter ist das ja leicht.‹ Er war gesund an beiden [285] Ohren und Augen, nur den Verstand hätte ein Besitzer, falls er nicht prozesssüchtig war, beim Verkauf von der Garantie ausgenommen.38 Auch diese Leute reiht Chrysipp in die sich eifrig vermehrende Sippschaft des Menenius39 ein. ›Juppiter, der du große Leiden schickst und nimmst‹, sagt die Mutter eines Jungen, der schon fünf Monate krank liegt, [290] ›wenn das kalte Wechselfieber40 meinen Jungen verlässt, wird er frühmorgens an dem Tage, an dem du Fasten anordnest,41 nackt im Tiber stehen.‹ Sollten der Zufall oder der Arzt den Kranken aus der Lebensgefahr retten, wird die verrückte Mutter ihn umbringen, indem sie ihn am Ufer des kalten Flusses stehen lässt und ihm so das Fieber zurückbringt, [295] durch welches Übel im Geist erschüttert? Durch die Furcht vor den Göttern.« Diese Waffen hat Stertinius, der achte unter den Weisen,42 mir als seinem Freund gegeben, damit ich künftig nicht beschimpft werde, ohne Rache nehmen zu können. Wenn mich nun jemand einen Verrückten nennt, wird er ebenso viel zu hören bekommen und lernen, sich danach umzuschauen, was, ohne dass er es weiß, auf seinem Rücken hängt.43 [300] »Stoiker, so wahr du nach deinem Bankrott alles teurer ver-

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qua me stultitia, quoniam non est genus unum, insanire putas? ego nam videor mihi sanus.’ ‘quid? caput abscissum manibus cum portat Agaue gnati infelicis, sibi tunc furiosa videtur?’ ‘stultum me fateor – liceat concedere veris – atque etiam insanum. tantum hoc edissere, quo me aegrotare putes animi vitio.’ ‘accipe: primum aedificas, hoc est longos imitaris, ab imo ad summum totus moduli bipedalis; et idem corpore maiorem rides Turbonis in armis spiritum et incessum: qui ridiculus minus illo? an, quodcumque facit Maecenas, te quoque verum est tantum dissimilem et tanto certare minorem? absentis ranae pullis vituli pede pressis unus ubi effugit, matri denarrat, ut ingens belua cognatos eliserit. illa rogare, quantane? num tantum, sufflans se, magna fuisset. ‘maior dimidio.’ ‘num tantum?’ cum magis atque se magis inflaret, ‘non, si te ruperis,’ inquit, ‘par eris.’ haec a te non multum abludit imago. adde poemata nunc, hoc est, oleum adde camino, quae si quis sanus fecit, sanus facis et tu. non dico horrendam rabiem.’ ‘iam desine.’ ‘cultum maiorem censu.’ ‘teneas, Damasippe, tuis te.’ ‘mille puellarum, puerorum mille furores.’ ‘o maior tandem parcas, insane, minori!’

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kaufen mögest, sage, aufgrund welcher Dummheit ich, da es ja nicht nur eine Art davon gibt, deiner Meinung nach verrückt bin? Ich halte mich nämlich für geistig gesund.« – »Wie? Wenn Agaue den abgerissenen Kopf ihres unglückseligen Sohnes in den Händen trägt, hält sie sich da für rasend?«44 – [305] »Ich gebe zu, ich bin ein Dummkopf – lass mir der Wahrheit die Ehre geben – und sogar ein Verrückter. Lege mir nur dies dar, an welcher Geisteskrankheit ich deiner Meinung nach leide.« – »Vernimm es: Erstens baust du,45 das heißt, du imitierst die Großen, obgleich du selbst vom Scheitel bis zur Sohle im Ganzen nur zwei Fuß misst; und doch [310] lachst du über Turbo46, wenn er in seiner Rüstung stolzer einherschreitet, als es zu seiner Körpergröße passt: Inwiefern bist du weniger lächerlich als er? Oder ist es richtig, dass du alles, was Maecenas tut, auch tust, wo du ihm doch so unähnlich und um so viel zu klein bist, als dass du dich mit ihm messen könntest? Als die Jungen eines Frosches,47 der nicht da war, von dem Huf eines Kalbes zertreten worden waren [315] und nur ein einziges entkommen war, erzählte es der Mutter, wie ein riesiges Untier die Brüder zerquetscht habe. Sie fragt: »Wie groß?« Ob es so groß gewesen sei, fragt sie und bläht sich auf. »Um die Hälfte größer.« »Etwa so groß?« Als sie sich mehr und mehr aufblies, sagte der Kleine: »Auch nicht, wenn du dich zum Platzen bringst, [320] wirst du ihm gleichen.« Dieses Bild passt nicht schlecht zu dir. Nimm nun die Gedichte hinzu, das heißt, gieße Öl ins Feuer; wenn einer so etwas in geistiger Gesundheit verfasst hat, verfasst auch du sie in geistiger Gesundheit. Von deinem schrecklichen Jähzorn will ich gar nicht reden.« »Jetzt hör mal auf.« »Von deinem Lebensstil, der deine Mittel übersteigt.« »Bleibe in deinem eigenen Bereich, Damasipp.« [325] »Von rasender Leidenschaft für tausend Mädchen, für tausend Knaben.« »Du, der größere Irre, sollst jetzt endlich den kleineren verschonen!«

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‘Unde et quo Catius?’ ‘non est mihi tempus aventi ponere signa novis praeceptis, qualia vincent Pythagoran Anytique reum doctumque Platona.’ ‘peccatum fateor, cum te sic tempore laevo interpellarim; sed des veniam bonus, oro. quodsi interciderit tibi nunc aliquid, repetes mox, sive est naturae hoc sive artis, mirus utroque.’ ‘quin id erat curae, quo pacto cuncta tenerem utpote res tenues, tenui sermone peractas.’ ‘ede hominis nomen, simul et, Romanus an hospes.’ ‘ipsa memor praecepta canam, celabitur auctor. longa quibus facies ovis erit, illa memento, ut suci melioris et ut magis alba rotundis, ponere; namque marem cohibent callosa vitellum. cole suburbano qui siccis crevit in agris dulcior; irriguo nihil est elutius horto. si vespertinus subito te oppresserit hospes, ne gallina malum responset dura palato, doctus eris vivam musto mersare Falerno; hoc teneram faciet. pratensibus optima fungis natura est; aliis male creditur. ille salubres aestates peraget, qui nigris prandia moris finiet, ante gravem quae legerit arbore solem. Aufidius forti miscebat mella Falerno, mendose, quoniam vacuis committere venis nil nisi lene decet; leni praecordia mulso prolueris melius. si dura morabitur alvus, mitulus et viles pellent obstantia conchae et lapathi brevis herba, sed albo non sine Coo. lubrica nascentes implent conchylia lunae;

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4 »Catius! Woher und wohin?« – »Ich habe keine Zeit, weil ich darauf brenne, mir Aufzeichnungen zu machen von einer neuen Lehre, die von der Art ist, dass sie Pythagoras, den Angeklagten des Anytus1 und den gelehrten Plato übertrumpfen wird.« – »Ich gebe zu, es war mein Fehler, dass ich dich zu einer so unpassenden Zeit [5] gestört habe; aber sei bitte so gut und verzeih mir. Sollte dir jetzt irgendetwas entfallen sein, wirst du es bald wiederfinden; ob das2 Natur oder Kunst ist in dir – du bist in beiden Bereichen bewundernswert.« – »Das ist es ja, was mir Sorge gemacht hat, wie ich alles behalten könnte; denn ein subtiler Stoff ist in subtiler Sprache behandelt.« – [10] »Sag doch den Namen des Mannes und zugleich, ob er ein Römer oder ein Fremder ist.« – »Die Lehren selbst will ich dir aus dem Gedächtnis verkünden; der Urheber wird im Verborgenen bleiben. Eier, die eine längliche Form haben – denke daran, diese vorzusetzen, weil sie einen besseren Geschmack haben und weißer sind als die runden; denn die dickschaligen enthalten einen männlichen Dotter. [15] Kohl, der auf trockenen Feldern gedieh, ist süßer als der aus der Vorstadt; nichts schmeckt saftloser als zu stark bewässertes Gartengemüse. Wenn dich am Abend unvermutet ein Gast überrascht, dann sollst du, damit nicht ein zähes Huhn den Gaumen enttäuscht, dahingehend belehrt sein, dass du es lebendig in Falernermost ertränkst; [20] der wird es zart machen. Pilze von der Wiese sind die beste Sorte; den anderen traut man nicht. Der wird gesund durch die Zeiten des Sommers kommen, der sein Mittagsmahl mit schwarzen Maulbeeren beschließt, die er vom Baum gepflückt hat, bevor die Sonne drückend wird. Aufidius pflegte Honig mit starkem Falerner zu mischen, [25] ganz falsch, da man leeren Adern3 nur Mildes zumuten soll; es ist besser, wenn du deine Lungen erst mit mildem Honigwein spülst. Wenn dein Darm verstopft und träge ist, werden Miesmuscheln und andere billige Muschelarten sowie kleinblättriger Sauerampfer das Hindernis heraustreiben, aber nicht ohne weißen Koer. [30] Zunehmende Monde füllen schlüpfrige Muscheltiere auf; aber nicht jedes

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sed non omne mare est generosae fertile testae: murice Baiano melior Lucrina peloris, ostrea Circeis, Miseno oriuntur echini, pectinibus patulis iactat se molle Tarentum. nec sibi cenarum quivis temere arroget artem, non prius exacta tenui ratione saporum. nec satis est cara pisces averrere mensa ignarum, quibus est ius aptius et quibus assis languidus in cubitum iam se conviva reponet. Umber et iligna nutritus glande rotundas curvat aper lances carnem vitantis inertem; nam Laurens malus est, ulvis et harundine pinguis. vinea submittit capreas non semper edules. fecundae leporis sapiens sectabitur armos. piscibus atque avibus quae natura et foret aetas, ante meum nulli patuit quaesita palatum. sunt quorum ingenium nova tantum crustula promit. nequaquam satis in re una consumere curam, ut si quis solum hoc, mala ne sint vina, laboret, quali perfundat pisces securus olivo. Massica si caelo suppones vina sereno, nocturna, si quid crassi est, tenuabitur aura et decedet odor nervis inimicus; at illa integrum perdunt lino vitiata saporem. Surrentina vafer qui miscet faece Falerna vina, columbino limum bene colligit ovo, quatenus ima petit volvens aliena vitellus. tostis marcentem squillis recreabis et Afra potorem coclea; nam lactuca innatat acri post vinum stomacho. perna magis et magis hillis flagitat immorsus refici, quin omnia malit,

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Meer bringt die edlen Sorten hervor: Die Riesenmuschel vom Lukrinersee ist besser als die Stachelschnecke aus Baiae; Austern kommen aus Circeii, Seeigel aus Misenum; seiner flachen Kammmuscheln rühmt sich das weichliche Tarent. [35] Niemand soll leichtfertig die Kunst des Kochens als die seine beanspruchen, bevor er die feine Lehre vom Geschmack studiert hat. Es genügt nicht, Fische von einem Ladentisch mit teurem Angebot wegzufegen, wenn man nicht weiß, für welche eine Brühe besser passt und für welche, wenn sie gebraten sind, dein Gast, der schon erschöpft ist, sofort den Ellbogen wieder aufstützt.4 [40] Ein umbrischer Eber, von Eicheln genährt, soll die runde Schüssel dessen, der fades Fleisch nicht mag, krumm biegen; denn einer aus der Gegend von Laurentum, der nur von Sumpfgras und Schilf fett geworden ist, taugt nichts. Weinberge liefern nicht immer essbare Rehe. Hinter dem Vorderbug einer trächtigen Häsin wird der Kenner her sein. [45] Welche Qualität Fisch und Geflügel haben und in welchem Alter sie am besten schmecken, hat kein Gaumen vor dem meinen untersucht und ans Licht gebracht. Es gibt Leute, deren Erfindungsgabe nur neues Zuckerwerk hervorbringt. Es genügt aber keineswegs, seine Sorgfalt nur für eine Sache zu verwenden, zum Beispiel, wenn einer sich allein darum bemüht, dass seine Weine nicht schlecht sind, [50] aber sich keine Gedanken darüber macht, was für Öl er über die Fische gießt. Wenn du Massikerweine unter einen heiteren Himmel stellst, wird alles Dicke durch die Nachtluft verdünnt, und der für die Sehnen schädliche Duft wird verschwinden; doch wenn man ihn durch ein Leintuch filtert, wird er verdorben und verliert seinen vollen Geschmack. [55] Wer den Surrentiner schlau mit Falernerhefe mischt, bindet erfolgreich mit einem Taubenei das Trübe, da der Dotter zu Boden sinkt und den fremden Stoff mitnimmt. Wenn ein Trinker schlapp macht, wirst du ihn mit gerösteten Krabben und afrikanischen Schnecken wieder zum Leben erwecken, aber nicht mit Kopfsalat; denn [60] nach dem Wein schwimmt er im übersäuerten Magen. Wenn dieser gereizt ist, verlangt er, dass er eher durch geräucherten Schinken und eher durch Würstchen regeneriert wird, ja, er

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quaecumque immundis fervent allata popinis. est operae pretium duplicis pernoscere iuris naturam. simplex e dulci constat olivo, quod pingui miscere mero muriaque decebit non alia quam qua Byzantia putuit orca. hoc ubi confusum sectis inferbuit herbis Corycioque croco sparsum stetit, insuper addes pressa Venafranae quod baca remisit olivae. Picenis cedunt pomis Tiburtia suco; nam facie praestant. Vennuncula convenit ollis; rectius Albanam fumo duraveris uvam. hanc ego cum malis, ego faecem primus et allec, primus et invenior piper album cum sale nigro incretum puris circumposuisse catillis. immane est vitium dare milia terna macello angustoque vagos pisces urgere catino. magna movet stomacho fastidia, seu puer unctis tractavit calicem manibus, dum furta ligurrit, sive gravis veteri creterrae limus adhaesit. vilibus in scopis, in mappis, in scobe quantus consistit sumptus? neglectis flagitium ingens. ten lapides varios lutulenta radere palma et Tyrias dare circum illuta toralia vestes, oblitum, quanto curam sumptumque minorem haec habeant, tanto reprehendi iustius illis, quae nisi divitibus nequeunt contingere mensis?’ ‘docte Cati, per amicitiam divosque rogatus ducere me auditum, perges quocumque, memento. nam quamvis memori referas mihi pectore cuncta, non tamen interpres tantundem iuveris. adde vultum habitumque hominis, quem tu vidisse beatus

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würde alles lieber wollen, was man ihm siedend heiß aus schmutzigen Garküchen holt. Es ist der Mühe wert, das Wesen der Doppeltunke genau kennenzulernen. Die einfache besteht aus süßem Olivenöl, [65] das man mit purem Wein und Fischlake mischen soll, aber keiner anderen als der, nach der byzantinische Tonnen stinken.5 Wenn das, mit geschnittenen Kräutern durchgerührt, zu kochen begonnen hat und, mit korykischem Safran bestreut, so stehen bleibt, dann sollst du obendrein dazugeben, was die ausgepresste Beere des venafranischen Ölbaums hervorgebracht hat. [70] Picenischen Äpfeln sind die von Tibur im Geschmack unterlegen; denn sie haben ein schöneres Aussehen. Vennunculanische6 Trauben sind zum Einmachen geeignet; albanische besser dafür, dass man sie in Rauch dörrt. Man wird herausfinden, dass ich es war, der sie als Erster mit Äpfeln herumreichte, ebenso Weinhefe und Fischlakengewürz, ebenso als Erster weißen Pfeffer, mit schwarzem Salz [75] vermischt in sauberen Schälchen. Es ist ein riesiger Fehler, dreitausend Sesterzen auf dem Markt zu zahlen und dann die umherstreifenden Fische in einer engen Schüssel zusammenzudrängen. Großen Ekel erregt es dem Magen, wenn ein Sklave den Becher mit Händen angefasst hat, die fettig wurden, während er heimlich naschte, [80] oder wenn übler Schmutz an einem alten Mischkrug klebt. Billige Besen, Servietten, Sägespäne – wie hoch ist dafür wohl der Aufwand? Wenn es daran fehlt, ist es eine ungeheure Schande. Was, du lässt den Mosaikfußboden mit schmutzigen Palmbesen fegen und ungewaschene Behänge um tyrische Purpurdecken legen [85] und vergisst, dass, je geringere Mühe und Kosten diese verursachen, du umso berechtigter hier getadelt wirst als wegen der Vernachlässigung von Dingen, die nur zu den Tischen der Reichen gehören können?« »Gelehrter Catius, bei unserer Freundschaft und bei den Göttern bitte ich dich, denke daran, mich als Hörer mitzunehmen, wohin auch immer du gehen magst. [90] Denn wie gut auch immer du mir alles aus dem Gedächtnis berichtest, wirst du mir dennoch als Vermittler nicht ebenso viel Freude bereiten. Nimm hinzu die Miene und die persönliche Erscheinung des Mannes, den gesehen zu haben du in

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non magni pendis, quia contigit; at mihi cura non mediocris inest, fontes ut adire remotos atque haurire queam vitae praecepta beatae.’

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V ‘Hoc quoque, Tiresia, praeter narrata petenti responde, quibus amissas reparare queam res artibus atque modis. quid rides?’ ‘iamne doloso non satis est Ithacam revehi patriosque Penates aspicere?’ ‘o nulli quicquam mentite, vides, ut nudus inopsque domum redeam te vate, neque illic aut apotheca procis intacta est aut pecus? atqui et genus et virtus, nisi cum re, vilior alga est.’ ‘quando pauperiem missis ambagibus horres, accipe, qua ratione queas ditescere. turdus sive aliud privum dabitur tibi, devolet illuc, res ubi magna nitet domino sene; dulcia poma et quoscumque feret cultus tibi fundus honores ante Larem gustet venerabilior Lare dives. qui quamvis periurus erit, sine gente, cruentus sanguine fraterno, fugitivus, ne tamen illi tu comes exterior, si postulet, ire recuses.’ ‘utne tegam spurco Damae latus? haud ita Troiae me gessi certans semper melioribus.’ ‘ergo pauper eris.’ ‘fortem hoc animum tolerare iubebo; et quondam maiora tuli. tu protinus, unde divitias aerisque ruam, dic, augur, acervos.’

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deinem Glück nicht so hoch schätzt, weil es dir schon zuteilwurde; doch mich erfüllt ein keineswegs gewöhnliches Verlangen, in der Lage zu sein, zu den fernen Quellen zu gelangen [95] und daraus die Lehren vom glücklichen Leben einzusaugen.«

5 »Auch dies,1 Tiresias, beantworte mir, der ich mehr wissen möchte als das, was du mir schon erzählt hast, und zwar durch welche Künste und Mittel ich mein verlorenes Vermögen wiedergewinnen kann. Was lachst du?« – »Also genügt es dem Listenreichen schon nicht mehr, nach Ithaka zurückzusegeln und seine heimischen Penaten [5] zu sehen?« – »O du, der du noch keinem etwas vorgelogen hast, siehst du, wie ich deiner Prophezeiung zufolge nackt und arm nach Hause zurückkehre, wo weder der Weinkeller noch das Vieh von den Freiern unangetastet geblieben sind? Doch edle Herkunft und Heldenmut sind, wenn nicht mit einem Vermögen verbunden, weniger wert als Seetang.« – »Weil dir, um es ohne Umschweife zu sagen, vor der Armut schaudert,2 [10] vernimm, auf welche Weise du reich werden kannst. Wenn dir eine Drossel3 oder sonst etwas Besonderes geschenkt wird, so lass sie dorthin weiterfliegen, wo ein großes Vermögen glitzert und der Besitzer ein alter Mann ist; süße Früchte und alle Herrlichkeiten, die dein beackertes Land dir bringt, lass ihn noch vor dem Lar kosten; denn als Reicher ist er mehr zu ehren als der Lar. [15] Mag er auch noch so meineidig sein, nicht von Familie, befleckt von Bruderblut, ein entlaufener Sklave, so darfst du dich dennoch nicht weigern, ihn, wenn er es verlangt, zu begleiten und dabei auf der Straßenseite zu gehen.« – »So dass ich dem dreckigen Dama4 die Flanke decke? So verhielt ich mich auch nicht vor Troja, wo ich stets mit Besseren in einen Wettstreit trat.«5 – »Dann wirst du eben [20] arm sein.« – »Ich werde meiner tapferen Seele befehlen, dies zu erdulden; einst habe ich sogar noch Schlimmeres ertragen.6 Du, Seher, sage mir sofort, wo ich Reichtümer und Haufen von Geld zusammenscharren kann.« – »Ich

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‘dixi equidem et dico: captes astutus ubique testamenta senum neu, si vafer unus et alter insidiatorem praeroso fugerit hamo, aut spem deponas aut artem illusus omittas. magna minorve Foro si res certabitur olim, vivet uter locuples sine gnatis, improbus, ultro qui meliorem audax vocet in ius, illius esto defensor; fama civem causaque priorem sperne, domi si gnatus erit fecundave coniunx. “Quinte” puta aut “Publi” – gaudent praenomine molles auriculae – “tibi me virtus tua fecit amicum. ius anceps novi, causas defendere possum; eripiet quivis oculos citius mihi quam te contemptum cassa nuce pauperet. haec mea cura est, ne quid tu perdas neu sis iocus.” ire domum atque pelliculam curare iube. fi cognitor ipse; persta atque obdura, seu rubra Canicula findet infantes statuas, seu pingui tentus omaso Furius hibernas cana nive conspuet Alpes. “nonne vides” aliquis cubito stantem prope tangens inquiet, “ut patiens, ut amicis aptus, ut acer?” plures annabunt thynni et cetaria crescent. si cui praeterea validus male filius in re praeclara sublatus aletur, ne manifestum caelibis obsequium nudet te, leniter in spem arrepe officiosus, ut et scribare secundus heres et, si quis casus puerum egerit Orco, in vacuum venias; perraro haec alea fallit. qui testamentum tradet tibi cumque legendum,

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habe es dir ja gesagt und sage dir: Du sollst überall listig Jagd auf Testamente alter Leute machen; und falls der eine oder andere Schlaue [25] den Haken abnagt und dem Angler entwischt, dann sollst du nicht die Hoffnung sinken lassen oder dein Handwerk aufgeben, weil du gefoppt worden bist. Wenn eines Tages ein größerer oder geringerer Rechtsstreit auf dem Forum ausgetragen wird, sollst du für den von den beiden, der reich und ohne Kinder lebt und ein Schuft ist, der frech und ohne Anlass einen besseren Mann vor Gericht zieht, [30] der Verteidiger sein; den Bürger mit dem besseren Ruf und der besseren Sache verachte, wenn er daheim ein Kind oder eine gebärfähige Frau hat. ›Quintus‹ sage dann zum Beispiel oder ›Publius‹ – empfängliche Ohren freuen sich über den Vornamen7 –, ›deine Tugend hat mich zu deinem Freund gemacht. Ich kenne das zweideutige Recht, ich kann in Prozessen verteidigen; [35] schneller wird mir jemand die Augen ausreißen als dich verachten und um eine taube Nuss ärmer machen. Dies ist meine Sorge, dass du nichts verlierst und nicht zum Gespött wirst.‹ Sage ihm, er soll nach Hause gehen und seine Haut pflegen.8 Du selber werde sein Anwalt; sei standhaft und harre aus, ob der rote Hundsstern9 [40] stumme Statuen spaltet oder Furius, bis zum Platzen voll von fetten Rindskaldaunen, die winterlichen Alpen mit weißem Schnee bespuckt.10 ›Siehst du nicht‹, wird jemand sagen, wobei er den neben ihm Stehenden mit dem Ellbogen anstößt, ›wie ausdauernd er ist, wie nützlich für seine Freunde und wie energisch?‹ Dann werden mehr Thunfische herbeischwimmen11 und deine Fischbecken sich vergrößern. [45] Wenn ferner von jemandem ein Sohn, der nicht bei bester Gesundheit, aber anerkannt ist,12 in wohlhabenden Verhältnissen aufgezogen wird, dann schleiche dich unauffällig, damit nicht offenkundige Servilität gegenüber einem Unverheirateten dich bloßstellt, mit Gefälligkeiten an ihn heran, damit du hoffen kannst, dass du als zweiter Erbe13 ins Testament geschrieben wirst und, falls ein Missgeschick den Jungen in den Orkus treibt, [50] an den frei gewordenen Platz kommst; dieses Glücksspiel geht sehr selten schief. Wenn jemand, wer es auch sein mag, dir sein Testament zu lesen gibt, denke daran, abzulehnen und die Schreibtafeln

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abnuere et tabulas a te removere memento, sic tamen, ut limis rapias, quid prima secundo cera velit versu; solus multisne coheres, veloci percurre oculo. quandoque recoctus scriba ex quinqueviro corvum deludet hiantem captatorque dabit risus Nasica Corano.’ ‘num furis? an prudens ludis me obscura canendo?’ ‘o Laertiade, quidquid dicam, aut erit aut non; divinare etenim magnus mihi donat Apollo.’ ‘quid tamen ista velit sibi fabula, si licet, ede.’ ‘tempore quo iuvenis Parthis horrendus, ab alto demissum genus Aenea, tellure marique magnus erit, forti nubet procera Corano filia Nasicae, metuentis reddere soldum. tum gener hoc faciet: tabulas socero dabit atque ut legat orabit; multum Nasica negatas accipiet tandem et tacitus leget invenietque nil sibi legatum praeter plorare suisque. illud ad haec iubeo: mulier si forte dolosa libertusve senem delirum temperet, illis accedas socius; laudes, lauderis ut absens. adiuvat hoc quoque, sed vincit longe prius ipsum expugnare caput. scribet mala carmina vecors? laudato. scortator erit? cave te roget; ultro Penelopam facilis potiori trade.’ ‘putasne perduci poterit tam frugi tamque pudica, quam nequiere proci recto depellere cursu?’ ‘venit enim magnum donandi parca iuventus nec tantum Veneris quantum studiosa culinae. sic tibi Penelope frugi est; quae si semel uno

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von dir wegzuschieben, aber so, dass du mit einem Seitenblick rasch erfassen kannst, was die zweite Zeile auf dem ersten Wachstäfelchen wünscht;14 um zu sehen, ob du der einzige oder Miterbe unter vielen bist, [55] überfliege die Seite mit schnellem Auge. Eines Tages wird ein Magistratssekretär, der von einem Mitglied der Quinquevirn wieder aufgekocht wurde,15 den gierig seinen Schnabel aufsperrenden Raben foppen,16 und der Erbschleicher Nasica wird Coranus Grund zum Lachen geben.«17 – »Sprichst du etwa in Ekstase?18 Oder hältst du mich mit deiner dunklen Prophezeiung absichtlich zum Narren?« – »O Sohn des Laërtes, alles, was ich sage, wird geschehen oder auch nicht;19 [60] denn der große Apollo schenkt mir die Gabe der Weissagung.« – »Dennoch sage mir, wenn du darfst, was diese Geschichte da bedeutet.« – »Zu der Zeit, wenn der Jüngling20, der Schrecken der Parther, der von dem erhabenen Äneas abstammende Spross, zu Wasser und zu Lande mächtig sein wird, dann wird mit dem tapferen Coranus vermählt werden die schlanke [65] Tochter Nasicas, der ängstlich bemüht ist, nicht das Darlehen zurückzuzahlen. Dann wird der Schwiegersohn dies tun: Er wird sein Testament dem Schwiegervater geben und ihn bitten, es zu lesen; Nasica wird sich lange sträuben, es dann endlich nehmen und still für sich lesen, und er wird finden, dass ihm und den Seinen nichts hinterlassen ist als Heulen. [70] Außerdem empfehle ich dies: Wenn zufällig ein listiges Frauenzimmer oder ein Freigelassener einen schwachsinnigen alten Mann beherrschen, stoße als Partner dazu; lobe sie, damit du in deiner Abwesenheit gelobt wirst. Auch das hilft, aber weit eher bringt es den Sieg, wenn man die Hauptperson selbst erobert. Ist er ein Spinner und schreibt schlechte Gedichte? [75] Lobe sie. Er ist ein Weiberheld? Lass dich nicht lange bitten; sei gefällig und übergib von dir aus Penelope an ihn als den besseren Mann.« – »Glaubst du, eine so Solide, so Sittsame kann verkuppelt werden, sie, die die Freier nicht vom rechten Weg abbringen konnten?21« – »Ja. Denn es kamen mit großen Geschenken knausernde junge Männer, [80] die nicht so sehr an Sex wie an der Küche interessiert waren. Deshalb ist Penelope dir treu; wenn sie aber einmal das Profitchen von einem einzigen Greis gekos-

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de sene gustarit tecum partita lucellum, ut canis a corio numquam absterrebitur uncto. me sene, quod dicam, factum est. anus improba Thebis ex testamento sic est elata: cadaver unctum oleo largo nudis umeris tulit heres, scilicet elabi si posset mortua; credo, quod nimium institerat viventi. cautus adito; neu desis operae neve immoderatus abundes. difficilem et morosum offendet garrulus: ultra ‘non’, ‘etiam’ sileas; Davus sis comicus atque stes capite obstipo, multum similis metuenti. obsequio grassare; mone, si increbruit aura, cautus uti velet carum caput; extrahe turba oppositis umeris; aurem substringe loquaci. importunus amat laudari? donec ‘ohe iam!’ ad caelum manibus sublatis dixerit, urge, crescentem tumidis infla sermonibus utrem. cum te servitio longo curaque levarit et certum vigilans “quartae sit partis Ulixes” audieris “heres”: “ergo nunc Dama sodalis nusquam est? unde mihi tam fortem tamque fidelem?” sparge subinde et, si paulum potes illacrimare, est gaudia prodentem vultum celare. sepulcrum permissum arbitrio sine sordibus exstrue; funus egregie factum laudet vicinia. si quis forte coheredum senior male tussiet, huic tu dic, ex parte tua seu fundi sive domus sit emptor, gaudentem nummo te addicere. sed me imperiosa trahit Proserpina. vive valeque.’

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tet und es dann mit dir geteilt hat, wird sie davon, wie der Hund vom fettbeschmierten Leder22, niemals mehr abzuschrecken sein. Als ich ein alter Mann war, geschah, was ich dir erzählen will. In Theben wurde ein böses altes Weib [85] entsprechend ihrem Testament so zur Bestattung hinausgetragen: Der Erbe musste ihren reichlich eingeölten Leichnam auf den nackten Schultern tragen; klar, sie hoffte, sie könne ihm als Tote entschlüpfen; ich nehme an, weil er sie, als sie noch lebte, allzu sehr bedrängt hatte. Mach dich also mit Vorsicht an sie heran; lass es an Dienstbarkeit nicht fehlen, lass sie aber auch nicht maßlos überborden. [90] Einen schwer Zugänglichen und Mürrischen wird ein Schwätzer vor den Kopf stoßen: Außer ›nein‹ und ›ja‹ sage nichts; sei Davus in der Komödie23 und stehe mit eingezogenem Kopf da wie einer, der große Angst hat. Attackiere ihn mit Servilität; ermahne ihn, wenn der Wind stärker weht, er möge vorsichtig sein und sein teures Haupt einhüllen; ziehe ihn aus einer Menschenmenge, [95] indem du ihr die Schultern entgegenstemmst. Spitze die Ohren, wenn er redselig ist. Liebt er es, gelobt zu werden, und ist darin unverschämt? Bis er mit zum Himmel erhobenen Händen ruft: ›Genug jetzt!‹, bedränge ihn, blase den sich blähenden Schlauch durch geschwollene Redensarten auf. Wenn er dich von langem Sklavendienst und deiner Sorge erlöst hat [100] und du hörst, dir ganz sicher, dass du hellwach bist: ›Ulixes soll Erbe eines Viertels sein‹, streu hie und da ein: ›Also ist jetzt mein guter Freund Dama nicht mehr? Wo werde ich einen so Tapferen und so Treuen finden?‹, und wenn du noch ein bisschen dazu weinen kannst, lässt sich der Gesichtsausdruck verbergen, der Freude verrät. Ist das Grabmal [105] deinem Ermessen überlassen, lass es ohne schmutzigen Geiz errichten; die Nachbarschaft soll eine Bestattung preisen, die außerordentlich prächtig ausgerichtet ist. Wenn zufällig einer von den Miterben ein älterer Mann ist und einen bösen Husten hat, sage ihm, falls er von deinem Anteil ein Landgut oder ein Haus kaufen möchte, mit Freuden würdest du es ihm für nur eine Münze24 überschreiben. Doch [110] die streng gebietende Proserpina zieht mich fort. Lebe lang und bleibe gesund.«

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Hoc erat in votis: modus agri non ita magnus, hortus ubi et tecto vicinus iugis aquae fons et paulum silvae super his foret. auctius atque di melius fecere. bene est. nil amplius oro, Maia nate, nisi ut propria haec mihi munera faxis. si neque maiorem feci ratione mala rem nec sum facturus vitio culpave minorem, si veneror stultus nihil horum ‘o si angulus ille proximus accedat, qui nunc denormat agellum!’ ‘o si urnam argenti fors quae mihi monstret, ut illi, thesauro invento qui mercennarius agrum illum ipsum mercatus aravit, dives amico Hercule!’, si quod adest gratum iuvat, hac prece te oro: pingue pecus domino facias et cetera praeter ingenium, utque soles, custos mihi maximus adsis. ergo ubi me in montes et in arcem ex urbe removi, quid prius illustrem satiris Musaque pedestri? nec mala me ambitio perdit nec plumbeus Auster autumnusque gravis, Libitinae quaestus acerbae. Matutine pater, seu ‘Iane’ libentius audis, unde homines operum primos vitaeque labores instituunt – sic dis placitum –, tu carminis esto principium. Romae sponsorem me rapis: ‘eia! ne prior officio quisquam respondeat, urge.’ sive Aquilo radit terras seu bruma nivalem interiore diem gyro trahit, ire necesse est. postmodo quod mi obsit, clare certumque locuto luctandum in turba et facienda iniuria tardis.

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6 Dies war immer in meine Gebete einbezogen: ein nicht zu großes Stück Land, wo ein Küchengarten und nahe beim Haus eine Quelle mit nie versiegendem Wasser und darüber ein bisschen Wald wären. Reichlicher und besser machten es die Götter. Gut so. Nichts weiter erbitte ich, [5] Sohn der Maia1, außer dass du diese Geschenke zu meinem Eigentum machst. Wenn ich meinen Besitz nicht mit üblen Methoden vergrößert habe und auch nicht dabei bin, ihn durch Verschwendung oder Vernachlässigung zu verkleinern, wenn ich nicht töricht eines der folgenden Gebete spreche: »O wenn doch der meinem Nachbarn gehörende Winkel noch dazukäme, der jetzt das Aussehen meines kleinen Landgutes entstellt!« [10] »O wenn doch ein glücklicher Zufall mir einen Topf voll Silber zeigen würde wie jenem Mann, der als Lohnarbeiter einen Schatz fand, den Acker kaufte und eben diesen pflügte, reich geworden durch die Freundschaft des Herkules!«,2 wenn ich mich an dem, was ich habe, dankbar erfreue, bitte ich dich mit folgendem Gebet: Mögest du dem Besitzer sein Vieh und alles andere außer [15] seinem Hirn fett machen3 und mir wie gewohnt als mächtigster Beschützer zur Seite stehen. Wenn ich mich also aus der Stadt in die Berge und in meine Bergfestung zurückgezogen habe, was soll ich zuerst in meinen Satiren und mit meiner Muse, die zu Fuß geht,4 feiern? Kein übler Ehrgeiz bringt mich um, kein bleischwerer Schirokko, auch nicht drückender Herbst, die Erntezeit der erbarmungslosen Libitina. [20] Vater der Morgenfrühe oder »Janus«, wenn du das lieber hörst, du, mit dem die Menschen die ersten Arbeiten ihres täglichen Lebens beginnen – so haben es die Götter beschlossen –, sei du der Anfang meines Gedichtes. In Rom zerrst du mich als Bürgen vor Gericht. »Los! Beeile dich, damit niemand vor dir seiner Pflicht nachkommt.« [25] Ob der Aquilo über die Länder hinwegfegt oder tiefer Winter den Schneetag auf engerer Umlaufbahn dahinzieht5 – ich muss gehen. Habe ich dann laut und bestimmt etwas gesagt, was mir später schaden könnte, muss ich in der Menge um mich schlagen und den Langsamen Unrecht

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‘quid tibi vis, insane?’ et ‘quam rem agis?’ improbus urget iratis precibus, ‘tu pulses omne quod obstat, ad Maecenatem memori si mente recurras?’ hoc iuvat et melli est, non mentiar. at simul atras ventum est Esquilias, aliena negotia centum per caput et circa saliunt latus. ‘ante secundam Roscius orabat sibi adesses ad Puteal cras.’ ‘de re communi scribae magna atque nova te orabant hodie meminisses, Quinte, reverti.’ ‘imprimat his cura Maecenas signa tabellis.’ dixeris: ‘experiar’: ‘si vis, potes’ addit et instat. septimus octavo propior iam fugerit annus, ex quo Maecenas me coepit habere suorum in numero, dumtaxat ad hoc, quem tollere raeda vellet iter faciens et cui concredere nugas hoc genus: ‘hora quota est?’ ‘Thraex est Gallina Syro par?’ ‘matutina parum cautos iam frigora mordent’ et quae rimosa bene deponuntur in aure. per totum hoc tempus subiectior in diem et horam invidiae noster. ludos spectaverat una, luserat in Campo: ‘Fortunae filius!’ omnes. frigidus a Rostris manat per compita rumor: quicumque obvius est, me consulit: ‘o bone – nam te scire, deos quoniam propius contingis, oportet –, numquid de Dacis audisti?’ ‘nil equidem.’ ‘ut tu semper eris derisor!’ ‘at omnes di exagitent me, si quicquam.’ ’quid? militibus promissa Triquetra praedia Caesar an est Itala tellure daturus?’

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tun. »Was fällt dir ein, du Irrer?« und »Was hast du vor?«, so bedrängt mich ein grober Kerl [30] mit wütenden Flüchen, »musst du alles anrempeln, was dir im Weg steht, wenn du wieder zu Maecenas hinrennst, ohne etwas anderes im Sinn?« Ja, das ist meine Freude und süß wie Honig, ich will es nicht leugnen. Aber sobald der schwarze Esquilin6 erreicht ist, wogen mir hundert fremde Anliegen über den Kopf hin und um meinen Körper. [35] »Roscius hat darum gebeten, dass du ihn morgen vor der zweiten Stunde beim Puteal7 triffst.« »Wegen einer wichtigen neuen Angelegenheit von allgemeinem Interesse haben dich die Magistratssekretäre8 gebeten, du möchtest daran denken, heute zu ihnen zurückzukommen, Quintus.« »Sorge dafür, dass Maecenas auf dieses Dokument sein Siegel drückt.« Sagt man dann: »Ich will’s versuchen«, dann fügt er hinzu: »Wenn du willst, kannst du das«, und insistiert. [40] Das siebte Jahr, näher am achten, wird bald entflohen sein, seitdem Maecenas mich zu seinen Leuten zu zählen begann, nur deswegen, weil er jemanden haben wollte, den er in seinem Wagen auf einer Reise mitnehmen und dem er Bagatellen folgender Art würde anvertrauen können: »Wie viel Uhr ist es?« »Ist der thrakische Gallina9 dem Syrus gewachsen?« [45] »Der morgendliche Frost zwackt jetzt schon zu wenig vorsichtige Leute« und Sachen, die man einem durchlässigen Ohr10 sicher anvertrauen kann. Diese ganze Zeit hindurch ist unser Freund11 Tag um Tag und Stunde um Stunde dem Neid mehr ausgesetzt. Hat er die Spiele zusammen mit Maecenas angeschaut, mit ihm auf dem Marsfeld gespielt, sagen alle: »Ein Sohn Fortunas!« [50] Ein schauriges Gerücht eilt von den Rostra von Straßenecke zu Straßenecke: Jeder, der mir begegnet, fragt mich nach meiner Meinung: »Mein Lieber – du solltest ja Bescheid wissen, weil du mit den Göttern12 in näherem Kontakt stehst –, hast du etwas über die Daker gehört?« »Nicht das Mindeste.« »Was für ein Spaßvogel du doch immer sein wirst!« »Aber alle Götter sollen mich zum Wahnsinn treiben, [55] wenn ich irgendetwas gehört habe!« »Wie? Die Landgüter, die Caesar den Soldaten versprochen hat, wird er sie ihnen von sizilischem oder italischem Boden geben?« Wenn ich schwöre, ich

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iurantem me scire nihil mirantur ut unum scilicet egregii mortalem altique silenti. perditur haec inter misero lux non sine votis: ‘o rus, quando ego te aspiciam quandoque licebit nunc veterum libris, nunc somno et inertibus horis ducere sollicitae iucunda oblivia vitae? o quando faba Pythagorae cognata simulque uncta satis pingui ponentur holuscula lardo?’ o noctes cenaeque deum, quibus ipse meique ante Larem proprium vescor vernasque procaces pasco libatis dapibus. prout cuique libido est, siccat inaequales calices conviva solutus legibus insanis, seu quis capit acria fortis pocula seu modicis uvescit laetius. ergo sermo oritur, non de villis domibusve alienis, nec male necne Lepos saltet; sed, quod magis ad nos pertinet et nescire malum est, agitamus: utrumne divitiis homines an sint virtute beati, quidve ad amicitias, usus rectumne, trahat nos et quae sit natura boni summumque quid eius. Cervius haec inter vicinus garrit aniles ex re fabellas. si quis nam laudat Arelli sollicitas ignarus opes, sic incipit: ‘olim rusticus urbanum murem mus paupere fertur accepisse cavo, veterem vetus hospes amicum, asper et attentus quaesitis, ut tamen artum solveret hospitiis animum. quid multa? neque ille sepositi ciceris nec longae invidit avenae, aridum et ore ferens acinum semesaque lardi

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wisse nichts, dann staunen sie mich an, als wäre ich – natürlich, ich! – der einzige Sterbliche, der außerordentlich tiefes Schweigen bewahren kann. Inmitten von so etwas geht mir armem Kerl der Tag verloren, nicht ohne Gebete: [60] »O Landgut, wann werde ich dich erblicken, und wann wird mir erlaubt sein, bald mit Büchern älterer Autoren, bald mit Schlaf und in Stunden der Untätigkeit angenehmes Vergessen meines unruhigen Lebens zu schlürfen? O wann wird mir die Bohne, Pythagoras’ Verwandte,13 vorgesetzt und mit ihr Kohl, ausreichend geschmälzt durch fetten Speck?« [65] O Nächte und Göttermahlzeiten, bei denen ich selbst und meine Freunde vor dem eigenen Lar essen und ich meine kecken Haussklaven füttere, nachdem ich das Speiseopfer dargebracht habe. Wie es jedem gefällt, leeren die Gäste, befreit von verrückten Trinkgesetzen,14 ungleiche Pokale, ob einer tapfer zu unverdünntem [70] Trunk greift oder durch mäßiges Bechern in feuchtfröhliche Stimmung gerät. So entspinnt sich denn die Unterhaltung, nicht über Land- und Stadthäuser anderer Leute, auch nicht darüber, ob Lepos15 schlecht tanzt oder nicht; nein, wir diskutieren über das, was uns näher angeht, und was nicht zu wissen schlecht ist: ob die Menschen durch Reichtum oder durch Tugend glücklich werden [75] oder was uns zum Schließen von Freundschaften bringt, eigener Nutzen oder Redlichkeit, und was das Wesen des Guten ist und was sein höchstes Ideal. Während dieser Gespräche schwatzt Nachbar Cervius je nach Thema Altweibergeschichtchen daher. Wenn nämlich einer den Reichtum des Arellius preist, ohne zu wissen, was für Unruhe ein solcher bereitet, fängt Cervius so an: »Einst, [80] so erzählt man, bewirtete eine Landmaus eine Stadtmaus16 in ihrer ärmlichen Erdhöhle; eine langjährige Gastfreundin eine langjährige Freundin, streng und sorgsam mit dem, was sie zusammengesucht hatte, um dann doch für die Gastfreundschaft ihren engen Sinn zu lockern. Was soll ich mehr dazu sagen? Weder geizte sie mit den Kichererbsen, die sie für sich aufgehoben hatte, noch mit langen Haferkörnern, [85] brachte im Maul eine Rosine und halb verzehrte Speckstücke und servierte sie

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frusta dedit, cupiens varia fastidia cena vincere tangentis male singula dente superbo, cum pater ipse domus palea porrectus in horna esset ador loliumque, dapis meliora relinquens. tandem urbanus ad hunc “quid te iuvat” inquit, “amice, praerupti nemoris patientem vivere dorso? vis tu homines urbemque feris praeponere silvis? carpe viam, mihi crede, comes, terrestria quando mortales animas vivunt sortita neque ulla est aut magno aut parvo leti fuga: quo, bone, circa, dum licet, in rebus iucundis vive beatus, vive memor, quam sis aevi brevis.” haec ubi dicta agrestem pepulere, domo levis exsilit; inde ambo propositum peragunt iter, urbis aventes moenia nocturni subrepere. iamque tenebat nox medium caeli spatium, cum ponit uterque in locuplete domo vestigia, rubro ubi cocco tincta super lectos canderet vestis eburnos multaque de magna superessent fercula cena, quae procul exstructis inerant hesterna canistris. ergo ubi purpurea porrectum in veste locavit agrestem, veluti succinctus cursitat hospes continuatque dapes nec non verniliter ipse fungitur officiis, praelambens omne quod affert. ille cubans gaudet mutata sorte bonisque rebus agit laetum convivam, cum subito ingens valvarum strepitus lectis excussit utrumque. currere per totum pavidi conclave magisque exanimes trepidare, simul domus alta Molossis personuit canibus. tum rusticus: “haud mihi vita

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mit dem Wunsch, durch das abwechslungsreiche Mahl den Widerwillen bei der zu besiegen, die mit arrogantem Zahn alles im Einzelnen kaum anrührte, während die Hausherrin selbst, auf frischer Spreu hingestreckt, Dinkel und Lolch verzehrte und das Bessere von der Mahlzeit liegen ließ. [90] Endlich sagte die aus der Stadt zu ihr: »Wie kann es dir nur gefallen, meine Freundin, geduldig auf dem Rücken eines abschüssigen Bergwaldes zu leben? Möchtest du nicht die Menschen und die Stadt den wilden Wäldern vorziehen? Vertrau mir, mach dich schnell auf den Weg als meine Begleiterin, weil ja die irdischen Wesen mit einer sterblichen Seele leben, die sie erlost haben, und es keine [95] Flucht vor dem Tod für Groß oder Klein gibt. Deshalb, meine Liebe, solange es erlaubt ist, lebe in erfreulichen Zeiten glücklich, lebe dessen eingedenk, wie kurz deine Lebenszeit ist.« Als diese Worte die Landmaus in Bewegung gebracht haben, springt sie leichthin aus ihrem Heim; dann legen die beiden den Weg, den sie sich vorgenommen haben, in einem Stück zurück, denn sie sind darauf aus, [100] noch während der Nacht sich bis an die Stadtmauern heranzuschleichen. Und schon hat die Nacht die Mitte ihrer himmlischen Bahn erreicht, als beide den Fuß in ein reiches Haus setzen, wo mit Scharlach gefärbte Decken über Speisesofas aus Elfenbein schimmerten und von einem großen Essen viele Gerichte übrig waren, [105] die noch vom Vortag abseits in aufeinander gestellten Körben standen. Sobald sie also die vom Land auf einer Purpurdecke hat Platz nehmen und sich hinstrecken lassen, läuft die Gastgeberin wie eine Hochgeschürzte eifrig hin und her, lässt einen Gang auf den anderen folgen und leistet persönlich die Dienste nach Sklavenart, wobei sie alles, was sie aufträgt, vorher ableckt. [110] Die andere freut sich, während sie daliegt, an der Veränderung ihres Schicksals, und da alles gut verläuft, spielt sie die Rolle des fröhlichen Gastes, als plötzlich ein gewaltiges Krachen der Türflügel beide von den Speisesofas herabstieß. Sie rennen ängstlich im ganzen Zimmer umher und sind in ihrer Panik noch mehr außer sich, als das hohe Haus vom Bellen molossischer [115] Hunde

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est opus hac” ait et “valeas: me silva cavusque tutus ab insidiis tenui solabitur ervo.”’

VII ‘Iamdudum ausculto et cupiens tibi dicere servus pauca reformido.’ ‘Davusne?’ ‘ita, Davus, amicum mancipium domino et frugi quod sit satis, hoc est, ut vitale putes.’ ‘age libertate Decembri, quando ita maiores voluerunt, utere. narra.’ ‘pars hominum vitiis gaudet constanter et urget propositum; pars multa natat, modo recta capessens, interdum pravis obnoxia. saepe notatus cum tribus anellis, modo laeva Priscus inani vixit inaequalis, clavum ut mutaret in horas, aedibus ex magnis subito se conderet unde mundior exiret vix libertinus honeste; iam moechus Romae, iam mallet doctus Athenis vivere, Vertumnis quotquot sunt natus iniquis. scurra Volanerius, postquam illi iusta cheragra contudit articulos, qui pro se tolleret atque mitteret in phimum talos, mercede diurna conductum pavit; quanto constantior isdem in vitiis, tanto levius miser ac prior illo qui iam contento, iam laxo fune laborat.’ ‘non dices hodie, quorsum haec tam putida tendant, furcifer?’ ‘ad te, inquam.’ ‘quo pacto, pessime?’ ‘laudas fortunam et mores antiquae plebis, et idem,

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widerhallte. Da sagte die vom Land: »Ein solches Leben brauche ich nicht«, und »Leb wohl: Mein Wald und meine Erdhöhle, die sicher ist vor Überraschungsangriffen, werden mich mit schlichten Wicken entschädigen.«

7 »Schon lange horche ich, und ich möchte dir sehr gern Weniges sagen, aber als Sklave habe ich Angst davor.« – »Ist das Davus?« – »Ja, Davus, Freund seines Herrn, wenn auch ein gekaufter Sklave, und ein braver Kerl, das heißt, insoweit brav genug, als ich nicht allzu gut erscheine für das Leben.«1 – »Komm, nutze die Dezemberfreiheit2, [5] weil es unsere Vorfahren so wollten. Sprich frei heraus.« – »Ein Teil der Menschen erfreut sich konsequent seiner Fehler und verfolgt beharrlich das gesteckte Ziel; ein großer Teil schwankt, indem er bald nach dem Rechten strebt, bald wiederum dem Schlechten ergeben ist. Priscus fiel oft durch drei Fingerringe auf, dann wieder durch die leere Linke, und [10] er lebte so unbeständig, dass er von Stunde zu Stunde seinen Purpurstreifen3 wechselte; er verließ plötzlich ein großes Haus und verbarg sich an einem Ort, von dem ein besserer Freigelassener kaum mit Anstand hätte hervortreten können; bald wollte er lieber in Rom als Ehebrecher, bald als Gelehrter in Athen leben, er, geboren, als alle Vertumni, die es gibt, ihm feindlich gesinnt waren.4 [15] Der Spaßmacher Volanerius hielt, nachdem die wohlverdiente Gicht ihm die Fingergelenke gelähmt hatte, sich für Tagelohn einen Mann, der für ihn die Würfel aufhob und in den Würfelbecher warf: Je konsequenter einer in ein und demselben Fehler ist, umso weniger unglücklich ist er, und desto besser ist er dran als der, [20] welcher sich bald am straff gespannten, bald am losen Seil abmüht.«5 – »Wirst du mir nicht heute noch sagen, worauf all dieses so verrottete Zeug abzielt, du Galgenvogel?« – »Auf dich, ja, ich sage es noch einmal.« – »Wie das, du Schurke?« – »Du lobst die Vermögenslage und die Sitten des Volkes in alter Zeit, und eben du würdest, wenn ein Gott dich plötz-

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si quis ad illa deus subito te agat, usque recuses, aut quia non sentis, quod clamas, rectius esse aut quia non firmus rectum defendis et haeres nequiquam caeno cupiens evellere plantam. Romae rus optas, absentem rusticus urbem tollis ad astra levis. si nusquam es forte vocatus ad cenam, laudas securum holus ac, velut usquam vinctus eas, ita te felicem dicis amasque, quod nusquam tibi sit potandum. iusserit ad se Maecenas serum sub lumina prima venire convivam: “nemon oleum fert ocius? ecquis audit?” cum magno blateras clamore fugisque. Mulvius et scurrae, tibi non referenda precati, discedunt. “etenim fateor me” dixerit ille “duci ventre levem, nasum nidore supinor, imbecillus, iners, si quid vis, adde, popino. tu cum sis quod ego et fortassis nequior, ultro insectere velut melior verbisque decoris obvolvas vitium?” quid, si me stultior ipso quingentis empto drachmis deprenderis? aufer me vultu terrere; manum stomachumque teneto, dum, quae Crispini docuit me ianitor, edo. te coniunx aliena capit, meretricula Davum: peccat uter nostrum cruce dignius? acris ubi me natura intendit, sub clara nuda lucerna quaecumque excepit turgentis verbera caudae clunibus aut agitavit equum lasciva supinum, dimittit neque famosum neque sollicitum, ne

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lich zu all dem hinbringen würde, dich beharrlich dagegen sträuben, [25] entweder, weil du nicht wirklich glaubst, dass das, was du laut verkündest, der richtigere Weg ist, oder weil du den richtigen Weg nicht standhaft verteidigst und stecken bleibst, wobei du dich vergeblich bemühst, deine Füße aus dem Schlamm zu ziehen. In Rom wünschst du dich aufs Land, auf dem Lande erhebst du wankelmütig die ferne Stadt bis zu den Sternen. Wenn du zufällig nirgendwo [30] zum Essen eingeladen bist, dann rühmst du dein sorgenfreies Gemüse und, als ob du irgendwohin gefesselt gehen müsstest, erklärst du dich für glücklich und lässt es dir gefallen, dass du nirgendwo zechen musst. Sollte aber Maecenas dich mit Nachdruck einladen, als später Gast, wenn schon die ersten Lampen angezündet werden,6 zu ihm zu kommen, quakst du mit lautem Geschrei: ›Bringt mir denn niemand schleunigst das Öl? [35] Hört hier überhaupt jemand?‹ und rennst davon. Mulvius und deine anderen Schmarotzer entfernen sich, wobei sie dich mit Worten verfluchen, die man nicht wiederholen kann. ›Ich gebe es ja zu‹, mag dieser wohl sagen, ›ich bin ein wankelmütiger Sklave meines Bauches, meine Nase geht in die Höhe bei Bratenduft, ich bin schwach, faul, und wenn du noch etwas willst, füge noch hinzu: ein Schlemmer. [40] Obwohl du bist, was ich bin, und vielleicht noch nichtsnutziger, kannst du mich da wohl grundlos anfahren, als ob du besser wärst, und deinen Fehler mit schönen Worten bemänteln?‹ Was ist, wenn sich herausstellt, dass du ein noch größerer Dummkopf bist als ich selbst, den du für fünfhundert Drachmen gekauft hast? Hör auf, mich mit deiner Miene zu erschrecken; beherrsche deine Hand und deinen Groll, [45] während ich von mir gebe, was der Türhüter Crispins mich gelehrt hat. Dich fesselt die Ehefrau eines anderen, den Davus eine Nutte: Wer von uns beiden verdient nun für sein Laster mehr die Kreuzigung7? Sobald die leidenschaftliche Natur ihn mir steif macht, fängt unter einer hellen Lampe nackt irgendeine die Stöße des strammen Schwanzes auf [50] mit ihren Arschbacken oder treibt mich geil als ihr Pferd an, während ich auf dem Rücken liege, und sie entlässt mich, ohne dass mein Ruf leidet und ich besorgt sein muss, dass ein Reiche-

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ditior aut formae melioris meiat eodem. tu cum proiectis insignibus, anulo equestri Romanoque habitu, prodis ex iudice Dama, turpis odoratum caput obscurante lacerna, non es quod simulas? metuens induceris atque altercante libidinibus tremis ossa pavore. quid refert, uri virgis ferroque necari auctoratus eas, an turpi clausus in arca, quo te demisit peccati conscia erilis, contractum genibus tangas caput? estne marito matronae peccantis in ambo iusta potestas, in corruptorem vel iustior? illa tamen se non habitu mutatve loco peccatve superne. [cum te formidet mulier neque credat amanti] ibis sub furcam prudens dominoque furenti committes rem omnem et vitam et cum corpore famam? evasti: credo, metues doctusque cavebis; quaeres, quando iterum paveas iterumque perire possis, o totiens servus! quae belua ruptis, cum semel effugit, reddit se prava catenis? “non sum moechus” ais. neque ego, hercule, fur, ubi vasa praetereo sapiens argentea. tolle periclum: iam vaga prosiliet frenis natura remotis. tune mihi dominus, rerum imperiis hominumque tot tantisque minor, quem ter vindicta quaterque imposita haud umquam misera formidine privet? adde super, dictis quod non levius valeat; nam,

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rer oder ein Schönerer ebendahin abspritzt. Wenn du die Zeichen deines Ranges abgeworfen hast, den Ritterring und die römische Kleidung,8 und auf die Straße trittst, aus einem Geschworenen ein Dama9 geworden, [55] ganz entstellt, mit einem Kapuzenmantel, der den parfümierten Kopf verhüllt, bist du dann nicht das, was du zu sein vortäuschst? Voll Angst lässt du dich nach innen führen, und während deine Panik mit der Geilheit im Streit liegt, zitterst du bis in die Knochen. Was macht es aus, ob du dich als Gladiator verkaufst, um mit Ruten gepeitscht und mit einem Schwert getötet zu werden, oder ob du, in einer schmutzigen Kiste eingeschlossen, [60] in die dich die Komplizin der Untreue ihrer Herrin hinabgelassen hat, den Kopf einziehst und mit den Knien berührst? Hat nicht der Ehemann der untreuen Frau gesetzliche Macht über beide Parteien10, die gegenüber dem Verführer sogar noch mehr gerechtfertigt ist? Die Ehefrau wechselt wenigstens nicht die Kleidung oder den Ort oder liegt oben, wenn sie untreu ist. [65] [weil die Frau dich fürchtet und dir als ihrem Liebhaber nicht traut]11 Wirst du absichtlich unter die Gabel gehen12 und dem tobenden Ehemann dein ganzes Vermögen, dein Leben und zusammen mit deinem Körper deinen guten Ruf in die Hand geben? Du bist entwischt: Sicherlich wirst du jetzt voller Angst sein, und, weil du etwas gelernt hast, dich in Acht nehmen; nein, du wirst herauszufinden versuchen, wann du wieder in Panik geraten und wieder umkommen [70] kannst, du, so oft ein Sklave! Welches wilde Tier hätte, wenn es einmal entflohen ist, einen so verdrehten Sinn, dass es zu den Ketten zurückkehrt, die es zerbrochen hat? ›Ich bin kein Ehebrecher‹, sagst du. Und ich, beim Herkules, kein Dieb, wenn ich an silbernen Gefäßen wohlweislich vorübergehe. Beseitige das Risiko: Schon wird unsere Natur, weil die Zügel entfernt sind, über ihre Schranken springen und ausarten. [75] Du willst mein Herr sein, der du so vielen und so mächtigen Zwängen unterworfen bist, die von Umständen und Menschen ausgehen, du, den ein Akt der Freilassung,13 drei- oder viermal durchgeführt, niemals von elender Angst befreien wird? Nimm noch hinzu, was nicht weniger Geltung hat als das, was ich schon gesagt habe. Denn ob einer, der einem Sklaven

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sive vicarius est, qui servo paret, uti mos vester ait, seu conservus, tibi quid sum ego? nempe tu, mihi qui imperitas, alii servis miser atque duceris ut nervis alienis mobile lignum. quisnam igitur liber? sapiens sibi qui imperiosus, quem neque pauperies neque mors neque vincula terrent, responsare cupidinibus, contemnere honores fortis et in se ipso totus, teres atque rotundus, externi ne quid valeat per leve morari, in quem manca ruit semper Fortuna. potesne ex his ut proprium quid noscere? quinque talenta poscit te mulier, vexat foribusque repulsum perfundit gelida, rursus vocat: eripe turpi colla iugo liber. “liber sum” dic age: non quis. urget enim dominus mentem non lenis et acres subiectat lasso stimulos versatque negantem. vel cum Pausiaca torpes, insane, tabella, qui peccas minus atque ego, cum Fulvi Rutubaeque aut Pacideiani contento poplite miror proelia rubrica picta aut carbone, velut si re vera pugnent, feriant vitentque moventes arma viri? nequam et cessator Davus; at ipse subtilis veterum iudex et callidus audis. nili ego, si ducor libo fumante: tibi ingens virtus atque animus cenis responsat opimis? obsequium ventris mihi perniciosius est. cur? tergo plector enim. qui tu impunitior illa, quae parvo sumi nequeunt, obsonia captas? nempe inamarescunt epulae sine fine petitae illusique pedes vitiosum ferre recusant corpus. an hic peccat, sub noctem qui puer uvam furtiva mutat strigili? qui praedia vendit,

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gehorcht,14 ›Stellvertreter‹ ist, wie ihr [80] Freien zu sagen pflegt, oder ›Mitsklave‹, was bin ich für dich? Sicher ist: Du, der du mir Befehle gibst, dienst als elender Kerl einem anderen und wirst geführt wie eine Holzpuppe, die von einem anderen durch Schnüre bewegt wird. Wer ist also frei? Der Weise, der über sich selbst herrscht, den weder Armut noch der Tod noch Ketten schrecken, [85] der auch die Kraft hat, den Begierden zu widerstehen und Ehrenämter zu verachten, der ganz in sich selbst ist, glatt und rund, damit an seiner glatten Oberfläche nichts von außen Halt finden kann; auf ihn stürzt sich Fortuna stets nur mit halber Kraft. Kannst du von alldem auch nur irgendetwas als dir eigen erkennen? Fünf Talente [90] verlangt eine Frau von dir, quält dich, weist dir die Tür und übergießt dich mit kaltem Wasser, ruft dich zurück: Entreiße als freier Mann deinen Hals dem schändlichen Joch. ›Ich bin frei!‹ Los, sag es: Du kannst es nicht. Denn ein keineswegs milder Gebieter setzt deinem Sinn hart zu, gibt dir, wenn du erschöpft bist, die scharfen Sporen und reißt dich herum, wenn du dich weigerst.15 [95] Oder wenn du starr vor Staunen vor einem Gemälde des Pausias stehst, du Verrückter, inwiefern begehst du dann einen geringeren Fehler als ich, wenn ich mit durchgedrückten Knien die Gefechte des Fulvius, Rutuba oder Pacideianus bewundere, die mit rotem Ocker oder Kohle so gemalt sind,16 als ob die Männer wirklich kämpfen, Stöße führen, parieren und [100] ihre Waffen schwingen würden. Davus ist ein Taugenichts und Bummelant; doch du selbst wirst als feiner und sachkundiger Kenner der alten Meister bezeichnet. Ich bin ein Nichtsnutz, wenn ich mich von einem dampfenden Kuchen verführen lasse: Kann deine hohe Tugend und Gesinnung einem fetten Essen widerstehen? Unterwürfigkeit gegenüber dem Bauch ist für mich verderblicher. Warum? [105] Mein Rücken wird ja verprügelt. Wieso wirst du weniger gestraft, wenn du Leckerbissen nachjagst, die man nicht billig kaufen kann? Sicher ist: Die nicht enden wollenden Festessen werden zu bitterer Galle, und die zum Narren gehaltenen17 Füße weigern sich, den kranken Körper zu tragen. Oder handelt der schuldhaft, der, ein Sklave halt, bei Einbruch der Nacht eine Traube [110] gegen ein gestohlenes Schabeisen

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nil servile gulae parens habet? adde, quod idem non horam tecum esse potes, non otia recte ponere teque ipsum vitas fugitivus et erro, iam vino quaerens, iam somno fallere curam: frustra; nam comes atra premit sequiturque fugacem.’ ‘unde mihi lapidem?’ ‘quorsum est opus?’ ‘unde sagittas?’ ‘aut insanit homo aut versus facit.’ ‘ocius hinc te ni rapis, accedes opera agro nona Sabino.’

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VIII ‘Ut Nasidieni iuvit te cena beati? nam mihi quaerenti convivam dictus here illic de medio potare die.’ ‘sic, ut mihi numquam in vita fuerit melius.’ ‘da, si grave non est, quae prima iratum ventrem placaverit esca.’ ‘in primis Lucanus aper: leni fuit Austro captus, ut aiebat cenae pater. acria circum, rapula, lactucae, radices, qualia lassum pervellunt stomachum, siser, allec, faecula Coa. his ut sublatis puer alte cinctus acernam gausape purpureo mensam pertersit et alter sublegit quodcumque iaceret inutile quodque posset cenantes offendere, ut Attica virgo cum sacris Cereris procedit fuscus Hydaspes Caecuba vina ferens, Alcon Chium maris expers. hic erus “Albanum, Maecenas, sive Falernum te magis appositis delectat, habemus utrumque.”’

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eintauscht? Einer, der seine Landgüter verkauft, weil er seiner Gurgel frönt, hat nichts von einem Sklaven an sich? Nimm noch hinzu, dass eben du nicht eine Stunde mit dir allein sein, deine Freizeit nicht richtig nutzen kannst und dir selbst zu entgehen suchst wie ein ausgerissener oder ein herumstreunender Sklave, indem du deine Sorge bald mit Wein, bald mit Schlaf zu täuschen versuchst: vergeblich; denn als finstere Begleiterin setzt sie dir zu und folgt dir, wenn du davonläufst.« – [115] »Woher kriege ich einen Stein?« –»Wozu brauchst du den?« – »Woher Pfeile?« – »Entweder ist der Mensch verrückt, oder er macht Verse.« – »Wenn du dich nicht gleich davonmachst, kommst du als neunter Landarbeiter auf mein Sabinergut.«18

8 »Wie gefiel dir das Mahl bei dem reichen Nasidienus? Als ich nämlich nach dir als Gast suchte, sagte man mir, du würdest seit gestern Mittag dort zechen.« – »Ja, so gut, dass es mir nie im Leben besser erging.« – »Sage mir, wenn es dir nicht lästig ist, [5] welche Delikatesse als Erste den zornigen Magen besänftigte.« »Erst einmal gab es einen lukanischen Eber. Er war bei lindem Auster gefangen, wie der Vater des Mahles sagte. Rundherum lagen scharfe Sachen, Rettiche, Kopfsalat und Radieschen, wie sie einen matten Magen reizen können, dazu Rapunzeln, Fischlake und Weinsteinsalz aus Kos. [10] Als das alles abgetragen ist, und ein hochgeschürzter Sklave den Tisch aus Ahornholz mit einem Purpurtuch abgewischt und ein anderer alles aufgehoben hat, was unnütz herumlag und bei den Gästen Anstoß hätte erregen können, schreitet wie eine attische Jungfrau mit den Heiligtümern der Ceres1 der dunkelhäutige Hydaspes herein [15] und trägt Caecuber auf, Alkon dagegen Chier ohne Meerwasser. Hier sagte der Hausherr: ›Doch wenn Albaner, Maecenas, oder Falerner dir besser schmeckt als das, was serviert wurde, wir haben beides.‹« – »Elender Reichtum! Aber ich bin begie-

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‘divitias miseras! sed quis cenantibus una, Fundani, pulchre fuerit tibi, nosse laboro.’ ‘summus ego et prope me Viscus Thurinus et infra, si memini, Varius; cum Servilio Balatrone Vibidius, quos Maecenas adduxerat umbras. Nomentanus erat super ipsum, Porcius infra, ridiculus totas semel absorbere placentas. Nomentanus ad hoc, qui, si quid forte lateret, indice monstraret digito; nam cetera turba, nos, inquam, cenamus aves, conchylia, pisces, longe dissimilem noto celantia sucum, ut vel continuo patuit, cum passeris atque ingustata mihi porrexerit ilia rhombi. post hoc me docuit melimela rubere minorem ad lunam delecta. quid hoc intersit, ab ipso audieris melius. tum Vibidius Balatroni: “nos nisi damnose bibimus, moriemur inulti,” et calices poscit maiores. vertere pallor tum parochi faciem nil sic metuentis ut acres potores, vel quod maledicunt liberius vel fervida quod subtile exsurdant vina palatum. invertunt Allifanis vinaria tota Vibidius Balatroque; secutis omnibus imi convivae lecti nihilum nocuere lagoenis. affertur squillas inter murena natantes in patina porrecta. sub hoc erus “haec gravida” inquit “capta est, deterior post partum carne futura. his mixtum ius est: oleo, quod prima Venafri pressit cella; garo de sucis piscis Hiberi; vino quinquenni, verum citra mare nato, dum coquitur – cocto Chium sic convenit, ut non

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rig zu wissen, mit welchen Speisegästen du, Fundanius2, es so angenehm hattest?« [20] »Ich lag ganz oben,3 neben mir Viscus aus Thurii, und unten, wenn ich mich recht erinnere, Varius; zusammen mit Servilius Balatro lag Vibidius, die Maecenas als seine Schatten4 mitgebracht hatte. Nomentanus lag oberhalb des Hausherrn und unterhalb von diesem Porcius, der Gelächter erregte, indem er ganze Kuchen auf einmal hinunterschlang. [25] Nomentanus war dazu da, für den Fall, dass irgendetwas zufällig unserer Aufmerksamkeit entgehen sollte, mit dem Zeigefinger darauf hinzuweisen; denn die übrige Schar, wir, meine ich, aßen Geflügel, Muscheln, Fische, die einen Geschmack in sich bargen, der von dem uns vertrauten ganz verschieden war, wie sich gleich von Anfang an zeigte, als er mir den Rogen einer Stachelflunder und [30] eines Steinbutts reichte, was ich noch nie gekostet hatte. Danach belehrte er mich, Honigäpfel seien rot, wenn man sie bei abnehmendem Mond pflücke. Was dabei wichtig ist, magst du besser von ihm selber hören. Dann sagt Vibidius zu Balatro: ›Wenn wir ihn nicht in den finanziellen Ruin trinken, werden wir ungerächt sterben‹,5 [35] und er verlangt nach größeren Bechern. Blässe veränderte da das Gesicht unseres Lieferanten6, der nichts so sehr fürchtete wie starke Zecher, entweder, weil sie zu freimütig lästern, oder weil feurige Weine einen feinen Gaumen abstumpfen. Ganze Krüge schenken in die allifanischen Humpen [40] Vibidius und Balatro; während alle anderen es ihnen gleichtaten, fügten die Gäste auf dem untersten Speisesofa den Flaschen keinen Schaden zu. Eine Muräne wird aufgetragen, ausgestreckt in der Schüssel, inmitten schwimmender Krabben. Darauf sagt der Hausherr: ›Sie wurde noch trächtig gefangen, weil das Fleisch nach dem Laichen schlechter geworden wäre. [45] Die Tunke wurde aus Folgendem gemischt: aus Öl, das die Kelter von Venafrum als Erstes presste; aus Fischsauce vom Saft hiberischer Makrelen; aus fünfjährigem Wein, der aber diesseits des Meeres wuchs, noch während des Kochens zugesetzt – wenn sie gekocht ist, passt der Chier dazu besser als irgendein

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hoc magis ullum aliud –; pipere albo, non sine aceto, quod Methymnaeam vitio mutaverit uvam. erucas virides, inulas ego primus amaras monstravi incoquere; illutos Curtillus echinos, ut melius muria quod testa marina remittat.” interea suspensa graves aulaea ruinas in patinam fecere, trahentia pulveris atri quantum non Aquilo Campanis excitat agris. nos maius veriti, postquam nihil esse pericli sensimus, erigimur; Rufus posito capite, ut si filius immaturus obisset, flere. quis esset finis, ni sapiens sic Nomentanus amicum tolleret: “heu, Fortuna, quis est crudelior in nos te deus? ut semper gaudes illudere rebus humanis!” Varius mappa compescere risum vix poterat. Balatro suspendens omnia naso “haec est condicio vivendi” aiebat, “eoque responsura tuo numquam est par fama labori. tene, ut ego accipiar laute, torquerier omni sollicitudine districtum, ne panis adustus, ne male conditum ius apponatur, ut omnes praecincti recte pueri comptique ministrent? adde hos praeterea casus, aulaea ruant si, ut modo, si patinam pede lapsus frangat agaso. sed convivatoris, uti ducis, ingenium res adversae nudare solent, celare secundae.” Nasidienus ad haec: “tibi di, quaecumque preceris, commoda dent! ita vir bonus es convivaque comis” et soleas poscit. tum in lecto quoque videres stridere secreta divisos aure susurros.’

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anderer –, aus weißem Pfeffer nicht ohne Essig, [50] der aus sauer gewordenem methymneischen Rebensaft gemacht ist. Ich habe als Erster gelehrt, grünen Raukenkohl und bitteren Alant hineinzukochen, Curtillus, nicht gewässerte Seeigel, weil das, was dieses Schaltier des Meeres hergibt, etwas Besseres sei als Fischlake.‹ Währenddessen stürzten die aufgehängten Wandteppiche mit gewaltiger Wucht [55] auf die Schüssel und zogen so viel schwarzen Staub mit sich, wie nicht einmal der Aquilo von den kampanischen Feldern aufwirbelt. Wir befürchteten Schlimmeres, doch als wir bemerkt haben, dass keinerlei Gefahr besteht, richten wir uns auf. Rufus7 begräbt seinen Kopf und weint, als wäre ihm ein noch nicht erwachsener Sohn gestorben. Was hätte das für [60] ein Ende gegeben, hätte Nomentanus nicht seinen Freund philosophierend folgendermaßen aufgerichtet? ›O weh, Fortuna, welche Gottheit ist grausamer gegen uns als du? Wie du doch immer wieder deine Freude daran hast, mit menschlichen Angelegenheiten deinen Spott zu treiben!‹ Varius konnte kaum das Lachen mit seiner Serviette zurückhalten. Balatro, der alles an seiner Nase aufhängte,8 sagte: [65] ›Das ist das Gesetz des Lebens, und deshalb wird niemals der Ruhm, der deinen Bemühungen entspricht, diese belohnen. Lässt du dich, damit ich prächtig bewirtet werden möge, durch jede Art von Sorge quälen und foltern, auf dass ja kein angebranntes Brot, keine schlecht gewürzte Sauce serviert werde, dass alle [70] Sklaven richtig aufgeschürzt und frisiert bedienen? Rechne dann noch diese Unglücksfälle dazu, wenn die Wandteppiche herunterstürzen, wie gerade eben, wenn ein Stallknecht stolpert und eine Schüssel zerbricht.9 Doch widrige Umstände pflegen das Genie eines Gastgebers wie das eines Feldherrn zu offenbaren, günstige dagegen, es im Verborgenen zu halten.« [75] Nasidienus antwortete darauf: ›Mögen die Götter dir alles Gute geben, um was du sie bittest! Du bist ein so braver Mann und liebenswürdiger Gast‹, und verlangte seine Sandalen.10 Da hättest du sehen können, wie auf jedem Sofa Geflüster nach verschiedenen Seiten hin in beiseite genommene Ohren zischelte.« »Keine szenischen Darbietungen hätte ich mir lieber anschauen

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‘nullos his mallem ludos spectasse; sed illa redde, age, quae deinceps risisti.’ ‘Vibidius dum quaerit de pueris, num sit quoque fracta lagoena, quod sibi poscenti non dentur pocula, dumque ridetur fictis rerum Balatrone secundo, Nasidiene, redis mutatae frontis, ut arte emendaturus fortunam. deinde secuti mazonomo pueri magno discerpta ferentes membra gruis sparsi sale multo non sine farre, pinguibus et ficis pastum iecur anseris albae et leporum avulsos, ut multo suavius, armos, quam si cum lumbis quis edit. tum pectore adusto vidimus et merulas poni et sine clune palumbis, suaves res, si non causas narraret earum et naturas dominus; quem nos sic fugimus ulti, ut nihil omnino gustaremus, velut illis Canidia afflasset, peior serpentibus Afris.’

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wollen als diese; doch komm, erzähl das, [80] worüber du als Nächstes gelacht hast.« – »Während Vibidius die Sklaven fragt, ob die Flasche auch zerbrochen sei, weil ihm keine Becher gereicht würden, obwohl er danach verlangt habe, und während man über seine erfundenen Witze lacht, bei denen Balatro sekundiert, kehrst du, Nasidienus, mit veränderter Miene zurück wie einer, der im Begriff ist, durch Geschick [85] das Glück zu verbessern. Darauf folgen Sklaven, die auf einer gewaltigen Platte tranchierte Kranichkeulen tragen, mit viel Salz bestreut und nicht ohne Mehl, dazu die Leber einer weißen Gans, gemästet mit saftigen Feigen, und abgetrennte Vorderbüge von Hasen, weil sie so viel schmackhafter sind, [90] als wenn man sie zusammen mit den Lenden isst. Dann sahen wir, wie Amseln mit knusprig gebratener Brust und Wildtauben ohne Bürzel serviert wurden, lauter Delikatessen, wenn nicht der Hausherr von ihrer Herkunft und ihrer Wesensart11 erzählt hätte; vor ihm ergriffen wir die Flucht, indem wir uns in der Weise an ihm rächten, dass wir überhaupt nichts davon kosteten, wie wenn [95] Canidia12, die schlimmer ist als afrikanische Schlangen, diese Speisen angehaucht hätte.«13

Epoden

EPODON LIBER I Ibis Liburnis inter alta navium, amice, propugnacula, paratus omne Caesaris periculum subire, Maecenas, tuo. quid nos, quibus te vita sit superstite iucunda, si contra, gravis? utrumne iussi persequemur otium non dulce, ni tecum simul, an hunc laborem, mente laturi decet qua ferre non molles viros? feremus et te vel per Alpium iuga inhospitalem et Caucasum vel Occidentis usque ad ultimum sinum forti sequemur pectore. roges, tuum labore quid iuvem meo imbellis ac firmus parum: comes minore sum futurus in metu, qui maior absentes habet, ut assidens implumibus pullis avis serpentium allapsus timet magis relictis, non, ut adsit, auxili latura plus praesentibus. libenter hoc et omne militabitur bellum in tuae spem gratiae, non ut iuvencis illigata pluribus aratra nitantur mea

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Das Buch der Epoden 1 Du wirst auf einem Liburner zwischen die hohen Turmschiffe fahren,1 Freund, bereit, dich jeder Gefahr für Caesar auf eigene Gefahr zu unterziehen, Maecenas. Was soll ich tun, dem das Leben, wenn du überlebst, willkommen, wenn es anders kommt, eine Last ist? Soll ich, wie du mir vorgeschlagen hast, das friedliche Dasein fortsetzen, das nicht angenehm ist, außer zusammen mit dir, oder diese Mühsal, gewillt, sie zu ertragen mit der Gesinnung, mit der es sich für nicht verweichlichte Männer gehört? Ich werde sie ertragen und dir entweder über die Bergkämme der Alpen und den unwirtlichen Kaukasus oder bis zum äußersten Golf des Okzidents2 mit tapferem Herzen folgen. Du fragst wohl, wie ich dir bei deiner Mühsal mit der Meinen helfen [könnte, ich, unkriegerisch und nicht stark genug: Als Gefährte werde ich weniger in Angst sein, die Abwesende mehr erfasst, wie der bei seinen ungefiederten Jungen sitzende Vogel das Herankriechen der Schlangen fürchtet, aber mehr noch, wenn er sie allein gelassen hat, obwohl er, selbst wenn er da wäre, den ihm Nahen keine größere Hilfe bringen könnte. Gern wird dieser und jeder andere Kampf in Hoffnung auf deine Dankbarkeit gekämpft werden, nicht dafür, dass, an mehr Jungstiere gebunden, meine Pflüge sich abmühen,

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pecusve Calabris ante sidus fervidum Lucana mutet pascuis neque ut superni villa candens Tusculi Circaea tangat moenia. satis superque me benignitas tua ditavit; haud paravero quod aut avarus ut Chremes terra premam discinctus aut perdam nepos.

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II Beatus ille qui procul negotiis, ut prisca gens mortalium, paterna rura bubus exercet suis solutus omni faenore neque excitatur classico miles truci neque horret iratum mare Forumque vitat et superba civium potentiorum limina. ergo aut adulta vitium propagine altas maritat populos aut in reducta valle mugientium prospectat errantes greges inutilesque falce ramos amputans feliciores inserit aut pressa puris mella condit amphoris aut tondet infirmas oves. vel cum decorum mitibus pomis caput Autumnus agris extulit, ut gaudet insitiva decerpens pira certantem et uvam purpurae,

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DAS BUCH DER EPODEN oder dass mein Vieh, bevor das Gestirn glüht, mit den kalabrischen die lukanischen Weiden vertauscht, und nicht dafür, dass ein glänzendes Landgut im hohen Tusculum die kirkäischen Mauern berührt. Genug und darüber hinaus hat mich deine Freigebigkeit beschenkt; ich will nicht etwas erwerben, um es entweder wie der geizige Chremes in der Erde zu vergraben oder als liederlicher Verschwender zu verlieren.

2 Glückselig ist der, welcher fern von Schwierigkeiten1, wie das Urvolk der Sterblichen, die väterlichen Ländereien mit seinen Stieren beackert, frei von allem Zins und nicht als Soldat vom grimmigen Signalhorn aufgeweckt wird, sich nicht vor dem erzürnten Meer entsetzt und das Forum2 meidet und die hochmütigen Türschwellen der Bürger mit mehr Macht.3 Entweder also vermählt er mit den herangewachsenen Schößlingen der Reben die großgezogenen Pappeln oder schaut aus nach den im entlegenen Tal frei weidenden Herden der Muhenden oder schneidet mit der Sichel nutzlose Äste ab und pfropft ertragreichere auf oder birgt ausgepressten Honig in sauberen Amphoren oder schert schwache Schafe. Oder wenn sein mit reifem Obst geschmücktes Haupt der Herbst aus den Feldern erhoben hat, wie freut er sich, wenn er die selbst gepfropften Birnen abpflückt und die mit dem Purpur wetteifernde Traube,

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qua muneretur te, Priape, et te, pater Silvane, tutor finium. libet iacere modo sub antiqua ilice, modo in tenaci gramine; labuntur altis interim ripis aquae, queruntur in silvis aves fontesque lymphis obstrepunt manantibus, somnos quod invitet leves. at cum tonantis annus hibernus Iovis imbres nivesque comparat, aut trudit acres hinc et hinc multa cane apros in obstantes plagas aut amite levi rara tendit retia turdis edacibus dolos pavidumque leporem et advenam laqueo gruem iucunda captat praemia. quis non malarum quas amor curas habet haec inter obliviscitur? quodsi pudica mulier in partem iuvet domum atque dulces liberos, Sabina qualis aut perusta solibus pernicis uxor Apuli, sacrum vetustis exstruat lignis focum lassi sub adventum viri claudensque textis cratibus laetum pecus distenta siccet ubera et horna dulci vina promens dolio dapes inemptas apparet: non me Lucrina iuverint conchylia magisve rhombus aut scari, si quos Eois intonata fluctibus hiems ad hoc vertat mare,

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um dich, Priap, damit zu beschenken und dich, Vater Silvanus, Beschützer der Grenzen. Bald gefällt es ihm, unter einer alten Steineiche zu liegen, bald im Gras, das ihn festhält; indessen gleiten zwischen hohen Ufern die Bäche dahin, in den Wäldern klagen die Vögel, und die Quellen rauschen mit ihrem dahinfließenden Wasser, was zu leichtem Schlaf einlädt. Doch wenn die winterliche Jahreszeit des donnernden Juppiter Regengüsse und Schneegestöber bringt, treibt er entweder wilde Eber von hier und dort mit vielen Hunden in die ihnen im Weg stehenden Fangnetze oder spannt mit der glatten Stellgabel weitmaschige Schlagnetze als Falle für die gefräßigen Drosseln oder fängt den ängstlichen Hasen und den aus der Fremde kommenden Kranich mit der Schlinge als willkommenen Lohn. Wer würde nicht die schlimmen Sorgen, die die Liebe4 mit sich bringt, über alldem vergessen? Wenn auch noch eine sittenreine Gattin von ihrer Seite für den Haushalt und die süßen Kinder da wäre, eine von der Art der Sabinerin oder der von der Sonne verbrannten Frau eines flinken Apuliers, den heiligen Herd aufschichtete mit alten Holzscheiten während der Ankunft des ermatteten Mannes, das wohlgenährte Vieh in den geflochtenen Hürden einschlösse, die prallen Euter leerte, den heurigen Wein aus süßem Fass hervorholte und Speisen, die sie nicht gekauft hat, zubereitete: Dann würden mir nicht Austern vom Lukrinersee besser schmecken oder der Steinbutt oder Papageifische, wenn der über den östlichen Fluten donnernde Wintersturm welche zu unserem Meer5 hin lenkt,

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non Afra avis descendat in ventrem meum, non attagen Ionicus iucundior quam lecta de pinguissimis oliva ramis arborum aut herba lapathi prata amantis et gravi malvae salubres corpori vel agna festis caesa Terminalibus vel haedus ereptus lupo. has inter epulas ut iuvat pastas oves videre properantes domum, videre fessos vomerem inversum boves collo trahentes languido positosque vernas, ditis examen domus, circum renidentes Lares. – haec ubi locutus faenerator Alfius, iam iam futurus rusticus, omnem redegit Idibus pecuniam, quaerit Kalendis ponere.

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III Parentis olim si quis impia manu senile guttur fregerit, edit cicutis alium nocentius. o dura messorum ilia! quid hoc veneni saevit in praecordiis? num viperinus his cruor incoctus herbis me fefellit? an malas Canidia tractavit dapes? ut Argonautas praeter omnes candidum Medea mirata est ducem,

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DAS BUCH DER EPODEN würde nicht der afrische Vogel6 in meinen Magen hinabgleiten, nicht das jonische Haselhuhn leckerer sein als die von den üppigsten Ästen der Bäume gelesene Olive oder das Sauerampferkraut, das die Wiesen liebt, und die für einen harten Leib heilsamen Malven oder ein am Terminalienfest geschlachtetes Lamm oder ein dem Wolf entrissenes Böckchen. Wie freut es mich, während dieser Mahlzeit die wohlgenährten Schafe nach Hause eilen zu sehen, die ermüdeten Stiere die umgedrehte Pflugschar mit dem schlaffen Nacken ziehen zu sehen und die einheimischen Sklaven, den Schwarm eines reichen Hauses, um die glänzenden Laren herum in Position. – Als dies der Wucherer Alfius gesagt hatte, schon ganz nahe dran, ein Landmann zu werden, zog er sein ganzes Geld an den Iden ein, und er sucht es an den Kalenden wieder auszuleihen.

3 Wenn jemand jemals einem Elternteil mit ruchloser Hand die gealterte Kehle zudrückt, soll er Knoblauch essen, der verderblicher ist als Schierling. O ihr harten Eingeweide von Mäharbeitern! Was ist das für ein Gift, das in meinem Inneren wütet? Wurde etwa Vipernblut in dieses Gemüse hineingekocht, ohne dass ich es merkte? Oder hatte Canidia1 bei dem schädlichen Gericht ihre Hand im Spiel? Als Medea den vor allen anderen Argonauten strahlend schönen Anführer angestaunt hatte,

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ignota tauris illigaturum iuga perunxit hoc Iasonem, hoc delibutis ulta donis paelicem serpente fugit alite. nec tantus umquam siderum insedit vapor siticulosae Apuliae nec munus umeris efficacis Herculis inarsit aestuosius. at si quid umquam tale concupiveris, iocose Maecenas, precor, manum puella savio opponat tuo extrema et in sponda cubet.

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IV Lupis et agnis quanta sortito obtigit, tecum mihi discordia est, Hibericis peruste funibus latus et crura dura compede. licet superbus ambules pecunia, Fortuna non mutat genus. videsne, Sacram metiente te Viam cum bis trium ulnarum toga, ut ora vertat huc et huc euntium liberrima indignatio? ‘sectus flagellis hic triumviralibus praeconis ad fastidium arat Falerni mille fundi iugera et Appiam mannis terit sedilibusque magnus in primis eques Othone contempto sedet.

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DAS BUCH DER EPODEN hat sie Jason, der die Stiere in das ihnen unbekannte Joch spannen sollte, damit2 gesalbt, damit Geschenke getränkt, sich mit ihnen an der Rivalin gerächt und mit geflügelten Schlangen sich davongemacht. Eine so große Hitze des Gestirns3 saß nie auf dem durstigen Apulien, und das Geschenk4 brannte sich in die Schultern des erfolgreichen Herkules nicht glühender ein. Doch wenn du jemals nach so etwas5 Verlangen hast, Witzbold Maecenas, bitte ich, dass deine Geliebte ihre Hand deinem Kuss entgegenhält und am äußersten Rand im Bett liegt.

4 So groß wie sie Wölfen und Lämmern durch das Los zugeteilt wurde, ist die Zwietracht zwischen dir und mir, du, dem die Seite von hiberischen Stricken und die Beine von der harten Fußfessel gebrandmarkt sind. Magst du auch stolz auf dein Geld herumflanieren, Fortuna verändert deine Herkunft nicht. Siehst du nicht, wie dann, wenn du die Via Sacra mit einer zweimal drei Ellen1 langen Toga durchmisst, freimütigste Entrüstung dir die Mienen der hierhin und dorthin Gehenden zuwendet? »Ausgepeitscht wurde dieser von den Ruten der Triumvirn bis zur Erschöpfung des Ausrufers2, beackert aber auf falernischem Boden3 tausend Joch, schleift die Via Appia mit seinem Ponygespann ab, sitzt großartig als Ritter in den ersten Reihen4 und verachtet dabei Otho.

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quid attinet tot ora navium gravi rostrata duci pondere contra latrones atque servilem manum hoc, hoc tribuno militum?’

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V ‘At o deorum quidquid in caelo regit terras et humanum genus, quid iste fert tumultus? aut quid omnium vultus in unum me truces? per liberos te, si vocata partubus Lucina veris affuit, per hoc inane purpurae decus precor, per improbaturum haec Iovem, quid ut noverca me intueris aut uti petita ferro belua?’ ut haec trementi questus ore constitit insignibus raptis puer, impube corpus, quale posset impia mollire Thracum pectora, Canidia brevibus implicata viperis crines et incomptum caput iubet sepulcris caprificos erutas, iubet cupressos funebres et uncta turpis ova ranae sanguine plumamque nocturnae strigis herbasque, quas Iolcos atque Hiberia mittit venenorum ferax, et ossa ab ore rapta ieiunae canis flammis aduri Colchicis.

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DAS BUCH DER EPODEN Was hilft es, dass so viele schwer mit Erz beschlagene Schiffsschnäbel gegen die Seeräuber und die Sklavenschar5 geführt werden, wenn der ja der Militärtribun ist?«

5 »Doch alles, was an Göttern im Himmel die Erde und das Menschengeschlecht regiert, was bedeutet dieser Tumult? Oder was die grimmigen Mienen, die auf mich allein gerichtet sind? Bei deinen Kindern, falls die herbeigerufene Lucina bei einer wirklichen Geburt zugegen war, bei dieser nutzlosen Zier des Purpurs1 flehe ich dich an, bei Juppiter, der dies missbilligen wird, was fixierst du mich wie eine Stiefmutter oder wie ein wildes Tier, das mit einer eisernen Waffe angegriffen wird?« Als der Junge, nachdem er mit bebender Stimme so geklagt hat, still geworden ist, seines Kleiderschmucks beraubt, ein halbwüchsiger Körper, wie er die ruchlosen Herzen der Thraker erweichen könnte, befiehlt Canidia2, der kleine Vipern ins Haar geflochten sind und die ungekämmt ist, wilde Feigenbäume, die aus Gräbern herausgerissen sind, befiehlt Zypressen, die Totenbäume, mit dem Blut einer hässlichen Kröte beschmierte Eier, Federn einer Nachteule, Kräuter, die Ïolkos und das an Giften fruchtbare Hiberien schicken, und Knochen, die dem Maul einer hungrigen Hündin entrissen sind, in kolchischen Flammen zu verbrennen.

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at expedita Sagana per totam domum spargens Avernales aquas horret capillis ut marinus asperis echinus aut currens aper. abacta nulla Veia conscientia ligonibus duris humum exhauriebat ingemens laboribus, quo posset infossus puer longo die bis terque mutatae dapis inemori spectaculo, cum promineret ore, quantum exstant aqua suspensa mento corpora, exsecta uti medulla et aridum iecur amoris esset poculum, interminato cum semel fixae cibo intabuissent pupulae. non defuisse masculae libidinis Ariminensem Foliam et otiosa credidit Neapolis et omne vicinum oppidum, quae sidera excantata voce Thessala lunamque caelo deripit. hic irresectum saeva dente livido Canidia rodens pollicem quid dixit aut quid tacuit? ‘o rebus meis non infideles arbitrae, Nox et Diana, quae silentium regis, arcana cum fiunt sacra, nunc, nunc adeste, nunc in hostiles domos iram atque numen vertite! formidulosis cum latent silvis ferae dulci sopore languidae,

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Doch die hochgeschürzte Sagana3 verspritzt im ganzen Haus avernalisches Wasser und sträubt ihr borstiges Haar wie ein Seeigel oder ein dahin rasender Eber. Von keinerlei Gewissensbissen abgeschreckt höhlte Veia mit harter Hacke das Erdreich aus, ächzend wegen der Plackerei, damit der Junge, eingegraben, während eines langen Tages beim Anblick des zwei-, dreimal verschieden aufgetischten Festmahls dahinsterben könne, während er mit dem Gesicht herausragte, wie aus dem Wasser die am Kinn hochgehaltenen Körper hervorstehen, und damit sein herausgeschnittenes Mark und die ausgetrocknete Leber zum Liebestrank würden, wenn ein für alle Mal seine auf die verbotene Speise gehefteten Pupillen erloschen wären. Dass nicht gefehlt habe voll maskuliner Geilheit4 Folia aus Ariminium, glaubte sowohl das friedliche Neapel als auch die ganze benachbarte Stadt; sie kann mit thessalischer Stimme verzauberte Sterne und den Mond vom Himmel herabzerren. Was hat an dieser Stelle, ihren ungeschnittenen Daumennagel mit dunklem Zahn kauend, die wilde Canidia gesagt oder was verschwiegen? »O ihr bei meinem Treiben nicht ungetreue Zeuginnen, Nacht und du, Diana, die du über das Schweigen herrschst, wenn geheime Rituale stattfinden, jetzt, jetzt helft, jetzt wendet gegen die feindseligen Häuser5 euren Zorn und eure göttliche Macht! Während sich in furchterregenden Wäldern wilde Tiere bergen, schlaff von süßem Schlummer,

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senem, quod omnes rideant, adulterum latrent Suburanae canes nardo perunctum, quale non perfectius meae laborarint manus. quid accidit? cur dira barbarae minus venena Medeae valent, quibus superbam fugit ulta paelicem, magni Creontis filiam, cum palla, tabo munus imbutum, novam incendio nuptam abstulit? atqui nec herba nec latens in asperis radix fefellit me locis: indormit unctis omnium cubilibus oblivione paelicum. a, a, solutus ambulat veneficae scientioris carmine! non usitatis, Vare, potionibus, o multa fleturum caput, ad me recurres nec vocata mens tua Marsis redibit vocibus: maius parabo, maius infundam tibi fastidienti poculum priusque caelum sidet inferius mari tellure porrecta super, quam non amore sic meo flagres uti bitumen atris ignibus.’ sub haec puer iam non, ut ante, mollibus lenire verbis impias, sed dubius, unde rumperet silentium, misit Thyesteas preces: ‘venena miscent fas nefasque, non valent convertere humanam vicem.

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DAS BUCH DER EPODEN sollen ihn, der, alt wie er ist, fremdgeht, so dass alle lachen, die Hunde in der Subura anbellen, wenn er mit Narde gesalbt ist, wie sie nicht vollkommener meine Hände hätten herstellen können. Was ist geschehen?6 Warum haben die grässlichen Gifte der Barbarin Medea geringere Wirkung, mit denen sie floh, als sie sich an ihrer stolzen Rivalin gerächt hatte, der Tochter des großen Kreon,7 als das Gewand, das mit Gift getränkte Geschenk, die frisch Vermählte durch Feuersbrunst hinwegraffte? Und doch ist mir weder ein Kraut noch eine an rauen Stätten verborgene Wurzel entgangen: Er schläft in einem Bett, das gesalbt ist mit dem Vergessen aller meiner Rivalinnen. Ach, ach, er spaziert herum, befreit durch den Zaubergesang einer kundigeren Hexe! Nicht kraft gewöhnlicher Liebestränke wirst du, Varus, Haupt, das noch über vieles weinen wird, zu mir zurückeilen, und dein Sinn wird nicht zurückkehren8, nachdem er von marsischen Sprüchen herbeigerufen worden ist: Einen kräftigeren Trank werde ich bereiten, einen kräftigeren dir einflößen, selbst wenn du dich vor mir ekelst, und eher liegt der Himmel dem Meer zuunterst und ist die Erde darüber gebreitet, als dass du nicht vor Liebesverlangen so nach mir brennst wie Erdpech in dunklen Flammen.« Danach versuchte der Junge nicht mehr wie zuvor mit sanften Worten die ruchlosen Frauen zu besänftigen, sondern gab, noch zweifelnd, womit er das Schweigen brechen sollte, thyestëische Verwünschungen von sich: »Zaubertränke mischen Recht und Unrecht, vermögen aber nicht, menschliche Vergeltung zu verändern.

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diris agam vos: dira detestatio nulla expiatur victima. quin, ubi perire iussus exspiravero, nocturnus occurram Furor petamque vultus umbra curvis unguibus, quae vis deorum est Manium, et inquietis assidens praecordiis pavore somnos auferam. vos turba vicatim hinc et hinc saxis petens contundet obscenas anus. post insepulta membra different lupi et Esquilinae alites neque hoc parentes, heu mihi superstites, effugerit spectaculum.’

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VI Quid immerentes hospites vexas canis, ignavus adversum lupos? quin huc inanes, si potes, vertis minas et me remorsurum petis? nam qualis aut Molossus aut fulvus Lacon, amica vis pastoribus, agam per altas aure sublata nives, quaecumque praecedet fera. tu, cum timenda voce complesti nemus, proiectum odoraris cibum. cave cave, namque in malos asperrimus parata tollo cornua, qualis Lycambae spretus infido gener aut acer hostis Bupalo.

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Mit Flüchen werde ich euch jagen: Verderbliche Verwünschung wird durch kein Opfer abgewendet. Vielmehr werde ich, wenn ich, zu sterben gezwungen, den letzten Atem ausgehaucht habe, als nächtlicher Furor erscheinen und als Schattenbild eure Gesichter mit krummen Krallen attackieren – das ist die Macht der Manen – und auf den ruhelosen Herzen sitzend durch Terror euch den Schlaf nehmen. Die Menge wird euch in jeder Gasse von hier und da mit Steinen attackieren und euch ekelhafte alte Weiber zerschmettern. Danach werden Wölfe und Vögel vom Esquilin9 eure unbestatteten Glieder auseinandertragen und meinen Eltern, die – wehe! – mich überleben, wird dieses Schauspiel nicht entgehen.«

6 Was belästigst du Hund harmlose Fremde, feige gegen Wölfe? Warum wendest du nicht hierher, wenn du kannst, deine leeren [Drohungen, und greifst nicht mich an, der ich zurückbeißen werde? Denn wie der Molosser oder der bräunliche Lakonier, der starke Freund der Hirten, werde ich durch tiefen Schnee mit gespitzten Ohren jedes wilde Tier jagen, das vor mir läuft. Wenn du mit furchterregender Stimme den Hain erfüllt hast, schnupperst du nach dem dir hingeworfenen Fraß. Hüte, hüte dich, denn, gegen die Bösen sehr wild, erhebe ich die kampfbereiten Hörner wie der vom treulosen Lykambes verschmähte Schwiegersohn1 oder der grimmige Feind des Bupalos.2

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an si quis atro dente me petiverit, inultus ut flebo puer?

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VII Quo, quo scelesti ruitis? aut cur dexteris aptantur enses conditi? parumne campis atque Neptuno super fusum est Latini sanguinis, non ut superbas invidae Karthaginis Romanus arces ureret intactus aut Britannus ut descenderet Sacra catenatus Via, sed ut secundum vota Parthorum sua urbs haec periret dextera? neque hic lupis mos nec fuit leonibus, numquam nisi in dispar feris. furorne caecos an rapit vis acrior an culpa? responsum date. tacent et albus ora pallor inficit mentesque perculsae stupent. sic est: acerba fata Romanos agunt scelusque fraternae necis, ut immerentis fluxit in terram Remi sacer nepotibus cruor.

VIII Rogare longo putidam te saeculo, vires quid enervet meas,

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Oder soll ich, wenn einer mich mit schwarzem Zahn angreift, weinen wie ein Junge, der sich nicht rächen kann?

7 Wohin, wohin, ihr Verruchten, stürzt ihr? Oder warum werden der [rechten Hand die Schwerter angepasst, die verborgen waren? Ist über Felder und Meere hin zu wenig Latinerblut vergossen worden, nicht etwa, damit der Römer die stolze Burg des neidischen Karthago niederbrennt, oder damit der unangetastete Britannier die Via Sacra in Ketten hinabmarschiere,1 sondern dass entsprechend den Wünschen der Parther diese Stadt durch ihre eigene Rechte zugrunde geht? Diese Art haben weder Wölfe noch Löwen, außer gegenüber artfremden Tieren. Reißt Raserei Blinde dahin oder allzu starke Gewalt oder Schuld? Gebt Antwort. Sie schweigen, und weiße Blässe überzieht die Gesichter, und die Sinne sind erschüttert und starr.2 Ja, so ist es: Ein bitteres Schicksal treibt die Römer und das Verbrechen des Brudermordes, seit auf die Erde floss das Blut des unschuldigen Remus, ein Fluch den Enkeln.

8 Dass du noch fragst, du über lange Zeit hin Verfaulende, was meine Manneskraft schwächt,

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cum sit tibi dens ater et rugis vetus frontem senectus exaret hietque turpis inter aridas nates podex velut crudae bovis! sed incitat me pectus et mammae putres, equina quales ubera, venterque mollis et femur tumentibus exile suris additum. esto beata, funus atque imagines ducant triumphales tuum nec sit marita, quae rotundioribus onusta bacis ambulet. quid, quod libelli Stoici inter Sericos iacere pulvillos amant, illitterati num minus nervi rigent minusve languet fascinum? quod ut superbo provoces ab inguine, ore allaborandum est tibi.

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IX Quando repostum Caecubum ad festas dapes victore laetus Caesare tecum sub alta – sic Iovi gratum – domo, beate Maecenas, bibam sonante mixtum tibiis carmen lyra, hac Dorium, illis barbarum, ut nuper, actus cum freto Neptunius dux fugit ustis navibus minatus urbi vincla, quae detraxerat servis amicus perfidis?

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DAS BUCH DER EPODEN wo du doch schwarze Zähne hast und das hohe Alter mit Runzeln deine Stirn durchpflügt und dein Anus zwischen mageren Backen klafft wie bei einer Kuh, die Verdauungsprobleme hat! Doch ja, der Busen macht mich geil, die Brüste, schlaff wie die Zitzen einer Stute, der weichliche Bauch und die dürren Schenkel, die geschwollenen Waden aufsitzen. So sei denn reich, und deinen Leichenzug mögen Bilder von Triumphatoren anführen, und mag es auch keine Verheiratete1 geben, die mit runderen Perlen beladen herumspaziert. Ja und? Weil ständig stoische Schriften zwischen deinen seidenen Kissen liegen,2 ist mein ungebildeter Penis deshalb weniger kalt, mein Schwanz weniger schlapp? Um den von meinen stolzen Hoden hochzulocken, musst du dich mit dem Mund abmühen.

9 Wann werde ich den für das festliche Mahl aufbewahrten Caecuber, froh über Caesars Sieg, mit dir – so wird es Juppiter angenehm sein – im hohen Hause1, reicher Maecenas, trinken, wenn die Lyra, vereint mit der Flöte, ein Lied ertönen lässt, sie in dorischer, jene in barbarischer Weise,2 wie neulich, als, übers Meer gejagt, der neptunentsprossene Anführer3 floh, als seine Schiffe verbrannt waren, er, welcher der Stadt Fesseln angedroht hatte, die er treulosen Sklaven als ihr Freund abgezogen hatte?

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Romanus eheu – posteri negabitis – emancipatus feminae fert vallum et arma miles et spadonibus servire rugosis potest, interque signa turpe militaria sol aspicit conopium. at huc frementes verterunt bis mille equos Galli canentes Caesarem hostiliumque navium portu latent puppes sinistrorsum citae. io Triumphe, tu moraris aureos currus et intactas boves? io Triumphe, nec Iugurthino parem bello reportasti ducem neque Africanum, cui super Karthaginem virtus sepulcrum condidit. terra marique victus hostis punico lugubre mutavit sagum, aut ille centum nobilem Cretam urbibus ventis iturus non suis, exercitatas aut petit Syrtes Noto aut fertur incerto mari. capaciores affer huc, puer, scyphos et Chia vina aut Lesbia vel quod fluentem nauseam coerceat metire nobis Caecubum. curam metumque Caesaris rerum iuvat dulci Lyaeo solvere.

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DAS BUCH DER EPODEN Der Römer, weh! – ihr Nachkommen werdet es bestreiten – trägt, an eine Frau4 verkauft, als ihr Soldat Schanzpfahl und Waffen, und bringt es fertig, runzligen Eunuchen zu dienen, und zwischen Feldzeichen erblickt die Sonne ein schändliches Mückennetz5! Doch hierher6 wandten ihre schnaubenden Pferde zweitausend Galater, die Caesars Lob sangen,7 und nachdem die Hecks der feindlichen Schiffe8 rasch nach links getrieben worden sind, liegen sie im Hafen versteckt. Io Triumphus9, du lässt den goldenen Wagen und die unberührten Rinder warten? Io Triumphus, weder hast du aus dem Jugurthinischen Krieg einen ebenbürtigen Anführer10 zurückgebracht, noch den Africanus, dem seine Mannhaftigkeit über Karthago ein Grabmal errichtete.11 Zu Lande und zu Wasser besiegt, hat der Feind mit seinem purpurnen den Trauermantel vertauscht und wird entweder zu dem durch hundert Städte berühmten Kreta mit ungünstigen Winden segeln oder hält auf die vom Notus gepeitschten Syrten zu oder treibt in Ungewissheit auf dem Meer umher. Bring Becher mit mehr Fassungskraft als sonst, Knabe, und chiische oder lesbische Weine, oder miss uns den Caecuber zu, der Übelkeit und Erbrechen in Grenzen hält. Es ist angenehm, Sorge und Angst um Caesars Lage mit süßem Lyäustrank zu lösen.12

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EPODON LIBER X

Mala soluta navis exit alite ferens olentem Mevium. ut horridis utrumque verberes latus, Auster, memento fluctibus; niger rudentes Eurus inverso mari fractosque remos differat; insurgat Aquilo, quantus altis montibus frangit trementes ilices; nec sidus atra nocte amicum appareat, qua tristis Orion cadit, quietiore nec feratur aequore quam Graia victorum manus, cum Pallas usto vertit iram ab Ilio in impiam Aiacis ratem. o quantus instat navitis sudor tuis tibique pallor luteus et illa non virilis eiulatio preces et aversum ad Iovem, Ionius udo cum remugiens sinus Noto carinam ruperit! opima quodsi praeda curvo litore porrecta mergos iuverit, libidinosus immolabitur caper et agna Tempestatibus.

XI Petti, nihil me, sicut antea, iuvat scribere versiculos amore percussum gravi,

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10 Unter schlechtem Vogelzeichen vom Ufer gelöst, fährt hinaus ein Schiff, und es trägt den stinkenden Mevius. Dass du es an beiden Flanken mit schauerlichen Fluten peitschst, daran denke, Auster; der schwarze Eurus soll auf dem aufgewühlten Meer die Taue und die zerbrochenen Ruder auseinandertragen; Aquilo soll sich so gewaltig erheben, wie er ist, wenn er auf hohen Bergen bebende Steineichen zerbricht; und kein freundliches Gestirn soll in schwarzer Nacht erscheinen, wenn der düstere Orion untergeht, und er soll nicht auf einem ruhigeren Meer fahren als die griechische Siegerschar damals, als Pallas ihren Zorn vom verbrannten Ilion weg zu dem ruchlosen Schiff des Ajax hinwandte. O welcher Schweiß steht deinen Seeleuten bevor und dir welch fahle Blässe und jenes nicht männliche Geheule und Gebete an Juppiter, der abgewandt ist, wenn der jonische Golf1, anbrüllend gegen den feuchten Notus, den Kiel zerrissen hat! Wenn aber die fette Beute, auf dem geschwungenen Strand hingestreckt, die Tauchervögel erfreut, wird ein geiler Bock geopfert werden und ein Lamm für die Sturmgöttinnen.

11 Pettius, Verse zu schreiben freut mich nicht wie früher, als ich von Liebe schwer getroffen war,

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EPODON LIBER

amore, qui me praeter omnes expetit mollibus in pueris aut in puellis urere. hic tertius December, ex quo destiti Inachia furere, silvis honorem decutit. heu me, per urbem – nam pudet tanti mali – fabula quanta fui, conviviorum et paenitet, in quis amantem languor et silentium arguit et latere petitus imo spiritus. ‘contrane lucrum nil valere candidum pauperis ingenium!’ querebar applorans tibi, simul calentis inverecundus deus fervidiore mero arcana promorat loco. ‘quodsi meis inaestuet praecordiis libera bilis, ut haec ingrata ventis dividat fomenta vulnus nil malum levantia, desinet imparibus certare summotus pudor.’ ubi haec severus te palam laudaveram, iussus abire domum ferebar incerto pede ad non amicos, heu, mihi postes et, heu, limina dura, quibus lumbos et infregi latus. nunc gloriantis quamlibet mulierculam vincere mollitia amor Lycisci me tenet; unde expedire non amicorum queant libera consilia nec contumeliae graves, sed alius ardor aut puellae candidae aut teretis pueri longam renodantis comam.

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von Liebe, die mich vor allen anderen angreift, um mich für zarte Knaben oder Mädchen zu entflammen. Dies ist, seit ich aufgehört habe, nach Inachia verrückt zu sein, der dritte Dezember, der den Wäldern ihren Schmuck abschüttelt. Weh mir, in der ganzen Stadt – denn ich schäme mich dieses so großen wie sehr war ich da Gesprächsstoff, und ich bereue die Trinkgelage, [Übels –, bei denen Lethargie und Schweigen den Liebenden verrieten und tief aus der Brust hervorgeholtes Seufzen. »Dass doch gegen Reichtum das glänzende poetische Talent eines Armen nichts vermag!« klagte ich, dich vollheulend, sobald der indiskrete Gott1, wenn ich von allzu feurigem puren Wein erhitzt war, meine Geheimnisse ans Licht hervorgeholt hatte. »Wenn aber in meinem Inneren die Galle ungehemmt aufwallen sollte, so dass sie diese unwillkommenen Heilmittel2, die die üble Wunde nicht lindern, in die Winde zerstreut, wird meine Scham ausgeschaltet werden und aufhören, mit Minderwertigen zu Sobald ich das offen vor dir ernsthaft für großartig erklärt hatte, [wetteifern.« wurde ich, obwohl heimzugehen aufgefordert, von unsicheren Füßen3 zu den Türpfosten getragen, die, ach!, nicht meine Freunde sind, und, ach!, zu der harten Schwelle, an der ich mir Unterleib und Seite verwundete. Nun aber fesselt mich die Liebe zu Lykiskus, der sich rühmt, jedes beliebige Girl4 an Zartheit zu übertreffen; davon dürften mich die freimütigen Ratschläge der Freunde nicht befreien können und auch nicht schwere Schmähungen, sondern nur ein anderes Entbrennen für ein strahlend schönes Mädchen oder für einen schlanken Jungen, der sein langes Haar nicht zum Knoten [bindet.

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EPODON LIBER XII

Quid tibi vis, mulier nigris dignissima barris? munera quid mihi quidve tabellas mittis nec firmo iuveni neque naris obesae? namque sagacius unus odoror, polypus an gravis hirsutis cubet hircus in alis, quam canis acer ubi lateat sus. qui sudor vietis et quam malus undique membris crescit odor, cum pene soluto indomitam properat rabiem sedare neque illi iam manet umida creta colorque stercore fucatus crocodili iamque subando tenta cubilia tectaque rumpit, vel mea cum saevis agitat fastidia verbis: ‘Inachia langues minus ac me; Inachiam ter nocte potes, mihi semper ad unum mollis opus. pereat male quae te Lesbia quaerenti taurum monstravit inertem, cum mihi Cous adesset Amyntas, cuius in indomito constantior inguine nervus quam nova collibus arbor inhaeret. muricibus Tyriis iteratae vellera lanae cui properabantur? tibi nempe, ne foret aequalis inter conviva, magis quem diligeret mulier sua quam te. o ego non felix, quam tu fugis, ut pavet acres agna lupos capreaeque leones!’

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12 Was denkst du dir nur, Weib, das am besten zu schwarzen Elefanten [passt?1 Was schickst du mir Geschenke oder Wachstäfelchen2, der ich doch kein starker junger Mann bin und keine unempfindliche [Nase habe? Denn ich kann in einzigartiger Weise schärfer riechen, 3 ob ein Polyp sich lagert oder ein stinkender Bock in struppigen [Achselhöhlen, als ein Spürhund riecht, wo die Sau versteckt ist. Was für ein Schweiß und welch übler Gestank steigt von überall her aus den welken Gliedern auf, wenn sie am schlaffen Schwanz die ungezähmte Raserei zu befriedigen sich beeilt und an ihr die feuchte Kreide nicht mehr hält und die Farbe, die mit Krokodilsmist aufgemalt ist, und sie schon in ihrer Brunst das Bettgestell und den Baldachin zerbricht oder mit wütenden Worten meine Unlust attackiert: »Bei Inachia bist du weniger schlapp als bei mir; Inachia kannst du dreimal in der Nacht, bei mir bist du immer zu einem einzigen Akt zu schwach. Übel verrecken soll Lesbia, die mir dich Schwächling zeigte, als ich sie nach einem Stier fragte, wo mir doch der Koer Amyntas zur Verfügung stand, dessen Schwanz auf seinem unbezähmbaren Unterleib fester steht als ein junger Baum an einem Bergabhang festsitzt. Für wen wurden zweimal mit tyrischem Purpur gefärbte Wollkleider eilends angefertigt? Für dich natürlich, damit es bei den Gelagen keinen Altersgenossen gebe, den seine Partnerin mehr liebt als ich dich. O ich gar nicht Glückliche, vor der du fliehst, wie das Lamm sich vor den wilden Wölfen fürchtet und Rehe vor den Löwen!«4

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EPODON LIBER XIII

Horrida tempestas caelum contraxit, et imbres nivesque deducunt Iovem; nunc mare, nunc siluae Threicio Aquilone sonant. rapiamus, amici, occasionem de die, dumque virent genua et decet, obducta solvatur fronte senectus. tu vina Torquato move consule pressa meo. cetera mitte loqui; deus haec fortasse benigna reducet in sedem vice. nunc et Achaemenio perfundi nardo iuvat et fide Cyllenaea levare diris pectora sollicitudinibus, nobilis ut grandi cecinit Centaurus alumno: ‘invicte, mortalis dea nate puer Thetide, te manet Assaraci tellus, quam frigida pravi findunt Scamandri flumina lubricus et Simois, unde tibi reditum certo subtemine Parcae rupere, nec mater domum caerula te revehet. illic omne malum vino cantuque levato, deformis aegrimoniae dulcibus alloquiis.’

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XIV Mollis inertia cur tantam diffuderit imis oblivionem sensibus, pocula Lethaeos ut si ducentia somnos arente fauce traxerim, candide Maecenas, occidis saepe rogando. deus, deus nam me vetat inceptos olim, promissum carmen, iambos ad umbilicum adducere.

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13 Ein schauriges Unwetter hat den Himmel verengt, und Regengüsse und Schneetreiben ziehen Juppiter1 herab; jetzt brausen die Meeresfluten, jetzt die Wälder vom thrakischen Aquilo. Freunde, lasst uns dem Tag die Gelegenheit entreißen, und solange die Knie jugendfrisch sind und es uns noch ansteht, sei von der umdüsterten Stirn gelöst der Altersgram. Du hole Wein her, der unter meinem Konsul Torquatus gekeltert wurde. Vom Übrigen rede nicht; ein Gott wird dies vielleicht freundlich durch eine Veränderung wieder ins Lot bringen. Jetzt macht es Freude, sich mit achämenischem Nardenöl zu übergießen und mit der kyllenischen Lyra die Herzen von den abscheulichen Sorgen zu erleichtern, wie es der edle Kentaur2 seinem gewaltigen Zögling sang: »Unbesiegbarer, sterblicher, von der Göttin Thetis geborener Knabe, dich erwartet das Land des Assaracus3, das die kalten Fluten des sich windenden Skamander und des gleitenden Simoïs durchschneiden, von wo dir die Rückkehr mit untrüglichem Faden die Parzen durchbrochen haben und die bläuliche4 Mutter dich nicht nach Hause zurückbringen [wird. Dort sollst du alles Übel mit Wein und Gesang lindern, der süßen Tröstung für hässliche Pein.«

14 Warum weichliche Trägheit ein solches Vergessen tief drin über meine Sinne gegossen hat, als ob ich Becher, die lethäischen Schlaf bringen, mit brennender Kehle geschlürft hätte, aufrichtiger Maecenas, fragst du mich oft und bringst mich damit um. Ein Gott, ein Gott1 ja verbietet mir, die einst begonnenen Jamben2, die versprochene Dichtung, bis zum Umbilicus heranzuführen.

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EPODON LIBER

non aliter Samio dicunt arsisse Bathyllo Anacreonta Teium, qui persaepe cava testudine flevit amorem non elaboratum ad pedem. ureris ipse miser. quodsi non pulchrior ignis accendit obsessam Ilion, gaude sorte tua; me libertina nec uno contenta Phryne macerat.

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XV Nox erat, et caelo fulgebat luna sereno inter minora sidera, cum tu magnorum numen laesura deorum in verba iurabas mea, artius atque hedera procera astringitur ilex lentis adhaerens bracchiis, dum pecori lupus et nautis infestus Orion turbaret hibernum mare intonsosque agitaret Apollinis aura capillos, fore hunc amorem mutuum, o dolitura mea multum virtute Neaera! nam si quid in Flacco viri est, non feret assiduas potiori te dare noctes et quaeret iratus parem, nec semel offensi cedet constantia formae, si certus intrarit dolor. et tu, quicumque es felicior atque meo nunc superbus incedis malo, sis pecore et multa dives tellure licebit tibique Pactolus fluat

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Nicht anders, sagen sie, habe für den Samier Bathyllus der Tejer Anakreon geglüht,3 der sehr oft zur ausgehöhlten Schildkröte4 über seine Liebe weinte, was metrisch nicht perfekt ausgearbeitet war. Du Armer bist selbst entflammt. Wenn aber keine schönere Flamme5 das belagerte Ilion in Brand setzte, freue dich über dein Los; mich verzehrt die freigelassene Phryne, die nicht mit einem zufrieden ist.

15 Nacht war es, und am klaren Himmel glänzte der Mond inmitten der kleineren Gestirne, als du, entschlossen, die Hoheit der erhabenen Götter zu beleidigen, auf meine Worte schworst, enger, als eine hohe Steineiche von Efeu umklammert wird, mit geschmeidigen Armen an mir hängend, solange dem Vieh der Wolf und den Seeleuten feindlich Orion das winterliche Meer aufwühle und das ungeschorene Haar Apollos ein Lufthauch bewege, werde diese unsere Liebe wechselseitig sein, o Neära, die du viel leiden wirst wegen meiner Mannhaftigkeit! Denn wenn irgendetwas von einem Mann in Flaccus ist,1 wird er nicht dulden, dass du ständig einem dir Lieberen Nächte schenkst, und wird ergrimmt eine suchen, die ihn liebt wie er sie, und nie wird die Standhaftigkeit des Gekränkten vor deiner Schönheit [weichen, wenn sicherer Schmerz in ihn eingedrungen ist. Und du, wer immer du bist, der du mehr Glück hast als ich und jetzt hochmütig einherschreitest wegen meines Unglücks, magst du auch an Vieh und viel Land reich sein, mag dir der Paktolus fließen, mögen dir

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EPODON LIBER

nec te Pythagorae fallant arcana renati formaque vincas Nirea, heu heu, translatos alio maerebis amores, ast ego vicissim risero.

XVI Altera iam teritur bellis civilibus aetas, suis et ipsa Roma viribus ruit. quam neque finitimi valuerunt perdere Marsi minacis aut Etrusca Porsenae manus aemula nec virtus Capuae nec Spartacus acer novisque rebus infidelis Allobrox, nec fera caerulea domuit Germania pube parentibusque abominatus Hannibal: impia perdemus devoti sanguinis aetas ferisque rursus occupabitur solum, barbarus, heu, cineres insistet victor et urbem eques sonante verberabit ungula, quaeque carent ventis et solibus ossa Quirini – nefas videre! – dissipabit insolens. forte quid expediat communiter aut melior pars, malis carere quaeritis laboribus. nulla sit hac potior sententia: Phocaeorum velut profugit exsecrata civitas agros atque Lares patrios habitandaque fana apris reliquit et rapacibus lupis, ire, pedes quocumque ferent, quocumque per undas Notus vocabit aut protervus Africus. sic placet? an melius quis habet suadere? secunda ratem occupare quid moramur alite?

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die Geheimnisse des wiedergeborenen Pythagoras nicht verborgen sein und magst du Nireus an Schönheit übertreffen, wehe, wehe, du wirst trauern, wenn deine Geliebte sich anderswohin [wendet, doch ich für mein Teil werde lachen.

16 Die zweite Generation schon wird durch Bürgerkriege aufgerieben, und Rom geht durch eigene Kraft selbst zugrunde. Weder die benachbarten Marser vermochten es zu zerstören noch die Etruskerschar des bedrohlichen Porsenna, auch nicht die rivalisierende Stärke Capuas und der wilde Spartacus noch der durch Aufruhr treulose Allobroger, nicht das wilde Germanien mit seiner blauäugigen Jugend bezwang es und der von unseren Vätern verfluchte Hannibal: Wir, eine ruchlose Generation verfluchten Blutes,1 werden es vernichten, und von wilden Tieren wird der Boden wieder besetzt werden, ein Barbar2, wehe, wird als Sieger auf der Asche stehen, die Stadt zu Pferd mit dröhnenden Hufen schlagen und die Gebeine des Quirinus, die Wind und Sonnenschein nicht kennen – ein frevelhafter Anblick! – in seinem Übermut zerstreuen. Vielleicht fragt ihr gemeinsam oder der bessere Teil von euch, was bewirkt, von üblen Heimsuchungen frei zu sein. Kein Vorschlag dürfte besser sein als dieser: wie die Bürgerschaft der Phokäer, nachdem sie sich selbst verflucht hatte, von ihren Äckern und väterlichen Laren floh und die Heiligtümer Ebern und reißenden Wölfen zum Bewohnen überließ, zu gehen, wohin auch immer die Füße tragen, wohin auch immer Notus oder der ungestüme Africus uns durch die Wogen ruft. Ist das so beschlossen? Oder hat jemand Besseres zu raten? Was zögern wir, unter günstigem Vogelzeichen rasch an Bord zu gehen?

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sed iuremus in haec: simul imis saxa renarint vadis levata, ne redire sit nefas; neu conversa domum pigeat dare lintea, quando Padus Matina laverit cacumina, in mare seu celsus procurrerit Appenninus novaque monstra iunxerit libidine mirus amor, iuvet ut tigres subsidere cervis, adulteretur et columba miluo, credula nec ravos timeant armenta leones ametque salsa levis hircus aequora. haec et quae poterunt reditus abscindere dulces eamus omnis exsecrata civitas, aut pars indocili melior grege; mollis et exspes inominata perpremat cubilia. vos, quibus est virtus, muliebrem tollite luctum, Etrusca praeter et volate litora. nos manet Oceanus circumvagus: arva, beata petamus arva, divites et insulas, reddit ubi Cererem tellus inarata quotannis et imputata floret usque vinea, germinat et numquam fallentis termes olivae suamque pulla ficus ornat arborem, mella cava manant ex ilice, montibus altis levis crepante lympha desilit pede. illic iniussae veniunt ad mulctra capellae refertque tenta grex amicus ubera nec vespertinus circumgemit ursus ovile nec intumescit alta viperis humus; pluraque felices mirabimur, ut neque largis aquosus Eurus arva radat imbribus, pinguia nec siccis urantur semina glaebis, utrumque rege temperante caelitum.

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Doch lasst uns dies schwören: Sobald Felsen sich aus der Tiefe des Wassers erheben und zurückschwimmen, sei Rückkehr kein Frevel; auch soll es uns nicht verdrießen, die Segel heimwärts zu setzen, wenn der Po die Gipfel des Matinus bespült oder der hochragende Apennin ins Meer rennt und versinkt und wundersame Liebe in neuartiger Lust abartige Verbindungen schafft, so dass es Tigerinnen freut, unter Hirschen zu liegen und die Taube mit dem Habicht Ehebruch begeht3 und Rinder vertrauensselig nicht die grünäugigen Löwen fürchten und der Bock, glatt geworden, die salzigen Fluten liebt. Wenn wir darauf und auf das, was sonst die süße Rückkehr abschneiden einen Fluch gelegt haben, wollen wir gehen, die ganze Bürgerschaft [kann, oder der Teil, der besser ist als die unbelehrbare Herde; wer weichlich und ohne Hoffnung ist, drücke weiter das fluchbeladene Lager. Ihr, die ihr mannhaft seid, lasst das weibische Trauern sein und segelt im Flug an der etruskischen Küste vorbei. Uns erwartet der erdumfließende Ozean: Zu den Gefilden, zu den glückseligen Gefilden wollen wir eilen und zu den reichen Inseln, wo ungepflügt das Land jährlich Getreide hergibt, ungestutzt ständig der Weinstock blüht, der junge Zweig des nie täuschenden Ölbaums keimt, die reife Feige ihren eigenen Baum schmückt, Honig aus der hohlen Steineiche fließt und von hohen Bergen das Wasser rasch mit rauschenden Füßen herabspringt. Dort kommen unaufgefordert die Ziegen zu den Melkeimern, die freundliche Herde bringt pralle Euter zurück, kein Bär brummt am Abend um den Schafstall herum, und der Boden schwillt nicht trächtig von Vipern an; glücklich werden wir über noch mehr staunen, wie weder mit viel Regen der wasserreiche Eurus die Fluren abscheuert noch die üppige Saat in trockenen Erdschollen geröstet wird, weil der König der Himmlischen beides4 mischt.

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non huc Argoo contendit remige pinus neque impudica Colchis intulit pedem; non huc Sidonii torserunt cornua nautae, laboriosa nec cohors Ulixei. nulla nocent pecori contagia, nullius astri gregem aestuosa torret impotentia. Iuppiter illa piae secrevit litora genti, ut inquinavit aere tempus aureum, aerea dehinc ferro duravit saecula, quorum piis secunda vate me datur fuga.

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XVII Iam iam efficaci do manus scientiae supplex et oro regna per Proserpinae, per et Dianae non movenda numina, per atque libros carminum valentium refixa caelo devocare sidera, Canidia, parce vocibus tandem sacris citumque retro solve, solve turbinem. movit nepotem Telephus Nereium, in quem superbus ordinarat agmina Mysorum et in quem tela acuta torserat. luxere matres Iliae additum feris alitibus atque canibus homicidam Hectorem, postquam relictis moenibus rex procidit heu, pervicacis ad pedes Achillei; saetosa duris exuere pellibus laboriosi remiges Ulixei volente Circa membra; tunc mens et sonus relapsus atque notus in vultus honor.

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DAS BUCH DER EPODEN Hierher strebte nicht die Fichte mit dem Ruder der Argo, die schamlose Kolcherin5 setzte ihren Fuß nicht hierher, hierher drehten nicht sidonische Seeleute die Rahen und nicht die leidgeprüfte Mannschaft des Ulixes. Keine Seuchen schaden dem Vieh, keines Gestirns unbändige Hitze versengt die Herde. Juppiter hat diese Küsten für ein frommes Volk abgesondert, als er das Goldene Zeitalter mit Bronze trübte und dann durch Eisen härtete das bronzene Zeitalter, aus dem den Frommen mit mir als dem Propheten glückliche Flucht gewährt wird.

17 Schon, ja schon ergebe ich mich deiner wirkungsvollen Kunst und bitte dich flehentlich beim Reich Proserpinas und bei Dianas Macht, die man nicht reizen darf, auch bei den Büchern mit den Zaubersprüchen, die imstande sind, am Himmel angeheftete Sterne herabzuholen, Canidia, lass endlich ab von deinen magischen Formeln und lass, lass rückwärts laufen den getriebenen Kreisel.1 Zu Mitleid bewegte Telephus den Nereus-Enkel2, gegen den er stolz die Heerschar der Myser aufgestellt und gegen den er scharfe Speere geschleudert hatte. Die ilischen Mütter trauerten um den männermordenden Hektor, der wilden Vögeln und Hunden zugesprochen war, nachdem der König3 die Stadt verlassen und sich, wehe, dem starrköpfigen Achilles zu Füßen geworfen hatte; ihre borstigen Glieder befreiten von den harten Häuten die leidgeprüften Ruderer des Ulixes, weil Kirke es wollte; da flossen Verstand und Stimme und die vertraute Schönheit zurück in die Gestalten.4

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dedi satis superque poenarum tibi, amata nautis multum et institoribus: fugit iuventas et verecundus color, relinquor ossa pelle amicta lurida, tuis capillus albus est odoribus. nullum a labore me reclinat otium, urget diem nox et dies noctem neque est levare tenta spiritu praecordia. ergo negatum vincor ut credam miser, Sabella pectus increpare carmina caputque Marsa dissilire nenia. quid amplius vis? o mare et terra, ardeo, quantum neque atro delibutus Hercules Nessi cruore nec Sicana fervida virens in Aetna flamma; tu, donec cinis iniuriosis aridus ventis ferar, cales venenis officina Colchicis? quae finis aut quod me manet stipendium? effare: iussas cum fide poenas luam, paratus expiare, seu poposceris centum iuvencos sive mendaci lyra voles sonari: ‘tu pudica, tu proba perambulabis astra sidus aureum.’ infamis Helenae Castor offensus vicem fraterque magni Castoris victi prece adempta vati reddidere lumina: et tu – potes nam – solve me dementia, o nec paternis obsoleta sordibus neque in sepulcris pauperum prudens anus novendiales dissipare pulveres. tibi hospitale pectus et purae manus tuusque venter Pactumeius et tuo

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DAS BUCH DER EPODEN Ich habe dir genug und darüber hinaus gebüßt, du, die du viel Sex mit Seemännern und Hausierern hattest: Meine Jugend und die Farbe des Errötens entwich, als Gebein, umhüllt von fahler Haut, bin ich nur noch übrig, mein Haar wurde weiß durch deine Zauberessenzen. Keine Muße lässt mich von meiner Qual ausruhen, den Tag verdrängt die Nacht, der Tag die Nacht, und es ist nicht möglich, meine beengte Brust durch Atemholen zu erleichtern. Also bin ich Armer gezwungen zu glauben, was ich bestritt, dass sabellische Zaubersprüche die Brust erdröhnen und marsische Lieder den Kopf zerspringen lassen. Was willst du mehr? O Meer und Erde, ich brenne, wie weder Herkules, benetzt vom schwarzen Blut des Nessus5 noch die sizilische Flamme, die im glühenden Ätna lebt; du, bist du, bis ich als trockene Asche von mutwilligen Winden davongetragen werde, eine Werkstatt, brodelnd von kolchischen Giften? Welches Ende oder welche Tributzahlung erwartet mich? Sag’s heraus: Die befohlene Strafe will ich getreulich zahlen, bereit zu sühnen, sei es, dass du hundert Stiere forderst oder willst, dass zu verlogener Lyra dies ertönt: »Du Keusche, du Anständige wirst unter den Sternen als goldenes Gestirn wandeln.« Beleidigt wegen der geschmähten Helena gaben Kastor und der Bruder des großen Kastor6, von Bitten überwunden, dem Dichter das ihm genommene Augenlicht zurück:7 Auch du – denn du kannst es – erlöse mich vom Wahnsinn, o nicht von schmutziger Abstammung Befleckte und nicht eine Alte, die es versteht, auf den Gräbern armer Leute am neunten Tag die Asche zu verstreuen. Du hast ein freundliches Herz und reine Hände, deine Leibesfrucht ist Pactumeius,8 und die von deinem

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cruore rubros obstetrix pannos lavit, utcumque fortis exsilis puerpera. ‘quid obseratis auribus fundis preces? non saxa nudis surdiora navitis Neptunus albo tundit hibernus salo. inultus ut tu riseris Cotytia vulgata, sacrum liberi Cupidinis, et Esquilini pontifex venefici impune ut urbem nomine impleris meo? quid proderit ditasse Paelignas anus velociusve miscuisse toxicum? sed tardiora fata te votis manent: ingrata misero vita ducenda est in hoc, novis ut usque suppetas laboribus. optat quietem Pelopis infidi pater egens benignae Tantalus semper dapis, optat Prometheus obligatus aliti, optat supremo collocare Sisyphus in monte saxum; sed vetant leges Iovis. voles modo altis desilire turribus, modo ense pectus Norico recludere, frustraque vincla gutturi nectes tuo fastidiosa tristis aegrimonia. vectabor umeris tunc ego inimicis eques meaeque terra cedet insolentiae. an quae movere cereas imagines, ut ipse nosti curiosus, et polo deripere lunam vocibus possim meis, possim crematos excitare mortuos desiderique temperare pocula, plorem artis in te nil agentis exitus?’

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DAS BUCH DER EPODEN Blut roten Tücher wäscht die Hebamme, sooft du als tapfere Wöchnerin aufspringst. »Was schüttest du deine Bitten in verschlossene Ohren? Nicht tauber sind die Felsen für nackte Seeleute, die das winterliche Meer mit weißer Salzflut peitscht. Straflos solltest du die Kotytien öffentlich geschildert und über sie gelacht haben, das heilige Fest des freien Cupido, und als ein Priester der Hexerei auf dem Esquilin9 solltest du ungestraft die Stadt mit meinem Namen erfüllt haben? Was wird es mir da nützen, pälignische alte Weiber reich gemacht oder ein schneller wirkendes Gift gemischt zu haben?10 Aber dich erwartet später der Tod, als du dir wünschst: Ein unangenehmes Leben musst du Elender zu dem Zweck führen, dass du für ständig neue Qualen zur Verfügung stehst. Es wünscht sich Ruhe der Vater des treulosen Pelops, Tantalus, der stets auf ein reichliches Mahl verzichten muss, es wünscht sie Prometheus, der für den Adler angebunden ist, es wünscht sich Sisyphus, oben auf dem Berg den Stein niederzulegen; aber die Gesetze Juppiters verbieten es. Du wirst bald von hohen Türmen herabstürzen, bald mit einem norischen Schwert deine Brust öffnen wollen, und vergeblich wirst du einen Strick an deine Kehle knüpfen, traurig über widrigen Kummer. Ich werde dann auf deinen widerstrebenden Schultern als Reiterin sitzen, und die Erde wird vor meinem Stolz zurückweichen.11 Oder sollte ich, die ich, wie du Neugieriger selbst weißt, Wachsfiguren bewegen und vom Himmel mit meinen Sprüchen den Mond herabreißen kann, verbrannte Tote aufwecken kann und Liebestränke mischen, etwa weinen, weil meine Kunst am Ende ist und nichts bei dir bewirkt?

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Oden I–III

CARMINVM LIBER I I Maecenas atavis edite regibus, o et praesidium et dulce decus meum: sunt quos curriculo pulverem Olympicum collegisse iuvat metaque fervidis evitata rotis palmaque nobilis terrarum dominos evehit ad deos; hunc, si mobilium turba Quiritium certat tergeminis tollere honoribus; illum, si proprio condidit horreo quidquid de Libycis verritur areis. gaudentem patrios findere sarculo agros Attalicis condicionibus numquam demoveas, ut trabe Cypria Myrtoum pavidus nauta secet mare. luctantem Icariis fluctibus Africum mercator metuens otium et oppidi laudat rura sui; mox reficit rates quassas indocilis pauperiem pati. est qui nec veteris pocula Massici nec partem solido demere de die spernit, nunc viridi membra sub arbuto stratus, nunc ad aquae lene caput sacrae; multos castra iuvant et lituo tubae permixtus sonitus bellaque matribus detestata. manet sub Iove frigido venator tenerae coniugis immemor,

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Buch 1 der Oden 1 Maecenas, der du von königlichen Ahnen abstammst, o du mein Schutz und meine mir teure Zier1: Es gibt solche, die es freut, mit dem Wagen den olympischen Staub aufzuwirbeln und dass sie die Wendemarke mit glühenden Rädern vermieden haben,2 und die die edle Palme3 als Herren der Welt zu den Göttern emporhebt; den freut es, wenn die Schar der wankelmütigen Quiriten wetteifert, ihn durch dreifache Ehren4 zu erhöhen, diesen, wenn er im eigenen Speicher alles, was von libyschen Tennen gefegt wird,5 geborgen hat. Den, der Freude daran hat, die ererbten Äcker mit der Hacke zu spalten, wirst du selbst unter Bedingungen, die ein Attalus bietet,6 nie davon abbringen und dazu bewegen, dass er auf kyprischem Balken7 als ängstlicher Seemann das myrtoïsche Meer durchschneidet. Den mit den ikarischen Fluten ringenden Africus fürchtet der Kaufmann und lobt seine Ruhe und die Gefilde seiner Landstadt; bald aber repariert er seine angeschlagenen Schiffe, weil er nicht lernen will, eine bescheidene Existenz zu ertragen. Es gibt den, der Becher mit altem Massiker nicht verschmäht, nicht, einen Teil vom Werktag wegzunehmen, die Glieder bald unter einem grünen Arbutus ausgestreckt, bald am heiligen Quell eines sanft rinnenden Wassers. Viele freut das Feldlager und der mit dem Klang des Signalhorns vermischte Klang der Trompete und Krieg, der von den Müttern verwünscht wird. Es bleibt unter frostigem Himmel der Jäger, ohne an seine zarte Frau zu denken,

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CARMINVM LIBER I

seu visa est catulis cerva fidelibus, seu rupit teretes Marsus aper plagas. me doctarum hederae praemia frontium dis miscent superis, me gelidum nemus Nympharumque leves cum Satyris chori secernunt populo, si neque tibias Euterpe cohibet nec Polyhymnia Lesboum refugit tendere barbiton. quodsi me lyricis vatibus inseres, sublimi feriam sidera vertice.

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II Iam satis terris nivis atque dirae grandinis misit pater et rubente dextera sacras iaculatus arces terruit urbem, terruit gentes, grave ne rediret saeculum Pyrrhae nova monstra questae, omne cum Proteus pecus egit altos visere montes piscium et summa genus haesit ulmo, nota quae sedes fuerat columbis, et superiecto pavidae natarunt aequore dammae. vidimus flavum Tiberim retortis litore Etrusco violenter undis ire deiectum monumenta regis templaque Vestae,

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BUCH 1 DER ODEN sei es, dass von den treuen Hunden eine Hirschkuh erblickt wurde, oder ein marsischer Eber die feinen Netze zerrissen hat. Mich gesellt Efeu, Lohn für gelehrte8 Stirnen, zu den Göttern oben, mich trennen ein kühler Hain und die beschwingten Reigen der Nymphen mit den Satyrn vom Volk, wenn weder Euterpe die Flöten zurückhält noch Polyhymnia davor zurückscheut, den lesbischen Barbitos zu stimmen. Wenn du mich aber den lyrischen Sängern9 einreihst, werde ich mit hoch erhobenem Scheitel an die Sterne stoßen.

2 Schon genug Schnee und schrecklichen Hagel hat der Vater den Ländern geschickt, mit der feuerroten Rechten1 die heilige Burg2 getroffen und der Stadt Furcht eingejagt, Furcht den Völkern, es könnte das schlimme Zeitalter der Pyrrha zurückkehren3, die über unerhörte Monstrositäten klagte, als Proteus sein ganzes Vieh4 dazu trieb, die hohen Berge zu sehen, und als das Volk der Fische am Wipfel der Ulme hing, die ein den Tauben vertrauter Sitz gewesen war, und als unter dem über sie geschleuderten Meer ängstliche Rehe schwammen. Wir sahen, wie der gelbe Tiber vom etruskischen Ufer5 seine Wogen ungestüm zurückbog und daherkam, um das Monument des Königs6 herabzuwerfen und den Tempel der Vesta,

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CARMINVM LIBER I

Iliae dum se nimium querenti iactat ultorem, vagus et sinistra labitur ripa Iove non probante uxorius amnis.

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audiet cives acuisse ferrum, quo graves Persae melius perirent, audiet pugnas vitio parentum rara iuventus. quem vocet divum populus ruentis imperi rebus? prece qua fatigent virgines sanctae minus audientem carmina Vestam? cui dabit partes scelus expiandi Iuppiter? tandem venias precamur nube candentes umeros amictus augur Apollo; sive tu mavis, Erycina ridens, quam Iocus circum volat et Cupido; sive neglectum genus et nepotes respicis, auctor, heu nimis longo satiate ludo, quem iuvat clamor galeaeque leves acer et Marsi peditis cruentum vultus in hostem; sive mutata iuvenem figura ales in terris imitaris almae

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BUCH 1 DER ODEN während er sich als Rächer der laut klagenden Ilia brüstete und unstet am linken Ufer dahinglitt gegen Juppiters Willen, der frauenhörige Strom. Hören, dass die Bürger die Schwerter schärften,7 durch die besser die schlimmen Perser8 umkämen, hören von den Kämpfen wird die durch die Schuld der Väter dezimierte Jugend. Wen von den Göttern soll das Volk in der jetzigen Lage des wankenden Reiches anrufen? Mit welchem Gebet sollen die heiligen Jungfrauen9 Vesta, die kaum auf ihre Gesänge hört, bedrängen? Wem wird Juppiter das Amt übergeben, den Frevel zu entsühnen? Komm endlich, wir bitten dich, dem die glänzenden Schultern eine Wolke umhüllt, Seher Apollo; oder wenn du lieber möchtest, lachende Erykina, um die herum Jocus und Cupido fliegen, oder wenn du dich um dein vernachlässigtes Volk und deine Enkel sorgst, Stammvater10, wehe, sobald du durch das allzu lange Spiel übersättigt bist, du, den das Schreien und die glatten Helme freuen und der wilde Blick des marsischen Fußsoldaten auf den blutbefleckten Feind; oder falls du mit veränderter Gestalt einen jungen Mann auf Erden mimst, geflügelter Sohn

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CARMINVM LIBER I

filius Maiae patiens vocari Caesaris ultor, serus in caelum redeas diuque laetus intersis populo Quirini, neve te nostris vitiis iniquum ocior aura tollat; hic magnos potius triumphos, hic ames dici pater atque princeps, neu sinas Medos equitare inultos te duce, Caesar.

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III Sic te diva potens Cypri, sic fratres Helenae, lucida sidera, ventorumque regat pater obstrictis aliis praeter Iapyga, navis, quae tibi creditum debes Vergilium; finibus Atticis reddas incolumem precor et serves animae dimidium meae. illi robur et aes triplex circa pectus erat, qui fragilem truci commisit pelago ratem primus, nec timuit praecipitem Africum

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BUCH 1 DER ODEN der segenspendenden Maia11, und gestattest, Caesars Rächer genannt zu werden, mögest du spät erst in den Himmel zurückkehren und lange geneigt beim Volk des Quirinus weilen, und es soll dich nicht, weil du wegen unserer Vergehen zürnst, zu schnell der Wind emportragen; du sollst lieber hier große Triumphe, hier lieber genießen, dass du Vater und Prinzeps genannt wirst, und nicht zulassen, dass die Meder ungestraft heranreiten, solange du Herrscher bist, Caesar.

3 So möge dich die mächtige Göttin von Kypros1, so mögen dich die Brüder Helenas, das helle Gestirn,2 und der Vater der Winde3 lenken, während die anderen außer Ïapyx eingesperrt sind, Schiff, dass du mir den dir anvertrauten Vergil schuldig bist, und dann sollst du ihn dem attischen Gebiet ungefährdet übergeben, bitte ich, und die eine Hälfte meiner Seele erhalten. Der hatte Eichenholz und dreifaches Erz um die Brust, der einen zerbrechlichen Kahn als Erster dem grimmigen Meer anvertraute und nicht den vorwärts stürmenden Africus fürchtete,

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CARMINVM LIBER I

decertantem Aquilonibus nec tristes Hyadas nec rabiem Noti, quo non arbiter Hadriae maior, tollere seu ponere vult freta. quem mortis timuit gradum qui siccis oculis monstra natantia, qui vidit mare turbidum et infames scopulos Acroceraunia?

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nequiquam deus abscidit prudens Oceano dissociabili terras, si tamen impiae non tangenda rates transiliunt vada. audax omnia perpeti gens humana ruit per vetitum nefas, audax Iapeti genus ignem fraude mala gentibus intulit. post ignem aetheria domo subductum macies et nova febrium terris incubuit cohors semotique prius tarda necessitas leti corripuit gradum. expertus vacuum Daedalus aera pinnis non homini datis; perrupit Acheronta Herculeus labor. nil mortalibus ardui est: caelum ipsum petimus stultitia neque

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BUCH 1 DER ODEN

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wenn der mit den Aquilonen kämpft, nicht die düsteren Hyaden und das Toben des Notus, der als Herr über die Adria der mächtigste ist, ob er die Fluten emporheben oder beruhigen will. Welches Heranschreiten des Todes fürchtete der, der mit trockenen Augen die schwimmenden Ungeheuer, der das aufgewühlte Meer sah und die berüchtigten akrokeraunischen Klippen? Vergeblich hat ein weiser Gott vom Meer, das sich absondert, die Länder abgeschnitten, wenn dennoch ruchlose Schiffe den Sprung über die Wogen wagen, die sie nicht berühren sollten. Vermessen genug, alles zu erdulden, stürzt sich das Menschengeschlecht in verbotenen Frevel, vermessen machte der Spross des Ïapetus4 das Feuer durch üblen Betrug bei den Völkern heimisch. Nach dem Feuer wurde aus dem himmlischen Haus körperlicher Verfall herabgeführt, eine neuartige Armee von Fieberkrankheiten stürzte sich auf die Länder, und die langsame Notwendigkeit eines vorher weit entfernten Todes beschleunigte den Schritt.5 Dädalus erprobte den leeren Luftraum mit Flügeln, die dem Menschen nicht gegeben sind; eine der Arbeiten des Herkules brach den Acheron auf.6 Nichts ist den Sterblichen zu beschwerlich: Sogar nach dem Himmel streben wir in unserer Dummheit, und

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CARMINVM LIBER I

per nostrum patimur scelus iracunda Iovem ponere fulmina.

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IV Solvitur acris hiems grata vice veris et Favoni trahuntque siccas machinae carinas, ac neque iam stabulis gaudet pecus aut arator igni nec prata canis albicant pruinis. iam Cytherea choros ducit Venus imminente luna, iunctaeque Nymphis Gratiae decentes alterno terram quatiunt pede, dum graves Cyclopum Vulcanus ardens visit officinas. nunc decet aut viridi nitidum caput impedire myrto aut flore, terrae quem ferunt solutae. nunc et in umbrosis Fauno decet immolare lucis, seu poscat agna sive malit haedo. pallida Mors aequo pulsat pede pauperum tabernas regumque turres. o beate Sesti, vitae summa brevis spem nos vetat inchoare longam; iam te premet nox fabulaeque Manes et domus exilis Plutonia; quo simul mearis, nec regna vini sortiere talis nec tenerum Lycidan mirabere, quo calet iuventus nunc omnis et mox virgines tepebunt.

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BUCH 1 DER ODEN

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durch unseren Frevel lassen wir nicht zu, dass Juppiter seine wütenden Geschosse7 niederlegt.

4 Der harte Winter taut auf im willkommenen Wechsel mit dem Frühling [und dem Favonius, die Winden ziehen die trockenen Schiffe,1 das Vieh freut sich nicht mehr an den Ställen, nicht der Pflüger am Feuer, und die Wiesen leuchten nicht mehr vom weißen Reif. Schon führt die kytherëische Venus die Reigen an, während der Mond darüber [steht, und vereint mit den Nymphen stampfen die anmutigen Grazien 2 abwechselnd mit den Füßen den Boden, während der hitzige Vulkan die dumpfen Werkstätten der Kyklopen aufsucht. Jetzt ist es Zeit, dass ölglänzende Haupt mit grüner Myrte oder mit Blumen zu bekränzen, welche die aufgetaute Erde hervorbringt. Jetzt ist es auch Zeit, in schattigen Hainen dem Faunus zu opfern, ob er ein Lamm fordert oder lieber ein Böckchen will. Der bleiche Tod schlägt mit dem Fuß gleichermaßen an die Hütten der und die Türme der Könige. O du mit Gütern gesegneter Sestius, [Armen die kurze Spanne des Lebens verbietet uns, lange Hoffnung zu hegen; bald werden dich die Nacht bedrängen, die Manen, von denen Sagen [erzählen, und das ärmliche Haus Plutos; sobald du dorthin gegangen bist, wirst du weder den Vorsitz beim Gelage3 mit Knöcheln4 erlosen noch den zarten Lykidas5 bewundern, für den jetzt alle jungen Leute glühen und bald die jungen Mädchen sich erwärmen werden.

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CARMINVM LIBER I V

Quis multa gracilis te puer in rosa perfusus liquidis urget odoribus grato, Pyrrha, sub antro? cui flavam religas comam simplex munditiis? heu quotiens fidem mutatosque deos flebit et aspera nigris aequora ventis emirabitur insolens, qui nunc te fruitur credulus aurea, qui semper vacuam, semper amabilem sperat, nescius aurae fallacis. miseri, quibus intemptata nites! me tabula sacer votiva paries indicat uvida suspendisse potenti vestimenta maris deo.

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VI Scriberis Vario fortis et hostium victor Maeonii carminis alite, qua rem cumque ferox navibus aut equis miles te duce gesserit. nos, Agrippa, neque haec dicere nec gravem Pelidae stomachum cedere nescii

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BUCH 1 DER ODEN 5 Welcher schlanke Junge bedrängt dich, von vielen Rosen umgeben und von duftendem Nass überströmt, in der willkommenen Grotte, Pyrrha? Für wen bindest du dein blondes Haar zurück, schlicht in deiner Eleganz? Ach, wie oft wird er über den Wandel der Treue und die umgestimmten Götter weinen und sich über die von schwarzen Winden aufgeraute See wundern, weil er das nicht gewohnt ist, er, der jetzt arglos dich, die Goldene1, genießt, der hofft, du würdest immer für ihn frei, immer liebenswert sein, ohne zu wissen, wie trügerisch der Wind weht. Arm dran sind die, denen du unerprobt glänzt! Von mir kündet die heilige Wand mit der Votivtafel, dass ich meine nassen Kleider für den über das Meer herrschenden Gott2 aufgehängt habe.

6 Magst du denn besungen werden von Varius, einem Schwan des mäonischen Gesanges1, als tapfer und als Sieger über die Feinde, wo auch immer wilde Krieger zu Schiff und zu Pferde unter deiner Führung Heldentaten vollbrachten. Ich aber, Agrippa, will weder davon noch vom schweren Zorn des Peliden, der nicht nachzugeben verstand,

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CARMINVM LIBER I

nec cursus duplicis per mare Ulixei nec saevam Pelopis domum conamur, tenues grandia, dum pudor imbellisque lyrae Musa potens vetat laudes egregii Caesaris et tuas culpa deterere ingeni. quis Martem tunica tectum adamantina digne scripserit aut pulvere Troico nigrum Merionen aut ope Palladis Tydiden superis parem? nos convivia, nos proelia virginum sectis in iuvenes unguibus acrium cantamus vacui, sive quid urimur, non praeter solitum leves.

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VII Laudabunt alii claram Rhodon aut Mytilenen aut Epheson bimarisve Corinthi moenia vel Baccho Thebas vel Apolline Delphos insignes aut Thessala Tempe; sunt quibus unum opus est intactae Palladis urbem carmine perpetuo celebrare et undique decerptam fronti praeponere olivam; plurimus in Iunonis honorem

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BUCH 1 DER ODEN

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noch von den Meerfahrten des doppelzüngigen Ulixes2 noch vom grausamen Geschlecht des Pelops3 zu singen versuchen, ich, der für so Großartiges zu Geringe, solange Scheu und die nur der unkriegerischen Lyra mächtige Muse verbieten, den Ruhm des einzigartigen Caesar und den deinen durch Mangel an Begabung zu schmälern. Wer könnte Mars, der von einer stählernen Tunika bedeckt ist, würdig besingen oder den vom troïschen Staub schwarzen Meriones oder den dank der Hilfe der Pallas den Überirdischen ebenbürtigen Tydiden? Ich will von Gastmählern, ich von Kämpfen der Mädchen, die nur mit geschnittenen Nägeln den jungen Männern gegenüber wild sind, frei von Liebe singen, oder wenn ich entflammt bin, wie gewohnt spielerisch.

7 Andere mögen das berühmte Rhodos preisen oder Mytilene oder Ephesos oder die Mauern des an zwei Meeren liegenden Korinth oder Theben, das durch Bacchus, oder Delphi, das durch Apollo erglänzt, oder das thessalische Tempe; es gibt Leute, deren einzige Aufgabe es ist, die Stadt der unberührten Pallas1 in einem ständig voranschreitenden Gedicht zu verherrlichen und sich von überall her gepflückte Olivenblätter vor die Stirn zu legen2; sehr viele mögen zu Junos Ehre

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CARMINVM LIBER I

aptum dicet equis Argos ditesque Mycenas: me nec tam patiens Lacedaemon nec tam Larisae percussit campus opimae quam domus Albuneae resonantis et praeceps Anio ac Tiburni lucus et uda mobilibus pomaria rivis. albus ut obscuro deterget nubila caelo saepe Notus neque parturit imbres perpetuos, sic tu sapiens finire memento tristitiam vitaeque labores molli, Plance, mero, seu te fulgentia signis castra tenent seu densa tenebit

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Tiburis umbra tui. Teucer Salamina patremque cum fugeret, tamen uda Lyaeo tempora populea fertur vinxisse corona sic tristes affatus amicos: ‘quo nos cumque feret melior fortuna parente, ibimus, o socii comitesque, nil desperandum Teucro duce et auspice Teucro. certus enim promisit Apollo ambiguam tellure nova Salamina futuram. o fortes peioraque passi mecum saepe viri, nunc vino pellite curas; cras ingens iterabimus aequor.’

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BUCH 1 DER ODEN

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das für Pferde taugliche Argos und das reiche Mykene besingen: Mich hat weder das ausdauernde3 Lakedämon so sehr, nicht das Gefilde des fruchtbaren Larisa so sehr verzückt wie das Haus der widerhallenden Albunea4, der herabstürzende Anio, der Hain des Tiburnus und die durch schnell fließende Bäche bewässerten Apfelbaumgärten.5 Wie der helle Notus oft die Wolken vom dunklen Himmel wegfegt und keine lang andauernden Regenfälle erzeugt, so sei du weise darauf bedacht, Traurigkeit und Mühsale des Lebens mit mildem Wein zu beenden, Plancus, ob dich das von Feldzeichen blitzende Feldlager festhält oder der dichte Schatten deines Tibur festhalten wird. Als Teuker von Salamis und seinem Vater6 ins Exil ging, soll er dennoch seine vom Lyäus feuchten Schläfen mit einem Pappelkranz umgeben und so seine traurigen Freunde angesprochen haben: »Wohin auch immer uns ein Schicksal trägt, das freundlicher ist als mein werden wir gehen, ihr Gefährten und Begleiter, und ihr dürft nicht [Vater, verzweifeln unter der Führung Teukers und den Auspizien Teukers. Untrüglich nämlich versprach Apollo, zweideutig werde der Name Salamis durch ein neues Land sein.7 O ihr tapferen Männer, die ihr oftmals mit mir zusammen Schlimmeres erduldet habt, vertreibt jetzt mit Wein die Sorgen; morgen werden wir wieder das riesige Meer befahren.«

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CARMINVM LIBER I VIII

Lydia, dic, per omnes te deos oro, Sybarin cur properes amando perdere, cur apricum oderit Campum patiens pulveris atque solis, cur neque militares inter aequales equitet, Gallica nec lupatis temperet ora frenis. cur timet flavum Tiberim tangere? cur olivum sanguine viperino cautius vitat neque iam livida gestat armis bracchia saepe disco, saepe trans finem iaculo nobilis expedito? quid latet, ut marinae filium dicunt Thetidis sub lacrimosa Troiae funera, ne virilis cultus in caedem et Lycias proriperet catervas?

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IX Vides, ut alta stet nive candidum Soracte nec iam sustineant onus silvae laborantes geluque flumina constiterint acuto? dissolve frigus ligna super foco large reponens atque benignius

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BUCH 1 DER ODEN

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8 Lydia, sag, bei allen Göttern bitte ich dich, warum es dir eilt, Sybaris durch Liebe zugrunde zu richten, warum er das sonnenbeschienene Marsfeld hasst, wo er doch Staub und Sonne erträgt, warum er weder unter den kriegstüchtigen Altersgenossen reitet, noch gallische Mäuler1 durch Zügel mit Wolfszähnen lenkt. Warum scheut er sich, den gelben Tiber zu berühren? Warum meidet er das Öl2 vorsichtiger als Vipernblut und hat keine von den Waffen blaubefleckten Arme mehr, wo er doch berühmt dafür war, oft mit dem Diskus, oft mit dem Speer übers Ziel hinaus geworfen zu haben? Was versteckt er sich, wie der Sage nach der Sohn der Meergöttin Thetis3 unmittelbar vor dem tränenreichen [Untergang Trojas, damit ihn nicht seine männliche Tracht zum Blutvergießen und zu den lykischen Scharen hinreiße?

9 Siehst du, wie in hohem Schnee weißglänzend der Soracte steht und nicht mehr die Last ertragen die Wälder, sich abmühend, und im scharfen Frost die Flüsse zum Stehen gekommen sind? Löse die Kälte, Holzscheite reichlich auf den Herd legend, und noch freigebiger

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CARMINVM LIBER I

deprome quadrimum Sabina, o Thaliarche, merum diota. permitte divis cetera, qui simul stravere ventos aequore fervido deproeliantes, nec cupressi nec veteres agitantur orni. quid sit futurum cras, fuge quaerere, et quem Fors dierum cumque dabit, lucro appone nec dulces amores sperne puer neque tu choreas, donec virenti canities abest morosa. nunc et Campus et areae lenesque sub noctem susurri composita repetantur hora, nunc et latentis proditor intimo gratus puellae risus ab angulo pignusque dereptum lacertis aut digito male pertinaci.

X Mercuri, facunde nepos Atlantis, qui feros cultus hominum recentum voce formasti catus et decorae more palaestrae,

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BUCH 1 DER ODEN hole herab den vierjährigen Wein im sabinischen Krug, Thaliarch. Überlasse den Göttern das Übrige; sobald sie die Winde niedergeworfen haben, die auf dem kochenden Meer um die Entscheidung kämpfen, werden weder die Zypressen noch die alten Bergeschen bewegt. Was morgen sein wird, vermeide zu fragen, und welchen Tag auch immer der Zufall schenken wird, den rechne dir als reinen Gewinn an und verachte nicht süße Liebesabenteuer, jung, wie du bist, und nicht Tänze, solange dir in deiner grünenden Jugend das mürrische Grau fern ist. Jetzt sollen das Marsfeld und freie Plätze und sanftes Flüstern beim Einbruch der Nacht zur festgesetzten Stunde aufgesucht werden, jetzt ist das verräterische Lachen eines versteckten Mädchens, das aus dem innersten Winkel ertönt, willkommen und das Pfand, das von ihrem Arm geraubt wird oder dem Finger, der sich kaum sträubt.

10 Merkur, redegewandter Enkel des Atlas, der du die wilden Gebräuche der gerade entstandenen Menschen pfiffig durch die Sprache gebildet hast und durch die Regeln der schönen1 Palästra,

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CARMINVM LIBER I

te canam, magni Iovis et deorum nuntium curvaeque lyrae parentem, callidum quidquid placuit iocoso condere furto. te, boves olim nisi reddidisses per dolum amotas, puerum minaci voce dum terret, viduus pharetra risit Apollo. quin et Atridas duce te superbos Ilio dives Priamus relicto Thessalosque ignes et iniqua Troiae castra fefellit. tu pias laetis animas reponis sedibus virgaque levem coerces aurea turbam, superis deorum gratus et imis.

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XI Tu ne quaesieris, scire nefas, quem mihi, quem tibi finem di dederint, Leuconoe, nec Babylonios temptaris numeros. ut melius, quidquid erit, pati! seu plures hiemes seu tribuit Iuppiter ultimam, quae nunc oppositis debilitat pumicibus mare Tyrrhenum, sapias, vina liques, et spatio brevi spem longam reseces. dum loquimur, fugerit invida aetas: carpe diem quam minimum credula postero.

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BUCH 1 DER ODEN

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dich will ich besingen, den Boten des großen Juppiter und der Götter und den Erfinder der gekrümmten Lyra, der so gewitzt ist, alles, was ihm gefällt, durch scherzhaften Diebstahl zu verstecken. Während er einst, wenn du die Rinder nicht zurückgäbst, die du mit List entwendetest, dich, ein Kind, mit drohender Stimme schreckte, lachte, des Köchers beraubt, über dich Apollo. Und überdies blieb, von dir geleitet, den stolzen Atriden der reiche Priamus, nachdem er Ilion verlassen hatte, den thessalischen Feuern und dem Troja feindlichen Lager verborgen.2 Du bringst die frommen Seelen an den glückseligen Stätten zur Ruhe und lenkst mit dem goldenen Stab die körperlose Schar,3 den oberen Göttern und den unteren willkommen.

11 Frage du nicht – es ist Frevel, das zu wissen –, welches Ende mir, welches dir die Götter beschieden haben, Leukonoë, und probiere nicht babylonische Zahlen aus.1 Wie viel besser ist es, was auch immer sein wird, hinzunehmen! Ob Juppiter nun weitere Winter oder diesen als letzten zuweist, der jetzt das Tyrrhenische Meer durch die ihm entgegenstehenden Felsklüfte schwächt, sei vernünftig, kläre den Wein und stutze für einen kurzen Zeitraum deine lange Hoffnung zurecht. Während wir reden, wird die missgünstige Zeit entflohen sein: Genieße2 den Tag, vertraue so wenig wie möglich auf den [nächsten.

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CARMINVM LIBER I XII

Quem virum aut heroa lyra vel acri tibia sumes celebrare, Clio, quem deum? cuius recinet iocosa nomen imago aut in umbrosis Heliconis oris aut super Pindo gelidove in Haemo, unde vocalem temere insecutae Orphea silvae, arte materna rapidos morantem fluminum lapsus celeresque ventos, blandum et auritas fidibus canoris ducere quercus? quid prius dicam solitis parentis laudibus, qui res hominum ac deorum, qui mare ac terras variisque mundum temperat horis? unde nil maius generatur ipso nec viget quicquam simile aut secundum. proximos illi tamen occupabit Pallas honores proeliis audax, neque te silebo, Liber, et saevis inimica virgo beluis nec te, metuende certa Phoebe sagitta.

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BUCH 1 DER ODEN 12 Welchen Mann, welchen Heros mit der Lyra oder der schrillen Flöte wirst du zu verherrlichen übernehmen, Klio, welchen Gott? Wessen Namen wird das scherzhafte Echo widerhallen entweder im schattigen Gebiet des Helikon oder oben auf dem Pindus oder auf dem kalten Hämus, von dem aus die Wälder blindlings dem schönstimmigen Orpheus folgten, der mit der Kunst seiner Mutter1 das reißende Strömen der Flüsse aufhielt und die schnellen Winde und sogar die Eichen, die ganz Ohr waren, mit seiner tönenden Lyra so betörte, dass er sie wegführen konnte. Was soll ich eher singen als den herkömmlichen Preis des Vaters2, der die Geschicke der Menschen und Götter, der das Meer und die Länder und den Himmel im Wechsel der Jahreszeiten lenkt? Von ihm wird nichts Größeres als er selbst gezeugt, und es lebt nichts, was ihm gleicht oder nahekommt. Doch den nächsten Rang nach ihm wird Pallas einnehmen, wagemutig im Kampf. Auch dich werde ich nicht verschweigen, Liber, und dich, den wilden Bestien feindliche Jungfrau3, und dich nicht, zu fürchten mit deinem unfehlbaren Bogen, Phöbus.

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CARMINVM LIBER I

dicam et Alciden puerosque Ledae, hunc equis, illum superare pugnis nobilem; quorum simul alba nautis stella refulsit, defluit saxis agitatus umor, concidunt venti fugiuntque nubes, et minax, quod sic voluere, ponto unda recumbit. Romulum post hos prius an quietum Pompili regnum memorem an superbos Tarquini fasces, dubito, an Catonis nobile letum, Regulum et Scauros animaeque magnae prodigum Paulum superante Poeno gratus insigni referam camena Fabriciumque.

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hunc et incomptis Curium capillis utilem bello tulit et Camillum saeva paupertas et avitus apto cum Lare fundus. crescit occulto velut arbor aevo fama Marcellis; micat inter omnes Iulium sidus velut inter ignes luna minores. gentis humanae pater atque custos, orte Saturno, tibi cura magni

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BUCH 1 DER ODEN Besingen werde ich auch den Alkiden und die Söhne Ledas4, den einen, der durch seine Pferde, den anderen, der durch Siegen im Faustkampf berühmt ist, sobald ihr helles Gestirn5 den Seeleuten erglänzt, fließt von den Felsen herab die hochgepeitschte Flut, fallen die Winde in sich zusammen, fliehen die Wolken, und die drohende Woge, weil sie es so wollten, sinkt nieder auf dem Meer. Ob ich nach ihnen erst Romulus oder die friedliche Herrschaft des Pompilius nenne oder die stolzen Rutenbündel des Tarquinius oder den edlen Tod Catos, bin ich im Zweifel, Regulus und die Scauri und Paullus, der seine große Seele hingab, als der Punier6 siegte, will ich dankbar in berühmtem Lied preisen und Fabricius. Ihn und Curius mit den ungekämmten Haaren und Camillus machte tauglich zum Krieg die grimmige Armut und das mit angemessen bescheidenem Haus ererbte Landgut. Es wächst im Verborgenen wie durch die Zeiten ein Baum der Ruhm den Marcelli; es strahlt unter allen das julische Gestirn7 wie unter den kleineren Himmelsfeuern der Mond. Vater und Hüter des Menschengeschlechts, Spross Saturns, dir ist die Obhut über den großen

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CARMINVM LIBER I

Caesaris fatis data: tu secundo Caesare regnes. ille seu Parthos Latio imminentes egerit iusto domitos triumpho sive subiectos Orientis orae Seras et Indos, te minor laetum reget aequus orbem: tu gravi curru quaties Olympum, tu parum castis inimica mittes fulmina lucis.

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XIII Cum tu, Lydia, Telephi cervicem roseam, cerea Telephi laudas bracchia, vae, meum fervens difficili bile tumet iecur. tum nec mens mihi nec color certa sede manet, umor et in genas furtim labitur, arguens, quam lentis penitus macerer ignibus. uror, seu tibi candidos turparunt umeros immodicae mero rixae, sive puer furens impressit memorem dente labris notam.

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BUCH 1 DER ODEN Caesar vom Schicksal gegeben: Du sollst herrschen und Caesar an zweiter Stelle. Mag dieser die Latium bedrohenden Parther als Bezähmte im wohlverdienten Triumph mitführen oder die an das Gebiet des Orients angrenzenden Serer und Inder, geringer nur als du wird er gerecht den frohen Erdkreis beherrschen: Du wirst auf schwerem Wagen den Himmel erschüttern, du wirst in unreine Haine8 feindliche Blitze werfen.

13 Wenn du, Lydia, den rosigen Nacken des Telephus1, die wachsweißen Arme des Telephus preist, wehe, glüht und schwillt meine Leber2 von unverdaulicher Galle. Dann bleiben weder der Sinn mir noch die Farbe unbewegt, das Nass rinnt mir heimlich auf die Wangen und verrät, wie ich innerlich verzehrt werde von schwelenden Gluten. In mir brennt es, ob dir die durch puren Wein unmäßigen Liebeskämpfe die schneeweißen Schultern gezeichnet haben, oder ob dir der Knabe in seiner Raserei mit dem Zahn ein verräterisches Mal in die Lippen eingepresst hat.

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CARMINVM LIBER I

non, si me satis audias, speres perpetuum dulcia barbare laedentem oscula, quae Venus quinta parte sui nectaris imbuit. felices ter et amplius quos irrupta tenet copula nec malis divulsus querimoniis suprema citius solvet amor die.

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XIV O navis, referent in mare te novi fluctus. o quid agis? fortiter occupa portum! nonne vides, ut nudum remigio latus et malus celeri saucius Africo antemnaeque gemant ac sine funibus vix durare carinae possint imperiosius aequor? non tibi sunt integra lintea, non di, quos iterum pressa voces malo. quamvis Pontica pinus, silvae filia nobilis, iactes et genus et nomen inutile : nil pictis timidus navita puppibus fidit. tu, nisi ventis debes ludibrium, cave.

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Du darfst, wenn du recht auf mich hören magst, keine Beständigkeit von ihm erwarten, der barbarisch süße Lippen verletzt, die Venus mit dem fünften Teil ihres Nektars benetzt hat. Dreimal glücklich und mehr sind die, welche ein unzerrissenes Band zusammenhält und eine Liebe, die nicht durch böses Streiten zerrüttet ist, nicht früher trennt als am letzten Tag.

14 O Schiff, ins Meer zurücktragen werden dich neue Fluten. O was tust du? Tapfer strebe den Hafen an! Siehst du nicht, wie die Seiten der Ruder beraubt sind und wie der Mast vom schnellen Africus verwundet ist, wie die Rahen stöhnen und ohne Taue der Kiel kaum das allzu gebieterische Meer noch aushalten kann? Du hast keine heilen Segel, keine Götter, die du wieder anrufen könntest, bedrängt vom Unheil. Freilich, als pontische Fichte, Tochter eines edlen Waldes, magst du dein Geschlecht rühmen und deinen Namen, der doch nutzlos ist: Dem Bild auf dem Heck vertraut der ängstliche Seemann gar nicht. Du, wenn du dich nicht als Spielball den Winden aussetzen willst, sei vorsichtig.

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CARMINVM LIBER I

nuper sollicitum quae mihi taedium, nunc desiderium curaque non levis, interfusa nitentes vites aequora Cycladas.

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XV Pastor cum traheret per freta navibus Idaeis Helenen perfidus hospitam, ingrato celeres obruit otio ventos ut caneret fera Nereus fata: ‘mala ducis avi domum quam multo repetet Graecia milite coniurata tuas rumpere nuptias et regnum Priami vetus. heu heu, quantus equis, quantus adest viris sudor, quanta moves funera Dardanae genti! iam galeam Pallas et aegida currusque et rabiem parat. nequiquam Veneris praesidio ferox pectes caesariem grataque feminis imbelli cithara carmina divides; nequiquam thalamo graves hastas et calami spicula Cnosii vitabis strepitumque et celerem sequi Aiacem: tamen heu serus adulteros cultus pulvere collines.

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Du, erst neulich noch Anlass für meine Ruhelosigkeit und meinen [Verdruss, jetzt für meine Sehnsucht und nicht geringe Sorge, sollst die zwischen den schimmernden Kykladen strömenden Wogen meiden.

15 Als der wortbrüchige Hirte1 auf idäischen Schiffen übers Meer Helena entführte, seine Gastgeberin, unterdrückte Nereus die schnellen Winde durch eine unwillkommene Ruhe, um ein grausames Schicksal zu prophezeien: »Unter schlechtem Vorzeichen führst du die heim, die Griechenland mit vielen Kämpfern zurückfordern wird, dazu verschworen, deine Ehe zu zerstören und das alte Königreich des Priamus. Wehe, wehe, wie viel Schweiß steht den Pferden, wie viel den Männern bevor, wie viele Todesfälle wirst du im dardanischen Volk verursachen! Schon rüstet Pallas sich mit Helm, Ägis, Wagen und Wut. Vergeblich wirst du, unter dem Schutz der Venus übermütig,2 deine Haare kämmen und den Frauen willkommene Lieder auf der unkriegerischen Kithara von dir geben; vergeblich wirst du in deinem Schlafzimmer schwere Lanzen und die Spitzen knossischer Pfeile und das Getöse und den im Verfolgen schnellen Ajax vermeiden: Wehe, spät, aber dennoch wirst du dein ehebrecherisches Prachtgewand mit Staub besudeln.

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CARMINVM LIBER I

non Laertiaden, exitium tuae genti, non Pylium Nestora respicis? urgent impavidi te Salaminius Teucer, te Sthenelus sciens pugnae, sive opus est imperitare equis, non auriga piger. Merionen quoque nosces. ecce furit te reperire atrox Tydides melior patre: quem tu, cervus uti vallis in altera visum parte lupum graminis immemor, sublimi fugies mollis anhelitu, non hoc pollicitus tuae. iracunda diem proferet Ilio matronisque Phrygum classis Achillei; post certas hiemes uret Achaicus ignis Iliacas domos.’

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XVI O matre pulchra filia pulchrior, quem criminosis cumque voles modum pones iambis, sive flamma sive mari libet Hadriano. non Dindymene, non adytis quatit mentem sacerdotum incola Pythiis, non Liber aeque, non acuta sic geminant Corybantes aera,

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BUCH 1 DER ODEN Siehst du denn nicht den Laërtiaden3, das Verderben deines Volkes, nicht den Pylier Nestor? Dich bedrängen furchtlos der Salaminier Teuker, dich Sthenelus, der im Kampf erfahren ist oder, wenn es nötig ist, Pferde anzutreiben, kein träger Wagenlenker. Auch Meriones wirst du kennenlernen. Sieh, es rast, dich zu finden, der schreckliche Tydide, der tapferer ist als sein Vater: Vor ihm wirst du, wie der Hirsch, der, wenn er auf der anderen Seite des Tals den Wolf erblickt, das Gras vergisst, feige fliehen mit schwerem Atem, was du der Deinigen nicht versprochen hast. Zürnend4 wird die Mannschaft des Achilles Ilium und den phrygischen Müttern den Tag hinauszögern; doch nach abgezählten Wintern wird das achäische Feuer die ilischen Häuser verbrennen.«

16 O schönere Tochter einer schönen Mutter, welches Ende auch immer du willst, das setze den gehässigen Jamben, sei es durch Feuer, wenn es dir Spaß macht, sei es durch das Adriatische Meer. Nicht Dindymene, nicht im pythischen Heiligtum erschüttert dessen Bewohner1 den Sinn der Priester, nicht Liber in gleicher Weise, nicht lassen die Korybanten die Zimbeln immer wieder so erklingen,2

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CARMINVM LIBER I

tristes ut irae, quas neque Noricus deterret ensis nec mare naufragum nec saevus ignis nec tremendo Iuppiter ipse ruens tumultu. fertur Prometheus addere principi limo coactus particulam undique desectam et insani leonis vim stomacho apposuisse nostro. irae Thyesten exitio gravi stravere et altis urbibus ultimae stetere causae, cur perirent funditus imprimeretque muris

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hostile aratrum exercitus insolens. compesce mentem: me quoque pectoris temptavit in dulci iuventa fervor et in celeres iambos misit furentem. nunc ego mitibus mutare quaero tristia, dum mihi fias recantatis amica opprobriis animumque reddas.

XVII Velox amoenum saepe Lucretilem mutat Lycaeo Faunus et igneam defendit aestatem capellis usque meis pluviosque ventos.

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BUCH 1 DER ODEN wie die finsteren Wutausbrüche, die weder ein norisches Schwert abschreckt noch das schiffezertrümmernde Meer noch schreckliches Feuer noch Juppiter selbst, wenn er mit furchtbarem Krachen herabstürzt. Es heißt, Prometheus habe dem Urschlamm gezwungenermaßen von überall her abgeschnittene Teilchen hinzugefügt und so auch das Ungestüm des rasenden Löwen unserem Magen3 beigegeben. Wutausbrüche streckten Thyestes durch ein schreckliches Verderben nieder und waren bei hochragenden Städten der primäre Grund dafür, dass diese ganz und gar zugrunde gingen und das hochmütige Heer den feindlichen Pflug auf ihre Mauern presste.4 Besänftige deinen Sinn: Auch mich überkam die Glut des Herzens in der süßen Jugend und riss zu schnellen5 Jamben6 mich Rasenden hin. Jetzt bemühe ich mich, den Grimm mit Sanftmütigkeit zu vertauschen, bis du mir, wenn ich meine Vorwürfe widerrufen habe, zur Freundin wirst und mir deine Zuneigung wieder schenkst.

17 Den lieblichen Lucretilis vertauscht oft der schnelle Faunus mit dem Lykäus und wehrt beständig den glühenden Sommer und die regenbringenden Winde von meinen Ziegen ab.

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CARMINVM LIBER I

impune tutum per nemus arbutos quaerunt latentes et thyma deviae olentis uxores mariti nec virides metuunt colubras nec Martiales haediliae lupos, utcumque dulci, Tyndari, fistula valles et Usticae cubantis levia personuere saxa. di me tuentur, dis pietas mea et musa cordi est. hic tibi copia manabit ad plenum benigno ruris honorum opulenta cornu; hic in reducta valle caniculae vitabis aestus et fide Teia dices laborantes in uno Penelopen vitreamque Circen.

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hic innocentis pocula Lesbii duces sub umbra nec Semeleius cum Marte confundet Thyoneus proelia, nec metues protervum suspecta Cyrum, ne male dispari incontinentes iniciat manus et scindat haerentem coronam crinibus immeritamque vestem.

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BUCH 1 DER ODEN Ungestraft suchen im sicheren Hain versteckte Arbutussträucher und Thymian abseits vom Wege die Gattinnen des stinkenden Ehemanns1, und es fürchten weder die grünen Schlangen noch die dem Mars heiligen Wölfe die Zicklein, wann immer von deiner süßen Flöte, Tyndaris2, die Täler und die glatten Felsen des hingelagerten Ustica widerhallen. Die Götter beschützen mich, den Göttern liegt mein frommer Sinn und meine Dichtung am Herzen. Hier wird dir üppige Fülle an Herrlichkeiten des Feldes im Überfluss strömen aus spendablem Füllhorn; hier im abgelegenen Tal wirst du die Hitze des Hundssterns meiden und zur tejischen Lyra von Penelope und der trügerischen Kirke singen, die wegen ein und desselben Mannes3 leiden. Hier wirst du Becher mit harmlosem Lesbier im Schatten trinken, und der semelëische Thyoneus wird nicht mit Mars Kämpfe entfachen,4 und du wirst nicht von dem dreisten Kyrus, der dich verdächtigt,5 befürchten, dass er sich an der ihm nicht Gewachsenen mit unbeherrschten Händen vergreift und den an ihren Haaren haftenden Kranz und das unschuldige Kleid zerreißt.

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CARMINVM LIBER I XVIII

Nullam, Vare, sacra vite prius severis arborem circa mite solum Tiburis et moenia Catili. siccis omnia nam dura deus proposuit neque mordaces aliter diffugiunt sollicitudines. quis post vina gravem militiam aut pauperiem crepat? quis non te potius, Bacche pater, teque decens Venus? ac ne quis modici transiliat munera Liberi, Centaurea monet cum Lapithis rixa super mero debellata, monet Sithoniis non levis Euhius, cum fas atque nefas exiguo fine libidinum discernunt avidi. non ego te, candide Bassareu, invitum quatiam nec variis obsita frondibus sub divum rapiam. saeva tene cum Berecyntio cornu tympana, quae subsequitur caecus amor sui et tollens vacuum plus nimio gloria verticem arcanique fides prodiga, perlucidior vitro.

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XIX Mater saeva Cupidinum Thebanaeque iubet me Semelae puer et lasciva Licentia finitis animum reddere amoribus. urit me Glycerae nitor splendentis Pario marmore purius, urit grata protervitas et vultus nimium lubricus aspici.

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BUCH 1 DER ODEN

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18 Varus, pflanze keinen Baum eher als den heiligen Weinstock nahe dem günstigen Boden Tiburs und den Mauern des Katilus. Denn für die Nüchternen hat der Gott alles Harte bestimmt, und nicht anders entfliehen die beißenden Sorgen. [Armut? Wer schwätzt nach dem Weingenuss vom schweren Kriegsdienst oder von der Wer spricht nicht eher von dir, Vater Bacchus, und von dir, anmutige Venus? Doch dass niemand die Gaben des mäßigen Liber bis zum Exzess gebrauche, mahnt der über dem puren Wein ausgetragene Kampf der Kentauren mit den Lapithen, mahnt der den Sithoniern gegenüber nicht milde Euhius, wenn sie in ihrer Gier nach Sex Recht und Unrecht nur durch eine schmale Linie getrennt sehen. Strahlender Bassareus, ich will dich nicht gegen deinen Willen erschüttern1 und nicht das, was unter verschiedenem Laub verborgen ist, ins Freie zerren.2 Halte die wilden Tamburine zusammen mit dem berekyntischen Horn3 zurück, denen blinde Selbstliebe folgt und Ruhmsucht, die allzu hoch ihr leeres Haupt erhebt, und die mit Geheimem verschwenderische Treue4, durchsichtig wie Glas.

19 Die grausame Mutter der Eroten, der Sohn der thebanischen Semele1 und die lüsterne Zügellosigkeit befehlen mir, mein Herz auf beendete Liebe zurückzulenken. Mich entflammt der Glanz Glykeras2, die so rein strahlt wie parischer Marmor, mich entflammt ihre willkommene Direktheit und ihr Gesicht, das allzu verführerisch anzusehen ist.

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CARMINVM LIBER I

in me tota ruens Venus Cyprum deseruit nec patitur Scythas et versis animosum equis Parthum dicere nec quae nihil attinent. hic vivum mihi caespitem, hic verbenas, pueri, ponite turaque bimi cum patera meri: mactata veniet lenior hostia.

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XX Vile potabis modicis Sabinum cantharis, Graeca quod ego ipse testa conditum levi, datus in theatro cum tibi plausus, care, Maecenas, eques, ut paterni fluminis ripae simul et iocosa redderet laudes tibi Vaticani montis imago. Caecubum et prelo domitam Caleno tu bibes uvam: mea nec Falernae temperant vites neque Formiani pocula colles.

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BUCH 1 DER ODEN Auf mich sich ganz stürzend, hat Venus Kypros verlassen und lässt mich weder die Skythen und den auf gewendetem Pferd mutigen Parther3 besingen noch anderes, das nicht zur Sache gehört. Hier legt mir lebendigen Rasen4, hier Zweige hin, ihr Sklavenjungen, und Weihrauch mit einer Schale voll von zweijährigem purem Wein: Ist das Opfer geschlachtet, wird sie sanfter kommen.

20 Billigen Sabiner wirst du aus schlichten Krügen bechern, den ich selbst in einem griechischen Gefäß abgefüllt und verpicht habe, als dir im Theater1 Beifall gespendet wurde, teurer Ritter Maecenas, so dass die Ufer des heimatlichen Flusses2 und zugleich das neckische Echo des Vatikan-Hügels dir dein Lob widerhallen ließen. Du magst Caecuber und die Traube, die in der calenischen Kelter gepresst ist, trinken: Weder falernische Reben noch formianische Hügel mischen mir den Trank.

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CARMINVM LIBER I XXI

Dianam tenerae dicite virgines, intonsum, pueri, dicite Cynthium, Latonamque supremo dilectam penitus Iovi. vos laetam fluviis et nemorum coma, quaecumque aut gelido prominet Algido nigris aut Erymanthi silvis aut viridis Gragi; vos Tempe totidem tollite laudibus natalemque, mares, Delon Apollinis insignemque pharetra fraternaque umerum lyra. hic bellum lacrimosum, hic miseram famem pestemque a populo et principe Caesare in Persas atque Britannos vestra motus aget prece.

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XXII Integer vitae scelerisque purus non eget Mauris iaculis neque arcu nec venenatis gravida sagittis, Fusce, pharetra, sive per Syrtes iter aestuosas sive facturus per inhospitalem

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BUCH 1 DER ODEN 21 Von Diana singt, ihr zarten Jungfrauen, vom langlockigen Kynthier singt, ihr Knaben, und von Latona, die vom höchsten Juppiter innig geliebt wurde. Besingt ihr sie, die sich an Flüssen und dem Laub der Haine freut, welches emporragt vom eisigen Algidus oder den schwarzen Wäldern des Erymanthus oder des grünen Gragus; erhöht ihr gleichfalls Tempe durch euren Preis und Apollos Geburtsort Delos, ihr männlichen Sänger, und seine durch den Köcher und die vom Bruder1 stammende Lyra geschmückten Schultern. Er wird tränenreichen Krieg, er elende Hungersnot und Pest vom Volk und vom Prinzeps Caesar zu den Persern und Britanniern treiben, bewegt durch euer Gebet.

22 Wer unbescholten lebt und frei von Frevel ist, braucht keine maurischen Wurfspieße, keinen Bogen und keinen mit vergifteten Pfeilen gefüllten Köcher, Fuscus1, ob er nun seinen Weg durch die heißen Syrten2 oder den ungastlichen Kaukasus

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CARMINVM LIBER I

Caucasum vel quae loca fabulosus lambit Hydaspes. namque me silva lupus in Sabina, dum meam canto Lalagen et ultra terminum curis vagor expeditis, fugit inermem, quale portentum neque militaris Daunias latis alit aesculetis nec Iubae tellus generat, leonum arida nutrix. pone me pigris ubi nulla campis arbor aestiva recreatur aura, quod latus mundi nebulae malusque Iuppiter urget, pone sub curru nimium propinqui solis in terra domibus negata: dulce ridentem Lalagen amabo, dulce loquentem.

XXIII Vitas inuleo me similis, Chloe, quaerenti pavidam montibus aviis matrem non sine vano aurarum et siluae metu.

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BUCH 1 DER ODEN machen will oder durch die Gegend, die der sagenumwobene Hydaspes leckt. Denn ein Wolf ist im sabinischen Wald, während ich von meiner Lalage3 sang und über den Grenzstein hinaus frei von Sorgen streifte, vor mir geflohen, obwohl ich unbewaffnet war, ein Ungeheuer, wie es weder das kriegerische Land des Daunus4 in seinen weiten Eichenwäldern nährt noch das Land Jubas5 hervorbringt, die dürre Amme der Löwen. Versetze mich dorthin, wo auf trägen Feldern kein Baum von einem sommerlichen Lüftchen erquickt wird, in die Gegend der Welt, die Nebel und schlechtes Wetter bedrängen, versetze mich unter den Wagen6 der allzu nahen Sonne in ein Land, das Häusern verwehrt ist: Ich werde Lalage lieben, die süß lacht, die süß plaudert.

23 Du meidest mich ganz wie ein Hirschkalb, Chloë, das auf unwegsamen Bergen nach der ängstlichen Mutter sucht, nicht ohne grundlose Furcht vor Windhauch und Wald.

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CARMINVM LIBER I

nam seu mobilibus veris inhorruit adventus foliis seu virides rubum dimovere lacertae, et corde et genibus tremit. atqui non ego te tigris ut aspera Gaetulusve leo frangere persequor: tandem desine matrem tempestiva sequi viro.

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XXIV Quis desiderio sit pudor aut modus tam cari capitis? praecipe lugubres cantus, Melpomene, cui liquidam pater vocem cum cithara dedit. ergo Quintilium perpetuus sopor urget; cui Pudor et Iustitiae soror incorrupta Fides nudaque Veritas quando ullum inveniet parem? multis ille bonis flebilis occidit, nulli flebilior quam tibi, Vergili. tu frustra pius, heu, non ita creditum poscis Quintilium deos. quid? si Threicio blandius Orpheo auditam moderere arboribus fidem, num vanae redeat sanguis imagini, quam virga semel horrida

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BUCH 1 DER ODEN Denn ob die Ankunft des Frühlings das zitternde Laub durchschauert hat, oder ob grüne Eidechsen das Brombeergebüsch zerteilt haben,1 es beben ihm Herz und Knie. Doch ich verfolge dich nicht wie ein wilder Tiger oder ein gätulischer Löwe, um dich zu zermalmen: Hör endlich auf, der Mutter nachzulaufen, du, reif für einen Mann.

24 Welche Scheu oder welches Maß könnte es bei der Sehnsucht nach einem so teuren Haupt geben? Lehre mich traurige Gesänge, Melpomene, du, der der Vater1 zusammen mit der Kithara eine helle Stimme gegeben hat. Also drückt schwer auf Quintilius2 ein ewiger Schlaf; wann werden Scheu und die Schwester der Gerechtigkeit, die ungetrübte Treue und die nackte Wahrheit jemals einen ihm Ebenbürtigen finden? Er starb von vielen Guten beweint, von keinem heftiger beweint als von dir, Vergil, du, vergebens fromm, wehe, forderst von den Göttern Quintilius zurück, der ihnen nicht unter so einer Voraussetzung anvertraut war.3 Wie? Wenn du schmeichlerischer als der thrakische Orpheus die von Bäumen gehörte Lyra schlügst, würde das Blut dem wesenlosen Schatten wiederkehren, den ein für alle Mal mit dem schrecklichen Stab

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CARMINVM LIBER I

non lenis precibus fata recludere, nigro compulerit Mercurius gregi? durum: sed levius fit patientia quidquid corrigere est nefas.

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XXV Parcius iunctas quatiunt fenestras iactibus crebris iuvenes protervi nec tibi somnos adimunt amatque ianua limen, quae prius multum faciles movebat cardines. audis minus et minus iam: ‘me tuo longas pereunte noctes, Lydia, dormis?’ invicem moechos anus arrogantes flebis in solo levis angiportu Thracio bacchante magis sub interlunia vento, cum tibi flagrans amor et libido, quae solet matres furiare equorum, saeviet circa iecur ulcerosum non sine questu, laeta quod pubes hedera virenti gaudeat pulla magis atque myrto, aridas frondes hiemis sodali dedicet Euro.

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BUCH 1 DER ODEN Merkur, nicht so mild, dass er die Unterwelt für Gebete öffnen würde, der schwarzen Herde zutrieb? Es ist hart: Aber leichter wird durch Geduld all das, was zu ändern Frevel wäre.

25 Zurückhaltender erschüttern die ungestümen jungen Männer durch häufige Würfe die geschlossenen Fensterläden, sie rauben dir nicht den Schlaf, und die Tür liebt ihre Schwelle, die früher ihre sehr gefälligen Angeln bewegte. Du hörst jetzt weniger und weniger: »Während ich, der Deine, in langen Nächten vergehe, schläfst du da, Lydia?« Deinerseits wirst du als alte Frau, die nichts mehr gilt, über die arroganten Liebhaber auf einsamer Gasse weinen, während der thrakische Wind bei Neumond heftiger tobt, wenn deine brennende Liebe und Geilheit, die immer wieder die Mütter der Pferde zur Raserei treibt, um die schwärende Leber1 wütet, nicht ohne Klage darüber, dass die frohe Jugend sich mehr an frisch grünendem Efeu erfreut und an dunkler Myrte, das trockene Laub aber Eurus, dem Gefährten des Winters, weiht.

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CARMINVM LIBER I XXVI

Musis amicus tristitiam et metus tradam protervis in mare Creticum portare ventis, quis sub Arcto rex gelidae metuatur orae, quid Tiridaten terreat, unice securus. o quae fontibus integris gaudes, apricos necte flores, necte meo Lamiae coronam, Piplei dulcis. nil sine te mei prosunt honores: hunc fidibus novis, hunc Lesbio sacrare plectro teque tuasque decet sorores.

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XXVII Natis in usum laetitiae scyphis pugnare Thracum est: tollite barbarum morem verecundumque Bacchum sanguineis prohibete rixis! vino et lucernis Medus acinaces immane quantum discrepat: impium lenite clamorem, sodales, et cubito remanete presso. vultis severi me quoque sumere partem Falerni? dicat Opuntiae

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BUCH 1 DER ODEN 26 Da ich den Musen willkommen bin, will ich Traurigkeit und Ängste den ungestümen Winden übergeben, sie in das Kretische Meer zu tragen, darüber, wer unterm Bärengestirn1 als König der eisigen Region gefürchtet wird, was den Tiridates schreckt, ganz außerordentlich unbesorgt. Du, die du dich an reinen Quellen freust, binde sonnenbeschienene Blumen, binde meinem Lamia einen Kranz, süße Piplëis. Nichts nützen ohne dich Ehrungen durch mich: Ihn auf der neuen Lyra, ihn mit dem lesbischen Plektrum2 zu verewigen, steht dir und deinen Schwestern wohl an.

27 Mit Humpen, die zum Gebrauch in Freuden geschaffen sind, zu kämpfen, ist die Art von Thrakern: Weg mit der barbarischen Sitte, bewahrt den maßvollen Bacchus vor blutigen Raufereien! Ein medischer Dolch bei Wein und Leuchtern – schrecklich, welch große Diskrepanz das ist: Dämpft den heillosen Lärm, Gefährten, und bleibt ruhen mit aufgestütztem Unterarm.1 Ihr wollt, dass auch ich meinen Anteil vom trockenen Falerner nehme? Dann soll der Bruder der opuntischen

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CARMINVM LIBER I

frater Megyllae, quo beatus vulnere, qua pereat sagitta. cessat voluntas? non alia bibam mercede. quae te cumque domat Venus, non erubescendis adurit ignibus ingenuoque semper amore peccas. quidquid habes, age, depone tutis auribus. a miser, quanta laboras in Charybdi, digne puer meliore flamma!

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quae saga, quis te solvere Thessalis magus venenis, quis poterit deus? vix illigatum te triformi Pegasus expediet Chimaera.

XXVIII Te maris et terrae numeroque carentis harenae mensorem cohibent, Archyta, pulveris exigui prope litus parva Matinum munera, nec quicquam tibi prodest aerias temptasse domos animoque rotundum percurrisse polum morituro. occidit et Pelopis genitor, conviva deorum, Tithonusque remotus in auras et Iovis arcanis Minos admissus, habentque Tartara Panthoiden iterum Orco demissum, quamvis clipeo Troiana refixo

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BUCH 1 DER ODEN

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Megylla sagen, durch welche Wunde2, durch welchen Pfeil er glückselig vergeht. Fehlt der Wille? Für keinen anderen Lohn werde ich trinken. Welche Venus auch immer dich bezähmt, sie verbrennt dich mit Flammen, deretwegen du nicht erröten musst, und du strauchelst immer mit einer ehrbaren Liebe. Was auch immer du hast, los, vertraue es zuverlässigen Ohren an. Ach, du Armer, an welch fürchterlicher Charybdis3 leidest du, Junge, der du einer besseren Flamme würdig bist! Welche Hexe, welcher Magier wird dich mit thessalischen Zaubersäften erlösen können, welcher Gott? Kaum wird dich, der du durch die dreigestaltige Chimära umklammert bist,4 Pegasus befreien können.

28 Dich, den Vermesser des Meers, der Erde und des zahllosen Sandes, Archytas, umschließt nahe am Ufer des Matinus die kleine Gabe geringen Staubes, und nichts nützt es dir, dass du die Räume der Luft erforscht und den gewölbten Himmel durchlaufen hast mit deinem Geist, da diesem zu sterben bestimmt war. Dahin sanken auch der Vater des Pelops1, der Tischgenosse der Götter, Tithonus, der in die Lüfte entrückt wurde, und der in die Geheimnisse Juppiters eingeweihte Minos, und der Tartarus hält den wiederum zum Orkus hinabgeschickten Panthoiden2 fest, obwohl dieser mit dem abgehängten Schild3

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CARMINVM LIBER I

tempora testatus nihil ultra nervos atque cutem morti concesserat atrae, iudice te non sordidus auctor naturae verique. sed omnes una manet nox et calcanda semel via leti. dant alios Furiae torvo spectacula Marti, exitio est avidum mare nautis; mixta senum ac iuvenum densentur funera, nullum saeva caput Proserpina fugit: me quoque devexi rabidus comes Orionis Illyricis Notus obruit undis. at tu, nauta, vagae ne parce malignus harenae ossibus et capiti inhumato particulam dare: sic, quodcumque minabitur Eurus fluctibus Hesperiis, Venusinae plectantur silvae te sospite multaque merces, unde potest, tibi defluat aequo ab Iove Neptunoque sacri custode Tarenti. neglegis immeritis nocituram postmodo te natis fraudem committere? fors et debita iura vicesque superbae te maneant ipsum: precibus non linquar inultis, teque piacula nulla resolvent. quamquam festinas, non est mora longa; licebit iniecto ter pulvere curras.

XXIX Icci, beatis nunc Arabum invides gazis et acrem militiam paras non ante devictis Sabaeae

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BUCH 1 DER ODEN

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die trojanische Zeit als Zeugin angerufen und nichts weiter als Sehnen und Haut dem schwarzen Tod zugestanden hatte, nach deinem Urteil eine nicht üble Autorität im Bereich von Natur und Wahrheit. Doch alle erwartet eine gemeinsame Nacht, und ein für alle Mal muss der Weg in den Tod betreten werden. Die Furien bieten manche4 dem finster blickenden Mars als Schauspiel dar, das gierige Meer bereitet Seeleuten den Untergang; vermischt folgen die Begräbnisse der Alten und Jungen dicht aufeinander, kein Haupt ist je der grimmigen Proserpina entgangen: Auch mich hat Notus, der rasende Gefährte des sinkenden Orion, in illyrischen Wogen begraben. Doch du, Seemann, missgönne es mir nicht böswillig, vom treibenden Sand meinen Gebeinen und meinem Haupt, die unbestattet sind, etwas Anteil zu geben: So mögen, was immer der Eurus den hesperischen Fluten drohen wird, die venusinischen Wälder gepeitscht werden, während du wohlbehalten bist und viel Gewinn, von wo er kommen kann, dir zufließt vom gerechten Juppiter und Neptun, dem Hüter des heiligen Tarent.5 Macht es dir nichts aus, einen Frevel zu begehen, der deinen unschuldigen Nachkommen eines Tages schaden wird? Vielleicht erwartet auch dich selbst, dass man dir dein Recht schuldig bleibt und dir deinerseits mit Hochmut begegnet wird: Ich werde verlassen, aber meine Flüche werden sich erfüllen, und dich wird kein Sühnopfer befreien. Obwohl du in Eile bist, ist es kein langes Verweilen; du darfst, wenn du dreimal Staub auf mich geworfen hast, rasch davonfahren.

29 Iccius, missgönnst du jetzt den Arabern ihre reichen Schätze und rüstest zu einem wilden Kriegszug1 gegen die vorher nicht endgültig besiegten Könige

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CARMINVM LIBER I regibus horribilique Medo

nectis catenas? quae tibi virginum sponso necato barbara serviet, puer quis ex aula capillis ad cyathum statuetur unctis doctus sagittas tendere Sericas arcu paterno? quis neget arduis pronos relabi posse rivos montibus et Tiberim reverti, cum tu coemptos undique nobilis libros Panaeti Socraticam et domum mutare loricis Hiberis, pollicitus meliora, tendis?

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XXX O Venus, regina Cnidi Paphique, sperne dilectam Cypron et vocantis ture te multo Glycerae decoram transfer in aedem. fervidus tecum puer et solutis Gratiae zonis properentque Nymphae et parum comis sine te Iuventas Mercuriusque.

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BUCH 1 DER ODEN Sabäas und schmiedest für den schrecklichen Meder2 Ketten? Welche von den jungen barbarischen Frauen wird dir, wenn du ihren Bräutigam getötet hast, dienen, welcher junge Mann vom Hof wird dir mit gesalbten Haaren bei der Schöpfkelle stehen,3 obwohl er darin unterwiesen ist, serische Pfeile vom Bogen des Vaters zu schießen? Wer wird bestreiten, dass herabstürzende Bäche auf steilen Bergen zurückfließen können und der Tiber zurückkehren kann, wenn du die von allen Seiten zusammengekauften Bücher des edlen Panätius und die sokratische Schule mit hiberischen Riemenpanzern zu vertauschen strebst, nachdem du etwas Besseres versprochen hast?

30 O Venus, Königin von Knidos und Paphos, verschmähe das geliebte Kypros und wechsle über in das schöne Heiligtum der Glykera1, die dich mit viel Weihrauch ruft. Der feurige Junge2 und die Grazien mit gelösten Gürteln sollen zusammen mit dir eilen und die Nymphen und die ohne dich zu wenig freundliche Juventas und Merkur.

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CARMINVM LIBER I XXXI

Quid dedicatum poscit Apollinem vates? quid orat, de patera novum fundens liquorem? non opimae Sardiniae segetes feraces, non aestuosae grata Calabriae armenta, non aurum aut ebur Indicum, non rura, quae Liris quieta mordet aqua taciturnus amnis. premant Calena falce quibus dedit fortuna vitem, dives et aureis mercator exsiccet culillis vina Syra reparata merce, dis carus ipsis, quippe ter et quater anno revisens aequor Atlanticum impune. me pascunt olivae, me cichorea levesque malvae. frui paratis et valido mihi, Latoe, dones et precor integra cum mente nec turpem senectam degere nec cithara carentem.

XXXII Poscimur: si quid vacui sub umbra lusimus tecum, quod et hunc in annum

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BUCH 1 DER ODEN 31 Was fordert von dem geweihten Apollo der Dichter? Was erbittet er, aus der Opferschale neues Nass1 spendend? Nicht die ertragreichen Kornfelder des fetten Sardinien, nicht die Rinderherden, die dem heißen Kalabrien lieb sind, nicht Gold oder indisches Elfenbein, nicht Ländereien, die der Liris mit seinem ruhigen Wasser benagt, der schweigende Strom. Mögen die mit der calenischen Sichel den Weinstock beschneiden, denen das Glück ihn gegeben hat, und mag ein reicher Kaufmann aus goldenen Pokalen bis zur Neige trinken die Weine, die er gegen syrische Ware eingetauscht hat, er, den Göttern sogar lieb, wo er doch drei- und viermal im Jahr das atlantische Meer ungestraft wiedersieht. Mich nähren Oliven, mich die Endivie und leicht verdauliche Malven. Was vorhanden ist, bei guter Gesundheit zu genießen, mögest du, Sohn der Leto2, mir schenken, und, so flehe ich, mit heilem Verstand, und dass ich nicht in Schande mein Alter verbringe und nicht ohne Lyra.

32 Man verlangt nach uns: Wenn wir uns in Muße im Schatten zusammen mit etwas vergnügt haben, was dieses Jahr

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CARMINVM LIBER I

vivat et plures, age dic Latinum, barbite, carmen, Lesbio primum modulate civi, qui ferox bello tamen inter arma, sive iactatam religarat udo litore navim, Liberum et Musas Veneremque et illi semper haerentem puerum canebat et Lycum nigris oculis nigroque crine decorum. o decus Phoebi et dapibus supremi grata testudo Iovis, o laborum dulce lenimen mihi cumque salve rite vocanti.

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XXXIII Albi, ne doleas plus nimio memor immitis Glycerae neu miserabiles decantes elegos, cur tibi iunior laesa praeniteat fide. insignem tenui fronte Lycorida Cyri torret amor, Cyrus in asperam declinat Pholoen; sed prius Apulis iungentur capreae lupis,

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BUCH 1 DER ODEN lebt und länger, auf denn, singe ein lateinisches Lied, Barbitos, du, von einem lesbischen Bürger1 zuerst gespielt, der, ungestüm im Krieg, dennoch unter Waffen oder wenn er das umhergeschleuderte Schiff festgebunden hatte am nassen Strand, Liber und die Musen und Venus und den an ihr stets hängenden Knaben2 besang und den mit seinen schwarzen Augen und seinem schwarzen Haar schönen Lykus. O Schmuck des Phöbus und bei den Opfermählern für den höchsten Juppiter willkommene Lyra, o du süße Linderung der Leiden, sei mir jederzeit gegrüßt, wenn ich dich feierlich rufe.

33 Albius, damit du nicht allzu sehr bekümmert bist, denke daran, wie grausam Glykera1 ist, und lass nicht klagende Elegien darüber ertönen, warum dich ein Jüngerer überstrahlt, nachdem sie die Treue gebrochen hat. Die mit ihrer zarten Stirn reizende Lykoris entflammt die Liebe zu Kyrus, Kyrus neigt von ihr weg zu der spröden Pholoë2; doch eher werden sich Rehe mit apulischen Wölfen paaren,

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CARMINVM LIBER I

quam turpi Pholoe peccet adultero. sic visum Veneri, cui placet impares formas atque animos sub iuga aenea saevo mittere cum ioco. ipsum me melior cum peteret Venus, grata detinuit compede Myrtale libertina, fretis acrior Hadriae curvantis Calabros sinus.

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XXXIV Parcus deorum cultor et infrequens insanientis dum sapientiae consultus erro, nunc retrorsum vela dare atque iterare cursus cogor relictos. namque Diespiter igni corusco nubila dividens plerumque, per purum tonantes egit equos volucremque currum, quo bruta tellus et vaga flumina, quo Styx et invisi horrida Taenari sedes Atlanteusque finis concutitur. valet ima summis mutare et insignem attenuat deus obscura promens; hinc apicem rapax Fortuna cum stridore acuto sustulit, hic posuisse gaudet.

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BUCH 1 DER ODEN als dass Pholoë sich mit dem schändlichen Lover verginge. So schien es Venus gut, der es gefällt, ungleiche Körper und Herzen unter ein ehernes Joch zu schicken in grausamem Spiel. Als mich eine bessere Venus begehrte, hat mich Myrtale3 mit willkommener Fessel zurückgehalten, die Freigelassene, wilder als die Wogen der Adria, die die Krümmungen Kalabriens ausbuchtet.

34 Ich, der karg und nur gelegentlich die Götter verehrte, während ich als Kenner einer unsinnigen Weisheit1 Irrwege ging, werde nun gezwungen, rückwärts die Segel zu setzen und wieder die hinter mir gelassenen Routen zu befahren. Denn Diespiter, der normalerweise mit dem blitzenden Feuer die Wolken teilt, hat durch klaren Himmel die donnernden Rosse und den dahinfliegenden Wagen getrieben, durch den die träge Erde und die unsteten Flüsse, durch den der Styx und der schaurige Sitz des verhassten Tänarus und die Grenze des Atlas erschüttert werden. Die Macht, Niedrigstes mit Höchstem zu vertauschen, hat der Gott, und den Herausragenden schwächt er, während er Verborgenes ans Licht holt; von dort nimmt Fortuna die Krone räuberisch mit schrillem Schrei weg, hier setzt sie sie voller Freude auf.

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CARMINVM LIBER I XXXV

O diva, gratum quae regis Antium, praesens vel imo tollere de gradu mortale corpus vel superbos vertere funeribus triumphos, te pauper ambit sollicita prece ruris colonus, te dominam aequoris quicumque Bithyna lacessit Carpathium pelagus carina; te Dacus asper, te profugi Scythae urbesque gentesque et Latium ferox regumque matres barbarorum et purpurei metuunt tyranni, iniurioso ne pede proruas stantem columnam neu populus frequens ad arma, cessantes ad arma concitet imperiumque frangat. te semper anteit saeva Necessitas, clavos trabales et cuneos manu gestans aena nec severus uncus abest liquidumque plumbum; te Spes et albo rara Fides colit velata panno nec comitem abnegat, utcumque mutata potentes veste domos inimica linquis,

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BUCH 1 DER ODEN

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35 O Göttin, die du das dir liebe Antium beherrschst, durch deine Gegenwart mächtig, von der niedrigsten Stufe den menschlichen Körper emporzuheben oder stolze Triumphzüge in Leichenzüge zu verwandeln, dich umwirbt mit bangem Gebet der arme Bauer für sein Land, dich als Herrin des Meeres jeder, der mit bithynischem Schiff das Karpathische Meer herausfordert; dich fürchten der wilde Daker, dich die flüchtigen Skythen1, dich die Städte und Völker und das trotzige Latium und die Mütter barbarischer Könige und die mit Purpur bekleideten Tyrannen, du könntest mit gewalttätigem Fuß die stehende Säule2 umstürzen und die zahlreiche Volksmenge könnte zu den Waffen, zu den Waffen die Zögernden aufstacheln und die Herrschaft zerschmettern. Dir geht stets die unerbittliche Notwendigkeit voraus, welche die Balkennägel und die Keile in eherner Hand trägt, und es fehlen nicht die unbewegliche Klammer und das flüssige Blei;3 dich verehren die Hoffnung und die seltene Loyalität, die in ein weißes Gewand gehüllt ist, und sie versagen sich nicht als Begleiterinnen, wann immer du dein Kleid wechselst4 und die mächtigen Häuser als Feindin verlässt,

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CARMINVM LIBER I

at vulgus infidum et meretrix retro periura cedit, diffugiunt cadis cum faece siccatis amici ferre iugum pariter dolosi: serves iturum Caesarem in ultimos orbis Britannos et iuvenum recens examen Eois timendum partibus Oceanoque rubro. heu heu, cicatricum et sceleris pudet fratrumque. quid nos dura refugimus aetas? quid intactum nefasti liquimus? unde manum iuventus metu deorum continuit? quibus pepercit aris? o utinam nova incude diffingas retusum in Massagetas Arabasque ferrum!

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XXXVI Et ture et fidibus iuvat placare et vituli sanguine debito custodes Numidae deos, qui nunc Hesperia sospes ab ultima caris multa sodalibus, nulli plura tamen dividit oscula quam dulci Lamiae, memor actae non alio rege puertiae

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BUCH 1 DER ODEN aber das treulose Volk und die meineidige Hure weichen zurück, es fliehen auseinander, wenn die Krüge mitsamt der Hefe ausgeleert sind, die Freunde und vermeiden listig, das Joch gemeinsam zu tragen: Du mögest Caesar bewahren, der gegen die Britannier am äußersten Rand der Erde ziehen will,5 und die neue Schar der jungen Männer, die von den östlichen Regionen und dem Roten Meer zu fürchten sind.6 Wehe, wehe, wir schämen uns wegen der Narben, des Verbrechens und der Brüder.7 Wovor scheuten wir, eine grausame Generation, zurück? Welche Art von Frevel ließen wir unversucht? Wovon hat die Jugend die Hand in Furcht vor den Göttern zurückgehalten? Welche Altäre hat sie verschont? O mögest du doch auf neuem Amboss das stumpf gewordene Schwert gegen Massageten und Araber umschmieden!

36 Es macht Freude, mit Weihrauch und Saitenspiel und dem ihnen geschuldeten Blut eines Kalbes die Schutzgötter Numidas1 zu versöhnen, der jetzt, unversehrt vom äußersten Hesperien2, an seine teuren Gefährten viele Küsse, freilich an keinen mehr Küsse verteilt als an den lieben Lamia, in Erinnerung an die mit keinem anderen als einem König verbrachte Kindheit3

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CARMINVM LIBER I

mutataeque simul togae. Cressa ne careat pulchra dies nota, neu promptae modus amphorae neu morem in Salium sit requies pedum neu multi Damalis meri Bassum Threicia vincat amystide neu desint epulis rosae neu vivax apium neu breve lilium. omnes in Damalin putres deponent oculos, nec Damalis novo divelletur adultero lascivis hederis ambitiosior.

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XXXVII Nunc est bibendum, nunc pede libero pulsanda tellus, nunc Saliaribus ornare pulvinar deorum tempus erat dapibus, sodales. antehac nefas depromere Caecubum cellis avitis, dum Capitolio regina dementes ruinas funus et imperio parabat contaminato cum grege turpium morbo virorum, quidlibet impotens sperare fortunaque dulci ebria. sed minuit furorem

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BUCH 1 DER ODEN und die gleichzeitig gewechselte Toga.4 Dem schönen Tag fehle nicht das kretische Merkzeichen5, kein Maß gebe es beim Herbeiholen der Amphoren, nach der Art der Salier kein Ausruhen der Füße, Damalis6, die viel puren Wein verträgt, möge Bassus nicht im thrakischen Trinken7 besiegen, beim Schmaus sollen keine Rosen fehlen, kein langlebiger Eppich und keine kurzlebige Lilie. Alle werden auf Damalis ihre dahinschmelzenden Augen ruhen lassen, und Damalis wird nicht von ihrem neuen Liebhaber wegzureißen sein, enger ihn umschlingend als geiler Efeu.

37 Jetzt heißt es trinken, jetzt mit freiem Fuß die Erde stampfen, jetzt ist es Zeit, die Götterpolster1 mit saliarischen Festmählern zu schmücken, Kameraden. Vorher war es Frevel, den Caecuber aus den Kellern der Ahnen hervorzuholen, solange die Königin2 dem Kapitol wahnwitzigen Untergang und dem Reich das Grab zu bereiten versuchte zusammen mit der befleckten Herde der durch Perversität schändlichen Männer,3 zügellos in ihrer Hoffnung auf alles und jedes, und vom süßen Glück trunken. Aber es dämpfte ihre Raserei

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CARMINVM LIBER I

vix una sospes navis ab ignibus mentemque lymphatam Mareotico redegit in veros timores Caesar ab Italia volantem remis adurgens, accipiter velut molles columbas aut leporem citus venator in campis nivalis Haemoniae, daret ut catenis

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fatale monstrum. quae generosius perire quaerens nec muliebriter expavit ensem nec latentes classe cita reparavit oras, ausa et iacentem visere regiam vultu sereno, fortis et asperas tractare serpentes, ut atrum corpore combiberet venenum, deliberata morte ferocior, saevis Liburnis scilicet invidens privata deduci superbo non humilis mulier triumpho.

XXXVIII Persicos odi, puer, apparatus, displicent nexae philyra coronae; mitte sectari, rosa quo locorum sera moretur.

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BUCH 1 DER ODEN das Überleben der Flammen durch fast kein einziges Schiff,4 und ihren vom Mareotiker berauschten Sinn versetzte in wahre Ängste Caesar, der die von Italien Davoneilende mit Rudern bedrängte, wie der Habicht die zarten Tauben oder den Hasen der schnelle Jäger auf den Feldern des verschneiten Hämonien, um den Ketten zu übergeben das todbringende Ungeheuer. Sie, die auf edlere Weise zu sterben suchte, fürchtete weder weibisch das Schwert noch tauschte sie mit ihrer schnellen Flotte verborgene Küsten ein, es wagend, auf die darniederliegende Königsburg mit heiterer Miene zu blicken, und tapfer genug, die wilden Schlangen anzufassen, um das schwarze Gift mit ihrem Körper zu trinken, nach ihrem Entschluss zu sterben noch trotziger, weil sie den grimmigen Liburnern offensichtlich missgönnte, dass sie entthront zu einem stolzen Triumph transportiert würde, sie, eine nicht niedrige Frau.

38 Persischer Aufwand1 ist mir zuwider, mein Junge, mir missfallen mit Lindenbast gebundene Kränze; gib’s auf herumzusuchen, wo im Umkreis eine späte Rose verweilt.

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CARMINVM LIBER I

simplici myrto nihil allabores sedulus curo: neque te ministrum dedecet myrtus neque me sub arta vite bibentem.

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BUCH 1 DER ODEN Der schlichten Myrte etwas hinzuzufügen, musst du dich von mir aus nicht bemühen: Weder dir als Diener steht die Myrte schlecht noch mir, während ich unter einem dichten Weinstock trinke.

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CARMINVM LIBER II I Motum ex Metello consule civicum bellique causas et vitia et modos ludumque Fortunae gravesque principum amicitias et arma nondum expiatis uncta cruoribus, periculosae plenum opus aleae, tractas et incedis per ignes suppositos cineri doloso. paulum severae Musa tragoediae desit theatris; mox, ubi publicas res ordinaris, grande munus Cecropio repetes coturno, insigne maestis praesidium reis et consulenti, Pollio, curiae, cui laurus aeternos honores Delmatico peperit triumpho. iam nunc minaci murmure cornuum perstringis aures, iam litui strepunt, iam fulgor armorum fugaces terret equos equitumque vultus.

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Buch 2 der Oden 1 Den Aufruhr der Bürger von Konsul Metellus an1, die Gründe des Krieges, die Laster und die Arten des Vorgehens, das Spiel Fortunas, die bedrückenden Freundschaftsbünde der Herrschenden und die Waffen, die befleckt sind von noch ungesühntem Blut, nimmst du als ein Werk voll von gefährlichem Wagnis in Angriff und schreitest durch Feuergluten, die unter trügerischer Asche verborgen sind. Nur kurz möge die Muse der strengen Tragödie im Theater fehlen; bald, wenn du die Ereignisse im Staat disponiert hast, wirst du zur großen Aufgabe auf dem kekropischen Kothurn zurückstreben,2 du strahlender Schutz für betrübte Angeklagte und die um Rat fragende Kurie, Pollio, dem der Lorbeer ewige Ehren beim dalmatischen Triumph3 erwarb. Schon jetzt erschütterst du mit dem drohenden Dröhnen der Hörner die Ohren, schon lärmen die Signalhörner, schon versetzt der Glanz der Waffen die fliehenden Pferde und die Mienen der Reiter in Panik.

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CARMINVM LIBER II

audire magnos iam videor duces non indecoro pulvere sordidos et cuncta terrarum subacta praeter atrocem animum Catonis. Iuno et deorum quisquis amicior Afris inulta cesserat impotens tellure, victorum nepotes rettulit inferias Iugurthae. quis non Latino sanguine pinguior campus sepulcris impia proelia testatur auditumque Medis Hesperiae sonitum ruinae? qui gurges aut quae flumina lugubris ignara belli? quod mare Dauniae non decoloravere caedes? quae caret ora cruore nostro? sed ne relictis, Musa procax, iocis Ceae retractes munera neniae, mecum Dionaeo sub antro quaere modos leviore plectro.

II Nullus argento color est avaris abdito terris, inimice lamnae Crispe Sallusti, nisi temperato splendeat usu.

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BUCH 2 DER ODEN Schon glaube ich die großen Feldherrn zu hören, die von nicht unehrenhaftem Staub beschmutzt sind, und dass alles auf Erden unterworfen ist außer dem trotzigen Sinn Catos. Juno und welche auch immer den Afrern gewogenere Gottheit ohnmächtig von der ungerächten Erde gewichen war, brachte die Enkel der Sieger4 als Totenopfer für Jugurtha zurück. Welches durch latinisches Blut fetter gewordene Feld bezeugt nicht durch Gräber verruchte Schlachten und dass von den Medern das Getöse des hesperischen Zusammenbruchs5 gehört wurde? Welcher Strudel, welche Fluten wissen nicht vom unheilvollen Krieg? Welches Meer hat daunisches Morden6 nicht verfärbt? Welche Küste ist frei von unserem Blut? Doch damit du nicht ablässt von deinen Scherzen, ausgelassene Muse, und erneut Gaben keïscher Totenklage7 behandelst, suche mit mir in der Grotte der Dione mit leichterem Plektrum Weisen zu finden.8

2 Keinen Glanz hat Silber, das in geiziger Erde verborgen ist, du Feind des Metalls, Sallustius Crispus, wenn es nicht bei mäßigem Gebrauch erstrahlt.

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CARMINVM LIBER II

vivet extento Proculeius aevo notus in fratres animi paterni; illum aget pinna metuente solvi Fama superstes. latius regnes avidum domando spiritum quam si Libyam remotis Gadibus iungas et uterque Poenus serviat uni. crescit indulgens sibi dirus hydrops nec sitim pellit, nisi causa morbi fugerit venis et aquosus albo corpore languor. redditum Cyri solio Phraaten dissidens plebi numero beatorum eximit Virtus populumque falsis dedocet uti vocibus, regnum et diadema tutum deferens uni propriamque laurum, quisquis ingentes oculo irretorto spectat acervos.

III Aequam memento rebus in arduis servare mentem, non secus in bonis ab insolenti temperatam laetitia, moriture Delli,

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BUCH 2 DER ODEN

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Proculeius wird in weit sich erstreckender Zeit leben, bekannt für seine väterliche Gesinnung gegenüber den Brüdern; ihn wird auf Schwingen, die sich weigern, aufgelöst zu werden,1 die ihn überlebende Fama vorwärts tragen. Weiträumiger dürftest du herrschen durch Bezwingen deines gierigen Geistes, als wenn du Libyen mit dem weit entfernten Gades verbändest und beide Punier einem einzigen dienen würden.2 Es wächst die schreckliche Wassersucht, wenn sie sich selbst nachgibt, und sie vertreibt den Durst nicht, wenn nicht die Ursache der Krankheit den Adern entweicht und die wässrige Schlaffheit aus dem bleichen Körper. Den Phraates, der dem Thron des Kyrus zurückgegeben ist,3 nimmt die Tugend, weil sie anders denkt als der Pöbel, aus der Zahl der Glücklichen und gewöhnt dem Volk ab, falsche Begriffe zu verwenden, indem sie die Herrschaft und das ungefährdete Diadem und den Lorbeer nur dem einen zu eigen gibt, der riesige Haufen betrachtet, ohne das Auge wegzudrehen.4

3 Denke daran, in schwierigen Situationen gelassenen Sinn zu bewahren, nicht anders als in günstigen einen Sinn, der sich von unmäßiger Freude zurückhält, du, der du sterben wirst, Dellius,

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CARMINVM LIBER II

seu maestus omni tempore vixeris, seu te in remoto gramine per dies festos reclinatum bearis interiore nota Falerni. quo pinus ingens albaque populus umbram hospitalem consociare amant ramis? quid obliquo laborat lympha fugax trepidare rivo? huc vina et unguenta et nimium breves flores amoenae ferre iube rosae, dum res et aetas et sororum fila trium patiuntur atra. cedes coemptis saltibus et domo villaque, flavus quam Tiberis lavit, cedes, et exstructis in altum divitiis potietur heres.

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divesne prisco natus ab Inacho nil interest, an pauper et infima de gente sub divo moreris, victima nil miserantis Orci: omnes eodem cogimur, omnium versatur urna serius ocius sors exitura et nos in aeternum exilium impositura cumbae.

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BUCH 2 DER ODEN

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ob du nun alle Zeit bekümmert gelebt hast oder dich, abseits im Grase liegend, an jedem Festtag an einer tiefer gelagerten Sorte Falerner gütlich getan hast. Warum lieben es die riesige Fichte und die weiße Pappel, den einladenden Schatten durch ihre Zweige zu vereinen? Was bemüht sich das flüchtige Nass, im Zickzackstrom dahinzuschießen? Hierher befiehl Wein und Salben und die allzu kurzlebigen Blüten der lieblichen Rose zu bringen, solange die Umstände, das Alter und die schwarzen Fäden der drei Schwestern1 es dulden. Scheiden wirst du von den zusammengekauften Bergweiden, dem Haus und dem Landgut, das der gelbe Tiber bespült, ja, scheiden, und des in die Höhe gehäuften Reichtums wird sich der Erbe bemächtigen. Es macht nichts aus, ob du als Reicher vom alten Inachus abstammst oder arm und von niedrigster Herkunft unter freiem Himmel weilst, du Opfer des erbarmungslosen Orkus: Wir alle werden zusammen zu demselben Ort getrieben, geschüttelt wird in der Urne das Los aller, das früher oder später herausfallen und uns zu ewiger Verbannung auf den Kahn2 setzen wird.

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CARMINVM LIBER II IV

Ne sit ancillae tibi amor pudori, Xanthia Phoceu: prius insolentem serva Briseis niveo colore movit Achillem, movit Aiacem Telamone natum forma captivae dominum Tecmessae; arsit Atrides medio in triumpho virgine rapta, barbarae postquam cecidere turmae Thessalo victore et ademptus Hector tradidit fessis leviora tolli Pergama Grais. nescias an te generum beati Phyllidis flavae decorent parentes; regium certe genus et Penates maeret iniquos. crede non illam tibi de scelesta plebe dilectam neque sic fidelem, sic lucro aversam potuisse nasci matre pudenda. bracchia et vultum teretesque suras integer laudo: fuge suspicari cuius octavum trepidavit aetas claudere lustrum.

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BUCH 2 DER ODEN

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4 Deiner Liebe zu einer Magd solltest du dich nicht schämen, Xanthias aus Phokis: Einst hat den in der Liebe unerfahrenen Achilles die Sklavin Brisëis mit ihrer schneeweißen Hautfarbe erregt, erregt hat Ajax, den Sohn des Telamon, ihren Herrn, die Schönheit der gefangenen Tekmessa; entbrannt war der Atride mitten im Siegeslauf für die vergewaltigte Jungfrau1, nachdem die barbarischen Heerscharen, weil der Thessalier2 gesiegt hatte, gefallen waren und die Beseitigung Hektors den erschöpften Griechen ein Pergamum, das leichter zu vernichten war, übergeben hatte. Du wirst nicht wissen, ob dir als Schwiegersohn die wohlhabenden Eltern der blonden Phyllis Ehre machen; ihre Herkunft ist gewiss königlich, und sie ist bekümmert über Penaten, die ihr nicht ebenbürtig sind. Glaube, dass die von dir Geliebte nicht aus dem ruchlosen Pöbel stammt und dass eine so Treue, eine dem Profit so Abgeneigte3 nicht von einer schändlichen Mutter hätte geboren werden können. Arme und Gesicht und die wohlgeformten Waden lobe ich von Verlangen unberührt: Schöpfe keinen Verdacht gegen den, dessen Alter sich beeilt hat, schon das achte Lustrum zu beenden.4

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CARMINVM LIBER II V

Nondum subacta ferre iugum valet cervice, nondum munia comparis aequare nec tauri ruentis in Venerem tolerare pondus. circa virentes est animus tuae campos iuvencae, nunc fluviis gravem solantis aestum, nunc in udo ludere cum vitulis salicto praegestientis. tolle cupidinem immitis uvae: iam tibi lividos distinguet Autumnus racemos purpureo varius colore. iam te sequetur; currit enim ferox aetas et illi quos tibi dempserit apponet annos; iam proterva fronte petet Lalage maritum, dilecta, quantum non Pholoe fugax, non Chloris albo sic umero nitens ut pura nocturno renidet luna mari Cnidiusve Gyges, quem si puellarum insereres choro, mire sagaces falleret hospites discrimen obscurum solutis crinibus ambiguoque vultu.

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BUCH 2 DER ODEN 5 Noch nicht vermag sie mit ihrem unterworfenen Nacken das Joch zu tragen, noch nicht die Aufgaben einer Partnerin angemessen zu erfüllen und auch nicht das Gewicht eines Stiers, der sich zur Begattung auf sie stürzt, zu ertragen. Um die grünen Felder kreist der Sinn deiner Jungkuh, die bald in den Flüssen die schwere Hitze lindert, bald sich daran freut, im feuchten Weidengestrüpp mit den Kälbern zu spielen. Lege ab das Verlangen nach einer unreifen Traube: Bald wird dir der bunte Herbst die bläulichen Trauben mit purpurroter Farbe bemalen. Bald wird sie dir folgen; denn die ungestüme Zeit eilt dahin und wird ihr die Jahre, die sie dir weggenommen hat, hinzufügen; schon begehrt Lalage1 mit kecker Stirn einen Ehemann, geliebt wie nicht die flüchtige Pholoë2, nicht Chloris, deren weiße Schulter so glänzt, wie der reine Mond über dem nächtlichen Meer strahlt, oder der Knidier Gyges; wenn du ihn einer Mädchentanzgruppe einreihen würdest, würde scharfsinnige Gäste auf wundersame Weise das unklare Erscheinungsbild aufgrund der gelösten Haare und des zwitterhaften Gesichtes täuschen.3

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CARMINVM LIBER II VI

Septimi, Gades aditure mecum et Cantabrum indoctum iuga ferre nostra et barbaras Syrtes, ubi Maura semper aestuat unda: Tibur Argeo positum colono sit meae sedes utinam senectae, sit modus lasso maris et viarum militiaeque. unde si Parcae prohibent iniquae, dulce pellitis ovibus Galaesi flumen et regnata petam Laconi rura Phalantho. ille terrarum mihi praeter omnes angulus ridet, ubi non Hymetto mella decedunt viridique certat baca Venafro, ver ubi longum tepidasque praebet Iuppiter brumas et amicus Aulon fertili Baccho minimum Falernis invidet uvis. ille te mecum locus et beatae postulant arces; ibi tu calentem debita sparges lacrima favillam vatis amici.

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BUCH 2 DER ODEN 6 Septimius, bereit, mit mir Gades aufzusuchen, den Kantabrer, der noch nicht gelernt hat, unser Joch zu tragen, und die barbarischen Syrten, wo ständig die maurische Woge brandet: Wenn doch Tibur, von argivischen Siedlern erbaut, mein Alterssitz würde und ein Ende für den Erschöpften1 sei mit Meer, Straßen und Militärdienst. Wenn aber die Parzen mich missgünstig von dort fernhalten, strebe ich zum Galaesusfluss, der für die mit Fellen bedeckten2 Schafe süß ist, und zu den Gefilden, die von dem Lakonier Phalantus beherrscht wurden. Auf Erden lacht mir jener Winkel vor allen anderen zu, dort, wo der Honig nicht hinter dem vom Hymettus zurücksteht und mit dem grünen Venafrum die Olive wetteifert, wo einen langen Frühling und milde Winter Juppiter gewährt und Aulon, dem fruchtspendenden Bacchus lieb, auf die falernischen Trauben keinen Neid hat. Dieser Ort und die glückseligen Höhen fordern dich zusammen mit mir; dort sollst du mit der ihm gebührenden Träne die noch warme Asche deines Freundes, des Dichters, benetzen.

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CARMINVM LIBER II VII

O saepe mecum tempus in ultimum deducte Bruto militiae duce, quis te redonavit Quiritem dis patriis Italoque caelo, Pompei, meorum prime sodalium, cum quo morantem saepe diem mero fregi coronatus nitentes malobathro Syrio capillos? tecum Philippos et celerem fugam sensi relicta non bene parmula, cum fracta virtus et minaces turpe solum tetigere mento; sed me per hostes Mercurius celer denso paventem sustulit aere, te rursus in bellum resorbens unda fretis tulit aestuosis. ergo obligatam redde Iovi dapem longaque fessum militia latus depone sub lauru mea nec parce cadis tibi destinatis. oblivioso levia Massico ciboria exple, funde capacibus unguenta de conchis. quis udo deproperare apio coronas

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BUCH 2 DER ODEN 7 O du, der du oft mit mir in äußerste Gefahr geführt wurdest, als Brutus Heerführer war, wer hat dich als Quiriten wiedergeschenkt den einheimischen Göttern und dem italischen Himmel,1 Pompejus, erster meiner Gefährten, mit dem ich oft den langsam verstreichenden Tag mit purem Wein zertrunken habe, mit einem Kranz im Haar, das von assyrischer Salbe glänzte? Mit dir erlebte ich Philippi und die schnelle Flucht, nachdem ich meinen Schild unrühmlich zurückgelassen hatte, als Mannesmut zerbrochen wurde und die Trotzigen den entstellten Boden mit dem Kinn berührten; doch mich in meiner Angst entrückte der schnelle Merkur2 mitten durch die Feinde in dichtem Dunst, dich aber sog wieder zurück in den Krieg die Woge und trug dich auf brandenden Fluten dahin. Also bring Juppiter das ihm geschuldete Opfermahl dar und lege deine vom langen Kriegsdienst erschöpfte Seite unter meinem Lorbeerbaum nieder und schone nicht die für dich bestimmten Krüge. Fülle mit Vergessen schenkendem Massiker die glatten Pokale, gieße aus weiten Muscheln Salben. Wer sorgt dafür, dass aus feuchtem Eppich rasch die Kränze fertiggestellt werden

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CARMINVM LIBER II

curatve myrto? quem Venus arbitrum dicet bibendi? non ego sanius bacchabor Edonis: recepto dulce mihi furere est amico.

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VIII Ulla si iuris tibi peierati poena, Barine, nocuisset umquam, dente si nigro fieres vel uno turpior ungui, crederem; sed tu simul obligasti perfidum votis caput, enitescis pulchrior multo iuvenumque prodis publica cura. expedit matris cineres opertos fallere et toto taciturna noctis signa cum caelo gelidaque divos morte carentes. ridet hoc, inquam, Venus ipsa, rident simplices Nymphae ferus et Cupido semper ardentes acuens sagittas cote cruenta. adde quod pubes tibi crescit omnis, servitus crescit nova nec priores impiae tectum dominae relinquunt saepe minati.

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oder aus Myrte? Wen wird Venus3 zum Vorsitzenden des Gelages ernennen?4 Ebenso wahnsinnig wie die Edoner werde ich bacchantisch rasen: Weil ich meinen Freund wiedererhalten habe, ist es mir ein Vergnügen herumzutoben.

8 Wenn dir irgendeine Strafe für einen falsch geschworenen Eid jemals geschadet hätte, Barine, wenn du schwarze Zähne bekämst oder durch einen einzigen Fingernagel hässlicher würdest,1 würde ich dir glauben; sobald du aber dein treuloses Haupt durch Gelübde verpflichtet hast, erstrahlst du noch viel schöner und gehst als öffentliche Bedrohung für junge Leute aus. Dir nützt es, die zugedeckte2 Asche deiner Mutter zu täuschen3 und die stummen Zeichen der Nacht4 mitsamt dem ganzen Himmel und die Götter, die den eisigen Tod nicht kennen. Darüber lacht, sage ich, selbst Venus, lachen die arglosen Nymphen und der wilde Cupido, der ständig seine glühenden Pfeile am blutigen Wetzstein schärft. Nimm dazu, dass für dich eine ganze Schar junger Männer heranwächst, eine neue Sklavenschaft heranwächst und die früheren das Haus der ruchlosen Herrin nicht verlassen, obwohl sie oft damit gedroht haben.

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CARMINVM LIBER II

te suis matres metuunt iuvencis, te senes parci miseraeque nuper virgines nuptae, tua ne retardet aura maritos.

IX Non semper imbres nubibus hispidos manant in agros aut mare Caspium vexant inaequales procellae usque nec Armeniis in oris, amice Valgi, stat glacies iners menses per omnes aut Aquilonibus querqueta Gargani laborant et foliis viduantur orni: tu semper urges flebilibus modis Mysten ademptum, nec tibi Vespero surgente decedunt amores nec rapidum fugiente solem. at non ter aevo functus amabilem ploravit omnes Antilochum senex annos nec impubem parentes Troilon aut Phrygiae sorores flevere semper. desine mollium tandem querelarum et potius nova cantemus Augusti tropaea Caesaris et rigidum Niphaten

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BUCH 2 DER ODEN Dich fürchten für ihre Stierlein die Mütter, dich die knausrigen Greise und die armen soeben verheirateten jungen Frauen in der Angst, allein schon dein Duft könnte ihre Ehemänner zurückhalten.

9 Nicht ständig fließen Regengüsse aus den Wolken auf die struppigen Äcker oder peitschen das Kaspische Meer ungleich starke Stürme fortwährend, und im armenischen Gebiet, mein Freund Valgius, starrt das träge Eis nicht alle Monate hindurch oder leiden unter den Nordwinden die Eichenwälder des Garganus und werden die Bergeschen ihrer Blätter beraubt: Du aber bedrängst ständig mit tränenreichen Weisen1 den dir genommenen Mystes2, und deine Liebesbekundungen hören nicht auf, wenn der Abendstern aufgeht, und nicht, wenn er vor der sengenden Sonne flieht. Doch der Greis, der drei Menschenalter durchlebte,3 beweinte nicht den liebenswerten Antilochus alle Jahre hindurch, und die Eltern oder die phrygischen Schwestern bejammerten den sehr jungen Troïlus nicht ständig. Hör mit den weichlichen Klagen endlich auf, und lass uns lieber von den neuen Siegen des Caesar Augustus singen, von dem starren Niphates

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CARMINVM LIBER II

Medumque flumen gentibus additum victis minores volvere vertices intraque praescriptum Gelonos exiguis equitare campis.

X Rectius vives, Licini, neque altum semper urgendo neque, dum procellas cautus horrescis, nimium premendo litus iniquum. auream quisquis mediocritatem diligit, tutus caret obsoleti sordibus tecti, caret invidenda sobrius aula. saepius ventis agitatur ingens pinus et celsae graviore casu decidunt turres feriuntque summos fulgura montes. sperat infestis, metuit secundis alteram sortem bene praeparatum pectus. informes hiemes reducit Iuppiter, idem submovet; non, si male nunc, et olim sic erit: quondam cithara tacentem suscitat Musam neque semper arcum tendit Apollo.

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BUCH 2 DER ODEN und davon, dass der Mederfluss4, den besiegten Völkern hinzugefügt, kleinere Wirbel wälzt und die Gelonen innerhalb eines vorgeschriebenen Raumes auf kleinen Feldern herumreiten.

10 Richtiger wirst du leben, Licinius, indem du weder ständig das hohe Meer bedrängst noch, während du vorsichtig die Stürme fürchtest, dich allzu eng an die feindliche Küste1 hältst. Wer auch immer den goldenen Mittelweg schätzt, meidet geschützt den Schmutz der morschen Hütte, meidet in seiner Enthaltsamkeit den neiderregenden Palast. Öfter von Winden geschüttelt wird die riesige Fichte, hohe Türme stürzen in schwererem Fall nieder, und die Blitze treffen die Gipfel der Berge. Es erhofft im Unglück, es fürchtet im Glück ein anderes Los ein gut gerüstetes Herz. Hässliche Winterstürme bringt Juppiter im Wechsel wieder, er auch vertreibt sie; es wird, wenn es jetzt schlecht geht, nicht auch künftig so sein: Manchmal erweckt die Kithara die schweigende Muse, und nicht immer spannt Apollo den Bogen.

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CARMINVM LIBER II

rebus angustis animosus atque fortis appare; sapienter idem contrahes vento nimium secundo turgida vela.

XI Quid bellicosus Cantaber et Scythes, Hirpine Quincti, cogitet Hadria divisus obiecto, remittas quaerere nec trepides in usum poscentis aevi pauca: fugit retro levis iuventas et decor, arida pellente lascivos amores canitie facilemque somnum. non semper idem floribus est honor vernis neque uno luna rubens nitet vultu: quid aeternis minorem consiliis animum fatigas? cur non sub alta vel platano vel hac pinu iacentes sic temere et rosa canos odorati capillos, dum licet, Assyriaque nardo potamus uncti? dissipat Euhius curas edaces. quis puer ocius restinguet ardentis Falerni pocula praetereunte lympha?

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In bedrängter Lage zeige dich beherzt und tapfer; weise wirst du ebenso die von allzu günstigem Wind geblähten Segel reffen.

11 Was der kriegerische Kantabrer und der Skythe, Hirpinus Quinctius, im Schilde führen, die durch die ihnen vorgelagerte Adria von uns getrennt sind, sollst du zu erforschen aufhören und dich nicht stressen hinsichtlich der Bedürfnisse des Lebens, das wenig fordert: Es weichen fliehend zurück die glattwangige Jugend und ihr Charme, während das verwelkte graue Alter die lockeren Liebesabenteuer und den leichten Schlaf vertreibt. Nicht immer gleich ist die Pracht der Frühlingsblumen, und der rötliche Mond glänzt nicht immer mit demselben Antlitz: Was ermüdest du den Geist, der überfordert ist mit Plänen für ewige Zeiten? Warum liegen wir nicht einfach so unter der hohen Platane oder dieser Pinie und bechern, mit Rosenduft die grauen Haare getränkt, solange es vergönnt ist, mit syrischem Balsam gesalbt? Euhius zerstreut die nagenden Sorgen. Welcher Sklavenjunge wird schleunigst die mit feurigem Falerner vollen Becher mit dem vorbeifließenden Nass löschen?1

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CARMINVM LIBER II

quis devium scortum eliciet domo Lyden? eburna dic, age, cum lyra maturet, in comptum Lacaenae more comas religata nodum.

XII Nolis longa ferae bella Numantiae nec durum Hannibalem nec Siculum mare Poeno purpureum sanguine mollibus aptari citharae modis nec saevos Lapithas et nimium mero Hylaeum domitosque Herculea manu Telluris iuvenes, unde periculum fulgens contremuit domus Saturni veteris; tuque pedestribus dices historiis proelia Caesaris, Maecenas, melius ductaque per vias regum colla minacium. me dulces dominae Musa Licymniae cantus, me voluit dicere lucidum fulgentes oculos et bene mutuis fidum pectus amoribus; quam nec ferre pedem dedecuit choris nec certare ioco nec dare bracchia ludentem nitidis virginibus sacro Dianae celebris die.

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Wer wird das weit von hier wohnende Girl herauslocken aus dem Haus, die Lyde? Los, sag ihr, sie soll mit ihrer elfenbeinernen Lyra herbeieilen, das Haar nach der Mode der Lakonierinnen zu einem feschen Knoten gebunden.

12 Du wirst nicht wollen, dass die langen Kriege gegen das wilde Numantia, der ausdauernde Hannibal und das von punischem Blut purpurrote Sizilische Meer den weichen Klängen der Kithara angepasst werden, auch nicht die grimmigen Lapithen und der durch den puren Wein maßlose Hyläus und die von der Hand des Herkules bezwungenen Söhne der Erde1, vor deren Gefahr das strahlende Haus des alten Saturn erbebte; du wirst mit in Prosa geschriebenen Geschichten von den Schlachten Caesars besser künden, Maecenas, und von den durch die Straßen geführten Nacken trotziger Könige.2 Ich, so wollte es die Muse, sollte von den süßen Gesängen meiner Herrin3 Likymnia künden, ich von ihren hell strahlenden Augen und ihrem bei den miteinander erlebten Liebesfreuden auf schöne Weise treuen Herzen; Ihr stand es sehr gut, in den Chören den Fuß zu setzen, im Scherz zu wetteifern und die Arme auszustrecken4 beim Tanz mit den glänzenden Jungfrauen am heiligen Tag der vielverehrten Diana.

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CARMINVM LIBER II

num tu quae tenuit dives Achaemenes aut pinguis Phrygiae Mygdonias opes permutare velis crine Licymniae, plenas aut Arabum domos, cum flagrantia detorquet ad oscula cervicem aut facili saevitia negat quae poscente magis gaudeat eripi, interdum rapere occupet?

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XIII Ille et nefasto te posuit die, quicumque primum, et sacrilega manu produxit, arbos, in nepotum perniciem opprobriumque pagi, illum et parentis crediderim sui fregisse cervicem et penetralia sparsisse nocturno cruore hospitis, ille venena Colcha et quidquid usquam concipitur nefas tractavit, agro qui statuit meo te, triste lignum, te, caducum in domini caput immerentis. quid quisque vitet, numquam homini satis cautum est in horas. navita Bosphorum Poenus perhorrescit neque ultra caeca timet aliunde fata,

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Würdest du das, was der reiche Achämenes besaß, oder die mygdonischen Schätze des üppigen Phrygien gegen das Haar Likymnias eintauschen wollen oder die gut gefüllten Häuser der Araber, wenn sie zu glühenden Küssen den Nacken zurückbiegt oder diese mit gespielter Grausamkeit versagt, so dass sie es mehr genießt, wenn sie ihr geraubt werden, als wenn sie sie fordert, und sie manchmal bekommt, indem sie selbst sie zuerst raubt?

13 Jener, wer immer es war, pflanzte dich überhaupt erst an einem Unglückstag, und mit frevlerischer Hand zog er dich dann auf, Baum, zum Verderben seiner Nachkommen und zur Schande seines Dorfs, jener, so möchte ich glauben, brach seinem Vater das Genick und besprengte das Innere des Hauses mit nächtlichem Blut eines Gastes, jener hatte mit kolchischen Giften und jedem Frevel, den man sich jemals vorstellen kann, zu schaffen, der dich auf meinen Acker stellte, unheilvolles Holz, dich, das du auf das Haupt deines unschuldigen Herrn zu fallen bestimmt warst. Was jeder vermeiden soll, davor hat sich der Mensch niemals genügend gehütet von Stunde zu Stunde. Der punische Seefahrer schaudert vor dem Bosporus und fürchtet nicht darüber hinaus das anderswoher kommende unsichtbare Verderben,

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CARMINVM LIBER II

miles sagittas et celerem fugam Parthi, catenas Parthus et Italum robur; sed improvisa leti vis rapuit rapietque gentes.

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quam paene furvae regna Proserpinae et iudicantem vidimus Aeacum sedesque descriptas piorum et Aeoliis fidibus querentem Sappho puellis de popularibus, et te sonantem plenius aureo, Alcaee, plectro dura navis, dura fugae mala, dura belli. utrumque sacro digna silentio mirantur umbrae dicere, sed magis pugnas et exactos tyrannos densum umeris bibit aure vulgus. quid mirum, ubi illis carminibus stupens demittit atras belua centiceps aures et intorti capillis Eumenidum recreantur angues? quin et Prometheus et Pelopis parens dulci laborem decipitur sono nec curat Orion leones aut timidos agitare lyncas.

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BUCH 2 DER ODEN der Soldat1 die Pfeile und die schnelle Flucht des Parthers,2 der Parther die Ketten und die italische Manneskraft; doch unvorhergesehen hat die Macht des Todes die Völker hinweggerafft und wird sie hinwegraffen. Wie hätte ich doch beinahe das Reich der finsteren Proserpina und den richtenden Äakus erblickt und die den Frommen zugewiesenen Wohnsitze und Sappho auf der äolischen Lyra klagend3 über die Mädchen aus ihrem eigenen Volk und dich, noch voller tönend mit dem goldenen Plektrum, Alkäus, von den Härten zu Schiff, den elenden Härten der Verbannung, den Härten des Krieges. Wie beide singen, was wert ist heiligen Schweigens, bewundern die Schatten, doch lieber trinkt die Menge, Schulter an Schulter dicht gedrängt, Kämpfe und Vertreibung von Tyrannen mit dem Ohr. Was Wunder, wo doch über diese Lieder staunend das hundertköpfige Untier4 die schwarzen Ohren senkt und die in die Haare der Eumeniden eingedrehten Schlangen eine Ruhepause bekommen? Ja sogar Prometheus und der Vater des Pelops5 lassen sich durch den süßen Klang über ihre Pein hinwegtäuschen, und Orion bemüht sich nicht darum, Löwen oder scheue Luchse zu jagen.

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CARMINVM LIBER II XIV

Eheu fugaces, Postume, Postume, labuntur anni nec pietas moram rugis et instanti senectae afferet indomitaeque morti, non si trecenis quotquot eunt dies, amice, places illacrimabilem Plutona tauris, qui ter amplum Geryonen Tityonque tristi compescit unda, scilicet omnibus, quicumque terrae munere vescimur, enaviganda, sive reges sive inopes erimus coloni. frustra cruento Marte carebimus fractisque rauci fluctibus Hadriae, frustra per autumnos nocentem corporibus metuemus Austrum: visendus ater flumine languido Cocytos errans et Danai genus infame damnatusque longi Sisyphus Aeolides laboris. linquenda tellus et domus et placens uxor, neque harum quas colis arborum te praeter invisas cupressos ulla brevem dominum sequetur.

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BUCH 2 DER ODEN 14 Wehe, flüchtig, Postumus, Postumus, gleiten die Jahre dahin, auch Rechtschaffenheit hält die Runzeln und das drohende Greisenalter und den unbezwinglichen Tod nicht auf, auch nicht, wenn du, wie viele Tage auch immer vergehen, mit dreihundert Stieren, mein Freund, den tränenlosen Pluton besänftigen würdest, der den dreifach riesigen Geryones und den Tityos mit der finsteren Woge1 festhält, auf der wir ganz gewiss alle, wer immer wir sind, die wir uns durch die Gaben der Erde ernähren, fahren müssen, ob wir dann Könige oder arme Bauern sein werden. Vergeblich werden wir den blutigen Mars2 meiden und die sich brechenden Fluten der rauen Adria, vergeblich werden wir in jedem Herbst den Auster fürchten, der den Körpern schadet:3 Geschaut werden muss der schwarze Kokytos, der mit träger Strömung dahinwandert, und die ruchlose Brut des Danaus4 und der zu langer Pein verdammte Sisyphus, Sohn des Äolus. Verlassen werden müssen die Erde, das Haus und die geliebte Frau, und von diesen Bäumen, die du hegst, wird außer der verwünschten Zypresse5 keiner dir, der du nur kurz ihr Besitzer warst, folgen.

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CARMINVM LIBER II

absumet heres Caecuba degener servata centum clavibus et mero tinget pavimentum superbo, pontificum potiore cenis.

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XV Iam pauca aratro iugera regiae moles relinquent, undique latius extenta visentur Lucrino stagna lacu platanusque caelebs evincet ulmos. tum violaria et myrtus et omnis copia narium spargent olivetis odorem fertilibus domino priori, tum spissa ramis laurea fervidos excludet ictus. non ita Romuli praescriptum et intonsi Catonis auspiciis veterumque norma: privatus illis census erat brevis, commune magnum; nulla decempedis metata privatis opacam porticus excipiebat Arcton, nec fortuitum spernere caespitem leges sinebant oppida publico sumptu iubentes et deorum templa novo decorare saxo.

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BUCH 2 DER ODEN Ein unwürdiger Erbe wird die mit hundert Schlüsseln verwahrten Caecuberweine vergeuden und mit dem stolzen puren Wein, der besser ist als die Festessen der Priester,6 den Estrich benetzen.

15 Bald werden für Könige geeignete Bauten dem Pflug nur wenige Morgen Land übriglassen, von allen Seiten werden Teiche1, die sich weiter ausdehnen als der Lukrinersee, zu sehen sein, und die unfruchtbare Platane wird die Ulmen besiegen. Dann werden Veilchenbeete, Myrte und jede Art von Überfluss für die Nase ihren Duft über die Olivenhaine ausstreuen, die für ihren früheren Herrn noch fruchtbar waren, dann wird dichter Lorbeer mit seinen Zweigen die glühenden Sonnenstrahlen fernhalten. So ist es nicht die Vorschrift des Romulus und die Richtschnur unter den Auspizien des langhaarigen Cato und der Ahnen: Gering war ihr privater Besitz, das Gemeingut groß; keine mit zehn Fuß langen Stäben abgemessene Säulenhalle nahm für Privatleute das schattige Bärengestirn gefangen,2 und zufällig sich darbietende Grassoden3 zu verschmähen ließen die Gesetze nicht zu, die befahlen, nur Städte und die Tempel der Götter aus öffentlichen Mitteln mit frisch gehauenen Steinen zu schmücken.

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CARMINVM LIBER II XVI

Otium divos rogat in patenti prensus Aegaeo, simul atra nubes condidit lunam neque certa fulgent sidera nautis, otium bello furiosa Thrace, otium Medi pharetra decori, Grosphe, non gemmis neque purpura venale neque auro. non enim gazae neque consularis summovet lictor miseros tumultus mentis et curas laqueata circum tecta volantes. vivitur parvo bene, cui paternum splendet in mensa tenui salinum nec leves somnos timor aut cupido sordidus aufert. quid brevi fortes iaculamur aevo multa? quid terras alio calentes sole mutamus? patriae quis exul se quoque fugit? scandit aeratas vitiosa naves Cura nec turmas equitum relinquit, ocior cervis et agente nimbos ocior Euro.

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16 Ruhe erfleht von den Göttern, wer in der offenen Ägäis erfasst wurde, sobald die schwarze Wolke den Mond verborgen hat und den Seeleuten die sicheren Sterne nicht mehr leuchten, Ruhe das durch Krieg in Raserei versetzte Thrakien, Ruhe die mit dem Köcher geschmückten Meder, Grosphus, die weder für Juwelen noch für Purpur noch für Gold käuflich ist. Denn keine Schätze und nicht der Liktor des Konsuls entfernen die elende Unruhe der Seele und die Sorgen, die um die getäfelte Decke1 fliegen. Der lebt von Wenigem gut, dem das vom Vater ererbte Salzfass auf schmalem Tisch glänzt und nicht Angst oder schmutzige Begierde den sanften Schlummer rauben. Was werfen wir in unserem kurzen Leben kühn unsere Speere nach vielen Zielen? Was tauschen wir Länder ein, die von einer anderen Sonne glühen? Welcher aus der Heimat Verbannte ist auch sich selbst entkommen? Es steigt auf erzbeschlagene Schiffe die ungesunde Sorge und lässt die Reiterschwadronen nicht in Ruhe, schneller als Hirsche und schneller als der die Wolken vertreibende Eurus.

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CARMINVM LIBER II

laetus in praesens animus quod ultra est oderit curare et amara lento temperet risu: nihil est ab omni parte beatum. abstulit clarum cita mors Achillem, longa Tithonum minuit senectus, et mihi forsan, tibi quod negarit, porriget hora. te greges centum Siculaeque circum mugiunt vaccae, tibi tollit hinnitum apta quadrigis equa, te bis Afro murice tinctae vestiunt lanae; mihi parva rura et spiritum Graiae tenuem Camenae Parca non mendax dedit et malignum spernere vulgus.

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XVII Cur me querelis exanimas tuis? nec dis amicum est nec mihi te prius obire, Maecenas, mearum grande decus columenque rerum. a, te meae si partem animae rapit maturior vis, quid moror altera, nec carus aeque nec superstes integer? ille dies utramque

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BUCH 2 DER ODEN Froh über die Gegenwart soll der Sinn ablehnen, sich um das, was jenseits davon liegt, zu kümmern, und Bitteres durch gelassenes Lächeln mildern: Nichts ist in jeder Hinsicht glücklich. Den berühmten Achilles hat ein schneller Tod entrafft, ein langes Greisenalter lässt den Tithonus dahinschwinden, und was sie dir versagt, wird mir vielleicht die Stunde gewähren. Um dich herum muhen hundert Herden und sizilische Kühe, dir wiehert die Stute zu, die für Viergespanne geeignet ist, dich kleiden zweimal mit afrikanischem Purpur gefärbte Wollgewänder; mir hat ein kleines Stück Land und den zarten Hauch der griechischen Camene die niemals lügende Parze gegeben, und das missgünstige Volk zu verachten.

17 Warum bringst du mich um mit deinen Klagen? Weder den Göttern noch mir ist es lieb, dass du eher stirbst, Maecenas, du erhabene Zier und Stütze meines Daseins. Ach, wenn dich, die eine Hälfte meiner Seele, zu früh eine Macht dahinrafft, was zaudere ich dann, ich, die andere, weder irgendjemandem gleich teuer noch, falls ich überlebe, mein ganzes Selbst? Jener Tag wird uns beiden

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CARMINVM LIBER II

ducet ruinam. non ego perfidum dixi sacramentum: ibimus, ibimus, utcumque praecedes, supremum carpere iter comites parati. me nec Chimaerae spiritus igneae nec, si resurgat centimanus Gyges, divellet umquam: sic potenti Iustitiae placitumque Parcis. seu Libra seu me Scorpios aspicit formidolosus, pars violentior natalis horae, seu tyrannus Hesperiae Capricornus undae,

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utrumque nostrum incredibili modo consentit astrum; te Iovis impio tutela Saturno refulgens eripuit volucresque Fati tardavit alas, cum populus frequens laetum theatris ter crepuit sonum; me truncus illapsus cerebro sustulerat, nisi Faunus ictum dextra levasset, Mercurialium custos virorum. reddere victimas aedemque votivam memento; nos humilem feriemus agnam.

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BUCH 2 DER ODEN den Untergang bringen. Ich habe keinen treulosen Eid geschworen: Wir werden gehen, gehen, wann immer du vorausgehst, bereit, als Gefährten den letzten Weg zurückzulegen. Mich wird weder der Hauch der feuerspeienden Chimära noch der hundertarmige Gyges, falls er sich wieder erheben würde, jemals wegreißen: So haben es die mächtige Justitia und die Parzen beschlossen. Ob die Waage mich anblickt oder der schreckenerregende Skorpion, der gewalttätigere Teil meiner Geburtsstunde, oder der Steinbock, der Herrscher über die hesperische Woge1, unser beider Gestirne stimmen auf unglaubliche Weise überein; dich hat Juppiters strahlender Schutz dem ruchlosen Saturn entrissen, und er hat die rasch sich bewegenden Flügel des Todes gehemmt, als die Volksmenge im Theater mit dreimaligem Applaus freudig ertönte;2 mich hätte der Baumstamm, der mir auf den Schädel fiel, umgebracht,3 wenn nicht Faunus den Schlag mit der Rechten abgeschwächt hätte, der Beschützer der Männer, die zu Merkur gehören.4 Denke du daran, Opfertiere und den Votivtempel zu stiften; ich werde ein bescheidenes Lamm schlachten.

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CARMINVM LIBER II XVIII

Non ebur neque aureum mea renidet in domo lacunar; non trabes Hymettiae premunt columnas ultima recisas Africa, neque Attali ignotus heres regiam occupavi nec Laconicas mihi trahunt honestae purpuras clientae. at fides et ingeni benigna vena est pauperemque dives me petit; nihil supra deos lacesso nec potentem amicum largiora flagito, satis beatus unicis Sabinis. truditur dies die novaeque pergunt interire lunae; tu secanda marmora locas sub ipsum funus et sepulcri immemor struis domos marisque Bais obstrepentis urges submovere litora, parum locuples continente ripa. quid quod usque proximos revellis agri terminos et ultra

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BUCH 2 DER ODEN 18 Kein Elfenbein, keine goldene Zimmerdecke glänzt in meinem Haus, keine Balken1 vom Hymettus lasten auf Säulen, die im fernsten Afrika2 gebrochen wurden, ich habe nicht als unbekannter Erbe des Attalus seinen Königspalast übernommen, und keine vornehmen Klientinnen schleppen für mich lakonische Purpurgewänder. Aber mir eignet Treue und eine an Talent reiche Ader, und mich, den Armen, sucht der Reiche auf; keineswegs provoziere ich darüber hinaus die Götter,3 und von meinem mächtigen Freund4 verlange ich nichts Größeres, reich beglückt durch das einzigartige Sabinum. Ein Tag wird vom anderen verdrängt, und neue Monde gehen weiterhin unter; du machst einen Vertrag über das Brechen von Marmor kurz vor deiner Bestattung, und ohne an dein Grabmal zu denken, errichtest du Häuser und drängst darauf, den Strand des Meers, das gegen Baiae braust, hinauszuschieben, zu wenig reich an Land mit angrenzender Küste. Was soll es, dass du ständig die Grenzsteine des Nachbarlandes herausreißt und über

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CARMINVM LIBER II

limites clientium salis avarus? pellitur paternos in sinu ferens deos et uxor et vir sordidosque natos. nulla certior tamen rapacis Orci fine destinata aula divitem manet erum. quid ultra tendis? aequa tellus pauperi recluditur regumque pueris, nec satelles Orci callidum Promethea revexit auro captus. hic superbum Tantalum atque Tantali genus coercet, hic levare functum pauperem laboribus vocatus atque non vocatus audit.

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XIX Bacchum in remotis carmina rupibus vidi docentem, credite posteri, Nymphasque discentes et aures capripedum Satyrorum acutas. euhoe, recenti mens trepidat metu plenoque Bacchi pectore turbidum laetatur, euhoe, parce Liber, parce, gravi metuende thyrso.

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BUCH 2 DER ODEN die Grenzen deiner Klienten springst in deiner Habgier? Vertrieben werden, die Götter der Väter und die schmutzigen Kinder an der Brust tragend, die Frau und ihr Mann. Kein Palast jedoch erwartet mit größerer Sicherheit den reichen Herrn als der, welcher als das Ende durch den raffgierigen Orkus festgesetzt ist. Was strengst du dich darüber hinaus an? Gleichermaßen erschließt sich die Erde dem Armen und den Söhnen von Königen, und der Begleiter5 des Orkus hat den schlauen Prometheus nicht durch Gold bestochen zurückgeführt. Dieser hält den stolzen Tantalus und die Nachkommenschaft des Tantalus6 gefangen, dieser ist bereit, dem Armen, der am Ende mit seiner Plackerei ist, Erleichterung zu bringen, gerufen und nicht gerufen.

19 Bacchus, wie er auf fernen Felsen Lieder lehrte, sah ich, glaubt es, ihr Späteren, und Nymphen, wie sie lernten, und die gespitzten Ohren der ziegenfüßigen Satyrn. Euhoe, in frischer Angst bebt mein Geist, und in der von Bacchus vollen Brust freut er sich verwirrt, euhoe, schone, Liber, schone mich, du mit deinem schweren Thyrsus zu Fürchtender.

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CARMINVM LIBER II

fas pervicaces est mihi Thyiadas vinique fontem lactis et uberes cantare rivos atque truncis lapsa cavis iterare mella, fas et beatae coniugis additum stellis honorem tectaque Penthei disiecta non leni ruina Thracis et exitium Lycurgi. tu flectis amnes, tu mare barbarum, tu separatis uvidus in iugis nodo coerces viperino Bistonidum sine fraude crines.

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tu, cum parentis regna per arduum cohors Gigantum scanderet impia, Rhoetum retorsisti leonis unguibus horribilisque mala; quamquam, choreis aptior et iocis ludoque dictus, non sat idoneus pugnae ferebaris; sed idem pacis eras mediusque belli. te vidit insons Cerberus aureo cornu decorum leniter atterens cauda et recedentis trilingui ore pedes tetigitque crura.

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BUCH 2 DER ODEN Ich darf von den ausdauernden Thyiaden, der Quelle des Weins und den von Milch üppigen Bächen singen und vom Honig, der aus den hohlen Baumstämmen fließt, immer wieder künden. Ich darf vom Ehrenschmuck der glücklichen Braut singen, der den Sternen hinzugefügt ist,1 und vom Haus des Pentheus, das in nicht sanftem Einsturz zerschmettert wurde, und von dem Ende des Thrakers Lykurgus. Du lenkst Ströme, du das wilde Meer in andere Bahn, du bändigst vom Wein berauscht auf fernen Berggipfeln mit einem Band, das Schlangen bilden, das Haar der Bistoniden, ohne ihnen zu schaden. Du hast, als zum Reich des Vaters2 über die steile Höhe die ruchlose Schar der Giganten aufstieg,3 Rhötus mit den Krallen eines Löwen und schrecklich mit deinem Rachen4 hinabgeschleudert, obwohl man sagte, du seist für Tänze, Scherze und Spiel geeigneter, und es immer hieß, du seist nicht genügend fähig zum Kampf; aber du warst derselbe mitten im Frieden und im Krieg. Dich sah, ohne dir etwas zu tun, Kerberus, im Schmuck deines goldenen Horns5, rieb sich sanft an dir mit dem Schweif und berührte, als du zurückgingst, mit dreizüngigem Maul Füße und Schenkel.

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CARMINVM LIBER II XX

Non usitata nec tenui ferar pinna biformis per liquidum aethera vates neque in terris morabor longius invidiaque maior urbes relinquam. non ego, pauperum sanguis parentum, non ego quem vocas, dilecte Maecenas, obibo nec Stygia cohibebor unda. iam iam residunt cruribus asperae pelles et album mutor in alitem superne nascunturque leves per digitos umerosque plumae. iam Daedaleo notior Icaro visam gementis litora Bosphori Syrtesque Gaetulas canorus ales Hyperboreosque campos. me Colchus et qui dissimulat metum Marsae cohortis Dacus et ultimi noscent Geloni, me peritus discet Hiber Rhodanique potor. absint inani funere neniae luctusque turpes et querimoniae; compesce clamorem ac sepulcri mitte supervacuos honores.

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BUCH 2 DER ODEN 20 Auf nicht gewöhnlichen und nicht schwachen Schwingen werde ich durch den klaren Äther getragen werden als Dichter in zweifacher Gestalt1, und auf Erden werde ich nicht länger weilen, und, über den Neid erhaben, werde ich die Städte hinter mir zurücklassen. Ich, Blut armer Eltern, werde nicht, ich, den du rufen lässt, geliebter Maecenas, werde nicht sterben, nicht von der stygischen Woge festgehalten werden. Schon, ja schon schrumpfen Hautflächen auf meinen Beinen und werden rau, und ich verwandle mich in einen weißen Vogel, und oben wachsen glatte Federn über Finger und Schultern. Schon berühmter als der Ikarus des Dädalus werde ich die Küsten des brüllenden Bosporus2 besuchen, die gätulischen Syrten und die hyperborëischen Felder als singender Vogel. Mich werden der Kolcher und der Daker, der vorgibt, er habe keine Furcht vor der marsischen Kohorte, und die fernen Gelonen kennenlernen, mich werden der kundige Hiberer und der, der aus dem Rhodanus trinkt, zu verstehen lernen. Fern seien bei meiner sinnlosen Bestattung Totenklagen, hässliches Trauern und Gejammer; hemme das Schreien3 und lass die überflüssigen Ehrungen des Grabmals.

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CARMINVM LIBER III I Odi profanum vulgus et arceo. favete linguis: carmina non prius audita Musarum sacerdos virginibus puerisque canto. regum timendorum in proprios greges, reges in ipsos imperium est Iovis, clari Giganteo triumpho, cuncta supercilio moventis. est ut viro vir latius ordinet arbusta sulcis, hic generosior descendat in Campum petitor, moribus hic meliorque fama contendat, illi turba clientium sit maior: aequa lege Necessitas sortitur insignes et imos, omne capax movet urna nomen. destrictus ensis cui super impia cervice pendet, non Siculae dapes dulcem elaborabunt saporem, non avium citharaeque cantus

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Buch 3 der Oden 1 Zuwider ist mir das ungeweihte Volk, und ich halte es fern. Hütet eure Zungen: Lieder, die nie zuvor gehört wurden,1 singe ich, der Priester der Musen, für junge Frauen und junge Männer. Könige, die zu fürchten sind, herrschen über die eigenen Herden, über die Könige selbst Juppiter, der berühmt ist durch den Triumph über die Giganten2 und das All mit seiner Augenbraue bewegt. Mag ein Mann auf einer weiteren Fläche als ein anderer Bäume in Furchen anordnen, mag dieser edler geboren als Bewerber zum Marsfeld hinabgehen,3 ein anderer an Sitten und Ansehen besser den Wettstreit führen, jener eine größere Schar von Klienten4 haben: Nach gleichem Gesetz lost die Notwendigkeit5 die Ausgezeichneten und die Niedersten aus, jeden Namen fasst und schüttelt die Urne. Wem über dem ruchlosen Nacken das gezückte Schwert hängt, dem werden sizilische Bankette6 keinen angenehmen Geschmack erwirken, werden die Musik der Vögel und der Kithara

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CARMINVM LIBER III

somnum reducent: somnus agrestium lenis virorum non humiles domos fastidit umbrosamque ripam, non Zephyris agitata tempe. desiderantem quod satis est neque tumultuosum sollicitat mare nec saevus Arcturi cadentis impetus aut orientis Haedi, non verberatae grandine vineae fundusque mendax, arbore nunc aquas culpante, nunc torrentia agros sidera, nunc hiemes iniquas. contracta pisces aequora sentiunt iactis in altum molibus: huc frequens caementa demittit redemptor cum famulis dominusque terrae fastidiosus; sed Timor et Minae scandunt eodem quo dominus, neque decedit aerata triremi et post equitem sedet atra Cura.

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quodsi dolentem nec Phrygius lapis nec purpurarum Sidone clarior delenit usus nec Falerna vitis Achaemeniumque costum, cur invidendis postibus et novo sublime ritu moliar atrium?

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BUCH 3 DER ODEN den Schlaf nicht zurückbringen: Der sanfte Schlaf der Landleute verschmäht nicht niedere Häuser und ein schattiges Tal, nicht das von Zephyrn bewegte Waldtal. Den, der sich wünscht, was genug ist, ängstigen weder das unruhige Meer noch der grimmige Angriff des fallenden Arkturus noch des aufgehenden Haedus, nicht die vom Hagel gepeitschten Weingärten und der trügerische Boden, wobei der Baum jetzt dem Regen die Schuld gibt, jetzt den die Äcker ausdörrenden Gestirnen, jetzt den ungünstigen Wintern. Die Fische spüren, dass das Meer durch die Dämme, die bis in die hohe See getrieben werden, eingeengt ist: Hier versenkt ständig der Unternehmer Bausteine mit seinen Sklaven und der des Landes überdrüssige Bauherr; aber Angst und Drohungen gehen ebendorthin, wohin der Bauherr geht, und es weicht nicht von der erzbeschlagenen Trireme und sitzt hinter dem Reiter die schwarze Sorge. Wenn aber dem, der Schmerzen hat, weder der phrygische Stein7 noch das Tragen von Purpur, der heller ist als sidonischer, Linderung bringt noch die falernische Rebe noch achämenische Salbe, warum soll ich mit neiderregenden Türpfosten und in neuem Stil ein hohes Atrium bauen?

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CARMINVM LIBER III

cur valle permutem Sabina divitias operosiores?

II Angustam amice pauperiem pati robustus acri militia puer condiscat et Parthos feroces vexet eques metuendus hasta vitamque sub divo et trepidis agat in rebus. illum ex moenibus hosticis matrona bellantis tyranni prospiciens et adulta virgo suspiret, eheu, ne rudis agminum sponsus lacessat regius asperum tactu leonem, quem cruenta per medias rapit ira caedes. dulce et decorum est pro patria mori: mors et fugacem persequitur virum nec parcit imbellis iuventae poplitibus timidove tergo. virtus repulsae nescia sordidae intaminatis fulget honoribus nec sumit aut ponit secures arbitrio popularis aurae:

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BUCH 3 DER ODEN

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Warum soll ich gegen das Sabinertal8 Reichtum eintauschen, der mehr Mühe macht?

2 Beengende Armut freudig zu ertragen soll ein vom harten Kriegsdienst kräftiger junger Mann lernen, und er soll die wilden Parther als Reiter bedrängen, zu fürchten wegen seiner Lanze, und sein Leben unter freiem Himmel in aufregenden Situationen verbringen. Ihn sollen von den feindlichen Mauern aus die Frau des Krieg führenden Herrschers und die erwachsene Jungfrau sehen, und diese soll seufzen, wehe, in ihrer Angst, ihr inmitten der Heerscharen unerfahrener Verlobter, ein Königssohn, könnte den durch Berührung wilden Löwen reizen, den sein blutrünstiger Zorn mitten durch das Gemetzel reißt. Süß und ehrenvoll ist es, für das Vaterland zu sterben: Der Tod erreicht auch den flüchtigen Mann und schont nicht die Kniekehlen und den ängstlichen Rücken feiger junger Männer. Mannhaftigkeit, die nichts von schimpflicher Abweisung1 weiß, strahlt in unbefleckten Ehren, und weder nimmt sie die Beile oder legt sie nieder2 nach dem Willen der Volksgunst;

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CARMINVM LIBER III

virtus recludens immerites mori caelum negata temptat iter via coetusque vulgares et udam spernit humum fugiente pinna. est et fideli tuta silentio merces: vetabo, qui Cereris sacrum vulgarit arcanae, sub isdem sit trabibus fragilemque mecum solvat phaselon: saepe Diespiter neglectus incesto addidit integrum; raro antecedentem scelestum deseruit pede Poena claudo.

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III Iustum et tenacem propositi virum non civium ardor prava iubentium, non vultus instantis tyranni mente quatit solida neque Auster, dux inquieti turbidus Hadriae, nec fulminantis magna manus Iovis: si fractus illabatur orbis, impavidum ferient ruinae. hac arte Pollux et vagus Hercules enisus arces attigit igneas, quos inter Augustus recumbens purpureo bibet ore nectar,

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BUCH 3 DER ODEN

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Mannhaftigkeit schließt denen, die den Tod nicht verdienen, den Himmel auf, wagt auf einem Weg zu gehen, der anderen versagt ist, und verlässt voll Verachtung Versammlungen des Pöbels und den feuchten Erdboden auf entschwindenden Flügeln. Es gibt auch für treue Verschwiegenheit einen sicheren Lohn: Ich werde verbieten, dass, wer das Heilige der geheimnisvollen Ceres3 verraten hat, unter demselben Dachgebälk mit mir wohnt und das zerbrechliche Boot losbindet: Oft hat Diespiter, wenn er missachtet wurde, den Unschuldigen zum Unreinen gesellt; selten hat die Strafe4 vom vorauseilenden Frevler abgelassen, obwohl ihr Fuß hinkt.

3 Den gerechten, an seinem Vorsatz festhaltenden Mann1 erschüttert nicht das Aufbrausen der Bürger, die Verkehrtes befehlen, nicht die Miene eines drohenden Herrschers in seinem festen Sinn, auch nicht der Auster, der stürmische Gebieter der ruhelosen Adria, nicht die große Hand des blitzenden Juppiter: Falls das Himmelsrund zerbricht und einstürzt, werden ihn, ohne dass er sich fürchtet, die Trümmer treffen. Aufgrund dieser Fähigkeit haben Pollux und der umherstreifende Herkules emporgestrebt und die Burgen im Äther erreicht, unter denen Augustus2 am Tisch liegen und mit purpurrotem Mund Nektar trinken wird,

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CARMINVM LIBER III

hac te merentem, Bacche pater, tuae vexere tigres indocili iugum collo trahentes, hac Quirinus Martis equis Acheronta fugit, gratum elocuta consiliantibus Iunone divis: ‘Ilion, Ilion fatalis incestusque iudex et mulier peregrina vertit

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in pulverem, ex quo destituit deos mercede pacta Laomedon, mihi castaeque damnatam Minervae cum populo et duce fraudulento. iam nec Lacaenae splendet adulterae famosus hospes nec Priami domus periura pugnaces Achivos Hectoreis opibus refringit, nostrisque ductum seditionibus bellum resedit: protinus et graves iras et invisum nepotem, Troica quem peperit sacerdos, Marti redonabo. illum ego lucidas inire sedes, discere nectaris sucos et ascribi quietis ordinibus patiar deorum. dum longus inter saeviat Ilion Romamque pontus, qualibet exules

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BUCH 3 DER ODEN

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aufgrund dieser Fähigkeit haben dich, Vater Bacchus, der du es verdienst, deine Tiger hinaufgeführt, das Joch mit ungelehrigem Hals schleppend, aufgrund von ihr ist Quirinus auf den Pferden des Mars dem Acheron entgangen, als Juno den Göttern, die über das Willkommene3 berieten, ihre Meinung sagte: »Ilion, Ilion haben der verderbenbringende und unreine Schiedsrichter4 und die fremde Frau5 in Staub verwandelt, das, seit Laomedon die Götter um den vereinbarten Lohn betrogen hatte, von mir und der keuschen Minerva verdammt wurde mit seinem Volk und seinem betrügerischen Gebieter.6 Jetzt strahlt der verrufene Gast nicht mehr für die lakonische Ehebrecherin, das meineidige Haus des Priamus bricht nicht mehr den kampflustigen Achivern mit Hilfe Hektors die Kraft, und der durch unsere Streitigkeiten hingezogene Krieg ist zur Ruhe gekommen: Sogleich will ich den schweren Zorn und den Anspruch auf den verhassten Enkel, den die trojanische Priesterin gebar,7 zugunsten von Mars aufgeben. Dass er in die lichten Wohnsitze eingeht, den Saft des Nektars kennenlernt und den friedlichen Reihen der Götter zugezählt wird, werde ich dulden. Solange zwischen Ilion und Rom das weite Meer tobt, sollen die Flüchtlinge8,

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CARMINVM LIBER III

in parte regnanto beati; dum Priami Paridisque busto

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insultet armentum et catulos ferae celent inultae, stet Capitolium fulgens triumphatisque possit Roma ferox dare iura Medis. horrenda late nomen in ultimas extendat oras, qua medius liquor secernit Europen ab Afro, qua tumidus rigat arva Nilus, aurum irrepertum et sic melius situm, cum terra celat, spernere fortior quam cogere humanos in usus omne sacrum rapiente dextra. quicumque mundi terminus obstitit, hunc tangat armis, visere gestiens, qua parte debacchentur ignes, qua nebulae pluviique rores. sed bellicosis fata Quiritibus hac lege dico, ne nimium pii rebusque fidentes avitae tecta velint reparare Troiae. Troiae renascens alite lugubri fortuna tristi clade iterabitur ducente victrices catervas coniuge me Iovis et sorore.

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BUCH 3 DER ODEN wo immer es ihnen gefällt, glücklich herrschen; solange auf der Grabstätte des Priamus und des Paris das Vieh herumspringt und wilde Tiere ihre Jungen ungestraft verstecken, soll das Kapitol im Glanz stehen und das wilde Rom den besiegten Medern Gesetze geben können. Weithin zu fürchten soll es seinen Namen zu den fernsten Küsten ausbreiten, wo die See dazwischen9 Europa vom Afrer trennt, wo der angeschwollene Nil die Fluren bewässert, tapferer darin, ungefundenes und so besser liegendes Gold, wenn die Erde es verbirgt, zu verschmähen, als darin, es zum menschlichen Gebrauch zu zwingen mit einer Rechten, die alles Heilige raubt. Welche Grenze der Welt auch immer ein Hindernis ist, die soll es mit seinen Waffen erreichen, zu sehen begehrend, in welcher Gegend Hitzewellen toben, in welcher Wolken und Regengüsse. Doch den kriegerischen Quiriten künde ich ihr Schicksal nur unter dieser Bedingung, dass sie nicht allzu treu und im Vertrauen auf ihr Glück die Häuser ihres von den Vätern ererbten Troja wiederaufzubauen wünschen. Wenn Trojas Geschick unter düsterem Vorzeichen neu geboren wird, wird es sich mit einer traurigen Katastrophe wiederholen, wobei ich die siegreichen Scharen anführen werde, ich, Juppiters Gattin und Schwester.

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CARMINVM LIBER III

ter si resurgat murus aeneus auctore Phoebo, ter pereat meis excisus Argivis, ter uxor capta virum puerosque ploret.’ non hoc iocosae conveniet lyrae. quo, Musa, tendis? desine pervicax referre sermones deorum et magna modis tenuare parvis.

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IV Descende caelo et dic age tibia regina longum Calliope melos, si voce nunc mavis acuta, seu fidibus citharaque Phoebi. auditis? an me ludit amabilis insania? audire et videor pios errare per lucos, amoenae quos et aquae subeunt et aurae. me fabulosae Volture in Apulo nutricis extra limina pergulae ludo fatigatumque somno fronde nova puerum palumbes texere, mirum quod foret omnibus quicumque celsae nidum Acherontiae saltusque Bantinos et arvum pingue tenent humilis Forenti,

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BUCH 3 DER ODEN Auch wenn dreimal die eherne Mauer wiedererstehen sollte nach Apollos Willen, soll sie dreimal untergehen, von meinen Argivern zerstört, soll dreimal die Frau als Gefangene um ihren Mann und ihre Söhne weinen.« Doch dies wird nicht zur neckischen Lyra passen. Wo, Muse, lenkst du hin? Hör auf, hartnäckig von den Reden der Götter zu berichten und Großes klein zu machen durch wenig anspruchsvolle Weisen.

4 Steig vom Himmel herab und wohlan, singe zur Flöte, Königin Kalliope, ein langes Lied, wenn du es jetzt lieber zu dem hellen Klang1 willst, oder zu den Saiten und der Kithara des Phöbus. Hört ihr? Oder täuscht mir ein angenehmer Wahn etwas vor? Ich glaube zu hören und durch fromme Haine zu streifen, die liebliche Wasser und Lüfte durchziehen. Mich haben auf dem apulischen Voltur fern von der Schwelle der kleinen Hütte meiner Amme, als ich, das Kind, von Spiel und Schlaf ermattet war, mit jungem Laub Tauben, von denen die Legende erzählt, bedeckt, was allen als Wunder gelten würde, die das Nest des hohen Acherontia, die Bergwälder von Bantia und die fette Flur des niedrig gelegenen Forentum bewohnen,

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CARMINVM LIBER III

ut tuto ab atris corpore viperis dormirem et ursis, ut premerer sacra lauroque collataque myrto, non sine dis animosus infans.

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vester, Camenae, vester in arduos tollor Sabinos, seu mihi frigidum Praeneste seu Tibur supinum seu liquidae placuere Baiae. vestris amicum fontibus et choris non me Philippis versa acies retro, devota non extinxit arbor nec Sicula Palinurus unda. utcumque mecum vos eritis, libens insanientem navita Bosphorum temptabo et urentes harenas litoris Assyrii viator, visam Britannos hospitibus feros et laetum equino sanguine Concanum, visam pharetratos Gelonos et Scythicum inviolatus amnem. vos Caesarem altum, militia simul fessas cohortes abdidit oppidis, finire quaerentem labores Pierio recreatis antro; vos lene consilium et datis et dato gaudetis, almae. scimus ut impios

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BUCH 3 DER ODEN wie ich mit vor schwarzen Schlangen und Bären sicherem Leib schlief, wie ich von heiligem Lorbeer und heiliger Myrte, die zusammengetragen waren, ganz überdeckt wurde, nicht ohne Hilfe der Götter, ein beherztes Kind. Als der Eure, Camenen, als der Eure erhebe ich mich hoch ins Sabinerland2 oder sei es, dass mir das kühle Praeneste oder Tibur, das nach hinten abschüssig ist, oder Baiae mit seinem klaren Wasser gefallen hat. Da ich euren Quellen und Chören willkommen bin, hat mich nicht bei Philippi das rückwärtsgewandte Heer, nicht der den Unterirdischen geweihte Baum ausgelöscht3 und nicht Palinurus im Sizilischen Meer.4 Wann immer ihr bei mir sein werdet, will ich es gern mit dem tobenden Bosporus als Seemann wagen und mit dem brennenden Sand des assyrischen Strandes als Wanderer, will ich die Fremden gegenüber grausamen Britannier aufsuchen und den sich an Pferdeblut erfreuenden Konkaner, will ich die köchertragenden Gelonen aufsuchen und unverletzt den skythischen Strom.5 Ihr erquickt den erhabenen Caesar, sobald er die vom Kriegsdienst erschöpften Kohorten in den Landstädten untergebracht hat und die Mühen zu beenden sucht, in der pierischen Grotte6; ihr gebt milden Rat, und wenn ihr ihn gegeben habt, freut ihr euch, ihr Segenspendenden. Wir wissen, wie die ruchlosen

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CARMINVM LIBER III

Titanas immanemque turmam fulmine sustulerit caduco, qui terram inertem, qui mare temperat ventosum et umbras regnaque tristia, divosque mortalesque turbas imperio regit unus aequo. magnum illa terrorem intulerat Iovi fidens iuventus horrida bracchiis fratresque tendentes opaco Pelion imposuisse Olympo. sed quid Typhoeus et validus Mimas aut quid minaci Porphyrion statu, quid Rhoetus evolsisque truncis Enceladus iaculator audax contra sonantem Palladis aegida possent ruentes? hinc avidus stetit Vulcanus, hinc matrona Iuno et numquam umeris positurus arcum,

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qui rore puro Castaliae lavit crines solutos, qui Lyciae tenet dumeta natalemque silvam, Delius et Patareus Apollo. vis consili expers mole ruit sua, vim temperatam di quoque provehunt in maius, idem odere vires omne nefas animo moventes.

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BUCH 3 DER ODEN Titanen und die riesige Truppe mit niederfahrendem Blitz vernichtet hat er, der die träge Erde, der das stürmische Meer besänftigt und die Schatten und das finstere Reich7, und Scharen von Göttern und Sterblichen in gerechter Herrschaft als Einziger lenkt. Großen Schrecken hatten dem Juppiter eingejagt jene schreckliche junge Schar, die auf ihre Arme vertraute, und die Brüder8, die sich bemühten, auf den schattigen Olymp den Pelion zu türmen. Doch was hätten Typhoeus und der starke Mimas oder was Porphyrion in bedrohlicher Haltung, was Rhötus und Enkeladus, mit ausgerissenen Baumstämmen ein vermessener Schleuderer, gegen die dröhnende Ägis der Pallas im Ansturm ausrichten können? Dort stand der gierige9 Vulkan, dort die Ehegattin Juno und er, der niemals den Bogen von den Schultern ablegen wird, der im reinen Tau der Kastalia seine gelösten Haare wäscht, der das Dickicht Lykiens und den Hain, in dem er geboren ist,10 bewohnt, der Delier und Patarëer Apollo. Kraft ohne weises Urteil stürzt durch ihre eigene Wucht, gezügelte Kraft führen auch die Götter zu Höherem, und sie auch hassen Kräfte, die jede Art von Frevel in Erwägung ziehen.

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testis mearum centimanus Gyges sententiarum, notus et integrae temptator Orion Dianae, virginea domitus sagitta. iniecta monstris Terra dolet suis maeretque partus fulmine luridum missos ad Orcum; nec peredit impositam celer ignis Aetnen incontinentis nec Tityi iecur reliquit ales, nequitiae additus custos; amatorem trecentae Pirithoum cohibent catenae.

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V Caelo Tonantem credidimus Iovem regnare: praesens divus habebitur Augustus adiectis Britannis imperio gravibusque Persis. milesne Crassi coniuge barbara turpis maritus vixit et hostium – pro curia inversique mores! – consenuit socerorum in armis, sub rege Medo Marsus et Apulus anciliorum et nominis et togae oblitus aeternaeque Vestae, incolumi Iove et urbe Roma?

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Zeuge für meine Aphorismen11 ist der hundertarmige Gyges, auch der berüchtigte Orion, der die unberührte Diana zu vergewaltigen versuchte und vom Pfeil der Jungfrau bezwungen wurde. Weil sie auf ihre Monster geworfen ist, leidet die Erde12 und trauert um ihre Leibesfrucht, die vom Blitz zum fahlen Orkus gesandt wurde; es hat nicht den auf ihr liegenden Ätna das schnelle Feuer verzehrt noch von der Leber13 des unbeherrschten Tityos der Vogel abgelassen, seiner Verruchtheit als Wächter beigegeben; den Lüstling Pirithous halten dreihundert14 Ketten gefangen.

5 Im Himmel herrscht der Donnerer Juppiter, so glauben wir: Für einen hilfreich gegenwärtigen Gott wird Augustus von uns gehalten werden, wenn die Britannier dem Reich angegliedert sind und die gefährlichen Perser. Konnten die Soldaten des Crassus mit barbarischen Ehefrauen als schändliche Ehegatten leben, konnten sie – o Kurie1, o entartete Sitten! – alt werden in den Waffen ihrer Schwiegerväter, der Feinde, und konnten unter der Königsherrschaft des Meders Marser und Apuler die heiligen Schilde2, ihren Namen3, ihre Toga und die ewige Vesta vergessen, obwohl Juppiter4 und die Stadt Rom unversehrt sind?

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CARMINVM LIBER III

hoc caverat mens provida Reguli dissentientis condicionibus foedis et exemplo trahenti perniciem veniens in aevum, si non periret immiserabilis captiva pubes: ‘signa ego Punicis affixa delubris et arma militibus sine caede’ dixit

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‘derepta vidi, vidi ego civium retorta tergo bracchia libero portasque non clausas et arva Marte coli populata nostro. auro repensus scilicet acrior miles redibit: flagitio additis damnum. neque amissos colores lana refert medicata fuco nec vera virtus, cum semel excidit, curat reponi deterioribus; si pugnat extricata densis cerva plagis, erit ille fortis, qui perfidis se credidit hostibus, et Marte Poenos proteret altero, qui lora restrictis lacertis sensit iners timuitque mortem, nunc unde vitam sumeret inscius, pacem duello miscuit. o pudor!

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BUCH 3 DER ODEN Dem hatte der vorausschauende Geist des Regulus vorgebeugt, als er Bedingungen nicht zustimmte, die schimpflich waren und ein Beispiel, das Verderben für künftige Zeiten mit sich bringen würde, wenn gefangen genommene junge Männer nicht unbemitleidet umkämen: »Feldzeichen, an punischen Heiligtümern aufgehängt, und Waffen, Soldaten ohne Blutvergießen entrissen«, sagte er, »sah ich, sah die Arme von Bürgern auf den freien Rücken zurückgedreht, unverschlossene Stadttore und dass Felder bestellt wurden5, die von unserem Mars verwüstet worden waren. Mit Gold zurückgekauft wird der Soldat natürlich feuriger zurückkehren: Der Schande fügt ihr noch Verlust hinzu. Ihre verlorenen Farben wird die Wolle nicht zurückbringen, wenn sie rot gefärbt ist, und wahre Mannhaftigkeit möchte, wenn sie einmal dahin ist, Schlechteren nicht wiederhergestellt werden; wenn eine Hirschkuh kämpft, nachdem sie sich aus einem dichten Netz herausgewunden hat, wird der tapfer sein, der sich treulosen Feinden auf Gnade ergeben hat, und mit einem anderen Mars wird der die Punier niedertreten, der tatenlos mit zurückgebundenen Armen Riemen verspürt und den Tod gefürchtet hat, jetzt, weil er nicht wusste, wie er sein Leben behalten könne, Frieden mit Krieg vermengt hat. O die Schande!

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CARMINVM LIBER III o magna Karthago probrosis altior Italiae ruinis!’

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fertur pudicae coniugis osculum parvosque natos ut capitis minor ab se removisse et virilem torvus humi posuisse vultum, donec labantes consilio patres firmaret auctor numquam alias dato interque maerentes amicos egregius properaret exul. atqui sciebat quae sibi barbarus tortor pararet; non aliter tamen dimovit obstantes propinquos et populum reditus morantem, quam si clientum longa negotia diiudicata lite relinqueret tendens Venafranos in agros aut Lacedaemonium Tarentum.

VI Delicta maiorum immeritus lues, Romane, donec templa refeceris aedesque labentes deorum et foeda nigro simulacra fumo.

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BUCH 3 DER ODEN O großes Karthago, erhabener durch den schändlichen Zusammenbruch Italiens!« Man erzählt, den Kuss der sittsamen Gattin und die kleinen Kinder habe er, da ihm die Bürgerrechte vermindert waren, von sich entfernen lassen und sein mannhaftes Gesicht finster zu Boden gesenkt, bis er die schwankenden Väter6 durch einen Rat, wie er sonst nie gegeben worden war, als Autorität gefestigt habe und aus der Mitte der trauernden Freunde fortgedrängt habe als ein außergewöhnlicher Verbannter. Und doch wusste er, was der barbarische Folterknecht für ihn vorbereitete; dennoch schob er nicht anders die ihm entgegentretenden Verwandten und die Leute, die seine Rückkehr verzögerten, auseinander, als ob er langwierige Angelegenheiten von Klienten nach Entscheidung eines Streitfalls hinter sich ließe und zu den Feldern in Venafrum7 strebte oder zum lakedämonischen Tarent.

6 Die Vergehen der Vorfahren wirst du unverdient büßen, Römer, bis du die Tempel wiederhergestellt hast, die verfallenden Häuser der Götter und die durch schwarzen Rauch hässlich gewordenen Götterbilder.

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dis te minorem quod geris, imperas. hinc omne principium, huc refer exitum: di multa neglecti dederunt Hesperiae mala luctuosae. iam bis Monaeses et Pacori manus inauspicatos contudit impetus nostros et adiecisse praedam torquibus exiguis renidet. paene occupatam seditionibus delevit urbem Dacus et Aethiops, hic classe formidatus, ille missilibus melior sagittis. fecunda culpae saecula nuptias primum inquinavere et genus et domos: hoc fonte derivata clades in patriam populumque fluxit.

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motus doceri gaudet Ionicos matura virgo et fingitur artibus iam nunc et incestos amores de tenero meditatur ungui. mox iuniores quaerit adulteros inter mariti vina, neque eligit cui donet impermissa raptim gaudia luminibus remotis, sed iussa coram non sine conscio surgit marito, seu vocat institor

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BUCH 3 DER ODEN Weil du dich als den Göttern unterlegen verhältst, herrschst du. Von ihnen bezieh jeden Anfang, auf sie jeden Ausgang: Die Götter gaben, weil sie vernachlässigt wurden, dem trauernden Hesperien viel Unheil. Schon zweimal schlugen Monäses und die Schar des Pakorus unsere Angriffe, die ohne Anstellung der Auspizien geführt wurden, nieder und strahlen vor Freude darüber, dass sie ihren armseligen Halsketten Beute hinzugefügt haben. Beinahe hätten die Hauptstadt, die von Zwistigkeiten in Anspruch genommen war, der Daker und der Äthiopier zerstört, dieser wegen seiner Flotte gefürchtet, jener überlegen durch Pfeilgeschosse.1 An Vergehen fruchtbare Generationen haben erstmals die Ehe verdorben und Familie und Häuser: Aus dieser Quelle hergeleitet, ist das Unheil in Vaterstadt und Volk geflossen. Jonische Tanzbewegungen2 zu erlernen freut die reif gewordene Jungfrau, und sie verstellt sich schon jetzt durch Tricks und hat unzüchtige Liebesspiele von der zarten Kindheit an im Sinn. Bald sucht sie sich jüngere Liebhaber beim Weingelage ihres Mannes und wählt nicht einen, dem sie hastig unerlaubte Freuden schenkt, wenn die Lampen entfernt sind, sondern steht, aufgefordert vor allen Leuten nicht ohne Mitwissen ihres Mannes auf, ob ein Hausierer ruft

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seu navis Hispanae magister, dedecorum pretiosus emptor. non his iuventus orta parentibus infecit aequor sanguine Punico Pyrrhumque et ingentem cecidit Antiochum Hannibalemque dirum, sed rusticorum mascula militum proles, Sabellis docta ligonibus versare glaebas et severae matris ad arbitrium recisos

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portare fustes, sol ubi montium mutaret umbras et iuga demeret bubus fatigatis, amicum tempus agens abeunte curru. damnosa quid non imminuit dies? aetas parentum peior avis tulit nos nequiores, mox daturos progeniem vitiosiorem.

VII Quid fles, Asterie, quem tibi candidi primo restituent vere Favonii Thyna merce beatum, constantis iuvenem fide

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BUCH 3 DER ODEN oder der Kapitän eines hispanischen Schiffes, ein spendabler Käufer ihrer Schande. Nicht eine Jugend, die von solchen Eltern stammt, hat das Meer mit punischem Blut gefärbt3 und Pyrrhus, den gewaltigen Antiochus und den schrecklichen Hannibal zu Fall gebracht, sondern der männliche Nachwuchs bäuerlicher Soldaten, der gelernt hatte, mit sabellischen Hacken die Schollen umzuwenden und auf Geheiß der strengen Mutter abgehauene Knüppel zu tragen, sobald die Sonne die Schatten der Berge veränderte und den ermüdeten Ochsen das Joch abnahm, eine willkommene Tageszeit mit verschwindendem Wagen4 bringend. Was hat die verderbliche Zeit nicht verschlechtert? Die Generation der Eltern, schlechter als die der Großväter, gebar uns Schlimmere, die wir bald eine noch lasterhaftere Nachkommenschaft hervorbringen werden.

7 Warum weinst du, Asterië, um ihn, den dir die strahlenden Westwinde zu Beginn des Frühlings wiederbringen werden, ihn, reich an thynischer Ware, den jungen, in seiner Treue standhaften

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CARMINVM LIBER III

Gygen? ille Notis actus ad Oricum post insana Caprae sidera frigidas noctes non sine multis insomnis lacrimis agit. atqui sollicitae nuntius hospitae, suspirare Chloen et miseram tuis dicens ignibus uri, temptat mille vafer modis. ut Proetum mulier perfida credulum falsis impulerit criminibus nimis casto Bellerophontae maturare necem refert, narrat paene datum Pelea Tartaro, Magnessam Hippolyten dum fugit abstinens, et peccare docentes fallax historias movet,

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frustra; nam scopulis surdior Icari voces audit adhuc integer. at tibi ne vicinus Enipeus plus iusto placeat cave, quamvis non alius flectere equum sciens aeque conspicitur gramine Martio nec quisquam citus aeque Tusco denatat alveo. prima nocte domum claude neque in vias sub cantu querulae despice tibiae

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BUCH 3 DER ODEN Gyges? Er, von den Südwestwinden bis Orikus getrieben nach dem rasenden Ziegengestirn1, verbringt dort nicht ohne viele Tränen schlaflos die kalten Nächte. Doch der Bote seiner heftig erregten Gastgeberin, der sagt, Chloë seufze und die Arme brenne von der Glut, die doch die Deine ist, führt ihn schlau auf tausendfache Weise in Versuchung. Wie den leichtgläubigen Prötus seine ihm untreue Frau2 durch falsche Beschuldigungen dazu trieb, den allzu keuschen Bellerophontes unverzüglich zu töten, berichtet er, erzählt, Peleus sei fast dem Tartarus übergeben worden, während er sich der Magnesierin Hippolyte enthaltsam entzog, und führt trügerisch Geschichten an, die Seitensprünge lehren, aber vergebens; denn tauber als die Felsen von Ikarus hört er die Stimme, bis jetzt unberührt. Doch dass dir dein Nachbar Enipeus nicht mehr als recht gefällt, sieh dich vor, obgleich man keinen anderen auf dem Marsfeld sieht, der sein Pferd gleich gut zu lenken versteht, und niemand gleich schnell das tuskische Flussbett3 durchschwimmt. Schließe bei Anbruch der Nacht dein Haus und blicke beim Klang der klagenden Flöte nicht auf die Straßen herab,

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CARMINVM LIBER III

et te saepe vocanti duram difficilis mane.

VIII Martiis caelebs quid agam Kalendis, quid velint flores et acerra turis plena, miraris, positusque carbo in caespite vivo, docte sermones utriusque linguae? voveram dulces epulas et album Libero caprum prope funeratus arboris ictu. hic dies anno redeunte festus corticem astrictum pice dimovebit amphorae fumum bibere institutae consule Tullo. sume, Maecenas, cyathos amici sospitis centum et vigiles lucernas perfer in lucem; procul omnis esto clamor et ira. mitte civiles super urbe curas: occidit Daci Cotisonis agmen, Medus infestus sibi luctuosis dissidet armis,

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BUCH 3 DER ODEN und auch wenn er dich häufig hart nennt, bleibe unzugänglich.

8 Was ich, ein Unverheirateter, an den Kalenden des März1 treibe, was die Blumen bedeuten und das Kästchen voll Weihrauch, fragst du dich verwundert, und was die Kohle, die auf den lebenden Rasen2 gelegt ist, du Kenner von Abhandlungen in beiden Sprachen?3 Ein wohlschmeckendes Festmahl und einen weißen Bock hatte ich dem Liber gelobt, als ich durch den Schlag des Baumes beinahe der Bestattung übergeben worden wäre.4 Dieser Tag, ein Fest im wiederkehrenden Jahr, wird den mit Pech befestigten Korken der Amphore entfernen, die den Rauch zu trinken lernte5, als Tullus6 Konsul war. Nimm, Maecenas, hundert Schöpfkellen zu Ehren der Rettung deines Freundes und lass die wachsamen Leuchter bis zum Tageslicht brennen; fern sei jedes Geschrei und jeder Zorn. Lass die Sorgen um die Bürger der Stadt fahren: Die Heerschar des Dakers Kotison ist gefallen,7 die feindlichen Meder sind mit trauerbringenden Waffen untereinander zerstritten,

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CARMINVM LIBER III

servit Hispanae vetus hostis orae Cantaber sera domitus catena, iam Scythae laxo meditantur arcu cedere campis. neglegens, ne qua populus laboret, parce privatus nimium cavere; dona praesentis cape laetus horae: linque severa.

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IX Donec gratus eram tibi nec quisquam potior bracchia candidae cervici iuvenis dabat, Persarum vigui rege beatior. ‘donec non alia magis arsisti neque erat Lydia post Chloen, multi Lydia nominis Romana vigui clarior Ilia.’ me nunc Thressa Chloe regit, dulces docta modos et citharae sciens, pro qua non metuam mori, si parcent animae fata superstiti. ‘me torret face mutua Thurini Calais filius Ornyti, pro quo bis patiar mori, si parcent puero fata superstiti.’

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der Kantabrer, der alte Feind an der hispanischen Küste, dient als Sklave, spät durch Ketten gezähmt, schon sinnen die Skythen darauf, mit entspanntem Bogen vom Schlachtfeld zu weichen. Kümmere dich nicht darum, dass das Volk nicht irgendwie leiden möge, sorge dich als Privatmann nicht allzu sehr; ergreife freudig die Gaben der gegenwärtigen Stunde: Lass die ernsten Angelegenheiten ruhen.

9 Solange ich dir angenehm war und kein bevorzugter junger Mann die Arme um deinen schimmernden Hals legte, lebte ich gesegneter als der König der Perser. »Solange du nicht für eine andere mehr entbrannt warst und Lydia nicht hinter Chloë zurückstand, lebte ich, die vielfach genannte Lydia, berühmter als die römische Ilia.« Über mich gebietet jetzt die thrakische Chloë, in süßen Weisen geübt und mit der Kithara vertraut, für die zu sterben ich mich nicht scheuen werde, wenn die Geschicke ihre Seele schonen und sie weiterlebt. »Mich verzehrt mit erwiderter Liebesglut Kalaïs1, der Sohn des Thuriners Ornytus, für den ich den Tod zweimal erleiden will, wenn die Geschicke den jungen Mann verschonen und er weiterlebt.«

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CARMINVM LIBER III

quid si prisca redit Venus diductosque iugo cogit aeneo, si flava excutitur Chloe reiectaeque patet ianua Lydiae?

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‘quamquam sidere pulchrior ille est, tu levior cortice et improbo iracundior Hadria, tecum vivere amem, tecum obeam lubens.’

X Extremum Tanain si biberes, Lyce, saevo nupta viro, me tamen asperas porrectum ante fores obicere incolis plorares Aquilonibus. audis, quo strepitu ianua, quo nemus inter pulchra satum tecta remugiat ventis et positas ut glaciet nives puro numine Iuppiter? ingratam Veneri pone superbiam, ne currente retro funis eat rota: non te Penelopen difficilem procis Tyrrhenus genuit parens. o quamvis neque te munera nec preces nec tinctus viola pallor amantium nec vir Pieria paelice saucius curvat, supplicibus tuis

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BUCH 3 DER ODEN

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Was aber, wenn die Liebe von früher zurückkehrt und uns Auseinandergerissene in ein ehernes Joch zwingt, wenn die blonde Chloë vertrieben wird und die Tür der verstoßenen Lydia offen steht? »Obwohl jener schöner als ein Stern ist, du aber leichter als Kork bist und jähzorniger als die ruchlose Adria, will ich mit dir leben, werde bereitwillig mit dir sterben2.«

10 Wenn du aus dem entfernten Tanaïs tränkst, Lyke, einem wilden Manne vermählt, würdest du dennoch darüber weinen, dass ich, vor rauen Türpfosten hingestreckt, dem dort heimischen Nordwind ausgesetzt bin. Hörst du, mit welchem Lärm die Tür und der Hain, der innerhalb deines schönen Hauses gepflanzt ist, dem Wind erwidernd brausen, und bemerkst, wie Juppiter den gefallenen Schnee bei klarem Himmel gefrieren lässt? Lege den Hochmut ab, der Venus unwillkommen ist, damit nicht von der laufenden Seiltrommel das Seil zurückspult:1 Dich hat nicht als eine Penelope, die den Freiern gegenüber spröde ist, dein tyrrhenischer Vater gezeugt. Ach, können dich auch weder Gaben noch Bitten noch die violenfarbige Blässe der dich Liebenden noch dein Mann, der von deiner piërischen Rivalin verwundet ist, beugen, so schone doch die,

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CARMINVM LIBER III

parcas, nec rigida mollior aesculo nec Mauris animum mitior anguibus: non hoc semper erit liminis aut aquae caelestis patiens latus.

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XI Mercuri – nam te docilis magistro movit Amphion lapides canendo – tuque, testudo, resonare septem callida nervis, nec loquax olim neque grata, nunc et divitum mensis et amica templis: dic modos, Lyde quibus obstinatas applicet aures, quae velut latis equa trima campis ludit exultim metuitque tangi nuptiarum expers et adhuc protervo cruda marito. tu potes tigres comitesque silvas ducere et rivos celeres morari; cessit immanis tibi blandienti ianitor aulae, Cerberus, quamvis Furiale centum muniant angues caput eius atque spiritus taeter saniesque manet ore trilingui.

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BUCH 3 DER ODEN die dich anflehen, bist du auch nicht weicher als die starrende Eiche, und hast keinen sanfteren Sinn als maurische Schlangen. Nicht immer wird meine Seite diese Schwelle oder das himmlische Wasser ertragen.

11 Merkur – denn kundig, weil du sein Lehrer warst, bewegte Amphion Steine durch Singen – und du, Schildkrötenschale1, geschickt darin, von sieben Saiten widerzuhallen, einst weder gesprächig noch angenehm, jetzt sowohl den Tischen der Reichen als auch den Tempeln willkommen: Lass deine Weisen erklingen, denen Lyde ihre widerstrebenden Ohren zuneigt, die wie die dreijährige Stute auf den weiten Feldern in ausgelassenen Sprüngen herumspielt und Berührung scheut, Sex nicht kennt und noch nicht reif ist für einen stürmischen Ehemann. Du kannst2 Tiger und Wälder als Begleiter mitführen und schnelle Bäche aufhalten; dir wich, als du schmeicheltest, der Türhüter des grausigen Palastes, Kerberus, obwohl hundert Schlangen sein furienhaftes Haupt schützen und ekelhafter Atem und Geifer aus dem dreizüngigen Maul fließen.

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CARMINVM LIBER III

quin et Ixion Tityosque vultu risit invito; stetit urna paulum sicca, dum grato Danai puellas carmine mulces. audiat Lyde scelus atque notas virginum poenas et inane lymphae dolium fundo pereuntis imo seraque fata, quae manent culpas etiam sub Orco: impiae – nam quid potuere maius? –, impiae sponsos potuere duro perdere ferro. una de multis face nuptiali digna periurum fuit in parentem splendide mendax et in omne virgo nobilis aevum, ‘surge’ quae dixit iuveni marito, ‘surge, ne longus tibi somnus, unde non times, detur; socerum et scelestas falle sorores,

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quae velut nactae vitulos leaenae singulos eheu lacerant: ego illis mollior nec te feriam neque intra claustra tenebo. me pater saevis oneret catenis, quod viro clemens misero peperci,

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BUCH 3 DER ODEN

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Sogar Ixion und Tityos lachten mit widerwilliger Miene; kurz stand die Urne trocken da, während du die Töchter des Danaus mit angenehmem Gesang streicheltest. Lyde soll von dem Verbrechen und den bekannten Bestrafungen der Jungfrauen hören, von dem Fass, das von Wasser leer ist, weil dieses unten am Boden verschwindet, und von dem späten Geschick, das die Schuld selbst unten im Orkus erwartet: Die Ruchlosen – denn was hätten sie Schlimmeres vermocht? –, die Ruchlosen vermochten ihre Ehemänner mit hartem Eisen zu ermorden. Eine einzige3 von den vielen, würdig der Hochzeitsfackel, war gegenüber ihrem eidbrüchigen Vater herrlich lügnerisch und für alle Zeit eine berühmte Jungfrau, sie, die »steh auf« zu ihrem jungen Ehemann sagte, »steh auf, damit dir nicht von dort, von wo du es nicht befürchtest, ein langer Schlaf gegeben wird; entweiche heimlich dem Schwiegervater und den verbrecherischen Schwestern, die wie Löwinnen, die Kälber erbeutet haben, wehe, jede einen zerfleischen: Ich, weicher als sie, werde dich weder schlachten noch innerhalb der verschlossenen Kammer festhalten. Mich mag der Vater mit grausamen Ketten beladen, weil ich barmherzig den armen Mann verschont habe,

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CARMINVM LIBER III

me vel extremos Numidarum in agros classe releget. i, pedes quo te rapiunt et aurae, dum favet Nox et Venus, i secundo omine et nostri memorem sepulcro scalpe querelam.’

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XII Miserarum est neque amori dare ludum neque dulci mala vino lavere aut exanimari metuentes patruae verbera linguae. tibi qualum Cythereae puer ales, tibi telas operosaeque Minervae studium aufert, Neobule, Liparaei nitor Hebri,

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simul unctos Tiberinis umeros lavit in undis, eques ipso melior Bellerophonte, neque pugno neque segni pede victus, catus idem per apertum fugientes agitato grege cervos iaculari et celer arto latitantem fruticeto excipere aprum.

XIII O fons Bandusiae, splendidior vitro, dulci digne mero non sine floribus,

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BUCH 3 DER ODEN

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oder er mag mich in das ferne Gebiet der Numider zu Schiff verbannen. Geh, wohin dich die Füße und die Winde fortreißen, solange Nacht und Venus es begünstigen, geh unter günstigem Vorzeichen und ritze in mein Grabmal eine Klage, die an mich erinnert.«

12 Das Los unglücklicher Mädchen ist es, weder der Liebe Spielraum zu gewähren noch ihr Unglück mit süßem Wein fortzuspülen oder aus Furcht vor den Schlägen der Zunge ihres Onkels zu sterben. Dir nimmt der geflügelte Sohn Kythereas1 den Wollkorb, dir das Gewebe und die Tätigkeit der arbeitsamen Minerva2, Neobule, der Glanz des liparäischen Hebrus weg, sobald dieser seine eingesalbten Schultern in den Tiberwogen gebadet hat, er, ein besserer Reiter sogar als Bellerophontes, weder mit der Faust noch mit langsamem Fuß besiegt, auch geschickt, die über das offene Gefilde im gehetzten Rudel fliehenden Hirsche mit dem Spieß zu treffen, und schnell darin, den im engen Gebüsch verborgenen Eber abzufangen.

13 O Quelle Bandusia, glitzernder als Glas, würdig süßen reinen Weins nicht ohne Blumen,

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CARMINVM LIBER III

cras donaberis haedo, cui frons turgida cornibus primis et Venerem et proelia destinat – frustra, nam gelidos inficiet tibi rubro sanguine rivos lascivi suboles gregis. te flagrantis atrox hora Caniculae nescit tangere, tu frigus amabile fessis vomere tauris praebes et pecori vago. fies nobilium tu quoque fontium me dicente cavis impositam ilicem saxis, unde loquaces lymphae desiliunt tuae.

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XIV Herculis ritu modo dictus, o plebs, morte venalem petiisse laurum Caesar Hispana repetit Penates victor ab ora. unico gaudens mulier marito prodeat iustis operata sacris et soror clari ducis et decorae supplice vitta

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BUCH 3 DER ODEN morgen wirst du mit einem Böcklein beschenkt, dem die mit den frühesten Hörnern schwellende Stirn sowohl Sex als auch Kämpfe verheißt – umsonst, denn die eisigen Fluten wird dir mit rotem Blut der Spross der munteren Herde färben. Dich vermag die schlimme Jahreszeit des brennenden Hundssterns nicht anzurühren, du spendest liebliche Kühlung den vom Pflug ermatteten Stieren und der umherschweifenden Ziegenschar. Du wirst auch eine der berühmten Quellen1 sein, wenn ich die Steineiche oben auf den hohlen Felsen besinge, von denen geschwätzig dein Wasser herabspringt.

14 Nach Art des Herkules1 kehrt er, der, wie es eben noch hieß, o Volk, um den Preis seines Lebens nach dem Lorbeerkranz strebte, Caesar, von der hispanischen Küste zurück zu seinen Penaten als Sieger. Seine Frau2, die sich eines einzigartigen Gatten erfreut, soll hervortreten3, das gebührende Ritual vollziehend, und die Schwester4 des berühmten Feldherrn und, geschmückt mit der Binde der Bittflehenden,

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CARMINVM LIBER III

virginum matres iuvenumque nuper sospitum; vos, o pueri et puellae non virum expertae, male nominatis parcite verbis. hic dies vere mihi festus atras exiget curas: ego nec tumultum nec mori per vim metuam tenente Caesare terras. i, pete unguentum, puer, et coronas et cadum Marsi memorem duelli, Spartacum si qua potuit vagantem fallere testa.

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dic et argutae properet Neaerae murreum nodo cohibente crinem; si per invisum mora ianitorem fiet – abito. lenit albescens animos capillus litium et rixae cupidos protervae: non ego hoc ferrem calidus iuventa consule Planco.

XV Uxor pauperis Ibyci, tandem nequitiae fige modum tuae famosisque laboribus; maturo propior desine funeri

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BUCH 3 DER ODEN die Mütter der Jungfrauen und der soeben geretteten jungen Männer5; ihr, o Knaben und ihr Mädchen, die ihr keine Erfahrung mit einem Mann habt, meidet Worte, die eine üble Vorbedeutung haben. Dieser für mich wahrhaft festliche Tag wird die schwarzen Sorgen vertreiben: Ich werde nicht Aufruhr und nicht einen gewaltsamen Tod fürchten, solange Caesar die Welt regiert. Geh, hol Salbe, Sklavenjunge, und Kränze und einen Krug, der sich an den Marserkrieg6 erinnert, falls dem umherstreifenden Spartacus irgendwo ein Tongefäß verborgen zu bleiben vermochte. Sag auch der hell klingenden Neära, der ein Band das mit Myrrhe parfümierte Haar zusammenhält, sie soll eilen; wenn es aber durch den verhassten Türhüter eine Verzögerung gibt – geh wieder weg. Weiß werdendes Haar besänftigt den Mutwillen, der nach Streit und ungestümer Rauferei begierig ist: Dies hätte ich nicht ertragen, hitzig wie ich war in meiner Jugend, als Plancus Konsul war.7

15 Frau des armen Ibykus1, setze endlich deinem Treiben und deinen skandalösen Bemühungen ein Limit; ganz nahe der für deine Bestattung fälligen Zeit

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CARMINVM LIBER III

inter ludere virgines et stellis nebulam spargere candidis. non, si quid Pholoen satis, et te, Chlori, decet: filia rectius expugnat iuvenum domos, pulso Thyias uti concita tympano. illam cogit amor Nothi lascivae similem ludere capreae: te lanae prope nobilem tonsae Luceriam, non citharae decent nec flos purpureus rosae nec poti vetulam faece tenus cadi.

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XVI Inclusam Danaen turris aenea robustaeque fores et vigilum canum tristes excubiae munierant satis nocturnis ab adulteris, si non Acrisium, virginis abditae custodem pavidum, Iuppiter et Venus risissent: fore enim tutum iter et patens converso in pretium deo. aurum per medios ire satellites et perrumpere amat saxa potentius ictu fulmineo; concidit auguris Argivi domus ob lucrum

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BUCH 3 DER ODEN hör auf, zwischen jungen Frauen herumzutollen und über den strahlenden Sternen Gewölk zu verbreiten. Wenn etwas für Pholoë2 angemessen ist, schickt es sich nicht auch für dich, Chloris: Für eine Tochter passt es besser, Häuser junger Männer wie eine Thyiade, die vom geschlagenen Tamburin erregt ist, zu erobern. Die zwingt die Liebe zu Nothus, wie eine geile Wildziege Liebesspiele zu treiben, für dich schickt sich Wolle, die nahe beim berühmten Luceria geschoren wurde, nicht die Kithara, nicht die purpurne Blüte der Rose und nicht ein bis zur Neige ausgetrunkener Krug, da du ein altes Weib bist.

16 Die eingesperrte Danaë hätten der Turm aus Erz, das Tor aus Eiche und das grimmige Wachehalten der wachsamen Hunde ausreichend von nächtlichen Liebhabern abgeschirmt, wenn nicht den Akrisius, den ängstlichen Wächter der versteckten Jungfrau, Juppiter und Venus ausgelacht hätten: Sicher nämlich werde der Zugang sein und offen für den Gott, wenn er sich in Bezahlung1 verwandelt habe. Gold neigt dazu, zwischen Leibwächtern hindurchzugehen und Mauern zu durchbrechen, stärker als ein Blitzschlag; das Haus des argivischen Augurs2 brach zusammen3, weil es wegen des Profits

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CARMINVM LIBER III

demersa exitio; diffidit urbium portas vir Macedo et subruit aemulos reges muneribus; munera navium saevos illaqueant duces. crescentem sequitur cura pecuniam maiorumque fames: iure perhorrui late conspicuum tollere verticem, Maecenas, equitum decus.

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quanto quisque sibi plura negaverit, ab dis plura feret: nil cupientium nudus castra peto et transfuga divitum partes linquere gestio, contemptae dominus splendidior rei, quam si quidquid arat impiger Apulus occultare meis dicerer horreis, magnas inter opes inops. purae rivus aquae silvaque iugerum paucorum et segetis certa fides meae fulgentem imperio fertilis Africae fallit sorte beatior. quamquam nec Calabrae mella ferunt apes nec Laestrygonia Bacchus in amphora languescit mihi nec pinguia Gallicis crescunt vellera pascuis,

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im Verderben versank; die Tore von Städten zerschlug der makedonische Mann4 und stürzte rivalisierende Prinzen durch Geschenke; Geschenke locken die grausamen Befehlshaber von Schiffen in die Falle. Einer Geldmenge, die wächst, folgen die Sorge und der Appetit auf mehr: Mit Recht bin ich davor zurückgeschreckt, weithin sichtbar meinen Scheitel zu erheben, Maecenas, Zier der Ritterschaft. Je mehr man sich selbst versagt, desto mehr wird man von den Göttern bekommen: Ich strebe unbewaffnet5 zum Lager derer, die nichts begehren, und als Überläufer verlasse ich mit Freuden die Partei der Reichen, als Herr von Vermögen, das ich verachte, ehrenwerter, als wenn es von mir hieße, ich würde alles, was der fleißige Apulier pflügt, in meinen Scheuern verbergen, inmitten großer Besitztümer besitzlos. Ein Bach mit reinem Wasser, ein Wald im Umfang von wenigen Morgen und sicherer Verlass auf meine Aussaat6, das ist das mir zugewiesene Los, und der, welcher sich durch die Herrschaft über das fruchtbare Afrika7 hervortut, erkennt nicht, dass es segensreicher ist als das seine. Obwohl mir weder kalabrische Bienen Honig bringen noch Wein in einer lästrygonischen Amphore ausreift noch fette Wolle auf gallischen Weiden heranwächst,

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CARMINVM LIBER III

importuna tamen pauperies abest nec, si plura velim, tu dare deneges. contracto melius parva cupidine vectigalia porrigam,

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quam si Mygdoniis regnum Alyattei campis continuem. multa petentibus desunt multa: bene est cui deus obtulit parca quod satis est manu.

XVII Aeli vetusto nobilis ab Lamo – quando et priores hinc Lamias ferunt denominatos et nepotum per memores genus omne fastus auctore ab illo ducit originem, qui Formiarum moenia dicitur princeps et innantem Maricae litoribus tenuisse Lirim late tyrannus –: cras foliis nemus multis et alga litus inutili demissa tempestas ab Euro sternet, aquae nisi fallit augur annosa cornix. dum potes, aridum compone lignum: cras Genium mero curabis et porco bimenstri cum famulis operum solutis.

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BUCH 3 DER ODEN ist dennoch beschwerliche Armut mir fern, und du würdest, wollte ich mehr, dich nicht weigern, es zu geben. Schränke ich mein Begehren ein, werde ich besser meine geringen privaten Einkünfte vergrößern, als wenn ich das Königreich des Alyattes mit den mygdonischen Feldern vereinen würde. Denen, die viel erstreben, fehlt vieles: Gut gestellt ist, wem ein Gott mit sparsamer Hand das, was genug ist, dargeboten hat.

17 Aelius, vornehmer Nachkomme des alten Lamus – wenn nach ihm, wie es heißt, die früheren Lamier benannt sind und das ganze Geschlecht der Enkel quer durch die das Gedächtnis bewahrenden Fasti seinen Ursprung von jenem Ahnherrn herleitet, der, wie man sagt, die Mauern von Formiae als Fürst und den in die Küste der Marica hineinfließenden Liris weithin als Alleinherrscher besaß –: Morgen wird den Hain mit vielen Blättern und die Küste mit nutzlosen Algen ein vom Eurus herabgeschicktes Unwetter übersäen, wenn mich nicht die Prophetin des Wetters täuscht, die uralte Krähe. Solange du noch kannst, sammle trockenes Holz: Morgen wirst du deinen Genius mit purem Wein und einem zwei Monate alten Ferkel erquicken, zusammen mit deinen Sklaven, die von der Arbeit befreit sind.

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CARMINVM LIBER III XVIII

Faune, Nympharum fugientum amator, per meos fines et aprica rura lenis incedas abeasque parvis aequus alumnis, si tener pleno cadit haedus anno larga nec desunt Veneris sodali vina creterrae, vetus ara multo fumat odore. ludit herboso pecus omne campo, cum tibi Nonae redeunt Decembres; festus in pratis vacat otioso cum bove pagus; inter audaces lupus errat agnos, spargit agrestes tibi silva frondes, gaudet invisam pepulisse fossor ter pede terram.

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XIX Quantum distet ab Inacho Codrus, pro patria non timidus mori, narras, et genus Aeaci, et pugnata sacro bella sub Ilio; quo Chium pretio cadum mercemur, quis aquam temperet ignibus,

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BUCH 3 DER ODEN

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18 Faunus, der du die vor dir fliehenden Nymphen begehrst, mögest du sanftmütig durch mein Gebiet und die sonnigen Felder dahinschreiten und gütig gegenüber meinen kleinen Zöglingen1 davongehen, sofern für dich, wenn das Jahr vollendet ist,2 ein zartes Böcklein fällt, Wein in Fülle dem Gefährten der Venus, dem Mischkrug, nicht fehlt und der alte Altar vom vielen Weihrauch dampft. Das ganze Vieh tollt herum auf dem grasreichen Feld, wenn dir die Nonen des Dezembers wiederkehren; festlich nimmt auf den Wiesen einen freien Tag mit dem ruhenden Rind das Dorf; zwischen verwegenen Lämmern irrt der Wolf umher, der Wald verstreut für dich ländliches Laub, freudig stampft der Landmann die verhasste Erde dreimal mit dem Fuß.3

19 Wie weit von Inachus Kodrus entfernt ist,1 der nicht zu feige war, für seine Heimat zu sterben, erzählst du, und vom Geschlecht des Äakus und wie der Krieg unter dem heiligen Ilion geführt wurde; für welchen Preis wir einen Krug Chier kaufen können, wer uns Wasser mit Feuer wärmt,

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CARMINVM LIBER III

quo praebente domum et quota Paelignis caream frigoribus, taces. da lunae propere novae, da noctis mediae, da, puer, auguris Murenae: tribus aut novem miscentur cyathis pocula commodis. qui Musas amat impares, ternos ter cyathos attonitus petet vates; tris prohibet supra rixarum metuens tangere Gratia nudis iuncta sororibus; insanire iuvat: cur Berecyntiae cessant flamina tibiae? cur pendet tacita fistula cum lyra?

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parcentes ego dexteras odi: sparge rosas. audiat invidus dementem strepitum Lycus et vicina seni non habilis Lyco. spissa te nitidum coma, puro te similem, Telephe, Vespero tempestiva petit Rhode, me lentus Glycerae torret amor meae.

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BUCH 3 DER ODEN

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durch wen, der sein Haus zur Verfügung stellt, und zu welcher Stunde ich von der pälignischen Kälte frei sein kann, verschweigst du. Schenk rasch für den neuen Mond2 ein, schenk ein für Mitternacht, schenk ein, Sklavenjunge, für den Auguren Murena: Drei oder neun tüchtige Schöpfkellen werden in die Becher gemischt. Wer die ungradzahligen Musen liebt, wird als vom Donner gerührter3 Dichter dreimal drei Schöpfkellen verlangen; mehr als drei zu berühren verbietet aus Angst vor Raufereien die Grazie, mit ihren nackten Schwestern verbunden; herumzutoben macht Spaß: Warum ruht das Blasen der berekyntischen Flöte? Warum hängt die Panflöte bei der schweigenden Lyra? Sparsame rechte Hände mag ich nicht: Streue Rosen. Lykus möge neidisch den irren Lärm hören und die Nachbarin, die zu dem Greis Lykus nicht passt.4 Dich, der du mit deinem dichten Haar glänzt, dich, Telephus5, der du dem reinen Abendstern ähnelst, begehrt die zu deinem Alter passende Rhode, mich dörrt die langsam glühende Liebe zu meiner Glykera.6

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CARMINVM LIBER III XX

Non vides, quanto moveas periclo, Pyrrhe, Gaetulae catulos leaenae? dura post paulo fugies inaudax proelia raptor, cum per obstantes iuvenum catervas ibit insignem repetens Nearchum, grande certamen, tibi praeda cedat maior an illi. interim, dum tu celeres sagittas promis, haec dentes acuit timendos, arbiter pugnae prosuisse nudo sub pede palmam fertur et leni recreare vento sparsum odoratis umerum capillis, qualis aut Nireus fuit aut aquosa raptus ab Ida.

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XXI O nata mecum consule Manlio, seu tu querelas sive geris iocos seu rixam et insanos amores seu facilem, pia testa, somnum, quocumque laetum nomine Massicum servas, moveri digna bono die

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BUCH 3 DER ODEN

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20 Siehst du nicht, mit welch großer Gefahr du, Pyrrhus, die Jungen einer gätulischen Löwin aufschreckst? Nach harten Kämpfen wirst du bald darauf als mutloser Räuber fliehen, wenn sie durch die ihr entgegentretende Schar junger Männer daherkommt, ihren hervorstechenden Nearchus zurückfordernd – ein gewaltiger Streit darum, ob dir der größere Siegespreis1 zufällt oder ihr. Unterdessen hat, während du die schnellen Pfeile hervorholst und sie die furchtbaren Zähne wetzt, der Schiedsrichter des Kampfes unter seinen nackten Fuß die Siegespalme gelegt, so erzählt man,2 und erfrischt durch eine leichte Brise seine Schulter, die umflossen ist von parfümierten Haaren, wie entweder Nireus war oder der vom wasserreichen Ida Geraubte.3

21 O du, geboren mit mir, als Manlius Konsul war,1 ob du Klagen oder Scherze herbeiführst oder Streit oder rasende Liebe oder, du treues Gefäß, leichten Schlaf, an welchem Namen auch immer der Massiker, den du aufbewahrst, sich freut,2 du, wert, an einem glücklichen Tag herbeigeschafft zu werden,

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CARMINVM LIBER III descende Corvino iubente promere languidiora vina.

non ille, quamquam Socraticis madet sermonibus, te negleget horridus: narratur et prisci Catonis saepe mero caluisse virtus. tu lene tormentum ingenio admoves plerumque duro, tu sapientium curas et arcanum iocoso consilium retegis Lyaeo. tu spem reducis mentibus anxiis viresque et addis cornua pauperi post te neque iratos trementi regum apices neque militum arma. te Liber et, si laeta aderit, Venus segnesque nodum solvere Gratiae vivaeque producent lucernae, dum rediens fugat astra Phoebus.

XXII Montium custos nemorumque, virgo, quae laborantes utero puellas ter vocata audis adimisque leto, diva triformis,

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BUCH 3 DER ODEN steige herab,3 weil Corvinus gebietet, mildere Weine hervorzuholen. Er wird, obwohl er von sokratischen Dialogen trieft, dich nicht ruppig missachten: Man erzählt, auch die Tugendhaftigkeit des alten Cato habe sich oft durch puren Wein erhitzt.4 Du wendest bei einem sonst meist unbeugsamen Charakter eine sanfte Folter an,5 du deckst die Sorgen und verborgenen Gedanken der Weisen durch den heiteren Lyäus auf. Du bringst ängstlichen Seelen die Hoffnung zurück und verleihst Kräfte und Hörner6 dem Armen, der nach dir7 weder vor den Diademen zorniger Könige erzittert noch vor den Waffen der Soldaten. Dich werden Liber und, wenn sie heiter erscheint, Venus und die Grazien, die zögern, ihren Gürtel zu lösen,8 und die lebendigen Lampen geleiten, bis Phöbus zurückkehrt und die Sterne verscheucht.

22 Hüterin der Berge und Wälder, Jungfrau, die du junge Frauen in den Geburtswehen, wenn du dreimal angerufen wirst, erhörst und sie dem Tod entreißt, dreigestaltige1 Göttin,

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CARMINVM LIBER III

imminens villae tua pinus esto, quam per exactos ego laetus annos verris obliquum meditantis ictum sanguine donem.

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XXIII Caelo supinas si tuleris manus nascente luna, rustica Phidyle, si ture placaris et horna fruge Lares avidaque porca, nec pestilentem sentiet Africum fecunda vitis nec sterilem seges robiginem aut dulces alumni pomifero grave tempus anno. nam quae nivali pascitur Algido devota quercus inter et ilices aut crescit Albanis in herbis victima, pontificum secures cervice tinget; te nihil attinet temptare multa caede bidentium parvos coronantem marino rore deos fragilique myrto. immunis aram si tetigit manus, non sumptuosa blandior hostia mollivit aversos Penates farre pio et saliente mica.

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BUCH 3 DER ODEN dir gehöre die mein Landhaus überragende Pinie, die ich freudig jedes Mal, wenn das Jahr zu Ende ist, mit dem Blut eines schon auf einen Stoß von der Seite sinnenden Frischlings beschenken will.

23 Wenn du bei zunehmendem Mond zum Himmel die nach oben gewendeten Hände erhebst, Bäuerin Phidyle, wenn du die Laren mit Weihrauch, der diesjährigen Feldfrucht und einer gefräßigen Sau versöhnst, wird dein fruchtbarer Weinstock nicht den verderblichen Africus verspüren, die Saat nicht den unfruchtbar machenden Rost oder die süße Zöglingsschar1 das in der obsttragenden Jahreszeit drückende Klima. Denn das geweihte Opfertier, das auf dem schneebedeckten Algidus zwischen Eichen und Steineichen weidet oder auf albanischen Gräsern heranwächst, wird die Beile der Priester mit dem Nacken benetzen; es ist nicht an dir, durch das Schlachten vieler Schafe ein Einwirken auf die kleinen Götter zu versuchen, wenn du sie nur mit Rosmarin und leicht abbrechender Myrte bekränzt. Wenn eine Hand, die kein Opfer bringt, den Altar berührt, besänftigt sie die sich abwendenden Penaten mit einem aufwendigen Opfer nicht einschmeichelnder als mit ehrfürchtigem Opfermehl und sprühendem Salz.

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CARMINVM LIBER III XXIV

Intactis opulentior thesauris Arabum et divitis Indiae caementis licet occupes Tyrrhenum omne tuis et mare Punicum: si figit adamantinos summis verticibus dira Necessitas clavos, non animum metu, non mortis laqueis expedies caput. campestres melius Scythae, quorum plaustra vagas rite trahunt domos, vivunt et rigidi Getae immetata quibus iugera liberas fruges et Cererem ferunt nec cultura placet longior annua defunctumque laboribus aequali recreat sorte vicarius. illic matre carentibus privignis mulier temperat innocens nec dotata regit virum coniunx nec nitido fidit adultero. dos est magna parentium virtus et metuens alterius viri certo foedere castitas, et peccare nefas, aut pretium est mori.

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BUCH 3 DER ODEN 24 Magst du auch, reicher als die unberührten Schätze der Araber und des wohlhabenden Indiens, mit deinen Mauersteinen das ganze Tyrrhenische und das ganze Punische Meer beanspruchen: Wenn die fürchterliche Notwendigkeit ihre stählernen Nägel in die höchsten Dächer einschlägt, wirst du deine Seele nicht von Furcht, deinen Kopf nicht von den Schlingen des Todes befreien. Die auf Steppen wohnenden Skythen, deren Wagen nach dem Brauch wandernde Häuser ziehen, leben besser, auch die abgehärteten Geten, denen unvermessene Landflächen frei zugänglich Früchte und Getreide tragen, der Ackerbau nicht länger als ein Jahr lang gefällt und bei denen der Ersatzmann den, der seine Arbeiten zu Ende gebracht hat, mit gleichem Anteil an der Pflicht sich erholen lässt. Dort lenkt die Stiefkinder, denen die Mutter fehlt, die Frau, ohne ihnen zu schaden, die mit einer Mitgift ausgestattete Gattin beherrscht nicht den Mann und vertraut nicht dem glanzvollen Liebhaber. Eine große Mitgift der Eltern ist die Tugend und Enthaltsamkeit, die aufgrund eines festen Bundes einen anderen Mann scheut, und Fremdgehen ist Frevel oder Sterben der Lohn.

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CARMINVM LIBER III

o quisquis volet impias caedes et rabiem tollere civicam, si quaeret pater urbium suscribi statuis, indomitam audeat refrenare licentiam, clarus postgenitis, quatenus – heu nefas! – virtutem incolumem odimus, sublatam ex oculis quaerimus invidi. quid tristes querimoniae, si non supplicio culpa reciditur, quid leges sine moribus vanae proficiunt, si neque fervidis pars inclusa caloribus mundi nec Boreae finitimum latus durataeque solo nives mercatorem abigunt, horrida callidi

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vincunt aequora navitae, magnum pauperies opprobrium iubet quidvis et facere et pati virtutisque viam deserit arduae? vel nos in Capitolium, quo clamor vocat et turba faventium, vel nos in mare proximum gemmas et lapides aurum et inutile, summi materiem mali, mittamus, scelerum si bene paenitet.

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BUCH 3 DER ODEN

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O, wer auch immer ruchlose Morde und die Raserei der Bürger beenden will, soll, falls er wünscht, dass man unten auf seine Statuen »Vater der Stadt« schreibt, es wagen, die ungebändigte Hemmungslosigkeit zu zügeln, dadurch berühmt bei den Nachgeborenen, insofern wir – welch ein Frevel! – von der Tugend, solange sie unversehrt ist, nichts wissen wollen, sie aber, wenn sie aus den Augen verschwunden ist, suchen, neidisch, wie wir sind. Was nützen bittere Klagen, wenn die Untat nicht durch Strafe beschnitten wird, was Gesetze, die ohne Moral sinnlos sind, wenn weder der von glühender Hitze eingeschlossene Teil der Welt noch die dem Boreas benachbarte Gegend und die am Boden verhärteten Schneemassen den Kaufmann abhalten, clevere Seefahrer die schrecklichen Fluten überwinden, die Armut als große Schande befiehlt, alles zu tun und zu ertragen, und den Weg der steilen Tugend verlässt? Lasst uns entweder aufs Kapitol, wohin uns der Applaus und die Menge der uns Gewogenen rufen, oder ins nächste Meer Perlen, Edelsteine und das unnütze Gold, den Stoff für das größte Übel, werfen, falls wir die Frevel auf rechte Weise bereuen.

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CARMINVM LIBER III

eradenda cupidinis pravi sunt elementa et tenerae nimis mentes asperioribus firmandae studiis. nescit equo rudi haerere ingenuus puer venarique timet, ludere doctior seu Graeco iubeas trocho seu malis vetita legibus alea, cum periura patris fides consortem 〈et〉 socium fallat et hospitem

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indignoque pecuniam heredi properet. scilicet improbae crescunt divitiae, tamen curtae nescio quid semper abest rei.

XXV Quo me, Bacche, rapis tui plenum? quae nemora aut quos agor in specus velox mente nova? quibus antris egregii Caesaris audiar aeternum meditans decus stellis inserere et consilio Iovis? dicam insigne, recens, adhuc indictum ore alio. non secus in iugis

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BUCH 3 DER ODEN Die Keime der bösen Begierde müssen ausgerottet und die allzu weichlichen Gemüter durch härtere Beschäftigungen gestärkt werden. Der freigeborene Knabe vermag sich nicht auf einem untrainierten Pferd zu halten, und er scheut die Jagd, kundiger im Spielen, ob du verlangst, es soll mit dem griechischen Rad1 geschehen oder, wenn du lieber willst, mit dem gesetzlich verbotenen Würfel, während die meineidige Treue seines Vaters den Miterben, den Geschäftspartner und den Gastfreund betrügt und sich beeilt, für einen unwürdigen Erben das Geld zu beschaffen. Natürlich wächst schamlos erworbener Reichtum, aber dennoch fehlt ständig irgendetwas zu dem unvollkommenen Vermögen.

25 Wohin, Bacchus, reißt du mich, den von dir Erfüllten? In welche Haine und welche Höhlen werde ich getrieben, beschwingt von einer neuartigen Eingebung? In welchen Grotten wird man hören, wie ich darauf sinne, des erhabenen Caesar ewigen Glanz den Sternen einzufügen und der Ratsversammlung Juppiters? Ich werde Einzigartiges, Neues, bis jetzt von anderem Munde Ungesagtes sagen. Nicht anders staunt auf den Bergeshöhen

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CARMINVM LIBER III

exsomnis stupet Euhias Hebrum prospiciens et nive candidam Thracen ac pede barbaro lustratam Rhodopen, ac mihi devio rupes et vacuum nemus mirari libet. o Naiadum potens Baccharumque valentium proceras manibus vertere fraxinos, nil parvum aut humili modo, nil mortale loquar. dulce periculum est, o Lenaee, sequi deum cingentem viridi tempora pampino.

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XXVI Vixi puellis nuper idoneus et militavi non sine gloria; nunc arma defunctumque bello barbiton hic paries habebit, laevum marinae qui Veneris latus custodit. hic, hic ponite lucida funalia et vectes et arcus oppositis foribus minaces. o quae beatam diva tenes Cyprum et Memphin carentem Sithonia nive, regina, sublimi flagello tange Chloen semel arrogantem.

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BUCH 3 DER ODEN

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schlaflos die Euhias, auf den Hebrus schauend, das vom Schnee schimmernde Thrakien und die von barbarischem Fuß durchstreifte Rhodope, als es mich freut, abseits vom Wege die Felsen und den leeren Hain zu bewundern. O Herr der Najaden und der Bacchantinnen, die die Kraft haben, hochragende Eschen mit ihren Händen umzustürzen, nichts Geringes oder in niedriger Weise, nichts Sterbliches werde ich sagen. Eine süße Gefahr ist es, o Lenäus, dem Gott zu folgen, mit grünem Weinlaub die Schläfen umwindend.

26 Vor kurzem noch habe ich als zu den Mädchen passender Mann gelebt, und als ein Soldat nicht ohne Ruhm gedient;1 nun soll die Waffen2 und den Barbitos, der im Krieg ausgedient hat, diese Wand hier besitzen, welche die linke Seite der Meeresgöttin Venus schirmt.3 Hier, hier legt nieder die leuchtenden Fackeln, die Hebel und die Bogen, die widerstrebenden Türflügeln drohen. O Göttin, die du die glückliche Kypros bewohnst und Memphis, das sithonischen Schnee nicht kennt, Königin, mit hochgeschwungener Geißel rühre noch einmal die stolze Chloë an.

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CARMINVM LIBER III XXVII

Impios parrae recinentis omen ducat et praegnans canis aut ab agro rava decurrens lupa Lanuvino fetaque vulpes; rumpat et serpens iter institutum, si per obliquum similis sagittae terruit mannos. ego cui timebo providus auspex, antequam stantes repetat paludes imbrium divina avis imminentum, oscinem corvum prece suscitabo solis ab ortu. sis licet felix, ubicumque mavis, et memor nostri, Galatea, vivas teque nec laevus vetet ire picus nec vaga cornix. sed vides, quanto trepidet tumultu pronus Orion? ego quid sit ater Hadriae novi sinus et quid albus peccet Iapyx. hostium uxores puerique caecos sentiant motus orientis Austri et aequoris nigri fremitum et trementes verbere ripas.

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BUCH 3 DER ODEN 27 Ruchlose möge das Omen eines heulenden Kauzes geleiten und eine schwangere Hündin oder eine vom lanuvinischen Gebiet herbeirennende graue Wölfin und eine trächtige Füchsin; auch eine Schlange soll die begonnene Reise unterbrechen, wenn sie von der Seite wie ein Pfeil die Ponys1 erschreckt. Für wen ich fürchte als voraussehender Vogelschauer2, für den werde ich, bevor die stehenden Gewässer der kommende Regengüsse ankündigende Vogel3 wieder aufsucht, einen weissagenden Raben vom Aufgang der Sonne mit meinem Gebet aufscheuchen. Mögest du glücklich sein, wo immer du lieber willst, und in Erinnerung an mich leben, Galatea, und weder ein Specht zur Linken möge dich von der Reise abhalten noch eine umherstreifende Krähe. Aber siehst du, mit welchem Unwetter der herabsinkende Orion in Aufruhr ist? Ich weiß, was es bedeutet, dass der adriatische Golf schwarz ist und was der weiße Ïapyx Schlimmes treibt. Die Frauen und Kinder von Feinden sollen die unsichtbaren Bewegungen des aufsteigenden Auster zu spüren bekommen und das Brausen des dunklen Meers und das Erzittern der Küsten beim Anprall der Wogen.

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CARMINVM LIBER III

sic et Europe niveum doloso credidit tauro latus et scatentem beluis pontum mediasque fraudes palluit audax. nuper in pratis studiosa florum et debitae Nymphis opifex coronae nocte sublustri nihil astra praeter vidit et undas. quae simul centum tetigit potentem oppidis Creten, ‘pater, o relictum filiae nomen pietasque!’ dixit victa furore. ‘unde quo veni? levis una mors est virginum culpae. vigilansne ploro turpe commissum an vitiis carentem ludit imago

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vana, quae porta fugiens eburna somnium ducit? meliusne fluctus ire per longos fuit an recentes carpere flores? si quis infamen mihi nunc iuvencum dedat iratae, lacerare ferro et frangere enitar modo multum amati cornua monstri. impudens liqui patrios Penates: impudens Orcum moror. o deorum

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BUCH 3 DER ODEN So vertraute auch Europa ihren schneeweißen Leib dem listigen Stier an, und vor dem von Untieren wimmelnden Meer und den Gefahren auf ihrem Weg erbleichte die Wagemutige. Eben noch auf der Wiese4 auf Blumen erpicht und einen den Nymphen geschuldeten Kranz bastelnd,5 sah sie in der halbdunklen Nacht nichts außer den Sternen und den Wogen. Sobald sie das durch hundert Städte mächtige Kreta erreicht hatte, sagte sie: »Vater6, o aufgegebener Name ›Tochter‹ und Kindesliebe!«, überwältigt von wilder Aufregung. »Woher, wohin bin ich gekommen? Ein einziger Tod wäre leicht für das Vergehen von Jungfrauen.7 Heule ich wachend über mein schändliches Vergehen, oder täuscht die, welche frei ist von Schuld, ein Trugbild, das, der elfenbeinernen Pforte entweichend, einen Traum mit sich bringt?8 War es besser, über die weiten Fluten zu reisen oder frische Blumen zu pflücken? Wenn jemand mir jetzt den schändlichen Stier in meinem Zorn übergäbe, würde ich mich bemühen, ihn mit Eisen zu zerfleischen und die Hörner des gerade noch9 sehr geliebten Ungeheuers zu zerbrechen. Schamlos habe ich mein Vaterhaus verlassen, schamlos lasse ich den Orkus warten. O wer von den Göttern

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CARMINVM LIBER III

si quis haec audis, utinam inter errem nuda leones; antequam turpis macies decentes occupet malas teneraeque sucus defluat praedae, speciosa quaero pascere tigres. “vilis Europe”, pater urget absens, “quid mori cessas? potes hac ab orno pendulum zona bene te secuta laedere collum.

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sive te rupes et acuta leto saxa delectant, age te procellae crede veloci, nisi erile mavis carpere pensum regius sanguis dominaeque tradi barbarae paelex.”’ aderat querenti perfidum ridens Venus et remisso filius arcu. mox, ubi lusit satis, ‘abstineto’ dixit ‘irarum calidaeque rixae, cum tibi invisus laceranda reddet cornua taurus. uxor invicti Iovis esse nescis. mitte singultus; bene ferre magnam disce fortunam: tua sectus orbis nomina ducet.’

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BUCH 3 DER ODEN

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du bist, der du dies hörst, wenn ich doch nackt unter Löwen umherirren würde; bevor hässliche Abmagerung sich über meine hübschen Wangen hermacht und der zarten Beute10 der Saft entfließt, will ich, dass ich in meiner ganzen Schönheit Futter für Tiger bin. ›Nichtswürdige Europa‹, drängt der Vater aus der Ferne, ›was zögerst du zu sterben? Du könntest, an dieser Esche aufgehängt, mit deinem Gürtel, der dir zum Glück gefolgt ist11, dir das Genick brechen. Oder wenn dir die Felsen und die tödlich spitzen Klippen gefallen, los, vertraue dich dem schnellen Sturmwind an, es sei denn, du willst lieber für eine Herrin dir zugeteilte Wolle zupfen, du, königliches Geblüt, und als Nebenfrau einer barbarischen Gebieterin übergeben werden.‹« Während sie klagte, erschien hinterlistig lachend Venus und mit abgespanntem Bogen ihr Sohn12. Bald, als sie sich genug belustigt hatte, sagte sie: »Enthalte dich deiner Zornesausbrüche und der hitzigen Zankerei, wenn der verhasste Stier dir seine Hörner zum Zerfleischen hinhalten wird.13 Du verstehst nicht, dass du die Gattin des unbesiegbaren Juppiter14 bist. Lass das Schluchzen, lerne großes Glück in rechter Weise zu tragen: Ein Teil der Erde wird deinen Namen führen.«

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CARMINVM LIBER III XXVIII

Festo quid potius die Neptuni faciam? prome reconditum, Lyde, strenua Caecubum munitaeque adhibe vim sapientiae. inclinare meridiem sentis et, veluti stet volucris dies, parcis deripere horreo cessantem Bibuli consulis amphoram? nos cantabimus invicem Neptunum et virides Nereidum comas: tu curva recines lyra Latonam et celeris spicula Cynthiae. summo carmine, quae Cnidon fulgentesque tenet Cycladas et Paphon iunctis visit oloribus, dicetur merita Nox quoque nenia.

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XXIX Tyrrhena regum progenies, tibi non ante verso lene merum cado cum flore, Maecenas, rosarum et pressa tuis balanus capillis iamdudum apud me est: eripe te morae nec semper udum Tibur et Aefulae

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BUCH 3 DER ODEN

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28 Was könnte ich Besseres am Festtag Neptuns tun? Hole den verwahrten Caecuber mit Entschlossenheit hervor, Lyde, und tu dem Bollwerk deiner Weisheit Gewalt an. Dass der Mittag sich neigt, bemerkst du, und als ob der geflügelte Tag stillstünde, zögerst du, aus dem Lager1 die dort verweilende Amphore des Konsuls Bibulus2 hervorzuzerren? Wir werden im Wechsel Neptun und die grünen Haare der Nerëiden besingen: Du wirst zur gebogenen Lyra in Erwiderung darauf Latona und die Pfeile der schnellen Kynthia besingen; im letzten Lied wird sie, die Knidos und die leuchtenden Kykladen bewohnt und Paphos mit ihrem Schwanengespann aufsucht,3 besungen werden, auch die Nacht mit dem ihr gebührenden Schlaflied.

29 Tyrrhenischer Nachkomme von Königen, für dich ist milder Wein in einem vorher nicht geneigten1 Fass mit der Blüte der Rosen, Maecenas, und die Balanus, die für deine Haare gepresst wurde, schon lange bei mir: Entreiße dich dem Hinauszögern, und schaue nicht ständig zum wasserreichen Tibur, auf

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CARMINVM LIBER III

declive contempleris arvum et Telegoni iuga parricidae. fastidiosam desere copiam et molem propinquam nubibus arduis, omitte mirari beatae fumum et opes strepitumque Romae. plerumque gratae divitibus vices mundaeque parvo sub Lare pauperum cenae sine aulaeis et ostro sollicitam explicuere frontem. iam clarus occultum Andromedae pater ostendit ignem, iam Procyon furit et stella vesani Leonis sole dies referente siccos;

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iam pastor umbras cum grege languido rivumque fessus quaerit et horridi dumeta Silvani caretque ripa vagis taciturna ventis: tu civitatem quis deceat status curas et Urbi sollicitus times, quid Seres et regnata Cyro Bactra parent Tanaisque discors. prudens futuri temporis exitum caliginosa nocte premit deus ridetque, si mortalis ultra fas trepidat. quod adest, memento

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BUCH 3 DER ODEN Aefulas schräg abfallendes Ackerland und die Berghöhen des Vatermörders Telegonus.2 Verlasse die Überdruss bereitende Fülle und den massiven Bau, der den steilen Wolken nahe ist, hör auf, den Rauch, die Schätze und den Lärm des begüterten Rom ehrfürchtig anzustaunen. Meist ist den Reichen Veränderung willkommen, und ein schlichtes Mahl unter dem kleinen Lar der Armen ohne Baldachine und Purpur glättet die besorgte Stirn. Schon zeigt der helle Vater der Andromeda3 sein verborgenes Feuer, schon wüten Prokyon und der Stern des rasenden Löwen,4 während die Sonne die trockenen Tage zurückbringt; schon strebt der müde Hirte mit der ermatteten Herde zu den Schatten, zum Bach und zum Dickicht des struppigen Silvanus, und frei von schweifenden Winden ist das schweigende Ufer: Du machst dir Sorgen darüber, welche Ordnung zu unserem Staat passt, und fürchtest dich in Sorge um die Stadt davor, was die Serer und das von Kyrus beherrschte Baktra und der zwieträchtige Tanaïs5 planen. Klug vorausschauend bedeckt den Ausgang der zukünftigen Zeit mit finsterer Nacht der Gott und lacht, wenn die Sterblichen sich über Gebühr ängstigen. Was da ist, gedenke

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CARMINVM LIBER III

componere aequus: cetera fluminis ritu feruntur, nunc medio alveo cum pace delabentis Etruscum in mare, nunc lapides adesos stirpesque raptas et pecus et domos volventis una, non sine montium clamore vicinaeque silvae, cum fera diluvies quietos

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irritat amnes. ille potens sui laetusque deget, cui licet in diem dixisse: ‘vixi’. cras vel atra nube polum Pater occupato vel sole puro; non tamen irritum quodcumque retro est efficiet neque diffinget infectumque reddet quod fugiens semel hora vexit. Fortuna saevo laeta negotio et ludum insolentem ludere pertinax transmutat incertos honores, nunc mihi, nunc alii benigna. laudo manentem: si celeres quatit pinnas, resigno quae dedit et mea virtute me involvo probamque Pauperiem sine dote quaero. non est meum, si mugiat Africis malus procellis, ad miseras preces

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BUCH 3 DER ODEN gleichmütig zu ordnen: Das Übrige eilt in der Art des Flusses6 dahin, der bald in der Mitte seines Bettes friedlich ins Etruskische Meer7 hinabgleitet, bald ausgehöhlte Steine, ausgerissene Baumstämme, Vieh und Häuser, alle zusammen, mit sich wälzt, nicht ohne das Dröhnen der Berge und des benachbarten Waldes, wenn die wilde Flut die ruhigen Ströme erregt. Derjenige wird als Herr über sich selbst und froh sein Dasein verbringen, der von Tag zu Tag sagen darf: »Ich habe gelebt.« Morgen mag der Vater8 entweder mit schwarzer Wolke den Himmel bedecken oder mit ungetrübter Sonne; er wird dennoch nicht ungültig machen, was immer zurückliegt, und nicht umgestalten und ungeschehen machen, was die flüchtige Stunde einmal gebracht hat. Fortuna, froh über ihr grausames Geschäft und hartnäckig im Spielen ihres zügellosen Spiels, tauscht unbeständige Ehren um, bald mir, bald einem anderen gegenüber freundlich. Ich lobe sie, wenn sie bleibt: Schüttelt sie die schnellen Flügel, zahle ich zurück, was sie gab, hülle mich in meine Tugend ein und werbe um die redliche Frau Armut ohne Mitgift. Es ist nicht meine Sache, wenn in Stürmen des Africus der Mast ächzt, zu elenden Bitten

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CARMINVM LIBER III

decurrere et votis pacisci, ne Cypriae Tyriaeque merces

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addant avaro divitias mari. tunc me biremis praesidio scaphae tutum per Aegaeos tumultus aura feret geminusque Pollux.

XXX Exegi monumentum aere perennius regalique situ pyramidum altius, quod non imber edax, non Aquilo impotens possit diruere aut innumerabilis annorum series et fuga temporum. non omnis moriar multaque pars mei vitabit Libitinam: usque ego postera crescam laude recens, dum Capitolium scandet cum tacita virgine pontifex: dicar, qua violens obstrepit Aufidus et qua pauper aquae Daunus agrestium regnavit populorum, ex humili potens princeps Aeolium carmen ad Italos deduxisse modos. sume superbiam quaesitam meritis et mihi Delphica lauro cinge volens, Melpomene, comam.

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BUCH 3 DER ODEN Zuflucht zu nehmen und mit Gelübden zu erhandeln, dass meine kyprischen und tyrischen Waren dem gierigen Meer nicht Reichtum hinzufügen. Dann werden mich im Schutz eines zweirudrigen Rettungsbootes sicher durch den Aufruhr der Ägäis eine Brise und die Zwillinge Kastor und Pollux tragen.

30 Ich habe ein Monument vollendet, das dauerhafter ist als Erz1 und höher als der königliche Bau der Pyramiden, das kein gefräßiger Regen, nicht der unbeherrschte Aquilo zerstören kann oder eine unzählbare Reihe von Jahren und die Flucht der Zeiten. Ich werde nicht ganz sterben: Ein großer Teil von mir wird der Libitina entgehen; ständig werde ich frisch durch den Nachruhm wachsen, solange hinauf zum Kapitol der Priester mit der schweigenden Jungfrau steigt.2 Ich werde genannt werden, wo der reißende Aufidus braust und wo der wasserarme Daunus über Völker von Bauern König war,3 ich, aus einem Niedrigen zu einem Mächtigen geworden, der als erster äolische Poesie hin zu italischen Weisen geführt hat.4 Nimm dir zu eigen den Stolz, der erworben ist durch Verdienste, und umwinde mir gnädig mit delphischem Lorbeer, Melpomene, das Haar.

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Briefe I

EPISTVLARVM LIBER I I Prima dicte mihi, summa dicende Camena, spectatum satis et donatum iam rude quaeris, Maecenas, iterum antiquo me includere ludo? non eadem est aetas, non mens. Veianius armis Herculis ad postem fixis latet abditus agro, ne populum extrema totiens exoret harena. est mihi purgatam crebro qui personet aurem: ‘solve senescentem mature sanus equum, ne peccet ad extremum ridendus et ilia ducat.’ nunc itaque et versus et cetera ludicra pono: quid verum atque decens, curo et rogo et omnis in hoc sum; condo et compono quae mox depromere possim. ac ne forte roges, quo me duce, quo Lare tuter: nullius addictus iurare in verba magistri, quo me cumque rapit tempestas, deferor hospes. nunc agilis fio et mersor civilibus undis virtutis verae custos rigidusque satelles, nunc in Aristippi furtim praecepta relabor et mihi res, non me rebus subiungere conor. ut nox longa quibus mentitur amica diesque longa videtur opus debentibus, ut piger annus pupillis, quos dura premit custodia matrum, sic mihi tarda fluunt ingrataque tempora, quae spem consiliumque morantur agendi naviter id, quod aeque pauperibus prodest, locupletibus aeque,

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Buch 1 der Briefe 1 Du, von mir mit meiner ersten Camene1 besungen, von meiner letzten zu besingen, suchst mich, der ich mich genügend zur Schau gestellt habe und bereits mit dem Stab beschenkt wurde2, wieder in die alte Gladiatorenschule einzusperren, Maecenas? Mein Alter, mein Denken ist nicht mehr dasselbe. Veianius hat seine Waffen [5] an einem Pfosten des Herkules3 aufgehängt und ist verborgen im Versteck auf dem Lande, damit er das Volk nicht so oft am Rande der Arena anflehen4 muss. Da ist einer, der mir häufig das gereinigte Ohr ertönen lässt5: »Spanne rechtzeitig das alternde Pferd6 aus, wenn du vernünftig bist, damit es nicht zu guter Letzt lächerlich stolpert und dahinkeucht.« [10] Deshalb lege ich jetzt meine Verse und alle übrigen Spielereien beiseite: Was wahr und angemessen ist, darum kümmere ich mich, frage danach und gehe ganz darin auf; ich hebe mir auf und sammle, was ich bald hervorholen kann. Und damit du nicht etwa fragst, bei welcher Leitfigur, in welchem Haus ich Schutz suche: Ich habe mich nicht verpflichtet, auf die Worte irgendeines Meisters zu schwören; [15] wohin auch immer das Wetter mich reißt, lasse ich mich als Gast tragen. Bald werde ich aktiv und tauche in die Wogen der Tätigkeiten des Staatsbürgers als rigoroser Wächter und Gefolgsmann der wahren Tugend,7 bald gleite ich unbewusst zurück zu den Lehren Aristipps und versuche, die Dinge mir, nicht mich den Dingen unterzuordnen. [20] Wie die Nacht denen lang vorkommt, die die Geliebte versetzt hat, und der Tag denen lang, die für Tagelohn arbeiten, wie das Jahr sich träge dahinzieht für halbwaise Knaben, auf welche die Vormundschaft der Mutter hart drückt, so fließen mir langsam und freudlos die Stunden dahin, die mir die Hoffnung hinhalten und den Plan, das energisch zu betreiben, was [25] gleichermaßen den Armen

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EPISTVLARVM LIBER I

aeque neglectum pueris senibusque nocebit. restat, ut his ego me ipse regam solerque elementis. non possis oculo quantum contendere Lynceus: non tamen idcirco contemnas lippus inungui; nec, quia desperes invicti membra Glyconis, nodosa corpus nolis prohibere cheragra. est quadam prodire tenus, si non datur ultra. fervet avaritia miseroque cupidine pectus: sunt verba et voces, quibus hunc lenire dolorem possis et magnam morbi deponere partem. laudis amore tumes: sunt certa piacula, quae te ter pure lecto poterunt recreare libello. invidus, iracundus, iners, vinosus, amator, nemo adeo ferus est, ut non mitescere possit, si modo culturae patientem commodet aurem. virtus est vitium fugere et sapientia prima stultitia caruisse. vides, quae maxima credis esse mala, exiguum censum turpemque repulsam, quanto devites animi capitisque labore. impiger extremos curris mercator ad Indos, per mare pauperiem fugiens, per saxa, per ignes: ne cures ea, quae stulte miraris et optas, discere et audire et meliori credere non vis? quis circum pagos et circum compita pugnax magna coronari contemnat Olympia, cui spes, cui sit condicio dulcis sine pulvere palmae? vilius argentum est auro, virtutibus aurum. ‘o cives, cives, quaerenda pecunia primum est;

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nützt, gleichermaßen den Reichen, gleichermaßen, wenn man es vernachlässigt, Jungen und Alten schaden wird. Mir bleibt nur, mich mit diesen8 elementaren Unterweisungen selbst zu lenken und zu trösten. Du könntest dich mit dem Auge nicht so sehr anstrengen wie Lynkeus, solltest aber deshalb nicht das Einsalben verschmähen, wenn du triefäugig bist; [30] und nur weil dir nicht gegeben ist, die Glieder des unbesieglichen Glykon zu haben, wirst du nicht ablehnen, dir die knotige Handgicht vom Leib zu halten. Man kann bis zu einem gewissen Punkt kommen, wenn es darüber hinaus nicht möglich ist. Dir glüht vor Habsucht und elender Begierde die Brust: Es gibt Worte und Sprüche, mit denen du diesen Schmerz lindern [35] und das Leiden zu einem großen Teil ablegen kannst. Du bist vom Verlangen nach Lob aufgeblasen: Es gibt verlässliche Sühnegebete, die dir erste Hilfe verschaffen können, wenn du ein Büchlein reinen Herzens dreimal liest. Der Neidische, der Jähzornige, der Faule, der Weinselige, der Schürzenjäger, keiner ist so wild, dass er nicht zahm werden könnte, [40] wenn er nur der Verfeinerungstherapie sein geduldiges Ohr leiht. Tugend bedeutet, vor dem Laster zu fliehen, und Anfang der Weisheit ist, von Dummheit frei zu sein. Du siehst, mit welch großem geistigen Bemühen und Einsatz des Lebens du die Übel, die du für die größten hältst, ein geringes Vermögen und eine schimpfliche Wahlniederlage, meiden möchtest. [45] Unermüdlich eilst du als Kaufmann zu den fernsten Indern, übers Meer, über Felsen, durch Feuer vor der Armut fliehend: Willst du nicht lernen, hören und dich einem, der besser ist, anvertrauen, damit du dich nicht für das engagierst, was du töricht anstaunst und begehrst? Welcher Ringkämpfer, der von Dorf zu Dorf und Wegkreuzung zu Wegkreuzung zieht, [50] würde wohl verschmähen, bei den großen Olympischen Spielen bekränzt zu werden, der Hoffnung auf die süße Siegespalme und der die Voraussetzung dafür hätte, ohne Staub berühren zu müssen?9 Silber hat geringeren Wert als Gold, aber Gold geringeren als die Tugenden. »O Bürger, Bürger, Geld ist vor allem anderen zu erstreben, Tu-

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virtus post nummos!’ haec Ianus summus ab imo prodocet, haec recinunt iuvenes dictata senesque. est animus tibi, sunt mores, est lingua fidesque, sed quadringentis sex septem milia desunt: plebs eris. at pueri ludentes ’rex eris’ aiunt, ‘si recte facies’. hic murus aeneus esto: nil conscire sibi, nulla pallescere culpa. Roscia, dic sodes, melior lex an puerorum est nenia, quae regnum recte facientibus offert, et maribus Curiis et decantata Camillis? isne tibi melius suadet, qui, rem facias, rem, si possis, recte, si non, quocumque modo rem, ut propius spectes lacrimosa poemata Pupi, an qui Fortunae te responsare superbae liberum et erectum praesens hortatur et aptat? quodsi me populus Romanus forte roget, cur non ut porticibus sic iudiciis fruar isdem nec sequar aut fugiam quae diligit ipse vel odit: olim quod vulpes aegroto cauta leoni respondit, referam: ‘quia me vestigia terrent, omnia te adversum spectantia, nulla retrorsum.’ belua multorum est capitum. nam quid sequar aut quem? pars hominum gestit conducere publica; sunt qui crustis et pomis viduas venentur avaras excipiantque senes, quos in vivaria mittant; multis occulto crescit res faenore. verum esto aliis alios rebus studiisque teneri: idem eadem possunt horam durare probantes? ‘nullus in orbe sinus Bais praelucet amoenis’ si dixit dives, lacus et mare sentit amorem festinantis eri; cui si vitiosa libido fecerit auspicium: ‘cras ferramenta Teanum

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gend nach den Geldmünzen!« Dies predigt Janus von einem Ende zum anderen,10 [55] dies repetieren die Jungen und Alten nach Diktat.11 Du besitzt Geist, du besitzt Moral, du besitzt Zungenfertigkeit und Glaubwürdigkeit, aber zu vierhunderttausend fehlen dir sechsoder siebentausend: Zum Pöbel wirst du gehören. Doch die Jungen sagen beim Spielen: »König wirst du, [60] wenn du es recht machst.« Dies sei eine Mauer aus Erz: sich keiner Untat bewusst zu sein, keiner Schuld wegen zu erbleichen. Sage doch bitte schön, ob das Gesetz des Roscius besser ist oder das Kinderlied, das die Königsherrschaft denen überträgt, die es recht machen, und das schon von Männern wie Curius und Camillus gesungen wurde? [65] Rät dir derjenige besser, der sagt: »Schaff dir ein Vermögen, ein Vermögen, wenn du kannst, auf rechte Art, wenn nicht, ein Vermögen auf jede beliebige Art, damit du die tränenerregenden Dichtungen des Pupius12 aus größerer Nähe ansehen kannst«, oder der, welcher dich als dein Helfer ermahnt und stark macht, der hochmütigen Fortuna frei und aufrecht die Stirn zu bieten? [70] Wenn aber das römische Volk mich etwa fragen würde, warum ich nicht ebenso wie dieselben Säulenhallen dieselben Ansichten mit ihm teile und ihm nicht in dem folge oder das meide, was es selbst liebt oder hasst, würde ich zitieren, was einst der vorsichtige Fuchs dem kranken Löwen antwortete: »Weil mich die Spuren schrecken, [75] indem alle in deine Richtung schauen, keine aber rückwärts.«13 Es ist ein Untier mit vielen Köpfen. Denn worin oder wem soll ich folgen? Ein Teil der Menschen strebt danach, Staatsverträge zu schließen;14 manche machen mit Kuchen und Obst Jagd auf geizige Witwen und fangen alte Männer ab, um sie in ihre Käfige zu schicken;15 [80] vielen wächst das Vermögen durch unbemerkte Zinsgeschäfte. Doch sei es denn, dass die einen sich von diesen, die anderen von jenen Angelegenheiten und Interessen einnehmen lassen: Können dieselben Leute eine Stunde lang dasselbe gut finden? »Kein Zufluchtsort auf der Welt leuchtet schöner als das liebliche Baiae.« Wenn ein Reicher das gesagt hat, bekommen See16 und Meer die Vorliebe des [85] hastigen Herrn zu spüren;17 wenn ihm seine krankhafte Lei-

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tolletis, fabri!’ lectus genialis in aula est: nil ait esse prius, melius nil caelibe vita; si non est, iurat bene solis esse maritis. quo teneam vultus mutantem Protea nodo? quid pauper? ride: mutat cenacula, lectos, balnea, tonsores, conducto navigio aeque nauseat ac locuples, quem ducit priva triremis. si curatus inaequali tonsore capillos occurri, rides; si forte subucula pexae trita subest tunicae vel si toga dissidet impar, rides: quid, mea cum pugnat sententia secum, quod petiit spernit, repetit quod nuper omisit, aestuat et vitae disconvenit ordine toto, diruit, aedificat, mutat quadrata rotundis? insanire putas sollemnia me neque rides nec medici credis nec curatoris egere a praetore dati, rerum tutela mearum cum sis et prave sectum stomacheris ob unguem de te pendentis, te respicientis amici. ad summam: sapiens uno minor est Iove, dives, liber, honoratus, pulcher, rex denique regum, praecipue sanus, nisi cum pitvita molesta est.

II Troiani belli scriptorem, Maxime Lolli, dum tu declamas Romae, Praeneste relegi; qui, quid sit pulchrum, quid turpe, quid utile, quid non,

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denschaft eine andere Vollmacht gegeben hat, heißt es: »Bauleute, morgen bringt ihr eure Werkzeuge nach Teanum!« Wenn das Hochzeitsbett in seinem Atrium steht,18 sagt er, es gebe nichts Vorzüglicheres, nichts Besseres als das Leben eines Unverheirateten; wenn es nicht so ist, schwört er, allein den Verheirateten gehe es gut. [90] Mit welcher Schlinge könnte ich den sein Aussehen verändernden Proteus festhalten? Was ist mit dem Armen? Lach nur: Er wechselt seine Esszimmer, Betten, Bäder, Barbiere, er ist in einem gemieteten Schiff genauso seekrank wie der Reiche, den seine eigene Trireme transportiert. Wenn mir die Haare von einem Barbier ungleichmäßig frisiert worden sind und [95] ich stehe dir gegenüber, lachst du; wenn ich vielleicht ein abgetragenes Unterhemd unter einer noch wolligen Tunika anhabe oder wenn die Toga schief sitzt, lachst du: Was aber ist, wenn mein Denken mit sich selbst im Widerstreit ist, verschmäht, was es erstrebt hat, zurück haben will, was es kurz zuvor aufgegeben hat, hin und her schwankt und in der ganzen Ordnung des Lebens keine Ordnung hat, [100] niederreißt, aufbaut, Viereckiges mit Rundem vertauscht? Dann glaubst du, ich sei in gewöhnlicher Weise verrückt, und doch lachst du nicht, glaubst nicht, dass ich einen Arzt und auch nicht einen vom Prätor gestellten Vormund brauche, obwohl du der Schutz meiner Angelegenheiten bist und dich ärgerst wegen eines schlecht geschnittenen Fingernagels [105] deines von dir abhängenden, ganz auf dich konzentrierten Freundes. Kurz und gut: Der Weise ist geringer als Juppiter allein; er ist reich, frei, geehrt, schön, mit einem Wort: König über Könige, ausnehmend gesund, außer wenn ihn der Schnupfen quält.

2 Den Verfasser des Trojanischen Krieges1, Maximus Lollius, habe ich, während du in Rom Deklamationen2 hältst, in Praeneste wiedergelesen; was schön, was hässlich, was nützlich ist und was nicht, sagt er

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plenius ac melius Chrysippo et Crantore dicit. cur ita crediderim, nisi quid te distinet, audi. fabula, qua Paridis propter narratur amorem Graecia barbariae lento collisa duello, stultorum regum et populorum continet aestus. Antenor censet belli praecidere causam: quid Paris? ut salvus regnet vivatque beatus, cogi posse negat. Nestor componere lites inter Peliden festinat et inter Atriden: hunc amor, ira quidem communiter urit utrumque. quidquid delirant reges, plectuntur Achivi. seditione, dolis, scelere atque libidine et ira Iliacos intra muros peccatur et extra. rursus, quid virtus et quid sapientia possit, utile proposuit nobis exemplar Ulixem, qui domitor Troiae multorum providus urbes et mores hominum inspexit latumque per aequor, dum sibi, dum sociis reditum parat, aspera multa pertulit, adversis rerum immersabilis undis. Sirenum voces et Circae pocula nosti; quae si cum sociis stultus cupidusque bibisset, sub domina meretrice fuisset turpis et excors; vixisset canis immundus vel amica luto sus. nos numerus sumus et fruges consumere nati, sponsi Penelopae nebulones Alcinoique in cute curanda plus aequo operata iuventus, cui pulchrum fuit in medios dormire dies et ad strepitum citharae cessantem ducere somnum. ut iugulent hominem, surgunt de nocte latrones: ut te ipsum serves, non expergisceris? atqui si noles sanus, curres hydropicus; et ni posces ante diem librum cum lumine, si non

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anschaulicher und besser als Chrysipp und Krantor. [5] Warum ich das glaube, vernimm, wenn dich nicht irgendetwas abhält. Die Geschichte, in der erzählt wird, wie wegen der erotischen Affäre des Paris Griechenland mit dem Barbarenland in einem langwierigen Konflikt zusammenstieß, enthält die geistigen Verwirrungen dummer Könige und Völker. Antenor empfiehlt, die Ursache des Krieges mit einem schnellen Schnitt zu beseitigen.3 [10] Was tut Paris? Er sagt, ungefährdet zu herrschen und glücklich zu leben könne er nicht gezwungen werden.4 Nestor bemüht sich eilends, die Streitigkeiten zwischen dem Peliden und dem Atriden beizulegen:5 Diesen lässt Liebe erglühen, freilich beide gemeinsam der Zorn.6 Was auch immer die Könige in ihrem Wahnsinn anrichten, das müssen die Achiver büßen.7 Durch [15] Aufruhr, Listen, Verbrechen, Wollust und Zorn vergeht man sich innerhalb der Mauern Ilions und außerhalb. Was wiederum Tugend und was Weisheit vermögen, dafür hat er uns Ulixes als nützliches Beispiel vor Augen gestellt, der, Bezwinger Trojas, sich umsichtig die Städte [20] und Sitten vieler Menschen ansah und auf dem weiten Meer, während er für sich, während er für seine Gefährten die Heimkehr vorbereitete, viele Widrigkeiten erduldete, dabei in den Wogen eines feindlichen Schicksals nicht unterzutauchen.8 Du kennst die Stimmen der Sirenen und Kirkes Becher;9 hätte er diese zusammen mit seinen Gefährten dumm und begierig getrunken, [25] dann hätte er, hässlich und ohne Verstand, als Herrin eine Hure gehabt; als schmutziger Hund oder als Schwein, das den Schlamm liebt, hätte er gelebt. Wir aber sind bloße Ziffern und dazu geboren, Feldfrüchte zu verzehren, nichtsnutzige Freier der Penelope, die Jungmannschaft des Alkinous, die sich mehr als recht mit der Pflege ihrer Haut10 beschäftigte [30] und für die es schön war, bis mitten hinein in den Tag zu schlafen und beim Klang der Kithara den säumenden Schlaf herbeizulocken. Um einen Menschen zu ermorden, stehen Räuber noch während der Nacht auf: Du willst, um dich zu retten, nicht aufwachen? Doch wenn du dies als Gesunder nicht willst, wirst du dann als Wassersüchtiger rennen;11 und wenn du nicht [35] vor Tagesanbruch nach einem

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intendes animum studiis et rebus honestis, invidia vel amore vigil torquebere. nam cur quae laedunt oculum, festinas demere, si quid est animum, differs curandi tempus in annum? dimidium facti, qui coepit, habet: sapere aude, incipe! vivendi qui recte prorogat horam, rusticus expectat, dum defluat amnis; at ille labitur et labetur in omne volubilis aevum. quaeritur argentum puerisque beata creandis uxor et incultae pacantur vomere silvae: quod satis est cui contingit, nil amplius optet. non domus et fundus, non aeris acervus et auri aegroto domini deduxit corpore febres, non animo curas; valeat possessor oportet, si comportatis rebus bene cogitat uti. qui cupit aut metuit, iuvat illum sic domus et res ut lippum pictae tabulae, fomenta podagram, auriculas citharae collecta sorde dolentes. sincerum est nisi vas, quodcumque infundis, acescit. sperne voluptates: nocet empta dolore voluptas. semper avarus eget: certum voto pete finem. invidus alterius macrescit rebus opimis; invidia Siculi non invenere tyranni maius tormentum. qui non moderabitur irae, infectum volet esse, dolor quod suaserit et mens, dum poenas odio per vim festinat inulto. ira furor brevis est: animum rege; qui nisi paret, imperat; hunc frenis, hunc tu compesce catena. fingit equum tenera docilem cervice magister ire viam, qua monstret eques; venaticus, ex quo

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Buch mit einem Licht verlangst, wenn du deine Aufmerksamkeit nicht auf edle geistige Interessen und Gegenstände richtest, wirst du schlaflos von Neid und erotischem Verlangen gefoltert werden. Denn warum beeilst du dich, etwas, was dem Auge wehtut, zu entfernen, verschiebst aber, wenn dir etwas das Herz verzehrt, die Zeit der Heilung um ein Jahr? [40] Hat einer einmal angefangen, hat er die Hälfte getan: Wage dich deines Verstandes zu bedienen, fang an! Wer die Zeit dafür, richtig zu leben, vertagt, wartet als Bauer, bis der Strom abfließt; doch sich fortwälzend gleitet der dahin und wird bis alle Ewigkeit dahingleiten. Man sucht Geld zu erwerben, eine [45] wohlhabende Ehefrau, um Kinder zu zeugen, und unbeackerte Wälder bezwingt man mit der Pflugschar: Wem zuteilwird, was genug ist, soll nichts weiter wünschen. Kein Haus und kein Grundstück, kein Haufen von Geld und Gold vertreibt aus dem kranken Körper ihres Herrn die Fieberschauer, aus dem Herzen die Sorgen; gesund muss der Besitzer sein, [50] wenn er beabsichtigt, die zusammengetragenen Güter gut zu nutzen. Wer begehrt oder Angst hat, den erfreuen sein Haus und seine Güter so, wie einen Triefäugigen Gemälde, weiche Kompressen die Fußgicht, Kitharaklänge Ohren, die vom angesammelten Schmutz wehtun. Wenn ein Gefäß nicht sauber ist, wird alles, was du hineingießt, sauer. [55] Verachte die sexuellen Lüste: Lust, die durch Schmerz erkauft wird, schadet. Der Habgierige leidet permanent Mangel: Suche ein festgesetztes Ende für deine Wünsche. Der Neidische magert angesichts der fetten Güter eines anderen ab; im Vergleich mit dem Neid erfanden die sizilischen Tyrannen keine größere Folterqual.12 Wer seinen Zorn nicht zügelt, [60] wird wünschen, dass ungeschehen ist, was ihm sein Schmerz und sein Sinn rieten, während er sich beeilte, an dem unbestraften Objekt seines Hasses gewaltsam Vergeltung zu üben. Zorn ist eine kurzzeitige Raserei: Beherrsche deine Affekte; wenn sie nicht gehorchen, befehlen sie; die bezähme mit Zügeln, die mit einer Kette. Ein Pferd mit zartem Nacken richtet sein Trainer so ab, dass es bereitwillig lernt, [65] den Weg zu gehen, den der Reiter ihm weist;

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tempore cervinam pellem latravit in aula, militat in silvis catulus. nunc adbibe puro pectore vera puer, nunc te melioribus offer. quo semel est imbuta recens, servabit odorem testa diu. quodsi cessas aut strenuus anteis, nec tardum opperior nec praecedentibus insto.

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III Iuli Flore, quibus terrarum militet oris Claudius Augusti privignus, scire laboro. Thracane vos Hebrusque nivali compede vinctus an freta vicinas inter currentia turres an pingues Asiae campi collesque morantur? quid studiosa cohors operum struit? hoc quoque curo. quis sibi res gestas Augusti scribere sumit, bella quis et paces longum diffundit in aevum? quid Titius, Romana brevi venturus in ora, Pindarici fontis qui non expalluit haustus, fastidire lacus et rivos ausus apertos? ut valet? ut meminit nostri? fidibusne Latinis Thebanos aptare modos studet auspice Musa, an tragica desaevit et ampullatur in arte? quid mihi Celsus agit, monitus multumque monendus, privatas ut quaerat opes et tangere vitet scripta, Palatinus quaecumque recepit Apollo, ne, si forte suas repetitum venerit olim grex avium plumas, moveat cornicula risum furtivis nudata coloribus? ipse quid audes? quae circumvolitas agilis thyma? non tibi parvum

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von der Zeit an, wo er das Hirschfell im Hof verbellt hat, leistet ein junger Jagdhund seinen Dienst im Wald. Jetzt, als junger Mann, sauge die Wahrheit mit reinem Herzen in dich ein, jetzt biete dich Besseren an. Den Geruch, mit dem ein neues Gefäß einmal erfüllt ist, wird es [70] lange bewahren. Ob du aber säumst oder wacker an der Spitze marschierst, ich warte nicht auf den Langsamen und eile nicht denen nach, die vorausgehen.

3 Julius Florus, in welcher Gegend der Welt Claudius, der Stiefsohn des Augustus, seine militärische Expedition durchführt, möchte ich unbedingt wissen. Halten euch Thrakien und der von einer Fessel aus Schnee gebundene Hebrus auf oder das zwischen den benachbarten Türmen verlaufende Meer1 [5] oder die fetten Felder und Hügel Asiens? Was für literarische Werke verfasst die gelehrte Kohorte? Auch das interessiert mich. Wer nimmt sich vor, die Taten des Augustus niederzuschreiben, wer verbreitet den Ruhm der Kriege und Friedensschlüsse für eine lange Zeit?2 Was schreibt Titius, der bald in die Münder der Römer gelangen wird,3 [10] der nicht vor dem Trinken aus der pindarischen Quelle zurückgeschreckt ist, weil er es wagte, die allen offenen Seen und Bäche zu verschmähen?4 Wie ist es mit seiner Gesundheit? Denkt er an mich? Bemüht er sich darum, die thebanischen Weisen5 mit dem Beistand der Muse der lateinischen Lyra anzupassen, oder wütet er und redet pathetisch in der tragischen Kunst?6 [15] Woran arbeitet mein Celsus, der von mir ermahnt wurde und vielfach zu ermahnen ist, er solle sich eigene Schätze erwerben und vermeiden, Dichtungen anzutasten, welche auch immer der palatinische Apollo7 aufgenommen hat, damit nicht etwa irgendwann, um ihre Federn zurückzufordern, die Schar der Vögel kommt und die Krähe, weil sie [20] ihrer gestohlenen Farben beraubt ist, Gelächter erregt?8 An was wagst du dich selbst? Um welchen Thymian schwirrst du eifrig herum?9 Du hast keine geringe Begabung, keine brach lie-

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ingenium, non incultum est et turpiter hirtum: seu linguam causis acuis seu civica iura respondere paras seu condis amabile carmen, prima feres hederae victricis praemia. quodsi frigida curarum fomenta relinquere posses, quo te caelestis sapientia duceret, ires. hoc opus, hoc studium parvi properemus et ampli, si patriae volumus, si nobis vivere cari. debes hoc etiam rescribere, sit tibi curae quantae conveniat Munatius. an male sarta gratia nequiquam coit et rescinditur ac vos seu calidus sanguis seu rerum inscitia vexat indomita cervice feros? ubicumque locorum vivitis, indigni fraternum rumpere foedus, pascitur in vestrum reditum votiva iuvenca.

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IV Albi, nostrorum sermonum candide iudex, quid nunc te dicam facere in regione Pedana? scribere quod Cassi Parmensis opuscula vincat an tacitum silvas inter reptare salubres curantem quidquid dignum sapiente bonoque est? non tu corpus eras sine pectore: di tibi formam, di tibi divitias dederunt artemque fruendi. quid voveat dulci nutricula maius alumno, qui sapere et fari possit quae sentiat et cui gratia fama valetudo contingat abunde et mundus victus non deficiente crumina?

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gende und schmählich verwilderte. Ob du deine Zunge für Prozesse schärfst oder dich darauf vorbereitest, dein Urteil in einer Angelegenheit des bürgerlichen Rechts abzugeben, oder ein liebliches Gedicht verfasst, [25] du wirst den siegreichen Efeu als ersten Preis davontragen. Wenn du also die kalten Kompressen, die deine Sorgen um dich legen, weglassen könntest,10 würdest du dorthin gelangen, wohin dich die himmlische Weisheit führen würde. Dieses Werk, dieses Metier lasst uns, hoch und niedrig, unverzüglich in Angriff nehmen, wenn wir wollen, dass wir dem Vaterland wert sind, dass uns unser Leben wert ist. [30] Auch das musst du mir zurückschreiben, ob dir Munatius so sehr am Herzen liegt, wie es sich gehört. Oder ist euer gegenseitiges Wohlwollen schlecht zusammengenäht, schließt sich vergeblich und bricht wieder auf,11 und setzt euch Wilden mit eurem ungezähmten Nacken12 das heiße Blut oder Unkenntnis der Welt zu? In welcher Gegend auch immer ihr [35] seid, zu gut dafür, das brüderliche Bündnis zu zerreißen, in Vorwegnahme eurer Rückkehr weidet eine geweihte junge Kuh.

4 Albius, du freundlicher1 Beurteiler meiner Diatriben, was tust du wohl gerade in der Gegend von Pedum? Schreibst du etwas, was die Werke des Cassius von Parma übertrifft, oder spazierst du schweigend in Gesundheit bringenden Wäldern umher [5] und reflektierst über all das, was eines Verständigen und Guten würdig ist? Du warst nie ein Körper ohne Intelligenz: Die Götter gaben dir eine schöne Gestalt, die Götter dir Reichtum und die Kunst, das zu genießen. Was könnte eine Amme für ihren süßen Zögling Großartigeres wünschen, wenn er verständig sein und sagen kann, was er fühlt, wenn ihm [10] Beliebtheit, Ruhm und Gesundheit in reichem Maße zuteilgeworden ist sowie eine elegante Lebensweise, bei der der Geldbeutel nicht leer wird? Zwischen Hoffnung und Sorge, zwischen

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inter spem curamque, timores inter et iras omnem crede diem tibi diluxisse supremum: grata superveniet quae non sperabitur hora. me pinguem et nitidum bene curata cute vises, cum ridere voles, Epicuri de grege porcum.

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V Si potes Archiacis conviva recumbere lectis nec modica cenare times holus omne patella, supremo te sole domi, Torquate, manebo. vina bibes iterum Tauro diffusa palustres inter Minturnas Sinuessanumque Petrinum. si melius quid habes, arcesse, vel imperium fer. iamdudum splendet focus et tibi munda supellex: mitte leves spes et certamina divitiarum et Moschi causam: cras nato Caesare festus dat veniam somnumque dies; impune licebit aestivam sermone benigno tendere noctem. quo mihi fortunam, si non conceditur uti? parcus ob heredis curam nimiumque severus assidet insano: potare et spargere flores incipiam patiarque vel inconsultus haberi. quid non ebrietas dissignat? operta recludit, spes iubet esse ratas, ad proelia trudit inertem, sollicitis animis onus eximit, addocet artes. fecundi calices quem non fecere disertum, contracta quem non in paupertate solutum? haec ego procurare et idoneus imperor et non invitus, ne turpe toral, ne sordida mappa

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Ängsten und Zorn glaube, jeder Tag, der dir leuchtet, sei dein letzter: Die Stunde, auf die du nicht hoffen wirst, wird dann zusätzlich kommen, und überdies willkommen. [15] Mich, den Fetten und Glänzenden, weil ich eine wohlgepflegte Haut habe, musst du unbedingt besuchen, wenn du einmal lachen willst, mich, ein Schwein aus der Herde Epikurs.

5 Wenn du es über dich bringen kannst, als Gast auf einem Speisesofa des Archias1 zu liegen und keine Bedenken hast, auf einem schlichten Teller nichts als Gemüse zu essen, dann werde ich dich am Ende des Tages bei mir zu Hause erwarten, Torquatus. Du wirst Wein trinken, der im zweiten Konsulat des Taurus2 [5] zwischen dem sumpfigen Minturnae und Petrinum bei Sinuessa abgefüllt wurde. Wenn du etwas Besseres hast, lass es herschicken, oder dulde meinen Befehl3. Schon längst glänzen mein Herd und mein sauberes Geschirr für dich. Lass die nichtigen Hoffnungen, das Ringen um Reichtum und den Prozess des Moschus4 ruhen: Morgen der Festtag [10] gibt uns, weil an ihm Caesar geboren wurde,5 die Erlaubnis zum Ausschlafen; ungestraft werden wir die Sommernacht durch nette Gespräche ausdehnen dürfen. Was nützt mir mein Vermögen, wenn mir nicht gestattet wird, davon Gebrauch zu machen? Wer aus Sorge um den Erben sparsam und allzu streng ist, gleicht einem Verrückten: Zu trinken und Blumen auszustreuen [15] will ich anfangen und es mir erlauben, sogar für unbesonnen gehalten zu werden. Was bringt Trunkenheit nicht alles zustande? Sie legt Verschlossenes offen, befiehlt, dass Hoffnungen sich erfüllen, treibt den Mutlosen zu Raufereien, nimmt besorgten Herzen ihre Last, lehrt neue Fertigkeiten. Wen haben reichlich spendende Becher nicht eloquent gemacht, [20] wen nicht entspannt in seiner beengenden Armut? Ich, fähig und nicht unwillig, sehe es doch als befohlen an, dafür zu sorgen, dass kein hässlicher Sofaüberzug, keine schmutzige Servi-

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corruget nares, ne non et cantharus et lanx ostendat tibi te, ne fidos inter amicos sit qui dicta foras eliminet, ut coeat par iungaturque pari: Butram tibi Septiciumque et nisi cena prior potiorque puella Sabinum detinet, assumam; locus est et pluribus umbris, sed nimis arta premunt olidae convivia caprae. tu quotus esse velis rescribe et rebus omissis atria servantem postico falle clientem.

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VI Nil admirari prope res est una, Numici, solaque, quae possit facere et servare beatum. hunc solem et stellas et decedentia certis tempora momentis sunt qui formidine nulla imbuti spectent: quid censes munera terrae, quid maris extremos Arabas ditantis et Indos, ludicra quid, plausus et amici dona Quiritis, quo spectanda modo, quo sensu credis et ore? qui timet his adversa, fere miratur eodem quo cupiens pacto; pavor est utrubique molestus, improvisa simul species exterret utrumque. gaudeat an doleat, cupiat metuatne, quid ad rem, si, quidquid vidit melius peiusve sua spe, defixis oculis animoque et corpore torpet? insani sapiens nomen ferat, aequus iniqui, ultra quam satis est virtutem si petat ipsam.

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ette dich die Nase rümpfen lässt, dass jeder Humpen und jede Schüssel dich dir zeigt,6 dass es unter treuen Freunden keinen [25] gibt, der Gesprochenes über die Schwelle trägt, dass gleich und gleich zusammenkommen und sich verbinden: Ich werde für dich Butra und Septicius und, wenn ihn nicht eine vorausgegangene Mahlzeit oder ein vorher gewonnenes Mädchen abhält, Sabinus dazu nehmen; es ist auch Platz für mehrere Schatten7, aber Gastmählern, bei denen man allzu eng sitzt, setzt stinkender Ziegengeruch8 schwer zu. [30] Schreibe zurück, mit wie vielen Leuten du sein willst, lass alles liegen und entzieh dich dem Klienten, der dein Atrium besetzt hält, durch die Hintertür.

6 Nichts anzustaunen – das ist so ziemlich die eine und einzige Sache, Numicius, die einen Menschen glücklich machen und erhalten kann. Die Sonne dort, die Sterne und die Jahreszeiten, die in einem feststehenden Rhythmus dahingehen, betrachten manche, ohne von irgendeiner Angst [5] erfüllt zu sein: Was meinst du denn zu den Gaben der Erde, was zu denen des Meeres, welches die fernsten Araber und Inder bereichert, was zu den Spielen, dem Applaus und den Geschenken durch die Gunst der Quiriten1 – auf welche Art, mit welcher Empfindung und mit welcher Miene, glaubst du, muss man die betrachten? Wer das Gegenteil von ihnen fürchtet, staunt sie in der Regel auf dieselbe Weise an [10] wie der, der sie begehrt; auf beiden Seiten gibt es ein quälendes Bangen, sobald eine unerwartete Erscheinung den einen wie den anderen heftig erschreckt. Ob man sich freut oder leidet, begehrt oder Angst hat, was bedeutet das schon, wenn man bei allem, was man sieht, Besserem oder Schlechterem, als man erwartet hat, mit fest darauf fixierten Augen seelisch und körperlich gelähmt ist? [15] Der Weise würde den Namen »Verrückter«, der Gerechte den Namen »Ungerechter« tragen, wenn er nach der Tugend selbst weit mehr streben würde, als genug ist.

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i nunc, argentum et marmor vetus aeraque et artes suspice, cum gemmis Tyrios mirare colores; gaude quod spectant oculi te mille loquentem; navus mane Forum et vespertinus pete tectum, ne plus frumenti dotalibus emetat agris Mutus et – indignum, quod sit peioribus ortus! – hic tibi sit potius quam tu mirabilis illi. quidquid sub terra est, in apricum proferet aetas, defodiet condetque nitentia. cum bene notum porticus Agrippae, via te conspexerit Appi, ire tamen restat, Numa quo devenit et Ancus. si latus aut renes morbo temptantur acuto, quaere fugam morbi. vis recte vivere – quis non?–: si virtus hoc una potest dare, fortis omissis hoc age deliciis. virtutem verba putas et lucum ligna: cave ne portus occupet alter, ne Cibyratica, ne Bithyna negotia perdas; mille talenta rotundentur, totidem altera porro et tertia succedant et quae pars quadret acervum. scilicet uxorem cum dote fidemque et amicos et genus et formam regina Pecunia donat ac bene nummatum decorat Suadela Venusque. mancupiis locuples eget aeris Cappadocum rex: ne fueris hic tu! chlamydes Lucullus, ut aiunt, si posset centum scaenae praebere rogatus, ‘qui possum tot?’ ait; ‘tamen et quaeram et quot habebo mittam’; post paulo scribit sibi milia quinque esse domi chlamydum; partem vel tolleret omnes. exilis domus est, ubi non et multa supersunt et dominum fallunt et prosunt furibus. ergo

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Jetzt geh doch hin und bewundere altes Silbergeschirr, alte Gegenstände aus Marmor und Bronze und alte Kunstwerke, staune zusammen mit Edelsteinen tyrische Farben an; freue dich, weil tausend Augen auf dich blicken, wenn du etwas sagst; [20] eile eifrig am frühen Morgen aufs Forum und am Abend nach Hause2, damit Mutus3 nicht mehr Getreide auf seinen per Mitgift erworbenen Äckern erntet und – wie unverdient, wo er doch von schlechterer Herkunft ist! – eher für dich anzustaunen ist, als du es für ihn bist. Alles, was unter der Erde ist, wird die Zeit ans Sonnenlicht hervorholen, [25] was glänzt, vergraben und verbergen. Wenn dich die Säulenhalle des Agrippa4, die Via Appia als einen Wohlbekannten gesehen haben, bleibt dir doch nur der Weg dorthin, wohin Numa und Ancus hinabgegangen sind. Wenn Brust oder Nieren von einer schweren Krankheit befallen sind, suche ein Entrinnen von der Krankheit. Wenn du ein richtiges Leben führen willst – wer will das nicht? –: [30] Wenn allein die Tugend dies geben kann, gib die Genüsse auf und mach dich tapfer dran. Nun, du glaubst, Tugend sei nur ein Wort und ein Hain nur Holz: Pass auf, dass nicht ein anderer die Häfen in Beschlag nimmt, dass du nicht die Geschäfte in Kibyra, nicht in Bithynien einbüßt; einen runden Tausender in Talenten sollst du ansammeln, einen weiteren in derselben Höhe, [35] ein dritter soll noch folgen und der Teil, der das vierte Viertel vollmacht. Klar doch, Königin Pecunia schenkt dir eine Ehefrau mit Mitgift, Kredit, Freunde, Adel und Schönheit, und den gut Betuchten schmücken Suadela und Venus. An Sklaven reich, hat der König der Kappadokier5 Mangel an Geld: [40] So einer sei du nicht! Als Lucullus, wie man erzählt, gefragt wurde, ob er dem Theater hundert Mäntel leihen könne, sagte er: »Wie wäre ich zu so vielen in der Lage? Doch ich will nachsehen und so viele schicken, wie ich finde, dass ich habe«; kurz darauf schreibt er, er habe zu Hause fünftausend Mäntel; er6 solle einen Teil oder alle mitnehmen. [45] Ärmlich ist ein Haus, wo nicht vieles im Überfluss da ist und dem Herrn dies entgeht und den Dieben nützt. Wenn also Geld allein

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si res sola potest facere et servare beatum, hoc primus repetas opus, hoc postremus omittas. si fortunatum species et gratia praestat, mercemur servum, qui dictet nomina, laevum qui fodicet latus et cogat trans pondera dextram porrigere: ‘hic multum in Fabia valet, ille Velina; cui libet hic fasces dabit eripietque curule cui volet importunus ebur.’ ‘frater’ ‘pater’ adde; ut cuique est aetas, ita quemque facetus adopta. si bene qui cenat bene vivit: lucet, eamus quo ducit gula, piscemur, venemur, ut olim Gargilius, qui mane plagas, venabula, servos differtum transire Forum Campumque iubebat, unus ut e multis populo spectante referret emptum mulus aprum –, crudi tumidique lavemur, quid deceat, quid non, obliti, Caerite cera digni, remigium vitiosum Ithacensis Ulixei, cui potior patria fuit interdicta voluptas. si, Mimnermus uti censet, sine amore iocisque nil est iucundum, vivas in amore iocisque. vive, vale. si quid novisti rectius istis, candidus imperti; si nil, his utere mecum.

VII Quinque dies tibi pollicitus me rure futurum Sextilem totum mendax desideror. atqui si me vivere vis sanum recteque valentem, quam mihi das aegro, dabis aegrotare timenti,

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glücklich machen und erhalten kann, sollst du der Erste sein, der sich immer wieder an dieses Werk7 macht, und der Letzte, der es sein lässt. Wenn Pomp und Popularität jemandem das Glück schenken, [50] wollen wir einen Sklaven kaufen, der uns immer wieder die Namen8 sagt, uns in die linke Seite boxt und zwingt, über die Schrittsteine9 hinweg die rechte Hand entgegenzustrecken: »Der da hat großen Einfluss in der Tribus Fabia, der dort in der Velinia10; wem er mag, wird der da Rutenbündel geben und wem er will, dreist das kurulische Elfenbein entreißen11.« Füge »Bruder«, »Vater« hinzu; [55] wie alt jeweils einer ist, und so adoptiere geschickt einen jeden. Wenn der, der gut isst, gut lebt: Nun, es wird Tag, gehen wir doch dorthin, wohin uns die Kehle führt, fischen und jagen wir, wie einst Gargilius, der befahl, dass am frühen Morgen seine Netze, Jagdspieße und Sklaven über Forum und Marsfeld zogen, die sehr belebt waren, [60] damit dann eines von den vielen Maultieren, während das Volk zuschaute, einen gekauften Eber heimtrug, gehen wir denn, ohne verdaut zu haben und mit vollem Magen ins Bad, vergessen wir, was sich gehört, was nicht, würdig der Wachstafel von Caere,12 lasterhafte Rudermannschaft des Ithakers Odysseus, der verbotene Lust wichtiger war als das Vaterland.13 Wenn, wie Mimnermus meint, ohne Liebe und Liebesspiele [65] nichts erfreulich ist,14 dann sollst du dein Leben mit Liebe und Liebesspielen verbringen. Lebe, bleib gesund. Wenn du etwas weißt, das richtiger ist als dies hier, teile es mir aufrichtig mit; wenn jedoch nichts, wende dies hier zusammen mit mir an.

7 Fünf Tage, so hatte ich dir versprochen, würde ich auf dem Lande sein, den ganzen Sextilis lasse ich Lügner mich vermissen. Doch wenn du willst, dass ich gesund bin und richtig bei Kräften, wirst du die Nachsicht, die du mir schenkst, wenn ich krank bin, auch schenken,

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Maecenas, veniam, dum ficus prima calorque dissignatorem decorat lictoribus atris, dum pueris omnis pater et matercula pallet officiosaque sedulitas et opella forensis adducit febres et testamenta resignat. quodsi bruma nives Albanis illinet agris, ad mare descendet vates tuus et sibi parcet contractusque leget: te, dulcis amice, reviset cum Zephyris, si concedes, et hirundine prima. non quo more piris vesci Calaber iubet hospes tu me fecisti locupletem: ‘vescere, sodes.’ ‘iam satis est.’ ‘at tu, quantum vis, tolle.’ ‘benigne.’ ‘non invisa feres pueris munuscula parvis.’ ‘tam teneor dono, quam si dimittar onustus.’ ‘ut libet: haec porcis hodie comedenda relinques.’ prodigus et stultus donat quae spernit et odit: haec seges ingratos tulit et feret omnibus annis. vir bonus et sapiens dignis ait esse paratus, nec tamen ignorat, quid distent aera lupinis; dignum praestabo me etiam pro laude merentis. quodsi me noles usquam discedere, reddes forte latus, nigros angusta fronte capillos, reddes dulce loqui, reddes ridere decorum et inter vina fugam Cinarae maerere protervae. forte per angustam tenuis vulpecula rimam repserat in cumeram frumenti, pastaque rursus ire foras pleno tendebat corpore frustra. cui mustela procul ‘si vis’ ait ‘effugere istinc, macra cavum repetes artum, quem macra subisti.’

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wenn ich krank zu werden fürchte, [5] Maecenas, während die ersten Feigen und die Hitze den Ordner eines Leichenzuges mit seinen schwarzen Liktoren schmücken, während jeder Vater und jedes Mütterchen für die Kinder erbleicht und der pflichtbewusste Eifer1 und die Tätigkeit auf dem Forum Fieberanfälle mit sich bringen und Testamente entsiegeln. [10] Wenn aber der Winter Schnee auf die albanischen Felder streicht, wird dein Dichter zum Meer hinabsteigen, sich schonen und konzentriert lesen: Dich, süßer Freund, wird er mit den Zephyren wiedersehen, wenn du gestattest, und mit der ersten Schwalbe. Du hast mich nicht auf die Weise, in welcher der kalabrische Gastfreund zum Essen seiner Birnen auffordert, [15] reich gemacht: »Iss, wenn du magst.« »Es ist mir schon genug.« »Aber du, nimm mit, so viel du willst.« »Zu gütig.« »Nicht unwillkommene kleine Geschenke wirst du deinen kleinen Kindern mitbringen.« »Ich fühle mich durch die Gabe so sehr verpflichtet, wie wenn ich beladen davongeschickt würde.« »Wie’s beliebt: Du wirst dies heute den Schweinen zum Fressen zurücklassen.« [20] Der Verschwender und der Dumme verschenken das, was sie verschmähen und nicht mögen: So ein Feld bringt Undankbare hervor und wird sie jährlich hervorbringen. Ein guter und weiser Mann sagt, er stehe für Würdige bereit, weiß aber genau, welcher Unterschied zwischen Geld und Spielmarken besteht; als würdig werde auch ich mich erweisen, entsprechend dem Ruhm meines Wohltäters. [25] Wenn du mich aber nie von dir gehen lassen willst, musst du mir meine potenten Lenden, mein schwarzes Haar und die schmale Stirn wiedergeben, wiedergeben süßes Reden, wiedergeben charmantes Lachen und beim Wein das Trauern über das Davonlaufen der kessen Kinara2. Einmal war3 ein dünner kleiner Fuchs durch eine enge Ritze [30] in einen Getreidekasten gekrochen, und als er sich gesättigt hatte, bemühte er sich mit seinem vollen Leib vergeblich, wieder nach draußen zu kommen. Zu ihm sprach ein Wiesel ganz nahebei: »Wenn du von dort entkommen willst, musst du wieder mager zu dem engen Loch kommen, durch das du mager hineingingst.« Falls ich mit dieser

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hac ego si compellor imagine, cuncta resigno: nec somnum plebis laudo satur altilium nec otia divitiis Arabum liberrima muto. saepe verecundum laudasti, rexque paterque audisti coram, nec verbo parcius absens: inspice, si possum donata reponere laetus. haud male Telemachus, proles patientis Ulixei: ‘non est aptus equis Ithace locus, ut neque planis porrectus spatiis nec multae prodigus herbae: Atride, magis apta tibi tua dona relinquam.’ parvum parva decent: mihi iam non regia Roma, sed vacuum Tibur placet aut imbelle Tarentum. strenuus et fortis causisque Philippus agendis clarus, ab officiis octavam circiter horam dum redit atque Foro nimium distare Carinas iam grandis natu queritur, conspexit, ut aiunt, arrasum quendam vacua tonsoris in umbra cultello proprios purgantem leniter ungues. ‘Demetri’ – puer hic non laeve iussa Philippi accipiebat –, ‘abi, quaere et refer, unde domo, quis, cuius fortunae, quo sit patre quove patrono.’ it redit et narrat Volteium nomine Menam, praeconem, tenui censu, sine crimine, notum et properare loco et cessare, et quaerere et uti, gaudentem parvisque sodalibus et Lare certo et ludis et post decisa negotia Campo. ‘scitari libet ex ipso quodcumque refers: dic ad cenam veniat.’ non sane credere Mena, mirari secum tacitus. quid multa? ‘benigne’

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Allegorie angeklagt werde, erstatte ich alles zurück: [35] Ich lobe den Schlaf einfacher Leute nicht erst, wenn ich von Masthühnern satt bin, und meine Ruhe in größter Freiheit tausche ich nicht gegen die Reichtümer Arabiens ein. Du hast mich oft als ehrfürchtig gepriesen, du hörtest, wie ich dich in deiner Gegenwart König und Vater nannte, und in deiner Abwesenheit war ich nicht sparsamer mit Worten: Prüfe, ob ich Geschenktes froh zurückgeben kann. [40] Nicht übel spricht Telemach, der Spross des Dulders Ulixes: »Ithaka ist insofern kein geeigneter Ort für Pferde, als es sich weder über eine weite Ebene erstreckt noch verschwenderisch mit viel Gras ist: Atride, ich will dir deine für dich besser geeigneten Geschenke zurücklassen.«4 Für einen Kleinen gehört sich nur Kleines: Mir gefällt nicht mehr das majestätische Rom, [45] sondern das stille Tibur oder das friedliche Tarent. Während der tatkräftige, tapfere und durch die von ihm geführten Prozesse berühmte Philipp um die achte Stunde5 von seinen Pflichten heimkehrte und, weil er schon betagt war, klagte, vom Forum zu den Carinen sei es allzu weit, erblickte er, wie man sagt, [50] in der leeren schattigen Bude eines Barbiers einen rasierten Mann, der sich selbst mit einem kleinen Messer in Ruhe seine Fingernägel reinigte. »Demetrius« – dieser Sklavenjunge pflegte die Befehle Philipps nicht ungeschickt auszuführen –, »geh hin, frage ihn und berichte, aus welchem Hause, wer er ist, welchen Beruf er hat und wer sein Vater oder sein Patron ist.« [55] Der kommt zurück und erzählt, er heiße Volteius Mena, sei ein Auktionator, habe ein geringes Vermögen, sei unbescholten, bekannt dafür, dass er bei richtiger Gelegenheit energisch arbeite und sich auch ausruhe, sowohl Geld erwerbe als auch ausgebe, Freude an unbedeutenden Freunden habe, sowohl an seinem festen Wohnsitz als auch bei Festspielen als auch nach dem Abschließen seiner Geschäfte auf dem Marsfeld. [60] »Ich möchte mich gern nach alldem, was du berichtest, bei ihm selbst erkundigen: Sag ihm, er soll zum Essen kommen.« Mena glaubt das nicht recht, wundert sich im Stillen. Kurz: Er antwortet: »Zu gütig.« »Der sollte mir das verwei-

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respondet. ‘neget ille mihi?’ ‘negat improbus et te neglegit aut horret.’ Volteium mane Philippus vilia vendentem tunicato scruta popello occupat et salvere iubet prior; ille Philippo excusare laborem et mercennaria vincla, quod non mane domum venisset, denique quod non providisset eum. ‘sic ignovisse putato me tibi, si cenas hodie mecum.’ ‘ut libet.’ ‘ergo post nonam venies; nunc i, rem strenuus auge.’ ut ventum ad cenam est, dicenda tacenda locutus tandem dormitum dimittitur. hic ubi saepe occultum visus decurrere piscis ad hamum, mane cliens et iam certus conviva, iubetur rura suburbana indictis comes ire Latinis. impositus mannis arvum caelumque Sabinum non cessat laudare. videt ridetque Philippus, et sibi dum requiem, dum risus undique quaerit, dum septem donat sestertia, mutua septem promittit, persuadet uti mercetur agellum. mercatur. ne te longis ambagibus ultra quam satis est morer: ex nitido fit rusticus atque sulcos et vineta crepat mera, praeparat ulmos, immoritur studiis et amore senescit habendi. verum ubi oves furto, morbo periere capellae, spem mentita seges, bos est enectus arando, offensus damnis media de nocte caballum arripit iratusque Philippi tendit ad aedes. quem simul aspexit scabrum intonsumque Philippus, ‘durus’, ait, ‘Voltei, nimis attentusque videris esse mihi.’ ‘pol me miserum, patrone, vocares,

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gern?« »Der Freche verweigert es und missachtet dich, oder er fürchtet sich vor dir.« Als Volteius am Morgen [65] billigen Plunder an einfache Leute in der Tunika6 verkauft, überrascht Philipp ihn und begrüßt ihn zuerst; der entschuldigt sich Philipp gegenüber mit seiner Arbeit und den Fesseln, die ihm sein Gewerbe anlegt, dass er am Morgen nicht zum Haus gekommen sei, schließlich auch, dass er ihn nicht vorher gesehen habe. »Du sollst glauben, dass ich dir nur unter der einen Bedingung verziehen habe, [70] dass du heute mit mir speist.« »Wie’s beliebt.« »Also wirst du nach der neunten Stunde kommen; jetzt geh, vermehre wacker dein Vermögen.« Als man zum Essen gegangen war, redete er Zeug, was man sagen und was man nicht sagen sollte und wurde schließlich zum Schlafengehen entlassen. Nachdem man ihn oft wie ein Fisch zum versteckten Angelhaken hatte schnellen sehen, [75] morgens als Klient, auch schon als regelmäßigen Tischgast, wird ihm, als das Latinische Fest angesagt ist, aufgetragen, als Begleiter zu einem Landgut in der Nähe der Stadt mitzugehen. Er wird auf ein Ponygespann gesetzt und hört dann gar nicht auf, die sabinische Flur und ihr Klima zu preisen. Philipp sieht das und lacht, und indem er für sich Entspannung, indem er von überallher Stoff zum Lachen sucht, [80] indem er ihm siebentausend Sesterzen schenkt, weitere siebentausend als Darlehen verspricht, überredet er ihn, das kleine Gut zu kaufen. Er kauft es. Um dich nicht mehr als genug mit langen Umschweifen aufzuhalten: Aus einem feinen Städter wird ein Bauer, und er tönt nur noch von Furchen und Weingärten herum, richtet Ulmen her, [85] bringt sich um vor Eifer und wird über dem Verlangen nach Gewinn alt und grau. Aber als die Schafe durch Diebstahl, durch Seuche die Ziegen eingingen, die Saat seine Hoffnung trog, der Ochse beim Pflügen verendet war, da greift er sich, außer sich über seinen Verlust, mitten in der Nacht sein Reitpferd und begibt sich in seinem Zorn zu Philipps Haus. [90] Sobald ihn, schäbig und struppig wie er war, Philipp erblickt hatte, sagte er: »Volteius, allzu hart gegen dich und übereifrig scheinst du mir zu sein.« »Beim Pollux, Patron«, sagte er, »Unglücks-

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si velles’ inquit ‘verum mihi ponere nomen. quod te per Genium dextramque deosque Penates obsecro et obtestor, vitae me redde priori.’ qui semel agnovit, quantum dimissa petitis praestent, mature redeat repetatque relicta. metiri se quemque suo modulo ac pede verum est.

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VIII Celso gaudere et bene rem gerere Albinovano Musa rogata refer, comiti scribaeque Neronis. si quaeret, quid agam, dic multa et pulchra minantem vivere nec recte nec suaviter, haud quia grando contuderit vites oleamve momorderit aestus, nec quia longinquis armentum aegrotet in agris; sed quia mente minus validus quam corpore toto nil audire velim, nil discere, quod levet aegrum, fidis offendar medicis, irascar amicis, cur me funesto properent arcere veterno, quae nocuere sequar, fugiam quae profore credam, Romae Tibur amem, ventosus Tibure Romam. post haec, ut valeat, quo pacto rem gerat et se, ut placeat iuveni, percontare, utque cohorti. si dicet ‘recte’, primum gaudere, subinde praeceptum auriculis hoc instillare memento: ut tu fortunam, sic nos te, Celse, feremus.

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vogel könntest du mich nennen, wenn du mir meinen wahren Namen geben wolltest. Darum, bei deinem Schutzgeist, deiner Rechten und deinen Hausgöttern [95] bitte und beschwöre ich dich: Gib mich meiner früheren Lebensweise zurück.« Wer einmal erkannt hat, um wie viel das Aufgegebene besser ist als das Erstrebte, soll rechtzeitig zurückkehren und sich das Zurückgelassene zurückholen. Dass jeder sich nach seinem eigenen Maß und Fuß messe, ist das einzig Wahre.

8 Dem Albinovanus Celsus, Neros Begleiter und Sekretär, sage, Muse, auf meine Bitte, er möge sich freuen1 und es möge ihm gut gehen. Falls er fragt, was ich treibe, sage, dass ich, obwohl ich viel Schönes verheiße, nicht richtig und angenehm lebe, nicht etwa, weil Hagel [5] meine Weinstöcke zusammengehauen oder Hitze meine Ölbäume im Keim erstickt hätte, nicht weil mein Vieh auf weit entfernten Triften erkrankt wäre; nein, weil ich seelisch weniger gesund bin als am ganzen Körper und nichts hören, nichts lernen möchte, was dem Kranken Erleichterung bringen könnte, mich über die zuverlässigen Ärzte ärgere, auf die Freunde wütend bin, [10] da sie es so eilig haben, mich von der tödlichen Schlafsucht fernzuhalten, weil ich Dingen nachjage, die mir geschadet haben, meide, was, wie ich glaube, mir nützen würde, und wetterwendisch in Rom Tibur liebe, in Tibur Rom. Danach erkundige dich, wie es mit seiner Gesundheit steht, auf welche Weise er seine Sache macht und sich selbst hält, wie er dem jungen Mann2 gefällt und wie dessen Kohorte. [15] Wenn er »gut« sagt, denke daran, zuerst deine Freude zu zeigen, dann ihm folgende Lehre in die Öhrchen zu träufeln: Wie du dein Glück erträgst, so werden auch wir dich, Celsus, ertragen.

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Septimius, Claudi, nimirum intellegit unus, quanti me facias; nam cum rogat et prece cogit, scilicet ut tibi se laudare et tradere coner dignum mente domoque legentis honesta Neronis, munere cum fungi propioris censet amici, quid possim videt ac novit me valdius ipso. multa quidem dixi, cur excusatus abirem, sed timui, mea ne finxisse minora putarer, dissimulator opis propriae, mihi commodus uni. sic ego maioris fugiens opprobria culpae frontis ad urbanae descendi praemia. quodsi depositum laudas ob amici iussa pudorem, scribe tui gregis hunc et fortem crede bonumque.

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X Urbis amatorem Fuscum salvere iubemus ruris amatores. hac in re scilicet una multum dissimiles, at cetera paene gemelli fraternis animis, quidquid negat alter, et alter, annuimus pariter, vetuli notique columbi: tu nidum servas, ego laudo ruris amoeni rivos et musco circumlita saxa nemusque. quid quaeris? vivo et regno, simul ista reliqui, quae vos ad caelum effertis rumore secundo, utque sacerdotis fugitivus liba recuso; pane egeo iam mellitis potiore placentis.

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9 Septimius, mein Claudius, weiß offenbar als Einziger, wie hoch du mich schätzt; denn wenn er mich ersucht und mit seiner Bitte zwingt, natürlich dazu, zu versuchen, ihn dir anzupreisen und zu empfehlen als einen der Gesinnung und des Hauses Neros, der nur Ehrenwertes auswählt, würdigen Mann, [5] weil er annimmt, ich würde die Funktion eines näheren Freundes ausüben, dann sieht und kennt er besser als ich selbst, was ich vermag. Gewiss, ich habe viel gesagt, um, von der Pflicht befreit, davonzukommen, aber ich fürchtete, ich könnte den Eindruck erwecken, ich hätte das, was in meiner Macht steht, als zu gering hingestellt, indem ich meinen Einfluss verleugnete, mir allein gegenüber verbindlich. [10] So habe ich mich, um dem Vorwurf einer größeren Verfehlung zu entgehen, in die Niederungen des Vorrechts großstädtischer Direktheit hinabbegeben. Wenn du also meine wegen der Bitten meines Freundes abgelegte Scheu lobst, lass ihn als einen deiner Entourage eintragen und sei überzeugt, dass er tüchtig und anständig ist.

10 Fuscus1, dem Liebhaber der Stadt, entbiete ich, Liebhaber des Landes, meinen Gruß. Allein in dieser Sache sind wir ja sehr verschieden, doch in allem Übrigen beinahe Zwillinge mit brüderlichen Gefühlen, und alles, was der eine bestreitet, bestreitet auch der andere; [5] wir nicken gleichzeitig bejahend, alte, miteinander vertraute Tauber: Du hütest das Nest, ich preise die Bäche des lieblichen Landes, die mit Moos überzogenen Felsen und die Haine. Kurz und gut: Ich lebe und bin ein König, sobald ich das da hinter mir gelassen habe, was ihr mit Beifallsgeschrei zum Himmel erhebt, [10] und wie der entlaufene Sklave eines Priesters weise ich die Opferkuchen zurück;2 Brot brauche ich jetzt, das mir mehr bedeutet als Honigkuchen.

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vivere naturae si convenienter oportet ponendaeque domo quaerenda est area primum, novistine locum potiorem rure beato? est ubi plus tepeant hiemes, ubi gratior aura leniat et rabiem Canis et momenta Leonis, cum semel accepit Solem furibundus acutum? est ubi divellat somnos minus invida cura? deterius Libycis olet aut nitet herba lapillis? purior in vicis aqua tendit rumpere plumbum quam quae per pronum trepidat cum murmure rivum? nempe inter varias nutritur silva columnas laudaturque domus, longos quae prospicit agros: naturam expelles furca, tamen usque recurret et mala perrumpet furtim fastidia victrix. non qui Sidonio contendere callidus ostro nescit Aquinatem potantia vellera fucum certius accipiet damnum propiusve medullis quam qui non poterit vero distinguere falsum. quem res plus nimio delectavere secundae, mutatae quatient. si quid mirabere, pones invitus. fuge magna: licet sub paupere tecto reges et regum vita praecurrere amicos. cervus equum pugna melior communibus herbis pellebat, donec minor in certamine longo imploravit opes hominis frenumque recepit. sed postquam victor violens discessit ab hoste, non equitem dorso, non frenum depulit ore. sic, qui pauperiem veritus potiore metallis libertate caret, dominum vehet improbus atque serviet aeternum, quia parvo nesciet uti. cui non conveniet sua res, ut calceus olim,

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Wenn wir naturgemäß leben sollen und zuerst einmal ein Platz gesucht werden muss, auf den man ein Haus setzen kann, kennst du dann einen besseren Ort als das gesegnete Land? [15] Gibt es einen, wo die Winter milder wären, wo eine angenehmere Luft die Wut des Hundssterns und die Bewegungen des Löwen3 lindern würde, wenn er einmal die stechende Sonne abbekommen hat und nun rast? Gibt es einen Ort, wo die missgünstige Sorge den Schlaf weniger unterbricht? Duftet oder glänzt Gras weniger als libysche Steinchen4? [20] Sucht reineres Wasser in den Stadtvierteln das Blei5 zu sprengen als das, welches murmelnd im Bach bergab wirbelt? Klar, man zieht zwischen bunten Säulen einen Wald auf, und gepriesen wird ein Haus, das weithin auf die Felder blickt: Du magst die Natur mit der Forke vertreiben, sie wird dennoch immer wieder zurückkehren [25] und heimlich deine üble Hochnäsigkeit siegreich durchbrechen. Wer mit sidonischem Purpur die Wolle, die aquinatisches Rot trinkt, nicht fachmännisch zu vergleichen versteht,6 wird keinen sicherer eintretenden und näher ans Mark gehenden Schaden erleiden, als der, welcher Falsches nicht von Wahrem unterscheiden kann. [30] Wen Glück allzu sehr erfreut, den wird es zerschmettern, wenn es sich gewandelt hat. Wenn du etwas bewunderst, wirst du es nur widerwillig weglegen. Meide alles Großartige: Es ist möglich, unter einem ärmlichen Dach die Mächtigen und die Freunde der Mächtigen in der Lebensweise zu übertreffen.7 Der im Kampf stärkere Hirsch vertrieb immer wieder das Pferd von der gemeinsamen Wiese, [35] bis es, im langen Streit unterlegen, den Menschen um Hilfe anflehte und Zügel annahm. Doch nachdem der als ungestümer Sieger von dem Feind geschieden war, konnte es den Reiter nicht mehr von seinem Rücken, nicht mehr den Zügel von seinem Maul fernhalten.8 So wird derjenige, welcher aus Furcht vor der Armut [40] auf die Freiheit verzichten muss, die mehr wert ist als Metall, in seiner Habsucht einen Herrn tragen und ewig dienen, weil er nicht von Wenigem Gebrauch zu machen weiß. Zu wem sein Vermögen nicht passt, bei dem ist es wie manchmal mit einem Schuh:

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si pede maior erit, subvertet, si minor, uret. laetus sorte tua vives sapienter, Aristi, nec me dimittes incastigatum, ubi plura cogere quam satis est ac non cessare videbor. imperat aut servit collecta pecunia cuique, tortum digna sequi potius quam ducere funem. haec tibi dictabam post fanum putre Vacunae, excepto quod non simul esses, cetera laetus.

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XI Quid tibi visa Chios, Bullati, notaque Lesbos, quid concinna Samos, quid Croesi regia Sardes, Zmyrna quid et Colophon, maiora minorane fama? cunctane prae Campo et Tiberino flumine sordent? an venit in votum Attalicis ex urbibus una? an Lebedum laudas odio maris atque viarum? scis, Lebedus quid sit: Gabiis desertior atque Fidenis vicus; tamen illic vivere vellem oblitusque meorum, obliviscendus et illis, Neptunum procul e terra spectare furentem. sed neque qui Capua Romam petit, imbre lutoque aspersus volet in caupona vivere; nec qui frigus collegit, furnos et balnea laudat ut fortunatam plene praestantia vitam; nec si te validus iactaverit Auster in alto, idcirco navem trans Aegaeum mare vendas. incolumi Rhodos et Mytilene pulchra facit quod

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Wenn der für den Fuß zu groß ist, wird er zu Fall bringen, wenn zu klein, wird er ihn wund reiben. Wenn du froh bist über dein Los, wirst du in Weisheit leben, Aristius, [45] und lass mich nicht ungerügt davonkommen, sobald es dir scheint, dass ich mehr zusammensammle, als genug ist, und damit nicht aufhöre. Das Geld, das von jemandem zusammengebracht wurde, befiehlt oder gehorcht ihm; es verdient eher, dem gedrehten Strick zu folgen, als ihn zu ziehen.9 Dies habe ich für dich hinter dem morschen Tempel der Vacuna diktiert, [50] nur darüber nicht froh, dass du nicht bei mir bist, ansonsten schon.

11 Welchen Eindruck machten dir, Bullatius, Chios und das bekannte Lesbos, welchen das elegante Samos, welchen Sardes, die Residenzstadt des Königs Krösus, welchen Smyrna und Kolophon; sind sie bedeutender oder weniger bedeutend als ihr Ruf? Sind sie alle im Vergleich mit dem Marsfeld und dem Tiberstrom minderwertig? [5] Oder kommt deinem Wunsch eine der Städte des Attalus entgegen? Oder lobst du Lebedus aus Überdruss am Meer und an den Straßen? Du weißt, was Lebedus ist: ein Nest, einsamer noch als Gabii und Fidenae; dennoch wäre ich bereit gewesen, dort zu wohnen, die Meinen vergessend und von ihnen vergessen, [10] und Neptun1 vom Land aus in der Ferne toben zu sehen. Doch niemand, der von Capua nach Rom unterwegs ist, wird, weil er von Regen und Kot bespritzt ist, künftig in einem Wirtshaus leben wollen; auch einer, der steif vor Kälte ist, preist nicht Öfen und Bäder als etwas, das ein glückliches Leben in Fülle bietet; [15] und wenn der starke Auster dich auf dem hohen Meer herumgeschleudert hat, wirst du deswegen doch nicht dein Schiff auf der anderen Seite des Ägäischen Meeres verkaufen. Einem, der ungefährdet ist in seiner Existenz, bringen das schöne Rhodos und das schöne Mytilene das-

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paenula solstitio, campestre nivalibus auris, per brumam Tiberis, Sextili mense caminus. dum licet ac vultum servat Fortuna benignum, Romae laudetur Samos et Chios et Rhodos absens. tu quamcumque deus tibi fortunaverit horam grata sume manu neu dulcia differ in annum, ut quocumque loco fueris, vixisse libenter te dicas; nam si ratio et prudentia curas, non locus effusi late maris arbiter aufert, caelum, non animum mutant, qui trans mare currunt. strenua nos exercet inertia; navibus atque quadrigis petimus bene vivere. quod petis, hic est, est Ulubris, animus si te non deficit aequus.

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XII Fructibus Agrippae Siculis, quos colligis, Icci, si recte frueris, non est ut copia maior ab Iove donari possit tibi. tolle querelas; pauper enim non est, cui rerum suppetit usus. si ventri bene, si lateri est pedibusque tuis, nil divitiae poterunt regales addere maius. si forte in medio positorum abstemius herbis vivis et urtica, sic vives protinus, ut te confestim liquidus Fortunae rivus inauret, vel quia naturam mutare pecunia nescit, vel quia cuncta putas una virtute minora. miramur, si Democriti pecus edit agellos cultaque, dum peregre est animus sine corpore velox, cum tu inter scabiem tantam et contagia lucri nil parvum sapias et adhuc sublimia cures:

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selbe wie ein Reisemantel im Hochsommer, ein Kampfschurz bei Schneewind, der Tiber2 im Winter, ein Kamin im Monat Sextilis. [20] Solange es vergönnt ist und Fortuna eine freundliche Miene bewahrt, seien in Rom Samos, Chios und Rhodos als fern gepriesen. Du nimm jede Stunde, die ein Gott dir zu einer glücklichen gemacht hat, mit dankbarer Hand an und schiebe Angenehmes nicht Jahr für Jahr auf, damit du sagen kannst, du habest, an welchem Ort auch immer du gewesen sein magst, gerne gelebt; [25] denn wenn Vernunft und Klugheit die Sorgen nehmen, nicht aber ein Ort, der über das weithin sich erstreckende Meer herrscht, dann wechseln die, welche über das Meer eilen, das Klima, nicht die seelische Verfassung. Geschäftige Tatenlosigkeit plagt uns; mit Schiffen und Viergespannen suchen wir nach dem glücklichen Leben. Was du suchst, ist hier, [30] ist in Ulubrae, wenn dir nicht der Gleichmut fehlt.

12 Wenn du die Erträge1 Agrippas in Sizilien, die du einsammelst, Iccius2, richtig nutzt, dann ist es nicht möglich, dass dir von Juppiter eine größere Fülle geschenkt werden kann. Fort mit den Klagen; denn arm ist nicht der, dem der Gebrauch seines Vermögens frei steht. Wenn es deinem Magen, [5] wenn es deiner Lunge und deinen Füßen gut geht, werden königliche Schätze nichts Größeres hinzufügen können. Wenn du dich aber vielleicht dessen enthältst, was allen verfügbar bereit liegt, und von Kräutern und Brennnesseln lebst, wirst du ununterbrochen so leben, auch wenn der fließende Strom Fortunas dich sofort vergoldet, [10] entweder weil Geld deine Natur nicht zu verändern vermag oder weil du glaubst, dass alles weniger wert ist als die Tugend allein. Wir wundern uns, dass das Vieh Demokrits seine Äcker und Pflanzungen abfraß, während sein rascher Geist ohne den Körper in der Fremde war, wo du doch inmitten der so sehr ansteckenden Lust auf Gewinn [15] noch immer über ein keineswegs triviales Wissen

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quae mare compescant causae, quid temperet annum, stellae sponte sua iussaene vagentur et errent, quid premat obscurum lunae, quid proferat orbem, quid velit et possit rerum concordia discors, Empedocles an Stertinium deliret acumen. verum, seu pisces seu porrum et caepe trucidas, utere Pompeio Grospho et, si quid petet, ultro defer: nil Grosphus nisi verum orabit et aequum. vilis amicorum est annona, bonis ubi quid dest. ne tamen ignores, quo sit Romana loco res: Cantaber Agrippae, Claudi virtute Neronis Armenius cecidit; ius imperiumque Phraates Caesaris accepit genibus minor; aurea fruges Italiae pleno defudit Copia cornu.

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XIII Ut proficiscentem docui te saepe diuque, Augusto reddes signata volumina, Vinni, si validus, si laetus erit, si denique poscet; ne studio nostri pecces odiumque libellis sedulus importes opera vehemente minister. si te forte meae gravis uret sarcina chartae, abicito potius, quam quo perferre iuberis clitellas ferus impingas Asinaeque paternum cognomen vertas in risum et fabula fias. viribus uteris per clivos flumina lamas. victor propositi simul ac perveneris illuc,

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verfügst und dich noch immer für erhabene Fragestellungen interessierst: welche Ursachen das Ansteigen der Meere verhindern, was das Jahr reguliert, ob die Planeten von selbst oder auf Befehl umherschweifen und umherirren, was die Mondscheibe in Dunkel hüllt, was sie ans Licht bringt, was die zwieträchtige Eintracht des Universums bedeutet und was sie bewirken kann, [20] ob Empedokles oder der Scharfsinn des Stertinius verrückt ist. Aber ob du Fische oder Lauch und Zwiebeln abschlachtest, werde ein Freund des Pompejus Grosphus3, und wenn er dich um etwas ersucht, biete es ihm bereitwillig dar: Grosphus wird nur um etwas bitten, was recht und billig ist. Der Ladenpreis für Freunde ist billig, wenn guten Menschen etwas fehlt. [25] Damit du aber nicht in Unkenntnis darüber bist, in welcher Situation der römische Staat ist: Der Kantabrer ist aufgrund der Tapferkeit Agrippas, der Armenier aufgrund derjenigen des Claudius Nero4 zu Fall gekommen; Recht und Oberherrschaft Caesars hat Phraates auf Knien angenommen;5 die goldene Copia hat ihre Früchte aus vollem Horn auf Italien herabgeschüttet.

13 Wie ich dich bei deinem Aufbruch mehrfach und lange instruiert habe, wirst du Augustus die versiegelten Buchrollen übergeben, Vinnius, wenn er gesund, wenn er heiter sein, kurz, wenn er nach ihnen verlangen wird; in deinem Bemühen für mich sollst du keinen Fehler machen und den Büchlein nicht [5] als betulicher Diener durch heftiges Bemühen Unwillen zuziehen. Wenn dich vielleicht die schwere Last meiner Papyri wund reibt, sollst du sie lieber wegwerfen, als dass du dort, wohin man sie dir zu tragen befiehlt, wild den Packsattel gegen etwas schlägst, den Beinamen deines Vaters, Asina1, zum Anlass für Gelächter machst und zum Gegenstand für Gerede wirst. [10] Sieh zu, dass du über Hügel, Flüsse und Sümpfe hin deine Kräfte einsetzt. Sobald du deine Aufgabe gemeistert hast und dorthin

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sic positum servabis onus, ne forte sub ala fasciculum portes librorum, ut rusticus agnum, ut vinosa glomus furtivae Pirria lanae, ut cum pilleolo soleas conviva tribulis. neu vulgo narres te sudavisse ferendo carmina, quae possint oculos auresque morari Caesaris. oratus multa prece nitere porro. vade, vale; cave ne titubes mandataque frangas.

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XIV Vilice silvarum et mihi me reddentis agelli, quem tu fastidis, habitatum quinque focis et quinque bonos solitum Variam dimittere patres, certemus, spinas animone ego fortius an tu evellas agro, et melior sit Horatius an rus. me quamvis Lamiae pietas et cura moratur fratrem maerentis, rapto de fratre dolentis insolabiliter, tamen istuc mens animusque fert et avet spatiis obstantia rumpere claustra. rure ego viventem, tu dicis in urbe beatum: cui placet alterius, sua nimirum est odio sors. stultus uterque locum immeritum causatur inique: in culpa est animus, qui se non effugit umquam. tu mediastinus tacita prece rura petebas, nunc urbem et ludos et balnea vilicus optas; me constare mihi scis et discedere tristem, quandocumque trahunt invisa negotia Romam. non eadem miramur; eo disconvenit inter

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gekommen bist, lege die Last ab und bewahre sie so ganz einfach auf, damit du nicht etwa den Behälter mit den Buchrollen unter der Achsel trägst wie der Bauer sein Lamm, wie die betrunkene Pirria2 die gestohlenen Wollknäuel, [15] wie ein Tribusgenosse3 als Tischgast seine Sandalen zusammen mit seiner Filzkappe. Du sollst auch nicht herumerzählen, dass du dich beim Tragen der Gedichte, die die Augen und Ohren Caesars zu fesseln imstande seien, abgeschwitzt hättest. Strebe nun weiter voran, nachdem du durch viele Bitten angefleht worden bist. Geh, lebe wohl; pass auf, dass du nicht stolperst und das, was dir anvertraut ist, zerbrichst.

14 Verwalter meiner Wälder und meines kleinen Guts, das mich mir wiederschenkt, das du gering schätzt, weil es nur mit fünf Herdstellen besetzt und gewohnt ist, nur fünf brave Familienväter nach Varia zu schicken, lasst uns im Wettstreit sehen, ob ich energischer Dornen aus meiner Seele ausreiße oder du [5] aus dem Acker ausreißt, und ob Horaz in besserer Verfassung ist oder das Landgut. Obwohl mich meine liebevolle Sorge um Lamia1 festhält2, der um seinen Bruder trauert und untröstlich leidet, weil ihm der Bruder entrissen wurde, sind dennoch mein Sinn und mein Geist dorthin gerichtet und begehren die Schranken zu durchbrechen, die die freie Bahn versperren. [10] Ich nenne den, der auf dem Land lebt, glücklich, du nennst den, der in der Stadt lebt, glücklich: Wem das Los eines anderen gefällt, dem ist natürlich sein eigenes zuwider. Töricht schützen beide als Grund zu Unrecht den Ort vor, der das nicht verdient: Schuldig aber ist der eigene Geist, der sich selbst nie entfliehen kann. Du hast als Hausknecht in heimlichem Gebet immer aufs Land gestrebt, [15] jetzt als Verwalter wünschst du dir die Stadt, die Festspiele und die Bäder; dass ich mir treu bleibe, weißt du, und dass ich betrübt fortgehe, wann auch immer mich die verhassten Geschäfte nach Rom ziehen. Wir bewundern nicht dasselbe; daher gibt

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meque et te; nam quae deserta et inhospita tesqua credis, amoena vocat mecum qui sentit, et odit quae te pulchra putas. fornix tibi et uncta popina incutiunt urbis desiderium, video, et quod angulus iste feret piper et tus ocius uva nec vicina subest vinum praebere taberna quae possit tibi, nec meretrix tibicina, cuius ad strepitum salias terrae gravis; et tamen urges iampridem non tacta ligonibus arva bovemque disiunctum curas et strictis frondibus exples; addit opus pigro rivus, si decidit imber, multa mole docendus aprico parcere prato. nunc age quid nostrum concentum dividat, audi. quem tenues decuere togae nitidique capilli, quem scis immunem Cinarae placuisse rapaci, quem bibulum liquidi media de luce Falerni, cena brevis iuvat et prope rivum somnus in herba. nec lusisse pudet, sed non incidere ludum. non istic obliquo oculo mea commoda quisquam limat, non odio obscuro morsuque venenat: rident vicini glaebas et saxa moventem. cum servis urbana diaria rodere mavis, horum tu in numerum voto ruis; invidet usum lignorum et pecoris tibi calo argutus et horti. optat ephippia bos piger, optat arare caballus: quam scit uterque, libens, censebo, exerceat artem.

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es keinen Konsens zwischen mir und dir; denn was du für eine verlassene und ungastliche Einöde [20] hältst, nennt der lieblich, der mit mir fühlt, und ihm ist zuwider, was du als schön ansiehst. Das Bordell und die fette Garküche flößen dir Sehnsucht nach der Stadt ein, wie ich sehe, und dass dieser Winkel da schneller Pfeffer und Weihrauch hervorbringen wird als Trauben, keine Kneipe in der Nachbarschaft zur Hand ist, die dir Wein kredenzen [25] könnte, keine flötenspielende Prostituierte, zu deren Musik du schwer die Erde stampfen könntest; und dennoch rückst du den Äckern, die schon lange von keiner Hacke mehr berührt wurden, zu Leibe, kümmerst dich um den ausgespannten Ochsen und sättigst ihn mit abgestreiften Blättern; wenn du unbeschäftigt bist, schafft dir der Bach zusätzliche Arbeit, wenn Regen fällt, [30] weil ihm dann mit viel Mühe beigebracht werden muss, dass er die sonnige Wiese schonen soll. Auf, vernimm jetzt, was unsere Harmonie auseinanderbricht. Ihn, dem feine Togen und ölglänzende Haare gut standen, ihn, von dem du weißt, dass er der raffgierigen Kinara3 gefiel, ohne sie beschenken zu müssen, ihn, der schon von Mittag an Durst auf klaren Falerner hatte, [35] erfreut eine kurze Mahlzeit und ein Schlummer im Gras nahe dem Bach. Ich schäme mich nicht, weil ich herumgespielt habe, würde mich aber schämen, wenn ich das Spiel nicht abbrechen würde. Hier schmälert mir niemand mit schrägen Augen mein Wohlergehen, vergiftet niemand mich mit dem Biss eines heimlichen Hasses: Die Nachbarn lachen, wenn ich Erdschollen und Steine bewege. [40] Du möchtest lieber in der Stadt die Tagesrationen benagen zusammen mit den Sklaven, zu deren Schar du in deinem Herzen stürzt; aber mein schlauer Pferdeknecht beneidet dich um den Gebrauch von Holz, Vieh und Garten. Verdrossen wünscht sich das Rind einen Sattel, wünscht sich das Reitpferd zu pflügen: Mein Rat wäre, dass jeder von beiden mit Freuden die Tätigkeit ausüben soll, von der er etwas versteht.

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Quae sit hiems Veliae, quod caelum, Vala, Salerni, quorum hominum regio et qualis via – nam mihi Baias Musa supervacuas Antonius, et tamen illis me facit invisum, gelida cum perluor unda per medium frigus. sane murteta relinqui dictaque cessantem nervis elidere morbum sulpura contemni vicus gemit, invidus aegris qui caput et stomachum supponere fontibus audent Clusinis Gabiosque petunt et frigida rura. mutandus locus est et deversoria nota praeteragendus equus. ‘quo tendis? non mihi Cumas est iter aut Baias’ laeva stomachosus habena dicet eques; sed equis frenato est auris in ore –, maior utrum populum frumenti copia pascat, collectosne bibant imbres puteosne perennes iugis aquae – nam vina nihil moror illius orae. rure meo possum quidvis perferre patique: ad mare cum veni, generosum et lene requiro, quod curas abigat, quod cum spe divite manet in venas animumque meum, quod verba ministret, quod me Lucanae iuvenem commendet amicae –, tractus uter plures lepores, uter educet apros, utra magis pisces et echinos aequora celent, pinguis ut inde domum possim Phaeaxque reverti, scribere te nobis, tibi nos accredere par est. Maenius, ut rebus maternis atque paternis fortiter absumptis urbanus coepit haberi, scurra vagus, non qui certum praesepe teneret, impransus non qui civem dinosceret hoste, quaelibet in quemvis opprobria fingere saevus,

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15 Wie der Winter in Velia ist, wie das Klima, Vala, in Salernum, was für Leute die Gegend bewohnen und wie die Straße dorthin ist – denn Antonius Musa sagt, für mich sei Baiae unnütz, und macht mich trotzdem denen dort verhasst, was ich daran erkenne, dass ich [5] mitten in der Kälte mit eisigen Wogen überspült werde.1 Freilich, darüber, dass seine Myrtenhaine verlassen und seine Schwefelbäder verachtet werden, die, wie man sagt, eine langwierige Krankheit aus den Muskeln treiben, seufzt das Städtchen, missgünstig den Kranken gegenüber, die Kopf und Leib unter die Quellen von Clusium zu halten wagen, Gabii aufsuchen und kalte ländliche Regionen. [10] Der Ort ist zu wechseln und mein Pferd an den vertrauten Herbergen vorbeizutreiben. »Wohin strebst du? Mein Weg geht weder nach Kumä noch nach Baiae«, wird der Reiter, verdrießlich mit dem linken Zügel hantierend, sagen; aber Pferde haben ihr Ohr im gezäumten Maul –, welche von beiden Einwohnerschaften eine größere Menge an Getreide ernährt, [15] ob sie gesammelte Regengüsse2 oder aus immerwährenden Quellen mit nie versiegendem Wasser trinken – denn für die Weine jener Gegend habe ich keine Zeit. Auf meinem Landgut kann ich alles aushalten und erdulden: Immer wenn ich ans Meer komme, suche ich einen edlen und milden, der die Sorgen vertreibt, der mit reicher Hoffnung [20] in meine Adern und meinen Geist strömt, der mir Worte eingibt, der mich, als ob ich ein junger Mann wäre, für eine lukanische Freundin attraktiv macht –, welcher von beiden Landstrichen mehr Hasen, welcher mehr Eber aufwachsen lässt, welches von beiden Meeren mehr Fische und Seeigel verbirgt, so dass ich von dort fett und als Phäake heimkehren kann, [25] dass du mir das schreibst und dass ich es dir glaube, ist angemessen. Als Maenius sein Vermögen von Mutter- und Vaterseite wacker vergeudet hatte und für einen Witzbold gehalten zu werden begann, einen unstet umherschweifenden Parasiten, der keine sichere Futterkrippe besaß und der, wenn er nichts im Magen hatte, einen Bürger nicht von einem Feind unterschied, [30] bösartig genug, jede belie-

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pernicies et tempestas barathrumque macelli, quidquid quaesierat ventri donabat avaro. hic ubi nequitiae fautoribus et timidis nil aut paulum abstulerat, patinas cenabat omasi vilis et agninae, tribus ursis quod satis esset, scilicet ut ventres lamna candente nepotum diceret urendos correctus Bestius. idem, quidquid erat nactus praedae maioris, ubi omne verterat in fumum et cinerem, ‘non hercule miror,’ aiebat, ‘si qui comedunt bona, cum sit obeso nil melius turdo, nil volva pulchrius ampla.’ nimirum hic ego sum; nam tuta et parvula laudo, cum res deficiunt, satis inter vilia fortis; verum ubi quid melius contingit et unctius, idem vos sapere et solos aio bene vivere, quorum conspicitur nitidis fundata pecunia villis.

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XVI Ne perconteris, fundus meus, optime Quincti, arvo pascat erum an bacis opulentet olivae, pomisne an pratis an amicta vitibus ulmo, scribetur tibi forma loquaciter et situs agri. continui montes, ni dissocientur opaca valle, sed ut veniens dextrum latus aspiciat sol, laevum discedens curru fugiente vaporet. temperiem laudes. quid si rubicunda benigni corna vepres et pruna ferant, si quercus et ilex multa fruge pecus, multa dominum iuvet umbra?

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bige Beschimpfung jedes Beliebigen zu erfinden, da war er Verderben, Unwetter und Abgrund des Fleischmarktes und schenkte alles, was er ergattert hatte, seinem gierigen Bauch. Immer wenn der von denen, die seine Liederlichkeit begünstigten und fürchteten, nichts oder nur wenig davongetragen hatte, pflegte er Schüsseln voll Rindskaldaunen [35] und billigem Lammfleisch zu essen, was für drei Bären genug gewesen wäre, klar, um dann wie ein bekehrter Bestius zu sagen, die Bäuche von Schlemmern müssten mit weißglühenden Blechplatten gebrandmarkt werden. Doch hatte ebendieser alles, was er an größerer Beute bekommen hatte, in Rauch und Asche verwandelt, [40] dann pflegte er zu sagen: »Beim Herkules, ich wundere mich nicht darüber, dass manche ihr Hab und Gut auffressen, da es nichts Besseres gibt als eine fette Drossel, nichts Schöneres als eine große Gebärmutter vom Schwein.« Natürlich bin ich so wie der; denn Sicheres und Kleines lobe ich, wenn das Geld fehlt, hinreichend standhaft unter all dem billigen Zeug; doch wenn mir etwas Besseres und Fetteres zuteilwird, sage auch ich, [45] dass ihr allein vernünftig seid und glücklich lebt, deren Vermögen, wie man sieht, in glänzenden Villen angelegt ist.

16 Damit du nicht fragen musst, bester Quinctius, ob mein Grundstück seinen Herrn durch sein Ackerland ernährt oder ihn mit den Beeren des Olivenbaums reich macht, ob mit Obst oder Wiesen oder durch Ulmen, die von Reben umrankt sind, wird dir die Gestalt und Lage des Landgutes geschwätzig beschrieben werden. [5] Die Berge würden zusammenhängen, wären sie nicht durch ein schattiges Tal geschieden, aber so, dass, wenn sie kommt, die Sonne auf die rechte Seite blickt und, wenn ihr Wagen enteilt, im Schwinden die linke Talseite wärmt. Du dürftest die milde Temperatur loben. Angenommen, du wüsstest, dass üppige Dornbüsche rötliche Kornelkirschen und Schlehen tragen, dass Eiche und Steineiche [10] mit reichlicher Frucht das Vieh und mit viel Schatten den

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dicas adductum propius frondere Tarentum. fons etiam rivo dare nomen idoneus, ut nec frigidior Thraecam nec purior ambiat Hebrus, infirmo capiti fluit utilis, utilis alvo. hae latebrae dulces et, iam si credis, amoenae incolumem tibi me praestant Septembribus horis. tu recte vivis, si curas esse quod audis. iactamus iam pridem omnis te Roma beatum; sed vereor, ne cui de te plus quam tibi credas neve putes alium sapiente bonoque beatum neu, si te populus sanum recteque valentem dictitet, occultam febrem sub tempus edendi dissimules, donec manibus tremor incidat unctis. stultorum incurata pudor malus ulcera celat. si quis bella tibi terra pugnata marique dicat et his verbis vacuas permulceat aures: ‘tene magis salvum populus velit an populum tu, servet in ambiguo qui consulit et tibi et urbi Iuppiter’, Augusti laudes agnoscere possis; cum pateris sapiens emendatusque vocari, respondesne tuo, dic sodes, nomine? ‘nempe vir bonus et prudens dici delector ego ac tu.’ qui dedit hoc hodie, cras, si volet, auferet, ut, si detulerit fasces indigno, detrahet idem. ‘pone, meum est’, inquit: pono tristisque recedo. idem si clamet furem, neget esse pudicum, contendat laqueo collum pressisse paternum, mordear opprobriis falsis mutemque colores?

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Besitzer erfreuen, dann würdest du wohl sagen, herbeigerückt grüne in deiner Nähe Tarent. Auch gibt es eine Quelle, geeignet, einem Bach ihren Namen zu geben, und von der Art, dass sich der Hebrus nicht kühler und reiner durch Thrakien schlängelt. Für einen kranken Kopf fließt sie nützlich, nützlich für einen kranken Bauch. [15] Dieser angenehme und, wenn du es mir nunmehr glaubst, liebliche abgeschiedene Winkel gewährleistet dir meine Gesundheit während der September-Saison. Du lebst richtig, wenn du dich bemühst, wirklich das zu sein, was man von dir sagt. Wir, ganz Rom, sprechen von dir schon lange zuversichtlich als einem, der glücklich ist; aber ich fürchte, du könntest, was dich betrifft, irgendjemandem mehr glauben als dir selbst, [20] und der Meinung sein, ein anderer als der Weise und Rechtschaffene sei glücklich, und, wenn die Leute dich immer wieder für geistig und körperlich gesund erklären, während der Essenszeit ein heimliches Fieber verhehlen, bis ein Zittern die fettigen Hände befällt. Die falsche Scham dummer Leute verheimlicht ungeheilte Geschwüre. [25] Wenn jemand von Kriegen sänge, die von dir zu Wasser und zu Lande geführt worden seien und mit folgenden Worten deine auf nichts anderes hörenden Ohren umschmeichelte: »Ob das Volk deine Gesundheit mehr wünscht als du die des Volkes, möge im Ungewissen belassen Juppiter, der sowohl für dich als auch für die Stadt sorgt«, würdest du Lobpreis, der Augustus gebührt, erkennen können; [30] wenn du aber duldest, dass du weise und fehlerlos genannt wirst, antwortest du dann – sag es bitte! – in deinem Namen? »Natürlich erfreut es mich ebenso wie dich, als rechtschaffener und kluger Mann bezeichnet zu werden.« Wer dir das heute gegeben hat, wird es dir morgen, wenn er will, wegnehmen, wie wenn er die Rutenbündel einem Unwürdigen übergeben hat, er sie ihm auch entziehen wird. [35] »Lege sie ab, sie gehören mir«, heißt es dann: Ich lege sie ab und trete traurig zurück. Wenn derselbe1 »Dieb« ruft, bestreitet, dass ich anständig bin, und behauptet, ich hätte den Hals meines Vaters mit einer Schlinge zugedrückt, soll ich mich durch die falschen Vorwürfe gekränkt fühlen und meine Farbe wechseln? Wen erfreut falsche Eh-

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falsus honor iuvat et mendax infamia terret quem nisi mendosum et medicandum? vir bonus est quis? ‘qui consulta patrum, qui leges iuraque servat, quo multae magnaeque secantur iudice lites, quo res sponsore et quo causae teste tenentur.’ sed videt hunc omnis domus et vicinia tota introrsum turpem, speciosum pelle decora. ‘nec furtum feci nec fugi’ si mihi dicat servus, ‘habes pretium, loris non ureris,’ aio. ‘non hominem occidi.’ ‘non pasces in cruce corvos.’ ‘sum bonus et frugi.’ renuit negitatque Sabellus. cautus enim metuit foveam lupus accipiterque suspectos laqueos et opertum miluus hamum: oderunt peccare boni virtutis amore. tu nihil admittes in te formidine poenae: sit spes fallendi, miscebis sacra profanis. nam de mille fabae modiis cum subripis unum, damnum est, non facinus mihi pacto lenius isto. vir bonus, omne Forum quem spectat et omne tribunal, quandocumque deos vel porco vel bove placat, ‘Iane pater’ clare, clare cum dixit ‘Apollo’,' labra movet metuens audiri: ‘pulchra Laverna, da mihi fallere, da iusto sanctoque videri, noctem peccatis et fraudibus obice nubem.’ qui melior servo, qui liberior sit avarus, in triviis fixum cum se demittit ob assem, non video. nam qui cupiet, metuet quoque; porro qui metuens vivet, liber mihi non erit umquam. perdidit arma, locum virtutis deseruit, qui

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rung und wen schreckt ein erlogener schlechter Ruf [40] außer dem, der mit Fehlern behaftet ist und geheilt werden muss? Wer ist ein rechtschaffener Mann? »Derjenige, der die Beschlüsse der Senatoren, Recht und Gesetz bewahrt, durch dessen Richterspruch viele große Streitsachen entschieden werden, durch dessen Bürgschaft Vermögen gewahrt und mit dem als Zeugen Prozesse gewonnen werden.« Doch sein ganzes Haus und die gesamte Nachbarschaft sieht, dass er [45] innerlich schändlich, aber durch eine schöne Haut ansehnlich ist. Würde ein Sklave zu mir sagen: »Ich habe keinen Diebstahl begangen und bin nicht ausgerissen«, würde ich antworten: »Du hast deinen Lohn, du wirst nicht mit Riemen gepeitscht.« »Ich habe keinen Menschen ermordet.« »So wirst du nicht am Kreuz die Raben füttern.« »Ich bin rechtschaffen und ordentlich.« Da wirft der Sabeller den Kopf zurück2 und bestreitet das entschieden. [50] Denn der vorsichtige Wolf fürchtet die Grube, der Habicht die verdächtigen Schlingen und der Raubfisch den verborgenen Angelhaken: Rechtschaffene aber haben aus Liebe zur Tugend eine Abneigung gegen Vergehen. Du wirst dir aus Angst vor der Strafe nichts zuschulden kommen lassen: Sollte aber Hoffnung bestehen, dass man dich nicht entdeckt, wirst du Heiliges mit Profanem vermengen. [55] Denn wenn du von tausend Scheffeln Bohnen nur einen einzigen stiehlst, ist für mich der Schaden, aber deswegen nicht die Untat leichter hinzunehmen. Sooft der »rechtschaffene Mann«, auf den jedes Forum und der ganze Gerichtshof blickt, die Götter entweder mit einem Schwein oder einem Rind zu besänftigen versucht, bewegt er, während er laut »Vater Janus«, laut »Apollo« ruft, [60] die Lippen, weil er gehört zu werden fürchtet, zu »Schöne Laverna, gib mir, dass ich nicht entdeckt werde, gib, dass ich gerecht und ehrwürdig erscheine, wirf auf meine Vergehen Nacht, auf meine Betrügereien Nebel.« Inwiefern besser, inwiefern freier als ein Sklave ein Habgieriger sein soll, wenn er sich am Dreiweg nach einem festgeklebten As3 bückt, [65] sehe ich nicht. Denn wenn einer begehrt, wird er sich auch fürchten; ferner, wer in Furcht lebt, wird für mich niemals frei sein. Die Waffen verliert, vom Posten der Tugend ist desertiert derjenige, dem

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semper in augenda festinat et obruitur re. ‘vendere cum possis captivum, occidere noli: serviet utiliter; sine pascat durus aretque, naviget ac mediis hiemet mercator in undis, annonae prosit, portet frumenta penusque.’ vir bonus et sapiens audebit dicere: ‘Pentheu, rector Thebarum, quid me perferre patique indignum coges?’ ‘adimam bona.’ ‘nempe pecus, rem, lectos, argentum: tollas licet.’ ‘in manicis et compedibus saevo te sub custode tenebo.’ ‘ipse deus, simulatque volam, me solvet.’ opinor, hoc sentit: ‘moriar’. mors ultima linea rerum est.

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XVII Quamvis, Scaeva, satis per te tibi consulis et scis, quo tandem pacto deceat maioribus uti, disce, docendus adhuc quae censet amiculus, ut si caecus iter monstrare velit; tamen aspice, si quid et nos, quod cures proprium fecisse, loquamur. si te grata quies et primam somnus in horam delectat, si te pulvis strepitusque rotarum, si laedit caupona, Ferentinum ire iubebo; nam neque divitibus contingunt gaudia solis nec vixit male, qui natus moriensque fefellit. si prodesse tuis pauloque benignius ipsum te tractare voles, accedes siccus ad unctum. ‘si pranderet holus patienter, regibus uti

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es ständig eilt, sein Vermögen zu vermehren und der davon überwältigt wird. »Wenn du den Gefangenen verkaufen kannst, töte ihn nicht: [70] Er wird nützliche Dienste leisten; lass den harten Burschen weiden und pflügen, zur See fahren und als Kaufmann mitten in den Wogen überwintern, dem Kornpreis nützen, Getreide und Lebensmittel transportieren.« Der rechtschaffene und weise Mann wird zu sagen wagen:4 »Pentheus, Herrscher über Theben, was zu ertragen und zu erdulden wirst du mich [75] zwingen, ohne dass ich es verdiene?« »Ich werde dir deinen Besitz nehmen.« »Du meinst natürlich mein Vieh, Geld, Speisesofas, Tafelsilber: Das magst du nehmen.« »Ich werde dich in Handund Fußfesseln unter Aufsicht eines grimmigen Wächters festhalten.« »Der Gott5 selbst wird, sobald ich will, mich erlösen.« Ich meine, das bedeutet: »Ich werde in den Tod gehen.« Der Tod ist die Ziellinie6 aller Dinge.

17 Obwohl du, Scaeva, dir hinreichend allein Rat spendest und weißt, wie man letztendlich mit den Großen angemessen umgeht, lass dich belehren, was dein bescheidener Freund, der selbst nach wie vor der Lehre bedarf, dazu meint, wie wenn ein Blinder den Weg zeigen möchte; schau dennoch, ob [5] sogar ich etwas zu sagen habe, was dir zu eigen zu machen du interessiert sein solltest. Wenn angenehme Ruhe und Schlaf bis zur ersten Stunde1 dir sehr zusagt, wenn Staub und Rädergerassel, wenn Wirtshäuser dir auf die Nerven gehen, werde ich dich dringend auffordern, nach Ferentinum zu gehen; denn weder werden den Reichen allein Freuden zuteil, [10] noch hat der schlecht gelebt, der im Verborgenen geboren wurde und starb. Wenn du aber den Deinen nützen und dich selbst ein bisschen netter behandeln willst, dann sollst du dich durstig einer reichen Tafel zugesellen. »Wenn er geduldig Gemüse äße, würde Aristipp nicht mit Königen verkehren wollen.«2 »Wenn er sich darauf

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nollet Aristippus.’ ‘si sciret regibus uti, fastidiret holus, qui me notat.’ utrius horum verba probes et facta, doce, vel iunior audi, cur sit Aristippi potior sententia. namque mordacem Cynicum sic eludebat, ut aiunt: ‘scurror ego ipse mihi, populo tu: rectius hoc et splendidius multo est. equus ut me portet, alat rex, officium facio; tu poscis vilia rerum dante minor, quamvis fers te nullius egentem.’ omnis Aristippum decuit color et status et res, temptantem maiora, fere praesentibus aequum. contra, quem duplici panno patientia velat, mirabor, vitae via si conversa decebit. alter purpureum non expectabit amictum, quidlibet indutus celeberrima per loca vadet personamque feret non inconcinnus utramque; alter Mileti textam cane peius et angui vitabit chlanidem, morietur frigore, si non rettuleris pannum. refer et sine vivat ineptus. res gerere et captos ostendere civibus hostes attingit solium Iovis et caelestia temptat; principibus placuisse viris non ultima laus est. ‘non cuivis homini contingit adire Corinthum.’ sedit qui timuit, ne non succederet. ‘esto. quid? qui pervenit, fecitne viriliter?’ atqui hic est aut nusquam, quod quaerimus. hic onus horret ut parvis animis et parvo corpore maius, hic subit et perfert. aut virtus nomen inane est, aut decus et pretium recte petit experiens vir.

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verstünde, mit Königen zu verkehren, [15] würde der, welcher mich tadelt, Gemüse verachten.« Welcher von diesen beiden es ist, dessen Worte und Taten du für gut hältst, lass mich wissen oder höre als der Jüngere, warum die Maxime des Aristipp zu bevorzugen ist. Denn er pflegte den bissigen Kyniker, wie man sagt, so aus dem Konzept zu bringen: »Ich spiele den Schmarotzer für mich selbst, du für das einfache Volk: Meine Art ist richtiger und [20] um vieles vornehmer. Damit ein Pferd mich trägt, ein König mich ernährt, tu ich meinen Dienst; du bettelst um wertlose Dinge, wobei du unter dem stehst, der sie gibt, auch wenn du dich so gibst, als bräuchtest du überhaupt nichts.« Zu Aristipp passte jeder Lebensstil, jede soziale Stellung, jeder Grad von Wohlstand, er bemühte sich um Größeres, war aber in der Regel gleichmütig gegenüber dem, was vorhanden war. [25] Ich würde mich dagegen wundern, wenn zu einem, den Fähigkeit zur Ausdauer in einen lumpigen Doppelmantel3 hüllt, eine Veränderung seiner Lebensweise passen würde. Der eine wird nicht auf ein purpurnes Gewand warten, mit irgendetwas bekleidet über die belebtesten Plätze schreiten und beide Rollen übernehmen, und das jeweils angemessen; [30] der andere wird das in Milet gewobene Obergewand ängstlicher meiden als einen Hund und eine Schlange und vor Kälte sterben, wenn du ihm seinen Lumpen nicht zurückgibst. Gib ihm den zurück und lass ihn leben, töricht wie er ist. Heldentaten vollbringen und den Mitbürgern gefangene Feinde zeigen, das rührt an Juppiters Thron und sucht den Himmel zu erreichen; aber [35] Männern in führenden Stellungen zu gefallen ist nicht der schlechteste Ruhm. »Nicht jedem beliebigen Menschen gelingt es, nach Korinth zu kommen.«4 Wer fürchtet, dass ihm nichts gelingt, der tut nichts. »Sei es so. Aber was ist mit dem, der sein Ziel erreicht hat, hat der mannhaft gehandelt?« Doch hier oder nirgendwo ist das, was wir suchen. Der eine entsetzt sich vor der Last, [40] da sie für seinen Kleinmut und seinen kleinen Körper zu groß sei, der andere schultert sie und trägt sie zum Ziel. Entweder ist Mannhaftigkeit ein leeres Wort, oder der unternehmungslustige Mann tut recht daran, nach Ehre und Belohnung zu streben.

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coram rege sua de paupertate tacentes plus poscente ferent. distat, sumasne prudenter an rapias; atqui rerum caput hoc erat, hic fons. ‘indotata mihi soror est, paupercula mater et fundus nec vendibilis nec pascere firmus’ qui dicit, clamat: ‘victum date!’ succinit alter: ‘et mihi!’ dividuo findetur munere quadra. sed tacitus pasci si posset corvus, haberet plus dapis et rixae multo minus invidiaeque. Brundisium comes aut Surrentum ductus amoenum qui queritur salebras et acerbum frigus et imbres aut cistam effractam et subducta viatica plorat, nota refert meretricis acumina, saepe catellam, saepe periscelidem raptam sibi flentis, uti mox nulla fides damnis verisque doloribus adsit. nec semel irrisus triviis attollere curat fracto crure planum. licet illi plurima manet lacrima, per sanctum iuratus dicat Osirim ‘credite, non ludo; crudeles, tollite claudum’, ‘quaere peregrinum’ vicinia rauca reclamat.

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XVIII Si bene te novi, metues, liberrime Lolli, scurrantis speciem praebere, professus amicum. ut matrona meretrici dispar erit atque discolor, infido scurrae distabit amicus. est huic diversum vitio vitium prope maius,

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Diejenigen, die vor dem Patron von ihren ärmlichen Verhältnissen schweigen, werden mehr bekommen als derjenige, der bettelt. Es ist ein Unterschied, ob du mit Anstand nimmst [45] oder etwas an dich reißt; und doch war dies die ganze Zeit die Hauptsache, dies die Quelle von allem. Wer sagt »Ich habe eine Schwester ohne Mitgift, eine arme Mutter, und mein Grundstück findet weder einen Käufer noch ist es voll und ganz imstande, uns zu ernähren«, der schreit: »Gebt mir zu essen!« Ein anderer stimmt ein: »Mir auch!« So wird das Stück Brot als geteiltes Geschenk halbiert. [50] Doch wenn der Rabe schweigend fressen könnte, hätte er mehr Speise und viel weniger Streit und Neid.5 Wer, als Begleiter nach Brundisium oder nach dem lieblichen Surrentum mitgenommen, über die holprigen Straßen, die bittere Kälte und den Regen jammert oder flennt, sein Koffer sei aufgebrochen und das Reisegeld gestohlen, [55] reproduziert die bekannten Tricks einer Hure, die oft heult, weil ihr eine Halskette, oft, weil ihr eine Fußspange geraubt sei, so dass bald ein wirklicher Verlust und echte Schmerzen keinen Glauben mehr finden. Und wer einmal reingelegt wurde, bemüht sich nicht, an der Straßenkreuzung dem Betrüger mit dem gebrochenen Bein aufzuhelfen. Mögen dem auch [60] die Tränen in Strömen fließen, mag er beim heiligen Osiris schwören »Glaubt mir, ich mache euch nichts vor; ihr Grausamen, helft dem Lahmen auf«, so rufen doch die Dabeistehenden rau zurück: »Such dir einen Fremden!«

18 Wenn ich dich recht kenne, wirst du fürchten, du höchst freimütiger Lollius1, den Schein eines Schmarotzers zu erzeugen, nachdem du den Anspruch erhoben hast, ein Freund zu sein. Aber wie die Matrone und die Prostituierte ungleich sind und sich in der Farbe ihrer Kleidung unterscheiden, wird sich vom treulosen Schmarotzer ein Freund unterscheiden. [5] Es gibt einen diesem Fehler entgegengesetzten

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asperitas agrestis et inconcinna gravisque, quae se commendat tonsa cute, dentibus atris, dum vult libertas dici mera veraque virtus. virtus est medium vitiorum et utrimque reductum. alter in obsequium plus aequo pronus et imi derisor lecti sic nutum divitis horret, sic iterat voces et verba cadentia tollit, ut puerum saevo credas dictata magistro reddere vel partes mimum tractare secundas; alter rixatur de lana saepe caprina et propugnat nugis armatus: ‘scilicet ut non sit mihi prima fides?’ et ‘vere quod placet ut non acriter elatrem? pretium aetas altera sordet.’ ambigitur quid enim? Castor sciat an Docilis plus, Brundisium Minuci melius via ducat an Appi. quem damnosa Venus, quem praeceps alea nudat, gloria quem supra vires et vestit et unguit, quem tenet argenti sitis importuna famesque, quem paupertatis pudor et fuga, dives amicus, saepe decem vitiis instructior, odit et horret, aut, si non odit, regit ac veluti pia mater plus quam se sapere et virtutibus esse priorem vult et ait prope vera: ‘meae – contendere noli! – stultitiam patiuntur opes, tibi parvola res est: arta decet sanum comitem toga; desine mecum certare.’ Eutrapelus cuicumque nocere volebat vestimenta dabat pretiosa; beatus enim iam cum pulchris tunicis sumet nova consilia et spes, dormiet in lucem, scorto postponet honestum

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Fehler, der fast größer ist, bäurische, plumpe und bedrückende Wildheit, die sich durch kurzgeschorenes Haar und schwarze Zähne zu empfehlen versucht, während sie reine Freimütigkeit und wahre Tugend genannt werden will. Die Tugend aber bildet die Mitte zwischen zwei Fehlern und ist von beiden gleich weit entfernt. [10] Der eine2 ist mehr als billig zur Willfährigkeit geneigt und fürchtet sich als Spaßmacher auf dem untersten Speisesofa3 so vor dem Wink des Reichen, wiederholt so seine Aussprüche und greift so Bemerkungen auf, die nicht wahrgenommen werden, dass du glaubst, ein Junge gebe wieder, was ihm von seinem grimmigen Lehrer diktiert wurde, oder ein Schauspieler in einem Mimus spiele die zweite Rolle; [15] der andere streitet oft um Ziegenwolle und kämpft in voller Rüstung für Trivialitäten: »Mir soll offenbar nicht mehr Glauben geschenkt werden als anderen?« und »Ich soll wohl meine wahre Meinung nicht in aller Schärfe herausbellen? Ein anderes Leben als Belohnung4 wäre mir nicht gut genug.« Worum nämlich geht der Streit? Ob Kastor oder Docilis geschickter ist,5 [20] ob nach Brundisium die Via Minucia oder die Via Appia besser führt. Wen Geld verschwendender Sex, wen den Ruin riskierendes Würfelspiel seines Besitzes beraubt hat, wen seine Großsprecherei über seine finanziellen Mittel hinaus bekleidet und parfümiert, wen quälender Durst und Hunger nach Geld fest im Griff haben, wen die Scham wegen der Armut und die Flucht vor ihr, [25] den verabscheut und fürchtet, oft doch mit zehn Fehlern mehr behaftet, sein reicher Freund, oder, wenn er ihn nicht verabscheut, dann versucht er ihn zu lenken und will wie eine treusorgende Mutter, dass er vernünftiger sei als er selbst und ihm selbst durch Tugenden überlegen, und sagt beinahe die Wahrheit: »Meine Schätze erlauben mir – argumentiere nicht dagegen! – Dummheiten, aber du hast ein geringes Vermögen: [30] Nur eine enge Toga schickt sich für einen Klienten, der vernünftig ist; hör auf, mit mir in Wettstreit zu treten.« Jedem, dem er schaden wollte, schenkte Eutrapelus kostbare Gewänder; der Glückspilz6 wird nämlich auf der Stelle mit den schönen Tuniken neue Pläne und Hoffnungen fassen, bis in den Tag hinein schlafen, für eine

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officium, nummos alienos pascet, ad imum Thraex erit aut holitoris aget mercede caballum. arcanum neque tu scrutaberis illius umquam, commissumque teges et vino tortus et ira. nec tua laudabis studia aut aliena reprendes, nec, cum venari volet ille, poemata panges. gratia sic fratrum geminorum, Amphionis atque Zethi dissiluit, donec suspecta severo conticuit lyra. fraternis cessisse putatur moribus Amphion: tu cede potentis amici lenibus imperiis, quotiensque educet in agros Aetolis onerata plagis iumenta canesque, surge et inhumanae senium depone Camenae, cenes ut pariter pulmenta laboribus empta; Romanis sollemne viris opus, utile famae vitaeque et membris, praesertim cum valeas et vel cursu superare canem vel viribus aprum possis. adde, virilia quod speciosius arma non est qui tractet: scis, quo clamore coronae proelia sustineas campestria. denique saevam militiam puer et Cantabrica bella tulisti sub duce, qui templis Parthorum signa refigit nunc et, si quid abest, Italis adiudicat armis. ac ne te retrahas et inexcusabilis absis: quamvis nil extra numerum fecisse modumque curas, interdum nugaris rure paterno: partitur lintres exercitus, Actia pugna te duce per pueros hostili more refertur; adversarius est frater, lacus Hadria, donec alterutrum velox Victoria fronde coronet. consentire suis studiis qui crediderit te,

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Nutte [35] Ehrendienste hintanstellen, geliehenes Geld aufzehren und zu guter Letzt Gladiator in thrakischer Rüstung sein oder gegen Bezahlung den Gaul eines Gemüsehändlers treiben. Erforsche niemals seine7 Geheimnisse und behalte für dich, was er dir anvertraut hat, sogar wenn du von Wein und Wut gefoltert wirst. Preise nicht deine eigenen Interessen und tadle nicht diejenigen anderer, [40] und wenn er jagen will, schmiede keine Verse. So bekam das gegenseitige Wohlwollen der Zwillingsbrüder Amphion und Zethes einen Riss, bis die von dem Strengen8 finster betrachtete Lyra verstummte. Amphion, so nimmt man an, gab gegenüber dem Charakter seines Bruders nach: Gib du den sanften Befehlen deines mächtigen Freundes nach, [45] und sooft er seine mit ätolischen Jagdnetzen beladenen Zugtiere und die Hunde aufs freie Feld hinausführt, steh auf und lege die Schwermut deiner menschenscheuen Camene ab, damit du zugleich mit ihm den durch Mühen erworbenen Braten verspeisen kannst; für römische Männer ist das ein traditionelles Handwerk, nützlich für das Ansehen, die [50] Lebenskraft und die Glieder, zumal du stark bist und entweder im Lauf einen Hund oder durch Kräfte einen Eber übertreffen kannst. Füg noch hinzu, dass es keinen gibt, der mit den Waffen des Mannes glänzender umgehen kann: Du weißt, unter welchem Beifall des Zuschauerkreises du die Kämpfe auf dem Marsfeld durchhältst. Außerdem noch [55] hast du als ganz junger Mann harten Militärdienst und die Kämpfe gegen die Kantabrer unter dem Feldherrn9 durchgehalten, der von den Tempeln der Parther die Feldzeichen jetzt losheftet10 und, wenn irgendetwas noch fehlt, das der römischen Herrschaft zuweist. Und du sollst dich nicht zurückziehen und unentschuldbar fehlen:11 Wenn du dich auch bemühst, nichts ohne Takt und Maß zu tun, [60] veranstaltest du zuweilen auf dem väterlichen Landgut Spielchen: Ein Heer teilt sich in Kähne, unter dir als dem Feldherrn wird die Schlacht bei Aktium durch junge Sklaven in der Weise aufgeführt, als wären da wirklich Feinde; der Gegner ist dein Bruder12, der Teich die Adria, bis die schnelle Viktoria einen von beiden mit dem Laub13 bekränzt. [65] Wer

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fautor utroque tuum laudabit pollice ludum. protinus ut moneam, si quid monitoris eges tu, quid de quoque viro et cui dicas, saepe videto. percontatorem fugito; nam garrulus idem est nec retinent patulae commissa fideliter aures et semel emissum volat irrevocabile verbum. non ancilla tuum iecur ulceret ulla puerve intra marmoreum venerandi limen amici, ne dominus pueri pulchri caraeve puellae munere te parvo beet aut incommodus angat. qualem commendes, etiam atque etiam aspice, ne mox incutiant aliena tibi peccata pudorem. fallimur et quondam non dignum tradimus; ergo quem sua culpa premet, deceptus omitte tueri, ut penitus notum, si temptent crimina, serves tuterisque tuo fidentem praesidio: qui dente Theonino cum circumroditur, ecquid ad te post paulo ventura pericula sentis? nam tua res agitur, paries cum proximus ardet, et neglecta solent incendia sumere vires. dulcis inexpertis cultura potentis amici: expertus metuet. tu, dum tua navis in alto est, hoc age, ne mutata retrorsum te ferat aura. oderunt hilarem tristes tristemque iocosi, sedatum celeres, agilem navumque remissi, potores [bibuli media de nocte Falerni oderunt] porrecta negantem pocula, quamvis nocturnos iures te formidare tepores.

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der Meinung ist, dass du mit seinen Interessen konform bist, wird deinem Spiel zugetan sein und es mit beiden Daumen loben.14 Um dich weiterhin zu ermahnen, falls du überhaupt einen Mahner benötigst: Du sollst oft achtgeben, was du jeweils über einen Mann sagst und zu wem. Meide den, der dich aushorcht; denn er ist auch ein Schwätzer, [70] offene Ohren halten das ihnen Anvertraute nicht treu unter Verschluss, und ein einmal herausgelassenes Wort fliegt unwiderruflich davon. Keine Magd oder irgendein Sklavenjunge sollte im Marmorpalast deines verehrungswürdigen Freundes deine Leber verwunden,15 damit nicht der Herr des schönen und dir lieben Sklavenjungen oder -mädchens [75] dich mit der nur kleinen Gabe bereichert16 oder dir nicht entgegenkommt und dich dadurch quält. Wie jemand ist, den du empfiehlst, sieh dir wieder und wieder an, damit nicht bald das Fehlverhalten eines anderen in dir Schamgefühle hervorruft. Wir lassen uns täuschen und empfehlen manchmal jemanden, der es nicht verdient; wen also eigene Schuld drückt, den schütze nicht, falls du dich getäuscht hast, [80] damit du jemanden, den du ganz genau kennst, dann, wenn Beschuldigungen ihn anzugreifen versuchen, retten und, weil er auf deine Protektion vertraut, schützen kannst: Merkst du nicht, dass, wenn er rundum von Theons Zahn angenagt wird,17 die Gefahr kurz darauf zu dir kommen wird? Denn um deine Interessen geht es hier, wenn die Wand deines Nachbarn brennt, [85] und unbeachtete Feuerbrände pflegen Kräfte dazuzugewinnen. Nur für Unerfahrene ist die Pflege der Bekanntschaft mit einem mächtigen Freund süß: Der Erfahrene wird sie fürchten. Während dein Schiff auf hoher See ist, pass du auf, dass dich nicht ein Umschlagen des Windes rückwärts trägt. Mürrischen ist der Heitere zuwider und der Mürrische den Lustigen, [90] der Ruhige den Schnellen, der Rührige und Aktive den Trägen, den Trinkern18 der, welcher dargereichte Becher ablehnt, wenn du auch noch so heftig schwörst, du hättest Angst vor Fieber in der Nacht. Entferne die Wolke von deinen Au-

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deme supercilio nubem: plerumque modestus occupat obscuri speciem, taciturnus acerbi. inter cuncta leges et percontabere doctos, qua ratione queas traducere leniter aevum, num te semper inops agitet vexetque cupido, num pavor et rerum mediocriter utilium spes, virtutem doctrina paret naturane donet, quid minuat curas, quid te tibi reddat amicum, quid pure tranquillet, honos an dulce lucellum an secretum iter et fallentis semita vitae. me quotiens reficit gelidus Digentia rivus, quem Mandela bibit, rugosus frigore pagus, quid sentire putas, quid credis, amice, precari? ‘sit mihi quod nunc est, etiam minus, et mihi vivam quod superest aevi, si quid superesse volunt di; sit bona librorum et provisae frugis in annum copia neu fluitem dubiae spe pendulus horae.’ sed satis est orare Iovem quae ponit et aufert: det vitam, det opes; aequum mi animum ipse parabo.

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XIX Prisco si credis, Maecenas docte, Cratino, nulla placere diu nec vivere carmina possunt, quae scribuntur aquae potoribus. ut male sanos ascripsit Liber Satyris Faunisque poetas, vina fere dulces oluerunt mane Camenae. laudibus arguitur vini vinosus Homerus; Ennius ipse pater numquam nisi potus ad arma prosiluit dicenda. ‘Forum Putealque Libonis

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genbrauen: In der Regel suggeriert der Bescheidene [95] den Eindruck, er sei verschlossen, der Schweigsame, er sei unfreundlich. Inmitten von alldem lies und befrage die, die es wissen, auf welche Weise du moderat dein Leben verbringen kannst, ob dich die ständig bedürftige Gier herumtreibt und quält, ob die Angst und die Hoffnung auf Dinge von mittelmäßigem Nutzen, [100] ob Unterweisung die Tugend hervorbringt oder die Natur sie schenkt, was die Sorgen vermindert, was dich dir selbst zum Freund macht, was ganz und gar seelenruhig macht, ob ein Ehrenamt oder ein süßes Profitchen oder ein abgeschiedener Weg und der Seitenpfad eines Lebens im Verborgenen. Sooft mich die Digentia erfrischt, der kühle Bach, [105] aus dem Mandela trinkt, das vor Kälte runzelige Dorf, was meinst du, fühle ich dann, was glaubst du, Freund, erbete ich? »Möge mir bleiben, was ich jetzt habe, sogar weniger; möge ich für mich selbst leben dürfen in der Zeit, die mir übrig bleibt, falls die Götter wollen, dass etwas übrig bleibt; möge ich einen guten Vorrat an Büchern und im Voraus gelieferter Feldfrucht für das ganze Jahr haben [110] und nicht hin und her schwanken, abhängig von Hoffnung auf die nächste ungewisse Stunde!« Aber es reicht, Juppiter um das zu bitten, was er vorsetzt und nimmt: Möge er mir Leben, möge er die Mittel dazu geben; Gleichmut will ich mir selbst schaffen.

19 Wenn du dem alten Kratinus glaubst, gelehrter Maecenas, können die Gedichte nicht lange gefallen und nicht lange leben, die von Wassertrinkern geschrieben werden. Seit Liber die nicht ganz normalen Dichter unter die Satyrn und Faune aufgenommen hat, [5] haben die süßen Camenen in der Regel schon am frühen Morgen nach Wein geduftet. Durch seine Preisungen des Weins wird Homer als weinselig überführt; selbst Vater Ennius sprang immer nur betrunken zum Besingen von Waffentaten vor: »Das Forum und das Puteal des Libo

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mandabo siccis, adimam cantare severis’; hoc simul edixi, non cessuere poetae nocturno certare mero, putere diurno. quid? si quis vultu torvo ferus et pede nudo exiguaeque togae simulet textore Catonem, virtutemne repraesentet moresque Catonis? rupit Iarbitam Timagenis aemula lingua, dum studet urbanus tenditque disertus haberi. decipit exemplar vitiis imitabile: quodsi pallerem casu, biberent exsangue cuminum. o imitatores, servum pecus, ut mihi saepe bilem, saepe iocum vestri movere tumultus! libera per vacuum posui vestigia princeps, non aliena meo pressi pede. qui sibi fidet, dux reget examen. Parios ego primus iambos ostendi Latio, numeros animosque secutus Archilochi, non res et agentia verba Lycamben. ac ne me foliis ideo brevioribus ornes, quod timui mutare modos et carminis artem: temperat Archilochi Musam pede mascula Sappho, temperat Alcaeus, sed rebus et ordine dispar, nec socerum quaerit, quem versibus oblinat atris, nec sponsae laqueum famoso carmine nectit. hunc ego, non alio dictum prius ore, Latinus vulgavi fidicen. iuvat immemorata ferentem ingenuis oculisque legi manibusque teneri. scire velis, mea cur ingratus opuscula lector laudet ametque domi, premat extra limen iniquus. non ego ventosae plebis suffragia venor

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werde ich den Nüchternen übergeben,1 den Strengen das Singen wegnehmen.« [10] Sobald ich dieses Edikt erlassen hatte, zögerten die Dichter nicht, nachts im Wettstreit puren Wein zu trinken und am Tag danach zu riechen. Doch wie nun? Wenn jemand als wilder Kerl mit finsterer Miene, nackten Füßen und mit der Hilfe des Webers, der eine knappe Toga verfertigt hat, Cato nachahmen wollte, würde er dann die Mannhaftigkeit und den Charakter Catos wiederaufleben lassen? [15] Den Ïarbita vernichtete seine den Timagenes nachahmende Zunge, während er sich heftig bemühte, als witzig und eloquent zu gelten. Ein Vorbild, das, was die Fehler betrifft, leicht nachahmbar ist, täuscht etwas Falsches vor: Wenn ich also zufällig blass wäre, würden sie2 bleich machenden Kümmeltee trinken. O ihr Nachahmer, ihr Sklavenherde, wie oft hat mir euer Getöse [20] die Galle, wie oft mir Heiterkeit erregt! Ich habe als erster freie Tritte auf ein leeres Gebiet gesetzt, mit meinen Füßen nichts Fremdes betreten. Nur wer sich selbst vertraut, wird als Anführer den Schwarm lenken. Ich habe zuerst Latium parische Jamben gezeigt, wobei ich in den Metren und im Temperament dem [25] Archilochus folgte, nicht im Stoff und in Worten, wie sie den Lykambes jagten.3 Und damit du mich deswegen nicht mit kleineren Blättern4 schmückst, weil ich mich scheute, die Rhythmen und die poetische Technik zu ändern, so wisse: Ihre Dichtung reguliert die männliche5 Sappho mit den Versfüßen des Archilochus, reguliert Alkäus, aber inhaltlich und in der Anordnung abweichend, [30] er sucht nicht den Schwiegervater, um ihn mit boshaften Versen zu beschmieren, und knüpft auch nicht der Verlobten eine Schlinge aus Schmähgedichten. Ihn6, der zuvor aus keinem anderen Mund ertönt war,7 habe ich als lateinischer Lyriker bekannt gemacht. Es macht Freude, etwas Ungesagtes zu bringen, von vornehmen Augen gelesen und von vornehmen Händen gehalten zu werden. [35] Du möchtest wissen, warum der undankbare Leser meine Werklein zu Hause lobt und liebt, sie aber außerhalb der Türschwelle ungerecht herabsetzt. Ich jage nicht nach den Stimmen des wetterwendischen Pöbels mit Hilfe von Ausgaben für Abendessen und

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impensis cenarum et tritae munere vestis; non ego nobilium scriptorum auditor et ultor grammaticas ambire tribus et pulpita dignor. hinc illae lacrimae. ‘spissis indigna theatris scripta pudet recitare et nugis addere pondus’ si dixi, ‘rides’ ait ‘et Iovis auribus ista servas; fidis enim manare poetica mella te solum, tibi pulcher.’ ad haec ego naribus uti formido et, luctantis acuto ne secer ungui, ‘displicet iste locus’ clamo et diludia posco. ludus enim genuit trepidum certamen et iram, ira truces inimicitias et funebre bellum.

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XX Vortumnum Ianumque, liber, spectare videris, scilicet ut prostes Sosiorum pumice mundus; odisti claves et grata sigilla pudico, paucis ostendi gemis et communia laudas, non ita nutritus: fuge quo descendere gestis. non erit emisso reditus tibi: ‘quid miser egi? quid volui?’ dices, ubi quid te laeserit; et scis in breve te cogi, cum plenus languet amator. quodsi non odio peccantis desipit augur, carus eris Romae donec te deserat aetas; contrectatus ubi manibus sordescere vulgi coeperis, aut tineas pasces taciturnus inertes aut fugies Uticam aut vinctus mitteris Ilerdam.

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durch das Verschenken abgetragener Kleidung; ich halte es nicht für würdig, berühmten Dichtern zuzuhören, mich zu rächen8 [40] und die Bezirke und Brettergerüste der Grammatiker zu umwerben.9 Daher diese Tränen.10 Wenn ich sage: »Ich würde mich schämen, vor dichtgedrängtem Publikum meine Dichtungen, die das nicht verdienen, vorzulesen und Spielereien Gewicht beizumessen«, dann heißt es: »Du lachst über uns und bewahrst sie für die Ohren Juppiters11 auf; denn du vertraust darauf, dass [45] du allein poetische Honigtropfen verströmst, in deinen Augen selbst schön.« Demgegenüber meine Nase einzusetzen12 scheue ich mich, und, damit ich nicht von den spitzen Nägeln dessen, der gegen mich polemisiert, zerkratzt werde, rufe ich: »Der Platz hier gefällt mir nicht« und fordere eine Kampfpause.13 Denn Geplänkel bringt aufgeregten Wettstreit und Zorn hervor, Zorn wilde Feindschaft und tödlichen Kampf.

20 Nach Vortumnus und Janus schaust du aus,1 scheint es, mein Buch, klar, damit du dich, vom Bimsstein2 der Sosii geglättet, zum Verkauf anbietest3; dir sind Schlüssel und Siegel zuwider, die dem Schamhaften willkommen sind, du seufzt, du würdest nur wenigen gezeigt, und lobst öffentliche Plätze, [5] obwohl du so nicht aufgezogen wurdest: Vermeide den Ort, zu dem du hinabzusteigen heftig begehrst. Aber wenn du hinausgelassen bist, wird es keine Rückkehr für dich geben: »Was habe ich Armer getan? Was habe ich mir gewünscht?« wirst du sagen, wenn dich irgendetwas verletzt hat; und du weißt, dass du wieder an einen engen Ort gezwängt wirst, wenn dein Liebhaber übersättigt ist und abschlafft. Wenn aber der Augur nicht aus Verärgerung über den Missetäter spinnt, [10] wirst du in Rom teuer sein, bis dich die Jugend verlässt; sobald du aber, abgegriffen von den Händen des Pöbels, schmutzig zu werden beginnst, wirst du entweder stumm ungebildete Motten ernähren oder nach Utica ausreißen oder in Banden nach Ilerda geschickt werden. Der Mahner wird dann lachen,

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EPISTVLARVM LIBER I

ridebit monitor non exauditus, ut ille qui male parentem in rupes protrusit asellum iratus; quis enim invitum servare laboret? hoc quoque te manet, ut pueros elementa docentem occupet extremis in vicis balba senectus. cum tibi sol tepidus plures admoverit aures, me libertino natum patre et in tenui re maiores pinnas nido extendisse loqueris, ut, quantum generi demas, virtutibus addas; me primis urbis belli placuisse domique, corporis exigui, praecanum, solibus aptum, irasci celerem, tamen ut placabilis essem. forte meum si quis te percontabitur aevum, me quater undenos sciat implevisse Decembres, collegam Lepidum quo dixit Lollius anno.

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BUCH 1 DER BRIEFE

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weil nicht auf ihn gehört wurde, wie [15] der, welcher voller Wut seinen nicht recht gehorsamen Esel auf die Felsklippen hinabstieß; denn wer würde sich die Mühe machen, einen zu retten, der das nicht will? Auch das erwartet dich, dass dich, während du Kinder das Abc lehrst, an Straßenenden das stammelnde Greisenalter überfällt. Wenn dir eine milde Sonne einmal mehr Ohren in die Nähe bringt, [20] wirst du sagen, dass ich von einem freigelassenen Vater abstamme4 und in armen Verhältnissen meine Schwingen weit über das Nest ausgestreckt hätte, damit du, was du meiner Herkunft wegnimmst, meinen Leistungen hinzufügst, und dass ich den ersten Männern der Stadt in Krieg und Frieden gefallen hätte, winzig von Statur sei, früh ergraut, der Sonne zugetan, [25] im Zürnen rasch, um gleichwohl versöhnlich zu sein. Wenn zufällig jemand dich nach meinem Alter fragt, so wisse er, dass ich viermal elf Dezember vollendet hatte in dem Jahr, als Lollius den Lepidus zu seinem Kollegen erklärte.5

Das Jahrhundertlied

CARMEN SAECVLARE Phoebe silvarumque potens Diana, lucidum caeli decus, o colendi semper et culti, date quae precamur tempore sacro, quo Sibyllini monuere versus virgines lectas puerosque castos dis, quibus septem placuere colles, dicere carmen. alme Sol, curru nitido diem qui promis et celas aliusque et idem nasceris, possis nihil urbe Roma visere maius. rite maturos aperire partus lenis, Ilithyia, tuere matres, sive tu Lucina probas vocari seu Genitalis: diva, producas subolem patrumque prosperes decreta super iugandis feminis prolisque novae feraci lege marita, certus undenos decies per annos orbis ut cantus referatque ludos ter die claro totiensque grata nocte frequentes.

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Das Jahrhundertlied Phoebus und du, Herrin der Wälder, Diana, leuchtende Zierde des Himmels, o ihr stets zu Verehrenden und Verehrten, gebt das, worum wir bitten in der heiligen Zeit, in der – so mahnten die sibyllinischen Sprüche1 – Jungfrauen und Knaben, ausgewählte und reine, den Göttern, denen die sieben Hügel2 gefielen, ein Lied singen sollen. Segenspendender Sol, der du auf strahlendem Wagen den Tag heraufführst und verbirgst und als ein anderer und derselbe entstehst, mögest du nichts Größeres sehen können als die Stadt Rom. Sanft darin, dass du erwartungsgemäß das Gebären eröffnest, wenn die Zeit reif ist, Ilithyia, beschütze die Mütter, sei es, dass du es gutheißt, Lucina genannt zu werden, oder Genitalis: Göttin, bringe Nachwuchs hervor, lass die Beschlüsse der Väter über die Verheiratung der Frauen gedeihen und die über das für neue Nachkommenschaft fruchtbare Ehegesetz3, so dass der festgesetzte Kreislauf alle zehnmal elf Jahre hindurch Gesänge und Festspiele wiederbringe, die dreimal am Tag und ebenso oft in willkommener Nacht vielbesucht sind.4

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CARMEN SAECVLARE

vosque, veraces cecinisse Parcae, quod semel dictum est stabilisque rerum terminus servet, bona iam peractis iungite fata. fertilis frugum pecorisque Tellus spicea donet Cererem corona; nutriant fetus et aquae salubres et Iovis aurae. condito mitis placidusque telo supplices audi pueros, Apollo; siderum regina bicornis, audi, Luna, puellas. Roma si vestrum est opus Iliaeque litus Etruscum tenuere turmae, iussa pars mutare Lares et urbem sospite cursu,

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cui per ardentem sine fraude Troiam castus Aeneas patriae superstes liberum munivit iter, daturus plura relictis, di, probos mores docili iuventae, di, senectuti placidae quietem, Romulae genti date remque prolemque et decus omne. quaeque vos bobus veneratur albis clarus Anchisae Venerisque sanguis,

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DAS JAHRHUNDERTLIED Ihr auch, Parzen, wahrhaftig im Singen dessen, was einmal gesagt wurde und was die feste Grenzmarke des Schicksals bewahren soll, verbindet schon Vollendetes mit guten Schicksalssprüchen. Reich an Früchten und Vieh möge Tellus Ceres, die den Ährenkranz trägt, beschenken; die heilsamen Wasser und Lüfte Juppiters mögen die Keime nähren. Verbirg den Pfeil und höre mild und freundlich die bittflehenden Knaben, Apollo; zweifach gehörnte Königin der Gestirne, Luna, höre die Mädchen. So wahr Rom euer5 Werk ist und die ilischen Heerscharen das etruskische Gestade besetzten,6 der Teil, dem befohlen war, Haus und Stadt einzutauschen für eine sichere Fahrt, dem ohne Gefährdung durch das brennende Troja der reine Äneas, der seine Vaterstadt überlebte, den freien Weg sicherte, um ihm dann mehr zu geben als das Zurückgelassene, gebt, ihr Götter, gute Sitten der zum Lernen bereiten Jugend, ihr Götter, dem friedlichen Alter Ruhe, dem Volk des Romulus Besitz, Nachkommenschaft und jede Ehre. Und was von euch durch weiße Rinder7 erbittet der berühmte Nachkomme des Anchises und der Venus8,

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CARMEN SAECVLARE

impetret, bellante prior, iacentem lenis in hostem. iam mari terraque manus potentes Medus Albanasque timet secures, iam Scythae responsa petunt superbi nuper et Indi. iam Fides et Pax et Honos Pudorque priscus et neglecta redire Virtus audet apparetque beata pleno Copia cornu.

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augur et fulgente decorus arcu Phoebus acceptusque novem Camenis, qui salutari levat arte fessos corporis artus, si Palatinas videt aequus aras, remque Romanam Latiumque felix alterum in lustrum meliusque semper prorogat aevum, quaeque Aventinum tenet Algidumque, quindecim Diana preces virorum curat et votis puerorum amicas applicat aures. haec Iovem sentire deosque cunctos spem bonam certamque domum reporto, doctus et Phoebi chorus et Dianae dicere laudes.

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DAS JAHRHUNDERTLIED möge er erlangen, überlegen dem kämpfenden Feind, mild ihm gegenüber, wenn er am Boden liegt. Schon fürchtet zu Wasser und zu Lande unsere mächtigen Scharen und die albanischen9 Beile der Meder, schon bitten um Antworten die Skythen und die jüngst noch hochmütigen Inder. Schon wagen Treue, Frieden, Ehre und einstiger Anstand und die vernachlässigte Tugend zurückzukehren, und es erscheint die gesegnete Copia mit vollem Horn. Phöbus, Seher, geschmückt mit dem glänzenden Bogen und willkommen den neun Camenen, er, der mit Heilkunst geschwächte Glieder des Leibes aufrichtet, lässt, wenn er gerecht auf die palatinischen Altäre blickt, das römische und latinische Reich in Fruchtbarkeit fortdauern in einem weiteren Lustrum und für immer in einer besseren Zeit, und sie, die den Aventin und den Algidus beherrscht, Diana, achtet auf die Gebete der fünfzehn Männer10 und wendet den Bitten der Knaben ihre freundlichen Ohren zu. Gute und sichere Hoffnung darauf, dass Juppiter und alle übrigen Götter dies wahrnehmen, trage ich nach Hause zurück, ich, der Chor, der gelernt hat, den Lobpreis des Phöbus und der Diana zu singen.

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Oden IV

CARMINVM LIBER IV I Intermissa, Venus, diu rursus bella moves? parce precor, precor. non sum qualis eram bonae sub regno Cinarae. desine, dulcium mater saeva Cupidinum, circa lustra decem flectere mollibus iam durum imperiis; abi, quo blandae iuvenum te revocant preces. tempestivius in domum Paulli purpureis ales oloribus comissabere Maximi, si torrere iecur quaeris idoneum. namque et nobilis et decens et pro sollicitis non tacitus reis et centum puer artium late signa feret militiae tuae, et quandoque potentior largi muneribus riserit aemuli, Albanos prope te lacus ponet marmoream sub trabe citrea.

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Buch 4 der Oden 1 Venus, lange unterbrochene Kämpfe setzt du wieder in Gang? Schone mich, bitte, bitte! Ich bin nicht so, wie ich war unter der Herrschaft der lieben Kinara1. Hör auf, süßer Eroten grausame Mutter2, nah am fünfzigsten Jahr mit weichen Befehlen den schon Verhärteten zu beugen; geh dorthin fort, wohin schmeichelnde Gebete junger Männer dich rufen. Passender wirst du in das Haus des Paullus Maximus, beflügelt von purpurnen Schwänen, deinen Schwarm führen, wenn du eine geeignete Leber zu entflammen suchst.3 Er nämlich, edel und schön und nie schweigend zum Schutz besorgter Angeklagter,4 ein junger Mann mit hundert Fertigkeiten, wird weithin die Feldzeichen deines Kriegsdienstes tragen, und wenn er, weil er ihn übertrumpft hat, über die Gaben seines freigebigen Rivalen gelacht hat, wird er dich nahe bei den Albaner Seen in Marmor unter Zederngebälk aufstellen.

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CARMINVM LIBER IV

illic plurima naribus duces tura lyraeque et Berecyntiae delectabere tibiae mixtis carminibus non sine fistula; illic bis pueri die numen cum teneris virginibus tuum laudantes pede candido in morem Salium ter quatient humum. me nec femina nec puer iam nec spes animi credula mutui nec certare iuvat mero nec vincire novis tempora floribus. sed cur heu, Ligurine, cur manat rara meas lacrima per genas? cur facunda parum decoro inter verba cadit lingua silentio? nocturnis ego somniis iam captum teneo, iam volucrem sequor te per gramina Martii campi, te per aquas, dure, volubiles.

II Pindarum quisquis studet aemulari, Iulle, ceratis ope Daedalea nititur pinnis, vitreo daturus nomina ponto.

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BUCH 4 DER ODEN Dort wirst du sehr viel Weihrauch mit der Nase einatmen und dich an den vermischten Weisen der Lyra und der berekyntischen Rohrflöte zusammen mit der Panflöte erfreuen; dort werden zweimal am Tag junge Männer zusammen mit zarten Jungfrauen deine göttliche Macht preisen und mit weißglänzenden Füßen nach Salierart dreimal den Boden stampfen. Ich freue mich an keiner Frau und keinem Knaben mehr, an keiner gläubigen Hoffnung auf wechselseitige Gefühle und nicht daran, um die Wette puren Wein zu trinken und die Schläfen mit frischen Blumen zu bekränzen. Aber wehe, warum, Ligurinus, warum rinnt immer wieder einmal eine Träne über meine Wangen? Warum stockt meine redegewandte Zunge mitten im Wort in Schweigen, das sich zu wenig gehört? In nächtlichen Träumen halte ich dich bald gefangen, bald verfolge ich dich, wenn du davonfliegst, über die Wiesen des Marsfelds, dich durch dahinrollende Wellen, du Hartherziger.

2 Wer immer sich bemüht, Pindar wetteifernd zu imitieren, Jullus, der stützt sich auf Flügel, die die Kunst des Dädalus mit Wachs zusammenband, um dann einem kristallklaren Meer den Namen zu geben.

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CARMINVM LIBER IV

monte decurrens velut amnis, imbres quem super notas aluere ripas, fervet immensusque ruit profundo Pindarus ore, laurea donandus Apollinari, seu per audaces nova dithyrambos verba devolvit numerisque fertur lege solutis, seu deos regesque canit, deorum sanguinem, per quos cecidere iusta morte Centauri, cecidit tremendae flamma Chimaerae, sive quos Elea domum reducit palma caelestes pugilemve equumve dicit et centum potiore signis munere donat,

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flebili sponsae iuvenemve raptum plorat et vires animumque moresque aureos educit in astra nigroque invidet Orco. multa Dircaeum levat aura cycnum, tendit, Antoni, quotiens in altos nubium tractus: ego apis Matinae more modoque grata carpentis thyma per laborem plurimum, circa nemus uvidique

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BUCH 4 DER ODEN Wie ein vom Berg herabeilender Strom, den Regengüsse über die vertrauten Ufer hinaus haben anschwellen lassen, braust Pindar und stürzt unermesslich dahin aus tiefem Munde, wert, mit dem apollinischen Lorbeer beschenkt zu werden, ob er durch kühne Dithyramben neue Wörter herabwälzt und dahineilt in Versmaßen, die von Regeln frei sind,1 oder von Göttern und Königen singt,2 solchen vom Blut der Götter, durch die die Kentauren gefallen sind in gerechtem Tod, gefallen ist die Flamme der furchterregenden Chimära, oder von denen, die die elëische Palme nach Hause begleitet, den Himmlischen, dem Faustkämpfer oder dem Pferd singt und mit einer Gabe, die bedeutender ist als hundert Statuen, beschenkt,3 um den seiner beweinenswerten Verlobten entrissenen Jüngling klagt und seine Stärke, seinen Mut und seinen goldenen Charakter zu den Sternen empor führt und dem schwarzen Orkus missgönnt.4 Ein kräftiger Lufthauch hebt den dirkäischen Schwan empor, Antonius, sooft er zu den hohen Bahnen der Wolken strebt: Ich erschaffe in der Art und Weise der Biene vom Matinus, die den ihr willkommenen Thymian mit größter Mühe pflückt, rings um den Hain und die Ufer

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CARMINVM LIBER IV

Tiburis ripas operosa parvus carmina fingo. concines maiore poeta plectro Caesarem, quandoque trahet feroces per sacrum clivum merita decorus fronde Sygambros, quo nihil maius meliusve terris fata donavere bonique divi nec dabunt, quamvis redeant in aurum tempora priscum;

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concines laetosque dies et urbis publicum ludum super impetrato fortis Augusti reditu Forumque litibus orbum. tum meae, si quid loquar audiendum, vocis accedet bona pars, et: ‘o sol pulcher, o laudande!’ canam recepto Caesare felix. tuque dum procedis, ‘io Triumphe!’ non semel dicemus, ‘io Triumphe!’ civitas omnis dabimusque divis tura benignis. te decem tauri totidemque vaccae, me tener solvet vitulus, relicta matre qui largis iuvenescit herbis in mea vota,

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BUCH 4 DER ODEN des feuchten Tibur, klein wie ich bin, sorgfältig ausgearbeitete Gedichte. Als ein Dichter mit größerem Plektrum5 wirst du Caesar besingen, wenn er die wilden Sygambrer über den heiligen Hang hinaufschleppt6, geschmückt mit dem verdienten Laub7, ihn, den Größten und Besten, den die Geschicke und die gütigen Götter dem Erdkreis geschenkt haben und schenken werden, mögen auch in das Gold der Vorzeit8 die Zeiten zurückkehren; du wirst die heiteren Tage besingen, die öffentlichen Festspiele der Stadt aus Anlass der erflehten Rückkehr des tapferen Augustus und das von Prozessen verwaiste Forum. Dann wird von meiner Stimme, wenn ich etwas Hörenswertes sage, ein beträchtlicher Teil hinzukommen, und ich werde »O schöner Tag, o preiswürdiger!« singen, glücklich, weil Caesar zurückgekehrt ist. Und während du voranschreitest, werden wir »io Triumph!« nicht nur einmal rufen, »io Triumph«, wir, die ganze Bürgerschaft, und den gütigen Göttern Weihrauch spenden. Dich werden zehn Stiere und ebenso viele Kühe, mich wird ein zartes Kalb von meinem Gelübde lösen, das nach Verlassen der Mutter in reichlichem Gras heranwächst zur Erfüllung meiner Gelübde,9

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CARMINVM LIBER IV

fronte curvatos imitatus ignes tertium lunae referentis ortum, qua notam duxit niveus videri, cetera fulvus.

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III Quem tu, Melpomene, semel nascentem placido lumine videris, illum non labor Isthmius clarabit pugilem, non equus impiger curru ducet Achaico victorem, neque res bellica Deliis ornatum foliis ducem, quod regum tumidas contuderit minas, ostendet Capitolio: sed quae Tibur aquae fertile praefluunt et spissae nemorum comae fingent Aeolio carmine nobilem. Romae, principis urbium, dignatur suboles inter amabiles vatum ponere me choros, et iam dente minus mordeor invido. o testudinis aureae dulcem quae strepitum, Pieri, temperas, o mutis quoque piscibus donatura cycni, si libeat, sonum,

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BUCH 4 DER ODEN nachahmend an seiner Stirn das gebogene Feuer des Mondes10, wenn er seinen dritten Aufgang zurückbringt,11 dort, wo es ein Mal hat, schneeweiß anzusehen, sonst goldbraun.

3 Wen du, Melpomene, jemals bei seiner Geburt mit freundlichem Auge anblickst, den wird nicht mühevolle Leistung am Isthmus als Faustkämpfer berühmt machen, nicht ein unverdrossenes Pferd auf einem achäischen Wagen als den Sieger ziehen und nicht eine militärische Heldentat mit delischen Blättern1 geschmückt, weil er aufgeblasene Drohungen von Königen zermalmt hat, als den Heerführer dem Kapitol zeigen: Nein, die Gewässer, die am fruchtbaren Tibur vorbeifließen, und das dichte Laub der Haine werden mich durch äolische Lieder zu einem Edlen formen. Die aufwachsende Generation Roms, der Ersten unter den Städten, hält es für wert, mich in die liebenswürdigen Chöre der Dichter zu stellen, und schon werde ich weniger vom Zahn des Neides benagt. O die du der goldenen Lyra süßen Klang modulierst, Piëris, o die du auch stummen Fischen die Stimme des Schwans geben könntest, wenn es dir gefiele,

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CARMINVM LIBER IV

totum muneris hoc tui est, quod monstror digito praetereuntium Romanae fidicen lyrae; quod spiro et placeo, si placeo, tuum est.

IV Qualem ministrum fulminis alitem, cui rex deorum regnum in aves vagas permisit expertus fidelem Iuppiter in Ganymede flavo, olim iuventas et patrius vigor nido laborum protulit inscium vernique iam nimbis remotis insolitos docuere nisus venti paventem, mox in ovilia demisit hostem vividus impetus, nunc in reluctantes dracones egit amor dapis atque pugnae, qualemve laetis caprea pascuis intenta fulvae matris ab ubere lactante depulsum leonem dente novo peritura vidit: videre Raetis bella sub Alpibus Drusum gerentem Vindelici; quibus mos unde deductus per omne tempus Amazonia securi

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BUCH 4 DER ODEN dies ist ganz dein Geschenk, dass von den Vorübergehenden mit dem Finger auf mich gezeigt wird als den Spieler der römischen Lyra; dass ich atme und dass ich gefalle, wenn ich gefalle, ist dein Werk.

4 Wie den geflügelten Diener des Blitzes1, dem der König der Götter die Herrschaft über die unsteten Vögel verlieh, weil Juppiter ihn als treu erfahren hatte bei dem blonden Ganymedes, erst seine Jugend und die vom Vater ererbte Kraft aus dem Nest treibt, wenn er Mühen noch nicht kennt, dann Frühlingswinde, wenn die Regenwolken schon entfernt sind, ungewohnte Anstrengungen den Ängstlichen lehren, ihn aber bald in Schafhürden sein lebhafter Drang als Feind hinabsendet und jetzt gegen sich widersetzende Schlangen das Verlangen nach Futter und Kampf treibt, oder wie ein Reh, mit den üppigen Weiden beschäftigt, einen von den mit Milch gefüllten Zitzen der bräunlichen Mutter entwöhnten Löwen erblickt, dem Tod geweiht durch seine neuen Zähne: So sahen am Fuß der rätischen Alpen die Vindeliker Drusus Krieg führen; woher bei ihnen der Brauch stammt, der von jeher ihre Rechte mit Äxten wie denen der

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CARMINVM LIBER IV

dextras obarmet, quaerere distuli, nec scire fas est omnia; sed diu lateque victrices catervae consiliis iuvenis revictae sensere, quid mens rite, quid indoles nutrita faustis sub penetralibus posset, quid Augusti paternus in pueros animus Nerones. fortes creantur fortibus et bonis; est in iuvencis, est in equis patrum virtus neque imbellem feroces progenerant aquilae columbam. doctrina sed vim promovet insitam rectique cultus pectora roborant; utcumque defecere mores, indecorant bene nata culpae. quid debeas, o Roma, Neronibus, testis Metaurum flumen et Hasdrubal devictus et pulcher fugatis ille dies Latio tenebris

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qui primus alma risit adorea, dirus per urbes Afer ut Italas ceu flamma per taedas vel Eurus per Siculas equitavit undas. post hoc secundis usque laboribus Romana pubes crevit et impio

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BUCH 4 DER ODEN Amazonen bewaffnet, zu erforschen habe ich aufgeschoben, und es ist auch nicht recht, alles zu wissen; doch die lange und weithin siegreichen Scharen haben, besiegt durch die Strategie des jungen Mannes, verspürt, was Verstand, was Begabung, richtig gefördert in einem gesegneten Haus, was die väterliche Gesinnung des Augustus gegenüber den jungen Neronen leisten kann. Tapfere werden von Tapferen und Guten gezeugt; es steckt in jungen Stieren, es steckt in Pferden die Kraft ihrer Väter, und wilde Adler bringen keine friedlichen Tauben hervor. Aber Unterweisung bringt angeborene Kraft zur Entfaltung, und die richtige Ausbildung stärkt die Persönlichkeit; in dem Maße, wie das sittliche Empfinden schwindet, zerstören Verfehlungen den Ruhm edel geborener Persönlichkeiten. Was du, o Rom, den Neronen verdankst, bezeugen der Metaurusfluss, der endgültig besiegte Hasdrubal und jener für Latium durch die Vertreibung der Finsternis schöne Tag, der als erster mit Ruhm, der aufbaute, uns zulachte, seit der schreckliche Afrer2 durch die italischen Städte wie eine Flamme durch Fichten oder wie der Eurus durch sizilische Wogen galoppiert war. Danach wuchs in einer Serie erfolgreicher Anstrengungen die römische Jugend, und die durch den ruchlosen

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CARMINVM LIBER IV vastata Poenorum tumultu fana deos habuere rectos,

dixitque tandem perfidus Hannibal: ‘cervi, luporum praeda rapacium, sectamur ultro quos opimus fallere et effugere est triumphus. gens, quae cremato fortis ab Ilio iactata Tuscis aequoribus sacra natosque maturosque patres pertulit Ausonias ad urbes, duris ut ilex tonsa bipennibus nigrae feraci frondis in Algido, per damna, per caedes ab ipso ducit opes animumque ferro.

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non Hydra secto corpore firmior vinci dolentem crevit in Herculem monstrumve summisere Colchi maius Echioniaeve Thebae. merses profundo, pulchrior evenit; luctere, multa proruet integrum cum laude victorem geretque proelia coniugibus loquenda. Karthagini iam non ego nuntios mittam superbos: occidit, occidit spes omnis et fortuna nostri nominis Hasdrubale interempto.’

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BUCH 4 DER ODEN Ansturm der Punier verwüsteten Tempel enthielten aufrecht stehende Götter,3 und endlich sprach der treulose Hannibal: »Wir, Hirsche, die Beute reißender Wölfe, verfolgen aus freien Stücken die, denen verborgen zu bleiben und zu entfliehen ein stattlicher Triumph wäre. Das Volk, welches tapfer aus dem niedergebrannten Troja, umhergeworfen in den tyrrhenischen Fluten, seine Heiligtümer, Kinder und betagte Väter zu den ausonischen Städten brachte,4 schöpft wie eine von harten Äxten behauene Steineiche auf dem dunkles Laub reichlich hervorbringenden Algidus inmitten der Schäden, inmitten des Niederhauens5 sogar aus dem Eisen Kraft und Mut. Die Hydra wuchs, als ihr Leib verstümmelt war, nicht stärker gegen Herkules an, dem eine Niederlage zuwider war, und kein größeres Monster ließen die Kolcher und Echions Theben in die Höhe hervorkommen.6 Magst du es in der Tiefe versenken, es kommt herrlicher heraus; magst du mit ihm ringen, mit reichem Ruhm wird es den unverletzten Sieger niederwerfen und Schlachten schlagen, über welche die Ehefrauen reden werden. Karthago werde ich keine stolzen Botschaften mehr senden. Niedergesunken, niedergesunken ist alle Hoffnung und das Glück unsres Namens, weil Hasdrubal getötet wurde.«

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CARMINVM LIBER IV

nil Claudiae non perficient manus, quas et benigno numine Iuppiter defendit et curae sagaces expediunt per acuta belli.

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V Divis orte bonis, optime Romulae custos gentis, abes iam nimium diu: maturum reditum pollicitus patrum sancto consilio redi! lucem redde tuae, dux bone, patriae! instar veris enim vultus ubi tuus affulsit populo, gratior it dies et soles melius nitent. ut mater iuvenem, quem Notus invido flatu Carpathii trans maris aequora cunctantem spatio longius annuo dulci distinet a domo, votis ominibusque et precibus vocat, curvo nec faciem litore dimovet, sic desideriis icta fidelibus quaerit patria Caesarem. tutus bos etenim rura perambulat, nutrit rura Ceres almaque Faustitas, pacatum volitant per mare navitae, culpari metuit fides,

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BUCH 4 DER ODEN Nichts werden die Hände der Claudier nicht vollbringen, die Juppiter mit gnädigem Walten verteidigt und die kluge Bemühungen durchkommen lassen, wenn der Krieg gefährlich wird.

5 Du von guten Göttern Entsprossener, bester Wächter über das Volk des Romulus, du bist schon allzu lange abwesend:1 Da du der ehrwürdigen Versammlung der Väter eine baldige Rückkehr versprochen hast, komm zurück! Gib deiner Heimat das Licht zurück, guter Herrscher! Denn wenn gleich dem Frühling dein Antlitz dem Volk erstrahlt ist, vergeht froher der Tag, und die Sonnen glänzen schöner. Wie eine Mutter den jungen Mann, den Notus mit neidischem Wehen jenseits der Meeresfluten von Karpathus – er verweilt dort länger als Jahresfrist – vom süßen Heim fernhält, mit Gelübden, Vorzeichen und Gebeten ruft und ihr Gesicht vom gebogenen Strand nicht abwendet, so wünscht, von treuergebenem Verlangen durchdrungen, die Heimat Caesar herbei. Denn das Rind streift sicher über die Fluren, Ceres und die segenspendende Faustitas nähren die Fluren, über das befriedete Meer fliegen die Seeleute, getadelt zu werden fürchtet die Treue,

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CARMINVM LIBER IV

nullis polluitur casta domus stupris, mos et lex maculosum edomuit nefas, laudantur simili prole puerperae, culpam Poena premit comes. quis Parthum paveat, quis gelidum Scythen, quis Germania quos horrida parturit fetus incolumi Caesare? quis ferae bellum curet Hiberiae? condit quisque diem collibus in suis et vitem viduas ducit ad arbores; hinc ad vina redit laetus et alteris te mensis adhibet deum. te multa prece, te prosequitur mero defuso pateris et Laribus tuum miscet numen, uti Graecia Castoris et magni memor Herculis. ‘longas o utinam, dux bone, ferias praestes Hesperiae!’ dicimus integro sicci mane die, dicimus uvidi, cum sol Oceano subest.

VI Dive, quem proles Niobea magnae vindicem linguae Tityosque raptor sensit et Troiae prope victor altae Pthius Achilles,

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BUCH 4 DER ODEN durch keinerlei Unzucht wird das sittenreine Haus befleckt, Sitte und Gesetz haben befleckenden Frevel bezähmt, die Wöchnerinnen lobt man, weil ihre Kinder dem Vater ähnlich sind, Strafe bedrängt die Schuld als Begleiterin. Wer sollte den Parther fürchten, wer den kalten Skythen, wer die Brut, die das entsetzliche Germanien hervorbringt, wo es doch Caesar gut geht? Wer sollte sich um den wilden Krieg in Hiberien sorgen? Jeder verbringt den ganzen Tag auf seinen eigenen Hügeln und führt die Rebe zu den unvermählten Bäumen;2 von dort kehrt er froh zum Wein zurück und holt beim Nachtisch dich als Gott dazu. Dich ehrt er durch viele Gebete, dich mit reinem aus Opferschalen gegossenem Wein und mischt unter die Laren dein Götterbild,3 wie Griechenland Kastors und des großen Herkules gedenkt. »O wenn doch du, guter Herrscher, Hesperien lange Friedenstage gewähren wolltest!« sagen wir nüchtern, wenn morgens der Tag noch unberührt ist,4 sagen wir berauscht, wenn die Sonne im Ozean untergegangen ist.

6 Gott, den als Rächer einer großsprecherischen Zunge die Kinder Niobes und der Vergewaltiger Tityos kennenlernten sowie, fast Sieger über das hohe Troja, der Phthier Achilles,

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ceteris maior, tibi miles impar, filius quamvis Thetidis marinae Dardanas turres quateret tremenda cuspide pugnax – ille, mordaci velut icta ferro pinus aut impulsa cupressus Euro, procidit late posuitque collum in pulvere Teucro; ille non inclusus equo Minervae sacra mentito male feriatos Troas et laetam Priami choreis falleret aulam, sed palam captis gravis, heu nefas, heu nescios fari pueros Achivis ureret flammis, etiam latentem matris in alvo,

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ni tuis flexus Venerisque gratae vocibus divum pater annuisset rebus Aeneae potiore ductos alite muros: doctor argutae fidicen Thaliae, Phoebe, qui Xantho lavis amne crines, Dauniae defende decus Camenae, levis Agyieu. spiritum Phoebus mihi, Phoebus artem carminis nomenque dedit poetae:

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stärker als die Übrigen, aber dir als Kämpfer nicht ebenbürtig, obwohl er als Sohn der Meergöttin Thetis die dardanischen Türme kampfbegierig mit seiner schrecklichen Lanze erschütterte – er stürzte, wie vom beißenden Eisen getroffen die Pinie oder, vom Eurus erschüttert, die Zypresse, der Länge nach nieder und legte den Nacken in den teukrischen Staub; er hätte nicht, eingeschlossen in das Pferd, das sich lügnerisch als Opfer für Minerva ausgab, die zur Unzeit feiernden Troer und den sich an Tänzen freuenden Palast des Priamus getäuscht,1 sondern, ganz offen hart gegen Gefangene, weh, welch ein Frevel, wehe, Kinder, die noch nicht sprechen konnten, mit achivischen Flammen verbrannt, sogar das im Leib seiner Mutter verborgene, wenn nicht, durch deine Worte und die der lieblichen Venus umgestimmt, der Vater der Götter dem Schicksal des Äneas Mauern, die unter besserem Vorzeichen angelegt wurden, bewilligt hätte: Lyraspielender Chorführer der hell singenden Thalia2, Phoebus, der du im Xanthusstrom deine Haare spülst, verteidige die Ehre der daunischen Camena3, glattwangiger Agyieus. Phoebus gab mir Inspiration, Phoebus mir die Kunst des Gesangs und den Namen »Dichter«:

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virginum primae puerique claris patribus orti, Deliae tutela deae, fugaces lyncas et cervos cohibentis arcu, Lesbium servate pedem meique pollicis ictum, rite Latonae puerum canentes, rite crescentem face Noctilucam, prosperam frugum celeremque pronos volvere menses.

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nupta iam dices: ‘ego dis amicum, saeculo festas referente luces, reddidi carmen docilis modorum vatis Horati.’

VII Diffugere nives, redeunt iam gramina campis arboribus comae; mutat terra vices, et decrescentia ripas flumina praetereunt. Gratia cum Nymphis geminisque sororibus audet ducere nuda choros. immortalia ne speres, monet annus et almum quae rapit hora diem.

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BUCH 4 DER ODEN Ihr vornehmsten unter den Jungfrauen und ihr Knaben, Söhne berühmter Eltern, Schützlinge der delischen Göttin4, die Luchse und Hirsche mit dem Bogen in ihrer Flucht hemmt, beachtet den lesbischen Versfuß und den Taktschlag meines Daumens, wenn ihr rituell den Sohn der Latona5 besingt, rituell die mit ihrer Fackel wachsende Noctiluca, die die Feldfrüchte begünstigt und schnell darin ist, kopfüber die Monate abrollen zu lassen. Bald wirst du als Verheiratete sagen: »Ich habe, als das Jahrhundert die festlichen Tage wiederbrachte, das den Göttern liebe Lied gesungen, vertraut mit den Metren des Dichters Horaz.«

7 Geflohen ist der Schnee, schon kehrt den Feldern ihr Gras, den Bäumen ihr Laub zurück; die Erde durchläuft Veränderungen, und abschwellend ziehen die Flüsse an den Ufern vorbei. Die Grazie wagt mit den Nymphen und den beiden Schwestern nackt die Reigen anzuführen. Dass du nicht auf Unsterbliches hoffst, mahnt das Jahr und die Stunde, die den nährenden Tag fortreißt.

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frigora mitescunt Zephyris, ver proterit aestas, interitura, simul pomifer autumnus fruges effuderit, et mox bruma recurrit iners. damna tamen celeres reparant caelestia lunae: nos ubi decidimus quo pius Aeneas, quo dives Tullus et Ancus, pulvis et umbra sumus. quis scit an adiciant hodiernae crastina summae tempora di superi? cuncta manus avidas fugient heredis, amico quae dederis animo.

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cum semel occideris et de te splendida Minos fecerit arbitria, non, Torquate, genus, non te facundia, non te restituet pietas. infernis neque enim tenebris Diana pudicum liberat Hippolytum nec Lethaea valet Theseus abrumpere caro vincula Pirithoo.

VIII Donarem pateras grataque commodus, Censorine, meis aera sodalibus, donarem tripodas, praemia fortium Graiorum, neque tu pessima munerum

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Die Kälte wird milder durch die Zephyre, den Frühling zertritt der [Sommer, der vergehen wird, sobald der obsttragende Herbst seine Früchte ausschüttet, und hierauf eilt der starre Winter zurück. Doch die Monde ersetzen schnell die Verluste des Himmels1: Sobald aber wir hinabgesunken sind, wohin der fromme Äneas, wohin der reiche Tullus und Ancus [hinabsanken, sind wir Staub und Schatten. Wer weiß, ob die himmlischen Götter zur heutigen Summe die morgigen Stunden hinzufügen? Den gierigen Händen des Erben wird all das entgehen, was du deinem lieben Herzen schenkst. Wenn du einmal gestorben bist und Minos über dich sein glänzendes2 Urteil gefällt hat, werden dich, Torquatus3, nicht deine Herkunft, nicht deine Redekunst, [nicht deine Frömmigkeit wiederbringen. Denn weder befreit Diana aus der unterirdischen Finsternis den keuschen Hippolytus, noch vermag Theseus dem ihm teuren Pirithous die lethäischen Fesseln abzureißen.

8 Bereitwillig würde ich meinen Gefährten Schalen und willkommene Gegenstände aus Bronze schenken, Censorinus, würde ihnen Dreifüße schenken, die Siegespreise tapferer Griechen, und du würdest nicht die schlechtesten von den Gaben

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CARMINVM LIBER IV

ferres, divite me scilicet artium quas aut Parrhasius protulit aut Scopas, hic saxo, liquidis ille coloribus sollers nunc hominem ponere, nunc deum. sed non haec mihi vis, non tibi talium res est aut animus deliciarum egens: gaudes carminibus; carmina possumus donare, et pretium dicere muneri. non incisa notis marmora publicis, per quae spiritus et vita redit bonis post mortem ducibus, non celeres fugae reiectaeque retrorsum Hannibalis minae non incendia Karthaginis impiae eius, qui domita nomen ab Africa lucratus rediit, clarius indicant laudes quam Calabrae Pierides, neque si chartae sileant quod bene feceris, mercedem tuleris. quid foret Iliae Mavortisque puer, si taciturnitas obstaret meritis invida Romuli? ereptum Stygiis fluctibus Aeacum virtus et favor et lingua potentium vatum divitibus consecrat insulis. dignum laude virum Musa vetat mori, caelo Musa beat. sic Iovis interest optatis epulis impiger Hercules, clarum Tyndaridae sidus ab infimis quassas eripiunt aequoribus rates; ornatus viridi tempora pampino Liber vota bonos ducit ad exitus.

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davontragen, wenn ich nämlich reich an Kunstwerken wäre, wie sie Parrhasius hervorbrachte oder Skopas, dieser in Stein, jener geschickt darin, mit flüssigen Farben bald einen Menschen, bald einen Gott darzustellen. Doch das alles steht mir nicht leicht zu Gebote, und dir ist nichts an solchen Luxusgegenständen gelegen, und dein Sinn bedarf dessen nicht: Du freust dich über Gedichte; Gedichte kann ich schenken und sagen, was das Geschenk wert ist. Nicht Marmor mit von Staats wegen eingemeißelten Buchstaben, durch den Geist und Leben den guten Heerführern nach dem Tod wiederkehrt, nicht die schnelle Flucht und die auf ihn selbst zurückgeschleuderten Drohungen Hannibals, nicht der Brand des ruchlosen Karthago verkünden den Ruhm jenes Mannes, der zurückkehrte, nachdem er von der Bezähmung Afrikas einen Namen erworben hatte,1 herrlicher als die kalabrischen Pieriden2, und du wirst, wenn die Papyrusblätter verschweigen, was du geleistet hast, keinen Lohn davontragen. Was wäre der Sohn der Ilia und des Mars, wenn durch Neid bedingtes Schweigen den Verdiensten des Romulus entgegengestanden hätte? Den aus stygischen Fluten entrissenen Äakus haben die Wirkkraft, die Gunst und die Zunge fähiger Dichter unsterblich gemacht auf den reichen Inseln3. Dass ein des Ruhmes würdiger Mann stirbt, verbietet die Muse, die Muse beglückt ihn mit dem Himmel. So nimmt an Juppiters ersehnten Festmahlen der rastlose Herkules teil; die Tyndariden, das glänzende Gestirn, reißen aus tiefsten Wassern zerschmetterte Schiffe heraus; mit grünem Weinlaub an den Schläfen geschmückt, führt Liber Gebete zu einem guten Ende.

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CARMINVM LIBER IV IX

Ne forte credas interitura quae longe sonantem natus ad Aufidum non ante vulgatas per artes verba loquor socianda chordis: non, si priores Maeonius tenet sedes Homerus, Pindaricae latent Ceaeque et Alcaei minaces Stesichorique graves Camenae, nec, si quid olim lusit Anacreon, delevit aetas; spirat adhuc amor vivuntque commissi calores Aeoliae fidibus puellae. non sola comptos arsit adulteri crines et aurum vestibus illitum mirata regalesque cultus et comites Helene Lacaena primusve Teucer tela Cydonio direxit arcu, non semel Ilios vexata, non pugnavit ingens Idomeneus Sthenelusve solus dicenda Musis proelia, non ferox Hector vel acer Deiphobus graves excepit ictus pro pudicis coniugibus puerisque primus.

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BUCH 4 DER ODEN 9 Du sollst nicht etwa glauben, es werde untergehen, was ich, geboren am weithin brausenden Aufidus, in zuvor nicht bekannt gewordenen Kunstformen an Worten spreche, die sich mit Saitenspiel verbinden sollen: Wenn auch der Mäonier Homer den ersten Platz behauptet, sind nicht verborgen1 Pindars, des Keers2, des Alkäus drohende3 und des Stesichorus ernste Camenen4. Auch hat nicht das, was einst Anakreon scherzend sang, die Zeit vernichtet; noch immer atmet die Liebe und leben die Flammen, die den Saiten der Lyra der jungen äolischen Frau5 anvertraut wurden. Nicht als Einzige entbrannte, weil sie das fein frisierte Haar ihres Liebhabers6 und das in seine Kleidung eingewirkte Gold, seine königliche Eleganz und sein Gefolge bewunderte, die lakänische Helena, und nicht als Erster schoss Teuker Pfeile vom kydonischen Bogen, nicht nur einmal wurde Ilion heimgesucht, und nicht allein kämpften der gewaltige Idomeneus und Sthenelus in von den Musen zu besingenden Schlachten, nicht fingen der ungestüme Hektor oder der wilde Dëiphobus als Erste heftige Hiebe auf für ihre sittenreinen Frauen und Kinder.

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CARMINVM LIBER IV

vixere fortes ante Agamemnona multi; sed omnes illacrimabiles urgentur ignotique longa nocte, carent quia vate sacro. paulum sepultae distat inertiae celata virtus. non ego te meis chartis inornatum silebo totve tuos patiar labores impune, Lolli, carpere lividas obliviones: est animus tibi rerumque prudens et secundis temporibus dubiisque rectus, vindex avarae fraudis et abstinens ducentis ad se cuncta pecuniae, consulque non unius anni, sed quotiens bonus atque fidus

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iudex honestum praetulit utili, reiecit alto dona nocentium vultu, per obstantes catervas explicuit sua victor arma. non possidentem multa vocaveris recte beatum; rectius occupat nomen beati, qui deorum muneribus sapienter uti duramque callet pauperiem pati peiusque leto flagitium timet,

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Tapfere Männer lebten vor Agamemnon zahlreiche; doch alle werden unbeweint und unbekannt von einer langen Nacht bedrückt, weil ihnen der heilige Sänger fehlt. Wenig unterscheidet sich von zu Grabe getragener Tatenlosigkeit verborgen gebliebene Mannhaftigkeit. Ich werde dich nicht auf meinen Papyrusblättern ungeehrt verschweigen und zulassen, dass deine so zahlreichen Mühen ungestraft, Lollius, das neidische Vergessen schmälert: Du hast einen weltweisen und sowohl in glücklichen als auch in unsicheren Zeiten aufrechten Geist, bestrafst habgierigen Betrug, hältst dich fern vom Geld, das alles an sich zieht, und warst Konsul nicht nur eines einzigen Jahres, sondern so oft, wie ein guter und loyaler Richter das Ehrenvolle dem Nützlichen vorzog, Geschenke Schuldiger mit stolzer Miene zurückwies und quer durch die entgegentretenden Scharen seine Truppen siegreich sich entfalten ließ.7 Nicht den, der viel besitzt, wirst du zu Recht glücklich nennen; mit mehr Recht beansprucht die Bezeichnung »glücklich«, wer die Geschenke der Götter weise zu gebrauchen und harte Armut zu ertragen versteht und mehr als den Tod die Schande fürchtet,

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CARMINVM LIBER IV non ille pro caris amicis aut patria timidus perire.

X O crudelis adhuc et Veneris muneribus potens, insperata tuae cum veniet pluma superbiae et quae nunc umeris involitant, deciderint comae, nunc et qui color est puniceae flore prior rosae, mutatus, Ligurine, in fruticem verterit hispidam, dices ‘heu’, quotiens te speculo videris alterum, ‘quae mens est hodie, cur eadem non puero fuit, vel cur his animis incolumes non redeunt genae?’

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XI Est mihi nonum superantis annum plenus Albani cadus, est in horto, Phylli, nectendis apium coronis, est hederae vis multa, qua crines religata fulges; ridet argento domus, ara castis vincta verbenis avet immolato spargier agno; cuncta festinat manus, huc et illuc cursitant mixtae pueris puellae, sordidum flammae trepidant rotantes vertice fumum.

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einer, der sich nicht scheut, für seine teuren Freunde oder für sein Vaterland zu sterben.

10 O du jetzt noch Grausamer und durch die Gaben der Venus Mächtiger, wenn, für deinen Hochmut unverhofft, der Bartflaum kommt1 und die Haare, die jetzt auf deine Schultern flattern, herabgefallen sind2 und deine Gesichtsfarbe, jetzt noch heller als die Blüte der purpurnen Rose, verändert ist, Ligurinus, und sich in einen struppigen Busch verwandelt hat, wirst du sagen: »Ach!«, sooft du dich im Spiegel als einen anderen siehst, »meine heutigen Gedanken, warum hatte ich sie nicht auch als Junge, oder warum kehren zu diesem Empfinden nicht die glatten Wangen zurück?«

11 Ich habe einen Krug voll Albaner, der das neunte Jahr überlebt hat, habe im Garten, Phyllis, Eppich, um Kränze zu flechten, habe Efeu in reicher Fülle, wovon du erstrahlst, wenn er ins Haar gebunden ist; es lacht von Silber das Haus, der Altar, mit reinen Zweigen umwunden, begehrt, mit einem geopferten Lamm besprengt zu werden; die ganze Schar ist in Eile, hierhin und dorthin hasten Sklavenjungen und -mädchen durcheinander, die Flammen1 flackern, schmutzigen Rauch in einer Spirale empor drehend.

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CARMINVM LIBER IV

ut tamen noris, quibus advoceris gaudiis, Idus tibi sunt agendae, qui dies mensem Veneris marinae findit Aprilem, iure sollemnis mihi sanctiorque paene natali proprio, quod ex hac luce Maecenas meus affluentes ordinat annos.

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Telephum, quem tu petis, occupavit non tuae sortis iuvenem puella dives et lasciva tenetque grata compede vinctum. terret ambustus Phaethon avaras spes et exemplum grave praebet ales Pegasus terrenum equitem gravatus Bellerophontem, semper ut te digna sequare et ultra quam licet sperare nefas putando disparem vites. age iam, meorum finis amorum – non enim posthac alia calebo femina –, condisce modos, amanda voce quos reddas: minuentur atrae carmine curae.

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BUCH 4 DER ODEN Damit du jedoch weißt, zu welchen Freuden du herbeigerufen wirst: Den Tag der Iden sollst du feiern, der den Monat der meergeborenen Venus teilt, den April2, mit Recht ein Feiertag für mich und heiliger fast als mein eigener Geburtstag, weil von diesem Tag an mein Maecenas die heranflutenden Jahre chronologisch ordnet. Den Telephus, den du begehrst, einen jungen Mann nicht von deinem Stand, hat eine reiche und geile junge Frau erobert und hält ihn mit willkommener Fessel gebunden. Der verbrannte Phaëthon schreckt von gierigen Hoffnungen ab, und ein gewichtiges Beispiel gibt der geflügelte Pegasus, der schwer trug an dem irdischen Reiter Bellerophontes, auf dass du stets dem nachgehst, was deiner wert ist, mehr als erlaubt ist, zu hoffen für Frevel hältst und einen ungleichen Mann vermeidest. Auf denn, letzte meiner Geliebten – denn ich werde von nun an nicht mehr für eine andere Frau erglühen –, lerne mit mir die Weisen, die du mit lieblicher Stimme wiedergeben sollst: Geringer werden die finsteren Sorgen durch Gesang sein.

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CARMINVM LIBER IV XII

Iam veris comites, quae mare temperant, impellunt animae lintea Thraciae, iam nec prata rigent nec fluvii strepunt hiberna nive turgidi. nidum ponit Ityn flebiliter gemens infelix avis et Cecropiae domus aeternum opprobrium, quod male barbaras regum est ulta libidines. dicunt in tenero gramine pinguium custodes ovium carmina fistula delectantque deum, cui pecus et nigri colles Arcadiae placent. adduxere sitim tempora, Vergili; sed pressum Calibus ducere Liberum si gestis, iuvenum nobilium cliens, nardo vina merebere. nardi parvus onyx eliciet cadum, qui nunc Sulpiciis accubat horreis, spes donare novas largus amaraque curarum eluere efficax. ad quae si properas gaudia, cum tua velox merce veni: non ego te meis immunem meditor tingere poculis, plena dives ut in domo.

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12 Schon treiben die Gefährten des Frühlings, die das Meer mäßigen, die thrakischen Winde, die Segel vorwärts, schon sind die Wiesen nicht mehr erstarrt, und die Flüsse rauschen nicht mehr, vom winterlichen Schnee angeschwollen. Sein Nest legt der unglückliche Vogel1 an, Itys und die ewige Schande für das kekropische Haus mit Tränen beklagend, weil er sich auf üble Weise an der barbarischen2 Geilheit von Königen gerächt hat. Es singen im zarten Gras die Hüter fetter Schafe zur Hirtenflöte ihre Lieder und erfreuen den Gott, dem das Vieh und die dunklen Anhöhen Arkadiens gefallen.3 Die Jahreszeit hat den Durst gebracht, Vergil4; aber wenn du in Cales gekelterten Liber5 zu schlürfen begehrst, du Klient vornehmer junger Männer, musst du dir mit Narde den Wein verdienen. Ein kleines Fläschchen mit Narde wird den Krug hervorlocken, der jetzt in den Speichern des Sulpicius6 ruht, freigebig darin, neue Hoffnungen zu schenken und die Bitternis der Sorgen wirkungsvoll herauszuspülen. Wenn du zu diesen Freuden eilen willst, komm schnell mit deiner Ware: Ich denke nicht daran, dich mit meinen Bechern, ohne dass du deine Abgabe leistest, zu befeuchten, als ob ich ein Reicher in einem vollen Hause wäre.

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CARMINVM LIBER IV

verum pone moras et studium lucri nigrorumque memor, dum licet, ignium misce stultitiam consiliis brevem: dulce est desipere in loco.

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XIII Audivere, Lyce, di mea vota, di audivere, Lyce: fis anus; et tamen vis formosa videri ludisque et bibis impudens et cantu tremulo pota Cupidinem lentum sollicitas. ille virentis et doctae psallere Chiae pulchris excubat in genis. importunus enim transvolat aridas quercus et refugit te, quia luridi dentes, te quia rugae turpant et capitis nives. nec Coae referunt iam tibi purpurae nec cari lapides tempora, quae semel notis condita fastis inclusit volucris dies. quo fugit Venus, heu, quove color, decens quo motus? quid habes illius, illius, quae spirabat amores, quae me surpuerat mihi,

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Doch lass das Zögern und das Bemühen um Gewinn, denk an die schwarzen Feuer7, solange du darfst, und mische für kurze Zeit Dummheiten mit deinen Gedanken: Es ist süß, im richtigen Moment den Verstand zu verlieren.

13 Erhört, Lyke, haben die Götter meine Gebete, die Götter haben sie erhört, Lyke: Du wirst ein altes Weib; und dennoch willst du schön erscheinen, treibst deine Spiele1 und trinkst schamlos und versuchst betrunken mit zitterndem Gesang Cupido, der unbewegt bleibt, aufzureizen. Der aber lagert auf den schönen Wangen der jugendfrischen und im Lyraspiel kundigen Chia. Denn ungefällig fliegt er an trockenen Eichen vorbei und flieht vor dir, weil deine Zähne gelb sind, weil dich Runzeln entstellen und der Schnee deines Kopfes. Weder purpurfarbene Koïsche2 noch kostbare Steine bringen dir jetzt den Lebensabschnitt zurück, den ein für alle Mal in den öffentlich zugänglichen Kalenderurkunden verwahrt und verschlossen hat der flüchtige Tag. Wohin floh dein Sexappeal, wehe, wohin die Gesichtsfarbe, wohin der anmutige Gang? Was hast du noch von ihr, von ihr, die stets Liebe atmete, die mich mir selbst geraubt hatte,

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CARMINVM LIBER IV

felix post Cinaram notaque et artium gratarum facies? sed Cinarae breves annos fata dederunt, servatura diu parem cornicis vetulae temporibus Lycen, possent ut iuvenes visere fervidi multo non sine risu dilapsam in cineres facem.

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XIV Quae cura patrum quaeve Quiritium plenis honorum muneribus tuas, Auguste, virtutes in aevum per titulos memoresque fastos aeternet, o, qua sol habitabiles illustrat oras, maxime principum, quem legis expertes Latinae Vindelici didicere nuper, quid Marte posses? milite nam tuo Drusus Genaunos, implacidum genus, Breunosque veloces et arces Alpibus impositas tremendis deiecit acer plus vice simplici, maior Neronum mox grave proelium commisit immanesque Raetos auspiciis pepulit secundis,

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beglückend nach Kinara3 und eine auch für ihre willkommenen Talente bekannte Schönheit? Doch Kinara gaben die Geschicke wenige kurze Jahre, um lange zu erhalten die einer alten Krähe an Jahren gleiche Lyke, damit die heißen jungen Männer nicht ohne viel Gelächter sehen können, wie eine Fackel zu Asche zerfällt.

14 Welche aufmerksame Maßnahme der Senatoren oder welche der Bürger soll mit reichlichen Ehrerweisungen deine Leistungen, Augustus, für alle Zeiten durch Inschriften und Annalen verewigen, o du, so weit die Sonne bewohnbare Gebiete erleuchtet, größter der Herrscher, über den die mit dem latinischen Recht nicht vertrauten Vindeliker jüngst erfuhren, was du im Kampf leisten kannst? Denn mit deinen Soldaten hat Drusus die Genaunen, ein ruheloses Volk, die schnellen Breuner und die auf die schrecklichen Alpen gesetzten Burgen wild niedergeworfen in mehr als einfacher Vergeltung, und der ältere der Neronen1 schlug bald darauf eine schwere Schlacht und besiegte die riesigen Räter unter glücklichen Auspizien,

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CARMINVM LIBER IV

spectandus in certamine Martio devota morti pectora liberae quantis fatigaret ruinis, indomitas prope qualis undas

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exercet Auster Pleiadum choro scindente nubes, impiger hostium vexare turmas et frementem mittere equum medios per ignes. sic tauriformis volvitur Aufidus, qui regna Dauni praefluit Apuli, cum saevit horrendamque cultis diluviem meditatur agris, ut barbarorum Claudius agmina ferrata vasto diruit impetu primosque et extremos metendo stravit humum sine clade victor, te copias, te consilium et tuos praebente divos. nam tibi quo die portus Alexandrea supplex et vacuam patefecit aulam, Fortuna lustro prospera tertio belli secundos reddidit exitus laudemque et optatum peractis imperiis decus arrogavit. te Cantaber non ante domabilis Medusque et Indus, te profugus Scythes

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BUCH 4 DER ODEN sehenswert, mit welch gewaltiger Vernichtung er die Herzen, die dem Tod in Freiheit geweiht waren, im Gefecht des Mars heimsuchte, und, fast wie der Auster die Wogen aufwühlt und unbezähmbar macht, wenn der Chor der Plejaden die Wolken spaltet,2 rastlos die Truppen der Feinde permanent attackierte und sein schnaubendes Pferd mitten durchs Feuer3 trieb. So wälzt sich der stierförmige4 Aufidus dahin, der am Reich des Apuliers Daunus vorbeifließt, wenn er wütet und entsetzliche Überschwemmung für die bebauten Felder ersinnt, wie Claudius5 die von Eisen umhüllten Scharen der Barbaren in gewaltigem Ansturm auseinandersprengte und durch Niedermähen der Vordersten und Hintersten den Boden pflasterte6 als Sieger ohne Niederlage, während du ihm die Truppen, du ihm die Planung und deine Götter darbotest. Denn dir hat an dem Tag, an dem Alexandria bittflehend seinen Hafen und den leeren Palast öffnete,7 Fortuna gnädig im dritten Lustrum8 den Ausgang des Krieges erfolgreich gemacht und Ruhm und die erwünschte Ehre für die erfüllten militärischen Aufgaben zuerkannt. Dich bewundern der zuvor unbezähmbare Kantabrer, der Meder und der Inder, dich der flüchtige9

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CARMINVM LIBER IV miratur, o tutela praesens Italiae dominaeque Romae.

te fontium qui celat origines Nilusque et Hister, te rapidus Tigris, te beluosus qui remotis obstrepit Oceanus Britannis, te non paventis funera Galliae duraeque tellus audit Hiberiae, te caede gaudentes Sygambri compositis venerantur armis.

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XV Phoebus volentem proelia me loqui victas et urbes increpuit lyra, ne parva Tyrrhenum per aequor vela darem. tua, Caesar, aetas fruges et agris rettulit uberes et signa nostro restituit Iovi derepta Parthorum superbis postibus et vacuum duellis Ianum Quirini clausit et ordinem rectum evaganti frena licentiae iniecit emovitque culpas et veteres revocavit artes,

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BUCH 4 DER ODEN Skythe, o du hilfreicher Schutz Italiens und der Herrin Roma. Auf dich hört der Nil, der den Ursprung seiner Quellen verbirgt, und der Hister, auf dich der reißende Tigris, auf dich der an Ungeheuern reiche Ozean, der den fernen Britanniern entgegenbrandet, auf dich das Land Galliens, das den Tod nicht fürchtet, und das des grausamen Hiberien, dich verehren die am Mord sich freuenden Sygambrer, nachdem sie ihre Waffen abgelegt haben.

15 Phöbus hat, als ich von Schlachten und besiegten Städten mit der Lyra1 künden wollte, mich angefahren, ich solle nicht aufs Tyrrhenische Meer hinaus meine kleinen Segel setzen.2 Dein Zeitalter, Caesar, gab den Feldern reiche Feldfrucht wieder, brachte unserem Juppiter3 die Feldzeichen zurück, die man von den stolzen Pfosten der Parther abgerissen hatte,4 schloss den von Kriegen freien Janus des Quirinus5, legte der Freizügigkeit, welche die rechte Ordnung übertrat, Zügel an, trieb die Vergehen aus,6 rief die alten Künste zurück,

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CARMINVM LIBER IV

per quas Latinum nomen et Italae crevere vires famaque et imperi porrecta maiestas ad ortus solis ab Hesperio cubili. custode rerum Caesare non furor civilis aut vis exiget otium, non ira, quae procudit enses et miseras inimicat urbes.

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non qui profundum Danuvium bibunt edicta rumpent Iulia, non Getae, non Seres infidique Persae, non Tanain prope flumen orti. nosque et profestis lucibus et sacris inter iocosi munera Liberi cum prole matronisque nostris rite deos prius apprecati virtute functos more patrum duces Lydis remixto carmine tibiis Troiamque et Anchisen et almae progeniem Veneris canemus.

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BUCH 4 DER ODEN durch die der Name Latiums, die Macht Italiens, der Ruhm und die Hoheit des Reiches, die sich bis zum Aufgang der Sonne von ihrem hesperischen Lager aus erstreckt, gewachsen sind. Solange Caesar über die Staatsgeschäfte wacht, wird keine Raserei oder Gewalt von Bürgern den Frieden vertreiben, kein Zorn, der Schwerter schmiedet und unselige Städte miteinander verfeindet. Die, welche aus der tiefen Donau trinken, werden die julischen Gesetze7 nicht brechen, nicht die Geten, nicht die Serer und die treulosen Perser, nicht die nahe dem Tanaïsstrom Geborenen. Und wir werden, wenn wir an Werk- und Feiertagen mitten unter den Gaben des scherzenden Liber mit unseren Kindern und Frauen nach dem Brauch erst zu den Göttern gebetet haben, von den Feldherrn, die mannhaft handelten, nach Art der Väter in einem Lied, das zusammen mit der lydischen Flöte erklingt, von Troja und Anchises und dem Nachkommen der segenspendenden Venus8 singen.

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Briefe II

EPISTVLARVM LIBER II I Cum tot sustineas et tanta negotia solus, res Italas armis tuteris, moribus ornes, legibus emendes, in publica commoda peccem, si longo sermone morer tua tempora, Caesar. Romulus et Liber pater et cum Castore Pollux, post ingentia facta deorum in templa recepti, dum terras hominumque colunt genus, aspera bella componunt, agros assignant, oppida condunt, ploravere suis non respondere favorem speratum meritis. diram qui contudit hydram notaque fatali portenta labore subegit, comperit invidiam supremo fine domari. urit enim fulgore suo qui praegravat artes infra se positas; extinctus amabitur idem. praesenti tibi maturos largimur honores iurandasque tuum per numen ponimus aras, nil oriturum alias, nil ortum tale fatentes. sed tuus hic populus sapiens et iustus in uno te nostris ducibus, te Grais anteferendo, cetera nequaquam simili ratione modoque aestimat et, nisi quae terris semota suisque temporibus defuncta videt, fastidit et odit, sic fautor veterum, ut tabulas peccare vetantes, quas bis quinque viri sanxerunt, foedera regum

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Buch 2 der Briefe 1 Da du so viele und so bedeutende Aufgaben allein auf dich nimmst, das italische Reich mit Waffen schützt, mit guten Sitten zierst und durch Gesetze besserst, dürfte ich dem öffentlichen Interesse schaden, wenn ich durch eine lange Plauderei deine Zeit in Anspruch nähme, Caesar. [5] Romulus, Vater Liber, Kastor und Pollux, die nach ihren gewaltigen Taten in die Tempel der Götter1 aufgenommen wurden, hatten, während sie auf Erden wohnten und für das Geschlecht der Menschen sorgten, wilde Kriege zu einem Ende brachten, Äcker zuteilten und Städte gründeten, zu beklagen, dass die erhoffte Anerkennung [10] nicht ihren Verdiensten entspreche. Er, der die schreckliche Hydra vernichtete und die bekannten Ungeheuer durch seine ihm vom Schicksal zugewiesenen Mühen vernichtete,2 hat die Erfahrung gemacht, dass Missgunst erst zuletzt durch den Tod bezwungen wird. Denn wer Talente, die unter seinem Niveau sind, mit seinem Gewicht niederdrückt, verbrennt durch seinen feurigen Glanz; erst wenn er gestorben ist, wird man ihn schätzen. [15] Dir aber lassen wir schon, während du noch bei uns bist, rechtzeitig Ehren3 zuteilwerden und stellen Altäre auf, um daran bei deiner Gottheit zu schwören; dadurch erkennen wir an, dass eine solche zu keiner Zeit wieder entstehen werde, zu keiner Zeit entstanden ist. Aber dieses dein Volk, weise und gerecht darin, dass es als Einzigen dich unseren Herrschern, dich den Griechen vorzieht,4 bewertet [20] alles andere keineswegs auf ähnliche Art und Weise, und wenn es etwas nicht in der eigenen Zeit der Erde entrückt und verstorben sieht, verschmäht und hasst es das und favorisiert das Alte dabei so sehr, dass es auf der Behauptung beharrt, die Vergehen verbietenden Tafeln, welche die zweimal fünf Männer5 feierlich aufstellten,6 die

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vel Gabiis vel cum rigidis aequata Sabinis, pontificum libros, annosa volumina vatum dictitet Albano Musas in monte locutas. si, quia Graiorum sunt antiquissima quaeque scripta vel optima, Romani pensantur eadem scriptores trutina, non est quod multa loquamur: nil intra est olea, nil extra est in nuce duri; venimus ad summum fortunae: pingimus atque psallimus et luctamur Achivis doctius unctis. si meliora dies, ut vina, poemata reddit, scire velim, chartis pretium quotus arroget annus. scriptor abhinc annos centum qui decidit, inter perfectos veteresque referri debet an inter viles atque novos? excludat iurgia finis. ‘est vetus atque probus, centum qui perficit annos.’ quid? qui deperiit minor uno mense vel anno, inter quos referendus erit: veteresne poetas an quos et praesens et postera respuat aetas? ‘iste quidem veteres inter ponetur honeste, qui vel mense brevi vel toto est iunior anno.’ utor permisso caudaeque pilos ut equinae paulatim vello et demo unum, demo etiam unum, dum cadat elusus ratione ruentis acervi qui redit ad fastos et virtutem aestimat annis miraturque nihil, nisi quod Libitina sacravit. Ennius, et sapiens et fortis et alter Homerus, ut critici dicunt, viget et curare videtur quo promissa cadant et somnia Pythagorea. Naevius in manibus non est et mentibus haeret paene recens? adeo sanctum est vetus omne poema. ambigitur quotiens, uter utro sit prior, aufert

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Bündnisse der Könige, [25] die mit Gabii oder den rauen Sabinern unter gleichen Bedingungen geschlossen wurden, die Bücher der Oberpriester7 und die alten Papyrusrollen der Seher hätten die Musen auf dem Albanerberg verfasst. Wenn deshalb, weil gerade die ältesten Dichtungen der Griechen sogar die besten sind, die römischen Dichter auf derselben [30] Waage gewogen werden, bringt es nichts, dass wir viel reden: In der Olive ist dann innen nichts Hartes, an der Nuss außen nichts Hartes; wir sind zum Gipfel des Glücks gekommen: Wir malen, spielen die Lyra und ringen kundiger als die gesalbten8 Achiver. Wenn das Verstreichen der Zeit Gedichte ebenso besser macht wie Weine, [35] möchte ich wissen, das wievielte Jahr poetischen Werken Wert verleiht. Soll ein Dichter, der vor hundert Jahren dahinging, unter die vollkommenen Alten oder unter die wertlosen Modernen gezählt werden? Ein Limit soll Streiterei unmöglich machen. »Alt und vorzüglich ist, wer hundert Jahre vollendet.« [40] Wie nun? Wer einen Monat oder sogar ein Jahr früher gestorben ist, unter welche ist der zu zählen, unter die alten Poeten oder die, welche sowohl das gegenwärtige als auch ein späteres Zeitalter verschmähen würde? »Den jedenfalls wird man gebührend unter die Alten setzen, der um einen kurzen Monat oder ein ganzes Jahr jünger ist.« [45] Ich mache mir dein Zugeständnis zunutze und zupfe wie Haare aus einem Pferdeschwanz nach und nach ein Jahr aus und nehme eines weg, nehme noch eines weg, bis, getäuscht durch das Argument des dahinschwindenden Haufens9, zu Fall kommt, wer auf die kalendarischen Urkunden10 rekurriert, Qualität nach Jahren einschätzt und nur bewundert, was Libitina geweiht hat.11 [50] Ennius, weise, tapfer12 und der zweite Homer, ist, wie die Literaturkritiker sagen, hoch im Kurs und nimmt sich, wie man meint, sehr zu Herzen, was aus seinen durch den pythagoreischen Traum implizierten Verheißungen13 wird. Ist nicht Naevius in unseren Händen und hat er nicht beinahe einen so festen Platz in unserem Denken, als sei er ganz aktuell? So geheiligt ist jede alte Dichtung. [55] Sooft man diskutiert, wer von zweien den Vorrang vor dem anderen hat,

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Pacuvius docti famam senis, Accius alti, dicitur Afrani toga convenisse Menandro, Plautus ad exemplar Siculi properare Epicharmi, vincere Caecilius gravitate, Terentius arte. hos ediscit et hos arto stipata theatro spectat Roma potens, habet hos numeratque poetas ad nostrum tempus Livi scriptoris ab aevo. interdum vulgus rectum videt, est ubi peccat. si veteres ita miratur laudatque poetas, ut nihil anteferat, nihil illis comparet, errat; si quaedam nimis antique, si pleraque dure dicere credit eos, ignave multa fatetur, et sapit et mecum facit et Iove iudicat aequo. non equidem insector delendave carmina Livi esse reor, memini quae plagosum mihi parvo Orbilium dictare; sed emendata videri pulchraque et exactis minimum distantia miror. inter quae verbum emicuit si forte decorum, si versus paulo concinnior unus et alter, iniuste totum ducit venditque poema. indignor quicquam reprehendi, non quia crasse compositum illepideve putetur, sed quia nuper, nec veniam antiquis, sed honorem et praemia posci. recte necne crocum floresque perambulet Attae fabula si dubitem, clament periisse pudorem cuncti paene patres, ea cum reprehendere coner, quae gravis Aesopus, quae doctus Roscius egit, vel quia nil rectum, nisi quod placuit sibi, ducunt, vel quia turpe putant parere minoribus et, quae imberbes didicere, senes perdenda fateri.

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erntet Pacuvius den Ruhm eines gelehrten Alten, Accius den eines erhabenen, die Toga des Afranius, so heißt es, hätte Menander gepasst, Plautus bewege sich nach dem Vorbild des Sikulers Epicharm rasch vorwärts,14 Caecilius sei durch Pathos, Terenz durch kunstvolle Ausarbeitung überlegen. [60] Die lernt das mächtige Rom auswendig, die schaut es an, wenn es im engen Theater zusammengedrängt ist, die sieht und zählt es als seine Poeten von der Epoche des Dichters Livius bis in unsere Zeit. Manchmal erkennt das einfache Volk das Richtige, zuweilen versieht es sich. Wenn es die alten Poeten so sehr bewundert und lobt, [65] dass es ihnen nichts vorzieht, ihnen nichts an die Seite stellt, irrt es sich; wenn es aber glaubt, dass sie manches allzu altbacken, sehr vieles allzu steif formulieren, und zugegebenermaßen vieles kraftlos, hat es Verstand, stimmt mit mir überein und urteilt mit Juppiters Billigung. Ich für meine Person mache keine Verfolgungsjagd auf die Gedichte des Livius und [70] glaube nicht, sie müssten vernichtet werden, sie, die, wie ich mich erinnere, der prügelfreudige Orbilius mir, als ich klein war, diktierte; aber dass sie als ausgefeilt, schön und nahezu vollkommen angesehen werden, wundert mich. Wenn unter ihnen vielleicht ein passendes Wort hervorleuchtet, wenn der eine oder andere Vers ein wenig gefälliger ist, [75] so kann man nicht mit Recht sagen, er ziehe das Ganze mit und könne es verkaufen. Ich ärgere mich, wenn etwas nicht deshalb getadelt wird, weil man glaubt, es sei plump und ohne Feinheiten gedichtet, sondern weil es gerade erst entstanden ist, und wenn man für die Alten nicht Nachsicht, sondern Ehrung und Auszeichnungen verlangt. Wenn ich zweifeln würde, ob eine [80] Komödie Attas aufrecht über Safran und Blumen15 schreitet16 oder nicht, dürften fast alle von der Vätergeneration schreien, Sinn für das, was sich schickt, sei dahin, weil ich das zu tadeln versuchen würde, was der würdevolle Äsop, was der versierte Roscius aufgeführt hätten, entweder weil sie nur für richtig halten, was ihnen einmal gefallen hat, oder weil sie es als schimpflich ansehen, auf die Jüngeren zu hören und als alte Männer einzugestehen, das, was sie [85] als Bartlose gelernt haben, sei zu vernichten. Wer jetzt

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iam Saliare Numae carmen qui laudat et illud, quod mecum ignorat, solus vult scire videri, ingeniis non ille favet plauditque sepultis, nostra sed impugnat, nos nostraque lividus odit. quod si tam Graecis novitas invisa fuisset quam nobis, quid nunc esset vetus, aut quid haberet quod legeret tereretque viritim publicus usus? ut primum positis nugari Graecia bellis coepit et in vitium fortuna labier aequa, nunc athletarum studiis, nunc arsit equorum, marmoris aut eboris fabros aut aeris amavit, suspendit picta vultum mentemque tabella, nunc tibicinibus, nunc est gavisa tragoedis; sub nutrice puella velut si luderet infans, quod cupide petiit, mature plena reliquit. [quid placet aut odio est, quod non mutabile credas?] hoc paces habuere bonae ventique secundi. Romae dulce diu fuit et sollemne reclusa mane domo vigilare, clienti promere iura, cautos nominibus rectis expendere nummos, maiores audire, minori dicere per quae crescere res posset, minui damnosa libido. mutavit mentem populus levis et calet uno scribendi studio: pueri patresque severi fronde comas vincti cenant et carmina dictant. ipse ego, qui nullos me affirmo scribere versus, invenior Parthis mendacior et prius orto sole vigil calamum et chartas et scrinia posco. navem agere ignarus navis timet, habrotonum aegro non audet nisi qui didicit dare; quod medicorum est

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noch das Salierlied Numas lobt und sich damit den Anschein geben will, er allein verstehe das, wovon er doch ebenso wie ich nichts weiß, der schenkt Gunst und Beifall nicht den bestatteten Talenten, sondern bekämpft das, was von uns kommt, hasst voll Neid uns und das, was von uns kommt. [90] Wenn aber den Griechen Neuheit so zuwider gewesen wäre wie uns, was wäre jetzt alt, oder was hätte dann das Publikum als seinen Besitz, was jeder Einzelne lesen und zerlesen könnte? Sobald Griechenland nach Beendigung der Kriege17 sich nichtigen Vergnügungen zu widmen und sein ihm gewogenes Glück in Leichtfertigkeit abzugleiten begonnen hatte, [95] da wurde es durch die Begeisterung bald für Athleten, bald für Pferde18 entflammt, liebte die Künstler, die Marmor, Elfenbein oder Bronze formten, hängte Augen und Sinn an Gemälde hin, freute sich bald an Flötenspielern, bald an Tragödienschauspielern; als ob es als kleines Mädchen unter der Aufsicht der Amme spielen würde, so ließ es das, [100] was es sehnsüchtig begehrte, schon bald gesättigt liegen.19 Dies brachten die gesegneten Friedenszeiten und günstige Winde mit sich. In Rom war es lange angenehm und ehrwürdig, frühmorgens, wenn das Haus aufgesperrt war, wach zu sein, für die Klienten20 Rechte hervorzuholen,21 [105] Geld, das durch ehrliche Namen22 gesichert war, auszuzahlen, auf ältere Leute zu hören, einem Jüngeren zu sagen, wodurch sein Vermögen wachsen könne und die verderbliche Libido zu vermindern. Das wankelmütige Volk hat seinen Sinn geändert und glüht jetzt einzig von der Leidenschaft für das Dichten: Knaben und strenge Väter sitzen beim Mahl, [110] das Haar mit Laub bekränzt, und diktieren Gedichte. Ich selbst, der ich doch versichere, ich würde keine Verse schreiben, zeige mich lügenhafter als ein Parther und verlange, schon vor Sonnenaufgang wach, nach Schreibrohr, Papyrusblättern und Behältern dafür. Wer sich mit einem Schiff nicht auskennt, scheut sich, ein Schiff zu lenken, Stabwurz einem Kranken zu geben [115] wagt nur, wer das gelernt hat; was Sache der Ärzte ist, praktizieren die Ärzte, die Handwerker beschäftigen sich mit Dingen,

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promittunt medici; tractant fabrilia fabri: scribimus indocti doctique poemata passim. hic error tamen et levis haec insania quantas virtutes habeat, sic collige: vatis avarus non temere est animus: versus amat, hoc studet unum; detrimenta, fugas servorum, incendia ridet; non fraudem socio puerove incogitat ullam pupillo; vivit siliquis et pane secundo; militiae quamquam piger et malus, utilis urbi, si das hoc, parvis quoque rebus magna iuvari. os tenerum pueri balbumque poeta figurat, torquet ab obscenis iam nunc sermonibus aurem, mox etiam pectus praeceptis format amicis, asperitatis et invidiae corrector et irae; recte facta refert, orientia tempora notis instruit exemplis, inopem solatur et aegrum. castis cum pueris ignara puella mariti disceret unde preces, vatem ni Musa dedisset? poscit opem chorus et praesentia numina sentit, caelestes implorat aquas docta prece blandus, avertit morbos, metuenda pericula pellit, impetrat et pacem et locupletem frugibus annum: carmine di superi placantur, carmine Manes. agricolae prisci, fortes parvoque beati, condita post frumenta levantes tempore festo corpus et ipsum animum spe finis dura ferentem cum sociis operum pueris et coniuge fida Tellurem porco, Silvanum lacte piabant, floribus et vino Genium memorem brevis aevi. Fescennina per hunc inventa licentia morem versibus alternis opprobria rustica fudit,

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die zum Handwerk gehören: Wir schreiben Gedichte, Unqualifizierte und Qualifizierte ohne Unterschied. Wie große Verdienste aber diese Verirrung und dieser milde Wahnsinn hat, entnimm Folgendem: Der Sinn des Dichters ist [120] nicht so leicht habgierig: Er liebt nur Verse, ihnen allein gilt sein Bemühen; über Vermögensverlust, das Entlaufen von Sklaven und Brände lacht er; er sinnt nicht auf irgendeinen Trug an seinem Partner oder seinem jungen Mündel; er lebt von Hülsenfrüchten und minderwertigem Brot; zwar für den Militärdienst zu faul und schlecht, ist er doch der Stadt nützlich, [125] wenn du nur zugestehst, dass durch Kleines auch Großes unterstützt werden kann. Der Dichter formt den zarten, stammelnden Mund des Knaben, er lenkt schon jetzt dessen Ohr von unanständigem Gerede ab, bildet später auch seinen Geist durch freundliche Lehren, verhilft zu Besserung bei Grobheit, Neid und Zorn; [130] er erzählt von guten Taten, unterweist heranwachsende Generationen mit berühmten Beispielen, tröstet den Armen und den Gemütskranken. Woher sollte ein Mädchen, das noch nichts von einem Ehemann weiß, zusammen mit unberührten Knaben Gebete lernen, wenn die Muse ihnen nicht den Dichter gegeben hätte? Der Chor23 bittet um Hilfe und spürt die Gegenwart der Gottheiten, [135] fleht mit einem Gebet, das man ihn gelehrt hat, schmeichelnd um Wasser vom Himmel, wendet Krankheiten ab, vertreibt zu befürchtende Gefahren, erlangt Frieden und ein an Früchten reiches Jahr: Durch das Lied lassen sich die Götter im Himmel besänftigen, durch das Lied die Manen. Die starken und mit Wenigem glücklichen Bauern der alten Zeit pflegten [140] nach der Bergung des Getreides zur Festzeit den Körper, ja auch den Geist, der Härten in der Hoffnung auf das Ende erträgt, zu erholen und zusammen mit ihren Gefährten bei der Arbeit, den Kindern und der treuen Ehefrau, Tellus mit einem Schwein, Silvanus mit Milch und den Genius, der an die Kürze des Lebens denkt, mit Blumen und Wein zu besänftigen. Die [145] fescenninische Zügellosigkeit, auf die man durch diese Sitte kam, die in miteinander abwechselnden Versen bäuerliche Beschimpfungen verströmte,24 und

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libertasque recurrentes accepta per annos lusit amabiliter, donec iam saevus apertam in rabiem coepit verti iocus et per honestas ire domos impune minax. doluere cruento dente lacessiti; fuit intactis quoque cura condicione super communi; quin etiam lex poenaque lata, malo quae nollet carmine quemquam describi; vertere modum, formidine fustis ad bene dicendum delectandumque redacti. Graecia capta ferum victorem cepit et artes intulit agresti Latio. sic horridus ille defluxit numerus Saturnius et grave virus munditiae pepulere; sed in longum tamen aevum manserunt hodieque manent vestigia ruris. serus enim Graecis admovit acumina chartis et post Punica bella quietus quaerere coepit, quid Sophocles et Thespis et Aeschylos utile ferrent. temptavit quoque rem si digne vertere posset, et placuit sibi, natura sublimis et acer; nam spirat tragicum satis et feliciter audet, sed turpem putat inscite metuitque lituram. creditur, ex medio quia res arcessit, habere sudoris minimum, sed habet comoedia tanto plus oneris, quanto veniae minus. aspice, Plautus quo pacto partes tutetur amantis ephebi, ut patris attenti, lenonis ut insidiosi, quantus sit Dossennus edacibus in parasitis, quam non astricto percurrat pulpita socco. gestit enim nummum in loculos demittere, post hoc securus, cadat an recto stet fabula talo. quem tulit ad scaenam ventoso Gloria curru, exanimat lentus spectator, sedulus inflat:

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die Jahr für Jahr akzeptierte Freizügigkeit trieb ein erfreuliches Spiel, bis das grimmige Scherzen sich nun doch in offene Raserei zu wandeln und ungestraft drohend durch ehrbare [150] Häuser zu gehen begann. Die von blutigem Zahn Herausgeforderten empfanden Schmerz; auch die Unbehelligten empfanden Sorge um den Zustand der Gesellschaft; ja sogar ein Gesetz und Strafe wurden eingebracht,25 die nicht wollten, dass jemand durch ein Schmähgedicht beschrieben werde; da wechselte man die Tonart und ließ sich durch die Furcht vor Prügeln [155] zu einer harmlosen Art zu reden und sich zu vergnügen zurückbringen. Das eroberte Griechenland eroberte den wilden Sieger und importierte seine Künste in das bäuerliche Latium. So versickerte jenes schauderhafte saturnische Versmaß26, und Sauberkeit vertrieb die ungesunde Flüssigkeit; aber dennoch blieben für lange Zeit [160] und bleiben heute die Spuren der Ländlichkeit. Erst spät nämlich wandte er27 seinen Scharfsinn den griechischen Dichtungen zu, und erst im Frieden nach den Punischen Kriegen begann er zu fragen, was Sophokles, Thespis und Äschylus Nützliches bringen könnten. Er versuchte auch, ob er den Stoff auf würdige Weise bearbeiten könne, [165] und er war mit sich zufrieden, von Natur aus pathetisch und feurig, wie er ist; denn er hat genug tragischen Geist und wagt mit Erfolg, hält aber aus Unkenntnis Feilen für schändlich und scheut es. Man meint, die Komödie bringe, weil sie sich die Stoffe aus dem täglichen Leben holt, sehr wenig Schweiß mit sich, aber sie bringt umso [170] mehr an Arbeitslast mit sich, je weniger Nachsicht ihr zuteilwird. Sieh nur, auf welche Weise Plautus die Rolle des verliebten Epheben durchhält,28 wie die des pedantischen Vaters, wie die des hinterhältigen Zuhälters, in welch hohem Maße er Dossennus unter den gefräßigen Parasiten ist,29 wie er mit nicht richtig festgeschnürtem Soccus auf der Bühne herumrennt.30 [175] Denn er ist bemüht, Geld in die Kasse zu bringen, danach unbekümmert, ob das Stück hinstürzt31 oder aufrecht dasteht. Wen Gloria auf ihrem windigen Wagen zur Bühne trägt, dem lässt ein teilnahmsloser Zuschauer die Luft ausgehen, einer, der mitgeht,

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sic leve, sic parvum est, animum quod laudis avarum subruit aut reficit. valeat res ludicra, si me palma negata macrum, donata reducit opimum. saepe etiam audacem fugat hoc terretque poetam, quod numero plures, virtute et honore minores, indocti stolidique et depugnare parati, si discordet eques, media inter carmina poscunt aut ursum aut pugiles; his nam plebecula gaudet. verum equitis quoque iam migravit ab aure voluptas omnis ad incertos oculos et gaudia vana. quattuor aut plures aulaea premuntur in horas, dum fugiunt equitum turmae peditumque catervae; mox trahitur manibus regum fortuna retortis, esseda festinant, pilenta, petorrita, naves, captivum portatur ebur, captiva Corinthus. si foret in terris, rideret Democritus, seu diversum confusa genus panthera camelo sive elephans albus vulgi converteret ora; spectaret populum ludis attentius ipsis, ut sibi praebentem nimio spectacula plura; scriptores autem narrare putaret asello fabellam surdo. nam quae pervincere voces evaluere sonum, referunt quem nostra theatra? Garganum mugire putes nemus aut mare Tuscum: tanto cum strepitu ludi spectantur et artes divitiaeque peregrinae; quibus oblitus actor cum stetit in scaena, concurrit dextera laevae. ‘dixit adhuc aliquid?’ ‘nil sane.’ ‘quid placet ergo?’ ‘laena Tarentino violas imitata veneno.’ ac ne forte putes me quae facere ipse recusem, cum recte tractent alii, laudare maligne:

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bläst sie ihm ein: So leichtgewichtig, so unbedeutend ist das, was den auf Lob begierigen Geist [180] zu Fall bringt oder wiederherstellt. Lebe wohl, Theaterwelt, wenn die verweigerte Siegespalme mich ausgezehrt, die verliehene fett wieder nach Hause schickt. Oft verscheucht oder schreckt sogar einen wagemutigen Dichter dies, dass an Zahl Stärkere, an Verdienst und Status aber Minderwertige, Ungebildete, Dumme und zum Entscheidungskampf mit der Faust Bereite, [185] wenn die Ritter anderer Meinung sind, mitten in den Dramenversen etwa einen Bären oder Boxer verlangen; denn an so etwas hat das einfache Volk seine Freude. Aber sogar beim Ritter ist die Freude an Unterhaltung vom Ohr ganz zu den ruhelosen Augen und den geistlosen Vergnügungen gewandert. Für vier oder mehr Stunden wird der Vorhang unten gehalten32, [190] während Reiterschwadronen und Scharen von Fußsoldaten davonlaufen; bald darauf schleppt man das Unglück von Königen33 mit nach hinten gedrehten Armen daher, Streitwagen eilen dahin, Kutschen, Lastwagen, Schiffe, erbeutetes Elfenbein34 trägt man, das erbeutete Korinth.35 Wenn Demokrit auf Erden wäre, würde er lachen, ob [195] eine hybride Spezies, der mit einem Kamel verschmolzene Panther36, oder ein weißer Elefant die Mienen des Pöbels auf sich lenkt; er würde das Volk aufmerksamer betrachten als die Spiele selbst, da es ihm weit mehr zum Betrachten böte; von den Dichtern37 aber würde er glauben, sie erzählten einem tauben Esel [200] ihre Geschichte. Denn welchen Stimmen ist es je gelungen den Lärm zu übertönen, den unsere Theater widerhallen lassen? Du könntest meinen, der Wald auf dem Garganus oder das tuskische Meer38 brause: Bei so lautem Getöse werden die Spiele, die Kunstwerke und der ausländische Reichtum39 betrachtet; wenn der damit überladene Schauspieler [205] auf der Bühne steht, klatscht die Rechte mit der Linken zusammen. »Hat er bis jetzt irgendwas gesagt?« »Überhaupt nichts.« »Was also findet Gefallen?« »Der Mantel, der mit tarentinischem Farbstoff Veilchen imitiert.« Und damit du nicht etwa glaubst, ich würde nur in böswilliger Weise das loben, was ich selbst zu schaffen mich weigere, während an-

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ille per extentum funem mihi posse videtur ire poeta meum qui pectus inaniter angit, irritat, mulcet, falsis terroribus implet, ut magus, et modo me Thebis, modo ponit Athenis. verum age et his, qui se lectori credere malunt quam spectatoris fastidia ferre superbi, curam redde brevem, si munus Apolline dignum vis complere libris et vatibus addere calcar, ut studio maiore petant Helicona virentem. multa quidem nobis facimus mala saepe poetae – ut vineta egomet caedam mea –, cum tibi librum sollicito damus aut fesso; cum laedimur, unum si quis amicorum est ausus reprehendere versum; cum loca iam recitata revolvimus irrevocati; cum lamentamur non apparere labores nostros et tenui deducta poemata filo; cum speramus eo rem venturam ut, simul atque carmina rescieris nos fingere, commodus ultro arcessas et egere vetes et scribere cogas. sed tamen est operae pretium cognoscere, quales aedituos habeat belli spectata domique virtus, indigno non committenda poetae. gratus Alexandro regi magno fuit ille Choerilus, incultis qui versibus et male natis rettulit acceptos, regale nomisma, Philippos. sed veluti tractata notam labemque remittunt atramenta, fere scriptores carmine foedo splendida facta linunt. idem rex ille, poema qui tam ridiculum tam care prodigus emit, edicto vetuit, ne quis se praeter Apellen pingeret aut alius Lysippo duceret aera

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dere gut damit umgehen: [210] Der Dichter scheint mir auf einem gespannten Seil gehen zu können, der mein Herz durch Illusionen ängstigt, in Aufregung versetzt, besänftigt, mit falschen Schreckbildern erfüllt, wie ein Zauberer, und mich bald nach Theben, bald nach Athen versetzt. Aber auf denn, auch denen, die sich lieber einem Leser anvertrauen, [215] als die Geringschätzung durch einen arroganten Zuschauer zu ertragen, schenke ein wenig Interesse, falls du das des Apollo würdige Gebäude40 mit Büchern füllen und die Dichter anspornen willst, dass sie mit größerem Eifer zum grünenden Helikon hinaufstreben. Wir Poeten handeln wahrhaftig uns selbst gegenüber oft in vielfacher Hinsicht schlecht – [220] auf dass ich an den eigenen Weingarten die Axt lege –, wenn wir dir, obwohl du gerade wegen etwas besorgt bist oder müde, ein Buch geben; wenn wir uns verletzt fühlen, falls einer von den Freunden auch nur einen Vers zu tadeln gewagt hat; wenn wir zu bereits vorgelesenen Passagen unaufgefordert wieder zurückrollen;41 wenn wir jammern, die Ergebnisse unserer Mühe [225] und die Gedichte als solche, die mit feinem Faden gesponnen sind, würden nicht wahrgenommen; wenn wir hoffen, es werde noch dazu kommen, dass du, sobald du erfährst, wir würden Gedichte ausarbeiten, uns von dir aus freundlich holen lässt, verbietest, dass wir Mangel leiden, und uns zum Dichten zwingst. Aber es ist dennoch der Mühe wert zu prüfen, welche Art von [230] Tempelwächtern42 deine in Krieg und Frieden herausragende Tüchtigkeit hat, die keinem unwürdigen Dichter anvertraut werden darf. Dem großen König Alexander war der berühmte Chörilus willkommen, der für seine ungehobelten und schlecht gemachten Verse Philipper, die königliche Münzprägung, als empfangen buchen konnte. [235] Aber wie schwarze Flüssigkeit, wenn sie benutzt wird, Flecken und Male hinterlässt, so besudeln mit hässlichen Versen die Dichter in der Regel glänzende Taten. Aber derselbe König, der verschwenderisch so ein lächerliches Gedicht so teuer kaufte, verbot durch ein Edikt, dass ihn irgendjemand außer Apelles [240] male

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fortis Alexandri vultum simulantia. quod si iudicium subtile videndis artibus illud ad libros et ad haec Musarum dona vocares, Boeotum in crasso iurares aere natum. at neque dedecorant tua de se iudicia atque munera, quae multa dantis cum laude tulerunt dilecti tibi Vergilius Variusque poetae nec magis expressi vultus per aenea signa, quam per vatis opus mores animique virorum clarorum apparent. nec sermones ego mallem repentes per humum quam res componere gestas terrarumque situs et flumina dicere et arces montibus impositas et barbara regna tuisque auspiciis totum confecta duella per orbem claustraque custodem pacis cohibentia Ianum et formidatam Parthis te principe Romam, si, quantum cuperem, possem quoque; sed neque parvum carmen maiestas recipit tua nec meus audet rem temptare pudor quam vires ferre recusent. sedulitas autem stulte, quem diligit, urget, praecipue cum se numeris commendat et arte. discit enim citius meminitque libentius illud quod quis deridet, quam quod probat et veneratur. nil moror officium quod me gravat, ac neque ficto in peius vultu proponi cereus usquam nec prave factis decorari versibus opto, ne rubeam pingui donatus munere et una cum scriptore meo capsa porrectus operta

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oder ein anderer als Lysipp eine Bronzestatue schaffe, welche das Antlitz des tapferen Alexander abbilde. Wenn du aber dieses Urteil, das so feinsinnig bei der Betrachtung von Kunstwerken war, eingeladen hättest, an Bücher und diese Gaben der Musen heranzutreten, dann hättest du geschworen, er43 sei in der dicken Luft bei den Böotiern44 geboren. [245] Doch die von dir geschätzten Dichter Vergil und Varius diskreditieren nicht deine Urteile über sie und deine Geschenke, die sie zu großem Ruhm des Gebers erhielten, und nicht sind die Gesichter berühmter Männer, wenn sie durch Bronzestatuen zum Ausdruck gebracht werden, deutlicher sichtbar als ihr Charakter und ihre Gesinnung, wenn diese durch das Werk eines Dichters zum Ausdruck gebracht werden. [250] Auch ich würde Plaudereien, die am Boden kriechen,45 nicht lieber als große Taten niederschreiben und die Lage von Ländern und Flüsse besingen und Burgen, die auf Bergen errichtet sind, und barbarische Königreiche und die unter deinem Oberbefehl auf dem ganzen Erdkreis beendeten Kriege [255] und die Riegel, die Janus, den Hüter des Friedens, einsperren,46 und das unter deiner Herrschaft von den Parthern gefürchtete Rom, wenn ich so viel, wie ich wünschen würde, auch könnte; jedoch deine Majestät erkennt ein kleines Gedicht nicht an, und in meiner Scheu wage ich nicht, mich an einem Stoff zu versuchen, den meine Kräfte zu tragen sich weigern. [260] Übereifer aber bereitet dem, dem seine Liebe gilt, auf törichte Weise Verdruss, besonders dann, wenn er sich durch Rhythmen und Kunst empfiehlt. Man bemerkt nämlich schneller und bewahrt lieber das im Gedächtnis, worüber man sich lustig macht, als das, was man gut findet und verehrt. Ich47 habe keine Zeit für eine Beflissenheit, die mich belästigt, und ich wünsche weder [265] jemals mit einem Gesicht, das verunstaltet ist, in Wachs ausgestellt noch in schlecht gemachten Versen gerühmt zu werden, damit ich nicht rot vor Wut werde, weil ich mit einer plumpen Gabe beschenkt wurde, mitsamt meinem Dichter in einem verschlossenen Bücherbehälter ausgestreckt liege und in den Stadtteil

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deferar in vicum vendentem tus et odores et piper et quidquid chartis amicitur ineptis.

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II Flore, bono claroque fidelis amice Neroni, si quis forte velit puerum tibi vendere natum Tibure vel Gabiis et tecum sic agat: ‘hic et candidus et talos a vertice pulcher ad imos fiet eritque tuus nummorum milibus octo, verna ministeriis ad nutus aptus eriles, litterulis Graecis imbutus, idoneus arti cuilibet: argilla quidvis imitaberis uda; quin etiam canet, indoctum, sed dulce bibenti. multa fidem promissa levant, ubi plenius aequo laudat venales qui vult extrudere merces: res urget me nulla; meo sum pauper in aere; nemo hoc mangonum faceret tibi; non temere a me quivis ferret idem; semel hic cessavit et, ut fit, in scalis latuit metuens pendentis habenae; des nummos, excepta nihil te si fuga laedit’: ille ferat pretium poenae securus, opinor. prudens emisti vitiosum, dicta tibi est lex: insequeris tamen hunc et lite moraris iniqua? dixi me pigrum proficiscenti tibi, dixi talibus officiis prope mancum, ne mea saevus iurgares ad te quod epistula nulla rediret. quid tum profeci, mecum facientia iura si tamen attemptas? quereris super hoc etiam, quod expectata tibi non mittam carmina mendax.

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getragen werde, der Weihrauch, aromatische Kräuter, [270] Pfeffer und alles das verkauft, was in dumme Papyrusblätter48 eingewickelt wird.

2 Florus, du treuer Freund des redlichen und berühmten Nero1, wenn jemand dir vielleicht einen in Tibur oder Gabii geborenen Sklavenjungen verkaufen wollte und so mit dir verhandeln würde: »Dieser Schneeweiße und von Kopf bis Fuß Schöne [5] wird der Deine für achttausend Sesterzen sein und bleiben, ein im Haus geborener Sklave, für Dienstleistungen auf Wink seines Herrn geschickt, mit ein wenig Griechisch vertraut, für jede beliebige Fertigkeit geeignet: Der Ton ist ja feucht, du kannst ihn in jede Form bringen; ja, er wird sogar singen, ungeschult zwar, aber angenehm beim Trinken. [10] Viele Verheißungen vermindern die Glaubwürdigkeit, wenn einer mehr als angemessen die verkäufliche Ware lobt, die er loswerden will: Mich bedrängt nichts; ich bin zwar arm, habe aber keine Schulden; keiner von den Sklavenhändlern täte das für dich; nicht jeder bekäme von mir ohne Weiteres dasselbe; er hat sich einmal vor der Arbeit gedrückt und sich, wie es so geht, [15] unter der Treppe aus Angst vor der erhobenen Peitsche versteckt; du kannst mir das Geld geben, wenn dich außer dem Davonlaufen nichts stört«: Der dürfte den Preis bekommen, ohne sich wegen Bestrafung sorgen zu müssen, glaube ich. Mit offenen Augen hast du den mit Fehlern Behafteten2 gekauft, die Bedingungen wurden dir genannt: Dennoch willst du ihn verfolgen und ihn mit einem ungerechten Prozess festhalten? [20] Ich habe dir bei deiner Abreise gesagt, ich sei faul, habe dir gesagt, ich sei zu solchen Freundschaftsdiensten nahezu unfähig, damit du nicht wütend schimpfen würdest, weil von mir kein Brief zu dir zurückgekommen sei. Was habe ich damals erreicht, wenn du das Recht, obwohl es auf meiner Seite ist, dennoch anfichtst? Obendrein beklagst du dich auch, dass [25] ich wortbrüchig sei und die von dir erwarteten Gedichte nicht schicken würde.

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Luculli miles collecta viatica multis aerumnis, lassus dum noctu stertit, ad assem perdiderat. post hoc vehemens lupus et sibi et hosti iratus pariter, ieiunis dentibus acer, praesidium regale loco deiecit, ut aiunt, summe munito et multarum divite rerum. clarus ob id factum donis ornatur honestis accipit et bis dena super sestertia nummum. forte sub hoc tempus castellum evertere praetor nescio quod cupiens hortari coepit eundem verbis quae timido quoque possent addere mentem: ‘i, bone, quo virtus tua te vocat, i pede fausto, grandia laturus meritorum praemia. quid stas?’ post haec ille catus, quantumvis rusticus, ‘ibit, ibit eo quo vis qui zonam perdidit’ inquit. Romae nutriri mihi contigit atque doceri, iratus Grais quantum nocuisset Achilles. adiecere bonae paulo plus artis Athenae, scilicet ut vellem curvo dinoscere rectum atque inter silvas Academi quaerere verum. dura sed emovere loco me tempora grato civilisque rudem belli tulit aestus in arma Caesaris Augusti non responsura lacertis. unde simul primum me dimisere Philippi, decisis humilem pinnis inopemque paterni et Laris et fundi paupertas impulit audax ut versus facerem; sed quod non desit habentem quae poterunt umquam satis expurgare cicutae, ni melius dormire putem quam scribere versus? singula de nobis anni praedantur euntes: eripuere iocos, Venerem, convivia, ludum;

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Ein Soldat des Lucullus hatte seine unter vielen Mühen zusammengebrachten Ersparnisse bis auf den letzten As verloren, während er erschöpft in der Nacht schnarchte. Danach ein hitziger Wolf, sowohl auf sich selbst als auch auf den Feind wütend und wild mit seinen hungrigen Zähnen, [30] warf er, wie man erzählt, eine dem König3 gehörende Besatzung aus einer sehr stark befestigten und an großen Vorräten reichen Stellung. Berühmt wegen dieser Tat, wird er mit ehrenhaften Geschenken ausgezeichnet und erhält obendrein zwanzigtausend Sesterzen in bar. Zufällig wollte kurz darauf der Prätor irgendein Kastell zerstören und [35] begann denselben Mann mit Worten aufzufordern, die auch einem Feigling Entschlossenheit hätten verleihen können: »Geh, du Tüchtiger, wohin dich deine Tapferkeit ruft, geh auf vom Glück gesegneten Beinen, um einen großen Lohn für deine Verdienste zu bekommen. Was stehst du da noch?« Darauf sagte dieser bei all seiner bäuerlichen Art schlaue Kerl: »Gehen, [40] gehen wird dorthin, wohin du willst, einer, der seinen Geldgürtel verloren hat.« Mir wurde es zuteil,4 dass ich in Rom aufgezogen und mir beigebracht wurde, wie sehr der erzürnte Achilles den Griechen geschadet habe.5 Etwas mehr an Fertigkeit hat das rechtschaffene Athen hinzugefügt, in dem Sinne, dass ich den Wunsch haben würde, das Gerade vom Krummen zu unterscheiden [45] und unter den Bäumen des Akademus die Wahrheit zu suchen.6 Doch die harten Zeiten entfernten mich von dem angenehmen Ort, und die Woge des Bürgerkrieges trug mich, den Unerfahrenen, zu den Waffen, die den Armen des Caesar Augustus nicht gewachsen sein würden. Sobald mich Philippi von dort entlassen hatte, trieb mich, als [50] ich durch meine gestutzten Flügel erniedrigt und nicht mehr im Besitz des väterlichen Hauses und Hofes war, die wagemutige Armut dazu, Verse zu machen; aber jetzt, wo ich so viel besitze, dass nichts fehlt, wie viel Schierling würde mich da jemals ausreichend purgieren können, wenn ich nicht glauben würde,7 es sei besser zu schlafen als Verse zu schreiben? [55] Eines nach dem anderen erbeuten von uns die dahingehenden Jahre: Sie entrissen mir die Scherze, den Sex, die Gelage, die Spie-

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tendunt extorquere poemata: quid faciam vis? denique non omnes eadem mirantur amantque: carmine tu gaudes, hic delectatur iambis, ille Bioneis sermonibus et sale nigro. tres mihi convivae prope dissentire videntur poscentes vario multum diversa palato. quid dem? quid non dem? renuis tu quod iubet alter; quod petis, id sane est invisum acidumque duobus. praeter cetera me Romaene poemata censes scribere posse inter tot curas totque labores? hic sponsum vocat, hic auditum scripta relictis omnibus officiis; cubat hic in colle Quirini, hic extremo in Aventino, visendus uterque; intervalla vides haud sane commoda. ‘verum purae sunt plateae, nihil ut meditantibus obstet.’ festinat calidus mulis gerulisque redemptor, torquet nunc lapidem, nunc ingens machina tignum, tristia robustis luctantur funera plaustris, hac rabiosa fugit canis, hac lutulenta ruit sus: i nunc et versus tecum meditare canoros! scriptorum chorus omnis amat nemus et fugit urbem, rite cliens Bacchi somno gaudentis et umbra: tu me inter strepitus nocturnos atque diurnos vis canere et contracta sequi vestigia vatum? ingenium, sibi quod vacuas desumpsit Athenas et studiis annos septem dedit insenuitque libris et curis, statua taciturnius exit plerumque et risu populum quatit: hic ego rerum fluctibus in mediis et tempestatibus urbis verba lyrae motura sonum conectere digner? fautor erat Romae consulti rhetor, ut alter

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lereien; jetzt streben sie danach, mir die Gedichte zu entwinden: Was willst du, dass ich tue? Überdies bewundern und lieben nicht alle dasselbe:8 Du freust dich an lyrischen Gedichten, dieser ergötzt sich an Jamben, [60] der an bionëischen Plaudereien und schwarzem Salz9. Mir scheinen sozusagen drei Tischgäste im Geschmack zu differieren und für ihre verschiedenen Gaumen jeweils etwas ganz anderes zu verlangen. Was soll ich ihnen geben? Was nicht geben? Du weist zurück, was ein anderer fordert; was du haben willst, ist sicher beiden zuwider und unangenehm. [65] Meinst du – wenn man von allem Übrigen absieht –, ich könne in Rom inmitten so vieler Sorgen und Anstrengungen Gedichte schreiben? Der eine ruft mich, ich solle für ihn als Bürge auftreten, der andere, ich solle alle Pflichten sein lassen und mir seine Dichtungen anhören; der liegt auf dem Quirinal krank im Bett, der am äußersten Ende des Aventin, und beide müssen besucht werden; [70] du siehst, das sind ganz schön unbequeme Entfernungen. »Aber die Straßen sind frei, so dass denen, die etwas ersinnen wollen, nichts im Weg steht.« Ein hitziger Bauunternehmer eilt mit seinen Maultieren und Lastträgern dahin, eine riesige Maschine hievt jetzt einen Felsblock, dann einen Balken in die Höhe, düstere Leichenzüge verheddern sich mit massiven Lastfuhrwerken, [75] hier flüchtet eine tollwütige Hündin, dort stürzt eine schmutzige Sau heran: Nun geh hin und ersinne bei dir wohlklingende Verse! Der ganze Chor der Dichter liebt den Hain und flieht vor der Stadt, zu Recht eine Gefolgschaft des Bacchus, der sich an Schlaf und Schatten freut: Da willst du, dass ich mitten in dem Lärm bei Tag und Nacht [80] Lyrik verfasse und den engen Pfaden der Dichter10 folge? Der große Geist, der für sich das ruhige Athen wählt, sich seinen Forschungen sieben Jahre widmet und alt wird über Büchern und Studien, geht stummer als eine Statue aus und bringt die Leute sehr oft zum Lachen: Und ich soll es hier [85] mitten im Strudel des Alltags und mitten in den Stürmen der Großstadt für der Mühe wert halten, Worte zu verknüpfen, die fähig sind, den Klang der Lyra zu wecken? Ein Rhetor in Rom war einem Rechtsanwalt so gewogen, dass der

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alterius sermone meros audiret honores, Gracchus ut hic illi, foret huic ut Mucius ille. qui minus argutos vexat furor iste poetas? carmina compono, hic elegos: mirabile visu caelatumque novem Musis opus. aspice primum, quanto cum fastu, quanto molimine circumspectemus vacuam Romanis vatibus aedem! mox etiam, si forte vacas, sequere et procul audi, quid ferat et qua re sibi nectat uterque coronam. caedimur et totidem plagis consumimus hostem lento Samnites ad lumina prima duello. discedo Alcaeus puncto illius; ille meo quis? quis nisi Callimachus? si plus apposcere visus, fit Mimnermus et optivo cognomine crescit. multa fero, ut placem genus irritabile vatum, cum scribo et supplex populi suffragia capto; idem finitis studiis et mente recepta obturem patulas impune legentibus aures. ridentur mala qui componunt carmina; verum gaudent scribentes et se venerantur et ultro, si taceas, laudant quidquid scripsere beati. at qui legitimum cupiet fecisse poema, cum tabulis animum censoris sumet honesti; audebit, quaecumque parum splendoris habebunt et sine pondere erunt et honore indigna fruentur, verba movere loco, quamvis invita recedant et versentur adhuc inter penetralia Vestae. obscurata diu populo bonus eruet atque proferet in lucem speciosa vocabula rerum,

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eine in den Reden des anderen reine Ehrerweisungen zu hören bekam, so dass dieser für jenen ein Gracchus, jener für diesen ein Mucius war. [90] Wie plagt wohl dieser Wahnsinn weniger die singenden Poeten? Ich verfasse lyrische Gedichte, der da Elegien: ein wunderbar anzuschauendes, von den neun Musen ziseliertes Werk.11 Schau dir zuerst an, mit was für einer gewaltigen Arroganz, mit welch enormer Wichtigtuerei wir uns in dem für römische Sänger offenen Tempel12 umsehen! [95] Und dann, wenn du gerade Zeit hast, folge uns, höre aus einer gewissen Entfernung, was jeder von uns beiden zu bieten hat und wie jeder sich selbst den Kranz13 windet. Wir werden von Hieben getroffen und erledigen mit ebenso vielen den Gegner, Samniten, die wir sind,14 in zähem Kampf bis zum Schein der ersten Lichter15. Ich gehe mit seiner Stimme16 als Alkäus hervor, er mit meiner als wer? [100] Als wer, wenn nicht als ein Kallimachus? Scheint er noch etwas dazuzufordern, wird er zum Mimnermus und wächst an Statur durch den per Adoption erhaltenen Beinamen. Ich erdulde viel, um dem reizbaren Volk der Dichter gefällig zu sein, indem ich schreibe und demütig die Wählerstimmen des Volkes zu erhalten bemüht bin; ich, derselbe Mann, habe aber jetzt meine Bemühungen beendet, meinen Verstand wiedergewonnen [105] und würde meine bisher offenen Ohren zustopfen, wenn vorgelesen wird, ohne Vergeltung befürchten zu müssen. Die, welche schlechte Gedichte verfassen, werden ausgelacht; aber sie haben am Dichten Freude, verehren sich selbst, loben, wenn du schweigst, unaufgefordert, was sie gedichtet haben, und sind dabei glücklich. Wer jedoch ein mit den Gattungsgesetzen übereinstimmendes Gedicht machen will, wird, [110] wenn er zur Schreibtafel greift, die Einstellung eines ehrenwerten Censors annehmen; er wird den Mut haben, alle Wörter, die zu wenig Glanz haben oder ohne Gewicht sind und sich eines Ehrenplatzes erfreuen, ohne ihn zu verdienen, von ihrem Platz zu entfernen, auch wenn sie widerwillig weichen und noch immer im Tempelinneren der Vesta17 verweilen. [115] Solche, die dem Volk schon lange unbekannt sind, wird er redlich ausgraben und wohlklingende Bezeichnungen ans Licht bringen, die von Männern

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quae priscis memorata Catonibus atque Cethegis nunc situs informis premit et deserta vetustas. asciscet nova, quae genitor produxerit usus. vemens et liquidus puroque simillimus amni fundet opes Latiumque beabit divite lingua. luxuriantia compescet, nimis aspera sano levabit cultu, virtute carentia tollet. ludentis speciem dabit et torquebitur, ut qui nunc Satyrum, nunc agrestem Cyclopa movetur. praetulerim scriptor delirus inersque videri, dum mea delectent mala me vel denique fallant, quam sapere et ringi. fuit haud ignobilis Argis, qui se credebat miros audire tragoedos in vacuo laetus sessor plausorque theatro, cetera qui vitae servaret munia recto more, bonus sane vicinus, amabilis hospes, comis in uxorem, posset qui ignoscere servis et signo laeso non insanire lagoenae, posset qui rupem et puteum vitare patentem. hic ubi cognatorum opibus curisque refectus expulit elleboro morbum bilemque meraco et redit ad sese, ‘pol me occidistis, amici, non servastis,’ ait, ‘cui sic extorta voluptas et demptus per vim mentis gratissimus error.’ nimirum sapere est abiectis utile nugis, et tempestivum pueris concedere ludum ac non verba sequi fidibus modulanda Latinis, sed verae numerosque modosque ediscere vitae. quocirca mecum loquor haec tacitusque recordor: si tibi nulla sitim finiret copia lymphae,

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der Vorzeit wie Cato und Cethegus im Mund geführt wurden und auf denen jetzt hässliche Vernachlässigung und vereinsamtes Alter lasten. Er wird neue aufnehmen, die der Vater Bedürfnis hervorgebracht hat. [120] Kräftig und klar, sehr ähnlich einem reinen Strom, wird er seinen Schatz ausgießen und Latium mit einer reichen Sprache beglücken. Üppig wachsende Wörter wird er zurechtstutzen, allzu harte durch wohltuende Pflege glätten, kraftlose entfernen. Er wird sich den Anschein geben, als spiele er nur, und doch so angespannt sein wie einer, [125] der als Tänzer bald einen Satyr, bald den plumpen Kyklopen darstellt. Ich zöge es wohl vor, als verrückter Dichter ohne Kunstfertigkeit zu gelten, wenn mir meine Fehler Freude bereiten oder wenigstens verborgen bleiben würden, statt sachverständig zu sein und die Zähne zu blecken.18 Es lebte einer von nicht geringer Herkunft in Argos, der immer glaubte, er lausche wunderbaren Tragödienschauspielern, [130] während er fröhlich im leeren Theater saß und applaudierte, der aber die übrigen Lebensaufgaben auf rechte Weise wahrnahm, ein sicherlich guter Nachbar, ein liebenswürdiger Gastgeber, freundlich zu seiner Frau, einer, der imstande war, den Sklaven zu verzeihen und nicht herumzutoben, wenn das Siegel einer Weinflasche verletzt war, [135] und der einer Felsspalte oder einem offenen Brunnen ausweichen konnte. Als dieser durch Hilfe und Fürsorge seiner Verwandten wiederhergestellt war, mit unverdünnter Nieswurz19 seine Krankheit samt der Galle ausgetrieben hatte und zu sich selbst zurückgekehrt war, sagte er: »Beim Pollux, ihr habt mich umgebracht, Freunde, nicht gerettet, mich, dem so die Freude entrissen [140] und mit Gewalt der angenehmste Irrtum meines Geistes weggenommen ist.« Selbstverständlich ist es nützlich, die Produkte kindlichen Leichtsinns20 wegzuwerfen, weise zu sein und Knaben das Spiel zu überlassen, das zu ihrem Alter passt, und nicht nach Worten zu suchen, die zur lateinischen Lyra zu singen sind, sondern Rhythmen und Weisen der richtigen Lebensart zu erlernen. [145] Deshalb spreche ich bei mir Folgendes und beherzige es stillschweigend: Wenn keine noch so große Wassermenge dir den Durst löschen könnte, würdest du es den

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narrares medicis: quod, quanto plura parasti, tanto plura cupis, nulline faterier audes? si vulnus tibi monstrata radice vel herba non fieret levius, fugeres radice vel herba proficiente nihil curarier. audieras, cui rem di donarent, illi decedere pravam stultitiam, et, cum sis nihilo sapientior ex quo plenior es, tamen uteris monitoribus isdem? at si divitiae prudentem reddere possent, si cupidum timidumque minus te, nempe ruberes, viveret in terris te si quis avarior uno. si proprium est, quod quis libra mercatus et aere est, quaedam, si credis consultis, mancipat usus; qui te pascit ager tuus est, et vilicus Orbi, cum segetes occat tibi mox frumenta daturas, te dominum sentit. das nummos, accipis uvam, pullos, ova, cadum temeti: nempe modo isto paulatim mercaris agrum, fortasse trecentis aut etiam supra nummorum milibus emptum. quid refert, vivas numerato nuper an olim? emptor Aricini quondam Veientis et arvi emptum cenat holus, quamvis aliter putat, emptis sub noctem gelidam lignis calefactat aenum. sed vocat usque suum, qua populus assita certis limitibus vicina refringit iurgia; tamquam sit proprium quicquam, puncto quod mobilis horae nunc prece, nunc pretio, nunc vi, nunc morte suprema permutet dominos et cedat in altera iura. sic quia perpetuus nulli datur usus et heres heredem alternis velut unda supervenit undam, quid vici prosunt aut horrea? quidve Calabris

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Ärzten sagen: Dass du umso mehr begehrst, je mehr du erworben hast, wagst du keinem zu gestehen? Wenn eine Wunde durch eine Wurzel oder eine Pflanze, die dir verordnet wurde, [150], nicht gebessert wurde, würdest du dich weigern, dich durch eine uneffektive Wurzel oder Pflanze behandeln zu lassen. Du hattest gehört, dass von dem, dem die Götter ein Vermögen schenken, die üble Dummheit weiche, und wirst du, obwohl du um nichts weiser bist, seit du reicher bist, dennoch dieselben Ratgeber heranziehen? [155] Doch wenn Reichtum dich klug machen könnte und weniger gierig und ängstlich, ja, dann würdest du rot werden, wenn jemand auf Erden leben würde, der noch habsüchtiger wäre als du allein. Wenn Eigentum ist, was man mit Waage und Geld gekauft hat, macht, wenn du den Experten glaubst, ständiger Gebrauch manches zu Eigentum; [160] der Acker, der dich ernährt, gehört dir, und der Verwalter des Orbius21 empfindet, wenn er die Saaten eggt, die dir bald das Getreide bescheren werden, dich als Besitzer. Du gibst dein Geld, bekommst Trauben, Hühner, Eier, einen Krug mit einem starken Getränk: Klar, auf diese Weise kaufst du allmählich das Landgut, das vielleicht für dreihunderttausend Sesterzen [165] oder sogar noch mehr gekauft wurde. Was macht es schon aus, ob du von etwas lebst, was jüngst oder was vor langer Zeit bezahlt wurde? Der einstige Käufer eines aricinischen oder vejentischen Landgutes isst gekauftes Gemüse, auch wenn er das anders sieht, und macht mit gekauftem Holz bei Einbruch der kalten Nacht seinen Kessel warm. [170] Aber er nennt alles bis zu dem Punkt sein Eigen, wo die Pappel, die an der festgesetzten Grenze gepflanzt ist, Beschimpfungen durch den Nachbarn entkräftet; als ob irgendetwas festes Eigentum wäre, was im Moment einer flüchtigen Stunde bald auf Bitten hin, bald für Geld, bald durch Gewalt, bald durch den Tod, das Ende von allem, den Besitzer wechselt und in die Verfügungsgewalt eines anderen übergeht. [175] Weil somit niemandem dauerhafter Gebrauch gegeben ist und der Erbe im Wechsel auf den Erben wie die Welle auf die Welle folgt, was nützen da Arbeitersiedlungen oder Scheunen? Oder was

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saltibus adiecti Lucani, si metit Orcus grandia cum parvis, non exorabilis auro? gemmas, marmor, ebur, Tyrrhena sigilla, tabellas, argentum, vestes Gaetulo murice tinctas sunt qui non habeant, est qui non curat habere. cur alter fratrum cessare et ludere et ungui praeferat Herodis palmetis pinguibus, alter dives et importunus ad umbram lucis ab ortu silvestrem flammis et ferro mitiget agrum, scit Genius, natale comes qui temperat astrum, naturae deus humanae, mortalis in unum quodque caput vultu mutabilis, albus et ater. utar et ex modico, quantum res poscet, acervo tollam nec metuam, quid de me iudicet heres, quod non plura datis invenerit; et tamen idem scire volam, quantum simplex hilarisque nepoti discrepet et quantum discordet parcus avaro. distat enim, spargas tua prodigus an neque sumptum invitus facias neque plura parare labores ac potius, puer ut festis Quinquatribus olim, exiguo gratoque fruaris tempore raptim (pauperies immunda domus procul absit!). ego utrum nave ferar magna an parva, ferar unus et idem. non agimur tumidis velis aquilone secundo, non tamen adversis aetatem ducimus Austris, viribus, ingenio, specie, virtute, loco, re extremi primorum, extremis usque priores. non es avarus: abi. quid? cetera iam simul isto cum vitio fugere? caret tibi pectus inani ambitione? caret mortis formidine et ira?

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kalabrischen Triften hinzugefügte lukanische, wenn der Orkus Groß und Klein niedermäht, nicht zu erweichen durch Gold? [180] Edelsteine, Marmor, Elfenbein, tyrrhenische Bronzefigurinen, Gemälde, Silber, Gewänder, die mit gätulischem Purpur gefärbt sind, besitzen manche nicht, und es gibt einen, dem nichts daran liegt, das alles zu besitzen.22 Warum der eine von zwei Brüdern Untätigkeit, Spiel und Ölmassage den üppigen Palmenhainen des Herodes vorzieht, der andere, [185] reich und unnachgiebig, vom Sonnenaufgang bis zum Nachtschatten sein bewaldetes Land mit Feuer und Eisen kultiviert, das weiß nur ihr Genius, der als Begleiter das Gestirn der Geburtsstunde regiert, der Gott, der über die menschliche Natur herrscht, gegenüber jedem Haupt eines Sterblichen wechselhaft in seiner Miene, weiß und schwarz. [190] Ich will meinen Besitz genießen, und zwar von einem mäßig großen Haufen so viel nehmen, wie die Gelegenheit fordert, und nicht fürchten, was mein Erbe von mir denkt, weil er nicht mehr vorfindet als das, was ihm von mir gegeben wurde; aber trotzdem werde auch ich wissen wollen, wie weit sich der Offenherzige und Heitere vom Verschwender unterscheidet und wie groß der Gegensatz zwischen einem Sparsamen und einem Habgierigen ist. [195] Denn es ist ein Unterschied, ob du verschwenderisch deinen Besitz verstreust oder ob du weder deine Ausgaben widerwillig machst noch dich abmühst, um mehr zu erwerben oder lieber wie einst als Junge an den Quinquatrien die kurze und doch willkommene Zeit rasch genießt (nur schmutzige Armut meines Hauses sei in weiter Ferne!). Ob ich [200] von einem großen oder einem kleinen Schiff getragen werde, ich werde als ein und derselbe getragen. Ich werde nicht mit geschwellten Segeln von einem günstigen Nordwind getrieben, aber ich führe mein Leben auch nicht im Kampf gegen widrige Südwinde, an Körperkraft, Talent, äußerer Erscheinung, Tugend, Status und Besitz der Letzte unter den Ersten, immer aber unter den Letzten der Erste. [205] Du bist nicht habgierig. Du kannst gehen. Doch wie? Sind zugleich mit diesem Laster bereits die übrigen auf und davon? Ist dein Herz frei von nichtigem Ehrgeiz? Ist es frei von Todesangst und Zorn

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somnia, terrores magicos, miracula, sagas, nocturnos lemures portentaque Thessala rides? natales grate numeras? ignoscis amicis? lenior et melior fis accedente senecta? quid te exempta levat spinis de pluribus una? vivere si recte nescis, decede peritis. lusisti satis, edisti satis atque bibisti: tempus abire tibi est, ne potum largius aequo rideat et pulset lasciva decentius aetas.

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III (“De arte poetica”) Humano capiti cervicem pictor equinam iungere si velit et varias inducere plumas undique collatis membris, ut turpiter atrum desinat in piscem mulier formosa superne, spectatum admissi risum teneatis, amici? credite, Pisones, isti tabulae fore librum persimilem, cuius, velut aegri somnia, vanae fingentur species, ut nec pes nec caput uni reddatur formae. ‘pictoribus atque poetis quidlibet audendi semper fuit aequa potestas.’ scimus, et hanc veniam petimusque damusque vicissim, sed non ut placidis coeant immitia, non ut serpentes avibus geminentur, tigribus agni. inceptis gravibus plerumque et magna professis purpureus, late qui splendeat, unus et alter assuitur pannus, cum lucus et ara Dianae et properantis aquae per amoenos ambitus agros aut flumen Rhenum aut pluvius describitur arcus; sed nunc non erat his locus. et fortasse cupressum

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auf den Tod? Du lachst über Träume, die Schrecken der Zauberei, Wunder, Hexen, Nachtgespenster und thessalische Ungeheuerlichkeiten? [210] Zählst du dankbar deine Geburtstage? Gewährst du deinen Freunden Verzeihung? Wirst, weil das Alter näherkommt, milder und besser? Welche Erleichterung gibt es dir, wenn ein einziger von vielen Dornen herausgezogen ist? Wenn du nicht richtig zu leben weißt, weiche denen, die es können. Du hast genug Spaß gehabt, genug gegessen und getrunken: [215] Es ist Zeit für dich abzutreten, damit dich nicht, weil du mehr als recht getrunken hast, das Alter, dem Ausgelassenheit besser steht, auslacht und fortstößt.

3 (»Über die Dichtkunst«) Wenn ein Maler mit dem Kopf eines Menschen den Hals eines Pferdes verbinden wollte und buntes Gefieder an Gliedmaßen anlegen, die von überallher zusammengetragen sind, so dass in einen schwarzen Fisch eine oben schöne Frau scheußlich ausliefe, [5] könntet ihr, sobald man euch zum Anschauen zugelassen hätte, das Lachen zurückhalten, Freunde? Glaubt mir, Pisonen, einem solchen Gemälde wäre ein Buch sehr ähnlich, dessen phantastische Vorstellungen wie die Träume eines Kranken so erdichtet wären, dass einer Gestalt weder Fuß noch Kopf mit dem Ergebnis einer Einheit gegeben wäre.1 »Aber die Maler und Dichter [10] hatten doch immer das gleiche Privileg, alles, was ihnen gefällt, zu wagen.« Das weiß ich, und auf diese Lizenz erheben wir Anspruch und gewähren sie uns gegenseitig, aber nicht so, dass Wildes sich mit Zahmem verbindet, nicht so, dass Schlangen sich mit Vögeln paaren und Lämmer mit Tigern. Oft wird an gewichtige und Großes ankündigende Anfänge der eine oder andere [15] Purpurlappen, der weithin glänzen soll, angeflickt, indem man einen Hain und Altar der Diana und die Windungen eines durch liebliche Fluren eilenden Gewässers oder den Rheinstrom oder einen Regenbogen beschreibt; aber dafür war jetzt nicht der Ort. Vielleicht verstehst du es auch, eine Zypresse [20] abzubil-

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scis simulare: quid hoc, si fractis enatat exspes navibus aere dato qui pingitur? amphora coepit institui: currente rota cur urceus exit? denique sit quidvis, simplex dumtaxat et unum. maxima pars vatum, pater et iuvenes patre digni, decipimur specie recti: brevis esse laboro, obscurus fio; sectantem levia nervi deficiunt animique; professus grandia turget; serpit humi tutus nimium timidusque procellae; qui variare cupit rem prodigialiter unam, delphinum silvis appingit, fluctibus aprum: in vitium ducit culpae fuga, si caret arte. Aemilium circa ludum faber imus et ungues exprimet et molles imitabitur aere capillos, infelix operis summa, quia ponere totum nesciet: hunc ego me, si quid componere curem, non magis esse velim quam naso vivere pravo, spectandum nigris oculis nigroque capillo. sumite materiam vestris, qui scribitis, aequam viribus et versate diu, quid ferre recusent, quid valeant umeri. cui lecta potenter erit res, nec facundia deseret hunc, nec lucidus ordo. ordinis haec virtus erit et Venus, aut ego fallor, ut iam nunc dicat iam nunc debentia dici, pleraque differat et praesens in tempus omittat. hoc amet, hoc spernat promissi carminis auctor. in verbis etiam tenuis cautusque serendis dixeris egregie, notum si callida verbum

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den: Was soll das dann, wenn einer, der für Geld gemalt wird, ohne Hoffnung aus einem zerbrochenen Schiff herauszuschwimmen versucht? Man hat eine Amphore zu formen begonnen: Warum kommt dabei, während die Scheibe sich dreht, nur ein Krug heraus? Kurz, sei es, was immer du willst, wenn es nur schlicht und homogen ist. Der größte Teil von uns Dichtern, Vater und ihr, eures Vaters würdige junge Männer, [25] lässt sich durch den Schein des Richtigen täuschen: Ich bemühe mich, kurz zu sein, und werde dunkel; dem, der nach Glätte strebt, erlahmen Sehnen und Energie; wer Großartiges ankündigt, wird schwülstig; am Boden kriecht der allzu Vorsichtige und sich vor einem Sturm Fürchtende; wer ein homogenes Thema verschwenderisch zu variieren begehrt, [30] malt einen Delphin in einen Wald, einen Eber in Meeresfluten: Flucht davor, etwas falsch zu machen, führt zu Fehlern, wenn man keinen Kunstverstand hat. Ein Schmied der untersten Sorte in der Gegend nahe der Gladiatorenschule des Aemilius wird Fingernägel herausarbeiten und in Bronze weiches Haar nachbilden, erfolglos mit seinem Werk in dessen Gesamtheit, weil er es nicht verstehen wird, ein Ganzes wiederzugeben. [35] Der zu sein, würde ich, wenn ich mich bemühte, etwas zu dichten, mir wohl nicht mehr wünschen, als mit einer krummen Nase zu leben, auch wenn ich wegen schwarzer Augen und schwarzer Haare schön anzuschauen wäre. Nehmt, die ihr schreibt, euch einen Stoff, der euren Kräften entspricht, und überlegt lange, was eure Schultern zu tragen verweigern, [40] was sie schaffen können. Wer ein Thema im Rahmen seiner Fähigkeiten wählt, dem wird es weder an einer gewandten Diktion noch an einer klaren Struktur fehlen. Qualität und Ästhetik von Struktur werden, wenn ich mich nicht täusche, darin bestehen, dass man schon jetzt sagt, was schon jetzt gesagt werden muss, sehr vieles aufspart und im gegenwärtigen Moment weglässt. [45] Das eine soll der Verfasser eines versprochenen Gedichtes bevorzugen, das andere verschmähen.2 Auch beim Verknüpfen der Wörter wirst du, wenn du feinfühlig und behutsam bist, dich mit Erfolg hervorragend ausdrücken, wenn

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reddiderit iunctura novum. si forte necesse est indiciis monstrare recentibus abdita rerum, fingere cinctutis non exaudita Cethegis, continget dabiturque licentia sumpta pudenter; et nova fictaque nuper habebunt verba fidem, si Graeco fonte cadent parce detorta. quid autem Caecilio Plautoque dabit Romanus ademptum Vergilio Varioque? ego cur, acquirere pauca si possum, invideor, cum lingua Catonis et Enni sermonem patrium ditaverit et nova rerum nomina protulerit? licuit semperque licebit signatum praesente nota producere nomen. ut silvae foliis privos mutantur in annos, 〈ut nova succrescunt novus et decor enitet illis,〉 prima cadunt, ita verborum vetus interit aetas, et iuvenum ritu florent modo nata vigentque. debemur morti nos nostraque; sive receptus terra Neptunus classes aquilonibus arcet, regium opus, sterilisve palus prius aptaque remis vicinas urbes alit et grave sentit aratrum, seu cursum mutavit iniquum frugibus amnis doctus iter melius, mortalia facta peribunt, nedum sermonum stet honos et gratia vivax. multa renascentur quae iam cecidere, cadentque quae nunc sunt in honore vocabula, si volet usus, quem penes arbitrium est et ius et norma loquendi. res gestae regumque ducumque et tristia bella quo scribi possent numero, monstravit Homerus. versibus impariter iunctis querimonia primum,

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eine feinsinnig gemachte Junktur ein bekanntes Wort zu einem neuen gemacht hat. Wenn es einmal nötig ist, durch neue Zeichen Dunkles zu verdeutlichen, [50] wirst du die günstige Gelegenheit haben zu bilden, was Leute wie Cethegus mit seinem Lendenschurz nie gehört haben, und diese Freiheit wird gewährt werden, wenn man sie maßvoll in Anspruch nimmt; noch dazu werden neue und gerade erst gebildete Wörter Anerkennung finden, wenn sie, sparsam abgeleitet, aus einer griechischen Quelle fließen. Warum auch sollten die Römer Caecilius und Plautus gewähren, was man [55] Vergil und Varius genommen hat?3 Warum werde ich, wenn ich Weniges dazugewinnen kann, schief angesehen, wo doch die Sprache Catos und des Ennius die Sprache der Väter bereichert und neue Bezeichnungen der Dinge hervorgebracht hat? Es war schon immer erlaubt und wird immer erlaubt sein, ein Wort zu prägen, das den Stempel der Gegenwart trägt. [60] Wie die Wälder Jahr für Jahr ihre Blätter wechseln, 〈wie neue nachwachsen und ihnen neue Pracht erglänzt,〉 die ersten aber abfallen, so geht eine alte Generation von Wörtern unter, und wie junge Männer blühen eben entstandene und sind vital. Wir und alles Unsrige sind dem Tod verfallen; ob das vom Land aufgenommene Meer Flotten gegen die Nordwinde verteidigt, [65] ein Werk, groß genug für einen König, oder ein früher unfruchtbarer und für Ruder geeigneter Sumpf die benachbarten Städte ernährt und den schweren Pflug zu spüren bekommt oder ein Strom seinen für Feldfrüchte verderblichen Lauf geändert hat, nachdem man ihn einen besseren Lauf gelehrt hatte – die Werke der Sterblichen werden vergehen, und nicht weniger gilt, dass Ruhm und Anmut der Sprache leben und bestehen bleiben. [70] Viele Wörter, die schon untergegangen sind, werden wiedergeboren werden, und untergehen werden die, welche jetzt in Ehren sind, wenn der Sprachgebrauch es will, bei dem die Entscheidung, das Gesetz und die Norm des Sprechens liegen. In welchem Versmaß die Taten der Könige und Feldherrn und die trauerbringenden Kriege beschrieben werden können,4 hat Homer gezeigt. [75] In ungleich verbundenen Versen5 hat man zuerst das Wehklagen, danach auch Gedanken, die man im Besitz des Gewünschten

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post etiam inclusa est voti sententia compos; quis tamen exiguos elegos emiserit auctor, grammatici certant et adhuc sub iudice lis est. Archilochum proprio rabies armavit iambo; hunc socci cepere pedem grandesque cothurni, alternis aptum sermonibus et populares vincentem strepitus et natum rebus agendis. Musa dedit fidibus divos puerosque deorum et pugilem victorem et equum certamine primum et iuvenum curas et libera vina referre. descriptas servare vices operumque colores cur ego si nequeo ignoroque poeta salutor? cur nescire pudens prave quam discere malo? versibus exponi tragicis res comica non vult; indignatur item privatis ac prope socco dignis carminibus narrari cena Thyestae. singula quaeque locum teneant sortita decentem. interdum tamen et vocem comoedia tollit, iratusque Chremes tumido delitigat ore, et tragicus plerumque dolet sermone pedestri, Telephus et Peleus cum pauper et exul uterque proicit ampullas et sesquipedalia verba, si curat cor spectantis tetigisse querela. non satis est pulchra esse poemata; dulcia sunto et quocumque volent animum auditoris agunto. ut ridentibus arrident, ita flentibus afflent humani vultus. si vis me flere, dolendum est primum ipsi tibi; tum tua me infortunia laedent, Telephe vel Peleu; male si mandata loqueris, aut dormitabo aut ridebo. tristia maestum vultum verba decent, iratum plena minarum,

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äußerte,6 eingeschlossen; wer allerdings die kleinen Gedichte im elegischen Versmaß als erster Autor herausgab, darüber streiten die Philologen, und der Prozess wartet noch auf die Entscheidung des Richters. Den Archilochus bewaffnete seine wilde Wut mit dem Jambus, der ihm zu eigen ist; [80] diesen Fuß nahmen die Socci und die erhabenen Kothurne in sich auf,7 weil er für Dialoge geeignet ist, den Lärm des Publikums übertönt und sich von seinem Wesen her für Handlung eignet. Die Muse gab den Saiten der Lyra die Götter und die Söhne der Götter, den Sieger im Faustkampf, das erste Pferd im Wettrennen, [85] den Liebeskummer der jungen Männer und die Freizügigkeit beim Wein zum Besingen.8 Wenn ich die vorgeschriebenen Typen und die Stile der poetischen Gattungen nicht zu beachten vermag und sie nicht kenne, warum lasse ich mich als Dichter grüßen? Warum will ich aus falscher Scham lieber nichts von ihnen wissen als sie lernen? Ein Komödienstoff will nicht in tragischen Versen dargestellt werden; [90] ebenso empört sich das Mahl des Thyestes dagegen, in alltäglichen und beinahe des Soccus würdigen Versen erzählt zu werden. Jedes einzelne Ding soll den ihm angemessenen Platz behalten, den es erlost hat. Zuweilen hebt freilich auch die Komödie ihre Stimme an, und der zornige Chremes deklamiert in geschwollenem Tonfall, [95] und in der Tragödie artikulieren Telephus und Peleus oft ihren Schmerz in gewöhnlicher Sprache, indem die beiden, arm und verbannt, ihren Bombast und ihre eineinhalb Fuß langen Wörter dann wegwerfen, wenn sie sich darum bemühen, mit ihrer Klage an das Herz des Zuschauers zu rühren. Es genügt nicht, dass Dichtungen schön sind; sie sollen anziehend sein [100] und den Sinn des Hörers lenken, wohin sie wollen. Wie die menschlichen Gesichter mit Lachenden lachen, so weinen sie mit Weinenden. Wenn du willst, dass ich weine, musst du erst einmal selbst Schmerz empfinden; dann wird, Telephus oder Peleus, dein Unglück mich treffen; wenn du nur dir töricht Zugewiesenes hersagst, dann werde ich [105] entweder einschlafen oder lachen. Traurige Worte passen zu einem betrübten Gesicht, zu einem zornigen solche, die

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ludentem lasciva, severum seria dictu. format enim natura prius nos intus ad omnem fortunarum habitum; iuvat aut impellit ad iram aut ad humum maerore gravi deducit et angit; post effert animi motus interprete lingua. si dicentis erunt fortunis absona dicta, Romani tollent equites peditesque cachinnum. intererit multum, divusne loquatur an heros, maturusne senex an adhuc florente iuventa fervidus, et matrona potens an sedula nutrix, mercatorne vagus cultorne virentis agelli, Colchus an Assyrius, Thebis nutritus an Argis. aut famam sequere aut sibi convenientia finge scriptor. honoratum si forte reponis Achillem, impiger, iracundus, inexorabilis, acer iura neget sibi nata, nihil non arroget armis. sit Medea ferox invictaque, flebilis Ino, perfidus Ixion, Io vaga, tristis Orestes. si quid inexpertum scaenae committis et audes personam formare novam, servetur ad imum, qualis ab incepto processerit, et sibi constet. difficile est proprie communia dicere, tuque rectius Iliacum carmen deducis in actus quam si proferres ignota indictaque primus. publica materies privati iuris erit, si non circa vilem patulumque moraberis orbem nec verbo verbum curabis reddere fidus interpres nec desilies imitator in artum, unde pedem proferre pudor vetet aut operis lex,

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voller Drohungen sind, zu einem vergnügten freche, zu einem strengen ernste. Denn die Natur formt uns erst einmal innerlich je nach der Art unserer Erfahrung; sie macht uns froh oder treibt uns zum Zorn [110] oder zieht uns durch schweren Kummer zu Boden und ängstigt uns; danach trägt sie die Regungen der Seele nach draußen, wobei die Zunge die Dolmetscherin ist. Wenn die Worte eines Sprechenden nicht im Einklang mit seinen Erfahrungen sind, werden die römischen Ritter und das Fußvolk ein lautes Gelächter erschallen lassen. Es wird ein großer Unterschied sein, ob ein Gott oder ein Heros spricht, [115] ein gereifter alter Mann oder ein noch in der Blüte der Jugend befindlicher Hitzkopf, eine mächtige Matrone oder eine dienstbeflissene Amme, ein umherreisender Kaufmann oder der Bebauer eines grünenden Äckerchens, ein Kolcher oder ein Assyrier, ein in Theben oder ein in Argos Erzogener. Entweder folge der mythologischen Tradition oder erfinde, was in sich übereinstimmt, [120] Dichter. Wenn du etwa den bewunderten9 Achilles wieder auf die Bühne stellst, sei er rastlos, jähzornig, unerbittlich, bestreite heftig, dass Gesetze für ihn entstanden seien, beanspruche alles für sich durch Waffengewalt. Medea sei wild und unbezähmbar, Ino tränenreich, Ixion treulos, Io ruhelos, Orest schwermütig. [125] Wenn du etwas noch Unerprobtes auf die Bühne bringst und es wagst, eine neue Figur zu gestalten, bleibe sie bis zum Ende so, wie sie von Beginn an aufgetreten ist, und sie sei in sich konstant. Es ist schwer, Allgemeines spezifisch auszudrücken,10 und du wirst richtiger handeln, wenn du die Dichtung über Ilion in Akte überführst,11 [130] als wenn du als Erster Unbekanntes und bisher Ungesagtes an die Öffentlichkeit brächtest. Ein allgemein zugänglicher Stoff kommt unter privates Besitzrecht, wenn du dich nicht in dem billigen, allen zugänglichen Kreis aufhalten12 und dich nicht bemühen wirst, als treuer Übersetzer alles Wort für Wort wiederzugeben, und auch nicht dich selbst als Nachahmer in die Klemme bringen wirst,13 [135] aus der herauszutreten dir ängstliche Scheu oder das Gesetz des Werkes14

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nec sic incipies, ut scriptor cyclicus olim: ‘fortunam Priami cantabo et nobile bellum.’ quid dignum tanto feret hic promissor hiatu? parturient montes, nascetur ridiculus mus. quanto rectius hic, qui nil molitur inepte: ‘dic mihi, Musa, virum, captae post tempora Troiae qui mores hominum multorum vidit et urbes.’ non fumum ex fulgore, sed ex fumo dare lucem cogitat, ut speciosa dehinc miracula promat, Antiphaten Scyllamque et cum Cyclope Charybdin. nec reditum Diomedis ab interitu Meleagri nec gemino bellum Troianum orditur ab ovo; semper ad eventum festinat et in medias res non secus ac notas auditorem rapit, et quae desperat tractata nitescere posse relinquit atque ita mentitur, sic veris falsa remiscet, primo ne medium, medio ne discrepet imum. tu quid ego et populus mecum desideret, audi. si plosoris eges aulaea manentis et usque sessuri, donec cantor ‘vos plaudite!’ dicat, aetatis cuiusque notandi sunt tibi mores, mobilibusque decor naturis dandus et annis. reddere qui voces iam scit puer et pede certo signat humum, gestit paribus colludere et iram concipit ac ponit temere et mutatur in horas. imberbis iuvenis, tandem custode remoto, gaudet equis canibusque et aprici gramine campi, cereus in vitium flecti, monitoribus asper, utilium tardus provisor, prodigus aeris, sublimis cupidusque et amata relinquere pernix.

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verbietet, und auch nicht so beginnen wirst, wie einst ein Dichter des Kyklos: »Singen will ich von Priams Geschick und vom ruhmreichen Kriege.«15

Was wird dieser Verheißer16 bringen, das eines so weit aufgemachten Mundes17 würdig ist? Berge werden kreißen, geboren werden wird eine lächerliche Maus. [140] Wie viel richtiger doch er, der nichts ungeschickt in Bewegung setzt:18 »Nenne mir, Muse, den Mann, der nach der Zeit der Erstürmung Trojas die Sitten und Städte von zahlreichen Menschen gesehn hat.«

Er zielt nicht darauf ab, Rauch nach dem Glanz, sondern nach dem Rauch Licht zu geben, um danach spektakuläre Wunder an den Tag zu bringen: [145] Antiphates, die Skylla und mit dem Kyklopen Charybdis. Er beginnt die Heimkehr des Diomedes nicht mit dem Untergang Meleagers und nicht den Trojanischen Krieg mit dem Zwillingsei19; ständig eilt er auf das Endziel zu, reißt den Hörer nicht anders mitten ins Geschehen hinein, als wäre es diesem bekannt, lässt das weg, von dem er [150] nicht hofft, es könne brillant werden, wenn er es behandelt, und bietet Fiktives so, vermischt so Falsches mit Wahrem, dass die Mitte nicht mit dem Anfang und dass das Ende nicht mit der Mitte im Widerspruch steht. Du höre, was ich verlange und mit mir das Publikum. Wenn du einen Applaudierer brauchst, der bis zum Vorhang wartet und so lange [155] sitzen bleiben wird, bis der Sänger »Ihr da, applaudiert!« ruft, musst du die Eigenarten jeder Altersstufe kennzeichnen und den sich verändernden Charakteren und Jahren das geben, was ihnen angemessen ist. Der Junge, der schon Worte wiederzugeben versteht und mit sicherem Fuß auf den Erdboden tritt, drängt danach, mit seinesgleichen zu spielen, [160] lässt sich von Zorn erfassen, legt ihn leichthin wieder ab und verändert sich von Stunde zu Stunde. Der bartlose junge Mann freut sich, nachdem sein Aufseher endlich von ihm abgezogen worden ist, an Pferden, Hunden und dem Rasen des sonnigen Campus, wachsweich, wenn es darum geht, sich zum Laster hinzulenken, hartnäckig gegenüber Mahnern, langsam darin, für den eigenen Nutzen zu sorgen, verschwenderisch mit Geld, [165] hoch

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conversis studiis aetas animusque virilis quaerit opes et amicitias, inservit honori, commisisse cavet quod mox mutare laboret. multa senem circumveniunt incommoda, vel quod quaerit et inventis miser abstinet ac timet uti, vel quod res omnes timide gelideque ministrat, dilator, spe lentus, iners pavidusque futuri, difficilis, querulus, laudator temporis acti se puero, castigator censorque minorum. multa ferunt anni venientes commoda secum, multa recedentes adimunt. ne forte seniles mandentur iuveni partes pueroque viriles, semper in adiunctis aevoque moraberis aptis. aut agitur res in scaenis aut acta refertur. segnius irritant animos demissa per aurem quam quae sunt oculis subiecta fidelibus et quae ipse sibi tradit spectator. non tamen intus digna geri promes in scaenam multaque tolles ex oculis, quae mox narret facundia praesens, ne pueros coram populo Medea trucidet aut humana palam coquat exta nefarius Atreus aut in avem Procne vertatur, Cadmus in anguem. quodcumque ostendis mihi sic, incredulus odi. neve minor neu sit quinto productior actu fabula, quae posci vult et spectanda reponi. nec deus intersit, nisi dignus vindice nodus inciderit, nec quarta loqui persona laboret. actoris partes chorus officiumque virile

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hinaus strebend, leidenschaftlich und schnell darin, das aufzugeben, was er geliebt hat. Die Interessen wandeln sich, und so sucht einer, der das Alter und die Gesinnung eines Mannes erreicht hat, nach Einfluss und guten Beziehungen, dient einem öffentlichen Amt und hütet sich, etwas zu tun, was zu ändern er sich bald darauf bemühen muss. Viele Unannehmlichkeiten umringen den Greis, entweder weil er [170] auf Erwerb aus ist, sich dann doch des Erlangten jammernd enthält und sich scheut, es zu nutzen, oder weil er alles ängstlich und ohne Wärme betreibt, einer, der alles aufschiebt, beharrlich im Hoffen, tatenlos und in Angst vor der Zukunft, schwer zu behandeln, zum Jammern neigend, ein Lobredner der Vergangenheit, in der er ein Junge war, ein Tadler und Sittenprediger der Jüngeren. [175] Viele Vorteile bringen die nahenden Jahre mit sich, vieles nehmen sie scheidend weg. Damit nicht etwa die Rolle des Greises dem jungen Mann und dem Knaben die des Mannes übertragen wird, sollst du immer bei dem bleiben, was zu einer Altersstufe gehört und passt. Eine Tat wird entweder auf der Bühne ausgeführt oder als ausgeführte berichtet. [180] Weniger energisch bewegt die Herzen, was durchs Ohr in sie versenkt wurde, als das, was den zuverlässigen Augen nahegebracht wird und was der Zuschauer sich selbst übermittelt. Dennoch wirst du das, was nur dazu passt, im Haus20 aufgeführt zu werden, nicht auf die Bühne holen und vieles aus den Augen entfernen, was später gewandte Rhetorik, die anwesend ist, erzählen kann,21 [185] damit nicht Medea ihre Kinder vor den Augen des Publikums abschlachtet oder der ruchlose Atreus öffentlich menschliche Eingeweide kocht oder Prokne sich in einen Vogel, Kadmus in eine Schlange verwandelt. Alles, was du mir so zeigst, glaube ich nicht, und es ist mir zuwider. Nicht kürzer und nicht länger als über den fünften Akt hinaus sei [190] ein Stück, das verlangt werden und wieder zum Anschauen in Szene gesetzt werden will. Auch soll kein Gott intervenieren, wenn es nicht zu einem Handlungsknoten kommt, der eines Retters wert ist,22 und keine vierte Person soll sich zu sprechen bemühen.23 Der Chor soll konsequent die Rolle eines Schauspielers und die Pflicht eines

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defendat, neu quid medios intercinat actus quod non proposito conducat et haereat apte. ille bonis faveatque et consilietur amice et regat iratos et amet firmare timentes, ille dapes laudet mensae brevis, ille salubrem iustitiam legesque et apertis otia portis, ille tegat commissa deosque precetur et oret, ut redeat miseris, abeat Fortuna superbis. tibia non ut nunc orichalco vincta tubaeque aemula, sed tenuis simplexque foramine pauco aspirare et adesse choris erat utilis atque nondum spissa nimis complere sedilia flatu; quo sane populus numerabilis, utpote parvus, et frugi castusque verecundusque coibat. postquam coepit agros extendere victor et urbem latior amplecti murus vinoque diurno placari Genius festis impune diebus, accessit numerisque modisque licentia maior. indoctus quid enim saperet liberque laborum rusticus urbano confusus, turpis honesto? sic priscae motumque et luxuriem addidit arti tibicen traxitque vagus per pulpita vestem; sic etiam fidibus voces crevere severis, et tulit eloquium insolitum facundia praeceps utiliumque sagax rerum et divina futuri sortilegis non discrepuit sententia Delphis. carmine qui tragico vilem certavit ob hircum, mox etiam agrestes Satyros nudavit et asper incolumi gravitate iocum temptavit eo quod illecebris erat et grata novitate morandus

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Mannes spielen24 und nicht etwas mitten zwischen den Akten singen, [195] was nicht für das Thema des Stücks von Bedeutung ist und nicht eng damit zusammenhängt. Er stehe auf der Seite der Guten, gebe freundlich Rat, lenke die Erzürnten, habe seine Freude daran, die Ängstlichen zu ermutigen, preise die Mahlzeit an einem kleinen Tisch25, die heilbringende Gerechtigkeit, die Gesetze und den Frieden bei offenen Toren, [200] er halte ihm Anvertrautes geheim, bete zu den Göttern und bitte, dass Fortuna zu den Unglücklichen zurückkehre und von den Stolzen weggehe. Die Flöte, nicht wie heute in Messing gefasst26 und keine Rivalin der Trompete, sondern dünn und einfach, diente nur dazu, aus wenigen Löchern die Chöre zu begleiten und zu unterstützen und die [205] noch nicht allzu dicht gedrängten Sitze mit ihrem Blasen zu füllen; dorthin kam, natürlich leicht zu zählen, da es klein war, das brave, sittenreine und bescheidene Volk zusammen. Nachdem aber damit angefangen worden war, dass der Sieger27 sein Gebiet ausdehnte, eine breitere Mauer die Stadt umschloss und [210] der Genius an Festtagen schon tagsüber ungestraft mit Wein gnädig gestimmt wurde, kam zu den Rhythmen und Melodien eine größere Freizügigkeit hinzu. Wie hätte denn auch der ungebildete Bauer, der, frei von der Arbeit, sich mit dem Städter vermischte, der Hässliche28 mit dem Ehrenwerten, einen feinen Geschmack haben können? So brachte der Flötenspieler zur frühen Kunst Körperbewegung und aufwendige Pracht hinzu [215] und zog hin und her laufend seine Robe über die Bühne; so erhielt auch das strenge Saiteninstrument mehr Töne,29 der Redefluss, der sich überschlug, brachte eine ungewöhnliche Ausdrucksweise mit sich, und die Aussage, weise in nützlichen Dingen und die Zukunft voraussagend, unterschied sich nicht von den delphischen Orakelsprüchen.30 [220] Der, welcher mit seiner Tragödie am Streit um einen billigen Ziegenbock teilnahm,31 zog auch alsbald die ländlichen Satyrn aus,32 und versuchte sich, ohne die Würde zu verletzen, deshalb an rauen Scherzen, weil der nach Verrichtung der Opfer betrunkene und vom Zwang der Gesetze befreite33 Zuschauer mit Lockmitteln und einer

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spectator functusque sacris et potus et exlex. verum ita risores, ita commendare dicaces conveniet Satyros, ita vertere seria ludo, ne, quicumque deus, quicumque adhibebitur heros, regali conspectus in auro nuper et ostro, migret in obscuras humili sermone tabernas aut, dum vitat humum, nubes et inania captet. effutire leves indigna Tragoedia versus, ut festis matrona moveri iussa diebus, intererit Satyris paulum pudibunda protervis. non ego inornata et dominantia nomina solum verbaque, Pisones, Satyrorum scriptor amabo, nec sic enitar tragico differre colori, ut nihil intersit, Davusne loquatur et audax Pythias, emuncto lucrata Simone talentum, an custos famulusque dei Silenus alumni. ex noto fictum carmen sequar, ut sibi quivis speret idem, sudet multum frustraque laboret ausus idem: tantum series iuncturaque pollet, tantum de medio sumptis accedit honoris. silvis deducti caveant me iudice Fauni, ne velut innati triviis ac paene forenses aut nimium teneris iuvenentur versibus umquam aut immunda crepent ignominiosaque dicta. offenduntur enim, quibus est equus et pater et res, nec, si quid fricti ciceris probat et nucis emptor, aequis accipiunt animis donantve corona. syllaba longa brevi subiecta vocatur iambus, pes citus; unde etiam trimetris accrescere iussit nomen iambeis, cum senos redderet ictus, primus ad extremum similis sibi; non ita pridem, tardior ut paulo graviorque veniret ad aures,

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willkommenen Neuheit festgehalten werden musste. [225] Doch wird es angemessen sein, die Satyrn so mit ihrem Spott, so mit ihrem Witz zu empfehlen und so das Spiel in Ernst umzuwandeln, dass, wer immer als Gott, wer immer als Heros herangezogen wird, gerade noch ein prächtiger Anblick in königlichem Gold und Purpur, nicht mit ordinärer Sprechweise in finsteren Kneipen einkehrt34 [230] oder, während er den Erdboden meidet, nach den Wolken und der leeren Luft hascht.35 Tragödia, unter deren Würde es ist, leichtsinnige Verse hervorzusprudeln, wird wie eine Matrone, der man an Festtagen zu tanzen befohlen hat, schamhaft ein wenig unter den frechen Satyrn sein. Ich würde, wenn ich ein Satyrspiel schriebe, nicht allein Substantive und Verben ohne Schmuck und nur in ihrer primären [235] Bedeutung schätzen,36 Pisonen, noch mich bemühen, so vom tragischen Stil abzuweichen, dass es ein und dasselbe wäre, ob ein Davus spricht und eine dreiste Pythias, die den Simo an der Nase herumgeführt und ein Talent ergattert hat, oder Silen, der Aufseher und Diener des göttlichen Zöglings.37 [240] Ich würde auf Dichtung zielen, die aus Bekanntem neu geformt ist, so dass jeder, der sich dasselbe erhofft, viel schwitzt und sich vergeblich anstrengt, wenn er dasselbe wagt: So viel macht die Reihung und Verknüpfung aus, so viel Würde kommt zu dem hinzu, was man sich aus dem Alltagsleben nimmt. Nach meinem Urteil sollen die Faune38, die aus den Wäldern hergeholt sind,39 sich hüten, [245] wie die, welche für die Gassen oder beinahe auf dem Forum geboren sind, entweder jemals in allzu zierlichen Versen sich wie ein törichter Jüngling aufzuführen oder unsaubere und schändliche Ausdrücke hervorzurattern. Denn daran nehmen diejenigen Anstoß, die ein Pferd, einen Vater und Vermögen besitzen,40 und nehmen es, wenn die Käufer gerösteter Kichererbsen und Nüsse es gut finden, nicht [250] positiv auf oder beschenken es mit dem Kranz41. Eine lange Silbe, die unmittelbar auf eine kurze folgt, wird Jambus genannt, und ist ein schneller Versfuß42; daher ließ der auch den jambischen Versen den Namen Trimeter verleihen, obwohl er hier sechsmal den Takt schlägt, vom Anfang bis zum Ende sich gleich;43 es ist noch nicht so lange her,44 [255] dass er, um etwas langsamer und

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spondeos stabiles in iura paterna recepit commodus et patiens, non ut de sede secunda cederet aut quarta socialiter. hic et in Acci nobilibus trimetris apparet rarus et Enni in scaenam missos cum magno pondere versus aut operae celeris nimium curaque carentis aut ignoratae premit artis crimine turpi. non quivis videt immodulata poemata iudex, et data Romanis venia est indigna poetis. idcircone vager scribamque licenter? an omnes visuros peccata putem mea, tutus et intra spem veniae cautus? vitavi denique culpam, non laudem merui. vos exemplaria Graeca nocturna versate manu, versate diurna! at vestri proavi Plautinos et numeros et laudavere sales, nimium patienter utrumque, ne dicam stulte, mirati, si modo ego et vos scimus inurbanum lepido seponere dicto legitimumque sonum digitis callemus et aure. ignotum tragicae genus invenisse Camenae dicitur et plaustris vexisse poemata Thespis, quae canerent agerentque peruncti faecibus ora. post hunc personae pallaeque repertor honestae Aeschylus et modicis instravit pulpita tignis et docuit magnumque loqui nitique cothurno. successit vetus his comoedia, non sine multa laude; sed in vitium libertas excidit et vim dignam lege regi: lex est accepta chorusque turpiter obticuit sublato iure nocendi. nil intemptatum nostri liquere poetae

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würdevoller zu den Ohren zu gelangen, die standfesten Spondeen in die vom Vater ererbten Rechte mit einbezogen hat, freundlich und duldsam, aber nicht so weit Partner, dass er auch von der zweiten und vierten Position gewichen wäre.45 Er erscheint in den edlen46 Trimetern des Accius selten, und die mit großer Wucht [260] auf die Bühne geworfenen Verse des Ennius verfolgt er mit der schimpflichen Anklage wegen allzu hastiger und Sorgfalt vermissen lassender Arbeit und Unkenntnis der Kunstform. Nicht jeder Richter nimmt unrhythmische Gedichte wahr, und römischen Dichtern hat man Nachsicht gewährt, die sie nicht verdienen. [265] Soll ich mich deswegen gehen lassen und ohne jede Disziplin dichten? Oder soll ich annehmen, dass alle meine Fehler sehen werden, indem ich auf Nummer sicher gehe und, soweit ich auf Verzeihung hoffen darf, vorsichtig bleibe? Dann habe ich am Ende nur Tadel vermieden, aber kein Lob verdient. Nehmt ihr nur die griechischen Musterbeispiele in der Nacht zur Hand, nehmt sie am Tag zur Hand! [270] Doch eure Vorfahren lobten die Rhythmen und den Witz des Plautus, weil sie beides allzu geduldig – um nicht zu sagen töricht – bewunderten, wenn nur wir, ich und ihr, einen groben von einem feinen Witz zu unterscheiden wissen und den regelkonformen Klang mit Hilfe der Finger47 und der Ohren zu erkennen verstehen. [275] Die unbekannte48 Gattung der tragischen Camena soll Thespis erfunden und auf einem Karren seine Dichtungen transportiert haben,49 die man dann, die Gesichter ganz und gar mit Hefe beschmiert, sang und aufführte. Nach ihm breitete Äschylus, der Erfinder der Maske und der ehrwürdigen Palla, eine Bühne über niedrige Balken und [280] lehrte, erhaben zu sprechen und auf dem Kothurn zu schreiten. Ihnen folgte die alte Komödie50, nicht ohne vielfach gelobt zu werden; aber ihre Freizügigkeit degenerierte zu Zügellosigkeit und Gewalt, die es verdiente, durch Gesetze kontrolliert zu werden: Das Gesetz wurde angenommen, und der Chor verstummte, nachdem ihm das Recht entzogen war, schändlich zu schaden.51 [285] Unsere Dichter ließen nichts unversucht und verdienten sich

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nec minimum meruere decus vestigia Graeca ausi deserere et celebrare domestica facta vel qui praetextas vel qui docuere togatas. nec virtute foret clarisve potentius armis quam lingua Latium, si non offenderet unum quemque poetarum limae labor et mora. vos, o Pompilius sanguis, carmen reprehendite, quod non multa dies et multa litura coercuit atque praesectum decies non castigavit ad unguem! ingenium misera quia fortunatius arte credit et excludit sanos Helicone poetas Democritus, bona pars non ungues ponere curat, non barbam, secreta petit loca, balnea vitat. nanciscetur enim pretium nomenque poetae, si tribus Anticyris caput insanabile numquam tonsori Licino commiserit. o ego laevus, qui purgor bilem sub verni temporis horam! non alius faceret meliora poemata; verum nil tanti est. ergo fungar vice cotis, acutum reddere quae ferrum valet exsors ipsa secandi; munus et officium, nil scribens ipse, docebo, unde parentur opes, quid alat formetque poetam, quid deceat, quid non, quo virtus, quo ferat error. scribendi recte sapere est et principium et fons. rem tibi Socraticae poterunt ostendere chartae, verbaque provisam rem non invita sequentur. qui didicit, patriae quid debeat et quid amicis, quo sit amore parens, quo frater amandus et hospes, quod sit conscripti, quod iudicis officium, quae partes in bellum missi ducis, ille profecto reddere personae scit convenientia cuique. respicere exemplar vitae morumque iubebo

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keinen geringen Ruhm, indem sie es wagten, die Pfade der Griechen zu verlassen und heimische Taten zu verherrlichen, wobei sie entweder Prätexten oder Togaten aufführten. Latium wäre durch seine Tapferkeit und seine berühmten Waffen nicht mächtiger [290] als durch seine Sprache, wenn nicht einem jeden unserer Dichter die Mühe des Feilens und der Zeitverlust Widerwillen bereiten würde. O ihr, Blut des Pompilius, tadelt eine Dichtung, die nicht mancher Tag und manches Ausstreichen zusammengestutzt und nach der Prüfung mit dem geschnittenen Nagel zehnmal korrigiert hat!52 [295] Weil Demokrit Genie für gesegneter als armselige Kunstfertigkeit hält und die geistig gesunden Dichter vom Helikon ausschließt, bemüht sich ein Gutteil der Dichter nicht, sich die Nägel, nicht, sich den Bart schneiden zu lassen, sucht eine entlegene Gegend auf und meidet Bäder. Denn man wird die Wertschätzung des Dichters und die Bezeichnung als solcher erlangen, [300] wenn man seinen durch drei Antikyras unheilbaren Kopf nie dem Barbier Licinus53 anvertraut. O ich verdrehter Kerl, der ich mir beim Nahen der Frühlingszeit die Galle purgiere! Keiner würde bessere Gedichte machen; aber so viel ist das nicht wert. Also will ich als Schleifstein fungieren, [305] der das Eisen scharf zu machen vermag, ohne selbst am Schneiden beteiligt zu sein; ich werde die Aufgabe und die Pflicht, selber aber nichts dichtend, lehren: woher man den Stoff bekommt, was den Dichter fördert und bildet, was passt und was nicht, wohin Leistung führt, wohin Irrtum. Für das richtige Schreiben ist Weisheit Ausgangspunkt und Quelle. [310] Den Inhalt werden dir die Schriften der Sokratiker zeigen können, die Worte werden dem vorgesehenen Inhalt nicht widerwillig folgen. Wer gelernt hat, was er dem Vaterland schuldig ist und was den Freunden, wie er seinen Vater, wie seinen Bruder und den Gastfreund lieben soll, was die Pflicht eines Senators, was die eines Richters ist, welche [315] Aufgabe ein in den Krieg geschickter Heerführer hat, der weiß sicherlich jeder Person, was ihr angemessen ist, zu geben. Auf ein vorbildliches Leben und einen vorbildlichen Charakter zu schauen, fordere ich den ausgebildeten Nachahmer auf, und

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doctum imitatorem et vivas hinc ducere voces. interdum speciosa locis morataque recte fabula nullius Veneris, sine pondere et arte, valdius oblectat populum meliusque moratur quam versus inopes rerum nugaeque canorae. Grais ingenium, Grais dedit ore rotundo Musa loqui, praeter laudem nullius avaris. Romani pueri longis rationibus assem discunt in partes centum diducere. ‘dicat filius Albini: si de quincunce remota est uncia, quid superat? poteras dixisse.’ ‘triens.’ ‘eu, rem poteris servare tuam. redit uncia, quid fit?’ ‘semis.’ an, haec animos aerugo et cura peculi cum semel imbuerit, speremus carmina fingi posse linenda cedro et levi servanda cupresso? aut prodesse volunt aut delectare poetae aut simul et iucunda et idonea dicere vitae. quidquid praecipies, esto brevis, ut cito dicta percipiant animi dociles teneantque fideles; omne supervacuum pleno de pectore manat. ficta voluptatis causa sint proxima veris, ne quodcumque volet poscat sibi fabula credi neu pransae Lamiae vivum puerum extrahat alvo. centuriae seniorum agitant expertia frugis, celsi praetereunt austera poemata Ramnes; omne tulit punctum, qui miscuit utile dulci lectorem delectando pariterque monendo. hic meret aera liber Sosiis, hic et mare transit et longum noto scriptori prorogat aevum. sunt delicta tamen, quibus ignovisse velimus. nam neque chorda sonum reddit quem vult manus et mens,

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von dort lebendige Worte zu holen. Manchmal erfreut ein Theaterstück, das durch seine ethischen Gedanken schön ist und gute Charakterzeichnung enthält, [320] aber keine Anmut hat und ohne Wucht und Kunst ist, das Volk mehr und fesselt es besser als Verse ohne Gehalt und als wohlklingende Spielereien. Den Griechen gab die Muse Talent, den Griechen, mit abgerundetem Ausdruck54 zu sprechen, ihnen, die nach nichts außer Ruhm begierig sind. [325] Die römischen Jungen dagegen lernen in langwierigen Rechnungen, einen As in hundert Teile zu zerlegen.55 »Der Sohn des Albinus soll es sagen: Wenn man von fünf Zwölfteln eine Unze abzieht, was bleibt übrig? Du hättest es schon sagen können.« »Ein Drittel.« »Bravo, du wirst dein Geld bewahren können. Eine Unze wird addiert, was ergibt das?« [330] »Ein Halbes.« Wenn aber dieser Grünspan und die Sorge um den Spargroschen einmal die Herzen befleckt hat, können wir dann hoffen, Dichtungen könnten geschaffen werden, die es verdienen, mit Zedernöl bestrichen und in einem glatten Zypressenschrein verwahrt zu werden?«56 Die Dichter wollen entweder nützen oder unterhalten oder das sagen, was für das Leben zugleich erfreulich und zweckmäßig ist. [335] Was auch immer du lehren willst, fasse dich kurz dabei, damit lernfähige Geister rasch das Gesagte in sich aufnehmen und treu bewahren können; alles Überflüssige fließt aus einem überfüllten Herzen ab. Was um des Vergnügens willen erdichtet wird, soll der Realität sehr nahe sein, damit das Theaterstück nicht für sich selbst in Anspruch nimmt, alles, was es will, solle geglaubt werden, [340] und nicht der Lamia, die einen Jungen verspeist hat, diesen lebendig aus dem Bauch hervorzieht. Die Centurien der älteren Leute kritisieren Dichtungen, die ohne Nutzwert sind, die vornehmen Ramnes gehen an den ernsten vorbei. Jede Stimme57 erhält, wer das Nützliche mit dem Süßen vermischt, indem er den Leser unterhält und zugleich belehrt. [345] So ein Buch bringt den Sosii Geld ein, so eines überquert das Meer und dehnt einem bekannten Dichter das Leben aus, so dass es lang wird. Dennoch gibt es Fehler, die wir bereitwillig verzeihen. Denn we-

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[poscentique gravem persaepe remittit acutum,] nec semper feriet quodcumque minabitur arcus. verum ubi plura nitent in carmine, non ego paucis offendar maculis, quas aut incuria fudit aut humana parum cavit natura. quid ergo est? ut scriptor si peccat idem librarius usque, quamvis est monitus, venia caret, et citharoedus ridetur, chorda qui semper oberrat eadem, sic mihi, qui multum cessat, fit Choerilus ille, quem bis terve bonum cum risu miror; et idem indignor, quandoque bonus dormitat Homerus; verum operi longo fas est obrepere somnum. ut pictura poesis: erit quae, si propius stes, te capiat magis, et quaedam, si longius abstes; haec amat obscurum, volet haec sub luce videri, iudicis argutum quae non formidat acumen; haec placuit semel, haec decies repetita placebit. o maior iuvenum, quamvis et voce paterna fingeris ad rectum et per te sapis, hoc tibi dictum tolle memor, certis medium et tolerabile rebus recte concedi. consultus iuris et actor causarum mediocris abest virtute diserti Messallae nec scit quantum Cascellius Aulus, sed tamen in pretio est: mediocribus esse poetis non homines, non di, non concessere columnae. ut gratas inter mensas symphonia discors et crassum unguentum et Sardo cum melle papaver offendunt, poterat duci quia cena sine istis, sic animis natum inventumque poema iuvandis, si paulum summo decessit, vergit ad imum.

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der gibt eine Saite immer den Ton von sich, den Hand und Absicht wollen,58 [350] noch wird ein Bogen immer treffen, was auch immer er bedroht. Wenn aber in einer Dichtung der größere Teil glänzend ist, nehme ich keinen Anstoß an den wenigen Flecken, die entweder Mangel an Sorgfalt darauf fließen ließ,59 oder vor denen die menschliche Natur sich zu wenig in Acht genommen hat. Was ergibt sich also? Wie ein Abschreiber von Büchern, wenn er ständig denselben Fehler macht, [355] obwohl man ihn ermahnt hat, keine Nachsicht erfährt, und ein Kitharöde ausgelacht wird, der immer auf derselben Saite danebengreift, so wird für mich der, welcher vielfach versagt, der bekannte Chörilus, über den ich mich, wenn er zwei- oder dreimal gut ist, lachend wundere; und ich wiederum bin empört, wenn der gute Homer einmal einnickt;60 [360] doch ein lang dauerndes Werk darf schon mal der Schlaf beschleichen. Eine Dichtung ist wie ein Gemälde: Es gibt dasjenige, das, wenn du näher stehst, dich mehr einnimmt, und das, wenn du weiter entfernt stehst; das eine liebt das Dunkel, bei Licht angesehen werden will ein anderes, das den Scharfsinn eines Richters nicht fürchtet; [365] dieses hat einmal gefallen, dieses wird gefallen, auch wenn die Betrachtung zehnmal wiederholt wird. Du älterer von euch zwei jungen Männern, obwohl du durch die Stimme deines Vaters zur rechten Einsicht geformt wirst und von dir aus Verstand hast, nimm dies zu dir Gesagte mit und behalte es im Gedächtnis, dass nur bestimmten Tätigkeiten mit Recht zugestanden wird, mäßig und erträglich zu sein. Ein mittelmäßiger Rechtsgelehrter oder Anwalt [370] ist weit entfernt von der Leistung des eloquenten Messalla und weiß nicht so viel wie Cascellius Aulus, aber hat dennoch seinen Wert: Den Dichtern erlauben nicht Menschen, nicht Götter, nicht Pfeiler61, mittelmäßig zu sein. Wie an willkommenen Tafeln eine Gruppe von Musikern, die sich nicht einig sind, [375] fettiges Salböl und Mohn mit sardischem Honig Anstoß erregen, weil ein Mahl auch ohne so etwas abgehalten werden könnte, so sinkt ein Gedicht, das zur Ergötzung des Geistes entstand und erdacht wurde, dann, wenn es nur ein wenig vom Höchsten abweicht, in die Tiefe.

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ludere qui nescit, campestribus abstinet armis indoctusque pilae discive trochive quiescit, ne spissae risum tollant impune coronae: qui nescit versus, tamen audet fingere. quidni? liber et ingenuus, praesertim census equestrem summam nummorum vitioque remotus ab omni. tu nihil invita dices faciesve Minerva: id tibi iudicium est, ea mens. si quid tamen olim scripseris, in Maeci descendat iudicis aures et patris et nostras nonumque prematur in annum membranis intus positis; delere licebit, quod non edideris, nescit vox missa reverti. silvestres homines sacer interpresque deorum caedibus et victu foedo deterruit Orpheus, dictus ob hoc lenire tigres rabidosque leones; dictus et Amphion, Thebanae conditor urbis, saxa movere sono testudinis et prece blanda ducere quo vellet. fuit haec sapientia quondam, publica privatis secernere, sacra profanis, concubitu prohibere vago, dare iura maritis, oppida moliri, leges incidere ligno. sic honor et nomen divinis vatibus atque carminibus venit. post hos insignis Homerus Tyrtaeusque mares animos in Martia bella versibus exacuit. dictae per carmina sortes et vitae monstrata via est et gratia regum Pieriis temptata modis ludusque repertus et longorum operum finis: ne forte pudori sit tibi Musa lyrae sollers et cantor Apollo. natura fieret laudabile carmen an arte, quaesitum est. ego nec studium sine divite vena

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Wer nichts vom Spielen versteht, hält sich fern von den Geräten des Marsfelds, [380] und der mit Ball, Diskus und Reifen nicht Vertraute bleibt inaktiv, damit nicht ein Kreis von dichtgedrängten Zuschauern ungehemmt ein Gelächter erhebt: Wer von Versen nichts versteht, wagt dennoch, welche zu dichten. Warum auch nicht? Er ist ein freier Mann und frei geboren, ist insbesondere dem Stand mit dem Vermögen eines Ritters zugeordnet62 und weit entfernt von jedem Laster. [385] Du wirst nichts gegen den Willen der Minerva63 sagen und tun: So ist dein Urteilsvermögen, so dein Verstand. Wenn du dennoch einmal etwas dichtest, möge es zu den Ohren des Richters Maecius, deines Vaters und meinen gelangen und bleibe bis ins neunte Jahr verborgen, wobei die Pergamentblätter64 im Hause liegen; du darfst dann vernichten, [390] was du nicht herausgegeben hast, ein Wort, das du von dir gegeben hast, kann nicht zurückkehren. Die noch in Wäldern lebenden Menschen brachte Orpheus, der Priester und Interpret der Götter, von Mord und abscheulicher Nahrung ab, und deshalb erzählte man, er habe rasende Tiger und Löwen besänftigt; man erzählte auch, Amphion, der Gründer der Stadt Theben, [395] habe durch den Klang seiner Lyra Steine bewegt und durch schmeichelnde Bitte geführt, wohin er wollte. Dies war einst Weisheit, gemeinsames Gut von privatem, Heiliges von Unheiligem zu trennen, von Promiskuität beim Beischlaf abzuhalten, Gesetze für Verheiratete zu geben, Städte zu bauen, Gesetze in Holz einzukerben. [400] So kamen Ehre und Ruhm zu den göttlichen Sängern und ihren Liedern. Nach ihnen ragte Homer hervor, und Tyrtäus schärfte den Mut der Männer durch seine Verse zu den Kriegen des Mars. Durch Lieder wurden Orakel verkündet, wurde der Lebensweg gewiesen, um die Gunst von Königen [405] wurde mit piërischen Weisen geworben, man erfand auch das Festspiel, und zwar als Endpunkt einer langen Reihe von Arbeiten, und das sage ich, damit du dich nicht etwa der auf der Lyra geschickten Muse und des Sängers Apollo schämst. Man hat gefragt, ob Dichtung aufgrund von Naturtalent oder Kunstfertigkeit lobenswert werde. Ich sehe weder, was Bemühen ohne

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nec rude quid possit video ingenium; alterius sic altera poscit opem res et coniurat amice. qui studet optatam cursu contingere metam, multa tulit fecitque puer, sudavit et alsit, abstinuit Venere et vino; qui Pythia cantat tibicen, didicit prius extimuitque magistrum. nec satis est dixisse ‘ego mira poemata pango, occupet extremum scabies; mihi turpe relinqui est et quod non didici sane nescire fateri.’ ut praeco, ad merces turbam qui cogit emendas, assentatores iubet ad lucrum ire poeta dives agris, dives positis in faenore nummis. si vero est, unctum qui recte ponere possit et spondere levi pro paupere et eripere artis litibus implicitum, mirabor, si sciet internoscere mendacem verumque beatus amicum. tu seu donaris seu quid donare voles cui, nolito ad versus tibi factos ducere plenum laetitiae; clamabit enim ‘pulchre, bene, recte’, pallescet, super his etiam stillabit amicis ex oculis rorem, saliet, tundet pede terram. ut, qui conducti plorant in funere, dicunt et faciunt prope plura dolentibus ex animo, sic derisor vero plus laudatore movetur. reges dicuntur multis urgere culillis et torquere mero, quem perspexisse laborent an sit amicitia dignus; si carmina condes, numquam te fallent animi sub vulpe latentes. Quintilio si quid recitares, ‘corrige sodes hoc’ aiebat ‘et hoc’; melius te posse negares bis terque expertum frustra, delere iubebat et male tornatos incudi reddere versus.

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reiche Ader65 [410] noch, was ein ungeschultes Talent vermag; so sehr fordert das eine die Hilfe des anderen und verschwört sich mit ihm freundschaftlich. Wer sich bemüht, im Wettlauf das gewünschte Ziel zu erreichen, hat als Junge viel ertragen und getan, geschwitzt und gefroren, auf Sex und Wein verzichtet; wer als Flötenspieler das pythische Stück66 bläst, [415] hat erst etwas gelernt und Angst vor seinem Lehrer gehabt. Auch genügt es nicht zu sagen: »Ich gestalte wunderbare Gedichte, den letzten erfasse die Krätze; für mich wäre es schändlich, zurückzubleiben und einfach zu bekennen, dass ich nicht verstehe, was ich nicht gelernt habe.« Wie ein Auktionator, der eine Schar zum Kauf seiner Waren zusammenbringt, [420] so befiehlt ein Dichter, der reich an Äckern ist, reich an Geld, das in Zinsen angelegt ist, seinen Fans, auf Gewinn auszugehen.67 Wenn er aber einer ist, der Leckerbissen in der rechten Weise vorzusetzen vermag und für einen leichtsinnigen Armen Bürgschaft zu leisten und diesen, wenn er in einen beengenden Prozess verwickelt ist, herauszureißen, wird es mich wundern, wenn er [425] in seinem Glück68 einen Lügner von einem wahren Freund unterscheiden kann. Ob du jemandem etwas schenkst oder schenken willst, führe ihn, wenn er noch voller Freude ist, nicht zu den von dir gemachten Versen; denn er wird »schön, gut, richtig« rufen, erbleichen, sogar über sie hin aus seinen Freundesaugen [430] das Nasse tropfen lassen, aufspringen, mit den Füßen die Erde stampfen. Wie die, welche angemietet bei einer Bestattung heulen, beinahe mehr sagen und tun als die, welche von Herzen trauern, so zeigt sich ein bezahlter Witzemacher69 mehr bewegt als einer, der aufrichtig lobt. Könige, so sagt man, bedrängen mit vielen Bechern [435] und foltern mit purem Wein den, bei dem sie unbedingt durchschauen wollen, ob er ihre Freundschaft verdient; wenn du Gedichte verfasst, wird dir nie eine Gesinnung verborgen bleiben, die im Fuchs versteckt ist.70 Wenn du Quintilius71 etwas vortrugst, pflegte er zu sagen: »Verbessere bitte dies und dies.« Sagtest du dann, [440] du hättest es schon zwei-, dreimal vergeblich versucht und könntest es nicht besser, befahl er, es zu tilgen und die schlecht gedrechselten Verse wieder auf

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si defendere delictum quam vertere malles, nullum ultra verbum aut operam insumebat inanem, quin sine rivali teque et tua solus amares. vir bonus et prudens versus reprehendet inertes, culpabit duros, incomptis allinet atrum transverso calamo signum, ambitiosa recidet ornamenta, parum claris lucem dare coget, arguet ambigue dictum, mutanda notabit; fiet Aristarchus, non dicet ‘cur ego amicum offendam in nugis?’ hae nugae seria ducent in mala derisum semel exceptumque sinistre. ut mala quem scabies aut morbus regius urget aut fanaticus error et iracunda Diana, vesanum tetigisse timent fugiuntque poetam qui sapiunt; agitant pueri incautique sequuntur. hic, dum sublimis versus ructatur et errat, si veluti merulis intentus decidit auceps in puteum foveamve, licet ‘succurrite’ longum clamet, ‘io cives’, non sit qui tollere curet. si curet quis opem ferre et demittere funem, ‘qui scis, an prudens huc se deiecerit atque servari nolit?’ dicam Siculique poetae narrabo interitum: deus immortalis haberi dum cupit Empedocles, ardentem frigidus Aetnam insiluit. sit ius liceatque perire poetis: invitum qui servat, idem facit occidenti. nec semel hoc fecit nec, si retractus erit, iam fiet homo et ponet famosae mortis amorem. nec satis apparet, cur versus factitet, utrum

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den Amboss zu legen. Wenn du den Fehler lieber verteidigen wolltest, statt ihn zu korrigieren, verschwendete er weiter kein Wort und keine vergebliche Mühe, um dich davon abzubringen, dich und das Deine allein und ohne einen Konkurrenten zu lieben. [445] Ein guter und kluger Mann wird kunstlose Verse tadeln, harte missbilligen, neben die unstrukturierten ein schwarzes Zeichen mit einem Querstrich seines Schreibrohrs schmieren, prätentiöse Ausschmückungen beschneiden, den zu wenig klaren Stellen Licht zu geben erzwingen, mehrdeutig Gesagtes beanstanden und alles, was geändert werden muss, kennzeichnen; [450] er wird ein Aristarch werden, nicht sagen: »Warum soll ich meinen Freund angesichts von Kleinigkeiten kränken?« Diese Kleinigkeiten werden diesen, wenn er einmal ausgelacht und übel aufgenommen worden ist, in ernste Schwierigkeiten bringen. Wie einen, den die schlimme Krätze oder die Gelbsucht plagt oder religiöser Wahn und der Zorn der Diana, scheuen sich diejenigen, die Verstand haben, [455] einen verrückten Dichter zu berühren und fliehen vor ihm; ihn verspotten die Knaben und laufen ihm unvorsichtig hinterher. Wenn der dann, während er, den Kopf hoch erhoben, seine Verse rülpst und umherirrt, wie ein auf seine Drosseln konzentrierter Vogelsteller in einen Brunnen oder eine Grube hinabgefallen ist, mag er lange [460] schreien: »Io, ihr Mitbürger, eilt mir zu Hilfe«, es wird keinen geben, der sich bemüht, ihn nach oben zu hieven. Falls aber jemand sich bemüht, Hilfe zu bringen und ein Seil hinabzulassen, werde ich sagen: »Wie weißt du denn, ob er sich nicht absichtlich hier hinuntergestürzt hat und nicht gerettet werden will?« Und ich werde ihm vom Ende des sizilischen Dichters erzählen: [465] Weil Empedokles für einen unsterblichen Gott gehalten werden wollte, sprang er kalt in den glühenden Ätna. Für Dichter gelte das Recht und die Erlaubnis, zugrunde zu gehen: Wer gegen dessen Willen einen rettet, tut dasselbe wie ein Mörder. Der hat das auch nicht nur einmal getan, und ist er herausgezogen, wird er daraufhin nicht ein Mensch und legt das Verlangen nach einem ruhmvollen Tod ab. [470] Es ist auch nicht genügend klar, warum er andauernd Verse macht, ob er auf die Asche seines Vaters gepisst oder ein schauriges

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minxerit in patrios cineres an triste bidental moverit incestus: certe furit ac velut ursus, obiectos caveae valuit si frangere clatros, indoctum doctumque fugat recitator acerbus; quem vero arripuit, tenet occiditque legendo, non missura cutem nisi plena cruoris hirudo.

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Blitzmal72 gottlos entweiht hat. Ganz gewiss ist er wahnsinnig, und wie ein Bär, wenn dieser die Kraft hatte, das vor seinen Käfig gelegte Gitter zu zerbrechen, treibt er Ungebildete wie Gebildete in die Flucht als gnadenloser Rezitator; [475] wen er aber gepackt hat, den hält er fest und bringt ihn durch Vorlesen um als ein Blutegel, der nicht von der Haut lässt, bis er voll von Blut ist.

Anhang

Zum lateinischen Text dieser Ausgabe Der lateinische Text fußt auf der Ausgabe von Friedrich Klingner (Q. Horati Flacci Carmina, Lipsiae 31959 = Berlin/New York 82012 [Bibliotheca Teubneriana]), weicht aber an den unten aufgeführten Stellen von ihr ab. Soweit die von mir vorgezogenen Lesarten in Klingners Apparat verzeichnet sind, zitiere ich sie ohne Nachweis, und ich nenne bei alternativen Lesarten bzw. Konjekturen nur dann die Handschriftensigle (nach Klingner) bzw. den Namen des Textkritikers, wenn Klingner sie bzw. ihn nicht anführt; Näheres findet man in den Kommentaren. Ich habe auch die Zeichensetzung zum Teil verändert (mit stärkerer Rücksicht auf die deutsche) sowie Klingners z.T. archaische Schreibweise der lateinischen Wörter normalisiert; z.B. ist volgus durch vulgus, satura durch satira ersetzt, in Komposita sind die Präfixe assimiliert (z.B. committere < conmittere), und in der 3. Deklination endet der Akkusativ Plural durchgehend nicht auf -is, sondern auf -es.

Klingner

Satiren 1,1,81 adflixit 1,2,13 [dives … nummis] 1,2,38 moechis 1,2,81 tuum 1,3,65 sermone: ‘molestus 1,3,132 sutor 1,4,35 excutiat sibi, non hic 1,4,65 Sulgius 1,4,70 sim 1,4,102 animo prius, ut 1,4,141 veniat 1,5,12 inseris’; ‘ohe 1,5,15 absentem cantat 1,5,96 ad usque 1,7,5 et iam 1,7,7 tumidus 1,8,29 manis 1,8,39 †Iulius

diese Ausgabe affixit dives … nummis moechos tuo sermone molestus: (Gowers) tonsor excutiat, sibi non, non Sulcius sum animo, prius ut, veniet inseris: ohe (Gowers) absentem ut cantat adusque etiam (Bothe) tumidusque Manibus Iulius

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1,9,30 divina mota anus urna mota divina anus urna (Cruquius) 1,9,48 vivimur vivitur 1,10,37 diffingit diffindit 1,10,68 delapsus dilatus 1,10,83 uterque ambitione relegata. te uterque. ambitione relegata te (Gowers) 2,2,29 hac magis illam hanc magis illa 2,2,30 petere esto: petere! esto: (Muecke) 2,2,38 ieiunus … temnit [ieiunus … temnit] (Bentley) 2,2,85 anni, tractari anni et tractari (ς) 2,2,123 culpa … magistra captu … magistro (Housman) 2,3,12 Archilochum Archilocho 2,3,25 Mercuriale Mercuriali 2,3,81 vos, ordine adite vos ordine, adite (Muecke) 2,3,97 iustus.’ ‘sapiensne?’ ‘etiam iustus sapiensque etiam 2,3,199 natam gnatam (ς) 2,3,201 servas? ‘quorsum?’ insanus servas cursum? insanus 2,3,208 scelerisque cerebrique (Horkel) 2,3,216 Pusillam Posillam 2,3,234 in tu 2,3,313 tanto1 tantum 2,3,318 tanto tantum 2,4,71 venucula Vennuncula 2,4,84 inlota illuta 2,5,55 plerumque quandoque (Shackleton Bailey) 2,6,108 ipsis ipse 2,7,65 cum … amanti [cum … amanti] (Shackleton Bailey) 2,7,81 aliis alii 2,7,102 nil nili (Shackleton Bailey) Epoden 1,26 meis 5,87 magnum 7,12 umquam 7,13 caecus 13,13 parvi 16,65 aere, 17,11 unxere 17,22 reliquit 17,40 sonare

mea miscent (Giangrande) numquam caecos pravi (Giangrande) aerea (Shackleton Bailey) luxere relinquor (Bentley) sonari



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17,42 vice 17,55 alto 17,60 proderat

vicem albo (Palmer) proderit

Oden I–III 1,6,3 quam 1,12,2 sumis 1,12,19 occupavit 1,12,46 Marcelli 1,12,57 latum 1,15,20 crines 1,16,6 Pythius 1,20,5 clare 1,27,19 laborabas 1,28,21 rapidus 1,31,9 Calenam 1,31,10 ut 1,32,1 poscimus 2,2,17 Prahaten 2,13,23 discretas 2,14,25 dignior 2,19,24 horribili 2,19,31 caudam 3,1,42 sidere 3,3,23 damnatum 3,3,53 mundo 3,3,54 tanget 3,4,3 seu 3,4,4 citharave 3,4,10 Pulliae 3,4,14 Aceruntiae 3,4,43 turbam 3,4,46 urbis 3,4,47 turmas 3,5,37 hic 3,8,26 cavere et 3,11,17–20 [Cerberus … trilingui.] 3,14,11 iam 3,14,22 cohibere

qua sumes occupabit Marcellis laetum cultus Pythiis (Palmer) care laboras in rabidus Calena et poscimur Phraaten descriptas degener (Campbell) horribilis cauda (Harrison) Sidone (Nisbet) damnatam (Glareanus) mundi (Lambinus) tangat si (Naylor) citharaque pergulae (Baehrens) Acherontiae turmam umbras (Bentley) turbas nunc (Courtney) cavere; (Bentley) Cerberus … trilingui non (Bentley) cohibente (Muretus)

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3,20,8 illa 3,21,5 lectum 3,21,10 neglegit 3,24,4 terrenum publicum 3,24,54 formandae rudis 3,24,60 consortem socium hospites 3,25,12 ut 3,25,13 ripas 3,27,10 imminentium 3,27,35 pietasque’ dixit ‘victa 3,27,37 unde

illi laetum (Nisbet) negleget Tyrrhenum Punicum firmandae (Bentley) rudi (Cornelissen) consortem s. (Bentley) hospitem ac rupes (Muretus) imminentum pietasque!’ dixit victa (Ps.-Acro) ‘unde (Ps.-Acro)

Briefe I 1,1,76 es 1,1,78 frustis 1,2,31 cessatum 1,2,68 verba 1,6,59 populumque 1,7,96 adspexit 1,10,9 fertis 1,14,5 res 1,15,13 equi 1,16,5 si 1,17,21 verum 1,17,43 suo 1,18,15 caprina 1,18,91 [potores … Falerni] 1,20,28 duxit

est (Mayer < ς) crustis cessantem vera (Linker) Campumque (Bentley) agnovit (Holder) effertis rus (Heinsius) equis ni rerum sua caprina et [bibuli … oderunt] (Pottier) dixit

Oden IV 4,1,22 4,2,49 4,4,15 4,4,72 4,8,15–19 4,8,28

lyraeque ... -ae … -ae tuque dum lactante (Dillenburger) interempto.’ … belli. non … rediit dignum … mori

lyraque ...Berecyntia ... tibia teque, dum iam lacte interempto. … belli.’ [non … rediit] [dignum … mori]



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4,8,33 [ornatus … pampino] 4,10,5 faciem 4,14,4 fastus Briefe II 2,1,48 fastus 2,1,51 leviter 2,1,142 operum et pueris 2,1,168 accersit 2,1,207 lana 2,2,16 laedat 2,2,63 quod tu, 2,2,70 humane 2,2,87 frater 2,2,112 ferentur 2,2,161 daturus 2,2,167 quoniam 2,2,171 refugit 2,2,176 alterius 2,2,212 iuvat 2,3,23 quodvis 2,3,45–46 46–45 2,3,49 rerum et 2,3,60 pronos 2,3,61a (Lehr) 2,3,65 regis diu palus 2,3,114 Davosne 2,3,154 plausoris 2,3,160 colligit 2,3,172 longus avidus 2,3,178 morabitur 2,3,197 pacare tumentes 2,3,208 urbis 2,3,349 poscentique … acutum 2,3,410 prosit 2,3,416 nunc

ornatus … pampino fruticem (R. Thomas) fastos fastos viget et (Shackleton Bailey) operum pueris arcessit laena (Marcillius). laedit tu quod haud sane fautor (Schütz) fruentur (Horkel) daturas quondam refringit alternis (Bentley) levat quidvis 45–46 rerum privos (Bentley) regium (Meineke) palus prius divusne plosoris concipit (Rudd) lentus (Bentley) pavidus moraberis (Rudd) firmare timentes (Rudd) urbem (Rudd) [poscentique … acutum] (Rudd) possit nec

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Anmerkungen Im Folgenden wird nur erläutert, was dem unmittelbaren Textverständnis dient. Ergänzend und vertiefend tritt das alphabetisch geordnete Namen- und Sachverzeichnis hinzu. Die hier wie dort genannten Eigennamen, die, soweit es sich dabei um griechische handelt, im Originaltext lateinisch transkribiert sind (z.B. Aíolos als Aeolus und Phoibos als Phoebus), werden in der deutschen Übersetzung nach Vorgabe des Duden wiedergegeben (»Äolus« bzw. »Phöbus«); eine Ausnahme bilden dabei lediglich griechische Namen mit »k«, das im Lateinischen als »c« erscheint. Hier ist das »k« deshalb beibehalten, weil das lateinische »c« zur Zeit des Horaz als »k« gesprochen wurde, auch vor hellen Vokalen; ich schreibe also z.B. nicht »Cerberus« oder »Zerberus«, sondern »Kerberus«. Hinweise zur Betonung, die den Regeln der lateinischen Aussprache folgt, beschränken sich auf drei- und mehrsilbige Namen, die den Akzent nicht (wie alle zweisilbigen Wörter) auf der vorletzten, sondern auf der drittletzten Silbe tragen (z.B. Kérberus); nicht berücksichtigt sind dabei die auf der drittletzten Silbe betonten Namen, die auf -io, -ion, -ios, -ius, -ia, -iae, -ias, -ië, -ien, -ier und -ium enden (z.B. Böotien und Elysium). Der Einfachheit halber nenne ich das poetische Ich Horaz.

Satiren Buch 1 (Versmaß: durchgehend der daktylische Hexameter, Nr. 1 in der Übersicht S. 751 ff.)

1 Aus der Frage nach dem Grund für die Unzufriedenheit der Menschen mit dem eigenen Los entwickelt Horaz in V. 1–40 sein zentrales Thema: die Habgier. Sie wird im Mittelteil (41–107) ausführlich erörtert: Zum einen sei der durch sie erworbene Reichtum sinnlos, da er keine Vorteile bringe gegenüber Leuten, die nur das zum Leben unbedingt Notwendige besitzen (41–67); zum anderen beschere Reichtum kein glückliches, sondern ein von Sorgen und Gefahren bedrohtes Leben (68–100), und daraus ergibt sich der Rat zur Wahrung der goldenen Mitte zwischen Geiz und Verschwendung (101–107). Dann kehrt Horaz kurz zur Ausgangsfrage zurück und setzt Unzufriedenheit mit dem eigenen Los der Habsucht gleich (108–121).

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Anmerkungen zu Satiren Buch 1

Römische Legionäre wurden mit 45 entlassen. Ein vornehmer Römer erteilte als patronus (»Schutzherr«) dem von ihm abhängigen Klienten (»Schutzbefohlenen«) Rechtsauskunft – das konnte frühmorgens geschehen, wenn der Klient ihm bei der (täglich stattfindenden) salutatio (»Begrüßung«) seine Aufwartung machte – und stand ihm vor Gericht bei. 3 Er ist zu einem Gerichtstermin vorgeladen und hat Bürgen gestellt, die, falls er nicht erscheint, für ihn zahlen müssen. 4 Hier und im Folgenden wird nicht mehr direkt Maecenas angesprochen, sondern ein anonymes Gegenüber. Dieses lässt Horaz auch in direkter Rede zu Wort kommen, so dass die Satire stellenweise wie ein Dialog wirkt. 5 »beide Backen aufblasen« bezeichnet den Hochmütigen oder wie hier mit komischer Übertreibung den Zürnenden. 6 Er lacht über die gerade skizzierte Szene. 7 ridentem dicere verum, gewissermaßen das Motto der horazischen Satire, wurde zum »Geflügelten Wort« (G. Büchmann, Geflügelte Worte. Der Zitatenschatz des deutschen Volkes, Berlin 321972, S. 550). 8 Vielleicht Anspielung auf die Realität, sehr wahrscheinlich auf den berühmten Vergleich, den Lukrez (Mitte 1. Jh. v. Chr.) in Von der Natur der Dinge 1,936 ff. anstellt: Wie die Ärzte den Rand eines Bechers, der Wermut enthält, mit Honig bestreichen, um Kindern das Trinken zu versüßen, so vermittelt der Dichter seinen schwierigen Stoff, die Atomlehre Epikurs (341–270 v. Chr.), auf leserfreundliche Weise in den Versen eines Lehrgedichts. 9 Durch ihn ersetzt Horaz stillschweigend den Rechtsgelehrten, um den Übergang zum Thema »Habgier« zu erleichtern. Das entspricht auch dem System des »Spaziergangs« durch eine moralphilosophische Erörterung; vgl. die Einführung S. 13. 10 Zu Anfang des Jahres begann mit Eintritt der Sonne in das Sternzeichen des Wassermanns (Mitte Januar) die Regenzeit. 11 Er steht gewissermaßen »autobiographisch« für jeden beliebigen Fluss am Anfang des ersten von dem Autor publizierten Gedichtbuches. 12 Versuch der Wiedergabe eines Wortspiels in der Übersetzung von Schöne/ Färber: saccis … tamquam parcere sacris (»Säcke wie Heiligtümer schonen«). 13 Gemeint ist seine Tochter Klytämnestra, die ihren Mann Agamemnon tötet, als er aus dem Trojanischen Krieg nach Hause zurückkehrt. Der Name Ummidius spielt vielleicht darauf an, dass die Freigelassene ihm das Beil mitten auf (in medium > un medium > ummedium) den Kopf schlägt. 14 Offenbar zwei Verschwender. 15 Dem Horaz-Kommentator Porphyrio zufolge war Tánaïs ein Eunuch, und der Schwiegervater des Visellius hatte – insofern eine Kontrastfigur – einen Leistenbruch.



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16 Zylinderförmige Behälter, in denen Papyrusrollen, die Bücher der Zeit des Horaz, aufbewahrt wurden. 17 Offenbar möchte Horaz, der sich in 1,5,30 selbst als triefäugig bezeichnet – wieder also ist die Textstelle gewissermaßen »autobiographisch« –, Crispinus nicht auch in der Geschwätzigkeit gleichen.

2 Zum Hauptthema »außerehelicher Sex« führt der Gedanke, dass die Menschen keinen Mittelweg kennen (1–36). Im Mittelabschnitt nennt Horaz zunächst Nachteile sexueller Beziehungen zu fremden Ehefrauen (37–79), dann plädiert er dafür, dass ein Mann seine geschlechtlichen Bedürfnisse ohne großen finanziellen Aufwand mit Hetären aus dem Stand der Freigelassenen oder einfach mit Sklavinnen und Sklaven befriedigen soll (80–119). Am Schluss schildert er aus eigener Erfahrung die Liebesfreuden mit einer unverheirateten, einfachen Frau und kontrastiert damit eine Szene, in der ein Ehebrecher, in flagranti ertappt, sein Heil in der Flucht suchen muss (120–134). 1 2

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Das sind 60 % im Jahr, für das der übliche Zinsfuß 12 %, also 1 % pro Monat, betrug. Wörtl. »den Namen« (nomina); gemeint sind die im Schuldbuch des Gläubigers eingetragenen Namen von Schuldnern nebst Bezeichnung der Schuldposten und Anleihebedingungen. Hier geht es um gerade durch Anlegen der toga virilis (»Männertoga«) offiziell erwachsen gewordene Männer, die bis zum Alter von 25 Jahren keinen rechtsgültigen Vertrag abschließen durften. Vgl. Anm. 4 zu Ode 1,36. Dies geschieht im Heautontimorúmenos (»Der Selbstquäler«) des Terenz. Falls es sich bei Rufillus, wie anzunehmen, um einen effeminierten Mann handelt, der in einer mann-männlichen Sexualbeziehung den passiven Part übernimmt, dürfte er seine Pastillen (man beachte das Klangspiel mit seinem Namen!) lutschen, um den Geruch zu überdecken, der durch Fellieren eines anderen Mannes entstand. Gargonius wiederum riecht unter den Achseln. An diesem Besatz auf einem weißen Gewand, der Stola, erkannte man die verheirateten freien Römerinnen. Gemeint ist einfach »sagte Cato« (der ihn herauskommen sah), aber die Person des sittenstrengen Mannes wird mit epischem Pathos, das in diesem Kontext komisch wirkt, durch den Ausdruck sententia dia Catonis umschrieben. Vgl. Anm. 5.

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Komische Anspielung auf ein Verspaar in den Annalen des Q. Ennius (239–169 v. Chr.), dem römischen Nationalepos. Es lautet: Audire est operae pretium, procedere recte / qui rem Romanam Latiumque augescere vultis (»Hört nun – es ist der Mühe wert für die, die wollen, dass der römische Staat sehr erfolgreich ist und Latium sich ausbreitet«; Fragment 494 f. in der Ausgabe von O. Skutsch, Oxford 21986). Offenbar soll der kurz vorher genannte Name Cupiennius komisch auf Ennius vorausverweisen. 9 Gemeint ist vermutlich der Historiker, der im Jahre 50 v. Chr. wegen seines unsittlichen Lebenswandels aus dem Senat ausgestoßen wurde. 10 Prostituierte trugen eine bunte Toga. 11 Vielleicht heißt in Fausta auch einfach » in Fausta « (vgl. schon V. 63 in matrona und 67 »während Longarenus drinnen war«, was sinngemäß sicherlich sowohl durch »im Haus« als auch »in Fausta« ergänzt werden kann). Als Liebhaber Faustas wird sonst nur Sallust genannt (M. Terentius Varro bei A. Gellius, Noctes Atticae 17,18). 12 Vgl. Anm. 5. 13 Gemeint ist (in Anknüpfung an V. 78 matronas) die verheiratete Frau. 14 Offenbar eine ähnliche Figur wie Rufillus (vgl. Anm. 4), hier zur Abwechslung direkt angeredet; eine Entsprechung zu seinem Namen wäre »Honey«. 15 Eine Prostituierte; vgl. Anm. 10. 16 Kastrierte Sklaven. 17 Vgl. Anm. 5. 18 Aus Naturseide hergestelltes und durchsichtiges Gewand von der Ägäis-Insel Kos. 19 Es handelt sich um ein von Kallímachos (um 320–nach 245 v. Chr.) verfasstes erotisches Epigramm, das Horaz teils paraphrasiert, teils wörtlich übersetzt; der Text steht in der Griechischen Anthologie (12,102) und lautet in der deutschen Prosaübertragung von M. Asper (Kallimachos: Werke, Darmstadt 2004, S. 461): »Der Jäger, Epikydes, spürt in den Bergen jedem Hasen nach und jeden Rehs Fährte, an Frost und Schnee gewöhnt. Wenn aber jemand sagt ›Da, das Tier ist getroffen!‹, nimmt er es nicht. Ganz so ist auch meine Liebe. Was flieht, zu verfolgen, das versteht sie; was aber mitten vor ihr liegt, daran fliegt sie vorbei.« 20 Das Epigramm, auf das Horaz anspielt, ist nicht überliefert. Dass Philodem Frauen von niedriger Herkunft bevorzugt, passt auf witzige Weise zu seinem (griechischen) Namen: Er bedeutet »Volksfreund«. 21 Kastrierte Anhänger und Priester der Muttergottheit Kýbele. Es können aber auch die Gallier als reiche Provinzialen gemeint sein, und Horaz spielt vielleicht überdies auf den Dichter Cornelius Gallus (70/69–27/26 v. Chr.) an, der in seinen (verlorenen) erotischen Elegien als leidender Liebhaber sprach.



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Mit diesen altehrwürdigen Namen »wertet« Horaz seine Sexualpartnerin sozial »auf«. 23 Schuldigen Sklaven wurden die Beine gebrochen; eine beim Ehebruch ertappte Frau verlor, wenn der Mann sich von ihr trennte, einen Teil ihrer Mitgift. 24 Offensichtlich Anspielung auf eine der Strafen, die einem in flagranti ertappten Ehebrecher drohten: Man trieb ihm einen Rettich in den Anus.

3 In der Einleitung (1–24) charakterisiert Horaz den Sänger Tigellius als widersprüchlichen Menschen. Die darauf folgende Frage eines fiktiven Gegenübers, ob Horaz keine Fehler habe, liefert das Stichwort für den Hauptteil (25–124a), in dem es um die Fehler von Freunden geht. Thema von Teil 1 ist der Rat zu Toleranz gegenüber dem, was man an Freunden kritisieren könnte (25–75), in Teil 2 wird empfohlen, wir sollten leichte Vergehen von Freunden nicht streng verurteilen, wie es die Stoa verlangt (76–124a). Um den Vertretern dieser Philosophie gewissermaßen im Gegenzug eins auszuwischen, spottet Horaz im Finale über den stoischen Lehrsatz, der Weise sei ein König (124b–142). 1

Mit Caesar ist hier Oktavian gemeint, der spätere Kaiser Augustus, mit seinem Vater der Diktator Caesar, der ihn in seinem Testament adoptiert hatte. Horaz erwähnt seinen wichtigsten Gönner neben Maecenas im ersten Satirenbuch nur hier. 2 Von der Vorspeise bis zum Nachtisch. 3 Dies war wohl der Anfang eines zu Ehren des Weingottes Bacchus gesungenen Liedes. 4 So viele hatte die Phorminx, die älteste Form der Lyra. 5 Bei einer Prozession zu Ehren einer Gottheit schritt man langsam dahin. 6 Griech. »Vierfürsten«; so hießen die Könige in den von den Römern eroberten Ländern des Nahen Ostens. 7 Sesterzen. 8 Das Wortspiel mit ignorare (»nicht wissen, kennen«), ignotus (»unbekannt«) und ignoscere (»verzeihen« im Sinne von »nichts mehr von etwas wissen wollen«) kann man im Deutschen nicht nachmachen (vgl. auch V. 24 notare »kennzeichnen«). 9 Es spricht einiges dafür, dass Horaz hier auf den Dichter Vergil, seinen besonders engen Freund, anspielt. Er könnte aber auch sich selbst meinen. 10 Laut dem Kommentator Porphyrio ein Zwerg, der M. Antonius gehörte.

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Erstmals hier in dem Gedichtbuch äußert sich Horaz »autobiographisch« über sein Verhältnis zu seinem Patron. 12 An den Kalenden, dem Monatsersten, wurden Zinszahlungen fällig. 13 Sie hätte als wertvolle Antiquität gegolten. 14 Gemeint sind die Stoiker und einer ihrer Kernsätze, die man, weil sie paradox klingen, als Paradoxa bezeichnet. 15 Eicheln galten in der Antike als Hauptnahrung der ersten Menschen. 16 Ihre Entführung lieferte den Anlass zum Trojanischen Krieg. 17 Zum Beispiel durch ein Epos wie die Ílias Homers (8. Jh. v. Chr.), die eine Episode aus dem zehnten Jahr des Trojanischen Krieges erzählt. 18 Gemeint sind chronikartige Aufzeichnungen in einer Papyrusrolle. 19 Hier macht Horaz sich über das stoische Paradoxon (s. Anm. 14), der Weise sei ein König, lustig.

4 Horaz äußert sich hier erstmals über die Gattung »Satire«. Als seinen Vorläufer nennt er Lucilius und betont, im Gegensatz zu diesem sei er kein Vielschreiber; er scheue sich auch, öffentlich vorzutragen; denn es gebe Leute, denen Satire nicht gefalle, da die Mehrzahl der Menschen Tadel verdiene. Das belegt Horaz durch die Aufzählung von Lastern, aber bevor er sagt, wie seine Satire sich damit auseinandersetzt, äußert er sich zum Stil der Gattung (1–62). Dann legt er dar, dass er nicht zu denjenigen gehöre, die böswillig über andere Personen reden (63–103a). Von seinem Vater habe er gelernt, die Laster selbst, nicht die Menschen, die sie aufweisen, zu brandmarken; auch an den eigenen Fehlern übe er Kritik (103b–143). 1

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Die sogenannte Alte Komödie (zur »Neuen« vgl. Anm. 6), deren Hauptvertreter Horaz hier nennt – nur von Aristóphanes sind vollständige Stücke erhalten –, blühte in Athen im späten 5. Jahrhundert v. Chr. Eines ihrer Gattungsmerkmale war Personenspott, der freilich nicht, wie hier behauptet, dem Zweck diente, Verbrecher zu brandmarken und so ihrer Strafe zuzuführen. Die »Nase« kann also Personen, deren Verhalten zu satirischer Invektive einlädt, »scharf wittern«. Kallímachos, in dessen Nachfolge Horaz sich hier implizit stellt, vertrat das Ideal der kleinen, ausgefeilten Formen und verglich seine eigenen Gedichte mit einer Quelle, aus der das Wasser rein sprudelt. Große epische Werke aber ähnelten seiner Meinung nach einem Strom, der viel Schlamm und Unrat mit sich führt (Apollonhymnos 108–112). An etwas Spezielles, das dahinfließt, kann man bei jemandem, der auf einem Bein steht, freilich auch denken.

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Gemeint ist die Verssatire. Anspielung auf die Sitte, stößigen Stieren zur Warnung Heu um die Hörner zu binden. 6 Gemeint ist hier die sogenannte Neue Komödie Athens, die ab etwa 320 v. Chr. anzusetzen und deren Hauptvertreter Menander ist. Hier werden Szenen aus dem bürgerlichen Alltag auf die Bühne gestellt; oft setzt ein Konflikt zwischen Vater und Sohn wegen des Liebeslebens des letzteren die Handlung in Gang; Horaz skizziert im Folgenden eine typische Streitszene mit den beiden Figuren. Die Sprache dieser Art von Komödie ist von der gehobenen Prosa nicht weit entfernt. 7 Die Schauspieler im antiken Drama trugen Masken. 8 Ennius, Annalen Frg. 225 f. Skutsch; die Verse beziehen sich auf den Janustempel in Rom, dessen Pforten zu Beginn eines Kriegs geöffnet wurden. Wie auch sonst bei diesem Dichter ist die Sprache hier so pathetisch, dass auch nach einer Umwandlung des Verses in Prosa seine Herkunft aus einem poetischen Werk erkennbar wäre. 9 Horaz wird in Satire 1,10 auf das Thema zurückkommen. 10 Sulcius und Caprius waren wahrscheinlich berufsmäßige Denunzianten (oder vielleicht Satirendichter, die im Gegensatz zu Horaz Personen scharf angriffen? Dann wären mit den libelli in V. 66 Gedichtbücher gemeint; vgl. V. 71 libellos). 11 Vor den Buchläden in Rom waren an einem Pfeiler wahrscheinlich Papyrusrollen aufgehängt. Offenbar wischten sich Passanten an ihnen die schwitzenden Hände ab. 12 Horaz spielt auf den Freundeskreis an, in dessen Mittelpunkt Maecenas steht und über den er in 1,5; 6; 9; 10 mehr sagen wird. 13 Wenn vier Leute auf einem Speisesofa lagen, wurde es eng; die übliche Zahl war drei. 14 Den Hausherrn. Zu Beginn der Mahlzeit und zwischen den Gängen ließ er den Gästen Wasser zum Händewaschen bringen. 15 Beiname des Weingottes Bacchus. Da das lat. Adjektiv liber »frei« bedeutet, wird der Gott – noch heute sagt man ja in vino veritas (»Im Wein liegt die Wahrheit«) – gewissermaßen zum Schutzpatron satirischen Freimuts, um den es ja in diesem Gedicht mehrfach geht. 16 Zitat von Satire 1,2,27 (vgl. dort Anm. 4). Horaz provoziert gewissermaßen einen reader response auf die Stelle, die vorher auf der Papyrusrolle steht. 17 Grünspan ist giftig. 18 Dass die Juden besonders eifrig darauf bedacht waren, Proselyten zu machen, war in Rom bekannt.

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Die hier beschriebene Reise nach Brundisium hatte einen politischen Anlass. Maecenas, den Horaz und andere Literaten nach Brundisium begleiteten, war in politischer Mission unterwegs: Er, L. Cocceius Nerva und Fonteius Capito, der eine mit Oktavian und Antonius, der andere nur mit Antonius befreundet, sollten zwischen den beiden Imperatoren vermitteln, die immer wieder in Machtkonflikte gerieten. Das Treffen, das vermutlich im Frühjahr 37 v. Chr. in Brundisium stattfinden sollte, musste verschoben werden, weil Antonius die Stadt nicht betreten durfte, wurde bald darauf in Tarent veranstaltet und führte dort zum Erfolg. Dass die Reise hingegen umsonst war, wird zwar nicht gesagt, schlägt sich aber in dem Bericht indirekt nieder: Einerseits erwähnt Horaz den politischen Anlass kaum, andererseits präsentiert er uns eine Serie von Episoden mit viel Missgeschick. So wirkt er, der Begleiter des großen Maecenas und mithin in gewissem Sinne ein »Held«, vielmehr wie ein Anti-Held. Denn er erzählt zwar von Reiseerlebnissen, die zumindest motivisch an die von Odysseus in Buch 9–12 der Odyssee geschilderten erinnern, hat aber nur Unheroisches zu bieten. 1 2 3 4 5 6 7 8

Der Anfang des Berichts spielt auf denjenigen des Odysseus über seine Irrfahrten an: »Von Ilion aus mich tragend, brachte der Wind mich zu den Kikonen nach Ismaros« (Homer, Odyssee 9,39 f.). Bei dem nicht weiter bekannten »Begleiter« handelt es sich vielleicht nicht um eine Person (denn über einen Rhetor Heliodorus ist nichts bekannt), sondern um eine Art Baedeker, also ein Buch. Da ein römisches Gewand bis zu den Füßen reichte, musste, wer schnell gehen wollte, es hochziehen. In Forum Appi beginnt eine nächtliche Bootsfahrt auf einem Kanal durch die Pontinischen Sümpfe. Im Frühjahr (das als Zeit für die Fahrt vorauszusetzen ist) – die Stunden wurden von Sonnenaufgang an gezählt –, zwischen 9 und 10 Uhr. Cocceius hatte beim Zustandekommen des Vertrags von Brundisium mitgewirkt, bei dem 40 v. Chr. Antonius und Oktavian das Reich unter sich aufteilten; Antonius erhielt Afrika und den Osten, Oktavian den Westen. Offenbar einer der drei Ädilen, die die Oberhoheit in Fundi hatten (vgl. Corpus Inscriptionum Latinarum 1, 1187 f.), also kein Prätor; entsprechend prätentiös ist das Tragen einer Toga mit breitem Purpursaum als Zeichen hoher Würde. Sie diente entweder zum Anzünden der Fackeln bei einer Prozession oder wurde für den Weihrauch benötigt, mit dem man ankommenden Gästen eine Ehre erwies.

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Umschreibung für Formiae (heute Mola di Gaeta), wo die Familie der Mamurrae offenbar Landbesitz hatte. Weil die Gäste von Staats wegen reisten. Messius’ (griechischer) onomatopoetischer Beiname Cicirrus bedeutet »Hahn«. Die Szene mit den beiden Kampfhähnen wird auf komische Weise wie ein Epos durch einen Musenanruf eröffnet. In einem solchen wurden die Helden durch die Nennung ihrer Vorfahren hervorgehoben. Er wird also als entlaufener Sklave verspottet. Vielleicht verursachte sie Warzen an der Stirn, deren Entfernung Narben hinterließ. Er sollte offenbar Polyphem, der in Buch 9 von Homers Odyssee auftritt und aus dem Theokrit (1. Hälfte 3. Jh. v. Chr.) einen verliebten Hirten machte (Idyll 6 und 11), in einem pantomimischen Tanz darstellen. Maske (die Messius wegen seiner Hässlichkeit nicht braucht) und Kothurn gehörten zur Aufführung von Tragödien. Zum Dank für die gelungene »Flucht« (vgl. Anm. 13). Sklaven erhielten 100 Pfund Getreide pro Monat, also drei pro Tag; wem eines genügt, braucht also nicht zu fliehen. Horaz wurde in dieser Gegend in Venusia (heute Venosa) geboren. Das könnte Venusia sein, da die ersten drei Silben kurz sind und nicht in einen Hexameter passen würden. Vielleicht befanden sich in dem Brot Reste von Mühlsteinen. Aber lapidosus kann auch »steinhart« bedeuten. Die Römer hielten die Juden für besonders abergläubisch. Der Name Apella soll offenbar auf die jüdische Sitte der Beschneidung anspielen (a- = griech. Entsprechung zu dt. un-; pelles zu lat. pellis Haut). Horaz spielt auf die Lehre des Philosophen Epikur (341–270 v. Chr.) an, die Naturphänomene naturwissenschaftlich erklärt, also ein Einwirken der Götter ausschließt, und zitiert wörtlich Lukrez, Von der Natur der Dinge 5,82. Auch das Gedichtbuch hat ein »Ende« erreicht: das der ersten Hälfte.

6 Während Maecenas – so Horaz – den Wert eines Menschen nicht durch adelige Herkunft erhöht sehe, sei dem Volk bei Amtsträgern eine solche wichtig; außerdem ernte jeder, der eine staatsmännische Karriere anstrebt, die Missgunst der breiten Masse (1–44). Daraus entwickelt der Dichter das Hauptthema: seine bescheidene

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Existenz fern der hohen Politik. Er schildert, wie Maecenas ihn, den Sohn eines nichtadeligen Vaters, so, wie er war, in seinen Freundeskreis aufnahm (45–62a) und wie sein Vater ihn zu dem erzog, was er jetzt ist (62b–88). Keineswegs unglücklich darüber, dass er nicht das anstrengende und aufwendige Leben eines Würdenträgers führen muss, erklärt sich Horaz zufrieden mit seinem Dasein eines anspruchslosen Menschen und schildert, wie der Tag für einen solchen verläuft (89–131). 1

Die Teil 2 des Buches eröffnende sechste Satire beginnt wie die erste mit einer Anrede an Maecenas. 2 Laut Herodot 1,94 verließen kleinasiatische Lyder infolge einer Hungersnot unter Führung des Prinzen Tyrrhenus ihre Heimat, kamen nach Italien und wurden dort zum Stamm der Tyrrhener (Etrusker). Maecenas war von vornehmer etruskischer Abstammung. 3 Gemeint ist »betrachtest nicht hochnäsig …«. 4 Auf tituli wurden die Taten adliger Männer verzeichnet; ihre Ahnenbilder, Masken aus Wachs, standen im Atrium der Privathäuser und wurden bei Leichenzügen mitgeführt. 5 Ob Horaz sich allein oder sich und Maecenas meint, lässt sich nicht entscheiden. 6 Dahinter steht offenbar der Begriff homo novus (»Aufsteiger«). 7 Anspielung auf die bekannte Fabel vom Esel in der Löwenhaut (Nr. 188 in der Augustanasammlung: Äsop, Fabeln, Griechisch-deutsch, hg. und übersetzt von R. Nickel, Düsseldorf/Zürich 2005 [Slg. Tusculum], S. 186). 8 Sie agiert hier als Triumphator im Triumphzug, bei dem Kriegsgefangene mitgeführt wurden. 9 Er war vielleicht der Sohn eines Freigelassenen, der aus dem Senat ausgeschlossen wurde, dann aber als Volkstribun zurückkehrte und wieder die Toga mit dem breiten Purpursaum tragen durfte (vgl. Anm. 7 zu Satire 2,7). 10 Senatoren trugen rote Schuhe mit vier um das Schienbein gebundenen schwarzen Riemen. 11 Drei typische Sklavennamen. 12 Vom Tarpejischen Felsen an der südlichen Spitze des Kapitolhügels stürzte man Hochverräter; Kadmus war ein bekannter Henker. 13 Im Theater, wo in den ersten Reihen die Senatoren saßen. 14 Vgl. die Einführung S. 10. 15 Da Venusia im Bundesgenossenkrieg (91–89 v. Chr.) gegen Rom gekämpft hatte, gab es dort in Horazens Kindheit eine Militärbesatzung, die offenbar auf die Stadtbewohner herabblickte. 16 Vor allem Griechisch, Grammatik, Rhetorik und Metrik.



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Unter ihnen befanden sich, wie u.a. Petron, Satyrica 85–87 lehrt, Päderasten, auf die der Vater dann offenbar ein Auge hatte. 18 Nach einer Auktion durch den Ausrufer kassierte der Makler die zu zahlenden Gelder. 19 Rutenbündel mit Beilen, welche die Liktoren den Konsuln und Prätoren vorantrugen, und Amtssessel dieser und anderer Magistrate symbolisierten deren Macht und Würde. 20 Zum Beispiel durch die allmorgendliche salutatio; vgl. Anm. 2 zu Satire 1,1. 21 Wegen der Astrologen und Wahrsager, deren Buden dort standen. 22 Scherzhafte Erklärung für den schmerzverzerrten Gesichtsausdruck einer Mársyas-Statue auf dem Forum. »Vor ihr« musste man erscheinen, wenn man bei Gericht vorgeladen war. 23 Vgl. Anm. 5 zu Satire 1,5. 24 Das geschah, bevor man Sport trieb; es wurde danach mit einem Striegel abgekratzt. 25 Drei Spieler bildeten ein Dreieck und warfen sich Bälle zu; für die nicht gefangenen gab es Minuspunkte.

7 Der Text bietet eine Anekdote, die in der Zeit unmittelbar vor der Doppelschlacht bei Philippi (42 v. Chr.) spielt: Vor dem Richterstuhl des Caesar-Mörders Brutus, der dann in der Schlacht von Oktavian und Antonius besiegt werden wird, prozessieren der Römer Rupilius Rex, dessen zweiter Name »König« bedeutet, und der Halbgrieche Persius. Es kommt zu einem heftigen Wortgefecht – Horaz parodiert hier eine Kampfszene in Homers Ilias –, das mit einem Wortspiel endet: Brutus wird von Persius gefragt, warum er, der Könige umzubringen pflege, nicht auch diesen Rex ermorde. 1 2 3

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Durch Proskription, d.h. durch Aufnahme von Namen politischer Gegner in eine »Schwarze Liste«, lieferten Oktavian und Antonius diese Männer an ihre Schergen aus. Ein Grieche mit einem römischen Vater. Sie waren z.T. Patienten von Barbieren, die für ihre Freude am Klatsch bekannt waren. Rupili pus und lippi ergeben zusammen eine Anspielung auf die Doppelschlacht bei Philippi, der die Prozessszene unmittelbar vorausgegangen sein müsste. Wörtl. »auf weißen Pferden«, die als besonders schnell galten.

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Der Erzähler legt Glaukus dessen Bereitschaft zu einem für ihn ungünstigen Tausch so aus, als sei er zu träge zum Kämpfen und besteche Diomedes mit seinem wertvolleren Geschenk. Er war Proprätor der Provinz und als solcher auch oberster Richter. Vermutlich ein bekanntes Gladiatorenpaar. Das Sternbild des Großen Hundes (Sirius), mit dessen Aufgang Ende Juli die Hundstage beginnen. Weil ein reißender Strom Baumstämme entwurzelt, so dass Holzfäller nichts zu tun haben. Rupilius Rex stammt aus Praeneste (heute Palestrina). In der Sprache der Winzer wird das Verb im Zusammenhang mit der Traubenernte verwendet. »Kuckuck« rief man Winzern zu, die vor dem Kuckucksruf ihre Weinreben noch nicht beschnitten hatten. Schon der gleichnamige mythische Vorfahr des Brutus hat »Könige beseitigt«, da er dazu beitrug, Tarquinius Superbus aus Rom zu vertreiben, aber gleichzeitig wird auf die Ermordung Caesars (am 15. März 44 v. Chr.) angespielt.

8 Hier spricht Priap, der aus Holz geschnitzte Gartengott, der mit seiner Sichel in der rechten Hand und seinem rot bemalten riesigen Phallus Diebe und Vögel vertreibt. Diesmal sind es Hexen, die er wegscheucht: Da diese in den Parkanlagen auf dem Esquilin, die Maecenas an der Stelle eines Friedhofs für arme Leute hat anlegen lassen, ihren Hokuspokus betreiben – dazu gehört auch Totenbeschwörung –, jagt Priap sie durch einen Furz in die Flucht. 1

Es bekommt leicht Risse, was am Schluss der Satire einen bestimmten Effekt erzeugt. 2 Auf den Anfang der Satire spielt Carlo Collodi mit dem Anfang seines Pinocchio an: C’era una volta un pezzo di legno (»Es war einmal ein Holzstück«). Seine Holzfigur hat zwar keinen langen Phallus, bekommt aber beim Lügen immerhin eine lange Nase. 3 Lat. palus für »Pfahl« klingt an »Phallus« an, zumal die Römer das griechische phi wie p sprachen (was auch für das in Anm. 3 zu Satire 1,7 Gesagte von Bedeutung ist). 4 Dem entsprechen etwa 300 x 90 m. 5 Die vermutlich fiktive Figur spielt in den Epoden des Horaz eine wichtige



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Rolle und erscheint in den Satiren immerhin noch einmal im allerletzten Vers (2,8,95). Ságana ist ein sprechender Name, abgeleitet von saga (»Hexe«). Vielleicht bedeutet maior hier nicht »älter«, sondern »größer«, da Priapus auch sonst Größe hervorhebt. Wahrscheinlich handelt es sich hier um Puppen, die für einen Liebeszauber benutzt werden; dann verkörpert die aus Wolle (der in der Antike apotropäische Kraft zugeschrieben wurde) gefertigte Puppe Canidia und die aus Wachs den die Hexe verschmähenden Geliebten; wenn es im Feuer schmilzt, soll das entweder sein Dahinschwinden oder das »Schmelzen« seines Herzens bewirken. Laut dem Kommentator Porphyrio ist ein effeminierter Ritter namens Pediatius gemeint.

9 Horaz schildert, wie er während eines Ganges durch Rom von einem Schwätzer belästigt wird. Diesen vermag er auch dann nicht abzuschütteln, als die beiden zum Vestaheiligtum gelangt sind, in dessen Nähe der Mann einen für ihn wichtigen Prozesstermin wahrnehmen müsste. Doch nachdem er sich aufdringlich als potentielles Mitglied von Maecenas’ Freundeskreis angepriesen hat, wird Horaz, der vergeblich seinen des Weges kommenden Freund Fuscus um »Rettung« bittet, endlich erlöst: Es erscheint der Prozessgegner des Schwätzers und schleppt diesen zum Tribunal. Die Interaktion zwischen den beiden Männern trägt Züge eines Duells, was der Dichter durch Anspielungen auf homerische Kampfszenen unterstreicht. 1 2 3 4 5 6 7 8

Horaz, unterwegs zum Tiber, könnte von Maecenas kommen, der auf dem Esquilin wohnte. Ein solcher zu sein wünscht sich Horaz im Moment offensichtlich. Ein Park, den der Diktator Caesar testamentarisch dem römischen Volk vermacht hatte und der jenseits des Tibers lag. Wie Varius gehörte er (zusammen mit seinem Bruder: Satire 1,10,83) zum Freundeskreis des Maecenas. Der Schwätzer ist also ein Vielschreiber wie Lucilius; vgl. Satire 1,4,6 ff. Aus den in der Urne enthaltenen Lostäfelchen fiel schließlich eines heraus. Parodie von Orakelsprüchen, die in der Regel in Hexametern abgefasst waren. Beim Vestatempel auf dem Forum lag der Amtssitz des Prätors, des obersten Richters.

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9 Vgl. Anm. 5 zu Satire 1,5. 10 »Ich will … hättest« könnte auch Horaz zu sich selbst sagen bzw. beiseite sprechen. 11 Der Schwätzer zitiert in lateinischer Übersetzung eine Sentenz, die auf den griechischen Dichter Phokýlides zurückgeht (6. Jh. v. Chr.). Komisch ist dabei nicht nur die Anwendung auf eine höchst selbstsüchtige »Müh’«, sondern auch, dass der Schwätzer den Satz, der bei Phokýlides genau einen Hexameter umfasst, von einem solchen Vers in den nächsten hinüberzieht (daher hier die metrische Wiedergabe). 12 Auch er gehörte wohl zum Freundeskreis des Maecenas; an ihn sind außerdem Ode 1,22 und Brief 1,10 gerichtet. 13 Wörtl. »Die Galle verbrannte mir die Leber«. Die Leber galt in der Antike als Sitz der Affekte und speziell des Sexualtriebs. 14 Es ist ausgesprochen dreist, dass Fuscus sich einerseits auf seine Ehrfurcht vor der jüdischen Religion beruft, andererseits abfällig von den Juden redet. Den »dreißigsten Sabbat« hat er vermutlich ad hoc erfunden. 15 Offensichtlich eine Anspielung darauf, dass fuscus »dunkel, schwärzlich« bedeutet. 16 Das Ohr galt als Sitz des Gedächtnisses, weswegen Horaz es dem Kläger zur Berührung darbietet; durch diese wird an sein Erinnerungsvermögen appelliert. 17 Zitat von Homer, Ílias 20,443 (in Kombination mit 20,450). Wie Hektor, durch Achilles bedroht, von Apollo aus der Schlacht entrückt wird, so Horaz hier aus seinem »Duell« mit dem Schwätzer. Vgl. auch Anm. 2 zu Ode 2,7.

10 In Anknüpfung an Satire 1,4,63 äußert Horaz sich zum Stil des Lucilius und verbindet damit Ausführungen zur Poetik der Verssatire. Er fordert Kürze, Wechsel zwischen Ernst und Scherz sowie zwischen rhetorischem und poetischem Stil einerseits und kolloquialer Diktion andererseits; außerdem lehnt er es ab, griechische Wörter unter seine lateinischen zu mischen (1–35). Dann stellt Horaz sich als Satiriker neben die Vertreter anderer Gattungen und findet zudem versöhnliche Worte über Lucilius: In der jetzigen Zeit würde der Vorgänger anders schreiben (36–71). Mit der Aufforderung an die Dichter, auf das Verfassen ihrer Verse höchste Sorgfalt zu verwenden, geht Horaz zu einer Liste der Personen über, von denen er weiß, dass sie seine Poesie schätzen; das passt sehr gut an das Ende des Buch-Epilogs (72–92).

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In einer Handschriftengruppe stehen an der Spitze der Satire acht Verse, die, weil sie eindeutig nicht von Horaz stammen, hier nicht abgedruckt und übersetzt sind. 2 Rückverweis auf Satire 1,4,6 ff. 3 Gemeint ist hier allein der Stil der Verssatire. 4 Vgl. Anm. 1 zu Satire 1,4. 5 Über seine Identität kann man nur spekulieren. 6 Die sog. Neoteriker wurden offenbar zur Zeit des Horaz von »äffischen« Epigonen nachgeahmt und rezitiert. Er erwähnt seinen wichtigen Vorgänger Catull nur hier. 7 Es ist weiterhin von Lucilius die Rede. 8 Er ist vielleicht mit einem Pithólaos identisch, der Sueton, Caesar 75,5 zufolge Schmähgedichte gegen Caesar verfasste. 9 Beide Weine waren besonders berühmt. 10 Er lässt sich nicht eindeutig identifizieren. 11 Diesseits der Adria, die Griechenland von Italien trennt. 12 D.h. der griechischen Dichter. 13 Ein Furius (vgl. Satire 2,5,41 mit Anm. 10) mit dem Spitznamen Alpinus war offenbar ein zeitgenössischer Dichter, dessen (verlorene) Werke, sowohl Mythen des trojanischen Sagenkreises (deshalb der Äthíoperkönig Memnon) als auch zur Zeitgeschichte (daher der Rheingott), von Horaz hier wegen ihres schwülstigen Stils verspottet werden. 14 Gemeint sind Horazens Satiren. 15 Anspielung auf in Rom öffentlich zwischen Dichtern verschiedener Gattungen und vor allem zwischen Dramatikern stattfindende Wettbewerbe; Horaz möchte daran nicht teilnehmen. 16 Typen der Neuen Komödie; vgl. Anm. 6 zu Satire 1,4. Fundanius, von dem nichts weiter bekannt ist (er fungiert als Horazens Dialogpartner in Satire 2,8), schrieb vielleicht nur Lesestücke (daher »Büchlein«?). 17 Sprechvers der Tragödie war der jambische Trimeter, der, sechshebig, je zwei Jamben (Idealtyp: kurz – lang = unbetont – betont im Deutschen) zu einem Metrum zusammenfasst, weshalb die erste, dritte und fünfte Länge stärker betont wurden. 18 »Kräftig« sind die Helden, aber durch seine Wortgewalt auch das Epos; ducit verbindet (de)ducere »weben, dichten« mit ducere » führen«. 19 Anspielung auf die poetische Kunst der (nicht lange vor Horazens erstem Satirenbuch erschienenen) Bucolica. 20 Die Gattung Verssatire. 21 Offenbar ist wie in V. 66 Lucilius gemeint.

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22 In Satire 1,4,6 ff. 23 Hexameter. 24 Wer ist gemeint? Vielleicht der unbekannte erste Verfasser von Versen in Saturniern, die die Griechen nicht verwendeten, oder Ennius, der offensichtlich eine (kaum noch kenntliche) Vorform der Verssatire kreierte. 25 Mit dem oberen, platten Ende des Griffels konnte etwas, das auf einer Wachstafel geschrieben war – eine solche verwendete man für ein Konzept –, getilgt werden. 26 Über einige der im Folgenden genannten Männer ist wenig bekannt, oder sie sind nicht eindeutig zu identifizieren (Bíbulus, Servius und Furnius). 27 Er ist vielleicht mit dem in Ps.-Vergil, Catalepton 11,5 f. als Historiker bezeichneten Octavius identisch, und wahrscheinlich soll man zusätzlich Oktavian, demgegenüber Horaz während der Abfassung der Satiren noch sehr scheu ist (vgl. Satire 2,1,17–20), assoziieren. 28 Vgl. Anm. 12 zu Satire 1,9; optimus dürfte auf ihn zu beziehen sein, weil dann ein Wortspiel mit Aristius (zu griech áristos »der Beste«) vorliegt. 29 Vgl. Anm. 4 zu Satire 1,9. 30 L. Gellius Publícola, Konsul 36 v. Chr. 31 Wortspiel mit der Wendung »ich sage dir, dass es dir gut gehen soll« (iubeo valere), also unserem »Lebewohl sagen«, und wie Gewimmer klingt es wohl, wenn die beiden Herren junge Damen unterrichten. 32 Das Ende der Papyrusrolle, die ein Sklave nach Diktat beschrieb, wird hier explizit angezeigt (vgl. Anm. 23 zu Satire 1,5).



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Satiren Buch 2 (Versmaß: durchgehend der daktylische Hexameter, Nr. 1 in der Übersicht S. 751 ff.)

1 Inwieweit gehört zur Satire der Personenspott? Horaz konsultiert den Juristen Trebatius als Sachverständigen zum »legalen« Umgang mit der Gattung. Er hat freilich vom römischen Gesetz, soweit es üble Nachrede bestraft, nichts zu befürchten. Denn selbst wenn er sagt, er gehe dann zum direkten Angriff über, wenn jemand ihn reize, entspricht das nicht der Realität: Wie im ersten Buch werden auch im zweiten größtenteils fiktive Personen als Typen attackiert. Die Berufung auf Lucilius, der wirklich Personen des öffentlichen Lebens schmähte, ohne deshalb Ärger mit den Großen Roms zu bekommen, dient im Grunde nur dazu, dass Horaz auf sein entsprechend gutes Verhältnis zu den Großen seiner Zeit verweisen kann; Oktavian jedenfalls – so erfahren wir am Schluss – lobe die Satiren des Horaz. 1

Im Original obszönes Wortspiel: Auf der zweiten Leseebene wird Horaz von der einen Gruppe vorgeworfen, er drohe mit erigiertem Phallus (tendere opus), von der anderen, er sei impotent (sine nervis). 2 Oktavian (Caesar Octavianus), dem durch die drei Nennungen in diesem Gedicht (er ist auch in V. 84 gemeint) indirekt das zweite Satirenbuch gewidmet wird. 3 Scipiade ist eine gräzisierte Form, vergleichbar dem Vatersnamen Pelide (»Peleus-Sohn«) für Achilles. Gemeint ist Scipio Africanus d. J., der Gönner des Lucilius. 4 Fast wörtliches Selbstzitat von Satire 1,8,11. 5 Pollux (griech. Polydeukes). 6 Auf Votivtafeln stellten Leute, die aus einer Gefahr gerettet worden waren, ihr Erlebnis dar und weihten das Bild im Tempel des Gottes, von dem sie sich gerettet glaubten. 7 In diese Urne wurden die Stimmen der Geschworenen geworfen. 8 Vgl. Anm. 5 zu Satire 1,8. 9 Anspielung auf Homer, Ílias 18,95: Die Göttin Thetis sagt zu ihrem Sohn Achilles: »Schnell wirst du mir des Todes sein, mein Kind, wie du redest.« 10 Wieder Anspielung auf die bekannte Fabel vom Esel in der Löwenhaut; vgl. Anm. 7 zu Satire 1,6. 11 Scipio Africanus d.J.

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12 In der Öffentlichkeit trat man mit gegürteter Tunika auf. 13 Lucilius war römischer Ritter, Horaz allerdings auch (vgl. die Einführung S. 10). 14 Gemeint sind die 451/50 v. Chr. entstandenen Zwölftafelgesetze, welche die Verfasser verletzender Spottgedichte (lat. mala carmina) mit Strafe bedrohten. 15 Wortspiel mit mala carmina: 1. vgl. Anm. 14; 2. qualitativ schlechte Gedichte. 16 Was genau gemeint ist, konnte bisher nicht geklärt werden.

2 Horaz paraphrasiert im größten Teil der Satire die Lehren des Bauern Ofellus über die Tugend, mit Wenigem auszukommen (1–115). Das fußt auf einem Kerngedanken der hellenistischen Philosophien: der Mahnung zum Verzicht auf das Unverfügbare. Allerdings beschränkt sich der »keiner Schule angehörende Weise« (V. 3) nahezu auf Empfehlungen der Zurückhaltung beim Essen, und das weckt den Verdacht, nicht alles, was wir hier lesen, wolle wirklich ernst genommen sein. Andererseits erfahren wir danach durch Ofellus selbst (116–136) dies: Der Bauer ist ein Opfer der durch Oktavian und Antonius nach der Schlacht bei Philippi angeordneten Enteignung von Gutsbesitzern zugunsten der Kriegsveteranen, muss also mit weit weniger auskommen als bisher. Wenn er nun sagt, dem, was er lehre, entspreche seine jetzige Lebensweise, aber diese sei früher nicht anders gewesen, bekommt das über sie Gesagte immerhin eine gewisse Aktualität: Es evoziert die Existenzprobleme vieler Römer während der Bürgerkriege, die kurz vor Erscheinen des zweiten Satirenbuches beendet worden waren. 1 2 3 4 5 6 7

Griechische Leichtathletik wird mit den gerade genannten »militärischen« Sportarten der Römer konfrontiert. Der tuskische (= etrurische) Strom ist der in Etrurien entspringende Tiber. Horaz leitet hier »Harpyien« von griech. harpázein (»rauben, raffen«) ab, dem lat. rapere entspricht (daher rapacibus). Ein Sempronius Rufus soll (vermutlich zur Zeit Cíceros) zuerst Storchenfleisch gegessen und, vielleicht weil dieser Vogel Gerechtigkeit und Elternliebe symbolisierte, nicht in ein Amt (das des Konsuls?) gewählt worden sein. Sie sind mager und kaum genießbar. Hunde galten als schmutzig, und u.a. deshalb, weil der Philosoph Diógenes (412/403–324/321 v. Chr.) es absichtlich war, nannte man ihn kýon (griech. »Hund«) und seine Anhänger Kyniker. Gemeint ist, dass er vom Regen in die Traufe kommen kann.



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Die Stoa betrachtete die menschliche Seele als Teil des göttlichen Atems. Die Strenge des Onkels väterlicherseits war sprichwörtlich. Feigen wurden gespalten, damit sie trockneten. Beim griechisch-römischen Gastmahl gab der Symposiarch (»Vorsitzender beim Gelage«) die Menge des zu trinkenden Weins vor. Hier bestimmt allein die Trinkfestigkeit. 12 Ceres kann auch metonymisch für das Getreide stehen.

3 Innerhalb eines dialogischen Rahmens (1–81 / 296–326) lesen wir einen Lehrvortrag, der die stoische Doktrin »Jeder Unvernünftige ist wahnsinnig« belegen soll. Es ist die Rede eines gewissen Stertinius, die sein Schüler, der Bankrotteur Damasipp(us), Horaz auf dessen Landgut zitiert. Hier werden Habgier (82–163), Ehrgeiz (164–223), Genusssucht (224–246), sklavische Hingabe in der Liebe (247–280) und Aberglaube (281–295) als Spielarten von Geisteskrankheit dargestellt. Da Damasipp sich als Sprachrohr des Stertinius über die von ihm behandelten Untugenden übermäßig ereifert, erscheint bei ihm das Verhalten der Menschen, die seiner Ansicht nach »verrückt« sind, ins Groteske verzerrt. Das verhindert freilich nicht, dass Horaz auch diesmal zumindest implizit »lachend die Wahrheit sagt«. Zudem beendet der Dichter die Satire mit Selbstironie, indem er sich von Damasipp Fehler vorwerfen lässt, die zwar nicht die eines Geisteskranken sind, aber durchaus als menschliche Schwächen gelten können. 1 Mit membranae ist vermutlich ein Pergamentkodex gemeint, den man für Entwürfe verwendete, um die Reinschrift dann in einer Papyrusrolle festzuhalten. 2 Ein Bild aus der Webersprache, das aber zu einem »Text« (von lat. textum »Gewebe«) gut passt. Außerdem wird auf den Mythos von Penélope angespielt: Sie hält während der Abwesenheit des Odysseus die sie drängenden Freier dadurch hin, dass sie das am Tage gewobene Leichengewand für ihren Schwiegervater Laërtes in der Nacht immer wieder auftrennt (Homer, Odyssee 2,94 ff.). 3 Wahrscheinlich das Landgut in den Sabinerbergen; vgl. die Einführung S. 11. 4 Diese Dichter werden genannt, weil Horaz sich als Satiriker von ihnen inspirieren lässt: von Platon als dem Meister des Dialogs, von Menander bei der Charakterisierung von Typen, von Eúpolis und Archílochos beim Personenspott.

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Typisch für stoische und kynische Philosophen war ein langer, ungepflegter Bart. 6 Gemeint ist die Stelle auf dem Forum, wo die Bankiers ihre Kontore hatten. 7 Damasipp hat also Antiquitäten verkauft. 8 Die Stoa poikile (»Bunte Halle«) in Athen, die mit Wandmalereien dekoriert war. Da dort der Schulgründer Zenon lehrte, wurde die Philosophie nach ihr benannt. 9 Offenbar eine Anspielung darauf, dass jemandem von Kindern ein Schwanz angehängt wurde, ohne dass er es merkte. 10 In der Tragödie Ilíona des Pacuvius (220–um 130 v. Chr.) spielte ein Fufius die Titelrolle, musste sich schlafend stellen und schlief dabei wirklich ein, so dass er Catienus, der seiner Mutter als ermordeter Sohn im Traum erscheint, nicht rufen hörte, obwohl offenbar die Zuschauer in großer Zahl – 1200 ist das Doppelte des sonst für eine große Menge gebrauchten sescenti – mitriefen. 11 Mit diesem Satz wendet Horaz sich vom Schuldner ab und dem Kreditgeber zu. Dieser lässt den Bankier, der hier Nerius heißt, das Geld an den Schuldner zahlen und buchen. 12 Der Kreditgeber holt sich zusätzliche schriftliche Sicherheiten, wie der Wucherer Cicuta (»Schierling«) sie zu verlangen pflegt. Sie nützen aber nichts, wenn der Schuldner raffiniert genug ist. 13 Das tat, wer jemandem ruhig zuhören wollte. 14 Mit Nieswurz versuchte man Geisteskranke zu heilen. 15 Vgl. Anm. 9 zu Satire 2,2. Entweder hat Staberius sich mit diesen Worten gerechtfertigt, oder es war der Schluss seines Testaments. 16 Mit diesem Satz zitiert Damasipp Stertinius wortwörtlich. 17 Anspielung auf Eurípides, Orestes 260 ff. 18 In zu viel schwarzer Galle, deren Saft glänzt, sah man die Ursache für Schwermut. 19 Zu opimus (»überreich«), was einen komischen Kontrast zur »Armut« des Mannes bildet. 20 Reis, aus Indien importiert (und überwiegend medizinisch eingesetzt), war teurer als Gerstengrütze, die man für eine solche Suppe sonst verwendete. 21 Sie gehörten zum Kinderspielzeug. 22 Vgl. Anm. 12. Zu Nomentanus vgl. Anm. 14 zu Satire 1,1, in dieser Satire V. 224 ff. und 2,8,25 ff. 23 Er denkt an die großen Ausgaben, die diese Magistrate für öffentliche Spiele machen mussten. 24 Als Geschenke für die Besucher von Spielen, z.B. im Zirkus. 25 Zitat von Homer, Ílias 1,18 f.



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26 Leicht abgewandeltes Zitat von Homer, Ílias 1,255. 27 Iphigénië. 28 Sonst geschah das mit Opfertieren. 29 Hier wird eine Version der Sage vorausgesetzt, in der Iphigénië tatsächlich geopfert, nicht ins Taurerland entrückt wird. 30 Kosenamen für Mädchen. 31 Weiß und Schwarz als Kalendermarkierungen für gute und schlechte Tage sind hier auf die Personencharakteristik übertragen. 32 Ein Kind hielt Nüsse oder Kastanien in der Hand; diese erhielt ein anderes Kind, das die Zahl erriet. 33 Ihn soll der zufällige Besuch einer Vorlesung des Philosophen Xenókrates über Selbstbeherrschung dazu gebracht haben, sein bisher ausschweifendes Leben – er trug gerade Kränze, die man sich beim Gelage umlegte – mit der Tätigkeit als Philosoph zu vertauschen. 34 Im Folgenden wird der Anfang der Spielhandlung in der Komödie Der Eunuch von Terenz teils paraphrasiert, teils nahezu wörtlich zitiert (V. 46 ff.). Es sprechen der junge Mann Phaedria und sein Sklave Pármeno. 35 Sie galten als besonders gut schmeckend. Schnippte man die Kerne zwischen Daumen und Zeigefinger und traf damit die Zimmerdecke, sah man das als Vorzeichen für Glück in der Liebe. 36 Die Redensart steht ursprünglich für den Vorgang der Erregung von Ärger bei den Mächtigen. Aber wie verwendet Horaz sie hier? Fordert Stertinius seinen Schüler ironisch auf, »mit dem Feuer zu spielen«? Oder dazu, das Feuer der Liebe auch zu dem des Verbrechens zu entfachen? Das lässt sich nicht entscheiden. 37 Dort befanden sich Heiligtümer der Laren. 38 Anspielung darauf, dass man beim Verkauf eines Sklaven auf dessen körperliche und moralische Mängel hinweisen musste. 39 Der Name ist nicht zu erklären. Vielleicht meint Horaz irgendeinen Verrückten, der als Typ für alle genannt ist. 40 Ein Fieber, das, nicht weiter gefährlich, alle vier Tage wiederkehrte. 41 Am Donnerstag, dem Tag Júppiters, der hier vielleicht mit dem jüdischen Gott gleichgesetzt ist, oder am Montag fasteten die Pharisäer (Lukas 18,12). 42 Man zählte traditionell sieben, darunter Thales und Solon. 43 Anspielung auf eine Fabel, deren älteste uns erhaltene Fassung sich bei Phae­ drus (frühe Kaiserzeit) findet (4,10): Júppiter habe uns zwei Säcke auferlegt: einen, voll mit eigenen Fehlern, auf dem Rücken, einen auf der Brust mit den Fehlern anderer, die wir einzig sehen. 44 König Pentheus von Theben, Verächter des Diónysus, beobachtet heimlich

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Anmerkungen zu Satiren Buch 2

eine Orgie der den Weingott verehrenden Bacchantinnen, wird entdeckt und von ihnen, unter denen sich seine Mutter Agaue befindet, in Stücke gerissen. 45 Luxuriöse Bautätigkeit, wie sie wohl Maecenas zur Zeit der Entstehung des ersten Satirenbuches betrieb, wird von Sittenkritikern in Rom gerne getadelt. Damasipp spielt vielleicht auf die Errichtung der Villa auf Horazens sabinischem Landgut an (die aber sicher nicht sehr aufwendig war). 46 Vermutlich ein Gladiator von kleiner Statur. 47 In Phaedrus 1,24 bläht sich der Frosch so lange auf, bis er wirklich platzt.

4 Horaz wird von einem Catius über die neue Lehre eines (namentlich nicht genannten) Weisen informiert, welche nach Aussage des Berichterstatters diejenige des Pythagoras, Sokrates und Platon übertreffe. Es handelt sich dabei aber lediglich um ein Konglomerat von Ratschlägen für Feinschmecker, das noch dazu keine Gliederung erkennen lässt. Horaz setzt mit dem Referat des Catius an die Stelle eines philosophischen Lehrgedichts, wie es etwa der Epikureer Lukrez (Mitte 1. Jh. v. Chr.) mit Von der Natur der Dinge schuf, einen trivialen Katalog von Speisevorschriften. Da diese überdies zum Teil unkorrekt oder ins Lächerliche verzerrt sind, darf man V. 12–87 als Parodie der Gattung Lehrgedicht betrachten. 1 Sókrates. 2 Gemeint ist Catius’ Fähigkeit, sich gut zu erinnern, die entweder auf Veranlagung oder mnemotechnischer Schulung beruht. 3 Man glaubte, die Nahrung gelange direkt in die Adern. 4 Wenn er auf dem Speisesofa bereits ruht, muss er sich zum Weiteressen wieder aufrichten. 5 Lake von eingelegten Thunfischen. 6 Herkunft und Schreibweise von Vennuncula (als Adjektiv zu uva) sind ungeklärt.

5 Die Satire knüpft direkt an eine Szene in Homers Odysseus-Epos an: Der Held trifft dort am Tor zur Unterwelt die Seele des blinden Sehers Tiresias, um sie über seine Heimkehr zu befragen (Odyssee 11,90–151). Bei Horaz erkundigt er sich zusätzlich danach, wie er sein Vermögen, das er an die Freier seiner Frau Penelope verloren



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hat, zurückgewinnen könne. Darauf erteilt Tiresias ihm eine Lektion über die Kunst der Erbschleicherei. Wie in Satire 2,4 werden wir an ein Lehrgedicht erinnert, wobei diesmal nicht einfach nur parodiert wird, sondern moralisch integre Unterweisung, wie sie die Gattung bisher geboten hatte, eine Verwandlung ins Gegenteil erfährt. Horaz versetzt uns somit in eine »Verkehrte Welt«, spiegelt aber darin moralkritisch die Realität. 1

Mit »Auch dies« (hoc quoque) schließt Horaz unmittelbar an die letzten Worte des Tiresias an (Odyssee 11,149). 2 Statt Armut vom Standpunkt der Moralphilosophie als etwas Positives zu bezeichnen, wie man es von einem erhabenen Seher erwarten würde, kommt Tiresias sofort zur Sache. 3 Dieser Vogel galt als Delikatesse. 4 Typischer Sklavenname, der nach der Freilassung meist beibehalten und mit dem vom Patron übernommenen verbunden wurde. 5 Ulixes/Odysseus war am zehn Jahre währenden Kampf um Troja beteiligt. Hier spielt er wohl auf sein mit Ajax geführtes Wortgefecht um die Waffen des Achilles an. 6 Anspielung auf Homer, Odyssee 20,18, eine berühmte Selbstermahnung: »Trag es, mein Herz; du hast schon viel Hündischeres ertragen!«. 7 Anrede mit dem Vornamen galt als vertraulich, und ein Freigelassener, dem ein solcher gerade erst gegeben worden war, freute sich darüber besonders. 8 D.h. er soll die Aufmerksamkeit auf das eigene Wohlsein lenken. 9 Vgl. Anm. 8 zu Satire 1,7. 10 Zu Furius, zu dessen Spitznamen »Alpinus« der indirekt zitierte schwülstige Vers passt, vgl. Anm. 13 zu Satire 1,10. 11 Sie erscheinen meist in Scharen. 12 Die Anerkennung eines Kindes durch den Vater erfolgte gleich nach der Geburt durch Aufheben (tollere, sustuli, sublatum) vom Boden. 13 Er war nach dem Tod des ersten erbberechtigt. 14 Zeile 1 nannte den Erblasser, Zeile 2 die Erben. 15 Wahrscheinlich wird auf den Mythos von Medea angespielt, die Jasons Vater Äson durch Aufkochen verjüngt. Hier bezieht sich die Metapher auf einen niedrigen Beamten aus einem Fünferkollegium, dem vermutlich die nächtliche Polizei unterstand. 16 Anspielung auf die äsopische Fabel vom Fuchs und vom Raben, bei Phaedrus 1,13. 17 Tiresias spielt hier auf eine Begebenheit an, über die er später berichtet (V. 62 ff.).

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18 Antike Seher gerieten während der Weissagung in der Regel in Ekstase. 19 Komische Doppeldeutigkeit. 20 Oktavian, der seine Familie über den Adoptivvater Julius Caesar auf Ïulus, den Sohn des Äneas, zurückführte; indem Horaz dem Imperator an dieser Stelle und damit zu Beginn der zweiten Hälfte des Satirenbuches kurz huldigt – er spielt offensichtlich auf den Sieg bei Aktium (31 v. Chr.) an –, greift er implizit auf die Erwähnungen in Satire 2,1 zurück (vgl. dort Anm. 2) und bestätigt, dass er Oktavian das Buch indirekt widmet. 21 Sie galt als das Musterbild einer treuen Gattin. 22 Vgl. das Sprichwort »Am Riemen lernt der Hund Leder kauen«. 23 In der Neuen Komödie (vgl. Anm. 6 zu Satire 1,4) ist Davus der Typ des schlauen, intrigierenden Sklaven, der zur Erreichung seiner Ziele auch den Devoten spielen kann. 24 Für einen nur symbolischen Kaufpreis.

6 Horaz beginnt mit einem Dank für das ihm zuteilgewordene Geschenk eines Landgutes (vgl. die Einführung S. 11), den er an Merkur richtet (1–15). Was dieses ihm vor allem ermöglicht, ist Erholung vom hektischen Leben in Rom; dort wird Horaz auf seinen Gängen zu Maecenas ständig von Leuten angesprochen, die wegen seiner guten Beziehungen seine Unterstützung wünschen (16–39). Nachdem der Dichter auch über den Dienst am Patron geklagt hat – dies freilich höchst selbstironisch – (40–76), preist er das bescheidene Leben auf seinem Landgut und die Gespräche, die er dort mit seinen Freunden führt (77–80a). Aus ihnen ergibt sich, dass ein gewisser Cervius ausführlich die Fabel von Stadt- und Landmaus erzählt (80b–117). In den beiden Mäusen spiegelt Horaz vermutlich die »zwei Herzen in seiner Brust«: das, welches für Rom, und das, welches für das Landgut in den Sabinerbergen schlägt. 1 2 3 4

Merkur. Diese Anrede mit Maia nate (»wörtl. von Maia Geborener«) soll offenbar an Maecenate (Ablativ von Maecenas) anklingen; dadurch würde Horaz sich indirekt bei dem (mutmaßlichen) Spender seines Landgutes bedanken. Man verehrte ihn u.a. als den Gott, der zu Reichtum verhalf. Im Deutschen nicht nachahmbares Wortspiel mit dem Adjektiv pinguis, das sowohl »fett« als auch »schwerfällig, geistlos« bedeuten kann. Auf eine zu Fuß gehende Muse beruft Horaz sich deshalb als Autor von Satiren, weil deren poetische Diktion, wie er in 1,4,39 ff. ausführt, der Prosa ähnelt.



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5

Die Sonne, von der man glaubte, sie kreise um die Erde, schien im Winter einen kleineren Kreis zu beschreiben. 6 Schwarz, weil dort ein Friedhof war (vgl. Satire 1,8). 7 In der Nähe befanden sich sowohl das Tribunal des Prätors als auch die Buden von Geldverleihern. Es ist also unklar, was Horaz’ Bekannter von ihm will. 8 Ein solcher war auch Horaz; vgl. die Einführung S. 11. 9 Ein Gladiator, der in thrakischer Rüstung kämpft, mit krummem Säbel und kleinem Rundschild. 10 »Durchlässig« ist natürlich nicht das Ohr, sondern Horaz: Selbstironisch charakterisiert er sich hier als jemanden, der Anvertrautes nicht für sich behalten kann. 11 Horaz meint sich mit »unser Freund« offensichtlich selbst. Indem er von sich in der dritten Person spricht, stellt er sich (wiederum selbstironisch) als unterwürfigen Klienten des Maecenas dar. 12 Gemeint sind die Mächtigen Roms, vor allem Oktavian und Maecenas. 13 Anspielung darauf, dass der Philosoph seinen Anhängern das Bohnenessen verboten haben soll; hier wird das scherzhaft mit der Lehre von der Seelenwanderung erklärt. 14 Das Mischverhältnis Wein/Wasser ist also nicht wie sonst vorgegeben; vgl. Anm. 11 zu Satire 2,2. 15 Ein Pantomime. 16 Dies ist die älteste erhaltene Fassung der bekannten Fabel. Die Version des Phaedrus ist nur in Prosaversionen der Spätantike erhalten (Rómulus 15 in der Ausgabe von Thiele).

7 Wie Damasipp in Satire 2,3 hält hier der Sklave Davus, der damit die Festlizenz der Saturnalien nutzt, Horaz einen auf stoischem Gedankengut fußenden Vortrag. Nach einem kurzen Wortwechsel (1–5) wirft er dem Dichter zunächst Wankelmut vor (6–45), um dann unter Berufung auf den Türhüter des Stoikers Crispin den Lehrsatz »Allein der Weise ist frei, und jeder Unvernünftige ein Sklave« am Beispiel der Person seines Herrn zu belegen (46–115; 116–118 ist nochmals kurzer Wortwechsel). Dabei unterstellt er Horaz moralische Schwächen, die dieser in den vorausgegangenen Satiren immer wieder durch seinen Spott bloßgestellt hat. Wenn er in V. 1 sagt, er habe dem Dichter schon lange zugehört, darf man das so verstehen, dass er sich als »Leser« der Satiren 1,1–2,6 präsentiert und in seinem »reader response« zu zeigen versucht, Horaz habe aus einem Glashaus mit Steinen geworfen. Der

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Satiriker liefert also ein selbstironisches Porträt der eigenen Person, das gut zum Vorschlussgedicht der Sammlung passt; Satire 2,8, in der Horaz keine Rolle spielt, folgt darauf als eine Art Koda. 1

Ironische Anspielung auf die Spruchweisheit, früh stürben die, welche die Götter wegen ihres guten Charakters lieben. 2 Sie herrscht während der Saturnalien. 3 Senatoren hatten einen breiten Purpurstreifen, Ritter einen schmaleren an der Toga. Priscus wechselt wohl einfach nur mehrfach die Kleidung. 4 Gemeint ist offenbar, dass Vertumnus in allen denkbaren Gestalten ihn ständig zum Wechsel zwang, der zu nichts Gutem führte. 5 Die Realitätsreferenz des Bildes ist unklar, aber die Aussage im Kontext ohne weiteres verständlich. 6 Das ist ungewöhnlich spät; im Sommer fand die Hauptmahlzeit nach der neunten Stunde statt, also gegen 15:45 Uhr. 7 Dazu wurden überwiegend Sklaven verurteilt. 8 Die Stelle dürfte als Beleg dafür ausreichen, dass Horaz dem Ritterstand angehörte (vgl. die Einführung S. 10). 9 Vgl. Anm. 4 zu Satire 2,5. 10 Bevor Augustus 18 v. Chr. seine Ehegesetze verabschiedete, konnte ein Mann, der seine Frau beim Ehebruch ertappte, sie und vermutlich auch ihren Liebhaber töten. 11 V. 65 darf als unecht gelten. 12 Sklaven konnten für leichtere Vergehen dadurch bestraft werden, dass man ihnen einen gabelförmigen Block um den Hals legte und vorne die Hände daran fesselte. 13 Eine Freilassung konnte formell oder informell erfolgen; hier wird auf das traditionelle Ritual im Beisein des zuständigen Magistrats angespielt. 14 Auch Sklaven konnten sich Sklaven halten, die aber gegenüber dem Herrn Mitsklaven waren. 15 Die Metapher bildet das sexuelle Verlangen als einen Wagenlenker ab. 16 Gemeint ist wohl etwas Ähnliches wie Werbeplakate für Gladiatorenspiele, die mit ihren Bildern denselben Geschmack angesprochen haben dürften wie die Kämpfe. 17 Sie sind es entweder, weil sie infolge von Trunkenheit unsicher werden oder weil die Gicht sie befallen hat. 18 Zum Sabinum vgl. die Einführung S. 11.



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8 Wie antike Komödien oft mit einem Festschmaus enden, so auch Horazens Satirensammlung. Hier ist es das Gastmahl bei dem reichen Nasidienus, einem Vorläufer Trimalchios in Petrons Satyrica. Horaz selbst saß nicht an der Tafel des Nasidienus, aber er lässt sich von dem Komödiendichter Fundanius darüber berichten. Dieser weilte bei dem Gastmahl mit drei weiteren Freunden des Horaz, die wie er selbst bereits in Satire 1,10 erwähnt sind. Es handelt sich um Maecenas (der seine beiden »Schatten« Balatro und Vibidius mitgebracht hat), Viscus und Varius; hinzu kommt außer Nasidienus der mit ihm befreundete Nomentanus. Sicher ist es kein Zufall, dass in einem Finale vier potentielle Horaz-Leser auftauchen, und es ist ja auch eine großartige »Abschiedsvorstellung«, die Horaz bietet: Wie später bei Petron gibt es viel zu lachen, vor allem weil der Gastgeber zusammen mit Nomentanus jedes Gericht kommentiert, ein besonders prachtvolles durch das Herunterstürzen der Wandteppiche ruiniert wird und die Gäste die anschließend aufgetragenen Delikatessen nicht einmal anrühren, sondern sich davonmachen. 1 2 3

Anspielung auf eine der sakralen Prozessionen für Demeter (Ceres) in Attika. Vgl. Anm. 16 zu Satire 1,10. Die Aufzählung der Namen entspricht der Sitz(bzw. »Liege«-)ordnung, daher »oben« und »unten« ; vgl. auch Anm. 3 zu Brief 1,18. 4 Ständige Begleiter. 5 Anspielung auf einen pathetischen epischen Vers, vermutlich in den Annalen des Ennius, auf den auch Vergil, Aeneis 4,659 f. intertextuell Bezug nehmen dürfte; dort sagt Dido: »Ich werde ungerächt sterben, aber sterben will ich!« 6 Die lat. Entsprechung parochus bezeichnet eine Person, die in offiziellen Angelegenheiten reisende Würdenträger unterwegs mit Kost und Logis zu versorgen hatte (vgl. Satire 1,5,46 mit Anm. 10). Als eine solche Person sehen offenbar die Gäste des Nasidienus ihn an. 7 Beiname des Nasidienus. 8 Vgl. Anm. 3 zu Satire 1,6. 9 Offenbar wurden die Haussklaven bei einem aufwendigen Gelage durch Stallknechte ergänzt, und ein solcher verhielt sich dann sicher nicht besonders geschickt. 10 Die Sandalen legte man ab, bevor man sich auf einem Speisesofa niederließ. Nasidienus benötigt seine, weil er den Saal verlassen wird. 11 Nach Art eines Naturphilosophen. 12 Vgl. Anm. 5 zu Satire 1,8. 13 Den Atem von Schlangen hielt man für giftig und die afrikanischen für besonders gefährlich.

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Anmerkungen zu den Epoden Epoden

(Die in eckige Klammern gesetzten Zahlen hinter den Inhaltsangaben verweisen hier wie bei den Oden auf die Nummer des Metrums in der Übersicht S. 751 ff.)

1 Offensichtlich versetzt Horaz sich aus der Retrospektive in die Zeit unmittelbar vor der Seeschlacht bei Aktium (2. September 31 v. Chr.), an der Maecenas und sehr wahrscheinlich auch er selbst auf der Seite Oktavians teilnahmen: Er sei bereit, mit Maecenas in den Kampf zu ziehen, aber nicht in der Hoffnung auf materiellen Gewinn, da der Freund ihn bereits überreichlich beschenkt habe. [2] 1 2

Oktavian verdankte nicht zuletzt seinen Zweiruderern den Sieg, weil sie schneller und beweglicher waren als die riesigen Kriegsschiffe des Antonius. Der Golf von Biskaya oder der Ärmelkanal könnte gemeint sein.

2 Der Ich-Sprecher, den man (auch im Rückblick auf 1,25 ff.) automatisch mit Horaz identifiziert, schwärmt von den Tätigkeiten des Landmanns im Verlauf der Jahreszeiten und vom Ausruhen am murmelnden Bächlein, schildert dann eine häusliche Idylle bei der von der Gattin bereiteten Mahlzeit, entpuppt sich aber in den vier letzten Versen (67–70) als der Wucherer Alfius, der, schon ganz nahe daran, ein Bauer zu werden, dann doch seine anrüchigen Geldgeschäfte fortsetzt. [2] 1 2 3 4

5 6

Hier in diesem allgemeinen Sinne zu verstehen, erhält das Wort im Rückblick von V. 67–70 die gängige Bedeutung »Geschäfte«. Dort fanden die Gerichtsverhandlungen statt. Vgl. Anm. 2 zu Satire 1,1. Es wurde auch mit ernst zu nehmenden Argumenten für die Lesart Roma, das Palindrom zu amor, argumentiert. Aber da der Wortlaut offensichtlich die elegische Liebe zu einer puella evoziert, die ja auch Thema mehrerer Epoden ist, soll das Distichon einen Kontrast zu dem folgenden über die sittenreine Gattin bilden. In die Adria. Das Perlhuhn.



Anmerkungen zu den Epoden

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3 Horaz schimpft über ein knoblauchhaltiges Gericht, durch das er sich vergiftet fühlt. Er verweist auf die Mythen von Medea und Herkules, in denen mit Gift getränkte Gewänder die damit Bekleideten verbrannten, und bittet Maecenas, er solle nach dem Verzehr von dergleichen seine Geliebte seinen Kuss abwehren lassen. [2] 1 2 3 4

5

Vgl. Anm. 5 zu Satire 1,8. Hoc (»damit«) bezieht sich auf alium (»Knoblauch«). Vgl. Anm. 8 zu Satire 1,7. Nessus, vom Pfeil des Hérkules getroffen, weil er dessen Frau Dëianira zu vergewaltigen versucht, gibt ihr sein mit seinem Blut getränktes Gewand, das sie dem Helden schenken soll, falls dieser ihr untreu wird. Als sie hört, dass Hérkules sich in Ïole verliebt hat, schickt sie ihm das »Nessushemd«, das ihn verbrennt. Nach Knoblauch.

4 Schmähung eines Emporkömmlings, der vom ehemaligen Sklaven zum Ritter aufstieg. Parallelen zu Horaz (Via Sacra in Satire 1,9, Landgut, Militärtribunat und Teilnahme an einer Seeschlacht; vgl. die Einführung S. 10 f.) lassen das Gedicht implizit selbstironisch erscheinen. [2] 1 Eine ulna entsprach etwa 45 cm. 2 Seine Funktion bei der Auspeitschung ist unbekannt. 3 Ein kostbarer Besitz, da dort der Falerner angebaut wurde. 4 Im Theater, wo eine sozial determinierte Sitzordnung vorgeschrieben war. 5 Offensichtlich despektierliche Anspielung auf die Armee des Sextus Pompejus, die Oktavian 36 v. Chr. in der Seeschlacht bei Naulochos besiegt hatte. Oktavians Propaganda schmähte ihn als Piraten und Anführer von Sklaven.

5 Zusammen mit drei weiteren Hexen gräbt Canidia einen Jungen bis zum Hals in die Erde; er soll sterben und ein Liebestrank aus seinem Mark und seiner Leber gebraut werden. Canidia will den ihr untreuen Varus damit zurückgewinnen, nach-

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Anmerkungen zu den Epoden

dem Opfer und Gebet versagt haben. Das Gedicht endet mit einer Verfluchung der Hexen durch den Jungen, so dass offen bleibt, ob wie in Satire 1,8 »Rettung in letzter Not« erfolgt. [2] 1 2 3 4 5 6 7 8 9

Die Toga mit dem Purpurstreifen (toga praetexta), die der Junge trägt, weist ihn als freien Bürger aus, was ihm aber jetzt nichts nützt. Vgl. Anm. 5 zu Satire 1,8. Vgl. Anm. 6 zu Satire 1,8. Sie ist eine den aktiven Part übernehmende Lesbe; das galt in der Antike als besonders anrüchig, weil Frauen beim Sex die passive Rolle zugewiesen war. Das ist entweder dichterischer Plural und bezieht sich dann auf das Haus des Varus, oder die Häuser, in denen Canidia Rivalinnen vermutet, sind gemeint. Offenbar hat Canidia nach dem mit V. 60 beendeten Gebet in einer Pause die Wirkung abgewartet, die dann aber ausbleibt. Glauke, die statt Medea von Jason geheiratet wird. Nicht zurückkehren zu der Rivalin Canidias; diese beschwört ihn mit marsischen Sprüchen herbei, um ihm dann den aus Mark und Leber des Jungen herzustellenden »kräftigeren Trank« zu verabreichen. Vgl. die Vorbemerkung zu Satire 1,8.

6 Horaz warnt den von ihm angeredeten »Hund« unter Berufung auf Archilochos und Hipponax vor seinen jambischen Angriffen und verkündet, er werde jedes wilde Tier und die »Bösen« jagen. Mit dem programmatischen Gedicht dürfte er indirekt zu verstehen geben wollen, dass er real existierende Personen nicht namentlich angreift, Invektiven aber durchaus gegen Gruppen richtet; jedenfalls trifft das auf die anderen Epoden zu. [2] 1 2

Archílochos, dem ein Lykambes seine Tochter Neobule verweigerte, weshalb er ihn in seinen Jamben attackierte. Beide sollen sich deshalb umgebracht haben. Hipponax, ein Jambiker des 6. Jahrhunderts, dessen Gegner ein Búpalos war.



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7 Da Maecenas in Epode 1 vermutlich in Richtung Osten aufbricht, Epode 9 aus der Sicht der Schlacht bei Aktium geschrieben ist und das Gedichtbuch offensichtlich linear gelesen sein will, richtet Horaz, der in Epode 9 als Oktavians Parteigänger spricht, seine entrüstete Rede in diesem Gedicht schwerlich an beide Bürgerkriegsparteien, also nur an die des M. Antonius; diesem weist er implizit die Schuld am erneuten »Bruderkampf« zu. [2] 1

2

Der Triumphzug nach einem siegreichen Feldzug stieg über die Via Sacra hinauf zum Kapitol, aber vor dem Anstieg zweigten die Gefangenen ab und marschierten hinab zu dem am Rande des Forums gelegenen Tullianum, einem unterirdischen Gewölbe im Staatsgefängnis, wo sie hingerichtet wurden. In der Pose des Redners »inszeniert« Horaz die Reaktion seiner Hörer.

8 Horaz schmäht eine ältere Frau, sie mache ihn impotent, weil sie hässlich sei und ihn auch durch ihren Reichtum und ihr Bemühen um philosophische Bildung nicht reizen könne, und fordert sie zur Fellatio auf. [2] 1 2

Offensichtlich betrügt die Angeredete mit Horaz ihren Mann. In der patriarchalischen Gesellschaft Roms war es eher verpönt, dass Frauen über höhere Bildung verfügten.

9 Horaz spricht als Beobachter der Seeschlacht bei Aktium (2. September 31 v. Chr.): Er fragt anfangs, wann man den Sieg werde feiern können, empört sich dann über die Soldaten des Antonius, weil er in ihnen Sklaven Kleopatras, einer Frau, sieht, spielt auf zwei für die Schlacht wichtige Vorgänge an, spekuliert über den Verbleib des davongesegelten Verlierers Antonius und ordert sorgenlösenden Wein. [2] 1 2 3

Im Haus des Maecenas auf dem Esquilin. Die dorische Weise passte zu Kriegsgesängen, die barbarische, womit eine östliche, z.B. die lydische gemeint ist, zu einem Festmahl. Sextus Pompejus, der sich als Neptuns Sohn ausgab; vgl. Anm. 5 zu Epode 4.

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Anmerkungen zu den Epoden

4

Die ägyptische Königin Kleópatra VII. (69–30 v. Chr.), die zusammen mit M. Antonius bei Aktium gegen Oktavian kämpfte. 5 Ein solches symbolisiert besonders signifikant die Verweichlichung, die hier den Soldaten des Antonius unterstellt wird. 6 Auf Oktavians Seite in der Schlacht bei Aktium. 7 Schon vor der Schlacht ging der Galaterkönig Amyntas mit seinem Heer von Antonius zu Oktavian über, wobei sie offenbar einen Kriegsgesang anstimmten. 8 Gemeint ist die Flotte des Antonius, gesehen aus der Sicht des Horaz, der ihren Rückzug in die Häfen des Golfs von Ambrakia beobachtet hat. 9 Der personifizierte Triumphzug wird angesprochen; zu ihm gehören der goldene Wagen des Triumphators und weiße Rinder, die noch unberührt sind vom Joch. 10 C. Marius (157–87 v. Chr.), Sieger im Krieg gegen den nordafrikanischen König Jugurtha (111–105 v. Chr.). 11 Durch die Zerstörung Karthagos im Dritten Punischen Krieg (149–146 v. Chr.) machte Scipio Africanus die Stadt zu einem Grabmal. 12 Lat. solvere (»lösen«) spielt auf griech. lýein (»lösen«) an, das in »Lyäus« steckt.

10 Der Dichter wünscht einem nicht weiter bekannten Mevius, er möge auf seiner Seefahrt in einen Sturm geraten, um dann, an einen Strand geworfen, als Beute Tauchervögel zu erfreuen, und wenn das geschehe, werde Horaz ein Dankopfer bringen. [2] 1

Gemeint ist das Jonische Meer an der Südspitze Italiens, das Italien von Griechenland trennt.

11 Der Dichter erinnert sich an Liebesleid wegen Inachia. Vom Wein zum Sprechen gebracht, habe er sich bei dem von ihm angeredeten Freund Pettius beklagt und sich gleichzeitig ermahnt, sein Gefühl der Unterlegenheit gegenüber den Rivalen abzulegen, habe dann aber doch die Rolle des von der Geliebten ausgeschlossenen Liebhabers gespielt. Jetzt liebe er Lykiskus, und davon könne ihn nur eine neue Liebe abbringen. [3]

1 2 3 4

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Bacchus, der die Zunge löst. Gemeint ist wohl das der Kompensation dienende Schreiben von Versen. Auch die »Füße« der Verse schwanken – zwischen Jamben und Daktylen. Das hier gebrauchte Wort muliercula bezeichnet offensichtlich eine Prostituierte.

12 Wieder ist der Dichter bei einer älteren Frau impotent, weil sie ihn in mehrfacher Hinsicht abstößt, und sie überschüttet ihn daher mit Vorwürfen. [4] 1 2 3 4

Man soll wohl ergänzen, dass diese einen besonders großen Penis haben und die Angeredete eine entsprechend weit offene Vagina hat. Sie wurden für Briefe verwendet. Zu ergänzen: in der Nase. Normalerweise flieht in der antiken Bildersprache eine junge Frau vor einem sie begehrenden Mann wie ein schwaches Tier vor einem Wolf oder Löwen.

13 An einem Wintertag fordert der Dichter Freunde auf, die Herzen beim Wein von Sorgen zu erleichtern. Ausgelöst sein könnten diese durch die politische Unsicherheit nach der Schlacht bei Aktium, die für die Anhänger Oktavians erst durch den Selbstmord des Antonius und der Kleopatra im August 30 v. Chr. beendet war. Dramatisches Datum wäre dann ein Wintertag 31/30 v. Chr. und der mit tu Angeredete könnte Oktavian sein. [5] 1 2 3 4

Der oberste Gott steht metonymisch für das Himmelsgewölbe. Chiron, der Erzieher Achills und anderer Heroen. Die Ebene von Troja. Sie hat die Farbe des Meeres.

14 Auf Maecenas’ Anfrage an Horaz, wann dieser seine Jambendichtung zu Ende führen werde, antwortet der Dichter, Liebe hindere ihn daran. [6]

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Anmerkungen zu den Epoden Der Liebesgott Amor. Das Buch der Epoden. Liebe zu Bathyllus bekennt nur der Ich-Sprecher der nicht von Anákreon verfassten Anakreonteen, die aber metrisch korrekt sind. Zur Lyra, die aus der Schale einer Schildkröte hergestellt wurde. Hélena, deren Entführung durch Paris den Trojanischen Krieg und somit die Eroberung und Verbrennung der Stadt auslöste, oder Paris, da seine mit ihm schwangere Mutter Hékabe (lat. Hécuba) träumte, sie werde eine Fackel gebären, die Troja verbrennen werde.

15 Der Dichter droht Neära, die ihn trotz ihres Treueschwurs betrügt, er werde sich von ihr abkehren und in seiner Standhaftigkeit nicht zu erschüttern sein. Seinem Rivalen prophezeit er, die Geliebte werde ihn verlassen, worüber er trauern, Horaz aber lachen werde. [6] 1

Da der Beiname des Horaz »Schlappohr« bedeutet, unterminiert der Dichter implizit die Betonung seiner Mannhaftigkeit.

16 Vergil als Hirtendichter hatte in Ekloge 4 für die Zeit kurz nach Philippi (42 v. Chr.) den Beginn eines Goldenen Zeitalters prophezeit, aber weil der Bürgerkrieg Ende der 30er Jahre schon von einer weiteren Generation erlebt wird, fordert Horaz die Römer auf, alle oder ihr »besserer Teil« – damit dürfte die Oktavian-Partei gemeint sein –, sollten zu den Inseln der Seligen auswandern, da dort Voraussetzungen wie im Goldenen Zeitalter gegeben seien. [7] 1

Anspielung auf die Ermordung des Remus durch Rómulus, die sich durch »Brudermord« im Bürgerkrieg fortsetzt. 2 Vermutlich sind die Parther gemeint. 3 Die Taube war ein Symbol ehelicher Treue. 4 Feuchtigkeit und Trockenheit. 5 Medea.



Anmerkungen zu den Epoden

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17 Offensichtlich ironisch bittet Horaz die Hexe Canidia im Gebetsstil, ihn von ihrem Zauberbann zu erlösen, wofür er Widerruf seiner negativen Äußerungen über sie verspricht. In ihrer Antwort weigert sich Canidia, die den Hohn nicht bemerkt, die Bitte zu erfüllen. [8] 1

Der gedrehte Zauberkreisel symbolisiert, dass ein Opfer sich von Magie willenlos treiben lässt. 2 Achilles, dessen Mutter Thetis Tochter des Nereus ist. 3 Priamus, der sich am Ende von Homers Ílias in das Lager der Griechen begibt und Achilles dazu bewegt, ihm den (immer wieder von dem Helden) geschändeten Leichnam Hektors zur Bestattung zu übergeben. 4 Die Gefährten des Odysseus/Ulixes wurden von Kirke in Schweine verwandelt, der Held brachte die Zauberin aber dazu, ihnen ihre menschliche Gestalt zurückzugeben. 5 Vgl. Anm. 4 zu Epode 3. 6 Pollux (griech. Polydeukes). 7 Der Chorlyriker Stesíchoros (632/29–nach 557 v. Chr.) war der Sage nach von den Dioskuren blind gemacht worden, weil er ihre Schwester Hélena in einem Gedicht über den Trojanischen Krieg negativ dargestellt hatte, bekam das Augenlicht aber zurück, als er widerrufen hatte. 8 Er war offensichtlich ein fälschlich als das eigene ausgegebenes, also untergeschobenes Kind. 9 Horaz selbst ein »Oberzauberer« – das ist die stärkste Unterstellung. 10 Offensichtlich hat sie bezahlten Unterricht im Hexen genommen und ein Meisterstück geliefert, was ihr nichts mehr nützen wird, seit Horaz sie zum Stadtgespräch gemacht hat. 11 Das wird sonst nur einer Gottheit zuteil.

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Anmerkungen zu Oden Buch 1 Oden Buch 1 1

Am Ende einer Liste von Leuten, die verschiedene Tätigkeiten ausüben, bekennt Horaz sich Maecenas gegenüber zu derjenigen des Lyrikers in griechischer Tradition. [9] 1 2 3 4 5 6 7 8 9

Durch die Bekanntschaft mit Maecenas erscheint Horaz in besonderem Glanz. Der Wendepunkt im Zirkus musste mit größter Vorsicht umfahren werden. Der Palmzweig, den in römischer Zeit der Sieger in einem olympischen Wettkampf erhielt. Durch das Amt des Quästors, des Prätors und des Konsuls. Aus Nordafrika importiertes Getreide, das dort gedroschen worden ist. Áttalus III. von Pergamon in Kleinasien (138–133 v. Chr.) war sehr reich, also: »mit den Schätzen des Attalus«. Auf einem auf Kypros gebauten Schiff; die Insel hatte das geeignete Holz und bot überhaupt alles, was zur Schifffahrt benötigt wurde. Als Dichter in der Nachfolge des Kallimachos gehört Horaz zu den poetae docti, die in ihren Versen nicht nur auf Texte anspielen, sondern auch dazu existierende Kommentare heranziehen. Gemeint ist der Kanon der neun griechischen Lyriker: Alkman, Stesíchoros, Íbykos, Simónides, Pindar, Bakchýlides, Alkaios, Sappho, Anákreon.

2 Von der Sorge wegen einer Tiberüberschwemmung, die ihn die Not der Bürgerkriege assoziieren lässt, leitet Horaz über zu der Frage, welcher Gott dem wankenden Reich helfen könne, erwägt mehrere Unsterbliche und bittet schließlich Merkur, in Gestalt Oktavians lange in Rom zu verweilen und die Parther nicht ungestraft heranreiten zu lassen. [10] 1 2 3 4

Júppiters Rechte ist rot vom Blitz, den sie schleudert. Das Kapitol. Die Zeit der Großen Flut. Die von ihm geweideten Seelöwen.



Anmerkungen zu Oden Buch 1

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5 6

Vom rechten Ufer. Die Regia, Amtssitz des Pontifex Maximus (»Oberster Priester«), dem der Vestatempel an der Via Sacra gegenüberlag. 7 Im Bürgerkrieg, der 31 v. Chr. beendet wurde. 8 Wie in V. 51 sind die Parther gemeint. 9 Die zur Virginität verpflichteten Vestalinnen, Priesterinnen, die das ewige Feuer der Vesta bewachten. 10 Der Kriegsgott Mars, Vater des Rómulus. 11 Merkur.

3 Geleitgedicht für Vergil, der nach Athen reist, und Verwünschung der Meerfahrt als einer der Tätigkeiten, mit denen der Mensch verbotene Grenzen überschreitet. [11] 1 Venus. 2 Kastor und Pollux, die angeblich vor einem Sturm als Gestirn erschienen, das Elmsfeuer. ´ olus. 3 Ä 4 Prometheus. 5 Anspielung auf die Übel, die aus der Büchse der Pandora kamen. 6 D.h. sie öffnete ihm den Weg in die Unterwelt. 7 Die Blitze.

4 Beschreibung des wiedergekehrten Frühlings und Aufforderung zum Fest, die in ein Memento mori übergeht. [12] 1

Da im Frühling die Schifffahrt wieder beginnt, werden die Schiffe mit Seilwinden von den Trockendocks zum Meer gezogen. 2 Er ist es als Gott des Feuers und in seinem Arbeitseifer. 3 Vgl. Anm. 11 zu Satire 2,2. 4 Knöchel wurden als Würfel verwendet. 5 Lýkidas.

692

Anmerkungen zu Oden Buch 1 5

Horaz sagt der blonden Pyrrha voraus, der sie liebende Junge werde über ihre Untreue klagen. Er selbst hat diese offensichtlich bereits erfahren, ist aber darüber hinweggekommen. [13] 1

Anspielung auf das blonde Haar, aber Gold ist auch unvergänglich – im Gegensatz zu Pyrrhas Treue. 2 Neptun.

6 Weil sein Talent, wie er behauptet, zu gering für das Verfassen von Epik ist, singt Horaz nicht von Agrippa oder von Oktavian, sondern von Gastmählern und der Liebe, und das auch nur spielerisch. [14] 1 2 3

Varius erscheint als Epiker in der Nachfolge Homers, dessen mäonische (lydische) Herkunft hier vorausgesetzt wird. Die beiden Themen sind die von Homers Ilias und Odyssee. Wahrscheinlich Anspielung auf Varius’ (verlorene) Tragödie Thyestes. Der Titelheld ist ein Sohn des Pelops, und seine Söhne werden ihm von seinem Bruder Atreus zum Mahl vorgesetzt.

7 Der Dichter lehnt den Preis berühmter Städte Griechenlands aus Liebe zum einheimischen Tibur ab; dann fordert er Plancus auf, durch Weingenuss Traurigkeit und Mühsalen eine Grenze zu setzen, was jetzt im Feldlager ebenso gut wie künftig in Tibur geschehen könne. So habe es auch Teuker nach seiner Verbannung aus Salamis getan und dabei an eine bessere Zukunft geglaubt (worin ihm Plancus offensichtlich folgen soll). [4] 1 Athen. 2 Als Preis für ein gelungenes poetisches Werk. 3 Ausdauer sahen die Lakedämonier als eine ihrer wichtigsten Tugenden an. 4 Die Grotte, die widerhallt von der Stimme der Quellnymphe. 5 Alle drei Angaben beziehen sich auf Tibur.



Anmerkungen zu Oden Buch 1

693

6 Télamon. 7 Zweideutig, weil Teuker auf Kypros eine Stadt mit Namen Salamis gründen wird.

8 Horaz fragt Lydia, warum sie einen jungen Mann namens Sýbaris durch ihre Liebe zugrunde richte und warum er sich von jeder Art von Sport zurückhalte. [15] 1 2 3

Die Mäuler gallischer Pferde. Damit rieb man sich vor sportlichen Übungen ein. Achilles, den seine Mutter dadurch vor der Teilnahme am Trojanischen Krieg bewahren will, dass sie ihn in weiblicher Kleidung unter Frauen auf Skyros Wollarbeit verrichten lässt.

9 Mit Blick auf eine Winterlandschaft fordert Horaz den jungen Thaliarch auf, mehr Wein herbeizuholen. Dann mahnt er ihn, jeden Tag als Geschenk des Zufalls zu genießen und in jungen Jahren Liebesabenteuer nicht zu verachten. [16]

10 Hymnus auf Merkur, in dem die Eigenschaften und Tätigkeitsbereiche des Gottes rekapituliert werden. [10] 1 2 3

»Schön« wegen der jungen Männer, die sich dort aufhalten. Vgl. Anm. 3 zu Epode 17. Merkur als Geleiter der Seelen (Psychopompos) in den Hades.

11 Statt nach dem Zeitpunkt des Todes zu forschen, soll die von Horaz angesprochene Leukónoë jeweils den gegenwärtigen Tag genießen. [17]

694 1 2

Anmerkungen zu Oden Buch 1 Sie soll keine astrologischen Berechnungen anstellen. Wörtlich »Pflücke, bringe als sichere Ernte ein …«.

12 Horaz fragt Klio, welchen Mann, welchen Heros und welche Götter sie preisen werde, und widmet dann in Umkehr der Reihenfolge die zweite von insgesamt fünf Strophentriaden den Göttern (13–24), die dritte und vierte einer »Heldenschau« von Herkules bis Caesar (25–48) und die fünfte dem vir und zweiten Mann nach Juppiter auf Erden, Augustus (49–60). [10] 1 Kallíope, eine der Musen. 2 Júppiter. 3 Diana (griech. Ártemis), die Göttin der Jagd. 4 Kastor und Pollux. 5 Vgl. Anm. 2 zu Ode 1,3. 6 Hánnibal. 7 Gemeint ist offensichtlich der Diktator C. Julius Caesar, der nach seiner Ermordung am 15. März 44 v. Chr. im darauffolgenden Juli als Komet am Himmel gesehen worden sein soll. 8 Göttern geweihte Haine, die entweiht wurden.

13 Eifersucht auf Lydia, wenn sie die Schönheit des jungen Telephus preist, und Beschreibung der körperlichen Symptome dieses Affekts. [11] 1 Télephus. 2 Vgl. Anm. 13 zu Satire 1,9.

14 Ein beschädigtes Schiff wird wie eine Person angeredet und vor der Rückkehr aufs hohe Meer gewarnt. Das Staatsschiff könnte gemeint sein, aber das Metrum würde eher zu einer allegorischen Botschaft an eine Frau passen, die Horaz vor die Wahl zwischen sich und einem anderen Mann stellt. [13]



Anmerkungen zu Oden Buch 1

695

15 Während Paris Helena zu Schiff entführt, prophezeit ihm Nereus den Tod im Trojanischen Krieg und den Untergang seiner Vaterstadt. [14] 1

2 3 4

Paris, der, als Kind von seinen Eltern wegen eines schlechten Omens (vgl. Anm. 5 zu Epode 14) einem Hirten zur Aussetzung auf dem Ida übergeben wird, dort aufwächst und Herden hütet. Wortbrüchig ist er, weil er seinem Gastgeber Menelaus dessen Frau Hélena entführt. Weil er ihr beim Schönheitswettbewerb mit Juno und Minerva den ersten Preis zuerkannt hat. Ulixes/Odysseus, der Sohn des Laërtes. Der Zorn des Achilles und sein Rückzug vom Kampf verursachen im zehnten Kriegsjahr eine vorübergehende Überlegenheit der Trojaner.

16 Horaz bittet die angeredete Frau, die Jamben, mit denen sie ihn geschmäht hat, zu vernichten, und reflektiert über den Jähzorn. Auch er schrieb einst Jamben, aber jetzt hofft er, die Zuneigung der Frau dadurch, dass er nicht mehr zürnt, sondern sanftmütig ist, zurückzugewinnen. [16] 1 2 3 4 5 6

Apollo als Gott von Delphi. Der an V. 5–7a (»Dindymene, Apollo und Liber erschüttern ihre Anhänger nicht in gleicher Weise … [wie]«) anknüpfende Gedanke wäre »die Zimbeln erschüttern die Korybanten nicht so … [wie])«, ist hier aber umgedreht. Er galt als Sitz des Zorns. Die Eroberer einer Stadt führten nach deren Zerstörung einen Pflug über die Ruinen, um zum Ausdruck zu bringen, dass sie nicht mehr existiere. Die im reinen Jambus [Versmaße Nr. 7] sechsmalige Abfolge von kurzer und langer Silbe erzeugt den Eindruck von Schnelligkeit. Offensichtlich sind die Epoden gemeint.

696

Anmerkungen zu Oden Buch 1 17

Der Dichter preist gegenüber Tyndaris eine bukolische Idylle, in der sie sich, wenn sie sich dorthin begibt, nicht vor Gewalttätigkeit des eifersüchtigen Kyrus fürchten müsse. [16] 1 Gemeint ist der Ziegenbock. 2 Týndaris. 3 Ulixes/Odysseus. 4 Es wird keinen Streit unter Zechern geben. 5 Er ist eifersüchtig.

18 Loblied auf den Wein, verbunden mit einer Warnung vor übermäßigem Genuss. [17] 1

2 3 4

Gemeint ist wohl: »den Thyrsus (ein von den Anhängern des Bacchus getragener, mit Efeu oder Weinreben umwundener und oben mit einem Pinienzapfen versehener Stab) bei einer Bacchusorgie schütteln«; auf eine solche ist auch in V. 12b–14a angespielt. In V. 14b–16 ist das als »Trinken im Übermaß« zu verstehen. Er will nicht die heiligen Symbole des Bacchuskults aus den unter Efeu, Weinund Fichtenlaub verborgenen Truhen herausnehmen und so entweihen. Musikinstrumente, deren Klang in Ekstase versetzte. In Wirklichkeit ist »Untreue« gemeint.

19 In seine schon überwundene Leidenschaft für Glykera zurückgefallen, kann Horaz nicht von Kriegen dichten und will Venus mit einem Opfer um Milde bitten. [11] 1 Bacchus. 2 Glýkera. 3 Anspielung auf die Kampftaktik der Parther: Sie ergriffen zu Pferde scheinbar die Flucht, drehten sich dann um und schossen auf den Verfolger. 4 Er dient als provisorischer Altar.



Anmerkungen zu Oden Buch 1

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20 Horaz lädt Maecenas zu billigem Sabiner ein, erinnert an einen Applaus für den Patron im Theater und nennt vier kostbare Weine, die dieser, aber nicht er selber trinkt. [10] 1 2

Pompejus ließ es 55 v. Chr. auf dem Marsfeld erbauen. Vgl. auch Anm. 2 zu Ode 2,17. Der Tiber, der in Maecenas’ Heimat Etrurien entspringt.

21 Aufforderung an junge Frauen, von Diana, an Knaben, von Apollo zu singen, die selbst Züge eines Gebetshymnus aufweist. [13] 1

Merkur; vgl. Ode 1,10,6.

22 Vor dem Dichter, der von Lalage singt, flieht ein Wolf; er würde Lalage auch im unwirtlichen Norden und im unbewohnbaren heißen Süden lieben. [10] 1 Vgl. Anm. 12 zu Satire 1,9. 2 Hier nicht die Buchten, sondern die an sie grenzenden Wüsten. 3 Lálage. 4 Apulien, über dessen nördliches Gebiet ein König Daunus geherrscht haben soll. 5 Numidien in NW-Afrika. 6 Der vom Sonnengott täglich von Ost nach West gelenkte Wagen.

23 Horaz fordert Chloë, die ihn meidet, obwohl sie reif für einen Mann ist, dazu auf, nicht mehr ihrer Mutter nachzulaufen. [13] 1

Das Bild soll vermutlich eine Penetration evozieren.

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Anmerkungen zu Oden Buch 1 24

Trost für Vergil, der den Tod des Quintilius am heftigsten beweint, mit der Mahnung, sich mit dem abzufinden, was nicht zu ändern ist. [14] 1 2

3

Júppiter, von Mnemósyne Vater der Musen. Seine Identität ist unbekannt, aber es dürfte sich bei ihm um den Kritiker Quintilius in Ars poetica 438–444 und den Kointílios in den Philodem-Papyri handeln, der dort zusammen mit Vergil genannt ist (M. Gigante, Philodemus in Italy, Ann Arbor 2002, 47). »Anvertraut«, d.h. »in ihre Hände gegeben«, z.B. während einer Reise oder einer Krankheit, aber nicht unter der Voraussetzung, dass sie ihn sterben ließen. Möglich wäre auch »dir (= Vergil) anvertraut«, aber nicht für die Ewigkeit.

25 An Lydia, gegen deren Fenster die jungen Männer laut Horazens Behauptung seltener als früher Steine werfen: Als alte Frau werde sie auf der Gasse klagen, weil die Jugend sie verschmäht. [10] 1

Vgl. Anm. 13 zu Satire 1,9.

26 Unbekümmert um die außenpolitische Lage fordert Horaz seine Muse auf, Lamia zu ehren. [16] 1 2

Das Sternbild des Großen und Kleinen Bären am nördlichen Sternenhimmel. Mit einem Lied in der Tradition der Sappho und des Alkaios.

27 Gastmahlszene: Horaz ermahnt die Zecher, nicht zu streiten, und trinkt nur unter der Bedingung Falerner, dass der Bruder der Megylla von seiner Liebesaffäre erzählt.



Anmerkungen zu Oden Buch 1

699

Das geschieht, und der Dichter bedauert den Mann als unrettbares Opfer einer Charybdis und Chimära. [16] 1 2 3 4

Vgl. Anm. 4 zu Satire 2,4. Zugefügt durch Amor. Prostituierte konnten als Charybdis bezeichnet werden. Durch ihren Schlangenschwanz.

28 Ein toter Schiffbrüchiger spricht erst zu Archytas und entwickelt, von dessen Person ausgehend, den Gemeinplatz »Alle Menschen müssen sterben«, dann zu einem Seemann, den er um Bestattung durch etwas Staub bittet. [4] 1 Tántalus. 2 Pythágoras. Sohn des Panthus ist »zunächst« der Trojakämpfer Euphorbus, dessen Seele laut Pythágoras in die Seine übergegangen sein soll. 3 Er hatte in einem Heratempel in Argos gehangen. 4 Soldaten, die im Kampf fallen. 5 Als Vater des Taras, des mythischen Stadtgründers.

29 Horaz wundert sich, dass Iccius, bisher philosophisch interessiert, an einem Kriegszug gegen die Araber teilnehmen will. [16] 1 2 3

Die militärische Expedition wurde 26/25 v. Chr. oder ein Jahr früher von Aelius Gallus, dem Präfekten von Ägypten, durchgeführt, allerdings ohne großen Erfolg. Man erhoffte sich offenbar die Ausweitung auf einen Partherfeldzug. Er hätte also die Funktion des Mundschenks.

30 Der Dichter ruft Venus zusammen mit Amor, den Grazien, den Nymphen, Juventas und Merkur zu Glykera. [10]

700

Anmerkungen zu Oden Buch 1

1 Glýkera. 2 Amor.

31 Horaz bittet Apollo als den Herrn des von Augustus am 9. Oktober 28 v. Chr. geweihten Tempels auf dem Palatin nicht um Reichtümer, sondern darum, dass er körperlich und geistig gesund das, was er hat, genießt und in Ehren als Dichter altert. [16] 1 Wein. 2 Apollo.

32 Hymnus an die Lyra, mit der Horaz sich in die Nachfolge des Alkaios stellt. [10] 1 Alkaios. 2 Amor.

33 Horaz rät dem Elegiker Albius (bei dem es sich wie bei dem Adressaten von Brief 1,4 um Tibull handeln dürfte) davon ab, über Glykeras Untreue Schmerz zu empfinden; Liebende seien wie er selbst der Willkür der Venus unterworfen. [14]. 1 Glýkera. 2 Phóloë. 3 Mýrtale.

34 Horaz ist von einer Philosophie als »unsinniger Weisheit« abgekommen, weil Juppiter bei heiterem Himmel gedonnert habe; daraus könne man göttlichen Einfluss auf das Schicksal der Menschen erschließen. [16]

1

Anmerkungen zu Oden Buch 1

701

Er meint offensichtlich die Philosophie Epikurs, die das Wirken der Götter im Leben der Menschen leugnet.

35 Hymnus an Fortuna: Preis ihrer Macht (1–28) und Gebet (29–40): Die Göttin möge Feldzüge gegen auswärtige Feinde begünstigen. [16] 1 2 3 4 5 6 7

Sie pflegten vor Invasoren zu fliehen. Ein Symbol für den Herrscher. Dies sind Attribute des Baugewerbes, die symbolisieren, wie fest »zementiert« die (hier personifizierte) Notwendigkeit ist. Sie trägt dann ein Trauergewand. Augustus plante einen (dann jeweils nicht durchgeführten) Britannienfeldzug 34, 27 und 26 v. Chr. Vermutlich Anspielung auf die Arabien-Expedition; vgl. Anm. 1 zu Ode 1,29. Unter dem Roten Meer verstand man die Gesamtheit von Rotem Meer, Persischem Golf und Arabischem Meer. Anspielung auf die Bürgerkriege.

36 Begrüßung des aus Spanien zurückgekehrten Freundes Numida, für den ein Gelage veranstaltet werden soll. [11] 1 Númida. 2 Ein (aus griechischer Sicht) noch weiter westliches Land als Italien, das sonst mit Hesperien gemeint ist: offensichtlich Spanien. 3 Was das bedeuten soll, ist unklar. Am ehesten wäre daran zu denken, dass Lamia in Númidas Kindheit die dominierende Bezugsperson war. 4 Mit 15 vertauschte ein junger Römer seine Toga mit Purpurbesatz (toga praetexta) mit der weißen Männertoga (toga virilis). 5 Mit Kreide (lat. creta, also Wortspiel mit dem Namen der Insel) wurden besondere Tage notiert, vermutlich im Kalender. 6 Dámalis. 7 D.h. im Trinken einer größeren Menge auf einen Zug.

702

Anmerkungen zu Oden Buch 1 37

Der Dichter beginnt mit der Aufforderung zur Feier des Siegs über Kleopatra und geht zu einer Art Nachruf auf die ägyptische Königin über. [16] 1 2 3 4

Eine Couch mit Polstern, auf denen während eines religiösen Festes Bilder oder Symbole von Göttern aufgestellt wurden. Vgl. Anm. 4 zu Epode 9. Eunuchen; vgl. Epode 9,13–16. In der Seeschlacht bei Aktium am 2. September 31 v. Chr.

38 Der Dichter sagt einem Sklavenjungen, ihm sei luxuriöser Aufwand beim Weintrinken nicht angenehm. [10] 1

Orientalen galten als prunkliebend.



Anmerkungen zu Oden Buch 2

703

Oden Buch 2 1 Pollio soll nach Beendigung seines Epos über den Bürgerkrieg wieder Tragödien schreiben. Er stellt die Ereignisse des schrecklichen Mordens so lebendig dar, als würde er sie selbst inszenieren, aber Horaz ruft seine Muse von der Vergegenwärtigung der Leiden des Krieges zur Heiterkeit der Liebeslyrik zurück. [16] 1 2 3 4

5 6 7 8

Pollios (verlorenes) Werk begann mit dem Jahr 60 v. Chr., in dem Caesar, Pompejus und Crassus ihren »Freundschaftsbund«, das sog. »Erste« Triumvirat, schlossen. D.h. er wird zur Tragödie als einer in Athen begründeten Gattung zurückkehren. Pollio triumphierte über die von ihm besiegten Parthiner in Dalmatien (heute Albanien) im Oktober 39 oder 38 v. Chr. Der Triumphator trug einen Lorbeerkranz. Gemeint ist vermutlich Q. Metellus Pius Scipio, der Kommandant der von Caesar 46 v.Chr eroberten Stadt Thapsus, der (wie Cato) Selbstmord beging und so »Opfergabe« für Jugurtha wurde, den u.a. sein Großvater Q. Metellus Numídicus schwer in Bedrängnis brachte. Italien brach während des Bürgerkriegs zusammen. Der Apulier Horaz bringt seine eigene Erfahrung mit dem Bürgerkrieg ein. Totenklage nach Art derjenigen des Chorlyrikers Simónides von Keos (556–ca. 468 v. Chr.). D.h. mit anspruchsloserem Stil und Inhalt als im Epos; vgl. Anm. 5 zu Ode 4,2,33.

2 Über den weisen Umgang mit Reichtum auf der Grundlage des stoischen Lehrsatzes, nur der Weise sei ein König. [10] 1 2 3

Anspielung auf die Flügel des Ikarus, die, durch Wachs zusammengehalten, sich in Sonnennähe auflösen (vgl. Ovid, Metamorphosen 8,226 f.). Punier lebten in Gades und Karthago, also auf beiden Kontinenten. Phraates II., um 29 v. Chr. durch Tiridates II. aus der Herrschaft vertrieben, er-

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4

Anmerkungen zu Oden Buch 2

oberte sie 26/25 zurück. Mit dem Thron des Perserkönigs Kyros ist der parthische Königsthron gemeint. D.h. dem, der sich durch Berge von Schätzen nicht blenden lässt.

3 Ermahnung zu Gleichmut und Genuss des Lebens angesichts des Todes, der zwischen Reich und Arm nicht unterscheidet. [16] 1 2

Der Parzen, die die Schicksalsfäden spinnen. Charons Kahn, mit dem er die Toten über den Unterweltsstrom transportiert.

4 Horaz empfiehlt Xanthus, sich seiner Liebe zu einer Magd nicht zu schämen, argumentiert mit mythischen Parallelfällen und hält königliche Abkunft der Frau, die Phyllis heißt, für denkbar. Dann preist er, ohne selbst verliebt zu sein, wie er behauptet, ihre Schönheit. [10] 1

Agamemnon liebt die jungfräuliche Priesterin Kassandra, die von Ajax (2) vergewaltigt worden ist. 2 Achilles. 3 Sie ist also keine typische Hetäre, weil sie sonst primär am Geld interessiert wäre. 4 Horaz ist also hier mehr als 40 Jahre alt.

5 Lalage, die jetzt noch nicht an Männer denkt, wird bald einen Sexualpartner begehren, sie, die mehr geliebt wird als Pholoë, Chloris und der Knabe Gyges, dem die ganze letzte Strophe gewidmet ist. [16] 1 Lálage. 2 Phóloë. 3 Anspielung auf den Mythos von Achilles auf Skyros (vgl. Anm. 3 zu Ode 1,8). Ein »scharfsinniger« Gast ist dort Odysseus/Ulixes, der die Maskerade des Achilles durch eine List enttarnt.



Anmerkungen zu Oden Buch 2

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6 Horaz wünscht sich Tibur als Alterssitz, wenn aber das nicht möglich ist, Tarent, wohin Septimius mitkommen und wo dieser an seinem Grab weinen soll. [10] 1 2

Da für Horaz nach 31 v. Chr. kein Militärdienst belegt ist, könnte Septimius gemeint sein. Zum Schutz ihrer Wolle.

7 Begrüßung eines Pompejus, der mit Horaz bei Philippi kämpfte, aber jetzt erst nach Rom zurückkehrt und nun von dem Dichter zum gemeinsamen Gelage eingeladen wird. [16] 1 2

3 4

Eindeutig ist Augustus gemeint, der seinen einstigen Bürgerkriegsgegner Pompejus offensichtlich begnadigt hat. Vgl. Anm. 17 zu Satire 1,9. Da Horaz in Ode 1,2,41–44 Merkur bittet, in der Gestalt des Augustus vom Himmel herabzukommen, könnte er hier andeuten, dass ihn dieser bei Philippi »gerettet« habe; das wäre dann als Allegorie darauf zu verstehen, dass der Dichter rund sieben Jahre nach Philippi zur Oktavian-Partei überwechseln konnte (vgl. Einführung S. 10 f.). Gemeint ist der Venuswurf als der beste beim Würfeln. Vgl. Anm. 11 zu Satire 2,2.

8 An Barine, der ihre notorische Treulosigkeit nicht schade: Alle jungen Männer begehren sie, und Venus, die Nymphen und Cupido lachen über ihre Meineide. Mütter, geizige alte Männer und frischvermählte junge Frauen dagegen fürchten sie für die jungen Männer. [10] 1 2 3 4

Man glaubte, Meineidige würden von den Göttern durch entstellende Veränderungen am Körper gestraft, z.B. dadurch, dass die Fingernägel weiße Flecken bekamen. Euphemistisch für »bestattet«. D.h. bei den in der Strophe genannten Instanzen falsch schwören. D.h. die Sterne.

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Anmerkungen zu Oden Buch 2 9

Horaz mahnt Valgius, nicht ständig wegen des ihm genommenen Knaben Mystes elegisch zu klagen, und fordert ihn auf, mit ihm von den neuen Siegen des Augustus zu singen. [16] 1

Elegien, die vermutlich in einer Sammlung mit dem Titel Amores (V. 11; »Liebesbekundungen, Liebeserfahrungen«) vereint waren. 2 Der Knabe ist entweder gestorben oder wurde – dafür wurde mehrfach mit plausiblen Argumenten eingetreten – Valgius durch einen Rivalen geraubt. 3 Nestor. 4 Der Euphrat.

10 Licinius soll alle Probleme dadurch bewältigen, dass er in Notlagen beherzt auftritt und sich im Glück selber Beschränkungen auferlegt, also die »goldene Mitte« wählt. [10] 1

Sie kann z.B. durch Untiefen gefährlich sein.

11 Aufforderung an Hirpinus Quinctius, sich nicht um Probleme der auswärtigen Politik zu kümmern, ohne Stress wegen der Bedürfnisse des Lebens und angesichts des Alters im Grünen zu bechern und eine Prostituierte mit ihrer Lyra dazu zu holen. [16] 1

D.h. das »Feuer« des puren Weines durch Mischen mit Wasser mildern.

12 Horaz, für den Geschichte und Mythos nicht zur Lyrik passen, überlässt Maecenas das Verfassen historischer Prosaschriften über Augustus und preist die musische Begabung, die Schönheit und den Eros seiner Likymnia. [14]

1 2 3 4

Anmerkungen zu Oden Buch 2

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Die Giganten. Hier wird auf den Kampf der Götter mit den Giganten angespielt, die den Olymp (»das strahlende Haus des alten Saturn«) zu erstürmen versuchen und besiegt werden. Im Triumphzug. Ein in der erotischen Sprache der römischen Poesie für »sklavisch verehrte Geliebte« verwendetes Wort. Armbewegungen spielten eine wichtige Rolle bei antiken Tänzen.

13 Von der Verfluchung eines Baumes auf seinem Landgut, der beinahe auf ihn gefallen wäre, kommt Horaz über die Unvorhersehbarkeit des Todes zu einer Vision der beinahe von ihm betretenen Unterwelt: Er sieht Sappho und Alkaios singen und diese (wie Orpheus) außer den Toten auch die Hades-Monster und die Büßer verzaubern. [16] 1 Gemeint ist nur der römische Soldat. 2 Vgl. Anm. 3 zu Ode 1,19. 3 Gemeint ist Liebeskummer. 4 Der Höllenhund Kérberus. 5 Tántalus.

14 Der nicht aufzuhaltende und unvermeidliche Tod ist für alle gleich, und der Adressat Postumus wird alles zurücklassen müssen, noch dazu einem unwürdigen Erben. [16] 1 2 3 4

5

Mit den Wogen des Styx. Der Gott steht metonymisch für Krieg. Fiebrige Erkrankungen waren in dieser Jahreszeit in Rom häufig. Die fünfzig Töchter des Königs von Argos, die mit Ausnahme von einer in der Hochzeitsnacht ihre Männer, die Söhne ihres Onkels Ägyptus, getötet haben; ihre Strafe in der Unterwelt besteht darin, dass sie unaufhörlich Wasser in ein durchlöchertes Fass füllen müssen. Sie ist der Baum des Todes.

708 6

Anmerkungen zu Oden Buch 2 Caecuber war sehr kostbar, und Tafelluxus galt als charakteristisch für die Festessen der Priester.

15 Kritik an übertriebenem Luxus bei der Anlage von Gärten durch Privatleute, denen die Bescheidenheit der römischen Vorzeit vor Augen gehalten wird. [16] 1 2 3

Zier- oder Fischteiche. D.h. die Nordlage (vgl. Anm. 2 zu Ode 1,26) sicherte permanente Kühlung. Als Material für den Hausbau.

16 Ausgehend davon, dass alle Menschen nach seelischer Ruhe streben und Reichtum sie nicht gewähren kann, bekennt sich Horaz gegenüber dem reichen Adressaten Grosphus zu einem bescheidenen Dasein. [10] 1

Bei einem Reichen.

17 Horaz gelobt Maecenas, dass er ihm am Tag von dessen Lebensende in den Tod folgen werde, und gibt eine astrologische Begründung dafür, dass beiden ein gemeinsames Schicksal vorbestimmt sei. [16] 1 2 3 4

Gemeint ist die Adria, die im Winter im Zeichen des Steinbocks heftige Stürme erleben konnte. Vielleicht eine freudige Reaktion darauf, dass Maecenas von einer Krankheit genesen war; hier liegt das näher als in Ode 1,20,5–8, wo eine Ovation ohne besonderen Anlass gemeint sein kann. Vgl. Ode 2,13. Der Gott, Vater des Faunus, hat, wie Horaz in Ode 2,7,13–16 behauptet, ihn aus der Schlacht bei Philippi entrückt.



Anmerkungen zu Oden Buch 2

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18 Horaz nennt zunächst Luxusgüter, die er nicht besitze, und bekundet seine Zufriedenheit mit dem, was er hat (1–14). Dann hält er einem namentlich nicht genannten Adressaten vor, dieser sei maßlos bei der Errichtung von Häusern und der Erweiterung seines Grundbesitzes, ohne an das Grab zu denken, das Arme und Reiche gleichermaßen erwarte (15–40). [18] 1

Blaugraue Marmorarchitrave vom Hymettus auf gelben afrikanischen Marmorsäulen. 2 Das ist übertrieben, denn der afrikanische Marmor wurde etwa 150 km westlich des heutigen Tunis gebrochen. 3 D.h. er wünscht in seinen Gebeten nicht mehr, als er hat. 4 Maecenas. 5 Seine Identität ist umstritten. 6 Es ist besonders an seinen Sohn Atreus und dessen Familie zu denken.

19 Hymnus auf Bacchus. [16] 1

Die Hochzeitskrone der mit Bacchus vermählten Ariadne ist als Sternbild an den Himmel versetzt. 2 Júppiter. 3 Vgl. Anm. 1 zu Ode 2,12. 4 Der Gott verwandelt sich hier in einen Löwen. 5 Bacchus wird oft mit Stierhörnern dargestellt.

20 Horaz verkündet Maecenas, er werde nicht sterben, sondern, in einen Schwan verwandelt, über Länder und Meere fliegen, so dass man ihn überall kennen werde, und deshalb soll es seinetwegen keine Totenklage geben. [16] 1

Als Mensch und als Vogel. Vates hat hier die doppelte Bedeutung von »Dichter« und »Prophet«.

710 2 3

Anmerkungen zu Oden Buch 2 Es ist sowohl an das Tosen der Wogen in der Meerenge als auch an die Bedeutung ihres Namens zu denken: »Ochsenfurt«. Gemeint ist sowohl das Wehgeschrei als auch die conclamatio, ein rituelles Rufen des Toten, durch welches sichergestellt wird, dass er nicht mehr lebt.



Anmerkungen zu Oden Buch 3

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Oden Buch 3 1 Nach einer Vorrede zu 3,1–6 und einem Bekenntnis zu Júppiter als dem Herrn über den Kosmos plädiert Horaz für Genügsamkeit als das Gegenteil von Streben nach Reichtum und Luxus, das sich von Angst, Drohungen und Sorge bedrängt sieht. [16]. 1

Gemeint sind offensichtlich die Oden 3,1–6, der Zyklus der sogenannten »Römeroden« (vgl. Einführung S. 19). 2 Vgl. Anm. 1 zu Ode 2,12. 3 Zur Wahl der Konsuln und Prätoren. Auf den Hügeln Roms, von denen er kommt, wohnten die Reichen Roms. 4 Vgl. Anm. 2 zu Satire 1,1. 5 Sie ist hier wie Angst, Drohungen und Sorge in V. 37 bzw. 40 personifiziert. 6 Sie waren als besonders luxuriös bekannt. 7 Marmor. 8 Dort befindet sich sein Landgut (vgl. Einführung S. 11).

2 Der Dichter erwartet von jungen Römern, dass sie zu Entbehrungen bereit sind und voller Todesverachtung gegen die Parther kämpfen, definiert Mannhaftigkeit und distanziert sich von denen, die verpflichtendes Schweigen brechen. [16] 1 2 3 4

Bei der Bewerbung um ein Staatsamt. D.h. nimmt das Amt eines Konsuls oder Prätors an, dem Liktoren zugeteilt sind. Die nur Geweihten zugänglichen Mysterien der Göttin. Sie ist hier personifiziert.

3 Auf eine Vorrede, in der die Vergöttlichung von Heroen mit ihrer Gerechtigkeit und Standhaftigkeit begründet wird (1–16), folgt das Zitat der von Juno im Götterrat

712

Anmerkungen zu Oden Buch 3

gehaltenen Rede, in der sie die Apotheose des Romulus akzeptiert, aber als Bedingung für die künftige Größe Roms verlangt, dass es nicht habgierig wird und Troja nicht wieder aufbaut (17–68). Im Epilog ruft sich der Dichter zur »kleinen« Poesie zurück (69–72). [16] 1

Es liegt nahe, bei dem vir an den in V. 11 genannten Prinzeps Augustus zu denken; vgl. Ode 1,12,1 Quem virum …, wo es eindeutig ist. 2 Der Herrscher erscheint hier unter Heroen, die in den Himmel aufgenommen wurden. 3 Die Vergöttlichung des Rómulus; vgl. V. 29 ff. 4 Paris, der beim Schönheitswettbewerb zwischen Juno, Minerva und Venus für Venus entschied. 5 Hélena. 6 Laómedon. 7 Rómulus, Sohn der Rhea Silvia. 8 Äneas und die mit ihm nach Latium gekommenen Trojaner. 9 Die heutige Straße von Gibraltar.

4 Nach Aufforderung der Muse zu einem langen Lied zeigt der Dichter anhand seiner Vita, dass er unter dem Schutz der Musen stehe (1–36). Diese wiederum erquicken Caesar (Oktavian) nach einem Kriegszug und spenden ihm consilium [»Rat«] (37–42a). Daraus, dass der Versuch der Titanen und Giganten, mit Gewalt die Himmelsherrschaft zu erringen, in ihrem Untergang endete, leitet der Dichter ab, ohne consilium [»weises Urteil«] ausgeübte Gewalt führe ins Verderben, und belegt dies zudem durch Beispiele von Unterweltstrafen für Gewalttäter (42b–80). Da Oktavians Sieg über Antonius die Zeitgenossen an Júppiters Sieg über die Titanen und Giganten erinnert haben dürfte, wird wohl jedes Bemühen um eine gedankliche Verbindung der drei Teile von diesem Hintergrund auszugehen haben. [16] 1 2 3 4

Dem der Flöte im Gegensatz zu dem dunklen der Lyra. Dort befindet sich sein Landgut (vgl. Einführung S. 11). Vgl. Ode 2,13. Bei dem nach Palinurus benannten Kap an der lukanischen Küste (heute Capo Palinuro) verlor Oktavian 36 v. Chr. im Seekrieg gegen Sextus Pompejus, an dem Horaz möglicherweise teilnahm (vgl. Einführung S. 11) viele Schiffe in einem Sturm.

5 6 7 8 9 10 11 12 13 14

Anmerkungen zu Oden Buch 3

713

Den Tánaïs (heute Don). D.h. in der Musengrotte, was freilich nur symbolisch zu verstehen ist; man wird an eine Rezitation von Dichtung für Oktavian-Augustus zu denken haben. Die Unterwelt als das Reich Plutos. Die Giganten Otos und Ephialtes, die, um den Himmel zu erstürmen, die thessalischen Berge aufeinander türmten. Vulkanus bedeutet auch metonymisch »Feuer«, und dieses ist »gierig«. Hier ist wohl auch an »begierig zu kämpfen« zu denken. Auf Delos. So ist sententiae offensichtlich zu verstehen, da es sich auf V. 65–68 beziehen muss. Als Mutter der Giganten; vgl. Anm. 1 zu Ode 2,12. Vgl. Anm. 13 zu Satire 1,9. Die Zahl steht für »unzählig«. Denkbar ist eine Anspielung auf Antonius, der wegen seiner Liaison mit Kleópatra als Lüstling galt.

5 Horaz behauptet nach einem kurzen Augustuspreis zunächst, die Soldaten des Crassus lebten bei ihren Feinden – sie waren 53 v. Chr. bei Karrhä von den Parthern geschlagen worden – als Männer parthischer Frauen, und stellt das dann durch Rekurs auf die Geschichte von Regulus, deren Bekanntheit er voraussetzt, als Schande dar. (255 von den Karthagern gefangen genommen, soll der Ex-Konsul, um einen Gefangenenaustausch anzubieten, nach Rom geschickt, freiwillig zurückgekehrt und umgebracht worden sein). Horaz lässt ihn in V. 18–40 ausführlich zu Wort kommen. [16] 1

Wird dem Senat hier implizit vorgeworfen, er habe akzeptiert, was in V. 5–12 gesagt ist? Die Lesart curia ist umstritten. 2 Das Original des ancile soll unter König Numa vom Himmel gefallen sein, und da man das Schicksal Roms daran gebunden sah, wurden zur Täuschung potentieller Diebe elf Nachbildungen angefertigt. 3 Den Namen »Römer«. 4 D.h. sein Tempel auf dem Kapitol in Rom. 5 Da Marte auch mit coli zu verbinden ist, dürfte zu verstehen sein, dass es Römer sind, die die von ihnen verwüsteten karthagischen Felder bestellen. »Mars« steht wie in V. 34 metonymisch für »Krieg«.

714 6 7

Anmerkungen zu Oden Buch 3 Die Senatoren. Offenbar hatte er dort ein Landgut.

6 Der Dichter fordert die Römer zum Wiederaufbau ihrer Tempel auf, da Rom dem Gehorsam gegenüber den Göttern seine Macht verdanke, diese jedoch durch Vernachlässigung der Religion in Gefahr bringe. Sittenlos sei man im Bereich der Ehe, was am Beispiel einer unzüchtigen jungen Frau belegt wird, seine Siege dagegen verdanke Rom einer bäuerlich tätigen Jugend. Das Gedicht endet mit einem pessimistischen Ausblick auf kommende Generationen. [16] 1 2 3 4

Anspielung auf das Zerwürfnis Oktavians und des Antonius und die Seeschlacht bei Aktium 31 v. Chr.; mit den Äthiopiern sind Kleópatras Ägypter gemeint. Sie galten als sehr lasziv. In den drei Punischen Kriegen (264–241, 218–201 und 149–146 v. Chr.). Der Sonnengott fährt täglich mit seinem Gespann von Osten nach Westen und verschwindet damit am Abend im Meer.

7 Asterië soll nicht weinen, weil ihr Gyges in der Fremde den Verführungsversuchen seiner Gastwirtin bisher widerstanden hat, und den Werbungen des sportlich begabten Enipeus gegenüber unzugänglich bleiben. [13] 1

D.h. nach dem Aufgang des Ziegengestirns, das mit Herbststürmen ab dem 28. September »rast«; es gehört zum Sternbild des Fuhrmanns. 2 Stheneböa. 3 Das Flussbett des Tiber.

8 An den Matronalien gedenkt Horaz festlich des Tages, an dem er von dem umstürzenden Baum nicht getroffen wurde, und fordert Maecenas auf, mitzufeiern sowie



Anmerkungen zu Oden Buch 3

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sich angesichts der außenpolitischen Erfolge Roms keine Sorgen über Angelegenheiten der Bürger zu machen. [10] 1 2 3 4 5 6 7

Am 1. März, dem Fest der Matronalien zu Ehren von Juno als der Mutter des Mars, bekamen Ehefrauen (matronae) Geschenke von ihren Männern und anderen. D.h. einen, auf dem das Gras noch wächst. Latein und Griechisch. Vgl. Ode 2,13. Wein wurde unter dem Dach gelagert, wo er, wie man glaubte, durch den aufsteigenden Rauch einen besseren Geschmack bekam. Gemeint ist vermutlich L. Volcacius Tullus und somit 33 v. Chr., also die Zeit, in der Horaz von Maecenas das Sabinum bekommen haben könnte. Alle im Folgenden angesprochenen Ereignisse fallen in die Zeit zwischen 29 und 26 v. Chr.

9 Dialog zwischen Horaz und Lydia: Einst waren sie glücklich miteinander, jetzt liebt er die Chloë, sie den Kalaïs, aber auf seine Frage, was wäre, wenn ihre Liebe sich erneuerte, erklärt Lydia, sie würde trotz seiner Fehler mit ihm leben und sterben. [11] 1 2

Kálaïs, Órnytus. Man kann bei obeam lubens die Bereitschaft zur »petite mort« mindestens mithören (»werde ich mit dir in Lust vergehen«).

10 Der Dichter liegt bei Wind und Wetter vor Lykes Tür, fordert sie auf, ihren Hochmut abzulegen und erklärt ihr, dass er den Regen und die Härte der Schwelle nicht immer ertragen werde. [14] 1

Das Bild von der Winde, von der die heraufgezogene Last herabfällt, steht für den Liebhaber, der seine Geduld mit der ihm gegenüber spröden Frau verliert.

716

Anmerkungen zu Oden Buch 3 11

An die Lyra mit der Bitte um Klänge, die die spröde Lyde hört – sie verzauberten ja auch Tiere, die Natur und die Unterwelt –, und ein Lied, aus dem Lyde vom Verbrechen der Töchter des Danaus und der Verschonung des einen Ehemannes durch eine von ihnen erfahren kann. [10] 1 Die daraus gemachte Lyra. 2 V. 13–24 spielen auf den Orpheus-Mythos an. 3 Hypermestra.

12 Von Horaz (oder von sich selbst) wird Neobule angeredet, die Hebrus liebt, aber aus Angst vor ihrem Onkel bei ihrer Wollarbeit bleibt und sich nur durch Gedanken an den jungen Mann, einen geschickten Reiter, Sportler und Jäger, davon ablenken lässt. [19] 1 Amor. 2 Die Göttin steht metonymisch für die Wollarbeit.

13 Hymnus an die Quelle Bandusia, der Horaz das Opfer eines jungen Bocks und künftige Berühmtheit verheißt. [13] 1

Quellen poetischer Inspiration wie Kastalia, Hippokrene und Arethusa.

14 Weil Augustus aus Spanien zurückkehren wird, soll seine Familie zusammen mit den Müttern seiner Soldaten und deren Bräuten sowie Knaben und Mädchen ein Dankopfer bringen. Der Dichter will diesen Tag als von politischen Sorgen freier Mann feiern, aber nicht darauf bestehen, dass dem Türhüter der von ihm herbestellten Neära gegebenenfalls Gewalt angetan wird; er ist für Streiterei nun zu alt. [10]



Anmerkungen zu Oden Buch 3

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1

Augustus, der 24 v. Chr. von seinem Feldzug gegen die Kántabrer in Spanien zurückkehrt, wird mit Hérkules verglichen, der nach der Tötung des spanischen Riesen Geryon in die Gegend des späteren Rom zog. 2 Livia. 3 Aus dem Haus des Augustus auf dem Palatin. 4 Octavia. 5 Gemeint sind die Heimkehrer und ihre Bräute, darunter Marcellus und Julia, die 25 v. Chr. heirateten, und Tiberius, Livias Sohn aus erster Ehe. 6 D.h. an den Bundesgenossenkrieg 91–87 v. Chr., in dem Venusia auf der Seite der Gegner Roms stand. 7 42 v. Chr., als Horaz 22/23 Jahre alt war und bei Philippi mitkämpfte.

15 Der Dichter mahnt eine Chloris, im Hinblick auf ihr Alter nicht lasziv zu sein; das stehe nur einer Jüngeren zu. [11] 1 Íbykus. 2 Phóloë ist offensichtlich die Tochter der Chloris.

16 Ausgehend davon, dass dem Gold sich alle Türen öffnen, kommt Horaz zu den Sorgen, die zu großer Besitz mit sich bringt, und betont seine Bereitschaft zu einem Leben in relativ bescheidenen Verhältnissen. [14] 1 2

3 4

Der Goldregen wird hier allegorisch gelesen. Des Amphiaraus. Seine Frau Eriphyle bewegt ihn zur Teilnahme am Zug der Sieben gegen Theben und schickt ihn so in den sicheren Tod, weil sie von Polynikes, dem die Sieben gegen seinen Bruder Etéokles beistehen, mit einem Halsband bestochen worden ist. D.h. die ganze Familie stirbt, da das Halsband auch zur Ursache für den Tod der Eriphyle und ihres Sohnes Alkmäon wird; die Metapher vom einstürzenden Haus bildet das ab. König Philipp II. von Makedonien (359–336 v. Chr.), der Vater Alexanders des Großen.

718 5 6 7

Anmerkungen zu Oden Buch 3 D.h. ohne überflüssigen Besitz, aber die Bildersprache in V. 22b–24 stammt aus der Welt des Militärs. Implizit spricht Horaz von seinem Sabinum (vgl. die Einführung S. 11). D.h. durch seinen großen Landbesitz in Afrika.

17 Der Dichter fordert Aelius Lamia auf, vor einem zu erwartenden Sturm Holz zu sammeln und seinem Genius zu Ehren im Kreise der Sklaven ein kleines Fest zu feiern. [16]

18 Hymnus an Faunus zu seinem Festtag. [10] 1 2 3

Lämmer und Zicklein. Am Faunusfest des 5. Dezembers (= Nonae Decembres). Um seinen Ärger über die Feldarbeit zum Ausdruck zu bringen oder beim Tanz im Dreischritt.

19 Der Dichter, Symposiarch bei einem Gelage (vgl. Anm. 11 zu Satire 2,2), tadelt jemanden, der eine Rede über Fragen der Mythologie hält, weil er die mit der Organisation und dem Ablauf des Gastmahls zusammenhängenden Probleme verschweige. Er verfügt dann, mit wie vielen Schöpfkellen die einzelnen Becher gefüllt und für wen oder was sie getrunken werden sollen, äußert seinen Spaß am Herumtoben und schließt mit Bemerkungen über einzelne Personen sowie sich selbst. [11] 1 2 3 4

D.h. in welchem zeitlichen Abstand. Nicht für den Neumond, sondern für den Monat, in dem Murena sein Amt als Augur antritt. Das Gelage findet vielleicht zur Feier seiner Ernennung statt. D.h. vorübergehend gelähmt, in diesem Falle durch die Kälte (V. 8) und den Liebeskummer (V. 28) (vgl. J. Rüpke, Museum Helveticum 53, 1996, 217–231). Vielleicht sollen wir an eine für ihn zu junge Ehefrau denken.



Anmerkungen zu Oden Buch 3

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5 Télephus. 6 Glýkera.

20 Der Dichter warnt Pyrrhus vor der Gefahr, die ihm droht, falls er den Knaben Nearchus dessen Partnerin wegzunehmen versucht, und prophezeit ihm einen Wettkampf mit ihr. [10] 1 2 3

D.h. der größere sexuelle Lustgewinn. Epischer Tonfall, der den Streit parodistisch zum heroischen Zweikampf hochstilisiert. Ganymedes, der von Júppiter geliebte Knabe, den der Gott durch seinen Adler entführen lässt.

21 Der Dichter spricht zu einem Weinkrug im Stil des Gebetshymnus, zu dem u.a. die Aufzählung der Fähigkeiten des Angeflehten gehört. [16] 1 2 3 4 5 6 7 8

65 v. Chr. Anspielung auf die Konvention, im Hymnus einen Gott mit verschiedenen Namen und/oder Beiwörtern anzurufen. Vgl. Anm. 5 zu Ode 3,8. Sonst wird ein Gott gebeten, vom Himmel herabzukommen. Das Beiwort priscus deutet eher auf den älteren Cato, aber von dem jüngeren wurde behauptet, er trinke viel. D.h. du bringst ihn zum Reden. Als Symbol der Stärke. D.h. wenn er dich getrunken hat. Sie werden durch ein unzertrennliches Band zusammengehalten, aber hier ist das Bild vermutlich erotisch konnotiert wie in Ode 1,30,5.

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Anmerkungen zu Oden Buch 3 22

Der Dichter weiht Diana eine Pinie auf seinem Landgut und verspricht ihr die Opferung eines jungen Ebers. [10] 1

Analog zu Hékate, mit der sie gleichgesetzt wird, erscheint Diana hier als Göttin im Himmel, auf Erden und in der Unterwelt.

23 Horaz versichert der Bäuerin Phídyle, mit bescheidenen Opfern werde sie bei den Hausgöttern dasselbe erreichen wie mit aufwendigen Schlachtungen. [16] 1

Die Lämmer und Zicklein.

24 Reichtum schützt nicht vor Todesangst (1–8). Die bescheidenen, sittenreinen Nordvölker als Gegenbild zu römischer Unmoral (9–24). Gegen diese muss vorgegangen werden (25–44). Verurteilung von Luxus, Verweichlichung der Jugend und Geldgier (45–64). [11] 1

Es wurde mit einem Stock vorangetrieben.

25 Der Dichter, von Bacchus mitgerissen und wie eine Mänade in Ekstase versetzt, wird bisher nicht Gesagtes sagen; dazu gehört laut V. 4–6 die Verherrlichung des Augustus als eines künftigen Gottes. [11]



Anmerkungen zu Oden Buch 3

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26 Der Dichter nimmt in einer Art Weihepigramm Abschied von der Liebe und der Lyrik, weiht seine »Waffen« und den Barbitos in einem Tempel (der Venus oder der Mens [»Verstand«]?), bittet aber Venus, Chloë noch einmal verliebt zu machen. [16] 1 2

3

Der »Dienst« an der Geliebten wird in der griechisch-römischen Liebesdichtung häufig mit dem eines Soldaten verglichen. Es sind die in V. 6–8 genannten Gegenstände, die der Liebende benötigt, wenn er nachts vor der Tür der von ihm geliebten Frau auf Einlass hofft. Das Wort arcus (»Bogen«) ist umstritten, da Pfeile nur Amor verschießt. Denkbar wäre Bentleys Konjektur secures (»Beile«). Offenbar schirmt die Wand die linke Seite der Göttin wie ein Schild ab.

27 Der Dichter wünscht Galatea für ihre Seereise (vermutlich zur Hochzeitsfeier) alles Gute und führt als Hoffnung machendes Beispiel Europa an: Diese habe nach der Seereise auf dem Stier auf Kreta in dessen Abwesenheit (offensichtlich verließ er sie kurz, um sich für den »Vollzug der Ehe« zurückzuverwandeln) beklagt, dass sie ihren Vater schamlos verließ, und mit dem Gedanken an Selbstmord gespielt; dann aber sei Venus mit Amor gekommen und habe ihr verkündigt, dass sie Júppiters Ehefrau sein werde. [10] 1 2 3 4 5 6 7 8 9

Sie zogen den Reisewagen. Seine aus dem Vogelflug abgeleiteten Prophezeiungen bezogen sich vor allem auf eine bevorstehende Hochzeit. Die Krähe. Am Strand von Tyros. In dieser Situation hat Júppiter sich ihr in Gestalt des Stiers genähert, und sie ist, nachdem sie sich auf seinen Rücken gesetzt hat, von ihm nach Kreta entführt worden. Der phönizische König Antenor. D.h. von solchen, die ihren Vater ohne dessen Einverständnis für einen Mann verlassen. Laut Homer, Odyssee 19,564 f. kommen die Träume, die sich nicht erfüllen, aus einer elfenbeinernen Pforte der Unterwelt. D.h. bei der ersten Begegnung mit dem schönen Stier am Strand von Tyros.

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Anmerkungen zu Oden Buch 3

10 D.h. ihr als der »Beute« Júppiters. 11 Dass sie ihn trägt, verrät, dass sie noch Jungfrau ist. 12 Amor. 13 Sie äfft Europas Worte in V. 45–48 nach. 14 Sie ist es tatsächlich vorübergehend: Aus der Ehe gehen Minos, Rhadamanthys und Sarpedon hervor.

28 Am Neptunfest lässt der Dichter Lyde Caecuber holen, um dann mit ihr Neptun und andere Götter sowie am Schluss die personifizierte Nacht zu besingen. [11] 1 2

Vgl. Anm. 5 zu Ode 3,8. Der Name wird hier offensichtlich als sprechender von bibere (»trinken«) abgeleitet. 3 Venus.

29 Im heißen Juli lädt Horaz Maecenas zum Weintrinken ein; dieser solle sich um das, was Rom von außen drohe, keine Sorgen machen, sondern das, was gegenwärtig ist, gleichmütig ordnen. Vom carpe diem-Motiv kommt der Dichter zur Launenhaftigkeit Fortunas und zu sich selbst als einem Menschen, der das Schicksal in bescheidener Lebensweise zu nehmen wisse, wie es sich darbiete. [16] 1 2

Zum Ausgießen. Túsculum, 24 km südöstlich von Rom. Von seinem turmhohen Anwesen (V. 6) auf dem Esquilin kann Maecenas alle genannten Orte sehen. 3 Kepheus, dessen Sternbild am 9. Juli aufgeht. 4 Prókyon geht am 15. Juli, der Löwe am 20. Juli auf. 5 D.h. das uneinige Land der Skythen am Tánaïs. 6 Des Tiber. 7 Sonst das Tyrrhenische Meer. 8 Júppiter.



Anmerkungen zu Oden Buch 3

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30 Als Schöpfer eines »Monuments«, das die Zeiten überdauern werde, verheißt der Dichter sich Nachruhm. [9] 1

2 3 4

Vermutlich spielt Horaz auf die über 30 m hohe Bronzestatue des spreizbeinigen Sonnengottes über der Hafeneinfahrt von Rhodos an, den (schon zu seiner Zeit nicht mehr existierenden) sogenannten Koloss von Rhodos, eines der Sieben Weltwunder. Der Póntifex Máximus mit den Vestalinnen (vgl. Anm. 9 zu Ode 1,2). In Apulien, woher Horaz kam. Primär ist hier an die Fortsetzung der lyrischen Tradition von Sappho und Alkaios zu denken.

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Anmerkungen zu Briefe Buch 1 Briefe Buch 1

(Versmaß: durchgehend der daktylische Hexameter, Nr. 1 in der Übersicht S. 751 ff.)

1 An Maecenas Statt auf Wunsch des Adressaten weiterhin »Spielereien« zu verfassen – damit sind die Oden gemeint –, beschäftigt Horaz sich jetzt mit Moralphilosophie, die für jeden sinnvoll sei, da man sich leicht von Lastern befreien könne (1–40). Dasjenige des Reichtums, der in Rom mehr gelte als Tugend, habe u.a. Wankelmut zur Folge (41–93). Auch der Dichter sei seelisch unausgeglichen, aber der Weise – sapiens kann für »Philosoph« stehen – vereinige in sich alle nur denkbaren Qualitäten. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18

Metonymisch für Gedicht, Lied. Den zum Üben benutzten hölzernen Fechtstab bekam ein Gladiator wie Horazens Zeitgenosse Veianius als Symbol der Entlassung. D.h. des Hérkulestempels. Der Gladiator bat um Begnadigung, wenn er im Zweikampf verloren hatte. Eine innere Stimme, wie sie Sókrates, der als Begründer der Moralphilosophie galt, zu hören glaubte. Gemeint ist ein Rennpferd. Gemäß den Lehren der Stoa. Rückbezug auf V. 11 f. D.h. ohne kämpfen zu müssen, weil ihn niemand herausfordert. Am Janusbogen machten die Bankiers ihre Geschäfte, und dieses Metier prägte die Atmosphäre des ganzen Bezirks. V. 56 ist mit Satire 1,6,74 identisch und zweifellos fälschlich eingefügt. Ob sie rezitiert oder szenisch dargestellt wurden, ist nicht bekannt. Es sind die Spuren von Tieren, die zu dem alten, sich krank stellenden Löwen in seine Höhle gegangen und von ihm gefressen worden sind (Äsop-Fabel Nr. 142, bei Nickel [Anm. 7 zu Satire 1,6] S. 142 f.). Z.B. als Pächter für das Eintreiben von Steuern. In beiden Fällen geht es um Erbschleicherei. Der Lukriner See bei Baiae. Er betätigt sich dort offensichtlich als Bauherr. Es ist dort symbolisch dem Schutzgott des Hausherrn zu Ehren aufgestellt.



Anmerkungen zu Briefe Buch 1

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2 An Lollius Maximus An den jungen Adressaten richtet Horaz zunächst eine Zusammenfassung allegorischer Auslegungen von Homers Ilias und Odyssee auf moralphilosophischer Basis (1–31), um darauf die Ermahnung zur sittlichen Selbsterziehung folgen zu lassen; das verbindet er mit einer Reihe von z.T. sentenziös formulierten Lehren (32–71). 1 2

Homer als Verfasser der Ilias. Extemporierte Reden über ein vorgegebenes Thema, die in der Rhetorenschule zu halten waren. 3 Vgl. Ilias 7,345 ff. 4 Das ist eine offensichtlich sehr törichte Reaktion auf Antenors Vorschlag, man solle Hélena und die aus Sparta gestohlenen Güter an Menelaus zurückgeben. 5 Vgl. Ilias 1,247 ff. 6 Agamemnon liebt die ihm genommene Chrysëis, er und Achilles geraten in Streit, weil er dem ihm »untergebenen« Helden dessen Sklavin Brisëis als Ersatz wegnimmt. 7 Da Achilles sich vom Kampf zurückzieht, erringen die Trojaner unter Hektor große Erfolge, bis der griechische Held zurückkehrt. 8 V. 19–22 »zitieren« den Anfang der Odyssee. 9 Vgl. Odyssee 10,229 ff. und 12,166 ff. 10 D.h. des Körpers statt der Seele. 11 Das war als Kur empfohlen. 12 Allen voran Phálaris von Agrigent (565–549 v. Chr.), der, wie man erzählte, Menschen in einem hohlen ehernen Stier marterte, indem er Feuer darunter anzündete und sie stierähnlich herausbrüllen ließ.

3 An Julius Florus Der Dichter erkundigt sich bei dem Adressaten nach der poetischen Tätigkeit des Titius, Celsus sowie des Adressaten, junger Männer, die den Prinzen Tiberius bei einer militärischen Expedition begleiten, und verbindet das mit Ermahnung und Belehrung. 1

Der Hellespont, an dessen beiden Seiten je ein Turm gestanden haben soll:

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2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12

Anmerkungen zu Briefe Buch 1 derjenige Leanders, der im Mythos die Meerenge mehrmals durchschwimmt, um zu Hero zu gelangen, und der ihre. Es ist an ein Epos zu denken. D.h. von einem großen römischen Publikum (laut) gelesen wird. Er dichtet Chorlyrik (= von einem Chor vorgetragene strophische Gedichte). Pindar stammte aus Theben in Böotien. Die Tragödie hatte eine sehr anspruchsvolle Diktion. In dem von Augustus geweihten Apollotempel auf dem Palatin befand sich eine Bibliothek »klassischer« griechischer und lateinischer Werke. Horaz warnt Celsus davor, Dichtung zu plagiieren, also sich wie die Krähe in der äsopischen Fabel mit fremden Federn zu schmücken (vgl. Phaedrus 1,3 und Babrios 72). Dichter wurden oft mit einer Biene verglichen. D.h. weil sie wirkungslos sind wie die Kompressen in Brief 1,2,52. Das Bild evoziert eine nicht heilende Wunde. Hier sind ungezähmte Jungstiere zu assoziieren.

4 An Albius Horaz fragt den Adressaten (bei dem es sich wie bei dem Albius von Ode 1,33 um den Elegiendichter Tibull handeln dürfte) nach seiner momentanen Tätigkeit, macht ihm Komplimente und fordert ihn auf, jeden Tag zu genießen und ihn zu besuchen, um mit ihm, dem Epikureer, zu lachen. 1

candidus bedeutet auch »weiß«, was auf den Namen des Adressaten (von albus »weiß«) anspielen dürfte.

5 An Torquatus Einladung des Adressaten zu einem bescheidenen Gastmahl, verbunden mit einer scherzhaften Reflexion über die positiven Wirkungen der Trunkenheit und einer Schilderung der Vorbereitungen. 1 2

Er war vermutlich Hersteller sehr einfacher Möbel. T. Statilius Taurus war 26 v. Chr. zum zweiten Mal Konsul.

3 4 5 6 7 8

Anmerkungen zu Briefe Buch 1

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Vermutlich hier wie in V. 21 scherzhafte Anspielung auf den Beinamen Imperiosus, den die Torquati trugen. Einer der zur Zeit des Horaz bekannten Prozesse, in denen Torquatus als Anwalt auftrat. Am 21., 22. oder 23. September. D.h. dass Torquatus sich darin spiegelt, weil sie so blank geputzt sind. Vgl. Anm. 4 zu Satire 2,8. Vgl. Anm. 4 zu Satire 1,2.

6 An Numicius Das Anstaunen von Reichtum und Ehren raubt den Seelenfrieden (1–27). Wenn der Adressat ein richtiges Leben führen will, muss er zugunsten der Tugend auf Genüsse verzichten (28–31a). Hält er jedoch Tugend nur für ein Wort, soll er seinen Sinn auf viel Geld, politischen Erfolg oder körperliche Freuden richten (31b–66); dieser Abschnitt ist ebenso wie die kurze Schlussbemerkung (67 f.) stark ironisch gefärbt. 1

D.h. den Ehrenämtern, welche nach Neigung der Römer aufgrund von Wahlen vergeben werden. 2 Das ist Übereifer, da die Tätigkeiten auf dem Forum am Nachmittag beendet wurden. 3 Sprechender Name (»stumm«). 4 25 v. Chr. erbaut, war sie wegen der dort zu sehenden bildlichen Darstellungen von Episoden des Argonautenmythos ein vielbesuchter Ort. 5 Archélaos, der zur Zeit des Horaz regierte. 6 Der für Theateraufführungen zuständige Ädil oder Prätor, der angefragt hat. 7 Gemeint ist der Gelderwerb. 8 Die Namen der Bürger, die sich um ein Amt bewerben. 9 Große Steine, die den Übergang vom einen Gehsteig zum anderen erleichterten. 10 Zwei Wahlbezirke in Rom. 11 D.h. er wird jemandem die Macht eines Konsuls oder Prätors geben und sie einem anderen nehmen. Aus Elfenbein war der Sessel eines solchen Würdenträgers, die sella curulis (»Amtssessel«). 12 D.h. des Bürgerrechts nicht würdig wie die Bürger der etruskischen Stadt Caere, die es nur eingeschränkt besaßen; ihre Namen standen auf einer als Dokument dienenden Wachstafel.

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Anmerkungen zu Briefe Buch 1 Gemeint sind die Gefährten des Odysseus; sie wollten nach dem Genuss des Lotos, der sie alles vergessen ließ, nicht heimkehren (Odyssee 9,94 ff.). Eine Elegie des Dichters beginnt mit den Worten »Was ist das Leben, was ist erfreulich ohne die goldene Aphrodite …?«.

7 An Maecenas Der Dichter, weit länger von Rom abwesend, als er dem Adressaten versprochen hat, begründet sein Fernbleiben und nimmt das zum Anlass, ausführlich über sein Verhältnis zu dem Patron und Freund zu reflektieren und seine Gedanken durch Beispielerzählungen zu verdeutlichen; sie gipfeln in der langen Geschichte vom reichen Philipp und dem armen Volteius Mena (46–95). 1 D.h. der Klientendienst; vgl. Anm. 2 zu Satire 1,1. 2 Kínara. 3 Vgl. Äsop-Fabel Nr. 24, bei Nickel (Anm. 7 zu Satire 1,6) S. 32 f. 4 »Zitat« von Homer, Odyssee 4, 601–608. 5 Im Sommer gegen 14:30 Uhr. 6 Sie haben keinen Patron und brauchen deshalb keine Toga zur morgendlichen Aufwartung (vgl. Anm. 2 zu Satire 1,1).

8 An Albinovanus Celsus Der Dichter lässt dem Adressaten durch die Muse ausrichten, dass es ihm seelisch nicht gut gehe und er mit sich selbst im Widerstreit liege. Ferner soll sie sich erkundigen, was der Adressat als Angehöriger der Kohorte des Tiberius so mache, und ihm einen Rat zu seinem Verhalten gegenüber anderen übermitteln. 1

Offensichtlich Anspielung auf die griechische Grußformel chaîre, die wörtlich »freue dich!« bedeutet; ebenso entspricht bene rem gerere dem griechischen eû práttein: Beides bedeutet wörtlich »gut handeln«. In V. 3 bedeutet quid agam sowohl »was ich treibe« als auch »wie es mir geht«. 2 Tiberius.



Anmerkungen zu Briefe Buch 1

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9 An Claudius Nero Ein an den Prinzen gerichtetes, in sehr geschraubtem Stil verfasstes Empfehlungsschreiben für Septimius; es besteht fast nur aus Darlegungen dazu, warum er, Horaz, sich der Aufgabe zunächst habe entziehen wollen, sie aber nun doch erfülle.

10 An Aristius Fuscus Gegenüber dem Adressaten, der die Stadt liebt, preist Horaz das Land als einen Ort der einfachen Lebensweise, der lehren könne, auch in Armut glücklich zu sein, und dass, wer mit seinem Los zufrieden ist, in Weisheit lebe; es folgt noch eine implizite Mahnung, man solle sich vom Geld nicht beherrschen lassen. 1 2 3 4 5 6 7 8 9

An ihn ist auch Ode 1,22 gerichtet; vgl. außerdem Satire 1,9,60b–74a und 1,10,83. Bei seinem Herrn könnte er viel davon bekommen. Zum Hundsstern vgl. Anm. 8 zu Satire 1,7; in das Zeichen des Löwen tritt die Sonne am 23. Juli. Mosaiksteine aus afrikanischem Marmor als Fußbodenbelag. Das Blei, aus dem die Rohre der Kanalisation gemacht waren. D.h. wer minderwertige nicht von hochwertiger Wollfärbung unterscheiden kann. D.h. glücklicher zu leben. Vgl. die Version der Fabel bei Aristóteles, Rhetorik 2,20,5 und Phaedrus 4,4. Vermutlich hat man sich vorzustellen, wie ein widerstrebendes Tier an einem Strick entweder gezogen wird oder seinen Besitzer hinter sich her zieht.

11 An Bullatius Da das wahre Glück nicht von dem Ort abhängig ist, an dem man sich gerade befindet, rät Horaz dem Adressaten, den Augenblick zu genießen, was auch in einem kleinen Nest nicht weit von Rom möglich ist.

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Anmerkungen zu Briefe Buch 1 Metonymie für das Meer. D.h. ein Bad im Tiber.

12 An Iccius Der Dichter lobt den Adressaten, weil dieser sich inmitten seiner Tätigkeit als Verwalter der Ländereien Agrippas in Sizilien mit Philosophie beschäftigt, und übermittelt ihm die neuesten politischen Nachrichten. 1 2 3 4 5

Sowohl die finanziellen als auch diejenigen aus dem Anbau von Feldfrüchten. Er ist in Ode 1,29 angesprochen. Er ist in Ode 2,16 angesprochen. Tiberius; es wird auf Ereignisse des Jahres 19 v. Chr. angespielt. Der Partherkönig (vgl. Anm. 3 zu Ode 2,2) schloss 20 v. Chr. einen Vertrag mit Rom und gab die 53 v. Chr. von Crassus bei Karrhä erbeuteten Feldzeichen zurück (vgl. die Vorbemerkung zu Ode 3,5).

13 An Vinnius Horaz richtet Ermahnungen an den Adressaten, der Augustus Buchrollen überbringen soll, wahrscheinlich die drei Bücher der Oden. 1 2 3

Der Name Ásina bedeutet »Eselchen«. Dieser Name dürfte nicht korrekt überliefert sein. Vermutlich ein einfacher Bürger aus derselben Tribus wie ein Kandidat für eine Wahl, der ihn und andere zu einem Gastmahl eingeladen hat.

14 An den Verwalter des Sabinums Vergleich zwischen den Vergnügungen des Stadtlebens, nach denen der Adressat sich zurücksehnt, mit dem bescheidenen Leben auf dem Lande, das Horaz jetzt einstigen städtischen Vergnügungen vorzieht.



Anmerkungen zu Briefe Buch 1

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1

Dieser Name ist mit drei Oden verbunden (1,26; 1,36; 3,17), aber wer jeweils gemeint ist, entzieht sich unserer Kenntnis. 2 In Rom. 3 Kínara.

15 An Vala Horaz, der den Kurort Baiae verlassen hat, bittet den Adressaten um detaillierte Auskünfte über Veleia und Salernum, wo er anders als auf dem Sabinum exzellente Weine trinken und gut essen will (1–25). Wechselhaft, wie der Dichter hier erscheint, ist auch der Parasit Maenius, der sowohl gerne schlemmt als auch andere Schlemmer tadelt; er wird als eine Karikatur des Dichters vorgestellt (26–46). 1 2

Offenbar eine speziell in dem Seebad angewandte Therapie. D.h. in Zisternen aufgefangenes Regenwasser.

16 An Quinctius Von einer Beschreibung des Sabinums geht der Dichter zu Gedanken über die richtige Lebensweise über, wobei er den Schwerpunkt auf die Frage legt, wer ein rechtschaffener Mann ist; es ist mehr von dem die Rede, der nur scheinbar als solcher gelten darf, als dass eine Definition der Idealfigur gegeben würde. 1 2 3

Wie schon in V. 33–35 ist das Volk (populus = männlich) gemeint. D.h. Horaz, der sich hier selbst meint, macht eine Geste des Verneinens. Kinder befestigten so eine Münze mit geschmolzenem Blei, um ihre Opfer auslachen zu können. 4 Es folgt eine auf den Kontext abgestimmte Abwandlung von Euripides, Bakchen 492–498. 5 Bacchus. 6 Das Bild evoziert die sportliche Disziplin des Wettlaufs.

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Anmerkungen zu Briefe Buch 1 17 An Scaeva

Horaz erteilt dem Adressaten Ratschläge über den Umgang mit einflussreichen Persönlichkeiten, wobei er im Gegensatz zu den bedürfnislosen Kynikern befürwortet, dass man sich von Gönnern materiell unterstützen lässt, und vor Fehlern warnt, die man dabei machen kann. 1 2 3 4

5

Im Sommer etwa 4:30, im Winter etwa 7:30 Uhr. Es war die Zeit für die morgendliche Aufwartung beim Patron. Das soll der kynische Philosoph Diógenes von Sinope (412/403–324/321 v. Chr.) gesagt haben. Ihm antwortet Aristipp. D.h. einen doppelt umgeschlagenen, wie ihn die Kyniker trugen. D.h. zu den Männern in führenden Stellungen vorzudringen. Hier wird ein griechisches Sprichwort zitiert, welches das als Ort der Prostitution bekannte Korinth mit einer Edelnutte gleichsetzt, deren Kunden sehr reich sein mussten. Anspielung auf die bekannte Fabel vom Raben, der sein Stück Käse aus dem Mund fallen lässt, weil der Fuchs ihm einredet, er sei ein guter Sänger (Nickel [vgl. Anm. 7 zu Satire 1,6] Nr. 124 S. 126 f.) sowie Phaedrus 1,13 und Babrios 77.

18 An Lollius Maximus Anweisungen für das Verhalten des Adressaten gegenüber einem mächtigen Gönner. Auf die Empfehlung eines Mittelweges zwischen der Bereitschaft, dem Patron nach dem Mund zu reden, und Rechthaberei folgen dann doch Instruktionen, die zur Anpassung mahnen. Der Brief endet mit dem Rat zur Lektüre von Autoren, die Fragen der Ethik behandeln, und dem Zitat eines Gebets des Dichters mit Wünschen für die Zukunft. 1 2 3

Er ist auch der Adressat von Brief 1,2. Der Schmarotzer. Beim Gastmahl standen je drei Speisesofas an drei Seiten des Tisches; die vierte war für das Auftischen frei. Ihr gegenüber befanden sich die mittleren, rechts und links die oberen und unteren Speisesofas.

4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18

Anmerkungen zu Briefe Buch 1

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D.h. als Belohnung dafür, dass er schweigt. Worin, ist nicht bekannt. Das und die folgenden Gedanken sind aus der Sicht des Dichters und des Eutrápelus eindeutig ironisch gemeint. D.h. die des Patrons. Zethes. Horaz spielt in V. 41–44 auf die Antíope an, eine (verlorene) Tragödie des Euripides. Augustus im spanischen Feldzug 25 v. Chr. Vgl. Anm. 5 zu Brief 1,12. Speziell bei der Jagd, aber auch sonst. Dieser spielt also die Rolle des M. Antonius. Mit Lorbeer. Anspielung darauf, dass bei Gladiatorenspielen den Kämpfern mit dem/den Daumen Beifall oder Missfallen bekundet wurde; ob er/sie nach oben oder unten zeigte/n, ist nicht bekannt. D.h. dich sexuell erregen; vgl. Anm. 13 zu Satire 1,9. Statt ihm einen angesehenen Posten zu verschaffen. Ein unbekannter, offenbar notorischer Neider und Intrigant. Die Wörter in eckigen Klammern sind hier nicht übersetzt, da sie als unecht gelten dürfen.

19 An Maecenas Von der Behauptung ausgehend, Poesie könne nur von Weintrinkern verfasst werden und die Dichter würden, wenn er das als Parole ausgäbe, dem sofort folgen, kommt Horaz in seinem Brief an Maecenas zu der Erklärung, dass er als erster in der Nachfolge des Archilochos und Alkaios stehe, und äußert sich dann über sein Verhältnis zu seiner Leserschaft. 1 D.h. die Gegend in Rom, wo Geldgeschäfte abgewickelt wurden. 2 Die Dichter, die Horaz nachahmen. 3 Vgl. hierzu und zu V. 30 f. Anm. 1 zu Epode 6. 4 Lorbeerblättern. 5 Anspielung darauf, dass das lyrische Ich Sapphos junge Frauen liebt. 6 Alkaios. 7 D.h. bisher von niemandem nachgeahmt worden war. 8 Das Wort ultor lässt sich in diesem Kontext nicht eindeutig bestimmen: Horaz

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Anmerkungen zu Briefe Buch 1

könnte entweder meinen, er trete als Rächer der Dichter auf, d.h. trete für sie ein, oder räche sich an ihnen, weil sie seine Poesie herabsetzen. 9 Der grammaticus lehrte auf einem Brettergerüst Sprach- und Literaturwissenschaft. »Bezirk« und »umwerben« stehen als Begriffe des römischen Wahlsystems metaphorisch für das Bemühen um die Gunst der Grammatiker. 10 Bekanntes Terenz-Zitat (Andria 126), hier im Sinne von »Daher die negative Reaktion der Leser auf meine Werke« zu verstehen. 11 D.h. des Augustus. 12 D.h. verachtungsvoll die Nase zu rümpfen. 13 Vermutlich Anspielung auf die Praxis der Gladiatorenkämpfe.

20 An das Buch Warnung an das (vorliegende) Buch, das in die Welt strebt: Es werde immer weniger Interesse finden, bis es an Straßenenden als Grundlage des Elementarunterrichtes für Kinder dient; dann solle es die Vita seines Verfassers erzählen. 1 2 3 4 5

Eine Statue des Vortumnus stand in einer beliebten Einkaufsstraße Roms, dem vicus Tuscus. Welcher Janus gemeint sein soll, ist nicht bekannt. Damit wurde die fertige Papyrusrolle an beiden Enden poliert, aber auch Haar von Beinen entfernt, und dies z.B. von Männern, die in einer mann-männlichen Beziehung den passiven Part übernahmen; s. Anm. 3. Im Schaufenster der Buchhandlung, aber die Formulierung passt auch zu einem sich Männern prostituierenden jungen Mann oder Knaben. Diese Ambiguität gilt ebenso für den weiteren Text. Vgl. Anm. 9 zu Satire 1,6. 21 v. Chr.



Anmerkungen

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Das Jahrhundertlied Das in zweimal drei Strophentriaden und einen Epilog gegliederte Lied besteht in der ersten Hälfte, die von Anrufungen Apollos und Dianas gerahmt wird, aus einem Gebet, das Fruchtbarkeit in der Ehe und in der Landwirtschaft erfleht (1–36). In der zweiten Hälfte ist in sechs offensichtlich an die kapitolinischen Götter Juppiter und Juno gerichteten Strophen Hoffnung auf weitere Sicherung der Reichsgrenzen und die Erhaltung der wiederhergestellten Moral sowie (implizit) die Fortführung der Herrschaft durch die von Äneas abstammenden Julier artikuliert (37–60). Nach erneuter Anrufung Apollos und Dianas in den übrigen drei Strophen der zweiten Hälfte (61–72) äußert der Chor seine Zuversicht, dass alle Götter sein Gebet erhören (73–76). [10] 1 2 3

4 5 6 7 8 9 10

In den sibyllinischen Büchern, die Rom ursprünglich von der Sibylle von Kumä erhalten haben soll und die im Keller des Júppitertempels auf dem Kapitol aufbewahrt wurden, waren Prophezeiungen aufgezeichnet. Sie werden nicht zufällig in V. 7 genannt; vgl. auch Vergil, Aeneis 1,7 Romae. 18 v. Chr. erließ Augustus ein Gesetz, das Ehebruch und außerehelichen Sex mit unverheirateten Frauen unter Strafe stellte sowie eines, das die Angehörigen der höheren Stände durch Privilegien zum Heiraten und zur Zeugung von Kindern motivierte. Augustus verfügte, dass das von ihm 17 v. Chr. an drei Tagen veranstaltete Jahrhundertfest alle 110 Jahre wiederholt werden sollte. Das bezieht sich offensichtlich primär auf Júppiter und Juno. Äneas und die Trojaner, die dem Mythos zufolge Latium eroberten. D.h. durch die Opferung weißer Stiere. Augustus als Nachkomme des Äneas, den der Sage nach der Trojaner Anchises mit Venus zeugte. D.h. die römischen. Ein Kollegium von 15 Männern war für die Aufbewahrung der sibyllinischen Bücher und die Feier der Jahrhundertspiele verantwortlich.

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Anmerkungen zu Oden Buch 4 Oden Buch 4 1

Der fünfzigjährige Dichter verweigert sich dem Dienst an Venus und schickt sie in das Haus des jungen Paullus Maximus, klagt aber dann über seine unerwiderte Liebe zu dem Knaben Ligurinus. [11] 1 Kínara. 2 Zitat von Ode 1,19,1. 3 Vgl. Anm. 13 zu Satire 1,9. 4 Als Anwalt vor Gericht.

2 Nach einer Kurzcharakteristik des unnachahmlichen Pindar bekennt Horaz sich zur kleinen Form der Dichtkunst und überlässt es Jullus Antonius, den für die Rückkehr des Augustus aus Gallien zu erwartenden Festtag in erhabener Poesie zu besingen sowie ein großes Opfer darzubringen, während er sich mit einem kleinen begnügen wird. [10] 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11

Hier irrte sich Horaz. In Hymnen und Päanen (bei denen es sich um ursprünglich zum Apollokult gehörende Preisgesänge handelt). In seinen Epinikien (»Siegesliedern«), hier den Olympischen Oden zu Ehren der Sieger in Wettkämpfen. In seinen Threnoi (»Trauergesängen«). D.h. mit anspruchsvollerem poetischen Stil als dem der »kleinen« Poesie, mit der Horaz sich begnügt. D.h. im Triumphzug hinauf zum Kapitol. Mit Lorbeer, der dem Apollo von Delos heilig ist. D.h. ins (mythische) Goldene Zeitalter. D.h. ich werde mit dem Kalb mein Gelübde einlösen, das ich für den Tag der Rückkehr Caesars getan habe. D.h. die Mondsichel. D.h. zum dritten Mal aufgeht.



Anmerkungen zu Oden Buch 4

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3 An die Muse Melpomene, der Horaz es verdankt, dass er Lyriker und als solcher in Rom bekannt ist. [11] 1

Mit Lorbeer.

4 Verherrlichung des von Drusus und seinem Bruder Tiberius über die Vindeliker errungenen Sieges; die Voraussetzungen dafür schufen ihre Herkunft und ihre Erziehung in der Familie des Augustus (1–36). Schon einer ihrer Vorfahren besiegte Hasdrubal; die Rede, die dessen Bruder Hannibal aus diesem Anlass hält, beschreibt Durchhaltevermögen und Kampfkraft der Römer aus der Sicht ihres Feindes (37– 72). Prophezeiung weiterer Heldentaten der Claudier (73–76). [16] 1 Den Adler. 2 Hánnibal. 3 D.h. die von den Puniern umgestürzten Statuen wurden wieder aufgerichtet. 4 Die Trojaner unter der Führung des Äneas. 5 Die Wortwahl im Original lässt gleichzeitig an den Baum und die Kämpfe denken; in der Übersetzung ist das kaum adäquat nachzubilden. 6 D.h. die Kolcher und Theben, die hier für ihren Boden stehen, ließen keine gewaltigeren Kämpfer aus der Saat der Drachenzähne hervorsprießen.

5 An Augustus, nach dem sich, weil er fern von Rom ist, die Heimat sehnt. Die Sehnsucht wird mit einer Aufzählung der innen- und außenpolitischen Errungenschaften seiner Herrschaft begründet, und abschließend evoziert das Gedicht eine häusliche Szene, in der man zu dem Prinzeps als Gott betet. [14] 1 2 3

Augustus ist noch nicht von seiner Expedition zu den Sygambrern (vgl. Ode 4,2,33–36) zurück. Ein gängiges Bild für die Vereinigung der Rebe mit dem sie stützenden Baum war das von einer Eheschließung. Offenbar stellte man neben die Bilder der Laren eines des Augustus.

738 4

Anmerkungen zu Oden Buch 4 D.h. wenn der Tag noch ganz vor uns liegt.

6 An Apollo, den der Dichter erst als mit dem Bogen strafende Gottheit anspricht – ausführlich ist von seinem Gegner Achilles die Rede –, dann als lyraspielenden Chorführer der Musen, der ihn inspiriert hat. Das Gedicht klingt in eine Anrede an den Chor aus, der das Jahrhundertlied sang (vgl. dazu die Einführung S. 25 f. und den Text S. 522–526). [10] 1

Anspielung auf die Geschichte vom Trojanischen Pferd: In ihm verborgen werden griechische Helden in die Stadt gebracht, weil der Verräter Sinon die Trojaner davon überzeugt hat, dass es sich um ein Weihegeschenk für Minerva handle. Die Trojaner feiern nach der Einholung und werden in der Nacht von den Griechen überwältigt. 2 Sie steht hier für den Chor der neun Musen. 3 D.h. die Ehre des Horaz, den die apulische Muse inspiriert. 4 Diana. 5 Apollo.

7 Ausgehend von der Wiederkehr des Frühlings kommt Horaz über Gedanken zu Wandel und Wiederkehr in der Natur zur Irreversibilität des Todes, die für alle Menschen gleich ist. [20] 1 D.h. sie bringen Frühling, Sommer und Herbst wieder. 2 Was splendidus hier genau bedeutet, ist unklar. 3 An ihn ist auch Brief 1,5 gerichtet.

8 Es fehlt Horaz an Mitteln, Censorinus kostbare Geschenke zu machen, aber dieser ist reich und freut sich an Gedichten. Solche wiederum machen berühmt, lassen aber Männer, die sie verschweigen, in Vergessenheit geraten. Sogar Heroen und Halbgötter verdanken ihren Ruhm der Dichtung. [9]

1 2 3

Anmerkungen zu Oden Buch 4

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Offensichtlich sind hier der ältere und der jüngere Scipio Africanus zu einer Person vereinigt. Zweifellos Anspielung auf den aus Kalabrien stammenden Dichter Ennius, der eine Schrift Scipio verfasste. Gemeint sind die Inseln der Seligen.

9 Horaz nennt seine Lyrik unsterblich, behauptet, es habe schon vor den Trojakämpfern Helden gegeben, die aber vergessen seien, weil kein Dichter sie rühmte, und preist nun, damit dem Adressaten Lollius nicht dasselbe widerfährt, diesen als Staatsmann, Richter und Heerführer. [16] 1 2 3 4

D.h. in Vergessenheit geraten. Der Këer ist der Chorlyriker Simónides. Alkaios schrieb u.a. Gedichte, in denen er zum Kampf auffordert. Metonymisch für Gedichte. Alle genannten Dichter außer Homer sind Vorgänger des Horaz im Bereich der Lyrik. 5 Sappho. 6 Paris. 7 Da Lollius 16 v. Chr. eine Niederlage von den Sygambrern erlitten hat, ist nicht klar, wie der Dichter es meint, wenn er so positiv von der militärischen Leistung dieses Mannes spricht.

10 Der Dichter warnt Ligurinus, den er grausam nennt, also offenbar auch sich gegenüber (vgl. Ode 4,1), dieser werde mit den durchs Altern bedingten Veränderungen in seinem Gesicht seine Attraktivität verlieren. [17] 1 2

Bereits dann, wenn sich auf dem Kinn der erste Bartwuchs zeigte, war ein halbwüchsiger Mann als Partner in einer mann-männlichen Beziehung nicht mehr so begehrenswert wie zuvor. Weil sie einem erwachsenen Mann kurzgeschoren wurden.

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Anmerkungen zu Oden Buch 4 11

Der Dichter lädt Phyllis, seine letzte Geliebte, zur Feier von Maecenas’ Geburtstag ein, warnt sie vor der Liebe zu dem jungen Telephus, und fordert sie zum Singen seiner Lieder auf. [10] 1 2

Das Herdfeuer in der Küche. Aprilis wurde von Aphrodite hergeleitet; diese soll aus dem Schaum (griech. aphrós) geboren sein, der sich bildet, als Saturn (Kronos) das Glied seines Vaters Okéanus abgeschnitten und ins Meer geworfen hat.

12 Es ist Frühling, Horaz lädt Vergil zu gemeinsamem Weintrinken ein und macht zur Bedingung, dass dieser Nardenöl mitbringt. [14] 1

Die in eine Schwalbe verwandelte Athenerin Prokne, nachdem sie ihren Sohn Itys ihrem Mann, seinem Vater Tereus, zum Mahl vorgesetzt hat, um sich dafür zu rächen, dass er ihre Schwester Philomela vergewaltigt und ihr die Zunge herausgeschnitten hat. 2 Tereus ist König der Thraker, die als Barbaren und besonders libidinös galten. 3 Pan. 4 Der Dichter, auf dessen Verse hier mehrfach angespielt wird; da er bereits 19 v. Chr. starb und das Gedicht in einem später veröffentlichten Buch steht, soll man sich offenbar vorstellen, dass Horaz seinen Freund aus der Unterwelt zu sich herauf bittet. 5 Metonymisch für Wein. 6 Sie lagen unterhalb des Aventin und gehörten ursprünglich den Sulpicii Galbae. 7 Gemeint sind die, welche bei einer Bestattung brennen. Beide Appelle in V. 25 f. sind topisch bei Einladungen zum Gelage.

13 An die gealterte Lyke, die sich jetzt vergeblich um Sex bemüht, einst aber eine Schönheit war, ein Segen für den Dichter nach Kinara, die im Gegensatz zu Lyke früh starb. [13]



Anmerkungen zu Oden Buch 4

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1 Spiele verschiedener Art, zu denen auch erotische gehören. 2 Durchsichtige Seidengewänder. 3 Kínara.

14 Von einer Würdigung der erfolgreichen Kämpfe des Drusus und besonders des Tiberius im Alpenraum (vgl. 4,14) kommt Horaz zu Augustus, dem der Sieg primär zu danken sei, und zählt zahlreiche Völker auf, die den Prinzeps bewundern und auf ihn hören. [16] 1 Tiberius. 2 Das führt zu heftigen Regengüssen. 3 D.h. durch Gefahren, die ihn wie Feuer bedrohten. 4 Als Flussgott trägt er Stierhörner, die seine Kraft symbolisieren. 5 Tiberius. 6 D.h. mit Leichen bedeckte. 7 Am 1. August, an dem Oktavian 30 v. Chr. die Residenz der ägyptischen Königin Kleópatra eroberte; auf denselben Tag fiel 15 v. Chr. das Ende des von Tiberius und Drusus geführten Kriegszuges. 8 D.h. dreimal fünf Jahre nach der Einnahme von Alexandria. 9 Vgl. Anm. 3 zu Ode 1,19.

15 Statt von Schlachten »singt« der Dichter von den innen- und außenpolitischen Errungenschaften des augusteischen Zeitalters und fordert am Ende dazu auf, man solle bei Festen nach Art der Väter ein Lied über die trojanischen Ursprünge Roms anstimmen. [16] 1 2 3 4

Denkbar wäre auch, dass lyra zu increpuit gehört: »hat gegen mich mit der Lyra gewettert: Ich solle nicht …« D.h. mich als Verfasser von »kleiner« Poesie nicht auf das Gebiet der »großen« wagen. D.h. dem Júppitertempel auf dem Kapitol. Vgl. Anm. 5 zu Brief 1,12. Weitere Feldzeichen wurden 11/10 v. Chr. zurückgegeben.

742 5 6 7 8

Anmerkungen zu Oden Buch 4 D.h. den Janustempel, der, in Kriegszeiten offen, im Frieden geschlossen wurde. Hier dürfte auf den Beschluss von 11 v. Chr., ihn zu schließen, angespielt sein, der etwa ein Jahr später wieder aufgehoben wurde. Offenbar Anspielung auf die Ehegesetzgebung; vgl. Anm. 3 zum Jahrhundertlied. D.h. die Gesetze des Augustus. Sowohl Äneas als auch Augustus dürften gemeint sein; die letzten beiden Verse spielen auf Vergils Aeneis an.



Anmerkungen zu Briefe Buch 2

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Briefe Buch 2 (Versmaß: durchgehend der daktylische Hexameter, Nr. 1 in der Übersicht S. 751 ff.)

1 An Augustus Der Brief beginnt mit einer Verbeugung vor dem Adressaten: Im Gegensatz zu Heroen wie Romulus werde der Prinzeps schon jetzt wie ein Gott verehrt, was aber im Widerspruch dazu stehe, dass die Römer nur das Alte, längst Vergangene schätzten (1–49). Dichter wie Ennius würden trotz ihrer formalen Unvollkommenheit gelobt, Modernes dagegen lehne man ab (50–92). Die griechische Dichtung war aber auch einmal modern und habe nach den Perserkriegen eine Blüte erlebt, während man in der Frühzeit Roms nur an pragmatischen Dingen interessiert gewesen sei; jetzt dagegen verfasse in der Stadt jedermann Poesie; über dem sich darin äußernden Wahn sei aber nicht zu vergessen, dass Dichter Gutes bewirken können (93–138). Ein Abriss der Geschichte des römischen Dramas soll erneut belegen, Dichtern wie Plautus habe es an Kunstverstand gefehlt, und ein Blick auf den Publikumsgeschmack der Gegenwart versucht zu zeigen, dass Shows z.B. mit exotischen Tieren beliebter seien als richtige Theaterstücke (139–213). Schließlich wendet Horaz sich der Buchdichtung zu, zeigt, dass sie wegen des Herrscherpreises für Augustus wichtig sei, lehnt aber für seine Person ab, die großen Taten des Prinzeps zum Gegenstand von Panegyrik zu machen, da ihm die Fähigkeit dazu fehle (214–270). 1 D.h. in die Wohnungen im Himmel. 2 Hérkules. 3 D.h. göttliche Verehrung. 4 Männern wie Rómulus bzw. Kastor. 5 Die Dezemvirn, ein Zehnmännerkollegium. 6 Die Zwölftafelgesetze (vgl. Anm. 14 zu Satire 2,1). 7 Sie enthielten Urkunden und Bestimmungen für religiöse Rituale. 8 Ringkämpfer salbten ihren nackten Körper, aber unctus kann auch jemanden bezeichnen, der ein Leben voller Vergnügungen führt. 9 Anspielung auf den sogenannten Haufenschluss, bei dem immer wieder ein Korn von einem Getreidehaufen weggenommen wird, bis ein einziges Korn noch einen »Haufen« bildet. 10 Die Jahrestafeln mit der Liste der Konsuln, die jeweils für ein Jahr stehen.

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Anmerkungen zu Briefe Buch 2 D.h. was nicht mehr lebt. Wie üblich wird die Eigenschaft einer typischen Figur – hier der des Helden in dem Epos Annalen – auf ihren Schöpfer übertragen. Er sagt im Proöm der Annalen, Homer habe ihm im Traum verkündet, seine Seele sei in ihn übergegangen. D.h. bei ihm werde sehr lebhaft und schnell gesprochen. Safranparfüm wurde auf die Bühne gesprüht, die man außerdem mit Blumen schmückte. D.h. nicht »abstürzt«. D.h. nach Beendigung der Perserkriege (479 v. Chr.). D.h. Wagenrennen. V. 101 ist zweifellos unecht und hier nicht übersetzt. Vgl. Anm. 2 zu Satire 1,1. D.h. ihnen Rechtsbescheide zu erteilen, die sie aus dem »Vorrat« ihres Wissens holten. D.h. durch die Namen von Leuten, denen man Geld lieh und auf die man sich verlassen konnte. Anspielung auf das Jahrhundertlied des Horaz. Über diese vorliterarischen Beschimpfungen in Wechselrede ist wenig bekannt. Strafe für Beschimpfung und üble Nachrede sahen bereits die Zwölftafelgesetze (vgl. Anm. 14 zu Satire 2,1) vor. Bei dem Saturnier handelt es sich um ein altitalisches Metrum, das außer in Inschriften von Livius Andronícus und Naevius verwendet wurde. Hier ist das Bild eines langsam abfließenden Wassers verwendet. Der Sieger von V. 156, also der Römer. Auch hier wird die Vorstellung erweckt, der Dichter übernehme selbst die genannten Rollen; vgl. Anm. 12. Dossennus, eine Figur der Atellane, einer älteren italischen Form der Typenkomödie, beeinflusst bei Plautus laut Horaz die aus der griechischen Komödie übernommene und dort subtiler charakterisierte Figur des Parasiten. Soccus, der im Gegensatz zum Kothurn der Tragödie leichte Schuh der Komödie, steht hier für die Gattung, mit der Plautus laut Horaz fahrig, also nicht sorgfältig genug umgeht. Nicht etwa »durchfällt«, da es hier um die künstlerische Qualität, nicht die Wirkung auf das Publikum geht. Er wurde zur Zeit des Horaz nach der Vorstellung von unten nach oben gezogen. Episch und hier entsprechend pathetisch für »unglückliche Könige«.

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Anmerkungen zu Briefe Buch 2

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Elfenbeinstatuen oder Elefantenzähne. Bronzegefäße und -statuen, für die Korinth besonders bekannt war. Eine Giraffe. D.h. den Bühnendichtern. Das Tyrrhenische Meer. Schmuck und kostbare Kleider, wie sich aus dem Folgenden ergibt. Vgl. Anm. 7 zu Brief 1,3. Zu ergänzen: die Papyrusrolle. D.h. Dichter, welche die Tüchtigkeit des Augustus darstellen. Natum ist grammatikalisch auf iudicium, aber sinngemäß auf Alexander zu beziehen. Sie galten als geistig träge. D.h. in einem einfachen Stil geschrieben sind. Vgl. Anm. 5 zu Ode 4,15. Der Dichter spricht mit der Stimme des Augustus, der auf schlechte Dichtung auf Blättern, die nur als Einwickelpapier zu gebrauchen sind, reagiert. Dumm, weil sie mit schlechten Versen beschrieben sind.

2 An Julius Florus Nach einer Rechtfertigung für das bisherige Ausbleiben eines Briefes an den Adressaten begründet Horaz, warum er keine Poesie mehr schreibt. Auf ein Exempel (26–40) und einen Lebensabriss bis zum Beginn der dichterischen Tätigkeit (41–52a) folgen sechs Erklärungen: Der Dichter ist zu alt (52b–57); er kann es niemandem recht machen (58–64); in Rom geht es zu hektisch zu (65–86); er ist die Dichterwettbewerbe leid (87–105); er nennt die hohen Anforderungen an den Stil (106–125); er möchte sich nicht über seine Fehler ärgern (126–140). Jetzt will Horaz sich der Moralphilosophie widmen und lässt Protreptik folgen, die wieder überwiegend das Streben nach Geld verurteilt (141–212). In einem kurzen Schlusswort ermahnt er sich selbst dazu, abzutreten und der Jugend Spiel und sinnliche Genüsse zu überlassen (213–216). 1 Tiberius. 2 Damit ist das in V. 14 f. Angesprochene gemeint. 3 Dem Tigranes I. von Armenien oder dem Mithridates von Pontos, gegen die Lucullus nach 74 v. Chr. Feldzüge unternahm. 4 Zum Folgenden vgl. die Einführung S. 10 ff.

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Anmerkungen zu Briefe Buch 2

5 6

Das ist der Inhalt der Ilias Homers, die in der Schule gelesen wurde. Vermutlich Anspielung darauf, dass sich in dieser Stadt die bekanntesten Philosophenschulen befanden und dort auch Ethik gelehrt wurde. 7 D.h. wenn ich so verrückt wäre zu glauben, dass Dichten besser sei als Schlafen; Schierling wurde dosiert für die Behandlung von Wahnsinnigen verwendet. 8 Im Folgenden nennt Horaz seine drei Gattungen: die Oden, Epoden und sermones (»Plaudereien«), zu denen er Satiren und Briefe zählt. 9 D.h. satirischem Witz. 10 Sie stehen im Kontrast zu den breiten Straßen in der Stadt. 11 Das ist offensichtlich keine allgemeine Feststellung, sondern die einleitende Bemerkung zur Schilderung des Dichterwettstreits in V. 92–103. Mit dem Kontrahenten des Horaz ist vermutlich Properz (gest. nach 16 v. Chr.) gemeint, und auf seine Elegien dürfte die (wie der ganze Abschnitt sicherlich ironisch gemeinte) Bemerkung mirabile … opus zu beziehen sein. 12 Im Apollotempel auf dem Palatin; vgl. Anm. 7 zu Brief 1,3. 13 Er bringt die hohe Bedeutung seines Trägers als eines Dichters zum Ausdruck. 14 Hier sind samnitische Gladiatoren gemeint. 15 D.h. bis zum Beginn der Dunkelheit. 16 Wörtlich »durch seinen Stich«: Bei der Abstimmung nach dem Wettstreit wurde in ein Täfelchen gestochen. 17 Da nicht nachzuweisen ist, dass dieser Ort Immunität bot, muss die Bedeutung der Anspielung offen bleiben. 18 D.h. mich in meiner Frustration zu ärgern. 19 Vgl. Anm. 14 zu Satire 2,3. 20 Die Odendichtung. 21 Der Eigentümer. 22 Horaz.

3 An die Pisonen (»Ars poetica«) Nach ersten Ausführungen über das vollkommene Werk der Dichtkunst (1–44) macht Horaz dieses zum Thema seines ersten Hauptteils (45–307), in dem aber das Thema des zweiten, der vollkommene Dichter (308–476), schon ständig präsent ist, besonders deutlich ab V. 265. In Teil 1 geht es um den Stil (45–88), die Personencharakteristik (89–178) und um die Poetik des Dramas, vor allem der Tragödie, die als Exempel für das perfekte poetische Opus dient (179–274); darauf folgt ein



Anmerkungen zu Briefe Buch 2

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Abriss der griechisch–römischen Theatergeschichte (275–294). Über am Ende dieses Abschnitts gemachte Bemerkungen zu formalen Mängeln des frühen römischen Dramas und eine kurze Satire auf Dichter, denen angeborenes »Genie« und entsprechend verwildertes Äußeres wichtiger ist als Kunstverstand (295–307), kommt Horaz im Rahmen seiner Ausführungen über den vollkommenen Dichter zu Lehren, die immer wieder dessen sittliche Verantwortung und seine Aufgabe hervorheben, nicht nur zu unterhalten, sondern auch zu nützen (308–346). Der restliche Text setzt sich primär mit den Mängeln auseinander, die man Dichtern vorwerfen kann (347 ff.); hervorzuheben sind hier der Abschnitt über den Einfluss großer Poeten der Frühzeit auf die Kulturgeschichte (391–407), über die Notwendigkeit der Verbindung von Talent und Kunstfertigkeit (408–418) und der Appell an den Dichter, sich konstruktiver Kritik zu stellen (419–452); das Finale enthält eine Satire auf den Typ des verrückten Poeten (453–476). 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12

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D.h. der Form würden die Voraussetzungen für ein einheitliches Gebilde fehlen. Zu einer guten Strukturierung, die später zu Sagendes am Anfang zurückstellt, muss die Bereitschaft zur Selektion, also zum Weglassen von Entbehrlichem, hinzukommen. In den erhaltenen Komödien des Plautus finden sich im Vergleich zu augusteischen Texten mehr Gräzismen. Im daktylischen Hexameter, dem Versmaß des Epos. In Hexameter und Pentameter, die zusammen das elegische Distichon bilden. Gemeint sind Grab- und Weihepigramme. D.h. Komödie und Tragödie, deren Sprechverse in jambischen Trimetern verfasst sind. »Fuß« statt »Versfuß« bringt auch in der Übersetzung zum Ausdruck, dass dieser den Soccus und den Kothurn »anzog«. Hymnen und Epinikien (vgl. Anm. 2 und 3 zu Ode 4,2) sowie Liebes- und Gelagepoesie als Typen der Lyrik, im ersten und zweiten Fall der Chorlyrik. Rudd z.St. hält honoratum wohl mit Recht für falsch überliefert. D.h. einem vorgegebenen Charaktertyp individuelle Züge zu verleihen. D.h. zu einem Drama umformst. »Kreis« spielt auf den »Kyklos« an, eine Reihe (verlorener) nachhomerischer Epen, welche die Vorgeschichte zur Ilias und die Fortsetzung bis zur Eroberung Trojas sowie die Heimkehrergeschichten anderer Helden als Odysseus, ja sogar die Odyssee bis zum Tod des Protagonisten weitererzählte. Daran sollen künftige Bearbeiter des Trojastoffes sich nicht zu eng anlehnen. Wörtl. »in eine Enge/etwas Enges hinabspringen wirst« wie z.B. in der äsopischen Fabel der Bock, den der Fuchs dazu listig beredet (Phaedrus 4,9).

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Anmerkungen zu Briefe Buch 2

14 D.h. die Regeln der Gattung, hier der Tragödie. 15 Offenbar lateinische Übersetzung eines griechischen Verses, der uns nicht überliefert ist; er ist hier im Metrum des Originals (Hexameter) wiedergegeben. 16 Das offensichtlich von Horaz geprägte Wort promissor bezeichnet jemanden, der vollmundig ein Versprechen macht, und ist im Deutschen kaum adäquat wiederzugeben. 17 D.h. des Pathos, das schon der erste Vers erkennen lässt. 18 Homer; Horaz übersetzt hier mehr oder weniger wörtlich Odyssee 1,1a. 2b und 3, was hier wiederum im Metrum des Originals wiedergegeben ist. 19 Gemeint ist eines der beiden Eier Ledas, die von dem in einen Schwan verwandelten Gott Zeus/Júppiter geschwängert wird, und zwar dasjenige, aus dem Hélena als die am Trojanischen Krieg »Schuldige« und Klytämnestra hervorgehen. 20 Im Bühnenhaus im Hintergrund der Bühne. 21 Gemeint ist der Botenbericht, meist ein Bravourstück geschehensnahen Schilderns von hinterszenischer Aktion. 22 Hier ist der deus ex machina (»Gott aus der Maschine«) gemeint, der, wenn ein Geschehen allzu verwickelt erscheint, auf das Dach des Bühnenhauses tritt und den »Knoten löst«. 23 Horaz sieht es als Regel an, dass in einer Tragödie sich nur drei sprechende Personen auf der Bühne befinden; das geht auf Sophokles zurück. 24 Er soll also nicht außerhalb der Handlung stehen. 25 D.h. an einem, auf dem nur ein bescheidenes Mahl steht. 26 D.h. von einer dünnen Metallschicht umgeben. 27 Offensichtlich ist Rom gemeint. 28 Angehörige der unteren Schichten galten im Vergleich mit denen der höheren Klasse als unansehnlich. 29 D.h. neue Saiten. 30 Für den Dichter sind sie also dunkel. 31 Man erklärte sich das griechische Wort tragōdía, das »Bocksgesang« bedeutet, damit, dass der Sieger im Tragödienwettbewerb einen Bock erhielt. 32 D.h. er ließ sie in einem Satyrspiel, das auf drei Tragödien folgte und mit ihnen zusammen eine Tetralogie bildete, nur leicht bekleidet auftreten. 33 D.h. sich an der Lizenz einer karnevalistischen Veranstaltung erfreuende. 34 D.h. nicht so ordinär redet, wie man es in finsteren Kneipen hört. 35 D.h. in höchst anspruchsvoller Diktion spricht. 36 D.h. keine Metaphern verwenden. 37 D.h. des heranwachsenden Bacchus.

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Anmerkungen zu Briefe Buch 2

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Hier identisch mit den Satyrn. D.h. auf die Bühne geholt sind. Die Angehörigen des Ritterstandes. Einen solchen erhielt der Sieger im Tragödienwettbewerb. Vgl. Anm. 5 zu Ode 1,16. Vgl. dazu S. 752 bei Nr. 7 den jeweils zweiten Vers. Horaz müsste gewusst haben, dass sich dies schon bei Archílochos im 7. Jahrhundert v. Chr. findet, aber nur biographistische Pedanterie, die ignoriert, dass eine satirische Persona spricht, wird non ita pridem als nicht richtig überlieferten Wortlaut ansehen. 45 Die Kürze im zweiten und vierten Versfuß blieb also erhalten; vgl. S. 752 Nr. 8. 46 Das ist vermutlich ironisch gemeint. 47 Durch Abzählen. 48 D.h. vorher unbekannte. 49 Horaz nimmt (bewusst?) eine poetologische Metapher beim Wort, die man für verschiedene Literaturgattungen verwendete, um zum Ausdruck zu bringen, auf welcher »Ebene« des Stils und des Inhalts sie jeweils »fahren«; vgl. R. Nünlist, Würzburger Jahrbücher für die Altertumswissenschaft 21, 1996/97, 259–271. 50 Vgl. Anm. 1 zu Satire 1,4. 51 Dass es ein solches Gesetz gab, ist unwahrscheinlich. 52 Bildhauer, Steinmetze und Tischler prüften mit dem Fingernagel die Fugen. 53 Lícinus. 54 D.h. in einer glatten, leicht dahinfließenden Diktion. 55 Ein Pfund (liba) oder As umfasste 12 Unzen. 56 Zedernöl machte die Papyrusrolle haltbar, und das Zedernholz schützte sie, z.B. vor Motten. 57 Wörtlich: »jeden Stich«; vgl. Anm. 16 zu Brief 2,2. 58 Der offensichtlich als Glosse zu Vers 348 verfasste und fälschlich in den Text geratene Vers 349 ist hier nicht übersetzt. 59 Das Bild soll unachtsam verspritzte Tinte evozieren. 60 In der überlieferten Fassung der Ilias gibt es z.B. kleine Widersprüche. 61 Vgl. Anm. 11 zu Satire 1,4. 62 Ein solcher musste 400 000 Sesterzen besitzen. 63 Sie ist die Göttin der Weisheit und der Künste. 64 Auf solche wurde offenbar der Entwurf geschrieben. 65 D.h. reich an Begabung. 66 D.h. den Hymnos auf Apollon als Sieger über die Pythonschlange, der im Wettbewerb bei den Pythischen Spielen in Delphi vorgetragen wurde.

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Anmerkungen zu Briefe Buch 2

67 So wie der Auktionator mit der Hoffnung lockt, für wenig Geld viel zu bekommen, gewinnt ein solcher Dichter sein Publikum mit der Aussicht, für Applaudieren, das nichts kostet, werde es ein gutes Essen geben. 68 Das ist offensichtlich ironisch gemeint. 69 Diese Wiedergabe von derisor folgt dem Vorschlag Rudds z.St. 70 Vgl. Anm. 16 zu Satire 2,5. 71 Vgl. Anm. 2 zu Ode 1,24. 72 Die Stelle, wo jemand vom Blitz getroffen worden war, wurde eingezäunt und zum Heiligtum erklärt.

Versmasse Die von Horaz benutzten Metren werden in der Reihenfolge vorgestellt, in der er sie in seinen Werken jeweils erstmals verwendet. 1. Katalektischer daktylischer Hexameter: alle Satiren und Briefe inklusive der Ars poetica.

−  ⏔  −  ⏔  −  |  ⏔  −  ⏔  −  ⏔  −  ⏒ 2. Iambischer Trimeter und iambischer Dimeter alternierend: Epoden 1–10.

⏒  −  ⏑  −  ⏒  |  −  ⏑  −  ⏒  −  ⏑  ⏒ ⏒  −  ⏑  −  ⏑  −  ⏑  ⏓ 3. Iambischer Trimeter und Elegiambus alternierend: Epode 11.

  ⏒  −  ⏑  −  ⏒  |  −  ⏑  −  ⏒  −  ⏑  ⏓   −  ⏑⏑  −  ⏑⏑  ⏓  |  ⏒  −  ⏑  −  ⏒  −  ⏑  ⏓ 4. Katalektischer daktylischer Hexameter und katalektischer daktylischer Tetrameter alternierend (»Erstes Archilochium«): Epode 12; Ode 1, 7. 28.

−  ⏔  −  ⏔  −  |  ⏔  −  ⏔  −  ⏔  −  ⏒ −  ⏑⏑  −  ⏔  −  ⏑⏑  −  ⏓ 5. Katalektischer daktylischer Hexameter und Iambelegus alternierend: Epode 13.

−  ⏔  −  ⏔  −  ⏔  −  ⏔  −  ⏔  −  ⏒ ⏒  −  ⏑  −  ⏒  −  ⏑  ⏓  |  −  ⏑  ⏑  −  ⏑  ⏑  ⏓

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6. Katalektischer daktylischer Hexameter und iambischer Dimeter alternierend: Epode 14 und 15.

−  ⏔  −  ⏔  −  ⏔  −  ⏔  −  ⏔  −  ⏒ ⏒  −  ⏑  −  ⏒  −  ⏑  ⏓ 7. Katalektischer daktylischer Hexameter und iambischer Trimeter in reinen Iamben alternierend: Epode 16.

−  ⏔  −  ⏔  −  ⏔  −  ⏔  −  ⏔  −  ⏒ ⏑  −  ⏑  −  ⏑  |  −  ⏑  −  ⏑  −  ⏑  − 8. Iambischer Trimeter stichisch: Epode 17.

⏒  −  ⏑  −  ⏒  |  −  ⏑  −  ⏒  −  ⏑  ⏓ 9. Kleiner asklepiadëischer Vers stichisch (»Erstes Asclepiadëum«): Oden 1,1; 3,30; 4,8.

−  −  −  ⏑  ⏑  −  |  −  ⏑  ⏑  −  ⏑  ⏓ 10. Sapphische Strophe, in der auf drei sapphische Elfsilbler (Sapphiker) ein Adonëus folgt; Oden 1, 2. 10. 12. 20. 22. 25. 30. 32. 38; 2, 2. 4. 6. 8. 10. 16; 3, 8. 11. 14. 18. 20. 22. 27; Jahrhundertlied; 4, 2. 6. 11.

−  ⏑  −  −  −  |  ⏑  ⏑  −  ⏑  −  ⏒ −  ⏑  −  −  −  |  ⏑  ⏑  −  ⏑  −  ⏒ −  ⏑  −  −  −  |  ⏑  ⏑  −  ⏑  −  ⏒             −  ⏑  ⏑  −  ⏒ 11. Strophe, in der Glykoneus und kleiner asklepiadëischer Vers zweimal alternieren (»Viertes Asclepiadëum«): Oden 1, 3. 13. 19. 36; 3, 9. 15. 19. 24. 25. 28; 4, 1. 3.

−  −  −  ⏑  ⏑  −  ⏑  ⏓ −  −  −  ⏑  ⏑  −  |    −  ⏑  ⏑  −  ⏑  ⏓ −  −  −  ⏑  ⏑  −  ⏑  ⏓ −  −  −  ⏑  ⏑  −  |    −  ⏑  ⏑  −  ⏑  ⏓



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12. Strophe, in der Archilochier und katalektischer iambischer Trimeter zweimal alternieren (»Drittes Archilochium«): Ode 1,4.

−  ⏔  −  ⏔  −  |  ⏔  −  ⏑⏑  |  −  ⏑  −  ⏑  −  − −  −  ⏑  −  ⏑  |  −  ⏑  −  ⏑  −  − −  ⏔  −  ⏔  −  ⏔  −  ⏑⏑  |  −  ⏑  −  ⏑  −  − −  −  ⏑  −  ⏑  |  −  ⏑  −  ⏑  −  − 13. Strophe, in der auf zwei kleine asklepiadëische Verse ein Pherekratëus und ein Glykonëus folgen (»Drittes Asclepiadëum«): Oden 1, 5. 14. 21. 23; 3, 7. 13; 4, 13.

−  −  −  ⏑  ⏑  −  |    −  ⏑  ⏑  −  ⏑  ⏓ −  −  −  ⏑  ⏑  −  |    −  ⏑  ⏑  −  ⏑  ⏓ −  −  −  ⏑  ⏑  −  − −  −  −  ⏑  ⏑  −  ⏑  ⏓ 14. Strophe, in der auf drei kleine asklepiadëische Verse ein Glykonëus folgt (»Zweites Asclepiadëum«): Oden 1, 6. 15. 24. 33; 2, 12; 3, 10. 16; 4, 5. 12.

−  −  −  ⏑  ⏑  −  |  −  ⏑  ⏑  −  ⏑  ⏓ −  −  −  ⏑  ⏑  −  |  −  ⏑  ⏑  −  ⏑  ⏓ −  −  −  ⏑  ⏑  −  |  −  ⏑  ⏑  −  ⏑  ⏓ −  −  −  ⏑  ⏑  −  ⏑  ⏓ 15. Strophe, in der Aristophanëer und großer sapphischer Vers zweimal alternieren (»Größere sapphische Strophe«): Ode 1,8.

−  ⏑  ⏑  −  ⏑  −  − −  ⏑  −  −  −  |  ⏑  ⏑  −  |  −  ⏑  ⏑  −  ⏑  −  − −  ⏑  ⏑  −  ⏑  −  − −  ⏑  −  −  −  |  ⏑  ⏑  −  |  −  ⏑  ⏑  −  ⏑  −  −

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16. Alkäische Strophe, in der auf zwei alkäische Elfsilbler ein Zehnsilbler und ein Neunsilbler folgen: Oden 1, 9. 16. 17. 26. 27. 29. 31. 34. 35. 37; 2, 1. 3. 5. 7. 9. 11. 13–15. 17. 19. 20; 3, 1–6. 17. 21. 23. 26. 29. 4, 4. 9. 14. 15.

⏓  −  ⏑  −  −  |  −  ⏑  ⏑  −  ⏑  ⏓ ⏓  −  ⏑  −  −  |  −  ⏑  ⏑  −  ⏑  ⏓ ⏓  −  ⏑  −  −  −  ⏑  −  ⏒ −  ⏑  ⏑  −  ⏑  ⏑  −  ⏑  −  ⏒ 17. Größerer asklepiadeischer Vers stichisch (»Fünftes Asclepiadëum«): Ode 1, 11. 18; 4, 10.

−  −  −  ⏑  ⏑  −  |  −  ⏑  ⏑  −  |  −  ⏑  ⏑  −  ⏑  ⏓ 18. Hipponaktëische Strophe, in der katalektischer trochäischer Dimeter und katalektischer iambischen Trimeter zweimal alternieren: Ode 2,18.

−  ⏑  −  ⏑  −  ⏑  ⏓ ⏑  −  ⏑  −  ⏒  |  −  ⏑  −  ⏑  −  ⏒ −  ⏑  −  ⏑  −  ⏑  ⏓ ⏑  −  ⏑  −  ⏒  |  −  ⏑  −  ⏑  −  ⏓ 19. Ionische Strophe, in der zehn Ioniker aufeinander folgen: Ode 3,12.

⏑  ⏑  −  −  ⏑  ⏑  −  −  ⏑  ⏑  −  − usw. 20. Strophe, in der katalektischer daktylischer Hexameter und Hemiepes alternieren (»Zweites Archilochium«): Ode 4,7.

−  ⏔  −  ⏔  −  |  ⏔  −  ⏔  −  ⏔  −  ⏒ −  ⏑  ⏑  −  ⏑  ⏑  ⏓ −  ⏔  −  ⏔  −  |  ⏔  −  ⏔  −  ⏔  −  ⏒ −  ⏑  ⏑  −  ⏑  ⏑  ⏓

Bibliographie Forschungsbericht und Bibliographien Harrison, S.J.: Horace. Cambridge 2014 (New Surveys in the Classics 42). Holzberg, N.: Horaz. Eine Bibliographie. München 2017 [nur im Internet: http:// www.niklasholzberg.com/Homepage/Bibliographien.html]. Kißel, W.: Horaz 1936–1975. Eine Gesamtbibliographie, Aufstieg und Niedergang der Römischen Welt II 31.3, 1981, 1403–1558. – Gesamtbibliographie zu Horaz 1976–1991, in: S. Koster, Horaz-Studien. Erlangen 1994 (Erlanger Forschungen, Reihe A, Bd. 66), 115–192.

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Namen und Begriffe Dies ist kein Register, das zu jedem Namen und Begriff die Verszahl nennt und dabei vom lateinischen Text ausgeht. Ein solches boten die bisher erschienenen lateinisch-deutschen Ausgaben offenbar deswegen, weil sie von einem Leser ausgingen, der primär links liest und nur in Zweifelsfällen nach rechts blickt; ein solcher kann aber ebenso gut den Index einer textkritischen Ausgabe benutzen. Das vorliegende Verzeichnis geht von den Namen und Begriffen der Übersetzung aus und erläutert sie, aber nur, wenn es sich um solche handelt, deren Glossierung für das Verständnis des Textes erforderlich ist. Deshalb fehlen hier außer bekannten geographischen Bezeichnungen wie Kaukasus oder Neapel z.B. die Namen von Personen, über die wir nichts wissen und die mindestens z.T. fiktiv sein dürften; wenn nötig ist die Betonung in einer Anmerkung angegeben. Stellennachweise zu einem Personennamen gebe ich nur dann, wenn auch eine andere Figur oder mehrere andere ihn tragen; dadurch grenze ich die von mir genannte Person von dem/den Namensvetter/n ab. Zu der Betonung der Namen vergleiche man das Vorwort der Anmerkungen S. 655. Ä und ö sind alphabetisch wie ae und oe eingeordnet. Accius: L. Accius (170–um 80 v. Chr.): römischer Verfasser von Tragödien, die verloren sind. achäisch zu Achaia: Landschaft auf der nordwestlichen Peloponnes; der Name kann auch für ganz Griechenland stehen. achämenisch: persisch, nach Achämenes, dem Ahnherrn der Perserkönige. Ácheron: Unterweltsstrom; er steht auch für die ganze Unterwelt. Acherontia: Ort südlich von Venusia (heute Acerenza). Achilles: der größte Held der Griechen im Trojanischen Krieg. Achiver: Griechen. Ä´ akus: Großvater des Achilles und einer der Richter in der Unterwelt, nach anderer Überlieferung auf die Inseln der Seligen versetzt. Ädil: römischer Magistrat, der für die Polizei und die Spiele zuständig war. Aéfula: Stadt südlich von Tibur. Ägis: das Bild der schlangenhaarigen Gorgo, das Minerva auf Brust und Schild trägt. Äneas: Sohn der Venus von Anchises, Vater des Askanius/Ïulus. äolisch: auf der Insel Lesbos gesprochener griechischer Dialekt; auch die dort entstandene Poesie der Sappho und des Alkaios wird mit diesem Adjektiv bezeichnet.

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Namen und Begriffe

Ä´ olus: Vater des Sísyphus. Ä´ schylus (Aischýlos): griechischer Tragödiendichter (525/24–456 v. Chr.). Äsop: Clodius Aesopus, ein berühmter Tragödienschauspieler und Freund Cíceros. ätolisch zu Ätolien: Landschaft in W-Griechenland. Afranius: L. Afranius (2. Hälfte 2. Jh. v. Chr.), Autor (verlorener) lateinischer Komödien, die in Italien spielten und deshalb comoediae togatae (»in der Toga«) genannt wurden. Afrer: Bewohner Afrikas; oft = Punier, Karthager. Áfricus: stürmischer West-Südwestwind. Agamemnon: König von Mykene, Sohn des Atreus, Ehemann der Klytämnestra, Vater der Iphigenië. Agaue: Mutter des Königs Pentheus von Theben. Agrippa: M. Vipsanius Agrippa (64/63–12 v. Chr.), Admiral, Freund und späterer Schwiegersohn Oktavians; er gewann 33 v. Chr. als Ädil durch 59 Tage dauernde Spiele die Gunst des Volkes für die Oktavian-Partei. Agyieus: Beiname Apollos (»Gott der Straßen«). Ajax: (1) Sohn Télamons und der erfolgreichste Grieche vor Troja nach Achilles. Als nach dessen Tod die hinterlassenen Waffen Odysseus, nicht ihm zugesprochen werden, wird er wahnsinnig und tötet eine Herde von Schafen, die er für die griechischen Heerführer hält. Wieder zu sich gekommen, begeht er Selbstmord (Satire 2,3,187 ff.); (2) Sohn des Lokrers Oïleus, den Athene auf seiner Heimfahrt in einem Sturm tötet, weil er ihre Priesterin Kassandra vom Altar weggerissen hat (Epode 10,14; Ode 1,15,19). Akademus (Akádemos): griechischer Halbgott, in dessen Hain Platon und seine Nachfolger die »akademische« Philosophie lehrten. Akrisius: s. Dánaë. akrokeraunische Klippen: Vorgebirge an der Küste von Epirus. Aktium: Vorgebirge in W-Griechenland, bei dem Oktavian/Augustus 31 v. Chr. über Antonius siegte. Albaner Seen: Seen nicht weit von Rom. albanisch zu Alba : Stadt in Latium in den Albanerbergen, wo guter Wein wächst. Albius: in Ode 1,33 und Brief 1,4 sehr wahrscheinlich identisch mit dem Elegiendichter Albius Tibullus (ca. 55–19/18 v. Chr.). Albúnea: weissagende Quellnymphe in Tibur. Alexander der Große: König von Makedonien (356–323 v. Chr.). Alexandria: die von Alexander dem Großen 331 v. Chr. gegründete Residenz der Ptolemäer in Ägypten.



Namen und Begriffe

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Álgidus: Berg 24 km südöstlich von Rom, vermutlich mit dem Monte Artemisio identisch. Alkäus (Alkaios): Lyriker auf Lesbos (um 600 v. Chr.). Alkide: Hérkules nach Alkeus, dem Vater seines Ziehvaters Amphítryon. Alkínous: König der Phäaken, deren paradiesisch wirkende Insel Scheria für Ulixes/ Odysseus die letzte Station der Irrfahrt ist (gesprochen Alkíno-us). allifanisch zu Allifae: Stadt in der süditalischen Landschaft Samnium. Allóbroger: Gallischer Volksstamm, der, 121 v. Chr. besiegt, nach einem Aufstand 61 v. Chr. endgültig unterworfen wurde. Alyattes: König von Lydien und Vater des sprichwörtlich reichen Königs Krösus. Amazonen: Angehörige eines mythischen Volks kriegerischer Frauen am Fluss Thermodon in Kleinasien, die mit Streitäxten kämpfen. Amphion: Er errichtet die Mauern Thebens durch seinen Gesang zur Lyra und hat im Gegensatz zu seinem Zwillingsbruder Zethes eine milde Wesensart. Amphore: zweihenkliges, enghalsiges Tongefäß. Anákreon: lyrischer Dichter aus Teos in Kleinasien (um 570–um 485 v. Chr.). Anchises: Vater des Äneas, den er mit Venus zeugt. Ancus: Ancus Marcius, der vierte (mythische) König Roms. Andrómeda: Tochter des Kepheus, der in Ode 3,29,17 als Sternbild genannt ist. Anio: Nebenfluss des Tiber. Antenor: älterer Trojaner, der zum Frieden mit den Griechen rät. Antíkyra: Stadt am Golf von Korinth, in der viel Nieswurz wuchs. Antílochus: Sohn Nestors, der vor Troja von Memnon getötet wird. Antíochus: König Antíochus III. von Syrien, der 190 v. Chr. bei Magnesia besiegt wurde. Antíphates: der König der Lästrygonen in Homer, Odyssee 10,100 ff. Antium: Stadt an der Küste Latiums (heute Anzio) mit einem Tempel der Fortuna. Antonius: M. Antonius (83–30 v. Chr.), ehemaliger Offizier Caesars und im Triumvirat mit Oktavian und Lépidus. Antonius Musa: Leibarzt des Augustus. Anxur: Volskischer Name von Tarracina (heute Terracina). Ánytus: Ankläger des Sókrates im Prozess des Jahres 399 v. Chr. Apelles: berühmter griechischer Maler (4. Jh. v. Chr.). Apennin: das Hauptgebirge Italiens. Apollo: Sohn Júppiters und der Latona, Zwillingsbruder Dianas; er ist Gott der Dichtung, Musik, Wahrsagung und Heilkunst. Appius: Appius Claudius Pulcher, Censor, der 50 v. Chr. alle Söhne von Freigelassenen aus dem Senat ausschloss. Apulien: Landschaft in Unteritalien.

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Namen und Begriffe

Áquilo: der (personifizierte) Nordwind. aquinatisch zu Aquinum: Stadt in Latium (heute Aquino). Arbúscula: eine zur Zeit Ciceros berühmte Schauspielerin. Archílochus (Archílochos): Dichter (ca. 680–ca. 630 v. Chr.), der Jamben (Schmähgedichte) verfasste. Archytas: pythagoreischer Philosoph (1. Hälfte 4. Jh. v. Chr.). argivisch zu Argiver: Bewohner von Argos; auch = griechisch. Argo: das aus Fichtenholz gebaute erste Schiff. Argonauten: Griechische Helden, die unter der Führung Jasons auf der Argo nach Kolchis segeln, um das Goldene Vlies zu holen. Argos: Hauptstadt der Landschaft Árgolis auf der Peloponnes. Aricia: Stadt an der Appischen Straße (via Appia), die nach Süditalien führt, 24 km südöstlich von Rom (heute Ariccia). Ariminium: Stadt am Meer in Umbrien (heute Rimini). Aristarch: bedeutender Philologe und Leiter der Bibliothek in Alexandria (ca. 216– 145 v. Chr.). Aristipp(us): Aristipp von Kyrene (ca. 435–nach 366 v. Chr.), ein Schüler des Sókrates und Gründer der kyrenäischen Schule, die schon vor den Epikureern die Lust zum höchsten Gut erklärte. Aristóphanes: Komödiendichter in Athen (ca. 450–nach 385 v. Chr.). Arkadien: Landschaft in der Mitte der Peloponnes, die der Hirtengott Pan besonders liebt. Arkturus: Sternbild, dessen Frühaufgang am 22./23. Mai und dessen Spätuntergang am 2. November Unwetter bedeuten. Arrius: Q. Arrius, ein reicher Freund Cíceros, der an einer Leichenfeier für seinen verstorbenen Vater 59 v. Chr. viele tausend Bürger teilnehmen ließ. As: zur Zeit des Horaz eine fast wertlose Scheidemünze. Asien: (1) Die römische Provinz Asia in Westkleinasien (Satire 1,7,19); (2) Kleinasien als Ganzes. Assárakus: Sohn des Tros, Bruder des Ilus und Ganymedes. assyrisch: syrisch. Atlas: riesiger Sohn des Titanen Ïápetus und der Klýmene, Vater Maias und Großvater Merkurs; er trägt im äußersten Westen den Himmel und wird in einen Berg verwandelt. Atreus: s. Thyestes. Atride: Sohn des Atreus: Agamemnon (Satire 2,3,187; Ode 2,4,7); Menelaus (Brief 1,7,43); die Atriden sind er und Menelaus. Atrium: Empfangshalle in vornehmen römischen Bürgerhäusern.



Namen und Begriffe

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Atta: T. Quinctius Atta (gest. 77 v. Chr.), Verfasser von (verlorenen) Komödien, die in Italien spielten. Áttalus: König Áttalus III. von Pergamon (138–133 v. Chr.), der die Römer unverhofft zu seinen Erben einsetzte. attisch zu Attika: Landschaft, in der Athen liegt. Aúfidus: Fluss in Horazens Heimat Apulien (heute Ofanto). Augur: Prophet, der die Zukunft aus dem Vogelflug herausliest. Aulis: böotischer Hafen, Euböa gegenüber. Dort muss Agamemnon seine Tochter Iphigenië der ihm zürnenden Artemis/Diana opfern, damit diese eine Windstille beendet und man nach Troja segeln kann. Aulon: Weingebiet bei Tarent. ausonisch: zu Ausonien: alter Name Süditaliens, der für das ganze Italien stehen kann; auch = italisch. Auspizien: gute Vorzeichen einer Vogelschau; unter den Auspizien eines Feldherrn gehorchen die Soldaten seinem Kommando. Auster: der Südwind. Aventin: einer der sieben Hügel Roms. avernalisch zu Avernus: Kratersee bei Neapel mit dem Eingang zur Unterwelt; er kann auch für die gesamte Unterwelt stehen. bacchantisch zu Bacchantin: s. Thyiaden. Bacchus: der Weingott (griech. Diónysos). Baiae: Luxusbad in Kampanien zwischen Putéoli und Misenum. Baktra: Stadt im Norden des Partherreiches. Bálanus: ägyptische Palmfrucht, aus der Öl gepresst wurde. Bandusia: Diesen Namen könnte Horaz einer Quelle auf seinem Landgut in den Sabinerbergen gegeben haben. Bantia: Ort in der Nähe von Venusia (heute Banzi). Bárbitos: eine Form der Lyra. Den lesbischen Bárbitos spielten Alkaios und Sappho, Horazens wichtigste Vorbilder in den Oden. Barium: das heutige Bari. Bássareus: Beiname des Bacchus. Bellerophontes: Weil er die Liebe der Stheneböa zurückweist, behauptet sie ihrem Mann Prötus gegenüber, er habe sie verführen wollen, wird von diesem zu dessen Schwiegervater Ïóbates mit einem Brief geschickt, der ihn zu töten befiehlt, kann aber die Chimäre, die das vollziehen soll, mit Hilfe des von ihm gerittenen Flügelrosses Pegasus besiegen. Bellona: Kriegsgöttin, deren Priester sich in orgiastischen Tänzen selbst verstümmelten.

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Namen und Begriffe

Benevent(um): Stadt im süditalischen Samnium (heute Benevento). berekyntisch zu Berekyntus: Berg in Phrygien, dem Hauptsitz des Kýbele-Kults; auch = phrygisch. Bíbulus: (1) M. Calpurnius Bíbulus, Konsul mit Caesar 59 v. Chr. (Ode 3,28,8); (2) ein Freund des Horaz (Satire 1,10,86). bionëisch zu Bion: Bion von Borýsthenes, der um 315 v. Chr. (verlorene) Diatriben, d.h. Prosaschriften vermischten Inhalts mit satirischer Tendenz verfasste. Bistoniden: Thrakerinnen. bithynisch zu Bithynien: waldreiche Landschaft in NW-Kleinasien, die Holz für den Schiffsbau lieferte. Böotier zu Böotien: Landschaft in Mittelgriechenland. Bóreas: der Nordwind. Breuner: keltischer Stamm im Inntal. Brisëis: Sklavin und Geliebte des Achilles. Britannier: Sie wurden von Caesar 55 und 54 v. Chr. angegriffen, aber nicht dem Reich eingegliedert, und eine von Oktavian 35/34 v. Chr. geplante Expedition kam nicht zur Durchführung. Brundisium: heute Brindisi. Brutus: M. Junius Brutus, einer der Caesar-Mörder, der im Krieg die Statthalterschaft der Provinz Asien übernahm und bei Philippi 42 v. Chr. von Oktavian und Antonius besiegt wurde. byzantinisch zu Byzanz: das spätere Konstantinopel und heutige Istanbul. Caecilius: Statius Caecilius, römischer Komödiendichter (um 220–168 v. Chr.). Caécuber: sehr edler Wein, der bei Fundi im südlichen Latium angebaut wurde. Caere: etruskische Stadt (heute Cerveteri). Caesar: (1) der Diktator C. Julius Caesar (100–44 v. Chr.); (2) Caesar Octavianus, der spätere Kaiser Augustus (63 v.–14 n.Chr.). calenisch zu Cales: Stadt in Kampanien, wo ein edler Wein angebaut wurde. Calvus: s. Catull. Camenen: italische Gottheiten des Gesangs und der Weissagung, die den Musen gleichgesetzt wurden. Camillus: M. Furius Camillus, Eroberer Vejis 396 v. Chr. und als Diktator Sieger über die Gallier 386 v. Chr. Canusium: Stadt in Apulien (heute Canosa). Dort wurde Griechisch und Oskisch gesprochen, wozu später Latein kam. Cápua: Hauptstadt Kampaniens, die im Zweiten Punischen Krieg (218–201 v. Chr.) von Rom abfiel, weil sie die Führungsmacht in Italien anstrebte. Carinen: vornehmes Viertel Roms am Esquilin.



Namen und Begriffe

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Cascellius Aulus: berühmter Jurist zur Zeit Ciceros. Cassius: (1) Cassius Longinus, einer der Caesarmörder; von seinen Werken ist nichts erhalten (Brief 1,4,3); (2) ein Etrusker (Satire 1,10,62). Cato: (1) der Censor M. Porcius Cato (234–149 v. Chr.) (Satire 1,2,32; Ode 2,15,11; 3,21,11?; Brief 1,19,14?; 2,2,117; 2,3 = »Ars poetica« 56); (2) M. Porcius Cato Uticensis (95–46 v. Chr.), der sich als Republikaner im Bürgerkrieg gegen Caesar in Útica das Leben nimmt (Od. 1,12,35; 2,1,24; 3,21,11?; Brief 1,19,14?). Catull: C. Valerius Catullus (ca. 87–ca. 54 v. Chr.), wie C. Licinius Calvus (82–ca. 47 v. Chr.; sein Werk ist verloren) wichtiger Vertreter einer Gruppe von Dichtern, die in der Mitte des 1. Jhs. v. Chr. Kleinpoesie in der Nachfolge des Kallímachos verfassten und vielleicht Neoteriker (»Neuerer«) genannt wurden. Caudium: Stadt im süditalischen Samnium beim heutigen Montesarchio. Censor: römischer Magistrat, der besonders für die Vermögungsschätzung und die Sittenkontrolle zuständig war; er ging die Liste der Senatoren und Ritter durch und tilgte daraus, wer ihm unwürdig erschien, ist also der Prototyp des strengen Kritikers. Censorinus: in Ode 4,8,2 L. Marcius Censorinus (Konsul 39 v. Chr.) oder C. Marcius (Konsul 8 v. Chr.). Centurie: eine Wahlkörperschaft. Centurionen: Unteroffiziere. Ceres: Göttin des Ackerbaus (griech. Demeter). Cethegus: M. Cornelius Cethegus (Konsul 204 v. Chr.), der als der früheste rhetorisch versierte Redner galt. Charybdis: Meerungeheuer an der Meerenge zwischen Région und Messana, der heutigen Straße von Messina, das seine Opfer verschluckt. chiisch zu Chier: Wein von der Insel Chios in der Ägäis. Chimära: feuerschnaubendes Monster mit Löwenkopf, Drachenschwanz und Ziegenleib. Chö´rilus (Choírilos): Epiker des 4. Jhs. v. Chr., der als schlechter Dichter galt. Chremes: der Typus des Geizhalses in der Neuen Komödie. Chrysipp(us): Philosoph (ca. 280–206 v. Chr.), der nach der Gründung der stoischen Schule durch Zenon das dogmatische Fundament der Lehre schuf. Circeï: Stadt auf einem Vorgebirge in Latium am Südende der Pontinischen Sümpfe. Circus: Der Circus Maximus, die große Rennbahn zwischen Palatin und Aventin. Claudier: Tiberius und Drusus (Ode 4,4,73). Claudius: Tiberius Claudius Nero (42 v.–37 n.Chr.), älterer von zwei Söhnen der

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Namen und Begriffe

Augustus-Gattin Livia aus erster Ehe und 14–37 n.Chr. Nachfolger seines Stiefvaters als Kaiser. Clusium: Stadt in Etrurien (heute Chiusi). Cocceius: L. Cocceius Nerva, consul suffectus (»nachgewählter Konsul«) 39 v. Chr. Copia: die Personifikation der Fülle, die ein Füllhorn trägt. Corvinus: s. Messalla. Crassus: C. Licinius Crassus (115–53 v. Chr.) fiel in der gegen die Parther verlorenen Schlacht bei Karrhä. Cupido: der Liebesgott Amor. Curius: Manius Curius Dentatus, Anfang des 3. Jhs v. Chr. mehrfach Konsul mit betont schlichter Lebensweise und Sieger über die Samniten. Dä´dalus: athenischer Baumeister und Künstler, der zusammen mit seinem Sohn Íkarus auf Flügeln seinem Exil auf Kreta entkommt. Daker: ein Volk im Gebiet des heutigen Rumänien, das zur Zeit des Horaz die römische Provinz Makedonien durch Beutezüge unsicher machte. dalmatisch zu Dalmatien: Region an der Ostküste der Adria. Dánaë: Ihr Vater Akrisius sperrt die noch kinderlose Tochter in einem Turm ein, weil ihm geweissagt worden ist, dass sein Enkel ihn töten werde. Doch Júppiter dringt durchs Dach in Gestalt eines Goldregens ein und zeugt mit ihr Perseus. Dánaus: König von Argos, dessen 50 Töchter bis auf eine in der Hochzeitsnacht ihre Männer töten (gesprochen Dána-us). dardanisch zu Dárdanus: Aus Italien eingewanderter Stammvater der über Troja herrschenden Dardaniden; auch = trojanisch. daunisch: apulisch, nach Daunus, dem mythischen ersten König von Apulien. Davus: häufiger Sklavenname in der hellenistischen und römischen Komödie. Decius: P. Decius Mus, Konsul 340 v. Chr., ein berühmter homo novus (»Aufsteiger«). Dëíphobus: Sohn des Príamus und Mann der Hélena nach dem Tod des Paris bis zum Untergang Trojas. Dellius: Q. Dellius, ein reicher Freund des Augustus. Delos: Kykladeninsel in der Ägäis, auf der Apollo und Diana geboren sind. Delphi: Stadt am Fuß des Parnass mit einem besonders berühmten Apollo-Orakel. Demokrit (Demókritos): Philosoph aus Ábdera (ca. 460–ca. 370 v. Chr.), bekannt durch seine Lehre von den Atomen und als der über alles lachende Weise. Diadem: Stirnbinde, Krone. Diana: Tochter Júppiters und der Latona, Zwillingsschwester Apollos; sie ist die jungfräuliche Göttin der Jagd (griech. Ártemis) und wird auch mit Luna und Hékate gleichgesetzt. Diéspiter: Ein archaischer Name Júppiters.



Namen und Begriffe

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Digentia: Bach in der Nähe des Sabinum. Dindymene: Kýbele nach ihrer Kultstätte auf dem Berg Díndymus in NW-Kleinasien. Diomedes: einer der griechischen Trojakämpfer; er wird während der Rückkehr nach Unteritalien verschlagen und gründet dort mehrere Städte; s. auch zu Glaukus. Dione: die Mutter der Venus, aber auch Venus selbst (Ode 2,1,39). dirkäisch zu Dirke: Quelle bei Theben; auch = thebanisch. Discordia: Göttin der Zwietracht. Dithyrambus: Chorlied, das ursprünglich zum Diónysoskult gehörte. dorisch zu Dor(i)er: einer der altgriechischen Hauptstämme. Drusus: Nero Claudius Drusus (39–9 v. Chr.), Sohn der Livia aus erster Ehe und Bruder des Tiberius. Er besiegte zusammen mit ihm 15 v. Chr. die Alpenstämme in Rätien. Echion: Vater des Pentheus. Edoner: thrakischer Volksstamm. Egeria: die Geliebte des Numa Pompilius, des mythischen zweiten Königs von Rom. Elegie: zur Zeit des Horaz vor allem ein erotisches Gedicht, in dem der Sprecher, ein Angehöriger des Ritterstandes, über negative Erfahrungen mit der von ihm geliebten Frau, einer Freigelassenen, klagt. elëisch: zu Elis: Landschaft auf der Peloponnes, in der Olympia liegt. Elektra: Tochter Agamemnons und der Klytämnestra und Schwester Orests. Empédokles: Naturphilosoph aus Ákragas auf Sizilien (ca. 495–ca. 435 v. Chr.). Ennius: Q. Ennius (239–169 v. Chr.) verfasste das historische Epos Annalen, Tragödien, Komödien und eine Vorform der Verssatire; von alldem sind nur Fragmente erhalten. Ephebe: junger Mann (griech.). Éphesus: Stadt an der Westküste Kleinasiens. Epicharm: griechischer Komödiendichter in Sizilien (um 500 v. Chr.). Epidauros: griechische Stadt mit einem berühmten Tempel des Heilgottes Asklepius (Äskulap), dem die Schlange, ein in der Antike als scharfäugig geltendes Tier, heilig war. Epikur: griechischer Philosoph (341–270 v.Ch.), der die Lehre der Epikureer begründete. Eroten: Knaben im Gefolge der Venus (Aphrodite), die wie der Eros (Amor, Cu­pi­do) aussehen. Erykina: Venus nach ihrem Tempel auf dem sizilischen Berg Eryx. Erymanthus: Gebirge zwischen Arkadien, Elis und Achaia. Esquilin(us): einer der sieben Hügel und Stadtteil Roms.

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etruskisch zu Etrurien: etwa das Gebiet der heutigen Toskana. Euander: Mythischer Hirtenkönig, der aus Arkadien auf das Gebiet des späteren Rom übersiedelt. Eúhias: Bacchantin; s. Thyiaden. Eúhius: Beiname des Bacchus. Eumeniden: ein Euphemismus (griech. »die Wohlgesinnten«) für die Erínnyen. Eúpolis: Komödiendichter in Athen (ca. 455–nach 412 v. Chr.). Europa: (1) Tochter des phönizischen Königs Agenor, die Júppiter in Gestalt eines Stiers von Tyros nach Kreta entführt und dort in seiner eigenen Gestalt zu seiner Frau macht; (2) der Kontinent (Ode 3,3,47). Eurus: der (Süd-)Ostwind. Euterpe: eine der Musen. Eutrápelus: P. Volumnius Eutrápelus, römischer Ritter, der mit Cicero und Átticus befreundet war. Fabricische Brücke: 62 v. Chr. durch L. Fabricius erbaute Brücke vom Marsfeld zur Tiberinsel. Fabricius: C. Fabricius Luscinus, Konsul 282 und 278 v. Chr., Symbolfigur eines ehrenhaften und einfach lebenden Römers. Falerner: edler Weißwein aus Kampanien. Fama: die Göttin des Ruhms. Fasti: chronologische Aufzeichnungen, z.B. in Form eines Kalenders der Festtage oder einer Familiengeschichte. Faun(us): altitalischer weissagender Feldgott (griech. Pan) mit Hörnern und Bocksbeinen. Fausta: Tochter Sullas; der Name bedeutet »die Glückliche«. Faustitas: die personifizierte gute Vorbedeutung. Favonius: Westwind. Ferentinum: eine kleine Stadt in Latium. Feronia: altitalische, mit Juno gleichgesetzte Gottheit. Ihr Tempel, 4,5 km von Aricia entfernt, bot nach einer Fahrt durch die Pontinischen Sümpfe reines Wasser. fescenninisch zu Fescennia, einer Stadt in Etrurien, nach der die fescenninischen Spottverse benannt wurden. Fidenae: Stadt in Latium. Flaccus: Beiname des Horaz (»Schlappohr«). Fonteius Cápito: C. Fonteius Cápito, Konsul 33 v. Chr. und Gesandter des M. Antonius in Asien. Forentum: Ort in der Nähe von Venusia.



Namen und Begriffe

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formianisch zu Formiae: Stadt in Süditalien (heute Mola di Gaeta), wo ein edler Wein angebaut wurde. Fortuna: die Schicksals- und Glücksgöttin. Forum Appi: Städtchen an der Appischen Straße, 64 km südöstlich von Rom (heute Foro Appio), Ausgangspunkt eines Kanals durch die Pontinischen Sümpfe, welche die Reisenden in Satire 1,5 mit einem von einem Maultier gezogenen Kahn durchqueren. Fundi: Kleinstadt an der Küste in Süd-Latium (heute Fondi). Furien: Rachegöttinnen. Furor: Der personifizierte Wahnwitz als männliches Gegenstück zur Furie. Gabii: Stadt in Latium. Gades: Stadt in Spanien (heute Cádiz). gätulisch zu Gätulien: Landschaft in NW-Afrika. Galaesus: Fluss in Kalabrien bei Tarent (auch Eurotas genannt). Gálater: Name der in Kleinasien lebenden Kelten. Ganymed(es): schöner trojanischer Knabe, den Júppiter durch seinen Adler entführen lässt und zu seinem Geliebten und Mundschenken macht. Garganus: Gebirge an der Küste Apuliens. Gelonen: skythischer Volksstamm im Gebiet der heutigen Ukraine. Genaunen: keltischer Stamm am rechten Ufer der Etsch. Genitalis: Beiname der Geburtsgöttin Ilithyia (»zur Geburt gehörig«). Genius: Schutzgeist eines jeden Menschen, der ihn durchs Leben begleitet. Geryon(es): Riese mit drei Körpern, den Herkules tötet. Geten: Volk an der unteren Donau. Giganten: riesige Söhne der Erdmutter (griech. gígas und gēgenē´s zu gê »Erde« und génos »Geschlecht«). Glaukus: Lykier auf der Seite der Trojaner, der, als er im Kampf auf Diomedes trifft und die beiden sich als Gastfreunde erkennen, beim Tausch der Rüstungen eine bronzene für eine goldene nimmt (Homer, Ílias 6,119 ff.). Gloria: Ruhm bzw. Ruhmsucht als Personifikation. Glykon: berühmter Athlet in der Zeit des Horaz. Gnatia: Stadt an der apulischen Küste (später Egnatia, heute Torre Egnazia in Monopoli). Gracchus: Tiberius Sempronius Gracchus (gest. 133 v. Chr.) und sein Bruder Gaius (gest. 121 v. Chr.) galten als die bedeutendsten Redner ihrer Zeit. Gragus: Berg in Lykien. Grazien: drei Göttinnen der Anmut und Begleiterinnen der Venus (griech. Chariten).

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Namen und Begriffe

Gyges: (1) hundertarmiger Riese, der zusammen mit den Giganten gegen die Götter kämpft; (2) junger Mann in Ode 3,7. Haedus: Sternbild (»Böcklein«), dessen Frühaufgang am 27. September mit der stürmischen Herbsttagundnachtgleiche zusammenfällt. Hämonien: Thessalien. Hämus: Gebirge in Thrakien. Hánnibal: Feldherr der Karthager im Zweiten Punischen Krieg (218–201 v. Chr.). Harpyien: Mischwesen in Gestalt einer geflügelten Frau. Hásdrubal: Bruder Hánnibals. Hebrus: (1) Fluss in Thrakien (heute Maritza, Evros); (2) von Neobule geliebter junger Mann (Ode 3,12). Hékate: nächtlich wirkende Zaubergöttin mit drei Köpfen. Hektor: Sohn des Príamus, der, nachdem er im zehnten Jahr des Trojanischen Krieges besonders heldenhaft gekämpft hat, von Achilles im Zweikampf getötet und Vögeln und Hunden zum Fraß vorgeworfen, dessen Leiche aber seinem Vater Príamus auf dessen Bitten von dem Helden zur Bestattung übergeben wird. Hélena: Tochter Júppiters und der Leda, der Ehefrau des Tyndárëus, und Ehefrau des Menelaus. Hélikon: Gebirge in Böotien und Sitz der Musen. Hérkules: Sohn Júppiters und der Alkmene, der im Auftrag des Eurystheus zwölf Heldentaten, seine »Arbeiten«, vollbringen muss und nach seinem Tod unter die Götter versetzt wird. Hermógenes: s. Tigéllius. Herodes: Herodes der Große, König von Judäa (ca. 73–4 v. Chr.). hesperisch zu Hesperien: Land im Westen, Italien. hiberisch zu Hiberien: (1) die iberische Halbinsel, auf der die Hiberer wohnen; (2) das Gebiet des heutigen Georgien (Epode 5,21). Hippólyte: Frau des Akastus, die vergeblich Peleus zu verführen versucht und ihn fälschlich bei ihrem Mann beschuldigt, worauf dieser ihn in der Hoffnung, Kentauren würden ihn töten, auf den Pélion schickt; dort rettet ihn Chiron. Hippólytus: Dem Dienst an Diana verschriebener Sohn des Theseus, der sich seiner Stiefmutter Phaedra verweigert. Da sie Selbstmord begeht und in ihrem Abschiedsbrief behauptet, Hippólytus habe ihr nachgestellt, bittet Theseus seinen Vater Neptun um Rache, und dieser lässt, als der vom Vater verbannte Sohn mit einem Pferdegespann am Meer entlang fährt, einen monströsen Stier herauskommen, der die Pferde scheu macht, so dass sie durchgehen und Hippólytus beim Umstürzen des Wagens getötet wird. Hister: der Unterlauf der Donau; auch der Name des ganzen Stroms.



Namen und Begriffe

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Homer: der Verfasser von Ílias und Odyssee (8./7. Jh. v. Chr.). Hyaden: Siebengestirn, das beim Aufgang meist Regen mit sich bringt (griech. »die Regnenden«). Hydaspes: Fluss in Kaschmir (heute Jelum). Hydra: die vielköpfige lernäische Schlange. Für jeden der Köpfe, den Herakles ihr abschlägt, wachsen ihr zwei nach. Hyläus: ein Kentaur. hymettisch zu Hymettos: Berg in Áttika, von dem ein sehr guter Honig kam. Auch Marmor von hoher Qualität wurde dort gebrochen. hyperborëisch zu Hyperborëer: mythisches Volk im äußersten Norden. Ïápetus: ein Titan, Vater des Prometheus und des Atlas. Ïapyx: Westnordwestwind an der Südspitze Italiens, der Schiffe nach Griechenland bläst. idäisch zu Ida: Gebirge bei Troja in NW-Kleinasien; idäisch = trojanisch. Iden: die Monatsmitte am 13., außer in März, Mai, Juli und Oktober, wo sie auf den 15. fiel. Idómeneus: Trojakämpfer aus Kreta. ikarische Fluten: das Ikarische Meer im Osten der Ägäis südlich von Chios und nördlich von Kos. Íkarus: (1) s. Dä´dalus; (2) Insel in der Ägäis zwischen Samos und Mýkonos. Ilerda: Stadt im heutigen Katalonien, spanisch Lerida, katalanisch Lleida. Ilia: Die zur Virginität verpflichtete Vestalin Rhea Silvia, die, weil mit Romulus und Remus schwanger (von Mars), in den Tiber (nach anderer Überlieferung in den Anio) geworfen und des Flussgottes Frau wird. Ilion: Troja als Stadt des Ilus. ilisch: trojanisch. Ilithyia: griechischer Name der Geburtsgöttin. illyrisch zu Illyrien: Land an der nördlichen Ostküste der Adria. Ínachus: der (mythische) erste König von Argos, aber auch der Gott des gleichnamigen Flusses. Ino: Weil sie den von Júppiter mit Sémele gezeugten jungen Diónysos aufzieht, wird sie von Juno zusammen mit ihrem Mann Áthamas mit Wahnsinn geschlagen und stürzt sich, nachdem er einen der beiden Söhne getötet hat, mit dem anderen ins Meer. Ïo: Von Júppiter vergewaltigt und, weil Juno gleich danach erscheint, in eine Kuh verwandelt, kommt sie, von einer Bremse verfolgt, bis nach Ägypten, wo sie ihre menschliche Gestalt wiedererhält. Ïolkos: Stadt in Thessalien.

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Namen und Begriffe

Isthmus: die Landenge bei Korinth zwischen dem Jonischen und dem Ägäischen Meer, wo die Isthmischen Spiele stattfanden. Íthaka: Insel vor der Westküste Griechenlands, von der aus Ulixes/Odysseus sein Inselreich beherrscht. Itys: s. Prokne. Ixion: Er hat versucht, Juno zu vergewaltigen, und ist deshalb in der Unterwelt auf ein ewig sich drehendes Rad geflochten. Jamben: schmähende Verse, die nicht im jambischen Metrum abgefasst sein müssen. Janus: Gott des Ein- und Ausgangs mit doppeltem Gesicht. Jason: Sohn des Königs Äson von Ïolkus und Anführer der Argonauten, der von Medea geliebt wird. Jocus: der personifizierte Scherz. jonisch zu Jonien: das kleinasiatische Griechenland. Juba: von Augustus 30 v. Chr. als König von Numidien eingesetzt. Jugurtha: König von Numidien, der im Jugurthinischen Krieg (111–105 v. Chr.) von den Römern besiegt wurde. julisch zu Julius: Familienname des Augustus. Jullus Antonius: Sohn des M. Antonius, geboren 43 v. Chr. Juno: Frau und Schwester Júppiters, der Argos besonders am Herzen liegt. Júppiter: der oberste Gott. Justitia: die personifizierte Gerechtigkeit. Juventas: die personifizierte Jugend. Kadmus: (1) der Bruder Europas, der auf der Suche nach seiner Schwester eine riesige Schlange tötet und dafür in hohem Alter in eine Schlange verwandelt wird (Brief 2,3 = »Ars poetica« 187); (2) ein Henker in Rom (Satire 1,6,39). Kálabrer, kalabrisch zu Kalabrien: die südöstliche Halbinsel Italiens. Kalenden: der erste Monatstag. Kallímachus: bedeutender hellenistischer Dichter (ca. 320–nach 245 v. Chr.), dessen Hauptwerk, die Aitia (Ursprungsmythen), in elegischen Distichen verfasst ist. Kallíope: eine der Musen. kampanische Brücke: Sie ging dort, wo heute Molino Ceppani liegt, über die Saona (heute Savo), die Latium von Kampanien trennte. Kántabrer: Volk in NW-Spanien, 29 v. Chr. besiegt, aber erst 23–19 v. Chr. endgültig unterworfen. Kapitol: einer der sieben Hügel Roms, auf dem die Burg und der Júppitertempel standen.



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Kappadokier: Bewohner von Kappadokien in Mittelkleinasien. karpathisch zu Kárpathus: Insel zwischen Kreta und Rhodos, nach der das sie umgebende Meer benannt wurde. Karthago: der Erzfeind und stärkste Rivale Roms in Nordafrika, im Ersten und Zweiten Punischen Krieg (264–241 bzw. 218–201 v.Chr) besiegt und im Dritten (149–146 v. Chr.) dem Erdboden gleichgemacht. Kastalia: Quelle am Musenberg Parnass(us). Kastor: (1) mit seinem Zwillingsbruder Pollux (griech. Polydeukes) Sohn Ledas und Júppiters, der sie in Gestalt eines Schwans vergewaltigt hat. Die Zwillinge stehen Schiffern in Seenot bei (Satire 2,1,26; Epode 17,42; Ode 4,5,35; Brief 2,1,5); (2) ein Gladiator (Brief 1,18,19). Kátilus: Cato (1) zufolge der (mythische) Gründer Tiburs (auch Katillus genannt). Këer, keïsch zu Keos: Kykladeninsel in der Ägäis. kekropisch: athenisch, attisch; nach Kekrops, dem mythischen Gründer Athens. Kentauren: Söhne Ixions und einer Wolke, die halb Mensch, halb Pferd sind; s. zu Lapithen. Kérberus: der dreiköpfige Wachhund am Eingang zur Unterwelt. Kíbyra: Stadt in SW-Kleinasien mit regem Handel. kirkäisch zu Kirke: aus der Odyssee bekannte Hexe; sie verwandelt die Gefährten des Odysseus durch ein Getränk in Schweine, wird aber von ihm zur Rückverwandlung gezwungen. Die Mauern von Túsculum (Epode 1,29 f.) heißen »kirkäisch«, weil Telégonus, Kirkes Sohn von Odysseus, die Stadt gegründet haben soll. Kíthara: ein Saiteninstrument. Kitharöde: Sänger, der sich selbst auf der Kithara begleitet. Klazómenai: Stadt an der kleinasiatischen Westküste nicht weit von Smyrna (Izmir). Klio: eine der Musen; ihr Name ist verwandt mit griech. kléos (»Ruhm«). Knidier zu Knidos: Hafenstadt in SW-Kleinasien mit einem berühmten AphroditeHeiligtum. knossisch: Adjektiv zu Knossos, der Residenzstadt des Minos; auch = kretisch. Kodrus: der mythische letzte König von Attika. Koër: (1) Einwohner der Insel Kos; (2) Weißwein von dort. Kohorte: (1) ein Zehntel einer Legion, die aus 3000 bis 6200 Soldaten bestand; (2) Cortège eines Würdenträgers z.B. während einer militärischen Expedition; zu ihr konnten Literaten gehören. Kokytus: langsam strömender Ausfluss des Styx. kolchisch und Kolcher zu Kolchos: mythisches Land am Ostufer des Schwarzen Meers. Kólophon: Stadt an der Westküste Kleinasiens.

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Namen und Begriffe

Konkaner: ein Stamm der Kántabrer. Korybanten: Priester der Kýbele; in Ode 1,16,8 identifiziert mit den Kureten, die auf Kreta den Säugling Zeus bewachen. korykisch zu Kórykos: Hafenstadt in Kilikien (SO-Kleinasien). Kos: Sporadeninsel im Ägäischen Meer. Kothurn(us): hoher Schuh, den Schauspieler in Tragödien trugen. Kótiso: König der Daker in den späten 30er und frühen 20er Jahren v. Chr. Kotytien: Fest zu Ehren der ursprünglich thrakischen Gottheit Kótyto, das Männer in Frauenkleidern feierten und zu dem der Phalluskult gehörte. Krantor: griechischer Philosoph des 3. Jh., der der akademischen Schule angehörte. Kráterus: zur Zeit Cíceros bekannter griechischer Arzt. Kratinus (Kratinos): Komödiendichter in Athen (ca. 485–nach 421 v. Chr.). Kreon: König von Korinth, Vater Glaukes, die von Jason statt Medea geheiratet wird. Krösus: sprichwörtlich reicher König von Lydien (ca. 590–ca. 541 v. Chr.). Kumä: von Euböa aus gegründeter Ort an der kampanischen Küste. Kurie: das Gebäude, in dem der römische Senat tagte. kydonisch: kretisch. Kykladen: Inselgruppe in der Ägäis um Delos herum. Kyklop: Riese mit nur einem Auge mitten auf der Stirn (griech. kýklops »kreisäugig«), in Homers Odyssee der menschenfressende Polyphem. Die Kyklopen sind die Helfer Vulkans in seiner Schmiede. kyllenisch zu Kyllene: Gebirge im nordöstlichen Arkadien, wo Hermes/Merkur, der Erfinder der Lyra, geboren ist. Kyniker: Vertreter einer der hellenistischen Moralphilosophien. Kynthier: Beiname Apollos nach dem Berg Kynthos auf Delos, auf dem er geboren ist. Entsprechend trägt seine Zwillingsschwester Diana den Beinamen Kynthia. kyprisch zu Kypros: die heute Zypern genannten Insel. Kyrus: (1) Kyrus II., König über die Perser (= Parther) ca. 559–530 v. Chr.; (2) junger Mann (Oden 1,17,25; 1,33,6). kytherëisch zu Kythera: Insel an der Südspitze der Peloponnes, wo die schaumgeborene Göttin Venus aus dem Meer gestiegen sein soll und als Kytherea einen Tempel hatte. Lábeo: wahrscheinlich C. Atinius Lábeo, Volkstribun, der 131 v. Chr. Metellus dafür, dass dieser ihn vom Senat ausgeschlossen hatte, vom Tarpejischen Felsen werfen lassen wollte. Laberius: Verfasser von Mimen (ca. 106–43 v. Chr.). Laelius: C. Laelius Sápiens (Konsul 140 v. Chr.), Freund Scipios d.J. und Gönner des Lucilius.



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Laërtes: der Vater des Ulixes/Odysseus. lästrygonisch zu Lästrygonen: Durch König Lamus regiertes Volk von Menschenfressern in Homers Odyssee, als deren ehemaliges Reich man die Gegend von Formiae in S-Latium betrachtete. Laevinus: P. Valerius Laevinus, Nachkomme des P. Valerius Publícola (s. Valerius). lakänisch: spartanisch. Lakedämon(ien): Sparta. Lakonier: Bewohner Lakedämons und Name der von ihnen gezüchteten Hunde. Lamia: in griechischen Ammenmärchen eine Hexe, die Kinder frisst. Lamus: s. lästrygonisch. lanuvinisch zu Lanuvium: Stadt auf einem Hügel 32 km südöstlich von Rom westlich der Via Appia. Laómedon: König von Troja. Er betrügt Apollo und Neptun, die ihm die Stadtmauern bauen, um ihren Lohn. Lapithen: ein thessalisches Bergvolk. Bei der Hochzeit des Lapithen Piríthous mit der Kentaurin Hippodamia bricht ein blutiger Kampf zwischen den beiden Völkern aus. Laren: Hausgötter; sie können auch metonymisch für Haus und Herd stehen. Laris(s)a: Stadt in Thessalien. Latinus: mythischer König von Latium, der Äneas seine Tochter Lavinia zur Frau gibt und in Satire 1,10,27 als Stammvater der Römer gesehen ist. Latium: Landschaft, in der Rom liegt. Latona: Mutter Apollos und Dianas von Júppiter (griech. Leto). Laurentum: Küstenstadt in Latium. Laverna: etruskische Göttin der Diebe. Lébedus: Kleinstadt in Kleinasien zwischen Smyrna und Kolophon. Leda: Ehefrau des Königs Tyndárëus von Sparta, von Júppiter Mutter der Hélena und des Pollux (griech. Polydeukes), von Tyndárëus Mutter der Klytämnestra und des Kastor. Lenäus: Beiname des Bacchus. Lesbier: Wein von der Insel Lesbos. lesbisch zu Lesbos: große Insel im nördlichen Ägäischen Meer. lethäisch zu Lethe: Strom des Vergessens in der Unterwelt. Leto s. Latona. Liber: anderer Name des Bacchus. Libitina: die römische Todesgöttin. Libo: Libo Scribonius, Prätor 204 v. Chr. Er ließ das Púteal (s. dort) auf dem Forum errichten.

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Namen und Begriffe

Liburner: liburnische Jacht, entwickelt von den an der dalmatinischen Küste wohnenden Liburnern. libysch zu Libyen = Nordafrika. Licinius: in Ode 2,10 am ehesten identisch mit dem M. Licinius Crassus, dem 29/28 v. Chr. nach eigenhändiger Tötung eines gegnerischen Heerführers verweigert wurde, dessen Rüstung Júppiter zu weihen, was ihn sehr geehrt hätte. Liktor: Beamter im Dienst eines Konsuls bzw. Prätors, der ihm zusammen mit 11 bzw. fünf weiteren Liktoren mit dem Rutenbündel (s. dort) bewaffnet vorausging und Strafen vollstrecken konnte. liparäisch zu Lípara: größte der liparäischen Inseln nördlich von Sizilien. Liris: Grenzfluss zwischen Latium und Kampanien. Livius: T. Livius Andronicus (ca. 285–nach 207 v. Chr.), ältester römischer Tragödien- und Komödiendichter. Lollius: M. Lollius, Konsul 21 v. Chr., der 17 oder 16 v. Chr. von den Sygambrern eine Niederlage erlitt (Brief 1,20; Ode 4,9). Bei Lollius Maximus, der in Brief 1,2 und 1,18 angesprochen wird, handelt es sich vermutlich um seinen Sohn. Luceria: Stadt in Apulien. Lucilius: C. Lucilius (158?–103/2 v. Chr.). Begründer der lateinischen Verssatire. Lucina: die Geburtsgöttin. Lucrétilis: Berg im Sabinerland nahe dem Landgut des Horaz (nicht identifizierbar). Lucullus: L. Licinius Lucullus, Konsul 74 v. Chr. und berühmt für seinen Reichtum. Lukanien: Landschaft in Unteritalien. Lukrinersee: eine Meeresbucht zwischen Baiae und Puteoli (heute Pozzuoli) in Kampanien. Luna: die Mondgöttin. Lupus: L. Cornelius Léntulus Lupus (Konsul 156 v. Chr.), ein politischer Gegner Scipios d.J. Der Beiname bedeutet »Wolf«. Lustrum: Zeitraum von fünf Jahren. Lyäus: Beiname des Bacchus (griech. »Löser«); metonymisch auch für »Wein«. Lyder: Bewohner der Landschaft Lydien an der kleinasiatischen Westküste. Lykäus: Berg in Arkadien, den man sich als Aufenthaltsort Pans (lat. Faunus) dachte. Lykier: Bewohner der Landschaft Lykien in Kleinasien und Bundesgenossen des Príamus beim Kampf um Troja. Lykurgus: thrakischer König, der den Bacchuskult ablehnt, deshalb mit Wahnsinn geschlagen und schließlich von den Panthern des Gottes zerrissen wird. Lynkeus: einer der Argonauten. Er ist wegen seiner scharfen Augen bekannt. Lyra: Saiteninstrument. Lysipp(us): bedeutendster griechischer Bildhauer und Erzgießer des 4. Jhs. v. Chr.



Namen und Begriffe

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Maecenas: reicher Ritter aus Etrurien mit königlichen Ahnen (ca. 70–8 v. Chr.), einflussreicher Freund Oktavians und Förderer des Horaz. Maecius s. Tarpa. Mäonier und mäonisch zu Mäonien = Lydien. Magnesierin zu Magnetes: Stadt in NO-Thessalien. Maia: Tochter des Atlas und der Plëíone, von Júppiter Mutter Merkurs. Mamurra: Emporkömmling, den Catull mehrfach verspottet. Mandela: kleiner Ort an der Mündung der Digentia in den Anio. Manen: die Geister der Toten. Manlius: s. Torquatus. Marcelli: römische Senatorenfamilie. Herausragend sind M. Claudius Marcellus, der Eroberer von Syrakus 212 v. Chr., und der gleichnamige Sohn der Octavia, der Schwester des Augustus, der dessen Tochter Julia 25 v. Chr. heiratete und vermutlich zum Nachfolger des Prinzeps bestimmt war, aber schon 23 v. Chr. starb. Mareotiker: Wein vom Mareotissee (heute Mariut) in der Nähe von Alexandria. Marica: Göttin mit einem Heiligtum zwischen Minturnae (heute Minturno in Lazio) und der Meeresküste. Mars: der Kriegsgott. Marsfeld: Versammlungs- und Exerzierplatz in Rom, auf dem Sport getrieben und Reitübungen veranstaltet wurden. marsisch zu Marser: sabellischer Volksstamm in Mittelitalien auf dem Apennin, der für magische Praktiken bekannt war, und Roms Gegner im Bundesgenossenkrieg 91–88 v. Chr. Marsische Soldaten galten als besonders kampfkräftig. Mársyas: Satyr, der Apollo zum musikalischen Wettstreit herausfordert und unterliegt, worauf ihm der Gott bei lebendigem Leib die Haut abzieht. Massageten: Volksstamm östlich des Kaspischen Meers. Mássiker: Wein vom Mássicus, einem Berg in Kampanien. Matinus (oder Matina): nicht eindeutig zu identifizierender Berg wahrscheinlich in Apulien. Matrone: freie verheiratete Römerin. maurisch zu Mauren: Bewohner Mauretaniens in NW-Afrika; auch = afrikanisch. Medea: Tochter des Aëtes, des Königs von Kolchis, die Jason aus Liebe zu ihm bei der Gewinnung des Goldenen Vlieses hilft – u.a. feit sie ihn durch eine Zaubersalbe gegen die Wut von ehernen Stieren, die er ins Joch spannen muss –, von ihm aber verlassen wird und sich u.a. dadurch rächt, dass sie seine Braut Glauke durch ein ihr geschenktes, mit Gift getränktes Brautgewand tötet. medisch zu Meder = Parther. Meléager: Als Halbbruder des Tydeus ist er der Onkel des Diomedes.

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Namen und Begriffe

Melpómene: eine Muse. Memnon: König der Äthíoper, der, im Trojanischen Krieg auf der Seite des Príamus, von Achilles getötet wird. Memphis: die alte Hauptstadt Unterägyptens, in der Isis (= Venus) verehrt wurde. Menander: Komödiendichter in Athen (342/41–293/90 v. Chr.). Menelaus: Sohn des Atreus und Bruder Agamemnons. Meríones: griechischer Trojakämpfer. Merkur: der Götterbote, Schutzgott der Kaufleute und Diebe sowie des Glücksfundes und des unverhofften Gewinns. Messalla: Name einer Senatorenfamilie, zu der z.B. M. Valerius Messalla Corvinus, der Förderer Tibulls und Ovids, gehörte. Er war als Redner berühmt und ist deswegen offensichtlich in Satire 1,10,29 gemeint (und auf jeden Fall in Ode 3,21 und Brief 2,3 = »Ars poetica« 371). Metaurus (Metaurum): Fluss in Umbrien, in dessen Nähe Hásdrubal 207 v. Chr. im Kampf gegen M. Livius Salinator und C. Claudius Nero besiegt wurde und fiel. Metella: Caecilia Metella, Tochter des Q. Metellus Celer und der Clodia, 45 v. Chr. geschieden von P. Léntulus Spinther d.J. Metellus: (1) Q. Caecilius Metellus Macedonicus (Konsul 143 v. Chr.), ein politischer Gegner Scipios d.J. (Satire 2,1,67); (2) Q. Caecilius Metellus Celer, Konsul 60 v. Chr. (Ode 2,1,1). methymnëisch zu Methymna: Stadt auf der Ägäis-Insel Lesbos. Milet: Stadt an der Westküste Kleinasiens. Militärtribun: höherer Offizier in der römischen Armee, der mit Gleichrangigen im Kommando einer Legion abwechselte. Mimen: Sketche mit komisch-realistischen, zum Teil obszönen Darstellungen von Geschehnissen wohl überwiegend im Sexualbereich, mit Gesang, Musikbegleitung und Tanzeinlagen; vollständige Texte sind nicht erhalten. Mimnermus: griechischer Elegiker aus Kólophon (2. Hälfte 7. Jh. v. Chr.). Minerva: s. Pallas. Minos: König von Kreta, Sohn Júppiters und der Europa und nach seinem Tod Richter in der Unterwelt. Minturnae: Stadt in Latium an der Mündung des Liris. Misenum: Stadt und Vorgebirge in Kampanien. molossisch zu Molosser: Volk in Epirus (W-Griechenland), das große Hunde züchtete. Monäses: parthischer Heerführer, der 36 v. Chr. ein römisches Aufgebot besiegen konnte. Mucius: P. Mucius Scaevola (Konsul 133 v. Chr.) und andere Angehörige der Familie galten als bedeutende Rechtsanwälte.



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Munatius: vermutlich ein Sohn des Plancus. Murena: L. Licinius Varro Murena, nicht A. Terentius Varro Murena, der Schwager des Maecenas, wie man früher annahm. Musen: die neun Töchter Júppiters und der Mnemósyne, Göttinnen der verschiedenen Künste und Wissenschaften. mygdonisch zu Mygdon, einem reichen König der Phryger. Mykene: Stadt in der Árgolis, Herrschersitz der Nachkommen des Pelops. myrtoïsches Meer: der südwestliche Teil der Ägäis. Myser: Bewohner von Mysien, einer Landschaft in NW-Kleinasien. Mytilene: Hauptstadt von Lesbos. Naevius: (1) Cn. Naevius, römischer Dichter der 2. Hälfte des 3. Jhs v. Chr., der Tragödien, Komödien sowie ein Epos verfasste (Brief 2,1,53); (2) ein Verschwender (Satire 1,1,101). Najaden: Nymphen. Nektar: der Göttertrank. Neptun(us): der Gott, der über die Meere herrscht. Nerëiden: Meergöttinnen, die Nereus gezeugt hat. Nereus: Meergott, dessen Name auch für »Meer« stehen kann. Nero: s. Claudius. Neronen: Tiberius und Drusus. Nessus: von Hérkules getöteter Kentaur. Nestor: Sohn des Neleus, König von Pylos und Teilnehmer am Kampf um Troja. Níobe: Sie prahlt vor Latona, die nur Apollo und Diana geboren hat, mit ihren sieben Söhnen und sieben Töchtern, worauf diese von den Zwillingen getötet werden. Niphates: Gebirgskette im heutigen Kurdistan. Nireus: Er ist nach Achilles der Schönste unter den griechischen Trojakämpfern (Homer, Ilias 2,671–675). Noctíluca: die Mondgöttin, identisch mit Diana, als »Nachtleuchterin«. norisch zu Nóricum: römische Provinz auf dem Gebiet des heutigen Oberösterreich, Salzburg, der Steiermark und N-Kärnten, in der hochwertiges Eisen gewonnen wurde. Notus: der Südwind. Numa: Numa Pompilius, der zweite König von Rom und Latium. Numantia: Stadt in Spanien. Die »langen Kriege«, die Horaz in Ode 2,12,1 vermutlich meint, dauerten von 195 bis 133 v. Chr. Númider: Volk in Libyen.

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Nymphen: weibliche Naturgeister, die in Bäumen, Quellen, Flüssen, Seen und im Meer leben; sie sind göttergleich und langlebig, aber sterblich. Olymp(us): Berg in Thessalien, der als Sitz der Götter galt; der Name kann auch zur Bezeichnung des Himmels verwendet werden. olympisch zu Olympia: Austragungsort für sportliche Wettkämpfe in der griechischen Landschaft Elis. opuntisch: zu Opus, einem Ort im griechischen Lokris gegenüber von Euböa. Orbilius: L. Orbilius Pupillus, Schulmeister in Rom ab 63 v. Chr. Orest(es): Er rächt die Ermordung seines Vaters Agamemnon durch Tötung seiner Mutter Klytämnestra, der Mörderin. Deshalb verfolgen ihn die Erínnyen (lat. Furien), die ihn mit Wahnsinn schlagen. Órikus (Órikum): Hafenstadt in Epirus am schmalsten Abschnitt der Adria zwischen Italien und Griechenland. Orion: Sternbild; dem Mythos zufolge ein an den Himmel versetzter riesiger Jäger mit Keule oder Schwert; es geht im stürmischen November unter. Bei Horaz ist er auch einer der Büßer in der Unterwelt (Ode 2,13,39 f.), weil er Diana zu vergewaltigen versucht hat (Ode 3,4,70–72). Orkus: die Unterwelt. Orpheus: Sohn Apollos und der Muse Kallíope, der alles und jeden durch seinen Gesang verzaubern kann. Osiris: ägyptischer Gott. Osker: italischer Volksstamm, der in Rom als unverschämt und wenig sittenrein galt. Otho: L. Roscius Otho, Volkstribun (67 v. Chr.), der per Gesetz den Rittern im Theater 14 Sitzreihen hinter denen der Senatoren zuwies. Pacuvius: M. Pacuvius, römischer Tragödiendichter (220–vor 130 v. Chr.). pälignisch zu Päligner: sabellischer Volksstamm in den Abruzzen. Pakorus: parthischer Königssohn, der in einer Schlacht gegen ein römisches Heer 40 v. Chr. siegte. Paktolus: Fluss im kleinasiatischen Phrygien, der am Tmolus entspringt und Gold führt. Palästra: Ringschule. palatinisch: zu Palatin: einer der sieben Hügel Roms. Palinurus: der ertrunkene Steuermann des Äneas, nach dem ein Kap an der lukanischen Küste benannt wurde (heute Capo Palinuro). Palla: langes Obergewand der Tragödienschauspieler. Pallas: Minerva (Athene), die Tochter Júppiters, jungfräuliche Göttin des Krieges,



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der Wissenschaften und Künste sowie der häuslichen Arbeit der Frauen am Webstuhl. Panätius (Panaitios): stoischer Philosoph (185/180–ca. 109 v. Chr.), der in Rom lehrte. Paphos: Stadt auf Kypros mit einem berühmten Aphrodite-Heiligtum. Paris: Sohn des Príamus und der Hékabe (lat. Hécuba), der Hélena aus Sparta entführt und dadurch den Trojanischen Krieg auslöst. parisch zu Paros: Kykladeninsel in der Ägäis, die für ihren Marmor berühmt war und von der Archílochos stammt. Parrhasius: griechischer Maler Ende des 5. Jhs. v. Chr. Parther: Sie lebten im Gebiet des heutigen Iran und galten als der Erzfeind des Imperiums. Parzen: Drei göttliche Schwestern, die den Lebensfaden spinnen und abschneiden. Patarëer zu Pátara: Stadt an der Küste Lykiens (SW-Kleinasien) mit einem berühmten Apollo-Orakel. Paullus: Name einer Senatorenfamilie, zu der z.B. L. Aemilius Paullus, der Sieger in der Schlacht bei Pydna (168 v. Chr.), gehörte. Der gleichnamige Konsul von 219 und 216 v. Chr. suchte in der Schlacht bei Cannae gegen Hannibal bewusst den Tod im Kampf. Paullus Maximus: Paullus Fabius Maximus, geboren 46 v. Chr. und verheiratet mit Marcia, einer Kusine des Augustus. Pausias: griechischer Maler (um 350 v. Chr.). Pecunia: das personifizierte Geld. Pedum: Stadt in Latium zwischen Tibur und Praeneste. Pégasus: geflügeltes Pferd, von dessen Rücken aus Bellerophontes die Chimära besiegen kann. Als der Held zum Olymp aufsteigen will, wirft Pégasus ihn ab. ´ akus, der in einer verlorenen Tragödie des Sophokles als infantil Peleus: Sohn des Ä gewordener alter Mann von den aus Troja zurückgekehrten Griechen aus seinem Reich verbannt wurde. Pelide: Achilles als Sohn des Peleus. Pélion: Berg in Thessalien. Pelops: Sohn des Tántalus, der ihn den Göttern zum Mahl vorsetzt. Penaten: Götter des häuslichen Herds; auch metonymisch = Haus und Herd. Penélope: Ehefrau des Ulixes/Odysseus. Pentheus: König von Theben, der den Bacchuskult ablehnt und beim Beobachten der Bacchantinnen von seiner Mutter und ihren Schwestern, zerrissen wird, weil sie in ihm in ihrem orgiastischen Rausch ein wildes Tier sehen. Vorher nimmt er einen jungen Mann gefangen, in den sich Bacchus verwandelt hat, und droht ihm mit dem Tod, aber dieser entzieht sich ihm.

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Pérgamum: Burg von Troja; auch = Troja. Perser: Parther (Oden 1,21,15; 3,5,4; 4,15,23). Petrinum: vermutlich ein Dorf bei Sinuessa. Phäake: s. Alkínous. Pháëthon: Sohn des Sonnengottes, der einmal den Sonnenwagen lenkt und dabei der Sonne zu nahe kommt. Phalantus: Anführer der Spartaner, die zu Beginn des 8. Jhs. v. Chr. Tarent gründeten. Philipp: L. Marcius Philippus, Konsul 91 v. Chr. Philippi: Ort in Thrakien, bei dem 42 v. Chr. die Doppelschlacht Oktavians und des Antonius gegen die Caesar-Mörder stattfand. Philodem: Philodemos von Gádara (um 110–nach 35 v. Chr.), ein epikurëischer Philosoph, von dem zahlreiche erotische Epigramme in der Griechischen Anthologie überliefert sind. Phöbus: Beiname Apollos und des Sonnengottes Sol. Phokäer: Kleinasiatische Griechen, die 540 v. Chr. vor den Persern nach Korsika flohen. Phokis: Landschaft in Mittelgriechenland. Phraates: Phraates II., 29–26/25 v. Chr. vorübergehend entmachteter Partherkönig (gesprochen Phra-átes). phrygisch zu Phrygien: Landschaft im mittleren W-Kleinasien; phrygisch = trojanisch. Phthier: Bewohner von Phthia, einer Landschaft in S-Thessalien. picenisch zu Picenum: Landschaft in Mittelitalien an der Adria. Piëris: eine der Piëriden (Musen). piërisch (1) zu Píëros: Vater der neun Piëriden, die Horaz mit den Musen identifiziert (Ode 3,4,40); (2) zu Piërien = Makedonien (Ode 3,10,15). pindarisch zu Pindar: der bekannteste griechische Chorlyriker (ca. 520–445 v. Chr.). Pindus: Gebirge in Nordgriechenland, das Thessalien von Epirus trennt. Piplëis: eine Muse als »Frau von Pi(m)pl(e)a«, einem Gebirge und einer Quelle in der Landschaft Piërien nahe dem Olymp, wo die Musen verehrt wurden. Piríthous: Lapithe, der Prosérpina mit Hilfe seines Freundes Theseus aus der Unterwelt zu entführen versucht und dafür dort in Ketten festgehalten wird (gesprochen Pirítho-us). Pisones: vermutlich L. Piso Pontifex, geb. 48 v. Chr. und Konsul 15 v. Chr., mit seinen beiden Söhnen, einem etwa 15- und einem etwa 14jährigen. Plancus: L. Munatius Plancus, Konsul 42 v. Chr. Zunächst Anhänger des M. Antonius, ging er vor Aktium zu Oktavian über und beantragte für diesen am 16.1.27 v. Chr. im Senat den Ehrennamen Augustus.



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Plato(n): Philosoph in Athen (427–347 v. Chr.), der seine Lehre durch Dialoge vermittelte. Plautus: T. Maccius Plautus, Komödiendichter (ca. 250–184 v. Chr.). Plejaden: das Siebengestirn, Töchter des Atlas und der Plëíone. Plektrum: das Stäbchen, mit dem die Saiten der Lyra und der Kíthara geschlagen wurden. Plotius: M. Plotius Tucca; er schrieb ein (verlorenes) Werk De morte (»Über den Tod«) und publizierte zusammen mit L. Varius Rufus 19/18 v. Chr. posthum die Aeneis Vergils. Pluto(n): der Herrscher in der Unterwelt. Polemo: Nachfolger des Xenókrates (gest. 314/13 v. Chr.) als Leiter der Akademie in Athen. Pollio: C. Asinius Pollio, ein Politiker und Redner des 1. Jh. v. Chr. (Konsul 40 v. Chr.); er verfasste u.a. (verlorene) Tragödien. Pollux: s. Kastor. Polyhymnia: eine der Musen. Pompilius: s. Numa. pontisch zu Pontus: römische Provinz am Südufer des Schwarzen Meers. Porsenna: König der Etrusker, der Rom 507 v. Chr. belagert, aber in Anerkennung heroischer Taten Einzelner Frieden geschlossen haben soll. Praenestiner zu Praeneste: Stadt 37 km südöstlich von Rom (heute Palestrina). Prätexta: römische Tragödie (fabula praetexta), die ein historisches Sujet hat (von der toga praetexta; vgl. Anm. 1 zu Epode 5). Prätor: zweithöchster Magistrat in Rom, der als oberster Richter fungierte. Príamus: König von Troja während des Trojanischen Krieges. Priap(us): in der Regel aus Holz geschnitzter Gartengott, der mit seinem riesigen Phallus Diebe und Vögel abschrecken soll. Prinzeps: Augustus als erster Mann in dem offiziell als Republik bezeichneten, faktisch aber eine Monarchie darstellenden römischen Staat. Proculeius: C. Proculeius Varro Murena, Schwager des Maecenas. Prötus: s. Bellerophontes. Prokne: Frau des Tereus, die ihm, weil er ihre Schwester Philomela vergewaltigt hat, den gemeinsamen Sohn Itys als Speise vorsetzt und die danach in eine Schwalbe verwandelt wird. Prókyon: der hellste Stern im Sternbild des Kleinen Hundes, der am 15. Juli aufgeht. Prometheus: Titan, der die Menschen aus Schlamm erschafft. Weil er ihnen das Feuer gebracht hat, ist er an einen Felsen im Kaukasus geschmiedet, und an seiner Leber, die sich ständig erneuert, frisst ein Adler. Bei Horaz ist er einer der Büßer in der Unterwelt (Ode 2,13,37 f.).

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Namen und Begriffe

Prosérpina: Tochter Júppiters und der Ceres, Ehefrau Plutos und als solche Herrscherin über die Unterwelt (griech. Perséphone). Proteus: Meergott, der sich in jede Gestalt verwandeln kann. punisch zu Punier = Karthager. Púteal: ein ummauertes, einst vom Blitz getroffenes Areal auf dem Forum, in dessen Nähe Geldgeschäfte abgewickelt wurden. Pýlades: Freund Orests. Pylier: Bewohner von Pylos, einer Stadt an der SW-Küste der Peloponnes. Pyrrha: (1) Frau Deukalions, mit dem sie zusammen die Große Flut überlebt (Ode 1,2,6); (2) junge Frau (Ode 1,5,3). Pyrrhus: (1) König von Epirus, der von den Römern 275 v. Chr. bei Benevent geschlagen und vertrieben wurde; (2) junger Mann in Ode 3,20. Pythágoras: Philosoph (ca. 575/570–ca. 500 v. Chr.), der Seelenwanderung und Wiedergeburt lehrte. Pythias: häufiger Name einer Sklavin in der hellenistischen Komödie. pythisches Heiligtum: das Orakel Apollos in Pytho (= Delphi). Quästor: Für die Finanzen zuständiger Magistrat in Rom, der auf der untersten Stufe der Ämterlaufbahn stand. Quinquatrien: fünftägiges Minervafest vom 19. bis zum 23. März, an dem auch Schüler frei hatten. Quirinal: einer der sieben Hügel Roms. Quirinus: Name des Rómulus nach seiner Aufnahme unter die Götter. Quiriten: die Römer im bürgerlichen Leben. rätisch zu Rätien: römische Provinz im Alpenvorland, die sich nach Süden bis in das heutige Tirol und Graubünden erstreckte. Ramnes: junge Ritter, die eine Wahlkörperschaft bildeten. Régulus: M. Atilius Régulus, Konsul 267 und 256 v.Chr; seine Geschichte wird in Ode 3,5 erzählt. Remus: Zwillingsbruder des Rómulus, der ihn ermordet, als während der Gründung Roms beim Mauerbau ein Streit der beiden ausbricht. Rhódanus: die Rhône. Rhódope: Gebirge in Thrakien. Rhötus: ein Gigant. Rómulus: Sohn des Mars und der Rhea Silvia, zusammen mit Remus Gründer Roms und der erste König der Stadt. Roscius (1) s. Otho; (2) Q. Roscius Gallus, ein mit Cicero befreundeter Schauspieler.



Namen und Begriffe

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Rostra: die Rednerbühne auf dem Forum, die vorne mit Schiffsschnäbeln (rostra) verziert war. Rubi: Stadt in Apulien (heute Ruvo). Rupilius Rex: P. Rupilius Rex, ein Prätor, der zusammen mit Brutus von Oktavian 43 v. Chr. proskribiert wurde. Rutenbündel: Von Ruten umhülltes Beil, mit dem die Liktoren Exekutionen durchführten. Es war Herrschaftssymbol der Könige und später der Konsuln und Prätoren. Sabäa: SW-Arabien, etwa der heutige Jemen. sabellisch zu Sabeller: oskisch sprechende Italer, zu denen Sabiner, Marser, Päligner und Samniten gehörten. Sabiner: (1) italisches Volk in der Nachbarschaft der Römer; (2) sabinischer Wein. Sabinum: Horaz’ Landgut in den Sabinerbergen. Sálamis: (1) Insel vor der attischen Küste; (2) Stadt auf Kypros, von Teuker gegründet. Salernum: Stadt an der Küste Kampaniens (heute Salerno). saliarisch zu Salier: Priesterschaft des Mars und Quirinus; sie war für ihren rituellen Tanz, bei dem im Dreischritt heftig aufgestampft wurde, berühmt. Mit Numa wird sie in Brief 2,1,86 in Verbindung gebracht, weil der (mythische) König den Götterkult besonders gepflegt haben soll. Sallust(ius): (1) in Satire 1,2,48 vermutlich der Historiker C. Sallustius Crispus (86– 35/34 v. Chr.); (2) In Ode 2,2,3 C. Sallustius Crispus, Großneffe und Adoptivsohn des Historikers und ein reicher Freund des Augustus. Samier: Bewohner von Samos, einer Insel im Ikarischen Meer. Samniten: Bewohner von Samnium östlich von Latium und Kampanien. Sappho: Lyrikerin auf der Insel Lesbos (geb. ca. 612 v. Chr.), die u.a. von ihrer Liebe zu jungen Frauen singt. Sardes: Hauptstadt von Lydien. sardisch zu Sardinien: Der Honig von dort galt als übelschmeckend. Sarmentus: Von Maecenas freigelassener etruskischer Sklave, scriba quaestorius (»Sekretär des Quästors«) und Günstling des Antonius, später des Augustus und der Livia. satureianisch: tarentinisch. Saturnalien: ein römisches Fest, unserem Karneval vergleichbar, bei dem Herren und Sklaven die Rollen tauschten, getrunken und gewürfelt wurde. Es fiel zunächst auf den 17. Dezember, in der Kaiserzeit auf mehrere Tage, und da man sich gegenseitig beschenkte, ist es auch Vorläufer unseres Weihnachtsfestes. Saturn(us): Sohn des Úranus und Vater Júppiters.

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Satyrn: ausgelassene, lüsterne und koboldartige männliche Wesen in Menschengestalt und mit Pferdeschwanz und -ohren, oft auch Pferdehufen. Scauri: römische Senatorenfamilie. M. Aurelius Scaurus soll nach seiner Gefangennahme von einem Kimber getötet worden sein, weil er gesagt habe, die Römer würden niemals besiegt. Scipio: P. Scipio Africanus d.J., der 146 v. Chr. Karthago zerstören ließ. semelëisch zu Sémele: von Júppiter Mutter des Bacchus. serisch zu Serer: Chinesen. Sesterze: die wichtigste römische Münze (= 2 ½ As). Sestius: L. Sestius Quirinus, der Augustus während des Jahres 23 v. Chr. als Konsul ablöste. Sextilis: Name des achten (von März an sechsten) Monats, der 8 n.Chr. nach Augustus benannt wurde. sidonisch zu Sidon: Stadt in Phönikien; auch = phönikisch. Síkuler: Sizilier. Silen(us): Pflegevater des Bacchus, ständig betrunkener (ältester) Satyr mit Glatze und Stumpfnase. Silvan(us): altitalischer Wald- und Feldgott. Simo(n): häufiger Name eines geizigen alten Mannes in der hellenistischen und römischen Komödie. Símoïs: Fluss in der Ebene von Troja. Sinuessa: Hafenstadt im äußersten Süden Latiums an der Grenze zu Kampanien. Sirene: Vogel mit Mädchenkopf, der durch seinen Gesang Seeleute in Untiefen lockt, damit sie Schiffbruch erleiden. Sísyphus: (1) der mythische Gründer Korinths und einer der Büßer in der Unterwelt; er rollt immer wieder vergeblich einen Felsblock einen Berg hinauf (Ode 2,14,20); (2) Zwerg, der M. Antonius gehörte (Satire 1,3,47). Sithonier: thrakischer Stamm. Skamander: Fluss in der Ebene von Troja. Skopas: griechischer Bildhauer und Architekt Mitte des 4. Jhs v. Chr. Skylla: Meerungeheuer, das Charybdis gegenüber auf der anderen Seite der Meerenge lauert. Skythen: Nomaden in Osteuropa und Westasien. Smyrna: Stadt an der Westküste Kleinasiens (heute Izmir). Soccus: Halbschuh der Komödiendarsteller; auch = Komödie. sokratisch zu Sókrates: Philosoph in Athen (um 470–399 v. Chr.) mit großem Einfluss auf Platon und dessen Nachfolger. Sol: der Sonnengott (griech. Helios). Sóphokles: griechischer Tragödiendichter (497/96–406/05 v. Chr.).



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Soracte: Berg nördlich von Rom. Sosii: Buchhändler in Rom. Spártacus: Anführer der rebellierenden Gladiatoren im Sklavenkrieg 73–71 v. Chr. Spondeus: aus zwei langen Silben bestehender Versfuß. Stesíchorus (Stesíchoros): Chorlyriker (632/29–nach 557 v. Chr.). Sthénelus: Wagenlenker des Diomedes im Trojanischen Krieg. stoisch zu Stoa: eine der hellenistischen Moralphilosophien. Styx: Strom in der Unterwelt. Bei ihm schwören die Götter. Suadela: die personifizierte Überredung. Subura: verrufener Stadtteil Roms in der Niederung zwischen Quirinal, Viminal und Esquilin. Sulla: der Diktator L. Cornelius Sulla (ca. 138–78 v. Chr.). Surrentiner: Wein aus Surrentum, dem heutigen Sorrent. Sygambrer: germanischer Volksstamm, der 17 oder 16 v. Chr. M. Lollius eine vernichtende Niederlage beibrachte und mit dem Augustus, der sich 16 v. Chr. mit einem Heer zu ihnen begab, Frieden schloss. Syrten: wegen ihrer Untiefen gefährliche Buchten an der nordafrikanischen Küste. Tä´narus: Stadt und Vorgebirge an der Südspitze der Peloponnes, wo man die Pforte zur Unterwelt vermutete (heute Kap Matapan); auch = Unterwelt. Talent: die größte Münzeinheit. Tánaïs: der Don. Tántalus: Er muss, weil er, zur Tafel der Götter zugelassen, ihre Geheimnisse verrät und ihnen, um ihre Allwissenheit zu testen, seinen Sohn Pelops zum Mahle vorsetzt, in der Unterwelt ständig vergeblich nach Wasser und Früchten haschen, also ewig Durst und Hunger leiden. Tarent(um): Stadt in Unteritalien am Ende der Appischen Straße. Tarpa: Sp. Maecius Tarpa wurde 55 v. Chr. von Pompejus zum Schiedsrichter bei dramatischen Wettbewerben ernannt. Tarquinius: Tarquinius Superbus (»der Überhebliche«), der (mythische) siebte und letzte König Roms. Tártarus: die Unterwelt. Teanum: die vornehmste Stadt im Landinneren von Kampanien. Tejer: Bewohner von Teos, einer ionischen Stadt in Kleinasien, aus der Anakreon stammt (Adj. tejisch). Tekmessa: Sklavin und Geliebte des Ajax (1). Télamon: s. Ajax und Teuker. Telégonus: Sohn des Ulixes/Odysseus mit Kirke, der unwissentlich seinen Vater tötet, und Gründer von Túsculum.

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Télemach (Telémachus): Sohn des Ulixes/Odysseus von Penélope. Télephus: (1) König von Mysien. Verwundet von der Lanze des Achilles, die ihn auch heilen kann, bringt er den Helden dazu, sich seiner zu erbarmen (Epode 17,8); (2) junger Mann (Oden 3,19,26; 4,11,21). Tellus: die personifizierte Erde. Tempe: Talschlucht in Thessalien. Terenz: der Komödiendichter P. Terentius Afer (ca. 195–nach 159 v. Chr.). Terminalienfest: Fest des Terminus, des Gottes der Ackergrenzen, am 23. Februar. Teuker: Sohn Télamons und der Hesíone, Halbbruder des Ajax; er wird von seinem Vater aus der Heimat Sálamis verbannt, weil er den Tod des Ajax nicht gerächt hat. teukrisch: trojanisch. Thalia: eine der neun Musen. Theben: die Hauptstadt von Böotien (Mittelgriechenland). Theseus: s. Piríthous. Thespis: griechischer Tragödiendichter (6. Jh. v. Chr.). thessalisch zu Thessalien: Landschaft im nordöstlichen Griechenland, in der, wie man glaubte, Hexerei besonders eifrig betrieben wurde. Thetis: Meergöttin, Tochter des Nereus und der Doris, von Peleus Mutter des Achilles. thrakisch zu Thrakien: Landschaft nordöstlich von Makedonien. Thúrii: Stadt in Lukanien. thyestëisch zu Thyestes: Sohn des Pelops und Bruder des Atreus, der ihm aus Rache für eine angetane Schmach seine Söhne als Mahl vorsetzt. Thyiaden: Anhängerinnen des Bacchus, auch Bacch(antinn)en und Mänaden genannt, die ihm zu Ehren Orgien feiern und dabei sehr ausdauernd sind. thynisch zu Thynien, dem nördlichen Teil von Bithynien am Schwarzen Meer. Thyoneus: Beiname des Bacchus nach Thyone, wie Sémele auch genannt wurde. Thyrsus: von den Anhängern des Bacchus getragener, mit Efeu oder Weinreben umwundener und oben mit einem Pinienzapfen versehener Stab. Tiber: der Fluss, an dem Rom liegt. Tibur: Stadt in Latium (heute Tivoli). Tiburnus: einer der mythischen Gründer von Tibur. Tigellius: Hermógenes Tigellius, ein mit dem Diktator Caesar befreundeter prominenter Sänger. Tigris: Fluss in Vorderasien. Timágenes: Rhetor zur Zeit des Horaz, der für seine bissige Zunge bekannt war. Tirésias: blinder thebanischer Seher.



Namen und Begriffe

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Tirídates: der Partherkönig Tirídates II., der, von Augustus 30 v. Chr. in Syrien eingesetzt, 26/25 v. Chr. von dort zu ihm fliehen musste. Tisíphone: eine der drei Erínnyen/Furien (Rachegöttinnen). Titanen: Söhne des Úranos (Himmel) und der Tellus (Gaia = Erde); sie stürzen unter der Führung Saturns (Kronos) ihren Vater. Saturn wiederum wird von seinem Sohn Júppiter (Zeus) entmachtet, und dieser schließt die Titanen nach langem Kampf im Tártarus (Unterwelt) ein. Tithonus: von Aurora entführt, wird er von ihr unsterblich gemacht, altert aber und schrumpft dabei immer mehr zusammen. Títyos: riesiger Sohn der Erdmutter, der Latona zu vergewaltigen versucht und von ihren Kindern Apollo und Diana getötet wird; in der Unterwelt fressen zwei Geier an seiner immer wieder nachwachsenden Leber. Togata: römische Komödie, die im römischen Milieu spielt. Torquatus: (1) L. Manlius Torquatus, Konsul des Jahres 65 v. Chr., in dem Horaz geboren wurde (Epode 13,6; Ode 3,21,1); (2) ein gleichnamiger, zur Zeit des Horaz tätiger Anwalt (Brief 1,5,3; Ode 4,7,23). Trebatius: C. Trebatius Testa, ein Jurist, der bei Caesar und Oktavian höchstes Ansehen genoss. Tribun: als Volkstribun: Plebejer im Senat mit Vetorecht. Tribus: die vier Stadtbezirke Roms, identisch mit den Wahlbezirken. Trireme: Schiff mit drei Reihen von Ruderbänken. Triúmvirn: in Epode 4,11 drei Vollzugsbeamte, die beim nächtlichen Herumtreiben aufgegriffene Sklaven auspeitschten. Trívicum: Stadt in N-Apulien. Tróïlus: Sohn des Príamus, der von Achilles getötet wird. troïsch zu Troja: Stadt in NW-Kleinasien, die von den Griechen nach 10 Jahren Belagerung erobert wird. Tullius: Servius Tullius, der sechste König Roms, der der mythischen Überlieferung zufolge Sohn einer Sklavin war. Tullus: (1) Tullus Hostilius, der (mythische) dritte König Roms (Ode 4,7,15); (2) vermutlich L. Volcacius Tullus, Konsul 33 v. Chr. (Ode 3,8,12). Túnika: Untergewand, einem Hemd vergleichbar. tuskisch: etruskisch. Túsculum: Stadt im Albanergebirge. Tydide: Der Trojakämpfer Diomedes als Sohn des Tydeus. Tyndárëos: Ehemann der Leda, Vater des Kastor und der Klytämnestra und Ziehvater des Pollux und der Hélena. Tyndariden: in Satire 1,1,100 die Kinder des Tyndárëos, in Ode 4,8,31 Kastor und Pollux.

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Namen und Begriffe

Typhōeus: Monstrum mit hundert feuerspeienden Drachenköpfen, das Erdmutter Tellus (griech. Gaia) aus Rache für die Tötung ihrer Söhne, der Giganten, durch Júppiter hervorbringt und gegen diesen schickt; der Gott tötet es mit seinem Blitz. tyrisch zu Tyros: Stadt in Phönikien (heute Libanon), die für den dort produzierten Purpur berühmt war. tyrrhenisch: etruskisch. Tyrtäus (Tyrtaios): Elegiker des 7. Jhs v. Chr. in Sparta, von dem Kampfparänese erhalten ist. Ulixes: Odysseus, König von Íthaka und den umliegenden Inseln, Sohn des Laërtes und der Antíklea, Ehemann der Penélope und Vater des Telémachus. Úlubrae: Kleinstadt in den Pontinischen Sümpfen. Umbilicus: wörtl. »Nabel«, in Epode 14,8 der runde Stab, um den die Papyrusrolle gewickelt war. Hatte man sie bis zum Umbilicus abgewickelt, war das Ende erreicht; bis dahin sah man nur sein etwas hervorstehendes Ende im »Kreis«, so dass man einen Bauchnabel assoziieren konnte. Umbrien: Landschaft in Mittelitalien nördlich von Rom. Ústica: Berg im Sabinerland nahe dem Landgut des Horaz (nicht identifizierbar). Útica: Stadt in N-Afrika, nördlich von Karthago. Vacuna: sabinische Siegesgöttin. Valerius: P. Valerius Publícola, ein römischer Patrizier, der zusammen mit M. Junius Brutus König Tarquinius Superbus aus Rom vertrieb. Valgius: C. Valgius Rufus (consul suffectus [»nachgewählter Konsul«] 12 v. Chr.), ein Dichter, der unter anderem Elegien verfasste und dessen Werk bis auf wenige Reste verloren ist. Varia: Kleinstadt in der Nähe des Sabinum (heute Vicovaro). Varius: L. Varius Rufus. Er war zusammen mit Vergil und (wahrscheinlich) Horaz Schüler Philodems in Neapel und verfasste (heute verlorene) Epen und Tragödien; s. zu Plotius. Varro Atacinus: Der Epiker P. Terentius Varro Atacinus (ca. 82–ca. 36 v. Chr.) verfasste offenbar auch Satiren, von denen aber nichts erhalten ist. Vatikan: Zu Horaz’ Zeit der heutige Gianicolo am rechten Tiberufer gegenüber dem Marsfeld; von ihm wurde seit christlicher Zeit ein anderer Hügel als Vatikan unterschieden. vejentisch zu Veji: Stadt in Etrurien. Vejentaner: gewöhnlicher Landwein.



Namen und Begriffe

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Velabrum: Niederung zwischen Kapitol und Palatin; hier befanden sich die Läden der Lebensmittelhändler. Velia: Stadt in Lukanien (heute Castellamare di Veglia). venafranisch zu Venafrum: Stadt in Kampanien, die für ihre Olivenbäume bekannt war. venusinisch zu Venusia: Geburtsort des Horaz an der Grenze zwischen Lukanien und Apulien (heute Venosa). Vergil: P. Vergilius Maro (70–19 v. Chr.), Verfasser der Bucólica (Hirtengedichte), der Geórgica (Lehrgedicht über Landwirtschaft) und des Heldenepos Aeneis. Vesta: Göttin des Herdfeuers. Via Appia: Straße von Rom nach Cápua, 312 v. Chr. von Appius Claudius Caecus erbaut und später bis Brundisium verlängert. Via Minucia: Straße, die östlich von der Via Appia verlief; sie war wohl kürzer, aber weniger bequem. Via Sacra: »Heilige Straße«; sie führte vom Esquilin über das Forum zum Kapitol. Viktoria: die geflügelte Siegesgöttin. Vicus Tuscus: eine Straße in Rom, die vom Forum Romanum zum Forum Boarium (westlich vom Palatin) führte. Vindéliker: keltischer Volksstamm im Alpenvorland. Voltur: Berg westlich von Venusia (heute Monte Vulture). Vortumnus (Vertumnus): etruskischer Gott, der sich in jede Gestalt verwandeln kann. Vulkan (Vulcanus): der Gott des Feuers und der Schmiedekunst, Sohn Júppiters und Junos, Ehemann der Venus (griech. Hephaistos). Xanthus: Fluss bei Troja. Zéphyr(us): der Westwind. Zethes: s. Amphion.

Die lateinischen Gedichtanfänge (AP = Ars poetica; B = Brief; CS = Carmen saeculare; E = Epode; O = Ode; S = Satire) Aeli vetusto Aequam memento Albi, ne doleas Albi, nostrorum Altera iam teritur Ambubaiarum collegia Angustam amice At o deorum Audivere, Lyce Bacchum in remotis Beatus ille Caelo supinas Caelo tonantem Celso gaudere Cum tot sustineas Cum tu, Lydia Cur me querelis Delicta maiorum Descende caelo Dianam tenerae Diffugere nives Dive, quem proles Divis orte bonis Donarem pateras Donec gratus eram tibi Egressum magna Eheu fugaces Est mihi nonum Et ture et fidibus Eupolis atque Cratinus Exegi monumentum

O 3,17 O 2,3 O 1,33 B 1,4 E 16 S 1,2 O 3,2 E5 O 4,13 O 2,19 E2 O 3,23 O 3,5 B 1,8 B 2,1 O 1,13 O 2,17 O 3,6 O 3,4 O 1,21 O 4,7 O 4,6 O 4,5 O 4,8 O 3,9 S 1,5 O 2,14 O 4,11 O 1,36 S 1,4 O 3,30

Extremum Tanain Faune, Nympharum Festo quid potius die Flore, bono claroque Fructibus Agrippae Herculis ritu Hoc erat in votis Hoc quoque, Tiresia Horrida tempestas Humano capito Iamdudum ausculto Iam iam efficaci Iam pauca aratro Iam satis terris Iam veris comites Ibam forte Via Sacra Ibis Liburnis Icci, beatis Ille et nefasto Impios parrae Inclusam Danaen Intactis opulentior Integer vitae Intermissa, Venus, diu Iuli Flore, quibus Iustum et tenacem Laudabunt alii Lupis et agnis Lydia, dic, per omnes Maecenas atavis Mala soluta navis

O 3,10 O 3,18 O 3,28 B 2,2 B 1,12 O 3,14 S 2,6 S 2,5 E 13 AP = B 2,3 S 2,7 E 17 O 2,15 O 1,2 O 4,12 S 1,9 E1 O 1,29 O 2,13 O 3,27 O 3,16 O 3,24 O 1,22 O 4,1 B 1,3 O 3,3 O 1,7 E4 O 1,8 O 1,1 E 10

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Die lateinischen Gedichtanfänge

Martiis caelebs Mater saeva Cupidinum Mercuri, facunde nepos Mercuri – nam te docilis Miserarum est Mollis inertia cur Montium custos Motum ex Metello Musis amicus Natis in usum laetitiae Ne forte credas Nempe incomposito Ne perconteris Ne sit ancillae Nil admirari Nolis longa ferae Nondum subacta Non ebur neque aureum Non quia, Maecenas Non semper imbres Non usitata Non vides, quanto Nox erat, et caelo Nullam, Vare, sacra Nullus argento color Nunc est bibendum O crudelis adhuc Odi profanum vulgus O diva, gratum O fons Bandusiae Olim truncus eram O matre pulchra Omnibus hoc vitium est O nata mecum O navis, referent O saepe mecum Otium divos O Venus, regina Parcius iunctas

O 3,8 O 1,19 O 1,10 O 3,11 O 3,12 E 14 O 3,22 O 2,1 O 1,26 O 1,27 O 4,9 S 1,10 B 1,16 O 2,4 B 1,6 O 2,12 O 2,5 O 2,18 S 1,6 O 2,9 O 2,20 O 3,20 E 15 O 1,18 O 2,2 O 1,37 O 4,10 O 3,1 O 1,35 O 3,13 S 1,8 O 1,16 S 1,3 O 3,21 O 1,14 O 2,7 O 2,16 O 1,30 O 1,25

Parcus deorum Parentis olim Pastor cum traheret Persicos odi, puer Petti, nihil me Phoebe silvarumque potens Phoebus volentem Pindarum quisquis Poscimur, si quid Prima dicte mihi Prisco si credis Proscripti Regis Rupili Quae cura patrum Quae sit hiems Veliae Quae virtus et quanta Qualem ministrum Quamvis, Scaeva, satis Quando repostum Quantum distet Quem tu, Melpomene Quem virum aut heroa Quid bellicosus Cantaber Quid dedicatum poscit Quid fles, Asterie Quid immerentes hospites Quid tibi visa Chios Quid tibi vis, mulier Qui fit, Maecenas Quinque dies tibi Quis desiderio Quis multa gracilis Quo me, Bacche Quo, quo scelesti ruitis Rectius vives, Licini Rogare longo Scriberis Vario Septimi, Gades Septimius, Claudi Si bene te novi

O 1,34 E3 O 1,15 O 1,38 E 11 CS O 4,15 O 4,2 O 1,32 B 1,1 B 1,19 S 1,7 O 4,14 B 1,15 S 2,2 O 4,4 B 1,17 E9 O 3,19 O 4,3 O 1,12 O 2,11 O 1,31 O 3,7 E6 B 1,11 E 12 S 1,1 B 1,7 O 1,24 O 1,5 O 3,25 E7 O 2,10 E8 O 1,6 O 2,6 B 1,9 B 1,18



Die lateinischen Gedichtanfänge

Sic raro scribis Sic te diva potens Si potes Archiacis Solvitur acris hiems Sunt quibus in satira Te maris et terrae Troiani belli Tu ne quaesieris Tyrrhena regum Ulla si iuris Unde et quo Catius

S 2,3 O 1,3 B 1,5 O 1,4 S 2,1 O 1,28 B 1,2 O 1,11 O 3,29 O 2,8 S 2,4

Urbis amatorem Ut Nasidieni Ut proficiscentem Uxor pauperis Ibyci Velox amoenum Vides, ut alta Vile potabis Vilice silvarum Vitas inuleo Vixi puellis Vortumnum Ianumque

803 B 1,10 S 2,8 B 1,13 O 3,15 O 1,17 O 1,9 O 1,20 B 1,14 O 1,23 O 3,26 B 1,20