Satiren. Saturae. Lateinisch - deutsch [Annotated] 3110405873, 9783110405873

Since 1923 the Sammlung Tusculum has published authoritative editions of Greek and Latin works together with a German tr

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Satiren. Saturae. Lateinisch - deutsch [Annotated]
 3110405873, 9783110405873

Table of contents :
INHALT
Einführung
1. Zu dieser Ausgabe
2. Juvenal und die Juvenalforschung
3. Zur Interpretation der einzelnen Satiren
4. Rezeption und Nachleben
5. Zum Text dieser Ausgabe
Text und Übersetzung
Erstes Buch
Zweites Buch
Drittes Buch
Viertes Buch
Fünftes Buch
Anmerkungen
Verwendete Literatur
Index Nominum

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SAMMLUNG TUSCULUM

Herausgeber: Niklas Holzberg Bernhard Zimmermann

Wissenschaftlicher Beirat: Günter Figal Peter Kuhlmann Irmgard Männlein-Robert Rainer Nickel Christiane Reitz Antonios Rengakos Markus Schauer Christian Zgoll

Juvenal Satiren Saturae Lateinisch-deutsch

Herausgegeben, übersetzt und mit Anmerkungen versehen von Sven Lorenz

DE GRUYTER

ISBN 978-3-11-040587-3 e-ISBN (PDF) 978-3-11-040697-9 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2017 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Für Einbandgestaltung verwendete Abbildungen: Cologny (Genève), Fondation Martin Bodmer, Cod. Bodmer 52: 6v/7r (www.e-codices.unifr.ch) Satz im Verlag Druck und Bindung: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen ♾ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com

Für Antje Lorenz

I nhalt Einführung 9

1. Zu dieser Ausgabe  9 2. Juvenal und die Juvenalforschung  12 Die persona-Diskussion 12 Juvenal, die römische Satire und Martial  22 3. Zur Interpretation der einzelnen Satiren  39 Erste Satire  42 Zweite Satire  43 Dritte Satire  45 Vierte Satire  48 Fünfte Satire  52 Sechste Satire  55 Siebte Satire  61 Achte Satire  64 Neunte Satire  67 Zehnte Satire  70 Elfte Satire  75 Zwölfte Satire  78 Dreizehnte Satire  81 Vierzehnte Satire  84 Fünfzehnte Satire  88 Sechzehnte Satire  93 4. Rezeption und Nachleben  94 5. Zum Text dieser Ausgabe  96 Abweichungen im lateinischen Text  100

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Inhalt

Text und Übersetzung

Erstes Buch Erste Satire  108/109 Zweite Satire  122/123 Dritte Satire  136/137 Vierte Satire  160/161 Fünfte Satire  172/173 Zweites Buch Sechste Satire  186/187 Drittes Buch Siebte Satire  236/237 Achte Satire  254/255 Neunte Satire  274/275 Viertes Buch Zehnte Satire  286/287 Elfte Satire  312/313 Zwölfte Satire  326/327 Fünftes Buch Dreizehnte Satire  336/337 Vierzehnte Satire  354/355 Fünfzehnte Satire  378/379 Sechzehnte Satire  390/391 Anmerkungen 397 Verwendete Literatur  509 Index nominum  523

Einf ü hrung 1. Zu dieser Ausgabe Von Juvenal sind in fünf Büchern sechzehn Verssatiren (die sechzehnte allein als Fragment) überliefert, die wahrscheinlich aus den ersten drei Jahrzehnten des zweiten Jahrhunderts n. Chr. stammen. Typisch für Juvenals Gedichte ist die oft überzeichnete Darstellung verschiedener Aspekte des Alltags, insbesondere menschlicher Schwächen, Normverletzungen, Sittenlosigkeit oder sozialer Missstände, die hart und mit aggressivem Humor kritisiert werden. In den letzten beiden Büchern werden die Alltagsthemen der Satire zudem aus einer philosophischen Perspektive behandelt, und neben der Kritik an Sittenverstößen werden auch positive ethische Leitsätze formuliert. Insgesamt bietet die abwechslungsreiche und mitreißende Schilderung (überwiegend negativer) Beispiele für menschliche Verhaltensweisen den Rezipienten vielfältige Anlässe zur Reflexion über moralische Maßstäbe oder einfach sehr gute Unterhaltung. Die vorliegende zweisprachige Ausgabe der Satiren Juvenals tritt die Nachfolge der 1993 in der Sammlung Tusculum erschienenen Bilingue von Joachim Adamietz an. In den letzten fünfundzwanzig Jahren hat die Juvenalforschung durch zahlreiche Publikationen (vor allem durch das Erscheinen nützlicher Kommentare zu einzelnen Satiren; vgl. S. 509 ff.) wichtige neue Impulse erhalten, die nun in der neuen Tusculum-Ausgabe aufgegriffen werden. Zudem waren natürlich Adamietz’ hervorragende Übersetzung und seine zielführenden Anmerkungen ein zentrales Vorbild und wichtiges Hilfsmittel. Dennoch weicht die vorliegende Ausgabe in grundlegenden Punkten von Adamietz’ Vorgehen ab. Das gilt für die nun etwas konservativere Gestaltung des lateinischen Textes (S. 96 ff.) und vor allem für die Herangehensweise an die Übersetzung. Wei-

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terhin setze ich bei der Darstellung von Ansätzen zur Juvenalinterpretation andere Schwerpunkte als Adamietz. Auch wenn ich hoffe, dass die vorliegende Ausgabe von Fachleuten mit Gewinn herangezogen werden wird, sind Juvenalexperten (die ja ohnehin keine zweisprachige Edition benötigen dürften) nicht das primäre Zielpublikum. Mein Wunsch ist es, mit diesem Tusculum-Band vor allem Studierenden der Alten Sprachen – auch denen aus den unteren Semestern – und den Vertretern weiterer geisteswissenschaftlicher Disziplinen einen möglichst einfachen Zugang zu Juvenals nicht immer leicht verständlicher Dichtung zu eröffnen. Das hat Konsequenzen für die Übersetzung. Adamietz (1993, 498) ging es in erster Linie darum, »die Bedeutung des lateinischen Wortlauts möglichst genau zu erfassen«. Für ihn bestand die »dienende Funktion« der Übersetzung darin, »dem Leser zu einem besseren Verständnis des Originals zu verhelfen oder, soweit er des Lateinischen weniger mächtig ist, ihm die Bedeutung des ursprünglichen Textes möglichst zuverlässig zu vermitteln.« Die neue Tusculum-Übersetzung soll hingegen auch ohne ständigen Abgleich mit dem lateinischen Original die Inhalte der Satiren schnell deutlich werden lassen. Das schließt stellenweise eine freiere Wiedergabe des Originals ein. Vor allem wurden Wendungen, die dem gängigen deutschen Sprachgebrauch nicht entsprechen (gerade Formulierungen, wie sie allein für Übersetzungen aus den Alten Sprachen typisch sind), nach Möglichkeit vermieden. Nicht nur die zahlreichen gelehrten Anspielungen in den Satiren, sondern insbesondere die Bezüge auf aktuelle (oder noch nicht allzu lang zurückliegende) Ereignisse aus dem römischen Alltag, die nur durch erklärende Anmerkungen verstanden werden können, stehen einer zügigen Juvenallektüre ohnehin im Weg. Da sollte die Übersetzung an sich möglichst gut lesbar sein und den Inhalt vermitteln, worauf die notwendige Auseinandersetzung mit dem lateinischen Original aufbauen kann. Einen literarischen Anspruch erhebt die Übersetzung selbstverständlich nicht.



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Aufgrund der erwähnten inhaltlichen Schwierigkeiten wurden die erklärenden Anmerkungen sehr ausführlich angelegt. Über die zum Textverständnis notwendigen Informationen hinaus bieten die Anmerkungen Hinweise zur Textgestalt und punktuell zur weiterführenden Interpretation. Diese Funktion haben auch die folgenden Ausführungen zur Juvenal und der Juvenalforschung. Im Mittelpunkt steht das in den letzten Jahrzehnten wohl am heftigsten diskutierte Problem der Juvenalforschung, die Bedeutung der in den Satiren auftretenden Sprecher-persona (S. 12 ff.). Darüber hinaus liegt bei der Auseinandersetzung mit Juvenals literarischen Vorläufern ein Schwerpunkt auf der Frage, welche Funktion die sprachlichen und thematischen Anklänge an Martials Epigramme in den Satiren haben (S. 22 ff.) – ein Thema, das für unser Verständnis von Juvenals Werk zentral sein dürfte. Außerdem werden zu allen Satiren kurze Einführungen geboten, in denen bisherige Forschungsansätze zu den Gedichten skizziert werden (S. 33 ff.). Über die hier genannten Themen hinaus gibt es natürlich weitere wichtige Aspekte der Juvenalinterpretation, deren systematische und detaillierte Behandlung man sich für die Zukunft wünschen würde. Bereits Adamietz (1993, 486) hatte darauf hingewiesen, dass eine Untersuchung der metrischen Gestaltung von Juvenals Versen einen wichtigen Beitrag zur Juvenalforschung leisten könnte, und Kißel (2013, 7 f.) hat den Wunsch nach einer solchen Untersuchung wiederholt und darüber hinaus eine Analyse der in den Satiren verwendeten Stilebenen als zentrales Desiderat bezeichnet. Es würde mich freuen, wenn es der vorliegenden Ausgabe gelingen sollte, zur vertieften Beschäftigung mit Juvenal anzuregen. Während der Entstehung dieser Übersetzung haben mir verschiedene Freunde, Bekannte und Kollegen in Fachgesprächen, durch den Austausch über das Übersetzen aus dem Lateinischen oder mit Hinweisen auf aktuelle Forschungsliteratur wichtige Anregungen gegeben. Hier seien Niklas Holzberg, Werner von Koppenfels, Stefan Merkle, Alfredo Morelli, Margot Neger, Antonio Stramaglia,

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Patricia und Lindsay Watson sowie Claudia Wiener genannt, denen ich für ihre Anregungen herzlich danke. Danken möchte ich auch der Unterstützung von Seiten des De-Gruyter-Verlags, insbesondere Katharina Legutke und Serena Pirrotta. Großer Dank gebührt auch meiner Frau Katelijne Schiltz, deren Geduld und unterstützender Zuspruch für meine Arbeit an Juvenal unschätzbar wichtig waren. 2. Juvenal und die Juvenalforschung Die persona-Diskussion Viele Leserinnen und Leser des 21. Jahrhunderts mögen die Inhalte von Juvenals Satiren als Zumutung empfinden: Die Satiren greifen alle an, deren Auftreten, Haltungen und Verhaltensweisen nicht der allgemein gängigen Norm entsprechen. Dabei sind sie offen fremdenfeindlich, attackieren ungehemmt andere Völker und Kulturkreise, prangern sexuelle Abweichungen – insbesondere passive Homosexualität – an, und mit der berüchtigten sechsten Satire hat Juvenal ein Gedicht von weit über sechshundert Versen verfasst, welches das gesamte zweite Satirenbuch bildet und anhand zahlreicher Beispiele das unmoralische Wesen und die Sittenlosigkeit der Frauen darstellen soll, um Männer vor der Ehe zu warnen. Auch wenn die mitreißende Art der Darstellung, die Ideenfülle und vor allem der bitterböse Humor Juvenals immer wieder fasziniert haben, kann Juvenal heute auch irritieren. Es ist selbstverständlich, dass wir an einen Autor, der seine Werke vor fast 2000 Jahren verfasste, nicht unsere heutigen mitteleuropäischen (und ohnehin auch in Mitteleuropa immer wieder missachteten) Wertvorstellungen anlegen können. Dennoch dürften die Satiren bei einigen Rezipienten heute ein unangenehmes Gefühl hervorrufen. Auch in zahlreichen Beiträgen zur Juvenalforschung der letzten Jahrzehnte ist dies spürbar. So dürfte insbesondere die These,



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dass in Juvenals Satiren eine fiktive oder zumindest fiktionalisierte Dichter-persona zu uns spricht, die nicht mit den historischen Dichter Juvenal gleichzusetzen sei, unter anderem deshalb so große Zustimmung erfahren haben, weil sich dadurch eine Trennung zwischen dem Künstler und dem auf irritierende Weise intoleranten Sprecher der Satiren vollziehen ließ. Die Frage, inwieweit die sogenannte persona-Theorie, die unter anderem in den einflussreichen Arbeiten von Anderson und Braund vertreten wurde (vgl. auch Winkler 1983; Watson/Watson 2014, 35–48), ihre Berechtigung hat, ist für unser Verständnis der Satiren entscheidend und stellt somit wohl das zentrale Thema der Juvenalforschung dar. Grundlage der persona-Theorie sind in sich widersprüchliche oder widersprüchlich wirkende Aussagen und Haltungen des Sprechers der Satiren, die diesen – so die Vertreter dieses Ansatzes – als unzuverlässigen Erzähler und stellenweise sogar als lächerliche Figur erscheinen ließen, welche ebenso Opfer des satirischen Spottes sein könne wie die in den Satiren attackierten Normverletzer. Zudem werden die Unterschiede im Auftreten des Sprechers, der sich vor allem im ersten und zweiten Satirenbuch von Zorn (ira) und Entrüstung (indignatio) mitreißen lasse, in den späteren Satiren dagegen stärker von philosophischem Gedankengut geprägt ist, von einigen Gelehrten als Hinweis darauf gedeutet, dass der Dichter Juvenal seinen Sprecher mit unterschiedlichen Wesenszügen ausstatte oder auch mehrere personae auftreten lasse. Auch wenn die Widersprüchlichkeit tatsächlich ein deutlich erkennbares Merkmal von Juvenals satirischem Sprecher ist, können jedoch nicht alle Interpretationen der Satiren, die von der personaTheorie ausgehen, überzeugen. Vor allem ist Vorsicht geboten vor einer Satirenlektüre, bei der wir unter Berufung auf die unglaubwürdige persona den Gedichten jedwede kritische Einstellung zu den als negativ beschriebenen Verhaltensweisen absprechen – insbesondere, wenn wir dabei unsere eigenen Vorstellungen kurzerhand auf die Antike übertragen. Wenn etwa Anderson (1987, 204)

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den Sprecher von Satire 15 als »bigoted and irrational racist Roman« bezeichnet und dabei offenbar voraussetzt, dass in Juvenals Rom fremdenfeindliche Angriffe denselben Unmut hervorriefen, wie es heute der Fall wäre, ist das ein offensichtlicher Anachronismus (vgl. Tennant 1995; Kißel 2013, 381 f.). Und gerade die Kritik an Frauen, die in der sechsten Satire geäußert wird, dürfte bei Juvenals zeitgenössischem (überwiegend männlichen) Publikum durchaus Zustimmung gefunden haben. Der Vorstellung, dass Juvenals Dichtung zumindest in einigen Punkten den Werthaltungen des 20. Jahrhunderts eher entsprechen mag als denen ihrer Zeit, wie einige Vertreter der Juvenalforschung offenbar meinen, mag man daher mit Skepsis begegnen. So ist die persona-Theorie nicht ohne Widerspruch geblieben. Ihre Gegner – hier bietet die Zusammenstellung der Argumente in Kißels Forschungsbericht (2013, 162–180; vgl. außerdem vor allem Iddeng 2000) einen Überblick – verweisen darauf, dass die heutzutage als selbstverständlich geltende Trennung von Autor und Sprecher für die Antike nicht bezeugt sei. Außerdem wurde darauf hingewiesen, dass die Satire ihr selbst proklamiertes Ziel, nämlich das Anprangern von Sittenverstößen, nicht überzeugend verfolgen könne, wenn ein unglaubwürdiger Sprecher auftrete. In der Äußerung von Sittenkritik sehen einige Gelehrte jedoch gerade das primäre Ziel der Satire. Somit beharrt zum Beispiel Kißel (2013, 326 zu Satire 8; vgl. S. 64 ff.) darauf, dass Juvenal »als wahrer Wertkonservativer« auftrete. Und zu der von Braund (1992) vorgebrachten These, das Publikum müsse zu dem unsympathischen Sprecher von Satire 6 fast zwangsläufig auf Distanz gehen, stellt Kißel bedauernd fest: »Eine wie immer geartete Botschaft darf man in solch standortloser Satire natürlich nicht mehr suchen« (2013, 276). Auf ähnliche Weise kritisiert Schmitz (2000, 15 f.) die Vertreter der Juvenalforschung, die bei dem Satiriker kein Streben nach »ernsthaften Zielen« erkennen, und kommt zu dem Schluss: »[A]ls Satiriker nehmen sie Juvenal nicht ernst.«



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Nun kann man daran zweifeln, ob die Annahme ernsthafter Ziele tatsächlich die Grundvoraussetzung für eine Lektüre ist, bei der Juvenal als Satiriker ernst genommen wird, und ich werde darauf zurückkommen. Ohnehin stellt sich die Frage, inwieweit Juvenals Satiren, die doch zumindest teilweise lange zurückliegende Beispiele für normwidriges Verhalten präsentieren – man vergleiche die Aussage des Satirikers, er werde allein verstorbene Menschen kritisieren (1.170 f.) –, überhaupt dazu geeignet sind, dem Unmut des Dichters über die Missstände seiner Zeit Ausdruck zu verleihen (zu diesem Problem s. Highet 1954, 165 f. sowie die Untersuchung von Gérard 1976; zu der Darstellung vergangener Zeiten und möglichen Gegenwartsbezügen zuletzt Bellandi 2016). Ohnehin ist die persona-Theorie deutlich mehr als ein Hilfsmittel, das Rezipienten des 20. und 21. Jahrhunderts mit den heutzutage nicht mehr akzeptablen Aussagen der Satiren versöhnen kann, indem es diese kurzerhand einer lächerlichen Figur zuschreibt. Tatsächlich muss die Annahme einer fiktionalen oder auch fiktionalisierten persona ja nicht bedeuten, dass alles, was diese auf komische Weise äußert, zu den Haltungen des Autors im Widerspruch steht – und davon gehen ja auch nicht sämtliche Juvenalforscher, die von einer Dichter-persona sprechen, aus. Dass in den Satiren nicht einfach der historische Dichter Juvenal zu uns spricht, sondern eben eine von diesem geschaffene Figur, liegt ohnehin nahe. Immerhin haben wir es ja mit Dichtung zu tun, die starken formalen Zwängen wie literarischen Traditionen im Allgemeinen und den Gattungstraditionen der Satire im Besonderen und dabei nicht zuletzt der Versform unterworfen ist. Es ist somit grundsätzlich schwer vorstellbar, dass die Dichtung persönlichen Haltungen derart unmittelbar Ausdruck verleihen soll, wie es einige Gelehrte zu glauben scheinen. Vielmehr ist ein gewisses Maß an Fiktionalisierung des Sprechers unvermeidbar. Wie weit diese Fiktionalisierung geht, werden unterschiedliche Rezipienten auch unterschiedlich beurteilen. Dass die Sprecher-persona auch Ähnlichkeiten zu und

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Gemeinsamkeiten mit dem historischen Dichter Juvenal aufweist, ist wahrscheinlich. Es ist jedoch schwierig zu bestimmen, wo die Gemeinsamkeiten zwischen Dichter und Sprecher aufhören und die Fiktionalisierung beginnt, und letztlich muss eine solche Festlegung spekulativ bleiben. Zudem gibt es in Juvenals Satiren eben tatsächlich etliche Stellen, an denen die Aussagen des Sprechers in sich derart widersprüchlich wirken, dass es umso schwerer fällt, sie als ungefilterten Ausdruck persönlicher Haltungen Juvenals zu verstehen. Nur ein Beispiel für eine Stelle, an welcher der Sprecher in einer keineswegs überzeugenden Weise auftritt, mag hier genügen. Sie stammt aus der sechsten Satire, mit der Männer vom Heiraten abgehalten werden sollen. Dort setzt sich der Sprecher unter anderem mit dem Einwand auseinander, dass es doch auch Frauen gebe, die besonders tugendhaft seien. Aber selbst diese sind für den Satiriker inakzeptabel (V. 161–166): “Nullane de tantis gregibus tibi digna videtur?” sit formonsa, decens, dives, fecunda, vetustos porticibus disponat avos, intactior omni crinibus effusis bellum dirimente Sabina, rara avis in terris nigroque simillima cycno: quis feret uxorem cui constant omnia? malo, malo Venustinam quam te, Cornelia, mater Gracchorum, si cum magnis virtutibus adfers grande supercilium et numeras in dote triumphos.

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»Keine einzige aus dieser gewaltigen Menge scheint dir würdig?« – Mag sie auch schön, anmutig, wohlhabend und fruchtbar sein, mag sie auch alte Ahnen in ihren Säulengängen aufstellen, mag sie auch jungfräulicher sein als alle Sabinerinnen, die mit aufgelösten Haaren die Fronten im Krieg auseinanderbrachten – also ein seltener Vogel auf Erden, fast so wie ein schwarzer Schwan: Doch wer wird eine Ehefrau ertragen, bei der alles stimmt? Lieber, viel lieber will ich eine Venustina als dich, Cornelia, o Mutter der Gracchen, wenn du zusammen mit deinen großartigen Tugenden auch gewaltigen Hochmut mitbringst und in deine Mitgift eure Triumphe einrechnest.



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Im Anschluss werden die Angriffe gegen den übertriebenen Stolz ehrbarer Frauen aus den bedeutendsten römischen Adelsgeschlechtern fortgesetzt, der jedem Mann das Zusammenleben mit einer solchen Dame unmöglich mache. Das passt zu dem allgemeinen Rundumschlag gegen Frauen, den die sechste Satire in ihrer Ablehnung der Ehe vollzieht. Aber dennoch irritiert es, dass selbst die Frauen, die keine der bereits attackierten (und im Folgenden noch ausführlicher darzustellenden) lasterhaften Verhaltensweisen zeigen, grundsätzlich abgelehnt werden. Insbesondere die jedes weitere Gegenargument im Keim erstickende rhetorische Frage Quis feret uxorem cui constant omnia? (»Doch wer wird eine Ehefrau ertragen, bei der alles stimmt?«) leistet sicher keinen Beitrag zu einer zielführenden Auseinandersetzung mit dem Thema. Und dass ausgerechnet eine einfache Frau, deren Name Venustina (von der Liebesgöttin Venus) auf ausschweifende Sexualität hinweisen mag, den Vorzug bekäme, passt auch nicht in die Argumentation der sechsten Satire, in der gerade die sexuelle Gier von Frauen mehrfach heftig kritisiert wird. Somit dürften Watson und Watson richtig liegen, wenn sie im ihrem Kommentar zur sechsten Satire (2014 ad loc.) die Stelle als Hinweis auf Juvenals »parodic persona« deuten. Tatsächlich hätte der Sprecher in diesem Zusammenhang doch die Möglichkeit gehabt, Idealbilder anständiger Frauen zu zeichnen (wie sie in der römischen Literatur ja auch immer wieder als Vorbilder präsentiert werden) und dadurch die Angriffe gegen die lasterhaften Frauen noch zu verstärken. Doch das tut er nicht. Man könnte einwenden, dass sich hier der authentische Zorn des Satirikers über die Normverletzungen der Frauen Bahn breche und dass die Übertreibung im Sinne einer möglichst deutlichen Artikulation der eigenen Haltung sei. Aber, wie gesagt, haben wir es hier ja nicht mit der ungefilterten Haltung des Menschen Juvenal zu tun, sondern mit Dichtung, deren formale Vorgaben eine derart unkontrollierte Äußerung mehr als unwahrscheinlich macht. Insbesondere kann man kaum glauben, dass Juvenal sich

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hier von seinem Zorn so mitreißen ließ, dass er nicht mehr zu einer schlüssigen Darstellung in der Lage gewesen wäre. Wenn es Juvenal darum gegangen wäre, seine Ablehnung der Ehe – beziehungsweise der Frauen – auf argumentativ stimmige Weise vorzubringen, dann hätte er auf solche Stellen, die dieses Anliegen gerade nicht befördern, sicher verzichten können. Und so hätte er wohl auch darauf verzichtet, in demselben Gedicht eine Frau darzustellen, die vernünftige Gegenargumente auf ganz ähnliche Weise ignoriert, wie es der Sprecher kurz zuvor selbst getan hat. In den Versen 219–223 wird geschildert, wie eine Frau einen Sklaven aus Zorn hinrichten lassen will, während ihr Mann Bedenken hat. So kommt es zu folgendem Dialog: “pone crucem servo!” “meruit quo crimine servus supplicium? quis testis adest? quis detulit? audi: nulla umquam de morte hominis cunctatio longa est.” “o demens, ita servus homo est? nil fecerit, esto: hoc volo, sic iubeo, sit pro ratione voluntas.”

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»Errichte ein Kreuz für den Sklaven!« – »Für welches Verbrechen hat der Sklave die Todesstrafe verdient? Wer ist als Zeuge anwesend? Wer hat ihn angezeigt? Höre ihn an! Wenn es um den Tod eines Menschen geht, kann man nicht lange genug zögern.« – »Du Schwachkopf! Ein Sklave ist also ein Mensch? Dann sei es so, dass er eben nichts getan hat. Aber ich will es, so befehle ich es, anstelle eines guten Grundes soll mein Wille gelten!«

Die Grausamkeit der Frau wirkt durch die Verweigerung einer rationalen Auseinandersetzung besonders schockierend. Strukturell erinnert die Stelle dabei ausgerechnet an die Argumentation – oder auch die fehlende Argumentation – in den Aussagen des Sprechers an der zuvor zitierten Stelle. Vor allem bedienen sich sowohl der Sprecher als auch die grausame Herrin eines radikalen und natürlich keineswegs schlüssigen Totschlagarguments: Der Mann stellt in einer rhetorischen Frage fest, dass gerade eine perfekte Frau unerträglich wäre, und die Frau erhebt kurzerhand ihre voluntas über



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die ratio. Diese Ähnlichkeit kann und soll wohl auch nicht dazu beitragen, dass der Sprecher von den Lesern als ernstzunehmende Instanz wahrgenommen wird. Und doch kann man, wie gesagt, davon ausgehen, dass die meisten Rezipienten zu Juvenals Zeit der Kritik an sittenlosen Frauen grundsätzlich zugestimmt hätten. Warum also sorgt Juvenal dafür, dass eine derart konsensfähige »Botschaft« durch das Auftreten eines nicht durchweg überzeugenden Sprechers gewissermaßen entwertet wird? Es ist kaum wahrscheinlich, dass wir aus den Satiren konsequent das Gegenteil dessen herauslesen sollen, was zumindest an der Textoberfläche mit großer Deutlichkeit ausgesagt wird. So hat Plaza (2006, 320 f.; zu Satire 15) die These entwickelt, dass einige von Juvenals Rezipienten primär die vordergründige Kritik an Normverletzungen in den Blick genommen hätten. Dagegen hätten andere auch die humorvollen Zwischentöne in der Darstellung wahrgenommen und diese Gegensätze als unterhaltsam empfunden. Tatsächlich schließen die Wahrnehmung der Widersprüche in der Argumentation und eine grundsätzliche Zustimmung zu den Aussagen des satirischen Sprechers einander nicht grundsätzlich aus – ja, vielleicht liegt in diesem Gegensatz gerade eine Qualität der Satiren. Diese stellen die Rezipienten vor eine besondere Herausforderung, denn allgemein akzeptierte Ansichten werden stellenweise so präsentiert, dass man an ihnen auch zweifeln darf. Und gleichzeitig äußert eine in ihrem übersteigerten Zorn mitunter lächerlich wirkende Figur zahlreiche Gedanken, denen man grundsätzlich zustimmen wird (vgl. zu dem Nebeneinander von ernsthaften und nicht ernst gemeinten Aussagen Powell 1999). So kommt es immer wieder zu einer interpretatorischen Offenheit, die doch gerade ein Merkmal großer Literatur sein kann. Man kann dies mit Kißel als »Standortlosigkeit« kritisieren. Eine derartige Kritik setzt allerdings voraus, dass satirische Dichtung konsequent ein moralkritisches Anliegen verfolgt – etwas, das Juvenals Satiren bei genauer Betrachtung aber offenbar nicht tun.

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So sollte man akzeptieren, dass die Qualität der Satiren eben nicht allein in ihrer Fähigkeit liegt, moralisch fragwürdiges Handeln anzuprangern. Juvenal hat ein Werk geschaffen, das voller brillanter, oft schockierender und vor allem sehr komischer Szenen ist, die seine Leserschaft hervorragend unterhalten. Ich sehe keine Veranlassung, in einer literarisch anspruchsvollen Unterhaltung ein Werk von geringerem Wert zu sehen als in Gedichten, welche das primäre Ziel verfolgen, die Ideale eines »wahren Wertekonservativen« zu verbreiten. Eine Lektüre, welche die Komik und den Unterhaltungswert der Satiren würdigt, muss also keineswegs bedeuten, dass man Juvenal als Satiriker nicht ernst nimmt. Es bleibt die Frage, wie sich die in den Satiren auftretende persona zu dem historischen Dichter Juvenal verhält. Wie gesagt, bewegen wir hier uns auf sehr unsicherem Terrain und werden über Spekulationen nur schwer hinauskommen. So gibt es kaum zeitgenössische Quellen zu der Person Juvenal (vgl. den nützlichen Überblick über die Forschung zur Biographie Juvenals bei Kißel 2013, 60–66; weiterhin die Überlegungen zur Darstellung von Juvenals sozialem Status bei Roche 2012). Der Epigrammatiker Martial (S.28 ff.), ein etwas älterer Zeitgenosse Juvenals, spricht in dreien seiner Gedichte einen offenbar befreundeten Iuvenalis an, der wohl mit dem späteren Autor der Satiren zu identifizieren ist (7.24; 91; 12.18); möglicherweise zeigen die in den Gedichten enthaltenen Hinweise auf Invektiven und weitere Themen der Satire, dass Juvenal sich bereits in jungen Jahren mit der Gattung befasste.1 Die Angaben, welche die Satiren selbst zu ihrem Verfasser machen, sind kaum ergiebiger und zudem durch die Perspektive der persona geprägt, sie mögen also ein schwer bestimmbares Maß an Fiktiona1 Vgl. M. Neger: Martials Dichtergedichte. Das Epigramm als Medium der poe­ tischen Selbstreflexion. Tübingen 2012 (Classica Monacensia 44), 254–260; weiterhin N. Mindt: Martials ›epigrammatischer Kanon‹. München 2013 (Zetemata 146), 186 f.



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lisierung aufweisen: In Satire 1 erwähnt der Sprecher seine schulische Ausbildung (V. 15–18) – ein Hinweis, der angesichts des hohen Bildungsgehalts der Satiren ohnehin kaum überraschen kann und der zudem als Anspielung auf den Vorgänger Horaz gedeutet wurde (Roche 2012, 192). Weiterhin wird am Ende der dritten Satire Aquinum als ein Ort genannt, an dem sich der Satiriker erholen kann (V. 319). Eine dort gefundene Inschrift mit dem Namen Iunius Iuvenalis könnte tatsächlich mit der Familie des Dichters in Verbindung stehen, aber wohl nicht mit dem Satiriker selbst (vgl. den Kommentar zu Satire 3 von Manzella 2011 ad loc.). Zum besseren Verständnis der Satiren tragen solche Angaben ohnehin kaum bei, und die Person Juvenal wird durch sie nicht deutlicher greifbar. In noch stärkerem Maße gilt dies für die spätantiken Juvenalviten, die offenbar nicht zuletzt aus einzelnen Stellen der Satiren Rückschlüsse auf einen biographischen Hintergrund der Aussagen ziehen und sich so eine wenig verlässliche Lebensbeschreibung zusammenspinnen (vgl. Adamietz 1993, 447 f.). Häufig zitiert wird in diesem Zusammenhang die Stelle, an welcher der Sprecher zu seiner Darstellung der bei den ägyptischen Völkern herrschenden Sitten anmerkt, er berichte etwas, was er selbst gesehen habe (15.45: quantum ipse notavi). Der Biograph konstruierte daraus offenbar ein Exil Juvenals in Ägypten, und dieses wurde wiederum mit Kaiser Domitian (83–96 v. Chr.) in Verbindung gebracht, der in Satire 4 als ein auf dümmliche Weise eitler und gleichzeitig grausamer Tyrann auftritt (Highet 1937). Auch hier bleiben wir im spekulativen Bereich, und letztlich kann es die Interpretation der Satiren kaum befördern, wenn wir aus deren Inhalten einen biographischen Hintergrund rekonstruieren, der uns dann wiederum als Begründung für die Inhalte der Satiren dient. Die Rekonstruktion der Dichtervita ist noch am ehesten im Zusammenhang mit Überlegungen zur Datierung der einzelnen Satiren von Belang. Der in Satire 1 enthaltene knappe Rückblick des Satirikers auf die Zeit, als er »jung« war (V. 25: iuvenis), wurde

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als Hinweis auf das fortgeschrittene Alter des Dichters gedeutet, der sich in Satire 11 zudem als gealterter Mann beschreibt (11.203: nostra contracta cuticula – »unsere runzlige Haut«). Aus solchen Stellen und den genannten Gedichten Martials sowie vor allem zahlreichen Zeitbezügen in den Satiren ist man zu dem Schluss gekommen, dass die Satiren in den ersten drei Jahrzehnten des 2. Jahrhunderts nach Christus entstanden; zu den Stellen der einzelnen Gedichte, die auf konkrete datierbare Ereignisse verweisen mögen, gibt es zudem ausgiebige Detaildiskussionen. Juvenal, die römische Satire und Martial Satura quidem tota nostra est – »Die Satire gehört freilich vollständig uns.« Mit diesem berühmten Satz aus seiner Institutio oratoria (10.1.93) beanspruchte der römische Rhetoriker Quintilian (1. Jh. n. Chr.) die Gattung Satire allein für die römische Literatur, ohne dass es wie in den anderen literarischen Gattungen, welche die Römer pflegten, ein unmittelbares griechisches Vorbild gegeben hätte (vgl. zuletzt die differenzierte Diskussion bei Ferriss-Hill 2015, 1–3). Allerdings sind nur wenige Werke aus der Gattung Verssatire erhalten, die wir als Vorläufer Juvenals in den Blick nehmen können, und diese Texte vermitteln kein einheitliches Bild von der Gattung. Viel zitiert ist die Feststellung von Wilamowitz-Moellendorff: »Es gibt gar keine lateinische Satire, es gibt nur Lucilius, Horaz, Persius, Iuvenal«2. Tatsächlich sind die Werke der vier genannten Verssatiriker recht unterschiedlich, und diese Unterschiede dürften nicht zuletzt auf die Zeitumstände zurückzuführen sein, unter denen sie entstanden: Während der zur Zeit der späten römischen Republik aktive Satiriker Lucilius mit satirischem Spott auch ge2 U. v. Wilamowitz-Moellendorff: Griechische Verskunst. Berlin 1921 (Nachdruck: Darmstadt 1962), 42 Anm. 1.



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gen bedeutende politische Persönlichkeiten vorging, verkündete der Augusteer Horaz ein (von der Forschung mitunter allerdings wohl etwas zu hoch bewertetes) Konzept eines nicht aggressiven ridentem dicere verum (»lachend die Wahrheit sagen«; S. 1.24) und spottete ohnehin nur über weniger bedeutende Zeitgenossen oder gar fiktive Personen. In dem kurzen Satirenbuch des Persius (1. Jh. n. Chr.) werden aus einer von Strenge und auch Zorn geprägten Haltung heraus ethische Themen behandelt, und das in dichter Form mit lebhaften dialogischen Passagen, welche das Verständnis seiner Satiren uns heute nicht immer einfach macht (zu dem dennoch überzogenen Vorwurf der obscuritas s. Kißel 1990, 1–14). Dies sind die Vorläufer Juvenals in der Gattung Verssatire, die wir kennen (Lucilius’ Satiren besitzen wir allein in Fragmenten, doch äußert sich vor allem Horaz recht ausführlich zu seinem Vorgänger). Die Satiren früherer Dichter wie Ennius und Pacuvius sind fast vollständig verloren. Auch die Werke des in den Epigrammen Martials (7.97; 11.10) als bedeutender Satiriker seiner Zeit gepriesenen Turnus – möglicherweise dachte Quintilian an ihn, als er von Satirikern seiner Zeit sprach, »deren Namen man später noch nennen wird« (10.1.94) – sind uns nicht erhalten. Es ist denkbar, dass Turnus Juvenals satirisches Werk stark beeinflusste (Coffey 1979). Allerdings werden Turnus und andere zeitgenössische Satiriker ebenso wenig von Juvenal erwähnt wie sein etwas jüngerer Vorgänger Persius – ein Umstand, der zu Spekulationen über eine mögliche Rivalität Anlass geben kann (vgl. Ferriss-Hill 2015, 184). Zu erwähnen sind außerdem Werke, die zwar nicht zur Gattung Verssatire gehören, aber satirischen Charakter haben oder zumindest humorvolle Inhalte behandeln und ebenfalls als Vorläufer von Juvenals Satiren gelten können: Zunächst ist hier die Komödie zu nennen, deren Einfluss auf die Gattung Satire gerade in einigen dialogisch angelegten Passagen Juvenals greifbar ist (vgl. nun FerrissHill 2015 zum direkten Einfluss der Alten Komödie auf die Gattung Satire im Allgemeinen, weniger allerdings auf Juvenal im Besonde-

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ren). Aus dem Bereich der satirischen Literatur ist die sogenannte Menippeische Satire (nach Menippos von Gadara) von Bedeutung, in der Darstellungen in Prosa mit Verspartien abwechseln. Für die lateinische Literatur gilt Varro (1. Jh. v. Chr.) als zentraler Vertreter der Gattung, doch auch seine satirischen Werke sind weitgehend verloren; der wichtigste lateinische Text ist somit die (wohl) von Seneca verfasste Verspottung des Kaisers Claudius mit dem Titel Apocolocyntosis, deren möglicher Einfluss auf Juvenal bislang aber ungeklärt ist. Auch die Frage, ob der allein in Fragmenten erhaltene satirische Roman Satyrica des Petron (den manche Gelehrte ebenfalls der Menippeischen Satire zurechnen) einen Einfluss auf Juvenal hatte, ist umstritten (vgl. Martin 2000 mit den Anmerkungen von Kißel 2013, 185).3 Offensichtlich ist hingegen der große Einfluss der Epigramme von Juvenals etwas älterem Zeitgenossen Martial, der sich vor allem in zahlreichen sprachlichen und inhaltlichen Parallelen zwischen den Werken der beiden Dichter zeigt. Auf das Verhältnis von Juvenal und Martial werde ich gleich zurückkommen, doch zunächst zurück zur Tradition der Verssatire und deren Bedeutung für Juvenal! Auch wenn Unterschiede zwischen den Inhalten der Satiren bei Lucilius, Horaz, Persius und Juvenal bestehen, gibt es natürlich auch grundlegende Gemeinsamkeiten. Da ist zunächst der Hexameter, der offenbar seit den späteren Gedichten des Lucilius das typische Versmaß der Satire war. Inhaltlich ist der spöttische, im weitesten Sinne gesellschaftskritische Gehalt der Satiren zu nennen: Die Gattung wird bereits in der Antike als ein Mittel gesehen, das dazu dient, menschliches Fehlverhalten darzustellen und dagegen vorzugehen, und genau 3 Ohnehin wird die früher als communis opinio geltende Datierung der Satyrica in die Zeit Neros mittlerweile immer häufiger in Zweifel gezogen und eine spätere Datierung angesetzt; vgl. zusammenfassend N. Holzberg: Petronius Arbiter: Satyrische Geschichten. Satyrica. Lateinisch – deutsch. Herausgegeben und übersetzt. Berlin 2013 (Sammlung Tusculum), 410–413.



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diesen Aspekt nennt Juvenal auch in seinem ersten Gedicht, als er die Wahl seiner Gattung erklärt (V. 19–30): Cur tamen hoc potius libeat decurrere campo, per quem magnus equos Auruncae flexit alumnus, si vacat ac placidi rationem admittitis, edam. cum tener uxorem ducat spado, Mevia Tuscum figat aprum et nuda teneat venabula mamma, patricios omnis opibus cum provocet unus quo tondente gravis iuveni mihi barba sonabat, cum pars Niliacae plebis, cum verna Canopi Crispinus Tyrias umero revocante lacernas ventilet aestivum digitis sudantibus aurum nec sufferre queat maioris pondera gemmae, difficile est saturam non scribere.

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Doch warum ich gerade das Feld befahren möchte, über das der große Sohn der Stadt Aurunca seine Pferde lenkte – das will ich euch, wenn ihr Zeit habt und meine Begründung wohlwollend zulasst, verraten: Wenn ein zarter Eunuch eine Frau heiratet, wenn Mevia einen etruskischen Eber erlegt und mit nackter Brust die Jagdspeere trägt, wenn ein einziger mit seinem Reichtum es mit allen Patriziern aufnehmen kann (und zwar einer, der mir, als ich jung war, geräuschvoll den kräftigen Bart abrasierte), wenn einer aus dem Pöbel vom Nil, wenn der in Canopus geborene Sklave Crispinus sich einen Purpurmantel über die Schulter zieht und den goldenen Ring, den er im Sommer trägt, mit verschwitzten Fingern durch die Luft schwenkt (das Gewicht eines größeren Edelsteins könnte er nicht stemmen) – dann ist es schwer, keine Satire zu schreiben.

Wie gesagt (vgl. oben S. 19 f.), muss eine solche Ankündigung nicht zwangsweise bedeuten, dass im Anprangern von Sittenverstößen das alleinige Ziel der Satiren Juvenals liegt, denn auch der Unterhaltungswert, den gerade die Darstellung normwidrigen Verhaltens hat, ist als Ziel des Werks deutlich erkennbar. Dazu, dass Juvenals Werks sich hier in die Tradition der Gattung Satire einreiht, steht das nicht im Widerspruch. So wird der aus der Stadt Aurunca

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stammende Lucilius stellvertretend für die Gattung genannt, die als eine beinahe zwangsläufige Reaktion auf das Fehlverhalten der Menschen und falsche gesellschaftliche Entwicklungen dargestellt wird: Die Auflösung herkömmlicher Geschlechterrollen und gesellschaftlicher Hierarchien, insbesondere der neue Reichtum eines aus Ägypten stammenden ehemaligen Sklaven, werden als Gründe genannt, die es schwer machten, keine Satire zu schreiben. Es folgen zahlreiche weitere Beispiele für Normverletzer, bevor dann nach Lucilius auch der aus der Stadt Venusia stammende Horaz als bedeutender Vorläufer in der Gattung Satire angeführt wird (V. 51): haec ego non credam Venusina digna lucerna? Soll ich nicht meinen, dass all das zu der Lampe aus Venusia passt?

Die Lampe steht hier für die Schlaflosigkeit des aufgebrachten Satirendichters, weiterhin für die nächtliche Arbeit des Dichters am Schreibtisch und schließlich wohl auch dafür, dass der Satiriker die dunklen Seiten der Menschen ans Licht bringt (Stramaglia 2008, ad loc.). Während die fragmentarische Überlieferung des Lucilius einen detaillierten Vergleich mit Juvenal zu einem spekulativen Unterfangen macht, wurden in der Forschung zahlreiche Stellen aus den Satiren Juvenals mit Horaz in Verbindung gebracht (für jüngere Forschungsbeiträge s. die Zusammenstellung bei Kißel 2013, 183 f.). Doch neben der satirischen Literatur sind in Juvenals Gedichten noch weitere Gattungen und Textsorten präsent, die – wenn auch teilweise auf ganz andere Weise – ebenfalls als Vorläufer gelten können. So nennt der Satiriker als allgemeine Grundlage seine rhetorische (und damit auch literaturgeschichtliche) Ausbildung, die offenbar das unentbehrliche Rüstzeug dafür ist, dass auch er die literarische Bühne betreten kann (1.15–17), und in der Forschung wurde der deklamatorische Charakter der Satiren immer wieder hervorgehoben (vgl. zuletzt die Untersuchung von Santorelli 2016).



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Eine ganz andere Rolle spielt die »große« Dichtung wie die Tragödie und vor allem das Epos, um das es zu Beginn der ersten Satire geht. Der satirische Sprecher klagt über die Fülle von Dichtern, die unzählige Verse über entlegene mythologische Themen schreiben, und leitet daraus den Grund dafür ab, dass er überhaupt selbst dichtet: Er wolle nicht immer nur Zuhörer sein, heißt es gleich zu Beginn des Werks (1.1: Semper ego auditor tantum?). Das dem Epos gemeinsame Versmaß des Hexameters macht es der Satire leicht, gerade epische Prätexte in satirische Kontexte zu überführen und gewissermaßen mit kriegerischen Heldentaten, die an epische Darstellungen erinnern, gegen die alltäglichen Verhaltensweisen der Menschen zu Felde zu ziehen. Daher wird eben auch der satirische Vorgänger Lucilius an der oben zitierten Stelle wie ein epischer Krieger im Streitwagen dargestellt (1.19 f.; vgl. zur Rolle des Epos bei Juvenal zusammenfassend Connors 2005; Osgood 2012, 3–5). Die zahlreichen Anklänge an das Epos bei Juvenal haben nicht zuletzt deshalb einen komischen Effekt, weil es in der Satire eben nicht um die großen Themen des Epos geht, sondern zumeist um den römischen Alltag. Auch dies macht Juvenal bereits in seiner ersten Satire deutlich, wenn der Sprecher weitere Beispiele für Normverletzer – tatsächlich erinnern diese »Sünderkataloge« an epische Kataloge (Lorenz 2004, 895–903) – folgendermaßen kommentiert (V. 63 f.): nonne libet medio ceras inplere capaces quadrivio ...? Will man da nicht gleich mitten auf der Kreuzung Wachstafeln, auf denen viel Platz ist, vollschreiben ...?

Der Satiriker befindet sich mitten im Geschehen und bleibt dennoch in erster Linie Beobachter und Kommentator: Er steht auf den Straßen Roms, genauer gesagt an den Kreuzungen, an denen viele Menschen vorbeikommen und wo er Material für seine Dich-

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tung finden kann. Die Stadt wird somit ein zentrales Thema der Satiren ausgewiesen, das in Juvenals Gedichten immer wieder vorkommt und in Satire 3 in größter Ausführlichkeit behandelt wird (Ferriss-Hill 2015, 57–59). So macht sich der Satiriker an den Straßenkreuzungen Notizen, verfasst nach dieser Darstellung vielleicht sogar gleich vor Ort seine Gedichte. Dass er dafür viel Schreibplatz braucht, zeigt, wie präsent die Sittenlosigkeit in Rom ist, und es erinnert abermals an die in ihrem Umfang gewaltige Ependichtung, von der es zuvor hieß, für sie reichten normale Schriftrollen nicht aus (V. 5 f.). Die Beobachtung des Alltags mit dem Ziel, das Alltägliche, und zwar vor allem die Fehler der Menschen, in der eigenen Dichtung festzuhalten und nicht etwa entlegene mythologische Themen zu behandeln – all das ist auch charakteristisch für Juvenals etwas älteren Zeitgenossen Martial (s. o. S. 20; vgl. Lorenz 2002, 16).4 Und gerade in seinen früheren Satiren hat Juvenal Martials Epigramme ausgiebig verwendet, hat Themen und Formulierungen des Epigrammatikers aufgegriffen und in seine satirischen Darstellungen integriert. Mason (1962, II: 69) meint in Juvenals Satiren sogar regelrechte »rewritings of Martial« zu erkennen. Dagegen versucht Anderson (1970) in seiner Antwort auf Mason zu zeigen, dass Juvenal die Texte seines Vorgängers in den Satiren gerade zu etwas Neuem werden lässt. Unter den zahlreichen Forschungsbeiträgen zu Martial und Juvenal weisen die Aufsätze von Mason und Anderson am ehesten den Weg zu einem Vergleich der beiden Dichter, der deutlich machen könnte, wieweit das Zusammenspiel der Epigramme und der 4 Für eine ausführlichere Darstellung zu Juvenal und Martial vgl. Lorenz [im Druck]. Auch wenn an einzelnen Stellen im Werk Juvenals Unklarheit bezüglich der Datierung besteht, gehe ich doch mit der Mehrzahl der Juvenalforscher davon aus, dass bei Ähnlichkeiten zwischen den beiden Dichtern Martial derjenige ist, der Juvenal beeinflusst hat und nicht umgekehrt.



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Satiren die Lektüre dieser Gedichte prägen und unser Verständnis der Texte beeinflussen kann. Eine systematische und umfassende Untersuchung, welche Funktion die Anklänge an Martial im Werk Juvenals haben, gibt es bislang jedoch nicht.5 Daher soll im Folgenden ausführlicher dargestellt werden, in welche Richtung eine Untersuchung zu Juvenal und Martial gehen könnte. Natürlich ist Martial nicht das einzige Vorbild für Juvenal. Immerhin sind es ja die Satiriker Lucilius und Horaz, auf die Juvenal ausdrücklich verweist, während er Martial nicht explizit erwähnt. Und doch sind Martials Epigramme in Juvenals Satiren sowohl sprachlich als auch inhaltlich auf so offensichtliche Weise präsent, dass die besondere Bedeutung dieses Vorläufers für die Satiren unbestreitbar ist. Als Beispiel sollen hier einige Stellen aus der dritten Satire dienen, in der es um die Qualen geht, welche die weniger begüterten Bürger in Rom ertragen müssen. Darüber beklagt sich ab Vers 21 eine Figur namens Umbricius (dabei ähneln die Auffassungen des Umbricius denen des Satirikers in vielen Punkten; vgl. die Zusammenfassung der Diskussion bei Kißel 2013, 225–231; s. auch unten S. 45 f.) und ereifert sich unter anderem darüber, dass Überfremdung, Sittenlosigkeit und Betrug in Rom herrschten. An einer Stelle berichtet Umbricius, wie die Unterkunft eines armen Cordus bei einem Brand zerstört wurde, worauf dieser vollkommen mittellos dasteht (3.197–211). Wenn dagegen das Haus eines Reichen niederbrennt, herrsche große Bestürzung, und viele Menschen wollten helfen (V. 215–222): ardet adhuc, et iam accurrit qui marmora donet, conferat inpensas; hic nuda et candida signa, hic aliquid praeclarum Euphranoris et Polycliti,

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5 Auch die umfangreiche Arbeit von Colton (1991) nennt zwar ca. 450 Stellen, an denen Juvenal von Martial beeinflusst sein könnte, bietet aber kaum tiefer gehende Analysen, sodass seine Arbeit vor allem als Materialsammlung nützlich ist; vgl. Kißel 2013, 182.

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Einführung haec Asianorum vetera ornamenta deorum, hic libros dabit et forulos mediamque Minervam, hic modium argenti. meliora ac plura reponit Persicus orborum lautissimus et merito iam suspectus, tamquam ipse suas incenderit aedes.

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Es brennt noch, und schon kommt einer angelaufen, um Marmor zu spenden und Baumaterial zusammenzutragen. Dieser wird nackte, strahlendweiße Standbilder liefern, dieser irgendein Meisterwerk von Euphranor und Polyklet und sie alte Prachtstücke aus Asiens Göttertempeln, dieser Bücher, ein Bücherregal und mittendrin ein Minervabild und dieser eine Ladung Silber. Noch bessere Sachen und noch mehr bekommt Persicus als Ersatz, der vornehmste der Kinderlosen und zu Recht schon verdächtig, sein Haus selbst angezündet zu haben.

Der Gedanke, dass ein wohlhabender Hausbesitzer seinen Besitz durch den Verlust der Immobilie sogar vergrößern könnte – heute würden wir von Versicherungsbetrug sprechen –, findet sich auch in Martials Epigramm 3.52: Empta domus fuerat tibi, Tongiliane, ducentis:     abstulit hanc nimium casus in urbe frequens. Conlatum est deciens. Rogo, non potes ipse videri    incendisse tuam, Tongiliane, domum? Du hattest dein Haus für 200.000 gekauft, Tongilianus. Dieses raubte dir ein in Rom allzu häufiges Unglück. Eine Million brachte man zusammen. Da frage ich: Kann es nicht so scheinen, dass du, Tongilianus, dein Haus selbst angezündet hast?

Beide Texte nehmen eine überraschende Wendung: In Martials Epigramm wird aus dem scheinbaren Opfer einer Katastrophe ein Krimineller. Bei Juvenal reagieren die wohlhabenden Menschen mit übertriebener Hilfsbereitschaft und Großzügigkeit auf den Brand, und erst am Ende der Passage erfahren wir, dass ein solches Verhalten das Ziel haben kann, die Gunst eines noch Reicheren zu gewinnen, um ihn zu beerben. Die zitierte Passage aus der dritten Satire erinnert jedoch auch



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in ihrer Binnenstruktur an Martials Epigramme. Bekannt ist die von Lessing herausgearbeitete Zweiteilung vieler Epigramme in den Aufbau einer Erwartung und einen diese Spannung auflösenden Aufschluss in einer Pointe, wodurch die Erwartung entweder bestätigt oder auch enttäuscht wird.6 Auch Juvenal erzeugt mit der Darstellung des Verhaltens der Bürger eine Erwartungshaltung und löst diese durch die Erklärung, dass es sich um Erbschleicher gehen dürfte, sowie die Vermutung, dass Persicus sein Haus selbst angezündet haben mag, humorvoll auf. Interessant ist die sprachlich-stilistische Gestaltung der Passage: Von den Handlungen der Menschen wird zunächst in kurzen Hauptsätzen berichtet; allein der knappe Relativsatz qui marmora donet (V. 215) unterbricht die parataktische Darstellung. Der in V. 216b einsetzende lange Satz ist mit seiner Aufzählung der Dinge, welche die Menschen bereitstellen, syntaktisch besonders einfach. Dabei erzeugt die hic/ haec7-Anapher (V. 216–220) den Eindruck, dass unablässig weitere Objekte herangeschafft werden. Doch mit der Einführung des Persicus ändert sich der Stil der Passage: Die Anaphern bleiben aus, und die Ausführungen zu Persicus erfolgen in einem zweieinhalb Verse umfassenden Satzgefüge mit zwei Enjambements und einem vergleichenden Nebensatz. Dabei entspricht der im Vergleich mit dem Vorangehenden kompliziert anmutende Satzbau dem Inhalt: Erst nach und nach erhalten wir in über die Verse verteilten Begriffen die relevanten Informationen zu Persicus (Persicus ... lautissimus ... suspectus ... ipse) und damit die Auflösung, um was für eine Person es sich hier handelt.

6 Vgl. dazu N. Holzberg: Martial und das antike Epigramm. Darmstadt 2002, 86–97. 7 Tatsächlich wurde an dem Wechsel von hic und haec Anstoß genommen. Möglicherweise sind die zahlreichen Versuche zur Konjektur berechtigt; vgl. Nisbet 1989, 288 f.

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Die Auflösung hebt sich somit sprachlich und stilistisch von den vorangehenden Versen ab, und das kommt auch bei Martial mehrfach vor, zum Beispiel in dem eben zitierten Epigramm 3.52. Auch dieses Gedicht reiht zunächst in unverbundenen Hauptsätzen die Ereignisse »Kauf des Hauses« – »Verlust des Hauses« – »Bereitstellung einer Entschädigung« aneinander, bevor die Syntax der abschließenden anderthalb Verse unübersichtlicher wird: So hängt von potest der Infinitiv videri mit einem davon eingeleiteten NcI ab, und auch hier gibt es in der Schlusspointe erstmals im Gedicht ein Enjambement. Und tatsächlich findet sich eine derartige sprachlich-stilistische Hervorhebung der Schlusspointe in mehreren Epigrammen Martials.8 Es sieht so aus, als hätte auch Juvenal sich in der zitierten Passage um eine sprachlich-stilistische Unterscheidung des gedanklichen Ablaufs bis zur überraschenden Pointe bemüht – eine Technik, die er von Martial übernommen haben könnte. Eine weitere Stelle aus Juvenals dritter Satire, die zu unserem Verständnis der Auseinandersetzung Juvenals mit Martial beitragen kann, sind die Verse 131–136, wo die übermächtige Konkurrenz der Reichen beklagt wird, wenn es um Frauen geht: divitis hic servo cludit latus ingenuorum filius; alter enim quantum in legione tribuni accipiunt donat Calvinae vel Catienae, ut semel aut iterum super illam palpitet, at tu, cum tibi vestiti facies scorti placet, haeres et dubitas alta Chionen deducere sella.

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Hier steht der Sohn von Freigeborenen dem Sklaven eines Reichen unterstützend zur Seite. Der schenkt nämlich Calvina oder Catiena so viel, wie in einer Legion die Tribunen erhalten, um einmal oder auch noch einmal auf ihr zappeln zu dürfen. Du 8 Vgl. etwa zu Mart. 5.42: S. Lorenz: Wortschatz, Grammatik und literarische Interpretation: Zur Spracharbeit in der Lektürephase. In: R. Kussl (Hg.): Antike im Dialog, Speyer 2011 (Dialog Schule – Wissenschaft 45), 278–299, hier: 291 f.



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dagegen gerätst ins Stocken, wenn dir das Gesicht einer bekleideten Hure gefällt, und zögerst, Chione von ihrem hohen Stuhl wegzuführen.

Servus divitis dürfte eine abwertende Bezeichnung für einen Freigelassenen sein, der selbst zu Reichtum gelangt ist und daher Patron eines weniger begüterten Freigeborenen ist (Courtney 1980 ad loc.). Der Freigelassene gewinnt mit großen Geschenken römische Damen für sich, während der Freigeborene sich nicht einmal den Besuch bei einer Prostituierten wie der hier genannten Chione leisten kann. Auch diese Passage dürfte von Martial beeinflusst sein, und zwar von Epigramm 3.30, in dem das Verschwinden der sportula, der finanziellen Unterstützung für Klienten, beklagt wird. Sportula nulla datur; gratis conviva recumbis:     Dic mihi, quid Romae, Gargiliane, facis? Unde tibi togula est et fuscae pensio cellae?     Unde datur quadrans? Unde vir es Chiones? Cum ratione licet dicas te vivere summa,     quod vivis, nulla cum ratione facis.

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Die sportula wird nicht mehr ausgegeben. Umsonst kannst du nur noch als Gast am Gelage teilnehmen. Sag mir, Gargilianus, was machst du nun in Rom? Woher nimmst du deine Toga und die Miete für deine finstere Kammer? Woher kommt der Viertelas [der Eintritt für das Bad]? Womit bezahlst du es, Chiones Kerl zu sein? Auch wenn du sagst, dass du höchst vernünftig lebst: Dass du überhaupt lebst, ist vollkommen unvernünftig.

Die hier ausgedrückte Klage, dass es für die armen Klienten keinen vernünftigen Grund mehr gebe, überhaupt noch zu leben, ähnelt insgesamt dem Ton der dritten Satire, und so mag dieses Epigramm – ebenso wie weitere Epigramme Martials zum Thema – einen Einfluss auf Juvenals Gedicht gehabt haben (vgl. Highet 1951, 370 f.). Dass Juvenal zudem eine Figur Namens Chione auftreten lässt, welche sich der Arme nicht leisten kann, ist offenbar eine direkte Anspielung auf Martial.

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Für Anderson (1970, 12–18) liegt ein zentraler Unterschied zwischen Martial und Juvenal darin, dass die Juvenals Darstellungen immer nur ein Stück in einem umfassenden Kontext sind: Wir lesen eben vor der oben zitierten Passage über den Brand bei dem reichen Persicus, welches Schicksal der arme Cordus erleiden musste, und erst im Kontrast mit dieser bitteren Darstellung entfalteten die Verse über Persicus’ nur scheinbaren Verlust ihre volle Bedeutung. Tatsächlich sind Martials Epigramme aber ebenfalls keine bloßen Einzelgedichte, sondern sie formen ja auch ein großes Ganzes: das Epigrammbuch. So ist 3.30 eines der zahlreichen Epigramme in Buch 3, die sich mit der bejammernswerten Lage der Klienten befassen und somit aus verschiedenen Blickwinkeln ein vielschichtiges Bild des Patronats in Rom zeichnen.9 Die Tatsache, dass die Gedichte Martials ebenfalls ihren eigenen Kontext haben, wurde – soweit ich sehe – in Forschungsbeiträgen zu Martial und Juvenal bislang noch gar nicht beachtet. Da es immer wieder mehrere, häufig über das ganze Buch verteilte Epigramme zum selben Thema gibt – die Forschung spricht hier von Zyklen –, können die Leser der Epigrammbücher gar nicht anders, als sich ständig zu fragen, ob das jeweils nächste Gedicht ein bereits bekanntes Thema aufgreift oder ob es etwas ganz Neues bringt. Und Martial spielt mit dieser ständigen Erwartungshaltung seiner Leserschaft, wenn er teilweise Gedichte zum gleichen Thema nebeneinanderstellt, noch häufiger aber thematische Übergänge von einem Gedicht zum nächsten andeutet und somit gerade die Erwartung auf eine Fortsetzung des letzten Epigramms weckt, diese dann aber enttäuscht. Solche Übergänge – oder auch angetäuschten Übergänge – von einem Epigramm zum nächsten können ganz vielfältige Formen haben (vgl. Lorenz 2014, 60–64). 9 Vgl. E. Merli: Epigrammzyklen und ›serielle Lektüre‹ in den Büchern Martials. Überlegungen und Beispiele. In: F. Grewing (Hg.): Toto notus in orbe. Perspektiven der Martial-Interpretation, Stuttgart 1998 (Palingenesia 65), 139–156.



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Ich denke, dass auch bei der Lektüre der Satiren Juvenals solche Übergänge von Bedeutung sind und dass Juvenal für deren Gestaltung viel von Martial gelernt haben mag. So dürften sich auch Juvenals Leser bei der mitunter sehr raschen Abfolge der einzelnen Szenen immer wieder fragen, was wohl als nächstes kommen mag, und teilweise werden sie dabei auch auf eine falsche Fährte gelockt. Einen besonders abrupten Übergang gibt es von der eben zitierten Stelle über die Unfähigkeit des Römers, sich die Prostituierte Chione zu leisten, zu der folgenden Szene, in der es nun darum geht, dass Arme als Zeugen nicht ernst genommen werden (V. 137–146). Die Passage beginnt mit Umbricius’ Ausruf: Da testem Romae (»Benenne in Rom einen Zeugen«). In der Folge betont er, was für eine ehrwürdige Angelegenheit eine Zeugenaussage vor Gericht in Rom immer war, und beschreibt in einer ernüchternden Antiklimax, dass Zeugen tatsächlich nur dann ernst genommen werden, wenn sie wohlhabend sind. Der Wechsel aus der Umgebung eines Bordells zu einer Gerichtsverhandlung kommt überraschend, und zudem beginnt die Darstellung des Zeugenaufrufs ohne jede erklärende Überleitung. Auch wenn es sich bei testem dare um eine typische Wendung der Gerichtssprache handelt (Manzella 2011 ad loc.), frage ich mich, wie lange wohl ein Zeitgenosse Juvenals, der die Satire zum ersten Mal las oder hörte, gebraucht haben mag, bis ihm vollends klar war, worum es nun überhaupt geht. Somit ist der Vorschlag von Adkin (2004/05, 284–286), hier könne ein Wortspiel mit testiculi vorliegen, nicht abwegig. Testis ist ein in erotischen Kontexten durchaus gängiger Begriff, und da bei Juvenal ein erotischer Kontext unmittelbar vorausgeht, halte ich es für wahrscheinlich, dass etliche Leser an dieser Stelle zunächst glaubten, dass der erotische Kontext weiterhin besteht, und erst beim Weiterlesen den – ziemlich drastischen – Themenwechsel realisierten. Juvenal mag also nicht nur von Martials Themen, sondern auch von seiner epigrammatischen Technik der Aneinanderreihung verschiedener Themen

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und dem damit verbundenen Spiel mit den Lesererwartungen beeinflusst sein. Schließlich stellt sich die Frage, wie Juvenals Rezipienten auf die einzelnen Bezüge zu Martial reagiert haben dürften. Ob man die Auseinandersetzung mit dem Vorgänger überhaupt wahrnimmt, hängt natürlich nicht zuletzt davon ab, wie vertraut man mit Martials Dichtung ist. Eine Stelle, an der die Kenntnis des martialischen Prätextes unser Verständnis deutlich verändert, folgt kurz darauf ebenfalls in Satire 3. Zunächst bietet uns Umbricius eine allgemeine Aussage über die Armut (V. 152 f.): nil habet infelix paupertas durius in se quam quod ridiculos homines facit. Nichts Entwürdigenderes hat die unheilvolle Armut an sich, als dass sie die Menschen lächerlich macht.

Noch im selben Vers beginnt dann eine neue Szene, und diese setzt wieder ohne jede Überleitung ein (153–158):                       ‘exeat’, inquit, ‘si pudor est, et de pulvino surgat equestri, cuius res legi non sufficit, et sedeant hic lenonum pueri quocumque ex fornice nati, hic plaudat nitidus praeconis filius inter pinnirapi cultos iuvenes iuvenesque lanistae.’

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»Der soll rausgehen«, sagt jemand, »wenn er Anstand besitzt, und sich von dem Sitzplatz der Ritter erheben, dessen Besitz gemäß dem Gesetz nicht ausreicht. Und hier sollen die Knaben der Zuhälter sitzen, die aus irgendeinem Kellerbordell stammen, hier soll der herausgeputzte Sohn eines Auktionators zwischen den fein hergerichteten Jungs eines Gladiators und den Jungs eines Gladiatorentrainers Beifall klatschen.«

Die Aufforderung exeat platzt mit einem regelrechten Knalleffekt in die Erzählung hinein und trifft den Leser ebenso unvermittelt,



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wie den Armen, der mit diesen Worten hinausgeworfen wird. Allerdings ist es für Rezipienten, welche die Satire zum ersten Mal lesen oder hören, wieder nicht ganz einfach, zu verstehen, worum es überhaupt geht: Wer spricht hier wen an, und welcher Raum soll verlassen werden? Erst durch die Formulierung de pulvino surgat equestri dürfte so langsam deutlich werden, dass es um die gemäß der Lex Roscia Theatralis für Ritter reservierten Sitzreihen im Theater geht. Und von diesen Sitzplätzen wird der hier angesprochene Arme verwiesen, weil er anders als die neureichen Ritter von zweifelhafter Provenienz eben nicht das für die Zugehörigkeit zum Ritterstand notwendige Vermögen besitzt. Erst im Anschluss wird der Urheber dieses Gesetztes, der Tribun Lucius Roscius Otho (67 v. Chr.), namentlich genannt (V. 159): sic libitum vano, qui nos distinxit, Othoni. So gefiel es dieser Niete Otho, der die Unterscheidung zwischen uns vorgenommen hat.

Doch wer spricht hier in wörtlicher Rede? Die meisten Kommentatoren geben inquit mit »sagt jemand« wieder. Dagegen versteht Williams (1983) als Subjekt zu inquit (V. 153) konkret die unmittelbar zuvor genannte personifizierte Armut. Rezipienten, die mit Martials Epigrammen vertraut sind, dürften aber einen anderen Sprecher annehmen. Martial thematisiert die Erneuerung der aus der Zeit der Republik stammenden Lex Roscia durch Kaiser Domitian in einem Zyklus von acht Epigrammen seines fünften Buchs.10 Dort macht Martial sich einen Spaß daraus, auf unterschiedliche Weise zu beschreiben, wie »falsche« Ritter entlarvt und des Raums verwiesen werden. Dabei werden in den Epigrammen immer wieder die Saalordner Leitus und Oceanus genannt, welche die Aufgabe haben, Menschen, die nicht über das Vermögen eines Ritters 10 5.8, 14, 23, 25, 27, 35, 38, 41; außerdem: 3.95 und 6.9.

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verfügen, von den für Ritter reservierten Sitzplätzen zu vertreiben. Wer die Darstellung der kompromisslosen Saalordner bei Martial kennt, dürfte fast automatisch davon ausgehen, dass ein solcher auch die bei Juvenal wiedergegebene wörtliche Rede spricht. Juvenals Leser, die Martial gut kennen, dürften diese Stelle also anders verstehen und schneller erkennen, worum es hier geht, als diejenigen, die mit den Epigrammen nicht vertraut sind. Trotzdem nähert sich Martial dem Thema ganz anders als Juvenal. Dessen Figur Umbricius hat konsequent die Leiden der Armen im Blick. Martials Sprecher zeigt zwar auch punktuell Sympathie für diejenigen, welche von den Ritterbänken vertrieben werden, aber vor allem amüsiert er sich über die Aufdeckung »falscher« Ritter, die sich dort eingeschlichen haben. Ein Aspekt, der bei einem detaillierten Vergleich der beiden Dichter genauer untersucht werden müsste, wäre die Frage, ob Juvenal Martial an einigen Stellen gewissermaßen »korrigiert«. Immerhin spottet Martial oft über die Leute, deren Leid Juvenal anprangert. Oder sollen wir Juvenals Zorn vielleicht gar nicht so ernst nehmen und seine Proteste gegen das Leid der einfachen Bürger eher als unterhaltsame Vorführung dieser Menschen sehen? Dann wäre Juvenals Ansatz ganz ähnlich wie bei Martial. Auch wenn gerade die dritte Satire besonders viele thematische Berührungspunkte zu den Epigrammen Martials aufweist, sollten die anhand von Satire 3 beobachteten Merkmale der Auseinandersetzung Juvenals mit den Epigrammen für die Untersuchung der Intertextualität mit Martial in den übrigen Satiren relevant sein. Und es gibt natürlich noch weitere Aspekte des Verhältnisses Juvenals zu Martial, die ebenfalls einer genaueren Untersuchung bedürfen – wie etwa der Umstand, dass die frühen Satiren Juvenals deutlich mehr gemeinsame Themen mit Martial aufweisen als die späteren. Eine systematische Untersuchung der Funktion von Juvenals Auseinandersetzung mit Martial und die Diskussion der Frage, wie diese die Wahrnehmung der Rezipienten beeinflussen mag,



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könnte uns wohl noch einiges über Juvenals literarisches Konzept verraten. 3. Zur Interpretation der einzelnen Satiren Der Einfluss der Epigramme Martials mag also ein Grund dafür sein, mit welchem Tempo Juvenal seine kleinen Szenen aufeinander folgen lässt, sodass sich Darstellungen von Sittenverstößen mitunter unverbunden aneinanderreihen und dabei ein aufregendes Bild des Lebens in Rom entstehen lassen. Zudem finden sich ähnliche abrupte Themenwechsel auch schon bei Juvenals Vorgängern in der Gattung Verssatire, nicht zuletzt bei Horaz. In jedem Fall entspricht diese Darstellung der Haltung von Juvenals Sprecherpersona (vgl. S. 12 ff.), die vor allem in den früheren Satiren von ihrem Zorn angetrieben wird, was perfekt zu der rasanten und mitunter verwirrenden Abfolge von Einzelszenen passt. Wenn man die Referate der Forschungsbeiträge zu den einzelnen Satiren in Kißels (2013) Forschungsbericht liest, fällt auf, dass zu der Mehrheit der Gedichte kontroverse Diskussionen über ihre Struktur oder gar ihr zentrales Thema geführt werden. Man sollte sich davor hüten, die strukturellen Unklarheiten als Mangel der Satiren abzutun (vgl. das Urteil von Highet 1954, 170: »In this Juvenal is sometimes very good and sometimes very bad.«). Vielmehr stellt sich die Frage, ob Erklärungsversuche, die das Ziel verfolgen, für jede einzelne Satire eine in sich schlüssige und harmonische Struktur sichtbar zu machen, dem Werk Juvenals überhaupt gerecht werden. Vielleicht sind sprunghafte und widersprüchliche Gedankengänge, thematische Wechsel und strukturelle Unausgewogenheit gerade charakteristische Merkmale von Juvenals Dichtung, die nicht zuletzt dadurch ihren Reiz entwickelt, dass sie ihre Leserschaft verwirrt, aufregt und provoziert. Unter dieser Voraussetzung müssen auch die Unterschiede

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zwischen den einzelnen Satirenbüchern in den Blick genommen werden, vor allem die Veränderungen, die sich nach Meinung der meisten Gelehrten in den letzten beiden Büchern vollziehen. Bereits Ribbeck (1865, 16) sprach von einer »gewisse[n] Hinneigung zur Philosophie in der späteren Abtheilung unserer Sammlung, welche der früheren fremd ist«, und in der Tat spielen philosophische Themen in den Büchern 4 und 5 eine größere Rolle (für eine schlüssige Darstellung vgl. die Einführung zum Kommentar zu Buch 10 von Campana 2004, 13–46). Dort begegnen uns Gedanken aus verschiedenen Philosophenschulen, deren Lehren positiv dargestellt oder auch kritisiert werden (vgl. Bartsch 2012, 235–237). Insbesondere stehen nun neben den Darstellungen von Normverletzungen vermehrt Ausführungen zu positiv formulierten ethischen Grundwerten, deren Gültigkeit für die Gesellschaft gefordert werden. Den drastischsten Schluss aus dieser Veränderung zog Ribbeck (1865, 68 f.), der die späteren Satiren als »seichtes, halb altkluges, halb scurriles Geschwätz« sowie als »geschmack- und inhaltslose Pinselei« bezeichnete. Da er nicht annehmen wollte, dass es bei Juvenal zu einer »Gehirnerweichung« gekommen war, erklärte er die Satiren, 10, 12, 13, 14 und 15 kurzerhand für »unecht«. Anderson (1962, 145) lehnte diese These als »outrageous« ab und wies stattdessen auf die Möglichkeit verschiedener Sprecher-personae in Juvenals Werk hin (vgl. auch Braund 1988). Nach Anderson (1962, 155 f.) wende sich Juvenal mit Satire 10 von der ira, die insbesondere das erste Satirenbuch bestimmt hatte, ab und entwickle in Buch 4 eine Sprecher-persona, die als angenehmer Mensch auftrete, darin an Horaz erinnere und von einem Bestreben nach vernünftigen Handeln (ratio) angetrieben sei. So fungiere das am Anfang von Satire 10 erwähnte Lachen des Demokrit (V. 28–53) gewissermaßen als ein Motto für den humorvollen, aber milderen Umgang des Satirikers mit seiner Umwelt. Andere Gelehrte sahen in der Abkehr von Werten, wie sie in Rom doch hohes Ansehen besaßen – ins-



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besondere von dem Ideal der öffentlichen Karriere im Dienste der Heimat –, hingegen den Ausdruck von Pessimismus und nahmen gerade die zehnte Satire als düsteres Gedicht wahr (zusammenfassend Dick 1969, 237; Keane 2015, 121). Und für Uden (2014, 147– 169) ist Juvenals Sprecher in Satire 10 ein kynischer Philosoph. So kritisiere die Satire tatsächlich die im Rom seiner Zeit florierende kynische Philosophie. Dagegen hat Campana (2004, 13–37), ausgehend von der pessimistische Grundhaltung von Satire 10, gerade auf die Kontinuität zu den vorangehenden Satiren hingewiesen: Insbesondere komme die indignatio des Satirikers auch in den späteren Satiren noch zum Ausdruck. Tatsächlich stellt sich die Frage, ob bei allen (altersbedingten oder auch von Juvenal bewusst konstruierten) Veränderungen im Auftreten des satirischen Sprechers die Ähnlichkeiten zwischen den frühen und den späten Gedichten nicht sehr viel größer sind, als es häufig wahrgenommen wurde – ja, vielleicht sogar größer als die Unterschiede. Widersprüchliche Ausführungen sowie inhaltliche und strukturelle Unausgewogenheiten finden sich jedenfalls in sämtlichen Satiren Juvenals. Und selbst wenn der satirische Sprecher sich in einigen Aspekten verändert, ist es kaum nachvollziehbar, wie Juvenals zeitgenössische Leser darauf gekommen sein sollen, dass nun eine gänzlich andere Figur zu ihnen spricht. Dafür ist die Kontinuität gegenüber den vorangehenden Gedichten doch zu stark. Stattdessen ließen sich die zahlreichen Stellen in den Büchern 4 und 5, an denen Themen aus den früheren Satiren wieder aufgegriffen werden, auch so verstehen, dass es Juvenal in seinen späten Satiren darum ging, neue Darstellungsweisen zur Behandlung bekannter Inhalte zu entwickeln. Im Folgenden werden Angaben zum Inhalt der einzelnen Satiren gemacht, und punktuell werden Ansätze zur Interpretation der Gedichte skizziert.

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Einführung Buch 1 Erste Satire

Juvenals Programmsatire bietet zunächst eine kühne Begründung für das Verfassen von Satiren: Der Dichter möchte sich gegen die Flut von Gedichten über lebensferne mythologische Themen zur Wehr setzen und für die Qualen ausufernder Rezitationen Rache üben. Von Anfang an wird somit ein Gegensatz zwischen der Satire und den großen Gattungen, vor allem dem Epos, konstruiert, an das Juvenals Satiren immer wieder anklingen. Vor allem enthalten die Satiren, die wie das Epos im Versmaß des Hexameters verfasst sind, zahlreiche episch gefärbte Passagen, durch die entweder die lasterhaften Verhaltensweisen der Bewohner Roms oder der Kampf des Satirikers gegen das Laster auf komische Weise mit epischen Kriegs- und Heldentaten in Verbindung gebracht werden (s. o. S. 27). Die Entscheidung für die Gattung Satire in der Nachfolge von Lucilius und Horaz begründet Juvenal eben mit der Fülle der Laster, die im römischen Alltag beobachtet werden können (s. o. S. 24–28). In zahlreichen Beispielen für fehlerhafte Verhaltensweisen kommen auch Themen zur Sprache, die Juvenal in den folgenden Satiren vertiefen wird: Insbesondere der Geiz und die Schwelgerei der Patrone sowie die Nöte der Klienten, aber auch Betrug und Erbschleicherei, Sittenlosigkeit in Bezug auf die Sexualmoral, die Karrieren von Emporkömmlingen vor allem aus dem Osten des Reichs, die hohe Wertschätzung des Geldes gegenüber geistigen Werten oder althergebrachten Traditionen und überhaupt das Laster als dominierendes Merkmal der römischen Gesellschaft – all dies wird bereits in Satire 1 angesprochen und heftig kritisiert. Dabei stellt sich der Satiriker als ein von Zorn und Entrüstung (V. 79: indignatio) angetriebener Dichter vor. Schon jetzt wirken seine Ausführungen stellenweise sprunghaft und nicht immer in sich schlüssig (s. o. S. 39). Deutlich wird dies zum Beispiel am Ende



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der Satire, an dem Juvenal mit einem anonymen Gesprächspartner eine Debatte über die Gefahren der Satirendichtung gegen mächtige Zeitgenossen führt, ohne dass die Diskussion immer eine klaren Logik folgte: So erwähnt Juvenal als Beispiel für einen mächtigen Mann, der an seiner Satire keinen Anstoß nehmen würde, ausgerechnet den von Lucilius – also bereits vor ca. 200 Jahren – kritisierten Q. Mucius, und sein aktuelles Beispiel für einen gefährlichen Gegner ist der ebenfalls bereits tote Tigellinus (V. 154 f. – der hier aber mögliche gefährliche Feinde der Gegenwart repräsentieren mag; vgl. Bellandi 2016, 23 f.). Dabei enthält diese Satire tatsächlich vor allem Kritik an Zeitgenossen, und so kann man zweifeln, ob er seine abschließende Ankündigung, er werde keine lebenden Menschen kritisieren, wirklich in die Tat umsetzen wird. Zweite Satire Juvenals zweite Satire wurde oft als Angriff »gegen die homosexuellen Adligen« (so Adamietz 1993, 330) verstanden. Kategorien wie Homo- oder Heterosexualität lassen sich jedoch auf die römische Gesellschaft, in der offenbar viele freigeborene Männer sexuelle Kontakte mit Partnern beiderlei Geschlechts hatten, nur bedingt anwenden. Vor allem kann von einer grundsätzlichen Ablehnung mann-männlicher Beziehungen (zur Terminologie s. Obermayer 1998, 8 f.) keine Rede sein. Wohl aber werden in der römischen Literatur – und eben auch in Satire 2 – Männer attackiert, welche die Männern in der Gesellschaft zugewiesene Position nicht adäquat ausfüllen, sodass sie sich in den Augen der Öffentlichkeit erniedrigen (vgl. Braund 1996, 168–172). Die Aufgabe der üblichen Machtposition kann etwa in einem »weibischen« Auftreten in Kleidung und Gebaren liegen, weiterhin in der Einnahme des passiven Parts beim sexuellen Akt mit anderen Männern (diese Rolle wurde für gewöhnlich von Menschen aus niedrigem Stand, vor allem von

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Sklaven, übernommen) oder auch in der Akzeptanz öffentlicher Entehrungen wie etwa bei dem Auftritt des vornehmen Gracchus in der Arena, der hier als schlimmster Verstoß gegen die geltenden Normen gebrandmarkt wird (V. 143–148). Jedoch geht es in der zweiten Satire nicht allein um derartige Normverletzungen, sondern auch um die Scheinheiligkeit, mit der gerade die »passiven« Männer in der Öffentlichkeit für die Bewahrung der guten Sitten eintreten. Besonders die sich sittenstreng gebärenden Pseudo-Philosophen, die am Beginn der Satire angegriffen werden, bieten Anlass zur Auseinandersetzung mit einem Standartthema der Gattung Satire: dem Unterschied zwischen Schein und Sein (vgl. V. 8: frontis nulla fides – »Dem äußeren Anschein darf man kein Vertrauen schenken!«). Das Verhalten der Moralapostel, ruft dann eine weitere Kritikerin auf den Plan: Juvenal lässt eine Frau Namens Laronia auftreten (V. 38–63; dazu Braund 1995), welche die Angriffe des Sprechers fortsetzt und darauf hinweist, dass Frauen sich niemals zu einem derart unmoralischen Verhalten herablassen würden. Laronias Forderung, man solle bei Männern und Frauen nicht mit zweierlei Maß messen (V. 62 f.), wirkt ausgesprochen modern und hat in der Forschung viel Aufmerksamkeit erhalten. Doch Laronia wird selbst als Ehebrecherin vorgestellt, müsste also im moralisierenden Diskurs der Satire eine negativ bewertete Figur sein, setzt sich gegen scheinheilige Kritik aber mit einnehmender und geistreicher Ironie zur Wehr, und der Sprecher der Satire bezeichnet ihre Aussagen ausdrücklich als richtig (V. 65). Zudem erinnert Laronias Argumentationsweise sogar an die des Sprechers (vgl. etwa den Dialog den beide mit einem sich weiblich gebärenden Mann führen; V. 38–42 und 69–78), wobei sie allerdings rationaler und weniger unkontrolliert wirkt als dieser (Braund 1995, 213 f.). Wir haben hier eine Stelle vor uns, an der das Auftreten verschiedener Sprecher für eine so große Offenheit sorgt, dass es den Rezipienten schwer gemacht wird, sich mit einer dieser Personen zu identifizieren.



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Sollen wir uns hier also der Meinung von Juvenals Sprecher anschließen? Die von ihm geäußerten Kritikpunkte werden zwar allgemeine Zustimmung gefunden haben. Aber die Art, in der er seine Angriffe vorbringt, wirkt teilweise überzogen. Insbesondere sein Wunsch, aufgrund der scheinheiligen Sittenwächter das Reich zu verlassen, kann kaum nachvollzogen werden und würde ohnehin keinen Vorteil bringen, wie das Ende der Satire lehrt: Dort heißt es nämlich, durch die Romanisierung seien andere Völker von der Verweichlichung und der Neigung zur passiven Sexualität angesteckt worden. Das ist in seiner Übertreibung absurd, zumal gerade die Völker im Osten, die hier genannt werden für die Römer als Musterbeispiele einer unmännlichen Lebensweise galten. Die zeitgenössischen Leser Juvenals werden über die verzerrte und übersteigerte Darstellung sittenstreng auftretender Normverletzer gelacht und dabei sogar akzeptiert haben, dass auch eine Ehebrecherin gegen verkommene Sitten zu Felde zieht. Gleichzeitig ist aber der satirische Sprecher mit seiner unkontrollierten indignatio ebenfalls eine Figur, über die man bei der Lektüre der Satire lachen kann. Dritte Satire Die dritte Satire, das längste Gedicht und das Mittelstück von Buch 1, greift Inhalte der beiden vorangehenden Satiren auf und vertieft sie. Unannehmlichkeiten des Stadtlebens – vor allem Unzufriedenheit mit dem sozialen Gefälle in Rom – spielten bereits in der ersten Satire eine Rolle, und mit der entrüsteten Darstellung des allgemeinen moralisch-kulturellen Niedergangs in Rom bietet Satire 3 eine Ergänzung zum vorangehenden Gedicht (Anderson 1957, 56). Auch in formaler Hinsicht wird ein Anschluss an Satire 2 vollzogen: Nachdem dort die über das Gebaren unmännlicher Männer erzürnte Laronia zu Wort gekommen ist (2.36–63),

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spricht nun fast in der gesamten dritten Satire eine andere Person: Juvenals satirischer Sprecher stellt zunächst die Situation dar (V. 1–20), worauf Umbricius, ein Freund des Satirikers, auftritt und im Rest des Gedichts seinen Entschluss, Rom zu verlassen, detailliert begründet (V. 21–322). Es ist also nicht etwa der Satiriker selbst, der auswandern möchte, obwohl er in der zweiten Satire doch den Wunsch nach einer Flucht aus Rom geäußert hatte (2.1 f.). Dass die Ausführungen des Umbricius dennoch sowohl in ihrem Inhalt als auch in der Diktion dem nahe stehen, was wir aus den ersten beiden Satiren von Juvenals Sprecher zu hören bekommen haben, ist deutlich. Zudem werden auch zu Beginn – also noch vor der Rede des Umbricius – Themen angesprochen, die Umbricius dann vertiefend behandeln wird (Brände, einstürzende Häuser, Armut), und auch die Beschreibung eines gemeinsamen Spaziergangs der beiden Freunde zur Grotte der Egeria (V. 12–20) nimmt zentrale Gedanken des Umbricius vorweg: vor allem die Feststellung, dass »früher alles besser war«, in Verbindung mit der Klage über den Verlust alter römischer Werte und Traditionen, über die Präsenz fremder Völker in Rom sowie über den Triumph materieller über ideelle Werte. Vieles, was Umbricius als unerträglich empfindet – etwa die Anstrengungen und Gefahren der Großstadt (gerade im Vergleich mit einem idealisierten Landleben), weiterhin die große Zahl an Zugereisten, vor allem Griechen, und nicht zuletzt soziale Ungleichheit sowie die Diskriminierung der Armen – werden sicher nicht wenige von Juvenals zeitgenössischen stadtrömischen Lesern ähnlich bewertet haben. Und doch bietet auch diese Satire ihren Lesern keine eindeutigen Aussagen dazu, welche Meinungen berechtigt und welche fehlgeleitet sind, denn wieder kommen Zweifel auf, wie ernst wir den hier auftretenden Sprecher überhaupt nehmen sollen. So wirkt bereits die Vorstellung irritierend, dass ein Römer die Stadt Rom, die sich doch als der Nabel der Welt verstand, für immer verlassen will. Dass der entschiedene Griechenhasser Um-



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bricius (vgl. V. 58–125) zudem ausgerechnet in die kampanische Stadt Cumae auswandern möchte, die auf die älteste griechische Kolonie in Italien zurückgeht, ist zumindest bemerkenswert (vgl. Grazzini 2016, 154). Auch die Stichhaltigkeit von Umbricius’ Klagen, der behauptet, dass er sich das teure Leben in Rom nicht mehr leisten könne, und nun zum möglicherweise gar nicht so viel preiswerteren Golf von Neapel auswandert, wurde in Zweifel gezogen (Armstrong 2012, 68 f.). Insgesamt bleibt die Glaubhaftigkeit des Umbricius in der Forschung umstritten (vgl. die knappe Zusammenfassung bei Bellandi 2009, 503 f.). Mit ihren Klagen über Lärm, Stress und Gefahren der Großstadt, mit ihrer Darstellung sozialer Unterschiede und ihrer ungehemmten Fremdenfeindlichkeit wirkt Juvenals dritte Satire dennoch auch heute sehr aktuell (und hat über die Jahrhunderte ein umfassendes Nachleben erfahren; vgl. S. 95). Betrachtet man etwa die Verse 278–301, in denen es darum geht, wie ein Armer nachts von einem betrunkenen Gewalttäter beschimpft und zusammengeschlagen wird, meint man, eine Szene aus dem Großstadtleben des 21. Jahrhunderts vor sich zu haben. Tatsächlich handelt es sich jedoch nicht etwa um die ungefilterte, realistische Darstellung des Alltags, sondern um ausgefeilte und vor allem anspielungsreiche Dichtung. Gerade die zuletzt genannte Szene wurde als Auseinandersetzung mit den Traditionen satirischen Sprechens in der lateinischen Literatur interpretiert (Moodie 2012) oder auch als Anspielung auf epische Kampfesdarstellungen (Baines 2003). Überhaupt spielen antike Epen als Prätexte für Juvenals dritte Satire eine besonders große Rolle (vgl. auch S. 27): So wird Umbricius’ Flucht aus Rom mit Homers und Vergils Darstellung von der Einnahme Trojas durch die Griechen und der Flucht des trojanischen Helden Aeneas in Verbindung gebracht (Estévez 1996; Staley 2000). Dass Aeneas nach seinen Irrfahrten in Cumae landete (vgl. Galinsky 2009, 83–85; zuletzt Harrison 2016), stellt ebenfalls eine Verbindung zur Aeneis her. Zudem vergleicht Umbricius selbst seine

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Flucht mit der des Daedalus von der Insel Kreta, denn auch Daedalus soll nach seinem Flug und dem Verlust seines Sohnes Ikarus in Cumae gelandet sein. Die intertextuellen Bezüge der dritten Satire sind vielschichtig und tragen nicht unerheblich zur komplexen Struktur des Textes bei (vgl. dazu auch Mülke 2009). Wie schon in der zweiten Satire (2.149–158) wird auch in den Ausführungen des Umbricius ein Blick in die Unterwelt geworfen: Ein armer Römer, der von der Ladung eines Fuhrwerks zermalmt wurde, konnte nicht bestattet werden, und nun bleibt ihm auch der Eintritt in die Unterwelt verwehrt (V. 265–267). Umbricius selbst kommt der Unterwelt hingegen sehr nahe, wenn er nach Cumae auswandert, wo sich nach antiker Vorstellung ein Zugang zum Totenreich befand. Auch sein Name, der an umbra (»Schatten«) denken lässt, deutet auf eine Beziehung zum Schattenreich hin. Ohnehin ist er vor allem am Beginn des Gedichts – sein Name wird in den ersten 20 Versen nicht genannt – eine schwer greifbare, schattenhafte Figur (Braund 1996, 234: »Mr. Shady«; zu möglichen weiteren Implikationen des Namens s. Nice 2003). In seiner Verklärung vergangener Zeiten mag er zudem den Schatten eines früheren Roms verkörpern, das es längst nicht mehr gibt (Motto/ Clark 1965, 275 f.). Vierte Satire In Satire 4 wirft Juvenal einen Blick hinter die verschlossenen Türen des Palastes des früheren Kaisers T. Flavius Domitianus. Damit setzt er seinen Angriff gegen den als unmoralisch beschriebenen selbsternannten Sittenwächter Domitian aus der zweiten Satire fort (2.29–33) und führt dieses Thema weiter aus. Vieles, was Juvenal hier über den im Jahr 96 n. Chr. ermordeten Princeps schreibt, entspricht dem Bild eines grausamen Tyrannen, das auch in weiteren zeitgenössische Quellen, vor allem den Schriften von Plinius und



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Tacitus, gezeichnet wird: Domitian, der für jede Art von Schmeichelei sehr empfänglich ist, wird als scheinheiliger Moralist dargestellt, der selbst zu Verschwendung und Schwelgerei neigt und seine Grausamkeit ungebremst auslebt. Anders als in den ersten drei Satiren lässt der Satiriker keine Zweifel an der Berechtigung der Attacken, die sein satirischer Sprecher gegen den letzten Flavier vorbringt, aufkommen – die Angriffe werden ohne jeden inneren Widerspruch vorgetragen und wirken in sich vollkommen schlüssig. Ob dies ein Hinweis darauf ist, dass Juvenal mit dieser Satire eine persönliche Abrechnung mit Domitian vornehmen wollte – etwa, weil er von ihm verbannt wurde –, muss im Unklaren bleiben (vgl. S. 21). Bevor wir Einblicke in die Abläufe bei Hofe erhalten, lässt Juvenal zunächst wieder den aus Ägypten stammenden mit seinem Reichtum protzenden Emporkömmling Crispinus auftreten, der bereits in Satire 1 vorkam (V. 27; S. 25 f.). Dass die Angriffe gegen Crispinus (wegen Ehebruchs, unter anderem mit einer Vestalin, was diese das Leben kostet, außerdem für Verschwendungssucht und Eigennutz) und die folgende Darstellung von Domitians Kronrat nebeneinanderstehen und der Übergang von dem Crispinus-Teil zu den Versen über Domitian abrupt wirkt, hat in der Forschung für Irritation gesorgt. So wurde die These vorgebracht, Juvenal habe zunächst den zweiten Teil der Satire verfasst und diesem die mit Crispinus befassten Verse 1–33 erst bei der Publikation vorangestellt (vgl. Friedlaender 1895, 234; Santorelli 2012, 9). Dies ist ebenso schwer zu beweisen wie zu widerlegen und löst das Problem des abrupten Übergangs von V. 33 zu 34 ohnehin nur bedingt. Die meisten Gelehrten versuchen dagegen, die Einheit des Gedichts zu erweisen (vgl. zusammenfassend Kißel 2013, 251–255). Sie heben hervor, wie die Verse über Crispinus auf die Darstellung Domitians vorbereiten – ein Umstand, der sich allerdings erst dann erschließt, wenn man die gesamte Satire gelesen hat (vgl. Braund 1996, 270 f.): So gönnt sich Crispinus wie dann auch Domitian den

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Luxus eines außergewöhnlichen Fischgerichts. Außerdem sorgen die Erwähnung der Protektion des Crispinus, der von Domitians Gesetzgebung gegen verschwenderischen Luxus nicht belangt wird (vgl. V. 12: iudex morum), und vor allem die Hinweise auf die Karriere des Freigelassenen, der es bis an den kaiserlichen Hof geschafft hat, für eine Überleitung zum eigentlichen Thema der Satire (V. 28–33). Zuletzt hat Flores Militello (2016, 348 f. und passim) herausgearbeitet, wie Crispinus im Kontext des gesamten ersten Satirenbuchs gewissermaßen als Bindeglied zwischen der satirischen Kritik an dem anstößigen Verhalten der römischen Bevölkerung und den Angriffen gegen Domitian fungiere. Die vernichtende Darstellung des Crispinus bereite somit nicht nur die Beschreibung Domitians vor, sondern sorge auch für den überraschenden Effekt, dass es in der Umgebung des letzten Flaviers noch viel schlimmere Charaktere gebe als Crispinus – und dass Domitian selbst natürlich nochmals viel schlimmer sei (zum Übergang zwischen den beiden Teilen s. außerdem Fögen 2009, 170 f.). Der Wechsel vom ersten zum zweiten Teil geht mit einem veränderten Erzählton einher, was vor allem damit zusammenhängt, dass nun das Epos als Prätext eine besondere Rolle übernimmt (vgl. oben S. 27). Zahlreiche offensichtliche Merkmale dieser Gattung bringt Juvenal in komischer Verzerrung in seine satirische Darstellung ein: die Anrufung der epischen Muse Kalliope (V. 34–36), etliche epische Umschreibungen (zum Beispiel die Angabe der Jahreszeit in V. 56–59) oder den Aufmarsch der Mitglieder von Domitians Kronrat (unter ihnen ist wiederum Crispinus) in Form eines Katalogs, der an epische Darstellungen erinnert (V. 76–118). Das zentrale Vorbild dürfte ein panegyrisches Epos des Statius über die militärischen Leistungen Domitians gewesen sein, für das der Juvenalscholiast den Titel De bello Germanico angibt und aus dem er ein kurzes Fragment mit der Darstellung eines Kronrats zitiert (dazu Santorelli 2012, 9–13). Nicht nur durch die immer wieder eingestreuten bissigen Kommentare des Satirikers (zum Beispiel



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V. 114), sondern vor allem durch die Auseinandersetzung mit der hohen Literaturform wird den Lesern überdeutlich vor Augen geführt, wie belanglos der hier dargestellte Inhalt ist: Anders als bei Statius geht es nun nicht um die bedeutenden militärischen Entscheidungen des Princeps, sondern die kaiserlichen Berater diskutieren über einen ungewöhnlich großen Fisch, der dem Kaiser überreicht wird, für den sich aber kein passendes Kochgeschirr findet. Überhaupt präsentieren die Mitglieder dieses Kronrats ein auf beängstigende Weise komisch wirkendes Nebeneinander von Brutalität und Banalität. Wie gesagt entspricht diese Darstellung weiteren Quellen, die nach der Ermordung Domitians verfasst wurden. Was uns Juvenal im Gegensatz zu Plinius, Tacitus und anderen Zeitgenossen nicht bietet, sind hingegen Preisungen der Nachfolger des letzten Flaviers Nerva und vor allem Trajan. So ist denkbar, dass der als optimus princeps betitelte Trajan ebenfalls zwischen den Zeilen der Satire präsent ist (falls die Satire denn während seiner Herrschaft entstand). Ausgehend von den Ergebnissen von Walters, der in der Organisation von Trajans Regierung eine starke Kontinuität gegenüber der Herrschaft Domitians erkennt,11 liest Santorelli (2012, 24–28; vgl. dazu auch Bellandi 2016, 7) die Satire als einen Hinweis darauf, dass sich unter Trajan gegenüber Domitian gar nicht so viel geändert hat – und tatsächlich dürften selbst einige von Domitians Beratern auch weiterhin in Amt und Würden gewesen sein. Juvenals Darstellung muss dennoch nicht als Kritik an dem neuen Herrscher interpretiert werden. Vielmehr könnte die vierte Satire auch das Ziel verfolgen, den aktuellen Herrscher zu einem Regierungsstil zu animieren, der möglichst weit vom dem fehlgeleiteten Egoismus, wie er dem letzten Flavier zugeschrieben wird, entfernt ist. 11 K. H. Waters: Traianus domitiani continuator. In: American Journal of Philology 90, 1969, 385–405.

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Einführung Fünfte Satire

Das gemeinsame Essen spielte nicht nur für das gesellschaftliche Leben in Rom eine zentrale Rolle, sondern es ist auch ein verbreitetes Thema der Literatur. Unter anderem wird im Zusammenhang mit Banketten der Umgang zwischen unterschiedlichen sozialen Schichten thematisiert (vgl. Stein-Hölkeskamp 2002, 466 f. zu Plin. Ep. 2.6): Mit einer großzügigen cena konnte ein wohlhabender Römer sein Engagement für seine Mitmenschen – insbesondere die ihm verpflichteten Klienten – beweisen. Gleichzeitig konnten üppige Gelage den Gastgebern auch als Statussymbole dienen, wenn durch Tafelluxus der eigene Reichtum zur Schau gestellt wurde. Essen und Trinken sind ein Standardthema der römischen Satire (Gowers 1993), und gerade in der von satirischen Themen geprägten Literatur – hier ist neben Juvenal vor allem an Martial zu denken (vgl. oben S. 28 ff.; zum Vergleich s. auch Santorelli 2013, 19–25) – ist zudem immer wieder die Rede von cenae, bei denen die Teilnehmer aus unterschiedlichen Schichten auch unterschiedliche Speisen vorgesetzt bekommen. Insbesondere gibt es mehrere Texte, in denen der wohlhabende Gastgeber besser speist als seine armen Klienten. Ein solches Verhalten, wie es auch Juvenals Gastgeber Virro gegenüber seinem Gast Trebius zeigt, wurde als schwerer Verstoß gegen den korrekten Umgang zwischen Patronen und Klienten bewertet, die einander doch als amici bezeichneten. Auch wenn die Idee, dass das Patronat eine amcitia sei, mit unseren Vorstellungen von Freundschaft nicht deckungsgleich ist, gab es doch einen Verhaltenskodex, der Demütigungen, wie sie der Klient in Juvenals fünfter Satire ertragen muss, ausschloss. Nicht zufällig endet die Satire mit der Wendung dignus amico (»eines Freundes würdig«) und bietet somit eine pointierte Anklage gegen die unwürdigen Abläufe bei dem hier dargestellten Gastmahl. Wie unterschiedlich der reiche Gastgeber und die armen Gäste bedient werden, zeigt Juvenal in seiner fünften Satire dadurch,



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dass er jede Speise, welche dem Hausherrn Virro serviert wird, mit dem kontrastiert, was der Klient Trebius und die übrigen Gäste erhalten – und damit ist Satire 5 wohl das am klarsten strukturierte Gedicht Juvenals. Angefangen mit den Weinen und dem Wasser, das dazu gereicht wird, erhält Virro nur erlesenste Qualität, während Trebius’ Speisen in einer Weise beschrieben werden, dass sie beim Leser Ekel hervorrufen. Anders als etwa in der elften Satire, in der gerade ein einfaches Mahl positiv bewertet wird, kommt in Satire 5 kein Zweifel daran auf, dass Virros luxuriöse Speisen erstrebenswerter sind als die des Trebius (dazu Stein-Hölkeskamp 2002, 478–481). Und auch das Ambiente, in dem Virro diniert, ist ein anderes als bei den armen Gästen: Während dem Hausherrn von attraktiven und somit sicherlich sehr teuren Sklaven exklusives Geschirr gereicht wird, erhält Trebius seinen angeschlagenen Becher von einem unansehnlichen und zudem wenig aufmerksamen Sklaven. Zudem hat die Dienerschaft auch den Auftrag, dafür zu sorgen, dass Trebius sich nicht doch einmal an den Speisen des Herren bedient, und ihn gegebenenfalls drastisch zurechtzuweisen (V. 74 f.). Die durchgehende Kontrastierung der »parallel menus« bestimmt somit die antithetische Struktur des Gedichts. Zudem werden Virro auch Speisen vorgesetzt, zu denen es auf Trebius’ Seite keine Entsprechung gibt, also wird Trebius bei einigen Gerichten offenbar einfach übergangen (Braund 1996, 306–308). Der Höhepunkt – oder eher: Tiefpunkt – von Trebius’ Mahl sind die Äpfel, die als Nachtisch gereicht werden, und deren Verzehr Trebius auf eine Stufe stellt mit dressierten Affen, die alberne Vorführungen bieten (V. 153–155). Juvenals satirischer Sprecher wendet sich in dem Gedicht überwiegend an Trebius, den er von seinem entwürdigenden Leben als Parasit an Virros Tafel abzubringen versucht (Santorelli 2013, 3–5). Dabei verwendet er zu Beginn der Satire eine Sprache, die an philosophische Diskurse denken lässt: Das Streben des Parasiten nach einer Essenseinladung wird als propositum (»Vorhaben«) bzw. bona

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summa (»höchstes Gut«) bezeichnet und dem ein kynisch geprägtes Dasein als Bettler, der allein vom »Hundebrot« lebt, gegenübergestellt (V. 1–11). Wenn das erbärmliche Bettlerdasein als ein Leben dargestellt wird, welches im Vergleich zu Trebius’ entwürdigendem Streben nach den Resten von Virros Tafel geradezu erstrebenswert sei, zeigt dies, wie sehr sich Trebius erniedrigen lässt (hingegen ist wohl kaum anzunehmen, dass Juvenals Sprecher als kynischer Philosoph auftritt, wie Nadeau 2013, 29 vorgeschlagen hat). Am Schluss des Gedichts greift der Satiriker diesen Gedanken auf, indem er Trebius vorwirft, seine Freiheit – die er als römischer Bürger doch besitzt – aufzugeben (V. 161–173). Braund (1996, 308) hat darauf hingewiesen, dass Juvenals Sprecher tatsächlich nicht nur das Verhalten des Patrons anklagt, sondern auch das des Klienten, der sich ja freiwillig in diese Rolle begibt. Somit erkennt sie eine Entwicklung der Sprecher-persona, die in Satire 1 noch eindeutig auf der Seite der Klienten stand – ja, zu diesen offenbar dazugehörte – und in Satire 3 mit Umbricius sympathisierte, der sich gegen die Konkurrenz durch griechische Klienten nicht behaupten konnte. Hier ist nun eine deutliche Distanz zu Trebius sichtbar, mit dessen Lebensumständen Juvenals Sprecher offenbar nichts zu tun hat. Es ist jedoch nicht nur eine immer stärkere Kritik am unterwürfigen Betragen des Klienten zu spüren, sondern auch die Angriffe gegen den Patron Virro übertreffen die Attacken gegen geizige Patrone in den vorangehenden Satiren deutlich. Dies lässt sich zum Beispiel an der Stelle erkennen, an welcher der Sprecher Virro direkt zu einem anständigen Umgang beim Essen auffordert – nicht etwa zu einer Gleichbehandlung von Gastgeber und Gästen, denn das kann man von Virro wohl ohnehin nicht erwarten (V. 107–117). Noch deutlicher wird die Kritik an dem Patron am Ende der Satire, wenn es heißt, dass Virro sich mit voller Absicht so verhält und sich von der Demütigung der Klienten offenbar bestens unterhalten fühlt. Die Satire steigert das in Buch 1 immer wieder präsente Thema »Missstände im Patronat«



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sowohl in Hinblick auf die Darstellung des erbärmlichen Klienten als auch auf die des bösartigen Patrons. Ein Patron namens Virro wird uns in der neunten Satire wiederbegegnen und dort einen armseligen Klienten namens Naevolus vor allem sexuell ausbeuten (zum Verglich zwischen Naevolus und Trebius sowie Umbricius s. Santorelli 2013, 15–19). Auch in Satire 5 gibt es mindestens zwei Stellen, die sexuelle Übergriffe des Patrons vermuten lassen (vgl. zu V. 141–145 und 171–173). Allerdings scheint hier Virro den aktiven Part einzunehmen, während er in Satire 9 als passiver Homosexueller dargestellt wird, der den von ihm abhängigen Klienten dazu zwingt, ihn zu penetrieren. Die Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Satiren (vgl. Hopman 2003, 570–573, Bellandi 2009, 484) weisen darauf hin, dass Juvenal unter dem Namen Virro verschiedene negative Eigenschaften eines schlechten Patrons subsummiert. Dabei ging es Juvenal aber offenbar nicht um die Zeichnung eines kohärenten Bildes dieser Figur, sondern er ließ den bereits als bösartigen Patron etablierten Virro in Satire 9 wieder auftreten, dort aber mit teilweise neuen Charakterzügen. Buch 2 Sechste Satire Am Ende der sechsten Satire behauptet der satirische Sprecher mit deutlicher Ironie, seine Beispiele für das üble Fehlverhalten der römischen Frauen seien nichts weiter als eine Erfindung – ebenso wie die Inhalte der Gattung Tragödie, zu denen das Berichtete tatsächlich viel besser passe als in eine Satire (V. 634–638). Er will offenbar sagen, dass seine Darstellung die grausame Wahrheit nicht abzubilden vermag, dazu sei allein die Tragödie in der Lage. Auf diese Weise wird eine Verbindung zwischen den dargestellten Frauen und den verbrecherischen Frauen der Tragödie wie der Gattenmörderin

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Klytaimnestra oder der Hexe und Kindermörderin Medea geschaffen. Die Satire hat sich also nicht etwa auf das Gebiet der Tragödie vorgewagt, sondern die in der Tragödie vorgeführten Gräueltaten sind so real, dass die Tragödie die Rolle der im Alltag verankerten (s. o. S. 27 f.) gesellschaftskritischen Satire übernehmen soll. Der Vergleich mit den tragischen Übeltäterinnen bildet den abschließenden Höhepunkt einer schier endlos wirkenden Reihe von Anschuldigungen gegen Frauen – von Anschuldigungen, die letztlich so lang ausfallen, dass diese Satire gar auf die Länge eines ganzen Buchs anschwillt und somit ihr selbst proklamiertes Ziel, Männer vom Heiraten abzuhalten, besonders nachdrücklich verfolgt. Dabei macht es Juvenals sechste Satire den Leserinnen und Lesern des 21. Jahrhunderts besonders schwer, einen unmittelbaren Zugang zu ihrer Gedankenwelt zu finden. Selbst frauenfeindliche Klischees, wie sie heute insbesondere in der Unterhaltungskultur allgegenwärtig sind, können nicht einmal ansatzweise mit der Drastik von Juvenals Anschuldigungen mithalten. Und doch sollte bei allem Unbehagen angesichts dieser Thematik klar sein, dass es in der Literatur – vor allem in der Literatur der Antike – zahlreiche Beispiele für derartige Aussagen gibt (vgl. die ausführliche Übersicht bei Watson/Watson 2014, 26–35). Oder, wie Smith (2005, 116) es ausdrückt: »[I]f criticism of women and marriage is a character flaw, it is a peculiarly common one, shared by many who write on the topic of the prospect of marriage.« Der Erwähnung der Tragödie am Ende der Satire steht ein Beginn gegenüber, der – wie so häufig bei Juvenal – primär von epischen Prätexten geprägt sein dürfte: eine Beschreibung der Weltzeitalter, wie sie vor allem in der epischen und auch didaktischen Dichtung vorkommen; insbesondere dürften Juvenals zeitgenössische Leser an die Darstellung in Ovids Metamorphosen gedacht haben (1.89–150). Die Idee eines moralischen Niedergangs von einer von Anspruchslosigkeit und Frieden geprägten aurea aetas bis hin zum Eisernen Zeitalter, in dem die Menschen zur Bewahrung und



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Mehrung ihres Besitzstandes zu den Waffen greifen, bietet einen passenden Einstieg in ein Gedicht, dessen zentrale Themen Sittenlosigkeit und Luxusstreben sind. Doch mit der Darstellung immer drastischerer Vergehen von Frauen bis hin zur Ermordung ihrer Ehemänner und Kinder wird schließlich die Tragödie zum geeigneteren Prätext erklärt (zu Verbindungen zwischen dem Prolog und dem Schluss der Satire vgl. zudem Watson/Watson 2014, 11–13). Dabei wirft bereits der Beginn der Satire mit seiner Beschreibung einer glücklichen Familie des Goldenen Zeitalters (V. 1–10) weitere Fragen auf: Die Darstellung der an weibliche Säugetiere erinnernden Frau, die »oft noch garstiger« gewesen sei »als ihr Gatte, der nach dem Verzehr von Eicheln rülpste« (V. 10: saepe horridior glandem ructante marito), wirkt kaum wie ein Ideal, das sich Juvenals Leser als Gegensatz zu den unanständigen Frauen der Gegenwart zum Vorbild nehmen könnten, sondern ist eine von vielen komischen Darstellungen, die das Gedicht prägen. So stellt sich die für Juvenals Satiren wichtige Frage, inwieweit wir die Ausführungen des Sprechers ernstnehmen sollen, für die sechste Satire im Besonderen. Bringt Juvenal mit seiner Kritik an Frauen also ein ernsthaftes moralkritisches Anliegen vor (vgl. etwa Courtney 1980 253, der hier Juvenals »genuine personal misogyny« zu erkennen meint) oder lässt er einen satirischen Sprecher auftreten, dessen übersteigerte Aussagen mitunter gewollt absurde Züge annehmen? In letzterem Fall könnten die Leser über diese Figur möglicherweise noch mehr lachen als über die Frauen, die der Sprecher durch die Überzeichnung ihrer Fehltritte der Lächerlichkeit preisgeben will. Verstärkt wird dieser Eindruck dadurch, dass der Sprecher den Verfehlungen der angegriffenen Frauen vollkommen hilflos gegenüber zu stehen scheint (vgl. Plaza 2006, 133–135). Tatsächlich hat die Erklärung der Satire mittels der sogenannten persona-Theorie (vgl. S. 12 ff.) einiges für sich. Insbesondere die strukturelle Unklarheit, die Sprunghaftigkeit und Widersprüchlichkeit der Argumentation oder auch die Unausgewogenheit in der

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Gewichtung der einzelnen inhaltlichen Punkte (zu diesen »Mängeln« und ihrer Bewertung in der Forschung s. Watson/Watson 2014, 8–11) lassen sich zumindest teilweise dadurch erklären, dass hier ein Sprecher auftritt, der unkontrollierte Tiraden gegen die von ihm persönlich zutiefst verachteten Frauen loslässt und dabei allzu oft vom Weg einer geordneten Argumentation abkommt (vgl. dazu S. 16 ff.). Gleichzeitig muss man davon ausgehen, dass vieles von dem, was Juvenals Sprecher über Frauen sagt, in der männlich dominierten römischen Gesellschaft durchaus konsensfähig war. Immerhin war die Vorstellung, dass Frauen ihre Gefühle nicht im Griff haben und deshalb der Kontrolle durch den Vater oder Ehemann bedürfen (dies war auch die Grundlage für die rechtliche Stellung der Frau), weit verbreitet und wurde sogar medizinisch begründet. Es dürfte somit gerade zum Reiz der Satire beitragen, dass hier Dinge, die – bei aller gattungstypischen Überzeichnung – von etlichen Lesern als sinnvoll bewertet wurden, neben vollkommen überzogenen Gedanken stehen. Wir haben also einen mitunter lächerlich wirkenden Sprecher vor uns, der in seinen unkontrollierten Ausbrüchen aber auch immer wieder etwas sagt, was römische Männer – und vielleicht auch Frauen, die ja ebenfalls von ihrer Gesellschaft geprägt waren (Gold 1994, 99; vgl. Plaza 2006, 129 f.) – ganz ähnlich gesehen haben dürften (vgl. S. 19). Zudem sorgt die mitunter ungeordnet wirkende Darstellung dafür, dass sogar das vorrangige Thema der Satire umstritten ist: Ist es eine Satire, die sich im Allgemeinen gegen Frauen richtet, oder geht es vor allem darum, die Männer vom Fehler der Heirat zu bewahren? Auch wenn die Aufforderung, sich von der Ehe fernzuhalten, mehrfach explizit geäußert wird und zahlreiche Szenen deutlich machen sollen, welche Schrecken das Eheleben mit sich bringen kann (vgl. Braund 1992), dürfte Juvenal hier doch eher eine allgemeine Tradition literarischer Texte über die Fehler von Frauen fortsetzen. Auch die Einschränkung, die Satire wende »sich nicht gegen die Frauen schlechthin, sondern die Damen der römi-



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schen Gesellschaft« (Adamietz 1993, 467), ist nicht ganz zutreffend, wird doch gerade der Eindruck erweckt, dass keine Frau den Verlockungen, die sich ihr bieten, widerstehen könne (zum Beispiel V. 55–59; 349–351). Angesichts der Tatsache, dass Juvenals Satiren primär mit den Lastern der Oberschicht befasst sind (vgl. Ferguson 1979, 185 f.), ist die Feststellung, dass auch in der sechsten Satire Frauen der Oberschicht die Hauptrolle spielen, ohnehin kein besonders bemerkenswerter Befund. Immer wieder wurde in der Forschung versucht, eine Ordnung in der Unordnung der vorgebrachten Gedanken zu erkennen. So hat Anderson auf die Zweiteilung der Satire hingewiesen: In der ersten Hälfte (V. 25–285) gehe es primär um weibliche Untreue (die Folge der Flucht der Pudicitia, von der der Prolog berichtet), worauf ein zweiter Prolog und eine zweite Hälfte zum Thema luxuria folge. »[T]he flight of Pudicitia meant the victory of Luxuria« (Anderson 1956, 93). Auch wenn sich diese beiden Hauptthemen tatsächlich nicht so klar auf die zwei Hälften der Satire aufteilen lassen, verleiht ihre wiederholte Behandlung der sechsten Satire eine gewisse inhaltliche Kohärenz. Unter den Überschriften »Untreue« und »Luxus« lassen sich zahlreiche Schilderungen der Satire subsummieren wie zum Beispiel die Liebe der Frauen zu Theaterschauspielern (V. 60–77), Gladiatoren (78–113), Eunuchen (366–378) und Musikern (379–397) oder die Streitsucht notorisch untreuer Ehefrauen (268–285) sowie die Versuche der schönen Frau, ihren Ehemann auszunehmen (142–160), weiterhin die Ausbeutung durch tyrannische Frauen (200–230), die sexuellen Ausschweifungen im Luxusleben (286–348) oder die Verschwendungssucht der Frauen (349–365). Weitere immer wieder vorkommende Themen sind die weibliche Herrschsucht und Launenhaftigkeit (474–507) sowie die Anmaßung traditionell männlicher Lebensbereiche durch die Frauen, zum Beispiel durch Einmischung in Gespräche über Literatur (434–456). All das lässt sich – auch in seiner Redundanz – gut mit der Darstellung eines wütenden Sprechers in Ein-

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klang bringen und erweckt zudem den Eindruck, »als ließen sich in unerschöpflicher Fülle immer neue Anklagepunkte vorbringen, die sich dem Betrachter aufdrängen« (Adamietz 1993, 467). Unklar bleibt jedoch, warum der eingangs angesprochene Postumus (V. 21), der von seinem Plan einer Eheschließung abgebracht werden soll, im Laufe der Satire verschwindet, ob er mit dem mehrfach genannten Ehemann (oder handelt es sich um mehrere Ehemänner?) identisch ist und welche Rolle der kurzzeitig auftretende, ebenfalls heiratswillige Ursidius spielt (V. 38 ff.). Die Unsicherheit, ob die sogenannten Oxford-Verse (S. 99 f.), die von der Aufnahme passiv veranlagter und sich wie Frauen gebärdender Männer in den Haushalt sprechen, auf Juvenal zurückgehen, ob sie wirklich in diese Satire gehören und wenn ja, an welcher Stelle, macht es umso schwerer, die Struktur des Gedichts zu beschreiben. Vielleicht liegt aber gerade in ihrer Unübersichtlichkeit ein Reiz der sechsten Satire (s. o. S. 39). Scheinbar ohne erkennbare Ordnung reihen sich kurze Vignetten und längere Szenen aneinander, in denen verschiedene Figuren angesprochen werden oder zu Wort kommen und ausführlichere Schilderungen ebenso geboten werden wie knappe Pauschalurteile. Für einen inneren Zusammenhalt sorgen die zahlreichen Überraschungen, welche die teilweise rasante Abfolge von Szenen den Leserinnen und Lesern bietet, und natürlich der Humor, der für die Darstellungen prägend ist. Auch wenn es uns heute nicht immer leicht fällt, die Angriffe gegen Frauen komisch zu finden, gibt es doch zahlreiche Anlässe zum Lachen – und zwar nicht nur über die Frauen, sondern auch über ihre erbärmlichen Ehemänner (vgl. Plaza 2006, 138 f.), ihre schmuddeligen Liebhaber und nicht zuletzt auch über den in seiner Raserei immer wieder die Kontrolle verlierenden satirischen Sprecher.



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Buch 3 Siebte Satire Von einem Dichter, der über die mangelhafte Unterstützung der Literaten durch ihre Patrone und über das unwürdige Schicksal der Gebildeten klagt, mag man erwarten, dass er klar Stellung für die verarmten Kollegen bezieht. Tatsächlich werden aber gerade die Vertreter der hohen Gattungen in Juvenals siebter Satire auch weiterhin überwiegend spöttisch dargestellt und ihr Schaffen durchweg als vergeblich beschrieben (vgl. Wiesen 1973). Auch wenn einige Gelehrte die Satire als ernsthafte Klage über das Unglück der Gebildeten lesen (z. B. Tennant 1996), fällt es doch schwer, in dem Text eine konsequente, ernsthafte Haltung zu erkennen. Wenn etwa Statius’ Rezitationen aus seinem Epos Thebais in einer Weise beschrieben werden, als böte ein Zuhälter sein Mädchen möglichen Freiern an und sorgte damit für allgemeine sexuelle Erregung (vgl. Anderson 1960, 254), dann dürfte dies kaum das Mitleid oder gar den Respekt des Satirikers gegenüber dem Epiker zum Ausdruck bringen. Vielmehr knüpft Juvenal mit der siebten Satire an seine Darstellungen am Beginn der ersten Satire an, wo er sich dezidiert gegen die Abfassung epischer Dichtung aussprach (s. o. S. 27; anders Pollmann 1996, 482, der zufolge hier »die Möglichkeit qualitativ hochstehender epischer Dichtung zugestanden« und Statius als »positive[s] Beispiel« angeführt wird). Überhaupt weist die siebte Satire einige thematische Ähnlichkeiten zu Satire 1 auf, und beide Gedichte haben offenbar die Funktion, das neue Satirenbuch programmatisch einzuleiten. Wir erfahren in Satire 7, dass der Satiriker die große Dichtung auch weiterhin ablehnt und dass die Lage der Klienten noch immer prekär ist. Gleichzeitig scheint der satirische Sprecher nicht in demselben Maße von indignatio angetrieben zu werden wie in den Büchern 1 und 2; die persona zeigt nun vermehrt die Haltung eines Zynikers,

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dessen vorherrschendes Darstellungsmittel die Ironie wird. Braund (1988, 24–26) meint daher in Buch 3 eine Neuausrichtung zu erkennen. Die Struktur der siebten Satire wirkt nur auf den ersten Blick klar: Nach einer Einleitung, in der die prekäre Lage der Literaten beklagt und der Kaiser als oberster Patron gepriesen wird, auf dessen Unterstützung man nun hoffen könne (V. 1–21), greift der Satiriker nochmals den Geiz der sonstigen Patrone in Rom an (22– 35). Darauf folgen deutlich voneinander getrennte Abschnitte über die Tätigkeiten sowie die mangelnde Unterstützung der Dichter (36–97), der Geschichtsschreiber (98–104), der Redner (105–149), der Redelehrer (150–214) und der Literaturlehrer, der grammatici (215–243). Allerdings gibt es zwischen den einzelnen Abschnitten kaum überleitende Abschnitte oder Sätze. Die bloße Nennung des Berufsstandes, um den es im Folgenden gehen wird, genügt Juvenal jeweils, um seine Themenwechsel deutlich zu machen. Zudem werden in der Satire mehrere Adressaten angesprochen, was ebenfalls irritiert (Braund 1988, 43–45). Der in der Forschung am ausgiebigsten diskutierte Aspekt von Satire 7 ist jedoch die Frage, wie die Einleitung (V. 1–21 oder auch 1–35) zum Rest des Gedichts passt. Das Lob des Kaisers, der sich nun als oberster Patron um die Dichter kümmere – die meisten Gelehrten vermuten, dass Hadrian gemeint ist (vgl. Stramaglia 2008, 119) –, scheint nicht so recht zu den folgenden Darstellungen der schwierigen Lage der Dichter zu passen und wurde somit als spätere Hinzufügung gedeutet (Friedlaender 1895, 11–13). Dagegen hebt Braund (1988, 34 f.) hervor, dass zumindest die erste Hälfte des Gedichts durchaus von gemeinsamen topoi, insbesondere zur Dichtung und dichterischen Inspiration, zusammengehalten wird. Die gesamte Struktur erklärt Braund (ebd., 45–47) mit der Abhängigkeit Juvenals von Suetons (zu großen Teilen verlorenem) Werk De grammaticis et rhetoribus, in dem offenbar ebenfalls Abschnitte über grammatici, Rhetoren, Redner, Geschichtsschreiber und



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Dichter auf einander folgten – also hat Juvenal Suetons Reihenfolge umgekehrt (vgl. dazu Townend 1973, 152). Insbesondere die sprunghafte Gedankenführung und die stellenweise aufkommende Unklarheit, wer gerade angesprochen wird, entsprechen dem Duktus der bereits bekannten satirischen persona. Allerdings müssen sich die Leser noch stärker als in den vorangehenden Gedichten damit auseinandersetzen, dass der Sprecher seine kritischen Attacken nicht nur gegen eine Seite richtet. Geizige Patrone und selbstsüchtige Eltern, die es versäumen, die Lehrer, die sich mit ihren missratenen Kindern abgeben müssen, wenigstens vernünftig zu entlohnen, werden mit voller satirischer Kraft angegriffen. Doch deren Opfer, die Gebildeten, sind ebenfalls immer wieder Zielscheiben des Spotts. Und abermals kommen auch Zweifel an der Glaubwürdigkeit des satirischen Sprechers auf: Wenn er etwa die Armut der Redelehrer beklagt und dann ausgerechnet das Beispiel des sehr erfolgreichen Quintilian nennt (V. 186), dann wirkt es so, als forderte er Widerspruch geradezu heraus. Der kommt dann auch prompt (V. 189 f.), worauf der Satiriker seinen Gesprächspartner kurzerhand dazu auffordert, das Beispiel Quintilian einfach beiseite zu lassen. Überraschenderweise fährt er dann jedoch selbst mit einer ironischen Beschreibung des berühmten Rhetors fort, die wenig Sympathie für den reichen Günstling Domitians erkennen lässt (V. 189–202; vgl. Anderson 1961, 6–8). Von der Forschung wurde Juvenal diese wenig tragfähige Argumentationsweise vorgeworfen und bisweilen auch als Unzulänglichkeit des Dichters interpretiert (vgl. Courtney 1980 zu V. 186). Es fällt jedoch schwer zu glauben, dass Juvenal ein derartiger Fehler in seiner Argumentation unbewusst unterlaufen sein soll, zumal er selbst ja einen Interlocutor auftreten lässt, der den Mangel in der Argumentation anprangert (vgl. S. 16 ff.). So bleibt es dabei, dass Juvenal uns satirische Texte bietet, in denen sehr viel mehr Figuren Opfer des satirischen Spotts sind, als

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es auf den ersten Blick den Anschein hat. Es entsteht das Bild einer Gesellschaft, in der es nur Menschen mit offensichtlichen Schwächen gibt, und das gilt auch für den satirischen Sprecher selbst. Achte Satire »Zum besseren Verständnis der 8. Satire hat die Forschung während des Berichtszeitraums wenig Erhellendes beigetragen« – so lautet das vernichtende Urteil in Kißels Forschungsbericht. Kißel wendet sich insbesondere gegen einen Forschungsansatz, dem zufolge Juvenal »als eine Art Klassenkämpfer gegen die Bastionen der nobiles anrennt«. Für ihn ist der Satiriker hingegen ein »wahrer Wertkonservativer«, der »die Führungsschicht dazu aufruft, ihrer ererbten Rolle in Würde und Anstand gerecht zu werden« (2013, 326; vgl. oben S. 14). Die Kernaussage des Gedichts – nämlich, dass man sich nicht auf den Errungenschaften seiner Vorfahren ausruhen solle, da allein eigene Leistungen zählten – formuliert Juvenal explizit. So beginnt die Satire mit der Aussage: Stemma quid faciunt? (»Was bringen Stammbäume?«), und wenig später lesen wir: nobilitas sola est atque unica virtus (»Der Adel liegt einzig und allein in der Tugend«; V. 20). Dieser Gedanke wird mehrfach aufgegriffen, unter anderem am Ende der Satire, wo es heißt, dass ein Mensch mit guten Eigenschaften, aber schlechter Abstammung demjenigen, der eine gute Herkunft, aber schlechte Eigenschaften hat, vorzuziehen wäre (V. 270 f.). Dabei ist der lehrhafte Charakter des Gedichts offenkundig (vgl. Dimatteo 2014, 6 f.): Der Satiriker wendet sich immer wieder direkt an seinen Adressaten Ponticus, einen jungen Mann aus guter Familie, und fordert ihn zu einem korrekten Verhalten auf, wobei er zahlreiche Beispiele für Adlige anführt, die sich gerade nicht standesgemäß verhalten. Juvenal reiht sich mit diesem Aufruf in eine lange Tradition von Schriften über das Verhältnis von mores



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und maiores ein (vgl. die Textbeispiele bei Braund 1988, 122–129), und es gäbe wohl kaum jemanden, der die Meinung, dass sich die Mitglieder bedeutender und einflussreicher Familien ihrer Position entsprechend betragen sollten, nicht teilen würde. Und doch gibt es Stimmen, welche den moralisierenden Ansatz der Satire in Zweifel gezogen haben. Zwar wird nicht jeder Braunds (1988, 102 f.) Meinung zustimmen, dass die bloße Abgedroschenheit des Themas, die Satire zu einer Parodie des »nobilitas/ virtus theme« macht. Und auch Hendersons (1997) Versuch nachzuweisen, dass Juvenal mit den Namen bedeutender Geschlechter durchweg negative Assoziationen verknüpft, kann in seiner Absolutheit kaum überzeugen (vgl. Braun 2000). Aber die Darstellung der römischen nobiles in der achten Satire ist insgesamt so negativ, dass Zweifel aufkommen, ob die Aufrufe des satirischen Sprechers zur Pflege der eigenen virtus bei den angesprochenen Adligen überhaupt Erfolg haben können. Wie auch in den vorangehenden Satiren bietet uns Juvenal in Satire 8 kaum positive Beispiele und macht seinen Lesern somit wenig Hoffnung, dass der Adel seiner Rolle jemals gerecht werden wird (die in V. 231–268 angeführten lobenswerten exempla gehören gerade nicht den bedeutenden Familien an und stammen allesamt aus früheren Zeiten). Vor allem ist die moralische Haltung des Satirikers nicht so konsequent, wie es zunächst den Anschein haben mag. Besonders deutlich wird dies, als er Ponticus ermahnt, eine ihm anvertraute Provinz mit Besonnenheit zu verwalten: Nachdrücklich kritisiert er Verwalter, welche die bemitleidenswerten Provinzbewohner schamlos ausbeuten, um Ponticus dann darauf hinzuweisen, dass es sinnlos wäre, sich an Völkern bereichern zu wollen, die bereits gründlich ausgeraubt wurden. Vor allem aber warnt er vor der Wehrhaftigkeit einiger Völker und gibt Ponticus schließlich den Ratschlag, keineswegs diejenigen auszubeuten, die mit Waffen zurückschlagen könnten. (V. 112–126; Fredericks 1971b, 122 f.; Braund 1988, 95–97. 114–116). Und auch die Tatsache, dass der Satiriker als schlimms-

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tes Vergehen seines übelsten Beispiels für einen Adligen, nämlich des mörderischen Kaisers Nero, ausgerechnet die Abfassung von dessen Trojaepos anführt, bildet eine humorvolle Antiklimax (vgl. Courtney 1980, 383 f.), welche zumindest Zweifel aufwirft, ob es dem Satiriker hier wirklich in erster Linie darum geht, die Mitglieder vornehmer Familien zu einem anständigen Gebrauch ihres Einflusses anzuleiten. So beurteilt Fredericks (1971b, 111 f.) die Satire eher als humorvolle Darstellung von Missständen denn als moralisierenden Versuch, die gesellschaftlichen Zustände zu verbessern. Und auch wenn er (ebd., 132) von »Juvenal’s attack on aristocratic pride in the stemmata« spricht, ist für ihn Juvenals Sprecher kein »Klassenkämpfer«. Viel mehr tut Fredericks Gut daran, gerade die humorvolle Seite des Gedichts hervorzuheben: Besonders komisch sind Darstellungen wie die der zerbröckelnden Ehrenstatuen bedeutender Familienmitglieder (V. 1–9) oder des »fetten Lateranus«, der, obwohl er den Rang eines Konsuls einnimmt, seiner Passion, selbst den Wagen zu lenken, nachgeht und mit Freude seine Zugtiere füttert (V. 146–157). Man kann darüber diskutieren, ob die bis ins Aberwitzige gesteigerte vernichtende Beurteilung der Aristokraten einen umso stärker ausgeprägten moralischen Anspruch erkennen lässt, den Juvenal mit seiner drastischen Darstellung durchsetzen wolle, oder ob der Zynismus des Sprechers diesen als einen »Pseudo-Moralisten« (Braund 1988, 83) ausweist, dem es gar nicht darum geht, etwas zum Besseren zu verändern. Diese Ambiguität ist wohl eine besondere Qualität des Gedichts, das ein auf den ersten Blick überhaupt nicht kontroverses Thema in einer Weise behandelt, die ganz unterschiedliche Lesarten zulässt. In jedem Fall bietet die Satire trotz ihres offenkundigen Pessimismus viel Komisches und somit beste Unterhaltung.



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Neunte Satire Nach dem Auftritt Laronias, die sich in Satire 2 an die Leser wandte (V. 38–63), und den Ausführungen des Umbricius, dem der Großteil der Satire 3 in den Mund gelegt wurde (V. 21–322), ist Satire 9 nun ein (wohl vor allem von Horaz, aber auch von der Komödie beeinflusster) durchgehender Dialog zwischen dem Satiriker und dem sexuell und materiell ausgebeuteten Klienten Naevolus, der den Großteil der Sprechanteile des Gedichts innehat. Naevolus beklagt sich in verbitterten Tiraden über seinen passiv veranlagten Patron, einen wohlhabenden mollis avarus (V. 38; »geiziger Weichling«), der offenbar wie der geizige Patron in Satire 5 den Namen Virro trägt (S. 55). So prangert Naevolus Normverletzungen an, ist aber in seinen Handlungen selbst Normverletzer und sorgt mit seiner drastischen Ausdrucksweise für schockierende, aber auch komische Momente. Naevolus ist, wie Plaza (2006, 161) es ausdrückt, »the most ambivalent character Juvenal ever allows to enter his text«. In der Forschung ist darüber diskutiert worden, ob die Satire in erster Linie das Nicht-Funktionieren des Patronats – und damit das Elend der Klienten – anprangert oder das abweichende sexuelle Verhalten des hier dargestellten Patrons, der auf scheinheilige Weise die Rolle des zeugungsfähigen (und -willigen) Familienvaters spielt, obwohl er im Bett allein die passive Rolle einnimmt. In jedem Fall befindet sich hier ausgerechtet der passive Mann, der in der römischen Literatur grundsätzlich das Opfer von Spott ist, aufgrund seines Reichtums in einer Machtposition. Materielle und moralische Probleme – die Neigung des Patrons wird als morbus (»Krankheit«) bezeichnet – werden in Satire 9 eng miteinander verbunden, und damit greift die Satire Themen auf, die Juvenals Leserschaft bereits aus früheren Gedichten, insbesondere aus den Satiren 2 (die Scheinheiligkeit passiver Männer) und 5 (der Geiz des Patrons), bekannt sind.

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Satire 9 prangert jedoch nicht nur das Verhalten des sexuell fehlgeleiteten und darüber hinaus geizigen Patrons an. Nachdem bereits der Klient Trebius in Satire 5 dafür kritisiert worden ist, dass er sich durch seine Dienste bei einem Virro in eine entwürdigende Situation begibt, wird das Verhalten des Naevolus noch negativer bewertet. Naevolus nimmt nicht nur entwürdigende sexuelle Dienste auf sich, sondern er ist auch ohne jeden Skrupel bereit, die Frau des Patrons (der an dieser natürlich überhaupt kein sexuelles Interesse hat) zu schwängern und dem Herrn somit einen Sohn zu schenken. Es ist deutlich, dass Naevolus – anders als etwa der materiell ebenfalls gescheiterte Umbricius aus Satire 3 – über keinerlei moralische Kriterien mehr verfügt (Bellandi 2009, 483. 498 f.; anders Tennant 2003). Dass der satirische Sprecher, mit dem Naevolus seinen Dialog führt, dessen Klagen immer wieder ironisch kommentiert, trägt dazu bei, dass viele Rezipienten Naevolus wohl als eine negativ charakterisierte Figur wahrnehmen werden (vgl. Braund 1988, 149–157). Und der satirische Sprecher trägt dazu bei, diesen negativen Eindruck zu verstärken: Insbesondere als Naevolus seine Angst vor der Rache des Patrons ausdrückt, der daran Anstoß nehmen könnte, dass nun seine intimen Geheimnisse ausgeplaudert werden, zeigt sich der Sprecher als wenig hilfreich, sondern bietet allein detaillierte Ausführungen zum Thema »Wieso Geheimnisse nicht geheim bleiben können« (V. 93–123). Wie auch in seinen übrigen Satiren wird also nicht nur eine Gruppe von Normverletzern – hier ausbeuterische Patrone, repräsentiert durch Virro – angeprangert, sondern die überzogene Art der Kritik weckt auch Zweifel an der Integrität dessen, der die Kritik vorbringt. In Satire 9 ist es aber eben nicht der satirische Sprecher, der Missstände anprangert. Stattdessen lässt Juvenal mit Naevolus eine Figur auftreten, an deren Integrität man noch stärker zweifeln wird. Gleichzeitig – und das hat Braund (1988, 130–134) in einer detaillierten stilistischen Analyse nachgewiesen – erinnert gerade der erste lange Redebeitrag des Naevolus (V. 27–90) an die



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Entrüstung, die Juvenals Sprecher vor allem in Buch 1 an den Tag legte. Mit Recht stellt Rosen (2007, 224) die Frage, warum Juvenal sein satirisches Schaffen in die Nähe einer Figur rückt, die so offenkundig negative Züge trägt. Besteht der zentrale Unterschied zwischen Naevolus und dem satirischen Sprecher allein darin, dass sich Letzterer nur etwas besser im Griff hat, und könnte dieser ebenfalls zu einem amoralischen Naevolus verkommen? Und wie kann der Sprecher Naevolus mit einer derart unterkühlten ironischen Distanz begegnen, wenn die beiden Figuren sich doch gar nicht so unähnlich sind? Man sieht deutlich, dass Juvenals Satiren eben keine klaren Wahrheiten präsentieren, und Rosen (2007, 218) trifft es gut, wenn er feststellt, Naevolus sei eine Figur, die gleichzeitig als Satiriker und als Zielscheibe der Satire auftrete und somit dem Leser keine Möglichkeit gebe, in der Satire »any real moral stability« auszumachen. Ähnlich weist Bellandi (2009, 486) darauf hin, dass keine gesellschaftliche Schicht als »positive force« dargestellt wird. Braund (1988, 170) leitet aus der Sprechsituation zudem eine poetologische Deutung ab: Naevolus trete wie ein Satiriker auf, der aber – wie Juvenals Sprecher in Satire 1 (V. 150–171) – Angst vor der Rache derer habe, über die er sich kritisch geäußert hat. Folglich konfrontiere er gerade nicht die Normverletzer mit seinen Aussagen, sondern seine allgemeine Leserschaft, die daran aber wenig Interesse habe (hier repräsentiert durch die ironischen Reaktionen des satirischen Sprechers). Naevolus’ rücksichtslose Offenlegung privater Details aus Virros Haushalt zeige letztlich, wie ein Satiriker gerade nicht sein sollte. Eine Interpretation, der zufolge Dichtung primär eine Reflexion des Dichters über das Dichten ist, sorgt oft für eine allzu starke Verengung der Perspektive. Für eine Reflexion über Möglichkeiten und Grenzen der Satire ist das Ende eines Satirenbuchs aber natürlich ein geeigneter Platz: In einer komplexen Darstellung fehlerhafter Verhaltensweisen, von denen nie-

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mand gänzlich frei bleibt, kann die Satire unmoralisches Verhalten anprangern, ohne dass sie in der Lage wäre, des allgegenwärtigen Lasters Herr zu werden. Dies führt auch zu einer sehr amüsanten Darstellung, und so werden die Rezipienten auch weiterhin gerne mitverfolgen, wie der Satiriker mit dieser Problematik umgeht. Buch 4 Zehnte Satire Nachdem die neunte Satire mit einem »erbärmlichen Gebet« (9.147: votum miserabile) des Klienten Naevolus um materiellen Wohlstand geendet hat, geht es in Satire 10 darum, wie unsinnig – ja, oft sogar schädlich – die an die Götter gerichteten Wünsche sind. Während Naevolus nicht auf die Erfüllung seiner Wünsche hoffen kann, da Fortuna sich die Ohren mit Wachs verstopft (so heißt es am Ende von Satire 9), präsentiert uns Juvenal in der zehnten Satire Menschen, die gerade deshalb zugrunde gehen, weil ihre Gebete erhört wurden: Reichtum, öffentliche Karrieren, ein langes Leben oder Schönheit – also Dinge, welche sich man sich für gewöhnlich wünscht – hätten, so zeigen uns zahlreiche Beispiele in Satire 10, schon viele Menschen ins Unglück gestürzt. Da sollte man es doch lieber mit dem Philosophen Demokrit halten, der über das Leben einfach gelacht (10.28–32) und dem Schicksal den Mittelfinger gezeigt habe (51–53). Dessen überlegenes Lachen hat offenbar programmatische Funktion. Viele Gelehrte sehen mit Beginn von Buch 4 eine Veränderung der Darstellungsweise, die auch die Charakterisierung der Sprecher-persona betreffen mag. Diese tritt nun in noch geringerem Maße als in Buch 3 als zorniger Mann auf und bedient sich vermehrt philosophischer Argumente (s. o. S. 39–41). Trotzdem wurden die Veränderungen, die mit Satire 10 einset-



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zen, in der Forschung wohl zu hoch bewertet. Zunächst ist festzuhalten, dass der Inhalt von Satire 10 konventionell ist: Die Frage nach den richtigen Wünschen, die man an die Götter richten kann, behandeln unter anderem auch Horaz (C. 1.31) und Persius (Sat. 2). Auch Seneca, dessen Schriften auf die zehnte Satire einen großen Einfluss ausgeübt haben dürften (vgl. Dick 1969), äußert sich zu Gebeten, und die von Juvenal genannten exempla weisen deutliche Parallelen zu Ausführungen des Valerius Maximus auf; insbesondere der Gedanke, dass ausgerechnet der ersehnte Erfolg zum Unglück des Menschen betragen könne, ist gut belegt (Keane 2015, 127–130). Vor allem ist auch eine Kontinuität zu den vorangehenden Satiren zu erkennen: Wenn Juvenal in Satire 10 typische Wünsche der Menschen nennt und jeweils detailliert die Unglücksfälle darstellt, welche dem Menschen, dem sein Wunsch gewährt wird, widerfahren können, erinnern diese Szenen an vieles, was wir in den Satiren 1 bis 9 gelesen haben (vgl. Keane 2015, 121). Immer wieder schweift Juvenal von seinem eigentlichen Thema – den falschen Gebeten der Menschen – ab und entwirft Szenen mit verworfenen oder einfach lächerlichen Figuren. So besteht die Darstellung vom Sturz des Prätorianerpräfekten Sejan nicht zuletzt aus einer Beschreibung des wankelmütigen Volkes, das von den herrschenden Instanzen so gesteuert wird, dass es allein »Brot und Spiele« benötigt (V. 65–88). Das Thema des tiefen Falls einer hochstehenden Persönlichkeit – also die Auseinandersetzung mit den Gefahren, welche die ersehnte Karriere mit sich bringt – gerät daneben zeitweilig aus dem Blick. Nicht immer passen die genannten Beispiele zu der Darstellung falscher Gebete. Bemerkenswert ist die Passage, in der Juvenal dem Wunsch nach Redegewandtheit das Schicksal der größten antiken Redner Cicero und Demosthenes gegenüberstellt, die sich mit ihren Reden Feinde gemacht hatten und dies mit dem Leben bezahlen mussten (V. 114–132). Mueller-Goldingen (2006, 11 f.) verweist auf »die offenbare Verkürzung des Kausalzusammenhangs,

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die Juvenal hier vornimmt, indem er die Rhetorik als einzige Unglücksursache nennt«. Dies bewertet er als »seltsam« und spricht von einem »Systemzwang«. Die Vorstellungen, dass Cicero besser nur minderwertige Dinge wie den für seinen Missklang berüchtigten Vers »o fortunatam natam me consule Romam!« (von Juvenal genüsslich zitiert: V. 122) geschrieben hätte und dass der Vater des Demosthenes diesen besser in seiner Schmiedewerkstatt behalten hätte, als ihn zum Redelehrer zu schicken (V. 130–132), wirken in der Tat – wie Ribbeck (1865, 20) es ausdrückte – »albern«. Hier verselbständigt sich satirischer Spott über berühmte Persönlichkeiten von der eigentlichen Argumentation. Auch die Darstellung des Greises, der die Erfüllung seines Wunsches nach einem hohen Alter mit zahlreichen Gebrechen bezahlen muss, zeigt, dass der Fokus keineswegs immer auf dem Thema der unsinnigen und gefährlichen Wünsche liegt. Hier bietet uns Juvenal eine satirisch-verzerrte Darstellung eines Alten, der auf Sex nicht verzichten kann, obwohl er dazu nicht mehr in der Lage ist (V. 204–209). Und kurz darauf wird das Thema »Sex im Alter« im Zusammenhang mit der Darstellung geistiger Verwirrung im Alter wieder aufgegriffen und nun impliziert, dass der Greis doch noch seinen Spaß haben kann, wenn ihm eine ehemalige Prostituierte die Fellatio bietet. Dafür wird diese Frau sogar anstelle seiner Familie als Erbin eingesetzt (V. 236–239). Und noch weiter entfernt sich der Satiriker von dem Thema »Falsche Gebete«, wenn er die hohe Anzahl der Alterskrankheiten hervorhebt und mit der Häufigkeit weiterer Normverletzungen in Rom vergleicht (V. 217–226): praeterea minimus gelido iam in corpore sanguis febre calet sola, circumsilit agmine facto morborum omne genus; quorum si nomina quaeras, promptius expediam quot amaverit Oppia moechos, quot Themison aegros autumno occiderit uno, quot Basilus socios, quot circumscripserit Hirrus

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Einführung pupillos, quot longa viros exorbeat uno Maura die, quot discipulos inclinet Hamillus. percurram citius quot villas possideat nunc quo tondente gravis iuveni mihi barba sonabat.

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Außerdem wird das kleine bisschen Blut in seinem schon erkalteten Körper nur warm, wenn er Fieber hat, und Krankheiten jedweder Art formen einen Reigen und tanzen um ihn herum. Falls du nach deren Namen fragen solltest, da könnte ich schneller ausführen, wie viele Liebhaber Oppia hatte, wie viele Kranke Themison in nur einem Herbst umgebracht hat, wie viele Geschäftspartner Basilus um ihr Geld gebracht hat und wie viele Waisenkinder Hirrus, wie viele Männer die Bohnenstange Maura an einem einzigen Tag auslutscht und wie viele Schüler Hamillus flachlegt. Flinker könnte ich durchgehen, wie viele Landhäuser der nun besitzt, der mir, als ich jung war, geräuschvoll den kräftigen Bart abrasierte.

Derartige Schilderungen, in denen der Satiriker seine Pfeile wie in den früheren Gedichten in alle Richtungen abschießt (Fishelov 1990, 378 f.), nehmen einen Großteil der zehnten Satire ein. Ein ganz neuer Sprecher ist das sicher nicht. Es bleibt die Frage, worin schließlich die Aussage der Satire liegt. Juvenal selbst lässt auf seine Darstellungen der Folgen falscher Gebete ein Resümee folgen. Dort kommt er zu dem Schluss, die Menschen sollten die Entscheidung darüber, was gut für sie sei, einfach den Göttern überlassen und bei ihren Forderungen Augenmaß und Bescheidenheit walten lassen (V. 346–364; hier wird auch der berühmte Wunsch nach einer mens sana in corpore sano formuliert – eine Aussage, die allerdings als Interpolation verdächtigt wird; vgl. Campana 2004 ad loc.). Mueller-Goldingen (2006, 15 f.) sieht darin eine Art »Leitfaden«, anhand dessen der Adressat seine Handlungen überprüfen könne. So manifestiere sich die Intention des Dichters in der Aussage, »dass die praktische Lebensgestaltung des Einzelnen in dem Maße gelingen wird, in dem er sich von äußeren Störfaktoren frei macht und durch die Vernunft jeder Form von Irrationalismus entgegenwirkt.« Natürlich ist die Botschaft, dass allzu ehrgeizige Wünsche den Menschen ins Un-

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glück stürzen können und jeder sich allein um die Dinge bemühen sollte, die auch in der Macht des Menschen liegen, nachvollziehbar, und kaum jemand wird diesem Gedanken nicht grundsätzlich zustimmen. Doch auch wenn es Rezipienten gab und gibt, welche die zehnte Satire als hilfreiche Anleitung zum Umgang mit den eigenen Wünschen lesen, ermöglicht der Text noch eine ganz andere Leserhaltung: Wer das Gedicht als Ganzes liest, wird möglicherweise nicht den Eindruck gewinnen, dass es primär um die Vermittlung einer philosophischen Botschaft geht. Tatsächlich sind eben die zahlreichen komischen Figuren- und Szenendarstellungen das dominierende Element der Satire (vgl. Fishelov 1990, 376–380; die vernichtende Kritik an dem Aufsatz durch Kißel 2013, 345 ist trotz einiger strittiger Punkte so nicht gerechtfertigt). Stellenweise scheinen die falschen Gebete, von denen der Satiriker berichtet, eben als Anlass für die stets folgenden Beschreibungen komisch verzerrter Figuren zu dienen. Einige Rezipienten werden in dem hohen Unterhaltungswert der Darstellung einen wertvollen Beitrag zur Vermittlung einer philosophischen Aussage sehen, für andere wird die gute Unterhaltung, welche Satire 10 bietet, die philosophischen Fragestellungen hingegen in den Hintergrund treten lassen. Auf die Frage, ob man der philosophischen Botschaft des Gedichts – welche man auch immer aus dieser Vielstimmigkeit herauszulesen vermag – vorbehaltlos folgen mag, werden die Leser somit sehr unterschiedliche Antworten geben. Möglich ist auch die Schlussfolgerung, dass es letztlich keine klare Vorgabe zum rechten Leben geben kann (Fishelov 1990, 382; Plaza 2006, 252). Eine derartige Vieldeutigkeit ist in den Satiren allerdings nichts Ungewöhnliches.



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Elfte Satire Auch Juvenals elfte Satire enthält vieles, was uns an seine vorangehenden Gedichte erinnert: Angriffe gegen übertriebenen (Tafel-) Luxus, Spott über die Menschen, die an ihrem unangemessenen Lebensstil zugrunde gehen, weiterhin Preisungen der von einem anständigen und einfachen Leben geprägten römischen Frühzeit und schließlich Anweisungen zum richtigen Leben, wie sie uns zuletzt in Satire 10 begegnet sind. Angesprochen wird der Freund Persicus, den der Satiriker zu einem gemeinsamen Essen eingeladen hat und der in diesem Gedicht mehr darüber erfahren soll, was ihn bei dieser cena erwartet (zur thematischen Einheit vgl. insbesondere McDevitt 1968; Weisinger 1972; Jones 1990; Bracci 2014, 3–9). Das Thema des angemessenen Gastmahls ist in der römischen Satire fest etabliert (Adamietz 1972, 119 f.; Bracci 2014, 20–25; zum Einfluss von Hor., Epist. 1.4 s. weiterhin Schmitz 2000, 170–174), und auch die Einladungsgedichte Martials dürfen als Vorläufer der elften Satire gelten (Adamietz 1972, 120 f. 130–135; Bracci 2014, 9–15). Anders als etwa in der fünften Satire, wo die cena des Virro kritisiert wurde, sind die Gelage der Reichen in Satire 11 nur dadurch präsent, dass beschrieben wird, welche luxuriösen Elemente es bei einer anständigen cena nicht geben sollte (zur negativen Darstellung: McDevitt 1968, 177). All dies wird mit dem angekündigten Essen im Haus des Satirikers verglichen, das allenfalls neben den einfachen Gastmählern der römischen Frühzeit luxuriös wirken könnte, welche hier als positiver Referenzpunkt gelten (dazu SteinHölkeskamp 2002, 475–478). Am Beginn der Satire werden jedoch zunächst Menschen kritisiert, die sich dem Tafelluxus hingeben, obwohl sie ihn sich finanziell nicht leisten können. Es wird also allein dem Armen sein Hang zur Schlemmerei vorgeworfen, während der Reiche durchaus im Luxus speisen darf – eine Haltung, die kaum zur luxuskritischen Aussage der gesamten Satire zu passen scheint. Adamietz (1972, 126–128) versucht diesen Widerspruch

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dadurch aufzulösen, dass er die Kritik an armen Schlemmern allein als »vorläufiges Argument« einstuft, das so aber nicht zu halten sei und daher im Anschluss durch »die Fortführung der Polemik gegen die Schlemmerei generell« ergänzt werde. Allerdings ist mit der angeblich unhaltbaren Beschränkung der Kritik an den Armen die durchaus vernünftige Warnung verbunden, dass man sich nicht durch Tafelluxus ruinieren sollte, und dieser Warnung wird doch kaum jemand widersprechen wollen. Offensichtlich werden hier – wie so oft in Juvenals Satiren – Aussagen getätigt, denen die meisten Leser zwar grundsätzlich zustimmen werden, diese konsensfähigen Aussagen werden aber in einer Weise präsentiert, dass man ihnen eben doch nicht vorbehaltlos zustimmen kann. Zudem hat es einen komischen Effekt, wenn der Satiriker die mittellosen Schlemmer an das berühmte »Erkenne dich selbst« erinnert, welches am Orakel von Delphi zu lesen war. Dieses Motto wird zunächst als göttliche Botschaft dargestellt, die »vom Himmel herabgestiegen« sei (V. 27: e caelo descendit), worauf Beispiele für verschiedene Lebensbereiche genannt werden, in denen diese Erkenntnis zu beachten sei (V. 28–38). Die Anwendung des Mottos auf die weniger begüterten Schlemmer sorgt für eine drastische Antiklimax und dürfte humorvoll gemeint sein (vgl. Jones 1990, 161 f.). Der Eindruck, dass die Vorgaben des Sprechers zum richtigen Verhalten, nicht immer ernst zu nehmen sind, kommt auch in der Darstellung des Sklaven auf, der bei der cena des Satirikers bedienen soll. Dieser wird als einfacher Junge vom Land dargestellt, dessen Anstand besonderes Lob verdient (V. 156–158): nec pupillares defert in balnea raucus testiculos, nec vellendas iam praebuit alas, crassa nec opposito pavidus tegit inguina guto. Er hat keine raue Stimme und trägt nicht seine enthaarten Hoden ins Bad, auch seine Achseln hat er nicht enthaaren lassen, und nicht bedeckt er ängstlich durch das Davorhalten einer Ölkanne sein dickes Geschlechtsteil.



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Die Formulierungen sind recht derb (so lässt die Vorstellung, er könne »seine Hoden ins Bad tragen«, an jemanden denken, der seine Ware auf den Markt trägt; vgl. OLD, defero 2c), und das gilt vor allem für die Erwähnung der crassa inguina, eines »dicken« oder auch »öligen« Geschlechtsteils (vgl. Courtney 1980 ad loc.). Offensichtlich soll es hier darum gehen, wie der Knabe des Satirikers gerade nicht auftritt. Die Stelle ist aber so formuliert, dass der Knabe mit dem »dicken Geschlechtsteil« tatsächlich auch der Sklave des Satirikers sein könnte (vgl. Courtney 1980 ad loc., der als eine mögliche Deutung vorschlägt, »that in his innocence he does not realise that his genitals are being inspected«). Vielleicht sollen wir an dieser Stelle also gar nicht den Anstand des ländlichen Knaben bewundern, sondern über Verbindung einer moralisierenden Preisung von Keuschheit und einer derben Darstellung von Sexualität lachen. Godwin (2016 ad loc.) erkennt hier einen moralistischen Sprecher, der gleichzeitig von den Verhaltensweisen, die er kritisiert, sexuell angezogen sei. Zudem mag es kein Zufall sein, dass der Adressat Persicus einen Namen trägt, der an den luxuriösen Lebensstil des Orients denken lässt, und so stellt sich die Frage, ob dieser Adressat weniger ein Gleichgesinnter als vielmehr ein Opfer von Juvenals Spott über Tafelluxus ist. Möglicherweise ist die Aussage, Persicus könne an diesem freien Tag früh ins Bad gehen, ohne sich dafür zu schämen (V. 204–208), ein Hinweis auf einen allgemein lockeren Lebenswandel des Persicus (Jones 1983, 106; Jones 1990). Die Unklarheit, wie ernst wir ein moralisches Diktum nehmen sollen, trägt auch zum Reiz dieses Gedichts bei. Natürlich werden die meisten Leser dem Satiriker bereitwillig in der Auffassung folgen, dass übertriebener Tafelluxus abzulehnen ist – insbesondere, wenn man sich diesen gar nicht leisten kann. Auch der Preisung der einfachen und moralisch einwandfreien Lebensweise der Vorfahren wird man grundsätzlich zustimmen, und anständige, verlässliche Sklaven werden sich viele von Juvenals Zeitgenossen sicher

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auch gewünscht haben. Und doch kann man darüber schmunzeln, wenn der Aufruf zum vernünftigen Wirtschaften zum göttlich legitimierten Lebensprinzip erhoben wird oder wenn die Frage aufkommt, ob der unschuldige Knabe vom Land tatsächlich frei von jedweder sexuellen Erfahrung sein mag. Zwölfte Satire Juvenals zwölfte Satire schließt unmittelbar an die Beschreibung des Satirikers als eines dem Landleben zugeneigten bescheidenen Menschen in Satire 11 an (Ramage 1978, 223–225): Zunächst wird dem Adressaten Corvinus ein ländliches Dankopfer geschildert, das der Dichter anlässlich der Rettung seines amicus Catullus aus Seenot darbringt. Im Folgenden bietet der Satiriker eine Beschreibung des Schiffbruchs, den der Freund erlitten hat. Die erneute Erwähnung des Dankopfers leitet schließlich zu dem Thema »Erbschleicherei« über, mit dem das Gedicht endet. Die Juvenalforschung hat unterschiedliche Versuche zur Erklärung dieser thematischen Uneinheitlichkeit unternommen: Ist es in erster Linie ein Text über den Wert wahrer Freundschaft (so Ramage 1978), oder steht der Angriff gegen die Erbschleicher im Mittelpunkt (so Adamietz 1983; 1993, 417)? Und wird möglicherweise auch der Freund Catullus als ein Repräsentant des übertriebenen Luxus kritisiert? Vor allem die Darstellung von Catullus’ Schiffbruch (V. 17–82) wurde ausgiebig diskutiert. In diesem Zusammenhang stellt der Satiriker einen Vergleich an, den viele Gelehrte als wenig schmeichelhaft für Catullus empfunden haben: Catullus wirft die Ladung seines Schiffs über Bord und fällt schließlich sogar den Mast. Das erinnere an den Biber, der sich auf der Flucht die Hoden abbeißt, da diese aufgrund ihrer angeblichen medizinischen Wirkung eine beliebte Jagdbeute waren, und sie für den Jäger zurücklässt (V. 34– 36). Ehlers (1996, 62 f.) hat entschieden gegen die Annahme argu-



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mentiert, hier werde die Situation des Catullus verspottet, aber die Stelle bleibt umstritten (vgl. die Gegenargumente bei Henke 2000, 205 Anm. 19; Larmour 2005 geht sicher zu weit, wenn er das Motiv der Kastration als einen zentralen Inhalt der Satire bewertet). Ehlers (1996, 63) argumentiert unter anderem, dass es »nicht legitim« sei, aus der in mehreren Satiren Juvenals explizit geäußerten Kritik an Luxusgütern zu schließen, dass diese auch im aktuellen Kontext negativ bewertet würden. Doch wie sollte der Umstand, dass gerade in der vorausgehenden Satire 11 importierte Luxusgüter ausdrücklich negativ bewertet wurden, auf das Verständnis der vorliegenden Stelle keinen Einfluss haben (vgl. außerdem die Darstellung eines Schiffbruchs im Zusammenhang mit einer Kritik an übersteigertem Gewinnstreben in 14.275–302; s. u. S. 85 f.)? Unter den Wertgegenständen, die Catullus über Bord wirft, um zu verhindern, dass sein Schiff sinkt, nennt der Sprecher unter anderem kostbares Tafelgeschirr (V. 43–45), was an die Luxusgüter, die in Satire 11 gerade abgelehnt wurden, denken lässt (vgl. etwa 11.120–135 zu Tischen und Besteck). Nach Satire 11 liegt es somit besonders nahe, in Catullus und seinem doch offenbar von Luxus geprägten Lebenswandel eine Zielscheibe des satirischen Spotts zu sehen (Smith 1989, 288 f.). Vor allem aber kann man angesichts des Lobes, das Catullus für das Überbordwerfen der Luxusgüter entgegengebracht wird, ins Zweifeln geraten (V. 48 f.): sed quis nunc alius qua mundi parte, quis audet argento praeferre caput rebusque salutem? Doch wer sonst in welchem Teil der Welt würde es heutzutage wagen, seinen Kopf dem Silber und die Rettung seinem Vermögen vorzuziehen?

Diese Worte sind blanker Unsinn und können nur ironisch gemeint sein (vgl. Uden 2014, 190). Auch wenn Catullus hier von den Leuten abgegrenzt werden soll, denen materielle Güter wichtiger sind als alles andere, kann man einen Menschen doch nicht

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dafür loben, dass ihm – angeblich im Gegensatz zu allen anderen Menschen – sein Leben lieber ist als der Verlust des Luxus. Dass Catullus nach dem Schiffbruch ausgerechnet in einem Hafen an Land geht, der mit dem mondänen Badeort Baiae verglichen wird, mag zudem ein Hinweis sein, dass er dem Leben im Luxus tatsächlich immer noch verbunden ist. Immerhin wurde Baiae in 11.49 als der Ort genannt, an den sich ein an Luxus gewöhnter Mensch zurückzieht, wenn er sein Geld verprasst hat und seinen Gläubigern entgehen muss (Littlewood 2007, 406). Das einende Motiv der zwölften Satire ist offensichtlich das Opfer (Ronnick 1993, 8), das ganz unterschiedliche Formen und Funktionen haben kann: Der Satiriker opfert den Göttern, um die Rettung des Freundes zu feiern, Catullus opfert seinen Luxus und letztlich sogar einen Teil seines Schiffs, um das nackte Leben zu retten, und die Erbschleicher sind bereit, für ein reichhaltiges Erbe alles zu opfern, was zur Verfügung steht – selbst die eigene Tochter (V. 118–120). Einige Leser dürften nach der Lektüre des Gedichts zu dem Schluss kommen, dass hier allein das aufrichtige Opfer des Satirikers für die Rettung des Freundes höheren moralischen Ansprüchen genügt. Andere Rezipienten werden sich möglicherweise die Frage stellen, ob Catullus ein solches Opfer überhaupt verdient hat. Auch dieses Gedicht ist somit von einer großen Offenheit geprägt. Zudem bringt Satire 12 das vierte Satirenbuch zu einem klar markierten Abschluss: Wenn dem Erbschleicher am Ende ein hohes Alter ohne Liebe gewünscht wird (V. 128–130), dann verweisen die Themen »Qualen des Alters« und »Reichtum« auf Satire 10, den Beginn von Buch 4, zurück und rahmen somit das Buch (Ramage 1978, 236). Dies gilt umso mehr, als auch das hier zentrale Thema »Opfer« einen deutlichen Rückbezug zur zehnten Satire schafft. Und schließlich lässt der wütende Schluss von Satire 12 an die früheren indignatio-Satiren denken (Keane 2015, 165). Abermals wird deutlich, dass trotz der thematischen Neuausrichtung in den späteren Büchern auch vieles beim Alten geblieben ist.



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Buch 5 Dreizehnte Satire Der Adressat der dreizehnten Satire, der ersten Satire in Buch 5, ist ein Calvinus, der um Geld betrogen wurde und darüber großen Zorn empfindet. In der Satire werden verschiedene Argumente zum Trost des Calvinus angeführt, der den Satiriker dreimal voller Empörung über den erlittenen Verlust unterbricht (V. 113–119; 174 f.; 180). Auch einen Betrüger lässt Juvenal zu Wort kommen und ausführlich erklären, wieso er nicht davor zurückschreckt, bei den Göttern einen Meineid zu schwören (V. 92–105). Wie schon in früheren Satiren (2, 3, 9) wird die Situation also durch das Auftreten verschiedener Personen dargestellt. Auch die behandelten Themen sind typisch juvenalisch: Geldgier, die weite Verbreitung von Verbrechen, mangelnde Ehrfurcht vor den Göttern sowie eine primitive Gier nach Rache, die eigentlich eine weibliche Schwäche und somit eines Mannes unwürdig sei (V. 191 f.). Der Satiriker verdeutlicht anhand zahlreicher Bespiele, wie allgegenwärtig das Verbrechen in der römischen Gesellschaft ist, und wirft Calvinus vor, dass er über einen verhältnismäßig geringen Verlust klagt (V. 5–74; 126–173). Aufgrund der Zweifel an der Tauglichkeit des Trostes wurde von einigen Gelehrten die These formuliert, es handle sich bei Satire 13 um die Parodie einer Trostschrift (vgl. Prior 1962; Braund 1997 mit weiterer Literatur). Allerdings sind die Elemente der Gattung consolatio in Satire 13 keineswegs so dominant, wie es postuliert wurde, und so hat Adamietz (1984) zu Recht darauf hingewiesen, dass es sich auch bei diesem Gedicht eben in erster Linie um eine Satire handelt. Tatsächlich nimmt der Satiriker den Geldbetrug und den bislang unerfüllten Wunsch des Betrogenen nach Vergeltung zum Anlass, ausführlich den allgemeinen Mangel an Moral und die weite Verbreitung des Verbrechens darzustellen, wie er es in seinen Satiren so häufig tut. Für Adamietz

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(1984, 471) ist das zentrale Thema der Satire die perfidia (vgl. dazu auch Edmunds 1972, 61). Dabei ist auch diese Satire nicht einfach ein Angriff auf Übeltäter, sondern der für seine heftigen Reaktionen kritisierte Calvinus ist ebenfalls ein Opfer des satirischen Spotts. Dies erinnert unter anderem an die Satiren 5 und 9, wo nicht nur der tyrannische Pa­ tron Virro angegriffen wird, sondern auch die von diesem gedemütigten Klienten Trebius und Naevolus, die sich ja selbst in ihre unwürdige Lage begeben haben (Adamietz 1984, 471). Dennoch wird nirgendwo ein Zweifel daran geweckt, dass Calvinus ein Recht darauf hat, sein Geld zurückzuerhalten. Eine Kritik an »Calvinus’ outdated morality«, wie Fredericks (1971a, 219) sie auszumachen meint, kann ich hier nicht erkennen. Zudem erinnert Calvinus an Juvenals Sprecher in den indignatio-Satiren und trägt seinerseits etwas zu den Angriffen auf dreiste Betrüger bei. Allerdings lässt Juvenal auch einen skrupellosen Betrüger zu Wort kommen, der eine durchaus angemessene Bemerkung zum Thema macht: Als Abschluss an eine Erklärung, warum er bei den Göttern Meineide schwöre, versucht der Betrüger sein Verhalten mit dem Hinweis zu rechtfertigen, dass einige Verbrecher den Kreuzestod sterben mussten, während andere für ihre Vergehen als Könige gekrönt worden seien (V. 105). Diese Vielstimmigkeit wirkt fast so, als wollte Juvenal es den Rezipienten besonders schwer machen, eine klare moralische Bewertung der Umstände anzustellen. Und auch die Argumentation des satirischen Sprechers ist in sich widersprüchlich. So beginnt das Gedicht mit der Feststellung, dass ein Missetäter auch dann mit den Qualen seines Gewissens gestraft sei, wenn er durch korrupte Gerichtsbeamte einen Freispruch erwirken könne (V. 1–4). Dieser Gedanke wird im Schlussteil der Satire wieder aufgegriffen und detailliert ausgeführt: Zum Trost für Calvinus werden die Leiden des bösen Menschen anschaulich geschildert, wobei auch eine Bestrafung durch die irdische Gerichtsbarkeit imaginiert und schließlich betont wird, dass die Götter die



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Untaten der Menschen ebenfalls wahrnehmen (V. 192–249). Allerdings hat der Satiriker Calvinus unmittelbar zuvor ausdrücklich vor jedweden Rachegelüsten gewarnt und den Wunsch nach Vergeltung als primitiv und allenfalls einer Frau angemessen beschrieben. Kluge und gebildete Menschen wie die berühmten Philosophen – so heißt es weiter – würden niemals so bösartig empfinden (V. 175–192). Dies wiederum überrascht, weil der Satiriker zuvor bereits zweimal darauf hingewiesen hat, dass seine Argumentation von der Schule des Lebens inspiriert sei und nicht etwa von den Gedanken philosophischer Vorbilder (V. 18–22; 120–125). Auch wenn hier keine konkreten philosophischen Lehrmeinungen wiedergegeben werden (vgl. Adamietz 1984, 473 Anm. 15), wirkt der Hinweis auf philosophische Autoritäten neben der ausdrücklichen Ablehnung theoretischen Wissens doch widersprüchlich. Vor allem aber wird in der Satire ja mehrfach betont, dass Übeltäter die Strafen der Götter gerade nicht fürchteten (V. 34–37; 75–119). Friedlaender (1895, 525) meinte in dieser Widersprüchlichkeit einen Hinweis auf die unsaubere Komposition des Gedichts zu erkennen: Juvenal habe »vergessen«, was er kurz zuvor gesagt hat. Dagegen deutet Morford (1973, 33 f.) die Widersprüche als Anzeichen dafür, dass der Satiriker Calvinus und seinen Wunsch nach Rache nicht ernst nehme. Und Adamietz (1984, 479) sieht überhaupt keinen Widerspruch zwischen dem Schlussabschnitt und den vorausgehenden Aussagen, da Juvenal seiner Meinung nach zwischen »der Tat vorausgehende[n] Erwägungen von Sündern, die ihre Skrupel zu unterdrücken suchen«, und deren Gewissensbissen nach der Tat unterscheidet – eine Trennung, die angesichts der Darstellungen von Meineiden (die ja wohl auf den Betrug folgen) allerdings nicht ganz zutreffend ist und den Widerspruch somit nicht auflösen kann. Möglicherweise sind die Widersprüche in der Argumentation aber als Strategiewechsel des Sprechers zu lesen, der darauf reagiert, dass seine bisherigen Ausführungen Calvinus nicht überzeugen konnten (Jones 1993, 90–92; Braund 1997, 81–83).

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Thematisch bringt die Satire mit ihrer Kritik an der weit verbreiteten perfidia nicht viel Neues, aber die Darstellung als ein Dialog mit einem uneinsichtigen Gesprächspartner gibt Juvenal die Gelegenheit, die bekannten Gedanken in neuer Form zu präsentieren. Man mag hier an einen Komödiendialog denken, in dem ein uneinsichtiger und zorniger Mensch von seinem Gesprächspartner zur Räson gebracht werden soll (vgl. Braund 1997, 78, die Calvinus mit dem Typus des reizbaren Alten in Verbindung bringt, sowie Keane 2015, 176). Insgesamt lassen die Aussagen der verschiedenen Figuren in der Satire das Gesamtbild einer Gesellschaft entstehen, die von Amoralität, Geldgier und Verbrechen geprägt ist. Einige Rezipienten werden über die allgegenwärtige perfidia entsetzt sein, andere dürften an den lebhaften und unterhaltsamen Darstellungen von Betrug und darauf folgender Entrüstung ihre Freude haben. Vierzehnte Satire Nach Satire 13 präsentiert auch die vierzehnte Satire, das mit 331 Versen längste Gedicht des fünften Buchs, vor allem lasterhaftes Verhalten, wie es in den Satiren häufig vorkommt. Dabei steht das Laster der Habgier im Mittelpunkt. Das Gedicht beginnt mit Beispielen für schlechtes Verhalten, das Kinder von ihren Eltern übernehmen, und darunter begegnen uns die folgenden bekannten Themen: Kritik am Luxus, auch an übertriebenem Tafelluxus ab (V. 6–14; vgl. Satiren 5 und 11), grausames Verhalten gegenüber Sklaven (V. 15–24; vgl. 6.474–493), Ehebruch (V. 25–30; vgl. 6.231– 241), Verschwendungssucht (V. 86–95; vgl. 6.349–365) sowie fremde Sitten und Gebräuche (V. 96–106; vgl. 6.542–545). Der zweite Teil zeigt dann, wie Eltern ihre Kinder zu habgierigen Menschen machen, und auch diese Darstellungen greifen Themen aus früheren Satiren auf: Kritik an dem Irrglauben, materieller Reichtum



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sei wichtiger als ein gesundes Leben (V. 156–160; vgl. 10.188–239), Preisung einer früheren gottesfürchtigen Gesellschaft als Gegensatz zum Leben im Luxus (V. 161–188; vgl. 11.77–135), übertriebenes Karrierestreben (V. 189–209; vgl. 10.1–27) und Morde aus Habgier innerhalb der Familie (V. 210–255; vgl. 6.627–661). Im dritten Teil der Satire lesen wir schließlich, wie der habgierige Mensch lebt und unter seiner Habgier selbst zu leiden hat. Dort geht die Darstellung eines zur See fahrenden Händlers in die Schilderung eines Schiffbruchs über (V. 275–302). Damit greift der Satiriker die Beschreibung des Schiffbruchs in Satire 12 (V. 17–82) auf. Man vergleiche etwa den ironischen Aufruf zur Seefahrerei in 12.57–59 i nunc et ventis animam committe dolato confisus ligno, digitis a morte remotus quattuor aut septem, si sit latissima, taedae; Na los, übergib dein Leben den Winden im Vertrauen auf das zurechtgehauene Holz, vom Tode getrennt durch ein vier oder – wenn es sehr dick ist – sieben Finger starkes Fichtenbrett!

mit 14.288–291: curatoris eget qui navem mercibus implet ad summum latus et tabula distinguitur unda, cum sit causa mali tanti et discriminis huius concisum argentum in titulos faciesque minutas.

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... einen Vormund benötigt jemand, der ein Schiff bis oben hin mit Waren anfüllt und vom Wasser nur durch ein Brett getrennt wird, obwohl der Grund für so großes Leid und diese Gefahr bloß Silber ist, das man zu Inschriften und winzigen Gesichtern zerhackt hat.

Damit liefert die vierzehnte Satire im Nachhinein einen weiteren Hinweis darauf, dass die Darstellung des Schiffbruchs in Satire 12 wohl nicht einfach Mitleid mit dem schweren Schicksal des schiff-

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brüchigen Freundes ausdrückte, sondern dort ebenfalls als Kritik am Streben nach Reichtum verstanden werden soll (vgl. S. 79 f.). In der Forschung wurde vor allem das Ende der Satire ausgiebig diskutiert: Als letztes Beispiel für habgieriges Verhalten wird beschrieben, wie der bereits aus Satire 1 (V. 109) bekannte Licinus in panischer Angst vor dem Verlust seines Besitzes durch Feuer lebt (V. 303–308), und diesem das einfache Dasein eines Kynikers gegenübergestellt, der nichts zu verlieren hat und dem solche Seelenqualen deshalb fremd sind (V. 308–314). Darauf folgt die Wiederholung der bereits in Satire 10 getätigten Ansprache an das Schicksal (V. 315 f.; vgl. 10.365–366a) und dann die Erwähnung des Epikur und des Sokrates, deren geringe materielle Ansprüche den Menschen als Maßstab dienen sollten, wie viel man zum guten Leben benötige – ein Maß, das ausdrücklich als natürlich ausgewiesen wird (V. 316–321). Überraschenderweise räumt der Satiriker im Anschluss jedoch ein, dass die genannten Vorgaben für den Adressaten etwas zu hart sein mögen, und gewährt diesem, ein Leben mit dem Besitz eines römischen Ritters – also eines wohlhabenden, nicht aber schwerreichen Mannes – zu führen oder auch doppelt oder dreimal so viel wie ein Ritter zu besitzen (V. 322–326). Man hat versucht, das als ernsthafte Auseinandersetzung mit der Frage zu deuten, welche Norm für menschliche Ansprüche gelten sollte (Kleywegt 1979, 295). Allerdings spricht Juvenals Vorbild für die hypothetische Steigerung des Vermögens, der Schluss von Persius’ sechster Satire, gegen diese Deutung. Bei Persius wird einem Habgierigen auf ironische Weise der Vorschlag gemacht, so viel Geld zu scheffeln, wie er nur kann, da er ja ohnehin nie zufrieden sein werde, worauf der Gierige geradezu begeistert reagiert (V. 78 f.; vgl. dazu Kißel 1990 ad loc.). So legt es dieser Prätext nahe, dass auch Juvenals Sprecher seinem Adressaten hier keineswegs gestatten möchte, ein stattliches Vermögen zusammenzutragen. Vielmehr dürfte das Entgegenkommen des Satirikers gegenüber den Bedürfnissen des Adressaten wei-



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tere Kritik an habgierigen Menschen implizieren, die nie genug bekommen können. Die zumindest auf den ersten Blick überraschende »Verhandlung« des Sprechers mit einem habgierigen Menschen, fügt sich gut in die mitunter ungeordnet und schwer nachvollziehbar wirkende Gesprächsführung ein, die für Satire 14 typisch ist. So wechselt der Satiriker in auffälliger Weise von allgemeinen Ausführungen zu direkten Ansprachen an den bzw. die Adressaten. Der in V. 1 angesprochene Fuscinus wird namentlich nicht mehr genannt, ist somit als Person nicht greifbar (er bleibt gewissermaßen im Dunkeln, wie es der Anklang an das Adjektiv fuscus impliziert) und verschmilzt durch die häufige Verwendung der 2. Person mit der allgemeinen Leserschaft (Stein 1970, 34 m. Anm. 2). Tatsächlich haben die Ansprachen an die 2. Person gerade im ersten Teil der Satire offenbar die Funktion, die Leser unmittelbar in die Ausführungen einzubeziehen (z. B. V. 25: exspectas ...?). Aber es werden auch konkrete Figuren angesprochen, vor allem diejenigen, die als Beispiele (oder ist es nur ein Beispiel?) für habgieriges Verhalten genannt werden. Der häufige Wechsel 2. und 3. Person und die Unklarheit, ob immer derselbe Habgierige angesprochen wird oder ob verschiedene Figuren präsentiert und der Lächerlichkeit preisgegeben werden, verwirrt. Corn (1992) schließt aus der nicht immer leicht nachvollziehbaren, oft emotional geprägten und teilweise hyperbolischen Ausdruckweise des satirischen Sprechers, dass dessen Haltung als überzogen dargestellt und seinen Aussagen der Boden entzogen wird (z. B. ebd., 312 zu V. 42). Keane (2015, 184) sieht den Sprecher von Satire 14 dagegen als alten Mann, der in seniler Geschwätzigkeit nicht immer klar fokussiert argumentiere. Wiederum sollte jedoch nicht außer Acht gelassen werden, wie sehr die Satire trotz all dieser Besonderheiten auch an frühere Gedichte Juvenals erinnert, sodass eine grundsätzliche Änderung der Sprecher-persona eher unwahrscheinlich ist. Insgesamt dürfte die nicht immer klare Sprechsituation den Eindruck erwecken, dass

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die beschriebenen Laster fest in die gesamte römische Gesellschaft integriert sind. Diese Aussage erinnert an weitere Satiren Juvenals, insbesondere an die unmittelbar vorangehende Satire 13. Neu und im Vergleich zu Satire 13 ist jedoch Folgendes: Alle Adressaten der Satire – also auch wir, die allgemeine Leserschaft – gehören zu den beschriebenen habgierigen Menschen oder stehen zumindest im Verdacht, das Streben nach materiellen Werten zu dem zentralen Inhalt ihres Lebens zu machen. So gelingt es Juvenal, das Bild einer von Lastern durchzogenen Gesellschaft noch einmal zu intensivieren. Fünfzehnte Satire Mit ihrer unverhohlenen Fremdenfeindlichkeit, ihrer teilweise widersprüchlich anmutenden Argumentation und einer detaillierten Darstellung von Kannibalismus hat die letzte vollständige Satire in Juvenals Werk zahlreiche Vertreter der Forschung irritiert. Noch mehr als bei anderen Gedichten herrscht Unklarheit über das primäre Thema der Satire – Geißelung des Kannibalismus, Angriffe gegen die Ägypter oder ein allgemeiner Aufruf zur humanitas? – sowie über die Frage, wie ernst wir die Ausführungen des satirischen Sprechers überhaupt nehmen sollen. Auch wenn die Gedankenführung der Satire stellenweise irritiert, dürften es sich die Vertreter der These, dass die auf überzogene Weise intolerant – ja, rassistisch – wirkenden Aussagen der fünfzehnten Satire durchweg unglaubwürdig seien, zu einfach machen (vgl. McKim 1986, 58–60; Anderson 1987, 204), da eine solche Sichtweise letztlich anachronistisch ist (vgl. Tennant 1995; Kißel 2013, 381 f.; s. o. S. 13 f.). Problematisch ist auch die Interpretation von Uden (2014, 204–218), dem zufolge die Satire eine in sich widersprüchliche Konzeption des römischen Reichs reflektiert: Zur Zeit Hadrians sei man von der Verbreitung einer einheitlichen



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griechisch-römischen Kultur ausgegangen, obwohl es kaum mehr möglich gewesen sei, die unterschiedlichen Völker und ihre Kulturen voneinander zu unterscheiden, und es keine klar definierte römische Identität mehr gegeben habe. Doch wie sollte man ausgerechnet bei der Lektüre dieser Satire, die wie auch die unmittelbar vorangehenden Gedichte an zahlreichen Stellen an Juvenals frühere Satiren erinnert, auf diese romkritische Interpretation gekommen sein? Gerade Angriffe gegen Ägypten und seine Bewohner, insbesondere den neureichen Crispinus sowie das angeblich sittenlose Canopus sind uns bereits mehrfach begegnet (zusammenfassend: Fredericks 1976, 181; vgl. 1.26–29; 4.1–30; 108 f.; 6.83 f.). Auch der Hinweis, dass solche Ungeheuerlichkeiten, wie man sie heutzutage sehen müsse, selbst die Schrecken mythologischer Stoffe – insbesondere in der Tragödie übertrifft (15.27–32), ist dem Juvenalleser bereits vertraut (vgl. Fredericks 1976, 178. und 6.634–661). Dabei erinnert die Erwähnung der Erschaffung des Menschengeschlechts durch Deucalion und Pyrrha (15.30) konkret an die erste Satire, wo Pyrrha ebenfalls als Schöpferin der Menschheit genannt wird (V.  84); dass die Flut eine Reaktion auf die Freveltat des arkadischen Königs Lycaon war, der Jupiter Menschenfleisch zum Essen vorsetzte (Ov., Met. 1.163), passt in der Tat sehr gut zum Kontext des Kannibalismus (vgl. Lorenz 2004, 903 f.). Trotzdem gibt es auch in diesem Gedicht einzelne Stellen, an denen die Argumentation nicht schlüssig wirkt. Dies gilt zum Beispiel für den Exkurs über die körperliche Degeneration der Menschheit. Über den Kampf der verfeindeten ägyptischen Nachbarvölker aus Ombi und Tentura, während dessen es zum Exzess des Kannibalismus kommt, lesen wir unter anderem Folgendes (V. 59–71): ludere se credunt ipsi tamen et puerilis exercere acies, quod nulla cadavera calcent. et sane quo tot rixantis milia turbae,

60

90

Einführung si vivunt omnes? ergo acrior impetus et iam saxa inclinatis per humum quaesita lacertis incipiunt torquere, domestica seditioni tela, nec hunc lapidem, qualis et Turnus et Aiax, vel quo Tydides percussit pondere coxam Aeneae, sed quem valeant emittere dextrae illis dissimiles et nostro tempore natae. nam genus hoc vivo iam decrescebat Homero, terra malos homines nunc educat atque pusillos; ergo deus quicumque aspexit, ridet et odit.

65

70

Doch sie selbst meinen, dass sie nur Unfug treiben und wie Kinder Krieg spielen, weil sie ja nicht auf Leichen treten. Und in der Tat: Was bringt es, dass so viele Tausend in der streitenden Menge mitmachen, wenn die alle am Leben bleiben? Also wird der Angriff heftiger, und schon sammeln sie Steine vom Boden auf und beginnen sie mit erhobenen Armen zu schleudern – heimische Waffen für einen Aufstand und keinen Stein, wie ihn Turnus und auch Ajax schleuderten, oder den, mit dessen Gewicht der Sohn des Tydeus die Hüfte des Aeneas traf, sondern wie ihn eine rechte Hand werfen kann, die nicht so ist wie jene, sondern so, wie sie zu unserer Zeit entsteht. Denn das Menschengeschlecht schrumpfte bereits zu Lebzeiten Homers, und jetzt bringt die Erde üble und ganz kleine Menschen hervor. Deshalb lacht jeder Gott, der sie erblickt, sie aus und hasst sie.

Der Satiriker attackiert die Brutalität der ägyptischen Völker, die es für kindisch halten (vgl. V. 59 f.: ludere und puerilis acies), wenn im Kampf niemand stirbt; das verstörende Bild der Kämpfer, die auf die Körper der Gefallenen treten, macht besonders deutlich, dass den Ägyptern hier menschliche Regungen abgesprochen werden. Damit verbindet der Satiriker einen spöttischen Exkurs über die Unfähigkeit der Menschen, so große Steine zu schleudern, wie es die epischen Helden bei Homer und Vergil vermochten. Die Vorstellung, dass sich die körperliche Degeneration der Menschheit gerade am Steinewerfen ablesen lässt, zieht die epischen Prätexte auf ein niedriges Niveau herab und schlägt ausgerechnet kurz vor der detaillierten Beschreibung der Zerstückelung und Verspeisung



Einführung

91

eines Menschen einen komischen Ton an (vgl. Singleton 1983, 203). Der Kritik am brutalen Vorgehen der Ägypter verleiht dieser Exkurs sicher keine Überzeugungskraft. Ein Grund für die Schwächen in der Argumentation des Sprechers mag darin liegen, dass sich dieser – ähnlich wie in den frühen Satiren – von seiner Entrüstung über das beschriebene Ereignis mitreißen lässt und seinem Zorn in stellenweisen unkontrolliert wirkenden Tiraden Luft verschafft. Dies wiederum steht allerdings im deutlichen Gegensatz zu der Verurteilung der ira, die als zen­ traler Grund für den Kannibalismus der Ägypter genannt wird (V.  131). Zudem bereitet der Hinweis auf den Zorn die Ausführungen zum Mitgefühl, das einigen Menschen offenbar abhandengekommen ist, vor (V. 131–171) – eine Passage, in welcher der satirische Sprecher sehr ernst wirkt. Für einen besonders deutlichen Widerspruch sorgt der Beginn der Satire, an dem der Sprecher die Ägypter für ihre aus seiner Sicht sonderbare Götterverehrung und die damit verbundenen Essgewohnheiten kritisiert: Bei den Ägyptern, so heißt es, würden sogar einige Pflanzen verehrt und daher nicht gegessen (V. 9: porrum et caepe nefas violare et frangere morsu – »Es gilt als Frevel, Lauch und Zwiebel Gewalt anzutun und sie mit den Zähnen zu zerstückeln.«). Man hat darauf hingewiesen, dass die Stelle an Horazens Formulierung seu porrum et caepe trucidas (»wenn du Lauch und Zwiebeln schlachtest«; Epist. 1.12.21) erinnert – eine spöttische Bemerkung über die Essgewohnheiten der Pythagoreer, die Fleisch und selbst manche Gemüsesorten mieden. Interessanterweise wird Pythagoras am Schluss von Juvenals Satire genannt und darauf hingewiesen, dass auch er von dem Kannibalismus in Ägypten entsetzt wäre. Dabei wird sein Verzicht auf den Verzehr von Fleisch sowie mancher Gemüsesorten explizit erwähnt. (V. 171–174). Courtney (1980, 611 f.) weist darauf hin, dass der Schluss an Aussagekraft verliert, wenn man sich an den Beginn der Satire, an die Verse 9–11, erinnert. Da die Speisegewohnheiten der Pythagoreer aus Ägypten

92

Einführung

stammen, wirkt die Konstruktion eines moralischen Gegensatzes zwischen den Ägyptern und Pythagoras umso weniger überzeugend (vgl. Plaza 2006, 318 f.). Man stellt sich die Frage, wieso Juvenal ohne Not zwei auffällige Stellen, an denen es um besondere Essgewohnheiten geht, in seine Satire eingebracht hat und diese dadurch widersprüchlich wirken lässt, dass dieses Verhalten einmal negativ bewertet und einmal im positiven Kontext genannt wird. Diejenigen Rezipienten, die solche Gegensätze wahrnehmen, dürften hier die Haltung der Sprecher-persona hinterfragen; andere werden dem satirischen Sprecher in seinen Attacken gegen die Ägypter gerne folgen. Die sprunghaft wirktende Art der Darstellung in den Satiren, in denen nicht immer klar ist, wie ernst wir die moralische Botschaft nehmen sollen und welche Maßstäbe tatsächlich Gültigkeit besitzen, wird in diesem Gedicht besonders deutlich (Vgl. Plaza 2006, 320 f.; s. o. S. 19). Plaza (2006, 340) bietet zudem eine metapoetische Lesart der Satire an: Wenn die Gattung Satire auf humorvolle Weise von der Barbarei des Kannibalismus spreche, stoße sie mit ihrem Humor an ihre Grenzen. Da die Satirendichtung mehrfach mit Speisen verglichen wird, liege der Schluss nahe, dass die radikale Satire 15 selbst am Kannibalismus teilnehme und die Gattung sich somit schließlich selbst verzehre. Ich weiß nicht, ob wir die fünfzehnte Satire wirklich als Abschied von der sich nun selbst verspeisenden Gattung lesen sollten. Allerdings hat Juvenal in diesem Gedicht gängige Themen der früheren Satiren durch das Thema des Kannibalismus in einen derart drastischen Kontext integriert, dass sich die Frage stellt, wie der Sprecher seine satirischen Ausführungen in Zukunft noch weiter steigern könnte. Tatsächlich wäre Satire 15 in ihrer Radikalität wohl ein geeigneter Abschluss des Buchs. Vielleicht ist der fragmentarische Zustand von Satire 16 ein Hinweis darauf, dass diese Satire gar nicht als Teil von Buch 5 konzipiert worden war. Als Schlusspunkt des Werks würde Satire 15 gut passen.



Einführung

93

Sechzehnte Satire Von der sechzehnten Satire Juvenals sind allein sechzig Verse überliefert, die offenbar den Beginn des Gedichts bildeten. Der Text bricht mitten im Satz ab, und so stellt sich die Frage, wie es zu dem fragmentarischen Zustand der Satire kam. Auch die Autorschaft Juvenals wurde mitunter in Zweifel gezogen (vgl. die übersichtliche Darstellung der Forschung bei Stramaglia 2008, 292–295). Wie gesehen (vgl. das Vorangehende) würde die fünfzehnte Satire einen inhaltlich passenden Abschluss des fünften Buchs bilden, was ein Hinweis darauf sein mag, dass dieses Fragment eigentlich nicht hierher gehört, sondern nachträglich ans Ende des Werks angefügt wurde. Allerdings ließe sich das Fehlen der übrigen Verse von Satire 16 gut mit der mechanischen Beschädigung eines Kodex erklären (Stramaglia 2008, 292 f.), die natürlich gerade den Schluss des Werks betroffen haben könnte. Inhaltlich geht es um das unanständige und brutale Verhalten von Soldaten, die man dafür jedoch nicht belangen könne, da ihr Status ihnen verschiedene Sonderrechte verschaffe. Das Thema ist in Juvenals Satiren neu, die hier enthaltene Kritik an sozialen Missständen erinnert jedoch an mehrere Gedichte Juvenals. Insbesondere wurden Versuche unternommen, Bezüge zu weiteren Satiren in Buch 5 herzustellen (Clark 1988; Keane 2007, 48–51; Stramaglia 2008, 293–295). Clark (1988, 123–125) schließt aus der Unmöglichkeit, dass ein Zivilist vor einem Militärgericht in einem Prozess gegen einen Soldaten Recht bekommt, dass es in Satire 16 um grundlegende Fragen von Recht und Gerechtigkeit geht. Darin sieht sie ein grundsätzliches ethisches Problem des Zusammenlebens in der Gesellschaft und somit ein typisches Thema von Buch 5, bezieht sich in ihrer Argumentation aber vor allem auf Ähnlichkeiten mit Satire 3. Keane (2007, 48 f.) räumt ein, dass Satire 16 auf den ersten Blick nicht zur ethisch geprägten Ausrichtung von Buch 5 passe, meint dann aber in der Art der Argumentation einen Bezug zu

94

Einführung

den übrigen Satiren des Buchs zu erkennen: Dass die Satire mit den Vorzügen des Soldatenstatus beginnt, bevor die Klagen über die Ungerechtigkeit in den Prozessen gegen Soldaten geschildert werden, lasse an das in der Diatribensatire häufige Thema der mem­ psimoiria, der Unzufriedenheit des Menschen mit seinem Schicksal, denken. Sowohl Clark als auch Keane versuchen jedoch, aus Inhalten, die für Juvenals Satiren im Allgemeinen typisch sind, die Besonderheit einer philosophischen Argumentation herausarbeiten. Dies ist letztlich nur deshalb möglich, weil eben ein Großteil der Satire fehlen dürfte, in dem möglicherweise die philosophischen Inhalte vollständig klar gemacht wurden. Die erhaltenen Verse von Satire 16 könnten tatsächlich ebenso gut in jedes andere Buch Juvenals passen, doch auch als Teil von Buch 5 ergeben die überlieferten Verse durchaus einen Sinn. In den übrigen Gedichten des Buchs gibt es ja ebenfalls zahlreiche Inhalte, die an die früheren Satiren Juvenals erinnern. Angesichts dessen wäre es geradezu verwunderlich, wenn dies in Satire 16 nicht auch so wäre. Letztlich ist die Zugehörigkeit zu Buch 5 oder zu einer der anderen Sammlungen Juvenals ebenso schwer zu beweisen wie zu widerlegen. 4. Rezeption und Nachleben Das Nachleben von Juvenals Satiren von der Antike und Spätantike über das Mittelalter bis in die Neuzeit ist derart vielfältig und auch regional so unterschiedlich, dass hier nicht einmal ein allgemeiner Überblick geboten werden kann. Eine erschöpfende und sowohl nach Epochen als auch nach Ländern geordnete Auseinandersetzung mit der Forschungsliteratur der letzten Jahrzehnte bietet der Bericht von Kißel (2013, 387–417), der zudem besonderes Augenmerk auf Forschungsbeiträge zur Juvenalkommentierung legt. Juvenals Satiren scheinen recht bald nach seinem Tod zunächst



Einführung

95

weitgehend in Vergessenheit geraten zu sein; jedenfalls sind antike Zeugnisse einer Auseinandersetzung mit Juvenal aus der Zeit vor dem vierten Jahrhundert sehr knapp (vgl. den kurzen Überblick bei Hooley 2012, 340; ausführlich zu Juvenal in der Antike, der Spät­ antike und dem Mittelalter: Highet 1954, 180–205; zu einer möglichen Juvenalrezeption durch Lukian vgl. zuletzt Manzella 2016). Die in den Satiren geäußerte Kritik an sittenwidrigem Verhalten entsprach offenbar den Vorstellungen des frühen Christentums und auch christlich geprägten Moralvorstellungen in den folgenden Jahrhunderten (Highet 1954, 182 weist darauf hin, dass Juvenal selbst wohl die Christen, die ihn positiv bewerteten, verachtet hätte). So ist es die Zeit der Spätantike und des Mittelalters, in der sich Juvenals Ruf als der eines Sittenwächters etablierte (Highet 1954, 184: »a thinker with standards higher than most pagans«; Hooley 2012, 340: »Juvenal the moralist«). Aus der Spätantike stammen auch die ersten Kommentierungen der Satiren. Diese dürften wiederum teilweise auf antike Juvenalscholien zurückgehen, die für uns aber kaum mehr greifbar sind (Townend 1972). Die Äußerung von Sittenkritik gilt auch in der Neuzeit als zentrales Merkmal von Juvenals Satiren. Da die Gattung Satire in der englischen Literatur traditionell eine wichtige Rolle spielt, war die englischsprachige Juvenalrezeption besonders ergiebig und ist zudem der Gegenstand zahlreicher Forschungsbeiträge über Rezeptionsdokumente von der Renaissance bis heute (vgl. die ausführliche und nicht auf die englischsprachige Rezeption beschränkte Darstellung bei Highet 1954, 206–232; den knappen Überblick bei Hooley 2012, 341–361; den Bericht über Forschungsbeiträge zu Juvenal in England und Amerika bei Kißel 2013, 404–408). Wenn man aus den unzähligen Autoren und Texten einen herausheben will, dann wohl am ehesten Samuel Johnsons Stadtsatire auf London, die natürlich auf Satire 3 zurückgeht, sowie die von Juvenals zehnter Satire inspirierte Schrift The Vanity of Human Wishes (vgl. die Ausgabe von Rudd 1981).

96

Einführung

Eine Auseinandersetzung mit der Präsenz der Satiren in der Gegenwart bietet Winkler (2012), der die Darstellungsweise des Satirikers mit Techniken vergleicht, wie sie in Film und Fernsehen zur Anwendung kommen (»The Satirist’s Camera Eye«). Interessant ist insbesondere Winklers (ebd., 523 f.) Vergleich von Juvenals satirischem Sprecher (s. o. S. 12 ff.) mit dem Dokumentarfilmer Michael Moore, der im Sinne seiner kritischen und entlarvenden Darstellung von Missständen offenbar ebenfalls eine provozierende (und nicht immer angenehme) persona geschaffen hat. Natürlich wirken antike satirische Texte auf uns deshalb sehr vertraut, weil sie zeitgenössischen satirischen Darstellungen auf den ersten Blick sehr ähnlich sind, und darin mag auch eine Täuschung liegen, die uns veranlasst, die Unterschiede angesichts der Gemeinsamkeiten zu ignorieren. Gleichzeitig ist der Umstand bemerkenswert, dass offenbar sowohl in antiken als auch in ganz aktuellen Texten überzeugende Aussagen vorgebracht werden können, die gleichzeitig deutliche Ironiesignale enthalten. 5. Zum Text dieser Ausgabe Die Satiren Juvenals sind in mehreren Handschriften überliefert, die in die Klassen P (bzw. die aus dem 9. Jh. stammende Handschrift P und ihre Verwandten) und Φ eingeteilt werden, wobei Φ grundsätzlich als weniger zuverlässig gilt, stellenweise jedoch die korrekte Lesart bieten dürfte (vgl. die Zusammenfassung von Courtney 1980, 42–45; dort wird zudem eine dritte Gruppe von Handschriften mit Teilen der Satiren genannt, die sowohl Lesarten aus P als auch aus Φ bieten: »those which hover in the middle«). Zahlreiche moderne Ausgaben basieren auf einer genauen Analyse der Handschriften, sodass hier keine detaillierte Darstellung der Überlieferungslage geboten werden muss (vgl. für übersichtliche Zusammenfassungen: Nisbet 1989, 285–287; Parker 2012). Wie die meisten jüngeren Über-



Einführung

97

setzungen und Kommentare – und auch wie die frühere TusculumAusgabe von Adamietz (1993) – basiert der vorliegende Band auf dem Text von Clausen (21992) und nicht etwa auf der jüngeren, aber in ihren Eingriffen in den Text allzu progressiven Ausgabe von Willis (1997; vgl. dazu die Anmerkungen bei Kißel 2013, 21 f.). Eine Liste der Stellen, an denen der hier wiedergegebene lateinische Text von Clausen und/oder Adamietz abweicht, folgt weiter unten. Trotz der guten Überlieferungslage sind zahlreiche Stellen in den Satiren textkritisch umstritten. Die meisten Debatten betreffen Verse oder Versgruppen, die aufgrund sprachlicher, inhaltlicher oder überlieferungsgeschichtlicher Probleme als spätere – zumeist antike oder spätantike – Ergänzungen verdächtigt wurden. Die Suche nach solchen Interpolationen wird von einigen Vertretern der Forschung als eine Modeerscheinung des 19. Jahrhunderts abgetan (vgl. etwa Braund/Parker 2012, 451: »the Great Game of the nineteenth century«); man mag hier etwa an Ribbeck (1865) denken, der ganze Satiren Juvenals für unecht erklärte (vgl. oben S. 40). Es ist jedoch eine überzogene Reaktion auf derartige Vorgehensweisen, wenn sich einige Vertreter der modernen Juvenalforschung darum bemühen, nach Möglichkeit alle der Interpolation verdächtigten Stellen zu rechtfertigen und als Schöpfungen Juvenals auszuweisen (so z. B. Högg 1971). Andere Gelehrte sehen hingegen nach wie vor eine starke Notwendigkeit, den überlieferten Juvenaltext kritisch zu lesen und von Interpolationen zu befreien – nicht zuletzt die Teubner-Ausgabe von Willis (1997), der zahlreiche Eingriffe in den Text vornimmt. Letztlich wird die Debatte über die juvenalische Autorschaft einzelner Stellen jedoch häufig auf der Basis von Plausibilitäten geführt. Mit Recht bezeichnet Tarrant (1987, 281) die Interpolationsforschung daher als »a game without rules, or at best one in which the rules are known only to the critic« und bemüht sich um die Entwicklung klarer Kriterien, anhand derer die Entscheidung, ob ein Textstück von dem Autor des Werks stamme oder nicht, getroffen werden kann.

98

Einführung

Auch Adamietz (1993, 494 f.) empfiehlt in seiner Tusculum-Ausgabe, beim Umgang mit möglichen Interpolationen »nicht vom einzelnen Vers auszugehen, sondern diese Erscheinung insgesamt in den Blick zu nehmen und sich darüber hinaus über die Interpolationen in den lateinischen Dichtertexten generell zu informieren, über ihre Voraussetzungen, Gründe und Typen«. Weiterhin warnt Adamietz davor, die bloße Interpretierbarkeit einer Stelle als Beweis für ihre Echtheit anzunehmen (ebd., 496: »auch bestens erklärte Verse können unecht sein«), und stellt fest (497): »Im Laufe vieler Jahre der Beschäftigung mit dem Juvenal-Text ist bei mir die Überzeugung gewachsen, daß doch mehr Verse als gefälscht zu betrachten sind, als andere zu athetieren bereit sind.« Wenn jedoch weder die Überlieferung noch sprachlich-stilistische Gründe Zweifel an der Authentizität einer Stelle wecken, dann kann man wohl nur durch die Überprüfung der inhaltlichen Schlüssigkeit sowie eine Erklärung im Kontext über die Echtheit entscheiden. Zudem ist von Bedeutung, dass die Argumentation des Sprechers in Juvenals Satiren häufig sprunghaft und überraschend, teilweise widersprüchlich und mitunter schwer verständlich ist (s. o. S. 39). Auch darf nicht vernachlässigt werden, dass Juvenals Darstellungen zahlreiche parenthetische Bemerkungen enthalten (dazu Dimatteo 2016), die natürlich besonders leicht in den Verdacht einer Interpolation geraten können. All dies sollte zu besonderer Vorsicht mahnen, bevor das Urteil gefällt wird, dass eine Aussage den Sinnzusammenhang stört und somit nicht von Juvenal stammen kann. Andererseits mag die nicht immer auf den ersten Blick einleuchtende Argumentationsweise gerade dafür gesorgt haben, dass zu einzelnen Begriffen oder Aussagen nachträglich erklärende Ergänzungen oder Kommentare in den Text eingefügt wurden (vgl. dazu Tarrant 1987, 290–292); die Darstellungsweise liefert also gute Gründe, warum es überhaupt zu Interpolationen kam. Dennoch wurde in dieser Ausgabe beim Umgang mit möglichen Interpolationen ein eher konservativer Ansatz



Einführung

99

verfolgt, und verdächtige Stellen, die sprachlich akzeptabel wirken und im Kontext einen guten Sinn ergeben, wurden in der Regel nicht gestrichen. Zu diesen Stellen wird in den Anmerkungen stets auf die Forschungsdiskussion hingewiesen. Die in Bezug auf ihre Echtheit am stärksten umstrittene Passage in Juvenals Satiren ist das sogenannte Oxford-Fragment, das 1899 von dem Studenten E. O. Winstedt in einer in Oxford aufbewahrten zu der Klasse Φ gehörenden Handschrift entdeckt wurde. Es handelt sich um eine Passage in der sechsten Satire über den Umgang von Frauen mit Kinäden, also mit Männern, die in sexuellen Beziehungen zu anderen Männern den passiven Part einnehmen und in der römischen Literatur grundsätzlich als Normverletzer dargestellt werden. Vierunddreißig zusätzliche Verse (O 1–34) erscheinen nach 6.365, zwei weitere (6.373A, 373B) folgen auf 6.373. Natürlich könnte der Inhalt der Verse als anstößig betrachtet worden sein, was ein Grund für ihr Verschwinden aus großen Teilen der Überlieferung gewesen sein mag. Allerdings enthält die Passage etliche schwer verständliche und textlich hochumstrittene Formulierungen, die auf eine nachjuvenalische Autorschaft hinweisen könnten, und auch die Frage, an welche Stelle von Satire 6 sie gehören, lässt sich nicht so einfach beantworten, sodass Zweifel an der Echtheit bestehen bleiben (vgl. die umsichtige Darstellung der Debatte bei Watson/Watson 2014, 52–55; zuletzt hat Rota 2016 Vorarbeiten zu einer erneuten Untersuchung des Fragments vorgelegt, in denen vor allem die Überlieferungsgeschichte in den Blick genommen und zudem ein umfassender Forschungsbericht zum Thema geboten wird). Braund und Parker (2012, 453) geben den Stand der Forschung nicht ganz zutreffend wieder (und sind allzu stark auf die anglo-amerikanische Forschung fixiert), wenn sie feststellen: »The Oxford lines are now generally accepted.« Da jedoch etliche Gelehrte die Verse als echt einschätzen und als integralen Bestandteil von Juvenals Werk interpretieren, werden sie auch in der vorliegenden Ausgabe als Teil von Juvenals Satiren präsentiert

100

Einführung

und erscheinen nicht in eckigen Klammern. Damit gehe ich anders vor als Adamietz (1993, 497), der vehement forderte, »daß jenes Machwerk von Juvenal fernzuhalten ist.« Es folgt eine Liste der Stellen, an denen der Text des vorliegenden Bandes von der Oxford-Ausgabe von Clausen und/oder dem Tusculum-Band von Adamietz abweicht. Dabei handelt es sich um mögliche Interpolationen, unterschiedliche Lesarten, Unterschiede in der Interpunktion und vereinzelte Abweichungen in der Orthographie. Grundsätzlich wurden an Stellen mit einem offensichtlich korrupten Text, die nur schwer zu heilen sind, auch dann vorgeschlagene Konjekturen aufgenommen, wenn nicht alle Zweifel an deren Stimmigkeit ausgeräumt werden konnten. So soll eine möglichst flüssige Lektüre der Satiren erleichtert werden. Auf derartige textliche Probleme wird in den Anmerkungen hingewiesen. Abweichungen im lateinischen Text Clausen 21992

Adamietz 1993

diese Ausgabe

1.46

premit

premat

premat

1.126

caput. noli vexare,

caput. noli vexare,

caput.” “noli vexare,

1.137–138

nam … mensa.

nam … mensa:

(nam … mensa).

1.144

[ ] (Knoche)

1.150

dices

dicas

dices

1.156

fumant,

fumant,

fumant. danach Textlücke (Housman)

1.157

deducit

deduces (Adamietz)

deducit

2.92

Cotyton

Cotyto

Cotyto

2.111

Cybeles

†Cybeles†

Cybeles

2.163–165

et tamen … tribuno.

et tamen … tribuno.

“et tamen … tribuno.”

2.168

†indulsit†

†indulsit†

indulsit (Cairns)



Einführung

101

Clausen 21992

Adamietz 1993

diese Ausgabe

3.65

ad circum

ad circum

ad Circum

3.102

nec dolet

nec dolet

ac dolet (Schäublin)

3.109

nihil †aut†

nihil †aut†

nihil illi et (Willis)

3.320

ad Helvinam Cererem ad Helvinam Cererem ad helvinam Cererem

4.7

emerit aedes

emerit aedes

4.8

[ ]

[ ]

4.10

sacerdos?

sacerdos?

sacerdos.

4.59

auster

auster

Auster

4.77

urbi.

urbi:

urbi:

4.78

[ ] (Heinrich)

4.116

[ ] (Courtney)

5.51

[ ] (Pinzger)

5.66

emerit aedes?

[ ]

5.91

[ ]

[ ] (Heinrich) [ ] (Pulmannus)

[ ]

5.104

†glacie aspersus†

†glacie aspersus†

varie aspersus (Ruperti)

5.112

face

face

fac

5.140

[ ] (Jahn)

[ ]

6.22

fulcri.

fulcri:

fulcri.

6.49–51

pudici. paucae … oscula.

pudici – paucae … oscula –,

pudici. paucae … oscula.

6.57

cedo

credo (Thierfelder)

cedo

6.107

deformia, sicut

deformia, sicut

deformia: sulcus (Nisbet)

6.117–118

Umstellung: 118, 117

Umstellung: 118, 117

117, 118

6.117

Palatino et tegetem

Palatino tegetem Palatino tegetem

6.120

sed

sed

sic (Ribbeck)

[ ] (Gruppe)

[ ]

6.133–135 6.195

relictis

ferendis (Housman)

ferendis

6.253

a sexu, vires amat?

a sexu, vires amat?

a sexu? vires amat.

102

Einführung Clausen 21992

Adamietz 1993

diese Ausgabe

6.279–281

equitis. dic, … equitis: dic, … colorem. haeremus. dic colorem! “haeremus.” ipsa. “olim dic ipsa! “olim

6.307–308

308 Maura, Pudicitiae 307 Maura, Pudicitiae 307 Tullia, quid 307 Tullia quid 308 Tullia quid 308 Maura, Pudicitiae

6.346–348

[ ] (Maas)

nach 6.365 O 1–34

[O 1–34] (Bücheler)

equitis: “dic, … colorem!” – “haeremus. dic ipsa!” – “olim

O 1–34

O9

psyllus ab †eupholio.† psyllus ab †eupholio.† psilus ab euhoplo. (Vianello)

O 11

†pulsatamque arma†

†pulsatamque arma†

pulsatoremque (Leo)

O 18

†servant†

†servant†

reserant (Axelson)

6.373AB

[ ] (Bücheler)

6.413

quod

quod

quae

6.415

†exortata†

†exortata†

exsecrata (Martyn)

6.418

canem, gravis … vultu. canem, gravis … vultu. canem. gravis … vultu

6.469

educit

6.537–538

cadurco et … serpens; cadurco et … serpens; cadurco. ut … serpens, (Reitzenstein)

educet (Jahn)

6.561

educet

[ ] (Ribbeck)

6.585

inde

†inde†

inde

6.629

vos ego

vos ego

vos quoque (Duff)

7.50

ambitiosi

ambitiosum (Jahn)

ambitiosum

7.50–51

[laqueo ... mali,] (Housman)

[consuetudo ... multos] [consuetudo ... multos] (Jahn)

7.93

[ ] (Markland)

7.135

[ ] (Knoche)

[ ]

7.135–136

utile, purpura vendit] causidicum vendunt amethystina,

utile, purpura vendit] causidicum vendunt amethystina,

7.181

[ ] (Heinrich)

[ ] utile: purpura vendit causidicum, vendunt amethystina.



Einführung

103

Clausen 21992

Adamietz 1993

diese Ausgabe

7.191–192

sapiens … generosus adpositam … alutae,

[sapiens ... generosus adpositam] alutae, (Reeve)

sapiens … generosus (adpositam … alutae),

7.193–194

iaculator et, si perfrixit iaculator, et, si perfrixit iaculator, etsi perfrixit (Reeve)

8.4

umeroque

umerosque

8.6–8

[ ] (Guyet)

[ ]

8.7

Corvinum, posthac

Corvinum, posthac

8.85–86 8.111

censorem posse ac (Harrison)

[ ] (Brown) haec etenim sunt

8.160 8.161

umerosque

haec etenim sunt

haec rapientur (Dimatteo)

[ ] (Jahn) salutans

salutat

salutat

8.220

Orestes

Orestes

Oresten (Jones)

8.241

†in†

sibi

sub

9.60

iugeribus paucis!

iugeribus paucis!

iugeribus paucis? (Courtney)

9.60

meliusne hic

melius nunc

melius, dic (Castiglione)

9.74

saepe

saepe

paene (Watt)

9.76

signabat;

migrabat:

migrabat:

9.79–80

[ ]

9.118

tum est his

9.119

[ ]

9.120–121

tum vel

tum est his [ ]

[ ]

9.132

convenient

conveniunt

conveniunt

9.134

spes superest, tu spes superest, tu spes superest. danach tantum erucis imprime tantum erucis imprime Textlücke (Courtney; vgl. dentem. dentem. Ribbeck)

9.134A

[ ]

[ ]

10.21

mota ... umbra

motae ... umbram

mota ... umbra

104

Einführung Clausen 21992

10.54–55

Adamietz 1993

diese Ausgabe

[ ]

10.54

aut quae

aut quae

et vel (Campana)

10.69

hunc hominem. sed quo

hunc hominem. sed quo

hunc hominem.” – “sed quo (Campana)

10.73

fortunam

fortunam

Fortunam

10.85–87

defensus. curramus … defensus. curramus … defensus.” – “curramus … hostem! sed hostem! sed hostem!” “sed (Campana)

10.197

†ille†

ore

ore

10.198

membra

labra

labra

10.225–226

[ ]

10.295

†atque suum†

osque suum

osque suum

10.312–314

mariti †irati† debet, nec … incidat. exigit

maritis iratis debent, nec … incidat. exigit

mariti exigere ira velit (nec … incidat). exigit (Campana)

10.321–323

ornatum; quid … inguinibus, sive … Catulla? deterior … mores.

ornatum: quid … inguinibus, sive … Catulla? [deterior … mores.]

ornatum (quid … inguinibus? sive … Catulla deterior, totos … mores). (Campana)

[ ]

[ ]

repulsa

repulsa

10.326 10.326

repulso

10.365–366

[ ]

11.16

ementur

ementur

emuntur

11.57

vita et

vita et

vita ipse et (Leo)

11.99

[ ]

[ ]

11.110

[ ]

11.147–148

[non a ... magno]

11.148

in magno

et magno

et magno:

11.165–170

[165–166]

[ ]

[165–166]

[168–169 maior ... sexus]

[168–169 maior ... sexus]



Einführung

105

Clausen 21992

Adamietz 1993

diese Ausgabe

12.28

pictores … pasci?

pictores … pasci?

(pictores … pasci?). (Stramaglia)

12.61

accipe

accipe

aspice

12.76

pharon

pharon

Pharon

13.153

[ ]

[ ]

13.179

minimus

missus

minimus

13.189

docens

docet

docet

13.213

sed vina

Setina

Setina

13.226

iudicet

vindicet

iudicet

13.237

quod

quid

quid

14.117

[ ]

[ ]

14.119 15.85–86

[ ] Prometheus donavit

15.86–87

Prometheus donavit

Prometheu, donasti (Griffith)

[elemento ... reor]

15.104

ventribus

ventribus

urbibus

15.134

amici

amictum

amictum

nach 16.2

Textlücke

16.41

[ ]

Tex t und Überse tzung

LIBER PRIMUS Satura I Semper ego auditor tantum? numquamne reponam vexatus totiens rauci Theseide Cordi? inpune ergo mihi recitaverit ille togatas, hic elegos? inpune diem consumpserit ingens Telephus aut summi plena iam margine libri scriptus et in tergo necdum finitus Orestes? nota magis nulli domus est sua quam mihi lucus Martis et Aeoliis vicinum rupibus antrum Vulcani. quid agant venti, quas torqueat umbras Aeacus, unde alius furtivae devehat aurum pelliculae, quantas iaculetur Monychus ornos, Frontonis platani convolsaque marmora clamant semper et adsiduo ruptae lectore columnae. expectes eadem a summo minimoque poeta. et nos ergo manum ferulae subduximus, et nos consilium dedimus Sullae, privatus ut altum dormiret. stulta est clementia, cum tot ubique vatibus occurras, periturae parcere chartae. Cur tamen hoc potius libeat decurrere campo, per quem magnus equos Auruncae flexit alumnus, si vacat ac placidi rationem admittitis, edam. cum tener uxorem ducat spado, Mevia Tuscum figat aprum et nuda teneat venabula mamma, patricios omnis opibus cum provocet unus quo tondente gravis iuveni mihi barba sonabat, cum pars Niliacae plebis, cum verna Canopi Crispinus Tyrias umero revocante lacernas ventilet aestivum digitis sudantibus aurum

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Erstes Buch Erste Satire Immer soll ich nur Zuhörer sein? Niemals soll ich dafür Vergeltung üben, dass ich so oft mit dem Theseus-Epos des schon heiseren Cordus gequält wurde? Ungestraft also soll jener mir Togaten vortragen und dieser Elegien? Ungestraft soll ein riesiger »Telephus« mir einen ganzen Tag rauben [5] oder ein »Orest«, der – obwohl schon der Rand des Buchs oben voll und auch die Rückseite beschrieben ist – noch nicht zum Ende kommt? Keiner kennt sein eigenes Haus besser als ich den Hain des Mars und die Grotte des Vulcanus, die in der Nähe der Aeolus-Felsen liegt. Was die Winde tun, welche Schatten Aeacus foltert, [10] von wo dieser andere Typ mit dem gestohlenen goldenen Fellchen wegfährt und wie groß die Eschen sind, die Monychus schleudert – all das ertönt ständig bei Frontos Platanen, bei dem zerbrochenen Marmor und bei den Säulen, die unablässiges Vortragen zertrümmert hat. Das kannst du gleichermaßen von dem besten und dem geringsten Dichter erwarten. [15] Okay, auch ich habe die Hand unter dem Stock weggezogen, auch ich habe Sulla den Rat gegeben, sich ins Privatleben zurückzuziehen und fest zu schlafen. Dämlich ist es, Gnade zu üben, wenn man überall unzähligen Poeten begegnet, und Papier zu sparen, das ohnehin verschwendet wird. Doch warum ich gerade das Feld befahren möchte, [20] über das der große Sohn der Stadt Aurunca seine Pferde lenkte – das will ich euch, wenn ihr Zeit habt und meine Begründung wohlwollend zulasst, verraten: Wenn ein verweichlichter Eunuch eine Frau heiratet, wenn Mevia einen etruskischen Eber erlegt und mit nackter Brust ihre Jagdspeere trägt, wenn ein einziger mit seinem Reichtum es mit allen Patriziern aufnehmen kann [25] (und zwar einer, der mir, als ich jung war, geräuschvoll den kräftigen Bart abrasierte), wenn einer aus dem Pöbel vom Nil, wenn der in Canopus geborene Sklave Crispinus sich einen Purpurmantel über die Schulter zieht und den goldenen Ring, den er im Sommer trägt, mit verschwitzten Fingern durch die

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SATURA I

nec sufferre queat maioris pondera gemmae, difficile est saturam non scribere. nam quis iniquae tam patiens urbis, tam ferreus, ut teneat se, causidici nova cum veniat lectica Mathonis plena ipso, post hunc magni delator amici et cito rapturus de nobilitate comesa quod superest, quem Massa timet, quem munere palpat Carus et a trepido Thymele summissa Latino, cum te summoveant qui testamenta merentur noctibus, in caelum quos evehit optima summi nunc via processus, vetulae vesica beatae? unciolam Proculeius habet, sed Gillo deuncem, partes quisque suas ad mensuram inguinis heres. accipiat sane mercedem sanguinis et sic palleat ut nudis pressit qui calcibus anguem aut Lugudunensem rhetor dicturus ad aram. quid referam quanta siccum iecur ardeat ira, cum populum gregibus comitum premat hic spoliator pupilli prostantis et hic damnatus inani iudicio? quid enim salvis infamia nummis? exul ab octava Marius bibit et fruitur dis iratis, at tu victrix, provincia, ploras. haec ego non credam Venusina digna lucerna? haec ego non agitem? sed quid magis? Heracleas aut Diomedeas aut mugitum labyrinthi et mare percussum puero fabrumque volantem, cum leno accipiat moechi bona, si capiendi

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ERSTE SATIRE

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Luft schwenkt (das Gewicht eines größeren Edelsteins könnte er nicht stemmen) [30] – dann ist es schwer, keine Satire zu schreiben. Denn wer wäre gegenüber den Missständen in dieser Stadt so unempfindlich und so abgehärtet, dass er sich im Griff hätte, wenn die neue Sänfte des Anwalts Matho vorbeikommt (die er allein ausfüllt), wenn danach einer kommt, der einen hochgestellten Freund denunziert hat und noch schnell die Überbleibsel des bereits aufgezehrten Adels zusammenraffen will [35] – einer, vor dem Massa Angst hat, den Carus mit einem Geschenk besänftigt und Thymele, die der vor Angst zitternde Latinus vorgeschickt hat; und wenn Leute dich beiseiteschieben, die sich ihre Erbschaften nachts verdienen, die auf dem Weg in den Himmel gelangen, welcher heutzutage der beste ist, wenn man größtmöglichen Erfolg haben will: über das Loch einer reichen Alten? [40] Bloß ein mickriges Zwölftel kriegt Proculeius, Gillo hingegen elf Zwölftel – ein jeder Erbe erhält seinen Anteil gemäß der Größe seines Penis. Jawohl, er soll seinen Lohn für diesen Kampf bis aufs Blut erhalten und so blass werden wie einer, der mit nackten Füßen auf eine Schlange getreten ist, oder wie ein Redner, der gleich am Altar von Lugudunum sprechen wird! [45] Was soll ich von dem gewaltigen Zorn erzählen, der in meiner ausgetrockneten Leber brennt, wenn hier ein Vormund, der seinen Schützling ausgeraubt und in die Prostitution getrieben hat, das Volk mit einem Trupp von Begleitern einschüchtert und dort einer, dessen Verurteilung vor Gericht folgenlos bleibt? Denn was ist schon Ehrlosigkeit, wenn nur das Geld in Sicherheit ist? Im Exil ist Marius und beginnt schon am Nachmittag mit dem Trinken und kostet den Zorn der Götter aus, [50] während du, Provinz, den Prozess gewonnen hast und weinst. Soll ich nicht meinen, dass all das zu der Lampe aus Venusia passt? Soll ich all das nicht behandeln? Ja, was denn sonst? Soll ich Geschichten von Herakles oder Diomedes erzählen oder von dem Muhen im Labyrinth oder von dem Meer, in das der Junge eingeschlagen ist, oder von dem fliegenden Handwerker, [55] während einer seine Frau verkuppelt und den Besitz ihres Liebhabers einstreicht, falls die Gattin das Recht zu erben nicht besitzt – ein Experte darin,

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SATURA I

ius nullum uxori, doctus spectare lacunar, doctus et ad calicem vigilanti stertere naso, cum fas esse putet curam sperare cohortis qui bona donavit praesepibus et caret omni maiorum censu, dum pervolat axe citato Flaminiam, puer Automedon? nam lora tenebat ipse, lacernatae cum se iactaret amicae. nonne libet medio ceras inplere capaces quadrivio, cum iam sexta cervice feratur hinc atque inde patens ac nuda paene cathedra et multum referens de Maecenate supino signator falsi, qui se lautum atque beatum exiguis tabulis et gemma fecerit uda? occurrit matrona potens, quae molle Calenum porrectura viro miscet sitiente rubetam instituitque rudes melior Lucusta propinquas per famam et populum nigros efferre maritos. aude aliquid brevibus Gyaris et carcere dignum, si vis esse aliquid! probitas laudatur et alget, criminibus debent hortos, praetoria, mensas, argentum vetus et stantem extra pocula caprum. quem patitur dormire nurus corruptor avarae, quem sponsae turpes et praetextatus adulter? si natura negat, facit indignatio versum qualemcumque potest, quales ego vel Cluvienus. Ex quo Deucalion nimbis tollentibus aequor navigio montem ascendit sortesque poposcit paulatimque anima caluerunt mollia saxa et maribus nudas ostendit Pyrrha puellas, quidquid agunt homines, votum, timor, ira, voluptas,

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ERSTE SATIRE

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zur Decke zu schauen, ein Experte auch darin, bei seinem Becher zu schnarchen, obwohl seine Nase wach ist; und wenn einer meint, er könne mit vollem Recht auf die Leitung einer Kohorte hoffen, und zwar einer, der seinen Besitz an die Rennställe verschenkt hat und das ganze Vermögen seiner Vorfahren losgeworden ist, [60] als er auf rasender Achse über die Via Flaminia dahinflog, ein junger Automedon? Denn die Zügel hielt er höchstselbst, während er vor seiner Freundin in ihrem Armeemantel angab. Will man da nicht gleich mitten auf der Kreuzung Wachstafeln, auf denen viel Platz ist, vollschreiben, wenn einer schon von sechs Nacken getragen wird, [65] von dieser wie auch von jener Seite sichtbar in einem fast unverhüllten Tragesessel, wobei er sehr an den lässig zurückgelehnten Maecenas erinnert – einer, der ein gefälschtes Dokument unterzeichnet hat und edel und reich geworden ist durch kleine Täfelchen und ein befeuchtetes Siegel? Da kommt eine einflussreiche Dame, die vorhat, den leichten Wein aus Cales [70] zu servieren, wenn ihr Mann Durst hat, und Krötengift hineinmischt. Auch hat diese noch tüchtigere Lucusta den unerfahrenen Frauen in ihrer Familie beigebracht, ihre schwarz verfärbten Männer – begleitet von üblem Gerede und dem öffentlichen Trauerzug – zu bestatten. Trau dich, etwas zu tun, das mit dem engen Gyara und dem Kerker bestraft werden müsste, wenn du jemand sein willst! Anständigkeit wird gepriesen und friert. [75] Ihren Verbrechen verdanken sie Parkanlagen, Paläste, Tische, Antiquitäten aus Silber und Becher mit dem Relief eines Ziegenbocks. Wer könnte da ruhig schlafen, wenn jemand seine geldgierige Schwiegertochter verführt, wenn verlobte Mädchen unanständig sind und ein Ehebrecher die Knabentoga trägt? Und wenn die natürlichen Anlagen dagegen sprechen, dann schafft die Entrüstung Verse, [80] so wie sie es eben kann – wie ich sie schreiben kann oder Cluvienus. Seitdem Deucalion, als die Regenwolken das Meer ansteigen ließen, mit seinem Schiff einen Berg bestieg und einen Orakelspruch forderte und allmählich die Steine eine Seele bekamen, sich dadurch erwärmten und weich wurden und seitdem Pyrrha den Männern die nackten Mädchen zeigte, [85] ist alles, was die Menschen machen – ihre Wün-

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SATURA I

gaudia, discursus, nostri farrago libelli est. et quando uberior vitiorum copia? quando maior avaritiae patuit sinus? alea quando hos animos? neque enim loculis comitantibus itur ad casum tabulae, posita sed luditur arca. proelia quanta illic dispensatore videbis armigero! simplexne furor sestertia centum perdere et horrenti tunicam non reddere servo? quis totidem erexit villas, quis fercula septem secreto cenavit avus? nunc sportula primo limine parva sedet turbae rapienda togatae. ille tamen faciem prius inspicit et trepidat, ne suppositus venias ac falso nomine poscas: agnitus accipies. iubet a praecone vocari ipsos Troiugenas, nam vexant limen et ipsi nobiscum. “da praetori, da deinde tribuno!” sed libertinus prior est. “prior” inquit “ego adsum. cur timeam dubitemve locum defendere, quamvis natus ad Euphraten, molles quod in aure fenestrae arguerint, licet ipse negem? sed quinque tabernae quadringenta parant. quid confert purpura maior optandum, si Laurenti custodit in agro conductas Corvinus ovis, ego possideo plus Pallante et Licinis?” expectent ergo tribuni, vincant divitiae, sacro ne cedat honori nuper in hanc urbem pedibus qui venerat albis, quandoquidem inter nos sanctissima divitiarum maiestas, etsi funesta Pecunia templo

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ERSTE SATIRE

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sche, ihre Ängste, ihr Zorn, ihre Lust, ihre Freuden, ihre Umtriebigkeit –, das Futter meines Büchleins. Und wann gab es jemals eine üppigere Menge an Lastern? Wann hatte die Habgier ihre Tasche weiter geöffnet? Wann sorgte das Glücksspiel für solche Begeisterung? Denn man begibt sich nicht in Begleitung eines Geldkästchens [90] zur Entscheidung am Spieltisch, sondern man spielt, nachdem man seine Schatztruhe in Stellung gebracht hat. Was für gewaltige Schlachten du dort sehen wirst, wenn der Geldverwalter zum Waffenträger wird! Ist es einfach nur Wahnsinn, 100.000 Sesterze zu verlieren und einem vor Kälte zitternden Sklaven nicht einmal eine Tunika zu gewähren? Wer von unseren Vorfahren errichtete so viele Landhäuser, wer verspeiste sieben Gänge [95] ganz für sich allein? Heutzutage liegt nur eine geringe Zuwendung für die Klienten ganz vorne auf der Schwelle, damit die mit der Toga bekleidete Menschenmenge sie fortraffen kann. Trotzdem sieht er sich zuerst dein Gesicht an – voller Angst, dass du dich eingeschlichen hast und unter falschem Namen etwas bekommen willst. Erst wenn er dich erkannt hat, kriegst du was. Auf seinen Befehl werden von dem Herold [100] selbst die aufgerufen, die direkt von den Trojanern abstammen, denn selbst die belagern zusammen mit uns die Schwelle: »Gib dem Praetor etwas, gib dann dem Tribun!« Aber ein Freigelassener war zuerst da. »Ich bin zuerst dran«, sagt er. »Warum sollte ich Angst haben und meinen Platz nicht entschlossen verteidigen, obwohl ich am Euphrat geboren bin (was die tuntigen Riesenlöcher in meinem Ohr [105] verraten, selbst wenn ich es leugnen wollte)? Aber meine fünf Läden erwirtschaften Vierhunderttausend. Was könnte mir da ein breiterer Purpurstreifen Wünschenswertes einbringen, wenn auf dem Acker von Laurentum ein Corvinus Schafe hütet, die er gepachtet hat, ich aber mehr besitze als Pallas und Leute wie Licinus?« Also sollen die Tribunen warten, [110] Reichtum soll sich durchsetzen, damit bloß keiner, der erst kürzlich mit weißen Füßen in diese Stadt gekommen ist, jemandem Platz machen muss, der durch sein Amt sakrosankt ist. Denn bei uns ist ja nichts heiliger ist als die Ehrwürdigkeit des Reichtums, auch wenn das unheilvolle GELD noch keinen eigenen Tempel hat, in dem es

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SATURA I

nondum habitat, nullas Nummorum ereximus aras, ut colitur Pax atque Fides, Victoria, Virtus quaeque salutato crepitat Concordia nido. sed cum summus honor finito computet anno sportula quid referat, quantum rationibus addat, quid facient comites quibus hinc toga, calceus hinc est et panis fumusque domi? densissima centum quadrantes lectica petit, sequiturque maritum languida vel praegnas et circumducitur uxor. hic petit absenti nota iam callidus arte ostendens vacuam et clausam pro coniuge sellam. “Galla mea est” inquit, “citius dimitte. moraris? profer, Galla, caput.” “noli vexare, quiescet.” ipse dies pulchro distinguitur ordine rerum: sportula, deinde forum iurisque peritus Apollo atque triumphales, inter quas ausus habere nescio quis titulos Aegyptius atque Arabarches, cuius ad effigiem non tantum meiere fas est. vestibulis abeunt veteres lassique clientes votaque deponunt, quamquam longissima cenae spes homini: caulis miseris atque ignis emendus. optima silvarum interea pelagique vorabit rex horum vacuisque toris tantum ipse iacebit (nam de tot pulchris et latis orbibus et tam antiquis una comedunt patrimonia mensa). nullus iam parasitus erit. sed quis ferat istas luxuriae sordes? quanta est gula quae sibi totos

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ERSTE SATIRE

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wohnt, und wir für die MÜNZEN noch keine Altäre errichtet haben, [115] so wie man den FRIEDEN und die TREUE, den SIEG und die TUGEND verehrt und die EINTRACHT, die klappert, wenn man ihr Nest begrüßt. Wenn aber der höchste Amtsträger am Ende des Jahres zusammenrechnet, was ihm die Zuwendung für Klienten einbringt und wie viel er seinen Einkünften hinzufügen kann, was werden dann die Klienten tun, die überhaupt nur auf diesem Wege eine Toga und Schuhe [120] und Brot und zu Hause einen qualmenden Herd haben können? Dicht an dicht bitten Sänften um die 100 Quadranten. Hinter dem Ehemann folgt seine kranke oder schwangere Frau und macht ebenfalls ihre Runde. Da fordert ein ganz Schlauer mit dem altbekannten Trick etwas für seine abwesende Frau und präsentiert anstelle der Gattin eine leere, geschlossene Sänfte: [125] »Das ist meine Galla«, sagt er. »Lass uns schnell weiterkommen! Du zögerst? Steck deinen Kopf raus, Galla!« – »Lass sie mal in Ruhe. Sie wird wohl schlafen.« Der Tag ist also durch eine hübsche Abfolge von Aufgaben geordnet: das Abholen der Zuwendung für die Klienten, dann der Gang aufs Forum und zu Apoll, einem Experten für die Juristerei, und zu den Statuen der Triumphatoren, zwischen denen in dreister Weise [130] auch irgend so ein ägyptischer Obermufti seine Ehreninschrift angebracht hat – da ist es eine heilige Pflicht, sein Standbild nicht einfach nur anzupissen! Die alten und ermüdeten Klienten verlassen die Vorhallen und glauben nicht mehr an die Erfüllung ihrer Wünsche, obwohl bei den Menschen keine Hoffnung länger Bestand hat als die auf ein Essen. Die armen Kerle müssen ihr Geld für Kohl und Feuerholz ausgeben. [135] Das Beste aus Wald und Meer wird inzwischen ihr »König« verschlingen, und nur er wird ganz allein bei Tische liegen, umgeben von leeren Sofas (denn an einem einzigen Tisch von ihren so zahlreichen schönen, großen und uralten Tafeln verspeisen sie alleine den ganzen Familienbesitz). Keinen wird’s mehr geben, der beim Essen was abstauben kann. Wer aber könnte diesen [140] schmutzigen Geiz in einer so großen Pracht ertragen? Wie groß muss ein Schlund sein, der sich ganze Eber vorsetzen lässt – ein Le-

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SATURA I

ponit apros, animal propter convivia natum! poena tamen praesens, cum tu deponis amictus turgidus et crudum pavonem in balnea portas: hinc subitae mortes atque intestata senectus. it nova nec tristis per cunctas fabula cenas, ducitur iratis plaudendum funus amicis. Nil erit ulterius quod nostris moribus addat posteritas, eadem facient cupientque minores: omne in praecipiti vitium stetit. utere velis, totos pande sinus! dices hic forsitan “unde ingenium par materiae? unde illa priorum scribendi quodcumque animo flagrante liberet simplicitas?” cuius non audeo dicere nomen? quid refert dictis ignoscat Mucius an non? “pone Tigillinum, taeda lucebis in illa, qua stantes ardent qui fixo gutture fumant. *** et latum media sulcum deducit harena.” qui dedit ergo tribus patruis aconita, vehatur pensilibus plumis atque illinc despiciat nos? “cum veniet contra, digito compesce labellum: accusator erit qui verbum dixerit ‘hic est’. securus licet Aenean Rutulumque ferocem committas, nulli gravis est percussus Achilles aut multum quaesitus Hylas urnamque secutus: ense velut stricto quotiens Lucilius ardens infremuit, rubet auditor, cui frigida mens est criminibus, tacita sudant praecordia culpa. inde ira et lacrimae. tecum prius ergo voluta

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ERSTE SATIRE

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bewesen, das doch für ein gemeinschaftliches Essen geboren wurde! Die Strafe folgt jedoch auf dem Fuße, wenn du deine Kleidung ablegst und vollgestopft den noch unverdauten Pfauenbraten ins Bad mitnimmst. Davon kommen dann die plötzlichen Todesfälle, ohne dass ein Testament gemacht wurde, und das im hohen Alter! [145] Das macht nun als neue und keineswegs traurige Geschichte bei allen Gastmählern die Runde, und der Trauerzug schreitet unter dem Beifall der erzürnten Freunde voran. Es wird nichts mehr geben, wodurch spätere Generationen unseren schlimmen Lebenswandel noch steigern könnten. Unsere Nachfahren werden dasselbe tun und dasselbe begehren wie wir. In diesem Absturz hat jedwedes Laster Tritt gefasst. Setze die Segel, [150] lass sie sich vollständig aufbauschen! Da wirst du vielleicht sagen: »Woher soll das Talent für einen solchen Stoff kommen? Woher die bei den früheren Autoren übliche Offenheit, all das zu schreiben, was man schreiben will, wenn einen die Leidenschaft antreibt?« – Bei wem traue ich mich denn nicht, den Namen zu nennen? Was spielt es für eine Rolle, ob ein Mucius meinen Scherzen gegenüber nachsichtig ist oder nicht? – [155] »Beschreibe Tigellinus, und du wirst als Teil einer Fackel leuchten wie die Leute, die aufrechtstehend brennen und an der Kehle angebunden qualmen. 〈Dann wird der Körper abgenommen〉 und zieht eine breite Furche mitten durch die Arena.« – Also soll einer, der seinen drei Onkeln Gift verabreicht hat, hoch oben auf Federkissen getragen werden und von dort auf uns herabblicken? – [160] »Ja, und wenn er dir entgegenkommt, halte dir den Mund zu. Es wird sich ein Ankläger finden, der die Worte spricht: ›Der da ist es!‹ Ohne jedes Risiko kannst du Aeneas und den wilden Rutuler gegeneinander kämpfen lassen, und niemand stört sich daran, wenn Achilles durchbohrt worden ist oder der ausgiebig gesuchte Hylas hinter seinem Schöpfkrug her war. [165] Immer wenn Lucilius so, als hielte er ein gezücktes Schwert, zornentbrannt losbrüllt, errötet der Zuhörer, aufgrund seiner Verbrechen packt ihn die kalte Angst, und seine Brust ist schweißnass von seiner geheimen Schuld. So kommt es zu Zorn und Tränen. Überlege dir das also vorher – bevor die Kriegs-

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SATURA I

haec animo ante tubas: galeatum sero duelli paenitet.” experiar quid concedatur in illos quorum Flaminia tegitur cinis atque Latina.

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ERSTE SATIRE

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trompeten ertönen! Wenn man den Helm schon auf hat, ist es zu spät, den Krieg [170] zu bereuen.« – Ich werde ausprobieren, was man gegen die sagen darf, deren Asche unter der Via Flaminia und der Via Latina begraben liegt.

Satura II Ultra Sauromatas fugere hinc libet et glacialem Oceanum, quotiens aliquid de moribus audent qui Curios simulant et Bacchanalia vivunt. indocti primum, quamquam plena omnia gypso Chrysippi invenias; nam perfectissimus horum, si quis Aristotelen similem vel Pittacon emit et iubet archetypos pluteum servare Cleanthas. frontis nulla fides: quis enim non vicus abundat tristibus obscenis? castigas turpia, cum sis inter Socraticos notissima fossa cinaedos? hispida membra quidem et durae per bracchia saetae promittunt atrocem animum, sed podice levi caeduntur tumidae medico ridente mariscae. rarus sermo illis et magna libido tacendi atque supercilio brevior coma. verius ergo et magis ingenue Peribomius: hunc ego fatis inputo, qui vultu morbum incessuque fatetur, horum simplicitas miserabilis, his furor ipse dat veniam. sed peiores, qui talia verbis Herculis invadunt et de virtute locuti clunem agitant. “ego te ceventem, Sexte, verebor?” infamis Varillus ait, “quo deterior te?” loripedem rectus derideat, Aethiopem albus: quis tulerit Gracchos de seditione querentes? quis caelum terris non misceat et mare caelo,

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Zweite Satire Weiter weg als das Land der Sauromaten und das Eismeer möchte man davonlaufen, wenn diejenigen, die so tun, als wären sie die Curier, und ein Leben führen wie beim Bacchanalienfest, die Dreistigkeit besitzen, von den guten Sitten zu reden. Erstens sind sie ungebildet, obwohl man bei ihnen alles voll mit Gipsbüsten [5] des Chrysipp findet. Denn bei ihnen erreicht man höchste Vervollkommnung, wenn man einen lebensechten Aristoteles oder Pittacus gekauft hat und seinem Regalbrett befiehlt, Originalbildnisse von Cleanthes aufzubewahren. Dem äußeren Anschein darf man kein Vertrauen schenken! Denn welche Straße ist nicht voll mit grimmig blickenden Perversen? Kritisierst du etwa unanständiges Verhalten, obwohl du [10] unter den Sokratikerschwuchteln das bekannteste Loch bist? Zwar lassen die struppigen Glieder und die harten Borsten an den Armen einen unbeugsamen Charakter erwarten, aber am glattgeriebenen Hintern werden unter dem Gelächter des Arztes die geschwollenen Feigwarzen weggeschnitten. Sie sprechen nur sporadisch und haben ein großes Bedürfnis zu schweigen [15] und Haare, die kürzer sind als ihre Augenbrauen. Also verhält sich Peribomius ehrlicher und aufrichtiger. An ihm, der seine Krankheit durch seinen Gesichtsausdruck und seinen Gang bekennt, hat meiner Meinung nach das Schicksal Schuld. Die erbärmliche Offenheit dieser Leute und gerade ihr wahnsinniges Treiben sorgen dafür, dass man ihnen verzeiht. Übler sind dagegen die, welche so ein Verhalten mit den Worten eines Herkules attackieren und nach ihrem Vortrag über die Tugend [20] ihren Hintern in Bewegung setzen. »Du streckst mir deinen Arsch entgegen, Sextus, und ich soll vor dir Ehrfurcht haben?« sagt der berüchtigte Varillus. »Wieso soll ich widerwärtiger sein als du?« Über den Schlurfenden kann der mit den geraden Beinen lachen, über den Schwarzen der Weiße. Wer aber könnte die Gracchen ertragen, wenn die sich über einen Aufruhr beklagen? [25] Wer wollte da nicht Himmel und Erde

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SATURA II

si fur displiceat Verri, homicida Miloni, Clodius accuset moechos, Catilina Cethegum, in tabulam Sullae si dicant discipuli tres? qualis erat nuper tragico pollutus adulter concubitu, qui tunc leges revocabat amaras omnibus atque ipsis Veneri Martique timendas, cum tot abortivis fecundam Iulia vulvam solveret et patruo similes effunderet offas. nonne igitur iure ac merito vitia ultima fictos contemnunt Scauros et castigata remordent? Non tulit ex illis torvum Laronia quendam clamantem totiens “ubi nunc, lex Iulia, dormis?” atque ita subridens: “felicia tempora, quae te moribus opponunt! habeat iam Roma pudorem: tertius e caelo cecidit Cato. sed tamen unde haec emis, hirsuto spirant opobalsama collo quae tibi? ne pudeat dominum monstrare tabernae. quod si vexantur leges ac iura, citari ante omnis debet Scantinia. respice primum et scrutare viros; faciunt peiora, sed illos defendit numerus iunctaeque umbone phalanges: magna inter molles concordia. non erit ullum exemplum in nostro tam detestabile sexu; Tedia non lambit Cluviam nec Flora Catullam: Hispo subit iuvenes et morbo pallet utroque. numquid nos agimus causas, civilia iura novimus aut ullo strepitu fora vestra movemus? luctantur paucae, comedunt colyphia paucae.

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durcheinanderbringen und das Meer und den Himmel, wenn ein Dieb das Missfallen des Verres erregt und ein Mörder das des Milo, wenn Clodius gegen die Ehebrecher Anklage erhebt und Catilina gegen Cethegus, wenn sich Sullas drei Schüler gegen seine Tafeln aussprechen? So einer war der Ehebrecher, der sich erst kürzlich mit einer Bettgeschichte beschmutzte, wie wir sie aus der Tragödie kennen [30]: Der erneuerte damals die unerbittlichen Gesetzte, vor denen sich alle – selbst Venus und Mars – fürchten mussten, während Julia mit so vielen Abtreibungsmedikamenten ihren fruchtbaren Schoß öffnete und Klumpen herausfließen ließ, die ihrem Onkel ähnlich sahen. Haben also die schlimmsten Beispiele für Verdorbenheit nicht alles Recht der Welt, [35] diejenigen zu verachten, welche nur so tun, als wären sie Leute wie Scaurus, und zurückzubeißen, wenn sie kritisiert werden? Als einer von denen, der finster dreinschaute, immerzu herumschrie: »Wo schläfst du denn gerade, Julisches Gesetz?«, hielt Laronia das nicht mehr aus. Und lächelnd sagte sie Folgendes: »Was sind das für glückliche Zeiten, in denen du dem Sittenverfall entgegenstehst! Möge Rom nun Anstand walten lassen! [40] Ein dritter Cato ist vom Himmel gefallen. Aber übrigens: Wo kaufst du das Parfüm, nach dem dein struppiger Hals duftet? Genier dich doch nicht, mir den Inhaber des Ladens zu nennen! Wenn aber Rechte und Gesetze aufgescheucht werden, dann muss man vor allen anderen das Scantinische Gesetz aufrufen. Schau dir zunächst mal [45] die Männer an und überprüfe sie! Sie treiben es schlimmer, aber ihre große Anzahl und die Phalanx, in der sich Schild an Schild reiht, schützen sie. Große Eintracht herrscht unter den Weichlingen. Ein so widerwärtiges Beispiel wird es in unserem Geschlecht nicht geben. Tedia leckt nicht Cluvia und Flora nicht Catulla. [50] Hispo lässt sich von jungen Männern besteigen und wird von beiden Krankheiten blass. Führen wir etwa Prozesse, kennen wir uns im bürgerlichen Recht aus oder bringen wir durch irgendein Geschrei eure Verhandlungen auf dem Forum durcheinander? Nur wenige Frauen treten zum Ringkampf an, nur wenige essen Sportlernahrung. Ihr kämmt die Wollfä-

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vos lanam trahitis calathisque peracta refertis vellera, vos tenui praegnantem stamine fusum Penelope melius, levius torquetis Arachne, horrida quale facit residens in codice paelex. notum est cur solo tabulas inpleverit Hister liberto, dederit vivus cur multa puellae: dives erit magno quae dormit tertia lecto. tu nube atque tace: donant arcana cylindros. de nobis post haec tristis sententia fertur? dat veniam corvis, vexat censura columbas.” Fugerunt trepidi vera ac manifesta canentem Stoicidae; quid enim falsi Laronia? sed quid non facient alii, cum tu multicia sumas, Cretice, et hanc vestem populo mirante perores in Proculas et Pollittas? est moecha Fabulla: damnetur; si vis, etiam Carfinia: talem non sumet damnata togam. “sed Iulius ardet, aestuo.” nudus agas, minus est insania turpis! en habitum quo te leges ac iura ferentem vulneribus crudis populus modo victor et illud montanum positis audiret vulgus aratris! quid non proclames, in corpore iudicis ista si videas? quaero an deceant multicia testem. acer et indomitus libertatisque magister, Cretice, perluces. dedit hanc contagio labem et dabit in plures, sicut grex totus in agris unius scabie cadit et porrigine porci

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den und liefert in Körben die fertige [55] Wolle ab. Ihr dreht die Spindel, die voll ist mit dem dünnen Faden, besser als Penelope und flinker als Arachne – eine Arbeit, wie sie die Geliebte verrichtet, die ungepflegt auf dem Strafplatz sitzt. Es ist bekannt, warum Hister nur seinen Freigelassenen in sein Testament eingetragen und warum er seiner jungen Frau zu Lebzeiten so viel gegeben hat. [60] Reich wird die sein, die als Nummer drei in einem großen Bett schläft. Du, heirate und halte den Mund! Geheimnisse sorgen dafür, dass du Edelsteine geschenkt bekommst. Wird nach all dem ein strenges Urteil über uns gefällt? Dann begnadigt der Sittenrichter die Raben und nimmt die Tauben hart ran.« Panisch flohen die Abkömmlinge der Stoa vor der Verkünderin wahrer und offensichtlicher Tatsachen. [65] Denn was von dem, das Laronia gesagt hatte, war falsch? Doch welche Taten werden andere Leute nicht begehen, wenn du ein fein gewebtes Gewand anlegst, Creticus, und unter dem Staunen des Volks über dieses Kleid Reden gegen Frauen wie Procula und Pollitta hältst? Eine Ehebrecherin ist Fabulla. Dann soll man sie verurteilen; wenn du willst, auch Carfinia. Doch eine solche [70] »Toga« wird sie nach ihrer Verurteilung wohl nicht anlegen. – »Aber der Juli ist so heiß, ich glühe vor Hitze.« – Dann sollst du deinen Prozess nackt führen, dieser Wahnsinn wäre weniger unanständig. Das ist also das Gewand, in dem du Gesetze und Rechte zitierst – und das Volk mit seinen frischen Wunden, das gerade erst im Kampf gesiegt hat, dieses Bergvolk, das seine Pflüge zur Seite gelegt hat, soll dir dabei zuhören. [75] Würdest du nicht losschreien, wenn du diese Kleidung am Körper eines Richters sehen müsstest? Ich frage mich, ob fein gewebte Gewänder bei einem Zeugen angemessen wären. Tatkräftig und unbezwingbar und ein Lehrmeister der Freiheit – das bist du, Creticus, und du bist durch deine Kleidung hindurch zu sehen. Durch Ansteckung ist dieses schändliche Verhalten auf dich übertragen worden, und auf viele wird es noch übertragen werden, so wie die ganze Herde auf der Wiese infolge der juckenden Räude eines einzigen Schweins verendet [80] und wie eine

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uvaque conspecta livorem ducit ab uva. Foedius hoc aliquid quandoque audebis amictu: nemo repente fuit turpissimus. accipient te paulatim qui longa domi redimicula sumunt frontibus et toto posuere monilia collo atque Bonam tenerae placant abdomine porcae et magno cratere Deam. sed more sinistro exagitata procul non intrat femina limen: solis ara deae maribus patet. “ite, profanae,” clamatur, “nullo gemit hic tibicina cornu!” talia secreta coluerunt orgia taeda Cecropiam soliti Baptae lassare Cotyto. ille supercilium madida fuligine tinctum obliqua producit acu pingitque trementis attollens oculos; vitreo bibit ille Priapo, reticulumque comis auratum ingentibus implet caerulea indutus scutulata aut galbina rasa et per Iunonem domini iurante ministro; ille tenet speculum, pathici gestamen Othonis, Actoris Aurunci spolium, quo se ille videbat armatum, cum iam tolli vexilla iuberet: res memoranda novis annalibus atque recenti historia, speculum civilis sarcina belli. nimirum summi ducis est occidere Galbam et curare cutem, summi constantia civis Bebriaci campis solium adfectare Palati et pressum in faciem digitis extendere panem, quod nec in Assyrio pharetrata Sameramis orbe maesta nec Actiaca fecit Cleopatra carina.

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Traube durch den Anblick einer anderen Traube bläuliche Farbe annimmt. Und irgendwann wirst du es wagen, etwas noch Widerlicheres zu tun, als solche Kleidung zu tragen. Niemand ist mit einem Schlag durch und durch schlecht. Allmählich werden dich die Männer bei sich aufnehmen, die zu Hause lange Bänder an der Stirn tragen, [85] um ihren ganzen Hals Schmuckketten gelegt haben und die Gute Göttin durch das Gesäuge einer jungen Sau sowie einen großen Mischkrug milde stimmen. Aber in Verkehrung des normalen Brauchs tritt keine Frau über die Schwelle, sondern jede Frau hat man weit weggescheucht. Allein den Männern ist der Altar der Göttin zugänglich: »Verschwindet, ihr unheiligen Frauen«, [90] ruft man, »auf keinem Instrument flötet hier eine Musikerin!« Solche Orgien feierten die Bapten bei heimlichem Fackelschein, wobei sie wie üblich die kekropische Cotyto entnervten. Einer hat seine Augenbrauen mit feuchtem Ruß gefärbt und verlängert sie mit einem gekrümmten Stift und bemalt seine blinzelnden Augen, [95] wobei er nach oben guckt. Ein anderer trinkt aus einem gläsernen Priapus und füllt ein goldenes Haarnetz mit seiner gewaltigen Frisur aus. Er trägt ein blaues Karomuster oder ein leichtes gelbes Kleid, und sein Sklave schwört bei Juno, der Göttin seines Herren. Wieder ein anderer hält einen Spiegel in der Hand, die Ausrüstung der Tunte Otho, [100] die Beute des Aurunkers Actor, in dem sich jener in voller Rüstung betrachtete, während er schon den Befehl gab, mit erhobener Fahne in die Schlacht zu ziehen. Das muss in den aktuellen Annalen und der modernen Geschichtsschreibung erwähnt werden: ein Spiegel als Marschgepäck im Bürgerkrieg! Na klar! Es gehört zu den Pflichten des höchsten Anführers, Galba zu töten [105] und Hautpflege zu betreiben; die Standhaftigkeit des höchsten Bürgers zeigt sich darin, dass er auf dem Schlachtfeld von Bebriacum den Thron auf dem Palatin erstrebt und mit den Fingern den auf sein Gesicht gedrückten Brotteig verteilt. Das tat weder in der assyrischen Welt die köchertragende Semiramis noch die verzweifelte Kleopatra auf ihrem Schiff bei Aktium.

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hic nullus verbis pudor aut reverentia mensae, hic turpis Cybeles et fracta voce loquendi libertas et crine senex fanaticus albo sacrorum antistes, rarum ac memorabile magni gutturis exemplum conducendusque magister. quid tamen expectant, Phrygio quos tempus erat iam more supervacuam cultris abrumpere carnem? Quadringenta dedit Gracchus sestertia dotem cornicini, sive hic recto cantaverat aere. signatae tabulae, dictum “feliciter”, ingens cena sedet, gremio iacuit nova nupta mariti. o proceres, censore opus est an haruspice nobis? scilicet horreres maioraque monstra putares, si mulier vitulum vel si bos ederet agnum? segmenta et longos habitus et flammea sumit arcano qui sacra ferens nutantia loro sudavit clipeis ancilibus. o pater urbis, unde nefas tantum Latiis pastoribus? unde haec tetigit, Gradive, tuos urtica nepotes? traditur ecce viro clarus genere atque opibus vir nec galeam quassas nec terram cuspide pulsas nec quereris patri. vade ergo et cede severi iugeribus campi quem neglegis. “officium cras primo sole mihi peragendum in valle Quirini.” quae causa officii? “quid quaeris? nubit amicus, nec multos adhibet.” liceat modo vivere, fient,

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[110] Hier gibt es kein Schamgefühl beim Sprechen oder Ehrfurcht vor dem Opfertisch, hier sind Kybeles üble Typen, und hier herrscht die Freiheit, mit weibischer Stimme zu sprechen, hier ist ein von der Gottheit beseelter Greis mit weißem Haar, der Vorsteher des Heiligtums, ein seltenes und denkwürdiges Beispiel für einen gewaltigen Schlund und ein Lehrmeister, den zu mieten sich lohnt. [115] Worauf warten die denn noch, für die es schon längst an der Zeit gewesen wäre, sich nach phrygischem Brauch mit den Opfermessern ihr überflüssiges Stück Fleisch abzuhacken? 400.000 Sesterze hat Gracchus dem Hornbläser als Mitgift gegeben (es kann auch sein, dass dieser die gerade Trompete geblasen hatte). Der Ehevertrag ist besiegelt, man hat »Herzlichen Glückwünsch« gesagt, eine gewaltige [120] Tischgesellschaft sitzt beim Essen, und die frischvermählte »Braut« liegt im Schoße ihres Gemahls. O, ihr vornehmen Herren, brauchen wir einen Zensor oder einen Vorzeichendeuter? Nun ja, würde man einen größeren Schrecken bekommen oder es für eine größere Ungeheuerlichkeit halten, wenn eine Frau ein Kalb zur Welt brächte oder eine Kuh ein Lamm? Reich verzierte Gewänder, lange Kleider und den feuerroten Brautschleier legt der an, [125] der an dem geheimnisumwitterten Gurt die hin und her schwingenden heiligen Gegenstände trug und unter dem Gewicht der Schutzschilde schwitzte. O, Vater der Stadt, von wo kommt ein so großer Frevel zu den Hirten Latiums? Von wo, Gradivus, kommt diese Geilheit, die deine Enkel befallen hat? Schau, einem Mann vermählt sich ein durch Herkunft und Reichtum ausgezeichneter Mann, [130] und du schüttelst nicht deinen Helm und stößt nicht mit der Lanze auf den Boden und beklagst dich auch nicht bei deinem Vater. Geh also und verschwinde von dem Gelände deines unerbittlichen Feldes, um das du dich ja doch nicht kümmerst! »Ich habe morgen etwas bei Sonnenaufgang im Tal des Quirinus zu erledigen.« – Weshalb? – »Warum fragst du? Ein Freund vermählt sich seinem Mann, [135] und er hat nicht viele Leute eingeladen.« Wenn wir nur noch ein bisschen länger leben dürfen, dann wird es geschehen (ja, es wird geschehen!), dass so etwas in aller Öffentlich-

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fient ista palam, cupient et in acta referri. interea tormentum ingens nubentibus haeret, quod nequeant parere et partu retinere maritos. sed melius, quod nil animis in corpora iuris natura indulget: steriles moriuntur, et illis turgida non prodest condita pyxide Lyde, nec prodest agili palmas praebere Luperco. vicit et hoc monstrum tunicati fuscina Gracchi, lustravitque fuga mediam gladiator harenam et Capitolinis generosior et Marcellis et Catuli Paulique minoribus et Fabiis et omnibus ad podium spectantibus, his licet ipsum admoveas cuius tunc munere retia misit. Esse aliquos manes et subterranea regna, Cocytum et Stygio ranas in gurgite nigras, atque una transire vadum tot milia cumba nec pueri credunt, nisi qui nondum aere lavantur. sed tu vera puta: Curius quid sentit et ambo Scipiadae, quid Fabricius manesque Camilli, quid Cremerae legio et Cannis consumpta iuventus, tot bellorum animae, quotiens hinc talis ad illos umbra venit? cuperent lustrari, si qua darentur sulpura cum taedis et si foret umida laurus. illic heu miseri traducimur. arma quidem ultra litora Iuvernae promovimus et modo captas Orcadas ac minima contentos nocte Britannos, sed quae nunc populi fiunt victoris in urbe, non faciunt illi quos vicimus. “et tamen unus Armenius Zalaces cunctis narratur ephebis

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keit passiert. Sie werden sogar wünschen, dass man in der Zeitung davon berichtet. Allerdings hängt diesen »Bräuten« die gewaltige Qual an, dass sie keine Kinder kriegen und ihre Ehemänner nicht durch Kinder an sich binden können. Aber es ist besser so, dass die Natur ihren Sinnen keine Gewalt über ihre Körper [140] zugesteht. Unfruchtbar sterben sie, und nichts nützt ihnen die fette Lyde mit ihrer verborgenen Büchse, und nichts nützt es, bei den Lupercalia dem flinken Priester die Handflächen hinzuhalten. Und selbst diese Ungeheuerlichkeit hat Gracchus durch das Anlegen der Tunika und seinen Dreizack übertroffen und ist als Gladiator auf seiner Flucht mitten durch die Arena gelaufen [145] – einer, der von edlerer Abkunft ist als die Capitoliner und Marceller, als die Nachfahren eines Catulus und eines Paulus, als die Fabier und auch als alle, die von den Ehrenplätzen zuschauen, selbst wenn du den mitzählst, bei dessen Festspiel er damals die Netze warf. Dass es irgendwelche Geister der Verstorbenen gibt und ein Königreich unter der Erde, [150] den Cocytus und schwarze Frösche in der Strömung der Styx und dass mit nur einem Kahn so viele Tausend das Wasser überqueren, das glauben nicht einmal Knaben – bis auf diejenigen, die für das Baden noch nicht bezahlen müssen. Stell dir trotzdem mal vor, dass es wahr ist: Was empfinden Curius und die beiden Scipionen, was Fabricius und die Totengeister des Camillus, [155] was die Legion vom Cremera und die jungen Männer, die bei Cannae umgekommen sind – die so zahlreichen Seelen der im Krieg Gefallenen –, wenn von hier ein solcher Schatten zu ihnen kommt? Sie würden sich wünschen, gereinigt zu werden, wenn man ihnen nur irgendwelchen Schwefel gäbe und dazu Fackeln und wenn feuchter Lorbeer vorhanden wäre. Dort – o weh! – werden wir Armen vorgeführt! Wir haben zwar unsere Heeresmacht bis über die [160] Küsten Irlands hinaus vorrücken lassen und über die gerade erst eingenommenen Orkney-Inseln und die Britannen, die mit ganz kurzen Nächten auskommen, aber was nun in der Stadt des siegreichen Volks geschieht, das machen die, die wir besiegt haben, nicht. – »Und doch soll sich einzig der Armenier Zalaces, der weichlicher war als alle

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mollior ardenti sese indulsisse tribuno.” aspice quid faciant commercia: venerat obses, hic fiunt homines. nam si mora longior urbem indulsit pueris, non umquam derit amator. mittentur bracae, cultelli, frena, flagellum: sic praetextatos referunt Artaxata mores.

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Knaben, [165] mit einem Tribun eingelassen haben, der vor Liebe brannte.« – Sieh nur, wozu der Austausch führt! Gekommen war er als Geisel, hier werden sie zu Menschen gemacht. Denn wenn ein längerer Aufenthalt den Knaben die Stadt nahegebracht hat, dann wird ihnen niemals ein Liebhaber fehlen. Die Hosen, Dolche, Zügel und die Peitsche werden abgelegt. [170] So bringen sie die Sitten römischer Jugendlicher nach Artaxata mit.

Satura III Quamvis digressu veteris confusus amici laudo tamen, vacuis quod sedem figere Cumis destinet atque unum civem donare Sibyllae. ianua Baiarum est et gratum litus amoeni secessus. ego vel Prochytam praepono Suburae; nam quid tam miserum, tam solum vidimus, ut non deterius credas horrere incendia, lapsus tectorum adsiduos ac mille pericula saevae urbis et Augusto recitantes mense poetas? sed dum tota domus raeda componitur una, substitit ad veteres arcus madidamque Capenam. hic, ubi nocturnae Numa constituebat amicae, nunc sacri fontis nemus et delubra locantur Iudaeis, quorum cophinus fenumque supellex; omnis enim populo mercedem pendere iussa est arbor et eiectis mendicat silva Camenis. in vallem Egeriae descendimus et speluncas dissimiles veris. quanto praesentius esset numen aquis, viridi si margine cluderet undas herba nec ingenuum violarent marmora tofum. Hic tunc Umbricius “quando artibus” inquit “honestis nullus in urbe locus, nulla emolumenta laborum, res hodie minor est here quam fuit atque eadem cras deteret exiguis aliquid, proponimus illuc ire, fatigatas ubi Daedalus exuit alas, dum nova canities, dum prima et recta senectus, dum superest Lachesi quod torqueat et pedibus me

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Dritte Satire Obwohl ich über den Weggang meines alten Freundes bestürzt bin, lobe ich ihn doch dafür, dass er entschlossen ist, sich in dem menschenleeren Cumae niederzulassen und der Sibylle wenigstens einen Bürger zu schenken. Es ist das Tor nach Baiae, und es gibt dort einen angenehmen Strand in reizender [5] Abgeschiedenheit. Ich ziehe sogar Prochyta der Subura vor. Denn was könnte uns so armselig und so verlassen vorkommen, dass man es nicht noch schlimmer fände, vor Bränden zu erschrecken, vor dem ständigen Zusammenstürzen der Häuser und vor den tausend weiteren Gefahren der grausamen Stadt sowie vor den Dichtern, die im Monat August ihre Werke vorlesen? [10] Während nun sein ganzer Hausrat auf einen Wagen geladen wurde, verweilte er bei den alten Bögen der tropfenden Porta Capena. Hier, wo Numa sich bei Nacht mit seiner Freundin zu verabreden pflegte, werden nun die heilige Quelle mit ihrem Hain und der Tempel an Juden vermietet, deren Hausrat ein Korb mit Heu ist. [15] Denn jeder Baum hat den Befehl erhalten, dem Volk Miete zu zahlen, und seit der Vertreibung der Camenen bettelt der Wald. Wir steigen hinab in das Tal der Egeria zu den Grotten, die anders aussehen als echte Grotten. Wie viel stärker wäre die Präsenz der Gottheit in dem Gewässer, wenn Gras mit einem grünen Rand die Wellen umschlösse [20] und kein Marmor den einheimischen Tuffstein entweihte. Hier sprach dann Umbricius: »Da es ja für ein anständiges Gewerbe in der Stadt keinen Platz gibt, die Strapazen nichts einbringen, der Besitz heute noch geringer ist, als er es gestern war, und da morgen von diesem winzigen Besitz noch etwas verschwinden wird, habe ich vor, dorthin [25] zu gehen, wo Daedalus erschöpft seine Flügel ablegte, solange meine grauen Haare für mich noch etwas Neues sind, solange sich mein Greisenalter noch an seinem Beginn befindet und ich aufrecht stehen kann, solange Lachesis noch etwas hat, was sie

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porto meis nullo dextram subeunte bacillo. cedamus patria! vivant Artorius istic et Catulus, maneant qui nigrum in candida vertunt, quis facile est aedem conducere, flumina, portus, siccandam eluviem, portandum ad busta cadaver, et praebere caput domina venale sub hasta. quondam hi cornicines et municipalis harenae perpetui comites notaeque per oppida buccae munera nunc edunt et, verso pollice vulgus cum iubet, occidunt populariter. inde reversi conducunt foricas, et cur non omnia? cum sint quales ex humili magna ad fastigia rerum extollit quotiens voluit Fortuna iocari. quid Romae faciam? mentiri nescio; librum, si malus est, nequeo laudare et poscere; motus astrorum ignoro, funus promittere patris nec volo nec possum; ranarum viscera numquam inspexi; ferre ad nuptam quae mittit adulter, quae mandat, norunt alii; me nemo ministro fur erit, atque ideo nulli comes exeo tamquam mancus et extinctae, corpus non utile, dextrae. quis nunc diligitur nisi conscius et cui fervens aestuat occultis animus semperque tacendis? nil tibi se debere putat, nil conferet umquam, participem qui te secreti fecit honesti: carus erit Verri qui Verrem tempore quo vult accusare potest. tanti tibi non sit opaci omnis harena Tagi quodque in mare volvitur aurum,

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verspinnen kann, und ich mich mit meinen eigenen Füßen fortbewege, ohne dass ein Stock meine rechte Hand stützt. Ich muss die Heimat verlassen! Artorius [30] und Catulus sollen dort leben. Bleiben sollen diejenigen, die aus Schwarz Weiß machen können, denen es leicht fällt, Verträge über den Tempelbau abzuschließen oder über die Reinigung von Flüssen und Häfen, über die Beseitigung von Überschwemmungsschäden und über den Abtransport von Leichen zur Verbrennung – denen es leicht fällt, sich selbst unter der Lanze des Besitzrechts zum Verkauf anzubieten. Einst waren sie als Hornbläser immer bei den provinziellen Gladiatorenspielen [35] dabei, und in den Kleinstädten waren sie bekannte Pausbacken. Nun veranstalten sie selbst Spiele, und wenn das Volk es mit gesenktem Daumen befiehlt, geben sie die Anweisung zum Töten und kommen damit gut an. Wenn sie von dort zurückgekehrt sind, pachten sie Latrinen – und warum sollen sie all das nicht tun? Zumal es sich ja um Leute handelt, die Fortuna von ganz unten bis an die höchste Stelle der Gesellschaft [40] hebt, wenn sie mal einen Witz machen will. Was soll ich in Rom machen? Ich verstehe es nicht zu lügen. Wenn ein Buch schlecht ist, kann ich es nicht loben und darum bitten, dass ich es bekomme. Mit den Bewegungen der Sterne kenne ich mich nicht aus, den Tod des Vaters kann und will ich nicht verheißen, und die Eingeweide von Kröten habe ich noch nie [45] untersucht. Andere können einer verheirateten Frau das überbringen, was ihr ein Ehebrecher schickt und womit er sie instruiert. Kein Dieb wird auf meine Hilfe rechnen können, und deshalb begleite ich auch niemanden in seine Provinz – es ist, als wäre ich ein Krüppel mit kaputter rechter Hand: ein nutzloser Körper. Wer wird heutzutage geschätzt außer dem Mitwisser und dem, dessen aufgeregter [50] Geist vor Geheimnissen, über die er aber nie etwas sagen darf, in Unruhe ist. Wer dich in ein ehrenhaftes Geheimnis eingeweiht hat, glaubt, dir nichts schuldig zu sein, und nichts wird er dir je spendieren. Einem Verres wird der ein teurer Freund sein, der Verres zu jedem beliebigen Zeitpunkt anklagen kann. So viel soll dir nicht [55] der ganze goldene Sand des schattigen Tagus, der ins Meer gespült wird, wert sein, dass

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ut somno careas ponendaque praemia sumas tristis et a magno semper timearis amico. Quae nunc divitibus gens acceptissima nostris et quos praecipue fugiam, properabo fateri, nec pudor obstabit: non possum ferre, Quirites, Graecam urbem. quamvis quota portio faecis Achaei? iam pridem Syrus in Tiberim defluxit Orontes et linguam et mores et cum tibicine chordas obliquas nec non gentilia tympana secum vexit et ad Circum iussas prostare puellas: ite, quibus grata est picta lupa barbara mitra! rusticus ille tuus sumit trechedipna, Quirine, et ceromatico fert niceteria collo. hic alta Sicyone, ast hic Amydone relicta, hic Andro, ille Samo, hic Trallibus aut Alabandis, Esquilias dictumque petunt a vimine collem, viscera magnarum domuum dominique futuri. ingenium velox, audacia perdita, sermo promptus et Isaeo torrentior. ede quid illum esse putes, quemvis hominem secum attulit ad nos: grammaticus, rhetor, geometres, pictor, aliptes, augur, schoenobates, medicus, magus, omnia novit Graeculus esuriens, in caelum, iusseris, ibit. in summa non Maurus erat neque Sarmata nec Thrax qui sumpsit pinnas, mediis sed natus Athenis. horum ego non fugiam conchylia? me prior ille signabit fultusque toro meliore recumbet,

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du nicht schlafen kannst, dass du ohne jede Freude Belohnungen annimmst, die du sicher verwahren musst, und dass du von deinem mächtigen Freund immerzu gefürchtet wirst. Welches Volk nun bei unseren Reichen besonders gern gesehen ist – die Leute, vor denen ich in erster Linie fliehe –, das werde ich schnell sagen, [60] und keine falsche Scham wird mich davon abhalten: Nicht ertragen kann ich, liebe Mitbürger, das griechische Rom. Allerdings, welch kleinen Teil dieses Abschaums machen die Achäer aus? Schon längst hat sich der syrische Orontes in den Tiber ergossen und seine Sprache und Sitten sowie mitsamt dem Flötenspieler die schrägen Saiten und auch seine eingeborenen Trommeln [65] mitgebracht und die Mädchen, denen man befohlen hat, sich beim Zirkus für Geld anzubieten. Lauft hin, wenn eine Barbarenhure mit buntem Turban nach eurem Geschmack ist! Dein Landbewohner, Quirinus, zieht die Dinnerschuhe an und trägt seine Medaillen um den vom Öl der Ringkämpfe glänzenden Hals. Dieser da hat sich aus dem hochgelegenen Sicyon aufgemacht, dieser hingegen aus Amydon, [70] dieser von Andros, jener von Samos und dieser aus Tralles oder Alabanda – sie streben zum Esquilin und zu dem nach einem Weidenbaum benannten Hügel, um zum innersten Kern der großen Häuser und zu deren Herren zu werden. Ihr Geist ist flink, ihre Dreistigkeit ungehemmt, die Worte sind ihnen allzeit zur Hand, und zwar sprudelnder als bei Isaeus. Sag, was so einer [75] deiner Meinung nach ist. Jeden denkbaren Menschen hat er in seiner Person zu uns gebracht: Grammatiklehrer, Redelehrer, Mathematiker, Maler, Masseur, Hellseher, Seiltänzer, Arzt, Magier – auf alles versteht sich ein Griechlein, wenn es Hunger hat, und es wird, wenn man es ihm befiehlt, in den Himmel aufsteigen. Kurz gesagt: Kein Maure war es und kein Sarmate und auch kein Thraker, [80] der sich die Federn anlegte, sondern einer, der mitten in Athen geboren war. Soll ich etwa nicht vor den Purpurgewändern dieser Leute fliehen? Soll jener mir vorgezogen werden, wenn es darum geht, ein Dokument zu besiegeln, und auf einem ehrenhafteren Platz bei Tische

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advectus Romam quo pruna et cottana vento? usque adeo nihil est, quod nostra infantia caelum hausit Aventini baca nutrita Sabina? quid quod adulandi gens prudentissima laudat sermonem indocti, faciem deformis amici, et longum invalidi collum cervicibus aequat Herculis Antaeum procul a tellure tenentis, miratur vocem angustam, qua deterius nec ille sonat quo mordetur gallina marito? haec eadem licet et nobis laudare, sed illis creditur. an melior, cum Thaida sustinet aut cum uxorem comoedus agit vel Dorida nullo cultam palliolo? mulier nempe ipsa videtur, non persona, loqui: vacua et plana omnia dicas infra ventriculum et tenui distantia rima. nec tamen Antiochus nec erit mirabilis illic aut Stratocles aut cum molli Demetrius Haemo: natio comoeda est. rides, maiore cachinno concutitur; flet, si lacrimas conspexit amici, ac dolet; igniculum brumae si tempore poscas, accipit endromidem; si dixeris ‘aestuo’, sudat. non sumus ergo pares: melior qui semper et omni nocte dieque potest aliena sumere vultum a facie, iactare manus, laudare paratus, si bene ructavit, si rectum minxit amicus, si trulla inverso crepitum dedit aurea fundo. praeterea sanctum nihil illi et ab inguine tutum, non matrona laris, non filia virgo, nec ipse sponsus levis adhuc, non filius ante pudicus:

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liegen – einer, der mit demselben Wind nach Rom transportiert wurde wie Pflaumen und Feigen? Bedeutet es denn gar nichts, dass ich in meiner Kindheit die Luft [85] des Aventin atmete und von der sabinischen Olive genährt wurde? Und was soll man dazu sagen, dass dieses im Schmeicheln so überaus geschickte Volk die Ausdrucksweise eines ungebildeten und das Aussehen eines hässlichen Patrons preist und den langen Hals eines Schwächlings auf eine Stufe stellt mit den Schultern des Herkules, als dieser den Antaeus mit großem Abstand von der Erde hochhält, [90] und dass es eine dünne Stimme bewundert, die noch schlimmer klingt als der Gatte, von dem die Henne gehackt wird? All dies können auch wir loben, aber ihnen glaubt man. Oder macht etwa ein Komödienschauspieler seine Sache besser, wenn er die Rolle der Thais übernimmt oder wenn er eine Ehefrau spielt oder auch Doris, die kein [95] Mantel schmückt? Da scheint ja wirklich eine echte Frau zu sprechen, kein Schauspieler mit einer Maske! Man könnte meinen, dass unter ihrem Bauch alles leer und flach ist und nur durch einen feinen Spalt geöffnet. Und doch wird bei ihnen nicht einmal Antiochus Bewunderung ernten und auch nicht Stratocles oder auch Demetrius mitsamt dem weichlichen Haemus: [100] Es ist eben ein Komödiantenvolk. Du lachst, und er wird von noch größerem Gelächter geschüttelt. Er weint, wenn er bei seinem Patron Tränen entdeckt, und empfindet tatsächlich Schmerz. Wenn du zur Winterzeit nach einem Feuerchen verlangst, lässt er sich eine Wolldecke geben. Wenn du sagst: ›Mir ist heiß‹, dann schwitzt er. Wir sind ihnen also nicht gewachsen: Der ist besser, der immer – an jedem Tag und in jeder [105] Nacht – den Ausdruck von dem Gesicht eines anderen übernehmen kann, der bereit ist, die Hände hochzureißen und es zu loben, wenn der Patron schön gerülpst hat, wenn er mit geradem Strahl gepisst hat oder wenn der goldene Nachttopf mit seinem gewölbten Boden ein Krachen von sich gegeben hat. Außerdem ist ihm nichts heilig und vor seinem Penis ist nichts sicher, [110] nicht die Dame des Hauses, nicht die jungfräuliche Tochter, schon gar nicht ihr Verlobter, dem noch kein Bart wächst, und nicht der bis jetzt anständige Sohn. Wenn bei denen

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horum si nihil est, aviam resupinat amici. [scire volunt secreta domus atque inde timeri.] et quoniam coepit Graecorum mentio, transi gymnasia atque audi facinus maioris abollae. Stoicus occidit Baream delator amicum, discipulumque senex, ripa nutritus in illa, ad quam Gorgonei delapsa est pinna caballi. non est Romano cuiquam locus hic, ubi regnat Protogenes aliquis vel Diphilus aut Hermarchus, qui gentis vitio numquam partitur amicum, solus habet. nam cum facilem stillavit in aurem exiguum de naturae patriaeque veneno, limine summoveor, perierunt tempora longi servitii, nusquam minor est iactura clientis. Quod porro officium, ne nobis blandiar, aut quod pauperis hic meritum, si curet nocte togatus currere, cum praetor lictorem inpellat et ire praecipitem iubeat dudum vigilantibus orbis, ne prior Albinam et Modiam collega salutet? divitis hic servo cludit latus ingenuorum filius; alter enim quantum in legione tribuni accipiunt donat Calvinae vel Catienae, ut semel aut iterum super illam palpitet, at tu, cum tibi vestiti facies scorti placet, haeres et dubitas alta Chionen deducere sella. Da testem Romae tam sanctum quam fuit hospes numinis Idaei, procedat vel Numa vel qui servavit trepidam flagranti ex aede Minervam: protinus ad censum, de moribus ultima fiet

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nichts zu holen ist, dann legt er die Großmutter seines Patrons flach. [Sie wollen die Geheimnisse des Hauses kennen und deshalb gefürchtet werden.] Und da wir ja schon von den Griechen sprechen: Lass [115] ihre Sportplätze beiseite und höre dir ein Verbrechen von größerer Kragenweite an! Ein Stoiker, ein Denunziant, tötete seinen Patron Barea, also seinen Schüler tötete der alte Mann, der an dem Ufer aufgezogen worden war, an dem die Feder des Gorgonengauls niederfiel. Für einen Römer gibt es hier keinen Platz, wo [120] ein Protogenes herrscht oder ein Diphilus oder ein Hermarchus, der infolge des krankhaften Zustandes seines Volkes niemals mit jemandem den Patron teilt, sondern ihn ganz für sich allein hat. Denn wenn er in ein offenes Ohr ein bisschen von dem Gift geträufelt hat, das seinem Wesen und seiner Heimat entspringt, dann werde ich von der Schwelle verdrängt. Dann ist die Zeit der langen [125] Knechtschaft vergeudet, und nirgendwo spielt es eine geringere Rolle, wenn man einen Klienten opfert. Außerdem (damit wir uns nicht zu positiv darstellen): Welche Aufgabe kann denn ein Armer erfüllen und welches Verdienst erwerben, wenn er damit beschäftigt ist, bei Nacht in der Toga herumzurennen, wo doch der Prätor seinen Liktor antreibt und ihm befiehlt, schnell zu laufen, weil die kinderlosen Damen schon längst wach sind, [130] damit bloß nicht sein Kollege vor ihm bei Albina und Modia zur morgendlichen Begrüßung ankommt? Hier steht der Sohn von Freigeborenen dem Sklaven eines Reichen unterstützend zur Seite. Der schenkt nämlich Calvina oder Catiena so viel, wie in einer Legion die Tribunen erhalten, um einmal oder auch noch einmal auf ihr zappeln zu dürfen. Du dagegen [135] gerätst ins Stocken, wenn dir das Gesicht einer bekleideten Hure gefällt, und zögerst, Chione von ihrem hohen Stuhl wegzuführen. Benenne in Rom einen Zeugen – etwas, das so heilig ist wie der, welcher die Gottheit vom Ida aufnahm –, und es mag Numa vortreten oder der, welcher die zitternde Minerva aus ihrem brennenden Tempel rettete: [140] Sofort wird es um sein Vermögen gehen, mit seinem Charakter wird man sich als letztes beschäftigen. ›Wie viele

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quaestio. ‘quot pascit servos? quot possidet agri iugera? quam multa magnaque paropside cenat?’ quantum quisque sua nummorum servat in arca, tantum habet et fidei. iures licet et Samothracum et nostrorum aras, contemnere fulmina pauper creditur atque deos, dis ignoscentibus ipsis. quid quod materiam praebet causasque iocorum omnibus hic idem, si foeda et scissa lacerna, si toga sordidula est et rupta calceus alter pelle patet, vel si consuto volnere crassum atque recens linum ostendit non una cicatrix? nil habet infelix paupertas durius in se quam quod ridiculos homines facit. ‘exeat,’ inquit ‘si pudor est, et de pulvino surgat equestri cuius res legi non sufficit, et sedeant hic lenonum pueri quocumque ex fornice nati, hic plaudat nitidus praeconis filius inter pinnirapi cultos iuvenes iuvenesque lanistae.’ sic libitum vano, qui nos distinxit, Othoni. quis gener hic placuit censu minor atque puellae sarcinulis inpar? quis pauper scribitur heres? quando in consilio est aedilibus? agmine facto debuerant olim tenues migrasse Quirites. Haut facile emergunt quorum virtutibus obstat res angusta domi, sed Romae durior illis conatus: magno hospitium miserabile, magno servorum ventres, et frugi cenula magno. fictilibus cenare pudet, quod turpe negabis translatus subito ad Marsos mensamque Sabellam

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Sklaven unterhält er? Wie viele Morgen Ackerland besitzt er? Aus wie vielen Schüsseln speist er beim Abendessen und wie groß sind die?‹ Wie viel Geld ein jeder in seiner Schatztruhe aufbewahrt, so viel Vertrauen genießt er auch. Selbst wenn du an den Altären schwörst – sowohl an denen der Samothraker [145] als auch an unseren –, glaubt man von einem Armen, dass er die Blitze und die Götter nicht ernst nimmt, worauf die Götter auch noch Nachsicht übten. Und was soll man dazu sagen, dass eben dieser Arme allen Leuten Material und Anlässe für Witze bietet, wenn sein Mantel hässlich und abgerissen ist, wenn seine Toga schmutzig ist und der eine Schuh im zerrissenen [150] Leder ein Loch hat oder wenn nach dem Zunähen dieser »Wunde« ein dicker neuer Faden zu sehen ist an dieser »Narbe« (und es ist nicht die einzige). Nichts Entwürdigenderes hat die unheilvolle Armut an sich, als dass sie die Menschen lächerlich macht. – ›Der soll rausgehen‹, sagt jemand, ›wenn er Anstand besitzt, und sich von dem Sitzplatz der Ritter erheben, [155] dessen Besitz gemäß dem Gesetz nicht ausreicht. Und hier sollen die Knaben der Zuhälter sitzen, die aus irgendeinem Kellerbordell stammen, hier soll der herausgeputzte Sohn eines Auktionators zwischen den fein hergerichteten Jungs eines Gladiators und den Jungs eines Gladiatorentrainers Beifall klatschen.‹ So gefiel es dieser Niete Otho, der die Unterscheidung zwischen uns vorgenommen hat. [160] Wen hat man hier als Schwiegersohn akzeptiert, wenn sein Vermögen zu gering war und es nicht einmal mit dem kleinen Besitz des Mädchens aufnehmen konnte? Welcher Arme wird als Erbe eingesetzt? Wann sitzt er im Rat der Ädilen? Schon längst hätten die verarmten Bürger einen Zug bilden und auswandern müssen. Nicht leicht kommen die nach oben, bei denen der knappe häusliche Besitz ihren guten Eigenschaften im Weg steht, [165] aber in Rom ist es für sie noch schwieriger, es überhaupt zu versuchen. Teuer ist eine erbärmliche Unterkunft, teuer sind die Mägen der Sklaven, sogar eine sparsame, kleine Mahlzeit ist teuer. Man schämt sich, von Tongeschirr zu speisen, was man nicht anstößig finden wird, wenn man plötzlich zu den Marsern oder an eine sabellische Tafel gebracht

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contentusque illic veneto duroque cucullo. pars magna Italiae est, si verum admittimus, in qua nemo togam sumit nisi mortuus. ipsa dierum festorum herboso colitur si quando theatro maiestas tandemque redit ad pulpita notum exodium, cum personae pallentis hiatum in gremio matris formidat rusticus infans, aequales habitus illic similesque videbis orchestram et populum: clari velamen honoris sufficiunt tunicae summis aedilibus albae. hic ultra vires habitus nitor, hic aliquid plus quam satis est interdum aliena sumitur arca. commune id vitium est: hic vivimus ambitiosa paupertate omnes. quid te moror? omnia Romae cum pretio. quid das, ut Cossum aliquando salutes, ut te respiciat clauso Veiento labello? ille metit barbam, crinem hic deponit amati, plena domus libis venalibus: ‘accipe et istud fermentum tibi habe.’ praestare tributa clientes cogimur et cultis augere peculia servis. Quis timet aut timuit gelida Praeneste ruinam aut positis nemorosa inter iuga Volsiniis aut simplicibus Gabiis aut proni Tiburis arce? nos urbem colimus tenui tibicine fultam magna parte sui; nam sic labentibus obstat vilicus et, veteris rimae cum texit hiatum, securos pendente iubet dormire ruina. vivendum est illic, ubi nulla incendia, nulli nocte metus. iam poscit aquam, iam frivola transfert Ucalegon, tabulata tibi iam tertia fumant:

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wird [170] und sich dort mit einem blauen, steifen Kapuzenmantel zufrieden gibt. Es gibt – wenn wir ehrlich sind – einen großen Teil von Italien, wo man die Toga nur anlegt, wenn man tot ist. Sogar wenn einmal die Feiertage mit all ihrer Erhabenheit im mit Gras bewachsenen Theater begangen werden und endlich das vertraute Abschlussstück auf die Bühne zurückgekehrt ist [175] – wenn das Bauernkind auf dem Schoß der Mutter vor dem Schlund der bleichen Theatermaske Angst bekommt –, dann wird man dort überall die gleiche Kleidung sehen und eine ähnliche Aufmachung bei den Leuten auf den Ehrenplätzen und beim Volk. Als Gewand für ihr berühmtes Ehrenamt reicht den ranghöchsten Ädilen die weiße Tunika aus. [180] Hier in Rom übersteigt die Pracht der Kleidung die eigenen Kräfte, hier leiht man das, was über das Notwendige hinausgeht, manchmal aus einer fremden Geldkiste. Bei allen ist dieses Laster verbreitet: Hier leben wir alle in anspruchsvoller Armut. Um dich nicht weiter aufzuhalten: Alles in Rom hat seinen Preis. Was zahlst du, damit du Cossus irgendwann mal deine Aufwartung machen darfst, [185] damit Veiento dich beachtet, wenn auch mit zusammengekniffenen Lippen? Der eine lässt den Bart seines Geliebten schneiden, der andere das Haar niederlegen, und das ganze Haus ist voll mit Kuchen, für die man bezahlen muss. ›Nimm nur und behalte diese Hefe für dich!‹ Wir Klienten werden gezwungen, Abgaben zu zahlen und den feinen Sklaven das Ersparte zu vermehren. [190] Wer fürchtet im kühlen Praeneste den Einsturz eines Hauses oder hat sich jemals davor gefürchtet – oder auch in Volsinii, das zwischen bewaldeten Bergen liegt, oder in dem bescheidenen Gabii oder auf der Anhöhe des am Steilhang gelegenen Tibur? Wir wohnen in einer Stadt, die zum großen Teil von dünnen Pfeilern gehalten wird. Denn auf diese Weise hält der Hausverwalter den Verfall auf, [195] und jedes Mal wenn er die Öffnung eines alten Risses zugedeckt hat, verordnet er uns, ruhig zu schlafen – und das trotz der Einsturzgefahr. Man sollte dort leben, wo es keine Brände gibt, wo man nachts keine Angst hat. Schon ruft Ucalegon nach Wasser, schon bringt er seine Habseligkeiten weg, schon qualmt es bei dir in der dritten Eta-

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tu nescis; nam si gradibus trepidatur ab imis, ultimus ardebit quem tegula sola tuetur a pluvia, molles ubi reddunt ova columbae. lectus erat Cordo Procula minor, urceoli sex ornamentum abaci, nec non et parvulus infra cantharus et recubans sub eodem marmore Chiron, iamque vetus Graecos servabat cista libellos et divina opici rodebant carmina mures. nil habuit Cordus, quis enim negat? et tamen illud perdidit infelix totum nihil. ultimus autem aerumnae cumulus, quod nudum et frusta rogantem nemo cibo, nemo hospitio tectoque iuvabit: si magna Asturici cecidit domus, horrida mater, pullati proceres, differt vadimonia praetor, tum gemimus casus urbis, tunc odimus ignem. ardet adhuc, et iam accurrit qui marmora donet, conferat inpensas; hic nuda et candida signa, hic aliquid praeclarum Euphranoris et Polycliti, haec Asianorum vetera ornamenta deorum, hic libros dabit et forulos mediamque Minervam, hic modium argenti. meliora ac plura reponit Persicus orborum lautissimus et merito iam suspectus, tamquam ipse suas incenderit aedes. Si potes avelli circensibus, optima Sorae aut Fabrateriae domus aut Frusinone paratur, quanti nunc tenebras unum conducis in annum. hortulus hic puteusque brevis nec reste movendus in tenuis plantas facili diffunditur haustu. vive bidentis amans et culti vilicus horti, unde epulum possis centum dare Pythagoreis. est aliquid quocumque loco, quocumque recessu

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ge. [200] Du weißt nichts davon. Denn wenn von der untersten Treppe Unruhe ausgeht, wird der als letzter brennen, den bloß die Dachziegel vor dem Regen schützen, wo die sanften Tauben ihre Eier legen. Ein Bett besaß Cordus, das für Procula zu klein war, sechs Krüge – die Zierde seines Regals – und darunter eine ganz kleine Trinkschale [205] und unter dieser Marmorplatte einen liegenden Chiron; eine schon alte Kiste bewahrte seine griechischen Bücher auf, und an den göttlichen Gedichten nagten die Mäuse, diese Banausen. Nichts hatte Cordus – wer würde das denn leugnen? Und doch hat der Unglückliche dieses ganze Nichts verloren. Doch der absolute [210] Höhepunkt seiner Not ist, dass niemand ihm, wenn er nackt um Krümel bettelt, mit Essen und niemand ihm mit einer Unterkunft und einem Dach helfen wird. Wenn das große Haus des Asturicus einstürzt, dann tragen die Matronen Trauer, die vornehmen Menschen tragen Schwarz, und der Prätor verschiebt seine Gerichtssitzung – dann seufzen wir über die Unglücksfälle in der Stadt, dann verwünschen wir die Brände. [215] Es brennt noch, und schon kommt einer angelaufen, um Marmor zu spenden und Baumaterial zusammenzutragen. Dieser wird nackte, strahlendweiße Standbilder liefern, dieser irgendein Meisterwerk von Euphranor und Polyklet und sie alte Prachtstücke aus Asiens Göttertempeln, dieser Bücher, ein Bücherregal und mittendrin ein Minervabild [220] und dieser eine Ladung Silber. Noch bessere Sachen und noch mehr bekommt Persicus als Ersatz, der vornehmste der Kinderlosen und zu Recht schon verdächtig, sein Haus selbst angezündet zu haben. Wenn du dich von den Zirkusspielen trennen kannst, bekommst du das beste Haus in Sora, Fabrateria oder Frusino [225] für das Geld, das du nun in einem einzigen Jahr für die Miete deines finsteren Lochs ausgibst. Dort gibt es ein Gärtchen und einen nicht so tiefen Brunnen, der nicht mit einem Seil betrieben werden muss, und ohne Mühe ergießt sich das Wasser über die zarten Pflanzen. Lebe in Liebe zu der Harke und als Verwalter eines gepflegten Gartens, aus dem du hundert Pythagoreern ein Festmahl bieten könntest. [230] Es ist

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unius sese dominum fecisse lacertae. Plurimus hic aeger moritur vigilando (sed ipsum languorem peperit cibus inperfectus et haerens ardenti stomacho); nam quae meritoria somnum admittunt? magnis opibus dormitur in urbe. inde caput morbi; raedarum transitus arto vicorum in flexu et stantis convicia mandrae eripient somnum Druso vitulisque marinis. si vocat officium, turba cedente vehetur dives et ingenti curret super ora Liburna atque obiter leget aut scribet vel dormiet intus (namque facit somnum clausa lectica fenestra), ante tamen veniet. nobis properantibus obstat unda prior, magno populus premit agmine lumbos qui sequitur; ferit hic cubito, ferit assere duro alter, at hic tignum capiti incutit, ille metretam. pinguia crura luto, planta mox undique magna calcor et in digito clavus mihi militis haeret. nonne vides quanto celebretur sportula fumo? centum convivae, sequitur sua quemque culina. Corbulo vix ferret tot vasa ingentia, tot res inpositas capiti, quas recto vertice portat servulus infelix et cursu ventilat ignem. scinduntur tunicae sartae modo, longa coruscat serraco veniente abies, atque altera pinum plaustra vehunt: nutant alte populoque minantur. nam si procubuit qui saxa Ligustica portat axis et eversum fudit super agmina montem,

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etwas wert – egal, wo du bist und wie abgelegen der Ort ist – sich zum Herrn über eine einzige Eidechse gemacht zu haben. Sehr viele Kranke sterben hier daran, dass sie nachts wach liegen (aber die Mattigkeit selbst ist die Folge von unverdauter Nahrung, die im gereizten Magen festsitzt). Denn welche Mietwohnung lässt Schlaf [235] zu? Nur für viel Geld schläft man in der Stadt. Da liegt der Ursprung der Krankheit. Das Vorbeifahren der Wagen in den engen Kurven der Gassen und das Blöken einer stehengebliebenen Viehherde würden selbst Drusus oder den Seerobben den Schlaf rauben. Wenn die Pflicht ruft, wird der Reiche, [240] dem die Menge Platz macht, getragen, und in seinem überdimensionierten Schnellboot prescht er über die Köpfe der Menschen dahin und liest nebenbei oder schreibt etwas oder schläft da drinnen sogar (denn eine Sänfte mit geschlossenen Fenstern ermöglicht den Schlaf ) und kommt trotzdem früher an. Uns behindert, wenn wir in Eile sind, vorne die Welle aus Leuten, und in einem großen Trupp drückt uns das Volk, das hinter uns geht, in die Lenden. [245] Einer stößt mit dem Ellenbogen, ein anderer stößt mit der harten Tragstange, aber dieser haut mir einen Balken an den Kopf und jener ein Fass. Meine Beine sind mit Dreck verschmiert, dann werde ich von allen Seiten mit großen Füßen getreten, und in meinem Zeh steckt ein Nagel aus dem Schuh eines Soldaten. Siehst du denn nicht, mit wie viel Qualm dort die Speisung begangen wird? [250] Hundert Gäste sind dabei, und jedem folgt seine eigene Küche. Ein Corbulo könnte kaum so viele riesige Gefäße tragen und so viele auf den Kopf geladene Dinge, wie sie – den Scheitel in die Höhe gestreckt – ein unglücklicher kleiner Sklave bringt, der beim Gehen auch noch das Feuer anfacht. Zerrissen wird die gerade erst geflickte Tunika, ein Lastkarren kommt heran, und darauf schwingt eine lange [255] Tanne hin und her, und ein anderes Fuhrwerk transportiert eine Fichte. Sie schwanken in der Höhe und sind eine Bedrohung für das Volk. Denn wenn sich ein Wagen, der ligurischen Marmor bringt, nach vorne geneigt und einen stürzenden Berg über die Menschenmenge geschüttet hat, was bleibt dann von

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quid superest de corporibus? quis membra, quis ossa invenit? obtritum volgi perit omne cadaver more animae. domus interea secura patellas iam lavat et bucca foculum excitat et sonat unctis striglibus et pleno componit lintea guto. haec inter pueros varie properantur, at ille iam sedet in ripa taetrumque novicius horret porthmea nec sperat caenosi gurgitis alnum infelix nec habet quem porrigat ore trientem. respice nunc alia ac diversa pericula noctis: quod spatium tectis sublimibus unde cerebrum testa ferit, quotiens rimosa et curta fenestris vasa cadant, quanto percussum pondere signent et laedant silicem. possis ignavus haberi et subiti casus inprovidus, ad cenam si intestatus eas: adeo tot fata, quot illa nocte patent vigiles te praetereunte fenestrae. ergo optes votumque feras miserabile tecum, ut sint contentae patulas defundere pelves. ebrius ac petulans, qui nullum forte cecidit, dat poenas, noctem patitur lugentis amicum Pelidae, cubat in faciem, mox deinde supinus: [ergo non aliter poterit dormire; quibusdam] somnum rixa facit. sed quamvis inprobus annis atque mero fervens cavet hunc quem coccina laena vitari iubet et comitum longissimus ordo, multum praeterea flammarum et aenea lampas: me, quem luna solet deducere vel breve lumen

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den Körpern übrig? Wer findet noch die Glieder, wer die Knochen? [260] Eine Leiche aus dem Volk wird zermalmt und verschwindet vollständig – genauso wie der Lebenshauch. Inzwischen wäscht man zu Hause bereits unbesorgt die Schüsseln ab und facht mit aufgeblasenen Backen das kleine Herdfeuer an, klappert mit den ölverschmierten Abstreifern und legt die Leintücher zu dem gefüllten Ölkrug. Diese verschiedenen Aufgaben werden von den Sklavenjungen eilig erledigt, aber er [265] sitzt schon am Ufer, und der Neuankömmling zittert vor dem schrecklichen Fährmann. Der Unglückliche kann jedoch nicht auf einen Kahn hoffen, der ihn über die schlammige Tiefe bringt, denn er hat keine Münze, um sie mit seinem Mund anzubieten. Bedenke nun die verschiedenen weiteren Gefahren der Nacht: wie hoch die Dächer liegen, von denen aus ein Ziegel dein Hirn [270] zerhaut, wie oft gesprungene oder angeschlagene Gefäße aus den Fenstern fallen und mit welchem Gewicht sie auf die Pflastersteine schlagen und dort einen sichtbaren Schaden hinterlassen. Man könnte dich für nachlässig halten und für jemanden, der nicht an die Möglichkeit eines plötzlichen Unglücksfalls denkt, wenn du zum Abendessen gehst, ohne dein Testament gemacht zu haben. Im Grunde drohen so viele Tode, wie es in jener [275] Nacht offene Fenster gibt, die hellwach sind, während du vorbeigehst. Du solltest also hoffen und den erbärmlichen Wunsch bei dir hegen, dass man sich damit begnügt, große Schüsseln auszukippen. Einer, der betrunken und aggressiv ist und zufällig noch niemanden zusammengeschlagen hat, empfindet das als Strafe und durchleidet eine Nacht wie der Pelide, als er um seinen Freund trauerte; [280] er liegt auf dem Gesicht, bald darauf auf dem Rücken[, anders wird er also nicht schlafen können]. Erst ein Streit bringt [manchen] den Schlaf. Aber obwohl er aufgrund seiner Jugend bösartig und vom Wein aufgeheizt ist, nimmt er sich vor dem in Acht, bei dem der rote Wollmantel befiehlt, ihm aus dem Weg zu gehen, wie auch die überaus lange Reihe seiner Begleiter, [285] außerdem die zahlreichen Fackeln und eine Lampe aus Bronze. Mich, den für gewöhnlich der Mond heimführt oder das spärliche Licht einer Kerze, deren Docht

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candelae, cuius dispenso et tempero filum, contemnit. miserae cognosce prohoemia rixae, si rixa est, ubi tu pulsas, ego vapulo tantum. stat contra starique iubet: parere necesse est; nam quid agas, cum te furiosus cogat et idem fortior? ‘unde venis?’ exclamat, ‘cuius aceto, cuius conche tumes? quis tecum sectile porrum sutor et elixi vervecis labra comedit? nil mihi respondes? aut dic aut accipe calcem! ede ubi consistas! in qua te quaero proseucha?’ dicere si temptes aliquid tacitusve recedas, tantumdem est: feriunt pariter, vadimonia deinde irati faciunt. libertas pauperis haec est: pulsatus rogat et pugnis concisus adorat, ut liceat paucis cum dentibus inde reverti. nec tamen haec tantum metuas; nam qui spoliet te non derit clausis domibus postquam omnis ubique fixa catenatae siluit compago tabernae. interdum et ferro subitus grassator agit rem: armato quotiens tutae custode tenentur et Pomptina palus et Gallinaria pinus, sic inde huc omnes tamquam ad vivaria currunt. qua fornace graves, qua non incude catenae? maximus in vinclis ferri modus, ut timeas ne vomer deficiat, ne marra et sarcula desint. felices proavorum atavos, felicia dicas saecula quae quondam sub regibus atque tribunis viderunt uno contentam carcere Romam. His alias poteram et plures subnectere causas, sed iumenta vocant, et sol inclinat: eundum est;

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ich mir maßvoll einteile, verachtet er. Lass dir erzählen, wie es zu diesem erbärmlichen Streit kommt – wenn das ein Streit ist, wo du zuschlägst und ich nur verprügelt werde. [290] Er steht mir gegenüber und befiehlt mir, stehen zu bleiben. Da muss man gehorchen, denn was soll man machen, wenn er dich in seiner Raserei dazu zwingt und auch noch stärker ist? ›Wo kommst du her?‹ schreit er. ›Bei wem hast du Essig getrunken, bei wem Bohnen gegessen, die dich aufblähen? Welcher Schuster hat mit dir Schnittlauch und gekochtes Hammelmaul gegessen? [295] Antwortest du mir nicht? Sag’s oder du kriegst einen Tritt! Raus damit, wo du dich aufhältst! In welcher Synagoge muss ich dich suchen?‹ Ob du versuchst, etwas zu sagen, oder schweigend zurückweichst – es kommt aufs Gleiche raus. In jedem Fall schlagen sie zu, und voller Zorn lassen sich dich dann vor Gericht erscheinen. So sieht die Freiheit eines Armen aus: [300] Wenn er verprügelt worden ist, bittet er, und wenn er mit Fäusten zusammengeschlagen worden ist, fleht er, dass er mit ein paar wenigen Zähnen von dort nach Hause gehen darf. Aber nicht nur davor musst du dich fürchten: Denn es wird jemanden geben, der dich beraubt, nachdem die Häuser abgeschlossen worden sind und überall die Läden eines jeden Geschäfts verriegelt worden und zur Ruhe gekommen sind. [305] Manchmal geht auch ein plötzlich auftauchender Gangster mit dem Messer seiner Arbeit nach: Immer wenn die Pomptinischen Sümpfe und der Gallinarische Wald von bewaffneten Patrouillen gesichert und überwacht werden, hasten alle von dort hierher wie in ein Wildgehege. In welchem Schmelzofen und auf welchem Amboss werden nun keine schweren Ketten hergestellt? [310] Eine riesige Masse von Eisen geht in die Produktion von Ketten, sodass man Angst kriegen kann, dass uns die Pflüge ausgehen und es keine Hacken und Harken mehr gibt. Da kannst du die Vorfahren unserer Urgroßväter glücklich preisen und die Jahrhunderte, in denen man einst – unter der Herrschaft von Königen und Tribunen – sah, dass für Rom ein einziger Kerker ausreichte. [315] Ich könnte diesen Gründen noch viele weitere hinzufügen, aber die Zugtiere rufen, und der Tag neigt sich dem Ende zu: Es ist

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nam mihi commota iamdudum mulio virga adnuit. ergo vale nostri memor, et quotiens te Roma tuo refici properantem reddet Aquino, me quoque ad helvinam Cererem vestramque Dianam converte a Cumis. saturarum ego, ni pudet illas, auditor gelidos veniam caligatus in agros.”

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Zeit zum Aufbruch. Denn der Maultiertreiber schwingt schon lange die Peitsche und winkt mir zu. Also, leb wohl und vergiss mich nicht! Und immer wenn Rom dich deinem geliebten Aquinum zurückgibt und du es kaum erwarten kannst, dich zu erholen, [320] dann lass auch mich aus Cumae zu der goldenen Ceres und zu eurer Diana kommen. Ich werde in meinen schweren Stiefeln auf das kühle Land kommen und mir deine Satiren anhören, wenn ihnen das nicht peinlich ist.«

Satura IV Ecce iterum Crispinus, et est mihi saepe vocandus ad partes, monstrum nulla virtute redemptum a vitiis, aegrae solaque libidine fortes deliciae, viduas tantum aspernatus adulter. quid refert igitur, quantis iumenta fatiget porticibus, quanta nemorum vectetur in umbra, iugera quot vicina foro, quas emerit aedes? nemo malus felix, minime corruptor et idem incestus, cum quo nuper vittata iacebat sanguine adhuc vivo terram subitura sacerdos. sed nunc de factis levioribus. et tamen alter si fecisset idem, caderet sub iudice morum; nam quod turpe bonis Titio Seioque, decebat Crispinum. quid agas, cum dira et foedior omni crimine persona est? mullum sex milibus emit, aequantem sane paribus sestertia libris, ut perhibent qui de magnis maiora locuntur. consilium laudo artificis, si munere tanto praecipuam in tabulis ceram senis abstulit orbi; est ratio ulterior, magnae si misit amicae, quae vehitur cluso latis specularibus antro. nil tale expectes: emit sibi. multa videmus quae miser et frugi non fecit Apicius: hoc tu, succinctus patria quondam, Crispine, papyro?

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Vierte Satire Sieh nur, schon wieder Crispinus! Und in der Tat muss ich ihn oft auf die Bühne rufen – dieses Ungeheuer, dessen Laster keine einzige gute Eigenschaft ausgleichen kann, diesen kranken Lustmolch, der nur in seiner Geilheit stark ist, diesen Ehebrecher, der allein von unverheirateten Frauen die Finger lässt. [5] Was spielt es da also für eine Rolle, in was für weitläufigen Arkaden er seine Lasttiere müde werden lässt, in was für weitläufigen Parks er sich im Schatten herumtragen lässt, wie viel Grundbesitz und welche Häuser er in der Nähe des Forums gekauft hat? Kein schlimmer Mensch ist glücklich, schon gar kein Verführer, und dazu ein so frevelhafter, mit dem erst neulich eine mit ihrem Haarband geschmückte Priesterin schlief, [10] um dann noch bei lebendigem Leib unter die Erde zu gehen. Aber nun soll es um seine weniger schwerwiegenden Taten gehen. Wenn allerdings jemand anders dasselbe getan hätte, dann würde er durch den Sittenrichter zu Fall kommen. Denn was für anständige Leute wie Titus oder Seius als unschicklich gelten würde, gehörte sich für Crispinus. Was kann man da machen, wenn ein Charakter grauenvoll ist und widerlicher als jede denkbare [15] Anschuldigung? Eine Meerbarbe für 6000 Sesterze kaufte er, die mit ihrem Gewicht von entsprechend vielen Pfunden wahrhaftig jedes einzelne Tausend aufwog, wie die es bezeugen, die beim Reden aus etwas Großem etwas noch Größeres machen. Das berechnende Vorgehen eines Tricksers findet meine Anerkennung, wenn dieser mit einem so großen Geschenk den ersten Platz im Testament eines kinderlosen Alten ergattert hat oder [20] – da geht seine Überlegung noch weiter! – wenn er es seiner bedeutenden Geliebten geschickt hat, die in einer abgeschlossenen Höhle mit großen Fenstern getragen wird. So etwas darfst du bei ihm nicht erwarten: Er kaufte es für sich selbst. Vieles sehen wir, was der arme und sparsame Apicius nicht tat. Das hast du getan, Crispinus – einer, der einst den Papyrus seiner Heimat als

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hoc pretio squamae? potuit fortasse minoris piscator quam piscis emi, provincia tanti vendit agros, sed maiores Apulia vendit. qualis tunc epulas ipsum gluttisse putamus induperatorem, cum tot sestertia, partem exiguam et modicae sumptam de margine cenae, purpureus magni ructarit scurra Palati, iam princeps equitum, magna qui voce solebat vendere municipes fracta de merce siluros? Incipe, Calliope! licet et considere: non est cantandum, res vera agitur. narrate, puellae Pierides! – prosit mihi vos dixisse puellas. Cum iam semianimum laceraret Flavius orbem ultimus et calvo serviret Roma Neroni, incidit Hadriaci spatium admirabile rhombi ante domum Veneris, quam Dorica sustinet Ancon, implevitque sinus; neque enim minor haeserat illis quos operit glacies Maeotica ruptaque tandem solibus effundit torrentis ad ostia Ponti desidia tardos et longo frigore pingues. destinat hoc monstrum cumbae linique magister pontifici summo. quis enim proponere talem aut emere auderet, cum plena et litora multo delatore forent? dispersi protinus algae inquisitores agerent cum remige nudo non dubitaturi fugitivum dicere piscem depastumque diu vivaria Caesaris, inde elapsum veterem ad dominum debere reverti. si quid Palfurio, si credimus Armillato, quidquid conspicuum pulchrumque est aequore toto

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Kleidung trug? [25] Für diesen Preis hast du ein paar Schuppen gekauft? Man hätte vielleicht den Fischer für weniger kaufen können als den Fisch. Für so viel Geld verkauft man in den Provinzen Ländereien, und in Apulien sogar noch größere. Was sollen wir da annehmen, welche Gastmähler der Herrscher selbst verschlungen hat, wenn dieser in Purpur gekleidete Clown des großen Palastes unter Rülpsen so viele tausend Sesterze [30] verdrückt hat (und das war doch nur eine kleine Portion, die vom Rand eines maßvollen Gelages weggenommen wurde)? Ist der jetzt der Erste unter den Rittern – er, der mit lauter Stimme Welse aus beschädigter Fracht – seine Landsleute – anzupreisen pflegte? Beginne Calliope! Wir können uns aber auch setzen. Es soll auch nicht [35] gesungen werden, denn eine wahre Begebenheit wird vorgetragen. Erzählt, ihr pierischen Mädchen! (Und es soll mir zugutekommen, dass ich euch »Mädchen« genannt habe.) Als der letzte Flavier die schon halbtote Welt zerfleischte und Rom dem kahlen Nero Sklavendienst leistete, da tauchte ein Adriabutt von beeindruckender Größe [40] vor dem Venustempel, der über dem dorischen Ancona liegt, auf und füllte ein ganzes Netz aus. Da hatte sich nämlich einer verfangen, der nicht kleiner war als diejenigen, welche das Eis des Mäotischen Sees bedeckt und, nachdem es endlich von der Sonne aufgebrochen worden ist, zur Mündung des strömungsreichen Schwarzen Meeres hinaus schwemmt – träge durch ihr Nichtstun und aufgrund der lang dauernden Kälte fett. [45] Dieses Wunderwesen verfügt der Kapitän von Kahn und Netz, dem Oberpriester zu geben. Denn wer würde es wagen, so einen Fisch zum Verkauf anzubieten oder zu erwerben, wo doch selbst die Strände voll sind mit Massen von Denunzianten? Die überall postierten Spitzel im Seetang würden unverzüglich einen Prozess gegen den unbekleideten Ruderknecht anstrengen [50] und dann, ohne zu zögern, behaupten, dass der Fisch ein Ausreißer sei: Lange habe er die Fischteiche des Kaisers abgeweidet, von dort sei er entkommen und müsse nun zu seinem früheren Besitzer zurückkehren. Wenn wir Palfurius, wenn wir Armillatus Glauben schenken, dann gehört alles Auffallende und Schöne,

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res fisci est, ubicumque natat. donabitur ergo, ne pereat. iam letifero cedente pruinis autumno, iam quartanam sperantibus aegris, stridebat deformis hiems praedamque recentem servabat, tamen hic properat, velut urgueat Auster. utque lacus suberant, ubi quamquam diruta servat ignem Troianum et Vestam colit Alba minorem, obstitit intranti miratrix turba parumper. ut cessit, facili patuerunt cardine valvae: exclusi spectant admissa obsonia patres. itur ad Atriden. tum Picens “accipe” dixit “privatis maiora focis. genialis agatur iste dies. propera stomachum laxare sagina et tua servatum consume in saecula rhombum. ipse capi voluit.” quid apertius? et tamen illi surgebant cristae: nihil est quod credere de se non possit cum laudatur dis aequa potestas. Sed derat pisci patinae mensura. vocantur ergo in consilium proceres, quos oderat ille, in quorum facie miserae magnaeque sedebat pallor amicitiae. primus clamante Liburno “currite, iam sedit” rapta properabat abolla Pegasus, attonitae positus modo vilicus urbi: [anne aliud tum praefecti? quorum optimus atque] interpres legum sanctissimus omnia, quamquam temporibus diris, tractanda putabat inermi iustitia. venit et Crispi iucunda senectus, cuius erant mores qualis facundia, mite ingenium. maria ac terras populosque regenti quis comes utilior, si clade et peste sub illa

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was es im gesamten Meer gibt, [55] in die kaiserliche Schatzkammer – egal, wo es herumschwimmt. Also wird er ihm zum Geschenk gemacht werden, damit er nicht verkommt. Nun, zu der Zeit, als der todbringende Herbst der Winterkälte wich und die Kranken auf seltenere Fieberschübe hofften, da pfiff der garstige Wintersturm und hielt die Beute frisch. Trotzdem beeilte er sich, als ob der Südwind in antrieb. [60] Und als er sich oberhalb der Seen befand, bei denen Alba – auch wenn es zerstört ist – das trojanische Feuer und die kleinere Vesta verehrt, stand ihm beim Eintreten für eine Weile eine staunende Menschenmenge im Weg. Sobald diese sich zurückzog, ließen die Türangeln bereitwillig die Türflügel aufgehen. Die ausgesperrten Senatoren schauten auf das hineingelassene Fischgericht. [65] Man ging zu dem Atriden. Dann sprach der Mann aus Picenum: »Nimm das entgegen, was für den Herd eines Privatmanns zu groß ist! Dies soll dein Festtag sein! Mach schnell, lass dieses Mastfutter deinen Magen ausleiern und verspeise den Butt, der sich für dein Zeitalter aufgespart hat! Er selbst wollte gefangen werden.« Was könnte plumper sein? Und dennoch [70] schwoll jenem der Kamm. Es gibt nichts, was er über sich selbst nicht glauben könnte, wenn seine göttergleiche Macht gepriesen wird. Aber es fehlte für den Fisch eine Schüssel von ausreichender Größe. Man rief also die vornehmen Männer zur Beratung zusammen – Leute, die jener hasste und auf deren Gesichtern die Angst infolge ihrer unglücklichen Freundschaft mit einem mächtigen Mann lag. [75] Als der Liburnersklave rief: »Lauft, er hat schon Platz genommen!«, ergriff als erster Pegasus seinen Mantel und sputete sich – er, der gerade erst als Verwalter der verstörten Stadt eingesetzt worden war. [Denn was sonst waren die Präfekten damals? Als der beste von ihnen und] Als überaus anständiger Gesetzesdeuter meinte er, dass – auch wenn [80] die Zeiten grausam waren – Justitia alles ohne ihr Schwert regeln müsse. Es kam auch Crispus, der umgängliche alte Mann, dessen Charakter so war wie seine Redegabe – ein sanftes Gemüt. Wer hätte dem Herrscher über Meere, Länder und Völker ein nützlicherer Gefährte sein können, wenn es denn zur Zeit dieser ver-

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saevitiam damnare et honestum adferre liceret consilium? sed quid violentius aure tyranni, cum quo de pluviis aut aestibus aut nimboso vere locuturi fatum pendebat amici? ille igitur numquam derexit bracchia contra torrentem, nec civis erat qui libera posset verba animi proferre et vitam inpendere vero. sic multas hiemes atque octogensima vidit solstitia, his armis illa quoque tutus in aula. proximus eiusdem properabat Acilius aevi cum iuvene indigno quem mors tam saeva maneret et domini gladiis tam festinata. sed olim prodigio par est in nobilitate senectus, unde fit ut malim fraterculus esse gigantis. profuit ergo nihil misero, quod comminus ursos figebat Numidas Albana nudus harena venator. quis enim iam non intellegat artes patricias? quis priscum illud miratur acumen, Brute, tuum? facile est barbato inponere regi. nec melior vultu quamvis ignobilis ibat Rubrius, offensae veteris reus atque tacendae, et tamen inprobior saturam scribente cinaedo. Montani quoque venter adest abdomine tardus, et matutino sudans Crispinus amomo, quantum vix redolent duo funera, saevior illo Pompeius tenui iugulos aperire susurro, et qui vulturibus servabat viscera Dacis Fuscus, marmorea meditatus proelia villa, et cum mortifero prudens Veiento Catullo, qui numquam visae flagrabat amore puellae, grande et conspicuum nostro quoque tempore monstrum,

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hängnisvollen Heimsuchung [85] erlaubt gewesen wäre, die Grausamkeit zu missbilligen und einen ehrenhaften Rat anzubieten? Aber was könnte gewalttätiger sein als das Ohr eines Tyrannen, bei dem das Schicksal eines Freundes selbst dann im Ungewissen lag, wenn dieser sich mit ihm nur über den Regen oder die Hitze oder den verregneten Frühling unterhalten wollte? Also ist er nie gegen den [90] Strom geschwommen, und er war kein Bürger, der in der Lage gewesen wäre, freimütig seine Gedanken auszusprechen oder sein Leben für die Wahrheit einzusetzen. So erlebte er viele Winter und sogar seinen achtzigsten Sommer, weil er mit diesem Rüstzeug selbst an diesem Hof sicher war. Als nächster eilte der ebenso alte Acilius [95] zusammen mit seinem Sohn herbei, der es nicht verdiente, dass ihn ein so grausamer und frühzeitiger Tod durch das Schwert des Herren erwartete. Aber seit langem gilt ein hohes Alter bei den Adligen als ein Wunder, weshalb ich lieber der kleine Bruder eines Giganten sein will. Es nützte dem Unglückseligen also nichts, dass er im Nahkampf numidische Bären [100] durchbohrte, unbekleidet als Tierkämpfer in der Arena von Alba. Denn wer würde heutzutage die Methoden der Patrizier nicht durchschauen? Wer bewundert deinen Scharfsinn aus alter Zeit, Brutus? Es ist leicht, einem bärtigen König etwas vorzumachen. Auch mit keinem fröhlicheren Gesichtsausdruck, obwohl er kein Adliger war, kam [105] Rubrius, schuldig eines früheren Vergehens, über das man schweigen sollte, und doch schamloser als eine Schwuchtel, die Satiren schreibt. Auch der Bauch des Montanus ist anwesend, behäbig durch den Wanst, und Crispinus, der am Morgen so viel Parfüm ausschwitzt, wie man es kaum bei zwei Leichen riecht, und Pompeius, der noch grausamer als jener ist, [110] wenn es darum geht, durch leises Geflüster Kehlen durchzuschneiden, und Fuscus, der seine Eingeweide für die Geier in Dakien aufsparte und in seiner Villa aus Marmor Schlachten plante, sowie der schlaue Veiento zusammen mit dem mörderischen Catullus. Der war in Liebe zu einem Mädchen entflammt, das er nie gesehen hatte, [115] ein großes und sogar für unsere Zeit bemerkenswertes Ungeheuer[, ein blinder Schmeich-

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[caecus adulator dirusque a ponte satelles] dignus Aricinos qui mendicaret ad axes blandaque devexae iactaret basia raedae. Nemo magis rhombum stupuit; nam plurima dixit in laevum conversus, at illi dextra iacebat belua. sic pugnas Cilicis laudabat et ictus et pegma et pueros inde ad velaria raptos. non cedit Veiento, sed ut fanaticus oestro percussus, Bellona, tuo divinat et “ingens omen habes” inquit “magni clarique triumphi: regem aliquem capies, aut de temone Britanno excidet Arviragus; peregrina est belua: cernis erectas in terga sudes?” hoc defuit unum Fabricio, patriam ut rhombi memoraret et annos. “quidnam igitur censes? conciditur?” “absit ab illo dedecus hoc” Montanus ait, “testa alta paretur, quae tenui muro spatiosum colligat orbem. debetur magnus patinae subitusque Prometheus, argillam atque rotam citius properate! sed ex hoc tempore iam, Caesar, figuli tua castra sequantur.” vicit digna viro sententia. noverat ille luxuriam inperii veterem noctesque Neronis iam medias aliamque famem, cum pulmo Falerno arderet. nulli maior fuit usus edendi tempestate mea: Circeis nata forent an Lucrinum ad saxum Rutupinove edita fundo ostrea callebat primo deprendere morsu, et semel aspecti litus dicebat echini. surgitur et misso proceres exire iubentur consilio, quos Albanam dux magnus in arcem

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ler und furchtbarer Gefolgsmann von der Brücke]; er hätte es verdient, als Bettler bei den Achsen auf dem Weg nach Aricia zu sitzen und den abfahrenden Wagen schmeichelnde Kusshände zuzuwerfen. Niemand staunte heftiger über den Butt. Denn er sprach am meisten, [120] wobei er sich nach links wandte (allerdings lag das Untier zu seiner Rechten). So pflegte er auch die Kämpfe und Hiebe des kilikischen Gladiators zu rühmen und die Bühnentechnik und die Knaben, die von dort bis zu den Sonnensegeln entführt wurden. Veiento möchte da nicht zurückstehen, sondern wie ein Priester in Ekstase, der von dir, Bellona, mit Wahnsinn geschlagen wurde, weissagt er und sagt: »Da hast du ein gewaltiges [125] Vorzeichen für einen großen und prächtigen Triumph: Irgendeinen König wirst du gefangen nehmen, oder Arviragus wird aus seinem britannischen Streitwagen stürzen. Ein Ausländer ist das Untier – siehst du die aufgerichteten Stacheln auf seinem Rücken?« Das einzige, was in Fabricius’ Ausführungen fehlte, waren Angaben zu Herkunft und Alter des Butts. [130] »Wie lautet also dein Antrag? Soll man ihn in Stücke schneiden?« – »Diese Schande bleibe ihm erspart«, sprach Montanus. »Es soll eine tiefe Schüssel erschaffen werden, die mit einer fein ausgearbeiteten Wand ein weites Rund umfasse. Für diese Pfanne braucht man einen großen Prometheus, und das sofort: Schneller! Beeilt euch mit Ton und Töpferscheibe! Aber von [135] nun an, Caesar, sollen endlich auch Töpfer sich deinem Heerlager anschließen.« Es setzte sich dieser Antrag durch, der zu dem Mann passte. Jener kannte noch den Luxus, wie er früher bei Hofe üblich war, und wusste, was man bei Nero zur Mitternacht tat und beim zweiten Hunger, wenn die Lunge vom Falernerwein glühte. Niemand hatte zu meiner Zeit größere Erfahrung, wenn es um Essen ging. [140] Er verstand sich darauf, mit dem ersten Bissen zu bestimmen, ob Austern bei Circei oder am lukrinischen Felsen oder auf dem Meeresgrund bei Rutupiae entstanden waren, und auf den ersten Blick gab er die Küste an, von der ein Seeigel stammte. Man erhebt sich, und nach Aufhebung der Versammlung wird den vornehmen Männern befohlen zu gehen. [145] Zu ihrem Erschre-

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traxerat attonitos et festinare coactos, tamquam de Chattis aliquid torvisque Sygambris dicturus, tamquam ex diversis partibus orbis anxia praecipiti venisset epistula pinna. Atque utinam his potius nugis tota illa dedisset tempora saevitiae, claras quibus abstulit urbi inlustresque animas inpune et vindice nullo. sed periit postquam cerdonibus esse timendus coeperat: hoc nocuit Lamiarum caede madenti.

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cken hatte der große Feldherr sie in die Festung von Alba gezerrt und sie zur Eile angetrieben, als ob er etwas über die Chatten oder die grimmigen Sygambrer zu sagen hätte oder als ob aus weit entfernten Teilen der Erde in hektischer Eile ein besorgniserregender Brief eingetroffen wäre. [150] Und hätte er doch diesen unwichtigen Dingen jene Zeit der Grausamkeit besser vollständig gewidmet, in der er Rom ungestraft und ohne dass jemand Rache geübt hätte, seine berühmten und vornehmen Seelen raubte. Zugrunde ging er aber, nachdem er begonnen hatte, auch den einfachen Leuten Anlass zur Furcht zu geben. Das wurde ihm zum Verhängnis, als er noch das Blut der Lamier an den Händen hatte.

Satura V Si te propositi nondum pudet atque eadem est mens, ut bona summa putes aliena vivere quadra, si potes illa pati quae nec Sarmentus iniquas Caesaris ad mensas nec vilis Gabba tulisset, quamvis iurato metuam tibi credere testi. ventre nihil novi frugalius; hoc tamen ipsum defecisse puta, quod inani sufficit alvo: nulla crepido vacat? nusquam pons et tegetis pars dimidia brevior? tantine iniuria cenae, tam ieiuna fames, cum possit honestius illic et tremere et sordes farris mordere canini? Primo fige loco, quod tu discumbere iussus mercedem solidam veterum capis officiorum. fructus amicitiae magnae cibus; inputat hunc rex, et quamvis rarum, tamen inputat. ergo duos post si libuit menses neglectum adhibere clientem, tertia ne vacuo cessaret culcita lecto, “una simus” ait. votorum summa! quid ultra quaeris? habet Trebius propter quod rumpere somnum debeat et ligulas dimittere, sollicitus ne tota salutatrix iam turba peregerit orbem, sideribus dubiis aut illo tempore quo se frigida circumagunt pigri serraca Bootae.

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Fünfte Satire Wenn du dich für deinen Lebensplan noch immer nicht schämst und du an der Überzeugung festhältst, das höchste Gut liege darin, von einem Stück Brot eines anderen zu leben, wenn du aushalten kannst, was weder Sarmentus noch der unbedeutende Gabba an der ungleich gedeckten Tafel des Kaisers ertragen hätten, [5] dann müsste ich mich hüten, deiner Aussage Glauben zu schenken, selbst wenn du unter Eid stündest. Ich kenne nichts, das anspruchsloser wäre als der Magen. Stellen wir uns trotzdem mal vor, dass selbst das fehlt, was einem leeren Bauch genügt – ist denn auf dem Bürgersteig kein Platz mehr frei? Gibt es nirgendwo eine Brücke und ein Stück Matte, das noch kleiner ist als eine halbe Matte? Ist ein entwürdigendes Gastmahl so viel wert, [10] ist dein Hunger so heftig, wenn es doch ehrenhafter wäre, dort zu bibbern und schmutzige Stücke vom Brot der Hunde zu kauen? Als erstes musst du dir darüber im Klaren sein, dass du durch die Aufforderung, dich zu Tisch zu legen, die komplette Entlohnung für deine früheren Dienste erhältst. Der Lohn für die Freundschaft mit einem hochstehenden Mann ist Nahrung. Die rechnet dein »König« dir als Schuld an, [15] und auch wenn du sie nur selten bekommst, rechnet er sie dir doch an. Wenn er also nach zwei Monaten seinen schon vergessenen Klienten einladen möchte, damit das dritte Polster auf einem freien Speisesofa nicht unbenutzt daliegt, sagt er: »Wir wollen zusammen sein!« Die Erfüllung deiner Wünsche! Was willst du mehr? Trebius hat einen Grund dafür, dass er seinen Schlaf unterbrechen [20] und die Schuhbänder offen herunterhängen lassen muss in seiner Panik, dass die ganze Schar, die morgens zum Besuch antritt, ihre Runde schon hinter sich hat, wenn gerade die Sterne verschwinden oder auch zu der Zeit, wenn der eisige Wagen des trägen Bootes seine Wendung vollzieht.

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Qualis cena tamen! vinum quod sucida nolit lana pati: de conviva Corybanta videbis. iurgia proludunt, sed mox et pocula torques saucius et rubra deterges vulnera mappa, inter vos quotiens libertorumque cohortem pugna Saguntina fervet commissa lagona. ipse capillato diffusum consule potat calcatamque tenet bellis socialibus uvam cardiaco numquam cyathum missurus amico. cras bibet Albanis aliquid de montibus aut de Setinis, cuius patriam titulumque senectus delevit multa veteris fuligine testae, quale coronati Thrasea Helvidiusque bibebant Brutorum et Cassi natalibus. ipse capaces Heliadum crustas et inaequales berullo Virro tenet phialas: tibi non committitur aurum, vel si quando datur, custos adfixus ibidem, qui numeret gemmas, ungues observet acutos. da veniam: praeclara illi laudatur iaspis. nam Virro, ut multi, gemmas ad pocula transfert a digitis, quas in vaginae fronte solebat ponere zelotypo iuvenis praelatus Iarbae. tu Beneventani sutoris nomen habentem siccabis calicem nasorum quattuor ac iam quassatum et rupto poscentem sulpura vitro. Si stomachus domini fervet vinoque ciboque, frigidior Geticis petitur decocta pruinis: non eadem vobis poni modo vina querebar? vos aliam potatis aquam. tibi pocula cursor

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Doch was ist das für ein Abendessen! Ein Wein, den sich nicht einmal frisch geschorene [25] Wolle gefallen lassen würde. Da wirst du sehen, wie aus einem Gast ein Korybant wird: Als Vorspiel gibt es Sticheleien, aber bald schleuderst du auch Becher und wischst dir, wenn du verletzt bist, mit der nunmehr roten Serviette deine Wunden ab, wann immer zwischen euch und dem Trupp der Freigelassenen die Schlacht tobt, die ihr mit Flaschen von Saguntinerwein austragt. [30] Der Herr selbst trinkt einen unter einem langhaarigen Konsul abgefüllten Wein und behält für sich eine Traube, die während der Bundesgenossenkriege gekeltert wurde – und niemals würde er einem Freund auch nur einen Schluck gegen seine Magenbeschwerden zukommen lassen. Morgen wird er dann etwas aus den Albaner- oder Setinerbergen trinken, dessen Herkunftsbezeichnung die Jahre [35] und der viele Ruß auf der alten Flasche getilgt haben. So etwas tranken Thrasea und Helvidius, wenn sie sich zum Geburtstag der beiden Bruti und des Cassius Kränze aufgesetzt hatten. Virro selbst hält große Becher mit Einlegearbeiten aus Bernstein in der Hand und Trinkschalen, die vom Beryllschmuck uneben sind. Dir wird kein Goldgefäß anvertraut, [40] oder wenn es dir doch einmal übergeben wird, dann nur gemeinsam mit einem gerade dafür abgestellten Aufpasser, der die Edelsteine abzählen und deine scharfen Fingernägel beobachten soll. Dafür musst du Verständnis haben: Sein herrlicher Jaspis wird doch so sehr gepriesen. Denn wie so viele versetzt Virro Edelsteine von seinen Fingern auf seine Becher – und zwar solche, wie sie der junge Mann vorne auf seiner Schwertscheide [45] anzubringen pflegte, der dem eifersüchtigen Jarbas vorgezogen wurde. Du wirst einen Becher leeren, der nach dem Schuster von Benevent benannt ist – einen mit vier Ausgießöffnungen, der auch schon angeschlagen ist und nach Schwefel verlangt für das gesprungene Glas. Wenn der Magen des Hausherrn von Wein und Speisen glüht, [50] verlangt man nach abgekochtem Wasser, das kälter ist als der getische Frost. Habe ich nicht gerade darüber geklagt, dass euch nicht derselbe Wein vorgesetzt wird? Ihr trinkt auch unterschiedliches Was-

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Gaetulus dabit aut nigri manus ossea Mauri et cui per mediam nolis occurrere noctem, clivosae veheris dum per monumenta Latinae. flos Asiae ante ipsum, pretio maiore paratus quam fuit et Tulli census pugnacis et Anci et, ne te teneam, Romanorum omnia regum frivola. quod cum ita sit, tu Gaetulum Ganymedem respice, cum sities: nescit tot milibus emptus pauperibus miscere puer, sed forma, sed aetas digna supercilio. quando ad te pervenit ille? quando rogatus adest calidae gelidaeque minister? quippe indignatur veteri parere clienti, quodque aliquid poscas et quod se stante recumbas. Maxima quaeque domus servis est plena superbis. ecce alius quanto porrexit murmure panem vix fractum, solidae iam mucida frusta farinae, quae genuinum agitent, non admittentia morsum. sed tener et niveus mollique siligine fictus servatur domino. dextram cohibere memento, salva sit artoptae reverentia. finge tamen te inprobulum, superest illic qui ponere cogat: “vis tu consuetis, audax conviva, canistris impleri panisque tui novisse colorem?” “scilicet hoc fuerat, propter quod saepe relicta coniuge per montem adversum gelidasque cucurri Esquilias, fremeret saeva cum grandine vernus Iuppiter et multo stillaret paenula nimbo.” Aspice quam longo distinguat pectore lancem quae fertur domino squilla, et quibus undique saepta

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ser! Dir wird ein gaetulischer Stallknecht die Becher reichen oder die knochige Hand eines schwarzen Mauren, dem du nicht um Mitternacht begegnen möchtest, [55] wenn du an den Grabmälern der hügeligen Latinerstraße vorbeifährst. Vor dem Herrn steht die Blüte Asiens. Der wurde für einen höheren Preis erworben als das Vermögen des kampfeslustigen Tullius und des Ancius und – um dich nicht weiter aufzuhalten – als all der Kleinkram der römischen Könige. Da es nun einmal so ist, wende du dich an diesen gaetulischen »Ganymed«, [60] wenn du Durst hast. Ein für so viele Tausend gekaufter Knabe versteht sich nicht darauf, Getränke für Arme abzumischen, aber seiner Schönheit, aber seiner Jugend ist diese Überheblichkeit angemessen. Doch wann kommt selbst der da mal zu dir? Wann ist auf deine Bitte dein Kellner da mit warmem oder kaltem Wasser? Denn er empfindet es als empörend, einem alten Klienten zu gehorchen [65] und dass du etwas von ihm forderst und zu Tisch liegst, während er stehen muss. Gerade die größten Häuser sind voll von überheblichen Sklaven. Sieh nur, wie ein anderer unter großem Murren das Brot serviert, das er nur mit Mühe in Stücke gebrochen hat: bereits verschimmelte Brocken aus hartem Mehlteig, die deinen Backenzahn in Anspruch nehmen, ohne dass sie sich durchbeißen ließen. [70] Aber das weiche, schneeweiße und aus feinem Weizenmehl geformte Brot ist für den Hausherrn reserviert. Vergiss nicht, deine rechte Hand unter Kontrolle zu halten: Die Ehrerbietung gegenüber der Backform bleibe gewahrt! Stell dir mal vor, dass du dich dennoch unbotmäßig verhältst – da ist noch einer, der dich zwingt, es zurückzulegen: »Du frecher Gast, willst du dich wohl an den gewohnten Körben [75] sättigen und auf die Farbe deines Brotes achten?« – »Na klar, das war es, wofür ich so oft meine Frau zurückließ und über den steilen Hügel und den eiskalten Esquilin eilte, während Jupiter im Frühling mit heftigen Hagelstürmen tobte und mein Mantel vom vielen Regen durchnässt war.« [80] Sieh nur, mit welch langem Körper der Hummer die Schale schmückt, der dem Hausherrn gebracht wird, wie er von allen Seiten mit Spargel umgeben ist und mit was für einem Schwanz er auf die

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asparagis qua despiciat convivia cauda, dum venit excelsi manibus sublata ministri. sed tibi dimidio constrictus cammarus ovo ponitur exigua feralis cena patella. ipse Venafrano piscem perfundit, at hic qui pallidus adfertur misero tibi caulis olebit lanternam; illud enim vestris datur alveolis quod canna Micipsarum prora subvexit acuta, propter quod Romae cum Boccare nemo lavatur. [quod tutos etiam facit a serpentibus atris.] Mullus erit domini, quem misit Corsica vel quem Tauromenitanae rupes, quando omne peractum est et iam defecit nostrum mare, dum gula saevit retibus adsiduis penitus scrutante macello proxima, nec patimur Tyrrhenum crescere piscem. instruit ergo focum provincia, sumitur illinc quod captator emat Laenas, Aurelia vendat. Virroni muraena datur, quae maxima venit gurgite de Siculo; nam dum se continet Auster, dum sedet et siccat madidas in carcere pinnas, contemnunt mediam temeraria lina Charybdim. vos anguilla manet longae cognata colubrae, aut varie aspersus maculis Tiberinus et ipse vernula riparum, pinguis torrente cloaca et solitus mediae cryptam penetrare Suburae. Ipsi pauca velim, facilem si praebeat aurem: nemo petit, modicis quae mittebantur amicis a Seneca, quae Piso bonus, quae Cotta solebat largiri, namque et titulis et fascibus olim maior habebatur donandi gloria: solum poscimus ut cenes civiliter. hoc fac et esto,

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Tischgesellschaft herabblickt, während er hoch oben auf den Händen eines erhaben wirkenden Dieners herankommt. Aber dir wird eine in ein halbes Ei hineingezwängte Krabbe [85] vorgesetzt – eine Totenspeise auf einem winzigen Teller. Der Herr gießt Öl aus Venafrum über sein Fischgericht. Der blasse Kohl, den man dir Armem bringt, wird hingegen nach einer Öllampe stinken. In eure Schüsseln gibt man nämlich das Öl, welches eines von Micipsas Schilfbooten mit seinem spitzen Bug stromaufwärts hergebracht hat [90] und das der Grund dafür ist, dass in Rom niemand mit Boccar ins Bad geht [und das auch vor schwarzen Schlangen schützt]. Der Hausherr wird eine Meerbarbe bekommen, die ihm Korsika geschickt hat oder die Felsen von Tauromenium. Denn unsere See ist komplett erledigt und reicht nicht mehr aus, weil die Schlemmerei wütet [95], der Markt die nahe gelegenen Gewässer mit seinen beharrlichen Netzen bis in die Tiefe durchkämmt und wir nicht zulassen, dass die tyrrhenischen Fische auswachsen. Also versorgt die Provinz unseren Herd: Von dort nimmt man, was der Erbschleicher Laenas kauft und was Aurelia verkauft. Virro gibt man eine Muräne – die größte, die [100] aus dem Strudel vor Sizilien hervorgegangen ist. Denn während der Südwind sich zurückhält, während er dasitzt und im Kerker seine feuchten Federn trocknet, behaupten sich die tollkühnen Netze mitten in der Charybdis. Auf euch wartet ein Aal, ein Verwandter der langen Schlange, oder ein mit bunten Flecken gesprenkelter Tiberfisch; auch der ist [105] als einheimischer Bewohner der Flussufer fett vom Abwasserstrom und dringt häufig in den Kanal mitten unter der Subura ein. Ein paar Worte würde ich dem Herrn gerne sagen, falls er mir denn freundlicherweise Gehör schenken sollte: Niemand fordert, was Seneca seinen nicht so gut gestellten Freunden übersandte, was der gute Piso, was Cotta für gewöhnlich [110] spendierten (früher wurde nämlich der Ruhm, den das Geben von Geschenken einbrachte, höher bewertet als Inschriften und Ämter). Wir fordern nur, dass du beim Essen anständig bist. Tue dies, und dann sei es so, ja es sei so,

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esto, ut nunc multi, dives tibi, pauper amicis. Anseris ante ipsum magni iecur, anseribus par altilis, et flavi dignus ferro Meleagri spumat aper. post hunc tradentur tubera, si ver tunc erit et facient optata tonitrua cenas maiores. “tibi habe frumentum” Alledius inquit, “o Libye, disiunge boves, dum tubera mittas.” structorem interea, ne qua indignatio desit, saltantem spectes et chironomunta volanti cultello, donec peragat dictata magistri omnia; nec minimo sane discrimine refert quo gestu lepores et quo gallina secetur. Duceris planta velut ictus ab Hercule Cacus et ponere foris, si quid temptaveris umquam hiscere, tamquam habeas tria nomina. quando propinat Virro tibi sumitve tuis contacta labellis pocula? quis vestrum temerarius usque adeo, quis perditus, ut dicat regi “bibe”? plurima sunt quae non audent homines pertusa dicere laena. quadringenta tibi si quis deus aut similis dis et melior fatis donaret homuncio, quantus ex nihilo, quantus fieres Virronis amicus! “da Trebio, pone ad Trebium. vis, frater, ab ipsis ilibus?” o nummi, vobis hunc praestat honorem, vos estis frater. dominus tamen et domini rex si vis tunc fieri, nullus tibi parvulus aula luserit Aeneas nec filia dulcior illo. iucundum et carum sterilis facit uxor amicum. sed tua nunc Mycale pariat licet et pueros tres

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dass du – wie so viele heutzutage – für dich selbst reich und für deine Freunde arm bist! Vor dem Herren liegen die Leber einer großen Gans, ein Masthähnchen, das so groß ist wie Gänse, [115] und ein Eber noch mit Schaum vor dem Maul, für den die Waffe des blonden Meleager angemessen wäre. Danach wird man Trüffeln reichen, falls wir gerade Frühling haben und der herbeigesehnte Donner die Gastmähler noch üppiger werden lässt. »Behalte dein Getreide für dich, Libyen«, sagt Alledius, »und spann deine Ochsen aus, wenn du nur Trüffeln schickst!« [120] Inzwischen sollst du dir – damit es nicht an Gründen für deine Empörung fehlt – anschauen, wie der, welcher die Speisen anrichtet, dabei tanzt und mit fliegendem Messer herumfuchtelt, bis er alle Anweisungen seines Lehrmeisters komplett ausgeführt hat. Und es macht ja wirklich einen gewaltigen Unterschied, mit welcher Gebärde man Hasen zerlegt und mit welcher ein Huhn. [125] Man wird dich am Fuß davonschleifen wie den von Herkules erschlagenen Cacus und vor die Tür setzen, falls du mal versuchst, den Mund aufzumachen, so als hättest du drei Namen. Wann prostet Virro dir zu oder nimmt einen Becher, der deine Lippen berührt hat? Wer von euch wäre so vermessen, wer so [130] waghalsig, dass er zu dem »König« selbst »Prost!« sagen würde? Es gibt sehr vieles, was sich Menschen mit zerschlissenem Mantel nicht zu sagen trauen. Wenn dir irgendein Gott oder ein Menschlein, das den Göttern ähnlich und wohlwollender als das Schicksal ist, Vierhunderttausend zum Geschenk machte, was für ein wichtiger, ja wichtiger Freund wärst du dann – gerade warst du noch ein Nichts – für Virro! [135] »Gib es Trebius, setze es Trebius vor! Möchtest du, Bruder, etwas direkt vom Lendenstück?« O Geld, dir erweist er diese Ehre, du bist sein »Bruder«. Aber wenn du dann selbst zum Hausherrn und zum König des Hausherrn werden willst, dann läge es in deinem Interesse, wenn im Hof kein »kleiner Aeneas« spielt und auch keine Tochter, die noch süßer wäre als jener. [140] Zu einem beliebten und geschätzten Freund macht dich eine unfruchtbare Frau. Wenn deine Mycale dagegen in deiner jetzigen Situation Kinder bekommen und auf einmal drei

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in gremium patris fundat semel, ipse loquaci gaudebit nido, viridem thoraca iubebit adferri minimasque nuces assemque rogatum, ad mensam quotiens parasitus venerit infans. Vilibus ancipites fungi ponentur amicis, boletus domino, sed qualis Claudius edit ante illum uxoris, post quem nihil amplius edit. Virro sibi et reliquis Virronibus illa iubebit poma dari, quorum solo pascaris odore, qualia perpetuus Phaeacum autumnus habebat, credere quae possis subrepta sororibus Afris: tu scabie frueris mali, quod in aggere rodit qui tegitur parma et galea metuensque flagelli discit ab hirsuta iaculum torquere capella. Forsitan inpensae Virronem parcere credas: hoc agit, ut doleas; nam quae comoedia, mimus quis melior plorante gula? ergo omnia fiunt, si nescis, ut per lacrimas effundere bilem cogaris pressoque diu stridere molari. tu tibi liber homo et regis conviva videris: captum te nidore suae putat ille culinae, nec male coniectat; quis enim tam nudus, ut illum bis ferat, Etruscum puero si contigit aurum vel nodus tantum et signum de paupere loro? spes bene cenandi vos decipit. “ecce dabit iam semesum leporem atque aliquid de clunibus apri, ad nos iam veniet minor altilis.” inde parato intactoque omnes et stricto pane tacetis. ille sapit qui te sic utitur: omnia ferre

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Knaben in den Schoß des Vaters legen sollte, wird der Herr sich über das plappernde Nest freuen und befehlen, ein grünes Hemd herbeizubringen, ganz kleine Nüsse und – wenn er darum gebeten wurde – auch eine Münze, [145] wann immer der kleine Schmarotzer zu seinem Tisch kommt. Den Freunden von niedrigem Rang wird man zweifelhafte Pilze vorsetzen, dem Herrn Champignons – aber solche, wie Claudius sie aß (bevor er die von seiner Frau aß, worauf er nichts mehr aß). Virro wird befehlen, dass man ihm und den anderen »Virros« jene [150] Äpfel reicht, deren bloßer Geruch dich satt macht, wie es sie im ewigen Herbst der Phäaken gab oder von denen man glauben könnte, dass sie den afrikanischen Schwestern geraubt worden seien. Du »genießt« einen verschorften Apfel, wie ihn der auf dem Wall verzehrt, der von Schild und Helm geschützt wird und aus Angst vor der Peitsche [155] lernt, von einer struppigen Ziege seinen Speer zu schleudern. Vielleicht glaubst du, Virro wolle bloß seine Unkosten senken. Doch er tut dies, damit es dir weh tut. Denn welche Komödien- oder Mimenaufführung wäre besser als ein klagender Schlund? Also geschieht alles – falls dir das noch nicht klar sein sollte –, um dich dazu zu bringen, unter Tränen Gift und Galle zu spucken [160] und lange Zeit mit zusammengepressten Zähnen zu knirschen. Für dich sieht es so aus, als wärst du ein freier Mann und ein Gast deines »Königs«. Jener meint, dass er dich mit dem Duft aus seiner Küche gefangen hält, und damit liegt er nicht falsch. Denn wer wäre so bedürftig, dass er jenen ein zweites Mal ertragen würde, wenn er doch als Kind das etruskische Goldamulett erhalten hat [165] oder nur den symbolischen Knoten aus dem Leder der armen Leute? Die Hoffnung auf ein gutes Essen blendet euch. »Seht, gleich wird er uns einen nur halb aufgegessenen Hasen anbieten und etwas vom Hintern des Ebers, gleich wird ein kleineres Masthähnchen zu uns kommen.« Deshalb sitzt ihr alle schweigend da mit dem vorbereiteten, noch nicht angebissenen, aber schon gezückten Brot. [170] Jener handelt vernünftig, wenn er dich so behandelt: Wenn du alles ertra-

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si potes, et debes. pulsandum vertice raso praebebis quandoque caput nec dura timebis flagra pati, his epulis et tali dignus amico.

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gen kannst, dann verdienst du es auch. Über kurz oder lang wirst du deinen Kopf mit geschorenem Scheitel zum Draufschlagen anbieten und keine Angst davor haben, die harten Peitschenhiebe zu ertragen: Diese Speisen und so ein Freund passen zu dir.

LIBER SECUNDUS Satura VI Credo Pudicitiam Saturno rege moratam in terris visamque diu, cum frigida parvas praeberet spelunca domos ignemque laremque et pecus et dominos communi clauderet umbra, silvestrem montana torum cum sterneret uxor frondibus et culmo vicinarumque ferarum pellibus, haut similis tibi, Cynthia, nec tibi, cuius turbavit nitidos extinctus passer ocellos, sed potanda ferens infantibus ubera magnis et saepe horridior glandem ructante marito. quippe aliter tunc orbe novo caeloque recenti vivebant homines, qui rupto robore nati compositive luto nullos habuere parentes. multa Pudicitiae veteris vestigia forsan aut aliqua exstiterint et sub Iove, sed Iove nondum barbato, nondum Graecis iurare paratis per caput alterius, cum furem nemo timeret caulibus ac pomis et aperto viveret horto. paulatim deinde ad superos Astraea recessit hac comite atque duae pariter fugere sorores. anticum et vetus est alienum, Postume, lectum concutere atque sacri genium contemnere fulcri. omne aliud crimen mox ferrea protulit aetas, viderunt primos argentea saecula moechos. Conventum tamen et pactum et sponsalia nostra tempestate paras, iamque a tonsore magistro pecteris et digito pignus fortasse dedisti?

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Zweites Buch Sechste Satire Ich glaube, die Sittsamkeit hielt sich während der Herrschaft des Saturn auf Erden auf und war lange Zeit sichtbar, als eine kalte Höhle eine schmale Behausung bot und das Herdfeuer und den Hausgott sowie das Vieh und seine Herren alle mit der gleichen Dunkelheit umgab, [5] als die Ehefrau – eine Bergbewohnerin – im Wald ein Bett mit Laub und Heu deckte und mit den Fellen der Tiere, die ihre Nachbarn waren. Überhaupt keine Ähnlichkeit hatte sie mit dir, Cynthia, und auch nicht mit dir, deren glänzende Augen der Tod des Sperlings trübte, sondern sie gab ihren stattlichen Kindern ihre Brüste zum Trinken [10] und war oft noch garstiger als ihr Gatte, der nach dem Verzehr von Eicheln rülpste. Denn anders lebten damals auf der neuen Erde und unter dem noch jungen Himmel die Menschen, die aus aufgebrochenen Baumstämmen geboren und aus Schlamm geformt waren und keine Eltern hatten. Vielleicht gab es viele Spuren der alten Sittsamkeit [15] – oder zumindest einige – noch unter Jupiters Herrschaft, aber als Jupiter noch keinen Bart trug und als die Griechen noch nicht bereit waren, beim Leben eines anderen zu schwören. Damals fürchtete noch niemand einen Dieb für seine Kohlköpfe und Früchte, und man lebte in einem Garten, der nicht abgesperrt war. Allmählich zog sich dann Astraea [20] zusammen mit ihrer Schwester zu den Göttern zurück, und beide flohen gemeinsam. Seit uralten Zeiten etabliert, Postumus, ist die Praxis, ein fremdes Bett wackeln zu lassen und den Schutzgeist des heiligen Ehebetts zu missachten. Alle anderen Verbrechen hat erst das Eiserne Zeitalter hervorgebracht, doch die Silbernen Jahrhunderte sahen die ersten Ehebrecher. [25] Trotzdem bereitest du noch in unseren Zeiten die formelle Übereinkunft, den Vertrag und die Verlobung vor, lässt dich schon vom Meisterbarbier kämmen und hast ihrem Finger vielleicht schon das Pfand gegeben? Ich bin mir sicher: Du warst doch früher bei

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certe sanus eras: uxorem, Postume, ducis? dic qua Tisiphone, quibus exagitere colubris. ferre potes dominam salvis tot restibus ullam, cum pateant altae caligantesque fenestrae, cum tibi vicinum se praebeat Aemilius pons? aut si de multis nullus placet exitus, illud nonne putas melius, quod tecum pusio dormit, pusio, qui noctu non litigat, exigit a te nulla iacens illic munuscula, nec queritur quod et lateri parcas nec quantum iussit anheles? Sed placet Ursidio lex Iulia, tollere dulcem cogitat heredem, cariturus turture magno mullorumque iubis et captatore macello. quid fieri non posse putes, si iungitur ulla Ursidio? si moechorum notissimus olim stulta maritali iam porrigit ora capistro, quem totiens texit perituri cista Latini? quid quod et antiquis uxor de moribus illi quaeritur? o medici, nimiam pertundite venam! delicias hominis! Tarpeium limen adora pronus et auratam Iunoni caede iuvencam, si tibi contigerit capitis matrona pudici. paucae adeo Cereris vittas contingere dignae, quarum non timeat pater oscula. necte coronam postibus et densos per limina tende corymbos! unus Hiberinae vir sufficit? ocius illud extorquebis, ut haec oculo contenta sit uno. “magna tamen fama est cuiusdam rure paterno viventis:” vivat Gabiis ut vixit in agro, vivat Fidenis, et agello cedo paterno.

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klarem Verstand. Du, Postumus, willst heiraten? Sag, von welcher Furie und von welchen Schlangen du gehetzt wirst! [30] Du könntest eine Herrin ertragen, wo doch so viele Stricke zur Verfügung stehen, obwohl in schwindelerregender Höhe Fenster offen stehen, obwohl sich die Aemilische Brücke dir ganz in der Nähe anbietet? Oder falls dir aus diesen vielen Möglichkeiten keine Todesart gefällt, hältst du es dann denn nicht für besser, dass ein Knabe bei dir schläft [35] – ein Knabe, der nachts nicht rumstreitet, der, wenn er dort liegt, von dir keine »Geschenkchen« fordert, der sich nicht beschwert, du würdest deine Lenden nicht verausgaben und nicht in dem Maße stöhnen, wie er es befohlen hat? Aber Ursidius gefällt das Julische Gesetz, und er beabsichtigt, einen süßen Erben großzuziehen, obwohl er dann ohne den großen Taubenbraten auskommen muss, [40] ohne die Bärte der Meerbarben und ohne den erbschleichenden Lebensmittelmarkt. Was könnte man dann noch für unmöglich halten, wenn eine Frau mit Ursidius eine Bindung eingeht? Wenn der seit langer Zeit bekannteste Ehebrecher jetzt sein dämliches Maul dem Zaumzeug der Ehe entgegenstreckt, der sich so oft wie Latinus im Schrank versteckte, als dieser dem Untergang geweiht war? [45] Und was soll man dazu sagen, dass er eine Ehefrau mit altehrwürdiger Moral sucht? O ihr Ärzte, lasst ihn zur Ader! Welch kapriziöse Neigungen der Mensch hat! Wirf dich auf den Boden und verehre die Schwelle des Tarpejischen Tempels und opfere Juno eine vergoldete Kuh, falls dir eine Dame mit sittsamem Haupt zuteilwird. [50] Es gibt doch nur wenige, die würdig sind, die Bänder der Ceres zu berühren, und vor deren Küssen der Vater keine Angst hat. Binde einen Kranz an die Türpfosten und verteile dichte Efeublüten auf den Schwellen! Reicht für Hiberina ein einziger Mann? Eher wirst du ihr abringen, dass sie mit nur einem Auge zufrieden ist. [55] – »Doch es gibt eine Frau, die auf dem Landgut ihres Vaters lebt und großen Ruhm hat.« – Dann soll sie in Gabii so leben, wie sie zuvor auf dem Land lebte. Sie soll in Fidenae leben, und ich will dir dein »Gütchen des Vaters« zugestehen. Doch wer garantiert uns, dass

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quis tamen adfirmat nil actum in montibus aut in speluncis? adeo senuerunt Iuppiter et Mars? Porticibusne tibi monstratur femina voto digna tuo? cuneis an habent spectacula totis quod securus ames quodque inde excerpere possis? chironomon Ledam molli saltante Bathyllo Tuccia vesicae non imperat, Apula gannit, [sicut in amplexu subito et miserabile longum] attendit Thymele, Thymele tunc rustica discit. ast aliae, quotiens aulaea recondita cessant et vacuo clusoque sonant fora sola theatro, atque a plebeis longe Megalesia, tristes personam thyrsumque tenent et subligar Acci. Urbicus exodio risum movet Atellanae gestibus Autonoes, hunc diligit Aelia pauper. solvitur his magno comoedi fibula, sunt quae Chrysogonum cantare vetent, Hispulla tragoedo gaudet: an expectas ut Quintilianus ametur? accipis uxorem de qua citharoedus Echion aut Glaphyrus fiat pater Ambrosiusque choraules. Longa per angustos figamus pulpita vicos, ornentur postes et grandi ianua lauro, ut testudineo tibi, Lentule, conopeo nobilis Euryalum murmillonem exprimat infans. nupta senatori comitata est Eppia ludum ad Pharon et Nilum famosaque moenia Lagi prodigia et mores urbis damnante Canopo. inmemor illa domus et coniugis atque sororis nil patriae indulsit, plorantisque improba natos, utque magis stupeas, ludos Paridemque reliquit. sed quamquam in magnis opibus plumaque paterna

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in den Bergen oder in den Höhlen nichts passiert ist? Sind Jupiter und Mars denn so sehr in die Jahre gekommen? [60] Ist in den Säulengängen eine Frau zu sehen, die deinen Wünschen entspricht? Oder haben die Schauspiele auf allen ihren Sitzbänken etwas zu bieten, was du ohne Gefahr lieben und von dort mitnehmen kannst? Wenn der tuntige Bathyllus pantomimisch die Leda tanzt, hat Tuccia ihre Blase nicht mehr Griff, und Apula winselt [65] [so wie in einer plötzlichen Umarmung, und zwar elend und lang]. Thymele passt gut auf, da kann die noch unerfahrene Thymele etwas lernen. Wenn jedoch die Vorhänge weggepackt sind und Pause haben, wenn das Theater leer steht und geschlossen ist und nur noch die Gerichtsverhandlungen zu hören sind, wenn es von den Plebejischen Spielen noch lang ist bis zu den Megalesischen Spielen, halten andere Frauen traurig [70] die Maske, den Thyrsusstab und den Lendenschurz des Accius in den Händen. Urbicus sorgt mit der Darstellung der Autonoe in einer Atellane, die als Schlussstück geboten wird, für Gelächter: Ihn liebt die mittellose Aelia. Anderen Frauen öffnet sich für viel Geld die Spange eines Komödiendarstellers, es gibt welche, die Chrysogonus vom Singen abhalten, und Hispulla erfreut sich an ihrem Tragödiendarsteller. [75] Oder erwartest du, dass man einen Quintilian liebt? Du bekommst eine Ehefrau, die dann den Kitharaspieler Echion zum Vater macht oder die Oboisten Glaphyrus und Ambrosius. Lasst uns in den engen Gassen weiträumige Tribünen errichten, die Pfosten und die Tür sollen mit üppigem Lorbeer geschmückt werden, [80] damit dann dir, Lentulus, in der mit Schildpatt verzierten Wiege ein edles Kind die Züge des Gladiators Euryalus offenbart. Eppia, die Ehefrau eines Senators, begleitete eine Gladiatorenschule nach Pharos, bis zum Nil, zu den berühmten Mauern des Lagus – und sogar Canopus verurteilte die ungeheuerliche Sittenlosigkeit der Hauptstadt. [85] An ihr Haus dachte sie nicht, auch nicht an ihren Ehemann und an ihre Schwester, und sie scherte sich nicht um ihre Heimat. In ihrer Niedertracht ließ sie auch ihre weinenden Kinder zurück und – das ist noch erstaunlicher – die Zirkusspiele und Paris. Obwohl sie als kleines Mädchen in großem Reichtum auf den

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et segmentatis dormisset parvula cunis, contempsit pelagus: famam contempserat olim, cuius apud molles minima est iactura cathedras. Tyrrhenos igitur fluctus lateque sonantem pertulit Ionium constanti pectore, quamvis mutandum totiens esset mare. iusta pericli si ratio est et honesta, timent pavidoque gelantur pectore nec tremulis possunt insistere plantis: fortem animum praestant rebus quas turpiter audent. si iubeat coniunx, durum est conscendere navem, tunc sentina gravis, tunc summus vertitur aer: quae moechum sequitur, stomacho valet. illa maritum convomit, haec inter nautas et prandet et errat per puppem et duros gaudet tractare rudentis. qua tamen exarsit forma, qua capta iuventa Eppia? quid vidit propter quod ludia dici sustinuit? nam Sergiolus iam radere guttur coeperat et secto requiem sperare lacerto; praeterea multa in facie deformia: sulcus attritus galea mediisque in naribus ingens gibbus et acre malum semper stillantis ocelli. sed gladiator erat. facit hoc illos Hyacinthos, hoc pueris patriaeque, hoc praetulit illa sorori atque viro: ferrum est quod amant. hic Sergius idem accepta rude coepisset Veiento videri. Quid privata domus, quid fecerit Eppia, curas? respice rivales divorum, Claudius audi quae tulerit. dormire virum cum senserat uxor,

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Daunenbetten ihres Vaterhauses und in einer mit Stoff ausgekleideten Wiege geschlafen hatte, [90] machte sie sich keine Sorgen angesichts des Meeres. Um ihren Ruf hatte sie sich schon längst keine Sorgen mehr gemacht; dessen Verlust bedeutet bei den weichen Damensänften ohnehin nur sehr wenig. Also ertrug sie die Tyrrhenischen Fluten und das weithin tosende Ionische Meer mit unerschütterlichem Herzen, obwohl sie so oft von einem Meer zum anderen fahren musste. Wenn es einen redlichen [95] und ehrenhaften Grund gibt, eine Gefahr auf sich zu nehmen, dann haben sie Angst, in ihrem furchtsamen Herzen wird es ihnen eiskalt, und mit ihren zitternden Füßen können sie nicht stillstehen. Eine tapfere Gesinnung zeigen sie in Dingen, die sie aus unsittlichen Gründen wagen. Wenn sie ihr Ehemann dazu auffordern sollte, dann ist es unangenehm, ein Schiff zu besteigen, dann stinkt das Kielwasser, dann dreht sich oben der Himmel. [100] Bei einer Frau, die ihrem Geliebten folgt, ist mit dem Magen alles in Ordnung. Die andere kotzt ihren Gatten voll, diese frühstückt mit den Seeleuten, schlendert an Bord umher und hat Spaß daran, an den groben Tauen zu ziehen. Doch was war das für eine Schönheit, für die sie Feuer gefangen hatte, und was für eine Jugend, die Eppia gepackt hatte? Was sah sie in ihm, das sie es ertragen ließ, »Gladiatorenmädchen« genannt zu werden? [105] Denn ihr Sergiolein hatte bereits damit begonnen, sich am Hals zu rasieren und nach einer Verletzung am Arm auf den Ruhestand zu warten. Außerdem gab es in seinem Gesicht viele Entstellungen: eine vom Helm abgeriebene Furche, mitten auf der Nase ein gewaltiges Geschwulst und das empfindliche Leiden eines ständig tränenden Äugleins. [110] Aber er war halt ein Gladiator. Das macht aus solchen Leuten einen Hyacinthus, das zog sie ihren Kindern und der Heimat vor, das ihrer Schwester und ihrem Mann. Das Schwert ist es, was sie lieben. Eben derselbe Sergius wäre ihr gleich nach Empfang des Holzschwertes wie ein Veiento vorgekommen. Was ein Privathaus und was eine Eppia machte – das bereitet dir Sorgen? [115] Schau dir die Rivalen der Götter an, höre, was Claudius ertragen musste! Wenn die Gattin gemerkt hatte, dass ihr Mann

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ausa Palatino tegetem praeferre cubili, sumere nocturnos meretrix Augusta cucullos linquebat comite ancilla non amplius una. sic nigrum flavo crinem abscondente galero intravit calidum veteri centone lupanar et cellam vacuam atque suam. tunc nuda papillis prostitit auratis titulum mentita Lyciscae ostenditque tuum, generose Britannice, ventrem: excepit blanda intrantis atque aera poposcit. [continueque iacens cunctorum absorbuit ictus.] mox, lenone suas iam dimittente puellas, tristis abit et quod potuit tamen ultima cellam clausit adhuc ardens rigidae tentigine volvae, et lassata viris necdum satiata recessit, obscurisque genis turpis fumoque lucernae foeda lupanaris tulit ad pulvinar odorem. [hippomanes carmenque loquar coctumque venenum privignoque datum? faciunt graviora coactae imperio sexus minimumque libidine peccant.] “Optima sed quare Caesennia teste marito?” bis quingena dedit. tanti vocat ille pudicam nec pharetris Veneris macer est aut lampade fervet: inde faces ardent, veniunt a dote sagittae. libertas emitur: coram licet innuat atque rescribat, vidua est, locuples quae nupsit avaro. “Cur desiderio Bibulae Sertorius ardet?” si verum excutias, facies, non uxor amatur. tres rugae subeant et se cutis arida laxet,

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schlief, erdreistete sie sich, ihr Bett im Palast gegen eine Matte einzutauschen und als kaiserliche Hure zur Nacht eine Kapuze überzuziehen, und verließ ihn in Begleitung nur einer einzigen Sklavin. [120] Das schwarze Haar unter einer blonden Perücke verborgen, betrat sie so das Bordell, das von einem alten Vorhang aus Lumpen warmgehalten wurde, und eine leere Kammer – ihre eigene. Dann bot sie sich nackt und mit vergoldeten Brustwarzen unter dem falschen Namen Lycisca an und stellte den Bauch zur Schau, aus dem du stammst, hochwohlgeborener Britannicus. [125] Schmeichelnd empfing sie die Eintretenden und forderte die Bezahlung. [Und ununterbrochen verschlang sie dort liegend die Stöße aller.] Wenn dann der Zuhälter schon seine Mädchen entließ, ging sie traurig davon und schloss – das konnte sie doch wenigstens tun – erst als Letzte ihre Kammer, wobei sie immer noch glühte von der Anspannung ihrer hart gewordenen Scheide. [130] Und erschöpft von den Männern, aber noch nicht befriedigt, verschwand sie. Hässlich war sie mit ihren vom Ruß geschwärzten Wangen und unansehnlich durch den Qualm der Lampe und trug den Gestank des Bordells zu ihrem gepolsterten Lager. [Soll ich vom Fohlenbrot sprechen, von Zaubersprüchen und von dem gebrauten Liebestrank, der dem Stiefsohn verabreicht wird? Die schwereren Verbrechen begehen sie, weil [135] die Macht ihres Geschlechts sie dazu zwingt, und nur sehr gering sind die Vergehen, zu denen ihre sexuelle Begierde sie antreibt.] »Aber weshalb ist Caesennia nach Aussage ihres Gatten die allerbeste?« – Sie hat ihm eine Million eingebracht. Zu diesem Preis bezeichnet er sie als sittsam, aber er ist nicht infolge von Venus’ Köcher abgemagert oder verbrennt durch ihre Fackel. Deshalb lodern die Hochzeitsfackeln, von der Mitgift kommen die Liebespfeile. [140] Die Freiheit wird von ihr erkauft. Sie darf in seiner Gegenwart anderen zuzwinkern und Briefchen beantworten – unverheiratet ist eine, die reich ist und sich einem geldgierigen Mann vermählt hat. »Warum ist Sertorius in Leidenschaft für Bibula entbrannt?« – Wenn du die Sache gründlich überprüfst, wird ein Gesicht und nicht die Ehefrau geliebt. Lass drei Falten auftauchen und ihre Haut

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fiant obscuri dentes oculique minores, “collige sarcinulas” dicet libertus “et exi, iam gravis es nobis et saepe emungeris. exi ocius et propera, sicco venit altera naso.” interea calet et regnat poscitque maritum pastores et ovem Canusinam ulmosque Falernas – quantulum in hoc! –, pueros omnes, ergastula tota, quodque domi non est, sed habet vicinus, ematur. mense quidem brumae, cum iam mercator Iason clausus et armatis obstat casa candida nautis, grandia tolluntur crystallina, maxima rursus murrina, deinde adamas notissimus et Beronices in digito factus pretiosior. hunc dedit olim barbarus incestae gestare Agrippa sorori, observant ubi festa mero pede sabbata reges, et vetus indulget senibus clementia porcis. “Nullane de tantis gregibus tibi digna videtur?” sit formonsa, decens, dives, fecunda, vetustos porticibus disponat avos, intactior omni crinibus effusis bellum dirimente Sabina, rara avis in terris nigroque simillima cycno: quis feret uxorem cui constant omnia? malo, malo Venustinam quam te, Cornelia, mater Gracchorum, si cum magnis virtutibus adfers grande supercilium et numeras in dote triumphos. tolle tuum, precor, Hannibalem victumque Syphacem in castris et cum tota Carthagine migra! “parce, precor, Paean, et tu, dea, pone sagittas: nil pueri faciunt, ipsam configite matrem!”

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trocken und schlaff werden, [145] lass ihre Zähne schwarz werden und ihre Augen kleiner, dann wird sein Freigelassener sagen: »Pack deinen Krempel zusammen und raus hier! Du nervst uns schon lange und rotzt so oft rum. Raus hier, schneller, beeil dich! Da kommt die nächste mit einer trockenen Nase.« Einstweilen ist sie für ihn aber interessant und beherrscht ihren Gatten und fordert von ihm [150] Hirten und Canusische Schafe und Falernerweinstöcke, die von Ulmen gestützt werden, und – das ist doch nicht viel! – alle Knaben und ganze Kolonnen von Arbeitssklaven. Und was es bei ihnen im Haus nicht gibt, sich aber im Besitz des Nachbarn befindet, soll auch gekauft werden. Im Monat der Wintersonnenwende aber, wenn der Kaufmann Jason schon den Blicken versperrt ist und weiße Buden den bewaffneten Matrosen im Weg stehen, [155] werden große Kristallgefäße aufgeladen, dann wieder riesige Gefäße aus Flussspat, danach ein Diamant, der sehr berühmt ist und dadurch noch an Wert gewonnen hat, dass Beronice ihn am Finger trug. Den gab einst der Barbar Agrippa seiner durch Blutschande befleckten Schwester zum Tragen – dort, wo Könige mit bloßen Füßen das Sabbatfest begehen [160] und eine traditionelle Milde den Schweinen gestattet, alt zu werden. »Keine einzige aus dieser gewaltigen Menge scheint dir würdig?« – Mag sie auch schön, anmutig, wohlhabend und fruchtbar sein, mag sie auch alte Ahnen in ihren Säulengängen aufstellen, mag sie auch jungfräulicher sein als alle Sabinerinnen, die mit aufgelösten Haaren die Fronten im Krieg auseinanderbrachten [165] – also ein seltener Vogel auf Erden, fast so wie ein schwarzer Schwan: Doch wer wird eine Ehefrau ertragen, bei der alles stimmt? Lieber, viel lieber will ich eine Venustina als dich, Cornelia, o Mutter der Gracchen, wenn du zusammen mit deinen großartigen Tugenden auch gewaltigen Hochmut mitbringst und in deine Mitgift eure Triumphe einrechnest. [170] Nimm bitteschön deinen Hannibal und den in seinem Lager besiegten Syphax und zieh mit deinem ganzen Karthago woandershin! »Verschone uns, Apoll, ich flehe dich an, und du, o Göttin, lege deine Pfeile nieder! Die Kinder sind unschuldig, ihr müsst doch die

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Amphion clamat, sed Paean contrahit arcum. extulit ergo greges natorum ipsumque parentem, dum sibi nobilior Latonae gente videtur atque eadem scrofa Niobe fecundior alba. quae tanti gravitas, quae forma, ut se tibi semper inputet? huius enim rari summique voluptas nulla boni, quotiens animo corrupta superbo plus aloes quam mellis habet. quis deditus autem usque adeo est, ut non illam quam laudibus effert horreat inque diem septenis oderit horis? Quaedam parva quidem, sed non toleranda maritis. nam quid rancidius, quam quod se non putat ulla formosam nisi quae de Tusca Graecula facta est, de Sulmonensi mera Cecropis? omnia Graece: [cum sit turpe magis nostris nescire Latine.] hoc sermone pavent, hoc iram, gaudia, curas, hoc cuncta effundunt animi secreta. quid ultra? concumbunt Graece. dones tamen ista puellis: tune etiam, quam sextus et octogensimus annus pulsat, adhuc Graece? non est hic sermo pudicus in vetula, quotiens lascivum intervenit illud ζωὴ ϰαὶ ψυχή. modo sub lodice ferendis uteris in turba. quod enim non excitet inguen vox blanda et nequam? digitos habet. ut tamen omnes subsidant pinnae: dicas haec mollius Haemo quamquam et Carpophoro, facies tua conputat annos. Si tibi legitimis pactam iunctamque tabellis non es amaturus, ducendi nulla videtur

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Mutter durchbohren!« ruft Amphion, aber Apoll spannt schon seinen Bogen. [175] Also trug sie die Scharen ihrer Kinder und auch deren Vater zu Grabe, da Niobe sich für edler hielt als das Geschlecht der Latona und zugleich für fruchtbarer als die weiße Sau. Welche Erhabenheit, welche Schönheit könnten so viel wert sein, dass du dadurch immer in ihrer Schuld stehst? In diesem seltenen und höchsten Gut liegt nämlich kein Vergnügen, [180] wenn die Frau durch einen hochmütigen Charakter verdorben ist und mehr Aloe als Honig in sich hat. Wer aber wäre dieser Frau so ergeben, dass er jene, die er mit Lobsprüchen in den Himmel hebt, nicht tatsächlich schrecklich fände und sie nicht jeden Tag sieben Stunden lang hasste? Bei manchem handelt es sich zwar nur um Kleinigkeiten, aber auch die sind für die Ehemänner unerträglich. [185] Denn was könnte widerlicher sein, als dass sie sich nur dann für schön halten, wenn eine Etruskerin zu einer kleinen Griechin geworden ist und ein Mädchen aus Sulmo zu einer echten Nachfahrin des Kekrops? Alles sagen sie auf Griechisch[, obwohl es schlimmer ist, wenn unsere Landsleute kein Latein können]: In dieser Sprache sagen sie, dass sie Angst haben, in dieser Sprache schütten sie ihren Zorn, ihre Freude, ihre Sorgen [190] und sämtliche Geheimnisse ihres Herzens aus. Und was noch schlimmer ist: Sie haben Sex auf Griechisch. Bei Mädchen mag man das gleichwohl entschuldigen. Aber du, bei der bereits das 86. Jahr anklopft – auch du machst es noch auf Griechisch? Bei einer Alten ist das keine sittsame Sprache, wenn du dieses aufreizende [195] »Mein Leben, meine Seele« einstreust. Worte, die allenfalls unter der Bettdecke erträglich wären, gebrauchst du in aller Öffentlichkeit. Denn welchen Penis könnte verführerische und unanständige Sprache nicht erregen? Die hat Finger. Damit du dennoch die Flügel gleich wieder ganz hängen lässt: Auch wenn du dies weicher säuselst als Haemus oder Carpophorus, rechnet dein Gesicht dir doch dein tatsächliches Alter vor. [200] Wenn du die Frau, die dir durch offizielle Dokumente bestimmt und mit dir verbunden ist, nicht lieben wirst, dann gibt es offensichtlich auch keinen Grund, sie zu heiraten. Auch gibt es kei-

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causa, nec est quare cenam et mustacea perdas labente officio crudis donanda, nec illud quod prima pro nocte datur, cum lance beata Dacicus et scripto radiat Germanicus auro. si tibi simplicitas uxoria, deditus uni est animus, summitte caput cervice parata ferre iugum. nullam invenies quae parcat amanti. ardeat ipsa licet, tormentis gaudet amantis et spoliis. igitur longe minus utilis illi uxor, quisquis erit bonus optandusque maritus. nil umquam invita donabis coniuge, vendes hac obstante nihil, nihil haec si nolet emetur. haec dabit affectus: ille excludatur amicus iam senior, cuius barbam tua ianua vidit. testandi cum sit lenonibus atque lanistis libertas et iuris idem contingat harenae, non unus tibi rivalis dictabitur heres. “pone crucem servo!” “meruit quo crimine servus supplicium? quis testis adest? quis detulit? audi: nulla umquam de morte hominis cunctatio longa est.” “o demens, ita servus homo est? nil fecerit, esto: hoc volo, sic iubeo, sit pro ratione voluntas.” imperat ergo viro. sed mox haec regna relinquit permutatque domos et flammea conterit; inde avolat et spreti repetit vestigia lecti, ornatas paulo ante fores, pendentia linquit vela domus et adhuc virides in limine ramos. sic crescit numerus, sic fiunt octo mariti

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nen Grund, weshalb du das Bankett und den Hochzeitskuchen verschwenden solltest, die man den vollgestopften Gästen schenken muss, wenn die Veranstaltung in Auflösung begriffen ist, und auch nicht das, was man für die erste Nacht hergibt, wenn in einer üppigen Schale [205] die Worte »Dacicus« und »Germanicus« in geprägtem Gold erstrahlen. Wenn du aber in Bezug auf deine Frau allzu einfältig bist und du nur dieser einen treu ergeben bist, dann senke dein Haupt und trage bereitwillig das Joch auf dem Nacken. Du wirst keine finden, die einen Verliebten schont. Auch wenn sie selbst in Liebe entbrannt sein sollte, hat sie Spaß an den Qualen des Verliebten [210] und daran, ihn auszubeuten. Weit weniger Nutzen bringt eine Frau also dem, der ein guter Gatte sein wird, wie man ihn sich wünscht. Niemals wirst du etwas gegen den Willen der Ehefrau verschenken, nichts gegen ihren Widerstand verkaufen, und nichts wird, wenn sie das nicht will, gekauft werden. Sie wird anordnen, wen er zu mögen hat: Jener alte Freund [215], den deine Tür bereits sah, als er noch einen Bart trug, soll nicht mehr eingelassen werden. Während Zuhälter und Gladiatorentrainer alle Freiheiten haben, wenn sie ihr Testament verfassen, und man dasselbe Recht auch den Arenakämpfern gewährt, wird man dir nicht nur einen von deinen Nebenbuhlern als Erben vorschreiben. »Errichte ein Kreuz für den Sklaven!« – »Für welches Verbrechen hat der Sklave [220] die Todesstrafe verdient? Wer ist als Zeuge anwesend? Wer hat ihn angezeigt? Höre ihn an! Wenn es um den Tod eines Menschen geht, kann man nicht lange genug zögern.« – »Du Schwachkopf! Ein Sklave ist also ein Mensch? Dann sei es so, dass er eben nichts getan hat. Aber ich will es, so befehle ich es, anstelle eines guten Grundes soll mein Wille gelten!« Sie kommandiert ihren Mann also herum. Aber bald verlässt sie dieses Königreich, [225] wechselt die Häuser durch und nutzt ihren Brautschleier weiter ab. Von dort eilt sie wieder davon und kehrt zu ihren Spuren in dem Bett zurück, das sie zuvor verschmäht hatte. Die erst vor kurzem geschmückte Tür, die vom Haus herabhängenden Tücher und die noch frischen Zweige auf der Schwelle lässt sie zurück. So steigt die Anzahl, so kommt sie

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quinque per autumnos, titulo res digna sepulcri. Desperanda tibi salva concordia socru. illa docet spoliis nudi gaudere mariti, illa docet missis a corruptore tabellis nil rude nec simplex rescribere, decipit illa custodes aut aere domat. tum corpore sano advocat Archigenen onerosaque pallia iactat. abditus interea latet et secretus adulter inpatiensque morae silet et praeputia ducit. scilicet expectas ut tradat mater honestos atque alios mores quam quos habet? utile porro filiolam turpi vetulae producere turpem. Nulla fere causa est in qua non femina litem moverit. accusat Manilia, si rea non est. conponunt ipsae per se formantque libellos, principium atque locos Celso dictare paratae. Endromidas Tyrias et femineum ceroma quis nescit? vel quis non vidit vulnera pali, quem cavat adsiduis rudibus scutoque lacessit atque omnis implet numeros, dignissima prorsus Florali matrona tuba, nisi si quid in illo pectore plus agitat veraeque paratur harenae? quem praestare potest mulier galeata pudorem, quae fugit a sexu? vires amat. haec tamen ipsa vir nollet fieri, nam quantula nostra voluptas! quale decus rerum si coniugis auctio fiat,

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auf acht Gatten [230] in fünf Herbsten – eine Leistung, die es verdient hat, in ihrer Grabinschrift festgehalten zu werden. Die Hoffnung auf ein harmonisches Zusammenleben kannst du vergessen, solange deine Schwiegermutter noch lebt. Die bringt ihr bei, Spaß daran zu haben, ihren Ehemann bis aufs letzte Hemd auszubeuten. Die bringt ihr bei, auf die Briefchen, die ihr ein Verehrer geschickt hat, nicht zu einfach und nicht allzu direkt zu antworten. Die täuscht [235] die Wächter oder kriegt sie mit Geld in den Griff. Dann lässt sie bei bester Gesundheit Dr. Archigenes kommen und stößt die Bettdecken hin und her, als ob sie ihr zu schwer wären. Unterdessen hält sich der geheime Geliebte in seinem Versteck verborgen. Er wartet voller Ungeduld, verhält sich ruhig und zupft an seiner Vorhaut. Erwartest du denn wirklich, dass die Mutter ehrenhafte Sitten weitergibt [240] – also andere, als die, welche sie selbst besitzt? Außerdem ist es für die üble Alte einträglich, ein übles Töchterchen aufzuziehen. Kaum ein Prozess wird geführt, bei dem nicht eine Frau den Rechtsstreit angestrengt hat. Manilia ist die Anklägerin, wenn sie nicht gerade die Angeklagte ist. Höchstpersönlich entwerfen und formulieren sie Prozessdokumente, [245] und sind in der Lage, Celsus die Einleitung und seine Standpunkte zu diktieren. Wer kennt nicht die mit Purpur gefärbten Sportlermäntel und die Ringkämpfe der Frauen? Und wer hat nicht die »Wunden« am Trainingspfahl gesehen, den sie beharrlich mit dem Holzschwert aushöhlt und mit dem Schild herausfordert, wobei sie alle Trainingsübungen absolviert? Um es direkt zu sagen: [250] Sie ist eine verheiratete Dame, die perfekt zu der Trompete am Florafest passt, falls sie nicht in ihrem Herzen noch mehr vorhat und sich auf einen echten Kampf in der Arena vorbereitet. Was für ein Schamgefühl kann eine Frau mit Helm an den Tag legen, die ihrem eigenen Geschlecht entkommen will? Ihre Körperkraft liebt sie. Trotzdem würde selbst sie nicht zum Mann werden wollen, denn wie gering ist unser Lustempfinden! [255] Wie herrlich wäre es, wenn die Sachen der Ehefrau zur Versteigerung kämen: ihr Schwertgurt, ihr Armschutz, ihr Helmbusch

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balteus et manicae et cristae crurisque sinistri dimidium tegimen! vel si diversa movebit proelia, tu felix ocreas vendente puella. hae sunt quae tenui sudant in cyclade, quarum delicias et panniculus bombycinus urit. aspice quo fremitu monstratos perferat ictus et quanto galeae curvetur pondere, quanta poplitibus sedeat quam denso fascia libro, et ride positis scaphium cum sumitur armis. dicite vos, neptes Lepidi caecive Metelli Gurgitis aut Fabii, quae ludia sumpserit umquam hos habitus, quando ad palum gemat uxor Asyli! Semper habet lites alternaque iurgia lectus in quo nupta iacet, minimum dormitur in illo. tum gravis illa viro, tunc orba tigride peior, cum simulat gemitus occulti conscia facti. aut odit pueros aut ficta paelice plorat, uberibus semper lacrimis semperque paratis in statione sua atque expectantibus illam, quo iubeat manare modo: tu credis amorem, tu tibi tunc, uruca, places fletumque labellis exorbes, quae scripta et quot lecture tabellas, si tibi zelotypae retegantur scrinia moechae! sed iacet in servi complexibus aut equitis: “dic, dic aliquem sodes hic, Quintiliane, colorem!” – “haeremus. dic ipsa!” – “olim convenerat” inquit “ut faceres tu quod velles, nec non ego possem indulgere mihi. clames licet et mare caelo

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und der Schienbeinschutz, der ihr linkes Bein zur Hälfte bedeckt. Oder falls sie mal in einer anderen Rolle kämpft, wirst du das Glück erfahren, dass deine liebe Frau den Panzer für ihre Beine verkauft. Das sind die Frauen, die schon schwitzen, wenn sie nur ein dünnes Kleid tragen, und deren [260] zartfühlendes Wesen selbst unter einem Fetzen Seide vor Hitze vergeht. Sieh mal, mit welchem Gebrüll sie die Schläge ausführt, die man ihr gezeigt hat, und mit welchem Gewicht ihr Helm sie niederdrückt, was für ein schweres und dichtes Bastgeflecht an ihren Knien festhängt, und lache, wenn sie die Bewaffnung ablegt und nach ihrem Nachttopf greift! [265] Ihr Enkelinnen eines Lepidus oder des blinden Metellus oder des Fabius Gurges, sagt doch mal, welches Gladiatorenmädchen sich jemals in einer solchen Aufmachung gezeigt hätte und wann die Frau eines Asylus am Trainingspfahl ächzt! Ein Ehebett, in dem eine Frau liegt, ist immer voll mit Streitereien und gegenseitigen Beschuldigungen, geschlafen wird darin äußerst selten. [270] Dann nervt sie ihren Mann, dann ist sie schlimmer als eine Tigerin, der man ihre Jungen weggenommen hat, wenn sie so tut, als ob sie weint, und dabei an ihre eigenen geheimen Taten denkt. Entweder sagt sie, dass sie deine Sklavenjungen hasst, oder sie klagt über eine Konkurrentin, die sie sich ausgedacht hat. Tränen sind immer in Hülle und Fülle vorhanden und stehen immer bereit auf ihrem Posten und warten darauf, dass sie [275] befiehlt, wie sie denn fließen sollen. Du glaubst, das sei Liebe – du Wurm! –, du gefällst dir in dieser Situation und schlürfst ihre Tränen mit deinen Lippen auf. Was für Aufzeichnungen und wie viele Liebesbriefchen wirst du lesen, falls du mal den Schreibtisch dieser eifersüchtigen Ehebrecherin öffnen solltest! Doch da liegt sie – in den Armen eines Sklaven oder eines Ritters. »Nenne, [280] ja nenne mir bitte ein Argument, mit dem ich das beschönigen kann, Quintilian!« – »Mir fällt nichts ein. Nenne doch selbst ein Argument!« – »Wir hatten uns doch längst geeinigt«, sagt sie, »dass du machen kannst, was du willst, und dass ich mir auch etwas gönnen darf. Du kannst ruhig rumschreien und Himmel und Meer durcheinanderbringen, aber ich bin auch nur ein

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confundas, homo sum.” nihil est audacius illis deprensis: iram atque animos a crimine sumunt. Unde haec monstra tamen vel quo de fonte requiris? praestabat castas humilis fortuna Latinas quondam, nec vitiis contingi parva sinebant tecta, labor somnique breves et vellere Tusco vexatae duraeque manus ac proximus urbi Hannibal et stantes Collina turre mariti. nunc patimur longae pacis mala, saevior armis luxuria incubuit victumque ulciscitur orbem. nullum crimen abest facinusque libidinis, ex quo paupertas Romana perit. hinc fluxit ad istos et Sybaris colles, hinc et Rhodos et Miletos atque coronatum et petulans madidumque Tarentum. prima peregrinos obscena pecunia mores intulit, et turpi fregerunt saecula luxu divitiae molles. quid enim venus ebria curat? inguinis et capitis quae sint discrimina, nescit grandia quae mediis iam noctibus ostrea mordet, cum perfusa mero spumant unguenta Falerno, cum bibitur concha, cum iam vertigine tectum ambulat et geminis exsurgit mensa lucernis. i nunc et dubita qua sorbeat aera sanna Tullia, quid dicat notae collactea Maurae Maura, Pudicitiae veterem cum praeterit aram. noctibus hic ponunt lecticas, micturiunt hic effigiemque deae longis siphonibus implent inque vices equitant ac Luna teste moventur.

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Mensch.« – Nichts ist unverschämter als Frauen, [285] die man ertappt hat. Aus ihrem Vergehen schöpfen sie auch noch Zorn und Mut. Woher diese Ungeheuerlichkeiten stammen oder aus welcher Quelle sich speisen, fragst du? Einst sorgten die einfachen Lebensverhältnisse dafür, dass die latinischen Frauen sittsam blieben: Dass sie von Unsitten befleckt wurden, ließen die kleinen Hütten, die Arbeit, der wenige Schlaf, [290] die zermürbende und abhärtende Handarbeit mit etruskischer Wolle sowie Hannibal, der sich in unmittelbarer Nähe der Stadt befand, und ihre auf dem Collinischen Turm postierten Ehemänner nicht zu. Nun leiden wir unter der Misere eines lang dauernden Friedens. Grausamer als Waffengewalt ist der Luxus über uns gekommen und nimmt Rache für den Sieg über die Welt. An keinem Verbrechen mangelt es und an keiner Untat aus Begierde, seitdem [295] die römische Armut untergegangen ist. Von da an strömte Sybaris zu diesen Hügeln, von da an auch Rhodos und Milet sowie das ausgelassene und betrunkene Tarent mit seinem Festkranz. Zuerst brachte uns das widerliche Geld die ausländischen Sitten, und der verzärtelnde Reichtum ließ die folgenden Generationen am lasterhaften Luxus zerbrechen. [300] Denn worum sorgt sie sich schon in ihrer volltrunkenen Geilheit? Was der Unterschied zwischen ihrer Scheide und ihrem Mund ist, weiß sie nicht. Noch mitten in der Nacht zerkaut sie große Austern. Dabei schäumt Parfum, in das man reinen Falernerwein geschüttet hat, dabei wird aus einer Muschelschale getrunken, dabei dreht sich die Zimmerdecke schon im Kreis, [305] und der Tisch erhebt sich im Licht doppelter Lampen in die Höhe. Na los, zweifle ruhig daran, mit was für einer Grimasse Tullia die Luft einzieht und was Maura, die gemeinsam mit der berüchtigten Maura die Muttermilch bekam, sagt, wenn sie am alten Altar der Sittsamkeit vorbeigeht. Bei Nacht lassen sie hier ihre Sänften absetzen, hier pissen sie [310] und spritzen das Abbild der Göttin mit langem Strahl voll. Sie besteigen einander und rammeln – die Mondgöttin kann das bezeugen. Dann gehen sie nach Hause. Und du

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inde domos abeunt: tu calcas luce reversa coniugis urinam magnos visurus amicos. nota Bonae secreta Deae, cum tibia lumbos incitat et cornu pariter vinoque feruntur attonitae crinemque rotant ululantque Priapi maenades. o quantus tunc illis mentibus ardor concubitus, quae vox saltante libidine, quantus ille meri veteris per crura madentia torrens! lenonum ancillas posita Saufeia corona provocat et tollit pendentis praemia coxae; ipsa Medullinae fluctum crisantis adorat: palma inter dominas, virtus natalibus aequa. nil ibi per ludum simulabitur, omnia fient ad verum, quibus incendi iam frigidus aevo Laomedontiades et Nestoris hirnea possit. tunc prurigo morae inpatiens, tum femina simplex, ac pariter toto repetitus clamor ab antro “iam fas est, admitte viros!” dormitat adulter, illa iubet sumpto iuvenem properare cucullo; si nihil est, servis incurritur; abstuleris spem servorum, venit et conductus aquarius; hic si quaeritur et desunt homines, mora nulla per ipsam, quo minus inposito clunem summittat asello. atque utinam ritus veteres et publica saltem his intacta malis agerentur sacra! sed omnes noverunt Mauri atque Indi quae psaltria penem maiorem quam sunt duo Caesaris Anticatones illuc, testiculi sibi conscius unde fugit mus, intulerit, ubi velari pictura iubetur

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trittst, wenn es wieder hell geworden ist und du vorhast, deine bedeutenden Freunde aufzusuchen, in den Urin deiner Frau. Bekannt sind die geheimen Riten der Bona Dea. Da stachelt die Flöte die Lenden [315] an, und durch das Horn und zugleich durch den Wein verzückt, lassen sie sich mitreißen. Sie schütteln ihr Haar und heulen – diese Mänaden des Priap. O, was für ein gewaltiges Verlangen nach Sex dann in ihren Sinnen ist, welche Laute sie von sich geben, wenn ihre Lust pulsiert, was für ein gewaltiger Strom alten, reinen Weines ihre triefenden Schenkel hinunterläuft! [320] Saufeia legt ihren Kranz ab und fordert die Sklavinnen des Bordellbesitzers heraus – und trägt den Preis im Hüftschwung davon. Sie selbst verehrt Medullina dafür, wie sie wogend mit dem Hintern wackelt. Den Siegespreis teilen sich diese Damen, ihre große Leistung entspricht ihrer Abkunft. Nichts wird man dort im Spiel vortäuschen, alles wird wirklich geschehen. [325] Damit könnte man selbst den in seinem hohen Alter schon erkalteten Sohn des Laomedon und Nestor mit seinem Hodenbruch entflammen. Dann kann die Geilheit keine Verzögerung mehr ertragen, dann sind sie einfach nur Frauen, und einstimmig erschallt immer wieder aus der ganzen Grotte der Ruf: »Jetzt muss es sein: Lass die Männer rein!« Ihr Liebhaber schläft, [330] da befiehlt sie seinem Jungen, den Kapuzenmantel überzuziehen und schnell zu kommen. Wenn das nichts wird, stürmt man auf die Sklaven los. Hat sich die Hoffnung auf die Sklaven zerschlagen, dann kommt ein Wasserlieferant, den man bezahlt hat. Wenn man den vergeblich sucht und es an Menschen fehlt, dann gibt es von ihrer Seite kein Zögern, ihren Hintern einem Esel zu Besamung entgegenzustrecken. [335] Und wenn man doch wenigstens die alten Riten und die staatlich anerkannten heiligen Feste begehen könnte, ohne dass sie von diesen schlimmen Handlungen befleckt werden! Aber bis zu allen Mauren und Indern hat sich rumgesprochen, welche »Lautenspielerin« einen Penis, der länger war als Caesars zwei Bücher »Gegen Cato«, dorthin mitgebracht hat, von wo selbst ein Mäuserich flieht, weil er sich der Tatsache bewusst ist, dass er Hoden hat; [340] dort befiehlt

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quaecumque alterius sexus imitata figuras. et quis tunc hominum contemptor numinis, aut quis simpuvium ridere Numae nigrumque catinum et Vaticano fragiles de monte patellas ausus erat? sed nunc ad quas non Clodius aras? Audio, quid veteres olim moneatis amici: “pone seram, cohibe!” sed quis custodiet ipsos custodes? cauta est et ab illis incipit uxor. iamque eadem summis pariter minimisque libido, nec melior silicem pedibus quae conterit atrum quam quae longorum vehitur cervice Syrorum. ut spectet ludos, conducit Ogulnia vestem, conducit comites, sellam, cervical, amicas, nutricem et flavam cui det mandata puellam. haec tamen argenti superest quodcumque paterni levibus athletis et vasa novissima donat. multis res angusta domi, sed nulla pudorem paupertatis habet nec se metitur ad illum quem dedit haec posuitque modum. tamen utile quid sit prospiciunt aliquando viri, frigusque famemque formica tandem quidam expavere magistra: prodiga non sentit pereuntem femina censum. ac velut exhausta recidivus pullulet arca nummus et e pleno tollatur semper acervo, non umquam reputant quanti sibi gaudia constent. In quacumque domo vivit luditque professus obscenum et tremula promittens omnia dextra, invenies omnis turpes similesque cinaedis. his violare cibos sacraeque adsistere mensae permittunt, et vasa iubent frangenda lavari,

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man auch, dass alle Gemälde, die Abbildungen des anderen Geschlechts zeigen, verhüllt werden. Und doch: Welcher Mensch hätte damals die Gottheit verachtet, und wer hätte es gewagt, über Numas Opferschale zu lachen, über die schwarze Schüssel und die zerbrechlichen Teller vom Vatikanischen Hügel? [345] Bei welchem Altar gibt es dagegen heutzutage keinen Clodius? Ich höre, was ihr, meine alten Freunde, mir schon lange empfehlt: »Schiebe den Riegel vor! Schließe sie ein!« – Aber wer wird auch noch die Wächter bewachen? Schlau ist die Ehefrau, und bei ihnen beginnt sie. Schon gibt es bei den Vornehmsten und gleichermaßen bei den Niedrigsten dieselbe Geilheit, [350] und eine, die zu Fuß das schwarze Straßenpflaster benutzt, ist nicht besser als eine, die auf den Nacken hochgewachsener syrischer Sklaven getragen wird. Um sich die Spiele anzusehen, mietet Ogulnia ein Kleid, sie mietet ein Gefolge, einen Tragesessel, ein Polster, Freundinnen, eine Amme und ein blondes Sklavenmädchen, dem sie Aufträge geben kann. [355] Was trotzdem vom Familiensilber übrigbleibt, das schenkt sie Athleten, deren Haut noch glatt ist – selbst das Geschirr, das ihr als letztes geblieben ist. Bei vielen ist das Geld zu Hause knapp, aber keine schert sich um ihre Armut und beachtet die Grenze, welche die Armut ihr ganz klar gesetzt hat. Männer hingegen [360] sehen zuweilen im Voraus, was nützlich ist: Wie sie es von der Ameise gelernt haben, haben sich manche von Kälte und Hunger in Angst versetzen lassen. Eine verschwenderische Frau bekommt nicht mit, wie das Vermögen schwindet. Und als ob das Geld in einer ausgeleerten Schatzkiste wieder auftauchte und nachwüchse und man immer aus den Vollen schöpfen könnte, [365] rechnen sie niemals nach, was ihre Vergnügungen sie kosten. In jedem Haus, in dem einer lebt und seine Spielchen spielt, der Schweinereien professionell betreibt und mit zappeliger Hand alles verspricht, wirst du nur sittenlose Menschen finden, die den Schwuchteln gleichen. Denen erlauben sie, die Speisen zu verunreinigen und an der geheiligten Tafel Platz zu nehmen, [O5] und sie befehlen, das Geschirr, das man eigentlich zerschlagen müsste, nur zu

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cum colocyntha bibit vel cum barbata chelidon. purior ergo tuis laribus meliorque lanista, in cuius numero longe migrare iubetur psilus ab euhoplo. quid quod nec retia turpi iunguntur tunicae, nec cella ponit eadem munimenta umeri pulsatoremque tridentem qui nudus pugnare solet? pars ultima ludi accipit has animas aliusque in carcere nervos. sed tibi communem calicem facit uxor et illis cum quibus Albanum Surrentinumque recuset flava ruinosi lupa degustare sepulchri. horum consiliis nubunt subitaeque recedunt, his languentem animum reserant et seria vitae, his clunem atque latus discunt vibrare magistris, quicquid praeterea scit qui docet. haud tamen illi semper habenda fides: oculos fuligine pascit distinctus croceis et reticulatus adulter. suspectus tibi sit, quanto vox mollior et quo saepius in teneris haerebit dextera lumbis. hic erit in lecto fortissimus; exuit illic personam docili Thais saltata Triphallo. quem rides? aliis hunc mimum! sponsio fiat: purum te contendo virum. contendo: fateris? an vocat ancillas tortoris pergula? novi consilia et veteres quaecumque monetis amici: “pone seram, cohibe!” sed quis custodiet ipsos custodes, qui nunc lascivae furta puellae

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waschen, wenn so ein »Kürbis« oder eine »bärtige Schwalbe« daraus getrunken hat. Reiner und besser als dein Haus ist also das eines Gladiatorentrainers, in dessen Truppe man den leicht bewaffneten Weichlingen befiehlt, sich von den gut ausgestatteten Kämpfern weit zu entfernen. Und wozu soll man erwähnen, dass man das Kampfnetz eben nicht mit der unsittlichen [O10] Tunika zusammentut und nicht auf dieselbe Stube den Schulterschutz und den zustoßenden Dreizack legt, der für gewöhnlich nackt kämpft? Der hinterste Teil der Gladiatorenschule nimmt diese Seelen auf, und in einem Gefängnis hält sie eine andere Kette fest. Aber deine Gattin sorgt dafür, dass du den gleichen Becher benutzt wie diese Leute – [O15] eine blonde Hure an einem verfallenen Grabmal würde sich weigern, mit denen gemeinsam auch nur einen Schluck zu nehmen, selbst wenn es Albaner oder Surrentiner Wein wäre. Auf deren Rat hin gehen sie Ehen ein und ziehen plötzlich wieder aus, denen eröffnen sie die Schwermut ihres Geistes und auch die ernsten Dinge in ihrem Leben, von diesen Lehrern lernen sie, mit dem Hintern und den Hüften zu wackeln, [O20] und alles, was einer, der unterrichtet, sonst noch weiß. Trotzdem darf man so einem nicht immer Glauben schenken. Mit schwarzer Farbe macht er sich die Augen größer und kleidet sich in Gelb – dieser Ehebrecher mit Haarnetz. Umso misstrauischer solltest du sein, je weicher seine Stimme klingt und je öfter seine rechte Hand an seinen zarten Schamteilen hängt. [O25] Im Bett wird er der Tatkräftigste sein. Dort legt »Thais«, die der gewandte »Triphallus« tänzerisch dargestellt hat, die Maske ab. Willst du dich über uns lustig machen? Spar dir diesen Mimus für andere auf! Das soll vor Gericht überprüft werden: Ich behaupte, dass du durch und durch ein Mann bist. Das behaupte ich! Gestehst du? Oder soll die Baracke des Folterers nach den Sklavinnen rufen? Ich kenne [O30] die Ratschläge und weiß alles, was ihr, meine alten Freunde, mir empfehlt: »Schiebe den Riegel vor! Schließe sie ein!« – Aber wer wird auch noch die Wächter bewachen, die nun über die Seitensprünge der lüsternen Frau für eben diese Belohnung nichts

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hac mercede silent? crimen commune tacetur. prospicit hoc prudens et ab illis incipit uxor. Sunt quas eunuchi inbelles ac mollia semper oscula delectent et desperatio barbae et quod abortivo non est opus. illa voluptas summa tamen, quom iam calida matura iuventa inguina traduntur medicis, iam pectine nigro. ergo expectatos ac iussos crescere primum testiculos, postquam coeperunt esse bilibres, tonsoris tantum damno rapit Heliodorus. mangonum pueros vera ac miserabilis urit debilitas, follisque pudet cicerisque relicti. conspicuus longe cunctisque notabilis intrat balnea nec dubie custodem vitis et horti provocat a domina factus spado. dormiat ille cum domina, sed tu iam durum, Postume, iamque tondendum eunucho Bromium committere noli. Si gaudet cantu, nullius fibula durat vocem vendentis praetoribus. organa semper in manibus, densi radiant testudine tota sardonyches, crispo numerantur pectine chordae quo tener Hedymeles operas dedit: hunc tenet, hoc se solatur gratoque indulget basia plectro. quaedam de numero Lamiarum ac nominis Appi et farre et vino Ianum Vestamque rogabat, an Capitolinam deberet Pollio quercum sperare et fidibus promittere. quid faceret plus aegrotante viro, medicis quid tristibus erga filiolum? stetit ante aram nec turpe putavit

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sagen? Ein gemeinsames Verbrechen verschweigt man. [O34] Das sieht die clevere Ehefrau voraus, und mit ihnen fängt sie an. [366] Es gibt Frauen, die lassen sich von friedsamen Eunuchen mit ihren stets zarten Küssen und dem Wissen, dass ihnen kein Bart wachsen wird, erfreuen – und davon, dass kein Abtreibungsmittel benötigt wird. Die größte Lust wird jedoch erreicht, wenn [370] das Geschlechtsteil den Ärzten im bereits reifen Zustand und mit schwarzem Schamhaar ausgeliefert wird und der junge Mann bereits Leidenschaft empfindet. Also wartet man und lässt die Hoden zunächst wachsen, und nachdem sie zu richtigen Zweipfündern geworden sind, entreißt Heliodorus sie ihm – und das allein zum Schaden des Barbiers. Die Knaben der Sklavenhändler quält eine echte und beklagenswerte Verstümmelung, und sie schämen sich für ihren Sack und die Erbse, die ihren geblieben ist. Derjenige, der von seiner Herrin zum Kastraten gemacht worden ist, betritt das Bad, fällt dabei schon von weitem auf und wird von allen beachtet [375] – kein Zweifel: er fordert den Wächter von Weinstock und Garten heraus! Soll er doch mit seiner Herrin schlafen, Postumus, aber vertrau dem Eunuchen bloß nicht den Bromius an, auch wenn der schon männlich ist und sich schon die Haare schneiden lassen sollte! Wenn sie am Gesang Freude hat, dann hat bei keinem, [380] der seine Stimme an die Prätoren verkauft, die Spange Bestand. Sein Instrument hält sie immer in den Händen, dicht an dicht erstrahlen ihre Sardonyxringe auf der ganzen Lyra, sie arbeitet die Saiten mit dem vibrierenden Plektrum ab, das der zarte Hedymeles bei seinen Auftritten verwendete. Dieses hält sie fest, durch dieses empfängt sie Trost, und sie gewährt dem Plektrum, das ihr so lieb ist, Küsse. [385] Eine, die zu den Lamiern gehörte und den Namen des Appius trug, befragte mit Getreide und Wein Janus und Vesta, ob Pollio auf den kapitolinischen Eichenkranz hoffen und ihn seiner Lyra versprechen dürfe. Hätte sie mehr tun können, wenn ihr Mann krank wäre und wenn die Ärzte wegen ihres kleinen Sohns beunruhigt wären? [390] Sie stand vor dem Altar und hielt es nicht für unanständig, für eine Kithara ihr Haupt zu verhüllen. Und sie sprach die

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pro cithara velare caput, dictataque verba pertulit, ut mos est, et aperta palluit agna. dic mihi nunc, quaeso, dic, antiquissime divom, respondes his, Iane pater? magna otia caeli, non est, quod video, non est quod agatur apud vos. haec de comoedis te consulit, illa tragoedum commendare volet: varicosus fiet haruspex. Sed cantet potius quam totam pervolet urbem audax et coetus possit quae ferre virorum cumque paludatis ducibus praesente marito ipsa loqui recta facie siccisque mamillis. haec eadem novit quid toto fiat in orbe, quid Seres, quid Thraces agant, secreta novercae et pueri, quis amet, quis diripiatur adulter. dicet quis viduam praegnatem fecerit et quo mense, quibus verbis concumbat quaeque, modis quot. instantem regi Armenio Parthoque cometen prima videt, famam rumoresque illa recentis excipit ad portas, quosdam facit; isse Niphaten in populos magnoque illic cuncta arva teneri diluvio, nutare urbes, subsidere terras, quocumque in trivio, cuicumque est obvia, narrat. Nec tamen id vitium magis intolerabile quam quae vicinos humiles rapere et concidere loris exsecrata solet. nam si latratibus alti rumpuntur somni, “fustes huc ocius” inquit “adferte” atque illis dominum iubet ante feriri, deinde canem. gravis occursu, taeterrima vultu

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Gebetsformel nach, die man ihr vorgesagt hatte, wie es der Brauch ist, und wurde beim Öffnen des Lamms ganz blass. Sag mir nun, bitteschön, sag mir, ältester der Götter: Darauf antwortest du, Vater Janus? Viel zu tun habt ihr im Himmel [395] nicht, und bei euch wird offenbar nicht gearbeitet. Die eine befragt dich über Komödiendarsteller, eine andere will ein gutes Wort für einen Tragödienschauspieler einlegen. Da wird der Opferpriester noch Krampfadern bekommen. Aber lieber soll sie singen, als dass sie in ihrer Anmaßung durch die ganze Stadt rennt – so eine, die in der Lage ist, auch bei Treffen von Männern dabei zu sein [400] und in Gesellschaft von Feldherren im Kriegsmantel selbst den Mund aufzumachen, obwohl ihr Mann anwesend ist. Dabei ist ihr Blick nach vorn gerichtet, und ihre Brüste sind trocken. Dieselbe Frau weiß, was auf der ganzen Welt geschieht, was die Chinesen und was die Thraker tun, sie kennt die Geheimnisse zwischen der Stiefmutter und dem Knaben, und sie weiß, wer verliebt ist und um welchen Ehebrecher man sich reißt. [405] Sie wird berichten, wer die Witwe geschwängert hat und in welchem Monat sie ist, welche Worte eine jede Frau beim Sex spricht und wie viele Stellungen sie anwendet. Den Kometen, der dem König der Armenier und den Parthern Unheil androht, sieht sie als erste, Gerede und aktuelle Gerüchte schnappt sie an den Stadttoren auf, und einige denkt sie sich selbst aus. Dass der Niphates [410] über die Völker geströmt ist und dort alle Felder von einer großen Überschwemmung heimgesucht werden, dass Städte ins Wanken geraten und dass das Land absackt, erzählt sie an jeder Kreuzung und jedem, dem sie begegnet. Aber dieser Fehler ist auch nicht schwerer zu ertragen als eine, die gewohnheitsmäßig ihre armen Nachbarn ergreifen und auspeitschen lässt, [415] wobei sie Verwünschungen ausstößt. Denn wenn sie durch Gebell aus ihrem tiefen Schlaf gerissen wird, ruft sie: »Bringt die Knüppel her! Schnell!« Und sie befiehlt, damit zuerst den Herrn und dann den Hund zu prügeln. Beängstigend für jeden, den sie trifft, und mit finsterster Miene sucht sie bei Nacht die Bäder auf und

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balnea nocte subit, conchas et castra moveri nocte iubet; magno gaudet sudare tumultu, cum lassata gravi ceciderunt bracchia massa, callidus et cristae digitos inpressit aliptes ac summum dominae femur exclamare coegit. convivae miseri interea somnoque fameque urguentur. tandem illa venit rubicundula, totum oenophorum sitiens, plena quod tenditur urna admotum pedibus, de quo sextarius alter ducitur ante cibum, rabidam facturus orexim dum redit et loto terram ferit intestino. marmoribus rivi properant, aurata Falernum pelvis olet; nam sic, tamquam alta in dolia longus deciderit serpens, bibit et vomit. ergo maritus nauseat atque oculis bilem substringit opertis. Illa tamen gravior, quae cum discumbere coepit, laudat Vergilium, periturae ignoscit Elissae, committit vates et comparat, inde Maronem atque alia parte in trutina suspendit Homerum. cedunt grammatici, vincuntur rhetores, omnis turba tacet, nec causidicus nec praeco loquetur, altera nec mulier: verborum tanta cadit vis, tot pariter pelves ac tintinnabula dicas pulsari. iam nemo tubas, nemo aera fatiget: una laboranti poterit succurrere Lunae. inponit finem sapiens et rebus honestis: nam quae docta nimis cupit et facunda videri crure tenus medio tunicas succingere debet, caedere Silvano porcum, quadrante lavari.

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befiehlt ihren Salbgefäßen und ihrem ganzen »Heerlager«, sich [420] bei Nacht in Bewegung zu setzen. Es macht ihr Spaß bei großem Lärm zu schwitzen, wenn ihre von den schweren Gewichten erschöpften Arme herabgesunken sind, wenn der raffinierte Masseur seine Finger in ihren »Helmbusch« gedrückt hat und wenn er seine Herrin an der Stelle ganz oben am Oberschenkel aufschreien ließ. Inzwischen überkommen Schlaf und Hunger ihre armen Gäste. [425] Endlich kommt sie mit hochrotem Gesicht und hat genug Durst für eine ganze Weinflasche. Die ist mit mehr als zwölf Litern gefüllt und wölbt sich vor ihren Füßen, wo man sie abgestellt hat. Daraus kippt sie ihren zweiten Halben noch vor dem Essen hinunter, damit sie einen Heißhunger bekommt; der Wein kommt ihr nämlich wieder hoch, durchspült ihre Eingeweide und platscht dann auf den Boden. [430] Bäche strömen über den Marmor, und die vergoldete Schüssel stinkt nach Falernerwein. Denn wie eine große Schlange, die tief runter ins Weinfass gefallen ist, trinkt und kotzt sie. Davon wird ihrem Ehemann schlecht, er schließt die Augen und unterdrückt, dass ihm die Galle hochkommt. Noch schlimmer ist jedoch eine, die, sobald sie sich zu Tisch gelegt hat, [435] Vergil preist, Verständnis für die dem Tod geweihte Elissa hat und die Dichter einander gegenüberstellt und vergleicht – die auf der einen Seite der Waage Maro und auf der anderen Homer schweben lässt. Die Literaturlehrer ziehen sich zurück, die Rhetoriklehrer geben sich geschlagen, die ganze Gesellschaft schweigt, weder ein Prozessredner noch ein Auktionator werden zu Wort kommen – [440] und nicht einmal eine andere Frau. Ein so gewaltiger Wortschwall prasselt herab, da könnte man meinen, dass zeitgleich auf Schüsseln und Glocken eingeschlagen wird. Niemand sollte mehr Trompeten und niemand Becken aus Bronze abnutzen. Ganz alleine kann sie der Mondgöttin in ihrer Notlage Hilfe bringen. Ein Weiser setzt auch ehrenvollen Dingen eine Grenze. [445] Denn eine Frau, die allzu gelehrt und redegewandt wirken will, soll besser gleich die Tunika bis zur Mitte des Beines hochbinden, ein Schwein für Silvanus schlachten und für das Bad nur einen Viertel-As zahlen. Die

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non habeat matrona, tibi quae iuncta recumbit, dicendi genus aut curvum sermone rotato torqueat enthymema nec historias sciat omnes, sed quaedam ex libris et non intellegat. odi hanc ego quae repetit volvitque Palaemonis artem servata semper lege et ratione loquendi ignotosque mihi tenet antiquaria versus nec curanda viris. opicae castiget amicae verba: soloecismum liceat fecisse marito. Nil non permittit mulier sibi, turpe putat nil, cum viridis gemmas collo circumdedit et cum auribus extentis magnos commisit elenchos. [intolerabilius nihil est quam femina dives.] interea foeda aspectu ridendaque multo pane tumet facies aut pinguia Poppaeana spirat, et hinc miseri viscantur labra mariti: ad moechum lota veniunt cute. quando videri vult formonsa domi? moechis foliata parantur, his emitur quidquid graciles huc mittitis Indi. tandem aperit vultum et tectoria prima reponit, incipit agnosci, atque illo lacte fovetur propter quod secum comites educet asellas, exul Hyperboreum si dimittatur ad axem. sed quae mutatis inducitur atque fovetur tot medicaminibus coctaeque siliginis offas accipit et madidae, facies dicetur an ulcus? Est pretium curae penitus cognoscere toto quid faciant agitentque die. si nocte maritus aversus iacuit, periit libraria, ponunt cosmetae tunicas, tarde venisse Liburnus

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Dame, die mit dir verheiratet ist und sich gemeinsam mit dir zu Tisch legt, sollte keinesfalls einen eigenen Sprachstil haben oder dir eine verquere Argumentation in geschraubter Sprache [450] entgegenschleudern und auch nicht über alle Erzählstoffe Bescheid wissen, sondern einiges aus den Büchern soll sie auch nicht verstehen. Insbesondere verabscheue ich die Frau, die immer wieder auf das Lehrbuch des Palaemon zurückgreift und es aufrollt, die ständig alle Gesetze und Regeln der Sprache beachtet und als Expertin für altes Wissen mir unbekannte Verse kennt [455] und Dinge, um die sich Männer nicht zu kümmern brauchen. Sie soll ruhig die Worte einer banausenhaften Freundin korrigieren – ihrem Gatten muss es erlaubt sein, einen sprachlichen Fehler zu machen. Es gibt nichts, was sich eine Frau nicht gestattet, und nichts hält sie daran für unanständig, wenn sie sich grüne Edelsteine um den Hals gelegt und riesige Perlenohrringe an ihre ausgeleierten Ohrläppchen gehängt hat. [460] [Nichts ist unerträglicher als eine reiche Frau.] Bis dahin ist ihr Gesicht schrecklich anzusehen, und auf lächerliche Weise schwillt es durch eine große Menge Brotteig an oder riecht nach fettiger Poppaea-Creme – und davon sind dann die Lippen ihres armen Gatten verklebt. (Zu ihrem Geliebten gehen sie mir gewaschener Haut. Wann [465] will eine Frau zu Hause schön aussehen? Für ihre Geliebten besorgen sie Parfüm, für die kaufen sie alles, was ihr dürren Inder hierher exportiert.) Endlich legt sie ihr Gesicht frei und trägt die erste Putzschicht wieder ab. Man beginnt, sie wieder zu erkennen, und sie pflegt sich in der Milch, für die sie als ihre Begleitung Eselinnen mitnehmen würde, [470] falls sie zum Nordpol in die Verbannung geschickt werden sollte. Was aber nacheinander mit so vielen Mittelchen überzogen und gepflegt wird und erhitzte feuchte Mehlklumpen aufnimmt – wird man das als Gesicht bezeichnen oder als Geschwür? Es ist der Mühe wert, genau in Erfahrung zu bringen, [475] was sie den ganzen Tag über tun und treiben. Falls ihr Gatte letzte Nacht mit dem Rücken zu ihr geschlafen hat, ist die Wollarbeiterin dran, und die Friseure legen ihre Tunika ab. Dann soll der Liburnersklave

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dicitur et poenas alieni pendere somni cogitur; hic frangit ferulas, rubet ille flagello, hic scutica: sunt quae tortoribus annua praestent. verberat atque obiter faciem linit, audit amicas aut latum pictae vestis considerat aurum, et caedit, longi relegit transversa diurni et caedit, donec lassis caedentibus “exi” intonet horrendum iam cognitione peracta. praefectura domus Sicula non mitior aula. nam si constituit solitoque decentius optat ornari et properat iamque expectatur in hortis aut apud Isiacae potius sacraria lenae, disponit crinem laceratis ipsa capillis nuda umeros Psecas infelix nudisque mamillis. “altior hic quare cincinnus?” taurea punit continuo flexi crimen facinusque capilli. quid Psecas admisit? quaenam est hic culpa puellae, si tibi displicuit nasus tuus? altera laevum extendit pectitque comas et volvit in orbem. est in consilio materna admotaque lanis emerita quae cessat acu; sententia prima huius erit, post hanc aetate atque arte minores censebunt, tamquam famae discrimen agatur aut animae: tanta est quaerendi cura decoris. tot premit ordinibus, tot adhuc conpagibus altum aedificat caput: Andromachen a fronte videbis, post minor est, credas aliam. cedo si breve parvi sortita est lateris spatium breviorque videtur

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zu spät gekommen sein und muss die Strafe dafür ertragen, dass ein anderer geschlafen hat. An dem einen zerbrechen die Ruten, ein anderer wird rot unter der Geißel, [480] ein weiterer unter der Peitsche. Es gibt Frauen, die zahlen den Folterknechten gleich ein Jahresgehalt. Sie lässt schlagen, und derweil schminkt sie ihr Gesicht, hört ihren Freundinnen zu oder nimmt den breiten Goldstreifen auf einem bestickten Kleid in Augenschein, und sie lässt prügeln, geht ihr langes Rechnungsbuch im Querformat noch einmal durch, und sie lässt prügeln, bis die Prügelnden müde sind und sie ein schreckliches »Raus!« [485] ertönen lässt, weil ihre »gerichtliche Untersuchung« nun beendet ist. Die Herrschaft über ihr Haus ist nicht nachsichtiger als die im Palast von Sizilien. Denn wenn sie sich verabredet hat und sich wünscht, hübscher als gewöhnlich hergerichtet zu werden, und sie sich beeilt und schon im Park erwartet wird – oder vielmehr beim Tempel der Isis, dieser Kupplerin –, [490] dann ordnet die unglückliche Psecas ihr das Haar, hat dabei selbst zerzauste Haare, nackte Schultern und nackte Brüste. »Warum ist diese Locke höher als die anderen?« Unverzüglich bestraft der Lederriemen dieses üble Verbrechen beim Drehen des Haares. Was hat Psecas falsch gemacht? Wo liegt denn hier die Schuld der Sklavin, [495] wenn dir deine eigene Nase nicht gefällt? Eine andere Sklavin glättet die unheilvolle Locke, kämmt die Haare und wickelt sie kreisförmig auf. In diesem Rat sitzt eine Sklavin der Mutter, die zur Wollarbeit abkommandiert wurde und nicht mehr mit der in den Veteranenstand versetzten Haarnadel tätig ist. Sie wird als erste ihre Meinung abgeben. Nach ihr werden diejenigen, welche in Bezug auf ihr Alter und ihre Fähigkeiten weniger bedeutend sind, [500] ihre Einschätzung äußern, als würde eine Entscheidung über Ehre oder Leben getroffen. So groß ist die Sorgfalt beim Streben nach Schönheit. Mit so vielen Schichten drückt sie ihren Kopf nach unten, mit so vielen zusätzlichen Stockwerken baut sie ihn in die Höhe: Von vorne wirst du eine Andromache erblicken, von hinten ist sie kleiner, du könntest sie für jemand anderen halten. Und sag mal: Was wäre, wenn [505] das Schicksal ihr nur eine geringe Größe für ihren kleinen Körper zugewiesen hätte und sie ohne Hilfe

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virgine Pygmaea nullis adiuta coturnis et levis erecta consurgit ad oscula planta. Nulla viri cura interea nec mentio fiet damnorum: vivit tamquam vicina mariti, hoc solo propior, quod amicos coniugis odit et servos, gravis est rationibus. ecce furentis Bellonae matrisque deum chorus intrat et ingens semivir, obsceno facies reverenda minori, mollia qui rapta secuit genitalia testa iam pridem, cui rauca cohors, cui tympana cedunt plebeia et Phrygia vestitur bucca tiara. grande sonat metuique iubet Septembris et austri adventum, nisi se centum lustraverit ovis et xerampelinas veteres donaverit ipsi, ut quidquid subiti et magni discriminis instat in tunicas eat et totum semel expiet annum. hibernum fracta glacie descendet in amnem, ter matutino Tiberi mergetur et ipsis verticibus timidum caput abluet, inde superbi totum regis agrum nuda ac tremibunda cruentis erepet genibus, si candida iusserit Io, ibit ad Aegypti finem calidaque petitas a Meroe portabit aquas, ut spargat in aede Isidis, antiquo quae proxima surgit ovili. credit enim ipsius dominae se voce moneri: en animam et mentem cum qua di nocte loquantur! ergo hic praecipuum summumque meretur honorem qui grege linigero circumdatus et grege calvo plangentis populi currit derisor Anubis.

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hoher Stiefel wie in der Tragödie noch kleiner zu sein schiene als ein Pygmäenmädchen und sie sich flink auf den Zehenspitzen nach oben recken müsste, um sich küssen zu lassen. Unterdessen wird sie sich nicht um ihren Mann kümmern, und seine Verluste werden nicht einmal der Erwähnung wert sein. Sie lebt wie eine Nachbarin ihres Mannes [510] und hat nur insofern mehr mit ihm zu tun, als sie die Freunde und Sklaven des Ehemanns nicht leiden kann und seine Konten belastet. Sieh nur: Ein Haufen Anhänger der rasenden Bellona und der Göttermutter kommt herein, und ein riesiger Kastrat – ein Anblick, vor dem die weniger wichtigen Perversen Ehrfurcht haben müssen. Der hat sich schon vor langer Zeit mit einer schnell ergriffenen Scherbe sein Geschlechtsteil abgeschnitten, was ihn zum Weichling machte. [515] Mit ihm können es die kreischende Truppe und das Fußvolk mit den Pauken nicht aufnehmen, und er trägt an seinen Wangen die phrygische Mütze. Lautstark ertönt sein Rufen: Er gebietet ihr, vor der Ankunft des Septembers und des Südwinds Angst zu haben, falls sie sich nicht mit einem Sühneopfer von hundert Eiern reinige und ihm selbst ihre alten rot gefärbten Kleider übergebe, [520] damit jede plötzliche, große Gefahr, die ihr drohe, in die Kleider fahre und sie auf einmal das Unheil eines ganzen Jahres abwende. Zur Winterzeit wird sie das Eis aufhacken und in den Fluss steigen. Dreimal wird sie am Morgen im Tiber untertauchen und direkt in der Strömung ihr furchtsames Haupt abwaschen. Von dort [525] wird sie nackt und zitternd mit blutigen Knien über das gesamte Feld des hochmütigen Königs kriechen. Falls es ihr die weiße Io befiehlt, wird sie bis ans Ende Ägyptens gehen und Wasser mitbringen, das sie aus dem heißen Meroe geholt hat, um es im Isistempel zu verspritzen, der sich ganz in der Nähe der alten Schafkoppel erhebt. [530] Sie glaubt nämlich, dass sie von der Stimme der Herrin selbst aufgefordert wird – was für eine Seele und was für ein Geist, mit dem die Götter sich nachts unterhalten! Also verdient der die allerhöchste Ehre, der sich mit der in Leinen gekleideten und kahlköpfigen Schar umgibt und voller Spott über das klagende Volk vorbeiläuft: Anubis!

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ille petit veniam, quotiens non abstinet uxor concubitu sacris observandisque diebus magnaque debetur violato poena cadurco. ut movisse caput visa est argentea serpens, illius lacrimae meditataque murmura praestant, ut veniam culpae non abnuat ansere magno scilicet et tenui popano corruptus Osiris. Cum dedit ille locum, cophino fenoque relicto arcanam Iudaea tremens mendicat in aurem, interpres legum Solymarum et magna sacerdos arboris ac summi fida internuntia caeli. implet et illa manum, sed parcius: aere minuto qualiacumque voles Iudaei somnia vendunt. spondet amatorem tenerum vel divitis orbi testamentum ingens calidae pulmone columbae tractato Armenius vel Commagenus haruspex; pectora pullorum rimabitur, exta catelli, interdum et pueri: faciet quod deferat ipse. Chaldaeis sed maior erit fiducia: quidquid dixerit astrologus, credent a fonte relatum Hammonis, quoniam Delphis oracula cessant et genus humanum damnat caligo futuri. praecipuus tamen est horum qui saepius exul. [cuius amicitia conducendaque tabella magnus civis obit et formidatus Othoni] inde fides artis, sonuit si dextera ferro [laevaque, si longe castrorum in carcere mansit]. nemo mathematicus genium indemnatus habebit, sed qui paene perit, cui vix in Cyclada mitti contigit et parva tandem caruisse Seripho. consulit ictericae lento de funere matris,

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[535] Der bittet um Vergebung, wann immer eine Ehefrau an den heiligen Tagen, die beachtet werden müssen, nicht auf den Beischlaf verzichtet und für die Entweihung des Bettes hart bestraft werden müsste. Wenn es so aussieht, als hätte die silberne Schlange ihren Kopf bewegt, dann sorgen seine Tränen und das einstudierte Gemurmel dafür, [540] dass Osiris ihr die Vergebung für ihre Schuld nicht versagt – natürlich nur, wenn er mit einer großen Gans und einem feinen Opferkuchen bestochen worden ist. Wenn jener das Feld geräumt hat, lässt eine zittrige Jüdin ihren Korb mit dem Heu stehen und bettelt ihr Geheimnisse ins Ohr – eine Deuterin der Gesetze Jerusalems und eine großartige Priesterin [545] des Baumes und dazu eine zuverlässige Botschafterin des höchsten Himmels. Auch sie hält die Hand auf, aber maßvoller: Für ein paar Münzen verkaufen die Juden dir jede gewünschte Traumdeutung. Einen jugendlichen Liebhaber oder das riesige Erbe eines kinderlosen Reichen verheißt dir nach Untersuchung der Lunge einer noch warmen Taube [550] ein armenischer Eingeweideschauer oder einer aus Commagene. Die Brust eines Hähnchens wird er zerlegen, die Eingeweide eines Hündchens und manchmal auch die eines Knaben. Er wird Taten begehen, die er dann selbst anzeigen kann. Dagegen wird man den Chaldaeern mehr vertrauen. Sie werden glauben, dass alles, was ein Astrologe sagt, direkt von der Quelle [555] des Ammon berichtet wird, weil das Orakel von Delphi ja untätig ist und Unwissenheit über die Zukunft das Menschengeschlecht ins Unheil stürzt. Etwas Besonderes ist jedoch derjenige unter ihnen, der schon öfter im Exil war. [Durch die Freundschaft zu ihm und ein käufliches Horoskop kam ein großer Bürger, vor dem Otho Angst hatte, zu Tode.] [560] Dann vertraut man seiner Kunst, wenn seine rechte Hand Ketten rasseln ließ [und ebenso seine linke und wenn er lange im Kerker des Militärgefängnisses saß]. Kein Sterndeuter, der nie verurteilt wurde, wird als begabt gelten, sondern nur derjenige, der fast zu Tode kam und dem es gerade noch gelang, auf eine Kykladeninsel verbannt zu werden und schließlich wieder von dem kleinen Seriphos wegzukommen. [565] Deine »Tanaquil« hat sich über das

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ante tamen de te Tanaquil tua, quando sororem efferat et patruos, an sit victurus adulter post ipsam: quid enim maius dare numina possunt? haec tamen ignorat quid sidus triste minetur Saturni, quo laeta Venus se proferat astro, quis mensis damnis, quae dentur tempora lucro: illius occursus etiam vitare memento, in cuius manibus ceu pinguia sucina tritas cernis ephemeridas, quae nullum consulit et iam consulitur, quae castra viro patriamque petente non ibit pariter numeris revocata Thrasylli. ad primum lapidem vectari cum placet, hora sumitur ex libro; si prurit frictus ocelli angulus, inspecta genesi collyria poscit; aegra licet iaceat, capiendo nulla videtur aptior hora cibo nisi quam dederit Petosiris. si mediocris erit, spatium lustrabit utrimque metarum et sortes ducet frontemque manumque praebebit vati crebrum poppysma roganti. divitibus responsa dabit Phryx augur et inde conductus, dabit astrorum mundique peritus atque aliquis senior qui publica fulgura condit: plebeium in circo positum est et in aggere fatum. quae nudis longum ostendit cervicibus aurum consulit ante falas delphinorumque columnas, an saga vendenti nubat caupone relicto. Hae tamen et partus subeunt discrimen et omnis nutricis tolerant fortuna urguente labores, sed iacet aurato vix ulla puerpera lecto.

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zähe Sterben ihrer an Gelbsucht leidenden Mutter informiert, zuvor aber auch über dich und darüber, wann sie ihre Schwester und ihre Onkel bestatten könne und ob ihr Liebhaber sie überleben werde. Was nämlich könnten die Götter Größeres gewähren? Doch sie weiß nicht, was das unheilvolle Sternbild [570] des Saturn ihr androht, in welchem Sternzeichen die glückbringende Venus erscheint, welcher Monat den Verlusten und welche Zeiten dem Gewinn bestimmt sind. Denke aber auch daran, der aus dem Weg zu gehen, in deren Händen du einen Almanach siehst, der abgegriffen ist wie fettiger Bernstein. Die befragt niemanden, sie wird sogar schon selbst [575] befragt, und wenn ihr Mann ins Kriegslager oder in die Heimat zieht, wird sie nicht zusammen mit ihm reisen, weil die Zahlen des Thrasyllus sie zurückhalten. Wenn sie den Entschluss trifft, bis zum ersten Meilenstein zu fahren, dann wählt sie die Stunde dafür gemäß ihrem Buch aus. Wenn ihr Augenwinkel juckt, weil sie daran gerieben hat, verlangt sie die Heilsalben erst nach Einsicht des Horoskops. [580] Selbst wenn sie krank im Bett liegt, erscheint ihr kein Zeitpunkt zum Essen geeigneter als der, den Petosiris angegeben hat. Falls sie von niedrigem Stand ist, wird sie den Platz auf beiden Seiten der Zielpfosten ablaufen, Lose ziehen und ihre Stirn und ihre Hand einem Wahrsager darbieten, der von ihr verlangt, dass sie immer wieder Schmatzgeräusche macht. [585] Den Reichen wird ein Vogelzeichendeuter aus Phrygien antworten, und zwar einer, der direkt von dort angeworben wurde. Antworten wird ihnen einer, der über Gestirne und das Weltall Bescheid weiß, oder ein älterer Mann, der im Auftrag des Staates die vom Blitz getroffenen Dinge begräbt. Das Schicksal der Plebejer hängt vom Zirkus ab oder von dem Wall. Eine Frau, die auf ihrem bloßen Nacken eine lange Goldkette sehen lässt, [590] informiert sich vor den hölzernen Gerüsten und den Säulen mit den Delphinen, ob sie den Gastwirt verlassen und den Mantelhändler heiraten soll. Diese Frauen nehmen jedoch auch die Gefahren des Kinderkriegens auf sich und ertragen alle Mühen des Stillens, weil ihre Lage sie dazu zwingt. Dagegen liegt in einem goldenen Bett kaum mal eine,

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tantum artes huius, tantum medicamina possunt, quae steriles facit atque homines in ventre necandos conducit. gaude, infelix, atque ipse bibendum porrige quidquid erit; nam si distendere vellet et vexare uterum pueris salientibus, esses Aethiopis fortasse pater, mox decolor heres impleret tabulas numquam tibi mane videndus. transeo suppositos et gaudia votaque saepe ad spurcos decepta lacus, saepe inde petitos pontifices, salios Scaurorum nomina falso corpore laturos. stat Fortuna inproba noctu adridens nudis infantibus: hos fovet omni involvitque sinu, domibus tunc porrigit altis secretumque sibi mimum parat; hos amat, his se ingerit utque suos semper producit alumnos. Hic magicos adfert cantus, hic Thessala vendit philtra, quibus valeat mentem vexare mariti et solea pulsare natis. quod desipis, inde est, inde animi caligo et magna oblivio rerum quas modo gessisti. tamen hoc tolerabile, si non [semper aquam portes rimosa ad dolia, semper istud onus subeas ipsis manantibus urnis, quo rabidus nostro Phalarim de rege dedisti.] et furere incipias ut avunculus ille Neronis, cui totam tremuli frontem Caesonia pulli infudit. quae non faciet quod principis uxor? ardebant cuncta et fracta conpage ruebant, non aliter quam si fecisset Iuno maritum insanum. minus ergo nocens erit Agrippinae boletus, siquidem unius praecordia pressit

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die ein Kind bekommt. [595] So viel leisten die Künste und so viel die Medikamente der Frau, die für Unfruchtbarkeit sorgt und sich für die Ermordung von Menschen im Mutterleib anwerben lässt. Sei froh, du Unglücklicher, und gib ihr selbst das, was sie trinken soll – was auch immer es sein mag. Denn wenn sie den Wunsch hätte, ihren Bauch auszudehnen und von strampelnden Knaben quälen zu lassen, dann würdest du [600] vielleicht Vater eines Schwarzen, und bald würde in deinem Testament allein dein farbiger Erbe stehen, den du am Morgen niemals sehen willst. Nicht erwähnen will ich die untergeschobenen Kinder und die Freuden und Wünsche, die oft an den verdreckten Latrinen enttäuscht wurden, und die hohen Priester, die man oft von dort holte, und die Salierpriester, deren Körper fälschlicherweise die Namen der Scaurer [605] tragen sollen. Da steht die boshafte Fortuna und lächelt in der Nacht den nackten Babys zu. Sie hegt und pflegt sie und umwickelt sie mit ihrem ganzen Gewand. Dann gibt sie sie an die hohen Häuser weiter und bereitet ihr privates albernes Theaterstück vor. Diese liebt sie, ihnen drängt sie sich auf, und sie fördert sie wie ihre eigenen Pflegekinder. [610] Einer hat magische Gesänge zu bieten, ein anderer verkauft thessalische Liebestränke, durch die es ihr ermöglicht wird, den Verstand ihres Mannes zu schädigen und ihm sogar mit der Sandale den Hintern zu verhauen. Daran liegt es, dass du spinnst, daher kommen die Umnachtung des Geistes und die gewaltige Vergesslichkeit bei Dingen, die du doch gerade erst gemacht hast. Trotzdem ist das erträglich, wenn du nicht [immer Wasser zu den rissigen Fässern trägst, immer diese Last auf dich nimmst, obwohl die Krüge nicht dicht sind, wodurch du Rasender aus unserem König einen Phalaris gemacht hast, und] [615] auch noch so zu toben beginnst wie der Onkel Neros, dem Caesonia die ganze Stirn eines noch zitternden Fohlens verabreichte. Welche Frau wird nicht tun, was die Frau des Kaisers getan hat? Alles stand in Flammen, geriet aus den Fugen und stürzte ein – so als ob Juno ihren Gatten [620] verrückt gemacht hätte. Deshalb wird man Agrippinas Pilz weniger schädlich finden, da er ja nur das Herz eines einzigen alten Mannes zum Stehen brachte

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ille senis tremulumque caput descendere iussit in caelum et longa manantia labra saliva. haec poscit ferrum atque ignes, haec potio torquet, haec lacerat mixtos equitum cum sanguine patres: tanti partus equae, tanti una venefica constat. Oderunt natos de paelice: nemo repugnet, nemo vetet, iam iam privignum occidere fas est. vos quoque, pupilli, moneo, quibus amplior est res, custodite animas et nulli credite mensae: livida materno fervent adipata veneno. mordeat ante aliquis quidquid porrexerit illa quae peperit, timidus praegustet pocula papas. fingimus haec altum satura sumente coturnum scilicet et finem egressi legemque priorum grande Sophocleo carmen bacchamur hiatu montibus ignotum Rutulis caeloque Latino. nos utinam vani! sed clamat Pontia “feci, confiteor, puerisque meis aconita paravi, quae deprensa patent; facinus tamen ipsa peregi.” tune duos una, saevissima vipera, cena? tune duos? “septem, si septem forte fuissent.” credamus tragicis quidquid de Colchide torva dicitur et Procne, nil contra conor. et illae grandia monstra suis audebant temporibus, sed non propter nummos. minor admiratio summis debetur monstris, quotiens facit ira nocentes hunc sexum et rabie iecur incendente feruntur

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und sein zittriges Haupt in den Himmel hinabsteigen ließ, wobei von seinen Lippen lange Speichelfäden tropften. Dieser Trank dagegen verlangt nach Feuer und Schwert, dieser Trank foltert, [625] dieser Trank zerfleischt die Senatoren und vermischt ihr Blut mit dem der Ritter. So teuer kommt die Menschen das Junge einer Stute zu stehen, so teuer kommt sie eine einzige Giftmischerin zu stehen. Die Kinder, die von einer Geliebten des Mannes stammen, hassen sie. Niemand wird dagegen ankämpfen, niemand wird es verbieten, und jetzt ist es bereits zulässig, den Stiefsohn zu ermorden. Auch euch, ihr vaterlosen Kinder mit einem eher großen Vermögen, warne ich: [630] Achtet auf euer Leben und vertraut keiner Speise. Schmalzküchlein, die euch blau anlaufen lassen, brodeln vom Gift eurer Mutter. Alles, was die, die euch geboren hat, euch gibt, sollte jemand vorkosten: Euer ängstlicher Erzieher sollte vorher von dem Becher probieren. Klar, ich erfinde das nur, und meine Satire zieht den hohen Tragödienstiefel an: [635] Ich überschreite die Grenzen und Regeln meiner Vorgänger und tobe mich in einem großen Gedicht aus, das aus dem Rachen eines Sophokles stammen könnte und wie es die rutulischen Berge und der latinische Himmel nicht kennen. Ach, wäre ich doch nur ein leerer Schwätzer! Aber Pontia ruft: »Ich hab’s getan, ich bekenne es, ich habe meinen Jungs das Gift gemischt. [640] Das hat man herausgefunden, und es liegt offen zu Tage: ein Verbrechen, doch ich habe es selbst begangen.« – Du hast zwei Kinder mit nur einem Mahl umgebracht, du überaus grausame Schlange? Zwei hast du ...? – »Auch sieben, wenn es zufällig sieben gewesen wären!« Wir wollen also den Tragödiendichtern alles glauben, was man über die grausige Frau aus Kolchis sagt und über Prokne – ich versuche nicht, etwas dagegen vorzubringen. Auch sie [645] wagten zu ihrer Zeit gewaltige Untaten, aber nicht wegen des Geldes. Dann muss man sich über ihre schlimmsten Untaten weniger wundern, wenn der Zorn dieses Geschlecht schuldig werden lässt und sie, weil Raserei ihre Leber befällt, sich davon so mitreißen lassen wie von ei-

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praecipites, ut saxa iugis abrupta, quibus mons subtrahitur clivoque latus pendente recedit: illam ego non tulerim, quae conputat et scelus ingens sana facit. spectant subeuntem fata mariti Alcestim et, similis si permutatio detur, morte viri cupiant animam servare catellae. occurrent multae tibi Belides atque Eriphylae mane, Clytemestram nullus non vicus habebit. hoc tantum refert, quod Tyndaris illa bipennem insulsam et fatuam dextra laevaque tenebat: at nunc res agitur tenui pulmone rubetae, sed tamen et ferro, si praegustarit Atrides Pontica ter victi cautus medicamina regis.

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nem Gebirgszug abgebrochene Felsen, wenn das Bergmassiv darunter [650] hohl wird, sich eine Seite des Berges zurückbewegt und ein steiler Abhang entsteht. Ich kann die nicht ertragen, die nachrechnet und ein ungeheures Verbrechen mit klarem Kopf begeht. Die schauen sich an, wie Alkestis für ihren Mann den Tod auf sich nimmt, und würden – für den Fall, dass ihnen ein ähnlicher Tausch angeboten würde – gerne durch den Tod ihres Mannes das Leben ihres Hündchens retten. [655] Viele Enkelinnen des Belus und viele Frauen wie Eriphyla werden dir am Morgen begegnen, und in keiner Gasse wird es keine Klytaimnestra geben. Der einzige Unterschied besteht darin, dass die Tochter des Tyndareus in ihrer rechten und ihrer linken Hand eine fade und lachhafte Doppelaxt hielt. Dagegen erledigt man das heutzutage mit der feinen Lunge einer Kröte [660] – aber trotzdem auch mit dem Stahl, falls der Sohn des Atreus auf der Hut war und vorher das pontische Gift des dreimal besiegten Königs zu sich genommen hat.

LIBER TERTIUS Satura VII Et spes et ratio studiorum in Caesare tantum; solus enim tristes hac tempestate Camenas respexit, cum iam celebres notique poetae balneolum Gabiis, Romae conducere furnos temptarent, nec foedum alii nec turpe putarent praecones fieri, cum desertis Aganippes vallibus esuriens migraret in atria Clio. nam si Pieria quadrans tibi nullus in umbra ostendatur, ames nomen victumque Machaerae et vendas potius commissa quod auctio vendit stantibus, oenophorum, tripedes, armaria, cistas, Alcithoen Pacci, Thebas et Terea Fausti. hoc satius quam si dicas sub iudice “vidi” quod non vidisti. faciant equites Asiani, [quamquam et Cappadoces faciant equitesque Bithyni] altera quos nudo traducit gallica talo. nemo tamen studiis indignum ferre laborem cogetur posthac, nectit quicumque canoris eloquium vocale modis laurumque momordit. hoc agite, o iuvenes! circumspicit et stimulat vos materiamque sibi ducis indulgentia quaerit. Si qua aliunde putas rerum expectanda tuarum praesidia atque ideo croceae membrana tabellae impletur, lignorum aliquid posce ocius et quae componis dona Veneris, Telesine, marito aut clude et positos tinea pertunde libellos. frange, miser, calamum vigilataque proelia dele,

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Drittes Buch Siebte Satire Alle Hoffnung und jedweder Anlass zur literarischen Betätigung liegen beim Kaiser. Er allein nämlich hat den niedergeschlagenen Musen Beachtung geschenkt – in dieser Zeit, da hochberühmte Dichter sich bereits darum bemühten, in Gabii eine Badeanstalt und in Rom eine Bäckerei zu pachten. [5] Andere empfanden es als nicht allzu unanständig, zu einem Auktionator zu werden, zumal auch Klio, von Hunger geplagt, die Täler der Aganippe verlassen hat und in die Versteigerungslokale gezogen ist. Denn wenn sich dir im Schatten des Musenhaines keine einzige Münze zeigt, dann solltest du den Namen und den Lebensunterhalt des Machaera zu schätzen wissen [10] und lieber das verkaufen, was die »Auktionsschlacht« den Umstehenden verkauft: einen Weinkrug, Dreifüße, Bücherregale, Kisten, die »Alcithoe« von Paccius sowie »Theben« und »Tereus« von Faustus. Das ist doch besser, als vor dem Richter zu sagen: »Ich habe es gesehen« (was du nicht gesehen hast). Das sollen die Ritter aus Asien machen, [15] [obwohl das auch die Ritter aus Kappadokien und Bithynien machen,] die einer ihrer Schuhe durch das Zeigen des nackten Knöchels bloßstellt. Doch dazu, eine zur literarischen Tätigkeit unpassende Arbeit zu ertragen, wird sich von nun an niemand mehr gezwungen sehen, der den Klang der Sprache mit wohltönenden Melodien verknüpft und auf Lorbeer herumgekaut hat. [20] Also los, ihr Jünglinge! Unser gütiger Herrscher hält nach euch Ausschau, spornt euch an und ist auf der Suche nach einem geeigneten Inhalt. Falls du meinst, von woanders Unterstützung für deine Lage erwarten zu dürfen, und deshalb eine gelbliche Pergamentseite voll werden lässt, dann verlange lieber schnell nach etwas Brennholz und schenke das, was [25] du verfasst, dem Gatten der Venus, Telesinus, oder sperr deine Büchlein weg, lager sie ein und lass sie von Bücherwürmern durchbohren! Zerbrich den Stift, vernichte die in durchwachten Nächten entstandenen Schlachten – du armseliger Kerl, in

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qui facis in parva sublimia carmina cella, ut dignus venias hederis et imagine macra. spes nulla ulterior: didicit iam dives avarus tantum admirari, tantum laudare disertos, ut pueri Iunonis avem. sed defluit aetas et pelagi patiens et cassidis atque ligonis. taedia tunc subeunt animos, tunc seque suamque Terpsichoren odit facunda et nuda senectus. Accipe nunc artes: ne quid tibi conferat iste quem colis et Musarum et Apollinis aede relicta, ipse facit versus atque uni cedit Homero propter mille annos, et si dulcedine famae succensus recites, maculosas commodat aedes. haec longe ferrata domus servire iubetur in qua sollicitas imitatur ianua portas. scit dare libertos extrema in parte sedentis ordinis et magnas comitum disponere voces: nemo dabit regum quanti subsellia constant et quae conducto pendent anabathra tigillo quaeque reportandis posita est orchestra cathedris. nos tamen hoc agimus tenuique in pulvere sulcos ducimus et litus sterili versamus aratro. nam si discedas, laqueo tenet ambitiosum [consuetudo mali, tenet insanabile multos] scribendi cacoethes et aegro in corde senescit. sed vatem egregium, cui non sit publica vena, qui nihil expositum soleat deducere nec qui communi feriat carmen triviale moneta, hunc, qualem nequeo monstrare et sentio tantum, anxietate carens animus facit, omnis acerbi

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deiner kleinen Kammer erschaffst du erhabene Gedichte, um dir einen Efeukranz und eine dürre Büste zu verdienen! [30] Mehr kannst du nicht erhoffen. Der reiche Geizhals hat schon längst gelernt, die wortgewandten Männer nur zu bewundern und sie nur zu loben – so wie die Kinder den Vogel der Juno. Doch das Alter, in dem man das Meer, den Helm und die Hacke ertragen kann, geht vorbei. Dann befällt Frustration den Geist, dann [35] ist der sprachgewandte Mann verarmt und alt, und er hasst sich selbst und seine Terpsichore. Hör dir nun ihre Tricks an: Um dir nichts geben zu müssen schreibt der, dem du deine Aufmerksamkeit schenkst – wofür du den Tempel der Musen und des Apoll verlassen hast –, selbst Verse und erkennt allein den Vorrang Homers an (und das nur wegen der tausend Jahre). Und falls du, von dem Bedürfnis nach Ruhm [40] entflammt, etwas vortragen willst, dann stellt er dir ein verdrecktes Gebäude zur Verfügung. Dieses lange Zeit mit einem Eisenriegel verschlossene Haus, dessen Tür wie die Tore einer Stadt wirkt, bei denen man voller Spannung Wache hält, wird angewiesen, dir zu dienen. Es weiß, wie man Freigelassene bereitstellt, die ganz außen an den Sitzreihen Platz nehmen, und wie man die lauten Stimmen der Klienten verteilt. [45] Aber keiner von den »Königen« wird dir bezahlen, was die Sitzreihen kosten; er wird dir auch keine Sitztribüne bezahlen, die an gemieteten Balken hängt, und keine als Ehrenplätze aufgestellten Sessel, die man später wieder zurückbringen muss. Dennoch machen wir das: Wir ziehen im feinen Sand Furchen und graben mit dem Pflug den unfruchtbaren Strand um. [50] Denn solltest du dich von all dem lösen wollen, dann hält dich, weil du so ehrgeizig bist, die bösartige Krankheit des Schreibens mit einer Schlinge fest [– das macht die Gewohnheit an das Übel: diese unheilbare Krankheit hält viele fest –] und wird in deinem leidenden Herzen chronisch. Doch ein hervorragender Dichter, der keine Ader für das Öffentliche hat, der nichts Gewöhnliches auszuarbeiten pflegt und der [55] keine banalen Gedichte mit der üblichen Prägung produziert – ein solcher Dichter, wie ich ihn euch nicht zeigen kann und ihn mir nur vorstelle, entsteht durch einen Geist, der von Sorgen frei ist, der

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inpatiens, cupidus silvarum aptusque bibendis fontibus Aonidum. neque enim cantare sub antro Pierio thyrsumque potest contingere maesta paupertas atque aeris inops, quo nocte dieque corpus eget: satur est cum dicit Horatius “euhoe.” quis locus ingenio, nisi cum se carmine solo vexant et dominis Cirrhae Nysaeque feruntur pectora vestra duas non admittentia curas? magnae mentis opus nec de lodice paranda attonitae currus et equos faciesque deorum aspicere et qualis Rutulum confundat Erinys. nam si Vergilio puer et tolerabile desset hospitium, caderent omnes a crinibus hydri, surda nihil gemeret grave bucina. poscimus ut sit non minor antiquo Rubrenus Lappa coturno, cuius et alveolos et laenam pignerat Atreus? non habet infelix Numitor quod mittat amico, Quintillae quod donet habet, nec defuit illi unde emeret multa pascendum carne leonem iam domitum: constat leviori belua sumptu nimirum et capiunt plus intestina poetae. contentus fama iaceat Lucanus in hortis marmoreis, at Serrano tenuique Saleio gloria quantalibet quid erit, si gloria tantum est? curritur ad vocem iucundam et carmen amicae Thebaidos, laetam cum fecit Statius urbem promisitque diem: tanta dulcedine captos adficit ille animos, tantaque libidine volgi auditur. sed cum fregit subsellia versu,

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nichts Unangenehmes ertragen muss, der es sich wünscht, in den Wäldern zu sein, und dafür geschaffen ist, aus den Quellen der Aoniden zu trinken. Denn [60] die betrübliche Armut, der das Geld fehlt, das der Körper Tag und Nacht benötigt, kann nicht in der Pieridengrotte singen und den Thyrsusstab berühren. Horaz ist satt, wenn er »Euhoe!« ruft. Welcher Raum bleibt für das Talent, außer wenn sich [65] euer Herz, das sich ja nicht gleichzeitig mit zwei Sorgen abgeben kann, nur mit der Dichtung abplagt und sich nur von den Herrschern über Kirrha und Nysa mitreißen lässt? Es ist die Leistung eines großen Geistes (der eben nicht davon betroffen ist, dass er eine Bettdecke beschaffen muss), Streitwagen und Pferde und das Antlitz der Götter vor sich zu sehen und welche Erinye den Rutuler durcheinanderbringt. Denn wenn Vergil seinen Sklaven nicht hätte und keine erträgliche [70] Unterkunft, dann würden alle Schlangen aus den Haaren fallen, und die Kriegstrompete würde verstummen und nicht mehr ihr erhabenes Klagen ertönen lassen. Fordern wir da, dass ein Rubrenus Lappa, dessen »Atreus« seine Teller und seinen Mantel verpfändet, genauso viel wert ist wie die alten Tragödiendichter? Nichts hat Numitor – der Arme! –, was er einem Freund zukommen lassen könnte. [75] Er hat aber das, was er seiner Quintilla schenkt, und es fehlt ihm auch nicht das Geld, sich einen Löwen zu kaufen, den er mit viel Fleisch füttern muss – und zwar einen, der bereits zahm ist. Na klar! Ein Tier verursacht geringere Kosten, und der Magen eines Dichters nimmt mehr auf. Ein Lucan kann sich zufrieden mit seinem Ruhm in seinem Marmorpark ausruhen, [80] doch was wird ein auch noch so großer Ruhm für Serranus und den mittellosen Saleius bedeuten, wenn sie nichts weiter als Ruhm besitzen? Man kommt zusammen, um seine angenehme Stimme zu hören und seine Dichtung von der »Thebais«, seiner Geliebten, wenn Statius die Stadt glücklich gemacht und ihr einen Termin in Aussicht gestellt hat: Er erobert [85] die Herzen des Volkes und betört sie mit so großem Zauber, mit so großer Begierde hört man ihm zu. Aber nachdem er mit seinen Versen dafür gesorgt hat, dass die Sitzbänke

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esurit, intactam Paridi nisi vendit Agaven. ille et militiae multis largitus honorem semenstri vatum digitos circumligat auro. quod non dant proceres, dabit histrio. tu Camerinos et Baream, tu nobilium magna atria curas? praefectos Pelopea facit, Philomela tribunos. [haut tamen invideas vati quem pulpita pascunt.] quis tibi Maecenas, quis nunc erit aut Proculeius aut Fabius, quis Cotta iterum, quis Lentulus alter? tum par ingenio pretium, tunc utile multis pallere et vinum toto nescire Decembri. Vester porro labor fecundior, historiarum scriptores? perit hic plus temporis atque olei plus. nullo quippe modo millensima pagina surgit omnibus et crescit multa damnosa papyro: sic ingens rerum numerus iubet atque operum lex. quae tamen inde seges, terrae quis fructus apertae? quis dabit historico quantum daret acta legenti? “Sed genus ignavum, quod lecto gaudet et umbra.” dic igitur quid causidicis civilia praestent officia et magno comites in fasce libelli. ipsi magna sonant, sed tum cum creditor audit praecipue, vel si tetigit latus acrior illo qui venit ad dubium grandi cum codice nomen. tunc inmensa cavi spirant mendacia folles conspuiturque sinus. veram deprendere messem si libet, hinc centum patrimonia causidicorum, parte alia solum russati pone Lacertae.

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zu Bruch gehen, leidet er Hunger, falls er nicht seine noch unberührte »Agave« an Paris verhökert. Der hat schon vielen einen militärischen Rang verliehen und steckt auch den Dichtern das Gold für den sechsmonatigen Dienst an den Finger. [90] Was die vornehmen Herren nicht geben, das wird ein Schauspieler geben. Da bringst du noch den Camerini und dem Barea deine Verehrung entgegen und den großen Eingangshallen der Adligen? Eine »Pelopea« ernennt Leute zu Präfekten, eine »Philomela« zu Tribunen. [Trotzdem solltest du einen Dichter nicht verachten, den die Bühne ernährt.] Wer wird für dich nun ein Maecenas sein, wer ein Proculeius [95] oder ein Fabius, wer noch einmal ein Cotta, wer ein zweiter Lentulus? Damals entsprach die Entlohnung noch der Begabung, damals nützte es vielen, blass zu sein, und den ganzen Dezember auf Wein zu verzichten. Doch ist eure Mühe ertragreicher, ihr Geschichtsschreiber? Noch mehr Zeit wird hier verschwendet und noch mehr Lampenöl. [100] Wenn man halt gar keine Grenze kennt, dann erhebt sich bei allen schon die tausendste Seite, wächst weiter an und ruiniert sie durch den hohen Papyrusverbrauch. So verlangt es die riesige Zahl der Ereignisse und das Gesetz dieser Werke. Doch was entspringt aus dieser Saat, welche Frucht trägt die aufgepflügte Erde? Wer wird einem Historiker das geben, was er dem gäbe, der ihm die Zeitung vorliest? [105] »Aber die sind doch ein faules Pack, das Spaß daran hat, im Bett zu liegen oder im Schatten.« – Dann sag mir doch mal, was den Anwälten ihre öffentlichen Aufgaben einbringen und die großen Aktenbündel, die sie begleiten? Sie selbst tönen von großen Beträgen, aber vor allem dann, wenn ihr Gläubiger zuhört oder auch wenn einer, der noch heftiger vorgeht als jener, ihnen in die Seite gestoßen hat [110] – einer, der mit seinem großen Rechnungsbuch kommt, um sich um einen zweifelhaften Kreditnehmer zu kümmern. Dann pusten diese hohlen Blasebälge maßlose Lügen heraus, und man spuckt sich die Brust voll. Wenn du den wahren Ernteertrag feststellen willst, dann lege hierher das Vermögen von hundert Anwälten und auf die andere Seite nur das des Lacerta vom Team der »Roten«.

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consedere duces, surgis tu pallidus Aiax dicturus dubia pro libertate bubulco iudice. rumpe, miser, tensum iecur, ut tibi lasso figantur virides, scalarum gloria, palmae. quod vocis pretium? siccus petasunculus et vas pelamydum aut veteres, Maurorum epimenia, bulbi aut vinum Tiberi devectum, quinque lagonae. si quater egisti, si contigit aureus unus, inde cadunt partes ex foedere pragmaticorum. “Aemilio dabitur quantum licet, et melius nos egimus.” huius enim stat currus aeneus, alti quadriiuges in vestibulis, atque ipse feroci bellatore sedens curvatum hastile minatur eminus et statua meditatur proelia lusca. sic Pedo conturbat, Matho deficit, exitus hic est Tongilii, magno cum rhinocerote lavari qui solet et vexat lutulenta balnea turba perque forum iuvenes longo premit assere Maedos empturus pueros, argentum, murrina, villas; spondet enim Tyrio stlattaria purpura filo. et tamen est illis hoc utile: purpura vendit causidicum, vendunt amethystina. convenit illi et strepitu et facie maioris vivere census, sed finem inpensae non servat prodiga Roma. fidimus eloquio? Ciceroni nemo ducentos nunc dederit nummos, nisi fulserit anulus ingens. respicit haec primum qui litigat, an tibi servi

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[115] Die Anführer haben Platz genommen. Du – ein bleicher Ajax – erhebst dich, um vor einem Richter, der sonst Rinder hütet, für die bedrohte Freiheit zu sprechen. Lass also, du armer Kerl, deine Leber anschwellen, bis sie platzt, damit man bei dir, wenn du erschöpft bist, grüne Palmenzweige anbringt – welch ein Ruhm für deine Treppe! Was ist also der Lohn für den Einsatz deiner Stimme? Ein winziger, trockener Schinken, ein Topf [120] kleine Thunfische oder alte Zwiebeln (wovon sich die Mauren einen Monat lang ernähren) oder Wein, den man auf dem Tiber herabgebracht hat: fünf Flaschen. Wenn du im Prozess viermal plädiert hast und wenn man dir ein einziges Goldstück gegeben hat, dann geht davon noch der vertraglich vereinbarte Anteil an deine Berater ab. »Einem Aemilius wird man den zulässigen Höchstsatz zahlen, und dabei habe ich besser [125] plädiert!« – In seiner Eingangshalle steht allerdings auch ein Triumphwagen aus Bronze, ein erhabenes Viergespann. Und der Herr selbst sitzt auf einem wilden Streitross, holt aus und droht mit der Lanze, und im Geiste bereitet er sich mit dem Standbild, das nur ein Auge hat, auf Schlachten vor. Deshalb geht Pedo bankrott, Matho wird zahlungsunfähig, und das ist das Ende [130] des Tongilius, der mit einer großen Nashornflasche ins Bad zu gehen pflegt und die Bäder mit seinem verdreckten Gefolge heimsucht. Beim Gang übers Forum lässt er die langen Sänftenholme schwer auf seinen jungen Maedersklaven lasten, wenn er Sklavenjungen, Silber, Gefäße aus Flussspat oder Landhäuser kaufen will. Für ihn bürgt nämlich ein geschmuggeltes Purpurgewand aus tyrischem Stoff. [135] Doch es bringt ihnen auch einen Nutzen: Das Purpurgewand preist den Anwalt an, die amethystfarbenen Kleider preisen ihn an. Und es ist für ihn von Vorteil, unter viel Getöse und mit dem Anschein eines größeren Vermögens zu leben. Allerdings kennt das verschwenderische Rom beim Geldausgeben keine Grenze. Vertrauen wir also auf die Redekunst? Heutzutage würde wohl niemand einem Cicero auch nur zweihundert [140] Sesterze geben, wenn nicht an seiner Hand ein gewaltiger Ring funkelte. Wer einen Prozess führt, der achtet zunächst darauf, ob du acht Sklaven und zehn Begleiter hast, ob dir eine Sänfte folgt

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octo, decem comites, an post te sella, togati ante pedes. ideo conducta Paulus agebat sardonyche, atque ideo pluris quam Gallus agebat, quam Basilus: rara in tenui facundia panno. quando licet Basilo flentem producere matrem? quis bene dicentem Basilum ferat? accipiat te Gallia vel potius nutricula causidicorum Africa, si placuit mercedem ponere linguae. Declamare doces? o ferrea pectora Vetti, cum perimit saevos classis numerosa tyrannos. nam quaecumque sedens modo legerat, haec eadem stans perferet atque eadem cantabit versibus isdem: occidit miseros crambe repetita magistros. quis color et quod sit causae genus atque ubi summa quaestio, quae veniant diversa parte sagittae, nosse volunt omnes, mercedem solvere nemo. “mercedem appellas? quid enim scio?” “culpa docentis scilicet arguitur, quod laevae parte mamillae nil salit Arcadico iuveni, cuius mihi sexta quaque die miserum dirus caput Hannibal inplet, quidquid id est de quo deliberat, an petat urbem a Cannis, an post nimbos et fulmina cautus circumagat madidas a tempestate cohortes. quantum vis stipulare, et protinus accipe: quid do, ut totiens illum pater audiat?” haec alii sex vel plures uno conclamant ore sophistae et veras agitant lites raptore relicto; fusa venena silent, malus ingratusque maritus et quae iam veteres sanant mortaria caecos. ergo sibi dabit ipse rudem, si nostra movebunt

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und Männer in der Toga vorausgehen. Deshalb pflegte Paulus mit einem gemieteten Sardonyxring zu plädieren, und deshalb waren seine Plädoyers teurer als die des Gallus [145] oder des Basilus. Nur selten gibt es Beredsamkeit in ärmlichen Lumpen. Wann hat Basilus die Möglichkeit, eine weinende Mutter vorzuführen? Wer würde sich mit Basilus abgeben, auch wenn er ein guter Redner ist? Gallien soll dich aufnehmen oder eher Afrika, das die Anwälte ernährt, falls du dir vorgenommen hast, den Lohn für deine Sprachkunst selbst zu bestimmen. [150] Du bist ein Redelehrer? O, Vettius muss ein Herz aus Eisen haben, wenn die zahlreichen Schüler in seiner Klasse die »Grausamen Tyrannen« aus dem Weg räumen. Denn alles, was sie gerade, auf ihren Plätzen sitzend, gelesen hatten, eben dasselbe werden sie im Stehen vortragen und dasselbe auch noch in wieder denselben Zeilen herunterleiern. Dieser wiederaufgewärmte Kohl bringt die armen Lehrer um. [155] Was es für eine Argumentation in einem Prozess gibt, um was für eine Art von Prozess es sich handelt, wie die Hauptstreitfrage lautet und welche Geschosse von der anderen Seite kommen können – das wollen alle wissen, ein Honorar zahlen will jedoch niemand. »Du forderst ein Honorar? Was habe ich denn gelernt?« – »Natürlich wird es dem Lehrer zur Last gelegt, dass in der linken Seite der Brust [160] nichts schlägt bei diesem jungen Arkadier, dessen grausiger Hannibal mir alle fünf Tage meinen armen Kopf anfüllt mit all dem, worüber er nachdenkt: ob er nach Cannae auch die Hauptstadt angreifen soll oder ob er nach all dem Regen und den Blitzen vorsichtig sein soll und seine vom Sturm durchnässten Kohorten umkehren lässt. [165] Fordere alles, was du willst, und du sollst es sofort erhalten! Was gäbe ich nicht dafür, dass sein Vater ihm genauso oft zuhören muss!« Das rufen noch sechs weitere Redelehrer oder auch mehr wie aus einem Munde, lassen den »Vergewaltiger« hinter sich und führen echte Prozesse. Man hört nichts mehr davon, wie Gift eingegossen wird, nichts von dem bösen und undankbaren Ehemann [170] und von den Mörsern, welche die schon lange Erblindeten heilen. Also wird er, falls unsere Ratschläge einen Effekt haben, sich selbst das Holzschwert geben und einen

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consilia, et vitae diversum iter ingredietur, ad pugnam qui rhetorica descendit ab umbra, summula ne pereat qua vilis tessera venit frumenti: quippe haec merces lautissima. tempta Chrysogonus quanti doceat vel Pollio quanti lautorum pueros, artem scindes Theodori. balnea sescentis et pluris porticus in qua gestetur dominus quotiens pluit: anne serenum expectet spargatque luto iumenta recenti? hic potius, namque hic mundae nitet ungula mulae. parte alia longis Numidarum fulta columnis surgat et algentem rapiat cenatio solem. quanticumque domus, veniet qui fercula docte conponit, veniet qui pulmentaria condit. hos inter sumptus sestertia Quintiliano, ut multum, duo sufficient: res nulla minoris constabit patri quam filius. “unde igitur tot Quintilianus habet saltus?” exempla novorum fatorum transi! felix et pulcher et acer, felix et sapiens et nobilis et generosus (adpositam nigrae lunam subtexit alutae), felix orator quoque maximus et iaculator, etsi perfrixit, cantat bene. distat enim quae sidera te excipiant modo primos incipientem edere vagitus et adhuc a matre rubentem. si Fortuna volet, fies de rhetore consul, si volet haec eadem, fiet de consule rhetor. Ventidius quid enim? quid Tullius? anne aliud quam sidus et occulti miranda potentia fati? servis regna dabunt, captivis fata triumphum.

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anderen Lebensweg einschlagen. Nun begibt er sich von den schattigen Orten der Rhetoren zur Schlacht hinab, damit ihm der kleine Betrag nicht entgeht, für den man eine billige Getreidemarke kaufen kann; [175] denn das ist ja schon das feinste Honorar. Finde doch mal heraus, für welche Bezahlung Chrysogonus und Pollio die Kinder der feinen Leute unterrichten, und du wirst das Lehrbuch des Theodorus zerreißen. Die Bäder kosten 600.000, und noch mehr kostet der Säulengang, in dem sich der Besitzer umherfahren lassen kann, wenn es regnet. Oder soll er etwa auf gutes Wetter [180] warten und dann seine Zugtiere mit dem frischen Schlamm bespritzen lassen? Dann lieber hier, denn hier bleibt das Maultier sauber, und seine Hufe erstrahlen. Auf der anderen Seite soll sich ein von hohen Säulen aus numidischem Marmor gestützter Speisesaal erheben und die Wintersonne erhaschen. Was auch immer das Haus kostet, es wird auch einer kommen, der die Gänge des Menüs geschickt [185] anrichtet, und es wird einer kommen, der die Speisen abschmeckt. Neben diesen Ausgaben werden für einen Quintilian 2000 Sesterze reichen – und das ist das Maximum! Nichts wird den Vater weniger kosten als sein Sohn. »Woher hat Quintilian dann so viel Weideland?« – Lass doch dieses Beispiel für ein außergewöhnliches [190] Schicksal beiseite! Dieser Glückliche ist auch noch schön und energisch, der Glückliche ist auch weise und vornehm und wohlgeboren (den Mond bringt er an seinem schwarzen Schuhleder an und bindet ihn dort fest), der Glückliche ist auch der größte Redner und Speerwerfer, und auch mit einer Erkältung singt er schön. Es macht nämlich einen Unterschied, welche [195] Sternbilder dich in Empfang nehmen, wenn du gerade anfängst, deine ersten Schreie auszustoßen, und noch von deiner Mutter rot bist. Falls Fortuna das wünscht, wirst du vom Rhetor zum Konsul werden, und wenn sie ebendies wünscht, wird aus dem Konsul ein Rhetor werden. Wie war das denn mit Ventidius, wie mit Tullius? War das etwas anderes als [200] ein Sternbild und die wundersame Macht eines unverständlichen Schicksals? Den Sklaven wird das Schicksal Königreiche schenken und den Kriegsgefangenen einen

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felix ille tamen corvo quoque rarior albo: paenituit multos vanae sterilisque cathedrae, sicut Tharsimachi probat exitus atque Secundi Carrinatis; et hunc inopem vidistis, Athenae, nil praeter gelidas ausae conferre cicutas. di maiorum umbris tenuem et sine pondere terram spirantisque crocos et in urna perpetuum ver, qui praeceptorem sancti voluere parentis esse loco! metuens virgae iam grandis Achilles cantabat patriis in montibus et cui non tunc eliceret risum citharoedi cauda magistri; sed Rufum atque alios caedit sua quemque iuventus, Rufum, quem totiens Ciceronem Allobroga dixit. Quis gremio Celadi doctique Palaemonis adfert quantum grammaticus meruit labor? et tamen ex hoc, quodcumque est (minus est autem quam rhetoris aera), discipuli custos praemordet acoenonoetus, et qui dispensat frangit sibi. cede, Palaemon, et patere inde aliquid decrescere, non aliter quam institor hibernae tegetis niveique cadurci, dummodo non pereat mediae quod noctis ab hora sedisti, qua nemo faber, qua nemo sederet qui docet obliquo lanam deducere ferro, dummodo non pereat totidem olfecisse lucernas quot stabant pueri, cum totus decolor esset Flaccus et haereret nigro fuligo Maroni. rara tamen merces quae cognitione tribuni non egeat. sed vos saevas inponite leges, ut praeceptori verborum regula constet, ut legat historias, auctores noverit omnes

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Triumph. Doch jener Glückliche ist sogar noch seltener als ein weißer Rabe. Viele bereuten ihre vergebliche und ertraglose Lehrtätigkeit, wie es zum Beispiel das Ende des Tharsimachus beweist und das des Secundus [205] Carrinas. Auch Letzteren sahst du, Athen, in seiner Not und konntest dich nicht dazu durchringen, ihm etwas anderes anzubieten als den eisigen Schierlingsbecher. Mögen die Götter geben, dass die Erde den Schatten unserer Vorfahren leicht und keine Last ist, dass für sie Krokusse duften und in ihrer Urne ewiger Frühling herrscht! Diese wollten, dass der Lehrer die Rolle des verehrten Vaters [210] einnahm. Voller Angst vor der Rute sang der bereits herangewachsene Achill in den Bergen der Heimat, und ihn hätte damals der Schweif seines zur Leier singenden Lehrers nicht zum Lachen gebracht. Den Rufus und andere verprügelt dagegen jeweils die eigene Schülerschaft – den Rufus, den sie so oft »AllobrogerCicero« nannten. [215] Wer gibt dem Geldbeutel des Celadus oder des gelehrten Palaemon das, was ein Grammaticus für seine Bemühungen verdient? Und davon, wie wenig es auch sein mag (aber es ist weniger als die Einkünfte eines Rhetors), zwackt sich trotzdem auch noch der Aufpasser des Schülers etwas ab (der denkt nie an andere), und auch der Verwalter des Geldes nimmt sich etwas. Akzeptiere das, Palaemon, [220] und ertrage, dass davon noch etwas abgeht, nicht anders als ein Händler, der um Winterdecken feilscht und um weiße Tücher. Es soll nur nicht ganz umsonst gewesen sein, dass du seit der Mitternachtsstunde dagesessen hast, zu der kein Handwerker dasitzen würde und keiner, der andere anweist, wie man mit dem gebogenen Eisen die Wolle krempelt. [225] Und es soll nur nicht ganz umsonst gewesen sein, dass so viele Lampen gestunken haben, wie Knaben da standen, während Flaccus schon völlig verfärbt war und auch Maro schwarz war, weil der Ruß an ihm klebte. Trotzdem gibt es nur selten eine Lohnzahlung, bei der man ohne die gerichtliche Untersuchung durch einen Tribun auskommt. Aber ihr da, macht uns ruhig unmenschliche Vorschriften: [230] dass ein Lehrer die Regeln der Sprache sicher beherrsche, dass er Geschichtswerke lese, dass er alle Autoren kenne

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SATURA VII

tamquam ungues digitosque suos, ut forte rogatus, dum petit aut thermas aut Phoebi balnea, dicat nutricem Anchisae, nomen patriamque novercae Anchemoli, dicat quot Acestes vixerit annis, quot Siculi Phrygibus vini donaverit urnas. exigite ut mores teneros ceu pollice ducat, ut si quis cera voltum facit; exigite ut sit et pater ipsius coetus, ne turpia ludant, ne faciant vicibus: non est leve tot puerorum observare manus oculosque in fine trementis. “haec” inquit “cura, sed cum se verterit annus, accipe, victori populus quod postulat, aurum.”

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wie seine Nägel und Finger, dass er, wenn man ihn auf dem Weg in die Thermen oder ins Bad des Phoebus zufällig fragt, die Amme des Anchises nennen kann und den Namen sowie die Heimat der Stiefmutter [235] des Anchemolus und dass er angeben kann, wie viele Jahre Acestes gelebt und wie viele Krüge mit sizilischem Wein er den Phrygern geschenkt hat. Fordert ruhig, dass er den Charakter der Jugendlichen gewissermaßen mit seinem Daumen forme, wie wenn man mit Wachs ein Gesicht abbildet. Fordert, dass er sogar der Vater seiner Klasse sei, damit sie keine unanständigen Spiele treiben [240] und es sich nicht gegenseitig besorgen. Es ist keine Kleinigkeit, die Hände so vieler Jungen im Blick zu behalten und ihre Augen, die zittern, wenn es ihnen kommt. »Kümmere dich darum«, sagt man, »aber empfange dafür beim Jahreswechsel so viel Gold, wie es das Volk für einen Sieger fordert!«

Satura VIII Stemmata quid faciunt? quid prodest, Pontice, longo sanguine censeri, pictos ostendere vultus maiorum et stantis in curribus Aemilianos et Curios iam dimidios umerosque minorem Corvinum et Galbam auriculis nasoque carentem, quis fructus generis tabula iactare capaci censorem posse ac multa contingere virga fumosos equitum cum dictatore magistros, si coram Lepidis male vivitur? effigies quo tot bellatorum, si luditur alea pernox ante Numantinos, si dormire incipis ortu luciferi, quo signa duces et castra movebant? cur Allobrogicis et magna gaudeat ara natus in Herculeo Fabius lare, si cupidus, si vanus et Euganea quantumvis mollior agna, si tenerum attritus Catinensi pumice lumbum squalentis traducit avos emptorque veneni frangenda miseram funestat imagine gentem? tota licet veteres exornent undique cerae atria, nobilitas sola est atque unica virtus. Paulus vel Cossus vel Drusus moribus esto, hos ante effigies maiorum pone tuorum, praecedant ipsas illi te consule virgas. prima mihi debes animi bona. sanctus haberi iustitiaeque tenax factis dictisque mereris: agnosco procerem. salve, Gaetulice, seu tu Silanus: quocumque alto de sanguine rarus

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Achte Satire Was bringen Stammbäume? Welchen Nutzen hat es, Ponticus, nach einer langen Blutlinie bewertet zu werden, die gemalten Porträts deiner Vorfahren vorzuzeigen und Aemiliane, die auf Streitwagen stehen, auch bereits verstümmelte Curier, einen Corvinus ohne Schultern [5] sowie einen Galba, dem seine Öhrchen und die Nase fehlen? Was hat man davon, auf einer umfangreichen Ahnentafel mit einem Zensor angeben zu können und mit zahlreichen Verzweigungen Verbindungen herzustellen zu rußgeschwärzten Reiteroffizieren mitsamt einem Diktator, wenn man im Angesicht der Lepider ein übles Leben führt? Wozu dienen die Abbilder [10] so vieler Krieger, wenn man die ganze Nacht vor den Numantinern Würfelspiele treibt, wenn du mit dem Aufgang des Morgensterns schlafen gehst – also zu der Zeit, als diese Heerführer die Feldzeichen und ihre Soldaten zum Aufbruch bewegten? Warum darf ein Fabier, der im Haus des Herkules geboren wurde, sich über die Allobroger freuen und über den großen Altar, auch wenn er geil ist, auch wenn [15] er verblödet ist und noch weichlicher als ein euganeisches Lamm; auch wenn er seine zarten Lenden mit Bimsstein aus Catina glattreibt, so seine struppigen Vorfahren der Lächerlichkeit preisgibt und durch den Kauf von Gift seine bemitleidenswerte Sippschaft mit seinem eigenen Bildnis entehrt, das man zerschlagen müsste? Selbst wenn alte Wachsbilder auf allen Seiten das ganze Atrium schmücken, [20] liegt der Adel einzig und allein in der Tugend. Sei ein Paulus, ein Cossus oder ein Drusus in deinen Sitten! Stelle diese vor den Bildern deiner Vorfahren auf, und sie sollen den Rutenbündeln sogar vorausschreiten, wenn du Konsul bist! Als erstes verlange ich von dir gute Anlagen in deinem Geist. [25] Verdienst du es, durch deine Taten und Worte als anständig zu gelten und als jemand, der sich hartnäckig um die Gerechtigkeit bemüht? Dann erkenne ich an, dass du ein Adliger bist. Sei gegrüßt, Gaetulicus, oder auch du, Silanus! Egal, von welchem erhabenen Blut

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SATURA VIII

civis et egregius patriae contingis ovanti, exclamare libet populus quod clamat Osiri invento. quis enim generosum dixerit hunc qui indignus genere et praeclaro nomine tantum insignis? nanum cuiusdam Atlanta vocamus, Aethiopem Cycnum, pravam extortamque puellam Europen; canibus pigris scabieque vetusta levibus et siccae lambentibus ora lucernae nomen erit pardus, tigris, leo, si quid adhuc est quod fremat in terris violentius. ergo cavebis et metues ne tu sic Creticus aut Camerinus. His ego quem monui? tecum est mihi sermo, Rubelli Blande. tumes alto Drusorum stemmate, tamquam feceris ipse aliquid propter quod nobilis esses, ut te conciperet quae sanguine fulget Iuli, non quae ventoso conducta sub aggere texit. “vos humiles” inquis “volgi pars ultima nostri, quorum nemo queat patriam monstrare parentis, ast ego Cecropides.” vivas et originis huius gaudia longa feras! tamen ima plebe Quiritem facundum invenies, solet hic defendere causas nobilis indocti; veniet de plebe togata qui iuris nodos et legum aenigmata solvat; hinc petit Euphraten iuvenis domitique Batavi custodes aquilas armis industrius: at tu nil nisi Cecropides truncoque simillimus Hermae. nullo quippe alio vincis discrimine quam quod illi marmoreum caput est, tua vivit imago.

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du abstammst – wenn du, ein vortrefflicher und hervorragender Bürger, deinem jubelnden Vaterland zuteilwirst, dann möchte man ausrufen, was das Volk ruft, wenn man Osiris [30] gefunden hat. Wer nämlich könnte den als hochwohlgeboren bezeichnen, der seiner Abstammung unwürdig und nur durch seinen berühmten Namen hervorragend ist? Den Zwerg von jemandem nennen wir Atlas, einen Schwarzen nennen wir Schwan, ein verwachsenes und verkrüppeltes Mädchen Europa. Träge Hunde, die von einer langwierigen Räude [35] kahl sind und an den Öffnungen schon ausgetrockneter Öllampen lecken, werden die Namen Panther, Tiger und Löwe tragen – oder was es auf Erden noch gibt, was grausamer brüllt. Also solltest du aufpassen und darum besorgt sein, dass du nicht auf diese Weise ein Creticus oder ein Camerinus bist. Wen habe ich mit diesen Worten ermahnt? Um dich geht es mir in meiner Rede, Rubellius [40] Blandus. Aufgeblasen prahlst du mit deiner weit reichenden Abstammung von den Drusi, als ob du selbst etwas geleistet hättest, wodurch du ein Adliger bist – sodass dich also eine Frau empfing, die durch ihr julisches Blut erstrahlt, und keine, die als Tagelöhnerin unten an dem windigen Wall Webarbeit leistet. »Ihr seid die Unterschicht«, sagst du, »ihr seid der niedrigste Teil unseres Volkes, [45] von euch kann keiner die Heimat seines Vaters angeben. Ich dagegen bin ein Nachfahre des Kekrops.« – Dann lass es dir gut gehen, und mögest du die Freude über diese Abstammung lange genießen dürfen! Doch ganz unten im einfachen Volk wirst du einen redegewandten Mitbürger finden, und der verteidigt vor Gericht regelmäßig einen ungebildeten Adligen. Aus dem mit der Toga bekleideten einfachen Volk wird einer kommen, [50] der die Knoten des Rechts und die Rätsel der Gesetze lösen kann. Von dort zieht ein im Umgang mit Waffen eifriger junger Mann zum Euphrat und zu den Legionsadlern, welche die bezähmten Bataver bewachen. Du dagegen bist nichts außer einem Nachfahren des Kekrops und wirkst genauso wie eine verstümmelte Herme. Ja, dieser bist du nur durch den einen Unterschied überlegen, [55] dass sie einen Kopf aus Marmor hat, du aber eine lebendige Statue bist.

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Dic mihi, Teucrorum proles, animalia muta quis generosa putet nisi fortia? nempe volucrem sic laudamus equum, facili cui plurima palma fervet et exultat rauco victoria circo; nobilis hic, quocumque venit de gramine, cuius clara fuga ante alios et primus in aequore pulvis. sed venale pecus Coryphaei posteritas et Hirpini, si rara iugo Victoria sedit. nil ibi maiorum respectus, gratia nulla umbrarum: dominos pretiis mutare iubentur exiguis, trito et ducunt epiraedia collo segnipedes dignique molam versare nepotes. ergo ut miremur te, non tua, primum aliquid da quod possim titulis incidere praeter honores quos illis damus et dedimus, quibus omnia debes. Haec satis ad iuvenem quem nobis fama superbum tradit et inflatum plenumque Nerone propinquo; rarus enim ferme sensus communis in illa fortuna. sed te censeri laude tuorum, Pontice, noluerim sic ut nihil ipse futurae laudis agas. miserum est aliorum incumbere famae, ne conlapsa ruant subductis tecta columnis: stratus humi palmes viduas desiderat ulmos. esto bonus miles, tutor bonus, arbiter idem integer. ambiguae si quando citabere testis incertaeque rei, Phalaris licet imperet ut sis falsus et admoto dictet periuria tauro,

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Sag mir, du Nachkomme der Teukrer, wer würde Tiere, die ja nicht sprechen können, für edel halten, wenn sie nicht tüchtig sind? Dafür preisen wir doch ein dahinfliegendes Rennpferd, für das man nach einem mit Leichtigkeit errungenen Sieg im lärmenden Zirkus zahlreiche Siegesschreie ertönen lässt und jubelt. [60] Unabhängig davon, von welcher Weide es kommt, ist das Pferd vornehm, das in seinem Lauf deutlich den anderen voraus ist und als erstes den Staub auf dem Boden aufwirbelt. Doch auf dem Viehmarkt landet der Nachkomme eines Coryphaeus und eines Hirpinus, wenn auf seinem Gespann nur selten die Siegesgöttin gesessen hat. Dort nimmt man keine Rücksicht auf die Vorfahren, und es gibt keine Bevorzugung [65] aufgrund der Verstorbenen. Für einen dürftigen Preis lässt man sie ihre Besitzer wechseln, und mit abgescheuertem Hals ziehen sie Karren – diese lahmhufigen Nachfahren, die geeignet wären, eine Mühle zu drehen. Also, damit wir dich bewundern und nicht das, was du hast, biete uns zuerst etwas, das ich in deine Ehreninschriften einmeißeln kann, abgesehen von den Ehrenämtern, [70] die wir denen verleihen und verliehen haben, denen du alles verdankst. Damit sei genug über diesen jungen Mann gesagt, von dem es heißt, dass er hochmütig war und aufgeblasen und ganz erfüllt davon, dass Nero sein Verwandter war. Denn in der Regel haben in solchen Kreisen nur wenige einen Sinn für die Allgemeinheit. Doch ich würde es nur ungern sehen, dass du nach dem Ruhm deiner Familie bewertet wirst, [75] Ponticus, sodass du selbst nichts mehr leisten müsstest, was dir in Zukunft Ruhm einbringen könnte. Es ist erbärmlich, sich auf das Ansehen anderer Leute zu stützen: es soll bloß nicht das Dach zusammenbrechen und einstürzen, weil man die Säulen weggenommen hat. Wenn der Weinstock auf dem Boden liegt, sehnt er sich nach den Ulmen, die nun allein dastehen. Sei ein guter Soldat, ein guter Vormund, auch ein integrer Richter. [80] Falls du mal in einem zweifelhaften Fall mit unsicherem Ausgang als Zeuge aufgerufen wirst, dann halte an der Überzeugung fest (auch wenn Phalaris dir befiehlt zu lügen, den Stier holen lässt und dir den Meineid diktiert), dass es der schlimmste Frevel ist, das Überleben vor die

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summum crede nefas animam praeferre pudori et propter vitam vivendi perdere causas. dignus morte perit, cenet licet ostrea centum Gaurana et Cosmi toto mergatur aeno. expectata diu tandem provincia cum te rectorem accipiet, pone irae frena modumque, pone et avaritiae, miserere inopum sociorum: ossa vides rerum vacuis exucta medullis. respice quid moneant leges, quid curia mandet, praemia quanta bonos maneant, quam fulmine iusto et Capito et Tutor ruerint damnante senatu, piratae Cilicum. sed quid damnatio confert? praeconem, Chaerippe, tuis circumspice pannis, cum Pansa eripiat quidquid tibi Natta reliquit, iamque tace: furor est post omnia perdere naulum. non idem gemitus olim neque vulnus erat par damnorum sociis florentibus et modo victis. plena domus tunc omnis, et ingens stabat acervos nummorum, Spartana chlamys, conchylia Coa, et cum Parrhasii tabulis signisque Myronis Phidiacum vivebat ebur, nec non Polycliti multus ubique labor, rarae sine Mentore mensae. inde Dolabella atque †hinc† Antonius, inde sacrilegus Verres referebant navibus altis occulta spolia et plures de pace triumphos. nunc sociis iuga pauca boum, grex parvus equarum, et pater armenti capto eripietur agello, ipsi deinde Lares, si quod spectabile signum. si quis in aedicula deus unicus (haec rapientur pro summis, nam sunt haec maxima). despicias tu

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Ehrenhaftigkeit zu stellen und aus Rücksicht auf das Leben die Gründe für das Leben einzubüßen. [85] Wer den Tod verdient hat, der ist schon tot, auch wenn er hundert Austern vom Gaurus speist und in einen Kessel mit der ganzen Produktion des Cosmus eintaucht. Wenn dich die Provinz, auf die du so lange gewartet hast, endlich als ihren Lenker in Empfang nimmt, dann zügle und begrenze deinen Zorn, ebenso die Habgier und hab Erbarmen mit den verarmten Bundesgenossen. [90] Du siehst die Knochen ihres Besitzes, sie sind ausgesaugt, das Mark ist weg. Beachte, wozu die Gesetze dich mahnen, welchen Auftrag dir der Senat gibt, welch hohe Belohnungen den Anständigen winken und wie Capito und Tutor, weil der Senat sie verurteilte, durch einen gerechten Blitzschlag zu Fall kamen, diese Piraten unter den Kilikiern. Aber was bringt eine Verurteilung? [95] Schau dich nach einem Auktionator für deine Lumpen um, Chaerippus, weil Pansa dir alles raubt, was Natta dir noch gelassen hat, und sei jetzt mal still. Es wäre Wahnsinn, nach all dem auch noch das Geld für den Fährmann zu verlieren. Solche Klagen gab es früher nicht und keine derart schmerzhaften Verluste, als die Bundesgenossen gerade erst besiegt worden waren und noch im Wohlstand lebten. [100] Reich gefüllt war damals jedes Haus, und ein gewaltiger Haufen Geld türmte sich auf. Es gab Mäntel aus Sparta, Purpurgewänder aus Kos, und gemeinsam mit den Gemälden des Parrhasius und den Statuen des Myron war das Elfenbein des Phidias lebendig. Außerdem gab es überall zahlreiche Arbeiten des Polyklet, und nur wenige Tische trugen kein Werk des Mentor. [105] Von dort brachten Dolabella und Antonius und der Tempelräuber Verres in geräumigen Schiffen heimlich Beutestücke mit und feierten die meisten ihrer Triumphe über Völker, die im Frieden lebten. Nun wird man den Bundesgenossen noch ihre wenigen Ochsengespanne, ihre kleine Stutenherde und nach der Übernahme des Ackers auch den Vater des Viehs rauben, [110] dann sogar die Laren, falls es eine ansehnliche Statue gibt und falls es in dem Hausschrein überhaupt noch einen einzigen Gott gibt (das wird man anstelle richtig hoher Werte rauben, denn das ist das Wertvollste). Vielleicht verachtest du die Rhodier, die

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SATURA VIII

forsitan inbellis Rhodios unctamque Corinthon despicias merito: quid resinata iuventus cruraque totius facient tibi levia gentis? horrida vitanda est Hispania, Gallicus axis Illyricumque latus; parce et messoribus illis qui saturant urbem circo scenaeque vacantem: quanta autem inde feres tam dirae praemia culpae, cum tenuis nuper Marius discinxerit Afros? curandum in primis ne magna iniuria fiat fortibus et miseris. tollas licet omne quod usquam est auri atque argenti, scutum gladiumque relinques et iaculum et galeam: spoliatis arma supersunt. quod modo proposui, non est sententia, verum est: credite me vobis folium recitare Sibyllae. si tibi sancta cohors comitum, si nemo tribunal vendit acersecomes, si nullum in coniuge crimen nec per conventus et cuncta per oppida curvis unguibus ire parat nummos raptura Celaeno, tum licet a Pico numeres genus, altaque si te nomina delectant, omnem Titanida pugnam inter maiores ipsumque Promethea ponas. [de quocumque voles proavom tibi sumito libro.] quod si praecipitem rapit ambitio atque libido, si frangis virgas sociorum in sanguine, si te delectant hebetes lasso lictore secures, incipit ipsorum contra te stare parentum nobilitas claramque facem praeferre pudendis. omne animi vitium tanto conspectius in se crimen habet, quanto maior qui peccat habetur.

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im Krieg nichts taugen, und das parfümierte Korinth – und die magst du mit Recht verachten: Was werden dir junge Leute, die sich die Beine enthaaren, [115] und ein Stamm, in dem alle glatte Schenkel haben, anhaben können? Das garstige Spanien muss man meiden, den Himmel über Gallien und die Ränder Illyriens. Halte dich auch bei denen zurück, welche die Felder abernten und so den Hunger der Hauptstadt stillen, die daher Zeit hat für den Zirkus und die Bühne. Und übrigens: Welchen Lohn für eine so schreckliche Schuld wirst du von dort mitbringen, [120] nachdem Marius die Afrikaner gerade erst ausgeplündert und arm gemacht hat? Vor allem muss man dafür sorgen, dass denen, die tapfer und elend sind, kein großes Unrecht geschieht. Auch wenn du alles Gold und Silber, das es irgendwo gibt, mitnimmst, wirst du ihnen doch den Schild und das Schwert zurücklassen sowie den Speer und den Helm: den Beraubten bleiben ihre Waffen. [125] Was ich gerade vorgetragen habe, ist nicht bloß ein Spruch – es ist die Wahrheit. Glaubt mir, dass ich euch ein Blatt der Sibylle vorlese! Wenn die Schar deiner Begleiter sich tugendhaft verhält, wenn kein langgelockter Knabe deinen Richterspruch verkauft, wenn keine Anschuldigung auf deiner Gattin lastet und sie nicht vorhat, durch die Verwaltungsbezirke und durch alle Städte [130] zu ziehen, um als eine Celaeno mit ihren krummen Krallen Geld an sich zu reißen, dann darfst du dein Geschlecht von Picus an auflisten. Falls dir erhabene Namen Freude bereiten, darfst du auch den ganzen Kampf der Titanen und selbst Prometheus zu deinen Vorfahren zählen. [Nimm dir deinen Urgroßvater aus jedem beliebigen Buch.] [135] Wenn aber Ehrgeiz und Willkür dich unaufhaltsam mitreißen, wenn du Ruten im Blut der Bundesgenossen zerbrechen lässt, wenn es dir Freude macht, dass der Liktor erschöpft ist und seine Beile stumpf geworden sind, dann kommt es dazu, dass sich gerade die Vornehmheit deiner Vorfahren dir entgegenstellt und deinen Schandtaten eine hell leuchtende Fackel vorausträgt. [140] Jedem Charakterfehler wohnt eine Anschuldigung inne, die umso deutlicher ist, je höher das Ansehen ist, das man dem Sünder zollt. Was soll ich damit anfangen, dass du

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SATURA VIII

quo mihi te solitum falsas signare tabellas in templis quae fecit avus statuamque parentis ante triumphalem? quo, si nocturnus adulter tempora Santonico velas adoperta cucullo? Praeter maiorum cineres atque ossa volucri carpento rapitur pinguis Lateranus, et ipse, ipse rotam adstringit sufflamine mulio consul, nocte quidem, sed Luna videt, sed sidera testes intendunt oculos. finitum tempus honoris cum fuerit, clara Lateranus luce flagellum sumet et occursum numquam trepidabit amici iam senis ac virga prior adnuet atque maniplos solvet et infundet iumentis hordea lassis. interea, dum lanatas robumque iuvencum more Numae caedit, Iovis ante altaria iurat solam Eponam et facies olida ad praesepia pictas. sed cum pervigiles placet instaurare popinas, obvius adsiduo Syrophoenix udus amomo currit, Idymaeae Syrophoenix incola portae; hospitis adfectu dominum regemque salutat et cum venali Cyane succincta lagona. defensor culpae dicet mihi “fecimus et nos haec iuvenes.” esto, desisti nempe nec ultra fovisti errorem. breve sit quod turpiter audes, quaedam cum prima resecentur crimina barba. indulge veniam pueris: Lateranus ad illos thermarum calices inscriptaque lintea vadit maturus bello Armeniae Syriaeque tuendis amnibus et Rheno atque Histro. praestare Neronem

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es dir zur Gewohnheit gemacht hast, dein Siegel auf gefälschte Testamente zu setzen, und das in Tempeln, die dein Großvater erbaute, und vor der Triumphstatue deines Vaters? Was soll ich damit anfangen, wenn du des Nachts als Ehebrecher [145] die Schläfen mit einer santonischen Kapuze bedeckst und verhüllst? In seinem schnellen Wagen rast der fette Lateranus an der Asche und den Gebeinen seiner Vorfahren vorbei, und er selbst – er selbst! – bringt das Rad mit der Bremse zum stehen, dieser Kutscher, der ein Konsul ist. Es ist zwar Nacht, aber der Mond sieht es, aber die Sterne [150] schauen als Zeugen hin. Wenn die Zeit seiner Amtsführung vorbei ist, wird Lateranus bei hellem Tageslicht die Peitsche nehmen und niemals mehr vor der Begegnung mit einem schon älteren Freund Angst haben und diesem sogar zuerst mit der Gerte zuwinken. Auch wird er Heubündel aufschnüren und den erschöpften Zugtieren Gerste hinschütten. [155] Unterdessen schwört er, während er nach dem Brauch des Numa Wollschafe und einen roten Jungstier opfert, vor dem Juppiteraltar nur bei Epona und bei ihren Bildern, die man bei stinkenden Futterkrippen gemalt hat. Aber wenn es ihm gefällt, diese Feier noch einmal in den nachts geöffneten Kneipen zu begehen, eilt ihm ein Syrer entgegen, der vom nie versiegenden Parfüm durchnässt ist – [160] ein Syrer, der am »Judentor« wohnt. Mit der Leidenschaft eines Wirts begrüßt er ihn als Herrn und König, und das tut auch Cyane in ihrem hochgebundenen Gewand mit einer Flasche, die sie zum Verkauf anbietet. Jemand wird ihn verteidigen und mir sagen: »Das haben wir doch auch gemacht, als wir jung waren.« – So sei es, allerdings hast du damit aufgehört und [165] diese Verirrung nicht weiter gepflegt. Was du aus unsittlichen Gründen wagst, das soll nicht lange anhalten: Einige Vergehen sollen gemeinsam mit dem ersten Bart wegrasiert werden. Übe Nachsicht gegenüber Knaben! Lateranus begibt sich zu den Trinkbechern in den Thermen und zu den beschriebenen Tüchern, obwohl er alt genug wäre für einen Krieg zum Schutz der Ströme Armeniens und Syriens [170] sowie des Rheins und der Donau. In diesem Alter kann er für Neros Sicherheit sorgen. Schick

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SATURA VIII

securum valet haec aetas. mitte Ostia, Caesar, mitte, sed in magna legatum quaere popina! invenies aliquo cum percussore iacentem, permixtum nautis et furibus ac fugitivis, inter carnifices et fabros sandapilarum et resupinati cessantia tympana galli. aequa ibi libertas, communia pocula, lectus non alius cuiquam, nec mensa remotior ulli. quid facias talem sortitus, Pontice, servum? nempe in Lucanos aut Tusca ergastula mittas. at vos, Troiugenae, vobis ignoscitis et quae turpia cerdoni Volesos Brutumque decebunt. Quid si numquam adeo foedis adeoque pudendis utimur exemplis, ut non peiora supersint? consumptis opibus vocem, Damasippe, locasti sipario, clamosum ageres ut Phasma Catulli. Laureolum velox etiam bene Lentulus egit, iudice me dignus vera cruce. nec tamen ipsi ignoscas populo; populi frons durior huius, qui sedet et spectat triscurria patriciorum, planipedes audit Fabios, ridere potest qui Mamercorum alapas. quanti sua funera vendant quid refert? vendunt nullo cogente Nerone, nec dubitant celsi praetoris vendere ludis. finge tamen gladios inde atque hinc pulpita poni: quid satius? mortem sic quisquam exhorruit, ut sit zelotypus Thymeles, stupidi collega Corinthi? res haut mira tamen citharoedo principe mimus nobilis. haec ultra quid erit nisi ludus? et illic

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ihn nach Ostia, Kaiser, schick in los, aber suche nach deinem Legaten in einer großen Kneipe! Du wirst ihn finden, wie er mit irgendeinem Totschläger zu Tisch liegt, in Gesellschaft von Matrosen, Dieben und geflüchteten Sklaven, [175] zwischen Henkersknechten, Herstellern von Totenbahren und den nun schweigenden Trommeln eines auf dem Rücken liegenden Kybelepriesters. Dort gilt für alle die gleiche Freiheit, dort gibt es gemeinsame Becher, für niemanden ein eigenes Sofa und für niemanden einen abgesonderten Tisch. Was würdest du machen, Ponticus, falls du zufällig einen Sklaven von dieser Art bekommen solltest? [180] Selbstverständlich würdest du ihn nach Lukanien oder in ein etruskisches Arbeitshaus schicken. Aber ihr, die ihr direkt von den Trojanern abstammt, ihr seid euch selbst gegenüber nachsichtig, und was für einen einfachen Arbeiter unsittlich ist, das wird für Leute wie Volesus und Brutus hochanständig sein. Was kann man nur tun, wenn ich es nie schaffe, so abscheuliche und so beschämende Beispiele anzuführen, dass nicht noch schlimmere übrig wären? [185] Deinen Reichtum hast du verschleudert, Damasippus, und dann deine Stimme an den Theatervorhang vermietet, um das von großem Geschrei begleitete »Gespenst« des Catullus zu spielen. Der agile Lentulus spielte den »Laureolus« ebenfalls gut: Nach meinem Urteil hätte er ein echtes Kreuz verdient. Aber auch das Publikum verdient keine Nachsicht. Noch schamloser ist das Publikum, [190] das dasitzt und sich die Albernheiten der Patrizier anschaut, das den barfüßigen Fabiern zuhört und das über die Ohrfeigen für die Mamerker lachen kann. Was spielt es für eine Rolle, für wieviel sie ihren Niedergang verkaufen? Sie verkaufen ihn, ohne dass ein Nero sie zwänge, und verkaufen ihn, ohne zu zögern, an die Spiele des hoch oben thronenden Prätors. [195] Stell dir dagegen vor, dort würde man Schwerter aufstellen und hier die Bühne: Was wäre besser? Hat jemand solche Angst vor dem Tod, dass er lieber Thymeles eifersüchtiger Mann wäre, der Kollege des dämlichen Corinthus? Allerdings ist ein »adliger Mimus« nichts, worüber man sich wundern müsste, wenn der Kaiser als Kitharaspieler auftritt. Was könnte noch darüber hinausgehen außer der Gladiatorenschule? Ja, dort

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SATURA VIII

dedecus urbis habes, nec murmillonis in armis nec clipeo Gracchum pugnantem aut falce supina. damnat enim talis habitus [sed dammat et odit nec galea faciem abscondit]: movet ecce tridentem. postquam vibrata pendentia retia dextra nequiquam effudit, nudum ad spectacula voltum erigit et tota fugit agnoscendus harena. credamus tunicae, de faucibus aurea cum se porrigat et longo iactetur spira galero. ergo ignominiam graviorem pertulit omni volnere cum Graccho iussus pugnare secutor. Libera si dentur populo suffragia, quis tam perditus ut dubitet Senecam praeferre Neroni, cuius supplicio non debuit una parari simia nec serpens unus nec culleus unus? par Agamemnonidae crimen, sed causa facit rem dissimilem. quippe ille deis auctoribus ultor patris erat caesi media inter pocula, sed nec Electrae iugulo se polluit aut Spartani sanguine coniugii, nullis aconita propinquis miscuit, in scena numquam cantavit Oresten, Troica non scripsit. quid enim Verginius armis debuit ulcisci magis aut cum Vindice Galba, quod Nero tam saeva crudaque tyrannide fecit? haec opera atque hae sunt generosi principis artes, gaudentis foedo peregrina ad pulpita cantu prostitui Graiaeque apium meruisse coronae. maiorum effigies habeant insignia vocis: ante pedes Domiti longum tu pone Thyestae

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[200] siehst du dann den Schandfleck der Hauptstadt: Gracchus, der weder in der Bewaffnung eines Murmillo kämpft noch mit dem Schild oder mit der gebogenen Sichel. Eine solche Ausstattung kommt für ihn nicht in Frage[, aber sie kommt für ihn nicht in Frage, und er hasst sie und verbirgt nicht mit einem Helm sein Gesicht]. Sieh nur, er schwingt den Dreizack. Nachdem er ohne Erfolg mit seiner rotierenden Hand das herabhängende Netz [205] geschleudert hat, erhebt er sein unverhülltes Gesicht zu den Zuschauern und flieht, wobei er in der ganzen Arena zu erkennen ist. Glauben wir also seiner Tunika, wenn diese sich mit ihrer Goldverzierung von seinem Hals an ausbreitet und das Band an seiner hohen Mütze hin- und herschwingt. Dadurch erduldete der [210] »Verfolger«, der den Befehl erhalten hatte, mit Gracchus zu kämpfen, eine Schmach, die schlimmer war als jede Wunde. Falls man dem Volk gestatten sollte, frei zu wählen, wer wäre dann so verdorben, dass er zögern würde, Seneca einem Nero vorzuziehen, für dessen Hinrichtung es nötig gewesen wäre, nicht nur einen Affen, nicht nur eine Schlange und nicht nur einen Sack zu besorgen? [215] Das gleiche Verbrechen hatte der Agamemnonsohn begangen, aber das Motiv lässt seinen Fall ganz anders aussehen. Er wurde nämlich von den Göttern gelenkt und rächte seinen Vater, den man mitten zwischen den Trinkbechern erschlagen hatte. Doch er besudelte sich nicht mit der Ermordung Elektras oder mit dem Blut seiner spartanischen Gattin, für keinen Verwandten [220] mischte er Gift, niemals sang er den »Orest« auf der Bühne und er schrieb kein Trojaepos. Denn was hätten Verginius mit seinen Waffen oder Galba im Verbund mit Vindex eher bestrafen sollen von all dem, was Nero während seiner so schrecklichen und grausamen Tyrannei tat? Das sind die Leistungen und das die Fähigkeiten eines Herrschers von edler Abkunft, [225] der daran Freude hat, sich auf ausländischen Bühnen mit seinem ungebührlichen Gesang zu prostituieren und sich die griechischen Kränze aus Sellerieblättern zu verdienen. Die Statuen seiner Vorfahren sollten die Auszeichnungen für seine Stimme bekommen. Lege du das lange Gewand des Thyestes oder der Anti-

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SATURA VIII

syrma vel Antigones seu personam Melanippes, et de marmoreo citharam suspende colosso! Quid, Catilina, tuis natalibus atque Cethegi inveniet quisquam sublimius? arma tamen vos nocturna et flammas domibus templisque paratis, ut Bracatorum pueri Senonumque minores, ausi quod liceat tunica punire molesta. sed vigilat consul vexillaque vestra coercet: hic novus Arpinas, ignobilis et modo Romae municipalis eques, galeatum ponit ubique praesidium attonitis et in omni monte laborat. tantum igitur muros intra toga contulit illi nominis ac tituli, quantum sub Leucade, quantum Thessaliae campis Octavius abstulit udo caedibus adsiduis gladio: sed Roma parentem, Roma patrem patriae Ciceronem libera dixit. Arpinas alius Volscorum in monte solebat poscere mercedes alieno lassus aratro; nodosam post haec frangebat vertice vitem, si lentus pigra muniret castra dolabra. hic tamen et Cimbros et summa pericula rerum excipit et solus trepidantem protegit urbem, atque ideo, postquam ad Cimbros stragemque volabant qui numquam attigerant maiora cadavera corvi, nobilis ornatur lauro collega secunda. plebeiae Deciorum animae, plebeia fuerunt nomina; pro totis legionibus hi tamen et pro omnibus auxiliis atque omni pube Latina sufficiunt dis infernis Terraeque parenti. [pluris enim Decii quam quae servantur ab illis.] ancilla natus trabeam et diadema Quirini

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gone dem Domitius zu Füßen oder auch die Maske der Melanippe, [230] und hänge deine Kithara an einer Kolossalstatue aus Marmor auf! Was wird man Erhabeneres finden als deine Familie, Catilina, oder als die des Cethegus? Dennoch bereitet ihr in der Nacht Waffen und Brandsätze für die Häuser und Tempel vor, als wäret ihr die Söhne der Bracater oder die Nachkommen der Senonen, [235] und wagt Dinge, die man mit der unangenehmen Tunika bestrafen könnte. Aber der Konsul ist hellwach und weist eure Truppen in die Schranken. Dieser Neuling aus Arpinum, ein unbekannter und gerade erst in Rom eingetroffener Kleinstadtritter, stellt für die verängstigten Bürger überall Schutztruppen mit Helmen auf und müht sich auf jedem Hügel ab. [240] Also verschaffte ihm die Toga innerhalb der Stadtmauern einen so großen Namen und so großes Ansehen, wie Octavius es bei Leucas und auf den Feldern Thessaliens mit seinem Schwert, das vom ständigen Morden feucht war, erlangte. Aber ihn nannte Rom »Vater«, Rom nannte Cicero »Vater des Vaterlands«, als es noch frei war. [245] Ein anderer aus Arpinum pflegte im Volskergebirge seinen Tagelohn zu verlangen, wenn er von einem Pflug erschöpft war, der einem anderen gehörte. Später ließ er an seinem Schädel den knotigen Stock zerbrechen, wenn er das Lager mit seiner trägen Spitzhacke zu langsam befestigte. Doch er nahm es mit den Kimbern auf und mit den höchsten Gefahren für den Staat, [250] und er allein beschütze die vor Angst zitternde Stadt. Und nachdem die Raben, die noch nie von größeren Leichen gefressen hatten, zu den Kimbern und ihren Gefallenen geflogen waren, wurde sein adliger Amtskollege deshalb erst als Zweiter mit dem Lorbeer geschmückt. Von plebejischer Herkunft waren die Seelen der Decier, plebejisch waren [255] ihre Namen. Trotzdem genügen sie den Unterweltsgöttern und Mutter Erde anstelle aller Legionen, sämtlicher Hilfstruppen und der ganzen Jugend Latiums. [Denn die Decier sind mehr wert als das, was von ihnen gerettet wird.] Der Sohn einer Sklavin erlangte den Königsmantel, das Diadem des Quirinus [260] und die

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et fascis meruit, regum ultimus ille bonorum. prodita laxabant portarum claustra tyrannis exulibus iuvenes ipsius consulis et quos magnum aliquid dubia pro libertate deceret, quod miraretur cum Coclite Mucius et quae imperii finis Tiberinum virgo natavit: occulta ad patres produxit crimina servus, matronis lugendus; at illos verbera iustis adficiunt poenis et legum prima securis. Malo pater tibi sit Thersites, dummodo tu sis Aeacidae similis Volcaniaque arma capessas, quam te Thersitae similem producat Achilles. et tamen, ut longe repetas longeque revolvas nomen, ab infami gentem deducis asylo: maiorum primus, quisquis fuit ille, tuorum aut pastor fuit aut illud quod dicere nolo.

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Rutenbündel, der letzte der guten Könige. Ausgerechnet die Söhne des Konsuls übten Verrat und lockerten die Riegel der Tore für die verbannten Tyrannen. Es hätte sich für sie gehört, etwas Großes für die noch unsichere Freiheit zu leisten, etwas, das Mucius gemeinsam mit Cocles bewundert hätte und [265] das Mädchen, das durch den Tiber – über die Grenze des Reichs – schwamm. Das geheime Verbrechen offenbarte den Senatoren ein Sklave, der von den Frauen betrauert werden müsste. Jene werden dagegen – wie rechtens – mit Schlägen bestraft und erstmals gemäß den Gesetzen mit dem Beil. Mir wäre es lieber, dass dein Vater ein Thersites ist, wenn du nur [270] dem Enkel des Aeacus ähnlich bist und nach den Waffen des Vulkan greifst, als dass dich ein Achilles so erzeugte, dass du Thersites ähnelst. Doch auch wenn du weit zurückgehst und deinen Namen weit zurückverfolgst, so leitest du deine Abkunft doch von dem verrufenen Asyl her. Wer auch immer der erste deiner Vorfahren war – [275] er war entweder ein Hirte oder das, was ich nicht nennen möchte.

Satura IX Scire velim quare totiens mihi, Naevole, tristis occurras fronte obducta ceu Marsya victus. quid tibi cum vultu qualem deprensus habebat Ravola, dum Rhodopes uda terit inguina barba, nos colaphum incutimus lambenti crustula servo? non erit hac facie miserabilior Crepereius Pollio, qui triplicem usuram praestare paratus circumit et fatuos non invenit. unde repente tot rugae? certe modico contentus agebas vernam equitem, conviva ioco mordente facetus et salibus vehemens intra pomeria natis. omnia nunc contra, vultus gravis, horrida siccae silva comae, nullus tota nitor in cute, qualem Bruttia praestabat calidi tibi fascia visci, sed fruticante pilo neglecta et squalida crura. quid macies aegri veteris, quem tempore longo torret quarta dies olimque domestica febris? deprendas animi tormenta latentis in aegro corpore, deprendas et gaudia: sumit utrumque inde habitum facies. igitur flexisse videris propositum et vitae contrarius ire priori. nuper enim, ut repeto, fanum Isidis et Ganymedem Pacis et advectae secreta Palatia matris

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Neunte Satire Ich wüsste gern, warum du, Naevolus, mir so oft in betrübter Stimmung begegnest und mit verfinsterter Miene wie ein besiegter Marsyas. Was willst du mit einem Gesichtsausdruck, wie ihn Ravola hatte, als man ihn ertappte, wie er mit feuchtem Bart Rhodopes Scheide rieb, [5] worauf wir diesem an den Plätzchen leckenden Sklaven eine Ohrfeige verpassten? Jämmerlicher als du wird nicht einmal Crepereius Pollio dreinschauen, der reihum geht und obwohl er bereit wäre, den dreifachen Zinssatz zu zahlen, keinen Dummen findet. Woher kommen auf einmal so viele Sorgenfalten? Zweifellos warst du früher mit wenig zufrieden und verhieltst dich wie [10] ein einheimischer Ritter – ein witziger Gast mit beißendem Humor und kraftvoll in seinen Scherzen, wie sie eben innerhalb der Stadtgrenzen entstehen. Nun ist alles ganz anders: Dein Gesichtsausdruck ist bekümmert, ein stachliges Gestrüpp sind deine vertrockneten Haare, auf deiner ganzen Haut gibt es keinen Glanz, wie ihn dir der Verband aus Bruttium mit dem erhitzten Harz bescherte, [15] sondern deine Beine mit ihrem wuchernden Haarwuchs sind ungepflegt und rau. Was soll diese Magerkeit wie bei einem, der schon lange krank ist und den seit geraumer Zeit das bei ihm längst heimisch gewordene Fieber alle vier Tage erglühen lässt? Man kann die Qualen der Seele erkennen, auch wenn diese im kranken Körper verborgen ist, und man kann ihre Freuden erkennen. Von dort nimmt das Gesicht den einen oder anderen [20] Ausdruck an. Du scheinst also von deinem Lebensplan abgewichen zu sein und nun in die deinem bisherigen Leben entgegengesetzte Richtung zu gehen. Denn vor kurzem warst du ein berüchtigterer Ehebrecher als Aufidius und pflegtest, wie ich mich erinnere, das Heiligtum der Isis und den Ganymed des Paxtempels und auf dem Palatin den abgetrennten Bereich der hierher importierten Göttermutter und den Cerestempel zu frequentieren (denn

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et Cererem (nam quo non prostat femina templo?) notior Aufidio moechus celebrare solebas, quodque taces, ipsos etiam inclinare maritos. “Utile et hoc multis vitae genus, at mihi nullum inde operae pretium. pingues aliquando lacernas, munimenta togae, duri crassique coloris et male percussas textoris pectine Galli accipimus, tenue argentum venaeque secundae. fata regunt homines, fatum est et partibus illis quas sinus abscondit. nam si tibi sidera cessant, nil faciet longi mensura incognita nervi, quamvis te nudum spumanti Virro labello viderit et blandae adsidue densaeque tabellae sollicitent, αὐτὸς γὰρ ἐφέλκεται ἄνδρα κίναιδος. quod tamen ulterius monstrum quam mollis avarus? ‘haec tribui, deinde illa dedi, mox plura tulisti.’ computat et cevet. ponatur calculus, adsint cum tabula pueri; numera sestertia quinque omnibus in rebus, numerentur deinde labores: an facile et pronum est agere intra viscera penem legitimum atque illic hesternae occurrere cenae? servus erit minus ille miser qui foderit agrum quam dominum. sed tu sane tenerum et puerum te et pulchrum et dignum cyatho caeloque putabas. vos humili adseculae, vos indulgebitis umquam cultori, iam nec morbo donare parati? en cui tu viridem umbellam, cui sucina mittas grandia, natalis quotiens redit aut madidum ver incipit et strata positus longaque cathedra munera femineis tractat secreta kalendis! dic, passer, cui tot montis, tot praedia servas Apula, tot milvos intra tua pascua lassas?

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an welchem Tempel prostituiert sich keine Frau?) [25] und – doch davon schweigst du – sogar noch die Ehemänner flachzulegen. »Vielen mag auch diese Art zu leben einen Nutzen bringen, aber ich bekomme so keine Entlohnung für meine Mühe. Manchmal kriege ich einen dicken Mantel von rauer und grober Qualität als Schutz für meine Toga, [30] der vom Kamm eines gallischen Webers schlecht durchgearbeitet wurde, und dünnes Silbergeschirr aus zweiter Wahl. Das Schicksal regiert die Menschen, und auch die Körperteile, welche das Gewand verdeckt, haben ihr Schicksal. Denn wenn die Sterne nichts für dich tun, wird die beispiellose Länge deines Penis dir nichts bringen – [35] obwohl Virro mit sabbernden Lippen dich nackt gesehen hat und seine häufigen schmeichelnden Briefchen dich ununterbrochen bedrängen, ›denn die Schwuchtel zieht von selbst den Mann an.‹ Doch welches Ungeheuer wäre schlimmer als ein geiziger Weichling? ›Das habe ich dir gegeben, dann habe ich dir das geschenkt, und bald darauf hast du noch mehr mitgenommen.‹ [40] Das rechnet er dir vor und wackelt mit dem Hintern. Dann soll man halt eine Kalkulation aufstellen, und die Sklaven sollen mit dem Rechenbrett kommen! Rechne 5000 Sesterze als Gesamtsumme ab, dann sollen meine Mühen abgerechnet werden. Oder ist es etwa einfach, einen ordentlichen Schwanz vorwärts in den Darm zu treiben und dort dem Abendessen von gestern zu begegnen? [45] Der Sklave, der das Feld beackert, ist weniger arm dran als der, der seinen Herren beackert. Aber du hieltest dich ja für jung, für einen Knaben, für schön und für würdig, im Himmel den Schöpfbecher zu gebrauchen. Werdet ihr jemals einem einfachen Gefolgsmann oder Verehrer etwas gewähren, wo ihr noch nicht einmal bereit seid, etwas für eure Krankheit auszugeben? [50] Dem schenkt man also einen grünen Sonnenschirm oder große Bernsteinkugeln, immer wenn er Geburtstag hat oder er sich am Beginn des feuchten Frühlings in seinen gepolsterten, langen Lehnsessel gelegt hat und sich am Frauentag heimlich mit seinen Geschenken beschäftigt. Sag mal, du Spatz, für wen sparst du so viele Berge und so viele Ländereien [55] in Apulien auf und lässt so viele Milane innerhalb deines Weidelandes müde werden? Das Trifo-

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te Trifolinus ager fecundis vitibus implet suspectumque iugum Cumis et Gaurus inanis (nam quis plura linit victuro dolia musto?): quantum erat exhausti lumbos donare clientis iugeribus paucis? melius, dic, rusticus infans cum matre et casulis et conlusore catello cymbala pulsantis legatum fiet amici? ‘improbus es cum poscis’ ait. sed pensio clamat ‘posce’, sed appellat puer unicus ut Polyphemi lata acies, per quam sollers evasit Ulixes. alter emendus erit, namque hic non sufficit, ambo pascendi. quid agam bruma spirante? quid, oro, quid dicam scapulis puerorum aquilone Decembri et pedibus? ‘durate atque expectate cicadas’? Verum, ut dissimules, ut mittas cetera, quanto metiris pretio quod, ni tibi deditus essem devotusque cliens, uxor tua virgo maneret? scis certe quibus ista modis, quam saepe rogaris et quae pollicitus. fugientem paene puellam amplexu rapui; tabulas quoque ruperat et iam migrabat: tota vix hoc ego nocte redemi te plorante foris. testis mihi lectulus et tu ad quem pervenit lecti sonus et dominae vox. instabile ac dirimi coeptum et iam paene solutum coniugium in multis domibus servavit adulter. quo te circumagas? quae prima aut ultima ponas? nullum ergo meritum est, ingrate ac perfide, nullum quod tibi filiolus vel filia nascitur ex me? tollis enim et libris actorum spargere gaudes argumenta viri. foribus suspende coronas,

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linische Feld mit seinen Weinstöcken, der mit Argwohn betrachtete Berg bei Cumae und der hohle Gaurus machen dich fett (denn wer verschließt mehr Fässer mit Pech, damit der Most haltbar wird?). Was hätte es schon gekostet, die Lenden deines erschöpften Klienten [60] mit ein paar Morgen Land zu beschenken? Sag mal, fändest du es besser, wenn das Bauernkind gemeinsam mit seiner Mutter und der Hütte und seinem Spielgefährten, dem Hündchen, zum Erbe eines Freundes wird, der die Zimbeln schlägt? – ›Du bist unverschämt, wenn du das forderst‹, sagt er. Aber die fällige Miete schreit: ›Fordere das!‹, aber mein Sklave ermahnt mich – er ist mein einziger so wie Polyphems [65] breites Auge, aufgrund dessen ihm der schlaue Odysseus entwischte. Ich werde einen zweiten kaufen müssen, denn dieser eine reicht nicht, und beide muss man ernähren. Was soll ich tun, wenn im Winter der Wind pfeift? Was, bitteschön, was soll ich den Schultern und Füßen meiner Sklaven im Dezember bei Nordwind sagen? ›Haltet aus und wartet auf die Zikaden‹? [70] Aber auch wenn du alles Übrige übersiehst und unbeachtet lässt: Wie viel ist es dir wert, dass deine Frau immer noch Jungfrau wäre, wenn ich kein dir so ergebener und gehorsamer Klient wäre? Du weißt sicher noch, wie und wie oft du darum gebeten hast und was du versprochen hast. Beinahe wäre deine Frau abgehauen, [75] da packte ich sie mit meiner Umarmung. Tatsächlich hatte sie auch den Ehevertrag zerrissen und wollte schon ausziehen. Mit Mühe habe ich das die ganze Nacht lang wieder in Ordnung gebracht, während du vor der Tür heultest. Das Bettchen ist mein Zeuge – und du, zu dem die Geräusche des Betts drangen und die Stimme der Hausherrin. Eine brüchige Ehe, die begonnen hat auseinanderzugehen und fast schon aufgelöst ist, [80] hat in vielen Häusern ein Ehebrecher gerettet. Wie willst du dich da herauswinden? Welchen Punkt willst du als ersten, welchen als letzten anführen? Es hat also überhaupt keine Bedeutung, du undankbarer Betrüger, dass dir durch mich ein Söhnchen oder eine Tochter geboren wird? Du erkennst sie nämlich an und hast Freude daran, in den Zeitungen [85] die Beweise dafür zu verbreiten, dass du ein Mann bist. Hänge Kränze an die Türen: Du

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iam pater es: dedimus quod famae opponere possis. iura parentis habes, propter me scriberis heres, legatum omne capis nec non et dulce caducum. commoda praeterea iungentur multa caducis, si numerum, si tres implevero.” iusta doloris, Naevole, causa tui; contra tamen ille quid adfert? “Neglegit atque alium bipedem sibi quaerit asellum. haec soli commissa tibi celare memento et tacitus nostras intra te fige querellas; nam res mortifera est inimicus pumice levis. qui modo secretum commiserat, ardet et odit, tamquam prodiderim quidquid scio. sumere ferrum, fuste aperire caput, candelam adponere valvis non dubitat. nec contemnas aut despicias quod his opibus numquam cara est annona veneni. ergo occulta teges ut curia Martis Athenis.” O Corydon, Corydon, secretum divitis ullum esse putas? servi ut taceant, iumenta loquentur et canis et postes et marmora. claude fenestras, vela tegant rimas, iunge ostia, tollite lumen, e medio fac eant omnes, prope nemo recumbat: quod tamen ad cantum galli facit ille secundi proximus ante diem caupo sciet, audiet et quae finxerunt pariter libarius, archimagiri, carptores. quod enim dubitant componere crimen in dominos, quotiens rumoribus ulciscuntur baltea? nec derit qui te per compita quaerat nolentem et miseram vinosus inebriet aurem.

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bist jetzt Vater! Ich habe dir etwas gegeben, das du dem Gerede entgegensetzen kannst. Du hast die Rechte eines Vaters, durch mich trägt man dich als Erben ein, den ganzen Nachlass bekommst du – auch den so willkommenen Verfallsteil. Außerdem werden zahlreiche Vorteile auf den Verfallsteil folgen, [90] wenn ich die Zahl Drei voll habe.« – Für deinen Schmerz hast du einen berechtigten Grund, Naevolus. Aber was sagt jener dagegen? »Er ignoriert es und sucht sich einen anderen Esel auf zwei Beinen. Dies habe ich allein dir anvertraut, denke daran, es geheim zu halten, sei verschwiegen und bewahre meine Klagen tief in deinem Innern! [95] Denn ein Feind, der sich mit dem Bimsstein glatt gerieben hat, ist etwas Tödliches. Er, der mir gerade ein Geheimnis verraten hatte, glüht nun vor Hass, als hätte ich alles preisgegeben, was ich weiß. Er zögert nicht, zum Schwert zu greifen, mir mit dem Knüppel den Schädel einzuschlagen und an meiner Haustür Feuer zu legen. Es sollte dir nicht egal sein, und du solltest es ernst nehmen, dass [100] bei einem solchen Reichtum, kein Preis für Gift zu hoch ist. Also wirst du das Geheimnis verborgen halten wie die Versammlung des Mars in Athen.« O Corydon, Corydon, glaubst du, dass ein reicher Mann irgendein Geheimnis haben kann? Selbst wenn die Sklaven den Mund halten sollten, werden doch die Zugtiere reden und der Hund und die Türpfosten und der Marmor. Mach die Fenster zu, [105] Vorhänge sollen die Ritzen bedecken, verschließe die Türen, macht das Licht aus, sorg dafür, dass alle verschwinden, in der Nähe soll niemand zu Tisch liegen! Was jener beim zweiten Hahnenschrei tut, wird der benachbarte Wirt trotzdem wissen, bevor es Tag geworden ist. Er wird auch hören, was sich gerade in diesem Moment der Kuchenbäcker, die Küchenchefs [110] und die Tranchiersklaven ausgedacht haben. Denn bei welchem Verbrechen hätten sie Bedenken, es ihren Herren anzudichten, wenn sie sich durch Gerüchte für die Gürtelschläge rächen? Auch wird es nicht an einem fehlen, der dich beim Gang über die Kreuzung aufsucht, auch wenn du das nicht willst, und in seinem Rausch dein armes Ohr besoffen quatscht. Diese Leute

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illos ergo roges quidquid paulo ante petebas a nobis, taceant illi. sed prodere malunt arcanum quam subrepti potare Falerni pro populo faciens quantum Saufeia bibebat. vivendum recte, cum propter plurima, tum est his [idcirco ut possis linguam contemnere servi] praecipue causis, ut linguas mancipiorum contemnas, nam lingua mali pars pessima servi. [deterior tamen hic qui liber non erit illis, quorum animas et farre suo custodit et aere.] “Utile consilium modo, sed commune dedisti. nunc mihi quid suades post damnum temporis et spes deceptas? festinat enim decurrere, velox flosculus, angustae miseraeque brevissima vitae portio. dum bibimus, dum serta, unguenta, puellas poscimus, obrepit non intellecta senectus.” Ne trepida, numquam pathicus tibi derit amicus stantibus et salvis his collibus: undique ad illos conveniunt et carpentis et navibus omnes qui digito scalpunt uno caput. altera maior spes superest. *** gratus eris: tu tantum erucis imprime dentem. “Haec exempla para felicibus; at mea Clotho et Lachesis gaudent, si pascitur inguine venter. o parvi nostrique Lares, quos ture minuto aut farre et tenui soleo exorare corona, quando ego figam aliquid, quo sit mihi tuta senectus a tegete et baculo? viginti milia fenus pigneribus positis, argenti vascula puri, sed quae Fabricius censor notet, et duo fortes de grege Moesorum, qui me cervice locata

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solltest du also um all das bitten, was du gerade eben [115] von mir gefordert hast: dass sie den Mund halten. Aber sie wollen lieber ein Geheimnis verraten, als so viel vom heimlich abgezweigten Falerner zu trinken, wie Saufeia trank, als sie das öffentliche Opfer verrichtete. Man muss anständig leben – zum einen aus vielerlei Gründen und dann besonders [deshalb, damit du über die Zunge deines Sklaven unbesorgt sein kannst] aus folgendem Grund: damit du über die Zungen deiner Sklaven [120] unbesorgt bist, denn die Zunge ist der übelste Teil eines üblen Sklaven. [Doch der, welcher nicht frei ist, wird noch schlimmer sein als die, deren Leben er mit seinem Getreide und seinem Geld behütet.] »Einen nützlichen Tipp hast du mir da gerade gegeben, aber einen zu allgemeinen. [125] Was rätst du mir jetzt, da meine Zeit verschwendet und meine Hoffnung enttäuscht wurde? Denn eilig läuft dieser ganz kurze Teil unseres knapp bemessenen und unglücklichen Lebens, diese schnell vergehende Blüte, vorbei. Während wir trinken, während wir noch nach Kränzen, Salböl und Mädchen verlangen, schleicht sich unbemerkt das Alter heran.« [130] Keine Panik, niemals wird es dir an einem tuntigen Freund fehlen, solange diese Hügel unversehrt dastehen. Zu ihnen kommen von überall her in Kutschen und auch auf Schiffen alle, die sich mit einem Finger am Kopf kratzen. Eine weitere, noch größere Hoffnung bleibt dir noch: *** Du wirst willkommen sein: Kaue du nur mit deinen Zähnen auf Rauken herum. [135] »Das kannst du glücklichen Menschen als Vorbilder präsentieren. Aber meine Clotho und Lachesis haben ihren Spaß, wenn der Magen von meinem Penis ernährt wird. O, meine kleinen Laren, die ich für gewöhnlich mit ein wenig Weihrauch oder Getreide und einem spärlichen Kranz anbete: Wann werde ich etwas aufspießen, durch das mein Alter [140] vor der Matte und dem Bettelstab sicher ist? Ich hätte gern als Zinsen 20.000 Sesterze, die durch ein Pfand abgesichert sind, kleine Gefäße aus reinem Silber – aber solche, an denen der Zensor Fabricius Anstoß nähme –, und zwei kräftige Jungs aus der Schar der Möser, die mir ihren Nacken leihen und mir sagen,

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SATURA IX

securum iubeant clamoso insistere circo; sit mihi praeterea curvus caelator, et alter qui multas facies pingit cito. sufficiunt haec. quando ego pauper ero? votum miserabile, nec spes his saltem; nam cum pro me Fortuna vocatur, adfixit ceras illa de nave petitas, quae Siculos cantus effugit remige surdo.”

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dass ich im lärmenden Zirkus unbesorgt darauf ruhen soll; [145] außerdem einen gebeugt dasitzenden Graveur und einen weiteren, der flink viele Gesichter malt. Das reicht. Wann also werde ich den Status eines Armen erlangen? Was für ein erbärmliches Gebet, und es gibt nicht einmal Hoffnung auf seine Erfüllung. Denn wenn man Fortuna für mich anruft, hat sie sich die Ohren mit Wachs verstopft, das sie von dem Schiff geholt hat, [150] welches bei Sizilien dem Gesang entkam, weil der Ruderer taub war.«

LIBER QUARTUS Satura X Omnibus in terris, quae sunt a Gadibus usque Auroram et Gangen, pauci dinoscere possunt vera bona atque illis multum diversa, remota erroris nebula. quid enim ratione timemus aut cupimus? quid tam dextro pede concipis, ut te conatus non paeniteat votique peracti? evertere domos totas optantibus ipsis di faciles. nocitura toga, nocitura petuntur militia; torrens dicendi copia multis et sua mortifera est facundia: viribus ille confisus periit admirandisque lacertis. sed pluris nimia congesta pecunia cura strangulat et cuncta exuperans patrimonia census quanto delphinis ballaena Britannica maior. temporibus diris igitur iussuque Neronis Longinum et magnos Senecae praedivitis hortos clausit et egregias Lateranorum obsidet aedes tota cohors: rarus venit in cenacula miles. pauca licet portes argenti vascula puri nocte iter ingressus, gladium contumque timebis et mota ad lunam trepidabis harundinis umbra: cantabit vacuus coram latrone viator. prima fere vota et cunctis notissima templis divitiae, crescant ut opes, ut maxima toto nostra sit arca foro. sed nulla aconita bibuntur fictilibus: tunc illa time cum pocula sumes

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Viertes Buch Zehnte Satire In allen Ländern, die es gibt von Gades bis zum Morgenland und zum Ganges, sind nur wenige in der Lage, den Nebel des Irrtums zu lichten und die wahren Güter von dem zu unterscheiden, was ganz anders ist als diese. Denn was fürchten oder wünschen wir uns aufgrund vernünftiger Überlegung? [5] Was beginnst du unter einem so günstigen Vorzeichen, dass du diesen Versuch und die Erfüllung deines Wunsches nicht bereuen müsstest? Bereitwillig haben die Götter ganze Häuser vernichtet, während die Besitzer selbst darum baten. Um das, was Schaden bringen wird, bemüht man sich in der Toga, um das, was Schaden bringen wird, bemüht man sich im Militärdienst. Überströmende Wortfülle [10] und ihre eigene Beredsamkeit sind für viele tödlich. Einer kam im Vertrauen auf seine Kräfte und auf seine bewundernswerten Arme um. Aber noch mehr Leute erstickt das Geld, das sie mit übermäßigem Bemühen angehäuft haben, und ihr Reichtum, der das Vermögen der anderen in dem Maße übertreffen soll, wie der britannische Walfisch größer ist als Delfine. [15] So umzingelte in harten Zeiten und auf Befehl Neros eine ganze Kohorte Longinus und die großen Parks des schwerreichen Seneca und besetzte das prächtige Haus der Familie des Lateranus. Nur selten fällt ein Soldat in eine Dachkammer ein. Auch wenn du nur ein paar Gefäße aus einfachem Silber bei dir hast, [20] wenn du dich nachts auf den Weg machst, wirst du das Schwert und den Spieß fürchten und vor Angst zittern, wenn sich im Mondschein der Schatten eines Schilfrohrs bewegt. Ein Wanderer, der nichts bei sich hat, wird angesichts eines Räubers ein Lied singen. Beinahe immer das erste Gebet und allen Tempeln wohlbekannt ist der Wunsch nach Reichtum: das Vermögen möge wachsen, auf dem ganzen [25] Forum möge unsere Schatztruhe die größte sein. Doch aus Tongeschirr trinkt man kein Gift. Wenn du mit Juwelen besetzte Becher verwendest

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SATURA X

gemmata et lato Setinum ardebit in auro. Iamne igitur laudas quod de sapientibus alter ridebat, quotiens a limine moverat unum protuleratque pedem, flebat contrarius auctor? sed facilis cuivis rigidi censura cachinni: mirandum est unde ille oculis suffecerit umor. perpetuo risu pulmonem agitare solebat Democritus, quamquam non essent urbibus illis praetextae, trabeae, fasces, lectica, tribunal. quid si vidisset praetorem curribus altis extantem et medii sublimem pulvere circi in tunica Iovis et pictae Sarrana ferentem ex umeris aulaea togae magnaeque coronae tantum orbem, quanto cervix non sufficit ulla? quippe tenet sudans hanc publicus et, sibi consul ne placeat, curru servus portatur eodem. da nunc et volucrem, sceptro quae surgit eburno, illinc cornicines, hinc praecedentia longi agminis officia et niveos ad frena Quirites, defossa in loculos quos sportula fecit amicos. tum quoque materiam risus invenit ad omnis occursus hominum, cuius prudentia monstrat summos posse viros et magna exempla daturos vervecum in patria crassoque sub aere nasci. ridebat curas nec non et gaudia volgi, interdum et lacrimas, cum Fortunae ipse minaci mandaret laqueum mediumque ostenderet unguem. Ergo supervacua et vel perniciosa petuntur, propter quae fas est genua incerare deorum. quosdam praecipitat subiecta potentia magnae

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und in einem breiten Goldgefäß der Setinerwein funkelt, dann fürchte dich davor! Findest du es jetzt denn nicht lobenswert, dass der eine von den Weisen lachte, sooft er einen Fuß von der Schwelle wegbewegt [30] und nach vorn gesetzt hatte, und der andere, der als Lehrmeister sein Gegner war, weinte? Doch Kritik durch strenges Gelächter fällt jedem leicht; wundern muss man sich, wo genügend Feuchtigkeit für die Augen herkam. Demokrit hatte die Gewohnheit, mit ständigem Lachen seine Lungen in Bewegung zu halten, obwohl es in jenen Städten keine [35] Gewänder mit Purpursaum oder Purpurstreifen, keine Rutenbündel, keine Sänfte und kein Tribunal gab. Was wäre, wenn er gesehen hätte, wie der Prätor sich auf seinem hohen Wagen präsentiert – hoch oben im Staub mitten im Zirkus und in der Tunika Jupiters – und wie er die von seinen Schultern herabhängenden tyrischen Vorhänge seiner bestickten Toga trägt und einen so großen kreisrunden Kranz, [40] dass dafür kein Nacken stark genug ist? Ja, den hält ein schwitzender Staatssklave fest und wird, damit dieser »Konsul« nicht zu selbstzufrieden wird, auf demselben Wagen transportiert. Nimm nun auch den Vogel hinzu, der auf dem Zepter aus Elfenbein emporragt, dort die Hornbläser und hier die Leute, die damit beschäftigt sind, der langen Prozession vorauszugehen, [45] und bei den Zügeln die weißgekleideten Bürger, welche die in ihrem Geldkästchen verborgene Zuwendung zu »Freunden« gemacht hat. Er fand er schon damals bei allen Begegnungen mit Menschen etwas, worüber er lachen konnte – er, dessen Klugheit belegt, dass die bedeutendsten Männer und auch solche, die große Vorbilder abgeben werden, [50] in der Heimat der Hammel und in trüber Luft geboren werden können. Er lachte über die Sorgen und nicht zuletzt über die Freuden des Volks, manchmal auch über die Tränen, während er selbst dem bedrohlichen Schicksal empfahl, sich einen Strick zu nehmen, und ihm den Mittelfinger zeigte. Man bittet also um überflüssige und sogar um gefährliche Dinge, [55] um derentwillen es recht ist, die Knie der Götter mit Wachs einzuschmieren. Einige bringt ihre Macht zu Fall, die großer Missgunst

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SATURA X

invidiae, mergit longa atque insignis honorum pagina. descendunt statuae restemque secuntur, ipsas deinde rotas bigarum inpacta securis caedit et inmeritis franguntur crura caballis. iam strident ignes, iam follibus atque caminis ardet adoratum populo caput et crepat ingens Seianus; deinde ex facie toto orbe secunda fiunt urceoli, pelves, sartago, matellae. pone domi laurus, duc in Capitolia magnum cretatumque bovem: Seianus ducitur unco spectandus, gaudent omnes. “quae labra, quis illi vultus erat! numquam, si quid mihi credis, amavi hunc hominem.” – “sed quo cecidit sub crimine? quisnam delator quibus indicibus, quo teste probavit?” “nil horum: verbosa et grandis epistula venit a Capreis.” “bene habet, nil plus interrogo.” sed quid turba Remi? sequitur Fortunam, ut semper, et odit damnatos. idem populus, si Nortia Tusco favisset, si oppressa foret secura senectus principis, hac ipsa Seianum diceret hora Augustum. iam pridem, ex quo suffragia nulli vendimus, effudit curas; nam qui dabat olim imperium, fasces, legiones, omnia, nunc se continet atque duas tantum res anxius optat, panem et circenses. “perituros audio multos.” “nil dubium, magna est fornacula.” “pallidulus mi Bruttidius meus ad Martis fuit obvius aram: quam timeo, victus ne poenas exigat Aiax ut male defensus.” – “curramus praecipites et, dum iacet in ripa, calcemus Caesaris hostem!”

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ausgesetzt ist, die lange und beispiellose Auflistung ihrer Ehrungen lässt sie Schiffbruch erleiden. Statuen fallen herab und folgen dem Seil, dann zerhauen die Axthiebe selbst die Räder des Wagens, [60] und den Gäulen, die doch nichts dafür können, zerbricht man die Beine. Schon zischen die Flammen, schon wird durch Blasebalg und Schmelzofen das einst vom Volk angebetete Haupt zum Glühen gebracht, und es knistert der gewaltige Sejan. Dann macht man aus dem Gesicht, das auf der ganzen Welt den zweiten Platz innehatte, Krüge, Schüsseln, eine Pfanne und Nachttöpfe. [65] Bring Lorbeer am Haus an, führe einen großen mit Kreide eingeriebenen Stier aufs Kapitol: Sejan wird am Haken mitgeschleift – das muss man sehen, alle freuen sich! »Was für Lippen der hatte und was für einen Gesichtsausdruck! Niemals – das kannst du mir glauben – konnte ich diesen Menschen leiden.« – »Doch unter welcher Anklage kam er zu Fall? Welcher [70] Ankläger hat ihn überführt, auf welchen Denunzianten und welchen Zeugen stützte er sich dabei?« – »Nichts davon! Ein ausführliches und gewichtiges Schreiben kam aus Capri.« – »Alles klar, ich frag nicht weiter.« – Aber was macht die Schar des Remus? Wie immer hängt sie sich an Fortuna ran und hasst diejenigen, die man verurteilt hat. Dasselbe Volk hätte, wenn Nortia den Etrusker [75] unterstützt hätte, wenn der arglose und vergreiste Kaiser überwältigt worden wäre, Sejan noch in dieser Stunde Augustus genannt. Schon längst hat es, seit wir unsere Stimmen niemandem mehr verkaufen, jegliches Interesse verloren. Denn das Volk, das einst Befehlsgewalt, Rutenbündel, Legionen – einfach alles – verlieh, hält sich nun [80] zurück und wünscht sich in seiner Angst bloß noch zwei Dinge: Brot und Spiele. – »Ich höre, dass viele zu Tode kommen werden.« – »Zweifellos. Unser Öfchen ist ja groß genug.« – »Ganz schön blass ist mir mein Freund Bruttidius am Marsaltar entgegengekommen. Ich befürchte doch sehr, dass der besiegte Ajax Bestrafungen durchsetzen will, [85] weil er schlecht verteidigt wurde.« – »Lass uns schnell loslaufen und, solange er noch am Flussufer liegt, auf den Feind des Kaisers eintreten!« – »Die Sklaven sollen das aber sehen, damit keiner

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SATURA X

“sed videant servi, ne quis neget et pavidum in ius cervice obstricta dominum trahat.” hi sermones tunc de Seiano, secreta haec murmura volgi. visne salutari sicut Seianus, habere tantundem atque illi summas donare curules, illum exercitibus praeponere, tutor haberi principis angusta Caprearum in rupe sedentis cum grege Chaldaeo? vis certe pila, cohortis, egregios equites et castra domestica: quidni haec cupias? et qui nolunt occidere quemquam posse volunt. sed quae praeclara et prospera tanti, ut rebus laetis par sit mensura malorum? huius qui trahitur praetextam sumere mavis an Fidenarum Gabiorumque esse potestas et de mensura ius dicere, vasa minora frangere, pannosus vacuis aedilis Ulubris? ergo quid optandum foret ignorasse fateris Seianum; nam qui nimios optabat honores et nimias poscebat opes, numerosa parabat excelsae turris tabulata, unde altior esset casus et inpulsae praeceps inmane ruinae. quid Crassos, quid Pompeios evertit et illum, ad sua qui domitos deduxit flagra Quirites? summus nempe locus nulla non arte petitus magnaque numinibus vota exaudita malignis. ad generum Cereris sine caede ac vulnere pauci descendunt reges et sicca morte tyranni. Eloquium ac famam Demosthenis aut Ciceronis incipit optare et totis quinquatribus optat quisquis adhuc uno parcam colit asse Minervam, quem sequitur custos angustae vernula capsae.

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es abstreiten und seinen Herrn zitternd mit einem Strick um den Hals vor Gericht bringen kann.« Das waren damals die Gespräche über Sejan, das war das heimliche Gemurmel des Volks. [90] Willst du, dass man dich ebenso grüßt wie Sejan, dass du ebenso großen Besitz hast, dass du dem einen die bedeutendsten Amtssessel schenkst, einen anderen an die Spitze eines Heeres stellst und als Vormund des Herrschers giltst, der zusammen mit einer Herde von Astrologen auf dem schmalen Felsen von Capri herumsitzt? Bestimmt willst du Speere, Kohorten, [95] hervorragende Ritter und deine private Kaserne. Warum solltest du dir das nicht wünschen? Auch diejenigen, die niemanden töten wollen, wären dazu doch gern in der Lage. Doch welcher Ruhm und welcher Erfolg wären so viel wert, dass das viele Schlechte von den erfreulichen Dingen aufgewogen werden könnte? Willst du lieber die Purpurtoga von dem, der da langgeschleift wird, anlegen [100] oder die Macht über Fidenae und Gabii haben, über Maßeinheiten Recht sprechen und zu kleine Gefäße zerschlagen in der Lumpenkleidung des Aedils im menschenleeren Ulubrae? Also wirst du zugeben, dass Sejan keine Ahnung davon hatte, was wünschenswert ist. Denn er wünschte sich zu große Ehren [105] und verlangte zu große Reichtümer: Er errichtete einen hoch emporragenden Turm mit zahlreichen Stockwerken, weshalb er noch tiefer fiel und der Abgrund, in den das zum Einsturz gebrachte Gebäude stürzte, gewaltig war. Was richtete Leute wie Crassus und Pompeius zugrunde sowie den, der die Bürger zähmte und unter seine Knute brachte? [110] Doch wohl die enorme Höhe ihrer Stellung, die sie nicht ohne Trickserei erlangt hatten, und ihre anspruchsvollen Gebete, die von böswilligen Gottheiten erhört wurden. Nur wenige Könige steigen nicht infolge von Mord und Verwundung zum Schwiegersohn der Ceres hinab und nur wenige Tyrannen nach einem unblutigen Tod. [115] Jeder, der noch mit einem einzigen As die sparsame Minerva verehrt und dem als Bewacher seiner kleinen Büchertasche ein Haussklave folgt, beginnt um die Beredsamkeit und den Ruhm eines Demosthenes oder eines Cicero zu beten, und er betet während des

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eloquio sed uterque perit orator, utrumque largus et exundans leto dedit ingenii fons. ingenio manus est et cervix caesa, nec umquam sanguine causidici maduerunt rostra pusilli. “o fortunatam natam me consule Romam!” Antoni gladios potuit contemnere si sic omnia dixisset. ridenda poemata malo quam te, conspicuae divina Philippica famae, volveris a prima quae proxima. saevus et illum exitus eripuit, quem mirabantur Athenae torrentem et pleni moderantem frena theatri. dis ille adversis genitus fatoque sinistro, quem pater ardentis massae fuligine lippus a carbone et forcipibus gladiosque paranti incude et luteo Volcano ad rhetora misit. Bellorum exuviae, truncis adfixa tropaeis lorica et fracta de casside buccula pendens et curtum temone iugum victaeque triremis aplustre et summo tristis captivos in arcu humanis maiora bonis creduntur. ad hoc se Romanus Graiusque et barbarus induperator erexit, causas discriminis atque laboris inde habuit: tanto maior famae sitis est quam virtutis; quis enim virtutem amplectitur ipsam, praemia si tollas? patriam tamen obruit olim gloria paucorum et laudis titulique cupido haesuri saxis cinerum custodibus, ad quae discutienda valent sterilis mala robora fici, quandoquidem data sunt ipsis quoque fata sepulcris.

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gesamten Minervafestes. Aber ihre Beredsamkeit stürzte beide Redner ins Verderben, beiden brachte die großzügig sprudelnde Quelle ihres Talents den Tod. [120] Aufgrund seines Talents wurden ihm die Hände und der Kopf abgeschlagen; dagegen war die Rednerbühne noch nie vom Blut eines unbedeutenden Anwalts feucht. »O gesegnetes Rom – geboren, als ich Konsul war!« Er hätte sich um die Schwerter des Antonius nicht zu kümmern brauchen, wenn er alles auf diese Weise formuliert hätte. Lächerliche Gedichte sind mir lieber [125] als du, o göttliche Philippische Rede mit deinem großartigen Ruhm, die nach der ersten nun als nächste entrollt wird. Ein grausames Ende riss auch ihn aus dem Leben, den Athen dafür bewunderte, wie er auf mitreißende Weise die Zügel des vollbesetzten Theaters lenkte. Unter feindlichen Göttern und mit einem widrigen Schicksal war er geboren worden; [130] ihn schickte sein Vater, dem vom Qualm des glühenden Metallklumpens die Augen tränten, von der Kohle, den Zangen, dem Amboss, auf dem man Schwerter macht, und vom rußigen Feuer zum Redelehrer. Kriegsbeute – ein Brustpanzer, den man am Trophäenstamm befestigt hat, sowie der an einem zerhauenen Helm hängende Wangenschutz [135] und ein Wagen, dem die Deichsel fehlt, und der Schmuck vom Heck eines besiegten dreiruderigen Schiffs und die trübsinnigen Gefangenen ganz oben am Triumphbogen – das hält man für Güter, die das menschliche Maß übersteigen. Dafür rafften sich Feldherren der Römer, Griechen und Barbaren auf, das gab ihnen Gründe, sich in Gefahr zu begeben und Mühen auf sich zu nehmen. [140] So viel größer ist der Durst nach Ruhm als nach Tugend. Denn wer würde auf die Tugend an sich Wert legen, falls man die Entlohnungen wegnehmen sollte? Für den Untergang der Heimat sorgten jedoch nicht selten der Ehrgeiz weniger Leute und ihre Gier nach Ruhm sowie nach einer Ehreninschrift, die auf den Steinen, welche ihre Asche bewachen, Bestand haben sollte. Diese [145] kann die üble Kraft des unfruchtbaren Feigenbaums zum Bersten bringen, da ja selbst den Grabmälern ihr Lebensschicksal zugemessen worden ist.

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expende Hannibalem: quot libras in duce summo invenies? hic est quem non capit Africa Mauro percussa oceano Niloque admota tepenti rursus ad Aethiopum populos aliosque elephantos. additur imperiis Hispania, Pyrenaeum transilit. opposuit natura Alpemque nivemque: diducit scopulos et montem rumpit aceto. iam tenet Italiam, tamen ultra pergere tendit. “acti” inquit “nihil est, nisi Poeno milite portas frangimus et media vexillum pono Subura.” o qualis facies et quali digna tabella, cum Gaetula ducem portaret belua luscum! exitus ergo quis est? o gloria! vincitur idem nempe et in exilium praeceps fugit atque ibi magnus mirandusque cliens sedet ad praetoria regis, donec Bithyno libeat vigilare tyranno. finem animae, quae res humanas miscuit olim, non gladii, non saxa dabunt nec tela, sed ille Cannarum vindex et tanti sanguinis ultor anulus. i, demens, et saevas curre per Alpes, ut pueris placeas et declamatio fias! unus Pellaeo iuveni non sufficit orbis, aestuat infelix angusto limite mundi ut Gyarae clausus scopulis parvaque Seripho; cum tamen a figulis munitam intraverit urbem, sarcophago contentus erit. mors sola fatetur quantula sint hominum corpuscula. creditur olim velificatus Athos et quidquid Graecia mendax audet in historia, constratum classibus isdem suppositumque rotis solidum mare; credimus altos

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Leg Hannibal auf die Waage! Wie viele Pfund wirst du für den herausragenden Feldherrn ermitteln? Das ist der, für den Africa nicht groß genug ist – Africa, an das der Maurische Ozean schlägt und das sich bis zum warmen Nil erstreckt [150] und in die entgegengesetzte Richtung bis zu den Völkern der Aethiopen sowie den anderen Elefanten. Seinem Machtbereich fügt man Spanien hinzu, und er hüpft über die Pyrenäen. Die Natur hat ihm die Alpen mit ihrem Schnee entgegengestellt: Er zerreißt die Felsen und zerbricht das Gebirge mit Essig. Schon hat er Italien in seiner Gewalt, trotzdem will er weiter vorrücken. [155] »Geschafft ist noch gar nichts«, sagt er, »wenn wir nicht mit punischen Soldaten die Stadttore aufbrechen und ich mitten auf der Subura mein Feldzeichen aufstelle.« O was war das für ein Anblick, und was für ein Gemälde hätte er abgegeben, als das gätulische Ungeheuer den einäugigen Anführer trug! Wie ging das also zu Ende? O Ruhmsucht! Er wird besiegt – [160] na klar, er flieht Hals über Kopf ins Exil und sitzt dort als großer und bewundernswerter Klient vor dem Palast des Königs, bis es dem bithynischen Tyrannen beliebt aufzuwachen. Für das Ende dieses Lebens, das einst die Menschheit in Unruhe versetzte, werden keine Schwerter, keine Steine und keine Speere sorgen, sondern er, [165] der Rache nimmt für Cannae, und für so viel Blut Vergeltung übt: sein Ring. Los, du Wahnsinniger, renne über die grausamen Alpen, damit die Knaben dich gut finden und du zu einer Redeübung wirst! Nur eine Erde ist für den jungen Mann aus Pella nicht genug. In seinem Unglück kommt er angesichts der engen Grenzen der Welt nicht zur Ruhe, [170] als wäre er durch die Klippen von Gyara eingeschlossen oder auf dem kleinen Seriphos. Doch nachdem er in die von den Töpfern befestigte Stadt eingezogen ist, wird er sich mit einem einzigen Sarg begnügen müssen. Allein der Tod verrät uns, wie klein die Körperchen der Menschen sind. Man glaubt, dass einst der Athos durchgesegelt wurde, und all das, wozu sich das verlogene Griechenland [175] in seiner Geschichtsschreibung erdreistet: dass von denselben Flotten das Meer bedeckt wurde und es sich als fester Boden unter Wagenrädern befand. Wir

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defecisse amnes epotaque flumina Medo prandente et madidis cantat quae Sostratus alis. ille tamen qualis rediit Salamine relicta, in Corum atque Eurum solitus saevire flagellis barbarus Aeolio numquam hoc in carcere passos, ipsum conpedibus qui vinxerat Ennosigaeum – mitius id sane, quod non et stigmate dignum credidit: huic quisquam vellet servire deorum? – sed qualis rediit? nempe una nave, cruentis fluctibus ac tarda per densa cadavera prora. has totiens optata exegit gloria poenas. “Da spatium vitae, multos da, Iuppiter, annos!” hoc recto voltu, solum hoc et pallidus optas. sed quam continuis et quantis longa senectus plena malis! deformem et taetrum ante omnia vultum dissimilemque sui, deformem pro cute pellem pendentisque genas et talis aspice rugas quales, umbriferos ubi pandit Thabraca saltus, in vetula scalpit iam mater simia bucca. plurima sunt iuvenum discrimina; pulchrior ille hoc atque ore alio, multum hic robustior illo: una senum facies, cum voce trementia labra et iam leve caput madidique infantia nasi, frangendus misero gingiva panis inermi. usque adeo gravis uxori natisque sibique, ut captatori moveat fastidia Cosso. non eadem vini atque cibi torpente palato gaudia; nam coitus iam longa oblivio, vel si

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glauben, dass tiefe Ströme versiegten und Flüsse von den Medern zum Frühstück ausgetrunken wurden, und auch das, wovon Sostratus mit schweißnassen Achseln singt. Doch in welchem Zustand kehrte er zurück, als er Salamis zurückgelassen hatte – [180] dieser Barbar, der es sich zur Gewohnheit gemacht hatte, mit Peitschen gegen den Nordwestwind und den Südostwind zu wüten, was diese im Kerker des Aeolus bestimmt nicht ertragen mussten. Dieser hatte selbst den Erderschütterer mit Fußfesseln gebunden; immerhin verhielt er sich insofern sanftmütiger, als er nicht der Meinung war, jener habe auch noch ein Brandzeichen verdient. Hätte bei ihm irgendeiner von den Göttern als Sklave dienen wollen? [185] Aber in welchem Zustand kehrte er nun zurück? Na klar: mit einem einzigen Schiff, auf blutigen Wellen und mit einem Bug, der sich wegen der übereinander gehäuften Leichen nur langsam bewegte. Diese Strafen forderte der Ruhm ein, den er sich so oft gewünscht hatte. »Schenke mir ein langes Leben, Jupiter, schenke mir viele Jahre!« – Das und nur das wünschst du dir, solange du dein Gesicht noch aufrecht trägst und sogar wenn du vom Alter blass bist. [190] Aber wie voll ist ein langes Leben mit andauernden Übeln und wie groß sind diese! Schau dir vor allem das hässliche und garstige Gesicht an, das sich selbst nicht ähnlich ist, das hässliche Fell, das man anstelle der Haut hat, die herabhängenden Wangen und diese Falten! Die sehen so aus wie die, welche [195] eine Äffin, die schon Mutter ist, auf ihrer gealterten Backe kratzt – dort, wo sich Thabracas schattenspendende Bergwälder erstrecken. Bei jungen Männern gibt es sehr viele Unterschiede: Der ist schöner als dieser und hat ein anderes Gesicht, und dieser ist viel stärker als jener. Bei alten Männern gibt es ein einheitliches Aussehen: Lippen, die gemeinsam mit der Stimme zittern, einen Kopf, der schon kahl ist, eine tropfende Nase, wie sie Kinder haben, [200] und das Brot muss der Arme mit seinem unbewaffneten Zahnfleisch zerkauen. So lästig ist er seiner Frau, seinen Kindern und sich selbst, dass sogar dem Erbschleicher Cossus übel wird. An Wein und Essen hat man nicht mehr dieselbe Freude, wenn der Gaumen abgestumpft ist. Und an Sex gibt es schon lange keine

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coneris, iacet exiguus cum ramice nervus et, quamvis tota palpetur nocte, iacebit. anne aliquid sperare potest haec inguinis aegri canities? quid quod merito suspecta libido est quae venerem adfectat sine viribus? aspice partis nunc damnum alterius. nam quae cantante voluptas, sit licet eximius, citharoedo sive Seleuco et quibus aurata mos est fulgere lacerna? quid refert, magni sedeat qua parte theatri qui vix cornicines exaudiet atque tubarum concentus? clamore opus est, ut sentiat auris quem dicat venisse puer, quot nuntiet horas. praeterea minimus gelido iam in corpore sanguis febre calet sola, circumsilit agmine facto morborum omne genus; quorum si nomina quaeras, promptius expediam quot amaverit Oppia moechos, quot Themison aegros autumno occiderit uno, quot Basilus socios, quot circumscripserit Hirrus pupillos, quot longa viros exorbeat uno Maura die, quot discipulos inclinet Hamillus. percurram citius quot villas possideat nunc quo tondente gravis iuveni mihi barba sonabat. ille umero, hic lumbis, hic coxa debilis; ambos perdidit ille oculos et luscis invidet; huius pallida labra cibum accipiunt digitis alienis, ipse ad conspectum cenae diducere rictum suetus hiat tantum ceu pullus hirundinis, ad quem ore volat pleno mater ieiuna. sed omni

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Erinnerung mehr, oder falls [205] du es mal versuchen solltest, liegt dein winziger Penis mitsamt seinem Hodenbruch da und wird, auch wenn er die ganze Nacht liebkost wird, weiter daliegen. Kann denn der kranke Penis in diesem Greisenalter noch auf irgendetwas hoffen? Und was soll man dazu sagen, dass man einer Begierde, die nach Liebesgenuss trachtet, ohne dass die Kräfte vorhanden wären, zu Recht mit Argwohn begegnet? Schau [210] nun auf den Schaden, den ein anderes Körperteil nimmt: Denn welches Vergnügen bereiten einer, der singt – auch wenn er hervorragend ist –, einer, der die Kithara spielt, oder ein Seleucus sowie die, bei denen es Sitte ist, im goldverzierten Mantel zu erstrahlen? Was spielt es für eine Rolle, in welchem Teil des großen Theaters jemand sitzt, der die Hornbläser und das Zusammenspiel der Trompeten kaum hören wird? [215] Da braucht man lautes Geschrei, damit sein Ohr mitbekommt, wessen Ankunft der Sklave meldet und welche Uhrzeit er ansagt. Außerdem wird das kleine bisschen Blut in seinem schon erkalteten Körper nur warm, wenn er Fieber hat, und Krankheiten jedweder Art formen einen Reigen und tanzen um ihn herum. Falls du nach deren Namen fragen solltest, [220] da könnte ich schneller ausführen, wie viele Liebhaber Oppia hatte, wie viele Kranke Themison in nur einem Herbst umgebracht hat, wie viele Geschäftspartner Basilus um ihr Geld gebracht hat und wie viele Waisenkinder Hirrus, wie viele Männer die Bohnenstange Maura an einem einzigen Tag auslutscht und wie viele Schüler Hamillus flachlegt. [225] Flinker könnte ich durchgehen, wie viele Landhäuser der nun besitzt, der mir, als ich jung war, geräuschvoll den kräftigen Bart abrasierte. Jener hat ein Leiden an der Schulter, dieser an den Lenden und dieser an der Hüfte. Jener hat beide Augen verloren und schaut voller Neid auf die Einäugigen. Dessen bleiche Lippen empfangen Speisen aus den Fingern eines anderen. [230] Er selbst pflegte beim Anblick des Abendessens immer seinen Mund aufzureißen, und jetzt schnappt er nur noch wie das Junge einer Schwalbe, zu dem die Mutter mit vollem Schnabel hinfliegt, die selbst Hunger hat. Aber schlimmer als

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membrorum damno maior dementia, quae nec nomina servorum nec voltum agnoscit amici cum quo praeterita cenavit nocte, nec illos quos genuit, quos eduxit. nam codice saevo heredes vetat esse suos, bona tota feruntur ad Phialen: tantum artificis valet halitus oris, quod steterat multis in carcere fornicis annis. ut vigeant sensus animi, ducenda tamen sunt funera natorum, rogus aspiciendus amatae coniugis et fratris plenaeque sororibus urnae. haec data poena diu viventibus, ut renovata semper clade domus multis in luctibus inque perpetuo maerore et nigra veste senescant. rex Pylius, magno si quicquam credis Homero, exemplum vitae fuit a cornice secundae. felix nimirum, qui tot per saecula mortem distulit atque suos iam dextra conputat annos, quique novum totiens mustum bibit. oro parumper attendas, quantum de legibus ipse queratur fatorum et nimio de stamine, cum videt acris Antilochi barbam ardentem, cum quaerit ab omni quisquis adest socio, cur haec in tempora duret, quod facinus dignum tam longo admiserit aevo. haec eadem Peleus, raptum cum luget Achillem, atque alius cui fas Ithacum lugere natantem. incolumi Troia Priamus venisset ad umbras Assaraci magnis sollemnibus Hectore funus portante ac reliquis fratrum cervicibus inter Iliadum lacrimas, ut primos edere planctus Cassandra inciperet scissaque Polyxena palla,

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jeder Schaden an den Gliedern ist der Schwachsinn, der ihn weder die Namen seiner Sklaven noch das Gesicht des Freundes, [235] mit dem zusammen er letzte Nach gegessen hat, erkennen lässt und auch nicht diejenigen, die er gezeugt und großgezogen hat. Denn in einem grausamen Dokument untersagt er es seinen Familienangehörigen, seine Erben zu sein: All sein Besitz geht an Phiale – so viel vermag der Atem ihres meisterlichen Mundes, der viele Jahre lang gefangen in einem Bordell zum Verkauf gestanden hatte. [240] Und selbst wenn die Wahrnehmung des Geistes noch rege sein sollte, so muss er sich doch um die Bestattung der eigenen Kinder kümmern, er muss den Scheiterhaufen für seine geliebte Frau und seinen Bruder ansehen sowie die Urnen, die mit seinen Schwestern gefüllt sind. Diese Strafe erhalten diejenigen, die so lange leben, dass sich das Unglück ihres Hauses immer wieder erneuert und sie in häufiger Trauer, in [245] ständigem Kummer und in schwarzer Kleidung alt werden. Der König von Pylos war, falls du dem großen Homer irgendetwas glaubst, ein Beispiel für ein Lebensalter, das allein hinter dem der Krähe zurückstand. Zweifellos ist der glücklich, der so viele Jahrhunderte lang den Tod hinausgeschoben hat und seine Lebensjahre schon mit den Fingern der rechten Hand abzählt [250] und der so oft den jungen Wein trinkt. Achte bitte auch ein bisschen darauf, wie sehr gerade er über die Gesetze des Schicksals klagt und über seinen zu langen Lebensfaden, wenn er sieht, wie der Bart des tatkräftigen Antilochus brennt, wenn er jeden Gefährten, der gerade anwesend ist, fragt, warum er bis zu diesen Zeiten durchhalten muss [255] und was für ein Verbrechen er begangen habe, für das er ein so langes Leben verdiene. Dasselbe beklagen Peleus, als er um Achill trauert, der ihm entrissen wurde, und der andere, dessen Schicksal es war, um den Mann aus Ithaka zu trauern, der herumschwimmt. Priamus wäre zu den Schatten gelangt, als Troja noch stand, und bei einer großen Totenfeier wie der des Assaracus hätten Hektor [260] und die übrigen Brüder unter dem Weinen der Troerinnen auf ihren Nacken die Leiche getragen, wobei Cassandra und Polyxena in ihrem zerrissenen Kleid damit begonnen hätten, die ersten Klagerufe auszusto-

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si foret extinctus diverso tempore, quo non coeperat audaces Paris aedificare carinas. longa dies igitur quid contulit? omnia vidit eversa et flammis Asiam ferroque cadentem. tunc miles tremulus posita tulit arma tiara et ruit ante aram summi Iovis ut vetulus bos, qui domini cultris tenue et miserabile collum praebet ab ingrato iam fastiditus aratro. exitus ille utcumque hominis, sed torva canino latravit rictu quae post hunc vixerat uxor. festino ad nostros et regem transeo Ponti et Croesum, quem vox iusti facunda Solonis respicere ad longae iussit spatia ultima vitae. exilium et carcer Minturnarumque paludes et mendicatus victa Carthagine panis hinc causas habuere: quid illo cive tulisset natura in terris, quid Roma beatius umquam, si circumducto captivorum agmine et omni bellorum pompa animam exhalasset opimam, cum de Teutonico vellet descendere curru? provida Pompeio dederat Campania febres optandas, sed multae urbes et publica vota vicerunt; igitur Fortuna ipsius et urbis servatum victo caput abstulit. hoc cruciatu Lentulus, hac poena caruit ceciditque Cethegus integer, et iacuit Catilina cadavere toto. Formam optat modico pueris, maiore puellis murmure, cum Veneris fanum videt, anxia mater usque ad delicias votorum. “cur tamen” inquit “corripias? pulchra gaudet Latona Diana.” sed vetat optari faciem Lucretia qualem ipsa habuit, cuperet Rutilae Verginia gibbum

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ßen – wenn er nur zu einer anderen Zeit umgekommen wäre, als Paris noch nicht damit begonnen hatte, wagemutige Schiffe zu bauen. [265] Was also brachte ihm sein langes Leben? Er sah, wie alles zerstört war und Asien durch Feuer und Schwert unterging. Damals legte er seine Tiara ab, trug als zittriger Soldat Waffen und fiel vor dem Altar des höchsten Jupiter wie ein alter Stier, der dem Messer seines Herren seinen mageren, erbärmlichen Hals [270] darbietet, weil der undankbare Pflug mit ihm nichts mehr anfangen kann. Immerhin war das der Tod eines Menschen, doch seine Frau, die ihn überlebt hatte, bellte wild mit dem Maul eines Hundes. Schnell komme ich zu unseren Leuten und übergehe den König von Pontus und Krösus, dem die gewandten Worte des gerechten Solon [275] befahlen, auf die letzten Abschnitte seines langen Lebens zu schauen. Die Verbannung, der Kerker, die Sümpfe von Minturnae und das Brot, um das er im besiegten Karthago bettelte, hatten darin ihre Ursachen. Was hätte die Natur auf Erden, was hätte Rom jemals Glücklicheres hervorgebracht als diesen Bürger, [280] wenn er nach dem Vorführen des Zuges seiner Gefangenen und des ganzen Kriegstriumphs seinen herrlichen Geist ausgehaucht hätte, als er gerade von seinem teutonischen Wagen hinabsteigen wollte. In seiner Fürsorglichkeit hatte Campanien Pompeius ein Fieber geschenkt, wie man es sich hätte wünschen können. Aber die zahlreichen Städte setzten sich mit ihren öffentlichen Gebeten [285] durch: Also rettete sein Glück und das der Hauptstadt ihm den Kopf und nahm ihn ihm dann weg, als er besiegt worden war. Diese Qual blieb Lentulus erspart und diese Strafe Cethegus, und er fiel unversehrt, und auch Catilina lag da als vollständige Leiche. Den Wunsch nach Schönheit äußert die besorgte Mutter mit leisem Gemurmel für ihre Jungen und mit lauterem für ihre Mädchen, [290] wann immer sie einen Venustempel sieht, und hat dabei auch ganz spezielle Wünsche. »Doch warum«, sagt einer, »kritisierst du sie dafür? Latona freut sich auch über die Schönheit Dianas.« – Aber Lucretia spricht dagegen, dass man sich ein Antlitz wünscht, wie sie selbst eines hatte, und Verginia würde gerne Rutilas Buckel [295] be-

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SATURA X

accipere osque suum Rutilae dare. filius autem corporis egregii miseros trepidosque parentes semper habet: rara est adeo concordia formae atque pudicitiae. sanctos licet horrida mores tradiderit domus ac veteres imitata Sabinos, praeterea castum ingenium voltumque modesto sanguine ferventem tribuat natura benigna larga manu (quid enim puero conferre potest plus custode et cura natura potentior omni?), non licet esse viro; nam prodiga corruptoris improbitas ipsos audet temptare parentes: tanta in muneribus fiducia. nullus ephebum deformem saeva castravit in arce tyrannus, nec praetextatum rapuit Nero loripedem nec strumosum atque utero pariter gibboque tumentem. i nunc et iuvenis specie laetare tui, quem maiora expectant discrimina: fiet adulter publicus et poenas metuet quascumque mariti exigere ira velit (nec erit felicior astro Martis, ut in laqueos numquam incidat). exigit autem interdum ille dolor plus quam lex ulla dolori concessit: necat hic ferro, secat ille cruentis verberibus, quosdam moechos et mugilis intrat. sed tuus Endymion dilectae fiet adulter matronae. mox cum dederit Servilia nummos, fiet et illius quam non amat, exuet omnem corporis ornatum (quid enim ulla negaverit udis inguinibus? sive est haec Oppia sive Catulla deterior, totos habet illic femina mores). “sed casto quid forma nocet?” quid profuit immo Hippolyto grave propositum, quid Bellerophonti?

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kommen und ihr Gesicht Rutila geben. Hingegen hat ein Sohn, der eine hervorragende Gestalt besitzt, immer unglückliche und sorgenvolle Eltern: So selten herrscht zwischen Schönheit und Keuschheit Eintracht. Auch wenn ein einfaches Heim, in dem man den alten Sabinern nacheiferte, ihm tugendhafte Sitten mitgegeben hat, [300] auch wenn außerdem die Natur ihm großzügig und mit gütiger Hand ein anständiges Wesen und ein Gesicht verleiht, das von seinem maßvollen Blut erglüht (Was nämlich könnte die Natur, die mächtiger ist als jeder Wächter und jede Achtsamkeit, einem Knaben Bedeutenderes zukommen lassen?), so darf er doch kein Mann sein. Denn die kostspielige Unanständigkeit eines Verführers [305] erdreistet sich, sogar die Eltern in Versuchung zu führen: So groß ist das Vertrauen in die Geschenke. Kein Tyrann hat in seiner schrecklichen Burg einen hässlichen Jüngling kastriert, und weder griff sich Nero einen Knaben mit schiefen Füßen noch einen, der verschwollen war und dem gleichzeitig der Bauch und ein Buckel wuchsen. [310] Na los, freu dich über das gute Aussehen deines Sohnes, auf den noch größere Gefahren warten: Er wird der Liebhaber für die gesamte Öffentlichkeit sein und alle möglichen Strafen fürchten, die ein wütender Ehemann fordern mag (und er wird unter keinem günstigeren Stern stehen als unter dem des Mars, auf dass er nie in ein Netz hineingerate). Allerdings fordert [315] deren Kränkung mitunter mehr, als irgendein Gesetz einer Kränkung zugestanden hat: Dieser tötet ihn mit seinem Schwert, jener zerlegt ihn mit blutigen Schlägen, und in einige Ehebrecher dringt sogar ein stachliger Fisch ein. Aber dein Endymion wird ja der Liebhaber einer verheirateten Frau sein, die er liebt. Bald wird er, wenn Servilia ihm Geld schenkt, [320] auch der Liebhaber derer sein, die er nicht liebt, und er wird ihr den ganzen Schmuck vom Körper abnehmen (Was nämlich könnte eine Frau ihrer feuchten Scheide verweigern? Mag es nun eine Oppia sein oder eine, die übler ist als Catulla – eine Frau hat dort ihren ganzen Charakter). »Aber wie kann einem anständigen Mann seine Schönheit schaden?« – Ja, was nützte denn sogar [325] sein strenger Lebensplan dem Hippolytus, was nützte er dem Bellerophon? [Natürlich

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[erubuit nempe haec ceu fastidita repulsa.] nec Stheneboea minus quam Cressa excanduit, et se concussere ambae: mulier saevissima tunc est cum stimulos odio pudor admovet. elige quidnam suadendum esse putes cui nubere Caesaris uxor destinat. optimus hic et formonsissimus idem gentis patriciae rapitur miser extinguendus Messalinae oculis. dudum sedet illa parato flammeolo Tyriusque palam genialis in hortis sternitur et ritu decies centena dabuntur antiquo, veniet cum signatoribus auspex. haec tu secreta et paucis commissa putabas? non nisi legitime volt nubere. quid placeat dic: ni parere velis, pereundum erit ante lucernas; si scelus admittas, dabitur mora parvula, dum res nota urbi et populo contingat principis aurem, dedecus ille domus sciet ultimus. interea tu obsequere imperio, si tanti vita dierum paucorum. quidquid levius meliusque putaris, praebenda est gladio pulchra haec et candida cervix. Nil ergo optabunt homines? si consilium vis, permittes ipsis expendere numinibus quid conveniat nobis rebusque sit utile nostris; nam pro iucundis aptissima quaeque dabunt di: carior est illis homo quam sibi. nos animorum inpulsu et caeca magnaque cupidine ducti coniugium petimus partumque uxoris, at illis notum qui pueri qualisque futura sit uxor. ut tamen et poscas aliquid voveasque sacellis exta et candiduli divina thymatula porci,

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wurde diese, als man sie zurückgewiesen hatte, rot, als hätte man sie verschmäht.] Und Stheneboea wurde nicht weniger zornig als die Kreterin, und beide steigerten sich in ihre Wut hinein. Eine Frau ist dann am grausamsten, wenn die Beschämung sie durch ihren Hass anstachelt. Such dir etwas aus, [330] von dem du meinst, dass du es dem empfehlen musst, den zu heiraten die Frau des Kaisers beschlossen hat! Dieser beste und zugleich schönste aus seinem Patriziergeschlecht, der Arme, wird von den Augen Messalinas zum Untergang mitgerissen. Schon lange sitzt sie da mit dem vorbereiten Brautschleier, und öffentlich wird das purpurfarbene Ehebett im Park [335] aufgestellt, gemäß dem alten Brauch wird eine Million übergeben werden, und zusammen mit den Trauzeugen wird der Vogelschauer kommen. Glaubtest du, dass dies geheim bleibt und nur wenigen bekannt gemacht wird? Nur auf die vorgeschriebene Art und Weise will sie heiraten. Sag, wie deine Entscheidung lautet: Solltest du nicht gehorchen wollen, dann wirst du noch vor dem Anzünden der Lampen sterben müssen. [340] Wenn du bei dem Frevel mitmachst, wirst du noch einen kleinen Aufschub erhalten, bis die Angelegenheit, die bereits der Stadt und dem Volk bekannt ist, dem Kaiser zu Ohren kommt; er wird die Schande für sein Haus als letzter erfahren. Befolge du inzwischen den Befehl, falls dir ein Leben von nur wenigen Tagen so viel wert ist. Unabhängig davon, was du für leichter und besser hältst, [345] diesen schönen und schneeweißen Nacken musst du dem Schwert darbieten. Also werden sich die Menschen nichts wünschen? – Wenn du einen Rat willst, überlasse es den Göttern selbst, abzuwägen, was uns zukommt und was unseren Angelegenheiten dienlich ist. Denn anstelle des Angenehmen werden die Götter gerade das geben, was am besten passt. [350] Ihnen liegt der Mensch mehr am Herzen als sie selbst. Von unserem Geist angetrieben und geführt von blinder und großer Begierde, wünschen wir uns eine Ehe und dass die Frau Kinder kriegt. Aber jenen ist bekannt, welche Kinder und was für eine Frau das sein werden. Damit du trotzdem etwas fordern und auch den kleinen Heiligtümern [355] die Eingeweide und die heiligen

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SATURA X

orandum est ut sit mens sana in corpore sano. fortem posce animum mortis terrore carentem, qui spatium vitae extremum inter munera ponat naturae, qui ferre queat quoscumque dolores, nesciat irasci, cupiat nihil et potiores Herculis aerumnas credat saevosque labores et venere et cenis et pluma Sardanapalli. monstro quod ipse tibi possis dare; semita certe tranquillae per virtutem patet unica vitae. nullum numen habes, si sit prudentia: nos te, nos facimus, Fortuna, deam caeloque locamus.

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Würste von einem Schwein versprechen kannst, das schön weiß ist, musst du dafür beten, dass ein gesunder Geist in einem gesunden Körper ist. Fordere einen tapferen Sinn, der frei von Todesfurcht ist, der die lange Dauer des Lebens unter den Geschenken der Natur als das unbedeutendste einordnet, der alle möglichen Schmerzen ertragen kann, [360] der nicht weiß, wie man zornig wird, der nichts begehrt und der die Plackerei des Herkules und seine grausamen Arbeiten für erstrebenswerter hält als Liebesgenuss, Gelage und auch die Federbetten eines Sardanapallus. Ich zeige dir, womit du selbst dich beschenken kannst. Sicherlich kann der einzige Weg zu einem ruhigen Leben nur durch die Tugend beschritten werden. [365] Du besitzt keine göttliche Macht, wenn die Klugheit herrscht. Wir, ja wir machen dich zur Göttin, Fortuna, und versetzen dich an den Himmel.

Satura XI Atticus eximie si cenat, lautus habetur, si Rutilus, demens. quid enim maiore cachinno excipitur volgi quam pauper Apicius? omnis convictus, thermae, stationes, omne theatrum de Rutilo. nam dum valida ac iuvenalia membra sufficiunt galeae dumque ardent sanguine, fertur non cogente quidem sed nec prohibente tribuno scripturus leges et regia verba lanistae. multos porro vides, quos saepe elusus ad ipsum creditor introitum solet expectare macelli et quibus in solo vivendi causa palato est. egregius cenat meliusque miserrimus horum et cito casurus iam perlucente ruina. interea gustus elementa per omnia quaerunt numquam animo pretiis obstantibus; interius si attendas, magis illa iuvant quae pluris emuntur. ergo haut difficile est perituram arcessere summam lancibus oppositis vel matris imagine fracta et quadringentis nummis condire gulosum fictile: sic veniunt ad miscellanea ludi. refert ergo quis haec eadem paret; in Rutilo nam luxuria est, in Ventidio laudabile nomen sumit et a censu famam trahit. illum ego iure despiciam, qui scit quanto sublimior Atlas omnibus in Libya sit montibus, hic tamen idem ignorat quantum ferrata distet ab arca

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Elfte Satire Wenn ein Atticus exquisit speist, dann findet man das vornehm, wenn ein Rutilus dies tut, dann hält man es für Wahnsinn. Denn worauf reagiert man im Volk mit lauterem Lachen als auf einen armen Apicius? Bei allen Zusammenkünften, in Bädern, an Treffpunkten und in jedem Theater [5] geht es um Rutilus. Solange nämlich seine kräftigen und jugendlichen Glieder einen Helm tragen können und solange in ihnen feuriges Blut fließt, wird er sich – so sagt man – den Regeln und den tyrannischen Worten des Gladiatorentrainers verschreiben, und zwar ohne dass ihn der Tribun dazu zwingt, aber auch ohne dass er es verhindert. Man sieht auch viele andere, die ihr oft an der Nase herumgeführter [10] Gläubiger wie üblich direkt am Eingang zum Lebensmittelmarkt erwartet und bei denen der einzige Grund dafür, dass sie leben, in ihrem Gaumen liegt. Der Ärmste von denen speist besonders vortrefflich und gut, und schnell wird er zu Fall kommen, zumal seine Fassade schon Risse hat. Doch bis dahin durchforschen sie sämtliche Elemente nach Leckereien, [15] und nie stehen ihrer Lust die Preise im Weg. Wenn man es genauer betrachtet, dann macht ihnen das mehr Spaß, was man für mehr Geld kauft. Darum ist es kein Problem, eine Summe zum Verprassen aufzutreiben, indem man sein Geschirr verpfändet oder das Bildnis der Mutter zerbricht, und dann für 400 Sesterze etwas Leckeres zuzubereiten [20] – in einem Tontopf. So gelangen sie zum Eintopf der Gladiatorenschule. Es macht also einen Unterschied, wer diese Dinge erwirbt. Denn im Fall des Rutilus ist das Verschwendung, bei Ventidius wird es mit einem lobenden Begriff bezeichnet und aufgrund seines Vermögens erlangt es einen guten Ruf. Mit Recht werde ich den verachten, der weiß, wie viel höher der Atlas [25] ist als alle Berge in Libyen, der aber gleichzeitig nicht erkennen will, wie sehr sich sein Geldsäckchen von einer Eisentruhe unterscheidet. Vom Himmel herabgestiegen ist

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sacculus. e caelo descendit γνῶϑι σεαυτόν figendum et memori tractandum pectore, sive coniugium quaeras vel sacri in parte senatus esse velis; neque enim loricam poscit Achillis Thersites, in qua se traducebat Ulixes; ancipitem seu tu magno discrimine causam protegere adfectas, te consule, dic tibi qui sis, orator vehemens an Curtius et Matho buccae. noscenda est mensura sui spectandaque rebus in summis minimisque, etiam cum piscis emetur, ne mullum cupias, cum sit tibi gobio tantum in loculis. quis enim te deficiente crumina et crescente gula manet exitus, aere paterno ac rebus mersis in ventrem fenoris atque argenti gravis et pecorum agrorumque capacem? talibus a dominis post cuncta novissimus exit anulus, et digito mendicat Pollio nudo. non praematuri cineres nec funus acerbum luxuriae sed morte magis metuenda senectus. hi plerumque gradus: conducta pecunia Romae et coram dominis consumitur; inde, ubi paulum nescio quid superest et pallet fenoris auctor, qui vertere solum, Baias et ad ostrea currunt. cedere namque foro iam non est deterius quam Esquilias a ferventi migrare Subura. ille dolor solus patriam fugientibus, illa maestitia est, caruisse anno circensibus uno. sanguinis in facie non haeret gutta, morantur pauci ridiculum et fugientem ex urbe pudorem. Experiere hodie numquid pulcherrima dictu,

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das »Erkenne dich selbst!«, das man sich in seinem Herzen einprägen, an das man sich erinnern und mit dem man sich beschäftigen muss, wenn du etwa eine Ehefrau suchst oder ein Teil des heiligen Senats [30] werden willst. Thersites forderte nämlich auch nicht die Rüstung des Achilles, in der sich dann Odysseus lächerlich machte. Oder wenn du dich daran machst, in einem unklaren Prozess mit großem Risiko die Verteidigung zu übernehmen, dann geh mit dir zu Rate und sag dir, wer du bist: ein starker Redner oder ein Windbeutel wie Curtius und Matho. [35] Man muss sein eigenes Format erkennen und in bedeutendsten sowie geringsten Angelegenheiten beachten – selbst wenn man einen Fisch kauft, damit du dir nicht eine Barbe wünschst, obwohl deine Schatulle nur einen Gründling hergibt. Denn welches Ende erwartet dich, wenn dein Geldbeutel schrumpft und dein Schlund immer größer wird, nachdem du das von deinem Vater geerbte Geld [40] und dessen Besitz in deinem Magen versenkt hast, in dem es genug Platz gibt für Zinsen und für schweres Silbergeschirr sowie für Vieh und Ländereien? Solche Herren verlässt als letzter nach allem anderen der Ring des Ritters, und Pollio bettelt mit nacktem Finger. Ein vorzeitiges Begräbnis und schmerzliches Sterben [45] muss die Verschwendungssucht nicht fürchten, sondern – noch mehr als den Tod – das Alter. Meistens gibt es den folgenden Ablauf: Man leiht sich Geld und bringt es in Rom unter den Augen der Besitzer durch. Sobald dann nur noch irgendein kleines bisschen übrig ist und der Kreditgeber erbleicht, eilen diejenigen, die sich ins Exil begeben, nach Baiae zum Austernessen. [50] Denn sich vom Forum zurückzuziehen findet man mittlerweile auch nicht schlimmer, als von der brodelnden Subura auf den Esquilin umzuziehen. Die aus der Heimat fliehen, verspüren allein darüber Schmerz und darüber Kummer, dass sie ein Jahr ohne Zirkusspiele auskommen müssen. In ihrem Gesicht verweilt nicht ein Tropfen Blut, [55] und nur wenige halten sich mit dem lächerlichen Ehrgefühl auf, das nun fluchtartig die Stadt verlässt. Heute, Persicus, wirst du sehen, ob ich das, was man sehr schön daherreden kann, in meinem Leben, meinen Sitten und meinen Ta-

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SATURA XI

Persice, non praestem vita ipse et moribus et re, si laudem siliquas occultus ganeo, pultes coram aliis dictem puero, sed in aure placentas. nam cum sis conviva mihi promissus, habebis Euandrum, venies Tirynthius aut minor illo hospes, et ipse tamen contingens sanguine caelum, alter aquis, alter flammis ad sidera missus. Fercula nunc audi nullis ornata macellis. de Tiburtino veniet pinguissimus agro haedulus et toto grege mollior, inscius herbae necdum ausus virgas humilis mordere salicti, qui plus lactis habet quam sanguinis, et montani asparagi, posito quos legit vilica fuso. grandia praeterea tortoque calentia feno ova adsunt ipsis cum matribus, et servatae parte anni quales fuerant in vitibus uvae, Signinum Syriumque pirum, de corbibus isdem aemula Picenis et odoris mala recentis nec metuenda tibi, siccatum frigore postquam autumnum et crudi posuere pericula suci. Haec olim nostri iam luxuriosa senatus cena fuit. Curius parvo quae legerat horto ipse focis brevibus ponebat holuscula, quae nunc squalidus in magna fastidit conpede fossor, qui meminit calidae sapiat quid volva popinae. sicci terga suis rara pendentia crate moris erat quondam festis servare diebus et natalicium cognatis ponere lardum accedente nova, si quam dabat hostia, carne. cognatorum aliquis titulo ter consulis atque

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ten etwa nicht selbst leiste – ob ich Hülsenfrüchte preise, aber im Verborgenen ein Schlemmer bin, ob ich im Beisein anderer beim Sklaven Speltbrei bestelle, ihm aber »Kuchen« ins Ohr flüstere. [60] Da du mir nämlich zugesagt hast, mein Gast zu sein, werde ich für dich ein Euander sein, und du wirst wie der Gast aus Tiryns zu mir kommen oder wie der, der niedrigeren Ranges war als jener und trotzdem selbst ein Blutsverwandter des Himmels war: Der eine wurde durch das Wasser, der andere durch das Feuer zu den Sternen geschickt. Höre nun die Abfolge der Speisen, welche ohne jeden Speisemarkt zubereitet wurden. [65] Von einem Landgut bei Tibur wird ein Zicklein kommen, sehr fett und zarter als die ganze übrige Herde. Das Gras kennt es noch nicht und es hat sich noch nicht getraut, an den Zweigen des niedrigen Weidenstrauchs zu knabbern. Es hat mehr Milch in sich als Blut: Und dazu gibt es Bergspargel, den die Frau des Verwalters geerntet hat, nachdem sie ihre Spindel beiseitegelegt hat. [70] Außerdem gibt es große Eier, warmgehalten im Heunest, zusammen mit ihren Müttern und Trauben, die für einen Teil des Jahres so aufbewahrt wurden, wie sie an den Weinstöcken gewesen waren, sowie Birnen aus Signia – und zwar die syrischen – und aus denselben Körben Äpfel, die es mit denen aus Picenum aufnehmen können mit ihrem frischem Duft. [75]. Doch bei denen musst du keine Angst haben, weil die Herbstkälte sie getrocknet hat und sie die schädliche Wirkung ihres frischen Saftes verloren haben. Das wäre einst für unseren Senat bereits eine üppige Mahlzeit gewesen. Ein Curius pflegte das Gemüse, das er in seinem kleinen Garten geerntet hatte, selbst auf seinen schmalen Herd zu setzen; davor würde sich heutzutage [80] ein verdreckter Feldsklave mit einer großen Fußfessel ekeln, der sich ja noch daran erinnert, wie die Sauengebärmutter in einer warmen Kneipe schmeckt. Einst war es Sitte, getrocknete Schweinerücken, die von löchrigem Flechtwerk herabhingen, für Festtage aufzubewahren und den Verwandten zur Geburtstagsfeier Speck vorzusetzen. [85] Dazu kam frisches Fleisch, falls ein Opfertier welches lieferte. Wenn einer von den Verwandten zum dritten Mal den Titel eines Konsuls verliehen bekam oder die Befehlsge-

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SATURA XI

castrorum imperiis et dictatoris honore functus ad has epulas solito maturius ibat erectum domito referens a monte ligonem. cum tremerent autem Fabios durumque Catonem et Scauros et Fabricium, rigidique severos censoris mores etiam collega timeret, nemo inter curas et seria duxit habendum, qualis in Oceani fluctu testudo nataret, clarum Troiugenis factura et nobile fulcrum, sed nudo latere et parvis frons aerea lectis vile coronati caput ostendebat aselli, ad quod lascivi ludebant ruris alumni. tales ergo cibi qualis domus atque supellex. tunc rudis et Graias mirari nescius artes urbibus eversis praedarum in parte reperta magnorum artificum frangebat pocula miles, ut phaleris gauderet ecus caelataque cassis Romuleae simulacra ferae mansuescere iussae imperii fato, geminos sub rupe Quirinos ac nudam effigiem in clipeo venientis et hasta pendentisque dei perituro ostenderet hosti. ponebant igitur Tusco farrata catino: argenti quod erat solis fulgebat in armis. omnia tunc quibus invideas, si lividulus sis. templorum quoque maiestas praesentior, et vox nocte fere media mediamque audita per urbem litore ab Oceani Gallis venientibus et dis officium vatis peragentibus. his monuit nos, hanc rebus Latiis curam praestare solebat fictilis et nullo violatus Iuppiter auro. illa domi natas nostraque ex arbore mensas

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walt über ein Heerlager oder das Ehrenamt des Diktators, dann begab er sich etwas schneller als gewöhnlich zu diesen Speisen, wobei er seine Hacke aufrecht über der Schulter von dem bezähmten Berg zurück nach Hause brachte. [90] Und als man vor den Fabiern erzitterte und vor dem harten Cato sowie vor den Scaurern und vor Fabricius und als selbst sein Amtskollege die strengen Sitten des unerbittlichen Zensors fürchtete, da meinte niemand, man müsse es für besorgniserregend oder für eine ernste Angelegenheit halten, was für Schildkröten in den Fluten des Ozeans herumschwimmen, [95] die den Abkömmlingen der Trojaner ein hervorragendes und vornehmes Speiselager bereiten sollen. Vielmehr zeigte das bronzene Kopfende an den kleinen Liegen mit ihren unverzierten Seiten einfach das Haupt eines bekränzten Eselchens, bei dem die ausgelassenen Landkinder spielten. So waren also die Speisen wie das Haus und seine Einrichtung. [100] Damals zerbrach ein Soldat, weil er ungebildet war und die griechischen Kunstwerke nicht zu bewundern verstand, nach der Zerstörung von Städten die von großen Künstlern geschaffenen Becher, die er in seinem Teil der Beute gefunden hatte, damit sein Pferd sich über den Schmuck freute und sein ziselierter Helm dem Feind, kurz bevor er zu Tode kam, Folgendes zeigte: ein Abbild von Romulus’ Tier, dem das Schicksal des Reiches befohlen hatte, zahm zu werden, [105] die quirinischen Zwillinge unter dem Felsen und die nackte Gestalt des Gottes, wie er mit Schild und Lanze herankommt und in der Luft schwebt. Sie tischten also den Getreidebrei in etruskischem Tongeschirr auf: Was es an Silber gab, das glänzte allein an ihren Waffen. [110] Das war damals alles, worauf man neidisch sein könnte, wenn man denn eine neidische Person ist. Auch die Erhabenheit der Tempel war damals stärker präsent, und man hörte gegen Mitternacht eine Stimme mitten durch die Stadt, als vom Strand des Ozeans die Gallier kamen und die Götter das Amt eines Sehers ausübten. So warnte uns [115] Jupiter, diese Fürsorge pflegte er den Angelegenheiten in Latium zu gewähren, als er noch mit Ton dargestellt wurde und nicht vom Gold besudelt war. In jenen Zeiten sah man Tische, die hierzulande und aus unseren eigenen

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tempora viderunt, hos lignum stabat ad usus, annosam si forte nucem deiecerat eurus. at nunc divitibus cenandi nulla voluptas, nil rhombus, nil damma sapit, putere videntur unguenta atque rosae, latos nisi sustinet orbis grande ebur et magno sublimis pardus hiatu dentibus ex illis quos mittit porta Syenes et Mauri celeres et Mauro obscurior Indus, et quos deposuit Nabataeo belua saltu iam nimios capitique graves. hinc surgit orexis, hinc stomacho vires, nam pes argenteus illis, anulus in digito quod ferreus. ergo superbum convivam caveo, qui me sibi comparat et res despicit exiguas. adeo nulla uncia nobis est eboris, nec tessellae nec calculus ex hac materia, quin ipsa manubria cultellorum ossea. non tamen his ulla umquam obsonia fiunt rancidula aut ideo peior gallina secatur. Sed nec structor erit cui cedere debeat omnis pergula, discipulus Trypheri doctoris, apud quem sumine cum magno lepus atque aper et pygargus et Scythicae volucres et phoenicopterus ingens et Gaetulus oryx hebeti lautissima ferro caeditur et tota sonat ulmea cena Subura. nec frustum capreae subducere nec latus Afrae novit avis noster, tirunculus ac rudis omni tempore et exiguae furtis inbutus ofellae. plebeios calices et paucis assibus emptos porriget incultus puer atque a frigore tutus; non Phryx aut Lycius, non a mangone petitus

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Bäumen entstanden waren. Zu diesem Gebrauch stand das Holz bereit, wenn der Ostwind zufällig einen bejahrten Nussbaum gefällt hatte. [120] Aber nun gibt es für die Reichen keinerlei Lust am Speisen: Nach nichts schmeckt der Steinbutt, nach nichts das Reh, und Parfüm und Rosen scheinen zu stinken – es sei denn gewaltiges Elfenbein trägt die weiten Tischplatten und ein aufgerichteter Panther mit riesigem Maul aus den Zähnen, welche das Tor von Syene schickt [125] und die flinken Mauren und die Inder, die noch dunkler sind als die Mauren; diese Zähne hat das Ungetüm im nabatäischen Wald abgelegt, weil sie schon zu groß und für den Kopf zu schwer waren. Dadurch steigt der Appetit, dadurch bekommt der Magen Kraft, denn ein Tischfuß aus Silber ist für sie dasselbe wie ein Eisenring am Finger. Deshalb [130] hüte ich mich vor einem arroganten Gast, der mich mit sich selbst vergleicht und meinen spärlichen Besitz verachtet. Denn tatsächlich habe ich nicht eine Unze Elfenbein, nicht einmal meine kleinen Würfel und meine Spielsteine sind aus diesem Material, ja sogar die Griffe meiner Messer sind aus Knochen. Doch niemals verderben dadurch irgendwelche Speisen [135], und das Huhn wird deshalb beim Zerlegen auch nicht schlechter. Auch wird es keinen Trancheur geben, hinter dem jede Kochschule zurückstehen muss, keinen Schüler von Meister Trypherus. Bei dem werden zusammen mit einem großen Saueuter ein Hase, ein Eber, eine Antilope, skythische Vögel, ein riesiger Flamingo [140] und eine gätulische Gazelle mit einem stumpfem Messer zerlegt, und in der ganzen Subura kann man dieses überaus vornehme Mahl aus Ulmenholz hören. Auch versteht sich mein Sklave nicht darauf, heimlich eine Scheibe Rehbraten oder eine Keule vom afrikanischen Geflügel zu entwenden. Er ist ein Anfänger, in jeder Situation ungeschickt und hat nur gelernt, ganz kleine Häppchen zu stehlen. [145] Becher der einfachen Leute, die für wenig Geld gekauft wurden, wird dir ein Sklave reichen, der nicht herausgeputzt wurde und doch vor Kälte geschützt ist. Kein Phrygier oder Lykier wird da sein, keiner, der vom Sklavenhändler gekauft wurde, und das für einen hohen Preis. Wenn

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quisquam erit et magno: cum posces, posce Latine! idem habitus cunctis, tonsi rectique capilli atque hodie tantum propter convivia pexi. pastoris duri hic filius, ille bubulci. suspirat longo non visam tempore matrem, et casulam et notos tristis desiderat haedos, ingenui voltus puer ingenuique pudoris, qualis esse decet quos ardens purpura vestit, nec pupillares defert in balnea raucus testiculos, nec vellendas iam praebuit alas, crassa nec opposito pavidus tegit inguina guto. hic tibi vina dabit diffusa in montibus illis a quibus ipse venit, quorum sub vertice lusit. [namque una atque eadem est vini patria atque ministri.] Forsitan expectes ut Gaditana canoro incipiant prurire choro plausuque probatae ad terram tremulo descendant clune puellae: [spectant hoc nuptae iuxta recubante marito quod pudeat narrare aliquem praesentibus ipsis,] inritamentum veneris languentis et acres ramitis urticae. [maior tamen ista voluptas alterius sexus.] magis ille extenditur, et mox auribus atque oculis concepta urina movetur. non capit has nugas humilis domus. audiat ille testarum crepitus cum verbis, nudum olido stans fornice mancipium quibus abstinet, ille fruatur vocibus obscenis omnique libidinis arte, qui Lacedaemonium pytismate lubricat orbem; namque ibi fortunae veniam damus. alea turpis, turpe et adulterium mediocribus: haec eadem illi

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du was bestellst, dann bestell auf Lateinisch! Alle werden dasselbe äußere Erscheinungsbild abgeben, ihre Haare werden geschnitten und glatt sein [150] und nur heute wegen des Gastmahls gekämmt. Der eine ist der Sohn eines abgehärteten Schäfers, der andere eines Ochsentreibers. Er seufzt beim Gedanken an seiner Mutter, die er lange nicht gesehen hat, und traurig sehnt er sich nach seiner Hütte und den ihm vertrauten Zicklein – ein Knabe mit dem Gesicht eines Freigeborenen und mit dem Schamgefühl eines Freigeborenen, [155] wie es sich für diejenigen gehören würde, die der feuerrote Purpur kleidet. Er hat keine raue Stimme und trägt nicht seine enthaarten Hoden ins Bad, auch seine Achseln hat er nicht enthaaren lassen, und nicht bedeckt er ängstlich durch das Davorhalten einer Ölkanne sein dickes Geschlechtsteil. Der wird dir den Wein reichen, den man in jenen Bergen abgefüllt hat, [160] aus denen er selbst stammt und unter deren Gipfeln er spielte. [Denn der Wein und der Diener haben ein und dieselbe Heimat.] Du erwartest vielleicht, dass in einem wohlklingenden Chor Mädchen aufreizende Lieder aus Gades anstimmen und, wenn sie ihren Applaus bekommen, mit wackelndem Hintern auf den Boden herabsinken: [165] [Das schauen sich verheiratete Frauen an, während ihr Mann daneben liegt. Dabei würde man sich schämen, davon in ihrer Anwesenheit auch nur zu erzählen] ein Mittel zur Anregung erschlaffter Liebeslust und ein scharfer Stachel bei einem Hodenbruch. [Größer ist jedoch die Lust bei dem anderen Geschlecht.] Er dehnt sich weiter aus, und bald [170] wird durch Ohren und Augen der Samen, der sich angesammelt hat, in Bewegung gesetzt. Für diesen Unfug ist in meinem einfachen Haus kein Platz. Jener soll sich das Getöse der Kastagnetten anhören mitsamt den Worten, von denen sich eine nackte Sklavin fernhalten würde, die sich im stinkenden Bordell anbietet, jener soll unanständige Äußerungen und sämtliche Kniffe der Lust genießen, [175] der dafür sorgt, dass lakedämonische Marmorplatten vom ausgespuckten Wein glitschig werden. Da sind wir gegenüber seiner hohen Stellung nämlich nachsichtig. Würfelspiel ist unanständig, unanständig ist auch Ehebruch – bei einfachen

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omnia cum faciunt, hilares nitidique vocantur. nostra dabunt alios hodie convivia ludos: conditor Iliados cantabitur atque Maronis altisoni dubiam facientia carmina palmam: quid refert, tales versus qua voce legantur? Sed nunc dilatis averte negotia curis et gratam requiem dona tibi, quando licebit per totum cessare diem. non fenoris ulla mentio, nec, prima si luce egressa reverti nocte solet, tacito bilem tibi contrahat uxor umida suspectis referens multicia rugis vexatasque comas et voltum auremque calentem. protinus ante meum quidquid dolet exue limen, pone domum et servos et quidquid frangitur illis aut perit, ingratos ante omnia pone sodalis. interea Megalesiacae spectacula mappae Idaeum sollemne colunt, similisque triumpho praeda caballorum praetor sedet ac, mihi pace inmensae nimiaeque licet si dicere plebis, totam hodie Romam circus capit, et fragor aurem percutit, eventum viridis quo colligo panni. nam si deficeret, maestam attonitamque videres hanc urbem veluti Cannarum in pulvere victis consulibus. spectent iuvenes, quos clamor et audax sponsio, quos cultae decet adsedisse puellae: nostra bibat vernum contracta cuticula solem effugiatque togam. iam nunc in balnea salva fronte licet vadas, quamquam solida hora supersit ad sextam. facere hoc non possis quinque diebus continuis, quia sunt talis quoque taedia vitae magna: voluptates commendat rarior usus.

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Leuten. Wenn jene genau dasselbe machen, nennt man sie »gut drauf« und »schick«. Unser Mahl wird heute eine andere Unterhaltung bieten: [180] Man wird den Schöpfer der Ilias rezitieren und die Gesänge des hochtönenden Maro, die dafür sorgen werden, dass unklar ist, wem der Siegerpreis gebührt. Was spielt es da für eine Rolle, mit welcher Stimme solche Verse vorgetragen werden? Doch schieb nun die Sorgen beiseite, wende dich von deinen Geschäften ab und gönne dir die willkommene Ruhe: Es wird dir nämlich gestattet sein, [185] den ganzen Tag lang nichts zu tun. Niemand soll die Zinsen erwähnen, und auch deine Gattin soll, falls sie wie üblich bei Tagesanbruch ausgegangen ist und nachts zurückkommt, nicht dafür sorgen, dass sich dir im Stillen die Galle zusammenzieht, wenn sie mit einem feuchten Gewand voller verdächtiger Falten zurückkehrt und mit zerzausten Haaren sowie mit erhitztem Gesicht und Ohr. [190] Streife unmittelbar vor meiner Schwelle alles ab, was dir Kummer bereitet, lass dein Haus und die Sklaven zurück und alles, was von ihnen zerbrochen oder verloren wird – und lass vor allem deine undankbaren Geschäftspartner zurück! Unterdessen feiern die Zuschauer das idäische Fest mit der megalesischen Startflagge: Ähnlich wie bei einem Triumph [195] sitzt der Prätor als Beute der Gäule da, und – falls ich das ohne Zwietracht mit der riesigen und allzu großen Menge sagen darf – heute fasst der Zirkus ganz Rom, und ein Getöse dringt in die Ohren, aus dem ich auf einen Sieg des grünen Trikots schließe. Würde dieses versagen, dann würdest du diese Stadt nämlich trübsinnig und wie unter Schock sehen [200] wie nach der Niederlage der Konsuln im Staub von Cannae. Das sollen sich junge Männer ansehen, zu denen Geschrei und kühne Wetten passen und zu denen es passt, neben einem herausgeputzten Mädchen Platz zu nehmen. Unsere runzlige Haut soll die Frühlingssonne tanken und der Toga entfliehen. Schon jetzt darfst du, ohne dich zu schämen, ins Bad [205] gehen, obwohl noch eine ganze Stunde bis zur sechsten fehlt. Das könnte man wohl nicht fünf Tage hintereinander tun, weil der Überdruss auch an einem solchen Leben groß wäre. Die Vergnügungen sind angenehmer, wenn man sie seltener genießt.

Satura XII Natali, Corvine, die mihi dulcior haec lux, qua festus promissa deis animalia caespes expectat. niveam reginae ducimus agnam, par vellus dabitur pugnanti Gorgone Maura; sed procul extensum petulans quatit hostia funem Tarpeio servata Iovi frontemque coruscat, quippe ferox vitulus templis maturus et arae spargendusque mero, quem iam pudet ubera matris ducere, qui vexat nascenti robora cornu. si res ampla domi similisque adfectibus esset, pinguior Hispulla traheretur taurus et ipsa mole piger, nec finitima nutritus in herba, laeta sed ostendens Clitumni pascua sanguis et grandi cervix iret ferienda ministro, ob reditum trepidantis adhuc horrendaque passi nuper et incolumem sese mirantis amici. Nam praeter pelagi casus et fulminis ictus evasit: densae caelum abscondere tenebrae nube una subitusque antemnas inpulit ignis. cum se quisque illo percussum crederet et mox attonitus nullum conferri posse putaret naufragium velis ardentibus (omnia fiunt talia, tam graviter, si quando poetica surgit tempestas), genus ecce aliud discriminis! audi et miserere iterum, quamquam sint cetera sortis eiusdem pars dira quidem, sed cognita multis

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Zwölfte Satire Mehr Freude als mein Geburtstag bereitet mir der Tag, Corvinus, an dem der feierliche Rasenaltar die den Göttern versprochenen Tieropfer erwartet. Für die Königin führe ich ein schneeweißes Lamm herbei, eines mit ebensolcher Wolle wird der gegeben werden, die mit Hilfe der maurischen Gorgo kämpft. [5] Doch das für den Tarpeiischen Jupiter bewahrte Opfertier schüttelt ungestüm seinen lang gezogenen Strick und führt mit seiner Stirn Stöße aus – ja, dieser wilde Jungstier ist nun alt genug ist für Tempel und den Altar und soll mit Wein besprengt werden. Er schämt sich schon, vom Euter der Mutter zu trinken, und traktiert die Bäume mit den Hörnern, die ihm nun wachsen. [10] Wenn es bei mir zu Hause ein großes, meinen Gefühlen entsprechendes Vermögen gäbe, dann würde ein Stier herangeschleppt, der fetter wäre als Hispulla und träge durch sein eigenes Gewicht. Der wäre nicht auf der benachbarten Wiese genährt worden, sondern er wäre von einem Geblüt, das die üppigen Weiden am Clitumnus erkennen ließe, und da würde dieser Nacken entlangschreiten, den ein großer Sklave durchstoßen müsste – [15] anlässlich der Rückkehr meines Freundes, der noch immer zittert, der vor Kurzem Schreckliches erlebte und der sich darüber wundert, dass er am Leben ist. Denn abgesehen von den Gefahren der See entkam er auch dem Blitzschlag: Dichte Finsternis bedeckte den Himmel mit einer einzigen Wolke, und unvermutet schlug ein Blitz in die Segelstangen ein. [20] Als jeder glaubte, er sei davon getroffen worden, und danach starr vor Panik meinte, dass kein Schiffbruch einem Brand der Segel gleich komme (all sowas passiert, und das mit solcher Heftigkeit, wenn einmal in der Dichtung ein Sturm aufzieht) – da droht plötzlich eine andere Art der Gefahr! Hör zu [25] und hab noch einmal Mitleid, obwohl die folgenden Ereignisse zu demselben Schicksal gehören. Das ist zwar grausig, aber doch vielen bekannt, und die meisten Tempel

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SATURA XII

et quam votiva testantur fana tabella plurima (pictores quis nescit ab Iside pasci?). accidit et nostro similis fortuna Catullo. cum plenus fluctu medius foret alveus et iam, alternum puppis latus evertentibus undis, arboris incertae, nullam prudentia cani rectoris cum ferret opem, decidere iactu coepit cum ventis, imitatus castora, qui se eunuchum ipse facit cupiens evadere damno testiculi: adeo medicatum intellegit inguen. “fundite quae mea sunt” dicebat “cuncta” Catullus, praecipitare volens etiam pulcherrima, vestem purpuream teneris quoque Maecenatibus aptam, atque alias quarum generosi graminis ipsum infecit natura pecus, sed et egregius fons viribus occultis et Baeticus adiuvat aer. ille nec argentum dubitabat mittere, lances Parthenio factas, urnae cratera capacem et dignum sitiente Pholo vel coniuge Fusci; adde et bascaudas et mille escaria, multum caelati, biberat quo callidus emptor Olynthi: sed quis nunc alius qua mundi parte, quis audet argento praeferre caput rebusque salutem? [non propter vitam faciunt patrimonia quidam, sed vitio caeci propter patrimonia vivunt.] iactatur rerum utilium pars maxima, sed nec damna levant. tunc adversis urguentibus illuc reccidit ut malum ferro summitteret, ac se explicat angustum: discriminis ultima, quando praesidia adferimus navem factura minorem. i nunc et ventis animam committe dolato

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bezeugen das auf einer Votivtafel (Wer wüsste nicht, dass die Maler von Isis ernährt werden?). Ein ähnliches Schicksal ist auch meinem Catullus widerfahren. [30] Als der Rumpf in der Mitte durch die Flut angefüllt war – schon neigte sich das Schiff durch die Wellen im Wechsel zu seinen beiden Seiten, wobei der Mast ins Schwanken geriet – und als die Umsicht des grauhaarigen Steuermanns auch nichts half, da begann er durch das Überbordwerfen von Ladung sich mit den Winden zu einigen. Dabei folgte er dem Vorbild des Bibers, der sich [35] selbst zum Eunuchen macht, weil er durch den Verlust seiner Hoden zu entkommen wünscht. So sehr versteht er, dass sein Penis eine heilsame Wirkung besitzt. – »Kippt alles über Bord, was mir gehört«, sprach Catullus in der Absicht, sogar die schönsten Dinge wegzuwerfen: ein Purpurgewand, das auch für Leute wie den zarten Maecenas geeignet gewesen wäre, [40] sowie weitere, deren Schafe schon die natürliche Kraft eines vornehmen Grases färbte, aber auch eine vorzügliche Quelle mit ihren verborgenen Kräften und die Luft am Baetis leisten ihren Beitrag. Er zögerte nicht, Silbergeschirr wegzuwerfen, Schüsseln, die für Parthenius gefertigt worden waren, einen Mischkrug, der eine Urne fasste [45] und zu dem durstigen Pholus gepasst hätte oder auch zu der Gattin des Fuscus. Zähle noch Körbe und tausend Teller hinzu sowie reich verziertes Silbergeschirr, aus dem schon der getrunken hatte, der Olythus auf so clevere Weise aufkaufte. Doch wer sonst in welchem Teil der Welt würde es heutzutage wagen, seinen Kopf dem Silber und die Rettung seinem Vermögen vorzuziehen? [50] [Nicht um zu leben, erschaffen einige ein Vermögen, sondern von ihrem Laster geblendet, leben sie, um ein Vermögen zu haben.] Der größte Teil der nützlichen Dinge wird über Bord geworfen, aber nicht einmal diese Verluste sorgen für Abhilfe. In Bedrängnis durch das Unheil kommt er dann dazu, dass er mit einem Beil den Mast umlegt, und [55] verarmt kommt er aus der Situation heraus. Dann besteht höchste Gefahr, wenn wir Schutzmaßnahmen ergreifen, die das Schiff kleiner machen sollen. Na los, übergib dein Leben den Winden im Vertrauen auf das zurechtgehauene Holz, vom Tode

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SATURA XII

confisus ligno, digitis a morte remotus quattuor aut septem, si sit latissima, taedae; mox cum reticulis et pane et ventre lagonae aspice sumendas in tempestate secures. sed postquam iacuit planum mare, tempora postquam prospera vectoris fatumque valentius euro et pelago, postquam Parcae meliora benigna pensa manu ducunt hilares et staminis albi lanificae, modica nec multum fortior aura ventus adest, inopi miserabilis arte cucurrit vestibus extentis et, quod superaverat unum, velo prora suo. iam deficientibus austris spes vitae cum sole redit. tum gratus Iulo atque novercali sedes praelata Lavino conspicitur sublimis apex, cui candida nomen scrofa dedit, laetis Phrygibus mirabile sumen, et numquam visis triginta clara mamillis. tandem intrat positas inclusa per aequora moles Tyrrhenamque Pharon porrectaque bracchia rursum quae pelago occurrunt medio longeque relincunt Italiam: non sic igitur mirabere portus quos natura dedit. sed trunca puppe magister interiora petit Baianae pervia cumbae tuti stagna sinus, gaudent ubi vertice raso garrula securi narrare pericula nautae. Ite igitur, pueri, linguis animisque faventes sertaque delubris et farra inponite cultris ac mollis ornate focos glebamque virentem. iam sequar et sacro, quod praestat, rite peracto inde domum repetam, graciles ubi parva coronas accipiunt fragili simulacra nitentia cera.

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getrennt durch ein vier oder – wenn es sehr dick ist – sieben Finger starkes Fichtenbrett! [60] Kontrolliere dann gemeinsam mit den Brotkörben und der bauchigen Weinflasche auch die Äxte, die man in Seestürmen verwenden muss! Aber als das Meer dann glatt dalag, als die Situation für den Seefahrer günstig war und sein Schicksal mächtiger als Ostwind und Meer, als die Parzen mit gütiger [65] Hand voller Freude und mit weißem Garn arbeitend günstigere Fäden spannen und ein Wind aufgekommen war, der nicht viel stärker war als ein laues Lüftchen, eilte das Schiff nach diesem hilflosen Meisterstück auf jämmerliche Weise dahin: mit aufgespannten Kleidern und mit seinem Vorsegel, das als einziges noch vorhanden war. Der Südwind lässt nach, [70] und gemeinsam mit der Sonne kehrt die Hoffnung auf das Leben zurück. Dann erblickt man den emporragenden Gipfel, den Iulus schätzte und den er als Wohnsitz dem Lavinium seiner Stiefmutter vorzog. Ihm gab die weiße Sau seinen Namen – der Euter, den die Phrygier voller Freude bestaunten –, die berühmt ist aufgrund ihrer dreißig Zitzen, wie man sie zuvor noch nie gesehen hatte. [75] Endlich betritt er die im eingeschlossenen Meer liegenden Dämme, das tyrrhenische Pharos und die ausgestreckten Hafenmolen, die mitten auf dem Meer rückwärtsgewandt aufeinander zulaufen und Italien weit hinter sich lassen. Häfen, welche die Natur errichtet hat, wirst du nicht so sehr bewundern. Aber der Kapitän steuert mit seinem verstümmelten Schiff [80] das innere Hafenbecken mit seiner sicheren Bucht an, in dem auch ein Kahn aus Baiae fahren könnte. Dort haben die geretteten Seeleute ihre Freude daran, mit geschorenem Kopf geschwätzig von ihren Gefahren zu erzählen. Zieht also los, ihr Sklaven, seid dabei schweigsam mit euren Zungen und im Geiste, legt Kränze auf die Schreine und Opfermehl auf die Messer, [85] schmückt auch die weichen Brandaltäre und die grünen Grasschollen. Gleich werde ich euch nachfolgen und nach dem rechten Vollzug des Opfers, das Vorrang hat, von dort wieder nach Hause eilen, wo kleine Götterbilder, die vom bröckeligen Wachs glänzen, dürre Kränze empfangen. Hier werde ich unseren Jupiter besänf-

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SATURA XII

hic nostrum placabo Iovem Laribusque paternis tura dabo atque omnis violae iactabo colores. cuncta nitent, longos erexit ianua ramos et matutinis operatur festa lucernis. Neu suspecta tibi sint haec, Corvine: Catullus, pro cuius reditu tot pono altaria, parvos tres habet heredes. libet expectare quis aegram et claudentem oculos gallinam inpendat amico tam sterili; verum haec nimia est inpensa, coturnix nulla umquam pro patre cadet. sentire calorem si coepit locuples Gallitta et Pacius orbi, legitime fixis vestitur tota libellis porticus, existunt qui promittant hecatomben, quatenus hic non sunt nec venales elephanti, nec Latio aut usquam sub nostro sidere talis belua concipitur, sed furva gente petita arboribus Rutulis et Turni pascitur agro, Caesaris armentum nulli servire paratum privato, siquidem Tyrio parere solebant Hannibali et nostris ducibus regique Molosso horum maiores ac dorso ferre cohortis, partem aliquam belli, et euntem in proelia turrem. nulla igitur mora per Novium, mora nulla per Histrum Pacuvium, quin illud ebur ducatur ad aras et cadat ante Lares Gallittae, victima sola tantis digna deis et captatoribus horum. alter enim, si concedas, mactare vovebit de grege servorum magna et pulcherrima quaeque corpora, vel pueris et frontibus ancillarum inponet vittas et, si qua est nubilis illi Iphigenia domi, dabit hanc altaribus, etsi non sperat tragicae furtiva piacula cervae.

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tigen und den väterlichen Hausgöttern [90] Weihrauch spenden und Veilchen in allen Farben verstreuen. Alles glänzt, die Tür hat lange Zweige emporwachsen lassen, und die festliche Handlung wird im Licht der am Morgen brennenden Lampen ausgeführt. Und damit dir, Corvinus, das nicht verdächtig vorkommt: Catullus, für dessen Heimkehr ich so viele Altäre errichte, [95] hat drei kleine Erben. Auf jemanden, dem ein so unergiebiger Freund auch nur ein krankes Huhn Wert wäre, das schon seine Augen schließt, kannst du lange warten. Tatsächlich wäre das ein zu hoher Einsatz: Keine Wachtel wird je für einen Vater zu Tode kommen. Wenn die begüterte Galitta und Pacius, die keine Kinder haben, das Fieber zu spüren beginnen, [100] dann wird, wie sich das gehört, der ganze Säulengang mit den dort befestigten Votivtafeln zugedeckt. Dann kommen Leute zum Vorschein, die ein großes Stieropfer geloben – weil es hier halt keine Elefanten gibt und man sie hier nicht kaufen kann und man in Latium oder sonstwo in unserem Klima kein solches Riesentier züchtet. Stattdessen holt man sie von dem dunkelhäutigen Volk her [105] und weidet sie dann unter rutulischen Bäumen und auf den Wiesen des Turnus. Sie sind die Herde des Kaisers und nicht bereit, einem Privatmann zu dienen, da es ihre Vorfahren ja gewohnt waren, dem Tyrer Hannibal und unseren Feldherren und dem Molosserkönig zu gehorchen und auf ihrem Rücken Kohorten zu transportieren, [110] einen beachtlichen Teil des Kriegsheeres und einen in die Schlacht ziehenden Turm. Von Seiten des Novius und des Pacuvius Hister gäbe es also kein Zögern, dieses Elfenbein zum Altar zu führen und es vor den Laren der Galitta zu Fall kommen zu lassen: Das wäre das einzige Opfer, das so großen Gottheiten angemessen wäre und ihren Erbschleichern. [115] Letzterer wird nämlich, wenn man ihn lässt, auch geloben, gerade die größten und schönsten Körper aus der Schar seiner Sklaven zu schlachten. Er wird den Sklaven und Sklavinnen sogar Opferbinden um die Stirn legen. Und falls er zu Hause eine Iphigenie im heiratsfähigen Alter hat, wird er auch diese den Altären darbringen, obwohl [120] er nicht hofft, dass wie in der Tragödie heimlich eine Hirschkuh geopfert wird. Diesen Lands-

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SATURA XII

laudo meum civem, nec comparo testamento mille rates; nam si Libitinam evaserit aeger, delebit tabulas inclusus carcere nassae post meritum sane mirandum atque omnia soli forsan Pacuvio breviter dabit, ille superbus incedet victis rivalibus. ergo vides quam grande operae pretium faciat iugulata Mycenis. vivat Pacuvius quaeso vel Nestora totum, possideat quantum rapuit Nero, montibus aurum exaequet, nec amet quemquam nec ametur ab ullo.

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mann lobe ich mir: Man kann tausend Schiffe auch nicht mit einem Testament vergleichen. Denn falls der Erkrankte der Libitina entkommt, wird er, eingeschlossen in dem Gefängnis, das ihm mit einem Fischernetz bereitet wurde, sein Testament vernichten angesichts der in der Tat bewundernswerten Verdienste und alles [125] vielleicht kurzerhand allein Pacuvius vermachen. Der aber wird nach dem Sieg über seine Konkurrenten hochmütig herumstolzieren. Du siehst also, welch große Belohnungen man für seine Mühen erhält, wenn man einer Mykenerin die Kehle durchschneidet. Pacuvius soll leben – darum bitte ich – und das sogar so lange wie das ganze Dasein des Nestor. Er soll so viel besitzen, wie Nero raubte, und er soll sein Gold zu Bergen [130] auftürmen. Aber er soll niemanden lieben und von niemandem geliebt werden.

LIBER QUINTUS Satura XIII Exemplo quodcumque malo committitur, ipsi displicet auctori: prima est haec ultio, quod se iudice nemo nocens absolvitur, improba quamvis gratia fallaci praetoris vicerit urna. Quid sentire putas homines, Calvine, recenti de scelere et fidei violatae crimine? sed nec tam tenuis census tibi contigit, ut mediocris iacturae te mergat onus, nec rara videmus quae pateris: casus multis hic cognitus ac iam tritus et e medio Fortunae ductus acervo. ponamus nimios gemitus: flagrantior aequo non debet dolor esse viri nec volnere maior. tu quamvis levium minimam exiguamque malorum particulam vix ferre potes spumantibus ardens visceribus, sacrum tibi quod non reddat amicus depositum? stupet haec qui iam post terga reliquit sexaginta annos Fonteio consule natus? an nihil in melius tot rerum proficis usu? magna quidem, sacris quae dat praecepta libellis, victrix Fortunae sapientia, ducimus autem hos quoque felices, qui ferre incommoda vitae nec iactare iugum vita didicere magistra. quae tam festa dies, ut cesset prodere furem, perfidiam, fraudes atque omni ex crimine lucrum quaesitum et partos gladio vel pyxide nummos?

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Fünftes Buch Dreizehnte Satire Alles, was ein schlechtes Beispiel gibt, missfällt dem Beispielgeber selbst. Die erste Bestrafung liegt darin, dass keiner, der schuldig ist, von seinem eigenen Gericht freigesprochen wird, selbst wenn eine unredliche Lobby mit Hilfe der betrügerischen Wahlurne des Prätors den Sieg errungen haben sollte. [5] Was glaubst du, Calvinus, denken die Menschen über die vor kurzem verübte Straftat und das Verbrechen des Treuebruchs? Allerdings hast du kein so geringes Vermögen erlangt, dass die Last dieses überschaubaren Verlustes dich unterkriegen könnte. Außerdem kriegen wir das, was du erleidest, nicht selten zu sehen. Dieser Fall ist vielen Leuten bekannt, er ist schon [10] zu etwas Gewöhnlichem geworden und mitten aus Fortunas Haufen herausgegriffen. Lass uns mit dem übertriebenen Gewinsel aufhören! Heftiger, als es angemessen wäre, und schwerer als die Verwundung darf der Schmerz bei einem Mann nicht sein. Kannst du selbst solch ein winzig kleines Bisschen Unglück – und sei dieses auch nur leicht – kaum ertragen und glühst du in deinen vor Wut schäumenden [15] Eingeweiden, weil ein Freund dir nicht dein heiliges verliehenes Geld zurückgibt? Kann das jemanden schockieren, der schon 60 Jahre hinter sich gelassen hat – der geboren wurde, als Fonteius Konsul war? Entwickelt man sich denn nicht zum Besseren durch die Erfahrungen, die man in so vielen Angelegenheiten gemacht hat? Zwar hat die Weisheit, die in ihren heiligen Büchern Vorschriften erteilt, [20] großartige Siege über die Schicksalsgöttin errungen, aber wir halten auch diejenigen für glücklich, welche in der Schule des Lebens gelernt haben, die Unannehmlichkeiten des Lebens zu ertragen und das Joch nicht abzuwerfen. Welcher Feiertag könnte so bedeutend sein, dass es an ihm keinen Diebstahl und keinen Wortbruch aufzudecken gäbe, keinen Betrug und keinen Gewinn, der durch jede Art von Verbrechen [25] erlangt wurde, und kein Geld, das durch das Schwert oder die Giftdose

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rari quippe boni; numera, vix sunt totidem quot Thebarum portae vel divitis ostia Nili. nona aetas agitur peioraque saecula ferri temporibus, quorum sceleri non invenit ipsa nomen et a nullo posuit natura metallo. nos hominum divomque fidem clamore ciemus quanto Faesidium laudat vocalis agentem sportula? dic, senior bulla dignissime, nescis quas habeat veneres aliena pecunia? nescis quem tua simplicitas risum vulgo moveat, cum exigis a quoquam ne peieret et putet ullis esse aliquod numen templis araeque rubenti? quondam hoc indigenae vivebant more, priusquam sumeret agrestem posito diademata falcem Saturnus fugiens, tunc cum virguncula Iuno et privatus adhuc Idaeis Iuppiter antris, nulla super nubes convivia caelicolarum nec puer Iliacus, formonsa nec Herculis uxor ad cyathos et iam siccato nectare tergens bracchia Volcanus Liparaea nigra taberna; prandebat sibi quisque deus nec turba deorum talis ut est hodie, contentaque sidera paucis numinibus miserum urguebant Atlanta minori pondere; nondum imi sortitus triste profundi imperium Sicula torvos cum coniuge Pluton, nec rota nec Furiae nec saxum aut volturis atri poena, sed infernis hilares sine regibus umbrae. inprobitas illo fuit admirabilis aevo, credebant quo grande nefas et morte piandum, si iuvenis vetulo non adsurrexerat et si

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erworben wurde? Es gibt ja nicht viele gute Menschen. Zähle sie auf – es sind kaum so viele wie Theben Tore hat oder der reiche Nil Mündungen. Wir leben im neunten Zeitalter, in einem schlimmeren Jahrhundert als zu den Zeiten des Eisens. Für sein verbrecherisches Wesen findet die Natur selbst keinen [30] Namen und hat es nicht nach einem Metall benannt. Bitten wir mit ebenso lautem Geschrei die Menschen und Götter um die versprochene Unterstützung, wie die beschenkten Klienten den Faesidius bei seinem Plädoyer stimmgewaltig preisen? Sag mir, alter Mann (zu dem ein Kinderamulett hervorragend passen würde), weißt du nicht, welche Reize fremdes Geld hat? Weißt du nicht, [35] welches Gelächter deine Naivität allgemein erregt, wenn du von jemandem forderst, er solle keinen Meineid leisten und daran glauben, dass irgendwelchen Tempeln oder dem blutroten Altar eine Gottheit innewohnt? Einst lebten nach dieser Sitte die Ureinwohner, bevor Saturn auf der Flucht sein Diadem ablegte und zur Bauernsichel griff [40] – damals, als Juno ein kleines Mädchen war und Jupiter noch ein Privatmann in der Höhle des Ida. Über den Wolken gab es keine Gastmähler der Himmelsbewohner, und an den Schöpfbechern standen nicht den Knabe aus Ilion und auch nicht die schöne Gattin des Herkules, und es gab keinen Vulcanus, der sich, wenn er den Nektar schon ausgetrunken hatte, [45] die Arme abwischte, die von seiner auf Lipara gelegenen Werkstatt schwarz waren. Jeder Gott frühstückte für sich allein, so eine Götterschar wie heute gab es noch nicht, und die Gestirne, die sich mit nur wenigen Gottheiten zufrieden gaben, lasteten mit einem geringeren Gewicht auf dem armen Atlas. Noch [50] hatte der finster blickende Pluto nicht gemeinsam mit seiner sizilischen Gattin durch das Los das traurige Reich, das ganz tief unten liegt, erlangt. Noch gab es das Rad nicht und nicht die Furien und nicht den Stein oder die Bestrafung mit dem schwarzen Geier, sondern die Schatten waren ohne Unterweltskönige gut gelaunt. Unredlichkeit war etwas, worüber man sich zu jener Zeit wunderte, als man glaubte, es sei ein schwerer Frevel, den man mit dem Tode sühnen müsse, [55] wenn ein junger Mann sich vor einem

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barbato cuicumque puer, licet ipse videret plura domi fraga et maiores glandis acervos; tam venerabile erat praecedere quattuor annis, primaque par adeo sacrae lanugo senectae. nunc si depositum non infitietur amicus, si reddat veterem cum tota aerugine follem, prodigiosa fides et Tuscis digna libellis quaeque coronata lustrari debeat agna. egregium sanctumque virum si cerno, bimembri hoc monstrum puero et miranti sub aratro piscibus inventis et fetae comparo mulae, sollicitus, tamquam lapides effuderit imber examenque apium longa consederit uva culmine delubri, tamquam in mare fluxerit amnis gurgitibus miris et lactis vertice torrens. Intercepta decem quereris sestertia fraude sacrilega. quid si bis centum perdidit alter hoc arcana modo, maiorem tertius illa summam, quam patulae vix ceperat angulus arcae? tam facile et pronum est superos contemnere testes, si mortalis idem nemo sciat. aspice quanta voce neget, quae sit ficti constantia voltus! per Solis radios Tarpeiaque fulmina iurat et Martis frameam et Cirrhaei spicula vatis, per calamos venatricis pharetramque puellae perque tuum, pater Aegaei Neptune, tridentem; addit et Herculeos arcus hastamque Minervae, quidquid habent telorum armamentaria caeli.

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Alten nicht erhob und ein Knabe nicht vor jedem, der einen Bart trugt – selbst wenn er selbst zu Hause mehr Beeren zu Gesicht bekam und größere Berge von Eicheln. Als so ehrwürdig galt es, vier Jahre älter zu sein, und so sehr glich der erste Bartflaum dem geheiligten Greisenalter. [60] Wenn heutzutage ein Freund nicht leugnen sollte, dass bei ihm Geld hinterlegt wurde, und wenn er einen alten Geldbeutel mit dem ganzen verrosteten Inhalt zurückgeben sollte, dann wäre diese ungeheuerliche Treue bedeutend genug für die etruskischen Bücher und müsste durch das Opfer eines bekränzten Lamms entsühnt werden. Wenn ich einen hervorragenden und anständigen Mann sehe, [65] dann ist dieses Ungeheuer für mich so etwas wie ein Knabe mit zwei verschiedenen Leibern, wie Fische, die man unter einem verblüfften Pflug gefunden hat, und wie ein trächtiges Maultier – und dabei bin ich so aufgeregt, als wäre ein Regen aus Steinen niedergegangen, als hätte sich ein Bienenschwarm in Form einer langen Traube auf dem Dachfirst eines Tempels niedergelassen und als wäre ein reißender Fluss [70] mit sonderbaren Strömungen und einem Strudel aus Milch ins Meer geflossen. Du beklagst, dass dir 10.000 Sesterze durch einen frevlerischen Betrug geraubt wurden. Was ist denn, wenn ein anderer auf dieselbe Weise 200.000 verloren hat, die er ohne Zeugen verliehen hat, und ein dritter eine noch größere Summe, für die der Platz in der geräumigen und bis in die Ecken gefüllten Schatztruhe kaum ausgereicht hatte? [75] So mühelos und einfach geht es, sich nicht um die Götter zu scheren, die es doch bezeugen können, wenn nur kein Sterblicher davon weiß. Schau, mit welch lauter Stimme er leugnet und welche Standhaftigkeit sein heuchlerischer Gesichtsausdruck zeigt! Bei den Strahlen der Sonne und den tarpejischen Blitzen schwört er, bei dem Speer des Mars, bei den Geschossen des Sehers von Kirrha, [80] bei den Pfeilen und dem Köcher des jagenden Mädchens und bei deinem Dreizack, Neptun, Vater des Ägäischen Meeres. Und er fügt noch den Bogen des Herkules hinzu und die Lanze Minervas und alles, was es sonst noch an Geschossen im Waffenlager des Himmels gibt. Falls er

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si vero et pater est “comedam” inquit “flebile nati sinciput elixi Pharioque madentis aceto.” sunt in fortunae qui casibus omnia ponant et nullo credant mundum rectore moveri natura volvente vices et lucis et anni, atque ideo intrepidi quaecumque altaria tangunt. [est alius metuens ne crimen poena sequatur.] hic putat esse deos et peierat, atque ita secum: “decernat quodcumque volet de corpore nostro Isis et irato feriat mea lumina sistro, dummodo vel caecus teneam quos abnego nummos: et pthisis et vomicae putres et dimidium crus sunt tanti. pauper locupletem optare podagram nec dubitet Ladas, si non eget Anticyra nec Archigene; quid enim velocis gloria plantae praestat et esuriens Pisaeae ramus olivae? ut sit magna, tamen certe lenta ira deorum est; si curant igitur cunctos punire nocentes, quando ad me venient? sed et exorabile numen fortasse experiar, solet his ignoscere. multi committunt eadem diverso crimina fato: ille crucem sceleris pretium tulit, hic diadema.” sic animum dirae trepidum formidine culpae confirmat, tunc te sacra ad delubra vocantem praecedit, trahere immo ultro ac vexare paratus; nam cum magna malae superest audacia causae, creditur a multis fiducia. mimum agit ille, urbani qualem fugitivus scurra Catulli: tu miser exclamas, ut Stentora vincere possis,

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aber auch ein Vater ist, dann sagt er: »Ich will den beweinenswerten Kopf meines Sohnes verspeisen [85] – gekocht und in Essig aus Pharos eingelegt.« Es gibt eben Leute, die alles auf die Zufälle des Schicksals schieben und glauben, die Welt bewege sich ohne einen Lenker, da die Natur für den Wechsel der Tage und auch der Jahreszeiten sorge – und so berühren sie ohne Angst jeden Altar. [90] [Es gibt einen anderen, der fürchtet, dass auf das Verbrechen eine Strafe folgt.] Der hier glaubt, dass es Götter gibt, und schwört dennoch einen Meineid und denkt bei sich Folgendes: »Isis soll ruhig alles, was sie will, über meinen Körper beschließen und voller Zorn mit ihrer Klapper meine Augen schlagen, solange ich nur – selbst wenn ich dann blind bin – das Geld behalten darf, dessen Empfang ich bestreite. [95] Schwindsucht und faulende Geschwüre und der Verlust eines halben Beins sind es wert. In seiner Armut wird auch ein Ladas nicht zögern, sich die Gicht zusammen mit Reichtum zu wünschen – es sei denn, er hat Anticyra und einen Archigenes nötig. Denn was bringen ihm der Ruhm seiner schnellen Füße und der Hungerleiderzweig der Olive aus Pisa? [100] Auch wenn der Zorn der Götter gewaltig ist, so ist er doch gewiss langsam. Falls die sich also darum kümmern, alle Übeltäter zu bestrafen, wann werden sie bei mir ankommen? Aber vielleicht werde ich auch eine Gottheit finden, die für Bitten empfänglich ist – die verzeiht das für gewöhnlich. Viele Leute begehen dieselben Verbrechen, aber ihr Schicksal ist unterschiedlich. [105] Der eine kriegt als Lohn für seine Untat das Kreuz, der andere eine Krone.« So ermutigt er seinen Geist, der vor Angst zittert aufgrund der schrecklichen Schuld. Wenn du ihn dann aufforderst, zum heiligen Tempel zu kommen, schreitet er dir voran – ja, er ist sogar so entschlossen, dass er dich auch noch mitschleppt und antreibt. Denn wenn zusätzlich zu einer üblen Sache auch noch große Dreistigkeit vorhanden ist, [110] wird das von vielen für Selbstvertrauen gehalten. Er spielt dir eine Posse vor, wie der entflohene Spaßmacher im Stück des witzigen Catull. Da schreist du erbärmlicher Kerl so, dass du Stentor übertreffen könntest, oder vielmehr so wie Mars bei Homer:

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vel potius quantum Gradivus Homericus: “audis, Iuppiter, haec nec labra moves, cum mittere vocem debueris vel marmoreus vel aeneus? aut cur in carbone tuo charta pia tura soluta ponimus et sectum vituli iecur albaque porci omenta? ut video, nullum discrimen habendum est effigies inter vestras statuamque Vagelli.” Accipe quae contra valeat solacia ferre et qui nec Cynicos nec Stoica dogmata legit a Cynicis tunica distantia, non Epicurum suspicit exigui laetum plantaribus horti. curentur dubii medicis maioribus aegri: tu venam vel discipulo committe Philippi. si nullum in terris tam detestabile factum ostendis, taceo, nec pugnis caedere pectus te veto nec plana faciem contundere palma, quandoquidem accepto claudenda est ianua damno, et maiore domus gemitu, maiore tumultu planguntur nummi quam funera; nemo dolorem fingit in hoc casu, vestem diducere summam contentus, vexare oculos umore coacto: ploratur lacrimis amissa pecunia veris. sed si cuncta vides simili fora plena querella, si deciens lectis diversa parte tabellis vana supervacui dicunt chirographa ligni, arguit ipsorum quos littera gemmaque princeps sardonychum, loculis quae custoditur eburnis, ten, o delicias, extra communia censes ponendum, quia tu gallinae filius albae, nos viles pulli nati infelicibus ovis? rem pateris modicam et mediocri bile ferendam,

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»Das hörst du, Jupiter, und bewegst nicht einmal deine Lippen, obwohl du deine Stimme ertönen lassen [115] müsstest – egal, ob du aus Marmor oder aus Bronze bist? Warum sonst wickeln wir das Papier auf und legen auf deine Kohlen frommen Weihrauch sowie die herausgeschnittene Leber eines Kalbs und das weiße Gekröse eines Schweins? Wie ich sehe, sollte man zwischen euren Bildnissen und der Statue eines Vagellius keinen Unterschied machen.« [120] Vernimm, welche tröstenden Worte dagegen jemand zu bieten hat, der nicht die Kyniker gelesen hat und auch nicht die Lehren der Stoiker, die sich von den Kynikern durch die Tunika unterscheiden, und der nicht zu Epikur aufschaut, welcher sich an den Pflanzen in seinem winzigen Garten freut. Die Schwerkranken sollen von bedeutenderen Ärzten behandelt werden [125] – vertraue du deine Ader auch einem Schüler des Philippus an! Wenn du mir keine ebenso abscheuliche Tat, die auf Erden begangen wurde, zeigen kannst, dann schweige ich und verbiete dir nicht, dir mit Fäusten die Brust zu schlagen und mit der flachen Hand das Gesicht zu zerhauen. Ohnehin muss man ja nach einem materiellen Verlust die Tür schließen, [130] und zu Hause beweint man Münzen mit größerem Seufzen und mit größerem Aufruhr als Todesfälle. Bei einem solchen Schicksalsschlag spielt niemand seinen Schmerz nur vor und begnügt sich damit, seine Kleidung nur ganz oben zu zerreißen und seine Augen mit erzwungener Feuchtigkeit zu quälen: Beim Verlust von Geld weint man echte Tränen. [135] Wenn du aber siehst, dass alle Gerichtsplätze voll sind mit ähnlichen Klagen, wenn die von der Gegenseite die Dokumente zehnmal gelesen haben und die Handschrift auf der wertlosen Holztafel als unecht bezeichnen (dabei verrät sie ihre Schrift und der Stein des Siegels – ein hervorragender Sardonyx –, den man in einem Elfenbeinkästchen verwahrt), [140] glaubst du dann, mein Liebling, dass man dich als jemanden einordnen sollte, der außerhalb des Gewöhnlichen steht, weil du etwa der Sohn einer weißen Henne bist und wir wertlose aus unseligen Eiern geschlüpfte Küken sind? Du erleidest bloß eine harmlose Angelegenheit, die man mit ein wenig Verdruss ertragen kann, wenn du nur deine Augen auf die

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si flectas oculos maiora ad crimina. confer conductum latronem, incendia sulpure coepta atque dolo, primos cum ianua colligit ignes; confer et hos, veteris qui tollunt grandia templi pocula adorandae robiginis et populorum dona vel antiquo positas a rege coronas. haec ibi si non sunt, minor exstat sacrilegus qui radat inaurati femur Herculis et faciem ipsam Neptuni, qui bratteolam de Castore ducat? an dubitet, solitus, totum conflare Tonantem? confer et artifices mercatoremque veneni et deducendum corio bovis in mare, cum quo clauditur adversis innoxia simia fatis. haec quota pars scelerum, quae custos Gallicus urbis usque a lucifero donec lux occidat audit? humani generis mores tibi nosse volenti sufficit una domus; paucos consume dies et dicere te miserum, postquam illinc veneris, aude. quis tumidum guttur miratur in Alpibus aut quis in Meroe crasso maiorem infante mamillam? caerula quis stupuit Germani lumina, flavam caesariem et madido torquentem cornua cirro? [nempe quod haec illis natura est omnibus una.] ad subitas Thracum volucres nubemque sonoram Pygmaeus parvis currit bellator in armis, mox inpar hosti raptusque per aera curvis unguibus a saeva fertur grue. si videas hoc gentibus in nostris, risu quatiare; sed illic, quamquam eadem adsidue spectentur proelia, ridet nemo, ubi tota cohors pede non est altior uno.

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schwereren Verbrechen richtest. Vergleiche damit [145] einen bezahlten Räuber und heimtückisch mit Schwefel gelegte Brände, bei denen zuerst die Haustür Feuer fängt. Vergleiche damit auch die Leute, die aus einem alten Tempel große Trinkbecher mit ehrfurchterregendem Rost – Geschenke anderer Völker! – mitnehmen oder auch Kronen, die von einem König in alter Zeit dort niedergelegt wurden. [150] Falls es diese Dinge dort nicht gibt, tritt dann ein weniger schlimmer Tempelräuber in Erscheinung, der bloß am Oberschenkel eines vergoldeten Herkules kratzt und direkt am Gesicht eines Neptun und der von einem Castor ein Goldplättchen abzieht? Wird der vielleicht zögern, den ganzen Jupiter einzuschmelzen, wie er es doch gewohnt ist? Vergleiche auch die Leute, die Gift mischen und es verkaufen, [155] und den, der im Rindsleder ins Meer hinabgelassen werden muss und mit dem zusammen man einen unschuldigen Affen mit einem unglücklichen Schicksal einschließt. Was für ein winziger Teil der Verbrechen ist das, was Gallicus, dem Stadtwächter, vom Morgengrauen, bis die Sonne untergeht, zu Ohren kommt? Jemand, der die Sitten des Menschengeschlechts kennen lernen will, [160] benötigt dazu nur ein einziges Haus. Verbringe dort nur wenige Tage und wage es, nachdem du von dort zurückgekommen bist, dich als beklagenswert zu bezeichnen! Wer würde sich in den Alpen über einen angeschwollenen Kehlkopf wundern und wer in Meroe über eine Brust, die größer ist als ein fetter Säugling? Wer wäre erstaunt über die blauen Augen eines Germanen und über sein blondes [165] Haar, das sich in fettigen Locken zu Hörnern dreht? [Weil eben diese einheitliche Beschaffenheit ihnen allen gemeinsam ist.] Beim plötzlichen Auftauchen der Thrakervögel in einem kreischenden Schwarm eilt der Pygmäenkrieger herbei in seinen kleinen Waffen und wird bald, weil der dem Feind nicht gewachsen ist, von den gekrümmten [170] Krallen durch die Luft weggerissen und von dem wilden Kranich davongetragen. Solltest du das bei den hiesigen Völkern sehen, dann wirst du dich wohl wegwerfen vor Lachen. Aber obwohl man diese Schlachten andauernd beobachten kann, lacht dort, wo die ganze Kohorte nicht größer ist als ein Fuß, niemand.

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“Nullane peiuri capitis fraudisque nefandae poena erit?” abreptum crede hunc graviore catena protinus et nostro (quid plus velit ira?) necari arbitrio: manet illa tamen iactura, nec umquam depositum tibi sospes erit, sed corpore trunco indiviosa dabit minimus solacia sanguis. “at vindicta bonum vita iucundius ipsa.” nempe hoc indocti, quorum praecordia nullis interdum aut levibus videas flagrantia causis: [“quantulacumque adeo est occasio, sufficit irae.”] Chrysippus non dicet idem nec mite Thaletis ingenium dulcique senex vicinus Hymetto, qui partem acceptae saeva inter vincla cicutae accusatori nollet dare. [plurima felix paulatim vitia atque errores exuit omnes, prima docet rectum sapientia.] quippe minuti semper et infirmi est animi exiguique voluptas ultio. continuo sic collige, quod vindicta nemo magis gaudet quam femina. cur tamen hos tu evasisse putes, quos diri conscia facti mens habet attonitos et surdo verbere caedit occultum quatiente animo tortore flagellum? poena autem vehemens ac multo saevior illis quas et Caedicius gravis invenit et Rhadamanthus, nocte dieque suum gestare in pectore testem. Spartano cuidam respondit Pythia vates haut inpunitum quondam fore quod dubitaret depositum retinere et fraudem iure tueri iurando; quaerebat enim quae numinis esset mens et an hoc illi facinus suaderet Apollo. reddidit ergo, metu, non moribus, et tamen omnem

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»Wird es denn für diesen meineidigen Menschen und seinen ruchlosen Betrug gar keine [175] Strafe geben?« – Stell dir mal vor, man hätte ihn sofort an einer richtig schweren Kette weggeschleift und er würde nach unserem Gutdünken (Was sonst könnte sich dein Zorn wünschen?) getötet werden. Der Verlust bleibt trotzdem bestehen, und das hinterlegte Geld wird dir nie mehr zur Verfügung stehen. Stattdessen wird das bisschen Blut aus dem verstümmelten Körper dir einen Trost spenden, der voller Hass ist. [180] – »Aber die Rache ist doch ein süßeres Gut als das Leben selbst.« – Natürlich sagen das die Ungebildeten, bei denen du sehen kannst, wie ihre Herzen mitunter ohne Grund oder aus geringfügigen Gründen entflammt sind. [– »Wie gering der Anlass auch ist, für meinen Zorn ist er ausreichend.« –] Ein Chrysippus wird so etwas nicht sagen und auch nicht der sanftmütige Thales [185] und auch nicht der greise Nachbar des süßen Hymettus, der sich nicht wünschen würde, auch nur einen Teil des Schierlings, den er in grausamen Ketten empfangen hatte, seinem Ankläger zu geben. [Die beglückende Weisheit entledigt sich allmählich der meisten Laster und aller Irrtümer und lehrt als erste das Richtige.] Ja, die Lust eines kleinen, [190] schwachen und bedeutungslosen Geistes ist immer die Rache. Ziehe daraus also direkt die Schlussfolgerung, dass niemand sich mehr über die Rache freut als eine Frau. Doch wie kommst du darauf, dass diejenigen entkommen sind, die doch das Bewusstsein ihrer schrecklichen Tat in Panik versetzt und mit lautlosen Hieben schlägt, [195] wobei ihr Geist als Folterknecht die unsichtbare Peitsche schwingt? Tag und Nacht seinen eigenen Zeugen in seiner Brust zu tragen ist doch eine heftige Strafe und eine viel grausamere als jene, die der strenge Caedicius und Rhadamantus ersinnen. Einem Spartaner antwortete die Seherin Pythia, [200] es werde dereinst nicht ungestraft bleiben, dass er darüber nachdachte, bei ihm hinterlegtes Geld zu behalten und seinen Betrug durch einen Eid abzusichern. Er wollte nämlich in Erfahrung bringen, welche Meinung die Gottheit dazu hatte und ob Apollo ihm zu dieser Untat rate. Also gab er das Geld – aus Furcht, nicht aufgrund seiner Moral – zurück und bewies trotzdem, dass die gesamte

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vocem adyti dignam templo veramque probavit extinctus tota pariter cum prole domoque et quamvis longa deductis gente propinquis. has patitur poenas peccandi sola voluntas, nam scelus intra se tacitum qui cogitat ullum, facti crimen habet. cedo, si conata peregit: perpetua anxietas nec mensae tempore cessat faucibus ut morbo siccis interque molares difficili crescente cibo; Setina misellus expuit, Albani veteris pretiosa senectus displicet; ostendas melius, densissima ruga cogitur in frontem velut acri ducta Falerno. nocte brevem si forte indulsit cura soporem et toto versata toro iam membra quiescunt, continuo templum et violati numinis aras et, quod praecipuis mentem sudoribus urguet, te videt in somnis; tua sacra et maior imago humana turbat pavidum cogitque fateri. hi sunt qui trepidant et ad omnia fulgura pallent; cum tonat, exanimes primo quoque murmure caeli, non quasi fortuitus nec ventorum rabie, sed iratus cadat in terras et iudicet ignis. illa nihil nocuit, cura graviore timetur proxima tempestas velut hoc dilata sereno. praeterea lateris vigili cum febre dolorem si coepere pati, missum ad sua corpora morbum infesto credunt a numine: saxa deorum haec et tela putant. pecudem spondere sacello

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[205] Aussage aus dem Heiligtum dieses Tempels würdig und wahr war. Denn er wurde gemeinsam mit seiner ganzen Nachkommenschaft und seinem Haus ausgelöscht sowie mit seinen Verwandten, auch wenn sich diese nur durch eine entfernte Verwandtschaft auf ihn zurückführen ließen. Diese Strafen erleidet man allein durch den Willen, ein Verbrechen zu begehen, denn wer irgendeine heimliche Untat in seinem Inneren plant, [210] trägt die Schuld an dieser Tat. Und sag mal: Was wäre, wenn er sein Vorhaben in die Tat umsetzt? Die fortwährende Angst lässt nicht einmal zur Essenszeit nach: Da wird die Kehle wie durch eine Krankheit trocken, das Essen ist sperrig und kommt zwischen den Zählen hervor. Der Unglückliche spuckt seinen Setinerwein aus, der durch seine vielen Jahre wertvolle alte Albanerwein [215] schmeckt ihm nicht. Solltest du ihm einen noch besseren darbieten, sammeln sich auf seiner Stirn dichteste Falten, als wäre der Falernerwein sauer und hätte sie dort gezogen. Falls in der Nacht die Besorgnis vielleicht einen kurzen Schlaf gewährt hat und die Glieder, nachdem man sich auf dem ganzen Bett hin- und hergeworfen hat, endlich zur Ruhe kommen, sieht er im Schlaf sofort den Tempel und die Altäre der beleidigten Gottheit [220] und – was seinem Geist mit Schweißausbrüchen besonders hart zusetzt – dich. Dein den Göttern geweihtes und das menschliche Maß übertreffendes Gesicht versetzt den verängstigten in Unruhe und zwingt ihn zu gestehen. Das sind diejenigen, die vor Angst zittern und bei jedem Blitzschlag erbleichen. Wenn es donnert, sind sie schon beim ersten Grollen des Himmels atemlos vor Angst, [225] als ob das Feuer nicht aus Zufall und nicht durch das Toben der Winde, sondern aus Zorn vom Himmel fiele und sein Urteil fällte. Jenes Unwetter hat noch keinen Schaden gebracht, da fürchtet man mit tieferer Besorgnis das nächste, als wäre es dadurch, dass der Himmel nun klar ist, nur aufgeschoben. Falls sie außerdem aufgrund eines Fiebers, das sie nicht schlafen lässt, an einem Schmerz in der Seite [230] zu leiden begonnen haben, glauben sie, die Krankheit sei ihrem Körper von einer feindseligen Gottheit gesandt worden. Sie halten das für Steine und Geschosse der Götter. Sie wagen es nicht, dem Heiligtum ein

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balantem et Laribus cristam promittere galli non audent; quid enim sperare nocentibus aegris concessum? vel quae non dignior hostia vita? mobilis et varia est ferme natura malorum. cum scelus admittunt, superest constantia; quid fas atque nefas tandem incipiunt sentire peractis criminibus. tamen ad mores natura recurrit damnatos fixa et mutari nescia. nam quis peccandi finem posuit sibi? quando recepit eiectum semel attrita de fronte ruborem? quisnam hominum est quem tu contentum videris uno flagitio? dabit in laqueum vestigia noster perfidus et nigri patietur carceris uncum aut maris Aegaei rupem scopulosque frequentes exulibus magnis. poena gaudebis amara nominis invisi tandemque fatebere laetus nec surdum nec Teresian quemquam esse deorum.

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blökendes Tier zu geloben und ihren Laren einen Hahnenkamm zu versprechen. Denn was dürfen schuldige Kranke schon erhoffen? [235] Oder welches Opfertier wäre weniger würdig zu leben als sie? Fast immer ist das Wesen der schlechten Menschen instabil und schwankend. Wenn sie sich eine Untat zu Schulden kommen lassen, überwiegt noch ihre Unerschrockenheit. Was Recht und Unrecht ist, beginnen sie erst nach Vollendung ihrer Verbrechen zu erkennen. Dennoch kehrt ihre Natur, [240] weil sie festgelegt und nicht fähig zur Veränderung ist, zu den Gewohnheiten zurück, die man zuvor noch verurteilt hat. Denn wer hätte sich beim Sündigen je eine Grenze gesetzt? Wann hat jemand die einmal von seiner Stirn weggeriebene Schamesröte wieder angenommen? Wen gibt es denn unter den Menschen, den du zufrieden siehst, wenn er auch nur eine Schandtat begangen hat? Unser Wortbrüchiger wird seine Schritte zur Schlinge lenken [245] und den Haken des finsteren Kerkers erleiden oder einen Felsen im Ägäischen Meer oder die von bedeutenden Verbannten bevölkerten Klippen. Du wirst dich über die harte Bestrafung des dir verhassten Namens freuen und endlich voller Freude bekennen, dass weder ein Tauber noch ein Teresias zu den Göttern gehören.

Satura XIV Plurima sunt, Fuscine, et fama digna sinistra [et quod maiorum vitia sequiturque minores] et nitidis maculam haesuram figentia rebus, quae monstrant ipsi pueris traduntque parentes. si damnosa senem iuvat alea, ludit et heres bullatus parvoque eadem movet arma fritillo. nec melius de se cuiquam sperare propinquo concedet iuvenis, qui radere tubera terrae, boletum condire et eodem iure natantis mergere ficedulas didicit nebulone parente et cana monstrante gula. cum septimus annus transierit puerum, nondum omni dente renato, barbatos licet admoveas mille inde magistros, hinc totidem, cupiet lauto cenare paratu semper et a magna non degenerare culina. mitem animum et mores modicis erroribus aequos praecipit atque animas servorum et corpora nostra materia constare putat paribusque elementis, an saevire docet Rutilus, qui gaudet acerbo plagarum strepitu et nullam Sirena flagellis conparat, Antiphates trepidi laris ac Polyphemus, tunc felix, quotiens aliquis tortore vocato uritur ardenti duo propter lintea ferro? quid suadet iuveni laetus stridore catenae, quem mire adficiunt inscripta, ergastula, carcer?

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Vierzehnte Satire Sehr viel gibt es, Fuscinus, was einen schlechten Ruf verdient und was die positiven Dinge mit einem bleibenden Makel versieht – und das machen die Eltern selbst ihren Kindern vor und geben es an sie weiter. Wenn ein alter Mann an dem gefährlichen Würfelspiel seinen Spaß hat, dann spielt auch sein Erbe, [5] der das Kinderamulett trägt, und schüttelt in seinem kleinen Würfelbecher dieselben »Waffen«. Und auch als junger Mann wird er keinem Verwandten einen Anlass geben, etwas Besseres von ihm zu erwarten: Er hat gelernt, die Trüffeln aus der Erde zu schälen und einen Pilz einzulegen und in derselben Sauce schwimmende Drosseln zu verschlingen, weil dieser Taugenichts von einem Vater, [10] dieser ergraute Gierhals, es ihm so vorgemacht hat. Wenn der Knabe das siebte Lebensjahr hinter sich gebracht hat, wird er – auch wenn ihm noch nicht jeder Zahn nachgewachsen ist und auch wenn du ihn auf der einen Seite mit tausend bärtigen Lehrern flankierst und auf der anderen Seite mit ebenso vielen – sich doch wünschen, immer mit ansehnlichem Prunk zu speisen und bei der großartigen Küche keine Abstriche zu machen. [15] Lehrt Rutilus, einen sanftmütigen Geist zu haben und kleinen Verfehlungen mit Gelassenheit zu begegnen, und glaubt er, dass die Seelen und Körper der Sklaven aus demselben Stoff bestehen wie unsere und aus den gleichen Elementen – oder erzieht er zur Grausamkeit? Er hat Freude an dem bitteren Klatschen der Schläge, kein Sirenengesang hält dem Vergleich mit dem Knallen der Peitschen [20] stand – für ihn, diesen Antiphates und Polyphem seines vor Angst zitternden Hauses. Dann ist er glücklich, wann immer man den Foltersklaven herbeigerufen hat und jemand mit dem glühenden Eisen gebrandmarkt wird wegen zweier Leinentücher. Welchen Rat bekommt ein junger Mann von jemandem, der am Klirren einer Kette Freude hat, den Brandmale, das Zuchthaus und der Kerker außerordentlich begeistern?

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rusticus expectas ut non sit adultera Largae filia, quae numquam maternos dicere moechos tam cito nec tanto poterit contexere cursu, ut non ter deciens respiret? conscia matri virgo fuit, ceras nunc hac dictante pusillas implet et ad moechum dat eisdem ferre cinaedis. sic natura iubet: velocius et citius nos corrumpunt vitiorum exempla domestica, magnis cum subeant animos auctoribus. unus et alter forsitan haec spernant iuvenes, quibus arte benigna et meliore luto finxit praecordia Titan, sed reliquos fugienda patrum vestigia ducunt et monstrata diu veteris trahit orbita culpae. Abstineas igitur damnandis. huius enim vel una potens ratio est, ne crimina nostra sequantur ex nobis geniti, quoniam dociles imitandis turpibus ac pravis omnes sumus, et Catilinam quocumque in populo videas, quocumque sub axe, sed nec Brutus erit Bruti nec avunculus usquam. nil dictu foedum visuque haec limina tangat intra quae pater est. procul, a procul inde puellae lenonum et cantus pernoctantis parasiti! maxima debetur puero reverentia, si quid turpe paras, nec tu pueri contempseris annos, sed peccaturo obstet tibi filius infans. nam si quid dignum censoris fecerit ira quandoque et similem tibi se non corpore tantum nec vultu dederit, morum quoque filius et qui omnia deterius tua per vestigia peccet,

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[25] Bist du so naiv zu erwarten, dass Largas Tochter, die es nie schafft, die Liebhaber ihrer Mutter so schnell aufzusagen und in so rascher Abfolge aneinanderzureihen, dass sie nicht dreizehnmal Luft holen müsste, nicht auch zur Ehebrecherin wird? Als Mädchen war sie die Mitwisserin ihrer Mutter, nun schreibt sie kleine Wachstafeln voll mit dem, was diese ihr diktiert, [30] und lässt sie ihrem Liebhaber von denselben Schwuchteln überbringen. So befiehlt es die Natur: Die Beispiele für lasterhaftes Verhalten im eigenen Haus verderben uns viel schneller, weil sie sich durch unsere großen Vorbilder in die Sinne einschleichen. Vielleicht kann der eine oder andere Jugendliche sie von sich fernhalten, dem der Titan mit wohlwollender Kunst [35] und aus einem besseren Schlamm das Herz geformt hat. Die übrigen aber lassen sich von den Spuren ihrer Väter lenken, die sie doch meiden müssten, und auf dem ihnen schon lange gewiesenen Weg der alten Schuld reißt es sie mit. Halte dich also von dem Verwerflichen fern! Dafür gibt es nämlich vor allem den einen gewichtigen Grund, dass diejenigen, die von uns abstammen, nicht unseren Fehlern folgen sollten, [40] weil wir alle ja gelehrig sind, wenn es darum geht, etwas völlig Verkehrtes nachzuahmen. Und einen Catilina kannst du in jedem beliebigen Volk finden und unter jedem beliebigen Himmel, aber nirgendwo wird es einen Brutus geben und einen Onkel des Brutus. Nichts, was abscheulich auszusprechen oder anzuschauen ist, soll diese Schwelle berühren, [45] hinter der sich ein Vater aufhält. Bloß weg, ja weg von dort mit den Mädchen der Zuhälter und weg mit den Gesängen eines Schmarotzers, der die Nächte durchmacht! Vor allem musst du auf deinen Jungen Rücksicht nehmen, wenn du drauf und dran bist, etwas Unanständiges zu tun. Und glaube nicht, dass das geringe Alter des Jungen keine Rolle spielt! Vielmehr soll dir schon dein ganz kleiner Sohn im Wege stehen, wenn du vorhast zu sündigen. [50] Denn falls er später einmal etwas tut, was den Zorn des Zensors verdient, und zeigt, dass er dir nicht nur in Körperbau und Aussehen ähnelt, sondern auch in Bezug auf den Charakter dein Sohn ist, und zwar einer, der in deinen Fußstapfen in jeder Hinsicht noch schlimmer sün-

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corripies nimirum et castigabis acerbo clamore ac post haec tabulas mutare parabis: unde tibi frontem libertatemque parentis, cum facias peiora senex vacuumque cerebro iam pridem caput hoc ventosa cucurbita quaerat? hospite venturo cessabit nemo tuorum. “verre pavimentum, nitidas ostende columnas, arida cum tota descendat aranea tela, hic leve argentum, vasa aspera tergeat alter” vox domini furit instantis virgamque tenentis. ergo miser trepidas, ne stercore foeda canino atria displiceant oculis venientis amici, ne perfusa luto sit porticus, et tamen uno semodio scobis haec emendat servulus unus: illud non agitas, ut sanctam filius omni aspiciat sine labe domum vitioque carentem? Gratum est quod patriae civem populoque dedisti, si facis ut patriae sit idoneus, utilis agris, utilis et bellorum et pacis rebus agendis. plurimum enim intererit quibus artibus et quibus hunc tu moribus instituas. serpente ciconia pullos nutrit et inventa per devia rura lacerta: illi eadem sumptis quaerunt animalia pinnis. voltur iumento et canibus crucibusque relictis ad fetus properat partemque cadaveris adfert: hic est ergo cibus magni quoque volturis et se pascentis, propria cum iam facit arbore nidos. sed leporem aut capream famulae Iovis et generosae in saltu venantur aves, hinc praeda cubili

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digt, dann wirst du ihn natürlich tadeln und unter scharfem [55] Geschrei bestrafen und danach alles vorbereiten, um dein Testament zu ändern. Wie kommst du denn zu dem strengen Blick und dem geradlinigen Auftreten eines Vaters, wenn du als alter Mann noch schlechter handelst und dein hirnloser Kopf schon längst ein Fall für den mit Luft gefüllten Schröpfkopf ist? Wenn der Besuch eines Gastes ansteht, wird keiner von deinen Leuten untätig sein. [60] »Fege den Fußboden, präsentiere die Säulen in ihrem Glanz, die ausgetrocknete Spinne muss zusammen mit ihrem ganzen Netz von da oben runter! Der da soll das glatte Silbergeschirr polieren und ein anderer die verzierten Gefäße!« So wütet die Stimme des Herren, wenn er alle antreibt und dabei die Rute bereithält. Also hast du Armer Angst, dass ein von Hundekacke verschmutztes [65] Atrium den Augen deines Freundes bei seinem Besuch missfallen könnte und dass der Säulengang mit Schlamm bespritzt ist – und dabei kann das doch ein einziger kleiner Sklave mit einem halbvollen Eimer Sägespäne in Ordnung bringen. Bemühst du dich nicht darum, dass dein Sohn ein tugendhaftes Zuhause ohne jeden Makel und frei von Fehlern vor Augen hat? [70] Man ist dir dankbar dafür, dass du der Heimat und dem Volk einen Bürger geschenkt hast, falls du dafür sorgst, dass er für die Heimat gut genug ist, dass er brauchbar ist für die Feldarbeit und brauchbar für die Erledigung von Aufgaben sowohl im Krieg als auch im Frieden. Denn es wird von größter Bedeutung sein, in welchen Fertigkeiten und in welchen Sitten du ihn unterweist. Mit der Schlange ernährt der Storch seine Küken [75] und mit der Eidechse, die er auf einem entlegenen Feld fand. Wenn ihnen Federn gewachsen sind, suchen sie sich dieselben Tiere. Der Geier fliegt von den Zugtieren, den Hunden und den Toten am Kreuz weg, eilt zu seinen Jungen und bringt ihnen einen Teil der Kadaver. Das ist folglich auch die Nahrung eines erwachsenen Geiers, der sich selbst [80] ernährt, wenn er schon in seinem eigenen Baum ein Nest baut. Den Hasen und das Reh jagen dagegen die Diener Jupiters, die edlen Vögel, im bewaldeten Gebirge, und die daraus gewonnene Beute wird dem Nest

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ponitur: inde autem cum se matura levavit progenies, stimulante fame festinat ad illam quam primum praedam rupto gustaverat ovo. Aedificator erat Caetronius et modo curvo litore Caietae, summa nunc Tiburis arce, nunc Praenestinis in montibus alta parabat culmina villarum Graecis longeque petitis marmoribus vincens Fortunae atque Herculis aedem, ut spado vincebat Capitolia nostra Posides. dum sic ergo habitat Caetronius, inminuit rem, fregit opes, nec parva tamen mensura relictae partis erat: totam hanc turbavit filius amens, dum meliore novas attollit marmore villas. Quidam sortiti metuentem sabbata patrem nil praeter nubes et caeli numen adorant, nec distare putant humana carne suillam, qua pater abstinuit, mox et praeputia ponunt. Romanas autem soliti contemnere leges Iudaicum ediscunt et servant ac metuunt ius, tradidit arcano quodcumque volumine Moyses: non monstrare vias eadem nisi sacra colenti, quaesitum ad fontem solos deducere verpos. sed pater in causa, cui septima quaeque fuit lux ignava et partem vitae non attigit ullam. Sponte tamen iuvenes imitantur cetera, solam inviti quoque avaritiam exercere iubentur. fallit enim vitium specie virtutis et umbra, cum sit triste habitu vultuque et veste severum, nec dubie tamquam frugi laudetur avarus,

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vorgesetzt. Nachdem die Nachkommen herangewachsen und von dort losgeflogen sind, [85] eilen sie, wenn der Hunger sie antreibt, eben zu jener Beute, die sie nach dem Aufbrechen des Eies zuerst gekostet hatten. Ein leidenschaftlicher Bauherr war Caetronius: Gerade eben errichtete er noch am gewundenen Strand von Caieta, nun ganz oben auf der Anhöhe von Tibur und nun in den Bergen von Praeneste die hohen Dächer von Landhäusern. Dabei übertraf er mit griechischen Marmorblöcken, die er von weither geholt hatte, [90] den Tempel der Fortuna und den des Herkules, wie der Eunuch Posides unser Kapitol übertraf. Da Caetronius also solche Wohnsitze hatte, verringerte er sein Vermögen und verminderte seinen Reichtum, und doch war der Teil, der ihm übrig blieb, keine geringe Menge. Den verschleuderte sein wahnsinniger Sohn vollständig, [95] als er neue Landhäuser aus noch besserem Marmor hochzog. Einige haben einen Vater abbekommen, welcher vor dem Sabbat Ehrfurcht hat. Diese beten nichts an außer den Wolken und der göttlichen Kraft des Himmels. Sie meinen auch, dass es zwischen dem Schweinefleisch, von dem sich ihr Vater fernhielt, und Menschenfleisch keinen Unterschied gibt, und bald legen sie ihre Vorhaut ab. [100] Weil sie es aber gewohnt sind, die römischen Gesetze zu missachten, lernen sie das jüdische Recht auswendig und beachten all das voller Ehrfurcht, was Moses ihnen in einer geheimen Schriftrolle überliefert hat: niemandem den Weg zu weisen außer dem, welcher dieselben Heiligtümer verehrt, und wenn jemand eine Quelle sucht, allein die Beschnittenen dorthin zu führen. [105] Aber daran ist der Vater schuld, der an jedem siebten Tag untätig war und mit keinem Bereich des Lebens etwas zu tun hatte. Die Söhne imitieren jedoch fast alles aus eigenem Antrieb, nur den Geiz betreiben sie auf Befehl auch gegen ihren Willen. Denn dieses Laster erweckt dadurch, dass es das Aussehen und den Anschein einer Tugend hat, einen falschen Eindruck. [110] Es wirkt nämlich ernsthaft in seiner Aufmachung und seiner Miene und streng in seiner Bekleidung. Zudem lobt man einen Geizigen ohne jeden

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tamquam parcus homo et rerum tutela suarum certa magis quam si fortunas servet easdem Hesperidum serpens aut Ponticus. adde quod hunc de quo loquor egregium populus putat adquirendi artificem; quippe his crescunt patrimonia fabris (sed crescunt quocumque modo, maioraque fiunt) incude adsidua semperque ardente camino. et pater ergo animi felices credit avaros, qui miratur opes, qui nulla exempla beati pauperis esse putat; iuvenes hortatur, ut illa ire via pergant et eidem incumbere sectae. sunt quaedam vitiorum elementa; his protinus illos inbuit et cogit minimas ediscere sordes, mox adquirendi docet insatiabile votum. servorum ventres modio castigat iniquo ipse quoque esuriens, neque enim omnia sustinet umquam mucida caerulei panis consumere frusta, hesternum solitus medio servare minutal Septembri nec non differre in tempora cenae alterius conchem aestivam cum parte lacerti signatam vel dimidio putrique siluro, filaque sectivi numerata includere porri: invitatus ad haec aliquis de ponte negabit. sed quo divitias haec per tormenta coactas, cum furor haut dubius, cum sit manifesta phrenesis, ut locuples moriaris, egentis vivere fato? interea, pleno cum turget sacculus ore, crescit amor nummi, quantum ipsa pecunia crevit, et minus hanc optat qui non habet. ergo paratur altera villa tibi, cum rus non sufficit unum et proferre libet finis maiorque videtur

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VIERZEHNTE SATIRE

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Zweifel als braven Mann, als sparsamen Menschen und als einen Beschützer seines Vermögens, der zuverlässiger ist, als wenn der Drache der Hesperiden oder der vom Schwarzen Meer diesen Reichtum bewahrte. Außerdem hält das Volk den, von [115] dem ich spreche, für einen hervorragenden Meister im Hinzugewinnen. Ja, bei diesen Künstlern wächst der Besitz (er wächst doch auf jede erdenkliche Weise und wird immer größer), wenn ihr Amboss unablässig arbeitet und der Ofen immer brennt. Daher hält auch ein Vater die Geizigen in ihrer Seele für glücklich: [120] Er bewundert ihre Reichtümer und meint, es gebe kein Beispiel für einen glücklichen Armen. Seine Söhne treibt er an, weiterhin jenen Weg zu beschreiten und sich auf diese Grundsätze zu stützen. Die Laster haben bestimmte Grundlagen. Mit denen macht er sie sogleich vertraut, dabei zwingt er sie, den Geiz in seinen kleinsten Bestandteilen auswendig zu lernen, [125] und bald unterweist er sie in dem unersättlichen Wunsch, etwas hinzuzugewinnen. Die Mägen seiner Sklaven schränkt er mit einem falschen Messgefäß ein, und er selbst hungert ebenfalls, denn nie hält er es aus, sämtliche Brocken des vom Schimmel blauen Brotes aufzuessen. Für ihn ist es normal, mitten [130] im September das Hackfleisch vom Vortag aufzubewahren und im Sommer Bohnen zusammen mit einem Stück Makrele oder mit einem halben fauligen Wels wohlverwahrt aufzuheben, bis die Zeit zum nächsten Abendessen gekommen ist, und die Schnittlauchfäden abgezählt wegzuschließen. Wenn man einen von der Brücke dazu einlädt, wird er ablehnen. [135] Doch was nützen Reichtümer, die du unter solchen Qualen zusammengesammelt hast, da es doch zweifelsohne Wahnsinn ist, da es offensichtlich Irrsinn ist, das Lebensschicksal eines Bedürftigen durchzumachen, damit du als reicher Mann sterben kannst? Unterdessen wächst, während deine Geldbörse anschwillt und bis zur Öffnung voll ist, deine Liebe zum Geld so, wie das Kapital selbst angewachsen ist, [140] und jemand, dem das Geld fehlt, wünscht es sich in geringerem Maße. Also kaufst du dir eine weitere Villa, wenn dir ein einziges Landgut nicht genügt und du Lust hast, deinen Grundbesitz auszudehnen und das Kornfeld deines Nachbarn größer und besser aussieht. Auch

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et melior vicina seges; mercaris et hanc et arbusta et densa montem qui canet oliva. quorum si pretio dominus non vincitur ullo, nocte boves macri lassoque famelica collo iumenta ad viridis huius mittentur aristas, nec prius inde domum quam tota novalia saevos in ventres abeant, ut credas falcibus actum. dicere vix possis quam multi talia plorent et quot venales iniuria fecerit agros. sed qui sermones, quam foede bucina famae! “quid nocet haec?” inquit “tunicam mihi malo lupini quam si me toto laudet vicinia pago exigui ruris paucissima farra secantem.” scilicet et morbis et debilitate carebis et luctum et curam effugies et tempora vitae longa tibi posthac fato meliore dabuntur, si tantum culti solus possederis agri quantum sub Tatio populus Romanus arabat. mox etiam fractis aetate ac Punica passis proelia vel Pyrrhum inmanem gladiosque Molossos tandem pro multis vix iugera bina dabantur vulneribus: merces haec sanguinis atque laboris nulli visa umquam meritis minor aut ingratae curta fides patriae. saturabat glebula talis patrem ipsum turbamque casae, qua feta iacebat uxor et infantes ludebant quattuor, unus vernula, tres domini; sed magnis fratribus horum a scrobe vel sulco redeuntibus altera cena amplior et grandes fumabant pultibus ollae: nunc modus hic agri nostro non sufficit horto.

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VIERZEHNTE SATIRE

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dieses erwirbst du sowie den Weingarten und den Berg, der von den dicht stehenden Olivenbäumen grau ist. [145] Falls sich der Besitzer von keinem Preis überzeugen lässt, wird man nachts die mageren Rinder und die ausgehungerten Zugtiere mit ihrem ermüdeten Nacken durch seine grünen Ähren treiben, und von dort sollen sie nicht eher zurück nach Hause kommen, bevor das ganze Feld in ihren wütenden Mägen verschwunden ist, sodass du meinen könntest, man habe mit Sicheln gearbeitet. [150] Es dürfte sich kaum feststellen lassen, wie viele Leute über so etwas klagen und bei wie vielen Äckern ein Rechtsbruch dafür sorgte, dass sie zum Verkauf angeboten wurden. Doch was gibt das für ein Gerede, wie hässlich ertönt das Horn des schlechten Rufs! »Was schadet das schon?« sagt er. »Eine Lupinenschote ist mir mehr wert, als wenn mich die Nachbarn im ganzen Bezirk preisen, [155] während ich auf einem winzigen Landgut nur ein kleines Bisschen Getreide ernte.« Na klar, du wirst von Krankheit und Gebrechlichkeit verschont bleiben, der Trauer und den Sorgen wirst du entgehen, und von einem noch gütigeren Schicksal wird dir dann noch eine lange Lebenszeit geschenkt werden, wenn du nur allein so viel bestelltes Ackerland besitzt, [160] wie es das römische Volk unter Tatius pflügte. In den Jahren danach gab man auch denen, die vom Alter gebrochen waren und die Schlachten mit den Karthagern ertragen hatten oder den schrecklichen Pyrrhus und die Schwerter der Molosser, für ihre zahlreichen Wunden letztlich kaum zwei Morgen Land. Dieser Lohn für ihr Blut und ihre Mühen [165] erschien niemandem je als zu gering für ihre Verdienste oder als ein Mangel an Treue von Seiten eines undankbaren Vaterlands. Von so einer kleinen Erdscholle wurde der Vater selbst satt und die Schar in seiner Hütte, in der die Ehefrau schwanger darniederlag und vier Kinder spielten – nur eines ein kleiner im Haus geborener Sklave und drei Herren. Doch wenn deren große Brüder [170] von den Gruben oder Furchen zurückkehrten, dampften für sie eine zweite, reichlichere Mahlzeit und gewaltige Töpfe mit Brei. Heutzutage reicht diese Ackerfläche nicht einmal für unsere Küchengärten. Darin liegen für gewöhnlich die Ursachen für

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inde fere scelerum causae, nec plura venena miscuit aut ferro grassatur saepius ullum humanae mentis vitium quam saeva cupido inmodici census. nam dives qui fieri volt, et cito volt fieri: sed quae reverentia legum, quis metus aut pudor est umquam properantis avari? “vivite contenti casulis et collibus istis, o pueri,” Marsus dicebat et Hernicus olim Vestinusque senex, “panem quaeramus aratro, qui satis est mensis: laudant hoc numina ruris, quorum ope et auxilio gratae post munus aristae contingunt homini veteris fastidia quercus. nil vetitum fecisse volet quem non pudet alto per glaciem perone tegi, qui summovet euros pellibus inversis: peregrina ignotaque nobis ad scelus atque nefas, quaecumque est, purpura ducit.” haec illi veteres praecepta minoribus: at nunc post finem autumni media de nocte supinum clamosus iuvenem pater excitat: “accipe ceras, scribe, puer, vigila, causas age, perlege rubras maiorum leges! aut vitem posce libello (sed caput intactum buxo narisque pilosas adnotet et grandes miretur Laelius alas), dirue Maurorum attegias, castella Brigantum, ut locupletem aquilam tibi sexagesimus annus adferat! aut longos castrorum ferre labores si piget et trepidum solvunt tibi cornua ventrem cum lituis audita, pares quod vendere possis pluris dimidio, nec te fastidia mercis

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Verbrechen, und kein Laster des menschlichen Geistes hat mehr Gifte gemischt oder wütet öfter mit dem Schwert [175] als die grausame Gier nach unbegrenztem Besitz. Denn wer reich werden will, will es auch schnell werden. Doch welche Achtung vor den Gesetzen, welche Furcht oder welches Schamgefühl gibt es jemals bei einem Geizigen in seiner eiligen Geschäftigkeit? »Lebt zufrieden mit euren kleinen Hütten und diesen Hügeln, [180] meine Söhne«, sprachen einstmals der alte Marser, der Herniker und der Vestiner, »mit dem Pflug wollen wir das Brot erwerben, das für unseren Tisch ausreicht. Das heißen die Landgottheiten gut, durch deren Unterstützung und Hilfe dem Menschen nach dem willkommenen Geschenk der Ähre die Möglichkeit gegeben wurde, die Eicheln, die sie früher hatten, zu verschmähen. [185] Wem es nicht peinlich ist, sich beim Gang durch das Eis mit hohen Stiefeln zu schützen, wer den Ostwind mit umgekrempelten Fellen abhält, der wird nicht das Bedürfnis haben, etwas Verbotenes zu tun. Dieser fremdländische und uns unbekannte Purpur (was auch immer das sein mag) führt zu Verbrechen und Frevel.« Diese Lehren gaben jene Alten den Jüngeren mit. Heutzutage dagegen [190] scheucht der Vater nach dem Ende des Herbstes mitten in der Nacht seinen untätigen Sohn mit Geschrei auf: »Nimm die Wachstafeln, schreib, Junge, bleib wach, beschäftige dich mit Prozessen, arbeite die in rot geschriebenen Gesetze unserer Vorfahren durch! Oder bewirb dich mit einem Gesuch um den Stab eines Zenturio (dass dein Haupt von keinem Kamm berührt wurde und deine behaarten Nasenlöcher [195] soll Laelius aber bemerken und deine starken Arme bewundern), reiße die Hütten der Mauren nieder und die Festungen der Briganten, damit dir dein 60. Lebensjahr den lukrativen Adler beschert! Oder falls es deinen Missmut erregt, die langwierigen Strapazen des Feldlagers auf dich zu nehmen, und wenn sich dir bei dem Klang der Hörner und der Kriegstrompeten dein nervöser Darm entleert, [200] dann sollst du das aufkaufen, was du fünfzig Prozent teurer verkaufen kannst. Kein Widerwille gegen irgendeine Ware, die man auf die andere Seite des Tibers wegschaffen

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ullius subeant ablegandae Tiberim ultra, neu credas ponendum aliquid discriminis inter unguenta et corium: lucri bonus est odor ex re qualibet. illa tuo sententia semper in ore versetur dis atque ipso Iove digna poeta: ‘unde habeas quaerit nemo, sed oportet habere.’” [hoc monstrant vetulae pueris repentibus assae, hoc discunt omnes ante alpha et beta puellae.] talibus instantem monitis quemcumque parentem sic possem adfari: “dic, o vanissime, quis te festinare iubet? meliorem praesto magistro discipulum, securus abi: vinceris, ut Aiax praeteriit Telamonem, ut Pelea vicit Achilles. parcendum est teneris, nondum implevere medullas maturae mala nequitiae: cum pectere barbam coeperit et longae mucronem admittere cultri, falsus erit testis, vendet periuria summa exigua et Cereris tangens aramque pedemque. elatam iam crede nurum, si limina vestra mortifera cum dote subit: quibus illa premetur per somnum digitis! nam quae terraque marique adquirenda putas brevior via conferet illi; nullus enim magni sceleris labor. ‘haec ego numquam mandavi’ dices olim ‘nec talia suasi.’ Mentis causa malae tamen est et origo penes te. nam quisquis magni census praecepit amorem et laevo monitu pueros producit avaros, [et qui per fraudes patrimonia conduplicare] dat libertatem et totas effundit habenas curriculo, quem si revoces, subsistere nescit

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VIERZEHNTE SATIRE

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muss, soll dich überkommen, und du sollst nicht glauben, dass zwischen Salben und Leder irgendein Unterschied zu machen sei. Der Gewinn aus jeder beliebigen Ware riecht gut. [205] Stets sollst du jenen Spruch im Mund führen, der von den Göttern – ja, sogar von einem dichtenden Jupiter – stammen könnte: ›Niemand fragt, woher du etwas hast, aber haben musst du es.‹« [Das zeigen die alten Ammen den Knaben, wenn diese noch kriechen, das lernen alle Mädchen noch vor dem ACB.] [210] Zu jedem Vater, der ihn mit solchen Aufforderungen bedrängt, könnte ich Folgendes sagen: »Sag mal, du Idiot, wer treibt dich zur Eile? Ich garantiere dir, dass der Schüler besser sein wird als sein Lehrer – sei unbesorgt und zieh dich zurück! Du wirst übertroffen werden, wie Ajax den Telamon überholte und wie Achill den Peleus übertraf. [215] Mit den zarten Kindern muss man schonend umgehen, ihr Mark ist noch nicht voll mit dem Übel der Verdorbenheit wie bei Erwachsenen. Wenn er damit angefangen hat, sich den Bart zu kämmen und an einen langen Bart die Schneide des Rasiermessers anzusetzen, dann wird er als falscher Zeuge auftreten und für eine geringe Summe Meineide verkaufen und dabei wird er den Altar und sogar den Fuß der Ceres berühren. [220] Gehe davon aus, dass deine Schwiegertochter bereits bestattet ist, wenn sie sich mit ihrer tödlichen Mitgift eurer Schwelle nähert. Von was für Fingern wird sie im Schlaf erwürgt werden! Denn was man deiner Meinung nach zu Wasser und zu Land erwerben muss, das wird er sich auf kürzerem Wege besorgen. Ein schlimmes Verbrechen macht nämlich keine Mühe. ›Dazu habe ich ihn nie [225] beauftragt‹, wirst du dann sagen, ›und so etwas habe ich ihm nicht geraten.‹ Trotzdem liegen die Ursache und der Ursprung seines schlechten Charakters bei dir. Denn jeder, der die Liebe zum großen Vermögen gelehrt hat und mit seinen unseligen Mahnungen die Söhne zur Raffgier erzieht [und der gelehrt hat, durch Betrügereien das Erbe zu verdoppeln], [230] gewährt dem Rennwagen die Freiheit und lässt alle Zügel locker. Wenn du den zurückrufen willst, kann er nicht anhalten, er beachtet dich nicht, lässt die Zielsäulen hinter sich und

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et te contempto rapitur metisque relictis. nemo satis credit tantum delinquere quantum permittas, adeo indulgent sibi latius ipsi. cum dicis iuveni stultum qui donet amico, qui paupertatem levet attollatque propinqui, et spoliare doces et circumscribere et omni crimine divitias adquirere, quarum amor in te quantus erat patriae Deciorum in pectore, quantum dilexit Thebas, si Graecia vera, Menoeceus, in quorum sulcis legiones dentibus anguis cum clipeis nascuntur et horrida bella capessunt continuo, tamquam et tubicen surrexerit una. ergo ignem, cuius scintillas ipse dedisti, flagrantem late et rapientem cuncta videbis. nec tibi parcetur misero, trepidumque magistrum in cavea magno fremitu leo tollet alumnus. nota mathematicis genesis tua, sed grave tardas expectare colus: morieris stamine nondum abrupto. iam nunc obstas et vota moraris, iam torquet iuvenem longa et cervina senectus. ocius Archigenen quaere atque eme quod Mithridates composuit: si vis aliam decerpere ficum atque alias tractare rosas, medicamen habendum est, sorbere ante cibum quod debeat et pater et rex.” Monstro voluptatem egregiam, cui nulla theatra, nulla aequare queas praetoris pulpita lauti, si spectes quanto capitis discrimine constent incrementa domus, aerata multus in arca fiscus et ad vigilem ponendi Castora nummi, ex quo Mars Ultor galeam quoque perdidit et res

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VIERZEHNTE SATIRE

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wird davongerissen. Niemand meint, dass es ausreicht, sich nur so viel zu erlauben, wie du ihm gestattest – vielmehr gewähren sie es sich selbst, noch weiter zu gehen. [235] Wenn du zu deinem Jungen sagst, dass derjenige, der einem Freund etwas schenkt und die Armut eines Verwandten lindert und ihn wieder auf die Füße stellt, dumm ist, dann lehrst du ihn auch zu rauben, zu betrügen und durch jede Art von Verbrechen Reichtum zu erlangen. In dir steckt eine so große Liebe zum Reichtum, wie sie in der Brust der Decier zu ihrer Heimat war und wie sehr [240] Menoeceus (falls Griechenland die Wahrheit sagt) Theben liebte, in dessen Ackerfurchen aus den Zähnen einer Schlange Legionen mit Schilden entstehen und unverzüglich schreckliche Kriege beginnen, als hätte sich gleichzeitig auch ein Kriegstrompeter aufgerichtet. Also wirst du mitansehen, wie das Feuer, dessen Funken du selbst geliefert hast, [245] weithin lodert und alles wegrafft. Und nicht einmal du wirst verschont werden, du Armer, und den vor Angst zitternden Dompteur wird im Käfig unter großem Gebrüll der von ihm aufgezogene Löwe töten. Den Astrologen ist dein Geburtsdatum bekannt, aber es ist lästig, auf die langsame Spindel zu warten. Du wirst sterben, obwohl der Lebensfaden noch nicht [250] abgerissen ist. Schon jetzt stehst du ihm im Weg und verhinderst die Erfüllung seiner Wünsche, schon quält den Sohn dein hohes Alter, wie es sonst nur ein Hirsch erreicht. Such dir schnell einen Archigenes und erwirb, was Mithridates zusammengemischt hat: Wenn du noch einmal eine Feige pflücken und noch einmal Rosen berühren willst, dann musst du das Mittel besitzen, [255] das ein Vater ebenso wie ein König vor dem Essen einnehmen muss.« Ich präsentiere hier ein großartiges Vergnügen, mit dem sich kein Theater und keine Bühne eines reichen Prätors vergleichen lässt, wenn du mal schauen möchtest, mit welch großer Gefahr für das eigene Leben man die Steigerung des häuslichen Vermögens bezahlt und die reichhaltigen Einkünfte in der Geldkiste aus Metall [260] und die Münzen, die man bei dem wachsamen Castor deponieren muss, seit Mars der Rächer auch noch seinen Helm verloren hat und nicht einmal seinen eigenen Besitz bewahren kann. Also kannst du

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non potuit servare suas. ergo omnia Florae et Cereris licet et Cybeles aulaea relinquas: tanto maiores humana negotia ludi. an magis oblectant animum iactata petauro corpora quique solet rectum descendere funem quam tu, Corycia semper qui puppe moraris atque habitas, coro semper tollendus et austro, perditus ac vilis sacci mercator olentis, qui gaudes pingue antiquae de litore Cretae passum et municipes Iovis advexisse lagonas? hic tamen ancipiti figens vestigia planta victum illa mercede parat, brumamque famemque illa reste cavet: tu propter mille talenta et centum villas temerarius. aspice portus et plenum magnis trabibus mare: plus hominum est iam in pelago. veniet classis quocumque vocarit spes lucri, nec Carpathium Gaetulaque tantum aequora transiliet, sed longe Calpe relicta audiet Herculeo stridentem gurgite solem: grande operae pretium est, ut tenso folle reverti inde domum possis tumidaque superbus aluta, Oceani monstra et iuvenes vidisse marinos. non unus mentes agitat furor: ille sororis in manibus voltu Eumenidum terretur et igni, hic bove percusso mugire Agamemnona credit aut Ithacum. parcat tunicis licet atque lacernis, curatoris eget qui navem mercibus implet ad summum latus et tabula distinguitur unda, cum sit causa mali tanti et discriminis huius concisum argentum in titulos faciesque minutas. occurrunt nubes et fulgura: “solvite funem!”

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alle Bühnenvorhänge der Flora, der Ceres und auch der Kybele links liegen lassen, denn die Geschäftigkeit der Menschen bietet viel großartigere Spiele. [265] Oder bieten die von einem Sprungbrett hochgeworfenen Körper oder der, welcher immer auf einem gespannten Seil herabmarschiert, dem Geist bessere Unterhaltung als du, der du dich immer auf einem korykischen Schiff aufhältst und dort wohnst? Immer bist du kurz davor, vom Nord- oder Südwind aus dem Weg geräumt zu werden, ein hoffnungsloser und verachteter Händler mit stinkenden Säcken, [270] der Freude daran hat, dicken Rosinenwein von der Küste des altehrwürdigen Kreta herzubringen – Flaschen, die Jupiters Landsleute sind. Der dagegen setzt seine Schritte mit unsicherem Fuß und sorgt mit dem Lohn für seinen Lebensunterhalt; mit Hilfe des Seils schützt er sich vor der Kälte des Winters und dem Hunger. Du bist wegen tausend Talenten [275] und hundert Landhäusern waghalsig. Schau auf die Häfen und das Meer, das voll ist mit großen Schiffen! Die Mehrzahl der Menschen ist bereits auf See. Überall dorthin, wo eine Hoffnung auf Gewinn ruft, wird eine Flotte gelangen, und sie wird nicht nur über das Karpathische und das Gätulische Meer fahren, sondern auch Calpe weit hinter sich zurücklassen [280] und das Zischen der Sonne im Strudel des Herkules hören. Für die Mühe, dass du die Ungeheuer des Ozeans und die Meermänner gesehen hast, ist es ein großartiger Lohn, von dort mit prall gefülltem Geldsack und voller Stolz über den angeschwollenen Lederbeutel nach Hause zurückkehren zu können. Nicht nur eine Art von Wahnsinn treibt die Sinne der Menschen an: Jener wird in den Armen seiner Schwester [285] vom Blick und dem Feuer der Eumeniden in Schrecken versetzt. Dieser erschlägt einen Stier und meint dann, dass Agamemnon und der Mann aus Ithaka muhen. Auch wenn er seine Tunika und seinen Mantel verschont – einen Vormund benötigt jemand, der ein Schiff bis oben hin mit Waren anfüllt und vom Wasser nur durch ein Brett getrennt wird, [290] obwohl der Grund für so großes Leid und diese Gefahr bloß Silber ist, das man zu Inschriften und winzigen Gesichtern zerhackt hat. Wolken und Blitze ziehen herauf. »Löst das Haltetau!« schreit der Besitzer des

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SATURA XIV

frumenti dominus clamat piperisve coempti, “nil color hic caeli, nil fascia nigra minatur, aestivom tonat.” infelix hac forsitan ipsa nocte cadet fractis trabibus fluctuque premetur obrutus et zonam laeva morsuque tenebit. sed cuius votis modo non suffecerat aurum quod Tagus et rutila volvit Pactolus harena, frigida sufficient velantes inguina panni exiguusque cibus, mersa rate naufragus assem dum rogat et picta se tempestate tuetur. Tantis parta malis cura maiore metuque servantur: misera est magni custodia census. dispositis praedives amis vigilare cohortem servorum noctu Licinus iubet, attonitus pro electro signisque suis Phrygiaque columna atque ebore et lata testudine: dolia nudi non ardent Cynici; si fregeris, altera fiet cras domus aut eadem plumbo commissa manebit. sensit Alexander, testa cum vidit in illa magnum habitatorem, quanto felicior hic qui nil cuperet quam qui totum sibi posceret orbem passurus gestis aequanda pericula rebus. nullum numen habes, si sit prudentia: nos te, nos facimus, Fortuna, deam. mensura tamen quae sufficiat census, si quis me consulat, edam: in quantum sitis atque fames et frigora poscunt, quantum, Epicure, tibi parvis suffecit in hortis, quantum Socratici ceperunt ante penates: numquam aliud natura, aliud sapientia dicit. acribus exemplis videor te cludere? misce ergo aliquid nostris de moribus, effice summam

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aufgekauften Getreides oder Pfeffers. »Diese Färbung des Himmels und die schwarzen Wolkenbänder sind nicht bedrohlich, [295] im Sommer donnert es halt.« Der Unglückliche wird vielleicht noch in dieser Nacht von den zerbrochenen Planken stürzen und von den Wellen überrollt und hinuntergedrückt werden – und dabei wird er sich mit seiner linken Hand und den Zähnen an seinem Geldgürtel festhalten. Für ihn, für dessen Wünsche eben noch das Gold nicht ausgereicht hatte, das der Tagus und der Pactolus in ihrem roten Sand mit sich führen, [300] werden jedoch Lumpen ausreichen, die seinen fröstelnden Penis verhüllen, und ein kleines Bisschen Essen, wenn er nach dem Untergang seines Schiffs als Schiffbrüchiger einen As erbettelt und sich mit Hilfe eines Bilds von dem Seesturm ernährt. Wenn man etwas unter so großem Leid erworben hat, bewahrt man es mit noch größerer Sorge und Angst. Bejammernswert ist die Bewachung eines großen Vermögens. [305] Der schwerreiche Licinus hat Eimer verteilt und befiehlt einer Kohorte von Sklaven, nachts Wache zu halten – besinnungslos vor Angst um seinen Bernstein und seine Statuen und die phrygischen Säulen und das Elfenbein und den Schmuck aus breitem Schildpatt. Das Fass eines nackten Kynikers brennt nicht ab. Wenn man es zerschlägt, dann wird morgen ein anderes [310] sein Haus werden oder dasselbe wird mit Blei zusammengesetzt werden und sein Haus bleiben. Als Alexander in jenem Gefäß den großen Bewohner sah, spürte er, wie viel glücklicher der war, der nichts begehrte, als er, der für sich den ganzen Erdkreis beanspruchte, um dann Gefahren zu erdulden, die seinen Taten entsprachen. [315] Du besitzt keine göttliche Macht, wenn die Klugheit herrscht. Wir, ja wir machen dich zur Göttin, Fortuna. Doch welche Menge an Vermögen ausreicht, will ich, falls man mich fragt, verkünden: wieviel Durst, Hunger und Kälte verlangen, wieviel für dich, Epikur, in deinem kleinen Garten ausreichte [320] und wieviel noch früher das Haus des Sokrates aufnahm. Niemals sagt die Natur etwas anderes, niemals sagt die Weisheit anderes. Kommt es dir so vor, dass ich dich durch strenge Beispiele einenge? Dann mische also etwas von unseren Sitten dazu: Verschaffe dir die Geldsumme, für die Othos

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bis septem ordinibus quam lex dignatur Othonis. haec quoque si rugam trahit extenditque labellum, sume duos equites, fac tertia quadringenta. si nondum implevi gremium, si panditur ultra, nec Croesi fortuna umquam nec Persica regna sufficient animo nec divitiae Narcissi, indulsit Caesar cui Claudius omnia, cuius paruit imperiis uxorem occidere iussus.

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Gesetz die Würde der zweimal sieben Sitzreihen verleiht. [325] Wenn sogar diese Summe dich die Stirn runzeln und den Mund verziehen lässt, dann nimm dir das Vermögen von zwei Rittern oder besorg dir die dritten Vierhunderttausend. Falls ich dir die Tasche noch nicht angefüllt habe, falls sie sich noch weiter ausdehnen lässt, werden für deinen Sinn auch der Besitz des Krösus und das Perserreich niemals ausreichen und auch nicht die Reichtümer des Narcissus, [330] dem Kaiser Claudius alles gewährte und dessen Anweisungen er folgte, als er ihm befohlen hatte, seine Frau zu töten.

Satura XV Quis nescit, Volusi Bithynice, qualia demens Aegyptos portenta colat? crocodilon adorat pars haec, illa pavet saturam serpentibus ibin. effigies sacri nitet aurea cercopitheci, dimidio magicae resonant ubi Memnone chordae atque vetus Thebe centum iacet obruta portis. illic aeluros, hic piscem fluminis, illic oppida tota canem venerantur, nemo Dianam. porrum et caepe nefas violare ac frangere morsu: o sanctas gentes quibus haec nascuntur in hortis numina! lanatis animalibus abstinet omnis mensa, nefas illic fetum iugulare capellae: carnibus humanis vesci licet. attonito cum tale super cenam facinus narraret Ulixes Alcinoo, bilem aut risum fortasse quibusdam moverat ut mendax aretalogus. “in mare nemo hunc abicit saeva dignum veraque Charybdi, fingentem inmanis Laestrygonas et Cyclopas? nam citius Scyllam vel concurrentia saxa Cyaneis plenos et tempestatibus utres crediderim aut tenui percussum verbere Circes et cum remigibus grunnisse Elpenora porcis: tam vacui capitis populum Phaeaca putavit?” sic aliquis merito nondum ebrius et minimum qui de Corcyraea temetum duxerat urna; solus enim haec Ithacus nullo sub teste canebat. nos miranda quidem, sed nuper consule Iunco gesta super calidae referemus moenia Copti,

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Fünfzehnte Satire Wer wüsste nicht, Volusius Bithynicus, welche Ungeheuer das wahnsinnige Ägypten verehrt? Die eine Gegend fleht das Krokodil an, eine andere fürchtet den Ibis, der sich an Schlangen gesättigt hat. Golden erglänzt das Abbild des heiligen Affen, [5] wo die magischen Saiten in dem verstümmelten Memnon erklingen und das alte Theben mit seinen hundert Toren in Trümmern liegt. Dort beten ganze Städte Katzen an, da einen Fisch aus dem Fluss, dort den Hund, aber niemand Diana. Es gilt als Frevel, Lauch und Zwiebel Gewalt anzutun und sie mit den Zähnen zu zerstückeln. [10] O ihr geheiligten Völker, bei denen diese Gottheiten im Garten wachsen! Jede Tafel verzichtet auf wolltragende Tiere, als Frevel gilt es dort, das Junge einer Ziege zu schlachten: Von Menschenfleisch darf man sich ernähren. Als Odysseus dem geschockten Alkinoos beim Essen von einer solchen Untat erzählte, [15] da hatte er wohl einigen die Galle hochgetrieben oder sie zum Lachen gebracht wie ein verlogener Geschichtenerzähler: »Wirft denn niemand den da – der die grausame Charybdis verdient hätte, und zwar eine echte – ins Meer, weil er sich die schrecklichen Lästrygonen ausdenkt und die Kyklopen? Denn noch eher könnte ich an Scylla glauben oder an die aufeinander zueilenden Felsen [20] bei den Kyaneischen Inseln und an Schläuche, die mit Stürmen gefüllt sind, oder daran, dass Elpenor, von Kirkes zartem Schlag getroffen, zusammen mit den rudernden Schweinen grunzte. Hält er das Volk der Phäaken für solche Hohlköpfe?« Aus gutem Grund sagte dies jemand, der auch noch nüchtern war und nur ganz wenig [25] Wein aus dem korkyräischen Krug getrunken hatte. Denn der Mann aus Ithaka sang als einziger von diesen Dingen, ohne einen Zeugen dafür zu haben. Ich werde von etwas berichten, das zwar auch schwer zu begreifen ist, sich aber erst kürzlich unter dem Konsulat des Iuncus südlich der Mauern des

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nos volgi scelus et cunctis graviora coturnis; nam scelus, a Pyrrha quamquam omnia syrmata volvas, nullus apud tragicos populus facit. accipe nostro dira quod exemplum feritas produxerit aevo. Inter finitimos vetus atque antiqua simultas, inmortale odium et numquam sanabile vulnus ardet adhuc Ombos et Tentura. summus utrimque inde furor volgo, quod numina vicinorum odit uterque locus, cum solos credat habendos esse deos quos ipse colit. sed tempore festo alterius populi rapienda occasio cunctis visa inimicorum primoribus ac ducibus, ne laetum hilaremque diem, ne magnae gaudia cenae sentirent positis ad templa et compita mensis pervigilique toro, quem nocte ac luce iacentem septimus interdum sol invenit: horrida sane Aegyptos, sed luxuria, quantum ipse notavi, barbara famoso non cedit turba Canopo. adde quod et facilis victoria de madidis et blaesis atque mero titubantibus. inde virorum saltatus nigro tibicine, qualiacumque unguenta et flores multaeque in fronte coronae, hinc ieiunum odium. sed iurgia prima sonare incipiunt animis ardentibus; haec tuba rixae. dein clamore pari concurritur, et vice teli saevit nuda manus: paucae sine volnere malae, vix cuiquam aut nulli toto certamine nasus integer; aspiceres iam cuncta per agmina voltus dimidios, alias facies et hiantia ruptis ossa genis, plenos oculorum sanguine pugnos.

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heißen Coptus ereignete – von dem Verbrechen eines Volkes, das schlimmer ist als alle Tragödien. [30] Denn auch wenn du angefangen mit Pyrrha alle Tragödienstoffe wälzt, begeht bei den Tragikern nie ein ganzes Volk ein Verbrechen. Vernimm also, welches Beispiel die grausame Wildheit zu unserer Zeit hervorgebracht hat! Zwischen den Nachbarstädten Ombi und Tentura brennen bis heute eine uralte Feindschaft, unsterblicher Hass und eine niemals heilbare Wunde. [35] Auf beiden Seiten herrscht im Volk deshalb äußerste Wut, weil beide Orte die Gottheiten ihrer Nachbarn hassen, denn sie glauben, dass man nur diejenigen für Götter halten dürfe, die sie selbst verehren. Als dann das eine Volk seine Festtage beging, erachteten es sämtliche Anführer und Befehlshaber der Feinde für notwendig, die Gelegenheit zu ergreifen, um jene keinen [40] Tag in fröhlicher Heiterkeit genießen zu lassen und auch nicht die Freuden eines großen Gelages an Tischen, die sie bei den Tempeln und Weggabelungen aufgestellt hatten, und mit Speisesofas zum Durchwachen der Nacht (Tag und Nacht stehen die da, und so trifft sie mitunter die siebte Sonne an). Ägypten ist vollkommen unzivilisiert, [45] aber wenn es zur Schwelgerei kommt, dann steht diese Barbarentruppe, wie ich es selbst beobachtet habe, nicht einmal hinter dem berüchtigten Canopus zurück. Und so ist es eben einfach, über Leute zu siegen, die betrunken sind, die lallen und die vom Wein herumtorkeln. Auf der einen Seite tanzten Männer, während ein Schwarzer dazu Flöte spielte, es gab Parfüm jeder Art, [50] Blumen und viele Kränze auf der Stirn. Auf der anderen Seite gab es hungrigen Hass. Am Anfang lassen sie jedoch erst einmal mit Leidenschaft Schimpfwörter ertönen: Das ist die Kriegstrompete für ihren Streit. Dann gehen sie mit gleichem Geschrei aufeinander los, und an Stelle einer Waffe lassen sie ihre bloßen Fäuste wüten. Nur wenige Backen haben keine Wunde, [55] bei kaum einem – oder auch bei keinem – bleibt in der ganzen Streiterei die Nase unversehrt. Schon konnte man bei allen in diesen Scharen verstümmelte Gesichter sehen, Menschen mit einem ganz anderen Aussehen, Knochen, die durch das Aufreißen der Wangen offen liegen, und Fäuste die voll sind mit dem Blut der

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ludere se credunt ipsi tamen et puerilis exercere acies, quod nulla cadavera calcent. et sane quo tot rixantis milia turbae, si vivunt omnes? ergo acrior impetus et iam saxa inclinatis per humum quaesita lacertis incipiunt torquere, domestica seditioni tela, nec hunc lapidem, qualis et Turnus et Aiax, vel quo Tydides percussit pondere coxam Aeneae, sed quem valeant emittere dextrae illis dissimiles et nostro tempore natae. nam genus hoc vivo iam decrescebat Homero, terra malos homines nunc educat atque pusillos; ergo deus quicumque aspexit, ridet et odit. a deverticulo repetatur fabula: postquam subsidiis aucti, pars altera promere ferrum audet et infestis pugnam instaurare sagittis. terga fugae celeri praestant instantibus Ombis qui vicina colunt umbrosae Tentura palmae. labitur hic quidam nimia formidine cursum praecipitans capiturque. ast illum in plurima sectum frusta et particulas, ut multis mortuus unus sufficeret, totum corrosis ossibus edit victrix turba, nec ardenti decoxit aeno aut veribus: longum usque adeo tardumque putavit expectare focos, contenta cadavere crudo. hic gaudere libet quod non violaverit ignem, quem summa caeli raptum de parte, Prometheu, donasti terris. elemento gratulor, et te exultare reor. sed qui mordere cadaver sustinuit, nil umquam hac carne libentius edit; nam scelere in tanto ne quaeras et dubites an prima voluptatem gula senserit: ultimus ante

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Augen. Doch sie selbst meinen, dass sie nur Unfug treiben und wie Kinder [60] Krieg spielen, weil sie ja nicht auf Leichen treten. Und in der Tat: Was bringt es, dass so viele Tausend in der streitenden Menge mitmachen, wenn die alle am Leben bleiben? Also wird der Angriff heftiger, und schon sammeln sie Steine vom Boden auf und beginnen sie mit erhobenen Armen zu schleudern – heimische Waffen für einen Aufstand [65] und keinen Stein, wie ihn Turnus und auch Ajax schleuderten, oder den, mit dessen Gewicht der Sohn des Tydeus die Hüfte des Aeneas traf, sondern wie ihn eine rechte Hand werfen kann, die nicht so ist wie jene, sondern so, wie sie zu unserer Zeit entsteht. Denn das Menschengeschlecht schrumpfte bereits zu Lebzeiten Homers, [70] und jetzt bringt die Erde üble und ganz kleine Menschen hervor. Deshalb lacht jeder Gott, der sie erblickt, sie aus und hasst sie. Nach dieser Abschweifung soll es mit der Geschichte weitergehen! Nachdem sie sich mit Reservetruppen verstärkt haben, wagt es die eine Seite, das Schwert zu ziehen und mit scharfen Pfeilen die Schlacht wieder in Gang zu bringen. [75] Als die Leute aus Ombi herandrängen, wenden sich die, welche das benachbarte Tentura mit seinen schattenspendenden Palmen bewohnen, zur schnellen Flucht. Da fällt einer hin, als er in seinem übergroßen Schrecken seinen Lauf zu sehr beschleunigt, und wird gefangen genommen. Den zerschnitt man dann tatsächlich in sehr viele Häppchen und Stücke, damit der eine Tote für viele [80] ausreichte: Vollständig aß ihn die siegreiche Menge auf und nagte auch die Knochen ab. Aber die Menge garte ihn nicht im heißen Kochtopf oder an Bratspießen. Sie meinten, es dauere viel zu lange, ewig am Herd zu warten, und waren zufrieden mit dem rohen Leichnam. Hier darf man noch froh sein, dass sie nicht das Feuer entweihten, [85] das du, Prometheus, vom höchsten Bereich des Himmels geraubt hattest und der Erde schenktest. Ich beglückwünsche das Element und glaube, dass auch du frohlockst. Aber wer es über sich gebracht hat, in eine Leiche zu beißen, der isst nie mehr etwas lieber als dieses Fleisch. Denn bei einem so großen Verbrechen solltest du nicht nachfragen und zweifeln, ob [90] nur der erste

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qui stetit, absumpto iam toto corpore ductis per terram digitis aliquid de sanguine gustat. Vascones, ut fama est, alimentis talibus usi produxere animas, sed res diversa, sed illic fortunae invidia est bellorumque ultima, casus extremi, longae dira obsidionis egestas. [huius enim quod nunc agitur miserabile debet exemplum esse cibi, sicut modo dicta mihi gens.] post omnis herbas, post cuncta animalia, quidquid cogebat vacui ventris furor, hostibus ipsis pallorem ac maciem et tenuis miserantibus artus, membra aliena fame lacerabant, esse parati et sua. quisnam hominum veniam dare quisve deorum urbibus abnueret dira atque inmania passis et quibus illorum poterant ignoscere manes, quorum corporibus vescebantur? melius nos Zenonis praecepta monent, [nec enim omnia quidam pro vita facienda putant.] sed Cantaber unde Stoicus, antiqui praesertim aetate Metelli? nunc totus Graias nostrasque habet orbis Athenas, Gallia causidicos docuit facunda Britannos, de conducendo loquitur iam rhetore Thyle. nobilis ille tamen populus quem diximus, et par virtute atque fide sed maior clade Zacynthos tale quid excusat: Maeotide saevior ara Aegyptos; quippe illa nefandi Taurica sacri inventrix homines, ut iam quae carmina tradunt digna fide credas, tantum immolat, ulterius nil aut gravius cultro timet hostia. quis modo casus inpulit hos? quae tanta fames infestaque vallo

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Schlund es als einen Genuss empfand: Als der ganze Körper bereits aufgegessen ist, zieht der letzte, der auch schon vorher dastand, seine Finger durch den Sand und genießt noch etwas von dem Blut. Die Vasconen verlängerten, so erzählt man, durch den Verzehr solcher Speisen ihr Leben, aber die Sache lag anders: Dort [95] herrschten die Missgunst des Schicksals und die äußerste Not des Krieges, schlimmste Umstände und schrecklicher Mangel infolge einer langen Belagerung. [Das Beispiel für diese Speise, um die es nun geht, muss als beklagenswert gelten – ebenso wie das gerade von mir erwähnte Volk.] Nach dem Verzehr sämtlicher Kräuter und sämtlicher Tiere und all der Dinge, zu denen [100] das Toben ihres leeren Magens sie zwang, und als selbst die Feinde mit ihrer Blässe, ihrer Magerkeit und ihren dürren Gliedern Mitleid bekamen, machten sie sich in ihrem Hunger daran, die Glieder der anderen zu zerfleischen, und waren bereit, auch ihre eigenen zu essen. Denn wer unter den Menschen oder wer unter den Göttern würde sich weigern, den Städten Verzeihung zu gewähren, die unermesslich Grausames erlitten haben [105] und denen auch die Geister derer verzeihen konnten, von deren Körpern sie sich ernährten? Zu einem besseren Verhalten mahnen uns die Lehren Zenons, [denn manche meinen, dass man für das Leben nicht alles tun müsse,] aber wie hätte ein Cantabrer ein Stoiker sein können, vor allem zur Zeit des alten Metellus? [110] Heutzutage verfügt die ganze Erde über das griechische und das römische Athen: Gallien ist redegewandt und hat britannische Anwälte ausgebildet, und Thule spricht schon über das Anwerben eines Rhetoriklehrers. Dagegen gibt es bei jenem edlen Volk, von dem ich sprach, und auch bei Sagunt, das ihm an Tapferkeit und Treue gleichkam, aber von einer noch größeren Katastrophe heimgesucht wurde, [115] etwas, das sie entschuldigt. Ägypten ist schlimmer als der mäotische Altar. Jene taurische Stifterin der frevelhaften Handlung opfert – sofern du sogar das für glaubwürdig hältst, was Gedichte überliefern – die Menschen nur; noch mehr oder noch Schlimmeres als den Dolch hat das Opfer nicht zu befürchten. Welcher Schicksalsschlag hat nun [120] diese angetrie-

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arma coegerunt tam detestabile monstrum audere? anne aliam terra Memphitide sicca invidiam facerent nolenti surgere Nilo? qua nec terribiles Cimbri nec Brittones umquam Sauromataeque truces aut inmanes Agathyrsi, hac saevit rabie inbelle et inutile volgus, parvula fictilibus solitum dare vela phaselis et brevibus pictae remis incumbere testae. Nec poenam sceleri invenies nec digna parabis supplicia his populis, in quorum mente pares sunt et similes ira atque fames. mollissima corda humano generi dare se natura fatetur, quae lacrimas dedit; haec nostri pars optima sensus. plorare ergo iubet causam dicentis amictum squaloremque rei, pupillum ad iura vocantem circumscriptorem, cuius manantia fletu ora puellares faciunt incerta capilli. naturae imperio gemimus, cum funus adultae virginis occurrit vel terra clauditur infans et minor igne rogi. quis enim bonus et face dignus arcana, qualem Cereris volt esse sacerdos, ulla aliena sibi credit mala? separat hoc nos a grege mutorum, atque ideo venerabile soli sortiti ingenium divinorumque capaces atque exercendis pariendisque artibus apti sensum a caelesti demissum traximus arce, cuius egent prona et terram spectantia. mundi principio indulsit communis conditor illis

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ben? Welcher riesige Hunger und welche feindliche Armee vor ihrem Verteidigungswall haben sie gezwungen, etwas so Verabscheuungswürdiges und Ungeheuerliches zu unternehmen? Oder hätten Sie dem Nil, als er nicht ansteigen wollte und das Land bei Memphis trocken blieb, auf andere Weise Vorwürfe machen können? [125] Dieses feige und zum Krieg untaugliche Volk, das normalerweise auf Booten aus Ton winzige Segel setzte und sich in diesen bunten Scherben in die kurzen Riemen legte, wütete mit einer solchen Raserei, wie es weder die schrecklichen Kimbern, noch die Briten und die wilden Sauromaten oder die unmenschlichen Agathyrser jemals getan hatten. Man wird keine Vergeltung für dieses Verbrechen finden und keine Strafe vollstrecken, die angemessen wäre [130] für diese Völker, nach deren Vorstellung Zorn und Hunger das Gleiche oder etwas Ähnliches sind. Die Natur, die ja auch die Tränen gab, macht dadurch deutlich, dass sie dem Menschengeschlecht die empfindsamsten Herzen schenkt. Dies ist der beste Teil unserer Gefühlswelt. Also befiehlt sie uns über die Kleidung dessen zu weinen, der sich vor Gericht verteidigt, [135] über das armselige Aussehen des Angeklagten und über das Waisenkind, das einen Betrüger anklagt: Seine Haare sehen aus wie bei einem Mädchen und lassen sein vom Weinen nasses Gesicht undeutlich werden. Gemäß dem Gebot der Natur seufzen wir, wenn uns der Trauerzug für ein heranwachsendes Mädchen entgegenkommt oder wenn ein Baby in der Erde eingeschlossen wird, [140] das für das Feuer des Scheiterhaufens zu klein ist. Denn welcher anständige Mensch, der einer geheimen Fackel würdig wäre, wie ihn sich ein Cerespriester wünscht, könnte der Meinung sein, dass ein Unglück nichts mit ihm zu tun hat? Das unterscheidet uns von der Herde der sprachlosen Geschöpfe. Und so ist nur uns ein verehrungswürdiger Geist zuteil geworden, wir können das Göttliche erfassen [145] und sind geeignet, Künste auszuüben und zu erfinden. Wir haben die von der Burg im Himmel herabgeschickte Empfindung in uns aufgenommen, welche die vornüber gebeugten und den Erdboden betrachtenden Wesen nicht haben. Am Anfang der Welt schenkte unser gemeinsamer Schöpfer jenen bloß den Lebenshauch

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tantum animas, nobis animum quoque, mutuus ut nos adfectus petere auxilium et praestare iuberet, dispersos trahere in populum, migrare vetusto de nemore et proavis habitatas linquere silvas, aedificare domos, laribus coniungere nostris tectum aliud, tutos vicino limine somnos ut conlata daret fiducia, protegere armis lapsum aut ingenti nutantem volnere civem, communi dare signa tuba, defendier isdem turribus atque una portarum clave teneri. sed iam serpentum maior concordia. parcit cognatis maculis similis fera. quando leoni fortior eripuit vitam leo? quo nemore umquam expiravit aper maioris dentibus apri? Indica tigris agit rabida cum tigride pacem perpetuam, saevis inter se convenit ursis: ast homini ferrum letale incude nefanda produxisse parum est, cum rastra et sarcula tantum adsueti coquere et marris ac vomere lassi nescierint primi gladios extendere fabri. aspicimus populos quorum non sufficit irae occidisse aliquem, sed pectora, bracchia, voltum crediderint genus esse cibi. quid diceret ergo vel quo non fugeret, si nunc haec monstra videret, Pythagoras, cunctis animalibus abstinuit qui tamquam homine et ventri indulsit non omne legumen?

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und uns auch den Geist. So sollte uns die gegenseitige [150] Zuneigung anweisen, um Hilfe zu bitten und sie zu gewähren, die verstreuten Menschen zu einem Volk zusammenzuführen, aus unserem alten Hain auszuwandern und die von den Vorfahren bewohnten Wälder zu verlassen, Häuser zu bauen und unser eigenes Heim mit dem Haus eines anderen zu verbinden [155] (damit uns das gegenseitige Vertrauen durch die Nähe zur Schwelle des Nachbarn einen sicheren Schlaf gab), mit unseren Waffen einen gestürzten oder aufgrund einer riesigen Wunde wankenden Mitbürger zu beschützen, mit der gemeinsamen Kriegstrompete Signale zu geben, uns durch dieselben Türme zu verteidigen und uns mit einem gemeinsamen Schlüssel für die Stadttore einzuschließen. Doch jetzt herrscht unter Schlangen größere Eintracht. Ein wildes Tier verschont [160] seine Artgenossen, weil sie einander in ihren Flecken ähnlich sind. Wann raubte einem Löwen ein stärkerer Löwe das Leben? In welchem Wald hauchte jemals ein Eber sein Leben aus durch die Zähne eines größeren Ebers? Eine indische Tigerin lebt mit einer anderen grimmigen Tigerin in ewigem Frieden, und unter den wilden Bären verträgt man sich. [165] Dagegen begnügt sich der Mensch nicht damit, auf dem frevelhaften Amboss das todbringende Eisen zu behauen, obwohl die ersten Handwerker für gewöhnlich nur Eggen und Harken schmiedeten und erschöpft durch Hacken und den Pflug es nicht verstanden, lange Schwerter zu formen. Wir sehen Völker, deren Zorn sich nicht allein dadurch beschwichtigen lässt, [170] dass man jemanden tötet, sondern die meinen, seine Brust, seine Arme und sein Gesicht seien eine Art Speise. Was also würde Pythagoras sagen und wohin würde er nicht fliehen, wenn er nun diese Ungeheuerlichkeiten sehen müsste – er, der sich vom Verzehr aller Tiere fernhielt, als wären es Menschen, und der seinem Magen nicht einmal jedes Gemüse gönnte?

Satura XVI Quis numerare queat felicis praemia, Galli, militiae? nam si subeuntur prospera castra, me pavidum excipiat tironem porta secundo sidere. plus etenim fati valet hora benigni quam si nos Veneris commendet epistula Marti et Samia genetrix quae delectatur harena. Commoda tractemus primum communia, quorum haut minimum illud erit, ne te pulsare togatus audeat, immo etsi pulsetur, dissimulet nec audeat excussos praetori ostendere dentes et nigram in facie tumidis livoribus offam atque oculum medico nil promittente relictum. Bardaicus iudex datur haec punire volenti calceus et grandes magna ad subsellia surae legibus antiquis castrorum et more Camilli servato, miles ne vallum litiget extra et procul a signis. “iustissima centurionum cognitio est, igitur de milite nec mihi derit ultio, si iustae defertur causa querellae.” tota cohors tamen est inimica, omnesque manipli consensu magno efficiunt curabilis ut sit vindicta et gravior quam iniuria. dignum erit ergo declamatoris mulino corde Vagelli, cum duo crura habeas, offendere tot caligas, tot milia clavorum. quis tam procul adsit ab urbe

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Sechzehnte Satire Wer wäre in der Lage, Gallius, die Vorrechte des erfolgreichen Militärdienstes aufzuzählen? Wenn man nämlich das verheißungsvolle Lager betritt, dann möge das Tor mich ängstlichen Rekruten unter einem günstigen Stern aufnehmen. Denn eine Geburtsstunde mit wohlwollendem Schicksal bewirkt mehr, [5] als wenn ein Empfehlungsschreiben der Venus an Mars für uns spräche oder auch seine Mutter, die sich am Sand von Samos erfreut. Zuerst wollen wir die allgemeinen Vorteile behandeln: Unter denen ist es nicht am unwichtigsten, dass sich kein Bürger in Zivil traut, dich zu schlagen. Ja, selbst wenn er geschlagen werden sollte, dürfte er es verheimlichen und wird sich nicht [10] trauen, dem Prätor seine ausgeschlagenen Zähne zu zeigen und die dunkle Beule im Gesicht (obwohl diese bläulich anschwillt) und das Auge, das ihm gerade noch geblieben ist, auch wenn der Arzt nichts versprechen kann. Wenn er den Täter dafür zur Rechenschaft ziehen will, setzt man ihm einen Zenturionenstiefel als Richter vor und kräftige Waden auf den geräumigen Gerichtsbänken [15] gemäß den alten Gesetzen des Lagers und unter Bewahrung des Brauchs des Camillus, dass kein Soldat außerhalb des Lagerwalls und fern von seinen Feldzeichen einen Prozess führen soll. »Eine Untersuchung durch die Zenturionen ist besonders gerecht. Also werde ich nicht auf eine Bestrafung des Soldaten verzichten müssen, wenn der Fall mit meiner gerechtfertigten Klage vorgetragen wird.« [20] Doch dem steht die ganze Kohorte feindlich gegenüber, und sämtliche Kompanien sorgen mit großer Einmütigkeit dafür, dass es eine Rache gibt, die behandlungsbedürftig ist und schlimmer als die frühere Verletzung. Deshalb würde es wohl eher zu dem Maultierhirn des Redners Vagellius passen, bei so vielen Soldatenstiefeln Anstoß zu erregen (während du selbst ja nur zwei Beine hast) und bei so vielen [25] tausend Schuhnägeln. Und außerdem: Wer würde dir so weit weg von Rom beistehen, wer wäre

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SATURA XVI

praeterea, quis tam Pylades, molem aggeris ultra ut veniat? lacrimae siccentur protinus et se excusaturos non sollicitemus amicos. “da testem” iudex cum dixerit, audeat ille nescio quis, pugnos qui vidit, dicere “vidi”, et credam dignum barba dignumque capillis maiorum. citius falsum producere testem contra paganum possis quam vera loquentem contra fortunam armati contraque pudorem. Praemia nunc alia atque alia emolumenta notemus sacramentorum. convallem ruris aviti improbus aut campum mihi si vicinus ademit et sacrum effodit medio de limite saxum, quod mea cum patulo coluit puls annua libo, debitor aut sumptos pergit non reddere nummos vana supervacui dicens chirographa ligni, expectandus erit qui lites incohat annus totius populi. sed tum quoque mille ferenda taedia, mille morae; totiens subsellia tantum sternuntur, iam facundo ponente lacernas Caedicio et Fusco iam micturiente parati digredimur, lentaque fori pugnamus harena. ast illis quos arma tegunt et balteus ambit quod placitum est ipsis praestatur tempus agendi, nec res atteritur longo sufflamine litis. Solis praeterea testandi militibus ius vivo patre datur; nam quae sunt parta labore militiae, placuit non esse in corpore census,

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ein solcher Pylades, dass er sich auf die andere Seite des massigen Lagerwalls begeben würde? Sofort sollen deine Tränen trocknen und deine Freunde nicht weiter in Unruhe versetzen, die ohnehin Ausreden vorbringen werden. Wenn der Richter sagt: »Stelle einen Zeugen«, und dieser Jemand, der die Faustschläge gesehen hat, sich trauen sollte zu sagen: »Ich habe es gesehen«, [30] dann werde sogar ich überzeugt sein, dass für ihn der Bart unserer Vorfahren und auch deren Haartracht angemessen wären. Schneller könntest du einen falschen Zeugen gegen einen Zivilisten vorführen, als einen, der die Wahrheit spricht, gegen die Stellung und die Ehre eines Bewaffneten. [35] Nun wollen wir weitere Vorteile und weitere Vergünstigungen, die der Fahneneid mit sich bringt, anführen. Wenn mir ein bösartiger Nachbar einen Abhang auf dem Gut meiner Väter oder ein Feld weggenommen und mitten auf dem Grenzstreifen den heiligen Grenzstein ausgegraben hat, den mein jedes Jahr zubereiteter Opferbrei zusammen mit dem breiten Kuchenfladen verehrte, [40] oder wenn ein Schuldner auch weiterhin das geliehene Geld nicht zurückgibt, indem er die Handschrift auf dem wertlosen Holztäfelchen als unecht bezeichnet, dann muss man auf das Jahr warten, das endlich die Prozesse für das gesamte Volk beginnen lässt. Aber auch dann wird man tausend Ärgernisse und tausend Verzögerungen ertragen müssen. So oft werden bloß die Polster auf die Gerichtbänke [45] gelegt, und während der redegewandte Caedicius schon seinen Mantel ablegt und Fuscus schon Pinkeln gehen will, ziehen wir, obwohl wir schon bereit standen, wieder von dannen: So tragen wir den Streit im klebrigen Sand des Forums aus. Dagegen gewährt man denen, die von ihren Waffen geschützt werden und die ein Schwertgurt umgibt, den Verhandlungstermin, den sie selbst beschlossen haben, [50] und ihr Vermögen wird nicht durch das Abbremsen des langwierigen Prozesses aufgerieben. Außerdem gibt man nur Soldaten das Recht, zu Lebzeiten des Vaters ihr Testament zu machen. Was man nämlich durch den mühevollen Militärdienst verdient hat, das – so ist es beschlossen – gehört nicht zur Vermögensmasse, über die der Vater die alleinige Verfü-

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SATURA XVI

omne tenet cuius regimen pater. ergo Coranum signorum comitem castrorumque aera merentem quamvis iam tremulus captat pater. hunc favor aequus provehit et pulchro reddit sua dona labori. ipsius certe ducis hoc referre videtur ut, qui fortis erit, sit felicissimus idem, ut laeti phaleris omnes et torquibus, omnes ...

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gungsgewalt hat. Daher macht bei Coranus, [55] einem aus dem Gefolge der Feldzeichen, der im Lager seinen Sold verdient, der Vater Jagd auf das Erbe, obwohl er schon tatterig ist. Eine Begünstigung, die nur recht und billig ist, bringt ihn voran und entlohnt ihn mit ihren Gaben für seine rühmliche Bemühung. Sicherlich scheint es gerade im Interesse des Herrschers zu liegen, dass derjenige, der tapfer ist, auch am glücklichsten ist, [60] sodass alle sich über Orden und Ketten freuen und alle ...

Anmerkungen Satire 1 1–18 Kritik an mythologischen Themen in der Dichtung; Klage über Dichterrezi­ tationen 19–80  Begründung der Entscheidung für die Gattung Satire 81–146  Charakterisierung der Gattung Satire 147–171 Gefahren für den Satiriker V. 1–18  Der Satiriker beklagt sich über die Allgegenwart literarischer Werke, insbesondere über mythologische Dichtung in den großen Gattungen Epos und Tragödie, und äußert sich abwertend über deren – seiner Meinung nach – lebensferne Inhalte. Konfrontiert wird er mit diesen Werken bei öffentlichen Dichterlesungen. 1–6  Die hier genannten Werke sind: das Epos über die Taten des athenischen Helden Theseus (Theseis) eines uns unbekannten Cordus (der vom vielen Vortragen bereits heiser ist), Komödien mit römischem Setting (fabulae togatae), römische Liebeselegien sowie Tragödien über Telephus und Orest (bereits die Titel von Tragö­ dien des Euripides). 5 f.  Die römische Buchrolle wurde normalerweise nur einseitig beschrieben. 7–11  Die auf respektlose Weise skizzierten Szenen hängen überwiegend mit dem Mythos von Jason und den Argonauten zusammen: Der Hain des Mars bei Kolchis ist der Ort, an dem das Goldene Vlies aufbewahrt wird, die Höhle des Vulkan befindet sich wie die Felsen des Aeolus, des Herrschers über die Winde, auf den Liparischen Inseln (nahe Sizilien), und dort kommen auch die Argonauten vorbei; der anschließende etwas unmotiviert wirkende Blick in die Unterwelt zu dem To­ tenrichter Aeacus überrascht und unterstreicht die Beliebigkeit der hier genannten epischen Motive (vgl. Henderson 1995, 110 f.). Dabei wird Jason einfach als alius (»dieser andere Typ«) bezeichnet; wie ein Dieb raubt er das Goldene Vlies (hier als abwertendes Diminutivum). Der ebenfalls evozierte Kampf der Lapithen und Zentauren, bei dem der Zentaur Monychus Bäume wirft (Ov., Met. 12.498–513), ist laut Valerius Flaccus auf dem Rumpf der Argo abgebildet (1.145 f.). 12 f.  Der Ort, an dem diese Dinge zu hören sind, ist der Garten des Literaturpa­ trons Fronto (möglicherweise identisch mit dem in Mart. 1.55.2 genannten Gön­ ner). Juvenal setzt den Gedanken an den Kampf der Zentauren und Lapithen fort und stellt die vornehme Gartenanlage als Trümmerfeld dar. Der Grund für die Ver­ wüstung ist jedoch die Qual ununterbrochener Rezitationen.

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Anmerkungen

14  In der Ausgabe von Braund 1996 ist der Vers gestrichen (jedoch nicht in Braund 2004). Als Zusammenfassung des Vorangehenden und Überleitung zum Folgenden ergibt er jedoch einen guten Sinn (vgl. Stramaglia 2008 ad loc.). 15–18  Durch die Erwähnung von Prügelstrafe sowie der Abfassung einer Übungs­ rede (suasoria), mit welcher der Diktator Sulla überzeugt werden soll, sich ins Pri­ vatleben zurückzuziehen, weist der Satiriker auf seine eigene Schulbildung hin. So rechtfertigt er seine Entscheidung, ebenfalls als Dichter in Erscheinung zu treten. 19–80  Die Wahl der Gattung Satire wird mit dem lasterhaften Verhalten der Menschen in Rom begründet. In langen »Sünderkatalogen« werden zahlreiche plastische Beispiele für moralische Vergehen und soziale Missstände präsentiert, welche das Schreiben von Satiren geradezu erzwingen. 19–21  Stellvertretend für die Gattung wird der Satiriker Lucilius aus der Stadt Au­ runca angeführt (S. 23). Auf dessen Kampf gegen das Laster spielt seine Darstellung als epischer Held auf einem Streitwagen an. 22 f. Dass Mevia, eine sonst unbekannte römische Dame, in der Arena bei Tier­ hetzen als Amazone auftritt, ist standeswidriges Verhalten. 24–29  Der erste von zahlreichen Angriffen gegen Ägypter (vgl. v. a. Satire 15): Crispinus, ein zu Reichtum gekommener Freigelassener aus der Stadt Canopus (der Begriff verna bedeutet sowohl »Eingeborener« als auch »Sklave« – und als solcher war er früher als Barbier tätig), gehörte zu den Beratern Domitians (vgl. 4.1–33. 108 f.). Ferriss-Hill (2015, 223 f.) weist darauf hin, dass auch in den Satiren des Horaz und des Persius ein Crispinus auftritt und dieser durchweg Züge einer Komödien­ figur trägt; der Name dürfte somit entsprechende Assoziationen hervorrufen. Hier fällt Crispinus’ ostentativ luxuriöses Auftreten auf (das im Gegensatz zu starkem Schwitzen steht). Dazu gehört ein goldener Ring, den er im Sommer trägt, der also vergleichsweise leicht sein dürfte, und doch kann er ihn kaum heben. Die mehrfach vorgeschlagene Streichung von Vers 29 ist nicht notwendig. 32–36 Matho ist ein Delator (Denunziant – wie sie gerade unter dem früheren Kaiser Domitian sehr aktiv gewesen sein sollen), der seinen Patron (magnus amicus) eines Vergehens angeschwärzt hat und nach dessen Verurteilung mit einem Teil sei­ nes Vermögens entlohnt wurde. Er verbreitet sogar unter den anderen bekannten Delatoren Massa und Carus sowie (den auch als Mimendarstellern bekannten) Thy­ mele und Latinus Angst und Schrecken. 39  Vesica (eigentlich »Harnblase«) wird hier als derb-respektloser Ausdruck für die Vagina verwendet. 40  Die Verstorbene hat ihre Liebhaber in ihrem Testament auf unterschiedliche Weise bedacht. 42–44  Die Männer, die sich ihr Erbe in den Betten reicher alter Damen »ver­ dient« haben, zeigen als Zeichen der (sexuellen) Ermattung nach diesem »Kampf bis



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aufs Blut« (die Junktur merces sanguinis kann eine Belohnung für bewährte Soldaten bezeichnen) ungesunde Blässe, wie sie eigentlich für Menschen in Gefahrensituati­ onen typisch ist (Stramaglia 2008 ad loc.). Eine Streichung der Verse bzw. ihre von Courtney (1980 ad loc.) vorgeschlagene Umstellung hinter V. 36 ist angesichts dieser schlüssigen Erklärung nicht angebracht. – Der Biograph Sueton (Cal. 20) berichtet, dass Kaiser Caligula die Unterlegenen in einem Rednerwettkampf bei Lugudunum (Lyon) hart bestrafen ließ. 45–48  Die Leber, der Sitz des Zorns, ist von der glühenden Wut geradezu aus­ gedörrt. Grund für den Zorn ist das Schicksal eines Waisenkindes, das von seinem Vormund ausgeraubt wurde und sich entweder prostituieren muss, um zu überle­ ben, oder sogar von dem Vormund zur Prostitution gezwungen und somit weiter ausgebeutet wird. Die Verurteilung solcher Verbrecher zur infamia sorgte zwar für den Verlust einzelner bürgerlicher Rechte, wird hier aber als nutzlos dargestellt, wenn der Verurteilte sein Vermögen behält. 49 f. Marius Priscus (vgl. 8.120) wurde für die Ausbeutung der Provinz Africa ver­ urteilt, und doch geht es ihm besser als der hier angesprochenen Provinz. 51 Nach Lucilius (V. 19–21) wird nun auch Horaz (aus der Stadt Venusia; S. 22 f.) als bedeutender Vorläufer in der Gattung Satire angeführt: Die Lampe steht für die Schlaflosigkeit des aufgebrachten Satirendichters, weiterhin für seine nächtliche Arbeit am Schreibtisch und schließlich dafür, dass der Satiriker die dunklen Seiten der Menschen ans Licht bringt (Stramaglia 2008 ad loc.). 52–54 Eine weitere Aufzählung lebensferner mythologischer Themen in respekt­ loser Ausdrucksweise (vgl. V. 1–11): die Arbeiten des Herakles, die Rückkehr des Di­ omedes aus dem Trojanischen Krieg, Theseus’ Sieg über das Mensch-Stier-Mischwe­ sen Minotaurus im Labyrinth von Kreta, die Flucht des Daedalus (der »fliegende Handwerker«) von Kreta, bei der sein Sohn Ikarus ins Meer stürzt und stirbt. 55–57  Wie ein Zuhälter hat ein Ehemann seine Frau auf einen wohlhabenden Mann angesetzt und nimmt nach dessen Tod das erschlichene Erbe in Empfang. Vorher ignoriert er gekonnt das Liebesverhältnis der beiden, indem er buchstäblich wegguckt oder sich schlafend stellt. Dass eine Frau tatsächlich vom Recht zu erben ausgeschlossen sein konnte, wie es hier den Anschein hat, ist zweifelhaft (Cloud 1989, 55–57). 58–62  Das Streben nach einer Karriere in Militär und Gesellschaft steht im Ge­ gensatz zum Lebenswandel des als Automedon (Wagenlenker Achills) bezeichneten jungen Mannes: Er bringt sein Geld beim Pferdesport durch. Dabei erregt es An­ stoß, dass er selbst den Wagen lenkt und sich nicht fahren lässt – offenbar um seiner Freundin zu imponieren. Ihr Männermantel deutet möglicherweise darauf hin, dass sie die Grenzen ihrer Frauenrolle überschreitet und von zweifelhafter Moral ist.

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Anmerkungen

64  Wieder wird Reichtum zur Schau gestellt: Die Sänfte wird von sechs Sklaven getragen. 66  Der berühmte Literaturmäzen aus der Zeit des Augustus wurde mit weichli­ chem Verhalten und Ausschweifungen assoziiert. 68  Bei der Beglaubigung eines Testaments wird ein von dem bestellten Zeugen gefälschter Text (auf einem Täfelchen) untergeschoben und mit seinem Siegel verse­ hen; dabei wird der Siegelring angefeuchtet. 71  Lucusta war eine berühmte Giftmischerin aus der Zeit Neros (Suet., Nero 33.3). 73  Die Insel Gyara ist ein Verbannungsort. Mit dem Kerker ist der Ort gemeint, an dem die Verurteilten auf ihre Hinrichtung warten. 75 f.  Die Aufzählung von Luxusgütern vollzieht sich wie das Heranzoomen einer Kamera von der Perspektive auf Haus und Garten bis zum Relief (oder Griff) eines Trinkbechers (vgl. die Abbildung bei Stramaglia 2008, 347 f.). 77 f.  Die Schwiegertochter lässt sich vom Schwiegervater verführen, weil er ihr Geld gibt. Selbst Knaben, die noch keine 16 Jahre alt sind, werden zu Ehebrechern. 80  Zu den Versuchen, diesen sonst unbekannten Dichter zu identifizieren bzw. den Namen zu erklären, vgl. Kißel (2013, 204 f.). 81–146  Die folgende Charakterisierung der Gattung Satire schließt insofern an das Vorangehende an, als nach wie vor Beispiele für menschliches Fehlverhalten aufgelistet werden. Das dominierende Thema ist das Patronat, v. a. die mangelnde Unterstützung bedürftiger Klienten durch ihre Patrone. 81–84  Deucalion und Pyrrha, die einzigen Überlebenden nach der von Jupiter geschickten Sintflut, werfen sich gemäß einem Orakelspruch auf dem Berg Parnass Steine über die Schulter, aus denen neue Menschen entstehen. Aus den von Pyrrha geworfenen Steinen werden Frauen, hier wird sie jedoch wie eine Bordellbetreiberin beschrieben, die ihre Mädchen zur Schau stellt. Juvenal spielt hier strukturell auf Ovids Epos Metamorphosen an (1.174–415), wo zunächst die Fehler der Menschen genannt werden und es dann nach der Auslöschung durch die Sintflut zur Neu­ schöpfung des Menschengeschlechts kommt (Lorenz 2004). 86  Farrago, das eigentlich ein Tierfutter bezeichnet, steht hier für die (seit Beginn der Menschheit existierenden) Laster, welche das Satirenbuch (libellus) gewisserma­ ßen »füttern«; zusammenfassend: Stramaglia (2008 ad loc.). 89–92  Die Auseinandersetzung am Spieltisch wird im Stile einer epischen Schlachtbeschreibung geschildert. 93  Der Spieler versäumt es, seinen Pflichten als Herr nachzukommen und die Sklaven vernünftig einzukleiden. Denkbar ist auch, dass er »das letzte Hemd« seines Sklaven verspielt hat. 95–99  Die sogenannte sportula war in der Regel ein Geldbetrag (Juvenal nennt die Summe von 100 Quadranten; V. 121), mit dem der Patron vor allem seine we­



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niger begüterten Klienten täglich für verschiedene Dienste entlohnte. Juvenal be­ richtet von der Ausgabe der sportula bei der salutatio, dem morgendlichen Besuch der Klienten bei ihrem Herrn. Bei der hier beschriebenen Verteilung der sportula ist kein Kontakt zwischen dem Patron und seinen Klienten zu erkennen; der Herr lässt allein einen Sklaven (ille, in hochtrabender Sprache auch als Herold bezeichnet) kontrollieren, dass niemand die sportula zu Unrecht erhält. 100 f.  Dass auch Mitglieder alteingesessener Familien, die direkt von den Troja­ nern abstammen, also ihren Stammbaum auf den Trojaflüchtling und Ahnherrn der Römer Aeneas zurückführen können (der Begriff Troiugena gehört zur Sprache des Epos), sowie Inhaber hoher Ämter die sportula erstreben, dürfte satirische Über­ zeichnung sein. 102–109 Ein reicher Freigelassener aus dem Osten des Reiches (vgl. zu V. 24–29) beruft sich paradoxerweise auf seinen Wohlstand, um seinen Anspruch auf die sportula zu untermauern. So übertrifft er sogar Mitglieder des Senatorenstandes (diese trugen die Toga mit Purpurstreifen) wie den verarmten Senator Corvinus sowie die für ihren Reichtum berühmten Freigelassenen Pallas und Licinus. 110 f. Mit bitterem Sarkasmus fordert Juvenal, dass kein römischer Würdenträger (das Amt des Volkstribuns war sakrosankt) besser behandelt werden solle als aus dem Ausland eingeführte Sklaven (die mit Kreidemarkierungen an den Füßen ge­ kennzeichnet wurden). 116  Die Aufzählung personifizierter Werte, die in Rom als Gottheiten verehrt werden, endet mit dem Tempel der Concordia. Der Vers wird seit der Antike so er­ klärt, dass sich dort ein Storchennest befand (mit dem der Tempel hier kurzerhand gleichgesetzt wird), sodass ein Bürger, der den Tempel als Ehrenbezeugung begrüß­ te, als »Gegengruß« das Klappern der Störche hörte. Bedenkenswert ist jedoch die Konjektur von Cucchiarelli (2016, 85–100): quaeque Salutem alto recipit Concordia nido (»und die EINTRACHT, die in ihr hohes Nest das WOHLERGEHEN auf­ nimmt«; alternativ schlägt Cucchiarelli auch das Prädikat spectat vor: »…, die von ihrem hohen Nest über das WOHLERGEHEN wacht«). Dass sich eine Abbildung der Concordia ganz oben am Giebel des Tempels befunden haben dürfte, könnte der Grund für den Vergleich mit einem Nest gewesen sein. Zudem wurde die per­ sonifizierte Salus (das Wohlergehen) häufig gemeinsam mit der Concordia verehrt, was Cucchhiarelli mit dem Hinweis auf zahlreiche Abbildungen belegt. Aus Salus alto könnte durch ein Missverständnis das Partizip salutato geworden sein. Das Verb crepitat könnte durch die Assoziation mit einem Storchennest in den Text einge­ drungen sein. 117–126  Selbst ein Konsul (der höchste Amtsträger) und zahlreiche wohlhabende Römer in ihren Sänften streben nach der sportula (vgl. zu V. 95–99), was die armen Klienten in große Nöte stürzt.

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Anmerkungen

125 f.  Die Verteilung der Aussagen in wörtlicher Rede ist umstritten. Gemäß der hier gewählten Variante führt der Bittsteller die leere Sänfte vor und tut dann so, als spräche er mit seiner darin verborgenen Frau. Der mit der Ausgabe der sportula betraute Sklave fällt darauf rein und vermutet, dass Galla nicht reagiert, weil sie schläft. Andere Erklärer gehen davon aus, dass nur der Ehemann spricht. Denkbar wäre auch, dass der Sklave Galla zum Rausgucken auffordert und der Ehemann ihn bittet, sie in Ruhe zu lassen. 127–134  V. 127 lässt vermuten, dass nun der Ablauf eines ganzen Tages dargestellt wird, was allerdings nicht geschieht. Daher vermuten einige Gelehrte, dass nach V. 131 ein Textstück ausgefallen ist; vgl. Stramaglia (2008 ad loc.). 130 f. Ein Arabarches ist ein hoher Steuerbeamter in Ägypten (vgl. zu V. 24–29). Juvenal verwendet den Begriff nicht sehr differenziert, denn tatsächlich wurde dieses Amt zumeist von römischen Beamten ausgeübt. Als skandalös wird hier das Ein­ dringen eines Ägypters unter die Standbilder römischer Götter und bedeutender Römer dargestellt (vgl. Cucchiarelli 2016, 81 f.). Nach Meinung des satirischen Spre­ chers müsste man an dessen Statue auch seinen Darm entleeren. 136  Die Bezeichnung rex für den (tyrannischen) Patron war gängig. 139  Der Begriff parasitus bezeichnet den – bereits in der griechischen Komödie etablierten – Typus des Mahlzeitjägers, der von Einladungen zum Essen bei seinen Patronen lebt (vgl. Satire 5). 144–146  Die überzeugende Erklärung von Owen (1897, 400; vgl. Stramaglia 2008 ad loc.) spricht gegen die mehrfach vorgeschlagene Streichung von V. 144: Der reiche alte Mann hat noch kein Testament gemacht, weil er alle auf sein Erbe hoffenden Klienten bei Laune halten wollte. Daher sind diese bei seiner Beerdigung zornig auf ihn und applaudieren (plaudere statt des erwarteten plangere, »trauern«) seinem Dahinscheiden. 147–171  Nachdem der Dichter resümiert hat, dass die Fülle der Laster nicht mehr zu steigern ist, meldet sich ein anonymer Gesprächspartner und warnt ihn vor den Gefahren des Verfassens von Satiren, v. a. vor der Verfolgung durch mächtige Opfer seines satirischen Spotts. Mit dem Hinweis auf Themen des Epos, die den Dichter nicht in Gefahr brächten, greift die Argumentation in einer Ringkomposition auf den Beginn der Satire zurück. Das Gedicht schließt mit der Aussage des Satirikers, er werde keine lebenden Menschen verspotten. 149  Die meisten Kommentare verstehen praeceps als »Abgrund« bzw. »Gipfel« und geben den Satz mit »Das Laster steht auf seinem Höhepunkt« wieder. Dabei wird jedoch der weit verbreitete und hier in praeceps (eigentlich »kopfüber«) präsente Gedanke des Sittenverfalls ausgeblendet. Offenbar evoziert Juvenal das Bild eines unaufhaltsamen Absturzes, in dem ausgerechnet die Fehler der Menschen Halt ge­ funden haben (Stramaglia 2008 ad loc.; vgl. Citroni-Marchetti 1982).



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149 f.  Die Unternehmung, ein Gedichtbuch zu verfassen, wird mit der Seefahrt verglichen. 154  Die Nennung des Namens Mucius dürfte ein weiterer Hinweis auf Lucilius (vgl. V. 19–21) sein, der in seinen Satiren den Konsul Q. Mucius Scaevola verspot­ tete. 155 Tigellinus war ein einflussreicher Gefolgsmann Neros, der für seine Grausam­ keit bekannt war. 155–157  Der Gedankengang von der Beschreibung der Hinrichtung am Kreuz mit der tunica molesta, einem mit Pech getränkten Gewand, das in Brand gesteckt wurde, bis zur Entfernung des toten Körpers aus der Arena und die Syntax sind in der textkritisch umstrittenen Passage widersprüchlich, und es gibt keine vollends befriedigende Lösung (vgl. Kißel 2013, 209–211). Nach V. 156 ist wohl eine Lücke anzunehmen, in der stand, wie der Körper vom Kreuz genommen wird; vgl. Stra­ maglia (2008 ad loc.). 161  Der Vers ist in seiner Bedeutung umstritten. Der Satiriker soll wohl davor gewarnt werden, dass ihn ein Denunziant – falls er den mächtigen Giftmischer angreift – vor Gericht ziehen könnte. Andere Interpreten schließen, dass jeder be­ liebige (der die Worte hic est spricht) als Ankläger ernst genommen würde oder dass auch ein anderer die Gefahr auf sich nehmen könnte, den Giftmischer anzuklagen, sodass der Satiriker dies nicht selbst tun muss. 162–166  Wieder werden Themen aus dem mythologischen Epos als Gegensatz zur Satirendichtung (hier verkörpert durch Lucilius, der abermals als epischer Held erscheint; vgl. V. 19–21) genannt: der Zweikampf zwischen Aeneas und dem Rutuler Turnus, der Tod des Achilles, der Raub des Hylas beim Wasserschöpfen durch eine Quellnymphe, worauf Herakles den geliebten Knaben vergeblich sucht. 171  Die Via Flaminia und die Via Latina sind Gräberstraßen.

Satire 2 1–35  Scheinheilige, aber sittenstreng auftretende Pseudo-Philosophen, die sexuelle Beziehungen zu Männern unterhalten 36–63 Rede der Laronia, einer Frau, die das Verhalten der Männer nicht mehr er­ tragen kann 64–81  Creticus, der sittenstrenge Anwalt, der im durchsichtigen Gewand plädiert 82–116 Männer, die sich wie Frauen verhalten 117–148 Gracchus, der sich sogar einem Mann vermählt 149–170  Das Bild, das die Römer in der (Unter)Welt abgeben

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Anmerkungen

V.  1–35  Der satirische Sprecher beginnt mit dem Ausdruck des Wunsches, über die Grenzen des Reiches hinaus zu fliehen und die nur scheinbar sittenstrengen römischen Philosophen hinter sich zu lassen. Die Kerngedanken sind der Unterschied zwischen Schein und Sein sowie die fehlende Aufrichtigkeit dieser Männer. 1  Die Sauromaten (oder Sarmaten) leben im Nordosten des Reichs. 3 M’. Curius Dentatus (Zensor 272 v. Chr.) galt als Musterbeispiel römischer Tu­ gend. Der Gegensatz zu den ausschweifenden Feiern des Bacchuskultes ist enorm. 4–7  Diese »Philosophen« zeichnen sich vor allem dadurch aus, dass sie Original­ büsten berühmter weiser Männer sammeln. 10  Der aus dem Griechischen stammende negativ gefärbte Begriff cinaedus (hier mit dem von dem Philosophen Sokrates abgeleiteten Adjektiv Socraticus verbun­ den) bezeichnet den passiven Partner in einer sexuellen Beziehung zwischen zwei Männern. 11–13  Starker Bartwuchs und Körperbehaarung galten als Zeichen römischer Männlichkeit (das Haupthaar wurde hingegen kurz gehalten, vgl. V. 15). Im Gegen­ satz dazu stehen der enthaarte Hintern des Mannes und die durch passiven Anal­ verkehr entstandenen Hämorrhoiden (oft als »Feigen« bezeichnet, vgl. Obermayer 1998, 249–251). 15 f.  Peribomius ist ein Kinäde (vgl. zu V. 10), der seine Neigung nicht verheimlicht. 19–22  Herkules wurde oft als stoischer Weiser dargestellt; an ihm orientieren sich die scheinheiligen Sittenwächter. Hier setzt sich ein sexuell übel beleumdeter Varil­ lus gegen die Pseudo-Philosophen zur Wehr. Clunem agitare und cevere bezeichnen entweder aufreizende Bewegungen oder die Bewegung des passiven Partners im Ge­ schlechtsverkehr; vgl. Butrica (2006, 30–35). 24–28  Berühmte Persönlichkeiten aus der römischen Geschichte werden hier als negative exempla angeführt, die allerdings nicht gegen ihre eigenen Fehler zu Felde ziehen würden: die Gracchen als Aufwiegler (133 und 122 v. Chr.), der räuberische Statthalter C. Verres (70 v. Chr. von Cicero angeklagt), T. Annius Milo (52 v. Chr. von Cicero verteidigt), der seinen Gegner, den übel beleumdeten P. Clodius Pulcher, ermordete, weiterhin der Verschwörer L. Sergius Catilina und sein Gefolgsmann C. Cornelius Cethegus (von Cicero 63 v. Chr. überführt) und schließlich die Triumvirn M. Antonius, M. Aemilius Lepidus und C. Octavianus (43 v. Chr.), unter denen wie in der Diktatur des L. Cornelius Sulla Menschen auf Proskriptionslisten gesetzt und somit für Vogelfrei erklärt wurden. 29–33 Kaiser Domitian (83–96 n. Chr.) erneuerte die Moralgesetzgebung des Augustus (Lex Iulia de adulteriis), durch die Ehebruch unter Strafe gestellt wurde (was selbst das mythologische Liebespaar Mars und Venus in Angst versetzt habe), soll aber selbst ein Verhältnis zu seiner Nichte Julia unterhalten und diese zu einer Abtreibung gezwungen haben.



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35 Gemeint ist wohl M. Aemilius Scaurus, ebenfalls ein Musterbeispiel für Sit­ tenstrenge. 36–63  Es folgt der Auftritt einer Frau Namens Laronia, welche die scheinheiligen Moralapostel attackiert. 36 f.  Laronia hat sich offenbar des Ehebruchs schuldig gemacht und soll nach der Lex Iulia zur Rechenschaft gezogen werden (vgl. zu V. 29–33). Sie dürfte daher keine Prostituierte sein, wie bisweilen angenommen wurde, sondern eine Frau von Stand (Braund 1995, 208). 40  Der ältere und der jüngere Cato gelten als Paradebeispiele römischer Sitten­ strenge. 44  Die ebenfalls von Domitian erneuerte Lex Scantinia verbot offenbar den sexu­ ellen Kontakt mit freigeborenen Knaben. 50  Blässe wird in der erotischen Literatur mehrfach als Symptom einer sexuellen Abweichung gedeutet. Mit den »beiden Krankheiten« sind passiver Analverkehr und das Praktizieren von Fellatio an anderen Männern gemeint (Obermayer 1998, 228–230). 56 Genannt werden mythologische Paradebeispiele für Weberinnen: Penelope, die Ehefrau des Odysseus, versuchte die sich um sie bemühenden Freier mit dem Hinweis auf eine Webarbeit, die sie zunächst beenden müsse, auf Abstand zu halten. Arachne lieferte sich mit der Göttin Minerva einen Wettstreit im Weben. 57  Imaginiert wird offenbar die Szene, dass eine Sklavin und Geliebte des Herrn von dessen Ehefrau an einen Strafplatz gebunden und mit Webarbeit bestraft wur­ de. Der sehr gedrängte Gedankengang könnte auf den Ausfall eines Verses vor V. 57 zurückzuführen sein. 58–60  Hister unterhält ein Verhältnis mit seinem Freigelassenen, der ihn auch beerbt. Das Schweigen seiner jungen Ehefrau, die für ihn offenbar nicht weiter wichtig ist (sie ist nur »die Dritte« im Bett), erkauft er mit teuren Geschenken. 63  Das Amt des Zensors (censura) ist auch dafür zuständig, die Einhaltung der guten Sitten zu kontrollieren. 64–81  Wie gut begründet Laronias Anschuldigungen sind, wird anhand des Beispiels des Anwalts Creticus vorgeführt, dessen Kleidung weibisch wirkt und eine sexuell aufreizende Wirkung haben soll. Das steht im Gegensatz zu seiner respektablen Tätigkeit als Anwalt. Offenbar klagt er Frauen für Verstöße gegen die Lex Iulia (vgl. zu V. 29–33) an. 69 f.  Die Toga – auch die Kleidung von Prostituierten – mussten verurteilte Ehe­ brecherinnen anlegen. Doch selbst diese würden sich weigern, Creticus’ Gewand zu tragen. 72 Einige Gelehrte verstehen habitum als ironische Bezeichnung für das vom Sati­ riker vorgeschlagene »Adamskostüm« (vgl. Adamietz 1993, 29: »Dies wäre die rechte

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Anmerkungen

Kleidung, ...«). Das in den folgenden Versen gezeichnete Bild der frührömischen Soldaten- und Bauerngesellschaft dürfte allerdings als Gegensatz zu den luxuriösen multicia (V. 66, 76) des Creticus fungieren, nicht zu der Vorstellung eines nackten Redners. Vor allem wäre der Übergang zu V. 75, wo es eindeutig um die multicia geht, dann kaum nachvollziehbar. 74  Die Römer werden als montanum vulgus bezeichnet, weil sie auf sieben Hügeln leben. 76  Offenbar liegt ein Wortspiel mit den Bedeutungen von testis: »Zeuge« und »Hode« vor (Ferguson 1979 ad loc.). 81  Die Formulierung (mit der Juvenal die Verfärbung verderbender Trauben be­ schreibt) lehnt sich an das Sprichwort uva uvam videndo varia fit (»Eine Traube verfärbt sich, wenn sie eine andere Traube sieht.«) an, das sich auf ein von Neid angetriebenes Verhalten bezieht. 82–116  Das Beispiel des Creticus leitet über zu Männern, die sich wie Frauen fühlen. Zunächst geht es um die Teilnahme an den Riten der Bona Dea, die allein Frauen gestattet war, dann um weibliche Kosmetik, und schließlich werden die verweichlichten Männer mit den entmannten Priestern der Kybele verglichen. 90  Bei Bona-Dea-Feiern musste auch die Musik von Frauen gespielt werden. Cornu steht für Blasinstrumente aus Horn, also auch für das Instrument der Flö­ tenspielerin (tibicina). 91 f.  Der Sprecher zieht einen Vergleich mit dem orgiastischen Kult der thraki­ schen Gottheit Cotyto, der über Athen (dazu das Adjektiv »kekropisch«) nach Rom gelangt war. Ihre Anhänger nannte man Bapten. Das Verb lassare (wörtlich: »ermü­ den«) deutet an, dass die Göttin selbst das in ihrem Kult vollzogene wilde Treiben nicht mehr erträgt. 95 Man trinkt aus einem Gefäß in der Form des mit einem riesigen Phallus dar­ gestellten Gottes Priapus. 97 f.  Auch durch ihre Kleidung – gelb galt als Farbe von Frauen – und die Ge­ wohnheit, bei der eigentlich für Frauen zuständigen Göttin Juno zu schwören, nä­ hern sich die Männer dem weiblichen Geschlecht an. 99–103  Der bei den Kulthandlungen verwendete Spiegel wird mit einem Spiegel Othos verglichen, der als verweichlichter Mann galt. Während des Vierkaiserjahres 64 n. Chr. ließ Otho den amtierenden Kaiser Galba (vgl. V. 104) töten und bestieg selbst den Thron, bevor er kurz darauf in der Schlacht von Bebriacum (vgl. V. 106) von seinem Widersacher Vitellius besiegt wurde. Othos Spiegel wird in seiner Be­ deutung mit der Lanze des Aurunkers Actor verglichen, die zur Kriegsbeute des Turnus wurde (Verg., Aen. 12.94). 108  Semiramis ist eine sagenhafte assyrische Königin.



Satire 2

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109 Kleopatra ist über ihre Niederlage in der Seeschlacht bei Actium (31 v. Chr. an der Seite des M. Antonius gegen Octavian) verzweifelt. Die Vorstellung, dass die besiegte Königin (die nach der Niederlage Selbstmord beging) Kosmetik auftragen könnte, ist absurd. 111–116  Der überlieferte Text von V. 111 ist möglicherweise korrupt. Für die Deu­ tung von turpīs als Nominativ Plural s. Courtney (1980 ad loc.; anders Braund 1996 ad loc. mit der Lesart est anstelle von et: »here is foul freedom of speech in the effeminate voice of Cybele«; dagegen setzt Braund 2004 turpis in cruces). Kybele ist eine phrygische Gottheit, deren Priester sich selbst kastrierten. Daher spricht der hier beschriebene alte Mann »mit weibischer Stimme«. Die Erwähnung sei­ nes »gewaltigen Schlunds« mag auf rituelle Gesänge verweisen oder den Priester als Trinker entlarven (Adamietz 1993 ad loc.). Bei einem Kastraten, der sich nach römischer Vorstellung in die Rolle einer Frau fügt, liegt aber auch ein Hinweis auf Fellatio nahe. 117–148  Mit Gracchus – der Name weist ihn als Angehörigen einer der berühmtesten römischen Familien aus – ist der Höhepunkt (oder eher: Tiefpunkt) unanständigen Verhaltens erreicht: Gracchus, der als Anhänger einer Priesterschaft besonders sittenstreng leben müsste, vermählt sich einem Mann und tritt als Gladiator in der Arena auf. 121  Zum Zensor vgl. V. 63. Der Haruspex – ursprünglich ein etruskischer Einge­ weideschauer – deutete Vorzeichen und vollzog Sühnerituale, wenn der Zorn der Götter besänftigt werden sollte. 125 f.  Die »Braut« Gracchus gehört zu den Salierpriestern, die bei rituellen Tänzen an Riemen befestigte Schilde trugen. 126–128  Der »Vater der Stadt« ist der Stadtgründer Romulus. Gradivus ist ein Name des Kriegsgottes Mars, dem die Salierpriester dienten und der hier als einer der Vorfahren der Römer angesprochen wird. 130  Der Satiriker spielt hier auf die Ilias (5.872 ff.) an, in der sich der Kriegsgott Ares bei Zeus über seine Verwundung durch Athene beklagt, von dem Göttervater dafür kritisiert, aber schließlich auch geheilt wird. 131 f.  Das Marsfeld, auf dem öffentliche Staatsgeschäfte wie Wahlen, aber auch militärisches Training durchgeführt wurden, verkörpert die Strenge, die Mars nach Meinung des Satirikers jedoch fehlt. 132–134  Bei der hier skizzierten Hochzeitsgesellschaft vermählt sich ein Mann einem Mann (das Verb nubere bezeichnet eigentlich die Heirat von Seiten der Frau), und das ausgerechnet im »Tal des Quirinus« (Romulus). Die Erwähnung des mythi­ schen Stadtgründers hebt das Skandalöse dieser Hochzeit hervor. 141 f.  Auch die zur Verfügung stehenden Mittel gegen Unfruchtbarkeit bleiben wirkungslos: Lyde bietet dubiose Fruchtbarkeitsmedikamente an, die sie in einer

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Anmerkungen

geheimen Büchse verwahrt. Beim Fest der Lupercalia schlugen die Priester (Luperci) mit einem Riemen auf die Hände von Frauen, was die Fruchtbarkeit fördern sollte. 143 f. Gracchus tritt als Gladiator in der Arena auf, und zwar ausgerechnet in der Kleidung und mit der Bewaffnung des niedrigsten Gladiators, des Netzkämp­ fers (Retiarius), der in der Arena vor dem Verfolger (Secutor) fliehen musste; vgl. 8.199–210. 147 f.  Als Höhepunkt der Aufzählung vornehmer Familien wird schließlich der Veranstalter der Spiele genannt (ipsum) – gemeint ist wohl der Kaiser. 149–170  Auch in der Unterwelt ruft das hier angeprangerte Verhalten Entrüstung hervor. Die Erwähnung der römischen Helden in der Unterwelt leitet zu dem Gedanken über, dass die Römer ihre verkommenen Sitten zu den besiegten Völkern in die Welt hinaustragen. Mit dem Blick an die Grenzen des Reichs verweist die Satire in einer Ringkomposition auf ihren Beginn, wo der Sprecher den Wunsch äußerte, aus dem Reich zu fliehen. 149 f. Genannt werden die Unterweltsflüsse Kokytos und Styx. Die Erwähnung der Frösche lässt an die humorvolle Darstellung der Unterwelt in der gleichnamigen Komödie des Aristophanes (v. a. V. 209 ff.) denken (Braund 1990, 504). 151 Nur Kleinkinder wurden »noch nicht für Geld gewaschen« (nondum aere lavantur), mussten also im Bad nicht bezahlen. 153–155 Eine Aufzählung von Helden der römischen Republik und von Schlacht­ orten, bei denen viele Römer ihr Leben ließen (Cremera, Cannae). 157 f.  Schwefel, Feuer und Lorbeerzweige kommen bei einem rituellen Reini­ gungszeremoniell zum Einsatz. 168  Zur Textgestalt vgl. Cairns (2007). 169 f.  Die Armenier, ein kriegerisches Reitervolk, tauschen ihre Kultur in Rom ge­ gen die Sitten römischer Teenager ein und importieren sie sogar in ihre Hauptstadt. Praetextatus verweist auf die den Jugendlichen angelegte toga praetexta (die hier im Gegensatz zur Tracht der Armenier steht), steht aber auch für das typisch Römische.



Satire 3

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Satire 3 1–20  Verabschiedung eines alten Freundes, der aus Rom wegzieht 21–57 Klage des Umbricius, dass man Rom nicht mit einer ehrenhaften Tätigkeit bestehen könne 58–125 Rivalität mit Zugereisten, v. a. aus dem griechischen Kulturkreis 126–189  Herabsetzung der Armen durch neureiche Emporkömmlinge 190–314  Hauseinstürze, Brände, Verkehrsunfälle und Kriminalität als tödliche Ge­ fahren der Großstadt 315–322  Abschied des Umbricius und Ausdruck der Hoffnung auf ein Wiedersehen V. 1–20  Der Sprecher preist die Entscheidung seines alten Freundes, Rom zu verlassen und nach Cumae zu ziehen. Während an der Porta Capena der Hausrat verladen wird, machen der Satiriker und sein Freund einen Spaziergang in das Tal der Egeria. Der Niedergang römischer Traditionen ist auch dort allgegenwärtig. 1–3  Der am Golf von Neapel gelegene Ort Cumae dürfte tatsächlich allenfalls im Vergleich zu Rom menschenleer gewirkt haben. Die als Weissagerin berühmte Sibylle von Cumae wird hier als Vorsteherin des Ortes imaginiert. 4  Baiae war ein bei wohlhabenden Römern beliebtes, luxuriöses Seebad. 5  Prochyta, eine Insel im Golf von Neapel, wird der Subura, einem besonders belebten Stadtteil von Rom, gegenübergestellt. 10 f.  Das Beladen des Wagens erfolgte außerdem der Stadttore, weil die Zufahrt für Wagen bei Tag nicht erlaubt war. Die Porta Capena tropft, weil sie unter einem Aquädukt, der Aqua Marcia, lag. 12–20  Der Gedankengang der umstrittenen Passage ist wohl folgender (vgl. Man­ zella 2009; 2011 ad loc.): Juvenal erwähnt, dass sich an diesem Ort der mythische König Numa und sein Beraterin, die Flussgottheit Egeria (die mitunter auch als seine Geliebte dargestellt wird), trafen. Das dort eingerichtete Heiligtum mit einem den Camenen (Musen) geweihten Tempel ist möglicherweise als Gebetsplatz an Juden vermietet worden (hier »zahlt jeder Baum Miete«), die am Sabbat, wenn nicht gekocht werden darf, ihr Essen in Körben mit Stroh warm halten; auch betteln die Juden in dem heiligen Hain. All das wird als Niedergang römischer Tradition be­ wertet. Zudem sind die Grotten an der Quelle der Egeria mit Marmor ausgekleidet, was ihnen ihre heilige Ursprünglichkeit genommen hat. Die zahlreichen mit topologischen und sprachlichen Argumenten gestützten Vor­ schläge zur Umstellung oder Streichung einzelner Verse der in ihrem Inhalt um­ strittenen Passage (zusammenfassend Kißel 2013, 237–239) sorgen wieder für neue Schwierigkeiten und dürften tatsächlich gar nicht notwendig sein; vgl. van der ­Kraan (2001).

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Anmerkungen

21–57  Umbricius, der Freund des Satirikers, klagt darüber, dass er seinen Lebensunterhalt in Rom nicht auf ehrbare Weise bestreiten könne. Gut gehe es nur den Vertretern verrufener oder gar betrügerischer Erwerbsmöglichkeiten sowie Schmeichlern und Erpressern. 25  Daedalus, dem mit selbstgebauten Flügeln gemeinsam mit seinem Sohn Ikarus die Flucht aus der Gefangenschaft durch König Minos von Kreta gelang (Ov., Met. 8.183–235), landete nach dem Absturz des Sohnes bei Cumae (Verg., Aen. 6.14–19). Umbricius nennt ihn offenbar als Beispiel für eine Flucht aus Freiheitsliebe; beiden gemein ist die Erschöpfung; vgl. Courtney (1980 ad loc.). 27  Lachesis ist eine der Parzen, die den Lebensfaden spinnen. Wenn der Faden abgeschnitten ist, endet das Leben. 29–33  Artorius und Catulus sind Geschäftsleute, die selbst vor verachtungswür­ digen Erwerbsmöglichkeiten (wie dem Erzielen von Gewinnen aus der Errichtung oder Reparatur von Tempeln bzw. der Reinigung oder Verwaltung der Gewässer) nicht zurückschrecken und sich sogar selbst verkaufen würden; die »Lanze des Be­ sitzrechts« ist wohl ein Symbol, mit dem bei Auktionen der Besitzerwechsel ange­ zeigt wurde. Trappes-Lomax (2001, 190–195) hat (mit überzeugenden Belegstellen, v. a. Priap. 22) vorgeschlagen, dass die Formulierung einen obszönen Doppelsinn enthält und Prostitution, insbesondere die Gewährung von Fellatio, evoziert (praebere caput venale ~ »seinen Kopf gegen Geld anbieten«; vgl. auch zu 5.172). Die Gewährung von Fellatio durch einen freien Römer wurde als Selbsterniedrigung bewertet, sodass diese Anspielung gut zu den entwürdigenden, aber einträglichen Tätigkeiten passt, die zuvor aufgeführt wurden. 36 f.  Die Emporkömmlinge, die nun Spiele veranstalten, erfüllen nach dem Ende eines Gladiatorenkampfes den Wunsch des Publikums: Wenn die Zuschauer mit dem Daumen nach unten zeigen (allerdings lässt sich die tatsächliche Geste nicht mit letzter Sicherheit rekonstruieren), wird der unterlegene Kämpfer getötet. 41–48 Umbricius distanziert sich von unredlichen Tätigkeiten wie der Verteilung von Lob für die literarischen Versuche wohlhabender Patrone, der Voraussagung der Zukunft – v. a. der Ankündigung eines ersehnten Erbes – durch Beobachtung der Sterne oder aus den Eingeweiden von Kröten (dies dürfte eher gemeint sein als die ebenfalls vermutete Herstellung von Krötengift mit dem Ziel, den Erbfall früher eintreten zu lassen; vgl. Braund 1990), der Unterstützung von Ehebrechern oder der Ausbeutung einer Provinz durch ihren Verwalter. 53  Der 70 v. Chr. von Cicero für die Ausbeutung der Provinz Sizilien angeklagte C. Verres war das Standardbeispiel für einen räuberischen Provinzverwalter. Seine Erwähnung greift den Gedanken aus V. 46 f. auf. 55  Der spanische Fluss Tagus war bekannt dafür, dass er Gold führte.



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56 f.  Zur Erklärung von ponere, das hier (für deponere) in der Bedeutung » hinterlegen« verwendet ist, s. Gnilka (2007, 112–116). 58–125  Umbricius richtet die Kritik vor allem gegen Zugereiste aus Griechenland bzw. aus dem griechischen Kulturkreis, die Rom zu einer »griechischen Stadt« (V. 61) gemacht hätten. Die Griechen werden als Verantwortliche für eine sittenlose und von römischen Werten weit entfernte Freizeitkultur dargestellt (V. 62–68). Sie seien sehr vielseitig und könnten sich den Wünschen der vornehmen römischen Gesellschaft perfekt anpassen (V.69–85). Insbesondere seien sie geborene Schmeichler und Schauspieler, was ihnen Vorteile bei Roms wohlhabenden Patronen biete (V. 86–125). 61  Die Einwohner der Provinz Achaea werden als die »echten« Griechen genannt. Im Folgenden geht es dann um Völker des Nahen Ostens, die spätestens seit dem Hellenismus ebenfalls zum griechischen Kulturkreis gehörten. 63 f.  Auf orientalischen Saiteninstrumenten war offenbar eine andere Bespannung üblich, als auf römischen (bzw. genuin griechischen). Obliquas chordas mag aber auch ein Hinweis auf die ungewöhnlichen (»schrägen«) Klänge dieser Instrumente sein (vgl. Manzella 2011 ad loc.). 67 f.  In der ursprünglich ländlich geprägten römischen Bevölkerung, wie der mythische Stadtgründer Romulus (Quirinus) sie erlebte, werden nun griechische Schuhe getragen und die griechische Sportart des Ringens praktiziert. 69–72 Umbricius nennt verschiedene griechische Städte und Inseln als Heimat der neuen Bewohner der als vornehme Gegend geltenden römischen Hügel Esqui­ lin und Viminal (von vimen »Weide«), wo sich die Griechen – möglicherweise als Klienten (vgl. Manzella 2011 ad loc. und V.86 ff.) – in den Häusern der Wohlhaben­ den einnisten. 74  Isaeus war ein bedeutender syrisch-griechischer Redner in Rom (Ende des 1. Jh. n. Chr.). 80 Gemeint ist Daedalus; vgl. zu V. 25. 81–83  Die Zuwanderer aus dem griechischen Osten erlangen nicht nur materiel­ len Reichtum (Purpurgewänder), sondern auch gesellschaftliche Anerkennung: Sie werden als Zeugen bei der Besiegelung wichtiger Dokumente berufen und liegen beim Gelage auf den Ehrenplätzen. 89  Den Riesen Antaeus, der seine Kraft aus der Erde zog, besiegte Herkules, in­ dem er ihn vom Boden aufhob. 90  Der erbärmliche Gesang wird mit den Lauten des Hahns bei der Begattung der Henne verglichen. 93–97 Griechen sind geborene Schauspieler und übertreffen sogar männliche Darsteller von Frauenrollen, die z. B. die Hetäre Thais oder die Sklavin Doris (die als einzige Figur keinen Mantel trägt) so überzeugend darstellen, dass man glaubt, sie hätten keine männlichen Geschlechtsorgane.

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Anmerkungen

89–100  Illic (»dort«) verweist wohl nicht auf Griechenland (so Manzella 2011 ad loc.), sondern auf die Gemeinschaft der griechischen Klienten, die ihren römischen Patronen schmeicheln (V. 86–93; vgl. V. 100–108): Unter diesen machen selbst professionelle Schauspieler (auch wenn die hier genannten Komödianten ebenfalls Griechen waren) keinen besonderen Eindruck. 101 f. Kißel (2013, 242) weist die Konjektur Schäublins (1991), der ac dolet anstelle von nec dolet liest, mit dem Argument zurück, dass die gespielte Trauer des griechi­ schen Klienten dann »nicht als Zeichen von Heuchelei, sondern von mitmenschli­ cher Empathie zu deuten« wäre. Tatsächlich entspricht Schäublins Vorschlag jedoch dem Kontext: Die griechischen Klienten gehen bei ihrer Schauspielerei so weit, dass sie die Gefühle ihres Patrons sogar selbst empfinden. Das ist vor allem daran zu erkennen, dass der Grieche, dessen Patron sich über die Hitze beklagt, auch selbst zu schwitzen beginnt (V. 103). 108  Ob es hier wirklich um den geräuschvollen Gebrauch eines Nachttopfs geht, ist umstritten, es würde als Steigerung aber gut in den Kontext passen. Möglicher­ weise bezeichnet trulla jedoch ein Trinkgefäß, und dessen lautes Abstellen auf dem Tisch gehört zu einem Trinkritual; für die zahlreichen Deutungen s. Manzella (2011 ad loc.). 109  Der überlieferte Text ist unmetrisch, so wurde aus den zahlreichen Vorschlä­ gen für Emendationen Willis’ nihil illi et übernommen, ohne dass alle Zweifel be­ züglich der korrekten Textgestalt ausgeräumt wären (vgl. zusammenfassend Manzel­ la 2011 ad loc.). Die Aussage des Verses ist allerdings weitgehend klar. 113  Der Vers durchbricht den Gedankengang und wird in allen neueren Ausgaben als unecht beurteilt. 114 f. Um die gymnasia, die offenbar als Ort, wo nackt Sport getrieben wird, ab­ gelehnt werden, soll es hier nicht gehen, denn es gibt sogar noch Schlimmeres zu berichten. Bei facinus maioris abollae (»ein Verbrechen im größeren Mantel«) dürfte es sich um eine sprichwörtliche Wendung handeln. 116–118  Barea Soranus wurde u. a. aufgrund einer Aussage seines Klienten und Lehrers, des stoischen Philosophen P. Egnatius Celer, hingerichtet (66 n. Chr.; vgl. Tac. Ann. 16.21 ff.). Egnatius wuchs offenbar am Fluss Cydnus auf, wo das aus dem Blut der Medusa (Gorgo) entstandene geflügelte Pferd Pegasus eine Feder verloren haben soll. 119–125  Dass die hier genannten (sonst unbekannten) Griechen keine anderen Klienten neben sich dulden und ihre Konkurrenten beseitigen, wird als eine Art Gendefekt dargestellt. Zudem herrschen die griechischen Klienten wie Könige (regnare), maßen sich also selbst die Rolle eines tyrannischen Patrons an (vgl. zu Satire 5); der Klientendienst wird hingegen als »Sklaventätigkeit« (servitium) dargestellt.



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126–189  Laut Umbricius müssten die Armen sogar hinter neureichen Emporkömmlingen zurückstehen. Wieder wird die Schwierigkeit beklagt, von Patronen Unterstützung zu erhalten, auch für den Kontakt mit Frauen reiche das spärliche Geld nicht, und kein Armer gelte als glaubwürdig (V. 126–146). Außerdem seien Arme häufig die Zielscheibe von Spott und hätten keine gesellschaftlichen Aufstiegsmöglichkeiten (V. 147–163). Dafür macht Umbricius die gerade im Vergleich mit dem genügsamen Leben in der Provinz hohen Kosten in Rom verantwortlich (V. 164–189). 126–130  Selbst hohe Beamte sind Klienten und beginnen früh mit ihrer Runde zur morgendlichen salutatio (vgl. 1.95–99). Besonders begehrt ist der zeitige Besuch bei alleinstehenden Damen, die man beerben könnte. 131–134 Ein Freigeborener wird zum Gefolgsmann des Sklaven aus einem wohl­ habenden Haus, weil dieser Frauen reicher beschenken kann. 135 f.  Die hier genannte Prostituierte Chione ist teurer als ihre unbekleideten Kol­ leginnen und bietet sich deshalb in erhöhter Position sitzend an. 137–139  Auch als Zeugen vor Gericht werden nur noch Wohlhabende ernstge­ nommen. Umbricius verweist hier auf P. Cornelius Scipio Nasica, der die Göttin Kybele vom Berg Ida in die Stadt brachte (204 v. Chr.), weiterhin auf den als beson­ ders verehrungswürdig geltenden zweiten römischen König Numa (vgl. zu V. 12–20) sowie auf L. Caecilius Metellus, der sein Augenlicht verlor, als er das Palladium (ein Abbild der Minerva) aus dem brennenden Vestatempel rettete (241 v. Chr.). Zur Interpretation der Stelle s. auch S. 35 f. 144 f.  Die auf der Insel Samothrake verehrten Kabiren galten als Rächer von Meineiden; ebenso wurde die göttliche Bestrafung durch Jupiters Blitzstrahl ge­ fürchtet. 153–159  Die von dem Tribun L. Roscius Otho 67 v. Chr. eingebrachte und von Domitian erneuerte Lex Roscia theatralis sah vor, dass die ersten Sitzreihen im The­ ater römischen Rittern vorbehalten waren – einem Stand, für den man sich durch sein Vermögen qualifizierte (vgl. 14.324). Hier wird geschildert, wie jemand, der nicht über das notwendige Vermögen verfügt, wohl durch die Saalordner von den Ritterplätzen verwiesen wird (vgl. S. 36–38). 162 f. Umbricius spielt auf die secessiones plebis an, bei denen während der Stände­ kämpfe in der frühen Republik das einfache Volk die Stadt verließ, um die Patrizier unter Druck zu setzen. 169 f. Römischer Tafelluxus wird mit dem einfachen Leben italischer Landvölker verglichen. 184 f.  Paradoxerweise müssen die Klienten bezahlen (wohl den Türwächter be­ stechen), damit sie zur salutatio (vgl. 1.95–99) vorgelassen werden, bei der sie die Unterstützung ihrer Patrone erhalten sollen.

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Anmerkungen

186–189  Die erste Bartschur bzw. das Abschneiden langer Haare bei Jugendlichen wurden rituell gefeiert; hier geht es aber nicht um die Kinder des Hausherrn, son­ dern um einen Sklaven, der auch sein Geliebter ist. Bei den Feierlichkeiten werden den Hausgöttern Kuchen gespendet, die von den als Gästen anwesenden Klienten offenbar bezahlt werden müssen. In V. 187 f. spricht wohl der Klient zu dem Sklaven, der ihm den Kuchen zum Verkauf anbietet, und gibt ihm das Geld, fordert ihn aber voller Zorn auf, den Kuchen zu behalten. Fermentum (»Hefe«) wäre dann eine grob abwertende Bezeichnung für den Opferkuchen, mag aber auch Teil eines ironischen Glückwunschs sein: Aus diesem Geld solle – wie durch Hefe ein Brotteig aufgeht – dem Sklaven ein Vermögen erwachsen (vgl. Thomson 1928). 190–314  Umbricius behauptet, dass gerade arme Leute in Rom in ständiger Gefahr durch Hauseinstürze (V. 190–196) und Brände schweben, während Reiche beim Verlust ihres Hauses mit ausgiebiger Unterstützung rechnen können (V. 197–222). Als attraktiver beschreibt er wiederum das einfach Leben auf dem Land (V. 223–231). Dagegen leide man in der Großstadt unter dem hohen Verkehrsaufkommen sowie dem ständigen Lärm und könne bei Unfällen ums Leben kommen (232–267). Bei Nacht sei man nicht vor aus den Fenstern geworfenen Gegenständen und Überfällen sicher (268–314). 199  Durch den homerischen Namen Ucalegon (vgl. auch Verg. Aen. 2.311 f.) wird der Brand in einem einfachen römischen Wohnviertel implizit mit dem Untergang Trojas verglichen. 203  Wahrscheinlich war Procula für ihre geringe Körpergröße bekannt. 205  Das genaue Aussehen des Regals oder Tisches des armen Cordus und die Beschaffenheit der darauf abgestellten Dinge sind umstritten. Möglicherweise wird der abacus von einer Abbildung des Kentauren Chiron, des Lehrers des Achilles, gestützt. 217  Die Namen berühmter griechischer Künstler machen deutlich, wie edel die dem reichen Asturicus gespendeten Kunstwerke sind. 221 f.  Viele Menschen wollen sich bei Persicus beliebt machen, weil sie auf sein Erbe hoffen. Das bringt ihm in Brandfall zahlreiche wertvolle Geschenke ein; vgl. auch S. 29–32. 223–225  Das Leben in den Landstädten ist viel preiswerter als in der Großstadt. 229  Die Anhänger des Philosophen Pythagoras waren Vegetarier. 238  Offenbar wird hier auf Kaiser Claudius (Tib. Claudius Drusus) angespielt, der besonders verschlafen gewesen sein soll (Suet. Claud. 33.2). Robben sind laut der Enzyklopädie des Plinius die Tiere mit dem festesten Schlaf (NH 9.42). 240  Die Sänfte wird mit einer liburna, einem schnellen Kriegsschiff, verglichen. 249–253  Die Interpretation der Stelle ist umstritten: Geschildert wird eine Art Picknick mit warmen Speisen, dessen zahlreiche Teilnehmer und tragbare Öfen (die selbst der wegen seiner Größe bekannte Feldherr Corbulo nicht tragen könnte; vgl.



Satire 3

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Tac. Ann. 13.8) zur Verstopfung der Stadt beitragen. Wahrscheinlich wird die Spei­ sung der Mitglieder eines religiösen oder eine bestimmte Gesellschaftsschicht ver­ tretenden Kollegiums beschrieben; vgl. zusammenfassend Manzella (2011 ad loc.). 261–264  Das Abendessen und das Bad werden vorbereitet; dazu gehören Öl zum Einreiben und Schabeisen, mit denen Öl und Schweiß von der Haut abgestreift werden. 264–267 Einem Verstorbenen legte man bei der Bestattung eine Münze unter die Zunge, mit der er den Fährmann Charon für die Überfahrt in das Totenreich bezahlen sollte. Da der von einem Marmorblock zerquetschte Tote keine Münze bekommen hat, bleibt er am Ufer des Unterweltsflusses sitzen. 279 f.  Der Betrunkene wird mit dem griechischen Helden Achilles (dem Sohn des Peleus) verglichen, der in großer innerer Unruhe um seinen gefallenen Freund Patroklos trauert (Hom., Il. 24.10 f.). 281  Der Vers wird von fast allen modernen Herausgebern für unecht erklärt. 292–296  Der Betrunkene beschimpft sein Opfer als Juden, der in schlechter Ge­ sellschaft schlechtes Essen zu sich nimmt. 306–311  Die Räuber werden aus ihren Schlupfwinkeln in Italien aufgescheucht. Überraschenderweise geht es nun aber nicht etwa um die Folgen für die Opfer von Kriminalität, sondern um den möglichen Mangel an Eisen, da fast nur noch Ketten für die Festsetzung Krimineller hergestellt würden. 313  In seiner Verklärung der römischen Frühzeit fasst Umbricius die Königszeit und die frühe Republik (hier repräsentiert durch die Erwähnung von Tribunen) kurzerhand zusammen. 315–322  Umbricius verabschiedet sich von dem Satiriker und hofft, diesen einmal wiederzusehen – und das nicht etwa in Rom, sondern in dessen Heimatstadt Aquinum. 319  Die Wendung tuo ... Aquino vermittelt den Eindruck einer persönlichen Bin­ dung des Angesprochenen mit der in Latium gelegenen Stadt Aquinum, und mög­ licherweise handelt es sich um die Heimat Juvenals (vgl. S. 21). 320  Die Göttinnen Ceres und Diana wurden auf dem Land intensiv verehrt. Das Attribut helvina (~ »goldgelb«) zu Ceres, der Göttin der Feldfrüchte, hat Taegert (1978, 575–578) mit der Farbe reifer Ähren erklärt. Denkbar ist aber auch, dass dort von einem Helvius ein Cerestempel gestiftet wurde.

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Anmerkungen Satire 4

1–33  Angriff gegen den verdorbenen Emporkömmling Crispinus 34–36 »Musenanruf« 37–71 Entdeckung eines gewaltigen Fischs und seine Übergabe an Domitian 72–118 Einberufung und Zusammentreten des Kronrats 119–149  Debatte, Beschlussfassung und Aufhebung des Rats 150–154  Schlusswort: Die Verbrechen und die Ermordung Domitians V. 1–33  Die Satire beginnt mit einer Attacke gegen den bereits in 1.26–29 angegriffenen Crispinus. Hinweise auf Crispinus’ Karriere, die ihn bis an den Kaiserhof geführt hat, leiten schließlich zu Domitian über. 4  Die Verdorbenheit des Crispinus zeigt sich auch daran, dass er Liebesbeziehun­ gen mit unverheirateten Frauen, bei denen keine Angst vor Entdeckung herrscht, offenbar als zu wenig »prickelnd« empfindet. 8  Die allgemeine, von der stoischen Philosophie geprägte Aussage wird von eini­ gen Herausgebern getilgt, da sie nicht zu dem von Zorn geprägten Gedankengang der Verse passe; für Argumente zur Beibehaltung des Verses s. jedoch Santorelli (2012 ad loc.). 9 f.  Crispinus wird eine Beziehung zu einer (mit Stirnband geschmückten) Pries­ terin der Göttin Vesta nachgesagt, denen sexuelle Kontakte verboten waren. Als Bestrafung der Vestalinnen für dieses Vergehen ist – u. a. für die Zeit Domitians – das Einmauern bei lebendigem Leib bezeugt. 13  Titus und Seius werden hier als Allerweltsnamen für ganz normale, einfache Bürger genannt (ähnlich wie das deutsche »Hinz und Kunz«); die beiden Namen waren auch in juristischen Beispielen gängig. 15  Persona bezeichnet eine Theatermaske und verweist somit auf den Anfang der Satire zurück, wo Crispinus gewissermaßen auf die Bühne gerufen wurde. Weiter­ hin steht der Begriff für eine Person – v. a. diejenige, die vor Gericht erscheint – und schließlich auch für die Persönlichkeit eines Menschen. 15 f.  Die Meerbarbe hat das enorme Gewicht von sechs Pfund erreicht, was als Begründung für den astronomisch hohen Preis von 6000 Sesterzen angeführt wird. Die ausführliche Umschreibung des Gewichts erinnert an den Sprachgebrauch des Epos. 18–21  Der Satiriker behauptet mit beißender Ironie, dass er es positiv bewerten würde, wenn ein so wertvolles Geschenk den Zweck hätte, sich ein Erbe zu er­ schleichen oder eine wohlhabende Geliebte bei Laune zu halten (deren Sänfte so geräumig ist, dass sie als »Höhle« bezeichnet wird).



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23 M. Gavius Apicius war ein wohlhabender Feinschmecker, der zur Zeit des Au­ gustus und Tiberius lebte. Seine Beschreibung als arm und sparsam ist ironisch. 24 f.  Der Text ist umstritten. Die Kleidung aus Papyrus spielt auf die ägyptische Herkunft des Crispinus an. Die »Schuppen« sind eine verächtliche Bezeichnung für den Fisch. 26 f.  Provincia dürfte allgemein die römischen Provinzen außerhalb Italiens be­ zeichnen; noch preiswerter ist das Land in der armen süditalienischen Landschaft Apulien. 28–31  Die luxuriöse Mahlzeit des Höflings Crispinus (hier als scurra – ein Possen­ reißer zur Unterhaltung beim Gelage – bezeichnet) ist im Vergleich zu der Tafel des verschwenderischen Kaisers Domitian nur eine kleine Beilage. 34–36  Die Erzählung beginnt – wie es sich für ein Epos gehört – mit einer Anrufung der epischen Muse Kalliope. Dass es aber um ein überhaupt nicht heroisches Thema aus dem Alltag des Palastes geht, wird schon dadurch deutlich, dass der Dichter nicht im Stehen vorträgt und auch auf Gesang verzichtet. 36  Die Musen (auch: Pieriden) werden als eitle Frauen imaginiert, denen die An­ rede puellae schmeicheln soll. 37–71  Die Entdeckung eines riesigen Fischs ruft bei dem Fischer die Angst vor den unter Domitian allgegenwärtigen Denunzianten hervor, die ihm den Raub von kaiserlichem Besitz vorwerfen könnten. So entschließt er sich, den Fisch dem Kaiser zu schenken, eilt zur kaiserlichen Villa nach Alba und überreicht den Fisch dort dem Princeps mit einer aberwitzig überzogenen Lobrede. Trotz der unverhohlenen Schmeichelei ist der Kaiser damit hochzufrieden. 37 f.  Domitian, der letzte Kaiser aus dem Geschlecht der Flavier, wird wegen sei­ ner frühzeitig ausgegangenen Haare als »kahler Nero« bezeichnet und so mit einem anderen als Tyrann verschrienen Kaiser verglichen. 45 f.  Der Fischer (hier in Parodie hochtrabender epischer Sprache als »Kapitän von Kahn und Netz« bezeichnet) sieht in dem Fisch ein Wunderzeichen und will ihn daher dem Kaiser übergeben, der das Amt des Oberpriesters innehatte. 53  Bei Palfurius und Armillatus handelt es sich offenbar um Delatoren (Denun­ zianten, die sich durch Anzeigen gegen ihre Mitbürger bereicherten). Gerade unter Domitian wurde das Delatorenwesen gefördert. 55 f.  Der Fischer entscheidet sich, den Fisch lieber gleich dem Kaiser zu schenken. Die Formulierung ne pereat (»damit er nicht verkommt/verloren geht/umkommt«) ist mehrdeutig: Sie kann sich auf den Fisch beziehen, der nicht konfisziert werden oder verderben soll, oder auch den Fischer bezeichnen, der nicht umkommen will (Santorelli 2012 ad loc.). 56 f.  Der Herbst, insbesondere der September, galt als ungesunde Zeit. Das Quar­ tanfieber (quartana ) wird hier in einer paradoxen Formulierung als Erleich­

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Anmerkungen

terung für die Kranken bewertet, da es seltener zu Fiederschüben führt als etwa die gefürchtete tertiana febris. 60 f.  Domitians Villa befand sich bei der (oberhalb des Albanersees und des Ne­ misees gelegenen) antiken Stadt Alba Longa, die der Sage nach von Aeneas’ Sohn Ascanius gegründet worden war. Dort wurde auch das von Aeneas aus Troja mitge­ nommene ewige Feuer im Tempel der Vesta verehrt, der jedoch kleiner war als der Vestatempel in Rom. 64  Die Senatoren, mit denen der Kaiser doch im Austausch stehen sollte, müssen draußen bleiben, der Fisch wird hingegen bereitwillig eingelassen. 65  Sowohl der Fischer, der hier durch Erwähnung seines Heimatortes Picenum benannt wird, als auch Domitian werden in hochtrabender Sprache eingeführt (was im Fall des Fischers in starkem Gegensatz zu seiner wenig gepflegten Ausdruckswei­ se steht). Durch die Bezeichnung als Atride (Sohn des Atreus) wird Domitian mit dem griechischen König Agamemnon in Zusammenhang gebracht, der den Feldzug gegen Troja anführte: Nachdem gerade auf die Abkunft der Stadt Alba Longa – und somit der Römer – von den Trojanern hingewiesen worden ist (V. 60 f.), impliziert diese Gleichsetzung, dass Domitian ebenso als Feind der Römer bewertet wird, wie Agamemnon ein Feind der Trojaner – der Vorfahren des römischen Volks – war. Für weitere Deutungsmöglichkeiten vgl. zusammenfassend Santorelli (2012 ad loc.). 72–118  Die Einberufung und das Zusammenkommen des Kronrats wird im Stile eines Katalogs, wie er für die Gattung Epos typisch ist, geschildert. Dabei greift Juvenal offenbar auf die Darstellung einer solchen Versammlung in Statius’ Epos De bello Germanico zurück (vgl. S. 50 f.). Die Aufzählung der Teilnehmer beginnt mit den Mitläufern (die aber auch nichts gegen Domitians Tyrannei unternehmen) und endet mit bösartigen Denunzianten und Mördern. Die meisten der genannten Personen lassen sich recht sicher identifizieren: der rechtsgelehrte Konsul und Stadtpräfekt Plotius Pegasus, der redegewandte Provinzverwalter Q. Vibius Crispus, der Konsul M’. Acilius Aviola und sein Sohn der Konsul M’. Acilius Glabrio, der später hingerichtet wurde, der Offizier Rubrius Gallus, Curtius(?) Montanus, der andernorts als Feinschmecker beschrieben wird (vgl. auch V. 136–143), der bereits zu Beginn des Gedichts dargestellte Crispinus, ein Delator Namens Pompeius, der Offizier Cornelius Fuscus und schließlich der als grausamer Denunziant geschilderte Fabricius Veiento sowie der dreimalige Konsul L. Valerius Catullus Messalinus. 77–81 Ein vilicus war ein Sklave, der die Güter seines Herrn verwaltete. So drückt der Begriff aus, dass Domitian ganz Rom wie seinen Besitz behandelt. Da die Frage in V. 78 eine unnötige Erklärung für die humorvolle Formulierung bietet, ist der Vers wohl zu streichen; vgl. zusammenfassend Santorelli (2012 ad loc.). 98  Die Giganten sind die Söhne der Erde, der satirische Sprecher möchte also ein unbedeutender Sohn der Erde sein, ein »nobody« (Courtney 1980 ad loc.), der mit



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den Herrschenden nichts zu tun hat und daher anders als die Adligen ein ungefähr­ liches Leben führt. 99–101  Offenbar trat der junge Acilius in der Arena von Domitians Villa bei Alba als Tierkämpfer auf. Dass er dies tat, obwohl ein solches Verhalten für Mitglieder der Oberschicht als standeswidrig und entehrend galt, wird als Trick (artes) gedeu­ tet, der den Zweck hatte, die Gunst des Kaisers zu erlangen. 102 f.  L. Iunius Brutus, der spätere erste Konsul Roms, blieb von dem Tyrannen Tarquinius Superbus, dem letzten König Roms, unbehelligt, weil er sich dumm stellte (daher sein Beiname Brutus, »der Dummkopf«). Man stellte sich die Könige der römischen Frühzeit bärtig vor. 105 f.  Der Scholiast berichtet, dass Rubrius Domitians Frau Domitia in ihrer Ju­ gend verführt hatte und daher die Strafe des Kaisers fürchtete. Juvenal vergleicht sein schamloses Verhalten mit einem Satiriker, der selbst gegen die Norm sexueller Beziehungen verstößt, also mit einem scheinheiligen Sittenwächter. Vielleicht pran­ gert gerade Rubrius außereheliche Beziehungen vehement an. 108 f.  Crispinus trägt am Morgen – das consilium scheint unerwartet früh ein­ berufen worden zu sein – Parfüm, was eher zur abendlichen cena passen würde. Möglicherweise hat er durchgefeiert und kommt direkt vom Gelage, vielleicht muss er aber auch einfach seinen Schweißgeruch überdecken: Sein Schwitzen wird auch in 1.28 erwähnt. 111 f.  Fuscus, der später im Dakerkrieg fiel, wird hier als Militärtaktiker beschrie­ ben, der die Sicherheit seiner prächtigen Villa der Auseinandersetzung auf dem Schlachtfeld vorzieht. 113–118  Von Catullus wird auch in weiteren zeitgenössischen Quellen berichtet, dass er blind war und seine Machenschaften viele Menschen das Leben kostete. Juvenals Darstellung spielt auf spöttische Weise mit der Vorstellung, dass Liebe blind macht, und nimmt außerdem Bezug auf die Liebesdichtung des C. Valerius Catullus (vgl. LaFleur 1974, 73 f.). V. 116 ist inhaltlich und sprachlich unklar und wahrscheinlich eine Interpolation. 117 f.  Der Satiriker stellt sich vor, wie Catullus unter den Bettlern an der Via Ap­ pia sitzt, die nahe der Stadt Aricia besonders zahlreich waren, und mit Kusshänden für Almosen dankt. 119–149  Domitians Berater führen eine denkbar sinnlose Debatte darüber, was man mit dem riesigen Fisch tun sollte, und gelangen zu einem nahe liegenden Ergebnis: Ein großes Kochgefäß wird benötigt. 121 f.  Catullus preist öfter Dinge, die er nicht sieht, so auch bei öffentlichen Dar­ bietungen (die möglicherweise vom Kaiser gestiftet wurden und schon deshalb ge­ lobt werden). Unter anderem geht es wohl um die Technik, welche es ermöglicht,

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Anmerkungen

die Geschichte des Knaben Ganymed darzustellen, den Jupiter in Gestalt eines Ad­ lers entführte. 123 f.  Die aus Kappadokien stammende Gottheit Ma wurde in Rom mit dem Namen der Kriegsgöttin Bellona bezeichnet. Ihr Kult beinhaltete die Verehrung durch enthusiasmierte Priester. 127  Arviragus ist offenbar ein Herrscher oder Feldherr in Britannien. 130  Die Aufforderung an Fabricius Veiento, eine Entscheidung zu fällen, spricht Kaiser Domitian. 133  Prometheus, der die Menschen aus Ton geschaffen hat, wird hier als mytholo­ gisches Beispiel für einen Töpfer genannt. 136–139 Nero war für Gelage bekannt, die auch nach Mitternacht fortgesetzt wurden. Dabei konnte der Alkoholgenuss offenbar auch nach dem Essen den Ap­ petit wieder anregen (»der zweite Hunger«). 150–154  In seiner Schlussbemerkung geht der Satiriker noch einmal auf Domitians Grausamkeit und Mordtaten ein, die ihn schließlich selbst das Leben kosten. 154  Der Sprecher verweist hier auf die Hinrichtung des Aristokraten L. Aelius Plautius Lamia Aelianus, des früheren Ehemanns der Kaiserin Domitia (Suet. Dom. 10.2). Dass der Kaiser, der hier wörtlich »vom Blut trieft«, Lamia (und andere – des­ halb wohl der Plural Lamiarum) aus persönlichen Gründen töten ließ, dürfte in der Tat das gesamte Volk in Angst und Schrecken versetzt haben.

Satire 5 1–11 Kritik des Sprechers am entwürdigenden Dasein des Klienten 12–23 Eine Einladung als Erniedrigung 24–48  Die bei der cena servierten Weine 49–65  Das Wasser und die Sklaven, die es servieren 66–79  Das Brot 80–91  Schalentiere als Vorspeise 91–106  Die Fischgerichte 107–113 Mahnende Worte an den Gastgeber 114–125  Die Fleischgerichte und der Servierluxus 126–145  Soziale Unterschiede und die Interaktion bei der Tafel 146–148  Das Pilzgericht 149–155  Der letzte Gang: Äpfel 156–173 Erneute Kritik an dem Klienten, der seine Freiheit aufgibt



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V.  1–11  Der Sprecher greift den Klienten Trebius an: Dieser lasse sich an der Tafel seines reichen Patrons so entwürdigen, dass sogar ein Leben als Bettler anständiger wäre. 3 f.  Sarmentus und Gabba waren scurrae (Spaßmacher, welche die Gäste bei der cena unterhielten) am Hof des Augustus. Nach Aussage des Satirikers wurden auch bei kaiserlichen Feiern Teilnehmer von unterschiedlichem Rang mit Speisen von unterschiedlicher Qualität bewirtet – wobei die scurrae offenbar die niedrigste Posi­ tion einnahmen (Gabba vilis). 6–9  Der Straßenrand (crepido bezeichnet verschiedene Arten von Stufen wie Rinnsteine oder Sockel von Statuen) und Brücken waren typische Plätze für Bettler, die dort auf Stoffmatten saßen (selbst weniger als die Hälfte einer ganzen Matte würde dafür genügen). 11  Far caninum (»Hundebrot«) war eine Brotsorte von niedriger Qualität. Gleich­ zeitig macht der Begriff deutlich, dass selbst ein »Leben wie ein Hund« besser wäre als die Demütigung bei der cena der Reichen. 12–23  Schon durch die Einladung wird Trebius erniedrigt: Er wird nur deshalb zum Essen gebeten, weil sonst ein Platz freibleiben müsste. Dennoch ist er bereit, sich noch bei Nacht und Eiseskälte zur Begrüßung seiner Patrone aufzumachen, um nur nicht zu spät zu kommen. 12 Mit Primo fige loco (~ »Setze an die erste Stelle«) scheint eine Reihe von Argu­ menten eingeleitet zu werden, allerdings folgt auf kein deinde (»zweitens«). 17  Die Plätze bei der cena waren hierarchisch angeordnet. Der Klient soll einen weniger ehrenvollen Platz einnehmen – und das auch nur, damit dieser nicht gänz­ lich frei bleibt. 19–23 Erstmals fällt der Name des angesprochenen Klienten. Die Verwendung der 3. Person in diesem Satz drückt Sarkasmus aus. Trebius pflegt, im Morgengrauen oder auch schon um Mitternacht (wenn das langsame im Norden gelegene Stern­ bild Bootes, der als »Antreiber« des Großen Wagens galt, seine Bewegungsrichtung ändert) aufzustehen, und hetzt dann mit offenen Schuhbändern los, damit er bei der salutatio, dem Morgengruß, den Klienten gleich mehreren Patronen entrichten, nicht zu spät dran ist. 24–48  Die Beschreibung der cena beginnt mit den servierten Weinen. Wie bei allen Speisen und Getränken, die aufgetischt werden, ist auch die Qualität des Weines, den der Gastgeber Virro trinkt, viel höher als die des Weines für die Klienten. Der minderwertige Wein ist nicht gut verträglich und führt zu Schlägereien unter den einfachen Gästen. Auch bei den Trinkgefäßen sind solche Unterschiede in Qualität und Wert offensichtlich. 24 f.  Der servierte Weit ist noch schlechter, als der, den man zu medizinischen Zwecken in Umschlägen aus Wolle anwandte. Die unheilvolle Wirkung dieses kaum verträglichen Weins wird durch den Vergleich mit den Korybanten, Priestern

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Anmerkungen

der phrygischen Gottheit Kybele, die für ihre ekstatischen Tänze bekannt waren, verdeutlicht. 28 f.  Wenn die Klienten mit den ebenfalls hierarchisch niedrig stehenden Freige­ lassenen in Streit geraten, fliegen die üblicherweise tönernen Flaschen mit billigem Wein aus Sagunt. 30–32  Die Weine, die der Gastgeber trinkt, sind alt und von hoher Qualität: Sie stammen aus der römischen Frühzeit (als die Würdenträger lange Haare trugen) bzw. aus der Zeit der Bundesgenossenkriege (91–87 v. Chr.). Davon würde der Pa­ tron einem Klienten nicht einmal dann einen Schluck (wörtlich: eine »Schöpfkel­ le« voll) abgeben, wenn ihm das bei der Linderung von Magenproblemen helfen könnte. 36 f.  P. Clodius Thrasea Paetus und sein Schwiegersohn Helvidius Priscus waren von der stoischen Philosophie geprägte Oppositionelle und Kämpfer für die Frei­ heit, die unter Nero und Vespasian hingerichtet wurden. Als ihre Vorbilder, deren Geburtstage sie mit besonders gutem Wein feierten, werden die Caesarmörder Mar­ cus und Decimus Brutus sowie C. Cassius Longinus genannt. Hier trinkt ausge­ rechnet ein Patron, der sich wie ein Tyrann aufführt (vgl. V. 14: rex), einen solchen Wein ohne besonderen Anlass. 38 f.  Wörtlich werden die Becher »Einlegearbeiten der Heliaden« genannt. Als Tränen der Heliaden (Töchter des Sonnengottes) bezeichnete man den Bernstein. Erstmals fällt hier der Name des geizigen Patrons: Virro. 44 f.  Die Edelsteine auf Ringen, mit denen Virro dann seine Trinkgefäße verziert, werden in einer epischen Umschreibung als so hochwertig beschrieben, dass sie selbst die Waffen des Helden Aeneas hätten zieren können: Die karthagische Köni­ gin Dido verliebte sich in Aeneas und verschmähte den Afrikaner Jarbas. 46–48  Der hier beschriebene Vatinische Becher war nach Vatinius, einem Schus­ ter aus der Stadt Benevent, benannt, der unter Nero als Denunziant Karriere ge­ macht haben soll. Gesprungenes Glas wurde offenbar mit Schwefel abgedichtet (zusammenfassende Diskussion der Stelle bei Santorelli 2013 ad loc.). 49–65  Auch das Wasser, das Virro erhält, ist viel frischer als das der einfachen Gäste. Vor allem unterscheiden sich die Serviersklaven erheblich. Virros Mundschenk ist deutlich jünger und hübscher, doch selbst die unansehnlichen Sklaven, welche die armen Gäste bedienen, verhalten sich divenhaft und bedienen Menschen von niedrigem Stand nur widerwillig. 50  Die Heimat der Geten, eines Thrakischen Volks an der Donau, galt als außer­ gewöhnlich kalt. Eisgekühltes Wasser war ein besonderer Luxus. 52 f. Der cursor war ein Sklave, der die Aufgabe hatte, dem Wagen seines Her­ ren vorauszulaufen. Beide hier als unattraktiv beschriebenen Sklaven stammen aus Nordafrika.



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57–59  Die römischen Könige Tullus Hostilius und Ancus Marcius werden als Bei­ spiele für reiche Männer genannt. Neben Virros Vermögen wirkt der königliche Besitz aber wie Kleinkram (frivola). 59  Der unansehnliche Sklave wird mit dem schönen phrygischen Prinzen Gany­ med verglichen, der für Jupiter den Nektar mischt. 66–79  Falls ein armer Gast versuchen sollte, sich beim sehr viel feineren Brot des Hausherrn zu bedienen, führt dies zu einer Rüge. Daran schließen sich Überlegungen des zerknirschten Gastes über den Nutzen des entwürdigenden Klientendienstes an. 66  Der Vers wird von mehreren Herausgebern für unecht erachtet und ist mög­ licherweise zu streichen. 68  Ob der mürrische Sklave die Brotlaibe kaum zerkleinern konnte, ob das Brot für die Gäste kaum zu brechen ist oder ob es aus Mehl gemacht wurde, das von der Mühle nur unzureichend zerkleinert wurde, ist umstritten (vgl. die Kommentare von Courtney 1980 und Santorelli 2013 ad loc.). 72  Das hochwertige Brot wird ofenfrisch in der Backform aufgetragen. 77 f.  Wahrscheinlich führt der Weg des Klienten über den Viminal und den Es­ quilin (vgl. Santorelli 2013 ad loc.). 80–91  Als Vorspeise werden dem Hausherrn ein Hummer und dem armen Gast ein Ei mit Garnele serviert. Auch das Öl, das über diese Speisen gegossen wird, unterscheidet sich deutlich. 80  Das Verb distinguere wird doppeldeutig verwendet: Wörtlich heißt es, die Brust des Hummers »teile« die Servierplatte aufgrund ihrer Länge in zwei Hälften. Gleichzeitig sorgt der Hummer dafür, dass sich der Teller des Herrn deutlich von dem der einfachen Gäste »unterscheidet«. 85  Das dürftige Gericht wird mit den Speisen verglichen, die einem Verstorbenen auf sein Grab gestellt wurden. 86  In der Stadt Venafrum wurde hochwertiges Olivenöl produziert. 89 f. Micipsa und Boccar sind die Namen afrikanischer Könige, die zeigen, dass es hier um aus Afrika importiertes Öl geht. Dieses ist von derart niedriger Quali­ tät, dass man es kaum ertragen könnte, jemanden, der es verwendet, im Bad zu begegnen. 91  Der Vers, der in den wichtigsten Handschriften fehlt, wird von den meisten Herausgebern athetiert. 92–106  Während der Hausherr einen teuren exotischen Fisch verspeist, erhält der Gast einen einfachen heimischen Fisch aus wenig hygienischen Gewässern. Dass gerade Fische ein Zeichen für Tafelluxus waren (vgl. auch Satire 4), wird durch die imaginierte Szene deutlich, in der ein Erbschleicher versucht, eine wohlhabende Dame durch den Kauf teurer Fische für sich zu gewinnen.

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Anmerkungen

92–96  Im Meer vor Italien (darauf verweisen mare nostrum und Tyrrhenum hier) macht sich Überfischung bemerkbar, sodass man Fisch aus weiter entfernten Fang­ gründen bei Korsika oder der sizilianischen Stadt Tauromenium heranschaffen muss. 98  Hier geht es um einen Erbschleicher, der einer reichen Dame edle Speisefische kauft, um sie dazu zu bringen, ihn in ihrem Testament zu bedenken. Jene Aurelia bekommt offenbar so viele Fische zum Geschenk, dass sie diese nicht etwa isst, sondern weiterverkauft. 99–102  Durch die mythischen Verweise und die episch gefärbte Sprache wird das Fangen der Muränen vor der Küste Siziliens ironisch als Heldentat der personifi­ zierten Fischernetze dargestellt: Bei geeigneter Wetterlage – also wenn der geflügelte Südwind Auster im Kerker des Windgottes Aeolus gefangen ist (vgl. etwa Verg., Aen. 1.52–56) – fangen sie Muränen aus dem Strudel/Meerungeheuer Charybdis. 104–106  Die Deutung der Stelle ist schwierig. Zum einen ist umstritten, von welchem einheimischen Fisch hier die Rede ist, und zum anderen ist der Text wohl korrupt. Auch wenn Zweifel bleiben, ergibt die von Ruperti (1803 ad loc.) vorge­ schlagene Lesart varie aspersus maculis (für das überlieferte glacie aspersus maculis) einen guten Sinn, ohne zu stark von dem überlieferten Text abzuweichen; denkbar ist aber auch, dass hier der für uns nicht mehr zu rekonstruierende Eigenname des Fischs zu lesen ist (vgl. die Diskussion der Stelle bei Santorelli 2013 ad loc.). In jedem Fall wird der Fisch, der in den Abwasserkanälen unter dem belebten römischen Stadtviertel Subura herumschwimmt, als unappetitlich präsentiert. 107–113  Der Satiriker wendet sich an den Gastgeber und kritisiert dessen Verhalten, erwartet dabei von Virro aber gar nicht so viel: Virro solle sich gegenüber seinen Gästen bloß menschlich verhalten. 109  Der Philosoph L. Annaeus Seneca, sein Zeitgenosse C. Calpurnius Piso (der Anstifter der sogenannten Pisonischen Verschwörung gegen Nero) und M. Aurelius Cotta Maximus, eine Persönlichkeit der Augusteischen Zeit, werden als Beispiele für großzügige Patrone genannt. 114–124  Die Fleischgerichte, Trüffelspeisen und der Luxus eines Serviersklaven, durch den das Tranchieren des Fleischs zur akrobatischen Höchstleistung wird, zeigen, dass Virro sich von den Äußerungen aus den vorangehenden Versen nicht beeindrucken lässt. 115  Der Held Meleager führt im Mythos die Jagd auf den monströsen kalydoni­ schen Eber an. 117 f.  Von Trüffeln wurde vermutet, dass sie unter dem Einfluss von Donner bes­ ser wachsen. 119  Alledius ist offenbar ein Feinschmecker, der sich nicht für die Getreideliefe­ rungen aus Nordafrika interessiert (obwohl diese für die Versorgung der römischen



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Bevölkerung von zentraler Bedeutung waren), wenn nur die geschätzten Trüffeln importiert werden. 125–145  Ein sozial niedrig stehender Gast darf nicht einmal erwarten, dass der wohlhabende Hausherr ihm zuprosten wird. Nur wenn Trebius zu Geld käme, würde sich Virro um ihm bemühen – das aber nur, solange Trebius kinderlos bliebe, sodass Virro auf sein Erbe hoffen könnte. 125  Herkules tötete den Riesen Cacus und schleifte ihn aus seiner Höhle. 127  Tatsächlich dürfte Trebius als freier Bürger drei Namen besitzen (Vorname, Gentilname, Beiname), wird hier aber nicht wie ein freier Bürger behandelt. 128 f.  Beim Zuprosten wurde der Trinkbecher an die Tischgemeinschaft weiter­ gereicht. 137–139 Nach der Anrede an das Geld spricht der Satiriker wieder Trebius an und stellt sich vor, dass er als reicher Mann sogar den Herren Virro übertreffen würde, weil dieser alles dafür täte, in das Testament des Trebius aufgenommen zu werden – allerdings nur solange dieser keine Kinder hat. Die Formulierung spielt auf die Stelle in Vergils Aeneis an, an der Dido sich von Aeneas einen »kleinen Aeneas« wünscht, der im Hof spielt (4.328 f.: si quis mihi parvulus aula / luderet Aeneas); vgl. Bellandi (2009, 495), der auch zeigt, wie derselbe Gedanke aus der Aeneis in Satire 9 durch den Klienten Naevolus aufgegriffen wird. 140  Die etwas banal wirkende Aussage wird von den meisten Herausgebern für unecht erachtet; vgl. jedoch Lewis (1882, II, 142 f.). Der Vers richtet den Blick auf die Ehefrau des Trebius, um die es im Folgenden wohl geht. 141–145  Die genaue Interpretation der dargestellten Szene ist umstritten. Offen­ bar ist die Vorstellung von Trebius’ Reichtum beendet (nunc ~ »in deiner jetzigen Situation«). Wenn die Frau des armen Trebius Nachwuchs bekäme, würde das Virro nicht stören, weil es bei diesem (im Gegensatz zu dem gerade imaginierten reichen Trebius) ohnehin nichts zu erben gibt. Virro behandelt auch die Kinder des Trebius wie Klienten (parasitus infans) und gibt ihnen kleine, wertlose Geschenke. Laut der interessanten Deutung von Hopman (2003) wird die Entwürdigung der Kinder durch das »gründe Hemd« (offenbar handelt es sich nicht, wie viele Kommentato­ ren annehmen, um ein »Fan-Trikot« für Anhänger des in Rom populären »grünen« Wagenrennstalls) verdeutlicht: Dieses ist von minderer Qualität und hat die Farbe der sexuell passiven cinaedi (darauf weist bereits Lewis 1882, II, 143 f. hin). Die he­ ranwachsenden Klientenkinder könnten also auch auf sexuelle Ausbeutung durch den Patron vorbereitet werden, wie sie in Satire 9 thematisiert wird. Allerdings nimmt der Patron Virro in Satire 9 selbst den passiven Part in mann-männlichen Beziehungen ein. Diese Figur dürfte gerade kein Interesse an passiven Partnern ha­ ben (dazu auch S. 55).

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Anmerkungen

146–148  Der Unterschied zwischen den Pilzen, die dem Hausherrn und den Klienten serviert werden, weckt in dem Sprecher den bösen Wunsch, der Herr möge an dem Pilzgericht sterben. 147 f. Kaiser Claudius wurde von seiner Frau Agrippina mit einem Pilzgericht vergiftet; für einen ähnlichen Scherz mit einem giftigen Pilzgericht vgl. Mart. 1.20. 149–155  Auch das als letzter Gang servierte Obst zeigt den sozialen Unterschied zwischen Virro und Trebius. 149–152  Die Äpfel, die Virro und seinesgleichen essen, werden mit denen ver­ glichen, die im Garten des in der Odyssee erwähnten Phäakenkönigs Alkinoos (7.114 ff.) oder im Hain der Hesperiden (»afrikanische Schwestern«) wuchsen, von wo Herkules sie raubte. 153–155  Beschrieben wird ein angekleideter und dressierter Affe, der wohl auf der begehbaren Stadtmauer sein Kunststück vorführt, auf dem Rücken einer Ziege rei­ tend, einen Speer zu werfen. 156–173  Nach Ansicht des Satirikers hat Virro seinen Spaß daran, wie sich die armen Klienten an seiner Tafel erniedrigen lassen. Wie zu Beginn der Satire kritisiert der Sprecher daher den Klienten, der seine Freiheit – immerhin ist er ja ein Freigeborener – aufgibt, um einem tyrannischen rex zu dienen. 157 f.  Für Virro bieten die Leiden des hungrigen Klienten bessere Unterhaltung als humorvolle Darbietungen im Theater. 164 f.  Freigeborene Kinder trugen nach einem etruskischen Brauch ein Amulett aus Gold oder – wenn man sich dieses nicht leisten konnte – einen Lederknoten. 168 f.  Die hungrigen Klienten haben sich für das Essen bereits mit dem angebote­ nen Brot »ausgerüstet«, das wie eine Waffe für einen anstehenden Kampf beschrie­ ben wird. 171–173  Trebius’ Verhalten wird mit Szenen in humorvollen Theaterstücken (vgl. V. 157) verglichen, in denen eine Figur – in der Regel ein Sklave – zur Belusti­ gung des Publikums geprügelt wird. Trappes-Lomax (2001, 194 f.; vgl. Nadeau 2013, 50–55) schlägt vor, dass caput praebere doppeldeutig ist und an die Gewährung von Fellatio denken lässt (vgl. zu 3.33); wie in V. 141–145 wird also die Möglichkeit ange­ deutet, dass die Klienten auch sexuell ausgebeutet werden.

Satire 6 1–24 Mythologische Einleitung: Weltzeitalter und Sittenverfall 25–37  Alternativen zur Eheschließung: Selbstmord oder Knabenliebe 38–59  Der unsinnige Heiratswunsch des Ursidius



Satire 6

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60–77  Theaterschauspieler als Geliebte der Frauen 78–113 Gladiatoren als Geliebte der Frauen 114–135  Die ungezügelte Lust der Kaiserin Messalina 136–141  »Bestechung« des Ehemannes: die reiche Caesennia 142–160  Schönheit als ein Mittel, den Ehemann zu beherrschen (und finanziell auszunehmen) 161–183  Der unerträgliche Hochmut vornehmer Frauen 184–199 Griechisches Gebaren und griechische Sprache als Mode der Frauen 200–230  Weitere Argumente gegen das Heiraten: Kosten der Hochzeit und Aus­ beutung durch tyrannische Frauen 231–241  Die Schwiegermutter 242–245  Frauen und Gerichtsverhandlungen 246–267 Ringerinnen und Gladiatorinnen 268–285  Streitsüchtige und notorisch untreue Ehefrauen 286–348  Leben im Luxus und sexuelle Ausschweifungen 349–365  Verschwendungssucht der Frauen O1–O34  Passiv wirkende Männer, die von den Frauen im Haus geschätzt werden 366–378 Eunuchen als Geliebte von Frauen 379–397 Musiker als Geliebte der Frauen 398–412  Die Klatschsucht der Frauen 413–433  Jähzornige und rücksichtslose Frauen, die sich wie Männer verhalten 434–456  Übermäßig gebildete Frauen 457–473  Übertriebener Gebrauch von Schmuck und Kosmetik 474–507 Grausamkeit gegenüber Sklaven und lächerliche Frisuren 508–541  Die Begeisterung der Frauen für exotische Sekten 542–591  Die Begeisterung der Frauen für Wahrsagerei 592–609  Die Weigerung vornehmer Damen, schwanger zu werden, und die Auf­ nahme von Findelkindern 610–626 Der Einsatz eines Liebestranks, der Männer in den Wahnsinn treiben kann 627–661  Die Ermordung von Kindern und Ehemännern V.  1–24  Anhand einer überzeichneten Darstellung der Weltzeitalter, deren Abfolge einen Verfall der Moral kennzeichnet, verdeutlicht der Satiriker, wie verkommen die Sitten – insbesondere von Frauen – sind. Zunächst beschreibt er das Goldene Zeitalter (V. 1: Saturno rege) als eine von Ehebruch wohl noch freie Urzeit mit den gerade erst erschaffenen Menschen (V. 1–13). Im Folgenden geht es um das Silberne Zeitalter, in dem es nach Meinung des Satirikers dann sicherlich die ersten Verbrechen gegeben habe (V. 14–24).

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Anmerkungen

1 f. Unter dem göttlichen Herrscher Saturn (der später von seinem Sohn Jupiter gestürzt wurde) gab es Anstand, ein einfaches Leben und eine friedliche Koexistenz von Menschen und Göttern. Damals war auch die Pudicitia (die personifizierte sittsame Gesinnung, die dafür sorgt, dass die römische Ehefrau ihrem Ehemann treu ist) auf Erden sichtbar. 7 f.  Zum Vergleich nennt der Satiriker Cynthia, die Geliebte aus den Liebeselegien des Properz, und Lesbia, die Geliebte des Catull, der von der Trauer um den Tod ihres Sperlings berichtet (c. 3). Der Vergleich der Frauen aus der Frühzeit mit diesen Damen, welche in der Liebesdichtung als überhaupt nicht anständig beschrieben werden, wirkt sehr weit hergeholt. 9 f.  Spätestens die Beschreibung der stillenden Mutter, die an ein Säugetier erin­ nert (zu ubera vgl. Watson/Watson 2014 ad loc.), und ihres rülpsenden Ehemannes (Eicheln ein Musterbeispiel für die einfache Ernährung der Frühzeit) macht deut­ lich, dass hier kein Idealbild, sondern die lächerliche Überzeichnung eines einfa­ chen Lebens geboten wird. 11–13  In Texten über die Entwicklung der Menschheit heißt es häufig, dass der moralische Niedergang von Generation zu Generation weitergegeben wird. Die ers­ ten Menschen, die noch keine Eltern hatten, sind davon noch nicht betroffen. Juve­ nal greift hier zwei traditionelle Schöpfungsmythen auf: die Geburt der Menschen aus Bäumen und ihre Erschaffung aus Ton durch den Titan Prometheus. 14–18  Im auf das Goldene Zeitalter folgenden Silbernen Zeitalter herrschte Ju­ piter (vgl. zu V. 1 f.), der hier am Beginn seiner Regierung als bartloser Jüngling imaginiert wird. Juvenal bietet banale Variationen von Merkmalen des Goldenen und Silbernen Zeitalters: Ehrlichkeit (anders als bei den Griechen, die nicht etwa bei ihrem eigenen Leben schwören, sondern bei dem anderer Menschen; vgl. Satire 3), wenig Besitz (um den man nicht fürchten muss), somit auch keine Kriminalität und das Fehlen von Grenzen in einer Gesellschaft, in der alles allen gehört. 19 f.  Astraea, die Gerechtigkeit, verlässt gemeinsam mit ihrer Schwester Pudicitia die Erde. 22  Offenbar ist die Missachtung der Ehe gemeint; denkbar ist aber auch, dass auf Ehebetten der Schutzgeist der Familie bildlich dargestellt war (vgl. Courtney 1980 ad loc.). 23 f.  Juvenal korrigiert Ovids Aussage, alle Verbrechen seien erst im Eisernen Zeit­ alter entstanden (Met. 1.28–31). 25–37  Der Satiriker macht einige Vorschläge, wie Postumus der Ehe noch entgehen könnte: durch Selbstmord oder die Beziehung zu einem Knaben. 29  Tisiphone ist eine der Furien, welche die Menschen mit Schlangenpeitschen hetzen und so in den Wahnsinn treiben.



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30–32  Der Selbstmord durch Erhängen oder durch einen Sprung aus dem Fenster bzw. von einer Brücke wurde eher mit Frauen und Mitgliedern der unteren Schich­ ten assoziiert als mit männlichen Bürgern aus der römischen Nobilität (vgl. Watson/ Watson 2014 ad loc.). 35–37 Einige Gelehrte halten den Vorschlag, sich mit einem Knaben einzulassen, angesichts der Angriffe gegen Männer, die Verhältnisse zu Männern unterhalten, in den Satiren 2 und 9 für ironisch (Courtney 1980 ad loc.; Adamietz 1993 ad loc.). Al­ lerdings ist die Vorstellung, dass sexuelle Beziehungen zu Knaben erstrebenswerter sind als zu Frauen, in der erotischen antiken Literatur verbreitet (vgl. Obermayer 1998, 20–29; Watson/Watson 2014 ad loc.). Ohnehin kann man bei Juvenal keines­ wegs von einer grundsätzlichen Ablehnung von Homosexualität sprechen (vgl. S. 43 f. zu Satire 2). 38–59  Um zu zeigen, wie absurd der Wunsch nach einer Ehe ist, wird beschreiben, wie ein Ursidius heiraten will. Dieser ist nicht nur ein notorischer Liebhaber, sondern bemüht sich auch darum, Erbschleicher anzuziehen, die ihm in der Hoffnung auf sein Erbe Gefälligkeiten erweisen – was nur möglich ist, solange er keine Kinder hat. Ohnehin sei es – so heißt es weiter – unmöglich, in der Stadt oder auch auf dem Land eine anständige Frau zu finden. 38  Dass mit Ursidius eine neue Figur auftritt, überrascht; dennoch soll er wohl kaum mit Postumus identifiziert werden. Möglicherweise ist hier eine Lücke im Text anzunehmen, in welcher der ebenfalls heiratswillige Ursidius (welcher die Lex Iulia schätzt, die Ehebruch verbietet; vgl. zu 2.29 ff.) von Postumus erwähnt wurde (zusammenfassend Watson/Watson 2014 ad loc.; vgl. Bellandi 1995 ad loc.). 39 f. Ursidius’ Wunsch nach einem Erben wird dafür kritisiert, dass von nun an die Geschenke ausbleiben werden, mit denen Erbschleicher sich die Gunst wohlha­ bender Alleinstehender sichern. In der Literatur werden in diesem Zusammenhang häufig teure Lebensmittel genannt (vgl. z. B. 5.98). 42–44  Als Ehebrecher musste sich Ursidius oft vor dem vorzeitig nach Hause kommenden Ehemann seiner Geliebten in einer Kiste verstecken. Dies war offenbar eine typische Konstellation aus den komischen Unterhaltungsstücken des Mimus (Latinus gehörte zu den berühmtesten Mimendarstellern). 46  Der Aderlass galt als Therapie gegen Wahnsinn. 47–48  Für eine gelungene Eheschließung würde Juno als Göttin der Ehe Dank verdienen. Juno wurde gemeinsam mit Jupiter und Minerva in dem Tempel auf dem Kapitol (hier unter Bezugnahme auf den Tarpejischen Felsen als »Tarpejische Schwelle« bezeichnet) verehrt; dabei warfen sich die Menschen zu Boden, als Opfer wurden Rinder mit vergoldeten Hörnern dargebracht. 50 f.  Welche Rolle die »Bänder der Ceres« in der Verehrung dieser Göttin spielten, ist unklar. Offenbar durften nur keusche Frauen sie berühren. – Der Vater will die

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Anmerkungen

Tochter nicht küssen, wenn er befürchten muss, dass diese zuvor einen Mann oral befriedigt hat. Vor dem Hintergrund dieses Verses ist wohl auch capitis pudici (~ »mit keuschem Haupt/Mund«; V. 50) als Hinweis darauf zu lesen, dass Ursidius keine Frau bekommen kann, die nicht Fellatio praktiziert hat; dieselbe obszöne Bedeutung von caput mag auch in 3.33 und 5.171–173 vorliegen. 53  Die sonst unbekannte Hiberina dient als Beispiel dafür, dass sich keine treue Frau finden lässt. 55–57  Der Satiriker widerspricht dem Einwand, dass es auf dem Land noch Frau­ en mit einem guten Ruf gebe: Selbst Frauen, die auf dem Land anständig lebten, würden sich in Städten – und seien es auch nur Landstädte wie Gabii oder Fi­ denae – anders verhalten. Möglicherweise ist in V. 57 credo anstelle von cedo zu lesen (Thierfelder 1941): »... ich will dem Gütchen des Vaters glauben«. Nadeau (2011 ad loc.; vgl. Gil Fernandez 1931) versteht den Ausdruck als concessio des Satirikers, auf die dann in V. 58 f. der nächste Widerspruch gegen das Argument von der keuschen Landfrau folgt. Allerdings fällt es schwer, aus dem Text die Bedeutung »no, she need not go to Gabii or to Fidenae; I grant that she live on her little paternal acre« herauszulesen. 59  Selbst auf dem Land drohen Verführer – unter anderem die Götter, die oft sterbliche Frauen begehren. 60–77  Der Satiriker lenkt den Blick auf die Stadt, wo man ebenfalls keine passende Frau finden könne. Dabei lehnt er sich an Ovid an, der in seiner Ars amatoria u. a. Hinweise gibt, wo ein junger Mann eine Geliebte (allerdings keine Ehefrau) finden könne (Ars 1.43ff; vgl. Watson/Watson 2014 ad V. 60–62). Gerade die Theater tragen sogar zum Niedergang der weiblichen Sitten bei, da sich Frauen in die Musiker und Schauspieler aus den vielen verschiedenen Dramenformen verlieben können. 63 f.  Schauspieler, gerade Darsteller von Pantominen, hatten den Ruf eines un­ gehemmten Sexuallebens. Dass Bathyllus (der Begründer der Pantomime in Rom, wird hier stellvertretend für seine Zunft genannt) als mollis (»weichlich«) bezeichnet und durch die Erwähnung seiner Rolle, der von Jupiter begehrten Leda, mit femi­ nin auftretenden Männern assoziiert wird und dennoch als Verführer der Zuschau­ erinnen gilt, ist kein Widerspruch: Männer, die in Beziehungen zu einem anderen Mann den passiven Part einnahmen, galten als grundsätzlich sexuell unersättlich – darin ähneln sie nach römischer Vorstellung den Frauen – und werden häufig auch in Beziehungen zu Personen weiblichen Geschlechts dargestellt (Lorenz 2002, 38). 65  Der Vers wird von den meisten Herausgebern als unecht bewertet. 66  Thymele ist ebenfalls eine Mimenschauspielerin und dürfte somit eine Exper­ tin auf dem Gebiet unanständiger Darstellungen sein. Im Vergleich mit dem zü­ gellosen Verhalten der Zuschauerinnen wird sie ironisch als unerfahren bezeichnet.



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67–70  Theateraufführungen fanden u. a. bei öffentlichen Festen (wie den hier erwähnten Plebejischen und Megalesischen Spielen) statt. Dazwischen gibt es The­ aterferien, in denen die Damen ihre geliebten Schauspieler nicht sehen können. Accius mag (nach dem gleichnamigen Tragödiendichter des 1. Jh. v. Chr.) einen Tragödiendarsteller bezeichnen (oder es ist von dem Pantomimen Actius die Rede; vgl. Watson/Watson 2014 ad loc.). Seine weiblichen Fans müssen sich nun mit seiner Bühnenmaske, dem mit dem Gott Bacchus assoziierten Thyrsusstab (möglicherwei­ se hat er auf der Bühne Bacchus dargestellt) und seinem Lendenschurz begnügen. 71 f.  Die Komödienform der Atellane galt als niedrige Form des Dramas, so hat der Darsteller Urbicus (der mit der Geschichte der Autonoe offenbar die Parodie eines tragischen Stoffs aufführt) nur eine arme Verehrerin. 73 f. Mit der fibula, einem Ring, der in der Vorhaut getragen wurde, sollte ver­ hindert werden, dass Schauspieler und Sänger Geschlechtsverkehr hatten, in dem man eine Beeinträchtigung für die Stimme sah. So kann der hier genannte Sänger Chrysogonus nicht mehr auftreten. 74  Ihr Name weist Hispulla als Mitglied der Oberschicht aus. So ist ihr Geliebter Schauspieler in der am höchsten angesehenen Form des Dramas: der Tragödie. 75  Als Gegensatz zu den attraktiven Darstellern wird Quintilian, der bedeutends­ te Rhetoriker der Zeit, genannt. Dieser Intellektuelle übt keinerlei Anziehung auf die Frauen aus. 76 f. Musiker galten als moralisch fragwürdige Personen. Hier wird die Vorstel­ lung evoziert, dass die Kinder der Eheleute nicht vom Ehemann stammen, sondern von diesen dubiosen Gestalten. 78–113  Gladiatoren, die gesellschaftlich noch weniger galten als Schauspieler und Musiker, üben auf Frauen der Oberschicht eine besondere Anziehungskraft aus. 78–81  Wie in den vorangehenden Versen malt sich der Satiriker aus, wie ein Mann der Oberschicht (als solcher weist ihn der Name Lentulus aus, die Vorbereitung sei­ ner Hochzeit erinnert an einen öffentlichen Triumphzug) ein Kind untergeschoben bekommt, das von einem Geliebten der Frau stammt – und das ausgerechnet von einem murmillo, einem Gladiator mit schwerer Bewaffnung. 82–84  Bei der Ankunft in Alexandria (Lagus war ein ägyptischer Herrscher) per Schiff sieht man zunächst den Leuchtturm auf der der Stadt vorgelagerten Insel Pharos. Die nahegelegene Stadt Canopus wurde mit verkommenen Sitten assoziiert, doch selbst dort nimmt man an der Senatorengattin Eppia Anstoß. 87 Mit Paris dürfte der Pantomimendarsteller gemeint sein, der eine Liebschaft mit Domitia, der Frau des Kaisers Domitian gehabt haben soll (Suet. Dom. 3.1). 104  Zu den Gladiatorenschulen gehörten offenbar auch Frauen, die sich um die Befriedigung der sexuellen Bedürfnisse der Gladiatoren kümmerten (ludia). Auf

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Anmerkungen

deren Status begibt sich Eppia herab (Watson/Watson, The Classical Quarterly 46, 1996, 588–591). 105 f.  Sergiolus ist der Kosename, mit dem Eppia den Gladiator Sergius anspricht (vgl. ocelli in V. 109, ebenfalls eine Diminutivform). Männer mittleren Alters rasier­ ten sich den Bart vollständig ab. Da das Tragen eines Bartes auch für ältere Männer zur Zeit des Kaisers Hadrian in Mode gekommen zu sein scheint, wurde die Stelle als Hinweis auf eine Datierung der sechsten Satire in die Zeit vor Hadrian herange­ zogen (Watson/Watson 2014 ad loc.; vgl. ebd. zu V. 398–412). Allerdings spielen sich die geschilderten Ereignisse offenbar nicht zur Zeit der Entstehung des Gedichts ab; vgl. etwa die Erwähnung des Paris in V. 87. Ohnehin wäre der Hinweis auf das Alter des Gladiators durch die Erwähnung der Rasur sicher auch noch zu einer Zeit verstanden worden, in der das Tragen des Bartes in Mode kam. 110  Hyacinthus, der Geliebte Apolls (Ov., Met. 10.162–219) ist ein mythologisches Standardbeispiel für Schönheit. 112 f. Nach der Entlassung aus dem Gladiatorendienst (symbolisiert durch die Übergabe eines hölzernen Stabes) wäre Sergius für Eppia nicht attraktiver gewesen als ihr Ehemann. Um diesen dürfte es sich bei Veiento (vgl. 4.113) handeln; mögli­ cherweise steht der Name aber auch allgemein für einen alten, unattraktiven Mann der Oberschicht. Plaza (2006, 161) weist darauf hin, dass der Begriff ferrum (»Eisen« und somit »Schwert«) auch in der Bedeutung »Penis« verwendet wird, hier also eine obszöne Doppeldeutigkeit vorliegen dürfte. 114–135  Messalina, die Ehefrau des Kaisers Claudius, ging in ihrer ungezügelten Lust sogar so weit, dass sie sich prostituierte. 115  Die Kaiser, die nach ihrem Tod vergöttlicht wurden und teilweise schon zu Lebzeiten göttliche Ehren für sich beanspruchten, werden ironisch als »Rivalen der Götter« bezeichnet. 116–120  Der überlieferte Text dürfte korrupt sein, und es wurden zahlreiche Vor­ schläge zu seiner Korrektur gemacht, v. a. wurde die Umstellung von Versen vorge­ schlagen. Diese Versuche werfen jedoch neue Probleme auf, und bei den teilweise massiven Eingriffen in den Text würde man sich eine Begründung wünschen, wie es zu derartigen Transpositionen gekommen sein soll. So wird hier die überlieferte Reihenfolge beibehalten (vgl. Bellandi 1995 ad loc.), die inhaltlich einen besseren Sinn ergibt, als häufig angenommen wird: Wenn der Kaiser schläft, schleicht die Kaiserin aus ihrem Schlafzimmer, um sich auf dem einfachen Lager in einem Bor­ dell niederzulassen, sie hüllt sich in einen Kapuzenmantel und verlässt mit einer Sklavin den Palast. Sprachlich gibt es jedoch etliche Probleme, u. a. das Fehlen eines Objekts zu liquebat und das Tempus des Verbs (vgl. Ribbeck 1865, 152; Watson/ Watson 2014 ad loc.).



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123  Prostituierte stellten sich vor ihren Kammern auf (prostare – »zum Verkauf stehen« / »sich prostituieren«), über denen ein Namensschild und wohl auch Preise angebracht waren (titulus). Messalinas Künstlername ist – wie bei römischen Pros­ tituierten üblich – griechisch. Seine Bedeutung »kleine Wölfin« lässt an den lateini­ schen Begriff lupa (»Wölfin«), eine Bezeichnung für einfache Prostituierte, denken. 124 Mit der Anrede an den Prinzen Britannicus, schafft Juvenal einen deutlichen Kontrast zwischen Messalinas kaiserlichem Stand und ihrem Auftreten als Prosti­ tuierte. 126  Die Syntax und die Überlieferung des Verses sprechen dafür, dass es sich um eine Interpolation handelt (Ribbeck 1865, 166). 133–135  Der Gedankengang wechselt so abrupt, dass diese Verse von den meisten Herausgebern athetiert werden (zumal hier Gedanken aus V. 610 ff. vorweggenom­ men werden): Offenbar sollen die (nicht weiter ausgeführten) Taten einer verliebten Stiefmutter eine Steigerung der Darstellung Messalinas bieten. Fohlenbrot (hippomanes), eine Gewebebildung bei trächtigen Stuten, die als Aphrodisakum verwen­ det wurde, Zauberei und ein Liebestrank (dies dürfte venenum hier bedeuten; vgl. Bellandi 1995 ad loc.) sollen einer in ihren Stiefsohn verliebten Stiefmutter helfen, dessen Liebe zu gewinnen. Die Aufstellung des Gegensatzes zwischen Verbrechen, die imperio sexu coactae (Adamietz 1993 ad loc. paraphrasiert: »weil sie Frauen sind«) oder libidine (»aus Wollust«) begangen werden, ist jedoch keine passende Klimax zu dem Vorangehenden, denn Messalina wird doch gerade als eine Frau dargestellt, die von ihrer libido getrieben wird. Wenn man allerdings mit Courtney (1980 ad loc.) minimum (V. 135) als Korruption eines Wortes mit gegenteiliger Bedeutung (etwa summum) annimmt, ergibt die Aussage einen besseren Sinn (»Die schwereren Verbrechen begehen sie, weil die Macht ihres Geschlechts sie dazu zwingt, und am schlimmsten sind die Vergehen, zu denen ihre sexuelle Begierde sie antreibt;« so nun Watson/Watson 2014 ad loc., die dazu neigen, die Verse nicht zu streichen). Insgesamt spricht m. E. vieles für die Unechtheit der Verse. 136–141  Caesennia (offenbar auch eine Frau aus der Oberschicht) wird von ihrem Ehemann für ihre Anständigkeit gepriesen. Aber dieses Lob ist allein die Folge der hohen Mitgift, die Caesennia in die Ehe gebracht hat. 136  Offenbar formuliert Postumus diesen Einwand. 138  Der Vers wird aufgrund seiner ungewöhnlichen Bildsprache und weil er den Gedankengang der Verse 137–139 unterbreche, von mehreren Herausgebern getilgt (vgl. Courtney 1980 ad loc.). Die Idee, dass ein Verliebter ausgezehrt und abgema­ gert sei und zudem vor Liebe »brenne«, ist in der römischen Liebeselegie jedoch fest etabliert; dass die Liebe hier durch Venus’ – eigentlich Amors – Köcher für die Liebespfeile sowie die Fackel, die zu den Attributen der Liebesgöttin gehört, sym­ bolisiert wird, ist ungewöhnlich, passt aber zur Aussage der Stelle: Nicht die Liebe

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Anmerkungen

zu seiner Frau bestimmt das Dasein des Mannes, sondern deren Mitgift (Nadeau 2011 ad loc.). Der Anschluss des folgenden Verses ist unproblematisch, da die Mitgift auch in V. 138 immer noch präsent ist. 142–160  Die Passage über Sertorius, der das Aussehen seiner Bibula liebt, präsentiert ganz unterschiedliche Formen des Umgangs zwischen Mann und Frau: So wird geschildert, wie Sertorius sich von Bibula trennen wird, sobald ihr Gesicht Zeichen des Alters offenbart. Darauf folgt eine Darstellung der Unterwerfung des Mannes unter seine schöne Frau, die sich von ihm reich beschenken lässt. 146–148  Bibulas Rauswurf durch Sertorius lässt die Abläufe bei Scheidungen im alten Rom erkennen. Unter anderem war es üblich, dass der Mann, der sich schei­ den ließ, dies der Frau durch einen Freigelassenen mitteilte. 150 f.  Die Frau verlangt ganze Landgüter für sich: u. a. eine Schafzucht im für seine hervorragende Wolle bekannten Canusium und Weingärten zum Anbau des hochwertigen Falerners, aber auch die Arbeitshäuser, wo verurteilte Sklaven einge­ sperrt waren. 153 f.  An der Porticus Argonautarum befanden sich bildliche Darstellungen des Mythos von Jason (hier wegen des regen Markttreibens als »Kaufmann« bezeichnet) und den Argonauten (hier bloß »bewaffnete Matrosen«). Wenn dort im Dezember Marktstände zum Verkauf von Geschenken für das Saturnalienfest errichtet wurden, waren die mythischen Helden nicht mehr zu sehen und gewissermaßen umzingelt. 156–160  Agrippa II, König von Judäa, wurde eine inzestuöse Beziehung zu seiner Schwester Beronice (oder Berenice) nachgesagt (gestare ist Housmans weithin ak­ zeptierte Konjektur für die Wiederholung von dedit hunc). Die jüdischen Bräuche beim Begehen des Sabbats werden so ungenau wiedergegeben, dass nicht mehr klar zu ermitteln ist, auf welche Rituale hier angespielt wird. Dass Juden kein Schweine­ fleisch essen, war ein Merkmal, das die Römer besonders auffällig fanden. 161–183  Der Gedanke, dass selbst (oder eher: gerade) eine perfekte Frau unerträglich wäre, leitet zum hochmütigen Auftreten vornehmer Frauen aus traditionsreichen Familien über. 162 f.  Traditionsreiche Familien stellten Bilder ihrer Ahnen in ihren Häusern auf. 163 f. Nach dem sagenhaften Raub der Sabinerinnen verhinderten die geraubten Frauen einen Krieg zwischen Rom und den Sabinern. Das Volk der Sabiner galt als besonders sittsam. 167–171 Eine Venustina, also eine einfache Frau (der von Venus abgeleitete Name könnte auf ausschweifende Sexualität hindeuten), wäre dem Sprecher lieber als die berühmte Mutter der (durch ihre Reformversuche berühmten) Gracchen. Ihre Fa­ milie, die Cornelii, war u. a. durch bedeutende Feldherren wie P. Cornelius Scipio berühmt, der 203 v. Chr. das Lager des mit Karthago verbündeten Numiderkönigs



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Syphax niederbrannte und 202 den Karthager Hannibal (vgl. 10.147 ff.) bei Zama schlug. 172–177  Cornelia wird mit der mythologischen Herrscherin Niobe assoziiert, da beide Frauen großen Stolz auf ihre Kinder zeigten. Niobe verhöhnte die Göttin Latona, da diese nur zwei Kinder hatte: Apollo (hier als Paean bezeichnet) und Diana. Diese töteten daraufhin Niobes sieben Söhne und sieben Töchter mit Pfeil und Bogen. Juvenal lässt hier Niobes Ehemann Amphion um Gnade für seine Kin­ der bitten und die Götter schließlich auffordern, doch lieber seine Frau zu töten. Niobes Stolz auf die hohe Zahl ihrer Kinder wird zu dem göttlichen Zeichen der weißen Sau mit 30 Jungen in Beziehung gesetzt, die den Ort anzeigte, an dem Roms Vorgängerstadt Alba Longa gegründet werden sollte. 179–181  Die an philosophische Ausführungen erinnernde Sprache steht im deutlichen Gegensatz zum Inhalt. Der Saft der Aloe-Pflanze hat einen bitteren Ge­ schmack. 184–199  Die bei Frauen verbreitete Mode, sich wie Griechinnen zu geben und griechische Ausdrücke zu verwenden, wird als unerträglich dargestellt. 186 f.  Frauen aus Italien (hier werden die Landschaft Etrurien und Ovids Ge­ burtsstadt Sulmo genannt) wollen wie Griechinnen wirken, also zu Nachfahrinnen des mythologischen athenischen Herrschers Kekrops werden. 188  Der Vers unterbricht den Gedankengang und dürfte somit eine Interpolation sein (vgl. Courtney 1980 ad loc.). Nadeau (2011 ad loc.) hält den Vers für echt und meint, hier werde eine Debatte über die Bedeutung des Unterrichts in der lateini­ schen und griechischen Sprache aufgegriffen und parodiert. Im Schulbetrieb geht es aber primär um die Ausbildung von Knaben und jungen Männern (so auch an den von Nadeau genannten Stellen), der Bezug zum Verhalten der Frauen ist somit nur schwer nachvollziehbar. 195  Im Originaltext steht der Ausruf auf Griechisch. Braund (2004) gibt ihn in ihrer englischen Übersetzung auf Italienisch wieder. Im Deutschen wäre auch eine Wiedergabe auf Englisch – also in einer Modesprache, die in weiten Kreisen ho­ hes Prestige genießt – denkbar. Anstelle der Konjektur ferendis für das überlieferte relictis (zusammenfassend Courtney 1980 ad loc.) wäre auch Nisbets Konjektur loquendis (1988, 96 f.; ~ »Worte, die allenfalls unter der Bettdecke gesprochen werden dürften«) sinnvoll. 196 f. Erotische Sprache wird hier mit manueller Stimulation verglichen. 198 f.  Bei Haemus (vgl. 3.99) und Carpophorus handelt es sich offenbar um Schauspieler; zu deren erotischer Ausstrahlung s. o. zu V. 63–77. 200–230  Die Idee des Heiratens wird konkret wieder aufgegriffen: Wenn man sich in die Ehefrau nicht verliebe, könne man sich die Hochzeit sparen. Wenn doch, dann begebe man sich unter ihre Kontrolle, was ebenfalls gegen das Heiraten spreche.

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Anmerkungen

204 f.  Offenbar ist von Goldmünzen (die in ihrer Prägung Ehrennamen des Kai­ sers Trajan nennen) in einer wertvollen Schale die Rede, welche der Braut als Ge­ schenk übergeben wurden. 209–211 Ribbeck (1865, 171) erklärt die Verse aufgrund ihrer »Geschwätzigkeit« für unecht und sieht in ihnen eine Störung des Gedankengangs (gefolgt von Wat­ son/Watson 2014 ad loc., denen zufolge dem Komparativ longe minus utilis der Ausgangspunkt des Vergleichs fehlt). Der Gedanke, dass die Frau den Mann fi­ nanziell ausnimmt, ist jedoch in der Liebesdichtung, insbesondere der Liebeselegie, fest verankert; das Motiv der »Beute« (spolia) verweist zudem auf das in der Elegie verbreitete Thema der militia amoris (Bellandi 1995 ad loc.). Offenbar sagt die Stelle aus, dass gerade der Mann, der seine Frau liebt und daher ein guter Ehemann sein wird, mit ihr noch weniger anfangen können wird, als der (in V. 200–205 genannte) Mann, der in die Ehe gehen will, ohne verliebt zu sein. Longe minus utilis dürfte so­ wohl die Finanzen des Mannes (~ sie wird seinem Vermögensstand nicht zuträglich sein) als auch die sexuelle Beziehung zwischen den Eheleuten beschreiben: Um ihn finanziell auszunehmen, wird sie ihre Bereitschaft zum Sex »dosieren« und für ihn eben nicht immer utilis sein. Die Verse ergeben somit einen guten Sinn. 215 f. Nach antiker Vorstellung, soll eine Ehefrau die Freunde ihres Mannes schät­ zen, doch hier ist es umgekehrt: Selbst ein alter Freund, der bereits vor seiner Bart­ schur (die für ältere Männer üblich war; vgl. zu V. 105 f.) im Haus verkehrte, soll nun ausgeschlossen werden. 223  Die gleichsam aggressive und dreiste Aussage, mit der die Frau die Hinrich­ tung eines Sklaven ohne weitere Begründung durchsetzt, wurde von Martin Luther in seinem »Sendbrief vom Dolmetschen« (1530) in einem gänzlich anderen Kontext zitiert: Luther verteidigte damit eine Stelle seiner Übersetzung des Neuen Testa­ ments. 225  Dass die Frau sich immer wieder von Männern scheiden lässt und dann neu verheiratet, sorgt dafür, dass ihr Brautschleier abgenutzt wird. 230  Tatsächlich galt es als (wenn auch in der Realität sicher nicht allzu weit ver­ breitetes) Ideal, dass Frauen in ihrem Leben nur einen Mann hatten. Bei einer sol­ chen univira wurde dies nach ihrem Tod auch auf ihrem Grabstein erwähnt. 231–241  Die üble Schwiegermutter gibt ihre Sitten an ihre Tochter weiter und unterstützt sie nach Kräften beim Ehebruch. 236  Die Mutter täuscht Fieber vor, ruft einen berühmten Arzt und stößt die Bett­ decken von sich, um zu zeigen, wie heiß ihr ist. Bei dem nun folgenden »Kranken­ besuch« im Haus der Mutter trifft die Tochter ihren Liebhaber. 242–245 Frauen haben ständig mit Gerichtsverhandlungen zu tun. Sie mischen sich sogar in die Arbeit der Juristen ein.



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244 f.  Frauen verfassen selbst die Dokumente, in denen der Streitfall vorgestellt wird, und geben dem Juristen (A. Cornelius Celsus war ein berühmter Rhetor) dann sogar vor, was er in seiner Rede zu sagen hat (zu dieser Unterscheidung Wat­ son/Watons 2014 ad loc.). 246–267  Frauen begeben sich auch auf weitere Gebiete, die eigentlich Männern vorbehalten waren – und zwar Männern von niedrigem Stand: Sie betreiben Ringkampf und trainieren für Gladiatorenkämpfe. 246 Die endromis war ein Überwurf aus Wolle, mit dem sich Sportler wärmten. Dazu steht die vornehme und teure Purpurfarbe (welche Frauen bei ihren Sportler­ mänteln bevorzugen) im Widerspruch. Ebenso widersprüchlich ist die Verbindung femineum ceroma (»weibliches Ringen«; ceroma bezeichnet eigentlich den Schlamm des Kampfrings). 250 f.  Beim Florafest spielten Prostituierte eine wichtige Rolle (die Verbindung mit dem Begriff matrona wirkt somit widersprüchlich) und traten offenbar auch als Kämpferinnen in der Arena auf; diese Kämpfe wurden wie alle öffentlichen Spie­ le mit einem Trompetensignal eröffnet. Dabei dürfte es sich allein um harmlose Schaukämpfe gehandelt haben. Die hier beschriebene matrona scheint jedoch auf richtige Kämpfe in der Arena aus zu sein. In Einzelfällen kämpften Frauen in der Arena, doch galt dies als unnatürlich. Im Fall einer vornehmen verheirateten Dame wäre es standeswidrig. 254  Hier liegt die verbreitete Vorstellung zu Grunde, dass Frauen beim Sex stär­ kere Lust verspüren als Männer. Juvenal spielt außerdem mit der Ähnlichkeit der Begriffe vires (»Körperkräfte«) und vir (»Mann«). 257  Jeder Typ von Gladiatoren hatte eine festgelegte Bewaffnung und Rüstung und führte seine Zweikämpfe nur mit bestimmten anderen Gladiatorentypen. Die hier beschriebene matrona scheint als murmillo oder samnis aufgetreten zu sein. Falls sie mal eine andere Rolle einnehmen sollte (als Thraex oder hoplomachus), würde sie Schienen tragen, die ihre beiden Beine ganz bedecken und nicht nur den linken Un­ terschenkel. Für den Ehemann wäre die öffentliche Zurschaustellung der Rüstung seiner Frau in jedem Fall sehr peinlich. 264  Bei dem scaphium handelt es sich um ein Nachtgeschirr für Frauen, das also in deutlichem Gegensatz zu der Bewaffnung der matrona steht. 265 f.  Die Familie der Amilii Lepidi hat zahlreiche bedeutende Staatsmänner hervorgebracht; berühmte Persönlichkeiten der römischen Republik sind auch der blinde L. Caecilius Metellus (vgl. zu 3.137–139) und der Konsul Q. Fabius Maximus Gurges. 267 Nicht einmal eine Geliebte oder Ehefrau eines Gladiators (ein solcher ist Asylus) würde sich verhalten wie diese Damen aus vornehmen Familien.

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Anmerkungen

268–285  Frauen leben ihre Streitlust gerade dann aus, wenn sie ihren Mann betrogen haben. Um das zu verschleiern, werfen sie ihm Untreue vor. Selbst wenn sie zweifelsfrei überführt sind, können sie ihr Verhalten noch aggressiv rechtfertigen. 272 Um von ihren eigenen ehebrecherischen Aktivitäten abzulenken, heuchelt sie Entrüstung über angebliche Affären ihres Mannes mit Sklavenjungen oder weibli­ chen Geliebten. 280  Beim Ehebruch ertappt, bittet die Frau M. Fabius Quintilianus, den be­ rühmtesten Rhetor der Zeit, um Unterstützung (vgl. 6.75): color ist ein rhetorischer Fachbegriff und bezeichnet »den äußeren Anstrich«, durch den eine Aussage glaub­ hafter wirken soll. Selbst Quintilian ist in dieser Situation aber überfordert. Der überraschende Auftritt Quintilians in einem erotischen Kontext dürfte von Martial inspiriert sein; vgl. Lorenz (2014, 62–65). 281–284 Nachdem Quintilian keine Argumente geliefert hat, rechtfertigt sich die Frau bei ihrem Ehemann mit eigenen Argumenten. 286–348  Das Fehlen einer Bedrohung durch äußere Feinde sorgt für ein Luxusleben, das die Sitten verkommen lässt. So ergehen sich die Frauen in sexuellen Ausschweifungen, bei denen sie insbesondere gegen die römischen Gottheiten freveln. 289–291 Unter anderem harte Arbeit mit heimischer Wolle und die Bedrohung durch äußere Feinde (hier wird Hannibal genannt, der 212 v. Chr. vor Rom stand; ein Verteidigungsposten befand sich am Collinischen Tor) halten Frauen von Aus­ schweifungen ab. 296 f.  Wie in Satire 3 wird die Idee des moralischen Niedergangs mit dem Ein­ fluss der griechischen Kultur in Verbindung gebracht. Die Einwohner der in Italien gelegenen griechischen Stadt Tarent galten als besonders sittenlos und ausgelassen beim Feiern. 301  Die betrunkene Frau ist bereit zur Fellatio. 303  Wein wurde normalerweise nicht rein, sondern mit Wasser vermischt getrun­ ken. Die Beigabe von Parfüm war nicht unüblich, hier wird jedoch Wein in das Parfum gegeben und nicht umgekehrt (Watson/Watson 2014 ad loc.). 306–308  Die Bedeutung (und Reihenfolge) der Verse ist umstritten (vgl. Watson/ Watson 2014, 283–286). Offenbar geht es um zwei Frauen von Stand, die den Altar der Pudicitia (Sittsamkeit) verhöhnen. Von Maura erfahren wir, dass sie gemeinsam mit einer Frau, die ebenfalls Maura hieß, aufgezogen wurde, und da es üblich war, dass Kinder von Sklaven und Herren gemeinsam aufgezogen wurden, dürfte es sich bei Letzterer um eine Sklavin oder Freigelassene handeln. Diese scheint für die Pra­ xis der Fellatio berüchtigt zu sein, worauf die Erwähnung des gemeinsamen Trin­ kens der Muttermilch (collactea  ~ »Milchschwester«) hinweisen mag. Auch das in dem Nebeneinander von Milch und dem Namen Maura (»die Mohrin«) implizierte Farbspiel könnte von Bedeutung sein. Möglicherweise wird auf konkrete Personen



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angespielt, die Juvenals Zeitgenossen geläufig waren, uns aber unbekannt sind; eine fellatrix namens Maura wird auch in 10.224 genannt. 311  Dass die Frauen sich unter den Augen der Mondgöttin so verhalten, wirkt besonders skandalös (Watson/Watson 2014 ad loc.). Bedenkenswert ist aber auch Hendrys (1995/96, 257) Konjektur nullo teste (~ »ohne dass ein Mann anwesend ist«), die das männliche Verhalten der beiden Frauen hervorhebt, das die Anwe­ senheit von Männern überflüssig macht (dazu passt, dass die Frauen wie Männer urinieren: V. 309 f.) und zudem ein Wortspiel mit testis (»Zeuge«, aber auch »Hode«) enthält (übernommen von Braund 2004). 312 f.  Der Ehemann einer dieser Frauen befindet sich auf dem Weg zur morgend­ lichen Begrüßung seines Patrons (salutatio). 314–317  Die Aussage, dass die geheimen Riten des Bona Dea-Kultes, an denen allein Frauen teilnehmen durften, bekannt sind, ist ein Oxymoron. In Juvenals Darstellung ist der Kult von dem Ausleben sexueller Lust geprägt und wird mit der ekstatischen Verehrung des Weingottes Bacchus (dessen Anhängerinnen waren die Mänaden) und dem Kult des mit einem übergroßen Phallus ausgestatteten Frucht­ barkeitsgottes Priapus assoziiert. 319  Der »alte, reine Wein« dürfte ein Euphemismus für Scheidensekret sein. Braunds (2004) Konjektur meri Veneris ... torrens (»ein Strom reinen Weines der Lust«) macht das Bild klarer, ist aber sprachlich zweifelhaft (vgl. Watson/Watson (2014 ad loc.). 320–322  Bei Saufeia handelt es sich (wie bei Medullina; V. 322) um eine Frau aus der Oberschicht. Selbst professionelle Tänzerinnen, bei denen es sich meist um Pro­ stituierte handelte, übertrifft sie im lasziven Tanz. Es ist denkbar, dass sie den Kranz, den sie offenbar als Leiterin des Bona Dea-Ritus trägt, als Preis im Tanzwettkampf ausgesetzt hat (vgl. Watson/Watson 2014 ad loc.). – Crisare bezeichnet wellenförmi­ ge oder vibrierende Bewegungen des Beckens v. a. beim Geschlechtsverkehr oder erotischen Tanz; vgl. Butrica (2006, 25–30). 325 f.  Der trojanische König Priamus (der Sohn des Laomedon) und der griechi­ sche Feldherr Nestor (vgl. 10.246 f.; 12.128) sind Standardbeispiele für hohes Alter. Der Hodenbruch (zur Bedeutung von hernia s. Watson/Watson 2014 ad loc.), der Nestor hier zugeschrieben wird, wird mit Impotenz assoziiert. 327 Ein stark ausgeprägtes sexuelles Verlangen wird in zahlreichen antiken Quel­ len als typisches Merkmal von Frauen genannt. 328  Wieder soll man wohl an Kulte wie den des Bacchus denken, die traditionell in mit Weinreben geschmückten Grotten oder entsprechend hergerichteten Räu­ men stattfanden. 329  Der gemeinsame rituelle Gesang steht im Gegensatz zum Bona Dea-Kult, von dem Männer ausgeschlossen waren.

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Anmerkungen

329 f. Der iuvenis dürfte der Sohn des adulter sein, könnte aber auch mit diesem identisch sein (vgl. Bellandi 1995 ad loc.). 332  Offenbar galten Wasserlieferanten noch weniger als gewöhnliche Sklaven, da sie mit Prostituierten assoziiert wurden, die sich nach dem Geschlechtsverkehr wa­ schen mussten und daher viel Wasser benötigten (vgl. Watson/Watson 2014 ad loc.). 334  Imponere ist in der Viehzucht der Fachbegriff dafür, dass man ein weibliches Tier durch das männliche decken lässt – eine Wortwahl, die der Situation besonders angemessen ist. 337–341  P. Clodius Pulcher (der berühmte Gegenspieler Ciceros) hatte sich im Jahr 62 v. Chr. verkleidet als psaltria in eine Bona Dea-Feier eingeschlichen. Sein Penis wird hier mit Caesars umfangreicher Schmähschrift gegen Ciceros Lobschrift auf Cato (Anticato) verglichen. 343 f. Numa, der zweite König von Rom, steht hier für die alte, prunklose Aus­ übung der Religion, u. a. mit einfachem Opfergeschirr. Auf dem Vatikanischen Hügel befanden sich Töpferwerkstätten. Diese Utensilien werden hier mit dem 1. Jh. v. Chr. in Verbindung gebracht, in dem das Verhalten des Clodius im Gegensatz zur Gegenwart noch ein Einzelfall war (Watson/Watson 2014 ad loc.). 346–365  Der Sprecher kehrt zu dem Thema »Verschwendungssucht der Frauen« zurück (vgl. V. 149–160). Der Gedanke, dass vornehme und einfache Frauen gleichermaßen von ihrer libido bestimmt seien, leitet über zu verarmten Aristokratinnen, die dennoch bei öffentlichen Auftritten ein prunkvolles Leben zur Schau stellen. 356  Ogulnia sichert sich die Gunst sehr junger (deshalb noch bartloser) Sportler durch Geschenke. Wie die oben erwähnten Schauspieler, Sänger und Gladiatoren sind diese athletae sicher keine standesgemäßen Partner für eine römische Dame. O1–O34  Die in ihrer Echtheit umstrittenen Oxford-Verse (S. 99 f.) berichten Folgendes: Wenn in einem Haus Männer leben, die in gleichgeschlechtlichen Beziehungen den passiven Part einnehmen und sich insgesamt weibisch gerieren, trägt auch dies zum sittlichen Niedergang bei. Selbst in einer Gladiatorenschule geht es anständiger zu. Vor allem sind die angeblich allein an passiven Beziehungen zu anderen Männern interessierten Männer oft tatsächlich die heimlichen Liebhaber der Hausherrin. O2  In mehreren antiken Quellen ist von typischen Handbewegungen passiv ver­ anlagter Männer die Rede (Watson/Watson 2014 ad loc.; vgl. auch 9.133). Man ver­ gleiche das heutzutage als typisch schwule Geste geltende »limp wrist«. O6  Die Bedeutung der griechischen Begriffe ist umstritten; offensichtlich han­ delt es sich um Umschreibungen für Männer, die in Beziehungen zu Männern den passiven Part einnehmen; dazu gehört auch die Bereitschaft zur Fellatio, die durch die Aussage, Trinkgeschirr sei nach Benutzung durch diese Menschen unbrauch­ bar, impliziert wird. Schlüssige Erklärungen bieten Watson/Watson (2014 ad loc.): Reife Kürbisse (colocyntha) werden in antiken Quellen als weich bezeichnet; der



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Begriff dürfte also die Weichheit des cinaedus hervorheben. Die Sprache der cinaedi mag an das Zwitschern der Schwalbe (chelidon) erinnern. Zudem ist chelidon als umgangssprachliches Wort für die Vagina belegt – eine Assoziation, die durch die Erwähnung eines Barts verstärkt werden mag. O8–O13  Der überlieferte Text ist nicht zu halten, und auch die vorgeschlagenen Konjekturen sorgen für keinen gänzlich zufriedenstellenden Sinn. Zu der über­ nommenen Variante psilus ab euhoplo vgl. Watson/Watson (2014 ad loc.): Der erste Begriff bedeutet »glatt« und ist als Begriff für die an den Beinen rasierten pathici passend – zumal das griechische Wort auch einen leicht bewaffneten Kämpfer be­ zeichnen kann. Von diesem werden die besonders männlichen und wohl mit ei­ nem großen Penis »gut ausgestatteten« Gladiatoren abgegrenzt. Ebenso scheinen der Netzkämpfer und ein Kämpfer in der Tunika voneinander getrennt zu werden (allerdings galten gerade die retiarii als leicht bewaffnet, was aber offenbar positi­ ver bewertet wird als die tunica turpis). Auch der Schulterschutz und der pulsator (ebenfalls eine Konjektur) tridens stehen für Typen von Gladiatoren, die hier als hart bzw. weichlich auftretende Personen beschrieben werden. Warum die Gladiatoren in einem Gefängnis gefesselt werden, ist nicht klar. O16 Nicht einmal Prostituierte von niedrigem Rang (die hier genannte Frau be­ dient ihre Kunden nicht etwa in einer Kammer, sondern auf einem Friedhof ), die als Trinkerinnen galten und denen man nachsagte, dass sie Fellatio gewährten, wä­ ren bereit, sich durch das gemeinsam Trinken mit den Kinäden den Mund schmut­ zig zu machen – nicht einmal, wenn es besonders guten Wein gäbe. O20–22  Das weibliche Auftreten (u. a. durch die Verwendung von Schminke und grellen Kleidern) kann täuschen und der vermeintliche passive homosexuelle der Liebhaber der Ehefrau sein. O25 f.  Thais, eine Frauenrolle im Theater (vgl. 3.93), steht für das weibliche Ver­ halten, das der Ehebrecher bislang an den Tag gelegt hat. Dieser wird als Triphallus bezeichnet, er trägt also einen Beinamen des durch seinen riesigen Phallus gekenn­ zeichneten Gottes Priapus. O26–O34  Wer diese Aussagen spricht – der Satiriker, der gehörnte Ehemann? –, ist umstritten; vgl. Watson/Watson (2014 ad loc.). O29  Bei der Untersuchung von Vergehen, die in einem Privathaus geschehen wa­ ren – z. B. von Verstößen gegen die Ehegesetze (vgl. zu 2.29–33) –, wurden üblicher­ weise die Sklaven und Sklavinnen unter Folter befragt. Hier ist an die Sklavinnen der ehebrecherischen Gattin gedacht. O31 f.  Hier wird die Formulierung aus V. 347 f. wiederholt. Falls die Oxford-Verse echt sein sollten, ist wohl dennoch eine dieser beiden Stellen zu streichen. 366–378  Aufgrund ihres weichlichen Wesens, ihres jugendlichen Aussehens und ihrer Zeugungsunfähigkeit, die ungewollte Schwangerschaften unmöglich macht, erfreuen

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Anmerkungen

sich Eunuchen bei den Frauen großer Beliebtheit. Die Kastration hatte den Zweck, das jugendliche Aussehen zu bewahren und insbesondere den Bartwuchs zu verhindern. Eunuchen, die erst nach der Pubertät kastriert wurden, waren geschlechtsreif. 373  Heliodorus ist der Name des Arztes, der die Kastration durchführt. 373A–373B  Die beiden Verse, die ebenfalls allein in der Oxford-Handschrift überliefert sind, beschreiben als Gegensatz das Schicksal von Sklaven, die bereits im Kindesalter kastriert wurden und deren Penis sich nicht vollends entwickeln konnte. 375 f.  Der Eunuch mit dem großen Penis wird als Rivale des Gartengottes Priapus bezeichnet (vgl. zu V. 314–317). 376–378  Wieder wird der heiratswillige Postumus namentlich angesprochen: Noch schlimmer als der Ehebruch der Gattin mit dem Eunuchen wäre es, wenn der von Postumus geliebte Bromius von dem Eunuchen verführt würde. Dessen sexuelle Lust ist offenbar so groß, dass er selbst vor diesem – nicht mehr ganz jungen und somit weniger attraktiven – Jugendlichen Halt machen würde. 379–397  Wie alle Männer, die auf die Bühne gehen, sind auch Musiker für Frauen attraktiv. Hier geht es um Männer, die zu Saiteninstrumenten (Lyra, Kithara) singen. 379 f.  Die Prätoren waren für die Veranstaltung von Spielen zuständig und orga­ nisierten dabei auch die Musiker. Zur fibula vgl. zu V. 73 f. 380–384  Die Frau spielt auf den Instrumenten des Musikers, und wie bei Musi­ kern wohl üblich sollen auffallende Ringe ihrem Spiel zusätzlichen Reiz verleihen (Watson/Watson 2014 ad loc.). Die Formulierungen legen nahe, dass auch an sexu­ elle Handlungen zu denken ist. 385–388  Dass ein Mitglied zweier als besonders hochstehend geltender Familien (der Aelii Lamiae und der Appii Claudii) ein Opfer durchführt, um zu erfahren, ob der geliebte Saitenspieler Pollio beim agon Capitolinus (einem Dichter- und Musi­ kerwettkampf ) gewinnen wird, steht im deutlichen Widerspruch zum römischen Standesdenken. Das Opfertier, aus dessen Eingeweiden die Zukunft vorausgesagt werden sollte, wurde mit Wein und einer Mischung aus Salz und Getreide begossen. Opfer wurden mit verhülltem Haupt gegeben (V. 391). 394 f.  Die Formulierungen lassen an die epikureische Philosophie denken, der zufolge die Götter sich nicht um die Belange der Menschen kümmern und deren Dasein nicht beeinflussen (Watson/Watson 2014 ad loc.). Paradoxerweise haben die Götter nach Aussage des Satirikers deshalb genügend Zeit, sich mit den banalen Wünschen der Frauen zu beschäftigen. 398–412  Frauen sind klatschsüchtig und erzählen Wahres und Falsches aus der Stadt und aus aller Welt. Dabei maßen sie es sich sogar an, in Männerrunden das Wort zu führen.



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398–401  Von einer römischen matrona wurde erwartet, dass sie Männern mit ge­ senktem Blick entgegentrat, sich bei Gesprächen zurückhielt und ihren Ehemann sprechen ließ. Dass die hier dargestellte Frau all das nicht tut, kommt einer Aufgabe ihres Geschlechts gleich; dies wird auch durch das Detail der ausgetrockneten Brust ausgesagt. 413–433  Das Bild der jähzornigen Frau, die ihre Nachbarn von niedrigem Stand hart bestrafen lässt, wenn deren Hund sie geweckt hat, geht über in eine männlich auftretende Frau, die nachts ins Bad geht, dort Sport treibt und ihre Gäste auf das Abendessen warten lässt. 419 f.  Friedlaender (1895, ad loc.) meint, dass hier ein Bad im Privathaus gemeint sein müsse, da es nicht zu beweisen sei, dass Bäder in Rom zu später Stunde ge­ öffnet waren. Das Bild eines Heereszuges aus Badeutensilien und Sklaven, den die Frau nun zu den balnea führt, ist allerdings deutlich wirkungsvoller, wenn es sich um ein öffentliches Bad außerhalb des eigenen Hauses handelt, zumal das Mitfüh­ ren einer großen Anzahl von Sklaven in die Badeanstalten auch die Funktion eines Statussymbols haben konnte. Die Möglichkeit, dort Sport zu treiben und massiert zu werden, sowie das Vorhandensein eines Schwitzbads (falls sie nicht aufgrund des Trainings an den Gewichten schwitzt; vgl. Watson/Watson 2014 ad loc.), spre­ chen ebenfalls für die umfassende Ausstattung eines öffentlichen Bads. Tumultus bezeichnet entweder die Menge an Menschen, die sie begleiten, oder den Lärm, der bei ihrem Besuch im Bad gemacht wird; offenbar nimmt die Frau nicht dieselbe Rücksicht auf schlafende Menschen, die sie für sich einfordert. 426–429  Das Gefäß ist mit einer urna Wein (13,1 Liter, einer Maßeinheit, die im Weinbau gebräuchlich ist) so übervoll, dass es sich gewissermaßen ausdehnt. Ein sextarius entspricht 1/24 einer urna. Die Frau trinkt also noch vor dem Essen mehr als einen Liter vom unverdünnten Wein. Die Praxis, sich vor dem Essen zu übergeben, konnte medizinische Gründe haben, dient hier aber dazu, den Appetit zu anzuregen. 434–456  Frauen maßen es sich an, bei Gesprächen über die Qualität von Dichtung das große Wort zu führen, wobei die tatsächlichen (männlichen!) Experten für Sprache und Literatur regelrecht übertönt werden. Allzu großes Expertenwissen kann sogar dazu führen, dass eine Frau den Sprachgebrauch ihres Mannes korrigiert. 434–437  Die Frau schwadroniert über die Frage, ob dem griechischen Ependich­ ter Homer oder dem Römer Vergil (P. Vergilius Maro) – beide hatten unangefochte­ nen Klassikerstatus inne – der Vorzug zu geben sei. Elissa ist ein von Vergil verwen­ deter Name für die karthagische Herrscherin Dido, die sich aus Kummer darüber, dass Aeneas sie verlassen hatte, das Leben nahm. Dies galt als der mythologische Hintergrund für die andauernde Feindschaft zwischen Rom und Karthago.

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Anmerkungen

443  Hier liegt die Vorstellung zugrunde, dass bei einer Mondfinsternis böse Geis­ ter dem Mond zusetzten, die durch Lärm (insbesondere mit Schlaginstrumenten aus Bronze) vertrieben werden könnten. 445–447 Eine Frau, die sich männliche Bildung anmaßt, sollte nicht so tun, als wäre sie eine normale Frau, sondern sich lieber gleich wie ein Mann verhalten, also die kurze Tunika der Männer tragen, dem Gott Silvanus opfern (was nur Männer durften) und den für Männer üblichen Eintritt in die Badeanstalten zahlen (Frauen zahlten mehr). 449 f. Ein Enthymem ist ein rhetorisches Argument in Form eines unvollständi­ gen Syllogismus. Curvum dürfte hier die gewundene und gerade nicht zielführende Argumentation der Frau bezeichnen (Friedlaender 1895 ad loc.: »das künstlich Ge­ drechselte«), könnte aber auch auf den abschließenden Charakter des enthymema hinweisen (Adamietz 1993: »ein abgerundetes Enthymem«). 452  Watson/Watson (2014 ad loc.) wagen aufgrund der erhaltenen Fragmente die Vermutung, dass die Ars grammatica des Q. Remmius Palaemon (1. Jh. n. Chr.) von »staubtrockener Pedanterie« gekennzeichnet war. 456  Den Einwohnern der Stadt Soloi sagte man nach, dass sie falsches Griechisch sprachen – daher der Begriff Solözismus (soloecismus) für einen sprachlichen Schnit­ zer. Watson/Watson (2014 ad loc.) weisen darauf hin, dass dieser Abschluss der Pas­ sage entlarvend ist: der Sprecher hat v. a. die Sorge, von einer Frau korrigiert zu werden. Dies gilt umso mehr, als Juvenal hier auf Martials obszönes Gedicht 11.19 anspielt, das die Idee des mangelhaften Sprachgebrauchs mit sexuellen Fehlleistun­ gen verbindet: Quaeris, cur nolim te ducere, Galla? Diserta es. / Saepe soloecismum mentula nostra facit (»Du fragst, warum ich dich nicht heiraten will, Galla? Du bist redegewandt. Oft macht mein Schwanz einen sprachlichen Fehler.«). 457–473  Der übermäßige Gebrauch von Schmuck und Kosmetik zeigt abermals die Verschwendungssucht der Frauen. Ohnehin kommt die Schönheitspflege allein den Geliebten zugute und nicht etwa dem Ehemann. 460  Die meisten Herausgeber halten den Vers für einen nachträglich eingefügten Kommentar; zu den Einwänden von Courtney (1980 ad loc.) vgl. Watson (2007, 377 Anm. 8). Das folgende interea (V. 461) kommt allerdings sehr abrupt und muss hier die Zeit, in der die Frau sich vorbereitet, bezeichnen. Möglicherweise ist an der Stelle auch ein Textstück ausgefallen. 462  Die verwendete Creme könnte von Poppaea, der Ehefrau des Kaisers Nero, erfunden oder häufig verwendet worden sein. 464–466  Der Einschub, in dem es darum geht, wie viel besser die Frau mit ihrem Geliebten umgeht als mit ihrem Ehemann, ist an dieser Stelle durchaus sinnvoll und eine Umstellung der Verse (vgl. Ruperti 1803 ad loc., übernommen von Braund



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2004) nicht notwendig. Zur besseren Lesbarkeit erscheint er in der Übersetzung als Klammerbemerkung (vgl. Dimatteo 2016, 115–119). 466  Parfüm aus Indien (dessen Bewohner auch anderswo als mager bezeichnet werden) galt als besonders exotisch. 469 f. Eine weitere Anspielung auf Poppaea (V. 462), die immer 500 Eselinnen mit sich geführt haben soll, um deren Milch zum Baden zur Verfügung zu haben (Plin. NH 11.238). Als comes nahm ein Verbannter normalerweise eine ihm nahe­ stehende Person mit. Der Gedanke, dass sich die Frau von einer Herde Eselinnen zum Nordpol (eigentlich zu Pol des im Norden lebenden Volks der Hyperboreer) begleiten lassen würde, ist absurd. 474–507  Die Launenhaftigkeit der Frau und ihre Neigung zu Zornesausbrüchen müssen vor allem ihre Sklavinnen und Sklaven ertragen, die sie grausam prügeln lässt. Gründe dafür können mangelnde sexuelle Befriedigung oder Eitelkeit sein, die sich auch in übertriebenen Frisuren äußert. 475–478 Ein Grund, die Sklavinnen und Sklaven zu bestrafen, ist, dass der Ehe­ mann lieber schlafen wollte, als seine Frau sexuell zu befriedigen. Ob die libraria für das Abmessen der Wolle zuständig ist oder es sich um eine Sekretärin handelt, ist umstritten. Die cosmetae waren für die Garderobe, den Schmuck und die Frisuren der Herren zuständig; sie legen hier die Tunika ab, um Prügel zu empfangen. Die Funktion des Sklaven aus Liburnia (in Illyrien) wird nicht genannt. 480  Bei einigen Frauen sind die tortores so oft im Einsatz, dass sie nicht für jeden einzelnen Auftrag, sondern gleich für das ganze Jahr bezahlt werden. 482  Offenbar wird ihr das Kleid gerade von einem Händler gebracht (vgl. Wat­ son/Watson 2014 ad loc.). 483  Für das Format der (möglicherweise aufgrund der Verschwendungssucht der Frau sehr umfangreichen) Aufstellung über die häuslichen Kosten, mit denen die Frau sich hier beschäftigt, s. die Darstellung bei Courtney (1980 ad loc.). 486  Die Tyrannen von Sizilien, insbesondere der berüchtigte Phalaris, galten als grausame Herrscher. 487–489  Die Herrin will sich mit ihrem Geliebten treffen. Isistempel werden in mehreren Quellen als Treffpunkt für Liebende genannt. 490 f.  Die wütende Herrin hat ihre Frisiersklavin Psecas an den Haaren gezogen und ihr die Kleidung runtergerissen, damit sie geschlagen werden kann. 494 f.  Der Satiriker spricht die Herrin direkt an und wirft ihr vor, das Mädchen nur deshalb zu bestrafen, weil sie mit ihrem eigenen Aussehen nicht zufrieden ist. 497–501  Was die weitere Sklavin, die hier erwähnt wird, tut, ist nicht vollends klar (vgl. zur Übersetzung Watson/Watson 2014 ad loc.). Ihr Auftritt schafft aber eine Überleitung zum folgenden Bild einer Ratsversammlung, die so hochtrabend

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Anmerkungen

beschrieben wird, als ginge es um bedeutende politische oder militärische Entschei­ dungen und nicht einfach um eine Frisur. 503 f.  Frisuren, die allein vorne hoch aufgetürmt sind, kommen auch bei kaiser­ zeitlichen Büsten vor. Beim Blick von vorn lassen sie den Satiriker an Hektors Ehe­ frau Andromache denken, die als besonders groß galt. 506  Auf der Bühne trugen die Darsteller in Tragödien Kothurne, Stiefel mit ho­ hen Absätzen, die sie größer erscheinen ließen. 508–541  In ihrer Begeisterung für exotische Sekten und verschiedene Formen des Aberglaubens vernachlässigt die Frau ihren Mann. 511–516  Die Verehrung der Göttinnen Bellona (vgl. zu 4.123 f.) und Kybele, der Mutter der Götter (vgl. zu 2.111–116), erfolgte in ekstatischen Ritualen. Insbeson­ dere mit dem Kybelekult wird die Selbstkastration der Priester assoziiert. Watson/ Watson (2014 ad loc.) verstehen mollia genitalia wohl zu Recht proleptisch (~ die abgeschnittenen Genitalien machen den Mann mollis). Die beschriebene Kopfbe­ deckung war mit Bändern unter dem Kinn festgebunden. 517–521  Die Opfer, mit denen die Frau sich u. a. vor dem schädlichen Herbst­ klima schützen soll (Eier und gefärbte Kleider), nutzt der Priester dazu, sich zu bereichern. 522–530  In dem Bestreben sich im Rahmen des Isiskults rituell zu reinigen, geht die Frau zum Eisbaden und kriecht über das Marsfeld, das auf den tyrannischen Kö­ nig Tarquinus Superbus zurückgeführt wurde. Dort bei den Schranken für die Wah­ len zu den Zenturiatskomitien, die auch als ovile (Schafkoppel) bezeichnet wurden, stand der Tempel der Göttin Isis (die mit der in eine weiße Kuh verwandelten Io gleichgesetzt wurde). Ein Isis-Heiligtum befand sich auch im ägyptischen Meroe. 532–534 Einer der in Leinen gewandeten, kahlköpfigen Isis-Priester trägt die Mas­ ke des schakalköpfigen Gottes Anubis, dessen lächelnder Gesichtsausdruck als Spott über die Anhänger der Gottheit gedeutet wird. 535–541  Die Bewegung eines Schlangenkopfs wird als Zeichen für den Zorn des ägyptischen Gottes Osiris über den Bruch eines Keuschheitsgebots gedeutet. Mit einer entsprechenden Zahlung lässt sich dies aber beheben; zur Textgestalt vgl. Courtney (1980 ad loc.). 542–591  Das Bedürfnis der Frauen aller sozialer Schichten, durch verschiedene Formen der Wahrsagerei (Traumdeutung, Eingeweideschau, Astrologie, Vogelschau, Handlesen) zu erfahren, was die Zukunft bringen wird, macht ein Zusammenleben mit ihnen unmöglich. 542–545  Die Frau pflegt Umgang mit einer jüdischen Bettlerin und Wahrsagerin. In mit Stroh gefüllten Körben hielten Juden offenbar das Essen warm, wenn am Sabbat nicht gekocht werden durfte. Mit dem hier erwähnten »Baum« ist wohl die Menora, der siebenarmige Leuchter, gemeint.



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550  Die Eingeweideschauer stammen aus dem Orient, aus Persien und Syrien. 552  Für die mörderische Eingeweideschau wird der Eingeweideschauer selbst sei­ ne Auftraggeberin bei den Behörden denunzieren und dafür eine Belohnung kas­ sieren. 553–555  Die Babylonier (Chaldaeer) waren als Astrologen berühmt. Das Orakel des Ammon in Libyen wird hier als bedeutender dargestellt als das vernachlässigte Orakel von Delphi, das für die Römer während der späten Republik und der frühen Kaiserzeit in der Tat eine eher geringe Rolle gespielt zu haben scheint. 558 f.  Offenbar geht es um einen Astrologen, dessen Horoskop Otho im Vierkai­ serjahr 69 n. Chr. dazu veranlasste, den zum Kaiser ausgerufenen Galba umbringen zu lassen und selbst den Thron zu besteigen (vgl. 2.99–103). Die Verse sind in ihrer Aussage nicht schlüssig und stören den Gedankengang der Passage. 561  Zu den sprachlichen und inhaltlichen Problemen, die der Vers verursacht, s. zusammenfassend Watson/Watson (2014 ad loc.). 563 f.  Dass der hier beschriebene Astrologe gerade noch der Hinrichtung entkam und auf die Kykladeninsel Seriphos verbannt wurde, steigert das Vertrauen in seine Kunst. Ob die ironisch klingende Formulierung in V. 564 (»dem es gelang, endlich ohne das kleine Seripho auszukommen«) den korrekten Text wiedergibt, ist um­ stritten. 565–568  Die Frau des hier angesprochenen Postumus wird als eine Tanaquil be­ zeichnet, da die Frau des römischen Königs Tarquinius Priscus für ihre Fähigkeit berühmt war, Vogelzeichen zu deuten. Für die »Tanaquil« des Postumus ist allein wichtig, wann ihr Mann und ihre übrigen Verwandten sterben werden. 573 f.  Die Frau, die selbst in der Sternenkunde bewandert ist, hat immer ihre Lis­ ten mit den Konstellationen in der Hand – so wie viele Frauen Bernstein in der Hand hielten, da dessen Duft geschätzt wurde. 576  Thrasyllus war ein Astrologe aus der Zeit des Kaisers Tiberius, der u. a. da­ durch Berühmtheit erlangte, dass er die Stunde seines eigenen Todes vorausgesagt haben soll. 581  Petosiris (4. Jh. v. Chr.) galt als einer der Begründer der Astrologie. 582–584 Eine weitere – preisgünstige – Art, die Zukunft zu erfahren: Im circus boten bei Wagenrennen (daher die Erwähnung der Zielpfosten) Wahrsager ihre Dienste an. Das Ziehen von Losen und schmatzende Geräusche mit den Lippen waren Teil der dort praktizierten Rituale. 585–587  Als die besten Wahrsager werden diejenigen beschrieben, die tatsächlich aus Phrygien stammen (und nicht nur deren Rituale imitieren) und die offiziell mit Blitzeinschlägen befasst waren. Da Blitzschlag als schlechtes Omen galt, musste alles, was vom Blitz getroffen worden war, vergraben werden.

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Anmerkungen

588  Der »Wall« war eine aufgeschüttete Stadtmauer, die zum Spazierengehen ge­ nutzt wurde und auf der verschiedene Schausteller – und auch Wahrsager – dem einfachen Volk ihre Dienste anboten. 589 f.  Holzgerüste und die mit Delphinen geschmückten Zielsäulen befanden sich im Circus Maximus. Die Frau, die dort ihre Zukunft erfahren möchte, gehört trotz der Erwähnung der Goldkette offenbar ebenfalls zur Unterschicht. 592–609  Einfache Frauen sind immerhin bereit, Kinder zu bekommen. Eine vornehme Dame treibt lieber ab (damit nicht deutlich wird, dass ihr Kind ohnehin nicht von ihrem Mann stammt) und kommt dem Wunsch des Mannes nach einem Erben allenfalls durch die Aufnahme eines Findelkinds nach. 592 f.  Im Gegensatz zu Damen der Oberschicht können es sich arme Frauen nicht leisten, ihre Kinder von einer Amme stillen zu lassen. 596  Tatsächlich waren Verhütung und Abtreibung (wie auch das Aussetzen von Kindern; vgl. das Folgende) legal, auch wenn umstritten ist, wie wirksam die ver­ wendeten Verhütungsmittel waren (vgl. zusammenfassend Watson/Watson 2014 ad loc.). 597–600  Wenn der Mann seiner Frau nicht bei der Abtreibung hilft, könnte ein Kind aus einer Liaison mit einem Sklaven sein Erbe werden. 601  Die Begegnung mit einem Schwarzen – insbesondere beim Verlassen des Hauses am Morgen – wurde als böses Omen gedeutet. 602–605  Der vornehme Ehemann wünscht sich einen Erben, doch seine »Freu­ den und Wünsche« erfüllt die Frau nur scheinbar, indem sie sich aus den Bedürf­ nisanstalten (wo häufig ungewollte Kinder ausgesetzt wurden) ein Baby holt. So können Menschen von niedrigster Herkunft die Ämter hoher Priester (pontifices) und Salierpriester (salii) bekleiden, die der Oberschicht vorbehalten waren, und Mitglieder angesehener Familie wie der Scauri werden. 608  Zu den komischen Unterhaltungsstücken des Mimus vgl. V. 42–44. 610–626  Frauen setzen Liebeszauber ein, um die Kontrolle über ihren Mann zu erlangen. Dabei kann dieser vollkommen verrückt werden – und im Falle eines Herrschers hat das katastrophale Folgen für die Allgemeinheit. 612  Die Verwirrung des Mannes äußert sich darin, dass er es zulässt, dass seine Frau Gewalt gegen ihn anwendet – und das auch noch so, wie man ein Kind be­ straft. 614A–C  Sowohl aufgrund der Überlieferung als auch des Inhalts ist klar, dass diese Verse nicht hierhergehören. Sie handeln von den Danaiden, denen die ewige Strafe auferlegt ist, mit lecken Krügen bzw. in ein leckes Fass Wasser zu schöpfen. Von welchem König in 614C die Rede ist, der zu dem Tyrannen Phalaris gemacht worden sein soll, ist unklar. Diese sonderbare Formulierung kann auch Nadeau (2011 ad loc.) nicht erklären, der für die Echtheit der Verse eintritt. Zudem irritiert



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es, dass ein von seiner Frau mit einem Liebenstrank in den Wahnsinn getriebener Mann mit den Danaiden assoziiert wird (offenbar deutet Nadeau das Wasserschöp­ fen als vergebliche Versuche, die Frau sexuell zu befriedigen), die in dieser Satire noch in einem ganz anderem, näher liegenden Zusammenhang genannt werden (vgl. V. 655). 615 f. Das hippomanes (Fohlenbrot) ist ein Geschwulst auf der Stirn neugebore­ ner Fohlen, das als Aphrodisiakum galt. Caesonia soll ihren Mann Kaiser Caligula (Neros Onkel) durch die Verabreichung des hippomanes in den Wahnsinn getrieben haben. 618  Von der Herrschaft des Kaisers Caligula heißt es in mehreren antiken Quel­ len, sie habe die Welt ins Chaos gestürzt. Hier wird dies auf die Machenschaften seine Ehefrau zurückgeführt. 620–623  Im Gegensatz zu dem Chaos, das der Wahnsinn des Caligula über die Welt gebracht hat, wird die Vergiftung des Kaisers Claudius mit einem Pilzgericht durch seine Ehefrau Agrippina (vgl. 5.147) als Kavaliersdelikt dargestellt. Wie in Senecas satirischer Schrift Apocolocyntosis wird spöttisch auf das Zittern des Clau­ dius hingewiesen und seine Vergöttlichung zur Farce gemacht (»in den Himmel hinabsteigen«). 624 f.  Wieder geht es um den Liebestrank, der Caligula in den Wahnsinn trieb. 627–661  In ihrer Geldgier schrecken Frauen nicht davor zurück, ihre Stiefkinder und sogar ihre leiblichen Kinder oder auch ihre Ehemänner umzubringen. 629 Nach dem Tod des Vaters befinden sich die als Erben ins Testament eingetra­ genen Kinder in besonderer Gefahr, von der Stiefmutter – oder auch der leiblichen Mutter (vgl. V. 632 f.) – ermordet zu werden. Vos quoque ist eine Konjektur von Duff (1898 ad loc.) für Vos ego. Duff verweist auf das ebenfalls überlieferte Vos equo, »which perhaps points to quoque as the true reading«. 633 Der paedagogus war ein Sklave, der die Knaben zur Schule begleitete und auch sonst mit ihrer Erziehung betraut war. Hier wird er mit dem kindlichen Kosenamen papas bezeichnet, der einerseits zeigt, dass von kleinen Kindern die Rede ist, und zudem eine enge Verbindung zwischen dem Kind und dem Erzieher andeutet – und das mit Bezug auf eine Situation, in der das Kind die Getränke vorkosten lassen sollte, um einem Giftanschlag zu entgehen. 634–637  Voller Ironie behauptet der Satiriker, dass all dies nur Fiktion sei, wie sie in der Literatur nun einmal vorkomme. Dabei wird die Darstellung grausamer Morde innerhalb der Familie als Überschreitung der Grenzen der Gattung Satire und Anmaßung der Gattung Tragödie (hier vertreten durch den Tragiker Sopho­ kles) bezeichnet. Eine solche Kreuzung von Tragödie und Satire (tatsächlich der einzigen genuin römischen Gattung – vgl. S. 22) ist in den Landschaften Italiens unbekannt.

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Anmerkungen

638–640  Das Geständnis der berüchtigten Kindsmörderin Pontia erweckt den Eindruck, dass sie auf ihre Taten stolz ist. 643 f.  Der Satiriker nennt mythologische Kindermörderinnen, die auch in Tragö­ dien beschreiben werden: Medea aus Kolchis rächt sich an ihrem untreuen Mann Jason, indem sie die gemeinsamen Kinder umbringt. Prokne tötet ihren Sohn Itys und setzt ihn ihrem Mann Thereus zum Essen vor, da Thereus ihre Schwester Phi­ lomela vergewaltigt hat. Durch die grausame Realität – so heißt es – erlangten auch diese mythologischen Geschichten Glaubwürdigkeit. 653 f.  Alkestis ging für ihren Mann Admetus, den König von Thessalien, in den Tod – ein berühmter Stoff, die hier offenbar auf der Bühne dargeboten wird. 655–657  Zum Abschluss der Satire lässt Juvenal noch eine Reihe mythologischer Gattenmörderinnen auftreten: Die Enkelinnen des Belus (bzw. Töchter des Danaus, die Danaiden; vgl. V. 614A–B) töteten ihre Männer in der Hochzeitsnacht und wur­ den mit der Strafe des ewigen Wasserschöpfens in der Unterwelt belegt. Weil sie mit einer goldenen Kette bestochen worden war, überredete Eriphyle ihren Ehemann Amphiaraus zur Teilnahme am Zug der Sieben gegen Theben, wobei dieser umkam. Klytaimnestra (die Tochter des Tyndareus) ermordete ihren Gatten Agamemnon, als dieser aus dem Trojanischen Krieg heimkehrte. 660 f.  Das potenzielle Mordopfer seiner Frau wird im Anschluss an das vorange­ hende exemplum als Agamemnon (Sohn des Atreus) bezeichnet. Gleichzeitig wird auf (den von den Römern dreimal besiegten) Mithridates, den König von Pontus, angespielt, der sich durch das Einnehmen von Gift in kleinen Dosen gegen Giftan­ schläge immunisiert haben soll.

Satire 7 1–21  Der Kaiser als oberster Patron, der den Literaten Hoffnung verleiht 22–35  Die Sinnlosigkeit, sich um einen anderen Patron zu bemühen als den Kaiser 36–97  Die mangelnde Unterstützung der Patrone und die entwürdigende Situation der Dichter 98–104  Die Situation der Geschichtsschreiber 105–149  Die Situation der Redner 150–214  Die Situation der Redelehrer 215–243  Die Situation der Grammatici V. 1–21  Die Literaten verarmen und müssen sich unwürdigen Tätigkeiten hingeben, doch der Kaiser wird ihnen als oberster Patron zu Hilfe eilen.



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3–5  In ihrer Not gehen die Literaten lukrativen Tätigkeiten mit geringem Anse­ hen nach. Gabii ist ein Provinzort. 6 f.  Auch Klio, die Muse der Geschichtsschreibung, verlässt den Musenberg He­ likon (mit der Quelle Aganippe) und zieht die Profession einer Auktionatorin vor. Offenbar liegt hier eine Anspielung auf die Erwähnung Klios im Prolog zu den Aitia des Kallimachos sowie auf eine ebenfalls von Kallimachos beeinflusste For­ mulierung Ovids (Ars. 1.27 f.) vor (Hardie 1990, 164. 200; Stramaglia 2008 ad loc.). 9 Es fällt tatsächlich schwer, den Namen des Auktionators Machaera (»Messer«) zu schätzen: Dieser verweist auf die sectio, die Verteilung und Versteigerung von konfiszierten Gütern, eine verrufene Handlung (Ferguson 1979 ad loc.). 12  Bei der Auktion werden auch literarische Werke verkauft. Offenbar handelt es sich um mythologische Tragödien zweier sonst unbekannter Dichter. Es ist bemer­ kenswert, dass die Tragödie, die am Ende der sechsten Satire noch als die Gattung bezeichnet wurde, welche die Wahrheit wiedergibt, hier als wertlose Literatur er­ scheint, die gemeinsam mit allem möglichen Ramsch versteigert wird. Große Werke mit mythologischem Inhalt werden ähnlich abfällig dargestellt wie am Beginn von Satire 1. 13 f. Man könnte auch mit bezahlten Meineiden sein Geld verdienen. 14–16  In den Ritterstand (zu den equites Romani) gelangte man durch Besitz ei­ nes gewissen Vermögens. Die equites Asiani sind ehemalige Sklaven aus Kleinasien, die zu Geld gekommen sind. Ihr Knöchel zeigt noch Spuren von Fußfesseln. V. 15 dürfte unter dem Einfluss von Martials Epigramm 10.76, wo es um die Armut eines römischen Dichters geht und ein Cappadocis eques catastis (»Ritter vom kap­ padokischen Sklavenmarkt«, V. 3) erwähnt wird, eingefügt worden sein (vgl. zudem Courtney 1980 ad loc.). 18 f.  Dichtung und ihre musikalische Gestaltung gelten als eine Kunstform. Der dem Apoll heilige Lorbeer wird mit der Inspiration der Dichter assoziiert. 20 f.  Der Kaiser ist auf der Suche nach jungen Talenten, deren – sicher mit sei­ ner Huldigung befasste – Dichtung er für sich in Anspruch nehmen möchte; vgl. Wiesen (1973, 469). 22–35 Auf die Unterstützung durch andere Patrone als den Kaiser darf man nicht hoffen. Wer das tut und weiterhin dichtet, gibt sich einer vollkommen sinnlosen Tätigkeit hin. 24 f.  Der Satiriker fordert den sonst unbekannten Dichter Telesinus auf, sein Werk dem Feuergott Vulcanus (dem Ehemann der Venus) zu übergeben, es also zu verbrennen. In Juvenals ironischer Darstellung scheint Vulcanus die Rolle des Patrons zu einzunehmen, dem das neue Buch zum Geschenk gemacht wird, ohne dass dieser etwas dafür zurückgibt (Rudd 1976, 92).

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Anmerkungen

29  Von bedeutenden Dichtern wurden in Bibliotheken Büsten aufgestellt, die mit einer Efeukrone bekränzt werden konnten. Die Büste des von seiner Not gezeichne­ ten Telesinus könnte aber nur dürr aussehen. 32  Dem Pfau, dem heiligen Vogel der Juno, geht es ähnlich wie den Literaten, die keine materielle Unterstützung erhalten. Von den Kindern dazu animiert, schlägt er sein Rad und zeigt seine prächtigen Federn – Futter bekommt er dafür jedoch nicht (vgl. Ov. Ars 1.627). 33  In jungen Jahren kann man seinen Lebensunterhalt noch durch Handel zur See, Militärdienst (oder als Gladiator) oder Ackerbau bestreiten. 35  Terpsichore, die Muse des Tanzes, steht im Gegensatz zur Situation des alten Dichters, der mit der jugendlichen, erotischen Welt des Tanzes nichts mehr zu tun hat. Verstärkt wird dieser Gedanke durch die Benennung des mittellosen Alten mit nuda senectus (wörtlich: »nacktes Greisenalter«); vgl. Wiesen (1973, 472 f.). 36–97 Die Unterstützung der Dichter durch ihre Patrone ist so mager, dass sie ein erbärmliches und entwürdigendes Leben führen. 36–39  Der Dichter pflegt nicht mehr die »wahre« Dichtung, sondern verehrt ei­ nen Patron mit Lobgedichten (Stramaglia 2008 ad loc.). Doch dieser entbindet sich von der Pflicht, den armen Dichter zu unterstützen, indem er selbst Verse schreibt. Dabei räumt er allein Homer wegen des hohen Alters seiner Dichtung den Vorrang ein. 42  Das Haus wirkt so abweisend wie eine Stadt, die sich gegen angreifende Fein­ de schützen muss. Möglicherweise gibt aber die Konjektur von Jessen (1889, 322 f., übernommen von Braund 2004) den korrekten Text wieder: sollicitas porcas – die Tür quietscht wie aufgescheuchte Schweine. 43 f.  Dem Dichter werden Claqueure zur Verfügung gestellt, die sich im Raum verteilen und ihm besonders lauten Beifall spenden. 45–47  Der Patron (hier »König« genannt; vgl. 5.14) kommt nicht für die teu­ re Ausstattung des Raums auf: Vorne befinden sich die Ehrenplätze für Senatoren (orchestra mit gemieteten Sesseln), dahinter die Sitzreihen für Ritter (subsellia) und dahinter aufsteigende Sitzreihen auf einem extra dafür angemieteten Balkengerüst. 48 f.  Das Umpflügen des Sandes gilt sprichwörtlich als sinnlose Tätigkeit. 53–55  Die Darstellung des Dichters, der feinsinnige Dichtung für ein ausgewähl­ tes Publikum schreibt, ist von den Idealen des Kallimachus beeinflusst. Zudem wird das Dichten mit Bildern aus der Münzprägung beschrieben: Erz aus einer Metall­ ader (vena) wird bearbeitet (deducere) und dann mit einem Münzstempel (moneta) geprägt (ferire). 59 f.  Der ideale Dichter zieht sich in die Natur zurück und trinkt aus dem Musen­ quell. Aoniden und Pieriden sind Bezeichnungen für die Musen. Der Thyrsusstab



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war ein Zeichen des Gottes Bacchus und wurde ebenfalls mit der Inspiration der Dichter assoziiert. 62  Den Jubelruf der Anhänger des Bacchus lesen wir bei Horaz in Ode 2.19.5 und 7. Juvenal spielt hier auf eine Stelle an, an der Horaz die Rolle des wahrsagenden Dichters einnimmt, was einen komischen Kontrast zu der Vorstellung vom satten Dichter schafft; vgl. Rudd (1976, 97). 64  Die u. a. für die Inspiration der Dichter zuständigen Götter Apollo und Bac­ chus herrschen über Kirrha bzw. Nysa. 66–71 Nur ein Dichter, der frei von materiellen Sorgen ist, kann große Schlach­ ten beschreiben wie z. B. Vergil, der auch von der Begegnung der Furie (Erinye) Allecto mit dem Rutuler Turnus berichtet (Aen. 7.445 ff.). Ohne Unterstützung würden jedoch selbst Vergil keine großartigen Darstellungen – u. a. die der Furien mit ihren Schlangenhaaren – gelingen. Anders als Courtney (1980 ad loc.) gehe ich davon aus, dass die Erwähnung des puer (»Knabe«, »Sklave«) konkret auf den von Vergil geliebten Alexis bezogen ist. Offenbar greift Juvenal hier einen Scherz Mar­ tials auf, der den Knaben in komischer Verzerrung als die eigentliche Inspiration des Epikers darstellt: Erst die Schönheit des Alexis habe Vergil dazu veranlasst, seine großen Werke zu verfassen (Mart. 8.55.12–16). 72 f. Um seine Tragödie über den mythologischen König Atreus schreiben zu kön­ nen, macht der sonst unbekannte Rubrenus Lappa seinen Hausrat zu Geld; mit den früheren Vertretern der Gattung (hier als »Tragödienstiefel«, cothurnus, bezeichnet) kann er aufgrund seiner angespannten Lage trotzdem nicht mithalten. 77  Dass der Löwe, den sich der reiche (aber gegenüber den Klienten geizige) Nu­ mitor leistet, bereits gezähmt ist, macht ihn noch teurer. 79 f. Ebenso wie bei Lucan, dem Verfasser des Bürgerkriegsepos Pharsalia, handelt es sich bei Serranus und Saleius um Epiker, die aber im Gegensatz zu Lucan kein großes Familienvermögen besaßen. Wenn es heißt, dass Lucan in seinem Marmor­ park ruht, dann mag das eine ironisch übersteigerte Beschreibung des hortus sein, in dem es wegen all der Marmorstatuen keinen Platz mehr für Pflanzen gibt (Ferguson 1979 ad loc.). Gleichzeitig mag die Idee eines Grabmals evoziert werden, in dem Lucan sich zur Ruhe gelegt hat (Ronnick 1996). 82–87  Selbst der berühmte Dichter Statius muss ein noch nicht aufgeführtes (intactam, eigentlich: »unberührtes«) Bühnenstück dem reichen freigelassenen Schau­ spieler Paris (vgl. zu 6.87) verkaufen, um etwas zu Essen zu haben. Die Terminie­ rung der Lesung aus seinem Epos Thebais wird dargestellt wie die Verabredung zu einem erotischen Treffen unter Geliebten, und der Verkauf der Agave an Paris wie die Übergabe eines Mädchens an einen Zuhälter. Insgesamt entsteht der Eindruck, dass sich Statius bei der Verbreitung seiner Dichtung prosituiert (Anderson 1960, 254).

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Anmerkungen

88 f. Um in den Ritterstand aufgenommen zu werden (und den Goldring des Ritters tragen zu dürfen), musste man sechs Monate als Tribun gedient haben. Der einflussreiche Freigelassene Paris kann die Ehrung auch ohne diese Voraussetzung verleihen. 90–92  Vertreter der Oberschicht wie die Familie der Camerini und Barea (vgl. zu 3.116) können weniger ausrichten als einfache Bühnenstücke über mythologische Figuren wie Pelopea und Philomela. 93  Für die sprachlichen und inhaltlichen Argumente zur Streichung des Verses s. Courtney (1980 ad loc.). 94 f.  Der Satiriker zählt bedeutende Förderer der Dichter aus früheren Zeiten auf. 97  Der beharrlich an seinen Werken arbeitende Dichter ist blass, weil er nicht aus dem Haus kommt, und feiert nicht einmal bei den ausgelassenen und weinseligen Saturnalien mit. 98–104 Auch die Geschichtsschreiber verarmen – und das, obwohl ihre Werke doch so umfangreich sind. 105–149 Auch Gerichtsredner werden nicht einmal dann reich, wenn sie erfolgreiche Prozesse führen. Allein Anwälte, die aus vornehmen und reichen Familien stammen, werden geachtet und entlohnt. 105-107  Auf den Einwand, die Literaten seien arbeitsscheu, werden die ebenfalls wenig lukrativen Tätigkeiten der Redner genannt, von denen die Gesellschaft doch profitiere. 108–110 Möglicherweise soll die Großsprecherei der Anwälte zum einen ihre ei­ genen Gläubiger beruhigen (V. 108) und zum anderen potenzielle Klienten dazu bewegen, ihnen die Führung wichtiger Prozesse zu übertragen, in denen von Men­ schen, deren Zahlungsfähigkeit in Zweifel gezogen wird (ad dubium nomen), Schul­ den eingetrieben werden sollen (V. 109). Ebenso ist denkbar, dass auch in V. 109 die Aktionen eines Gläubigers beschrieben werden; vgl. zusammenfassend Stramaglia (2007 ad loc.). 112  Das Spucken auf die Brust (oder »in den Gewandbausch« – so Adamietz 1993) könnte einfach ein Zeichen dafür sein, dass die Anwälte unkontrolliert zu viel re­ den. Wahrscheinlicher ist aber, dass es um eine abergläubische Handlung geht, die den Zorn der Rachegöttin über die Großtuerei abwenden soll (Courtney 1980 ad loc.). 114  C. Annius Lacerta, dessen Besitz das Vermögen der Anwälte hier gegenüber­ gestellt wird, war ein Wagenlenker im populären Rennstall der »Roten« (d. h. der in rote Trikots gekleideten Fahrer). 115–117  Der Anwalt, der sich dafür einsetzen will, dass die Freilassung seines Kli­ enten rechtskräftig wird, wird mit dem griechischen Helden Ajax verglichen, der sich im Streit um die Waffen des Achill nicht gegen Odysseus durchsetzen kann.



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Juvenal spielt hier im Besonderen auf Ovids Darstellung des Waffenstreits in den Metamorphosen an (13.1 ff.), wo ebenfalls von Ajax’ Blässe die Rede ist (13.74) und der Krieger bekennt, dass ihm im Gegensatz zu Odysseus das Reden weniger liege als das Kämpfen (13.9–12). Der Allerweltsprozess unter der Leitung inkompetenter Richter wird also mit einem bedeutenden mythologischen Streit verglichen und der Anwalt mit dem unterlegenen Ajax; vgl. Braund (1988, 217 Anm. 111). 117  Die Leber als Sitz der Emotionen wird bei einer leidenschaftlichen Rede be­ sonders beansprucht. 118  In Prozessen siegreiche Anwälte wurden mit Palmenzweigen geehrt, die an der Tür ihres Hauses angebracht wurden. Dier hier genannte Anwalt lebt jedoch in einer Mietwohnung, sodass die Zweige an der Treppe angebracht werden. 119  Der Schinken ist vertrocknet und klein. Das möglicherweise von Juvenal selbst geprägte Diminutiv »wirkt im Gegensatz zur beachtlichen Länge des Wor­ tes besonders desillusionierend nach der hochpathetischen Apposition in Vers 118« (Schmitz 2000, 84 f.). 121  Wein, der aus dem Norden flussabwärts nach Rom kam, war eher von minde­ rer Qualität, und zudem erhält der Anwalt auch nur eine geringe Menge (Stramaglia 2008 ad loc.; anders Courtney 1980 ad loc.: »The quantity does not compensate for the lack of quality.«). 124 f.  Der Anwalt beklagt sich, dass ein gewisser Aemilius für seine Prozesse die maximale gesetzlich erlaubte Entlohnung erhält. Dies liegt jedoch daran, dass Ae­ milius aus einer bedeutenden Familie stammt, die bereits militärische Triumphe in Rom gefeiert hat. 126–128  Die meisten Kommentatoren lesen die umstrittene Stelle so, dass das Reiterstandbild des Aemilius in schlechtem Zustand ist, seine Lanze bereits verbo­ gen (V. 127: curvatum hastile) und ein Auge ausgefallen. Das Partizip curvatum dürf­ te allerdings adverbial verwendet sein und die Haltung des Reiters beschreiben (vgl. Killeen 1969), der offenbar eine Ausholbewegung vollzieht. Somit vermittelt die Beschreibung ein heroisches Bild, bevor die Aussage, das die Statue nur ein Auge hat – offenbar ist dem Standbild ein eingesetztes Auge ausgefallen –, die hochtrabende Darstellung ironisiert – zumal so impliziert wird, dass auch der Redner Aemilius keinen klaren Durchblick hat; vgl. Stramaglia (2008 ad loc.). 129–134  Das Vorzeigen von Statussymbolen (das wohl Klienten anlocken soll; vgl. zu V. 108–110) treibt auch weitere Redner in den Ruin (zu Matho [V. 129] vgl. 1.32, 11.34). Tongilius nimmt ins Bad eine teure Ölflasche mit und erscheint dort mit großem Gefolge, das er offenbar auf der Straße eingesammelt hat (deshalb sind diese Menschen so ungepflegt). Bei seinen Einkaufszügen bezahlt er nicht in Bar, sondern erlangt durch seine feine, ausländische Kleidung Kreditwürdigkeit. Der Begriff stlattaria bezeichnet ein Schiff, möglicherweise ein Piratenschiff; es könnte

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Anmerkungen

sich bei dem Gewand des Tongilius also um Schmuggelware handeln; vgl. Strama­ glia (2008 ad loc.). 135 f.  So wie die purpurfarbenen Kleider dem Redner Kreditwürdigkeit verleihen, so helfen die amethystfarbenen (eine Variante der Purpurfarbe) Kleider bei der An­ werbung von Klienten. Aufgrund der inhaltlichen Wiederholung und weil der Vers nicht in allen Handschriften überliefert wird, halten ihn mehrere Herausgeber für unecht (vgl. die Argumente bei Stramaglia 2008 ad loc.). Courtney (1980 ad loc., übernommen von Braund 2004) meint, dass der Gedankengang schlüssiger ist, wenn V. 134 hinter 137 gestellt wird. 146–149  Die armen Redner bekommen vor Gericht keine Aufmerksamkeit (V. 147). Sie treten ohnehin nicht in aufsehenerregenden Prozessen auf, in denen etwa die weinende Mutter eines Angeklagten vor Gericht erscheint. Wenn sie für ihre Tätigkeit einen angemessenen Lohn fordern wollen, können sie das allenfalls in der Provinz tun. 150–214 Obwohl die Rhetoren die wichtige Aufgabe haben, die Kinder vornehmer Familien auszubilden, erfahren sie keine Anerkennung: Sie müssen sich mit unfähigen Schülern abquälen und erhalten dafür allenfalls einen Hungerlohn, der ihnen mitunter sogar verweigert wird. Die einzige Ausnahme ist der reiche Quintilian. 150 f.  Die Schüler des sonst unbekannten Redelehrers Vettius müssen Deklama­ tionen zum Thema »Tyrannenmord« – eine typische Schulübung – halten. Wenn einer nach dem anderen seine unzureichende Rede vorträgt, muss der Lehrer nach Meinung des Satirikers vollkommen gefühllos sein (ferrea pectora), um das ertragen zu können. 152 f.  Die Schüler lesen den Text erst für sich selbst, dann tragen sie ihn vor und memorieren ihn dann offenbar durch Abschreiben und Sprechen; vgl. Stramaglia (2008 ad loc.). 159 f. Ein Herz, der Sitz geistiger Fähigkeiten, gibt es nach Meinung des Lehrers bei dem Teenager nicht. Diesen bezeichnet er als Bewohner der Landschaft Arkadi­ en, um den ländlichen Geist seines Schülers hervorzuheben. 161–164  Zu den Schulübungen gehören beratende Reden (suasoriae). Hier ver­ sucht sich der Schüler daran, den karthagischen Feldherrn Hannibal (vgl. 10.147 ff.) in der Frage, ob er nach seinem Sieg bei Cannae (216 v. Chr.) auch Rom angreifen soll, zu beraten. 168  Die Rhetoren lassen die Arbeit mit Schulübungen (wie z. B. juristischen Fäl­ len über Vergewaltigung) ruhen, um ihr Honorar vor Gericht einzuklagen (vgl. Stramaglia 2008 ad loc.). Mit dieser Deutung ergibt die folgende Aufforderung, den Beruf zu wechseln (V. 171 f.), einen besseren Sinn, als wenn man annimmt, dass hier beschrieben wird, wie sie die Position des Redelehrers aufgeben, um in echten Gerichtsprozessen ihr Geld zu verdienen (so z. B. Adamietz 1993 ad loc.); dies stünde



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zu den vorausgehenden Schilderungen über die Ertraglosigkeit der Profession der causidici im Widerspruch. 169 f.  Weitere Themen für rhetorische Übungen werden aufgezählt: Giftmord in der Familie, die Rechtmäßigkeit von Eheschließungen und (möglicherweise) über Prozesse, die geführt werden, da Unklarheit herrscht, ob es sich bei eigens hergestell­ ten Heilmitteln nicht tatsächlich um Gift handelt. 171–175  Angesichts der Beschreibungen des Satirikers kann man sich nur ent­ scheiden, die Tätigkeit eines Rhetors an den Nagel zu hängen (das Holzschwert erhielten Gladiatoren bei der Entlassung aus dem Kampf ): Wenn er sich aus den schattigen Schulräumen ins Tageslicht hervorwagt und öffentlich vor Gericht um sein Honorar kämpft (vgl. zu V. 168), bekommt er dafür allenfalls den Wert einer Marke, die zum Kauf von verbilligtem Getreide berechtigte. 175–177  Die großen Geldsummen, welche die Musiker Chrysogonus (vgl. 6.74) und Pollio (6.387) für ihren Unterricht erhalten, machen umso deutlicher, dass die (doch eigentlich als höherwertig geltende) Redekunst, die hier durch das Lehrbuch des berühmten Rhetors Theodorus repräsentiert wird, nichts wert ist. 178 f.  Der mangelnden Bezahlung der Redelehrer wird die prunkvolle Ausstat­ tung der Wohnsitze reicher Bürger gegenübergestellt, die sich private Bäder und Säulengänge für Spazierfahrten bei schlechtem Wetter leisten. 181  Die Echtheit des Verses ist umstritten. Stramaglia (2008 ad loc.) weist aller­ dings darauf hin, dass die Erwähnung des Maultiers den Eindruck von Luxus ver­ stärkt, da Maultiere als besonders teuer galten. Der Vers trägt also durchaus etwas zur Darstellung bei. 182 f.  Der Speisesaal ist von den Architekten so geplant, dass auch im Winter Sonne hineinfällt. 186  Der bedeutendste römische Redelehrer Quintilian (vgl. 6.75, 6.280) steht hier (obwohl er tatsächlich sehr wohlhabend war; vgl. das Folgende) für die Profession der unterbezahlten Rhetoren. 190–194  Ausgehend von der Vorstellung, dass Quintlians Schicksal (vgl. den in der stoischen Philosophie zentralen Begriff fatum) die Ausnahme sei, welche die Regel bestätigt, wird dieser mit deutlicher Ironie wie ein stoischer Weiser dargestellt, der alle positiven Eigenschaften aufweist. Aufgrund der problematischen Syntax deuten mehrere Herausgeber V. 192 oder auch die zweite Hälfte und V. 192 und den Beginn von 192 (sapiens et ... adpositam) als später ergänzte Kommentare. Einfacher ist jedoch die Lösung von Stramaglia (2008 ad loc.), der V. 192 als eine Klammerbe­ merkung interpungiert und als sarkastischen Kommentar zu dem Begriff generosus (»wohlgeboren«) versteht: Der Rhetor befestige nun erst das Mondamulett – das Zeichen der Zugehörigkeit zu den Patriziern – an seinem Schuh, er wird also als Emporkömmling abqualifiziert. Für diese Deutung spricht auch die Behandlung

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Anmerkungen

des Themas »sozialer Aufstieg« in V. 194–201. Die negative Haltung des Satirikers mag daher rühren, dass Quintilian v. a. durch Zuwendungen des Kaisers Domitian zu Wohlstand gelangte (vgl. Anderson 1961, 6–8). 197 f.  Quintilian wurden von Kaiser Domitian für seine Leistungen die ornamenta consularia verliehen, er führte also ehrenhalber den Titel eines Konsuls. 199–201  P. Ventidius Bassus ist ein Beispiel für einen Mann, der es vom Kriegs­ gefangenen über eine Tätigkeit als Maultiertreiber bis zum Konsul geschafft hat. Als Höhepunkt seiner Karriere feierte er 38 v. Chr. einen Triumph über die Parther (vgl. V. 201). Die Mutter des römischen Königs Servius Tullius soll gar eine Sklavin gewesen sein. 203–205  Der Satiriker nennt zwei bedeutende Rhetoren, die durch Selbstmord gestorben sein sollen. Der Römer Secundus Carrinas starb offenbar in der Verban­ nung in Athen. 210–212  Als einer der Schüler aus alter Zeit, die noch Respekt vor dem Lehrer hatten (wie vor dem Vater; vgl. V. 209) wird Achill genannt, der von dem Kentauren Chiron (einem Mischwesen aus Pferd und Mensch, daher der Schweif ) im Kitha­ raspiel unterrichtet wurde. 213 f.  Den offenbar aus Gallien stammenden Rhetor Rufus verspotten seine Schü­ ler als einen Cicero aus dem Stamm der dort ansässigen Allobroger und verprügeln ihn sogar (wie es auch vielen anderen Rhetoren widerfährt). 215–243 Grammatici unterrichten in den Schulen, deren Besuch der Ausbildung beim Rhetor vorausgeht. Auch die Vertreter dieser Profession werden allein unzureichend entlohnt und sehen sich zudem mit den überzogenen Ansprüchen der Eltern sowie dem skandalösen Benehmen ihrer Schüler konfrontiert. 215  Die Geldbeutel (eigentlich »Gewandbausch«, in dem auch das Geld transpor­ tiert wurde) des uns sonst unbekannten Celadus und des berühmten Palaemon, der u. a. der Lehrer Quintilians war, werden ebenfalls nicht angemessen gefüllt. 218 f.  Sowohl der Sklave, der dem Vermögen seines Herren das Geld für den Leh­ rer entnimmt (dispensator), als auch der, welcher auf dem Weg zur Schule auf den Jungen aufpasst (paedagogus), bedienen sich zunächst vom Lohn des Grammaticus, bevor dieser seine Bezahlung erhält. 222  Auch wenn der Unterricht in Rom sehr früh begann, ist ein Schulbeginn um Mitternacht eine Übertreibung. 227  Durch die Öllampen der Schüler sind die Bücher oder auch die Büsten des Horaz (Q. Horatius Flaccus) und Vergil (P. Vergilius Maro) bereits rußgeschwärzt. 228 f.  Wie die Redelehrer (vgl. zu V. 168) müssen auch die Grammatici die Zah­ lung ihres Honorars vor Gericht einklagen. Welche Rolle der Tribun dabei spielt, ist unklar.



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229  Der Satiriker spricht eine ironische Aufforderung an die Eltern aus, die Leh­ rer ruhig weiterhin mit überzogenen Ansprüchen zu belasten und sie dann nicht einmal angemessen zu bezahlen. 233–235  Selbst in seiner Freizeit (Phoebus ist der Betreiber einer privaten Badean­ stalt) muss der Lehrer sein literarisches Wissen unter Beweis stellen; hier geht es um Spezialwissen zu Vergils Aeneis, doch selbst die genaue Kenntnis des Werks genügt nicht zur Beantwortung aller Fragen: Die Namen der Amme von Aeneas’ Vater Anchises (Tisiphone) und von der Stiefmutter des Anchemolus (Casperia), eines Gefolgsmanns des Turnus, werden in der Aeneis nicht genannt. Zu dem greisen Acestes und seinem Weingeschenk vgl. Aen. 1.195 f. sowie 5.73. 239 f.  Der folgende Hinweis auf die Hände der Schüler (V. 241) macht deutlich, dass der Lehrer die Jungen davon abhalten soll, sich gegenseitig zu masturbieren. 243  Wenn das Volk mit einem siegreichen Gladiator zufrieden war, konnte es für ihn eine höhere Bezahlung fordern, und das bieten die Eltern hier dem Grammati­ cus vollmundig an (Clarke 1973). Allerdings bekommt ein Gladiator diese Summe für einen einzigen Sieg, für den Grammaticus ist es ein Jahresgehalt.

Satire 8 1–38 Schändliches Verhalten bei Menschen von edler Abstammung 39–55 Das schlimme Beispiel des Rubellius Blandus im Vergleich mit Plebejern, die Großes geleistet haben 56–70 Das Beispiel der Tiere, die nur durch eigene Leistungen Anerkennung er­ halten 71–145 Die Verpflichtung des Adligen zur anständigen Verwaltung seiner Provinz 146–182 Der pflichtvergessene Konsul Lateranus 183–210 Adlige auf der Theaterbühne und als Kämpfer in der Arena 211–230 Kaiser Nero als schlimmstes Beispiel für einen verkommenen nobilis 231–268 Beispiele für nichtadlige Römer, die sich um den Staat verdient gemacht haben 269–275 Abschließender Blick auf die Herkunft aller Römer aus einem Volk von Hirten und Verbrechern V. 1–38 Nur wenige Adlige offenbaren echte Tugend. Stattdessen verhalten sich Mitglieder bedeutender Familien mit langer Tradition häufig sittenwidrig. Dies steht im Widerspruch zu dem großen Namen, den sie tragen.

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Anmerkungen

1–9  Sämtliche Namen gehören zu alten, bedeutenden Adelsgeschlechtern. Die hier beschriebenen Abbilder (Gemälde, Statuen) der Vorfahren, mit denen man den Stolz auf seine Abkunft ausdrückte, sind allerdings aufgrund ihres hohen Alters be­ schädigt. Die Stelle ist textkritisch umstritten (vgl. Courtney 1980 ad loc.; Freeman 1984, 348–350). Als Beginn von V. 7 ist Corvinum, posthac überliefert (allerdings ist der Vers nicht in allen Handschriften enthalten), und die Wiederholung von Corvinum dürfte auf eine fehlerhafte Überlieferung zurückzuführen sein. Zudem hat Anstoß erregt, dass die in der gesamten Passage genannten Namen verschiedene gentes bezeichnen, die nicht in den Verzweigungen ein und desselben Stammbaums vorkommen können (Ribbeck 1865, 95–98), und dass verschiedene Medien der Ahnenverehrung vermischt werden (Statuen, vom Ruß des Atriums geschwärz­ te Büsten, ein mit gemalten Darstellungen versehener Stammbaum). Durch die Streichung von V. 6–8 (die zahlreiche Herausgeber vornehmen) gäbe es zwar mehr »Klarheit und Präcision«, wie Ribbeck sie sich wünscht, aber eine Häufung von – mitunter widersprüchlichen – Details ist bei Juvenal keine Seltenheit. Harrisons bei Braund (2004) wiedergegebene Konjektur censorem posse ac stellt gegenüber den früheren Vorschlägen eine Verbesserung dar; vgl. die Erklärungen von Uden (2014, 122 f. mit Anm. 7). 9 f. Es wird der Eindruck erweckt, dass die Abbilder der berühmten Vorfahren ihrem Nachkommen bei seinem üblen Treiben zusehen müssen. 13 f.  Die Familie der Fabier führte ihre Abkunft auf Herkules zurück, den sie an der ara maxima verehrte. Insbesondere wird auf den Sieg des Q. Fabius Maximus (cos. 121 v. Chr.) über die Allobroger hingewiesen. 14–18  Dem aus der Art geschlagenen Nachkommen der Fabier werden passive homosexuelle Neigungen (daher die Verweichlichung, die an die berühmte Wolle aus dem Volk der Euganeer denken lässt), damit verbunden übermäßige Körper­ pflege (Bimsstein, der u. a. in Catina gewonnen wurde, diente zum Glätten der Haut) und (versuchter?) Giftmord vorgeworfen. 21  Der Satiriker nennt die Namen bedeutender Persönlichkeiten, die viel für den Staat geleistet haben. 22 f.  Offenbar liegt hier die Vorstellung zugrunde, dass die (erhofften) guten Sit­ ten des Adressaten wie tatsächliche Abbildungen vor den Ahnenbildern im Atrium aufgestellt werden und diese buchstäblich in den Schatten stellen oder dass sie beim öffentlichen Auftritt des Konsuls den als Zeichen der Amtsgewalt mitgeführten Ru­ tenbündeln vorausgehen; vgl. Gnilka (2007, 111 f.). 26 f.  Sein anständiges Wesen kann den Adressaten gewissermaßen zum Mitglied einer bedeutenden Familie machen; zu einer möglichen familiären Verbindung der beiden Namen durch Adoption vgl. Courtney (1980 ad loc.).



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29 f.  Im ägyptischen Kult um die Gottheiten Isis und Osiris wurde die Erinne­ rung an die Auffindung des ermordeten Osiris festlich begangen, wobei Jubelschreie ausgestoßen wurden. Die Entdeckung eines anständigen Adligen entspricht also der Wiederkehr einer verstorbenen Gottheit (Courtney 1980 ad loc.). 32–34  Vor allem Sklaven, die besondere körperliche Merkmale hatten, wurden mitunter Namen gegeben, die im Widerspruch zu ihrem Äußeren standen: Hier sind es die Namen des Titans Atlas, der den Himmel trägt, des in einen Schwan verwandelten Cygnus und der wegen ihrer Schönheit von Jupiter geraubten Kö­ nigstochter Europa. Der Gegensatz zwischen tatsächlichen Eigenschaften und dem Namen entspricht dem zwischen der Bedeutung bestimmter Familien und dem unangemessenen Verhalten ihrer Mitglieder; vgl. Dimatteo (2011a). 35  Die Hunde sind so träge, dass sie nicht einmal auf die Suche nach Wasser ge­ hen, sondern Öllampen, die im Haushalt herumstehen, trockenlecken. 38  Wieder werden Namen bedeutender Familien stellvertretend für die Zugehö­ rigkeit zum Adel genannt. Braun (2000, 266; vgl. Courtney 1980 ad loc.) weist darauf hin, dass »der Beiname Creticus einerseits dem Q. Caecilius Metellus als unbestreitbarer Ehrentitel, andererseits dem M. Antonius als Spottname verliehen wurde. Das eine dient als Vorbild, das andere als Warnung für Ponticus.« 39–55 Als ein Exemplum für einen nobilis, der sich nicht durch eigene Leistungen Anerkennung verschafft, wird der von den Familien des Kaiserhauses abstammende Rubellius Blandus angesprochen. Zunächst werden ihm Beispiele für tüchtige Männer von niedrigem Stand gegenübergestellt. 39 f. Rubellius Blandus könnte ein Bruder des Rubellius Plautus gewesen sein, der 62 n. Chr. von Nero hingerichtet wurde. Er wäre dann ein historisches Beispiel und würde den Familien des Kaisers Tiberius und des Drusus angehören. Angesichts der Tatsache, dass dieser Rubellius Blandus sonst unbekannt ist, und die Angaben zu seiner Herkunft widersprüchlich sind, besteht aber auch die Möglichkeit, dass es sich um eine fiktive Person handelt oder dass Juvenals Schilderung zumindest fikti­ onale Elemente enthält (vgl. zu dieser Diskussion zusammenfassend Dimatteo 2014 ad loc.). Henderson (1997, 92 f.) weist darauf hin, dass es sich um einen sprechenden Namen handeln könnte: Rubellius (von ruber »rot«): »der Errötende«; Blandus: »der Schmeichler«. 42  Die Mutter des Rubellius Blandus gehört der gens Iulia an, die sich bis auf den Trojaflüchtling Aeneas und dessen Sohn Iulus zurückführte. Rubellius verhält sich so, als wäre diese Abkunft sein Verdienst. 43  Der »Wall«, eine aufgeschüttete Stadtmauer ist so hoch, dass dort starker Wind weht. Dort befanden sich offenbar Textilfabriken. 45 Kinder von Sklaven hatten offiziell keine Väter und somit auch kein Vaterland, aus dem sie stammten.

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Anmerkungen

46 Rubellius reklamiert für sich eine Abstammung von dem athenischen König Kekrops, also eine sehr edle und äußert weit zurückreichende Ahnenreihe. 47–52  Der Satiriker konfrontiert Rubellius mit Beispielen für Plebejer, die her­ vorragende Eigenschaften besitzen: einem Redner, einem Rechtsgelehrten und ei­ nem Militär. 51  Der Fluss Euphrat und das Volk der Bataver stehen für die äußersten Grenzen des römischen Reichs. 53 Eine Herme (ursprünglich eine Darstellung des Gottes Hermes) war ein Stein­ block, der den Kopf, die Schultern und den Phallus einer Person zeigte. Das Adjek­ tiv truncus (»verstümmelt«) hebt den Umstand hervor, dass die Herme keine Arme hat (anders Braund 2004 ad loc., die vermutet, dass der Herme die Nase und der Phallus fehlen). 56–70 Anders als Rubellius können Tiere sich nicht selbst loben und sich dadurch um Anerkennung bemühen, sondern sie gelten nur dann als edel, wenn sie etwas geleistet haben. Dies wird anhand von berühmten und weniger erfolgreichen Rennpferden illustriert. 56 Rubellius wird als Nachfahre des trojanischen Königs Teukros angesprochen; vgl. zu V. 42. 62 f.  Coryphaeus und Hirpinus waren berühmte Rennpferde. Ihre Nachkommen achtet jedoch niemand, wenn sie selbst nicht genügend Rennen gewinnen (also gewissermaßen die Siegesgöttin Victoria sich nicht oft genug auf ihrem Gespann niedergelassen hat). 67  Das Adjektiv segnipes (eigentlich »mit langsamem Fuß«) imitiert auf humor­ volle Weise die Beiworte der epischen Helden. Mühlsteine wurden normalerweise von Eseln bewegt, Pferde setzte man dafür nur ein, wenn sie zu nichts anderem zu gebrauchen waren. 70  Wenn Rubellius Ehrenämter erhalten hat, dann nur wegen der Verdienste sei­ ner Vorfahren. So sieht der Satiriker diese als die eigentlichen Empfänger der Ehren. 71–145 Der Satiriker spricht wieder Ponticus an und fordert ihn auf, seinen Adel durch eigene Leistungen zu bestätigen. Dies soll insbesondere bei der Verwaltung einer ihm als Statthalter übertragenen Provinz geschehen: Die Ausbeutung einer Provinz widerspricht den Ansprüchen einer edlen Familie – vor allem, wenn es sich um wehrhafte und somit gefährliche Provinzbewohner handelt. 78 f.  Das einstürzende Haus und der Weinstock, der nicht von einem Baum ge­ stützt wird, sind Bilder für den brüchigen Ruhm, der nicht auf eigenen Leistungen beruht. 81  Phalaris, ein Tyrann auf Sizilien, erlangte dadurch Berühmtheit, dass er Men­ schen in einem Stier aus Bronze rösten ließ.



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84 Moralische Integrität wird als Begründung dafür dargestellt, dass man über­ haupt lebt. 85 f.  Der Wechsel von der Anrede an Ponticus zu der allgemeinen Aussage dar­ über, wer es verdient hat zu leben, kommt überraschend, sodass Brown (1972) das Verspaar zur Streichung vorgeschlagen hat (bzw. es für möglich hält, dass vorher ein Vers ausgefallen ist). Allerdings lässt sich die Aussage auch als Kommentar auf das Vorangehende lesen: Wer die wahren moralischen Gründe für das Leben eingebüßt und nun den Luxus zum zentralen Lebensinhalt gemacht hat, ist bereits tot; vgl. Dimatteo (2014 ad loc.). Der Gaurus ist ein Berg am Lukriner See, dessen Austern berühmt waren. Cosmus ist ein bekannter Parfümhersteller. 89  Die Verwaltung der Provinzen diente den Statthaltern nicht selten zur persön­ lichen Bereicherung, was die Provinzbewohner (die unterworfenen Völker wurden von den Römern als »Bundesgenossen« bezeichnet) in Armut stürzte. Ponticus wird zu einem fairen Umgang mit den ihm anvertrauten Menschen aufgerufen. 93 f.  Cossutianus Capito wurde 57 n. Chr. für die Ausbeutung seiner Provinz Kilikien verurteilt. Sein Komplize Tutor (auch weitere Namen sind an der Stelle überliefert, vgl. Dimatteo 2014 ad loc.) kann nicht eindeutig identifiziert werden. Die Bezeichnung der beiden als piratae ist paradox, waren doch gerade die Kilikier als Piraten berüchtigt. 95 f.  Folgende Szene wird unter Verwendung wohl fiktiver Namen dargestellt: Chaerippus ist ein Provinzbewohner, der zunächst von dem Statthalter Natta ausge­ beutet wurde und nun seine letzte Habe versteigern lassen soll, damit nicht Nattas Nachfolger Pansa ihm diese auch noch nimmt. 97 Bei naulum ist wohl an das Geld zu denken, dass der Fährmann Charon für das Übersetzen in die Unterwelt bekam – dem verarmten Charippus bliebe nicht einmal genug zum angemessenen Sterben. Denkbar ist aber auch, dass eine Fahrt nach Rom gemeint ist, wo Chaerippus gegen seine Ausbeutung prozessieren könnte. 102–104 Genannt werden die Namen der bedeutendsten bildenden Künstler. Die Qualität eines Kunstwerks wurde häufig nach der Fähigkeit, die Realität exakt abzu­ bilden, bewertet, daher ist es ein gängiges Lob für Kunstwerke, dass die dargestellten Personen »lebten« (vivebat). 105  Der Vers ist unmetrisch, konnte bislang aber nicht überzeugend emendiert werden (vgl. für eine Übersicht über die Vorschläge Dimatteo 2014 ad loc.). Ge­ nannt werden die Namen räuberischer Statthalter; zu Verres vgl. 3.53. 106 f.  Dass die Beutestücke nicht öffentlich vorgeführt werden, was üblich war, sondern im Verborgenen bleiben, verdeutlicht das kriminelle Vorgehen der Ver­ walter. Auch die Tatsache, dass es in Friedenszeiten Triumphe gibt (V. 107; die verknappte Formulierung lautet wörtlich: »sie brachten mehr Triumphe über den Frieden [als über im Krieg besiegte Völker] mit«), ist ein Paradox.

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Anmerkungen

109 f. Nach der Beschlagnahmung von Feld und Vieh (mit pater armenti dürfte ein Zuchthengst oder -stier gemeint sein) werden auch die wertvolleren Statuen der Hausgötter geraubt. 111 f.  Der Text ist umstritten und zahlreiche Herausgeber erklären die beiden Verse (oder auch den Einschub haec ... haec maxima) für unecht. Trotz einiger Be­ denken wird hier die von Dimatteo (2014 ad loc.; vgl. ders. 2011b) vorgeschlagene Konjektur haec rapientur wiedergegeben. 114–117  Während verweichlichte Stämme, bei denen sich die jungen Männer die Beine enthaaren (wörtlich: sich mit Harz eingeschmiert haben, was der Enthaarung diente), ungefährlich sind, muss man sich vor Provinzen mit kriegerischen Völkern in Acht nehmen und sollte gerade diese nicht ausbeuten. 117–120  Das Ausbeuten der Provinz Africa, wäre nicht nur unmoralisch, weil die­ se Provinz Rom mit Getreide versorgt, sondern auch wenig ergiebig, da bereits der Verwalter Marius Priscus sich ausgiebig bereichert hat, wofür er 100 n. Chr. auch verurteilt wurde; vgl. 1.49. 123 f. Es besteht immer die Gefahr eines bewaffneten Aufstands in der Provinz. Ei­ nige Herausgeber streichen V. 124 aufgrund der als tautologisch bewerteten Aufzäh­ lung der Waffen; zu der Diskussion vgl. zusammenfassend Dimatteo (2014 ad loc.). 125 Die sententia ist ein »Denkspruch«, der ein rhetorisches Argument zusam­ menfassend auf den Punkt bringt. 126  Die Verkündigungen der wahrsagende Sibylle wurden auf Palmenblättern niedergeschrieben. 128 Eine unbescholtene Amtsführung wäre nicht möglich, wenn der auch mit der Rechtsprechung betraute Verwalter von einem attraktiven langhaarigen Knaben (dieser wird hier durch das epische Beiwort des jugendlichen Apoll beschrieben) in seinen Urteilen gesteuert wird. 130  Die Vorstellung von der Frau des Verwalters, die sich selbst unrechtmäßig an der Provinz bereichert, wird durch den Vergleich mit der Harpyie Celaeno, einem räuberischen mythologischen Mischwesen aus Mensch und Vogel, verdeutlicht. 131–133  Zur Verdeutlichung, wie weit der Stammbaum zurückreichen kann, wer­ den Figuren der Mythologie genannt: Picus, der Sohn des Saturn, war ein früher italischer König. Der Kampf mit den Olympiern besiegelte das Ende des früheren Göttergeschlechts der Titanen. Der Titan Prometheus wird hier als Schöpfer der Menschheit genannt. 134  Der Vers wird aus inhaltlichen und sprachlichen Gründen von den meisten Herausgebern gestrichen; vgl. Dimatteo (2014 ad loc.). 136 f.  Die Liktoren lassen auch die vom Verwalter verhängten Urteile vollstrecken: Prügelstrafen und Enthauptungen.



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142–144  Hier geht es offenbar darum, dass die Echtheit eines Testaments durch ein Siegel und einen Schwur in einem Tempel bestätigt wird; zur Interpunktion s. Dimatteo (2014 ad loc.). 145  Bei der santonischen Kapuze handelt es sich um ein gallisches Kleidungs­ stück. Eine ähnliche Verhüllung trägt die Kaiserin Messalina in 6.118, wenn sie sich nachts heimlich prostituiert. 146–182 Als weiteres Beispiel wird der Konsul Lateranus beschrieben, der sich ebenfalls standeswidrig verhält und seinen Pflichten nicht nachkommt. Ob Juvenals Lateranus mit einer historischen Persönlichkeit aus der Regierungszeit Neros (vgl. zu V. 170) identifiziert werden kann, ist umstritten. 146  Die Straßen, die aus der Hauptstadt herausführten, verliefen entlang von Gräbern. 147 f.  Als Konsul wäre es für Lateranus angemessen, sich fahren zu lassen. 155–157  Solange Lateranus das Amt des Konsuls bekleidet, vollzieht er gemäß den Regeln des als Religionsstifters geltenden Königs Numa Pompilius (vgl. 6.343) öffentliche Opfer am Jupiteraltar. Dabei begeht er jedoch den Frevel, bei Epona, der gallischen Göttin der Zugtiere und der Maultiertreiber, zu schwören. Abbilder dieser Göttin gab es in Viehställen. 158  Der Vers wurde von Duff (1898 ad loc.) schlüssig erklärt: Das Verb instaurare bedeutet sowohl »ein Ritual wiederholen« als auch »feiern«. Der Leser, der damit rechnet, dass es nun um die Wiederholung des fehlerhaften Opferrituals (V. 157) geht und als letztes Wort im Vers etwa Latinas erwarten könnte, wird durch popinas überrascht: Tatsächlich geht es um das Feiern in einer Kneipe. 159–162  Der Wirt ist ein syrischer Jude, dessen übermäßiger Parfümgebrauch ihn als verweichlichten Mann ausweist. Aufgrund der zahlreichen Juden, die in der Nähe der Porta Capena wohnten (vgl. 3.11–15), wurde diese auch »Tor von Idumaea« (Judäa) genannt. Cyane arbeitet in der Schankstube und trägt dazu praktische Klei­ dung. Die Interpunktion der textkritisch umstrittenen Stelle folgt einem Vorschlag von Eden (1985, 348). Die von mehreren Herausgebern vorgenommene Streichung von V. 160 ist nicht notwendig. 168  In unmittelbarer Nähe von Thermen fanden sich häufig Bars, vor denen zu Werbezwecken beschriftete Tücher hingen. 169 f.  Hier ist an Euphrat und Tigris gedacht, die ebenso wie Rhein und Donau Reichsgrenzen bilden (vgl. für eine ähnliche Vorstellung V. 51). 170–172  Voller Ironie ruft der Satiriker Kaiser Nero – der hier als Adressat gut passt, da er ja selbst als ein Beispiel für Pflichtvergessenheit und standeswidriges Verhalten galt – dazu auf, Lateranus als Statthalter (legatus Augusti pro praetore) in eine Provinz zu schicken. Eine Seereise begann in Roms Hafenstadt Ostia.

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Anmerkungen

176  Dass die Priester der phrygischen Gottheit Kybele Kastraten waren, trug zu ihrem zweifelhaften Ruf bei. Die kultische Verehrung der Göttin war von lautem Getrommel begleitet, doch betäubt vom Alkohol, lässt der gallus die Trommeln schweigen. 180  Die Entsendung in ein Arbeitshaus auf dem Land (etwa in Lukanien oder Etrurien) war eine schwere Strafe für Sklaven. 182  Wieder werden die Namen besonders bedeutender, traditionsreicher Familien stellvertretend für den gesamten Adel genannt. 183–210 Obwohl dies keineswegs dem Ansehen ihres Standes angemessen ist, treten einige Adlige auf Theaterbühnen als Schauspieler auf – und das auch noch in den einfachen, humorvollen Stücken der Gattung Mimus. Einige vornehme Männer finden sogar Gefallen daran, als Gladiatoren in der Arena zu kämpfen. 185 f.  Der verarmte Adlige Damasippus verdingt sich als Darsteller in den Mimen des Catullus (wohl Mitte 1. Jh. n. Chr.). Wenn in dessen Stück Phasma (»Das Ge­ spenst«) die Titelfigur auf die Bühne kommt, gibt es großes Geschrei. 187 f.  Bei der Darstellung von Catullus’ (V. 185) Figur Laureolus, einem Räuber, der schließlich gekreuzigt wurde, erweist sich der vornehme Lentulus als flink; gleichzeitig schafft das Adjektiv velox in Verbindung mit dem Namen Lentulus (vgl. lentus, »langsam«) ein Oxymoron (Courtney 1980 ad loc.). Juvenal greift hier offen­ bar ein Gedicht Martials auf, in dem es um eine Aufführung des Laureolus in der Arena geht: Martial zeigt sich begeistert, dass dabei – offenbar musste ein verur­ teilter Verbrecher die Titelrolle einnehmen – ein echtes Kreuz verwendet, also eine echte Kreuzigung vollzogen wurde (Sp. 7.4: non falsa pendens in cruce Laureolus); vgl. Lorenz (2002, 72). 191 f.  Bei den Mimen, deren Schauspieler im Gegensatz zu Darstellern in der Ko­ mödie oder Tragödie oft barfuß auftraten, ging es wild zu (V. 192) – und das auch dann, wenn Mitglieder vornehmer Familien wie der Fabii oder Mamerci auftraten. 192–194  Auch wenn sprachliche Zweifel bleiben, dürfte Folgendes gemeint sein: Die Adligen treten ohne jeden Zwang (wie ihn etwa Kaiser Nero ausgeübt haben soll) im Theater auf. Dies führt zum Untergang (funus) ihres Ansehens – und das selbst bei öffentlichen Spielen in Rom, die von den Prätoren veranstaltet wurden, nicht etwa bei unbedeutenden Provinzaufführungen (Courtney 1980 ad loc.). Zu­ dem dürfte das Adjektiv celsus nicht nur auf den höher gelegenen Sitzplatz des Prä­ tors bei den Veranstaltungen verweisen, sondern auch auf dessen moralische Integ­ rität, zu der das Verhalten der Adligen im Gegensatz steht (Dimatteo 2014 ad loc.). 195–197  Thymele war eine bekannte Mimendarstellerin, die offenbar häufig in erotischen Stücken zu sehen war (vgl. 6.66), Corinthus dürfte eine Knallcharge sein. Diese Gesellschaft wird als schlimmer dargestellt als ein gewaltsamer Tod.



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198  Von Nero heißt es, dass er mit einer Kithara vor Publikum auftrat. Dabei hatten Musiker und Sänger einen zweifelhaften Ruf (vgl. 6.76 f.). 200 f.  Aus den Typen von Gladiatoren hat sich der bereits in der zweiten Satire be­ schriebene Salierpriester Gracchus (vgl. 2.117–126. 143–148) für seine Kämpfe nicht den Murmillo, den »Verfolger« (secutor, mit seinem Schild) oder den Thraex (mit einem Sichelschwert) ausgesucht, die alle ihr Gesicht unter einem Helm verbergen. Er tritt als Netzkämpfer (retiarius) mit Dreizack (V. 203) auf und ist somit klar zu erkennen (V. 206), was seine Schande natürlich erhöht. Bei der Aussage in V. 202b– 203a dürfte es sich um eine spätere Interpolation handeln, mit der das Vergehen des Gracchus genauer erklärt werden soll. 207 f.  Die Sinn der umstrittenen Stelle (vgl. das Referat der Diskussion bei Di­ matteo 2014 ad loc.) ist wohl folgender: Die Zuschauer können kaum glauben, dass der vornehme Salierpriester Gracchus (vgl. 2.125 f.) in der Arena auftritt, doch auf­ grund der Insignien seines Priesteramts, die er auch als Netzkämpfer trägt, kann es keinen Zweifel geben: Gracchus trägt eine mit Gold verzierte Tunika und eine Priesterkappe, die mit einer Kordel am Kinn befestigt wurde. 209 f.  Als üblicher Gegner des retiarius muss der secutor (»Verfolger«) gegen Grac­ chus kämpfen, der zu allem Überfluss auch noch die Flucht ergreift. Für den klar überlegenen Gladiator ist dieser Gegner beschämend. 211–230 Das Paradebeispiel für einen Mann von vornehmer Abstammung, der sich standeswidrig verhielt, ist Kaiser Nero. Dieser wird zunächst seinem Lehrer, dem stoischen Philosophen Seneca (den der Kaiser schließlich zum Selbstmord zwang), gegenübergestellt und dann mit der mythologischen Figur Orestes verglichen. Noch schlimmer als die von Nero verübten Morde sind allerdings seine Aktivitäten als Sänger und Schauspieler. 212  Im Zuge der sogenannten Pisonischen Verschwörung soll es Überlegungen gegeben haben, Seneca anstelle von Nero auf den Thron zu setzen. 213–214  Für Elternmörder gab es die Strafe, sie gemeinsam mit Tieren in einen Sack zu stecken und ins Meer zu werfen. Nach Meinung des Satirikers müsste diese Strafe am dem vielfachen Mörder Nero gleich mehrfach vollzogen werden. Zur Interpunktion s. Dimatteo (2014 ad loc.). 215–217  Agamemnon wurde nach seiner Rückkehr aus dem Trojanischen Krieg von seiner Frau Klytaimnestra (vgl. 6.656) und ihrem neuen Ehemann Aigisthos beim Gelage (V. 217: media inter pocula) ermordet. Darauf tötete Agamemnons Sohn Orestes sowohl Aigisthos als auch seine Mutter. 218 f.  Anders als Nero, der nicht nur seine Mutter Agrippina, sondern auch seine Frau Octavia und seine Adoptivgeschwister Antonia und Britannicus umbringen ließ, tötete Orestes seine Schwester Elektra und seine aus Sparta stammende Gattin Hermione nicht.

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Anmerkungen

220 f.  In einer komischen Antiklimax werden Neros Auftritte auf der Bühne und die Abfassung des Trojaepos Troica als Höhepunkt seiner Untaten präsentiert. Die u. a. von Jones (1972) vertretene Konjektur Oresten (statt Orestes) passt gut zur ge­ wollten Absurdität der Argumentation: Während Nero offenbar in der Rolle des Orestes auf der Dramenbühne auftrat (vgl. Suet., Nero 21), was für einen Kaiser unangemessen und bei einem Muttermörder natürlich besonders skandalös war, trat Orestes natürlich nicht in der Rolle seiner eigenen Person auf. 221–223  L. Iulius Vindex unterstützte Galba bei dessen Versuchen, die Kaiser­ herrschaft von Nero zu übernehmen. Nachdem L. Verginius Rufus zunächst ein Gegner des Vindex gewesen war, unterstützte er nach Neros Tod Galbas Bestrebun­ gen, Kaiser zu werden. So werden alle drei hier als Gegner Neros aufgeführt. 226 Nero trat auch in der griechischen Provinz auf und nahm an Sängerwett­ kämpfen teil. Unter anderem bei den Spielen von Nemea wurden Siegerkränze aus Sellerieblättern (apium, »Eppich«) verliehen. 228–230  Die Kostüme von Neros Auftritten in tragischen Bühnenstücken mit mythologischen Inhalten sollen bei den Statuen seiner Vorfahren (Nero stammte aus der Familie der Domitier) abgelegt werden, ebenso die Instrumente seiner Auf­ tritte als Sänger zur Kithara (vgl. zu 6.76 f.). Gleichzeitig sollen die Leser durch den Begriff colossus wohl an die Kollossalstatue denken, die Nero als Sonnengott zeigte. 231–268 Der Satiriker führt Beispiele aus der römischen Geschichte an, die zeigen, wie gerade Römer aus weniger vornehmen Familien sich um den Staat verdient gemacht haben, während es immer wieder nobiles gab, die den Staat vernichten wollten. 231–238  Die Erwähnung der Verschwörer Catilina und Cethegus (vgl. 2.27), die beide aus vornehmen Familien stammten, leitet über zu dem positiven Beispiel Ci­ cero, der aus keiner bedeutenden Familie stammte und dennoch den Staat vor der Verschwörung bewahrte (63 v. Chr.). 234  Die gallischen Stämme der Bracater (»Hosentragend«) und Senonen werden als äußere Feinde genannt. 235  Die Bestrafung mit der sogenannten tunica molesta (»unangenehme Tunika«), einem mit Pech getränkten Gewand, das in Brand gesetzt wurde, erlitten vor allem Brandstifter. 237  Cicero stammte aus Arpinum. Da noch niemand aus seiner Familie in Rom ein hohes Amt bekleidet hatte, galt er als homo novus. 240–244  Wie Cicero erhielt auch Octavius, der spätere Kaiser Augustus, den Bei­ namen pater patriae (»Vater des Vaterlands«), doch Cicero erlangte ihn durch seine Rednertätigkeit in der Toga in Friedenszeiten (und das zu der Zeit, als Rom noch Republik, also »frei« war). Octavius dagegen bekam den Titel durch Kriegstaten außerhalb Roms: durch seine Siege über Antonius und Cleopatra bei Actium (am Fuße der hoch emporragenden Insel Leucas; zu der Lesart sub Leucade vgl. Brown



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1986) sowie über die Caesarmörder bei Philippi (hier mit »Feld Thessaliens« be­ zeichnet). Es ist denkbar, dass Juvenal mit seiner hochtrabenden Formulierung auf humorvolle Weise den pompösen Stil von Ciceros Dichtung parodiert (so Iorillo 1973/74; vgl. 10.122). 245–248  Die Jugend des ebenfalls aus Arpinum stammenden Feldherrn C. Ma­ rius (auch ein homo novus) wird als besonders entbehrungsreich dargestellt: Marius arbeitet als Tagelöhner auf dem Feld und wird später beim Militär von seinem Zen­ turio aufgrund seiner Langsamkeit mit einem Stock geschlagen. 253 Nach seinen Siegen über die Kimbern und Teutonen (101 v. Chr.) wurde Ma­ rius mit einem Lorbeerkranz geehrt. Sein Amtskollege als Konsul, der aus einer adligen Familie stammende Q. Lutatius Catulus, kann mit diesen Leistungen nicht mithalten und erhält nur »den zweiten Lorbeer«. 254–257  P. Decius (340 v. Chr.) und sein Sohn (295 v. Chr.) weihten beide vor einer Schlacht ihr Leben den Göttern und sicherten so ihrem Heer den Sieg (vgl. 14.239). Es ist bemerkenswert, dass dieses Beispiel für einen Sohn, der seinem Vater in dessen edlen Taten nachfolgt, aus der Plebs stammt; vgl. Fredericks (1971b, 130 f.). 258  Bei dem Vers handelt es sich offenbar um eine nachträglich am Rand ergänzte Angabe zum Inhalt der Stelle. 259 f.  Servius Tullius, der Sohn einer Sklavin, wurde der sechste römische König und erhält die Insignien der Macht; der erste König war Romulus (Quirinus). 261 f. Nach der Vertreibung des siebten Königs Tarquinius Superbus durch Bru­ tus, der dann zum Konsul gemacht wurde, sollen ausgerechnet dessen Söhne die Rückkehr der Könige unterstützt haben. 264 f.  Drei heldenhafte Vorbilder aus den Kriegen der frühen römischen Republik gegen die Etrusker werden genannt: Horatius Cocles, Mucius Scaevola und Cloelia, die aus der Geiselhaft der Feinde entkam und den Tiber durchschwamm. 266–268  Der Verrat der Söhne des Brutus wurde von dem Sklaven Vindicius aufgedeckt, wofür es dieser verdient hätte, wie ein hoher Würdenträger (etwa wie Brutus) ein Jahr lang von den Frauen öffentlich betrauert zu werden. Brutus’ Söhne wurden hingerichtet. 269–275 Jeder tut gut daran, sich Ansehen durch eigene Leistungen zu verdienen. Denn selbst wer eine endlose Ahnentafel aufweisen kann, wird unter seinen Vorfahren auf ganz einfache, möglicherweise gar kriminelle Leute treffen. 269–271  Die Aussage, dass nur eigene Qualitäten zählen, nicht jedoch die Ab­ kunft, wird anhand zweier mythologischer Beispiele verdeutlicht: Thersites steht für moralische sowie äußerliche Hässlichkeit, der Aeacusenkel Achilles für einen heldenhaften Charakter. Auch ein Abkömmling des Thersites könnte es verdienen, mit den von dem Feuergott Vulkan für Achill geschmiedeten Waffen ausgezeichnet

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Anmerkungen

zu werden; ein Nachfahre des Achilles mit den Eigenschaften des Thersites hätte hingegen keinen Anspruch auf den Ruhm des bedeutenden Helden. 273 Nach der Gründung Roms zog Romulus Bewohner dadurch an, dass er einen Zufluchtsort, das sogenannte asylum, einrichtete, in dem sich aber auch Menschen einfanden, die Verbrechen begangen hatten – und zwar auch solche, wie sie der Satiriker im Zusammenhang mit römischen Bürgern nicht beim Namen nennen möchte.

Satire 9 1–26 Das bemitleidenswerte Auftreten des Naevolus 27–69 Die Klagen des Naevolus darüber, dass er für seine sexuellen Dienste von seinem Patron nicht entlohnt wird 70–91 Die Klagen des Naevolus darüber, dass nicht einmal gewürdigt wird, dass er die Frau des Patrons geschwängert hat 92–101 Die Angst des Naevolus vor der Rache des Patrons für den Verrat von Ge­ heimnissen 102–123 Die Entgegnung des Satirikers, dass wohlhabende Menschen aufgrund der Geschwätzigkeit ihrer Sklaven ohnehin keine Geheimnisse haben könnten 124–129 Die Angst des Naevolus vor dem Alter und dem Verlust seiner Attraktivität 130–134A Die Entgegnung des Satirikers, dass es in Rom immer Männer geben wird, welche die Dienste des Naevolus in Anspruch nehmen wollen 135–150 Das Gebet des Naevolus um ein Leben im bescheidenen Wohlstand V. 1–26 Der Sprecher wundert sich über das unglückliche und kränkliche Aussehen des einst so munteren Naevolus und fragt sich, wo dessen Humor und seine Freude an sexuellen Aktivitäten geblieben sind. 2  Der Satyr Marsyas hatte Apollo zum Gesangswettstreit herausgefordert und ver­ loren. Danach hängte der Gott ihn an einen Baum und zog ihm die Haut ab. Hier ist offenbar an eine der zahlreichen bildlichen Marsyasdarstellungen gedacht; eine Marsyasstatue stand z. B. auf dem Forum Romanum; vgl. zu möglichen Ansätzen zur Interpretation Habinek 2005, 185 f. 4 f.  Der Sklave Ravola wird beim oralen Sex mit einer Rhodope erwischt. Diese verbotene Handlung wird mit dem Naschen vom Gebäck verglichen; die Strei­ chung des in seiner Echtheit umstrittenen Verses 5 ist nicht notwendig (vgl. zusam­ menfassend Courtney 1980 ad loc.).



Satire 9

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6–8  Crepereius Pollio (vgl. 11.43) sucht verzweifelt nach jemandem, der ihm Geld leiht. Trotz seiner Bereitschaft, dreimal so hohe Zinsen zu zahlen, wie es gesetzlich vorgesehen ist, leiht ihm niemand etwas, weil alle davon ausgehen, dass sie ihr Geld nie wiedersehen würden. 9–11 Möglicherweise gehört (oder gehörte) Naevolus dem Ritterstand an, ver­ hielt sich dementsprechend würdevoll und überzeugte darüber hinaus durch seine urbanitas, den einem Stadtmenschen eigenen Humor. So war er bei Gelagen ein gern gesehener Gast. Denkbar ist auch, dass verna (»eingeboren«) auf den typisch römischen Humor eines Spaßmachers verweist und eques eine Bezeichnung für sein anständiges Verhalten ist (vgl. Bellandi 2009). 12–15 Naevolus hat sich nicht für den Besuch eines Gastmahls hergerichtet: In den Haaren hat er keine Pomade, und seine Beine sind nicht (mit Verbänden, die mit Harz aus dem unteritalischen Bruttium getränkt waren) enthaart. 17  Bei chronischem Quartanfieber (vgl. 4.56 f.) gibt es nach zwei Tagen ohne Symptome wieder einen Fieberschub (wenn die Tage mit den Schüben mitgezählt werden: alle vier Tage). 21  Auch das Dasein des armseligen Klienten Trebius aus Satire 5 wurde mit dem philosophisch aufgeladenen Begriff propositum (eigentlich »Vorhaben«) bezeichnet. 22–26  Tempel – hier werden der Isistempel (vgl. 6.489) und der Tempel der Pax genannt, in dem es offenbar eine Statue des mythischen Knaben Ganymed gab – galten als Orte, an denen man Sexualpartner finden kann. Der insbesondere von Frauen gepflegte Kult der Magna Mater stammte aus Kleinasien; die genaue Bedeu­ tung von secreta (»abgeschieden«, »geheim«) an dieser Stelle ist nicht geklärt. Die erotische Umtriebigkeit des Naevolus wird durch den Vergleich mit dem stadtbe­ kannten Ehebrecher Aufidius unterstrichen. 27–69 Naevolus beginnt seine Klagen über die Behandlung durch seinen Patron. Diesem vir mollis muss er sexuell zu Diensten sein und erhält dafür nicht einmal eine angemessene Entlohnung. Vielmehr versucht er selbst, sich durch Geschenke bei dem wohlhabenden Patron beliebt zu machen. 35–37  Virro (S. 55) hat Naevolus im Bad gesehen und kann nun nicht mehr von ihm lassen. In der Parodie eines Homerverses (Od. 16.294. 19.13) wird die »enge Beziehung« zwischen einem Mann und seinem Schwert auf die Bedürfnisse eines verweichlichten Mannes umgedeutet. 41 f. Nachdem der Patron aufgezählt hat, wie oft er Naevolus beschenkt habe (V. 39), stellt Naevolus fest, dass selbst Ausgaben in Höhe von 5000 Sesterzen kaum reichen dürften, um seine Mühen auszugleichen. 47  Wer jeweils zu wem spricht, ist in dieser Satire nicht immer eindeutig (vgl. Schmitz 2000, 30): Offenbar spricht Naevolus hier immer noch den Patron an,

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Anmerkungen

der sich für begehrenswert hält – für so schön wie Ganymed, Jupiters himmlischen Mundschenk. 49  Der Geiz der angesprochenen Patrone gegenüber ihren Klienten äußert sich auch darin, dass sie nicht einmal diejenigen, die ihr Bedürfnis nach passivem Sex (hier als »Krankheit« bezeichnet) befriedigen, angemessen entlohnen. 50–53  Hier spricht Naevolus sich selbst an und äußert seinen Ärger darüber, dass er den geizigen Patron auch beschenkt hat: Der Sonnenschirm (der Hinweis auf den feuchten Frühling muss nicht bedeuten, dass umbella hier einen Regenschirm bezeichnet; anders Courtney 1980 ad loc.) und die wegen ihres Dufts geschätzten Bernsteinkugeln (vgl. 6.573) wären ideale Geschenke für Frauen, und der Patron begeht tatsächlich die am 1. März stattfindenden Matronalia, ein Fest, an dem Ehe­ frauen beschenkt wurden. Die Farbe Grün galt zudem als typisch für die Kleidung passiver Homosexueller (Hopman 2003, 569 f.). 54 f.  Der weit fliegende Milan wurde sprichwörtlich zur Bezeichnung riesiger Ge­ biete genannt; hier heißt es, er könne das Weideland des Patrons nicht durchfliegen. Im Kontrast dazu steht das an den Patron gerichtete höhnische Kosewort passer; der mit Venus assoziierte Spatz galt als Vogel mit starkem Sexualtrieb (vgl. S. Ihm, Göttinger Forum für Altertumswissenschaft 3, 2000, 49 Anm. 11: »Dreckspatz«). 56–58  An den vulkanischen (daher sind diese »verdächtig« und »hohl«) Weinber­ gen am Golf von Neapel wächst guter Wein. Das Verschmieren der Fässer mit Pech diente der Haltbarkeit und dem Geschmack des Weins. 60–62  Der Patron ist offenbar bereit, ein kleines Landgut (mit Sklavenfamilie) einem Priester der Göttin Kybele zu vererben (zu deren Verehrung man cymbala ertönen ließ). Naevolus impliziert, dass solche Priester, bei denen es sich um einen Kastraten handelte (vgl. 2.111–116; 6.511–516), dem Patron sicher keine sexuellen Dienste erweisen könnten, wie er es tut. 64 f.  Dass Naevolus nur einen Sklaven hat, ist nach seiner Meinung ebenso un­ natürlich wie das eine breite Auge des Zyklopen Polyphem. Odysseus konnte dem Riesen entkommen, da er ihn blendete. 70–91 Naevolus muss nicht nur den Patron befriedigen, sondern auch dessen Ehefrau entjungfern und schwängern, damit der Patron, der zum aktiven Sex mit Frauen offenbar überhaupt nicht in der Lage ist, nicht von seiner Frau verlassen wird und zudem als Vater eigener Kinder in den Genuss erbrechtlicher Privilegien gelangt. 74  Paene ist Watts (2002, 302 f.) Konjektur für das wohl aus dem vorangehenden Vers übertragene saepe. 76  Das überlieferte signabat würde bedeuten, dass die Frau bereits das Siegel unter einen neuen Ehevertrag mit einem anderen Mann gesetzt hat. Doch Frauen siegel­ ten den Ehevertrag nicht, und diese Vorstellung passt auch kaum zur Situation im



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Haus des Patrons. So ist Highets (1952, 70) weithin akzeptierte Konjektur migrabat vorzuziehen. 77  Auch wenn der Patron Naevolus ja um die Affäre mit seiner Frau gebeten hat, erinnert die Stelle an Szenen aus der Liebesdichtung, in denen der unglücklich Ver­ liebte draußen bleiben muss, während sich ein anderer mit der von ihm Geliebten vergnügt. Doch der Patron weint nicht aus Eifersucht auf den Liebhaber, sondern wohl deshalb, weil er auch gerne den Sex mit Naevolus hätte, den nun seine Frau genießt; vgl. Hendry (2000, 88). 79 f.  Von einigen Herausgebern werden V. 79 f. als Unterbrechung des Gedan­ kengangs getilgt. Bellandi (2009, 474 Anm. 9) verweist jedoch auf die Erhabenheit des Ausdrucks, die einen attraktiven Kontrast zum Inhalt darstellt. Wenn man sich zudem bewusst macht, dass bei Ehebruch der Frau der Mann zur Scheidung ver­ pflichtet war, wird der bewusst paradoxe Charakter der Aussage umso deutlicher (ebd., 499). 81–83  Hier liegt die Vorstellung zugrunde, dass der Patron sich wie bei einer Ge­ richtsverhandlung verteidigen müsste. Die Formulierung erinnert auf komische Weise an die Stelle in Vergils Aeneis, an der die verlassene Dido beklagt, dass Ae­ neas ihr keinen Sohn geschenkt habe; vgl. dazu Bellandi (2009, 494–497) sowie 5.137–140. 84  Der Vater hob das Kind auf (tollere) und erkannte es so als sein eigenes an. 88 Kinderlose konnten nicht ihr gesamtes Erbe antreten, die Hälfte fiel einem anderen Erben zu. 90 Das ius trium liberorum (»Dreikinderrecht«) verschaffte Vätern von drei oder mehr Kindern zahlreiche weitere Vorteile. 92–101 Naevolus bringt seine Angst davor zum Ausdruck, dass dem Patron seine Klagen zu Ohren kommen könnten, worauf dieser sich grausam rächen würde. 92 Esel werden häufig als besonders duldsame Tiere beschrieben. Dies passt eben­ so zu der Rolle des Naevolus wie der Umstand, dass in mehreren Quellen das auffal­ lend große Geschlechtsteil des Esels erwähnt wird (vgl. V. 34; Hendry 2000, 88–90). 95  Der poröse Bimsstein diente zur Enthaarung der Beine und zum Glätten der Haut – eine Praxis, die insbesondere mit sexuell passiven Männern assoziiert wurde. Wie am Ende der ersten Satire geht es um die Gefahren, welche die freie Meinungs­ äußerung mit sich bringt. 101  Der in Athen für die Gerichtsbarkeit zuständige Areopag (eigentlich: »Hügel des Ares«) war für seine Geheimhaltung berühmt. 102–123 Der Satiriker weist Naevolus darauf hin, dass die Geheimnisse wohlhabender Menschen ohnehin niemals geheim bleiben könnten, da die Sklaven sie ausplaudern werden.

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Anmerkungen

102  Hier wird auf den Vergilvers A Corydon, Corydon, quae te dementia cepit? (»O Corydon, Corydon, welcher Wahnsinn hat dich gepackt?«; Ecl. 2.69) Bezug genom­ men und somit deutlich gemacht, dass die zuletzt getätigten Aussagen des Naevolus unsinnig waren (vgl. M. Gioseffi, ACME 61, 2008, 336 f.). 110–112  Sklaven erzählen nicht nur Geheimnisse weiter, sondern erfinden auch weitere Fehltritte ihres Herren und rächen sich so für Schläge, die sie von diesem erhalten haben. 115–117  Saufeia ist offenbar die Frau eines Konsuls oder Praetors, und als solche führt sie die Rituale für die Bona Dea durch, wobei sie betrunken ist; im Zusam­ menhang mit Trunkenheit fällt der Name auch in 6.320. Selbst solche Mengen gu­ ten Weines aus dem Keller ihres Herren könnten die Sklaven nicht davon abhalten, Geheimnisse auszuplaudern. 118–123  Die Verse wurden von verschiedenen Gelehrten teilweise oder auch alle­ samt getilgt. In jedem Fall gibt es zwischen V. 119 und 120 f. eine sinnlose inhaltliche und sprachliche Doppelung, sodass hier dem Vorschlag Housmans gefolgt wird, V. 119 zu streichen (vgl. die Diskussion bei Courtney 1980 ad loc.). V. 122 f. sind sprach­ lich problematisch, und ihre Echtheit ist auch aufgrund ihrer unklaren Bedeutung zweifelhaft; wahrscheinlich sollen sie aussagen, dass der Herr, der von dem Wissen seiner Sklaven abhängt, ebenfalls unfrei und ohnehin moralisch noch verkommener ist (vgl. jedoch den inhaltlich ganz anders ausgerichteten Übersetzungsvorschlag bei Braund 2004, die das Verspaar allerdings ebenfalls nicht für echt hält). Dass die ge­ samte Passage unecht sein müsse, weil – wie Ribbeck (1865, 446) meint – diese Rat­ schläge nicht Naevolus, sondern »seinem Herrn zugedacht [seien], der doch nicht zugegen ist«, folgt angesichts der bei Juvenal durchaus häufigen Sprunghaftigkeit der Argumentation keineswegs zwingend. Möglicherweise zielt auch der folgende Einwand des Naevolus darauf ab, dass er gerade einen allgemeinen Ratschlag erhal­ ten hat, der zu seiner eigenen Situation nicht so recht passt. 124–129 Naevolus verleiht seiner Angst vor dem Alter und somit vor dem Verlust seiner Attraktivität Ausdruck. 130–134A Der Satiriker entgegnet, dass es in Rom immer passive Männer geben wird, die Naevolus sein Auskommen sichern werden. 131 Gemeint ist: Solange Rom (auf seinen sieben Hügeln) existiert. Die feierliche Schwurformel wirkt in diesem Kontext albern. 133  Diese Geste wurde mit passiv veranlagten Männern assoziiert (vgl. für eine weitere derartige Geste 6.O2). 134A  Die Rauke galt als Aphrodisiakum. Naevolus erhält also den Rat, seinen Lebensunterhalt auch weiter durch sexuelle Aktivität zu bestreiten. Die Verse 134 und 134A sind folgendermaßen überliefert: spes superest: tu tantum erucis inprime dentem. / gratus eris: tu tantum erucis imprime dentem. V. 134A stellt offensichtlich



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eine Doppelung zu 134 her; der hier wiedergegebene Text folgt Courtney (1980 ad loc.) in der Streichung des zweiten Teils von 134 mit der Annahme einer Textlücke vor 134A. Denn der Rat des Satirikers entspricht den Bedürfnissen des Naevolus gerade nicht, und auch die in V. 135 erwähnten exempla (V. 135) für mögliche Tä­ tigkeiten des Naevolus werden nirgendwo angeführt (Ribbeck 1865, 143). Adamietz (1993 ad loc.) sieht in der Aussage des Satirikers eine ironische Reaktion auf das Lamentieren des Naevolus. 135–150 Zum Abschluss richtet Naevolus ein Gebet an seine Hausgötter und wünscht sich ein anständiges Leben ohne Luxus, aber im bescheidenen Wohlstand. 135 f.  Die genannten Schicksalsgöttinnen amüsieren sich über das elende Dasein des Naevolus (wobei der Ausdruck inguine pascitur venter auf derbe Weise die Tätig­ keit erkennen lässt, mit der Naevolus seinen Magen füllen will); vgl. 6.602–609 für die Idee, das Schicksal habe an den Missgeschicken der Menschen einen boshaften Spaß; außerdem die Missgunst der Fortuna gegenüber Naevolus in V. 148–150 (mit Bellandi 2009, 478). Dagegen versteht Adamietz (1993 ad loc.), der vor 134A keine Lacuna annimmt, V. 136 so, dass Naevolus »zufrieden sein [muss], wenn er durch seine sexuellen Dienste wenigstens die Nahrung beschafft.« 137–140  In seinem Gebet an die Laren (Hausgötter) wünscht sich Naevolus einen zahlungskräftigen Patron, den er wie ein Stück Wild mit dem Speer einfangen will, sodass er nicht als Bettler seine Matte an belebten Plätzen ausbreiten muss (vgl. 5.8 f.). Gleichzeitig evoziert das Bild des »Durchbohrens« auf obszöne Weise die Tä­ tigkeit, mit der er seinen Lebensunterhalt bestreitet. 140–146  Auch wenn die Bedeutung des genannten Betrags umstritten sind (han­ delt es sich um das Jahreseinkommen des Naevolus oder um dessen gesamten Be­ sitz?), dürfte das Gebet des Naevolus insgesamt allein auf bescheidenen Wohlstand abzielen (vgl. zusammenfassend Bellandi 2009, 501 f.). Naevolus wünscht sich ein Leben von den (offenbar sehr knapp bemessenen) Zinsen seines Vermögens, Tisch­ geschirr, für das er sich nicht schämen muss, weiterhin zwei Sklaven, die ihn in einer Sänfte umhertragen, sowie zwei Künstler, deren Werke er verkaufen und so noch etwas Geld verdienen könnte. Ein allzu ärmliches Leben weist Naevolus aber ebenfalls von sich, wie sein Hinweis auf den Zensor C. Fabricius (275 v. Chr.) zeigt, der gegen Senatoren vorging, welche sich zu viel Besitz erlaubten. 147  Der Begriff pauper bezeichnet nicht etwa einen Menschen, der vollkommen mittellos ist. Dass sich Naevolus wünscht, endlich so viel zu haben, dass man ihn als »arm« bezeichnen kann, ist dennoch eine paradoxe Formulierung. 149 f.  Odysseus wies seine Gefährten an, sich die Ohren mit Wachs zu verstopfen, damit sie den Gesang der Sirenen nicht hörten, der ihnen den Untergang bereitet hätte. Ebenso zieht es Fortuna vor, gegenüber den Anliegen des Naevolus taub zu sein.

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Anmerkungen Satire 10

1–27 Die unvernünftigen Wünsche der Menschen nach Karrieren und Reichtum 28–53 Das Lachen des Demokrit angesichts der unvernünftigen Wünsche der Men­ schen 54–113 Sejan als Beispiel für einen machthungrigen Menschen, der tief fiel 114–132 Unvernünftige Wünsche: Redegewandtheit 133–187 Unvernünftige Wünsche: Kriegsruhm 188–288 Unvernünftige Wünsche: ein langes Leben 289–345 Unvernünftige Wünsche: äußerliche Schönheit 346–366 Vernünftige Wünsche nach grundlegenden Dingen V. 1–27 Der Wunsch der Menschen nach immer größerem Reichtum ist unvernünftig und schädlich. Wer zu viel besitzt, lebt gefährlich. 1 f. Genannt werden Orte im äußersten Westen und Osten des Reichs. 5  Wörtlich heißt es: »mit dem rechten Fuß«. Das Überschreiten der Schwelle zu­ erst mit dem rechten Fuß galt als gutes Omen. 8  Die Toga steht für die Tätigkeit als Beamter oder als Jurist. Ebenso wie der Militärdienst sind dies typische Bereiche für eine Karriere. 10 f. Gemeint ist der berühmte Athlet Milo von Croton, ein geläufiges Beispiel dafür, dass man sich nicht nur auf Körperkräfte verlassen sollte. Laut Gellius (15.16) wollte der gealterte Sportler an einem gespaltenen Baum seine Kräfte erproben, wurde bei dem Versuch, den Baum auseinanderzureißen, von den beiden Hälften des Baums eingeklemmt und schließlich von wilden Tieren zerfleischt. 15–18  In der Folge der sogenannten Pisonischen Verschwörung gegen Nero ging der Kaiser gegen zahlreiche Mitglieder der Oberschicht vor: C. Cassius Longinus wurde verbannt, der Philosoph Seneca, der durch seine Tätigkeit als Lehrer und Berater Neros zu großem Reichtum gekommen war, durch den Aufmarsch von Soldaten zum Selbstmord gezwungen, Plautius Lateranus hingerichtet. 24 f.  Auf dem Forum bewahrten argentarii (vergleichbar mit heutigen Banken) das Geld reicher Bürger auf. 28–53 Die Philosophen lehnen die Wünsche der Menschen nach immer mehr Einfluss und Besitz ab. Insbesondere Demokrit reagiert darauf mit ständigem Lachen. Wie sehr hätte er erst gelacht, wenn er den albernen Prunk römischer Würdenträger gesehen hätte. 28–30  Als zwei mögliche Reaktionen auf das unsinnige Verhalten der Menschen werden das Lachen des Philosophen Demokrit von Abdera (5./4. Jh. v. Chr.) und das Weinen des Heraklit von Ephesus (6./5. Jh. v. Chr.) genannt – eine in der anti­ ken Literatur weit verbreitete Gegenüberstellung (vgl. Keane 2015, 122–127). Gemäß dem humorvoll-spöttischen Wesen der Satire folgt Juvenal hier Demokrit.



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35 Als im wahrsten Sinne des Wortes lachhaft werden die Insignien römischer Wür­ denträger dargestellt, die es in Demokrits Heimat natürlich nicht gab: Die Toga mit Purpursaum trugen kurulische Beamte, Gewänder mit Purpurstreifen Priester oder Ritter, die Rutenbündel waren das Zeichen für die Macht hoher Beamter. Die Sessel kurulischer Beamter wurden auf dem tribunal aufgestellt. 36–40  Bei der Eröffnung von Spielen zieht der Prätor in einer Prozession (pompa circensis) im Stile eines Triumphators auf einem Wagen in den Zirkus ein. Seine Kleidung stammt aus dem Tempel des Jupiter Capitolinus, sein purpurfarbenes (daher »tyrisches«, wörtlich: »sarranisches«) Gewand wird aufgrund seiner Größe mit einem Vorhang verglichen. Hinter ihm steht ein Sklave, der ihm einen über­ dimensionierten Kranz über den Kopf hält (weil er diesen mit seinem Nacken gar nicht tragen könnte). 41  Tatsächlich wurde das Mitfahren des Staatssklaven auf dem Triumphwagen als Mittel interpretiert, das den Triumphator daran hindern sollte, sich wie ein Gott zu fühlen. Dass hier auf einmal von einem Konsul und nicht mehr von einem Prätor die Rede ist, irritiert. Möglicherweise wird der Hang des Prätors, sich selbst in den Himmel zu heben, dadurch verspottet, dass er als »Konsul« bezeichnet wird; vgl. Murgatroyd (2010). 42  Das mit dem Adler, dem Zeichen Jupiters, geschmückte Zepter gehörte zu den Insignien des Triumphators. 44–46  Welche Gruppe an welcher Stelle in der Prozession mitging, ist umstritten. Am Ende werden die Klienten erwähnt, welche die sportula, eine materielle Zuwen­ dung, erhalten haben (vgl. 1.95), die wie ein Schatz in ihrer Geldkiste »vergraben« wurde. Amicus ist im Zusammenhang mit Patronat ein gängiger Begri ff. In antiken Quellen wird aber auch thematisiert, dass ein materielles Abhängigkeitsverhältnis zwischen Patron und Klient nicht notwendigerweise zu echter Freundschaft führt; vgl. die von Campana (2004 ad loc.) genannten Stellen. 47–50  Wieder geht es um Demokrit. Seine Heimat Abdera wird als primitiv und hinterwäldlerisch dargestellt. Auch liegt die Vorstellung zugrunde, dass ein unge­ sundes Klima den Geist negativ beeinflussen könnte. 54–113 Besonders der Wunsch nach Macht und Einfluss bringt vielen Menschen den Untergang. Verdeutlicht wird dies anhand des Beispiels des mächtigen Sejan, der besonders tief stürzte. 54 f.  Die beiden Verse sind in ihrer Echtheit umstritten, passen tatsächlich aber gut in den Gedankengang: Nachdem Beispiele für schädliche Wünsche der Men­ schen angeführt worden sind, geht der Sprecher auf das Lachen Demokrits ange­ sichts dieser Wünsche ein, bevor nun »die schulmäßige Erörterung der einzelnen Bitten« beginnt (Högg 1971, 184–190). Der metrische Fehler in V. 54 wird durch die hier wiedergegebene Konjektur Campanas (2004 ad loc.) befriedigend beseitigt. Mit

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Anmerkungen

dem Einwachsen der Knie von Götterstatuen dürfte das Anheften von Votivtäfel­ chen, auf denen Wünsche an die Gottheit formuliert waren, oder auch von Gaben für die Götter gemeint sein. 58–60  Beschrieben wird, wie die Ehrenstatuen (bei Triumphatoren standen diese auf Wagen) eines in Ungnade gefallenen Herrschers oder Würdenträgers mit Seilen vom Sockel gerissen und zerstört werden. Juvenal exemplifiziert dies im Folgenden anhand des Prätorianerpräfekten Sejan, der unter dem greisen Kaiser Tiberius große Macht erlangte, dann aber von diesem des Hochverrats beschuldigt und beseitigt wurde (31 n. Chr.). 65 f.  Die öffentliche Misshandlung der Leiche Sejans am Tiberufer (vgl. V. 86) wird als Freudenfest inszeniert, an dem Häuser mit Lorbeer geschmückt und mit Kreide geweißte Stiere geopfert werden. 77  Die Lippen werden häufig im Zusammenhang mit einem arroganten Ge­ sichtsausdruck genannt. In den folgenden Versen gibt der Satiriker Dialoge wieder, wie sie auf Roms Straßen nach Sejans Sturz geführt worden sein könnten. 71 f.  Tiberius hatte sich nach Capri zurückgezogen. Als deutlich wird, dass der Kaiser hinter der Anklage gegen Sejan steht, wagt es niemand mehr, sich kritisch dazu zu äußern. 73  Hier beginnt ein »Kommentar des Dichters« über »den üblichen Opportunis­ mus« (Adamietz 1993 ad loc.). Die Schar des Remus (des Bruders des Stadtgründers Romulus) sind die einfachen Römer. 74 f.  Wenn es heißt, dass die Menschen der Schicksalsgöttin folgen, könnte dies auch ein Hinweis darauf sein, dass Sejan sich um die Verehrung der Fortuna beson­ ders bemühte (Campana 2004 ad loc.). Da Sejan aus Etrurien stammte, wird hier Nortia, die etruskische Schicksalsgöttin, genannt. 77 f.  Die Möglichkeit, zur Wahl zu gehen, wie sie zu Zeiten der Republik bestand, wird hier auf sarkastische Weise als die Möglichkeit, seine Wahlstimme zu verkau­ fen, bezeichnet. 80 f. Nach dem Kommentar des Satirikers werden wieder Aussagen aus dem Volk wiedergeben, die nun von weiteren Verfolgungen nach dem Sturz des Sejan be­ richten. Dabei wird die Schilderung vom Einschmelzen der Sejanstatue (V. 61–64) wieder aufgegriffen: In diesem Schmelzofen gibt es noch Platz. 82–85  Der bekannte Redner Bruttidius Niger muss die Rache des Kaisers fürch­ ten, dessen Position er möglicherweise nicht überzeugend genug vertreten hat. Zudem wird hier auf den Streit der Griechen vor Troja um die Waffen des Achill verwiesen. Mit Ajax, der in dem Streit Odysseus unterlag und voller Wut wild um sich schlug, ist wohl Tiberius zu identifizieren: »Im Gefühl, von seiner Umgebung alleingelassen worden zu sein, könnte sich der Princeps aufführen wie weiland Ajax nach seiner Niederlage« (Kißel 2013, 347).



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87 f.  Offenbar war es erst seit der Herrschaft des Tiberius überhaupt möglich, dass Sklaven gegen ihre Herren aussagten. Möglicherweise drückt die Passage Kritik am Zustand des Rechtssystems unter Tiberius aus (Campana 2004 ad V. 84 f.). 90–94  Sejans Einfluss zeigt sich an der großen Zahl der Klienten, die ihn mor­ gens aufsuchen und begrüßen, an der Möglichkeit, bedeutende Posten zu verleihen, und an seinem Einfluss auf den Kaiser. Tiberius hält sich auf der »Ziegeninsel« Capri auf, »hütet« aber allein eine »Herde« von Chaldaeern, also babylonischen Astrologen (vgl. 6.553). 94 f.  Durch eine Umstrukturierung der Prätorianergarde hatte Sejan seine Macht vergrößert und verstärkte Kontrolle über diese Einheit gewonnen, die hier als sein Privatbesitz dargestellt wird; vgl. Campana (2004 ad loc.). 97 f.  Wörtlich heißt es: »... den erfreulichen Dingen angemessen ist«, also: Großer öffentlicher Erfolg bringt viel Negatives mit sich und kann das Positive somit ent­ werten; vgl. Mayor (1881 ad loc.). 99–102  Die Ausübung der Macht des in der toga praetexta gekleideten Sejan wird der Möglichkeit gegenübergestellt, als schlecht gekleideter Verwalter auf dem Marktplatz von Provinznestern zu überprüfen, ob die dort verwendeten Gefäße den angegebenen Maßeinheiten entsprechen. 108 f.  Das sogenannte Triumvirat aus Pompeius, Crassus und Caesar wird als Beispiel für mächtige Männer genannt, die zu Fall kamen. Der nicht namentlich genannte Caesar erscheint als grausamer Herr, der die römischen Bürger versklavte. 112  Der Unterweltsgott Pluto entführte Proserpina, die Tochter der Göttin Ceres, und machte sie zur Herrscherin über die Unterwelt. 114–132 Wenn man sich von den Göttern Erfolge als Redner wünscht, kann das ebenfalls Verderben bringen. Dies verdeutlicht das Schicksal des größten römischen Redners Cicero und des größten griechischen Redners Demosthenes, die sich durch ihre Reden tödliche Feinde machten. 114–117 Die quinquatrus, ein Fest zu Ehren der Weisheitsgöttin Minerva, wurden vor allem von Lehrern und Schülern begangen. Hier wird dargestellt, wie ein eif­ riger Schuljunge voller Hoffnung, ein großer Redner zu werden, der Göttin kleine Summen spendet. Kinder wurden für gewöhnlich von Sklaven zur Schule begleitet, die auf sie aufpassten. 120  Cicero wurde auf Veranlassung des M. Antonius, dessen Zorn er sich mit sei­ nen Philippischen Reden zugezogen hatte (V. 123–125), ermordet. Seine Hände und sein Kopf wurden abgeschlagen und öffentlich ausgestellt (42 v. Chr.). 122  Von dem bedeutenden Redner, Politiker und Schriftsteller Cicero heißt es, er sei allein als Dichter wenig erfolgreich gewesen: Dieser Vers aus einem epischen Gedicht, in dem Cicero sein eigenes Konsulat pries, gilt mit seiner Kakophonie als Beispiel für misslungene Dichtung.

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Anmerkungen

125 f. Gerade die zweite Philippische Rede, die hier direkt angesprochen wird, enthielt heftige Angriffe gegen Antonius. 127 f.  Demosthenes, der hier dargestellt wird, wie er vor der im Theater tagenden Volksversammlung von Athen spricht, beging 322 v. Chr. Selbstmord, um nicht den feindlichen Makedonen in die Hände zu fallen. Zuvor hatte er Reden gegen Philipp von Makedonien gehalten (von denen Ciceros Philippicae ihren Namen haben). 130–132  Die hier beschriebene Szenerie dürfte mit dem tatsächlichen familiären Hintergrund des Demosthenes wenig zu tun haben. 133–187 Die Gier, im Krieg Ruhm zu erlangen, hat schon viele ins Unglück gestürzt. Als Beispiele werden Hannibal, Alexander der Große und Xerxes genannt. 133–136  Die aufgezählten Beutestücke (die traditionell an Baumstämmen auf­ gehängt und präsentiert wurden) und die Darstellung von Kriegsgefangenen auf Triumphbögen werden als wertlos dargestellt. 145  Die Wurzeln der Feigenbäume (die sich nicht fortpflanzen können) lassen die Grabmäler, die doch eigentlich den ewigen Ruhm der Verstorbenen garantieren sollen, zerspringen. 147  Hier ist an die Asche des bedeutendsten Feldherrn der Karthager gedacht, der Rom im zweiten Punischen Krieg in Angst und Schrecken versetzte. 148–150  Die Provinz Africa wird von Mauretanien (am Atlantik gelegen), von Ägypten (und somit dem Nil) sowie im Süden von Äthiopien begrenzt. Für eine Zusammenfassung der Forschungsdiskussion über die Bedeutung von alios elephantos vgl. Kißel (2013, 347 f.), der die Stelle folgendermaßen schlüssig erklärt: »Der Blick des Satirikers wandert vom westlichen Mauretanien (mit seinen afrikanischen Elefanten) zum eigentlichen Äthiopien, wo die anderen (indischen) Elefanten zu Hause sind.« 153  Die Technik, Felsen unter Verwendung von Essig und Feuer zu sprengen, wird in mehreren antiken Quellen erwähnt; vgl. die Stellen bei Campana (2014 ad loc.). 154–156 Nach der Überquerung der Alpen und seinem Sieg bei Cannae (216 v. Chr.) fürchtete man im Rom, dass Hannibal nun auch die Hauptstadt angreifen werde (daher die Vorstellung vom dem berühmten Schreckensruf Hannibal ante/ad portas), was Hannibal aber nicht tat. Hier wird ihm hingegen genau dieser Wunsch in den Mund gelegt: Die Subura war eine belebte Geschäftsstraße im Zentrum von Rom. Dass der Satiriker gerade diese Straße, an der auch ein Rotlichtbezirk lag, erwähnt, ist kein Zufall und sorgt für eine Karikatur des großen Feldherrn; vgl. Courtney (1980 ad loc.). 158  Hannibal hatte durch eine Erkrankung ein Auge verloren. Mit dem »gätu­ lischen [nordafrikanischen] Ungeheuer« ist einer der Kriegselefanten gemeint, die Hannibal beim Zug nach Italien mitgeführt hatte.



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159–162 Nach seiner Niederlage bei Zama (202 v. Chr.) konnte sich Hannibal nicht mehr in Karthago halten und suchte schließlich bei Prusias von Bithynien Zuflucht (190). Hier wird er bei seinem Eintreffen an Prusias’ Hof wie ein römischer Klient dargestellt, der bei der morgendlichen salutatio darauf wartet, dass sein Pat­ ron endlich aufsteht und ihn empfängt. 166  Als die Römer ihn aufgespürt hatten, beging Hannibal mit Gift, das er in einem Ring mit sich führte, Selbstmord. 167  Der Tiefpunkt seines Niedergangs ist, dass Hannibal in den Rhetorenschulen zum Thema der Redeübungen wird. 168  Alexander der Große, der größte Feldherr der Griechen, stammte aus der makedonischen Stadt Pella. 170 Gyara und Seriphos sind kleine Kykladeninseln, die als Verbannungsorte ge­ fürchtet waren. 171  Der Name der aus Tonziegeln errichteten Stadt Babylon, in der Alexander 323 v. Chr. starb, wird auf respektlose Weise umschrieben. 174–178 Genannt werden Taten des Persers (Meders) Xerxes (5. Jh. v. Chr.), wie sie unter anderem von dem griechischen Geschichtsschreiber Herodot berichtet werden: das Ziehen eines Kanals, durch den die Flotte die Halbinsel mit dem Berg Athos durchfahren konnte, die Errichtung einer Schiffsbrücke über den Hellespont und das Leertrinken von Flüssen durch die persischen Soldaten. 178  Sostratus ist ein sonst unbekannter Dichter, der von den Taten des Xerxes berichtet. Die Erwähnung seiner »feuchten Achseln« (madidae alae) könnte ein Hinweis auf seinen lebhaften und somit anstrengenden Vortragsstil sein. Campana (2004 ad loc.) vermutet zudem ein Wortspiel: ala kann auch Flügel heißen, und die personifizierten Winde können mit »feuchten Flügeln« dargestellt werden. Mögli­ cherweise tritt Sostratus in einem Bühnenstück in der Rolle eines Windes auf. 179  Im Jahr 480 v. Chr. wurde Xerxes von Griechen in der Schlacht bei Salamis geschlagen. 180–184 Nach der Zerstörung der Schiffsbrücke über den Hellespont soll Xerxes das Meer gepeitscht haben (hier die Winde, die sonst allenfalls im Kerker des Wind­ gottes Aeolus zu leiden haben; vgl. 5.100), weiterhin Fußfesseln ins Meer geworfen und das Meer gebrandmarkt haben. Diese Sklavenstrafen geben hier Anlass zu der weit hergeholten Überlegung, ob ein Gott – erwähnt wird der »Erderschütterer« Neptun –, falls er versklavt würde, ausgerechnet ein Sklave des Xerxes sein wollte. 188–288 Die weit verbreitete Bitte an die Götter um ein langes Leben wird kritisiert: Ein hohes Alter führe allein dazu, dass man unter entwürdigenden Gebrechen leidet und den Tod geliebter Verwandter oder sonstiges Unglück miterleben muss. 189  Für die Deutung, dass recto vultu (»mit aufrechtem Gesicht«) die Jugend und pallidus (»blass«) das hohe Alter bezeichnet, s. Campana (2004 ad loc.; vgl. bereits

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Anmerkungen

Duff 1898 ad loc.); anders Courtney (1980 ad loc.), dem zufolge die beiden Begriffe für ein gutes oder schlechtes Gewissen bzw. für einen zuversichtlichen Gesichtsaus­ druck trotz der Befürchtung, das Gebet könne nicht erhört werden, stehen. 194 f.  Thabraca ist ein Ort in Numidien und steht hier für den Lebensraum der Affen. 197  Zur Diskussion über den umstrittenen Text s. Campana (2004 ad loc.). 202  Sogar ein Erbschleicher wie der (sonst unbekannte) Cossus, der bei einem derart alten Mann doch reiche Beute machen könnte, schafft es nicht, seinen Ekel zu überwinden. 208 f.  Der Satiriker impliziert, der Greis praktiziere infolge seiner Impotenz ora­ len Sex. 210–212  Aufgrund seines schlechten Gehörs kann der Alte keine Musik mehr genießen, wie sie von prächtig gekleideten Musikern (Seleucus ist offenbar ein be­ rühmter Musiker) dargeboten wird. 220–224  Die unermessliche Zahl von Altersbeschwerden wird mit der hohen An­ zahl von Vergehen verschiedener Personen verglichen: den zahlreichen Liebesaffären einer Oppia, den tödlichen Behandlungsfehlern des Arztes Themison (ein Arzt aus der Zeit des Augustus trug diesen Namen), den Betrügereien des Basilus und des Hirrus, der die unter seiner Obhut stehenden Mündel beraubt, den Männern, an denen die durch ihre Größe bekannte Maura Fellatio vollzieht (vgl. auch zu 6.306– 308), und dem häufigen Missbrauch der Schüler durch ihren Lehrer Hamillus. 225 f.  V. 226 ist eine Wiederholung von 1.25, und da der Satz in seiner weniger drastischen Aussage hier eine Antiklimax zu der vorangehenden Liste bietet, wurde er von verschiedenen Gelehrten für unecht erklärt; vgl. zusammenfassend Campana (2004 ad loc.), der allerdings als Argument für die Echtheit der Stelle auf die Vari­ ation im Ausdruck bei percurram citius (vgl. V. 220: promptius expediam) hinweist. Uden (2014, 172 f.) sieht in dem Vers ein explizites Selbstzitat, mit dem Juvenal ausdrücke, wie wenig sich die von ihm beschriebene Welt während der Entstehung seiner zehn Satiren verändert habe. 228  Die Verwendung des Verbs invidere (»beneiden«, eigentlich: »[mit scheelem Blick] ansehen«) sorgt in diesem Zusammenhang für bösartige Komik. 238  Von der Fellatio heißt es, dass sie für unangenehmen Mundgeruch sorgt. Da­ her wird im Zusammenhang mit Phiales besonderen Fähigkeiten als fellatrix auch ihr Atem erwähnt. 246 f. König Nestor ist das Paradebeispiel für einen Mann, der ein sehr hohes Alter erreichte (vgl. 6.325 f.; 12.128). Die Krähe galt als besonders langlebig. 249  Beim Rechnen wurden Einser- und Zehnerzahlen an der linken Hand abge­ zählt, Hunderter und Tausender an der rechten.



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253 Nestors Sohn Antilochus fiel im Trojanischen Krieg, als er sich für seinen Vater opferte. 256 f.  Peleus trauert um seinen Sohn Achilles, Laertes um seinen Sohn Odysseus (aus Ithaka). Hier ist offenbar daran gedacht, dass der schiffbrüchige Odysseus zur Insel der Phäaken schwimmen musste. 258–264  Wenn Priamus, König von Troja, früher gestorben wäre – nämlich bevor sein Sohn Paris loszog, um Helena nach Troja zu entführen –, dann hätte er wie sein Großonkel Assaracus nicht den Untergang der Heimat miterleben müssen, und seine Söhne und Töchter hätten ihn mit einer großen Trauerfeier zu Grabe getragen. Zur Übersetzung vgl. Friedlaender (1895 ad loc.) sowie die Wiedergabe von Campa­ na (2004); anders Adamietz (1993: »zu den Schatten des Assaracus«). 267–270  Der Tod des Priamus während der Erstürmung Trojas (Verg., Aen. 2.506–558) wird hier mit der Notschlachtung eines altersschwachen Nutztiers ver­ glichen. 271 f.  Priamus’ Frau Hekuba wurde in einen Hund verwandelt. 273–275  Vor den heimischen Beispielen werden weitere exempla aus anderen Ländern nur kurz erwähnt: Vor dem Ende ihres Lebens erlebten Mithridates von Pontus und der sprichwörtlich reiche lydische König Krösus (den der weise Solon gewarnt hatte, sich zu früh glücklich zu schätzen) großes Unglück. 276–278 Nach seiner Ächtung musste der Feldherr und siebenmalige Konsul Marius vor Sulla fliehen, versteckte sich zeitweilig in den Sümpfen von Minturnae (Latium) sowie in Karthago, wo er sich als Bettler durchschlug. 281–282 Marius wäre besser am Ende des Triumphzuges anlässlich seines Sieges über die Teutonen gestorben, also auf dem Höhepunkt seiner Karriere. 283–286 Nur weil Pompeius einen Fieberanfall in Kampanien überlebte, konnte ihm nach seiner Niederlage bei Pharsalus in Ägypten der Kopf abgeschlagen wer­ den. 287 f.  Die Anhänger der Verschwörung des Catilina wurden frühzeitig hingerich­ tet, Catilina selbst fiel in der Schlacht. Allen blieb die Verstümmelung durch das Abschlagen des Kopfes erspart. 289–345 Gewarnt wird von dem Wunsch nach äußerer Schönheit. Diese führt zu sexueller Ausbeutung oder zu Gefahren durch eifersüchtige Rivalen bzw. herrschsüchtige Frauen. 291  Die Bedeutung des Ausdrucks usque ad delicias votorum ist unklar. Möglicher­ weise ist auch gemeint, dass die betende Mutter der Göttin für die Erfüllung der Wünsche besondere Gaben verspricht. 292  Auch die Göttin Latona ist froh über die Schönheit ihrer Tochter Diana. 293–295  Der Satiriker nennt zwei Frauen aus dem frühen Rom, denen ihre Schönheit seiner Meinung nach zum Verhängnis wurde: Lucretia beging nach der

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Anmerkungen

Vergewaltigung durch den Königssohn Sextus Tarquinius Selbstmord (was schließ­ lich zum Ende der Königsherrschaft über Rom führte), Verginia wurde infolge der Nachstellungen des Decemvirn Appius Claudius von ihrem Vater getötet. Die bucklige Rutila ist sonst unbekannt, die Stelle textlich und inhaltlich umstritten; vgl. Campana (2004 ad loc.). 304  Der schöne junge Mann muss einem älteren Mann als passiver Sexualpartner dienen, er bleibt also in der Rolle, die Knaben üblicherweise einnehmen, und über­ nimmt selbst nicht die aktive Rolle, die Männern zusteht. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Knabe auch noch kastriert wird (vgl. das Folgende), ein Schicksal, das allerdings eher Sklaven zu fürchten hatten als freigeborene Römer. 312 f.  Der höchst umstrittene Text folgt hier dem Vorschlag von Campana (2004). 313 f.  Hier liegt die Vorstellung zugrunde, dass der Kriegsgott Mars wie ein Mensch unter einem Sternzeichen geboren wurde, das sein Schicksal bestimmt. Der Ehebruch von Mars und Venus wurde von Venus’ Ehemann, dem Schmiedegott Vulcanus, aufgedeckt, der das nackte Liebespaar im Bett mit einem feinen Netz ein­ fing und den übrigen Göttern zur Schau stellte. Der junge Mann kann sich kaum Hoffnung auf ein besseres Schicksal machen. 317 Ehebrecher hatten offenbar die Sexualstrafe, dass ein stachliger Fisch in den After eingeführt wurde, zu fürchten. 318  Der Geliebte wird als »Endymion« bezeichnet – mit dem Namen eines schö­ nen Knaben aus dem Mythos. 322 f.  Der Name Oppia (vgl. V. 220) steht – wie zuvor Servilia – für Frauen aus der römischen Oberschicht, Catulla ist hingegen ein übel beleumdetes Mitglied des einfachen Volkes. Zur Interpunktion s. Campana (2004 ad loc.). 324 f.  Hippolytus wurde durch die Nachstellungen seiner Stiefmutter Phaedra (aus Kreta; V. 327: Cressa) ins Unglück gestürzt. Bellerophon brachte die Liebe der Stheneboea in Gefahr. 326 Mehrere Herausgeber halten den Vers für unecht, da er in seiner existierenden Form nicht in den Zusammenhang passt. Es ist denkbar, dass vorher ein kurzes Textstück ausgefallen ist; vgl. zusammenfassend Campana (2004 ad loc.). 330 f. Messalina, die Frau des Kaisers Claudius, stürzte den designierten Konsul C. Silius ins Unglück, da sie es sich in den Kopf gesetzt hatte, diesen auch noch zu heiraten; vgl. Nappa (2010), der die Stelle mit der Darstellung bei Tacitus (Ann. 11.12) vergleicht. 333–336 Messalina sorgt für alles, was zu einer Hochzeit gehört (Brautschleier, Ehebett, Mitgift, Trauzeugen, die den Hochzeitsvertrag unterzeichnen, Wahrsage­ priester) – allerdings soll auch das Private in aller Öffentlichkeit stattfinden. 346–366 Der Satiriker kommt zu dem Schluss, dass die Menschen allein grundlegende Dinge erbitten und sich vor allem auf ihre eigene Tugend besinnen sollen.



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356 Mehrere Gelehrte halten diesen wohl berühmtesten Vers des Werks für un­ echt. Für die Tradition des Gedankens von »einem gesunden Geist in einem gesun­ den Körper« sowie die Argumente für die Streichung des Verses s. zusammenfassend Campana (2004 ad loc.). 361  Herkules, der seine zwölf Aufgaben mit Tapferkeit, Klugheit und Standhaftig­ keit löste, wird hier als Vorbild eines duldsamen Weisen präsentiert. 362  Der assyrische König Sardanapallus ist ein häufig genanntes Negativbeispiel für ein allzu luxuriöses Leben. 363–366  Die Aufforderung, nicht auf die Götter, sondern auf die eigene Tugend zu vertrauen, und vor allem die abschließende Herabsetzung des Schicksals sind von mehreren Herausgebern für unecht erklärt worden, zumal die letzten zwei Verse eine Dublette zu 14.315 f. darstellen; vgl. Campana (2004 ad loc.).

Satire 11 1–55 Der peinliche Niedergang von Schlemmern, die sich für ihre Lust verschulden 56–63 Anrede an Persicus, den zukünftigen Gast des Satirikers 64–76 Ankündigung, welche Speisen serviert werden sollen 77–135 Die Speisen und die Ausstattung des Speisezimmers in der römischen Frühzeit 136–161 Die Bediensklaven 162–182 Das Unterhaltungsprogramm bei Tisch 183–208 Abschließender Appell an Persicus, das gemeinsame Mahl in Ruhe zu ge­ nießen V. 1–55 Nach der allgemeinen Meinung sollten gerade die Menschen, die nicht über die möglichen Mittel verfügen, sich der Schlemmerei enthalten, denn ihnen droht ein erbärmlicher Bankrott. Viele verspüren über ihre Schulden jedoch keinerlei Schamgefühl. 1 f.  Die Menschen bewerten es unterschiedlich, wenn der reiche Atticus oder der arme Rutilus luxuriöse Speisen zu sich nehmen. 3  Der zur Zeit des Augustus und Tiberius lebende M. Gavius Apicius (vgl. 4.22) erlangte als Feinschmecker Berühmtheit. Ihm sollte man nur nacheifern, wenn man sich das finanziell auch leisten kann. 5–8  Wenn Rutilus aufgrund seines teuren Lebensstils verarmt, kann er als Gla­ diator auftreten – ein denkbar tiefer Abstieg. Ein römischer Bürger, der sich dafür entschied, musste das einem Volkstribun melden.

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Anmerkungen

14  Im Meer, auf dem Land und in der Luft finden sich wohlschmeckende Le­ bensmittel. Dass man bei der Formulierung per omnia elementa zudem an das Feuer denken muss, ist im Sinne der satirischen Übertreibung. 16  Zu der Lesart emuntur (statt ementur) s. Bracci (2014 ad loc.). 18–20  Wenn sie ihr Geschirr – oder auch das in Stücke gehauene silberne Bildnis ihrer Mutter – zu Geld machen, können sie wieder ein teures Gericht zubereiten, aber nur in einem einfachen Tongefäß. 22  Wie Atticus (V. 1) ist Ventidius ein wohlhabender Schlemmer. 27  Der Aufruf »Erkenne dich selbst!« stand an dem Apollotempel in Delphi. Der Satz wird für gewöhnlich nicht im Zusammenhang mit banalen Alltagsproblemen wie der Frage, ob man sich teure Speisen leisten kann, verwendet. 30 f.  Aus dem Streit, den die Griechen um die Waffen des Achilles führten, hielt sich der unkriegerische Thersites heraus. Hier liegt die Vorstellung zugrunde, dass nicht einmal Odysseus der Rüstung des Achilles schließlich gerecht werden konnte; zur Gegenüberstellung von Thersites und Achilles vgl. 8.269–271. 42 f. Ein Crepereius Pollio wurde bereits in 9.6–8 als Bankrotteur beschrieben. Der Ring kennzeichnet die Mitglieder des Ritterstandes. Ein Ritter musste über ein bestimmtes Vermögen verfügen, der Verlust des Geldes führte somit zum Verlust des Ritterrings. 48 f.  Der Kreditgeber erbleicht, weil er angesichts des dreisten Verhaltens seines Schuldners um die Rückzahlung des Geldes fürchten muss. Die Wendung vertere solum (»den Boden wechseln«) spielt auf die in der römischen Republik geltende Rechtsregel an, der zufolge die italischen Landstädte aus Rom Verbannte aufneh­ men durften; vgl. Bracci (2014 ad loc.; dort auch Ausführungen zur umstrittenen Textgestalt). Ironischerweise wird diese Formulierung hier auf eine Fahrt ins luxuri­ öse Seebad Baiae (vgl. 3.4) angewandt, wo sich der verschuldete Schlemmer an den dort vorkommenden berühmten Austern erfreuen wird. 50 f.  Der Rückzug vom Forum steht hier zum einen für den Rückzug aus Rom, zum anderen bedeutet foro cedere aber auch »Bankrott gehen« (sich von dem Forum, wo die Geldgeschäfte abgewickelt wurden, zurückziehen). Wer von der belebten Subura in die vornehme Wohngegend des Esquilin zieht, verbessert seine Lage – wie auch der Schuldner durch seine Flucht ins luxuriöse Baiae. 54 f. Kein Tropfen Blut lässt das Gesicht solcher Leute erröten. Angesichts dieser Schamlosigkeit liegt der Schluss nahe, das Ehrgefühl fliehe aus Rom. 56–63 Der Satiriker spricht einen Persicus an, der bei einer gemeinsamen cena erfahren soll, dass es dem Sprecher mit seiner Ablehnung des übertriebenen Tafelluxus ernst ist. 57  Zum Text vgl. zusammenfassend Bracci (2014 ad loc.). 61–63 Mit einfacher Gastfreundschaft bewirtete der vor der Gründung Roms auf dem Palatin siedelnde König Euander sowohl den aus Tiryns stammenden Halb­



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gott Herkules als auch den »rangniedrigeren« Aeneas (der im Gegensatz zu Herku­ les kein Sohn Jupiters, sondern der Venus war). Beide wurden nach ihrem Tod an den Himmel versetzt: Aeneas starb beim Kampf in dem Fluss Numicius, Herkules verbrannte auf dem Berg Oeta. Die Stelle lehnt sich v. a. an Vergils Aeneis an, die Erwähnung der mythologischen Helden zur Beschreibung des einfachen Essens er­ weckt den Eindruck einer Epenparodie; vgl. Bracci (2014 ad loc.); Winkler (1990). 64–76 Die Speisen des gemeinsamen Mahls werden genannt. Sie stammen alle aus der näheren Umgebung. 69  Das Verrichten von Wollarbeit galt traditionell als Zeichen für den besonders sittsamen Charakter einer Frau. 73  In dem Ort Signia wurden vor allem Birnensorten angebaut, die aus Syrien importiert worden waren. 75 f.  In der römischen Medizin gab es die Vorstellung, dass getrocknetes Obst bekömmlicher sei als frisches. 77–135 Dem heute üblichen Tafelluxus werden die einfachen Speisen und die schlichte Ausstattung des Speiszimmers in der römischen Frühzeit gegenübergestellt. Heute seien kostspielige Möbel den Reichen so wichtig, dass sie das Essen selbst gar nicht mehr genießen könnten. 78  Als die Gesandten der Samniten für Friedensverhandlungen zu dem berühm­ ten Feldherrn und Zensor (272 v. Chr.) Manius Curius Dentatus kamen, sollen sie diesen beim Gemüsekochen angetroffen haben. Curius steht somit für die idealisier­ te einfache Lebensweise der Vorfahren. 81  Der ins Arbeitshaus auf dem Land gebrachte Sklave erinnert sich noch an den Geschmack der Gebärmutter einer Sau, die als Delikatesse galt. 86–89  Die Würdenträger aus dem frühen Rom waren stets mit der Feldarbeit beschäftigt – und das selbst an ihren persönlichen Ehrentagen. 90–92 Genannt werden die Namen bedeutender Persönlichkeiten und Familien aus der römischen Geschichte, die als Zensoren hart gegen den aktuell üblichen Luxus eingeschritten wären. 94–97  Die einfachen Speisesofa der Frühzeit werden den mit Schildpatt verzier­ ten Luxusmöbeln gegenübergestellt, auf denen die Abkömmlinge der Trojaner (eine epische Bezeichnung für die Römer; vgl. 1.100, 8.181) heutzutage speisen. 99  Der Vers wird von mehreren Gelehrten für eine spätere Ergänzung gehalten; vgl. die Argumente für die Echtheit bei Bracci (2014 ad loc.). 104–107 Mit den zerschlagenen Kunstgegenständen werden Schmuckplättchen für die Pferde und Rüstungen hergestellt. Der Helm des römischen Soldaten zeigt Romulus und Remus (die quirinischen Zwillinge) mit der Wölfin, welche die bei­ den säugte (also zahm wurde, damit das römische Reich entstehen konnte), sowie

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Anmerkungen

den Vater der Zwillinge, den Kriegsgott Mars, der hier in der Luft schwebend dar­ gestellt ist. 110  Die Echtheit des Verses ist angezweifelt worden, der gleichsam moralistische und ironische Ton passt jedoch zu Juvenal (Bracci 2014 ad loc.). 113 f.  Als Beleg für die Aussage, dass die Götter den Menschen damals näher ge­ wesen seien, wird auf M. Caedicius hingewiesen, der im Jahr 391 v. Chr. durch eine Stimme von den herankommenden Galliern gewarnt worden sein soll. 123–127  Die Tischbeine sind aus Elfenbein gefertigt, in das die Figur eines aufge­ richteten Panthers geschnitzt wurde. Das Elfenbein kommt von afrikanischen (aus der Stadt Syene und von den Mauren) und indischen Elefanten (aus dem Land der Nabatäer, wo mit Elfenbein gehandelt wurde). Hier liegt die Vorstellung zugrunde, dass Elefanten ihre Stoßzähne selbst abwerfen. 128 f.  Wenn Fuß des Tischs »nur« aus Silber (und nicht aus Elfenbein) ist, wird das wie ein Ring aus Eisen (und nicht aus Gold) als Zeichen von Armut bewertet. 136–161 Die Sklaven, die bei Tisch bedienen, sind nicht teuer: Sie wurden weder besonders gut ausgebildet, noch sind sie besonders attraktiv anzusehen. Sie kommen vom Land und sind grundanständig. 136–141  Bei der Ausbildung der Tranchiersklaven, wie sie bei luxuriösen Gelagen auftreten, werden Holzmodelle luxuriöser Speisen aus aller Herren Länder (sky­ thische Vögel sind Fasane) mit stumpfen Trainingsmessern bearbeitet. Das ist im Zentrum von Rom weithin hörbar. Der Name des Lehrmeisters weist diesen als weichlichen, dem Luxus zugeneigten Menschen aus (Ferguson 1979 ad loc.). 142–144  Den gut ausgebildeten Tafelsklaven wird unterstellt, dass sie auch be­ sonders geschickt darin seien, sich heimlich vom Tisch ihres Herren zu bedienen. 147 f.  Die Textgestalt ist umstritten; vgl. zusammenfassend (mit Argumenten für die Echtheit der Verse 147b–148a) Bracci (2014 ad loc.). 155  Aussehen und Anstand des ländlichen Sklavenknaben würde man sich bei einem jungen freigeborenen Römer in der toga praetexta (mit Purpursaum) wün­ schen. 156–158  Der Knabe ist noch jung und nicht sexuell korrumpiert und bietet sich daher nicht im öffentlichen Bad als Sexualobjekt an. Die Vorstellung, dass früher sexueller Kontakt der Stimme schadet, ist weit verbreitet (Stellen bei Bracci 2014 ad loc.), und mit pupillares testiculi (»kindliche Hoden«) dürften tatsächlich enthaarte Hoden gemeint sein (Gutiérrez González 2008), mit denen sich ein sexuell interes­ sierter Knabe als passiver Geliebter anbieten würde. Die drastische Darstellung der Verhaltensweisen, die der Sklave gerade nicht zeigen soll, lässt allerdings Zweifel aufkommen, ob er wirklich so anständig ist, wie es den Anschein hat (vgl. S. 76 f.). 161  Der Vers wird aus inhaltlichen und sprachlichen Gründen von allen jüngeren Herausgebern für unecht erklärt; vgl. Bracci (2014 ad loc.).



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162–182 Das Unterhaltungsprogramm bei Tisch wird keine anstößigen Lieder und Tänze leichter Mädchen enthalten, sondern allein aus Rezitationen und Gesprächen über große Dichtung bestehen. 162–164 Mädchen aus der spanischen Stadt Gades waren für ihre erotischen Ge­ sangs- und Tanzdarbietungen berühmt. 165–170  Die gesamte Passage ist verdächtig und wurde von mehreren Heraus­ gebern vollständig oder auch teilweise getilgt (vgl. zusammenfassend Bracci 2014 ad loc.); die Obszönität der Darstellung muss freilich nicht notwendigerweise für eine spätere Hinzufügung sprechen (gerade wenn man die vorangehenden Verse vergleicht). In jedem Fall stören die Ausführungen zu den anwesenden Ehefrauen (V. 165 f. 168b–169a) den gedanklichen Zusammenhang. 171–175  Dieser Gast hat nicht nur an unanständigen Tanz- und Gesangsdarbie­ tungen seine Freude, sondern spuckt auch den probierten Wein einfach auf den Boden. 180–182 Nach Rezitationen aus den Epen des Homer und des Vergil (Maro) wird man darüber diskutieren, welcher von beiden der größere Dichter ist (vgl. 6.434–437). 183–208 Der Satiriker appelliert an Persicus, vor der gemeinsamen Mahlzeit alle unangenehmen und anstrengenden Dinge im Leben einfach hinter sich zu lassen. 193 f.  Beim Fest der Megalesia wurde die Göttin Kybele (vom Berg Ida – daher »idäisches Fest«) verehrt. Dabei wurden Wagenrennen veranstaltet, zu denen das Signal mit einer Startflagge (»megalesisches Tuch«) gegeben wurde. 195  Hier liegt ein Wortspiel mit praetor und praeda (»Beute«) vor. 198  Die Mannschaft in grünen Trikots war ein besonders beliebtes Team beim Wagenrennen. 200 f.  Cannae war der Ort einer traumatischen Niederlage Roms gegen Hannibal (216 v. Chr.). 204  Die Toga wird als das Kleidungsstück genannt, das man bei offiziellen Auf­ tritten in der Öffentlichkeit – z. B. beim Besuch der Spiele – trug. 205 f.  Vor der Mittagszeit (der sechsten Stunde) ins Bad zu gehen, war eigentlich nicht üblich, da in der Regel noch weitere Verpflichtungen zu erfüllen waren.

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Anmerkungen Satire 12

1–16 Dankopfer anlässlich der Rückkehr eines Freundes von einer gefährlichen Reise 17–82 Schiffbruch und Rettung 83–92 Rückkehr zum Thema der Dankopfer 93–130 Die Opfer der skrupellosen und grausamen Erbschleicher V. 1–16 Der Satiriker dankt den Göttern dafür, dass ein Freund wohlbehalten von einer gefährlichen Reise zurückgekehrt ist, mit Tieropfern. 3–6  Jupiter, Juno (der Königin) und Minerva, welche das Haupt der aus Libyen stammenden Medusa (der maurischen Gorgo) auf ihrer Rüstung trägt, werden Op­ fertiere dargebracht (dazu gehört auch das Besprengen der Opfer mit Wein). Die drei Gottheiten wurden als sogenannte Kapitolinische Trias auf dem Kapitol (auch Mons Tarpeius, daher die Bezeichnung »tarpeiischer Jupiter«) verehrt. 10–14  Der Dichter würde gerne einen teureren Stier spendieren, der so groß wäre, dass nicht jeder Opferdiener ihm den Todesstoß versetzen könnte. Die Rinder, die am Fluss Clitumnus (in Umbrien) weideten, waren berühmt. 17–82 Catullus, ein Freund des Satirikers, erlitt auf einer Seefahrt Schiffbruch, konnte sich und das Schiff aber durch sein besonnenes Verhalten retten. 23 f.  Der Satiriker bietet einen humorvollen Vergleich mit der Darstellungen von Stürmen, wie sie in Epen häufig vorkommen. 28  Die Göttin Isis war auch für die Bewahrung vor Schiffbruch notwendig, sodass Isistempel häufig Votivtafeln mit entsprechenden Abbildungen zeigten. 34–36  Biber wurden gejagt, da man einem Sekret aus ihren Geschlechtsorganen (»Bibergeil«) heilende Wirkung zuschrieb. Daraus resultierte die Vorstellung, dass Biber sich ihre Geschlechtsorgane abbeißen und dem Jäger zurücklassen, um am Leben zu bleiben. Dies wird hier mit dem Überbordwerfen der Ladung verglichen, wodurch das Schiff gerettet werden soll. 38–42 Maecenas, der berühmte Förderer der Dichtung, wurde mit einem luxuri­ ösen (und verweichlichten) Lebensstill assoziiert. Die hohe Qualität der Luxusklei­ dung macht auch der Hinweis auf die Schafe, die an dem spanischen Fluss Baetis weiden, deutlich; deren Wolle soll goldfarben gewesen sein. 43–45  Parthenius war ein einflussreicher Freigelassener am Hofe Domitians. Von dem Kentauren Pholus heißt es, er habe beim Kampf der Kentauren mit den La­ pithen einen gewaltigen Mischkrug geworfen. Nach dem historischen und dem mythologischen Beispiel sorgt die Erwähnung einer offenbar bekannten Trinkerin aus der römischen Gesellschaft für eine humorvolle Antiklimax: Für die Ehefrau des Fuscus wäre eine Urne Wein (gut 13 Liter) gerade richtig.



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47  Philipp II. von Makedonien nahm die Stadt Olynthus durch Bestechung füh­ render Bürger ein. 51 f.  Die beiden Verse werden von den meisten Herausgebern getilgt; für inhaltli­ che und sprachliche Argumente s. Courtney (1980 ad loc.). 54 f.  Zur Bedeutung von se explicat angustum s. Adkin (2008, 128–130). 61 Griffith (1969, 385) tritt mit guten Argumenten für die Beibehaltung des über­ lieferten aspice (in der Bedeutung »inspect«) ein. 74  Der Seemann erblickt die Albaner Berge. Die dort gelegene Stadt soll von Aeneas’ Sohn Iulus (Ascanius) gegründet worden sein, nachdem er die von Aeneas erbaute Stadt Lavinium seiner Stiefmutter Lavinia überlassen hatte. Der Ort zum Bau der neuen Stadt wurde den Trojanern (Phrygiern) durch das Wunder einer weißen Sau mit dreißig Ferkeln angezeigt. 75–78  Der von Kaiser Claudius erbaute Hafen (portus Augusti) wurde von zwei Molen eingeschlossen, die weit ins Meer hinausragten, dort abknickten und aufein­ ander zuliefen. Der dort errichtete Leuchtturm wird nach dem berühmten Leucht­ turm auf Pharos bei Alexandria als tyrrhenischer (eigentlich etruskischer und daher italischer) Pharos bezeichnet. 80 f.  Innerhalb des Hafens war ein weiteres Becken abgetrennt, dessen stehendes Wasser sogar für ein Boot, wie es in dem am geschützten Lukriner See gelegenen Badeort Baiae benutzt wurde, ungefährlich war. 81  Zum Zeichen der Dankbarkeit für die Rettung aus Seenot rasierten sich See­ leute den Kopf. 83–92 Wie am Beginn der Satire werden die geplanten Dankopfer für die Götter beschrieben. 83–85  Der Fokus richtet sich wieder auf die Vorbereitung des Opfers: Die Skla­ ven sollen bei der heiligen Handlung schweigen, die Schreine der kapitolinischen Gottheiten (V. 3–6) bekränzen, die Opfermesser mit Opfermehl bestreuen und die Rasenaltäre herrichten. 87–92  Auch den Bildern der Hausgötter (Laren) soll noch ein Opfer dargebracht werden. Dazu wird das Haus mit Blumen und Zweigen geschmückt. Die Statuen der Götter wurden offenbar mit Wachs behandelt, um sie zu schützen und ihnen einen Glanz zu verleihen (zusammenfassend zu der umstrittenen Stelle: Stramaglia 2008 ad loc.). 93–130 Der Dichter grenzt sich von der Praxis der Erbschleicher ab, die für die Rettung eines Freundes nur dann ein Opfer versprechen, wenn sie auf ein lohnendes Erbe hoffen dürfen, und dabei selbst vor Mordtaten nicht zurückschrecken. 100 f.  Die Hekatombe ist ein Opfer von hundert Stieren, das hier für die Gene­ sung der kinderlosen Reichen versprochen wird. Wären Elefanten verfügbar, würde man sogar geloben, diese Tiere zu opfern.

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Anmerkungen

105–110  In Italien wurden Elefanten in den kaiserlichen Wäldern bei Ardea (der Stadt des Rutulerfürsten Turnus) gehalten. Den Römern waren sie durch Kämp­ fe gegen den Molosserkönig Pyrrhus sowie gegen den Karthager (Tyrer) Hannibal bekannt geworden; sie wurden auch im römischen Heer eingesetzt. Im Heer des Pyrrhus trugen sie Soldaten in kleinen Gefechtstürmen in die Schlacht. 111–114  Die beiden (sonst unbekannten) Erbschleicher würden tatsächlich Ele­ fanten opfern, um sich Galittas Wohlwollen und somit ihr Erbe zu sichern. 118–120  Der Ehebrecher Pacuvius Hister will sogar seine eigene Tochter opfern. Diese wird hier mit der mykenischen Königstochter (vgl. V. 127) Iphigenie vergli­ chen, welche ihr Vater Agamemnon, der Diana zu opfern bereit war, um die Heim­ kehr der griechischen Flotte zu sichern. Nach einer Version des Mythos wurde das Opfer jedoch dadurch verhindert, dass die Göttin Iphigenie durch eine Hirschkuh ersetzte. Pacuvius Hister würde das Opfer vollziehen und hofft dabei nicht auf eine solche glückliche Wendung. 122  Libitina ist die für das Begräbnis zuständige Göttin. 123  Die Erbschleicherei wird häufig mit der Tätigkeit eines Fischers verglichen. Hier ist dem Erbschleicher sein Opfer wie ein großer Fisch ins Netz gegangen. 128–130  Was zunächst wie eine Fortsetzung der (ironischen) Preisung des Pacuvi­ us klingt, erweist sich schließlich als Verwünschung. Nestor galt als Paradebeispiel für einen Menschen, der ein hohes Alter erreichte (vgl. 6.325 f.; 10.246 f.).

Satire 13 1–4 Das Schuldbewusstsein als Strafe für die Verbrecher, die nicht verurteilt werden 5–70 Entrüstung über Unehrlichkeit als Zeichen von Naivität 71–119 Unehrliche Schuldner, die nicht einmal die Strafen der Götter fürchten 120–173 Die allgegenwärtige Präsenz von Verbrechen in Rom 174–249 Der Wunsch nach Rache an den Übeltätern V. 1–4 Die Satire beginnt mit dem Gedanken, dass Menschen, die sich schuldig gemacht haben, auch dann von ihrem schlechten Gewissen geplagt werden, wenn sie vor Gericht nicht verurteilt werden. 4  Das schlechte Gewissen plagt den Schuldigen auch dann, wenn er durch un­ redliche Einflussnahme einen Freispruch erlangt hat. Wahrscheinlich ist die Mani­ pulation der Wahlurne gemeint, mit welcher der Prätor die Richter für den Prozess bestimmt; vgl. Courtney (1980 ad loc).



Satire 13

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5–70 Wenn Calvinus darüber schockiert ist, dass er das Geld, das er einem Freund geliehen hat, nicht zurückbekommt, dann ist dies unangemessen: Es gibt viel schlimmere Schicksalsschläge, mit denen der Mensch umzugehen hat. Ohnehin ist in diesen Zeiten unrechtes Verhalten der Normalfall. Entrüstung darüber zeugt folglich von Naivität. 10  Das Bild vom »Haufen« der Schicksalsgöttin Fortuna lässt an eine Menge Lose denken, aus denen ein beliebiges gezogen werden kann. Was Calvinus widerfahren ist, kommt jedoch häufig vor. 17  Zur Diskussion darüber, welcher Konsul Namens Fonteius gemeint sein dürf­ te, vgl. Ficca (2009 ad loc.). 19–22 Nicht nur durch philosophische Schriften, sondern auch durch Lebenser­ fahrung kann man lernen, in schwierigen Situationen zurechtzukommen. 27  Die Stadt Theben hat sieben Tore, der reiche (d. h. für fruchtbaren Boden sorgende) Nil sieben Mündungen. 28–30  Die Weltzeitalter sind eigentlich nach Metallen benannt: Das goldene Zeitalter ist der Idealzustand, das silberne, bronzene und eiserne Zeitalter kenn­ zeichnen den moralischen Niedergang der Menschheit (vgl. 6.1–24). Doch kein Metall würde zu einem so niedrigen moralischen Standard passen, dass man mit ihm das gegenwärtige Zeitalter klassifizieren könnte. Zu den Problemen mit der Erwähnung eines »neunten« Zeitalters vgl. auch Ficca (2009 ad loc.). 32 f.  Faesidius ist ein Patron, der seine Klienten mit der sportula (materieller Un­ terstützung für Klienten; vgl. 1.95–99) beschenkt hat, worauf diese ihm lauthals zu­ jubeln, wenn er als Anwalt vor Gericht auftritt. Wörtlich ist es »die stimmgewaltige sportula«, die hier schreit. 33 Die bulla ist eine Kapsel, die Kinder zum Schutz vor Unheil um den Hals tra­ gen (vgl. 5.164 f.). Ihre Erwähnung soll zeigen, wie naiv der alte Calvinus ist, wenn er auf die Einhaltung moralischer Grundsätze pocht. 37  Der Altar ist vom Blut der Opfertiere rot. 38–41  Im Goldenen Zeitalter gab es noch keinen Meineid. Es ist das Zeitalter des Saturn, der schließlich von seinem Sohn Jupiter (der auf dem Berg Ida auf Kreta ge­ boren worden war) vertrieben wurde. In Latium wurde Saturn als Landgottheit ver­ ehrt. Erst nach seiner Vertreibung übernahmen die olympischen Götter die Macht, ihr Herrscher wurde Jupiter, seine Frau war Juno. Insgesamt wirkt die Darstellung der Gottheiten wenig respektvoll. 42–45  Bei den Gelagen der Götter auf dem Olymp mischten der von Jupiter aus Troja (Ilion) entführte Knabe Ganymed bzw. Hekules’ Frau Hebe den Göttern den Wein. Dass der Schmiedegott Vulcanus zunächst seinen Nektar hinunterstürzt und erst dann seine schmutzigen Arme wäscht, zeugt wohl von schlechten Tischsitten; zu Problemen mit dem Text s. Ficca (2009 ad loc.).

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Anmerkungen

46–49  Der Titan Atlas (das personifizierte Atlasgebirge), der das Himmelsgewöl­ be trägt, muss immer größere Lasten bewältigen, weil immer mehr Gottheiten ge­ schaffen werden – v. a. durch die Vergöttlichung von Herrschern. 49 f.  Durch Losentscheid waren Jupiter der Himmel, Neptun das Meer und Pluto (später raubte er auf Sizilien seine Ehefrau Proserpina) die Unterwelt zugefallen; zur Textgestalt s. Ficca (2009 ad loc.). 51 f.  Da es im Goldenen Zeitalter noch kein Verbrechen gab, wurden im Tartarus auch noch keine Sünder bestraft, und es gab keine Rachegeister (Furien). Hier geht es um Ixion, der auf ein Rad geflochten wurde, Sisyphus, der fortwährend einen Stein auf einen Berg rollte, und Tityus, von dessen immer wieder nachwachsenden Leber ein Geier fraß. 55 Möglicherweise verstärkt die Verwendung des Diminutivums vetulus (»alt«) den ironischen Ton; vgl. Courtney (1980 ad loc.): »old fellow«. 56 f.  Beeren und Eicheln sind typische Nahrungsmittel des Goldenen Zeitalters, in dem noch keine Landwirtschaft betrieben wurde. Deren üppiges Vorhandensein wird hier als Zeichen für Wohlstand gedeutet. Angesichts der Tatsache, dass im Goldenen Zeitalter persönlicher Besitz gerade keine Rolle spielt, ist die Vorstellung, ein Knabe müsse einem älteren Mann selbst dann mit Respekt begegnen, wenn er aus einem wohlhabenderen Haushalt – mit entsprechenden Statussymbolen – stammt, absurd. 62 f.  Wunderzeichen – und als solches wird die Ehrlichkeit hier bewertet – wur­ den von etruskischen Opferpriestern gedeutet, wozu Weissagungsbücher verwen­ det wurden. Durch Opfer sollte Unheil, das die Zeichen ankündigten, abgewendet werden. 71–119 Unehrliche Schuldner haben nicht einmal Skrupel, bei den Göttern zu schwören, dass sie kein Geld erhalten haben – weil sie gar nicht an die Götter glauben oder die Götterstrafen in Kauf nehmen oder auf die Nachsicht der Götter hoffen. 78–83  Dass der Betrüger nicht davor zurückschreckt, seinen Meineid bei den Waffen der Gottheiten zu schwören, zeigt seine Skrupellosigkeit. Die tarpejischen Blitze verweisen auf Jupiter und dessen Tempel auf dem Kapitol (dem tarpejischen Felsen). Der Seher von Kirrha (Hafen von Delphi) ist der mit Pfeil und Bogen be­ waffnete Apollo, das jagende Mädchen seine Schwester Diana. Weiterhin wird der Meeresgott Neptun genannt. 84 f.  Der Meineidige bekräftigt seinen Schwur, indem er die Bereitschaft beteuert, seinen Sohn zu essen – der allerdings vorher schmackhaft zubereitet werden soll. 86–89  Anhänger der epikureischen Philosophie glauben nicht an den Einfluss der Götter, sondern weisen alles einer Abfolge von Zufällen zu. Sie schwören ohne Bedenken bei den Götteraltären (die beim Schwur berührt wurden).



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90  Der Vers dürfte nachträglich als Übergang von denjenigen, die nicht an einen Einfluss der Götter auf die Menschen glauben, zu denjenigen, welche die Götter fürchten, aber dennoch falsch schwören, eingefügt worden sein; vgl. die Zusam­ menfassung der Diskussion bei Ficca (2009 ad loc.). 93 Das sistrum war eine Klapper, die bei den Ritualen der Göttin Isis ertönt. Da­ mit wird offenbar der Gedanke an die Waffen der Götter aus V. 86–89 aufgegriffen (Courtney 1980 ad loc.). 96–99  Selbst Ladas, ein Sieger im Wettlauf von Olympia (wo die Sieger den Oli­ venkranz aus dem nahe gelegenen Pisa erhielten), wäre bereit, seine gesunden Beine gegen Wohlstand einzutauschen – wenn er nicht verrückt sein sollte (und die in der Stadt Anticyra wachsenden Heilpflanzen sowie den Besuch eines Arztes benötigte; vgl. 6.236). 110 f.  Wenn der Schuldner seinen Gläubiger sogar dazu drängt, dass er im Tempel seine Unschuld beschwören darf, dann ist das eine Posse, wie sie in den Stücken des Mimenautors Catullus (vgl. 8.185–188) zu sehen waren. Möglicherweise gab es ein Stück, in dem ein entlaufener Sklave (der als scurra für die Unterhaltung des Herren und seiner Gäste zuständig war) bei den Göttern schwor, dass er ein freier Mann sei. 112 f.  Hier wird der Gläubiger angesprochen, der in seiner Wut besonders laut schreit: In der Ilias heißt es, der Grieche Stentor habe eine Stimme wie die von 50 Männern gehabt (5.785 f.) und Mars habe nach seiner Verwundung gebrüllt wie 9000 oder 10.000 Männer (5.859 f.). 116–118  Beim Opfer wurde Weihrauch aus einem Papierpäckchen ausgewickelt und ebenso wie die Eingeweide der Opfertiere verbrannt. 119  Wenn die Götter nicht reagieren, haben sie ihre Ehrenstatuen auch nicht mehr verdient als ein schlechter Redner wie Vagellius (vgl. 16.23). 120–173 Das zentrale Argument zum Trost des Calvinus lautet: Betrug ist ein vollkommen gängiges Verbrechen, und Verbrechen sind in Rom ohnehin etwas ganz Normales. Angesichts der Tatsache, dass dem Menschen viel schlimmere Dinge passieren könnten, gibt es keinen Anlass, sich über den Verlust von Geld zu beklagen. 121–123  Die bekanntesten Philosophenschulen werden genannt, um deutlich zu machen, dass nicht auf der Grundlage philosophischer Lehrmeinungen argumen­ tiert wird: Der Unterschied zwischen den Stoikern und den besitzlosen Kynikern wird hier auf die unterschiedliche Kleidung der Philosophen beider Schulen redu­ ziert. Epikur traf die Anhänger seiner Schule in einem Garten in Athen. 124 f.  Philippus war ein Schüler des berühmten Archigenes (V. 98). Der Satiriker vergleicht sein eigenes »heilendes« Wirken mit dem eines Assistenzarztes, was in dem eher leichten Fall des Calvinus ausreichen müsste. 129 f.  Der sarkastische Kommentar des Satirikers mag darauf anspielen, dass bei öffentlichen Trauerfällen die Türen der Häuser zu schließen waren (Friedlaender

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Anmerkungen

1895 ad loc.). Ohnehin ist es deshalb angeraten, hinter verschlossenen Türen zu trau­ ern, weil sonst jeder sehen kann, dass der Schmerz über den Verlust von Geld viel heftiger ist als die Trauer um einen Menschen. 132–134  Das Zerreißen der Kleidung galt als Ausdruck von Trauer, die aber auch geheuchelt werden konnte, indem man seine Kleidung nur oben am Hals ein wenig einriss und sonst schonte. Beim Verlust von Geld käme das jedoch niemandem in den Sinn, weil dann jeder echte Trauer verspürt. 136–139  Die Dokumente, welche die Geldschuld belegen, tragen die Handschrift des Schuldners und sein Siegel (aus wertvollem Edelstein). Dennoch akzeptiert er auch nach mehrmaligem Lesen des Dokumentes nicht, dass er Geld zurückzahlen muss. 153  V. 153 wird von mehreren Herausgebern als Interpolation verdächtigt (teilwei­ se auch V. 151 f.). Vgl. jedoch die Argumente von Ficca (2007), auf die auch die hier gewählte Interpunktion zurückgeht; weiterhin Schmitz (2000, 281 f.). 155 f.  Der Mord an einem nahen Verwandten wurde damit bestraft, dass der Mör­ der gemeinsam mit einem Hund, einer Schlange und einem Affen in einen Leder­ sack eingenäht und ins Meer geworfen wurde; vgl. 8.213 f. 157–160  C. Rutilius Gallicus hatte unter Kaiser Domitian das Amt des Stadtprä­ fekten inne. Mit una domus ist entweder das Haus gemeint, in dem Gallicus die Anzeigen von Verbrechen entgegennahm, oder eher »jedes beliebige Haus in Rom«; vgl. Ficca (2009 ad loc.). 162 f.  Laut dem Satiriker ist für Alpenbewohner ein geschwollener Kropf ebenso normal wie für Afrikanerinnen (Meroe ist eine Stadt in Afrika) übergroße Brüs­ te, sodass sich bei diesen Völkern niemand über solche körperlichen Merkmale wundern würde (vgl. für denselben Gedanken auch die folgenden Verse). Ebenso wundere sich bei den Römern angesichts der zahlreichen in Rom begangenen Ver­ brechen niemand darüber. 166  Zu den inhaltlichen und sprachlichen Gründen für die Streichung des Verses s. Ficca (2009 ad loc.). 167–170 Es gibt zahlreiche Beschreibungen von Kämpfen der Pygmäen gegen die Kraniche aus Thrakien. 174–249 Der Wunsch des Calvinus nach Rache ist unangebracht, wird sich aber letztlich erfüllen, weil die Verbrecher von ihrer Angst vor Entdeckung gequält und schließlich auch ertappt und verurteilt werden. 183  Der Vers unterbricht den Gedankengang von V. 182 zu 184; vgl. Courtney (1980 ad loc.). 184–187  Als Beispiele für gelehrte Menschen, die nicht nach Rache dürsten, wer­ den die Philosophen Chrysipp, Thales und Sokrates genannt. Letzterer wurde 399 v. Chr. in Athen (in der Nähe des für seinen Honig berühmten Bergs Hymettus) zum



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Tode durch den Schierlingsbecher verurteilt. Sokrates trank das Gift bereitwillig und wünschte nicht etwa seinen Anklägern ebenfalls den Tod. 187–189  Auch diese Aussage stört den Gedankengang und dürfte nachträglich in den Text eingefügt worden sein; vgl. zusammenfassend (auch mit einem Referat der Versuche zur Rettung der Passage) Ficca (2009 ad loc.). 197  Caedicius dürfte ein berühmter Ankläger vor Gericht gewesen sein. Rhada­ mantus ist einer der Totenrichter in der Unterwelt. 199–207  Als Beispiel für die Angst vor Bestrafung wird die Geschichte von dem Spartaner Glaukas erzählt: Dieser hatte beim Apollo-Orakel in Delphi die Orakel­ priesterin Pythia gefragt, ob er bei ihm hinterlegtes Geld behalten dürfe. Als ihm die Ausrottung seines Geschlechts prophezeit wurde, bat er um Verzeihung, doch tatsächlich starb seine Linie aus. 226 Neben iudicet ist auch vindicet (»als ob das Feuer ... Rache nähme«) über­ liefert. Offenbar liegt hier aber die Vorstellung zugrunde, dass der Blitzschlag das Urteil darüber fällt, wer sein Opfer sein soll; vgl. zusammenfassend Ficca (2009 ad loc.). 236 Mehrere Gelehrte sehen in dem Vers einen Widerspruch zu V. 240, wo von der Unveränderlichkeit der natura die Rede ist. Allerdings macht das Nebeneinan­ der der beiden Verse deutlich, wie der Übeltäter zwischen der Unerschütterlich­ keit beim Begehen eines Verbrechens (V. 237: constantia), die seine wahre Natur ausmacht (V. 240), und den Zuständen von Angst vor Bestrafung hin- und her­ schwankt; vgl. zusammenfassend Ficca (2009 ad loc.). 241 f. Es gab die Vorstellung, dass man die Schamesröte durch das Reiben der Stirn ablegen konnte. 245  An einem Haken wurden hingerichtete Verbrecher aus dem Kerker geschleift. 246 f.  Häufig wurden Menschen auf die Kykladeninseln im Ägäischen Meer ver­ bannt. 249  Die Götter erhören doch die Bitten der Betrogenen, sie sind also nicht taub oder blind wie der Seher Teresias.

Satire 14 1–37 Die schlechten Beispiele, die Eltern ihren Kindern geben 38–69 Aufforderung an die Väter, ihre Söhne keinen schädlichen Einflüssen aus­ zusetzen 70–106 Beispiele für die Nachahmung der Eltern durch die Kinder 107–225 Die Erziehung der Kinder zur Raffgier durch die Eltern

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Anmerkungen

226–255 Die Gefahr, dass ein Vater von seinem habgierigen Sohn ermordet wird 256–331 Die Leiden der habgierigen Menschen V. 1–37 Kinder können gar nicht anders, als den schlechten Vorbildern ihrer Eltern zu folgen – sei es in Bezug auf Glückspiel, übertriebenen Luxus, Grausamkeit oder Sittenlosigkeit. 1A  Der offensichtlich aus einer Überschrift in den Text gelangte Vers ist unver­ ständlich und bleibt hier unübersetzt. 5  Vgl. zu der bulla, die Kinder zum Schutz vor Unheil um den Hals tragen, 5.164 f. und 13.33. 12  Selbst der Unterricht bei zahlreichen Philosophen, die den Knaben zu einem maßvollen Leben anleiten, wird diesen nicht von seiner Begeisterung für Tafelluxus abbringen. 16–18  Der sonst unbekannte Rutilus ist ein Beispiel für einen Herren, der seine Sklaven grausam behandelt. So missachtet er die stoisch geprägte Erkenntnis, dass auch Sklaven Menschen sind und aus derselben materia bestehen wie alle anderen Menschen. 19 f.  Das Verhalten des grausamen Herren wird anhand von Figuren aus der Odyssee beschrieben: Für Rutilus ist das Geräusch von Schlägen schöner als der betörende Gesang der Sirenen. Er wird außerdem mit zwei Menschenfressern vergli­ chen: mit dem Lästrygonenkönig Antiphates und dem Kyklopen Polyphem. 22 Möglicherweise wurden die Handtücher wegen der Unaufmerksamkeit des Sklaven in der Badeanstalt gestohlen (Courtney 1980 ad loc.). Dafür wird der Sklave gefoltert. 23 f.  Die beiden V. 23 f. werden von Housman (1905; gefolgt von Courtney 1980, Willis 1997, Braund 2004) hinter V. 14 verschoben. Auch wenn dies eine sinnvolle gedankliche Abfolge schafft, ist der überlieferte Text doch ebenfalls so verständlich und nachvollziehbar, dass die Umstellung nicht gerechtfertigt erscheint. 29 f.  Auf kleinen Wachstafeln werden dem Liebhaber geheime Nachrichten ge­ schickt. Als Überbringer dienen passive Homosexuelle, denen man grundsätzlich ein sittenloses Verhalten unterstellte; vgl. 6.O1–O34. 34 f.  Der Titan Prometheus formte die Menschen aus Ton. Wenn das Kunsthand­ werk und die Qualität des Materials besonders gut sind, könnte ein Sohn gegen die schlechten Beispiele aus seiner Familie immun sein. 38–69 Die Väter werden aufgefordert, ihren Söhnen ein gutes Vorbild zu sein und sie von schädlichen Einflüssen fernzuhalten. 41–43  Während es schlechte Menschen wie Catilina, den Verschwörer aus dem Jahr 63 v. Chr. (vgl. 2.27, 8.231, 10.288), überall gibt, ist es schwieriger einen anstän­ digen Menschen zu finden: M. Iunius Brutus setzte sich durch die Beteiligung an



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der Ermordung Caesars für den Erhalt der Republik ein. Sein Onkel M. Porcius Cato war von Caesar bei Utica geschlagen worden und hatte danach Selbstmord begangen (46 v. Chr.). 58  Zur Behandlung von Geisteskrankheiten wurden Schröpfköpfe am Kopf ange­ setzt, um durch die Erzeugung von Unterdruck das Blut herauszuziehen. 67  Zum Reinigen verschmutzter Böden wurde Sägemehl ausgeschüttet und dann aufgefegt. 70–106 Dass die Söhne das Verhalten der Väter imitieren, ist von der Natur vorgegeben, wie auch Beispiele aus der Tierwelt zeigen. 81 Gemeint ist der Adler. 86–90  Der sonst unbekannte Caetronius ist ein Beispiel für übersteigerte Lust am Bauen – sowohl am Meer als auch in den Bergen. 91  Posides, ein Freigelassener des Kaisers Claudius, hatte sich offenbar ein prunk­ volles Haus in der Nähe des Göttertempels auf dem Kapitol in Rom errichtet. 97  Da der Name Gottes in der jüdischen Religion nicht genannt wird und Be­ zeichnungen für den Himmel als Synonym Verwendung fanden, kam die fehlerhaf­ te Vorstellung auf, dass die Juden den Himmel verehrten. 103 f.  Den Juden wird nachgesagt, dass sie nur mit Juden Umgang pflegen und anderen Menschen nicht einmal die Frage nach dem Weg oder dem nächsten Brun­ nen beantworten würden. 107–225 Ehrgeizige Väter erziehen ihre Söhne sogar bewusst zur Raffgier. 114  Sowohl die goldenen Äpfel der Hesperiden als auch das goldene Vlies in Kol­ chis (am Schwarzen Meer) wurden von einem Drachen bewacht. 117  Da der Vers kaum etwas zum Inhalt des Vorangehenden ergänzt, wird er von einigen Gelehrten für unecht gehalten. Er hebt aber hervor, wie skrupellos diese »Künstler« sind (Courtney 1980 ad loc.), zudem mag die Wiederholung das stetige Anwachsen des Vermögens unterstreichen (Zullo 2016 ad loc.). 119  Auch dieser Vers wird als spätere Hinzufügung verdächtigt. Vgl. jedoch Courtney (1980 ad loc.). 126  Bei der Zumessung der Getreideration für die Sklaven verwendet der Geizige falsche Messgefäße. 127–133  Der Geizige hebt auch leicht verderbliche Speisen auf – und das selbst zur heißen Jahreszeit (der September galt als der heißeste Monat). Die genann­ ten Lebensmittel sind durchweg sehr einfach und billig. Dennoch werden sie wie Reichtümer weggeschlossen. 134  Brücken waren Aufenthaltsorte für Bettler. 153–155  Die Hülse einer Lupine ist denkbar wenig wert. Der Geizige würde aber selbst einen derart geringen Gewinn einem guten Ruf in Armut vorziehen.

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Anmerkungen

160  Der sabinische König Tatius herrschte in der Frühzeit Roms gemeinsam mit Romulus über die Stadt. 161 f.  Zu Zeiten der römischen Republik wurden selbst die Veteranen, die in Krie­ gen gegen bedeutende Feinde der Römer gekämpft hatten, mit einem eher beschei­ denen Stück Ackerland belohnt, auf dem sie sich zur Ruhe setzen konnten. 169–171  Die erwachsenen Söhne, die auf dem Feld hart arbeiten müssen, bekom­ men mehr zu essen. 180–184 Mitglieder altitalischer Stämme bekunden, wie gut es ihnen geht, da sie sich nach der Erfindung des Ackerbaus nicht mehr von Eicheln ernähren müssen (vgl. zu Eicheln als der Nahrung der Frühzeit 6.10, 13.57). 190–193  Der ehrgeizige Vater treibt seinen Sohn auch in den langen Winternäch­ ten (in denen der Sohn eigentlich lange schlafen möchte) an, eine Karriere zu ma­ chen. Als erste Möglichkeit wird die Tätigkeit des Juristen genannt, der sich mit Gesetzestexten (deren Überschriften rot geschrieben waren) befasst. 193–198  Die zweite Möglichkeit für eine Karriere ist die Offizierslaufbahn, die ihm den Stab, das Zeichen eines Zenturio, und die Führung einer Legion (mit ihrem Legionsadler) einbringen soll. Der für das Gesuch des Sohnes zuständige Offizier Laelius soll auch durch ein ungepflegtes und dadurch männlich und kräftig wirkendes Auftreten überzeugt werden. 200–204  Als dritte Möglichkeit wird die Tätigkeit des Kaufmanns genannt, der auch keine Scheu haben sollte, mit übelriechenden Dingen wie Leder (das entfernt vom Stadtzentrum am anderen Tiberufer gegerbt wurde) zu handeln. 208 f.  Bei den beiden Versen dürfte es sich um eine spätere Ergänzung handeln. Möglicherweise hängen sie mit dem vorausgehenden – sonst unbekannten – Zitat zusammen; vgl. Courtney (1980 ad loc). 213 f.  Als Beispiel dafür, dass ein Sohn seinen Vater übertreffen kann, werden be­ deutende Helden des Mythos genannt. 215–219  Der Satiriker bietet dem ehrgeizigen Vater, der seinen Sohn zur Raffgier erziehen möchte, eine ironische Beruhigung: Dieser werde, wenn er heranwächst, früh genug bereit sein, seinen Besitz auf unrechte Weise zu vergrößern. Beim Schwören eines Eides wurde der Altar eine Gottheit berührt. Der meineidige Sohn übertreibt dies, indem er auch noch den Fuß der Götterstatue anfasst. 226–255 Väter, die ihre Söhne zur Raffgier erziehen, müssen um ihr Leben fürchten: Wenn der Sohn es nicht abwarten kann, seinen Vater zu beerben, wird er einen Giftmord planen. 229  Sowohl der Satzbau als auch der Inhalt erweisen den Vers als Interpolation. Möglicherweise liegt an dieser Stelle eine Textlücke vor; vgl. Courney (1980 ad loc.). 239  Die Decier weihten vor einer Schlacht ihr Leben den Göttern und sicherten so dem römischen Heer den Sieg (vgl. 8.254).



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240–243  Beim Zug der »Sieben gegen Theben« opferte sich Menoeceus, um in Erfüllung eines Spruchs des Sehers Tiresias die Heimat zu retten. Der Sage nach waren die Thebaner aus den Zähnen eines von Kadmos erschlagenen Drachen ent­ standen. 248–250  Der Sohn hat die Astrologen beauftrag, aus der Konstellation zur Ge­ burtsstunde des Vaters dessen Todesdatum zu berechnen. Er will aber nicht warten, bis der Lebensfaden, den die Parzen (Schicksalsgöttinnen) spinnen, an seinem Ende ist, und schmiedet Mordpläne. 251  Der Hirsch galt als besonders langlebiges Tier. 252–255 Um die Giftanschläge des Sohnes zu überleben, soll sich der Vater von dem Arzt Archigenes (vgl. 6.236, 13.98) ein Gegengift herstellen lassen. Mithrida­ tes soll sich durch die Einnahme geringer Mengen von Gift gegen eine Vergiftung immunisiert haben (6.660 f.). Darin liegt für den Vater die einzige Chance, noch einmal den Frühling zu erleben. 256–331  Habgierige Menschen werden immer von ihren Bedürfnissen gequält werden. Nur ein bescheidenes Leben kann Zufriedenheit bringen. 260–262 Geld wurde oft in Tempeln deponiert (hier im Tempel von Castor und Pollux). Der Marstempel kommt dafür aber nicht mehr in Frage, denn offenbar hat der Kriegsgott seinen Helm durch Tempelraub verloren (möglicherweise ist der Ausdruck sprichwörtlich, in etwa: »hat sein letztes Hemd verloren«; vgl. Courtney 1980 ad loc.), wofür dieser »Rächer« keine Rache genommen hat. So kann sein Tem­ pel nicht mehr als sicherer Ort gelten. 262 f.  Bei den Festspielen zu Ehren der genannten Göttinnen gab es beliebte Büh­ nendarbietungen. 267–271  Der angesprochene mercator handelt mit Gewürzen (sein Schiff bringt offenbar den berühmten Safran aus Korykos – vgl. auch den Hinweis auf einen »stinkenden« Gewürzsack) und anderen wertvollen Speisen. Die Weinflaschen stammen wie Jupiter von der Insel Kreta. 272 Gemeint ist der Seiltänzer aus V. 267. 278–280 Es werden als gefährlich geltende Gewässer im Mittelmeer genannt. Hinter Calpe (Gibraltar) beginnt der Atlantik, in dem nach antiker Vorstellung die Sonne, zischend wie rotglühendes Metall, im Meer versank. Dort hatte Herkules eine seiner Säulen errichtet. 283 Gedacht ist an männliche Mischwesen (ähnlich wie Meerjungfrauen). 284 f.  Verschiedene Beispiele für Wahnsinn im Mythos werden vorgestellt: Nach der Ermordung seiner Mutter Klytaimnestra wird Orest in den Armen seiner Schwester von den Rachegöttinnen geplagt.

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Anmerkungen

286 f.  Ajax war beim Streit der Griechen vor Troja um die Waffen des Achill unter­ legen, entbrannte darauf im Zorn auf den siegreichen Odysseus (aus Ithaka) sowie den Feldherrn Agamemnon und tötete im Wahn Viehherden. 287  Das Zerreißen der Kleidung galt als Zeichen für Wahnsinn. Es gibt aber auch andere Verhaltensweisen, für die man entmündigt werden sollte. 291 Gemeint sind Geldmünzen. 299  Von den beiden Flüssen hieß es, dass sie Gold führten. 302  Offenbar versucht der schiffbrüchige Bettler, mit einem Gemälde, das sein Unglück zeigt, Mitleid zu erregen. 305 f.  Der reiche Licinus (vgl. 1.109) unterhält eine eigene Feuerwehr. 311–314  Alexander der Große soll den kynischen Philosophen Diogenes aufge­ sucht haben, der jedweden Besitz ablehnte und daher in einem großen Vorratsgefäß lebte. Es ist bemerkenswert, dass Diogenes hier als magnus bezeichnet wird, nicht Alexander (Courtney 1980 ad loc.). 315 f.  Die Verse wiederholen 10.365–366a (vgl. dort) und werden daher von eini­ gen Gelehrten für eine Interpolation gehalten, und die nachträgliche Ergänzung der Verse in Satire 10 ist ebenfalls denkbar; vgl. zusammenfassend Kißel (2013, 378). Doch auch die Möglichkeit, dass mit dieser Stelle gezielt der Schluss von Satire 10 aufgegriffen wird, sollte nicht grundsätzlich ausgeschlossen werden; vgl. Uden (2014, 174, auch wenn die dort vorgebrachte These zur kynischen Sprecher-persona m. E. zu weit geht; s. o. S. 41). 319  Der Philosoph Epikur, der für einen maßvollen Lebensgenuss eintrat, lehrte in einem Garten. 320  Das Haus des Sokrates soll auffällig klein gewesen sein. 324  Die von dem Tribun L. Roscius Otho eingebrachte Lex Roscia theatralis sah vor, dass die ersten Sitzreihen im Theater denjenigen vorbehalten waren, die durch ein Vermögen von 400.000 Sesterzen dem Ritterstand angehörten (vgl. 3.153–159). 328  Der lydische Krösus war sprichwörtlich reich (vgl. 10.274). 329–331  Der äußerst reiche Freigelassene Narcissus soll selbst Kaiser Claudius kontrolliert und sogar zur Ermordung seiner Ehefrau Messalina veranlasst haben (vgl. 10.330–336).



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Satire 15 1–32 Kannibalismus bei den abergläubischen Ägyptern 33–92  Der Streit zwischen den Städten Ombi und Tentura und der Kannibalismus der Bewohner von Ombi 93–128  Die Grausamkeit der Ägypter im Vergleich mit weiteren Völkern 129–174  Der Kannibalismus der Ägypter als eine Tat, die im Gegensatz zur mensch­ lichen Natur steht V. 1–32  In den verschiedenen Gegenden Ägyptens werden ganz unterschiedliche Tiere und Pflanzen als Götter verehrt und dürfen daher nicht verspeist werden. Menschenfleisch wurde hingegen verzehrt. Nicht einmal im Mythos kann man sich so etwas vorstellen, und man gestand es nicht einmal Odysseus zu, von solchen Ungeheuerlichkeiten zu berichten. 5  Die bei der Stadt Theben errichtete Statue des äthiopischen Königs Memnon (der vor Troja von Achilles getötet worden sein soll) war bei einem Erdbeben be­ schädigt worden und gab bei Sonnenaufgang Laute von sich – wohl aufgrund der sich erwärmenden Luft in ihren Hohlräumen. 14–26 Nach seinem Schiffbruch erzählt Odysseus (aus Ithaka, vgl. V. 26) Alki­ noos, dem König der Phäaken (der auf der Insel Korkyra [Korfu] herrschte, vgl. V. 25) von seinen Abenteuern – unter anderem mit den menschenfressenden Lästry­ gonen und Kyklopen. Dafür wird er nach Vorstellung des Satirikers von dem Phä­ aken als Lügner angegriffen, die allenfalls bereit wären, die Erzählungen von den Monstern Scylla und Charybdis und den Kyaneischen Felsen, die Schiffe zwischen sich zermalmten, sowie von Elpenor, der gemeinsam mit anderen Seeleuten von der Zauberin Kirke in Schweine verwandelt wurde, zu glauben. 27 f.  Durch die Erwähnung des Konsuls Iuncus lässt sich das Geschehen in der ägyptischen Stadt Coptos gegen Ende des Jahres 127 n. Chr. datieren. 30  Wie in Satire 1 (V. 84) wird Pyrrha, die gemeinsam mit Deucalion nach der großen Flut, das Menschengeschlecht wieder erschuf, als Beginn der Menschheits­ geschichte genannt. 33–92  Bei einem riesigen Gelage kommt der lange schwelende Streit zwischen den Einwohnern von Ombi und Tentura zum Ausbruch. In dem erbitterten Kampf nehmen die Leute aus Ombi einen der Feinde gefangen, schneiden ihn in Stücke und verspeisen ihn mit großem Genuss roh. 38–44  Die Einwohner von Tentura wollen ein Fest in Ombi unter freiem Him­ mel angreifen.

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Anmerkungen

45  Aus der Aussage des Satirikers, er kenne die ägyptische Verschwendungssucht aus eigener Anschauung, wurde geschlossen, dass Juvenal sich in Ägypten im Exil aufgehalten habe (s. o. S. 21). 46  Die an der Nilmündung gelegene und von griechischer Kultur geprägte Stadt Canopus war für ihren Luxus bekannt, doch auch im ländlichen Ägypten herrscht nach Aussage des Satirikers Verschwendungssucht. 65–68  Die geworfenen Steine sind viel kleiner als die Felsen, die von den Helden mythologischer Epen im Kampf geschleudert werden: vgl. Verg., Aen. 12.896–907 (Turnus gegen Aeneas), Hom., Il. 7.268–272; 12.380–386 (Ajax), 5.302–310 (Diome­ des, Sohn des Tydeus, gegen Aeneas). 69 f.  Juvenal nimmt hier auf die verbreitete Auffassung Bezug, dass die Menschen immer kleiner, schwächer und unmoralischer werden (vgl. S. 21). 85–87  Die beiden Halbverse 86b–87a werden u. a. aufgrund der isolierten Anre­ de te von mehreren Gelehrten für unecht gehalten. Nach Griffths (1969, 387) gut begründeter Konjektur Prometheu, / donasti wird hier jedoch Prometheus angespro­ chen, der dann auch mit te gemeint ist. Juvenal richtet also einen ironischen Glück­ wunsch an das Feuer und sorgt für die komische Vorstellung, der Titan Prometheus, der den Menschen das bis dahin allein den Göttern vorbehaltene Feuer brachte, freue sich nun darüber, dass die Kannibalen nicht auch noch das Feuer entweiht hätten. Ich sehe keinen Anlass, der Stelle mit Kißel (2013, 384) eine »nachgerade aufdringliche Inhaltslosigkeit« zuzuschreiben. 93–128  Im Vergleich mit weiteren grausamen Völkern und Beispielen für Kannibalismus (die sich allerdings rechtfertigen lassen) wird deutlich, wie einzigartig die Grausamkeit der Ägypter ist. 93–96  Während einer Belagerung im Krieg gegen die Anhänger des Pompeius sollen die Vasconen (Basken) nur durch Kannibalismus überlebt haben. 97 f.  Für die inhaltlichen und sprachlichen Argumente für die Unechtheit der beiden Verse s. Courtney (1980 ad. loc). 107–109  Zeno, der Begründer der stoischen Philosophenschule hätte den Kan­ nibalismus sicher abgelehnt und wohl eher zum Selbstmord geraten (V. 107b–108a ist offenbar ein nachträglich ergänzter Versuch, die mögliche Aussage Zenos zu erklären). Doch hätten die Spanier (die Catabrer sind ein nordspanischer Stamm und Nachbarn der Vasconen), als dort im 1. Jh. v. Chr. Q. Caecilius Metellus Pius kämpfte, nach Meinung des Satirikers gar nicht mit dem stoischen Gedankengut vertraut sein können. 110–112 Griechische und römische Bildung (hier nach der Heimat wichtiger Phi­ losophen und Rhetoren als »griechisches Athen« und »unser Athen« bezeichnet) gibt es nun auf der ganzen Welt. Auch Gallien hatte bedeutende Rhetoriker hervor­



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gebracht und gab diese Kultur an Britannien weiter. Thule ist eine entlegene Insel jenseits von Britannien. 114 f.  Bei der Belagerung des spanischen Sagunt (Zakynthos) durch Hannibal im 2. Punischen Krieg soll es ebenfalls zu Kannibalismus gekommen sein. Als Ent­ schuldigung dafür werden die Tapferkeit der Einwohner und ihre Treue gegenüber den Römern genannt. 115–117  Als weiteres Beispiel, das weniger schlimm sei als Ägypten, werden die Opfer für Diana (die »Stifterin«) bei den Taurern auf der Halbinsel Krim (an der Mäotischen See) genannt. Dort sollen zwar Menschen geopfert worden sein, aber diese wurden nicht gegessen. 120–123  Die Ägypter wurden nicht durch die Not einer Belagerung zum Kanni­ balismus gezwungen. Ihr Kannibalismus wird als Reaktion auf das Ausbleiben der Bewässerung des Landes durch den Nil und somit als Provokation der Flussgottheit gedeutet, mit welcher dieser Fluss dazu gebracht werden soll, das Land doch wieder zu bewässern; vgl. Duff (1898 ad loc.). 127 f.  Auf abwertende Weise werden wohl Schiffe beschrieben, die aus miteinan­ der verbundenen Krügen bestanden. 124 f.  Den als unkriegerisch beschriebenen Ägyptern werden Völker gegenüberge­ stellt, die als besonders wild galten. 129–174 Die Fähigkeit des Menschen, Mitgefühl zu empfinden, sollte solche Grausamkeiten wie den Kannibalismus der Ägypter unmöglich machen. Deren Verhalten widerspricht der menschlichen Natur und steht sogar noch unter dem Verhalten der Tiere. 134–137  Armselige Kleidung (zum Text vgl. Courtney 1980 ad loc.) und ein unge­ pflegtes Auftreten waren übliche Mittel, um vor Gericht Mitleid zu erregen und die Richter auf die eigene Seite zu ziehen. Besonderes Mitleid konnte man mit Kindern vor Gericht haben, hier mit einem Waisenkind, das von einem Vormund um sein Vermögen betrogen wurde. Der Knabe ist so jung, dass er seine Haare noch lang trägt, und so kann man sich beim Anblick seines verweinten Gesichts fragen, ob es sich nicht doch um ein Mädchen handelt. 140 f.  Zur Beschreibung eines anständigen Menschen wird auf die Leute verwie­ sen, die als so rein gelten, dass sie bei der Kultfeier der Göttin Ceres die rituellen Fackeln tragen dürfen. 149–158  Der Geist (animus) ermöglicht Zuneigung (adfectus), welche die Men­ schen dazu treibt, nicht mehr vereinzelt im Wald zu leben, sondern sich zusammen­ zutun und Städte zu bauen. Dieser Gedanke geht in die Schilderung einer Kriegs­ szene über, in der sich die Bewohner einer Stadt gemeinsam gegen die Feinde zur Wehr setzen und sich dabei gegenseitig unterstützen. 173 f.  Aufgrund der Theorie der Seelenwanderung trat Pythagoras für den Verzicht auf Fleisch ein und hielt nicht einmal alle Gemüsesorten für Nahrung.

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Anmerkungen Satire 16

1–6  Die Vorteile des Militärdienstes 7–34  Die Unmöglichkeit, im Prozess gegen einen gewalttätigen Soldaten Recht zu bekommen 35–50  Die Bevorzugung der Soldaten in Zivilprozessen 51–60  Das Soldaten vorbehaltene Privileg, zu Lebzeiten des Vaters ein Testament zu machen V. 1–6 Die materiellen Vorzüge des Militärdienstes veranlassen den Satiriker dazu, sich vorzustellen, wie er als junger Rekrut in ein Lager eintritt. Da der Kriegsdienst gefährlich ist, hofft er auf ein günstiges Schicksal. 1  Der Adressat ist sonst unbekannt. 3 f.  Die Erwähnung eines Gestirns und der »Geburtsstunde mit wohlwollendem Schicksal« nimmt auf die Vorstellung Bezug, dass bestimmte Sternenkonstellatio­ nen ein glückliches oder unglückliches Schicksal verheißen, und insbesondere auf das Horoskop des Menschen, das anhand der Geburtsstunde sein Schicksal vor­ hersagen soll. Das im Zusammenhang mit dem Betreten eines »verheißungsvol­ len Lagers« (prospera castra) die Angst des Rekruten und sein Wunsch nach einem glücklichen Schicksal beschrieben werden, wird von mehreren Gelehrten als unsin­ nig empfunden, sodass der Ausfall eines oder mehrerer Verse nach V. 2 denkbar ist (zusammenfassend Stramaglia 2008 ad loc.). 5 f.  Soldaten legten häufig Empfehlungsschreiben bedeutender Fürsprecher vor, die ihre Karriere fördern sollten. Doch selbst ein Schreiben an den Kriegsgott von seiner Geliebten Venus oder seiner Mutter Juno (die in einem Tempel am Strand der Insel Samos verehrt wurde) wäre nicht mehr wert als ein glückliches Schicksal. 7–34 Wer sich gegen einen gewalttätigen Soldaten vor Gericht zur Wehr setzen will, kann dies nur vor einem Militärgericht tun, wo seine Klage allerdings aussichtslos ist. Außerdem muss er befürchten, dass die anderen Soldaten sich für die Klage mit weiteren Gewalttaten rächen werden. 10  Der Prätor ist für die Rechtsprechung zuständig. Doch da es gegen einen Sol­ daten geht, wird der zusammengeschlagene Zivilist es nicht wagen, die Verletzun­ gen beim Prätor anzuzeigen. 13–17  Die Rechtsprechung über Soldaten obliegt dem Militär. Wer bei solchen Prozessen den Vorsitz führte und welche Rolle die Zenturionen dabei tatsächlich spielten, ist umstritten; vgl. zusammenfassend Stramaglia (2008 ad loc.). In jedem Fall sieht sich der Kläger einer beängstigenden Gruppe Militärs gegenüber, die über ihr Schuhwerk und ihre kräftigen Beine beschrieben werden (vgl. V. 24 f.). M. Furi­ us Camillus war ein Feldherr des 5./4. Jh. v. Chr.



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17–19 Ein von einem Soldaten verletzter Kläger ist so naiv anzunehmen, dass er bei einem Militärgericht Recht bekommen wird. 22–25 Nur ein Dummkopf wie der Redner Vagellius (vgl. 13.119) würde es darauf ankommen lassen, die Soldaten zu provozieren. 25–28  Wer gegen einen Soldaten prozessiert, kann nicht mit Unterstützung durch seine Freunde rechnen und wird somit keinen Freund wie den im Mythos für seine Freundestreue berühmten Pylades finden. Vielmehr werden diejenigen, auf deren Mitleid der Kläger hofft, sich mit fadenscheinigen Gründen entschuldigen, z. B. mit dem Vorwand, das Militärlager (das tatsächlich unmittelbar vor den Toren Roms lag) sei zu weit von der Stadt entfernt. 35–50 Auch in Zivilprozessen werden Militärs bevorzugt behandelt: Sie müssen nicht auf einen Gerichtstermin warten, sondern können diesen selbst bestimmen. 38 f.  Am Grenzstein zwischen zwei Grundstücken wurde der Gott Terminus mit ländlichen Opfern verehrt. 41  Da der Vers die Formulierung von 13.137 wiederholt, wird er von einigen Ge­ lehrten für unecht gehalten. Die Wiederholung könnte allerdings auch ein Zeichen dafür sein, dass den Versen die »letzte Hand« fehlt; vgl. Stramaglia (2008 ad loc.). 42 f.  Offenbar geht es um einen »juristischen Jahresablauf« mit Ruhezeiten, in denen keine Prozesse stattfanden, und bestimmten Terminen für die Einreichung von Zivilklagen; vgl. ausführlich Courtney (1980 ad loc.). 45–47  Die beiden Juristen machen sich für die Verhandlung bereit: Der eine legt vor seinem Plädoyer den Mantel ab, der andere geht vor der erwarteten langen Verhandlung noch einmal zur Toilette. Doch all das ist vergebens, weil der Prozess offenbar vertagt wird. 47  Der Begriff harena (»Sand«/»Arena«) evoziert Gladiatorenkämpfe, wie sie auf dem Forum stattfanden. Das Adjektiv lentus beschreibt einerseits den Sand auf dem Kampfplatz (der nach mehreren Kämpfen zu einer klebrigen Masse geworden ist) und verdeutlicht andererseits das zähe Voranschreiten des Prozesses auf dem Forum (Stramaglia 2008 ad loc.). 50  Hier liegt die Vorstellung von einem Wagenrad zugrunde, das durch ständiges Bremsen abgenutzt wird – ähnlich wie das eigene Vermögen bei einem durch Unter­ brechungen in die Länge gezogenen Prozess verbraucht werden kann. 51–60 Normalerweise besaß ein junger Römer, solange sein Vater lebte, kein eigenes Vermögen, sondern befand ich unter der Vormundschaft seines Vaters. Allein Soldaten hatten das Privileg, ihren eigenen Besitz zu verwalten und diesen testamentarisch zu vererben. 54–56  Bei dem Soldaten Coranus wird paradoxerweise der alte Vater als Erb­ schleicher aktiv – ein Verhalten, das sonst natürlich jüngere Leute bei wohlhaben­ den Alten zeigen.

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Anmerkungen

58 Gemeint ist offenbar der Kaiser, möglicherweise Hadrian, der sich besonders um das Heer kümmerte; vgl. Stramaglia (2008 ad loc.). 60  Die Rede ist von militärischen Auszeichnungen. 60  Die Satire bricht mitten im Satz ab (vgl. S. 93).

V e rw e n d e t e L it e r at u r In den letzten Jahren hat vor allem das Erscheinen mehrerer überwiegend sehr guter Kommentare zu einzelnen Satiren die Beschäftigung mit Juvenal enorm gefördert. Der wohl wichtigste jüngere Beitrag zur Juvenalforschung ist jedoch Kißels (2013) im Lustrum erschienener monumentaler Forschungsbericht. Kißel hat nicht nur die Publikationen zu Juvenal aus den Jahren 1962 bis 2011 erfasst und kategori­ siert, sondern auch deren wichtigste Inhalte zusammengefasst und bewertet – eine Leistung, die gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann und von der die Ju­ venalforschung sicherlich erheblich profitieren wird. Zu erwähnen ist weiterhin der im Umfang knappere, aber dennoch ausführliche und ebenfalls kommentierte Forschungsbericht von Santorelli (2008). Beide Forschungsberichte sind zentrale Hilfsmittel für die weitere Arbeit an Juvenal. Trotz der enormen Verdienste von Kißels Forschungsbericht ist es jedoch be­ dauerlich, dass seine Kritik an einigen Publikationen unangemessen hart formuliert ist – ja, mitunter den notwendigen Respekt vermissen lässt –, was die Arbeit mit dem Bericht nicht immer angenehm macht1. Zudem ist Kißels grundsätzliche und 1

Einige Aussagen sind einem wissenschaftlichen Austausch tatsächlich nicht an­ gemessen; um nur wenige Beispiele zu nennen: »Wird jedoch der Text durch Einspiegelung von Hintergrundinformationen (u. a. ganzer Mythen) in quä­ lender Weise zerdehnt, Antike und Moderne darin zu einem unverdaulichen Brei verrührt …« (S. 24); »…, in dem sich bleibende ›Klassiker‹ der Juvenalfor­ schung in nachgerade befremdlicher Weise mit ephemeren Ergüssen unseriöser Zeitgeistphilologie vereint finden« (S. 53); »Ungewöhnlich kurz und – auch im Kontext eines Handbuchs – nachgerade erbärmlich ist schließlich die ›selected bibliography‹ mit gerade einmal 2(!) Monographien und 0 Aufsätzen zu nennen« (S. 57/125); »… verstörend unseriöse Momentaufnahmen einer von subjektivem Empfinden irregeleiteten Juvenallektüre« (S. 58); »… nachgerade dümmlich ihre Deduktion poetologischer Aussagen« (ebd.); »… ist nicht anders als naiv zu nennen« (S. 100); »Ob sich derlei obsessiv vorgetragene Fehleinschätzungen in irgendeinen Erkenntnisgewinn ummünzen lassen, mochte der Berichterstatter nicht mehr weiter verfolgen« (S. 106); »… kann nur grotesk genannt werden« (S. 114); »… dieser ihrerseits nachgerade grenzenlosen Phantastereien« (S. 144); »Jedes Referat wäre dem Verdacht satirischer Verzerrung ausgesetzt« (S. 149); »… erstickt die ganze Szene unter nachgerade obsessiven Phantastereien« (S. 244); »Der jeder wissenschaftlichen Seriosität spottende Aufsatz …« (S. 259); »Ge­ wohnt abwegig …« (S. 346).

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Verwendete Literatur

pauschale Ablehnung der persona-Theorie, die tatsächlich doch ganz unterschied­ liche Forschungsergebnisse hervorgebracht hat, problematisch (s. o. S. 12–20). Dennoch steht außer Zweifel, dass es seit dem Erscheinen dieses Berichts keinen ernstzunehmenden Forschungsbeitrag zu Juvenal mehr geben wird, der sich nicht mit Kißels Ergebnissen auseinandersetzt. Die Erstellung einer Juvenalbibliographie für diesen Band ist mit dem Erschei­ nen von Kißels Bericht eigentlich überflüssig geworden. Im Folgenden sind die Titel aufgeführt, welche für dieses Nachwort beziehungsweise zur Erklärung der einzelnen Satiren herangezogen wurden. Darüber hinaus werden noch einige wei­ tere Publikationen genannt, die für die Juvenalforschung von zentraler Bedeutung sind. Insgesamt liegt der Schwerpunkt auf jüngeren Forschungsbeiträgen. Die Bib­ liographien sowie die Editionen und Indices werden in chronologischer Reihenfolge aufgeführt, die weitere Forschungsliteratur alphabetisch nach den Verfassernamen.

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I n d e x No m i n u m Der folgende Index listet die im lateinischen Text verwendeten Eigennamen auf. Bei Per­sonennamen wurde keine Unterscheidung von realen und fiktiven Personen vollzogen. Accius  Schauspieler 6.70 Acestes  mythischer König auf Sizilien 7.235 Achaei  die Einwohner der Provinz Achaea, die Griechen 3.61 Achilles  griechischer Held im Krieg um Troja  1.163, 7.210, 8.271, 10.256, 11.30, 14.214; vgl. auch → Pelides Acilius  Berater Domitians 4.94 Actiacus  Adj. zu Actium, dem Ort der Schlacht des Octavian gegen Antonius und Cleopatra 2.109 Actor  Figur aus der Aeneis 2.100 Aeacus  Totenrichter in der Unterwelt  1.10; Aeacides  sein Enkel Achilles 8.270 Aegaeum (mare)  das Ägäische Meer  13.81, 13.246 Aegyptus/Aegyptos  das Land Ägypten  6.527, 15.2, 15.45, 15.116; Adj. Aegyptius 1.130 Aelia  sonst unbekannte Römerin 6.72 Aemilianus  Name einer bedeutenden römischen Familie 8.3 Aemilius  Name einer bedeutenden römischen Familie  7.124; Aemilius pons  die Aemilische Brücke in Rom 6.32 Aeneas  trojanischer Held, Stammvater der Römer  1.162, 5.139, 15.67; vgl. 5.45, 11.61 Aeolius  Adj. zu Aeolus, Beherrscher der Winde  1.8, 10.181 Aethiops  der Äthiopier, der Afrikaner  2.23, 6.600, 8.33, 10.150 Africa  der Kontinent Afrika  7.149, 10.148; Afer  der Afrikaner / afrikanisch 5.152, 8.120, 11.142 Agamemnon  mykenischer Herrscher, Anführer der Griechen vor Troja 14.286; vgl. 8.217; vgl. auch → Atrides Agamemnonides  der Sohn Agamemnons (Orest) 8.215; vgl. auch  → Orestes Aganippe  Quelle am Musenberg Helikon 7.6 Agathyrsi  als wild geltendes Nachbarvolk der Skythen 15.125 Agave Tochter des Kadmus; hier Titel eines Bühnenstückes des Statius 7.87 Agrippa  König von Judäa (50–93 n. Chr.) 6.158 Agrippina  Ehefrau des Kaisers Claudius 6.620; vgl. 5.147

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Index Nominum

Aiax  griechischer Held vor Troja  7.115, 10.84, 14.213, 15.65 Alabanda  griechische Stadt 3.70 Alba  die von Aeneas’ Sohn Iulus gegründete Stadt Alba Longa (bei den Albanerbergen) 4.61; vgl. 12.71; Adj. Albanus  4.100, 4.145, 5.33, 6.O15, 13.214 Albina  römische Dame 3.130 Alcestis  mythologisches Beispiel für eine liebende Ehefrau 6.653 Alcinous  König der Phäaken, Gastgeber des Odysseus 15.15 Alcithoe  Tochter des mythischen Königs Minyas; hier Titel eines Bühnenstücks 7.12 Alexander  Alexander der Große 14.311; vgl. auch → Pellaeus Alledius  ein Feinschmecker 5.118 Allobrox/Allobrogicus  jemand aus dem gallischen Stamm der Allobroger  7.214, 8.13 Alpes  die Alpen  10.152, 10.166, 13.162 Ambrosius  römischer Musiker 6.77 Amphion  Ehemann der mythologischen Herrscherin Niobe 6.174 Amydon  griechische Stadt 3.69 Anchemolus  Heerführer der Rutuler in der Aeneis 7.235 Anchises  Vater des Anchises 7.234 Ancon(a)  Stadt an der Adriaküste 4.40 Ancus (Marcius)  römischer König 5.57 Andromache  Ehefrau des trojanischen Prinzen Hektor 6.503 Andros  griechische Insel 3.70 Antaeus  ein Gigant 3.89 Anticato  Schmähschrift von C. Iulius Caesar gegen Ciceros Schrift Cato 6.338 Anticyra  für ihre Heilkräuter berühmte griechische Stadt 13.97 Antigone  Tochter des Ödipus, Schwester des Eteokles und Polyneikes, hier Inhalt einer Tragödie 8.229 Antilochus  Sohn des Nestor 10.253 Antiochus  griechischer Komödiendarsteller 3.98 Antiphates  in der Odyssee König der menschenfressenden Lästrygonen 14.20 Antonius  Gegner Ciceros; unterlag im Bürgerkrieg Octavian 10.123; vgl. 2.28 Antonius  ein Provinzverwalter 8.105 Anubis  ägyptische Gottheit 6.534 Aonides  die Musen 7.59 Apicius  berühmter römischer Feinschmecker (Zeit des Tiberius)  4.23, 11.3 Apollo  Gott der Heilkunst, Weissagung und der Künste  1.128, 6.172, 6.174 (Paean), 7.37, 13.203; vgl. 13.79 Appius  Name einer bedeutenden römischen Familie 6.385 Apula  sonst unbekannte Römerin 6.64 Apulia  Landschaft in Unteritalien 4.27; Adj. Apulus 9.55



Index Nominum

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Aquinum  Stadt in Latium 3.319 Arabarches  Bezeichnung für einen hohen ägyptischen Beamten 1.130 Arachne  mythologisches Beispiel für eine Weberin 2.56 Arcadicus  Bewohner der Landschaft Arkadien 7.160 Archigenes  griechischer Arzt in Rom  6.236, 13.98, 14.252 Aricinus  Adj. zu Aricia (Stadt bei Latium) 4.117 Aristoteles  berühmter Philosoph (4. Jh. v. Chr.) 2.6 Armenia  die Landschaft Armenien in Asien 8.169; Adj. / Einwohner Armenius  2.164, 6.407, 6.550 Armillatus  ein Denunziant 4.53 Arpinas  Einwohner der Stadt Arpinum 8.237 (für Cicero), 8.245 (für Marius) Artaxata  Hauptstadt Armeniens 2.170 Artorius  sonst unbekannter Römer 3.29 Arviragus  Feldherr oder Herrscher in Britannien 4.127 Asia  Kleinasien  5.56, 10.266; Adj. Asianus  3.218, 7.14 Assaracus  Vorfahr des Priamus 10.259 Assyrius  Adjektiv zu der Landschaft Assyria  2.108 Astraea  Göttin der Gerechtigkeit 6.19 Asturicus  sonst unbekannter Römer 3.212 Asylus  ein Gladiator 6.267 Atellana  Form der Komödie 6.71 Athenae  die Stadt Athen  3.80, 7.205, 9.101, 10.127, 15.110 Athos  Berg in Mazedonien 10.174 Atlas  Gebirge / Titan, der den Himmel trägt  8.32, 11.24, 13.48 Atreus  mythischer König, hier Titel eines Bühnenstückes 7.73 Atrides  der Sohn des Atreus (Agamemnon) 4.65 (für Domitian), 6.660 Atticus  Beiname bedeutender Römer 11.1 Aufidius  ein Ehebrecher 9.25 Augustus  vgl. → Octavius, → Caesar, Adj. 6.118 Augustus mensis  der Monat August 3.9 Aurelia  römische Dame 5.98 Aurora  die Morgenröte, das Morgenland 10.2 Aurunca  Stadt in Kampanien, Heimat des Lucilius 1.20; Einwohner Auruncus 2.100 Auster  der Südwind  4.59, 5.100 Automedon  der Wagenlenker Achills 1.61 Autonoe  Tochter des Kadmus, hier Inhalt eines Dramas 6.72 Aventinus  der Aventin (einer der sieben Hügel Roms) 3.85

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Index Nominum

Bacchanal  Fest zu Ehren des Gottes Bacchus 2.3 Baeticus  Adj. zum Baetis (Fluss in Spanien) 12.42 Baiae  Seebad am Golf von Neapel  3.4, 11.49, 12.80 Baptae  Priester der Göttin Cotyto 2.92 Barea  römischer Senator unter Nero  3.116, 7.91 Basilus  ein Jurist  7.145, 7.146, 7.147 ein Geschäftsmann 10.222 Batavi  keltische Völkerschaft 8.51 Bathyllus  ein Mimendarsteller 6.63 Bebriacum  berühmter Schlachtort in der Auseinandersetzung zwischen Otho, Vitellius und Vespasian 2.106 Belides  die Enkelinnen des Belus, Büßerinnen in der Unterwelt 6.655 Bellerophon  griechischer Held 10.325 Bellona  Kriegsgöttin  4.124, 6.512 Beneventanus  Adj. zu der italischen Stadt Beneventum 5.46 Beronice  Schwester von König Agrippa II. 6.156 Bibula  sonst unbekannte Römerin 6.142 Bithynus  Adj. zu der Landschaft Bithynia  7.15, 10.162 Boccar  afrikanischer König 5.90 Bona Dea  Fruchtbarkeitsgöttin  2.86 f., 6.314 Bootes  Sternbild beim »Großen Wagen« 5.23 Bracati  Bewohner Galliens (die »Hosentragenden«) 8.234 Britannicus/Britannus  Adj. zu der Insel Britannia  2.161, 4.126, 10.14, 15.111; Einwohner Brittones 15.124 Britannicus  Sohn des Kaisers Claudius und der Messalina 6.124 Bromius  junger Mann 6.378 Bruttidius  bekannter Redner zur Zeit des Tiberius 10.83 Bruttius  Adj. zu Bruttium, der Landschaft an Italiens »Stiefelspitze« 9.14 Brutus  L. Iunius Brutus, der Vertreiber des letzten Königs aus Rom  4.103, 8.182; vgl. 8.262 Brutus  D. Iunius Brutus, einer der Caesarmörder 5.37 Brutus  M. Iunius Brutus, der berühmte Caesarmörder  5.37, 14.43 Cacus  ein Riese, von Herkules erschlagen 5.125 Caedicius  ein Jurist  13.197, 16.46 Caesar  der Diktator C. Iulius Caesar; später Beiname römischer Kaiser 4.51 (Domitian), 4.135 (Domitian), 5.4 (Augustus), 6.338 (C. Iulius Caesar), 7.1, 8.171 (Nero), 10.86 (Tiberius), 10.108 (C. Iulius Caesar), 10.330 (Claudius), 12.106, 14.330 (Claudius) Caesennia  römische Dame 6.136



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Caesonia  Ehefrau des Kaisers Caligula 6.616 Caetronius  sonst unbekannter Römer  14.86, 14.92 Caieta  Hafenstadt an der Grenze von Latium und Kampanien 14.87 Calenus  Adj. zu der kampanischen Stadt Cales 1.69 Calliope  die Muse der epischen Dichtung 4.34 Calpe  Berg in Spanien (Gibraltar) 14.279 Calvina  sonst unbekannte Römerin 3.133 Calvinus  Adressat von Satire 13 13.5 Camenae  die Camenen, die Musen  3.16, 7.2 Camerinus  Name einer bedeutenden römischen Familie  7.90, 8.38 Camillus  römischer Feldherr (5./4. Jh. v. Chr.)  2.154, 16.15 Campania  Landschaft in Mittelitalien 10.283 Cannae  Ort einer bedeutenden Niederlage Roms gegen Hannibal  2.155, 7.163, 10.165, 11.200 Canopus  Stadt in Ägypten  1.26, 6.84, 15.46 Cantaber  aus dem Stamm der Cantabrer (in Nordspanien) 15.108 Canusinus  Adj. zu Canusium (Stadt in Apulien) 6.150 [Porta] Capena  eines der Stadttore von Rom 3.11 Capito  ein Provinzverwalter (1. Jh. n. Chr.) 8.93 Capitolium  das Kapitol, einer der sieben Hügel Roms (mit prächtigem Jupiter­ tempel)  10.65, 14.91; Adj. Capitolinus 6.387; als römischer Beiname 2.145 Cappadox  Adj. zu der Landschaft Cappadocia 7.15 Capreae  die Insel Capri  10.72, 10.93 Carfinia  eine Ehebrecherin 2.69 Carpathius  Adj. zu Carpathus (Insel im Ägäischen Meer) 14.278 Carpophorus  ein Schauspieler 6.199 Carthago  Stadt in Nordafrika; bedeutender Feind der Römer  6.171, 10.277 Carus  ein Denunziant 1.36 Cassandra  Tochter des Priamus 10.262 Cassius  einer der Caesarmörder 5.37 Castor  griechisch-römische Gottheit  13.152, 14.260 Catiena  sonst unbekannte Römerin 3.133 Catilina  römischer Verschwörer (63 v. Chr.)  2.27, 8.231, 10.288, 14.41 Catinensis  Adj. zu Catina (Stadt auf Sizilien) 8.16 Cato  der Ältere und der Jüngere Cato, berühmt für die Wahrung der Sitten und den Einsatz für die Republik  2.40, 11.90, vgl. 14.43 Catulla  sonst unbekannte Römerin  2.49, 10.322 Catullus  Verfasser von Mimen (1. Jh. n. Chr.)  8.186, 13.111 Catullus  Berater Domitians 4.113

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Catullus  römischer Kaufmann  12.29, 12.37, 12.93 Catulus  Name einer bedeutenden römischen Familie 2.146; sonst unbekannter Römer 3.30 Cecrops  attischer König 6.187; Adj. Cecropius (athenisch) 2.92; Cecropides  Nachfahren des Kekrops  8.46, 8.53 Celadus  sonst unbekannter Rhetor 7.215 Celaeno  eine Harpyie (Mischwesen aus Mensch und Vogel) 8.130 Celsus  berühmter Rhetor unter Tiberius 6.245 Ceres  Göttin der Feldfrüchte  3.320, 6.50, 9.24, 10.112, 14.219, 14.263, 15.141 Cethegus  Mitverschwörer des Catilina  2.27, 8.231, 10.287 Chaerippus  ein Provinzbewohner 8.95 Chaldaeus  Bewohner der babylonischen Landschaft Chaldaea, ein Astrologe 6.553, 10.94 Charybdis  Strudel/Meerungeheuer bei Sizilien  5.102, 15.17 Chatti  germanische Völkerschaft 4.147 Chione  römische Prostituierte 3.136 Chiron  ein Kentaur, Lehrer des Achilles 3.205: vgl. 7.212 Chrysippus  berühmter Philosoph (3. Jh. v. Chr.)  2.5, 13.184 Chrysogonus  ein Sänger  6.74, 7.176 Cicero  bedeutender Politiker, Redner und Autor der späten Republik  7.139, 7.214, 8.244, 10.114; vgl. auch → Arpinas Cilix  Bewohner der Landschaft Kilikien / kilikisch  4.121, 8.94 Cimbri  das germanische Volk der Kimbern  8.249, 8.251, 15.124 Circe  Zauberin aus der Odyssee 15.21 Circei  Stadt in Latium 4.140 Circus (Maximus)  größte Wagenrennbahn in Rom 3.65; vgl. 6.582 f. Cirrha  dem Apollo geweihte Hafenstadt von Delphi 7.64; Adj. Cirrhaeus 13.79 Claudius  römischer Kaiser (41–54 v. Chr.)  5.147, 6.115, 14.330; vgl. auch → Caesar; → Drusus Cleanthes  berühmter Philosoph (4./3. Jh. v. Chr.) 2.7 Cleopatra  ägyptische Königin, Geliebte des Antonius 2.109 Clio  die Muse der Geschichtsschreibung 7.7 Clitumnus  Fluss in Umbrien 12.13 Clodius  römischer Volkstribun, Gegner Ciceros  2.27, 6.345 Clotho  eine der Parzen (Schicksalsgöttinnen) 9.135 Cluvia  sonst unbekannte Römerin 2.49 Cluvienus  ein Dichter 1.80 Clytemestra  Klytaimnestra, Mörderin ihres Ehemannes Agamemnon 6.656 Cocles  Held der frühen römischen Republik 8.264



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Cocytus  Fluss in der Unterwelt 2.150 Colchis  Heimat der Kindermörderin Medea 6.643 Collina turris  der Kollinische Turm (Befestigung am Kollinischen Tor in Rom) 6.291 Commagenus  Adj. zu der syrischen Provinz Commagene 6.550 Coptos  Stadt in Ägypten 15.28 Coranus  ein Soldat 16.54 Corbulo  römischer Feldherr (1. Jh. n. Chr.) 3.251 Corcyraeus  Adj. zu Corcyra (Heimat des Alcinous und der Phäaken) 15.25 Cordus  Dichter von Epen 1.2; ein verarmter Römer  3.203, 3.208 Corinthos  die Stadt Korinth 8.113 Corinthus  eine Mimenfigur 8.197 Cornelia  die Mutter der Gracchen 6.167 Corsica  die Insel Korsika 5.92 Corus  der Nordwestwind 10.180 Corvinus  Senator 1.108; Name einer bedeutenden Familie 8.5; Adressat von Satire 12 12.1, 12.93 Corybas  Priester der Kybele 5.25 Corycius  Adj. zu Corycus (Hafenstadt in Kilikien) 14.267 Corydon  Figur aus den Eklogen Vergils 9.102 Coryphaeus  ein Rennpferd 8.62 Cosmus  ein Parfumhersteller 8.86 Cossus  Name aus der römischen Oberschicht  3.184, 8.21; ein Erbschleicher 10.202 Cotta  Patron zur Zeit des Augustus  5.109, 7.95 Cotyto  thrakische Göttin 2.92 Cous  Adj. zu Cos (die Insel Kos) 8.101 Crassus  römischer Politiker, bildete mit Caesar und Pompeius das sogenannte 1. Triumvirat (60 v. Chr.) 10.108 Cremera  Fluss in Etrurien 2.155 Creta  die Insel Kreta  14.270; Cressa  die Frau von der Insel Kreta (Phaedra) 10.327 Creticus  römischer Anwalt  2.67, 2.78; römischer Beiname 8.38 Crispinus  wohlhabender Freigelassener aus Ägypten  1.27, 4.1, 4.14, 4.24, 4.108 Crispus  Berater Domitians 4.81 Croesus  sprichwörtlich reicher lydischer König  10.274, 14.328 Cumae  Ort in Kampanien, Eingang zur Unterwelt  3.2, 3.321, 9.57 Curius  Name einer bedeutenden römischen Familie  2.3, 2.153, 8.4, 11.78 Curtius  ein Redner 11.34 Cyaneae  die Kyaneischen Felsen, die im Mythos Schiffe zermalmen 15.20 Cyane  Bedienung in einem Wirtshaus 8.162 Cybele  phrygische Gottheit  2.111, 14.263

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Cyclas  die Kykladeninsel 6.563 Cyclops  ein Kyklop (menschenfressender einäugiger Riese) 15.18 Cycnus  in einen Schwan verwandelter mythologischer König 8.33 Cynicus  ein kynischer Philosoph  13.121, 13.122, 14.309 Cynthia  Geliebte in den Elegien des Properz (Zeit des Augustus) 6.7 Dacus  Adj. zu Dacia (Landschaft am Schwarzen Meer)  4.111; Dacicus  Ehrenname Trajans 6.205 Daedalus  bedeutendster Handwerker des Mythos 3.25 Damasippus  verarmter Adliger 8.185 Decii  P. Decius (340 v. Chr.) und sein Sohn (295 v. Chr.), berühmt für ihre Bereitschaft, ihr Leben für die Heimat zu geben  8.254, 8.258, 14.239 Delphi  berühmte Orakelstätte 6.555 Demetrius  griechischer Komödiendarsteller 3.99 Democritus  berühmter Philosoph (5./4. Jh. Chr.) 10.34 Demosthenes  berühmter griechischer Redner (4. Jh. v. Chr.) 10.114 Deucalion  Wiedererschaffer der Menschheit nach der Sintflut (vgl. Pyrrha) 1.81 Diana  Göttin der Jagd  3.320, 10.292, 15.8; vgl. 13.80, 15.117 Diomedeus  Adj. zu Diomedes, Kämpfer vor Troja 1.53 Diphilus  sonst unbekannter Grieche 3.120 Dolabella  ein Provinzverwalter 8.105 Domitianus  römischer Kaiser (81–96 n. Chr.) → Atrides, → Caesar, → Flavius, → Nero Domitius  Name der Familie des Kaisers Nero 8.228 Doricus  Adj. zu Dores (bedeutende griechische Völkerschaft) 4.40 Doris  Rolle einer Sklavin im Theater 3.94 Drusus  Name einer bedeutenden römischen Familie (u. a. des Kaisers Claudius)  3.238, 8.21, 8.40 Echion  Musiker 6.76 Egeria  Beraterin der Königs Numa 3.17 Electra  Schwester Agamemnons 8.218 Elissa  anderer Name der karthagischen Königin Dido 6.435 Elpenor  einer der Gefährten des Odysseus, von Kirke in ein Schwein verwandelt 15.22 Endymion  schöner Knabe des Mythos 10.318 Ennosigaeus  der »Erderschütterer« (Beinahme des Neptun) 10.182; vgl. auch → Neptunus Epicurus  berühmter Philosoph (4. Jh. v. Chr.)  13.122, 14.319 Epona  Göttin der Zugtiere 8.157



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Eppia  römische Dame  6.82, 6.104, 6.114 Erinys  eine Furie (Rachegöttin) 7.68 Eriphyla  Ehefrau des Amphiaraus, der beim Zug gegen Theben umkam 6.655 Esquiliae  der Esquilin (einer der sieben Hügel Roms)  3.71, 5.78, 11.51 Etruscus  Adj. zu Etruria (Landschaft in Italien), etruskisch 5.164 Euander  mythologischer König in Italien 11.61 Euganeus  aus dem italischen Volksstamm der Euganeer 8.15 Eumenides  die Furien (Rachegöttinnen) 14.285 Euphranor  berühmter griechischer Künstler (4. Jh. v. Chr.) 3.217 Euphrates  Fluss in Asien  1.104, 8.51 Europe  die von Jupiter geliebte und entführte Königstochter Europa 8.34 Eurus  der Südostwind 10.180 Euryalus  Gladiator 6.81 Fabius  Name einer bedeutenden römischen Familie  2.146, 6.266 (Fabius Gurges), 7.95, 8.14, 8.191, 11.90 Fabrateria  Stadt in Latium 3.224 Fabricius  Zensor (275 v. Chr.)  2.154, 9.142, 11.91 Fabricius 4.129 → Veiento Fabulla  römische Ehebrecherin 2.68 Faesidius  römischer Patron 13.32 Falernum (vinum)  berühmter Wein  4.138, 6.303, 6.430, 9.116, 13.216; Adj. Falernus 6.150 Faustus  ein Dichter 7.12 Fidenae  Stadt im Sabinerland  6.57, 10.100 Flaccus  der Dichter Q. Horatius Flaccus (Horaz) 7.227; vgl. auch → Horatius [Via] Flaminia  Gräberstraße bei Rom  1.61, 1.171 Flavius  Name einer berühmten römischen Familie 4.37 (Domitian) Flora  sonst unbekannte Römerin 2.49 Flora  Göttin der Blumen 14.262; Adj. Floralis 6.250 Fonteius  römischer Konsul 13.17 Fortuna  Göttin des Schicksals  3.40, 6.605, 7.197, 9.148, 10.52, 10.73, 10.285, 10.366, 13.10, 13.20, 14.90, 14.316 Fronto  ein Patron 1.12 Frusino  Stadt in Latium 3.224 Furia  die Furie (Rachegöttin) 13.51 Fuscinus  Adressat von Satire 14 14.1 Fuscus  römischer Feldherr, Berater Domitians 4.112; sonst unbekannter Römer 12.45; römischer Jurist 16.46

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Gabba  Spaßmacher am Hof des Augustus 5.4 Gabii  Stadt in Latium  3.192, 6.56, 7.4, 10.100 Gades  eine Stadt in Spanien 10.1; Adj. Gaditanus 11.162 Gaetulus/Gaetulicus  Adj. zu Gaetuli (nordafrikanische Völkerschaft)  5.53, 5.59, 10.158, 11.140, 14.278; Beiname bedeu­ten­der römischer Familien 8.26 Galba  römischer Kaiser (68–69 n. Chr.)  2.104, 8.5, 8.222 Galitta  römische Dame  12.99, 12.113 Galla  sonst unbekannte Römerin 1.125, 1.126 Gallia  das Land Gallien  7.148, 15.111; Adj./Einwohner. Gallicus/Gallus  8.116, 9.30, 11.113 Gallicus  Stadtpräfekt unter Domitian 13.157 Gallius  Adressat von Satire 16 16.1 Gallus  römischer Name 7.144 Gallinaria pinus  der Gallinarische Fichtenwald in Kampanien 3.307 Ganges  der Fluss Ganges in Indien 10.2 Ganymedes  von Zeus geliebter und entführter trojanischer Prinz  5.59, 9.22, 13.43 Gaurus  Berg in Kampanien 9.57; Adj .Gauranus 8.86 Germanus  Einwohner von Germania (Germanien)  13.164; Germanicus  Ehrenname des Kaisers Trajan 6.205 Geticus  Adj. zu Getae (thrakisches Volk an der Donau) 5.50 Gillo  sonst unbekannter Römer 1.40 Glaphyrus  ein Musiker 6.77 Gorgo  die Medusa 12.4; Adj. Gorgoneus 3.118 Gracchus  Name einer bedeutenden römischen Familie 2.117, 2.143, 8.201, 8.210; Gracchi »die Gracchen«, berühmte Reformer (2. Jh. v. Chr.)  2.24, 6.168 Gradivus  der Kriegsgott Mars  2.128, 13.113; vgl. auch → Mars Graecia  Griechenland  10.174, 14.240; Adj./Einwohner Graecus/Graius 3.61, 3.114, 3.206, 6.16, 6.187, 6.191, 6.193, 8.226, 10.138, 11.100, 14.89, 15.110; Diminutiv Graeculus 3.78, 6.186 Gyara  eine Kykladeninsel, Verbannungsort  1.73, 10.170 Hadriacus  Adj. zu (H)Adria 4.39 Haemus  griechischer Schauspieler  3.99, 6.198 Hamillus  ein Lehrer 10.224 Hammon  ägyptische Gottheit (Ammon) 6.555 Hannibal  6.170, 6.291, 7.161, 10.147, 12.108 Hector  Sohn des Priamus 10.259 Hedymeles  ein Musiker 6.383 Heliades  Töchter des Sonnengottes 5.38



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Heliodorus  ein Arzt 6.373 Helvidius  stoischer Oppositioneller unter Nero 5.36 Hercules  berühmter Halbgott  2.20, 3.89, 5.125, 10.361, 13.43, 13.151, 14.90; Adj. Heracleus  1.52; Herculeus  8.14, 13.82, 14.280 Hermarchus  sonst unbekannter Grieche 3.120 Hernicus  aus dem italischen Volk der Herniker 14.180 Hesperides  Besitzerinnen eines mythologischen Gartens im Westen der Erde 14.114 Hiberina  römische Frau 6.53 Hippolytus  Sohn des Theseus, griechischer Held 10.325 Hirpinus  berühmtes Rennpferd 8.63 Hirrus  ein Betrüger 10.222 Hispania  das Land Spanien  8.116, 10.151 Hispo  sonst unbekannter Römer 2.50 Hispulla  römische Dame(n)  6.74, 12.11 Hister  sonst unbekannter Römer 2.58; vgl. 12.111 Hister  der Fluss Donau 8.170 Homerus  bedeutender griechischer Dichter, unter dessen Namen die Ilias und die Odyssee überliefert sind  6.437, 7.38, 10.246, 15.69; Adj. Homericus 13.113 Horatius  der Dichter Q. Horatius Flaccus (Horaz) 7.62; vgl. 1.51; vgl. auch → Flaccus Hyacinthus  von Apoll geliebter Knabe 6.110 Hylas  von Herkules geliebter Knabe 1.164 Hymettus  für seinen Honig berühmter Berg bei Athen 13.185 Hyperborei  ein im höchsten Norden lebendes Volk 6.470 Ianus  Gott der Türen und Tore  6.386, 6.394 Iarbas  afrikanischer König, Rivale des Aeneas 5.45 Iason  Held des Mythos 6.153; vgl. 1.10 f. Idaeus  Adj. zu Ida (griechisches Gebirge)  3.138, 11.194, 13.41 Idymaea Porta  »Tor von Idumaea« (Landschaft in Palästina) 8.160 Iliacus  Adj. zu Ilion (Troja)  13.43; Iliades  die Troerinnen 10.261 Illyricus  Adj. zu der Landschaft Illyria (zwischen der Adria und Pannonien) 8.117 Indi  die Inder  6.337, 6.466, 11.125 Io  in eine Kuh verwandelte Geliebte des Jupiter, mit der Göttin Isis identifiziert 6.526 Ionium mare  das Ionische Meer 6.93 Iphigenia  Tochter des Agamemnon 12.119; vgl. auch → Mycenis Isaeus  griechischer Redner in Rom 3.74 Isis  ägyptische Göttin  6.529, 9.22, 12.28, 13.93; Adj. Isiacus 6.489; vgl. auch → Io Italia  Italien  3.171, 10.154, 12.78 Ithacus  »der Mann aus Ithaka« (Odysseus)  10.257, 14.287, 15.26; vgl. auch → Ulixes

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Iudaei  die Juden  3.14, 6.543, 6.547; Adj. Iudaicus 14.101 Iulia  Nichte Domitians 2.32 Iulia Lex  Ehegesetzgebung des Augustus  2.37, 6.38 Iulius  der Monat Juli 2.70 Iulus  Sohn des Aeneas 12.70 Iuncus  römischer Konsul (127 n. Chr.) 15.27 Iuno  oberste Göttin  2.98, 6.48, 6.619, 7.32, 13.40; vgl. 12.3, 16.5 Iuppiter  oberster Gott  5.79, 6.15, 6.59, 8.156, 10.38, 10.188, 11.116, 12.6, 13.41, 13.114, 14.81, 14.206, 14.271; vgl. 13.78; vgl. auch → Tonans Iuverna  das heutige Irland 2.160 Lacedaemonius  Adj. zu Sparta (Lacedaemo) 11.175 Lacerta  Wagenlenker im Circus 7.114 Lachesis  eine der Parzen (Schicksalsgöttinnen)  3.27, 9.136 Ladas  berühmter Olympiasieger 13.97 Laelius  römischer Offizier 14.195 Laenas  ein Erbschleicher 5.98 Laestrygones  das menschenfressende Volk der Lästrygonen 15.18; vgl. auch → Antiphates Lagus  ägyptischer Herrscher 6.83 Lamia  Name einer bedeutenden römischen Familie; Aristokrat (von Domitian hingerichtet)  4.154, 6.385 Laomedontiades  der König Priamus 6.326; vgl. auch → Priamus Lares  die Laren (römische Hausgötter)  8.110, 9.137, 12.89, 12.113, 13.233 Larga  eine Ehebrecherin 14.25 Laronia  sonst unbekannte Römerin  2.36, 2.65 Lateranus  ein Konsul, der sich standeswidrig verhält  8.147, 8.151, 8.167; ggf. identisch mit Plautius Lateranus, einem Mitglied der Pisonischen Verschwörung gegen Nero 10.17 Latium  Landschaft um Rom 12.103; Adj. Latinus/Latius  2.127, 6.188, 6.287, 6.637, 8.256, 11.115, 11.148; [via] Latina  Gräberstraße bei Rom  1.171, 5.55 Latinus  ein Mimendarsteller  1.36, 6.44 Latona  römische Göttin, Mutter von Apollo und Diana  6.176, 10.292 Laurentum  Stadt in Latium 1.107 Laureolus  Hauptfigur in einem Bühnenstück über einen Räuber 8.187 Lavinum  von Aeneas erbaute Stadt in Latium 12.71 Leda  Geliebte Jupiters, hier eine Bühnenrolle 6.63 Lentulus  Name einer bedeutenden römischen Familie  6.80, 7.95, 8.187; ein Anhänger Catilinas 10.287



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Lepidus  Name einer bedeutenden römischen Familie, u. a. Triumvir (43 v. Chr.)  6.265, 8.9; vgl. 2.28 Leucas  griechische Insel 8.241 Libitina  die für die Bestattung zuständige Göttin 12.122 Liburnus  Adj. zu Liburnia (illyrische Landschaft) 4.75, 6.477; Liburna [navis]  ein Schnellboot 3.240 Libya/Libye  das Land Libyen 5.119, 11.25 Licinus  wohlhabender Freigelassener  1.109, 14.306 Ligusticus  Adj. zu der italischen Landschaft Liguria 3.257 Liparaeus  Adj. zu Lipara (Insel bei Sizilien) 13.45 Longinus  römischer Politiker unter Nero 10.16 Lucani  das Volk der Lukaner in Unteritalien 8.180 Lucanus  der Dichter Lucan (Zeit Neros) 7.79 Lucilius  römischer Satiriker (2. Jh. v. Chr.) 1.165; vgl. 1.20 Lucretia  bedeutende Figur aus dem frühen Rom; ihre Vergewaltigung durch den Königs­ sohn Sextus Tarquinius und ihr anschließender Selbstmord waren der Anlass für die Vertreibung des letzten Königs Tarquinius Superbus 10.293 Lucrinus [lacus]  der Lucriner See (bei Baiae) 4.141 Lucusta  berüchtigte Giftmischerin 1.71 Lugudunensis  Adj. zu der gallischen Stadt Lugudunum (heute: Lyon) 1.44 Luna  die Mondgöttin  6.311, 6.443, 8.149 Lupercus  Priester des Pan 2.142 Lycisca  Deckname der Kaiserin Messalina als Prostituierte 6.123 Lycius  Einwohner der Landschaft Lycia in Kleinasien 11.147 Lyde  sonst unbekannte Römerin 2.141 Machaera  Auktionator 7.9 Maecenas  berühmter Förderer der Dichter unter Augustus  1.66, 7.94, 12.39 Maedus  aus dem Volk der Maeder (in Thrakien) 7.132 Maeoticus/Maeotis  Adj. zu den Maeotae (Völkerschaft auf der Krim)  4.42, 15.115 Manilia  sonst unbekannte Römerin 6.243 Mamerci  Name einer bedeutenden römischen Familie 8.192 Marcellus  Name einer bedeutenden römischen Familie 2.145 Marius → Arpinas Marius Priscus  ein Provinzverwalter  1.49, 8.120 Maro  der Dichter P. Vergilius Maro (Vergil)  6.436, 7.227, 11.180; vgl. auch → Vergilius Mars  Gott des Krieges 1.8, 2.31, 6.59, 9.101, 10.83, 10.314, 13.79, 14.261 (Mars Ultor), 16.5; vgl. 11.107; vgl. auch → Gradivus

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Marsus  aus der Völkerschaft der Marser (in Latium)  3.169, 14.180 Marsya  der Satyr Marsyas, der Apoll zum Gesangswettstreit herausforderte 9.2 Massa  ein Denunziant 1.35 Matho  ein Denunziant 1.32, ein Redner  7.129, 11.34 Maura  römische Frauen  6.307 f., 10.224 Maurus  der Maure, Einwohner von Nordafrika  3.79, 5.53, 6.337, 7.120, 10.148, 11.125, 12.4, 14.196 Medi  die Meder (die Perser) 10.177 Medullina  römische Dame 6.322 Megalesia  das zu Ehren der Göttin Cybele gefeierte Megalesische Fest 6.69; Adj. Megalesiacus 11.193 Melanippe  Titel einer Tragödie 8.229 Meleager  Held des Mythos 5.115 Memnon  mythologischer König von Äthiopien 15.5 Memphitis  Adj. zu Memphis (Stadt in Ägypten) 15.122 Menoeceus  mythologischer thebanischer Königssohn, der sein Leben für die Heimat opferte 14.240 Mentor  griechischer Künstler 8.104 Meroe  Stadt auf einer Nilinsel  6.528, 13.163 Messalina  Ehefrau des Kaisers Claudius 10.333; vgl. 14.331 Metellus  L. Caecilius Metellus (cos. 251 v. Chr.) 6.265; vgl. 3.139 Metellus  Q. Caecilius Metellus (cos. 80 v. Chr.) 15.109 Mevia  römische Dame 1.22 Micipsa  afrikanischer König 5.89 Miletos  Stadt in Griechenland 6.296 Milo  Volkstribun (57 v. Chr.) 2.26 Minerva  Göttin der Weisheit  3.139, 3.219, 10.116, 13.82; vgl. 12.4 Minturnae  Stadt in Latium 10.276 Mithridates  König von Pontus (2./1. Jh. v. Chr.) 14.252; vgl. 6.236, 13.98 Modia  römische Dame 3.130 Moesi  das Volk der Möser (auf dem Balkan) 9.143 Molossus  Adj. zum Volk der Molosser (hier für Pyrrhus, den König von Epirus)  12.108, 14.162 Montanus  Berater Domitians  4.107, 4.131 Monychus  ein Zentaur 1.11 Moyses  der Gesetzgeber der Israeliten Moses 14.102 Mucius  Konsul aus der römischen Republik 1.154 Mucius Scaevola  Held aus der römischen Frühzeit 8.264 Musae  die Musen 7.37



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Mycale  sonst unbekannte Römerin 5.141 Mycenis  die Frau aus Mykene (Iphigenie) 12.127; vgl. auch → Iphigenia Myron  berühmter griechischer Künstler (5. Jh. v. Chr.) 8.102 Nabataeus  Adj. zu dem arabischen Stamm der Nabatäer 11.126 Naevolus  sonst unbekannter Römer  9.1, 9.91 Narcissus  wohlhabender Freigelassener unter Kaiser Claudius 14.329 Natta  ein Provinzverwalter 8.96 Neptunus  Gott des Meeres  13.81, 13.152; vgl. auch → Ennosigaeus Nero  römischer Kaiser (54–68 n. Chr.) 4.38 (für Domitian), 4.137, 6.615, 8.72, 8.170, 8.193, 8.212, 8.223, 10.15, 10.308, 12.129; vgl. auch → Caesar Nestor  griechischer Held vor Troja  6.326, 12.128; vgl. auch  → Pylius Nilus  der Fluss Nil  6.83, 10.149, 13.27, 15.123; Adj. Niliacus  1.26 Niobe  mythologische Herrscherin 6.177 Niphates  ein Teil des Flusses Tigris 6.409 Nortia  etruskische Schicksalsgöttin 10.74 Novius  ein Ehebrecher 12.111 Numa  zweiter römischer König  3.12, 3.138, 6.343, 8.156 Numantinus  Name einer bedeutenden römischen Familie 8.11 Numida  der Numidier / numidisch  4.100, 7.182 Numitor  sonst unbekannter Römer 7.74 Nysa  dem Bacchus heilige Stadt 7.64 Oceanus  der Ozean  2.2, 11.94, 11.113, 14.283 Octavius  C. Octavius, der spätere Kaiser Augustus 8.242; vgl. 2.28; vgl. auch → Caesar Ogulnia  sonst unbekannte Römerin 6.352 Olynthus  Stadt an der Grenze zu Mazedonien 12.47 Ombi  Stadt in Ägypten (bzw. deren Einwohner)  15.35, 15.75 Oppia  römische Dame  10.220, 10.322 Orcades  Inseln bei Schottland 2.161 Orestes  Sohn des Agamemnon, Mörder seiner Mutter Klytaimnestra  1.5, 8.220, 14.284; vgl. auch → Agamemnonides Orontes  Fluss in Syrien 3.62 Osiris  ägyptischer Gott 6.541, 8.29 Ostia  Hafenstadt von Rom 8.171 Otho  römischer Kaiser (69 n. Chr.)  2.99, 6.559 Otho  Volkstribun (67 v. Chr.)  3.159, 14.324

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Paccius  ein Dichter 7.12 Pacius  sonst unbekannter Römer 12.99 Pactolus  Fluss in Lydien 14.299 Pacuvius (Hister)  ein Erbschleicher  12.111, 12.125, 12.128 Paean  der Gott Apollo  6.172, 6.174  → Apollo Palaemon  ein Grammatiker unter Tiberius und Claudius  6.452, 7.215, 7.219 Palatium  der Palatin (einer der sieben Hügel Roms), Ort des Kaiserpalastes 2.106, 4.31, 9.23; Adj. Palatinus 6.117 Palfurius  ein Denunziant 4.53 Pallas  wohlhabender Freigelassener 1.109 Pansa  ein Provinzverwalter 8.96 Parcae  die Parzen (Schicksalsgöttinnen) 12.64 Paris  ein Freigelassener, Patomimendarsteller  6.87, 7.87 Paris  Sohn des trojanischen Königs Priamus 10.264 Parrhasius  griechischer Künstler (5./4. Jh. v. Chr.) 8.102 Parthenius  einflussreicher Freigelassener unter Domitian 12.44 Parthi  das Volk der Parther (in Skythien) 6.407 Paulus  Name einer bedeutenden römischen Familie  2.146, 7.143, 8.21 Pax  Göttin des Friedens 9.23 Pedo  ein Rhetor 7.129 Pegasus  Berater Domitians 4.77 Peleus  mythologischer König, Vater des Achilles  10.256, 14.214 Pelides  der Sohn des Peleus (Achilles) 3.280; vgl. auch → Achilles Pellaeus  aus der Stadt Pella stammend (Alexander der Große) 10.168; vgl. auch → Alexander Pelopea  die Enkelin des mythologischen Königs Pelops, hier Titel eines Bühnenstücks 7.92 Penelope  Ehefrau des Odysseus 2.56 Peribomius  römischer Kinäde 2.16 Persicus  Adj. zu Persae (die Perser) 14.328; als römischer Eigenname 3.221; Name des Adressaten von Satire 11 11.57 Petosiris  bedeutender Astrologe 6.581 Phaeaces  die Phäaken, mythologisches Volk, in der Odyssee beschrieben 5.151; Adj. Phaeax 15.23; vgl. auch → Alcinous Phalaris  grausamer Tyrann auf Sizilien (6. Jh. v. Chr.)  6.614C, 8.81 Pharos  Insel vor Alexandria mit dem berühmten Leuchtturm  6.83, 12.76; Adj. Pharius 13.85 Phasma  »Das Gespenst«, Titel eines Bühnenstücks des Mimenautors Catullus 8.186 Phiale  sonst unbekannte Römerin 10.238



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Phidiacus  Adj. zu dem griechischen Künstler Phidias (5. Jh. v. Chr.) 8.103 Philippicae  die Philippischen Reden Ciceros gegen Antonius 10.125 Philippus  ein Arzt 13.125 Philomela  Schwester der Prokne; hier Titel eines Bühnenstücks 7.92 Phoebus  Betreiber einer Badeanstalt 7.233 Pholus  ein Kentaur 12.45 Phryx/Phryges  Bewohner der Landschaft Phrygien  6.585, 7.236, 11.147, 12.73; Adj. Phrygius  2.115, 6.516, 14.307 Picens/Picenus  Adj. zu Picenum (Landschaft an der Adria)  4.65, 11.74 Picus  früher italischer König 8.131 Pierides (puellae)  die Musen 4.36; Adj. Pierius  7.8, 7.60 Pisaeus  Adj. zu Pisa (Stadt in der Nähe von Olympia) 13.99 Piso  bedeutender Patron aus der Zeit Neros 5.109 Pittacos  berühmter Denker, einer der Sieben Weisen (7./6. Jh. v. Chr.) 2.6 Pluton  Gott der Unterwelt 13.50; vgl. 10.112 Pollitta  sonst unbekannte Römerin 2.68 Pollio  ein Musiker  6.387, 7.176 (Crepereius) Pollio  sonst unbekannter verarmter Römer  9.6, 11.43 Polyclitus  berühmter griechischer Künstler (5. Jh. v. Chr.)  3.217, 8.103 Polyphemus  Zyklop, Sohn des Neptun  9.64, 14.14.20 Polyxena  Tochter des Priamus 10.262 Pompeius  römischer Feldherr und Politiker, Gegner von C. Iulius Caesar 10.108, 10.283 Pompeius  ein Denunziant, Berater Domitians 4.110 Pomptina palus  die Pomptinischen Sümpfe (in Latium) 3.307 Pontia  berüchtigte Giftmischerin 6.638 Ponticus  Adressat von Satire 8  8.1, 8.75, 8.179 Pontus  das Schwarze Meer sowie eine dort gelegene Landschaft  4.43, 10.273, 14.114; Adj. Ponticus 6.661 Poppaeanus  Adj. zu Poppaea (Ehefrau Neros) 6.462 Posides  wohlhabender Freigelassener unter Kaiser Claudius 14.91 Postumus  Adressat von Satire 6  6.21, 6.28, 6.377 Praeneste  Stadt in Latium 3.190; Adj. Praenestinus 14.88 Priamus  König von Troja 10.258; vgl. auch → Laomedontiades Priapus  römische Gartengottheit (mit großem Phallus dargestellt)  2.95, 3.316; vgl. 6.O26, 6.375 Prochyta  Insel im Golf von Neapel 3.5 Procne  Ehefrau des Thereus, Mutter des Itys, den sie tötet 6.644 Procula sonst unbekannte Römerin(nen)  2.68, 3.203

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Proculeius  sonst unbekannter Römer 1.40 Proculeius  Förderer der Dichter unter Augustus 7.94 Prometheus  Titan, Schöpfer des Menschengeschlechts  4.133, 8.133, 15.85; vgl. 14.35 Protogenes  sonst unbekannter Grieche 3.120 Psecas  eine Sklavin  6.491, 6.494 Pudicitia  die personifizierte Schamhaftigkeit  6.1, 6.14, 6.308 Punicus/Poenus  Adj. zum Volk der Poeni (die Punier, die Karthager)  10.155, 14.161 Pygmaeus  Adj. zum Volk der Pygmaei (die Pygmäen)  6.506, 13.168 Pylades  sprichwörtlich treuer Freund (des Orestes) 16.26 Pylius  Adj. zu Pylus, der Heimat des Nestor 10.246; vgl. auch → Nestor Pyrenaeus  Gebirgszug in Spanien (die Pyrenäen) 10.151 Pyrrha  Wiedererschafferin der Menschheit nach der Sintflut (vgl. Deucalion) 1.84, 15.30 Pyrrhus  König von Epirus 14.162; vgl. auch → Molossus Pythagoras  bedeutender Philosoph (6. Jh. v. Chr.) 15.173; Adj. Pythagoreus 3.229 Pythia  Seherin beim Orakel von Delphi 13.199 Quintilianus  bedeutender römischer Rhetor (1. Jh. n. Chr.)  6.75, 6.280, 7.186, 7.189 Quintilla  sonst unbekannte Römerin 7.75 Quirinus  Name des Romulus  2.133, 3.67, 8.259; Adj. Quirinus 11.105 Quirites  die Quiriten, die Römer  3.60, 3.163, 8.47, 10.45, 10.109 Ravola  ein Sklave 9.4 Remus  Bruder des Romulus 10.73 Rhadamantus  Totenrichter in der Unterwelt 13.197 Rhenus  der Fluss Rhein 8.170 Rhodope  ein Sklavin 9.4 Rhodos  griechische Insel mit gleichnamiger Hauptstadt 6.296; Einwohner Rhodii 8.113 Roma  die Stadt Rom  2.39, 3.41, 3.83, 3.137, 3.165, 3.183, 3.314, 3.319, 4.38, 5.90, 7.4, 7.138, 8.237, 8.243, 8.244, 10.122, 10.279, 11.46, 11.197; vgl. 7.162; Adj./ Einwohner Romanus  3.119, 5.58, 6.295, 10.138, 14.100, 14.160 Romuleus  Adj. zu Romulus, dem Gründer und ersten König von Rom 11.104 Rubellius Blandus  möglicherweise ein adliger Römer aus der Zeit Neros 8.39 Rubrenus Lappa  ein Dichter 7.72 Rubrius  Berater Domitians 4.105 Rufus  ein Rhetor  7.213, 7.214 Rutila  sonst unbekannte Römerin  10.294, 10.295 Rutilus  sonst unbekanne(r) Römer  11.2, 11.5, 11.21, 14.18



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Rutulus  aus dem Volk der Rutuler / rutulisch  6.637, 12.105; der Rutuler Turnus (Gegner des Aeneas)  1.162, 7.68 Rutupinus  Adj. zu Rutupiae (Stadt in Britannien) 4.141 Sabinus  aus dem Volk der Sabiner  3.85, 6.164, 10.299; Adj. Sabellus 3.169 Saguntinus  Adj. zu Saguntum (Stadt in Spanien) 5.29; vgl. auch → Zacynthos Salamis  Ort der berühmten Schlacht, in der die Perser von den Griechen geschlagen wurden (480 v. Chr.) 10.179 Saleius  ein Dichter 7.80 Sameramis  sagenhafte assyrische Königin 2.108 Samos  griechische Insel 3.70; Adj. Samius 16.6 Samothraces  die Bewohner der Insel Samothrake 3.144 Santonicus  Adj. zu dem gallischen Volk der Satones 8.145 Sardanapallus  König von Assyrien 10.362 Sarmentus  Spaßmacher am Hof des Augustus 5.3 Sarranus  Adj. zu der Stadt Sarra in Phönizien (»tyrisch«) 10.38 Saturnus  latinischer Gott, Herrscher während des Goldenen Zeitalters  6.1, 6.570 (als Sternbild), 13.40 Saufeia  römische Dame  6.320, 9.117 Sauromates  das Volk der Sarmaten  2.1, 15.125; Sarmata  der Sarmate 3.79 Scantinia Lex  Gesetz zur Regelung sexueller Beziehungen 2.44 Scaurus  Name einer bedeutenden römischen Familie  2.35, 6.604, 11.91 Scipiades  Mitglieder der berühmten Familie der Scipionen 2.154 Scylla  Felsen/Ungeheuer bei Sizilien 15.19 Scythicus  Adj. zu der Landschaft Scythia 11.139 Secundus Carrinas  ein Rhetor 7.204 Seianus  mächtiger Prätorianerpräfekt unter Tiberius  10.63, 10.66, 10.76, 10.89, 10.90, 10.104 Seius  → Titus Seiusque Seleucus  ein Musiker 10.211 Seneca  bedeutender römischer Philosoph zur Zeit Neros  5.109, 8.212, 10.16 Senones  gallische Völkerschaft 8.234 September  der Monat September  6.517, 14.130 Seres  die Serer (chinesisches Volk) 6.403 Sergius/Sergiolus  ein Gladiator  6.105, 6.112 Seriphos  Kykladeninsel, ein Verbannungsort  6.564, 10.170 Serranus  ein Dichter 7.80 Sertorius  sonst unbekannter Römer 6.142 Servilia  römische Dame 10.319

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Servius Tullius → Tullius Setinus  Adj. zu Setia (Stadt in Latium)  5.34, 10.27, 13.213 Sextus  römischer Kinäde 2.21 Sibylla  die (wahrsagende) Sibylle von Cumae  3.3, 8.126 Siculus  Adj. zu Sicilia  (die Insel Sizilien)  5.100, 6.486, 7.236, 9.150, 13.50 Sicyon  Stadt auf der Peloponnes 3.69 Signinus  Adj. zu Signia (Stadt in Latium) 11.73 Silanus  Name einer bedeutenden römischen Familie 8.27 Silvanus  Wald- und Feldgott 6.447 Siren  die Sirene (mythologisches Wesen, das vorüberfahrende Seeleute mit schönem Gesang anzulocken versucht) 14.19 Socraticus  Adj. zu dem berühmten Philosophen Socrates (5. Jh. v. Chr.)  2.10, 14.320; vgl. 13.185–187 Sol  die Sonne, der Sonnengott 13.78 Solon  einer der Sieben Weisen Griechenlands (7./6. Jh. v. Chr.) 10.274 Solyma  die Stadt Jerusalem 6.544 Sophocleus  Adj. zu dem berühmten Tragödiendichter Sophokles 6.636 Sora  Stadt in Latium 3.223 Sostratus  ein Dichter 10.178 Spartanus  Adj. zu der Stadt Sparta  8.101, 8.218, 13.199 Statius  römischer Dichter (40–96 n. Chr.) 7.83 Stentor  ein Grieche vor Troja mit einer sprichwörtlich lauten Stimme 13.112 Stheneboea  mythologische Königin, die Bellerophon mit ihrer Liebe zugrunde richtet  10.327 Stoicus  ein stoischer Philosoph / stoisch  3.116, 13.121, 15.109; Stoicida  Anhänger der Stoiker 2.65 Stratocles  griechischer Schauspieler 3.99 Stygius  Adj. zu Styx, einem Unterweltsfluss 2.150 Subura  belebte Straße in Rom  3.5, 5.106, 10.156, 11.51, 11.141 Sulla  römischer Diktator (2./1. Jh. v. Chr.)  1.16, 2.28 Sulmonensis Adj. zu der italischen Stadt Sulmo 6.187 Surrentinum [vinum]  Wein aus der kampanischen Stadt Surrentum 6.O15 Sybaris  griechische Stadt an einem gleichnamigen Fluss 6.296 Syene  Stadt in Ägypten 11.124 Sygambri  der germanische Stamm der Sugambrer 4.147 Syphax  numidischer König; im 2. Punischen Krieg ein Gegner der Römer 6.170 Syria  die Landschaft Syrien 8.169; Adj. Syrus/Syrius  3.62, 6.351, 11.73; Syrophoenix  ein Syrer aus Phönizien  8.159, 8.160



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Tagus  Fluss in Spanien  3.55, 14.299 Tanaquil  Ehefrau des römischen Königs Tarquinius Priscus 6.566 Tarentum  griechische Stadt in Italien 6.297 Tarpeius  Adj. zur Bezeichnung des Kapitols in Rom  6.47, 12.6, 13.78 Tatius  sabinischer König, der gemeinsam mit Romulus das frühe Rom regierte 14.160 Tauricus  Adj. zum Volk der Tauri auf der Krim 15.116 Tauromenitanus  Adj. zu Tauromenium (Stadt auf Sizlien) 5.93 Tedia  sonst unbekannte Römerin 2.49 Telamon  Vater des Ajax 14.214 Telephus  Sohn des Herkules, Titel einer Tragödie 1.5 Telesinus  ein Dichter 7.25 Tentura  Stadt in Ägypten  15.35, 15.76 Teresias  ein blinder Seher des Mythos 13.249 Terpsichore  die Muse der Tanzkunst 7.35 Terra  die personifizierte Mutter Erde 8.257 Tereus  mythologischer König von Thrakien, hier Titel eines Bühnenstückes 7.12 Teucri  das Volk der Teukrer (Trojaner) 8.56 Teutonicus  Adj. zu dem germanischen Volk der Teutonen 10.282 Thabraca  Stadt in Numidien in Afrika 10.194 Thais  Rolle einer Sklavin im Theater  3.93, 6.O26 Thales  berühmter Philosoph, einer der Sieben Weisen (7./6. Jh. v. Chr.) 13.184 Tharsimachus  ein Rhetor 7.204 Thebae  die Stadt Theben in Böotien  7.12, 13.27, 14.240; Thebais  Titel eines Epos des Statius 7.83 Thebe  die Stadt Theben in Ägypten 15.6 Themison  ein Arzt 10.221 Theodorus  Verfasser eines Lehrbuchs zur Rhetorik 7.177 Thersites  Grieche vor Troja  8.269, 8.271, 11.31 Theseis  Titel eines Werks über die Taten des Helden Theseus 1.2 Thessalia  die griechische Landschaft Thessalien 8.242; Adj. Thessalus 6.610 Thrasea  stoischer Oppositioneller unter Nero 5.36 Thrasyllus  Astrologe unter Tiberius 6.576 Thrax  Einwohner von Thrakien  3.79, 6.403, 13.167 Thyestes  Bruder des Atreus, hier Titel einer Tragödie 8.228 Thyle  die nördlich von Britannien gelegene Insel Thule 15.112 Thymele  Darstellerin von Mimen  1.36, 6.66, 8.197 Tiberis  der Fluss Tiber  3.62, 6.523, 7.121, 14.202; Adj. Tiberinus 5.104; Tiberinus  der Flussgott des Tiber 8.265 Tiberius → Caesar

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Tibur  Stadt in Latium  3.192, 14.87; Adj. Tiburtinus 11.65 Tigellinus  Gefolgsmann des Kaisers Nero 1.155 Tirynthius  Adj. zu Tiryns (Heimat des Herkules) 11.61; vgl. auch → Hercules Tisiphone  eine der Furien (Rachegöttinnen) 6.29 Titan  riesenhaftes Göttergeschlecht  14.35 (Prometheus); Titanis pugna  der Kampf der Titanen 8.132 Titus Seiusque  zwei Allerweltsnamen 4.13 Tonans  Bezeichnung für Jupiter 13.153; vgl.. auch → Iuppiter Tongilius  sonst unbekannter Römer 7.130 Tralles  griechische Stadt 3.70 Trebius  ein Klient, Adressat von Satire 5  5.19, 5.135 Trifolinus (ager)  das Trifolinische Gebiet in Kampanien 9.56 Triphallus  Beiname des Priapus 6.O26 Troia  die Stadt Troja 10.258; Adj. Troianus  4.61; Troica  ein Epos über Troja  8.221; Troiugena  Trojaner; Bezeichnung für die von Aeneas abstammenden Römer  1.100, 8.181, 11.95 Trypherus  ein Meister, der Trancheure ausbildet 11.137 Tuccia  sonst unbekannte Römerin 6.64 Tullia  sonst unbekannte Römerin 6.307 (Servius) Tullius  römischer König 7.199 Tullius (Hostilius)  römischer König 5.57 Turnus  Gegner des Aeneas  12.105, 15.65 Tuscus  aus dem Volk der Etrusker / etruskisch  1.22, 6.186, 6.289, 8.180, 10.74, 11.108, 13.62 Tutor  ein Provinzverwalter 8.93 Tydides  Sohn des Tydeus (Diomedes) 15.66; vgl. auch → Diomedes Tyndaris  Klytaimnestra, die Tochter des Tyndareus 6.657; vgl. auch → Clytemestra Tyrius  tyrisch/phönizisch; purpurfarben  1.27, 6.246, 7.134, 10.334, 12.107 Tyrrhenus  Adj. zu Tyrrheni (die Etrusker)  5.96, 6.92, 12.76 Ucalegon  sonst unbekannter Bewohner Roms 3.199 Ulixes  der griechische Held Odysseus  9.65, 11.31, 15.14; vgl. auch → Ithacus Ulubrae  Ort in Latium 10.102 Umbricius  Figur in Satire 3 3.21 Urbicus  ein Komödiendarsteller 6.71 Ursidius  sonst unbekannter Römer  6.38, 6.42 Vagellius  ein schlechter Redner  13.119, 16.23 Varillus  sonst unbekannter Römer 2.22



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Vascones  spanisches Volk 15.93 Vaticanus mons  der Vatikanische Hügel in Rom 6.344 Veiento  ein Patron 3.185; ein Denunziant und Berater Domitians 4.113, 4.123;  römischer Bürger 6.113 Venafranus  Adj. zu Venafrum (Stadt in Kampanien) 5.86 Ventidius  römischer Politiker und Feldherr (cos. 43 v. Chr.) 7.199 Ventidius  vornehmer Römer 11.22 Venus  Göttin der Liebe und Schönheit  2.31, 4.40, 6.138, 6.570, 7.25, 10.290, 16.5 Venusinus  Adj. zu der Stadt Venusia (Heimat des Horaz) 1.51 Venustina  sonst unbekannte Römerin 6.167 Vergilius  der Dichter P. Vergilius Maro (Vergil)  6.435, 7.69; vgl. auch → Maro Verginia  Tochter des L. Verginius, von diesem getötet 10.294 Verginius  römischer Feldherr zur Zeit Neros 8.221 Verres  Verwalter von Sizilien, von Cicero wegen Ausbeutung der Provinz angeklagt  2.26, 3.53, 8.106 Vesta  Göttin des Herdfeuers  4.61, 6.386 Vestinus  aus dem altitalischen Stamm der Vestiner 14.181 Vettius  ein Rhetor 7.150 Victoria  die Göttin des Sieges 8.63 Vindex  Unterstützer des Galba in der Auseinandersetzung um den Kaiserthron 8.222 Virro  römischer Patron  5.39, 5.43, 5.99, 5.128, 5.134, 5.149, 5.156, 9.35 Volcanus/Vulcanus  Gott der Schmiedekunst  1.9, 10.132, 13.45; Adj. Volcanius 8.270 Volesus  berühmte römische Familie 8.182 Volsci  die Volsker (Volk in Latium) 8.245 Volsinii  Stadt in Etrurien 3.191 Volusius Bithynicus  Adressat von Satire 15 15.1 Zacynthos  die Stadt Sagunt in Spanien 15.114; vgl. auch → Saguntinus Zalaces  sonst unbekannter Armenier 2.164 Zeno  Begründer der stoischen Philosophenschule (4./3. Jh. v. Chr.) 15.107