Aeneis: Lateinisch - deutsch [Annotated] 3110408791, 9783110408799

Die Aeneis Vergils (70–19 v. Chr.), ein Epos in 12 Büchern, gehört zu den bedeutendsten Dichtungen der Weltliteratur. Si

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German Pages 766 Year 2015

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Aeneis: Lateinisch - deutsch [Annotated]
 3110408791, 9783110408799

Table of contents :
Inhalt
Einführung
»Weiden, Äcker, Führer«: Leben und Lebenswerk
Ein römischer Odysseus mit Zügen Achills und Jasons
Das »lyrische Epos«
Der belesene Dichter
Juppiters Universum und der Kosmos des Augustus
Vom vates zum Magier
»Wer liest heute Vergil?«
Der Aeneis-Dichter nach seinem 2000. Geburtstag
»Schwiegertochter« statt »Schnur«
Text und Übersetzung
Buch 1
Buch 2
Buch 3
Buch 4
Buch 5
Buch 6
Buch 7
Buch 8
Buch 9
Buch 10
Buch 11
Buch 12
Zum lat einischen Text dieser Ausgabe
Erläuterungen
Markus Schauer
Aeneas und Augustus
Bibliographie

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SAMMLUNG TUSCULUM

Herausgeber: Niklas Holzberg Bernhard Zimmermann

Wissenschaftlicher Beirat: Günter Figal Peter Kuhlmann Irmgard Männlein-Robert Rainer Nickel Christiane Reitz Antonios Rengakos Markus Schauer Christian Zgoll

Publius Vergilius Maro Aeneis Lateinisch-deutsch

Herausgegeben und übersetzt von Niklas Holzberg Mit einem Essay von Markus Schauer

DE GRUYTER

ISBN 978-3-11-040879-9 e-ISBN (PDF) 978-3-11-041033-4 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-041041-9 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2015 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Für Einbandgestaltung verwendete Abbildungen: Cologny (Genève), Fondation Martin Bodmer, Cod. Bodmer 52: 6v/7r (www.e-codices.unifr.ch) Satz im Verlag Druck und Bindung: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen ♾ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com

In memoriam Karl Bayer (1920–2009)

I nhalt Einführung 9

»Weiden, Äcker, Führer«: Leben und Lebenswerk  10 Ein römischer Odysseus mit Zügen Achills und Jasons  13 Das »lyrische Epos«  17 Der belesene Dichter  20 Juppiters Universum und der Kosmos des Augustus  22 Vom vates zum Magier  25 »Wer liest heute Vergil?«  27 Der Aeneis-Dichter nach seinem 2000. Geburtstag  30 »Schwiegertochter« statt »Schnur«  34 Text und Übersetzung

Buch 1  42 Buch 2  90 Buch 3  142 Buch 4  188 Buch 5  234 Buch 6  290 Buch 7  348 Buch 8  400 Buch 9  446 Buch 10  498 Buch 11  556 Buch 12  614 Zum lateinischen Text dieser Ausgabe  675 Erläuterungen 677

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Inhalt

Markus Schauer Aeneas und Augustus  731 Bibliographie 760

Einf ü hrung Arma virumque, »Waffen und Mann«, verheißt der Erzähler der Aeneis mit seinen zwei ersten Worten als Thema seines »Singens« (das dritte Wort ist cano). Aus den Versen 1–7 geht dann hervor, dass wir erfahren werden, auf welche Weise der »Mann« – er nennt sich, wie erst Vers 92 verrät, Aeneas – nach seiner Flucht aus Troja auf Irrwegen über Länder und Meere zu Laviniums Küsten in Italien gelangt und dort in einem Krieg, also mit »Waffen«, die Voraussetzungen für die Gründung Roms schafft. Die beiden ersten Wörter geben aber nicht nur eine allererste Vorausschau auf den Inhalt der Aeneis, sondern auch einen impliziten Hinweis auf zwei (bzw. drei) literarische Vorlagen des Werks. »Waffen« lässt den kundigen Leser ahnen, dass der Erzähler an die Ilias Homers (8./7. Jh. v. Chr.), das Epos über den Kampf um Troja, anknüpft – bereits das vierte Wort in Vers 1 ist Troiae –, »Mann«, dass auch Homers Epos über die Heimkehr des Odysseus aus Troja im Hintergrund steht. Denn die Odyssee verwendet das Wort »Mann« gleich als Incipit, und es hat dort als (griechischer) Akkusativ Singular ándra dieselbe Vokalsequenz wie arma. Ganz besonders kundige Leser nehmen sogar eine Anspielung auf das ArgonautenEpos des Apollonios von Rhodos (3. Jh. v. Chr.) wahr: Es beginnt mit archómenos (»beginnend«), also mit denselben zwei Buchstaben wie die Aeneis, und ist ihr wie die beiden Epen Homers motivisch verwandt. Hat zumindest das zeitgenössische Publikum Vergils derartige Feinheiten wirklich bemerkt, spätestens beim second reading? Wir dürfen für ziemlich sicher halten, dass der Dichter das erwartete. Sein Epos – als ein solches präsentiert es sich ebenso durch die

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Thematik wie durch das Versmaß, den daktylischen Hexameter – will offensichtlich primär als ein literarischer Text begriffen sein und erst in zweiter Linie als ein »römischer«, der den »Mann« Aeneas als Präfiguration des zur Zeit Vergils ersten Mannes im Staate, des Kaisers Augustus, charakterisiert. Es soll daher im Folgenden überwiegend von dem Aeneis-Autor als einem Literaten die Rede sein, während der Patriot und Augusteer Vergil in Markus Schauers Essay über die Gestalt des Aeneas in den Blick genommen wird. Die Einführung behandelt außerdem das Fortwirken der Aeneis. »Weiden, Äcker, Führer«: Leben und Lebenswerk Die Aeneis mit Schwerpunkt auf ihrer literarischen Aussage zu lesen empfiehlt sich schon deshalb, weil wir über Vergils Vita fast gar nichts wissen, dagegen bei fortlaufender Lektüre der drei Opera, die er einzig hervorbrachte, nachvollziehen können, wie der Autor gezielt ein Lebenswerk aufbaute: seine »Trilogie« der Bucolica, einer Sammlung von zehn Hirtengedichten, der Georgica, eines Lehrgedichts über Landwirtschaft in vier Büchern, und des zwölf Bücher umfassenden Epos. Geboren am 15. Oktober 70 v. Chr. in Mantua, publizierte Vergil um 35 v. Chr. mit den Bucolica eine Dichtung, die sich thematisch noch bewusst von der Welt der »Waffen« absetzt. Es geht darin um Hirten, die neben ihrer eigentlichen Tätigkeit dichten und musizieren und dabei sowohl private Probleme, vor allem erotische, zur Sprache bringen als auch über ihre Form der Poesie reflektieren. Mit diesen Gedichten stellt Vergil permanent einen intertextuellen Bezug zu den Hirtengedichten des hellenistischen Autors Theokrit (3. Jh. v. Chr.) her, »romanisiert« sie aber insofern, als er gelegentlich auf italisches Zeitge-



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schehen anspielt, vor allem darauf, dass Oktavian, der spätere Kaiser Augustus, und Marcus Antonius nach ihrem Sieg über die Caesar-Mörder in den beiden Schlachten von Philippi (42 v. Chr.) in der Gegend Italiens, aus der Vergil stammt, Grundbesitz konfiszierten, um es den Veteranen ihrer Heere zu übereignen. Oktavian wird in den Bucolica zwar namentlich nicht genannt, ist aber sehr wahrscheinlich im ersten Gedicht mit dem göttlichen Jüngling gemeint, der sich Hirtenpoesie gegenüber wohlwollend zeigt. Die Georgica von etwa 29 v. Chr. setzen bereits einen weiteren wichtigen Sieg Oktavians voraus, denjenigen über Antonius und Kleopatra in der Schlacht bei Aktium (31 v. Chr.), die damit verbundene Beendigung der Bürgerkriege und den Aufstieg des Imperators zum ersten Mann im Staate. Als diesen spricht der Lehrdichter ihn an, wenn auch überwiegend implizit. Das ist deswegen im Zusammenhang mit dem Thema »Landwirtschaft« möglich, weil die Anweisungen der Georgica für Agrikultur und Viehzucht nur vordergründig als solche gelesen sein wollen: Zwischen den Zeilen identifizieren sie die Figur des Römers, der Äcker und Tiere »kultiviert«, allegorisch mit derjenigen des Staatsmannes, der sein von den Bürgerkriegen zerrüttetes Reich neu ordnen und zu früherer Gesittung zurückführen soll. Wir haben es also mit einer Art Fürstenspiegel zu tun. Und wieder ist Intertextualität ein wichtiges Element der Darstellung, da in Buch 1–3 Verse der Lehrdichter Hesiod (um 700 v. Chr.), Arat (3. Jh. v. Chr.) und Lukrez (gest. um 55 v. Chr.) evoziert werden und in Buch 4 auch schon solche Homers. Mit ihm ist freilich noch nicht die Welt der »Könige und Schlachten« erreicht, die in Bucolica Gedicht 6, Vers 3 als diejenige des Epos bezeichnet wird. Doch nach der im wesentlichen privaten Thematik der sozial auf einer relativ niedrigen Stufe stehenden Hirten hat Vergil sich mit

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dem Bauern, der den Staatsmann symbolisiert, immerhin auf ein höheres gesellschaftliches wie literarisches Niveau begeben, und dann repräsentiert seine dritte Dichtung, die um 18 v. Chr. postum veröffentlichte Aeneis über »Waffen und Mann«, die dritte und zugleich höchste Stufe im Werkaufbau. In dem bald nach Vergils Tod entstandenen Grabepigramm zählt die Stimme des Dichters denn auch die Opera in der Weise auf, dass man den »aufsteigenden« Dreischritt erkennt: Mantua me genuit, Calabri rapuere, tenet nunc     Parthenope; cecini pascua rura duces. (Mantua brachte mich hervor, Kalabrien raffte mich hinweg, Parthe­nope [= Neapel] birgt mich jetzt; ich sang von Weiden, Äckern, Führern.)

Wie es dazu kam, dass der Dichter in Kalabrien starb – das Datum ist der 21. September 19 v. Chr. –, berichtet uns die auf Sueton (ca. 70–130 n.Chr.) zurückgehende Vita des Aelius Donatus (4. Jh.). Aber die dortigen Angaben, die sich auch auf das Schicksal der unmittelbar vor dem Tod Vergils noch in Arbeit befindlichen Aeneis beziehen – angeblich verfügte der Autor testamentarisch die Verbrennung des Werkes –, sind widersprüchlich und wenig glaubhaft. Als sicher darf allein gelten, dass er es unvollendet hinterließ. Das belegen allein schon mehrere Verse im Text, die nicht die Länge eines Hexameters haben, die sogenannten »Halbverse« (der erste ist 1,534); außerdem drängt sich bei einigen Passagen die Vermutung auf, dass sie nicht in der endgültigen Fassung vorliegen. Zum Glück stellt das Epos auch in der uns überlieferten Textgestalt ebenso inhaltlich wie formal eine so herausragende künstlerische Leistung dar, dass man es zu den bedeutendsten Werken der Weltliteratur rechnen darf.



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Ein römischer Odysseus mit Zügen Achills und Jasons Nachdem Buch 4 der Georgica auf eine Episode in Buch 4 der Odyssee angespielt hat und damit auf einen Abschnitt des Epos, in dem der Held selbst noch nicht in Erscheinung tritt, beginnt das Aeneas-Epos gewissermaßen in Fortsetzung des Lehrgedichts mit einer Szene, die eine solche in Homers Buch 5 in Erinnerung ruft: Wie der griechische Held, dem wir dort erstmals »persönlich begegnen«, wird der trojanische gerade von einem Meeressturm heimgesucht. Dieser hat Aeneas ereilt, als seine Reise, auf der er mehreren Prophezeiungen zufolge dorthin gelangen soll, wo der Tiber fließt, bereits längere Zeit andauert. Wir lernen den Protagonisten der Aeneis also nicht erstmals in dem Moment kennen, als er Troja verlässt, sondern erheblich später, und so kommt es, dass uns alles, was sich bis zu dem Sturm ereignet, nachträglich erzählt werden muss. Das geschieht, als Aeneas, von den Winden an die Küste Libyens verschlagen, von der dort in Karthago herrschenden Königin Dido mitsamt seinen Leuten gastlich aufgenommen und von ihr gebeten wird, über seine bisherigen Erlebnisse zu berichten: In Buch 1 zu Dido gekommen, erzählt der Held in Buch 2 vom Untergang Trojas und seiner Flucht mit Vater Anchises und Sohn Askanius aus der brennenden Stadt sowie in Buch 3 von seinen Reiseabenteuern bis zur Ankunft in Libyen. Er setzt seine Fahrt ins Ungewisse fort, nachdem er wegen seiner Liebesaffäre mit Dido eine Zeitlang bei ihr geblieben (Buch 4), aber von Merkur im Auftrag Juppiters zum Weitersegeln ermahnt worden ist. Nur kurz verweilt er dann (zum zweiten Mal) in Sizilien (Buch 5), steuert danach Richtung Norden und landet in Kumae bei Neapel, von wo aus er in die Unterwelt zu seinem (beim ersten Sizilien-Besuch gestorbenen) Vater Anchises hinab-

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steigt (Buch 6); gleich danach erreicht er – das berichtet der Anfang von Buch 7 – die Tibermündung. Der erste Teil des Epos enthält also die Irrfahrten des Aeneas. Deshalb kann man diese eine der beiden Hälften als die »römische Odyssee« bezeichnen, wozu ferner ermuntert, dass auch in dem griechischen Epos nach Sturm und Landung die vorausgegangenen Irrfahrten in einer Ich-Erzählung »nachgetragen« sind. Und da in einer Art zweitem Proöm zu Beginn von Buch 7 der Bericht über Kriege angekündigt wird (7,37– 45a), darf man in der zweiten Hälfte des Epos, die mit der Tötung des feindlichen Königs Turnus durch Aeneas nach mehreren Kämpfen mit den mittelitalischen Latinern endet, eine »römische Ilias« sehen. Es ist allerdings zu bedenken, dass ein konstitutives Handlungselement der Odyssee – die Heimkehr des Helden und die Tötung der Freier seiner Frau Penelope – in variierter Form der gesamten Aeneis ihren Zusammenhalt gibt. Die Seereise des Aeneas mit seinen Trojanern ist nämlich insofern gleichfalls eine »Heimkehr«, als sein Urahne Dardanus einst von der mittelitalischen Stadt Korythus aus nach Troja übersiedelte und dessen Nachkommen dorthin nun »zurückfahren«. Das geschieht nach dem Willen der fata (»Schicksal«, Schicksalssprüche»«), den Juppiter vollsteckt: Durch sie wird der »heimkehrende« Aeneas dazu bestimmt, der Stammvater des neuen Trojas Rom zu sein, und da der Held den Boden der späteren Hauptstadt des Imperiums erst in Buch 8 betritt, reicht die »römische Odyssee« mindestens bis hierhin. Aber eigentlich ist sie auch jetzt noch nicht zu Ende. Denn das Ziel der Kämpfe, die in den Büchern 9–12 geschildert werden, ist, dass Aeneas Lavinia, die Tochter und Erbin des Königs Latinus, heiratet und nicht Turnus, der mit den Latinern verbündete Rutulerkönig, der sie ebenso zur Frau begehrt. Turnus repräsentiert mithin als



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Einzelperson die Freier der Odyssee, und so entspricht sein Tod motivisch demjenigen der Rivalen des griechischen Helden. Gewiss, Vergils Erzählung vom Krieg in Latium bietet sehr viele Berührungen mit den Schlachtszenen der Ilias, weshalb man das letzte Drittel der Aeneis auf jeden Fall als »römische Ilias« apostrophieren kann. Aber strukturell fungiert es als Schlussphase einer »römischen Odyssee«, und unter diesem Gesichtspunkt fällt auf, dass Vergil den Kriegsteil seines Epos relativ lang hinauszögert. Von »Waffen« hat er zwar schon in Buch 2 mit dem Bericht des Aeneas über die Eroberung Trojas »gesungen« bzw. »singen lassen«, aber damit wurde lediglich Vorgeschichte der Aeneis geboten. Wenn der Erzähler dann in 7,37–45a ankündigt, von nun an werde der Krieg in Latium das Thema sein, verifiziert er das vor Buch 9 erst einmal nur durch die Darstellung des Kriegsausbruchs in 7,467–640. Und was er uns hier vor Augen führt, ist noch kein heldenhaftes Ringen schwerbewaffneter Kämpfer, sondern die Erhebung von Hirten und Bauern gegen die Trojaner; man hat deshalb bei der Lektüre den Eindruck, Vergil stehe mit einem Bein noch in der unheroischen Welt der Bucolica und Georgica. Selbst die Bücher 9–12 bestehen nur partiell aus Schlachtschilderungen, da während der in Buch 11 behandelten Ereignisse längere Zeit ein Waffenstillstand herrscht und in Buch 12 überwiegend von dem Duell zwischen Aeneas und Turnus die Rede ist. Wie man sieht, steckt insgesamt relativ wenig »römische Ilias« in der Aeneis, und der Vergleich mit Homers Kriegsepos zeigt zudem, dass Schlachtszenen dort in 18 von 24 Büchern das Geschehen dominieren, während sie bei Vergil kaum 20 Prozent des Aeneis-Textes einnehmen. Es geht in der Aeneis also wie in der Odyssee vor allem um den »Mann«, und als solcher erinnert er das gesamte Epos hindurch mehr

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an den König von Ithaka als an irgendeinen anderen griechischen Heros; erst in den Büchern 10 und 12, wo er als erfolgreicher Kämpfer in Erscheinung tritt, trägt er auch deutlich Züge des Achill der Ilias, speziell in seiner Auseinandersetzung mit Turnus, die derjenigen Achills mit Hektor entspricht. Und es kommt als Musterfigur noch ein dritter hellenischer Held ins Spiel, der wiederum stärker Odysseus als Achill ähnelt: Jason, der Protagonist der Argonautika des Apollonios von Rhodos. Auch er muss sich auf eine Seereise begeben, da er den Auftrag hat, zusammen mit anderen griechischen Helden (die, weil sie mit der »Argo« segeln, Argonauten heißen) aus Kolchis an der südlichen Ostküste des Schwarzen Meers das Goldene Vlies zu holen. Dorthin segelt Jason von Thessalien aus durch die Ägäis und entlang der Nordküste Kleinasiens auf der direkten Route. Doch die Rückkehr verläuft auf riesigen Umwegen, die ihn im Norden bis zum Rhein und im Süden bis Libyen vordringen lassen, und wie er dabei auf einer Irrfahrt das Goldene Vlies mit sich führt, so begleiten Aeneas auf seiner Irrfahrt die Penaten, die Hausgötter Trojas. Gemeinsam ist Aeneas und Jason zudem, dass sie ein längeres Liebesabenteuer erleben, der Trojaner mit Dido und der oberste Argonaut mit Medea, die ihm durch ihre Zauberkunst zur Erringung des Goldenen Vlieses verhilft, die er aber später dennoch verlassen wird, wie ja auch Aeneas nicht bei Dido bleibt. In seiner Darstellung der Karthago-Episode evoziert Vergil immer wieder, wie man klar sehen kann, die Medea-Episode der Argonautika. Da die Dido-Episode insgesamt die Bücher 1–4 der Aeneis umfasst, 9–12 als eigentliche »römische Ilias« ebenfalls eine Einheit bildet und 5–8 kontinuierlich den Weg des Aeneas von Karthago bis zur Gegend des späteren Rom nachzeichnet, kann man Vergils Epos außer in zweimal sechs auch in dreimal vier Bücher gliedern.



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Das »lyrische Epos« So viel Odysseus und Aeneas miteinander verbindet, so sehr unterscheiden sie sich doch in einem wesentlichen Charakterzug: Während der griechische Held alle Schwierigkeiten, in die er gerät, durch Schlauheit und List meistert, also durch seinen Intellekt, bewährt sich der Trojaner in den verschiedensten Situationen durch eine vorbildliche sittliche Haltung: seine pietas. Das Wort bedeutet nicht einfach nur wie die modernen Ableitungen (Pietät, pietà usw.) »Frömmigkeit«, sondern darunter ist Pflichtbewusstsein und davon gelenktes Handeln sowohl gegenüber den Göttern als auch den Mitmenschen, vor allem den Angehörigen und den Stammesgenossen, zu verstehen. Pietas zwingt zu Gehorsam, Duldsamkeit und Verzicht, und indem Aeneas sich permanent darin übt, gelingt es ihm, seinen göttlichen Auftrag zu erfüllen: Er überführt die Penaten in ein neues Troja und siedelt sein Volk dort an, damit aus diesem die Römer als die Herren der Welt hervorgehen können. Zum epischen Helden qualifiziert seine pietas den Trojaner insofern, als er, um die genannten Ziele zu erreichen, beim Kämpfen zu Höchstleistungen imstande sein muss; so kommt es zum Beispiel, dass er, der in Troja noch vor der lebensgefährlichen Bedrohung vonseiten des Diomedes und Achills durch göttliche Intervention gerettet werden musste – davon berichtet die Ilias in Buch 5 (297 ff.) und 20 (273 ff.) –, sich im Laufe des Aeneis-Geschehens zu einem Krieger vom Format der beiden Griechen entwickelt: In der Endphase des Duells mit Turnus erinnert er neben Achill auch an Diomedes, wie intertextuelle Bezüge zu Homers Kriegsepos zeigen. Pietas gibt Aeneas aber auch die seelische Kraft, unbeirrt an seiner Mission festzuhalten, selbst wenn dafür Opfer zu bringen sind und sogar Menschen leiden müssen, die ihm besonders

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teuer sind. Seine größte Herausforderung ist hier die Notwendigkeit, Dido zu verlassen, obwohl er ihr sehr viel zu verdanken hat, eine eheähnliche Beziehung zu ihr unterhält und deutlich sieht, wie sehr sie unter der Trennung leiden, ja dass diese sie in den Tod treiben wird, und das erfolgt dann auch nach der Abfahrt des Aeneas. Dido ist keineswegs die einzige Person in der Aeneis, die »geopfert« werden muss, damit Aeneas die Basis für die Gründung der Stadt Rom als der künftigen Hauptstadt des Erdkreises schaffen kann. Außer der Königin verlieren ihr Leben mehrere junge Leute, die so positiv charakterisiert werden, dass ihr Sterben zwangsläufig Mitleid erweckt; hervorzuheben sind die in mann-männlicher Liebe verbundenen Trojaner Nisus und Euryalus (9,176 ff.), Pallas, der Sohn des Arkaders Euander, und Lausus, der Sohn des Etruskers Mezentius (10,362 ff. bzw. 790 ff.), sowie die »Amazone« Camilla (11,532 ff.). Als epischer Erzähler bricht Vergil im Zusammenhang mit dem Schicksal Didos und dieser noch »jungfräulichen« und entsprechend unschuldig wirkenden Menschen immer wieder mit der auf Homer zurückzuführenden Tradition der möglichst neutralen Berichterstattung und lässt sein Mitgefühl deutlich erkennen; bei Dido geht er so weit, sie direkt zu fragen, wie ihr zumute gewesen sei, als sie beobachtete, wie die Trojaner zum Davonsegeln rüsteten, und sich in seiner Anteilnahme noch zu steigern, indem er ausruft: »Ruchloser Amor, wozu zwingst du nicht die Herzen der Menschen!« (4,408–412). Selbst Turnus, der ebenfalls noch jung ist, aber blutrünstig unter seinen Gegnern im Kampf wütet und sich bei der Tötung des Pallas extrem grausam gebärdet, scheint der Erzähler mit Empathie zu betrachten. Als der am Ende des Epos von Aeneas schwer verwundete Rutuler den Trojaner bittet, wenigstens um seines alten Vaters willen ihn oder seinen Leichnam den



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Angehörigen zu übergeben, wirkt das so mitleiderregend, dass Aeneas zu einem Gnadenakt neigt. Zwar bewegt ihn dann die plötzliche Erinnerung an die Tötung des Pallas durch Turnus dazu, diesen doch noch zu erstechen, er handelt dabei aber in rasendem Zorn. Deshalb sehen spätestens seit den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts immer wieder Leser in Aeneas den Mörder eines Mannes, der seinen Tod nicht verdient hat. Dass ein Epiker Mitgefühl mit Personen seiner Geschichte empfindet, ist, als Vergil seine Aeneis schreibt, nicht ganz neu in der Entwicklung der Gattung – wichtige Ansätze weisen bereits die Argonautika des Apollonios von Rhodos auf –, aber das empathische Sprechen der ErzählerPersona Vergils überschreitet stellenweise die Grenzen der Gattung, und dann glaubt man geradezu die Stimme eines Lyrikers zu vernehmen. Als Vertreter dieses Genres hatte bisher innerhalb der lateinischen Literatur Catull (ca. 87– 54 v. Chr.) Emotionen besonders intensiv zum Ausdruck gebracht, und deshalb ist es gewiss kein Zufall, dass Vergil mehrmals intertextuell auf ihn rekurriert. Als Beispiel wähle ich eine einschlägige Passage der Aeneis, die zudem exemplarisch demonstriert, wie der Autor verfahren kann, wenn er Literatur »zitiert«: 6,692 f. Als Aeneas seinen Vater Anchises in der Unterwelt besucht, sagt dieser zu ihm: »Welche Länder, welch weite Meere durchfuhrst du, so dass ich dich nun empfange, mein Sohn … «

Damit wird ein Kenner antiker Texte zunächst Vers 3 f. der Odyssee assoziieren: Vieler Menschen Städte sah er, erkannte ihr Denken, viele Schmerzen erlitt auf dem Meer er in seinem Gemüte …

Aber im Wortlaut näher steht der Vergil-Passage der Anfang

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von Catulls Gedicht 101, in dem der Dichter am Grab seines Bruders in der Nähe von Troja diesen wie folgt anspricht (1 f.): Viele Völker hab ich und viele Meere durchfahren …

Vergil stellt also mit seinem intertextuellen »Doppelbezug« eine Verbindung einerseits zu seinem wichtigsten Vorgänger innerhalb der Gattung, andererseits zu Catull her, um anzudeuten, dass er auch an lyrische Tradition anknüpft. Der belesene Dichter Um in der Lage zu sein, seinen Text in der gerade gezeigten Weise mit anderen Texten zu vernetzen, musste Vergil sehr belesen sein. Dass er es war, kann man sowohl mit seiner Kunst der Intertextualität als auch damit dokumentieren, dass er bei seiner Lektüre der homerischen Epen offensichtlich gelehrte Kommentare heranzog. Die Existenz solcher Erläuterungswerke können wir aus den zahlreichen Randbemerkungen in den auf uns gekommenen Ilias- und Odyssee-Handschriften, den sogenannten Scholien, erschließen. Was griechische Philologen über einzelne Passagen der beiden Epen schrieben, hat Vergil gelegentlich berücksichtigt, wenn er eine dieser Passagen evozierte. Sein Vorbild für die Szene, in der Turnus den Arkader Pallas tötet (10,479 ff.), war die Szene, in der Hektor Achills Freund Patroklos zu Boden streckt (Ilias 16,818 ff.). Dort sagt der Sterbende unter anderem (852–854): Sicherlich wirst auch du nicht lang mehr leben, nein, nahe steht bei dir schon der Tod und das mächtige Schicksal; bezwungen wirst von dem Aiakos-Sohn du, dem untadeligen Achilles.



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Ein Kommentator fragte zu diesen Versen rationalistisch, woher Patroklos das, was er da voraussieht, habe wissen können – es trifft ja in Buch 22 tatsächlich ein. Entweder weckte die Frage auch in Vergil Zweifel an der Fähigkeit des Patroklos zur Prophezeiung, oder er wollte auf die für ihn vielleicht etwas pedantische Überlegung jenes HomerSpezialisten anspielen. Denn nachdem er berichtet hat, wie Turnus dem toten Pallas sein Wehrgehänge abnimmt, sagt er in der Rolle des allwissenden Erzählers (10,501–505): Nichts weiß Menschensinn von Fatum und künftigem Lose, weiß, wenn das Glück ihn emporhebt, nicht das Maß zu bewahren! Turnus wird noch die Zeit erleben, wo viel er drum gäbe, Pallas unberührt gelassen zu haben, wo diese Beute er hasst und den Tag.

Als poeta doctus (gelehrter Dichter) stellte Vergil sich in eine Tradition, die im 3. Jahrhundert v. Chr. von hellenistischen Poeten in Alexandria begründet wurde. Der bedeutendste unter ihnen, Kallimachos (ca. 320–nach 245 v. Chr.), verbindet in seinem (nur fragmetarisch erhaltenen) Hauptwerk Aitia, in dem er kulturelle Phänomene durch Ursprungsmythen »erklärt«, feinsinnige, formal höchst anspruchsvolle Poesie mit Buchgelehrsamkeit. Auch in den Argonautika seines Zeitgenossen Apollonios von Rhodos finden sich Aitien, am häufigsten im Zusammenhang mit den Orten, wo die Argo landet; als Ganzes betrachtet liefern diese ad hoc referierten Mythen eine Begründung für die frühe Ausbreitung der griechischen Zivilisation im Mittelmeerraum. Das schafft eine Verbindung zwischen dem Heroen-»Zeitalter« und der Epoche, in der das Epos entstand. Aber Vergil geht bei seiner Überlagerung von zwei Zeitebenen noch einen großen Schritt weiter als Apollonios: Er schlägt eine Brücke von der mythischen Epoche des Aeneas zur augusteischen

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Ära, indem er einerseits politische Ereignisse der eigenen Gegenwart durch Episoden der Aeneis widerspiegelt und sie auf diese Weise präfiguriert, andererseits seinen Zeitgenossen direkte »Durchblicke« von der mythischen Ära auf die des Prinzeps ermöglicht: mit den Prophezeiungen des Verlaufs der römischen Geschichte und der Größe des Augustus im Gespräch Juppiters mit Venus (1,223 ff.), in der durch Anchises kommentierten »Heldenschau« (6,756 ff.) und in der Beschreibung des Bildprogramms auf dem von Vulkan für Aeneas verfertigten Schild (8,626 ff.). Juppiters Universum und der Kosmos des Augustus Wie erwähnt, sagt Markus Schauer in seinem Essay das Wichtigste zu Aeneas in seinem Verhältnis zu Augustus. Hier sei lediglich eine Ergänzung dazu gegeben, die erneut belegt, dass der poetischen Auseinandersetzung Vergils mit der Politik des Kaisers ein primär literarisches Konzept zugrunde liegt. Es ist der Mythos von der Gigantomachie, dem Kampf der olympischen Götter unter der Führung Juppiters gegen die sie angreifenden Giganten, der das Weltbild der Aeneis entscheidend prägt. Gleich zu Beginn des Epos, als der Erzähler anschaulich schildert, wie die trojanische Flotte auf Betreiben der dem Aeneas feindlich gesinnten Göttin Juno von gewaltigen Sturmwinden »angegriffen« wird und ihre Vernichtung droht, entsteht beim Leser durch Formulierungen, die den genannten Mythos evozieren, eine Vorstellung, die Vergil in der Aeneis immer wieder weckt: Gegen einen Vertreter des Lichtes und der Ordnung wenden sich Mächte der Finsternis und des Chaos. Von der Sturmszene am Anfang spannt sich ein Bogen bis zum Finale des Epos, wo Turnus nach Art eines Giganten



Einführung

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einen Stein, den »kaum … zweimal sechs auserlesene Männer schultern« könnten (12,899 f.), gegen Aeneas schleudert, aber dann, weil seine Kraft nicht mehr ausreicht, den Trojaner zu treffen, von dessen Hand stirbt. Damit ist für den Sieger in dieser »Gigantomachie« der Weg frei zu einer Neuordnung des Staates der Latiner nach einem Krieg, der, da sie mit den Trojanern über Dardanus verwandt sind, ein regelrechter Bürgerkrieg war. Einen solchen hat wiederum Oktavian zu Lebzeiten des Dichters durch die Schlacht bei Aktium beendet, und die Beschreibung des Seegefechts auf dem von Vulkan verfertigten Schild des Aeneas erinnert wie die des Sturms in Buch 1 an eine Gigantomachie: Hier kämpft nicht allein die Flotte Oktavians gegen diejenige des Antonius und der Ägypterkönigin Kleopatra, sondern auch ein Aufgebot der olympischen Götter gegen »Ungeheuer von Göttern jeder Art« (8,698), unter ihnen Anubis, der ägyptische Gott in Gestalt eines Hundes. Vergil ließ sich für seine Schildbeschreibung durch Homer anregen, bei dem wir lesen, was auf dem Schild Achills zu sehen ist (Ilias 18,483 ff.). Die Kommentatoren des griechischen Epos hatten diesen Schild, der außer Himmel, Erde und Meer alle nur denkbaren Formen menschlichen Lebens und Strebens zeigt, in allegorischer Auslegung als Abbild des Universums gedeutet, und Vergil setzt dem mit seinem Schild ein Universum entgegen, das sich auf die Erde beschränkt: das römische Imperium, dessen Geschichte von den Anfängen bis zur Gegenwart durch die Illustrierung des Schilds in ausgewählten historischen Szenen rekapituliert wird. Das diese Entwicklung krönende Ereignis ist der Seesieg Oktavians, den man nach seinem Dreifachtriumph von 29 v. Chr. dabei sieht, wie er, auf der Schwelle des von ihm geweihten Apollotempels auf dem Palatin thronend, von Delegationen fremder Völker, ja sogar von Flüssen wie

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dem Rhein, Geschenke überreicht bekommt. Er erscheint hier also nach der Vernichtung der irdischen »Giganten« als Weltherrscher, und damit entspricht er auf der Erde Juppiter im Himmel, dem Lenker des gesamten Universums nach dessen Sieg über die Giganten. Auch das Ordnungssystem des römischen Imperiums begreift der Erzähler der Aeneis somit als einen Kosmos. Ein einziges Mal in der Aeneis wird unser Blick auf das gesamte Universum gelenkt. Der Kontext ist das Festmahl, das Dido für die gestrandeten Trojaner veranstaltet und bei dem sie Aeneas um die Erzählung seiner Abenteuer bitten wird; hier tritt ein Sänger namens Ïopas auf (1,740 ff.) und singt vom wandernden Mond und von den Leiden der Sonne, von dem Ursprung der Menschen und Tiere, des Regens, des Feuers, von Arktur, von dem Regengestirn, von den beiden Trionen, singt auch, warum im Winter ins Meer zu tauchen die Sonne eilt und was, wenn die Nacht spät kommt, ihren Anbruch verzögert.

Warum lesen wir das hier? Man ahnt den Grund, wenn man nach dem Erlebnisbericht des Aeneas in Buch 2–3 im daran anschließenden Buch die Tragödie von der rasenden Liebe Didos zu dem Trojaner liest: Hier gerät das irdische Ordnungssystem, in das Aeneas von den Göttern gestellt ist, vorübergehend in Unordnung, und man versteht in Erinnerung an das Lied des Ïopas über das Universum, welches somit als kosmologisches Proömium zur DidoEpisode begriffen werden kann, dass Aeneas unbedingt die Königin verlassen muss, um zur irdischen Ordnung, für die er gewissermaßen zuständig ist, zurückzukehren. Juppiter persönlich befiehlt, dass der Stammvater seines künftigen Repräsentanten auf Erden, des Augustus, die Reise dorthin fortsetzt, wo dieser irdische Juppiter seinen Herrschersitz haben wird.



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Vom vates zum Magier In Vergils Ïopas sah Quintilian (ca. 35–100 n.Chr.), der Autor einer wirkungsmächtigen rhetorischen Lehrschrift, die auch eine griechisch-römische Literaturgeschichte enthält, den Prototyp eines vates (Ausbildung des Redners 1,10,9 f.); das schwer zu verdeutschende Wort bezeichnet ebenso einen Propheten wie einen von göttlichem Geist inspirierten Dichter, der zwischen Himmel und Erde vermittelt und über Universalwissen verfügt. Da zwei von Ïopas’ Versen (745 f.) bereits in den Georgica aus dem Munde der Dichter-Persona ertönen (2,481 f.), darf man folgern, auch Vergil habe von seinem zeitgenössischen Publikum als ein vates wie derjenige an Didos Tafel begriffen sein wollen. Dass es sich bei ihm tatsächlich um einen solchen handle, versuchte erstmals Macrobius (um 400 n.Chr.) in seinen Saturnalien zu zeigen: Für ihn war Vergil omnium disciplinarum peritus (»kundig in allen Wissenschaften«; 1,16,12). In der Spät­ antike ging man so weit, Vergil zuzutrauen, dass er auch verborgene Weisheit zu bieten habe, und machte deshalb seine Texte zum Gegenstand der Allegorese. Von nun an schuf diese Art der Interpretation immer wieder die Basis für die Porträtierung Vergils als eines Weltweisen, die, im Mittelalter besonders häufig anzutreffen, bis in das zweifellos erfolgreichste Buch über Vergil nachwirkte. 1931 von Theodor Haecker (1879–1945) verfasst und schon bald in mehrere Sprachen übersetzt, nennt es den Dichter im Titel »Vater des Abendlandes«. Das konnte Vergil nach Meinung Haeckers vor allem deshalb werden, weil er die »vollkommenste anima naturaliter Christiana der Antike« gewesen sei.1 Diese Behauptung fußt letztlich auf allegorischer Aus1

T. Haecker, Vergil. Vater des Abendlandes. Zürich 41946, S. 33.

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legung von Vergils viertem Hirtengedicht, wie sie erstmals Kaiser Konstantin der Große (280–337 n.Chr.) in einer durch seinen Biographen Eusebios (ca. 260–339 n.Chr.) überlieferten Rede vorgenommen haben soll: In dem Gedicht wird die Geburt eines Knaben vorausgesagt, der dem Erdkreis das goldene Zeitalter bringen werde, und es bot sich an, ihn mit Christus zu identifizieren. Am berühmtesten wurde der Dichter in der Rolle der anima naturaliter Christiana in der Commedia Divina Dantes, dessen Persona sich von Vergil als seinem maestro auf dem Weg durch die Unterwelt und das Purgatorio geleiten lässt. Bei der Konzeption der Person seines duca orientierte der italienische Dichter sich sowohl an der Aeneis als auch an der Bibel. Zum einen besteht ein intertextueller Bezug der Verse, in denen Dante von seinem Zusammentreffen mit Vergil erzählt (1,61–63), zu dem Bericht des Aeneas darüber, wie Hektor ihm im Traum erschien, um ihn zum Durchirren des Meers auf der Suche nach den von ihm zu erbauenden Mauern aufzufordern (Aen. 2,268 ff.). Auf der anderen Seite dürfen wir uns, wenn wir lesen, dass Vergil, als er sich nel gran diserto Dantes Blick zeigt, diesem »durch zu langes Schweigen heiser« erscheint, an ein verwandtes biblisches Motiv erinnern: Moses, der im Buch Exodus die Israeliten durch ein gran diserto führt, erklärt sich nach der Berufung durch Gott im brennenden Dornbusch für sprechunfähig (Ex. 4,10). Dantes Reise durch das Inferno wird also ebenso durch die Irrfahrt der Aeneaden wie durch den Zug des auserwählten Volkes in das Gelobte Land präfiguriert. Zum Cicerone in der Unterwelt eignete Vergil sich natürlich deshalb, weil er diese in Buch 6 der Aeneis detailliert schildert. Wer sich (angeblich) dort gut auskennt, dem traute das Mittelalter auch zu, dass er zaubern konnte, wobei man seinen Namen, den man jetzt »Virgilius« schrieb, von



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virga (»Rute, Zauberstab«) ableitete. Seit dem 12. Jahrhundert erdichtete man die wundersamsten Geschichten über die Ausübung magischer Künste durch den Weltweisen. So soll er einmal eine schöne Römerin geliebt haben, die ihn längere Zeit abgewiesen, dann aber zum Schein nachgegeben und aus ihrem Fenster einen Korb an einem Seil herabgeschickt habe, um ihren Verehrer heraufzuziehen; sie habe ihn jedoch auf halber Höhe hängen lassen und so zum Gespött der am nächsten Morgen vorbeigehenden Leute gemacht. Aus Zorn darüber habe Vergil das Verlöschen sämtlicher Feuer in Rom bewirkt, und als er von den Bürgern gebeten worden sei, sie aus ihrer Notlage zu befreien, habe er ihnen zum Anzünden eines Lichtes nur eine einzige Flamme zur Verfügung gestellt: Diese sei aus der Vagina der Frau herausgeschlagen, welche ihn zum Narren gehalten hatte. Die Erzähltradition vom Zauberer Virgilius, in welche die Story gehört, hatte vor rund 50 Jahren gewissermaßen ein Nachspiel. Als der prominente Vergil-Forscher W.F. Jackson Knight an seiner Übersetzung der Aeneis arbeitete, wandte er sich über den südafrikanischen Spiritualisten T.J. Haarhoff direkt an Vergil, um an diesen verschiedene Fragen zur Interpretation des Epos zu richten. Der Dichter soll anfangs durch ein Medium auf Deutsch geantwortet, sich dann aber regelmäßig jeden Dienstag in lateinischer Sprache geäußert, sein Interesse an Jackson Knights Bemühungen bekundet, dessen Fleiß gepriesen und textkritische Emendationen sowie Texterklärungen angeboten haben. »Wer liest heute Vergil?« Hatte das Mittelalter mit seinen Vorstellungen vom Universalgelehrten und Magier Vergil dessen Person immer wieder

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von seinen Texten getrennt, so weckten diese spätestens seit der Renaissance des 15./16. Jahrhunderts wieder größtes Interesse. In jene Zeit fallen die Anfänge der Bemühungen um eine wissenschaftliche Erschließung des Textes, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts mit der kritischen Ausgabe Otto Ribbecks (Leipzig 1858–69) ihren ersten Höhepunkt erreichten. Vergil zählte von der Renaissance an überall in der westlichen Welt zu den bevorzugt gelesenen antiken Autoren und blieb es auch ohne Unterbrechung bis heute – außer vorübergehend in Deutschland: Seit etwa der Mitte des 18. Jahrhunderts wurde der Autor der Aeneis durch prominente deutsche Dichter und Denker nur noch als drittrangiger Poet betrachtet, zum einen weil er jetzt als ein das »Originalgenie« Homer plagiierender Epigone erschien, zum anderen, weil man den »Hofpoeten«, den man in Vergil bisher ganz selbstverständlich gesehen hatte, nun als solchen zu verachten begann. Exemplarisch für diese Sichtweise ist der Vergleich, den Gotthold Ephraim Lessing (1729–1781) im 18. Stück seines Laokoon von 1766 zwischen der Schildbeschreibung in der Ilias und derjenigen in der Aeneis zieht; hier finden wir u. a.: »Der witzige Hofmann leuchtet überall durch, der mit allerlei schmeichelhaften Anspielungen seine Materie aufstutzet, aber nicht das große Genie, das sich auf die eigene innere Stärke des Werks verlässt, und alle äußere Mittel, interessant zu werden, verachtet.« Speziell deutsche Altphilologen des ausgehenden 19. Jahrhunderts schätzten Vergil so gering, dass Richard Heinze sein zu Beginn des 20. Jahrhunderts verfasstes Buch Virgils epische Technik nach der Fertigstellung in Anlehnung an den Autor der Aeneis zunächst verbrennen wollte (woran ihn dann ein Kollege hinderte) – eine Monographie, über die einer der bedeutendsten Latinisten der Gegenwart, Alessandro Barchiesi, fast hundert Jahre nach dem



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Erscheinen schrieb, es sei immer noch »difficult to imagine a new general book on the Aeneid that can do better than Heinze«.2 Während in Deutschland die Frankfurter Zeitung noch im Jahre 1926 fragte: »Wer liest heute Vergil?«, erlebte die Rezeption des Dichters in anderen Ländern des Westens zwischen den beiden Weltkriegen eine Blütezeit, die nicht zuletzt durch die politische Situation bedingt war. Die historische Krise, in welche blutige Kämpfe von vorher nicht geahnten Ausmaßen Europa und Nordamerika gestürzt hatten, weckte in Intellektuellen wie Staatsmännern die Erinnerung an das, was sie in der Schule über die Lage Roms in der letzten Phase der Bürgerkriege und unmittelbar danach, also in der Epoche, als Vergil seine Dichtungen publizierte, gelernt hatten. Besonders eindringlich wies Oswald Spengler in seinem 1918 erschienenen Buch Der Untergang des Abendlandes auf Analogien zwischen der euro-amerikanischen Kultur seiner Epoche und derjenigen Roms hin. Es war die Zeit, in der auch in Ländern, deren politische Entwicklung nicht auf die Errichtung eines faschistischen Regimes hinauslief, sich die Sehnsucht nach einem starken Mann regte, und darin konnte man sich zum Beispiel durch Aen. 6,791–793 bestätigt fühlen: Hier ist der Mann, hier der, der – du hörst’s oft – dir prophezeit wird, Caesar Augustus, Sohn eines Gottes, der goldene Zeiten wieder für Latiums Land begründen wird …

Jetzt also sah mancher in Vergil den politischen Mahner zum rechten Weg, weshalb man sich auch wie einst, als man ihn zum Propheten Christi und zum Universalgelehrten erklärt hatte, wieder mehr für seine Vita bzw. das, was man 2

The Journal of Roman Studies 86, 1996, 230.

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seinem Werk über seine Vita entnehmen zu können glaubte, zu interessieren begann als für die philologische Analyse oder kreative Rezeption von Bucolica, Georgica und Aeneis. Zu dieser biographistischen Haltung ermunterte die Tatsache, dass sich am 15. Oktober 1930 der Geburtstag Vergils zum 2000. Mal jährte. Denn nun hatte man eine höchst günstige Gelegenheit, die Person des Mahners in Festvorträgen, Jubiläumsschriften und Lebensbildern so gegenwartsnah wie möglich zu beschwören. Bezeichnenderweise treten die Dichtungen Vergils als solche in all den Würdigungen fast ganz in den Hintergrund. Der Aeneis-Dichter nach seinem 2000. Geburtstag Sehr bemerkenswert erscheint es, dass aus Anlass des Bimillenniums nicht nur eine Reihe von ideologisch eingefärbten Vergil-Porträts entstand, sondern sich auch noch verschiedene politische und ethische Überzeugungen darin artikulierten, wobei allerdings der allgemeine Zeitgeist dafür sorgte, dass es selbst zwischen konträren Konstrukten biographischen Wunschdenkens signifikante Übereinstimmungen gab. Hatte Vergil schon über die Jahrhunderte hin sukzessive nicht wenige Metamorphosen durchlaufen, so bewirkte jetzt das eine Jubiläumsjahr mehrere Verwandlungen auf einen Schlag. Alle aber erfolgten im Zusammenhang damit, dass diejenigen, die der Welt ihren Vergil präsentierten, damit an die Bereitschaft ihrer Leser zur Rückbesinnung auf abendländische Werte appellierten. Da ich die Rezeption Vergils in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts hier nicht umfassend dokumentieren kann, begnüge mich damit, zwei damals geschriebene Bücher kurz vorzustellen: Robert Brasillachs Présence de Virgile von



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1931 und Haeckers schon erwähnte Vergil-Monographie aus demselben Jahr. Bei Brasillachs Opus handelt es sich um den wohl interessantesten Beitrag zum Bimillennarium unter den zahlreichen Vergil-Büchern, die aus dem faschistischen Lager kamen. Dessen italienisches Oberhaupt, Benito Mussolini, erfreute sich im Jahre 1930 in dem von ihm diktatorisch regierten Land größter Beliebtheit, und so lag es für seine Anhänger nahe, das große Jubiläum für die Propagierung faschistischer »Werte« zu missbrauchen, etwa durch Verherrlichung des imperialistischen Staates und »gesunder« bäuerlicher Arbeit als seiner Keimzelle. Dazu und zu anderen Idealen der Politik des »Duce«, die man durch Verse Vergils vorgegeben glaubte, bekannten sich denn auch diejenigen, die im Jahre 1930 am 21. April, dem legendären Datum der Gründung Roms, gleichzeitig in dreißig Städten Italiens Jubiläumsreden hielten. Es unterstrich den Propagandaeffekt der Bimillenniumsfeiern höchst effektvoll, dass man die Orte des Landes, die irgendwie mit Leben und Werk Vergils in Verbindung gebracht werden konnten, regelrecht zu Wallfahrtsorten für Besucher von überall her machte; damals wurden zum Beispiel das Grab des Dichters bei Neapel und die Höhle der Sibylle in Kumae restauriert, und Mussolinis Bruder Arnaldo ließ in Mantua einen bosco sacro anlegen, in dem Exemplare aller in Vergils Opera vorkommenden Pflanzen und Bäume wuchsen. Mussolinis begeisterter Verehrer Brasillach, geboren 1909 in Perpignan und somit erst Anfang 20, als er sein Vergil-Buch verfasste, hatte keine Skrupel, Vergil als Faschisten avant la lettre zu charakterisieren, ja sich von seinem Publikum zu wünschen, es möge sein Buch unter der Voraussetzung lesen, dieses sei die Geschichte eines jungen Italieners des Jahres 1930, eines »homme du temps présent«. Zu einem so einseitigen Vergil-Porträt konnte sich Brasil-

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lach allein schon dadurch autorisiert sehen, dass sein akademischer Lehrer, der Latinist André Bellesort, 1920 ein Buch mit dem Titel Virgile. Son œuvre et son temps veröffentlicht hatte, welches das Bedürfnis der Rezipienten nach einer historisch-kritischen Monographie über den Dichter in den Augen seines Schülers vollauf befriedigt haben dürfte. Aber bereits Bellesort hatte seine Darlegungen politisch eingefärbt, indem er in seinem Vorwort den im Ersten Weltkrieg durch Frankreich errungenen Sieg über Deutschland mit dem Triumph der Götter Aktiums über die Barbaren verglich. Für Brasillach waren die östlichen Nachbarn seiner Nation zwar keineswegs Barbaren, aber gerade das wurde ihm letztlich zum Verhängnis. Denn er kollaborierte mit den Nazis während des Zweiten Weltkrieges, und deshalb ließ man ihn am 6.2.1945 hinrichten. So führte sein Engagement für die »Werte«, die er aus seinem romantischen Faschismus und der damit verbundenen antikapitalistischen, antiliberalen, antikommunistischen und antibürgerlichen Einstellung ableitete, zu seinem Tod, und das im Alter von nur 35 Jahren. Auf den ersten Blick scheint es, als müsse Theodor Haecker eine Ideologie vertreten haben, die von derjenigen Brasillachs diametral verschieden ist. Denn der deutsche Autor wurde während der Jahre des Hitler-Regimes mehrfach von der Gestapo verhaftet und verhört und durfte während des Krieges weder publizieren noch Vorträge halten. Er selbst hat in einem Aufsatz mit dem Titel Betrachtungen über Vergil, Vater des Abendlandes, der 1932 als eine Begleitschrift zu dem Buch in der Zeitschrift Der Brenner erschien (Nr. 13, S. 3–31), anders als dort unmissverständlich deutlich gemacht, dass seine in dem Buch zum Ausdruck gebrachten Ideale in Widerstreit mit dem Nationalsozialismus stünden; er spricht hier nämlich von dem Hakenkreuz



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als dem Zeichen des Antichrist. Doch gleichzeitig erklärt er Martin Luther zur Ursache der moralischen Dekadenz des deutschen Volkes bis hin zur Hitler-Bewegung, in der er »eine plötzlich wieder aufflackernde Aktivierung der destruktiven Tendenzen und mörderischesten, plebejischesten Instinkte des Protestantismus« sieht. Man erkennt an diesen und vielen anderen Äußerungen in dem Aufsatz und dem Buch, dass sich hier ein radikaler, intoleranter politischer Katholizismus artikuliert, der mit dem Faschismus die antikapitalistische, antiliberale, antikommunistische und antibürgerliche Einstellung durchaus teilt, mit dem Führerstaat zwar nicht auf nationaler, aber auf abendländischer Grundlage mindestens liebäugelt und demokratische Strukturen deshalb ablehnt, ja sogar zu einer gewissen Form von Rassismus neigt; so behauptet Haecker in dem Vergil-Buch, »dass der abendländische Mensch seit über 2000 Jahren den Prinzipat gehabt hat über alle anderen Völker und Rassen«,3 und betrachtet den Ausgang der Schlacht bei Aktium als die »auf lange gültige Entscheidung zwischen dem Westen und dem Osten, die Vergil durchaus klar gesehen hat als die Entscheidung zwischen dem Geist des Westens und seiner Idee der Ordnung und des Lichtes und des Masses und des Vertrauens, und dem des Ostens mit seiner Masslosigkeit und Verzweiflung, Chaos und Grauen.«4 Vergil-Deutungen mit ideologischem Ansatz hat es auch nach dem Zweiten Weltkrieg noch gegeben, etwa die amerikanische »Two-Voices-Theorie«. Ihr zufolge spreche der Dichter der Aeneis, obwohl er seine Stimme »offiziell« als Verkünder der Größe des Augustus vernehmen lässt, »inoffiziell« mit einer zweiten, prinzipatskritischen Stimme. 3 4

T. Haecker, Vergil. Vater des Abendlandes. Zürich 41946, S. 15. Ebd. S. 35.

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Denn durch Hervorhebung der Opfer, die der Kampf des Aeneas zur Erringung der Herrschaft in Latium kostet, rufe Vergil implizit ins Gedächtnis, dass Augustus, wie historisch ja durchaus belegt werden kann, bis zum Sieg bei Aktium und darüber hinaus über Leichen ging, und klage den Prinzeps somit an. Eine kritische Auseinandersetzung mit dieser These erübrigt sich hier, da der Essay Markus Schauers eine solche enthält. Die Aeneis-Forschung auf der Basis der modernen Literaturwissenschaft, die mit bahnbrechenden Untersuchungen vor allem anglophoner und italienischer Latinisten seit den achtziger Jahren ihren Anfang nahm, verzichtet erfreulicherweise auf den vorher so beliebten Interpretationsansatz, der vorrangig fragt: »Was will uns der Dichter sagen?« Man liest das Epos jetzt lieber als literarisches Opus, indem man die Erzähltechnik, die Intertextualität und die indirekten dichtungstheoretischen Äußerungen würdigt, und dabei gewinnt man Erkenntnisse, die, wie ich meine, mehr Interesse verdienen als frühere Bemühungen darum, die ideologische Intention Vergils zu erfassen. Es ist zu wünschen, dass die neuere Aeneis-Forschung mit ihrem literarästhetischen Ansatz, der den Blick des Lesers auf das Epos als ein Kunstwerk lenkt, die AntikeFreunde, die, abgeschreckt durch weltanschaulich geprägte Interpretationen, von Vergil zu seinem »postmodernen« jüngeren Zeitgenossen Ovid »übergelaufen« sind, dazu bringt, beide Autoren gleichermaßen zu den ganz Großen der europäischen Poesie zu rechnen. »Schwiegertochter« statt »Schnur« Antike Dichtung hat man bei uns bis in die siebziger/achtziger Jahre des letzten Jahrhunderts nahezu ausschließlich me-



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trisch übersetzt, die Aeneis also in deutsche Hexameter. Die Beschränkung auf maximal siebzehn Silben pro Vers führte vielfach zu ungenauer oder gar den Sinn verändernder Wiedergabe, einzelne Wörter des Originals blieben unübersetzt, es wurde nicht selten gegen den deutschen Sprachgebrauch verstoßen und aus Rücksicht auf die metrischen Zwänge sogar sowohl im Bereich der Flexion von Wörtern als auch der Syntax willkürlich manipuliert. Dazu fühlte man sich ermuntert, weil seit der Epoche der deutschen Klassik ein gattungsspezifisches Idiom in Gebrauch war, das obsolete Wörter, eine zu freie Wortstellung und Beibehaltung von nicht mehr gebräuchlichen syntaktischen Phänomenen gestattete; außerdem regte das in deutscher Poesie des 18./19. Jahrhunderts nicht seltene Pathos insbesondere im Falle der Übertragung eines Heldenepos zur Verwendung einer Diktion an, die natürlicher Redeweise denkbar fremd ist. Innerhalb der Sammlung Tusculum bemühte sich Johannes Götte in Kooperation mit Maria Götte besonders intensiv um eine lesbare und zugleich möglichst wörtliche metrische Entsprechung zum lateinischen Original und erzielte auch in zahlreichen Passagen erheblich bessere Ergebnisse als alle Vorgänger; erstmals 1958 erschienen, wurde diese Version bis 2002 immerhin neunmal nachgedruckt. Aber die Göttes trennten sich nicht von der letztlich auf Johann Heinrich Voß (1751–1826) zurückgehenden, bereits in ihrer Zeit unnatürlichen klassizistischen Diktion, und deshalb finden sich auf jeder Seite (oft mehrere) Formulierungen, die für einen Leser des 21. Jahrhunderts teils ungenießbar bis zur (unfreiwilligen) Lächerlichkeit, teils gänzlich unverständlich sind; nicht selten muss, wer Latein beherrscht, bei einem Vers im Original prüfen, was der danebenstehende deutsche Vers in etwa bedeuten könnte.

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Hier einige Beispiele: Heute ungebräuchliche, vielfach nicht mehr verstandene Wörter: gen Abend [statt »nach Westen zu«]; allum [statt »ringsum«]; (er sprach) also [statt »so]«; bräutliches Mägdlein; Bronnen; der/die Buhle; dräuen [statt pro­so­disch identischem »drohen«]; Eidam; Ferge; mir frommt; Juppiters grimmes Gemahl (7,287); hochher; innert der Tore; Leu; »niemals«]; Maid; Mannen; mannbar; nimmer [statt ­ Pfühl; traut; Zweigicht u. a.; Verstoß gegen die Semantik: »sinnlos tobt sie« [4,300 u.ö. statt »sie tobt wie von Sinnen«]; e-Apokope: Geweb, Gefild, Ursach, Geprahl; Wortverkürzung/Simplex statt Kompositum (ich ergänze das jeweils Weggelassene): 〈Be-〉Hausung, 〈umher〉irren, 〈an-〉 vertrauen, 〈Unter-〉Schlupf, 〈Ein-〉Geweide, 〈be〉­dürf­tig, 〈aus〉breiten, 〈all〉mählich, sich 〈über〉­lassen, 〈ver〉lassen, 〈ge〉räumig; unflektiertes Adjektiv: das blitzend Schwert, sein ruhevoll Haupt, tränenerregend Jammern; Endung des Verbs erweitert: du lässest, er schwinget; Artikel weggelassen: »schlachtete schwarzes Lamm« (3,118); »Kurzgeschnittener Kranz ziert allen das Haar« (5,556); »auf zwölf Tage schließen sie Pakt« (11,133); Neubildung eines Kompositums zur Vermeidung mehrerer Wörter ohne Rücksicht darauf, ob das Wort verständlich ist: »mühlsteingewaltige Blöcke« (8,250); »den blutausschluchzenden Rumpf« (9,332); »nach Trauerbrauch mit wallenden Haaren« (11,35); abrupter Satzanfang: »Wuchs ein Hain inmitten der Stadt« (1,441: Lucus in urbe fuit media); Ellipse des Hilfsverbs: »Als nun die Asche gesunken und still die Flamme entschlafen« (6,226); »als Fortuna noch hold« (10,44);



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obsoleter Kasusgebrauch: »er wartet unser«, »sie denken der Freunde«, »flog schwebenden Fittichs«; attributives Adjektiv prädikativ gebraucht: »fromm entgegnet Aeneas« (5,26 statt »Der fromme Aeneas entgegnet«). Mehrere solche Phänomene weisen etwa folgende Verse auf: » …  durchforscht der geöffneten Tierbrust atmend Geweide  / gierigen Blicks« (4,463 f.); »Aufklafft gleich, da entriegelt das Tor, die düstere Hausung« (8,262); »Halte [statt »behalte«] die Rüstung, auf die du so stolz« (10,827). Eine gewisse Vorliebe haben die Göttes für wuchtige Alliterationen, die sie auch dann einsetzen, wenn das Original keine verwendet; zum Beispiel übertragen sie 8,245 immane barathrum mit »des Grausens Grube«. So etwas erinnert an Wagners stabreimenden Ring des Nibelungen und verfälscht den keineswegs einseitig »heroischen«, sondern sehr facettenreichen Stil Vergils auch dort, wo der Römer betont episch spricht. Was den Inhalt der Aeneis betrifft, geben ihn Prosaübersetzungen – vor allem dann, wenn die einschlägigen englischsprachigen Kommentare eingesehen wurden – in der Regel erheblich besser wieder als die traditionellen metrischen Verdeutschungen. Aber Edith und Gerhard Binder, deren deutsche Prosaübersetzung in diesem Bereich sicherlich als die beste gelten darf, verzichten bei ihrem Bestreben, den genauen Sinn eines Verses zu vermitteln, oft auf den Versuch, ein von Vergil gebrauchtes Bild zu übernehmen bzw. in ein entsprechendes deutsches zu verwandeln, und neigen insgesamt dazu, einem modernen Leser mundgerecht zu präsentieren, was dieser, wenn sie lateinische Formulierungen allzu wörtlich in deutsche umgewandelt hätten, vielleicht nicht ohne Weiteres verstünde. Gerhard Finks Tusculum-Aeneis von 2002 ist in vielen Fällen näher am Original, aber er bringt immer wie-

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der klassizistisches Pathos und altfränkische Lexik auch in eine Prosa-Aeneis ein; ein Satz wie »da schlug sie dreimal und viermal mit der Hand ihren herrlichen Busen« (4,589) findet sich bei ihm keineswegs selten, aber man würde ihn eher von Friedrich Schiller als von einem Übersetzer des beginnenden 21. Jahrhunderts erwarten. Es geht mir hier keinesfalls darum, die Göttes, die Binders und Fink zu tadeln; alle drei Verdeutschungen sind unverkennbar aus einem gewissenhaften Streben nach adäquater Wiedergabe des lateinischen Textes sowie in sorgfältiger philologischer Arbeit entstanden und nach wie vor höchst nützlich. Aber die metrische Übersetzung verwandelt Vergil in einen deutschen Poeten der Klassik und Romantik, und die beiden Prosaübersetzungen lassen zu wenig davon erkennen, dass es sich bei der Aeneis um Dichtung handelt. Meine Verdeutschung beschreitet einen Mittelweg zwischen Götte und Binder bzw. Fink: Ich habe wieder metrisch übersetzt, wobei ich mich an die für den deutschen Hexameter gültigen Gesetze hielt und lediglich von einer Lizenz gelegentlich Gebrauch gemacht habe: Wörter und Eigennamen mit einem »i«, das man als »j« lesen kann, als Zweisilbler zu messen, was sich auch bei Vergil findet. In meiner Diktion habe ich aber mit der klassizistischen Tradition gebrochen und mich stattdessen (außer in einer geringen Anzahl wirklich zur Verzweiflung treibender Verse) des heute gängigen Deutsch bedient, wobei ich an Stellen, an denen es mir unproblematisch erschien, entgegen bisherigem Usus vor Fremdwörtern, ja sogar vor längst eingebürgerten Anglizismen nicht zurückscheute. Ich möchte ganz einfach auch in gebundener Sprache verständlich sein, und deshalb schreibe ich zum Beispiel statt »Schnur« »Schwiegertochter«, obwohl ich dafür statt nur einer Silbe



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vier Silben »verbrauchen« muss.5 Mir ist wichtig, dass Leser des 21. Jahrhunderts bei Lektüre meiner deutschen Hexameter die Verskunst des Originals zumindest erahnen, ohne dass sie hilflos vor veralteten Formulierungen stehen und dann das Vorurteil bestätigen, von lateinischen Texten seien nicht einmal die Übertragungen verständlich. Ich bekenne auch gerne, dass ich den drei genannten Verdeutschungen sehr viel verdanke, vor allem Binder und Götte; jeder Übersetzer weiß, dass eine große Anzahl von Passagen eines fremdsprachlichen Textes, wenn man sie möglichst wörtlich wiedergeben will – und das war auch mein Ziel –, im Deutschen einfach nur das bedeuten können, was zum Teil seit Generationen als Wiedergabe für sie gewählt wurde, so dass auch für mich keine Alternative existierte. Mein Dank gilt außerdem Regina Höschele und Maria Anna Oberlinner für sorgfältige Durchsicht des gesamten Textes der vorliegenden Bilingue. Zum Gedenken an den großen Schulmann und Vergilianer Karl Bayer (1920– 2009) widme ich dieses Buch dem langjährigen väterlichen Freund. München, im Frühjahr 2015

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Niklas Holzberg

Dem »17-Silben-Zwang« fielen auch bei mir ab und zu einzelne Wörter zum Opfer, aber ich habe sorgfältig darauf geachtet, dass in solchen Fällen dennoch sinngemäß übersetzt ist.

T e x t und Üb e rs e tzung

LIBER I Arma virumque cano, Troiae qui primus ab oris Italiam fato profugus Lavinaque venit litora – multum ille et terris iactatus et alto vi superum, saevae memorem Iunonis ob iram, multa quoque et bello passus, dum conderet urbem inferretque deos Latio; genus unde Latinum Albanique patres atque altae moenia Romae. Musa, mihi causas memora, quo numine laeso quidve dolens regina deum tot volvere casus insignem pietate virum, tot adire labores impulerit. tantaene animis caelestibus irae? Urbs antiqua fuit (Tyrii tenuere coloni) Karthago, Italiam contra Tiberinaque longe ostia, dives opum studiisque asperrima belli; quam Iuno fertur terris magis omnibus unam posthabita coluisse Samo. hic illius arma, hic currus fuit; hoc regnum dea gentibus esse, si qua fata sinant, iam tum tenditque fovetque. progeniem sed enim Troiano a sanguine duci audierat Tyrias olim quae verteret arces; hinc populum late regem belloque superbum venturum excidio Libyae: sic volvere Parcas. id metuens veterisque memor Saturnia belli, prima quod ad Troiam pro caris gesserat Argis – necdum etiam causae irarum saevique dolores exciderant animo; manet alta mente repostum iudicium Paridis spretaeque iniuria formae et genus invisum et rapti Ganymedis honores:

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BUCH 1 Waffen besinge ich und den Mann, der als erster aus Troja, fliehend durch Schicksalsspruch, nach Italien kam, zu Laviniums Küste, viel über Länder getrieben und über das Meer durch Göttergewalt, weil Juno, die grausame, nachtragend zürnte, viel auch durch Krieg erlitt, bis die Stadt er gründete und die Götter nach Latium brachte; das Volk der Latiner und Albas Väter stammen von dort und Roms hochragende Mauern. Muse, sag mir die Gründe: In welchem göttlichen Wollen war sie verletzt, was schmerzte der Götter Königin, dass in so viel Unglück sie trieb den Mann, ein Vorbild an Ehrfurcht, so viel Mühsal? Ist Zorn so heftig in himmlischen Herzen? Eine alte Stadt, Karthago – tyrische Siedler wohnten dort –, lag gegenüber Italien, weit von des Tibers Mündung, reich an Schätzen, im Kriegseifer überaus grimmig; Juno, erzählt man sich, schätzte vor sämtlichen Ländern alleine sie, zog sie selbst Samos noch vor. Ihre Waffen, die waren hier und ihr Wagen; dass dieses ein Weltreich sei, wenn das Fatum irgend es zuließ, wünschte schon damals sehnlichst die Göttin. Aber sie hatte gehört, ein Volk von trojanischem Blute wachse heran, bestimmt, einst Tyriens Burg zu vernichten; aus ihm werde, weithin regierend und kriegsstolz, zu Libyens Untergang kommen ein Volk: So spännen die Parzen die Fäden. Dieses befürchtete sie und gedachte des einstigen Kriegs, den allen voran sie führte bei Troja für Argos, das teure – noch nicht waren die Gründe des Zorns und die grimmigen Schmerzen ihr aus dem Herzen gewichen; ihr blieben tief im Gedächtnis Paris’ Urteilsspruch und die Schmach der missachteten Schönheit und das verhasste Geschlecht und das Amt Ganymeds, des Entführten:

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his accensa super iactatos aequore toto Troas, reliquias Danaum atque immitis Achilli, arcebat longe Latio, multosque per annos errabant acti fatis maria omnia circum. tantae molis erat Romanam condere gentem. Vix e conspectu Siculae telluris in altum vela dabant laeti et spumas salis aere ruebant, cum Iuno aeternum servans sub pectore vulnus haec secum: ‘mene incepto desistere victam nec posse Italia Teucrorum avertere regem? quippe vetor fatis. Pallasne exurere classem Argivum atque ipsos potuit submergere ponto unius ob noxam et furias Aiacis Oilei? ipsa Iovis rapidum iaculata e nubibus ignem disiecitque rates evertitque aequora ventis, illum exspirantem transfixo pectore flammas turbine corripuit scopuloque infixit acuto; ast ego, quae divum incedo regina Iovisque et soror et coniunx, una cum gente tot annos bella gero. et quisquam numen Iunonis adorat praeterea aut supplex aris imponet honorem?’ Talia flammato secum dea corde volutans nimborum in patriam, loca feta furentibus Austris, Aeoliam venit. hic vasto rex Aeolus antro luctantis ventos tempestatesque sonoras imperio premit ac vinclis et carcere frenat. illi indignantes magno cum murmure montis circum claustra fremunt; celsa sedet Aeolus arce sceptra tenens mollitque animos et temperat iras. ni faciat, maria ac terras caelumque profundum quippe ferant rapidi secum verrantque per auras; sed pater omnipotens speluncis abdidit atris

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Deshalb erzürnt, hielt sie die über das Meer hin verschlagnen Troer, welche die Danaër und der wilde Achilles übrig ließen, von Latium fern, und Jahre um Jahre irrten auf allen Meeren umher sie, vom Fatum getrieben. So groß war die Mühe, das römische Volk zu begründen. Grade stachen, Sizilien nicht mehr erblickend, sie froh in See und durchpflügten die schäumende Salzflut mit ehernem Bug, als Juno, die ewige Wunde in ihrem Herzen bewahrend, dies zu sich sprach: »Soll ich denn, besiegt, aufgeben den Plan, kann ich von Italien nicht fernhalten den König der Teukrer? Sicher, die Fata verbieten es. Konnte denn nicht der Argiver Flotte Pallas verbrennen, die Mannschaft ertränken, um einzig Ajax, Oileus’ Sohn, für Wahnwitz und Schuld zu bestrafen? Sie selbst schleuderte Juppiters schnellen Blitz aus den Wolken, ließ die Schiffe zerschellen und wühlte im Sturmwind das Meer auf, packte ihn, als aus durchbohrter Brust er Flammen herausspie, mit einem Wirbelwind, spießte ihn dann auf ein spitziges Felsriff; ich aber, die ich als Königin über die Götter einhergeh, Juppiters Schwester und Frau, führ so viel Jahre mit einem Volk nur Krieg. Wird einer noch beten zur Gottheit der Juno oder demütig Gaben auf ihre Altäre noch legen?« Solches bewegt die Göttin im flammenden Herzen und kommt zur Heimat der Stürme, welche an tobenden Südwinden reich ist, nach Äolien. Hier hält nieder in riesiger Höhle König Aeolus widerspenstige Winde mit Macht und heulende Stürme und bändigt diese mit Fesseln und Riegeln. Jene brausen empört unter lautem Erdröhnen des Bergs in ihrem Kerker umher; mit dem Szepter sitzt auf der hohen Festung Aeolus, mildert den Trotz und besänftigt den Ingrimm. Täte er dies aber nicht, die Meere, die Länder, den hohen Himmel rissen sie mit sich und schleuderten sie durch die Lüfte; doch der allmächtige Vater verbarg sie in düsteren Höhlen,

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hoc metuens molemque et montis insuper altos imposuit, regemque dedit, qui foedere certo et premere et laxas sciret dare iussus habenas. ad quem tum Iuno supplex his vocibus usa est: ‘Aeole, namque tibi divum pater atque hominum rex et mulcere dedit fluctus et tollere vento, gens inimica mihi Tyrrhenum navigat aequor Ilium in Italiam portans victosque penates: incute vim ventis submersasque obrue puppes, aut age diversos et dissice corpora ponto. sunt mihi bis septem praestanti corpore Nymphae, quarum quae forma pulcherrima Deiopea, conubio iungam stabili propriamque dicabo, omnis ut tecum meritis pro talibus annos exigat et pulchra faciat te prole parentem.’ Aeolus haec contra: ‘tuus, o regina, quid optes explorare labor; mihi iussa capessere fas est. tu mihi quodcumque hoc regni, tu sceptra Iovemque concilias, tu das epulis accumbere divum nimborumque facis tempestatumque potentem.’ Haec ubi dicta, cavum conversa cuspide montem impulit in latus; ac venti velut agmine facto, qua data porta, ruunt et terras turbine perflant. incubuere mari totumque a sedibus imis una Eurusque Notusque ruunt creberque procellis Africus et vastos volvunt ad litora fluctus; insequitur clamorque virum stridorque rudentum. eripiunt subito nubes caelumque diemque Teucrorum ex oculis; ponto nox incubat atra. intonuere poli et crebris micat ignibus aether, praesentemque viris intentant omnia mortem. extemplo Aeneae solvuntur frigore membra;

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dieses befürchtend, und türmte Gestein und ragende Berge drauf und gab einen König, auf dass er – fest war’s vereinbart – klug auf Befehl bald straff, bald lockerer führe die Zügel. Ihn sprach Juno bittflehend an mit den folgenden Worten: »Aeolus, gab doch der Vater der Götter und König der Menschen Macht dir, Wogen zu glätten und aufzutürmen durch Winde – ein mir feindliches Volk durchfährt das Tyrrhenische Meer und bringt nach Italien Ilium und die besiegten Penaten: Gib den Winden Kraft und versenke spurlos die Schiffe, oder zersprenge die Mannschaft und wirf übers Meer hin die Leiber. Nymphen mit bester Figur hab zweimal sieben ich; unter ihnen ist Deïopea die attraktivste; zu eigen geben will ich sie dir und in dauernder Ehe verbinden, dass sie für solche Verdienste mit dir dann all ihre Jahre lebe und dich zum Vater von schönen Stammhaltern mache.« Aeolus drauf: »Zu ergründen, was du dir wünschst, das ist deine Sache, Königin; ich muss ausführn, was du mir aufträgst. Du gibst all meine Herrschaft, das Szepter mir, und du gewinnst für mich auch Juppiter, lässt mich liegen beim Mahle der Götter, du verleihst mir die Macht über Stürme und über das Wetter.« Sprach’s und wandte die Lanze und stieß sie tief in des hohlen Berges Flanke; und wie eine Heerschar stürmen die Winde aus dem geöffneten Tor und durchwehen im Wirbel die Länder. Nieder aufs Meer sich stürzend wühlen aus untersten Tiefen Eurus und Notus es auf und zugleich der an Sturmwinden reiche Africus; riesige Fluten, die wälzen sie gegen die Küsten; gleich darauf folgt Schreien der Männer und Ächzen der Taue. Plötzlich entziehen den Augen der Teukrer die Wolken den Himmel samt dem Tageslicht; nächtliches Dunkel liegt überm Wasser. Laut erdröhnen die Pole, von häufigen Blitzen erglänzt der Äther, und alles bedroht mit dem nahen Tode die Männer. Kaltes Entsetzen lähmt auf der Stelle Aeneas die Glieder;

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ingemit et duplicis tendens ad sidera palmas talia voce refert: ‘o terque quaterque beati, quis ante ora patrum Troiae sub moenibus altis contigit oppetere! o Danaum fortissime gentis Tydide! mene Iliacis occumbere campis non potuisse tuaque animam hanc effundere dextra, saevus ubi Aeacidae telo iacet Hector, ubi ingens Sarpedon, ubi tot Simois correpta sub undis scuta virum galeasque et fortia corpora volvit!’ Talia iactanti stridens Aquilone procella velum adversa ferit fluctusque ad sidera tollit. franguntur remi, tum prora avertit et undis dat latus, insequitur cumulo praeruptus aquae mons. hi summo in fluctu pendent, his unda dehiscens terram inter fluctus aperit: furit aestus harenis. tris Notus abreptas in saxa latentia torquet – saxa vocant Itali mediis quae in fluctibus Aras, dorsum immane mari summo –, tris Eurus ab alto in brevia et Syrtis urget (miserabile visu) inliditque vadis atque aggere cingit harenae. unam, quae Lycios fidumque vehebat Oronten, ipsius ante oculos ingens a vertice pontus in puppim ferit: excutitur pronusque magister volvitur in caput, ast illam ter fluctus ibidem torquet agens circum et rapidus vorat aequore vortex. apparent rari nantes in gurgite vasto, arma virum tabulaeque et Troia gaza per undas. iam validam Ilionei navem, iam fortis Achatae, et qua vectus Abas et qua grandaevus Aletes, vicit hiems; laxis laterum compagibus omnes accipiunt inimicum imbrem rimisque fatiscunt. Interea magno misceri murmure pontum

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tief seufzt er und erhebt zu den Sternen empor seine beiden Hände, wobei er ruft: »Ihr Glücklichen, dreifach und vierfach, denen vergönnt war, den Tod unter Trojas ragenden Mauern vor den Augen der Väter zu finden! O tapferster Grieche, Sohn des Tydeus! Warum konnt ich nicht auf Iliums Schlachtfeld fallen und dort durch deine Hand aushauchen mein Leben, wo der Waffe Achills der grimmige Hektor erlag, wo riesig Sarpedon liegt, wo der Simoïs Schilde und Helme unter die Wogen riss, mit sich wälzend die Leiber der Tapfren?« Während er solches hervorstößt, trifft ein heulender Nordwind vorn auf das Segel und türmt die Fluten empor zu den Sternen. Ruder zerkrachen, dann wendet der Bug sich und bietet den Wogen dar seine Flanke; ein Wellenberg folgt, im Schwall sich ergießend. Hoch auf der Meeresflut hängen die einen, den Meeresgrund zeigt den andren, sich öffnend, die Woge: Die Brandung wütet im Sande. Drei von den Schiffen, die schleudert der Süd auf verborgene Felsen – Felsen inmitten des Meers sind’s, »Altäre« genannt in Italien, riesige Riffe nur knapp unterm Wasserspiegel –, der Ost drängt drei vom hohen Meer zu den Syrten – ein kläglicher Anblick –, lässt auf den Grund sie laufen und gürtet um sie einen Sandwall. Eines – die Lykier trug’s und den treuen Orontes –, das trifft ein riesiger Brecher vor seinen Augen von oben herab aufs Heck: Über Bord wird geschleudert der Steuermann und in die Tiefe stürzt er kopfüber, das Schiff aber dreht dreimal auf der Stelle wirbelnd die Flut, und im Wasser verschlingt es ein reißender Strudel. Auf dem riesigen Meer erscheinen vereinzelte Schwimmer, Waffen der Männer und Planken und Trojas Schätze im Wasser. Jetzt besiegte der Sturm des Ilioneus mächtiges Schiff und das des tapfren Achates und das des Abas und das des alten Aletes; sie lassen durchs Leck im Gefüge der Bordwand alle den Feind, das Seewasser, ein und klaffen von Rissen. Unterdes nahm wahr, dass in Aufruhr das Meer unter lautem

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emissamque hiemem sensit Neptunus et imis stagna refusa vadis, graviter commotus, et alto prospiciens summa placidum caput extulit unda. disiectam Aeneae toto videt aequore classem, fluctibus oppressos Troas caelique ruina; nec latuere doli fratrem Iunonis et irae. Eurum ad se Zephyrumque vocat, dehinc talia fatur: ‘Tantane vos generis tenuit fiducia vestri? iam caelum terramque meo sine numine, venti, miscere et tantas audetis tollere moles? quos ego…! sed motos praestat componere fluctus; post mihi non simili poena commissa luetis. maturate fugam regique haec dicite vestro: non illi imperium pelagi saevumque tridentem, sed mihi sorte datum. tenet ille immania saxa, vestras, Eure, domos; illa se iactet in aula Aeolus et clauso ventorum carcere regnet.’ Sic ait, et dicto citius tumida aequora placat collectasque fugat nubes solemque reducit. Cymothoe simul et Triton adnixus acuto detrudunt navis scopulo; levat ipse tridenti et vastas aperit Syrtis et temperat aequor atque rotis summas levibus perlabitur undas. ac veluti magno in populo cum saepe coorta est seditio saevitque animis ignobile vulgus, iamque faces et saxa volant, furor arma ministrat; tum, pietate gravem ac meritis si forte virum quem conspexere, silent arrectisque auribus adstant; ille regit dictis animos et pectora mulcet: sic cunctus pelagi cecidit fragor, aequora postquam prospiciens genitor caeloque invectus aperto flectit equos curruque volans dat lora secundo.

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Tosen, ein Sturm entfacht und nach oben vom untersten Grunde Wasser gepresst war, Neptun, und heftig erregt auf das Meer hin schauend erhob er sein friedliches Haupt hoch über die Wellen. Überall sieht er verstreut des Aeneas Flotte im Meere und von Fluten die Troer bedrängt und von berstendem Himmel; nicht verborgen sind Junos Arglist und Zorn ihrem Bruder. Eurus ruft er zu sich und Zephyr und sagt ihnen dies dann: »Leitete euch so großes Vertrauen auf euere Abkunft? Winde, ihr wagt’s schon, in Aufruhr zu stürzen ohne mein Plazet Himmel und Erde und aufzutürmen Meerwassermassen? Euch werd . . .! Wichtiger ist’s, die entfesselten Wogen zu glätten; künftighin werdet ihr eure Vergehn ganz anders mir büßen. Macht euch schleunigst davon und vermeldet dies eurem König: Nicht gab ihm die Herrschaft im Meer und den grimmigen Dreizack, sondern mir das Los. Er hat seinen riesigen Felsklotz, Eurus, eure Behausung; sich großtun in jenem Palast mag Aeolus und, wenn die Winde der Kerker einschließt, regieren.« So spricht er, und eh er’s gesagt hat, besänftigt den Schwall des Meers er, verscheucht auch das Wolkengewühl, bringt wieder die Sonne. Triton, sich mühend, und mit ihm Kymothoë, stoßen vom spitzen Riff die Schiffe herab; hoch hebt mit dem Dreizack er selbst sie, bahnt einen Weg durch die Syrten, besänftigt die See, und mit leichten Rädern gleitet er über die Oberfläche des Meeres. Wie in einer großen Volksmenge, wenn, wie’s das oft gibt, Aufruhr entstanden ist und im Zorn das einfache Volk tobt, Fackeln schon fliegen und Steine, der Jähzorn Waffen bereitstellt, dann, wenn sie zufällig einen, den Pflichtgefühl und Verdienste ehrbar machen, erblicken, die Ohren spitzen und still stehn; der aber lenkt die Gemüter durch Worte, besänftigt die Herzen: So brach ab all das Tosen des Meeres, als über die Wogen schaute der Vater, bei heiterem Himmel losfuhr, mit lockrem Zügel die Rosse lenkend, und rasch mit dem Wagen dahinflog.

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Defessi Aeneadae quae proxima litora cursu contendunt petere et Libyae vertuntur ad oras. est in secessu longo locus: insula portum efficit obiectu laterum, quibus omnis ab alto frangitur inque sinus scindit sese unda reductos. hinc atque hinc vastae rupes geminique minantur in caelum scopuli, quorum sub vertice late aequora tuta silent; tum silvis scaena coruscis desuper, horrentique atrum nemus imminet umbra. fronte sub adversa scopulis pendentibus antrum; intus aquae dulces vivoque sedilia saxo, Nympharum domus. hic fessas non vincula navis ulla tenent, unco non alligat ancora morsu. huc septem Aeneas collectis navibus omni ex numero subit, ac magno telluris amore egressi optata potiuntur Troes harena et sale tabentis artus in litore ponunt. ac primum silici scintillam excudit Achates succepitque ignem foliis atque arida circum nutrimenta dedit rapuitque in fomite flammam. tum Cererem corruptam undis Cerealiaque arma expediunt fessi rerum, frugesque receptas et torrere parant flammis et frangere saxo. Aeneas scopulum interea conscendit et omnem prospectum late pelago petit, Anthea si quem iactatum vento videat Phrygiasque biremis aut Capyn aut celsis in puppibus arma Caici. navem in conspectu nullam, tris litore cervos prospicit errantis; hos tota armenta sequuntur a tergo et longum per vallis pascitur agmen. constitit hic arcumque manu celerisque sagittas corripuit fidus quae tela gerebat Achates,

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Ganz erschöpft bemüht sich die Schar des Aeneas, den nächsten Strand zu erreichen, und wendet sich hin zu Libyens Küste. Dort ist in tiefer Bucht ein Ort: Den formt eine Insel, vorgelagert, zum Hafen, und jede Woge vom Meer her bricht sich an ihr und zerteilt sich in Buchten, landeinwärts gelegne. Öde Felsen rechts und links und ein Klippenpaar ragen in den Himmel; gefahrlos schweigen unter den Spitzen weithin Gewässer; darüber dann liegt in schimmerndem Walde offen ein Platz, und ein Hain droht dunkel mit schaurigem Schatten. Vis-à-vis: eine Höhle mit drüberhängenden Felsen; drinnen ist Süßwasser, und von gewachsenem Stein sind da Sitze, Wohnung der Nymphen. Es halten die angeschlagenen Schiffe dort keine Taue, nicht hakt sie dort fest mit dem Krummzahn ein Anker. Hierhin fährt nun Aeneas mit sieben Schiffen, die aus der ganzen Zahl ihm noch blieben; in großem Verlangen nach Festland landen die Troer und nehmen Besitz vom Sand, den sie wünschten, legen die Glieder, die nass sind vom Salzwasser, nieder am Strande. Gleich aus einem Kieselstein schlägt einen Funken Achates, fängt das Feuer mit Laub auf und gibt ihm trockene Nahrung ringsherum und lässt auflodern die Flamme im Reisig. Korn, das das Wasser verdarb, und fürs Backen die Ceres-Geräte bringen sie, matt von der Mühsal, und machen sich dran, nun zu rösten Körner, welche sie bargen, und die auf den Steinen zu mahlen. Unterdessen besteigt einen Felsen Aeneas, und weithin späht er hinaus übers Meer, ob dort den Antheus vielleicht er sähe, vom Sturme verschlagen, die Doppelrudrer der Phryger oder den Kapys oder auf hohem Heck des Kaïkus Waffen. Es zeigt kein Schiff sich, doch sieht drei Hirsche er ferne schweifen am Strande; direkt hinterher folgt ihnen das·ganze Rudel; es äst in den Tälern in langem Zuge die Herde. Stehn bleibt er, seinen Bogen, die schnellen Pfeile ergreift er, Waffen, welche der treue Achates zu tragen gewohnt war;

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ductoresque ipsos primum capita alta ferentis cornibus arboreis sternit, tum vulgus et omnem miscet agens telis nemora inter frondea turbam; nec prius absistit quam septem ingentia victor corpora fundat humi et numerum cum navibus aequet. hinc portum petit et socios partitur in omnis. vina bonus quae deinde cadis onerarat Acestes litore Trinacrio dederatque abeuntibus heros, dividit et dictis maerentia pectora mulcet: ‘O socii (neque enim ignari sumus ante malorum), o passi graviora, dabit deus his quoque finem. vos et Scyllaeam rabiem penitusque sonantis accestis scopulos, vos et Cyclopia saxa experti: revocate animos maestumque timorem mittite; forsan et haec olim meminisse iuvabit. per varios casus, per tot discrimina rerum tendimus in Latium, sedes ubi fata quietas ostendunt; illic fas regna resurgere Troiae. durate et vosmet rebus servate secundis.’ Talia voce refert curisque ingentibus aeger spem vultu simulat, premit altum corde dolorem. illi se praedae accingunt dapibusque futuris: tergora deripiunt costis et viscera nudant; pars in frusta secant veribusque trementia figunt, litore aëna locant alii flammasque ministrant. tum victu revocant vires fusique per herbam implentur veteris Bacchi pinguisque ferinae. postquam exempta fames epulis mensaeque remotae, amissos longo socios sermone requirunt, spemque metumque inter dubii, seu vivere credant sive extrema pati nec iam exaudire vocatos. praecipue pius Aeneas nunc acris Oronti,

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gleich die Anführer, die den Kopf mit verzweigtem Geweih hoch tragen, erlegt er zuerst, verwirrt dann die Herde, das ganze Rudel, indem er mit Pfeilen es jagt durch belaubte Gehölze, lässt auch nicht ab, bevor er als Sieger sieben gewaltge Leiber zu Boden gestreckt hat, der Zahl seiner Schiffe entsprechend, eilt dann zum Hafen, verteilt an alle Gefährten die Beute. Auch den Wein, den der tapfre Akestes reichlich in Krüge füllte als Abschiedsgabe, der Held, an Trinakrias Strande, teilt er zu und spricht zu den Trauernden tröstende Worte: »Ihr Gefährten – wir wissen sehr wohl um früheres Unheil –, die ihr schon Schwereres littet, ein Gott wird auch dieses beenden. Kamt ihr doch nahe der Wut der Skylla und den aus der Tiefe hallenden Klippen, ihr lerntet kyklopische Felsen auch kennen: Fasst wieder Mut und lasst eure Angst und eure Verzagtheit fahren; wir werden vielleicht auch an dies einst gern uns erinnern. Durch so mancherlei Unglück, durch so viel schwere Gefahren streben nach Latium wir, wo friedliche Wohnsitze uns die Fata verheißen; erstehn darf Trojas Königsmacht neu dort. Haltet denn durch und spart euch auf für Glück in der Zukunft.« Solches spricht er; obwohl er bedrückt ist von riesigen Sorgen, mimt er Hoffnung, verbirgt tief drinnen im Herzen den Kummer. Jene gehn an die Beute, um vorzubereiten das Mahl: Sie reißen den Tieren das Fell von den Rippen und legen das Fleisch frei; einige schneiden’s in Stücke und stecken’s, noch zuckend, auf Spieße, andere stellen die Kessel am Strand auf und schüren die Flammen. Schmausend wecken sie wieder die Kraft, und verstreut übers Gras hin füllen mit altem Wein sie den Leib sich und saftigem Wildbret. Als dann der Hunger durch Speise gestillt ist, die Tische entfernt sind, fragen in langem Gespräch sie nach ihren verlornen Gefährten, bang zwischen Hoffen und Furcht, ob man glauben soll, dass sie noch leben oder das Letzte erleiden und keinen Ruf mehr vernehmen. Allen voran bejammert der fromme Aeneas das Los des

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nunc Amyci casum gemit et crudelia secum fata Lyci fortemque Gyan fortemque Cloanthum. Et iam finis erat, cum Iuppiter aethere summo despiciens mare velivolum terrasque iacentis litoraque et latos populos, sic vertice caeli constitit et Libyae defixit lumina regnis. atque illum talis iactantem pectore curas tristior et lacrimis oculos suffusa nitentis adloquitur Venus: ‘o qui res hominumque deumque aeternis regis imperiis et fulmine terres, quid meus Aeneas in te committere tantum, quid Troes potuere, quibus tot funera passis cunctus ob Italiam terrarum clauditur orbis? certe hinc Romanos olim volventibus annis, hinc fore ductores revocato a sanguine Teucri, qui mare, qui terras omnis dicione tenerent, pollicitus: quae te, genitor, sententia vertit? hoc equidem occasum Troiae tristisque ruinas solabar fatis contraria fata rependens; nunc eadem fortuna viros tot casibus actos insequitur. quem das finem, rex magne, laborum? Antenor potuit mediis elapsus Achivis Illyricos penetrare sinus atque intima tutus regna Liburnorum et fontem superare Timavi, unde per ora novem vasto cum murmure montis it mare proruptum et pelago premit arva sonanti. hic tamen ille urbem Patavi sedesque locavit Teucrorum et genti nomen dedit armaque fixit Troia, nunc placida compostus pace quiescit: nos, tua progenies, caeli quibus adnuis arcem, navibus (infandum!) amissis unius ob iram prodimur atque Italis longe disiungimur oris.

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wackeren Amykus bald, bald das des Orontes, des Lykus böses Geschick, und den tapferen Gyas, den tapfren Kloanthus. Schon war’s vorbei, als von oben vom Himmel aufs segelbelebte Meer und die Länder, die unten lagen, und Küsten und Völker weithin Juppiter blickte und dann auf dem Gipfel des Himmels innehielt, fest den Blick auf die libyschen Reiche geheftet. Während er solche Sorgen in seinem Herzen bewegt, spricht, kummervoll und von Tränen getrübt die glänzenden Augen, Venus ihn an: »O du, der das Schicksal der Menschen und Götter lenkt mit ewiger Macht und Furcht einflößt mit dem Blitzstrahl, was, das so schlimm ist, konnten begehn gegen dich mein Aeneas und die Trojaner, denen nach so viel Leiden und Sterben ganz verschlossen die Welt ist allein um Italiens willen? Fest versprachst du, es sollten aus ihnen im Laufe der Jahre Römer werden, Gebieter aus Teukers wiedererstandnem Volke, damit übers Meer sie herrschten und sämtliche Länder: Welcher Gedanke veränderte dir den Sinn, mein Erzeuger? Damit konnte ich mich über Trojas Fall und Ruinen trösten, wenn gegen die alten Fata die neuen ich aufwog; jetzt verfolgt dasselbe Geschick diese Männer, die so viel Not trifft. Mächtiger Fürst, wie setzt du den Plagen ein Ende? Aus der Achiver Mitte entkommen konnte Antenor, ohne Gefahr zum illyrischen Golfe gelangen und tief ins Reich der Liburner, Timavus’ Quell überwinden, wo dieser neunarmig unter dem Tosen des Bergs als ein Meer, das hervorbricht, sich ergießt und das Land überschwemmt mit den brausenden Wogen. Hier aber gründete dieser Patavium, Wohnsitz der Teukrer, gab seinem Volk einen Namen und hängte die Waffen aus Troja auf, und friedlich genießt er nun Ruhe, die niemals gestört wird: Wir, deine Nachkommen, denen die Feste des Himmels du zusagst, werden – o Schmach! – nach Verlust unsrer Schiffe wegen des Zorns der einen verraten und fern von Italiens Küsten gehalten.

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hic pietatis honos? sic nos in sceptra reponis?’ Olli subridens hominum sator atque deorum vultu, quo caelum tempestatesque serenat, oscula libavit natae, dehinc talia fatur: ‘parce metu, Cytherea: manent immota tuorum fata tibi; cernes urbem et promissa Lavini moenia, sublimemque feres ad sidera caeli magnanimum Aenean; neque me sententia vertit. hic tibi (fabor enim, quando haec te cura remordet, longius et volvens fatorum arcana movebo) bellum ingens geret Italia populosque feroces contundet moresque viris et moenia ponet, tertia dum Latio regnantem viderit aestas ternaque transierint Rutulis hiberna subactis. at puer Ascanius, cui nunc cognomen Iulo additur (Ilus erat, dum res stetit Ilia regno), triginta magnos volvendis mensibus orbis imperio explebit, regnumque ab sede Lavini transferet et Longam multa vi muniet Albam. hic iam ter centum totos regnabitur annos gente sub Hectorea, donec regina sacerdos Marte gravis geminam partu dabit Ilia prolem. inde lupae fulvo nutricis tegmine laetus Romulus excipiet gentem et Mavortia condet moenia Romanosque suo de nomine dicet. his ego nec metas rerum nec tempora pono: imperium sine fine dedi. quin aspera Iuno, quae mare nunc terrasque metu caelumque fatigat, consilia in melius referet mecumque fovebit Romanos, rerum dominos gentemque togatam. sic placitum. veniet lustris labentibus aetas cum domus Assaraci Pthiam clarasque Mycenas

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Das ist der Ehrfurcht Lohn? So bringst du uns wieder zur Herrschaft?« Ihr aber lächelte zu der Schöpfer der Menschen und Götter mit der Miene, die aufheitert die Himmel und Wetter, küsste zärtlich die Tochter und sprach dann die folgenden Worte: »Hab keine Angst, Kytherea: Dir bleiben die Fata der Deinen unverändert; die Stadt wirst du sehn und die Mauern Laviniums, wie es versprochen ist, wirst erheben den edlen Aeneas hoch zu den Sternen; verändert hat kein Gedanke den Sinn mir. Er wird – weil an dir diese Sorge nagt, will ich länger sprechen, die Fata entrollen und dir ihr Geheimnis enthüllen – einen gewaltigen Krieg in Italien führen und wilde Völker vernichten, den Menschen Gesittung geben und Mauern, bis dann der dritte Sommer in Latium sah seine Herrschaft und fürs Bezwingen der Rutuler schon drei Winter vergingen. Doch der Knabe Askanius, der jetzt auch noch Ïulus heißt – er war Ilus, solang noch mächtig war Iliums Herrschaft –, wird in der Monate Wechsel mit seiner Herrschaft an Jahren dreißig ausfüllen, weg von Lavinium den Thronsitz verlegen und dann Alba Longa mit großer Tatkraft ummauern. Hier wird volle drei Jahrhunderte herrschen der Volksstamm Hektors, bis dann, geschwängert von Mars, die Priesterin Ilia, Tochter des Königs, zur Welt ihre Zwillingssöhne gebracht hat. Drauf wird, strahlend im gelblichen Fell seiner Amme, der Wölfin, Romulus fortführn den Stamm und die Stadt des Mavors erbauen und als Römer nach seinem Namen die Bürger bezeichnen. Diesen setze ich weder in Raum noch Zeit eine Grenze: Herrschaft ohne Ende verlieh ich. Auch Juno, die harte, die mit lähmender Furcht Meer, Land und Himmel jetzt heimsucht, wird ihre Pläne zum Besseren lenken, gewogen den Römern sein mit mir, den Herren der Welt, dem Volk in der Toga. So ist’s beschlossen. Die Zeit wird kommen im Laufe der Jahre, da des Assarakus Haus das berühmte Mykene und Phthia

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servitio premet ac victis dominabitur Argis. nascetur pulchra Troianus origine Caesar, imperium Oceano, famam qui terminet astris, Iulius, a magno demissum nomen Iulo. hunc tu olim caelo spoliis Orientis onustum accipies secura; vocabitur hic quoque votis. aspera tum positis mitescent saecula bellis; cana Fides et Vesta, Remo cum fratre Quirinus iura dabunt; dirae ferro et compagibus artis claudentur Belli portae; Furor impius intus saeva sedens super arma et centum vinctus aënis post tergum nodis fremet horridus ore cruento.’ Haec ait et Maia genitum demittit ab alto, ut terrae utque novae pateant Karthaginis arces hospitio Teucris, ne fati nescia Dido finibus arceret. volat ille per aëra magnum remigio alarum ac Libyae citus adstitit oris. et iam iussa facit, ponuntque ferocia Poeni corda volente deo; in primis regina quietum accipit in Teucros animum mentemque benignam. At pius Aeneas per noctem plurima volvens, ut primum lux alma data est, exire locosque explorare novos, quas vento accesserit oras, qui teneant (nam inculta videt), hominesne feraene, quaerere constituit sociisque exacta referre. classem in convexo nemorum sub rupe cavata arboribus clausam circum atque horrentibus umbris occulit; ipse uno graditur comitatus Achate bina manu lato crispans hastilia ferro. cui mater media sese tulit obvia silva virginis os habitumque gerens et virginis arma Spartanae, vel qualis equos Threissa fatigat

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unterjochen wird und das besiegte Argos beherrschen. Dann wird aus vornehmem Stamm geboren der troische Caesar, der sein Reich mit dem Weltmeer begrenzt, seinen Ruhm mit den Sternen, Julius, dessen Name herkommt vom großen Ïulus. Ihn wirst im Himmel du einst, mit des Orients Beute beladen, frei von Sorgen empfangen; zu ihm auch wird betend man rufen. Grimmige Zeitläufte werden, wenn aus sind die Kriege, dann friedlich; Fides, die graue, und Vesta, Quirinus mit Remus, dem Bruder, schaffen dann Recht; die Pforten des Krieges, die grausigen, werden dicht mit Klammern aus Eisen versperrt; drin sitzt der verruchte Furor auf grausamen Waffen, mit hundert ehernen Knoten rücklings gefesselt, und brüllt entsetzlich mit blutigem Maule.« Als er gesprochen hat, schickt er vom Himmel hinunter den Sohn der Maia, damit das Gebiet und die Festung des neuen Karthago gastlich sich öffnen den Teukrern und nicht, unkundig des Fatums, Dido sie fernhält vom Land. Der fliegt mit dem Ruder der Flügel weit durch die Lüfte dahin, steht bald an der libyschen Küste, führt gleich aus den Befehl, und die Punier bezwingen ihr wildes Herz, weil der Gott es so will; eine milde Gesinnung empfängt vor allem die Königin da und den Teukrern geneigte Gedanken. Aber der pflichtbewusste Aeneas beschließt, als er nachts sehr viel überlegt hat, sogleich, als es tagt, einen Gang, um das neue Land zu erforschen, zu klären, an welchen Strand ihn der Wind trieb, wer dort wohnt – nichts Bebautes erblickt er –, ob Menschen, ob Tiere, und den Gefährten danach das, was er entdeckt, zu berichten. Unterm gewölbten Fels, dort, wo im Walde die Bucht liegt, birgt er die Flotte, von Bäumen rings umschlossen und düstren Schatten; er selbst bricht auf, allein von Achates begleitet, schwingt mit der Hand zwei Lanzen mit breiten Spitzen aus Eisen. Ihm kam da seine Mutter inmitten des Waldes entgegen, mädchenhaft Antlitz und Haltung, mit einer Spartanerin Waffen, oder wie die aus Thrakien, Harpalyke, wenn sie die Pferde

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Harpalyce volucremque fuga praevertitur Hebrum. namque umeris de more habilem suspenderat arcum venatrix dederatque comam diffundere ventis, nuda genu nodoque sinus collecta fluentis. ac prior ‘heus,’ inquit, ‘iuvenes, monstrate, mearum vidistis si quam hic errantem forte sororum, succinctam pharetra et maculosae tegmine lyncis, aut spumantis apri cursum clamore prementem.’ Sic Venus et Veneris contra sic filius orsus: ‘nulla tuarum audita mihi neque visa sororum, o … quam te memorem, virgo? namque haud tibi vultus mortalis, nec vox hominem sonat; o dea certe! an Phoebi soror? an Nympharum sanguinis una? sis felix nostrumque leves, quaecumque, laborem, et quo sub caelo tandem, quibus orbis in oris iactemur doceas: ignari hominumque locorumque erramus vento huc vastis et fluctibus acti. multa tibi ante aras nostra cadet hostia dextra.’ Tum Venus: ‘haud equidem tali me dignor honore; virginibus Tyriis mos est gestare pharetram purpureoque alte suras vincire coturno. Punica regna vides, Tyrios et Agenoris urbem; sed fines Libyci, genus intractabile bello. imperium Dido Tyria regit urbe profecta, germanum fugiens. longa est iniuria, longae ambages; sed summa sequar fastigia rerum. huic coniunx Sychaeus erat, ditissimus agri Phoenicum et magno miserae dilectus amore, cui pater intactam dederat primisque iugarat ominibus. sed regna Tyri germanus habebat Pygmalion, scelere ante alios immanior omnis. quos inter medius venit furor: ille Sychaeum

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tummelt und schneller im Lauf als der reißende Hebrus dahinfliegt. Denn als Jägerin hatte sie über die Schultern den leichten Bogen, wie’s Brauch war, gehängt, ließ flattern die Haare im Wind; die Knie waren nackt und zum Knoten gerafft ihre wallenden Falten. Sie sprach erst: »Heda, ihr Jünglinge, sagt mir doch, ob ihr eine von meinen Schwestern vielleicht umherstreifen saht mit einem Köcher am Riemen, im Fell des gesprenkelten Luchses, oder durch Schreie im Lauf einen schäumenden Eber bedrängen.« So sprach Venus, und so gab Venus’ Sohn ihr die Antwort: »Keine von deinen Schwestern vernahm ich oder auch sah ich, o … wie nenn ich dich, Jungfrau? Du hast kein sterbliches Antlitz, deine Stimme, die klingt nicht menschlich; du bist eine Göttin! Phoebus’ Schwester vielleicht? Oder eine vom Stamme der Nymphen? Sei uns gnädig, erleichtere, wer du auch bist, unsre Mühsal; sag, unter welchen Himmel, an welche Küsten im Erdkreis hat’s uns verschlagen? Umher, unkundig der Menschen, der Gegend, irren wir, hierhin getrieben vom Wind und gewaltigen Wogen. Fallen wird am Altar manch Opfertier von meiner Hand dir.« Venus darauf: »Für wert halt ich mich nicht solcher Ehre; Tyriens Jungfrauen haben den Brauch, einen Köcher zu tragen und im Purpurkothurn bis oben die Waden zu schnüren. Tyrier siehst du, das punische Reich und die Stadt des Agenor; Libyerland aber ist’s, eines Volks, unbeugsam im Kriege. Dido ist Herrscherin; sie hat Tyros, die Stadt, einst verlassen, als sie dem Bruder entfloh. Lang ist und verwickelt des Unrechts ganzer Verlauf; doch ich will nur die wichtigsten Punkte erwähnen. Ihr Gemahl war Sychaeus, an Ländereien der reichste aller Phöniker, ihn liebte von ganzem Herzen die Arme; ihm wurde unberührt sie vom Vater gegeben, in erster Ehe verbunden. Jedoch der Herrscher von Tyros, das war ihr Bruder Pygmalion, der im Verbrechen allen voraus war. Beide gerieten in Streit: Der Ruchlose stach den Sychaeus

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impius ante aras atque auri caecus amore clam ferro incautum superat, securus amorum germanae; factumque diu celavit et aegram multa malus simulans vana spe lusit amantem. ipsa sed in somnis inhumati venit imago coniugis ora modis attollens pallida miris; crudelis aras traiectaque pectora ferro nudavit caecumque domus scelus omne retexit. tum celerare fugam patriaque excedere suadet auxiliumque viae veteres tellure recludit thesauros, ignotum argenti pondus et auri. his commota fugam Dido sociosque parabat. conveniunt quibus aut odium crudele tyranni aut metus acer erat; navis, quae forte paratae, corripiunt onerantque auro; portantur avari Pygmalionis opes pelago: dux femina facti. devenere locos ubi nunc ingentia cernes moenia surgentemque novae Karthaginis arcem, mercatique solum, facti de nomine Byrsam, taurino quantum possent circumdare tergo. sed vos qui tandem? quibus aut venistis ab oris? quove tenetis iter?’ quaerenti talibus ille suspirans imoque trahens a pectore vocem: ‘O dea, si prima repetens ab origine pergam et vacet annalis nostrorum audire laborum, ante diem clauso componet Vesper Olympo. nos Troia antiqua, si vestras forte per auris Troiae nomen iit, diversa per aequora vectos forte sua Libycis tempestas appulit oris. sum pius Aeneas, raptos qui ex hoste penates classe veho mecum, fama super aethera notus; Italiam quaero patriam et genus ab Iove summo.

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nieder am Fuß des Altars mit dem Schwert, verblendet von Goldgier, hinterrücks, unverhofft; nichts galt ihm die Liebe der Schwester; lange verhehlte der Böse die Tat, und er täuschte die leidvoll Liebende, vielerlei erheuchelnd, mit nichtiger Hoffnung. Aber das Bild ihres nicht bestatteten Mannes erschien im Traum leibhaftig, das bleiche Angesicht seltsam erhebend; er enthüllte den grausen Altar und die Brust, die durchbohrt vom Schwert war, und deckte auf des Hauses finstere Untat. Dann rät jener zu eiliger Flucht, zum Verlassen der Heimat, und als Hilfe zur Fahrt erschließt er alte im Erdreich ruhende Schätze, Silber und Gold, wovon man nicht wusste. Dadurch entsetzt plant Dido die Flucht und sammelt Gefährten. Und die, denen der Herrscher tödlich verhasst ist, erscheinen, oder die, die ihn fürchten; die Schiffe, die grade bereit sind, nehmen sie, laden das Gold drauf; Pygmalions, des Gierigen, Reichtum wird übers Meer transportiert: Eine Frau dirigiert das Geschehen. Und sie gelangten dahin, wo gewaltige Mauern du sehen wirst und die jetzt sich erhebende Festung des neuen Karthago, und sie erstanden ein Landstück, Byrsa genannt nach dem Handel, so viel, wie umspannen mit einer Stierhaut sie konnten. Doch wer seid denn nun ihr? Aus welchen Gegenden kommt ihr? Wohin führt euer Weg?« Auf die Fragen hin seufzte Aeneas, und es drang hervor aus der Tiefe der Brust seine Stimme: »Göttin, würde vom ersten Anfang an ich erzählen und wär Zeit, die Geschichte von unseren Leiden zu hören, Vesper schlösse zuvor den Olymp, um den Tag zu beenden. Wir sind vom einstigen Troja, falls Trojas Name vielleicht zu deinen Ohren gelangt ist, uns trieb quer über die Meere ganz nach Willkür ein Sturm hierher an die libysche Küste. Ich bin der fromme Aeneas; dem Feind entrissne Penaten führe zu Schiff ich mit mir, bekannt im Himmel. Ich such das Land meiner Väter, Italien, ein Volk, das von Juppiter abstammt.

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bis denis Phrygium conscendi navibus aequor, matre dea monstrante viam data fata secutus; vix septem convulsae undis Euroque supersunt. ipse ignotus egens Libyae deserta peragro, Europa atque Asia pulsus.’ nec plura querentem passa Venus medio sic interfata dolore est: ‘Quisquis es, haud, credo, invisus caelestibus auras vitalis carpis, Tyriam qui adveneris urbem; perge modo atque hinc te reginae ad limina perfer. namque tibi reduces socios classemque relatam nuntio et in tutum versis Aquilonibus actam, ni frustra augurium vani docuere parentes. aspice bis senos laetantis agmine cycnos, aetheria quos lapsa plaga Iovis ales aperto turbabat caelo; nunc terras ordine longo aut capere aut captas iam despectare videntur: ut reduces illi ludunt stridentibus alis et coetu cinxere polum cantusque dedere, haud aliter puppesque tuae pubesque tuorum aut portum tenet aut pleno subit ostia velo. perge modo et, qua te ducit via, derige gressum.’ Dixit et avertens rosea cervice refulsit, ambrosiaeque comae divinum vertice odorem spiravere; pedes vestis defluxit ad imos, et vera incessu patuit dea. ille ubi matrem agnovit tali fugientem est voce secutus: ‘quid natum totiens, crudelis tu quoque, falsis ludis imaginibus? cur dextrae iungere dextram non datur ac veras audire et reddere voces?’ talibus incusat gressumque ad moenia tendit. at Venus obscuro gradientis aëre saepsit et multo nebulae circum dea fudit amictu,

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Auf das Phrygermeer fuhr ich mit zwanzig Schiffen, und meine Mutter, die Göttin, sie wies mir den Weg, ich gehorchte den Fata; grade sieben noch, leck durch die Wellen und Eurus, sind übrig. Unbekannt, darbend durchziehe ich selber Libyens Wüste, aus Europa und Asien ausgesperrt.« Länger noch klagen ließ ihn Venus nicht, unterbrach seine traurige Rede: »Wer du auch bist, nicht, glaub ich, verhasst den Himmlischen atmest Luft zum Leben du, weil zu der tyrischen Stadt du gelangt bist; geh nur von hier deinen Weg zur Schwelle der Königin weiter. Denn der Gefährten Rückkehr und dass wieder da ist die Flotte, sicher gelandet, nachdem der Nordwind gedreht hat, das künd ich, wenn nicht umsonst mich die Eltern die Kunst des Auguriums lehrten. Schau, froh ziehen dahin zweimal sechs Schwäne, die, aus dem Äther herabgeglitten, Juppiters Vogel am weiten Himmel gejagt hat; man sieht sie den Boden erreichen in langer Reihe oder auf ihn, den schon andre erreichten, herabschaun: Wie bei der Heimkehr sie spielen mit rauschenden Schwingen und wie den Himmelspol sie umkreisen im Schwarm, ihren Ruf von sich gebend, ganz so sind deine Schiffe mitsamt deiner Mannschaft bereits im Hafen oder sie laufen dort ein mit schwellenden Segeln. Geh nur weiter und lenke den Schritt, wohin dich der Weg führt.« Sprach’s und wandte sich ab, und es schimmerte rosig ihr Nacken, ihre ambrosischen Locken verströmten den göttlichen Duft vom Scheitel; es floss ihr Gewand zu den Füßen hinab, und durch ihren Gang erwies sie sich nun als die wahre Göttin. Als seine Mutter er da erkannt hatte, rief er ihr nach, als sie fortlief: »Warum narrst du, grausam auch du, so oft deinen Sohn mit falschen Bildern? Weshalb darf dir in die Rechte ich meine Rechte nicht legen und Worte, die wahr sind, nicht hören und sagen?« Solches wirft er ihr vor und lenkt den Schritt dann zur Stadt hin. Aber mit dämmrigem Dunst umhüllte die Schreitenden Venus; dicht umgab sie mit einem Mantel aus Nebel die Göttin,

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cernere ne quis eos neu quis contingere posset molirive moram aut veniendi poscere causas. ipsa Paphum sublimis abit sedesque revisit laeta suas, ubi templum illi, centumque Sabaeo ture calent arae sertisque recentibus halant. Corripuere viam interea, qua semita monstrat, iamque ascendebant collem, qui plurimus urbi imminet adversasque aspectat desuper arces. miratur molem Aeneas, magalia quondam, miratur portas strepitumque et strata viarum. instant ardentes Tyrii: pars ducere muros molirique arcem et manibus subvolvere saxa, pars optare locum tecto et concludere sulco; iura magistratusque legunt sanctumque senatum. hic portus alii effodiunt, hic alta theatri fundamenta locant alii immanisque columnas rupibus excidunt, scaenis decora alta futuris: qualis apes aestate nova per florea rura exercet sub sole labor, cum gentis adultos educunt fetus, aut cum liquentia mella stipant et dulci distendunt nectare cellas, aut onera accipiunt venientum, aut agmine facto ignavum fucos pecus a praesepibus arcent; fervet opus redolentque thymo fraglantia mella. ‘o fortunati, quorum iam moenia surgunt!’ Aeneas ait et fastigia suspicit urbis. infert se saeptus nebula (mirabile dictu) per medios miscetque viris neque cernitur ulli. Lucus in urbe fuit media, laetissimus umbrae, quo primum iactati undis et turbine Poeni effodere loco signum, quod regia Iuno monstrarat, caput acris equi: sic nam fore bello

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dass sie keiner erblicken und keiner anfassen könne oder sie aufhalten oder den Grund ihres Kommens erfragen. Sie entschwand durch die Lüfte nach Paphos und kehrte zum Wohnsitz freudig zurück, wo sie einen Tempel hat; Weihrauch aus Saba schwelt dort auf hundert Altären, es duften die frischen Girlanden. Eilig nahmen indes sie den Weg, den ihnen der Pfad wies, kletterten schon auf den Berg, der am höchsten die Stadt überragt und welcher von oben Aussicht gewährt auf die Burg gegenüber. Staunend erblickt Aeneas den Riesenbau – einst waren’s Hütten –, staunt auch über die Tore, den Lärm, die gepflasterten Straßen. Eifrig packen’s die Tyrier an: Die einen errichten Mauern und baun an der Burg, und mit Händen wälzen sie Felsen, Wohnplatz wählen sich andre und ziehn ringsum eine Furche; Amt und Gesetz und den ehrbaren Rat der Alten erwählt man. Hafenbecken schachtet man hier aus, legt fürs Theater drüben die Fundamente, und andere hauen aus Felsen riesige Säulen, erhabenen Schmuck für die künftige Bühne: So treibt Arbeit unter der Sonne die Bienen im frühen Sommer über die blühenden Felder, wenn die erwachsne Brut sie hinausführen, oder wenn sie den lauteren Honig häufen und prall mit dem süßen Nektar füllen die Waben, oder die Last, die hereinkommt, empfangen oder im Schwarm vom Stock die Drohnen, das faule Gezücht, fernhalten; es schwärmt der ganze Korb, und nach Thymian duftet lieblich der Honig. »O ihr Glücklichen, deren Mauern bereits sich erheben!« ruft Aeneas und blickt zu den Giebeln der Stadt in die Höhe. Dann geht er, von Nebel umhüllt – ein Wunder zu sagen – mitten hinein und mischt unters Volk sich, von keinem gesehen. Mittendrin in der Stadt war ein Hain, der reich war an Schatten; dorthin verschlagen von Wellen und Wirbelwind, gruben sogleich ein Zeichen die Punier aus, das ihnen die Königin Juno wies, eines Streitrosses Haupt: So kampfstark werde das Volk sein,

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egregiam et facilem victu per saecula gentem. hic templum Iunoni ingens Sidonia Dido condebat, donis opulentum et numine divae, aerea cui gradibus surgebant limina nexaeque aere trabes, foribus cardo stridebat aënis. hoc primum in luco nova res oblata timorem leniit, hic primum Aeneas sperare salutem ausus et adflictis melius confidere rebus. namque sub ingenti lustrat dum singula templo reginam opperiens, dum quae fortuna sit urbi artificumque manus inter se operumque laborem miratur, videt Iliacas ex ordine pugnas bellaque iam fama totum vulgata per orbem, Atridas Priamumque et saevum ambobus Achillem. constitit et lacrimans ‘quis iam locus,’ inquit, ‘Achate, quae regio in terris nostri non plena laboris? en Priamus. sunt hic etiam sua praemia laudi, sunt lacrimae rerum et mentem mortalia tangunt. solve metus; feret haec aliquam tibi fama salutem.’ Sic ait atque animum pictura pascit inani multa gemens, largoque umectat flumine vultum. namque videbat uti bellantes Pergama circum hac fugerent Grai, premeret Troiana iuventus, hac Phryges, instaret curru cristatus Achilles. nec procul hinc Rhesi niveis tentoria velis agnoscit lacrimans, primo quae prodita somno Tydides multa vastabat caede cruentus, ardentisque avertit equos in castra prius quam pabula gustassent Troiae Xanthumque bibissent. parte alia fugiens amissis Troilus armis, infelix puer atque impar congressus Achilli, fertur equis curruque haeret resupinus inani,

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mühelos auch jahrhundertelang seinen Unterhalt finden. Einen gewaltigen Tempel errichtete Dido aus Sidon hier für Juno, durch Gaben reich und durchs Walten der Göttin; ehern erhebt sich auf Stufen die Schwelle, mit Erzklammern sind die Pfosten verbunden, es knarrt an den ehernen Toren die Angel. Erstmals in diesem Hain besänftigte etwas, das neu sich darbot, ihm seine Furcht, hier wagte Aeneas zuerst auf Rettung zu hoffen, in Not auf Verbessrung der Lage zu bauen. Denn als am riesigen Tempel, die Fürstin erwartend, er alles einzeln betrachtet und während das Glück der Stadt er bewundert und das Zusammenwirken der Künstler und all ihre Mühe, sieht er die Kämpfe um Troja in richtiger Ordnung, die Kriege, deren Kunde bereits sich verbreitet hat über die Erde, Priamus und die Atriden und, beiden zürnend, Achilles. Er blieb stehn, sprach weinend: »Welcher Ort, welche Gegend ist nicht bereits erfüllt von unserem Unglück, Achates? Priamus, schau! Auch hier gibt’s Lohn für Taten und Tränen über den Lauf der Welt, und was menschlich ist, rührt die Gemüter. Fürcht dich nicht mehr; irgendwie wird Rettung dir bringen der Ruhm hier.« So sprach er, und er weidete sich an der Scheinwelt der Bilder, seufzte viel und benetzte mit Tränenströmen das Antlitz. Denn er sah, wie beim Kämpfen rings um Pergamum hier die Griechen entflohn unterm Druck der trojanischen Jugend, wie dort die Phryger Achill auf dem Wagen, geschmückt mit dem Helmbusch, bedrängte. Weinend erkennt nicht fern er am schneeweißen Leinen des Rhesus Zelte; verraten zur Zeit des ersten Schlafes, hat Tydeus’ Sohn sie in seinem Blutrausch verheert unter vielfachem Morden, hat dann zum Lager gelenkt die feurigen Rosse, bevor das Futter Trojas sie schmeckten und aus dem Xanthus sie tranken. Anderen Orts flieht Troïlus nach dem Verlust seiner Waffen, kämpfend Achill nicht gewachsen, der arme Knabe; er hängt am leeren Wagen kopfunter, wird mitgeschleift von den Pferden,

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lora tenens tamen; huic cervixque comaeque trahuntur per terram et versa pulvis inscribitur hasta. interea ad templum non aequae Palladis ibant crinibus Iliades passis peplumque ferebant suppliciter, tristes et tunsae pectora palmis; diva solo fixos oculos aversa tenebat. ter circum Iliacos raptaverat Hectora muros exanimumque auro corpus vendebat Achilles. tum vero ingentem gemitum dat pectore ab imo, ut spolia, ut currus, utque ipsum corpus amici tendentemque manus Priamum conspexit inermis. se quoque principibus permixtum agnovit Achivis, Eoasque acies et nigri Memnonis arma. ducit Amazonidum lunatis agmina peltis Penthesilea furens mediisque in milibus ardet, aurea subnectens exsertae cingula mammae bellatrix, audetque viris concurrere virgo. Haec dum Dardanio Aeneae miranda videntur, dum stupet obtutuque haeret defixus in uno, regina ad templum, forma pulcherrima Dido, incessit magna iuvenum stipante caterva. qualis in Eurotae ripis aut per iuga Cynthi exercet Diana choros, quam mille secutae hinc atque hinc glomerantur Oreades; illa pharetram fert umero gradiensque deas supereminet omnis (Latonae tacitum pertemptant gaudia pectus): talis erat Dido, talem se laeta ferebat per medios instans operi regnisque futuris. tum foribus divae, media testudine templi, saepta armis solioque alte subnixa resedit. iura dabat legesque viris, operumque laborem partibus aequabat iustis aut sorte trahebat,

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dennoch die Zügel haltend; gezerrt werden Nacken und Haare über den Boden; den Sand furcht, umgewendet, die Lanze. Mit gelösten Haaren zum Tempel der zürnenden Pallas gingen ilische Frauen indessen und brachten ein Prachtkleid flehend, und trauernd schlugen die Brüste sie sich mit den Händen; abgewandt hielt die Göttin den Blick auf den Boden geheftet. Dreimal hatte Achilles geschleift um Iliums Mauern Hektor und wollte für Gold den leblosen Körper verkaufen. Nun aber musste er heftig stöhnen aus innerstem Herzen, als er die Rüstung, den Wagen, den Leichnam des Freundes auch selbst und Priamus unbewaffnet ausstrecken sah seine Hände. Auch erkannte er sich inmitten achivischer Fürsten und die Truppen des Ostens, die Waffen Memnons, des schwarzen. Scharen von Amazonen mit halbmondförmigen Schilden führt – sie rast und glüht unter Tausenden – Penthesilea, unter entblößter Brust den goldenen Gürtel geschlossen, Kriegerin, welche es wagt, als Jungfrau mit Männern zu kämpfen. Während Aeneas den Dardaner dieses bewundernswert dünkte, während er staunte und nur im Schauen gefesselt verharrte, nahte dem Tempel sich Dido, die Königin, strahlend vor Schönheit; eine große Schar von jungen Männern umgab sie. Wie am Strand des Eurotas oder über des Kynthus Rücken Diana die Reigen anführt, gefolgt von den tausend Oreaden, die sie umdrängen; den Köcher geschultert, geht sie einher, und hoch überragt sie die Göttinnen alle – unaussprechliche Wonne durchströmt dann die Brust der Latona –: So war Dido und so durchschritt sie in freudiger Stimmung ihre Schar, und sie drängte zum Werk, zu künftiger Herrschaft. Dann am Portal der Göttin, genau unterm Schilddach des Tempels, ließ sie, von Waffen umgeben, sich nieder hoch auf dem Throne. Recht und Gesetz gab sie den Männern, verteilte gerecht die Last der Arbeiten, oder sie ließ durch das Los sie bestimmen;

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cum subito Aeneas concursu accedere magno Anthea Sergestumque videt fortemque Cloanthum Teucrorumque alios, ater quos aequore turbo dispulerat penitusque alias avexerat oras. obstipuit simul ipse, simul percussus Achates laetitiaque metuque; avidi coniungere dextras ardebant, sed res animos incognita turbat. dissimulant et nube cava speculantur amicti quae fortuna viris, classem quo litore linquant, quid veniant: cunctis nam lecti navibus ibant orantes veniam et templum clamore petebant. Postquam introgressi et coram data copia fandi, maximus Ilioneus placido sic pectore coepit: ‘o regina, novam cui condere Iuppiter urbem iustitiaque dedit gentis frenare superbas, Troes te miseri, ventis maria omnia vecti, oramus: prohibe infandos a navibus ignis, parce pio generi et propius res aspice nostras. non nos aut ferro Libycos populare penatis venimus aut raptas ad litora vertere praedas; non ea vis animo nec tanta superbia victis. est locus, Hesperiam Grai cognomine dicunt, terra antiqua, potens armis atque ubere glaebae; Oenotri coluere viri; nunc fama minores Italiam dixisse ducis de nomine gentem. hic cursus fuit, cum subito adsurgens fluctu nimbosus Orion in vada caeca tulit penitusque procacibus Austris perque undas superante salo perque invia saxa dispulit; huc pauci vestris adnavimus oris. quod genus hoc hominum? quaeve hunc tam barbara [morem

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da sieht plötzlich Aeneas in großem Gedränge herannahn Antheus und mit ihm Sergestus, den tapfren Kloanthus und andre Teukrer; der düstre Orkan hatte diese zerstreut auf dem Meere und dann fortgetrieben an eine ganz andere Küste. Wie betäubt ist er selbst, und wie er ist Achates vor Furcht und Freude erschüttert; den Freunden die Hand zu drücken, sie wünschen’s brennend, jedoch es verstört sie das Unbekannte der Lage. Weiter versteckt und verhüllt von der Wolke wollen sie schauen, was mit den Männern geschehn ist, an welchem Strand sie die Flotte ließen, warum sie kämen: Denn ausgewählt kamen von allen Schiffen sie, Gnade erflehend, und strebten im Lärm hin zum Tempel. Als sie darin waren und vor allen zu reden erlaubt war, sprach Ilioneus, welcher der Älteste war und auch friedlich: »Königin, Juppiter gab dir, die neue Stadt hier zu gründen und in Gerechtigkeit dann die stolzen Völker zu zügeln; wir, unglückliche Troer, vom Wind über Meere getragen, bitten dich: Halt du fern unsäglichen Brand von den Schiffen, schone ein frommes Volk, schau näher dir an unsre Lage. Nicht um Libyens Wohnsitze durch das Schwert zu verwüsten, kamen wir her oder Beute und Raub zum Gestade zu schleppen; nicht haben solche Gewalt, nicht Frevel im Sinn die Besiegten. Es existiert ein Land, Hesperien nennen’s die Griechen, alt ist es, waffengewaltig, mit fruchtbarer Scholle; es wohnten einst Önotrier dort; die Nachkommen nannten, so meldet jetzt die Kunde, ihr Land Italien nach ihrem Führer. Dorthin ging die Fahrt; da erhob sich mit plötzlicher Springflut Orion, der Sturmstern, trug uns in Untiefen – dreiste Südwinde halfen –, zerstreute uns über Wogen, die uns begruben, und weit über Klippen, unwegsame; wir wenigen schwammen an euer Gestade. Welch ein Volk ist das hier? Welch ein barbarisches Land lässt

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permittit patria? hospitio prohibemur harenae; bella cient primaque vetant consistere terra. si genus humanum et mortalia temnitis arma, at sperate deos memores fandi atque nefandi. rex erat Aeneas nobis, quo iustior alter nec pietate fuit nec bello maior et armis. quem si fata virum servant, si vescitur aura aetheria neque adhuc crudelibus occubat umbris, non metus, officio nec te certasse priorem paeniteat. sunt et Siculis regionibus urbes armaque Troianoque a sanguine clarus Acestes. quassatam ventis liceat subducere classem et silvis aptare trabes et stringere remos, si datur Italiam sociis et rege recepto tendere, ut Italiam laeti Latiumque petamus; sin absumpta salus et te, pater optime Teucrum, pontus habet Libyae nec spes iam restat Iuli, at freta Sicaniae saltem sedesque paratas, unde huc advecti, regemque petamus Acesten.’ talibus Ilioneus; cuncti simul ore fremebant Dardanidae. Tum breviter Dido vultum demissa profatur: ‘solvite corde metum, Teucri, secludite curas. res dura et regni novitas me talia cogunt moliri et late finis custode tueri. quis genus Aeneadum, quis Troiae nesciat urbem virtutesque virosque aut tanti incendia belli? non obtusa adeo gestamus pectora Poeni, nec tam aversus equos Tyria Sol iungit ab urbe. seu vos Hesperiam magnam Saturniaque arva sive Erycis finis regemque optatis Acesten, auxilio tutos dimittam opibusque iuvabo.

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so ein Verhalten geschehn? Man verwehrt uns das Gastrecht des Strandes, ruft zum Krieg und verbietet, am Rande des Landes zu lagern. Wenn ihr Menschenwesen und irdische Waffen verachtet, rechnet damit, dass Götter nicht Recht und Unrecht vergessen. König war uns Aeneas; kein anderer war so gerecht wie er, so pflichtbewusst, so groß im Krieg und in Kämpfen. Wenn diesen Mann die Fata bewahren, wenn himmlische Luft er atmet und noch nicht ruht bei den grausamen Schatten, dann haben nichts wir zu fürchten, und du wirst nicht bereun, dass den ersten Preis du in Freundlichkeit hast. Aber auch Sizilien hat Städte, Waffen, dazu den berühmten Akestes aus troischem Blute. Sei’s denn erlaubt, die von Winden zerschlagene Flotte zu bergen, Stämme des Walds zu behauen und Ruderstangen zu glätten, dass nach Italien und Latium froh wir fahren, wenn dies uns nach der Rückkehr der Freunde und auch des Königs vergönnt ist; doch ist dahin unser Glück, hält fest das libysche Meer dich, bester Vater der Teukrer, und bleibt auf Ïulus kein Hoffen, suchen Siziliens Meer wir, die Wohnsitze, die dort bereit sind, wenigstens auf – dort kamen wir her – und den König Akestes.« So Ilioneus; zustimmend brummten die Dardaner alle gleichzeitig. Dido, den Blick gesenkt, erwidert nur wenige Worte: »Löst die Furcht aus dem Herzen, ihr Teukrer, verbannt eure Sorgen. Meine drückende Lage, die neu begründete Herrschaft zwingen mich, solches zu tun und weithin mein Land zu bewachen. Wer kennt nicht des Aeneas Volk, wer Troja, die Stadt, nicht, Männertaten und Männer, den Brand des gewaltigen Krieges? So gefühllose Herzen haben wir Punier nicht, und nicht so fern von Tyriens Stadt schirrt Sol seine Rosse. Ob ihr das große Hesperien wünscht, die saturnischen Fluren oder des Eryx Gebiet und den König Akestes, ich lass euch ziehn unter meinem Schutz und helf euch mit meinen Ressourcen.

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vultis et his mecum pariter considere regnis? urbem quam statuo, vestra est: subducite navis; Tros Tyriusque mihi nullo discrimine agetur. atque utinam rex ipse Noto compulsus eodem adforet Aeneas! equidem per litora certos dimittam et Libyae lustrare extrema iubebo, si quibus eiectus silvis aut urbibus errat.’ His animum arrecti dictis et fortis Achates et pater Aeneas iamdudum erumpere nubem ardebant. prior Aenean compellat Achates: ‘nate dea, quae nunc animo sententia surgit? omnia tuta vides, classem sociosque receptos. unus abest, medio in fluctu quem vidimus ipsi submersum; dictis respondent cetera matris.’ vix ea fatus erat, cum circumfusa repente scindit se nubes et in aethera purgat apertum. restitit Aeneas claraque in luce refulsit os umerosque deo similis; namque ipsa decoram caesariem nato genetrix lumenque iuventae purpureum et laetos oculis adflarat honores: quale manus addunt ebori decus, aut ubi flavo argentum Pariusve lapis circumdatur auro. tum sic reginam adloquitur cunctisque repente improvisus ait: ‘coram, quem quaeritis, adsum, Troius Aeneas, Libycis ereptus ab undis. o sola infandos Troiae miserata labores, quae nos, reliquias Danaum, terraeque marisque omnibus exhaustos iam casibus, omnium egenos, urbe, domo socias, grates persolvere dignas non opis est nostrae, Dido, nec quidquid ubique est gentis Dardaniae, magnum quae sparsa per orbem. di tibi, si qua pios respectant numina, si quid

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Wollt ihr mit mir zu gleichen Rechten im Reiche hier siedeln? Euch gehört dann die Stadt, die ich bau: Lasst landen die Schiffe; Troer und Tyrier werde ich unterschiedslos behandeln. Wäre der König doch selbst, von demselben Südwind verschlagen, wäre Aeneas doch hier! Ja, ich schicke verlässliche Leute hin zu den Küsten und lasse sie Libyens Winkel durchsuchen, ob er, gestrandet, in Wäldern oder in Städten umherirrt.« Durch die Worte ermutigt brannten der tapfre Achates und der Vater Aeneas darauf, die Wolke doch endlich aufzureißen. Sogleich sagt da zu Aeneas Achates: »Sohn einer Göttin, welcher Entschluss reift nunmehr im Sinn dir? Alles siehst du geborgen, gerettet Gefährten und Flotte. Einer nur fehlt, wir selber sahn ihn inmitten der Fluten untergehn; alles andre entspricht den Worten der Mutter.« Kaum hatte dies er gesagt, zerriss ganz plötzlich die Wolke, die sie umhüllte, und löste sich auf in den offenen Äther. Da stand nun Aeneas, im hellen Lichte erstrahlte er, einem Gotte gleichend mit Antlitz und Schulter; die Mutter hatte durch ihren Hauch dem Sohne herrliches Haar, den Purpurschimmer der Jugend und Glanz seinen Augen gegeben: Solch eine Schönheit verleihen dem Elfenbein Hände, so werden Silber und parischer Marmor umgeben mit rötlichem Golde. Dann zur Königin hin spricht plötzlich so er, für alle unerwartet: »Vor euch nun stehe ich, den ihr gesucht habt, ich, der Trojaner Aeneas, gerettet aus libyschen Wogen. Dir, die du Trojas schreckliche Leiden alleine beklagst und uns von den Danaërn übrig Gelassnen, durch jegliches Unglück müde Gehetzten zu Land und zu Wasser, uns gänzlich Verarmten Anteil an Stadt und Haus jetzt gibst, gebührend zu danken, ist uns, Dido, versagt und allen, wo sie auch sind, vom Dardanervolk, das über den großen Erdkreis zerstreut ist. Götter, wenn irgend sie Fromme achten, wenn irgendwo etwas

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usquam iustitia est et mens sibi conscia recti, praemia digna ferant. quae te tam laeta tulerunt saecula? qui tanti talem genuere parentes? in freta dum fluvii current, dum montibus umbrae lustrabunt convexa, polus dum sidera pascet, semper honos nomenque tuum laudesque manebunt, quae me cumque vocant terrae.’ sic fatus amicum Ilionea petit dextra laevaque Serestum, post alios, fortemque Gyan fortemque Cloanthum. Obstipuit primo aspectu Sidonia Dido, casu deinde viri tanto, et sic ore locuta est: ‘quis te, nate dea, per tanta pericula casus insequitur? quae vis immanibus applicat oris? tune ille Aeneas quem Dardanio Anchisae alma Venus Phrygii genuit Simoentis ad undam? atque equidem Teucrum memini Sidona venire finibus expulsum patriis, nova regna petentem auxilio Beli; genitor tum Belus opimam vastabat Cyprum et victor dicione tenebat. tempore iam ex illo casus mihi cognitus urbis Troianae nomenque tuum regesque Pelasgi. ipse hostis Teucros insigni laude ferebat seque ortum antiqua Teucrorum a stirpe volebat. quare agite o tectis, iuvenes, succedite nostris. me quoque per multos similis fortuna labores iactatam hac demum voluit consistere terra: non ignara mali miseris succurrere disco.’ sic memorat; simul Aenean in regia ducit tecta, simul divum templis indicit honorem. nec minus interea sociis ad litora mittit viginti tauros, magnorum horrentia centum terga suum, pinguis centum cum matribus agnos,

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gilt die Gerechtigkeit und der Sinn für Gutes und Rechtes, mögen dich würdig belohnen. Welch glückliches Säkulum trug im Schoß dich? Welch mächtige Eltern erzeugten denn solch eine Tochter? Wahrlich, solange die Flüsse zum Meere hin eilen, auf Bergen Schatten die Täler umwandern und Sterne weidet der Himmel, werden immer dein Name, dein Ruhm und dein Ansehen bleiben, welches Land auch immer mich ruft.« Er sprach’s, und die Rechte gab er Ilioneus, seinem Freunde, die Linke Serestus, dann den andren, dem tapferen Gyas, dem tapfren Kloanthus. Über den Anblick erstaunte zunächst die sidonische Dido, dann auch über des Manns so großes Unglück, und sagte: »Welches Unglück verfolgt dich durch solche Gefahren, o Sohn der Göttin? Welche Gewalt wirft dich an furchtbare Küsten? Bist du nicht jener Aeneas, der, welchen Anchises dem Troer Venus, die holde, gebar an des Simoïs Wasser in Phrygien? Ja, ich erinnre mich wohl: Es gelangte einst Teuker nach Sidon, fort aus der Heimat vertrieben; er suchte mit Hilfe des Belus neu ein Reich zu gewinnen; mein Vater Belus verheerte damals das fruchtbare Zypern und siegte, behielt es von da an. Schon von jenen Zeiten an weiß ich vom Untergang Trojas, kenne auch deinen Namen, die Könige auch der Pelasger. Jener selbst nun, obwohl euer Gegner, er rühmte die Teukrer hoch und wollte als Spross des alten Teukrerstamms gelten. Also kommt, ihr Männer, und tretet unter mein Dach nun. Mich auch trieb ein ähnliches Schicksal durch mancherlei Mühsal, und in diesem Land hier ließ es dann endlich mich bleiben: Selber vertraut mit dem Leid, lern Leidenden nun ich zu helfen.« So spricht sie; dann führt zum Palast sie Aeneas und kündigt gleichzeitig sämtlichen Tempeln ein Dankfest an für die Götter. Außerdem schickt den Gefährten sie unterdessen zur Küste zwanzig Stiere, die borstigen Rücken von hundert gewaltgen Schweinen und hundert fette Lämmer dazu mit den Müttern

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munera laetitiamque dii. at domus interior regali splendida luxu instruitur, mediisque parant convivia tectis: arte laboratae vestes ostroque superbo, ingens argentum mensis caelataque in auro fortia facta patrum, series longissima rerum per tot ducta viros antiqua ab origine gentis. Aeneas (neque enim patrius consistere mentem passus amor) rapidum ad navis praemittit Achaten, Ascanio ferat haec ipsumque ad moenia ducat: omnis in Ascanio cari stat cura parentis. munera praeterea Iliacis erepta ruinis ferre iubet, pallam signis auroque rigentem et circumtextum croceo velamen acantho, ornatus Argivae Helenae, quos illa Mycenis, Pergama cum peteret inconcessosque hymenaeos, extulerat, matris Ledae mirabile donum; praeterea sceptrum, Ilione quod gesserat olim, maxima natarum Priami, colloque monile bacatum et duplicem gemmis auroque coronam. haec celerans iter ad navis tendebat Achates. At Cytherea novas artes, nova pectore versat consilia, ut faciem mutatus et ora Cupido pro dulci Ascanio veniat, donisque furentem incendat reginam atque ossibus implicet ignem. quippe domum timet ambiguam Tyriosque bilinguis; urit atrox Iuno, et sub noctem cura recursat. ergo his aligerum dictis adfatur Amorem: ‘nate, meae vires, mea magna potentia, solus, nate, patris summi qui tela Typhoëa temnis, ad te confugio et supplex tua numina posco. frater ut Aeneas pelago tuus omnia circum

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als ein Freudengeschenk für den Tag. Aber mit fürstlicher Pracht wird das Innere ihres Palastes herrlich geschmückt und inmitten des Hauses das Gastmahl bereitet: Kunstreich gewoben sind aus prächtigem Purpur die Decken, Silbergeschirr ziert reichlich die Tische, getrieben in Gold sind tapfere Taten der Väter, in endloser Reihe Erfolge von so zahlreichen Männern seit Anfang des alten Geschlechtes. Aber Aeneas – es ließ ja die Vaterliebe sein Herz nicht ruhen – sendet in Eile voraus zu den Schiffen Achates, dass er Askanius dies berichte, zur Stadt ihn dann führe: Galt doch Askanius ganz die Sorge des liebenden Vaters. Auch lässt Gaben er bringen, gerettet aus Iliums Trümmern, steif von Goldstickerei, die Figuren zeigt, einen Mantel, und einen Schleier, umsäumt von krokusfarbnem Akanthus, Helenas, der Argiverin, Schmuck; sie nahm aus Mykene, als sie nach Pergamum fuhr und zur unerlaubten Vermählung, ihn mit sich fort, ihrer Mutter Leda herrliche Gabe; ferner ein Szepter; das hatte Ilione einstmals getragen, Priamus’ älteste Tochter, und weiter aus Perlen ein Halsband und aus Edelsteinen und Gold einen doppelten Kronreif. Rasch zu erfüllen den Auftrag begab sich zur Flotte Achates. Doch Kytherea ersinnt eine neue List, einen neuen Plan; in Gesicht und Gestalt verwandelt soll nun Cupido statt des süßen Askanius gehn, durch die Gaben die Fürstin stürzen in Liebeswahn, bis ins Mark sie durchglühen. Sie fürchtet Arglist im Königspalast und die doppelzüngigen Tyrier; Junos Zorn quält sie, und die Nacht erneuert die Sorge. Also spricht zum geflügelten Amor sie folgende Worte: »Sohn, meine Kraft, meine große Macht, der alleine des höchsten Vaters Juppiter Blitz, der Typhoeus traf, du verachtest, Zuflucht such ich bei dir und erbitte flehend dein Wirken. Dass dein Bruder Aeneas ringsum auf dem Meere an alle

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litora iactetur odiis Iunonis acerbae, nota tibi, et nostro doluisti saepe dolore. nunc Phoenissa tenet Dido blandisque moratur vocibus, et vereor quo se Iunonia vertant hospitia: haud tanto cessabit cardine rerum. quocirca capere ante dolis et cingere flamma reginam meditor, ne quo se numine mutet, sed magno Aeneae mecum teneatur amore. qua facere id possis, nostram nunc accipe mentem. regius accitu cari genitoris ad urbem Sidoniam puer ire parat, mea maxima cura, dona ferens pelago et flammis restantia Troiae; hunc ego sopitum somno super alta Cythera aut super Idalium sacrata sede recondam, ne qua scire dolos mediusve occurrere possit. tu faciem illius noctem non amplius unam falle dolo et notos pueri puer indue vultus, ut, cum te gremio accipiet laetissima Dido regalis inter mensas laticemque Lyaeum, cum dabit amplexus atque oscula dulcia figet, occultum inspires ignem fallasque veneno.’ paret Amor dictis carae genetricis et alas exuit et gressu gaudens incedit Iuli. at Venus Ascanio placidam per membra quietem inrigat et fotum gremio dea tollit in altos Idaliae lucos, ubi mollis amaracus illum floribus et dulci adspirans complectitur umbra. Iamque ibat dicto parens et dona Cupido regia portabat Tyriis duce laetus Achate. cum venit, aulaeis iam se regina superbis aurea composuit sponda mediamque locavit, iam pater Aeneas et iam Troiana iuventus

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Küsten verschlagen wird von dem Hass der erbitterten Juno, ist dir bekannt, und oft hast mit mir du geteilt meinen Kummer. Jetzt hält Dido ihn fest, die Phönikerin, schmeichelt ihm, lädt zum Bleiben ihn ein, und mir bangt, wohin diese Gastlichkeit Junos zielt: Nicht untätig bleibt sie bei solch einer Wendung der Dinge. Drum will die Königin vorher ich fangen mit List und mit Glut sie ganz umgeben, dass nicht eine Gottheit den Sinn ihr verändre, sondern im Bunde mit mir in Aeneas heftig verliebt sei. Wie du es durchführen kannst, hör nun, was dazu ich mir denke. Zur sidonischen Stadt, vom lieben Vater gerufen, macht auf den Weg sich der Prinz, um den ich am meisten mich sorge, Gaben, aus Trojas Brand und dem Meere gerettet, ihr bringend; ihn versenk ich in Schlaf und will ihn hoch auf Kythera oder an heiliger Stätte verbergen auf dem Idalium, dass er nicht merke die List und mitten im Werke uns störe. Du täusch vor voller List die Gestalt eine einzige Nacht nur, nimm das vertraute Aussehn des Knaben an, selber ein Knabe; nimmt dich dann auf den Schoß die überglückliche Dido während des Königsmahls und bei dem Trank des Lyaeus, legt sie die Arme um dich und gibt sie dir zärtliche Küsse, dann hauch heimliches Feuer ihr ein und betör durch dein Gift sie.« Amor gehorcht den Worten der lieben Mutter; die Flügel legt er ab, geht freudig einher im Schritt des Ïulus. Venus jedoch gießt friedlichen Schlummer über Askanius’ Glieder und birgt ihn, die Göttin, im Schoß, erhebt zu den hohen Hainen Idalias ihn; Majoran umduftet ihn zärtlich dort mit Blüten, ihn sanft mit lieblichem Schatten umfangend. Schon ging, wie ihm geheißen, Cupido und brachte des Königs Gaben froh zu den Tyriern hin, von Achates geleitet. Als er erscheint, hat bereits auf prächtigen Decken die Fürstin Platz genommen und sich auf goldenem Diwan gelagert; schon kommt Vater Aeneas, es kommt die trojanische Mannschaft,

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conveniunt, stratoque super discumbitur ostro. dant manibus famuli lymphas Cereremque canistris expediunt tonsisque ferunt mantelia villis. quinquaginta intus famulae, quibus ordine longam cura penum struere et flammis adolere penates; centum aliae totidemque pares aetate ministri, qui dapibus mensas onerent et pocula ponant. nec non et Tyrii per limina laeta frequentes convenere; toris iussi discumbere pictis mirantur dona Aeneae, mirantur Iulum flagrantisque dei vultus simulataque verba, pallamque et pictum croceo velamen acantho. praecipue infelix, pesti devota futurae, expleri mentem nequit ardescitque tuendo Phoenissa et pariter puero donisque movetur. ille ubi complexu Aeneae colloque pependit et magnum falsi implevit genitoris amorem, reginam petit. haec oculis, haec pectore toto haeret et interdum gremio fovet inscia Dido insidat quantus miserae deus. at memor ille matris Acidaliae paulatim abolere Sychaeum incipit et vivo temptat praevertere amore iam pridem resides animos desuetaque corda. Postquam prima quies epulis mensaeque remotae, crateras magnos statuunt et vina coronant. fit strepitus tectis vocemque per ampla volutant atria; dependent lychni laquearibus aureis incensi et noctem flammis funalia vincunt. hic regina gravem gemmis auroque poposcit implevitque mero pateram, quam Belus et omnes a Belo soliti; tum facta silentia tectis: ‘Iuppiter, hospitibus nam te dare iura loquuntur,

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und man legt sich zu Tisch auf purpurfarbenen Polstern. Diener reichen darauf für die Hände das Wasser, verteilen Brote aus Körben, und flauschige Handtücher bringen sie allen. Drinnen sind fünfzig Mägde beschäftigt, die Reihe der Speisen zuzubereiten, zugleich die Herde mit Glut zu versorgen; hundert andre und ebenso viel gleichaltrige Diener gibt’s, die das Mahl auftischen und welche die Becher kredenzen. Zahlreiche Tyrier kamen nun auch zu der gastlichen Schwelle; auf den bestickten Polstern sich niederzulassen gebeten, staunen sie über Aeneas’ Geschenke, bewundern Ïulus, seinen göttlich leuchtenden Blick und die Worte, die täuschend echten, den Mantel, den Schleier, bestickt mit gelbem Akanthus. Sie zumal, die Phönikerin, unselig, künftigem Unheil vorbestimmt, kann ihr Herz nicht sättigen, glüht durch das Anschaun, gleichermaßen entzückt von dem Knaben und von den Geschenken. Der umarmt erst Aeneas, hängt diesem am Hals und befriedigt so die große Zuneigung seines vermeintlichen Vaters, eilt dann zur Fürstin. Mit ihren Blicken und ganz mit dem Herzen hängt sie an ihm, drückt ihn ab und zu und ahnt nicht, welch starker Gott sich ihrer, der Armen, bemächtigt. Des Auftrags der Mutter Akidalia gedenkend, beginnt er, Sychaeus allmählich ihr zu entfremden und sucht, lebendige Liebe in ihr, die solcher Gefühle schon längst entwöhnt ist, neu zu erregen. Als es zur ersten Ruhe beim Mahl kommt, fort sind die Tische, stellen gewaltige Krüge sie hin und bekränzen den Wein dann. Lärm kommt auf im Palast, und die Stimmen erschallen im weiten Saale; es hängen die Leuchter an goldgetäfelter Decke, angezündet, und Fackeln besiegen die Nacht mit den Flammen. Jetzt verlangte die Fürstin die schwere Schale von Gold und Edelsteinen und füllte mit Wein sie, wie Belus und alle Kinder des Belus es taten; dann wurde es leise im Saale: »Juppiter – denn du bist, so sagt man, des Gastrechtes Hüter –,

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hunc laetum Tyriisque diem Troiaque profectis esse velis nostrosque huius meminisse minores. adsit laetitiae Bacchus dator et bona Iuno; et vos o coetum, Tyrii, celebrate faventes.’ dixit et in mensam laticum libavit honorem primaque, libato, summo tenus attigit ore; tum Bitiae dedit increpitans: ille impiger hausit spumantem pateram et pleno se proluit auro; post alii proceres. cithara crinitus Iopas personat aurata, docuit quem maximus Atlas. hic canit errantem lunam solisque labores, unde hominum genus et pecudes, unde imber et ignes, Arcturum pluviasque Hyadas geminosque Triones, quid tantum Oceano properent se tingere soles hiberni, vel quae tardis mora noctibus obstet; ingeminant plausu Tyrii, Troesque sequuntur. nec non et vario noctem sermone trahebat infelix Dido longumque bibebat amorem, multa super Priamo rogitans, super Hectore multa; nunc quibus Aurorae venisset filius armis, nunc quales Diomedis equi, nunc quantus Achilles. ‘immo age et a prima dic, hospes, origine nobis insidias’ inquit ‘Danaum casusque tuorum erroresque tuos; nam te iam septima portat omnibus errantem terris et fluctibus aestas.’

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lass diesen Tag den Tyriern und den aus Troja Gekommnen Freude bereiten und lass an ihn unsre Enkel noch denken. Bacchus erscheine, der Spender der Lust, und die gütige Juno; ihr auch, Tyrier, feiert das Fest in fröhlicher Stimmung.« Sprach’s und goss auf den Tisch das Trankopfer; als sie geopfert hatte, berührte als erste die Schale sie mit den Lippen, gab sie, ihn drängend, dem Bitias: Aus der schäumenden Schale trank er wacker und leerte das goldne Gefäß bis zur Neige; nach ihm tranken die Edlen. Der Schüler des Atlas, Ïopas, der mit dem langen Haar, lässt tönen die goldene Lyra, singt vom wandernden Mond und von den Leiden der Sonne, von dem Ursprung der Menschen und Tiere, des Regens, des Feuers, von Arktur, von dem Regengestirn, von den beiden Trionen, singt auch, warum im Winter ins Meer zu tauchen die Sonne eilt und was, wenn die Nacht spät kommt, ihren Anbruch verzögert; Beifall spendeten mehrfach die Tyrier, dann auch die Troer. Dido, die unglückselige, zog diese Nacht in die Länge durch die Gespräche und sog in sich auf lang währende Liebe; viel über Priamus wollte sie wissen und viel über Hektor, dann, mit welchen Waffen der Sohn Auroras herbeikam, dann, wie des Diomedes Gespann war, wie kampfstark Achilles. »Nun aber weiter, mein Gast«, sprach sie, »und erzähl von Beginn an von der Tücke der Danaër, von dem Verderben der Deinen, von deiner Irrfahrt; denn der siebente Sommer schon trägt auf Irrwegen überall dich dahin durch die Länder und Meere.«

LIBER II Conticuere omnes intentique ora tenebant. inde toro pater Aeneas sic orsus ab alto: ‘Infandum, regina, iubes renovare dolorem, Troianas ut opes et lamentabile regnum eruerint Danai, quaeque ipse miserrima vidi et quorum pars magna fui. quis talia fando Myrmidonum Dolopumve aut duri miles Ulixi temperet a lacrimis? et iam nox umida caelo praecipitat suadentque cadentia sidera somnos. sed si tantus amor casus cognoscere nostros et breviter Troiae supremum audire laborem, quamquam animus meminisse horret luctuque refugit, incipiam. fracti bello fatisque repulsi ductores Danaum, tot iam labentibus annis, instar montis equum divina Palladis arte aedificant sectaque intexunt abiete costas; votum pro reditu simulant: ea fama vagatur. huc delecta virum sortiti corpora furtim includunt caeco lateri penitusque cavernas ingentis uterumque armato milite complent. Est in conspectu Tenedos, notissima fama insula, dives opum Priami dum regna manebant, nunc tantum sinus et statio male fida carinis: huc se provecti deserto in litore condunt; nos abiisse rati et vento petiisse Mycenas. ergo omnis longo solvit se Teucria luctu. panduntur portae, iuvat ire et Dorica castra desertosque videre locos litusque relictum:

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BUCH 2 Alle schwiegen nun still, und die Mienen waren voll Spannung. Da begann auf dem hohen Polstersitz Vater Aeneas: »Unsagbaren Schmerz, o Königin, heißt du erneuern, wie die trojanische Macht und die tief zu beklagende Herrschaft stürzten die Danaër, was an äußerstem Elend ich selbst sah, selber beteiligt. Wer von den Myrmidonen, beschrieb er’s, wer von den Dolopern oder den Kriegern des harten Ulixes hielte die Tränen zurück? Auch fällt schon eilends die feuchte Nacht vom Himmel, es mahnen die sinkenden Sterne zum Schlafe. Aber begehrst du so sehr, zu erfahren von unserem Unglück, kurz vom letzten Kampf der Trojaner zu hören, so will ich, auch wenn mein Geist die Erinnerung fürchtet, in Trauer sie meidet, dennoch beginnen. Gebrochen vom Krieg und vom Fatum verstoßen nach so vielen Jahren, erbauen die Danaërführer nun ein berghohes Pferd, dabei unterstützt von Minervas göttlicher Kunst, und verkleiden die Rippen mit Brettern aus Tanne; für die Heimkehr ein Weihgeschenk sei’s: So geht das Gerücht um. Männer, durchs Los bestimmt, die schließen sie dann im Versteck der Flanken heimlich ein, und sie füllen den riesigen Hohlraum ganz bis hinein in die Tiefen, den Bauch mit bewaffneten Kriegern. Tenedos liegt in Sicht, eine Insel, die weithin bekannt ist, reich an Schätzen, solange bestand des Priamus Herrschaft, jetzt eine Bucht nur, für Schiffe ein unzuverlässiger Standort: Hierhin fahrn sie, verstecken sich hier am einsamen Strande; wir aber meinten, sie seien davon mit dem Wind nach Mykene. Deswegen löst sich aus langem Gram ganz Troja. Geöffnet werden die Tore weit, froh gehn sie, das dorische Lager und die verödeten Plätze zu sehn, die verlassene Küste:

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hic Dolopum manus, hic saevus tendebat Achilles, classibus hic locus, hic acie certare solebant. pars stupet innuptae donum exitiale Minervae et molem mirantur equi; primusque Thymoetes duci intra muros hortatur et arce locari, sive dolo seu iam Troiae sic fata ferebant. at Capys, et quorum melior sententia menti, aut pelago Danaum insidias suspectaque dona praecipitare iubent subiectisque urere flammis, aut terebrare cavas uteri et temptare latebras. scinditur incertum studia in contraria vulgus. Primus ibi ante omnis, magna comitante caterva, Laocoon ardens summa decurrit ab arce et procul: “o miseri, quae tanta insania, cives? creditis avectos hostis? aut ulla putatis dona carere dolis Danaum? sic notus Ulixes? aut hoc inclusi ligno occultantur Achivi, aut haec in nostros fabricata est machina muros inspectura domos venturaque desuper urbi, aut aliquis latet error: equo ne credite, Teucri. quidquid id est, timeo Danaos et dona ferentis.” sic fatus validis ingentem viribus hastam in latus inque feri curvam compagibus alvum contorsit. stetit illa tremens, uteroque recusso insonuere cavae gemitumque dedere cavernae. et, si fata deum, si mens non laeva fuisset, impulerat ferro Argolicas foedare latebras, Troiaque nunc staret, Priamique arx alta maneres. Ecce manus iuvenem interea post terga revinctum pastores magno ad regem clamore trahebant Dardanidae, qui se ignotum venientibus ultro, hoc ipsum ut strueret Troiamque aperiret Achivis,

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Hier waren Doloper, hier war das Zelt des wilden Achilles, hier für die Flotte der Platz, hier tobten gewöhnlich die Kämpfe. Mancher bestaunt das Unheilsgeschenk für die Jungfrau Minerva, sieht auch bewundernd, wie massig das Pferd ist; Thymoetes als erster drängt, in die Stadt es zu ziehen und dort auf den Burgberg zu stellen, sei es aus List, oder weil’s schon die Fata für Troja so wollten. Kapys jedoch und die, die vernünftiger urteilen können, wollen die Danaër-Falle, die Gabe, die Argwohn erweckt, ins Meer hinabstürzen oder sie anzünden und sie verbrennen, oder den Hohlraum des Bauchs durchbohrn, untersuchen, was drin steckt. Gegenteilige Meinungen spalten die schwankende Menge. Allen voran als erster, begleitet von großem Gefolge, eilt vom Burgberg herab Laokoon, glühend vor Ingrimm; ›Elende!‹ ruft er von fern, ›was, Bürger, soll dieser Wahnwitz? Glaubt ihr, der Feind sei fort? Oder denkt ihr, auch nur ein Geschenk der Danaër sei von Hinterlist frei? So kennt ihr Ulixes? Entweder sind, umschlossen von Holz, Achiver verborgen, oder zum Angriff auf unsere Mauern gebaut ist das Werk hier, einzusehen die Häuser, von oben sich auf sie zu stürzen, oder man tarnt eine Finte: Vertraut dem Pferd nicht, ihr Teukrer! Was es auch sei, ich hab Angst vor den Danaërn, selbst wenn sie schenken.‹ Sprach’s und schleuderte seine gewaltige Lanze mit großer Kraft in die Flanke des Tiers, die kompakte Wölbung des Bauches. Zitternd blieb sie dort stecken, und von der Erschüttrung des Leibes dröhnten die Hohlräume; Stöhnen ließen die Höhlen vernehmen. Wäre da nicht das Fatum, nicht unsre Verblendung gewesen, hätt er bewirkt, dass wir das Versteck der Griechen zerstörten; Troja stünde noch heut und es gäb dich noch, Priamus’ Festung. Sieh, einen jungen Mann, auf dem Rücken die Hände gefesselt, schleppten indes laut schreiend dardanische Hirten zum König; unerkannt hatte er, als sie kamen, von selbst sich gestellt, um dies grad zu arrangiern, nämlich Troja den Griechen zu öffnen,

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obtulerat, fidens animi atque in utrumque paratus, seu versare dolos seu certae occumbere morti. undique visendi studio Troiana iuventus circumfusa ruit certantque inludere capto. accipe nunc Danaum insidias et crimine ab uno disce omnis. namque ut conspectu in medio turbatus inermis constitit atque oculis Phrygia agmina circumspexit, “heu, quae nunc tellus” inquit, “quae me aequora possunt accipere? aut quid iam misero mihi denique restat, cui neque apud Danaos usquam locus, et super ipsi Dardanidae infensi poenas cum sanguine poscunt?” quo gemitu conversi animi compressus et omnis impetus. hortamur fari quo sanguine cretus quidve ferat; memoret quae sit fiducia capto. “Cuncta equidem tibi, rex, fuerit quodcumque, fatebor vera” inquit, “neque me Argolica de gente negabo: hoc primum; nec, si miserum Fortuna Sinonem finxit, vanum etiam mendacemque improba finget. fando aliquod si forte tuas pervenit ad auris Belidae nomen Palamedis et incluta fama gloria, quem falsa sub proditione Pelasgi insontem infando indicio, quia bella vetabat, demisere neci, nunc cassum lumine lugent: illi me comitem et consanguinitate propinquum pauper in arma pater primis huc misit ab annis. dum stabat regno incolumis regumque vigebat conciliis, et nos aliquod nomenque decusque gessimus. invidia postquam pellacis Ulixi (haud ignota loquor) superis concessit ab oris, adflictus vitam in tenebris luctuque trahebam et casum insontis mecum indignabar amici.

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kühn und zu beidem bereit, entweder die schlaue Intrige durchzuführn oder aber dem sicheren Tod zu verfallen. Neugierig eilt die trojanische Jugend von überall her und drängt sich um den Gefangenen und verhöhnt ihn im Wettstreit. Hör von der Tücke der Danaër nun und lern an der einen Schandtat sie alle kennen. Denn als vor aller Augen er dastand, verstört, ohne Waffen, und auf die Phrygerscharen ringsum geschaut hatte, sprach er: ›Weh mir, welches Land kann jetzt mich aufnehmen, welches Meer, was bleibt überhaupt mir Unglückseligem übrig, mir, für den bei den Danaërn nirgends mehr Raum ist und auch noch, feindlich gesinnt, die Dardaner blutige Strafe verlangen?‹ Jammernd stimmt er uns um, und so unterbleibt dann auch jede Tätlichkeit. Uns nun zu sagen, mahnen wir, wem er entstamme, was er denn bringe, was ihm, dem Gefangenen, Zuversicht gebe. ›Alles, mein König, was immer auch kommen mag, werde ich wahrhaft dir bekennen‹, so sprach er, ›nicht leugnen die Herkunft aus Argos: dieses zuvor; denn wenn Fortuna schon elend den Sinon machte, zum Prahler und Lügner wird ihn die Böse nicht machen. Kam per Gerücht irgendwie dir zu Ohren vielleicht Palamedes’, eines Beliden, Name sowie seine große Berühmtheit? Ihn, den fälschlich Beschuldigten, brachten trotz seiner Unschuld auf gemeine Aussagen hin, weil er gegen den Krieg sprach, um die Pelasger, betrauern ihn aber jetzt, weil er tot ist: Mich als Begleiter und Blutsverwandten schickte mein armer Vater zu ihm hierher zum Waffendienst, als ich noch jung war. Während noch unangefochten als Führer er war und im Rat der Fürsten was galt, hatte ich auch irgendwie Namen und Ehre. Aber seit durch die Missgunst des ränkereichen Ulixes – wie man’s ja kennt – aus der oberen Welt er davongehen musste, schleppte voll Kummer mein Leben ich hin in düsterer Trauer und war über den Tod des schuldlosen Freundes entrüstet.

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nec tacui demens et me, fors si qua tulisset, si patrios umquam remeassem victor ad Argos, promisi ultorem et verbis odia aspera movi. hinc mihi prima mali labes, hinc semper Ulixes criminibus terrere novis, hinc spargere voces in vulgum ambiguas et quaerere conscius arma. nec requievit enim, donec Calchante ministro … sed quid ego haec autem nequiquam ingrata revolvo? quidve moror? si omnis uno ordine habetis Achivos, idque audire sat est, iamdudum sumite poenas: hoc Ithacus velit et magno mercentur Atridae.” Tum vero ardemus scitari et quaerere causas, ignari scelerum tantorum artisque Pelasgae. prosequitur pavitans et ficto pectore fatur: “saepe fugam Danai Troia cupiere relicta moliri et longo fessi discedere bello; fecissentque utinam! saepe illos aspera ponti interclusit hiems et terruit Auster euntis. praecipue cum iam hic trabibus contextus acernis staret equus, toto sonuerunt aethere nimbi. suspensi Eurypylum scitantem oracula Phoebi mittimus, isque adytis haec tristia dicta reportat: “sanguine placastis ventos et virgine caesa, cum primum Iliacas, Danai, venistis ad oras: sanguine quaerendi reditus animaque litandum Argolica.” vulgi quae vox ut venit ad auris, obstipuere animi gelidusque per ima cucurrit ossa tremor, cui fata parent, quem poscat Apollo. hic Ithacus vatem magno Calchanta tumultu protrahit in medios; quae sint ea numina divum flagitat. et mihi iam multi crudele canebant artificis scelus et taciti ventura videbant.

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Aber ich Tor schwieg nicht und versprach, wenn der Zufall es bringe und ich jemals als Sieger zurückkäm ins heimische Argos, ihn zu rächen, und weckte erbitterten Hass durch mein Reden. Jetzt erst begann mein Sturz ins Unglück, jetzt schreckte Ulixes stets mich mit neuen Vorwürfen, streute unter die Leute dunkle Worte und suchte gezielt nach Methoden des Angriffs. Denn er gab keine Ruhe, bis schließlich mit Hilfe des Kalchas … Doch was hol ich vergeblich hervor diese misslichen Dinge? Was vertu ich hier Zeit? Gilt gleich euch jeder Achiver, reicht’s schon, den Namen zu hören, vollzieht doch gleich eure Strafe: Das will der Ithaker, sicher bezahlen es gut die Atriden.‹ Da aber brennen wir drauf, die Gründe genau zu erfahren, nicht vertraut mit so großen Vergehn und pelasgischer Tücke. Zitternd fährt er nun fort und spricht aus heuchelndem Herzen: ›Troja zu lassen, die Flucht zu betreiben und, müde vom langen Krieg, sich von dannen zu machen, das wünschten die Danaër oft schon; hätten sie das nur getan! Oft hielt sie grimmig des Meeres stürmisches Wetter zurück, und beim Aufbruch schreckte der Südwind. Insbesondere als das aus Ahornbalken gebaute Pferd hier stand, da heulten am ganzen Himmel die Stürme. Angstvoll schicken Eurypylus wir, das Orakel Apolls zu fragen; er bringt von dem Heiligtum diese düstere Antwort: »Ihr habt Winde mit Blut besänftigt, durchs Opfer der Jungfrau, Danaër, als ihr damals zu Iliums Küsten gelangt seid: Auch die Heimkehr erfordert Blut; ein argolisches Leben müsst ihr opfern.« Sobald dies Wort der Menge zu Ohren kam, erstarrten die Herzen und eisige Schauder durchfuhren Mark und Bein: Wen plant man zu töten? Wen fordert Apollo? Da zerrt Kalchas, den Seher, der Ithaker unter immensem Lärm in die Mitte; er will, was die Winke der Götter bedeuten, wissen. Und mir prophezeiten nun viele des Meisters der Arglist grausame Untat, doch sahn, was da kommen würde, sie schweigend.

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bis quinos silet ille dies tectusque recusat prodere voce sua quemquam aut opponere morti. vix tandem, magnis Ithaci clamoribus actus, composito rupit vocem et me destinat arae. adsensere omnes et, quae sibi quisque timebat, unius in miseri exitium conversa tulere. iamque dies infanda aderat: mihi sacra parari et salsae fruges et circum tempora vittae. eripui, fateor, leto me et vincula rupi limosoque lacu per noctem obscurus in ulva delitui dum vela darent, si forte dedissent. nec mihi iam patriam antiquam spes ulla videndi nec dulcis natos exoptatumque parentem, quos illi fors et poenas ob nostra reposcent effugia et culpam hanc miserorum morte piabunt. quod te per superos et conscia numina veri, per si qua est quae restet adhuc mortalibus usquam intemerata fides, oro, miserere laborum tantorum, miserere animi non digna ferentis.” His lacrimis vitam damus et miserescimus ultro. ipse viro primus manicas atque arta levari vincla iubet Priamus dictisque ita fatur amicis: “quisquis es, amissos hinc iam obliviscere Graios: noster eris; mihique haec edissere vera roganti: quo molem hanc immanis equi statuere? quis auctor? quidve petunt? quae religio? aut quae machina belli?” dixerat. ille dolis instructus et arte Pelasga sustulit exutas vinclis ad sidera palmas: “vos, aeterni ignes, et non violabile vestrum testor numen” ait, “vos arae ensesque nefandi, quos fugi, vittaeque deum, quas hostia gessi: fas mihi Graiorum sacrata resolvere iura,

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Jener sagt zehn Tage nichts, ist versteckt und verweigert’s, jemanden preiszugeben durchs Wort und dem Tode zu weihen. Endlich, getrieben vom lauten Schreien des Ithakers, stieß er’s, wie vereinbart, hervor, und mich bestimmt er fürs Opfer. Allen war’s recht; man ertrug’s, dass das Unheil, befürchtet von jedem für sich selbst, zum Verderben für einen Armen nur wurde. Schon war der schreckliche Tag da: Für mich bereit warn die heilgen Dinge, gesalzener Schrot und um meine Schläfen die Binden. Ich entriss mich dem Tod, ich bekenn es, und sprengte die Fesseln; unauffindbar verbarg ich im Schilf eines schlammigen Weihers nachts mich, erwartend, dass Segel sie setzten, wenn sie’s denn täten. Nicht mehr hoffe ich, je noch die alte Heimat zu sehen, nicht meine lieblichen Kinder, den Vater, nach dem ich mich sehne; diese lassen jene vielleicht mal büßen für meine Flucht, mein Verschulden so durch den Tod der Elenden sühnend. Drum, bei den Göttern und allen die Wahrheit wissenden Mächten, und wenn irgend auf Erden den Sterblichen blieb noch ein Rest von unverletzter Treue, dann, bitte, erbarm dich so großer Leiden und eines Menschen, der Unverdientes erduldet.‹ Diesen Tränen schenken sein Leben wir und auch noch Mitleid. Priamus selbst lässt, allen voran, ihm die Handfesseln und die engen Bande lösen und sagt mit freundlichen Worten: ›Wer du auch bist, vergiss nun die dir verlorenen Griechen: Du wirst der Unsre; doch sage mir dies, und ich bitt um die Wahrheit: Was soll das riesige Pferd? Wer gab da den Anstoß? Was wolln sie? Was für ein Weihgeschenk ist’s? Oder was für ein Kriegsgerät ist das?‹ Sprach’s. Und jener, geschult in List und pelasgischer Tücke, hob die von Fesseln befreiten Hände hinauf zu den Sternen: ›Euch, ihr ewigen Feuer mit unverletzlicher Allmacht, ruf ich zu Zeugen, Altäre und ruchlose Schwerter, vor denen ich entfloh, und euch, die ich trug, ihr Binden, als Opfer: Mir ist’s erlaubt zu verletzen die heilige Satzung der Griechen,

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fas odisse viros atque omnia ferre sub auras, si qua tegunt; teneor patriae nec legibus ullis. tu modo promissis maneas servataque serves Troia fidem, si vera feram, si magna rependam. omnis spes Danaum et coepti fiducia belli Palladis auxiliis semper stetit. impius ex quo Tydides sed enim scelerumque inventor Ulixes, fatale adgressi sacrato avellere templo Palladium, caesis summae custodibus arcis, corripuere sacram effigiem manibusque cruentis virgineas ausi divae contingere vittas: ex illo fluere ac retro sublapsa referri spes Danaum, fractae vires, aversa deae mens. nec dubiis ea signa dedit Tritonia monstris. vix positum castris simulacrum: arsere coruscae luminibus flammae arrectis, salsusque per artus sudor iit, terque ipsa solo (mirabile dictu) emicuit parmamque ferens hastamque trementem. extemplo temptanda fuga canit aequora Calchas, nec posse Argolicis exscindi Pergama telis omina ni repetant Argis numenque reducant quod pelago et curvis secum avexere carinis. et nunc quod patrias vento petiere Mycenas, arma deosque parant comites pelagoque remenso improvisi aderunt: ita digerit omina Calchas. hanc pro Palladio moniti, pro numine laeso effigiem statuere, nefas quae triste piaret. hanc tamen immensam Calchas attollere molem roboribus textis caeloque educere iussit, ne recipi portis aut duci in moenia posset neu populum antiqua sub religione tueri. nam si vestra manus violasset dona Minervae,

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mir, diese Menschen zu hassen und alles ans Licht nun zu bringen, was sie verbergen; mich bindet nicht eins der Gesetze der Heimat. Halt nur du dein Versprechen und, bleibst du, Troja, bewahrt, sei treu, falls wahrhaft ich spreche und Großes mit Großem vergelte. Alles Hoffen der Griechen, Vertraun auf den Krieg, seit er anfing, ruhten stets auf der Hilfe der Pallas. Doch seit der verruchte Tydeus-Sohn und Ulixes, der Urheber aller Verbrechen, drangingen, fortzureißen aus heiligem Tempelbezirk das schicksalhafte Palladium, und nach dem Mord an des Burgbergs Wächtern das heilige Bildnis raubten, mit blutigen Händen wagend, die Bänder der Göttin anzutasten, der Jungfrau: Seitdem floss dahin und versiegte die Hoffnung der Griechen, ihre Kräfte zerbrachen, die Göttin wandte ihr Herz ab. Zeichen dafür gab Pallas durch unzweideutige Wunder. Kaum war im Lager ihr Bild, da züngelten zuckende Flammen aus den weit geöffneten Augen, die Glieder hinab rann salziger Schweiß, dreimal vom Boden – ein Wunder zu sagen – sprang sie auf mit dem Schild in der Hand und der bebenden Lanze. Gleich verkündet da Kalchas, man solle in Eile aufs Meer sich wagen, Pergamum könne nicht fallen durch griechische Waffen, wenn sie nicht neue Vorzeichen holten aus Argos, zurück nicht brächten die Gottheit, die schon übers Meer sie entführten im Schiffe. Haben sie jetzt mit dem Wind erreicht die Heimat Mykene, dann besorgen sie Waffen und Göttergeleit, und ganz plötzlich sind sie zurück übers Meer: So deutet die Vorzeichen Kalchas. Sie, gewarnt, konstruierten nun für die beleidigte Gottheit statt des Palladiums dieses Gebilde zur Sühnung des Frevels. Kalchas aber gebot, gigantisch den Bau zu errichten aus gefügtem Holz und ihn aufzutürmen zum Himmel, dass er nicht passe durchs Tor, in die Stadt nicht gebracht werden könne, nicht wie das Kultbild zuvor das Volk zu beschützen vermöge. Denn wenn eure Hand das Geschenk für Minerva entweihe,

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tum magnum exitium (quod di prius omen in ipsum convertant!) Priami imperio Phrygibusque futurum; sin manibus vestris vestram ascendisset in urbem, ultro Asiam magno Pelopea ad moenia bello venturam, et nostros ea fata manere nepotes.” Talibus insidiis periurique arte Sinonis credita res, captique dolis lacrimisque coactis quos neque Tydides nec Larisaeus Achilles, non anni domuere decem, non mille carinae. Hic aliud maius miseris multoque tremendum obicitur magis atque improvida pectora turbat. Laocoon, ductus Neptuno sorte sacerdos, sollemnis taurum ingentem mactabat ad aras. ecce autem gemini a Tenedo tranquilla per alta (horresco referens) immensis orbibus angues incumbunt pelago pariterque ad litora tendunt; pectora quorum inter fluctus arrecta iubaeque sanguineae superant undas, pars cetera pontum pone legit sinuatque immensa volumine terga. fit sonitus spumante salo; iamque arva tenebant ardentisque oculos suffecti sanguine et igni sibila lambebant linguis vibrantibus ora. diffugimus visu exsangues. illi agmine certo Laocoonta petunt; et primum parva duorum corpora natorum serpens amplexus uterque implicat et miseros morsu depascitur artus; post ipsum auxilio subeuntem ac tela ferentem corripiunt spirisque ligant ingentibus; et iam bis medium amplexi, bis collo squamea circum terga dati superant capite et cervicibus altis. ille simul manibus tendit divellere nodos perfusus sanie vittas atroque veneno,

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drohe großes Verderben – ach, kehrten die Götter das Zeichen lieber gegen ihn selber! – dem Priamus-Reich und den Phrygern; steige es aber hinauf zur Stadt durch die Kraft eurer Hände, ziehe Asien gegen des Pelops Mauern in einem großen Krieg; dies Schicksal erwarte unsere Enkel.‹ Glauben fand die Geschichte durch solchen Betrug und den Meineid Sinons; gefangen wurden mit List und erheuchelten Tränen die, die nicht der Tydide und nicht Achill aus Larissa, auch zehn Jahre nicht, nicht tausend Schiffe bezwangen. Jetzt widerfährt den Armen was Anderes, Größres und mehr noch Ängstigendes und stürzt in Verwirrung die arglosen Herzen. Priester Laokoon, der durchs Los für Neptunus Bestimmte, schlachtete feierlich einen riesigen Stier am Altare. Sieh! Da gleitet von Tenedos her durch ruhige Wogen – jetzt noch fasst mich Entsetzen – in riesigen Bogen ein Paar von Schlangen im Meere dahin und strebt gemeinsam zur Küste; aufwärts recken sie zwischen den Fluten die Brust, ihre Kämme glühn blutrot aus den Wogen empor, der übrige Teil streift hinten das Meer und krümmt in riesiger Windung den Rücken. Rauschend schäumt da die Salzflut; zum Festland gelangen sie jetzt schon; feuerrot sind ihre brennenden Augen, von Blut unterlaufen, zischend mit zuckenden Zungen lecken sie sich ihre Mäuler. Bleich von dem Anblick entfliehn wir. Sie streben in sicherem Zuge auf Laokoon zu; und die kindlichen Leiber der beiden Söhne umschließend legen um diese in Windungen beide Schlangen sich, beißen zu und fressen die Glieder der Armen; dann ergreifen ihn selbst sie, als mit dem Speer er zu Hilfe eilt, und sie schnüren ihn ein in gewaltigen Windungen; zweimal ihn in der Mitte umschlingend, die schuppigen Rücken um seinen Nacken gelegt, überragen sie ihn mit den Köpfen und Hälsen. Er aber ist bemüht, mit den Händen die Knoten zu sprengen; Geifer und schwarzes Gift benetzen die Binde des Priesters;

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clamores simul horrendos ad sidera tollit, qualis mugitus, fugit cum saucius aram taurus et incertam excussit cervice securim. at gemini lapsu delubra ad summa dracones effugiunt saevaeque petunt Tritonidis arcem sub pedibusque deae clipeique sub orbe teguntur. tum vero tremefacta novus per pectora cunctis insinuat pavor, et scelus expendisse merentem Laocoonta ferunt, sacrum qui cuspide robur laeserit et tergo sceleratam intorserit hastam. ducendum ad sedes simulacrum orandaque divae numina conclamant. dividimus muros et moenia pandimus urbis. accingunt omnes operi pedibusque rotarum subiciunt lapsus et stuppea vincula collo intendunt; scandit fatalis machina muros feta armis. pueri circum innuptaeque puellae sacra canunt funemque manu contingere gaudent; illa subit mediaeque minans inlabitur urbi. o patria, o divum domus Ilium et incluta bello moenia Dardanidum! quater ipso in limine portae substitit atque utero sonitum quater arma dedere; instamus tamen immemores caecique furore et monstrum infelix sacrata sistimus arce. tunc etiam fatis aperit Cassandra futuris ora dei iussu non umquam credita Teucris; nos delubra deum miseri, quibus ultimus esset ille dies, festa velamus fronde per urbem. Vertitur interea caelum et ruit Oceano nox involvens umbra magna terramque polumque Myrmidonumque dolos; fusi per moenia Teucri conticuere, sopor fessos complectitur artus.

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gleichzeitig schickt er entsetzliche Schreie empor zu den Sternen: So brüllt auf der Stier, wenn verletzt vom Altar er davonrennt und das Beil, das ihn unsicher traf, abschüttelt vom Nacken. Gleitend entfliehen die beiden Schlangen ganz oben hinauf zum Tempel, streben zur Burg der grausamen Göttin von Triton; ihr zu Füßen verbergen sie sich unterm Rund ihres Schildes. Da dringt allen erst recht durch das zitternde Herz eine neue Angst, und sie sagen, Laokoon habe verdiente Bestrafung für sein Verbrechen erlitten, da er mit dem Spieß das geweihte Holz doch verletzte und ihm in den Rücken den ruchlosen Speer stieß. Alle schreien, man müsse zum Sitz der Göttin das Standbild ziehen und ihre Macht anflehen. Wir durchbrechen die Mauern und reißen die Schutzwehr der Stadt auf. Alles begibt sich ans Werk, sie schieben ihm unter die Füße Rollen zum Gleiten und legen ihm Stricke aus Hanf um den Nacken; so überquert das Verhängnis bringende Werkzeug die Mauern, trächtig von Waffen, und Knaben und Frauen, die noch nicht vermählt sind, singen Hymnen und fassen voll Freude ans Seil mit den Händen; näher heran rückt’s, gleitet in Richtung Stadtkern bedrohlich. Vaterstadt, Ilium, Sitz der Götter, durch Kriege berühmte Festung der Dardaner! Viermal, genau auf der Schwelle des Tores, kam es zum Stehen, und viermal klirrten im Bauche die Waffen; aber gedankenlos drängen in blindem Wahnwitz wir weiter, stellen den unheilvollen Moloch auf den heiligen Burgberg. Jetzt noch öffnet Kassandra, das Schicksal zu künden, den Mund, der auf des Gottes Befehl nie Glauben fand bei den Teukrern; wir, die Armen, für die das der letzte Tag werden sollte, schmücken mit festlichem Laub in der Stadt die Tempel der Götter. Unterdessen dreht sich der Pol; Nacht steigt aus dem Meer auf, hüllt in tiefen Schatten die Erde, den Himmel, die List der Myrmidonen; die Teukrer, gelagert rings in der Stadt zur Ruhe, verstummen, und Schlaf umfängt die ermüdeten Glieder.

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et iam Argiva phalanx instructis navibus ibat a Tenedo tacitae per amica silentia lunae litora nota petens, flammas cum regia puppis extulerat, fatisque deum defensus iniquis inclusos utero Danaos et pinea furtim laxat claustra Sinon. illos patefactus ad auras reddit equus, laetique cavo se robore promunt Thessandrus Sthenelusque duces et dirus Ulixes, demissum lapsi per funem, Acamasque Thoasque Pelidesque Neoptolemus primusque Machaon et Menelaus et ipse doli fabricator Epeos. invadunt urbem somno vinoque sepultam; caeduntur vigiles, portisque patentibus omnis accipiunt socios atque agmina conscia iungunt. Tempus erat quo prima quies mortalibus aegris incipit et dono divum gratissima serpit. in somnis ecce ante oculos maestissimus Hector visus adesse mihi largosque effundere fletus, raptatus bigis ut quondam aterque cruento pulvere perque pedes traiectus lora tumentis. ei mihi, qualis erat, quantum mutatus ab illo Hectore qui redit exuvias indutus Achilli vel Danaum Phrygios iaculatus puppibus ignis, squalentem barbam et concretos sanguine crinis vulneraque illa gerens, quae circum plurima muros accepit patrios! ultro flens ipse videbar compellare virum et maestas expromere voces: “o lux Dardaniae, spes o fidissima Teucrum, quae tantae tenuere morae? quibus Hector ab oris exspectate venis? ut te post multa tuorum funera, post varios hominumque urbisque labores defessi aspicimus! quae causa indigna serenos

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Und schon kam auf den Schiffen in Reihe das griechische Heer von Tenedos her in freundlicher Stille des schweigenden Mondes, lenkt zum bekannten Strand, als ein Feuerzeichen vom Schiff des Königs aufflammt; geschützt von den feindlichen Fata der Götter, löst zugleich den im Bauch verschlossenen Danaërn heimlich Sinon die Fichtenholzriegel. Das Pferd, geöffnet, entlässt die Männer ans Licht, und es kommen erfreut aus der hölzernen Höhle Führer Thessandrus und Sthenelus und der verruchte Ulixes, gleitend am niedergelassenen Seil, dann auch Akamas, Thoas und Neoptolemus, Peleus’ Enkel, vor ihm noch Machaon, auch Menelaus, zuletzt der Erbauer des Truges, Epëos. Die überfallen die Stadt, die versank in Schlaf und in Weinrausch; umgebracht werden die Wachen; man lässt durch die offenen Tore alle Gefährten herein und bildet verschworene Truppen. Jene Zeit war’s, in der für die matten Menschen die erste Ruhe beginnt und sie lieblich durchdringt als göttliche Gabe. Sieh, da war mir im Traum, als stünde vor Augen mir Hektor, tief in Trauer und reichlich Tränen vergießend, geschleift vom Doppelgespann wie damals, von blutig verkrustetem Staube schwarz und von Riemen durchbohrt die angeschwollenen Füße. Ach, wie war er jetzt, wie sehr verschieden von jenem Hektor, der, mit Achilles’ Rüstung am Leib, wieder heimkommt oder phrygische Brandfackeln wirft auf die Danaërschiffe, jetzt mit schmutzigem Bart und Haar, das vom Blute verklebt war, Wunden tragend, die rings um die heimischen Mauern in großer Zahl er empfing! Mir war, als wandte ich, selber in Tränen, mich dem Mann zu und stieße voll Trauer hervor meine Worte: ›O Dardaniens Licht, du verlässlichste Hoffnung der Teukrer, was hielt denn so lange dich auf? Von welchen Gestaden, Hektor, kommst du, Ersehnter? Nach vielfachem Sterben der Deinen, nach vielfältigem Leid für Menschen und Stadt, wie erblicken wir Ermatteten dich! Welch empörender Vorfall entstellte

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foedavit vultus? aut cur haec vulnera cerno?” ille nihil, nec me quaerentem vana moratur, sed graviter gemitus imo de pectore ducens, “heu fuge, nate dea, teque his” ait “eripe flammis: hostis habet muros, ruit alto a culmine Troia. sat patriae Priamoque datum: si Pergama dextra defendi possent, etiam hac defensa fuissent. sacra suosque tibi commendat Troia penatis: hos cape fatorum comites, his moenia quaere magna, pererrato statues quae denique ponto.” sic ait et manibus vittas Vestamque potentem aeternumque adytis effert penetralibus ignem. Diverso interea miscentur moenia luctu, et magis atque magis, quamquam secreta parentis Anchisae domus arboribusque obtecta recessit, clarescunt sonitus armorumque ingruit horror. excutior somno et summi fastigia tecti ascensu supero atque arrectis auribus adsto: in segetem veluti cum flamma furentibus Austris incidit, aut rapidus montano flumine torrens sternit agros, sternit sata laeta boumque labores praecipitesque trahit silvas; stupet inscius alto accipiens sonitum saxi de vertice pastor. tum vero manifesta fides, Danaumque patescunt insidiae. iam Deiphobi dedit ampla ruinam Volcano superante domus, iam proximus ardet Ucalegon; Sigea igni freta lata relucent. exoritur clamorque virum clangorque tubarum. arma amens capio; nec sat rationis in armis, sed glomerare manum bello et concurrere in arcem cum sociis ardent animi; furor iraque mentem praecipitat, pulchrumque mori succurrit in armis.

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dir dein heiteres Antlitz? Warum seh ich diese Wunden?‹ Nichts erwidert er, hält sich nicht auf mit den nutzlosen Fragen, sondern seufzt aus tiefster Brust schwer auf, und dann sagt er: ›Ach, flieh, Sohn einer Göttin, entreiß dich den Flammen: Die Feinde halten die Mauern besetzt, und es stürzt vom Gipfel nun Troja. Jetzt ist genug für die Heimat getan und für Priamus: Hätte Pergamum eine Hand zu retten vermocht, wär es meine. Troja vertraut dir an, was sein Heiligstes ist, die Penaten: Sie nimm mit als Gefährten des Schicksals, suche für sie die große Stadt, die du schließlich erbaust nach Durchirren des Meeres.‹ Spricht’s und trägt mit der Hand die mit Bändern umwundene mächtge Vesta, ihr ewiges Feuer herbei aus dem Innern des Tempels. Jammergeschrei ertönt indes in der Stadt überall, und lauter wird, immer lauter, obwohl des Vaters Anchises Haus seitab und von Bäumen verdeckt liegt, nun das Getöse, und es kommt immer näher das Klirren der Waffen. Da reiße ich mich hoch aus dem Schlaf, und zum hohen Giebel des Hauses steig ich hinauf, steh da und lausche voll Spannung: Es ist wie wenn in ein Kornfeld Feuer hineinfällt bei brausendem Südwind oder ein Wildbach, reißend durch Wasser vom Berge, die Äcker niederwalzt und die üppige Saat und die Arbeit der Rinder und in die Tiefe die Wälder reißt; vom Gipfel des Felsens hört das Getöse der Hirte ahnungslos, voller Entsetzen. Da offenbart nun die Wahrheit sich deutlich, der Danaër Tücke kommt an den Tag. Schon brach des Deïphobus prächtiges Haus, von Flammen besiegt, zusammen, Ukalegons brennt nebenan schon; weithin leuchtet vom Lichtschein des Feuers die Bucht von Sigeum. Laut erhebt sich der Männer Geschrei und der Klang der Trompeten. Wie von Sinnen ergreife ich Waffen; da fehlt Überlegung, aber mein brennender Wunsch ist’s, zum Kampf eine Schar mir zu sammeln und mit Begleitern zur Burg zu eilen; ein rasender Zorn reißt meine Gedanken dahin; schön dünkt’s mich, in Waffen zu sterben.

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Ecce autem telis Panthus elapsus Achivum, Panthus Othryades, arcis Phoebique sacerdos, sacra manu victosque deos parvumque nepotem ipse trahit cursuque amens ad limina tendit. “quo res summa loco, Panthu? quam prendimus arcem?” vix ea fatus eram, gemitu cum talia reddit: “venit summa dies et ineluctabile tempus Dardaniae. fuimus Troes, fuit Ilium et ingens gloria Teucrorum; ferus omnia Iuppiter Argos transtulit; incensa Danai dominantur in urbe. arduus armatos mediis in moenibus adstans fundit equus victorque Sinon incendia miscet insultans. portis alii bipatentibus adsunt, milia quot magnis umquam venere Mycenis; obsedere alii telis angusta viarum oppositis; stat ferri acies mucrone corusco stricta, parata neci; vix primi proelia temptant portarum vigiles et caeco Marte resistunt.” talibus Othryadae dictis et numine divum in flammas et in arma feror, quo tristis Erinys, quo fremitus vocat et sublatus ad aethera clamor. addunt se socios Ripheus et maximus armis Epytus, oblati per lunam, Hypanisque Dymasque et lateri adglomerant nostro, iuvenisque Coroebus Mygdonides – illis ad Troiam forte diebus venerat insano Cassandrae incensus amore et gener auxilium Priamo Phrygibusque ferebat, infelix, qui non sponsae praecepta furentis audierit! quos ubi confertos audere in proelia vidi, incipio super his: “iuvenes, fortissima frustra pectora, si vobis audentem extrema cupido

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Sieh doch, da kommt Panthus, achivischen Lanzen entronnen, Panthus, des Othrys Sohn, ein Priester der Burg und des Phoebus; Heiligtümer schleppt mit den Händen er selbst, die besiegten Götter, den kleinen Enkel, und läuft verstört auf mein Haus zu. ›Panthus, wie steht es um uns? Welchen Ort haben wir für die Abwehr?‹ Kaum hab ich ihn das gefragt, als er stöhnend erwidert: ›Der letzte Tag ist gekommen, Dardaniens unausweichliches Ende. Troer, wir sind es gewesen, gewesen ist Ilium und der Teukrer gewaltiger Ruhm; denn grimmig hat Juppiter alle Macht nun Argos verliehn; in der brennenden Stadt triumphiern die Danaër. Steil ragt mitten in ihr das Pferd auf und schüttet Kämpfer aus; Brand um Brand legt jauchzend Sinon, der Sieger. Bei den doppelt geöffneten Toren, da stehen die einen, so viel Tausende, wie je kamen vom großen Mykene; andere halten die engen Gassen besetzt, gegen uns die Waffen gerichtet; es droht mit blitzender Klinge das scharfe Schwert, zum Morden bereit; kaum wagen die Wachen am Tor ganz vorne den Kampf, und sie wehrn sich in undurchschaubarem Wirrwarr.‹ Durch des Othrys-Sohns Worte und göttlichen Willen getrieben eil ich zu Flammen und Kämpfen, wohin die düstre Erinys und das Getöse mich ruft und zum Himmel schallender Kriegslärm. Ripheus schließt sich mir an und Epytus, waffengewaltig, aufgetaucht im Mondlicht, auch Dymas und Hypanis, uns sich anschließend dicht an der Seite, sowie der junge Koroebus, Mygdons Sohn – nach Troja gekommen gerade in jenen Tagen, rasend verliebt in Kassandra; als Schwiegersohn wollte Priamus und den Phrygern der Unglückselige helfen, der auf die Weisungen seiner prophetisch rasenden Braut nicht hören wollte! Als ich sah, wie sie dicht gedrängt zum Kampfe sich wagten, sprach ich noch: ›Männer, vergeblich tapferste Herzen, wenn dem, der Äußerstes wagt, zu folgen nun euer fester Entschluss ist,

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certa sequi, quae sit rebus fortuna videtis. excessere omnes adytis arisque relictis di quibus imperium hoc steterat; succurritis urbi incensae: moriamur et in media arma ruamus. una salus victis nullam sperare salutem.” sic animis iuvenum furor additus. inde, lupi ceu raptores atra in nebula, quos improba ventris exegit caecos rabies catulique relicti faucibus exspectant siccis, per tela, per hostis vadimus haud dubiam in mortem mediaeque tenemus urbis iter; nox atra cava circumvolat umbra. quis cladem illius noctis, quis funera fando explicet aut possit lacrimis aequare labores? urbs antiqua ruit multos dominata per annos; plurima perque vias sternuntur inertia passim corpora perque domos et religiosa deorum limina. nec soli poenas dant sanguine Teucri: quondam etiam victis redit in praecordia virtus victoresque cadunt Danai. crudelis ubique luctus, ubique pavor et plurima mortis imago. Primus se Danaum magna comitante caterva Androgeos offert nobis, socia agmina credens inscius, atque ultro verbis compellat amicis: “festinate, viri! nam quae tam sera moratur segnities? alii rapiunt incensa feruntque Pergama: vos celsis nunc primum a navibus itis?” dixit et extemplo (neque enim responsa dabantur fida satis) sensit medios delapsus in hostis. obstipuit retroque pedem cum voce repressit. improvisum aspris veluti qui sentibus anguem pressit humi nitens trepidusque repente refugit attollentem iras et caerula colla tumentem,

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wo ihr doch seht, welches Schicksal jetzt unsre Gemeinschaft erwartet. Fort sind, nachdem sie verlassen haben Altäre und Tempel, alle Götter, dank denen dies Reich stand; ihr helft einer Stadt in Flammen: Lasst uns denn sterben und uns ins Kampfgewühl stürzen. Ein Heil nur für Besiegte gibt’s: kein Heil zu erhoffen.‹ So kam Wut da zum Mut meiner Männer. Wir ziehn dann wie Wölfe, räuberische, im düstren Nebel, die gierig die Wut des Bauches blindlings hinaustrieb und mit lechzender Kehle ihre Jungen erwarten im Bau, durch Geschosse, durch Feinde in den sicheren Tod und gehn auf dem Wege bis hin zur Stadtmitte; finstere Nacht umflattert uns, hüllt uns in Schatten. Wer wohl könnte das Unheil der Nacht, wer könnte mit Worten schildern das Sterben, mit Tränen unseren Leiden entsprechen? Eine alte Stadt, die viele Jahre geherrscht hat, stürzt; in den Gassen liegen, massenhaft hingestreckt, leblos, überall Leiber, auch in den Häusern und selbst auf der Götter heiligen Schwellen. Doch nicht nur Teukrer büßen mit ihrem Blute: Der Mut kehrt manchmal zurück ins Herz der Besiegten, und es fallen dann siegreiche Danaër. Grausame Trauer herrscht allenthalben, Entsetzen und Tod in vielen Gestalten. Gleich als erster der Griechen begegnet uns, von einer großen Schar begleitet, Androgeos, für Kameraden uns haltend, ahnungslos, und er sagt spontan mit freundlichen Worten: ›Männer, beeilt euch! Welch eine Trägheit hält euch so spät noch auf? Im brennenden Pergamum rauben und plündern die andren: Kommt ihr denn erst jetzt von den hohen Schiffen gegangen?‹ Sprach’s und merkte sofort – denn wenig verlässliche Antwort gab man ihm –: Mitten unter die Feinde war er geraten. Fassungslos war er, hemmte den Schritt und sagte kein Wort mehr. Wie der, der unversehens im Dornengebüsch auf die Schlange kräftig tritt und in Panik augenblicklich zurückweicht vor ihr, die wütend sich hebt und den bläulich schimmernden Hals bläht,

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haud secus Androgeos visu tremefactus abibat. inruimus densis et circumfundimur armis, ignarosque loci passim et formidine captos sternimus: adspirat primo Fortuna labori. atque hic successu exsultans animisque Coroebus “o socii, qua prima” inquit “Fortuna salutis monstrat iter quaque ostendit se dextra, sequamur: mutemus clipeos Danaumque insignia nobis aptemus. dolus an virtus, quis in hoste requirat? arma dabunt ipsi.” sic fatus deinde comantem Androgei galeam clipeique insigne decorum induitur laterique Argivum accommodat ensem. hoc Ripheus, hoc ipse Dymas omnisque iuventus laeta facit: spoliis se quisque recentibus armat. vadimus immixti Danais haud numine nostro multaque per caecam congressi proelia noctem conserimus, multos Danaum demittimus Orco. diffugiunt alii ad navis et litora cursu fida petunt; pars ingentem formidine turpi scandunt rursus equum et nota conduntur in alvo. Heu nihil invitis fas quemquam fidere divis! ecce trahebatur passis Priameia virgo crinibus a templo Cassandra adytisque Minervae ad caelum tendens ardentia lumina frustra, lumina, nam teneras arcebant vincula palmas. non tulit hanc speciem furiata mente Coroebus et sese medium iniecit periturus in agmen. consequimur cuncti et densis incurrimus armis. hic primum ex alto delubri culmine telis nostrorum obruimur oriturque miserrima caedes armorum facie et Graiarum errore iubarum. tum Danai gemitu atque ereptae virginis ira

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so will, durch unsern Anblick erschreckt, Androgeos fliehen. Wir gehn dicht gedrängt auf sie los, sie mit Waffen umkreisend, strecken die Ortsunkundigen und von Entsetzen Gepackten ringsum zu Boden: Fortuna begünstigt das erste Bemühen. Durch den Erfolg und die Kühnheit euphorisch sagt jetzt Koroebus: ›Ihr Gefährten, wo nun Fortuna zuerst einen Weg zur Rettung uns weist und sich freundlich uns zeigt, da wollen wir folgen: Lasst uns die Schilde denn tauschen sowie uns die Danaërzeichen selber anheften. List oder Mut, wer fragt das beim Feinde? Waffen, die liefern sie selbst.‹ So er; des Androgeos Helm, den buschigen, legt er dann an und den Schild mit dem prächtigen Bild drauf, und er gürtet sich auch ein argivisches Schwert an die Seite. So macht’s Ripheus, so Dymas und so voller Freude die ganze Mannschaft: Es rüstet sich da mit den jüngsten Spolien jeder. Zwischen den Danaërn gehn wir, doch ohne den Schutz unsrer Gottheit; viele Gefechte im Nahkampf tragen wir aus in der dunklen Nacht, und hinab zum Orkus schicken wir viele der Griechen. Andre entfliehn zu den Schiffen und suchen im Laufschritt den sichren Strand zu erreichen; in schmählicher Angst steigt mancher zurück ins riesige Pferd und versteckt sich im Bauche, der ihm schon vertraut ist. Ach, auf die Götter verlassen darf keiner sich, wenn sie nicht wollen! Sieh, des Priamus Tochter, Kassandra, mit offenen Haaren schleppte vom Tempel man weg und Minervas heiligem Raume; auf zum Himmel erhob sie vergeblich die flammenden Augen, nur die Augen; es hemmten die zarten Hände die Fesseln. Nicht ertrug diesen Anblick Koroebus im rasenden Herzen, und er warf sich hinein in die Schar auf Tod und Verderben. Wir alle folgen und stürmen hinein ins Gewimmel der Waffen. Eingedeckt werden mit Speeren der Unsren vom Giebel des Tempels hier wir zuerst, und so kommt es zu einem entsetzlichen Blutbad, weil sie die Waffenform und die griechischen Helmbüsche täuschen. Da, aus Schmerz und aus Zorn, weil man ihnen wegriss die Jungfrau,

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undique collecti invadunt, acerrimus Aiax et gemini Atridae Dolopumque exercitus omnis: adversi rupto ceu quondam turbine venti confligunt, Zephyrusque Notusque et laetus Eois Eurus equis; stridunt silvae saevitque tridenti spumeus atque imo Nereus ciet aequora fundo. illi etiam, si quos obscura nocte per umbram fudimus insidiis totaque agitavimus urbe, apparent; primi clipeos mentitaque tela agnoscunt atque ora sono discordia signant. ilicet obruimur numero, primusque Coroebus Penelei dextra divae armipotentis ad aram procumbit; cadit et Ripheus, iustissimus unus qui fuit in Teucris et servantissimus aequi (dis aliter visum); pereunt Hypanisque Dymasque confixi a sociis; nec te tua plurima, Panthu, labentem pietas nec Apollinis infula texit. Iliaci cineres et flamma extrema meorum, testor, in occasu vestro nec tela nec ullas vitavisse vices, Danaum et, si fata fuissent ut caderem, meruisse manu. divellimur inde, Iphitus et Pelias mecum (quorum Iphitus aevo iam gravior, Pelias et vulnere tardus Ulixi), protinus ad sedes Priami clamore vocati. hic vero ingentem pugnam, ceu cetera nusquam bella forent, nulli tota morerentur in urbe, sic Martem indomitum Danaosque ad tecta ruentis cernimus obsessumque acta testudine limen. haerent parietibus scalae postisque sub ipsos nituntur gradibus clipeosque ad tela sinistris protecti obiciunt, prensant fastigia dextris. Dardanidae contra turris ac tota domorum

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sammeln von überallher zum Sturm sich die Griechen, der wilde Ajax, der Doloper ganze Armee und die beiden Atriden: Wie wenn zuweilen ein Sturm losbricht und feindlich die Winde stürzen zum Kampf, der Zephyr und Notus und Eurus, auf Eos’ Pferde stolz; da brausen die Wälder, da tobt mit dem Dreizack Nereus schäumend, das Meer aufwirbelnd vom untersten Grunde. Jene sogar, soweit wir in finsterer Nacht sie durchs Dunkel trieben mit List und hetzten quer durch die Stadt, sie erscheinen wieder, erkennen zuerst die Schilde und fälschlich geführten Waffen, bemerken dann auch den fremden Klang unsrer Sprache. Gleich übermannt uns die Menge; es fällt als der erste Koroebus durch des Peneleus Hand am Altar der waffengewaltgen Göttin; auch Ripheus fällt; er war der Gerechtesten einer, die bei den Teukrern es gab, stets Recht und Billigkeit wahrend – anders schien es den Göttern –; auch Hypanis stirbt nun und Dymas, von den Gefährten durchbohrt; auch dich hat, Panthus, im Sterben all deine Frömmigkeit nicht geschützt, nicht die Binde Apollos. Iliums Asche und dich, du Totenfeuer der Meinen, ruf ich als Zeugen: Nicht mied ich Geschosse bei euerem Tod, mied keine Gefahren, und wär es mein Schicksal gewesen zu fallen, hätt ich von Danaërhand es verdient. Wir werden zersprengt, und Iphitus bleibt bei mir und Pelias – Iphitus schon vom Alter gebeugt und Pelias matt, von Ulixes verwundet –, und es ruft gradewegs ein Geschrei uns zu Priamus’ Wohnsitz. Hier aber sehn wir ein Riesengefecht, als ob es sonst nirgends Kampf gäb, in der gesamten Stadt sonst keiner den Tod fänd, so wild sehen wir Mars und hin zum Gebäude die Griechen stürmen, die Schwelle belagert vom vorgeschobenen Schilddach. An den Mauern hängen Leitern, die Sprossen erklimmt man neben den Türpfeilern, und geschützt hält gegen die Waffen seinen Schild man mit links und packt mit der Rechten die Zinne. Aber die Dardaner reißen die Türme und sämtliche Giebel

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culmina convellunt – his se, quando ultima cernunt, extrema iam in morte parant defendere telis – auratasque trabes, veterum decora illa parentum, devolvunt; alii strictis mucronibus imas obsedere fores, has servant agmine denso. instaurati animi regis succurrere tectis auxilioque levare viros vimque addere victis. Limen erat caecaeque fores et pervius usus tectorum inter se Priami postesque relicti a tergo, infelix qua se, dum regna manebant, saepius Andromache ferre incomitata solebat ad soceros et avo puerum Astyanacta trahebat. evado ad summi fastigia culminis, unde tela manu miseri iactabant inrita Teucri. turrim in praecipiti stantem summisque sub astra eductam tectis, unde omnis Troia videri et Danaum solitae naves et Achaica castra, adgressi ferro circum, qua summa labantis iuncturas tabulata dabant, convellimus altis sedibus impulimusque: ea lapsa repente ruinam cum sonitu trahit et Danaum super agmina late incidit. ast alii subeunt, nec saxa nec ullum telorum interea cessat genus. Vestibulum ante ipsum primoque in limine Pyrrhus exsultat telis et luce coruscus aëna: qualis ubi in lucem coluber mala gramina pastus, frigida sub terra tumidum quem bruma tegebat, nunc positis novus exuviis nitidusque iuventa, lubrica convolvit sublato pectore terga, arduus ad solem, et linguis micat ore trisulcis. una ingens Periphas et equorum agitator Achillis, armiger Automedon, una omnis Scyria pubes

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ein am Palast – sie sind bereit, mit diesen Geschossen, weil sie das Ende schon sehn, an der Schwelle des Tods sich zu wehren –, und sie wälzen vergoldete Balken herab, den berühmten Schmuck der Ahnen; den untersten Eingang halten, gezückt die Schwerter, andre besetzt, in dichtem Gedränge ihn schützend. Neuer Mut ist gefasst, dem Königspalaste zu helfen, Beistand zu leisten den Männern und so die Besiegten zu stärken. Eine Pforte war dort, ein versteckter Eingang und zwischen Priamus’ Häusern ein Gang, eine Hintertür war’s, nicht beachtet, und durch die ging häufig die arme Andromache, als das Reich noch bestand, ohne Diener zu Hektors Eltern und hatte bei sich den kleinen Astyanax, den sie zum Großvater brachte. Dort steig ich hinauf zum Giebel des Hauses, von wo aus wirkungslos ihre Geschosse die elenden Teukrer noch warfen. Da am Steilhang stand ein Turm, und sein Dachstuhl, der ragte bis zu den Sternen; von ihm aus sah man gewöhnlich das ganze Troja, die Danaërschiffe und auch das achäische Lager; Brechstangen setzten wir ringsum dort an, wo das oberste Stockwerk Luken bot im Gefüge; wir rissen ihn aus seiner hohen Lage und stießen dagegen: Er wankt, stürzt plötzlich mit Krachen ein und begräbt weithin unter sich die Scharen der Griechen. Aber andere rücken noch nach, und pausenlos hagelt’s Steine indes und Geschosse jeglicher Art. Gleich vor der Torhalle steht auf der vordersten Schwelle und prahlt dort Pyrrhus und blitzt mit den Waffen und mit dem Schimmer des Erzes: Gleichwie wenn eine Schlange, die, satt von giftigen Kräutern, aufgeschwollen der frostige Winter verbarg in der Erde, wieder ans Licht gekommen, die Haut abstreift und jetzt neu im Glanze der Jugend den glatten Körper ringelt, die Brust zur Sonne erhoben, und züngelt mit dreifach gespaltener Zunge. Periphas naht, der Riese, Automedon, der des Achilles Rosse lenkte sowie seine Waffen trug, und die ganze

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succedunt tecto et flammas ad culmina iactant. ipse inter primos correpta dura bipenni limina perrumpit postisque a cardine vellit aeratos; iamque excisa trabe firma cavavit robora et ingentem lato dedit ore fenestram. apparet domus intus et atria longa patescunt, apparent Priami et veterum penetralia regum, armatosque vident stantis in limine primo. At domus interior gemitu miseroque tumultu miscetur, penitusque cavae plangoribus aedes femineis ululant: ferit aurea sidera clamor. tum pavidae tectis matres ingentibus errant amplexaeque tenent postes atque oscula figunt. instat vi patria Pyrrhus: nec claustra nec ipsi custodes sufferre valent; labat ariete crebro ianua et emoti procumbunt cardine postes. fit via vi; rumpunt aditus primosque trucidant immissi Danai et late loca milite complent. non sic, aggeribus ruptis cum spumeus amnis exiit oppositasque evicit gurgite moles, fertur in arva furens cumulo camposque per omnis cum stabulis armenta trahit. vidi ipse furentem caede Neoptolemum geminosque in limine Atridas, vidi Hecubam centumque nurus Priamumque per aras sanguine foedantem quos ipse sacraverat ignis. quinquaginta illi thalami, spes tanta nepotum, barbarico postes auro spoliisque superbi procubuere; tenent Danai qua deficit ignis. Forsitan et Priami fuerint quae fata requiras. urbis uti captae casum convulsaque vidit limina tectorum et medium in penetralibus hostem, arma diu senior desueta trementibus aevo

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Mannschaft aus Skyros; sie schleudern zum Giebel die Flammengeschosse. Er selbst, unter den Ersten, ergreift eine Axt und zerschlägt die harte Schwelle und reißt aus der Angel die ehernen Pfosten; einen Querbalken hat er bereits zerhackt und die starken Eichenbretter durchhaun, eine klaffende Öffnung geschaffen. Sichtbar wird da das Innre, und lange Hallen erscheinen, sichtbar des Priamus und der früheren Könige Räume, und Bewaffnete sieht auf der vordersten Schwelle man stehen. Doch im Innern des Hauses vermischt sich erbärmliches Jammern mit Verwirrung; tief drin in gewölbten Räumen ertönt das Heulen der Fraun: Ihr Geschrei dringt bis zu den goldenen Sternen. Ängstlich irren die Mütter umher in den riesigen Räumen, halten die Pfeiler umfasst und bedecken diese mit Küssen. Pyrrhus dringt mit des Vaters Kraft vor: Die Riegel und selbst die Wächter halten nicht stand; es wankt von des Sturmbockes vielen Stößen die Tür, die Pfosten fallen, gesprengt aus den Angeln. Wucht bricht sich Bahn; kaum drin, zersprengen die Griechen die Türen, morden die Ersten und füllen weithin mit Kriegern die Räume. Nicht so wild ergießt sich ein Fluss, wenn er nach einem Dammbruch schäumend über die Ufer geht, durch die Strömung die Deiche niederringt, über die Fluren tobend im Schwall, samt den Ställen mitreißt über die Felder das Vieh. Selbst sah ich im Blutrausch Pyrrhus rasen, ich sah auf der Schwelle die beiden Atriden, Hekuba samt ihren hundert Schwiegertöchtern und Töchtern, Priamus’ Blut, das Altäre, die selber er weihte, befleckte. Fünfzig Hochzeitsgemächer, so große Hoffnung auf Enkel, Pfosten, prangend von Spolien und dem Gold der Barbaren sanken dahin; was das Feuer verschont hat, ist Beute der Griechen. Nun aber fragst du vielleicht, welches Schicksal Priamus hatte. Als er den Fall der eroberten Stadt und heraus schon gerissen sieht des Palastes Tore, den Feind schon mitten im Haus, nimmt lang nicht gewohnte Waffen vergeblich der Greis auf die Schultern,

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circumdat nequiquam umeris et inutile ferrum cingitur ac densos fertur moriturus in hostis. aedibus in mediis nudoque sub aetheris axe ingens ara fuit, iuxtaque veterrima laurus incumbens arae atque umbra complexa penates. hic Hecuba et natae nequiquam altaria circum, praecipites atra ceu tempestate columbae condensae et divum amplexae simulacra sedebant. ipsum autem sumptis Priamum iuvenalibus armis ut vidit, “quae mens tam dira, miserrime coniunx, impulit his cingi telis? aut quo ruis?” inquit; “non tali auxilio nec defensoribus istis tempus eget; non, si ipse meus nunc adforet Hector. huc tandem concede; haec ara tuebitur omnis, aut moriere simul.” sic ore effata recepit ad sese et sacra longaevum in sede locavit. Ecce autem elapsus Pyrrhi de caede Polites, unus natorum Priami, per tela, per hostis porticibus longis fugit et vacua atria lustrat saucius. illum ardens infesto vulnere Pyrrhus insequitur, iam iamque manu tenet et premit hasta. ut tandem ante oculos evasit et ora parentum, concidit ac multo vitam cum sanguine fudit. hic Priamus, quamquam in media iam morte tenetur, non tamen abstinuit nec voci iraeque pepercit: “at tibi pro scelere” exclamat, “pro talibus ausis di, si qua est caelo pietas quae talia curet, persolvant grates dignas et praemia reddant debita, qui nati coram me cernere letum fecisti et patrios foedasti funere vultus. at non ille, satum quo te mentiris, Achilles talis in hoste fuit Priamo; sed iura fidemque

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welche zittern vor Alter, und gürtet das nutzlose Schwert sich um und stürzt ins Gewühl der Feinde sich dann, um zu sterben. Mittendrin im Palast unter freiem Himmel, da stand ein Riesenaltar, daneben, uralt schon, ein Lorbeerbaum, über diesen Altar sich neigend, die Hausgötter schattig umfangend. Hier dicht um den Altar sich drängend – umsonst –, wie die Tauben, die sich zur Erde stürzen bei düsterem Unwetter, saßen Hekuba und ihre Töchter, die Bilder der Götter umschlingend. Als sie nun Priamus sah mit den Waffen aus Jahren der Jugend, rief sie: ›Welch ein fataler Gedanke, mein ärmster Gemahl, hat dich getrieben, dich so zu bewaffnen? Wohin willst du eilen? Nicht solch einer Hilfe, nicht solcher Beschützer bedarf die Situation, auch nicht, wenn selbst mein Hektor jetzt hier wär. Komm doch endlich hierher; der Altar wird alle beschützen, oder du wirst mit uns sterben.‹ So sprach sie, zog ihn zurück zu sich und ließ den Betagten an heiliger Stätte sich setzen. Sieh, da flüchtet, entronnen dem Morden des Pyrrhus, Polites, einer von Priamus’ Söhnen, quer durch Geschosse, durch Feinde, lange Säulenhallen und leere Höfe durchlaufend, schwer verletzt. Voller Wut folgt ihm, mit dem Zustoßen drohend, Pyrrhus, und jetzt, jetzt packt er ihn, dringt auf ihn ein mit der Lanze. Als der schließlich entkommt vor Augen und Antlitz der Eltern, bricht er zusammen, verströmt, viel Blut vergießend, sein Leben. Da hielt Priamus aber, obwohl schon vom Tode umfangen, doch nicht an sich und schonte weder den Zorn noch die Stimme: ›Dir sollen‹, ruft er, ›für dein Verbrechen, für so einen Frevel, falls es im Himmel noch Mitgefühl gibt, das so etwas anrührt, wie du’s verdienst, dir danken und dich belohnen die Götter, der du den Tod meines Sohnes mit eigenen Augen mich sehen ließest und durch den Mord seines Vaters Antlitz entehrt hast. So verhielt sich Achill, dessen Sohn zu sein du nur vorgibst, nicht gegenüber dem Feinde Priamus; Recht und Vertrauen

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supplicis erubuit corpusque exsangue sepulcro reddidit Hectoreum meque in mea regna remisit.” sic fatus senior telumque imbelle sine ictu coniecit, rauco quod protinus aere repulsum ex summo clipei nequiquam umbone pependit. cui Pyrrhus: “referes ergo haec et nuntius ibis Pelidae genitori; illi mea tristia facta degeneremque Neoptolemum narrare memento: nunc morere.” hoc dicens altaria ad ipsa trementem traxit et in multo lapsantem sanguine nati, implicuitque comam laeva dextraque coruscum extulit ac lateri capulo tenus abdidit ensem. haec finis Priami fatorum, hic exitus illum sorte tulit Troiam incensam et prolapsa videntem Pergama, tot quondam populis terrisque superbum regnatorem Asiae. iacet ingens litore truncus avulsumque umeris caput et sine nomine corpus. At me tum primum saevus circumstetit horror. obstipui; subiit cari genitoris imago, ut regem aequaevum crudeli vulnere vidi vitam exhalantem, subiit deserta Creusa et direpta domus et parvi casus Iuli. respicio et quae sit me circum copia lustro: deseruere omnes defessi et corpora saltu ad terram misere aut ignibus aegra dedere. Iamque adeo super unus eram, cum limina Vestae servantem et tacitam secreta in sede latentem Tyndarida aspicio; dant clara incendia lucem erranti passimque oculos per cuncta ferenti. illa sibi infestos eversa ob Pergama Teucros et Danaum poenam et deserti coniugis iras praemetuens, Troiae et patriae communis Erinys,

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eines Flehenden achtend gab er den blutleeren Leichnam Hektors mir zur Bestattung und ließ mich zurück in mein Reich gehn.‹ So der Greis, und er warf ohne Wucht die kraftlose Lanze; die aber prallte sofort vom dumpf ertönenden Erz ab und hing wirkungslos vom Buckel des Schildes herunter. Pyrrhus darauf: ›Dies wirst du vermelden, als Bote zu meinem Vater, dem Peleus-Sohn, nun gehn; denk dran, ihm von meinen Schandtaten zu erzählen und vom entarteten Pyrrhus: Stirb jetzt!‹ sprach er und schleifte den Zitternden bis zum Altare, ihn, der im Blute des Sohns, dem reichlich vergossenen, ausglitt, griff mit der Linken sein Haar und zog mit der Rechten heraus sein blitzendes Schwert und stieß es ihm bis zum Griff in die Seite. So fand Priamus’ Schicksal sein Ende, so traf ihn des Todes Los, als Troja in Flammen er sah und niedergestürzt sein Pergamum, ihn, der stolz einst so viel Völker und Länder Asiens lenkte. Es liegt am Strand der gewaltige Rumpf und, abgetrennt von den Schultern, das Haupt, ein Leib ohne Namen. Aber mich überkam da erstmals ein wildes Entsetzen. Starr war ich; vor mir erstand das Bild des teueren Vaters, als ich den König, so alt wie er, an der grausamen Wunde sterben sah, und das Bild Krëusas, die ich allein ließ, und, geplündert, das Haus und die Not des kleinen Ïulus. Um mich blick ich und schau, wie viele Männer noch da sind: Alle ließen erschöpft mich alleine; sie sprangen zur Erde elendiglich oder stürzten sich lebensmüde ins Feuer. Übrig war jetzt nur noch ich; da seh ich am Eingang zu Vestas Tempel Tyndareus’ Tochter sitzen und still am entlegnen Ort sich verstecken; es leuchten die hellen Brände mir, während ich umherirr, die Blicke auf alles überall richtend. Weil sie die Teukrer – sie waren ihr feind wegen Trojas Zerstörung – und die Strafe der Griechen, den Zorn des verlassenen Gatten fürchtete, hatte sie, Fluchgeist der eigenen Heimat und Trojas,

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abdiderat sese atque aris invisa sedebat. exarsere ignes animo; subit ira cadentem ulcisci patriam et sceleratas sumere poenas. “scilicet haec Spartam incolumis patriasque Mycenas aspiciet partoque ibit regina triumpho? coniugiumque domumque patris natosque videbit, Iliadum turba et Phrygiis comitata ministris? occiderit ferro Priamus? Troia arserit igni? Dardanium totiens sudarit sanguine litus? non ita. namque etsi nullum memorabile nomen feminea in poena est nec habet victoria laudem, exstinxisse nefas tamen et sumpsisse merentis laudabor poenas, animumque explesse iuvabit ultricis famae et cineres satiasse meorum.” talia iactabam et furiata mente ferebar, cum mihi se, non ante oculis tam clara, videndam obtulit et pura per noctem in luce refulsit alma parens, confessa deam qualisque videri caelicolis et quanta solet, dextraque prehensum continuit roseoque haec insuper addidit ore: “nate, quis indomitas tantus dolor excitat iras? quid furis? aut quonam nostri tibi cura recessit? non prius aspicies ubi fessum aetate parentem liqueris Anchisen, superet coniunxne Creusa Ascaniusque puer? quos omnis undique Graiae circum errant acies et, ni mea cura resistat, iam flammae tulerint inimicus et hauserit ensis. non tibi Tyndaridis facies invisa Lacaenae culpatusve Paris, divum inclementia, divum has evertit opes sternitque a culmine Troiam. aspice (namque omnem, quae nunc obducta tuenti mortalis hebetat visus tibi et umida circum

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hier sich verborgen und saß nun, allen verhasst, am Altare. Feuer entflammte das Herz mir; es regt sich Zorn, der sich rächen will für des Vaterlands Sturz und ihre Verbrechen bestrafen. ›Klar doch, die soll heil wieder Sparta, die Heimat Mykene sehen und nach dem Sieg triumphierend als Königin einziehn? Ehemann, Vaterhaus, Kinder, die soll sie erblicken, begleitet durch trojanische Frauen und Dienerinnen aus Phrygien? Priamus soll durchs Schwert gestorben, Troja verbrannt, so oft von Blut getränkt gewesen sein Iliums Küste? Nein, so nicht. Denn wenn auch kein Ansehn bringt die Bestrafung einer Frau bei der Nachwelt und auch kein Lob so ein Sieg, wird doch man mich loben, weil ich das Scheusal vertilgt und bestraft hab, wie’s ihm gebührt; mich wird’s freuen, die Gier nach dem Ruhme des Rächers so gestillt und die Asche der Meinen befriedigt zu haben.‹ Solches stieß ich hervor, und es riss mich mein rasender Sinn fort, als sich mir, deutlich zu sehen wie niemals vorher, die holde Mutter zeigte, in reinem Licht durch die Nacht hin erstrahlend, und sich offenbarte als Göttin, schön und erhaben, wie die Himmelsbewohner sie sehn; meine Rechte ergriff sie, hielt sie fest und sprach überdies mit rosigem Munde: ›Sohn, welch heftiger Schmerz weckt ungebändigten Zorn dir? Warum rast du? Und wo ist die Sorge um uns denn geblieben? Willst du denn nicht erst sehn, wo Anchises, den altersgeschwächten Vater, du ließest und ob deine Gattin Krëusa noch lebt, dein Knabe Askanius? Die umdrängen von überall her die griechischen Scharen; wenn ich nicht aus Fürsorge mich widersetzte, wären sie schon ein Opfer der Flammen und feindlicher Schwerter. Nicht das verhasste Gesicht der Tyndareus-Tochter aus Sparta, nicht der beschuldigte Paris, sondern die Härte der Götter rottet aus diese Macht, stürzt Troja herab aus der Höhe. Schau – denn den ganzen Nebel, der jetzt dir vor Augen ist, deinen menschlichen Blick schwächt, ihn ringsum verdunkelt mit seinen

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caligat, nubem eripiam; tu ne qua parentis iussa time neu praeceptis parere recusa): hic, ubi disiectas moles avulsaque saxis saxa vides mixtoque undantem pulvere fumum, Neptunus muros magnoque emota tridenti fundamenta quatit totamque a sedibus urbem eruit. hic Iuno Scaeas saevissima portas prima tenet sociumque furens a navibus agmen ferro accincta vocat. iam summas arces Tritonia, respice, Pallas insedit nimbo effulgens et Gorgone saeva. ipse pater Danais animos viresque secundas sufficit, ipse deos in Dardana suscitat arma. eripe, nate, fugam finemque impone labori; nusquam abero et tutum patrio te limine sistam.” dixerat et spissis noctis se condidit umbris. apparent dirae facies inimicaque Troiae numina magna deum. Tum vero omne mihi visum considere in ignis Ilium et ex imo verti Neptunia Troia: ac veluti summis antiquam in montibus ornum cum ferro accisam crebrisque bipennibus instant eruere agricolae certatim, illa usque minatur et tremefacta comam concusso vertice nutat, vulneribus donec paulatim evicta supremum congemuit traxitque iugis avulsa ruinam. descendo ac ducente deo flammam inter et hostis expedior; dant tela locum flammaeque recedunt. Atque ubi iam patriae perventum ad limina sedis antiquasque domos, genitor, quem tollere in altos optabam primum montis primumque petebam, abnegat excisa vitam producere Troia

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Schwaden, reiße ich weg; und du fürcht nicht deiner Mutter Weisungen, weigre dich nicht, dem, was sie befiehlt, zu gehorchen –: Hier, wo zerstreut die Quadern du siehst und Steine von Steinen abgesprengt, siehst, wie Rauch aufwallt, der sich mischt mit dem Staube, rüttelt Neptun an den Mauern und wühlt mit dem mächtigen Dreizack ihr Fundament heraus; aus den Grundfesten reißt er die ganze Stadt. Dort hält das skäische Tor die grimmige Juno allen voran; das verbündete Heer ruft tobend sie von den Schiffen her, mit dem Schwert gegürtet. Schau, schon sitzt auf der Burg hoch oben Tritonia Pallas, leuchtet aus ihrer Wolke hervor und schreckt mit der Gorgo. Mut verleiht den Griechen der Vater selbst, zum Erfolg die Kraft, hetzt selber die Götter gegen die Dardanerwaffen. Fliehe in Eile, mein Sohn, und beende die Plage; ich werde nirgends fern von dir sein, bring heil dich zur Schwelle des Vaters.‹ So sprach sie und verbarg sich in dichten, nächtlichen Schatten. Dann erscheinen abscheuliche Fratzen und, Ilium feindlich, mächtige Göttergestalten. Da schien mir fürwahr, ganz Ilium versinke im Feuer und es werde das Troja Neptuns von Grund auf vernichtet: Wie wenn hoch auf den Bergen die Bauern im Wettstreit sich mühen, eine gealterte Esche, vom Beile verwundet und vielen Schlägen der Äxte, zu fällen; sie droht fortwährend zu fallen, zittert bis in das Laub und schwankt mit erschüttertem Wipfel, bis sie, allmählich besiegt von ihren Wunden, ein letztes Mal aufstöhnt und dann umstürzt, heruntergerissen vom Bergkamm. Ich steig abwärts; durch Feuer und Feind, geführt von der Gottheit, komme ich heil; Raum lassen die Waffen, es weichen die Flammen. Und sobald ich zur Schwelle der Wohnung des Vaters, zum alten Haus kam, sagte er, den zuerst ich hinauf in die Berge bringen wollte und den zuerst ich aufsuchte, nicht mehr wünsche nach der Zerstörung Trojas er weiterzuleben

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exiliumque pati. “vos o, quibus integer aevi sanguis” ait “solidaeque suo stant robore vires, vos agitate fugam. me si caelicolae voluissent ducere vitam, has mihi servassent sedes. satis una superque vidimus excidia et captae superavimus urbi. sic o sic positum adfati discedite corpus. ipse manu mortem inveniam: miserebitur hostis exuviasque petet; facilis iactura sepulcri. iam pridem invisus divis et inutilis annos demoror, ex quo me divum pater atque hominum rex fulminis adflavit ventis et contigit igni.” Talia perstabat memorans fixusque manebat. nos contra effusi lacrimis coniunxque Creusa Ascaniusque omnisque domus, ne vertere secum cuncta pater fatoque urgenti incumbere vellet. abnegat inceptoque et sedibus haeret in isdem. rursus in arma feror mortemque miserrimus opto: nam quod consilium aut quae iam fortuna dabatur? “mene efferre pedem, genitor, te posse relicto sperasti tantumque nefas patrio excidit ore? si nihil ex tanta superis placet urbe relinqui, et sedet hoc animo perituraeque addere Troiae teque tuosque iuvat, patet isti ianua leto, iamque aderit multo Priami de sanguine Pyrrhus, natum ante ora patris, patrem qui obtruncat ad aras. hoc erat, alma parens, quod me per tela, per ignis eripis, ut mediis hostem in penetralibus utque Ascanium patremque meum iuxtaque Creusam alterum in alterius mactatos sanguine cernam? arma, viri, ferte arma; vocat lux ultima victos. reddite me Danais, sinite instaurata revisam

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und das Exil zu ertragen. ›Ihr, deren Blut noch‹, so sprach er, ›jung ist und unverbraucht, deren starke Kräfte gesund sind, plant nur ihr eure Flucht. Hätten die Himmelsbewohner gewollt, dass ich weiterhin lebte, hätten sie mir diesen Wohnsitz bewahrt. Es ist übergenug, dass eine Zerstörung ich sah, die Erobrung der Stadt überlebte. Lasst nun so, ja so mich liegen, sagt Lebewohl und geht. Selbst finde den Tod ich im Kampf: Ein Feind wird Erbarmen zeigen und Beute begehren; aufs Grab zu verzichten wird leicht sein. Längst schon den Göttern verhasst, schlepp nutzlos ich hin meine Jahre, seit der Vater der Götter und König der Menschen mich anblies mit dem Hauch seines Blitzes und mich mit dem Feuer berührte.‹ So sprach er und beharrte darauf, hielt fest dran. Doch wir sind aufgelöst in Tränen, die Gattin Krëusa, Askanius, alle im Hause, und bitten, der Vater solle nicht mit sich alles zerstören und nicht nachhelfen dem drängenden Schicksal. Er sagt nein; an den Vorsatz klammert er sich und den Wohnsitz. Mich zieht’s wieder zum Kampf, tiefunglücklich wünsch ich den Tod mir: Welcher Beschluss oder welche Chance war jetzt noch gegeben? ›Dass ich dich, Vater, verlass, aus diesem Haus meinen Fuß setz, das erwartest du? Kam aus Vatermund so etwas Schlimmes? Wenn nach Götterbeschluss nichts bleibt von der mächtigen Stadt und du beharrst und dich’s freut, dem Untergang Trojas die Deinen zuzugesellen und dich – dem Tod steht offen die Tür, und gleich wird Pyrrhus, noch voll vom Blute des Priamus, da sein, der vor dem Vater den Sohn, dann den Vater erschlägt am Altare. Gütige Mutter, das war’s, weshalb durch Geschosse, durch Flammen du mich entrafft hast: Ich sollte den Feind hier mitten im Hause, sollte Askanius und meinen Vater, sollte Krëusa hingeschlachtet, den einen im Blute des anderen sehen? Waffen her, Männer; es ruft der letzte Tag die Besiegten. Gebt mich den Danaërn wieder, zurückkehrn lasst mich und wieder

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proelia: numquam omnes hodie moriemur inulti.” Hinc ferro accingor rursus clipeoque sinistram insertabam aptans meque extra tecta ferebam. ecce autem complexa pedes in limine coniunx haerebat parvumque patri tendebat Iulum: “si periturus abis, et nos rape in omnia tecum; sin aliquam expertus sumptis spem ponis in armis, hanc primum tutare domum. cui parvus Iulus, cui pater et coniunx quondam tua dicta relinquor?” Talia vociferans gemitu tectum omne replebat, cum subitum dictuque oritur mirabile monstrum. namque manus inter maestorumque ora parentum ecce levis summo de vertice visus Iuli fundere lumen apex, tactuque innoxia mollis lambere flamma comas et circum tempora pasci. nos pavidi trepidare metu crinemque flagrantem excutere et sanctos restinguere fontibus ignis. at pater Anchises oculos ad sidera laetus extulit et caelo palmas cum voce tetendit: “Iuppiter omnipotens, precibus si flecteris ullis, aspice nos: hoc tantum; et si pietate meremur, da deinde auxilium, pater, atque haec omina firma.” Vix ea fatus erat senior, subitoque fragore intonuit laevum, et de caelo lapsa per umbras stella facem ducens multa cum luce cucurrit. illam summa super labentem culmina tecti cernimus Idaea claram se condere silva signantemque vias; tum longo limite sulcus dat lucem et late circum loca sulpure fumant. hic vero victus genitor se tollere ad auras adfaturque deos et sanctum sidus adorat: “iam iam nulla mora est: sequor et qua ducitis adsum,

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kämpfen: Wir werden nie heut alle ungerächt sterben.‹ Dann umgürt mit dem Schwert ich mich wieder und will in den Schild die Linke stecken, ihn anlegen und dabei aus dem Haus gehn. Sieh, auf der Schwelle umklammert die Füße mir da meine Gattin, hängt an mir, streckt mir, dem Vater, hin den kleinen Ïulus: ›Rennst in den Tod du, auch uns reiß mit dir zu allem dann; aber setzt du begründete Hoffnungen auf die ergriffenen Waffen, schütze zuerst dies Haus. Wem lässt du den kleinen Ïulus, wem den Vater zurück, wem mich, die du Gattin einst nanntest?‹ So rief laut sie, das ganze Haus mit der Klage erfüllend, als es ein Vorzeichen plötzlich gab, nur ein Wunder zu nennen. Denn vor den Augen und zwischen den Händen der traurigen Eltern, schau, da sah von Ïulus’ Scheitel man oben ein zartes Flämmchen ein Licht verströmen, ihn, ohne zu schaden, berühren, züngeln ums weiche Haar und sich fortfressen rings um die Schläfen. Wir, umherrennend, wollten, zitternd vor Angst, an dem Haar die Flammen ersticken und löschen mit Wasser das heilige Feuer. Vater Anchises jedoch hob froh zu den Sternen die Augen, und er streckte zum Himmel die Hände empor zum Gebete: ›Juppiter, lässt du, Allmächtiger, je dich durch Bitten bewegen, blicke auf uns: nur das; und wenn wir’s durch Ehrfurcht verdienen, schenk deine Hilfe uns, Vater, bestätige uns dieses Zeichen.‹ Kaum hatte dieses der Greis gesagt, da krachte ganz plötzlich Donner von links, und vom Himmel glitt ein Stern durch das Dunkel, flog dann mit strahlendem Licht, hinter sich eine brennende Fackel. Oben über den Giebel des Hauses sehn wir ihn gleiten, leuchtend dann untertauchen im Walde des Idagebirges, zeichnend seine Bahn; dann spendet die Schneise mit langem Streifen noch Licht; ringsum dampft weithin von Schwefel die Gegend. Da nun gibt sich der Vater besiegt, steht auf, in die Lüfte blickend, spricht zu den Göttern und ruft den heiligen Stern an: ›Jetzt gibt’s keinen Verzug mehr: Wohin ihr mich leitet, ich folg euch,

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di patrii; servate domum, servate nepotem; vestrum hoc augurium, vestroque in numine Troia est. cedo equidem nec, nate, tibi comes ire recuso.” dixerat ille, et iam per moenia clarior ignis auditur, propiusque aestus incendia volvunt. “ergo age, care pater, cervici imponere nostrae; ipse subibo umeris nec me labor iste gravabit; quo res cumque cadent, unum et commune periclum, una salus ambobus erit. mihi parvus Iulus sit comes, et longe servet vestigia coniunx. vos, famuli, quae dicam animis advertite vestris. est urbe egressis tumulus templumque vetustum desertae Cereris, iuxtaque antiqua cupressus religione patrum multos servata per annos: hanc ex diverso sedem veniemus in unam. tu, genitor, cape sacra manu patriosque penatis; me bello e tanto digressum et caede recenti attrectare nefas, donec me flumine vivo abluero.” haec fatus latos umeros subiectaque colla veste super fulvique insternor pellem leonis succedoque oneri; dextrae se parvus Iulus implicuit sequiturque patrem non passibus aequis; pone subit coniunx. ferimur per opaca locorum, et me, quem dudum non ulla iniecta movebant tela neque adverso glomerati examine Grai, nunc omnes terrent aurae, sonus excitat omnis suspensum et pariter comitique onerique timentem. Iamque propinquabam portis omnemque videbar evasisse viam, subito cum creber ad auris visus adesse pedum sonitus, genitorque per umbram prospiciens “nate” exclamat, “fuge, nate; propinquant:

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Götter der Väter, bewahrt mein Haus, bewahrt meinen Enkel; euer Zeichen ist dies, und in euren Händen ist Troja. Sohn, ich füg mich und weigre mich nicht mehr, dich zu begleiten.‹ Sprach’s, und man hört überall in der Stadt die Flammen schon lauter prasseln, und ihre Feuersglut wälzen näher die Brände. ›Auf denn, lieber Vater, so setze dich mir auf den Nacken; ich nehm dich auf die Schulter, es wird mir die Last nicht zu schwer sein; was auch geschehen wird, eine Gefahr trifft uns dann gemeinsam, eine Rettung wird beiden zuteil dann. Der kleine Ïulus sei mein Begleiter; mit Abstand folge mir nach meine Gattin. Diener, merkt euch gut, was ich sag. Einen Hügel und einen uralten Tempel der Ceres, die man vergessen hat, sieht, wer aus der Stadt geht; neben ihm steht eine alte Zypresse, lange Jahre bewahrt durch die Ehrfurcht der Väter: Zu dieser Stätte werden wir dann aus verschiedenen Richtungen kommen. Vater, nimm die heilgen Geräte, der Väter Penaten; mir, der ich grad erst komme von so einem Krieg und vom Morden, bleibt die Berührung verwehrt, bevor ich in fließendem Wasser mich gereinigt habe.‹ So sprach ich, und die breiten Schultern sowie den gebeugten Nacken hüll in ein Tuch ich vom Fell eines gelblichen Löwen, nehm meine Last auf; der kleine Ïulus hat meine rechte Hand gefasst, und er folgt seinem Vater mit ungleichen Schritten; hinter uns geht meine Frau. Wir eilen durch dunkles Gelände; mich, dem längst nicht mehr ein Geschoss, das heranschwirrt, was ausmacht, keine feindliche Schar von zusammengerotteten Griechen, schreckt jetzt jeglicher Lufthauch, ja regt jedes Geräusch auf, denn ich fürchte zugleich für die Bürde und für den Begleiter. Schon kam nah ich den Toren und meinte, ich hätte den ganzen Weg schon zurückgelegt, als plötzlich die Schritte von vielen Füßen ans Ohr mir zu dringen schienen; mein Vater, durchs Dunkel vorwärts spähend, rief: ›Sohn, fliehe, mein Sohn, denn sie nahen:

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ardentis clipeos atque aera micantia cerno.” hic mihi nescio quod trepido male numen amicum confusam eripuit mentem. namque avia cursu dum sequor et nota excedo regione viarum, heu misero coniunx fatone erepta Creusa substitit, erravitne via seu lassa resedit – incertum; nec post oculis est reddita nostris. nec prius amissam respexi animumve reflexi quam tumulum antiquae Cereris sedemque sacratam venimus: hic demum collectis omnibus una defuit et comites natumque virumque fefellit. quem non incusavi amens hominumque deorumque, aut quid in eversa vidi crudelius urbe? Ascanium Anchisenque patrem Teucrosque penatis commendo sociis et curva valle recondo; ipse urbem repeto et cingor fulgentibus armis. stat casus renovare omnis omnemque reverti per Troiam et rursus caput obiectare periclis. principio muros obscuraque limina portae, qua gressum extuleram, repeto et vestigia retro observata sequor per noctem et lumine lustro: horror ubique animo, simul ipsa silentia terrent. inde domum, si forte pedem, si forte tulisset, me refero: inruerant Danai et tectum omne tenebant. ilicet ignis edax summa ad fastigia vento volvitur; exsuperant flammae, furit aestus ad auras. procedo et Priami sedes arcemque reviso: et iam porticibus vacuis Iunonis asylo custodes lecti Phoenix et dirus Ulixes praedam adservabant. huc undique Troia gaza incensis erepta adytis mensaeque deorum crateresque auro solidi captivaque vestis

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Ich kann funkelndes Erz und blitzende Schilde erkennen.‹ Hier entriss mir in meiner Angst eine übelgesinnte Gottheit den schon verwirrten Verstand. Denn während im Laufschritt ich einem Seitenpfad folg, vom bekannten Weg mich entfernend, ach, da blieb, entrafft durch ein schlimmes Schicksal, Krëusa stehn oder irrte umher oder setzte ermattet sich nieder – ungewiss ist’s; sie kam uns danach nicht wieder vor Augen. Nicht sah nach der Verlorenen ich mich um oder dachte an sie, bevor wir zum Hügel der alten Ceres und ihrem Heiligtum kamen: Erst hier, als alles versammelt war, fehlte sie nur, war nicht zu finden für Ehemann, Sohn und Begleiter. Gott oder Mensch – wen hab ich in meinem Wahn nicht beschuldigt, was hab in der zerstörten Stadt ich noch Schlimmres gesehen? Vater Anchises, Askanius und die Penaten der Teukrer lass ich im Schutz der Gefährten, in einem Tal sie versteckend; ich eil wieder zur Stadt und rüst mich mit blitzenden Waffen. Neu zu erleben das Sterben, zurückzulaufen durchs ganze Troja, gilt es, und wieder den Kopf in Gefahren zu wagen. Erst kehr ich zu den Mauern, zum dunklen Toreingang, dort wo ich herauskam, zurück, geb acht auf unsere Spuren und verfolg sie zurück durch die Nacht mit spähenden Augen: Überall packt mich Entsetzen, sogar die Stille erschreckt mich. Weiter geh ich zum Haus, für den möglichen Fall, dass sie hinging: Danaër drangen dort ein, hatten’s ganz nun in ihrem Besitze. Gleich treibt bis zum Giebel der Wind ein gefräßiges Feuer, Flammen schlagen empor, es rast in die Lüfte der Gluthauch. Weiter geh ich zum Sitz und zur Burg des Priamus wieder: Im Asyl der Juno, den leeren Hallen darinnen hüteten Phoenix und der üble Ulixes die Beute als erlesene Wächter. Hierhin von überallher wird Trojas Reichtum geschleppt, den brennenden Tempeln entrissen, Tische der Götter und Krüge, massiv aus Gold, und geraubte

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congeritur. pueri et pavidae longo ordine matres stant circum. ausus quin etiam voces iactare per umbram implevi clamore vias maestusque Creusam nequiquam ingeminans iterumque iterumque vocavi. quaerenti et tectis urbis sine fine furenti infelix simulacrum atque ipsius umbra Creusae visa mihi ante oculos et nota maior imago. obstipui, steteruntque comae et vox faucibus haesit. tum sic adfari et curas his demere dictis: “quid tantum insano iuvat indulgere dolori, o dulcis coniunx? non haec sine numine divum eveniunt; nec te comitem hinc portare Creusam fas aut ille sinit superi regnator Olympi. longa tibi exilia, et vastum maris aequor arandum; et terram Hesperiam venies, ubi Lydius arva inter opima virum leni fluit agmine Thybris. illic res laetae regnumque et regia coniunx parta tibi. lacrimas dilectae pelle Creusae: non ego Myrmidonum sedes Dolopumve superbas aspiciam aut Grais servitum matribus ibo, Dardanis et divae Veneris nurus; sed me magna deum genetrix his detinet oris. iamque vale et nati serva communis amorem.” haec ubi dicta dedit, lacrimantem et multa volentem dicere deseruit tenuisque recessit in auras. ter conatus ibi collo dare bracchia circum; ter frustra comprensa manus effugit imago, par levibus ventis volucrique simillima somno. Sic demum socios consumpta nocte reviso. atque hic ingentem comitum adfluxisse novorum invenio admirans numerum, matresque virosque,

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Kleidung. Kinder und ängstliche Mütter, sie stehen ringsum in langer Reihe. Ich aber wagte sogar, hinein ins Dunkel zu rufen, und erfüllte die Gassen mit meinem Geschrei, und voll Trauer rief ich Krëusa wieder und wiederum, aber vergeblich. Während ich suchte, die Häuser der Stadt ohne Ende durchraste, da erschien mir der Schatten Krëusas selbst vor den Augen, ihr unglückliches Bild, das größer war, als ich sie kannte. Starr war ich da, die Haare gesträubt, und mir stockte die Stimme. Da sprach sie und nahm mir mit diesen Worten die Sorgen: ›Rasendem Schmerz so sehr sich hinzugeben, was hilft’s, mein lieber Mann? Es geschieht nicht ohne den Willen der Götter; göttliches Recht untersagt’s dir, Krëusa von hier als Gefährtin mit dir zu nehmen, oder der Herr des Olympus verbietet’s. Lang im Exil musst du sein und die Meereswüste durchpflügen, kommst ins hesperische Land, wo in sanfter Strömung dahin der lydische Thybris fließt durch die fruchtbaren Fluren der Männer. Dort gehört dir schon Glück, ein Königreich und als Gemahlin eine Prinzessin. Bewein nicht mehr die geliebte Krëusa: Nicht der Myrmidonen und Doloper stolze Paläste werde ich sehn, nicht als Sklavin gehen zu griechischen Frauen, ich, Dardanerin und die Schwiegertochter der Venus; mich hält fest hier am Strande die große Mutter der Götter. Lebe denn wohl und bewahr dem gemeinsamen Sohne die Liebe.‹ Sprach’s und ließ mich, der vieles ich sagen wollte, in meinen Tränen einsam zurück und entschwand in flüchtige Lüfte. Dreimal versuchte ich da, um den Hals ihr die Arme zu legen; dreimal entfloh meinen Händen, vergeblich ergriffen, ihr Abbild, gleich den leichten Winden, dem flüchtigen Traume sehr ähnlich. Dann erst komm ich am Ende der Nacht zurück zu den Freunden. Staunend entdecke ich: Neue Begleiter in riesiger Menge sind herbeigeströmt, Frauen sowohl als auch Männer, ein junges

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collectam exilio pubem, miserabile vulgus. undique convenere animis opibusque parati in quascumque velim pelago deducere terras. iamque iugis summae surgebat Lucifer Idae ducebatque diem, Danaique obsessa tenebant limina portarum, nec spes opis ulla dabatur. cessi et sublato montis genitore petivi.

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Volk, versammelt zur Fahrt ins Exil, ein elender Haufen. Überall kommen sie her, mit Mut und Mitteln bereit, in jedes Land, das ich wünsch, übers Meer mir als Siedler zu folgen. Schon erhob sich da Luzifer oben über dem Ida, und er führte den Tag herauf; zu den Toren den Zugang hielten die Griechen besetzt, und es gab keine Hoffnung auf Hilfe. Ich zog fort, auf der Schulter den Vater, in Richtung Gebirge.

LIBER III Postquam res Asiae Priamique evertere gentem immeritam visum superis, ceciditque superbum Ilium et omnis humo fumat Neptunia Troia, diversa exilia et desertas quaerere terras auguriis agimur divum, classemque sub ipsa Antandro et Phrygiae molimur montibus Idae, incerti quo fata ferant, ubi sistere detur, contrahimusque viros. vix prima inceperat aestas et pater Anchises dare fatis vela iubebat, litora cum patriae lacrimans portusque relinquo et campos ubi Troia fuit. feror exul in altum cum sociis natoque penatibus et magnis dis. Terra procul vastis colitur Mavortia campis (Thraces arant) acri quondam regnata Lycurgo, hospitium antiquum Troiae sociique penates, dum fortuna fuit. feror huc et litore curvo moenia prima loco fatis ingressus iniquis, Aeneadasque meo nomen de nomine fingo. sacra Dionaeae matri divisque ferebam auspicibus coeptorum operum, superoque nitentem caelicolum regi mactabam in litore taurum. forte fuit iuxta tumulus, quo cornea summo virgulta et densis hastilibus horrida myrtus. accessi viridemque ab humo convellere silvam conatus, ramis tegerem ut frondentibus aras, horrendum et dictu video mirabile monstrum. nam quae prima solo ruptis radicibus arbos vellitur, huic atro liquuntur sanguine guttae

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BUCH 3 Nun, nachdem es den Göttern gefallen hat, Asiens Macht und – schuldlos – des Priamus Volk zu zerstören, gestürzt ist das stolze Ilium und rauchend am Boden liegt das neptunische Troja, treiben uns Zeichen der Götter, für uns ein Exil in der Ferne, ein verlassenes Land, zu suchen; wir bauen die Flotte unterhalb von Antandros am Fuße des phrygischen Ida, ungewiss, wo das Fatum uns hinträgt und Wohnen vergönnt wird, und wir sammeln die Männer. Noch kaum war es Sommer, da hieß uns Vater Anchises bereits den Fata die Segel entfalten; so verlasse ich weinend die Strände der Heimat, die Häfen und die Gefilde, wo Troja stand. Aufs Meer als Verbannter fahr ich mit Freunden und Sohn und Penaten, mächtigen Göttern. Fern von uns gibt es ein Land des Mars, weiträumig besiedelt – Thraker bebauen es –, einst beherrscht von dem wilden Lykurgus, Troja durch altes Gastrecht und durch die Penaten verbunden, als unser Glück noch währte. Dort komm ich nun hin und beginn an einer Bucht mit dem Bau einer Stadt – nicht begünstigt vom Fatum –, und nach meinem Namen nenn ich das Volk Aeneaden. Opfern wollte ich Venus, der Mutter, den Göttern auch, die ein angefangenes Werk begünstigen, schlachten am Strand auch einen glänzenden Stier dem König der Himmelsbewohner. Zufällig lag in der Nähe ein Hügel; Hornstrauchgebüsch wuchs oben und Myrtengestrüpp, ein Dickicht mit starrenden Schäften. Dorthin ging ich und wollte mir frisches Buschwerk vom Boden reißen, um den Altar zu bedecken mit grünenden Zweigen; da aber seh ich – ein Wunder zu nennen – ein schreckliches Zeichen. Denn von dem Strauch, den zuerst mit gebrochenen Wurzeln ich aus dem Boden herausrupfe, fließen Tropfen von schwärzlichem Blute

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et terram tabo maculant: mihi frigidus horror membra quatit gelidusque coit formidine sanguis. rursus et alterius lentum convellere vimen insequor et causas penitus temptare latentis: ater et alterius sequitur de cortice sanguis. multa movens animo Nymphas venerabar agrestis Gradivumque patrem, Geticis qui praesidet arvis, rite secundarent visus omenque levarent. tertia sed postquam maiore hastilia nisu adgredior genibusque adversae obluctor harenae, (eloquar an sileam?) gemitus lacrimabilis imo auditur tumulo et vox reddita fertur ad auris: “quid miserum, Aenea, laceras? iam parce sepulto, parce pias scelerare manus. non me tibi Troia externum tulit aut cruor hic de stipite manat. heu fuge crudelis terras, fuge litus avarum: nam Polydorus ego; hic confixum ferrea texit telorum seges et iaculis increvit acutis.” tum vero ancipiti mentem formidine pressus obstipui steteruntque comae et vox faucibus haesit. Hunc Polydorum auri quondam cum pondere magno infelix Priamus furtim mandarat alendum Threicio regi, cum iam diffideret armis Dardaniae cingique urbem obsidione videret. ille, ut opes fractae Teucrum et Fortuna recessit, res Agamemnonias victriciaque arma secutus fas omne abrumpit: Polydorum obtruncat et auro vi potitur. quid non mortalia pectora cogis, auri sacra fames? postquam pavor ossa reliquit, delectos populi ad proceres primumque parentem monstra deum refero et quae sit sententia posco. omnibus idem animus, scelerata excedere terra,

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und besudeln mit Eiter die Erde: Ein frostiger Schauder schüttelt die Glieder mir, und mein Blut gefriert vor Entsetzen. Wieder versuch ich, den biegsamen Zweig eines anderen Strauches auszureißen und so das Geheimnis genau zu ergründen: Schwärzliches Blut quillt auch aus der Rinde des anderen Strauches. Viel überlegend, flehte ich da zu den ländlichen Nymphen und zum Vater Gradivus, dem Schützer der getischen Fluren, recht zum Heil die Erscheinung zu wenden, das Omen zu mildern. Doch als ich mich an den dritten Busch mit größerer Kraft noch mache und gegen den Sand mit beiden Knien mich stemme – sage ich’s nun oder schweig ich? –, da ist ein klägliches Seufzen tief aus dem Hügel zu hören; dann dringt an mein Ohr eine Stimme: ›Was zerfleischst du, Aeneas, den Armen? Verschon ihn im Grabe, ja nicht befleck dir mit Frevel die frommen Hände. Aus Troja stamme ich, bin dir nicht fremd; auch fließt nicht aus Holz dieses Blut hier. Flieh aus dem grausamen Land, ach, flieh vom Gestade der Habsucht: Denn Polydorus bin ich; eine eiserne Saat von Geschossen hat mich durchbohrt und bedeckt, trieb aus zu starrenden Spießen.‹ Da ergriff meinen Sinn Ratlosigkeit und Entsetzen; starr war ich da, die Haare gesträubt, und mir stockte die Stimme. Einst hatte Thrakiens König der arme Priamus diesen Polydorus heimlich mit Gold in größerer Menge anvertraut zur Erziehung, als er auf Dardaniens Waffen schon nichts mehr gab und von allen Seiten belagert die Stadt sah. Jener hält’s, als die Macht der Teukrer zerbricht und Fortuna weicht, nun mit Agamemnon und seinem siegreichen Heere und bricht jegliches Recht: Polydorus erschlägt er und nimmt das Gold mit Gewalt. Wozu zwingst du nicht die Herzen der Menschen, Goldgier, verfluchte? Als nicht mehr die Angst in den Gliedern mir steckt, da meld den erwählten Häuptern des Volks und vor allem dem Vater ich die Zeichen der Götter und bitte sie dann um ihr Votum. Einmütig heißt es, man müsse verlassen das ruchlose Land, der

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linqui pollutum hospitium et dare classibus Austros. ergo instauramus Polydoro funus, et ingens aggeritur tumulo tellus; stant Manibus arae caeruleis maestae vittis atraque cupresso, et circum Iliades crinem de more solutae; inferimus tepido spumantia cymbia lacte sanguinis et sacri pateras, animamque sepulcro condimus et magna supremum voce ciemus. Inde ubi prima fides pelago, placataque venti dant maria et lenis crepitans vocat Auster in altum, deducunt socii navis et litora complent; provehimur portu terraeque urbesque recedunt. sacra mari colitur medio gratissima tellus Nereidum matri et Neptuno Aegaeo, quam pius arquitenens oras et litora circum errantem Mycono e celsa Gyaroque revinxit immotamque coli dedit et contemnere ventos. huc feror, haec fessos tuto placidissima portu accipit; egressi veneramur Apollinis urbem. rex Anius, rex idem hominum Phoebique sacerdos, vittis et sacra redimitus tempora lauro occurrit, veterem Anchisen agnovit amicum. iungimus hospitio dextras et tecta subimus. Templa dei saxo venerabar structa vetusto: “da propriam, Thymbraee, domum; da moenia fessis et genus et mansuram urbem; serva altera Troiae Pergama, reliquias Danaum atque immitis Achilli. quem sequimur? quove ire iubes? ubi ponere sedes? da, pater, augurium atque animis inlabere nostris.” vix ea fatus eram: tremere omnia visa repente, liminaque laurusque dei, totusque moveri mons circum et mugire adytis cortina reclusis.

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Schändung des Gastrechts entgehn und die Flotte dem Wind übergeben. So bestatten wir denn Polydorus, zum Hügel wird hoch die Erde gehäuft; für die Manen stehn da Altäre, mit dunklen Binden und düstrer Zypresse umhüllt zum Zeichen der Trauer, Iliums Frauen ringsum, die Haare gelöst, wie’s der Brauch will; Näpfe, schäumend von warmer Milch, und Schalen, gefüllt mit Opferblut, bringen wir dar und bergen im Grabe des Toten Seele und rufen laut den letzten Gruß ihr noch nach dann. Drauf, sobald man dem Meer vertrauen kann, ruhigen Seegang gönnen die Winde und rauschend der sanfte Südwind zur See ruft, ziehn die Gefährten die Schiffe ins Meer und bevölkern das Ufer; wir fahrn fort aus dem Hafen, und Länder und Städte entschwinden. Mitten im Meer wird heiliges Land bewohnt; es ist lieb der Mutter der Nereïden und lieb dem Neptunus von Aigai; als es noch Küsten und Ufer umschwamm, da band es Apollo, dankbar, ans ragende Mykonos und an Gyaros, ließ es unverrückbar und Wohnsitz sein und die Winde verachten. Hierhin komm ich, und friedlich empfängt’s die Erschöpften im sichren Hafen; wir landen und grüßen voll Ehrfurcht die Stadt des Apollo. Anius, König des Volkes und Priester des Phoebus, erscheint, die Schläfen mit Bändern geschmückt und heiligem Lorbeer, erkennt als Freund von früher Anchises, wir geben zum Zeichen für unsre Gastfreundschaft uns die Hände und treten dann in sein Haus ein. Betend grüß ich des Gottes Tempel aus uralten Steinen: ›Gib, Thymbraeus, ein eigenes Heim, gib Mauern uns Müden, Nachkommen, eine Stadt von Dauer; bewahre die neue Stadtburg Trojas, die Griechen und Wut des Achilles verschonten. Wer führt uns? Wo heißt du uns hinziehn? Wo gründen den Wohnsitz? Vater, gib uns ein Zeichen und senk dich in unsere Herzen.‹ Kaum war’s gesagt, schien plötzlich alles zu beben, das Tor, des Gottes Lorbeer, der ganze Berg zu erzittern ringsum, sich aufzutun das Heiligste und zu erdröhnen der Dreifuß.

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summissi petimus terram; vox fertur ad auris: “Dardanidae duri, quae vos a stirpe parentum prima tulit tellus, eadem vos ubere laeto accipiet reduces. antiquam exquirite matrem. hic domus Aeneae cunctis dominabitur oris et nati natorum et qui nascentur ab illis.” haec Phoebus; mixtoque ingens exorta tumultu laetitia, et cuncti quae sint ea moenia quaerunt, quo Phoebus vocet errantis iubeatque reverti. tum genitor veterum volvens monumenta virorum “audite, o proceres,” ait “et spes discite vestras. Creta Iovis magni medio iacet insula ponto, mons Idaeus ubi et gentis cunabula nostrae. centum urbes habitant magnas, uberrima regna, maximus unde pater, si rite audita recordor, Teucrus Rhoeteas primum est advectus in oras, optavitque locum regno. nondum Ilium et arces Pergameae steterant; habitabant vallibus imis. hinc mater cultrix Cybeli Corybantiaque aera Idaeumque nemus, hinc fida silentia sacris, et iuncti currum dominae subiere leones. ergo agite et, divum ducunt qua iussa, sequamur: placemus ventos et Cnosia regna petamus. nec longo distant cursu: modo Iuppiter adsit, tertia lux classem Cretaeis sistet in oris.” sic fatus meritos aris mactavit honores, taurum Neptuno, taurum tibi, pulcher Apollo, nigram Hiemi pecudem, Zephyris felicibus albam. Fama volat pulsum regnis cessisse paternis Idomenea ducem, desertaque litora Cretae, hoste vacare domum sedesque adstare relictas. linquimus Ortygiae portus, pelagoque volamus,

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Als wir zur Erde uns werfen, da ist eine Stimme zu hören: ›Dardaner, leidgeprüfte, das Land, das zuerst aus dem Stamm der Urahnen euch gebar, wird euch, wenn ihr heimkehrt, empfangen wieder an freudiger Brust. Sucht ihr die Mutter der Vorzeit! Da wird Aeneas’ Haus über sämtliche Länder gebieten, und die Söhne der Söhne und alle, die ihnen entstammen.‹ So sprach Phoebus; aus Lärm und Verwirrung entsteht da ein lauter Jubel und alle fragen, was das denn für Mauern nun seien, wohin Phoebus die Irrfahrer rufe und heimkehren heiße. Da bedachte mein Vater die Kunde von Männern der Vorzeit: ›Hört, ihr Edlen‹, so sprach er, ›erfahrt nun, was euch erwartet. Mitten im Meer liegt Kreta, des mächtigen Juppiter Insel, dort ist das Idagebirge, dort hat unser Volk seine Wiege. Hundert mächtige Städte bewohnt man dort, alles in Fülle hat das Reich, von wo, wenn ich recht mich der Kunde erinnre, Urvater Teuker als erster kam zur rhötëischen Küste und als sein Reich erwählte das Land. Kein Ilium stand da, auch nicht Pergamums Burgen; man wohnte tief in den Tälern. Dorther sind die Mutter vom Kybeleberge, des Idas Hain, korybantische Becken, das heilige Schweigen beim Opfer und das Löwengespann, geschirrt an den Wagen der Herrin. Auf, den Weg, den die Weisung der Götter uns führt, lasst uns nehmen: Lasst uns die Winde versöhnen und segeln zum knossischen Reiche. Weit entfernt ist es nicht: Sofern uns nur Juppiter beisteht, landet am dritten Tag schon an Kretas Gestade die Flotte.‹ Sprach’s und schlachtete gleich am Altar die gebührenden Opfer, einen Stier dem Neptun, einen Stier dir, schöner Apoll, ein schwärzliches Schaf dem Sturm, dem freundlichen Westwind ein weißes. Kunde erreicht uns, der Fürst Idomeneus, aus seines Vaters Reich verjagt, sei fort, und leer sei Kretas Gestade, frei vom Feind der Palast und verlassen seien die Häuser. Fort aus dem Hafen Ortygias geht es im Flug übers Meer hin;

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bacchatamque iugis Naxon viridemque Donusam, Olearon niveamque Paron sparsasque per aequor Cycladas, et crebris legimus freta consita terris. nauticus exoritur vario certamine clamor: hortantur socii Cretam proavosque petamus. prosequitur surgens a puppi ventus euntis, et tandem antiquis Curetum adlabimur oris. ergo avidus muros optatae molior urbis Pergameamque voco, et laetam cognomine gentem hortor amare focos arcemque attollere tectis. Iamque fere sicco subductae litore puppes, conubiis arvisque novis operata iuventus, iura domosque dabam; subito cum tabida membris corrupto caeli tractu miserandaque venit arboribusque satisque lues et letifer annus. linquebant dulcis animas aut aegra trahebant corpora; tum sterilis exurere Sirius agros: arebant herbae et victum seges aegra negabat. rursus ad oraclum Ortygiae Phoebumque remenso hortatur pater ire mari veniamque precari, quam fessis finem rebus ferat, unde laborum temptare auxilium iubeat, quo vertere cursus. Nox erat et terris animalia somnus habebat: effigies sacrae divum Phrygiique penates, quos mecum a Troia mediisque ex ignibus urbis extuleram, visi ante oculos adstare iacentis in somnis, multo manifesti lumine, qua se plena per insertas fundebat luna fenestras; tum sic adfari et curas his demere dictis: “quod tibi delato Ortygiam dicturus Apollo est, hic canit et tua nos en ultro ad limina mittit. nos te Dardania incensa tuaque arma secuti,

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Naxos mit bacchendurchschwärmten Bergen, das grüne Donusa, dann Olearos, Paros, das weiße, verstreute Kykladen streifen wir und ein Meer, übersät von zahlreichen Inseln. Rufe der Seeleute tönen im Wettstreit bunt durcheinander: Dass wir nach Kreta fahren, ins Land der Vorfahren, drängt man. Wind erhebt sich vom Heck her und gibt unsrer Fahrt das Geleite, und so landen wir endlich am uralten Strand der Kureten. Mauern erbaue ich denn der ersehnten Stadt voller Eifer, nenne sie Pergamusstadt, und das Volk, das vom Namen entzückt ist, mahn ich, zu lieben den Herd und Gebäude der Burg zu errichten. Eben erst waren ans trockne Gestade die Schiffe gezogen, Jüngere waren mit Heirat und neuen Feldern beschäftigt, ich gab Satzung und Häuser, als plötzlich gliederversehrend aus der vergifteten Luft des Landstrichs, auch übel für Baum und Saat, eine Seuche kam und ein Jahr des Todes. Ihr liebes Leben ließen sie oder schleppten dahin die gequälten Leiber; dann brannte der Sirius aus die ertraglosen Äcker: Kräuter verdorrten, das kranke Saatfeld versagte die Nahrung. Wieder zu Phoebus zurück, zum Orakel Ortygias übers Meer zu segeln, ermahnt uns der Vater, um Gnade zu bitten, um zu erfahrn, welch ein Ende der Gott dem Leid setze, wo er Hilfe dafür zu holen befehle, wohin uns zu wenden. Nacht war’s; Schlaf umfing die Lebewesen auf Erden: Da war mir, als stünden die Bilder der Götter vor meinen Augen, sie, die Penaten der Phryger, die ich aus Troja mitten aus den Flammen der Stadt herausgebracht hatte, als ich träumend dalag, deutlich zu sehen im Lichtglanz da, wo der Vollmond schien durch die Fenster mit offenen Läden; und sie sprachen, mit diesen Worten die Sorgen mir nehmend: ›Was in Ortygia Apoll dir gesagt hätt, wenn du gefahrn wärst, kündet er hier, schickt, sieh nur, von sich aus uns dir an die Schwelle. Nach dem Brande Dardanias folgten wir dir und den Waffen,

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nos tumidum sub te permensi classibus aequor, idem venturos tollemus in astra nepotes imperiumque urbi dabimus. tu moenia magnis magna para longumque fugae ne linque laborem. mutandae sedes. non haec tibi litora suasit Delius aut Cretae iussit considere Apollo. est locus, Hesperiam Grai cognomine dicunt, terra antiqua, potens armis atque ubere glaebae; Oenotri coluere viri; nunc fama minores Italiam dixisse ducis de nomine gentem. hae nobis propriae sedes, hinc Dardanus ortus Iasiusque pater, genus a quo principe nostrum. surge age et haec laetus longaevo dicta parenti haud dubitanda refer: Corythum terrasque requirat Ausonias; Dictaea negat tibi Iuppiter arva.” talibus attonitus visis et voce deorum (nec sopor illud erat, sed coram agnoscere vultus velatasque comas praesentiaque ora videbar; tum gelidus toto manabat corpore sudor) corripio e stratis corpus tendoque supinas ad caelum cum voce manus et munera libo intemerata focis. perfecto laetus honore Anchisen facio certum remque ordine pando. agnovit prolem ambiguam geminosque parentes, seque novo veterum deceptum errore locorum. tum memorat: “nate, Iliacis exercite fatis, sola mihi talis casus Cassandra canebat. nunc repeto haec generi portendere debita nostro et saepe Hesperiam, saepe Itala regna vocare. sed quis ad Hesperiae venturos litora Teucros crederet? aut quem tum vates Cassandra moveret? cedamus Phoebo et moniti meliora sequamur.”

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wogende See durchmaßen, von dir geleitet, zu Schiff wir, heben die künftigen Enkel empor zu den Sternen und werden Herrschaft verleihn deiner Stadt. Bau mächtige Mauern für uns, die Mächtigen; nicht entzieh dich der langen Mühsal der Irrfahrt. Wechseln musst du den Wohnsitz. Nicht dieses Gestade empfahl der Delier dir, nicht hieß dich auf Kreta siedeln Apollo. Es existiert ein Land, Hesperien nennen’s die Griechen, alt ist es, waffengewaltig, mit fruchtbarer Scholle; es wohnten einst Önotrier dort; die Nachkommen nannten, so meldet jetzt die Kunde, ihr Land Italien nach ihrem Führer. Dort gehört uns das Land, von dort stammt Dardanus, stammt auch Vater Ïasius, er, auf den unser Volk sich zurückführt. Auf denn, vermeld dem bejahrten Vater froh diese Worte, die keinen Zweifel erlauben: Nach Korythus soll und Ausoniens Ländern er ziehn; es versagt dir Juppiter Kretas Gefilde.‹ Ich, durch solche Bilder erschüttert, die Stimme der Götter – nein, kein Traum war’s, ich glaubte ganz genau ihre Mienen, ihr umwundenes Haar und die Münder vor mir zu erkennen; da rann kalter Schweiß am ganzen Leib mir herunter –, raffe vom Lager mich auf und strecke betend zum Himmel meine Hände empor und opfre am Herde des Hauses unvermischten Wein. Und froh nach vollendetem Opfer geb ich Anchises Bescheid, der Reihe nach alles erklärend. Zweifacher Ursprung und zwei Ahnherren waren’s, erkennt er, und dass ein neues Versehn über Orte von einst ihn getäuscht hat. ›Sohn, durch Iliums Schicksal schwer Geprüfter, mir hat oft‹, sagt er, ›Kassandra allein, dass es so geschehn wird, geweissagt. Ja, ich weiß wieder: Diese Bestimmung verhieß sie ja unserm Volk, sprach oft von Hesperien, oft von italischen Reichen. Wer aber hätte geglaubt, nach Hesperien würden die Teukrer kommen? Und wen hätte damals Prophetin Kassandra beeindruckt? Fügen wir uns denn Phoebus, und suchen, ermahnt jetzt, das Bessre.‹

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sic ait, et cuncti dicto paremus ovantes. hanc quoque deserimus sedem paucisque relictis vela damus vastumque cava trabe currimus aequor. Postquam altum tenuere rates nec iam amplius ullae apparent terrae, caelum undique et undique pontus, tum mihi caeruleus supra caput adstitit imber noctem hiememque ferens, et inhorruit unda tenebris. continuo venti volvunt mare magnaque surgunt aequora, dispersi iactamur gurgite vasto; involvere diem nimbi et nox umida caelum abstulit, ingeminant abruptis nubibus ignes. excutimur cursu et caecis erramus in undis. ipse diem noctemque negat discernere caelo nec meminisse viae media Palinurus in unda. tris adeo incertos caeca caligine soles erramus pelago, totidem sine sidere noctes. quarto terra die primum se attollere tandem visa, aperire procul montis ac volvere fumum. vela cadunt, remis insurgimus; haud mora, nautae adnixi torquent spumas et caerula verrunt. Servatum ex undis Strophadum me litora primum excipiunt. Strophades Graio stant nomine dictae insulae Ionio in magno, quas dira Celaeno Harpyiaeque colunt aliae, Phineia postquam clausa domus mensasque metu liquere priores. tristius haud illis monstrum, nec saevior ulla pestis et ira deum Stygiis sese extulit undis. virginei volucrum vultus, foedissima ventris proluvies uncaeque manus et pallida semper ora fame. huc ubi delati portus intravimus, ecce laeta boum passim campis armenta videmus

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Sagt’s, und wir alle gehorchen begeistert dem Worte, verlassen diesen Ort auch – nur wenige bleiben –, dann setzen wir Segel, eilen in bauchigen Schiffen über die Weite des Meers hin. Als die hohe See die Schiffe erreichten, das Land schon nicht mehr zu sehn war, nur Himmel ringsum, ringsum nur noch Wasser, blieb mir über dem Kopf ein düsteres Unwetter stehen, Nacht und Sturm im Schoß; rau wogte im Dunkeln die Welle. Winde durchwühlen sofort das Meer, hoch steigen die Fluten, wir aber treiben zersprengt auf dem wüsten Abgrund des Meeres; Stürme verdüstern den Tag, eine Regennacht nimmt uns des Himmels Licht, und Blitz auf Blitz zuckt aus den geborstenen Wolken. Wir, vom Kurs ab, irren da blind umher auf den Wogen. Selbst Palinurus erklärt, er könne am Himmel nicht Tag noch Nacht unterscheiden, noch wisse den Weg er mitten im Meere. Drei solch ungewisse Tage durchirren wir blind das Dunkel auf See und ebenso viele sternlose Nächte. Erst am vierten Tag, da sah man: Es stieg endlich Land auf, ließ in der Ferne die Berge erkennen und wirbelte Rauch auf. Segel gerefft nun, rudern wir los, ohne Pause durchpflügen kraftvoll die Schiffer den Schaum und fegen die bläulichen Fluten. Mich, aus den Wogen gerettet, empfängt zuerst der Strophaden Strand. Die Strophaden-Inseln – der Name stammt von den Griechen – liegen im großen Jonischen Meere; die böse Kelaeno wohnt mit den anderen Harpyien dort, seit ihnen verschlossen Phineus’ Haus ist und angstvoll die früheren Tische sie meiden. Schrecklicher ist kein Monster als sie, und grausiger stieg nie Seuche und Zorn der Götter empor aus den stygischen Wogen. Mädchenhaft ist das Gesicht der Gefiederten, eklig des Bauches Unrat, klauenhaft sind die Hände, und bleich ist ihr Antlitz immer vor Hunger. Als wir, hierhin verschlagen, zum Hafen gelangt sind, da schau nur, sehen wir prächtige Rinderherden ringsum im Gefilde

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caprigenumque pecus nullo custode per herbas. inruimus ferro et divos ipsumque vocamus in partem praedamque Iovem; tum litore curvo exstruimusque toros dapibusque epulamur opimis. at subitae horrifico lapsu de montibus adsunt Harpyiae et magnis quatiunt clangoribus alas, diripiuntque dapes contactuque omnia foedant immundo; tum vox taetrum dira inter odorem. rursum in secessu longo sub rupe cavata instruimus mensas arisque reponimus ignem; rursum ex diverso caeli caecisque latebris turba sonans praedam pedibus circumvolat uncis, polluit ore dapes. sociis tunc arma capessant edico, et dira bellum cum gente gerendum. haud secus ac iussi faciunt tectosque per herbam disponunt enses et scuta latentia condunt. ergo ubi delapsae sonitum per curva dedere litora, dat signum specula Misenus ab alta aere cavo. invadunt socii et nova proelia temptant, obscenas pelagi ferro foedare volucres. sed neque vim plumis ullam nec vulnera tergo accipiunt, celerique fuga sub sidera lapsae semesam praedam et vestigia foeda relinquunt. una in praecelsa consedit rupe Celaeno, infelix vates, rumpitque hanc pectore vocem: “bellum etiam pro caede boum stratisque iuvencis, Laomedontiadae, bellumne inferre paratis et patrio Harpyias insontis pellere regno? accipite ergo animis atque haec mea figite dicta, quae Phoebo pater omnipotens, mihi Phoebus Apollo praedixit, vobis Furiarum ego maxima pando. Italiam cursu petitis ventisque vocatis:

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und auf der Weide ohne Hüter Scharen von Ziegen. Auf sie stürzen wir uns mit dem Schwert, und wir laden die Götter, Juppiter selbst auch, ein zur Teilung der Beute; ein Lager richten wir her in der Bucht und verzehren die üppigen Speisen. Plötzlich aber in schrecklichem Fluge herab vom Gebirge kommen die Harpyien, schlagen mit lautem Rauschen die Flügel, plündern das Mahl und berühren es eklig, besudeln uns alles; dann kommt noch zu dem üblen Gestank ihr grausiges Kreischen. Weit entfernt errichten in einer Felsgrotte wir die Tische wieder, entzünden erneut am Altare das Feuer; wieder vom Himmel von hier und von dort und aus dunklen Verstecken schwirrt mit gebogenen Krallen die kreischende Schar um die Beute, sabbernd aufs Mahl mit dem Maul. Da befehl den Gefährten ich, ihre Waffen zu nehmen und Krieg mit der scheußlichen Sippschaft zu führen. Ganz nach Befehl tun sie’s und verteilen die Schwerter verdeckt im Grase und legen sich ihre Schilde bereit im Verborgnen. Dann, als, herabfliegend, jene die Bucht durch ihr Lärmen erfüllen, gibt vom Ausguck mit hohlem Erz uns Misenus ein Zeichen. Gegen sie stürmen die Freunde, probiern eine neue Gefechtsart, wollen die scheußlichen Vögel des Meers mit dem Schwerte zuschanden schlagen. Jedoch ihr Gefieder ist hiebfest, und nicht zu verwunden sind sie am Rücken; sie fliegen in schneller Flucht zu den Sternen; halb zerkaut hinterlassen den Raub sie und scheußliche Spuren. Einzig Kelaeno, die Unglücksseherin, lässt sich auf hohem Felsen nieder und stößt hervor aus der Brust ihre Worte: ›Krieg noch angesichts unsrer getöteten Rinder und Stiere, Volk des Laomedon, Krieg zu beginnen, schickt ihr euch an und schuldlose Harpyien fort aus dem Reich ihrer Väter zu jagen? Nun, nehmt auf in die Sinne und prägt ihnen ein meine Worte; was der allmächtige Vater dem Phoebus, was Phoebus Apollo mir prophezeite, verkünde euch ich, der Furien Größte. Ziel eurer Fahrt ist Italien; ihr habt zu den Winden gebetet:

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ibitis Italiam portusque intrare licebit. sed non ante datam cingetis moenibus urbem quam vos dira fames nostraeque iniuria caedis ambesas subigat malis absumere mensas.” dixit et in silvam pinnis ablata refugit. at sociis subita gelidus formidine sanguis deriguit: cecidere animi, nec iam amplius armis, sed votis precibusque iubent exposcere pacem, sive deae seu sint dirae obscenaeque volucres. et pater Anchises passis de litore palmis numina magna vocat meritosque indicit honores: “di, prohibete minas; di, talem avertite casum et placidi servate pios!” tum litore funem deripere excussosque iubet laxare rudentis. tendunt vela Noti: fugimus spumantibus undis, qua cursum ventusque gubernatorque vocabat. iam medio apparet fluctu nemorosa Zacynthos Dulichiumque Sameque et Neritos ardua saxis. effugimus scopulos Ithacae, Laertia regna, et terram altricem saevi exsecramur Ulixi. mox et Leucatae nimbosa cacumina montis et formidatus nautis aperitur Apollo. hunc petimus fessi et parvae succedimus urbi; ancora de prora iacitur, stant litore puppes. Ergo insperata tandem tellure potiti lustramurque Iovi votisque incendimus aras Actiaque Iliacis celebramus litora ludis. exercent patrias oleo labente palaestras nudati socii; iuvat evasisse tot urbes Argolicas mediosque fugam tenuisse per hostis. interea magnum sol circumvolvitur annum et glacialis hiems Aquilonibus asperat undas.

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Ja, ihr kommt nach Italien, dürft in den Hafen dort fahren. Doch ihr ummauert die euch gegebene Stadt nicht, bevor euch schrecklicher Hunger, die Strafe für Mord, bei uns hier begangen, zwingt, in die Tische zu beißen und die zu zerkaun mit dem Kiefer.‹ Sprach’s und schwang mit den Flügeln sich auf und floh in die Wälder. Doch den Gefährten erstarrte das Blut in jähem Entsetzen eisig: Ihr Mut sank; nicht mehr Waffen zu trauen, verlangen sie, sondern Frieden jetzt zu erflehn mit Gebet und Gelübde, mochten es Göttinnen sein oder grässliche, eklige Vögel. Vater Anchises ruft, ausstreckend die Arme, vom Strand aus mächtige Gottheiten an und verspricht die gebührenden Opfer: ›Götter, verhindert, was droht, und wendet ab ein so großes Unglück und rettet gütig die Frommen!‹ Dann lässt er vom Ufer reißen das Seil, das Tauwerk der Segel entwirren und lockern. Südwinde blähen die Segel: Wir fliehen auf schäumenden Wogen, fahren, wohin unsern Kurs nun Wind und Steuermann lenken. Mitten im Meere erscheint die bewaldete Insel Zakynthos, dort ist Dulichium, Same und Neritos, ragend mit Felsen. Ithakas Klippen entfliehn wir, dem Königreich des Laërtes, und wir verwünschen das Land, das Ulixes, den Grausamen, nährte. Bald schon tut sich vor uns Leukates, der Berg, mit umwölktem Gipfel auf und Apollos Tempel, der Schrecken des Seemanns. Dorthin streben wir müde und kommen hin zu dem Städtchen; Anker wirft man vom Bug; am Gestade liegen die Schiffe. Als wir nun wider Erwarten endlich Festland betreten, bringen wir Juppiter Sühne und Brandopfer dar am Altare; Aktiums Küsten verherrlichen dann wir durch Iliums Spiele. Ringkämpfe wie in der Heimat tragen da aus die Gefährten, nackt und glatt von Öl; dass so zahlreichen griechischen Städten wir entrannen und mitten durch Feinde entflohn sind, erfreut uns. Unterdessen durchläuft die Sonne den Kreis eines Jahrs, und rau macht Winterkälte die Wogen mit Sturm aus dem Norden.

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aere cavo clipeum, magni gestamen Abantis, postibus adversis figo et rem carmine signo:

aeneas haec de danais victoribvs arma. linquere tum portus iubeo et considere transtris; certatim socii feriunt mare et aequora verrunt. protinus aërias Phaeacum abscondimus arces, litoraque Epiri legimus portuque subimus Chaonio et celsam Buthroti accedimus urbem. Hic incredibilis rerum fama occupat auris, Priamiden Helenum Graias regnare per urbes, coniugio Aeacidae Pyrrhi sceptrisque potitum, et patrio Andromachen iterum cessisse marito. obstipui, miroque incensum pectus amore compellare virum et casus cognoscere tantos. progredior portu classes et litora linquens, sollemnis cum forte dapes et tristia dona ante urbem in luco falsi Simoentis ad undam libabat cineri Andromache manisque vocabat Hectoreum ad tumulum, viridi quem caespite inanem et geminas, causam lacrimis, sacraverat aras. ut me conspexit venientem et Troia circum arma amens vidit, magnis exterrita monstris deriguit visu in medio, calor ossa reliquit, labitur et longo vix tandem tempore fatur: “verane te facies, verus mihi nuntius adfers, nate dea? vivisne? aut, si lux alma recessit, Hector ubi est?” dixit lacrimasque effudit et omnem implevit clamore locum. vix pauca furenti subicio et raris turbatus vocibus hisco: “vivo equidem vitamque extrema per omnia duco; ne dubita, nam vera vides. heu! quis te casus deiectam coniuge tanto

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Einen ehernen Schild – stolz trug ihn der riesige Abas – hefte ich vorne ans Tor, halt fest durch den Vers das Ereignis: ›Waffen, entrissen den siegreichen Danaërn, weiht hier Aeneas.‹ Auszulaufen befehle ich dann und ans Ruder zu gehen; wetteifernd peitschen das Meer die Gefährten und fegen die Fluten. Hinter uns lassen wir bald der Phäaken ragende Burgen, segeln am Strand von Epirus entlang und laufen Chaoniens Hafen dann an und nahen der Stadt Buthrotum, der hohen. Hier dringt nicht zu glaubende Kunde an unsere Ohren: Helenus, Priamus’ Sohn, sei König in griechischen Städten, habe des Szepters des Pyrrhus und seiner Frau sich bemächtigt, und einem Mann aus der Heimat gehöre Andromache wieder. Staunen ergriff mich, mein Herz war entflammt von enormem Verlangen, anzusprechen den Mann, von so großem Geschehn zu erfahren. Weiter geh ich vom Hafen, verlasse Flotte und Strand, und zufällig brachte als Opfer ein Mahl und Spenden der Trauer vor der Stadt im Hain, an des falschen Simoïs Wasser, Hektors Asche Andromache dar, die Manen an seinem Grab anrufend, wo – leer war’s – sie grünen Rasen gepflanzt und zwei Altäre geweiht hatte als einen Ort ihrer Tränen. Als sie mich herkommen sah und ringsum die troischen Waffen ganz entgeistert erblickte, erschrak sie über das Wunder und erstarrte mitten im Schauen, den Gliedern entwich die Wärme, sie wankt, und nach langer Zeit erst sagt sie mit Mühe: ›Sohn einer Göttin, erscheinst du in wahrer Gestalt und als wahrer Bote bei mir? Du bist noch am Leben? Oder, erlosch das Lebenslicht dir, wo ist dann Hektor?‹ So sprach sie und weinte und erfüllte den ganzen Platz mit Klage. Ich kann der Rasenden kaum etwas sagen und stammle in meiner Verwirrung: ›Ja, ich lebe und friste in äußerster Mühsal mein Leben; zweifle nicht, denn du siehst die Wirklichkeit. Wehe! Welches Geschick traf dich, beraubt eines solchen

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excipit? aut quae digna satis fortuna revisit, Hectoris Andromache? Pyrrhin conubia servas?” deiecit vultum et demissa voce locuta est: “o felix una ante alias Priameia virgo, hostilem ad tumulum Troiae sub moenibus altis iussa mori, quae sortitus non pertulit ullos nec victoris eri tetigit captiva cubile! nos patria incensa diversa per aequora vectae stirpis Achilleae fastus iuvenemque superbum servitio enixae tulimus; qui deinde secutus Ledaeam Hermionen Lacedaemoniosque hymenaeos me famulo famulamque Heleno transmisit habendam. ast illum ereptae magno flammatus amore coniugis et scelerum furiis agitatus Orestes excipit incautum patriasque obtruncat ad aras. morte Neoptolemi regnorum reddita cessit pars Heleno, qui Chaonios cognomine campos Chaoniamque omnem Troiano a Chaone dixit, Pergamaque Iliacamque iugis hanc addidit arcem. sed tibi qui cursum venti, quae fata dedere? aut quisnam ignarum nostris deus appulit oris? quid puer Ascanius? superatne et vescitur aura, quem tibi iam Troia…? ecqua tamen puero est amissae cura parentis? ecquid in antiquam virtutem animosque virilis et pater Aeneas et avunculus excitat Hector?” talia fundebat lacrimans longosque ciebat incassum fletus, cum sese a moenibus heros Priamides multis Helenus comitantibus adfert, agnoscitque suos laetusque ad limina ducit, et multum lacrimas verba inter singula fundit. procedo et parvam Troiam simulataque magnis

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Manns? Oder welches Glück kam doch noch zu dir, deiner würdig, Hektors Andromache? Bist du noch immer die Gattin des Pyrrhus?‹ Nieder senkte sie da ihr Gesicht und erwiderte leise: ›Einzig glücklich ist sie vor den anderen Priamus-Töchtern, die an des Feindes Grab unter Trojas ragenden Mauern sterben musste; denn dass sie ausgelost wurde, erlitt sie nicht, sie berührte auch nicht als Gefangne das Lager des Siegers! Ich durchfuhr nach dem Brand der Heimat entlegene Meere und ertrug den Dünkel des Sohnes Achills und den Stolz des jungen Mannes, gebar in Knechtschaft; er aber folgte dann Hermione, Ledas Enkelin, nahm sie zur Frau in Sparta und gab dem Helenus mich, dem Sklaven die Sklavin. Aber ihn überfällt, in brennender Liebe zu seiner ihm entrissenen Gattin, Orest, den die Furien jagen, und er erschlägt den Arglosen beim Altar seines Vaters. Durch Neoptolemus’ Tod ging jener Teil seines Reichs, der ihm jetzt zustand, an Helenus, welcher chaonisch die Fluren nannte, Chaonien alles Land nach Chaon aus Troja; Pergamum baute er hier auf den Höhen und Iliums Stadtburg. Aber welche Winde und Fata lenkten den Kurs dir? Welcher Gott ließ ohne dein Wissen am Strand hier dich landen? Was ist mit deinem Knaben Askanius? Lebt er und atmet, er, den dir schon Troja … ? Sorgt sich der Knabe denn wohl um seine verlorene Mutter? Spornen ihn wohl zu der Tatkraft früherer Zeiten sowie zum Mannesmut an sein Vater Aeneas und Hektor, sein Onkel?‹ Unter Tränen brachte sie solches hervor, und sie weinte lange dann noch umsonst; da nahte der Held von der Festung, Helenus, Priamus’ Sohn, umgeben von großem Gefolge; dieser erkennt die Seinen und führt sie froh zum Palaste; während unsres Gesprächs lässt viele Tränen er fließen. Weitergehend erkenn Klein-Troja ich, Pergamum auch, ein

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Pergama et arentem Xanthi cognomine rivum agnosco, Scaeaeque amplector limina portae; nec non et Teucri socia simul urbe fruuntur. illos porticibus rex accipiebat in amplis: aulai medio libabant pocula Bacchi, impositis auro dapibus, paterasque tenebant. Iamque dies alterque dies processit, et aurae vela vocant tumidoque inflatur carbasus Austro; his vatem adgredior dictis ac talia quaeso: “Troiugena interpres divum, qui numina Phoebi, qui tripodas laurusque Clari, qui sidera sentis et volucrum linguas et praepetis omina pinnae, fare age (namque omnis cursum mihi prospera dixit religio, et cuncti suaserunt numine divi Italiam petere et terras temptare repostas; sola novum dictuque nefas Harpyia Celaeno prodigium canit et tristis denuntiat iras obscenamque famem): quae prima pericula vito? quidve sequens tantos possim superare labores?” hic Helenus caesis primum de more iuvencis exorat pacem divum vittasque resolvit sacrati capitis, meque ad tua limina, Phoebe, ipse manu multo suspensum numine ducit, atque haec deinde canit divino ex ore sacerdos: “Nate dea (nam te maioribus ire per altum auspiciis manifesta fides: sic fata deum rex sortitur volvitque vices, is vertitur ordo), pauca tibi e multis, quo tutior hospita lustres aequora et Ausonio possis considere portu, expediam dictis; prohibent nam cetera Parcae scire Helenum farique vetat Saturnia Iuno. principio Italiam, quam tu iam rere propinquam

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Abbild des großen, und einen ausgetrockneten Bach, den Xanthus man nennt; am skäischen Tor umfass ich die Schwelle; auch erfreuen zugleich an der Schwesterstadt sich die Teukrer. Diese empfing unter großen Säulenhallen der König: Weinopfer brachten sie mitten im Hofe dar – auf den Tischen stand in goldnem Geschirr das Mahl –, und sie hielten die Schalen. Und schon ist ein Tag nach dem andren vergangen, die Lüfte rufen die Segel, es bläht sich das Leintuch im schwellenden Südwind; so tret ich an den Seher heran und bitte ihn dieses: ›Trojaentsprossener Deuter der Götter, der du des Phoebus Willen, den Dreifuß sowie den Lorbeer von Klaros, die Sterne, auch die Sprache der Vögel und schneller Fittiche Zeichen kennst, auf, sage – denn alle Orakel haben die Fahrt mir glückverheißend verkündet, und aufzusuchen Italien, rieten die Götter mir alle und fernes Land zu erkunden; nur (unsäglich!) Kelaeno die Harpyie, die prophezeit ein beispielloses Zeichen; sie weissagt finsteren Zorn und grässliche Hungersnot –: Welche Gefahren meid ich zuerst wohl? Welchem Weg soll ich folgen, um solche Mühsal zu meistern?‹ Helenus opfert zuerst die Stiere, wie es der Brauch will, bittet die Götter um Frieden und löst dann von seinem geweihten Haupt die Binden und führt zum Tor deines Tempels, o Phoebus, mich an der Hand; mir war angst wegen so viel göttlicher Nähe; dann prophezeit der Priester mir dieses aus göttlichem Munde: ›Sohn einer Göttin – denn dass übers Meer du auf höhere Weisung fährst, das ist deutlich verbürgt: So verteilt die Fata und sorgt für Schicksalswechsel der König der Götter, und so ist der Weltlauf –, wenig aus vielem will ich dir sagen, damit über fremde Meere du sicherer fährst und in einem ausonischen Hafen landen kannst; denn dass Helenus Weiteres wisse, verwehren ihm die Parzen, verbietet zu sagen Saturnia Juno. Dies zuerst: Von Italien, das nah du schon glaubst, und von dessen

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vicinosque, ignare, paras invadere portus, longa procul longis via dividit invia terris. ante et Trinacria lentandus remus in unda et salis Ausonii lustrandum navibus aequor infernique lacus Aeaeaeque insula Circae, quam tuta possis urbem componere terra. signa tibi dicam, tu condita mente teneto: cum tibi sollicito secreti ad fluminis undam litoreis ingens inventa sub ilicibus sus triginta capitum fetus enixa iacebit, alba solo recubans, albi circum ubera nati, is locus urbis erit, requies ea certa laborum. nec tu mensarum morsus horresce futuros: fata viam invenient aderitque vocatus Apollo. has autem terras Italique hanc litoris oram, proxima quae nostri perfunditur aequoris aestu, effuge: cuncta malis habitantur moenia Grais. hic et Narycii posuerunt moenia Locri, et Sallentinos obsedit milite campos Lyctius Idomeneus; hic illa ducis Meliboei parva Philoctetae subnixa Petelia muro. quin ubi transmissae steterint trans aequora classes et positis aris iam vota in litore solves, purpureo velare comas adopertus amictu, ne qua inter sanctos ignis in honore deorum hostilis facies occurrat et omina turbet. hunc socii morem sacrorum, hunc ipse teneto, hac casti maneant in religione nepotes. ast ubi digressum Siculae te admoverit orae ventus et angusti rarescent claustra Pelori, laeva tibi tellus et longo laeva petantur aequora circuitu; dextrum fuge litus et undas.

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Nachbarhäfen, in die du, unwissend, fahren willst, trennt ein langer Weg durch ferne Gebiete, unwegsam, dich noch. Vorher muss in Trinakrias Wogen das Ruder sich biegen, ist des ausonischen Meeres Salzflut per Schiff zu bereisen und der Unterweltsee und Aeaea, die Insel der Kirke, ehe du aufbauen kannst eine Stadt auf sicherem Boden. Zeichen will ich dir nennen, bewahre du sie im Herzen: Hast du, voll Sorgen, am Wasser eines entlegenen Stromes eine gewaltige Sau unter Eichen am Ufer gefunden, die dort liegt nach dem Wurf von dreißig Ferkeln, am Boden ruhend, weiß, mit den weißen Ferkeln rings um die Zitzen, ist das der Ort für die Stadt und die sichere Rast von den Mühen. Schaudre auch nicht vor dem Biss in Tische, der dir bevorsteht: Fata finden den Weg, Apoll wird, gerufen, dir helfen. Diese Länder jedoch und den Strand der italischen Küste, die ganz nah von der Brandung unseres Meeres umwogt wird, meide: Von tückischen Griechen bewohnt sind sämtliche Städte. Hier erbauten sich ihre Stadt die narykischen Lokrer, der aus Lyktus, Idomeneus, hält sallentinische Felder durch seine Krieger besetzt; das kleine Petelia schützen Mauern, die Philoktet, der Fürst Meliböas, erbaute. Ist deine Flotte erst drüben und steht sie jenseits des Meeres, und du errichtest Altäre, erfüllst am Strand dein Gelübde, hüll in ein Purpurgewand dich dann, das das Haar dir bedeckt hält, dass dir kein feindliches Antlitz, während die heiligen Feuer brennen zu Ehren der Götter, begegne und störe die Zeichen. Diesen Opferbrauch sollen bewahrn die Gefährten, du auch sollst’s; bleiben sollen beim Ritus die gottesfürchtigen Enkel. Treibt dich jedoch, wenn weiter du fährst, an Siziliens Strand der Wind und weitet sich dort der Riegel des engen Pelorus, links dann strebe zum Land und weit im Bogen zum linken Meer; auf der rechten Seite meide den Strand und die Wogen.

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haec loca vi quondam et vasta convulsa ruina (tantum aevi longinqua valet mutare vetustas) dissiluisse ferunt, cum protinus utraque tellus una foret: venit medio vi pontus et undis Hesperium Siculo latus abscidit, arvaque et urbes litore diductas angusto interluit aestu. dextrum Scylla latus, laevum implacata Charybdis obsidet atque imo barathri ter gurgite vastos sorbet in abruptum fluctus rursusque sub auras erigit alternos et sidera verberat unda. at Scyllam caecis cohibet spelunca latebris ora exsertantem et navis in saxa trahentem. prima hominis facies et pulchro pectore virgo pube tenus, postrema immani corpore pistrix delphinum caudas utero commissa luporum. praestat Trinacrii metas lustrare Pachyni cessantem, longos et circumflectere cursus, quam semel informem vasto vidisse sub antro Scyllam et caeruleis canibus resonantia saxa. praeterea, si qua est Heleno prudentia vati, si qua fides, animum si veris implet Apollo, unum illud tibi, nate dea, proque omnibus unum praedicam et repetens iterumque iterumque monebo: Iunonis magnae primum prece numen adora, Iunoni cane vota libens dominamque potentem supplicibus supera donis; sic denique victor Trinacria finis Italos mittere relicta. huc ubi delatus Cumaeam accesseris urbem divinosque lacus et Averna sonantia silvis, insanam vatem aspicies, quae rupe sub ima fata canit foliisque notas et nomina mandat. quaecumque in foliis descripsit carmina virgo

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Durch Gewalt eines riesigen Einbruches wurde die Gegend, sagen sie – so viel kann ein langer Zeitraum verändern –, einst auseinandergesprengt, als eines noch waren die beiden Länder: Mit Macht drang mitten hinein das Meer, mit den Wogen riss es Hesperien ab von Sizilien; durch Küsten getrennte Fluren und Städte durchströmte es dann in brandender Enge. Skylla sitzt auf dem rechten, am linken Ufer Charybdis, gnadenlos; dreimal schluckt mit dem tiefsten Wirbel des Schlundes sie in den Abgrund gewaltige Fluten und speit sie im Wechsel wieder empor in die Lüfte und peitscht mit den Wogen die Sterne. Eine Grotte mit finsteren Schlupfwinkeln birgt in sich Skylla, die ihre Köpfe herausstreckt, um Schiffe auf Klippen zu zerren. Oben ist Menschengestalt, mit schönen Brüsten ein Mädchen bis zum Schoß, aber unten der schreckliche Leib eines Meertiers; Schwänze eines Delphins sind gefügt an den Bauch eines Wolfes. Besser ist’s, langsam Pachynum, Trinakrias Kap, zu passieren und zu umsegeln in weitem Bogen, als einmal in ihrer riesigen Höhle erblickt zu haben die hässliche Skylla und die Felsen, durchhallt vom Gebell ihrer blauschwarzen Hunde. Ferner, wenn Klugheit besitzt der Seher Helenus, wenn er Glauben verdient, wenn Apoll sein Herz erfüllt mit der Wahrheit, will dies eine ich, Sohn einer Göttin, dir sagen, das alles andere aufwiegt, und ständig wieder und wieder dich mahnen: Rufe zuerst im Gebet zur erhabenen Gottheit der Juno, richte an Juno willig Gelübde, die mächtige Herrin stimme gnädig durch Gaben voll Demut; sie lässt dich dann endlich siegreich verlassen Trinakria und nach Italien fahren. Bist du dort gelandet, nach Kumae, der Stadt, dann gekommen und zum heiligen See, dem Avernus, den Wälder umrauschen, dann siehst du die verzückte Prophetin, die tief in der Felskluft Fata verkündet und Blätter bedeckt mit Zeichen und Namen. Alle von der Jungfrau auf Blätter geschriebenen Sprüche

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digerit in numerum atque antro seclusa relinquit: illa manent immota locis neque ab ordine cedunt; verum eadem, verso tenuis cum cardine ventus impulit et teneras turbavit ianua frondes, numquam deinde cavo volitantia prendere saxo nec revocare situs aut iungere carmina curat; inconsulti abeunt sedemque odere Sibyllae. hic tibi ne qua morae fuerint dispendia tanti, quamvis increpitent socii et vi cursus in altum vela vocet possisque sinus implere secundos, quin adeas vatem precibusque oracula poscas ipsa canat vocemque volens atque ora resolvat. illa tibi Italiae populos venturaque bella et quo quemque modo fugiasque ferasque laborem expediet, cursusque dabit venerata secundos. haec sunt quae nostra liceat te voce moneri. vade age et ingentem factis fer ad aethera Troiam.” Quae postquam vates sic ore effatus amico est, dona dehinc auro gravia ac secto elephanto imperat ad navis ferri, stipatque carinis ingens argentum Dodonaeosque lebetas, loricam consertam hamis auroque trilicem et conum insignis galeae cristasque comantis, arma Neoptolemi. sunt et sua dona parenti. addit equos additque duces, remigium supplet, socios simul instruit armis. Interea classem velis aptare iubebat Anchises, fieret vento mora ne qua ferenti. quem Phoebi interpres multo compellat honore: “coniugio, Anchisa, Veneris dignate superbo, cura deum, bis Pergameis erepte ruinis, ecce tibi Ausoniae tellus: hanc arripe velis.

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bringt sie in Reihe und lässt sie verschlossen zurück in der Grotte: Fest am Platze bleiben sie, nicht aus der Ordnung geratend; fährt ein Windhauch hinein, nachdem sich die Angel gedreht hat, und es wirbelt die offene Tür durcheinander die zarten Blätter, bemüht sie sich nie, die Sprüche zu fassen, die durch die Felsgrotte fliegen, zu ordnen oder erneut zu verbinden; unberaten geht man und hasst den Sitz der Sibylle. Nicht von Gewicht sei dir ein langer Verzug hier, wie sehr auch schimpfen deine Gefährten, mit Macht der Kurs auf das hohe Meer die Segel ruft und das Tuch du mit günstigem Fahrtwind füllen kannst: Geh zur Prophetin und bitte sie, ihre Orakel selbst zu verkünden und willig den Mund für die Rede zu öffnen. Sie wird dir von den Völkern Italiens und künftigen Kriegen künden und wie du vermeiden oder ertragen kannst jede Mühsal und gibt, von dir verehrt, eine günstige Seefahrt. Dies ist’s, was meine Stimme zur Mahnung dir sagen darf. Auf denn, hebe durch deine Taten zum Himmel das mächtige Troja.‹ Als in freundlichem Ton der Seher dieses gesagt hat, lässt er Geschenke, schwer von Gold und Elfenbeinschnitzwerk, mir zu den Schiffen hin tragen und riesige Mengen von Silber, Becken dazu aus Dodona sowie einen Panzer, aus Golddraht dreifach geflochten, dazu mit wallendem Helmbusche einen prächtigen Spitzhelm, einst Neoptolemus’ Rüstung, verstauen unter Deck. Es gibt auch für meinen Vater Geschenke. Pferde fügt er hinzu und Wagenlenker, neue Ruderer auch, und versieht die Gefährten mit Waffen. Fertig zum Absegeln ließ unterdessen Anchises die Flotte machen, damit man ja den günstigen Wind nicht verpasse. Ihn spricht an der Deuter des Phoebus, ihm Ehre erweisend: ›Du, des erhabenen Lagers der Venus gewürdigt, Anchises, Schützling der Götter, schon zweimal dem Untergang Trojas entrissen, schau, Ausoniens Land vor dir: Schnell segle hinüber!

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et tamen hanc pelago praeterlabare necesse est: Ausoniae pars illa procul quam pandit Apollo. vade,” ait “o felix nati pietate. quid ultra provehor et fando surgentis demoror Austros?” nec minus Andromache digressu maesta supremo fert picturatas auri subtemine vestes et Phrygiam Ascanio chlamydem (nec cedit honore) textilibusque onerat donis ac talia fatur: “accipe et haec, manuum tibi quae monumenta mearum sint, puer, et longum Andromachae testentur amorem, coniugis Hectoreae. cape dona extrema tuorum, o mihi sola mei super Astyanactis imago: sic oculos, sic ille manus, sic ora ferebat, et nunc aequali tecum pubesceret aevo.” hos ego digrediens lacrimis adfabar obortis: “vivite felices, quibus est fortuna peracta iam sua: nos alia ex aliis in fata vocamur. vobis parta quies: nullum maris aequor arandum, arva neque Ausoniae semper cedentia retro quaerenda. effigiem Xanthi Troiamque videtis quam vestrae fecere manus, melioribus, opto, auspiciis, et quae fuerit minus obvia Grais. si quando Thybrim vicinaque Thybridis arva intraro gentique meae data moenia cernam, cognatas urbes olim populosque propinquos, Epiro Hesperiam (quibus idem Dardanus auctor atque idem casus), unam faciemus utramque Troiam animis; maneat nostros ea cura nepotes.” Provehimur pelago vicina Ceraunia iuxta, unde iter Italiam cursusque brevissimus undis. sol ruit interea et montes umbrantur opaci. sternimur optatae gremio telluris ad undam

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Dennoch musst du an ihm entlang das Meer noch durchgleiten: Fern ist jener Teil Ausoniens, den anzeigt Apollo. Du, beglückt durch die Liebe des Sohns, zieh hin. Doch was red ich weiter, halte durch Reden noch hin den Südwind, der aufkommt?‹ Auch Andromache, wegen des letzten Abschieds bekümmert, bringt uns Gewänder, bestickt mit goldenem Faden, und gibt ein phrygisches Kleid dem Askanius – und steht nicht nach mit der Ehrung –, überhäuft ihn mit Gaben aus Tuch und sagt dann die Worte: ›Nimm auch dies noch, mein Kind; es erinnere dich an die Arbeit meiner Hände, bezeuge Andromaches, Hektors Gemahlin, dauernde Liebe. Empfange die letzten Geschenke der Deinen, du, des Astyanax einziges mir noch verbliebenes Abbild: So sahn seine Augen, die Hände, so das Gesicht aus; gleichaltrig, würde er zusammen mit dir jetzt erwachsen.‹ Beide sprach ich zum Abschied an, und mir kamen die Tränen: ›Lebt, seid glücklich, für die bereits sich erfüllt hat das Schicksal: Uns aber rufen die Fata von einem Problem zu dem nächsten. Euch ist Ruhe geschenkt: Kein Meer mehr müsst ihr durchpflügen, auch nicht Ausoniens Fluren suchen, die immer aufs Neue sich entziehen. Ihr seht das Abbild des Xanthus, ein Troja, das eure Hände mit besserer Vorbedeutung erbauten, wie ich mir wünsche, und weniger ausgeliefert den Griechen. Wenn ich zum Thybris einmal und des Thybris Nachbargefilden komm und die Mauern erblicke, die meinem Volke bestimmt sind, werden wir unsre verschwisterten Städte und Völker, Epirus und Hesperien – denselben Gründer, Dardanus, haben sie und dasselbe Schicksal –, zu einem Troja im Geiste beide verbinden; das bleibe die Sorge unserer Enkel.‹ Weiter geht’s übers Meer in des wenig entfernten Keraunias Nähe; von dort ist der Weg nach Italien am kürzesten. Unter geht die Sonne indes, und in Schatten getaucht sind die dunklen Berge. Wir lagern im Schoß des ersehnten Landes am Wasser;

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sortiti remos passimque in litore sicco corpora curamus; fessos sopor inrigat artus. necdum orbem medium Nox Horis acta subibat: haud segnis strato surgit Palinurus et omnis explorat ventos atque auribus aëra captat; sidera cuncta notat tacito labentia caelo, Arcturum pluviasque Hyadas geminosque Triones armatumque auro circumspicit Oriona. postquam cuncta videt caelo constare sereno, dat clarum e puppi signum; nos castra movemus temptamusque viam et velorum pandimus alas. Iamque rubescebat stellis Aurora fugatis, cum procul obscuros collis humilemque videmus Italiam. Italiam primus conclamat Achates, Italiam laeto socii clamore salutant. tum pater Anchises magnum cratera corona induit implevitque mero divosque vocavit stans prima in puppi: “di maris et terrae tempestatumque potentes, ferte viam vento facilem et spirate secundi.” crebrescunt optatae aurae portusque patescit iam propior, templumque apparet in arce Minervae; vela legunt socii et proras ad litora torquent. portus ab euroo fluctu curvatus in arcum, obiectae salsa spumant aspargine cautes, ipse latet: gemino demittunt bracchia muro turriti scopuli refugitque ab litore templum. quattuor hic, primum omen, equos in gramine vidi tondentis campum late, candore nivali. et pater Anchises “bellum, o terra hospita, portas: bello armantur equi, bellum haec armenta minantur. sed tamen idem olim curru succedere sueti

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Ruderwacht wird da verlost, überall am trocknen Gestade ruhn wir den Leib aus; der Schlaf erquickt die ermatteten Glieder. Noch nicht nahte die Nacht, von den Horen geleitet, der Mitte ihrer Bahn, als vom Lager, nicht faul, sich erhebt Palinurus, alle Winde erkundet, den Lüften lauscht und die ganzen Sterne, die über den schweigenden Himmel gleiten, beachtet, den Arkturus, das Regengestirn und das Paar der Trionen; auch den Goldgewappneten schaut er genau an, Orion. Als er sieht, dass am heiteren Himmel günstig sich alles zeigt, gibt klar er vom Heck das Signal; gleich brechen wir auf und machen uns auf den Weg und entfalten die Schwingen der Segel. Schon sind die Sterne verscheucht und Aurora rötet sich, als wir schattige Hügel sehn in der Ferne und, flach sich erstreckend vor uns, Italien. ›Italien‹, so ruft da als erster Achates, und Italien begrüßen mit Freudengeschrei die Gefährten. Da bekränzte den großen Mischkrug der Vater Anchises, füllte diesen mit Wein und rief im Gebet zu den Göttern, stehend ganz vorn auf dem Heck: ›Mächtige Götter des Meeres, des Lands und der Stürme, die Fahrt macht leicht durch günstigen Wind und lasst, uns gewogen, ihn wehen!‹ Wie erwünscht, verstärkt sich die Brise, der Hafen erstreckt sich näher schon, und es zeigt auf der Burg sich der Tempel Minervas; Segel reffen die Freunde und drehen den Bug zum Gestade. Bogenförmig gekrümmt ist von östlicher Strömung der Hafen, Klippenvorsprünge schäumen von salziger Gischt, sie verbergen ihn: Eine doppelte Mauer bildend ziehn sich wie Arme turmhohe Felsen herab; landeinwärts vom Strand liegt der Tempel. Hier – das erste Vorzeichen – sah ich vier Pferde im Gras, die, schneeweiß glänzend, weithin weideten auf dem Gelände. Vater Anchises rief: ›Krieg bringst du, gastliches Land, uns: Pferde werden gerüstet zum Krieg, Krieg drohn diese Tiere. Doch zuweilen gewöhnen dieselben Pferde sich dran, den

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quadrupedes et frena iugo concordia ferre: spes et pacis” ait. tum numina sancta precamur Palladis armisonae, quae prima accepit ovantis, et capita ante aras Phrygio velamur amictu, praeceptisque Heleni, dederat quae maxima, rite Iunoni Argivae iussos adolemus honores. Haud mora, continuo perfectis ordine votis cornua velatarum obvertimus antemnarum, Graiugenumque domos suspectaque linquimus arva. hinc sinus Herculei (si vera est fama) Tarenti cernitur, attollit se diva Lacinia contra Caulonisque arces et navifragum Scylaceum. tum procul e fluctu Trinacria cernitur Aetna, et gemitum ingentem pelagi pulsataque saxa audimus longe fractasque ad litora voces, exsultantque vada atque aestu miscentur harenae. et pater Anchises: “nimirum haec illa Charybdis: hos Helenus scopulos, haec saxa horrenda canebat. eripite, o socii, pariterque insurgite remis.” haud minus ac iussi faciunt, primusque rudentem contorsit laevas proram Palinurus ad undas: laevam cuncta cohors remis ventisque petivit. tollimur in caelum curvato gurgite, et idem subducta ad Manis imos desedimus unda. ter scopuli clamorem inter cava saxa dedere, ter spumam elisam et rorantia vidimus astra. interea fessos ventus cum sole reliquit, ignarique viae Cyclopum adlabimur oris. Portus ab accessu ventorum immotus et ingens ipse; sed horrificis iuxta tonat Aetna ruinis, interdumque atram prorumpit ad aethera nubem turbine fumantem piceo et candente favilla,

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Wagen zu ziehn, unterm Joch die Zügel zu tragen in Eintracht: Das macht Hoffnung auf Frieden.‹ So sprach er; wir beten zu Pallas’ waffenklirrender Macht, die als erste uns Jubelnde aufnahm, hüllen unsere Häupter ins Phrygergewand vorm Altar, und, nach den Vorschriften, die uns als wichtigste Helenus nannte, ehren wir Juno von Argos mit Brandopfern, wie uns befohlen. Als nach der Ordnung die Opfer vollzogen sind, wenden sogleich wir ohne Verzug zum Meere die segeltragenden Rahen, lassen die Häuser der Griechen zurück und verdächtige Fluren. Dann ist der Golf von Tarent, der Herkules-Stadt – wenn die Kunde wahr ist –, zu sehn; gegenüber ragen Lakinias Tempel, Kaulons Burgen und auch Skylakeum, das Schiffe zerschmettert. Dann taucht auf von fern aus Trinakrias Fluten der Aetna, und von weither hören wir mächtig tosen das Meer und wie’s an die Klippen klatscht und krachend sich bricht am Gestade; hoch springt Wasser empor, und es mischt sich der Sand in die Brandung. Vater Anchises ruft: ›Ganz gewiss ist das jene Charybdis: Helenus weissagte diese Riffe und furchtbaren Felsen. Reißt uns heraus, ihr Gefährten, und legt euch zugleich in die Riemen.‹ Willig fügen sie sich dem Befehl; Palinurus als erster wendet den krachenden Bug herum in die Wogen zur Linken: Dorthin dreht die ganze Mannschaft mit Rudern und Wind ab. Bis zum Himmel erhebt uns ein kreisender Strudel, wir sinken tief zu den Manen hinab, als davongerollt ist die Woge. Dreimal tönten laut die Klippen im Felsengewölbe, dreimal sahn wir den Schaum aufspritzen und, nass dann, die Sterne. Unterdessen verließen Sonne und Wind uns Erschöpfte, und wir treiben, nicht kundig des Wegs, zum Strand der Kyklopen. Nicht vom Ansturm der Winde berührt ist der Hafen und riesig; aber daneben erdröhnt der Aetna in schrecklichen Klüften, stößt zuweilen zum Himmel empor eine düstere Wolke; pechschwarzen Rauch und glühende Asche wirbelt sie aufwärts;

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attollitque globos flammarum et sidera lambit: interdum scopulos avulsaque viscera montis erigit eructans liquefactaque saxa sub auras cum gemitu glomerat fundoque exaestuat imo. fama est Enceladi semustum fulmine corpus urgeri mole hac, ingentemque insuper Aetnam impositam ruptis flammam exspirare caminis, et fessum quotiens mutet latus, intremere omnem murmure Trinacriam et caelum subtexere fumo. noctem illam tecti silvis immania monstra perferimus, nec quae sonitum det causa videmus. nam neque erant astrorum ignes nec lucidus aethra siderea polus, obscuro sed nubila caelo, et lunam in nimbo nox intempesta tenebat. Postera iamque dies primo surgebat Eoo umentemque Aurora polo dimoverat umbram, cum subito e silvis macie confecta suprema ignoti nova forma viri miserandaque cultu procedit supplexque manus ad litora tendit. respicimus: dira inluvies immissaque barba, consertum tegumen spinis, at cetera Graius, et quondam patriis ad Troiam missus in armis. isque ubi Dardanios habitus et Troia vidit arma procul, paulum aspectu conterritus haesit continuitque gradum; mox sese ad litora praeceps cum fletu precibusque tulit: “per sidera testor, per superos atque hoc caeli spirabile lumen, tollite me, Teucri; quascumque abducite terras: hoc sat erit. scio me Danais e classibus unum et bello Iliacos fateor petiisse penates. pro quo, si sceleris tanta est iniuria nostri, spargite me in fluctus vastoque immergite ponto:

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Feuerklumpen wirft er nach oben und leckt an den Sternen: Felsbrocken speit er manchmal, zerrissene Berginnereien, rülpsend hervor und schleudert hinauf in die Lüfte geschmolzne Steine unter Getöse und wallt aus dem untersten Grund auf. Wie man erzählt, wird Enkeladus’ halb vom Blitzstrahl verbrannter Körper von dieser Masse nach unten gedrückt, und der auf ihm liegende riesige Aetna, der schnaubt aus geborstenen Essen Flammen, und immer wenn er erschöpft sich umdreht, erzittert ganz Trinakria dumpf und verfinstert mit Rauch seinen Himmel. Wir erdulden in jener Nacht im Schutze der Wälder schreckliche Zeichen und können den Grund des Lärms nicht erkennen. Denn es funkelte kein Gestirn, und das Himmelsgewölbe war nicht von Sternen erleuchtet, sondern umwölkt war der dunkle Himmel, und finstere Nacht versteckte den Mond hinter Nebel. Schon stieg dann mit dem ersten Frührot der folgende Tag auf, feuchtes Dunkel vertrieben hatte vom Himmel Aurora; da kommt plötzlich vom Wald, durch äußerste Magerkeit kraftlos, eines Fremdlings abnorme Gestalt; bejammernswert ist sein Zustand, und er streckt seine Hände flehend zur Küste. Wir schaun auf: schrecklich schmutzig, der Bart herabwallend und mit Dornen zusammengeheftet die Lumpen, ansonsten ein Grieche und vordem gegen Troja entsandt in heimischen Waffen. Als er von fern dardanische Kleidung und troische Waffen sah, da blieb, von dem Anblick erschreckt, ein wenig er stehn und hemmte den Schritt, doch bald schon stürzte er weinend und flehend Hals über Kopf zum Strand: ›Ich beschwöre euch hier bei den Sternen und bei den Göttern und bei dem belebenden Lichte des Himmels, nehmt mich mit, ihr Teukrer, und bringt mich, wohin es auch sein mag: Mir wird’s genügen. Ich weiß, ich bin von der Danaërflotte einer und zog, ich gesteh’s, in den Krieg gegen Trojas Penaten. Dafür, wenn meines Frevels Unrecht so groß ist, zerreißt und werft in die Flut und versenkt mich im unermesslichen Meere:

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si pereo, hominum manibus periisse iuvabit.” dixerat et genua amplexus genibusque volutans haerebat. qui sit fari, quo sanguine cretus, hortamur, quae deinde agitet fortuna fateri. ipse pater dextram Anchises haud multa moratus dat iuveni atque animum praesenti pignore firmat. ille haec deposita tandem formidine fatur: “sum patria ex Ithaca, comes infelicis Ulixi, nomine Achaemenides, Troiam genitore Adamasto paupere (mansissetque utinam fortuna!) profectus. hic me, dum trepidi crudelia limina linquunt, immemores socii vasto Cyclopis in antro deseruere. domus sanie dapibusque cruentis, intus opaca, ingens. ipse arduus, altaque pulsat sidera (di talem terris avertite pestem!) nec visu facilis nec dictu adfabilis ulli; visceribus miserorum et sanguine vescitur atro. vidi egomet, duo de numero cum corpora nostro prensa manu magna medio resupinus in antro frangeret ad saxum, sanieque aspersa natarent limina; vidi atro cum membra fluentia tabo manderet et tepidi tremerent sub dentibus artus. haud impune quidem, nec talia passus Ulixes oblitusve sui est Ithacus discrimine tanto. nam simul expletus dapibus vinoque sepultus cervicem inflexam posuit, iacuitque per antrum immensus saniem eructans et frusta cruento per somnum commixta mero, nos magna precati numina sortitique vices una undique circum fundimur et telo lumen terebramus acuto ingens, quod torva solum sub fronte latebat, Argolici clipei aut Phoebeae lampadis instar,

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Wenn ich schon sterb, ist’s willkommen, von Menschenhänden zu sterben.‹ Sprach’s und umschlang uns die Knie, auf den Knien kriechend, und hing sich an uns. Wer und aus welchem Geschlecht er sei, welches Schicksal ihn umhertreibe, das, so ermuntern wir ihn, soll er sagen. Vater Anchises selbst gibt, ohne zu zögern, die Hand dem Jüngling und macht ihm Mut durch das deutliche Zeichen der Freundschaft. Endlich legt er die Furcht ab und spricht dann die folgenden Worte: ›Ithaka ist meine Heimat, ich folgte dem armen Ulixes, heiß Achaemenides; weil Adamastus, mein Vater, nicht reich war – wäre das doch mein Schicksal geblieben! –, zog ich nach Troja. Hier nun – während sie zitternd die grausame Schwelle verließen – ließen mich achtlos zurück die Gefährten in eines Kyklopen wüster Höhle. Das Haus ist voll Jauche und blutigem Fraße, drinnen düster und riesig. Er selbst ragt steil auf, berührt die Sterne – ihr Götter, verbannt so ein Scheusal doch von der Erde! –; schwer ist’s, ihn anzuschaun, nicht zugänglich ist er für Worte; Fleisch von elenden Menschen und schwärzliches Blut, das ernährt ihn. Selber sah ich, wie er zwei Männer aus unserer Schar mit seiner gewaltigen Hand, in der Höhle liegend, ergriff und gegen den Felsen schlug; da schwamm, vom Blute bespritzt, die Schwelle; ich sah, wie er dann die vom Blute triefenden Glieder kaute, wie diese, noch warm, ihm zuckten unter den Zähnen. Ungestraft aber nicht; nicht duldete solches Ulixes, nicht vergaß trotz der großen Gefahr sich der Ithaker selber. Denn als voll vom Mahl und vom Wein überwältigt er dalag, rückwärts gebogen den Nacken und ausgestreckt in der Höhle, jauchiges Blut ausrülpsend im Schlaf und Brocken, vermengt mit blutigem Wein, da losten wir nach dem Gebet zu den hohen Gottheiten unseren Platz aus, umringten ihn alle zugleich und bohrten mit spitzem Pfahl ihm heraus sein riesiges Auge, welches als einziges sich verbarg unter finsterer Stirne, gleich dem argolischen Schild oder gleich der Fackel des Phoebus,

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et tandem laeti sociorum ulciscimur umbras. sed fugite, o miseri, fugite atque ab litore funem 640 rumpite. nam qualis quantusque cavo Polyphemus in antro lanigeras claudit pecudes atque ubera pressat, centum alii curva haec habitant ad litora vulgo infandi Cyclopes et altis montibus errant. 645 tertia iam lunae se cornua lumine complent, cum vitam in silvis inter deserta ferarum lustra domosque traho vastosque ab rupe Cyclopas prospicio sonitumque pedum vocemque tremesco. victum infelicem, bacas lapidosaque corna, 650 dant rami, et vulsis pascunt radicibus herbae. omnia conlustrans hanc primum ad litora classem conspexi venientem. huic me, quaecumque fuisset, addixi: satis est gentem effugisse nefandam. vos animam hanc potius quocumque absumite leto.” 655 Vix ea fatus erat, summo cum monte videmus ipsum inter pecudes vasta se mole moventem pastorem Polyphemum et litora nota petentem, monstrum horrendum, informe, ingens, cui lumen ademptum. trunca manum pinus regit et vestigia firmat; 660 lanigerae comitantur oves, ea sola voluptas solamenque mali. postquam altos tetigit fluctus et ad aequora venit, luminis effossi fluidum lavit inde cruorem dentibus infrendens gemitu, graditurque per aequor 665 iam medium, necdum fluctus latera ardua tinxit. nos procul inde fugam trepidi celerare recepto supplice sic merito tacitique incidere funem, vertimus et proni certantibus aequora remis. sensit et ad sonitum vocis vestigia torsit.

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und so rächten wir endlich voll Freude die Schatten der Freunde. Aber, ihr Armen, entflieht, entflieht und löst vom Gestade schnell das Tau! So geartet und groß wie dort Polyphem, der in hohler Grotte wollige Schafe verschließt und auspresst die Euter, wohnen ja hundert andre verfluchte Kyklopen an dieser Küste hier weit und breit und streifen durchs hohe Gebirge. Dreimal füllten sich schon mit Licht die Hörner des Mondes, seit ich in Wäldern inmitten verlassener Lager der Tiere und Behausungen friste mein Leben, die Riesenkyklopen sehe vom Fels aus und bebe beim Schall ihrer Schritte und Stimmen. Elende Nahrung, Beeren, Kornellen auch, steinharte, spenden Zweige mir, Kräuter auch nähren mich, ausgerupft mit den Wurzeln. Ausschau haltend nach allem sah eine Flotte ich erstmals, wie sie der Küste sich nahte. Ihr, wie sie auch immer ist, gab ich mich in die Hand: Mir genügt, dem ruchlosen Volk zu entfliehen. Nehmt doch lieber ihr mir das Leben, wie immer mein Tod ist.‹ Kaum hatte der das gesagt, da sehen wir hoch auf dem Berg ihn selbst inmitten der Schafe mit riesigem Leib sich bewegen, strebend zu dem ihm vertrauten Strand, Polyphemus, den Hirten, ungeschlacht, grausig, hässlich, gewaltig, des Auges beraubt. Es lenkt seine Hand der Stamm einer Fichte und sichert die Schritte; wollige Schafe begleiten ihn, sind seine einzige Freude und im Unglück sein Trost. Als er das tiefe Wasser berührt und die Wogen erreicht hat, wäscht er das Blut ab, das fließt aus dem ausgestochenen Auge, knirscht mit den Zähnen und stöhnt und schreitet schon mitten durchs Wasser, aber die Flut kann noch nicht ihm die hohen Hüften benetzen. Zitternd drängen, ihm fern, wir zur Flucht, und den Flehenden nehmen, wie er’s verdient hat, wir auf und kappen ganz leise die Taue und durchpflügen die Flut, wetteifernd gestemmt auf die Ruder. Er aber spürt es und wendet den Schritt zum Geräusch unsrer Stimmen.

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verum ubi nulla datur dextra adfectare potestas nec potis Ionios fluctus aequare sequendo, clamorem immensum tollit, quo pontus et omnes intremuere undae penitusque exterrita tellus Italiae curvisque immugiit Aetna cavernis. at genus e silvis Cyclopum et montibus altis excitum ruit ad portus et litora complent. cernimus adstantis nequiquam lumine torvo Aetnaeos fratres caelo capita alta ferentis, concilium horrendum: quales cum vertice celso aëriae quercus aut coniferae cyparissi constiterunt, silva alta Iovis lucusve Dianae. praecipitis metus acer agit quocumque rudentis excutere et ventis intendere vela secundis. contra iussa monent Heleni, Scyllamque Charybdinque inter – utrimque viam leti discrimine parvo – ne teneam cursus: certum est dare lintea retro. ecce autem Boreas angusta ab sede Pelori missus adest; vivo praetervehor ostia saxo Pantagiae Megarosque sinus Thapsumque iacentem. talia monstrabat relegens errata retrorsus litora Achaemenides, comes infelicis Ulixi. Sicanio praetenta sinu iacet insula contra Plemyrium undosum: nomen dixere priores Ortygiam. Alpheum fama est huc Elidis amnem occultas egisse vias subter mare, qui nunc ore, Arethusa, tuo Siculis confunditur undis. iussi numina magna loci veneramur, et inde exsupero praepingue solum stagnantis Helori. hinc altas cautes proiectaque saxa Pachyni radimus, et fatis numquam concessa moveri apparet Camerina procul campique Geloi

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Als es ihm aber nicht möglich ist, uns mit der Rechten zu greifen, und mit der Jonischen Flut er nicht mithalten kann beim Verfolgen, schreit er unendlich laut, wovon das Meer und die Wogen alle erzittern, Italiens Erde erschrocken ist bis ins Innre und aufbrüllt in seinen bauchigen Höhlen der Aetna. Doch der Kyklopenstamm stürzt da, aufgescheucht aus den Wäldern und von den hohen Bergen, zum Hafen und füllt das Gestade. Wir aber sehen umsonst dastehen mit finsterem Blick die Aetnabrüder, die Häupter zum Himmel reckend als eine schreckenerregende Schar: So stehn auf erhabenem Gipfel Eichen, hochragend, oder, zapfentragend, Zypressen, Juppiters hoher Wald oder auch ein Hain der Diana. Heftige Angst treibt uns, die Taue in Hast zu entrollen und, wohin auch immer, mit günstigen Winden zu segeln. Helenus’ Weisung dagegen mahnt, ich soll zwischen Skylla und Charybdis – ein Weg sei’s, bei dem das Verderben auf beiden Seiten ganz nah sei – nicht fahren: Zum Abdrehen bin ich entschlossen. Sieh aber, Boreas kommt, geschickt vom Sund am Pelorus, uns zu Hilfe; vorbei an Pantagias’ felsenumwachsner Mündung fahr ich und Megaras Bucht und dem niedrigen Thapsus. Achaemenides zeigte uns während der Fahrt – für ihn rückwärts –, er, der Gefährte des armen Ulixes, die Küsten der Irrfahrt. Vor dem sikanischen Golf, gegenüber dem wogenumbrausten Berge Plemyrium liegt eine Insel: Ortygia nannten diese die Ahnen. Es floss der Strom von Elis, Alphëus, unterm Meer auf verborgenem Weg hierher, Arethusa – sagt man –, und ist, wo du mündest, vermischt mit sizilischen Wogen. Wie befohlen, verehrn wir die Götter des Orts, dann passier ich fruchtbaren, vom Helorus oft überfluteten Boden, dann das Kap Pachynum mit steilen Klippen und Felsriff, und es taucht von fern Kamerina auf, dem die Fata nie sich zu ändern gestatteten, dann das geloische Land und

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immanisque Gela fluvii cognomine dicta. arduus inde Acragas ostentat maxima longe moenia, magnanimum quondam generator equorum; teque datis linquo ventis, palmosa Selinus, et vada dura lego saxis Lilybeia caecis. hinc Drepani me portus et inlaetabilis ora accipit. hic pelagi tot tempestatibus actus, heu, genitorem, omnis curae casusque levamen, amitto Anchisen. hic me, pater optime, fessum deseris, heu, tantis nequiquam erepte periclis! nec vates Helenus, cum multa horrenda moneret, hos mihi praedixit luctus, non dira Celaeno. hic labor extremus, longarum haec meta viarum, hinc me digressum vestris deus appulit oris.’ Sic pater Aeneas intentis omnibus unus fata renarrabat divum cursusque docebat. conticuit tandem factoque hic fine quievit.

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Gela selbst, das nach seinem gewaltigen Fluss man benannt hat. Dann zeigt Akragas, steil aufragend, mächtige Mauern weithin; es war einmal ein Zuchtland feuriger Pferde; dich auch, Selinus, an Palmen reich, verlass ich im Fahrtwind, streif Lilybaeums Untiefen mit den verborgenen Riffen. Dann nimmt Drepanums Hafen mich auf und die freudlose Küste. Hier, umhergetrieben von so viel Stürmen des Meeres, ach, verlier ich den Trost in all meinen Sorgen und Nöten, Vater Anchises. Mein liebster Vater, du lässt mich Erschöpften hier allein, ach, umsonst du so großen Gefahren Entrissner! Nicht hat der Seher Helenus, der viel Schreckliches kundtat, diesen Kummer geweissagt, auch nicht die böse Kelaeno. Dies war mein letztes Leid, der Wendepunkt längerer Fahrten; nach meinem Abschied trug ein Gott mich an euer Gestade.« So hat denn Vater Aeneas allein – alle anderen lauschten – wieder erzählt von den Fata der Götter, die Fahrten beschreibend. Schließlich verstummte er, endete hier, und begab sich zur Ruhe.

LIBER IV At regina gravi iamdudum saucia cura vulnus alit venis et caeco carpitur igni. multa viri virtus animo multusque recursat gentis honos; haerent infixi pectore vultus verbaque nec placidam membris dat cura quietem. postera Phoebea lustrabat lampade terras umentemque Aurora polo dimoverat umbram, cum sic unanimam adloquitur male sana sororem: ‘Anna soror, quae me suspensam insomnia terrent! quis novus hic nostris successit sedibus hospes, quem sese ore ferens, quam forti pectore et armis! credo equidem, nec vana fides, genus esse deorum. degeneres animos timor arguit. heu, quibus ille iactatus fatis! quae bella exhausta canebat! si mihi non animo fixum immotumque sederet ne cui me vinclo vellem sociare iugali, postquam primus amor deceptam morte fefellit, si non pertaesum thalami taedaeque fuisset, huic uni forsan potui succumbere culpae. Anna (fatebor enim) miseri post fata Sychaei coniugis et sparsos fraterna caede penates solus hic inflexit sensus animumque labantem impulit. agnosco veteris vestigia flammae. sed mihi vel tellus optem prius ima dehiscat vel pater omnipotens adigat me fulmine ad umbras, pallentis umbras Erebo noctemque profundam, ante, Pudor, quam te violo aut tua iura resolvo. ille meos, primus qui me sibi iunxit, amores

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BUCH 4 Aber die Königin, längst schon von Liebesleid heftig verwundet, nährt ihre Wunde mit Blut, wird verzehrt von verborgenem Feuer. Ständig schwebt ihr der große Mut des Manns und der große Ruhm seiner Herkunft vor; tief haftet im Herzen sein Antlitz und sein Wort, nicht gönnt das Liebesleid Ruhe den Gliedern. Frührot vertrieb am folgenden Tag die taufeuchte Nacht vom Firmament und bestrahlte die Welt mit der Fackel des Phoebus, als sie verstört an die seelenverwandte Schwester sich wendet: »Anna, Schwester, wie schrecken mich, die Unsichre, Träume! Welch ein erstaunlicher Gast hat jetzt unsern Wohnsitz betreten; wie er auftritt, welch großen Mut er doch zeigt, welche Kampfkraft! Ja, ich glaub, und kein leerer Wahn ist’s, er stammt von den Göttern. Einfache Menschen verrät ihre Angst. Welches Fatum, ach, trieb ihn hin und her! Welche Kriege, die er überlebt hat, beschrieb er! Wenn es in meinem Herzen nicht unerschütterlich feststünd, nicht noch einmal eine Ehe einzugehen, nachdem die erste Liebe mich, betrogen vom Tode, enttäuscht hat, wenn mir Hochzeitsfackel und Ehebett nicht widerstrebten, könnte vielleicht ich diese einzige Schuld auf mich nehmen. Anna – ich geb es ja zu –, nach des armen Gemahles Sychaeus Tod und des Hauses Befleckung infolge der Bluttat des Bruders hat nur der hier den Sinn mir gebeugt und in meinem Entschluss mich schwankend gemacht. Die Symptome einstiger Glut, ich erkenn sie. Eher doch wünscht ich, mir täten sich auf die Tiefen der Erde oder es schleuderte mich Allvaters Blitz zu den Schatten, bleichen Schatten im Erebus und in die Tiefe der Nacht, als dass ich, Pudor, dich kränk oder dein Gesetz übertrete. Er, der als erster mit mir sich verband, nahm all meine Liebe

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abstulit; ille habeat secum servetque sepulcro.’ sic effata sinum lacrimis implevit obortis. Anna refert: ‘o luce magis dilecta sorori, solane perpetua maerens carpere iuventa, nec dulcis natos Veneris nec praemia noris? id cinerem aut manis credis curare sepultos? esto: aegram nulli quondam flexere mariti, non Libyae, non ante Tyro; despectus Iarbas ductoresque alii, quos Africa terra triumphis dives alit: placitone etiam pugnabis amori? nec venit in mentem quorum consederis arvis? hinc Gaetulae urbes, genus insuperabile bello, et Numidae infreni cingunt et inhospita Syrtis; hinc deserta siti regio lateque furentes Barcaei. quid bella Tyro surgentia dicam germanique minas? dis equidem auspicibus reor et Iunone secunda hunc cursum Iliacas vento tenuisse carinas. quam tu urbem, soror, hanc cernes, quae surgere regna coniugio tali! Teucrum comitantibus armis Punica se quantis attollet gloria rebus! tu modo posce deos veniam, sacrisque litatis indulge hospitio causasque innecte morandi, dum pelago desaevit hiems et aquosus Orion, quassataeque rates, dum non tractabile caelum.’ His dictis impenso animum flammavit amore spemque dedit dubiae menti solvitque pudorem. principio delubra adeunt pacemque per aras exquirunt; mactant lectas de more bidentis legiferae Cereri Phoeboque patrique Lyaeo, Iunoni ante omnis, cui vincla iugalia curae. ipsa tenens dextra pateram pulcherrima Dido

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mit sich; er soll sie behalten und unten im Grabe bewahren.« Sprach’s und begann zu weinen, die Brust mit den Tränen benetzend. Anna erwidert: »Du mehr als das Licht von der Schwester Geliebte, willst du denn deine gesamte Jugend alleine vertrauern, nichts von lieblichen Kindern wissen und Freuden der Liebe? Glaubst du denn, darum kümmern sich Asche und Seelen im Grabe? Gut: Als dir’s schlecht ging, konnte dich keiner der libyschen Freier umstimmen, keiner aus Tyros zuvor; verschmäht hast Ïarbas du und die anderen Fürsten, die Afrika, reich an Triumphen, nährt: Auch gegen willkommene Liebe willst du dich wehren? Denkst du nicht dran, welcher Menschen Gebiet du als Wohnsitz gewählt hast? Städte des Volks der Gätuler – im Krieg ist’s unschlagbar – umschließen hüben dich, Numider, zaumlose Reiter, die Syrte, nicht gastlich; drüben ein ödes Gebiet ohne Wasser und wilde Barkäer weithin. Was sprech ich von Krieg, der von Tyros her dir bevorsteht, und von des Bruders Drohungen? Unter der Führung der Götter, so mein ich, von Juno begünstigt lenkten die Fahrt hierher mit dem Wind die ilischen Schiffe. Welch eine Stadt wirst, Schwester, du hier und welch eine Herrschaft wachsen sehen aus solch einer Ehe! Im Bund mit der Teukrer Waffen, zu welch einer Höhe wird punischer Ruhm sich erheben! Du aber bitte die Götter um Gnade, und hast du geopfert, widme den Gästen dich ganz, nenn Gründe für weitres Verweilen, während der Wintersturm wütet im Meer und der feuchte Orion, angeschlagen noch sind ihre Schiffe und rau ist das Klima.« Dieses ihr sagend entflammte ihr Herz sie zu heftiger Liebe, gab ihrem schwankenden Sinn eine Hoffnung und trieb ihr die Scham aus. Tempel suchen zunächst sie auf und bitten um Frieden an den Altären und opfern, wie’s Brauch ist, erlesene Schafe Ceres, der Rechtsstifterin, und Phoebus und Vater Lyaeus, Juno vor allen, die Sorge trägt für die Bande der Ehe. Dido, bezaubernd schön, hält selbst in der Rechten die Schale,

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candentis vaccae media inter cornua fundit, aut ante ora deum pinguis spatiatur ad aras, instauratque diem donis, pecudumque reclusis pectoribus inhians spirantia consulit exta. heu vatum ignarae mentes! quid vota furentem, quid delubra iuvant? est mollis flamma medullas interea et tacitum vivit sub pectore vulnus. uritur infelix Dido totaque vagatur urbe furens, qualis coniecta cerva sagitta, quam procul incautam nemora inter Cresia fixit pastor agens telis liquitque volatile ferrum nescius: illa fuga silvas saltusque peragrat Dictaeos; haeret lateri letalis harundo. nunc media Aenean secum per moenia ducit Sidoniasque ostentat opes urbemque paratam; incipit effari mediaque in voce resistit; nunc eadem labente die convivia quaerit, Iliacosque iterum demens audire labores exposcit pendetque iterum narrantis ab ore. post ubi digressi, lumenque obscura vicissim luna premit suadentque cadentia sidera somnos, sola domo maeret vacua stratisque relictis incubat. illum absens absentem auditque videtque, aut gremio Ascanium, genitoris imagine capta, detinet, infandum si fallere possit amorem. non coeptae adsurgunt turres, non arma iuventus exercet portusve aut propugnacula bello tuta parant: pendent opera interrupta minaeque murorum ingentes aequataque machina caelo. Quam simul ac tali persensit peste teneri cara Iovis coniunx nec famam obstare furori, talibus adgreditur Venerem Saturnia dictis:

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gießt den Wein einer weißen Kuh mitten zwischen die Hörner, oder geht zu Altären voll Tierfett im Antlitz der Götter, fängt mit Opfern den Tag an, gebannt in den offenen Leib des Opfertiers blickend, die zuckenden Eingeweide befragend. Ach, unwissende Seher! Was helfen Gelübde dem Wahn der Liebe, was Heiligtümer? Indes verzehrt ihr das zarte Herz die Glut, und ihr schwärt in der Brust die Wunde im Stillen. Dido, die Arme, entflammt, streift außer sich durch die ganze Stadt gleich einer vom Pfeile getroffenen Hirschkuh, die ein in Kretas Wäldern jagender Hirt – nicht vorsichtig war sie – traf aus der Ferne, der ahnungslos dann das fliegende Eisen in ihrer Wunde zurückließ: Sie streift auf der Flucht durch des Diktes Wälder und Täler; ihr steckt noch der tödliche Schaft in der Seite. Bald nimmt mitten durch ihre Festung Aeneas sie mit sich, zeigt ihm Sidoniens Macht und die Stadt, die für ihn schon bereit steht, fängt an zu sprechen und stockt dann wieder mitten im Worte; bald, wenn der Tag sich neigt, dann drängt sie wieder zum Gastmahl, fordert in ihrem Wahn, aufs Neue zu hören von Trojas Leiden, und hängt dabei aufs Neue am Mund des Erzählers. Hat man danach sich getrennt und es löscht der verblassende Mond sein Licht wieder aus und die sinkenden Sterne laden zum Schlaf ein, trauert sie einsam im leeren Palast und liegt auf verlassnen Polstern. Ihn, der jetzt fern ist, hört sie, die fern ist, und sieht ihn, oder hält den Askanius im Schoß, fasziniert, weil des Vaters Abbild er ist, um so die unsägliche Liebe zu täuschen. Nicht mehr geht’s mit den Türmen voran, nicht übt sich die Jugend weiter in Waffen, man baut nicht Häfen und sicheres Bollwerk für den Krieg: Unterbrochene Arbeit, gewaltige Zinnen und in den Himmel ragendes Baugerüst ruhen verlassen. Als nun Juppiters teure Gemahlin bemerkte, dass die so krank war und Rücksicht auf ihren Ruf ihrem Wahn nicht im Weg stand, wandte Saturnia sich mit den folgenden Worten an Venus:

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‘egregiam vero laudem et spolia ampla refertis tuque puerque tuus: magnum et memorabile nomen, una dolo divum si femina victa duorum est! nec me adeo fallit veritam te moenia nostra suspectas habuisse domos Karthaginis altae. sed quis erit modus, aut quo nunc certamine tanto? quin potius pacem aeternam pactosque hymenaeos exercemus? habes tota quod mente petisti: ardet amans Dido traxitque per ossa furorem. communem hunc ergo populum paribusque regamus auspiciis; liceat Phrygio servire marito dotalisque tuae Tyrios permittere dextrae.’ Olli (sensit enim simulata mente locutam, quo regnum Italiae Libycas averteret oras) sic contra est ingressa Venus: ‘quis talia demens abnuat aut tecum malit contendere bello, si modo quod memoras factum fortuna sequatur? sed fatis incerta feror, si Iuppiter unam esse velit Tyriis urbem Troiaque profectis, miscerive probet populos aut foedera iungi. tu coniunx, tibi fas animum temptare precando. perge, sequar.’ tum sic excepit regia Iuno: ‘mecum erit iste labor. nunc qua ratione quod instat confieri possit, paucis (adverte) docebo. venatum Aeneas unaque miserrima Dido in nemus ire parant, ubi primos crastinus ortus extulerit Titan radiisque retexerit orbem. his ego nigrantem commixta grandine nimbum, dum trepidant alae saltusque indagine cingunt, desuper infundam et tonitru caelum omne ciebo. diffugient comites et nocte tegentur opaca; speluncam Dido dux et Troianus eandem

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»Wahrlich, herrlichen Ruhm erwerbt ihr, prächtige Beute, du und dein Boy: Einen großen und ruhmreichen Namen erbringt’s, wenn eine Frau erlag der List zweier göttlicher Wesen! Doch ich bemerke sehr wohl: Du fürchtetest unsere Festung, sahst voller Argwohn stets auf die Bauten des hohen Karthago. Aber wie weit soll’s gehn oder wohin bei so einem Streite? Wollen wir ewigen Frieden nicht lieber stiften und einen Ehebund? Du hast, was von ganzem Herzen du wünschtest: Dido brennt vor Liebe, ihr drang bis ins Mark ihr Verlangen. Lasst uns also vereint dies Volk regieren mit gleichen Machtbefugnissen; mag sie dem phrygischen Gatten denn dienen und als Mitgift dir in die Hände die Tyrier geben.« Ihr – denn sie spürte, dass jene heuchlerisch sprach, um an Libyens Küste zu transferieren die Herrschaft über Italien – antwortet Venus nun so: »Wer wär so wahnsinnig, dass er so etwas ablehnte oder bevorzugte Konfrontationen, falls das Glück das Ereignis, welches du ansprichst, begünstigt? Doch ich bin ungewiss durch das Fatum, ob Juppiter will, dass eine Stadt nur für Fremde aus Troja und Tyrier da sei, ob’s ihm gefällt, wenn die Völker sich mischen und Bündnisse schließen. Du hast das Recht als Gemahlin, mit Bitten sein Herz zu bestürmen. Geh denn, ich folge.« Da gab ihr die Herrscherin Juno zur Antwort: »Das sei mein Problem. Wie das, was uns drängt, auch zustande kommen kann, werde ich jetzt – gib acht! – ganz kurz dir erklären. Auf die Jagd will Aeneas zusammen mit Dido, der Ärmsten, in den Wald ziehn, wenn der Titane morgen das erste Licht schickt und mit seinen Strahlen den Erdkreis erleuchtet. Über die beiden werd eine schwarze Wolke, vermischt mit Hagel, ich ausschütten, während die Jäger in Eile das Tal mit Netzen umspannen; den Himmel werd ich mit Donner erschüttern. Dann entfliehn die Begleiter, verhüllt von nächtlichem Dunkel; Dido und mit ihr der Führer der Troer werden zur selben

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devenient. adero et, tua si mihi certa voluntas, hic hymenaeus erit.’ non adversata petenti adnuit atque dolis risit Cytherea repertis. Oceanum interea surgens Aurora reliquit. it portis iubare exorto delecta iuventus; retia rara, plagae, lato venabula ferro, Massylique ruunt equites et odora canum vis. reginam thalamo cunctantem ad limina primi Poenorum exspectant, ostroque insignis et auro stat sonipes ac frena ferox spumantia mandit. tandem progreditur, magna stipante caterva, Sidoniam picto chlamydem circumdata limbo; cui pharetra ex auro, crines nodantur in aurum, aurea purpuream subnectit fibula vestem. nec non et Phrygii comites et laetus Iulus incedunt. ipse ante alios pulcherrimus omnis infert se socium Aeneas atque agmina iungit. qualis ubi hibernam Lyciam Xanthique fluenta deserit ac Delum maternam invisit Apollo instauratque choros, mixtique altaria circum Cretesque Dryopesque fremunt pictique Agathyrsi; ipse iugis Cynthi graditur mollique fluentem fronde premit crinem fingens atque implicat auro, tela sonant umeris: haud illo segnior ibat Aeneas, tantum egregio decus enitet ore. postquam altos ventum in montis atque invia lustra, ecce ferae saxi deiectae vertice caprae decurrere iugis; alia de parte patentis transmittunt cursu campos atque agmina cervi pulverulenta fuga glomerant montisque relinquunt. at puer Ascanius mediis in vallibus acri gaudet equo iamque hos cursu, iam praeterit illos,

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Höhle kommen, auch ich, und dies, ist dein Plazet mir sicher, wird ihre Hochzeitsnacht sein.« Ohne Widerspruch stimmte der Bitte Junos zu Kytherea und lächelte über den Anschlag. Aus dem Ozean kommend, erhob sich indessen Aurora. Da marschiert aus den Toren die junge Mannschaft im Frühlicht; Netze, weitmaschig, Schlingen, mit breitem Eisen die Spieße, afrische Reiter stürmen hinaus und witternde Hunde. Ihre Königin, die im Gemach sich noch aufhält, erwarten an der Schwelle die Ersten der Punier; prächtig in Gold und Purpur steht da ihr Pferd, beißt trotzig ins schäumende Zaumzeug. Endlich tritt sie hervor, von großem Gefolge umgeben, trägt den Sidoniermantel, bestickt mit bunter Bordüre, hat einen Köcher aus Gold, in ein Goldnetz gefasst sind die Haare, und eine goldene Spange verknüpft ihr purpurnes Prachtkleid. Auch die Begleiter aus Phrygien kommen und, strahlend, Ïulus. Alle andren an Schönheit weit überragend, gesellt sich ihnen Aeneas hinzu, und er führt die Scharen zusammen. Gleichwie Apoll, wenn im Winter er Lykien verlässt und des Xanthus Strömung und Delos besucht, die Insel der Mutter, und Reigen wiederum aufleben lässt und dabei am Altare die Kreter lärmen mit Dryopern und Agathyrsen, bemalten Gestalten, wie wenn vom Kamm des Kynthus er schreitet, das wallende Haar mit weichem Laube bekränzt und einen Goldreif herumlegt, und an den Schultern die Waffen klirren: Ebenso kraftvoll schritt Aeneas, so strahlte ihm Glanz vom herrlichen Antlitz. Als man hinauf zu den Bergen und wegloser Wildnis gelangt ist, sieh nur, gescheucht von einem Felsgipfel, rasen den Abhang wilde Ziegen hinab; auf der anderen Seite durcheilen Hirsche offene Felder und drängen sich, während sie fliehn, in Staub aufwirbelnden Rudeln und lassen zurück das Gebirge. Mitten im Tale erfreut sich Askanius, der Knabe, an seinem feurigen Ross, überholt im Galopp bald diese, bald die und

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spumantemque dari pecora inter inertia votis optat aprum, aut fulvum descendere monte leonem. 160 Interea magno misceri murmure caelum incipit, insequitur commixta grandine nimbus, et Tyrii comites passim et Troiana iuventus Dardaniusque nepos Veneris diversa per agros tecta metu petiere; ruunt de montibus amnes. 165 speluncam Dido dux et Troianus eandem deveniunt. prima et Tellus et pronuba Iuno dant signum; fulsere ignes et conscius aether conubiis, summoque ulularunt vertice Nymphae. ille dies primus leti primusque malorum 170 causa fuit; neque enim specie famave movetur nec iam furtivum Dido meditatur amorem: coniugium vocat, hoc praetexit nomine culpam. Extemplo Libyae magnas it Fama per urbes, Fama, malum qua non aliud velocius ullum: 175 mobilitate viget viresque adquirit eundo, parva initu primo, mox sese attollit in auras ingrediturque solo et caput inter nubila condit. illam Terra parens ira inritata deorum extremam, ut perhibent, Coeo Enceladoque sororem 180 progenuit pedibus celerem et pernicibus alis, monstrum horrendum, ingens, cui quot sunt corpore plumae, tot vigiles oculi subter (mirabile dictu), tot linguae, totidem ora sonant, tot subrigit auris. nocte volat caeli medio terraeque per umbram 185 stridens, nec dulci declinat lumina somno; luce sedet custos aut summi culmine tecti turribus aut altis, et magnas territat urbes, tam ficti pravique tenax quam nuntia veri. haec tum multiplici populos sermone replebat

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wünscht sich, dass zwischen dem scheuen Wild sich ein schäumender Eber nähert oder vom Berge ein gelblicher Löwe herabkommt. Unterdessen gerät dumpf dröhnend der Himmel in Aufruhr, und ein Gewitterregen folgt, der mit Hagel vermischt ist; überall suchen die Tyriergefährten, die Mannschaft aus Troja und der dardanische Enkel der Venus ängstlich ein Schutzdach hier und da im Gebiet; von den Bergen stürzen die Ströme. Dido und mit ihr der Führer der Troer kommen zur selben Höhle. Und Tellus zuerst und Juno, die Göttin der Ehe, geben das Zeichen; da zuckten die Blitze, als Zeuge der Hochzeit flammte der Äther, es heulten vom höchsten Gipfel die Nymphen. Jener Tag war als erster für Tod, als erster für Leid der Anlass; denn weder von ihrem Ansehen noch ihrem Ruf lässt Dido sich lenken, sie denkt nicht mehr an heimliche Liebschaft: Ehebund nennt sie’s, bemäntelt so ihre Schuld mit dem Worte. Fama eilt sogleich durch die großen libyschen Städte, Fama, die schneller noch ist als jegliches andere Übel: Durch Beweglichkeit stark, gewinnt sie an Kräften durch Eilen, klein noch ganz zu Beginn, erhebt sie sich bald in die Lüfte, schreitet am Boden einher und verbirgt ihren Kopf unter Wolken. Mutter Erde gebar, vom Zorn auf die Götter getrieben, jene zuletzt für Enkeladus, heißt es, und Koeus als Schwester, hurtig zu Fuß und mit schnellen Flügeln, ein schreckliches Monster, riesengroß, und wie viel Federn am Leibe ihr wachsen, so viel wachsame Augen sind drunter – ein Wunder zu sagen –, so viel Zungen und Münder ertönen; sie spitzt auch so viele Ohren. Sie fliegt in der Nacht zwischen Himmel und Erde, durchs Dunkel schwirrend, und niemals schließt zu erquickendem Schlaf sie die Augen; tagsüber sitzt sie als Wächterin hoch auf dem Giebel des Hauses oder auf hohen Türmen und schreckt die mächtigen Städte, hält an Trug und Verkehrtheit fest, ist auch Botin der Wahrheit. Freudig erfüllte sie nun mit vielerlei Reden die Völker,

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gaudens, et pariter facta atque infecta canebat: venisse Aenean Troiano sanguine cretum, cui se pulchra viro dignetur iungere Dido; nunc hiemem inter se luxu, quam longa, fovere regnorum immemores turpique cupidine captos. haec passim dea foeda virum diffundit in ora. protinus ad regem cursus detorquet Iarban incenditque animum dictis atque aggerat iras. Hic Hammone satus rapta Garamantide nympha templa Iovi centum latis immania regnis, centum aras posuit vigilemque sacraverat ignem, excubias divum aeternas, pecudumque cruore pingue solum et variis florentia limina sertis. isque amens animi et rumore accensus amaro dicitur ante aras media inter numina divum multa Iovem manibus supplex orasse supinis: ‘Iuppiter omnipotens, cui nunc Maurusia pictis gens epulata toris Lenaeum libat honorem, aspicis haec? an te, genitor, cum fulmina torques, nequiquam horremus, caecique in nubibus ignes terrificant animos et inania murmura miscent? femina, quae nostris errans in finibus urbem exiguam pretio posuit, cui litus arandum cuique loci leges dedimus, conubia nostra reppulit ac dominum Aenean in regna recepit. et nunc ille Paris cum semiviro comitatu, Maeonia mentum mitra crinemque madentem subnexus, rapto potitur; nos munera templis quippe tuis ferimus famamque fovemus inanem.’ Talibus orantem dictis arasque tenentem audiit Omnipotens, oculosque ad moenia torsit regia et oblitos famae melioris amantis.

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gleichzeitig, was geschah und was nicht geschehn ist, verkündend: Hierher gekommen sei Aeneas, Trojaner von Herkunft, den die schöne Dido der Heirat für würdig befinde; jetzt verlebten die beiden den langen Winter im Luxus, dächten nicht mehr ans Regieren, in schändlicher Wollust gefangen. Dies verteilt auf die Münder der Leute die scheußliche Göttin. Gleich auch lenkt ihren Lauf sie hin zu Ïarbas, dem König, und sie erhitzt sein Gemüt durch Gerede, verstärkt seinen Zorn so. Dieser, des Hammon Sohn mit der garamantischen Nymphe – sie war geraubt –, erbaute für Juppiter hundert gewaltge Tempel im weiten Reich und hundert Altäre und weihte Feuer, das immerfort brannte, den Göttern als ewige Wache; Opferblut tränkte den Boden, von Kränzen prangten die Schwellen. Er, wie von Sinnen vor Zorn, durch das bittre Gerücht ganz in Rage, bat, so heißt’s, am Altar inmitten der waltenden Götter Juppiter flehend um vieles mit hoch erhobenen Händen: »Juppiter, du Allmächtiger, dem heut, speisend auf bunten Polstern, das Volk Mauretaniens spendet die Gabe des Bacchus, siehst du das? Oder erschauern umsonst wir vor dir, mein Erzeuger, wenn deine Blitze du schleuderst, und schreckt dann nur zielloses Feuer in den Wolken das Herz und erzeugt ein nichtiges Poltern? Jene Frau, die als Flüchtling in unserm Gebiet eine kleine Stadt gegen Zahlung erbaute und der wir den Strand zu beackern gaben und Landesgesetze dazu, verweigerte mir die Ehe und nahm als Herrn in die Herrschaft auf den Aeneas. Und dieser Paris da samt dem Halbmännergefolge, Kinn und öliges Haar in eine mäonische Mitra schnürend, schnappt sich die Beute; doch ich hier bring deinen Tempeln Gaben und setz mich für deinen großen Namen um nichts ein.« Ihn, der seinen Altar berührte und dieses Gebet sprach, hört der Allmächtige, wendet den Blick zu der Königin Mauern und zu den Liebenden, denen ihr besserer Ruf aus dem Sinn kam,

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tum sic Mercurium adloquitur ac talia mandat: ‘vade age, nate, voca Zephyros et labere pinnis Dardaniumque ducem, Tyria Karthagine qui nunc exspectat fatisque datas non respicit urbes, adloquere et celeris defer mea dicta per auras. non illum nobis genetrix pulcherrima talem promisit Graiumque ideo bis vindicat armis; sed fore qui gravidam imperiis belloque frementem Italiam regeret, genus alto a sanguine Teucri proderet, ac totum sub leges mitteret orbem. si nulla accendit tantarum gloria rerum nec super ipse sua molitur laude laborem, Ascanione pater Romanas invidet arces? quid struit? aut qua spe inimica in gente moratur nec prolem Ausoniam et Lavinia respicit arva? naviget: haec summa est, hic nostri nuntius esto.’ Dixerat. ille patris magni parere parabat imperio; et primum pedibus talaria nectit aurea, quae sublimem alis sive aequora supra seu terram rapido pariter cum flamine portant. tum virgam capit: hac animas ille evocat Orco pallentis, alias sub Tartara tristia mittit, dat somnos adimitque et lumina morte resignat. illa fretus agit ventos et turbida tranat nubila. iamque volans apicem et latera ardua cernit Atlantis duri caelum qui vertice fulcit, Atlantis, cinctum adsidue cui nubibus atris piniferum caput et vento pulsatur et imbri; nix umeros infusa tegit, tum flumina mento praecipitant senis, et glacie riget horrida barba. hic primum paribus nitens Cyllenius alis constitit; hinc toto praeceps se corpore ad undas

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spricht dann so zu Merkur und erteilt ihm den folgenden Auftrag: »Gehe, mein Sohn, die Westwinde rufe und gleit auf den Flügeln, sprich zu dem Dardanerfürsten, der jetzt im Tyrier-Karthago säumt und sich nicht mehr schert um die ihm vom Fatum bestimmten Städte, und bring ihm mein Wort durch schnell dich tragende Lüfte. Nicht hat die wunderschöne Mutter ihn so uns verheißen, nicht ihn zweimal dafür vor den Waffen der Griechen gerettet, sondern er sollte Italien, das weltherrschaftsträchtige und mit Kriegslärm erfüllte, regieren und weiterführen des Teuker edles Geschlecht und seinem Gesetz unterwerfen den Erdkreis. Wenn ihn die Aussicht auf Ruhm so gewaltiger Taten nicht anspornt und er nicht auf sich nimmt die Mühsal zur eigenen Ehre, gönnt er als Vater dann nicht dem Askanius römische Burgen? Was hat er vor? Was erhoffend verweilt er im feindlichen Volke, denkt an Ausoniens Nachwuchs nicht mehr und Laviniums Fluren? Abfahren soll er: Das ist das Wichtigste, sei meine Botschaft.« Sprach’s. Der schickte sich an, des großen Vaters Befehl zu folgen; er bindet zuerst an seine Füße die goldnen Schuhe, die hoch auf Flügeln dahin über Meer oder Land ihn tragen im reißenden Wehen der Luft. Dann nimmt er die Rute: Bleiche Seelen, die ruft er damit empor aus dem Orkus, andere schickt er damit in des düsteren Tartarus Tiefen, gibt und nimmt den Schlaf, entsiegelt vom Tode die Augen, lenkt, ihr vertrauend, die Winde und schwimmt durch vom Sturme bewegte Wolken. Und schon erblickt er im Fluge den Kamm und die steilen Wände des rauen Atlas – er stützt mit dem Scheitel den Himmel –, Atlas, dessen ständig von düsteren Wolken umhülltes pinientragendes Haupt von Wind und Regen gepeitscht wird; Schnee hüllt dicht die Schultern ihm ein; vom Kinn dieses Alten stürzen sich Flüsse, es starrt von Eis der struppige Bart ihm. Ausbalancierend mit Kraft seine Flügel hielt der Kyllenier hier erst, warf sich kopfüber mit vollem Elan in die Flut von

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misit avi similis, quae circum litora, circum piscosos scopulos humilis volat aequora iuxta. haud aliter terras inter caelumque volabat litus harenosum ad Libyae, ventosque secabat materno veniens ab avo Cyllenia proles. ut primum alatis tetigit magalia plantis, Aenean fundantem arces ac tecta novantem conspicit. atque illi stellatus iaspide fulva ensis erat, Tyrioque ardebat murice laena demissa ex umeris, dives quae munera Dido fecerat, et tenui telas discreverat auro. continuo invadit: ‘tu nunc Karthaginis altae fundamenta locas pulchramque uxorius urbem exstruis? heu, regni rerumque oblite tuarum! ipse deum tibi me claro demittit Olympo regnator, caelum et terras qui numine torquet, ipse haec ferre iubet celeris mandata per auras: quid struis? aut qua spe Libycis teris otia terris? si te nulla movet tantarum gloria rerum, Ascanium surgentem et spes heredis Iuli respice, cui regnum Italiae Romanaque tellus debetur.’ tali Cyllenius ore locutus mortalis visus medio sermone reliquit et procul in tenuem ex oculis evanuit auram. At vero Aeneas aspectu obmutuit amens, arrectaeque horrore comae et vox faucibus haesit. ardet abire fuga dulcisque relinquere terras, attonitus tanto monitu imperioque deorum. heu quid agat? quo nunc reginam ambire furentem audeat adfatu? quae prima exordia sumat? atque animum nunc huc celerem nunc dividit illuc in partisque rapit varias perque omnia versat.

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hier hinab, einem Vogel gleich, der am Strande und um die fischreichen Klippen ganz niedrig dahingleitet, dicht überm Wasser. Grad so flog zwischen Himmel und Erde zum sandigen Strande Libyens und durchschnitt dabei die Winde, vom Vater seiner Mutter kommend, der Spross vom Kyllenegebirge. Als mit den Flügelschuhen er kam zu den libyschen Hütten, sah er Aeneas beim Bau von Festungsanlagen und neuen Häusern. Er trug ein blitzendes Schwert, mit gelblichem Jaspis war es besetzt, es erstrahlte von tyrischem Purpur der Mantel, der von der Schulter ihm hing, ein Geschenk, das gefertigt die reiche Dido hatte; durchwirkt mit Goldfäden war das Gewebe. Er ging gleich auf ihn los: »Du legst jetzt des hohen Karthago Fundament, und du baust, du Weiberknecht, da eine schöne Stadt? O wehe, vergessen hast du dein Reich und den Auftrag! Selbst schickt mich zu dir her vom Olymp, dem strahlenden, er, der Herrscher der Götter, der Himmel und Erde regiert durch sein Walten, lässt selbst diesen Befehl durch die schnellen Lüfte mich tragen: Was hast du vor? Was erhoffend vertust deine Zeit du in Libyen? Wenn dir die Aussicht auf Ruhm so gewaltiger Taten egal ist, denk an Askanius, der heranwächst, die Hoffnung für deinen Erben Ïulus, welchem die Herrschaft über Italien und Roms Erde bestimmt sind.« Als so der Kyllenier gesprochen hatte, entzog er sich mitten im Reden dem menschlichen Blick, und dann entschwand er fern in die dünnen Lüfte den Augen. Aber Aeneas stand stumm da, wie betäubt von dem Anblick, und vor Entsetzen gesträubt war sein Haar, und ihm stockte die Stimme. Er brennt drauf zu entfliehn und das herrliche Land zu verlassen, durch einen solchen Befehl und die Mahnung der Götter erschüttert. Ach, was soll er denn tun? Was sagen, wenn er es wagt, der rasend verliebten Königin sich zu nahn? Wie beginnen? Seine Gedanken lässt nun bald hierhin, bald dorthin er eilen, hetzt sie in mehrere Richtungen und spielt alles im Geist durch.

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haec alternanti potior sententia visa est: Mnesthea Sergestumque vocat fortemque Serestum, classem aptent taciti, socios ad litora cogant, arma parent et, quae rebus sit causa novandis, dissimulent; sese interea, quando optima Dido nesciat et tantos rumpi non speret amores, temptaturum aditus et quae mollissima fandi tempora, quis rebus dexter modus. ocius omnes imperio laeti parent et iussa facessunt. At regina dolos (quis fallere possit amantem?) praesensit, motusque excepit prima futuros omnia tuta timens. eadem impia Fama furenti detulit armari classem cursumque parari. saevit inops animi totamque incensa per urbem bacchatur, qualis commotis excita sacris Thyias, ubi audito stimulant trieterica Baccho orgia nocturnusque vocat clamore Cithaeron. tandem his Aenean compellat vocibus ultro: ‘dissimulare etiam sperasti, perfide, tantum posse nefas tacitusque mea decedere terra? nec te noster amor nec te data dextera quondam nec moritura tenet crudeli funere Dido? quin etiam hiberno moliri sidere classem et mediis properas Aquilonibus ire per altum, crudelis? quid? si non arva aliena domosque ignotas peteres, et Troia antiqua maneret, Troia per undosum peteretur classibus aequor? mene fugis? per ego has lacrimas dextramque tuam te (quando aliud mihi iam miserae nihil ipsa reliqui), per conubia nostra, per inceptos hymenaeos, si bene quid de te merui, fuit aut tibi quicquam dulce meum, miserere domus labentis et istam,

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Dieser Entschluss erschien ihm in seinem Schwanken am besten: Mnestheus ruft er, Sergestus, den tapfren Serestus und heißt sie heimlich die Flotte rüsten, am Strand die Gefährten versammeln, Waffen besorgen und, was der Grund für die Ändrung der Lage sei, verhehlen; er werde indes, da nichts wisse die edle Dido und nicht das Zerbrechen so großer Liebe erwarte, Ort und Zeit für ein möglichst sanftes Gespräch mit ihr suchen und den passenden Modus dazu. Auf der Stelle gehorchen alle mit Freuden seinem Gebot, und sie führn den Befehl aus. Aber die Königin ahnte – wer kann eine Liebende täuschen? – längst schon die List und bemerkte zuerst, dass etwas im Gang war, ängstlich, obwohl alles gut schien. Wieder gewissenlos meldet Fama der Liebeskranken, man rüste die Flotte zur Abfahrt. Tobend und ganz außer sich rast quer durch die Stadt sie, enthemmt wie eine Thyiade, sobald man ekstatisch das Kultgerät schwingt und wenn sie den Bacchusruf hört, wenn die Orgien alle drei Jahre sie stimulieren und nachts der Kithaeron laut sie herbeiruft. Endlich kommt sie Aeneas zuvor und stellt ihn zur Rede: »Treuloser, hast du sogar gehofft, du könntest so großen Frevel verbergen und wortlos aus meinem Lande verschwinden? Hält dich denn nicht unsre Liebe zurück, nicht die Hand, die du mir einst gabst, nicht der grausame Tod, den zu sterben nun Dido bevorsteht? Selbst unterm Wintergestirn hast du’s eilig damit, dass die Flotte auslaufen kann und hinaus aufs Meer sich im Nordsturm begeben, Grausamer? Strebtest du nicht zu fremdem Gebiet und zu Häusern, die du nicht kennst, und stünde das alte Troja noch, würdest dann übers stürmische Meer mit der Flotte nach Troja du streben? Fliehst du vor mir? Bei meinen Tränen und bei deiner Rechten – denn nichts anderes habe ich Arme mir selbst noch gelassen –, bei unsrer Ehe, der halb vollzogenen Hochzeit, wenn ich dir irgendwas Gutes getan hab oder du irgendwas Liebes an mir fandst, so erbarm dich des wankenden Hauses und lass von

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oro, si quis adhuc precibus locus, exue mentem. te propter Libycae gentes Nomadumque tyranni odere, infensi Tyrii; te propter eundem exstinctus pudor et, qua sola sidera adibam, fama prior. cui me moribundam deseris, hospes (hoc solum nomen quoniam de coniuge restat)? quid moror? an mea Pygmalion dum moenia frater destruat aut captam ducat Gaetulus Iarbas? saltem si qua mihi de te suscepta fuisset ante fugam suboles, si quis mihi parvulus aula luderet Aeneas, qui te tamen ore referret, non equidem omnino capta ac deserta viderer.’ Dixerat. ille Iovis monitis immota tenebat lumina et obnixus curam sub corde premebat. tandem pauca refert: ‘ego te, quae plurima fando enumerare vales, numquam, regina, negabo promeritam, nec me meminisse pigebit Elissae, dum memor ipse mei, dum spiritus hos regit artus. pro re pauca loquar. neque ego hanc abscondere furto speravi (ne finge) fugam, nec coniugis umquam praetendi taedas aut haec in foedera veni. me si fata meis paterentur ducere vitam auspiciis et sponte mea componere curas, urbem Troianam primum dulcisque meorum reliquias colerem, Priami tecta alta manerent, et recidiva manu posuissem Pergama victis. sed nunc Italiam magnam Gryneus Apollo, Italiam Lyciae iussere capessere sortes; hic amor, haec patria est. si te Karthaginis arces Phoenissam Libycaeque aspectus detinet urbis, quae tandem Ausonia Teucros considere terra invidia est? et nos fas extera quaerere regna.

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diesem Plan ab; ich bitt dich darum, wenn für Bitten noch Raum ist. Deinetwegen hassen mich Afrer und Numiderfürsten, sind mir die Tyrier feind; auch deinetwegen erloschen sind mein Schamgefühl und mein früherer Ruf, der allein mich hoch zu den Sternen erhob. Wem lässt du mich todgeweiht hier, du Gastfreund – nur dieses Wort blieb mir ja noch übrig statt ›Gatte‹? Worauf warte ich? Dass Pygmalion, mein Bruder, die Mauern einreißt oder gefangen mich nimmt der Gätuler Ïarbas? Hätte ich wenigstens einen Sohn von dir noch empfangen vor deiner Flucht und spielte doch hier bei mir im Palast ein kleiner Aeneas, der dein Ebenbild wenigstens wäre, ja, dann käm ich nicht gänzlich betrogen mir vor und verlassen.« Sprach’s. Wegen Juppiters Mahnung blickte er starr vor sich hin und suchte mit all seiner Kraft zu verbergen den Kummer im Herzen. Endlich erwidert er kurz: »Nie werd all deine Verdienste, die du mir aufzählen kannst, ich bestreiten, Königin, niemals werd an Elissa ohne Bedauern ich denken, solang ich über mich selbst nachdenk, solang meine Glieder der Geist lenkt. Kurz zur Sache. Ich baute weder darauf, meine Flucht vor dir zu verbergen – vergiss es! –, noch habe ich jemals beansprucht, richtig dein Gatte zu sein, kam nicht wegen dieser Verbindung. Ließen die Fata mich nur nach eigenen Rechten mein Leben führen und meine Anliegen ordnen nach eigenem Willen, kümmerte ich mich zuerst um Troja sowie die mir teuren Überreste der Meinen, es stünden noch Priamus’ Häuser, eigenhändig hätt Pergamum neu ich erbaut den Besiegten. Jetzt aber hieß der Apollo von Grynium ins große Italien, nach Italien Lykiens Seherspruch eilends mich fahren; Liebe und Heimat sind dort. Hält hier die Burg von Karthago dich als Phönikerin fest und der Anblick der libyschen Stadt, was gönnst du den Teukrern dann nicht, in Ausonien endlich zu siedeln? Auch wir haben das Recht, ein Reich in der Fremde zu suchen.

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me patris Anchisae, quotiens umentibus umbris nox operit terras, quotiens astra ignea surgunt, admonet in somnis et turbida terret imago; me puer Ascanius capitisque iniuria cari, quem regno Hesperiae fraudo et fatalibus arvis. nunc etiam interpres divum Iove missus ab ipso (testor utrumque caput) celeris mandata per auras detulit: ipse deum manifesto in lumine vidi intrantem muros vocemque his auribus hausi. desine meque tuis incendere teque querelis: Italiam non sponte sequor.’ Talia dicentem iamdudum aversa tuetur huc illuc volvens oculos totumque pererrat luminibus tacitis et sic accensa profatur: ‘nec tibi diva parens, generis nec Dardanus auctor, perfide, sed duris genuit te cautibus horrens Caucasus Hyrcanaeque admorunt ubera tigres. nam quid dissimulo aut quae me ad maiora reservo? num fletu ingemuit nostro? num lumina flexit? num lacrimas victus dedit aut miseratus amantem est? quae quibus anteferam? iam iam nec maxima Iuno nec Saturnius haec oculis pater aspicit aequis. nusquam tuta fides. eiectum litore, egentem excepi et regni demens in parte locavi. amissam classem, socios a morte reduxi (heu furiis incensa feror!): nunc augur Apollo, nunc Lyciae sortes, nunc et Iove missus ab ipso interpres divum fert horrida iussa per auras. scilicet is superis labor est, ea cura quietos sollicitat. neque te teneo neque dicta refello: i, sequere Italiam ventis, pete regna per undas. spero equidem mediis, si quid pia numina possunt,

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Stets, wenn die Länder mit taufeuchten Schatten zudeckt die Nacht und feurig aufgehn die Sterne, ermahnt und erschreckt mich im Traum das Bild des bestürzten Vaters Anchises; Askanius, der Knabe, mahnt mich, das Unrecht an ihm, dem mir doch teueren Haupt, den ich ums hesperische Reich und das Land, das verheißen ist, prelle. Jetzt aber brachte von Juppiter selbst der Bote der Götter Weisung – ich schwör es bei deinem und meinem Haupt – durch die schnellen Lüfte: Im Licht sah selbst ich den Gott, mit Händen zu greifen, wie er die Mauern betrat, und vernahm mit den Ohren die Stimme. Höre nun auf, mich und dich zu quälen mit all deinen Klagen: Nicht von mir aus such ich Italien.« Während er solches noch redet, betrachtet sie ihn von der Seite, wendet hierhin und dorthin die Augen und mustert ihn stumm von Kopf bis Fuß, und dann lässt sie’s heraus in höchster Erregung: »Nein, dich gebar keine Göttin und Dardanus ist nicht dein Ahnherr, Treuloser, sondern dich zeugte der Kaukasus, starrend von harten Felsen, und Tigerinnen säugten dich fern in Hyrkanien. Denn was verstelle ich mich oder warte auf noch etwas Schlimmres? Hat er geseufzt, als ich weinte? Mir zugewandt seine Augen? Weinte vor Rührung er denn oder fühlte mit der, die ihn liebte? Was gibt’s Schlimmeres noch? Doch Juno, die mächtige, schaut nicht ruhigen Auges dies an, auch nicht der saturnische Vater. Nirgends hat Treue noch Halt. Ich nahm den Gestrandeten, Armen, auf, und ich gab ihm Anteil an meiner Herrschaft, ich Irre, barg die verlorene Flotte, bewahrte vorm Tod die Gefährten – weh, ich bin wutentbrannt! –: Bald ist da der Seher Apollo, bald sein Orakel in Lykien, bald bringt von Juppiter selbst der Bote der Götter quer durch die Lüfte schreckliche Weisung. So etwas, klar, macht Himmlischen Not, es stört ihre Ruhe so eine Sorge. Doch nein, ich halt dich nicht, argumentier nicht: Geh, nach Italien segle im Wind, such Reiche durch Meerfahrt! Ich aber hoffe, dir wird – wenn das Recht der Götter noch Macht hat –

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supplicia hausurum scopulis et nomine Dido saepe vocaturum. sequar atris ignibus absens et, cum frigida mors anima seduxerit artus, omnibus umbra locis adero. dabis, improbe, poenas. audiam et haec Manis veniet mihi fama sub imos.’ his medium dictis sermonem abrumpit et auras aegra fugit seque ex oculis avertit et aufert, linquens multa metu cunctantem et multa parantem dicere. suscipiunt famulae conlapsaque membra marmoreo referunt thalamo stratisque reponunt. At pius Aeneas, quamquam lenire dolentem solando cupit et dictis avertere curas, multa gemens magnoque animum labefactus amore, iussa tamen divum exsequitur classemque revisit. tum vero Teucri incumbunt et litore celsas deducunt toto navis (natat uncta carina) frondentisque ferunt remos et robora silvis infabricata fugae studio. migrantis cernas totaque ex urbe ruentis: ac velut ingentem formicae farris acervum cum populant hiemis memores tectoque reponunt, it nigrum campis agmen praedamque per herbas convectant calle angusto; pars grandia trudunt obnixae frumenta umeris, pars agmina cogunt castigantque moras; opere omnis semita fervet. quis tibi tum, Dido, cernenti talia sensus, quosve dabas gemitus, cum litora fervere late prospiceres arce ex summa, totumque videres misceri ante oculos tantis clamoribus aequor! improbe Amor, quid non mortalia pectora cogis! ire iterum in lacrimas, iterum temptare precando cogitur et supplex animos summittere amori,

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Strafe inmitten von Klippen zuteil, und beim Namen wirst oft du Dido rufen. Zwar fern, verfolg ich dich doch dann mit schlimmen Bränden; wenn eisig der Tod von der Seele die Glieder getrennt hat, bin überall als Gespenst ich dann da. Du, Frevler, wirst büßen. Ich werd es hören, zu mir bei den Manen kommt dann die Kunde.« Da bricht mitten im Sprechen sie ab, flieht kummervoll vor dem Licht des Tages, entzieht sich den Blicken und geht, und sie lässt ihn stehn, der viel noch zu sagen sich anschickt, voll Angst aber zögert. Sklavinnen fangen sie auf, und ohnmächtig wird sie in ihre marmorgetäfelte Kammer gebracht und aufs Lager gebettet. Pflichttreu aber, obwohl er durch Trost den Kummer ihr lindern und durch Worte ihr Leid abwenden will, führt nun Aeneas, heftig seufzend und durch die Größe der Liebe erschüttert, dennoch aus, was die Götter befehlen, und sieht nach der Flotte. Da bemühn sich die Teukrer kräftig und ziehen am ganzen Strande die Schiffe ins Wasser – es schwimmt der kalfaterte Rumpf – und bringen, belaubt noch, Ruderstangen und Stämme vom Walde, unbehauene; so drängt sie’s zur Abfahrt. Überall aus der Stadt sieht diese man eilen beim Abmarsch: Und wie die Ameisen, wenn sie, den Winter im Blick, einen großen Haufen von Dinkel plündern und lagern im Bau dann; da zieht das schwärzliche Heer übers Feld, und sie schleppen quer durch das Gras die Beute auf schmalem Pfade; ein Teil stemmt gegen die großen Körner die Schulter und schiebt sie, es treibt die Scharen ein andrer, Säumige tadelnd; so brodelt der Weg vom geschäftigen Treiben. Wie war, Dido, dir da zumute, als dies du erblicktest, und wie hast du gestöhnt, als weithin das Ufer du brodeln sahst von der Höhe der Burg aus und sehen musstest, dass dir vor Augen das ganze Meer so laut von Rufen erfüllt war! Ruchloser Amor, wozu zwingst du nicht die Herzen der Menschen! Wieder zu weinen und wieder mit Bitten es auch zu versuchen, treibt sie’s, und ihren Stolz demütig der Liebe zu beugen,

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ne quid inexpertum frustra moritura relinquat. ‘Anna, vides toto properari litore circum: undique convenere; vocat iam carbasus auras, puppibus et laeti nautae imposuere coronas. hunc ego si potui tantum sperare dolorem, et perferre, soror, potero. miserae hoc tamen unum exsequere, Anna, mihi: solam nam perfidus ille te colere, arcanos etiam tibi credere sensus; sola viri mollis aditus et tempora noris. i, soror, atque hostem supplex adfare superbum. non ego cum Danais Troianam exscindere gentem Aulide iuravi classemve ad Pergama misi, nec patris Anchisae cineres manesve revelli: cur mea dicta negat duras demittere in auris? quo ruit? extremum hoc miserae det munus amanti: exspectet facilemque fugam ventosque ferentis. non iam coniugium antiquum, quod prodidit, oro, nec pulchro ut Latio careat regnumque relinquat; tempus inane peto, requiem spatiumque furori, dum mea me victam doceat fortuna dolere. extremam hanc oro veniam (miserere sororis), quam mihi cum dederit, cumulatam morte remittam.’ Talibus orabat, talisque miserrima fletus fertque refertque soror. sed nullis ille movetur fletibus aut voces ullas tractabilis audit: fata obstant placidasque viri deus obstruit auris. ac velut annoso validam cum robore quercum Alpini Boreae nunc hinc nunc flatibus illinc eruere inter se certant; it stridor, et altae consternunt terram concusso stipite frondes; ipsa haeret scopulis et quantum vertice ad auras aetherias, tantum radice in Tartara tendit:

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um nichts unversucht, ehe sie stirbt – und dann sinnlos –, zu lassen. »Anna, du siehst, am gesamten Strand ringsum hat man’s eilig: Überall kamen sie her; schon ruft nach den Winden das Segel, und am Heck haben fröhlich die Schiffer die Kränze befestigt. Konnte ich so einen großen Schmerz erahnen, dann werd ich, Schwester, ihn auch ertragen können. Doch, Anna, das eine tu für mich Arme: Denn dir nur erwies der Treulose Ehre, dir vertraute sogar er geheime Gedanken an; du nur wirst Gelegenheit finden, dich schmeichelnd dem Manne zu nähern. Geh denn, Schwester, und sprich zu dem stolzen Feinde voll Demut. Ich schwur nicht mit den Griechen in Aulis, das Volk der Trojaner auszulöschen, entsandte nach Pergamum nie eine Flotte, nie hab des Vaters Anchises Asche ich aufgewühlt, nie die Manen: Warum verschließt er dem, was ich sage, die Ohren? Wohin eilt er? Sein letztes Geschenk an die arme Verliebte sei, auf Flucht ohne Mühe und Wind, der ihn fortträgt, zu warten. Nicht mehr die frühere Bindung, welche er preisgab, erbitt ich, nicht den Verzicht auf das schöne Latium und auf die Herrschaft, nur ganz wenige Zeit und Ruhe und Raum für mein Rasen, bis mein Schicksal mich lehrt, ergeben mein Leid zu ertragen. Diesen letzten Gefallen erbitt ich – erbarm dich der Schwester –; tut er mir den, werd reich ich mit meinem Tod ihn vergelten.« So bat sie, solche Klagen, die bringt die Schwester, die Ärmste, mehrmals vor. Doch von keiner Klage lässt er sich rühren, hört sich nicht, milde gestimmt, auch nur ein Wort an: Die Fata stehen im Weg, und ein Gott verschließt ihm das Ohr, das geneigt wär. Wie die Alpenstürme von Nord wetteifern, die starke Eiche mit ihrem alten Kernholz durch Wind aus verschiednen Richtungen zu entwurzeln; ein Knarrn geht durch, und das Laub des Gipfels bedeckt, wenn den Stamm man heftig schüttelt, den Boden; sie aber haftet im Fels; so hoch sie zum Himmel den Wipfel streckt, so tief in den Tartarus reicht sie hinab mit der Wurzel:

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haud secus adsiduis hinc atque hinc vocibus heros tunditur et magno persentit pectore curas; mens immota manet, lacrimae volvuntur inanes. Tum vero infelix fatis exterrita Dido mortem orat; taedet caeli convexa tueri. quo magis inceptum peragat lucemque relinquat, vidit, turicremis cum dona imponeret aris, (horrendum dictu) latices nigrescere sacros fusaque in obscenum se vertere vina cruorem; hoc visum nulli, non ipsi effata sorori. praeterea fuit in tectis de marmore templum coniugis antiqui, miro quod honore colebat, velleribus niveis et festa fronde revinctum: hinc exaudiri voces et verba vocantis visa viri, nox cum terras obscura teneret, solaque culminibus ferali carmine bubo saepe queri et longas in fletum ducere voces; multaque praeterea vatum praedicta priorum terribili monitu horrificant. agit ipse furentem in somnis ferus Aeneas, semperque relinqui sola sibi, semper longam incomitata videtur ire viam et Tyrios deserta quaerere terra, Euhiadum veluti demens videt agmina Pentheus et solem geminum et duplicis se ostendere Thebas, aut Agamemnonius scaenis agitatus Orestes, armatam facibus matrem et serpentibus atris cum fugit ultricesque sedent in limine Dirae. Ergo ubi concepit furias evicta dolore decrevitque mori, tempus secum ipsa modumque exigit, et maestam dictis adgressa sororem consilium vultu tegit ac spem fronte serenat: ‘inveni, germana, viam (gratare sorori)

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Ebenso wird der Held von hier und von dort durch die Worte ständig bestürmt; in der Größe des Herzens, da spürt er den Kummer; unbewegt bleibt sein Sinn, und die Tränen fließen vergeblich. Jetzt allerdings wünscht sich, erschreckt durch die Fata, die arme Dido den Tod; voll Ekel erblickt sie das Himmelsgewölbe. Noch entschlossener sollte den Plan sie durchführn und sterben; denn am weihrauchumwölkten Altar beim Opfer der Gaben sah sie – schrecklich zu sagen ist’s – schwarz die heiligen Tropfen werden und den Wein sich in ekliges Mordblut verwandeln; was sie da sah, erzählte sie niemandem, auch nicht der Schwester. Außerdem war im Palast ein Schrein aus Marmor, geweiht dem früheren Gatten; sie hielt ihn besonders in Ehren; geschmückt mit schneeweißen Bändern war er und festlichem Laube umwunden: Stimmen glaubte von hier sie zu hören und Worte des Mannes, der sie rief, wenn düstere Nacht die Erde bedeckt hielt, auch, wie einsam vom Dachfirst ein Uhu sein Totenlied oftmals klagend sang, die gedehnten Rufe mit Weinen beendend; außerdem schrecken sie zahlreiche Sprüche früherer Seher mit entsetzlicher Weisung. Es treibt der wilde Aeneas selbst die Rasende um im Traum, und alleine gelassen glaubt sie immer zu sein und ohne Begleiter auf langem Wege zu gehn und in ödem Lande zu suchen die Tyrier, wie im Wahnsinn die Scharen der Euhiaden, die Sonne doppelt und Theben zweifach Pentheus sieht, oder wie wenn, über die Bühne gehetzt, Orestes, der Sohn Agamemnons, vor der mit Fackeln und schwarzen Schlangen bewaffneten Mutter flieht und dabei auf der Schwelle die rächenden Furien sitzen. Als sie, vom Schmerz übermannt, tief drin ihren Wahn akzeptiert hat und zu sterben gewillt ist, bestimmt sie die Zeit und das Vorgehn nur für sich selbst; sie verdeckt, an die traurige Schwester sich wendend, durch ihre Miene den Plan und fingiert durch Heiterkeit Hoffnung: »Schwester, ich fand einen Weg – gratulier deiner Schwester! –, der ihn mir

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quae mihi reddat eum vel eo me solvat amantem. Oceani finem iuxta solemque cadentem ultimus Aethiopum locus est, ubi maximus Atlas axem umero torquet stellis ardentibus aptum: hinc mihi Massylae gentis monstrata sacerdos, Hesperidum templi custos, epulasque draconi quae dabat et sacros servabat in arbore ramos, spargens umida mella soporiferumque papaver. haec se carminibus promittit solvere mentes quas velit, ast aliis duras immittere curas, sistere aquam fluviis et vertere sidera retro, nocturnosque movet Manis; mugire videbis sub pedibus terram et descendere montibus ornos. testor, cara, deos et te, germana, tuumque dulce caput, magicas invitam accingier artis. tu secreta pyram tecto interiore sub auras erige et arma viri, thalamo quae fixa reliquit impius, exuviasque omnis lectumque iugalem, quo perii, super imponas: abolere nefandi cuncta viri monumenta iuvat, monstratque sacerdos.’ haec effata silet, pallor simul occupat ora. non tamen Anna novis praetexere funera sacris germanam credit, nec tantos mente furores concipit aut graviora timet quam morte Sychaei. ergo iussa parat. At regina, pyra penetrali in sede sub auras erecta ingenti taedis atque ilice secta, intenditque locum sertis et fronde coronat funerea; super exuvias ensemque relictum effigiemque toro locat haud ignara futuri. stant arae circum et crinis effusa sacerdos ter centum tonat ore deos, Erebumque Chaosque

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wiedergibt oder dann doch von der Liebe zu ihm mich befrein wird. Nah an des Ozeans Rand und der untergehenden Sonne liegt Äthiopien, das Ende der Welt, wo der mächtige Atlas auf seiner Schulter den Himmel dreht, der mit Sternen besetzt ist: Auf eine Priesterin dorther, Massylerin, wies man mich hin, die Hüterin des Tempels der Hesperiden; den Drachen fütterte sie und bewachte am Baum die heiligen Zweige, flüssigen Honig verteilend, und Mohn, den Bringer des Schlafes. Diese verspricht, zu befreien die Herzen durch Zaubergesänge, welche sie will, doch andern zu senden drückende Sorgen, Wasser in Flüssen zu hemmen und Sterne rückwärts zu drehen; nachts beschwört sie die Manen; da hörst die Erde du dröhnen unter den Füßen, du siehst von den Bergen steigen die Eschen. Götter, du Teure, ruf ich zu Zeugen, dich Schwester, dein liebes Haupt, dass nur ungern ich mich ihrer magischen Künste bediene. Bau einen Holzstoß du heimlich im inneren Haus unterm Himmel, lege die Waffen des Manns, die pflichtvergessen er hängen ließ im Gemach, alle Kleider, dazu das Ehebett, das mein Untergang war, obenauf: Mit Wonne vernichte ich alles, was an den ruchlosen Mann mich erinnert; die Priesterin fordert’s.« So spricht sie und schweigt; ihr Gesicht überzieht sich mit Blässe. Anna jedoch glaubt nicht, dass die Schwester ihr Sterben verschleiert durch die seltsamen Riten, erkennt so furchtbaren Wahn nicht und befürchtet nichts Schlimmres als einst beim Tod des Sychaeus. Also bereitet sie vor, was befohlen ist. Aber die Königin schmückt, als der riesige Holzstoß erbaut ist, drin unter freiem Himmel aus Kienholz und Steineichenscheiten, mit Girlanden den Platz, mit Zypressenzweigen ihn kränzend, legt hoch oben aufs Bett die Gewänder, das Schwert, das er daließ, und sein Bild, wohl wissend, was bald geschehn wird. Altäre stehn ringsum, und die Priesterin, deren Haare gelöst sind, ruft laut dreihundert Götter, darunter Erebus, Chaos,

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tergeminamque Hecaten, tria virginis ora Dianae. sparserat et latices simulatos fontis Averni; falcibus et messae ad lunam quaeruntur aënis pubentes herbae nigri cum lacte veneni; quaeritur et nascentis equi de fronte revulsus et matri praereptus amor. ipsa mola manibusque piis altaria iuxta, unum exuta pedem vinclis, in veste recincta, testatur moritura deos et conscia fati sidera; tum, si quod non aequo foedere amantis curae numen habet iustumque memorque, precatur. Nox erat et placidum carpebant fessa soporem corpora per terras, silvaeque et saeva quierant aequora, cum medio volvuntur sidera lapsu, cum tacet omnis ager, pecudes pictaeque volucres, quaeque lacus late liquidos quaeque aspera dumis rura tenent, somno positae sub nocte silenti. at non infelix animi Phoenissa, neque umquam solvitur in somnos oculisve aut pectore noctem accipit: ingeminant curae, rursusque resurgens saevit amor magnoque irarum fluctuat aestu. sic adeo insistit secumque ita corde volutat: ‘en, quid ago? rursusne procos inrisa priores experiar, Nomadumque petam conubia supplex, quos ego sim totiens iam dedignata maritos? Iliacas igitur classes atque ultima Teucrum iussa sequar? quiane auxilio iuvat ante levatos et bene apud memores veteris stat gratia facti? quis me autem, fac velle, sinet ratibusve superbis invisam accipiet? nescis heu, perdita, necdum Laomedonteae sentis periuria gentis? quid tum? sola fuga nautas comitabor ovantis?

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Hekates Dreigestalt, die drei Gesichter Dianas. Wasser auch hat sie versprengt, angeblich geholt vom Avernus; kräftige Kräuter, geschnitten mit ehernen Sicheln bei Mondlicht braucht man, gefüllt mit dem Saft eines schwärzlichen Giftes, auch einen Liebeszauber, entrissen der Stirn eines eben gebornen Fohlens, der Mutter geraubt. Sie steht selbst beim Altar, in sakral gereinigten Händen Opferschrot, einen Fuß entblößt, im Gewand ohne Gürtel, ruft, zum Sterben bereit, als Zeugen die Götter und Sterne, welche das Fatum kennen, und betet zur Gottheit, die, wenn’s sie gibt, für einseitig Liebende da ist, gerecht, nicht vergessend. Nacht war’s; friedlichen Schlummer genossen auf Erden die müden Leiber, es waren zur Ruhe gekommen die Wälder und wilden Wogen, während die Mitte der Bahn die Gestirne durchzogen; jetzt schweigt jedes Gefilde, die bunten Vögel, die Tiere, alle, die weithin in klaren Seen und auf dornbuschbewachsnen Feldern wohnen, die ruhen in schweigender Nacht, und sie schlafen. Doch die unglückselige Punierin, keine Entspannung kann sie finden im Schlaf, nimmt nicht mit Augen und Herz die Nacht in sich auf: Ihr Liebesleid wächst, und ihr wildes Begehren wird wieder wach, und es wogt hoch auf in der Brandung des Zornes. So denkt ständig sie, dieses bewegt hin und her sie im Herzen: »Was nur tu ich? Soll ich’s, die Verhöhnte, mit früheren Freiern wieder versuchen, um Hochzeit mit einem der Numider flehen, die ich selber bereits so oft verschmähte als Gatten? Soll ich der ilischen Flotte, den schimpflichsten Teukrerbefehlen folgen? Vielleicht, weil sie gerne zuvor von mir Hilfe bekamen und weil zu danken versteht, wer sich früherer Wohltat erinnert? Wer aber lässt mich’s tun, gesetzt, ich will’s, und empfängt im stolzen Schiff die Verhasste? Ach, Elende, kennst du und spürst du immer noch nicht, wie meineidig stets das Laomedon-Volk ist? Was nun? Begleit ich allein auf der Flucht die jubelnden Schiffer?

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an Tyriis omnique manu stipata meorum inferar et, quos Sidonia vix urbe revelli, rursus agam pelago et ventis dare vela iubebo? quin morere ut merita es, ferroque averte dolorem. tu lacrimis evicta meis, tu prima furentem his, germana, malis oneras atque obicis hosti. non licuit thalami expertem sine crimine vitam degere more ferae, talis nec tangere curas; non servata fides cineri promissa Sychaeo.’ tantos illa suo rumpebat pectore questus. Aeneas celsa in puppi iam certus eundi carpebat somnos rebus iam rite paratis. huic se forma dei vultu redeuntis eodem obtulit in somnis rursusque ita visa monere est, omnia Mercurio similis, vocemque coloremque et crinis flavos et membra decora iuventa: ‘nate dea, potes hoc sub casu ducere somnos, nec quae te circum stent deinde pericula cernis, demens, nec Zephyros audis spirare secundos? illa dolos dirumque nefas in pectore versat, certa mori, variosque irarum concitat aestus. non fugis hinc praeceps, dum praecipitare potestas? iam mare turbari trabibus saevasque videbis conlucere faces, iam fervere litora flammis, si te his attigerit terris Aurora morantem. heia age, rumpe moras. varium et mutabile semper femina.’ sic fatus nocti se immiscuit atrae. Tum vero Aeneas subitis exterritus umbris corripit e somno corpus sociosque fatigat praecipites: ‘vigilate, viri, et considite transtris; solvite vela citi. deus aethere missus ab alto festinare fugam tortosque incidere funis

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Oder schließ ich mich ihnen mitsamt den Tyriern an und meiner ganzen Schar und treib sie, die kaum ich aus Sidon losriss, wieder aufs Meer und befehl, die Segel zu setzen? Stirb doch, wie du’s verdienst, und beende die Qual mit dem Schwerte! Du, meinen Tränen erlegen, hast mir, der Besessnen, als erste, Schwester, dies Leid aufgebürdet, mich preisgegeben dem Feinde. Mir war’s nicht erlaubt, ohne Ehe mein Leben zu führen, frei von Schuld wie ein Tier, und solch einen Schmerz nicht zu fühlen; Treue, Sychaeus’ Asche gelobt, ich hab sie gebrochen.« Solche bitteren Klagen, die stieß sie hervor aus dem Herzen. Aber Aeneas, zur Fahrt schon entschlossen, genoss auf dem hohen Heck seinen Schlaf, denn alles war ordnungsgemäß schon gerüstet. Ihm erschien die Gestalt des Gottes im Traum, mit demselben Aussehen wiederkehrend, und mahnte, wie folgt, ihn schon wieder, gleich dem Merkur in allem, der Stimme, der Hautfarbe und den blonden Haaren, dazu den jugendlich herrlichen Gliedern: »Kannst du, Sohn einer Göttin, in solch einer Lage noch schlafen, siehst du denn gar nicht, welche Gefahren demnächst dich umringen, Törichter, hörst du auch nicht den günstigen Zephyrus wehen? Jene erwägt doch Listen im Herzen und grausigen Frevel, todesbereit, und peitscht verschiedene Wogen des Zorns hoch. Fliehst du nicht eiligst von hier, solang du zu eilen die Chance hast? Bald wirst du sehen, wie Schiffe das Meer aufwühlen und grimmig Fackeln aufflackern, bald, wie von Flammen wogt das Gestade, wenn in diesem Land Aurora noch säumig dich antrifft. Hopp, mach los! Was Launisches, Wetterwendisches ist doch immer das Weib.« So sprach er und tauchte ins nächtliche Dunkel. Da aber reißt sich Aeneas, erschreckt von den plötzlich geschauten Nachtbildern, aus dem Schlaf und treibt die Gefährten zu höchster Eile an: »Männer, erwacht, auf der Ruderbank nehmt euren Platz ein; hisst dann schleunigst die Segel. Ein Gott, entsandt aus des Himmels Höhen, treibt uns erneut, die gedrehten Taue zu kappen

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ecce iterum instimulat. sequimur te, sancte deorum, quisquis es, imperioque iterum paremus ovantes. adsis o placidusque iuves et sidera caelo dextra feras.’ dixit vaginaque eripit ensem fulmineum strictoque ferit retinacula ferro. idem omnis simul ardor habet, rapiuntque ruuntque; litora deseruere, latet sub classibus aequor; adnixi torquent spumas et caerula verrunt. Et iam prima novo spargebat lumine terras Tithoni croceum linquens Aurora cubile. regina e speculis ut primum albescere lucem vidit et aequatis classem procedere velis, litoraque et vacuos sensit sine remige portus, terque quaterque manu pectus percussa decorum flaventisque abscissa comas ‘pro Iuppiter! ibit hic,’ ait ‘et nostris inluserit advena regnis? non arma expedient totaque ex urbe sequentur, deripientque rates alii navalibus? ite, ferte citi flammas, date tela, impellite remos! quid loquor? aut ubi sum? quae mentem insania mutat? infelix Dido, nunc te facta impia tangunt? tum decuit, cum sceptra dabas. en dextra fidesque, quem secum patrios aiunt portare penates, quem subiisse umeris confectum aetate parentem! non potui abreptum divellere corpus et undis spargere? non socios, non ipsum absumere ferro Ascanium patriisque epulandum ponere mensis? verum anceps pugnae fuerat fortuna. fuisset: quem metui moritura? faces in castra tulissem implessemque foros flammis natumque patremque cum genere exstinxem, memet super ipsa dedissem. Sol, qui terrarum flammis opera omnia lustras,

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und in Eile zu fliehen. Wir folgen dir, heilige Gottheit, wer du auch bist, und gehorchen erneut dem Befehl voller Freude. Komm, steh gnädig uns bei, und gib, dass die Sterne am Himmel günstig stehen.« Er sprach’s, und sein blitzendes Schwert aus der Scheide riss er und kappte mit blanker Klinge die Taue. Derselbe Eifer erfüllt sie alle zugleich, und sie raffen und rennen; schon ist verlassen der Strand, und vor Schiffen sieht man das Meer nicht; kraftvoll wirbeln sie Schaum auf und fegen die bläulichen Fluten. Schon übergoss Aurora mit neuem Lichte die Länder, früh des Tithonus safranfarbenes Lager verlassend. Als von der Warte aus die Königin sah, dass der Morgen graute und Segel bei Segel die Flotte dahinfuhr, und als sie wahrnahm, dass leer von Ruderern waren Gestade und Hafen, schlug sie die schöne Brust mit der Hand sich dreimal und viermal, riss sich das blonde Haar aus und rief: »Bei Juppiter, der soll gehn, und ein Fremder hat dann meine Macht zum Narren gehalten? Schafft man nicht Waffen herbei, folgt ihm nicht nach aus der ganzen Stadt, ziehn andere nicht von den Docks die Schiffe? So geht doch, bringt schnell Fackeln, verteilt die Waffen, bewegt dann die Ruder! Doch was red ich? Wo bin ich? Mein Sinn, wie verändert ein Wahn ihn? Jetzt erst berührt dich dein heilloses Tun, unglückliche Dido? Als du das Szepter ihm gabst, war’s angebracht. Steht es bei dem, der mit sich, wie’s heißt, die Penaten trägt und der auf die Schultern nahm seinen schwächlichen Vater, so mit Schwüren und Treue? Hätt seinen Leib ich nicht greifen, zerstückeln und über die Wogen streuen, nicht mit dem Schwert die Gefährten, nicht ihn liquidieren können und nicht Ïulus dem Vater servieren zum Mahle? Doch der Ausgang des Kampfs wär fraglich gewesen. Na gut, doch: Wer war für mich zu fürchten, die Todgeweihte? In Brand hätt Lager und Schiffsraum ich setzen sollen, vernichten die ganze Brut, Sohn, Vater, dann mich selbst werfen oben aufs Feuer. Sol, der du all das Tun auf der Welt mit den Strahlen erleuchtest,

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tuque harum interpres curarum et conscia Iuno, nocturnisque Hecate triviis ululata per urbes et Dirae ultrices et di morientis Elissae, accipite haec, meritumque malis advertite numen et nostras audite preces. si tangere portus infandum caput ac terris adnare necesse est, et sic fata Iovis poscunt, hic terminus haeret: at bello audacis populi vexatus et armis, finibus extorris, complexu avulsus Iuli auxilium imploret videatque indigna suorum funera; nec, cum se sub leges pacis iniquae tradiderit, regno aut optata luce fruatur, sed cadat ante diem mediaque inhumatus harena. haec precor, hanc vocem extremam cum sanguine fundo. tum vos, o Tyrii, stirpem et genus omne futurum exercete odiis, cinerique haec mittite nostro munera. nullus amor populis nec foedera sunto. exoriare aliquis nostris ex ossibus ultor, qui face Dardanios ferroque sequare colonos, nunc, olim, quocumque dabunt se tempore vires. litora litoribus contraria, fluctibus undas imprecor, arma armis: pugnent ipsique nepotesque.’ Haec ait, et partis animum versabat in omnis, invisam quaerens quam primum abrumpere lucem. tum breviter Barcen nutricem adfata Sychaei, namque suam patria antiqua cinis ater habebat: ‘Annam, cara mihi nutrix, huc siste sororem: dic corpus properet fluviali spargere lympha, et pecudes secum et monstrata piacula ducat. sic veniat, tuque ipsa pia tege tempora vitta. sacra Iovi Stygio, quae rite incepta paravi, perficere est animus finemque imponere curis

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du auch, Juno, Stifterin, Mitwisserin dieser Leiden, Hekate, nachts in den Städten am Kreuzweg mit Heulen Gerufne, rächende Dirae und ihr, die Götter der sterbenden Dido, hört dies, bietet – mir schuldig – göttlichen Schutz mir im Unglück und vernehmt mein Gebet. Muss wirklich zum Hafen gelangen dieses verruchte Haupt und sicher landen, verlangen Juppiters Fata es so und bleibt das als Ziel so bestehen: Heimgesucht von Waffen und Krieg eines tapferen Volkes, aus seinem Lande verjagt, aus Ïulus’ Armen gerissen, soll um Hilfe er flehn und das schmachvolle Sterben der Seinen sehn; beugt Satzungen eines Friedens, der nicht gerecht ist, er sich, soll er des Reichs und erwünschten Lebens nicht froh sein, sondern vorzeitig sterben, nicht beigesetzt liegen im Sande. Darum bitt ich und sag, wenn mein Blut ich verström, noch ein Letztes. Tyrier, dann verfolgt seine Nachkommenschaft und das ganze künftige Volk mit Hass, bringt dies meiner Asche als Gabe. Nie soll zwischen den Völkern Liebe sein, niemals ein Bündnis. Wer du auch seist, erstehe aus meinen Gebeinen als Rächer, um dardanische Siedler mit Feuer und Schwert zu verfolgen, jetzt, dereinst, wann auch immer Kräfte vorhanden sein werden. Küste sei feindlich der Küste, Meer dem Meere, so wünsch ich’s, Waffen den Waffen, und kämpfen, das sollen sie selbst und die Enkel!« Sprach’s, ließ überallhin die Gedanken schweifen und suchte möglichst bald zu beenden das Leben, das ihr verhasst war. Dann sprach kurz sie zu Barke, der Amme des Gatten Sychaeus, denn ihre eigne bedeckte der Staub in der früheren Heimat: »Du mir teuere Amme, herbei hol Anna, die Schwester: sag, sie soll mit Flusswasser rasch ihren Körper besprengen, Tiere mit sich und die vorgeschriebenen Sühnopfer bringen. So soll sie kommen; du leg um die Schläfen die heilige Binde. Juppiter Stygius will ich Opfer vollziehn, die ich nach dem Ritus begonnen hab, so meinem Kummer ein Ende bereiten

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Dardaniique rogum capitis permittere flammae.’ sic ait. illa gradum studio celerabat anili. at trepida et coeptis immanibus effera Dido sanguineam volvens aciem, maculisque trementis interfusa genas et pallida morte futura, interiora domus inrumpit limina et altos conscendit furibunda rogos ensemque recludit Dardanium, non hos quaesitum munus in usus. hic, postquam Iliacas vestes notumque cubile conspexit, paulum lacrimis et mente morata incubuitque toro dixitque novissima verba: ‘dulces exuviae, dum fata deusque sinebat, accipite hanc animam meque his exsolvite curis. vixi et quem dederat cursum Fortuna peregi, et nunc magna mei sub terras ibit imago. urbem praeclaram statui, mea moenia vidi, ulta virum poenas inimico a fratre recepi; felix, heu nimium felix, si litora tantum numquam Dardaniae tetigissent nostra carinae!’ dixit, et os impressa toro ‘moriemur inultae, sed moriamur’ ait; ‘sic, sic iuvat ire sub umbras. hauriat hunc oculis ignem crudelis ab alto Dardanus et nostrae secum ferat omina mortis.’ dixerat, atque illam media inter talia ferro conlapsam aspiciunt comites, ensemque cruore spumantem sparsasque manus. it clamor ad alta atria: concussam bacchatur Fama per urbem. lamentis gemituque et femineo ululatu tecta fremunt, resonat magnis plangoribus aether, non aliter quam si immissis ruat hostibus omnis Karthago aut antiqua Tyros, flammaeque furentes culmina perque hominum volvantur perque deorum.

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und den Scheiterhaufen des Dardanerhauptes entzünden.« Sprach’s. Mit dem Eifer der Greisin beschleunigte jene die Schritte. Dido, erschauernd, enthemmt durch ihren entsetzlichen Vorsatz rollend die blutunterlaufnen Augen, mit Flecken auf ihren bebenden Wangen und bleich im Angesicht ihres Todes, stürzt in den innren Bereich des Palastes, besteigt dort den hohen Holzstoß rasend und zieht das Schwert des Dardaners, eine Gabe, um die sie ihn bat, doch nicht zu dieser Verwendung. Als sie hier die Gewänder aus Ilium und das vertraute Bett sah, hielt in Gedanken sie und unter Tränen kurz inne und warf dann sich aufs Bett, wo die letzten Worte sie sagte: »Ihr Gewänder, mir lieb, als Schicksal und Gott es erlaubten, nehmt mein Leben nun hin und erlöst mich vom Leid meiner Liebe. Ich hab gelebt und die Bahn, die Fortuna mir zuwies, vollendet; unter die Erde wird jetzt mein edles Schattenbild gehen. Ich erbaute die herrliche Stadt, ich sah meine Mauern, hab meinen Gatten gerächt und bestraft den mir feindlichen Bruder; ja, ich Glückliche, ach, zu Glückliche, hätten nur niemals unsere Küste hier berührt die dardanischen Schiffe!« Sprach’s und presste aufs Kissen ihr Antlitz: »Ich sterb ohne Rache, will aber sterben, und so, so gehe ich gern zu den Schatten. Mag nur der grausame Dardaner sich vom Meer aus an diesem Feuer sattsehn, und nehm meines Todes Omen er mit sich.« Sprach’s, und noch während sie’s sagt, sehn ihre Frauen, wie, durch die Klinge getroffen, sie daliegt und wie vom Blute das Schwert trieft und ihre Hände bespritzt sind. Geschrei steigt auf zu den hohen Hallen: Fama rast durch die tief erschütterte Stadt hin. Von dem Wehklagen, Stöhnen und von dem Heulen der Frauen gellen die Häuser, es tönt vom lauten Gejammer der Äther, so, als dringe der Feind in die Stadt ein, als stürze zusammen ganz Karthago oder das alte Tyros, und Flammen wälzten sich rasend quer durch die Häuser der Menschen und Götter.

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Audiit exanimis trepidoque exterrita cursu unguibus ora soror foedans et pectora pugnis per medios ruit, ac morientem nomine clamat: ‘hoc illud, germana, fuit? me fraude petebas? hoc rogus iste mihi, hoc ignes araeque parabant? quid primum deserta querar? comitemne sororem sprevisti moriens? eadem me ad fata vocasses, idem ambas ferro dolor atque eadem hora tulisset. his etiam struxi manibus patriosque vocavi voce deos, sic te ut posita, crudelis, abessem? exstinxti te meque, soror, populumque patresque Sidonios urbemque tuam. date vulnera lymphis abluam et, extremus si quis super halitus errat, ore legam.’ sic fata gradus evaserat altos, semianimemque sinu germanam amplexa fovebat cum gemitu atque atros siccabat veste cruores. illa gravis oculos conata attollere rursus deficit; infixum stridit sub pectore vulnus. ter sese attollens cubitoque adnixa levavit, ter revoluta toro est oculisque errantibus alto quaesivit caelo lucem ingemuitque reperta. Tum Iuno omnipotens longum miserata dolorem difficilisque obitus Irim demisit Olympo quae luctantem animam nexosque resolveret artus. nam quia nec fato merita nec morte peribat, sed misera ante diem subitoque accensa furore, nondum illi flavum Proserpina vertice crinem abstulerat Stygioque caput damnaverat Orco. ergo Iris croceis per caelum roscida pinnis mille trahens varios adverso sole colores devolat et supra caput adstitit. ‘hunc ego Diti sacrum iussa fero teque isto corpore solvo’:

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Atemlos hört es die Schwester; entsetzt, in hastigem Laufe, ihr Gesicht mit den Nägeln misshandelnd, die Brust mit den Fäusten, stürzt durch die Leute sie, ruft die Sterbende bei ihrem Namen: » Schwester, das also war’s? So wolltest du mich überlisten? Das hier sollten mir Holzstoß, Altar und Feuer bescheren? Was nur beklag ich Verlassne zuerst? Du verschmähtest die Schwester sterbend als Partnerin? Hättst du zum Tod mich gerufen, derselbe Schmerz durch das Schwert und dieselbe Stunde hätt uns getötet. Habe ich dies mit den Händen errichtet, die heimischen Götter laut gerufen, damit, als du dalagst, ich, Grausame, fern sei? Schwester, getötet hast dich du und mich, dein Volk und die Väter Sidons und hier deine Stadt. Gebt frisches Wasser, damit die Wunden ich wasch, und ist noch ein letzter Hauch in ihr, fang mit meinem Mund ich ihn auf.« So sprach sie, stieg auf den Holzstoß, koste im Schoß die halbtote Schwester, im Arme sie haltend, und versuchte stöhnend, das Blut mit dem Kleide zu stillen. Jene, bemüht, die schweren Lider zu heben, versinkt in Ohnmacht wieder; es dringt aus der Brustverletzung ein Pfeifen. Dreimal erhob sie sich da, auf den Ellenbogen sich stützend, dreimal sank sie zurück und suchte mit unsteten Augen hoch am Himmel das Licht, und sie seufzte, als sie’s entdeckte. Da erbarmt sich des langen Leids und des mühsamen Sterbens Juno, die mächtige; Iris schickt vom Olymp sie, befrein soll diese die ringende Seele und lösen den Halt ihrer Glieder. Denn da sie weder durch Schicksal noch aufgrund einer Schuld starb, sondern elend, zu früh und entflammt durch plötzliches Rasen, hatte Proserpina nicht ihr genommen vom Scheitel das blonde Haar und das Haupt noch nicht geweiht dem stygischen Orkus. So fliegt Iris vom Himmel auf safranfarbenen Flügeln, feucht vom Tau und gegen die Sonne von tausend verschiednen Farben sprühend, und macht dann Halt überm Kopf: »Dieses Haar, dem Dis geweiht, ihm bring ich’s und löse dich von deinem Körper.«

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sic ait et dextra crinem secat, omnis et una dilapsus calor atque in ventos vita recessit.

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Spricht’s und schneidet das Haar mit der Rechten ihr ab, und sogleich schwand alle Wärme dahin, und das Leben entwich in die Lüfte.

LIBER V Interea medium Aeneas iam classe tenebat certus iter fluctusque atros Aquilone secabat moenia respiciens, quae iam infelicis Elissae conlucent flammis. quae tantum accenderit ignem causa latet; duri magno sed amore dolores polluto, notumque furens quid femina possit, triste per augurium Teucrorum pectora ducunt. ut pelagus tenuere rates nec iam amplius ulla occurrit tellus, maria undique et undique caelum, olli caeruleus supra caput adstitit imber noctem hiememque ferens, et inhorruit unda tenebris. ipse gubernator puppi Palinurus ab alta: ‘heu, quianam tanti cinxerunt aethera nimbi? quidve, pater Neptune, paras?’ sic deinde locutus colligere arma iubet validisque incumbere remis obliquatque sinus in ventum ac talia fatur: ‘magnanime Aenea, non, si mihi Iuppiter auctor spondeat, hoc sperem Italiam contingere caelo. mutati transversa fremunt et vespere ab atro consurgunt venti, atque in nubem cogitur aër; nec nos obniti contra nec tendere tantum sufficimus. superat quoniam Fortuna, sequamur, quoque vocat, vertamus iter. nec litora longe fida reor fraterna Erycis portusque Sicanos, si modo rite memor servata remetior astra.’ tum pius Aeneas: ‘equidem sic poscere ventos iamdudum et frustra cerno te tendere contra; flecte viam velis. an sit mihi gratior ulla,

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BUCH 5 Unterdes hielt schon inmitten des Meeres Aeneas unbeirrt Kurs und durchschnitt die vom Nordwind verdunkelten Fluten, auf die Stadt zurückblickend, die von den Flammen der armen Dido erleuchtet ist. Was nun ein solches Feuer entfacht hat, das ist verborgen; jedoch die Schmerzen wegen verschmähter Liebe und Wissen darum, was, wenn sie rast, eine Frau zu tun imstand ist, erfüllen die Teukrer mit düsterer Ahnung. Als dann die hohe See die Schiffe erreichten und nirgends Land mehr zu sehn war, überall Meer nur und überall Himmel, blieb ihm über dem Haupt ein schwärzliches Unwetter stehen, Nacht und Sturm bringend; finster kräuselten da sich die Wogen. Hoch vom Heck ruft selber der Steuermann Palinurus: »Ach, warum überzogen so dichte Wolken den Himmel, Vater Neptun, was hast du im Sinn?« So spricht er, befiehlt, die Segel zu reffen und sich auf die starken Ruder zu stemmen, stellt schräg in den Wind die Segel, und dann sagt er dieses: »Selbst wenn Juppiter mir es verbürgte, edler Aeneas, könnt ich nicht hoffen, Italien bei diesem Sturm zu erreichen. Quer, nachdem sie gedreht haben, brausen daher jetzt die Winde, aufsteigend aus dem düsteren Abend, zur Wolke verdichtet sich die Luft; uns dagegen zu stemmen, auch Kurs nur zu halten, sind wir nicht in der Lage. Fortuna ist stärker, ihr folgend wollen wir lenken, wohin sie uns ruft. Nicht weit sind, vermut ich, Eryx’, des Bruders, verlässlicher Strand und sikanische Häfen, wenn denn aus der Erinnrung die Sterne ich richtig berechne.« Drauf der fromme Aeneas: »Dass so die Winde es längst schon fordern, ich seh es, und dass du umsonst dagegen dich abmühst; ändre die Fahrtrichtung. Gibt es ein Land, das willkommener wäre

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quove magis fessas optem dimittere navis, quam quae Dardanium tellus mihi servat Acesten et patris Anchisae gremio complectitur ossa?’ haec ubi dicta, petunt portus et vela secundi intendunt Zephyri; fertur cita gurgite classis, et tandem laeti notae advertuntur harenae. At procul ex celso miratus vertice montis adventum sociasque rates occurrit Acestes, horridus in iaculis et pelle Libystidis ursae, Troia Criniso conceptum flumine mater quem genuit. veterum non immemor ille parentum gratatur reduces et gaza laetus agresti excipit ac fessos opibus solatur amicis. Postera cum primo stellas Oriente fugarat clara dies, socios in coetum litore ab omni advocat Aeneas tumulique ex aggere fatur: ‘Dardanidae magni, genus alto a sanguine divum, annuus exactis completur mensibus orbis, ex quo reliquias divinique ossa parentis condidimus terra maestasque sacravimus aras; iamque dies, nisi fallor, adest, quem semper acerbum, semper honoratum (sic di voluistis) habebo. hunc ego Gaetulis agerem si Syrtibus exul Argolicove mari deprensus et urbe Mycene, annua vota tamen sollemnisque ordine pompas exsequerer strueremque suis altaria donis. nunc ultro ad cineres ipsius et ossa parentis (haud equidem sine mente, reor, sine numine divum) adsumus et portus delati intramus amicos. ergo agite et laetum cuncti celebremus honorem: poscamus ventos, atque haec me sacra quotannis urbe velit posita templis sibi ferre dicatis.

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oder wohin die müden Schiffe ich lieber entließe, als das Land, das den Dardanerspross mir bewahrt, den Akestes, und im Schoße umfängt die Gebeine des Vaters Anchises?« Als er’s gesagt hat, steuern die Häfen sie an, und es schwellt ein günstiger Westwind die Segel; rasch fährt übers Meer hin die Flotte; froh drehn endlich sie bei an dem ihnen bekannten Gestade. Staunend bemerkt aus der Ferne vom ragenden Gipfel des Bergs die Ankunft Akestes und läuft den Schiffen der Freunde entgegen, starrend von Spießen, am Leib das Fell einer libyschen Bärin; ihn, den vom Flussgott Krinisus Empfangenen, brachte zur Welt die troische Mutter. Und dieser, der alten Ahnen gedenkend, grüßt die Wiedergekehrten, bewirtet sie froh mit des Feldes Köstlichkeiten und labt mit Gaben der Freundschaft die Müden. Kaum verscheuchte die Sterne im Morgenlichte der nächste, strahlende Tag, da ruft überall vom Strand die Gefährten her zur Versammlung Aeneas; von einer Erhöhung aus sagt er: »Starke Dardaner, Söhne vom hehren Geschlechte der Götter, jetzt ist im Ablauf der Monde der Kreis eines Jahres vollendet, seit wir die sterbliche Hülle, des göttlichen Vaters Gebeine, bargen im Erdreich und dann den Altar der Trauer ihm weihten; heut ist, wenn ich nicht irre, der Tag, den stets ich für schmerzlich, stets auch in Ehren halten werde – so wolltet’s ihr Götter. Müsst ich ihn auch verbannt in Gätuliens Syrten verbringen oder festgehalten im Argolermeer und Mykene, hielt’ ich doch jährlich Gelübde und festlichen Umzug gemäß der Ordnung und baute zudem für geschuldete Gaben Altäre. Jetzt sind wir hier bei der Asche des Vaters und seinen Gebeinen ohne mein Zutun – doch nicht ohne Absicht und Walten der Götter, glaub ich – und sind zudem im Hafen von Freunden gelandet. Auf denn, lasst uns nun alle in Freuden den Ehrentag feiern, günstige Winde auch fordern; er lasse mich jährlich dies Opfer bringen, wenn dasteht die Stadt und ihm ein Tempel geweiht ist.

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bina boum vobis Troia generatus Acestes dat numero capita in navis; adhibete penates et patrios epulis et quos colit hospes Acestes. praeterea, si nona diem mortalibus almum Aurora extulerit radiisque retexerit orbem, prima citae Teucris ponam certamina classis; quique pedum cursu valet, et qui viribus audax aut iaculo incedit melior levibusque sagittis, seu crudo fidit pugnam committere caestu, cuncti adsint meritaeque exspectent praemia palmae. ore favete omnes et cingite tempora ramis.’ Sic fatus velat materna tempora myrto. hoc Helymus facit, hoc aevi maturus Acestes, hoc puer Ascanius, sequitur quos cetera pubes. ille e concilio multis cum milibus ibat ad tumulum magna medius comitante caterva. hic duo rite mero libans carchesia Baccho fundit humi, duo lacte novo, duo sanguine sacro, purpureosque iacit flores ac talia fatur: ‘salve, sancte parens; iterum salvete, recepti nequiquam cineres animaeque umbraeque paternae! non licuit finis Italos fataliaque arva nec tecum Ausonium, quicumque est, quaerere Thybrim.’ dixerat haec, adytis cum lubricus anguis ab imis septem ingens gyros, septena volumina traxit amplexus placide tumulum lapsusque per aras, caeruleae cui terga notae maculosus et auro squamam incendebat fulgor, ceu nubibus arcus mille iacit varios adverso sole colores. obstipuit visu Aeneas; ille agmine longo tandem inter pateras et levia pocula serpens libavitque dapes rursusque innoxius imo

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Je zwei Ochsen schenkt Akestes, der Abkömmling Trojas, euch für jedes Schiff; nun ladet zum Mahl die Penaten, die der Heimat und die, die Akestes verehrt, unser Gastwirt. Ferner, wenn einen erquicklichen Tag den Menschen das neunte Frührot gebracht und erneut mit den Strahlen die Erde erhellt hat, dann veranstalte erst für die Teukrer ich eine Regatta; wer dann stark ist im Wettlauf und wer, aufgrund seiner Kräfte mutig, mit Speer und leichten Pfeilen als Besserer auftritt oder mit ungegerbtem Caestus den Faustkampf sich zutraut – jeder sei da und erwarte als Lohn für die Leistung den Palmzweig. Schweigt in Andacht, ihr alle, und kränzt eure Schläfen mit Zweigen.« Spricht’s und umwindet die Schläfen mit Myrte, heilig der Mutter. So tut’s Helymus, so der an Jahren gereifte Akestes, Knabe Askanius tut’s, und es folgt die übrige Jugend. Er ging aus der Versammlung mit vielen Tausenden nun zum Grabe, inmitten einer großen Schar von Begleitern. Hier gießt, opfernd nach Brauch, er zwei Becher mit lauterem Wein zu Boden und zwei mit frischer Milch, zwei mit heiligem Blute, streut auch purpurne Blumen und spricht die folgenden Worte: »Heil dir, heiliger Vater, und wiederum Heil euch, des Vaters Asche und Seele und Schatten, damals vergeblich gerettet! Nicht war’s gestattet, mit dir Italiens Gebiet, das verheißne Land und Ausoniens Thybris, wer immer das sein mag, zu suchen.« Sprach’s, und riesig kroch aus der Tiefe des Grabs eine glatte Schlange, die sieben Kreise und sieben Windungen friedlich um den Grabhügel zog und übern Altar dann dahinglitt; bläuliche Tupfen ließen den Rücken und Schimmer von goldnen Flecken die Schuppen leuchten, so wie auf die Wolken der Bogen tausend verschiedene Farben wirft gegenüber der Sonne. Staunen erfasste Aeneas beim Schaun; lang hingestreckt schließlich zwischen den Opferschalen und blanken Bechern sich ringelnd, kostete sie vom Mahl, dann verschwand sie, ohne zu schaden,

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successit tumulo et depasta altaria liquit. hoc magis inceptos genitori instaurat honores, incertus geniumne loci famulumne parentis esse putet; caedit binas de more bidentis totque sues, totidem nigrantis terga iuvencos, vinaque fundebat pateris animamque vocabat Anchisae magni manisque Acheronte remissos. nec non et socii, quae cuique est copia, laeti dona ferunt, onerant aras mactantque iuvencos; ordine aëna locant alii fusique per herbam subiciunt veribus prunas et viscera torrent. Exspectata dies aderat nonamque serena Auroram Phaethontis equi iam luce vehebant, famaque finitimos et clari nomen Acestae excierat; laeto complerant litora coetu visuri Aeneadas, pars et certare parati. munera principio ante oculos circoque locantur in medio, sacri tripodes viridesque coronae et palmae pretium victoribus, armaque et ostro perfusae vestes, argenti aurique talenta; et tuba commissos medio canit aggere ludos. Prima pares ineunt gravibus certamina remis quattuor ex omni delectae classe carinae. velocem Mnestheus agit acri remige Pristim, mox Italus Mnestheus, genus a quo nomine Memmi, ingentemque Gyas ingenti mole Chimaeram, urbis opus, triplici pubes quam Dardana versu impellunt, terno consurgunt ordine remi; Sergestusque, domus tenet a quo Sergia nomen, Centauro invehitur magna, Scyllaque Cloanthus caerulea, genus unde tibi, Romane Cluenti. Est procul in pelago saxum spumantia contra

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wieder drunten im Grab und ließ den Altar abgefressen. Umso eifriger führt er das Opfer zu Ehren des Vaters weiter, nicht sicher, ob dies der Schutzgeist des Orts oder seines Vaters Diener war, schlachtet zwei Schafe und ebenso viele Schweine nach Brauch, dazu zwei Stiere mit tiefschwarzem Rücken, gießt aus Opferschalen den Wein, und des großen Anchises Seele ruft er, auch Manen, welche der Acheron freigab. Auch die Gefährten bringen, wie’s jeder vermag, voller Freude Gaben, beladen damit den Altar und opfern die Stiere; Kessel stellen andre in Reihe; im Grase gelagert legen sie unter die Spieße die Kohlen und braten die Stücke. Dann war er da, der erwartete Tag; schon führten Phaëthons Rosse das neunte Frührot herauf in heiterem Lichte; Kunde vom Spiel und der Name des weitberühmten Akestes lockte die Nachbarn; sie füllten das Ufer in fröhlichem Aufzug, um des Aeneas Gefährten zu sehn, teils auch, um zu kämpfen. Erst werden, jedermann sichtbar, inmitten des Kampfplatzes all die Preise postiert, geweihte Dreifüße, grünende Kränze, Palmen zum Lohn für die Sieger und Waffen, mit Purpur durchwirkte Kleider und Barren in Silber und Gold; von der Mitte des Walles gibt die Trompete dann für den Anfang der Spiele das Zeichen. Vier aus der ganzen Flotte gewählte vergleichbare Schiffe fangen mit wuchtigen Rudern den ersten Kampf an. Es lenkt die schnelle »Pristis« Mnestheus mit seiner tüchtigen Mannschaft – bald der Italer Mnestheus, nach dem sich die Memmier nennen –, Gyas die große »Chimaera« mit ihrer gewaltigen Masse, wie eine Stadt ein Schiff, das, dreifach gestaffelt, die jungen Troer bewegen; in dreifacher Reihe erheben sich Ruder; und Sergestus – von ihm hat das Sergier-Haus seinen Namen – fährt auf der großen »Kentaurus«, Kloanthus fährt auf der dunklen »Skylla«; von ihm kommt, Römer Cluentius, deine Familie. Draußen im Meer, gegenüber der brandenden Küste, da liegt ein

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litora, quod tumidis submersum tunditur olim fluctibus, hiberni condunt ubi sidera Cori; tranquillo silet immotaque attollitur unda campus et apricis statio gratissima mergis. hic viridem Aeneas frondenti ex ilice metam constituit signum nautis pater, unde reverti scirent et longos ubi circumflectere cursus. tum loca sorte legunt, ipsique in puppibus auro ductores longe effulgent ostroque decori; cetera populea velatur fronde iuventus nudatosque umeros oleo perfusa nitescit. considunt transtris, intentaque bracchia remis; intenti exspectant signum, exsultantiaque haurit corda pavor pulsans laudumque arrecta cupido. inde ubi clara dedit sonitum tuba, finibus omnes, haud mora, prosiluere suis; ferit aethera clamor nauticus, adductis spumant freta versa lacertis. infindunt pariter sulcos, totumque dehiscit convulsum remis rostrisque tridentibus aequor: non tam praecipites biiugo certamine campum corripuere ruuntque effusi carcere currus, nec sic immissis aurigae undantia lora concussere iugis pronique in verbera pendent. tum plausu fremituque virum studiisque faventum consonat omne nemus, vocemque inclusa volutant litora, pulsati colles clamore resultant. Effugit ante alios primisque elabitur undis turbam inter fremitumque Gyas; quem deinde Cloanthus consequitur, melior remis, sed pondere pinus tarda tenet. post hos aequo discrimine Pristis Centaurusque locum tendunt superare priorem; et nunc Pristis habet, nunc victam praeterit ingens

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Felsen, bisweilen gepeitscht, überschwemmt von schwellenden Fluten, wenn Nordwinde im Winter die Sterne verbergen; doch ist es windstill, erhebt er sich stumm als Fläche aus ruhigen Wogen, höchst willkommen als Rastplatz für sonnenhungrige Taucher. Hier postiert ein grünes Grenzmal, den Ast einer Eiche, Vater Aeneas als Zeichen den Schiffern, zu wissen, von wo die Rückfahrt beginnt und wo auf der langen Strecke sie wenden. Dann verlost man die Plätze; am Heck erstrahlen geschmückt mit Gold und Purpur weithin höchstselbst die Schiffskommandanten; mit dem Laub einer Pappel bekränzt sich die übrige Jugend, eingeölt glänzen die nackten Schultern. Sie setzen sich auf die Ruderbänke und legen gespannt an die Ruder die Arme, warten gespannt auf das Zeichen, und freudig klopfende Herzen packt die pochende Angst und heftiges Ruhmesverlangen. Als die Trompete dann hell ertönte, da schossen sie alle ohne Verzug aus den Startpositionen; es dringen zum Äther Seemannsrufe; gestrafft sind die Arme, es schäumen die Wogen. Gleichmäßig schneiden sie Furchen, die ganze Fläche des Meers, von Rudern und Dreizackschnäbeln aufgewühlt, öffnet sich klaffend: Nicht so ungestüm eilen beim Wettkampf der Doppelgespanne über das Feld die Wagen, hervorgestürmt aus den Schranken, nicht so schütteln die lockeren Zügel die Lenker der Wagen, wenn die Gespanne rasen, und beugen zum Schlag sich vornüber. Jetzt schallt weithin der Hain vom Applaus, von den Schreien der Männer und vom Zuruf der Fans; die geschützte Bucht reflektiert den Schall, und getroffen von Schreien hallen da wider die Hügel. Von den anderen löst sich und gleitet als erster durchs Meer hin Gyas zwischen Getümmel und Schreien; es folgt ihm Kloanthus, zwar mit den besseren Ruderern, aber schwerfällig hält sein Schiff ihn auf. Hinter ihnen, im gleichen Abstand, bemühn sich »Pristis« und »Kentaurus«, den Platz vor dem andern zu kriegen; jetzt hat ihn »Pristis«, und jetzt überholt sie die große »Kentaurus«

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Centaurus, nunc una ambae iunctisque feruntur frontibus et longa sulcant vada salsa carina. iamque propinquabant scopulo metamque tenebant, cum princeps medioque Gyas in gurgite victor rectorem navis compellat voce Menoeten: ‘quo tantum mihi dexter abis? huc derige cursum; litus ama et laeva stringat sine palmula cautes; altum alii teneant.’ dixit; sed caeca Menoetes saxa timens proram pelagi detorquet ad undas. ‘quo diversus abis?’ iterum ‘pete saxa, Menoete!’ cum clamore Gyas revocabat: et ecce Cloanthum respicit instantem tergo et propiora tenentem. ille inter navemque Gyae scopulosque sonantis radit iter laevum interior subitoque priorem praeterit et metis tenet aequora tuta relictis. tum vero exarsit iuveni dolor ossibus ingens nec lacrimis caruere genae, segnemque Menoeten oblitus decorisque sui sociumque salutis in mare praecipitem puppi deturbat ab alta; ipse gubernaclo rector subit, ipse magister hortaturque viros clavumque ad litora torquet. at gravis ut fundo vix tandem redditus imo est iam senior madidaque fluens in veste Menoetes, summa petit scopuli siccaque in rupe resedit. illum et labentem Teucri et risere natantem et salsos rident revomentem pectore fluctus. Hic laeta extremis spes est accensa duobus, Sergesto Mnestheique, Gyan superare morantem. Sergestus capit ante locum scopuloque propinquat, nec tota tamen ille prior praeeunte carina: parte prior, partem rostro premit aemula Pristis. at media socios incedens nave per ipsos

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siegreich, jetzt Bug an Bug, fahrn beide nebeneinander und durchfurchen mit langen Kielen die salzigen Wogen. Und schon kamen sie näher dem Fels und erreichten das Grenzmal, da herrscht Gyas, noch vorne und siegreich mitten im hohen Meere, den Steuermann seines Schiffes an, den Menoetes: »Wohin steuerst so weit du nach rechts? Lenk hierhin die Fahrt doch, dicht an der Küste bleib, links streife das Ruder den Felsen; anderen lasse die offene See!« Er sprach’s; doch Menoetes wendet den Bug aus Furcht vor verborgenen Felsen der See zu. »Wohin fährst du denn? Falsch! Nimm Kurs auf die Felsen, Menoetes!« rief laut wieder und wieder Gyas, und schau, den Kloanthus sieht er in seinem Rücken drohn und den näheren Kurs fahrn. Der streicht hart zwischen Gyas’ Schiff und den tosenden Klippen links auf der Innenbahn hin, überholt dann plötzlich den Ersten, lässt hinter sich das Grenzmal und lenkt in sichres Gewässer. Da entbrannte furchtbarer Schmerz in den Knochen dem Jüngling, Tränen benetzten die Wangen; er stößt den zagen Menoetes, ohne an sein Prestige und das Wohl der Gefährten zu denken, oben vom hohen Heck ins Meer kopfüber und rückt dann selber als Lenker nach am Steuer; als Steuermann mahnt er selber die Männer und dreht das Steuer in Richtung Gestade. Schwerfällig klettert, als endlich er grad noch vom Grund wieder auftaucht, ziemlich betagt schon und triefend im nassen Gewande Menoetes auf die Klippe hinauf und bleibt auf dem trockenen Felsen. Als er fiel und herumschwamm, da hatten die Teukrer zu lachen, und sie lachen auch, als er die salzige Flut wieder ausspeit. Jetzt erwacht in den beiden Letzten fröhliche Hoffnung, in Sergestus und Mnestheus, den Gyas, der nachlässt, zu schlagen. Und Sergestus gewinnt einen Vorsprung und naht sich der Klippe, ist aber nicht eine ganze Schiffslänge vorne: Zum Teil nur ist er’s, zum Teil bedrängt mit dem Schnabel ihn Gegnerin »Pristis«. Aber Mnestheus, mitten im Schiff hin und her zwischen seinen

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hortatur Mnestheus: ‘nunc, nunc insurgite remis, 190 Hectorei socii, Troiae quos sorte suprema delegi comites; nunc illas promite vires, nunc animos, quibus in Gaetulis Syrtibus usi Ionioque mari Maleaeque sequacibus undis. non iam prima peto Mnestheus neque vincere certo (quamquam o! – sed superent quibus hoc, Neptune, dedisti); 196 extremos pudeat rediisse: hoc vincite, cives, et prohibete nefas.’ olli certamine summo procumbunt: vastis tremit ictibus aerea puppis subtrahiturque solum, tum creber anhelitus artus 200 aridaque ora quatit, sudor fluit undique rivis. attulit ipse viris optatum casus honorem: namque furens animi dum proram ad saxa suburget interior spatioque subit Sergestus iniquo, infelix saxis in procurrentibus haesit. 205 concussae cautes, et acuto in murice remi obnixi crepuere inlisaque prora pependit. consurgunt nautae et magno clamore morantur ferratasque trudes et acuta cuspide contos expediunt fractosque legunt in gurgite remos. 210 at laetus Mnestheus successuque acrior ipso agmine remorum celeri ventisque vocatis prona petit maria et pelago decurrit aperto. qualis spelunca subito commota columba, cui domus et dulces latebroso in pumice nidi, 215 fertur in arva volans plausumque exterrita pinnis dat tecto ingentem, mox aëre lapsa quieto radit iter liquidum celeris neque commovet alas: sic Mnestheus, sic ipsa fuga secat ultima Pristis aequora, sic illam fert impetus ipse volantem. 220 et primum in scopulo luctantem deserit alto

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Freunden laufend, ermahnt sie: »Jetzt, jetzt legt euch in die Riemen, Hektors Gefährten, die als Begleiter ich wählte in Trojas letzter Stunde; jetzt holt aus euch heraus jene Kräfte, jetzt den Mut, den einst in Gätuliens Syrten ihr hattet und im Jonischen Meer und in Maleas stürmischen Wogen. Nicht mehr der erste sein will ich, Mnestheus, den Sieg nicht erkämpfen – freilich, ach …! Sieger sei der, dem du, Neptun, es geschenkt hast –; aber die Rückkehr als Letzter wär Schmach: Hier siegt, ihr Gefährten, und verhindert die Schande.« Da rudern jene mit höchstem Eifer: Das eherne Heck erzittert von wuchtigen Schlägen, unten entweicht die Flut, permanent quält Keuchen die Glieder, auch den trockenen Mund, Schweiß fließt allenthalben in Bächen. Reiner Zufall brachte den Männern den Ruhm, den sie wünschten: Denn als Sergestus tollkühn den Bug an die Felsen herantrieb und zu weit nach innen in einen Gefahrenbereich kam, blieb der Ärmste dort hängen an spitz vorspringenden Felsen. Klippen erbebten, es krachten die Ruder, die auf das Riff sich stemmten, und in der Schwebe hing da der Bug nach dem Aufprall. Auf springt die Mannschaft und hält mit lautem Schreien das Schiff in seiner Lage, mit Eisen beschlagene Stangen und spitze holt man herbei und sammelt im Meer die zerbrochenen Ruder. Mnestheus, freudig und hitziger noch aufgrund des Erfolges, eilt mit geschwindem Ruderschlag und mit Hilfe erbetner Winde aufs freie Meer und auf offener See Richtung Ufer. Wie, aus der Höhle plötzlich verscheucht, die Taube, die ihre Wohnung und süße Brut in rissigem Lavagestein hat, hin zum Gefilde fliegend, erschreckt überm Nest mit den Flügeln heftig klatscht, aber bald dann, gleitend in ruhiger Luft, am Himmel dahinstreicht, nicht mehr die schnellen Flügel bewegend: So auch Mnestheus, so durchfurcht die entferntesten Fluten »Pristis«, so trägt sie dahin ihr eigener Schwung wie im Fluge. Hinter sich lässt er zuerst den Sergestus, der an der hohen

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Sergestum brevibusque vadis frustraque vocantem auxilia et fractis discentem currere remis. inde Gyan ipsamque ingenti mole Chimaeram consequitur: cedit, quoniam spoliata magistro est. solus iamque ipso superest in fine Cloanthus, quem petit et summis adnixus viribus urget. tum vero ingeminat clamor, cunctique sequentem instigant studiis, resonatque fragoribus aether. hi proprium decus et partum indignantur honorem ni teneant, vitamque volunt pro laude pacisci; hos successus alit: possunt, quia posse videntur. et fors aequatis cepissent praemia rostris, ni palmas ponto tendens utrasque Cloanthus fudissetque preces divosque in vota vocasset: ‘di, quibus imperium est pelagi, quorum aequora curro, vobis laetus ego hoc candentem in litore taurum constituam ante aras voti reus extaque salsos proiciam in fluctus et vina liquentia fundam.’ dixit, eumque imis sub fluctibus audiit omnis Nereidum Phorcique chorus Panopeaque virgo, et pater ipse manu magna Portunus euntem impulit: illa Noto citius volucrique sagitta ad terram fugit et portu se condidit alto. Tum satus Anchisa cunctis ex more vocatis victorem magna praeconis voce Cloanthum declarat viridique advelat tempora lauro, muneraque in navis ternos optare iuvencos vinaque et argenti magnum dat ferre talentum. ipsis praecipuos ductoribus addit honores: victori chlamydem auratam, quam plurima circum purpura maeandro duplici Meliboea cucurrit, intextusque puer frondosa regius Ida

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Klippe sich plagt im seichten Gewässer, vergeblich nach Hilfe ruft und nun lernen muss, mit zerbrochenen Rudern zu fahren. Dann holt Gyas er ein und den Riesenbau seiner »Chimaera«: Sie muss weichen, da sie des Steuermanns ja beraubt ist. Übrig bleibt allein, ganz nahe am Ziel schon, Kloanthus; den verfolgt und bedrängt er, mit äußerster Kraft sich bemühend. Doppelt so laut wird das Schreien, begeistert feuern sie alle ihn als Verfolger nun an, vom Lärm hallt wider der Äther. Jene empört’s, wenn sie nicht ihre Ehre, erworbenes Ansehn festhalten können; sie wollen für Ruhm einsetzen ihr Leben; diese belebt der Erfolg: Stark sind sie, weil sie dran glauben. Sporn an Sporn hätten sie vielleicht die Belohnung erhalten, hätt nicht, zum Meer ausstreckend die beiden Hände, Kloanthus Bitten verströmt und die Götter mit Opfergelübden gerufen: »Götter, die ihr die Wogen beherrscht, deren Meer ich befahre, hier am Strand will ich froh einen weißen Stier vorm Altar euch weihen und, mein Gelübde erfüllend, danach in die Salzflut werfen die Innerein, ausgießen lauteren Wein auch.« Sprach’s, und ihn hörte tief in den Fluten der Töchter des Nereus ganzer Reigen und Phorkus und Panopea, die Jungfrau; Vater Portunus selbst stieß vorwärts das fahrende Schiff mit starker Hand, und schneller als Notus und sausende Pfeile schoss zum Lande es hin, und es barg sich im Becken des Hafens. Dann ruft alle, wie’s Brauch ist, herbei der Sohn des Anchises; laut durch den Ruf des Herolds erklärt er zum Sieger Kloanthus, kränzt ihm seine Schläfen mit grünendem Lorbeer und lässt als Gabe für jedes Schiff die Leute drei Jungstiere wählen, Wein auch, dazu ein großes Talent von Silber sich nehmen. Außerdem schenkt er besondere Ehrengaben den Schiffsherrn: einen golddurchwobenen Mantel dem Sieger; es säumt ihn meliböischer Purpur mit breitem Doppelmäander; eingewoben ist dort der Prinz; am schattigen Ida

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velocis iaculo cervos cursuque fatigat acer, anhelanti similis, quem praepes ab Ida sublimem pedibus rapuit Iovis armiger uncis; longaevi palmas nequiquam ad sidera tendunt custodes, saevitque canum latratus in auras. at qui deinde locum tenuit virtute secundum, levibus huic hamis consertam auroque trilicem loricam, quam Demoleo detraxerat ipse victor apud rapidum Simoenta sub Ilio alto, donat habere, viro decus et tutamen in armis. vix illam famuli Phegeus Sagarisque ferebant multiplicem conixi umeris; indutus at olim Demoleos cursu palantis Troas agebat. tertia dona facit geminos ex aere lebetas cymbiaque argento perfecta atque aspera signis. Iamque adeo donati omnes opibusque superbi puniceis ibant evincti tempora taenis, cum saevo e scopulo multa vix arte revulsus, amissis remis atque ordine debilis uno, inrisam sine honore ratem Sergestus agebat. qualis saepe viae deprensus in aggere serpens, aerea quem obliquum rota transiit aut gravis ictu seminecem liquit saxo lacerumque viator; nequiquam longos fugiens dat corpore tortus, parte ferox ardensque oculis et sibila colla arduus attollens, pars vulnere clauda retentat nixantem nodis seque in sua membra plicantem: tali remigio navis se tarda movebat; vela facit tamen et plenis subit ostia velis. Sergestum Aeneas promisso munere donat servatam ob navem laetus sociosque reductos: olli serva datur operum haud ignara Minervae,

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hetzt er die schnellen Hirsche in vollem Lauf mit dem Wurfspieß, eifrig, ganz einem Keuchenden gleich; schnell raubt ihn vom Ida Juppiters Knappe hoch durch die Luft mit gebogenen Krallen; auf zu den Sternen strecken umsonst ihre Hände die greisen Wächter, und wütend schallt in die Lüfte das Bellen der Hunde. Dann schenkt dem, der den zweiten Platz durch Leistung erreichte, er den aus einem polierten Golddraht dreifach geflochtnen Kettenpanzer, den er dem Demoleos selber als Sieger auszog am reißenden Simoïs unter den Mauern des hohen Ilium, für den Mann ein Schmuck und ein Schutz im Gefechte. Seine Diener Phegeus und Sagaris trugen nur mühsam auf den Schultern den Maschenpanzer; Demoleos aber trug ihn, als einst er im Laufschritt fliehende Troer verfolgte. Dann zum Geschenk für den Dritten macht er zwei bronzene Kessel und zwei silberne Schalen mit Bildreliefs als Verzierung. Alle gingen, so reich beschenkt und stolz auf die Schätze, schon einher, die Schläfen umkränzt mit purpurnen Bändern, als Sergestus, der sich geschickt, doch nur mühsam vom wilden Felsen losriss, geschwächt, nach Verlust von Rudern, mit einer Reihe nur, ruhmlos sein Schiff herschleppte, von allen verspottet. Wie’s oft kommt, dass erfasst wird am Straßendamm eine Schlange, die ein Bronzerad schräg überfuhr oder halbtot nach schwerem Schlag und vom Stein zerfetzt ein Wanderer liegenließ; auf der Flucht krümmt diese umsonst sich in mächtigen Bogen, am einen Ende noch aggressiv, mit den Augen blitzend und steil den zischenden Hals aufrichtend, das andre, gelähmt durch die Wunde, hindert sie, wenn sie sich abmüht und sich einrollen möchte: So bewegte das Schiff sich langsam voran mit den Rudern, setzt aber Segel und fährt in den Hafen mit schwellenden Segeln. Auch den Sergestus beschenkt mit versprochener Gabe Aeneas, froh, weil gerettet das Schiff ist und wiedergekehrt sind die Freunde: Jener bekommt eine Sklavin, vertraut mit den Werken Minervas,

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Cressa genus, Pholoe, geminique sub ubere nati. Hoc pius Aeneas misso certamine tendit gramineum in campum, quem collibus undique curvis cingebant silvae, mediaque in valle theatri circus erat; quo se multis cum milibus heros consessu medium tulit exstructoque resedit. hic, qui forte velint rapido contendere cursu, invitat pretiis animos et praemia ponit. undique conveniunt Teucri mixtique Sicani, Nisus et Euryalus primi, Euryalus forma insignis viridique iuventa, Nisus amore pio pueri; quos deinde secutus regius egregia Priami de stirpe Diores; hunc Salius simul et Patron, quorum alter Acarnan, alter ab Arcadio Tegeaeae sanguine gentis; tum duo Trinacrii iuvenes, Helymus Panopesque adsueti silvis, comites senioris Acestae; multi praeterea, quos fama obscura recondit. Aeneas quibus in mediis sic deinde locutus: ‘accipite haec animis laetasque advertite mentes. nemo ex hoc numero mihi non donatus abibit. Cnosia bina dabo levato lucida ferro spicula caelatamque argento ferre bipennem: omnibus hic erit unus honos. tres praemia primi accipient flavaque caput nectentur oliva. primus equum phaleris insignem victor habeto; alter Amazoniam pharetram plenamque sagittis Threiciis, lato quam circum amplectitur auro balteus et tereti subnectit fibula gemma; tertius Argolica hac galea contentus abito.’ Haec ubi dicta, locum capiunt signoque repente corripiunt spatia audito limenque relinquunt,

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Pholoë, kretischer Herkunft, mit Zwillingssöhnen am Busen. Nach dem Schluss dieses Wettkampfs begibt sich der fromme Aeneas auf einen Rasenplatz, den auf sanft geschwungenen Hügeln Wälder umgaben; inmitten des Tals lag eines Theaters Rund, und mit vielen Tausenden ging dorthin, in die Mitte tretend, der Held, und auf einer Tribüne ließ er sich nieder. Die, die vielleicht im Wettlauf sich messen möchten, die lädt er ein mit Aussicht auf Lohn und stellt zur Schau dann die Preise. Teukrer kommen von allen Seiten, mit ihnen Sikaner; Nisus, mit ihm Euryalus sind die ersten, wegen der Schönheit Euryalus und seiner blühenden Jugend, durch seine treue Liebe zum Knaben herausragend Nisus; dann Diores, ein Prinz aus Priamus’ ruhmreicher Sippe; dann folgt Salius mit Patron, Akarnane der eine, mit arkadischem Blut von Tegeas Stamme der andre; Helymus dann und Panopes, junge trinakrische Männer, beide an Wälder gewöhnt, Begleiter des alten Akestes; viele weitere noch; wer’s war, lässt Fama im Dunkeln. Folgende Worte sprach Aeneas inmitten von ihnen: »Nehmt dies in euch auf und bedenkt es mit fröhlichem Herzen. Keiner aus eurer Zahl geht ohne Geschenk hier von dannen. Je zwei knossische Wurfspieße, die von poliertem Metalle blinken, geb ich, dazu eine Axt mit Silberverzierung: Diese Belohnung bekommen alle, Preise die ersten drei, und ihr Haupt wird bekränzt mit einem goldgelben Ölzweig. Numero eins bekommt ein Pferd, das prächtig geschmückt ist, einen mit thrakischen Pfeilen gefüllten Köcher von einer Amazone der zweite; ein breiter Goldgurt umgibt und eine Spange mit einem ovalen Edelstein schließt ihn; mit dem argolischen Helm hier muss sich der dritte begnügen.« Spricht’s, und dann nehmen die Plätze sie ein, und das Zeichen ertönt; stürzen sie sich auf die Bahn, den Startplatz hinter sich lassend, [schon

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effusi nimbo similes: simul ultima signant. primus abit longeque ante omnia corpora Nisus emicat et ventis et fulminis ocior alis; proximus huic, longo sed proximus intervallo, insequitur Salius; spatio post deinde relicto tertius Euryalus; Euryalumque Helymus sequitur; quo deinde sub ipso ecce volat calcemque terit iam calce Diores incumbens umero, spatia et si plura supersint transeat elapsus prior ambiguumve relinquat. iamque fere spatio extremo fessique sub ipsam finem adventabant, levi cum sanguine Nisus labitur infelix, caesis ut forte iuvencis fusus humum viridisque super madefecerat herbas. hic iuvenis iam victor ovans vestigia presso haud tenuit titubata solo, sed pronus in ipso concidit immundoque fimo sacroque cruore. non tamen Euryali, non ille oblitus amorum: nam sese opposuit Salio per lubrica surgens; ille autem spissa iacuit revolutus harena. emicat Euryalus et munere victor amici prima tenet plausuque volat fremituque secundo; post Helymus subit et nunc tertia palma Diores. Hic totum caveae consessum ingentis et ora prima patrum magnis Salius clamoribus implet ereptumque dolo reddi sibi poscit honorem. tutatur favor Euryalum lacrimaeque decorae gratior et pulchro veniens in corpore virtus. adiuvat et magna proclamat voce Diores, qui subiit palmae frustraque ad praemia venit ultima, si primi Salio reddentur honores. tum pater Aeneas: ‘vestra’ inquit ‘munera vobis

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gleich einer Sturmwolke sausend, zugleich mit dem Ziel vor den Augen. Nisus löst sich zuerst von den andern, gewinnt einen weiten Vorsprung, ist schneller als Winde und als der geflügelte Blitzstrahl; auf ihn folgt als nächster, als nächster aber mit weitem Abstand Salius; hinter ihm kommt, ein Stück noch zurück, als dritter Euryalus; hinter Euryalus läuft dann Helymus; dicht hinter diesem, sieh nur, fliegt schon Diores und streift mit der Ferse die Ferse, drängt an die Schulter, und wär mehr Platz da, käm er vielleicht an ihm noch vorbei oder ließe in Zweifel, wer denn nun siegte. Fast schon am Ende der Rennstrecke, kamen erschöpft an das Ziel sie nahe heran, da gleitet Nisus, der Ärmste, auf Blut, das glitschig war, aus; denn Blut hatte grad sich beim Stieropfer auf den Boden ergossen, den grünen Rasen obenauf netzend. Hier fand, schon als der Sieger frohlockend, der Jüngling, obwohl er fest auftrat, keinen Halt mehr für seine wankenden Schritte, und in ekligen Kot und in Opferblut stürzt er kopfüber. Dennoch vergaß er nun nicht Euryalus, nicht den Geliebten: Salius trat er da in den Weg, aus dem Schmutz sich erhebend; der aber stürzte und blieb im tiefen Sande nun liegen. Doch Euryalus saust vorbei, übernimmt durch des Freundes Gabe die Führung und fliegt dahin unter Beifall und Jubel; Helymus folgt und, jetzt als der dritte Gewinner, Diores. Da lässt Salius im riesigen Rund vor der ganzen Versammlung und im Antlitz der Väter mit lautem Geschrei sich vernehmen, und er fordert zurück den durch List ihm entrissenen Vorrang. Doch den Euryalus schützen die Zuneigung, Tränen, die gut ihm stehen, und Männlichkeit, die mehr anzieht, wenn Schönheit dabei ist. Ihm sekundiert laut schreiend Diores, der unter die Sieger kam und vergeblich den dritten Platz errungen hat, wenn der erste Preis nun vergeben werden soll an den Salius. Da sprach Vater Aeneas: »Die Gaben bleiben euch sicher,

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certa manent, pueri et palmam movet ordine nemo; me liceat casus miserari insontis amici.’ sic fatus tergum Gaetuli immane leonis dat Salio villis onerosum atque unguibus aureis. hic Nisus: ‘si tanta’ inquit ‘sunt praemia victis, et te lapsorum miseret, quae munera Niso digna dabis, primam merui qui laude coronam, ni me, quae Salium, fortuna inimica tulisset?’ et simul his dictis faciem ostentabat et udo turpia membra fimo. risit pater optimus olli et clipeum efferri iussit, Didymaonis artes, Neptuni sacro Danais de poste refixum: hoc iuvenem egregium praestanti munere donat. Post, ubi confecti cursus et dona peregit: ‘nunc, si cui virtus animusque in pectore praesens, adsit et evinctis attollat bracchia palmis’. sic ait et geminum pugnae proponit honorem, victori velatum auro vittisque iuvencum, ensem atque insignem galeam solacia victo. nec mora: continuo vastis cum viribus effert ora Dares magnoque virum se murmure tollit, solus qui Paridem solitus contendere contra, idemque ad tumulum, quo maximus occubat Hector, victorem Buten immani corpore, qui se Bebrycia veniens Amyci de gente ferebat, perculit et fulva moribundum extendit harena. talis prima Dares caput altum in proelia tollit ostenditque umeros latos alternaque iactat bracchia protendens et verberat ictibus auras. quaeritur huic alius; nec quisquam ex agmine tanto audet adire virum manibusque inducere caestus. ergo alacris cunctosque putans excedere palma

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niemand nimmt die Palme des Knaben heraus aus der Reihe; mir sei Mitleid erlaubt mit dem Unglück des schuldlosen Freundes.« Sprach’s und gab dann dem Salius eines gätulischen Löwen riesiges Fell, von Zotteln schwer und von goldgelben Tatzen. Da sprach Nisus: »Wenn für Besiegte die Preise so groß sind und du Gestürzte bedauerst, was für eine Gabe verdiene ich dann, der ich aufgrund meiner Leistung den Siegeskranz hätte, hätt nicht ein feindliches Schicksal wie Salius mich auch getroffen?« Sprach’s und zeigte auf sein Gesicht und seine vom feuchten Unrat besudelten Glieder. Ihm lächelte gütig der Vater zu und ließ einen Schild, Didymaons Kunstwerk, ihm bringen; Danaër rissen ihn einst vom Tempeltor des Neptunus: Diese prächtige Gabe verehrt er dem herrlichen Jüngling. Dann, nach dem Ende des Laufs und der Gabenverteilung, da rief er: »Her jetzt, wem im Herzen Stärke und Tapferkeit wohnen; er umschlinge die Hände mit Riemen und hebe die Arme.« Spricht’s, und er stellt zwei Preise für den Faustkampf vor Augen, einen mit Gold und Bändern geschmückten Stier für den Sieger, für den Besiegten ein Schwert als Trostpreis, dazu einen Prachthelm. Gleich reckt Dares, strotzend von riesigen Kräften, den Kopf, und dann erhebt er sich unter lautem Beifall der Männer; er allein hatte mehrfach im Kampf gegen Paris gestanden, er auch warf bei dem Grab, in dem der gewaltige Hektor ruht, den riesigen Butes, den Siegessichren, zu Boden, der aus Bebrykien kam, mit der Herkunft von Amykus prahlend, und er streckte ihn todwund nieder im gelblichen Sande. Dieser Dares nun hebt, zum Kampfe bereit, seinen Kopf hoch, präsentiert seine breiten Schultern und schleudert im Wechsel seine Arme nach vorn und haut in die Lüfte mit Schwingern. Ihm wird ein Gegner gesucht; doch keiner aus solch einer Menge wagt sich heran an den Mann und anzulegen die Riemen. Also, erregt und vermeinend, es ließen ihm alle die Palme,

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Aeneae stetit ante pedes, nec plura moratus tum laeva taurum cornu tenet atque ita fatur: ‘nate dea, si nemo audet se credere pugnae, quae finis standi? quo me decet usque teneri? ducere dona iube.’ cuncti simul ore fremebant Dardanidae reddique viro promissa iubebant. Hic gravis Entellum dictis castigat Acestes, proximus ut viridante toro consederat herbae: ‘Entelle, heroum quondam fortissime frustra, tantane tam patiens nullo certamine tolli dona sines? ubi nunc nobis deus ille, magister nequiquam memoratus, Eryx? ubi fama per omnem Trinacriam et spolia illa tuis pendentia tectis?’ ille sub haec: ‘non laudis amor nec gloria cessit pulsa metu; sed enim gelidus tardante senecta sanguis hebet, frigentque effetae in corpore vires. si mihi quae quondam fuerat quaque improbus iste exsultat fidens, si nunc foret illa iuventas, haud equidem pretio inductus pulchroque iuvenco venissem, nec dona moror.’ sic deinde locutus in medium geminos immani pondere caestus proiecit, quibus acer Eryx in proelia suetus ferre manum duroque intendere bracchia tergo. obstipuere animi: tantorum ingentia septem terga boum plumbo insuto ferroque rigebant. ante omnis stupet ipse Dares longeque recusat, magnanimusque Anchisiades et pondus et ipsa huc illuc vinclorum immensa volumina versat. tum senior talis referebat pectore voces: ‘quid, si quis caestus ipsius et Herculis arma vidisset tristemque hoc ipso in litore pugnam? haec germanus Eryx quondam tuus arma gerebat

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stellt er direkt vor Aeneas sich auf, und ohne zu zögern fasst er am Horn den Stier mit der linken Hand, und dann sagt er: »Sohn einer Göttin, wenn keiner es wagt, sich zum Kampfe zu stellen, warum herumstehn? Wie lang noch schickt es sich, dass man mich hinhält? Mich lass nehmen die Gaben.« Die Dardaner spendeten alle lauten Applaus und verlangten, dem Mann das Versprochne zu geben. Hier weist streng den Entellus zurecht mit Worten Akestes, welcher neben ihm saß auf grünendem Polster im Grase: »Du, Entellus, umsonst einst Tapferster sämtlicher Helden, so geduldig erlaubst du’s, dass kampflos man solche Geschenke fortschafft? Was bringt uns jetzt der Gott, den als Lehrer vergeblich du beschworst, jener Eryx? Was der Ruhm, der Trinakria ganz beherrschte, die Beute, welche im Hause bei dir hängt?« Jener entgegnet: »Nicht Ehrliebe ist mir geschwunden noch Ruhm, von Furcht verjagt; aber kaltes Blut rinnt schwach in mir, langsam macht das Alter, erschöpft sind im Leib die schwindenden Kräfte. Hätt ich die Jugendkraft, die von einst, auf die sich verlassend dieser freche Kerl groß angibt, ja hätt ich sie heut noch, wär ich gewiss nicht wegen des Preises, des prächtigen Jungstiers, hergekommen; egal sind mir Geschenke.« So sprechend, warf er ein Boxriemenpaar mit Riesengewicht in die Runde, welches zum Faustkampf stets anlegte der feurige Eryx, hartes Leder, womit er immer umschlang seine Arme. Alles staunte: Denn sieben Häute von riesigen Ochsen starrten von Eisen und Blei, das fest in das Leder genäht war. Allen voran staunt Dares selbst, rückt weit von dem Kampf ab, und es dreht hin und her die Last der Riemen, zumal die vielen Verschlingungen da, der mutige Sohn des Anchises. Dann stieß aus der Brust die folgenden Worte der Alte: »Was, wenn einer den Caestus des Herkules selber und seine Waffen gesehn hätte und den grimmigen Wettkampf am Strand hier? Diese Waffen, die trug dein Bruder Eryx vor Zeiten –

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(sanguine cernis adhuc sparsoque infecta cerebro), his magnum Alciden contra stetit, his ego suetus, dum melior vires sanguis dabat, aemula necdum temporibus geminis canebat sparsa senectus. sed si nostra Dares haec Troius arma recusat idque pio sedet Aeneae, probat auctor Acestes, aequemus pugnas: Erycis tibi terga remitto (solve metus), et tu Troianos exue caestus.’ Haec fatus duplicem ex umeris reiecit amictum et magnos membrorum artus, magna ossa lacertosque exuit atque ingens media consistit harena. tum satus Anchisa caestus pater extulit aequos et paribus palmas amborum innexuit armis. constitit in digitos extemplo arrectus uterque bracchiaque ad superas interritus extulit auras. abduxere retro longe capita ardua ab ictu immiscentque manus manibus pugnamque lacessunt, ille pedum melior motu fretusque iuventa, hic membris et mole valens; sed tarda trementi genua labant, vastos quatit aeger anhelitus artus. multa viri nequiquam inter se vulnera iactant, multa cavo lateri ingeminant et pectore vastos dant sonitus, erratque auris et tempora circum crebra manus, duro crepitant sub vulnere malae. stat gravis Entellus nisuque immotus eodem corpore tela modo atque oculis vigilantibus exit. ille, velut celsam oppugnat qui molibus urbem aut montana sedet circum castella sub armis, nunc hos, nunc illos aditus omnemque pererrat arte locum et variis adsultibus inritus urget. ostendit dextram insurgens Entellus et alte extulit; ille ictum venientem a vertice velox

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jetzt noch gefärbt, wie du siehst, von verspritztem Gehirn und vom Blute –, hiermit trat er dem großen Alkiden entgegen, gewohnt war ich sie, als frischeres Blut noch Kräfte mir gab und noch nicht das neidische Alter ergraut auf beiden Schläfen sich zeigte. Wenn aber Dares aus Troja sich hier unsern Waffen verweigert, wenn’s auch Aeneas verfügt und Akestes, der’s anregte, billigt, kämpfen wir gleich zu gleich denn: Den Riemen des Eryx erlass ich dir – keine Bange! – und du leg ab den trojanischen Caestus.« Spricht’s und wirft von den Schultern den zweifachen Umhang, entblößt starken Gelenke, den kräftigen Knochenbau und die Arme, [die und dann baut er sich riesig auf in des Kampfplatzes Mitte. Gleiche Boxriemen holte der Vater, der Sohn des Anchises, und umwickelte beiden mit gleicher Rüstung die Hände. Beide traten nun an, auf den Zehenspitzen sich reckend, und sie streckten furchtlos empor in die Luft ihre Arme. Weit zurück, steil aufwärts den Kopf gegen Hiebe gehalten, schlagen sie Faust an Faust und reizen einander zum Kampfe; jener bewegt seine Beine geschickter, vertraut seiner Jugend, der, zwar kräftig durch Muskeln und Masse, zittert, die trägen Knie wanken, die Glieder erschüttert mühsames Atmen. Viele verwundende Hiebe platzieren die Männer effektlos, viele auf der Wölbung der Seite, und schlimme Geräusche dringen dabei aus dem Brustkorb; es fliegen um Ohren und Schläfen häufig die Fäuste, bei harten Hieben krachen die Kiefer. Wuchtig steht da Entellus, verändert die Stellung nicht, weicht den Schlägen durch Drehen des Körpers aus und mit wachsamen Augen. Gleich dem, der gegen eine hoch ummauerte Stadt stürmt oder eine bewaffnete Bergfestung ringsum belagert, so sucht jener bald hier, bald dort eine Blöße, und listig späht er ringsum und bedrängt ihn umsonst mit verschiednen Attacken. Offen zeigte die Rechte Entellus, sich aufrichtend, hoch sie streckend; jener erkannte schnell den Schlag, der von oben

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praevidit celerique elapsus corpore cessit; Entellus vires in ventum effudit et ultro ipse gravis graviterque ad terram pondere vasto concidit, ut quondam cava concidit aut Erymantho aut Ida in magna radicitus eruta pinus. consurgunt studiis Teucri et Trinacria pubes; it clamor caelo, primusque accurrit Acestes aequaevumque ab humo miserans attollit amicum. at non tardatus casu neque territus heros acrior ad pugnam redit ac vim suscitat ira; tum pudor incendit vires et conscia virtus, praecipitemque Daren ardens agit aequore toto nunc dextra ingeminans ictus, nunc ille sinistra. nec mora nec requies: quam multa grandine nimbi culminibus crepitant, sic densis ictibus heros creber utraque manu pulsat versatque Dareta. Tum pater Aeneas procedere longius iras et saevire animis Entellum haud passus acerbis, sed finem imposuit pugnae fessumque Dareta eripuit mulcens dictis ac talia fatur: ‘infelix, quae tanta animum dementia cepit? non vires alias conversaque numina sentis? cede deo.’ dixitque et proelia voce diremit. ast illum fidi aequales genua aegra trahentem iactantemque utroque caput crassumque cruorem ore eiectantem mixtosque in sanguine dentes ducunt ad navis, galeamque ensemque vocati accipiunt, palmam Entello taurumque relinquunt. hic victor superans animis tauroque superbus: ‘nate dea, vosque haec’ inquit ‘cognoscite, Teucri, et mihi quae fuerint iuvenali in corpore vires et qua servetis revocatum a morte Dareta.’

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kam, und entwich zur Seite mit rascher Wendung des Körpers; da vertat in den Wind seine Kraft Entellus, und wuchtig, wie er war, und von selbst fiel durch sein großes Gewicht er nieder mit Wucht; so stürzt auf dem Berg Erymanthus zuweilen oder hoch auf dem Ida, entwurzelt und hohl, eine Fichte. Teilnehmend springen die Teukrer auf und Trinakrias Jugend; himmelwärts steigt Geschrei; der erste, der rennt, ist Akestes; mitleidig hilft er auf dem Freund und Altersgenossen. Aber vom Sturz nicht gehemmt und nicht abgeschreckt kehrt in den Kampf Held noch wilder zurück, und die Wut aktiviert seine Stärke; [der Scham und das Wissen um seine Tapferkeit fachen die Kraft an; zornschnaubend jagt übern Platz er den vorwärts stolpernden Dares, bald mit der Rechten die Schläge verdoppelnd, bald mit der Linken. Zögern und Rast gibt’s nicht: Wie auf Dächer heftiger Hagel prasselt im Sturm, so prügelt der Held permanent mit den beiden Fäusten dicht auf dicht den Dares und macht ihm Bewegung. Da gestattete Vater Aeneas nicht, dass sich länger hinzog das Wüten und voller Erbitterung raste Entellus, sondern stoppte den Kampf und riss heraus den erschöpften Dares, beruhigte ihn mit Worten und sagte ihm dieses: »Heilloser! Welch ein gewaltiger Wahnsinn ergriff dich? Bemerkst du nicht die anderen Kräfte, den Wandel des göttlichen Willens? Weiche der Gottheit!« Sprach’s und erklärte den Kampf für beendet. Jenen jedoch, der seine ermatteten Knie dahinschleppt, fallen lässt den Kopf nach beiden Seiten und dickes Blut und blutige Zähne ausspuckt, bringen die treuen Freunde zur Flotte; herbeigerufen, nehmen sie Helm und Schwert, und sie überlassen Entellus den Stier und die Palme. Er, der Sieger – in überschwänglichem Selbstwertgefühl und stolz auf den Stier – ruft: »Sohn einer Göttin, ihr Teukrer, erkennt nun, was für Kräfte mein Körper gehabt hat, als ich noch jung war, und von welchem Tode errettet ihr Dares bei euch habt.«

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dixit et adversi contra stetit ora iuvenci, qui donum adstabat pugnae, durosque reducta libravit dextra media inter cornua caestus arduus, effractoque inlisit in ossa cerebro: sternitur exanimisque tremens procumbit humi bos. ille super talis effundit pectore voces: ‘hanc tibi, Eryx, meliorem animam pro morte Daretis persolvo; hic victor caestus artemque repono.’ Protinus Aeneas celeri certare sagitta invitat qui forte velint et praemia dicit, ingentique manu malum de nave Seresti erigit et volucrem traiecto in fune columbam, quo tendant ferrum, malo suspendit ab alto. convenere viri, deiectamque aerea sortem accepit galea; et primus clamore secundo Hyrtacidae ante omnis exit locus Hippocoontis; quem modo navali Mnestheus certamine victor consequitur, viridi Mnestheus evinctus oliva. tertius Eurytion, tuus, o clarissime, frater, Pandare, qui quondam iussus confundere foedus in medios telum torsisti primus Achivos. extremus galeaque ima subsedit Acestes, ausus et ipse manu iuvenum temptare laborem. tum validis flexos incurvant viribus arcus pro se quisque viri et depromunt tela pharetris, primaque per caelum nervo stridente sagitta Hyrtacidae iuvenis volucris diverberat auras, et venit adversique infigitur arbore mali. intremuit malus, micuitque exterrita pinnis ales, et ingenti sonuerunt omnia plausu. post acer Mnestheus adducto constitit arcu alta petens pariterque oculos telumque tetendit.

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Sprach’s und trat vor das Haupt des Jungstiers ihm gegenüber, der noch als Kampfpreis dastand, holte dann aus mit der Rechten, hoch aufgerichtet, und hieb ihm zwischen die Hörner den harten Caestus, zerschmetterte ihm das Gehirn, traf tief in den Schädel: Nieder sinkt und fällt der Stier, beim Verenden noch zuckend. Jener gibt dazu voller Pathos das Folgende von sich: »Eryx, ich weih dir dies Leben – denn besser ist’s so – und nicht das des Dares; als Sieger lege ich Caestus und Boxkunst hier nieder.« Gleich darauf lädt alle, die mitmachen wollen, Aeneas ein zum Wettstreit mit schnellen Pfeilen und nennt dann die Preise, richtet mit kräftiger Hand den Mast vom Schiff des Serestus auf und schlingt ein Tau darum; eine flatternde Taube hängt er damit an den Mast hoch oben als Ziel für die Pfeile. Also kamen die Männer zusammen; ein eherner Helm nahm auf die geworfenen Lose; das erste, von Beifall begleitet, geht an Hippokoon, Hyrtakus’ Sohn, vor allen den andern; ihm folgt Mnestheus, eben erst siegreich im Wettkampf der Schiffe, Mnestheus, der mit dem grünen Zweige des Ölbaums bekränzt ist. Nummer drei ist Eurytion, dein Bruder, du strahlend berühmter Pandarus, der du einstmals, beauftragt, das Bündnis zu brechen, mitten in die Achiver den Pfeil schosst, du als der erste. Tief in dem Helm als das letzte, da lag das Los des Akestes, der auch selbst noch an eine Sportart der Jungen sich wagte. Da nun krümmen mit aller Kraft die biegsamen Bogen einzeln die Männer und holen die Pfeile hervor aus den Köchern; oben am Himmel durchschneidet als erster Pfeil der des jungen Sohnes des Hyrtakus die beschwingten Lüfte, geschnellt von schwirrender Sehne, und trifft den Mast und bohrt sich in diesen. Und es erbebte der Mast, erschrocken flatterte da der Vogel, und alles hallte von riesigem Beifall. Danach trat vor der eifrige Mnestheus und spannte den Bogen und zielte in die Höhe, darauf den Pfeil und die Augen gerichtet.

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ast ipsam miserandus avem contingere ferro non valuit: nodos et vincula linea rupit, quis innexa pedem malo pendebat ab alto; illa Notos atque atra volans in nubila fugit. tum rapidus, iamdudum arcu contenta parato tela tenens, fratrem Eurytion in vota vocavit, iam vacuo laetam caelo speculatus et alis plaudentem nigra figit sub nube columbam. decidit exanimis vitamque reliquit in astris aetheriis fixamque refert delapsa sagittam. Amissa solus palma superabat Acestes, qui tamen aërias telum contendit in auras ostentans artemque pater arcumque sonantem. hic oculis subitum obicitur magnoque futurum augurio monstrum; docuit post exitus ingens seraque terrifici cecinerunt omina vates. namque volans liquidis in nubibus arsit harundo signavitque viam flammis tenuisque recessit consumpta in ventos, caelo ceu saepe refixa transcurrunt crinemque volantia sidera ducunt. attonitis haesere animis superosque precati Trinacrii Teucrique viri; nec maximus omen abnuit Aeneas, sed laetum amplexus Acesten muneribus cumulat magnis ac talia fatur: ‘sume, pater: nam te voluit rex magnus Olympi talibus auspiciis exsortem ducere honores. ipsius Anchisae longaevi hoc munus habebis, cratera impressum signis, quem Thracius olim Anchisae genitori in magno munere Cisseus ferre sui dederat monumentum et pignus amoris.’ sic fatus cingit viridanti tempora lauro et primum ante omnis victorem appellat Acesten.

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Aber die Taube selbst mit dem Pfeile zu treffen, gelang dem Armen nicht: Er zerriss nur die Knoten und Schlingen aus Flachs, mit denen, am Fuße gefesselt, sie hing hoch oben am Mastbaum; nun entfloh sie empor in die Winde und düsteren Wolken. Da rief schnell, auf dem schussbereiten Bogen schon lange eingespannt haltend den Pfeil, Eurytion betend zum Bruder; jetzt erspäht er die Taube, die froh mit den Flügeln am offnen Himmel schlägt, und er trifft sie unter den düsteren Wolken. Leblos fällt sie herab, bei den Sternen im Äther ihr Leben lassend; zurück bringt den in ihr steckenden Pfeil sie im Fallen. Nun war der Preis dahin, allein blieb übrig Akestes; dennoch schickt er den Pfeil hinauf in die Lüfte, um seine Kunst zu zeigen, der Vater, und seinen schwirrenden Bogen. Hier zeigt unvermutet dem Blick sich ein Zeichen von großer Vorbedeutung; das lehrte danach der gewaltige Ausgang; schreckenerregend sangen von später Erfüllung die Seher. Denn auf dem Flug durch leichtes Gewölk fing Feuer der Pfeil und zeichnete mit den Flammen den Weg, schwand hin und entwich dann aufgezehrt in die Winde, wie oft vom Himmel gelöste Sterne dahineiln, im Flug einen Haarschweif hinter sich her ziehn. Wie betäubt standen Teukrer sowie Trinakrier da und sandten Gebete hinauf zu den Göttern; Aeneas, der Held, weist nicht das Omen zurück; er umarmt den frohen Akestes und überhäuft mit Geschenken ihn reichlich und sagt dann die Worte: »Nimm nur, Vater: Es wollte der mächtige Fürst des Olympus, dass aufgrund solcher Zeichen du außer der Reihe geehrt wirst. Von dem hochbetagten Anchises kommt das Geschenk, das du erhältst, ein Mischkrug, verziert mit Reliefs, das der Thraker Kisseus einst meinem Vater Anchises als prächtige Gabe, als Andenken an ihn übergab und als Zeichen der Liebe.« Sagt’s; dann umwindet er ihm die Schläfen mit grünendem Lorbeer und erklärt den Akestes zum ersten Gewinner vor allen.

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nec bonus Eurytion praelato invidit honori, quamvis solus avem caelo deiecit ab alto. proximus ingreditur donis qui vincula rupit, extremus volucri qui fixit harundine malum. At pater Aeneas nondum certamine misso custodem ad sese comitemque impubis Iuli Epytiden vocat et fidam sic fatur ad aurem: ‘vade age et Ascanio, si iam puerile paratum agmen habet secum cursusque instruxit equorum, ducat avo turmas et sese ostendat in armis dic’ ait. ipse omnem longo decedere circo infusum populum et campos iubet esse patentis. incedunt pueri pariterque ante ora parentum frenatis lucent in equis, quos omnis euntis Trinacriae mirata fremit Troiaeque iuventus. omnibus in morem tonsa coma pressa corona; cornea bina ferunt praefixa hastilia ferro, pars levis umero pharetras; it pectore summo flexilis obtorti per collum circulus auri. tres equitum numero turmae ternique vagantur ductores; pueri bis seni quemque secuti agmine partito fulgent paribusque magistris. una acies iuvenum, ducit quam parvus ovantem nomen avi referens Priamus, tua clara, Polite, progenies, auctura Italos; quem Thracius albis portat equus bicolor maculis, vestigia primi alba pedis frontemque ostentans arduus albam. alter Atys, genus unde Atii duxere Latini, parvus Atys pueroque puer dilectus Iulo. extremus formaque ante omnis pulcher Iulus Sidonio est invectus equo, quem candida Dido esse sui dederat monumentum et pignus amoris.

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Diesen Vorrang missgönnte ihm nicht, obwohl doch nur er den Vogel herunter vom Himmel holte, der edle Eurytion. Der, der die Fesseln zerriss, ist mit Gaben danach an der Reihe, letzter wird der, der den Mast durchbohrte mit fliegendem Pfeile. Aber noch nicht beendet der Vater Aeneas den Wettstreit, sondern ruft den Gefährten und Mentor des jungen Ïulus, Epytus’ Sohn, und flüstert ins treue Ohr ihm die Worte: »Geh zu Askanius, sag ihm: Hat er bei sich schon die Schar der Knaben bereit und die Bahnen der Pferde festgelegt, führ er her die Schar zu des Großvaters Ehre und prange in Waffen; sag’s ihm«, sagt er und lässt aus dem länglichen Rund all die Leute, die hereinströmten, weichen und räumen das ganze Gelände. Einreitend sind gleich schmuck vor den Augen der Eltern die Knaben auf den gezügelten Pferden; sie alle bestaunt und bejubelt Trojas sowie Trinakrias ganze Jugend beim Einzug. Kränze mit kurzgeschnittenen Blättern zieren ihr Haar nach Brauch, und je zwei Speere aus Kirschholz mit eisernen Spitzen tragen sie, manche auch blanke Köcher; hoch an der Brust liegt um den Hals aus gedrehtem Golde ein Kettengeschmeide. Drei Schwadronen reiten tänzelnd daher mit drei Führern; hinter jedem glänzen da je zwölf Knaben in einem Zug, der geteilt ist; auf gleicher Höhe reiten die Lehrer. Eine jubelnde Schar von Jünglingen führt der noch kleine Priamus, Erbe des Großvaternamens, dein, o Polites, strahlender Spross, Italien bald mehrend; ein thrakisches Ross, mit weißen Flecken gescheckt, trägt ihn; vorn über dem Huf zeigt’s weiße Fesseln und, hochgereckt, auf der Stirn eine Blesse. Zweiter ist Atys, von dem die latinischen Atier stammen, Atys, der kleine, ein Knabe, geliebt von dem Knaben Ïulus. Ganz zuletzt ritt, schöner als alle, Ïulus einher auf einem sidonischen Pferd, das die strahlende Dido ihm schenkte zum Gedenken an sie und als sichtbares Zeichen der Liebe.

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cetera Trinacriis pubes senioris Acestae fertur equis. excipiunt plausu pavidos gaudentque tuentes Dardanidae veterumque agnoscunt ora parentum. postquam omnem laeti consessum oculosque suorum lustravere in equis, signum clamore paratis Epytides longe dedit insonuitque flagello. olli discurrere pares atque agmina terni diductis solvere choris rursusque vocati convertere vias infestaque tela tulere. inde alios ineunt cursus aliosque recursus adversi spatiis, alternosque orbibus orbes impediunt pugnaeque cient simulacra sub armis; et nunc terga fuga nudant, nunc spicula vertunt infensi, facta pariter nunc pace feruntur. ut quondam Creta fertur Labyrinthus in alta parietibus textum caecis iter ancipitemque mille viis habuisse dolum, qua signa sequendi frangeret indeprensus et inremeabilis error: haud alio Teucrum nati vestigia cursu impediunt texuntque fugas et proelia ludo, delphinum similes, qui per maria umida nando Carpathium Libycumque secant. hunc morem cursus atque haec certamina primus Ascanius, Longam muris cum cingeret Albam, rettulit et priscos docuit celebrare Latinos, quo puer ipse modo, secum quo Troia pubes; Albani docuere suos; hinc maxima porro accepit Roma et patrium servavit honorem; Troiaque nunc pueri, Troianum dicitur agmen. hac celebrata tenus sancto certamina patri. Hinc primum Fortuna fidem mutata novavit.

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Auf trinakrischen Pferden – dem alten Akestes gehörn sie – reitet die übrige Jugend. Applaudierend empfangen die Troer die Schüchternen, froh sie sehend, dabei an ihnen die Züge der Ahnen erkennend. Freudig ziehn sie zu Pferde vorbei an der ganzen Versammlung und den Blicken der Ihren; dann gibt den zum Spiele Bereiten Epytus’ Sohn laut rufend das Zeichen und knallt mit der Peitsche. Gleich stark reiten nach rechts und links auseinander die Trupps der drei Schwadronen und teilen sich so; zurück dann gerufen, machen sie kehrt und richten gegeneinander die Waffen. Andre Bewegungen starten sie, Gegenbewegungen gleichfalls, gegeneinander gekehrt mit Abstand, und abwechselnd schlingen Kreis sie in Kreis und führen ein Scheingefecht unter Waffen; bald entblößen sie fliehend den Rücken, bald wenden die Lanzen feindlich sie um, bald schließen sie Frieden und reiten als Einheit. Wie das Labyrinth hoch oben in Kreta, so sagt man, einst ein Gespinst aus dunklen Wänden und Zweifel durch tausend täuschende Gänge bot, wo weisende Zeichen effektlos machte der unfassbare Irrgang, der Rückkehr nicht zuließ: Ganz so flechten die Söhne der Teukrer die Spuren beim Reiten ineinander, beim Spielen Flucht und Gefechte verwebend, gleich Delphinen, die, wenn im Wasser des Meeres sie schwimmen, bald durch das libysche, bald durch das karpathische pflügen. Diese Art von Reigen und diese Kampfspiele ließ, als er um Alba Longa die Mauern erbaute, Askanius aufleben, und er lehrte die frühen Latiner sie so, wie er als Knabe selbst und die Jugend Iliums, feiern; Alba lehrte die Seinen den Brauch; von hier übernahm das mächtige Rom ihn dann und bewahrte den Ritus der Ahnen; »Troja« heißen noch heute die Knaben, »trojanisch« der Festzug. Soweit waren gekommen die Spiele dem Vater zu Ehren. Hier nun wendete sich und brach die Treue Fortuna.

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dum variis tumulo referunt sollemnia ludis, Irim de caelo misit Saturnia Iuno Iliacam ad classem ventosque adspirat eunti, multa movens necdum antiquum saturata dolorem. illa viam celerans per mille coloribus arcum nulli visa cito decurrit tramite virgo. conspicit ingentem concursum et litora lustrat desertosque videt portus classemque relictam. at procul in sola secretae Troades acta amissum Anchisen flebant cunctaeque profundum pontum aspectabant flentes. heu tot vada fessis et tantum superesse maris, vox omnibus una; urbem orant, taedet pelagi perferre laborem. ergo inter medias sese haud ignara nocendi conicit et faciemque deae vestemque reponit; fit Beroe, Tmarii coniunx longaeva Dorycli, cui genus et quondam nomen natique fuissent, ac sic Dardanidum mediam se matribus infert. ‘o miserae, quas non manus’ inquit ‘Achaica bello traxerit ad letum patriae sub moenibus! o gens infelix, cui te exitio Fortuna reservat? septima post Troiae excidium iam vertitur aestas, cum freta, cum terras omnis, tot inhospita saxa sideraque emensae ferimur, dum per mare magnum Italiam sequimur fugientem et volvimur undis. hic Erycis fines fraterni atque hospes Acestes: quis prohibet muros iacere et dare civibus urbem? o patria et rapti nequiquam ex hoste penates, nullane iam Troiae dicentur moenia? nusquam Hectoreos amnis, Xanthum et Simoenta, videbo? quin agite et mecum infaustas exurite puppis. nam mihi Cassandrae per somnum vatis imago

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Während man Ehre erwies dem Grabe mit mancherlei Spielen, schickte Saturnia Juno die Iris vom Himmel herab zur ilischen Flotte und lässt für den Flug einen günstigen Wind wehn, vieles anzettelnd, da ihr alter Schmerz nicht gestillt ist. Die beschleunigt den Weg auf tausendfarbigem Bogen, ungesehn eilte hinab auf schnellem Pfade die Jungfrau. Dann erblickt sie das große Gedränge und mustert die Küste, menschenleer sieht sie die Häfen und verlassen die Flotte. Fern aber, abgeschieden, beweinten am einsamen Strande Trojas Fraun den Verlust des Anchises; alle auch sahn aufs weite Meer unter Tränen. Ach, so viel Wasser und so ein großes Meer erwarte sie, klagen sie einstimmig; eine Stadt erflehn sie, sind’s leid, die Not auf dem Meer zu ertragen. Unter sie nun begibt sie sich, weiß ja gut, wie man Schaden stiftet, und legt die Gestalt und das Kleid einer Göttin ab, wird zu Beroë, der betagten Frau des Doryklus vom Tmarus, die eine edle Familie, Namen und Söhne einst hatte, und so tritt sie nun in die Mitte der Dardanerfrauen. »O ihr Ärmsten«, so rief sie, »die keine achäische Hand im Krieg zum Tod bei den Mauern der Vaterstadt riss! O du armes Volk, für welches Verderben will dich Fortuna bewahren? Schon der siebente Sommer nach Trojas Zerstörung vergeht, seit Meere wir, sämtliche Länder, so viel ungastliche Felsen und Gebiete durchmessen, während Italien wir suchen, welches sich stets uns entzieht, und über die Wasserflut treiben. Hier ist Eryx’, des Bruders, Gebiet und Akestes, der Gastfreund: Wer verwehrt es uns, Mauern und Stadt zu geben den Bürgern? Vaterland, du, und vergeblich den Feinden entrissne Penaten, soll denn keine Stadt mehr Troja heißen? Soll nirgends mehr ich Hektors Ströme, den Xanthus, den Simoïs, sehen? Auf denn, verbrennt nun mit mir die Unheil bringenden Schiffe! Denn ich erblickte im Traum, wie Kassandras, der Seherin, Bild mir

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ardentis dare visa faces: “hic quaerite Troiam, hic domus est” inquit “vobis.” iam tempus agi res, nec tantis mora prodigiis. en quattuor arae Neptuno: deus ipse faces animumque ministrat.’ haec memorans prima infensum vi corripit ignem sublataque procul dextra conixa coruscat et iacit. arrectae mentes stupefactaque corda Iliadum. hic una e multis, quae maxima natu, Pyrgo, tot Priami natorum regia nutrix: ‘non Beroe vobis, non haec Rhoeteia, matres, est Dorycli coniunx: divini signa decoris ardentisque notate oculos, qui spiritus illi, qui vultus vocisque sonus vel gressus eunti. ipsa egomet dudum Beroen digressa reliqui aegram, indignantem tali quod sola careret munere nec meritos Anchisae inferret honores.’ haec effata. at matres primo ancipites oculisque malignis ambiguae spectare rates miserum inter amorem praesentis terrae fatisque vocantia regna, cum dea se paribus per caelum sustulit alis ingentemque fuga secuit sub nubibus arcum. tum vero attonitae monstris actaeque furore conclamant rapiuntque focis penetralibus ignem, pars spoliant aras, frondem ac virgulta facesque coniciunt. furit immissis Volcanus habenis transtra per et remos et pictas abiete puppis. Nuntius Anchisae ad tumulum cuneosque theatri incensas perfert navis Eumelus, et ipsi respiciunt atram in nimbo volitare favillam. primus et Ascanius, cursus ut laetus equestris ducebat, sic acer equo turbata petivit

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brennende Fackeln reichte; sie sprach: ›Hier sucht euer Troja, euer Zuhause ist hier.‹ Zeit ist’s jetzt, zu handeln, für solche Vorzeichen gibt es keinen Aufschub. Da seht des Neptunus vier Altäre: Der Gott schenkt selbst uns Fackeln und Tatkraft.« Sagt’s und ergreift dann energisch als erste das feindliche Feuer, schwingt’s mit der hoch erhobener Rechten und schleudert’s mit aller Kraft. Gespannt sind die Sinne der Troerinnen, betäubt die Herzen. Da ruft nur eine von vielen, die Älteste, Pyrgo, einst am Hofe die Amme so zahlreicher Priamus-Söhne: »Frauen, nicht Beroë steht vor euch, dies ist des Doryklus Gattin aus Ilium nicht: Beachtet der göttlichen Hoheit Zeichen, die Augen voll Glut, seht, welche Begeisterung, welch ein Antlitz, welch klangvolle Stimme sie hat, wie stolz sie einhergeht. Ich selbst ging doch vorhin von Beroë weg und verließ sie krank und verärgert, weil sie allein nun fernbleiben musste solch einer Feier, Anchises nicht ehren konnte gebührlich.« So sprach sie. Erst noch im Zweifel, betrachten die Frauen die Schiffe mit scheelen Blicken, schwankend noch zwischen der elenden Liebe zum Land, wo jetzt sie schon sind, und dem Ruf des vom Fatum verheißenen Reiches; da stieg, ausbalancierend die Flügel, zum Himmel die Göttin, zog einen riesigen Bogen, entschwindend, unter den Wolken. Die, wie vom Donner gerührt durch das Zeichen, getrieben vom Wahnwitz, schreien lauthals und reißen vom Herd ihrer Hütten das Feuer, einige plündern Altäre und werfen Äste und Sträucher, Fackeln dazu. Auf den Rudern, den Bänken der Ruderer und dem Holz der bemalten Hecks, da wütet entfesselt Vulkanus. Eumelus bringt als Bote die Nachricht vom Brande der Schiffe hin zum Grab des Anchises und zum Theater, und selber sehn sie in einer Wolke aufwirbeln schwärzliche Asche. Eben noch fröhlicher Leiter des Reiterspiels, eilte als erster ungestüm zu Pferde Askanius hin zum verwirrten

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castra, nec exanimes possunt retinere magistri. ‘quis furor iste novus? quo nunc, quo tenditis’ inquit, ‘heu miserae cives? non hostem inimicaque castra Argivum, vestras spes uritis. en, ego vester Ascanius!’ galeam ante pedes proiecit inanem, qua ludo indutus belli simulacra ciebat. accelerat simul Aeneas, simul agmina Teucrum. ast illae diversa metu per litora passim diffugiunt silvasque et sicubi concava furtim saxa petunt; piget incepti lucisque, suosque mutatae agnoscunt, excussaque pectore Iuno est. Sed non idcirco flamma atque incendia vires indomitas posuere; udo sub robore vivit stuppa vomens tardum fumum, lentusque carinas est vapor, et toto descendit corpore pestis; nec vires heroum infusaque flumina prosunt. tum pius Aeneas umeris abscindere vestem auxilioque vocare deos et tendere palmas: ‘Iuppiter omnipotens, si nondum exosus ad unum Troianos, si quid pietas antiqua labores respicit humanos, da flammam evadere classi nunc, pater, et tenuis Teucrum res eripe leto; vel tu, quod superest, infesto fulmine morti, si mereor, demitte tuaque hic obrue dextra.’ vix haec ediderat, cum effusis imbribus atra tempestas sine more furit, tonitruque tremescunt ardua terrarum et campi: ruit aethere toto turbidus imber aqua densisque nigerrimus Austris, implenturque super puppes, semusta madescunt robora, restinctus donec vapor omnis et omnes quattuor amissis servatae a peste carinae. At pater Aeneas casu concussus acerbo

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Lager; ihn können nicht halten die atemlos keuchenden Lehrer. »Was für ein beispielloser Wahnwitz ist das denn? Was habt ihr vor, unselige Bürgersfraun? Nicht Feinde verbrennt ihr, nicht das argivische Camp, nein, euer Hoffen. Ich bin doch euer Askanius!« Rief ’s, und den nutzlosen Helm, den er grad noch trug beim Spiel in dem Scheinkrieg, warf vor die Füße er ihnen. Her eilt auch Aeneas, die Schar der Teukrer zugleich. Doch jene entfliehen aus Furcht allenthalben hierhin und dorthin am Gestade, verstecken im Wald sich, wenn möglich, in hohlen Felsen; verhasst sind die Tat und das Tageslicht; wieder bei Sinnen kennen sie wieder die Ihren; verbannt aus dem Herzen ist Juno. Aber deswegen legten Feuer und Brand noch nicht ihre ungebändigte Kraft ab; das Werg lebt unter den feuchten Planken und schwelt dort, die Kiele verzehrt ein schleichender Gluthauch, und im gesamten Schiffsrumpf steigt herab das Verderben; weder nützen die Kräfte der Helden noch Ströme von Wasser. Da reißt sein Gewand von den Schultern der fromme Aeneas, ruft zu Hilfe die Götter und streckt empor seine Hände: »Wenn du noch nicht, allmächtiger Juppiter, alle Trojaner tödlich hasst, deine Liebe von früher die menschlichen Mühen immer noch sieht, lass jetzt die Flotte den Flammen entkommen, Vater, entreiß dem Verderben die kärgliche Habe der Teukrer; oder, was bleibt, das schick in den Tod mit dem feindlichen Blitzstrahl, wenn ich’s verdien, und schmettre mit deiner Rechten uns nieder.« Spricht’s kaum aus, und da tobt schon mit Wolkenbrüchen ein schwarzes Unwetter hemmungslos, unter Donnerschlägen erzittern Berge und Felder: Ein heftiger Regen ergießt sich vom ganzen Himmel, pechschwarz von Wasser und Böen des Südwinds, von oben füllen die Schiffe sich da, nass werden die halb schon verbrannten Balken, bis alle Glut erlöscht ist und sämtliche Schiffe bis auf vier verlorene vor der Vernichtung bewahrt sind. Aber der Vater Aeneas, vom schmerzlichen Unglück erschüttert,

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nunc huc ingentis, nunc illuc pectore curas mutabat versans, Siculisne resideret arvis oblitus fatorum, Italasne capesseret oras. tum senior Nautes, unum Tritonia Pallas quem docuit multaque insignem reddidit arte (haec responsa dabat, vel quae portenderet ira magna deum vel quae fatorum posceret ordo), isque his Aenean solatus vocibus infit: ‘nate dea, quo fata trahunt retrahuntque sequamur; quidquid erit, superanda omnis fortuna ferendo est. est tibi Dardanius divinae stirpis Acestes: hunc cape consiliis socium et coniunge volentem, huic trade amissis superant qui navibus et quos pertaesum magni incepti rerumque tuarum est; longaevosque senes ac fessas aequore matres et quidquid tecum invalidum metuensque pericli est delige, et his habeant terris sine moenia fessi: urbem appellabunt permisso nomine Acestam.’ Talibus incensus dictis senioris amici tum vero in curas animum diducitur omnis. et Nox atra polum bigis subvecta tenebat; visa dehinc caelo facies delapsa parentis Anchisae subito talis effundere voces: ‘nate, mihi vita quondam, dum vita manebat, care magis, nate Iliacis exercite fatis, imperio Iovis huc venio, qui classibus ignem depulit et caelo tandem miseratus ab alto est. consiliis pare quae nunc pulcherrima Nautes dat senior: lectos iuvenes, fortissima corda, defer in Italiam. gens dura atque aspera cultu debellanda tibi Latio est. Ditis tamen ante infernas accede domos et Averna per alta

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schob in der Brust bald hierhin, bald dorthin die riesigen Sorgen, abwägend, ob er, die Fata vergessend, nun in Sizilien siedeln oder Italiens Küsten ansteuern sollte. Da spricht Nautes, der Greis, den als einzigen einst unterwies und angesehn machte durch Fülle an Wissen Tritonia Pallas – sie verkündete ihm, worauf der Himmlischen großer Zorn hindeute und was die Ordnung der Fata verlange –, der nun tröstet Aeneas und sagt: »Wohin uns die Fata, Sohn einer Göttin, abwechselnd ziehn, lasst dorthin uns folgen; was auch geschieht, durch Ertragen ist jegliches Schicksal zu meistern. Zu dir hält Akestes, der Dardaner göttlichen Ursprungs: Mach ihn zum Freund deiner Pläne, gewinn ihn, er wird auch bereit sein; die übergib ihm, die nach dem Verlust der Schiffe zu viel sind, die auch, die deine Mission und das Großunternehmen jetzt leid sind; Alte, hochbetagte, und Mütter, müde des Meeres, alles, was schwach ist bei dir und die, denen angst vor Gefahr ist, sondere aus; lass Mauern im Land hier haben die Müden: Wenn du’s erlaubst, dann werden die Stadt Akesta sie nennen.« Aber, durch solche Worte des älteren Freundes erregt, wird nun erst recht er im Herzen in vielerlei Sorgen getrieben. Und mit dem Zweigespann stand die finstere Nacht schon am Himmel; da war ihm, als sei die Gestalt seines Vaters Anchises plötzlich vom Himmel herab geglitten und spreche die Worte: »Sohn, im Leben mir einst noch teurer als selber das Leben, Sohn, durch Iliums Fata Geplagter, ich komm auf Befehl des Juppiter hierhin, der von der Flotte wegtrieb das Feuer und vom hohen Himmel herab sich schließlich erbarmte. Folge dem glänzenden Rat, den jetzt dir Nautes, der Alte, gibt: Erlesene junge Männer, die tapfersten Herzen führ nach Italien. Ein hartes Volk mit rauen Manieren musst du im Krieg überwinden in Latium. Doch vorher betritt die unterirdischen Häuser des Dis und durch des Avernus

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congressus pete, nate, meos. non me impia namque Tartara habent, tristes umbrae, sed amoena piorum concilia Elysiumque colo. huc casta Sibylla nigrarum multo pecudum te sanguine ducet. tum genus omne tuum et quae dentur moenia disces. iamque vale; torquet medios Nox umida cursus, et me saevus equis Oriens adflavit anhelis.’ dixerat et tenuis fugit ceu fumus in auras. Aeneas ‘quo deinde ruis? quo proripis?’ inquit, ‘quem fugis? aut quis te nostris complexibus arcet?’ haec memorans cinerem et sopitos suscitat ignis, Pergameumque Larem et canae penetralia Vestae farre pio et plena supplex veneratur acerra. Extemplo socios primumque accersit Acesten et Iovis imperium et cari praecepta parentis edocet et quae nunc animo sententia constet. haud mora consiliis, nec iussa recusat Acestes: transcribunt urbi matres populumque volentem deponunt, animos nil magnae laudis egentes. ipsi transtra novant flammisque ambesa reponunt robora navigiis, aptant remosque rudentisque, exigui numero, sed bello vivida virtus. interea Aeneas urbem designat aratro sortiturque domos; hoc Ilium et haec loca Troiam esse iubet; gaudet regno Troianus Acestes indicitque forum et patribus dat iura vocatis. tum vicina astris Erycino in vertice sedes fundatur Veneri Idaliae, tumuloque sacerdos ac lucus late sacer additur Anchiseo. Iamque dies epulata novem gens omnis, et aris factus honos: placidi straverunt aequora venti, creber et adspirans rursus vocat Auster in altum.

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Tiefe komm und besuch mich, Sohn. Nicht hält der verruchte Tartarus mich mit traurigen Schatten; ich wohn im Elysium bei der Schar der Frommen. Dich führt die keusche Sibylle her, wenn verströmt viel Blut von schwarzen Schafen ist. Dann lernst du dein ganzes Geschlecht und die künftige Stadt kennen. Leb jetzt wohl; die taufeuchte Nacht lenkt abwärts die Bahn, und der strenge Morgen blies mich an mit dem Atem der schnaubenden Rosse.« Sprach’s und verflüchtigte sich wie dünner Rauch in die Lüfte. »Wohin stürzt du denn? Wohin eilst du?« fragte Aeneas, »wem entfliehst du? Wer verwehrt dir, mich zu umarmen?« Spricht’s und entfacht das unter der Asche glimmende Feuer, und den troischen Lar und die Stätte der uralten Vesta ehrt demütig mit Opferschrot er und reichlichem Weihrauch. Gleich dann ruft die Gefährten er her und zuerst den Akestes, sagt ihnen dann den Befehl des Juppiter und seines lieben Vaters Weisungen und den Entschluss, der jetzt für ihn feststeht. Ausgeführt werden die Pläne, Akestes folgt den Befehlen: Zugeteilt wird die Stadt den Frauen; die Leute, die’s wollen, lassen sie da, all die, die großen Ruhms nicht bedürfen. Selbst repariern sie die Bänke, ersetzen das halb schon verkohlte Holz auf den Schiffen und bringen Ruder und Tauwerk in Ordnung, wenige Leute zwar, doch zum Kriege bereit und energisch. Unterdessen umreißt Aeneas die Stadt mit dem Pfluge, lost die Wohnstätten aus, befiehlt, wo Ilium, wo Troja stehn soll; über die Herrschaft freut sich der Troer Akestes, legt Gerichtszeiten fest und ihr Recht für die Väter im Rate. Dann wird, den Sternen nah, auf des Eryx Gipfel für Venus, der von Idalium, ein Tempel erbaut; einen Priester bekommt das Grab des Anchises, dazu ein geräumiges heiliges Wäldchen. Schon neun Tage lang speiste das ganze Volk; den Altären gab man die Ehre: Da ebneten freundliche Winde die Fluten, wieder aufs hohe Meer ruft, ständig wehend, der Südwind.

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exoritur procurva ingens per litora fletus; complexi inter se noctemque diemque morantur. ipsae iam matres, ipsi, quibus aspera quondam visa maris facies et non tolerabile nomen, ire volunt omnemque fugae perferre laborem; quos bonus Aeneas dictis solatur amicis et consanguineo lacrimans commendat Acestae. tris Eryci vitulos et Tempestatibus agnam caedere deinde iubet solvique ex ordine funem; ipse caput tonsae foliis evinctus olivae stans procul in prora pateram tenet extaque salsos proicit in fluctus ac vina liquentia fundit. certatim socii feriunt mare et aequora verrunt; prosequitur surgens a puppi ventus euntis. At Venus interea Neptunum exercita curis adloquitur talisque effundit pectore questus: ‘Iunonis gravis ira neque exsaturabile pectus cogunt me, Neptune, preces descendere in omnis; quam nec longa dies pietas nec mitigat ulla, nec Iovis imperio fatisque infracta quiescit. non media de gente Phrygum exedisse nefandis urbem odiis satis est nec poenam traxe per omnem reliquias Troiae: cineres atque ossa peremptae insequitur. causas tanti sciat illa furoris. ipse mihi nuper Libycis tu testis in undis quam molem subito excierit: maria omnia caelo miscuit Aeoliis nequiquam freta procellis, in regnis hoc ausa tuis. per scelus ecce etiam Troianis matribus actis exussit foede puppis et classe subegit amissa socios ignotae linquere terrae. quod superest, oro, liceat dare tuta per undas

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Da erhebt sich ein lautes Weinen am krummen Gestade, und sie säumen die Nacht und den Tag noch, einander umarmend. Schon wolln selbst die Frauen, sogar die, denen zuvor der Anblick des Meeres rau schien, ja, das Wort nicht erträglich, fahren und auf sich nehmen das ganze Leid der Verbannung; gütig tröstet Aeneas diese mit freundlichen Worten und empfiehlt unter Tränen sie seinem Verwandten Akestes. Schlachten lässt er sodann drei Kälber dem Eryx, ein Lamm den Sturmgöttern, Schiff um Schiff anschließend lösen die Taue, steht, mit zugeschnittenen Blättern des Ölbaums bekränzt das Haupt, selbst hoch am Bug, die Schale haltend, und wirft die Innerein in die Salzflut und gießt den lauteren Wein aus. Wetteifernd peitschen das Meer die Gefährten und fegen die Fluten; ein vom Heck sich erhebender Wind begleitet die Seefahrt. Venus indes, von Sorgen gequält, spricht da zu Neptunus, schüttet ihm aus ihr Herz und ergeht sich in folgenden Klagen: »Junos heftiger Zorn und ihr unersättliches Herz, sie zwingen mich, dass ich mich einlass auf jegliche Bitte, Neptunus; sie, die kein langer Tag besänftigt, nicht Frömmigkeit, ruht nicht, nicht durch Juppiters Weisung zermürbt und nicht durch das Fatum. Ihr reicht’s nicht, mit schrecklichem Hass eine Stadt mitten aus dem Volk der Phryger vertilgt, nicht Trojas Reste durch jede Marter geschleift zu haben: Gebeine und Asche der toten Stadt verfolgt sie. Sie mag, warum sie so rasend ist, wissen. Du bist selber mir Zeuge, wie riesig im libyschen Meer jüngst Wogen sie auftürmte plötzlich: Die See und den Himmel vermengte ganz und gar sie, auf Aeolus’ Stürme vertrauend – vergeblich, solches in deinem Reiche wagend. Schau, auf die Bahn des Verbrechens trieb sie die Frauen von Troja und verbrannte schnöde die Schiffe; Gefährten im fremden Land nach Verlusten der Flotte zurückzulassen, erzwang sie. Möge dem Rest, ich bitt dich, gestattet sein, sicher durch deine

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vela tibi, liceat Laurentem attingere Thybrim, si concessa peto, si dant ea moenia Parcae.’ tum Saturnius haec domitor maris edidit alti: ‘fas omne est, Cytherea, meis te fidere regnis, unde genus ducis. merui quoque: saepe furores compressi et rabiem tantam caelique marisque. nec minor in terris, Xanthum Simoentaque testor, Aeneae mihi cura tui: cum Troia Achilles exanimata sequens impingeret agmina muris, milia multa daret leto, gemerentque repleti amnes nec reperire viam atque evolvere posset in mare se Xanthus, Pelidae tunc ego forti congressum Aenean nec dis nec viribus aequis nube cava rapui, cuperem cum vertere ab imo structa meis manibus periurae moenia Troiae. nunc quoque mens eadem perstat mihi: pelle timores. tutus, quos optas, portus accedet Averni. unus erit tantum amissum quem gurgite quaeres; unum pro multis dabitur caput.’ his ubi laeta deae permulsit pectora dictis, iungit equos auro genitor spumantiaque addit frena feris manibusque omnis effundit habenas. caeruleo per summa levis volat aequora curru; subsidunt undae tumidumque sub axe tonanti sternitur aequor aquis, fugiunt vasto aethere nimbi. tum variae comitum facies, immania cete, et senior Glauci chorus Inousque Palaemon Tritonesque citi Phorcique exercitus omnis; laeva tenet Thetis et Melite Panopeaque virgo, Nisaee Spioque Thaliaque Cymodoceque. Hic patris Aeneae suspensam blanda vicissim gaudia pertemptant mentem; iubet ocius omnis

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Wogen zu segeln zum Thybris Laurentums, so wahr ich Erlaubtes jetzt erbitte, so wahr die Parzen die Mauern gewähren.« Drauf sprach dies der Saturn-Sohn, des tiefen Meeres Bezwinger: »Ganz recht ist’s, Kytherea, dass du vertraust meinem Reiche, dem du entstammst. Ich hab’s auch verdient: Denn ich stillte schon oft das Toben und das gewaltige Rasen des Meers und des Himmels. Nicht geringer war – Zeugen sind Xanthus und Simoïs – auf dem Land meine Sorge um deinen Aeneas: Als gegen die Mauern drängte die von ihm verfolgten und keuchenden Troer Achill und Tausende tötete, als dann voll von Leichen die Ströme stöhnten und Xanthus den Weg nicht finden, ins Meer nicht mehr fließen konnte, hab ich den Aeneas, der da mit dem tapfren Peliden kämpfte, ihm weder gleich an Göttergunst noch an Kraft, in hohler Wolke entrückt, obwohl ich von Grund auf zerstören wollte das Werk meiner Hände, die Stadt meineidiger Troer. Jetzt auch bleibt mein Sinn derselbe: Vertreib deine Ängste. Sicher, wie du es wünschst, wird im Port des Avernus er landen. Einen nur wirst du vermissen, versunken wird er im Meer sein; ein Haupt nur wird geopfert werden für viele.« Als er, so sprechend, die Göttin besänftigt und freudig gestimmt hat, spannt ins goldne Geschirr die Rosse der Vater und legt den Wilden den schäumenden Zaum an und lässt die Zügel dann schießen. Über die Fläche des Meers fliegt leicht er im bläulichen Wagen; nieder sinken die Wogen, und unter donnerndem Himmel glättet das Meer sich, vom riesigen Äther fliehen die Wolken. Buntes Gefolge erscheint da, riesige Seeungeheuer und des Glaukus betagte Schar und Palaemon, der Sohn der Ino, die schnellen Tritonen, die ganze Armada des Phorkus, Thetis und Melite links und Panopea, die Jungfrau, weiter Nisaee und Spio, Kymodoke auch und Thalia. Jetzt durchströmt den bangenden Sinn des Vaters Aeneas freudige Stimmung wieder; die Mastbäume alle befiehlt er

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attolli malos, intendi bracchia velis. una omnes fecere pedem pariterque sinistros, nunc dextros solvere sinus; una ardua torquent cornua detorquentque; ferunt sua flamina classem. princeps ante omnis densum Palinurus agebat agmen; ad hunc alii cursum contendere iussi. iamque fere mediam caeli Nox umida metam contigerat, placida laxabant membra quiete sub remis fusi per dura sedilia nautae, cum levis aetheriis delapsus Somnus ab astris aëra dimovit tenebrosum et dispulit umbras, te, Palinure, petens, tibi somnia tristia portans insonti; puppique deus consedit in alta Phorbanti similis funditque has ore loquelas: ‘Iaside Palinure, ferunt ipsa aequora classem, aequatae spirant aurae: datur hora quieti. pone caput fessosque oculos furare labori. ipse ego paulisper pro te tua munera inibo.’ cui vix attollens Palinurus lumina fatur: ‘mene salis placidi vultum fluctusque quietos ignorare iubes? mene huic confidere monstro? Aenean credam (quid enim?) fallacibus auris et caelo, totiens deceptus fraude sereni?’ talia dicta dabat, clavumque adfixus et haerens nusquam amittebat oculosque sub astra tenebat. ecce deus ramum Lethaeo rore madentem vique soporatum Stygia super utraque quassat tempora cunctantique natantia lumina solvit. vix primos inopina quies laxaverat artus, et super incumbens cum puppis parte revulsa cumque gubernaclo liquidas proiecit in undas praecipitem ac socios nequiquam saepe vocantem;

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schleunigst zu heben und dann für die Segel die Rahen zu spannen. Alle segeln zugleich mit halbem Winde, im Takt bald links, bald rechts die Leinen lockernd, drehn in den Wind und wieder zurück die Rahen; die Winde tragen die Flotte. Vorne, da führt Palinurus den eng geschlossnen Verband an; ausrichten sollen dabei ihren Kurs auf ihn alle andern. Schon war fast bis zur Mitte der Bahn gekommen die feuchte Nacht, in friedlicher Ruhe entspannten die Glieder die Schiffer, unter den Rudern auf harten Bänken hingestreckt, als der leichte Schlaf von den Sternen am Himmel herabglitt, wobei die finstere Luft er zerteilte sowie die Schatten zerstreute, dich, Palinurus, besuchend und tödliche Träume dir bringend, dir, dem Schuldlosen; Phorbas gleichend setzte er oben auf dem Heck sich nieder und sprach die folgenden Worte: »Selber trägt, Palinurus, Ïasius-Sprössling, die Flut die Flotte, der Wind weht gleichmäßig: Ruhe gestattet die Stunde. Leg deinen Kopf hin, stiehl die ermüdeten Augen der Arbeit. Ich will selber ein Weilchen für dich dein Amt übernehmen.« Kaum die Augen erhebend antwortet ihm Palinurus: »Ich soll so tun, als ob ich das Antlitz des friedlichen Meers, die ruhigen Fluten nicht kenn? Ich soll diesem Ungetüm trauen? Wie bitte? Anvertraun soll ich Aeneas den tückischen Lüften und dem Himmel, der mich so oft als ein heiterer täuschte?« Sprach’s, und das Steuer umklammernd, am Orte ausharrend, ließ an keiner Stelle er’s los, den Blick auf die Sterne gerichtet. Siehe, da schüttelt der Gott einen Zweig – von Lethetau triefend, wirkt er durch stygische Kraft einschläfernd – ihm über beide Schläfen und schließt ihm, der sich noch sträubt, die verschwimmenden Augen. Kaum hatte, unerwartet, der Schlaf die Glieder zu lösen angefangen, da beugte er sich über ihn, und er stieß ihn samt einem Teil des Hecks und dem Steuer kopfüber ins klare Wasser, ihn, der oft die Gefährten rief, doch vergeblich;

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ipse volans tenuis se sustulit ales ad auras. currit iter tutum non setius aequore classis promissisque patris Neptuni interrita fertur. iamque adeo scopulos Sirenum advecta subibat, difficilis quondam multorumque ossibus albos (tum rauca adsiduo longe sale saxa sonabant), cum pater amisso fluitantem errare magistro sensit et ipse ratem nocturnis rexit in undis, multa gemens casuque animum concussus amici: ‘o nimium caelo et pelago confise sereno, nudus in ignota, Palinure, iacebis harena.’

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er stieg auf zu den zarten Lüften, auf Fittichen schwebend. Sicher nimmt trotzdem ihren Lauf durch die Fluten die Flotte, und sie fährt, wie’s Vater Neptunus versprach, ohne Ängste. Und schon kam auf der Fahrt den Sirenen-Klippen sie nahe, einstmals gefährlich und weiß von zahlreicher Männer Gebeinen – weithin tönten jetzt dumpf von der ständigen Brandung die Felsen –, als der Vater bemerkte, dass ohne den Steuermann ziellos sie dahintrieb; das Schiff lenkt selbst er durch nächtliche Wogen, vielfach seufzend und schwer erschüttert vom Schicksal des Freundes: »Ach, der zu sehr du dem Frieden des Meers und des Himmels vertrautest, nackt wirst du, Palinurus, nun liegen an fremdem Gestade.«

LIBER VI Sic fatur lacrimans classique immittit habenas et tandem Euboicis Cumarum adlabitur oris. obvertunt pelago proras; tum dente tenaci ancora fundabat navis et litora curvae praetexunt puppes. iuvenum manus emicat ardens litus in Hesperium; quaerit pars semina flammae abstrusa in venis silicis, pars densa ferarum tecta rapit silvas inventaque flumina monstrat. at pius Aeneas arces quibus altus Apollo praesidet horrendaeque procul secreta Sibyllae, antrum immane, petit, magnam cui mentem animumque Delius inspirat vates aperitque futura. iam subeunt Triviae lucos atque aurea tecta. Daedalus, ut fama est, fugiens Minoia regna, praepetibus pinnis ausus se credere caelo, insuetum per iter gelidas enavit ad Arctos Chalcidicaque levis tandem super adstitit arce. redditus his primum terris tibi, Phoebe, sacravit remigium alarum posuitque immania templa. in foribus letum Androgeo; tum pendere poenas Cecropidae iussi (miserum!) septena quotannis corpora natorum; stat ductis sortibus urna. contra elata mari respondet Cnosia tellus: hic crudelis amor tauri suppostaque furto Pasiphae mixtumque genus prolesque biformis Minotaurus inest, Veneris monumenta nefandae, hic labor ille domus et inextricabilis error; magnum reginae sed enim miseratus amorem

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BUCH 6 Weinend sagt er’s und lässt die Zügel schießen der Flotte, und dann landet er endlich am Strand des euböischen Kumae. Meerwärts wenden sie nun den Bug; mit greifendem Zahne hält der Anker die Schiffe am Grund, und es säumen die krummen Hecks das Gestade. Die Schar der Männer springt voller Eifer an Hesperiens Strand; ein Teil sucht Keime des Feuers tief aus des Kieselsteins Adern, ein anderer plündert den Wald, die dichte Behausung der Tiere, weist hin auf gefundene Quellen. Aber zur Burg, die der hohe Apollo beschirmt, und seitab zur riesigen Höhle begibt sich der fromme Aeneas; geheimer Sitz ist’s der grausen Sibylle; Begeisterung gibt ihr und große Weisheit der delische Seher ein und erschließt ihr die Zukunft. Schon erreicht man Trivias Hain und den goldenen Tempel. Als auf der Flucht aus Minos’ Reich sich mit Flügeln dem Himmel anzuvertrauen wagte Daedalus, flog er, so heißt’s, auf fremder Bahn in Richtung der eisigen Bären, und schließlich landete sanft er oben auf der chalkidischen Höhe. Wiedergeschenkt hier erstmals der Erde, weihte er, Phoebus, dir seine Ruder, die Flügel, und baute den riesigen Tempel. Auf dem Portal sind zu sehen der Tod des Androgeos und die Kekropiden, die jährlich sieben Söhne als Buße opfern mussten – o weh! Mit den Losen steht da die Urne. Dem entspricht gegenüber Kreta, das aus dem Meer ragt: Hier ist die grausige Liebe zum Stier, Pasiphaë, heimlich zugeführt, auch das Mischwesen, Spross in Doppelgestalt, der Minotaurus ist hier, ein Symbol für schändliche Lust, hier, mühsam erbaut, das Haus und der unentwirrbare Irrgang; aber der großen Liebe der Königstochter erbarmte

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Daedalus ipse dolos tecti ambagesque resolvit, caeca regens filo vestigia. tu quoque magnam partem opere in tanto, sineret dolor, Icare, haberes: bis conatus erat casus effingere in auro, bis patriae cecidere manus. quin protinus omnia perlegerent oculis, ni iam praemissus Achates adforet atque una Phoebi Triviaeque sacerdos, Deiphobe Glauci, fatur quae talia regi: ‘non hoc ista sibi tempus spectacula poscit; nunc grege de intacto septem mactare iuvencos praestiterit, totidem lectas ex more bidentis.’ talibus adfata Aenean (nec sacra morantur iussa viri) Teucros vocat alta in templa sacerdos. Excisum Euboicae latus ingens rupis in antrum, quo lati ducunt aditus centum, ostia centum, unde ruunt totidem voces, responsa Sibyllae. ventum erat ad limen, cum virgo ‘poscere fata tempus’ ait; ‘deus, ecce deus!’ cui talia fanti ante fores subito non vultus, non color unus, non comptae mansere comae, sed pectus anhelum, et rabie fera corda tument, maiorque videri nec mortale sonans, adflata est numine quando iam propiore dei. ‘cessas in vota precesque, Tros’ ait ‘Aenea? cessas? neque enim ante dehiscent attonitae magna ora domus.’ et talia fata conticuit. gelidus Teucris per dura cucurrit ossa tremor, funditque preces rex pectore ab imo: ‘Phoebe, gravis Troiae semper miserate labores, Dardana qui Paridis derexti tela manusque corpus in Aeacidae, magnas obeuntia terras tot maria intravi duce te penitusque repostas Massylum gentis praetentaque Syrtibus arva;

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Daedalus sich, entwirrte die tückischen Irrwege, mit dem Faden blindes Dahinschreiten lenkend. Ikarus, du auch hättst einen Platz auf dem Kunstwerk, hätte der Schmerz es gestattet: Zweimal versuchte den Sturz er nachzubilden im Golde, zweimal sank dem Vater die Hand. Gern würden sie weiter alles genau betrachten, wär nicht, vorausgeschickt, jetzt schon da Achates, des Phoebus und Trivias Priesterin mit ihm, Glaukus’ Tochter Deïphobe; sie aber sagt zu dem König: »Jetzt ist’s nicht nötig, die Bilder anzuschauen; es wär jetzt richtiger, sieben Stiere aus jochfreier Herde zu opfern, ebenso viele erlesene Schafe, wie es der Brauch will.« So spricht zu Aeneas die Priesterin – gleich, wie befohlen, opfern die Männer – und ruft in den hohen Tempel die Teukrer. Ausgehöhlt ist der euböische Felsen zur riesigen Grotte; hundert breite Zugänge hat sie und Türen; es schallen ebenso viele Stimmen heraus, der Sibylle Orakel. An der Schwelle war man, da rief die Jungfrau: »Zu flehn um Fata, ist’s Zeit. Der Gott, sieh da, der Gott!« Als sie dies vorm Tor rief, änderte plötzlich ihr Antlitz sich und die Farbe, löste ihr Haar sich, es keucht die Brust, sie rast, und es wallt ihr wild das Herz, sie scheint jetzt größer zu sein, ihre Stimme klingt nicht menschlich; sie ist von der Kraft des Gottes, der ihr schon näher ist, angehaucht. »Säumst mit Gelübden du und Gebeten, Troer Aeneas«, so fragt sie, »säumst du? Nicht tun sich zuvor die tiefen Schlünde auf im betäubten Hause.« So sprach sie, schwieg dann. Den Teukrern lief da eisiger Schauder durch Mark und Bein, und es betet so aus tiefstem Herzen der König: »Phoebus, der stets du das schwere Leid der Trojaner beklagt hast, der du gelenkt hast die Dardanerpfeile und Hände des Paris gegen den Leib des Achill, so viele Meere, die große Länder umwogen, befuhr ich, von dir geleitet, bis hin zum fernen Massylervolk und dem Lande am Rande der Syrten;

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iam tandem Italiae fugientis prendimus oras: hac Troiana tenus fuerit fortuna secuta. vos quoque Pergameae iam fas est parcere genti, dique deaeque omnes, quibus obstitit Ilium et ingens gloria Dardaniae. tuque, o sanctissima vates, praescia venturi, da (non indebita posco regna meis fatis) Latio considere Teucros errantisque deos agitataque numina Troiae. tum Phoebo et Triviae solido de marmore templum instituam festosque dies de nomine Phoebi. te quoque magna manent regnis penetralia nostris: hic ego namque tuas sortes arcanaque fata dicta meae genti ponam lectosque sacrabo, alma, viros. foliis tantum ne carmina manda, ne turbata volent rapidis ludibria ventis: ipsa canas oro.’ finem dedit ore loquendi. At Phoebi nondum patiens immanis in antro bacchatur vates, magnum si pectore possit excussisse deum; tanto magis ille fatigat os rabidum, fera corda domans, fingitque premendo. ostia iamque domus patuere ingentia centum sponte sua vatisque ferunt responsa per auras: ‘o tandem magnis pelagi defuncte periclis, sed terrae graviora manent; in regna Lavini Dardanidae venient (mitte hanc de pectore curam), sed non et venisse volent. bella, horrida bella, et Thybrim multo spumantem sanguine cerno. non Simois tibi nec Xanthus nec Dorica castra defuerint; alius Latio iam partus Achilles, natus et ipse dea; nec Teucris addita Iuno usquam aberit, cum tu supplex in rebus egenis quas gentis Italum aut quas non oraveris urbis!

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endlich fassen wir Fuß an Italiens fliehenden Küsten: Möge uns nur bis hier das Schicksal Trojas gefolgt sein. Götter und Göttinnen alle, auch ihr, denen Ilium und der riesige Ruhm Dardaniens ein Dorn im Auge war, dürft jetzt Pergamum schonen. Und du, erhabne Prophetin, der Zukunft kundig, gib – ich verlange nicht mehr als das Reich, das nach meinem Fatum mir zusteht –, dass wohnen in Latium die Teukrer mit ihren Göttern, die umherirren, Trojas gejagten Garanten. Stiften will ich dann Phoebus und Trivia ganz aus massivem Marmor einen Tempel und Feste im Namen des Phoebus. Dich auch erwartet in meinem Reich ein bedeutender Tempel: Deine Orakel und meinem Volke verkündete Fata will ich verwahrn dort, will erlesene Männer dir weihen, du Erhabne. Nur schreib nicht die Sprüche auf Blätter, damit sie nicht durcheinander fliegen, ein Spielball reißender Winde: Bitte, verkünde sie selbst.« So schloss er ab seine Rede. Aber dem Phoebus noch nicht gefügig, tobt in der Grotte furchtbar die Seherin, um den mächtigen Gott von der Brust sich abzuschütteln, wenn’s geht; doch desto heftiger setzt er zu ihrem rasenden Mund, bezähmt sie und macht sie gefügig. Und schon öffnen von selbst sich des Hauses hundert gewaltge Schlünde und tragen die Worte der Seherin quer durch die Lüfte: »Du, der du endlich bestandst die großen Gefahren des Meeres – aber schwerere warten zu Land –, ins Reich von Lavinium kommen die Dardaner wohl – die Sorge vertreib aus dem Herzen –, aber sie werden’s bereuen. Denn Kriege, entsetzliche Kriege sehe ich, sehe den Thybris schäumen von reichlichem Blute. Nicht wird der Simoïs dir, der Xanthus, das dorische Lager fehlen; in Latium wurde ein andrer Achill schon geboren, auch der Sohn einer Göttin; den Teukrern im Nacken, wird nirgends Juno fehlen, auch wenn in der Not du flehend um Hilfe alle möglichen Stämme und Städte der Italer bittest!

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causa mali tanti coniunx iterum hospita Teucris externique iterum thalami. tu ne cede malis, sed contra audentior ito qua tua te Fortuna sinet. via prima salutis, quod minime reris, Graia pandetur ab urbe.’ Talibus ex adyto dictis Cumaea Sibylla horrendas canit ambages antroque remugit, obscuris vera involvens: ea frena furenti concutit et stimulos sub pectore vertit Apollo. ut primum cessit furor et rabida ora quierunt, incipit Aeneas heros: ‘non ulla laborum, o virgo, nova mi facies inopinave surgit; omnia praecepi atque animo mecum ante peregi. unum oro: quando hic inferni ianua regis dicitur et tenebrosa palus Acheronte refuso, ire ad conspectum cari genitoris et ora contingat; doceas iter et sacra ostia pandas. illum ego per flammas et mille sequentia tela eripui his umeris medioque ex hoste recepi; ille meum comitatus iter maria omnia mecum atque omnis pelagique minas caelique ferebat, invalidus, viris ultra sortemque senectae. quin, ut te supplex peterem et tua limina adirem, idem orans mandata dabat. gnatique patrisque, alma, precor, miserere (potes namque omnia, nec te nequiquam lucis Hecate praefecit Avernis), si potuit manis accersere coniugis Orpheus Threicia fretus cithara fidibusque canoris, si fratrem Pollux alterna morte redemit itque reditque viam totiens. quid Thesea magnum, quid memorem Alciden? et mi genus ab Iove summo.’ Talibus orabat dictis arasque tenebat,

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Grund für so großes Unheil – ein fremdes Eheweib wieder ist’s für die Teukrer, wieder ein Hochzeitsfest auswärts. Weich nicht dem Unheil, geh auf dem Weg, den Fortuna dich gehn lässt, mutiger ihm entgegen. Den ersten Weg zur Errettung öffnet – was du am wenigsten glaubst – eine griechische Stadt dir.« So aus dem innersten Heiligtum lässt die Sibylle von Kumae Schauder erregende Rätsel vernehmen und tönen die Höhle, Wahrheit hüllend in Dunkel: Es lenkt die Rasende mit dem Zügel und bohrt ihr tief in die Brust den Stachel Apollo. Als der Wahnwitz gewichen und stumm auch der rasende Mund ist, da beginnt der Held Aeneas: »Es steigt vor mir keine neue, unerwartete Art von Mühsal auf, Jungfrau; alles nahm ich vorweg, ging’s durch in Gedanken im Voraus. Eines nur bitt ich: Da hier das Portal des Unterweltsherrschers und ein finsterer Sumpf, wo hervorströmt der Acheron, sein soll, werde es mir denn zuteil, vor Augen zu treten dem lieben Vater; lehr mich den Weg und öffne die heilige Pforte. Ihn ja riss ich durch Flammen und Hagel von tausend Geschossen hier auf den Schultern heraus, aus der Mitte der Feinde ihn rettend; er begleitete mich auf dem Weg, und sämtliche Meere, alles Drohen der See und des Himmels ertrug er, obwohl er schwach war, dennoch mit mehr Energie als der eines Greises. Ja, dich flehend zu bitten und deiner Schwelle zu nahen, trug er dringend mir auf. Des Sohns und des Vaters, Erhabne, bitt ich, erbarme dich – du kannst alles, und Hekate machte nicht umsonst dich zur Herrscherin dort im avernischen Haine –, wenn doch Orpheus vermocht hat, die Manen der Gattin zu holen voller Vertraun auf den Wohlklang seiner thrakischen Lyra, Pollux durch Sterben im Wechsel den Bruder gerettet hat und den Weg nun wieder und wieder geht. Was sprech ich vom großen Theseus, was vom Alkiden? Auch ich bin von Juppiters Stamme.« Solches ihr sagend bat er und hielt die Hand am Altare;

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cum sic orsa loqui vates: ‘sate sanguine divum, Tros Anchisiade, facilis descensus Averno: noctes atque dies patet atri ianua Ditis; sed revocare gradum superasque evadere ad auras, hoc opus, hic labor est. pauci, quos aequus amavit Iuppiter aut ardens evexit ad aethera virtus, dis geniti potuere. tenent media omnia silvae, Cocytusque sinu labens circumvenit atro. quod si tantus amor menti, si tanta cupido est bis Stygios innare lacus, bis nigra videre Tartara, et insano iuvat indulgere labori, accipe quae peragenda prius. latet arbore opaca aureus et foliis et lento vimine ramus, Iunoni infernae dictus sacer; hunc tegit omnis lucus et obscuris claudunt convallibus umbrae. sed non ante datur telluris operta subire auricomos quam quis decerpserit arbore fetus. hoc sibi pulchra suum ferri Proserpina munus instituit; primo avulso non deficit alter aureus, et simili frondescit virga metallo. ergo alte vestiga oculis et rite repertum carpe manu; namque ipse volens facilisque sequetur, si te fata vocant; aliter non viribus ullis vincere nec duro poteris convellere ferro. praeterea iacet exanimum tibi corpus amici (heu nescis) totamque incestat funere classem, dum consulta petis nostroque in limine pendes. sedibus hunc refer ante suis et conde sepulcro. duc nigras pecudes; ea prima piacula sunto. sic demum lucos Stygis et regna invia vivis aspicies.’ dixit pressoque obmutuit ore. Aeneas maesto defixus lumina vultu

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da begann die Prophetin: »Du Spross aus göttlichem Blute, Troer, Anchises-Sohn, leicht ist zum Avernus der Abstieg: Tag und Nacht steht offen die Pforte des düsteren Pluto; aber zurückzulenken den Schritt und ans Licht zu gelangen, das ist Arbeit, ist Mühe. Nur wenige, gnädig geliebt von Juppiter oder durch Tatkraft empor zum Himmel gehoben, Göttersöhne, vermochten’s. Es nehmen alles dazwischen Wälder ein; der Kokytus, sich finster schlängelnd, umgibt sie. Hast aber solch ein Verlangen im Herzen du, solch eine Sehnsucht, zweimal das Wasser des Styx zu befahren und zweimal zu sehn den finsteren Orkus, erduldest auch gerne die maßlose Mühe, höre, was vorher zu tun ist. Verborgen auf schattigem Baume ist ein Zweig mit goldenen Blättern und biegsamen Stängeln, heilig ist er der Juno der Unterwelt, heißt es; ein ganzer Wald schützt ihn, und im dunklen Tale umschließen ihn Schatten. Keinem ist aber der Weg in die Tiefen der Erde gestattet, eh er den goldbelaubten Zweig vom Baume gepflückt hat. Ihn bestimmte die schöne Proserpina als ein Geschenk für sich; ist der erste gepflückt, wächst nach ein anderer goldner Zweig, und der Stängel erblüht mit Blättern von gleichem Metalle. Such in der Höhe ihn denn mit den Augen, und findst du ihn, pflück ihn nach dem Brauch mit der Hand; leicht fügt er von selbst sich und willig, wenn die Fata dich rufen; wenn nicht, dann kannst du mit keiner Kraft ihn bezwingen und reißt ihn nicht los mit der Härte des Eisens. Außerdem liegt da entseelt der Leib eines Freundes – o weh, du weißt es nicht! –, und es befleckt die gesamte Flotte sein Leichnam, während um Rat du bittend an meiner Schwelle dich aufhältst. Trag zur gebührenden Stätte zuvor ihn und birg ihn im Grabe. Bring schwarzwollige Schafe; sie sollen zuerst dich entsühnen. Dann erst siehst du die Wälder des Styx, das Reich, nicht betretbar für die Lebenden.« Sprach’s, verschloss ihren Mund und verstummte. Kummervoll blickend, die Augen am Erdboden, macht sich Aeneas,

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ingreditur, linquens antrum, caecosque volutat eventus animo secum; cui fidus Achates it comes et paribus curis vestigia figit. multa inter sese vario sermone serebant, quem socium exanimem vates, quod corpus humandum diceret. atque illi Misenum in litore sicco, ut venere, vident indigna morte peremptum, Misenum Aeoliden, quo non praestantior alter aere ciere viros Martemque accendere cantu. Hectoris hic magni fuerat comes, Hectora circum et lituo pugnas insignis obibat et hasta. postquam illum vita victor spoliavit Achilles, Dardanio Aeneae sese fortissimus heros addiderat socium, non inferiora secutus. sed tum, forte cava dum personat aequora concha, demens, et cantu vocat in certamina divos, aemulus exceptum Triton, si credere dignum est, inter saxa virum spumosa immerserat unda. ergo omnes magno circum clamore fremebant, praecipue pius Aeneas. tum iussa Sibyllae, haud mora, festinant flentes aramque sepulcri congerere arboribus caeloque educere certant. itur in antiquam silvam, stabula alta ferarum; procumbunt piceae, sonat icta securibus ilex fraxineaeque trabes, cuneis et fissile robur scinditur, advolvunt ingentis montibus ornos. Nec non Aeneas opera inter talia primus hortatur socios paribusque accingitur armis. atque haec ipse suo tristi cum corde volutat, aspectans silvam immensam, et sic forte precatur: ‘si nunc se nobis ille aureus arbore ramus ostendat nemore in tanto! quando omnia vere

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als er die Grotte verlässt, auf den Weg und rekapituliert die dunklen Ereignisse; ihn begleitet der treue Achates, langsam schreitend, wobei ihn die gleichen Sorgen bedrücken. Viel beredeten sie im Gespräch miteinander, sich fragend, welches Gefährten Tod und welches Leichnams Bestattung sie wohl meine. Da sahn sie, zum trockenen Strande gekommen: Tot war Misenus, gestorben auf seiner nicht würdige Weise, Aeolus’ Sohn Misenus; besser konnt keiner die Männer rufen mit dem Erz und, es blasend, zum Kampfe begeistern. Der war des großen Hektor Begleiter, zusammen mit Hektor zog in die Schlacht er und ragte hervor durch Trompete und Lanze. Seit Achill aber jenen besiegt und beraubt hatte seines Lebens, hatte der tapfere Held sich dem Troer Aeneas zugesellt, und so folgte er keinem schlechteren Herren. Aber als grad übers Meer er ertönen ließ eine hohle Muschel, der Tor, durch sein Spiel zum Wettkampf rufend die Götter, hatte ihn, wenn man’s denn glauben kann, Triton gepackt als Rivale und den Mann zwischen Klippen ertränkt in den schäumenden Wogen. Alle ließen nun laut ringsum die Klage ertönen, allen voran der fromme Aeneas. Dann eilen sie weinend, auszuführn den Befehl der Sibylle, bemühn sich, aus Bäumen aufzuschichten des Grabes Altar, ihn himmelan türmend. Fort zur hohen Behausung des Wilds, in den uralten Wald geht’s; Kiefern stürzen zu Boden, es dröhnen, von Äxten gefällt, die Eichen und Stämme der Eschen, mit Keilen spaltet man Kernholz, riesige Bergeschen wälzen sie von den Bergen herunter. Auch bei diesem Werk ganz vorne, ermuntert Aeneas seine Gefährten, und er bedient sich der gleichen Geräte. Da nun denkt er beim Anblick des riesigen Waldes in seinem traurigen Herzen dies, im Gebet zufällig es sagend: »Wenn sich uns doch jetzt jener goldene Zweig an dem Baume zeigte in diesem großen Walde! Denn alles hat, ach, zu

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heu nimium de te vates, Misene, locuta est.’ vix ea fatus erat, geminae cum forte columbae ipsa sub ora viri caelo venere volantes et viridi sedere solo. tum maximus heros maternas agnovit aves laetusque precatur: ‘este duces, o, si qua via est, cursumque per auras derigite in lucos, ubi pinguem dives opacat ramus humum. tuque, o, dubiis ne defice rebus, diva parens.’ sic effatus vestigia pressit observans quae signa ferant, quo tendere pergant: pascentes illae tantum prodire volando, quantum acie possent oculi servare sequentum. inde ubi venere ad fauces grave olentis Averni, tollunt se celeres liquidumque per aëra lapsae sedibus optatis gemina super arbore sidunt, discolor unde auri per ramos aura refulsit. quale solet silvis brumali frigore viscum fronde virere nova, quod non sua seminat arbos, et croceo fetu teretis circumdare truncos, talis erat species auri frondentis opaca ilice, sic leni crepitabat brattea vento. corripit Aeneas extemplo avidusque refringit cunctantem et vatis portat sub tecta Sibyllae. Nec minus interea Misenum in litore Teucri flebant et cineri ingrato suprema ferebant. principio pinguem taedis et robore secto ingentem struxere pyram, cui frondibus atris intexunt latera et feralis ante cupressos constituunt decorantque super fulgentibus armis. pars calidos latices et aëna undantia flammis expediunt corpusque lavant frigentis et unguunt. fit gemitus; tum membra toro defleta reponunt

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wahrheitsgemäß, Misenus, gesagt über dich die Prophetin.« Kaum hatte dies er gesagt, als per Zufall direkt vor Aeneas’ Augen im Flug zwei Tauben vom Himmel kamen und auf den grünen Boden sich setzten. In ihnen erkannte die Vögel seiner Mutter der große Heros und betete freudig: »Seid meine Führer, o, wenn’s einen Weg gibt, lenkt durch die Lüfte euren Flug zu dem Wald, wo der Schatten des kostbaren Zweigs den saftigen Boden berührt. Lass, göttliche Mutter, mich nicht im Ungewissen allein.« Er sprach’s, stand still, und er sah drauf, was für Zeichen sie gäben und welchen Weg sie nun nähmen: Futter suchend flogen nur so weit die Tauben voraus, wie die, die nachfolgten, sie mit scharfen Augen noch sahen. Als zum stinkenden Schlund des Avernus nun sie gelangt sind, da erheben sie sich geschwinde und gleiten durch klare Luft zum erstrebten Platz auf dem doppelgestaltigen Baum, wo andersfarbig schien durch die Zweige der Schimmer des Goldes. Wie in den Wäldern gewöhnlich im Frost des Winters die Mistel grünt mit frischem Laub als fremdes Gewächs auf dem Baume und mit goldgelber Frucht die glatten Stämme umwuchert, so war da die Gestalt des goldenen Laubs auf der dunklen Steineiche, und so klirrte im sanften Winde das Goldblech. Gleich greift zu Aeneas und bricht begierig den zähen Zweig und trägt ihn dann fort zum Haus der weisen Sibylle. Weiterhin weinten indes um Misenus am Strande die Teukrer, brachten den letzten Gruß der niemals dankenden Asche. Erst erbauen aus harzigem Kienholz und Balken der Eiche sie einen riesigen Scheiterhaufen, umkränzen mit dunklem Laub seine Seiten und stellen Zypressen, die Bäume der Toten, vor ihm auf und schmücken ihn oben mit blitzenden Waffen. Heißes Wasser in siedenden Kesseln holen die einen, und sie waschen und salben sodann den erkalteten Leichnam. Klage wird laut; dann bahren sie auf den betrauerten Leib und

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purpureasque super vestes, velamina nota, coniciunt. pars ingenti subiere feretro, triste ministerium, et subiectam more parentum aversi tenuere facem. congesta cremantur turea dona, dapes, fuso crateres olivo. postquam conlapsi cineres et flamma quievit, reliquias vino et bibulam lavere favillam, ossaque lecta cado texit Corynaeus aëno. idem ter socios pura circumtulit unda spargens rore levi et ramo felicis olivae, lustravitque viros dixitque novissima verba. at pius Aeneas ingenti mole sepulcrum imponit suaque arma viro remumque tubamque monte sub aërio, qui nunc Misenus ab illo dicitur aeternumque tenet per saecula nomen. His actis propere exsequitur praecepta Sibyllae. spelunca alta fuit vastoque immanis hiatu, scrupea, tuta lacu nigro nemorumque tenebris, quam super haud ullae poterant impune volantes tendere iter pinnis: talis sese halitus atris faucibus effundens supera ad convexa ferebat. quattuor hic primum nigrantis terga iuvencos constituit frontique invergit vina sacerdos et summas carpens media inter cornua saetas ignibus imponit sacris, libamina prima, voce vocans Hecaten caeloque Ereboque potentem. supponunt alii cultros tepidumque cruorem succipiunt pateris. ipse atri velleris agnam Aeneas matri Eumenidum magnaeque sorori ense ferit sterilemque tibi, Proserpina, vaccam; tum Stygio regi nocturnas incohat aras et solida imponit taurorum viscera flammis,

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legen Purpurtücher darauf, die gewohnte Umhüllung. Andere nahmen, ein trauriger Dienst, auf die Schulter die große Bahre und legten die Fackeln, abgewandt nach der Väter Sitte, von unten an. Da brennen die drüber gehäuften Weihrauchgaben, die Speisen und Öl, aus den Krügen geflossen. Als sich die Asche gesenkt hat und aus ist das Feuer, da gießen Wein sie über die Reste und waschen die durstige Asche, und Korynaeus birgt die Gebeine in eherner Urne. Er auch umschritt dreimal die Gefährten mit lauterem Wasser, leicht sie mit einem ins Wasser getauchten Ölzweig besprengend, und entsühnte die Männer, den letzten Gruß dann noch sagend. Doch der fromme Aeneas errichtet ein riesiges Grabmal; Waffen, Trompete und Ruder legt er auf dieses dem Manne unten am ragenden Berg, der jetzt nach jenem Misenus heißt und durch die Jahrhunderte ewig bewahrt diesen Namen. Dann befolgt er schnell der Sibylle Weisungen. Eine tiefe Höhle, unermesslich, mit riesigem Rachen war da, schroff und geschützt von schwärzlichem See und von finstren Wäldern; über ihr konnt kein Vogel ungestraft seine Bahn im Fluge dahinziehn: Dem schwarzen Rachen entquoll ein solcher Dampf, und er stieg empor zum Himmelsgewölbe. Vier Jungstiere mit schwarzem Rücken, die stellt nun hierher die Priesterin, gießt auf die Stirn ihnen Wein, rupft Spitzen der Haare aus der Mitte zwischen den Hörnern und wirft sie ins heilge Feuer als erste Spende, Hekate anrufend, die in Himmel und Erebus herrscht. Das Messer setzen von unten andre an, fangen in Schalen das warme Blut auf. Aeneas opfert persönlich der Mutter der Eumeniden und ihrer mächtigen Schwester ein Lamm mit schwarzem Fell mit dem Schwert und dir, Proserpina, dann eine Kuh, die noch niemals gekalbt hat; dann errichtet er nächtlich Altäre dem stygischen Herrscher, legt dann ungeteilt das Fleisch der Stiere aufs Feuer

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pingue super oleum fundens ardentibus extis. 255 ecce autem primi sub limina solis et ortus sub pedibus mugire solum et iuga coepta moveri silvarum, visaeque canes ululare per umbram adventante dea. ‘procul o, procul este, profani’ conclamat vates, ‘totoque absistite luco; 260 tuque invade viam vaginaque eripe ferrum: nunc animis opus, Aenea, nunc pectore firmo.’ tantum effata furens antro se immisit aperto; ille ducem haud timidis vadentem passibus aequat. Di, quibus imperium est animarum, umbraeque silentes 265 et Chaos et Phlegethon, loca nocte tacentia late, sit mihi fas audita loqui, sit numine vestro pandere res alta terra et caligine mersas. Ibant obscuri sola sub nocte per umbram perque domos Ditis vacuas et inania regna: 270 quale per incertam lunam sub luce maligna est iter in silvis, ubi caelum condidit umbra Iuppiter, et rebus nox abstulit atra colorem. vestibulum ante ipsum primisque in faucibus Orci Luctus et ultrices posuere cubilia Curae, 275 pallentesque habitant Morbi tristisque Senectus et Metus et malesuada Fames ac turpis Egestas, terribiles visu formae, Letumque Labosque; tum consanguineus Leti Sopor et mala mentis Gaudia mortiferumque adverso in limine Bellum 280 ferreique Eumenidum thalami et Discordia demens, vipereum crinem vittis innexa cruentis. in medio ramos annosaque bracchia pandit ulmus opaca ingens, quam sedem Somnia vulgo vana tenere ferunt, foliisque sub omnibus haerent. 285 multaque praeterea variarum monstra ferarum,

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und gießt dickes Öl auf die Eingeweide, die brennen. Sieh, an der Schwelle des Frühlichts, vor Sonnenaufgang, begann da unter den Füßen der Boden zu dröhnen, ins Schwanken gerieten waldige Höhen, und Hunde schienen im Dunkeln zu heulen, da die Göttin erschien. »Bleibt fern, ihr Uneingeweihten«, ruft die Prophetin laut, »aus dem ganzen Walde entfernt euch; du aber geh deines Weges und ziehe dein Schwert aus der Scheide: Jetzt, Aeneas, benötigst du Mut, jetzt Stärke des Herzens.« Rief ’s, und sie drang außer sich dann ein in die Öffnung der Höhle; er hält furchtlos Schritt mit der Führerin, während sie forteilt. Götter, die über die Seelen ihr herrscht, die schweigenden Schatten, Chaos und Phlegethon, weithin stille Gegend, wenn’s Nacht ist, sei mir’s gewährt, Gehörtes zu sagen, gemäß eurem Willen kundzutun das, was tief in das Dunkel der Erde getaucht ist. Nur in finstere Nacht gehüllt, durch den Schatten, durch Plutos öden Palast, durch sein Reich ohne Körper gingen die beiden: So zeigt sich bei getrübtem Mondschein in spärlichem Licht ein Weg im Wald dann, wenn den Himmel durch Schatten versteckt hat Juppiter, wenn die Nacht die Dinge der Farbe beraubt hat. Gleich an der Vorhalle selbst, ganz vorne am Rachen des Orkus, schlugen Gewissensqualen ihr Lager auf und die Trauer, wohnen die bleichen Krankheiten auch und das grämliche Alter, Furcht und Hunger, der übel berät, und abscheuliche Armut, furchtbar anzusehende Wesen, der Tod auch und Mühsal; ferner des Todes Bruder, der Schlaf, und des Herzens verworfne Lüste, der Krieg, der den Tod bringt, vorn auf der Schwelle; dort sind der Eumeniden eherne Räume und rasende Zwietracht, welche ihr Schlangenhaar mit blutigen Bändern umwindet. Mittendrin breitet die Zweige und ihre gealterten Äste aus eine schattige Ulme, gewaltig; da wohnen – gemeinhin heißt es so – nichtige Träume; sie hängen unter den Blättern. Viele Schreckensgestalten verschiedener wilder Geschöpfe

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Centauri in foribus stabulant Scyllaeque biformes et centumgeminus Briareus ac belua Lernae horrendum stridens, flammisque armata Chimaera, Gorgones Harpyiaeque et forma tricorporis umbrae. corripit hic subita trepidus formidine ferrum Aeneas strictamque aciem venientibus offert, et ni docta comes tenuis sine corpore vitas admoneat volitare cava sub imagine formae, inruat et frustra ferro diverberet umbras. Hinc via Tartarei quae fert Acherontis ad undas. turbidus hic caeno vastaque voragine gurges aestuat atque omnem Cocyto eructat harenam. portitor has horrendus aquas et flumina servat terribili squalore Charon, cui plurima mento canities inculta iacet, stant lumina flamma, sordidus ex umeris nodo dependet amictus. ipse ratem conto subigit velisque ministrat et ferruginea subvectat corpora cumba, iam senior, sed cruda deo viridisque senectus. huc omnis turba ad ripas effusa ruebat: matres atque viri defunctaque corpora vita magnanimum heroum, pueri innuptaeque puellae impositique rogis iuvenes ante ora parentum: quam multa in silvis autumni frigore primo lapsa cadunt folia, aut ad terram gurgite ab alto quam multae glomerantur aves, ubi frigidus annus trans pontum fugat et terris immittit apricis. stabant orantes primi transmittere cursum tendebantque manus ripae ulterioris amore; navita sed tristis nunc hos nunc accipit illos, ast alios longe summotos arcet harena. Aeneas miratus enim motusque tumultu

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hausen am Tor: in Doppelgestalt Kentauren und Skyllen, Briareus, hundertarmig, das Ungeheuer von Lerna, grässlich zischend, dazu, mit Flammen gewappnet, Chimaera, auch Gorgonen, Harpyien und, dreileibig, ein Schreckbild. Hier greift hastig Aeneas zum Schwert in plötzlicher Angst und richtet den blanken Stahl auf Entgegenkommende; tät ihn nicht dran erinnern die kluge Begleiterin, dass unterm Trugbild einer Gestalt nur luftige Wesen dort körperlos schweben, griff er wohl an und zerteilte umsonst mit dem Schwerte die Schatten. Hier nun beginnt der Weg zu des höllischen Acheron Wogen. Trübe von Schlamm und riesig klaffend brodelt sein Strudel hier, und den ganzen Grundsand speit er in den Kokytus. Charon als Fährmann bewacht, abstoßend in schrecklichem Schmutze, diese Gewässer und Flüsse; ums Kinn, verwildert und reichlich, liegt das ergraute Haar, starr glühen die Augen, und dreckig hängt, zusammengeknotet, herab von der Schulter sein Umhang. Er selbst treibt den Kahn mit der Stange, er setzt auch die Segel, und er befördert die Leichen im rostfarbnen Nachen hinüber, ist schon betagt, doch es blüht noch frisch das Alter des Gottes. Hierhin stürmte die ganze Schar, die ans Ufer geströmt war: Frauen und Männer und Leichname mutiger Helden, die nun ihr Leben vollendet hatten, und Knaben und ledige Mädchen, Jünglinge auch, auf den Holzstoß gelegt den Eltern vor Augen: zahlreich, wie in den Wäldern beim ersten Froste des Herbstes Blätter herabfallen, zahlreich wie Vögel, welche vom hohen Meer in Schwärmen zum Land hin fliegen, wenn sie der Winter über die See hin jagt und treibt in sonnige Länder. Da nun standen sie, bittend, als erste überzusetzen, streckten die Hände aus, sehnten sich nach dem anderen Ufer; aber bald diese, bald jene nimmt auf der mürrische Fährmann, weit drängt andre er ab, hält fern sie vom sandigen Ufer. Staunend fragte Aeneas da, vom Getümmel beeindruckt:

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‘dic’ ait, ‘o virgo, quid vult concursus ad amnem? quidve petunt animae? vel quo discrimine ripas hae linquunt, illae remis vada livida verrunt?’ olli sic breviter fata est longaeva sacerdos: ‘Anchisa generate, deum certissima proles, Cocyti stagna alta vides Stygiamque paludem, di cuius iurare timent et fallere numen. haec omnis, quam cernis, inops inhumataque turba est; portitor ille Charon; hi, quos vehit unda, sepulti. nec ripas datur horrendas et rauca fluenta transportare prius quam sedibus ossa quierunt. centum errant annos volitantque haec litora circum; tum demum admissi stagna exoptata revisunt.’ constitit Anchisa satus et vestigia pressit multa putans sortemque animo miseratus iniquam. cernit ibi maestos et mortis honore carentis Leucaspim et Lyciae ductorem classis Oronten, quos simul a Troia ventosa per aequora vectos obruit Auster, aqua involvens navemque virosque. Ecce gubernator sese Palinurus agebat, qui Libyco nuper cursu, dum sidera servat, exciderat puppi mediis effusus in undis. hunc ubi vix multa maestum cognovit in umbra, sic prior adloquitur: ‘quis te, Palinure, deorum eripuit nobis medioque sub aequore mersit? dic age; namque mihi, fallax haud ante repertus, hoc uno responso animum delusit Apollo, qui fore te ponto incolumem finisque canebat venturum Ausonios. en haec promissa fides est?’ ille autem: ‘neque te Phoebi cortina fefellit, dux Anchisiade, nec me deus aequore mersit. namque gubernaclum multa vi forte revulsum,

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»Sage mir, Jungfrau, was bedeutet der Auflauf am Fluss, was wollen die Seelen, was gibt den Ausschlag, dass hier vom Gestade diese weggehn, doch jene das bleigraue Wasser durchrudern?« Ihm gab kurz die betagte Priesterin folgende Antwort: »Sohn des Anchises, du echter Spross der Götter, die tiefe Flut des Kokytus siehst du, dazu den stygischen Sumpf, bei dessen Gottheit falsch zu schwören die Götter sich scheuen. Unbestattet sind die, die du siehst, eine elende Menge; jener Fährmann ist Charon; bestattet sind die, die der Fluss trägt. Nicht ist’s gestattet, jene zum schaurigen Ufer zu bringen über den tosenden Fluss, bevor die Gebeine im Grab ruhn. Hundert Jahre irren sie schwebend umher am Gestade; dann erst dürfen erneut sie sehn das ersehnte Gewässer.« Da blieb stehen der Sohn des Anchises und hemmte die Schritte, dachte sich viel und beklagte die Härte des Schicksals im Herzen. Traurig erblickt er und ohne die Totenehre Leukaspis dort und mit ihm Orontes, den Führer der lykischen Mannschaft, die, als mit ihm sie von Troja aus fuhren durch stürmische Fluten, Auster versenkte, im Wasser begrabend das Schiff und die Männer. Sieh, da kam Palinurus daher, der Steuermann, der erst jüngst auf der Fahrt von Libyen beim Observieren der Sterne oben vom Heck gestürzt war und mitten ins Wasser gefallen. Diesen Traurigen konnte er kaum im Dunkeln erkennen, als er auch schon zu ihm sprach: »Palinurus, wer von den Göttern raubte dich uns und ließ dich mitten im Meere versinken? Sag’s doch; denn mich hat Apollo getäuscht, der zuvor sich mir niemals trügerisch zeigte, mit dieser einzigen Antwort, indem er weissagte, unversehrt auf dem Meer würdst du in Ausoniens Länder kommen. Hat so er nun sein Versprechen gehalten?« Jener erwidert: »Es täuschte dich nicht das Orakel des Phoebus, Herrscher, Anchises-Sohn, noch versenkte ein Gott mich im Meere. Denn das Steuer, an das ich, verantwortlich, Kurs haltend mich da

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cui datus haerebam custos cursusque regebam, praecipitans traxi mecum. maria aspera iuro non ullum pro me tantum cepisse timorem, quam tua ne spoliata armis, excussa magistro, deficeret tantis navis surgentibus undis. tris Notus hibernas immensa per aequora noctes vexit me violentus aqua; vix lumine quarto prospexi Italiam summa sublimis ab unda. paulatim adnabam terrae; iam tuta tenebam, ni gens crudelis madida cum veste gravatum prensantemque uncis manibus capita aspera montis ferro invasisset praedamque ignara putasset. nunc me fluctus habet versantque in litore venti. quod te per caeli iucundum lumen et auras, per genitorem oro, per spes surgentis Iuli, eripe me his, invicte, malis: aut tu mihi terram inice, namque potes, portusque require Velinos; aut tu, si qua via est, si quam tibi diva creatrix ostendit (neque enim, credo, sine numine divum flumina tanta paras Stygiamque innare paludem), da dextram misero et tecum me tolle per undas, sedibus ut saltem placidis in morte quiescam.’ talia fatus erat, coepit cum talia vates: ‘unde haec, o Palinure, tibi tam dira cupido? tu Stygias inhumatus aquas amnemque severum Eumenidum aspicies ripamve iniussus adibis? desine fata deum flecti sperare precando. sed cape dicta memor, duri solacia casus: nam tua finitimi, longe lateque per urbis prodigiis acti caelestibus, ossa piabunt et statuent tumulum et tumulo sollemnia mittent, aeternumque locus Palinuri nomen habebit.’

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klammerte, wurde zufällig losgerissen mit großer Wucht, und ich zog es mit mir im Sturz. Ich schwöre beim rauen Meer, es ergriff nicht um mich so sehr die Furcht mich, nein, darum, dass dein Schiff, des Gerätes beraubt und ohne den Lenker, unter dem Druck so großer Wogen nicht standhalten könnte. Notus trieb drei stürmische Nächte lang mich durchs weite Meer, in den Wogen wütend; mit Mühe konnt ich am vierten Tage Italien sichten von einem Wellenkamm oben. Langsam schwamm ich heran ans Land; hielt schon mich für sicher, wär nicht ein grausames Volk, als ich, schwer von den triefenden Kleidern, mich an den rauen Felsklippen festkrallen wollte, mit Schwertern auf mich losgestürmt, bei mir töricht Beute vermutend. Jetzt hat das Meer mich, ich bin am Gestade ein Spielball der Winde. Drum, bei dem lieblichen Licht und den Lüften des Himmels, bei deinem Vater bitt ich, der Hoffnung auf ihn, der heranreift, Ïulus, Unbesiegter, entreiß mich der Not: Wirf entweder Erde auf mich – du kannst’s –, und dazu fahr wieder zu Velias Hafen, oder, gibt’s einen Weg, zeigt einen die göttliche Mutter – nicht ohne göttlichen Beistand machst du dich, glaube ich, an die Fahrt auf so riesigen Flüssen und über das stygische Sumpfland –, gib mir Armem die Rechte und trag mich mit dir durch die Wogen, dass ich zumindest an friedlicher Stätte ruhe im Tode.« Dieses sprach er, und so ergriff da das Wort die Prophetin: »Woher kommt, Palinurus, dein so unreines Verlangen? Du willst unbestattet die Wasser des Styx und den strengen Eumenidenfluss sehn, ans Ufer ohne Befehl gehn? Hoffe nicht länger, die Fata der Götter durch Bitten zu ändern. Nein, vernimm meine Worte, behalt sie als Trost für dein Leiden: Denn die Anwohner weit und breit in den Städten, geplagt von himmlischen Zeichen, werden dir deine Gebeine entsühnen, dir ein Grabmal errichten und Totenopfer dort bringen, und Palinurus’ Namen wird ewig tragen die Stätte.«

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his dictis curae emotae pulsusque parumper corde dolor tristi; gaudet cognomine terra. Ergo iter inceptum peragunt fluvioque propinquant. navita quos iam inde ut Stygia prospexit ab unda per tacitum nemus ire pedemque advertere ripae, sic prior adgreditur dictis atque increpat ultro: ‘quisquis es, armatus qui nostra ad flumina tendis, fare age, quid venias, iam istinc et comprime gressum. umbrarum hic locus est, Somni Noctisque soporae: corpora viva nefas Stygia vectare carina. nec vero Alciden me sum laetatus euntem accepisse lacu, nec Thesea Pirithoumque, dis quamquam geniti atque invicti viribus essent. Tartareum ille manu custodem in vincla petivit ipsius a solio regis traxitque trementem; hi dominam Ditis thalamo deducere adorti.’ quae contra breviter fata est Amphrysia vates: ‘nullae hic insidiae tales (absiste moveri), nec vim tela ferunt; licet ingens ianitor antro aeternum latrans exsanguis terreat umbras, casta licet patrui servet Proserpina limen. Troius Aeneas, pietate insignis et armis, ad genitorem imas Erebi descendit ad umbras. si te nulla movet tantae pietatis imago, at ramum hunc’ (aperit ramum qui veste latebat) ‘agnoscas.’ tumida ex ira tum corda residunt; nec plura his. ille admirans venerabile donum fatalis virgae, longo post tempore visum, caeruleam advertit puppim ripaeque propinquat. inde alias animas, quae per iuga longa sedebant, deturbat laxatque foros; simul accipit alveo ingentem Aenean. gemuit sub pondere cumba

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Was sie gesagt hat, zerstreut seine Sorgen, vertreibt erst einmal den Schmerz aus dem traurigen Herzen; ihn freut’s, dass die Landschaft wie er heißt. Weiter den Weg, den sie anfingen, gehn sie und nahen dem Flusse. Als der Fährmann sie da von der Woge des Styx aus erblickte, wie durch den schweigenden Hain ihre Schritte zum Ufer sie lenkten, fuhr er mit Worten sogleich sie an und schimpfte dazu noch: »Wer du auch bist, der bewaffnet auf unsere Ströme du zustrebst, sage, weshalb du erscheinst, schon von dort aus und bleibe da stehen. Hier ist der Ort der Schatten, des Schlafs und der Nacht, die den Schlaf bringt: Lebende Körper zu fahren im stygischen Nachen, ist Frevel. Freude hatte ich nicht, als ich einst den Besuch des Alkiden, als ich den Theseus empfing und Pirithous hier auf dem Wasser, auch wenn sie Söhne von Göttern waren, durch Kraft nicht besiegbar. Um ihn zu fesseln, holte gewaltsam den Wächter des Orkus jener vom Throne des Herrschers und zerrte den Zitternden mit sich; diese wollten aus Plutos Gemach unsre Herrin entführen.« Kurz gab drauf die amphrysische Seherin dieses zur Antwort: »Solche Anschläge drohen hier nicht – erreg dich nicht –, diese Waffen sind nicht auf Gewalt aus; der riesige Pförtner mag ewig bellend in seiner Höhle die blutleeren Schatten erschrecken, züchtig mag das Haus ihres Onkels Proserpina hüten. Hier der Troer Aeneas, geprägt durch Ehrfurcht und Mut im Waffenkampf, steigt zum Vater hinab in des Erebus Dunkel. Rührt dich nicht das Bild so starker Liebe des Sohnes, hier diesen Zweig« – sie enthüllt den Zweig, der im Kleide versteckt war – »solltest du kennen.« Da legt sich das Schwellen des Zornes im Herzen; sie aber schweigt. Er bestaunt des schicksalsträchtigen Zweiges Ehrfurcht gebietende Gabe, die lange er nicht mehr gesehn hat, wendet das dunkelblaue Heck und fährt an das Ufer. Alle andren auf langen Bänken sitzenden Seelen jagt er davon und räumt den Schiffsgang; dann nimmt er im Kahne auf den großen Aeneas. Da ächzt der aus Binsen geflochtne

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sutilis et multam accepit rimosa paludem. tandem trans fluvium incolumis vatemque virumque informi limo glaucaque exponit in ulva. Cerberus haec ingens latratu regna trifauci personat adverso recubans immanis in antro. cui vates, horrere videns iam colla colubris, melle soporatam et medicatis frugibus offam obicit. ille fame rabida tria guttura pandens corripit obiectam atque immania terga resolvit fusus humi totoque ingens extenditur antro. occupat Aeneas aditum custode sepulto evaditque celer ripam inremeabilis undae. Continuo auditae voces vagitus et ingens infantumque animae flentes, in limine primo quos dulcis vitae exsortis et ab ubere raptos abstulit atra dies et funere mersit acerbo; hos iuxta falso damnati crimine mortis. nec vero hae sine sorte datae, sine iudice, sedes: quaesitor Minos urnam movet; ille silentum conciliumque vocat vitasque et crimina discit. proxima deinde tenent maesti loca, qui sibi letum insontes peperere manu lucemque perosi proiecere animas. quam vellent aethere in alto nunc et pauperiem et duros perferre labores! fas obstat, tristique palus inamabilis unda alligat et noviens Styx interfusa coercet. Nec procul hinc partem fusi monstrantur in omnem Lugentes campi: sic illos nomine dicunt. hic quos durus amor crudeli tabe peredit secreti celant calles et myrtea circum silva tegit; curae non ipsa in morte relinquunt. his Phaedram Procrinque locis maestamque Eriphylen

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Nachen unter der Last; viel Wasser dringt durch ein Leck ein. Endlich setzt er dann jenseits des Flusses Mann und Prophetin unversehrt ab in hässlichem Schlamm und in graugrünem Schilfe. Aus drei Rachen bellt der riesige Kerberus hier im Reich, lang hingestreckt in der Höhle vorne, ein Monster. Als die Prophetin die Schlangen sich aufrichten sieht auf dem Nacken, wirft einen Kloß sie ihm hin, der, versetzt mit Honig und Kräutern, einschläfert. Der, in Heißhunger seine drei Mäuler geöffnet, frisst den Kloß und entspannt den gewaltigen Rücken, am Boden liegend und über die ganze Höhle sich riesig erstreckend. Kaum ist der Wächter betäubt, verschafft Aeneas sich Zugang und weicht schnell vom Ufer des Stroms, der die Rückkehr verbietet. Gleich drauf waren Stimmen zu hören und lautes Gewimmer, weinende Kinderseelen, die, ausgeschlossen schon früh vom süßen Leben und fort von der Brust gerissen, ein schwarzer Tag hinwegraffte und im bitteren Grabe versenkte; nebendran sind die fälschlich zum Tode Verurteilten. Ihnen wurde ihr Ort nicht ohne das Los und den Richter gegeben: Minos der Richter schüttelt die Urne, beruft die Jury der Schweigenden ein und erkundet den Lebenslauf und die Vergehen. Eng benachbart sind dann die in Trauer, die, schuldlos, mit eigner Hand sich töteten, die voll Hass auf das irdische Licht ihr Leben von sich warfen. Wie gern ertrügen sie unterm hohen Himmelsgewölbe jetzt Armut und drückende Mühsal! Götterspruch steht dem entgegen; es hält sie der widrige Sumpf mit düsteren Wogen, es bannt sie der Styx mit neunfacher Windung. Unweit von hier, in sämtliche Richtungen zeigen dem Blick die Trauergefilde sich: So nennt man sie unten. All jene, die unglückliche Liebe in grausamer Krankheit verzehrte, bergen hier einsame Pfade, ein Wald von Myrten verdeckt sie ringsum; der Liebeskummer verlässt sie nicht einmal im Tode. Phaedra und Prokris erblickt er hier, Eriphyle auch, welche

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crudelis nati monstrantem vulnera cernit, Euadnenque et Pasiphaen; his Laodamia it comes et iuvenis quondam, nunc femina Caeneus rursus et in veterem fato revoluta figuram. inter quas Phoenissa recens a vulnere Dido errabat silva in magna; quam Troius heros ut primum iuxta stetit agnovitque per umbras obscuram, qualem primo qui surgere mense aut videt aut vidisse putat per nubila lunam, demisit lacrimas dulcique adfatus amore est: ‘infelix Dido, verus mihi nuntius ergo venerat exstinctam ferroque extrema secutam? funeris heu tibi causa fui? per sidera iuro, per superos et si qua fides tellure sub ima est, invitus, regina, tuo de litore cessi. sed me iussa deum, quae nunc has ire per umbras, per loca senta situ cogunt noctemque profundam, imperiis egere suis; nec credere quivi hunc tantum tibi me discessu ferre dolorem. siste gradum teque aspectu ne subtrahe nostro. quem fugis? extremum fato quod te adloquor hoc est.’ talibus Aeneas ardentem et torva tuentem lenibat dictis animum lacrimasque ciebat. illa solo fixos oculos aversa tenebat nec magis incepto vultum sermone movetur quam si dura silex aut stet Marpesia cautes. tandem corripuit sese atque inimica refugit in nemus umbriferum, coniunx ubi pristinus illi respondet curis aequatque Sychaeus amorem. nec minus Aeneas casu concussus iniquo prosequitur lacrimis longe et miseratur euntem. Inde datum molitur iter. iamque arva tenebant

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trauernd die Wunden zeigt von der Hand ihres grausamen Sohnes, auch Euadne, Pasiphaë; Laodamia begleitet diese, auch Kaeneus, ein junger Mann einst, jetzt aber eine Frau wieder, in seine alte Gestalt vom Fatum verwandelt. Unter ihnen durchstreifte mit frischer Wunde den großen Wald die Phönikerin Dido; sobald der trojanische Heros neben ihr stand und sie nur undeutlich unter den Schatten wiedererkannte, wie durch die Wolken hindurch man bei Neumond Luna aufgehen sieht oder glaubt, sie gesehen zu haben, da vergoss er Tränen und sagte voll zärtlicher Liebe: »Unglückselige Dido, so ist sie denn wahr, jene Kunde, tot seist du, und du habest durchs Schwert dein Leben beendet? Ach, war ich denn der Grund für dein Ende? Ich schwör bei den Sternen, bei den Göttern und wenn etwas gilt ein Treuwort hier unten, wider Willen, o Königin, schied ich von deinem Gestade. Nein, die Befehle der Götter, die jetzt mich zwingen, durch diese Schatten zu gehen, durch tiefe Nacht und durch Modergebiete, trieben mich mit Gewalt; auch konnt ich nicht glauben, ich würde durch mein Scheiden dir je so heftige Schmerzen bereiten. Bleib doch stehn und entziehe dich nicht meinen Blicken. Vor wem nur fliehst du? Zum letzten Mal gönnt, dass ich dich ansprech, das Fatum.« Solches sagend versuchte Aeneas, die Zornige, finster Blickende zu besänftigen, Tränen reichlich vergießend. Sie hielt abgewandt auf den Boden geheftet die Augen, ändert nach dieser Vorrede ebenso wenig die Miene, wie wenn Granit da stünde oder marpesischer Marmor, raffte sich schließlich auf und floh feindselig zurück zum schattigen Hain, wo Sychaeus, der früher einmal ihr Gemahl war, ihren Schmerz mit ihr teilt und dazu ihre Liebe erwidert. Aber Aeneas, von ihrem harten Schicksal erschüttert, blickt der Entschwindenden lang unter Tränen nach und hat Mitleid. Weiter geht er dann den gewiesenen Weg. Auf der letzten

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ultima, quae bello clari secreta frequentant. hic illi occurrit Tydeus, hic inclutus armis Parthenopaeus et Adrasti pallentis imago, hic multum fleti ad superos belloque caduci Dardanidae, quos ille omnis longo ordine cernens ingemuit, Glaucumque Medontaque Thersilochumque, tris Antenoridas Cererique sacrum Polyboeten Idaeumque etiam currus, etiam arma tenentem. circumstant animae dextra laevaque frequentes, nec vidisse semel satis est; iuvat usque morari et conferre gradum et veniendi discere causas. at Danaum proceres Agamemnoniaeque phalanges, ut videre virum fulgentiaque arma per umbras, ingenti trepidare metu: pars vertere terga, ceu quondam petiere rates, pars tollere vocem exiguam, inceptus clamor frustratur hiantis. Atque hic Priamiden laniatum corpore toto Deiphobum vidit, lacerum crudeliter ora, ora manusque ambas, populataque tempora raptis auribus et truncas inhonesto vulnere naris. vix adeo agnovit pavitantem ac dira tegentem supplicia, et notis compellat vocibus ultro: ‘Deiphobe armipotens, genus alto a sanguine Teucri, quis tam crudelis optavit sumere poenas? cui tantum de te licuit? mihi fama suprema nocte tulit fessum vasta te caede Pelasgum procubuisse super confusae stragis acervum. tunc egomet tumulum Rhoeteo in litore inanem constitui et magna manis ter voce vocavi. nomen et arma locum servant; te, amice, nequivi conspicere et patria decedens ponere terra.’ ad quae Priamides: ‘nihil o tibi, amice, relictum:

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Flur schon sind sie, die abseits die Helden der Kriege bevölkern. Hier begegnet ihm Tydeus und hier der durch Kämpfe berühmte Parthenopaeus, hier des Adrastus bleiche Erscheinung, hier die viel dort oben beweinten, im Kriege gefallnen Dardaniden; er sah sie in langer Reihe und seufzte heftig, Glaukus und Medon, Thersilochus, auch des Antenor Söhne, sie alle drei, Polyboetes, den Priester der Ceres, auch Idaeus, der Wagen und Waffen immer noch festhielt. Ihn umringen zur Rechten und Linken zahlreich die Seelen; einmal ihn sehen genügt nicht, sie möchten gern ständig verweilen, neben ihm gehn und die Gründe für sein Erscheinen erfahren. Doch als die Danaërfürsten, mit ihnen die Reihn Agamemnons ihn und die zwischen den Schatten funkelnden Waffen erblicken, zittern sie in gewaltiger Angst: Teils flüchteten sie, wie einst zu den Schiffen sie rannten, ein Teil erhob seine dünne Stimme, der Schrei, kaum begonnen, enttäuschte bei Öffnung des Mundes. Priamus’ Sohn Deïphobus sah er hier auch, am ganzen Körper zerfleischt, verstümmelt das Antlitz, das Antlitz und beide Hände, die Schläfen entstellt und abgeschnitten die beiden Ohren, ein Stumpf nur die Nase durch eine entehrende Wunde. Kaum erkannte er da den sich Fürchtenden, welcher die üblen Wunden bedeckte, begrüßt ihn mit Worten, die ihm vertraut sind: »Tapfrer Deïphobus, Spross vom edlen Stamme des Teuker, wen gelüstete es, so grausam an dir sich zu rächen? Wer hatte so viel Macht über dich? Ich vernahm in der letzten Nacht das Gerücht, erschöpft vom wüsten Mord der Pelasger seist du auf einem Haufen von Leichen niedergesunken. Da errichtete ich am rhötëischen Strande ein leeres Grabmal für dich, rief dreimal lauthals an deine Manen. Name und Waffen schützen den Ort; dich, Freund, aber konnt ich nicht mehr sehen, dich nicht beim Verlassen der Heimat bestatten.« Drauf sprach Priamus’ Sohn: »Du, Freund, hast nichts unterlassen,

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omnia Deiphobo solvisti et funeris umbris. sed me fata mea et scelus exitiale Lacaenae his mersere malis; illa haec monumenta reliquit. namque ut supremam falsa inter gaudia noctem egerimus, nosti: et nimium meminisse necesse est. cum fatalis equus saltu super ardua venit Pergama et armatum peditem gravis attulit alvo, illa chorum simulans euhantis orgia circum ducebat Phrygias; flammam media ipsa tenebat ingentem et summa Danaos ex arce vocabat. tum me confectum curis somnoque gravatum infelix habuit thalamus, pressitque iacentem dulcis et alta quies placidaeque simillima morti. egregia interea coniunx arma omnia tectis emovet, et fidum capiti subduxerat ensem; intra tecta vocat Menelaum et limina pandit, scilicet id magnum sperans fore munus amanti et famam exstingui veterum sic posse malorum. quid moror? inrumpunt thalamo, comes additus una hortator scelerum Aeolides. di, talia Grais instaurate, pio si poenas ore reposco. sed te qui vivum casus, age fare vicissim, attulerint: pelagine venis erroribus actus an monitu divum? aut quae te fortuna fatigat, ut tristis sine sole domos, loca turbida, adires?’ Hac vice sermonum roseis Aurora quadrigis iam medium aetherio cursu traiecerat axem; et fors omne datum traherent per talia tempus, sed comes admonuit breviterque adfata Sibylla est: ‘nox ruit, Aenea; nos flendo ducimus horas. hic locus est, partis ubi se via findit in ambas: dextera quae Ditis magni sub moenia tendit,

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hast dem Deïphobus alles erfüllt, auch dem Schatten des Toten. Mich aber hat mein Geschick, der Spartanerin heillose Untat in dies Unglück gestürzt; dies Andenken, sie hinterließ es. Wie die letzte Nacht in Freude, die trog, wir verbrachten, weißt du: Wir müssen daran uns allzu häufig erinnern. Als das Unheilspferd im Sprung auf Pergamums Stadtburg kam und im schwangeren Bauch hintrug bewaffnete Krieger, täuschte sie Reigentanz vor und führte umher die bacchantisch jubelnden Phrygerfrauen; sie selbst hielt mittendrin eine riesige Fackel, mit der von der Burg sie die Danaër herrief. Ich, von Sorgen erschöpft und beschwert vom Schlafe, befand mich in dem verfluchten Gemach; mich drückte nieder aufs Lager süßer und tiefer Schlaf, dem sanften Tode ganz ähnlich. Aber die herrliche Gattin entfernt aus dem Hause inzwischen all meine Waffen – sie zog mir mein treues Schwert unterm Kopf weg –, ruft ins Haus Menelaus und öffnet die Türen, natürlich hoffend, ein großes Geschenk sei’s für den Verliebten, verstummen könne dadurch das Gerede über die alten Vergehen. Kurz, sie brechen herein ins Gemach, mit ihnen auch er, der Anstifter aller Verbrechen, Ulixes. Götter, den Griechen zahlt so etwas heim, wenn um Strafe ich bitte in Ehrfurcht. Du aber sage jetzt, welche Fügung lebend hierher dich brachte: Kommst du, gejagt übers Meer auf Irrfahrten oder auf der Götter Befehl? Oder welche Fortuna bedrängt dich, düstere, lichtlose Häuser, ein wüstes Land, zu besuchen?« Während des Wortwechsels hatte auf rosenfarbner Quadriga schon auf der himmlischen Bahn Aurora die Mitte durchmessen; und vielleicht hätten da ihre Frist sie verbraucht für dergleichen, doch die Geleiterin mahnte; ihn sprach kurz an die Sibylle: »Nacht bricht an; wir verbringen die Stunden mit Weinen, Aeneas. Hier ist der Ort, wo der Weg sich in zwei Richtungen gabelt: Rechts der führt zum Palast des mächtigen Dis, und auf diesem

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hac iter Elysium nobis; at laeva malorum exercet poenas et ad impia Tartara mittit.’ Deiphobus contra: ‘ne saevi, magna sacerdos; discedam, explebo numerum reddarque tenebris. i decus, i, nostrum: melioribus utere fatis.’ tantum effatus, et in verbo vestigia torsit. Respicit Aeneas subito et sub rupe sinistra moenia lata videt triplici circumdata muro, quae rapidus flammis ambit torrentibus amnis, Tartareus Phlegethon, torquetque sonantia saxa. porta adversa ingens solidoque adamante columnae, vis ut nulla virum, non ipsi exscindere bello caelicolae valeant; stat ferrea turris ad auras, Tisiphoneque sedens palla succincta cruenta vestibulum exsomnis servat noctesque diesque. hinc exaudiri gemitus et saeva sonare verbera, tum stridor ferri tractaeque catenae. constitit Aeneas strepitumque exterritus hausit. ‘quae scelerum facies? o virgo, effare; quibusve urgentur poenis? quis tantus plangor ad auras?’ tum vates sic orsa loqui: ‘dux inclute Teucrum, nulli fas casto sceleratum insistere limen; sed me cum lucis Hecate praefecit Avernis, ipsa deum poenas docuit perque omnia duxit. Cnosius haec Rhadamanthus habet durissima regna castigatque auditque dolos subigitque fateri quae quis apud superos furto laetatus inani distulit in seram commissa piacula mortem. continuo sontis ultrix accincta flagello Tisiphone quatit insultans torvosque sinistra intentans anguis vocat agmina saeva sororum. tum demum horrisono stridentes cardine sacrae

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Wege gelangen wir zum Elysium; aber der linke straft die Bösen und schickt zum verruchten Tartarus alle.« Drauf Deïphobus: »Große Priesterin, groll nicht; ich geh ja wieder, um aufzufüllen die Zahl der Toten, ins Dunkel. Geh, unser ganzer Stolz, und erfreu dich der besseren Fata.« Nur so viel sprach er und wandte sich mitten im Wort ab. Plötzlich erblickt Aeneas, zurücksehend, links unterm Felsen eine gewaltige Burg, umgeben von dreifacher Mauer, welche ein reißender Strom umfließt mit verzehrenden Flammen, Phlegethons Tartarusflut, und donnernde Felsbrocken wälzt er. Vorn ist ein riesiges Tor; so harte Stahlsäulen hat es, dass nicht menschliche Kraft, selbst Himmlische nicht sie im Krieg zu stürzen vermöchten; es ragt ein eiserner Turm in die Luft; dort sitzt Tisiphone, welche, gehüllt in die blutige Palla, Tag und Nacht den Vorhof bewacht, ohne jemals zu schlafen. Deutlich hört man ein Stöhnen, und wütende Schläge ertönen, dann das Klirren von Eisen, dazu das Schleppen von Ketten. Stehen blieb da Aeneas und lauschte entsetzt dem Getöse. »Was für Verbrechen sind das? O Jungfrau, sag es; mit welchen Strafen bedrängt man sie? Welch ein Geschrei hallt laut in die Lüfte?« Da sprach so die Prophetin: »Berühmter Führer der Teukrer, kein Unschuldiger darf des Verbrechens Schwelle betreten; aber als Hekate mir den avernischen Hain unterstellte, lehrte sie selbst mich die Strafen der Götter und zeigte mir alles. Härtestes Regiment führt hier Rhadamanthys aus Knossos; streng verhörend erfährt er die Arglist und zwingt zu gestehen, was einer droben Übles beging und, froh, weil – umsonst! – er’s tarnte, zu sühnen verschob auf die späte Stunde des Todes. Über die Schuldigen fällt gleich drauf, mit der Peitsche bewaffnet, rächend Tisiphone her und schlägt sie, bedroht sie mit links durch grässliche Nattern und ruft die grimmige Schar ihrer Schwestern. Endlich tut sich da, ächzend mit schaurigem Ton in den Angeln,

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panduntur portae. cernis custodia qualis vestibulo sedeat, facies quae limina servet? quinquaginta atris immanis hiatibus Hydra saevior intus habet sedem. tum Tartarus ipse bis patet in praeceps tantum tenditque sub umbras quantus ad aetherium caeli suspectus Olympum. hic genus antiquum Terrae, Titania pubes, fulmine deiecti fundo volvuntur in imo; hic et Aloidas geminos immania vidi corpora, qui manibus magnum rescindere caelum adgressi superisque Iovem detrudere regnis. vidi et crudelis dantem Salmonea poenas, dum flammas Iovis et sonitus imitatur Olympi: quattuor hic invectus equis et lampada quassans per Graium populos mediaeque per Elidis urbem ibat ovans divumque sibi poscebat honorem, demens, qui nimbos et non imitabile fulmen aere et cornipedum pulsu simularet equorum; at pater omnipotens densa inter nubila telum contorsit, non ille faces nec fumea taedis lumina, praecipitemque immani turbine adegit. nec non et Tityon, Terrae omniparentis alumnum, cernere erat, per tota novem cui iugera corpus porrigitur, rostroque immanis vultur obunco immortale iecur tondens fecundaque poenis viscera rimaturque epulis habitatque sub alto pectore, nec fibris requies datur ulla renatis. quid memorem Lapithas, Ixiona Pirithoumque? quos super atra silex iam iam lapsura cadentique imminet adsimilis? lucent genialibus altis aurea fulcra toris, epulaeque ante ora paratae regifico luxu; Furiarum maxima iuxta

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auf das verfluchte Portal. Siehst du, wer als Wächterin dort im Vorhof hockt, was für eine Gestalt dort die Schwelle behütet? Grausamer noch haust drinnen die riesige Hydra mit fünfzig schwärzlichen Schlünden. Dann öffnet der Tartarus selber sich zweimal jäh in die Tiefe hinab und reicht so weit in das Dunkel, wie hinauf in den Himmel der Blick zum hohen Olymp geht. Niedergeschmettert vom Blitz wälzt hier sich unten im Abgrund eine uralte Brut der Erde, das Volk der Titanen; hier auch sah ich Aloeus’ Zwillinge, riesige Leiber, die es versuchten, den großen Himmel mit eigenen Händen einzureißen und Juppiter selber vom Throne zu stoßen, sah Salmoneus grausame Strafe erleiden, verdient, als Flammen und Donner des himmlischen Juppiter er imitierte: Der fuhr auf der Quadriga und Fackeln schwingend daher durch Griechenlands Völker und durch die Stadt in der Mitte von Elis wie im Triumph und verlangte für sich die Ehren der Götter, wahnsinnig, da er den Sturm und den unnachahmlichen Blitzstrahl vorzutäuschen versuchte durch Erz und den Hufschlag der Pferde; doch der allmächtige Vater, in dichten Wolken verborgen, schleuderte sein Geschoss – nicht Fackeln, nicht Leuchten, aus Kienholz qualmend – und warf in den Abgrund ihn jäh in gewaltigem Wirbel. Ja, und auch Tityos, Zögling der alles gebärenden Erde, war zu sehn; neun ganze Morgen Landes erstreckt sein Körper sich; ihm zerfrisst ein riesiger Geier mit krummem Schnabel die Leber, die niemals abstirbt; das Fleisch, das für Strafen fruchtbar ist, wühlt er ihm zum Fraß durch, und tief in der Brust haust er ihm, und nie gibt’s Ruhe für nachgewachsene Fibern. Was nenn ich die Lapithen, Ixion, Pirithous, was die, über denen ein schwarzer Fels gleich herunterzugleiten droht, ja zu fallen schon scheint? Für festlich erhabene Polster prangen goldne Gestelle, und Speisen von fürstlichem Luxus stehen bereit; daneben lagert die größte der Furien,

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accubat et manibus prohibet contingere mensas exsurgitque facem attollens atque intonat ore. hic, quibus invisi fratres, dum vita manebat, pulsatusve parens et fraus innexa clienti, aut qui divitiis soli incubuere repertis nec partem posuere suis (quae maxima turba est), quique ob adulterium caesi, quique arma secuti impia nec veriti dominorum fallere dextras, inclusi poenam exspectant. ne quaere doceri quam poenam aut quae forma viros fortunave mersit. saxum ingens volvunt alii radiisque rotarum districti pendent; sedet aeternumque sedebit infelix Theseus, Phlegyasque miserrimus omnis admonet et magna testatur voce per umbras: “discite iustitiam moniti et non temnere divos.” vendidit hic auro patriam dominumque potentem imposuit, fixit leges pretio atque refixit; hic thalamum invasit natae vetitosque hymenaeos: ausi omnes immane nefas ausoque potiti. non, mihi si linguae centum sint oraque centum, ferrea vox, omnis scelerum comprendere formas, omnia poenarum percurrere nomina possim.’ Haec ubi dicta dedit Phoebi longaeva sacerdos, ‘sed iam age, carpe viam et susceptum perfice munus; acceleremus’ ait; ‘Cyclopum educta caminis moenia conspicio atque adverso fornice portas, haec ubi nos praecepta iubent deponere dona.’ dixerat, et pariter gressi per opaca viarum corripiunt spatium medium foribusque propinquant. occupat Aeneas aditum corpusque recenti spargit aqua ramumque adverso in limine figit. His demum exactis, perfecto munere divae,

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hindert daran, mit den Händen das Mahl zu berührn, und die Fackel hochstreckend springt sie auf, ihre Stimme donnernd erhebend. Alle, die ihre Brüder hassten, solange sie lebten, ihren Vater misshandelten, einen Klienten betrogen oder allein auf Reichtum saßen, den sie erwarben, und ihren Teil den Ihren nicht gaben – die meisten sind’s –, wegen Ehebruchs sterben mussten, an ruchlosen Kämpfen beteiligt waren und die sich nicht scheuten, den Herren die Treue zu brechen, warten in Fesseln auf Strafe. Auf welche, frag nicht, und welches Schicksal oder welche Art von Vergehn ihr Ruin war. Andere wälzen einen gewaltigen Felsblock und hängen ausgestreckt an Rädern; dort sitzt und wird ewig dort sitzen Theseus unglücklich; Phlegyas mahnt, der Elende, alle und legt Zeugnis ab mit lauter Stimme durchs Dunkel: ›Lernt Gerechtigkeit, mahn ich, und nicht zu missachten die Götter.‹ Dieser verkaufte für Gold seine Heimat, verhalf dem Tyrannen so zur Macht, und er gab und er tilgte für Geld die Gesetze; der drang ein zu verbotenem Sex in das Zimmer der Tochter: Alle wagten entsetzlichen Frevel und das auch erfolgreich. Hätt ich auch hundert Zungen und hundert Münder und eine eherne Stimme, nicht jede Art von Verbrechen erfassen könnte ich, auch nicht aufzählen sämtliche Namen der Strafen.« So sprach Phoebus’ betagte Priesterin, dann noch: »Doch auf, die Schritte beschleunige jetzt und vollend den begonnenen Auftrag; schnell nun voran; in Kyklopenessen geschmiedete Mauern sehe ich und das Tor mit dem Rundbogen vorne, wo diese Gaben niederzulegen uns von der Vorschrift befohln wird.« Sprach’s, und die Strecke dorthin auf düsteren Pfaden durcheilen gleichen Schrittes die beiden und nahen dem Tore. Aeneas geht entschlossen zum Eingang, besprengt seinen Körper mit frischem Wasser dann und befestigt den Zweig ganz vorn an der Schwelle. Erst als dieses vollbracht und der Dienst an der Göttin erfüllt war,

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devenere locos laetos et amoena virecta fortunatorum nemorum sedesque beatas. largior hic campos aether et lumine vestit purpureo, solemque suum, sua sidera norunt. pars in gramineis exercent membra palaestris, contendunt ludo et fulva luctantur harena; pars pedibus plaudunt choreas et carmina dicunt. nec non Threicius longa cum veste sacerdos obloquitur numeris septem discrimina vocum iamque eadem digitis, iam pectine pulsat eburno. hic genus antiquum Teucri, pulcherrima proles, magnanimi heroes nati melioribus annis, Ilusque Assaracusque et Troiae Dardanus auctor. arma procul currusque virum miratur inanis; stant terra defixae hastae, passimque soluti per campum pascuntur equi. quae gratia currum armorumque fuit vivis, quae cura nitentis pascere equos, eadem sequitur tellure repostos. conspicit ecce alios dextra laevaque per herbam vescentis laetumque choro paeana canentis inter odoratum lauri nemus, unde superne plurimus Eridani per silvam volvitur amnis. hic manus ob patriam pugnando vulnera passi, quique sacerdotes casti, dum vita manebat, quique pii vates et Phoebo digna locuti, inventas aut qui vitam excoluere per artis quique sui memores aliquos fecere merendo: omnibus his nivea cinguntur tempora vitta. quos circumfusos sic est adfata Sibylla, Musaeum ante omnis (medium nam plurima turba hunc habet atque umeris exstantem suspicit altis): ‘dicite, felices animae tuque optime vates,

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kamen zum Ort der Freude sie hin, zu den lieblichen Auen in den Hainen des Glücks und hin zu der Seligen Wohnsitz. Weiter wölbt sich der Äther hier, hüllt in strahlendes Licht die Flur; eine eigene Sonne kennen sie, eigene Sterne. Einige üben die Glieder auf einem grasigen Sportplatz, messen im Kampfspiel sich und ringen auf gelblichem Sande; andere schwingen das Tanzbein und geben Lieder zum Besten. Aber der thrakische Priester im langen Gewande begleitet mit den sieben Tönen der Lyra die Rhythmen und schlägt die Saiten bald mit den Fingern, bald mit dem Elfenbeinplektrum. Hier weilt Teukers altes Geschlecht, sein prächtiger Nachwuchs, Helden voller Mut, geboren in besseren Jahren, Ilus, Assarakus auch und Dardanus, Gründer von Troja. Waffen bestaunt er von fern und Wagen der Männer, die leer sind; in die Erde gebohrt stehn da ihre Lanzen, und zaumlos weiden quer übers Feld ihre Pferde. Die Freude an ihren Waffen und Wagen, während sie lebten, die Sorgfalt beim Weiden glänzender Pferde begleitet sie ebenfalls nach dem Tode. Andere sieht er zur Rechten da und zur Linken im Grase schmausen, dazu ein fröhliches Festlied singen im Chor im duftenden Lorbeerhain, von wo zur Erde nach oben wasserreich durch den Wald sich wälzt des Eridanus Woge. Hier sind die Scharen derer, die Wunden erlitten im Kampf fürs Vaterland, die, die als Priester ihr Leben lang anständig waren, hier sind die frommen Propheten, die sagten, was wert war des Phoebus, die, die das Leben bereicherten durch Erfindungen, hier die, die durch Verdienste sich manchem wert der Erinnerung machten: Ihnen allen umschlingt eine schneeweiße Binde die Schläfen. Als nun die sie umringten, da sprach sie an die Sibylle, allen voran den Musaeus – denn ihn als Mittelpunkt sieht die riesige Schar, blickt auf zu ihm, dessen Schulter herausragt –: »Glückliche Seelen, bester Sänger, sagt, welche Gegend,

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quae regio Anchisen, quis habet locus? illius ergo venimus et magnos Erebi tranavimus amnis.’ atque huic responsum paucis ita reddidit heros: ‘nulli certa domus; lucis habitamus opacis riparumque toros et prata recentia rivis incolimus. sed vos, si fert ita corde voluntas, hoc superate iugum, et facili iam tramite sistam.’ dixit et ante tulit gressum camposque nitentis desuper ostentat; dehinc summa cacumina linquunt. At pater Anchises penitus convalle virenti inclusas animas superumque ad lumen ituras lustrabat studio recolens omnemque suorum forte recensebat numerum carosque nepotes fataque fortunasque virum moresque manusque. isque ubi tendentem adversum per gramina vidit Aenean, alacris palmas utrasque tetendit, effusaeque genis lacrimae et vox excidit ore: ‘venisti tandem, tuaque exspectata parenti vicit iter durum pietas? datur ora tueri, nate, tua et notas audire et reddere voces? sic equidem ducebam animo rebarque futurum tempora dinumerans, nec me mea cura fefellit. quas ego te terras et quanta per aequora vectum accipio! quantis iactatum, nate, periclis! quam metui ne quid Libyae tibi regna nocerent!’ ille autem: ‘tua me, genitor, tua tristis imago saepius occurrens haec limina tendere adegit; stant sale Tyrrheno classes. da iungere dextram, da, genitor, teque amplexu ne subtrahe nostro.’ sic memorans largo fletu simul ora rigabat. ter conatus ibi collo dare bracchia circum, ter frustra comprensa manus effugit imago,

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welcher Ort beherbergt Anchises? Um ihn hier zu treffen, kamen wir her, überquerten des Erebus riesige Ströme.« Ihr erwiderte so mit wenigen Worten der Heros: »Niemand besitzt hier ein Haus; wir wohnen in schattigen Hainen; Rasenpolster an Ufern und grünende Wiesen an Bächen sind unser Heim. Aber wenn ihr im Herzen es möchtet, dann steigt nun über den Berg hier; ich werde auf gangbarem Pfade euch führen.« Sprach’s und schritt dann voran, und lichtdurchflutete Fluren zeigt er ihnen von oben; dann schreiten sie abwärts vom Gipfel. Aber der Vater Anchises musterte tief in dem grünen Tal umschlossene Seelen, bestimmt zum Lichte der obren Welt zu gehn, überdachte das alles voll Eifer und prüfte grad die gesamte Zahl der Seinen, die teueren Enkel, und die Geschicke, das Glück der Männer, ihr Wesen und Wirken. Als Aeneas er sah, der über das Grün ihm entgegen eilte, da streckte er freudig erregt seine Hände aus, Tränen strömten ihm über die Wangen, und dies entfuhr seinem Munde: »Kommst du endlich, bezwang die vom Vater erwartete Liebe nun den harten Weg? Ist’s vergönnt, dein Antlitz zu sehen, Sohn, die vertrauten Worte zu hören und drauf zu erwidern? Ja, so hab ich’s geahnt und geglaubt, so werde es kommen, zählte die Tage, und nicht hat mich da die Sehnsucht betrogen. Welche Länder, welch weite Meere durchfuhrst du, so dass ich dich nun empfange, mein Sohn, von was für Gefahren gebeutelt! Wie war in Angst ich, es könnte dir Libyens Reich etwas antun!« Jener darauf: »Mein Vater, dein trauriges Bild ist des Öftern mir erschienen und trieb mich zu dieser Schwelle; die Flotte liegt im Tyrrhenischen Meer. Mein Vater, lass deine Hand mich, lass sie mich bitte ergreifen, entzieh dich nicht meiner Umarmung.« Sprach’s, und über das Antlitz strömten ihm reichlich die Tränen. Dreimal wollte er da um den Hals seine Arme ihm legen, dreimal entfloh den Händen, vergeblich ergriffen, sein Abbild,

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par levibus ventis volucrique simillima somno. Interea videt Aeneas in valle reducta seclusum nemus et virgulta sonantia silvae 705 Lethaeumque domos placidas qui praenatat amnem. hunc circum innumerae gentes populique volabant: ac velut in pratis ubi apes aestate serena floribus insidunt variis et candida circum lilia funduntur, strepit omnis murmure campus. 710 horrescit visu subito causasque requirit inscius Aeneas, quae sint ea flumina porro, quive viri tanto complerint agmine ripas. tum pater Anchises: ‘animae, quibus altera fato corpora debentur, Lethaei ad fluminis undam 715 securos latices et longa oblivia potant. has equidem memorare tibi atque ostendere coram iampridem, hanc prolem cupio enumerare meorum, quo magis Italia mecum laetere reperta.’ ‘o pater, anne aliquas ad caelum hinc ire putandum est 720 sublimis animas iterumque ad tarda reverti corpora? quae lucis miseris tam dira cupido?’ ‘dicam equidem nec te suspensum, nate, tenebo’ suscipit Anchises atque ordine singula pandit. ‘Principio caelum ac terras camposque liquentis 725 lucentemque globum lunae Titaniaque astra spiritus intus alit, totamque infusa per artus mens agitat molem et magno se corpore miscet. inde hominum pecudumque genus vitaeque volantum et quae marmoreo fert monstra sub aequore pontus. 730 igneus est ollis vigor et caelestis origo seminibus, quantum non noxia corpora tardant terrenique hebetant artus moribundaque membra. hinc metuunt cupiuntque, dolent gaudentque, neque auras

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gleich den leichten Winden, dem flüchtigen Traume sehr ähnlich. Da erblickt nun Aeneas im Hintergrunde des Tales, abgetrennt, einen Hain und rauschende Büsche des Waldes und den Lethestrom, der an friedlichen Häusern vorbeifließt. An den Ufern schwirrten zahllose Stämme und Völker: Und wie wenn auf den Wiesen im heiteren Sommer die Bienen schneeweiße Lilien umschwärmen und sich auf farbigen Blumen niederlassen, so rauscht und summt das gesamte Gefilde. Da erschauert beim plötzlichen Anblick und fragt nach den Gründen ahnungslos Aeneas, was das für ein Fluss in der Ferne sei und was für Männer die Ufer füllten in Scharen. Da sprach Vater Anchises: »Die Seelen, denen ein andrer Körper vom Fatum bestimmt ist, sie trinken am Lethestrom Wasser, welche von Sorgen befreien und langes Vergessen bewirken. Dir über sie zu berichten und sie dir vor Augen zu führen, aufzuzählen die Generationen der Meinen, ich wünsch’s längst, dass umso mehr du mit mir des gefundnen Italien dich freun kannst.« »Vater, soll man denn glauben, bestimmte Seelen begäben sich von hier nach oben und kehrten zurück in die trägen Körper? Welch heillose Gier nach Licht erfüllt diese Armen?« »Sohn, ich will es dir sagen und nicht im Zweifel dich lassen«, sagt da Anchises, erklärt im Detail dann der Reihe nach alles. »Ganz zu Anfang beseelt den Himmel, die Erde, die Meere, Lunas leuchtende Kugel sowie das Gestirn des Titanen innen ein Hauch, und, hineingeströmt in die Glieder, bewegt der Geist das gesamte All und vermählt sich dem mächtigen Körper. Daher stammen die Arten der Menschen, des Viehs und der Vögel und was an Wesen das Meer trägt unter dem marmornen Spiegel. Feurige Kraft und himmlischer Ursprung leben in jenen Keimen, soweit nicht Körper lastend sie hemmen, Gelenke irdischen Ursprungs und todgeweihte Glieder sie schwächen. Daher fürchten, begehren und leiden und freun sie sich, sehn den

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dispiciunt clausae tenebris et carcere caeco. quin et supremo cum lumine vita reliquit, non tamen omne malum miseris nec funditus omnes corporeae excedunt pestes, penitusque necesse est multa diu concreta modis inolescere miris. ergo exercentur poenis veterumque malorum supplicia expendunt: aliae panduntur inanes suspensae ad ventos, aliis sub gurgite vasto infectum eluitur scelus aut exuritur igni: quisque suos patimur manis. exinde per amplum mittimur Elysium et pauci laeta arva tenemus, donec longa dies perfecto temporis orbe concretam exemit labem purumque relinquit aetherium sensum atque aurai simplicis ignem. has omnis, ubi mille rotam volvere per annos, Lethaeum ad fluvium deus evocat agmine magno, scilicet immemores supera ut convexa revisant rursus et incipiant in corpora velle reverti.’ Dixerat Anchises natumque unaque Sibyllam conventus trahit in medios turbamque sonantem et tumulum capit, unde omnis longo ordine posset adversos legere et venientum discere vultus. ‘Nunc age, Dardaniam prolem quae deinde sequatur gloria, qui maneant Itala de gente nepotes, inlustris animas nostrumque in nomen ituras, expediam dictis et te tua fata docebo. ille, vides, pura iuvenis qui nititur hasta, proxima sorte tenet lucis loca, primus ad auras aetherias Italo commixtus sanguine surget, Silvius, Albanum nomen, tua postuma proles, quem tibi longaevo serum Lavinia coniunx educet silvis regem regumque parentem,

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Himmel nicht, eingeschlossen in Dunkel und lichtlosem Kerker. Ja, selbst wenn sie verlässt in der letzten Stunde das Leben, schwindet nicht jegliches Übel den Armen, nicht ganz die Befleckung durch den Leib; tief drin schlägt zwangsläufig vieles, was lange Zeit zusammenwuchs, auf erstaunliche Weise noch Wurzeln. Also werden von Strafen sie heimgesucht, büßen für frühre Frevel: Die einen hängen, ausgespannt in den leeren Raum der Winde, den andern wird unten in schrecklichem Strudel weggespült ihr Vergehn oder ausgebrannt durch ein Feuer: Jeder von uns erlebt sein Jenseits. Dann werden wir durch das weite Elysium geschickt, und die Fluren der Freude bewohnen wenige, bis die Länge der Zeit nach Erfüllung des Kreislaufs eingewachsenen Makel entfernt und geläutert zurücklässt nur den ätherischen Geist und das Feuer des lauteren Lufthauchs. Haben das Rad der Zeit sie tausend Jahre gedreht, dann ruft zu Lethe der Gott in riesigem Schwarme sie alle; sehn sollen wieder sie, freilich ohne Erinnrung, den Himmel und zu wünschen beginnen, in Körper wiederzukehren.« So spricht da Anchises und zieht mit dem Sohn die Sibylle mitten in die Versammlung der raunenden Menge, besteigt dann einen Hügel, von wo er der Reihe nach alle, die auf ihn zukommen, mustern kann und ihre Gesichter erkennen. »Nun wohlan, welcher Ruhm die Dardanersöhne begleitet, welche Enkel vom Italerstamm dir in Aussicht gestellt sind, edle Seelen, bestimmt, einst unseren Namen zu tragen, werde ich dir erläutern und so deine Fata dir kundtun. Siehst du, der Jüngling, der sich auf die Lanze ohne Beschlag stützt, steht durchs Los dem Lichte am nächsten; als erster wird er zur Himmelsluft aufsteigen, hat italisches Blut in den Adern; Silvius heißt er – das ist albanisch –, zuletzt dir geboren, den dir in hohem Alter noch spät deine Gattin Lavinia aufziehn wird in den Wäldern zum Herrscher und Vater von Herrschern;

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unde genus Longa nostrum dominabitur Alba. proximus ille Procas, Troianae gloria gentis, et Capys et Numitor et qui te nomine reddet Silvius Aeneas, pariter pietate vel armis egregius, si umquam regnandam acceperit Albam. qui iuvenes! quantas ostentant, aspice, vires! atque umbrata gerunt civili tempora quercu. hi tibi Nomentum et Gabios urbemque Fidenam, hi Collatinas imponent montibus arces, Pometios Castrumque Inui Bolamque Coramque; haec tum nomina erunt, nunc sunt sine nomine terrae. quin et avo comitem sese Mavortius addet Romulus, Assaraci quem sanguinis Ilia mater educet. viden, ut geminae stant vertice cristae et pater ipse suo superum iam signat honore? en huius, nate, auspiciis illa incluta Roma imperium terris, animos aequabit Olympo septemque una sibi muro circumdabit arces, felix prole virum: qualis Berecyntia mater invehitur curru Phrygias turrita per urbes, laeta deum partu, centum complexa nepotes, omnis caelicolas, omnis supera alta tenentis. huc geminas nunc flecte acies, hanc aspice gentem Romanosque tuos. hic Caesar et omnis Iuli progenies magnum caeli ventura sub axem. hic vir, hic est, tibi quem promitti saepius audis, Augustus Caesar, divi genus, aurea condet saecula qui rursus Latio regnata per arva Saturno quondam, super et Garamantas et Indos proferet imperium (iacet extra sidera tellus, extra anni solisque vias, ubi caelifer Atlas axem umero torquet stellis ardentibus aptum).

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nach ihm wird unser Stamm in Alba Longa regieren. Neben ihm der ist Procas, der Ruhm des trojanischen Volkes, Kapys und Numitor dann und Aeneas Silvius, der dich regeneriert durch den Namen, durch Pflichtbewusstsein und Kriegsruhm gleich prominent, wenn er einmal die Herrschaft bekommt über Alba. Was für Männer! Da sieh nur, welch starke Kräfte sie zeigen! Laub von der Eiche bedeckt als Bürgerkrone die Schläfen. Die hier gründen Nomentum und Gabii dir und Fidena, die da türmen auf Bergeshöhen Collatias Festung, gründen Pometii, Castrum Inui, Bola und Cora, künftig Namen von Klang, jetzt Landstriche noch ohne Namen. Ja, als Begleiter gesellt zum Großvater dann sich der Marssohn Romulus; aufziehn wird ihn, von Assarakus stammend, die Mutter Ilia. Siehst du, wie doppelt der Helmbusch ihm steht auf dem Scheitel, wie ihn mit eigenem Ansehn schon ziert der Vater der Götter? Sohn, unter seinen Auspizien setzt mit der Welt das berühmte Rom sein Imperium, seine Gesinnung mit der des Olymps gleich; sieben Burgen mit einer Mauer umgeben wird diese Stadt nur, gesegnet mit Männern: Kybele fährt, auf dem Haupt die Mauerkrone, so im Wagen durch Phrygiens Städte, froh, da sie Götter gebar, ihre hundert Enkel umarmend, alles Himmelsbewohner, in himmlischen Höhen zu Hause. Hierhin wende du jetzt deinen Blick, schau an dieses Volk hier, deine Römer. Caesar ist hier, des Ïulus gesamte Nachkommenschaft, die einst aufsteigt zum mächtigen Himmel. Hier ist der Mann, hier der, der – du hörst’s oft – dir prophezeit wird, Caesar Augustus, Sohn eines Gottes, der goldene Zeiten wieder für Latiums Land begründen wird, wo einst Saturnus herrschte, und ausdehnen wird das Imperium über die Inder und Garamanten hinaus – dies Land liegt außerhalb unsrer Sterne, der Bahn von Sonne und Jahr, wo Atlas auf seinen Schultern den Himmel dreht, der erstrahlt von funkelnden Sternen.

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huius in adventum iam nunc et Caspia regna responsis horrent divum et Maeotia tellus, et septemgemini turbant trepida ostia Nili. nec vero Alcides tantum telluris obivit, fixerit aeripedem cervam licet aut Erymanthi pacarit nemora et Lernam tremefecerit arcu; nec qui pampineis victor iuga flectit habenis Liber, agens celso Nysae de vertice tigris. et dubitamus adhuc virtutem extendere factis, aut metus Ausonia prohibet consistere terra? quis procul ille autem ramis insignis olivae sacra ferens? nosco crinis incanaque menta regis Romani, primam qui legibus urbem fundabit, Curibus parvis et paupere terra missus in imperium magnum. cui deinde subibit otia qui rumpet patriae residesque movebit Tullus in arma viros et iam desueta triumphis agmina. quem iuxta sequitur iactantior Ancus, nunc quoque iam nimium gaudens popularibus auris. vis et Tarquinios reges animamque superbam ultoris Bruti fascesque videre receptos? consulis imperium hic primus saevasque secures accipiet natosque pater nova bella moventis ad poenam pulchra pro libertate vocabit, infelix, utcumque ferent ea facta minores: vincet amor patriae laudumque immensa cupido. quin Decios Drusosque procul saevumque securi aspice Torquatum et referentem signa Camillum. illae autem paribus quas fulgere cernis in armis, concordes animae nunc et dum nocte prementur, heu quantum inter se bellum, si lumina vitae attigerint, quantas acies stragemque ciebunt,

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Seine Ankunft fürchten schon jetzt die kaspischen Reiche, schaudernd vor Götterorakeln, dazu die mäotische Erde; bebend bangt das Delta des siebenarmigen Niles. Selbst der Alkide durchzog nicht so weites Land, wenn er auch die bronzehufige Hirschkuh traf, wenn er auch Erymanthus’ Wälder befriedete und mit dem Bogen Lerna erschreckte, Liber nicht, der sein Gespann mit Zügeln aus Weinranken lenkt, wenn siegreich vom Gipfel des Nysa er seine Tiger herabführt. Zögern wir da noch, durch Taten männliche Kraft zu entfalten, oder hindert uns Furcht, Ausoniens Land zu besiedeln? Wer aber trägt dort hinten, geschmückt mit den Zweigen des Ölbaums, Opfergerät? Ich erkenne das Haar und das weißgraue Kinn des römischen Königs, welcher zuerst die Stadt auf Gesetze aufbauen wird, entsandt vom kleinen Cures aus armem Land zu bedeutender Herrschaft. Ihm folgt dann Tullus nach, der den Frieden des Vaterlands bricht, untätige Männer und Truppen, die den Triumphen schon entwöhnt sind, zum Kampfe mit Waffen rufen wird. Neben ihm folgt Ancus, recht überheblich, der schon jetzt zu sehr seine Freude hat an der Volksgunst. Willst du auch die Tarquinierkönige sehn und des Rächers Brutus Hochmut und die wiedergewonnenen Fasces? Er als erster bekommt dann das Konsulat und die wilden Beile, der Vater wird einst die Aufruhr stiftenden Söhne um der herrlichen Freiheit willen zur Rechenschaft ziehen, unselig, er, wie immer die Nachwelt sein Vorgehen sehn wird: Triumphiern werden Liebe zur Heimat und heftige Ruhmsucht. Ja, dort hinten erblicke die Decier, Druser, Torquatus, streng mit dem Beil, und ihn, der die Fahnen zurückbringt, Camillus. Jene Seelen jedoch, die du glänzen siehst in der gleichen Rüstung, einträchtig jetzt, solang von der Nacht sie bedeckt sind, weh, welchen Krieg miteinander führen sie, wenn sie das Licht sehn, welche Gefechte erregen, welches Gemetzel die zwei, der

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aggeribus socer Alpinis atque arce Monoeci descendens, gener adversis instructus Eois! ne, pueri, ne tanta animis adsuescite bella neu patriae validas in viscera vertite vires; tuque prior, tu parce, genus qui ducis Olympo, proice tela manu, sanguis meus! ille triumphata Capitolia ad alta Corintho victor aget currum caesis insignis Achivis. eruet ille Argos Agamemnoniasque Mycenas ipsumque Aeaciden, genus armipotentis Achilli, ultus avos Troiae templa et temerata Minervae. quis te, magne Cato, tacitum aut te, Cosse, relinquat? quis Gracchi genus aut geminos, duo fulmina belli, Scipiadas, cladem Libyae, parvoque potentem Fabricium vel te sulco, Serrane, serentem? quo fessum rapitis, Fabii? tu Maximus ille es, unus qui nobis cunctando restituis rem. excudent alii spirantia mollius aera (credo equidem), vivos ducent de marmore vultus, orabunt causas melius caelique meatus describent radio et surgentia sidera dicent: tu regere imperio populos, Romane, memento (hae tibi erunt artes) pacique imponere morem, parcere subiectis et debellare superbos.’ Sic pater Anchises, atque haec mirantibus addit: ‘aspice, ut insignis spoliis Marcellus opimis ingreditur victorque viros supereminet omnis. hic rem Romanam magno turbante tumultu sistet eques, sternet Poenos Gallumque rebellem, tertiaque arma patri suspendet capta Quirino.’ atque hic Aeneas (una namque ire videbat egregium forma iuvenem et fulgentibus armis,

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Schwiegervater – er steigt von den Alpen herab und Monoekus’ Burg – und der Schwiegersohn mit den Heeren des feindlichen Ostens! Söhne, gewöhnt nicht an solche Kriege eure Gedanken, wendet die starken Kräfte nicht gegen des Vaterlands Körper; du als erster gewähre Verschonung, du Spross des Olympus, wirf aus der Hand die Waffen, mein eigenes Blut! Hat er über Korinth triumphiert, lenkt jener den Wagen zum Kapitol als Sieger, berühmt durch der Griechen Vernichtung. Der stürzt Argos, dazu Agamemnons Mykene und selbst den Aeakus-Enkel, den Spross des waffenstarken Achilles, rächt so Trojas Ahnen und Pallas’ geschändeten Tempel. Wer darf, großer Cato, dich, dich, Cossus, verschweigen? Wer der Gracchen Geschlecht, die zwei Scipionen, im Kriege Blitzschläge beide, Libyens Untergang, wer den in Armut starken Fabricius oder dich bei der Aussaat, Serranus? Fabier, wohin drängt ihr mich, den Müden? Du bist der Maximus, der uns allein den Staat errettet durch Zögern. Atmende Erzstandbilder werden geschmeidiger andre schmieden – ich glaub es –, lebendige Züge in Marmor gestalten, besser plädiern vor Gericht und des Himmels Bahnen beschreiben mit dem Messstab sowie den Aufgang der Sterne bestimmen: Römer, doch du sei bedacht – dein Talent liegt hier –, unter deiner Hoheit die Völker zu lenken und Regeln dem Frieden zu setzen, Unterworfne zu schonen und Stolze niederzuringen.« So sprach Vater Anchises, und dies noch zu ihrem Erstaunen: »Schau, wie im Schmucke der Rüstung des feindlichen Feldherrn Marcellus schreitet und wie er als Sieger aus allen Männern herausragt. Halt wird der Sache Roms in der Schlacht er bei großer Verwirrung geben als Reiter, wird Punier schlagen und Gallierrebellen, und die dritte erbeutete Rüstung weihn dem Quirinus.« Jetzt aber fragte Aeneas – denn neben ihm sah einen jungen Mann von edler Gestalt er gehen mit blitzenden Waffen,

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sed frons laeta parum et deiecto lumina vultu) ‘quis, pater, ille, virum qui sic comitatur euntem? filius, anne aliquis magna de stirpe nepotum? qui strepitus circa comitum! quantum instar in ipso! sed nox atra caput tristi circumvolat umbra.’ tum pater Anchises lacrimis ingressus obortis: ‘o gnate, ingentem luctum ne quaere tuorum; ostendent terris hunc tantum fata neque ultra esse sinent. nimium vobis Romana propago visa potens, superi, propria haec si dona fuissent. quantos ille virum magnam Mavortis ad urbem campus aget gemitus! vel quae, Tiberine, videbis funera, cum tumulum praeterlabere recentem! nec puer Iliaca quisquam de gente Latinos in tantum spe tollet avos, nec Romula quondam ullo se tantum tellus iactabit alumno. heu pietas, heu prisca fides invictaque bello dextera! non illi se quisquam impune tulisset obvius armato, seu cum pedes iret in hostem seu spumantis equi foderet calcaribus armos. heu, miserande puer, si qua fata aspera rumpas! tu Marcellus eris. manibus date lilia plenis, purpureos spargam flores animamque nepotis his saltem accumulem donis et fungar inani munere.’ sic tota passim regione vagantur aëris in campis latis atque omnia lustrant. quae postquam Anchises natum per singula duxit incenditque animum famae venientis amore, exim bella viro memorat quae deinde gerenda, Laurentisque docet populos urbemque Latini et quo quemque modo fugiatque feratque laborem. Sunt geminae Somni portae, quarum altera fertur

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aber mit freudloser Stirn und mit niedergeschlagenen Blicken –: »Wer, mein Vater, ist jener, welcher den Mann da begleitet? Ist es sein Sohn oder einer vom großen Stamme der Enkel? Welch ein Lärm des Gefolges! Welch würdevolle Erscheinung! Schwarze Nacht aber schwebt um sein Haupt mit düsterem Schatten.« Vater Anchises quollen die Tränen hervor, und er sagte: »Frage, mein Sohn, nicht nach dem riesigen Kummer der Deinen; zeigen nur werden ihn die Fata dem Erdkreis, verweilen aber nicht lassen. Zu mächtig wär euch dann der römische Nachwuchs, Götter, erschienen, wär ihm das Geschenk auf Dauer verblieben. Welch eine Klage der Männer wird jene Stätte zur großen Stadt des Mars hallen lassen! Welch ein Begräbnis erblickst du dann, Tiberinus, wenn du am frischen Grabmal vorbeifließt! Nie wird ein anderer Knabe vom ilischen Stamme zu solcher Hoffnung Latiums Ahnen erheben, und nicht wird so sehr sich irgendeines Zöglings das Land des Romulus rühmen. Ach, sein Pflichtgefühl, ach, seine Treue, die immer im Kriege siegreiche Rechte! War er bewaffnet, dann hätt sich zum Kampf ihm ungestraft niemand gestellt, ob den Feind er als Fußsoldat angriff oder die Flanken des schäumenden Pferds mit den Sporen durchbohrte. Armer Knabe, durchbrächst du dein hartes Geschick doch! Du wirst ein echter Marceller sein. Spendet aus vollen Händen ihm Lilien; ich streu purpurne Blumen, beschenke die Seele des Enkels wenigstens so mit Gaben, erweise umsonst ihm den letzten Dienst.« So streifen sie ringsum durchs ganze Gebiet auf den weiten Feldern des Lichts, und dabei betrachten sie sorgfältig alles. Als Anchises den Sohn durch alles und jedes geführt und ihm im Herzen die Liebe zu künftigem Ruhme entflammt hat, nennt er dem Manne dann die Kriege, die ihm bevorstehn, macht ihn bekannt mit Laurentums Volk und der Stadt des Latinus, sagt, wie er Mühsal vermeiden oder sie aushalten könne. Dort hat der Traum zwei Pforten; aus Horn ist die eine, erzählt man;

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cornea, qua veris facilis datur exitus umbris, altera candenti perfecta nitens elephanto, sed falsa ad caelum mittunt insomnia Manes. his ibi tum natum Anchises unaque Sibyllam prosequitur dictis portaque emittit eburna; ille viam secat ad navis sociosque revisit. Tum se ad Caietae recto fert litore portum. ancora de prora iacitur; stant litore puppes.

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leicht gewährt den wahrhaftigen Schattenbildern sie Ausgang; strahlend aus schimmerndem Elfenbein ist die andre verfertigt, aber die unwahren Bilder schicken die Manen nach oben. Dorthin führt im Gespräch seinen Sohn und mit ihm die Sibylle Vater Anchises und lässt sie hinaus durch die Elfenbeinpforte; der geht schnell zu den Schiffen und sieht die Gefährten dort wieder. Gradaus entlang am Strand fährt dann er zum Hafen Kajetas. Anker wirft man vom Bug; am Gestade liegen die Schiffe.

LIBER VII Tu quoque litoribus nostris, Aeneia nutrix, aeternam moriens famam, Caieta, dedisti; et nunc servat honos sedem tuus, ossaque nomen Hesperia in magna, si qua est ea gloria, signat. At pius exsequiis Aeneas rite solutis, aggere composito tumuli, postquam alta quierunt aequora, tendit iter velis portumque relinquit. adspirant aurae in noctem nec candida cursus luna negat, splendet tremulo sub lumine pontus. proxima Circaeae raduntur litora terrae, dives inaccessos ubi Solis filia lucos adsiduo resonat cantu, tectisque superbis urit odoratam nocturna in lumina cedrum, arguto tenuis percurrens pectine telas. hinc exaudiri gemitus iraeque leonum vincla recusantum et sera sub nocte rudentum, saetigerique sues atque in praesepibus ursi saevire ac formae magnorum ululare luporum, quos hominum ex facie dea saeva potentibus herbis induerat Circe in vultus ac terga ferarum. quae ne monstra pii paterentur talia Troes delati in portus neu litora dira subirent, Neptunus ventis implevit vela secundis, atque fugam dedit et praeter vada fervida vexit. Iamque rubescebat radiis mare et aethere ab alto Aurora in roseis fulgebat lutea bigis, cum venti posuere omnisque repente resedit flatus, et in lento luctantur marmore tonsae.

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BUCH 7 Du auch, Kajeta, du, des Aeneas Amme, hast sterbend ewig dauernden Ruhm hier unserm Gestade verliehen; heute noch schützt dein Kult den Ort, und es weist auf dein Grab im großen Hesperien, wenn Ruhm etwas wert ist, der Name. Fromm vollzog die Bestattung Aeneas dem Brauche entsprechend, schüttete auch den Hügel des Grabs auf, und als dann das tiefe Meer ruht, spannt er die Segel zum Start und fährt aus dem Hafen. Bis in die Nacht wehn Lüfte; die strahlende Luna verweigert nicht sich der Fahrt, es erglänzt die See unter flimmerndem Lichte. Nah am Gestade des Landes der Kirke fährt man vorüber, dort, wo die reiche Tochter des Sol unnahbare Haine hallen lässt von ständigem Sang und im stolzen Palaste duftende Zedernspäne verbrennt, um die Nacht zu erleuchten, während durch feines Gewebe sie fährt mit dem schwirrenden Kamme. Hören kann man von dort das wütende Fauchen von Löwen, die gegen Ketten sich wehren und brüllen spät in der Nacht noch; borstentragende Schweine und Bären toben an Krippen dort, und es heulen laut die Gestalten riesiger Wölfe, denen die Menschengestalt die grausame Kirke durch starke Kräuter nahm, sie mit Zügen und Leibern von Tieren versehend. Dass nicht solche Entstellung erlitten die frommen Trojaner, hingetrieben zum Hafen, dass nicht am grausigen Strand sie landeten, füllte mit günstigen Winden Neptun ihre Segel, half zu entkommen und führte vorbei sie an Brandung und Flachmeer. Rot wurde schon von Strahlen das Meer, und safrangelb glänzte hoch aus dem Äther Aurora in rosenfarbner Quadriga, als die Winde sich legten und plötzlich jegliches Wehen aufhörte, und die Ruder in trägem Gewässer sich abmühn.

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atque hic Aeneas ingentem ex aequore lucum prospicit. hunc inter fluvio Tiberinus amoeno verticibus rapidis et multa flavus harena in mare prorumpit; variae circumque supraque adsuetae ripis volucres et fluminis alveo aethera mulcebant cantu lucoque volabant. flectere iter sociis terraeque advertere proras imperat et laetus fluvio succedit opaco. Nunc age, qui reges, Erato, quae tempora rerum, quis Latio antiquo fuerit status, advena classem cum primum Ausoniis exercitus appulit oris, expediam et primae revocabo exordia pugnae. tu vatem, tu, diva, mone. dicam horrida bella, dicam acies actosque animis in funera reges Tyrrhenamque manum totamque sub arma coactam Hesperiam. maior rerum mihi nascitur ordo, maius opus moveo. Rex arva Latinus et urbes iam senior longa placidas in pace regebat. hunc Fauno et nympha genitum Laurente Marica accipimus; Fauno Picus pater, isque parentem te, Saturne, refert, tu sanguinis ultimus auctor. filius huic fato divum prolesque virilis nulla fuit, primaque oriens erepta iuventa est. sola domum et tantas servabat filia sedes, iam matura viro, iam plenis nubilis annis. multi illam magno e Latio totaque petebant Ausonia; petit ante alios pulcherrimus omnis Turnus, avis atavisque potens, quem regia coniunx adiungi generum miro properabat amore; sed variis portenta deum terroribus obstant. laurus erat tecti medio in penetralibus altis sacra comam multosque metu servata per annos,

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Hier nun erblickt einen riesigen Hain Aeneas vom Meer her. Mitten hindurch bricht dort sich der Tiber in lieblichem Lauf mit reißenden Wirbeln und gelb gefärbt von der Menge des Sandes seine Bahn in das Meer, und rings um ihn her und darüber ließen bunte Vögel, gewöhnt an Ufer und Flussbett, lieblich singend die Lüfte ertönen und flogen im Haine. Beidrehen heißt er da die Gefährten, zum Land hin die Buge wenden, und dann fährt freudig er auf den beschatteten Fluss zu. Auf jetzt, Erato, welche Könige herrschten im alten Latium, welche Verhältnisse, welcher Zustand, als landen ließ die Fremdlingstruppe die Flotte am Strande Ausoniens, sag ich und werd an den Anfang des ersten Gefechtes erinnern. Göttin, belehre den Dichter. Ich künde von furchtbaren Kriegen, künde von Kampf und Königen, welche der Mut in den Tod trieb, vom tyrrhenischen Heer, von Hesperien, das ganz unter Waffen stand. Ein höherer Rang der Dinge eröffnet sich mir, ich fang ein höheres Werk an. König Latinus regierte Fluren und friedliche Städte, betagt schon, in längerem Frieden. Er ist der Sohn, so erfahrn wir, von Faunus und von Laurentums Nymphe Marica; der Vater des Faunus ist Picus, und der nennt dich, Saturnus, als Vater, du bist der Urahn des Stammes. Sohn und männlichen Nachwuchs versagte diesem der Spruch der Götter; zur Welt kam einer und starb in der Blüte der Jugend. Nur die Tochter bewahrte Palast und Erbgut des Vaters; reif für den Mann war sie schon, schon alt genug für die Ehe. Viele warben um sie aus dem großen Latium und aus ganz Ausonien; Turnus wirbt als der Schönste von allen, mächtig durch Ahn und Urahn; es drängt mit erstaunlichem Eifer, ihn zum Schwiegersohn zu gewinnen, die Gattin des Königs; aber mit vielfachem Schrecken verbieten es Zeichen der Götter. Mitten im Innren des Hauses, da stand mit heiligem Laub ein Lorbeerbaum, viele Jahre hindurch voll Ehrfurcht gehütet;

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quam pater inventam, primas cum conderet arces, ipse ferebatur Phoebo sacrasse Latinus Laurentisque ab ea nomen posuisse colonis. huius apes summum densae (mirabile dictu), stridore ingenti liquidum trans aethera vectae, obsedere apicem, et pedibus per mutua nexis examen subitum ramo frondente pependit. continuo vates ‘externum cernimus’ inquit ‘adventare virum et partis petere agmen easdem partibus ex isdem et summa dominarier arce.’ praeterea, castis adolet dum altaria taedis et iuxta genitorem adstat Lavinia virgo, visa (nefas) longis comprendere crinibus ignem atque omnem ornatum flamma crepitante cremari, regalisque accensa comas, accensa coronam insignem gemmis; tum fumida lumine fulvo involvi ac totis Volcanum spargere tectis. id vero horrendum ac visu mirabile ferri: namque fore inlustrem fama fatisque canebant ipsam, sed populo magnum portendere bellum. At rex sollicitus monstris oracula Fauni, fatidici genitoris, adit lucosque sub alta consulit Albunea, nemorum quae maxima sacro fonte sonat saevamque exhalat opaca mephitim. hinc Italae gentes omnisque Oenotria tellus in dubiis responsa petunt; huc dona sacerdos cum tulit et caesarum ovium sub nocte silenti pellibus incubuit stratis somnosque petivit, multa modis simulacra videt volitantia miris et varias audit voces fruiturque deorum conloquio atque imis Acheronta adfatur Avernis. hic et tum pater ipse petens responsa Latinus

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während der Gründung der ersten Burg fand Vater Latinus diesen; er habe ihn selber dem Phoebus geweiht, so erzählt man, und den Bewohnern nach ihm den Namen Laurenter gegeben. Dichtgedrängt flogen zu ihm – ein Wunder zu sagen – durch klare Luft mit lautem Gesumme Bienen und ließen sich auf dem Wipfel nieder, verschränkten ineinander die Beinchen, und der Schwarm hing plötzlich herab vom grünenden Zweige. Gleich sprach so ein Prophet: »Ich sehe, es kommt aus der Fremde her ein Mann und mit ihm aus derselben Richtung ein Heerzug, der in dieselbe Richtung strebt und hoch auf der Burg herrscht.« Außerdem, als den Altar in kultischer Reinheit mit Fackeln, neben dem Vater stehend, entflammte die Jungfrau Lavinia, schien mit den langen Haaren – entsetzlich! – sie Feuer zu fangen und zu verbrennen ihr ganzer Kopfschmuck in prasselnder Flamme und das fürstliche Haar und die Krone in Flammen zu stehen, blitzend von Edelsteinen; scheinbar versprühte, in Rauch und rötliches Licht gehüllt, im ganzen Palast sie dann Feuer. Das aber galt als furchtbar und als eine Wundererscheinung: Denn berühmt durch Fata und Ruhm, prophezeite man, werde sie, doch sie zeige dem Volke einen gewaltigen Krieg an. Unruhig wegen der Zeichen besucht des prophetischen Vaters Faunus Orakel der König und fragt die Haine am Fuß der hohen Albunea; größter der Wälder, rauscht sie mit heilger Quelle und haucht, von Schatten umdunkelt, verderblichen Dampf aus. Hier erbitten die Italer, hier Oenotrias ganzes Land in bedenklicher Lage Antwort; wenn hierhin der Priester Gaben bringt und am Boden liegt in schweigender Nacht auf Fellen geschlachteter Schafe und Schlaf gefunden hat, sieht er zahlreiche Bilder umherflattern dann auf seltsame Weise, hört auch vielerlei Stimmen, erfreut sich auch am Gespräch mit Göttern und spricht zum Acheron unten im Schlund des Avernus. Hier bat jetzt um Antwort auch selber der Vater Latinus,

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centum lanigeras mactabat rite bidentis, atque harum effultus tergo stratisque iacebat velleribus; subita ex alto vox reddita luco est: ‘ne pete conubiis natam sociare Latinis, o mea progenies, thalamis neu crede paratis; externi venient generi, qui sanguine nostrum nomen in astra ferant, quorumque ab stirpe nepotes omnia sub pedibus, qua sol utrumque recurrens aspicit Oceanum, vertique regique videbunt.’ haec responsa patris Fauni monitusque silenti nocte datos non ipse suo premit ore Latinus, sed circum late volitans iam Fama per urbes Ausonias tulerat, cum Laomedontia pubes gramineo ripae religavit ab aggere classem. Aeneas primique duces et pulcher Iulus corpora sub ramis deponunt arboris altae instituuntque dapes et adorea liba per herbam subiciunt epulis (sic Iuppiter ille monebat) et Cereale solum pomis agrestibus augent. consumptis hic forte aliis, ut vertere morsus exiguam in Cererem penuria adegit edendi, et violare manu malisque audacibus orbem fatalis crusti patulis nec parcere quadris: ‘heus, etiam mensas consumimus?’ inquit Iulus, nec plura, adludens. ea vox audita laborum prima tulit finem, primamque loquentis ab ore eripuit pater ac stupefactus numine pressit. continuo ‘salve fatis mihi debita tellus vosque’ ait, ‘o fidi Troiae salvete penates: hic domus, haec patria est. genitor mihi talia namque (nunc repeto) Anchises fatorum arcana reliquit: “cum te, nate, fames ignota ad litora vectum

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schlachtete hundert jährige, wollige Schafe nach Vorschrift, bettete sich auf ihr Fell, auf die hingebreiteten Vliese, und auf einmal erklang aus der Tiefe des Walds eine Stimme: »Suche du nicht in latinischer Ehe die Tochter zu binden, Sohn, auch vertrau du nicht der geplanten Hochzeit; es kommen Schwiegersöhne von fern, um unseren Namen mit ihrem Blut zu den Sternen zu tragen; einst sehn dann die Enkel aus ihrem Stamm, dass alles, was Sol auf der Fahrt von dem einen zum andren Ozean schaut, unter ihren Füßen sich regt und regiern lässt.« Diese Antwort des Vaters Faunus, die Mahnungen einer schweigenden Nacht, die behielt Latinus nicht für sich selber, sondern es hatte sie fliegend schon quer durch Ausoniens Städte Fama verbreitet, als die laomedontische Mannschaft festband am grasbewachsenen Damm des Ufers die Flotte. Unter den Ästen eines hohen Baumes nun lagern sich Aeneas, die Anführer und der schöne Ïulus, richten die Mahlzeit her und legen unter die Speisen Weizenfladen ins Gras – so mahnte sie Juppiter oben – und belegen den Boden aus Korn mit Früchten des Feldes. Als der Belag nun verzehrt war und Mangel an Speise sie antrieb, auch in die dünnen Fladen zu beißen, mit Händen und frechen Zähnen dabei zu verletzen des schicksalsträchtigen Backwerks Scheiben und nicht zu schonen die ausgebreiteten Fladen, sagte Ïulus: »Nanu, wir verzehren sogar unsre Tische?«, das nur, im Scherz. Doch kaum vernommen, da brachte das Wort den Mühen das Ende und gleich von des Sprechenden Mund sich zu eigen machte der Vater es, hielt es, verblüfft durch das göttliche Zeichen, fest und sprach: »Heil dir, du Land, mir bestimmt durch die Fata, heil auch euch, ihr treuen Penaten Trojas: Zuhause – hier ist es, Vaterland hier. Mir hat dies Geheimnis der Fata Vater Anchises – ja, jetzt entsinne ich mich – hinterlassen: ›Wenn dich, Sohn, nach der Fahrt zu fremden Gestaden der Hunger

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accisis coget dapibus consumere mensas, tum sperare domos defessus, ibique memento prima locare manu molirique aggere tecta.” haec erat illa fames, haec nos suprema manebat exitiis positura modum. quare agite et primo laeti cum lumine solis quae loca, quive habeant homines, ubi moenia gentis, vestigemus et a portu diversa petamus. nunc pateras libate Iovi precibusque vocate Anchisen genitorem et vina reponite mensis.’ Sic deinde effatus frondenti tempora ramo implicat et geniumque loci primamque deorum Tellurem Nymphasque et adhuc ignota precatur flumina, tum Noctem Noctisque orientia signa Idaeumque Iovem Phrygiamque ex ordine matrem invocat et duplicis caeloque Ereboque parentis. hic pater omnipotens ter caelo clarus ab alto intonuit radiisque ardentem lucis et auro ipse manu quatiens ostendit ab aethere nubem. diditur hic subito Troiana per agmina rumor advenisse diem quo debita moenia condant. certatim instaurant epulas atque omine magno crateras laeti statuunt et vina coronant. Postera cum prima lustrabat lampade terras orta dies, urbem et finis et litora gentis diversi explorant: haec fontis stagna Numici, hunc Thybrim fluvium, hic fortis habitare Latinos. tum satus Anchisa delectos ordine ab omni centum oratores augusta ad moenia regis ire iubet, ramis velatos Palladis omnis, donaque ferre viro pacemque exposcere Teucris. haud mora, festinant iussi rapidisque feruntur

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zwingt, nach dem Ende des Mahls auch noch zu verzehren die Tische, denk dran, erschöpft, wie du bist, auf ein Zuhause zu hoffen, erste Häuser dann dort zu erbaun und durch Wälle zu schützen.‹ Dies war jener Hunger, als Letztes erwartete der uns, um ein Ziel zu setzen der Not. Auf denn, lasst uns freudig bei Sonnenaufgang erkunden, was für ein Land es ist, was für Volk es bewohnt, wo die Stadt des Volkes ist, und vom Hafen aus hierhin und dorthin uns wenden. Spendet ein Trankopfer Juppiter jetzt und ruft in Gebeten Vater Anchises an und stellt den Wein auf die Tische.« Sprach’s und bekränzt sich die Schläfen mit einem grünenden Zweige, betet zum Schutzgeist des Orts und zur ersten unter den Göttern, Tellus, sowie zu den Nymphen und allen bisher nicht bekannten Flüssen, zur Nacht, zu den Sternen, die aufgehn während der Nachtzeit; Juppiter hoch auf dem Ida, danach die phrygische Mutter ruft er an, und die Mutter im Himmel, den Vater im Orkus. Dreimal donnerte klar der allmächtige Vater vom hohen Himmel, und eine von Strahlen und Gold erglänzende Wolke ließ er, selbst mit der Hand sie schüttelnd, vom Äther her sehen. Plötzlich verbreitet sich da bei der Schar der Trojaner die Kunde, nun sei gekommen der Tag, die verheißene Stadt zu erbauen. Eifrig setzen ihr Mahl sie da fort, und, über das große Zeichen erfreut, verteilen sie Krüge und kränzen die Becher. Als der folgende Tag anbrach und das Land mit dem ersten Licht anstrahlte, erforschten sie Stadt und Gebiet und des Volkes Küsten, dreifach geteilt: Des Numicus Quell sei der Teich hier, dies sei des Thybris Strom, hier wohnten die tapfren Latiner. Dann befiehlt der Sohn des Anchises hundert aus jedem Stande erwählten Gesandten, zu gehn zur erhabenen Stadt des Königs, alle bekränzt mit den Zweigen der Pallas, dem Manne Gaben zu bringen und dann für die Teukrer um Frieden zu bitten. Gleich erfüllen sie eilends den Auftrag und gehen mit schnellen

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passibus. ipse humili designat moenia fossa moliturque locum, primasque in litore sedes castrorum in morem pinnis atque aggere cingit. iamque iter emensi turris ac tecta Latinorum ardua cernebant iuvenes muroque subibant. ante urbem pueri et primaevo flore iuventus exercentur equis domitantque in pulvere currus aut acris tendunt arcus aut lenta lacertis spicula contorquent cursuque ictuque lacessunt: cum praevectus equo longaevi regis ad auris nuntius ingentis ignota in veste reportat advenisse viros. ille intra tecta vocari imperat et solio medius consedit avito. Tectum augustum ingens, centum sublime columnis, urbe fuit summa, Laurentis regia Pici, horrendum silvis et religione parentum. hic sceptra accipere et primos attollere fasces regibus omen erat, hoc illis curia templum, hae sacris sedes epulis, hic ariete caeso perpetuis soliti patres considere mensis. quin etiam veterum effigies ex ordine avorum antiqua e cedro, Italusque paterque Sabinus vitisator curvam servans sub imagine falcem, Saturnusque senex Ianique bifrontis imago vestibulo adstabant, aliique ab origine reges, Martiaque ob patriam pugnando vulnera passi. multaque praeterea sacris in postibus arma, captivi pendent currus curvaeque secures et cristae capitum et portarum ingentia claustra spiculaque clipeique ereptaque rostra carinis. ipse Quirinali lituo parvaque sedebat succinctus trabea laevaque ancile gerebat

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Schritten. Er selber bezeichnet die Lage der Mauer mit flachem Graben, befestigt den Platz und umgibt am Gestade die ersten Wohnstätten in der Art eines Lagers mit Zinnen und Schutzwall. Schon erblickten die Männer am Ende des Wegs der Latiner Türme und ragende Häuser und traten heran an die Mauer. Knaben und Jünglinge in der Blüte der Jugend trainieren dort vor der Stadt zu Pferd und tummeln im Staub die Gespanne, ziehen den Bogen straff oder schleudern weit mit den Armen zähe Speere und fordern heraus zum Lauf und zum Boxkampf: Da bringt Kunde ein Bote, welcher vorausritt, ans Ohr des hochbetagten Königs, riesige Männer in fremden Kleidern seien gekommen. Er lässt in seinen Palast sie rufen und nimmt in der Mitte dann Platz auf dem Thron seiner Ahnen. Riesig, ragend auf hundert Säulen, stand ein erhabnes Haus in der Stadt hoch oben, die Burg des laurentischen Picus, Schauer erregend durch Wälder und fromme Ehrfurcht der Ahnen. Hier zu empfangen das Szepter, zuerst zu ergreifen die Fasces – glückliches Vorzeichen war’s für die Könige; Rathaus war dieses Heiligtum, hier der Platz für das Opfermahl, hier, nach des Widders Schlachtung, saßen gewöhnlich an langen Tischen die Väter. Ja, auch Statuen früher Ahnen in Reihe aus altem Zedernholz, Italus, Vater Sabinus, der Pflanzer der Reben, auch als Standbild die krumme Sichel noch haltend, Saturn, der Greis, und dazu das Standbild des doppelgesichtigen Janus standen im Vestibül, auch andere Herrscher der Urzeit, Männer auch, die im Kampf für das Vaterland Wunden erlitten. Außerdem hingen zahlreiche Waffen an heiligen Pfosten, Wagen, erbeutet, und Äxte mit scharf sich rundender Schneide, Helmbüsche, Zierde des Hauptes, gewaltige Riegel von Toren, Wurfspieße auch und Schilde und Rammsporne, Schiffen entrissen. Dort saß auch mit Quirinus’ Krummstab, bekleidet mit kurzer Trabea, haltend den heiligen Schild mit der Linken, er selber,

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Picus, equum domitor, quem capta cupidine coniunx aurea percussum virga versumque venenis fecit avem Circe sparsitque coloribus alas. Tali intus templo divum patriaque Latinus sede sedens Teucros ad sese in tecta vocavit atque haec ingressis placido prior edidit ore: ‘dicite, Dardanidae (neque enim nescimus et urbem et genus, auditique advertitis aequore cursum), quid petitis? quae causa rates aut cuius egentis litus ad Ausonium tot per vada caerula vexit? sive errore viae seu tempestatibus acti, qualia multa mari nautae patiuntur in alto, fluminis intrastis ripas portuque sedetis, ne fugite hospitium, neve ignorate Latinos Saturni gentem haud vinclo nec legibus aequam, sponte sua veterisque dei se more tenentem. atque equidem memini (fama est obscurior annis) Auruncos ita ferre senes, his ortus ut agris Dardanus Idaeas Phrygiae penetrarit ad urbes Threiciamque Samum, quae nunc Samothracia fertur. hinc illum, Corythi Tyrrhena ab sede profectum, aurea nunc solio stellantis regia caeli accipit et numerum divorum altaribus auget.’ Dixerat, et dicta Ilioneus sic voce secutus: ‘rex, genus egregium Fauni, nec fluctibus actos atra subegit hiems vestris succedere terris, nec sidus regione viae litusve fefellit: consilio hanc omnes animisque volentibus urbem adferimur pulsi regnis, quae maxima quondam extremo veniens Sol aspiciebat Olympo. ab Iove principium generis, Iove Dardana pubes gaudet avo, rex ipse Iovis de gente suprema:

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Picus, der Rossebezwinger; den schlug – gehabt hätt als Mann ihn gern sie – Kirke mit goldenem Zweig und machte mit einem Saft ihn zum Vogel, besprengte mit Farben bunt sein Gefieder. Mitten in solch einem Tempel der Götter saß nun Latinus auf dem Thron seiner Väter; ins Haus zu sich rief er die Teukrer und sprach, als sie’s betraten, freundlich die folgenden Worte: »Sagt, ihr Dardaner – denn wir kennen sehr gut eure Stadt und euer Volk, und es kam uns zu Ohren euere Meerfahrt –, was begehrt ihr denn? Was für ein Grund oder welche Bedrängnis trug an Ausoniens Strand über so viel Meere die Schiffe? Ob ihr nun auf einer Irrfahrt oder von Stürmen getrieben, wie die Schiffer sie vielfach auf hohem Meere erdulden, hier zum Ufer des Flusses kamt und im Hafen jetzt ankert, meidet nicht Gastfreundschaft und wisset wohl, die Latiner, sie, das Volk des Saturn, sind gerecht, nicht durch Zwang und Gesetze, sondern von sich aus und nach dem Vorbild des uralten Gottes. Ja, ich entsinn mich – verdunkelt haben die Jahre die Kunde –, greise Aurunker erzählten es so: Diesem Lande entstammt, sei Dardanus vorgedrungen zu Phrygiens Städten am Ida und zum thrakischen Samos, das jetzt Samothrake genannt wird. Ihn, der von Korythus hier, dem tyrrhenischen Wohnsitze, aufbrach, ihn empfängt des gestirnten Himmels goldene Burg jetzt auf dem Thron und vermehrt durch Altäre die Anzahl der Götter.« Sprach’s, und Ilioneus sagte darauf die folgenden Worte: »König, des Faunus erhabener Sohn, kein finsterer Sturm trieb uns durch die Wogen und zwang uns, an eurer Küste zu landen, weder Gestirn noch Gestade hat uns getäuscht in der Richtung: Willentlich und mit Absicht kommen wir alle zu dieser Stadt, verjagt aus dem größten Reich, das zuvor auf dem Weg vom äußersten Rande des Himmels dem Sonnengott zu Gesicht kam. Juppiter steht am Beginn unsres Volks, über ihn als den Ahnherrn freun sich die Dardaner, seinem Geschlecht entstammt auch der König:

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Troius Aeneas tua nos ad limina misit. quanta per Idaeos saevis effusa Mycenis tempestas ierit campos, quibus actus uterque Europae atque Asiae fatis concurrerit orbis, audiit et si quem tellus extrema refuso summovet Oceano et si quem extenta plagarum quattuor in medio dirimit plaga solis iniqui. diluvio ex illo tot vasta per aequora vecti dis sedem exiguam patriis litusque rogamus innocuum et cunctis undamque auramque patentem. non erimus regno indecores, nec vestra feretur fama levis tantique abolescet gratia facti, nec Troiam Ausonios gremio excepisse pigebit. fata per Aeneae iuro dextramque potentem, sive fide seu quis bello est expertus et armis: multi nos populi, multae (ne temne, quod ultro praeferimus manibus vittas ac verba precantia) et petiere sibi et voluere adiungere gentes; sed nos fata deum vestras exquirere terras imperiis egere suis. hinc Dardanus ortus: huc repetit iussisque ingentibus urget Apollo Tyrrhenum ad Thybrim et fontis vada sacra Numici. dat tibi praeterea fortunae parva prioris munera, reliquias Troia ex ardente receptas. hoc pater Anchises auro libabat ad aras, hoc Priami gestamen erat cum iura vocatis more daret populis, sceptrumque sacerque tiaras Iliadumque labor vestes.’ Talibus Ilionei dictis defixa Latinus obtutu tenet ora soloque immobilis haeret, intentos volvens oculos; nec purpura regem picta movet nec sceptra movent Priameia tantum

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Uns entsandte zu deiner Schwelle der Troer Aeneas. Welch ein Sturm, entfesselt im wilden Mykene, des Ida Land durchbrauste, von welchen Fata getrieben die beiden Welten, Europa und Asien, Krieg führten gegeneinander, hörten die, die der äußerste Rand der Erde beim in sich selber fließenden Ozean fernhält, und die, die von uns die Zone inmitten der vier, wo die Sonne glühend ist, abtrennt. Nach dieser Flut des Verderbens durch wüste Meere gefahren, flehn für die heimischen Götter wir um einen winzigen Wohnsitz, harmloses Küstengelände und Wasser und Luft, das Gemeingut. Euer Reich muss für uns sich nicht schämen, nicht klein ist der Ruhm, der euch dann zuteil wird, nicht schwindet der Dank für solch eine Tat, und Troja geborgen zu haben, wird nie die Ausonier reuen. Bei des Aeneas Fatum und seiner kraftvollen Rechten, ob im Bündnis sie einer erprobt, ob in Krieg und in Waffen, schwöre ich: Zahlreiche Völker und Stämme – missacht uns nicht, weil von selbst wir mit Binden in Händen uns nahn und bittenden Worten – haben uns umworben und wollten mit uns sich verbünden; doch uns trieben die Fata der Götter durch ihre Befehle, euer Gebiet zu suchen. Von hier stammt Dardanus: Hierher ruft uns zurück und drängt uns mit strengen Befehlen Apollo hin zum tyrrhenischen Thybris, zum heiligen Quell des Numicus. Außerdem schenkt er dir früheren Glückes bescheidene Gaben, Überreste, sie sind aus dem brennenden Troja gerettet. Aus der Goldschale hier goss Opfertrank Vater Anchises, dies war des Priamus Tracht, wenn Recht dem versammelten Volke nach dem Brauche er sprach, das Szepter, die heilge Tiara und sein Gewand, das Werk trojanischer Frauen.« So Ilioneus; niedergebeugt, in Betrachtung versunken, hält sein Gesicht Latinus und blickt wie gebannt auf den Boden, ständig die angespannten Augen bewegend; ihn reizt das Purpurgewand und das Szepter des Priamus weniger, als er

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quantum in conubio natae thalamoque moratur, et veteris Fauni volvit sub pectore sortem: hunc illum fatis externa ab sede profectum portendi generum paribusque in regna vocari auspiciis, huic progeniem virtute futuram egregiam et totum quae viribus occupet orbem. tandem laetus ait: ‘di nostra incepta secundent auguriumque suum! dabitur, Troiane, quod optas. munera nec sperno: non vobis rege Latino divitis uber agri Troiaeve opulentia derit. ipse modo Aeneas, nostri si tanta cupido est, si iungi hospitio properat sociusque vocari, adveniat, vultus neve exhorrescat amicos: pars mihi pacis erit dextram tetigisse tyranni. vos contra regi mea nunc mandata referte: est mihi nata, viro gentis quam iungere nostrae non patrio ex adyto sortes, non plurima caelo monstra sinunt; generos externis adfore ab oris, hoc Latio restare canunt, qui sanguine nostrum nomen in astra ferant. hunc illum poscere fata et reor et, si quid veri mens augurat, opto.’ haec effatus equos numero pater eligit omni (stabant ter centum nitidi in praesepibus altis); omnibus extemplo Teucris iubet ordine duci instratos ostro alipedes pictisque tapetis (aurea pectoribus demissa monilia pendent, tecti auro fulvum mandunt sub dentibus aurum), absenti Aeneae currum geminosque iugalis semine ab aetherio spirantis naribus ignem, illorum de gente patri quos daedala Circe supposita de matre nothos furata creavit. talibus Aeneadae donis dictisque Latini

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in Gedanken verweilt bei der Ehe und Hochzeit der Tochter und im Herzen bewegt des alten Faunus Orakel: Er, der den Fata gemäß aufbrach aus der Fremde, sei ihm als Schwiegersohn prophezeit, unter gleichen Auspizien auch zur Herrschaft berufen, und seine Nachkommen würden von größter Tatkraft sein und mächtig, die ganze Welt zu erobern. Froh ruft endlich er: »Unsren Plan solln die Götter zum Guten wenden und die Verheißung! Gewährt sei dein Wunsch dir, Trojaner. Nicht verschmäh ich die Gaben: Nicht soll euch, solange Latinus König ist, fruchtbares Land, nicht Trojas Üppigkeit fehlen. Möge Aeneas nur selbst, wenn so groß sein Verlangen nach uns ist, wenn es ihm eilt, unser Gastfreund und Bundesgenosse zu heißen, hierher kommen und nicht vor dem Antlitz des Freundes sich scheuen: Teil des Vertrags ist’s für mich, dem König die Rechte zu drücken. Meldet ihm aber jetzt meine Botschaft: Ich hab eine Tochter; sie einem Mann unsres Volks zu vermählen, verbieten meines Vaters Orakel und zahlreiche Zeichen vom Himmel; Schwiegersöhne, künden sie, kämen von fremden Gestaden, das sei Latium bestimmt; zu den Sternen erheben solln unsren Namen sie durch ihr Blut. Dass jenen fordern die Fata, glaub ich und, ahnt irgendwie mein Herz die Wahrheit, dann wünsch ich’s.« Sprach’s; dann wählte der Vater Pferde aus seinem Bestande – dreihundert standen an hohen Krippen mit glänzenden Fellen –; zuführn sofort lässt sämtlichen Teukrern der Reihe nach einen Renner er, der mit bestickter, purpurner Decke bedeckt ist – goldener Halsschmuck hängt von der Brust herab, unter goldnen Decken beißen sie da auf goldenes Zaumzeug –, und einen Wagen mit Doppelgespann dem fernen Aeneas; es ist von himmlischer Abkunft, mit feuerschnaubende Nüstern, und stammt von Pferden, welche die listige Kirke als Bastarde heimlich züchtete für ihren Vater von untergeschobener Mutter. So bedachte Latinus die Aeneaden mit Wort und

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sublimes in equis redeunt pacemque reportant. 285 Ecce autem Inachiis sese referebat ab Argis saeva Iovis coniunx aurasque invecta tenebat, et laetum Aenean classemque ex aethere longe Dardaniam Siculo prospexit ab usque Pachyno. 290 moliri iam tecta videt, iam fidere terrae, deseruisse rates: stetit acri fixa dolore. tum quassans caput haec effundit pectore dicta: ‘heu stirpem invisam et fatis contraria nostris fata Phrygum! num Sigeis occumbere campis, 295 num capti potuere capi? num incensa cremavit Troia viros? medias acies mediosque per ignis invenere viam. at, credo, mea numina tandem fessa iacent, odiis aut exsaturata quievi. quin etiam patria excussos infesta per undas 300 ausa sequi et profugis toto me opponere ponto. absumptae in Teucros vires caelique marisque. quid Syrtes aut Scylla mihi, quid vasta Charybdis profuit? optato conduntur Thybridis alveo securi pelagi atque mei. Mars perdere gentem 305 immanem Lapithum valuit, concessit in iras ipse deum antiquam genitor Calydona Dianae, quod scelus aut Lapithas tantum aut Calydona merentem? ast ego, magna Iovis coniunx, nil linquere inausum quae potui infelix, quae memet in omnia verti, 310 vincor ab Aenea. quod si mea numina non sunt magna satis, dubitem haud equidem implorare quod usquam flectere si nequeo superos, Acheronta movebo. [est: non dabitur regnis, esto, prohibere Latinis, atque immota manet fatis Lavinia coniunx: 315 at trahere atque moras tantis licet addere rebus, at licet amborum populos exscindere regum.

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Gaben, und hoch zu Ross ziehn heim sie und bringen den Pakt mit. Sieh, aus Argos, der Stadt des Inachus, war unterwegs des Juppiter grimmige Gattin und fuhr durch die Lüfte; da sieht von weitem den frohen Aeneas sie und die Dardanerflotte aus des Äthers Höhn vom sizilischen Gipfel Pachynums, sieht sie schon Häuser erbaun, schon dem Lande vertraun und die Schiffe aufgeben: Sie hält an, durchbohrt von bitteren Schmerzen, schüttelt den Kopf und stößt dann hervor aus der Brust diese Worte: »O du verhasstes Geschlecht und ihr Fata der Phryger, konträr den unsrigen! Sind sie denn wohl auf den Feldern Sigeums gefallen, blieben Gefangne gefangen? Verbrannte die Männer das Feuer Trojas? Sie fanden mitten durch Schlachtreihen, mitten durch Brände ihren Weg. Ja, ich glaub, meine Macht liegt endlich am Boden, kraftlos, oder ich fand, vom Hass ganz gesättigt, zur Ruhe. Doch zu verfolgen die Heimatvertriebenen feindlich durchs Wasser wagt ich, im ganzen Meer ihrer Flucht entgegenzuwirken. Gegen die Teukrer verbraucht sind die Kräfte des Meers und des Himmels. Syrten und Skylla, die wilde Charybdis, was brachten mir die für Nutzen? Geborgen sind sie im ersehnten Schoße des Thybris, sicher vor mir und dem Meer. Das Riesenvolk der Lapithen konnte Mavors vernichten, es gab dem Zorn der Diana preis das uralte Kalydon selber der Vater der Götter; welches Verbrechen denn büßten Kalydon oder Lapithen? Ich aber, Juppiters mächtige Gattin, die unversucht nichts zu lassen vermochte, ich Arme, die jegliche Finte probierte, werde besiegt von Aeneas. Doch reicht meine eigene Macht nicht, sollt ich nicht zögern, um Hilfe, egal wo sie herkommt, zu flehen: Stimm ich den Himmel nicht um, dann mobilisier ich den Orkus. Gut denn, von der Herrschaft in Latium fernhalten, geht nicht, und vom Geschick garantiert bleibt ihm als Gemahlin Lavinia: Aber verzögern und hinziehen darf ich so großes Geschehen, aber vernichten darf ich der beiden Könige Völker.

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hac gener atque socer coeant mercede suorum: sanguine Troiano et Rutulo dotabere, virgo, et Bellona manet te pronuba. nec face tantum Cisseis praegnas ignis enixa iugalis; quin idem Veneri partus suus et Paris alter, funestaeque iterum recidiva in Pergama taedae.’ Haec ubi dicta dedit, terras horrenda petivit; luctificam Allecto dirarum ab sede dearum infernisque ciet tenebris, cui tristia bella iraeque insidiaeque et crimina noxia cordi. odit et ipse pater Pluton, odere sorores Tartareae monstrum: tot sese vertit in ora, tam saevae facies, tot pullulat atra colubris. quam Iuno his acuit verbis ac talia fatur: ‘hunc mihi da proprium, virgo sata Nocte, laborem, hanc operam, ne noster honos infractave cedat fama loco, neu conubiis ambire Latinum Aeneadae possint Italosve obsidere finis. tu potes unanimos armare in proelia fratres atque odiis versare domos, tu verbera tectis funereasque inferre faces, tibi nomina mille, mille nocendi artes. fecundum concute pectus, dissice compositam pacem, sere crimina belli: arma velit poscatque simul rapiatque iuventus.’ Exim Gorgoneis Allecto infecta venenis principio Latium et Laurentis tecta tyranni celsa petit tacitumque obsedit limen Amatae, quam super adventu Teucrum Turnique hymenaeis femineae ardentem curaeque iraeque coquebant. huic dea caeruleis unum de crinibus anguem conicit inque sinum praecordia ad intima subdit, quo furibunda domum monstro permisceat omnem.

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Schwiegervater und -sohn sei ihr Volk der Preis für ihr Bündnis: Troer- und Rutulerblut wird deine Mitgift, o Jungfrau, Brautführerin Bellona. Kisseïs nicht nur, mit der Fackel schwanger, gebar einen Sohn, der als Gatte zum Feuerbrand wurde; Venus auch hat so einen Sohn, einen anderen Paris, Hochzeitsfackeln sind auch für das neue Pergamum tödlich.« Sprach’s und eilte, entsetzlich, hinab zur Erde; sie ruft vom Sitz der grausigen Göttinnen und aus dem Unterweltsdunkel her die verruchte Allekto; der liegen am Herzen die Trauer schaffenden Kriege und Jähzorn und Tücke und böse Verleumdung. Vater Pluto auch hasst, die Schwestern im Tartarus hassen dieses Monster: Sie nimmt so viele Gestalten an und so grausame Fratzen, von so viel Nattern strotzt sie auch düster. Juno stachelt sie an mit folgenden Worten und sagt ihr: »Jungfrau, Tochter der Nacht, erweise mir diesen besondren Dienst, diese Mühe, damit ich nicht meine Ehre verliere, nicht mein Ansehn dahin ist, die Aeneaden Latinus nicht um die Ehe angehn und nicht Italien besetzen. Brüder, die einträchtig sind, kannst du zum Zweikampf bewaffnen, Sippen vernichten durch Hass und Fackeln des Todes und Schläge tragen unter die Dächer, hast tausend Namen, beherrschst auch tausend Künste des Schadens. Erfindergeist setz in Bewegung, stör den vereinbarten Frieden und schaff einen Anlass zum Kriege: Waffen begehre und fordre die Jugend und reiße sie an sich.« Gleich begibt sich Allekto, getränkt von den Giften der Gorgo, erst nach Latium zu des laurentischen Herrschers erhabnem Schloss und nimmt dort Besitz vom stillen Gemach der Amata; wegen der Ankunft der Teukrer und wegen des Turnus Vermählung kochte sie, heftig entbrannt von Wut und weiblichen Sorgen. Ihr wirft hin aus dem blauschwarzen Haar eine Schlange die Göttin, lässt sie im Bausch des Gewandes gleich neben dem Herzen sich bergen; rasend gemacht durch das Scheusal soll gänzlich ihr Haus sie zerrütten.

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ille inter vestes et levia pectora lapsus volvitur attactu nullo fallitque furentem vipeream inspirans animam; fit tortile collo aurum ingens coluber, fit longae taenia vittae innectitque comas et membris lubricus errat. ac dum prima lues udo sublapsa veneno pertemptat sensus atque ossibus implicat ignem necdum animus toto percepit pectore flammam, mollius et solito matrum de more locuta est, multa super nata lacrimans Phrygiisque hymenaeis: ‘exulibusne datur ducenda Lavinia Teucris, o genitor, nec te miseret nataeque tuique? nec matris miseret, quam primo Aquilone relinquet perfidus alta petens abducta virgine praedo? an non sic Phrygius penetrat Lacedaemona pastor, Ledaeamque Helenam Troianas vexit ad urbes? quid tua sancta fides? quid cura antiqua tuorum et consanguineo totiens data dextera Turno? si gener externa petitur de gente Latinis, idque sedet, Faunique premunt te iussa parentis, omnem equidem sceptris terram quae libera nostris dissidet, externam reor et sic dicere divos. et Turno, si prima domus repetatur origo, Inachus Acrisiusque patres mediaeque Mycenae.’ His ubi nequiquam dictis experta Latinum contra stare videt, penitusque in viscera lapsum serpentis furiale malum totamque pererrat, tum vero infelix ingentibus excita monstris immensam sine more furit lymphata per urbem. ceu quondam torto volitans sub verbere turbo, quem pueri magno in gyro vacua atria circum intenti ludo exercent, ille actus habena

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Zwischen dem Kleid und der glatten Brust kriecht jene nun abwärts, ringelt sich ohne Berührung dahin und täuscht die Besessne, haucht ihr den Schlangenatem ein; zum goldenen Halsband wird die gewaltige Natter, zum Band an der Kopfbinde; ihre Haare durchschlingt sie und wandert ihr schlüpfrig über die Glieder. Während das Übel zunächst in feuchtem Gifte hinabrann, nur die Sinne befiel und Feuer in Knochen und Mark goss, aber ihr Geist noch nicht im ganzen Herzen entflammt war, sprach sie noch recht gefasst in der üblichen Art einer Mutter, heftig über ihr Kind und den phrygischen Ehebund weinend: »Wird nun Lavinia wirklich die Braut landflüchtiger Teukrer, hast du kein Mitleid mit deiner Tochter, mit dir auch nicht, Vater, nicht mit der Mutter, die jener, nachdem er das Mädchen entführt hat, treulos beim ersten Nordwind verlässt Richtung Meer, dieser Räuber? Drang nicht so in Sparta ein der phrygische Hirt und brachte zu Trojas Städten die Helena, Tochter der Leda? Was ist mit heiliger Treue, der früheren Sorge um deine Leute, der Rechten, so oft dem verwandten Turnus gegeben? Wird schon ein Schwiegersohn aus der Fremde gesucht den Latinern, steht dies fest und bedrängt dich des Faunus Befehl, deines Vaters, dann, so glaub ich, ist jedes Gebiet, das in Freiheit sich unsrem Szepter entzieht, die Fremde, und so auch sagen’s die Götter. So stammt Turnus, geht man zum Ursprung des Hauses zurück, von Inachus und Akrisius ab und direkt aus Mykene.« Als sie sieht, dass umsonst sie’s mit Worten versucht bei Latinus und er abweisend bleibt, als tief in das Innere schleicht der Schlange rasend machendes Gift und ganz sie durchflutet, rast die Arme, heftig erregt durch schreckliche Bilder, haltlos hin durch die Weite der Stadt, vom Wahnsinn getrieben. Wie zuweilen ein Kreisel sich dreht unter Schlägen der Peitsche, den auf weiter Kreisbahn die Knaben rings um das leere Atrium treiben, vertieft in das Spiel; der fliegt unterm Hieb der

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curvatis fertur spatiis; stupet inscia supra impubesque manus mirata volubile buxum; dant animos plagae: non cursu segnior illo per medias urbes agitur populosque ferocis. quin etiam in silvas simulato numine Bacchi maius adorta nefas maioremque orsa furorem evolat et natam frondosis montibus abdit, quo thalamum eripiat Teucris taedasque moretur, ‘euhoe Bacche’ fremens, solum te virgine dignum vociferans: etenim mollis tibi sumere thyrsos, te lustrare choro, sacrum tibi pascere crinem. fama volat, furiisque accensas pectore matres idem omnis simul ardor agit nova quaerere tecta. deseruere domos, ventis dant colla comasque; ast aliae tremulis ululatibus aethera complent pampineasque gerunt incinctae pellibus hastas. ipsa inter medias flagrantem fervida pinum sustinet ac natae Turnique canit hymenaeos sanguineam torquens aciem, torvumque repente clamat: ‘io matres, audite, ubi quaeque, Latinae: si qua piis animis manet infelicis Amatae gratia, si iuris materni cura remordet, solvite crinalis vittas, capite orgia mecum.’ talem inter silvas, inter deserta ferarum reginam Allecto stimulis agit undique Bacchi. Postquam visa satis primos acuisse furores consiliumque omnemque domum vertisse Latini, protinus hinc fuscis tristis dea tollitur alis audacis Rutuli ad muros, quam dicitur urbem Acrisionaeis Danae fundasse colonis praecipiti delata Noto. locus Ardea quondam dictus avis, et nunc magnum manet Ardea nomen,

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Schnur auf gekrümmter Bahn; da staunt die Kinderschar, ohne dies zu begreifen, und sie bewundert das kreisende Holzstück; Schläge geben ihm Schwung: Nicht weniger schnell wird im Lauf sie mitten durch Städte und trotzige Völkerschaften getrieben. Selbst in die Wälder, als folgte sie da dem Willen des Bacchus, hätte was Größres verbrochen und größeren Wahnwitz entfesselt, eilt sie und birgt in waldigen Bergen die Tochter, um so den Teukrern zu rauben die Braut und zugleich zu verzögern die Hochzeit, »Euhoe, Bacchus« jauchzend, nur dich als würdig der Jungfrau preisend: Denn sie ergreife für dich nur den biegsamen Thyrsus, dich umtanze sie, lasse das Haar dir zur Ehre sich wachsen. Fama fliegt, und die Mütter, im Innern entflammt durch den Wahn, treibt alle dasselbe Verlangen, sich neue Häuser zu suchen. Ihre verlassen sie; setzen den Winden Nacken und Haare aus; durch ihr Heulen erzittern lassen andre den Äther, tragen, in Felle gehüllt, mit Weinlaub umwundene Stäbe. Sie, mittendrin, hält hoch eine lodernde Kienfackel, ist von Wut entbrannt und singt für die Tochter und Turnus das Brautlied, rollt die blutunterlaufenen Augen und schreit plötzlich gellend: »Io, Mütter, wo immer ihr seid, hört, Latiums Frauen: Wenn’s für die arme Amata in eurem ergebenen Sinn noch Zuneigung gibt, noch Sorge euch quält ums Recht einer Mutter, löst die Binden im Haar und feiert mit mir orgiastisch.« So treibt durch die Wälder, die öde Behausung des Wildes überall mit den Stacheln des Bacchus Allekto die Fürstin. Als sie annimmt, fürs erste genug den Wahnsinn gereizt, die Pläne vereitelt, zerrüttet das Haus des Latinus zu haben, hebt sich die finstere Göttin von hier auf düsteren Schwingen gleich zu des kühnen Rutulers Stadt, die Danaë einst für Siedler aus der Stadt des Akrisius gründete, sagt man, hergetragen vom stürmischen Notus. Ardea hieß der Ort für die Ahnen einst; noch hat es einen berühmten

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sed fortuna fuit: tectis hic Turnus in altis iam mediam nigra carpebat nocte quietem. Allecto torvam faciem et furialia membra exuit, in vultus sese transformat anilis et frontem obscenam rugis arat, induit albos cum vitta crinis, tum ramum innectit olivae; fit Calybe Iunonis anus templique sacerdos, et iuveni ante oculos his se cum vocibus offert: ‘Turne, tot incassum fusos patiere labores, et tua Dardaniis transcribi sceptra colonis? rex tibi coniugium et quaesitas sanguine dotes abnegat, externusque in regnum quaeritur heres. i nunc, ingratis offer te, inrise, periclis; Tyrrhenas, i, sterne acies, tege pace Latinos. haec adeo tibi me, placida cum nocte iaceres, ipsa palam fari omnipotens Saturnia iussit. quare age et armari pubem portisque moveri laetus in arma para, et Phrygios qui flumine pulchro consedere duces pictasque exure carinas. caelestum vis magna iubet. rex ipse Latinus, ni dare coniugium et dicto parere fatetur, sentiat et tandem Turnum experiatur in armis.’ Hic iuvenis vatem inridens sic orsa vicissim ore refert: ‘classis invectas Thybridis undam non, ut rere, meas effugit nuntius auris; ne tantos mihi finge metus. nec regia Iuno immemor est nostri. sed te victa situ verique effeta senectus, o mater, curis nequiquam exercet, et arma regum inter falsa vatem formidine ludit. cura tibi divum effigies et templa tueri; bella viri pacemque gerent quis bella gerenda.’

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Namen, doch jetzt ist sein Glück dahin: Im hohen Palast hier lag in finsterer Nacht in tiefem Schlafe schon Turnus. Hier legt ab ihr finsteres Aussehn, die Furienglieder, und nimmt an eines alten Weibes Züge Allekto, furcht mit Falten hässlich die Stirn, umgibt sich das weiße Haar mit dem Kopfband und windet hinein den Zweig eines Ölbaums; Kalybe wird sie, die alte Priesterin Junos im Tempel, tritt dem Jüngling vor Augen und spricht die folgenden Worte: »Turnus, du duldest, dass so viel Mühe umsonst und vertan ist, dass auf dardanische Siedler übergeht deine Herrschaft? Ehebund und mit Blut erworbene Mitgift versagt der König dir, einen Fremden sucht für den Thron man als Erben. Geh nur, stelle, Verhöhnter, dich ohne Dank den Gefahren; wirf das Etruskerheer nieder und schütz die Latiner mit Frieden. Ja, dies sollte ich dir, wenn in friedlicher Nacht du da lägest, offen verkünden, befahl die allmächtige Juno persönlich. Auf, lass, freudig bereit, die Jugend sich rüsten und aus den Toren rücken zum Kampf, und die phrygischen Führer, die dort am schönen Flusse sich lagern, verbrenne mitsamt den bemalten Schiffen. Der Himmlischen Macht befiehlt es. Doch König Latinus, sagt er nicht zu, zu gewähren den Ehebund, treu seinem Worte, soll es noch spüren und schließlich erfahren, wie Turnus im Krieg kämpft.« Hier beginnt, die Prophetin verspottend, zu reden der Jüngling, und er erwidert: »Die Kunde, eingefahrn in den Thybris sei eine Flotte, entging nicht, wie du glaubst, meinen Ohren; mal mir nicht solche Schreckbilder vor. Auch Königin Juno denkt ja an uns. Dich aber plagt das stumpfe, für Wahrheit längst nicht mehr offne Alter, o Mutter, mit Sorgen um nichts, und beim Waffengeklirr der Könige täuscht es dich, die Prophetin, mit falschem Entsetzen. Deine Sorge ist’s, Tempel und Götterbilder zu schützen; Krieg und Frieden sind Sache der Männer, die Krieg führen müssen.«

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Talibus Allecto dictis exarsit in iras. at iuveni oranti subitus tremor occupat artus, deriguere oculi: tot Erinys sibilat hydris tantaque se facies aperit; tum flammea torquens lumina cunctantem et quaerentem dicere plura reppulit et geminos erexit crinibus anguis verberaque insonuit rabidoque haec addidit ore: ‘en ego victa situ, quam veri effeta senectus arma inter regum falsa formidine ludit. respice ad haec: adsum dirarum ab sede sororum, bella manu letumque gero.’ sic effata facem iuveni coniecit et atro lumine fumantis fixit sub pectore taedas. olli somnum ingens rumpit pavor, ossaque et artus perfundit toto proruptus corpore sudor. arma amens fremit, arma toro tectisque requirit; saevit amor ferri et scelerata insania belli, ira super: magno veluti cum flamma sonore virgea suggeritur costis undantis aëni exsultantque aestu latices, furit intus aquai fumidus atque alte spumis exuberat amnis, nec iam se capit unda, volat vapor ater ad auras. ergo iter ad regem polluta pace Latinum indicit primis iuvenum et iubet arma parari, tutari Italiam, detrudere finibus hostem; se satis ambobus Teucrisque venire Latinisque. haec ubi dicta dedit divosque in vota vocavit, certatim sese Rutuli exhortantur in arma: hunc decus egregium formae movet atque iuventae, hunc atavi reges, hunc claris dextera factis. Dum Turnus Rutulos animis audacibus implet, Allecto in Teucros Stygiis se concitat alis,

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Solche Worte versetzten in flammenden Jähzorn Allekto. Während der Jüngling noch redet, befällt ihn ein plötzliches Zittern, starr wird sein Blick: So zahlreiche Schlangen umzischen die Furie, so monströs zeigt ihre Gestalt sie; die feurigen Augen rollt sie und ihn, der zaudert und wünscht, noch Weitres zu sagen, stößt sie zurück, lässt auffahrn im Haar ein Paar ihrer Schlangen, knallt mit der Peitsche und sagt dazu mit rasendem Munde: »Sieh, wie stumpf ich bin, ich, die das Alter, nicht offen für Wahrheit, täuscht bei der Könige Waffengeklirr mit falschem Entsetzen. Hier schau her: Ich komme vom Sitz der entsetzlichen Schwestern, trage Krieg und Tod in der Hand.« Sprach’s und schleuderte nach dem Jüngling die Fackel und bohrte tief in die Brust das in düsterem Scheine qualmende Kienholz. Ihn reißt riesige Angst aus dem Schlaf, Gelenke und Knochen überflutet der Schweiß, der am ganzen Körper ihm ausbricht. »Waffen« brüllt er im Wahn, sucht Waffen im Bett, im Palaste; Gier nach dem Schwerte tobt und des Krieges heilloser Irrsinn, Zorn obendrein: So wird mit lautem Prasseln des Reisigs Flamme unter den Bauch des siedenden Kessels geschoben, und die Flüssigkeit sprudelt erhitzt, die Masse des Wassers tobt mit Volldampf darin, fließt aufschäumend über, nicht länger kann die Woge sich halten, und Dunst steigt düster nach oben. Nun, wo der Friede entweiht ist, da kündet den Führern der Jugend Turnus den Marsch gegen König Latinus an, heißt sie sich rüsten und Italien schützen, den Feind aus dem Lande verjagen; er sei beiden gewachsen, den Teukrern wie den Latinern. Sprach’s und rief zu den Göttern als Zeugen seines Gelübdes, und die Rutuler spornen zum Kampfe sich an um die Wette: Diesen treibt der strahlende Glanz seiner Schönheit und Jugend, jenen die fürstlichen Ahnen, den dritten der Ruhm seiner Rechten. Während mit kühnem Mut erfüllt seine Rutuler Turnus, stürzt zu den Teukrern Allekto auf stygischen Schwingen mit neuen

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arte nova, speculata locum, quo litore pulcher insidiis cursuque feras agitabat Iulus. hic subitam canibus rabiem Cocytia virgo obicit et noto naris contingit odore, ut cervum ardentes agerent; quae prima laborum causa fuit belloque animos accendit agrestis. cervus erat forma praestanti et cornibus ingens, Tyrrhidae pueri quem matris ab ubere raptum nutribant Tyrrhusque pater, cui regia parent armenta et late custodia credita campi. adsuetum imperiis soror omni Silvia cura mollibus intexens ornabat cornua sertis pectebatque ferum puroque in fonte lavabat. ille manum patiens mensaeque adsuetus erili errabat silvis rursusque ad limina nota ipse domum sera quamvis se nocte ferebat. hunc procul errantem rabidae venantis Iuli commovere canes, fluvio cum forte secundo deflueret ripaque aestus viridante levaret. ipse etiam eximiae laudis succensus amore Ascanius curvo derexit spicula cornu; nec dextrae erranti deus afuit, actaque multo perque uterum sonitu perque ilia venit harundo. saucius at quadrupes nota intra tecta refugit successitque gemens stabulis, questuque cruentus atque imploranti similis tectum omne replebat. Silvia prima soror palmis percussa lacertos auxilium vocat et duros conclamat agrestis. olli (pestis enim tacitis latet aspera silvis) improvisi adsunt, hic torre armatus obusto, stipitis hic gravidi nodis; quod cuique repertum rimanti telum ira facit. vocat agmina Tyrrhus,

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Listen im Sinn und erspäht den Ort am Strand, wo mit Fallen und im Laufe dem Wild nachstellte der schöne Ïulus. Da bringt plötzlich in Wut die kokytische Jungfrau die Hunde und berührt mit vertrauter Witterung ihnen die Nasen, um sie auf Hirsche zu hetzen; dies war für die Leiden der erste Anlass, und dies entflammte zum Krieg die Gemüter der Bauern. Einen Hirsch gab’s, ausnehmend schön, mit Riesengeweih, den Tyrrhus’ Söhne, vom Euter der Mutter geraubt, mit dem Vater Tyrrhus aufzogen; ihm unterstand das Großvieh des Königs, ihm war anvertraut die Aufsicht über die Fluren. Silvia, die Schwester, gewöhnte das Tier an ihre Befehle, schmückte auch liebevoll ihm das Geweih mit weichen Girlanden, kämmte den Hirsch und wusch ihn in reiner Quelle. Mit ihrer Hand vertraut und gewöhnt an den Tisch der Gebieterin, schweifte er in den Wäldern umher und kam von selber zurück ins Haus zur vertrauten Schwelle, wenn auch spät in der Nacht noch. Als in der Ferne er schweifte, da scheuchten des Jägers Ïulus reißende Hunde ihn auf, der gerade flussabwärts sich tragen ließ und Schutz vor der Hitze suchte am grünenden Ufer. Selbst auch entflammt vom Verlangen nach einem besonderen Ruhme, schnellte vom krummen Bogen den Pfeil Askanius; ein Gott ließ sicher zielen die Rechte; der abgeschossene Pfeil nun bohrte mit lautem Pfeifen sich durch den Bauch und die Weichen. Trotz der Verwundung floh der Hirsch in sein Haus und verkroch sich stöhnend in seinen Stall und erfüllte, blutüberströmt, mit seinem Klagen das ganze Haus, einem Flehenden gleichend. Silvia, die Schwester, schreit, mit den Händen die Arme sich schlagend, gleich nach Hilfe und ruft die harten Bauern zusammen. Die sind – im schweigenden Walde versteckt sich das grimmige Monster – unverhofft da, bewaffnet mit feuergehärtetem Holzscheit dieser, mit knotiger Keule der; was beim Suchen man findet, macht dann zur Waffe die Wut. Herbei ruft Tyrrhus die Scharen;

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quadrifidam quercum cuneis ut forte coactis scindebat rapta spirans immane securi. At saeva e speculis tempus dea nacta nocendi ardua tecta petit stabuli et de culmine summo pastorale canit signum cornuque recurvo Tartaream intendit vocem, qua protinus omne contremuit nemus et silvae insonuere profundae: audiit et Triviae longe lacus, audiit amnis sulpurea Nar albus aqua fontesque Velini, et trepidae matres pressere ad pectora natos. tum vero ad vocem celeres, qua bucina signum dira dedit, raptis concurrunt undique telis indomiti agricolae, nec non et Troia pubes Ascanio auxilium castris effundit apertis. derexere acies. non iam certamine agresti stipitibus duris agitur sudibusve praeustis, sed ferro ancipiti decernunt atraque late horrescit strictis seges ensibus, aeraque fulgent sole lacessita et lucem sub nubila iactant: fluctus uti primo coepit cum albescere vento, paulatim sese tollit mare et altius undas erigit, inde imo consurgit ad aethera fundo. hic iuvenis primam ante aciem stridente sagitta, natorum Tyrrhi fuerat qui maximus, Almo, sternitur: haesit enim sub gutture vulnus et udae vocis iter tenuemque inclusit sanguine vitam. corpora multa virum circa seniorque Galaesus, dum paci medium se offert, iustissimus unus qui fuit Ausoniisque olim ditissimus arvis: quinque greges illi balantum, quina redibant armenta, et terram centum vertebat aratris. Atque ea per campos aequo dum Marte geruntur,

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in vier Teile zerspaltet mit eingetriebenen Keilen eine Eiche er grad; wild schnaubt er und greift nach dem Beile. Jetzt fand Zeit zu schaden die grimmige Göttin; von ihrer Warte aus eilt sie zum Dach des Gehöfts, lässt oben vom First das Hirtensignal ertönen, dabei anschwellen durchs Krummhorn ihre Tartarusstimme, von der sogleich der gesamte Hain erzitterte und die Tiefen der Wälder erdröhnten: Fern vernahmen es Trivias See, der von schwefligem Wasser weißlich schimmernde Nar und auch die velinischen Quellen, und die Mütter drückten voll Angst an die Brust ihre Kinder. Da aber, bei dem Ton, mit dem sein Zeichen das grause Horn gab, greifen geschwind zu den Waffen und laufen von allen Seiten die wilden Bauern zusammen; die troische Jugend bringt Askanius Hilfe und strömt aus dem offenen Lager. Front steht jetzt gegen Front. Nicht mehr nach Bauernart kämpft mit groben Knüppeln man oder mit feuergehärteten Stangen, nein, mit der Doppelaxt kämpfen sie bis aufs Blut, und es starrt die Kriegersaat finster weithin von gezückten Schwertern, das Erz blitzt, von der Sonne getroffen, und wirft das Licht zu den Wolken: So schäumt weiß zunächst beim ersten Windstoß die Welle, doch allmählich hebt sich das Meer, türmt höher die Wogen, und dann steigt es tief aus dem Abgrund hinauf bis zum Äther. Hier wird gleich vor der Front vom schwirrenden Pfeile ein Jüngling hingestreckt, Almo; der älteste war es der Söhne des Tyrrhus: Unter der Kehle saß das Geschoss und hemmte mit Blut der Stimme den feuchten Weg und den zarten Atem des Lebens. Zahlreiche Leichname liegen ringsum, auch der greise Galaesus, der für den Frieden als Mittler sich anbot; gerechter war keiner, keiner auch damals reicher als er an ausonischen Äckern: Je fünf Herden von Schafen und Großvieh kehrten in seine Ställe zurück, und hundert Pflüge pflügten den Boden. Während auf den Feldern noch unentschieden gekämpft wird

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promissi dea facta potens, ubi sanguine bellum imbuit et primae commisit funera pugnae, deserit Hesperiam et, caelo conversa per auras, Iunonem victrix adfatur voce superba: ‘en, perfecta tibi bello discordia tristi; dic in amicitiam coeant et foedera iungant. quandoquidem Ausonio respersi sanguine Teucros, hoc etiam his addam, tua si mihi certa voluntas: finitimas in bella feram rumoribus urbes accendamque animos insani Martis amore undique ut auxilio veniant; spargam arma per agros.’ tum contra Iuno: ‘terrorum et fraudis abunde est: stant belli causae, pugnatur comminus armis, quae fors prima dedit sanguis novus imbuit arma. talia coniugia et talis celebrent hymenaeos egregium Veneris genus et rex ipse Latinus. te super aetherias errare licentius auras haud pater ille velit, summi regnator Olympi. cede locis. ego, si qua super fortuna laborum est, ipsa regam.’ talis dederat Saturnia voces. illa autem attollit stridentis anguibus alas Cocytique petit sedem supera ardua linquens. est locus Italiae medio sub montibus altis, nobilis et fama multis memoratus in oris, Ampsancti valles: densis hunc frondibus atrum urget utrimque latus nemoris, medioque fragosus dat sonitum saxis et torto vertice torrens. hic specus horrendum et saevi spiracula Ditis monstrantur, ruptoque ingens Acheronte vorago pestiferas aperit fauces, quis condita Erinys, invisum numen, terras caelumque levabat. Nec minus interea extremam Saturnia bello

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und das Versprochne die Göttin erfüllt hat, da blutig den Krieg sie anfangen ließ und mit Leichen die Schlacht eröffnete, eilt sie fort von Hesperien, kehrt zum Himmel zurück durch die Luft und sagt, da sie Siegerin ist, in stolzem Tone zu Juno: »Da, zustande gebracht ist die Zwietracht in leidvollem Kriege; sag ihnen jetzt doch, sie sollen Freundschaft und Bündnisse schließen. Da ich nun mal mit ausonischem Blute die Teukrer bespritzt hab, mach ich was Weiteres noch, sofern mir dein Plazet gewiss ist: Nachbarstädte werde zum Krieg durch Gerüchte ich treiben, auch für den Wahnwitz des Krieges die Herzen begeistern, so dass sie allseits zu Hilfe kommen, will Waffen verstreun auf den Äckern.« Juno entgegnet: »Es reicht mit dem Terror und mit dem Betrügen: Fakt sind die Kriegsgründe nun, gekämpft wird Mann gegen Mann; erst gab der Zufall die Waffen, jetzt werden sie ständig vom Blut nass. Feiern sollen nun so die Hochzeit, so die Vermählung Venus’ vortrefflicher Spross und König Latinus persönlich. Doch dass du allzu frech dich in Himmelsregionen herumtreibst, das hat der Vater nicht gern, der Herrscher des hohen Olympus. Weiche von hier. Und ergibt sich’s, dass irgendetwas zu tun bleibt, leist ich das selbst.« So waren Saturnias Worte. Doch jene hebt die Flügel, welche von Schlangen zischen, und eilt zum Sitz des Kokytus, die himmlischen Höhen hinter sich lassend. Mittendrin in Italien am Fuß hoher Berge, da liegt ein Ort, berühmt und an vielen Gestaden von Leuten genannt, das Tal des Ampsanctus: Direkt an ihn grenzt, düster mit dichtem Laub auf beiden Seiten, ein Wald; mittendrin ist ein Wildbach, der über Felsen in wirbelndem Strudel donnernd dahinbraust. Eine grausige Höhle tut sich hier auf mit den Dünsten Plutos, und wo hervorbricht der Acheron, öffnet ein jäher Abgrund den Schlund pesthauchend; darin verbarg die Erinys sich, die verhasste Macht, und erlöst waren Erde und Himmel. Unbeirrt aber legt inzwischen die Tochter Saturns, die

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imponit regina manum. ruit omnis in urbem pastorum ex acie numerus, caesosque reportant Almonem puerum foedatique ora Galaesi implorantque deos obtestanturque Latinum. Turnus adest medioque in crimine caedis et igni terrorem ingeminat: Teucros in regna vocari, stirpem admisceri Phrygiam, se limine pelli. tum quorum attonitae Baccho nemora avia matres insultant thiasis (neque enim leve nomen Amatae), undique collecti coeunt Martemque fatigant. ilicet infandum cuncti contra omina bellum, contra fata deum perverso numine poscunt. certatim regis circumstant tecta Latini; ille velut pelagi rupes immota resistit, ut pelagi rupes magno veniente fragore, quae sese multis circum latrantibus undis mole tenet; scopuli nequiquam et spumea circum saxa fremunt laterique inlisa refunditur alga. verum ubi nulla datur caecum exsuperare potestas consilium, et saevae nutu Iunonis eunt res, multa deos aurasque pater testatus inanis ‘frangimur heu fatis’ inquit ‘ferimurque procella! ipsi has sacrilego pendetis sanguine poenas, o miseri. te, Turne, nefas, te triste manebit supplicium, votisque deos venerabere seris. nam mihi parta quies, omnisque in limine portus funere felici spolior.’ nec plura locutus saepsit se tectis rerumque reliquit habenas. Mos erat Hesperio in Latio, quem protinus urbes Albanae coluere sacrum, nunc maxima rerum Roma colit, cum prima movent in proelia Martem, sive Getis inferre manu lacrimabile bellum

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Königin, letzte Hand an den Krieg. Da stürmt in die Stadt die ganze Hirtenschar aus der Schlacht; sie bringen die Toten, Almo, den jungen, und, übel entstellt im Gesicht, den Galaesus, flehen die Götter jetzt an und beschwören Latinus. Und da ist Turnus, der mitten im flammenden Vorwurf des Mordes den Schrecken noch verdoppelt: Man rufe die Teukrer zur Herrschaft, vermische sich mit dem phrygischen Blut und verjage ihn von der Schwelle. Und die Söhne der Mütter, die bacchusbegeistert in wilden Wäldern im Thiasus tanzen – schwer wiegt ja der Name Amata –, kommen von überallher und lassen dem Mars keine Ruhe. Stracks verlangen, den Zeichen zuwider, ruchlosen Krieg sie alle, gegen die Fata und gegen den göttlichen Willen. Eifrig drängt man sich um den Palast des Königs Latinus; der widersteht wie ein unbeweglicher Felsen im Meere, wie ein Felsen im Meer, wenn die große Brandung heranrollt, der trotz zahlreicher ringsum brüllender Wogen durch seine Masse sich hält; vergeblich dröhnen die Klippen und rings die Felsen voll Schaum; an die Seite geklatscht, schwappt rückwärts das Seegras. Doch als er’s nicht mehr vermag, dem verblendeten Kriegsplan zu trotzen, und auf Junos Befehl die Dinge laufen, beschwor der Vater vielfach Götter und Lüfte vergeblich und rief dann: »Weh, uns zerschmettert das Fatum und mit sich reißt uns ein Sturmwind! Büßen werdet ihr selber mit fluchbeladenem Blute, Elende ihr. Dir Turnus – entsetzlich! – steht eine düstre Strafe bevor, mit Gelübden ehrst dann zu spät du die Götter. Ich hab Ruhe gefunden, nur: Dicht an der Schwelle des Hafens darf ich nicht glücklich sterben.« Er sprach nichts mehr; im Palaste schloss er sich ein und gab aus der Hand die Lenkung der Dinge. Einen Brauch Alt-Latiums gab es, den weiter die Städte Albas heilig hielten, den jetzt die Herrin auf Erden, Roma, noch pflegt, sooft zum Kampf man loslässt den Kriegsgott, ob gegen Geten man rüstet zum tränenbringenden Kriege,

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Hyrcanisve Arabisve parant, seu tendere ad Indos Auroramque sequi Parthosque reposcere signa. sunt geminae Belli portae (sic nomine dicunt) religione sacrae et saevi formidine Martis; centum aerei claudunt vectes aeternaque ferri robora, nec custos absistit limine Ianus: has, ubi certa sedet patribus sententia pugnae, ipse Quirinali trabea cinctuque Gabino insignis reserat stridentia limina consul, ipse vocat pugnas; sequitur tum cetera pubes, aereaque adsensu conspirant cornua rauco. hoc et tum Aeneadis indicere bella Latinus more iubebatur tristisque recludere portas. abstinuit tactu pater aversusque refugit foeda ministeria et caecis se condidit umbris. tum regina deum caelo delapsa morantis impulit ipsa manu portas et cardine verso Belli ferratos rumpit Saturnia postis. ardet inexcita Ausonia atque immobilis ante; pars pedes ire parat campis, pars arduus altis pulverulentus equis furit; omnes arma requirunt. pars levis clipeos et spicula lucida tergent arvina pingui subiguntque in cote securis; signaque ferre iuvat sonitusque audire tubarum. quinque adeo magnae positis incudibus urbes tela novant, Atina potens Tiburque superbum, Ardea Crustumerique et turrigerae Antemnae. tegmina tuta cavant capitum flectuntque salignas umbonum cratis; alii thoracas aënos aut levis ocreas lento ducunt argento; vomeris huc et falcis honos, huc omnis aratri cessit amor; recoquunt patrios fornacibus ensis.

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gegen Hyrkaner und Araber, ob man nach Indien zieht, nach Osten, um dort von den Parthern zurückzufordern die Fahnen. Doppelt sind die Pforten des Kriegs – so lautet ihr Name –, durch Verehrung geheiligt und Furcht vor dem grimmigen Mavors; hundert eherne Riegel und ewige Stärke des Eisens schließen sie zu; nie weicht von der Schwelle Janus, ihr Wächter: Wenn bei den Vätern nun der Beschluss, dass man kämpfen will, feststeht, öffnet der Konsul persönlich im Staatsgewand des Quirinus, nach gabinischer Art gegürtet, die knarrenden Flügel, ruft auch persönlich zum Kampf, und es folgt die übrige Mannschaft; Zustimmung lassen dann dumpf die ehernen Hörner ertönen. Brauchgemäß sollte auch jetzt Latinus Aeneas’ Armee den Krieg erklärn und entriegeln die unheilbringenden Pforten. Doch der Vater vermied die Berührung, und abgewandt floh er vor dem grausigen Dienst und barg sich im Schatten des Dunkels. Da glitt nieder vom Himmel die Herrin der Götter und stieß die trägen Portale auf mit der eigenen Hand, und des Krieges eiserne Tore sprengte durch Drehung der Angel Saturnia. Ungestört, unerschüttert zuvor, entbrennt jetzt Ausonien; diese rücken zu Fuß ins Feld, stolz sprengen hinaus die andern zu Pferde, staubbedeckt; alle verlangen nach Waffen. Manche putzen die Schilde blank und blinkend die Speere kräftig mit fettem Speck und schärfen am Wetzstein die Beile; Feldzeichen tragen sie froh, hörn froh den Klang der Trompeten. Ambosse stellen nun auf fünf große Städte und schmieden neu die Waffen, Atina, das starke, das ragende Tibur, Ardea, Crustumerium, das türmereiche Antemnae. Helme höhlen sie aus als Kopfschutz, flechten für Schilde Weidengestelle; andere schmieden eherne Panzer oder glatte Beinschienen aus geschmeidigem Silber; Ansehn der Pflugschar und Sichel und jegliche Liebe zum Pfluge schwanden; die Schwerter der Väter schmieden sie um in den Öfen.

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classica iamque sonant, it bello tessera signum; hic galeam tectis trepidus rapit, ille trementis ad iuga cogit equos, clipeumque auroque trilicem loricam induitur fidoque accingitur ense. Pandite nunc Helicona, deae, cantusque movete, qui bello exciti reges, quae quemque secutae complerint campos acies, quibus Itala iam tum floruerit terra alma viris, quibus arserit armis. et meministis enim, divae, et memorare potestis; ad nos vix tenuis famae perlabitur aura. Primus init bellum Tyrrhenis asper ab oris contemptor divum Mezentius agminaque armat. filius huic iuxta Lausus, quo pulchrior alter non fuit excepto Laurentis corpore Turni; Lausus, equum domitor debellatorque ferarum, ducit Agyllina nequiquam ex urbe secutos mille viros, dignus patriis qui laetior esset imperiis et cui pater haud Mezentius esset. Post hos insignem palma per gramina currum victoresque ostentat equos satus Hercule pulchro pulcher Aventinus, clipeoque insigne paternum centum angues cinctamque gerit serpentibus Hydram; collis Aventini silva quem Rhea sacerdos furtivum partu sub luminis edidit oras, mixta deo mulier, postquam Laurentia victor Geryone exstincto Tirynthius attigit arva, Tyrrhenoque boves in flumine lavit Hiberas. pila manu saevosque gerunt in bella dolones et tereti pugnant mucrone veruque Sabello. ipse pedes, tegumen torquens immane leonis, terribili impexum saeta cum dentibus albis indutus capiti, sic regia tecta subibat,

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Schon ertönen Signale, man hört für den Kampf die Parole; der reißt schnell aus dem Haus den Helm, der zwingt die erregten Pferde ins Joch, und den Schild und den Panzer aus dreifachem Golddraht legen sie an und umgürten sich mit dem verlässlichen Schwerte. Öffnet den Helikon, Göttinnen, regt mich an, dass ich singe, welche Fürsten der Krieg aufrief, welche Heere, die Felder füllend, folgten, mit welchen Männern schon damals Italiens nährende Erde sich schmückte und welche Kämpfe dort tobten. Denn ihr erinnert euch dran, ihr Göttinnen, könnt es erzählen; doch bis zu uns dringt kaum ein flüchtiger Hauch des Geschehens. Grimmig zieht da als erster ins Feld aus dem Land der Tyrrhener jener Verächter der Götter Mezentius und rüstet die Truppen. Lausus steht ihm zur Seite, sein Sohn; es gab keinen schönern Mann als diesen, sofern den Laurenter Turnus man ausnimmt; Lausus, Bezähmer der Rosse und wilder Tiere Bezwinger, führt aus der Stadt Agylla umsonst ein Gefolge von tausend Männern; er hätte verdient, mehr Glück zu haben in seines Vaters Reich und dass sein Vater nicht wäre Mezentius. Hinter ihnen prunkt mit palmengeschmücktem Gespann und siegreichen Rossen im Grase des schönen Herkules Sohn, der schöne Aventinus, im Schilde führt er des Vaters Wappen: hundert Schlangen, von ihnen umgeben die Hydra; ihn gebar und brachte zur Welt des Lichts in dem Wald am aventinischen Hügel heimlich die Priesterin Rhea, damals in Liebe vereint mit dem Gott, als der Sieger von Tiryns nach des Geryones Tötung betrat die Fluren Laurentums und im tyrrhenischen Strom abwusch die iberischen Rinder. Wurfspeere tragen zum Kampf seine Krieger und furchtbare Piken, kämpfen mit länglich rundem Dolch und dem Spieß der Sabeller. Selber zu Fuß, gehüllt in ein riesiges Löwenfell mit den Zotteln der schrecklichen Mähne, den zähnebleckenden Rachen über den Kopf gezogen, so trat er ein zum Palaste,

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horridus Herculeoque umeros innexus amictu. Tum gemini fratres Tiburtia moenia linquunt, fratris Tiburti dictam cognomine gentem, Catillusque acerque Coras, Argiva iuventus, et primam ante aciem densa inter tela feruntur: ceu duo nubigenae cum vertice montis ab alto descendunt Centauri Homolen Othrymque nivalem linquentes cursu rapido; dat euntibus ingens silva locum et magno cedunt virgulta fragore. Nec Praenestinae fundator defuit urbis, Volcano genitum pecora inter agrestia regem inventumque focis omnis quem credidit aetas, Caeculus. hunc legio late comitatur agrestis: quique altum Praeneste viri quique arva Gabinae Iunonis gelidumque Anienem et roscida rivis Hernica saxa colunt, quos, dives Anagnia, pascis, quos, Amasene pater. non illis omnibus arma nec clipei currusve sonant: pars maxima glandes liventis plumbi spargit, pars spicula gestat bina manu, fulvosque lupi de pelle galeros tegmen habent capiti, vestigia nuda sinistri instituere pedis, crudus tegit altera pero. At Messapus, equum domitor, Neptunia proles, quem neque fas igni cuiquam nec sternere ferro, iam pridem resides populos desuetaque bello agmina in arma vocat subito ferrumque retractat. hi Fescenninas acies Aequosque Faliscos, hi Soractis habent arces Flaviniaque arva et Cimini cum monte lacum lucosque Capenos. ibant aequati numero regemque canebant, ceu quondam nivei liquida inter nubila cycni cum sese e pastu referunt et longa canoros

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grausig zu schaun, um die Schultern geknüpft des Herkules Umhang. Zwillingsbrüder verlassen darauf die Mauern von Tibur, aus dem Stamm, der benannt ist nach ihrem Bruder Tiburtus, Koras, der hitzige, und Katillus, argivische Jugend; im Geschosshagel stürmen dahin sie in vorderster Reihe: Wie wenn vom Gipfel des Bergs zwei wolkengeborne Kentauren steigen, im schnellen Lauf verlassend die schneeüberzognen Höhen von Othrys und Homole; Platz macht ihnen der große Wald unterwegs, es weicht das Gebüsch mit prasselndem Krachen. Auch der Gründer der Stadt Praeneste fehlte nicht – ihn als künftigen König zeugte Vulkan zwischen ländlichen Tieren, und man fand ihn am Herd, wie jedes Zeitalter glaubte –, Caeculus. Eine Truppe von Bauern folgt ihm in breiter Front: Auf Praenestes Höhn und im Land der gabinischen Juno und am eisigen Anio und auf den von Bächen bespülten Hernikerfelsen wohnen sie; reiches Anagnia, du und du, Amasenus, ihr nährt sie. Nicht jeder hat klirrende Waffen, weder Schild noch Streitwagen: Eicheln schleudern die meisten aus blaugrauem Blei, zwei Wurfspieße schwingen mit ihren Händen die andern; sie haben aus Wolfsfell gelbliche Kappen auf als Bedeckung fürs Haupt; fest tritt auf den Boden ihr nackter linker Fuß, den andern bedeckt ein Rohlederstiefel. Aber Messapus, Bezwinger der Rosse, ein Sohn des Neptunus, den mit Schwert oder Feuer zu töten keinem erlaubt war, ruft sein längst schon träges Volk, die des Krieges entwöhnten Heerhaufen, plötzlich zum Kampf und greift von neuem zum Schwerte. Die hier bewohnen Fescenniums Gipfel und Aequi Falisci, die dort die Höhn des Sorakte und die flavinischen Fluren, Berg und See von Ciminus auch und die Haine Capenas. Alle marschierten im Gleichschritt, in Liedern den König besingend, wie wenn von der Suche nach Futter schneeweiße Schwäne heimkehrn in hellem Gewölk und klingende Weisen aus langen

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dant per colla modos, sonat amnis et Asia longe pulsa palus. nec quisquam aeratas acies examine tanto misceri putet, aëriam sed gurgite ab alto urgeri volucrum raucarum ad litora nubem. Ecce Sabinorum prisco de sanguine magnum agmen agens Clausus magnique ipse agminis instar, Claudia nunc a quo diffunditur et tribus et gens per Latium, postquam in partem data Roma Sabinis. una ingens Amiterna cohors priscique Quirites, Ereti manus omnis oliviferaeque Mutuscae; qui Nomentum urbem, qui Rosea rura Velini, qui Tetricae horrentis rupes montemque Severum Casperiamque colunt Forulosque et flumen Himellae, qui Tiberim Fabarimque bibunt, quos frigida misit Nursia, et Ortinae classes populique Latini, quosque secans infaustum interluit Allia nomen: quam multi Libyco volvuntur marmore fluctus saevus ubi Orion hibernis conditur undis, vel cum sole novo densae torrentur aristae aut Hermi campo aut Lyciae flaventibus arvis. scuta sonant pulsuque pedum conterrita tellus. Hinc Agamemnonius, Troiani nominis hostis, curru iungit Halaesus equos Turnoque ferocis mille rapit populos, vertunt felicia Baccho Massica qui rastris, et quos de collibus altis Aurunci misere patres Sidicinaque iuxta aequora, quique Cales linquunt amnisque vadosi accola Volturni, pariterque Saticulus asper Oscorumque manus. teretes sunt aclydes illis tela, sed haec lento mos est aptare flagello. laevas caetra tegit, falcati comminus enses.

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Hälsen ertönen lassen; der Strom hallt wider und weithin Asiens Sumpfland. Niemand dächte, gepanzerte Reihen schlössen sich in so großem Schwarme zusammen, vielmehr, vom Meere her dränge eine luftige Wolke kreischender Vögel zum Strande. Sieh nur, Clausus, aus altem Sabinerblut, führt eine große Heerschar an, er selber so stark wie ein Heer, und von ihm als Ahnherrn verzweigt sich der Stamm und die Sippe der Claudier heute über Latium hin, seit zu Rom gehörn die Sabiner. Mit ihm ziehn Amiternums Trupp und die alten Quiriten, sämtliche Krieger Eretums, des ölbaumreichen Mutusca, auch wer in Nomentum, in Roseas Land am Velinus, wer auf den starrenden Felsen des Tetrica, auf dem Severus, wer in Casperia wohnt und in Foruli und am Himella, wer vom Tiber und Fabaris trinkt und wen da das kalte Nursia schickte, die Flotte von Orta und Latiums Völker und was trennend durchfließt ein Unglücksname, die Allia: So viel Wogen wälzen sich dann im libyschen Meere, wenn der wilde Orion im Winter sich birgt in den Wogen, so dicht stehend reifen zu Anfang des Sommers die Ähren, sei’s auf des Hermus Land oder Lykiens goldgelben Fluren. Schilde dröhnen, die Erde erzittert vom Tritt ihrer Füße. Dann, allem Troischen feind, ein Mann Agamemnons, Halaesus: Der spannt Pferde an, und er bringt dem Turnus rasch tausend wilde Krieger, die das von Bacchus gesegnete Land des Massicus hacken mit Karsten, und andre, die hoch von den Hügeln sandten die Väter Auruncas und, nahe gelegen, das Flachland Sidicinums, dazu die von Cales, des seichten Volturnus Anwohner auch und gleichfalls die rauen Satikuler, auch die Schar der Osker. Die haben als Waffen gedrechselte Spieße, Brauch aber ist’s, diese Spieße an dehnbare Riemen zu binden. Links deckt ledern ein Schild, das Krummschwert dient für den Nahkampf.

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Nec tu carminibus nostris indictus abibis, Oebale, quem generasse Telon Sebethide nympha fertur, Teleboum Capreas cum regna teneret, iam senior; patriis sed non et filius arvis contentus late iam tum dicione premebat Sarrastis populos et quae rigat aequora Sarnus, quique Rufras Batulumque tenent atque arva Celemnae – et quos maliferae despectant moenia Abellae – Teutonico ritu soliti torquere cateias, tegmina quis capitum raptus de subere cortex aerataeque micant peltae, micat aereus ensis. Et te montosae misere in proelia Nersae, Ufens, insignem fama et felicibus armis, horrida praecipue cui gens adsuetaque multo venatu nemorum, duris Aequicula glaebis. armati terram exercent semperque recentis convectare iuvat praedas et vivere rapto. Quin et Marruvia venit de gente sacerdos, fronde super galeam et felici comptus oliva, Archippi regis missu, fortissimus Umbro, vipereo generi et graviter spirantibus hydris spargere qui somnos cantuque manuque solebat mulcebatque iras et morsus arte levabat. sed non Dardaniae medicari cuspidis ictum evaluit neque eum iuvere in vulnera cantus somniferi et Marsis quaesitae montibus herbae. te nemus Angitiae, vitrea te Fucinus unda, te liquidi flevere lacus. Ibat et Hippolyti proles pulcherrima bello, Virbius, insignem quem mater Aricia misit, eductum Egeriae lucis umentia circum litora, pinguis ubi et placabilis ara Dianae.

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Auch dein Name wird in meinem Gedicht nicht verschwiegen, Oebalus, den – so erzählt man – mit einer sebethischen Nymphe Telon zeugte, als Capris Teleboërreich er regierte, schon bejahrt; sein Sohn aber, nicht zufrieden mit seines Vaters Reich, beherrschte schon damals weithin die Sarrasten, auch das Gebiet, das der Sarnus bewässert, und die, welche Rufrae, Batulum und Celemnas Fluren bewohnen – und die, auf welche die Festung herabschaut im früchtereichen Abella –, die nach teutonischer Art Wurfkeulen zu schleudern gewohnt sind; ihnen dient als Kopfschutz der Korkeiche Rinde, es funkeln ihre erzbeschlagenen Schilde und ehernen Schwerter. Dich auch hat in den Kampf entsendet das bergige Nersae, Ufens, der du bekannt bist durch Ruhm und erfolgreiche Waffen; dir gehört ein Volk, besonders wild und gewöhnt an häufige Jagd in den Wäldern, die Äquer auf steiniger Scholle. Äcker bebaun sie in Waffen, sie lieben’s, immer aufs Neue Beute zusammenzutragen und vom Geraubten zu leben. Ja, ein Priester sogar kam aus dem marruvischen Volke, auf dem Helme geschmückt mit dem Laub des fruchtbaren Ölbaums, von Archippus, dem König, geschickt, der tapfere Umbro; Natterngezücht und gewaltige Gift aushauchende Schlangen pflegte er einzuschläfern durch Zaubergesang und Berührung, milderte ihnen die Wut und verstand’s, ihre Bisse zu lindern. Aber vom Stoß des Dardanerspeers vermochte auch er sich nicht zu heilen, es halfen nicht Lieder, die einschläfern, für die eigenen Wunden, nicht Kräuter, gesucht in den Bergen der Marser. Dich beweinten Angitias Hain, dich des Fucinus klares Wasser, dich ungetrübte Seen. Mit in den Krieg zog auch des Hippolytus Sprössling, der schöne Virbius, den als Helden die Mutter Aricia sandte, den sie erzog in Egerias Hain in der Nähe der feuchten Ufer, wo reich an Opfern steht der Altar der Diana.

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namque ferunt fama Hippolytum, postquam arte novercae occiderit patriasque explerit sanguine poenas turbatis distractus equis, ad sidera rursus aetheria et superas caeli venisse sub auras, Paeoniis revocatum herbis et amore Dianae. tum pater omnipotens aliquem indignatus ab umbris mortalem infernis ad lumina surgere vitae, ipse repertorem medicinae talis et artis fulmine Phoebigenam Stygias detrusit ad undas. at Trivia Hippolytum secretis alma recondit sedibus et nymphae Egeriae nemorique relegat, solus ubi in silvis Italis ignobilis aevum exigeret versoque ubi nomine Virbius esset; unde etiam templo Triviae lucisque sacratis cornipedes arcentur equi, quod litore currum et iuvenem monstris pavidi effudere marinis. filius ardentis haud setius aequore campi exercebat equos curruque in bella ruebat. Ipse inter primos praestanti corpore Turnus vertitur arma tenens et toto vertice supra est; cui triplici crinita iuba galea alta Chimaeram sustinet Aetnaeos efflantem faucibus ignis: tam magis illa fremens et tristibus effera flammis quam magis effuso crudescunt sanguine pugnae. at levem clipeum sublatis cornibus Io auro insignibat, iam saetis obsita, iam bos (argumentum ingens), et custos virginis Argus caelataque amnem fundens pater Inachus urna. insequitur nimbus peditum clipeataque totis agmina densentur campis, Argivaque pubes Auruncaeque manus, Rutuli veteresque Sicani, et Sacranae acies et picti scuta Labici;

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Denn Hippolytus kam, als er starb durch der Stiefmutter Arglist und mit dem Leben dem Vater büßte, zerrissen von seinen Pferden, die scheuten, zurück, so wird es erzählt, zu des Himmels Lüften, hinauf zu den Sternen des Äthers, wieder zum Leben durch die Kräuter Paeons erweckt und die Liebe Dianas. Doch der allmächtige Vater, empört, dass aus Unterweltsschatten wieder empor ein Sterblicher stieg zum Lichte des Lebens, stieß des Phoebus Sohn, den Erfinder solch einer Heilkunst, selbst mit dem Blitzstrahl tief hinab zu den stygischen Fluten. Doch den Hippolytus birgt die gütige Trivia an einem abgeschiedenen Ort, vertraut ihn Egeria und ihrem Hain an, wo er allein und von keinem gekannt in Italiens Wäldern sein Leben verbringen sollte und Virbius heißen; deswegen hält man von Trivias Tempel und heiligen Hainen fern die behuften Pferde, weil sie am Strande aus seinem Wagen den Jüngling warfen, erschreckt durch das Seeungeheuer. Aber dennoch ließ seine feurigen Rosse der Sohn auf flachem Felde sich tummeln und stürmte zum Kampf mit dem Wagen. Turnus selber, von bester Statur, bewegt sich in Waffen unter den Ersten, und ganz überragt sein Scheitel die andren; hoch ist sein Helm mit dreifachem Busch, er trägt die Chimaera, welche aus ihrem Rachen die Flammen des Aetna herausspeit: Und je mehr durch vergossenes Blut die Kämpfe entbrennen, desto heftiger zischt sie und wütet mit düsteren Flammen. Aber den glänzenden Schild verziert mit erhobenen Hörnern Ïo aus Gold, schon von Borsten bedeckt, eine Kuh schon – das ist ein großes Sujet –, auch der Wächter der Jungfrau, Argus, und Vater Inachus, der einen Strom ausgießt aus getriebener Urne. Eine Wolke von Fußvolk folgt, und schildbewehrt drängen Truppen sich überall auf den Feldern, argivische Mannschaft, Scharen der Aurunker, Rutuler, alte Sikaner, auch die sakranischen Trupps und mit bunten Schilden Labiker;

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qui saltus, Tiberine, tuos sacrumque Numici litus arant Rutulosque exercent vomere colles Circaeumque iugum, quis Iuppiter Anxurus arvis praesidet et viridi gaudens Feronia luco; qua Saturae iacet atra palus gelidusque per imas quaerit iter vallis atque in mare conditur Ufens. Hos super advenit Volsca de gente Camilla agmen agens equitum et florentis aere catervas, bellatrix, non illa colo calathisve Minervae femineas adsueta manus, sed proelia virgo dura pati cursuque pedum praevertere ventos. illa vel intactae segetis per summa volaret gramina nec teneras cursu laesisset aristas, vel mare per medium fluctu suspensa tumenti ferret iter, celeris nec tingeret aequore plantas. illam omnis tectis agrisque effusa iuventus turbaque miratur matrum et prospectat euntem, attonitis inhians animis, ut regius ostro velet honos levis umeros, ut fibula crinem auro internectat, Lyciam ut gerat ipsa pharetram et pastoralem praefixa cuspide myrtum.

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die, Tiberinus, die deine Täler bestelln und Numicus’ heiligen Strand, die, die pflügen die Rutulerhügel und Kirkes Bergrücken und die Gefilde, wo Juppiter Anxurus waltet, und Feronia, des grünen Haines froh, auch das Land, wo Saturas düsterer Sumpf sich erstreckt und der eiskalte Ufens seinen Weg durch die Täler sich sucht und im Meere dann mündet. Ihnen gesellte sich endlich, vom Volskerstamme, Camilla, brachte Reitervolk mit und Scharen mit glänzenden Waffen; Kriegerin ist sie, hat nicht an Pallas’ Spindel und Korb die Frauenhände gewöhnt, nein, übte als Jungfrau sich, harte Kämpfe zu meistern, im Lauf zu überholen die Winde. Ja, sie könnte wohl über die Spitzen der Halme des Kornes fliegen, ohne im Lauf die zarten Ähren zu knicken, oder mitten durchs Meer hin, schwebend auf schwellenden Fluten, gehen, ohne die schnellen Sohlen mit Wasser zu netzen. Die bewundern, aus Häusern und Feldern strömend, die Jugend und die Schar der Mütter; man schaut ihr zu, wie sie reitet, staunend mit offenem Mund, wie fürstlicher Glanz ihre zarten Schultern mit Purpur umhüllt und wie die goldene Spange fest ihre Haare durchschlingt, wie sie selber den lykischen Köcher trägt und den Myrtenholzspeer der Hirten mit eiserner Spitze.

LIBER VIII Ut belli signum Laurenti Turnus ab arce extulit et rauco strepuerunt cornua cantu, utque acris concussit equos utque impulit arma, extemplo turbati animi, simul omne tumultu coniurat trepido Latium saevitque iuventus effera. ductores primi Messapus et Ufens contemptorque deum Mezentius undique cogunt auxilia et latos vastant cultoribus agros. mittitur et magni Venulus Diomedis ad urbem qui petat auxilium, et Latio consistere Teucros, advectum Aenean classi victosque penatis inferre et fatis regem se dicere posci edoceat multasque viro se adiungere gentis Dardanio et late Latio increbrescere nomen: quid struat his coeptis, quem, si fortuna sequatur, eventum pugnae cupiat, manifestius ipsi quam Turno regi aut regi apparere Latino. Talia per Latium. quae Laomedontius heros cuncta videns magno curarum fluctuat aestu atque animum nunc huc celerem nunc dividit illuc in partisque rapit varias perque omnia versat: sicut aquae tremulum labris ubi lumen aënis sole repercussum aut radiantis imagine lunae omnia pervolitat late loca iamque sub auras erigitur summique ferit laquearia tecti. nox erat et terras animalia fessa per omnis alituum pecudumque genus sopor altus habebat, cum pater in ripa gelidique sub aetheris axe

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BUCH 8 Als von Laurentums Burg das Zeichen des Krieges nun Turnus aufzog und die Hörner mit rauem Klange erdröhnten, als an die Waffen er schlug und antrieb die hitzigen Pferde, wurden die Herzen sogleich erregt, den Kriegseid zugleich schwört Latium in hektischem Kriegsgetümmel, es tobt ganz enthemmt die Jugend. Unter den Heerführern sammeln Messapus und Ufens und der Verächter der Götter Mezentius überallher die Hilfstruppen und entblößen die Felder weithin von Bauern. Venulus schickt man zudem zur Stadt Diomedes’, des Helden; Hilfe soll er erbitten und sagen, in Latium setzten Teukrer sich fest und es sei mit der Flotte Aeneas gekommen, bringe besiegte Penaten, behaupte, er werde als König durch die Fata verlangt; mit dem Troer verbänden schon viele Völker sich und sein Name verbreite sich weit über Latium: Was der plane und welchen Erfolg, wenn Fortuna ihm treu sei, er vom Kampfe begehre, das sei ihm selber doch klarer als dem König Turnus oder dem König Latinus. Solches geschieht im gesamten Latium. Der Troerheld sieht das alles; es treibt ihn um eine Sturmflut bedrückender Sorgen; unstet lässt die Gedanken bald hierhin, bald dorthin er eilen, hetzt in verschiedene Richtungen sie, spielt alles im Geist durch: Wie wenn zitterndes Licht im Wasser vom Rand des Bassins aus, Sonnenlicht oder das Bild des strahlenden Monds reflektierend, weithin den ganzen Raum durcheilt und gleich in die Luft sich hebt und oben erreicht die getäfelte Decke des Hauses. Nacht war’s; tiefer Schlaf umfing überall auf der Welt die müden Lebewesen, das Volk des Viehs und der Vögel; da sank Vater Aeneas am Flussufer unter dem kalten

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Aeneas, tristi turbatus pectora bello, procubuit seramque dedit per membra quietem. huic deus ipse loci fluvio Tiberinus amoeno populeas inter senior se attollere frondes visus: eum tenuis glauco velabat amictu carbasus, et crinis umbrosa tegebat harundo; tum sic adfari et curas his demere dictis: ‘O sate gente deum, Troianam ex hostibus urbem qui revehis nobis aeternaque Pergama servas, exspectate solo Laurenti arvisque Latinis, hic tibi certa domus, certi (ne absiste) penates; neu belli terrere minis: tumor omnis et irae concessere deum. iamque tibi, ne vana putes haec fingere somnum, litoreis ingens inventa sub ilicibus sus triginta capitum fetus enixa iacebit, alba solo recubans, albi circum ubera nati. ex quo ter denis urbem redeuntibus annis Ascanius clari condet cognominis Albam. haud incerta cano. nunc qua ratione quod instat expedias victor, paucis (adverte) docebo. Arcades his oris, genus a Pallante profectum, qui regem Euandrum comites, qui signa secuti, delegere locum et posuere in montibus urbem Pallantis proavi de nomine Pallanteum. hi bellum adsidue ducunt cum gente Latina; hos castris adhibe socios et foedera iunge. ipse ego te ripis et recto flumine ducam, adversum remis superes subvectus ut amnem. surge age, nate dea, primisque cadentibus astris Iunoni fer rite preces iramque minasque supplicibus supera votis. mihi victor honorem

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Himmelsgewölbe, im Herzen aufgewühlt durch das Kriegsleid, endlich nieder und gönnte erst spät noch Ruhe den Gliedern. Da schien ihm, es erhebe der Gott des Orts, Tiberinus, selbst sich aus seinem lieblichen Fluss unter Pappellaub, alt schon: Ihn umhüllte zartes Leinen, ein bläulicher Umhang, und es bedeckte das Haar ihm schattenspendendes Schilfrohr; der sprach so zu ihm und nahm ihm damit seine Sorgen: »Sohn vom Stamme der Götter, du bringst aus Feindeshand Trojas Stadt uns zurück und rettest Pergamum so uns für immer, du, auf Laurentums Boden erwartet, auf Latiums Fluren, hier sind dir sicher die Heimstatt, hier – lass nicht ab! – die Penaten; lass dich, weil Krieg dir droht, nicht schrecken: Der Groll und die Wut der Götter ist gänzlich dahin. Bald schon wirst du, damit du nicht glaubst, dich täusche ein Traumbild, eine mächtige Sau auffinden am Strand unter Eichen; liegen wird sie, am Boden hingestreckt, weiß und mit dreißig Ferkeln, die grade sie warf und die weiß um die Euter sich schmiegen. Gründen wird von hier aus, wenn dreißig Jahre herum sind, eine Stadt mit dem ruhmreichen Beinamen Alba Askanius. Ich sing Sicheres nur. Jetzt erklär ich in wenigen Worten, wie – gib acht! – du als Sieger das meistern kannst, was dir bevorsteht. Arkader aus des Pallas Stamm, die dem König Euander als Gefährten, die seinen Feldzeichen folgten, erwählten hier in der Gegend für sich ihren Sitz; eine Stadt auf den Bergen bauten sie, nach ihrem Ahnherrn Pallas genannt Pallanteum. Diese führen beständig Krieg mit dem Volk der Latiner; mach sie zu Bundesgenossen, mit ihnen schließe ein Bündnis. Ich geleit auf dem Fluss entlang den Ufern dich gradaus, dass, stromaufwärts fahrend, mit Rudern den Strom du bewältigst. Auf denn, bete beim Sinken der Sterne, du Sohn einer Göttin, nach dem Brauche zu Juno, bezwing ihr Zürnen und Drohn durch flehentliche Gelübde. Du wirst mich, wenn du gesiegt hast,

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persolves. ego sum pleno quem flumine cernis stringentem ripas et pinguia culta secantem, caeruleus Thybris, caelo gratissimus amnis. hic mihi magna domus; celsis caput urbibus exit.’ Dixit, deinde lacu fluvius se condidit alto ima petens; nox Aenean somnusque reliquit. surgit et aetherii spectans orientia solis lumina rite cavis undam de flumine palmis sustinet ac talis effundit ad aethera voces: ‘Nymphae, Laurentes Nymphae, genus amnibus unde est, tuque, o Thybri tuo genitor cum flumine sancto, accipite Aenean et tandem arcete periclis. quo te cumque lacus miserantem incommoda nostra fonte tenet, quocumque solo pulcherrimus exis, semper honore meo, semper celebrabere donis corniger Hesperidum fluvius regnator aquarum: adsis o tantum et propius tua numina firmes.’ sic memorat geminasque legit de classe biremis remigioque aptat, socios simul instruit armis. Ecce autem subitum atque oculis mirabile monstrum, candida per silvam cum fetu concolor albo procubuit viridique in litore conspicitur sus; quam pius Aeneas tibi enim, tibi, maxima Iuno, mactat sacra ferens et cum grege sistit ad aram. Thybris ea fluvium, quam longa est, nocte tumentem leniit et tacita refluens ita substitit unda, mitis ut in morem stagni placidaeque paludis sterneret aequor aquis, remo ut luctamen abesset. ergo iter inceptum celerant rumore secundo: labitur uncta vadis abies; mirantur et undae, miratur nemus insuetum fulgentia longe scuta virum fluvio pictasque innare carinas.

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ehren. Ich bin der, der mit voller Strömung – du kannst es sehen – die Ufer streift und die üppigen Saaten durchschneidet, bin der bläuliche Thybris, dem Himmel der liebste der Ströme. Hier ist mein großer Palast; mein Quell ist bei ragenden Städten.« Sprach’s, und im tiefen Gewässer verbarg sich der Flussgott, hinab zum Grunde tauchend; die Nacht und der Schlaf verließen Aeneas. Er erhebt sich; das Licht der Sonne, die aufgeht am Himmel, schauend, hält nach dem Brauch er Flusswasser hoch mit den hohlen Händen und sendet dabei zum Himmel die folgenden Worte: »Nymphen, laurentische Nymphen, von denen die Flüsse entstammen, du auch, Vater Thybris, mit deinem geheiligten Strome, nehmt den Aeneas auf und beschützt vor Gefahren ihn endlich. Wo dich auch immer, der du dich erbarmst unsrer Not, in der Quelle hält dein Gewässer, wo immer du, Herrlichster, fließt aus dem Boden, immer will ich dich ehren und immer mit Gaben dich feiern, hörnertragender Fluss, du Herr der Gewässer Hesperiens: Hilf uns nur und bekräftige näher dein göttliches Walten!« Spricht’s und wählt aus der Flotte zwei doppelrudrige Schiffe, macht sie mit Ruderwerk klar und versorgt die Gefährten mit Waffen. Siehe, es bietet sich plötzlich ein seltsames Zeichen den Augen; schimmernd lag da im Walde mit weißen Ferkeln, von gleicher Farbe, die Sau und wird am grünen Gestade gesehen; dir, du erhabene Juno, dir opfert der fromme Aeneas sie, trägt Opfergerät, bringt sie mit dem Wurf zum Altare. Während der ganzen Nacht besänftigte Thybris den Schwall der Fluten, strömte zurück, stand still mit schweigender Woge, breitete wie ein ruhiger Teich oder Sumpf eine glatte Fläche über das Wasser; so mussten die Ruder nicht kämpfen. Also beginnen sie schnell die Reise mit freudigen Rufen: Da schwimmt nun das geteerte Schiff; es staunen die Wogen, und der Wald, der’s nicht kennt, dass weithin die Schilde von Männern funkeln auf dem Fluss und bemalte Schiffe dort gleiten.

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olli remigio noctemque diemque fatigant et longos superant flexus variisque teguntur arboribus viridisque secant placido aequore silvas. sol medium caeli conscenderat igneus orbem cum muros arcemque procul ac rara domorum tecta vident, quae nunc Romana potentia caelo aequavit, tum res inopes Euandrus habebat; ocius advertunt proras urbique propinquant. Forte die sollemnem illo rex Arcas honorem Amphitryoniadae magno divisque ferebat ante urbem in luco. Pallas huic filius una, una omnes iuvenum primi pauperque senatus tura dabant, tepidusque cruor fumabat ad aras. ut celsas videre rates atque inter opacum adlabi nemus et tacitos incumbere remis, terrentur visu subito cunctique relictis consurgunt mensis. audax quos rumpere Pallas sacra vetat raptoque volat telo obvius ipse et procul e tumulo: ‘iuvenes, quae causa subegit ignotas temptare vias? quo tenditis?’ inquit, ‘qui genus? unde domo? pacemne huc fertis an arma?’ tum pater Aeneas puppi sic fatur ab alta paciferaeque manu ramum praetendit olivae: ‘Troiugenas ac tela vides inimica Latinis, quos illi bello profugos egere superbo. Euandrum petimus; ferte haec et dicite lectos Dardaniae venisse duces socia arma rogantis.’ obstipuit tanto percussus nomine Pallas: ‘egredere o quicumque es’ ait ‘coramque parentem adloquere ac nostris succede penatibus hospes.’ excepitque manu dextramque amplexus inhaesit; progressi subeunt luco fluviumque relinquunt.

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Jene rudern rastlos Tag und Nacht, überwinden weite Stromschleifen, sind überdacht von verschiedenen Bäumen und durchschneiden auf ruhigem Wasser grünende Wälder. Feurig hatte die Sonne die Mitte des Himmels erstiegen, als eine Burg sie und Mauern von fern und vereinzelt die Dächer sehen von Häusern, die heute die römische Macht bis zum Himmel aufgetürmt hat, doch damals war kärglich Euanders Besitztum; schneller wenden zum Land sie den Bug und nahen der Stadt so. Grade beging an diesem Tage der Arkaderkönig für den Amphitryon-Sohn und die Götter das jährliche Fest im Hain vor der Stadt. Mit ihm nun spendeten Pallas, sein Sohn, der schlichte Senat und die ganzen jungen Männer des Adels Weihrauch, und warmes Opferblut dampfte auf den Altären. Als sie herangleiten sehn im schattigen Walde die hohen Schiffe und deren Besatzung schweigend aufs Ruder sich stützen, sind sie vom plötzlichen Anblick erschreckt, stehn auf und verlassen alle die Tische. Doch mutig verbietet, das Opfer zu stören, Pallas, ergreift seinen Speer, eilt selbst den Fremden entgegen und ruft aus der Ferne vom Hügel: »Männer, was treibt euch, unbekannte Wege zu fahrn? Was ist euer Ziel? Wie heißt euer Volk? Wo wohnt ihr? Bringt Frieden ihr her oder Kämpfe?« Da spricht Vater Aeneas vom hohen Heck, in der Hand als Zeichen des Friedens einen Zweig vom Ölbaume haltend: »Söhne aus Troja erblickst du und Waffen, feind den Latinern; Flüchtlinge zwar, doch von ihnen verjagt in trotzigem Kriege. Ziel unsrer Fahrt ist Euander; das meldet und sagt ihm, erwählte Dardanerführer kämen, ein Waffenbündnis erbittend.« Pallas staunte, von einem so großen Namen beeindruckt: »Wer du auch bist, steig aus«, sprach er, »sprich selber direkt mit meinem Vater und tritt bei unsren Penaten als Gast ein«, hieß ihn per Handschlag willkommen und drückte ihm fest seine Rechte; dann verlässt man den Fluss, geht weiter und tritt in den Hain ein.

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Tum regem Aeneas dictis adfatur amicis: ‘optume Graiugenum, cui me Fortuna precari et vitta comptos voluit praetendere ramos, non equidem extimui Danaum quod ductor et Arcas quodque a stirpe fores geminis coniunctus Atridis; sed mea me virtus et sancta oracula divum cognatique patres, tua terris didita fama, coniunxere tibi et fatis egere volentem. Dardanus, Iliacae primus pater urbis et auctor, Electra, ut Grai perhibent, Atlantide cretus, advehitur Teucros; Electram maximus Atlas edidit, aetherios umero qui sustinet orbes. vobis Mercurius pater est, quem candida Maia Cyllenae gelido conceptum vertice fudit; at Maiam, auditis si quicquam credimus, Atlas, idem Atlas generat caeli qui sidera tollit. sic genus amborum scindit se sanguine ab uno. his fretus non legatos neque prima per artem temptamenta tui pepigi: me, me ipse meumque obieci caput et supplex ad limina veni. gens eadem, quae te, crudeli Daunia bello insequitur; nos si pellant, nihil afore credunt quin omnem Hesperiam penitus sua sub iuga mittant et mare quod supra teneant quodque adluit infra. accipe daque fidem: sunt nobis fortia bello pectora, sunt animi et rebus spectata iuventus.’ Dixerat Aeneas. ille os oculosque loquentis iamdudum et totum lustrabat lumine corpus. tum sic pauca refert: ‘ut te, fortissime Teucrum, accipio agnoscoque libens! ut verba parentis et vocem Anchisae magni vultumque recordor! nam memini Hesionae visentem regna sororis

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Da nun sagt Aeneas mit freundlichen Worten zum König: »Bester der Griechensöhne, Fortuna wollte, dass ich dir bittend nah, die mit Bändern umwundenen Zweige dir darbiet; Angst hab ich nicht, weil Arkader du und Danaërführer bist, dazu durch Verwandtschaft verbunden den beiden Atriden; nein, mich haben mein Mut und die heiligen Sprüche der Götter, blutsverwandte Ahnen, dein Ruhm, auf Erden verbreitet, dir verbunden, zu dir geführt durch die Fata und willig. Dardanus, Urvater einst von Iliums Stadt und ihr Gründer, Sohn der Atlas-Tochter Elektra – so sagen die Griechen –, kam zu den Teukrern; Elektra zeugte der riesige Atlas, welcher auf seinen Schultern trägt das Himmelsgewölbe. Ihr aber habt zum Ahnen Merkur, den auf der Kyllene eisigem Gipfel empfing und gebar die strahlende Maia; Maia jedoch, wenn Gehörtem wir glauben dürfen, hat Atlas, eben der Atlas gezeugt, der da trägt die Gestirne des Himmels. So zerteilt sich beider Geschlecht aus dem nämlichen Stamme. Hierauf vertrauend sandte ich keine Boten, hab vorher nicht mich geschickt informiert: Mich, mich selbst geb ich in deine Obhut, und ich komme als Flehender hier zu der Schwelle. Daunus’ Volk verfolgt uns, wie dich auch, mit grausamem Kriege; sollten sie uns vertreiben, dann, glauben sie, hindert sie nichts mehr, unters Joch ganz Hesperien zu spannen und über das Meer, das oben heranwogt, und das, was unten heranwogt, zu herrschen. Treue für Treue schenk: Unsre Herzen sind tapfer im Kriege, wir sind mutig, es hat sich durch Taten bewährt unsre Jugend.« So sprach da Aeneas. Schon länger betrachtete der des Sprechenden Antlitz und Augen, dazu dessen ganze Erscheinung. Kurz sagt dieses er dann: »Wie gerne, du tapferster Teukrer, nehm ich dich auf und erkenne dich an! Wie sind mir präsent des großen Vaters Anchises Worte und Stimme und Antlitz! Denn ich weiß noch, wie Priamus, Sohn des Laomedon, seiner

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Laomedontiaden Priamum, Salamina petentem, protinus Arcadiae gelidos invisere finis. tum mihi prima genas vestibat flore iuventas, mirabarque duces Teucros, mirabar et ipsum Laomedontiaden; sed cunctis altior ibat Anchises: mihi mens iuvenali ardebat amore compellare virum et dextrae coniungere dextram; accessi et cupidus Phenei sub moenia duxi. ille mihi insignem pharetram Lyciasque sagittas discedens chlamydemque auro dedit intertextam frenaque bina meus quae nunc habet aurea Pallas. ergo et quam petitis iuncta est mihi foedere dextra, et lux cum primum terris se crastina reddet, auxilio laetos dimittam opibusque iuvabo. interea sacra haec, quando huc venistis amici, annua, quae differre nefas, celebrate faventes nobiscum et iam nunc sociorum adsuescite mensis.’ Haec ubi dicta, dapes iubet et sublata reponi pocula gramineoque viros locat ipse sedili praecipuumque toro et villosi pelle leonis accipit Aenean solioque invitat acerno. tum lecti iuvenes certatim araeque sacerdos viscera tosta ferunt taurorum onerantque canistris dona laboratae Cereris Bacchumque ministrant. vescitur Aeneas simul et Troiana iuventus perpetui tergo bovis et lustralibus extis. Postquam exempta fames et amor compressus edendi, rex Euandrus ait: ‘non haec sollemnia nobis, has ex more dapes, hanc tanti numinis aram vana superstitio veterumque ignara deorum imposuit: saevis, hospes Troiane, periclis servati facimus meritosque novamus honores.

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Schwester Hesione Reich besuchend, nach Salamis reiste und noch drüber hinaus in Arkadiens kaltes Gebiet zog. Damals bedeckte mir grade der erste Bartwuchs die Wangen, ich bestaunte die Führer der Teukrer, bestaunte speziell den Sohn des Laomedon; aber größer als alle die andren schritt Anchises daher: Ich sann drauf im Feuer der Jugend, anzureden den Mann, mit der Rechten die seine zu drücken, trat auf ihn zu und führte ihn freudig zu Phenëus’ Mauern. Einen herrlichen Köcher und lykische Pfeile auch gab er mir beim Abschied, dazu einen golddurchwobenen Mantel und zwei goldene Zügel, die jetzt meinem Pallas gehören. Also, verbunden ist euch, wie ihr wollt, meine Hand durch ein Bündnis, und sobald wieder morgen es Tag wird auf Erden, sollt gleich ihr losziehn, froh, weil ich half, unterstützt durch all meine Mittel. Unterdes, denn als Freunde kamt ihr, feiert mit uns in Andacht das jährliche Fest – es aufzuschieben, wär Frevel – und gewöhnt euch schon jetzt an das Mahl mit den Bundesgenossen.« Sagt’s, lässt Speisen und Becher noch einmal vorsetzen, die man wegtrug, und selber weist er den Männern Sitze im Gras zu, bietet Aeneas bevorzugt das Polster an mit dem Fell des zottigen Löwen und bittet ihn hin zu dem Thronsitz aus Ahorn. Eifrig bringen geröstetes Stierfleisch erlesene junge Männer und des Altares Priester und tischen in Körben feines Brot auf, die Gabe der Ceres, und reichen den Wein dar. Da verspeisen Aeneas und Trojas Jugend von einem ganzen Ochsen den Rücken und Eingeweide vom Opfer. Als nun der Hunger gestillt und befriedigt war ihre Esslust, sagte der König Euander: »Nun, diese Feierlichkeiten, diese Sitte des Mahls, den Altar der so mächtigen Gottheit drängte keineswegs eitler Irrwahn, nicht kundig der alten Götter, uns auf: Gerettet aus schlimmen Gefahren, du Gast aus Troja, vollziehen wir jährlich erneut die geschuldete Ehrung.

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iam primum saxis suspensam hanc aspice rupem, disiectae procul ut moles desertaque montis stat domus et scopuli ingentem traxere ruinam. hic spelunca fuit vasto summota recessu, semihominis Caci facies quam dira tenebat solis inaccessam radiis; semperque recenti caede tepebat humus, foribusque adfixa superbis ora virum tristi pendebant pallida tabo. huic monstro Volcanus erat pater: illius atros ore vomens ignis magna se mole ferebat. attulit et nobis aliquando optantibus aetas auxilium adventumque dei. nam maximus ultor, tergemini nece Geryonae spoliisque superbus, Alcides aderat taurosque hac victor agebat ingentis, vallemque boves amnemque tenebant. at furis Caci mens effera, ne quid inausum aut intractatum scelerisve dolive fuisset, quattuor a stabulis praestanti corpore tauros avertit, totidem forma superante iuvencas. atque hos, ne qua forent pedibus vestigia rectis, cauda in speluncam tractos versisque viarum indiciis raptos saxo occultabat opaco: quaerenti nulla ad speluncam signa ferebant. interea, cum iam stabulis saturata moveret Amphitryoniades armenta abitumque pararet, discessu mugire boves atque omne querelis impleri nemus et colles clamore relinqui. reddidit una boum vocem vastoque sub antro mugiit et Caci spem custodita fefellit. hic vero Alcidae furiis exarserat atro felle dolor: rapit arma manu nodisque gravatum robur et aërii cursu petit ardua montis.

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Sieh jetzt zunächst diesen Felsblock, der überhängt, sieh, wie versprengt die Felsmassen weithin sind und verwaist die Behausung im Berge daliegt, und was für riesige Felsbrocken niedergestürzt sind. Hier war einst eine Höhle von unermesslicher Tiefe; dorthin verwehrte des Halbmenschen Cacus horrende Gestalt den Zugang den Strahlen der Sonne; der Boden war ständig von frischem Mordblut warm; dort hingen, an protzige Pfosten geheftet, bleiche Schädel von Männern in grauenvoller Verwesung. Vater des Monstrums war Vulkanus: Sein düsteres Feuer spie’s aus dem Maul, wenn schwerfällig es sich vorwärts bewegte. Eines Tages nun brachte die Zeit auch uns, wie wir’s wünschten, Hilfe durch Ankunft des Gottes. Denn als ein gewaltiger Rächer, stolz auf den Mord an Geryones’ Dreifachgestalt und die Beute, kam der Alkide und trieb als Sieger die riesigen Stiere her, und die Rinder bevölkerten Tal und Ufer des Flusses. Cacus, der Dieb, trieb, wild, wie er war, damit er nur ja nichts ungewagt lasse und unversucht an Verbrechen und Tücke, weg von dem Futterplatz vier Stiere von herrlichem Wuchs und ebensoviele Kühe von überragender Schönheit. Um aber Spuren von Hufen, die vorwärts zeigten, zu meiden, zerrte er sie am Schwanz in die Höhle, die Abdrücke auf dem Weg umkehrend, versteckte den Raub dann im düsteren Felsen: Keinerlei Zeichen brachten den, der da suchte, zur Höhle. Als nun Amphitryons Sohn von den Futterplätzen schon wegtrieb sein gesättigtes Vieh und sich anschickte, weiterzuziehen, brüllten die Rinder beim Aufbruch, erfüllten mit jammernden Rufen ringsum den Wald und verließen mit lautem Schreien die Hügel. Eine der Kühe erwiderte; tief in der riesigen Höhle muhte sie, und sie nahm, wenn auch eingesperrt, Cacus die Hoffnung. Da entbrannte der Schmerz dem Alkiden in rasender Wut mit schwarzer Galle: Er packt seine Waffe, die knotenbewehrte Keule, und stürmt hinauf zur Höhe des luftigen Berges.

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tum primum nostri Cacum videre timentem turbatumque oculis: fugit ilicet ocior Euro speluncamque petit, pedibus timor addidit alas. ut sese inclusit ruptisque immane catenis deiecit saxum, ferro quod et arte paterna pendebat, fultosque emuniit obice postis, ecce furens animis aderat Tirynthius omnemque accessum lustrans huc ora ferebat et illuc, dentibus infrendens. ter totum fervidus ira lustrat Aventini montem, ter saxea temptat limina nequiquam, ter fessus valle resedit. stabat acuta silex praecisis undique saxis speluncae dorso insurgens, altissima visu, dirarum nidis domus opportuna volucrum. hanc, ut prona iugo laevum incumbebat ad amnem, dexter in adversum nitens concussit et imis avulsam solvit radicibus, inde repente impulit; impulsu quo maximus intonat aether, dissultant ripae refluitque exterritus amnis. at specus et Caci detecta apparuit ingens regia, et umbrosae penitus patuere cavernae, non secus ac si qua penitus vi terra dehiscens infernas reseret sedes et regna recludat pallida, dis invisa, superque immane barathrum cernatur, trepident immisso lumine Manes. ergo insperata deprensum luce repente inclusumque cavo saxo atque insueta rudentem desuper Alcides telis premit, omniaque arma advocat et ramis vastisque molaribus instat. ille autem, neque enim fuga iam super ulla pericli, faucibus ingentem fumum (mirabile dictu) evomit involvitque domum caligine caeca

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Damals sahen nun erstmals die Unseren Cacus in Angst und mit verstörtem Blick: Stracks flieht er schneller als Eurus, rennt zur Höhle, und Angst verlieh da Flügel den Füßen. Als er sich eingeschlossen, die Ketten gesprengt und den schweren Stein, der an einem vom Vater kunstvoll gefertigten Eisen hing, herabgestürzt hatte, durch diesen Riegel den Eingang sichernd, schau, war, rasend vor Zorn, der Tirynthier da und prüfte jeglichen Zugang und blickte hierhin und dorthin zähneknirschend. Dreimal umrundet er, kochend vor Wut, den Berg Aventin, attackiert dreimal die felsige Schwelle, immer umsonst, bleibt dreimal ermattet sitzen im Tale. Da stand spitz ein Granit, von schroffen Felsen umgeben, der sich im Rücken der Höhle erhob, durch die Höhe gut sichtbar, günstig als Platz für die Nester der Vögel, die Unheil verkünden. Da der links zum Fluss hin vom Berghang vornüber sich neigte, stemmte er rechts sich dagegen und lockerte ihn, und er riss ihn los, ihn gänzlich entwurzelnd, und dann versetzt er ihm plötzlich einen Stoß, und von diesem dröhnt der gewaltige Äther, und es bersten die Ufer, der Fluss strömt, aufgeschreckt, rückwärts. Abgedeckt war die Grotte, des Cacus riesige Burg zu sehen, offen die schattigen Höhlungen bis in die Tiefe, wie wenn aufgrund von Gewalt die Erde sich auftät bis in die Tiefe, Unterweltsstätten öffnend, erschließend das fahle Reich, das den Göttern verhasst ist, von oben der endlose Abgrund sichtbar wär und beim Einfall des Lichtes die Manen erbebten. Ihn, den wider Erwarten vom Licht so jäh Überraschten, tief in die Felskluft Versperrten und fremdartig Brüllenden, greift von oben an mit Geschossen Herkules, holt sich als Waffen alles her und bedroht ihn mit Ästen und riesigen Blöcken. Der – es gibt ja für ihn keinen Weg, der Gefahr zu entkommen – speit aus dem Rachen gewaltigen Rauch – das nenn ich ein Wunder! –, hüllt in düstere Schwaden seine Behausung, entzieht so

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prospectum eripiens oculis, glomeratque sub antro fumiferam noctem commixtis igne tenebris. non tulit Alcides animis seque ipse per ignem praecipiti iecit saltu, qua plurimus undam fumus agit nebulaque ingens specus aestuat atra. hic Cacum in tenebris incendia vana vomentem corripit in nodum complexus et angit inhaerens elisos oculos et siccum sanguine guttur. panditur extemplo foribus domus atra revulsis abstractaeque boves abiurataeque rapinae caelo ostenduntur, pedibusque informe cadaver protrahitur. nequeunt expleri corda tuendo terribilis oculos, vultum villosaque saetis pectora semiferi atque exstinctos faucibus ignis. ex illo celebratus honos laetique minores servavere diem, primusque Potitius auctor et domus Herculei custos Pinaria sacri hanc aram luco statuit, quae maxima semper dicetur nobis et erit quae maxima semper. quare agite, o iuvenes, tantarum in munere laudum cingite fronde comas et pocula porgite dextris communemque vocate deum et date vina volentes.’ dixerat, Herculea bicolor cum populus umbra velavitque comas foliisque innexa pependit et sacer implevit dextram scyphus. ocius omnes in mensam laeti libant divosque precantur. Devexo interea propior fit Vesper Olympo. iamque sacerdotes primusque Potitius ibant, pellibus in morem cincti, flammasque ferebant. instaurant epulas et mensae grata secundae dona ferunt cumulantque oneratis lancibus aras. tum Salii ad cantus incensa altaria circum

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jegliche Sicht den Augen und ballt in der Höhle ganz unten qualmende Nacht, in welcher sich Feuer und Finsternis mischen. Das ertrug nicht in seiner Wut der Alkide, in jähem Sprunge stürzte er sich durch das Feuer dorthin, wo der Rauch am dichtesten wogt und von schwarzem Nebel brodelt die Höhle, packt den Cacus, der hier im Finstern vergeblich sein Feuer speit, mit Würgegriff, hängt sich an ihn und drosselt ihn, bis die Augen ihm hervorquellen, leer von Blut ist die Kehle. Auf tut das finstere Haus sich gleich nach dem Abriss des Eingangs, und die entführten Rinder, von ihm verleugnetes Raubgut, kommen ans Licht; den abscheulichen Leichnam schleift an den Füßen man heraus. Nicht sattsehen können die Menschen sich an den schrecklichen Augen, der Fratze, der Brust des Halbtieres, die vom Borstenhaar zottig ist, auch an dem Schlund, dem das Feuer nun ausging. Seit der Zeit begeht man das Fest, froh hielt diesen Tag die Nachwelt in Ehren; Potitius, allen voran als der Stifter, und das Haus des Pinarius, Hüter des Herkuleskultes, haben im Hain den Altar errichtet, der immer »der Größte« bei uns heißen wird und der Größte immer auch sein wird. Auf denn, Männer, umkränzt bei der Ehrung so herrlicher Taten eure Haare mit Laub, hebt hoch mit der Rechten die Becher, ruft den gemeinsamen Gott an und spendet willig vom Weine!« Sprach’s, und schon bedeckte schattig, wie Herkules einst, sein Haar zweifarbig die Pappel, vom Haupt ihm als Laubgeflecht hängend, und die Rechte umfasste den heiligen Becher. Die Spende gießen sie alle froh auf den Tisch und flehn zu den Göttern. Hesperus kommt indessen näher am sinkenden Himmel. Und schon schritten die Priester im Zug, an der Spitze Potitius, nach der Sitte mit Fellen gegürtet, mit Fackeln in Händen. Gleich wird das Mahl fortgesetzt, man bringt, willkommen zum Nachtisch, Gaben und lädt mit gefüllten Schüsseln voll die Altäre. Dann stehn zum Gesang um die Flammen des Opferaltares

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populeis adsunt evincti tempora ramis, hic iuvenum chorus, ille senum, qui carmine laudes Herculeas et facta ferunt: ut prima novercae monstra manu geminosque premens eliserit angues, ut bello egregias idem disiecerit urbes, Troiamque Oechaliamque, ut duros mille labores rege sub Eurystheo fatis Iunonis iniquae pertulerit. ‘tu nubigenas, invicte, bimembris Hylaeumque Pholumque manu, tu Cresia mactas prodigia et vastum Nemeae sub rupe leonem. te Stygii tremuere lacus, te ianitor Orci ossa super recubans antro semesa cruento; nec te ullae facies, non terruit ipse Typhoeus arduus arma tenens; non te rationis egentem Lernaeus turba capitum circumstetit anguis. salve, vera Iovis proles, decus addite divis, et nos et tua dexter adi pede sacra secundo.’ talia carminibus celebrant; super omnia Caci speluncam adiciunt spirantemque ignibus ipsum. consonat omne nemus strepitu collesque resultant. Exim se cuncti divinis rebus ad urbem perfectis referunt. ibat rex obsitus aevo et comitem Aenean iuxta natumque tenebat ingrediens varioque viam sermone levabat. miratur facilisque oculos fert omnia circum Aeneas capiturque locis et singula laetus exquiritque auditque virum monumenta priorum. tum rex Euandrus Romanae conditor arcis: ‘haec nemora indigenae Fauni Nymphaeque tenebant gensque virum truncis et duro robore nata, quis neque mos neque cultus erat, nec iungere tauros aut componere opes norant aut parcere parto,

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Salier, ihre Schläfen bekränzt mit den Zweigen der Pappel, Jünglinge hier, dort Greise im Chor; sie preisen im Hymnus Herkules’ Ruhmestaten: Wie er der Stiefmutter erste Monster, das Schlangenpaar, durch den Druck seiner Hände erwürgte, wie Oechalia und Troja, durch Kriege ruhmreiche Städte, er vernichtete, wie er harte Arbeiten, tausend unter König Eurystheus ertrug nach dem Willen der grimmen Juno. »Du, unschlagbar, erschlägst die wolkengebornen Doppelgestalten, Hylaeus und Pholus mit eigener Hand, das Untier in Kreta, den furchtbaren Löwen bei Nemeas Felsen. Vor dir bebte der Styx, vor dir der Pförtner des Orkus, lagernd auf halbgefressenen Knochen in blutiger Höhle; kein Gebilde hat je dich erschreckt, auch Typhoeus nicht, Waffen schwingend und riesig; dir wich der Verstand nicht, als dich mit ihrer Schar von Häuptern ringsum bedrohte die Schlange von Lerna. Heil dir, Juppiters wahrer Sohn, eine Zierde der Götter, nah deinem Opfer und uns dich gnädig mit günstigem Schritte! So ertönt da in Liedern sein Lobpreis; zu alldem erwähnen Cacus’ Höhle sie noch und ihn selbst, der das Feuer herausspeit. Laut ertönt da vom Jubel der Hain, und es hallt von den Hügeln. Gleich nach dem Ende der heiligen Handlungen machen sich alle auf in die Stadt. Der König ging vom Alter gebeugt und führte an seiner Seite Aeneas als seinen Begleiter und dazu seinen Sohn und verkürzte den Weg durch Geplauder. Staunend und munter lässt ringsum Aeneas die Augen schweifen, ihn fesselt der Ort, froh fragt er da detailliert nach Denkwürdigkeiten von Männern der Vorzeit und lässt sich berichten. Da sagt König Euander, der Gründer der römischen Festung: »Einheimisch hier, bewohnten die Haine Faune und Nymphen und ein Geschlecht, aus dem Stamme von harten Eichen geboren, das nicht Gesittung noch Lebensart hatte, nicht Stiere zu schirren wusste, nicht Vorrat zu horten und nicht mit Erworbnem zu sparen,

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sed rami atque asper victu venatus alebat. primus ab aetherio venit Saturnus Olympo, arma Iovis fugiens et regnis exul ademptis. is genus indocile ac dispersum montibus altis composuit legesque dedit Latiumque vocari maluit, his quoniam latuisset tutus in oris. aurea quae perhibent illo sub rege fuere saecula: sic placida populos in pace regebat, deterior donec paulatim ac decolor aetas et belli rabies et amor successit habendi. tum manus Ausonia et gentes venere Sicanae, saepius et nomen posuit Saturnia tellus; tum reges asperque immani corpore Thybris, a quo post Itali fluvium cognomine Thybrim diximus: amisit verum vetus Albula nomen. me pulsum patria pelagique extrema sequentem Fortuna omnipotens et ineluctabile fatum his posuere locis, matrisque egere tremenda Carmentis nymphae monita et deus auctor Apollo.’ Vix ea dicta, dehinc progressus monstrat et aram et Carmentalem Romani nomine portam quam memorant, nymphae priscum Carmentis honorem, vatis fatidicae, cecinit quae prima futuros Aeneadas magnos et nobile Pallanteum. hinc lucum ingentem, quem Romulus acer asylum rettulit, et gelida monstrat sub rupe Lupercal Parrhasio dictum Panos de more Lycaei. nec non et sacri monstrat nemus Argileti testaturque locum et letum docet hospitis Argi. hinc ad Tarpeiam sedem et Capitolia ducit aurea nunc, olim silvestribus horrida dumis. iam tum religio pavidos terrebat agrestis

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sondern durch Sträucher und hartes Leben beim Jagen sich nährte. Hierher gelangte als erster Saturnus vom hohen Olympus, fliehend vor Juppiters Waffen, verbannt und beraubt seines Reiches. Er vereinte das rohe, im Bergland verstreute Geschlecht und gab ihm Gesetze und wählte den Namen Latium für das Land, weil in diesem Gebiet er versteckt und in Sicherheit lebte. Golden waren, so heißt’s, unter seiner Herrschaft die Zeiten: So regierte er denn in Ruhe und Frieden die Völker, bis dann allmählich eine schlechtere, farblose Ära folgte und Raserei des Kriegs und die Gier nach Besitztum. Damals kamen Ausoniens Schar und sikanische Stämme, mehrfach auch legte den Namen ab das Land des Saturnus; Könige kamen danach und der grimmige, riesige Thybris; nach ihm nannten den Fluss dann später wir Italer Thybris, Albula aber, der Urfluss, verlor seinen richtigen Namen. Mich, aus der Heimat vertrieben und fernste Meere befahrend, brachten Fortunas Allmacht und unausweichliche Fata hier in die Gegend, mich trieb meiner Mutter, der Nymphe Carmentis, strenges Gebot, dazu der Gott, ihr Berater Apollo.« Sagt’s, läuft weiter und zeigt den Altar und das Tor, das sie heut in Rom noch Carmentisaltar und Carmentistor nennen in einer altüberkommenen Ehrung der Nymphe Carmentis; als erste sang die schicksalskündende Seherin von der künftgen Größe der Aeneaden sowie dem Ruhm Pallanteums. Weiter zeigt er den riesigen Hain, das Asyl, das voll Tatkraft Romulus schuf, und unter dem kühlem Fels das Lupercal, nach dem parrhasischen Brauch nach Pan Lykaeus geheißen, zeigt auch den Hain Argiletums, des fluchbeladenen, ruft zum Zeugen den Ort und erzählt vom Tod des Gastfreundes Argus. Weiter führt er zum Sitz der Tarpeja ihn, aufs Kapitol, das, golden heutzutage, einst starrte vom Wildwuchs des Strauchwerks. Damals bereits erschreckte der heilige Schauer des Ortes

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dira loci, iam tum silvam saxumque tremebant. ‘hoc nemus, hunc’ inquit ‘frondoso vertice collem (quis deus incertum est) habitat deus: Arcades ipsum credunt se vidisse Iovem, cum saepe nigrantem aegida concuteret dextra nimbosque cieret. haec duo praeterea disiectis oppida muris, reliquias veterumque vides monumenta virorum. hanc Ianus pater, hanc Saturnus condidit arcem: Ianiculum huic, illi fuerat Saturnia nomen.’ talibus inter se dictis ad tecta subibant pauperis Euandri, passimque armenta videbant Romanoque foro et lautis mugire Carinis. ut ventum ad sedes, ‘haec’ inquit ‘limina victor Alcides subiit, haec illum regia cepit. aude, hospes, contemnere opes et te quoque dignum finge deo rebusque veni non asper egenis.’ dixit, et angusti subter fastigia tecti ingentem Aenean duxit stratisque locavit effultum foliis et pelle Libystidis ursae: nox ruit et fuscis tellurem amplectitur alis. At Venus haud animo nequiquam exterrita mater Laurentumque minis et duro mota tumultu Volcanum adloquitur thalamoque haec coniugis aureo incipit et dictis divinum adspirat amorem: ‘dum bello Argolici vastabant Pergama reges debita casurasque inimicis ignibus arces, non ullum auxilium miseris, non arma rogavi artis opisque tuae, nec te, carissime coniunx, incassumve tuos volui exercere labores, quamvis et Priami deberem plurima natis et durum Aeneae flevissem saepe laborem. nunc Iovis imperiis Rutulorum constitit oris:

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ängstliche Bauern, sie bebten vor Wald und Felsen schon damals. »Hier im Hain«, sprach er, »auf dem Hügel mit schattigem Gipfel wohnt ein Gott – nicht gewiss ist, welcher –: Juppiter selber glauben gesehen zu haben die Arkader, wie mit der Rechten häufig die düstere Ägis er schwang und die Stürme heraufrief. Ferner: Die zwei Festungen hier mit geborstenen Mauern siehst du als Rest und als Mal der Erinnrung an Männer der Vorzeit. Diese Burg hat Janus gegründet und jene Saturnus: Diese hatte den Namen Janiculus, jene Saturnia.« Unter solchen Gesprächen nun stiegen sie auf zu dem Haus des armen Euander und überall sahen sie Herden, die auf dem Forum Romanum brüllten und in den noblen Carinae. Als man zum Haus kam, sagte er: »Diese Schwelle betrat als Sieger einst der Alkide, das Schloss hier hat ihn empfangen. Reichtum wag zu verachten, mein Gast, und erweise auch du dich würdig des Gotts, tritt ein, nicht spröd gegenüber der Armut.« Sprach’s und führte Aeneas, den riesigen, unter das Dach der engen Behausung und ließ ihn auf aufgeschütteten Blättern mit dem Fell einer libyschen Bärin darüber sich lagern: Nacht bricht an und umfängt mit dunklen Schwingen die Erde. Aber Venus, als Mutter nicht grundlos im Herzen erschreckt und durch der Laurenter Drohen nervös und durchs wilde Getöse, wendet sich an Vulkan, und im goldnen Gemach ihres Manns fängt so sie an und beseelt ihre Worte mit göttlicher Liebe: »Als noch die Fürsten von Argos im Krieg das schuldige Troja und seine Burg, verfallen dem feindlichen Feuer, verheerten, bat ich nie für die Armen um Hilfe und niemals um Waffen deiner kraftvollen Kunst, nein, liebster Gatte, ich wollte weder dich noch auch deine Arbeitskraft zwecklos bemühen, wenn ich auch noch so sehr mich des Priamus Söhnen verpflichtet fühlte und oft beweinte die drückende Not des Aeneas. Weil es Juppiter will, weilt jetzt er im Rutulerlande:

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ergo eadem supplex venio et sanctum mihi numen arma rogo, genetrix nato. te filia Nerei, te potuit lacrimis Tithonia flectere coniunx. aspice qui coeant populi, quae moenia clausis ferrum acuant portis in me excidiumque meorum.’ dixerat et niveis hinc atque hinc diva lacertis cunctantem amplexu molli fovet. ille repente accepit solitam flammam, notusque medullas intravit calor et labefacta per ossa cucurrit, non secus atque olim tonitru cum rupta corusco ignea rima micans percurrit lumine nimbos: sensit laeta dolis et formae conscia coniunx. tum pater aeterno fatur devinctus amore: ‘quid causas petis ex alto? fiducia cessit quo tibi, diva, mei? similis si cura fuisset, tum quoque fas nobis Teucros armare fuisset; nec pater omnipotens Troiam nec fata vetabant stare decemque alios Priamum superesse per annos. et nunc, si bellare paras atque haec tibi mens est, quidquid in arte mea possum promittere curae, quod fieri ferro liquidove potest electro, quantum ignes animaeque valent, absiste precando viribus indubitare tuis.’ ea verba locutus optatos dedit amplexus placidumque petivit coniugis infusus gremio per membra soporem. Inde ubi prima quies medio iam noctis abactae curriculo expulerat somnum, cum femina primum, cui tolerare colo vitam tenuique Minerva impositum, cinerem et sopitos suscitat ignes, noctem addens operi, famulasque ad lumina longo exercet penso, castum ut servare cubile coniugis et possit parvos educere natos:

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Drum komm flehend auch ich, erbitte mir Waffen von deiner Macht, die Mutter für ihren Sohn. Dich konnte des Nereus Tochter, dich konnte mit Tränen erweichen Tithonus’ Gemahlin. Sieh, was für Völker vereint sind und welche Städte die Tore schließen und schärfen ihr Schwert gegen mich, zur Vernichtung der Meinen.« Sprach’s, und die Göttin liebkost in zarter Umarmung mit ihren schneeweißen Armen innig den Zögernden. Plötzlich verspürte er die gewohnten Flammen der Liebe, es drang die vertraute Wärme ins Mark und durchströmte ihm die wankenden Glieder, wie wenn zuweilen bei Donner ein feuriger Blitzstrahl hervorbricht, leuchtend mit zuckendem Licht die Gewitterwolken durcheilend: Freudig spürt es die Gattin, der List sich bewusst und der Schönheit. Drauf erwidert der Vater, gefesselt von ewiger Liebe: »Warum holst du die Gründe so weit her? Göttin, wo bleibt denn dein Vertrauen zu mir? Wär ähnlich die Sorge gewesen, hätt ich auch damals das Recht gehabt, zu bewaffnen die Teukrer; weder die Fata noch Allvater verboten, dass Troja weiter bestehe und Priamus noch zehn Jahre erlebe. Jetzt aber, wenn du zum Krieg dich rüstest und dieses dein Wunsch ist – alles, was an Bemühen in meiner Kunst ich versprechen, was ich aus Eisen verfertigen kann und aus flüssigem Mischgold, alles, was Feuer und Lufthauch vermögen, erbitte du nicht und zieh so deine Macht nicht in Zweifel.« Er sprach’s und gewährte ihr die ersehnte Umarmung und suchte, hinein sich versenkend in den Schoß der Gemahlin, sanften Schlaf in den Gliedern. Gleich, als erste Erholung den Schlaf in der Mitte des Laufs der schwindenden Nacht vertrieben hat, zu der Zeit, wenn die Hausfrau, die ihr Leben mit Spindel und karger Wollarbeit fristen muss, das schlafende Feuer entfacht in der Asche, am Werk schon in der Nacht, und die Mägde beim Schein der Lampe in langer Arbeit sich mühn lässt, damit sie rein zu erhalten des Gatten Lager vermag und die kleinen Kinder ihm zu erziehen:

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haud secus ignipotens nec tempore segnior illo mollibus e stratis opera ad fabrilia surgit. insula Sicanium iuxta latus Aeoliamque erigitur Liparen fumantibus ardua saxis, quam subter specus et Cyclopum exesa caminis antra Aetnaea tonant, validique incudibus ictus auditi referunt gemitus, striduntque cavernis stricturae Chalybum et fornacibus ignis anhelat, Volcani domus et Volcania nomine tellus. hoc tunc ignipotens caelo descendit ab alto. ferrum exercebant vasto Cyclopes in antro, Brontesque Steropesque et nudus membra Pyracmon. his informatum manibus iam parte polita fulmen erat, toto genitor quae plurima caelo deicit in terras, pars imperfecta manebat. tris imbris torti radios, tris nubis aquosae addiderant, rutuli tris ignis et alitis Austri: fulgores nunc terrificos sonitumque metumque miscebant operi flammisque sequacibus iras. parte alia Marti currumque rotasque volucris instabant, quibus ille viros, quibus excitat urbis; aegidaque horriferam, turbatae Palladis arma, certatim squamis serpentum auroque polibant conexosque anguis ipsamque in pectore divae Gorgona desecto vertentem lumina collo. ‘tollite cuncta’ inquit ‘coeptosque auferte labores, Aetnaei Cyclopes, et huc advertite mentem: arma acri facienda viro. nunc viribus usus, nunc manibus rapidis, omni nunc arte magistra. praecipitate moras.’ nec plura effatus; at illi ocius incubuere omnes pariterque laborem sortiti. fluit aes rivis aurique metallum

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So und nicht minder aktiv erhebt sich zur nämlichen Zeit der Feuerbeherrscher vom weichen Lager zur Arbeit des Schmiedes. Dicht an Sikaniens Strand, beim äolischen Lipare hebt sich steil mit rauchenden Felsen empor eine Insel; darunter dröhnt eine Höhle, des Aetna Hohlräume dröhnen, zerfressen durch die Kyklopenöfen; von Ambossen, heftig geschlagen, hört man ein grelles Echo, Metallmassen, Chalyberarbeit, zischen in Gruben, es faucht in den Essen das Feuer; das ist das Haus des Vulkanus, das ist das Land mit dem Namen Vulkania. Hierhin stieg nun vom Himmel herab der Feuerbeherrscher. Eisen schmiedeten grad die Kyklopen in riesiger Höhle, Brontes, Steropes und mit nacktem Leibe Pyrakmon. Eben von ihren Händen geformt, zum Teil schon geglättet, war da ein Blitz, wie so viele zur Erde schleudert aus allen Ecken des Himmels Juppiter, teilweise noch nicht vollendet. Angefügt hatten sie schon drei Strahlen für Hagel und drei für Wolkenbruch, drei für rötliche Glut und geflügelten Sturmwind: Blitze, die Angst einjagen, und lautes Krachen und Panik, mischten dem Werk sie jetzt bei und Wut des Verfolgers den Flammen. Andere hatten den Wagen mit Flügelrädern für Mars in Arbeit, auf welchem stehend er Männer aufhetzt und Städte, auch die schreckliche Ägis, die Waffe der zürnenden Pallas, die sie mit Schlangenschuppen aus Gold verzierten, dazu das Schlangengeflecht auf der Brust der Göttin, daneben das Haupt der Gorgo; vom Rumpf gehauen, rollte es dennoch die Augen. »Alles weg«, ruft er, »schafft fort die begonnene Arbeit, ihr Kyklopen des Aetna, und hierauf achtet nun: Waffen gilt’s einem mutigen Manne zu schmieden. Vonnöten ist Kraft jetzt, schnelle Hände sind’s jetzt, jetzt jegliche Künste von Meistern. Auf denn, ohne Verzug.« Mehr sagte er nicht; aber alle machten sich rasch ans Werk, gleichmäßig verteilend die Arbeit untereinander. Da fließt in Rinnen das Erz und das Gold, es

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vulnificusque chalybs vasta fornace liquescit. ingentem clipeum informant, unum omnia contra tela Latinorum, septenosque orbibus orbes impediunt. alii ventosis follibus auras accipiunt redduntque, alii stridentia tingunt aera lacu; gemit impositis incudibus antrum; illi inter sese multa vi bracchia tollunt in numerum versantque tenaci forcipe massam. Haec pater Aeoliis properat dum Lemnius oris, Euandrum ex humili tecto lux suscitat alma et matutini volucrum sub culmine cantus. consurgit senior tunicaque inducitur artus et Tyrrhena pedum circumdat vincula plantis; tum lateri atque umeris Tegeaeum subligat ensem demissa ab laeva pantherae terga retorquens. nec non et gemini custodes limine ab alto praecedunt gressumque canes comitantur erilem. hospitis Aeneae sedem et secreta petebat sermonum memor et promissi muneris heros. nec minus Aeneas se matutinus agebat; filius huic Pallas, illi comes ibat Achates. congressi iungunt dextras mediisque residunt aedibus et licito tandem sermone fruuntur. rex prior haec: ‘maxime Teucrorum ductor, quo sospite numquam res equidem Troiae victas aut regna fatebor, nobis ad belli auxilium pro nomine tanto exiguae vires; hinc Tusco claudimur amni, hinc Rutulus premit et murum circumsonat armis. sed tibi ego ingentis populos opulentaque regnis iungere castra paro, quam fors inopina salutem ostentat: fatis huc te poscentibus adfers.

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schmilzt der wundenschlagende Stahl in der riesigen Esse. Einen gewaltigen Schild, gegen alle latinischen Waffen eine, formen sie, nieten siebenfach Scheibe auf Scheibe. Die hier saugen Luft an mit Blasebälgen und stoßen wieder sie aus, die anderen tauchen das zischende Erz in Löschtröge; laut erdröhnt von Ambossschlägen die Höhle; abwechselnd heben im Takt mit großer Kraft sie die Arme, und die Metallmasse wenden sie um mit der greifenden Zange. Während der Lemnier dies an des Aeolus Küste vorantreibt, lockt das belebende Licht aus der niedrigen Hütte Euander und der Morgengesang der Vögel unter dem Dachfirst. Da erhebt sich der Alte und legt die Tunika an und bindet unter die Füße sich seine Tyrrhenersandalen, heftet an Schulter und Seite sich sein tegeäisches Schwert und schlägt zurück das Fell des Panthers, das links ihm herabhängt. Seine beiden Türhüter eilen ihm von der erhabnen Schwelle voraus, und die Hunde begleiten die Schritte des Herren. Dann sucht seines Gasts separates Zimmer der Held auf, an die Gespräche denkend und an die versprochene Hilfe. Aber auch Aeneas war schon in der Früh auf den Beinen; neben ihm ging Pallas, der Sohn, und mit diesem Achates. Als man sich trifft und die Hände gereicht hat, da lässt man sich nieder mitten im Hause, erfreut, dass es endlich zu einem Gespräch kommt. So beginnt dann der König: »Mächtiger Führer der Teukrer, solange du lebst, werd ich niemals zugestehen, dass Trojas Macht und Herrschaft besiegt sei, aber für Kriegshilfe sind, gemessen an so einem Namen, unsere Kräfte gering; hier schließt uns der tuskische Strom ein, dort drohn Rutuler, lärmen herum um die Mauer mit Waffen. Aber gewaltige Völker mit starken fürstlichen Heeren werde ich dir verbünden; ein unerwartetes Glück weist uns diese Rettung: Du kommst hierher, weil die Fata dich rufen.

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haud procul hinc saxo incolitur fundata vetusto urbis Agyllinae sedes, ubi Lydia quondam gens, bello praeclara, iugis insedit Etruscis. hanc multos florentem annos rex deinde superbo imperio et saevis tenuit Mezentius armis. quid memorem infandas caedes, quid facta tyranni effera? di capiti ipsius generique reservent! mortua quin etiam iungebat corpora vivis componens manibusque manus atque oribus ora, tormenti genus, et sanie taboque fluentis complexu in misero longa sic morte necabat. at fessi tandem cives infanda furentem armati circumsistunt ipsumque domumque, obtruncant socios, ignem ad fastigia iactant. ille inter caedem Rutulorum elapsus in agros confugere et Turni defendier hospitis armis. ergo omnis furiis surrexit Etruria iustis: regem ad supplicium praesenti Marte reposcunt. his ego te, Aenea, ductorem milibus addam. toto namque fremunt condensae litore puppes signaque ferre iubent, retinet longaevus haruspex fata canens: “o Maeoniae delecta iuventus, flos veterum virtusque virum, quos iustus in hostem fert dolor et merita accendit Mezentius ira, nulli fas Italo tantam subiungere gentem: externos optate duces.” tum Etrusca resedit hoc acies campo monitis exterrita divum. ipse oratores ad me regnique coronam cum sceptro misit mandatque insignia Tarchon, succedam castris Tyrrhenaque regna capessam. sed mihi tarda gelu saeclisque effeta senectus invidet imperium seraeque ad fortia vires.

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Nicht weit weg von hier, auf uraltem Felsen gegründet, liegt die Stadt Agylla, wo einst ein lydisches Volk, im Kriege berühmt, sich niederließ auf den etruskischen Bergen. Jahrelang blühte die Stadt, aber dann regierte mit stolzer Macht und mit grausamen Waffen dort als König Mezentius. Was soll ich reden vom ruchlosen Morden, vom grausamen Tun des Zwingherrn? Mögen’s die Götter ihm und der Sippe vergelten! Ja, selbst Leichname band er mit lebenden Menschen zusammen, fügte Hand an Hand und Mund an Mund – welche Art von Folter! – und tötete sie, die in Eiter und Jauche zerflossen, so durch langsames Sterben in jammervoller Umarmung. Endlich zermürbt davon, umzingeln die Bürger in Waffen ihn, der unsäglich rast, ihn selbst mitsamt seinem Hause, töten seine Trabanten und werfen Brand auf die Giebel. Jener entkam noch während des Blutbads, floh ins Gebiet der Rutuler, fand dort Schutz durch die Waffen des Gastfreundes Turnus. Also erhob in gerechtem Zorn sich das ganze Etrurien: Krieg androhend verlangt’s, um ihn hinzurichten, den König. Diesen Tausenden gebe ich dich, Aeneas, als Führer. Schiffe, dichtgedrängt am Gestade, ertönen von Rufen, Angreifen fordern die Leute; zurück hält die nur ein alter Seher, die Fata verkündend: ›Erlesene Jugend Mäoniens, einstiger Männer Zierde und Kraft, die gerechte Erbittrung gegen den Feind treibt, Zorn auf Mezentius entflammt, der verdient ist, kein Italiker darf ein so großes Volk unterwerfen: Wählt euch Führer vom Ausland.‹ Da ließ das etruskische Heer sich nieder in diesem Gebiet, erschreckt von der Weisung der Götter. Tarchon persönlich entsandte Unterhändler zu mir mit Krone und Szepter und gibt mir so die Symbole der Herrschaft: Ich soll ins Lager gehn, das tyrrhenische Reich übernehmen. Mir aber neidet das Alter, erstarrt von Trägheit und durch die Jahre geschwächt, die Macht; für Heldentum fehlt mir die Kraft jetzt.

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natum exhortarer, ni mixtus matre Sabella hinc partem patriae traheret. tu, cuius et annis et generi fatum indulget, quem numina poscunt, ingredere, o Teucrum atque Italum fortissime ductor. hunc tibi praeterea, spes et solacia nostri, Pallanta adiungam: sub te tolerare magistro militiam et grave Martis opus, tua cernere facta adsuescat, primis et te miretur ab annis. Arcadas huic equites bis centum, robora pubis lecta dabo, totidemque suo tibi nomine Pallas.’ Vix ea fatus erat, defixique ora tenebant Aeneas Anchisiades et fidus Achates multaque dura suo tristi cum corde putabant, ni signum caelo Cytherea dedisset aperto. namque improviso vibratus ab aethere fulgor cum sonitu venit et ruere omnia visa repente, Tyrrhenusque tubae mugire per aethera clangor. suspiciunt, iterum atque iterum fragor increpat ingens: arma inter nubem caeli in regione serena per sudum rutilare vident et pulsa tonare. obstipuere animis alii, sed Troius heros agnovit sonitum et divae promissa parentis. tum memorat: ‘ne vero, hospes, ne quaere profecto quem casum portenta ferant: ego poscor Olympo. hoc signum cecinit missuram diva creatrix, si bellum ingrueret, Volcaniaque arma per auras laturam auxilio. heu quantae miseris caedes Laurentibus instant! quas poenas mihi, Turne, dabis! quam multa sub undas scuta virum galeasque et fortia corpora volves, Thybri pater! poscant acies et foedera rumpant.’ Haec ubi dicta dedit, solio se tollit ab alto

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Auffordern tät ich den Sohn, wär durch die sabellische Mutter er nicht beheimatet hier. Doch zu deinen Jahren und deiner Herkunft passt jener Spruch, du, den die Gottheiten fordern, du pack’s an, der Teukrer und Italer tapferster Führer. Diesen hier überdies, mir Hoffnung und Trost, meinen Pallas, geb ich dir mit: Unter deiner Leitung den Kriegsdienst, das harte Handwerk des Mars, zu ertragen und deine Taten zu sehen, daran gewöhne er sich, und er soll schon früh dich bewundern. Zweihundert Arkaderreiter, die Auslese kräftiger Männer, geb ich ihm, ebenso viele wird Pallas aus Eignem dir stellen.« Kaum hatte dies er gesagt, da hielten zu Boden gesenkt den Blick Aeneas, Anchises’ Sohn, und der treue Achates, und viel Schweres wollten sie traurigen Herzens erwägen, hätte nicht Venus ein Zeichen vom offenen Himmel gegeben. Denn es kommt, geschleudert vom Äther mit krachendem Donner, unversehens ein Blitz, und es scheint, als stürze nun plötzlich alles zusammen und Tubaklang schmettere über den Himmel. Aufwärts schauen sie, wieder und wieder erschallt das Getöse: Waffen zwischen Gewölk im heiteren Raume des Himmels sehen sie rötlich schimmern im Licht, die, geschlagen, erdröhnen. Staunend stehn da die andern, jedoch es erkannte den Klang der troische Held und darin das Versprechen der göttlichen Mutter. Und er sagt: »Mein Gastfreund, suche du nicht zu ergründen, welches Geschick dies Wunder verheißt: Mich fordert der Himmel. Dieses Zeichen, so weissagte mir meine göttliche Mutter, werde sie senden, wenn Krieg ausbreche, und Waffen Vulkans zu Hilfe hoch durch die Lüfte mir bringen. Ach, welch riesiges Blutbad droht nun den armen Laurentern! Wie wirst, Turnus, von mir du gestraft! Wie viel Schilde der Männer wirst in den Wogen du wälzen und Helme und Leichen der Tapfren, Vater Thybris! Fordern sie Krieg denn und brechen das Bündnis!« Spricht’s und erhebt sich vom hohen Throne und weckt dann zunächst das

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et primum Herculeis sopitas ignibus aras excitat hesternumque larem parvosque penates laetus adit; mactat lectas de more bidentis Euandrus pariter, pariter Troiana iuventus. post hinc ad navis graditur sociosque revisit, quorum de numero qui sese in bella sequantur praestantis virtute legit; pars cetera prona fertur aqua segnisque secundo defluit amni, nuntia ventura Ascanio rerumque patrisque. dantur equi Teucris Tyrrhena petentibus arva; ducunt exsortem Aeneae, quem fulva leonis pellis obit totum praefulgens unguibus aureis. Fama volat parvam subito vulgata per urbem ocius ire equites Tyrrheni ad litora regis. vota metu duplicant matres, propiusque periclo it timor et maior Martis iam apparet imago. tum pater Euandrus dextram complexus euntis haeret, inexpletus lacrimans, ac talia fatur: ‘o mihi praeteritos referat si Iuppiter annos, qualis eram cum primam aciem Praeneste sub ipsa stravi scutorumque incendi victor acervos et regem hac Erulum dextra sub Tartara misi, nascenti cui tris animas Feronia mater (horrendum dictu) dederat – terna arma movenda, ter leto sternendus erat; cui tunc tamen omnis abstulit haec animas dextra et totidem exuit armis –: non ego nunc dulci amplexu divellerer usquam, nate, tuo, neque finitimo Mezentius umquam huic capiti insultans tot ferro saeva dedisset funera, tam multis viduasset civibus urbem. at vos, o superi, et divum tu maxime rector Iuppiter, Arcadii, quaeso, miserescite regis

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schlummernde Feuer auf dem Altar des Herkules, tritt zum Lar, dem am Vortag er opferte, und zu den schlichten Penaten freudig; Euander opfert erlesene jährige Schafe nach dem Brauch mit ihm, mit ihm die trojanische Jugend. Anschließend geht er von hier zu den Schiffen und sieht die Gefährten wieder; die Tapfersten, die in den Krieg ihm nachfolgen sollen, wählt er aus ihrer Schar; der Rest lässt von der geneigten Woge sich tragen und gleitet, ohne zu rudern, flussabwärts, Botschaft zur Lage und über den Vater Askanius zu bringen. Pferde gibt man den Teukrern zum Zug ins Gebiet der Tyrrhener; ein besonderes bringt man Aeneas; ein Löwenfell, gelblich, hüllt es gänzlich ein, dessen Krallen golden erstrahlen. Plötzlich verbreitet, fliegt durch die kleine Stadt nun die Kunde, Reiter zögen in Eile zum Strand des tyrrhenischen Königs. Mütter verdoppeln voll Angst die Gebete, näher zusammen rücken Gefahr und Furcht, und die Mars-Fratze zeigt sich jetzt größer. Vater Euander umfasst die Rechte des scheidenden Sohnes, hält sie, hemmungslos weinend, und spricht die folgenden Worte: »Gäbe Juppiter mir zurück die vergangenen Jahre, so, wie ich war, als ein Heer ich direkt vor den Mauern Praenestes schlug, als Sieger dann Berge von Schilden verbrannte und König Erulus hier mit dieser Faust zum Tartarus schickte, dem bei seiner Geburt drei Leben die Mutter Feronia gab (das zu sagen, graut’s mir) – dreimal musste ich kämpfen, dreimal war er zu fällen; und doch nahm damals ihm diese Rechte all seine Leben und ebenso oft seine Waffen –: Niemals ließ ich mich heute aus deiner lieben Umarmung reißen, mein Sohn, nie hätte Mezentius mir, seinem Nachbarn, diesem Haupte, zum Hohn, mit dem Schwert begangen so viele grausame Morde, der Stadt so zahlreiche Bürger genommen. Ihr im Himmel und du, erhabener Lenker der Götter, Juppiter, bitte, erbarmt euch doch des arkadischen Königs

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et patrias audite preces. si numina vestra incolumem Pallanta mihi, si fata reservant, si visurus eum vivo et venturus in unum, vitam oro, patior quemvis durare laborem. sin aliquem infandum casum, Fortuna, minaris, nunc, o nunc liceat crudelem abrumpere vitam, dum curae ambiguae, dum spes incerta futuri, dum te, care puer, mea sola et sera voluptas, complexu teneo, gravior neu nuntius auris vulneret.’ haec genitor digressu dicta supremo fundebat; famuli conlapsum in tecta ferebant. Iamque adeo exierat portis equitatus apertis Aeneas inter primos et fidus Achates, inde alii Troiae proceres, ipse agmine Pallas in medio, chlamyde et pictis conspectus in armis: qualis ubi Oceani perfusus Lucifer unda, quem Venus ante alios astrorum diligit ignis, extulit os sacrum caelo tenebrasque resolvit. stant pavidae in muris matres oculisque sequuntur pulveream nubem et fulgentis aere catervas. olli per dumos, qua proxima meta viarum, armati tendunt; it clamor, et agmine facto quadrupedante putrem sonitu quatit ungula campum. est ingens gelidum lucus prope Caeritis amnem, religione patrum late sacer; undique colles inclusere cavi et nigra nemus abiete cingunt. Silvano fama est veteres sacrasse Pelasgos, arvorum pecorisque deo, lucumque diemque, qui primi finis aliquando habuere Latinos. haud procul hinc Tarcho et Tyrrheni tuta tenebant castra locis, celsoque omnis de colle videri iam poterat legio et latis tendebat in arvis.

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und erhört eines Vaters Gebet. Wenn mir euer Wille, wenn mir unversehrt das Fatum Pallas erhält, wenn ihn einst wiederzusehen und ihm zu begegnen ich lebe, bitte ich um das Leben, erdulde jegliche Mühsal. Drohst aber du mir, Fortuna, mit unaussprechlichem Unglück – jetzt, ach jetzt sei’s vergönnt, das grausame Leben zu enden, während nicht eindeutig ist die Sorge, unbestimmt Hoffnung, während ich, lieber Sohn, meine Freude, du einzige, späte, dich noch halte im Arm: Dass nie doch schlimmere Nachricht treffe mein Ohr!« Beim Abschied ließ diese Worte der Vater noch verströmen; ohnmächtig trugen ins Haus ihn die Diener. Schon war die Reiterei gesprengt aus geöffneten Toren, unter den ersten Aeneas, mit ihm sein treuer Achates, dann die anderen Edlen Trojas; inmitten des Zugs ritt Pallas, prächtig zu schauen in Mantel und farbiger Rüstung: wie wenn, umspült von des Ozeans Wogen, Luzifer, welchen Venus liebt vor den anderen Feuern der Sterne, sein heilges Antlitz am Himmel erhebt und so die Finsternis endet. Angstvoll stehn auf den Mauern die Mütter und folgen mit ihren Augen der Staubwolke und den vom Erz erglänzenden Scharen. Quer durch Dornengesträuch, auf dem kürzesten Wege zum Ziele, reiten die Krieger; Geschrei ertönt und formiert ist die Truppe; Hufe stampfen im Takt des Galopps das lockere Erdreich. Nahe an Caeres kühlem Fluss ist ein riesiger Hain, durch Väterglauben weithin geheiligt; ihn schließen von allen Seiten Hügel ein, ihn mit dunklen Tannen umgebend. Ihrem Silvanus, dem Gott der Fluren und Herden – so heißt es –, weihten die alten Pelasger den Hain und dazu einen Festtag, denn als erste bewohnten sie einstmals das Land der Latiner. Unweit von hier, vom Gelände geschützt, hatte Tarcho sein Lager mit den Tyrrhenern; hoch vom Hügel waren bereits die ganze Armee und die Zelte im weiten Gefilde zu sehen.

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huc pater Aeneas et bello lecta iuventus succedunt fessique et equos et corpora curant. At Venus aetherios inter dea candida nimbos dona ferens aderat; natumque in valle reducta ut procul egelido secretum flumine vidit, talibus adfata est dictis seque obtulit ultro: ‘en perfecta mei promissa coniugis arte munera. ne mox aut Laurentis, nate, superbos aut acrem dubites in proelia poscere Turnum.’ dixit et amplexus nati Cytherea petivit, arma sub adversa posuit radiantia quercu. ille deae donis et tanto laetus honore expleri nequit atque oculos per singula volvit miraturque interque manus et bracchia versat terribilem cristis galeam flammasque vomentem, fatiferumque ensem, loricam ex aere rigentem, sanguineam, ingentem, qualis cum caerula nubes solis inardescit radiis longeque refulget; tum levis ocreas electro auroque recocto hastamque et clipei non enarrabile textum. illic res Italas Romanorumque triumphos haud vatum ignarus venturique inscius aevi fecerat ignipotens, illic genus omne futurae stirpis ab Ascanio pugnataque in ordine bella. fecerat et viridi fetam Mavortis in antro procubuisse lupam, geminos huic ubera circum ludere pendentis pueros et lambere matrem impavidos, illam tereti cervice reflexam mulcere alternos et corpora fingere lingua. nec procul hinc Romam et raptas sine more Sabinas consessu caveae, magnis Circensibus actis, addiderat, subitoque novum consurgere bellum

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Hier rückt Vater Aeneas mit seiner zum Kriege erwählten Mannschaft nun an, und erschöpft versorgt man sich selbst und die Pferde. Venus, die Göttin, erstrahlend in Wolken am Himmel, war da mit ihren Geschenken, und als sie hinten im Tale von ferne ihren Sohn sah, abseits am kühlen Flusse, da sprach sie folgende Worte zu ihm, in eigner Gestalt sich ihm zeigend: »Schau, vollendet sind nun durch die Kunst meines Gatten die Gaben, die ich versprach. Jetzt zögre nicht, Sohn, die stolzen Laurenter oder den hitzigen Turnus herauszufordern zum Kampfe.« Sprach’s und umarmte den Sohn; gegenüber dann unter eine Eiche legte die strahlenden Waffen für ihn Kytherea. Er, beglückt durch die Gaben der Göttin, die herrliche Ehrung, kann sich nicht sattsehen, lässt über alles wandern die Augen, staunt und dreht hin und her mit den Händen und Armen den Helm, der Angst erregt durch den Helmbusch und Feuer ausspeit, danach das Tod bereitende Schwert und den Panzer, welcher von Erz starrt, blutrot, riesengroß, vergleichbar der schwärzlichen Wolke, wenn sie erglüht von der Sonne und weithin leuchtet; danach die Beinschienen, blank geputzt, ein Gemisch von Gold und von Silber, auch den Speer und den Schild, das nicht zu beschreibende Kunstwerk. Auf ihm hielt die Geschichte Italiens und Römertriumphe, gut mit den Sprüchen der Seher vertraut und kundig der Zukunft, fest des Feuers Herr, von Askanius an den gesamten Stamm der Nachkommen und der Reihe nach sämtliche Kriege, stellte auch dar, wie säugend in Mavors’ grünender Grotte lag die Wölfin und wie die Zwillingsknaben, an ihren Zitzen hängend, spielten und ohne Furcht an der Amme saugten, wie jene mit wendigem Hals sich bog und die beiden liebevoll leckte, Gestalt verlieh mit der Zunge den Körpern. Gleich daneben: Rom, die Sabinerfraun, zuchtlos geraubt vom Zuschauersitz bei den großen Spielen im Zirkus, und neuer, plötzlich entstandener Krieg zwischen Romulus’ Leuten, dem greisen

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Romulidis Tatioque seni Curibusque severis. post idem inter se posito certamine reges armati Iovis ante aram paterasque tenentes stabant et caesa iungebant foedera porca. haud procul inde citae Mettum in diversa quadrigae distulerant (at tu dictis, Albane, maneres!), raptabatque viri mendacis viscera Tullus per silvam, et sparsi rorabant sanguine vepres. nec non Tarquinium eiectum Porsenna iubebat accipere ingentique urbem obsidione premebat; Aeneadae in ferrum pro libertate ruebant. illum indignanti similem similemque minanti aspiceres, pontem auderet quia vellere Cocles et fluvium vinclis innaret Cloelia ruptis. in summo custos Tarpeiae Manlius arcis stabat pro templo et Capitolia celsa tenebat, Romuleoque recens horrebat regia culmo. atque hic auratis volitans argenteus anser porticibus Gallos in limine adesse canebat; Galli per dumos aderant arcemque tenebant defensi tenebris et dono noctis opacae: aurea caesaries ollis atque aurea vestis, virgatis lucent sagulis, tum lactea colla auro innectuntur, duo quisque Alpina coruscant gaesa manu, scutis protecti corpora longis. hic exsultantis Salios nudosque Lupercos lanigerosque apices et lapsa ancilia caelo extuderat, castae ducebant sacra per urbem pilentis matres in mollibus. hinc procul addit Tartareas etiam sedes, alta ostia Ditis, et scelerum poenas, et te, Catilina, minaci pendentem scopulo Furiarumque ora trementem,

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Tatius und den moralisch strengen Männern von Cures. Dann: dieselben Könige, nach der Schlichtung des Streits, in Waffen vor dem Altare des Juppiter, Schalen in ihren Händen; durch Opfern der Sau besiegelten grad sie ihr Bündnis. Gleich daneben das Viergespann, auseinandergetrieben, Mettus zerfetzt – hättst du doch Wort gehalten, Albaner! –, und es schleifte da Tullus die Eingeweide des Lügners quer durch den Wald, es trieften, bespritzt vom Blute, die Sträucher. Ferner: Aufnehmen ließ den verbannten Tarquinius Porsenna, und er bedrängte die Stadt, sie mit riesigem Aufwand belagernd; für die Freiheit griffen die Aeneaden zum Schwerte. Einem Entrüsteten gleich und einem Drohenden sah man ihn, weil einzureißen die Brücke sich Cocles getraute und nach dem Sprengen der Fesseln Cloelia über den Fluss schwamm. Manlius stand hoch oben als Wächter der Burg der Tarpeja, vor dem Tempel, bemüht, das Kapitol zu behaupten; neu war das Haus des Königs und strotzte mit Romulus’ Strohdach. Hier umflatterte eine silberne Gans eine goldne Portikus und tat kund, an der Schwelle stünden die Gallier; diese kamen heran durchs Gesträuch und umringten die Burg, durchs Dunkel gedeckt und begünstigt, weil’s eine finstere Nacht war: Golden ist ihre Mähne, und goldfarben ist ihre Kleidung, Mäntel mit Streifen leuchten, Goldketten winden sich um die milchweißen Nacken; es schwingt zwei Alpenspieße mit seiner Hand ein jeder, und lange Schilde beschützen die Körper. Hier hatte tanzende Salier er und nackte Luperker, Kappen mit Spitzen aus Wolle und Schilde, vom Himmel gefallen, dargestellt; züchtig führten die Frauen das Kultgerät durch die Stadt auf gepolsterten Wagen. Dort drüben fügt er den Sitz des Tartarus noch hinzu, die hohe Pforte des Dis und Strafen für die Verbrechen und dich, Catilina, an schroffem Felsen hängend, erzitternd vor den Furienfratzen,

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secretosque pios, his dantem iura Catonem. haec inter tumidi late maris ibat imago aurea, sed fluctu spumabant caerula cano, et circum argento clari delphines in orbem aequora verrebant caudis aestumque secabant. in medio classes aeratas, Actia bella, cernere erat, totumque instructo Marte videres fervere Leucaten auroque effulgere fluctus. hinc Augustus agens Italos in proelia Caesar cum patribus populoque, penatibus et magnis dis, stans celsa in puppi, geminas cui tempora flammas laeta vomunt patriumque aperitur vertice sidus. parte alia ventis et dis Agrippa secundis arduus agmen agens, cui (belli insigne superbum) tempora navali fulgent rostrata corona. hinc ope barbarica variisque Antonius armis, victor ab Aurorae populis et litore rubro, Aegyptum viresque Orientis et ultima secum Bactra vehit, sequiturque (nefas) Aegyptia coniunx. una omnes ruere ac totum spumare reductis convulsum remis rostrisque tridentibus aequor. alta petunt: pelago credas innare revulsas Cycladas aut montis concurrere montibus altos, tanta mole viri turritis puppibus instant. stuppea flamma manu telisque volatile ferrum spargitur, arva nova Neptunia caede rubescunt. regina in mediis patrio vocat agmina sistro, necdum etiam geminos a tergo respicit anguis. omnigenumque deum monstra et latrator Anubis contra Neptunum et Venerem contraque Minervam tela tenent; saevit medio in certamine Mavors caelatus ferro tristesque ex aethere Dirae,

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abseits davon die Frommen und ihren Gesetzgeber Cato. Weithin zog sich dazwischen das Bild des wogenden Meeres, golden, mit weißgrauen Kämmen schäumten aber die Fluten; ringsum peitschten in Silber helle Delphine mit ihren Schwänzen das Wasser im Kreise, wobei sie die Wogen durchfurchten. Mitten im Bild war in Erz zu erkennen die Flotte, die Schlacht bei Aktium; wie Leukates wogte in Schlachtordnung, war zu sehen und wie die Fluten erglänzten von Gold. Auf der einen Seite Caesar Augustus, die Italer führend zum Kampf mit Vätern, Volk und Penaten und mächtigen Göttern; er steht hoch auf dem Heck; aus den Schläfen schlagen zwei Flammen, ein gutes Omen; des Vaters Gestirn erscheint überm Scheitel. An andrer Stelle Agrippa: Von Winden und Göttern begünstigt, befehligt hochaufgerichtet er sein Geschwader; es strahlt – ein erhabner Kriegsschmuck –, mit Schnäbeln verziert, die Schiffskrone ihm an den Schläfen. Drüben: mit fremden Armeen und verschiedenen Waffen Antonius, Sieger bei Völkern des Ostens, am Roten Meere; Ägypten führt er mit sich und Truppen des Orients, ja auch das ferne Baktra; es folgt ihm – ein Gräuel ist’s! – seine ägyptische Gattin. Alles zugleich stürmt los, und es schäumt, durch die Schläge der Ruder und den Dreizack der Schiffsschnäbel aufgewühlt, weithin die See. Aufs offene Meer geht’s: Meinen könnt man, Kykladen, entwurzelt, schwämmen darauf, oder Berge stießen auf Berge; mit solcher Wucht bedrängen die Männer die Hecks, die mit Türmen bewehrt sind. Brandfackeln werden geschleudert, geflügelter Stahl an Geschossen, rot wird Neptuns Gefilde vom beispiellosen Gemetzel. Mittendrin ruft mit dem heimischen Sistrum die Königin Truppen, aber sie sieht noch nicht das Schlangenpaar hinter dem Rücken. Monster von Göttern jeglicher Art und der Beller Anubis richten gegen Neptunus und Venus und gegen Minerva ihre Waffen; es wütet mitten im Kampfgewühl Mars, in Eisen getrieben, und unheilvoll drohen vom Äther die Dirae,

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et scissa gaudens vadit Discordia palla, quam cum sanguineo sequitur Bellona flagello. Actius haec cernens arcum intendebat Apollo desuper: omnis eo terrore Aegyptus et Indi, omnis Arabs, omnes vertebant terga Sabaei. ipsa videbatur ventis regina vocatis vela dare et laxos iam iamque immittere funis. illam inter caedes pallentem morte futura fecerat ignipotens undis et Iapyge ferri, contra autem magno maerentem corpore Nilum pandentemque sinus et tota veste vocantem caeruleum in gremium latebrosaque flumina victos. at Caesar, triplici invectus Romana triumpho moenia, dis Italis – votum immortale – sacrabat maxima ter centum totam delubra per urbem. laetitia ludisque viae plausuque fremebant; omnibus in templis matrum chorus, omnibus arae; ante aras terram caesi stravere iuvenci. ipse sedens niveo candentis limine Phoebi dona recognoscit populorum aptatque superbis postibus; incedunt victae longo ordine gentes, quam variae linguis, habitu tam vestis et armis. hic Nomadum genus et discinctos Mulciber Afros, hic Lelegas Carasque sagittiferosque Gelonos finxerat; Euphrates ibat iam mollior undis, extremique hominum Morini, Rhenusque bicornis, indomitique Dahae, et pontem indignatus Araxes. Talia per clipeum Volcani, dona parentis, miratur rerumque ignarus imagine gaudet attollens umero famamque et fata nepotum.

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freudig schreitet einher mit zerschlissenem Mantel die Zwietracht, der dann Bellona nachfolgt mit ihrer blutigen Peitsche. Aktiums Apollo sah es und spannte von oben herab den Bogen: Dadurch in Panik geraten, wandten zur Flucht sich alle Ägypter und Inder und Araber, alle Sabäer. Auch sie selbst, die Königin, sah man in den erflehten Wind ihre Segel setzen und hastig lockern die Taue. Wie sie mitten durchs Morden, erbleicht in Erwartung des Todes, eilte durch Westwind und Wellen, das zeigte der Feuerbeherrscher, ihr gegenüber die Riesengestalt des trauernden Nils, der, öffnend den Bausch des Gewands, mit dem ganzen Gewande in seinen bläulichen Schoß und die Buchten der Flussarme rief die Besiegten. Caesar hingegen zog im Dreifachtriumph in die Mauern Roms ein und weihte Italiens Göttern – Gelübde auf ewig – stattliche Tempel, an Zahl dreihundert, über die Stadt hin. Laut von Frohsinn und Spielen und Beifall hallten die Straßen, Tänze der Fraun gab’s, Dienst an Altären in sämtlichen Tempeln; vor den Altären bedeckten den Boden geopferte Stiere. Er selbst sitzt auf der schneeweißen Schwelle des strahlenden Phoebus, mustert die Gaben der Völker und lässt sie heften an hohe Pfosten; in langer Reihe marschiern unterworfene Völker, wie in der Sprache, so auch in Tracht und Bewaffnung verschieden. Hier hat Nomaden Mulciber, ungegürtete Afrer, Leleger hier und Karer und pfeilbewehrte Gelonen dargestellt; sanfter wogte bereits der Euphrat, vom Erdrand kamen die Moriner her und der Rhein mit zweifacher Mündung, Daher, noch ungezähmt, der Araxes auch, Brücken nicht duldend. Solches bewundert er da auf dem Schild des Vulkan, seiner Mutter Gabe, erfreut sich am Bild, obwohl er nicht weiß, was es darstellt, und er hebt auf die Schulter den Ruhm und die Fata der Enkel.

LIBER IX Atque ea diversa penitus dum parte geruntur, Irim de caelo misit Saturnia Iuno audacem ad Turnum; luco tum forte parentis Pilumni Turnus sacrata valle sedebat. ad quem sic roseo Thaumantias ore locuta est: ‘Turne, quod optanti divum promittere nemo auderet, volvenda dies en attulit ultro. Aeneas urbe et sociis et classe relicta sceptra Palatini sedemque petit Euandri. nec satis: extremas Corythi penetravit ad urbes Lydorumque manum, collectos armat agrestis. quid dubitas? nunc tempus equos, nunc poscere currus: rumpe moras omnis et turbata arripe castra.’ dixit et in caelum paribus se sustulit alis ingentemque fuga secuit sub nubibus arcum. agnovit iuvenis duplicisque ad sidera palmas sustulit ac tali fugientem est voce secutus: ‘Iri, decus caeli, quis te mihi nubibus actam detulit in terras? unde haec tam clara repente tempestas? medium video discedere caelum palantisque polo stellas. sequor omina tanta, quisquis in arma vocas.’ et sic effatus ad undam processit summoque hausit de gurgite lymphas multa deos orans, oneravitque aethera votis. Iamque omnis campis exercitus ibat apertis dives equum, dives pictai vestis et auri; Messapus primas acies, postrema coercent Tyrrhidae iuvenes, medio dux agmine Turnus:

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BUCH 9 Während dieses an weit entferntem Orte sich zutrug, sandte zum wagemutigen Turnus Saturnia Juno Iris vom Himmel herab; im Hain seines Ahnherrn Pilumnus weilte Turnus gerade in einem geheiligten Tale. So sprach Thaumas’ Tochter zu ihm mit rosigem Munde: »Turnus, was auf dein Bitten hin kein Gott dir zu versprechen wagte, schau, das brachte der Lauf des Tages von selber. Stadt, Gefährten und Flotte verließ Aeneas und zog zum Herrschaftssitz des Euander oben auf dem Palatium. Doch nicht genug: Gekommen bis hin zu des Korythus fernsten Städten und zu den Lydern, sammelt und rüstet er Bauern. Zögerst du? Jetzt nach Rossen zu rufen ist’s Zeit, jetzt nach Wagen: Schluss jetzt mit jeglichem Zaudern, verwirr und erobre sein Lager!« Sprach’s und erhob sich zum Himmel, die Flügel ausbalancierend, zog einen riesigen Bogen, enteilend, unter den Wolken. Da erkannte der Jüngling die Göttin und hob zu den Sternen beide Hände empor und rief, derweil sie enteilte: »Iris, Zierde des Himmels, wer sandte, von Wolken getragen, dich mir zur Erde herab? Woher kommt plötzlich so klares Wetter? Ich sehe den Himmel inmitten sich öffnen und Sterne kreisen am Pol. So deutlichen Zeichen folg ich, wer du auch bist, der zum Kriege mich ruft.« So sprach er, schritt zu des Flusses Welle und schöpfte dort oben aus der Strömung das Wasser, lang zu den Göttern betend und viel gen Himmel gelobend. Und schon zog die gesamte Armee übers offne Gefilde, reich an Pferden und reich an bestickten Kleidern und Goldschmuck; vorne führt Messapus die Reihen, die Söhne des Tyrrhus halten die Nachhut zusammen, und Führer des Kerntrupps ist Turnus:

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ceu septem surgens sedatis amnibus altus per tacitum Ganges aut pingui flumine Nilus cum refluit campis et iam se condidit alveo. hic subitam nigro glomerari pulvere nubem prospiciunt Teucri ac tenebras insurgere campis. primus ab adversa conclamat mole Caicus: ‘quis globus, o cives, caligine volvitur atra? ferte citi ferrum, date tela, ascendite muros, hostis adest, heia!’ ingenti clamore per omnis condunt se Teucri portas et moenia complent. namque ita discedens praeceperat optimus armis Aeneas: si qua interea fortuna fuisset, neu struere auderent aciem neu credere campo; castra modo et tutos servarent aggere muros. ergo etsi conferre manum pudor iraque monstrat, obiciunt portas tamen et praecepta facessunt armatique cavis exspectant turribus hostem. Turnus, ut ante volans tardum praecesserat agmen viginti lectis equitum comitatus et urbi improvisus adest, maculis quem Thracius albis portat equus cristaque tegit galea aurea rubra. ‘ecquis erit, mecum, iuvenes, qui primus in hostem? en’ ait et iaculum attorquens emittit in auras, principium pugnae, et campo sese arduus infert. clamore excipiunt socii fremituque sequuntur horrisono: Teucrum mirantur inertia corda, non aequo dare se campo, non obvia ferre arma viros, sed castra fovere. huc turbidus atque huc lustrat equo muros aditumque per avia quaerit. ac veluti pleno lupus insidiatus ovili cum fremit ad caulas, ventos perpessus et imbris, nocte super media (tuti sub matribus agni

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wie, anschwellend durch sieben ruhige Flüsse, der Ganges still dahinfließt oder mit nährendem Strome der Nilus rückwärts fließt von den Feldern und birgt im Strombett sich wieder. Plötzlich sehen von fern eine Wolke aus schwärzlichem Staub sich ballen die Teukrer und Finsternis aufsteigen über den Feldern. Gleich ruft laut vom Wall, dem Feind gegenüber, Kaïkus: »Welch ein Knäuel aus finstrem Rauch wälzt, Bürger, sich hierher? Schnell bringt Waffen, verteilt die Geschosse, steigt auf die Mauern, auf denn, der Feind ist da!« Zurück durch sämtliche Tore strömen die Teukrer mit lautem Geschrei und besetzen die Mauern. Denn das hatte beim Abschied der kampferfahrne Aeneas angeordnet: Trete inzwischen ein Notfall ein, sollten sie nicht sich zu formieren wagen, nicht trauen der Feldschlacht, nein, nur schützen das Camp, die vom Wall gesicherten Mauern. Also: Raten auch Scham und Zorn zum Kampfe, so riegeln dennoch, die Weisung befolgend, die Tore sie zu und erwarten unter Waffen im Innern schützender Türme die Feinde. Turnus, vorausgeeilt wie im Fluge dem langsamen Heerzug, steht, begleitet von zwanzig erlesenen Reitern, ganz plötzlich vor der Stadt; ein Pferd, das weiß gefleckt ist, aus Thrakien trägt und ein goldener Helm mit rotem Busche beschützt ihn. »Männer, ist einer da, der mit mir auf den Feind …? Aber seht nur!« ruft er, schwingt seinen Speer und schleudert ihn hoch in die Luft als Zeichen zum Kampfesbeginn, sprengt hoch zu Ross ins Gefilde. Jubelnd nehmen die Freunde es auf und folgen mit wildem Schreien: Sie sind verwundert über die Feigheit der Teukrer, dass nicht im ebenen Feld sie sich stellen, nicht mannhaft bewaffnet angreifen, nein, sich im Lager einigeln. Ruhelos reitet er um die Mauern und sucht, wo’s unwegsam ist, einen Zugang. Und wie wenn ein Wolf, der den Stall voller Schafe umlauert, bei den Hürden heult, den Wind und den Regen ertragend, um die Mitte der Nacht – geborgen unter den Müttern

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balatum exercent, ille asper et improbus ira saevit in absentis; collecta fatigat edendi ex longo rabies et siccae sanguine fauces): haud aliter Rutulo muros et castra tuenti ignescunt irae, duris dolor ossibus ardet. qua temptet ratione aditus et quae via clausos excutiat Teucros vallo atque effundat in aequor? classem, quae lateri castrorum adiuncta latebat, aggeribus saeptam circum et fluvialibus undis, invadit sociosque incendia poscit ovantis atque manum pinu flagranti fervidus implet. tum vero incumbunt (urget praesentia Turni), atque omnis facibus pubes accingitur atris. diripuere focos: piceum fert fumida lumen taeda et commixtam Volcanus ad astra favillam. Quis deus, o Musae, tam saeva incendia Teucris avertit? tantos ratibus quis depulit ignes? dicite: prisca fides facto, sed fama perennis. tempore quo primum Phrygia formabat in Ida Aeneas classem et pelagi petere alta parabat, ipsa deum fertur genetrix Berecyntia magnum vocibus his adfata Iovem: ‘da, nate, petenti, quod tua cara parens domito te poscit Olympo. pinea silva mihi multos dilecta per annos lucus in arce fuit summa, quo sacra ferebant, nigranti picea trabibusque obscurus acernis: has ego Dardanio iuveni, cum classis egeret, laeta dedi; nunc sollicitam timor anxius angit. solve metus atque hoc precibus sine posse parentem: ne cursu quassatae ullo neu turbine venti vincantur, prosit nostris in montibus ortas.’ filius huic contra, torquet qui sidera mundi:

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blöken die Lämmer, doch gegen die Unerreichbaren wütet er voller Zorn und maßlos; es plagt ihn längere Zeit schon angesammelte Fressgier, der Rachen, welcher nach Blut lechzt –: So entbrennt beim Anblick von Mauer und Lager der Zorn dem Rutuler, und ihm lodert der Schmerz in den markigen Gliedern. Wie kann er Zugang sich bahnen, und was für ein Mittel kann aus dem Ringwall die Teukrer jagen und in die Ebene treiben? Ihre Flotte, die dicht an der Seite des Lagers verborgen lag, ringsum von Dämmen umfasst und vom Fluss, attackiert er, heißt die Gefährten, die aufjauchzen, Feuerbrände beschaffen, und ergreift eine Kienfackel selber mit feurigem Eifer. Dann aber drängen sie vor – es spornt sie die Nähe des Turnus –, und es versorgen sich alle mit düster qualmenden Fackeln. Herde plünderten sie: Es trägt das rauchende Kienholz schwarzes Feuer; Vulkan sprüht Aschenstaub zu den Sternen. Welcher Gott, ihr Musen, hat abgewehrt einen so wilden Brand von den Teukrern? Wer hielt so ein Feuer fern von den Schiffen? Sagt’s: Das Ereignis ist lang verbürgt, doch ewig die Kunde. Damals, als Aeneas auf Phrygiens Ida die Flotte baute und er zur Fahrt auf das hohe Meer schon bereit war, sprach Berekyntia selbst, die Mutter der Götter, so heißt’s, zum mächtigen Juppiter: »Sohn, gewähr deiner Mutter auf ihre Bitte, was sie erfleht von dir, des Olympus Bezwinger. Eine Fichtenwaldung, die viele Jahre mir lieb war, stand auf dem Berggipfel als ein Hain, wo sie Opfer mir brachten, schattig von dunklen Fichten und Ahornbäumen, und diese gab ich dem jungen Dardaner, als eine Flotte er brauchte, gern; jetzt bin ich beunruhigt, quälende Sorge bedrückt mich. Nimm mir die Furcht, lass dies die Mutter durch Bitten bewirken: Nie solln sie durch den Kurs, den sie fahren, zerschellen und nie durch Sturmwinde; nützlich sei, dass in meinem Gebirge sie wuchsen.« Drauf ihr Sohn, welcher kreisen lässt die Gestirne des Weltalls:

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‘o genetrix, quo fata vocas? aut quid petis istis? mortaline manu factae immortale carinae fas habeant certusque incerta pericula lustret Aeneas? cui tanta deo permissa potestas? immo, ubi defunctae finem portusque tenebunt Ausonios olim, quaecumque evaserit undis Dardaniumque ducem Laurentia vexerit arva, mortalem eripiam formam magnique iubebo aequoris esse deas, qualis Nereia Doto et Galatea secant spumantem pectore pontum.’ dixerat idque ratum Stygii per flumina fratris, per pice torrentis atraque voragine ripas adnuit et totum nutu tremefecit Olympum. Ergo aderat promissa dies et tempora Parcae debita complerant, cum Turni iniuria Matrem admonuit ratibus sacris depellere taedas. hic primum nova lux oculis offulsit et ingens visus ab Aurora caelum transcurrere nimbus Idaeique chori; tum vox horrenda per auras excidit et Troum Rutulorumque agmina complet: ‘ne trepidate meas, Teucri, defendere navis neve armate manus: maria ante exurere Turno quam sacras dabitur pinus. vos ite solutae, ite deae pelagi: genetrix iubet.’ et sua quaeque continuo puppes abrumpunt vincula ripis delphinumque modo demersis aequora rostris ima petunt; hinc virgineae (mirabile monstrum) reddunt se totidem facies pontoque feruntur. Obstipuere animis Rutuli, conterritus ipse turbatis Messapus equis, cunctatur et amnis rauca sonans revocatque pedem Tiberinus ab alto. at non audaci Turno fiducia cessit;

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»Mutter, wohin rufst du die Fata? Was willst du für die hier? Schiffen von sterblicher Hand sei’s erlaubt, unsterblich zu werden, sicher soll Aeneas durch Unsicherheit und Gefahren steuern? Welch einem Gott ist so eine Macht wohl verliehen? Nein! Ist alles vollbracht und sie ankern am Ziele, Ausoniens Häfen, nehme ich allen, welche den Wogen entkamen und den Dardanerführer trugen zur Flur von Laurentum, ihre sterbliche Form und heiße sie Göttinnen sein im weiten Meer, gleich wie Galatea und Doto, des Nereus Töchter, mit ihrer Brust die schäumenden Fluten zerteilen.« Sprach’s und bestätigte dies beim Styx, dem Fluss seines Bruders, bei seinen Ufern, die von pechschwarzem Wasser und dunklem Strudel branden, und ließ den Olymp durch sein Nicken erbeben. Nun war er da, der verheißene Tag, erfüllt hatten jetzt die Parzen die fällige Zeit, da das Unrecht des Turnus die Mutter mahnte, abzuwehrn von den heiligen Schiffen die Fackeln. Erst traf hell wie noch nie die Augen ein Licht, eine große Wolke schien von Osten her über den Himmel zu eilen, Reigen vom Ida dazu; dann dringt eine furchtbare Stimme durch die Lüfte, erfüllt der Troer und Rutuler Scharen: »Hastet nicht, Teukrer, voll Angst, zu verteidigen jetzt meine Schiffe, rüstet euch nicht: Das Meer darf Turnus eher verbrennen als meine heiligen Fichten. Losgelöst geht aber ihr, als Meeresgöttinnen geht: Die Mutter befiehlt es.« Und Schiff um Schiff reißt los sogleich die Vertäuung vom Ufer; sie tauchen wie Delphine mit ihren Schnäbeln ins Wasser und streben nieder zur Tiefe; von dort aber kehrn – ein erstaunliches Wunder – gleich an Zahl sie als Mädchen zurück und schwimmen im Meere. Da ergriff die Rutuler Panik, Messapus sogar ist fassungslos, seine Pferde scheuen, es stockt auch der Strom mit dumpfem Rauschen, zurück weicht Tiberinus vom Meere. Aber die Selbstsicherheit schwand nicht dem tollkühnen Turnus;

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ultro animos tollit dictis atque increpat ultro: ‘Troianos haec monstra petunt, his Iuppiter ipse auxilium solitum eripuit: non tela neque ignes exspectant Rutulos. ergo maria invia Teucris, nec spes ulla fugae: rerum pars altera adempta est, terra autem in nostris manibus, tot milia gentes arma ferunt Italae. nil me fatalia terrent, si qua Phryges prae se iactant, responsa deorum; sat fatis Venerique datum, tetigere quod arva fertilis Ausoniae Troes. sunt et mea contra fata mihi, ferro sceleratam exscindere gentem coniuge praerepta; nec solos tangit Atridas iste dolor, solisque licet capere arma Mycenis. “sed periisse semel satis est”: peccare fuisset ante satis, penitus modo non genus omne perosos femineum. quibus haec medii fiducia valli fossarumque morae, leti discrimina parva, dant animos; at non viderunt moenia Troiae Neptuni fabricata manu considere in ignis? sed vos, o lecti, ferro qui scindere vallum apparat et mecum invadit trepidantia castra? non armis mihi Volcani, non mille carinis est opus in Teucros (addant se protinus omnes Etrusci socios); tenebras et inertia furta ne timeant, nec equi caeca condemur in alvo: luce palam certum est igni circumdare muros. haud sibi cum Danais rem faxo et pube Pelasga esse ferant, decimum quos distulit Hector in annum. nunc adeo, melior quoniam pars acta diei, quod superest, laeti bene gestis corpora rebus procurate, viri, et pugnam sperate parari.’ interea vigilum excubiis obsidere portas

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er ermutigt die Seinen von sich aus und schilt sie von sich aus: »Diese Zeichen treffen die Troer, es nahm die gewohnte Hilfe Juppiter selbst ihnen weg: Nicht auf Rutulerwaffen, Feuer nicht müssen sie warten. Den Seeweg gibt’s für die Teukrer nicht mehr, nicht Hoffnung auf Flucht: Halb haben die Welt sie verloren, aber das Land ist in unserer Hand, es stehn unter Waffen so viel tausend Völker Italiens. Sprüche der Götter, wenn denn die Phryger sich ihrer rühmen, schrecken mich gar nicht; Fatum und Venus ist damit Genüge getan, dass Ausoniens fruchtbare Fluren die Troer betraten. Ich habe mein eignes Fatum: mit dem Schwert das ruchlose Volk zu vertilgen, das mir die Gattin geraubt hat; nicht trifft allein die Atriden dieser Schmerz, nicht nur Mykene darf sich bewaffnen. ›Einmal untergehn ist doch genug!‹: Genügt hätt es, damals sich zu vergehen, wenn jene von da an beinahe alle Frauen gehasst hätten. Sie vertraun auf den Wall zwischen uns und ihnen, das Hemmnis des Grabens, den Spalt an der Grenze zum Tode, das gibt Mut; aber sahn sie denn nicht die Mauern von Troja, aufgebaut von der Hand Neptuns, im Feuer versinken? Wer ist, Auserwählte, bereit, mit der Waffe den Wall jetzt aufzureißen, wer stürmt mit mir in das bangende Lager? Ich benötige nicht des Vulkanus Waffen, nicht tausend Schiffe gegen die Teukrer – mit ihnen solln alle Etrusker sich doch verbünden! –; sie müssen nicht Dunkel fürchten und feigen Raub; wir verstecken uns nicht im finsteren Bauch eines Pferdes: Fest steht, tagsüber hüllen wir offen die Mauern in Feuer. Sagen sollen sie nicht, mit den Danaërn und den Pelasgern sei jetzt Krieg, die ein Hektor dann doch zehn Jahre lang hinhielt. Jetzt aber, da der bessere Teil des Tages vorbei ist, freut euch dieses Erfolges und nützt den Rest, euern Leib zu stärken, Männer, und rechnet mit baldiger Rüstung zum Kampfe.« Unterdes wird Messapus befohlen, mit Posten die Tore

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cura datur Messapo et moenia cingere flammis. bis septem Rutuli, muros qui milite servent, delecti; ast illos centeni quemque sequuntur purpurei cristis iuvenes auroque corusci. discurrunt variantque vices fusique per herbam indulgent vino et vertunt crateras aënos. conlucent ignes, noctem custodia ducit insomnem ludo. Haec super e vallo prospectant Troes et armis alta tenent, nec non trepidi formidine portas explorant pontisque et propugnacula iungunt, tela gerunt. instat Mnestheus acerque Serestus, quos pater Aeneas, si quando adversa vocarent, rectores iuvenum et rerum dedit esse magistros. omnis per muros legio, sortita periclum, excubat exercetque vices, quod cuique tuendum est. Nisus erat portae custos, acerrimus armis, Hyrtacides, comitem Aeneae quem miserat Ida venatrix iaculo celerem levibusque sagittis, et iuxta comes Euryalus, quo pulchrior alter non fuit Aeneadum Troiana neque induit arma, ora puer prima signans intonsa iuventa. his amor unus erat pariterque in bella ruebant; tum quoque communi portam statione tenebant. Nisus ait: ‘dine hunc ardorem mentibus addunt, Euryale, an sua cuique deus fit dira cupido? aut pugnam aut aliquid iamdudum invadere magnum mens agitat mihi, nec placida contenta quiete est. cernis quae Rutulos habeat fiducia rerum: lumina rara micant, somno vinoque soluti procubuere, silent late loca; percipe porro quid dubitem et quae nunc animo sententia surgat.

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nun zu besetzen und rings um die Mauern Feuer zu brennen. Vierzehn Rutuler werden gewählt, die Mauern mit ihrem Trupp zu beobachten; Männer befehligt hundert ein jeder, alle mit purpurnem Helmbusch und golden schimmernder Rüstung. Hin und her laufen sie und lösen sich ab, und im Grase sprechen dem Weine sie zu und leeren die ehernen Krüge. Wachfeuer leuchten dazu; die Posten verkürzen durch Spiel die schlaflose Nacht. Oben vom Wall sehn dies die Troer und halten besetzt die Anhöhe unter Waffen; nervös und in Angst kontrolliern die Tore sie, schlagen Brücken zum Vorwerk und bringen Geschosse her. Es drängen zur Eile Serestus, voll Tatkraft, und Mnestheus; die hatte Vater Aeneas im Fall von drohender Not zu Führern der Männer ernannt sowie zu Leitern des Ganzen. Auf den Mauern wacht der gesamte Trupp, in Gefahr durchs Los gebracht; seine Pflicht tut jeder, wo aufpassen nottut. Nisus bewachte eines der Tore, ein feuriger Kämpfer, Hyrtakus’ Sohn; zu Aeneas entsandte die Jägerin Ida ihn als Gefolgsmann, behend mit Wurfspeer und fliegenden Pfeilen; neben ihm war sein Gefährte Euryalus; schöner als er war keiner der Aeneaden, keiner in troischer Rüstung; unrasierte Wangen bezeugten, dass er noch jung war. Diese liebten sich, rückten stets miteinander zum Kampf aus; jetzt auch standen beide am Tor auf gemeinsamem Posten. Nisus sagte: »Euryalus, gießen die Götter so eine Glut uns ins Herz oder wird seine Leidenschaft jedem zum Gotte? Kampf oder sonst etwas Großes jetzt zu bestehen, dazu drängt längst mich mein Herz; es ist nicht zufrieden mit friedlicher Ruhe. Wie die Rutuler sich in Sicherheit wiegen, das siehst du: Wachfeuer leuchten nur spärlich, vom Schlummer gelöst und vom Weine, liegen sie hingestreckt da, weithin herrscht Schweigen; vernimm nun, was ich erwäge und was für eine Idee in mir aufsteigt.

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Aenean acciri omnes, populusque patresque, exposcunt, mittique viros qui certa reportent. si tibi quae posco promittunt (nam mihi facti fama sat est), tumulo videor reperire sub illo posse viam ad muros et moenia Pallantea.’ obstipuit magno laudum percussus amore Euryalus, simul his ardentem adfatur amicum: ‘mene igitur socium summis adiungere rebus, Nise, fugis? solum te in tanta pericula mittam? non ita me genitor, bellis adsuetus Opheltes, Argolicum terrorem inter Troiaeque labores sublatum erudiit, nec tecum talia gessi magnanimum Aenean et fata extrema secutus: est hic, est animus lucis contemptor et istum qui vita bene credat emi, quo tendis, honorem.’ Nisus ad haec: ‘equidem de te nil tale verebar, nec fas: non ita me referat tibi magnus ovantem Iuppiter aut quicumque oculis haec aspicit aequis. sed si quis (quae multa vides discrimine tali) si quis in adversum rapiat casusve deusve, te superesse velim: tua vita dignior aetas. sit qui me raptum pugna pretiove redemptum mandet humo, solita aut si qua id fortuna vetabit, absenti ferat inferias decoretque sepulcro. neu matri miserae tanti sim causa doloris, quae te sola, puer, multis e matribus ausa persequitur, magni nec moenia curat Acestae.’ ille autem: ‘causas nequiquam nectis inanis, nec mea iam mutata loco sententia cedit: acceleremus’ ait. vigiles simul excitat: illi succedunt servantque vices; statione relicta ipse comes Niso graditur regemque requirunt.

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Alle, das Volk und die Väter, verlangen, Aeneas hierher zu holen und Männer zu senden, die ihm Genaues berichten. Sichern sie zu, was für dich ich verlange – denn mir ist der Ruhm der Tat schon genug –, so kann ich, scheint mir, dort unter jenem Hügel den Weg zu den Mauern der Stadt Pallanteum dann finden.« Staunend, durchdrungen von großem Verlangen nach rühmlichen Taten, stand da Euryalus, sagt dann zum tatendurstigen Freunde: »Mich als Gefährten zu haben bei so einer wichtigen Sache, Nisus, verschmähst du? Ich soll dich allein der Gefahr überlassen? Nicht so nahm mein Vater, der kampfgewohnte Opheltes, damals im schrecklichen Krieg gegen Argos, der Leidenszeit Trojas, als seinen Sohn mich an, so hab ich mit dir nicht gehandelt, als ich dem Helden Aeneas und seinen Fata gefolgt bin: Hier, hier lebt ein Geist, der das Dasein verachtet; die Ehre, die du erstrebst, glaubt er, sei billig erkauft mit dem Leben.« Nisus darauf: »So etwas hab ich nicht befürchtet, das wär nicht recht: Nicht soll mich zu dir dann als Sieger zurückführn der große Juppiter oder wer immer das Vorhaben wohlwollend ansieht. Wenn aber – oft erlebt man’s bei so einem Wagnis – der Zufall oder ein Gott ins Unglück mich stürzt, dann möcht ich, dass du am Leben bleibst: Deine Jugend hat größeres Recht drauf. Und einer sei, der der Schlacht entreißt meinen Leichnam oder ihn loskauft und ihn begräbt, oder, falls das Geschick es verbietet – was vorkommt –, mir, der ferne ist, opfert, dazu mich ehrt durch ein Grabmal. Auch möcht ich deiner armen Mutter nicht Anlass zum Schmerz sein, die dir, Junge, allein unter zahlreichen Müttern so mutig folgt, die nicht verlangt nach der Stadt des großen Akestes.« Der aber: »Nichtige Einwände reihst du umsonst aneinander, unabänderlich ist mein Vorsatz und bleibt auch bestehen: Eilen wir also!« Umgehend weckt er die Wachposten: Jene lösen ihn ab und tun seinen Dienst; er verlässt seinen Posten, geht als Begleiter mit Nisus, und beide suchen den Prinzen.

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Cetera per terras omnis animalia somno laxabant curas et corda oblita laborum: ductores Teucrum primi, delecta iuventus, consilium summis regni de rebus habebant, quid facerent quisve Aeneae iam nuntius esset. stant longis adnixi hastis et scuta tenentes castrorum et campi medio. tum Nisus et una Euryalus confestim alacres admittier orant: rem magnam pretiumque morae fore. primus Iulus accepit trepidos ac Nisum dicere iussit. tum sic Hyrtacides: ‘audite o mentibus aequis Aeneadae, neve haec nostris spectentur ab annis quae ferimus. Rutuli somno vinoque sepulti conticuere; locum insidiis conspeximus ipsi, qui patet in bivio portae quae proxima ponto; interrupti ignes aterque ad sidera fumus erigitur: si fortuna permittitis uti quaesitum Aenean et moenia Pallantea, mox hic cum spoliis ingenti caede peracta adfore cernetis. nec nos via fallit euntis: vidimus obscuris primam sub vallibus urbem venatu adsiduo et totum cognovimus amnem.’ hic annis gravis atque animi maturus Aletes: ‘di patrii, quorum semper sub numine Troia est, non tamen omnino Teucros delere paratis, cum talis animos iuvenum et tam certa tulistis pectora.’ sic memorans umeros dextrasque tenebat amborum et vultum lacrimis atque ora rigabat. ‘quae vobis, quae digna, viri, pro laudibus istis praemia posse rear solvi? pulcherrima primum di moresque dabunt vestri; tum cetera reddet actutum pius Aeneas atque integer aevi

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Alle anderen Wesen auf Erden erholten im Schlafe sich von Sorgen, im Herzen all ihre Mühsal vergessend: Nur die höchsten Führer der Teukrer, erlesene Männer, saßen über die wichtigsten Dinge der Herrschaft zu Rate, was zu tun sei, wer Botschaft bringen solle Aeneas. Sie, auf die langen Speere gestützt, den Schild in den Händen, stehen zwischen Lager und Feld. Da bitten nun Nisus und Euryalus aufgeregt, dass man schleunigst sie vorlässt: Wichtig sei ihre Sache und wert des Verweilens. Ïulus ließ die Drängenden vor und gebot dem Nisus zu reden. Da spricht Hyrtakus’ Sohn: »Hört wohlwollend zu, Aeneaden, und, was wir vorbringen, nicht bewertet’s nach unserem Alter. Still sind die Rutuler nun, vom Schlaf und vom Weine begraben; wir entdeckten für einen Handstreich den Ort; er hat Zugang dort, wo der Weg sich gabelt am Tor, das dem Meere zunächst liegt; einzeln nur brennen die Feuer, und schwarz zu den Sternen erhebt sich Rauch: Wenn ihr zulasst, dass wir die gute Gelegenheit nutzen, aufzusuchen Aeneas sowie die Stadt Pallanteum, werdet ihr uns mit Beute nach einem gewaltigen Blutbad bald wieder vor euch sehn. Wir können den Weg nicht verfehlen: Unten im finsteren Tale erblickten wir oft bei der Jagd die Vorstadt, lernten den ganzen Lauf des Stromes dort kennen.« Da sprach, hochbetagt und gereift im Geiste, Aletes: »Heimische Götter, von deren Macht stets Troja gelenkt wird, ganz das Volk der Teukrer vernichten wollt ihr wohl doch nicht, wenn so mutige junge Männer und solche entschlossnen Herzen ihr schuft.« So sprach er, umfasste ihnen die Schultern und die Rechte und netzte mit Tränen Wangen und Antlitz. »Welche Belohnungen, welche könnt ich als würdig erachten solcher Taten, ihr Männer? Die schönsten geben zunächst die Götter und eures Wertes Bewusstsein; das Weitere wird euch gleich der fromme Aeneas gewähren und auch, in der Jugend

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Ascanius meriti tanti non immemor umquam.’ ‘immo ego vos, cui sola salus genitore reducto,’ excipit Ascanius ‘per magnos, Nise, penates Assaracique larem et canae penetralia Vestae obtestor: quaecumque mihi fortuna fidesque est, in vestris pono gremiis. revocate parentem, reddite conspectum: nihil illo triste recepto. bina dabo argento perfecta atque aspera signis pocula, devicta genitor quae cepit Arisba, et tripodas geminos, auri duo magna talenta, cratera antiquum quem dat Sidonia Dido. si vero capere Italiam sceptrisque potiri contigerit victori et praedae dicere sortem, vidisti, quo Turnus equo, quibus ibat in armis aureus: ipsum illum, clipeum cristasque rubentis excipiam sorti, iam nunc tua praemia, Nise. praeterea bis sex genitor lectissima matrum corpora captivosque dabit suaque omnibus arma, insuper his campi quod rex habet ipse Latinus. te vero, mea quem spatiis propioribus aetas insequitur, venerande puer, iam pectore toto accipio et comitem casus complector in omnis. nulla meis sine te quaeretur gloria rebus; seu pacem seu bella geram, tibi maxima rerum verborumque fides.’ contra quem talia fatur Euryalus: ‘me nulla dies tam fortibus ausis dissimilem arguerit; tantum fortuna secunda haud adversa cadat. sed te super omnia dona unum oro: genetrix Priami de gente vetusta est mihi, quam miseram tenuit non Ilia tellus mecum excedentem, non moenia regis Acestae. hanc ego nunc ignaram huius quodcumque pericli

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Blüte, Askanius, der stets gedenkt eines solchen Verdienstes.« »Wirklich, ich, dem die Rückkehr des Vaters alleine das Heil bringt«, fährt Askanius fort, »fleh, Nisus, euch an bei den großen Hausgöttern, bei des Assarakus Lar und der eisgrauen Vesta Heiligtum: Alles, was ich an Glück und Zuversicht habe, lege ich euch in die Hände. Zurück holt mir meinen Vater, lasst mich ihn sehn: Nichts mehr ist finster, wenn er wieder da ist. Je zwei Becher, aus Silber gemacht mit getriebenem Bildwerk, schenke ich euch, die mein Vater erhielt nach dem Sieg von Arisba, auch zwei Dreifüße und von Gold zwei große Talente und einen alten Mischkrug, Geschenk der sidonischen Dido. Glückt’s aber, einzunehmen Italien, als Sieger die Herrschaft dann zu erlangen und Kriegsbeute auch zu verlosen – du sahst das Pferd, welches Turnus ritt, und die Rüstung, in welcher er golden glänzte: Sein Pferd, seinen Schild und seinen rötlichen Helmbusch nehme vom Losen ich aus, dein Lohn sind sie jetzt schon, mein Nisus. Außerdem wird zwölf Frauen mit ausgesucht schöner Figur mein Vater dir schenken und Kriegsgefangene samt ihren Waffen, obendrein, was an Land in Besitz hat der König Latinus. Dich aber, der du an Jahren mir näher stehst, der du hohe Achtung verdienst, mein Junge, dich nehme schon jetzt ich von ganzem Herzen an und umarm dich als Partner für alle Gefahren. Keinen Ruhm für mein Handeln will ohne dich ich erwerben; ob ich in Krieg oder Frieden agier, dir gelte in Wort und Tat mein größtes Vertrauen.« Euryalus aber erwidert: »Möge mich nie ein Tag als nicht fähig zu so einem kühnen Wagnis erweisen; möge doch nur mein Glück nicht in Unglück umschlagen. Aber vor allen Geschenken erbitt ich mir eines: Meine Mutter, die aus des Priamus altem Geschlecht stammt, habe ich hier; es hielt die Arme nicht Iliums Erde ab, mit mir zu ziehn, nicht die Stadt des Königs Akestes. Sie lass jetzt ich zurück ohne Wissen um unsre, wer weiß wie

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inque salutatam linquo (nox et tua testis dextera), quod nequeam lacrimas perferre parentis. at tu, oro, solare inopem et succurre relictae. hanc sine me spem ferre tui, audentior ibo in casus omnis.’ percussa mente dedere Dardanidae lacrimas, ante omnis pulcher Iulus, atque animum patriae strinxit pietatis imago. tum sic effatur: ‘sponde digna tuis ingentibus omnia coeptis; namque erit ista mihi genetrix nomenque Creusae solum defuerit, nec partum gratia talem parva manet. casus factum quicumque sequentur, per caput hoc iuro, per quod pater ante solebat: quae tibi polliceor reduci rebusque secundis, haec eadem matrique tuae generique manebunt.’ sic ait inlacrimans; umero simul exuit ensem auratum, mira quem fecerat arte Lycaon Cnosius atque habilem vagina aptarat eburna. dat Niso Mnestheus pellem horrentisque leonis exuvias, galeam fidus permutat Aletes. protinus armati incedunt; quos omnis euntis primorum manus ad portas, iuvenumque senumque, prosequitur votis. nec non et pulcher Iulus, ante annos animumque gerens curamque virilem, multa patri mandata dabat portanda: sed aurae omnia discerpunt et nubibus inrita donant. Egressi superant fossas noctisque per umbram castra inimica petunt, multis tamen ante futuri exitio. passim somno vinoque per herbam corpora fusa vident, arrectos litore currus, inter lora rotasque viros, simul arma iacere, vina simul. prior Hyrtacides sic ore locutus:

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große Gefahr und ohne Abschiedsgruß – Zeugen sind deine Hand und die Nacht –, weil ich nicht die Tränen der Mutter ertrüge. Du, ich bitte dich, tröste die Arme, hilf der Verlassnen. Gib die Hoffnung auf dich mir mit, dann werde ich kühner ziehen in alle Gefahren.« Von Herzen erschüttert vergossen Tränen die Dardaner, mehr als alle der schöne Ïulus, dem der Gedanke an seines Vaters Liebe ans Herz ging. Dann aber spricht er so: »Rechne auf allen Lohn, dessen wert ist dein kühnes Beginnen; denn sie wird als Mutter mir gelten, der Name Krëusa nur ihr fehlen; nicht kleinen Dank erwartet sie, die ja so einen Sohn gebar. Wie immer das Wagnis auch ausgeht, bei meinem Haupt hier schwör ich, bei dem stets schwor mein Erzeuger: Was ich versprech, falls du mit Glück gesegnet zurückkehrst, bleibt auch deiner Mutter bewahrt und deiner Familie.« Weinend spricht er so; von der Schulter nimmt er zugleich sein goldbeschlagenes Schwert; das schuf Lykaon aus Knossos wunderbar kunstvoll und fügte es leicht in die Elfenbeinscheide. Mnestheus schenkt dem Nisus ein Fell, eines schrecklichen Löwen Haut, und es tauscht mit ihm seinen Helm der treue Aletes. Gleich drauf ziehen nun sie bewaffnet los; die gesamte Schar der Edlen geleitet sie, Junge und Alte, bis hin zum Tor mit guten Wünschen. Zumal der schöne Ïulus – Mut und Pflichtgefühl eines Mannes zeigte er früh schon – trug ihnen vieles noch auf für den Vater: Die Winde zerpflücken alles und schenken dies – vergeblich gesprochen – den Wolken. Draußen steigen sie über die Gräben, eilen durch Nacht und Dunkel zum feindlichen Lager; zuvor aber sollten den Tod sie vielen bringen. Sie sehen von Schlaf und Wein übermannt im Grase verstreut die Leiber, die Wagen am Strande, die Deichsel aufwärts gerichtet, sie sehn zwischen Zaumzeug und Rädern die Männer, Waffen und Weinkrüge liegen. Zuerst sagt Hyrtakus’ Sohn da:

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‘Euryale, audendum dextra: nunc ipsa vocat res. hac iter est. tu, ne qua manus se attollere nobis a tergo possit, custodi et consule longe; haec ego vasta dabo et lato te limite ducam.’ sic memorat vocemque premit, simul ense superbum Rhamnetem adgreditur, qui forte tapetibus altis exstructus toto proflabat pectore somnum, rex idem et regi Turno gratissimus augur, sed non augurio potuit depellere pestem. tris iuxta famulos temere inter tela iacentis armigerumque Remi premit aurigamque sub ipsis nactus equis ferroque secat pendentia colla. tum caput ipsi aufert domino truncumque relinquit sanguine singultantem; atro tepefacta cruore terra torique madent. nec non Lamyrumque Lamumque et iuvenem Serranum, illa qui plurima nocte luserat, insignis facie, multoque iacebat membra deo victus: felix, si protinus illum aequasset nocti ludum in lucemque tulisset. impastus ceu plena leo per ovilia turbans (suadet enim vesana fames) manditque trahitque molle pecus mutumque metu, fremit ore cruento; nec minor Euryali caedes: incensus et ipse perfurit ac multam in medio sine nomine plebem, Fadumque Herbesumque subit Rhoetumque Abarimque, ignaros, Rhoetum vigilantem et cuncta videntem, sed magnum metuens se post cratera tegebat; pectore in adverso totum cui comminus ensem condidit adsurgenti et multa morte recepit. purpuream vomit ille animam et cum sanguine mixta vina refert moriens, hic furto fervidus instat. iamque ad Messapi socios tendebat; ibi ignem

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»Jetzt, Euryalus, mutig ans Werk: Die Gelegenheit ruft uns. Hier ist der Weg. Du hüt dich, dass keine Hand sich von hinten gegen uns heben kann, und sichere weithin die Wege; ich werd aufräumen hier und auf breitem Pfade dich führen.« So spricht er und verstummt, dann greift sogleich er den stolzen Rhamnes an mit dem Schwert, der gerade, gelagert auf einem Stapel von Decken, so recht von Herzen schnaufte im Schlafe; König war er und König Turnus sehr teuer als Seher, konnte durch Seherkunst aber nicht seinen Untergang abwehrn. Dann überfällt er drei Diener, die sorglos zwischen den Waffen liegen, den Knappen des Remus und seinen Lenker, auf den er dicht bei den Pferden trifft, und enthauptet die hängenden Nacken. Dann raubt er dem Herrn das Haupt und lässt seinen Rumpf, der röchelnd ausblutet, liegen, und warm durchnässt sind vom dunklen Blute Boden und Polster. Er tötet auch Lamyrus, Lamus und den jungen Serran, der, ein stattlicher Mann, sich in jener Nacht dem Spiele am meisten verschrieb; da lag er, vom starken Gott an den Gliedern gelähmt: wohl glücklich, hätt weiter das Spiel er über die Nacht hin getrieben und ausgedehnt bis zum Morgen. So tobt hungrig im vollen Schafstall ein Löwe – denn ihn treibt wilde Fresssucht –, zerfleischt und schleift übern Boden das schwache Vieh, das stumm ist vor Angst, und er brüllt mit blutigem Maule; nicht geringer ist auch des Euryalus Blutbad: Er glüht und rast auch selbst; viel Volk ohne Namen packt er sich wahllos, Fadus auch und Herbesus und Rhoetus und Abaris, die nichts ahnen, auch Rhoetus, der wach war und alles sah, doch sich hinter einem großen Mischkrug voll Angst zu verbergen versuchte; ganz in die Brust stieß ihm, als er aufstand, aus kurzer Entfernung jener das Schwert und zog’s aus der heftig blutenden Wunde. Purpurfarben erbricht er das Leben; vermischt mit dem Blut würgt sterbend den Wein er heraus, und es lässt nicht vom heimlichen Morden jener im Eifer. Schon wollte er los auf Messapus’ Gefährten;

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deficere extremum et religatos rite videbat carpere gramen equos, breviter cum talia Nisus (sensit enim nimia caede atque cupidine ferri) ‘absistamus’ ait, ‘nam lux inimica propinquat; poenarum exhaustum satis est, via facta per hostis.’ multa virum solido argento perfecta relinquunt armaque craterasque simul pulchrosque tapetas. Euryalus phaleras Rhamnetis et aurea bullis cingula, Tiburti Remulo ditissimus olim quae mittit dona, hospitio cum iungeret absens, Caedicus; ille suo moriens dat habere nepoti; post mortem bello Rutuli pugnaque potiti: haec rapit atque umeris nequiquam fortibus aptat. tum galeam Messapi habilem cristisque decoram induit. excedunt castris et tuta capessunt. Interea praemissi equites ex urbe Latina, cetera dum legio campis instructa moratur, ibant et Turno regis responsa ferebant, ter centum, scutati omnes, Volcente magistro. iamque propinquabant castris muroque subibant cum procul hos laevo flectentis limite cernunt, et galea Euryalum sublustri noctis in umbra prodidit immemorem radiisque adversa refulsit. haud temere est visum; conclamat ab agmine Volcens: ‘state, viri. quae causa viae? quive estis in armis? quove tenetis iter?’ nihil illi tendere contra, sed celerare fugam in silvas et fidere nocti. obiciunt equites sese ad divortia nota hinc atque hinc omnemque abitum custode coronant. silva fuit late dumis atque ilice nigra horrida, quam densi complerant undique sentes; rara per occultos lucebat semita calles.

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ausgehen sah er die letzten Feuer und weiden im Gras die brauchgemäß angepflockten Pferde, als kurz zu ihm Nisus sprach – denn er merkte, dass jenen zu heftig hinriss die Mordlust –: »Lass uns aufhören, denn das feindliche Morgenlicht naht schon; Strafe genug ist vollzogen, ein Weg gebahnt durch die Feinde.« Viel vom Gerät der Männer, massiv aus Silber, und Waffen, Mischkrüge lassen sie liegen und schöne Teppiche. Doch des Rhamnes Brustschmuck und seinen Gürtel mit goldenen Buckeln raubt Euryalus, Gaben, vom reichen Caedicus Tiburs Remulus einst geschickt, als trotz der Entfernung er Freundschaft schloss mit ihm; jener vererbte sie sterbend dem Enkel; nach dessen Tod erbeuteten Rutuler sie im Krieg auf dem Schlachtfeld: Diese raubt er und heftet – umsonst – sie fest an den starken Schultern und setzt des Messapus Helm auf; der passt, und der Helmbusch schmückt ihn. Sie ziehn aus dem Lager und steuern ein sichres Gebiet an. Reiter waren indes, geschickt aus der Stadt der Latiner, während das übrige Heer in der Ebene kampfbereit weilte, unterwegs, und sie brachten Antwort des Königs an Turnus, dreihundert, alle mit Schilden, unter der Führung des Volcens. Schon sind nah sie dem Lager und dicht an der Mauer, da sehn von weitem die zwei sie, die grad nach links auf dem Wege sich wenden, und der Helm verriet den Euryalus – unbedacht war er – im Halbdunkel der Nacht; er reflektierte den Mondschein. Unbemerkt blieb das nicht; laut rief von der Truppe her Volcens: »Stehnbleiben, Männer. Warum unterwegs? Wer seid ihr, in Waffen? Wohin geht euer Weg?« Nichts geben jene zur Antwort, sondern entfliehen geschwind in den Wald, auf die Nacht sich verlassend. Hier und dort versperren die Reiter alle bekannten Seitenwege, umstellen mit Posten jeglichen Ausgang. Weithin starrte der Wald vom Dickicht der Sträucher und dunklen Steineichen, überall war von dichtem Gestrüpp er durchwuchert; selten schimmerte da durch versteckte Pfade ein Gehweg.

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Euryalum tenebrae ramorum onerosaque praeda impediunt fallitque timor regione viarum. Nisus abit; iamque imprudens evaserat hostis atque locos qui post Albae de nomine dicti Albani (tum rex stabula alta Latinus habebat), ut stetit et frustra absentem respexit amicum: ‘Euryale infelix, qua te regione reliqui? quave sequar?’ rursus perplexum iter omne revolvens fallacis silvae simul et vestigia retro observata legit dumisque silentibus errat. audit equos, audit strepitus et signa sequentum. nec longum in medio tempus, cum clamor ad auris pervenit ac videt Euryalum, quem iam manus omnis fraude loci et noctis, subito turbante tumultu, oppressum rapit et conantem plurima frustra. quid faciat? qua vi iuvenem, quibus audeat armis eripere? an sese medios moriturus in enses inferat et pulchram properet per vulnera mortem? ocius adducto torquens hastile lacerto suspiciens altam et Lunam, sic voce precatur: ‘tu, dea, tu praesens nostro succurre labori, astrorum decus et nemorum Latonia custos. si qua tuis umquam pro me pater Hyrtacus aris dona tulit, si qua ipse meis venatibus auxi suspendive tholo aut sacra ad fastigia fixi, hunc sine me turbare globum et rege tela per auras.’ dixerat et toto conixus corpore ferrum conicit. hasta volans noctis diverberat umbras et venit aversi in tergum Sulmonis ibique frangitur ac fisso transit praecordia ligno. volvitur ille vomens calidum de pectore flumen frigidus et longis singultibus ilia pulsat.

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Zweige im Dunkeln behindern Euryalus samt seiner Last der Beute, und Angst lässt ihn in der Richtung der Wege sich täuschen. Nisus entfernt sich; und schon war er achtlos dem Feinde entkommen und der Gegend, die später albanisch man nannte nach Alba – hoch umzäunte Gehege besaß dort damals Latinus –, als er hielt und umsonst nach dem Freund, der nicht da war, sich umsah: »Wo, Euryalus, hab ich, du Armer, denn dich nur gelassen? Wo soll ich suchen?« Von neuem durchmisst er den ganzen verworrnen Weg des tückischen Waldes, hat acht auf die eigenen Spuren, folgt ihnen rückwärts und irrt umher in dem schweigenden Strauchwerk. Pferde hört er und Lärm, die Zurufe auch der Verfolger. Und nicht lang mehr dauert’s, da dringt Geschrei an sein Ohr, er sieht Euryalus, den die ganze Schar schon verschleppt; der war übermannt von der Tücke des Orts und der Nacht und verwirrt vom plötzlichen Lärm und versucht umsonst alle mögliche Abwehr. Was jetzt tun? Mit welcher Gewalttat wagen, mit welchen Waffen, den Jüngling zu retten? Sich mitten in Schwerter zum Sterben stürzen und schnell einen edlen Tod durch Verwundungen suchen? Rasch mit angezogenem Arm den Wurfspeer nun schwingend und aufblickend zu Luna oben, fleht er sie so an: »Göttin, du steh hilfreich uns bei in unsrer Bedrängnis, Zierde der Sterne, der Wälder Behüterin, Tochter Latonas. Brachte mein Vater Hyrtakus je für mich am Altar dir Gaben, vermehrte ich selbst sie als Jäger und hängte sie in der Kuppel des Tempels dir auf oder heftete sie an den Giebel, lass diese Schar mich zersprengen und lenk mein Geschoss durch die Lüfte!« Als er’s gesagt hat, da wirft er mit voller Kraft seines Leibs die Waffe. Im Fluge durchschneidet der Speer das nächtliche Dunkel, dringt in den Rücken dem Sulmo, der grade sich wegdreht, zersplittert dort und bohrt sich tief in die Brust mit gespaltenem Schafte. Jener wälzt sich am Boden und speit aus der Brust einen warmen Strom, wird starr, und ihm zucken in langem Röcheln die Seiten.

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diversi circumspiciunt. hoc acrior idem ecce aliud summa telum librabat ab aure. dum trepidant, it hasta Tago per tempus utrumque stridens traiectoque haesit tepefacta cerebro. saevit atrox Volcens nec teli conspicit usquam auctorem nec quo se ardens immittere possit. ‘tu tamen interea calido mihi sanguine poenas persolves amborum’ inquit; simul ense recluso ibat in Euryalum. tum vero exterritus, amens, conclamat Nisus, nec se celare tenebris amplius aut tantum potuit perferre dolorem: ‘me, me! adsum qui feci, in me convertite ferrum, o Rutuli! mea fraus omnis, nihil iste nec ausus nec potuit: caelum hoc et conscia sidera testor; tantum infelicem nimium dilexit amicum.’ talia dicta dabat, sed viribus ensis adactus transabiit costas et candida pectora rumpit. volvitur Euryalus leto, pulchrosque per artus it cruor inque umeros cervix conlapsa recumbit: purpureus veluti cum flos succisus aratro languescit moriens, lassove papavera collo demisere caput pluvia cum forte gravantur. at Nisus ruit in medios solumque per omnis Volcentem petit, in solo Volcente moratur; quem circum glomerati hostes hinc comminus atque hinc proturbant. instat non setius ac rotat ensem fulmineum, donec Rutuli clamantis in ore condidit adverso et moriens animam abstulit hosti. tum super exanimum sese proiecit amicum confossus, placidaque ibi demum morte quievit. Fortunati ambo! si quid mea carmina possunt, nulla dies umquam memori vos eximet aevo,

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Überall sehen die sich jetzt um. Doch er, umso wilder, schau doch, wirft einen zweiten Speer aus der Höhe des Ohres. Ängstlich läuft man herum, und der Speer dringt Tagus durch beide Schläfen zischend und sitzt, erwärmt, im durchbohrten Gehirn fest. Wild tobt Volcens, doch nirgends erblickt er den Werfer des Speeres, auch nicht, worauf er sich stürzen könnte in glühendem Zorne. »Du aber sollst mir inzwischen mit warmem Blute für beide büßen!« rief er und ging zugleich mit seinem entblößten Schwert auf Euryalus los. Da schreit, entsetzt und von Sinnen, Nisus auf; nicht länger verbergen konnte er sich im Dunkel, vermochte nicht so bitteren Schmerz zu ertragen: »Mich nehmt, mich! Hier bin ich, ich tat es, Rutuler, Waffen kehrt gegen mich! Ganz meine List war’s, gewagt hat doch er nichts, nichts vermocht: Mir bezeugen das Himmel und wissende Sterne; mich Unseligen, seinen Freund nur liebte er allzu sehr.« So sprach er, jedoch mit Kraft gestoßen durchbohrt das Schwert seine Rippen, zerfetzt ihm die weiße Brust, und im Tode wälzt sich Euryalus; über die schönen Glieder hin strömt das Blut, und kraftlos sinkt das Haupt ihm herab auf die Schulter: Wie vom Pfluge zerschnitten die purpurfarbene Blume sterbend dahinwelkt oder der Mohn sein Haupt mit erschlafftem Halse herabsinken lässt, wenn der Regen schwer auf ihm lastet. Nisus aber stürzt sich mitten hinein; unter allen sucht er Volcens allein und hält sich alleine an Volcens; ihn umringen die Feinde, im Handgemenge ihn hier und dort wegstoßend. Nicht minder drängt er; das blitzende Schwert lässt er jetzt kreisen, bis in des schreienden Rutulers Mund von vorn er es stößt und sterbend das Leben raubt seinem Feinde. Dann aber warf er durchbohrt sich hin über seinen entseelten Freund, und er kam dort endlich in sanftem Tode zur Ruhe. Glücklich – ihr beiden! Wenn irgendetwas vermag meine Dichtung, wird kein Tag euch je dem Gedächtnis der Zeiten entreißen,

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dum domus Aeneae Capitoli immobile saxum accolet imperiumque pater Romanus habebit. Victores praeda Rutuli spoliisque potiti Volcentem exanimum flentes in castra ferebant; nec minor in castris luctus Rhamnete reperto exsangui et primis una tot caede peremptis, Serranoque Numaque. ingens concursus ad ipsa corpora seminecisque viros, tepidaque recentem caede locum et pleno spumantis sanguine rivos. agnoscunt spolia inter se galeamque nitentem Messapi et multo phaleras sudore receptas. Et iam prima novo spargebat lumine terras Tithoni croceum linquens Aurora cubile. iam sole infuso, iam rebus luce retectis Turnus in arma viros armis circumdatus ipse suscitat, aeratasque acies in proelia cogunt quisque suas variisque acuunt rumoribus iras. quin ipsa arrectis (visu miserabile) in hastis praefigunt capita et multo clamore sequuntur Euryali et Nisi. Aeneadae duri murorum in parte sinistra opposuere aciem (nam dextera cingitur amni) ingentisque tenent fossas et turribus altis stant maesti; simul ora virum praefixa movebant, nota nimis miseris atroque fluentia tabo. Interea pavidam volitans pinnata per urbem nuntia Fama ruit matrisque adlabitur auris Euryali. at subitus miserae calor ossa reliquit, excussi manibus radii revolutaque pensa. evolat infelix et femineo ululatu, scissa comam, muros amens atque agmina cursu prima petit, non illa virum, non illa pericli

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nie, solang Aeneaden den kapitolinischen Fels, den festen, bewohnen und Herrscher dort bleibt der römische Vater. Siegreich nahmen Beute und Rüstung die Rutuler an sich; weinend trugen sie dann den entseelten Volcens zum Lager; ebenso groß war im Lager die Trauer, weil leblos man Rhamnes fand und so viel Edle in einem Gemetzel getötet waren, Serranus und Numa auch. Eine riesige Menge strömt zu den Leichen und den halbtoten Männern, zum Ort, der warm ist vom jüngsten Mord, zu den Bächen, die schäumen vom Blute. Miteinander erkennt man die Spolien und des Messapus schimmernden Helm und den mühsam zurückeroberten Brustschmuck. Schon übergoss Aurora mit neuem Lichte die Erde, früh des Tithonus safranfarbenes Lager verlassend. Schon strahlt wieder die Sonne, die Welt liegt wieder im Lichte, da ruft Turnus sein Volk zu den Waffen, selber bewaffnet, und sie sammeln zum Kampfe die erzgepanzerten Reihen, jeder die eignen, und stacheln die Wut an durch manche Gerüchte. Ja, sie spießen – erbärmlich zu sehen! – auf ragende Lanzen Nisus’ und Euryalus’ Häupter und ziehn hinterher mit lautem Geschrei. Auf der linken Mauer stellten entgegen ihr Heer die harten Aeneaden – begrenzt vom Fluss ist die rechte –, halten die riesigen Gräben besetzt, und hoch auf den Türmen stehen sie traurig; Bestürzung weckten die Köpfe auf Spießen, allzu bekannt den Armen, beschmiert mit schwärzlichem Blute. Fama saust als geflügelte Botin indes durch die Stadt, die Angst hat, und gleitet hin zum Ohr von Euryalus’ Mutter. Plötzlich verließ die Glieder der Armen all ihre Wärme, ihren Händen entgleitet das Schiffchen, verwirrt wird der Faden. Unglücklich stürzt sie hinaus mit weiblichem Wehruf, zerrauft ihr Haar und rennt außer sich zur Mauer und bis in die ersten Schlachtreihen, achtet dabei nicht auf Männer, Gefahr und Geschosse

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telorumque memor, caelum dehinc questibus implet: ‘hunc ego te, Euryale, aspicio? tune ille senectae sera meae requies, potuisti linquere solam, crudelis? nec te sub tanta pericula missum adfari extremum miserae data copia matri? heu, terra ignota canibus data praeda Latinis alitibusque iaces! nec te tua funere mater produxi pressive oculos aut vulnera lavi, veste tegens tibi quam noctes festina diesque urgebam et tela curas solabar anilis. quo sequar? aut quae nunc artus avulsaque membra et funus lacerum tellus habet? hoc mihi de te, nate, refers? hoc sum terraque marique secuta? figite me, si qua est pietas, in me omnia tela conicite, o Rutuli, me primam absumite ferro; aut tu, magne pater divum, miserere, tuoque invisum hoc detrude caput sub Tartara telo, quando aliter nequeo crudelem abrumpere vitam.’ hoc fletu concussi animi, maestusque per omnis it gemitus: torpent infractae ad proelia vires. illam incendentem luctus Idaeus et Actor Ilionei monitu et multum lacrimantis Iuli corripiunt interque manus sub tecta reponunt. At tuba terribilem sonitum procul aere canoro increpuit, sequitur clamor caelumque remugit. accelerant acta pariter testudine Volsci et fossas implere parant ac vellere vallum; quaerunt pars aditum et scalis ascendere muros, qua rara est acies interlucetque corona non tam spissa viris. telorum effundere contra omne genus Teucri ac duris detrudere contis, adsueti longo muros defendere bello.

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und erfüllt sodann mit ihren Klagen den Himmel: »Bist du’s, Euryalus, den ich erblick? Bist du’s, meines Alters späte Erholung, warst du imstand, mich alleine zu lassen, Grausamer? Gab’s, als man dich in solche Gefahren entsandte, keine Gelegenheit denn zum Lebwohl für die elende Mutter? Wehe, in fremdem Land, als Beute für Hunde und Vögel Latiums, liegst du! Und nicht ging neben der Bahre ich, deine Mutter, nicht drückte ich dir die Augen zu, wusch nicht die Wunden, hüllte dich nicht in das Kleid, das emsig bei Nacht und bei Tage ich dir wob und das Trost mir gab in den Sorgen des Alters. Wohin folg ich dir? Deinen verstümmelten Leib, den zerfetzten Leichnam, welches Land birgt ihn jetzt? Meldest du dies von dir mir, mein Sohn? Dem folgte ich nach über Länder und Meere? Spießt mich auf, wenn’s Erbarmen noch gibt, ihr Rutuler, werft jetzt all eure Speere auf mich, mich tötet zuerst mit dem Schwerte; oder, erhabener Vater der Götter, erbarm dich und stoß dies Haupt, das verhasste, mit deinem Geschoss in des Tartarus Tiefen, da ich nicht anders zu enden vermag dies grausame Leben.« Dieser Jammer erschüttert die Herzen, und alle erfasst ein trauerndes Klagen: Gebrochen, gelähmt sind die Kräfte fürs Kämpfen. Sie, die die Trauer bewirkt, ergreifen Idaeus und Aktor auf Geheiß des Ilioneus und des Ïulus, der heftig weint, und schaffen zwischen sich zu ihrem Hause sie wieder. Doch ihren schrecklichen Klang ließ ferne die eherne Tuba schmetternd ertönen, Geschrei folgt, Widerhall gibt es vom Himmel. Schnell unterm Schilddach rücken heran im Gleichschritt die Volsker, schicken die Gräben zu füllen sich an und den Wall zu zerbrechen; Zugang sucht ein Teil, will auf Leitern die Mauern ersteigen, da, wo die Linie Lücken zeigt, der Verteidigungsring so dicht nicht besetzt ist und lichter. Dagegen schleudern die Teukrer jegliche Art von Geschossen, herab sie stoßend mit harten Stangen, gewöhnt in langem Krieg ihre Mauern zu schützen.

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saxa quoque infesto volvebant pondere, si qua possent tectam aciem perrumpere, cum tamen omnis ferre iuvat subter densa testudine casus. nec iam sufficiunt; nam qua globus imminet ingens, immanem Teucri molem volvuntque ruuntque, quae stravit Rutulos late armorumque resolvit tegmina. nec curant caeco contendere Marte amplius audaces Rutuli, sed pellere vallo missilibus certant. parte alia horrendus visu quassabat Etruscam pinum et fumiferos infert Mezentius ignis; at Messapus equum domitor, Neptunia proles, rescindit vallum et scalas in moenia poscit. Vos, o Calliope, precor, adspirate canenti quas ibi tum ferro strages, quae funera Turnus ediderit, quem quisque virum demiserit Orco, et mecum ingentis oras evolvite belli. Turris erat vasto suspectu et pontibus altis, opportuna loco, summis quam viribus omnes expugnare Itali summaque evertere opum vi certabant, Troes contra defendere saxis perque cavas densi tela intorquere fenestras. princeps ardentem coniecit lampada Turnus et flammam adfixit lateri, quae plurima vento corripuit tabulas et postibus haesit adesis. turbati trepidare intus frustraque malorum velle fugam; dum se glomerant retroque residunt in partem quae peste caret, tum pondere turris procubuit subito et caelum tonat omne fragore. semineces ad terram immani mole secuta confixique suis telis et pectora duro transfossi ligno veniunt. vix unus Helenor

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Steine von tödlicher Schwere wälzten sie auch, um, wenn’s irgend ging, die Deckung des Trupps zu durchbrechen, und diesem gefällt es, alles, was kommt, unterm dichten Dach zu ertragen, doch hält er bald nicht mehr stand; denn da, wo andrängt ein riesiger Haufe, wälzen die Teukrer und stürzen hinab einen mächtigen Steinblock; der streckt nieder die Rutuler weithin und sprengt ihrer Schilde Schutzdach. Da wollen die kühnen Rutuler aber nicht länger blindwütig kämpfen, sondern bemühn sich im Wettstreit, vom Wall mit Wurfgeschossen den Feind zu vertreiben. Anderswo schwang ein etruskisches Kienholz Mezentius, schrecklich anzusehen, und prescht heran mit dem qualmenden Feuer; aber Messapus, Bezwinger der Rosse, ein Sohn des Neptunus, reißt den Wall auf und fordert dann Leitern zum Sturm auf die Mauern. Euch, Kalliope, bitt ich um Inspiration, wenn ich künde, welches Blutbad dort mit dem Schwert bereitete Turnus, welchen Tod, wen jeder der Männer schickte zum Orkus, und entrollt nun mit mir das Tableau des gewaltigen Krieges. Dort war ein Turm mit hohen Brücken, ein riesiger Anblick, günstig gelegen; mit äußerster Kraft wetteiferten alle Italer, ihn zu erobern, mit aller Macht ihrer Mittel ihn zu zerstören, die Troer, sie abzuwehren mit Steinen und durch die Schießscharten dicht an dicht Geschosse zu schleudern. Turnus als erster warf eine Fackel und setzte in Flammen eine Flanke; die griffen, vom Winde angefacht, sich die Bretter und setzten sich fest in den angefressenen Pfosten. Aufgeregt zittern sie drinnen und trachten vergeblich, dem Unheil noch zu entkommen; doch als im Pulk nach rückwärts sie drängen, dorthin, wo’s noch nicht brennt, da stürzt unter seinem Gewicht der Turm ganz plötzlich nach vorn, und es dröhnt vom Krachen der Himmel. Halbtot stürzen sie unter der riesigen Masse, die nachfolgt, auf die Erde, von eignen Geschossen aufgespießt und vom harten Holz die Brust durchbohrt. Helenor allein kam

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et Lycus elapsi; quorum primaevus Helenor, Maeonio regi quem serva Licymnia furtim sustulerat vetitisque ad Troiam miserat armis, ense levis nudo parmaque inglorius alba. isque ubi se Turni media inter milia vidit, hinc acies atque hinc acies adstare Latinas, ut fera quae densa venantum saepta corona contra tela furit seseque haud nescia morti inicit et saltu supra venabula fertur, haud aliter iuvenis medios moriturus in hostis inruit et qua tela videt densissima tendit. at pedibus longe melior Lycus inter et hostis inter et arma fuga muros tenet, altaque certat prendere tecta manu sociumque attingere dextras. quem Turnus, pariter cursu teloque secutus, increpat his victor: ‘nostrasne evadere, demens, sperasti te posse manus?’ simul arripit ipsum pendentem et magna muri cum parte revellit: qualis ubi aut leporem aut candenti corpore cycnum sustulit alta petens pedibus Iovis armiger uncis, quaesitum aut matri multis balatibus agnum Martius a stabulis rapuit lupus. undique clamor tollitur: invadunt et fossas aggere complent, ardentis taedas alii ad fastigia iactant. Ilioneus saxo atque ingenti fragmine montis Lucetium portae subeuntem ignisque ferentem, Emathiona Liger, Corynaeum sternit Asilas, hic iaculo bonus, hic longe fallente sagitta, Ortygium Caeneus, victorem Caenea Turnus, Turnus Ityn Cloniumque, Dioxippum Promolumque et Sagarim et summis stantem pro turribus Idan, Privernum Capys. hunc primo levis hasta Themillae

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grad noch mit Lykus davon – der junge Helenor, den heimlich Sklavin Likymnia Lydiens König gebar und dann aufzog und, obwohl ihm der Kampf untersagt war, nach Troja entsandte, leicht bewaffnet mit Schwert und weißem Rundschild, noch ruhmlos. Als nun der sich inmitten von Turnus’ Tausenden fand und sah, dass links und rechts latinische Schlachtreihen standen, stürmt wie ein Wild, das, umstellt von der dichten Schar seiner Jäger, gegen die Speere wütet und ganz bewusst in den Tod sich stürzt und weit im Sprung hoch über die Spieße hinwegsetzt – ganz genauso – der Jüngling, dem Tode sich hingebend, mitten unter die Feinde, da, wo er am dichtesten sieht die Geschosse. Lykus jedoch, weit besser im Lauf, flieht quer durch die Feinde, quer durch die Waffen, erreicht schon die Mauer und müht sich, die obre Kante zu packen und dort der Gefährten Hände zu fassen. Turnus verfolgt ihn, ebenso schnell und bewaffnet, und fährt, des Sieges gewiss, ihn an: »Wahnsinniger, hofftest du, unsern Händen entkommen zu können?« Zugleich aber packt er ihn selbst, den Hängenden, zerrt ihn herab und mit ihm ein großes Stück Mauer: So packt Juppiters Knappe mit krummen Krallen den Hasen oder den schimmernden Schwan und strebt in die Höhe, so raubt ein Lamm, das von seiner Mutter mit lautem Blöken gesucht wird, aus der Hürde der Wolf des Mars. Von überallher tönt Lärm: Sie drängen heran und füllen die Gräben mit Erde, andere werfen hinauf zu den Giebeln brennende Fackeln. Nieder streckt Ilioneus mit einem Stein, einem Stück vom Felsen, Lucetius, der, eine Fackel tragend, dem Tor sich nähert, Liger Emathion, Asilas fällt Korynaeus, gut im Speerwurf der eine, der andre im Schießen von Pfeilen, Kaeneus Ortygius, anschließend Turnus den siegreichen Kaeneus, Turnus den Itys und Klonius, Promolus und Dioxippus, Sagaris, den vor den hohen Türmen stehenden Idas, Kapys dann den Privernus. Zunächst hatte den mit der leichten

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strinxerat: ille manum proiecto tegmine demens ad vulnus tulit; ergo alis adlapsa sagitta (et laevo adfixa est lateri manus) abditaque intus spiramenta animae letali vulnere rupit. stabat in egregiis Arcentis filius armis, pictus acu chlamydem et ferrugine clarus Hibera, insignis facie, genitor quem miserat Arcens eductum Martis luco Symaethia circum flumina, pinguis ubi et placabilis ara Palici: stridentem fundam positis Mezentius hastis ipse ter adducta circum caput egit habena et media adversi liquefacto tempora plumbo diffidit ac multa porrectum extendit harena. Tum primum bello celerem intendisse sagittam dicitur ante feras solitus terrere fugacis Ascanius, fortemque manu fudisse Numanum, cui Remulo cognomen erat, Turnique minorem germanam nuper thalamo sociatus habebat. is primam ante aciem digna atque indigna relatu vociferans tumidusque novo praecordia regno ibat et ingentem sese clamore ferebat: ‘non pudet obsidione iterum valloque teneri, bis capti Phryges, et morti praetendere muros? en qui nostra sibi bello conubia poscunt! quis deus Italiam, quae vos dementia adegit? non hic Atridae nec fandi fictor Ulixes: durum a stirpe genus natos ad flumina primum deferimus saevoque gelu duramus et undis; venatu invigilant pueri silvasque fatigant, flectere ludus equos et spicula tendere cornu. at patiens operum parvoque adsueta iuventus aut rastris terram domat aut quatit oppida bello.

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Lanze Themillas gestreift: Da warf er den Schild hin und fasste unüberlegt an die Wunde; ein Pfeil glitt geflügelt heran – links wurde die Hand an die Seite geheftet –, und drinnen verborgne Atemwege zerriss er mit einer tödlichen Wunde. Arcens’ Sohn stand da in seiner prächtigen Rüstung, farbig den Mantel bestickt, von iberischem Purpurrot glänzend, auffallend von Gestalt; sein Vater schickte ihn, Arcens, der ihn aufzog im Haine des Mars am Strom des Symaethus, wo, an Sühnopfern reich, sich erhebt der Altar des Palikus: Da schwang dreimal ums Haupt mit gestrafftem Riemen – die Lanze hatte er abgelegt – die schwirrende Schleuder Mezentius, spaltete mit dem flüssig gewordenen Blei seines Gegners Schläfen und streckte im tiefen Sand ihn lang hin zu Boden. Erstmals spannte Askanius da zum Kampf einen schnellen Pfeil, so erzählt man, sonst nur gewohnt, das flüchtige Wild zu scheuchen; die Rechte streckte zu Boden den starken Numanus, der den Beinamen Remulus trug; vor kurzem erst war er Ehegatte der jüngeren Schwester des Turnus geworden. Der trat grad vor die Front und sprach, was erwähnenswert wäre, und was es nicht ist, die Brust geschwellt vom Stolz auf die neue Königswürde, und lautstark machte er selbst sich bedeutend: »Schämt ihr euch nicht, hinterm Wall schon wieder belagert zu werden, zweimal gefangene Phryger, durch Mauern vorm Tod euch zu schützen? Seht, die wollen für sich durch Krieg unsre Frauen gewinnen! Welch ein Gott, welcher Wahnsinn hat euch nach Italien getrieben? Keine Atriden gibt’s hier und keinen Lügner Ulixes: Wir, ein von Grund auf hartes Geschlecht, wir tragen zum Fluss die eben Geborenen, härten sie ab in eisigen Fluten; Nächte durchwachen die Knaben auf Jagd, durchhetzen die Wälder; spielerisch lenken sie Pferde und spannen den Pfeil auf dem Bogen. Aber die Jugend, arbeitsam, stets sich auf wenig beschränkend, zähmt mit der Hacke das Land und erschüttert die Städte im Kriege.

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omne aevum ferro teritur, versaque iuvencum terga fatigamus hasta, nec tarda senectus debilitat viris animi mutatque vigorem: canitiem galea premimus semperque recentis comportare iuvat praedas et vivere rapto. vobis picta croco et fulgenti murice vestis, desidiae cordi, iuvat indulgere choreis, et tunicae manicas et habent redimicula mitrae. o vere Phrygiae, neque enim Phryges, ite per alta Dindyma, ubi adsuetis biforem dat tibia cantum. tympana vos buxusque vocat Berecyntia Matris Idaeae: sinite arma viris et cedite ferro.’ Talia iactantem dictis ac dira canentem non tulit Ascanius nervoque obversus equino contendit telum diversaque bracchia ducens constitit, ante Iovem supplex per vota precatus: ‘Iuppiter omnipotens, audacibus adnue coeptis. ipse tibi ad tua templa feram sollemnia dona, et statuam ante aras aurata fronte iuvencum candentem pariterque caput cum matre ferentem, iam cornu petat et pedibus qui spargat harenam.’ audiit et caeli genitor de parte serena intonuit laevum, sonat una fatifer arcus: effugit horrendum stridens adducta sagitta perque caput Remuli venit et cava tempora ferro traicit. ‘i, verbis virtutem inlude superbis! bis capti Phryges haec Rutulis responsa remittunt’. hoc tantum Ascanius. Teucri clamore sequuntur laetitiaque fremunt animosque ad sidera tollunt. Aetheria tum forte plaga crinitus Apollo desuper Ausonias acies urbemque videbat nube sedens, atque his victorem adfatur Iulum:

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Jegliches Alter handhabt das Eisen; wir stacheln der Stiere Rücken mit umgewendetem Speer; das langsame Alter schwächt nicht die Kräfte des Geists und verringert nicht leibliche Stärke: Graue Haare drückt unser Helm, stets macht es uns Freude, Beute herbeizuschaffen und vom Geraubten zu leben. Ihr mögt Kleider, bestickt mit Safran und strahlendem Purpur; nichts zu tun, das gefällt euch, und euch im Tanze zu wiegen; Ärmel haben bei euch die Tuniken, Bänder die Mützen. Phrygierinnen, jawohl, nicht Phryger – ihr zieht übern hohen Dindymus, wo, wie gewohnt, die Doppelflöte ihr Lied spielt. Handpauken rufen euch, phrygische Buchsbaumflöten der Großen Mutter vom Ida: Lasst Männern Waffen, verzichtet auf Eisen!« Wie er da prahlte und böse sie alle verwünschte, ertrug nicht länger Askanius, trat ihm entgegen und spannte auf einer Rosshaarsehne den Pfeil und blieb, weit spreizend die Arme, stehen, nachdem im Gebet er Juppiter angefleht hatte: »Mächtigster Juppiter, sei dem kühnen Beginnen gewogen. Ich will selber zum Heiligtum festliche Gaben dir bringen, vor den Altar einen Stier mit vergoldeten Hörnern dir stellen, einen weißen, der so hoch wie die Mutter den Kopf trägt, schon mit den Hörnern stößt und den Sand hoch wirft mit den Hufen.« Allvater hörte ihn, ließ von der heiteren Seite des Himmels links es donnern; zugleich ertönt todbringend der Bogen: Furchtbar zischend enteilt der angezogene Pfeil und dringt in des Remulus Haupt, durchbohrt mit der Spitze die hohlen Schläfen. »Fahre dahin, hochmütig verspott unsre Tatkraft! So antworten den Rutulern zweimal gefangene Phryger.« Nur soviel Askanius. Laut applaudieren die Teukrer, toben vor Freude und heben den Mut empor zu den Sternen. Grade sah aus dem Äther Apoll mit dem lockigen Haar von oben herab auf das Heer Ausoniens und auf die Siedlung, sitzend auf einer Wolke, und sprach zum Sieger Ïulus:

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‘macte nova virtute, puer: sic itur ad astra, dis genite et geniture deos. iure omnia bella gente sub Assaraci fato ventura resident, nec te Troia capit.’ simul haec effatus ab alto aethere se mittit, spirantis dimovet auras Ascaniumque petit; formam tum vertitur oris antiquum in Buten. hic Dardanio Anchisae armiger ante fuit fidusque ad limina custos; tum comitem Ascanio pater addidit. ibat Apollo omnia longaevo similis vocemque coloremque et crinis albos et saeva sonoribus arma, atque his ardentem dictis adfatur Iulum: ‘sit satis, Aenide, telis impune Numanum oppetiisse tuis; primam hanc tibi magnus Apollo concedit laudem et paribus non invidet armis: cetera parce, puer, bello.’ sic orsus Apollo mortalis medio aspectus sermone reliquit et procul in tenuem ex oculis evanuit auram. agnovere deum proceres divinaque tela Dardanidae pharetramque fuga sensere sonantem. ergo avidum pugnae dictis ac numine Phoebi Ascanium prohibent, ipsi in certamina rursus succedunt animasque in aperta pericula mittunt. it clamor totis per propugnacula muris, intendunt acris arcus ammentaque torquent. sternitur omne solum telis, tum scuta cavaeque dant sonitum flictu galeae, pugna aspera surgit: quantus ab occasu veniens pluvialibus Haedis verberat imber humum, quam multa grandine nimbi in vada praecipitant, cum Iuppiter horridus Austris torquet aquosam hiemem et caelo cava nubila rumpit. Pandarus et Bitias, Idaeo Alcanore creti,

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»Heil deiner neuen Tatkraft, Knabe: So steigt man zum Himmel, Göttersohn, Ahnherr von Göttern. Mit Recht kommen künftig zur Ruhe unter Assarakus’ Stamm alle Kriege, vom Fatum gesendet, und für dich ist Troja zu klein.« So spricht er und steigt vom hohen Äther herab, zerteilt die wehende Luft und naht sich Askanius, nimmt dabei das Aussehn des alten Butes an. Waffenträger war der bei dem Troer Anchises und ein getreuer Wächter des Hauses; dann gab ihn der Vater seinem Askanius als Begleiter. Da kam nun Apollo, ganz dem Hochbetagten ähnlich in Stimme und Teint, den weißen Haaren und seinen bedrohlich klirrenden Waffen, und sprach so zu Ïulus, der leidenschaftlich erregt war: »Sohn des Aeneas, genug sei’s, dass ungestraft du Numanus niedergestreckt hast; der große Apollo gesteht diesen ersten Ruhm dir zu, ohne Neid auf die Tat mit den nämlichen Waffen: Jetzt, halt, Knabe, vom Krieg dich fern!« Als Apoll so gesprochen hatte, entzog er sich mitten im Reden dem menschlichen Blick, und dann entschwand er fern in die dünnen Lüfte den Augen. Da erkannten den Gott mitsamt seinen göttlichen Pfeilen Trojas Edle; sie hörten das Klirren des Köchers beim Abgang. Also halten, gestützt auf das Machtwort Apolls, sie Askanius, welcher nach Kampf giert, fern; selbst rücken sie wieder zur Schlacht aus, wagen in Gefahren, die eindeutig drohen, ihr Leben. Kriegsgeschrei tönt auf den Bollwerken überall auf den Mauern, Bogen spannt man zum Schuss und schwingt am Riemen die Speere. Pfeile bedecken den ganzen Boden, Schilde, gewölbte Helme dröhnen beim Aufprall, es hebt ein furchtbarer Kampf an: So stark peitscht, vom Westen unter dem Sternbild der Böcke kommend, Regen die Erde, mit solchem Hagelschlag stürzen Wolkenbrüche ins Meer, wenn Juppiter furchtbar im Südwind wirbelt die Wasser des Sturms und die Wolken aufreißt am Himmel. Pandarus und Bitias, Söhne Alkanors vom Ida,

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quos Iovis eduxit luco silvestris Iaera abietibus iuvenes patriis in montibus aequos, 675 portam, quae ducis imperio commissa, recludunt, freti armis, ultroque invitant moenibus hostem. ipsi intus dextra ac laeva pro turribus adstant armati ferro et cristis capita alta corusci: quales aëriae liquentia flumina circum 680 sive Padi ripis Athesim seu propter amoenum consurgunt geminae quercus intonsaque caelo attollunt capita et sublimi vertice nutant. inrumpunt aditus Rutuli ut videre patentis: continuo Quercens et pulcher Aquiculus armis 685 et praeceps animi Tmarus et Mavortius Haemon agminibus totis aut versi terga dedere aut ipso portae posuere in limine vitam; tum magis increscunt animis discordibus irae, et iam collecti Troes glomerantur eodem 690 et conferre manum et procurrere longius audent. Ductori Turno diversa in parte furenti turbantique viros perfertur nuntius, hostem fervere caede nova et portas praebere patentis. deserit inceptum atque immani concitus ira 695 Dardaniam ruit ad portam fratresque superbos. et primum Antiphaten (is enim se primus agebat), Thebana de matre nothum Sarpedonis alti, coniecto sternit iaculo: volat Itala cornus aëra per tenerum stomachoque infixa sub altum 700 pectus abit; reddit specus atri vulneris undam spumantem, et fixo ferrum in pulmone tepescit. tum Meropem atque Erymanta manu, tum sternit Aphidnum, tum Bitian ardentem oculis animisque frementem, non iaculo (neque enim iaculo vitam ille dedisset),

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die in Juppiters Hain aufzog Waldnymphe Ïaera, junge Männer, den Tannen der heimischen Berge vergleichbar, öffnen das Tor, für das sie verantwortlich sind, im Vertrauen auf ihre Waffen und locken von sich aus den Feind in die Mauern. Rechts und links, als Türme fungierend, stehen sie drin, mit Schwertern bewaffnet, es schimmert vom hohen Haupte der Helmbusch: Wie zwei Eichen, welche im Umkreis strömender Flüsse, etwa am Ufer des Po oder nah dem lieblichen Etsch-Strom, sich in die Lüfte erheben, zum Himmel hinauf die belaubten Kronen erheben und ihre erhabenen Wipfel bewegen. Offen sehen den Zugang die Rutuler, stürmen nach innen: Quercens und, herrlich in Waffen, Aquiculus, ferner der Hitzkopf Tmarus und Haemon, der Kriegsmann, wurden im selben Moment mit ihrer gesamten Schar zurückgeschlagen und flohen, oder sie ließen direkt auf der Schwelle des Tores ihr Leben; da aber wächst noch mehr der Zorn in den Herzen der Kämpfer, und schon ballen am selben Ort sich die Troer gesammelt, Nahkampf wagen sie, wagen, noch weiter vorwärtszurücken. Turnus, dem Anführer, der an anderer Stelle herumtobt und die Männer zerstreut, wird gemeldet, es wüte der Feind jetzt mordend wie nie zuvor, provozierend mit offenen Toren. Er gibt auf, was er tut, und stürzt in maßlosem Zorne hin zum Dardanertor und den übermütigen Brüdern. Gleich den Antiphates – denn der war’s, der als erster daherkam –, Bastard des edlen Sarpedon und einer thebanischen Mutter, streckt sein Wurfspeer zu Boden: Es fliegt die Italerlanze durch kaum spürbare Luft und dringt, in den Rachen sich bohrend, tief in die Brust; da strömt aus der Höhle der düsteren Wunde schäumend das Blut, warm wird in durchbohrter Lunge das Eisen. Merops und Erymas fällt mit dem Schwert er, dann den Aphidnus, Bitias dann, dessen Augen glühn und der brüllt voller Ingrimm, nicht mit dem Speer – denn dem Speer hätte der nicht sein Leben gegeben –,

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sed magnum stridens contorta phalarica venit fulminis acta modo, quam nec duo taurea terga nec duplici squama lorica fidelis et auro sustinuit: conlapsa ruunt immania membra, dat tellus gemitum et clipeum super intonat ingens. talis in Euboico Baiarum litore quondam saxea pila cadit, magnis quam molibus ante constructam ponto iaciunt; sic illa ruinam prona trahit penitusque vadis inlisa recumbit: miscent se maria et nigrae attolluntur harenae, tum sonitu Prochyta alta tremit durumque cubile Inarime Iovis imperiis imposta Typhoeo. Hic Mars armipotens animum virisque Latinis addidit et stimulos acris sub pectore vertit immisitque Fugam Teucris atrumque Timorem. undique conveniunt, quoniam data copia pugnae, bellatorque animo deus incidit. Pandarus, ut fuso germanum corpore cernit et quo sit fortuna loco, qui casus agat res, portam vi multa converso cardine torquet, obnixus latis umeris, multosque suorum moenibus exclusos duro in certamine linquit; ast alios secum includit recipitque ruentis, demens, qui Rutulum in medio non agmine regem viderit inrumpentem ultroque incluserit urbi, immanem veluti pecora inter inertia tigrim. continuo nova lux oculis effulsit et arma horrendum sonuere; tremunt in vertice cristae sanguineae clipeoque micantia fulmina mittit: agnoscunt faciem invisam atque immania membra turbati subito Aeneadae. tum Pandarus ingens emicat et mortis fraternae fervidus ira

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nein, die Phalarica kam mit lautem Zischen geflogen, gleich einem Blitz; ihr hielten nicht zwei Stierhäute stand, der Panzer auch nicht, verlässlich mit doppelter Lage der goldnen Schuppen: Es stürzen in sich zusammen die riesigen Glieder, dumpf erdröhnt da die Erde, der Schild kracht donnernd darüber. So fällt manchmal wohl am euböischen Strande von Baiae nieder ein steinerner Pfeiler, welchen man vorher aus großen Quadern baut und ins Meer senkt; so neigt der sich vornüber, stürzt und schlägt auf das Wasser auf und versinkt in der Tiefe: Aufgewühlt wird das Meer, und es wirbelt schwärzlicher Sand hoch, Prochyta bebt von dem Krach hoch oben, Inarime auch, das harte Bett, das nach Juppiters Weisung drückt auf Typhoeus. Nunmehr flößte Mut ein der waffengewaltige Mars den Männern aus Latium, bohrte ins Herz die Stacheln des Zorns und ließ die Dämonen der Flucht und der Furcht jetzt los auf die Teukrer. Überall kommen sie her, weil Gelegenheit da ist zum Kampfe, und ihr Herz überfällt der Kriegsgott. Als aber Pandarus sieht, dass der Bruder hingestreckt daliegt, wohin Fortuna sich neigt und welcher Unstern hier waltet, drückt er mit großer Kraft, die Angeln drehend, das Tor zu, angestemmt mit den breiten Schultern, und viele der Seinen lässt er da vor den Mauern zurück im harten Gefechte; andere aber schließt er mit ein und stellt sich dem Ansturm, ohne Vernunft, da inmitten der Schar er den Rutulerkönig nicht hereinbrechen sah und selbst in die Siedlung nun einschloss wie unter wehrloses Kleinvieh einen gewaltigen Tiger. Gleich schien aus den Augen ein ungewöhnliches Licht, und fürchterlich klirrten die Waffen; vom Scheitel zittert der Helmbusch blutigrot, vom Schild entsendet er zuckende Blitze: Jetzt erkennt die verhasste Gestalt und die riesigen Glieder plötzlich das Volk des Aeneas verstört. Es springt da hervor der riesige Pandarus, über den Tod seines Bruders in heißem

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effatur: ‘non haec dotalis regia Amatae, nec muris cohibet patriis media Ardea Turnum. castra inimica vides, nulla hinc exire potestas.’ olli subridens sedato pectore Turnus: ‘incipe, si qua animo virtus, et consere dextram, hic etiam inventum Priamo narrabis Achillem.’ dixerat. ille rudem nodis et cortice crudo intorquet summis adnixus viribus hastam: excepere aurae, vulnus Saturnia Iuno detorsit veniens, portaeque infigitur hasta. ‘at non hoc telum, mea quod vi dextera versat, effugies, neque enim is teli nec vulneris auctor’: sic ait et sublatum alte consurgit in ensem et mediam ferro gemina inter tempora frontem dividit impubisque immani vulnere malas. fit sonus, ingenti concussa est pondere tellus; conlapsos artus atque arma cruenta cerebro sternit humi moriens, atque illi partibus aequis huc caput atque illuc umero ex utroque pependit. Diffugiunt versi trepida formidine Troes, et si continuo victorem ea cura subisset, rumpere claustra manu sociosque immittere portis, ultimus ille dies bello gentique fuisset; sed furor ardentem caedisque insana cupido egit in aversos. principio Phalerim et succiso poplite Gygen excipit, hinc raptas fugientibus ingerit hastas in tergum (Iuno viris animumque ministrat); addit Halyn comitem et confixa Phegea parma, ignaros deinde in muris Martemque cientis Alcandrumque Haliumque Noemonaque Prytanimque. Lyncea tendentem contra sociosque vocantem

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Zorn, und er sagt: »Nicht hier ist die Burg aus der Mitgift Amatas, nicht umschließt mit heimischen Mauern Ardea Turnus. Du erblickst das Lager des Feinds; hier gibt’s kein Entrinnen.« Turnus lächelt ihm zu und gibt gelassen zur Antwort: »Fang nur an, wenn Mut in dir steckt, und nimm jetzt den Kampf auf; Priamus sagst du dann, hier auch hättst einen Achill du gefunden.« Sprach’s. Eine einfache Lanze, mit rauer Rinde und knotig, schleudert jener da unter Aufbietung all seiner Kräfte: Lüfte nur fingen sie auf; zur Seite lenkte Saturnia Juno den drohenden Stoß, in die Pforte bohrt sich die Lanze. »Du aber wirst der Waffe, die jetzt mit Kraft meine Hand führt, nicht entgehn; so schwach schlägt nicht meine Waffe die Wunde«: Spricht’s und erhebt das Schwert und reckt sich zum Schlag in die Höhe, spaltet mit der Klinge die Stirn mitten zwischen den Schläfen und die bartlosen Wangen mit einem furchtbaren Schlage. Einen Krach gibt’s, vom Riesengewicht wird die Erde erschüttert; kraftlos streckt er die Glieder und die vom Gehirnblut bespritzten Waffen sterbend am Boden; es hing das Haupt ihm zu gleichen Teilen von seinen Schultern herab nach hierhin und dorthin. Blass vor Entsetzen stieben zur Flucht auseinander die Troer; wäre dem Sieger sofort der Gedanke gekommen, die Riegel aufzubrechen und einzulassen durchs Tor die Gefährten, wär es der letzte Tag für den Krieg und das Volk wohl gewesen; Wut aber trieb den Ergrimmten und seine rasende Mordgier gegen die Flüchtenden. Gleich den Phaleris greift er und Gyges, dem er die Knie durchtrennt, raubt den Fliehenden dann die Lanzen und stößt sie tief in den Rücken – Juno verleiht ihm Kräfte und Kampfgeist –; Halys fügt er hinzu und Phegeus, durchbohrt ihm den Rundschild, Halius dann und Alkander, Noëmon und Prytanis auf der Mauer, die zum Kampf aufhetzen, von allem nichts ahnend. Lynkeus, der ihm entgegen sich stellt und Gefährten herbeiruft,

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vibranti gladio conixus ab aggere dexter occupat: huic uno deiectum comminus ictu cum galea longe iacuit caput; inde ferarum vastatorem Amycum, quo non felicior alter unguere tela manu ferrumque armare veneno, et Clytium Aeoliden et amicum Crethea Musis, Crethea Musarum comitem, cui carmina semper et citharae cordi numerosque intendere nervis: semper equos atque arma virum pugnasque canebat. Tandem ductores audita caede suorum conveniunt Teucri, Mnestheus acerque Serestus, palantisque vident socios hostemque receptum; et Mnestheus: ‘quo deinde fugam, quo tenditis?’ inquit, ‘quos alios muros, quae iam ultra moenia habetis? unus homo et vestris, o cives, undique saeptus aggeribus tantas strages impune per urbem ediderit? iuvenum primos tot miserit Orco? non infelicis patriae veterumque deorum et magni Aeneae, segnes, miseretque pudetque?’ talibus accensi firmantur et agmine denso consistunt. Turnus paulatim excedere pugnae et fluvium petere ac partem quae cingitur unda; acrius hoc Teucri clamore incumbere magno et glomerare manum, ceu saevum turba leonem cum telis premit infensis; at territus ille, asper, acerba tuens, retro redit et neque terga ira dare aut virtus patitur, nec tendere contra ille quidem hoc cupiens potis est per tela virosque. haud aliter retro dubius vestigia Turnus improperata refert et mens exaestuat ira. quin etiam bis tum medios invaserat hostis, bis confusa fuga per muros agmina vertit;

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kommt er mit voller Wucht zuvor mit blitzendem Schwerte, rechts vom Wall her und schlägt ihm aus nächster Nähe mit einem Hieb den Kopf ab; weit weg lag der mit dem Helm dann; danach war Amykus dran, der Jäger; erfolgreicher konnte kein andrer Pfeile vergiften und so für den Kampf zurüsten die Spitzen, Klytius, Aeolus’ Sohn, und Kretheus, Liebling der Musen, Kretheus, der Musen Begleiter, der ständig an Liedern und Lyra Freude empfand und daran, die Saiten melodisch zu stimmen: Immer sang er von Pferden, Waffen, vom Mann und von Schlachten. Endlich erfahren die Führer der Teukrer vom Tode der Ihren und sie treffen sich; Mnestheus kommt und, voll Tatkraft, Serestus, sehen ihre Gefährten zersprengt und den Feind in der Siedlung; Mnestheus fragte: »Wohin entflieht ihr, wohin denn nur rennt ihr? Welche anderen Mauern, welche Stadt habt ihr sonst noch? Nur ein Mann, noch dazu umschlossen, ihr Bürger, von euren Wällen, richtete straflos ein solches Blutbad in unsrer Stadt an? Schickte so viele Spitzenkämpfer zum Orkus? Fühlt ihr denn nicht gegenüber der armen Heimat, den alten Göttern, dem großen Aeneas Kummer und Scham, ihr Versager?« So ein Appell stärkt ihnen den Mut; in geschlossener Reihe stelln sie sich auf. Aus dem Kampfe entweicht da Turnus allmählich, strebt zum Fluss, zur vom Wasser umgebenen Seite des Lagers; umso hitziger drängen die Teukrer nach mit Geschrei und ziehen die Truppe zusammen, wie wenn einen grimmigen Löwen feindlich mit Waffen die Schar bedrängt; doch jener, erschreckt, weicht grimmig mit furchtbarem Blick zurück; die Flucht zu ergreifen, lassen sein Zorn und sein Mut nicht zu, aber auch sich zu wehren hat er, wie sehr er auch will, nicht die Kraft vor den Waffen und Männern. Ebenso zieht sich Turnus, im Zweifel, was er jetzt tun soll, ohne jegliche Eile zurück, doch im Inneren kocht er. Zweimal sogar noch drang er ein in die Mitte der Feinde, zweimal jagt er durchs Lager die Reihn, die durchs Fliehen verwirrt sind;

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sed manus e castris propere coit omnis in unum nec contra viris audet Saturnia Iuno sufficere: aëriam caelo nam Iuppiter Irim demisit germanae haud mollia iussa ferentem, ni Turnus cedat Teucrorum moenibus altis. ergo nec clipeo iuvenis subsistere tantum nec dextra valet, iniectis sic undique telis obruitur. strepit adsiduo cava tempora circum tinnitu galea et saxis solida aera fatiscunt discussaeque iubae capiti, nec sufficit umbo ictibus; ingeminant hastis et Troes et ipse fulmineus Mnestheus. tum toto corpore sudor liquitur et piceum (nec respirare potestas) flumen agit, fessos quatit aeger anhelitus artus. tum demum praeceps saltu sese omnibus armis in fluvium dedit: ille suo cum gurgite flavo accepit venientem ac mollibus extulit undis et laetum sociis abluta caede remisit.

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schnell aber schließt gegen ihn sich die Schar aus dem Lager zusammen, und dagegen wagt seine Kräfte Saturnia Juno nicht mehr zu stärken: Die luftige Iris sandte vom Himmel Juppiter seiner Schwester mit strengen Befehlen, sofern nicht Turnus aus der hohen Festung der Teukrer entweiche. Drum kann nicht mit dem Schild der Jüngling sich ausreichend wehren, nicht mit der Rechten; von überall her wird er so von Geschossen zugedeckt. Ständig erdröhnt um die Wölbung der Schläfen der Helm ihm klirrend, von Steinwürfen rissig wird das gediegene Erz, der Helmbusch am Kopf ist zerfetzt, der Schildbuckel hält jetzt den Hieben nicht mehr stand, und die Troer verdoppeln die Würfe, vor allem Mnestheus, schnell wie der Blitz. Da rinnt der Schweiß ihm vom ganzen Körper und bildet ein schwarzes Rinnsal – auch einatmen kann er nicht mehr –, die matten Glieder erschüttert mühsames Keuchen. Schließlich stürzte er da in voller Rüstung kopfüber sich in den Fluss: Mit seinem gelblichen Strudel empfing der den, der da kam, und trug auf sanften Wellen ihn fort und gab den Frohen gereinigt vom Blute zurück den Gefährten.

LIBER X Panditur interea domus omnipotentis Olympi conciliumque vocat divum pater atque hominum rex sideream in sedem, terras unde arduus omnis castraque Dardanidum aspectat populosque Latinos. considunt tectis bipatentibus, incipit ipse: ‘caelicolae magni, quianam sententia vobis versa retro tantumque animis certatis iniquis? abnueram bello Italiam concurrere Teucris. quae contra vetitum discordia? quis metus aut hos aut hos arma sequi ferrumque lacessere suasit? adveniet iustum pugnae (ne arcessite) tempus, cum fera Karthago Romanis arcibus olim exitium magnum atque Alpes immittet apertas: tum certare odiis, tum res rapuisse licebit. nunc sinite et placitum laeti componite foedus.’ Iuppiter haec paucis; at non Venus aurea contra pauca refert: ‘o pater, o hominum rerumque aeterna potestas (namque aliud quid sit quod iam implorare queamus?), cernis ut insultent Rutuli, Turnusque feratur per medios insignis equis tumidusque secundo Marte ruat? non clausa tegunt iam moenia Teucros; quin intra portas atque ipsis proelia miscent aggeribus moerorum et inundant sanguine fossae. Aeneas ignarus abest. numquamne levari obsidione sines? muris iterum imminet hostis nascentis Troiae nec non exercitus alter, atque iterum in Teucros Aetolis surgit ab Arpis

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B U C H 10 Auf tut indes sich das Haus des allgewaltgen Olymp, der Vater der Götter und König der Menschen ruft zur Versammlung in den Sternenpalast, von wo, hoch thronend, auf alle Länder er blickt und das Lager der Troer und Latiums Völker. Dort im doppelt geöffneten Saale sitzt man; da sagt er: »Mächtige Himmelsbewohner, warum nur hat sich geändert eure Meinung, was zankt ihr so sehr euch mit feindlichen Herzen? Ich verbot, dass Italien Krieg mit den Teukrern beginne. Was soll Zwietracht entgegen meinem Verbot? Welche Furcht trieb die oder jene, zu Waffen zu greifen und Krieg zu erregen? Kommen wird doch die rechte Zeit – zitiert sie nicht her! – zum Kampf, wenn das wilde Karthago dereinst ein großes Verderben sendet den Hügeln Roms und dazu die Öffnung der Alpen: Dann mag hasserfüllt man kämpfen, dann Raubgut erbeuten. Jetzt hört auf, schließt froh – so ist’s ja beschlossen – ein Bündnis.« Dies sprach Juppiter kurz; nicht kurz aber gab ihm die goldne Venus Antwort: »Vater, ewige Macht du über die Welt und die Menschen – denn was gäbe es sonst, was wir noch anflehen könnten? –, siehst du, wie die Rutuler spotten und Turnus inmitten prächtig mit Pferden dahinfährt und, aufgeblasen vom Kriegsglück, losstürmt? Nicht mehr schützen verschlossene Mauern die Teukrer; innerhalb ihrer Tore, auf Mauerwällen sogar wird jetzt gekämpft, und die Gräben fließen über vom Blute. Fern ist Aeneas, nichts ahnend. Lässt du nicht zu, dass sie jemals frei von Belagerung sind? Zum zweiten Male bedroht der Feind und ein anderes Heer die Mauern des werdenden Troja, wieder erhebt vom ätolischen Arpi her gegen die Teukrer

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LIBER X

Tydides. equidem credo, mea vulnera restant et tua progenies mortalia demoror arma. si sine pace tua atque invito numine Troes Italiam petiere, luant peccata neque illos iuveris auxilio; sin tot responsa secuti quae superi manesque dabant, cur nunc tua quisquam vertere iussa potest aut cur nova condere fata? quid repetam exustas Erycino in litore classes, quid tempestatum regem ventosque furentis Aeolia excitos aut actam nubibus Irim? nunc etiam manis (haec intemptata manebat sors rerum) movet et superis immissa repente Allecto, medias Italum bacchata per urbes. nil super imperio moveor: speravimus ista, dum fortuna fuit; vincant quos vincere mavis. si nulla est regio Teucris quam det tua coniunx dura, per eversae, genitor, fumantia Troiae excidia obtestor: liceat dimittere ab armis incolumem Ascanium, liceat superesse nepotem; Aeneas sane ignotis iactetur in undis et quacumque viam dederit Fortuna, sequatur: hunc tegere et dirae valeam subducere pugnae. est Amathus, est celsa mihi Paphus atque Cythera Idaliaeque domus: positis inglorius armis exigat hic aevum. magna dicione iubeto Karthago premat Ausoniam: nihil urbibus inde obstabit Tyriis. quid pestem evadere belli iuvit et Argolicos medium fugisse per ignes totque maris vastaeque exhausta pericula terrae, dum Latium Teucri recidivaque Pergama quaerunt? non satius cineres patriae insedisse supremos atque solum quo Troia fuit? Xanthum et Simoenta

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Tydeus’ Sohn sich. Ich glaube, mir droht noch einmal Verwundung, und eines Sterblichen Waffen halt ich auf, deine Tochter. Wenn ohne deinen Konsens, gegen deinen Willen die Troer nach Italien zogen, so sollen sie büßen dafür und du unterstütz sie nicht; folgten so vielen Orakeln sie aber, die ihnen Götter und Manen gaben, warum kann jetzt jemand deinen Befehl annullieren und neue Fata begründen? Was soll wieder ich reden vom Brande der Flotte am Strand des Eryx, was vom König der Stürme, von rasenden Winden, aufgescheucht aus Äolien, von Iris, entsandt aus den Wolken? Manen sogar setzt sie – denn dieser Bereich unsrer Welt blieb unerprobt – in Bewegung, gesandt zur Oberwelt wurde plötzlich Allekto und rast durch Italiens Städte bacchantisch. Nicht um die Herrschaft geht’s mir: Auf diese hofften wir, als noch hold war das Glück; solln die, die du bevorzugst, doch siegen. Gibt’s kein Land, das den Teukrern vergönnt deine harte Gemahlin, dann beschwör ich dich, Vater, jetzt bei des vernichteten Troja rauchenden Trümmern: Lass aus dem Waffenkampf du mich Askanius unversehrt entfernen, mein Enkelkind lass überleben; werde Aeneas denn über fremde Wogen getrieben, geh er denn dort, wo auch immer Fortuna ihm einen Weg weist: Den hier lass mich beschützen und grausigem Kampfe entziehen. Ich hab Paphos, das hohe, und Amathus, hab auch Kythera und das Haus in Idalia: Ohne die Waffen verbringe ruhmlos hier er sein Leben. Befiehl, dass Karthago Ausonien mit gewaltiger Macht bedränge: Die Tyrierstädte hindert nichts dran. Was half ’s, dem Verderben des Kriegs zu entkommen, mitten durch die von den Griechen entfachten Flammen zu fliehn, so viele Gefahren des Meers und des wüsten Lands zu ertragen, während ein neues Pergamum suchten die Teukrer und Latium? Säßen sie besser nicht noch auf der letzten Asche der Heimat, auf dem Boden, wo Troja stand? Gib Simoïs, Xanthus

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redde, oro, miseris iterumque revolvere casus da, pater, Iliacos Teucris.’ tum regia Iuno, acta furore gravi: ‘quid me alta silentia cogis rumpere et obductum verbis vulgare dolorem? Aenean hominum quisquam divumque subegit bella sequi aut hostem regi se inferre Latino? Italiam petiit fatis auctoribus (esto) Cassandrae impulsus furiis: num linquere castra hortati sumus aut vitam committere ventis? num puero summam belli, num credere muros, Tyrrhenamque fidem aut gentis agitare quietas? quis deus in fraudem, quae dura potentia nostra egit? ubi hic Iuno demissave nubibus Iris? indignum est Italos Troiam circumdare flammis nascentem et patria Turnum consistere terra, cui Pilumnus avus, cui diva Venilia mater: quid face Troianos atra vim ferre Latinis, arva aliena iugo premere atque avertere praedas? quid soceros legere et gremiis abducere pactas, pacem orare manu, praefigere puppibus arma? tu potes Aenean manibus subducere Graium proque viro nebulam et ventos obtendere inanis, et potes in totidem classem convertere nymphas: nos aliquid Rutulos contra iuvisse nefandum est? “Aeneas ignarus abest”: ignarus et absit. est Paphus Idaliumque tibi, sunt alta Cythera: quid gravidam bellis urbem et corda aspera temptas? nosne tibi fluxas Phrygiae res vertere fundo conamur? nos, an miseros qui Troas Achivis obiecit? quae causa fuit consurgere in arma Europamque Asiamque et foedera solvere furto? me duce Dardanius Spartam expugnavit adulter,

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bitte den Armen zurück; lass, Vater, die Teukrer von Neuem Iliums Schicksal durchleben.« Getrieben von heftigem Zorn sprach da die Königin Juno: »Was zwingst du mich, dass ich mein tiefes Schweigen brech und durch Worte enthüll den verborgenen Kummer? Zwang den Aeneas denn einer der Menschen und Götter, auf Krieg zu sinnen oder als Feind zu begegnen dem König Latinus? Nach Italien schickten die Fata ihn – gut! – und Kassandras Rasereien: Hab ich ihn etwa getrieben, sein Lager jetzt zu verlassen, sein Leben anzuvertrauen den Winden? Anzuvertrauen dem Knaben den Oberbefehl und die Mauern, aufzuwiegeln den Bund der Tyrrhener und friedliche Völker? Welcher Gott trieb ihn zum Betrug, welch harte Gewalt von uns, wo ist hier Juno, wo Iris, entsandt von den Wolken? Unverdient ist’s, wenn Italer ein entstehendes Troja hüllen in Flammen, wenn Turnus verbleibt auf heimischer Erde, er, mit Pilumnus als Großvater, Göttin Venilia als Mutter: Was, wenn Troer Latinern Gewalt mit düsterer Fackel antun, fremdes Land unterjochen und Beute entwenden, Schwiegerväter erwählen und Bräute den Eltern entführen, Frieden erbitten, jedoch am Heck aufhängen die Waffen? Du kannst Griechenhänden Aeneas heimlich entziehen, Nebel statt eines Manns hinstellen und nichtige Winde, kannst in ebenso viele Nymphen Schiffe verwandeln: Aber dass wir nur ein wenig den Rutulern helfen, ist Frevel? ›Fern ist Aeneas, nichts ahnend‹: So sei er denn fern und nichts ahnend! Paphos hast du, Idalium, hast auch das hohe Kythera: Was attackierst eine kriegsstarke Stadt du und grimmige Herzen? Glaubst du, wir wollen Trojas wankende Herrschaft zerstören? Wir oder der, der die armen Troer preisgab den Griechen? Was war der Grund dafür, dass Europa und Asien sich zum Krieg erhoben und dass durch Raub man brach die Verträge? Nahm denn, geführt von mir, Lakedämon ein der Galan aus

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aut ego tela dedi fovive Cupidine bella? tum decuit metuisse tuis: nunc sera querelis haud iustis adsurgis et inrita iurgia iactas.’ Talibus orabat Iuno, cunctique fremebant caelicolae adsensu vario, ceu flamina prima cum deprensa fremunt silvis et caeca volutant murmura venturos nautis prodentia ventos. tum pater omnipotens, rerum cui prima potestas, infit (eo dicente deum domus alta silescit et tremefacta solo tellus, silet arduus aether, tum Zephyri posuere, premit placida aequora pontus): ‘accipite ergo animis atque haec mea figite dicta. quandoquidem Ausonios coniungi foedere Teucris haud licitum nec vestra capit discordia finem, quae cuique est fortuna hodie, quam quisque secat spem, Tros Rutulusne fuat, nullo discrimine habebo, seu fatis Italum castra obsidione tenentur sive errore malo Troiae monitisque sinistris. nec Rutulos solvo: sua cuique exorsa laborem fortunamque ferent; rex Iuppiter omnibus idem. fata viam invenient.’ Stygii per flumina fratris, per pice torrentis atraque voragine ripas adnuit et totum nutu tremefecit Olympum. hic finis fandi. solio tum Iuppiter aureo surgit, caelicolae medium quem ad limina ducunt. Interea Rutuli portis circum omnibus instant sternere caede viros et moenia cingere flammis. at legio Aeneadum vallis obsessa tenetur nec spes ulla fugae. miseri stant turribus altis nequiquam et rara muros cinxere corona Asius Imbrasides Hicetaoniusque Thymoetes Assaracique duo et senior cum Castore Thymbris,

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Troja, gab ich Waffen und trieb zum Krieg durch Cupido? Da war Furcht um die Deinen am Platz: Jetzt kommst du zu spät mit Klagen, die ungerecht sind, und bringst uns vergeblichen Streit ein.« So sprach Juno; da murmelten sämtliche Himmelsbewohner ihren Beifall nach hier und nach dort; so murmelt das erste Lüftchen, wenn sich’s im Walde verfängt, rollt weiter als dumpfes Brausen und sagt den Schiffern voraus das Nahen des Sturmes. Dann beginnt der allmächtige Vater, der Herrscher des Weltalls – während er spricht, verstummt der Götter erhabenes Haus und, tieferschüttert, die Erde, es schweigt hoch oben der Äther, Winde schlafen, es glättet das weite Meer seine Fluten –: »Nun, nehmt auf in die Sinne und prägt ihnen ein meine Worte. Da Ausonier und Teukrer sich nicht durch ein Bündnis vereinen dürfen und euer Zwist kein Ende findet, verfüg ich: Welches Glück heut jedem zuteil wird, was jeder erhofft, sei’s Rutuler oder Troer, bei mir soll kein Unterschied gelten, sei nun das Lager bedrängt, weil die Fata den Italern hold sind, oder wegen Trojas Verirrung und trügender Zeichen. Auch die Rutuler nehm ich nicht aus: Was jeder beginnt, bringt Leid ihm und Glück; für alle der Gleiche ist Juppiter. Finden werden die Fata den Weg.« Bei den Wassern des stygischen Bruders, bei den Ufern, die branden von Pech und düsteren Strudeln, nickt er zum Schwur und erschüttert durchs Nicken den ganzen Olympus. Dies ist der Schluss der Besprechung. Vom goldenen Throne erhebt sich Juppiter; ihn umringen und führen zur Schwelle die Götter. Unterdessen morden die Rutuler weiter an allen Toren ringsum die Männer und hüllen die Mauern in Flammen. Doch die Aeneas-Armee bleibt hinter den Wällen umlagert, ohne Hoffnung auf Flucht. Die Armen stehen auf hohen Türmen – umsonst –, besetzen die Mauern mit spärlicher Mannschaft: Asius, Imbrasus’ Sohn, und der Sohn Hiketaons, Thymoetes, dann die Assarakus beide und Thymbris, der Ältre, mit Kastor

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prima acies; hos germani Sarpedonis ambo et Clarus et Thaemon Lycia comitantur ab alta; fert ingens toto conixus corpore saxum, haud partem exiguam montis, Lyrnesius Acmon, nec Clytio genitore minor nec fratre Menestheo. hi iaculis, illi certant defendere saxis molirique ignem nervoque aptare sagittas. ipse inter medios, Veneris iustissima cura, Dardanius caput, ecce, puer detectus honestum, qualis gemma micat, fulvum quae dividit aurum, aut collo decus aut capiti, vel quale per artem inclusum buxo aut Oricia terebintho lucet ebur; fusos cervix cui lactea crinis accipit et molli subnectens circulus auro. te quoque magnanimae viderunt, Ismare, gentes vulnera derigere et calamos armare veneno, Maeonia generose domo, ubi pinguia culta exercentque viri Pactolusque inrigat auro. adfuit et Mnestheus, quem pulsi pristina Turni aggere moerorum sublimem gloria tollit, et Capys: hinc nomen Campanae ducitur urbi. Illi inter sese duri certamina belli contulerant: media Aeneas freta nocte secabat. namque ut ab Euandro castris ingressus Etruscis regem adit et regi memorat nomenque genusque, quidve petat quidve ipse ferat, Mezentius arma quae sibi conciliet, violentaque pectora Turni edocet, humanis quae sit fiducia rebus admonet immiscetque preces; haud fit mora: Tarchon iungit opes foedusque ferit; tum libera fati classem conscendit iussis gens Lydia divum, externo commissa duci. Aeneia puppis

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bilden die vorderste Front; die beiden Brüder Sarpedons sind bei ihnen und Klarus und Thaemon aus Lykiens Bergland; einen riesigen Block, das gewaltige Stück eines Berges, schleppt mit aller Kraft der Lyrnesier Akmon, nicht minder stark als sein Vater Klytius und sein Bruder Menestheus. Diese bemühn sich um Abwehr mit Speeren, jene mit Steinen, brennende Fackeln zu schleudern und Pfeile auf Bogen zu spannen. Mitten darin steht er, mit Recht der Schützling der Venus, seht ihn, das edle Haupt entblößt, der Dardanerknabe; so erstrahlt ein Edelstein, welcher das rötliche Gold teilt, Schmuck für Hals oder Haupt, so leuchtet Ebenholz, kunstvoll in Terebinthe aus Orikum oder Buchsbaum gefasst; sein Haar fällt offen herab auf seinen milchweißen Nacken; unten hält es ein Reif von geschmeidigem Golde zusammen. Dich auch, Ismarus, sahen die kampfesmutigen Scharen Wunden austeilen und Pfeilspitzen vergiften, du edler Sohn aus mäonischem Hause, wo die Männer die fruchtbarn Felder bearbeiten, welche mit Gold der Paktolus berieselt. Mnestheus war da auch; sein noch frischer Ruhm, von den Mauern Turnus vertrieben zu haben, der hebt ihn stolz in die Höhe; Kapys war da: Seinen Namen trägt jetzt die Stadt in Kampanien. Die nun hatten schwere Kämpfe geführt miteinander: Mitten in der Nacht durchfurchte Aeneas die Wogen. Denn sobald von Euander er kommt ins etruskische Lager, geht er zum König und nennt dem König Namen und Herkunft, dann, was er wolle, was selber er biete; über die Waffen, die Mezentius für sich gewinnt, informiert er ihn, über Turnus’ Brutalität, erinnert, wie wenig Verlass aufs Irdische sei, und bittet zugleich; auf der Stelle vereint da Tarchon die Heere und schließt einen Bund; dann steigt, von dem Spruch des Fatums befreit, in die Flotte das Lydervolk, anvertraut auf der Götter Befehl dem fremden Herrn. Vorn fährt des Aeneas’

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prima tenet, rostro Phrygios subiuncta leones, imminet Ida super, profugis gratissima Teucris. hic magnus sedet Aeneas secumque volutat eventus belli varios, Pallasque sinistro adfixus lateri iam quaerit sidera, opacae noctis iter, iam quae passus terraque marique. Pandite nunc Helicona, deae, cantusque movete, quae manus interea Tuscis comitetur ab oris Aenean armetque rates pelagoque vehatur. Massicus aerata princeps secat aequora Tigri, sub quo mille manus iuvenum, qui moenia Clusi quique urbem liquere Cosas, quis tela sagittae gorytique leves umeris et letifer arcus. una torvus Abas: huic totum insignibus armis agmen et aurato fulgebat Apolline puppis. sescentos illi dederat Populonia mater expertos belli iuvenes, ast Ilva trecentos insula inexhaustis Chalybum generosa metallis. tertius ille hominum divumque interpres Asilas, cui pecudum fibrae, caeli cui sidera parent et linguae volucrum et praesagi fulminis ignes, mille rapit densos acie atque horrentibus hastis. hos parere iubent Alpheae ab origine Pisae, urbs Etrusca solo. sequitur pulcherrimus Astur, Astur equo fidens et versicoloribus armis. ter centum adiciunt (mens omnibus una sequendi) qui Caerete domo, qui sunt Minionis in arvis, et Pyrgi veteres intempestaeque Graviscae. Non ego te, Ligurum ductor fortissime bello, transierim, Cunere, et paucis comitate Cupavo, cuius olorinae surgunt de vertice pinnae, crimen, Amor, vestrum formaeque insigne paternae.

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Schiff; am Bug geschmückt mit phrygischen Löwen, der Ida ragt darüber auf, sehr teuer den flüchtigen Teukrern. Hier nun sitzt der große Aeneas, über des Krieges wechselhaften Verlauf reflektierend, und Pallas zu seiner Linken fragt nach den Sternen, Wegweisern während der finstren Nacht, und dann wieder, was er erlitt auf dem Land und dem Meere. Öffnet den Helikon nun, ihr Göttinnen, kündet im Liede, welches Heer unterdes vom tuskischen Strand dem Aeneas folgt und die Schiffe mit Waffen versieht und jetzt übers Meer fährt. Vorne durchschneidet das Meer mit der erzbeschlagenen »Tigris« Massicus, unter ihm tausend Männer, von Clusiums Mauern kommend und Cosae, der Stadt; ihre Waffen sind Pfeile und leichte Köcher über der Schulter und tödlich treffende Bogen. Mit ihm der finstere Abas: Sein Trupp ist mit herrlichen Waffen ganz gerüstet; es strahlte am Heck ein goldner Apollo. Sechshundert Männer gab seine Mutterstadt ihm, Populonia, jung und im Kriege erprobt; doch dreihundert sandte die Insel Ilva, produktiv durch unerschöpflichen Erzbau. Als Nummer drei führt, Mittler von Menschen und Göttern, Asilas, dem Innereien des Viehs, dem die Sterne des Himmels gehorchen, auch die Stimmen der Vögel und prophezeiende Blitze, tausend eilig herbei, im Pulk mit starrenden Lanzen. Ihnen befiehlt zu gehorchen Pisae, alpheïschen Ursprungs, Stadt auf etruskischem Grund. Dann folgt der bildhübsche Astur, Astur, vertrauend dem Ross und seinen schillernden Waffen. Dreihundert bringen – alle vereint der Entschluss zur Gefolgschaft – Caeres Bewohner dazu, die auf Fluren am Minio leben, Pyrgi, das uralte, auch und das ungesunde Graviscae. Nicht möcht ich dich übergehn, der Ligurer tapferer Führer, Cunerus, dich nicht, Cupavo, den wenige Männer begleiten; Schwanenfedern erheben auf seinem Scheitel sich, Amor, Anklage gegen euch und Emblem der Gestalt seines Vaters.

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namque ferunt luctu Cycnum Phaethontis amati, populeas inter frondes umbramque sororum dum canit et maestum Musa solatur amorem, canentem molli pluma duxisse senectam, linquentem terras et sidera voce sequentem. filius aequalis comitatus classe catervas ingentem remis Centaurum promovet: ille instat aquae saxumque undis immane minatur arduus et longa sulcat maria alta carina. Ille etiam patriis agmen ciet Ocnus ab oris, fatidicae Mantus et Tusci filius amnis, qui muros matrisque dedit tibi, Mantua, nomen, Mantua dives avis, sed non genus omnibus unum: gens illi triplex, populi sub gente quaterni, ipsa caput populis, Tusco de sanguine vires. hinc quoque quingentos in se Mezentius armat, quos patre Benaco velatus harundine glauca Mincius infesta ducebat in aequora pinu. it gravis Aulestes centenaque arbore fluctum verberat adsurgens, spumant vada marmore verso: hunc vehit immanis Triton et caerula concha exterrens freta, cui laterum tenus hispida nanti frons hominem praefert, in pristim desinit alvus, spumea semifero sub pectore murmurat unda. tot lecti proceres ter denis navibus ibant subsidio Troiae et campos salis aere secabant. Iamque dies caelo concesserat almaque curru noctivago Phoebe medium pulsabat Olympum; Aeneas (neque enim membris dat cura quietem) ipse sedens clavumque regit velisque ministrat. atque illi medio in spatio chorus, ecce, suarum occurrit comitum: nymphae, quas alma Cybebe

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Denn als Kyknus, so heißt’s, den geliebten Phaëthon betrauernd, unter dem schattenden Laub der in Pappeln verwandelten Schwestern sang und durch sein Lied Trost fand für die Schmerzen der Liebe, nahm, ergrauend im weichen Gefieder, er an die Gestalt des Alters, verließ die Erde und flog mit Gesang zu den Sternen. Eine Schar Gleichaltriger folgt dem Sohn in der Flotte, treibt mit Rudern an den großen »Kentaurus«: Er beugt zum Wasser sich, droht den Wogen mit einem riesigen Felsblock, aufgereckt, und durchfurcht mit langem Kiele die Fluten. Er auch, Oknus, bringt sein Heer von des Vaterlands Küsten, er, der Prophetin Manto Sohn und des tuskischen Stromes, der dir, Mantua, Mauern gab und den Namen der Mutter, Mantua, reich an Ahnen, nicht alle vom selben Geschlechte: Es vereint drei Stämme, die vier Gemeinden umfassen, ist das Haupt der Gemeinden und stark durch die tuskische Herkunft. Fünfhundert rüstet nun auch gegen sich von hier aus Mezentius, die, mit bläulichem Schilf geschmückt, der Sohn des Benacus, Mincius, hin zum Meere führte auf drohendem Schiffe. Wuchtig fährt da Aulestes, er lässt, hoch ragend, mit hundert Rudern peitschen die Flut, und wirbelnd schäumen die Wogen: Ihn trägt, riesig, der »Triton«; er schreckt das bläuliche Meer durchs Muschelhorn; vorn bis zur Hüfte zeigt beim Schwimmen der raue Oberleib Menschengestalt, der Bauch aber endet als Haifisch; unter der Brust des Halbtiers rauscht die schäumende Woge. So viel Fürsten, erlesne auf dreißig Schiffen, die kamen Troja zu Hilfe, durchschnitten mit Erz die Gefilde der Salzflut. Und schon war vom Himmel gewichen der Tag; es durchfuhr auf nachtdurchschweifendem Wagen Phoebe die Mitte des Himmels; aber Aeneas – es lässt keine Ruhe den Gliedern die Sorge – sitzt am Steuer, selber es lenkend, und richtet die Segel. Und sieh da, auf halber Strecke begegnen im Chor ihm seine Gefährtinnen: Nymphen, denen die holde Kybebe

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numen habere maris nymphasque e navibus esse iusserat, innabant pariter fluctusque secabant, quot prius aeratae steterant ad litora prorae. agnoscunt longe regem lustrantque choreis; quarum quae fandi doctissima Cymodocea pone sequens dextra puppim tenet ipsaque dorso eminet ac laeva tacitis subremigat undis. tum sic ignarum adloquitur: ‘vigilasne, deum gens, Aenea? vigila et velis immitte rudentis. nos sumus, Idaeae sacro de vertice pinus, nunc pelagi nymphae, classis tua. perfidus ut nos praecipitis ferro Rutulus flammaque premebat, rupimus invitae tua vincula teque per aequor quaerimus; hanc genetrix faciem miserata refecit et dedit esse deas aevumque agitare sub undis. at puer Ascanius muro fossisque tenetur tela inter media atque horrentis Marte Latinos. iam loca iussa tenent forti permixtus Etrusco Arcas eques; medias illis opponere turmas, ne castris iungant, certa est sententia Turno. surge age et Aurora socios veniente vocari primus in arma iube et clipeum cape, quem dedit ipse invictum ignipotens atque oras ambiit auro: crastina lux, mea si non inrita dicta putaris, ingentis Rutulae spectabit caedis acervos.’ dixerat et dextra discedens impulit altam haud ignara modi puppim: fugit illa per undas ocior et iaculo et ventos aequante sagitta; inde aliae celerant cursus. stupet inscius ipse Tros Anchisiades, animos tamen omine tollit. tum breviter supera aspectans convexa precatur: ‘alma parens Idaea deum, cui Dindyma cordi

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Meergöttinnen und Nymphen aus Schiffen zu werden befohlen hatte; sie schwammen in Reih und Glied und teilten die Fluten, alle, die mit ehernem Bug einst standen am Strand. Von weitem erkennt den König die Schar und umkreist ihn im Reigen; Kymodokea, die am meisten im Reden Begabte, folgt ihm, hält mit der Rechten das Heck, ragt selbst mit dem Rücken aus der Flut, mit der Linken durchrudernd die ruhige Flut, und spricht ihn an, der noch nichts bemerkt hat: »Wachst du, Aeneas, Sohn von Göttern? Sei wach, lass locker den Segeln die Taue. Wir ja sind es, die Fichten vom heiligen Gipfel des Ida, Nymphen im Meer jetzt, einst deine Flotte. Als der verruchte Rutuler jäh uns mit seinem Schwert und den Flammen bedrängte, kappten wir, ungern zwar, deine Taue und suchen dich übers Meer hin; diese Gestalt gab uns aus Erbarmen die Mutter, ließ uns Göttinnen sein und das Leben im Wasser verbringen. Aber den Knaben Askanius halten Mauer und Graben zwischen Geschossen fest und Latinern, starrend von Waffen. Schon sind arkadische Reiter zusammen mit tapfren Etruskern am befohlenen Ort; zu verhindern mit seinen Schwadronen, dass mit dem Lager sie sich vereinen, ist Turnus entschlossen. Auf, lass gleich beim Frührot die Bundesgenossen zum Kampfe rufen, ergreif deinen Schild, den unbesiegbaren, den der Feuergewaltige selber dir gab, den mit goldenem Rande: Hältst, was ich sag, für nutzlos du nicht, wird riesige Haufen hingeschlachteter Rutuler sehen die morgige Sonne.« So sprach sie und gab mit der Rechten beim Abschied dem hohen Heck – sie kannte sich aus – einen Stoß: Da schoss durch die Wogen schneller das Schiff als ein Wurfspeer und windschnell fliegende Pfeile; auch die anderen steigern das Tempo. Begriffsstutzig staunt der Troer, Anchises’ Sohn, doch es stärkt ihm den Mut dieses Zeichen. Kurz dann betet er so, aufschauend zum Himmelsgewölbe: »Gütige Göttermutter vom Ida, die Dindyma liebt und

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turrigeraeque urbes biiugique ad frena leones, tu mihi nunc pugnae princeps, tu rite propinques augurium Phrygibusque adsis pede, diva, secundo.’ tantum effatus, et interea revoluta ruebat matura iam luce dies noctemque fugarat; principio sociis edicit signa sequantur atque animos aptent armis pugnaeque parent se. Iamque in conspectu Teucros habet et sua castra, stans celsa in puppi, clipeum cum deinde sinistra extulit ardentem. clamorem ad sidera tollunt Dardanidae e muris, spes addita suscitat iras, tela manu iaciunt: quales sub nubibus atris Strymoniae dant signa grues atque aethera tranant cum sonitu fugiuntque Notos clamore secundo. at Rutulo regi ducibusque ea mira videri Ausoniis, donec versas ad litora puppes respiciunt totumque adlabi classibus aequor. ardet apex capiti tristisque a vertice flamma funditur et vastos umbo vomit aureus ignis: non secus ac liquida si quando nocte cometae sanguinei lugubre rubent, aut Sirius ardor ille sitim morbosque ferens mortalibus aegris nascitur et laevo contristat lumine caelum. Haud tamen audaci Turno fiducia cessit litora praecipere et venientis pellere terra. ‘quod votis optastis adest, perfringere dextra. in manibus Mars ipse, viri! nunc coniugis esto quisque suae tectique memor, nunc magna referto facta, patrum laudes. ultro occurramus ad undam dum trepidi egressisque labant vestigia prima. audentis Fortuna iuvat.’ haec ait et secum versat quos ducere contra

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Städte, mit Türmen bekränzt, und das Paar der Löwen am Zügel, sei mir Führerin jetzt im Kampf, führ bald nach dem Brauch das Vorzeichen zum Erfolg, hilf gnädig, Göttin, den Phrygern!« Dies nur sprach er; derweil brach, wiedergekommen, mit vollem Lichte der Tag neu an, und er hatte die Nacht schon vertrieben; gleich befiehlt den Verbündeten er, den Zeichen zu folgen, an die Waffen zu denken und sich zum Kampfe zu rüsten. Und schon hat er – er steht hoch auf dem Heck – seine Teukrer und sein Lager erblickt, da hebt den blinkenden Schild die Linke empor. Ein Geschrei zu den Sternen erheben vom Wall die Dardaner, ihre Wut belebt erneuerte Hoffnung, Speere schleudern sie: Wie die strymonischen Kraniche ihren Ruf unter finstrem Gewölk ausstoßen, laut durch den Äther schweben und freudig schreiend vor den Sturmwinden fliehen. Turnus jedoch und Ausoniens Führern erscheint dieses seltsam, bis die zum Strande gerichteten Hecks sie hinter sich sehen, wahrnehmen, wie mit der Flotte das ganze Meer sich heranwälzt. Auf seinem Haupte brennt ein Flämmchen, es fließt eine düstre Flamme vom Scheitel, der goldene Schildbuckel sprüht ein fatales Feuer: So glühn manchmal in klarer Nacht die Kometen blutrot, Unheil verkündend, oder Sirius brennt so; Durst und Seuchen den mühebeladenen Sterblichen bringend geht er auf und verfinstert, unheilvoll glänzend, den Himmel. Nicht aber schwand die Hoffnung dem tollkühnen Turnus, zuvor den Strand zu besetzen, die Nahenden wegzutreiben vom Festland. »Was im Gebet ihr gewünscht habt, ist da: mit der Rechten zerschmettern. Mars selbst steckt in den Fäusten, ihr Männer! Es denke jetzt jeder an seine Frau, sein Haus, erinnre sich jetzt an die großen Taten, den Ruhm seiner Väter. Am Meer gleich erfolge der Angriff, während sie unsicher sind und noch schwankend gehn nach der Landung. Wagenden hilft Fortuna.« Spricht’s und erwägt bei sich, welche Leute zum Angriff er führen

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vel quibus obsessos possit concredere muros. Interea Aeneas socios de puppibus altis pontibus exponit. multi servare recursus languentis pelagi et brevibus se credere saltu, per remos alii. speculatus litora Tarchon, qua vada non spirant nec fracta remurmurat unda, sed mare inoffensum crescenti adlabitur aestu, advertit subito proram sociosque precatur: ‘nunc, o lecta manus, validis incumbite remis; tollite, ferte rates, inimicam findite rostris hanc terram, sulcumque sibi premat ipsa carina. frangere nec tali puppim statione recuso arrepta tellure semel.’ quae talia postquam effatus Tarchon, socii consurgere tonsis spumantisque rates arvis inferre Latinis, donec rostra tenent siccum et sedere carinae omnes innocuae, sed non puppis tua, Tarchon: namque inflicta vadis, dorso dum pendet iniquo anceps sustentata diu fluctusque fatigat, solvitur atque viros mediis exponit in undis; fragmina remorum quos et fluitantia transtra impediunt retrahitque pedes simul unda relabens. Nec Turnum segnis retinet mora, sed rapit acer totam aciem in Teucros et contra in litore sistit. signa canunt. primus turmas invasit agrestis Aeneas, omen pugnae, stravitque Latinos occiso Therone, virum qui maximus ultro Aenean petit: huic gladio perque aerea suta, per tunicam squalentem auro latus haurit apertum. inde Lichan ferit exsectum iam matre perempta et tibi, Phoebe, sacrum: casus evadere ferri quo licuit parvo? nec longe Cissea durum

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kann, wem anvertrauen die Mauern, soweit sie besetzt sind. Aber Aeneas setzt unterdes die Gefährten vom hohen Heck an Land über Stege. Viele beachten des trägen Meeres Rückfluss und springen zuversichtlich ins Seichte, andere nehmen die Ruder. Und Tarchon schaut, wo am Ufer keine Untiefe gärt, die Flut sich nicht bricht und zurückbraust, sondern das Meer nicht gehemmt heranströmen kann, wenn die Flut steigt, wendet dann plötzlich den Bug und bittet seine Gefährten: »Jetzt, du erlesene Schar, legt euch in die kräftigen Riemen; hebt die Schiffe und treibt sie; ins feindliche Land mit den Schnäbeln schneidet, es ziehe ein jeder Kiel seine eigene Furche. Ist das Land mal erreicht, zerschelle von mir aus das Schiff an so einem Platz zum Ankern!« Als Tarchon dieses gesagt hat, richten sich seine Gefährten auf, gestemmt an die Ruder, und sie lenken die Schiffe durch Schaum zu Latiums Fluren, bis das Trockne die Schnäbel erreichen, die Kiele auch festen Halt haben, unversehrt alle, doch nicht dein eigenes, Tarchon: Denn ins Seichte geschleudert, hängt’s auf gefährlicher Sandbank, hält, das Gleichgewicht wahrend, doch eine Zeitlang der Flut stand, aber zerbricht dann und lässt in die Wogen stürzen die Mannschaft; Rudertrümmer und Bänke, welche umhertreiben, hemmen, und rückflutend behindern ihnen die Wogen die Füße. Aber auch Turnus säumt und zögert nicht; ungestüm wirft er gegen die Teukrer sein Heer, stellt’s ihnen entgegen am Strand. Man bläst zum Angriff. Erst drang Aeneas ein auf die Schar der Bauern, ein gutes Omen, und streckte Latiner zu Boden, Theron zuvor, der, der Größte der Männer, Aeneas von sich aus angreift: Der bohrt ihm durch die ehernen Nähte und durch das Hemd, das mit Gold durchwirkt ist, das Schwert in die offene Flanke. Lichas erschlägt er danach; den schnitten sie einst aus der toten Mutter und weihten, Phoebus, ihn dir: Was half es ihm, dass als Kind dem Schwert er entging? Nicht weit davon schickt er den starken

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immanemque Gyan sternentis agmina clava deiecit leto: nihil illos Herculis arma nec validae iuvere manus genitorque Melampus, Alcidae comes usque gravis dum terra labores praebuit. ecce Pharo, voces dum iactat inertis, intorquens iaculum clamanti sistit in ore. tu quoque, flaventem prima lanugine malas dum sequeris Clytium infelix, nova gaudia, Cydon, Dardania stratus dextra, securus amorum qui iuvenum tibi semper erant, miserande iaceres, ni fratrum stipata cohors foret obvia, Phorci progenies, septem numero, septenaque tela coniciunt; partim galea clipeoque resultant inrita, deflexit partim stringentia corpus alma Venus. fidum Aeneas adfatur Achaten: ‘suggere tela mihi: non ullum dextera frustra torserit in Rutulos, steterunt quae in corpore Graium Iliacis campis.’ tum magnam corripit hastam et iacit: illa volans clipei transverberat aera Maeonis et thoraca simul cum pectore rumpit. huic frater subit Alcanor fratremqve ruentem sustentat dextra: traiecto missa lacerto protinus hasta fugit servatque cruenta tenorem, dexteraque ex umero nervis moribunda pependit. tum Numitor iaculo fratris de corpore rapto Aenean petiit; sed non et figere contra est licitum, magnique femur perstrinxit Achatae. Hic Curibus fidens primaevo corpore Clausus advenit et rigida Dryopem ferit eminus hasta sub mentum graviter pressa, pariterque loquentis vocem animamque rapit traiecto gutture; at ille fronte ferit terram et crassum vomit ore cruorem.

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Kisseus und Gyas, den Riesen – mit Keulen mähten sie Scharen nieder – in den Tod: Nichts nützte des Herkules Waffe ihnen und nichts ihre kräftige Faust und ihr Vater Melampus, er, des Alkiden Gefährte, solange die Erde ihm schwere Mühsal bot. Während Pharus töricht angibt, da schleudert er einen Speer und platziert dem Krakeelenden diesen im Rachen. Du auch, Kydon, der du unglücklich Klytius, deiner neuen Liebe, dem die Wangen erstmals ein Bart färbt, nachläufst, lägst getötet von Troerhand, frei von der Liebe, die du immer zu Knaben empfandst, und wärst zu bejammern, griffe nicht dichtgedrängt die Schar der Brüder, des Phorkus Nachkommen, an; es sind sieben an Zahl, und sie schleudern sieben Speere; die prallen zum Teil effektlos von Helm und Schild ab, teils lenkt dann, wenn den Körper sie streifen, die holde Venus sie ab. Da spricht Aeneas zum treuen Achates: »Gib mir die Speere: Nicht einen wohl dürfte umsonst meine Rechte gegen die Rutuler schleudern; sie steckten in griechischen Körpern auf dem ilischen Feld.« Dann greift er den riesigen Speer und wirft ihn: Dieser durchbohrt im Fluge das Erz an dem Schild des Maeon und zerreißt zugleich mit dem Panzer die Brust ihm. Ihm eilt Bruder Alkanor zu Hilfe und stützt mit der Hand den niederstürzenden Bruder: Ein Speer saust her und durchbohrt ihm seinen Arm und fliegt bluttriefend geradeaus weiter; sterbend hing von der Schulter herab an den Sehnen die Rechte. Da riss Numitor aus dem Körper des Bruders den Wurfspeer, griff dann Aeneas an; doch ihn nun auch zu durchbohren, war nicht vergönnt; er streifte den Schenkel des großen Achates. Hier kommt Clausus aus Cures, der Kraft seiner Jugend vertrauend, und trifft aus der Entfernung mit harter Lanze den Dryops unterm Kinn mit wuchtigem Stoß, durchbohrt ihm die Kehle, raubt ihm, während er redet, Stimme und Leben; der schlägt mit seiner Stirn auf und speit dickflüssiges Blut aus dem Munde.

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tris quoque Threicios Boreae de gente suprema et tris quos Idas pater et patria Ismara mittit, per varios sternit casus. accurrit Halaesus Auruncaeque manus, subit et Neptunia proles, insignis Messapus equis. expellere tendunt nunc hi, nunc illi: certatur limine in ipso Ausoniae. magno discordes aethere venti proelia ceu tollunt animis et viribus aequis (non ipsi inter se, non nubila, non mare cedit; anceps pugna diu, stant obnixa omnia contra): haud aliter Troianae acies aciesque Latinae concurrunt, haeret pede pes densusque viro vir. At parte ex alia, qua saxa rotantia late impulerat torrens arbustaque diruta ripis, Arcadas insuetos acies inferre pedestris ut vidit Pallas Latio dare terga sequaci (aspera quis natura loci dimittere quando suasit equos), unum quod rebus restat egenis, nunc prece, nunc dictis virtutem accendit amaris: ‘quo fugitis, socii? per vos et fortia facta, per ducis Euandri nomen devictaque bella spemque meam, patriae quae nunc subit aemula laudi, fidite ne pedibus: ferro rumpenda per hostis est via. qua globus ille virum densissimus urget, hac vos et Pallanta ducem patria alta reposcit. numina nulla premunt, mortali urgemur ab hoste mortales; totidem nobis animaeque manusque. ecce maris magna claudit nos obice pontus, deest iam terra fugae: pelagus Troiamne petamus?’ haec ait et medius densos prorumpit in hostis. Obvius huic primum, fatis adductus iniquis, fit Lagus. hunc, magno vellit dum pondere saxum,

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Auch drei Thraker, Söhne aus Boreas uraltem Stamm, und drei, die Idas, der Vater, und Ismara senden, die Heimat, tötet er auf verschiedene Weise. Da rücken Halaesus und die Aurunkerschar an; an den Pferden erkennbar, erscheint der Sohn des Neptunus, Messapus. Den Feind zu besiegen bemühn bald die, bald jene sich: Kampf tobt unmittelbar auf Ausoniens Schwelle. So erheben zwieträchtig sich in dem weiten Äther Winde zum Kampf, sich gleich an Mut wie an Kraft – nicht weichen sie selber einander, nicht Wolken, das Meer nicht, der Kampf wird lang nicht entschieden; gestemmt steht alles gegeneinander –: Ebenso stoßen die Reihn der Latiner und Troer zusammen; Fuß hängt da an Fuß und Mann da an Mann im Gedränge. Anderen Orts, wo ein Wildbach weithin rollende Steine und dem Ufer entrissene Bäume hingewälzt hatte, da sah Pallas Arkader, die, nicht vertraut mit dem Fußkampf, vor den Latinern, die sie verfolgten, flohen – es riet das raue Gelände ihnen, hier auf das Pferd zu verzichten –, und er feuert, was einzig bleibt in der Not, ihren Mut an, bald, indem er sie anfleht, bald mit bitteren Worten: »Wohin flieht ihr, Gefährten? Bei euch und den tapferen Taten, bei dem Namen Euanders, des Fürsten, den siegreichen Kriegen, bei meiner Hoffnung, die strebt, dass ich nahe komme dem Ruhm des Vaters, vertraut nicht den Füßen: Das Schwert muss mitten durch Feinde brechen die Bahn. Dorthin, wo der Männer dichtestes Knäuel drängt, ruft euch die erhabene Heimat und Pallas, den Fürsten. Nicht schaffen Gottheiten Not, ein sterblicher Feind nur bedrängt uns Sterbliche; wir haben ebenso viele Seelen und Hände. Seht, mit dem mächtigen Riegel des Wassers umschließt uns das Meer, das Land gewährt keine Flucht: Was wollen wir, Meer oder Troja?« Spricht’s und stürzt sich mitten ins dichte Gedränge der Feinde. Lagus kommt ihm zuerst in den Weg, getrieben von bösen Fata. Als der einen Felsblock, der sehr schwer ist, emporreißt,

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intorto figit telo, discrimina costis per medium qua spina dabat, hastamque receptat ossibus haerentem; quem non super occupat Hisbo, ille quidem hoc sperans; nam Pallas ante ruentem, dum furit incautus crudeli morte sodalis, excipit atque ensem tumido in pulmone recondit. hinc Sthenium petit et Rhoeti de gente vetusta Anchemolum thalamos ausum incestare novercae. vos etiam, gemini, Rutulis cecidistis in arvis, Daucia, Laride Thymberque, simillima proles, indiscreta suis gratusque parentibus error; at nunc dura dedit vobis discrimina Pallas. nam tibi, Thymbre, caput Euandrius abstulit ensis; te decisa suum, Laride, dextera quaerit semianimesque micant digiti ferrumque retractant. Arcadas accensos monitu et praeclara tuentis facta viri mixtus dolor et pudor armat in hostis. Tum Pallas biiugis fugientem Rhoetea praeter traicit. hoc spatium tantumque morae fuit Ilo: Ilo namque procul validam derexerat hastam, quam medius Rhoeteus intercipit, optime Teuthra, te fugiens fratremque Tyren, curruque volutus caedit semianimis Rutulorum calcibus arva. ac velut optato ventis aestate coortis dispersa immittit silvis incendia pastor (correptis subito mediis extenditur una horrida per latos acies Volcania campos, ille sedens victor flammas despectat ovantis): non aliter socium virtus coit omnis in unum teque iuvat, Palla. sed bellis acer Halaesus tendit in adversos seque in sua colligit arma. hic mactat Ladona Pheretaque Demodocumque,

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wirft er seinen Speer und durchbohrt ihn da, wo die Rippen teilt in der Mitte das Rückgrat, und zieht den tief in den Knochen steckenden Speer heraus; doch nicht überwältigt von oben Hisbo ihn, der drauf hofft; als er herstürzt, unachtsam wütend wegen des grausamen Tods des Gefährten, da fängt ihn zuvor noch Pallas auf und versenkt ihm das Schwert in der schwellenden Lunge. Dann greift Sthenius er an und Anchemolus, ihn, aus des Rhoetus altem Geschlecht, der es wagte, der Stiefmutter Lager zu schänden. Ihr auch, Zwillingsbrüder, ihr fielt auf Rutulerfluren beide, Larides und Thymber, des Daucus Söhne, sehr ähnlich, nicht unterscheidbar, den Eltern willkommener Anlass zum Irrtum; aber hart unterschied jetzt Pallas zwischen euch beiden. Denn dich, Thymber, beraubte des Kopfes das Schwert des Euander; dich, Larides, sucht deine abgehauene Rechte; halbtot zucken die Finger und wollen das Schwert wieder fassen. Schmerz und Scham bewaffnen die Arkader gegen die Feinde, inspiriert durch die Mahnung und ruhmvolle Taten vor Augen. Dann durchbohrt den Rhoetus, der eben im Wagen vorbeiflieht, Pallas. Dem Ilus genügten der kurze Moment und der Aufschub: Denn aus der Ferne hatte auf Ilus den Speer er gerichtet; Rhoetus, dazwischen, fängt ihn auf, vor dir auf der Flucht, mein bester Teuthras, und vor dem Bruder Tyres; vom Wagen rollt er und schlägt, halbtot, mit den Fersen auf Rutulererde. Wie ein Hirt, wenn im Sommer die Winde nach Wunsch sich erheben, hier und dort im Walde Brände entfacht hat – erfasst wird plötzlich die mittlere Fläche, ein einziges Feuermeer breitet furchtbar sich über die weiten Felder aus, er aber sitzt und sieht als Sieger herab auf die triumphierenden Flammen –: So vereint sich jetzt die Tapferkeit aller Gefährten, und dich, Pallas, erfreut’s. Doch der wilde Krieger Halaesus greift seine Gegner an und duckt sich dabei unterm Schilde. Der nun mordet den Ladon, Pheretas, Demodokus, haut mit

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Strymonio dextram fulgenti deripit ense elatam in iugulum, saxo ferit ora Thoantis ossaque dispersit cerebro permixta cruento. fata canens silvis genitor celarat Halaesum; ut senior leto canentia lumina solvit, iniecere manum Parcae telisque sacrarunt Euandri. quem sic Pallas petit ante precatus: ‘da nunc, Thybri pater, ferro, quod missile libro, fortunam atque viam duri per pectus Halaesi. haec arma exuviasque viri tua quercus habebit.’ audiit illa deus: dum texit Imaona Halaesus, Arcadio infelix telo dat pectus inermum. At non caede viri tanta perterrita Lausus, pars ingens belli, sinit agmina: primus Abantem oppositum interimit, pugnae nodumque moramque. sternitur Arcadiae proles, sternuntur Etrusci et vos, o Grais imperdita corpora, Teucri. agmina concurrunt ducibusque et viribus aequis; extremi addensent acies nec turba moveri tela manusque sinit. hinc Pallas instat et urget, hinc contra Lausus, nec multum discrepat aetas, egregii forma, sed quis Fortuna negarat in patriam reditus. ipsos concurrere passus haud tamen inter se magni regnator Olympi: mox illos sua fata manent maiore sub hoste. Interea soror alma monet succedere Lauso Turnum, qui volucri curru medium secat agmen. ut vidit socios: ‘tempus desistere pugnae; solus ego in Pallanta feror, soli mihi Pallas debetur; cuperem ipse parens spectator adesset.’ haec ait, et socii cesserunt aequore iusso. at Rutulum abscessu iuvenis tum iussa superba

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blitzendem Schwert Strymonius ab die Rechte, mit welcher der an die Kehle ihm ging, trifft Thoas ins Antlitz mit einem Stein und verstreut die mit blutigem Hirn besudelten Knochen. Kundig des Schicksals verbarg in den Wäldern der Vater Halaesus; kaum aber schloss der Greis die erbleichenden Augen im Sterben, legten die Parzen die Hand auf jenen und weihten Euanders Waffen ihn. Pallas betet nun so, bevor er ihn angreift: »Vater Thybris, schenk jetzt der Waffe, die ich zum Wurfe schwinge, Glück und den Weg durch die Brust des harten Halaesus. Deine Eiche schmücken dann Waffen und Rüstung des Manns.« Der Gott hört dies: Als Halaesus Imaon schützte, da bot dem Arkaderspeer er zu seinem Unglück wehrlos die Brust dar. Nicht überlässt das Heer seinem Schrecken über die schlimme Tötung des Mannes Lausus, der großen Anteil am Krieg nimmt: Abas tötet er erst, der den Kampf blockierte und aufhielt. Nieder stürzt Arkadiens Jugend, stürzen Etrusker, ihr auch, Teukrer, nicht von den Griechen getötete Männer. Heer stürmt gegen Heer; gleich stark sind Führer und Kampfkraft; drängend verdichten die Letzten die Reihn, nicht lässt das Getümmel Waffen und Hände sich regen. Von hier droht Pallas und drängt, von dort drängt Lausus dagegen, fast gleich alt sind sie, dazu von edler Gestalt, aber beiden hatte die Rückkehr in ihre Heimat Fortuna verwehrt. Dass beide selbst aufeinander träfen, gestattete nicht der Lenker des großen Olympus: Bald erwartet sie Tod durch einen größeren Gegner. Aber an Lausus’ Stelle zu treten, mahnt jetzt die holde Schwester den Turnus, welcher auf schnellem Wagen durchs Heer fährt. Als die Gefährten er sah, da rief er: »Zeit ist’s, vom Kampf zu lassen; ich stürz mich allein auf Pallas, mir nur allein ist Pallas bestimmt; ich wünschte, als Zuschauer wär hier sein Vater!« Sprach’s, und es wichen vom Feld die Gefährten, wie ihnen befohlen. Aber beim Abzug der Rutuler staunt, voll Bewunderung für den

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miratus stupet in Turno corpusque per ingens lumina volvit obitque truci procul omnia visu talibus et dictis it contra dicta tyranni: ‘aut spoliis ego iam raptis laudabor opimis aut leto insigni: sorti pater aequus utrique est. tolle minas.’ fatus medium procedit in aequor; frigidus Arcadibus coit in praecordia sanguis. desiluit Turnus biiugis, pedes apparat ire comminus; utque leo, specula cum vidit ab alta stare procul campis meditantem in proelia taurum, advolat: haud alia est Turni venientis imago. hunc ubi contiguum missae fore credidit hastae, ire prior Pallas, si qua fors adiuvet ausum viribus imparibus, magnumque ita ad aethera fatur: ‘per patris hospitium et mensas, quas advena adisti, te precor, Alcide, coeptis ingentibus adsis. cernat semineci sibi me rapere arma cruenta victoremque ferant morientia lumina Turni.’ audiit Alcides iuvenem magnumque sub imo corde premit gemitum lacrimasque effundit inanis. tum genitor natum dictis adfatur amicis: ‘stat sua cuique dies, breve et inreparabile tempus omnibus est vitae; sed famam extendere factis, hoc virtutis opus. Troiae sub moenibus altis tot gnati cecidere deum; quin occidit una Sarpedon, mea progenies; etiam sua Turnum fata vocant metasque dati pervenit ad aevi.’ sic ait atque oculos Rutulorum reicit arvis. At Pallas magnis emittit viribus hastam vaginaque cava fulgentem deripit ensem. illa volans umeri surgunt qua tegmina summa incidit atque viam clipei molita per oras

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stolzen Befehl, der Jüngling Turnus an, geht mit den Augen über die Riesengestalt, betrachtet alles von fern mit trotzigem Blick und entgegnet dieses den Worten des Königs: »Ruhm erringe ich bald durch Erbeutung der Rüstung des Feldherrn oder bedeutenden Tod: Mein Vater ist beidem gewachsen. Lass deine Drohungen!« Sprach’s und schritt in die Mitte des Felds; den Arkadern fließt da kalt das Blut im Herzen zusammen. Turnus sprang vom Wagen und schickte zu Fuß sich zum Nahkampf an; wie ein Löwe, wenn der von hoher Warte aus einen Stier, der gerade auf Kampf sinnt, fern auf dem Felde erblickt hat, anstürmt: So ist das Bild, das Turnus herankommend bietet. Als ihn Pallas erreichbar für einen Lanzenwurf glaubte, griff er an, um zu sehn, ob bei ungleichen Kräften ein Zufall half bei dem Wagnis, und sprach zum hohen Äther die Worte: »Bei meines Vaters gastlichem Tisch, zu dem du als Fremdling kamst, Alkide, ich bitt, unterstütz mein großes Beginnen. Sehn soll er halbtot, wie die blutigen Waffen ich raube; mich als Sieger ertrage Turnus mit brechenden Augen!« Und es vernahm der Alkide den Mann, unterdrückte ein schweres Stöhnen tief im Herzen, vergoss vergebliche Tränen. Da aber spricht der Vater zum Sohn mit freundlichen Worten: »Fest steht jedem sein Tag, kurz ist und unwiederbringlich allen des Lebens Zeit; doch Ruhm zu verbreiten durch Taten, das ist das Werk eines Manns. Unter Trojas ragenden Mauern fielen so viel Söhne von Göttern; es starb ja mit ihnen selbst Sarpedon, mein Sohn; auch Turnus rufen die Fata, er auch kam an das Ende des Lebens, das ihm gewährt ist.« Spricht’s und wendet die Augen ab vom Rutulerlande. Pallas aber schleudert mit großer Kraft seinen Speer und reißt sein blitzendes Schwert aus der Scheide. Dahinfliegend traf der auf den obersten Teil des die Schulter schützenden Schildes, bahnte sich einen Weg durch den Rand des Schildes und streifte

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tandem etiam magno strinxit de corpore Turni. hic Turnus ferro praefixum robur acuto in Pallanta diu librans iacit atque ita fatur: ‘aspice num mage sit nostrum penetrabile telum.’ dixerat; at clipeum, tot ferri terga, tot aeris, quem pellis totiens obeat circumdata tauri, vibranti cuspis medium transverberat ictu loricaeque moras et pectus perforat ingens. ille rapit calidum frustra de vulnere telum: una eademque via sanguis animusque sequuntur. corruit in vulnus (sonitum super arma dedere) et terram hostilem moriens petit ore cruento. quem Turnus super adsistens: ‘Arcades, haec’ inquit ‘memores mea dicta referte Euandro: qualem meruit, Pallanta remitto. quisquis honos tumuli, quidquid solamen humandi est, largior. haud illi stabunt Aeneia parvo hospitia.’ et laevo pressit pede talia fatus exanimem rapiens immania pondera baltei impressumque nefas: una sub nocte iugali caesa manus iuvenum foede thalamique cruenti, quae Clonus Eurytides multo caelaverat auro; quo nunc Turnus ovat spolio gaudetque potitus. nescia mens hominum fati sortisque futurae et servare modum rebus sublata secundis! Turno tempus erit magno cum optaverit emptum intactum Pallanta et cum spolia ista diemque oderit. at socii multo gemitu lacrimisque impositum scuto referunt Pallanta frequentes. o dolor atque decus magnum rediture parenti, haec te prima dies bello dedit, haec eadem aufert, cum tamen ingentis Rutulorum linquis acervos!

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dann am Ende auch den gewaltigen Körper des Turnus. Da wägt Turnus lang die mit eiserner Spitze versehne Lanze gegen Pallas und schleudert sie, Folgendes sagend: »Schau, ob mein Geschoss nicht besser durchdringt als deines.« Sprach’s, doch den Schild, den so viel Lagen aus Eisen, so viel aus Erz überzogen, ebenso viele aus Stierhaut, durchschlägt mit bebendem Stoß die Lanze genau in der Mitte und bohrt sich durch den hemmenden Panzer hindurch in die mächtige Brust ein. Der aber reißt umsonst das heiße Geschoss aus der Wunde: Blut und Leben entweichen da auf dem nämlichen Wege. Auf die Wunde stürzt er vornüber – es klirren die Waffen –; sterbend beißt er mit blutigem Mund in die feindliche Erde. Über ihm stellt Turnus sich hin: »Arkader«, sagt er, »merkt euch dies und meldet’s Euander: Wie er ihn verdient hat, schick ich zurück seinen Pallas. Jegliche Ehre des Grabes und jeglicher Trost der Bestattung sei ihm gewährt. Ihn kommt die Gastfreundschaft mit Aeneas teuer zu stehn.« Sprach’s, presste den linken Fuß auf den Toten, raubte das schwergewichtige Wehrgehänge mit seinem Bild des Verbrechens: in einer Nacht, der Brautnacht, der üble Mord an der Jünglingsschar und blutüberströmte Gemächer; Conus, des Eurytus Sohn, schuf dies aus reichlichem Golde; Turnus jubelt nun über die Beute, besitzt sie und freut sich. Nichts weiß Menschensinn von Fatum und künftigem Lose, weiß, wenn das Glück ihn emporhebt, nicht das Maß zu bewahren! Turnus wird noch die Zeit erleben, wo viel er drum gäbe, Pallas unberührt gelassen zu haben, wo diese Beute er hasst und den Tag. Die dichte Schar der Gefährten trägt laut klagend und weinend den Pallas zurück auf dem Schilde. Du, der du heimkehren wirst zum Vater, sein Schmerz, doch sein Stolz auch, dieser Tag gab erstmals dem Krieg dich, nimmt dich auch weg, doch trotzdem hinterlässt du Berge von Rutulerleichen!

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Nec iam fama mali tanti, sed certior auctor advolat Aeneae tenui discrimine leti esse suos, tempus versis succurrere Teucris. proxima quaeque metit gladio latumque per agmen ardens limitem agit ferro, te, Turne, superbum caede nova quaerens. Pallas, Euander, in ipsis omnia sunt oculis, mensae quas advena primas tunc adiit, dextraeque datae. Sulmone creatos quattuor hic iuvenes, totidem quos educat Ufens, viventis rapit, inferias quos immolet umbris captivoque rogi perfundat sanguine flammas. inde Mago procul infensam contenderat hastam: ille astu subit, at tremibunda supervolat hasta, et genua amplectens effatur talia supplex: ‘per patrios manis et spes surgentis Iuli te precor, hanc animam serves gnatoque patrique. est domus alta, iacent penitus defossa talenta caelati argenti, sunt auri pondera facti infectique mihi. non hic victoria Teucrum vertitur aut anima una dabit discrimina tanta.’ dixerat; Aeneas contra cui talia reddit: ‘argenti atque auri memoras quae multa talenta gnatis parce tuis. belli commercia Turnus sustulit ista prior iam tum Pallante perempto. hoc patris Anchisae manes, hoc sentit Iulus.’ sic fatus galeam laeva tenet atque reflexa cervice orantis capulo tenus applicat ensem. nec procul Haemonides, Phoebi Triviaeque sacerdos, infula cui sacra redimibat tempora vitta, totus conlucens veste atque insignibus albis. quem congressus agit campo lapsumque superstans immolat ingentique umbra tegit; arma Serestus

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Nicht mehr nur ein Gerücht von solchem Unglück, nein, sichre Botschaft eilt zu Aeneas, die Seinen stünden am Rand des Todes, und Zeit sei’s nun, den verjagten Teukrern zu helfen. Alles, was ihm zunächst steht, haut er nun um, und er bahnt sich zornentbrannt einen Weg mit dem Schwert, dich, Turnus, der stolz auf neues Morden ist, suchend. Denn Pallas, Euander, direkt vor Augen steht ihm alles, der Tisch, an den er zuerst als Fremdling trat, das gegebene Wort. Vier Söhne des Sulmo packt er und ebenso viele, die Ufens aufzog, lebendig, um sie als Totenopfer den Schatten zu schlachten und um des Scheiterhaufens Glut zu besprengen mit Blut von Gefangnen. Dann warf er auf Magus von fern den drohenden Speer: Schlau duckt sich dieser, und so überfliegt der zitternde Speer ihn, und er umfasst ihm die Knie und spricht bittflehend die Worte: »Bei deines Vaters Manen, der Hoffnung, die, reifend, Ïulus weckt, bewahre, ich bitt dich, mein Leben dem Sohn und dem Vater. Ich hab ein hohes Haus; drin liegen vergraben Talente von getriebenem Silber und Gold – bearbeitet ist’s und unbearbeitet – reichlich. Es geht hier nicht um den Sieg der Teukrer, ein einziges Leben bringt nicht die große Entscheidung.« Sprach’s, und drauf gab ihm Aeneas folgende Antwort: »Deine vielen Talente in Silber und Gold, die du ansprichst, spar für die Söhne du auf. Mit dem Feind zu verhandeln hat Turnus vor mir aufgekündigt, indem er Pallas durchbohrte. So entscheiden Anchises’ Manen und so auch Ïulus.« Spricht’s und hält mit der Linken den Helm fest, biegt dann zurück des Flehenden Nacken und stößt bis zum Griff ihm das Schwert in den Körper. Unweit steht da Haemonides, Priester für Phoebus und Trivia; ihm umwand mit geweihtem Band die Schläfen der Kopfschmuck, weiß erstrahlte er ganz durchs Gewand und die Zeichen der Würde. Diesen jagt er durchs Feld und steht über ihm, als er stürzt, weiht, riesig ihn überschattend, dem Tod ihn; Serestus, o Mars, liest

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lecta refert umeris tibi, rex Gradive, tropaeum. Instaurant acies Volcani stirpe creatus Caeculus et veniens Marsorum montibus Umbro. Dardanides contra furit: Anxuris ense sinistram et totum clipei terrae deiecerat orbem (dixerat ille aliquid magnum vimque adfore verbo crediderat, caeloque animum fortasse ferebat canitiemque sibi et longos promiserat annos); Tarquitus exsultans contra fulgentibus armis, silvicolae Fauno Dryope quem nympha crearat, obvius ardenti sese obtulit. ille reducta loricam clipeique ingens onus impedit hasta, tum caput orantis nequiquam et multa parantis dicere deturbat terrae truncumque tepentem provolvens super haec inimico pectore fatur: ‘istic nunc, metuende, iace. non te optima mater condet humi patrioque onerabit membra sepulcro: alitibus linquere feris aut gurgite mersum unda feret piscesque impasti vulnera lambent.’ protinus Antaeum et Lucam, prima agmina Turni, persequitur, fortemque Numam fulvumque Camertem, magnanimo Volcente satum, ditissimus agri qui fuit Ausonidum et tacitis regnavit Amyclis. Aegaeon qualis, centum cui bracchia dicunt centenasque manus, quinquaginta oribus ignem pectoribusque arsisse, Iovis cum fulmina contra tot paribus streperet clipeis, tot stringeret ensis: sic toto Aeneas desaevit in aequore victor, ut semel intepuit mucro. quin ecce Niphaei quadriiugis in equos adversaque pectora tendit. atque illi longe gradientem et dira frementem ut videre, metu versi retroque ruentes

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auf die Waffen und bringt auf den Schultern sie dir als Trophäe. Neu nun ordnen die Reihen ein Spross vom Stamm des Vulkanus, Caeculus, und ein Sohn des marsischen Berglandes, Umbro. Gegen sie wütet der Troer: Er haute die Linke des Anxur grad mit dem Schwert ab und schlug den ganzen Schild auf die Erde – laut geprahlt hatte jener und angenommen, im Worte stecke Kraft; seinen Sinn, den lenkte vielleicht er zum Himmel, hatte sich graues Haar und lange Jahre versprochen –; Tarquitus warf voll Übermut da sich in funkelnder Rüstung – ihn gebar die Nymphe Dryope Faunus, dem Waldgott – in den Weg dem erzürnten Aeneas. Der holt mit der Lanze aus und heftet den zentnerschweren Schild an den Panzer, dann aber wirft er den Kopf des Manns, der vergeblich ihn anfleht, viel noch sagen will, nieder zur Erde, stößt den noch warmen Rumpf nach vorne und spricht überdies feindselig die Worte: »Furchterregender, hier lieg nun. Dich bestattet nicht deine teure Mutter, beschwert nicht den Leib mit dem Grabmal der Väter: Dich überlässt man Raubvögeln oder, getaucht in den Strudel, trägt dich die Woge, und Fische lecken dann hungrig die Wunden.« Gleich darauf verfolgt er Antaeus und Lukas, des Turnus vorderste Kämpfer, den tapferen Numa und Camers, den blonden Sohn des beherzten Volcens, der in Ausonien weite Ländereien besaß und im stillen Amyclae regierte. Wie Aegaeon, der hundert Arme – so heißt’s in der Sage – hatte und hundert Hände, durch fünfzig Münder das Feuer spie aus der Brust, als gegen Juppiters Blitze er gleich viel Schilde erdröhnen ließ, gleich viele Schwerter auch zückte: Ebenso wütet siegreich quer übers Feld hin Aeneas, als erst einmal erwärmt ist die Klinge. Ja, sieh, des Niphaeus Rossen im Viergespann tritt gar frontal er entgegen. Als aber die ihn weit ausschreiten und fürchterlich brüllen sahen, machten vor Angst sie kehrt; sie schleudern den Lenker,

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effunduntque ducem rapiuntque ad litora currus. Interea biiugis infert se Lucagus albis in medios fraterque Liger; sed frater habenis flectit equos, strictum rotat acer Lucagus ensem. haud tulit Aeneas tanto fervore furentis; inruit adversaque ingens apparuit hasta. cui Liger: ‘non Diomedis equos nec currum cernis Achilli aut Phrygiae campos: nunc belli finis et aevi his dabitur terris.’ vesano talia late dicta volant Ligeri. sed non et Troius heros dicta parat contra, iaculum nam torquet in hostis. Lucagus ut pronus pendens in verbera telo admonuit biiugos, proiecto dum pede laevo aptat se pugnae, subit oras hasta per imas fulgentis clipei, tum laevum perforat inguen: excussus curru moribundus volvitur arvis. quem pius Aeneas dictis adfatur amaris: ‘Lucage, nulla tuos currus fuga segnis equorum prodidit aut vanae vertere ex hostibus umbrae: ipse rotis saliens iuga deseris.’ haec ita fatus arripuit biiugos; frater tendebat inertis infelix palmas curru delapsus eodem: ‘per te, per qui te talem genuere parentes, vir Troiane, sine hanc animam et miserere precantis.’ pluribus oranti Aeneas: ‘haud talia dudum dicta dabas; morere et fratrem ne desere frater.’ tum latebras animae pectus mucrone recludit. talia per campos edebat funera ductor Dardanius, torrentis aquae vel turbinis atri more furens. tandem erumpunt et castra relinquunt Ascanius puer et nequiquam obsessa iuventus.

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rückwärts stürmend, heraus und reißen den Wagen zum Strand fort. Lucagus stürzt sich indes mit Liger, dem Bruder, auf weißem Doppelgespann ins Gewühl; die Pferde lenkt mit den Zügeln Liger, und sein gezücktes Schwert lässt Lucagus kreisen. Nicht ertrug es Aeneas, wie die so hitzig da tobten, stürzte heran und erschien mit drohender Lanze und riesig. Ihm ruft Liger zu: »Nicht Diomedes’ Rosse erblickst du, nicht des Achilles Wagen, nicht Phrygiens Felder: Beendet wird hier in dem Land der Krieg und dein Leben.« Liger lässt in die Weite verblendet solches ertönen. Jedoch der troische Heros erwidert gar nichts darauf, denn er schleudert seinen Speer auf die Feinde. Lucagus beugt sich vornüber zum Schlag und treibt mit dem Speer die Pferde an, setzt dann seinen linken Fuß vor und rüstet so sich zum Kampf; da dringt der Speer durch den untersten Rand des blitzenden Schilds und durchbohrt ihm die linke Leiste: Er wird vom Wagen heruntergeschleudert und wälzt auf dem Feld sich im Sterben. Ihn spricht an mit bitteren Worten der fromme Aeneas: »Lucagus, nicht gab langsame Flucht deiner Pferde den Wagen preis, nicht wurden sie scheu durch die flimmernden Schatten vom Feind her: Du selbst gibst durch den Sprung dein Gespann auf.« Sprach’s und ergriff das Doppelgespann; der Bruder streckte die wehrlosen Hände unglücklich aus, auch er herabgestürzt von dem Wagen: »Bei dir selbst, bei den Eltern, die, so wie du bist, dich erzeugten, Mann aus Troja, erbarm dich des Bittenden, lass mir mein Leben.« Als er weiter noch bat, da sagte Aeneas: »Du sprachst so eben noch nicht; jetzt stirb und verlass nicht als Bruder den Bruder«, öffnet ihm dann mit dem Schwert die Brust, wo die Seele versteckt ist. Solchen Tod auf den Feldern bewirkte der Dardanerführer, tobend wie ein tosender Wildbach oder ein finstrer Wirbelwind. Endlich brechen hervor und verlassen das Lager Knabe Askanius und die vergeblich belagerte Mannschaft.

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Iunonem interea compellat Iuppiter ultro: ‘o germana mihi atque eadem gratissima coniunx, ut rebare, Venus (nec te sententia fallit) Troianas sustentat opes, non vivida bello dextra viris animusque ferox patiensque pericli.’ cui Iuno summissa: ‘quid, o pulcherrime coniunx, sollicitas aegram et tua tristia dicta timentem? si mihi, quae quondam fuerat quamque esse decebat, vis in amore foret, non hoc mihi namque negares, omnipotens, quin et pugnae subducere Turnum et Dauno possem incolumem servare parenti. nunc pereat Teucrisque pio det sanguine poenas. ille tamen nostra deducit origine nomen Pilumnusque illi quartus pater, et tua larga saepe manu multisque oneravit limina donis.’ cui rex aetherii breviter sic fatur Olympi: ‘si mora praesentis leti tempusque caduco oratur iuveni meque hoc ita ponere sentis, tolle fuga Turnum atque instantibus eripe fatis: hactenus indulsisse vacat; sin altior istis sub precibus venia ulla latet totumque moveri mutarive putas bellum, spes pascis inanis.’ et Iuno adlacrimans: ‘quid si, quae voce gravaris, mente dares atque haec Turno rata vita maneret? nunc manet insontem gravis exitus, aut ego veri vana feror. quod ut o potius formidine falsa ludar et in melius tua, qui potes, orsa reflectas!’ Haec ubi dicta dedit, caelo se protinus alto misit, agens hiemem nimbo succincta per auras, Iliacamque aciem et Laurentia castra petivit. tum dea nube cava tenuem sine viribus umbram in faciem Aeneae (visu mirabile monstrum)

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Juppiter richtet indes von sich aus Worte an Juno: »Du, meine Schwester, zugleich auch meine teuerste Gattin, Venus hilft, wie du annahmst – nicht täuscht dein Gefühl dich – der StreitTrojas, Männer haben zum Kampf keine kräftigen Hände, [macht keinen Mut, der Gefahren trotzt und der ihnen standhält.« Juno erwidert bescheiden: »Mein herrlichster Mann, was bekümmerst du mich Arme, die deine düsteren Worte ich fürchte? Wär deine Liebe zu mir so stark noch, wie sie mal war und jetzt noch sein sollte, würdest du dieses nicht mir verweigern, Allgewaltiger, dass aus der Schlacht ich Turnus entrücken kann und unversehrt ihn dem Vater Daunus erhalten. Jetzt aber sterbe er, büße mit frommem Blute den Teukrern. Dennoch führt Geschlecht und Herkunft auf uns er zurück; sein Ururgroßvater ist Pilumnus; und freigebig hat dein Heiligtum oft seine Hand bedacht mit zahlreichen Gaben.« Ihr erwidert da kurz der Herr des Olympus im Äther: »Bittst du um Aufschub des nahen Tods, eine Zeitspanne für den todgeweihten Jüngling und meinst, so kann ich’s verfügen, hilf dem Turnus zu fliehn und entreiß ihn den drohenden Fata: So weit kann ich’s gewähren; doch ist versteckt hinter deiner Bitte die Hoffnung auf Gnade und glaubst du, es werde der Krieg im Ganzen wirklich gewandelt, so hegst du vergebliche Hoffnung.« Weinend fragt ihn da Juno: »Was wär, wenn dein Herz, was dein Wort mir abschlägt, gäbe, und Turnus bliebe sein Leben erhalten? Jetzt erwartet ein schweres Ende den Schuldlosen, wenn nicht alles mich täuscht. O möge ich lieber genarrt sein von falscher Furcht, mögst du deinen Plan, denn du kannst es, zum Besseren wenden!« Als sie’s gesagt hatte, glitt sie sofort herab von dem hohen Himmel, trieb, in Wolken gehüllt, einen Sturm durch die Lüfte, eilte zum troischen Heer und zum Camp bei Laurentum. Aus einer Wolke formt einen dünnen, kraftlosen Schatten die Göttin nach der Gestalt des Aeneas – ein staunenswürdiges Wunder –,

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Dardaniis ornat telis clipeumque iubasque divini adsimulat capitis, dat inania verba, dat sine mente sonum gressusque effingit euntis, morte obita qualis fama est volitare figuras aut quae sopitos deludunt somnia sensus. at primas laeta ante acies exsultat imago inritatque virum telis et voce lacessit. instat cui Turnus stridentemque eminus hastam conicit: illa dato vertit vestigia tergo. tum vero Aenean aversum ut cedere Turnus credidit atque animo spem turbidus hausit inanem: ‘quo fugis, Aenea? thalamos ne desere pactos; hac dabitur dextra tellus quaesita per undas.’ talia vociferans sequitur strictumque coruscat mucronem nec ferre videt sua gaudia ventos. Forte ratis celsi coniuncta crepidine saxi expositis stabat scalis et ponte parato, qua rex Clusinis advectus Osinius oris: huc sese trepida Aeneae fugientis imago conicit in latebras, nec Turnus segnior instat exsuperatque moras et pontis transilit altos. vix proram attigerat, rumpit Saturnia funem avulsamque rapit revoluta per aequora navem. tum levis haud ultra latebras iam quaerit imago, sed sublime volans nubi se immiscuit atrae. illum autem Aeneas absentem in proelia poscit; obvia multa virum demittit corpora morti, cum Turnum medio interea fert aequore turbo. respicit ignarus rerum ingratusque salutis et duplicis cum voce manus ad sidera tendit: ‘omnipotens genitor, tanton me crimine dignum duxisti et talis voluisti expendere poenas?

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stattet mit Dardanerwaffen ihn aus, und des göttlichen Helden Helmbusch und Schild imitiert sie und legt auf die Zunge ihm leere Worte und Laute ganz ohne Sinn und ahmt seinen Gang nach; Schattengebilde fliegen so nach dem Tode daher, heißt’s, oder Träume, die tief im Schlafe narren die Sinne. Ausgelassen tänzelt nun vorn vor dem Heere das Trugbild, fordert den Mann heraus mit Waffen und reizt ihn mit Worten. Turnus geht drauf los und schleudert die schwirrende Lanze aus der Ferne: Da macht es kehrt und entflieht ihm. Jedoch nun dachte Turnus, zur Flucht gewandt entweiche Aeneas, und er schöpfte in seiner Verwirrung nichtige Hoffnung: »Wohin entfliehst du, Aeneas? Verlass das vereinbarte Brautbett nicht; meine Hand gibt dir das Land, das zur See du gesucht hast.« Ruft’s und verfolgt ihn, lässt das gezückte Schwert blitzen, aber nimmt nicht wahr, dass ihm seine Freude die Winde entführen. Zufällig lag, am Vorsprung eines ragenden Felsens festgemacht, ausgelegt die Leitern, die Brücke bereit, ein Schiff, mit dem aus Clusium herkam der König Osinius: Hierhin stürzte in Hast des Aeneas, des Fliehenden, Trugbild und verbarg sich; nicht faul, überwindet Turnus, der nachdrängt, jegliches Hindernis und die hohe Brücke im Sprunge. Kaum hat den Bug er berührt, da kappt das Tau die Saturnia, reißt das Schiff los und schleppt’s durch die rückwärts flutenden Wogen. Da sucht nicht mehr nach einem Versteck das leichte Gebilde, sondern vermischt sich, entschwebend, mit einer düsteren Wolke. Ihn aber, der nicht mehr da ist, fordert Aeneas zum Kampfe; in den Tod schickt zahlreiche Männer er, die ihm im Weg stehn, während ein Wirbelwind Turnus mitten im Meere dahinträgt. Nichts vom Geschehen begreifend und ohne Dank für die Rettung schaut er zurück und ruft, zu den Sternen streckend die Hände: »Glaubtest, Allvater, du, verdient hätt ich eine so große Schmach und wolltest, ich solle so schwer büßen? Wohin nur

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quo feror? unde abii? quae me fuga quemve reducit? Laurentisne iterum muros aut castra videbo? quid manus illa virum, qui me meaque arma secuti? quosne (nefas) omnis infanda in morte reliqui et nunc palantis video, gemitumque cadentum accipio? quid ago? aut quae iam satis ima dehiscat terra mihi? vos o potius miserescite, venti: in rupes, in saxa (volens vos Turnus adoro) ferte ratem saevisque vadis immittite syrtis, quo nec me Rutuli nec conscia fama sequatur.’ haec memorans animo nunc huc, nunc fluctuat illuc, an sese mucroni ob tantum dedecus amens induat et crudum per costas exigat ensem, fluctibus an iaciat mediis et litora nando curva petat Teucrumque iterum se reddat in arma. ter conatus utramque viam, ter maxima Iuno continuit iuvenemque animi miserata repressit. labitur alta secans fluctuque aestuque secundo et patris antiquam Dauni defertur ad urbem. At Iovis interea monitis Mezentius ardens succedit pugnae Teucrosque invadit ovantis; concurrunt Tyrrhenae acies atque omnibus uni, uni odiisque viro telisque frequentibus instant. ille, velut rupes vastum quae prodit in aequor, obvia ventorum furiis expostaque ponto, vim cunctam atque minas perfert caelique marisque ipsa immota manens, prolem Dolichaonis Hebrum sternit humi, cum quo Latagum Palmumque fugacem, sed Latagum saxo atque ingenti fragmine montis occupat os faciemque adversam, poplite Palmum succiso volvi segnem sinit, armaque Lauso donat habere umeris et vertice figere cristas.

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treibt’s mich? Von wo entschwand ich? Wie flieh ich zurück und als wer denn? Sehe ich wieder die Mauern Laurentums oder das Lager? Was aber ist mit den Männern, die mir und den Waffen gefolgt sind? Sie, die ich alle – o Schmach! – zurückließ in schmählichem Tod, die jetzt ich versprengt seh und deren Stöhnen ich hör, wenn sie fallen? Was nur tu ich? Wo öffnet sich tief genug mir der Erde Abgrund? Habt ihr lieber mit mir ein Erbarmen, o Winde: Treibt auf Klippen, auf Felsen – ich, Turnus, bitte drum – dieses Schiff, das werft auf Untiefen einer gefährlichen Sandbank, wohin weder ein Rutuler folgt noch der Ruf meiner Schande.« Sprach’s, und seine Gedanken fluten bald hierhin, bald dorthin: Soll er ins Schwert wegen dieser Schande rasend sich stürzen und sich durch die Rippen stoßen die grausame Klinge, oder ins Meer sich werfen und so die geschwungene Küste schwimmend erreichen und wieder zum Kampf den Teukrern sich stellen? Dreimal versuchte er beides, und dreimal hielt ihn die große Juno zurück und hemmte den Jüngling aus Mitleid im Herzen. So durchfurcht er das Meer und gleitet mit günstiger Strömung, wird zur alten Stadt seines Vaters Daunus getragen. Aber auf Juppiters Spruch hin rückt Mezentius feurig nach in den Kampf unterdes, greift an die jubelnden Teukrer; alle tyrrhenischen Truppen strömen zusammen und stürzen auf den einen mit all ihrem Hass sich, mit zahllosen Speeren. Er aber, wie ein Felsen, der weit in die Meerflut hinausragt, ausgesetzt wütenden Winden und preisgegeben den Wellen, alle Gewalt des Himmels und Meeres erträgt und ihr Drohen, selbst aber unbewegt bleibt, so streckt er den Sohn Dolichaons, Hebrus, zu Boden und Latagus auch und den flüchtigen Palmus; Latagus’ Haupt fällt er mit einem Steinblock von vorn an, einem gewaltigen Felsstück, die Kniekehle aber zerhaut er Palmus und lässt ihn hilflos sich wälzen; Waffen und Helmbusch schenkt er dem Lausus, damit der diese auf Schultern und Haupt trägt.

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nec non Euanthen Phrygium Paridisque Mimanta aequalem comitemque, una quem nocte Theano in lucem genitore Amyco dedit et face praegnas Cisseis regina Parin: Paris urbe paterna occubat, ignarum Laurens habet ora Mimanta. ac velut ille canum morsu de montibus altis actus aper, multos Vesulus quem pinifer annos defendit multosque palus Laurentia silva pascit harundinea, postquam inter retia ventum est, substitit infremuitque ferox et inhorruit armos, nec cuiquam irasci propiusque accedere virtus, sed iaculis tutisque procul clamoribus instant; ille autem impavidus partis cunctatur in omnis dentibus infrendens et tergo decutit hastas: haud aliter, iustae quibus est Mezentius irae, non ulli est animus stricto concurrere ferro, missilibus longe et vasto clamore lacessunt. Venerat antiquis Corythi de finibus Acron, Graius homo, infectos linquens profugus hymenaeos: hunc ubi miscentem longe media agmina vidit, purpureum pinnis et pactae coniugis ostro, impastus stabula alta leo ceu saepe peragrans (suadet enim vesana fames), si forte fugacem conspexit capream aut surgentem in cornua cervum, gaudet hians immane comasque arrexit et haeret visceribus super incumbens; lavit improba taeter ora cruor: sic ruit in densos alacer Mezentius hostis. sternitur infelix Acron et calcibus atram tundit humum exspirans infractaque tela cruentat. atque idem fugientem haud est dignatus Oroden sternere nec iacta caecum dare cuspide vulnus;

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Auch den Phryger Euanthes erschlägt er und Mimas, des Paris Altersgenossen und Partner; Theano gebar in derselben Nacht ihn von Amykus wie, von der Fackel schwanger, des Kisseus Tochter, die Königin, Paris: Paris ruht in der Stadt der Väter, als Fremden birgt das Land von Laurentum nun Mimas. Wie, vom Biss der Hunde gehetzt aus dem hohen Gebirge, jener Eber, den viele Jahre der fichtenbewachsne Vesulus schützt und viele das sumpfige Land von Laurentum nährt im Röhricht, sobald er ins Netz geraten war, stehen blieb und wütend grunzte und sträubte die Borsten am Rücken; keiner jedoch hat den Mut, sich ihm im Zorne zu nähern, sondern man droht mit Geschrei und Spießen aus sichrer Entfernung, der aber blickt nach allen Seiten zögernd, doch furchtlos, knirscht mit den Zähnen und schüttelt von seinem Rücken die Speere: Ebenso hat in der Schar, deren Wut auf Mezentius gerecht ist, keiner den Mut, mit gezücktem Schwert auf ihn loszugehn; nur mit Waffen und wüstem Geschrei provozieren sie ihn aus der Ferne. Aus dem alten Gebiete von Korythus war da ein Grieche, Akron, gekommen, verbannt vor der Hochzeit: Als den er erblickt hat, wie inmitten der Scharen weithin Verwirrung er stiftet – purpurn waren Helmbusch und Tracht, ein Geschenk der Verlobten –, gleicht er dem Löwen, der oft durch hochgelegene Weiden streift – wahnsinniger Hunger treibt ihn –: Hat grad einen Hirsch mit hohem Geweih er gesichtet oder ein flüchtiges Reh, reißt froh weit auf er das Maul mit gesträubtem Fell und verbeißt ins Fleisch sich, darüber liegend, und eklig benetzt ihm das Blut den gierigen Schlund: So stürzt kampfeifrig sich ins Gewühl der Feinde Mezentius. Hingestreckt wird der arme Akron, er schlägt mit den Fersen sterbend den Boden und färbt mit Blut die zerbrochene Lanze. Auf der Flucht den Orodes niederzustrecken verschmähte er und durch einen Speerwurf ihm zu verwunden den Rücken;

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obvius adversoque occurrit seque viro vir contulit, haud furto melior sed fortibus armis. tum super abiectum posito pede nixus et hasta: ‘pars belli haud temnenda, viri, iacet altus Orodes.’ conclamant socii laetum paeana secuti; ille autem exspirans: ‘non me, quicumque es, inulto, victor, nec longum laetabere; te quoque fata prospectant paria atque eadem mox arva tenebis.’ ad quem subridens mixta Mezentius ira: ‘nunc morere. ast de me divum pater atque hominum rex viderit.’ hoc dicens eduxit corpore telum. olli dura quies oculos et ferreus urget somnus, in aeternam clauduntur lumina noctem. Caedicus Alcathoum obtruncat, Sacrator Hydaspen Partheniumque Rapo et praedurum viribus Orsen, Messapus Cloniumque Lycaoniumque Erichaeten, illum infrenis equi lapsu tellure iacentem, hunc peditem. pedes et Lycius processerat Agis, quem tamen haud expers Valerus virtutis avitae deicit; at Thronium Salius Saliumque Nealces insignis iaculo et longe fallente sagitta. Iam gravis aequabat luctus et mutua Mavors funera: caedebant pariter pariterque ruebant victores victique, neque his fuga nota neque illis. di Iovis in tectis iram miserantur inanem amborum et tantos mortalibus esse labores; hinc Venus, hinc contra spectat Saturnia Iuno. pallida Tisiphone media inter milia saevit. At vero ingentem quatiens Mezentius hastam turbidus ingreditur campo. quam magnus Orion, cum pedes incedit medii per maxima Nerei stagna viam scindens, umero supereminet undas,

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grade entgegen stürmte er, kämpfte Mann gegen Mann, ihm nicht überlegen durch List, nein, durch die Stärke der Waffen. Dann, auf die Lanze gestützt, mit dem Fuß auf dem Liegenden, sprach er: »Männer, unverächtlich im Kampfe, liegt hier Orodes.« Jubelnd ein Siegeslied singen in seiner Kortege die Gefährten; der sagt sterbend: »Ich bleib nicht ungerächt, Sieger, wer immer du auch bist, deine Freude ist kurz; es blickt auch auf dich das gleiche Geschick, in denselben Boden wirst bald du dich krallen.« Drauf mit Lächeln, vermischt mit Zorn, Mezentius: »Stirb jetzt! Doch um mich soll der Vater der Götter und König der Menschen selber sich kümmern.« Sprach’s und zog seinen Speer aus dem Körper. Jenem drückt schwer lastende Ruhe und eiserner Schlaf auf seine Lider; dann schließen zu ewiger Nacht sich die Augen. Caedicus schlägt den Alkathous tot, Sacrator Hydaspes, Rapo Parthenius und den kräftigen Orses, Messapus Klonius und Erichaetes, den Sohn des Lykaon, den einen, als nach dem Sturz vom zaumlosen Pferd er dalag, den andren als Fußkämpfer. Zu Fuß war auch Agis der Lykier gekommen; Valerus wirft ihn nieder, der Kraft seiner Ahnen teilhaftig; Salius tötet den Thronius, den Salius Nealkes, der mit dem Speer hervorsticht und Pfeilen, die ungeahnt treffen von ferne. Gleichmäßig schon verteilte der grimmige Mavors auf beiden Seiten Trauer und Tod: Gleich sind sie im Morden und Sterben, Sieg und Besiegtsein, und beide kennen die Flucht nicht. Die Götter unter Juppiters Dach beklagen die sinnlose Wut bei beiden Parteien und dass so groß sind die Mühen der Menschen; Venus sieht von hier zu, von dort Saturnia Juno. Und die bleiche Tisiphone wütet inmitten der Massen. Aber Mezentius schüttelt die riesige Lanze und schreitet stürmisch im Felde dahin. So wie der große Orion, wenn er mitten in Nereus’ Reich zu Fuß durch das tiefste Wasser sich Bahn bricht – aus den Wogen ragen die Schultern –,

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aut summis referens annosam montibus ornum ingrediturque solo et caput inter nubila condit: talis se vastis infert Mezentius armis. hunc contra Aeneas speculatus in agmine longo obvius ire parat. manet imperterritus ille, hostem magnanimum opperiens, et mole sua stat; atque oculis spatium emensus quantum satis hastae: ‘dextra mihi deus et telum, quod missile libro, nunc adsint! voveo praedonis corpore raptis indutum spoliis ipsum te, Lause, tropaeum Aeneae.’ dixit stridentemque eminus hastam iecit. at illa volans clipeo est excussa proculque egregium Antoren latus inter et ilia figit, Herculis Antoren comitem, qui missus ab Argis haeserat Euandro atque Itala consederat urbe. sternitur infelix alieno vulnere caelumque aspicit et dulcis moriens reminiscitur Argos. tum pius Aeneas hastam iacit: illa per orbem aere cavum triplici, per linea terga tribusque transiit intextum tauris opus, imaque sedit inguine, sed viris haud pertulit. ocius ensem Aeneas, viso Tyrrheni sanguine laetus, eripit a femine et trepidanti fervidus instat. ingemuit cari graviter genitoris amore, ut vidit, Lausus, lacrimaeque per ora volutae. hic mortis durae casum tuaque optima facta, si qua fidem tanto est operi latura vetustas, non equidem nec te, iuvenis memorande, silebo. ille pedem referens et inutilis inque ligatus cedebat clipeoque inimicum hastile trahebat; proripuit iuvenis seseque immiscuit armis iamque adsurgentis dextra plagamque ferentis

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oder vom Gipfel des Bergs heimträgt eine uralte Esche und auf dem Erdboden schreitet, das Haupt zwischen Wolken verbergend: So tritt auf mit seinen gewaltigen Waffen Mezentius. Aber als nun Aeneas im weiten Heer ihn erblickt hat, schickt er zum Angriff sich an. Doch der bleibt furchtlos und harrt des kampfesmutigen Feinds, steht da, so groß, wie er ist, und schätzt die für seinen Speer obligate Entfernung; dann ruft er: »Stehe als Gott meine Hand und der Speer, den als Waffe ich schwinge, jetzt mir bei! Ist die Rüstung vom Körper des Räubers gerissen, weih ich dich, Lausus, in ihrem Schmuck als Mahnmal des Sieges über Aeneas.« Sprach’s und warf den schwirrenden Speer von ferne. Der aber prallt im Fluge am Schild ab und bohrt dem Helden Antores weitab sich zwischen Seite und Weichen, Herkules’ Partner Antores, der, aus Argos entsendet, einst dem Euander sich anschloss und dann in Italien lebte. Niedergestreckt von dem Stoß, der dem andren gegolten hat, sieht zum Himmel der Arme und denkt an sein liebliches Argos im Sterben. Dann wirft der fromme Aeneas den Speer: Der drang durch des Schildes dreifach gewölbtes Erz, die Schichten aus Leinwand und das aus dreifacher Stierhaut gewirkte Werk und steckte ganz tief im Unterleib fest, doch nun ohne Kraft. Schnell reißt da Aeneas, froh, weil das Blut des Tyrrheners er fließen sieht, seine Klinge los von der Hüfte und rückt dem Zitternden hitzig zu Leibe. Tief aber seufzte nun Lausus auf aus Liebe zum teuren Vater, als er das sah; übers Antlitz rannen ihm Tränen. Deinen grausamen Tod und deine herrlichen Taten, wenn denn so eine große Leistung die Nachwelt für wahr hält, will ich hier nicht verschweigen, nicht dich, denkwürdiger Jüngling. Jener wich zurück, unfähig zu kämpfen, nicht frei in seiner Bewegung, und schleppte im Schild den feindlichen Speer mit; da sprang vor der Jüngling und mischte sich in den Kampf und schon unterlief er das Schwert des Aeneas, der mit der Rechten

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Aeneae subiit mucronem ipsumque morando sustinuit; socii magno clamore sequuntur, dum genitor nati parma protectus abiret, telaque coniciunt proturbantque eminus hostem missilibus. furit Aeneas tectusque tenet se. ac velut effusa si quando grandine nimbi praecipitant, omnis campis diffugit arator omnis et agricola et tuta latet arce viator aut amnis ripis aut alti fornice saxi, dum pluit in terris, ut possint sole reducto exercere diem: sic obrutus undique telis Aeneas nubem belli, dum detonet omnis, sustinet et Lausum increpitat Lausoque minatur: ‘quo moriture ruis maioraque viribus audes? fallit te incautum pietas tua.’ nec minus ille exsultat demens, saevae iamque altius irae Dardanio surgunt ductori, extremaque Lauso Parcae fila legunt: validum namque exigit ensem per medium Aeneas iuvenem totumque recondit; transiit et parmam mucro, levia arma minacis, et tunicam molli mater quam neverat auro, implevitque sinum sanguis; tum vita per auras concessit maesta ad Manis corpusque reliquit. At vero ut vultum vidit morientis et ora, ora modis Anchisiades pallentia miris, ingemuit graviter miserans dextramque tetendit, et mentem patriae subiit pietatis imago. ‘quid tibi nunc, miserande puer, pro laudibus istis, quid pius Aeneas tanta dabit indole dignum? arma, quibus laetatus, habe tua; teque parentum manibus et cineri, si qua est ea cura, remitto. hoc tamen infelix miseram solabere mortem:

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weit ausholte zum Hieb, war ihm im Wege und hielt ihn ab; die Gefährten folgen mit lautem Schreien, damit der Vater indes, geschützt vom Schilde des Sohnes, entkomme, schleudern Speere und suchen den Gegner von fern mit Geschossen wegzutreiben. Aeneas rast, bleibt aber in Deckung. Wie, wenn zuweilen Regen niederprasselt und Hagel, jeder Pflüger und jeder Landmann vom Felde geflohn ist, und der Wandrer sich birgt an sicherem Ort, unter einer Böschung am Fluss oder einem überhängenden Felsen, während es regnet im Land, damit sie beim Sonnenlicht wieder fortführn ihr Tagewerk: So erträgt, allseits von Geschossen überschüttet, Aeneas des Krieges Sturmwolke, bis sie nicht mehr tobt, fährt Lausus an und droht auch dem Lausus: »Todgeweihter, wohin? Du wagst, was dir über die Kraft geht? Deine Vaterliebe verführt dich zum Leichtsinn.« Doch jener tobt wie von Sinnen weiter; da schwillt schon höher der wilde Zorn dem Dardanerführer, und Lausus spinnen die letzten Fäden die Parzen: Denn mitten hinein in den Körper des Jünglings treibt Aeneas das starke Schwert, bis zum Heft es versenkend; durch den Rundschild, den schwachen Schutz des Trotzigen, drang es und durch das Hemd, das aus feinen Goldfäden wob seine Mutter, und es tränkte Blut das Gewand; durch die Lüfte entwich da traurig sein Leben hinab zu den Manen, verließ seinen Körper. Als aber nun Anchises’ Sohn des Sterbenden Ausdruck sah und sein Antlitz, das seltsam erblassende Antlitz, da seufzte tief er voll Mitleid, streckte die Hand zu ihm hin, und es drang ins Herz ihm da der Gedanke an seine Liebe zum Vater. »Knabe, beklagenswerter, was kann dir für so eine Großtat, was, das so hohe Gesinnung verdient, Aeneas nun geben? Deine Waffen behalt, über die du so froh warst; ich send, wenn’s dich noch berührt, dich zurück zu Manen und Asche der Väter. Dies immerhin sei, Ärmster, im traurigen Tod dir ein Trost: Du

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Aeneae magni dextra cadis.’ increpat ultro cunctantis socios et terra sublevat ipsum sanguine turpantem comptos de more capillos. Interea genitor Tiberini ad fluminis undam vulnera siccabat lymphis corpusque levabat arboris acclinis trunco; procul aerea ramis dependet galea et prato gravia arma quiescunt. stant lecti circum iuvenes; ipse aeger anhelans colla fovet fusus propexam in pectora barbam; multa super Lauso rogitat, multumque remittit qui revocent maestique ferant mandata parentis. at Lausum socii exanimem super arma ferebant flentes, ingentem atque ingenti vulnere victum. agnovit longe gemitum praesaga mali mens: canitiem multo deformat pulvere et ambas ad caelum tendit palmas et corpore inhaeret. ‘tantane me tenuit vivendi, nate, voluptas, ut pro me hostili paterer succedere dextrae, quem genui? tuane haec genitor per vulnera servor morte tua vivens? heu, nunc misero mihi demum exitium infelix, nunc alte vulnus adactum! idem ego, nate, tuum maculavi crimine nomen, pulsus ob invidiam solio sceptrisque paternis. debueram patriae poenas odiisque meorum: omnis per mortis animam sontem ipse dedissem! nunc vivo neque adhuc homines lucemque relinquo. sed linquam.’ simul hoc dicens attollit in aegrum se femur et, quamquam vis alto vulnere tardat, haud deiectus equum duci iubet. hoc decus illi, hoc solamen erat, bellis hoc victor abibat omnibus. adloquitur maerentem et talibus infit: ‘Rhaebe, diu, res si qua diu mortalibus ulla est,

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fällst von der Hand des großen Aeneas.« Er tadelt spontan die zögernden Gefährten und hebt ihn auf, dessen nach dem Brauch geflochtene Haare besudelt werden vom Blute. Unterdessen versuchte der Vater am Tiberstrom seine Wunde mit Wasser zu stillen und sich zu erholen, an einen Baumstamm gelehnt; etwas abseits hängt der eherne Helm an Zweigen, die schwere Rüstung ruht auf dem Rasen. Erlesne Jünglinge stehen um ihn; er selbst aber, schwächlich und keuchend, lehnt seinen Kopf an, es hängt bis zur Brust hinunter der Bart; oft fragt er nach Lausus und sendet Leute, welche zurück ihn rufen sollen und Aufträge bringen vom traurigen Vater. Tot auf dem Schild aber brachten ihm weinend da die Gefährten Lausus, den Starken, durch einen starken Hieb überwunden. Böses ahnend erkannte sein Herz schon von weitem den Grund der Klage: Mit Staub entstellt er sein graues Haar, und er streckt zum Himmel die beiden Hände und schließt in die Arme den Leichnam. »Hing so sehr ich am Leben, um zuzulassen, mein Sohn, dass der, den ich zeugte, statt meiner der Rechten des Feindes sich stellte? Werd ich, der Vater, durch diese deine Wunden gerettet, leb ich durch deinen Tod? Mir Elendem wurde erst jetzt ein tragisches Ende zuteil, eine tiefe Wunde geschlagen! Ich auch, mein Sohn, befleckte durch meine Schuld deinen Namen, schuf mir Missgunst, verlor den Thron und das Szepter der Väter. Sühne schuldete ich meinem Land und dem Hass meiner Leute: Hätt doch durch jedweden Tod ich mein schuldiges Leben gegeben! Jetzt noch leb ich, verlasse noch nicht das Licht und die Menschen. Doch jetzt tu ich das.« Sagt’s und erhebt sich zugleich mit dem wunden Bein, und, obwohl seine Kraft durch die tiefe Wunde geschwächt ist, lässt er unverzagt sein Pferd herbeibringen. Dieses war seine Ehre, sein Trost; auf ihm kam siegreich aus allen Kriegen er wieder. Zu ihm, das traurig ist, sagt er nun dieses: »Rhaebus, lange, wenn irgendetwas für Sterbliche lang ist,

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viximus. aut hodie victor spolia illa cruenta et caput Aeneae referes Lausique dolorum ultor eris mecum, aut, aperit si nulla viam vis, occumbes pariter; neque enim, fortissime, credo, iussa aliena pati et dominos dignabere Teucros.’ dixit et exceptus tergo consueta locavit membra manusque ambas iaculis oneravit acutis, aere caput fulgens cristaque hirsutus equina. sic cursum in medios rapidus dedit: aestuat ingens uno in corde pudor mixtoque insania luctu. atque hic Aenean magna ter voce vocavit. Aeneas agnovit enim laetusque precatur: ‘sic pater ille deum faciat, sic altus Apollo! incipias conferre manum.’ tantum effatus et infesta subit obvius hasta. ille autem: ‘quid me erepto, saevissime, nato terres? haec via sola fuit qua perdere posses: nec mortem horremus nec divum parcimus ulli. desine, nam venio moriturus et haec tibi porto dona prius.’ dixit telumque intorsit in hostem; inde aliud super atque aliud figitque volatque ingenti gyro, sed sustinet aureus umbo. ter circum adstantem laevos equitavit in orbes tela manu iaciens, ter secum Troius heros immanem aerato circumfert tegmine silvam. inde ubi tot traxisse moras, tot spicula taedet vellere, et urgetur pugna congressus iniqua, multa movens animo iam tandem erumpit et inter bellatoris equi cava tempora conicit hastam. tollit se arrectum quadrupes et calcibus auras verberat effusumque equitem super ipse secutus implicat eiectoque incumbit cernuus armo.

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lebten wir. Heut trägst entweder siegreich die blutige Rüstung und des Aeneas Haupt du zurück, rächst mit mir des Lausus Schmerzen, oder wenn keinerlei Kraft dorthin einen Weg weist, stirbst du mit mir; denn du, mein Tapferster, bringst’s nicht, so mein ich, über dich, fremden Befehl zu erdulden und Teukrer als Herren.« Sprach’s, und aufgenommen vom Rücken, nahm die gewohnte Haltung er ein, und mit spitzen Speeren belud er die Hände; Erz blitzt ihm auf dem Haupt, und von Rosshaar starrt ihm der Helmbusch. So sprengt mitten ins Heer er stürmisch: Es brennen in einem einzigen Herzen Scham und Wut, mit Trauer verbunden. Dreimal rief er dabei mit lauter Stimme Aeneas. Ihn erkannte Aeneas und betete so voller Freude: »Füge es so der Vater der Götter, der hehre Apollo, dass du den Zweikampf mit mir beginnst!« Dies nur spricht er und tritt ihm entgegen mit drohender Lanze. Der aber sagt: »Was schreckst du mich jetzt noch? Du raubtest den Sohn mir, Grausamer! Mich zu vernichten, war dieses das einzige Mittel: Mich schreckt weder der Tod noch schert mich einer der Götter. Nun genug, denn ich komm, um zu sterben, doch bring ich zuvor dir diese Geschenke.« Sprach’s und warf einen Speer nach dem Feinde; Speer auf Speer dann schleudert er und umkreist ihn in einem riesigen Bogen, jedoch der goldene Schild widersteht dem. Dreimal umritt er ihn, der dastand, linksum im Kreise, Speere schleudernd mit Wucht; dreimal dreht mit sich der Held aus Troja den ehernen Schutz, auf dem von Speeren ein Wald steht. Doch dann mag er nicht mehr so lange warten, so viele Speere herausziehn, fühlt sich bedrängt in ungleichem Kampfe, überlegt hin und her, bricht endlich hervor, und dem Streitross schleudert er zwischen seine gewölbten Schläfen die Lanze. Gradauf bäumt sich das Tier, schlägt aus in die Luft mit den Hufen, wirft seinen Reiter ab, drückt ihn, selbst stürzend, zu Boden, dort kopfüber mit ausgerenktem Vorderbug landend.

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clamore incendunt caelum Troesque Latinique. advolat Aeneas vaginaque eripit ensem et super haec: ‘ubi nunc Mezentius acer et illa effera vis animi?’ contra Tyrrhenus, ut auras suspiciens hausit caelum mentemque recepit: ‘hostis amare, quid increpitas mortemque minaris? nullum in caede nefas, nec sic ad proelia veni, nec tecum meus haec pepigit mihi foedera Lausus. unum hoc per si qua est victis venia hostibus oro: corpus humo patiare tegi. scio acerba meorum circumstare odia: hunc, oro, defende furorem et me consortem nati concede sepulcro.’ haec loquitur iuguloque haud inscius accipit ensem undantique animam diffundit in arma cruore.

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Durch ihr Schreien entflammen den Himmel Latiner und Troer. Schnell ist Aeneas da, reißt aus der Scheide das Schwert und ruft: »Wo bleibt er denn jetzt, der grimme Mezentius, wo die wilde Tatkraft?« Darauf der Tyrrhener, sobald er, zum Himmel blickend, Luft geholt, das Bewusstsein wieder erlangt hat: »Bitterer Feind, warum verhöhnst du mich, drohst mit dem Tode? Töten, das ist kein Frevel, nicht dachte ich das, als zum Kampf ich kam, und mit dir hat mein Lausus dergleichen für mich nicht vereinbart. Eins nur erbitt ich, wenn’s Gunst noch gibt für bezwungene Feinde: Dulde es, dass man den Leichnam begräbt. Ich weiß, mich umgibt der bittere Hass der Meinen bedrohlich: Wehr bitte ab die rasende Wut und gewähr mir ein Grab an der Seite des Sohnes.« Spricht’s und empfängt mit vollem Bewusstsein das Schwert in der Kehle; über die Rüstung verströmt er in einem Blutschwall sein Leben.

LIBER XI Oceanum interea surgens Aurora reliquit: Aeneas, quamquam et sociis dare tempus humandis praecipitant curae turbataque funere mens est, vota deum primo victor solvebat Eoo. ingentem quercum decisis undique ramis constituit tumulo fulgentiaque induit arma, Mezenti ducis exuvias, tibi magne tropaeum bellipotens; aptat rorantis sanguine cristas telaque trunca viri, et bis sex thoraca petitum perfossumque locis clipeumque ex aere sinistrae subligat atque ensem collo suspendit eburnum. tum socios (namque omnis eum stipata tegebat turba ducum) sic incipiens hortatur ovantis: ‘maxima res effecta, viri; timor omnis abesto, quod superest: haec sunt spolia et de rege superbo primitiae manibusque meis Mezentius hic est. nunc iter ad regem nobis murosque Latinos. arma parate animis et spe praesumite bellum, ne qua mora ignaros, ubi primum vellere signa adnuerint superi pubemque educere castris, impediat segnisve metu sententia tardet. interea socios inhumataque corpora terrae mandemus, qui solus honos Acheronte sub imo est. ite,’ ait ‘egregias animas, quae sanguine nobis hanc patriam peperere suo, decorate supremis muneribus, maestamque Euandri primus ad urbem mittatur Pallas, quem non virtutis egentem abstulit atra dies et funere mersit acerbo.’

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B U C H 11 Aus dem Ozean kommend, erhob sich indessen Aurora: Aber Aeneas, wie sehr auch zu seiner Gefährten Bestattung Anteilnahme ihn trieb und sein Herz aufwühlte ihr Sterben, löste beim ersten Frührot den Göttern Gelübde des Siegers ein. Eine riesige Eiche mit abgehauenen Zweigen stellt er auf einen Hügel und schmückt sie mit funkelnden Waffen, Beute von Fürst Mezentius, dir als Trophäe, du großer Kriegsgott; er heftet daran den blutbeträufelten Helmbusch, dann die zerbrochenen Speere des Mannes, den zwölfmal getroffnen und durchbohrten Panzer, befestigt den ehernen Schild dann links und hängt darüber das Schwert mit der Elfenbeinscheide. Seine Gefährten – um ihn stand dicht gedrängt die gesamte Anführerschar – ermahnt, als diese jubelt, er so jetzt: »Männer, Gewaltiges ist vollbracht; fern sei alle Furcht vor dem, was noch bleibt: Dies sind die Spolien, entrissen dem stolzen König, und Erstlingsopfer; Mezentius ist es, wie ich ihn schuf. Jetzt geht es zum König und zur Stadt der Latiner. Rüstet im Geist euch zum Krieg, nehmt hoffend vorweg die Gefechte, dass, sobald uns die Götter zum Kampf zu ziehen gestatten und aus dem Lager die Mannschaft zu führn, nichts unvorbereitet uns behindre, nicht Angst und Entschlusslosigkeit uns im Weg sei. Lasst uns inzwischen der Erde die unbegrabnen Gefährten übergeben; nur das bringt tief im Acheron Ehre. Geht und ehrt mit den letzten Gaben die trefflichen Seelen, die mit ihrem Blute uns diese Heimat erwarben; Pallas werde zuerst in die trauernde Stadt des Euander überführt, den trotz seines Heldenmutes ein schwarzer Tag dahinraffte und im bitteren Grabe versenkte.«

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Sic ait inlacrimans recipitque ad limina gressum, corpus ubi exanimi positum Pallantis Acoetes servabat senior, qui Parrhasio Euandro armiger ante fuit, sed non felicibus aeque tum comes auspiciis caro datus ibat alumno; circum omnis famulumque manus Troianaque turba et maestum Iliades crinem de more solutae. ut vero Aeneas foribus sese intulit altis, ingentem gemitum tunsis ad sidera tollunt pectoribus, maestoque immugit regia luctu. ipse caput nivei fultum Pallantis et ora ut vidit levique patens in pectore vulnus cuspidis Ausoniae, lacrimis ita fatur obortis: ‘tene,’ inquit ‘miserande puer, cum laeta veniret, invidit Fortuna mihi, ne regna videres nostra neque ad sedes victor veherere paternas? non haec Euandro de te promissa parenti discedens dederam, cum me complexus euntem mitteret in magnum imperium metuensque moneret acris esse viros, cum dura proelia gente. et nunc ille quidem spe multum captus inani fors et vota facit cumulatque altaria donis; nos iuvenem exanimum et nil iam caelestibus ullis debentem vano maesti comitamur honore. infelix, nati funus crudele videbis! hi nostri reditus exspectatique triumphi? haec mea magna fides? at non, Euandre, pudendis vulneribus pulsum aspicies nec sospite dirum optabis nato funus pater. ei mihi, quantum praesidium Ausonia, et quantum tu perdis, Iule!’ Haec ubi deflevit, tolli miserabile corpus imperat et toto lectos ex agmine mittit

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So spricht er unter Tränen und kehrt zurück zu dem Hause, wo am aufgebahrten Leichnam des Pallas die Wacht der alte Akoetes hielt, der Waffenträger zuvor war beim Parrhasier Euander, doch jetzt unter weniger guten Vorzeichen als Begleiter dem teuren Schützling gesellt war; ringsum standen die ganze Dienerschar, Troer und Iliums Fraun mit gelöstem Haar zum Zeichen der Trauer, wie’s Brauch ist. Als durchs hohe Portal Aeneas eintritt, erheben lautes Wehgeschrei sie zu den Sternen und schlagen sich an die Brust, und die Halle des Königs erdröhnt vom verzweifelten Jammern. Als auf dem Kissen das Haupt des Pallas er sieht und das bleiche Antlitz und in der weichen Brust die klaffende Wunde vom ausonischen Speer, beginnt er zu weinen und sagt dann: »Hat Fortuna dich mir, du armer Knabe, obwohl sie heiter erschien, missgönnt und solltest du nicht meine Herrschaft sehen und nicht dich als Sieger zum Wohnsitz des Vaters begeben? Nicht gab dieses Versprechen ich deinem Vater Euander, als er mich beim Weggehn umarmte, zum Antritt des hohen Herrscheramtes sandte und angstvoll warnte, es seien grimmig die Männer, mit einem harten Volk werde Krieg sein. Jetzt noch leistet, zutiefst erfüllt von vergeblicher Hoffnung, er vielleicht Gelübde und häuft am Altare die Gaben; wir aber geben dem toten Jüngling, der nichts mehr den Göttern schuldet, in Trauer nun das Geleit mit nichtigen Ehren. Ärmster, des Sohnes bittres Begräbnis wirst du erleben! Ist denn das unsre Rückkehr, sind das die erhofften Triumphe? Halte ich so mein Wort? Doch nicht mit schmachvollen Wunden wirst du, Euander, ihn sehn, als Vater nicht grässlichen Tod dir wünschen, weil dem Sohn nichts geschah. Ach, welch starken Beschützer hat Ausonien verloren, welch einen verlorst du, Ïulus!« Spricht’s unter Tränen und lässt den erbarmungswürdigen Leichnam hochheben, schickt, vom gesamten Heere ausgewählt, tausend

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mille viros qui supremum comitentur honorem intersintque patris lacrimis, solacia luctus exigua ingentis, misero sed debita patri; haud segnes alii cratis et molle feretrum arbuteis texunt virgis et vimine querno exstructosque toros obtentu frondis inumbrant. hic iuvenem agresti sublimem stramine ponunt: qualem virgineo demessum pollice florem seu mollis violae seu languentis hyacinthi, cui neque fulgor adhuc nec dum sua forma recessit; non iam mater alit tellus virisque ministrat. tum geminas vestes auroque ostroque rigentis extulit Aeneas, quas illi laeta laborum ipsa suis quondam manibus Sidonia Dido fecerat et tenui telas discreverat auro: harum unam iuveni supremum maestus honorem induit arsurasque comas obnubit amictu, multaque praeterea Laurentis praemia pugnae aggerat et longo praedam iubet ordine duci; addit equos et tela quibus spoliaverat hostem. vinxerat et post terga manus, quos mitteret umbris inferias, caeso sparsurus sanguine flammas, indutosque iubet truncos hostilibus armis ipsos ferre duces inimicaque nomina figi. ducitur infelix aevo confectus Acoetes, pectora nunc foedans pugnis, nunc unguibus ora, sternitur et toto proiectus corpore terrae; ducunt et Rutulo perfusos sanguine currus. post bellator equus positis insignibus Aethon it lacrimans guttisque umectat grandibus ora. hastam alii galeamque ferunt, nam cetera Turnus victor habet. tum maesta phalanx Teucrique sequuntur

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Männer, die ihm die letzte Ehre erweisen und mit dem Vater Tränen vergießen sollen, in maßloser Trauer nur ein geringer Trost, doch dem armen Vater geschuldet; andre verfertigen eilig als Bahre ein weiches Geflecht aus Eichenschößlingen und aus Arbutusruten und schützen dann das fertige Lager mit schattenspendendem Laubwerk. Hoch auf ländliches Stroh wird hier der Jüngling gelegt: Er gleicht der von Mädchenhand gepflückten Blüte von einer welkenden Hyazinthe oder zarten Levkoje, deren Glanz und deren Schönheit noch nicht dahin ist, der aber Mutter Erde nicht mehr ihre Nahrung und Kraft gibt. Dann ließ zwei Gewänder voll Gold und Purpur Aeneas bringen; die hatte für ihn, voll Freude über die Arbeit, einst die sidonische Dido mit eigenen Händen gewoben, hatte durchwirkt das Gewebe mit zarten Fäden von Golde: Mit dem einen umhüllt er trauernd den Jüngling zur letzten Ehre, bedeckt das den Flammen geweihte Haar mit dem Umhang, häuft zudem im Kampf den Laurentern entrissne Trophäen auf und befiehlt, die Beute in langem Zuge zu tragen; Pferde und Waffen gibt er dazu, erbeutet vom Feinde. Rücklings fesselt er jene, die er den Schatten zur Sühnung schicken wollte, um dann mit dem Blut zu besprengen die Flammen; Pfähle, behängt mit den Waffen der Feinde, die lässt er die Führer selber tragen und daran heften die Namen der Feinde. Mitgeführt wird der arme, vom Alter geschwächte Akoetes, bald mit Fäusten die Brust, bald mit Nägeln misshandelnd das Antlitz, und er wirft mit dem ganzen Leib sich der Länge nach nieder; Streitwagen führt man auch mit, die von Rutulerblut überströmt sind. Ohne den Schmuck des Geschirrs geht weinend das Streitross Aëthon hinterher und benetzt mit dicken Tränen sein Antlitz. Andere tragen Speer und Helm; denn den Rest hat der Sieger Turnus. Es folgen dann trauernd sämtliche Teukrer, Tyrrhener

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Tyrrhenique omnes et versis Arcades armis. postquam omnis longe comitum praecesserat ordo, substitit Aeneas gemituque haec addidit alto: ‘nos alias hinc ad lacrimas eadem horrida belli fata vocant: salve aeternum mihi, maxime Palla, aeternumque vale.’ nec plura effatus ad altos tendebat muros gressumque in castra ferebat. Iamque oratores aderant ex urbe Latina velati ramis oleae veniamque rogantes: corpora, per campos ferro quae fusa iacebant, redderet ac tumulo sineret succedere terrae; nullum cum victis certamen et aethere cassis; parceret hospitibus quondam socerisque vocatis. quos bonus Aeneas haud aspernanda precantis prosequitur venia et verbis haec insuper addit: ‘quaenam vos tanto fortuna indigna, Latini, implicuit bello, qui nos fugiatis amicos? pacem me exanimis et Martis sorte peremptis oratis? equidem et vivis concedere vellem. nec veni, nisi fata locum sedemque dedissent, nec bellum cum gente gero: rex nostra reliquit hospitia et Turni potius se credidit armis. aequius huic Turnum fuerat se opponere morti. si bellum finire manu, si pellere Teucros apparat, his mecum decuit concurrere telis: vixet cui vitam deus aut sua dextra dedisset. nunc ite et miseris supponite civibus ignem.’ dixerat Aeneas. illi obstipuere silentes conversique oculos inter se atque ora tenebant. Tum senior semperque odiis et crimine Drances infensus iuveni Turno sic ore vicissim orsa refert: ‘o fama ingens, ingentior armis,

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und die Arkader; alle senken die Waffen zu Boden. Weit schon vorgerückt war der gesamte Zug der Begleiter, da blieb stehen und sprach, aufseufzend, Aeneas die Worte: »Uns ruft jetzt von hier zu anderen Tränen dasselbe schreckliche Fatum des Kriegs: Für immer gegrüßt sei, mein edler Pallas, für immer leb wohl.« Er sagte nichts weiter und strebte hin zu den hohen Mauern und lenkte die Schritte zum Lager. Unterhändler kamen herbei aus der Stadt der Latiner, mit den Zweigen des Ölbaums bekränzt und um einen Gefallen bittend: Er möge die Leichen, die nach dem Kampfe verstreut im Felde noch lägen, nun ausliefern und ein Begräbnis gewähren; führe man doch nicht Krieg mit Besiegten, des Lichtes Beraubten; schonen möge er, die er einst Gastfreunde nannte und Schwäher. Nichts Unbilliges baten sie; daher gewährte Aeneas gütig diese Gunst und fügte hinzu noch die Worte: »Welch ein unverdientes Geschick, Latiner, hat euch in so einen Krieg verwickelt, dass unsere Freundschaft ihr meidet? Frieden für Tote erfleht ihr von mir, die hinwegnahm das Los des Mavors? Ich würde ihn gerne auch den Lebenden geben. Ich kam nur, weil das Fatum Ort und Wohnsitz uns zuwies, führ nicht Krieg mit dem Volk: Das Gastrecht kündigte euer König auf; anvertraut hat er sich lieber den Waffen des Turnus. Angemessner hätt Turnus dem Tod hier ins Auge gesehen. Will er persönlich beenden den Krieg und die Teukrer vertreiben, hätt sich’s gehört, gegen mich mit diesen Waffen zu kämpfen: Leben würde, wem Gott oder eigene Kraft es geschenkt hätt. Geht jetzt, den armen Mitbürgern legt an den Holzstoß die Flamme.« Sprach’s. Die waren betroffen und schwiegen; sie wandten einander ihre Gesichter zu und schauten einander ins Auge. Da ergriff der alte Drankes – er feindete stets mit Hass und Vorwurf den jungen Turnus an – seinerseits so das Wort: »Du, groß durch Ruhm, durch Waffen größer, mit welchen

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vir Troiane, quibus caelo te laudibus aequem? iustitiaene prius mirer belline laborum? nos vero haec patriam grati referemus ad urbem et te, si qua viam dederit Fortuna, Latino iungemus regi: quaerat sibi foedera Turnus. quin et fatalis murorum attollere moles saxaque subvectare umeris Troiana iuvabit.’ dixerat haec unoque omnes eadem ore fremebant. bis senos pepigere dies et pace sequestra per silvas Teucri mixtique impune Latini erravere iugis. ferro sonat alta bipenni fraxinus, evertunt actas ad sidera pinus, robora nec cuneis et olentem scindere cedrum nec plaustris cessant vectare gementibus ornos. Et iam Fama volans, tanti praenuntia luctus, Euandrum Euandrique domos et moenia replet, quae modo victorem Latio Pallanta ferebat. Arcades ad portas ruere et de more vetusto funereas rapuere faces: lucet via longo ordine flammarum et late discriminat agros. contra turba Phrygum veniens plangentia iungit agmina. quae postquam matres succedere tectis viderunt, maestam incendunt clamoribus urbem. at non Euandrum potis est vis ulla tenere, sed venit in medios. feretro Pallanta reposto procubuit super atque haeret lacrimansque gemensque, et via vix tandem voci laxata dolore est: ‘non haec, o Palla, dederas promissa parenti, cautius ut saevo velles te credere Marti. haud ignarus eram quantum nova gloria in armis et praedulce decus primo certamine posset. primitiae iuvenis miserae bellique propinqui

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Lobsprüchen soll ich zum Himmel dich, Trojaner, erheben? Kriegstaten oder Gerechtigkeit – was soll ich stärker bewundern? Dankbar vermelden wir dies in unserer Vaterstadt, führen dich mit König Latinus zusammen, wenn irgendwie einen Weg uns das Glück weist: Bündnisse suche doch Turnus sich selber. Aufzutürmen sogar die vom Fatum verheißenen Mauern, wird uns erfreun, auf den Schultern die Steine zu schleppen für Troja.« Sprach’s, und ihren Konsens bekundeten einstimmig alle. Und zwölf Tage setzten sie fest, und im Schutz des Vertrages streiften Latiner und Teukrer gefahrlos über die Höhn durch Wälder. Die hohe Esche erdröhnt von der Doppelaxt, Fichten fällen sie, welche empor zu den Sternen reichen, und ohne Pause spalten mit Keilen sie Eichen und duftende Zedern, schaffen auf ächzenden Karren fort die Eschen des Bergwalds. Schon erfüllt nun Fama im Flug, Vorbotin so großer Trauer, Euander, Euanders Palast und die Stadt; doch noch eben rühmte sie Pallas als Sieger in Latium. Hin zu den Toren stürmen die Arkader da und ergreifen hastig nach altem Brauche die Totenfackeln: Es leuchtet der Weg von der langen Reihe der Flammen, und er durchschneidet weithin die Felder. Ihnen entgegen kommt der Phryger Schar und vereint sich mit den Klagenden. Als die Frauen den Zug sich den Häusern nahen sehen, entflammen die trauernde Stadt sie mit Schreien. Keine Macht ist imstande, zurückzuhalten Euander, mitten unter sie kommt er. Man setzt die Bahre ab, über Pallas wirft er sich hin und umarmt ihn weinend und stöhnend; mühsam nur gab schließlich der Schmerz seiner Stimme den Weg frei: »Pallas, dies versprachst du nicht deinem Vater, als der dich bat, dich dem Mars mit größerer Vorsicht anzuvertrauen. Sehr wohl wusst ich, was erstmals erworbener Ruhm auf dem Schlachtfeld und die lockende Ehre im ersten Kampfe bedeuten. Elende Erstlingstat, ach, eines Jünglings, Probestück in dem

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dura rudimenta et nulli exaudita deorum vota precesque meae! tuque, o sanctissima coniunx, felix morte tua neque in hunc servata dolorem! contra ego vivendo vici mea fata, superstes restarem ut genitor. Troum socia arma secutum obruerent Rutuli telis! animam ipse dedissem atque haec pompa domum me, non Pallanta, referret! nec vos arguerim, Teucri, nec foedera nec quas iunximus hospitio dextras: sors ista senectae debita erat nostrae. quod si immatura manebat mors gnatum, caesis Volscorum milibus ante ducentem in Latium Teucros cecidisse iuvabit. quin ego non alio digner te funere, Palla, quam pius Aeneas et quam magni Phryges et quam Tyrrhenique duces, Tyrrhenum exercitus omnis. magna tropaea ferunt quos dat tua dextera leto; tu quoque nunc stares immanis truncus in armis, esset par aetas et idem si robur ab annis, Turne. sed infelix Teucros quid demoror armis? vadite et haec memores regi mandata referte: quod vitam moror invisam Pallante perempto dextera causa tua est, Turnum gnatoque patrique quam debere vides. meritis vacat hic tibi solus fortunaeque locus. non vitae gaudia quaero, nec fas, sed gnato manis perferre sub imos.’ Aurora interea miseris mortalibus almam extulerat lucem, referens opera atque labores: iam pater Aeneas, iam curvo in litore Tarchon constituere pyras; huc corpora quisque suorum more tulere patrum, subiectisque ignibus atris conditur in tenebras altum caligine caelum. ter circum accensos cincti fulgentibus armis

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Krieg vor unserer Tür, ihr Gelübde, Gebete von keinem Gotte erhört! Du, meine treueste Gattin, bist glücklich, weil du durch den Tod vor diesem Kummer bewahrt bliebst! Ich überwand mein Schicksal, indem ich, den Sohn überlebend, weiterlebte als Vater. Ach läg im Gefolge der Troer ich unter Rutulerspeeren! Ich hätt mein Leben gegeben, mich brächt dieser Trauerzug heim, doch nicht meinen Pallas! Euch aber, Teukrer, klage ich nicht an, nicht die Verträge, nicht die zum Zeichen der Freundschaft gereichten Hände: Bestimmt war dieses Los meinem Alter. Und traf der Tod meinen Sohn zu früh, so freut mich, dass er, der die Teukrer nach Latium führte, dann erst fiel, als schon tausend Volsker umgebracht waren. Würdiger könnte auch ich dich nicht bestatten, mein Pallas, als der fromme Aeneas und als die vornehmen Phryger, als die Tyrrhenerherrn und das ganze Heer der Tyrrhener. Große Trophäen derer, die in den Tod deine Rechte schickte, bringen sie; du auch stündest als riesiger Baum in Waffen da, wär euer Alter gleich und die Kraft durch die Jahre, Turnus. Aber ich Elender halt ja die Teukrer vom Kampf ab! Geht denn und bringt eurem König gewissenhaft hier diese Botschaft: Wenn ich nach Pallas’ Tod das verhasste Leben noch friste, ist der Grund deine Rechte; sie ist, wie du sehen kannst, Turnus schuldig dem Sohn und dem Vater. Für dein Glück, deine Verdienste bleibt nur dieser Bereich. Nicht such ich fürs Leben die Freude, Frevel wär’s – nein, um dem Sohn sie hinab zu den Manen zu bringen.« Wiedergebracht den elenden Sterblichen hatte indes das Frührot sein nährendes Licht zusammen mit Arbeit und Mühsal: Schon ließ Vater Aeneas, am Küstenbogen auch Tarchon, schichten die Holzstöße; jeder trug da die Leichen der Seinen hierher nach Väterbrauch, und entzündet wurden die düstren Feuer, in Finsternis hüllte den hohen Himmel ihr Qualmen. Dreimal zogen sie dann, gegürtet mit blitzenden Waffen,

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decurrere rogos, ter maestum funeris ignem lustravere in equis ululatusque ore dedere. spargitur et tellus lacrimis, sparguntur et arma, it caelo clamorque virum clangorque tubarum. hic alii spolia occisis derepta Latinis coniciunt igni, galeas ensesque decoros frenaque ferventisque rotas; pars munera nota, ipsorum clipeos et non felicia tela. multa boum circa mactantur corpora Morti, saetigerosque sues raptasque ex omnibus agris in flammam iugulant pecudes. tum litore toto ardentis spectant socios semustaque servant busta, neque avelli possunt, nox umida donec invertit caelum stellis fulgentibus aptum. Nec minus et miseri diversa in parte Latini innumeras struxere pyras, et corpora partim multa virum terrae infodiunt avectaque partim finitimos tollunt in agros urbique remittunt. cetera confusaeque ingentem caedis acervum nec numero nec honore cremant: tunc undique vasti certatim crebris conlucent ignibus agri. tertia lux gelidam caelo dimoverat umbram: maerentes altum cinerem et confusa ruebant ossa focis tepidoque onerabant aggere terrae. iam vero in tectis, praedivitis urbe Latini, praecipuus fragor et longi pars maxima luctus; hic matres miseraeque nurus, hic cara sororum pectora maerentum puerique parentibus orbi dirum exsecrantur bellum Turnique hymenaeos: ipsum armis ipsumque iubent decernere ferro, qui regnum Italiae et primos sibi poscat honores. ingravat haec saevus Drances solumque vocari

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rings um die Scheiterhaufen, umkreisten dreimal zu Pferd das traurige Totenfeuer und ließen ihr Klagen ertönen. Tränen benetzten die Erde und Tränen die Waffen, zum Himmel steigt der Wehruf der Männer, dazu der Schall der Trompeten. Die dort werfen die Spolien, die sie erschlagnen Latinern raubten, ins Feuer, Helme, verzierte Schwerter und Zaumzeug, auch die glühenden Räder; bekannte Spenden die andren, Schilde der Toten und nicht vom Glück gesegnete Speere. Zahlreiche Rinder werden ringsum dem Tode geopfert, borstige Schweine und Schafe, von allen Feldern geraubte, schlachten sie ab für die Glut. Sie schaun, wie am ganzen Gestade ihre Gefährten verbrennen, bewachen die halb erst verbrannten Holzstöße, können sich nicht losreißen, bis endlich die feuchte Nacht den Himmel dreht, der mit funkelnden Sternen bedeckt ist. So auch errichten an anderer Stelle die armen Latiner zahllose Scheiterhaufen, und sie vergraben die vielen Leichen teils in der Erde, teils bringt man sie weg, überführt sie in benachbartes Land und schickt sie zurück in die Hauptstadt. Aber den Rest, einen riesigen Berg nicht entwirrbarer Toter – ohne zu zählen verbrennen sie die ohne Ehrung: Im Wettstreit leuchten verwaiste Felder ringsum von zahlreichen Feuern. Dreimal vertrieb der Tag den eisigen Schatten vom Himmel: Trauernd wühlten sie Haufen von Asche, verstreute Gebeine jetzt aus der Brandstätte, deckten dann warme Erde darüber. Doch in den Häusern der Stadt des reichen Latinus ertönt die Klage besonders laut, und sehr lang währte die Trauer; hier verfluchen Mütter und Schwiegertöchter im Elend, liebende Herzen der trauernden Schwestern und, nun ohne Eltern, Kinder den schrecklichen Krieg und die Hochzeit, die Turnus sich wünschte: Er nur solle mit Waffen, allein mit dem Schwerte entscheiden, er, der Italiens Reich und die höchsten Ehren verlange. Dies bekräftigt der grimmige Drankes, indem er bezeugt, man

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testatur, solum posci in certamina Turnum. multa simul contra variis sententia dictis pro Turno, et magnum reginae nomen obumbrat, multa virum meritis sustentat fama tropaeis. Hos inter motus, medio in flagrante tumultu, ecce super maesti magna Diomedis ab urbe legati responsa ferunt: nihil omnibus actum tantorum impensis operum, nil dona neque aurum nec magnas valuisse preces, alia arma Latinis quaerenda aut pacem Troiano ab rege petendum. deficit ingenti luctu rex ipse Latinus; fatalem Aenean manifesto numine ferri admonet ira deum tumulique ante ora recentes. ergo concilium magnum primosque suorum imperio accitos alta intra limina cogit. olli convenere fluuntque ad regia plenis tecta viis. sedet in mediis et maximus aevo et primus sceptris haud laeta fronte Latinus; atque hic legatos Aetola ex urbe remissos quae referant fari iubet, et responsa reposcit ordine cuncta suo. tum facta silentia linguis, et Venulus dicto parens ita farier infit: ‘Vidimus, o cives, Diomedem Argivaque castra, atque iter emensi casus superavimus omnis, contigimusque manum qua concidit Ilia tellus. ille urbem Argyripam patriae cognomine gentis victor Gargani condebat Iapygis agris. postquam introgressi et coram data copia fandi, munera praeferimus, nomen patriamque docemus, qui bellum intulerint, quae causa attraxerit Arpos. auditis ille haec placido sic reddidit ore: “o fortunatae gentes, Saturnia regna,

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rufe einzig und fordere einzig Turnus zum Kampfe. Gleichzeitig setzen sich viele für Turnus ein mit verschiednen Worten; ihn schützt der erhabene Name der Königin, und sein vielfacher Ruhm unterstützt ihn; er fußt auf errungnen Trophäen. Während man heftig erregt ist, inmitten des hitzigen Aufruhrs, sieh, da bringt die Gesandtschaft nun auch noch traurig die Antwort aus Diomedes’ mächtiger Stadt: Nichts sei dort mit allem Aufwand, so viel Mühe erreicht, nicht Gaben, nicht Gold, nicht dringende Bitten hätten gewirkt; um andere Waffen müsse sich Latium bemühn oder Frieden vom Troer erbitten. Tief betrübt verliert seinen Mut selbst König Latinus; göttlicher Zorn und die frischen Gräber vor Augen, sie mahnen: Klar sei von Göttern geleitet der Mann des Fatums, Aeneas. So versammelt den großen Rat er, die Ersten der Seinen, einberufen durch seinen Befehl, in dem hohen Palaste. Diese kommen zusammen und strömen zum Königshaus auf den vollen Straßen. Inmitten sitzt als der Älteste und der mächtigste Mann in der Herrschaft mit unfroher Stirne Latinus; jene Gesandten, die aus der Stadt der Ätoler zurück sind, lässt er Bericht erstatten und fordert alle Bescheide in ihrer Reihenfolge. Darauf verstummen sie alle; Venulus fängt, dem Befehl gehorchend, so an zu sprechen: »Bürger, wir sahn Diomedes, dazu die argivische Siedlung, und auf dem Weg dorthin überwanden wir alle Gefahren und berührten die Hand, die Iliums Erde zerstörte. Siegreich, erbaute im Land der Ïapyger auf dem Garganus er Argyripa, das nach dem Land seiner Väter benannt ist. Als wir vor ihn traten und er uns zu reden erlaubte, reichten die Gaben wir dar und nannten ihm Namen und Heimat, sagten, wer uns bekriegt und was uns nach Arpi geführt hat. Als er’s gehört hatte, gab er mit freundlicher Miene die Antwort: ›O, ihr Völker, gesegnet vom Glück, saturnische Reiche,

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antiqui Ausonii, quae vos fortuna quietos sollicitat suadetque ignota lacessere bella? quicumque Iliacos ferro violavimus agros (mitto ea quae muris bellando exhausta sub altis, quos Simois premat ille viros) infanda per orbem supplicia et scelerum poenas expendimus omnes, vel Priamo miseranda manus; scit triste Minervae sidus et Euboicae cautes ultorque Caphereus. militia ex illa diversum ad litus abacti Atrides Protei Menelaus adusque columnas exulat, Aetnaeos vidit Cyclopas Ulixes. regna Neoptolemi referam versosque penates Idomenei? Libycone habitantis litore Locros? ipse Mycenaeus magnorum ductor Achivum coniugis infandae prima inter limina dextra oppetiit: devictam Asiam subsedit adulter. invidisse deos, patriis ut redditus aris coniugium optatum et pulchram Calydona viderem? nunc etiam horribili visu portenta sequuntur et socii amissi petierunt aethera pinnis fluminibusque vagantur aves (heu, dira meorum supplicia!) et scopulos lacrimosis vocibus implent. haec adeo ex illo mihi iam speranda fuerunt tempore cum ferro caelestia corpora demens appetii et Veneris violavi vulnere dextram. ne vero, ne me ad talis impellite pugnas: nec mihi cum Teucris ullum post eruta bellum Pergama nec veterum memini laetorve malorum. munera quae patriis ad me portatis ab oris vertite ad Aenean. stetimus tela aspera contra contulimusque manus: experto credite quantus in clipeum adsurgat, quo turbine torqueat hastam.

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alte Ausonier, welches Geschick schreckt euch aus der Ruhe auf und rät euch, zum Krieg, den zuvor ihr nicht kanntet, zu reizen? Alle, die wir mit dem Schwert das Gebiet von Ilium verletzten – was im Krieg unter hohen Mauern wir litten, verschweig ich, auch die Begrabnen im Simoïs –, dulden unsägliche Qualen überall auf der Welt, für Verbrechen vielfältig büßend; Priamus selbst hätte Mitleid mit uns; das wissen Minervas düstres Gestirn, das euböische Riff und der Rächer Kaphereus. Nach jenem Feldzug nun an verschiedene Küsten verschlagen, lebt Menelaus, des Atreus Sohn, in der Fremde bei Proteus’ Säulen, bekam die Kyklopen des Aetna Ulixes zu sehen. Soll Neoptolemus’ Reich ich erwähnen, den Sturz der Penaten auch des Idomeneus? Lokrer, die siedeln am libyschen Strande? Er sogar, der mykenische Führer der großen Achiver, fand auf der Schwelle den Tod von der Hand seiner ruchlosen Gattin: Ihr Geliebter lauerte auf den Sieg über Asien. Ach, dass die Götter mir missgönnten, wiederzusehn am Hausaltar die ersehnte Gemahlin und Kalydons Schönheit! Jetzt noch verfolgen mit schrecklichem Anblick mich grausige Bilder; meine verlornen Gefährten, sie eilten mit Flügeln zum Äther, schweifen an Flüssen als Vögel – welch grässliche Pein für die Meinen! – und erfüllen die Felsen mit ihren klagenden Lauten. Dieses musste ich nun für mich auch erwarten seit jener Zeit, als ich im Wahn mit dem Schwerte göttliche Wesen angriff und die Rechte der Venus frevelnd verletzte. Nein, fürwahr, nein, drängt mich nicht zu solchen Gefechten: Ich führ keinen Krieg mit den Teukrern seit der Zerstörung Pergamums, denk nicht voll Freude an ihre früheren Leiden. Hier die Geschenke, die ihr aus eurer Heimat mir mitbringt, gebt an Aeneas sie weiter. Wir standen Speer gegen Speer und Faust gegen Faust im Kampf: Glaubt mir, ich erfuhr es, zu welcher Größe er sich erhebt mit dem Schild, wie er wirbelnd den Speer wirft.

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si duo praeterea talis Idaea tulisset terra viros, ultro Inachias venisset ad urbes Dardanus et versis lugeret Graecia fatis. quidquid apud durae cessatum est moenia Troiae, Hectoris Aeneaeque manu victoria Graium haesit et in decimum vestigia rettulit annum; ambo animis, ambo insignes praestantibus armis, hic pietate prior. coeant in foedera dextrae, qua datur; ast armis concurrant arma cavete.” et responsa simul quae sint, rex optime, regis audisti et quae sit magno sententia bello.’ Vix ea legati, variusque per ora cucurrit Ausonidum turbata fremor, ceu saxa morantur cum rapidos amnis, fit clauso gurgite murmur vicinaeque fremunt ripae crepitantibus undis. ut primum placati animi et trepida ora quierunt, praefatus divos solio rex infit ab alto: ‘Ante equidem summa de re statuisse, Latini, et vellem et fuerat melius, non tempore tali cogere concilium, cum muros adsidet hostis. bellum importunum, cives, cum gente deorum invictisque viris gerimus, quos nulla fatigant proelia nec victi possunt absistere ferro. spem si quam ascitis Aetolum habuistis in armis, ponite: spes sibi quisque. sed haec quam angusta videtis. cetera qua rerum iaceant perculsa ruina, ante oculos interque manus sunt omnia vestras. nec quemquam incuso: potuit quae plurima virtus esse, fuit; toto certatum est corpore regni. nunc adeo quae sit dubiae sententia menti expediam et paucis (animos adhibete) docebo. est antiquus ager Tusco mihi proximus amni,

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Hätte zusätzlich zwei solche Männer geboren das Land am Ida, wären zu Inachus’ Städten gekommen von selbst die Troer, trauerte wegen der Wende des Schicksals jetzt Hellas. Während der Kampf um die Mauern des harten Troja sich hinzog, hielten Hektors Hand und die des Aeneas den Sieg der Griechen auf, und er schleppte sich hin bis ins zehnte der Jahre; beide glänzten durch Mut und durch überlegene Waffen, frömmer jedoch ist er. Drum gebt euch zum Bündnis die Hände, wie es sich bietet; doch lasst nicht Waffen treffen auf Waffen.‹ Bester König, du hörtest zugleich die Antwort des Fürsten, wie sie lautet, und was er meint vom gewaltigen Kriege.« So die Delegation; gleich lief vielfaches Gemurmel bei den verstörten Ausoniern von Mund zu Mund, wie wenn wilde Ströme Felsgestein hemmt; im gestauten Strudel entsteht ein Tosen, die nahen Ufer erdröhnen beim Aufschlag der Wellen. Kaum aber ist man beruhigt, das ängstliche Reden beendet, ruft zu den Göttern der König und spricht vom erhabenen Throne: »Dass wir über das Wohl des Landes schon früher entschieden hätten, wünscht ich, Latiner, und besser wär’s, hätten wir nicht den Rat erst jetzt versammelt, da vor den Mauern der Feind liegt. Gegen ein Göttergeschlecht und unbesiegbare Männer führn einen aussichtslosen Krieg wir, Bürger; sie schwächt kein Kampf, und auch als Besiegte können vom Schwert sie nicht lassen. Setztet aufs Bündnis mit den Ätolern ihr Hoffnung, so lasst sie fahren: Hoffnung ist jeder sich selbst. Wie schwach sie ist, seht ihr. Wie der Rest unsrer Macht jetzt daliegt, zerschmettert in Trümmern, habt ihr vor Augen, und alles ist nun ja mit Händen zu greifen. Aber ich klag keinen an: Was höchste Tapferkeit leisten konnte, das bot sie; gekämpft hat das Reich mit all seinen Kräften. Jetzt aber lege ich dar, welche Meinung, auch wenn ich noch schwanke, ich vertrete; ich will – passt auf! – sie in Kürze erläutern. Uraltes Land besitze ich nahe dem tuskischen Strome,

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longus in occasum, finis super usque Sicanos; Aurunci Rutulique serunt et vomere duros exercent colles atque horum asperrima pascunt. haec omnis regio et celsi plaga pinea montis cedat amicitiae Teucrorum, et foederis aequas dicamus leges sociosque in regna vocemus: considant, si tantus amor, et moenia condant. sin alios finis aliamque capessere gentem est animus possuntque solo decedere nostro, bis denas Italo texamus robore navis, seu pluris complere valent (iacet omnis ad undam materies): ipsi numerumque modumque carinis praecipiant, nos aera, manus, navalia demus. praeterea, qui dicta ferant et foedera firment centum oratores prima de gente Latinos ire placet pacisque manu praetendere ramos, munera portantis aurique eborisque talenta et sellam regni trabeamque insignia nostri. consulite in medium et rebus succurrite fessis.’ Tum Drances idem infensus, quem gloria Turni obliqua invidia stimulisque agitabat amaris, largus opum et lingua melior, sed frigida bello dextera, consiliis habitus non futtilis auctor, seditione potens (genus huic materna superbum nobilitas dabat, incertum de patre ferebat), surgit et his onerat dictis atque aggerat iras: ‘rem nulli obscuram nostrae nec vocis egentem consulis, o bone rex: cuncti se scire fatentur quid fortuna ferat populi, sed dicere mussant. det libertatem fandi flatusque remittat, cuius ob auspicium infaustum moresque sinistros (dicam equidem, licet arma mihi mortemque minetur)

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weithin erstreckt sich’s nach Westen, noch über die Grenzen Sikaniens; Rutuler und Aurunker bestellen es, pflügen die harte Erde der Hügel und nutzen die kärgsten Strecken als Weide. Dieses ganze Gebiet mit dem Fichtenwald hoch auf dem Berge sei der Preis für die Freundschaft der Teukrer; fixiern wir gerechte Satzungen per Vertrag und holn sie als Bundesgenossen: Mögen sie, wünschen so sehr sie’s, dort siedeln und Mauern errichten. Wenn sie jedoch für das Land eines anderen Volks sich entscheiden möchten und sich imstand sehn, unser Gebiet zu verlassen, lasst uns zwanzig Schiffe erbaun aus italischem Kernholz, oder, sollten sie mehr beladen können – das ganze Bauholz gibt es am Fluss –: Für die Schiffe sollen sie selber festsetzen Zahl und Maß; Erz, Hände und Werft liefern wir dann. Ferner, so meine ich, solln, um die Botschaft zu bringen und unsern Bund zu bekräftigen, hundert Gesandte, Latiner von edler Herkunft, gehn, mit der Hand hinstrecken die Zweige des Friedens und als Geschenke Talente von Gold und Elfenbein tragen, Thron und Trabea auch, die Insignien unserer Herrschaft. Sorgt nun für das Gemeinwohl und helft dem Land, das erschöpft ist!« Dann steht, feindlich wie immer, Drankes auf, welchen des Turnus Ruhm umtrieb mit den bitteren Stacheln kleinlicher Missgunst, reich an Gütern, begabter im Reden, doch schwach mit der Hand im Kriege, im Rate jedoch als gewichtiger Ratgeber geltend, Meister im Aufhetzen – ihm verlieh der Adel der Mutter vornehme Herkunft; nichts Sicheres ließ von dem Vater er hören –, und er vermehrt und steigert die Wut mit folgenden Worten: »Etwas, das jedermann klar ist und nicht unsres Wortes bedürftig, stellst du anheim, bester König: Denn alle gestehen zu wissen, was das Geschick unsres Volks bringt, zögern jedoch, es zu sagen. Redefreiheit gewähr er und lege den Stolz ab, aufgrund von dessen glückloser Kriegführung und dessen bösem Charakter – ja, ich sag es, auch wenn er Kampf und Sterben mir androht –

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lumina tot cecidisse ducum totamque videmus consedisse urbem luctu, dum Troia temptat castra fugae fidens et caelum territat armis. unum etiam donis istis, quae plurima mitti Dardanidis dicique iubes, unum, optime regum, adicias, nec te ullius violentia vincat quin natam egregio genero dignisque hymenaeis des pater et pacem hanc aeterno foedere iungas. quod si tantus habet mentes et pectora terror, ipsum obtestemur veniamque oremus ab ipso: cedat, ius proprium regi patriaeque remittat. quid miseros totiens in aperta pericula cives proicis, o Latio caput horum et causa malorum? nulla salus bello: pacem te poscimus omnes, Turne, simul pacis solum inviolabile pignus. primus ego, invisum quem tu tibi fingis (et esse nil moror), en supplex venio. miserere tuorum, pone animos et pulsus abi. sat funera fusi vidimus ingentis et desolavimus agros. aut si fama movet, si tantum pectore robur concipis et si adeo dotalis regia cordi est, aude atque adversum fidens fer pectus in hostem. scilicet ut Turno contingat regia coniunx, nos animae viles, inhumata infletaque turba, sternamur campis. etiam tu, si qua tibi vis, si patrii quid Martis habes, illum aspice contra qui vocat.’ Talibus exarsit dictis violentia Turni; dat gemitum rumpitque has imo pectore voces: ‘larga quidem semper, Drance, tibi copia fandi tum cum bella manus poscunt, patribusque vocatis primus ades; sed non replenda est curia verbis,

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so viel glänzende Führer nun tot wir sehen, die ganze Stadt versunken in Leid, während er bestürmte das Camp der Troer, vertrauend der Flucht, und den Himmel mit Waffen erschreckte. Eine Gabe noch magst du zu jenen zahlreichen, die den Troern du schicken und zueignen lässt, der Könige Bester, eine hinzutun, und möge niemand gewaltsam dich hindern: Gib zu würdiger Ehe dem herrlichen Schwiegersohn deine Tochter als Vater; ein ewiges Bündnis besiegle den Frieden. Wenn aber furchtbarer Schrecken erfüllt die Herzen und Sinne, lasst uns ihn selber beschwören und Gunst von ihm selber erflehen: Weichen soll er, ihr Recht zurückgeben König und Heimat. Was stürzt arme Bürger so oft in Gefahr du, die klar sich zeigt, du Quelle und Grund all dieser Übel für Latium? Kein Heil liegt im Krieg: Den Frieden verlangen wir alle, Turnus, zugleich die allein nicht verletzliche Bürgschaft für Frieden. Ich, dein Feind, wie du dir einbildest – gut denn, ich bin es –, siehe, ich komme als erster und bitte. Erbarm dich der Deinen, leg deinen Stolz ab und gib dich geschlagen. Wir sahen an Toten als Besiegte genug, entvölkerten riesige Felder. Treibt dich aber dein Ruhm, spürst solche Kraft in der Brust du, liegt dir der Königspalast so sehr am Herzen als Mitgift, wage es, stell voll Vertrauen dich Mann gegen Mann deinem Gegner. Klar, damit seine fürstliche Gattin Turnus bekomme, sollen wir niedrigen Wesen, unbeweint, auch nicht begraben, Felder bedecken. Auch du, wenn du irgendetwas an Kraft hast, etwas vom Kampfgeist der Väter besitzt, dann schau ihm ins Auge, der dich herausfordert.« Wegen solcher Worte entbrannte die Wildheit des Turnus; stöhnend stößt er aus tiefster Brust hervor diese Worte: »Reichlich, Drankes, verfügst du ja über die Fülle der Rede dann, wenn Kriege nach Taten verlangen; zum Rate der Väter kommst du als erster; doch nicht bedarf die Versammlung des Wortschwalls,

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quae tuto tibi magna volant, dum distinet hostem agger moerorum nec inundant sanguine fossae. proinde tona eloquio (solitum tibi) meque timoris argue tu, Drance, quando tot stragis acervos Teucrorum tua dextra dedit passimque tropaeis insignis agros. possit quid vivida virtus experiare licet, nec longe scilicet hostes quaerendi nobis; circumstant undique muros. imus in adversos: quid cessas? an tibi Mavors ventosa in lingua pedibusque fugacibus istis semper erit? pulsus ego? aut quisquam merito, foedissime, pulsum arguet, Iliaco tumidum qui crescere Thybrim sanguine et Euandri totam cum stirpe videbit procubuisse domum atque exutos Arcadas armis? haud ita me experti Bitias et Pandarus ingens et quos mille die victor sub Tartara misi, inclusus muris hostilique aggere saeptus. nulla salus bello? capiti cane talia, demens, Dardanio rebusque tuis. proinde omnia magno ne cessa turbare metu atque extollere vires gentis bis victae, contra premere arma Latini. nunc et Myrmidonum proceres Phrygia arma tremescunt, amnis et Hadriacas retro fugit Aufidus undas. vel cum se pavidum contra mea iurgia fingit, artificis scelus, et formidine crimen acerbat. numquam animam talem dextra hac (absiste moveri) amittes: habitet tecum et sit pectore in isto. nunc ad te et tua magna, pater, consulta revertor. si nullam nostris ultra spem ponis in armis, si tam deserti sumus et semel agmine verso funditus occidimus neque habet Fortuna regressum,

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der dir in Sicherheit mächtig entströmt, solange den Feind der Mauerwall fernhält, vom Blut nicht überfließen die Gräben. Donnere nur eloquent – wie gewohnt –, und bezichtige du der Furcht mich, Drankes, zumal doch so viele Leichen der Teukrer aufgehäuft hat dein Arm und allenthalben geschmückt hat mit Trophäen das Feld. Was lebendige Tatkraft vermag, das darfst du ausprobiern; weit weg müssen unsere Feinde wir ja nicht suchen; umlagern sie doch allseits unsre Mauern. Ziehen wir gegen sie los: Was zögerst du? Oder wird Kampfgeist nur auf der prahlenden Zunge und deinen flüchtigen Füßen immer sich zeigen? Ich geschlagen? Wird einer, du Schändlicher, mich denn geschlagen schelten mit Recht, der sieht, wie, schwellend von ilischem Blut, der Thybris steigt, wie das ganze Geschlecht Euanders am Boden liegt samt dem Nachwuchs, die Arkader alle beraubt sind der Waffen? Nicht so lernten mich Bitias und Pandarus kennen, die Riesen, nicht die Tausend, die siegreich an einem Tag ich zum Orkus schickte, von Mauern umschlossen, vom Wall der Feinde umgeben. Kein Heil liegt im Krieg? Das leiere, Narr, doch dem Haupt der Dardaner vor, deiner eignen Partei! Hör nicht auf, durch große Angst zu verwirren das alles, die Stärke des zweimal besiegten Volkes zu rühmen sowie zu verkleinern die Macht des Latinus. Jetzt zittern Myrmidonenfürsten vor phrygischen Waffen, jetzt fließt rückwärts der Aufidus, flieht vor den Adria-Wogen. Oder wenn Angst er fingiert vor meinem Drohen, ist’s nur der Trick eines Gauners, und durch die Furcht verschärft er den Vorwurf. Nie wirst solch ein Leben von dieser Hand – sei beruhigt! – du verlieren: In deiner Brust soll’s wohnen und bleiben. Jetzt aber komme ich, Vater, zu dir, deinen wichtigen Plänen. Wenn fortan keine Hoffnung du setzt in unsere Waffen, wenn wir so verlassen sind und, weil wir einmal nicht siegten, gänzlich zugrunde gehn und kein Rückweg bleibt für Fortuna,

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oremus pacem et dextras tendamus inertis. quamquam o si solitae quicquam virtutis adesset! ille mihi ante alios fortunatusque laborum egregiusque animi, qui, ne quid tale videret, procubuit moriens et humum semel ore momordit. sin et opes nobis et adhuc intacta iuventus auxilioque urbes Italae populique supersunt, sin et Troianis cum multo gloria venit sanguine (sunt illis sua funera, parque per omnis tempestas), cur indecores in limine primo deficimus? cur ante tubam tremor occupat artus? multa dies variique labor mutabilis aevi rettulit in melius, multos alterna revisens lusit et in solido rursus Fortuna locavit. non erit auxilio nobis Aetolus et Arpi: at Messapus erit felixque Tolumnius et quos tot populi misere duces, nec parva sequetur gloria delectos Latio et Laurentibus agris. est et Volscorum egregia de gente Camilla agmen agens equitum et florentis aere catervas. quod si me solum Teucri in certamina poscunt idque placet tantumque bonis communibus obsto, non adeo has exosa manus Victoria fugit ut tanta quicquam pro spe temptare recusem. ibo animis contra, vel magnum praestet Achillem factaque Volcani manibus paria induat arma ille licet. vobis animam hanc soceroque Latino Turnus ego, haud ulli veterum virtute secundus, devovi. solum Aeneas vocat? et vocet oro; nec Drances potius, sive est haec ira deorum, morte luat, sive est virtus et gloria, tollat.’ Illi haec inter se dubiis de rebus agebant

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bitten um Frieden wir denn, wehrlos ausstreckend die Hände. Dennoch – wär doch von früherer Tatkraft noch etwas vorhanden! Der ist für mich vor anderen glücklich bei all seiner Mühsal, hat auch besonderen Mut, der, um nicht sowas zu sehen, nun einmal sterbend fiel und die Erde biss mit den Zähnen. Wenn aber Macht, eine Mannschaft, die unversehrt ist bis jetzt noch, und als Hilfe italische Städte und Völker uns blieben, wenn aber mit viel Blut ihren Ruhm auch die Troer erkauften – Tote begraben auch sie, es bläst bei allen der gleiche Sturmwind –, warum versagen wir gleich am Anfang schon ruhmlos? Warum befällt schon vor dem Trompetenton Zittern die Glieder? Vieles wandten zum Bessern ein Tag und die wechselnde Mühsal unseres unsteten Lebens, Fortuna, wechselhaft, täuschte viele, kam aber wieder, auf festen Boden sie stellend. Uns zu Hilfe kommen nicht der Ätoler und Arpi: Aber Messapus, Tolumnius, der stets Glück hat, und viele Führer, die so viel Völker schickten; und keinen geringen Ruhm gewinnen sich die aus Laurentum und Latium Erwählten. Auch Camilla ist da, aus dem edlen Stamme der Volsker, führt ihren Reiterzug an und die ehern funkelnden Scharen. Wenn aber mich allein die Teukrer fordern zum Kampf und ihr dem zustimmt, wenn ich so sehr dem Gemeinwohl im Weg bin – nicht so sehr hat voll Hass meine Hände gemieden Viktoria, dass ich mich weigre, für so eine Hoffnung etwas zu wagen. Tapfer stell ich mich, mag denn jener den großen Achilles spielen und so wie er von Vulkanus verfertigte Waffen anlegen. Euch und Latinus, dem Schwiegervater, euch hab ich, Turnus, der keinem der Früheren nachsteht an Tapferkeit, dieses Leben geweiht. Ruft mich nur Aeneas? Er rufe, ich bitt drum; zürnen die Götter, soll Drankes es nicht sein, der mit dem Tod büßt, winkt aber Ruhm durch Tapferkeit, soll nicht er ihn erwerben.« So verhandelten sie über ihre schwierige Lage

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certantes; castra Aeneas aciemque movebat. nuntius ingenti per regia tecta tumultu ecce ruit magnisque urbem terroribus implet: instructos acie Tiberino a flumine Teucros Tyrrhenamque manum totis descendere campis. extemplo turbati animi concussaque vulgi pectora et arrectae stimulis haud mollibus irae. arma manu trepidi poscunt, fremit arma iuventus, flent maesti mussantque patres; hic undique clamor dissensu vario magnus se tollit in auras, haud secus atque alto in luco cum forte catervae consedere avium piscosove amne Padusae dant sonitum rauci per stagna loquacia cycni. ‘immo,’ ait ‘o cives,’ arrepto tempore Turnus, ‘cogite concilium et pacem laudate sedentes; illi armis in regna ruunt.’ nec plura locutus corripuit sese et tectis citus extulit altis. ‘tu, Voluse, armari Volscorum edice maniplis, duc’ ait ‘et Rutulos. equitem Messapus in armis et cum fratre Coras latis diffundite campis. pars aditus urbis firment turrisque capessant; cetera, qua iusso, mecum manus inferat arma.’ Ilicet in muros tota discurritur urbe. concilium ipse pater et magna incepta Latinus deserit ac tristi turbatus tempore differt multaque se incusat qui non acceperit ultro Dardanium Aenean generumque asciverit urbi. praefodiunt alii portas aut saxa sudesque subvectant. bello dat signum rauca cruentum bucina; tum muros varia cinxere corona matronae puerique: vocat labor ultimus omnis. nec non ad templum summasque ad Palladis arces

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streitend; Aeneas indes brach auf und rückte zum Kampf aus. Große Unruhe auslösend platzt in den Königspalast die Kunde, und diese erfüllt die Stadt mit gewaltigem Schrecken: Von dem Tiberfluss rückten in Reih und Glied die Trojaner und das Heer der Tyrrhener heran weithin auf den Feldern. Gleich sind da die Gemüter bestürzt, und erschreckt ist die Menge, unsanft angestachelt werden Gefühle des Zornes. Waffen verlangen sie hastig, es schreit nach Waffen die Jugend, traurig weinen und murmeln die Väter, und allseits erhebt sich, weil man sich uneinig ist, ein lautes Geschrei in die Lüfte, wie wenn oben im Hain sich gerade Scharen von Vögeln niedergelassen haben oder in plappernden Sümpfen Schwäne heiser lärmen am fischreichen Lauf der Padusa. »Ja, ihr Mitbürger«, ruft, die Gelegenheit wahrnehmend, Turnus, »haltet nur Rat und lobt, indem ihr dasitzt, den Frieden; die aber stürzen in Waffen zur Herrschaft.« Nichts weiter mehr sprach er, sprang dann auf und entfernte sich schnell aus dem hohen Palast. Er rief dann: »Volusus, lass die Manipeln der Volsker sich rüsten, führ auch die Rutuler an. Messapus, du, Coras, mit deinem Bruder, ausschwärmen lasst übers Feld hin bewaffnete Reiter. Ein Teil soll die Stadttore sichern, die Türme besetzen; wo ich’s befehl, soll mit mir angreifen die restliche Truppe.« Alles läuft sofort in der ganzen Stadt zu den Mauern. Vater Latinus selbst nimmt Abstand vom Rat und den großen Plänen und schiebt sie auf, verstört durch die düstere Lage, und klagt heftig sich an, weil den Troer Aeneas er nicht von sich aus empfing und dann in die Stadt als Schwiegersohn einband. Einige ziehen Gräben vorm Tor, oder Steine und Pfähle schleppen sie her. Zum Kampf gibt, heiser ertönend, das Horn das blutige Zeichen; in bunter Reihe besetzen die Mauern Frauen und Knaben: Es ruft die äußerste Notlage alle. Ebenso fährt zum Tempel, der hohen Festung der Pallas,

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subvehitur magna matrum regina caterva dona ferens, iuxtaque comes Lavinia virgo, causa mali tanti, oculos deiecta decoros. succedunt matres et templum ture vaporant et maestas alto fundunt de limine voces: ‘armipotens, praeses belli, Tritonia virgo, frange manu telum Phrygii praedonis et ipsum pronum sterne solo portisque effunde sub altis.’ cingitur ipse furens certatim in proelia Turnus. iamque adeo rutilum thoraca indutus aënis horrebat squamis surasque incluserat auro, tempora nudus adhuc, laterique accinxerat ensem fulgebatque alta decurrens aureus arce exsultatque animis et spe iam praecipit hostem: qualis ubi abruptis fugit praesepia vinclis tandem liber equus, campoque potitus aperto aut ille in pastus armentaque tendit equarum aut adsuetus aquae perfundi flumine noto emicat arrectisque fremit cervicibus alte luxurians, luduntque iubae per colla, per armos. Obvia cui Volscorum acie comitante Camilla occurrit portisque ab equo regina sub ipsis desiluit, quam tota cohors imitata relictis ad terram defluxit equis; tum talia fatur: ‘Turne, sui merito si qua est fiducia forti, audeo et Aeneadum promitto occurrere turmae solaque Tyrrhenos equites ire obvia contra. me sine prima manu temptare pericula belli, tu pedes ad muros subsiste et moenia serva.’ Turnus ad haec oculos horrenda in virgine fixus: ‘o decus Italiae virgo, quas dicere grates quasve referre parem? sed nunc, est omnia quando

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samt einer großen Schar von Müttern die Königin, Gaben bringend, die Jungfrau Lavinia an der Seite, den Grund für solches Leid, zu Boden gesenkt ihre strahlenden Augen. Ihnen folgen die Mütter, erfüllen den Tempel mit Weihrauch, lassen von hoher Schwelle nun traurige Worte ertönen: »Waffengewaltige Jungfrau, Herrin des Krieges, Tritonia, du zerbrich mit der Hand die Waffe des phrygischen Räubers, bring ihn zu Fall, streck hin ihn am Fuße der ragenden Tore.« Rasend gürtet voll Eifer sich Turnus selber zum Kampfe. Schon mit dem rötlichen Panzer angetan, starrte er da von ehernen Schuppen und hatte mit Gold die Waden umschlossen, noch nicht bedeckt an den Schläfen, das Schwert an die Seite gegürtet, und in goldenem Glanze lief er herab von der Festung; mutig frohlockt er und hat im Geist den Feind schon vor Augen: So zerreißt seine Stricke und stürzt hinweg von der Krippe, endlich frei, ein Hengst, und hat er gewonnen das offne Feld, so strebt er der Weide zu und den Herden der Stuten, oder, gewohnt, im vertrauten Strome des Wassers zu baden, springt er empor und wiehert mit aufgerichtetem Nacken übermütig; es spielt um Hals und Bug seine Mähne. Ihm begegnete da, begleitet von Volskern, Camilla; unmittelbar vor dem Tor sprang ab vom Pferde die Fürstin; ihr tat’s nach die gesamte Kohorte und glitt auch herab vom Rücken der Pferde zur Erde; dann spricht sie folgende Worte: »Turnus, wenn denn der Tapfre zu Recht sich selber vertraut, ich wag’s und verspreche, entgegenzuziehn der Schwadron des Aeneas und mich allein in den Weg zu stellen tyrrhenischen Reitern. Lass mich im Nahkampf die ersten Gefahren des Krieges erproben, du bleib stehn bei den Mauern zu Fuß, um die Stadt zu beschützen.« Turnus, den Blick auf die Ehrfurcht erweckende Jungfrau geheftet: »Jungfrau, du, Italiens Ruhm, wie könnte ich je dir danken in Wort und Tat? Aber jetzt, wo dieser dein Mut sich

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iste animus supra, mecum partire laborem. Aeneas, ut fama fidem missique reportant exploratores, equitum levia improbus arma praemisit, quaterent campos; ipse ardua montis per deserta iugo superans adventat ad urbem. furta paro belli convexo in tramite silvae, ut bivias armato obsidam milite fauces. tu Tyrrhenum equitem conlatis excipe signis; tecum acer Messapus erit turmaeque Latinae Tiburtique manus, ducis et tu concipe curam.’ sic ait et paribus Messapum in proelia dictis hortatur sociosque duces et pergit in hostem. Est curvo anfractu valles, accommoda fraudi armorumque dolis, quam densis frondibus atrum urget utrimque latus, tenuis quo semita ducit angustaeque ferunt fauces aditusque maligni. hanc super in speculis summoque in vertice montis planities ignota iacet tutique receptus, seu dextra laevaque velis occurrere pugnae sive instare iugis et grandia volvere saxa: huc iuvenis nota fertur regione viarum arripuitque locum et silvis insedit iniquis. Velocem interea superis in sedibus Opim, unam ex virginibus sociis sacraque caterva, compellabat et has tristis Latonia voces ore dabat: ‘graditur bellum ad crudele Camilla, o virgo, et nostris nequiquam cingitur armis, cara mihi ante alias. neque enim novus iste Dianae venit amor subitaque animum dulcedine movit. pulsus ob invidiam regno virisque superbas Priverno antiqua Metabus cum excederet urbe, infantem fugiens media inter proelia belli

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hoch über alles erhebt, nimm Teil mit mir an der Mühsal. Wie uns Gerücht und gesandte Kundschafter glaubwürdig melden, hat Aeneas, der Schurke, die leichtbewaffneten Reiter vorgeschickt ins Feld mit Störauftrag; selbst aber rückt er auf dem Bergkamm über die einsamen Höhn auf die Stadt vor. Einen Hinterhalt lege ich ihm im Hohlweg des Waldes, beide Zugänge durch bewaffnete Männer besetzend. Du greif an die tyrrhenischen Reiter in offener Feldschlacht; mit dir reiten der wilde Messapus, Latinerschwadronen und des Tiburtus Truppe, und du übernimm auch die Führung!« Spricht’s und ermutigt mit gleichen Worten zum Kampf den Messapus und die verbündeten Führer und rückt dann gegen den Feind vor. Bogenförmig verläuft, wie geschaffen für Kriegslist und Trug, ein Tal, das auf beiden Seiten mit dichtem Laub eine düstre Wand einengt und wohin ein schmaler Waldsteig sich schlängelt, enge Schluchten auch und tückische Zugänge führen. Über dem Tal auf den Höhn liegt hoch auf dem Bergrücken eine nicht zu erkennende Hochfläche, welche ein sichres Versteck ist, wenn man zur Rechten oder zur Linken angreifen möchte oder, die Höhe behauptend, herabwälzen riesige Steine: Hierhin begibt sich der Jüngling, vertraut mit der Richtung der Wege, nimmt den Ort in Beschlag und besetzt die tückischen Wälder. Oben im Himmel sprach unterdes zu Opis, der flinken, einer Jungfrau aus ihrem Geleit und der heiligen Schar, die Tochter Latonas und ließ sie leidvolle Worte vernehmen: »Jungfrau, Camilla schreitet zu einem grausamen Kriege, und sie gürtet sich da vergebens mit unseren Waffen, sie, vor den andern mir lieb. Denn es kam nicht neu für Diana diese Liebe, bewegte ihr Herz nicht mit plötzlicher Wonne. Als aus dem Reiche vertrieben, verhasst, weil er hochmütig herrschte, Metabus aus Privernum, der uralten Stadt, sich entfernte, nahm auf der Flucht mitten durch Gefechte des Kriegs er sein kleines

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sustulit exilio comitem matrisque vocavit nomine Casmillae mutata parte Camillam. ipse sinu prae se portans iuga longa petebat solorum nemorum: tela undique saeva premebant et circumfuso volitabant milite Volsci. ecce fugae medio summis Amasenus abundans spumabat ripis: tantus se nubibus imber ruperat. ille innare parans infantis amore tardatur caroque oneri timet. omnia secum versanti subito vix haec sententia sedit: telum immane manu valida quod forte gerebat bellator, solidum nodis et robore cocto, huic natam libro et silvestri subere clausam implicat atque habilem mediae circumligat hastae; quam dextra ingenti librans ita ad aethera fatur: “alma, tibi hanc, nemorum cultrix, Latonia virgo, ipse pater famulam voveo; tua prima per auras tela tenens supplex hostem fugit. accipe, testor, diva tuam, quae nunc dubiis committitur auris.” dixit, et adducto contortum hastile lacerto immittit: sonuere undae, rapidum super amnem infelix fugit in iaculo stridente Camilla. at Metabus, magna propius iam urgente caterva, dat sese fluvio atque hastam cum virgine victor gramineo, donum Triviae, de caespite vellit. non illum tectis ullae, non moenibus urbes accepere (neque ipse manus feritate dedisset), pastorum et solis exegit montibus aevum. hic natam in dumis interque horrentia lustra armentalis equae mammis et lacte ferino nutribat teneris immulgens ubera labris. utque pedum primis infans vestigia plantis

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Kind als Gefährten seines Exils mit und nannte es nach dem Namen der Mutter Casmilla mit leichter Verändrung Camilla. Selbst es im Arm vor sich tragend, so strebte er einsamen Wäldern langer Bergrücken zu: Ihn bedrohten grausame Speere allseits, und rings umschwärmten ihn Krieger der Volsker in Scharen. Sieh, auf der Hälfte des Fluchtwegs, über die Ufer getreten, schäumte der Fluss Amasenus: So heftiger Regen war aus den Wolken gebrochen. Er macht sich zum Schwimmen bereit, doch es hemmt die Liebe zum Kind ihn, er bangt um die teure Last, überlegt dann alles, und diese Entscheidung traf widerstrebend er plötzlich: Sein gewaltiger Speer, den zum Glück er als Krieger in seiner Hand trug, knotig, gediegen, aus feuergehärtetem Holze – hieran macht er, mit Bast und Kork umwickelt, die Tochter fest und bindet sie, handlich zum Wurf, an die Mitte des Speeres; den in der kräftigen Rechten nun schwingend, ruft er zum Himmel: ›Nährende, dir, die du Wälder bewohnst, Latonia, Jungfrau, weih ich, der Vater, als Dienerin selbst sie; sie flieht durch die Luft vor Feinden bittflehend, hält deine Waffe erstmals. Ich bitt dich, Göttin, gefährlichen Lüften jetzt anvertraut, nimm sie zu eigen.‹ Sprach’s, und er winkelt den Arm an und schleudert schwungvoll dann seinen Wurfspeer: Es rauschten laut die Wogen und über den wilden Strom entfloh an dem schwirrenden Speer die arme Camilla. Metabus wirft, als schon nah eine große Truppe herandrängt, sich in den Fluss, und reißt dann drüben als Sieger die Lanze samt seiner Tochter, der Gabe für Trivia, los aus dem Grase. Ihn nahm keine Stadt in ihren Mauern und Häusern auf – aus Wildheit hätt er die Hand dazu nicht gereicht –; da führte er nun das Leben der Hirten auf einsamen Bergen. Hier im Gestrüpp und umgeben von scheußlichen Lagern des Wildes nährte sein Kind er mit Milch vom Euter der weidenden Stute, molk in die zarten Lippen dabei die Zitzen des Wildpferds. Als mit den Füßen die ersten festen Schritte das Kindchen

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institerat, iaculo palmas armavit acuto spiculaque ex umero parvae suspendit et arcum; pro crinali auro, pro longae tegmine pallae tigridis exuviae per dorsum a vertice pendent. tela manu iam tum tenera puerilia torsit et fundam tereti circum caput egit habena Strymoniamque gruem aut album deiecit olorem. multae illam frustra Tyrrhena per oppida matres optavere nurum: sola contenta Diana aeternum telorum et virginitatis amorem intemerata colit. vellem haud correpta fuisset militia tali conata lacessere Teucros: cara mihi comitumque foret nunc una mearum. verum age, quandoquidem fatis urgetur acerbis, labere, nympha, polo finisque invise Latinos, tristis ubi infausto committitur omine pugna. haec cape et ultricem pharetra deprome sagittam: hac, quicumque sacrum violarit vulnere corpus, Tros Italusque, mihi pariter det sanguine poenas. post ego nube cava miserandae corpus et arma inspoliata feram tumulo patriaeque reponam.’ dixit; at illa levis caeli delapsa per auras insonuit nigro circumdata turbine corpus. At manus interea muris Troiana propinquat Etruscique duces equitumque exercitus omnis compositi numero in turmas. fremit aequore toto insultans sonipes et pressis pugnat habenis huc conversus et huc; tum late ferreus hastis horret ager campique armis sublimibus ardent. nec non Messapus contra celeresque Latini et cum fratre Coras et virginis ala Camillae adversi campo apparent, hastasque reductis

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tat, gab ihr in die Hand einen spitzen Speer er als Waffe, und er hing an die Schultern der Kleinen Pfeile und Bogen; statt eines Goldschmucks im Haar und des langen Obergewandes fiel ihr vom Scheitel herab ein Tigerfell über den Rücken. Da schon warf sie mit zarter Hand ihre kindlichen Waffen, schwang an glattem Riemen ums Haupt herum ihre Schleuder, schoss den strymonischen Kranich herab oder schimmernde Schwäne. Viele tyrrhenische Mütter begehrten umsonst in den Städten sie als Schwiegertochter: Zufrieden allein mit Diana, huldigt sie, unberührt, der ewigen Liebe zu Waffen und ihrer Jungfräulichkeit. Ich wollte, sie wär nicht verstrickt in so einen Krieg, hätt nie versucht, die Teukrer zu reizen: Wär sie doch jetzt nur von meinen lieben Gefährtinnen eine! Auf denn, da sie ja nun von bitteren Fata bedrängt wird, gleite, Nymphe, vom Himmel, begib dich zum Land der Latiner, wo unter schlechten Vorzeichen anfängt die leidvolle Feldschlacht. Dies hier nimm und hole den rächenden Pfeil aus dem Köcher: Jeder, der ihren geweihten Leib durch Wunden misshandelt, Italer, Troer, egal – er soll mit dem Blut mir das büßen. In eine Wolke gehüllt, bring ich den Leib und die heile Rüstung der Armen zum Grab und bestatt sie in heimischer Erde.« Sprach’s; die glitt herab, durch die leichten Lüfte des Himmels schwirrend, den Leib umgeben von einem düsteren Wirbel. Aber den Mauern naht unterdessen die Schar der Trojaner, nahn die etruskischen Führer, die ganze Reiterarmada, aufgestellt nach der Zahl in Schwadronen. Überall wiehern stampfend die Pferde und wehren sich gegen das Straffen der Zügel, hierhin und dorthin gewandt; weithin starrt eisern die Flur von Speeren, die Felder funkeln von hoch aufragenden Waffen. Doch gegenüber Messapus, die schnellen Latiner und Coras samt seinem Bruder und auch die Schwadron der Jungfrau Camilla zeigen frontal sich im Feld, und weit mit der Rechten nach hinten

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protendunt longe dextris et spicula vibrant, adventusque virum fremitusque ardescit equorum. iamque intra iactum teli progressus uterque substiterat: subito erumpunt clamore furentisque exhortantur equos; fundunt simul undique tela crebra nivis ritu caelumque obtexitur umbra. continuo adversis Tyrrhenus et acer Aconteus conixi incurrunt hastis primique ruinam dant sonitu ingenti perfractaque quadrupedantum pectora pectoribus rumpunt; excussus Aconteus fulminis in morem aut tormento ponderis acti praecipitat longe et vitam dispergit in auras. Extemplo turbatae acies, versique Latini reiciunt parmas et equos ad moenia vertunt; Troes agunt, princeps turmas inducit Asilas. iamque propinquabant portis rursusque Latini clamorem tollunt et mollia colla reflectunt; hi fugiunt penitusque datis referuntur habenis. qualis ubi alterno procurrens gurgite pontus nunc ruit ad terram scopulosque superiacit unda spumeus extremamque sinu perfundit harenam, nunc rapidus retro atque aestu revoluta resorbens saxa fugit litusque vado labente relinquit: bis Tusci Rutulos egere ad moenia versos, bis reiecti armis respectant terga tegentes. tertia sed postquam congressi in proelia totas implicuere inter se acies legitque virum vir, tum vero et gemitus morientum et sanguine in alto armaque corporaque et permixti caede virorum semianimes volvuntur equi, pugna aspera surgit. Orsilochus Remuli, quando ipsum horrebat adire, hastam intorsit equo ferrumque sub aure reliquit;

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ausholend, richten nach vorn sie die Speere und schwingen die Spieße; immer mehr Krieger erscheinen, das Wiehern der Rosse wird lauter. Vorgerückt waren schon beide Parteien auf Schussweite, hatten Halt gemacht: Plötzlich stürmen sie vor, laut schreiend, und spornen ihre rasenden Pferde und schleudern von überall Speere, dicht wie Schneegestöber; der Himmel hüllt sich in Dunkel. Gleich mit den Speeren stürmen da gegeneinander Tyrrhenus und der wilde Akonteus mit Wucht und strecken mit lautem Krach als erste einander nieder; der Aufprall zerschmettert beiden Pferden die Brust; Akonteus, vom Rücken geworfen wie ein Blitz oder wie, vom Geschütz geschleudert, ein Felsblock, stürzt weithin kopfüber und verströmt in die Lüfte sein Leben. Gleich sind die Reihen verwirrt, kehrt machen zur Flucht die Latiner, werfen den Schild auf den Rücken und wenden zur Stadt hin die Pferde, von den Troern verfolgt; vorn führt die Schwadronen Asilas. Und schon nahn sie den Toren, als wiederum laut die Latiner schreien und wiederum wenden die willigen Nacken der Pferde; gleich fliehn jene und lassen die Zügel schießen beim Rückzug. So stürmt vor im wechselnden Lauf der Strudel das Meer, rollt bald ans Land, überspült mit der Woge schäumend die Klippen und benetzt den Sand am Strand mit sich bauschender Welle, bald strömt rasch es zurück, schluckt Steine, die durch die Flut nach oben gespült sind, verlässt den Strand, wo das Wasser dann abfließt: Zweimal trieben die Tusker die Rutuler wieder zur Mauer, zweimal zurückgejagt, schaun sie zurück, den Schild auf dem Rücken. Doch als, zum dritten Gefecht vereint, sie ganz ihre Reihen ineinander verstrickten und jeder den Gegner sich wählte, da gab’s nur noch Stöhnen Sterbender, Waffen und Leiber lagen in Strömen von Blut, und mitten im Morden der Männer wälzten sich Pferde halbtot; es begann ein erbittertes Kämpfen. Da sich Orsilochus scheute, an Remulus selbst sich zu wagen, stieß in sein Pferd er den Spieß und ließ unterm Ohr ihn dort stecken;

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quo sonipes ictu furit arduus altaque iactat vulneris impatiens arrecto pectore crura: volvitur ille excussus humi. Catillus Iollan ingentemque animis, ingentem corpore et armis deicit Herminium, nudo cui vertice fulva caesaries nudique umeri nec vulnera terrent: tantus in arma patet. latos huic hasta per armos acta tremit duplicatque virum transfixa dolore. funditur ater ubique cruor; dant funera ferro certantes pulchramque petunt per vulnera mortem. At medias inter caedes exsultat Amazon, unum exserta latus pugnae, pharetrata Camilla, et nunc lenta manu spargens hastilia denset, nunc validam dextra rapit indefessa bipennem; aureus ex umero sonat arcus et arma Dianae. illa etiam, si quando in tergum pulsa recessit, spicula converso fugientia derigit arcu. at circum lectae comites, Larinaque virgo Tullaque et aeratam quatiens Tarpeia securim, Italides, quas ipsa decus sibi dia Camilla delegit pacisque bonas bellique ministras: quales Threiciae cum flumina Thermodontis pulsant et pictis bellantur Amazones armis, seu circum Hippolyten seu cum se Martia curru Penthesilea refert, magnoque ululante tumultu feminea exsultant lunatis agmina peltis. Quem telo primum, quem postremum, aspera virgo, deicis? aut quot humi morientia corpora fundis? Eunaeum Clytio primum patre, cuius apertum adversi longa transverberat abiete pectus: sanguinis ille vomens rivos cadit atque cruentam mandit humum moriensque suo se in vulnere versat.

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rasend bäumt es, getroffen, sich auf, außer sich durch die Wunde, hoch mit gereckter Brust die Schenkel werfend: Und jener, abgestürzt, wälzt sich am Boden. Vom Pferd wirft Catillus Ïollas und Herminius, gewaltig durch Mut, durch Körperbau, durch die Waffen; das Haar fällt blond vom entblößten Scheitel, entblößt sind seine Schultern, nicht schrecken ihn Wunden: So groß, wie er ist, stellt ungeschützt er sich dem Kampf. Durch die breiten Schultern gestoßen, zittert die Lanze und lässt den Mann sich krümmen vor Schmerzen. Schwarz strömt überall Blut; mit dem Eisen morden die Kämpfer, streben mit ihren Verwundungen nach einem ruhmvollen Tode. Aber mitten im Morden frohlockt Amazone Camilla, eine Brust für den Kampf entblößt, auf dem Rücken den Köcher; bald versendet in dichter Folge sie biegsame Speere, bald packt rastlos mit rechts sie die wuchtige Streitaxt; ihr klirren an der Schulter Dianas goldener Bogen und Pfeile. Und sogar, wenn sie mal geschlagen zurückweichen muss, dann schießt sie entfliehend noch Pfeile vom umgewendeten Bogen. Um sie herum sind erlesne Gefährtinnen, Jungfrau Larina, Tulla und, ihr ehernes Kampfbeil schwingend, Tarpeja, Töchter Italiens, die selbst sich zum Schmuck die hehre Camilla wählte als tüchtige Helferinnen im Krieg und im Frieden: So galoppiern Amazonen aus Thrakien durch des Thermodons Wogen und kämpfen mit ihren bunten Waffen dann, sei’s als Schar der Hippolyte, sei’s, wenn Penthesilea im Wagen heimkehrt, die Tochter des Mars, und mit lautem Geschrei und Geheul das Heer der Frauen frohlockt mit halbmondförmigen Schilden. Wen fällst du nun zuerst mit der Waffe, du grimmige Jungfrau, wen zuletzt? Wie viele streckst du zu Boden, die sterben? Klytius’ Sohn Eunaeus zuerst; sie bohrt ihm den langen Fichtenspeer in die ungeschützte Brust, als er angreift: Der speit Bäche von Blut, fällt, beißt in den Erdboden, der vom Blut getränkt ist, und wälzt sich im Tod in der eigenen Wunde.

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tum Lirim Pagasumque super, quorum alter habenas 670 suffosso revolutus equo dum colligit, alter dum subit ac dextram labenti tendit inermem: praecipites pariterque ruunt. his addit Amastrum Hippotaden, sequiturque incumbens eminus hasta Tereaque Harpalycumque et Demophoonta Chromimque; 675 quotque emissa manu contorsit spicula virgo, tot Phrygii cecidere viri. procul Ornytus armis ignotis et equo venator Iapyge fertur, cui pellis latos umeros erepta iuvenco 680 pugnatori operit, caput ingens oris hiatus et malae texere lupi cum dentibus albis, agrestisque manus armat sparus; ipse catervis vertitur in mediis et toto vertice supra est. hunc illa exceptum (neque enim labor agmine verso) 685 traicit et super haec inimico pectore fatur: ‘silvis te, Tyrrhene, feras agitare putasti? advenit qui vestra dies muliebribus armis verba redargueret. nomen tamen haud leve patrum manibus hoc referes, telo cecidisse Camillae.’ Protinus Orsilochum et Buten, duo maxima Teucrum 690 corpora, sed Buten aversum cuspide fixit loricam galeamque inter, qua colla sedentis lucent et laevo dependet parma lacerto, Orsilochum fugiens magnumque agitata per orbem 695 eludit gyro interior sequiturque sequentem; tum validam perque arma viro perque ossa securim altior exsurgens oranti et multa precanti congeminat: vulnus calido rigat ora cerebro. incidit huic subitoque aspectu territus haesit 700 Appenninicolae bellator filius Auni, haud Ligurum extremus, dum fallere fata sinebant.

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Liris und Pagasus dann, den einen, als er die Zügel anzieht im Sturz vom durchstochenen Pferd, den anderen, als zu Hilfe er kommt und die wehrlose Hand dem Fallenden hinstreckt: Beide stürzen kopfüber. Zu ihnen gesellt sie Amastrus, Hippotes’ Sohn, und verfolgt, angreifend von fern mit der Lanze, Tereus, Harpalykus, weiter Demophoon, ebenso Chromis; wie viel Speere die Jungfrau schwang und abschoss, so viele Phryger fielen. Weitab, auf ïapygischem Pferd, in seltsamer Rüstung reitet der Jäger Ornytus, dessen breite Schultern ein Fell bedeckt, einem Stier der Arena abgezogen, sein Haupt verstecken der riesige Rachen und die Kinnbacken eines Wolfs mit blitzenden Zähnen; bäuerlich ist der Speer, seine Waffe; inmitten der Scharen tummelt er sich, überragt um Haupteslänge die andern. Diesen nun fängt sie ab – weil die Truppe entfloh, war’s nicht schwierig – und durchbohrt ihn und sagt noch dazu aus feindlichem Herzen: »Hast du, Tyrrhener, geglaubt, du jagtest das Wild in den Wäldern? Heut ist der Tag, der mit weiblichen Waffen euer Gerede Lügen straft. Doch den Manen der Väter wirst keinen geringen Ruhm du vermelden: Gefallen seist du vom Speer der Camilla.« Gleich ist Butes auch dran und Orsilochus, teukrische Riesen diese zwei; sie durchbohrte von hinten den Butes mit ihrer Speerspitze zwischen Panzer und Helm, wo der Nacken des Reiters leuchtet und wo vom linken Arm ihm der Rundschild herabhängt; vor Orsilochus fliehend, in weitem Kreise getrieben, täuscht sie ihn, schwenkt nach innen im Kreis ab und folgt dem Verfolger; wuchtig schmettert dem Mann sie durch Rüstung und Knochen die Streitaxt, hoch sich erhebend zum Hieb trotz all seines Bittens und Flehens, Schlag auf Schlag: Ins Gesicht rinnt warmes Hirn aus der Wunde. Auf sie stößt und ist starr, erschreckt durch den plötzlichen Anblick, Aunus’, des Appenninusbewohners, streitbarer Sohn, der Ligurer letzter nicht, solang Trug zuließ das Fatum.

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isque ubi se nullo iam cursu evadere pugnae posse neque instantem reginam avertere cernit, consilio versare dolos ingressus et astu incipit haec: ‘quid tam egregium si femina forti fidis equo? dimitte fugam et te comminus aequo mecum crede solo pugnaeque accinge pedestri: iam nosces ventosa ferat cui gloria fraudem.’ dixit; at illa furens acrique accensa dolore tradit equum comiti paribusque resistit in armis ense pedes nudo puraque interrita parma. at iuvenis vicisse dolo ratus avolat ipse (haud mora) conversisque fugax aufertur habenis quadrupedemque citum ferrata calce fatigat. ‘vane Ligus frustraque animis elate superbis, nequiquam patrias temptasti lubricus artis, nec fraus te incolumem fallaci perferet Auno.’ haec fatur virgo et pernicibus ignea plantis transit equum cursu frenisque adversa prehensis congreditur poenasque inimico ex sanguine sumit: quam facile accipiter saxo sacer ales ab alto consequitur pinnis sublimem in nube columbam comprensamque tenet pedibusque eviscerat uncis; tum cruor et vulsae labuntur ab aethere plumae. At non haec nullis hominum sator atque deorum observans oculis summo sedet altus Olympo: Tyrrhenum genitor Tarchonem in proelia saeva suscitat et stimulis haud mollibus inicit iras. ergo inter caedes cedentiaque agmina Tarchon fertur equo variisque instigat vocibus alas nomine quemque vocans, reficitque in proelia pulsos. ‘quis metus, o numquam dolituri, o semper inertes Tyrrheni, quae tanta animis ignavia venit?

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Als er sieht, dass dem Kampf er auf keinem Weg mehr entgehn kann noch die ihn bedrängende Königin abwehrn, verfällt er drauf, einen Trick zu ersinnen und sagt zu ihr voller Arglist: »Was ist’s so Besondres, wenn du als Frau auf ein starkes Pferd setzt? Denk nicht an Flucht, vertrau dich mit mir einem Nahkampf an auf gleicher Ebene, mach dich fertig zum Fußkampf: Schon wirst du sehen, wem sie schadet, die windige Ruhmsucht.« Sprach’s; doch sie, voller Wut und entbrannt in heftigem Grimme, gibt der Gefährtin ihr Pferd, stellt, gleich bewaffnet, mit blankem Schwert sich als Fußkämpferin, furchtlos mit einfachem Rundschild. Aber der Jüngling, der glaubt, er hätte gesiegt mit dem Trick, saust – ohne Verzug – davon; die Zügel herumreißend jagt er fliehend dahin und hetzt sein schnelles Pferd mit den Sporen. »Eitler Ligurer, der du umsonst überheblich dich aufbläst, du hast, Betrüger, vergeblich erprobt die Künste des Vaters; deine Hinterlist bringt dich nicht heil zum tückischen Aunus.« So die Jungfrau; auf schnellen Sohlen rennt sie vorbei am Pferd so geschwind wie der Blitz, fällt ihm in die Zügel und greift von vorne ihn an, nimmt so an dem Gegner blutige Rache: So leicht jagt der Habicht, der heilige Vogel, vom hohen Felsen auf seinen Schwingen die Taube hoch in den Wolken, packt, hält fest und zerfleischt sie mit krummen Krallen; vom Himmel fallen Blutstropfen dann und abgerissene Federn. All dies sieht hoch oben der Schöpfer der Menschen und Götter, auf des Olympus Gipfel sitzend, mit wachsamen Augen: Tarchon den Tyrrhener, den treibt der Vater zum wilden Kampfe an, und er macht ihn durch heftiges Anstacheln wütend. Mitten ins Morden reitet, zwischen die weichenden Reihen, Tarchon, spornt die Schwadronen an durch vielfaches Rufen, ruft einen jeden beim Namen, belebt zum Kampf die Geschlagnen. »Was nur für eine Angst, ihr nicht zu beschämenden, ständig trägen Tyrrhener, welch eine Feigheit ergreift eure Herzen?

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femina palantis agit atque haec agmina vertit! quo ferrum quidve haec gerimus tela inrita dextris? at non in Venerem segnes nocturnaque bella, aut ubi curva choros indixit tibia Bacchi: exspectate dapes et plenae pocula mensae (hic amor, hoc studium) dum sacra secundus haruspex nuntiet ac lucos vocet hostia pinguis in altos!’ haec effatus equum in medios moriturus et ipse concitat et Venulo adversum se turbidus infert dereptumque ab equo dextra complectitur hostem et gremium ante suum multa vi concitus aufert. tollitur in caelum clamor cunctique Latini convertere oculos. volat igneus aequore Tarchon arma virumque ferens; tum summa ipsius ab hasta defringit ferrum et partis rimatur apertas, qua vulnus letale ferat; contra ille repugnans sustinet a iugulo dextram et vim viribus exit. utque volans alte raptum cum fulva draconem fert aquila implicuitque pedes atque unguibus haesit, saucius at serpens sinuosa volumina versat arrectisque horret squamis et sibilat ore arduus insurgens, illa haud minus urget obunco luctantem rostro, simul aethera verberat alis: haud aliter praedam Tiburtum ex agmine Tarchon portat ovans; ducis exemplum eventumque secuti Maeonidae incurrunt. tum fatis debitus Arruns velocem iaculo et multa prior arte Camillam circuit et quae sit fortuna facillima temptat. qua se cumque furens medio tulit agmine virgo, hac Arruns subit et tacitus vestigia lustrat; qua victrix redit illa pedemque ex hoste reportat, hac iuvenis furtim celeris detorquet habenas;

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Euch zersprengt eine Frau und schlägt in die Flucht diese Scharen! Wozu tragen wir Schwerter und Speere nutzlos in Händen? Aber ihr seid nicht schlaff beim Sex, beim nächtlichen Ringen oder, sobald die Krummflöte ruft zu den Tänzen des Bacchus: Wartet doch auf Bankette und Becher an üppiger Tafel – so etwas liebt und erstrebt ihr –, bis günstige Opfer der Priester meldet und das fette Opfertier tief in den Hain ruft!« Spricht’s, treibt mitten hinein ins Gefecht sein Pferd, ist auch selbst zu sterben bereit, dringt stürmisch ein auf Venulus, reißt vom Pferd ihn und umschlingt mit der Rechten den Gegner und zieht ihn vor seinen Schoß mit all seiner Kraft und schleppt ihn von dannen. Auf zum Himmel erhebt sich Geschrei, und alle Latiner wenden den Blick. Blitzschnell fliegt Tarchon über das Feld mit Waffen und Mann; dann bricht er von dessen Lanze die Spitze ab und sucht nach Stellen, die nicht bedeckt sind, um tödlich ihn zu verwunden; doch Widerstand leistet jener und wehrt die Rechte von seinem Hals ab, entgeht der Gewalt so durch eigne. Wie, hoch fliegend, die hastig ergriffene Schlange der braune Adler trägt, seine Klauen in sie verkrallt und sie festhält; aber in kreisenden Windungen dreht sich verwundet die Schlange, richtet starrend auf ihre Schuppen und zischt mit dem Schlund, sich steil aufbäumend, doch der bedrängt die Ringende hart mit krummem Schnabel und schlägt die Lüfte zugleich mit den Flügeln: Ebenso trägt seinen Raub aus der Schar der Tiburter jetzt Tarchon fort im Triumph; die Mäonier, dem Beispiel des Anführers folgend, stürmen heran. Da umschleicht, bereits dem Schicksal verfallen, Arruns die schnelle Camilla, im Speerwurf und allerlei Listen ihr überlegen, und sucht nach der besten Chance zum Angriff. Wo auch immer inmitten des Heers ist die rasende Jungfrau, folgt ihr Arruns, schweigend auf Schritt und Tritt sie belauernd; wo sie siegreich kehrtmacht und sich vom Gegner zurückzieht, da reißt heimlich der Jüngling schnell herum seine Zügel;

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hos aditus iamque hos aditus omnemque pererrat undique circuitum et certam quatit improbus hastam. Forte sacer Cybelo Chloreus olimque sacerdos insignis longe Phrygiis fulgebat in armis spumantemque agitabat equum, quem pellis aënis in plumam squamis auro conserta tegebat. ipse peregrina ferrugine clarus et ostro spicula torquebat Lycio Gortynia cornu; aureus ex umeris erat arcus et aurea vati cassida; tum croceam chlamydemque sinusque crepantis carbaseos fulvo in nodum collegerat auro, pictus acu tunicas et barbara tegmina crurum. hunc virgo, sive ut templis praefigeret arma Troia, captivo sive ut se ferret in auro venatrix, unum ex omni certamine pugnae caeca sequebatur totumque incauta per agmen femineo praedae et spoliorum ardebat amore, telum ex insidiis cum tandem tempore capto concitat et superos Arruns sic voce precatur: ‘summe deum, sancti custos Soractis Apollo, quem primi colimus, cui pineus ardor acervo pascitur, et medium freti pietate per ignem cultores multa premimus vestigia pruna, da, pater, hoc nostris aboleri dedecus armis, omnipotens. non exuvias pulsaeve tropaeum virginis aut spolia ulla peto (mihi cetera laudem facta ferent): haec dira meo dum vulnere pestis pulsa cadat, patrias remeabo inglorius urbes.’ Audiit et voti Phoebus succedere partem mente dedit, partem volucris dispersit in auras: sterneret ut subita turbatam morte Camillam adnuit oranti; reducem ut patria alta videret

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diesen Zugang, dann jenen suchend, reitet er jeden Bogen überallhin, schwingt frech seine treffsichre Lanze. Da grad leuchtete Chloreus, geweiht dem Kybelus, einstmals Priester, weithin sichtbar in seiner phrygischen Rüstung, spornend sein schäumendes Ross, das ein mit ehernen Schuppen und mit Gold gewirktes Fell wie Gefieder bedeckte. Der, mit wildfremdem, rostbraunem Purpurgewande erstrahlend, schoss gortynische Pfeile von seinem lykischen Bogen; der, an den Schultern des Sehers, war golden, von Gold sein Helm; die knisternden Falten des Krokusmantels aus feinem Leinen hielt er zum Knoten gerafft mit goldgelber Spange; bunt bestickt ist sein Hemd sowie sein barbarisches Beinkleid. Diesen verfolgte nun, sei’s, um am Tempel Waffen aus Troja anzuheften, sei’s, um mit Beutegold selbst sich zu brüsten bei einer Jagd, als einzigen Mann aus der kämpfenden Menge blindlings die Jungfrau, und mitten im ganzen Heerhaufen brannte unachtsam sie in weiblicher Sucht nach Beute und Spolien, als aus dem Hinterhalt, weil der richtige Augenblick endlich da war, die Lanze Arruns wirft, zu den Himmlischen betend: »Höchster der Götter, Wächter des heilgen Sorakte, Apoll, den wir vor allem verehren, für den auf dem Holzstoß von Fichten Feuer sich nährt und wir, deine Diener, vertrauend auf unsre Frömmigkeit, über glühende Kohlen schreiten, o gib, dass diese Schmach, allmächtiger Vater, getilgt werde jetzt durch meine Waffe. Ich will nicht die Rüstung und nicht von der Jungfrau eine Trophäe, auch keine Spolien – mir werden ja andre Taten Ruhm bringen –: Wenn nur, verwundet von mir, dieses böse Scheusal fällt, kehr gern ohne Ruhm ich zurück in die Heimat.« Phoebus vernahm’s, und Erfüllung gewährte er willig dem einen Teil der Bitte, zerstreute den andren in flüchtige Lüfte: Niederzustrecken durch plötzlichen Tod die verwirrte Camilla, ist ihm erlaubt, aber nicht, dass die hochgelegene Heimat

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non dedit, inque Notos vocem vertere procellae. ergo ut missa manu sonitum dedit hasta per auras, convertere animos acris oculosque tulere cuncti ad reginam Volsci. nihil ipsa nec aurae nec sonitus memor aut venientis ab aethere teli, hasta sub exsertam donec perlata papillam haesit virgineumque alte bibit acta cruorem. concurrunt trepidae comites dominamque ruentem suscipiunt. fugit ante omnis exterritus Arruns laetitia mixtoque metu, nec iam amplius hastae credere nec telis occurrere virginis audet. ac velut ille, prius quam tela inimica sequantur, continuo in montis sese avius abdidit altos occiso pastore lupus magnove iuvenco, conscius audacis facti, caudamque remulcens subiecit pavitantem utero silvasque petivit: haud secus ex oculis se turbidus abstulit Arruns contentusque fuga mediis se immiscuit armis. illa manu moriens telum trahit, ossa sed inter ferreus ad costas alto stat vulnere mucro. labitur exsanguis, labuntur frigida leto lumina, purpureus quondam color ora reliquit. tum sic exspirans Accam ex aequalibus unam adloquitur, fida ante alias quae sola Camillae, quicum partiri curas, atque haec ita fatur: ‘hactenus, Acca soror, potui: nunc vulnus acerbum conficit, et tenebris nigrescunt omnia circum. effuge et haec Turno mandata novissima perfer: succedat pugnae Troianosque arceat urbe. iamque vale.’ simul his dictis linquebat habenas ad terram non sponte fluens. tum frigida toto paulatim exsolvit se corpore lentaque colla

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ihn zurückgekehrt sah; fort trug die Bitte der Sturmwind. Als durch die Lüfte, geschleudert von ihm, hinsauste die Lanze, merkten voll Spannung auf und wandten zur Königin alle Volsker die Augen hin. Sie selber beachtete nicht das Sausen der Luft und nicht das Geschoss, das vom Äther heranflog, bis unter ihrer entblößten Brustwarze eindrang die Lanze, steckenblieb und tief drin jungfräuliches Blut in sich einsog. Hastig läuft ihr Gefolge herbei, fängt auf, als sie stürzt, die Herrin. Stärker als alle erschreckt flieht Arruns in einer Mischung von Freude und Angst, und er wagt es nicht, seinem Speer noch weiter zu trauen und nicht, sich den Waffen der Jungfrau zu stellen. Wie der Wolf, der, bevor ihn Geschosse der Feinde verfolgen, abseits vom Weg sich sogleich in den hohen Bergen verbirgt, wenn er einen mächtigen Jungstier getötet hat oder den Hirten und, sich bewusst der verwegenen Tat, einziehend den Schwanz und zitternd unter den Bauch ihn schiebend, eilig zum Wald strebt: So entzog sich da Arruns verwirrt den Blicken und tauchte unter mitten im Heer und gab mit der Flucht sich zufrieden. Sterbend zieht mit der Hand sie am Speer, doch tief in der Wunde haftet zwischen den Rippenknochen die eiserne Spitze. Leblos sinkt sie dahin, es sinken todesstarr ihre Augen, es wich aus dem Antlitz die einstmals purpurne Farbe. Kaum noch atmend spricht sie zu einer Altersgenossin, Acca, die einzig vor allen anderen treu war Camilla und mit welcher sie ihre Sorgen teilte; sie sagte: »Acca, Schwester, bis jetzt noch ging’s: Nun schwächt mich die schwere Wunde, und schwarz von Dunkel wird alles um mich herum schon. Eile und überbring meinen letzten Auftrag dem Turnus: Nachrücken soll er zur Schlacht, abwehrn von der Stadt die Trojaner. Nun leb wohl!« Sie ließ die Zügel fahrn, als sie’s sagte, und glitt widerstrebend zu Boden. Dann löste sie, kalt schon, ganz vom Leib sich allmählich und legte den biegsamen Hals und

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et captum leto posuit caput: arma relinquunt, vitaque cum gemitu fugit indignata sub umbras. tum vero immensus surgens ferit aurea clamor sidera: deiecta crudescit pugna Camilla; incurrunt densi simul omnis copia Teucrum Tyrrhenique duces Euandrique Arcades alae. At Triviae custos iamdudum in montibus Opis alta sedet summis spectatque interrita pugnas. utque procul medio iuvenum in clamore furentum prospexit tristi multatam morte Camillam, ingemuitque deditque has imo pectore voces: ‘heu nimium, virgo, nimium crudele luisti supplicium, Teucros conata lacessere bello! nec tibi desertae in dumis coluisse Dianam profuit aut nostras umero gessisse pharetras. non tamen indecorem tua te regina reliquit extrema iam in morte, neque hoc sine nomine letum per gentis erit aut famam patieris inultae. nam quicumque tuum violavit vulnere corpus morte luet merita.’ fuit ingens monte sub alto regis Dercenni terreno ex aggere bustum antiqui Laurentis opacaque ilice tectum: hic dea se primum rapido pulcherrima nisu sistit et Arruntem tumulo speculatur ab alto. ut vidit laetantem animis ac vana tumentem: ‘cur’ inquit ‘diversus abis? huc derige gressum, huc periture veni, capias ut digna Camillae praemia. tune etiam telis moriere Dianae?’ dixit et aurata volucrem Threissa sagittam deprompsit pharetra cornuque infensa tetendit et duxit longe, donec curvata coirent inter se capita et manibus iam tangeret aequis,

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ihr vom Tode ergriffenes Haupt hin: Die Waffen entfalln ihr; seufzend voll Unmut flüchtet hinab zu den Schatten ihr Leben. Unermessliches Schreien erhebt sich und dringt zu den goldnen Sternen: Grausamer tobt die Schlacht nach dem Fall der Camilla; dichtgedrängt stürmen vor die sämtlichen teukrischen Trupps, die Führer Etruriens und Euanders arkadische Reiter. Aber als Trivias Wächterin sitzt schon längst auf des Berges Gipfel Opis, die Kämpfe unerschrocken betrachtend. Als aus der Ferne inmitten des Lärmes rasender Männer sie Camilla erblickte, bestraft mit dem düsteren Tode, seufzte sie auf und sprach aus tiefstem Herzen die Worte: »Allzu grausam, Jungfrau, zu grausam musstest du büßen, weil du versuchtest, im Krieg herauszufordern die Teukrer! Nichts hat’s genützt, vereinsamt im Dickicht Diana verehrt und so wie wir auf den Schultern den Köcher getragen zu haben. Aber nicht ungeehrt verließ deine Königin in der äußersten Todesnot dich, es bleibt nicht ruhmlos dein Sterben unter den Völkern, nicht heißt’s einmal, dass keiner dich rächte. Denn wer auch immer nun deinem Leib eine Wunde versetzt hat, büßt mit verdientem Tod.« Am Fuß eines ragenden Bergs lag König Derkennus’, des alten Laurenters, riesiges Grab, ein Hügel, bedeckt von einer schattenspendenden Eiche: Hierher schwingt sich im Nu die bildschöne Göttin und macht jetzt erst einmal Halt und schaut von dem hohen Grab aus nach Arruns. Als sie ihn sieht, wie von Herzen er froh ist und eitel sich aufbläht, ruft sie: »Was läufst woanders du hin? Lenk hierher die Schritte, hierher komm, um zu sterben und würdigen Lohn für Camilla jetzt zu empfangen. Stirbst nicht sogar du vom Pfeil der Diana?« Sprach’s, und die Thrakerin nahm aus ihrem vergoldeten Köcher gleich einen schnellen Pfeil und spannte erbittert den Bogen, zog seine Sehne weit, bis die krummen Enden sich trafen und sie mit ihren Händen auf gleicher Höhe nun links die

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laeva aciem ferri, dextra nervoque papillam. extemplo teli stridorem aurasque sonantis audiit una Arruns haesitque in corpore ferrum. illum exspirantem socii atque extrema gementem obliti ignoto camporum in pulvere linquunt; Opis ad aetherium pinnis aufertur Olympum. Prima fugit domina amissa levis ala Camillae, turbati fugiunt Rutuli, fugit acer Atinas, disiectique duces desolatique manipli tuta petunt et equis aversi ad moenia tendunt. nec quisquam instantis Teucros letumque ferentis sustentare valet telis aut sistere contra, sed laxos referunt umeris languentibus arcus, quadrupedumque putrem cursu quatit ungula campum. volvitur ad muros caligine turbidus atra pulvis, et e speculis percussae pectora matres femineum clamorem ad caeli sidera tollunt. qui cursu portas primi inrupere patentis, hos inimica super mixto premit agmine turba; nec miseram effugiunt mortem, sed limine in ipso, moenibus in patriis atque inter tuta domorum confixi exspirant animas. pars claudere portas, nec sociis aperire viam nec moenibus audent accipere orantis, oriturque miserrima caedes defendentum armis aditus inque arma ruentum. exclusi ante oculos lacrimantumque ora parentum pars in praecipitis fossas urgente ruina volvitur, immissis pars caeca et concita frenis arietat in portas et duros obice postis. ipsae de muris summo certamine matres (monstrat amor verus patriae), ut videre Camillam, tela manu trepidae iaciunt ac robore duro

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Spitze des Pfeils und rechts ihre Brust mit der Sehne berührte. Auf der Stelle vernimmt das Schwirren des Pfeiles und wie die Luft zischt Arruns, und schon sitzt fest das Eisen im Körper. Ihn, der sein Leben aushaucht und einmal noch seufzt, ignoriern die Freunde und lassen im Staub des Schlachtfelds ihn namenlos liegen; Opis entschwindet auf Flügeln empor zum Olympus im Äther. Gleich, als die Herrin verloren ist, flieht die Schwadron der Camilla, fliehen in Panik die Rutuler, flieht auch der wilde Atinas, und die Führer, versprengt, und die Scharen, die sie verließen, suchen Schutz und reiten hastig zurück zu den Mauern. Keiner vermag den Ansturm der Tod mit sich bringenden Teukrer aufzuhalten mit Waffen und ihnen entgegenzutreten; schlaffe Bogen tragen sie heim auf ermüdeten Schultern, und im Galopp zerstampfen die Rosshufe lockeres Erdreich. Dunkel wälzt eine Staubwolke wirbelnd sich hin zu den Mauern; auf den Wachtürmen schlagen sich ihre Brüste die Mütter, schicken weibliche Schreie empor zu den Sternen des Himmels. Die, die zuerst in die offenen Tore stürzen, bedrängt auch noch eine Feindesschar, die in ihre Schar sich gemischt hat; nicht entgehn einem kläglichen Tod sie; grad auf der Schwelle, schon in den heimischen Mauern, im sichren Bereich ihrer Häuser hauchen, durchbohrt, ihr Leben sie aus. Die Tore verschließt ein Teil und wagt nicht, sie eigenen Leuten zu öffnen, nicht in die Stadt die Bittenden aufzunehmen; ein elendes Blutbad gibt’s für die Schützer der Tore und die, die gegen sie stürmen. Ausgesperrt vor den Augen, im Angesicht weinender Eltern, wälzen, vom Tode bedroht, sich in steil abfallende Gräben einige, andere prallen, blind erregt, mit verhängten Zügeln wie Sturmböcke gegen die fest verriegelten Tore. Selbst die Mütter schleudern nun, als sie Camilla erblicken – wahre Liebe zum Vaterland lehrt’s –, von den Mauern im Wettstreit hastig Geschosse; mit Knütteln aus hartem Kernholz und Pfählen,

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stipitibus ferrum sudibusque imitantur obustis praecipites, primaeque mori pro moenibus ardent. Interea Turnum in silvis saevissimus implet nuntius et iuveni ingentem fert Acca tumultum: deletas Volscorum acies, cecidisse Camillam, ingruere infensos hostis et Marte secundo omnia corripuisse, metum iam ad moenia ferri. ille furens (et saeva Iovis sic numina poscunt) deserit obsessos colles, nemora aspera linquit. vix e conspectu exierat campumque tenebat, cum pater Aeneas saltus ingressus apertos exsuperatque iugum silvaque evadit opaca. sic ambo ad muros rapidi totoque feruntur agmine nec longis inter se passibus absunt; ac simul Aeneas fumantis pulvere campos prospexit longe Laurentiaque agmina vidit, et saevum Aenean agnovit Turnus in armis adventumque pedum flatusque audivit equorum. continuoque ineant pugnas et proelia temptent, ni roseus fessos iam gurgite Phoebus Hibero tingat equos noctemque die labente reducat. considunt castris ante urbem et moenia vallant.

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die sie im Feuer gehärtet haben, ersetzen sie schnell das Eisen und brennen darauf, für die Stadt als erste zu sterben. Turnus traf indes in den Wäldern die schreckliche Nachricht, und es vermeldet Acca dem Jüngling das schlimme Desaster: Niedergemacht sei das Heer der Volsker, gefallen Camilla, grimmig stürme jetzt vorwärts der Gegner und habe mit Kriegsglück alles an sich gerafft, schon bringe man Angst zu den Mauern. Er verlässt – so fordert’s auch Juppiters schrecklicher Wille – außer sich die besetzten Höhn und das Dickicht des Waldes. Kaum war dem Blick er entzogen und schon in der Ebene drunten, da dringt ein in die offene Schlucht der Vater Aeneas, überwindet den Kamm und verlässt das Dunkel des Waldes. Also eilen nun beide geschwind zu den Mauern mit ihrer ganzen Armee, sind nicht mehr weit entfernt voneinander; gleichzeitig sah Aeneas, dass fern vom Feld eine Wolke aufstieg, und er erblickte den Heereszug der Laurenter; Turnus erkannte in seiner Rüstung den wilden Aeneas, hörte das Nahen des Fußvolks, dazu das Schnauben der Rosse. Gleich begännen sie Kampf und suchten das Glück auf dem Schlachtfeld, tauchte nicht rötlich Phoebus bereits ins iberische Meer sein müdes Gespann und brächte die Nacht beim Schwinden des Tages. Lager beziehen sie nun vor der Stadt und verschanzen die Mauern.

LIBER XII Turnus ut infractos adverso Marte Latinos defecisse videt, sua nunc promissa reposci, se signari oculis, ultro implacabilis ardet attollitque animos. Poenorum qualis in arvis saucius ille gravi venantum vulnere pectus tum demum movet arma leo gaudetque comantis excutiens cervice toros fixumque latronis impavidus frangit telum et fremit ore cruento: haud secus accenso gliscit violentia Turno. tum sic adfatur regem atque ita turbidus infit: ‘nulla mora in Turno; nihil est quod dicta retractent ignavi Aeneadae, nec quae pepigere recusent: congredior. fer sacra, pater, et concipe foedus. aut hac Dardanium dextra sub Tartara mittam desertorem Asiae (sedeant spectentque Latini), et solus ferro crimen commune refellam, aut habeat victos, cedat Lavinia coniunx.’ Olli sedato respondit corde Latinus: ‘o praestans animi iuvenis, quantum ipse feroci virtute exsuperas, tanto me impensius aequum est consulere atque omnis metuentem expendere casus. sunt tibi regna patris Dauni, sunt oppida capta multa manu, nec non aurumque animusque Latino est; sunt aliae innuptae Latio et Laurentibus arvis nec genus indecores. sine me haec haud mollia fatu sublatis aperire dolis, simul hoc animo hauri: me natam nulli veterum sociare procorum fas erat idque omnes divique hominesque canebant.

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B U C H 12 Als er sieht, wie, gebrochen vom Unglück im Krieg, die Latiner mutlos sind, fordern, was er versprach, mit dem Blick ihn bestimmend, da erglüht zu noch größerer Unversöhnlichkeit Turnus und fasst stärkeren Mut. Wie der Löwe im Punierlande, der, tief in der Brust von den Jägern verwundet, nun endlich angreift, über dem Nacken seine üppige Mähne schüttelnd in Kampfeslust, und furchtlos den haftenden Speer des lauernden Jägers zerbricht und brüllt aus blutigem Rachen: Ebenso wächst die Wildheit in Turnus, der heftig entbrannt ist. Dann spricht so er zum König, ungestüm hiermit beginnend: »Turnus hält nichts; das feige Aeneas-Volk hat keinen Grund, zu widerrufen sein Wort und, was abgemacht ist, zu verweigern: Ich will Kampf. So opfere, Vater, und fass den Vertrag ab. Entweder schick ich zum Tartarus hier mit der Rechten den Troer, ihn, der aus Asien floh – die Latiner solln sitzen und zuschaun –, tilg allein mit dem Schwert den Vorwurf, feig seien alle, oder er sei Herr der Besiegten und Gatte Lavinias.« Ihm erwiderte da gelassenen Herzens Latinus: »Mutiger junger Mann, je mehr du selber durch wilde Tatkraft hervorstichst, umso gründlicher muss ich zu Rate gehen und ängstlich abwägen alles, was jetzt noch geschehn kann. Du hast das Reich deines Vaters Daunus, hast zahlreiche Städte, die du erobert hast; Gold und Großzügigkeit hat Latinus; unvermählt sind andere Mädchen Laurentums und Latiums, nicht von niederem Stand. Lass mich, was zu sagen nicht leicht fällt, dir ohne Arglist kundtun, und gleichzeitig nimm’s dir zu Herzen: Keinem der früheren Freier die Tochter zur Ehe zu geben, war mir erlaubt; das verkündeten alle, Götter und Menschen.

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victus amore tui, cognato sanguine victus coniugis et maestae lacrimis, vincla omnia rupi: promissam eripui genero, arma impia sumpsi. ex illo qui me casus, quae, Turne, sequantur bella, vides, quantos primus patiare labores. bis magna victi pugna, vix urbe tuemur spes Italas; recalent nostro Thybrina fluenta sanguine adhuc campique ingentes ossibus albent. quo referor totiens? quae mentem insania mutat? si Turno exstincto socios sum ascire paratus, cur non incolumi potius certamina tollo? quid consanguinei Rutuli, quid cetera dicet Italia, ad mortem si te (fors dicta refutet!) prodiderim, natam et conubia nostra petentem? respice res bello varias; miserere parentis longaevi, quem nunc maestum patria Ardea longe dividit.’ haudquaquam dictis violentia Turni flectitur: exsuperat magis aegrescitque medendo. ut primum fari potuit, sic institit ore: ‘quam pro me curam geris, hanc precor, optime, pro me deponas letumque sinas pro laude pacisci. et nos tela, pater, ferrumque haud debile dextra spargimus, et nostro sequitur de vulnere sanguis; longe illi dea mater erit, quae nube fugacem feminea tegat et vanis sese occulat umbris.’ At regina nova pugnae conterrita sorte flebat et ardentem generum moritura tenebat: ‘Turne, per has ego te lacrimas, per si quis Amatae tangit honos animum – spes tu nunc una, senectae tu requies miserae, decus imperiumque Latini te penes, in te omnis domus inclinata recumbit – unum oro: desiste manum committere Teucris.

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Aber von Liebe zu dir, von Blutsverwandtschaft besiegt, den Tränen der traurigen Gattin, zerbrach alle Fesseln ich, nahm die Braut dem Schwiegersohn weg und fing einen ruchlosen Krieg an. Welches Unglück seither und was für Kriege mich jagen, siehst du, die Mühsal, die du vor allen ertragen musst, Turnus. Zweimal im Kampfe geschlagen, beschützen wir kaum in der Stadt die Hoffnung Italiens; warm sind des Thybris Fluten von unserm Blute noch jetzt, bleich sind von Gebeinen weite Gefilde. Wohin schwank ich so oft? Welcher Wahnsinn wandelt den Sinn mir? Wenn ich nach Turnus’ Tod bereit bin, ein Bündnis zu schließen, warum nicht lieber, solang er noch lebt, die Kämpfe beenden? Was nur sagen die blutsverwandten Rutuler, was das andre Italien, wenn ich dem Tod – verhüt es das Schicksal! – dich preisgebe, der du anhältst um die Hand meiner Tochter? Sieh doch die Wechselfälle des Kriegs; erbarm dich des alten Vaters, den, betrübt, wie er ist, weit von dir die Heimat Ardea trennt.« Doch durch Worte lässt sich die Wildheit des Turnus gar nicht zügeln: Sie wächst, der Versuch, sie zu stillen, verstärkt sie. Gleich, als er antworten konnte, da sagte er dieses mit Nachdruck: »Lass deine Sorge um mich um meinetwillen du bitte fahrn und in Kauf den Tod dann nehmen für Ruhm, du mein Bester. Vater, auch ich werf Speere mit starker Spitze aus Eisen; Blut quillt auch aus einer von mir geschlagenen Wunde; weit ist die göttliche Mutter dann, die mit weiblicher Wolke schirmen könnte den Flüchtling, versteckt in täuschenden Schatten.« Weinend versuchte, bestürzt durch die neue Kampfart, dem Tod schon nahe, die Königin ihres Schwiegersohns Eifer zu hemmen: »Turnus, bei diesen Tränen, der Ehre Amatas, wenn die dein Herz rührt – du bist jetzt die einzige Hoffnung, der Halt des elenden Alters; Würde und Macht des Latinus, die liegen jetzt bei dir, auf dich stützt ganz unser Haus sich, das hinsinkt –, eines nur bitte ich: Höre doch auf, mit den Teukrern zu kämpfen.

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qui te cumque manent isto certamine casus et me, Turne, manent; simul haec invisa relinquam lumina nec generum Aenean captiva videbo.’ accepit vocem lacrimis Lavinia matris flagrantis perfusa genas, cui plurimus ignem subiecit rubor et calefacta per ora cucurrit. Indum sanguineo veluti violaverit ostro si quis ebur aut mixta rubent ubi lilia multa alba rosa, talis virgo dabat ore colores. illum turbat amor figitque in virgine vultus; ardet in arma magis paucisque adfatur Amatam: ‘ne, quaeso, ne me lacrimis neve omine tanto prosequere in duri certamina Martis euntem, o mater; neque enim Turno mora libera mortis. nuntius haec, Idmon, Phrygio mea dicta tyranno haud placitura refer: cum primum crastina caelo puniceis invecta rotis Aurora rubebit, non Teucros agat in Rutulos, Teucrum arma quiescant et Rutuli; nostro dirimamus sanguine bellum, illo quaeratur coniunx Lavinia campo.’ Haec ubi dicta dedit rapidusque in tecta recessit, poscit equos gaudetque tuens ante ora frementis, Pilumno quos ipsa decus dedit Orithyia, qui candore nives anteirent, cursibus auras. circumstant properi aurigae manibusque lacessunt pectora plausa cavis et colla comantia pectunt. ipse dehinc auro squalentem alboque orichalco circumdat loricam umeris, simul aptat habendo ensemque clipeumque et rubrae cornua cristae, ensem quem Dauno ignipotens deus ipse parenti fecerat et Stygia candentem tinxerat unda. exim quae mediis ingenti adnixa columnae

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Welches Geschick auch immer in diesem Kampf dich erwartet, wartet auf mich auch, Turnus; verlassen werd das verhasste Licht ich, nicht gefangen Aeneas als Schwiegersohn sehen.« Diese Worte der Mutter vernahm Lavinia, Tränen netzten die brennenden Wangen, und tiefe Schamröte trieb ein Feuer ihr ins Gesicht, überzog das glühende Antlitz. Wie wenn einer indisches Elfenbein anmalt mit Purpur oder, gesteckt zwischen viele Rosen, rötlich die weißen Lilien schimmern, so zeigte das Antlitz der Jungfrau die Farben. Ihn verwirrt die Liebe, er heftet den Blick auf die Jungfrau; mehr noch entbrennt er zum Kampf und spricht nur kurz zu Amata: »Nicht, ich bitt dich, mit Tränen und so einem schrecklichen Omen lass mich zur Entscheidung des grausamen Kriegsgottes ziehen, Mutter; Aufschub des Tods steht nicht im Ermessen des Turnus. Idmon, mein Bote, melde dem Phrygertyrannen, was dem nicht schmecken wird: Gleich wenn morgen am Himmel Aurora, auf ihrem purpurnen Wagen fahrend, rot erstrahlt, soll er Teukrer nicht gegen Rutuler führen, der Teukrer und Rutuler Kampf soll ruhen; wir wollen mit unserem Blute den Krieg nun beenden, dort auf dem Schlachtfeld sei als Gattin errungen Lavinia.« Sprach’s, und sobald zurück ins Haus er gestürmt ist, verlangt er nach seinen Pferden und freut sich beim Anblick der schnaubenden Tiere, die Orithyia selbst als Ehrengeschenk dem Pilumnus gab; an Glanz übertrafen den Schnee sie, im Rennen die Winde. Dort stehn rührige Lenker; sie klatschen ihnen mit hohlen Händen die Brust, sie anspornend, kämmen ihnen die Mähnen. Er selbst legt sodann um die Schultern seinen mit Gold und schimmerndem Erz überzogenen Panzer; zugleich macht er Schwert und Schild und den Helm mit dem roten Federbusch fertig zum Einsatz, jenes Schwert, das der Feuergott selbst für Daunus, den Vater, schmiedete und noch glühend tauchte ins stygische Wasser. Dann ergreift er energisch die mitten im Hause an einer

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aedibus adstabat, validam vi corripit hastam, Actoris Aurunci spolium, quassatque trementem vociferans: ‘nunc, o numquam frustrata vocatus hasta meos, nunc tempus adest: te maximus Actor, te Turni nunc dextra gerit; da sternere corpus loricamque manu valida lacerare revulsam semiviri Phrygis et foedare in pulvere crinis vibratos calido ferro murraque madentis.’ his agitur furiis, totoque ardentis ab ore scintillae absistunt, oculis micat acribus ignis: mugitus veluti cum prima in proelia taurus terrificos ciet aut irasci in cornua temptat arboris obnixus trunco, ventosque lacessit ictibus aut sparsa ad pugnam proludit harena. Nec minus interea maternis saevus in armis Aeneas acuit Martem et se suscitat ira, oblato gaudens componi foedere bellum. tum socios maestique metum solatur Iuli, fata docens, regique iubet responsa Latino certa referre viros et pacis dicere leges. Postera vix summos spargebat lumine montis orta dies, cum primum alto se gurgite tollunt Solis equi lucemque elatis naribus efflant: campum ad certamen magnae sub moenibus urbis dimensi Rutulique viri Teucrique parabant in medioque focos et dis communibus aras gramineas; alii fontemque ignemque ferebant velati limo et verbena tempora vincti. procedit legio Ausonidum, pilataque plenis agmina se fundunt portis. hinc Troius omnis Tyrrhenusque ruit variis exercitus armis, haud secus instructi ferro quam si aspera Martis

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riesigen Säule lehnende starke Lanze, die einst von Aktor dem Aurunker er nahm, und er schwingt sie und lässt sie beben und ruft: »Du, die niemals mein Rufen enttäuscht hat, jetzt, meine Lanze, jetzt ist es Zeit: Dich führte der starke Aktor, dich führt jetzt Turnus’ Rechte; niederhaun lass des weibischen Phrygers Leib mich, mit kräftiger Hand ihm den Panzer abreißen und zerfetzen, im Staub ihm besudeln das mit dem heißen Eisen gekräuselte Haar, das von Myrrhenöl feucht ist.« So eine Wut treibt ihn, es sprühen vom ganzen Gesicht des zornig Glühenden Funken, im grimmigen Blick zucken Blitze: So lässt schreckliches Brüllen vernehmen zu Anfang des Kampfs der Stier oder seinen Zorn in die Hörner steigen, sich gegen einen Baumstamm stemmend; er reizt auch die Winde mit seinen Stößen und lässt den Sand hoch fliegen beim Vorspiel zum Kampfe. Ebenso grimmig stachelt indes Aeneas im Harnisch, den seine Mutter ihm gab, sich selber zu Kampfgeist und Wut an, froh, weil der angebotene Pakt den Krieg jetzt beendet, macht den Gefährten dann Mut und der Angst des betrübten Ïulus, ihnen die Fata erklärend, und lässt dem Latinus durch Männer sichren Bescheid geben und die Friedensbedingungen nennen. Kaum erst bestreute mit Licht die Gipfel der Berge der nächste Tag in dem Augenblick, wo aus der Tiefe des Meers sich der Sonne Rosse erheben und Licht aus erhobenen Nüstern versprühen: Da schon maßen das Feld für den Kampf vor den Mauern der großen Stadt die Teukrer und Rutuler aus und stellten inmitten Feuerbecken bereit und Rasenaltäre für beider Götter; Feuer und Quellwasser brachten andre, umhüllt vom Opfergewand und bekränzt mit heiligem Grün um die Schläfen. Nun rückt an die Legion der Ausonier, es strömen aus vollen Toren mit Spießen bewaffnete Scharen. Dann eilt das gesamte Heer der Tyrrhener und Troer herbei mit verschiedenen Waffen, eisengerüstet nicht anders, als riefe des Kriegsgottes harter

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pugna vocet. nec non mediis in milibus ipsi ductores auro volitant ostroque superbi, et genus Assaraci Mnestheus et fortis Asilas et Messapus equum domitor, Neptunia proles. utque dato signo spatia in sua quisque recessit, defigunt tellure hastas et scuta reclinant. tum studio effusae matres et vulgus inermum invalidique senes turris ac tecta domorum obsedere, alii portis sublimibus adstant. At Iuno e summo (qui nunc Albanus habetur; tum neque nomen erat neque honos aut gloria monti) prospiciens tumulo campum aspectabat et ambas Laurentum Troumque acies urbemque Latini. extemplo Turni sic est adfata sororem diva deam, stagnis quae fluminibusque sonoris praesidet (hunc illi rex aetheris altus honorem Iuppiter erepta pro virginitate sacravit): ‘nympha, decus fluviorum, animo gratissima nostro, scis ut te cunctis unam, quaecumque Latinae magnanimi Iovis ingratum ascendere cubile, praetulerim caelique libens in parte locarim: disce tuum, ne me incuses, Iuturna, dolorem. qua visa est Fortuna pati Parcaeque sinebant cedere res Latio, Turnum et tua moenia texi; nunc iuvenem imparibus video concurrere fatis, Parcarumque dies et vis inimica propinquat. non pugnam aspicere hanc oculis, non foedera possum. tu pro germano si quid praesentius audes, perge: decet. forsan miseros meliora sequentur.’ vix ea, cum lacrimas oculis Iuturna profudit terque quaterque manu pectus percussit honestum. ‘non lacrimis hoc tempus’ ait Saturnia Iuno:

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Kampf sie. Unter den Tausenden hasten die Anführer selber, die voller Stolz in Gold und in Purpur prangen, umher, der Sohn des Assarakus, Mnestheus, dazu der tapfre Asilas und der Rossebezwinger Messapus, ein Sohn des Neptunus. Als auf ein Zeichen hin jeder auf sein Areal sich zurückzog, bohrn sie ins Erdreich die Speere und lehnen daran ihre Schilde. Neugierig strömen dann Frauen und unbewaffnetes Volk und kraftlose Greise herbei und besetzen die Hausdächer und die Türme, andere stehen auf hoch sich erhebenden Toren. Juno, von eines Berges Gipfel – jetzt heißt er Albanus, damals hatte er weder Namen noch Ruhm oder Ehre – Ausschau haltend, erblickte das Feld und auf ihm auch die beiden Heere, Laurenter und Troer, in Reihn und die Stadt des Latinus. Unverzüglich sprach sie, als Göttin zur Göttin, zu Turnus’ Schwester, die über die Sümpfe und über die rauschenden Flüsse waltet – diese Ehre verlieh ihr des Äthers erhabner König, Juppiter, weil die Jungfräulichkeit er ihr raubte –: »Nymphe, der Flüsse Zier, sehr lieb meinem Herzen, du weißt, wie ich dich bevorzugt habe vor all den latinischen Frauen, die auf das undankbare Lager mit dem erhabnen Juppiter stiegen, wie gern einen Platz ich dir gönnte im Himmel: Hör, was dein Leid ist, damit du mich später nicht anklagst, Juturna. Als Fortuna es deutlich noch zuließ und Latium die Parzen wohlgesinnt waren, beschützte ich deine Stadt und den Turnus, seh aber jetzt: Auf ein Fatum, dem er nicht gewachsen ist, trifft der Jüngling; der Parzen Tag und des Feindes Macht sind ihm nahe. Nicht erträgt mein Blick diesen Kampf und nicht dieses Bündnis. Willst für den Bruder du etwas Wirksames wagen, so tu es: Dir steht’s zu. Und vielleicht kommt dann für die Armen was Bessres.« Kaum war’s gesagt, da vergossen Tränen die Augen Juturnas, dreimal und viermal schlug sie die edle Brust mit den Händen. »Jetzt ist nicht Zeit für Tränen«, so sprach Saturnia Juno:

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‘accelera et fratrem, si quis modus, eripe morti: aut tu bella cie conceptumque excute foedus: auctor ego audendi.’ sic exhortata reliquit incertam et tristi turbatam vulnere mentis. Interea reges, ingenti mole Latinus quadriiugo vehitur curru (cui tempora circum aurati bis sex radii fulgentia cingunt, Solis avi specimen), bigis it Turnus in albis, bina manu lato crispans hastilia ferro; hinc pater Aeneas, Romanae stirpis origo, sidereo flagrans clipeo et caelestibus armis et iuxta Ascanius, magnae spes altera Romae, procedunt castris, puraque in veste sacerdos saetigeri fetum suis intonsamque bidentem attulit admovitque pecus flagrantibus aris. illi ad surgentem conversi lumina solem dant fruges manibus salsas et tempora ferro summa notant pecudum paterisque altaria libant. Tum pius Aeneas stricto sic ense precatur: ‘esto nunc Sol testis et haec mihi terra vocanti, quam propter tantos potui perferre labores, et pater omnipotens et tu Saturnia coniunx (iam melior, iam, diva, precor), tuque inclute Mavors, cuncta tuo qui bella, pater, sub numine torques; fontisque fluviosque voco quaeque aetheris alti religio et quae caeruleo sunt numina ponto: cesserit Ausonio si fors victoria Turno, convenit Euandri victos discedere ad urbem, cedet Iulus agris, nec post arma ulla rebelles Aeneadae referent ferrove haec regna lacessent. sin nostrum adnuerit nobis victoria Martem (ut potius reor et potius di numine firment),

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»Eile, entreiß, wenn es irgendwie geht, deinen Bruder dem Tode oder entfach einen Krieg und zerschlag das geschlossene Bündnis: Ich steh ein für das Wagnis.« So mahnte sie jene und ließ sie unentschlossen zurück und verstört durch die Wunde im Herzen. Unterdessen erscheinen die Fürsten; Latinus, der Riese, fährt im Viergespann – seine leuchtenden Schläfen umgeben rings zwölf goldene Strahlen, des Sonnengotts, seines Ahnherrn, Abbild –, auf weißem Zweigespann kommt dann Turnus, und dieser schwingt mit der Hand zwei Lanzen mit breiten Spitzen aus Eisen; dann kommt Vater Aeneas, der Ursprung des römischen Volkes, strahlend im Glanz seines Schildes und himmlischer Waffen, und neben ihm Askanius, die andere Hoffnung der mächtigen Roma, aus dem Lager hervor, und ein Priester in reinem Gewande brachte ein Ferkel des borstigen Schweins und ein noch nicht geschornes Lamm und führte die Tiere zum Feuer auf dem Altare. Sie nun richten den Blick auf die höher steigende Sonne, streun mit den Händen den salzigen Schrot, markieren die Stirn der Tiere mit Messern; aus Schalen besprengen sie dann die Altäre. Dann spricht betend, das Schwert entblößt, der fromme Aeneas: »Jetzt sei Sol für mein Rufen mein Zeuge, dazu dieses Land, um dessentwillen so große Strapazen ich aushalten konnte, auch der allmächtige Vater, Saturnia, du, seine Gattin – gnädiger jetzt, jetzt, Göttin, ich bitte dich! –, du auch, gepriesner Mavors, Vater, der du die Kriege durch göttliche Macht lenkst; Quellen ruf ich und Flüsse und alles, was heilig im hohen Himmel ist, und im blauen Meer alle göttlichen Mächte: Sollte durch Zufall der Sieg dem Ausonier Turnus gewährt sein, ziehen, wie abgemacht, die Besiegten zur Stadt des Euander, fort aus dem Land muss Ïulus, nie wird das Aeneas-Volk später Kriege erneuern, herausfordern nie dies Reich mit dem Schwerte. Sollte aber der Sieg uns Kriegsglück gewähren – wie ich ja eher glaub und was eher die Götter bewahrheiten mögen –,

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non ego nec Teucris Italos parere iubebo nec mihi regna peto: paribus se legibus ambae invictae gentes aeterna in foedera mittant. sacra deosque dabo; socer arma Latinus habeto, imperium sollemne socer; mihi moenia Teucri constituent urbique dabit Lavinia nomen.’ Sic prior Aeneas; sequitur sic deinde Latinus suspiciens caelum tenditque ad sidera dextram: ‘haec eadem, Aenea, terram, mare, sidera, iuro Latonaeque genus duplex Ianumque bifrontem vimque deum infernam et duri sacraria Ditis; audiat haec genitor qui foedera fulmine sancit. tango aras, medios ignis et numina testor: nulla dies pacem hanc Italis nec foedera rumpet, quo res cumque cadent; nec me vis ulla volentem avertet, non, si tellurem effundat in undas diluvio miscens caelumque in Tartara solvat; ut sceptrum hoc’ (dextra sceptrum nam forte gerebat) ‘numquam fronde levi fundet virgulta nec umbras, cum semel in silvis imo de stirpe recisum matre caret posuitque comas et bracchia ferro, olim arbos, nunc artificis manus aere decoro inclusit patribusque dedit gestare Latinis.’ talibus inter se firmabant foedera dictis conspectu in medio procerum. tum rite sacratas in flammam iugulant pecudes et viscera vivis eripiunt cumulantque oneratis lancibus aras. At vero Rutulis impar ea pugna videri iamdudum et vario misceri pectora motu, tum magis ut propius cernunt non viribus aequos. adiuvat incessu tacito progressus et aram suppliciter venerans demisso lumine Turnus

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werde ich weder befehlen, dass Italer Teukrern gehorchen, noch das Königtum fordern: Es mögen mit gleichen Gesetzen unbesiegt beide Völker zu ewigem Bund sich vereinen. Götter und Kult bring ich; der Kriegsherr und Machthaber soll mein Schwiegervater Latinus dann bleiben; die Teukrer erbauen mir eine Stadt, und den Namen wird ihr Lavinia geben.« So Aeneas zuerst; so folgt ihm Latinus, empor zum Himmel blickend, die Rechte hinauf zu den Sternen erhebend: »Dies schwör ich auch, Aeneas, bei Erde, Meer und Gestirnen, bei den Zwillingen Letos, dem doppelgesichtigen Janus, bei der Unterweltsmacht, der Stätte des herzlosen Pluto; dies soll hören der Vater, der Pakte durch Blitze bestätigt. Ich berühr den Altar, ruf Feuer und Götter zu Zeugen: Kein Tag wird diesen Frieden, den Pakt bei den Italern brechen, was auch geschieht; auch wird keine Macht von meinem Entschluss mich abbringen, nicht, wenn in alles vermengender Flut sie das Land in Wasser versenkte, den Himmel in eins mit dem Orkus verschmölze; wie dies Szepter« – er hielt in der Rechten gerade sein Szepter – »nie von zart belaubten Zweigen sprießen noch Schatten spenden wird, wenn’s, im Wald vom Wurzelstock runtergeschnitten, mutterlos ist und Laub und Zweige abgab ans Eisen – einst ein Ast, wurde der von der Hand eines Künstlers in schmuckes Erz eingeschlossen und Latiums Vätern zu tragen gegeben.« Solche Worte bekräftigten wechselseitig das Bündnis vor den Augen der Führer. Und Tiere, geweiht nach dem Ritus, schlachtet man über der Flamme, entreißt den noch Lebenden ihre Innerein, stellt auf den Altar die beladenen Schüsseln. Aber den Rutulern scheint schon längst, dieser Zweikampf sei ungleich, und die Gefühle schwanken in ihren Herzen, dies um so mehr jetzt, als näher sie sehn, dass nicht gleich stark sind die beiden. Turnus bekräftigt das noch, indem er stumm zum Altar tritt, demütig und gesenkten Blickes ihn ehrend, dazu sein

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pubentesque genae et iuvenali in corpore pallor. quem simul ac Iuturna soror crebrescere vidit sermonem et vulgi variare labantia corda, in medias acies formam adsimulata Camerti (cui genus a proavis ingens clarumque paternae nomen erat virtutis, et ipse acerrimus armis), in medias dat sese acies haud nescia rerum rumoresque serit varios ac talia fatur: ‘non pudet, o Rutuli, pro cunctis talibus unam obiectare animam? numerone an viribus aequi non sumus? en, omnes et Troes et Arcades hi sunt, fatalisque manus, infensa Etruria Turno: vix hostem, alterni si congrediamur, habemus. ille quidem ad superos, quorum se devovet aris, succedet fama vivusque per ora feretur; nos patria amissa dominis parere superbis cogemur, qui nunc lenti consedimus arvis.’ Talibus incensa est iuvenum sententia dictis iam magis atque magis, serpitque per agmina murmur: ipsi Laurentes mutati ipsique Latini. qui sibi iam requiem pugnae rebusque salutem sperabant, nunc arma volunt foedusque precantur infectum et Turni sortem miserantur iniquam. his aliud maius Iuturna adiungit et alto dat signum caelo, quo non praesentius ullum turbavit mentes Italas monstroque fefellit; namque volans rubra fulvus Iovis ales in aethra litoreas agitabat aves turbamque sonantem agminis aligeri, subito cum lapsus ad undas cycnum excellentem pedibus rapit improbus uncis. arrexere animos Itali, cunctaeque volucres convertunt clamore fugam (mirabile visu),

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junges Gesicht und die Blässe der jugendlichen Erscheinung. Als seine Schwester Juturna bemerkt, dass das Reden darüber häufiger wird und umschlägt die schwankende Stimmung des Volkes, nimmt sie des Camers Gestalt an, und in die Mitte des Heers – aus einem seit alters großen Geschlecht war der, seines Vaters Tapferkeit war berühmt und er selbst ein begeisterter Krieger –, tritt in die Mitte des Heers, sehr wohl die Lage erkennend, streut verschiedne Gerüchte aus und sagt dann die Worte: »Schämt ihr euch, Rutuler, nicht, für all diese Krieger das eine Leben aufs Spiel zu setzen? Sind wir nicht an Zahl oder Kräften gleich? Seht, alle Trojaner und Arkader und das vom Fatum protegierte Etrurien, feindlich dem Turnus, hier sind sie: Kämpfte von uns auch nur jeder zweite, kaum wär ein Feind da. Er zwar wird zu den Göttern, für deren Altar er sich opfert, dann sich erheben durch Ruhm, wird leben im Munde der Menschen; wir aber müssen nach dem Verlust des Vaterlands stolzen Herren gehorchen, wir, die wir faul auf den Feldern jetzt hocken.« Angeheizt wurde durch solche Worte die Stimmung der Männer mehr und mehr schon, es schleicht sich quer durch die Reihen Gemurmel: Ihre Meinung ändern Laurenter sogar und Latiner. Sie, die auf Ruhe vom Kampf schon und Sicherheit ihres Besitzes hofften, wollen jetzt Krieg und wünschen, die Abmachung wäre nichtig, und sie beklagen das elende Schicksal des Turnus. Schwerer Wiegendes fügt Juturna hinzu, und sie gibt am hohen Himmel ein Zeichen, und keines verwirrte so wirksam je die Gemüter der Italer, täuschte sie so durch ein Wunder; denn der bräunliche Vogel Juppiters jagte beim Flug am rötlichen Himmel die Vögel des Strands, den geflügelten Zug im kreischenden Schwarm; da plötzlich gleitet er nieder aufs Wasser und ergreift da frech einen herrlichen Schwan mit den Krallen. Spannung erfasste die Herzen der Italer; gerade noch fliehend kehrn mit Geschrei alle Vögel um – ein seltsames Bild –, mit

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aetheraque obscurant pinnis hostemque per auras facta nube premunt, donec vi victus et ipso pondere defecit praedamque ex unguibus ales proiecit fluvio penitusque in nubila fugit. Tum vero augurium Rutuli clamore salutant expediuntque manus, primusque Tolumnius augur: ‘hoc erat, hoc votis’ inquit ‘quod saepe petivi. accipio agnoscoque deos; me, me duce ferrum corripite, o miseri, quos improbus advena bello territat invalidas ut aves, et litora vestra vi populat. petet ille fugam penitusque profundo vela dabit; vos unanimi densete catervas et regem vobis pugna defendite raptum.’ dixit et adversos telum contorsit in hostis procurrens: sonitum dat stridula cornus et auras certa secat. simul hoc, simul ingens clamor et omnes turbati cunei calefactaque corda tumultu. hasta volans, ut forte novem pulcherrima fratrum corpora constiterant contra, quos fida crearat una tot Arcadio coniunx Tyrrhena Gylippo, horum unum ad medium, teritur qua sutilis alvo balteus et laterum iuncturas fibula mordet, egregium forma iuvenem et fulgentibus armis, transadigit costas fulvaque effundit harena. at fratres, animosa phalanx accensaque luctu, pars gladios stringunt manibus, pars missile ferrum corripiunt caecique ruunt. quos agmina contra procurrunt Laurentum, hinc densi rursus inundant Troes Agyllinique et pictis Arcades armis: sic omnis amor unus habet decernere ferro. diripuere aras (it toto turbida caelo tempestas telorum ac ferreus ingruit imber)

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ihren Flügeln den Himmel verdunkelnd, und drängen in dichter Wolke den Feind durch die Luft, bis, überwältigt von dieser Übermacht und der Last, aus den Krallen der Adler die Beute fallen lässt in den Fluss und sich tief in die Wolken davonmacht. Da begrüßen die Rutuler laut das Augurium, und sie rüsten sich nun zum Kampf, als erster der Augur Tolumnius: »Das war’s«, rief er, »ja das, was oft im Gebet ich erflehte. Ich nehm an und erkenn die Götter; mit mir als dem Führer greift zu den Waffen, ihr Feigen, die frech ein Fremdling durch Krieg in Schrecken versetzt wie schwache Vögel, er, der gewaltsam eure Küsten verwüstet. Er wird aber fliehen und übers Meer davonsegeln; schließt, einmütig, dicht eure Reihen, und verteidigt im Kampf den König, den man euch raubte.« Sprach’s und vorstürmend warf auf die Feinde ihm gegenüber er seinen Speer: Der Schaft saust zischend, durchschneidet die Lüfte zielsicher. Gleichzeitig tönt ein lautes Geschrei, und verwirrt sind alle Reihen; erhitzt sind da die Gemüter im Aufruhr. Und so fliegt der Speer; grad standen die schönen Gestalten von neun Brüdern da; alleine gebar sie als treue Gattin Gylippus, dem Arkader, eine Tyrrhenerin alle; einen trifft der Speer in der Mitte, wo der bestickte Gurt sich am Bauch reibt und die Enden des Gurts eine Spange beißt, einen überaus schönen Jüngling in funkelnden Waffen, und durchbohrt ihm die Rippen und streckt ihn auf gelblichem Sand hin. Aber die Brüder, in stürmischer Phalanx, entbrannt durch die Trauer, zücken teils ihr Schwert mit der Hand, teils greifen sie rasch zum Wurfspeer und stürmen blindlings voran. Die Armee der Laurenter rennt gegen sie, von drüben, da wogen in Scharen heran die Troer, mit bunten Waffen Arkader und Agylliner. So packt alle der eine Drang nach Entscheidung durch Waffen. Man zerstört die Altäre – ein heftiges Waffengewitter tobt am ganzen Himmel, es hagelt Eisen herunter –,

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craterasque focosque ferunt. fugit ipse Latinus pulsatos referens infecto foedere divos. infrenant alii currus aut corpora saltu subiciunt in equos et strictis ensibus adsunt. Messapus regem regisque insigne gerentem Tyrrhenum Aulesten, avidus confundere foedus, adverso proterret equo: ruit ille recedens et miser oppositis a tergo involvitur aris in caput inque umeros. at fervidus advolat hasta Messapus teloque orantem multa trabali desuper altus equo graviter ferit atque ita fatur: ‘hoc habet, haec melior magnis data victima divis.’ concurrunt Itali spoliantque calentia membra. obvius ambustum torrem Corynaeus ab ara corripit et venienti Ebyso plagamque ferenti occupat os flammis: olli ingens barba reluxit nidoremque ambusta dedit. super ipse secutus caesariem laeva turbati corripit hostis impressoque genu nitens terrae applicat ipsum; sic rigido latus ense ferit. Podalirius Alsum pastorem primaque acie per tela ruentem ense sequens nudo superimminet; ille securi adversi frontem mediam mentumque reducta dissicit et sparso late rigat arma cruore. olli dura quies oculos et ferreus urget somnus, in aeternam conduntur lumina noctem. At pius Aeneas dextram tendebat inermem nudato capite atque suos clamore vocabat: ‘quo ruitis? quaeve ista repens discordia surgit? o cohibete iras! ictum iam foedus et omnes compositae leges; mihi ius concurrere soli: me sinite atque auferte metus. ego foedera faxo

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Mischkrüge, Opferpfannen schaffen sie weg. Nach dem Bruch des Paktes entflieht Latinus; er trägt die verachteten Götter. Streitwagen spannen andere an oder schwingen im Sprung sich hoch auf die Pferde und sind mit gezogenen Schwertern zur Stelle. Hin zum Tyrrhener Aulestes, dem König mit Königssymbolen, lenkt Messapus sein Pferd, begierig, das Bündnis zu stören, und versetzt ihn in Angst: Der stürzt, als vor ihm er zurückweicht, fällt, der Elende, auf den Altar, der hinter ihm steht, mit Schultern und Kopf. Wild sprengt da Messapus heran mit der Lanze, trifft ihn, der heftig fleht, mit der balkenartigen Waffe tödlich vom Pferde herab und ruft: »Der hat jetzt sein Fett weg, das ist ein besseres Opfer, geweiht den erhabenen Göttern.« Italer kommen, berauben den Leib, der noch warm ist, der Rüstung. Da reißt vom Altar Korynaeus ein loderndes Scheit und stößt dem Ebysus, der, zum Hieb ausholend, herankommt, mitten ins Antlitz die Glut: Dem flammt der gewaltige Bart auf und strömt Brandgeruch aus. Überdies setzt selbst er ihm nach und packt mit der Linken den Schopf des Gegners, der völlig verwirrt ist, stemmt sich auf ihn mit dem Knie, zu Boden ihn drückend, und stößt ihm so in die Seite das grausame Schwert. Podalirius jagt den Hirten Alsus, der vorn in der Front durch Geschosshagel hinstürmt, schwingt schon drohend sein bloßes Schwert; der reißt da sein Beil nach hinten und spaltet des Gegners Stirn und Kinn in der Mitte, und er besprengt mit weithin verspritztem Blut dessen Rüstung. Starre Ruhe drückt ihm und eiserner Schlaf auf die Lider, und zu ewigem Nachtdunkel werden die Augen geschlossen. Aber der fromme Aeneas, die unbewaffnete Rechte barhäuptig ausstreckend, rief mit lauter Stimme die Seinen: »Wohin stürmt ihr, woher kommt diese plötzliche Zwietracht? Bändigt den Zorn! Geschlossen ist schon der Vertrag, und es liegen alle Bestimmungen fest; nur ich hab das Recht noch zu kämpfen: Mich also lasst und vertreibt eure Furcht. Ich sichre den Bund mit

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firma manu; Turnum debent haec iam mihi sacra.’ has inter voces, media inter talia verba ecce viro stridens alis adlapsa sagitta est, 320 incertum qua pulsa manu, quo turbine adacta, quis tantam Rutulis laudem, casusne deusne, attulerit; pressa est insignis gloria facti, nec sese Aeneae iactavit vulnere quisquam. Turnus ut Aenean cedentem ex agmine vidit 325 turbatosque duces, subita spe fervidus ardet: poscit equos atque arma simul saltuque superbus emicat in currum et manibus molitur habenas. multa virum volitans dat fortia corpora leto. semineces volvit multos: aut agmina curru 330 proterit aut raptas fugientibus ingerit hastas. qualis apud gelidi cum flumina concitus Hebri sanguineus Mavors clipeo increpat atque furentis bella movens immittit equos (illi aequore aperto ante Notos Zephyrumque volant, gemit ultima pulsu 335 Thraca pedum circumque atrae Formidinis ora Iraeque Insidiaeque, dei comitatus, aguntur): talis equos alacer media inter proelia Turnus fumantis sudore quatit, miserabile caesis hostibus insultans; spargit rapida ungula rores 340 sanguineos mixtaque cruor calcatur harena. iamque neci Sthenelumque dedit Thamyrumque Pholumque, hunc congressus et hunc, illum eminus; eminus ambo Imbrasidas, Glaucum atque Laden, quos Imbrasus ipse nutrierat Lycia, paribusque ornaverat armis, 345 vel conferre manum vel equo praevertere ventos. Parte alia media Eumedes in proelia fertur, antiqui proles bello praeclara Dolonis, nomine avum referens, animo manibusque parentem,

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eigenen Händen; den Turnus sind jetzt diese Opfer mir schuldig.« Während dieser Worte und mitten in solcher Ermahnung, siehe, da nahte zischend dem Mann ein geflügelter Pfeil; es ist nicht gewiss, welche Hand ihn schoss, welcher Wirbel ihn hertrieb, wer den Rutulern solche Ehre, ob Zufall, ob Gottheit, brachte; im Dunkeln liegt der Ruhm der besonderen Tat, und niemand brüstete sich, Aeneas verwundet zu haben. Als jetzt Turnus sieht, dass Aeneas vom Kampf sich zurückzieht und die Führer verwirrt sind, entbrennt er in plötzlicher Hoffnung: Gleichzeitig fordert er Pferde und Waffen und springt voller Stolz mit einem Satz auf den Wagen und greift mit Elan in die Zügel, fliegt dahin, schickt manchen tapferen Mann in den Tod, streckt halbtot viele nieder, zermalmt mit dem Wagen die Scharen oder schleudert auf Fliehende Lanzen, die andren er raubte. Wie wenn am Strom des eisigen Hebrus der blutige Mars im Sturmlauf den Schild erdröhnen und, Kriege entfesselnd, dann freien Lauf lässt rasenden Pferden – sie fliegen auf offenem Felde schneller als Südwind und Westwind dahin; es stöhnt unterm Hufschlag Thrakien bis an die Grenzen, und ringsum schwärmen die Fratzen schrecklicher Angst, der Wut und Tücke, des Gottes Gefolge –: So treibt wild die vom Schweiß schon dampfenden Pferde jetzt Turnus mitten im Kampf an und lässt sie elendiglich auf erschlagnen Feinden herumtrampeln; da verspritzen die rasenden Hufe blutiges Nass, und zerstampft wird der Sand, mit dem sich das Blut mischt. Sthenelus schlug er schon tot und Pholus und Thamyrus, traf im Nahkampf die letzteren, jenen von fern, von fern auch die beiden Imbrasus-Söhne Glaukus und Lades, die Imbrasus selbst in Lykien aufzog, mit gleichen Waffen sie ausstattend, sei’s zum Nahkampf oder damit sie die Winde beim Ritt überholten. Anderswo stürzt sich mitten hinein in die Kämpfe Eumedes, Sohn des alten Dolon, berühmt im Kriege; er führt den Namen des Großvaters, gleicht in Mut und Tatkraft dem Vater,

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qui quondam, castra ut Danaum speculator adiret, ausus Pelidae pretium sibi poscere currus; illum Tydides alio pro talibus ausis adfecit pretio nec equis adspirat Achillis. hunc procul ut campo Turnus prospexit aperto, ante levi iaculo longum per inane secutus sistit equos biiugis et curru desilit atque semianimi lapsoque supervenit et pede collo impresso dextrae mucronem extorquet et alto fulgentem tingit iugulo atque haec insuper addit: ‘en agros et, quam bello, Troiane, petisti, Hesperiam metire iacens: haec praemia, qui me ferro ausi temptare, ferunt, sic moenia condunt.’ huic comitem Asbyten coniecta cuspide mittit Chloreaque Sybarimque Daretaque Thersilochumque et sternacis equi lapsum cervice Thymoeten. ac velut Edoni Boreae cum spiritus alto insonat Aegaeo sequiturque ad litora fluctus, qua venti incubuere, fugam dant nubila caelo: sic Turno, quacumque viam secat, agmina cedunt conversaeque ruunt acies; fert impetus ipsum et cristam adverso curru quatit aura volantem. non tulit instantem Phegeus animisque frementem: obiecit sese ad currum et spumantia frenis ora citatorum dextra detorsit equorum. dum trahitur pendetque iugis, hunc lata retectum lancea consequitur rumpitque infixa bilicem loricam et summum degustat vulnere corpus. ille tamen clipeo obiecto conversus in hostem ibat et auxilium ducto mucrone petebat, cum rota praecipitem et procursu concitus axis impulit effunditque solo; Turnusque secutus

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der einst als Lohn dafür, dass zum griechischen Camp er als Späher ging, es wagte, den Wagen des Peleus-Sohnes zu fordern; dem gab anderen Lohn für so ein Wagnis der Sohn des Tydeus, und nicht mehr verlangt ihn nach dem Gespann des Achilles. Als nun Turnus ihn fern im offenen Felde erspäht hat, trifft er ihn erst mit dem leichten Speer über weite Entfernung, hält sein Gespann an, springt vom Wagen und macht sich dann über ihn, der, gestürzt, halb tot ist, und setzt ihm den Fuß auf den Nacken, windet ihm aus der Rechten das Schwert, und tief in die Kehle stößt er die funkelnde Klinge und sagt dazu auch noch dieses: »Miss nun, Troer, die Felder und dies Hesperien, das im Krieg du begehrtest, im Liegen: Der Lohn für die, die an mich sich wagen mit Waffen, ist dies, so sind sie als Stadtgründer tätig.« Ihm gesellt er Asbytes zu mit dem Wurf seines Speers und Chloreus, Sybaris, Dares, Thersilochus und den Thymoetes, der von dem Nacken seines störrischen Pferdes gestürzt war. Und wie wenn des edonischen Boreas Wehen dahinbraust über die tiefe Ägäis und ihre Fluten zum Strand jagt, Wolken am Himmel entfliehn, wo auf sie die Winde sich stürzen: Ebenso weichen dem Turnus die Scharen, wo er sich Bahn bricht, stürzen die Reihen nach rückwärts; sein Ungestüm aber treibt ihn weiter; den wehenden Helmbusch lässt der Gegenwind flattern. Phegeus konnt’s nicht ertragen, wie der auf ihn eindrang und tobte, und er warf sich dem Wagen entgegen und riss die im Zaumzeug schäumenden Mäuler der rennenden Pferde herum mit der Rechten. Während er mitgeschleppt wird, am Gespann hängend, ungedeckt, trifft der breite Speer ihn, durchstößt den doppeldrahtigen Panzer, reißt den auf und verwundet nur obenhin jenem den Körper. Er aber wandte sich um mit vorgehaltenem Schild, ging los auf den Gegner, zog sein Schwert und wollte sich wehren, als ihn das Rad und die Achse, vom schnellen Schwunge getrieben, traf und kopfüber zu Boden schleuderte; Turnus, zur Stelle,

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imam inter galeam summi thoracis et oras abstulit ense caput truncumque reliquit harenae. Atque ea dum campis victor dat funera Turnus, interea Aenean Mnestheus et fidus Achates Ascaniusque comes castris statuere cruentum, alternos longa nitentem cuspide gressus. saevit et infracta luctatur harundine telum eripere auxilioque viam, quae proxima, poscit: ense secent lato vulnus telique latebram rescindant penitus seseque in bella remittant. iamque aderat Phoebo ante alios dilectus Iapyx Iasides, acri quondam cui captus amore ipse suas artes, sua munera, laetus Apollo augurium citharamque dabat celerisque sagittas. ille, ut depositi proferret fata parentis, scire potestates herbarum usumque medendi maluit et mutas agitare inglorius artes. stabat acerba fremens ingentem nixus in hastam Aeneas magno iuvenum et maerentis Iuli concursu, lacrimis immobilis. ille retorto Paeonium in morem senior succinctus amictu multa manu medica Phoebique potentibus herbis nequiquam trepidat, nequiquam spicula dextra sollicitat prensatque tenaci forcipe ferrum. nulla viam Fortuna regit, nihil auctor Apollo subvenit; et saevus campis magis ac magis horror crebrescit propiusque malum est. iam pulvere caelum stare vident: subeunt equites et spicula castris densa cadunt mediis. it tristis ad aethera clamor bellantum iuvenum et duro sub Marte cadentum. Hic Venus indigno nati concussa dolore dictamnum genetrix Cretaea carpit ab Ida,

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schlug ganz unten am Helm und am oberen Rande des Panzers ab das Haupt mit dem Schwert, ließ liegen den Rumpf dann im Sande. Während so in der Ebene siegreich mordete Turnus, brachten Mnestheus und der treue Achates, mit ihnen auch Askanius, Aeneas, der, blutüberströmt, sich bei jedem zweiten Schritt auf die lange Lanze stützte, ins Lager. Der ist wütend und müht sich, den Pfeil, dem abbrach die Spitze, selbst sich herauszuziehn, und verlangt nach sofortiger Hilfe: Öffnen soll mit dem breiten Schwert man die Wunde und dort, wo festsitzt der Pfeil, aufschneiden und wieder zum Kampf ihn dann schicken. Schon war Ïapyx zur Stelle, den Phoebus vor anderen liebte, Ïasus’ Sohn; Apollo, von heftiger Liebe ergriffen, bot selbst seine Künste ihm an, seine Gaben voll Freude, Seherkunst, Kitharaspiel und dazu die Pfeile, die schnellen. Um zu verschieben den Tod des schon aufgegebenen Vaters, wollt er die Kräfte der Kräuter, dazu die Praxis des Heilens lieber beherrschen und ruhmlos die stillen Künste betreiben. Bitter grollend stand da, gestützt auf den riesigen Speer, im großen Kreis seiner Männer und vor dem betrübten Ïulus jetzt Aeneas da, nicht erschüttert durch Tränen. Der Alte, nach päonischem Brauch seinen Umhang nach rückwärts gegürtet, doktert mit ärztlicher Hand und den kräftigen Kräutern des Phoebus vielfach herum, doch umsonst; er zerrt umsonst mit der rechten Hand an dem Pfeil und packt mit der greifenden Zange das Eisen. Doch seinen Weg lenkt nicht Fortuna, nicht hilft ihm Apoll, sein Lehrmeister; auf dem Schlachtfeld steigert sich wildes Entsetzen mehr und mehr; das Verderben naht. Von Staubwolken düster sieht man den Himmel: Es kommen Reiter, und mitten im Lager hagelt es Pfeil auf Pfeil. Da hallt zum Äther Geschrei der Männer, die kämpfen und unter dem harten Kriegsgotte fallen. Jetzt, vom unverdienten Schmerz ihres Sohnes erschüttert, pflückt Mutter Venus Diktamnum am kretischen Ida; der Stängel

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puberibus caulem foliis et flore comantem purpureo (non illa feris incognita capris gramina, cum tergo volucres haesere sagittae). hoc Venus obscuro faciem circumdata nimbo detulit, hoc fusum labris splendentibus amnem inficit occulte medicans spargitque salubris ambrosiae sucos et odoriferam panaceam. fovit ea vulnus lympha longaevus Iapyx ignorans, subitoque omnis de corpore fugit quippe dolor, omnis stetit imo vulnere sanguis; iamque secuta manum nullo cogente sagitta excidit, atque novae rediere in pristina vires. ‘arma citi properate viro! quid statis?’ Iapyx conclamat primusque animos accendit in hostem. ‘non haec humanis opibus, non arte magistra proveniunt, neque te, Aenea, mea dextera servat: maior agit deus atque opera ad maiora remittit.’ ille avidus pugnae suras incluserat auro hinc atque hinc oditque moras hastamque coruscat. postquam habilis lateri clipeus loricaque tergo est, Ascanium fusis circum complectitur armis summaque per galeam delibans oscula fatur: ‘disce, puer, virtutem ex me verumque laborem, fortunam ex aliis. nunc te mea dextera bello defensum dabit et magna inter praemia ducet. tu facito, mox cum matura adoleverit aetas, sis memor et te animo repetentem exempla tuorum et pater Aeneas et avunculus excitet Hector.’ Haec ubi dicta dedit, portis sese extulit ingens telum immane manu quatiens; simul agmine denso Antheusque Mnestheusque ruunt, omnisque relictis turba fluit castris: tum caeco pulvere campus

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trägt eine purpurrote Blüte und saftige Blätter – dieses Kraut ist wilden Ziegen nicht unbekannt, wenn in ihrem Rücken stecken bleiben geflügelte Pfeile. Dies bringt Venus, von einer düsteren Wolke umgeben, mengt’s dann in Wasser vom Fluss in einem glänzenden Kessel, gibt ihm heimlich die Heilkraft und sprengt die heilsamen Säfte von Ambrosia und Panazee, wohlduftend, darüber. Mit dem Wasser wusch nun die Wunde der greise Ïapyx ahnungslos, und plötzlich entwich aus dem Körper ihm jeder Schmerz, und tief in der Wunde versiegte jegliche Blutung; schon gehorchte der Pfeil der Hand und fiel ohne jedes Zutun heraus, und die Kräfte, sie regten sich wieder wie früher. »Bringt dem Mann seine Waffen, schnell! Was steht ihr herum?« ruft Ïapyx laut und entflammt den Mut gegen Feinde als erster. »Nicht durch menschliche Kraft, nicht durch die Kunst, die ich lernte, ging das vonstatten, Aeneas, nicht rettete dich meine Hand: Ein höheres Wesen wirkt, und zu Höherem schickt es dich wieder.« Kampfbegierig schon hatte mit Gold er die Waden umschlossen, links und rechts, und er hasst, was ihn aufhält, und schwingt seine Lanze. Schon sitzt gut an der Seite der Schild, auf dem Rücken der Panzer; da umarmt er in voller Rüstung Askanius, gibt ihm durch das Visier einen Kuss zum Abschied, dieses ihm sagend: »Sohn, lern männliche Haltung von mir und wirkliche Mühsal, Glück von anderen. Jetzt wird dich im Kampf meine Rechte schützen und dann dich hin zu großen Belohnungen führen. Du aber, wenn du bald schon erreichst das Erwachsenenalter, denk dran, und vergegenwärtigst du dir das Beispiel der Deinen, dann sei Vater Aeneas dein Ansporn und Hektor, dein Onkel.« Als er’s gesagt hatte, trat er riesig hervor aus dem Tore, in der Hand die gewaltige Waffe schwingend; in dichter Reihe stürzen Antheus und Mnestheus hinaus; aus dem Lager strömt die gesamte Schar: Da hüllt sich das Schlachtfeld in dunklen

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miscetur pulsuque pedum tremit excita tellus. vidit ab adverso venientis aggere Turnus, videre Ausonii, gelidusque per ima cucurrit ossa tremor; prima ante omnis Iuturna Latinos audiit agnovitque sonum et tremefacta refugit. ille volat campoque atrum rapit agmen aperto. qualis ubi ad terras abrupto sidere nimbus it mare per medium (miseris, heu, praescia longe horrescunt corda agricolis: dabit ille ruinas arboribus stragemque satis, ruet omnia late), ante volant sonitumque ferunt ad litora venti: talis in adversos ductor Rhoeteius hostis agmen agit, densi cuneis se quisque coactis adglomerant. ferit ense gravem Thymbraeus Osirim, Arcetium Mnestheus, Epulonem obtruncat Achates Ufentemque Gyas; cadit ipse Tolumnius augur, primus in adversos telum qui torserat hostis. tollitur in caelum clamor, versique vicissim pulverulenta fuga Rutuli dant terga per agros. ipse neque aversos dignatur sternere morti nec pede congressos aequo nec tela ferentis insequitur: solum densa in caligine Turnum vestigat lustrans, solum in certamina poscit. Hoc concussa metu mentem Iuturna virago aurigam Turni media inter lora Metiscum excutit et longe lapsum temone reliquit; ipsa subit manibusque undantis flectit habenas cuncta gerens, vocemque et corpus et arma Metisci. nigra velut magnas domini cum divitis aedes pervolat et pinnis alta atria lustrat hirundo, pabula parva legens nidisque loquacibus escas, et nunc porticibus vacuis, nunc umida circum

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Staub, und erschreckt durch das Trampeln der Füße erzittert die Erde. Turnus sah von dem Wall gegenüber, wie sie sich nahten; auch die Ausonier sahen’s, und eisiger Schauer durchlief da Mark und Bein; als erste vernahm und erkannte den Lärm vor allen Latinern Juturna und floh in Panik. Doch jener stürmt und reißt sein düsteres Heer übers offene Feld mit. Wie wenn, das Sonnenlicht jäh abschneidend, ein Wirbelsturm übers Meer hin zum Land rast – ach, es lang vorausahnend, bebt den armen Bauern das Herz: Denn der wird Bäume entwurzeln und die Saaten verwüsten, wird weithin alles vernichten –; vor ihm sausen die Winde mit lautem Geheule zur Küste: So treibt gegen die feindliche Front der rhötëische Führer da sein Heer, dicht scharen sie sich, ein jeder in seine Gruppe gefügt. Thymbraeus trifft mit dem Schwert den Osiris, Mnestheus Arketius; Epulo wird von Achates erschlagen, Ufens von Gyas; es fällt auch Tolumnius selber, der Augur, der den Speer als erster warf in die Reihen der Feinde. Schreien erhebt sich zum Himmel; die Rutuler machen nun selber kehrt und fliehen in einer Staubwolke über die Felder. Weder flüchtende Feinde zu töten noch Gegner im Nahkampf, lässt sich Aeneas herbei, noch verfolgt er die, die von weitem Speere auf ihn werfen: Er sucht, umherspähend, einzig Turnus im dichten Dunkel, nur ihn verlangt er zum Zweikampf. Dieses heftig befürchtend stößt nun Juturna, die Heldin, mitten im Fahren den Lenker des Turnus, Metiscus, herab und lässt ihn, der weit weg von der Deichsel gefallen ist, liegen; selbst übernimmt sie den Platz und lenkt die lockeren Zügel, gänzlich gleich dem Metiscus in Stimme, Erscheinung und Rüstung. Wie die schwarze Schwalbe das große Haus eines reichen Herrn durchfliegt, auf Schwingen die hohen Gemächer nach kleinem Futter durchsucht, die Nahrung fürs Nest mit den zwitschernden Jungen, bald in den leeren Portiken, bald um die künstlichen Teiche

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stagna sonat: similis medios Iuturna per hostis fertur equis rapidoque volans obit omnia curru, iamque hic germanum iamque hic ostentat ovantem nec conferre manum patitur, volat avia longe. haud minus Aeneas tortos legit obvius orbes vestigatque virum et disiecta per agmina magna voce vocat. quotiens oculos coniecit in hostem alipedumque fugam cursu temptavit equorum, aversos totiens currus Iuturna retorsit. heu, quid agat? vario nequiquam fluctuat aestu, diversaeque vocant animum in contraria curae. huic Messapus, uti laeva duo forte gerebat lenta, levis cursu, praefixa hastilia ferro, horum unum certo contorquens derigit ictu. substitit Aeneas et se collegit in arma poplite subsidens; apicem tamen incita summum hasta tulit summasque excussit vertice cristas. tum vero adsurgunt irae; insidiisque subactus, diversos ubi sensit equos currumque referri, multa Iovem et laesi testatus foederis aras iam tandem invadit medios et Marte secundo terribilis saevam nullo discrimine caedem suscitat irarumque omnis effundit habenas. Quis mihi nunc tot acerba deus, quis carmine caedes diversas obitumque ducum, quos aequore toto inque vicem nunc Turnus agit, nunc Troius heros, expediat? tanton placuit concurrere motu, Iuppiter, aeterna gentis in pace futuras? Aeneas Rutulum Sucronem (ea prima ruentis pugna loco statuit Teucros) haud multa morantem excipit in latus et, qua fata celerrima, crudum transadigit costas et cratis pectoris ensem.

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schrill ertönt: So jagt durch die Mitte der Feinde Juturna mit dem Gespann, fliegt schnell mit dem Wagen durchs ganze Gelände, lässt den Bruder bald hier, bald dort triumphierend sich zeigen, aber sie duldet es nicht, dass er kämpft, eilt weitab vom Wege. Auch Aeneas zieht, ihn zu treffen, verschlungene Kreise, folgt dem Mann auf der Spur und ruft laut durch die versprengten Reihen. So oft sein Blick auf den Feind traf und er im Lauf die windschnell fliehenden Pferde einzuholen versuchte, so oft trieb den Wagen Juturna in andere Richtung. Ach, was tun? Er schwankt vergeblich vom Einen zum Andren, widerstreitend zerren ihn hin und her die Gedanken. Aber Messapus, der schnell im Laufen war, trug in der Linken grad zwei biegsame Lanzen mit einer eisernen Spitze; zielsicher schleudert in seine Richtung er eine von ihnen. Aber Aeneas, der bleibt stehn, kniet nieder und duckt sich hinter dem Schild; trotzdem nahm mit sich der sausende Speer die Spitze des Helms und riss ihm herab vom Scheitel den Helmbusch. Da steigt Wut in ihm auf; durch die Treulosigkeit nun getrieben, ruft er oft, als er merkt, dass Rosse und Wagen entfliehn, zu Zeugen der Paktverletzung Juppiter und die Altäre, stürzt ins Getümmel dann endlich, verursacht, von Mavors begünstigt, schrecklich und unterschiedslos ein grausiges Blutbad und lässt da seinem erbitterten Zorn jetzt gänzlich schießen die Zügel. Welcher Gott mag nun mir von so viel Leid, von dem Mord an mehreren Orten, dem Sterben der Feldherrn, die über die ganze Ebene abwechselnd Turnus jetzt, dann der troische Held jagt, künden im Liede? Juppiter, mussten in solch einem Ringen Völker sich schlagen, für die ein ewiger Frieden bestimmt war? Sucro, den Rutuler, packt Aeneas – erstmals zum Stehen brachte der Zweikampf die Teukrer –, verletzt ihn, der ihn nicht aufhält, seitlich und stößt dort, wo am schnellsten eintritt der Tod, das mitleidlose Schwert in den Brustkorb ihm durch die Rippen.

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Turnus equo deiectum Amycum fratremque Dioren, congressus pedes, hunc venientem cuspide longa, hunc mucrone ferit, curruque abscisa duorum suspendit capita et rorantia sanguine portat. ille Talon Tanaimque neci fortemque Cethegum, tris uno congressu, et maestum mittit Oniten, nomen Echionium matrisque genus Peridiae; hic fratres Lycia missos et Apollinis agris et iuvenem exosum nequiquam bella Menoeten, Arcada, piscosae cui circum flumina Lernae ars fuerat pauperque domus nec nota potentum munera, conductaque pater tellure serebat. ac velut immissi diversis partibus ignes arentem in silvam et virgulta sonantia lauro, aut ubi decursu rapido de montibus altis dant sonitum spumosi amnes et in aequora currunt quisque suum populatus iter: non segnius ambo Aeneas Turnusque ruunt per proelia; nunc, nunc fluctuat ira intus, rumpuntur nescia vinci pectora, nunc totis in vulnera viribus itur. Murranum hic, atavos et avorum antiqua sonantem nomina per regesque actum genus omne Latinos, praecipitem scopulo atque ingentis turbine saxi excutit effunditque solo; hunc lora et iuga subter provolvere rotae, crebro super ungula pulsu incita nec domini memorum proculcat equorum. ille ruenti Hyllo animisque immane frementi occurrit telumque aurata ad tempora torquet: olli per galeam fixo stetit hasta cerebro. dextera nec tua te, Graium fortissime Cretheu, eripuit Turno; nec di texere Cupencum Aenea veniente sui: dedit obvia ferro

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Turnus, zu Fuß, trifft Amykus, welcher vom Pferd fiel, und dessen Bruder Diores; er tötet den einen, der anstürmt, mit langer Lanze, den andern durchs Schwert, schlägt beiden die Köpfe ab, hängt an seinem Wagen sie auf und führt sie, bluttriefend, mit sich. Der schickt Tanaïs, Talos, Kethegus, den Tapferen, drei in einem Gefecht, in den Tod, dazu den betrübten Onites, einen Nachfahrn Echions; die Mutter war Peridia; dieser erschlägt zwei Brüder, geschickt aus dem Lande Apollos, Lykien, und Menoetes, den Arkader, welchem umsonst der Krieg verhasst war; er hatte an Wassern des fischreichen Lerna ausgeübt seinen Beruf; sein Haus war arm, und nicht diente mächtigen Herrn er; der Vater baute gepachtetes Land an. Gleichwie von verschiedenen Seiten in trockenen Wald die Brände fahren sowie in Sträucher, die knistern von Lorbeer, oder wenn in reißendem Lauf vom hohen Gebirge schäumende Flüsse tosen und nieder zur Ebene strömen, jeder seinen Weg verwüstend: Nicht langsamer stürzen beide, Aeneas und Turnus, durchs Kampfgetümmel, jetzt wogt, jetzt innerlich Zorn, ist die Brust, die Verlieren nicht kennt, bis zum Bersten voll, jetzt schreitet man da mit allen Kräften zum Blutbad. Dieser schleudert Murranus – von Urahnen tönt er, von Ahnen und vom gesamten Geschlecht, das Latinerkönige stellte – mit einem Stein, mit dem wirbelnden Wurf eines riesigen Felsstücks auf den Boden kopfüber; die Räder schleifen ihn unter Zaumzeug und Deichsel dahin, und die schnellen Hufe der Pferde, die ihren Herrn nicht mehr kennen, die stampfen mehrfach ihn nieder. Jener trifft auf den Hyllus, der heftig tobend dahinstürmt, und er zielt mit dem Speer auf die goldumschimmerten Schläfen: Durch den Helm ins Gehirn bohrt der sich, bleibt dann dort stecken. Nicht entriss deine Hand, der Griechen Tapferster, Kretheus, dich dem Turnus, und nicht beschützten Cupencus die eignen Götter beim Nahn des Aeneas: Er bot dem Schwert seine Brust, und

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pectora, nec misero clipei mora profuit aerei. te quoque Laurentes viderunt, Aeole, campi oppetere et late terram consternere tergo: occidis, Argivae quem non potuere phalanges sternere nec Priami regnorum eversor Achilles; hic tibi mortis erant metae, domus alta sub Ida, Lyrnesi domus alta, solo Laurente sepulcrum. totae adeo conversae acies omnesque Latini, omnes Dardanidae, Mnestheus acerque Serestus et Messapus equum domitor et fortis Asilas Tuscorumque phalanx Euandrique Arcades alae, pro se quisque viri summa nituntur opum vi; nec mora nec requies, vasto certamine tendunt. Hic mentem Aeneae genetrix pulcherrima misit iret ut ad muros urbique adverteret agmen ocius et subita turbaret clade Latinos. ille ut vestigans diversa per agmina Turnum huc atque huc acies circumtulit, aspicit urbem immunem tanti belli atque impune quietam. continuo pugnae accendit maioris imago: Mnesthea Sergestumque vocat fortemque Serestum ductores tumulumque capit quo cetera Teucrum concurrit legio, nec scuta aut spicula densi deponunt. celso medius stans aggere fatur: ‘ne qua meis esto dictis mora (Iuppiter hac stat), neu quis ob inceptum subitum mihi segnior ito. urbem hodie, causam belli, regna ipsa Latini, ni frenum accipere et victi parere fatentur, eruam et aequa solo fumantia culmina ponam. scilicet exspectem libeat dum proelia Turno nostra pati rursusque velit concurrere victus? hoc caput, o cives, haec belli summa nefandi.

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nichts half da dem Armen der eherne Schild als ein Hemmnis. Dich auch, Aeolus, sahen sterben Laurentums Gefilde und weithin bedecken das Land mit dem Rücken: Zugrund gehst du, den die Griechenphalangen nicht zu fällen vermochten, nicht einmal der Zerstörer des Priamus-Reiches, Achilles; hier war für dich die Grenze zum Tod, unterm Ida dein hohes Haus, dein hohes Haus in Lyrnessus, dein Grab in Laurentum. Sämtliche Truppen standen im Kampf jetzt, alle Latiner, alle Dardaner, Mnestheus, dazu der wilde Serestus und Messapus, Bezwinger der Rosse, der tapfre Asilas, ferner die tuskische Front und Euanders arkadische Reiter; jedermann strengt sich an mit dem höchsten Einsatz der Kräfte; ohne Ruhe und Rast, so ringt man in schrecklichem Streite. Da gab ihrem Aeneas die bildschöne Mutter den Plan ein, bis vor die Mauern zu ziehen und schleunigst zur Stadt die Armee zu führn und durch plötzliches Losschlagen dort zu verwirrn die Latiner. Als er, zwischen den Scharen nach Turnus überall suchend, hierhin und dorthin die Blicke wandte, da sieht noch verschont vom schrecklichen Krieg er die Stadt und in ungefährdetem Frieden. Gleich entflammt ihn die Vorstellung eines größeren Kampfes: Mnestheus, Sergestus, dazu den tapfren Serestus, die Führer, ruft er, besteigt einen Hügel, bei dem sich das übrige Heer der Teukrer versammelt, in dichter Schar, den Schild und den Speer nicht ablegend, steht in der Mitte des hohen Walles und sagt nun: »Ohne Verzug ist zu tun, was ich sage – Juppiter hilft uns –, keiner auch handle langsamer, weil ich so plötzlich zur Tat schritt. Heut zerstör ich die Stadt, den Kriegsgrund, ja, des Latinus Reich, falls sie nicht sich zu fügen bereit sind, besiegt zu gehorchen, und ich mache dem Erdboden gleich ihre rauchenden Häuser. Soll ich denn warten, bis Turnus es passt, sich dem Zweikampf zu stellen und, dazu überredet, sich wieder mit mir duelliern will? Ursprung des ruchlosen Kriegs und Entscheidung, hier liegen sie, Bürger.

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ferte faces propere foedusque reposcite flammis.’ dixerat, atque animis pariter certantibus omnes dant cuneum densaque ad muros mole feruntur; scalae improviso subitusque apparuit ignis. discurrunt alii ad portas primosque trucidant, ferrum alii torquent et obumbrant aethera telis. ipse inter primos dextram sub moenia tendit Aeneas magnaque incusat voce Latinum testaturque deos iterum se ad proelia cogi, bis iam Italos hostis, haec altera foedera rumpi. exoritur trepidos inter discordia civis: urbem alii reserare iubent et pandere portas Dardanidis ipsumque trahunt in moenia regem; arma ferunt alii et pergunt defendere muros: inclusas ut cum latebroso in pumice pastor vestigavit apes fumoque implevit amaro; illae intus trepidae rerum per cerea castra discurrunt magnisque acuunt stridoribus iras; volvitur ater odor tectis, tum murmure caeco intus saxa sonant, vacuas it fumus ad auras. Accidit haec fessis etiam fortuna Latinis, quae totam luctu concussit funditus urbem. regina ut tectis venientem prospicit hostem, incessi muros, ignis ad tecta volare, nusquam acies contra Rutulas, nulla agmina Turni: infelix pugnae iuvenem in certamine credit exstinctum et subito mentem turbata dolore se causam clamat crimenque caputque malorum, multaque per maestum demens effata furorem purpureos moritura manu discindit amictus et nodum informis leti trabe nectit ab alta. quam cladem miserae postquam accepere Latinae,

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Schnell schafft Fackeln herbei und fordert mit Flammen den Pakt ein!« Sprach’s, und einmütig bilden sogleich um die Wette sie eine Keilformation und drängen in dichter Masse zur Mauer; Leitern sind unversehens und Feuer plötzlich zur Stelle. Einige laufen hin zu den Toren und töten die Ersten, andere schleudern Speere, den Äther durch Waffen verdunkelnd. Er selbst, unter den Ersten, erhebt ganz dicht an der Stadt die Rechte, klagt Latinus mit lauter Stimme an, ruft die Götter zu Zeugen, erneut sei zum Kampf er gezwungen, schon zweimal seien die Italer Feinde, der zweite Vertrag sei gebrochen. Uneinigkeit entsteht nun unter den ängstlichen Bürgern: Einige wollen die Stadt entriegeln, den Dardanern ihre Tore öffnen; sie zerren den König selbst auf die Mauern; andere bringen Waffen, verteidigen weiter die Festung: So spürt den im porösen Bimsstein verborgenen Bienen nach der Hirte und hüllt sie ein mit beißendem Rauche; diese schwirren nun drinnen in heftiger Angst durch die Burg aus Wachs, und sie stacheln durch lautes Summen sich selber zur Wut an; düster wälzt sich der Qualm durch ihr Haus, und von dumpfem Gesumme braust dann innen der Fels, und der Rauch steigt hoch in die Lüfte. Auch der Schicksalsschlag traf dann die erschöpften Latiner, der die gesamte Stadt nun vollends mit Trauer erfüllte. Als vom Dach aus die Königin sieht, wie der Gegner heranrückt, wie man die Mauern ersteigt, wie Feuer fliegt gegen Häuser, nirgends das Rutulerheer sich wehrt, keine Heerschar des Turnus, glaubt die Arme, im Kampfe sei der Jüngling gefallen, und sie ruft, verwirrt im Geist von den plötzlichen Schmerzen, sie sei die Ursache, sie sei schuldig und Quelle der Leiden, sagt dann, rasend vor Trauer, von Sinnen noch vieles, zerreißt mit eigener Hand, zu sterben bereit, ihr Purpurgewand und knüpft zu abscheulichem Tod am hohen Balken den Knoten. Als von dem Unheil die armen Frauen von Latium hören,

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filia prima manu floros Lavinia crinis et roseas laniata genas, tum cetera circum turba furit: resonant late plangoribus aedes. hinc totam infelix vulgatur fama per urbem. demittunt mentes, it scissa veste Latinus coniugis attonitus fatis urbisque ruina, canitiem immundo perfusam pulvere turpans. Interea extremo bellator in aequore Turnus palantis sequitur paucos iam segnior atque iam minus atque minus successu laetus equorum. attulit hunc illi caecis terroribus aura commixtum clamorem, arrectasque impulit auris confusae sonus urbis et inlaetabile murmur. ‘ei mihi! quid tanto turbantur moenia luctu? quisve ruit tantus diversa clamor ab urbe?’ sic ait adductisque amens subsistit habenis. atque huic, in faciem soror ut conversa Metisci aurigae currumque et equos et lora regebat, talibus occurrit dictis: ‘hac, Turne, sequamur Troiugenas, qua prima viam victoria pandit; sunt alii qui tecta manu defendere possint. ingruit Aeneas Italis et proelia miscet, et nos saeva manu mittamus funera Teucris. nec numero inferior pugnae nec honore recedes.’ Turnus ad haec: ‘o soror, et dudum agnovi, cum prima per artem foedera turbasti teque haec in bella dedisti, et nunc nequiquam fallis dea. sed quis Olympo demissam tantos voluit te ferre labores? an fratris miseri letum ut crudele videres? nam quid ago? aut quae iam spondet Fortuna salutem? vidi oculos ante ipse meos me voce vocantem

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rauft sich als erste Lavinia, die Tochter, ihr glänzendes Haar und reißt die rosigen Wangen sich auf, dann rast auch ringsum die übrige Schar: Weithin hallt da der Palast von den Klagen. Über die ganze Stadt wird die Kunde des Unheils verbreitet. Mutlos sind alle; Latinus geht in zerrissnem Gewande, durch das Los seiner Frau und das Stadtverderben erschüttert, und entstellt sein graues Haar mit schmutzigem Staube. Unterdessen verfolgt am äußersten Rande des Schlachtfelds Turnus, der Kämpfer, lässiger nur ein paar der Versprengten, immer weniger schon erfreut durch den Eifer der Rosse. Da trug dieses Geschrei ihm die Luft her, welches mit nicht zu deutender Panik sich mischte, es drang an sein lauschendes Ohr der Lärm der verwirrten Stadt und Getöse, das keineswegs gut klang. »Weh mir! Warum nur herrscht in der Stadt Verwirrung und Trauer? Welch ein lautes Geschrei kommt fern aus der Stadt hier herüber?« Ruft’s, und strafft wie betäubt die Zügel und hält das Gespann an. Noch in Metiscus’, des Lenkers, Gestalt, so wie sie ihm Wagen, Rosse und Zügel lenkte, entgegnet darauf ihm die Schwester dieses: »Lass uns, Turnus, doch hier die Troja-Entsprossnen jagen, hier, wo zuerst der Sieg die Bahn uns eröffnet; andere gibt’s, die im Kampf die Stadt verteidigen können. Auf die Italer stürzt sich Aeneas und hetzt dort zum Kampfe, lass auch uns den Teukrern ein grausames Sterben bereiten. Weder an Zahl deiner Opfer noch Kriegsruhm wirst du zurückstehn.« Turnus darauf: »Schwester, schon längst hab dich ich erkannt, gleich als du das Bündnis arglistig störtest und dann in den Krieg dich stürztest; vergeblich tarnst du jetzt noch dein göttliches Wesen. Wer aber sandte dich vom Olymp und wollte, dass solche Mühen du durchstehst? Solltest du zusehn beim grausamen Tod deines elenden Bruders? Was soll ich tun? Oder welcher Glücksfall verbürgt mir noch Rettung? Ich hab mit eigenen Augen gesehn, wie Murranus – kein andrer

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Murranum, quo non superat mihi carior alter, oppetere ingentem atque ingenti vulnere victum. occidit infelix nostrum ne dedecus Ufens aspiceret; Teucri potiuntur corpore et armis. exscindine domos (id rebus defuit unum) perpetiar, dextra nec Drancis dicta refellam? terga dabo et Turnum fugientem haec terra videbit? usque adeone mori miserum est? vos o mihi, Manes, este boni, quoniam superis aversa voluntas. sancta ad vos anima atque istius inscia culpae descendam magnorum haud umquam indignus avorum.’ Vix ea fatus erat: medios volat ecce per hostis vectus equo spumante Saces, adversa sagitta saucius ora, ruitque implorans nomine Turnum: ‘Turne, in te suprema salus, miserere tuorum. fulminat Aeneas armis summasque minatur deiecturum arces Italum excidioque daturum, iamque faces ad tecta volant. in te ora Latini, in te oculos referunt; mussat rex ipse Latinus, quos generos vocet aut quae sese ad foedera flectat. praeterea regina, tui fidissima, dextra occidit ipsa sua lucemque exterrita fugit. soli pro portis Messapus et acer Atinas sustentant aciem; circum hos utrimque phalanges stant densae strictisque seges mucronibus horret ferrea; tu currum deserto in gramine versas.’ obstipuit varia confusus imagine rerum Turnus et obtutu tacito stetit: aestuat ingens uno in corde pudor mixtoque insania luctu et furiis agitatus amor et conscia virtus. ut primum discussae umbrae et lux reddita menti, ardentis oculorum orbes ad moenia torsit

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lebt, der mir lieber als er ist – mit lauter Stimme mich rufend starb als ein riesiger Held, vom Hieb eines Helden bezwungen. Ufens, der Arme, fiel, um nicht mit ansehn zu müssen meine Schmach; die Teukrer besitzen den Leib und die Rüstung. Soll die Zerstörung der Häuser – dies fehlt noch zu unserem Unglück – ich ertragen, nicht Drankes’ Wort mit der Hand widerlegen? Werde ich fliehn? Dies Land soll Turnus als Flüchtigen sehen? Ist das Sterben denn gar so schlimm? Seid ihr mir doch, Manen, zugetan, weil ja der Wille der Götter sich gegen mich richtet. Als eine reine Seele, die nichts von so einer Schuld weiß, werd ich hinabsteigen, stets meiner großen Vorfahren würdig.« Kaum hatte dies er gesagt, da fliegt auf vom Schaume bedecktem Pferd mitten durch die Feinde Sakes, im Antlitz von einem Pfeile verletzt, stürmt her, ruft Turnus dann flehend beim Namen: »Turnus, du bist unsre letzte Rettung, erbarm dich der Deinen! Wie ein Ungewitter, so wütet Aeneas im Kampf und droht, der Italer Burgen zu stürzen und ganz zu vernichten; Brandfackeln fliegen schon auf die Häuser. Der Blick der Latiner richtet auf dich sich; es schwankt sogar Latinus noch, wen er Schwiegersohn nennen soll und für welchen Vertrag sich entscheiden. Außerdem starb die Königin, die dir am treuesten war, von eigener Hand, entfloh dem Lebenslicht voller Entsetzen. Einzig Messapus gibt vor den Toren dem Heer mit Atinas immer noch Halt; um sie stehn dicht gedrängt auf den beiden Seiten die Reihen, es starrt von gezückten Klingen die Saat aus Eisen; du aber fährst auf verlassenem Feld mit dem Wagen.« Turnus erstarrte, verwirrt vom Wandel im Bild des Geschehens, stand da, schaute und schwieg: Ein heftiges Schamgefühl glüht in seinem Herzen und rasende Wut, mit Trauer verbunden, Liebe, von Wahnsinn gepeitscht, und das Wissen um eigne Courage. Aber sobald das Dunkel verscheucht, wieder da war das klare Denken, lenkte er hin zu den Mauern die brennenden Augen,

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turbidus eque rotis magnam respexit ad urbem. Ecce autem flammis inter tabulata volutus ad caelum undabat vertex turrimque tenebat, turrim compactis trabibus quam eduxerat ipse subdideratque rotas pontisque instraverat altos. ‘iam iam fata, soror, superant, absiste morari; quo deus et quo dura vocat Fortuna sequamur. stat conferre manum Aeneae, stat quidquid acerbi est morte pati; neque me indecorem, germana, videbis amplius: hunc, oro, sine me furere ante furorem.’ dixit et e curru saltum dedit ocius arvis perque hostis, per tela ruit maestamque sororem deserit ac rapido cursu media agmina rumpit. ac veluti montis saxum de vertice praeceps cum ruit avulsum vento, seu turbidus imber proluit aut annis solvit sublapsa vetustas; fertur in abruptum magno mons improbus actu exsultatque solo, silvas armenta virosque involvens secum: disiecta per agmina Turnus sic urbis ruit ad muros, ubi plurima fuso sanguine terra madet striduntque hastilibus aurae, significatque manu et magno simul incipit ore: ‘parcite iam, Rutuli, et vos tela inhibete, Latini. quaecumque est fortuna, mea est: me verius unum pro vobis foedus luere et decernere ferro.’ discessere omnes medii spatiumque dedere. At pater Aeneas audito nomine Turni deserit et muros et summas deserit arces praecipitatque moras omnis, opera omnia rumpit laetitia exsultans horrendumque intonat armis: quantus Athos aut quantus Eryx aut ipse coruscis cum fremit ilicibus quantus gaudetque nivali

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aufgewühlt, und er blickte vom Wagen zur mächtigen Stadt hin. Sieh, eine Feuersäule, die wälzte von Stockwerk zu Stockwerk sich zum Himmel empor und hatte den Turm schon erfasst, den Turm, den aus fest gefügten Balken er selber erbaut, auf Räder gesetzt hatte und mit hohen Brücken versehen. »Schwester, jetzt siegen die Fata, jetzt; hör auf, mich zu hindern; folgen will ich dem Ruf eines Gotts und der harten Fortuna. Jetzt steht’s fest: Ich kämpf mit Aeneas, erleid auch im Tode alles, was bitter ist; Schwester, nicht länger siehst du mich ehrlos: Lass mich jedoch zuvor meine Wut austoben, ich bitt dich.« Sprach’s und sprang im Nu vom Wagen herab auf die Erde, stürmt durch Geschosse und Feinde, verlässt seine traurige Schwester, und er bahnt sich in schnellem Lauf seinen Weg durch die Reihen. Wie wenn vom Berggipfel, losgerissen vom Winde, ein Felsblock jäh hinabstürzt, sei’s, weil ihn ein heftiger Regen wegspülte oder das Alter, durch Jahre heranschleichend, löste; fort in den Abgrund rast der tückische Felsblock mit großer Wucht, springt auf vom Grund, wälzt Wälder, Herden und Menschen mit sich dahin: So stürmt durch zersprengte Scharen jetzt Turnus auf die Mauern der Stadt zu, wo überall vom vergossnen Blute der Erdboden trieft und von Speeren schwirren die Lüfte, gibt mit der Hand ein Signal und fängt gleich laut an zu sprechen: »Rutuler, hört nun auf, lasst ruhen die Speere, Latiner. Wie mein Geschick auch sei, meins ist’s: Es ist besser, wenn ich nur büß den Vertragsbruch für euch und such mit dem Schwert die Entscheidung.« Aus der Mitte entfernten sich alle und gaben den Platz frei. Aber Vater Aeneas wendet beim Hören des Namens Turnus sich ab von den Mauern und ab von der ragenden Festung, stellt rasch alles zurück, was hemmt, bricht ab, was er tut, und lässt, vor Freude jubelnd, entsetzlich die Waffen erdröhnen: So sehr freut sich der Athos, der Eryx oder der Vater Appenninus, wenn er mit den schwankenden Steineichen rauscht und

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vertice se attollens pater Appenninus ad auras. iam vero et Rutuli certatim et Troes et omnes convertere oculos Itali, quique alta tenebant moenia quique imos pulsabant ariete muros, armaque deposuere umeris. stupet ipse Latinus ingentis, genitos diversis partibus orbis, inter se coiisse viros et cernere ferro. atque illi, ut vacuo patuerunt aequore campi, procursu rapido, coniectis eminus hastis, invadunt Martem clipeis atque aere sonoro. dat gemitum tellus; tum crebros ensibus ictus congeminant, fors et virtus miscentur in unum. ac velut ingenti Sila summove Taburno cum duo conversis inimica in proelia tauri frontibus incurrunt – pavidi cessere magistri, stat pecus omne metu mutum mussantque iuvencae, quis nemori imperitet, quem tota armenta sequantur; illi inter sese multa vi vulnera miscent cornuaque obnixi infigunt et sanguine largo colla armosque lavant, gemitu nemus omne remugit: non aliter Tros Aeneas et Daunius heros concurrunt clipeis, ingens fragor aethera complet. Iuppiter ipse duas aequato examine lances sustinet et fata imponit diversa duorum, quem damnet labor et quo vergat pondere letum. Emicat hic impune putans et corpore toto alte sublatum consurgit Turnus in ensem et ferit: exclamant Troes trepidique Latini, arrectaeque amborum acies. at perfidus ensis frangitur in medioque ardentem deserit ictu, ni fuga subsidio subeat. fugit ocior Euro, ut capulum ignotum dextramque aspexit inermem.

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mit dem verschneiten Gipfel sich hoch aufreckt in die Lüfte. Jetzt aber wandten Rutuler, Troer und Italer um die Wette den Blick, die, welche besetzt den Mauerring hielten, die auch, welche den Fuß der Mauern mit Sturmböcken rammten, alle nahmen die Waffen von ihren Schultern. Latinus staunt, wie die Helden, die aus verschiedenen Erdteilen stammen, nun aufeinander treffen und mit dem Schwerte entscheiden. Jene stürmen jetzt, wo der Kampfplatz rings völlig frei ist, vorwärts, schleudern erst von weitem die Lanzen und gehen dann zum Nahkampf über mit krachenden ehernen Schilden. Da seufzt auf die Erde; nun teilen die Schwerter der beiden zahllose Hiebe aus; mit dem Glück verbindet sich Tatkraft. Wie auf dem riesigen Silaberg oder auf des Taburnus Höhn zwei Stiere, Stirn gegen Stirn, zum grimmigen Kampfe losrennen – ängstlich entflohen sind da die Hirten, die ganze Herde, sie steht vor Furcht stumm da, und es bangen die Kühe, wer im Wald dann befiehlt, wem die ganze Herde dann nachfolgt; voller Wucht versetzen einander sie Wunde auf Wunde, bohren mit Kraft in den Leib sich die Hörner und baden im vielen Blute Nacken und Bug; vom Gebrüll hallt wider der Bergwald: So treffen aufeinander der Troer Aeneas und Daunus’ Sohn, der Held, mit den Schilden; Getöse erfüllt da den Äther. Juppiter selbst justiert den Schalen der Waage das Zünglein, hält sie und legt hinein die verschiedenen Fata der beiden: Wen wird es treffen, durch wessen Gewicht wird das Todeslos sinken? Schnell springt Turnus jetzt auf, ohne Angst vor Gefahr, und er reckt sich hoch mit dem ganzen Leib, holt weit mit dem Schwert aus und schlägt dann zu: Die Trojaner schrein laut auf und, erregt, die Latiner, beide Heere sind sehr gespannt. Doch treulos zerbricht das Schwert, lässt, während er zuschlägt, im Stich den Feurigen; jetzt hilft nur noch die Flucht. Er entflieht da schneller sogar als der Eurus, als er den fremden Griff jetzt erblickt und die wehrlose Rechte.

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fama est praecipitem, cum prima in proelia iunctos conscendebat equos, patrio mucrone relicto, dum trepidat, ferrum aurigae rapuisse Metisci; idque diu, dum terga dabant palantia Teucri, suffecit; postquam arma dei ad Volcania ventum est, mortalis mucro glacies ceu futtilis ictu dissiluit: fulva resplendent fragmina harena. ergo amens diversa fuga petit aequora Turnus et nunc huc, inde huc incertos implicat orbes; undique enim densa Teucri inclusere corona atque hinc vasta palus, hinc ardua moenia cingunt. Nec minus Aeneas, quamquam tardata sagitta interdum genua impediunt cursumque recusant, insequitur trepidique pedem pede fervidus urget: inclusum veluti si quando flumine nactus cervum aut puniceae saeptum formidine pinnae venator cursu canis et latratibus instat; ille autem insidiis et ripa territus alta mille fugit refugitque vias, at vividus Umber haeret hians, iam iamque tenet similisque tenenti increpuit malis morsuque elusus inani est; tum vero exoritur clamor ripaeque lacusque responsant circa et caelum tonat omne tumultu. ille simul fugiens Rutulos simul increpat omnis nomine quemque vocans notumque efflagitat ensem. Aeneas mortem contra praesensque minatur exitium, si quisquam adeat, terretque trementis excisurum urbem minitans et saucius instat. quinque orbis explent cursu totidemque retexunt huc illuc; neque enim levia aut ludicra petuntur praemia, sed Turni de vita et sanguine certant. Forte sacer Fauno foliis oleaster amaris

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Überstürzt, so heißt es, habe er, als er zum ersten Kampf sein Gespann bestieg, das Schwert seines Vaters vergessen und in Hast dann die Waffe des Lenkers Metiscus ergriffen; diese genügte, als noch versprengt die Teukrer entflohen; als es aber zum Kampf mit den Waffen des Gottes Vulkan kam, sprang wie zerbrechliches Eis das Menschenschwert, als es zuschlug, auseinander: Es funkeln im gelblichen Sande die Trümmer. Kopflos flieht auf dem Feld in verschiedene Richtungen Turnus und rennt ratlos im Kreise bald hierhin, bald dorthin; auf allen Seiten umzingeln ihn nämlich in dichter Kette die Teukrer; da versperrt ein großer Sumpf den Weg, dort die Mauer. Aber Aeneas verfolgt ihn, obgleich, geschwächt durch den Pfeilschuss, manchmal die Knie ihn hindern und ihm das Laufen verweigern, und er ist dem Verängstigten ungestüm auf den Fersen: So, wie zuweilen den Hirsch, den der Fluss einschließt oder in die Enge die Wildscheuche treibt mit ihren purpurnen Federn, einholt der Jagdhund und ihn bedrängt mit lautem Gebelle; der aber, durch die Scheuche erschreckt und den Abhang des Ufers, flieht hin und her auf tausend Wegen, der wendige Umber bleibt aber lechzend dran, fasst schon nach ihm, knirscht dann, als hätt er ihn, mit dem Kiefer und ist genarrt durch das Schnappen ins Leere; da erhebt sich Geschrei, und es antworten Ufer und Seen ringsum, und der ganze Himmel erdröhnt vom Getöse. Jener flieht und beschimpft zugleich die Rutuler alle, jeden mit Namen, und fordert sein Schwert, das weithin bekannte. Aber Aeneas droht mit Tod und sofortigem Ende, falls ihm jemand naht, und schreckt die Bebenden drohend, ganz zu vernichten die Stadt, drängt weiter trotz seiner Wunde. Fünfmal laufen sie da im Kreis, fünfmal wieder rückwärts, hin und her; hier wetteifert man ja nicht, wie beim Spiel, um läppische Preise; sie kämpfen um Blut und Leben des Turnus. Zufällig hatte dort, Faunus geweiht, mit bitterem Laub ein

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hic steterat, nautis olim venerabile lignum, servati ex undis ubi figere dona solebant Laurenti divo et votas suspendere vestes; sed stirpem Teucri nullo discrimine sacrum sustulerant, puro ut possent concurrere campo. hic hasta Aeneae stabat, huc impetus illam detulerat fixam et lenta radice tenebat. incubuit voluitque manu convellere ferrum Dardanides teloque sequi quem prendere cursu non poterat. tum vero amens formidine Turnus: ‘Faune, precor, miserere’ inquit ‘tuque optima ferrum Terra tene, colui vestros si semper honores, quos contra Aeneadae bello fecere profanos.’ dixit opemque dei non cassa in vota vocavit. namque diu luctans lentoque in stirpe moratus viribus haud ullis valuit discludere morsus roboris Aeneas. dum nititur acer et instat, rursus in aurigae faciem mutata Metisci procurrit fratrique ensem dea Daunia reddit. quod Venus audaci nymphae indignata licere accessit telumque alta ab radice revellit. olli sublimes, armis animisque refecti, hic gladio fidens, hic acer et arduus hasta, adsistunt contra certamine Martis anheli. Iunonem interea rex omnipotentis Olympi adloquitur fulva pugnas de nube tuentem: ‘quae iam finis erit, coniunx? quid denique restat? indigetem Aenean scis ipsa et scire fateris deberi caelo fatisque ad sidera tolli. quid struis? aut qua spe gelidis in nubibus haeres? mortalin decuit violari vulnere divum? aut ensem (quid enim sine te Iuturna valeret?)

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wilder Ölbaum gestanden, ein Baum, verehrt von den Schiffern; kamen sie heil aus den Wogen, befestigten stets sie Laurentums Schutzgott Gaben hier, hängten dazu die geweihten Gewänder; aber die Teukrer hatten den Baum, nicht wie andre ihn ehrend, umgehaun, um auf freiem Felde kämpfen zu können. Hier stand jetzt des Aeneas Speer, hier hatte der Wurf ihn festgespießt und ließ ihn im zähen Wurzelstock haften. Nun sich anstemmend wollt mit der Hand der Troer das Eisen losreißen und mit dem Speer ihn treffen, den er im Lauf nicht fassen konnte. Da rief, vor Entsetzen außer sich, Turnus: »Faunus, bitte, erbarm dich, und du, Mutter Erde, halt fest das Eisen, so wahr ich stets eurem Kult Verehrung bezeugte, den dagegen durch Krieg die Aeneaden entweihten.« Sprach’s und rief nicht umsonst im Gebet nach der Hilfe des Gottes. Denn obwohl Aeneas sich lange bemühte und mit der zähen Wurzel aufhielt, er konnte mit all seiner Kraft nicht lockern des Holzes Biss. Und während er grimmig sich anstrengt, läuft des Daunus Tochter, die Göttin, wieder herbei als Lenker Metiscus und gibt das Schwert zurück ihrem Bruder. Venus, darüber empört, dass die dreiste Nymphe das durfte, trat hinzu und riss aus der Tiefe der Wurzel die Lanze. Die nun, voll Stolz und erneut im Besitz von Waffen und Kühnheit – dieser vertrauend aufs Schwert, wild, hoch den Speer reckend, jener –, stehen einander keuchend im Kampfe des Mars gegenüber. Aber der Fürst des Olymps, des allmächtigen, spricht unterdes zu Juno, welche aus einer rötlichen Wolke den Kampf schaut: »Wie soll dies noch enden, Gemahlin? Was bleibt denn noch schließlich? Du selbst weißt und gestehst, es zu wissen: Aeneas gehört als heimischer Gott dem Himmel, ihn hebt zu den Sternen das Fatum. Worauf sinnst du? Was hoffst du, in eisigen Wolken verharrend? War es denn recht, einen Gott mit sterblicher Hand zu verwunden? Oder das fehlende Schwert – was könnt ohne dich denn Juturna? –

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ereptum reddi Turno et vim crescere victis? desine iam tandem precibusque inflectere nostris, ne te tantus edit tacitam dolor et mihi curae saepe tuo dulci tristes ex ore recursent. ventum ad supremum est. terris agitare vel undis Troianos potuisti, infandum accendere bellum, deformare domum et luctu miscere hymenaeos: ulterius temptare veto.’ sic Iuppiter orsus; sic dea summisso contra Saturnia vultu: ‘ista quidem quia nota mihi tua, magne, voluntas, Iuppiter, et Turnum et terras invita reliqui; nec tu me aëria solam nunc sede videres digna indigna pati, sed flammis cincta sub ipsa starem acie traheremque inimica in proelia Teucros. Iuturnam misero, fateor, succurrere fratri suasi et pro vita maiora audere probavi, non ut tela tamen, non ut contenderet arcum: adiuro Stygii caput implacabile fontis, una superstitio superis quae reddita divis. et nunc cedo equidem pugnasque exosa relinquo. illud te, nulla fati quod lege tenetur, pro Latio obtestor, pro maiestate tuorum: cum iam conubiis pacem felicibus (esto) component, cum iam leges et foedera iungent, ne vetus indigenas nomen mutare Latinos neu Troas fieri iubeas Teucrosque vocari aut vocem mutare viros aut vertere vestem. sit Latium, sint Albani per saecula reges, sit Romana potens Itala virtute propago: occidit, occideritque sinas cum nomine Troia.’ olli subridens hominum rerumque repertor: ‘es germana Iovis Saturnique altera proles:

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Turnus wiederzugeben und so die Besiegten zu stärken? Hör endlich auf und lass dich durch unsere Bitten bewegen, dass nicht ein solcher Gram dich im Stillen verzehre und mir nicht häufig betrübliche Sorgen aus süßem Munde begegnen. Jetzt aber kam’s zum Äußersten. Über die Länder und Meere konntest du jagen die Troer, unsagbaren Krieg hier entfachen, auch entstellen ein Haus, eine Hochzeit stören durch Trauer: Weitres zu wagen, verbiete ich.« So fing Juppiter an, und so antwortete ihm mit gesenktem Blick die Saturnia: »Weil mir natürlich dieser dein Wille bekannt ist, erhabner Juppiter, hab ich die Erde und Turnus verlassen, doch ungern; sonst sähst du mich nicht, allein auf der Wolke hier sitzend, Wohl und Wehe ertragen, ich stünde, von Flammen umgürtet, vorne im Heer und riss in verderbliche Kämpfe die Teukrer. Ja, ich riet Juturna, dem armen Bruder zu helfen, billigte, dass für sein Leben sie Größeres wage, doch nicht, dass sie den Pfeil abschieße und nicht, dass den Bogen sie spanne: Bei dem unversöhnlichen Haupt des stygischen Wassers schwör ich’s, der einzigen Macht, vor der die Götter sich fürchten. Und so weiche ich nun und verlasse voll Hass die Gefechte. Eins nur erflehe ich inständig – keine Bestimmung des Fatums ist hier bindend –, für Latium und für die Würde der Deinen: Wenn sie den Frieden – so sei’s denn – mit glücklichen Ehen besiegeln, wenn sie ihr Bündnis unter gemeinsamen Satzungen schließen, ordne nicht an, dass den Namen die eingesessnen Latiner wechseln, Troer sie werden und Teukrer heißen und dass die Menschen die Sprache wechseln oder die Kleidung verändern. Latium bleibe, es seien Albaner jahrhundertlang Herrscher, mächtig sei durch italische Tatkraft der römische Nachwuchs: Untergegangen ist Troja und bleib es mitsamt seinem Namen.« Lächelnd antwortet ihr der Schöpfer der Menschen und Dinge: »Ja, du bist Juppiters Schwester, das zweite Kind des Saturnus:

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irarum tantos volvis sub pectore fluctus! verum age et inceptum frustra summitte furorem: do quod vis, et me victusque volensque remitto. sermonem Ausonii patrium moresque tenebunt, utque est nomen erit; commixti corpore tantum subsident Teucri. morem ritusque sacrorum adiciam faciamque omnis uno ore Latinos; hinc genus Ausonio mixtum quod sanguine surget, supra homines, supra ire deos pietate videbis, nec gens ulla tuos aeque celebrabit honores.’ adnuit his Iuno et mentem laetata retorsit; interea excedit caelo nubemque relinquit. His actis aliud genitor secum ipse volutat Iuturnamque parat fratris dimittere ab armis. dicuntur geminae pestes cognomine Dirae, quas et Tartaream Nox intempesta Megaeram uno eodemque tulit partu paribusque revinxit serpentum spiris ventosasque addidit alas. hae Iovis ad solium saevique in limine regis apparent acuuntque metum mortalibus aegris, si quando letum horrificum morbosque deum rex molitur, meritas aut bello territat urbes; harum unam celerem demisit ab aethere summo Iuppiter inque omen Iuturnae occurrere iussit: illa volat celerique ad terram turbine fertur. non secus ac nervo per nubem impulsa sagitta, armatam saevi Parthus quam felle veneni, Parthus sive Cydon, telum immedicabile, torsit, stridens et celeris incognita transilit umbras: talis se sata Nocte tulit terrasque petivit. postquam acies videt Iliacas atque agmina Turni, alitis in parvae subitam collecta figuram,

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Wälzt im Herzen doch du so große Wogen des Zornes! Auf, unterdrücke du nun das vergeblich begonnene Wüten: Ich gewähr, was du willst, und gebe mich gerne geschlagen. Muttersprache und Brauchtum verbleibt den Ausoniern, auch ihr Name bleibt, wie er ist; vermischt mit ihnen nur leiblich, ordnen die Teukrer sich unter. Den Brauch und die Satzung des Kults trag ich bei und mache aus allen durch eine Sprache Latiner; aufgehn von hier wird ein Volk, vermischt mit dem Blut der Ausonier, das überragen wird Menschen und Götter an Frömmigkeit, wie du sehn wirst; kein Volk feiert vergleichbar dann deine Feste.« Juno stimmte dem zu und änderte frohgemut ihren Sinn; dabei entschwand sie vom Himmel, die Wolke verlassend. Als das geregelt ist, denkt sich der Vater was anderes aus und schickt sich an, Juturna vom Kampfe des Bruders zu trennen. Zwei todbringende Geister, die gibt’s, heißt’s, Dirae mit Namen; diese gebar zugleich mit der infernalen Megaera auf einmal die düstere Nacht, umwand sie mit gleichen Schlangengewinden und gab dazu ihnen windschnelle Flügel. Die erscheinen vor Juppiters Thron, an der Schwelle des grimmen Königs und schärfen die Angst in den kummerbeladenen Menschen stets, wenn der König der Götter auf schrecklichen Tod und auf Seuchen sinnt und mit Krieg erschreckt die schuldbeladenen Städte; eine der beiden sandte nun Juppiter schnell aus den Höhn des Äthers und hieß sie Juturna als Unglückszeichen begegnen: Sie nun fliegt und saust in schnellem Wirbel zur Erde. Und wie von der Sehne, durch Wolken geschossen, ein Pfeil, den, mit dem grausigen Gift der Galle bewaffnet, ein Parther, Parther oder Kydonier, abschoss als tödliche Waffe, zischend und unbemerkt durchdringt die fliegenden Schatten: So dahinfahrend eilte die Tochter der Nacht auf die Erde. Als sie Iliums Heer erblickt und die Truppen des Turnus, schrumpft sie plötzlich zusammen zur Form des winzigen Vogels,

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quae quondam in bustis aut culminibus desertis nocte sedens serum canit importuna per umbras, 865 hanc versa in faciem Turni se pestis ob ora fertque refertque sonans clipeumque everberat alis. illi membra novus solvit formidine torpor, arrectaeque horrore comae et vox faucibus haesit. At procul ut Dirae stridorem agnovit et alas, 870 infelix crinis scindit Iuturna solutos unguibus ora soror foedans et pectora pugnis: ‘quid nunc te tua, Turne, potest germana iuvare? aut quid iam durae superat mihi? qua tibi lucem arte morer? talin possum me opponere monstro? 875 iam iam linquo acies. ne me terrete timentem, obscenae volucres: alarum verbera nosco letalemque sonum, nec fallunt iussa superba magnanimi Iovis. haec pro virginitate reponit? quo vitam dedit aeternam? cur mortis adempta est 880 condicio? possem tantos finire dolores nunc certe et misero fratri comes ire per umbras! immortalis ego? aut quicquam mihi dulce meorum te sine, frater, erit? o quae satis ima dehiscat terra mihi Manisque deam demittat ad imos?’ 885 tantum effata caput glauco contexit amictu multa gemens et se fluvio dea condidit alto. Aeneas instat contra telumque coruscat ingens arboreum et saevo sic pectore fatur: ‘quae nunc deinde mora est? aut quid iam, Turne, retractas? 890 non cursu, saevis certandum est comminus armis. verte omnis tete in facies et contrahe quidquid sive animis sive arte vales; opta ardua pinnis astra sequi clausumve cava te condere terra.’ ille caput quassans: ‘non me tua fervida terrent

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der zuweilen bei Nacht, auf Gräbern oder verlassnen Giebeln sitzend, dort spät noch unheilvoll ruft durch das Dunkel; so verwandelt, fliegt vor dem Antlitz des Turnus das Scheusal krächzend hin und her und schlägt seinen Schild mit den Flügeln. Nie gekannte Erstarrung lähmte aus Angst ihm die Glieder, und vor Entsetzen gesträubt war sein Haar, und ihm stockte die Stimme. Doch als von fern sie Rauschen und Flügel der Dira erkannt hat, rauft das gelöste Haar sich die arme Schwester Juturna und entstellt ihr Gesicht mit den Nägeln, die Brust mit den Fäusten: »Turnus, wie kann dir nur jetzt deine eigene Schwester noch helfen? Was bleibt mir, der Leidenden, noch? Dein Leben, mit welcher Kunst kann ich’s retten? Kann gegen so ein Scheusal ich vorgehn? Gut, jetzt verlass ich die Schlacht. Schreckt nicht mich Schaudernde länger, Unheil drohende Vögel: Ich kenne die Schläge der Flügel, auch den Todesruf; zu verkennen ist nicht des erhabnen Juppiter Anordnung. Schenkt für die Jungfräulichkeit er mir das hier? Ewiges Leben gab er, wozu? Was nahm die Option zu sterben er mir? Jetzt könnt ich so heftigen Schmerzen ein Ende setzen, durchs Reich der Schatten den armen Bruder begleiten! Unsterblich, ich? Oder wird mir von dem, was ich hab, etwas lieb sein ohne dich, mein Bruder? Ach, wo tät auf sich die Erde tief genug und schickte die Göttin hinab zu den Manen?« Solches sprach die Göttin, verhüllte in blauem Gewand ihr Haupt, laut stöhnend, und barg sich darauf in der Tiefe des Flusses. Hin zum Feind drängt nun Aeneas und schwingt seinen Speer, der riesig ist und wie ein Baum, und spricht aus grimmigem Herzen: »Was hält jetzt dich noch auf? Oder warum sträubst du dich, Turnus? Nicht im Lauf, sondern Mann gegen Mann gilt’s nunmehr zu kämpfen. Wandle dich nur in alle Gestalten und biet alles auf, was du durch Mut und Geschick vermagst; wünsch, dass du die Sterne fliegend erreichst oder dass dich verschlossen ein Erdloch versteckt hält.« Der sagt kopfschüttelnd: »Nicht erschrecken mich, Grausamer, deine

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dicta, ferox: di me terrent et Iuppiter hostis.’ nec plura effatus saxum circumspicit ingens, saxum antiquum ingens, campo quod forte iacebat, limes agro positus litem ut discerneret arvis. vix illud lecti bis sex cervice subirent, qualia nunc hominum producit corpora tellus; ille manu raptum trepida torquebat in hostem altior insurgens et cursu concitus heros. sed neque currentem se nec cognoscit euntem tollentemve manu saxumve immane moventem; genua labant, gelidus concrevit frigore sanguis. tum lapis ipse viri vacuum per inane volutus nec spatium evasit totum neque pertulit ictum. ac velut in somnis, oculos ubi languida pressit nocte quies, nequiquam avidos extendere cursus velle videmur et in mediis conatibus aegri succidimus (non lingua valet, non corpore notae sufficiunt vires nec vox aut verba sequuntur): sic Turno, quacumque viam virtute petivit, successum dea dira negat. tum pectore sensus vertuntur varii: Rutulos aspectat et urbem cunctaturque metu letumque instare tremescit, nec quo se eripiat, nec qua vi tendat in hostem, nec currus usquam videt aurigamve sororem. Cunctanti telum Aeneas fatale coruscat, sortitus fortunam oculis, et corpore toto eminus intorquet. murali concita numquam tormento sic saxa fremunt nec fulmine tanti dissultant crepitus. volat atri turbinis instar exitium dirum hasta ferens orasque recludit loricae et clipei extremos septemplicis orbes; per medium stridens transit femur: incidit ictus

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wütenden Worte: Mich schrecken die Götter und Juppiters Feindschaft«, spricht nicht weiter und sieht sich nach einem riesigen Stein um, einem riesigen, alten Stein, der grad auf dem Feld als Grenzmarke lag für den Acker, um Streit um die Flur zu entscheiden. Schultern könnten ihn kaum zwölf auserlesene Männer, Männerkörper, wie sie die Erde heute hervorbringt; jener packte ihn hastig und schleuderte ihn auf den Gegner, höher sich reckend und hitzig Anlauf nehmend, der Heros. Aber weder im Gehn noch im Laufen erkennt er sich wieder, noch, als den riesigen Stein er hebt mit der Hand und ihn wirft; ihm wanken die Knie, das Blut erstarrt ihm in eisigem Schauder. Da überwand auch der Stein des Mannes, gewirbelt durch leere Luft, nicht die ganze Stecke und trug den Wurf nicht zum Ziel hin. Und wie wir im Traume, wenn schläfrige Ruhe bei Nacht die Augen beschwert, vermeinen, wir wollten fortwährend rennen, aber es geht nicht, und mitten in unsrem Bemühen ermattet hinsinken – nichts vermag die Zunge, die Kraft, die der Leib sonst hat, reicht nicht, uns gehorchen weder Stimme noch Worte –: So versagt dem Turnus, wie mannhaft auch er sich bemüht, die grausige Göttin jeden Erfolg. Verschiedne Gefühle kreisen im Herzen: Er blickt zu den Rutulern hin und zur Stadt und zaudert vor Furcht und erbebt vor dem drohenden Tode und sieht nicht, wo er noch ausbrechen kann oder kraftvoll packen den Gegner, sieht auch nirgends den Wagen, nicht sie, die ihn lenkte, die Schwester. Gegen den Zaudernden schwingt Aeneas die tödliche Waffe, schätzt den Erfolg des Wurfs ab und schleudert von fern sie mit voller Körperkraft. Steine, von Mauergeschützen geschleudert, die dröhnen nie so, nie verbreitet sich so ein gewaltiges Donnern nach einem Blitzschlag. Es fliegt, einem düsteren Wirbelwind gleichend, grässlichen Untergang bringend, der Speer und zerschmettert den Rand des siebenhäutigen Schilds und den Panzer am unteren Ende; schwirrend durchbohrt er die Mitte des oberen Schenkels: Getroffen,

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ingens ad terram duplicato poplite Turnus. consurgunt gemitu Rutuli totusque remugit mons circum et vocem late nemora alta remittunt. ille humilis supplex oculos dextramque precantem protendens ‘equidem merui nec deprecor’ inquit: ‘utere sorte tua. miseri te si qua parentis tangere cura potest, oro (fuit et tibi talis Anchises genitor), Dauni miserere senectae et me, seu corpus spoliatum lumine mavis, redde meis. vicisti et victum tendere palmas Ausonii videre; tua est Lavinia coniunx: ulterius ne tende odiis.’ stetit acer in armis Aeneas volvens oculos dextramque repressit; et iam iamque magis cunctantem flectere sermo coeperat, infelix umero cum apparuit alto balteus et notis fulserunt cingula bullis Pallantis pueri, victum quem vulnere Turnus straverat atque umeris inimicum insigne gerebat. ille, oculis postquam saevi monumenta doloris exuviasque hausit, furiis accensus et ira terribilis: ‘tune hinc spoliis indute meorum eripiare mihi? Pallas te hoc vulnere, Pallas immolat et poenam scelerato ex sanguine sumit.’ hoc dicens ferrum adverso sub pectore condit fervidus; ast illi solvuntur frigore membra vitaque cum gemitu fugit indignata sub umbras.

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eingeknickt die Knie, stürzt nieder der riesige Turnus. Jammernd springen die Rutuler auf, es hallt das gesamte Bergland wider, es werfen zurück die Wälder das Echo. Demütig flehend richtet jener den Blick auf ihn, hält ihm bittend die Hand hin und sagt: »Verdient hab ich’s, fleh nicht um Gnade: Nütze dein Glück. Aber kann dich irgendwie Rücksicht auf meinen armen Vater rühren, so bitt ich – auch dir war ein solcher Vater Anchises –, erbarm dich des hohen Alters des Daunus, gib mich, oder wenn du das vorziehst, den Leib ohne Leben meinen Verwandten. Du siegtest; mich sahn als Besiegten die Hände heben die Italer; dir gehört als Gemahlin Lavinia: Geh nicht weiter im Hass.« Wild stand da Aeneas in seiner Rüstung, rollte die Augen und hielt zurück seine Rechte; mehr und mehr begannen die Worte den Zögernden mild zu stimmen, da sah das fatale Wehrgehenk hoch auf der Schulter er; mit vertrauten Buckeln glänzte der Gürtel des Knaben Pallas; ihn hatte Turnus besiegt und mit tödlicher Wunde niedergestreckt; nun trug er den Schmuck seines Feinds auf der Schulter. Er verschlang mit den Augen das Mahnmal des bitteren Schmerzes und die Rüstung; dann ruft er, lodernd vor Wut und im Zorne schrecklich: »Du, mit den Spolien der Meinen angetan, willst dich mir entziehen? Mit dieser Wunde opfert dich Pallas, Pallas nimmt an deinem verruchten Blute jetzt Rache.« Spricht’s und versenkt ihm wütend von vorn in der Brust seine Klinge; dem aber lösen sich da in Todeskälte die Glieder; seufzend voll Unmut flüchtet hinab zu den Schatten sein Leben.

Z u m l at e i n i s c h e n T e x t d i e s e r   Au s g a b e Der lateinische Text entspricht demjenigen der Ausgabe von Gian Bia­ gio Conte (P. Vergilius Maro: Aeneis. Recensuit atque apparatu critico instruxit G. B. C. Berlin 2009 [Bibliotheca Teubnerina]), weicht aber an sechzehn Stellen von ihr ab. Soweit die von mir vorgezogenen Lesarten in Contes Apparat verzeichnet sind, zitiere ich sie ohne Nachweis; lediglich zu den von ihm nicht aufgeführten Konjekturen nenne ich den Namen des Textkritikers, der zuerst für sie eingetreten ist. Näheres findet man in den Kommentaren und folgenden Rezensionen der Ausgabe Contes: D. J. Butterfield, Exemplaria Classica 15, 2011, 397–401; P. De Paolis, Paideia 66, 2011, 549–581; P. Habermehl, Das Altertum 57, 2012, 76 f.; S. J. Harrison, Gnomon 83, 2011, 306–309; S. J. Heyworth, Bryn Mawr Classical Review 2010.10.03; E. Kraggerud, Symbolae Osloenses 85, 2011, 210–225; G. Li­ berman, Classical Review 62, 2012, 149–151; G. Ramires, Vergilius 58, 2012, 122–133; L. Rivero García, Latomus 70, 2011, 883–885; ders., Notes on the Text of Virgil’s Aeneid: Apropos the New Teubner Edition. In: C. De­ roux (Hg.): Studies in Latin Literature and Roman History 16. Bruxelles 2012 (Collection Latomus 338); U. Schmitzer, Paideia 65, 2010, 667–674; F. Stok, Paideia 66, 2011, 583–609. Die von Conte m. E. mit Recht für unecht gehaltenen (entweder in eckige Klammer oder in den Apparat ge­ setzten) Verse bzw. Versteile sind im vorliegenden Text weggelassen, da ich sie auch nicht übersetzt habe. Contes Interpunktion, auf die er größte Sorgfalt verwendete, wurde, soweit es irgend ging, in die Verdeutschung übernommen. Conte Diese Ausgabe et … summo 1,380 [et … summo] 2,546 et ex 2,739 lapsa lassa (Kraggerud) 3,685 utramque utrimque 3,686 ni ne (Kraggerud) 4,176 metu initu 4,469 Eumenidum Euhiadum (Allen, Rivero García)

676 Zum lateinischen Text dieser Ausgabe 5,52 Mycenae Mycene 5,505 timuit micuit 5,850 auris, et caeli totiens auris et caelo, totiens 6,602 quo … adsimilis; quos … adsimilis? (Jahn) 6,901 [ancora … puppes.] ancora … puppes. 9,282 tantum: tantum 9,283 aut haud 9,463 suscitat aeratasque acies: in suscitat, aeratasque acies in cogit … suos, variisque cogunt … suas variisque 12,218 [non viribus aequis] non viribus aequos

ERL ÄUTERUNGEN Im Folgenden wird nur erläutert, was dem unmittelbaren Textverständnis dient (wobei ich ein schmales Grundwissen über die Antike voraussetze, also z. B. zu Venus oder Achill nichts sage). Es fehlen daher Anmerkun­ gen zu Namen und Sachen, deren Bedeutung für das epische Geschehen aus dem Zusammenhang erkennbar, über die aber nichts weiter zu sagen ist, etwa zu Personen, die nur einmal auftreten (weshalb ich auch auf ein Namensverzeichnis verzichte), oder zu Personen und Örtlichkeiten, die lediglich aufgezählt werden, z. B. diejenigen im Italikerkatalog (7,647 ff.). Namen und Sachen, die mehrfach vorkommen, aber ad hoc der Erklärung bedürfen, sind immer wieder glossiert, doch jeweils nur einmal pro Buch. Eigennamen, die eine deutsche Endung haben – z. B. Äolien –, gebe ich in deutscher Orthographie, die übrigen in der lateinischen Schreibweise wieder, aber bei griechischen ist das lateinische c durch ein k ersetzt. Hin­ weise zur Betonung beschränken sich auf drei- und mehrsilbige Namen, die nicht (wie alle zweisilbigen Wörter) auf der vorletzten, sondern auf der drittletzten Silbe betont sind (z. B. Kýbele); nicht berücksichtigt sind dabei Namen, die auf -ius, -ii, -ia und -ium enden (z. B. Silvia). Bei den Diphthongen ae und oe steht der Akzent jeweils auf dem e (z. B. Aéolus).

Buch 1 1

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Waffen …: Sie repräsentieren den in den Büchern 7–12 geschilderten Krieg in Latium (zu 1,6), also die »römische Ilias«, während der Mann hier für Aeneas als den Helden der »römischen Odyssee« in den Bü­ chern 1–6 steht (mehr dazu Einführung S. 13 ff.). Der Dichter ist nur durch besinge ich präsent, vielleicht aber auch in einem Akrostichon, das sich ergibt, wenn man die ersten und letzten Buchstaben von V. 1–4 des lateinischen Textes wie folgt verbindet: A STILO MAR V (»vom Griffel des Mar〈o〉 V〈ergilius〉«); vgl. Castelletti 2012 (Biblio­ graphie S. 765). durch Schicksalsspruch: Zu fatum und fata (hier oft so wiedergegeben) vgl. Einführung S. 14 und Schauer S. 751 ff.

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ERLÄUTERUNGEN Lavinium: Von Aeneas gegründete und nach seiner zweiten Frau La­ vinia benannte Stadt; heute Pratica di Mare, 30 km südlich von Rom. Latium: Die Landschaft, in der Rom liegt. Alba: Alba Longa, von Aeneas’ Sohn Askanius gegründet, heute Cas­ telgandolfo. Rom: Die Stadt der sieben Hügel wird nicht zufällig erstmals in V. 7 genannt. Ehrfurcht: Zum Begriff der pietas vgl. Einführung S. 17. tyrisch: Zu Tyros, einer phönizischen Stadt, die im heutigen Libanon lag und aus der Karthagos Gründerin Dido kommt. Samos: Insel in der Ägäis mit einem berühmten Tempel der Hera/ Juno. Waffen …: Anspielung auf ein Standbild der Juno in ihrem Tempel in Karthago. Tyriens Burg: Karthago (zu 1,12). Parzen: Die drei Schicksalsgöttinnen Klotho, Láchesis und Átropos, die dem Menschen den Lebensfaden spinnen und schließlich ab­ schneiden. Argos: Stadt auf der nördlichen Peloponnes in der Árgolis; hier gleichgesetzt mit Griechenland, das Juno teuer ist. Paris: Der trojanische Prinz gibt im Schönheitswettbewerb der Juno, Minerva und Venus der Liebesgöttin den ersten Preis und entführt dann die ihm von ihr zugesprochene Spartanerin Helena nach Troja. das verhasste Geschlecht: Das trojanische Volk. Ganymed(es): Trojanischer Prinz, den der ihn begehrende Juppiter durch seinen Adler vom Idagebirge bei Troja entführen lässt und durch das Amt seines Mundschenks ehrt. Dánaër: Griechen (nach Dánaus, dem Gründer von Argos; zu 1,24). sie: Aeneas und die Trojaner, die auf ihrer Fahrt bis Sizilien gekom­ men waren. Teukrer: Trojaner (nach ihrem Stammvater Teuker). Argiver: Bewohner von Argos (zu 1,24); hier und auch sonst meist stehen sie für alle Griechen. Pallas Athene/Minerva tötet den Grie­ chen Ajax, Sohn des Oileus, weil er bei der Eroberung Trojas ihren Tempel entweiht. Äolien: Landschaft im Nordwesten Kleinasiens. Hier herrscht der Windgott Aéolus. Ilium: Anderer Name für Troja.



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ERLÄUTERUNGEN

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Penaten: Schutzgötter, hier diejenigen Trojas, die Aeneas von dort nach Italien bringt (vgl. S. 16 und Schauer S. 733). Nymphen: Weibliche Naturgeister, göttergleich und langlebig, aber sterblich. Eurus … Notus … Áfricus: Ost-, Süd-, Südwestwind. Sohn des Tydeus: Diomedes, der Aeneas vor Troja beinahe tötet (Ho­ mer, Ilias 5,297 ff.; dasselbe gilt für Achill: ebd. 20,273 ff.). Er wohnt zu der Zeit, in der die Aeneis spielt, mit seinem Volk in Apulien (vgl. 11,243 ff.). Sarpedon: Lykischer (zu 1,113) König und Verbündeter der Trojaner. Símoïs: Fluss in der Ebene von Troja. Syrten: Sandbänke (zu 4,41). Lykier: Volk im Südwesten Kleinasiens, mit den Trojanern verbün­ det. vor seinen Augen: Gemeint ist Aeneas. Ilíoneus. Zéphyr(us): Westwind. das Los: Beim Verlosen der Herrschaftsbereiche unter den drei Brü­ dern Zeus/Juppiter, Poseidon/Neptun und Pluto(n) fällt dem ersten der Himmel, dem zweiten das Meer und dem dritten die Unterwelt zu. Triton … Kymóthoë: Meergottheiten. Ceres-Geräte: Ceres kann außer für die Göttin des Ackerbaus auch für das Korn stehen; gemeint sind also Geräte für die Brotherstellung. Phryger: Volksstamm in Mittelkleinasien, hier, wie auch sonst, mit den Trojanern gleichgesetzt; das Wort wird von Feinden als Spottna­ me verwendet. Akestes: Zu 5,30. Trinakria: Sizilien (griech. »dreieckiges Land«). Skylla: Meerungeheuer an der Straße von Messina; vgl. 3,420 ff. kyklopisch: Zu Kyklop. Ein solcher ist ein einäugiger Riese, so auch Polyphem(us); vgl. 3,655 ff. Ámykus. Schon war’s vorbei: Gemeint ist offensichtlich nicht nur das Gespräch der Trojaner, sondern auch die bis jetzt erzählte Abfolge von Sturm und Rettung aus Seenot. Teuker: Der erste König von Troja. Achiver: Griechen (lat. für griech. Achaîoi [Achäer], das bei Homer häufig für die Griechen verwendete Wort).

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ERLÄUTERUNGEN

Antenor: Vornehmer Trojaner. 243 illyrischer Golf: Heute der Golf von Triest. 244 Reich der Liburner: Das heutige Kroatien. Timavus: Der heutige Timavo nördlich von Triest. 247 Patavium: Das heutige Padua. 250 Wir: Venus als Mutter des Aeneas zusammen mit seinen Trojanern. 251 wegen des Zorns der einen: Gemeint ist Juno. 253 Ehrfurcht: Zu 1,10. 257 Kytherea: Venus nach der Insel Kythera an der Südspitze der Pelopon­ nes, wo die Schaumgeborene aus dem Meer gestiegen sein soll und ein bekannter Tempel stand. 259 hoch zu den Sternen: Aeneas wird nach seinem Tod unter die Götter versetzt. 266 Rútuler: Italischer Volksstamm. 267 Askanius: Der Sohn des Aeneas von Krëusa. Ïulus ist sein zweiter Name. 273 der Volksstamm Hektors: Die Trojaner. 274 Ilia: Die Vestalin (zu 1,292) Rhea Silvia, Tochter des Königs Númitor von Alba Longa (zu 1,7). Zwillingssöhne: Romulus, der Gründer Roms, und sein Bruder Remus. 275 seine Amme, die Wölfin: Die Zwillinge, nach ihrer Geburt auf Befehl des Königs Amulius, der seinen Bruder Númitor gestürzt hat, ausge­ setzt, werden von einer Wölfin gesäugt. 276 Mavors: Alter Name des Kriegsgottes Mars. 284 Assárakus: Aeneas’ Urgroßvater, hier als Ahnherr der Römer. Mykene … Phthia … Argos: Stadt, Landschaft und wiederum Stadt (zu 1,24) in Griechenland, die hier für das ganze hellenische Volk stehen. 286 Caesar: Gemeint ist sehr wahrscheinlich Oktavian-Augustus (63 v.– 14 n.Chr.), der Adoptivsohn Gaius Julius Caesars (100–44 v. Chr.). Aber beide führten erfolgreiche Feldzüge im östlichen Mittelmeer­ raum und beide wurden nach ihrem Tod als Götter verehrt, weshalb man den Diktator nicht zweifelsfrei ausschließen kann. 292 Fides: Die als Göttin verehrte Personifikation der Treue. Vesta: Göttin des staatlichen Herdfeuers. Quirinus: Romulus’ Name nach seiner Versetzung unter die Götter. 294 die Pforten des Krieges: Zum Zeichen, dass Frieden herrschte, wur­ de der Janustempel geschlossen; hier ist die Schließung des Jahres 29 v. Chr. gemeint.



ERLÄUTERUNGEN

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Furor: Die personifizierte Raserei, hier im Kriege. 297 Sohn der Maia: Merkur, der Götterbote. 317 Harpályke: Sie wird erstmals in der Aeneis erwähnt. Hebrus: Hauptfluss in Thrakien, heute die Mariza. 329 Phoebus’ Schwester: Artemis/Diana, die Göttin der Jagd. 337 Kothurn: Hoher Stiefel. 338 Agenor: Der erste König von Tyros (zu 1,12). 367 Byrsa: Wohl von einem semitischen Wort für »Festung, Anhöhe«, aber hier offenbar, weil griech. býrsa »Tierhaut« bedeutet, darauf be­ zogen, dass Dido eine Stierhaut in schmale Streifen zerschnitt und mit diesen das Gebiet umspannte. 374 Vesper: Der Abendstern. Der Olymp steht hier wie auch sonst oft für den Himmel. 380 ein Volk, das …: Aeneas meint seine Verwandten in Italien, die wie er von Dárdanus (zu 1,494), dem Sohn Juppiters, abstammen. 392 Augurium: Weissagung anhand des Vogelflugs. 403 ambrosisch: Unsterblich, göttlich (zu Ambrosia, der Speise der Göt­ ter). 415 Paphos: Stadt auf Zypern mit einem Aphrodite/Venus-Heiligtum. 416 Saba: Stadt in Arabien, das für seinen Weihrauch berühmt war. 446 Sidon: Phönizien/Karthago (Sidon ist die Mutterstadt von Tyros; zu 1,12). 458 die Atriden: Der griechische Heerführer Agamemnon und sein Bru­ der Menelaus, die Söhne des Atreus. Achilles zürnt Priamus als dem König Trojas und Agamemnon, weil dieser ihm seine Geliebte Briseïs weggenommen hat. 466 Pérgamum: Troja (nach dem Namen der Stadtburg von Troja). 469 Rhesus: König von Thrakien, der im Schlaf von Tydeus’ Sohn Dio­ medes getötet und seiner Pferde beraubt wird; ein Orakel hatte verkündet, Troja werde nicht fallen, wenn Rhesus’ Pferde aus dem trojanischen Fluss Xanthus tränken. 474 Tróïlus: Ein Sohn des Priamus. 480 ilisch: Trojanisch (zu 1,68). 484 wollte für Geld … verkaufen …: Priamus verhindert das, indem er sich nachts in das griechische Lager zu Achill begibt, der seinen von Hektor getöteten Freund Pátroklus beweint – er hatte diesem seine Rüstung geliehen –, und die Leiche seines Sohnes Hektor losbittet. 485 er … Freund: Aeneas … Hektor. 489 Memnon: Äthiopischer Verbündeter der Trojaner.

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ERLÄUTERUNGEN

490 Amazonen: Frauenvolk, das wie die Männer in den Kampf zieht. Die Anführerin Penthesilea wird von Achill getötet. 494 Dárdaner: Trojaner (nach Dárdanus, dem Stammvater der Familie des Aeneas). 498 Eurotas: Fluss bei Sparta mit Kultstätte des Apollo und der Artemis/ Diana. Auf dem Berg Kynthus auf der Insel Delos werden die beiden geboren. 500 Oreaden: Bergnymphen (zu 1,71). 502 Latona: Mutter Apollos und Dianas von Zeus/Juppiter. 513 er selbst: Aeneas. 530 Hesperien: Italien (»West-, Abendland«). 533 Führer: Ítalus. 568 Sol: Der Sonnengott, der an jedem Tag mit seinem Gespann von Osten nach Westen fährt. Dido impliziert, dass Tyros (zu 1,12) als Stadt des Orients zu einer alten Kulturlandschaft gehört. 569 saturnisch: Italisch (zu 6,794). 570 des Eryx Gebiet: Sizilien (zu 5,24). 593 parischer Marmor: Marmor von der Ägäis-Insel Paros hatte einen be­ sonders strahlenden Glanz. 613 sidonisch: Phönizisch/karthagisch (zu 1,446). 619 Teuker: Hier der Halbbruder des Aiax aus Salamis, der mit Hilfe von Didos Vater Belus ein neues Salamis auf Zypern gründet. 624 Pelasger: Griechen (sonst Sammelbezeichnung für die vorgriechische Bevölkerung der von Griechen bewohnten Länder). 650 Helena: Zu 1,27. 653 Ilíone. 658 Cupido: Der Liebesgott Amor. 665 Typhoeus: Monstrum mit hundert feuerspeienden Drachenköpfen, das Erdmutter Gaia aus Rache für die Tötung ihrer Söhne, der Gi­ ganten, durch Juppiter hervorbringt und gegen diesen schickt; der Gott tötet es mit seinem Blitz. Ohne Furcht vor dieser Waffe macht Amor Juppiter immer wieder verliebt. 681 Idalium: Vorgebirge und Stadt mit einem Heiligtum der Venus auf Zypern. 686 Lyaeus: Der Weingott Bacchus (»Sorgenlöser«). 693 Idalia: Gegend um Idalium (zu 1,681). 720 Akidalia: Venus nach der akidalischen Quelle in Böotien auf der Pe­ loponnes, in der die Chariten/Grazien baden; der Name findet sich nur hier.



ERLÄUTERUNGEN

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729 Belus: Zu 1,619. 738 Bítias. 741 Atlas: Von Perseus in einen Berg verwandelt, trägt der Titan (zu 6,580), der zuvor sternenkundig war, das Himmelsgewölbe und ist daher geeignet, Ïopas als einen Sänger kosmologischer Dichtung zu unterweisen. 742 Leiden der Sonne: Gemeint ist die Sonnenfinsternis. 744 Arktur(us): Stern, der im September aufgeht, von heftigen Stürmen begleitet. Regengestirn: Die sieben Hyaden, die den Kopf des Stieres bilden und beim Aufgang meist Regen mit sich bringen. die beiden Trionen: Das Sternbild des Großen Bären (wörtl. »Dresch­ ochsen«). 751 der Sohn Auroras: Memnon (zu 1,489). Sie ist die Göttin der Morgen­ röte.

Buch 2 5 7 13 21 25 27 41 45 48 59 68 78 83 100 104 114

Dánaër: Griechen (zu 1,30). Myrmidonen, Dóloper: Griechische Stämme, die Achill folgen. Ulixes: So heißt Odysseus bei den Römern. Fatum: Zu 1,2. Ténedos: Insel an der Küste vor Troja. Mykene: Herrschersitz Agamemnons in der Árgolis (zu 1,24). dorisch: Griechisch (zu »Dor(i)er«, einer Gruppe griechischer Stäm­ me). Laóko-on. Achiver: Griechen (zu 1,242). Teukrer: Trojaner (zu 1,38). dardanisch: Trojanisch (zu 1,494). Phryger: Trojaner (zu 1,182). Argos: Zu 1,24. Pelasger: Griechen (zu 1,624). Kalchas: Seher im Lager der Griechen. der Íthaker: Odysseus/Ulixes, der auf Ithaka als König herrscht. Atriden: Agamemnon und Menelaus, die Söhne des Atreus. Eurýpylus.

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ERLÄUTERUNGEN

116 Jungfrau: Iphigenie, Agamemnons Tochter, die dieser opfern muss, weil wegen eines von ihm gegen Diana begangenen Frevels Windstil­ le herrscht, als die Griechen von Aulis nach Ilium (anderer Name für Troja) segeln wollen. 119 argolisch: Griechisch (zu 1,24). 164 Tydeus-Sohn: Diomedes (Tydide in V. 197). 166 Palladium: Das der Sage nach vom Himmel gefallene Kultbild der Pallas Athene/Minerva, welches Trojas Staatssicherheit garantierte und deshalb von Diomedes und Odysseus/Ulixes geraubt wurde. 177 Pérgamum: Troja (zu 1,466). 193 Asien: Kleinasien, in der Nähe von dessen Nordwestküste Troja liegt. Daher kann Asien für das Reich des Priamus stehen. des Pelops Mauern: Argos (zu 1,24). Pelops ist der Großvater Aga­ memnons. 197 Larissa: Stadt in Thessalien. 226 Göttin von Triton: Pallas Athene/Minerva. 246 Kassandra: Tochter des Priamus, die sich Apollo verweigert und da­ rauf von ihm zwar mit der Gabe der Prophezeiung beschenkt, aber zugleich dadurch bestraft wird, dass ihr niemand glaubt. 261 Sthénelus … Ákamas. 263 Neoptólemus: Enkel des Peleus und Sohn Achills. 272 geschleift vom Doppelgespann: Nachdem Achill Hektor getötet hat, bindet er den Leichnam mit den Füßen an seinen Wagen und schleift ihn um die Stadt Troja. Vorher hat Hektor Achills Freund Pátroklus getötet und ihm, der Achilles’ Rüstung trug, diese abgenommen. Einer seiner größten Erfolge ist der Angriff auf die griechischen Schiffe mit Brandfackeln. 293 Penaten: Schutzgötter (zu 1,68). 296 Vesta: Göttin des staatlichen Herdfeuers. Hier ist vermutlich ein Vesta-Bild gemeint. 310 Deïphobus … Ukálegon. 312 Sigeum: Vorgebirge bei Troja. 337 Erinys: Rachegöttin (dt. Schreibwiese: »Erinnye«). 340 Épytus … Hýpanis. 371 Andrógeos. 393 argivisch: Griechisch (zu 1,40). 395 Spolien: Dem Feind abgenommene Rüstung und Waffen. 403 mit offenen Haaren: Ihr wurde offenbar die Kopfbinde der Priesterin entrissen.



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417 Zéphyr(us) … Notus … Eurus: West-, Süd-, Ostwind. Eos: Griechischer Name der Morgenröte (lat. Aurora), die mit ihrem Gespann von Osten her den Tag eröffnet. Da Winde oft als reitend dargestellt werden, ist Eurus, der aus derselben Himmelsrichtung kommt, hier auf Eos’ Pferde stolz. 419 Nereus: Meergott. 425 Péneleus. waffengewaltige Göttin: Athene/Minerva. 430 die Binde Apollos: Er trägt sie als Priester des Gottes. 435 Íphitus … Pélias. 456 Andrómache: Frau Hektors und Mutter des Astýanax, der, noch ein kleines Kind, nach der Eroberung Trojas von der Mauer herabgewor­ fen wird. 469 Pyrrhus: Neoptólemus (zu 2,263), der auf der Insel Skyros (V. 477) in der Ägäis geboren ist. 476 Périphas … Autómedon. 479 Er selbst: Pyrrhus. 501 Hékuba: Die Frau des Priamus und Mutter bzw. Stiefmutter von ins­ gesamt 50 Söhnen und 50 Töchtern. 503 Fünfzig Hochzeitsgemächer: Zu 2,501. Im Original illi, »jene berühm­ ten«, da Homer sie schon erwähnt (Ilias 6,243 f.). 540 So verhielt sich …: Priamus ruft das in Homer, Ilias, Buch 24 erzählte Geschehen in die Erinnerung. 563 Ïulus: Anderer Name des Aeneas-Sohns Askanius. 567 Übrig war …: V.  567–588, die nur in der erweiterten Fassung des Servius-Kommentars und in einigen späten Handschriften stehen, sind in der Echtheit umstritten und deshalb in Contes Text sowie in der Übersetzung kursiv gedruckt. 569 Týndareus’ Tochter: Helena. 572 Gatte: Menelaus, König von Sparta, von wo Helena durch Paris nach Troja entführt wird; das gibt den Anlass zum Krieg (zu 1,27). 602 Paris: Zu 1,27. 612 das skäische Tor: Das Westtor Trojas. 615 Tritonia: Wie Pallas Beiname der Athene/Minerva. 616 Gorgo: Das durch seinen Anblick versteinernde Haupt der Medusa auf der Ägis, dem Schild des Zeus/Juppiter, den er auch Pallas Athe­ ne/​Minerva tragen lässt. 617 der Vater: Juppiter.

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642 eine Zerstörung …: Anchises meint die von ihm bereits erlebte erste von zwei Zerstörungen Trojas, die durch Herkules erfolgte (zu 8,291). 648 seit der Vater …: Gegen das Verbot der Aphrodite/Venus prahlt An­ chises damit, dass er mit ihr geschlafen hat, und wird deshalb durch Juppiters Blitz getroffen, aber nur gelähmt, weil Venus den Blitz ab­ lenkt. 696 Idagebirge: Es liegt in der Nähe von Troja. 761 Asyl der Juno: Ein Heiligtum als sakrosankter Zufluchtsort für Schutzflehende. 779 der Herr des Olympus: Juppiter (zu 1,374). 781 hesperisches Land: Italien (zu 1,530). der lydische Thybris: Der durch das ursprünglich den (angeblich aus Lydien, einer Landschaft an der Westküste Kleinasiens, stammen­ den) Etruskern gehörende Gebiet fließende Tiber; Thybris ist der in Dichtung gerne verwendete Name. 783 eine Prinzessin: Lavinia, die Tochter des Latinerkönigs Latinus, die Aeneas heiraten wird. 788 die große Mutter der Götter: Kýbele, die kleinasiatische Muttergott­ heit. 801 Lúzifer: Der Morgenstern (»Lichtbringer«).

Buch 3 1 3 6 7 12 14 15 34 35

Asien: Troja (zu 2,193). Ilium: Anderer Name für Troja. das neptunische Troja: Der Meergott und Apollo halfen beim Erbauen der Mauern. Antandros: Stadt am heutigen Golf von Edremit südlich des phrygischen (trojanischen; zu 1,182) Idagebirges. Fatum: Zu 1,2. Penaten: Schutzgötter (zu 1,68). Lykurgus: Mythischer König von Thrakien. durch die Penaten verbunden: Durch die Götter des Gastrechts. Nymphen: Weibliche Naturgeister, göttergleich und langlebig, aber sterblich. Gradivus: Mars (ein Beiname). getisch: Thrakisch (nach dem thrakischen Volksstamm der Geten).

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Thrakiens König: Polymestor, verheiratet mit der Priamus-Tochter Ilíone. Teukrer: Trojaner (zu 1,38). Manen: Seelen der Verstorbenen. heiliges Land: Die Ägäis-Insel Delos (zu 1,498 und 3,75). Mutter der Nereïden: Doris, Mutter der Meernymphen (zu 3,34) von Nereus. Aigai: Mythische Stadt mit einem Poseidon-Heiligtum. dankbar: Weil die von Zeus/Juppiter schwangere und von Hera/Juno verfolgte Göttin Leto/Latona Apollo und Artemis/Diana auf Delos zur Welt bringen durfte. Mýkonos … Gýaros: Kykladeninseln (zu 3,127); Mykonos ist keines­ wegs »ragend« (celsa), was Ovid, Metamorphosen 7,463 mit »das nied­ rige (humilem) Mykonos« stillschweigend und humorvoll korrigiert. Thymbraeus: Apollo, nach seinem Heiligtum in Thymbra in der Nähe von Troja. Dárdaner: Trojaner (zu 1,232). Juppiters Insel: Er ist dort geboren. Idagebirge: Hier ist also nicht das bei Troja liegende Gebirge gemeint (zu 3,6). rhöthëisch: Trojanisch (nach Rhoetëum, einem Vorgebirge und einer Stadt am Hellespont, in dessen Nähe Troja lag). Pérgamum: Troja (zu 1,466). die Mutter: Kýbele, die kleinasiatische Muttergottheit. korybantisch: Die Korybanten sind die Priester der Muttergöttin Ký­ bele, zu deren Kulthandlungen das Erzeugen greller Musik gehört (vgl. 9,617 ff.). knossisch: Kretisch (nach Knossos, der Residenz des Minos auf Kre­ ta). frei vom Feind: Idómeneus gehörte zu den Gegnern im Trojanischen Krieg (zu 11,265). Ortygia: Delos. Im Folgenden werden Inseln in der Ägäis genannt, an denen die Aeneaden auf ihrer Fahrt von Delos nach Kreta vorbei­ segeln. Bacchen: Bacchantinnen, auch Mänaden genannt. Es sind Frauen im Gefolge des Weingottes Dionysos/Bacchus, die in orgiastischem Rausch über die Berge streifen. Oléaros. Paros, das weiße: Zu 1,593.

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ERLÄUTERUNGEN

127 ein Meer, übersät von zahlreichen Inseln: Vermutlich sind die Spora­ den südlich und östlich der Kykladen, einer Inselgruppe in der Ägäis, gemeint. 131 Kureten: Ureinwohner Kretas. 141 Sirius: Stern im Großen Hund, der Ende Juli aufgeht und die Hundstage einleitet. 163 Hesperien: Italien (zu 1,530). 166 Führer: Ítalus. 167 Dárdanus: Stammvater der Familie des Aeneas. 168 Ïasius: Bruder des Dárdanus. Wenn Vergil ihn hier zum Stammvater macht – sonst nennt er immer Dárdanus; vgl. bes. 8,134 –, spielt er wohl auf eine andere Überlieferung an. 170 Kórythus: Etruskerstadt, namensgleich mit dem Gründer etruski­ scher Städte, dem Vater des Dardanus, der nach Troja auswandert; heute mit Cortona identifiziert. 171 Ausonien: Italien (ursprünglich ein griechischer Name für Unteritali­ en). 180 zwei Ahnherren: Dárdanus und Teuker. 183 Kassandra: Zu 2,246. 202 Palinurus: Der Steuermann der Aeneaden. 211 Jonisches Meer: Zwischen Sizilien und Griechenland. 212 Phineus: König von Thrakien und Seher, der, weil er seine Kunst missbraucht, mit Blindheit und permanenter Besudelung seines Es­ sens durch die Hárpyien bestraft wird. Diese werden durch Kálaïs und Zetes, die geflügelten Söhne des Bóreas (Nordwind), verjagt. 215 stygische Wogen: Der Styx ist ein Fluss der Unterwelt. 248 Laómedon: Meineidiger König von Troja (zu 4,542). 252 Furien: Rachegöttinnen. 270 Zakynthos … Dulichium … Néritos … Ithaka: Das Inselreich des Odysseus/Ulixes vor der Westküste Griechenlands; er herrscht auf Ithaka. 272 Laërtes: Der Vater des Odysseus/Ulixes. 274 Leukates: Vorgebirge der Insel Leukas im Jonischen Meer (zu 3,211) mit einem Apollo-Heiligtum; es war von vorbeifahrenden Seeleuten offenbar gefürchtet. 280 Aktium: Leukas gegenüber liegender Ort der Seeschlacht des 2. Sep­ tember 31 v. Chr., in der Oktavian, der spätere Augustus, Kleopatra und Marcus Antonius besiegte und so die Bürgerkriege beendete. 286 Abas: Unbekannter griechischer Held.



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288 Dánaër: Griechen (zu 1,30). 291 Phäaken: Mythisches Volk, zu dem Odysseus/Ulixes am Ende sei­ ner Irrfahrt gelangt. Man lokalisierte ihr Reich auf der Insel Kérkyra (heute Korfu). 292 Epirus: Landschaft an der Westküste Griechenlands. 293 Chaonien … Buthrotum: Heute Canina und Butrinto in Albanien. Hier ist Hélenus, einer der Söhne des Priamus und nunmehr Mann der Andrómache, König; er beherrscht die Kunst der Weissagung. 296 Pyrrhus: Der Sohn Achills, auch Neoptólemus genannt (zu 2,263 und 469), nimmt sich nach der Eroberung Trojas Andrómache, die Wit­ we Hektors, als Sklavin und Frau, heiratet dann aber Hermíone, die Tochter Helenas; zum weiteren Verlauf der Geschichte siehe V. 330 ff. 302 Símoïs: Fluss in der Ebene von Troja, hier aber in »Klein-Troja«; vgl. V. 349 ff. 321 Einzig glücklich …: Andrómache spielt auf Polýxena an, die am Grab Achills geopfert wird. 323 ausgelost: Anspielung auf die durch Auslosung bestimmte Zuweisung gefangener Frauen als Sklavinnen an künftige Herren, die auch An­ drómache widerfuhr. 328 Leda: Mutter Helenas von Zeus/Juppiter, der sie in Gestalt eines Schwans vergewaltigt. 331 Orest(es): Den Sohn des von seiner Frau Klytämnestra ermordeten Agamemnon verfolgen die Furien (Rachegöttinnen), nachdem er seine Mutter Klytämnestra aus Rache für den Vater ermordet hat. Pyrrhus erschlägt er, weil Hermíone zuerst ihm versprochen war. 332 beim Altar seines Vaters: Es ist wohl ein Altar für Achill gemeint. 333 der ihm jetzt zustand: Neoptólemus hat Hélenus sein Reich im Ster­ ben vermacht. 340 er, den dir schon Troja …: Was sie sagen will, ist unklar. Zu den soge­ nannten Halbversen vgl. Einführung S. 12. 350 Xanthus: Fluss in der Ebene von Troja, hier wie das skäische Tor (zu 2,612) Örtlichkeiten von »Klein-Troja«. 360 Klaros: Stadt in Kleinasien mit einem Apollo-Heiligtum. 379 Parzen: Zu 1,22. 380 Saturnia: Juno ist die Tochter des Kronos/Saturnus. 384 Vorher …: Hier die Stellen, auf welche die einzelnen Verse vorausver­ weisen: 384 / 3,554 ff. 5,35 ff.; 385 / 5,778 ff.; 386a / 6,1 ff.; 386b / 7,10 ff.; 389–393 / 8,43 ff.; 394 f. / 7,112 ff.; 403–409 / 3,543 ff.; 414–428 / 3,558– 567. 684–686; 429 / 3,699; 441–460 / 6,1 ff.

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ERLÄUTERUNGEN

Trinakria: Sizilien (zu 1,196). 385 ausonisches Meer: Das Tyrrhenische Meer (zu 3,171). 386 Kirke: Die aus Homers Odyssee bekannte Zauberin, die auf der Insel Aeaea wohnt. 396 Diese Länder …: Diejenigen an der Südküste der italischen Halb­ insel, die Buthrotum ganz nah sind (Entfernung rund 150 km); im Folgenden werden dort liegende Ortschaften genannt. 401 Meliböa: Stadt in Thessalien. 411 Pelorus: Nordostspitze Siziliens an der Straße von Messina. Aeneas soll sich dort nach Süden (412: links) wenden. 429 Pachynum: Vorgebirge an der Südspitze Siziliens, heute Kap Passero. 441 Kumae: Stadt nordwestlich von Neapel (zu 6,2). 442 Avernus: See nahe Kumae, von dem aus ein Weg in die Unterwelt führt. Der Name kann auch die Unterwelt bezeichnen. 443 Prophetin: Die Sibylle mit Namen Deïphobe. 466 Dodona: Ort in Epirus (zu 3,292) mit einem berühmten JuppiterHeiligtum. 476 zweimal dem Untergang Trojas entrissen: Zu 2,643. 489 Astýanax: Zu 2,456. 500 Thybris: Tiber (zu 2,781). 505 Sorge unserer Enkel: Vermutlich Anspielung darauf, dass Augustus 31 v. Chr. auf dem Boden seines Feldlagers bei Aktium (zu 3,280) Ni­ kopolis gründete und dort alle vier Jahre die (sportlichen und musi­ schen) Aktischen Spiele zur Erinnerung an seinen Sieg veranstaltete. 506 Keraunia: Gebirge an der Küste von Epirus (zu 3,292). 512 Horen: Göttinnen der Jahreszeiten und Begleiterinnen der Nacht. 516 Arkturus …: Zu 1,744. 517 Orion: Mythischer Jäger, der als Sternbild einen goldgewappneten Gürtel (zwei Reihen von Sternen) trägt; bei seinem Untergang im Spätherbst stürmt es. 521 Aurora: Die Göttin der Morgenröte. 531 Burg … Minervas: Castrum Minervae in Kalabrien am »Absatz des Stiefels«. 547 Argos: Zu 1,24. 552 Lakinia: Juno; sie hatte am Kap Lakinium (heute Capo Colonna) südlich des Golfs von Tarent ein Heiligtum. 569 Kyklopen: Aus Homers Odyssee bekannte einäugige Riesen. 578 Enkéladus: Gigant, der, von Juppiters Blitz getroffen, unter dem Aetna liegt.



ERLÄUTERUNGEN

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614 Achaeménides. 617 eines Kyklopen: Gemeint ist der Polyphem der Odyssee. Achaeménides rekapituliert das dort in Buch 9 erzählte Geschehen und ergänzt es durch eigene Erlebnisse. 637 argolisch: Griechisch (zu 1,24). Der große Rundschild war eine für die Hellenen typische Waffe. Phoebus: Hier der Sonnengott. 687 Bóreas: Der als Gott personifizierte Nordwind. 689 vorbei an Pantagias’ …: Örtlichkeiten an der Ostküste Siziliens, an der die Aeneaden südwärts entlangfahren, u.a. Mégara. 692 sikanisch: Sizilisch (nach den Sikanern, die als Ureinwohner Siziliens galten). Gemeint ist der Golf von Syrakus. 694 Alphëus: Fluss(gott) in Elis auf der Peloponnes. Als er Arethusa zu ver­ gewaltigen versucht, wird sie von Diana in ein Gewässer verwandelt, flieht, von ihm verfolgt, unterirdisch bis zur Insel Ortygia vor der Südostküste Siziliens und vereint sich dort mit ihm. 701 Kamerina: Stadt an der Südwestküste Siziliens (heute Torre di Ca­ marina). Ein Orakel verbietet insofern »Veränderung«, als es Aus­ trocknung des Sumpfes untersagt. Zuwiderhandeln bringt dann die Invasion von Feinden. 703 Ákragas. 704 es war einmal …: Aus der Sicht des Erzählers, nicht des Aeneas ge­ sprochen. 707 Drépanum: Kap und Stadt an der Nordwestküste Siziliens, freudlos, weil Anchises dort stirbt.

Buch 4 14 17

Fatum: Zu 1,2. enttäuscht: In ihrer Erwartung eines permanenten Eheglücks; zum Tod ihres Gatten Sychaeus vgl. 1,343 ff. 19 Schuld: Sie besteht nach römischer Auffassung in der Liebe zu einem zweiten Mann nach dem Tod des Ehemanns. 21 Bruder: Didos Bruder Pygmalion, der Sychaeus ermordete. 26 Érebus: Die Unterwelt. 27 Pudor: Schamgefühl, Anstand, hier personifiziert. 36 Tyros: Zu 1,12.

692 41 46 48 52 58 73 75 92 103 119 127 129 140 143 144 146 147 166 168 173 179 196

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ERLÄUTERUNGEN Ïarbas: Zu 4,196. Númider. Syrte: Die Große und die Kleine Syrte, Untiefen vor der Nordküste Afrikas. ilisch: Trojanisch (zu 1,68). Teukrer: Trojaner (zu 1,38). Orion: Zu 3,517. Lyaeus: Der Weingott Bacchus (»Sorgenlöser«). Dikte: Berg auf Kreta. Sidonien: Phönizien/Karthago (zu 1,446). Saturnia: Juno ist die Tochter des Kronos/Saturnus. phrygisch: Trojanisch (zu 1,182). Titane: Der Sonnengott Sol als Sohn des Titanen (zu 6,580) Hyperion. Kytherea: Zu 1,257. Aurora: Die Göttin der Morgenröte. Ïulus: Anderer Name des Aeneas-Sohns Askanius. Lykien: Landschaft im Südwesten Kleinasiens. Xanthus: Fluss in der Ebene von Troja. Delos … die Insel der Mutter: Zu 1,498 und 502. Drýoper: Volk, das in der Nähe des Berges Parnassos (bei der dem Apollo heiligen Stadt Delphi) wohnt. Agathyrsen: Skythischer Volksstamm. Kynthus: Zu 1,498. Tellus: Mutter Erde. Nymphen: Weibliche Naturgeister, göttergleich und langlebig, aber sterblich. Fama: Das personifizierte Gerücht. Enkéladus: Zu 3,578. Koeus: Ein Titane (zu 6,580). Ïarbas: König der Karthago benachbarten Gätuler, Sohn des von den Römern mit Juppiter identifizierten ägyptischen Gottes Hammon/ Ammon und einer Nymphe (zu 4,168) vom Stamm der libyschen Garamanten. Mauretanien: Hier synonym mit Afrika. dieser Paris …: Die Beschreibung des Aeneas als eines effeminierten, entsprechend gekleideten Mannes mit Halbmännern (Eunuchen) im Gefolge entspricht dem römischen Klischeebild des Orientalen. Mit Paris (zu 1,27) vergleicht Ïarbas ihn, weil er als Fremder, wie dieser Helena, die Königin Dido für sich gewonnen hat.



ERLÄUTERUNGEN

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216 mäonisch: Lydisch (zu 2,781; Mäonien ist der Name für Lydien bei Homer). Mitra: Kopfbinde. 224 Dárdaner: Trojaner (zu 1,232). 228 zweimal … vor den Waffen der Griechen gerettet: Im Zweikampf mit Diomedes (Homer, Ilias 5,311 ff.; vgl. aber zu 10,81) und beim Unter­ gang Trojas (Aen. 2,620 und 664 f.). 230 Teuker: Stammvater der Teukrer (Trojaner). 236 Ausonien: Italien (zu 3,171). Lavinium: Zu 1,2. 243 Tartarus: Steht meist einfach für die Unterwelt; vgl. aber zu 5,734 und vgl. 6,539 ff. 244 entsiegelt vom Tode die Augen: Er erweckt sie wieder zum Leben. 247 Atlas: Zu 1,741. Seine Tochter Maia ist die Mutter von Hermes/Mer­ kur. 252 der Kyllenier: Hermes/Merkur nach seiner Geburtsstätte, dem Gebir­ ge Kyllene in Arkadien, einer Landschaft im Zentrum der Pelopon­ nes. 281 das herrliche Land: Schwerlich aus der Sicht des Erzählers, aber aus derjenigen des Aeneas. 302 Thyiade: Mänade (zu 3,125). 303 Kithaeron: Grenzgebirge zwischen Attika und Böotien. 318 des wankenden Hauses: Sie meint sich und ihren Haushalt, von des­ sen Stütze Aeneas sie verlassen zu werden droht. 335 Elissa: Anderer Name für Dido. 344 Pérgamum: Troja (zu 1,466). 345 Grynium: Ort in Mysien (Nordwestkleinasien) mit einem ApolloOrakel, das sonst im Zusammenhang mit der Aeneis nicht erwähnt wird. 346 Lykiens Seherspruch: Das Apollo-Orakel in Pátara in Lykien (Süd­ westkleinasien). 355 das hesperische Reich: Italien (zu 1,530). 365 Dárdanus: Stammvater der Familie des Aeneas. 367 Hyrkanien: Land an der Südspitze des Kaspischen Meers. 371 Was gibt’s Schlimmeres noch?: Wörtlich: »Was soll ich welchem vorzie­ hen«, d.h. »Welche dieser Unterlassungen soll ich für die Schlimmste halten?« 372 der saturnische Vater: Juppiter, der Sohn des Kronos/Saturnus. 387 Manen: Seelen der Verstorbenen.

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ERLÄUTERUNGEN

426 Aulis: Zu 2,116. 432 Latium: Die Landschaft, in der Rom liegt. 469 Euhiaden: Bacchantinnen (zu 3,125), die Pentheus, den König von Theben, weil er sich dem Bacchuskult widersetzt, in Stücke reißen. Zu seiner Wahnvorstellung vgl. die Euripides-Tragödie Bacchen V. 918 f. 471 Orestes: Zu 3,331. Auch hier ist an eine Tragödie gedacht, vielleicht die Eumeniden des Aischylos. 483 Massylerin: Angehörige eines nordafrikanischen Stammes. 484 Hesperiden: Die »Töchter des Abends«, die, von einem Drachen un­ terstützt, in einem Garten am Ende der Welt goldene Äpfel hüten. 510 Chaos: Reich der Finsternis. 511 Hékate: Unterweltsgöttin der Zauberei, mit Diana als der Mondgöt­ tin gleichgesetzt. Drei Gesichter hat diese als Trivia, die Göttin des Dreiwegs. 512 Avernus: Zu 3,442. 542 wie meineidig …: König Laómedon von Troja betrügt Apollo und Poseidon/Neptun, die ihm Troja erbauen, um den Lohn. 562 Zéphyr(us): Westwind. 585 Tithonus: Der Ehemann der Aurora. 598 Penaten: Schutzgötter (zu 1,68). 607 Sol: Der Sonnengott. 610 Dirae: Rachegöttinnen wie die Furien; vgl. 12,845 ff. 615 Heimgesucht von Waffen …: Die in den Verwünschungen genannten Ereignisse greifen über die Handlung der Aeneis hinaus. In 615–620 wird Geschehen angedeutet, das in einzelnen Versionen des Mythos wohl in Erfüllung ging, in 621–629 die große kriegerische Ausein­ andersetzung zwischen Rom und Karthago in den drei Punischen Kriegen prophezeit (zu 10,12). 625 Rächer: Vermutlich meint sie Hannibal. 638 Juppiter Stygius: Pluto, der Herrscher der Unterwelt, in dem der Styx (zu 3,215) fließt. 648 Ilium: Anderer Name für Troja. 694 Iris: Die Götterbotin. 698 Prosérpina: Gattin des Unterweltsherrschers Pluto. 702 Dis: Anderer Name für Pluto (zu lat. dis »reich«).



ERLÄUTERUNGEN

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Buch 5 7 Teukrer: Trojaner (zu 1,38). 24 Eryx: Berg im Nordwesten Siziliens und Name eines Sohnes der Ve­ nus, die auf dem Eryx in einem berühmten Tempel verehrt wurde. sikanisch: Sizilisch (zu 3,692). 30 Dárdaner: Trojaner (zu 1,232). Akestes: Aus Troja stammender König von Akesta in Westsizilien (Se­ gesta/Egesta). 31 und im Schoße …: Vgl. 3,707 ff. 38 Krinisus: Flussgott in Sizilien, dem Segesta/Egesta den Akestes ge­ biert. Sie gehört zu den trojanischen Jungfrauen, die auf Weisung Neptuns einem Meerungeheuer geopfert werden sollen, nachdem Laómedon den Meergott und Apollo betrogen hat (zu 4,542); aber ihr Vater Híppotas bringt sie auf ein Schiff, mit dem sie nach Sizilien entfliehen kann. 51 Syrten: Zu 4,41. 52 im Árgolermeer und Mykene: In Griechenland (zu 1,24). 62 Penaten: Schutzgötter (zu 1,68). 69 Caestus: Schlagriemen aus Leder mit eingenähten Bleiknöpfen. 73 Hélymus. 83 Ausoniens Thybris: Italiens (zu 3,171) Tiber (zu 2,781). 99 Manen: Seelen der Verstorbenen. Ácheron: Fluss in der Unterwelt (zu 6,107), aber auch Bezeichnung für die Unterwelt. 105 Phaëthon: Eigentlich der Sohn des Sonnengottes Helios/Sol (zu 10,189), aber der Name wird auch für diesen gebraucht. 116 »Pristis«: »Walfisch«. »Chimaera«, »Kentaurus« und »Skylla« als Na­ men der drei anderen Schiffe bezeichnen mythische Monster: Chi­ maera eines, das aus Löwe, Ziege und Drache, Kentaurus eines, das aus Pferd und Mensch zusammengesetzt ist; zu Skylla vgl. 3,420 ff. 117 Ítaler. Memmier … Sergier … Cluentius: Altrömische Patrizierfamilen; be­ sonders berühmt wurde L. Sergius Catilina, der 63 v.Chr unter dem Konsul Cicero zusammen mit einer Verschwörergruppe vergeblich die Macht im Staate zu erlangen versuchte. 128 Taucher: Tauchervögel. 129 Grenzmal: Es dient hier als Wendemarke für die Schiffe. 192 einst in Gätuliens Syrten …: Zu diesen Rückverweisen vgl. 1,102 ff.

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und 3,192 ff.; dort nicht erwähnt ist Málea, ein für Seefahrer gefährli­ ches Kap in Lakonien im Südosten der Peloponnes. Töchter des Nereus: Meernymphen (zu 1,71). Im Folgenden sind wei­ tere Meergötter genannt. Notus: Südwind. Talent: Gewichtsmaß (rund 26 kg) und größte Münzeinheit (6000 griechische Drachmen). meliböisch: Thessalisch (zu 3,401). der Prinz: Ganymedes (zu 1,28). Ida: Gebirge in der Nähe von Troja. Juppiters Knappe: Der Adler. Demóleos. Simoïs: Fluss in der Ebene von Troja. Ilium: Anderer Name für Troja. Ságaris. Werke Minervas: Weibliche Handarbeit im Haushalt, besonders am Webstuhl. Phóloë. Eurýalus. Akarnane: Die Landschaft Akarnanien liegt in Westgriechenland. Tégea: Stadt in Arkadien, einer Landschaft im Zentrum der Pelopon­ nes. trinakrisch: Sizilisch (zu 1,196). Pánopes. Fama: Das personifizierte Gerücht (vgl. 4,173 ff.). knossisch: Kretisch (zu 3,115). argolisch: Griechisch (zu 1,24). Dánaër: Griechen (zu 1,30). Paris: Zu 1,27. Bebrykien: Land in Nordwestkleinasien. Sein König Ámykus tötet fremde Ankömmlinge im Faustkampf, wird dann aber von Pollux, als dieser an der Argonautenfahrt teilnimmt, selbst getötet. Alkide: Herkules (als Enkel des Alkeus). Erymanthus: Gebirge in Arkadien (zu 5,299). Hippóko-on … Hýrtakus … Eurýtion. Pándarus: Er verwundet, von Athene/Minerva beauftragt, Menelaus mit einem Pfeil und verhindert so den Frieden (Homer, Ilias 4,68 ff.). Achiver: Griechen (zu 1,242). Ïulus: Anderer Name des Aeneas-Sohns Askanius.



ERLÄUTERUNGEN

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547 Épytus. 568 Atier: Von ihnen stammt Atia ab, die Mutter des Augustus und Toch­ ter Julias, der Schwester des Diktators Gaius Julius Caesar. 571 sidonisch: Phönizisch/karthagisch (zu 1,446). 588 Labyrinth: Erbaut von Daedalus, birgt es den Minotaurus, den The­ seus tötet, worauf er mit Hilfe des Fadens der Ariadne den Weg zu­ rück findet. 597 Alba Longa: Zu 1,7. 598 Latiner: Bewohner von Latium, der Landschaft, in der Rom liegt. 606 Saturnia: Tochter des Kronos/Saturnus. Iris: Die Götterbotin. 607 ilisch: Trojanisch (zu 1,68). 620 Béroë. Tmarus: Gebirge in Westgriechenland. 623 achäisch: Griechisch (zu 1,242). 634 Xanthus: Fluss in der Ebene von Troja. 636 Kassandra: Zu 2,246. 656 das Fatum: Zu 1,2. 662 Vulkan(us): Der Gott des Feuers. 665 Eúmelus. 672 argivisch: Griechisch (zu 1,40). Er meint das griechische Lager vor Troja. 704 Tritonia: Wie Pallas Beiname der Athene/Minerva. 731 Dis: Pluto (zu 4,702). 732 Avernus: Zu 3,442. 734 Tartarus: Ort für diejenigen in der Unterwelt, die schwere Verbre­ chen büßen. 735 Elysium: Der Aufenthaltsort der Glückseligen in der Unterwelt. Sibylle: Prophetin mit Namen Deïphobe. 744 Lar: Hausgott. Vesta: Göttin des staatlichen Herdfeuers. 760 Idalium: Vorgebirge und Stadt mit einem Heiligtum der Venus auf Zypern. 785 Phryger: Trojaner (zu 1,182). 791 Aéolus: Der Herr der Winde; vgl. 1,50 ff. 797 Laurentum: Gebiet in Latium; vielleicht meint Vergil aber auch die Stadt des Latinerkönigs Latinus. Er gebraucht »Laurenter« und »lau­ rentisch« (Laurentum als Wort kommt bei ihm nicht vor) meist syn­ onym mit »Latiner« bzw. »latinisch«.

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ERLÄUTERUNGEN Parzen: Zu 1,22. Kytherea … dem du entstammst: Zu 1,257. Pelide: Achill, der Sohn des Peleus. den Aeneas … entrückt: Vgl. Homer, Ilias 20,318 ff. die Stadt meineidiger Troer: Zu 4,542. Glaukus …: Aufzählung von Meergöttern, u.a. Mélite … Kymódoke … Thalía. der Schlaf: Hier der personifizierte Schlaf, der Gott Somnus. Lethe: Der Fluss des Vergessens in der Unterwelt. stygische Kraft: Der Styx ist ein Fluss der Unterwelt. Sirenen: Dämonen mit Vogelleib und Frauenkopf, die Seeleute durch ihren Gesang betören, so dass diese an den Klippen scheitern, auf denen die Sirenen sitzen (Homer, Odyssee 12,39 ff.). Seit das Schiff des Odysseus ungefährdet an ihnen vorbeigefahren ist, haben sie ihre Macht verloren.

Buch 6 2

das euböische Kumae: An der Westküste Italiens nordwestlich von Neapel gelegene griechische Kolonie, die von Chalkis auf Euböa aus gegründet wurde. 6 Hesperien: Italien (zu 1,530). 10 Sibylle: Prophetin mit Namen Deïphobe. 12 der delische Seher: Apollo (zu 1,498). 13 Trivia: Diana (zu 4,511). 14 Minos’ Reich: Kreta. Daedalus, dorthin verbannt, darf die Insel nicht verlassen und flieht zusammen mit seinem Sohn Ikarus auf dem Luftweg. Dabei stürzt dieser ab. 16 eisige Bären: Der Große und der Kleine Bär (zu 1,744). Er fliegt also nach Norden. 17 chalkidisch: Zu 6,2. 20 Andrógeos: Sohn des Minos, der in Athen bei einem Wettkampf ge­ tötet wird. Zur Buße müssen die Kekropiden (Athener; nach ihrem ersten König Kekrops) jährlich sieben Söhne nach Kreta schicken, die dem Minotaurus (zu 6,25) zum Fraße gegeben werden. Dieser wird von Theseus getötet. 25 Pasíphaë: Frau des Minos, die sich, von Daedalus in eine hölzerne



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Kuh eingeschlossen, von einem Stier schwängern lässt und den Minotaurus, ein Mischwesen aus Mensch und Tier, gebiert. Irrgang: Das Labyrinth (zu 5,588). Teukrer: Trojaner (zu 1,38). Fata: Zu 1,2. betäubt: Vor Ehrfurcht gegenüber dem Gott. Die »Schlünde«, d.h. der Mund des Hauses muss, damit sie sprechen, durch Gebete geöff­ net werden. Dárdaner: Trojaner (zu 1,232). Paris: Er tötet Achill im zehnten Kriegsjahr durch einen von Apollo gelenkten Pfeilschuss. Mássylervolk: Die Libyer. Syrten: Zu 4,41. Pérgamum … Ilium … Dardanien: Andere Namen für Troja (zu 1,68, 232 und 466). Latium: Die Landschaft, in der Rom liegt. Götter, die umherirren: Die Penaten (zu 1,68). Orakel … verwahrn: Anspielung darauf, dass die sogenannten Sibyl­ linischen Bücher zunächst im Juppitertempel auf dem Kapitol und dann seit Augustus im Apollotempel auf dem Palatin aufbewahrt wurden. Die Römer sahen sie in Krisenzeiten ein. Lavinium: Zu 1,2. Thybris: Tiber (zu 2,781). Simoïs … Xanthus: Flüsse in der Ebene von Troja. dorisch: Griechisch (zu 2,27). ein andrer Achill: Turnus, Sohn der Nymphe (zu 1,71) Venilia. Ítaler. ein fremdes Eheweib wieder: Anspielung auf Helena; hier ist Lavinia gemeint, um die Aeneas mit Turnus kämpfen muss. griechische Stadt: Das Pallanteum Euanders auf dem Boden des spä­ teren Rom; vgl. 8,97 ff. Unterweltsherrscher: Pluto. Ácheron: Unterweltsfluss, den die ankommenden Toten in Charons Nachen überqueren müssen. Hékate: Zu 4,511. avernisch: Zu Avernus (zu 3,442). Manen: Hier die Seele eines verstorbenen Menschen. Orpheus: Er erreicht durch die Macht des Gesanges, dass er seine Frau Eurýdike aus der Unterwelt mit zurück auf die Erde nehmen

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darf, verliert sie aber wieder, da er sich gegen das Gebot der Prosér­ pina nach ihr umdreht. 121 Pollux: Der unsterbliche Sohn der Leda von Zeus/Juppiter, der sich mit seinem Zwillingsbruder Kastor im Aufenthalt in der Unterwelt und im Himmel abwechselt. 122 Theseus: Er steigt mit seinem Freund Piríthous in die Unterwelt, um Prosérpina zu entführen. 123 Alkide: Herkules (zu 5,414). Eine seiner zwölf Aufgaben (vgl. 8,293 ff.) ist es, den Hund Kérberus aus der Unterwelt zu rauben. 131 Göttersöhne: Vgl. 6,119–123. 132 Kokytus: Unterweltsfluss. 134 Styx: Unterweltsfluss. 138 Juno der Unterwelt: Perséphone/Prosérpina, die Frau des Pluto. 149 der Leib eines Freundes: Derjenige des Misenus; vgl. 6,156 ff. 164 Aéolus. 173 Triton: Ein Meergott. 177 des Grabes Altar: Gemeint ist offensichtlich der Scheiterhaufen. 247 Érebus: Unterwelt. 250 Mutter der Eumeniden: Die Nacht. Ihre Schwester ist Tellus, die per­ sonifizierte Erde; Eumeniden (»Wohlgesinnte«) ist ein Euphemismus für die Erinnyen (Rachegöttinnen). 265 Chaos: Reich der Finsternis. Phlégethon: Unterweltsfluss. 286 Kentauren … Skyllen: Zu 5,116. 287 Bríareus: Hundertarmiger Riese. das Ungeheuer von Lerna: Eine riesige neunköpfige Schlange, deren Tötung zu den zwölf Aufgaben des Herkules gehört (vgl. 8,293 ff.). 288 Chimaera: Zu 5,116. 289 Gorgonen: Zu 2,616. Hárpyien: Vgl. 3,225 ff. dreileibig, ein Schreckbild: Der Riese Géryon, den gleichfalls Herkules tötet. 334 Leukaspis …: Vgl. 1,113 ff. 336 Auster: Südwind. 338 von Libyen: Palinurus stürzt laut 5,827 ff. nach dem Aufbruch aus Si­ zilien ins Meer; vermutlich hätte Vergil den Widerspruch bei der Er­ stellung der endgültigen Fassung korrigiert (vgl. Einführung S. 12). 346 Ausonien: Italien (zu 3,171). 355 Notus: Südwind.

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Ïulus: Anderer Name des Aeneas-Sohns Askanius. Velia: Lukanische Küstenstadt südlich des Golfs von Neapel. den Alkiden …: Zu 6,122 und 123. Piríthous. Wächter des Orkus: Der Höllenhund Kérberus; vgl. 6,417 ff. amphrysisch: Am Fluss Amphrysius in Thessalien muss Apollo die Herden des Königs Admetus weiden; also hier identisch mit apolli­ nisch. ihres Onkels: Prosérpina, Tochter Juppiters und der Ceres, hat Pluto, den Bruder Juppiters, zum Mann. Ehrfurcht: Zum Begriff der pietas vgl. Einführung S. 17. Minos: Der König von Kreta fungiert nach seinem Tod als einer der Totenrichter. Phaedra: Von ihrem Stiefsohn Hippólytus, den sie liebt, zurückge­ wiesen, weil er sich im Dienst der Diana der Keuschheit verschrie­ ben hat, nimmt sie sich das Leben. In einem Brief an ihren Mann Theseus, seinen Vater, beschuldigt sie den Stiefsohn des versuchten Ehebruches, worauf dieser Bestrafung durch Neptun erfleht: Ein Monster von einem Stier macht die Pferde des Hippólytus scheu, worauf er mit dem Gespann umstürzt und tödlich verletzt wird; vgl. 7,761 ff. Prokris: Weil sie fälschlich vermutet, ihr Mann Képhalus betrüge sie, wenn er auf der Jagd ist, versteckt sie sich, um ihn dabei zu beobach­ ten, im Gebüsch, raschelt, wird von ihm für ein wildes Tier gehal­ ten und von seinem unfehlbaren Speer, den sie ihm einst schenkte, getötet. Eriphyle: Sie verrät ihren Mann Amphiaraus für ein goldenes Hals­ band und wird von ihrem Sohn Alkmaeon getötet. Euadne: Als die Leiche ihres im Kampf getöteten Mannes Kápaneus verbrannt wird, stürzt sie sich in die Flammen. Pasíphaë: Zu 6,25. Laodamia: Ihr Mann Protesílaus fällt als erster der gegen Troja zie­ henden Griechen. Sie erwirkt, dass er für einen Tag aus der Unter­ welt zu ihr zurückkommen darf, und folgt ihm dann in den Tod. Kaeneus: Er ist zunächst eine Frau namens Kaenis, wird von Posei­ don/Neptun vergewaltigt und in einen Mann verwandelt, im Kampf der Lapithen (zu 6,601) und Kentauren getötet und in der Unterwelt in eine Frau zurückverwandelt. Luna: Die Mondgöttin.

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471 marpesisch: Parisch (zu 1,593). 479 Tydeus … Parthenopaeus … Adrastus: Drei von den Heroen, die am Kampf der Sieben gegen Theben teilnehmen. 482 Dardaniden: Es folgt eine Aufzählung von Troja-Kämpfern, u.a. Thersílochus. 485 Idaeus: Der Wagenlenker des Priamus. 489 Dánaër: Griechen (zu 1,30). 492 wie einst zu den Schiffen …: Vgl. 2,399 ff. 495 Deïphobus. 503 Pelasger: Griechen (zu 1,624). 505 rhötëisch: Trojanisch (zu 3,108). 511 Spartanerin: Helena (zu 1,27), die nach Paris’ Tod mit Deïphobus verheiratet ist. Das »Andenken« ist, wie sich aus dem Folgenden er­ gibt, seine Verstümmelung. 515 Als das Unheilspferd …: Vgl. 2,232 ff. 517 bacchantisch jubelnd: Zu 3,125. 518 Phryger: Trojaner (zu 1,182). 525 Menelaus: König von Sparta und Helenas Ehemann, dem sie ent­ führt wird. Ihn, den »Verliebten«, und die anderen Griechen will sie dazu bringen, die alten Vergehen, die Ehen mit Paris und Deïphobus, zu vergessen. 529 Ulixes: Odysseus (zu 2,7). 535 Aurora: Die Göttin der Morgenröte. Es ist jetzt Mittag. 541 Dis: Pluto (zu 4,702). 542 Elysium: Der Aufenthaltsort der Glückseligen in der Unterwelt. 555 Tisíphone: Eine der drei Furien (Rachegöttinnen). Palla: Mantel. 566 Rhadamanthys: Bruder des Minos, des Herrschers in Knossos auf Kre­ ta und wie dieser einer der drei Totenrichter (zu 6,432). 575 Wächterin: Es ist offensichtlich noch Tisíphone gemeint, die Aeneas bisher nicht sehen konnte. 576 Hydra: Riesige Schlange, vielleicht identisch mit der von Lerna (zu 6,287). 580 Titanen: Söhne des Uranos (Himmel) und der Gaia (Erde; hier wie in V. 595 personifiziert), die als ältere Göttergeneration von der jün­ geren unter Zeus/Juppiter in den Tartarus gestürzt werden. 582 Aloeus’ Zwillinge: Otus und Ephialtes, zwei Riesen, die, um den Olymp zu erstürmen, Berge aufeinandertürmen und von Apollo ge­ tötet werden.



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585 Salmoneus: Er ist der Bruder des bekannten Büßers Sísyphus und Gründer von Salmone in Elis auf der Peloponnes. 592 sein Geschoss: Der Blitz. 595 Títyos: Riesiger Sohn der Erdmutter, der Latona zu vergewaltigen versucht und von ihren Kindern Apollo und Artemis/Diana getötet wird. 601 Lapithen: Thessalisches Bergvolk, bekannt durch seinen Kampf ge­ gen die Kentauren (zu 5,116). Ihr König Ixion büßt im Tartarus dafür, dass er Juno zu vergewaltigen versucht hat; er wurde mit einer Wolke getäuscht und zeugte mit dieser die Kentauren. Sein Sohn ist Piríthous (zu 6,122). 602 was die, über denen …: Wie in V. 616 f. alii (andere), das sich auf die Bestrafung des Sísyphus und des Ixion bezieht, als Verallgemeine­ rung zu verstehen ist, so wohl auch hier quos (vgl. Horsfalls Kom­ mentar zur Stelle): Gemeint ist die Bestrafung des Tántalus dafür, dass er den Göttern seinen Sohn Pelops zum Mahl vorgesetzt hat, um ihre Allwissenheit zu prüfen; sie wird in V. 602–606 geschildert. 605 die größte der Furien: Es ist nicht feststellbar, welche hier gemeint sein könnte. 609 Klient: Schutzbefohlener eines sozial höher stehenden Patrons, der ihn vor Gericht vertritt und auch in anderen Bereichen protegiert. 616 Andere: Zu 6,602. 618 Theseus: Zu 6,122. Phlégyas: Er setzt einen Tempel Apollos in Brand, weil der Gott seine Tochter vergewaltigt hat. 630 Kyklopen: Aus Homers Odyssee bekannte einäugige Riesen (vgl. 3,613 ff.); zu ihrer Tätigkeit als Schmiede vgl. 8,416 ff. 631 das Tor mit dem Rundbogen: Der Zugang zu Plutos Palast und zum Elysium. 638 Ort der Freude: Das Elysium. 645 der thrakische Priester: Orpheus. 648 Teuker: Der erste König von Troja; im Folgenden sind seine promi­ nentesten Nachkommen Ilus, Assárakus und Dárdanus genannt. 659 Erídanus: Sonst der Po, hier ein Fluss im Elysium. 667 Musaeus: Mythischer Dichter und Sänger. 687 die von dem Vater erwartete Liebe: Der Vater erwartet sie vom Sohn. 694 Libyens Reich: Anspielung auf den Aufenthalt des Aeneas bei Dido. 705 Lethe: Der Fluss des Vergessens. 725 das Gestirn des Titanen: Die Sonne (zu 6,580).

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763 albanisch: Sprache Alba Longas (zu 1,7). 768 Númitor. 772 Bürgerkrone: Mit der corona civica aus Eichenlaub wurde geehrt, wer im Gefecht einem römischen Bürger das Leben rettete. Augustus trägt sie auf der Porträtbüste in der Münchner Glyptothek. 773 Nomentum …: Es folgt eine Aufzählung von Städten in Latium, u.a. Castrum Ínui. 777 Großvater: Númitor, Vater der Ilia (zu 1,274 und 275). 781 Auspizien: Günstige Vorzeichen. Romulus sieht zwölf glückverhei­ ßende Vögel, die erstmals Roms Größe ahnen lassen. 783 sieben Burgen: Gemeint sind die sieben Hügel Roms. 784 Kýbele: Die kleinasiatische Muttergottheit, im lateinischen Text als »berekyntisch« bezeichnet, weil sie ursprünglich auf dem Berg Bere­ kyntus in Phrygien (Nordwestkleinasien, also nicht weit von Troja; zu 1,182) ihr Heiligtum hatte. Die in Rom kultisch verehrte Göttin steht hier auch für die Abstammung der Römer von den Trojanern. 789 Caesar …: Zu 1,286. Hier sind beide Männer genannt. 794 Saturnus: Der Vater Juppiters, der nach seiner Vertreibung vom Olymp nach Italien geht und dort ein Goldenes Zeitalter begründet. Garamanten: Libyscher Volksstamm. 796 Atlas: Zu 1,741. 798 kaspische Reiche: Länder am Kaspischen Meer. 799 die mäotische Erde: Land in Skythien am Mäotischen See (heute Asowsches Meer). 802 bronzehufige …: Hier wird auf drei der zwölf Taten des Herkules (vgl. 8,293 ff.) angespielt. Erymanthus ist ein Gebirge in Arkadien (im Zentrum der Peloponnes), wo Herkules einen wilden Eber tötete; zu Lerna vgl. zu 6,287. 805 Liber: Dionysos/Bacchus, der einen Siegeszug von Indien (wo der Berg Nysa liegen soll) nach Griechenland unternimmt. 808 Wer aber …: Gemeint ist Numa Pompilius, dem Mythos zufolge der zweite von sieben Königen Roms. Ihm folgen Tullus Hostilius, Ancus Marcius und die Tarquinier Tarquinius Priscus (nach dem zunächst Servius Tullius regiert) und Tarquinius Superbus. 811 Cures: Stadt im Sabinerland nahe Rom. 818 Brutus: Er vertreibt Tarquinius Superbus (dessen superbia = Hoch­ mut Vergil auf Brutus überträgt) und bekommt so die Fasces, die Ru­ tenbündel der Beile, mit denen die Liktoren, eine Art Staatspolizei, exekutierten und die somit die Staatsmacht symbolisieren. Brutus



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ließ seine Söhne hinrichten, weil sie Tarquinius bei dessen Versuch unterstützten, die Macht zurückzugewinnen. 824 Decier: Je ein Angehöriger dieser Patrizierfamilie soll im 4. bzw. 3. Jh. v. Chr. sein Leben für den Staat geopfert haben. Druser: Besonders bekannt war M. Livius Drusus Salinator durch seinen Sieg über Hasdrubal im Zweiten Punischen Krieg. 825 Torquatus: T. Manlius Torquatus soll im 4. Jh. v. Chr. den eigenen Sohn zum Tode verurteilt haben, weil dieser einen Sieg errungen hat­ te, ohne dass er den Befehl zu seiner militärischen Aktion erhalten hatte. Camillus: M. Furius Camillus, im 4. Jh. v. Chr. Eroberer Vejis und Befreier Roms von den Galliern. 826 Jene Seelen …: Caesar und Gnaeus Pompejus, der durch die Heirat mit Caesars Tochter Julia dessen Schwiegersohn wurde und nach ih­ rem Tod dessen Gegner im Bürgerkrieg (49/48 v. Chr.). 830 Monoekus: Hafenstadt in Ligurien, heute Monaco. Die Alpen und Monoekus’ Burg stehen hier für Gallien, Caesars Machtgebiet vor dem Bürgerkrieg. 836 Korinth: Es wurde von Lucius Mummius 146 v. Chr. erobert und zer­ stört. Darauf folgte sein durch diesen Sieg über die Griechen verdien­ ter Triumphzug aufs Kapitol in Rom. 838 Argos … Mykene: Griechenland (zu 1,24), das durch Lucius Aemilius Paullus 168 v. Chr. endgültig besiegt wurde. Mit dem Aéakus-Enkel ist hier Perseus, der letzte König von Makedonien, zu dem Griechen­ land seit Alexander dem Großen gehörte, gemeint. 840 Pallas’ geschändeten Tempel: Zu 1,40. 841 Cato: Marcus Porcius Cato, Konsul 195 v. Chr.; er war als besonders sittenstreng berühmt. Cossus: Aulus Cornelius Cossus, Konsul 428 v. Chr. Weil er als der zweite nach Romulus einen feindlichen König im Zweikampf tötete, bekam er als Beute dessen Rüstung (spolia opima). 842 Gracchen: Die beiden Volkstribunen Tiberius und Gaius Sempronius Gracchus, die sich im 2. Jh. v. Chr. um soziale Reformen bemühten. die zwei Scipionen: Lucius Cornelius Africanus Maior, der Hannibal 202 v. Chr. bei Zama besiegte, und Publius Cornelius Scipio Aemi­ lianus Africanus Minor, der 146 v. Chr. Karthago zerstörte und 133 v. Chr. Numantia eroberte. 844 Fabricius: Gaius Fabricius Luscinus, bekannter Feldherr des 3. Jh.s v. Chr.

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Serranus: Gemeint ist Gaius Atilius Regulus (3. Jh. v. Chr.), dessen Familie, die Atilier, ein Zweig der Serraner waren. Er soll gepflügt haben, als man ihn zum Konsul berief. 845 Fabier: Patrizierfamilie, die so viele Helden aufzuweisen hat, dass der schon von seiner bisherigen Prophezeiung vieler Großtaten ermüdete Anchises sich mitgerissen sieht, ohne ein Ende absehen zu können. Er wählt dann aber geschickt ein herausragendes Beispiel: Quintus Fabius Maximus Cunctator (»Zögerer«); dieser verhalf im Zweiten Punischen Krieg (zu 10,12) nach den Niederlagen am Trasimenischen See und bei Cannae (217 bzw. 216 v. Chr.) durch seine Taktik des hinhaltenden Widerstandes (daher der Beiname) den Römern zu militärischen Erfolgen gegenüber Hannibal. 847 andre: Gemeint sind die Griechen, deren geistige Überlegenheit über die Römer hier vorausgesetzt wird. 855 Marcellus: Marcus Claudius Marcellus, der 222 v. Chr. zum dritten Mal die spolia opima errang (zu 6,841; diesmal war der Gegner ein Gallier) und 212 v. Chr. bei Nola den Punier Hannibal besiegte. 859 Quirinus: Romulus’ Name nach seiner Versetzung unter die Götter. 861 ein junger Mann: Marcus Claudius Marcellus, Sohn der Octavia, der Schwester des Augustus und von diesem vermutlich als Nachfolger vorgesehen. Er starb 23 v. Chr. nur zwanzigjährig. 872 Stadt des Mars: Rom. 873 Tiberinus: Der Tiber, hier personifiziert. 875 ilisch: Trojanisch (zu 1,68). 891 Laurentums Volk: Die Latiner (zu 5,797). 893 der Traum: Der Traumgott. 898 lässt sie hinaus durch die Elfenbeinpforte: Vielleicht soll das implizie­ ren, dass Aeneas den Unterweltsgang nur geträumt hat. 900 Kajeta: Die Amme des Aeneas, nach welcher der Ort benannt ist. 901 Anker wirft man …: Im Gegensatz zu Conte halte ich den Vers (eine Wiederholung von 3,277) für echt, da er die erste Hälfte des Epos »metapoetisch« wirkungsvoll beendet: See- oder Wagenfahrt ist nicht selten eine Metapher für den Durchgang von Autor und Leser durch einen Text, und hier ist ein besonders signifikanter »Ort« für eine »Reiseunterbrechung«.



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Buch 7 2 4 9 10

Kajeta: Zu 6,900. Hesperien: Italien (zu 1,530). Luna: Die Mondgöttin. Kirke: Die aus Homers Odyssee bekannte Zauberin. Sie wohnt auf dem Vorgebirge Circaeum an der Küste Latiums, der Landschaft, in der Rom liegt. 11 Sol: Der Sonnengott. 26 Aurora: Die Göttin der Morgenröte. 37 Erato: Die Muse der erotischen Poesie, die freilich nur so weit »zu­ ständig« ist, als es in dem Krieg darum gehen wird, ob Aeneas oder Turnus die Prinzessin Lavinia zur Frau bekommt. 39 Ausonien: Italien (zu 3,171). 43 tyrrhenisch: Etruskisch. 47 Faunus: Ländlicher Gott. Laurentum: Latium (zu 5,797). Nymphe: Weiblicher Naturgeist, göttergleich und langlebig, aber sterblich. 49 Saturnus: Zu 6,794. 50 diesem: Latinus. 52 die Tochter: Lavinia. 56 Turnus: Der König des latinischen Volks der Rutuler. die Gattin des Königs: Amata. 63 nach ihm den Namen Laurenter: Von lat. laurea (»Lorbeer«). 79 Fata: Zu 1,2. 83 Albúnea: Nicht identifizierbar. 85 Ítaler. Oenotria: Italien (nach dem alten Namen des südöstlichen Italien). 91 Ácheron: Fluss in der Unterwelt (zu 6,107). Avernus: Zu 3,442. 104 Fama: Das personifizierte Gerücht (vgl. 4,173 ff.). 105 laomedontisch: Trojanisch (zu 4,542). 107 Ïulus: Anderer Name des Aeneas-Sohns Askanius. 121 Penaten: Schutzgötter (zu 1,68). 137 Tellus: Mutter Erde. 139 Ida: Gebirge in der Nähe von Troja. die phrygische Mutter: Kýbele (zu 1,182, 2,788 und 6,784). 150 Numicus: Nicht identifizierbarer Fluss in Latium.

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ERLÄUTERUNGEN

151 Thybris: Tiber (zu 2,781). 154 Zweige der Pallas: Zweige des Olivenbaums, den Pallas Athene der Sage nach erstmals (für die Athener) wachsen ließ, als Symbole des Friedens. 155 Teukrer: Trojaner (zu 1,38). 171 Picus: Sohn des Saturnus, Vater des Faunus und Großvater des Lati­ nus (zu 7,191). 173 Fasces: Zu 6,818. 178 Ítalus: Stammvater der Önotrier (zu 7,85), nach dem Italien benannt sein soll. Sabinus: Stammvater des mittelitalischen Volks der Sabiner. 180 Janus: Der Gott des Eingangs und Ausgangs, nach dem der Januar benannt ist. 187 Quirinus: Romulus’ Name nach seiner Versetzung unter die Götter. 188 Trábea: Mit breitem Purpurstreifen verzierte Toga. 191 Vogel: Weil Picus Kirkes Liebe nicht erwidert, verwandelt sie ihn in einen Specht. 195 Dárdaner: Trojaner (zu 1,232). 204 der uralte Gott: Saturn. 206 Aurunker: In Kampanien wohnendes Volk. 207 Dárdanus: Stammvater der Familie des Aeneas. 209 Kórythus: Zu 3,170. 212 Ilíoneus. 222 Mykene: Es steht hier für Griechenland (zu 1,284). 224 Asien: Troja (zu 2,193). Europa steht entsprechend für Griechenland. 226 die Zone: Man teilte die Erde in fünf von den Wende- und Polarkrei­ sen begrenzte Zonen ein. 247 Tiara: Orientalische Kopfbedeckung. 257 Auspizien: Günstige Vorzeichen bei der Vogelschau. 282 für ihren Vater: Sie ist die Tochter des Sonnengottes. 286 Ínachus: Gründer von Argos (zu 1,24), Flussgott und Vater der Io (zu 7,789). 289 Pachynum: Vorgebirge an der Südspitze Siziliens, heute Kap Passero. 294 Sigeum: Vorgebirge bei Troja, hier mit Troja gleichgesetzt. 302 Syrten: Sandbänke vor der libyschen Küste (vgl. 1,102 ff. und zu 4,41). Skylla … Charybdis: Meerungeheuer an der Straße von Messina; vgl. 3,420 ff. 304 Mavors: Mars (zu 1,276). 305 Lapithen: Zu 6,601.



ERLÄUTERUNGEN

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306 Kálydon: Hauptstadt Ätoliens. Als ihr König Oeneus Artemis/Diana nicht opfert, lässt sie das Land durch einen monströsen wilden Eber heimsuchen. 307 Welches Verbrechen …: Für sie haben die Aeneaden ein weit größeres Verbrechen begangen als die Lapithen und Oeneus. 318 Rútuler: Italischer Volkstamm, dessen König Turnus ist. 319 Bellona: Die Kriegsgöttin. 320 Kisseïs: Hékuba, die Tochter des Kisseus. Vor der Geburt des Paris (zu 1,27) träumt sie, sie werde eine brennende Fackel gebären. 324 Allekto: Eine der drei Furien (Rachegöttinnen). 328 Tartarus: Zu 4,243. 341 Gorgo: Zu 2,616. 363 der phrygische Hirt: Der Trojaner Paris (zu 1,27 und 182). 372 von Ínachus …: Die Familie des Turnus stammt also aus Argos (zu 1,24). 379 Atrium: Empfangshalle des römischen Hauses. 385 folgte … dem Willen des Bacchus: Zu 3,125. 389 dich: Turnus. 390 Thyrsus: Mit Weinlaub oder Binden umwickelter Stab, den Diony­ sos/Bacchus und seine Anhänger bei ihren bacchischen Orgien tra­ gen. 410 Dánaë: Tochter des Akrisius, des Gründers von Argos (zu 1,24 und 7,372). 411 Notus: Südwind. Árdea … Kálybe. 476 stygisch: Der Styx ist ein Fluss der Unterwelt. 479 kokytisch: Der Kokytus ist ein Fluss der Unterwelt. 505 das grimmige Monster: Allekto. 516 Trivias See: Er liegt in der Nähe von Aricia am Fuße der Albanerber­ ge; dort gab es ein Heiligtum der Diana (hier Trivia als Unterwelts­ göttin). 517 Nar: Nebenfluss des Tiber (heute Nera). velinische Quellen: Der Velinus mündet in den Nar. 560 Saturnia: Juno ist die Tochter des Kronos/Saturnus. 565 Ampsanctus: Kratersee nahe Neapel mit schwefeligen Dämpfen. 570 die Erinys: Rachegöttin; gemeint ist Allekto. 581 Thíasus: Tanz zu Ehren des Dionysos/Bacchus. 602 Alba: Alba Longa (zu 1,7). 604 Geten: Thrakischer Volksstamm in der heutigen Ukraine.

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ERLÄUTERUNGEN

605 Hyrkaner: Volk an der Südspitze des Kaspischen Meers. 606 Parther: Die Nachfolger des Perserreiches besiegten 53 v. Chr. ein römisches Heer unter Marcus Licinius Crassus und erbeuteten die Feldzeichen. 20 v. Chr. wurden diese nach Verhandlungen mit Au­ gustus zurückerstattet. 607 die Pforten des Krieges: Zu 1,294. 612 gabinisch: Gabii war eine Stadt zwischen Rom und Praeneste (Palest­ rina). 641 Hélikon: Der Berg der Musen in Böotien. 658 Hydra: Riesige Schlange, vielleicht identisch mit der von Lerna (zu 6,287). 659 aventinischer Hügel: Der Aventin(us), einer der sieben Hügel Roms. Zum Aufenthalt des Herkules dort vgl. 8,184 ff. Rhea: Nicht identisch mit Rhea Silvia, der Mutter von Romulus und Remus. 661 Sieger von Tiryns: Herkules aus Tiryns, einer Stadt in der Árgolis (zu 1,24). 662 Gerýones: Dreileibiger Riese in Iberien (Spanien), dem Herkules die Rinder raubt und den er tötet. 665 Sabeller: Sabiner, das Nachbarvolk Roms. 675 Kentauren: Zu 5,116 und 6,601. Othrys und Hómole: Berge in Thessalien. 681 Caéculus … Ánio … Hérniker … Címinus. 708 Claudier: Bedeutende Patrizierfamilie in Rom. 712 Rósea … Tétrica … Fóruli … Fábaris. 717 ein Unglücksname, die Állia: An diesem Fluss erlitten die Römer am 18. Juli 389 v. Chr. eine so große Niederlage gegen die Gallier, dass der Tag künftig als Unglückstag galt. 719 Orion: Zu 3,517. 721 Hermus: Der Hauptfluss Lydiens (zu 2,781). Lykien: Landschaft im Südwesten Kleinasiens. 726 Mássicus … Satículer … Oébalus … Teléboër … Bátulum. 741 teutonisch: Germanisch (nach dem Stamm der Teutonen). 759 Fúcinus. 761 Hippólytus: Zu 6,445. 763 Egeria: Quellnymphe (zu 1,71). 769 Paeon: Apollo als Gott der Heilkunst. 773 des Phoebus Sohn: Aeskulapius. 785 Chimaera: Zu 5,116.



ERLÄUTERUNGEN

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789 Ïo: Tochter des Ínachus, des Gründers von Argos (zu 1,24), woher die Familie des Turnus stammt (zu 7,286 und 372). Juppiter vergewaltigt Ïo, verwandelt sie, um sie vor Juno zu verstecken, in eine Kuh, wor­ aufhin die Göttin sie von dem hundertäugigen Argus bewachen lässt. Durch Hermes/Merkur befreit, flieht sie nach Ägypten und wird dort, zurückverwandelt, die Göttin Isis. 795 Sikaner: Hier ein alter italischer Volksstamm. 799 Kirkes Bergrücken: Zu 7,10. Ánxurus. 801 Sátura. 805 Pallas’ Spindel: Zu 5,284.

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Laurentum: Zu 5,797. Latium: Die Landschaft, in der Rom liegt. Vénulus. Diomedes: Zu 1,97. Teukrer: Trojaner (zu 1,38). Penaten: Schutzgötter (zu 1,68). Fata: Zu 1,2. ihm: Diomedes, der Aeneas von Troja her kennt. Pérgamum: Troja (zu 1,466). Alba: Alba Longa (zu 1,7). Árkader: Ursprünglich Bewohner Arkadiens im Zentrum der Pelo­ ponnes. Thybris: Zu 2,781. Nymphen: Weibliche Naturgeister, göttergleich und langlebig, aber sterblich. hörnertragend: Man stellte sich Flussgötter mit Stierhörnern am Kopf vor. Hesperien: Italien (zu 1,530). Amphítryon-Sohn: Herkules. Dárdaner: Trojaner (zu 1,232). Dánaër: Griechen (zu 1,30). Atriden: Agamemnon und sein Bruder Menelaus, die Söhne des At­ reus.

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ERLÄUTERUNGEN blutsverwandte Ahnen: Vgl. die jetzt folgenden Ausführungen. Ilium: Anderer Name für Troja. Atlas: Zu 1,741. Kyllene: Gebirge in Arkadien. Daunus’ Volk: Die Rútuler. Daunus ist der Vater des Turnus. das Meer, das …: Gemeint sind die Adria (oben) und das Tyrrheni­ sche Meer (unten). der: Euander. Hesíone. Phénëus: Stadt in Arkadien. lykisch: Zu Lykien, einer Landschaft im Südwesten Kleinasiens. Gerýones: Zu 7,662. Alkide: Herkules (zu 5,414). Eurus: Ostwind. der Tirynthier: Herkules aus Tiryns, einer Stadt in der Argolis (zu 1,24). Aventin(us): Einer der sieben Hügel Roms. Manen: Seelen der Verstorbenen. »der Größte«: Die Ara Maxima in Rom, an der dem Herkules bis in die Spätantike geopfert wurde. der gemeinsame Gott: Herkules. Hésperus: Der Abendstern, lat. Vesper. Salier: Zu 8,663. Stiefmutter: Juno, die den von Zeus/Juppiter mit Alkmene gezeugten Helden mit ihrem Hass verfolgt. Das Schlangenpaar legt sie ihm be­ reits in die Wiege. Oechalia: Stadt auf Euböa, die Herkules zerstört, weil König Eurytus ihm trotz Versprechen seine Tochter Iole nicht zur Frau geben will. Troja zerstört der Held, weil König Laómedon ihm den Lohn für die Rettung der Stadt vor einem Meerungeheuer verweigert. Eurystheus: König von Mykene, der Herkules auf Junos Befehl die zwölf Arbeiten auferlegt (tausend steht für »zahllos«). Einige werden im Folgenden aufgezählt; erläutert wird hier nur das Allerwichtigste. die wolkengeborenen Doppelgestalten: Kentauren (zu 5,116 und 6,601). das Untier Kretas: Ein riesiger Stier. Némea: Landschaft in der Árgolis (zu 1,24). Styx: Unterweltsfluss. Der Pförtner des Orkus ist Kérberus (zu 6,123). Typhoeus: Zu 1,665. die Schlange von Lerna: Zu 6,287.



ERLÄUTERUNGEN

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301 eine Zierde der Götter: Herkules wird nach seinem Tod unter die Un­ sterblichen versetzt. 314 Faune: Nackte Walddämonen in Bocksgestalt. 319 Saturnus: Zu 6,794. 323 versteckt: Latium wird hier von latere (»versteckt sein«) abgeleitet. 328 Ausonien: Italien (zu 3,171). sikanisch: Sizilisch (zu 3,692). 331 Ítaler. 332 Álbula. 338 heut in Rom noch: Euander zeigt Aeneas Stätten Roms in der Zeit des Augustus. Carmentistor: Die Porta Carmentalis nahe dem Kapitol. 342 das Asyl: Zufluchtsstätte für Ausländer und Verbannte, die Romulus am Fuße des Kapitols anlegte, um Roms Bevölkerung zu vermehren. 343 Lupercal: Grotte und Kultstätte für Faunus, einen ländlichen Gott, der hier mit dem arkadischen Hirtengott Pan gleichgesetzt wird, am Nordwestabhang des Palatin (zu 9,9). Die zuständigen Priester hie­ ßen Luperker (Luperci; 8,663). 344 parrhasisch: Arkadisch (nach der Landschaft Parrhasien in Südarkadi­ en). Lykaeus: Beiname Pans nach dem Lykaeus, einem Berg in Arkadien, auf dem er sich gerne aufhält. Hier wird auf die Verwandtschaft des griechischen Wortes für »Wolf« (lýkos) mit dem lateinischen (lupus) angespielt. 345 Argiletum: Von Nordosten zum Forum Romanum führende Straße in Rom. Der Name wird hier von Argi letum (»Tod des Argus«) ab­ geleitet. Dieser Argus muss sterben, weil er als Gastfreund Euanders König an dessen Stelle zu werden versucht. 347 Tarpeja: Eine Vestalin (Priesterin der Vesta; zu 1,292), die das Kapitol zur Zeit des Romulus an die Krieg gegen Rom führenden Sabiner verraten haben soll; vom tarpejischen Felsen auf dem Kapitol wurden Verbrecher gestürzt. 348 golden heutzutage: Anspielung auf das goldene Dach des republikani­ schen Tempels für den kapitolinischen Jupiter, den Augustus restau­ rieren ließ. 354 Ägis: Zu 2,616. 357 Diese Burg … jene: Beide sind mythische Bauwerke. 361 Carinae: Vornehmes Stadtviertel in Rom am Esquilin, heute die An­ höhe S. Pietro in Vincoli.

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ERLÄUTERUNGEN

381 Rútuler: Italischer Volkstamm, deren König Turnus ist. 383 des Nereus Tochter: Thetis, die bei Hephaistos/Vulkan erreicht, dass er für ihren Sohn Achill neue Waffen anfertigt. 384 Tithonus’ Gemahlin: Eos/Aurora, die Göttin der Morgenröte, die bei Hephaistos/Vulkan erreicht, dass er für ihren Sohn Memnon Waffen anfertigt. 417 Lípare: Die Liparischen Inseln nördlich von Sizilien (Sikanien; zu 3,692), die zum Reich des Windgottes Aéolus gehören und vulka­ nisch sind. Vulkania (V. 422) heißt heute Volcano. 418 Kyklopen: Aus Homers Odyssee bekannte einäugige Riesen (vgl. 3,613 ff.). 421 Chályber: Volk von Schmieden an der Südostküste des Schwarzen Meers. 425 Brontes, Steropes … Pyrakmon: Im Griech. sprechende Namen: »Donnerer«, »Blitz«, »Feueramboss«. 429 drei Strahlen für Hagel …: Der Blitz enthält alles, was hier aufgezählt wird, in sich. 438 Gorgo: Zu 2,616. 454 der Lemnier: Vulkan. Auf der Insel Lemnos in der Ägäis befand sich seine Kultstätte. 459 tegeäisch: Arkadisch (nach der Stadt Tégea in Arkadien). 466 neben ihm: Neben Euander. 473 der tuskische Strom: Der aus dem tuskischen (etrurischen) Land kom­ mende Tiber. 479 ein lydisches Volk: Zu 2,781. 499 Mäonien: Lydien, hier gleichgesetzt mit Etrurien (zu 2,781 und 4,216). 506 Tarchon: Etruskischer Fürst. 510 sabellische Mutter: Sie ist Sabinerin, also aus einem Euanders Arka­ dern benachbarten Volk. 543 Lar: Schutzgottheit. 561 Praeneste: Stadt östlich von Rom, das heutige Palestrina. 563 Érulus. Tartarus: Zu 4,243. 589 Lúzifer: Der Morgenstern. 597 Caere: Stadt im südlichen Etrurien, heute Cerveteri; der Fluss heißt heute Vaccino. 600 Pelasger: Griechen (zu 1,624). 615 Kytherea: Zu 1,257.



ERLÄUTERUNGEN

715

628 des Feuers Herr: Vulkan. 631 die Zwillingsknaben: Romulus und Remus (zu 1,274 und 275). 635 die Sabinerfraun: Sie werden unter der Herrschaft des Romulus bei einem Fest, zu dem ihr Volk eingeladen ist, von den Römern, die kei­ ne Frauen haben, entführt. Darauf beginnt der Sabinerkönig Tatius Krieg gegen Romulus. Cures, eine Stadt im Sabinerland, steht hier für dieses. 642 Mettus: Mettus Fufetius, Diktator von Alba Longa (zu 1,7) und Bun­ desgenosse des römischen Königs Tullus Hostilius (zu 6,808). Weil er sich diesem gegenüber im Krieg gegen Veji als Verräter verhält, wird er auf Befehl des Königs von zwei Vierspännern in Stücke gerissen. 646 Tarquinius: Tarquinius Superbus, der letzte König Roms, der nach seiner Vertreibung zu dem Etruskerkönig Porsenna flieht. Während dieser Krieg gegen den Stadtstaat führt, geschehen die Heldentaten des Horatius Cocles – er verteidigt allein eine Brücke, bis sie hinter ihm abgebrochen ist – und der Cloelia – sie rettet sich zusammen mit anderen jungen Römern und Römerinnen durch Schwimmen aus der Geiselhaft bei Porsenna –, die in V. 649–651 rekapituliert werden. 648 die Aeneaden: Hier die Römer. 652 Manlius: Manlius Torquatus. Er wehrt, von Gänsen geweckt (V. 655; offenbar stand auf dem Kapitol das Denkmal einer Gans), die Gallier ab, die die Burg der Tarpeja (das Kapitol; zu 8,347) zu erobern versu­ chen. 654 Haus des Königs: Die bescheidene Hütte des Romulus mit einem Strohdach stand auf dem Palatin (zu 9,9), es gab aber offensichtlich ein Imitat auf dem Kapitol. 656 Portikus: Säulenhalle. 663 Salier: Ein Priesterkollegium des Mars. Sie tragen die in V. 664 ge­ nannte Kopfbedeckung und die angeblich vom Himmel gefallenen Schilde. Luperker: Zu 8,343. 666 die Mütter: Die freien Römerinnen durften auf Wagen durch die Stadt fahren; hier ist an eines der Feste gedacht, an dem sie rituell teilnahmen. 667 Dis: Pluto (zu 4,702). 668 Catilina: Zu 5,117. 669 Furien: Rachegöttinnen. 670 Cato: Marcus Porcius Cato der Jüngere, ein dezidierter Republikaner, der sich 46 v. Chr. in Utica (Nordafrika) das Leben nahm, um nicht

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ERLÄUTERUNGEN in die Hände Caesars zu fallen. Der Erzähler denkt sich ihn im Ely­ sium (zu 6,542). die Schlacht bei Aktium: Zu 3,280. Leukates: Zu 3,274. Väter: Der römische Senat. des Vaters Gestirn: Caesar, der (Adoptiv-)Vater des Oktavian-Augus­ tus, soll nach seiner Ermordung (15. März 44 v. Chr.) als Gestirn an den Himmel versetzt worden sein. Agrippa: Marcus Vipsanius Agrippa, bedeutender Feldherr unter Ok­ tavian und später sein Schwiegersohn. Für seinen Sieg über Sextus Pompejus in der Schlacht bei Naulochus 36 v. Chr. erhielt er als Aus­ zeichnung die Schiffskrone. Schnäbel: Schiffsschnäbel (Rammsporne). Antonius: Marcus Antonius, dessen Einflussbereich die Osthälfte des römischen Reiches war, der aber hier als Befehlshaber von Orientalen negativ erscheint. Baktra: Hauptstadt von Baktrien im Osten des Partherreiches (zu 7,606). seine ägyptische Gattin: Kleopatra. Kykladen: Inselgruppe in der Ägäis. Sistrum: Klapper, die zu den Geräten des ägyptischen Isis-Kults ge­ hörte. das Schlangenpaar: Mit einem solchen soll Kleopatra sich im August 30 v. Chr. nach Oktavians Einmarsch in Alexandria das Leben ge­ nommen haben. Anubis: Mit Hundekopf dargestellter Totengott der Ägypter. in Eisen getrieben: Der Schild als solcher kommt wieder in den Blick. Dirae: Rachegöttinnen wie die Furien; vgl. 12,845 ff. Bellona: Die Kriegsgöttin. Sabäer: Bewohner von Saba in Arabien. Dreifachtriumph: Am 13.–15. August 29 v. Chr. feierte Oktavian seine Triumphe über die Illyrier sowie über die Ägypter bei Aktium und in Alexandria. Er selbst: Augustus. Schwelle des strahlenden Phoebus: Gemeint ist der von Augustus 28 v. Chr. geweihte Apollotempel auf dem Palatin (zu 9,9). Múlciber: Vulkan. Léleger: Pelasgischer (zu 1,624) Volksstamm in Kleinasien. Karer: Bewohner der kleinasiatischen Landschaft Karien.



ERLÄUTERUNGEN

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Gelonen: Skythischer Volksstamm auf dem nördlichen Balkan. 727 Móriner: Stamm an der Nordküste Belgiens. 728 Daher: Skythenstamm östlich des Schwarzen Meers. Araxes: Fluss in Armenien.

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Saturnia: Juno ist die Tochter des Kronos/Saturnus. Iris: Die Götterbotin. Palatium: Der Palatin(us), einer der sieben Hügel Roms. zu des Kórythus fernsten Städten: Zu 3,170. Hier ist der gleichnamige Stadtgründer gemeint; Iris spricht also von den Städten Etruriens. Lyder: Etrusker (zu 2,781). Teukrer: Trojaner (zu 1,38). Rútuler: Turnus nach dem italischen Volksstamm, dessen König er ist. Vulkan: Hier metonymisch mit dem Feuer gleichgesetzt. Phrygiens Ida: Das trojanische Idagebirge (zu 1,182). Berekyntia: Zu 6,784. dem jungen Dárdaner: Dem Trojaner (zu 1,232) Aeneas. die Fata: Zu 1,2. Ausonien: Italien (zu 3,171). Laurentum: Latium (zu 5,797). Galatea und Doto: Meernymphen (zu 1,71). Styx: Fluss, bei dem die Götter schwören, im Unterweltsreich von Juppiters Bruder Pluto. sein Nicken: Es hat Befehlskraft. Parzen: Zu 1,22. die Atriden: Agamemnon, Herrscher von Mykene, und sein Bruder Menelaus, Söhne des Atreus. Turnus spielt mit dem Schmerz auf die Entführung der Helena an (zu 1,27). Genügt hätt es …: Gemeint ist vermutlich: Durch den Raub der He­ lena und die Folgen hätten die Trojaner sich davon abschrecken las­ sen sollen, wieder etwas mit Frauen anzufangen, noch dazu auf einen neuen Raub, den der Lavinia, auszugehen. des Vulkanus Waffen: Vgl. 8,370 ff. und 608 ff. feigen Raub: Anspielung auf den Raub des Palladiums (zu 2,166).

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ERLÄUTERUNGEN

154 Dánaër … Pelasger: Beides andere Namen für die Griechen (zu 1,30 und 624). 177 Hýrtakus … Eurýalus. 196 Pallanteum: Stadt Euanders, wo Aeneas ihn besucht. 202 Argos: Griechenland (zu 1,24). 208 dann: Gemeint ist: »Falls ich an dir zweifle …« 218 Akestes: Zu 5,30. Bei ihm hat sich ein Teil der Aeneaden angesiedelt (vgl. 5,704 ff.). 223 den Prinzen: Askanius. 232 Ïulus: Anderer Name des Aeneas-Sohns Askanius. 259 Assárakus: Der Ur-Urgroßvater des Askanius. Sein Lar ist sein Schutzgott. Vesta: Göttin des staatlichen Herdfeuers. 264 Arisba: Stadt in der Nähe von Troja. 266 sidonisch: Phönizisch/karthagisch (zu 1,446). 272 Frauen: Es sind natürlich Sklavinnen gemeint. 285 Ilium: Anderer Name für Troja. 297 Krëusa: Askanius’ Mutter. 334 Lámyrus. 336 vom starken Gott: Bacchus ist gemeint oder Somnus, der Schlafgott. 344 Ábaris. 360 Rémulus … Caédicus (Tibur ist das heutige Tivoli). 387 Alba: Alba Longa (zu 1,7). 403 Luna: Die Mondgöttin, im Folgenden mit Artemis/Diana gleichge­ setzt (zu 1,502). 448 Aeneaden: Römer. kapitolinischer Fels: Das Kapitol, einer der sieben Hügel Roms. 449 der römische Vater: Wer gemeint ist, lässt sich nicht zweifelsfrei ent­ scheiden – vermutlich ganz einfach der römische Familienvater (pater familias) als Symbolfigur des über das Weltreich herrschenden Rom. 457 Spolien: Dem Feind abgenommene Rüstung und Waffen. 460 Aurora: Die Morgenröte. Tithonus: Der Ehemann der Aurora. 469 Fluss: Der Tiber. 473 Fama: Das personifizierte Gerücht (vgl. 4,173 ff.). 496 Tartarus: Zu 4,243. 501 Ilíoneus. 505 Volsker: Altitalischer Volksstamm.



ERLÄUTERUNGEN

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525 Euch: Die neun Musen. Kallíope ist für die Dichtkunst, besonders das Epos, zuständig. 532 Ítaler. 546 Lydien: Landschaft an der Westküste Kleinasiens. 564 Juppiters Knappe: Der Adler, der die Blitze trägt. 566 der Wolf des Mars: Der Wolf ist dem Kriegsgott heilig. 571 Emáthion … Prómolus … Ságaris. 584 Symaethus: Fluss an der Ostküste Siziliens. 585 Palikus: Sizilischer Gott mit einem Tempel bei Palike, südwestlich von Catania. 602 Ulixes: Odysseus (zu 2,7). 614 Ihr mögt Kleider …: Zu 4,215. 618 Díndymus: Berg in Phrygien (Nordwestkleinasien; zu 1,182), der Großen Mutter Kýbele heilig. Die genannten Musikinstrumente spielte man bei den Ritualen ihrer Anhänger, die sich selbst kastriert hatten und entsprechend effeminiert waren. 655 mit den nämlichen Waffen: Pfeil und Bogen sind auch die Waffen des Gottes. 672 Pándarus … Bítias … Aquículus … Antíphates … Érymas. 705 Phalárica: Ein besonders großer italisch-römischer Speer. 710 euböisch: Das Luxusbad Baiae am Golf von Neapel wird so bezeich­ net, weil das in der Nähe gelegene Kumae von Euböa aus gegründet wurde (zu 6,2). 715 Próchyta: Insel bei Baiae (heute Procida). 716 Inárime: Heute die Insel Ischia im Golf von Neapel. Typhoeus: Zu 1,665. 720 sie: Die Latiner. 738 Árdea. 762 Pháleris … Hálius … Prýtanis … Ámykus … Aéolus. 777 Waffen, vom Mann …: Vermutlich Anspielung auf Arma virumque, den Anfang der Aeneis, selbst wenn virum auch als archaischer Geni­ tiv Plural aufgefasst werden kann.

Buch 10 4 8

Latium: Die Landschaft, in der Rom liegt. Teukrer: Trojaner (zu 1,38).

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34 35 36 37 38 41 51 54 55 58 60 62 68 70 71 74 76 81 83 89

ERLÄUTERUNGEN Karthago: Jupiter sagt implizit die drei Punischen Kriege voraus (264–241, 218–201 und 149–146 v. Chr.). Rútuler: Italischer Volkstamm, deren König Turnus ist. Arpi: Stadt in Apulien, wo Diomedes, Tydeus’ Sohn, der von ätolischen Vorfahren abstammt, sich niedergelassen hat. Da eine latinische Ge­ sandtschaft ihn als Bündnispartner zu gewinnen versucht (vgl. 8,9 ff.) – erst in 11,225 ff. erfahren wir, dass der Held ablehnt –, fürchtet Aph­ rodite/Venus, ihr drohe wie einst vor Troja von ihm eine Verwundung (vgl. Homer, Ilias 5,311 ff.), wenn sie ihn aufzuhalten versuche. Manen: Seelen der Verstorbenen. Fata: Zu 1,2. Brand der Flotte: Vgl. 5,604 ff. König der Stürme: Aéolus; vgl. 1,50 ff. Iris: Vgl. 9,1 ff. Allekto: Vgl. 7,323 ff. bacchantisch: Zu 3,125. Paphos …: Griechische Orte mit Aphrodite-/Venustempeln (zu 1,257, 415 und 693; Ámathus, heute Hama, liegt an der Südküste Zy­ perns). Ausonien: Italien (zu 3,171). Tyrierstädte: Das Reich Karthagos (zu 1,12). Pérgamum: Troja (zu 1,466). Símoïs, Xanthus: Flüsse in der Ebene von Troja. Ilium: Anderer Name für Troja. Kassandra: Zu 2,246. dem Knaben: Askanius, der während Aeneas’ Abwesenheit die Troer befehligt; vgl. Buch 9. Tyrrhener: Etrusker. Zu Aeneas’ Verbindung mit ihnen vgl. 8,554 ff. Ítaler. Pilumnus … Venilia: Beide sind italische Gottheiten, er im Bereich des Ackerbaus. Du kannst Griechenhänden …: In Homer, Ilias, Buch 5 ist es in Wirk­ lichkeit Apollo, der Aeneas aus dem Kampfgeschehen entrückt (V. 444 ff.). in ebenso viele Nymphen …: Kýbele verwandelt, nicht Venus; vgl. 9,107 ff. der, der …: Gemeint ist, trotz des Maskulinums – Juno verwendet es ähnlich vage wie Venus »jemand« (quisquam) in V. 34 –, Venus als diejenige, welche Paris zum Raub der Helena anstiftete (zu 1,27).

91

93 113 115 123 126 133 136 139 141 145 155 157 158 163 164 166 173 179 185 187

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ERLÄUTERUNGEN

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Asien: Troja (zu 2,193). Europa steht entsprechend für Griechenland. dass durch Raub man brach die Verträge: Gemeint sein muss der Bruch des Gastrechts in Lakedämon (Sparta) durch Paris, den Galan aus Troja (zu 1,27). Cupido: Der Liebesgott Amor. der stygische Bruder: Pluto (zu 9,104). Nicken: Es hat Befehlskraft. Ímbrasus … Assárakus … Lykien: Landschaft im Südwesten Kleinasiens. der Dárdanerknabe: Askanius (zu 1,232). Órikum: Stadt in Epirus, einer Landschaft an der Westküste Grie­ chenlands. Ísmarus. mäonisch: Lydisch (zu 2,781 und 4,216). Der Fluss Paktolus (V. 142) soll Gold mit sich geführt haben. die Stadt in Kampanien: In römischer Zeit und heute noch Capua. das Lydervolk: Die Etrusker (zu 2,781). phrygisch: Trojanisch (zu 1,182). Ida: Gebirge in der Nähe von Troja. Hélikon: Der Berg der Musen, die hier angesprochen sind, in Böoti­ en. tuskisch: Etruskisch. Mássicus. »Tigris«: »Tigerin«. Ilva: Heute Elba. Pisae: Das heutige Pisa, von Siedlern aus Pisa in Elis am Alphëus (zu 3,694) gegründet. Lígurer … Cúnerus. Amor, Anklage gegen euch: Der Liebesgott und seine Mutter Venus – euch dürfte sich außer auf Amor auf sie beziehen – haben die Liebe des Kyknus, des Vaters Cupavos (zu 10,189), und die Metamorphose bewirkt. Phaëthon: Der Sohn des Sonnengottes, der, als er einmal das Gespann des Vaters lenken darf, der Erde zu nahe kommt, einen Weltenbrand entfacht und deshalb von Zeus/Juppiter mit dem Blitz getötet wird. Seine trauernden Schwestern, die Heliaden, werden in Pappeln ver­ wandelt, der ihn liebende Knabe Kyknus in einen Schwan. er: Der am Bug abgebildete Kentaur (zu 5,116). der tuskische Strom: Der Tiber.

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ERLÄUTERUNGEN

200 Mantua: Vergils Geburtsstadt. 204 rüstet … gegen sich: Der Hass auf Mezentius treibt fünfhundert Kämpfer zur Teilnahme am Krieg des Aeneas gegen Turnus. 205 Benacus: Lacus Benacus, der Gardasee, aus dem der Míncius (heute Mincio) an Mantua vorbei in den Po fließt. 209 »Triton«: Meergott, der am Bug des Schiffes abgebildet ist. 216 Phoebe: Artemis/Diana, hier als die Mondgöttin Luna. 220 Nymphen: Vgl. 9,107 ff. Kybebe: Kýbele (zu 2,788 und 6,784). 243 der Feuergewaltige: Vulkan; vgl. 8,608 ff. 252 Díndyma: Zu 9,618. 265 strymonisch: Der Strymon ist ein Fluss in Thrakien (heute Struma). 270 seinem: Dem des Aeneas. 273 Sirius: Das Gestirn der »Hundstage « im Juli/August, der »Hunds­ stern«. 310 Bauern: Vgl. 7,519 ff., wo die ländliche Herkunft der kämpfenden Latiner mehrfach angesprochen wird. 311 ein gutes Omen: Für die hiermit beginnende Schlacht, die ja dann für Aeneas gut ausgeht. 321 Alkide: Herkules (zu 5,414). 335 ilisch: Trojanisch (zu 1,68). 342 Númitor. 350 Bóreas: Der als Gott personifizierte Nordwind. 351 Ísmara: Thrakien (nach dem dortigen Ismaragebirge). 353 Aurunker: Altes Latinervolk. 355 Ausoniens Schwelle: Die Kämpfe finden in der Küstenlandschaft statt, von der aus man nach Rom kommt (zu 3,171). 364 Árkader. 389 Anchémolus … Demódokus. 419 Parzen: Zu 1,22. 421 Thybris: Tiber (zu 2,781). 439 Schwester: Juturna (vgl. 12,134 ff.). 466 der Vater: Juppiter, der Herkules mit Alkmene zeugt. 497 Verbrechen: Die Ermordung der Söhne des Aegyptus durch die Töch­ ter des Dánaus in der Hochzeitsnacht, bei der nur einer der fünfzig Männer von seiner Braut verschont bleibt. 499 Eúrytus. 524 Ïulus: Anderer Name des Aeneas-Sohns Askanius. 526 Talente: Zu 5,248.



ERLÄUTERUNGEN

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537 Haemónides. Trivia: Artemis/Diana (zu 4,511). 544 Caéculus … Tárquitus … Drýope … Lúcagus 581 Diomedes … Achilles: Ihnen gelingt es vor Troja nicht, Aeneas zu tö­ ten (zu 1,97). 609 Männer haben … standhält: Juppiter spricht offensichtlich ironisch. 635 Laurentum: Zu 5,797. 659 Saturnia: Juno ist die Tochter des Kronos/Saturnus. 697 Látagus … Ámykus. 702 Paris: Zu 1,27, 6,57 und 7,320. 705 des Kisseus Tochter: Hékuba (zu 7,320). 708 Vésulus: Heute Monte Viso in den Alpen (3840 m). 719 Kórythus: Zu 3,170. 721 er: Mezentius. 747 Caédicus … Alkáthous … Válerus. 755 Mavors: Mars (zu 1,276). 761 Tisíphone: Eine der drei Furien (Rachegöttinnen). 763 Orion: Zu 3,517. 764 Nereus’ Reich: Das Meer. 774 weih ich dich …: Mezentius will die von Aeneas erbeutete Rüstung nicht einem Gott weihen, sondern seinem Sohn Lausus geben, der, damit geschmückt, ein »lebendes Siegesmal« sein soll. 779 Argos: Zu 1,24.

Buch 11 1 15 16 23 31 35 41 58

Aurora: Die Göttin der Morgenröte. Spolien: Dem Feind abgenommene Rüstung und Waffen. wie ich ihn schuf: Er meint: »Durch mein Heldentum habe ich Me­ zentius zu einem Grabmal gemacht.« Das ist eine im Epos traditio­ nelle Bekundung der eigenen Leistung. Ácheron: Fluss in der Unterwelt, der hier für die ganze Unterwelt steht. Parrhasier: Árkader (zu 8,344). Ilium: Anderer Name für Troja. ausonisch: Italisch (zu 3,171). Ïulus: Anderer Name des Aeneas-Sohns Askanius.

724 74 78 88 92 93 97 110 139 141 145 167 173 176 181 195 197 226 239 242 243 247 248 252 257 259 262 263 264

ERLÄUTERUNGEN sidonisch: Phönizisch/karthagisch (zu 1,446). Laurenter: Latiner (zu 5,797). Rútuler: Italischer Volkstamm, deren König Turnus ist. Teukrer: Trojaner (zu 1,38). Tyrrhener: Etrusker. Árkader. Fatum: Zu 1,2. Mavors: Mars (zu 1,276). Fama: Das personifizierte Gerücht (vgl. 4,173 ff.). Latium: Die Landschaft, in der Rom liegt. Phryger: Trojaner (zu 1,182). Volsker: Altitalischer Volksstamm. als riesiger Baum in Waffen: Wie der bestattete Mezentius in 11,5 ff., d.h. Turnus wäre tot, wenn Pallas älter und kräftiger gewesen wäre. eurem König: Aeneas, dem nun der Auftrag zur Rache an Turnus er­ teilt wird. Manen: Seelen der Verstorbenen. glühende Räder: Das feste Beiwort – natürlich »glühen« sie nur im Lauf – passt immerhin zur Situation. dem Tode: Er ist hier personifiziert. Diomedes’ mächtige Stadt: Arpi (zu 10,28). Ätoler: Bewohner einer Landschaft in Mittelgriechenland, die Arpi (zu 11,226) unter der Führung des Diomedes gründeten. Vénulus. argivisch: Griechisch (zu 1,40). Garganus: Gebirge in Apulien (heute Monte di S. Angelo). Die Ïápyger sind ein dort wohnender Volksstamm. Argýripa: Arpi (zu 10,28). Darin steckt »Argos« (zu 1,24), das Land der Väter des Diomedes. saturnische Reiche: Länder Italiens (zu 6,794). Símoïs: Fluss in der Ebene von Troja. das wissen …: Minerva bestraft den Lokrer Ajax mitsamt seinem Volk (zu 1,40), indem sie seine Schiffe am euböischen Kap Kaphereus zer­ schellen lässt. Die Überlebenden siedeln in Nordafrika. Proteus’ Säulen: Die Insel Pharos vor der Küste Alexandrias, wo Menelaus den weissagenden Meergott Proteus nach dem Aufent­ haltsort des Odysseus/Ulixes befragt. die Kyklopen des Aetna: Vgl. 3,588 ff. und 8,416 ff. Neoptólemus’ Reich: Zu 3,333.



ERLÄUTERUNGEN

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Penaten: Hier die Schutzgötter des Idomeneus, die für seine Familie stehen. 265 Idómeneus: Auf der Rückkehr nach Kreta in einen Sturm geraten, kann er diesen nur durch das Gelübde stillen, er werde töten, was er bei der Landung zuerst sieht; es ist sein Sohn. Eine Pest vertreibt ihn dann aus Kreta. Vgl. 3,122 ff. Lokrer: Zu 11,259. 266 der mykenische Führer: Agamemnon. Er wird von seiner Frau Klytä­ mnestra und ihrem Geliebtem Ägisthus ermordet. Achiver: Griechen (zu 1,242). 268 Asien: Troja (zu 2,193). 270 Kálydon: Hauptstadt Ätoliens, aus der die Familie des Diomedes kommt. 277 die Rechte der Venus …: Zu 10,28. Die Strafe für die Verletzung der Aphrodite/Venus durch Diomedes ist die spätere Verwandlung sei­ ner Gefährten in Vögel. 280 Pérgamum: Troja (zu 1,466). 288 Wir standen Speer gegen Speer …: Zu 1,97 und 4,228. 285 das Land am Ida: Troja am Idagebirge. 286 Ínachus’ Städte: Argos’ (Griechenlands) Städte (zu 1,24). 316 der tuskische Strom: Der Tiber. 317 Sikanien: Sizilien (zu 3,692). 333 Talente: Zu 5,248. 334 Trábea: Mit breitem Purpurstreifen verzierte Toga. 346 er: Turnus. 393 ilisch: Trojanisch (zu 1,68). Thybris: Der Tiber (zu 2,781). 396 Bítias und Pándarus: Vgl. 9,672 ff. 400 Dárdaner: Trojaner (zu 1,232). 402 zweimal besiegt: Zu 2,643. 403 Jetzt zittern …: Gemeint ist: »Wenn zutrifft, was du sagst, Dran­ kes, ist auch anderes, was undenkbare wäre, real: dass die Myrmidonen(Griechen)fürsten die Trojaner fürchten und der Aúfidus (Apuliens Hauptfluss, der in die Adria mündet) zur Quelle zurück­ fließt.« 406 er: Drankes, der laut Turnus durch den »Trick eines Gauners« Panik bei den Latinern auslöst. 418 nun einmal: Im Sinne von »ein für allemal, so dass es nicht mehr zu ändern ist.«

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ERLÄUTERUNGEN

436 Viktoria: Die Siegesgöttin. 440 jener …: Aeneas; zu seinen Waffen vgl. 8,608 ff. 457 Padusa: Eine der sieben Mündungen des Po. 463 Manipel: Heeresabteilung. 478 die Königin: Amata. 483 Tritonia: Wie Pallas Beiname der Athene/Minerva. 534 die Tochter Latonas: Artemis/Diana. 540 Privernum: Stadt im Gebiet der Volsker. Métabus. 547 Amasenus: Nebenfluss des Ufens in Latium. 566 Trivia: Artemis/Diana (zu 4,511). 580 strymonisch: Thrakisch (zu 10,265). 592 Ítaler. 636 Orsílochus … Rémulus. 648 Amazone: Einer solchen gleicht sie (zu 1,490). 659 Thermodon: Fluss im kleinasiatischen Kappadozien. 661 Hippólyte: Eine Amazonenkönigin wie Penthesilea (zu 1,490). 670 Págasus … Híppotes … Harpálykus … Demóphoon … Órnytus. 678 ïapygisch: Apulisch (zu 11,247). 701 Lígurer: Bewohner des nördlichen Appenninus (Appennin), die als hinterlistig galten; dieser ist nicht der Geringste in der »Kunst« seines Volkes, aber das Fatum gestattet ihm nun keinen Trug mehr. 721 der heilige Vogel: Laut dem antiken Kommentar des Servius (4. Jh. n.Chr.) zu diesem Vers war der Habicht dem Mars heilig und man habe hiérax, das griech. Wort für den Vogel, mit griech. hierós (»hei­ lig«) in Verbindung gebracht. 742 Vénulus. 747 Waffen und Mann: Wieder eine Anspielung auf den Anfang des Epos (zu 9,777). 759 Mäonier: Etrusker (zu 2,781). 768 Kýbelus: Berg in Nordwestkleinasien, auf dem die Große Mutter Ký­ bele verehrt wurde. Er steht hier für die Göttin. 773 gortynisch: Kretisch. lykisch: Zu Lykien, einer Landschaft im Südwesten Kleinasiens. 785 Sorakte: Berg mit Apollotempel 40 km nördlich von Rom. 913 iberisch: Spanisch, d.h. westlich.



ERLÄUTERUNGEN

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Buch 12 14 Tartarus: Zu 4,243. 15 Asien: Troja (zu 2,193). 24 Latium: Die Landschaft, in der Rom liegt. Laurentum: Zu 5,797. 35 Thybris: Der Tiber (zu 2,781). 38 ein Bündnis: Mit den Trojanern. 40 Rútuler: Italischer Volksstamm, deren König Turnus ist. 44 Árdea: Die Hauptstadt der Rutuler. 52 mit weiblicher Wolke schirmen …: Zu 10,81. 54 die neue Kampfart: Gemeint ist offensichtlich der geplante Zwei­ kampf Aeneas/Turnus anstelle der kriegerischen Auseinanderset­ zung. 60 Teukrer: Trojaner (zu 1,38). 75 Phryger: Trojaner (zu 1,182). 77 Aurora: Die Göttin der Morgenröte. 83 Pilumnus: Göttlicher Vorfahre des Turnus. Orithyia: Tochter des athenischen Königs Erechtheus und Frau des Nordwindes Bóreas. 90 der Feuergott: Vulkan. 91 stygisches Wasser: Der Styx, ein Fluss der Unterwelt. Glühender Stahl wird durch Eintauchen in Wasser gehärtet. 95 mein Rufen: Gemeint ist, dass er die Lanze wie einen Gott anruft. 99 des weibischen Phrygers Leib …: Zu 4,215; gemeint ist Aeneas. 110 Ïulus: Anderer Name des Aeneas-Sohns Askanius. 111 die Fata: Zu 1,2. 121 Ausonier: Bewohner Italiens (zu 3,171). 123 Tyrrhener: Etrusker. 127 Assárakus. 134 Albanus: Heute Monte Cavo. 142 Nymphe: Weiblicher Naturgeist, göttergleich und langlebig, aber sterblich. 147 Parzen: Zu 1,22. 156 Saturnia: Juno ist die Tochter des Kronos/Saturnus. 176 Sol: Der Sonnengott. 179 Mavors: Mars (zu 1,276). 184 Stadt des Euander: Pallantium; vgl. 8,97 ff. 189 Ítaler.

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ERLÄUTERUNGEN

198 Zwillinge Letos: Apoll und Artemis/Diana. 224 und in die Mitte des Heers: Wegen der langen Parenthese setzt der Er­ zähler in V. 227 erneut an; vielleicht wollte Vergil das noch verbessern (s. Einleitung S. 12). 231 Árkader. 232 das vom Fatum protegierte Etrurien: Das ist sehr wahrscheinlich iro­ nisch gemeint. 234 er: Turnus. 247 Vogel Juppiters: Der Adler. 257 Augurium: Göttliche Prophezeiung durch fliegende Vögel. Der Augur deutet sie. 260 Ich nehm an … die Götter: Gemeint: Er nimmt offiziell das göttliche Vorzeichen an, was zum Ritus gehört. 281 Agylliner: Etrusker (nach der etruskischen Stadt Agyllina, später Cae­ re). 299 Ébysus. 331 Hebrus: Hauptfluss in Thrakien, heute die Mariza. 341 Sthénelus … Thámyrus … Ímbrasus. 344 Lykien: Landschaft im Südwesten Kleinasiens. 347 Dolon: Seine hier kurz zusammengefasste Geschichte wird ausführ­ lich in Buch 10 von Homers Ilias, der »Dolonie«, erzählt. 350 Peleus-Sohn: Achill. 351 Sohn des Tydeus: Diomedes. 353 ihn: Eumedes. 360 Hesperien: Italien (zu 1,530). 363 Sýbaris … Thersílochus. 365 der edonische Boreas: Der von Thrakien (die Edoner waren ein thraki­ scher Volksstamm) her wehende, als Gott personifizierte Nordwind. 401 päonisch: Päon ist bei Homer der Arzt der Götter. 412 Diktamnum: Heilmittel, das zur Austreibung von Fremdkörpern ver­ wendet wurde. 419 Ambrosia: Speise der Götter. Panazee: Allheilmittel. 450 jener: Aeneas. 456 rhötëisch: Trojanisch (zu 3,108). 459 Épulo. 476 Portikus: Säulenhalle. 497 Mavors: Mars (zu 1,276). 509 Ámykus.



ERLÄUTERUNGEN

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513 Der: Aeneas. Tánaïs … Peridía. 516 dieser: Turnus. 518 Lerna: See in der Argolis (zu 1,24 und 6,287). 529 Dieser: Aeneas. 535 Jener: Turnus. 542 Aéolus. 546 Ida: Gebirge in der Nähe von Troja. 547 Lyrnessus: Stadt in Mysien im nordwestlichen Kleinasien. 549 Dárdaner: Trojaner (zu 1,232). 551 tuskisch: Etruskisch. 579 Er selbst: Aeneas. 644 Drankes’ Wort: Vgl. 11,336 ff. 646 Manen: Seelen der Verstorbenen. 648 Als eine reine …: Der lateinische Vers scheint metrisch nicht korrekt zu sein, aber es ist denkbar, dass entweder die letzte Silbe von anima lang und dann Hiat zu lesen ist oder istius hier aus drei langen Silben besteht; vgl. Tarrants Kommentar zur Stelle. 701 Eryx: Zu 5,24. 715 Sila: Bergwald in der süditalischen Landschaft Bruttium. Taburnus: Bergkette im mittelitalischen Samnium. 733 Eurus: Ostwind. 739 Waffen des Gottes Vulkan: Die für Aeneas von ihm angefertigten Waf­ fen; vgl. 8,608 ff. 753 Umber: Jagdhund aus Umbrien, einer Landschaft in Mittelitalien. 766 Faunus: Ländlicher Gott. 795 ihn hebt zu den Sternen …: Gemeint ist die Apotheose (Vergöttli­ chung) des Aeneas nach seinem Tode (zu 1,259). 797 einen Gott: Aeneas; vgl. 12,318 ff. In rhetorischer Übertreibung zählt Juppiter den Helden jetzt schon zu den Unsterblichen. 802 aus süßem Munde: Aus dem der Juno. 805 ein Haus: Er meint den Palast des Latinus. 815 dass sie den Pfeil …: Um sich selbst wirkungsvoll zu entlasten, unter­ stellt Juno Juturna, diese habe Aeneas verletzt (vgl. 12,318ff). 816 Bei dem …: Zu 9,104. 818 voll Hass: Dieser richtet sich freilich nur auf die Trojaner, wenn sie gewinnen. 826 Albaner: Könige von Alba Longa (zu 1,7). 846 Megaera: Rachegöttin.

730 857 858 861 862

ERLÄUTERUNGEN

Parther: Zu 7,606. Kydonier: Kreter. Ilium: Anderer Name für Troja. Vogel: Vermutlich meint der Erzähler den Uhu, von dem er in 4,462 f. spricht. 942 das fatale Wehrgehenk …: Vgl. 10,496 ff.

Markus Schauer A e n e a s u n d Au g u s t u s 1 Vergil hat Geschehen und Schauplatz des Haupthandlungs­ strangs seines Epos – auf den ersten Blick – denkbar weit vom zeitgenössischen Rom abgerückt. Die Aeneis spielt in der halbmythischen Prähistorie, als es Rom und die Römer noch lange nicht gab. Aeneas, der Stammvater der Römer, irrt als Besiegter durch eine Welt, die ihm noch fremd, die den siegreichen Römern der Zeit Vergils aber als das imperium populi Romani (Römisches Reich) wohlbekannt ist. Ste­ hen patria (Vaterland) und res publica (Staat) im Zentrum des römischen Lebens, so befinden sich Aeneas, der König ohne Königreich, und seine Leute gewissermaßen noch in einem heimatlosen und staatenlosen Zustand. Aus der Sicht der Zeitgenossen Vergils erscheint die Welt der Aeneis als eine ferne Vorzeit, in der alles noch nicht so existierte, wie sie es kennen. Und doch liegt in diesem ›Noch nicht‹ der entscheiden­ de Bezug zum Rom der Gegenwart. Es geht eben – auf den zweiten Blick – nicht um irgendeine zeitlose Märchenwelt, sondern um die – wenn auch weit zurückliegende – Vorge­ schichte Roms. Nach dem vorherrschenden Geschichtsbild, das aus der Aeneis spricht, hat die ferne, mitunter so fremd­ artig wirkende Vergangenheit mit dem gegenwärtigen Rom viel zu tun. In ihr liegen die alles entscheidenden Anfänge der späteren Weltmacht. Denn diese Anfänge sind nicht 1 Dieser Essay präsentiert die Ergebnisse, die ich in meinem Buch Ae­ neas dux in Vergils Aeneis. Eine literarische Fiktion in augusteischer Zeit. München 2007 in ausführlicher Form niedergelegt habe. In ihm findet sich auch die weitere einschlägige Literatur.

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Markus Schauer

bloß Punkte auf einer Zeitachse, sondern die maßgeblichen Weichenstellungen einer als vorherbestimmt gedachten Geschichte. Was Rom darstellt, liegt in tiefer Vergangenheit begründet, in der Roms Größe bereits festgelegt worden ist. Die Distanz, so groß sie erscheinen mag, wird durch eine aitiologische und teleologische Geschichtsdeutung über­ brückt. So ist das Verhältnis der Aeneis zum Zeitgeschehen ein zweifaches: Distanz und Deutung. Die Kunst Vergils, in der Darstellung manches zu über­ gehen, um Wesentliches zur Wirkung zu bringen, durch Unausgesprochenes Atmosphäre zu erzeugen, in Lücken und Sprüngen dem Rezipienten Raum für eigene Vorstel­ lungen zu lassen, macht die Aeneis zu einem Epos von gro­ ßer Vielschichtigkeit und reicher Deutungsfülle. Die Wahl eines weit zurückliegenden Stoffes, die Auswahl eines be­ stimmten Zeitabschnittes der Aeneassage, nämlich der Jah­ re zwischen der Zerstörung Trojas und der Gründung von Lavinium, und schließlich auch die skizzen- und lücken­ hafte Präsentation der Gesellschafts- und Führungsstruktu­ ren sind Faktoren, die Vergils Absicht erkennen lassen, sein Epos weit vom zeitgenössischen Geschehen abzurücken, um zu kurz greifenden Aktualisierungen vorzubeugen. Die Aeneis erschafft eine eigene Welt, die in der Vorver­ gangenheit Roms spielt: eine epische Welt, die weder von der römischen res publica (Staat) noch von deren Unter­ gang weiß, voll von Göttern und Königen. In dieser Welt haben die Trojaner selbst nach dem Untergang Trojas zu­ nächst keinen festen Platz; sie sind zwischen Orient und Okzident unterwegs, ein Volk auf der Flucht, dessen Halt und Hoffnung Aeneas ist. Als Nicht-mehr-Trojaner und Noch-nicht-Latiner sehen sie in dieser Übergangszeit allein in Aeneas die Fortdauer ihrer Identität als Volk verbürgt:



Aeneas und Augustus

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Sie sind Aeneaden (Aeneadae, Aeneas-Söhne). Doch diesen wie auch die anderen Namen, die sie nach verschiedenen trojanischen Königen tragen (z. B. Dardanidae – Söhne des Dardanus, Troes – Volk des Tros, Laomedontia pubes – die ›Kinder‹ des Laomedon), werden sie nach ihrer Sesshaftwer­ dung in Latium verlieren – so verlangt es die in der Aeneis verkündete Bestimmung; auch ihre Sprache und Kultur – mit Ausnahme ihrer Religion – werden sie aufgeben. Die genealogische Erinnerung an Troja wäre damit ausgelöscht, gäbe es nicht die Penaten, die Schutzgötter Trojas, deren Überführung nach Italien im Epos mehrfach als der eigent­ liche Auftrag des Aeneas bezeichnet wird und deren Kult die Erinnerung an ihren Retter und Überbringer Aeneas wachhalten sollte: In Lavinium, der Stadt, die Aeneas nach seiner Ankunft in Italien gegründet hatte, wurden sie noch zu Vergils Zeiten verehrt. Die Aeneis erzählt eine ereignisreiche Geschichte, den langen Weg der Trojaner durch Meere und Kriege – doch staatsgeschichtlich sind diese sieben Jahre ein Stillstand, eine Auszeit, eine epoché im eigentlichen Sinne: Wir werden nicht Zeugen einer Staatenbildung oder eines Wechsels der Herrschaft. Nur in wenigen Andeutungen beziehungsweise Vorausblicken ist der politisch-gesellschaftliche Alltag der Fürstentümer Troja beziehungsweise Lavinium zu erahnen. Dass der Fokus der Aeneis statt dessen auf den Ereignis­ sen zwischen Troja und Lavinium liegt, bedeutet, dass die Geschichte eines staatenlosen Volkes erzählt wird, eines Volkes, dessen innere Strukturen in einem Übergangszu­ stand und in einer völligen Neuordnung begriffen sind – was wiederum nicht heißt, dass diese Problematik in der Aeneis ausgeführt wird. Die institutionelle und dynastische Kontinuität ist bis auf wenige Relikte abgebrochen. Äm­ ter, Verwaltungsorgane, Hierarchien sowie Titel, Insignien,

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Markus Schauer

Amtstrachten und profane Zeremonien spielen keine Rolle mehr oder existieren nur in rudimentären Formen fort. Der alttrojanische Adel, der hin und wieder erwähnt wird, hat ebenso seine Bedeutung verloren, wie ehemalige Priester ihr Amt nicht mehr ausüben. Indem Vergil thematisch und erzähltechnisch ein solches Bild von der exiltrojanischen Gesellschaft zeichnet, schafft er nicht nur Distanz zum zeitgenössischen Rom, sondern auch Freiräume in mehrfacher Hinsicht: in der Gestaltung der fiktiven Machtstrukturen, der fiktiven Wertewelt und der fiktiven Kulturen, die in der Aeneis auftauchen. In dieser fiktiven Welt verschmelzen Elemente der epischen Gattungstradition, der zeitgenössischen Vorstellungswelt sowie der historischen und antiquarischen Forschung die­ ser Zeit über das frühe Rom beziehungsweise dessen Vor­ geschichte. Das ist der poetisch-politische Rahmen, in dem die Geschichte von Aeneas erzählt wird, dem trojanischen Prinzen, der sein Volk in eine ungewisse Zukunft, in eine neue Heimat brachte, dem Feldherrn, der seine Leute in den Kampf führte, dem Urvater der späteren Römer und Stammvater des Augustus. Vergil verherrlicht in seinem Epos also nicht in erster Linie Augustus, sondern eine Führungsfigur aus der vorrö­ mischen Prähistorie. Dieser Aeneas aber, der in der Aeneis als trojanischer rex (König) oder dux (Anführer) oder ductor (Anführer) erscheint, ist der Stammvater Caesars und da­ mit auch des Augustus, den Caesar adoptiert hatte. So ist Aeneas in gewisser Weise nicht nur Vorfahre des Augustus, sondern auch ein Vorläufer beziehungsweise ein Vorbild da­ für, wie sich Augustus in der neuartigen Herrscherrolle des Prinzeps inszeniert – zumindest musste Vergil davon aus­ gehen, dass seine Zeitgenossen solche Analogien herstellen würden.



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Doch stecken in der Figurenzeichnung des Aeneas wirk­ lich Vorstellungen davon, wie sich Vergil einen idealen Fürsten dachte? Was erwartete Vergil von Oktavian, der 27 v. Chr. den Namen Augustus erhielt, als Prinzeps? Diesen Fragen soll hier nachgegangen werden. Innerhalb der Kunstwelt der Aeneis hat Vergil genügend Gestaltungsspielraum, um Aeneas als einen dux (Anführer) von besonderer Art darzustellen. In der Gestaltung dieser Figur ist Vergil im Detail kaum institutionellen und tradi­ tionellen Sachzwängen unterworfen: Weder ist die gesell­ schaftliche Stellung des Aeneas in der fiktiven trojanischen Gesellschaftsordnung klar beschrieben noch seine formale Position im Machtapparat. In Vergils Darstellung vereinigt Aeneas in sich alles, was Führung ausmacht, sowohl im weltlichen wie im kultischen Bereich: Er ist König, Feld­ herr, Gesetzgeber, Priester und Seher in einem, ohne dass dies als Kumulation von Ämtern beschrieben würde. Man könnte auch umgekehrt sagen, dass Aeneas keine dieser Funktionen ganz erfüllt: Als Feldherr will er eigentlich kei­ nen Krieg, als König kein Königreich, das ihm nach seinem siegreichen Duell mit Turnus zustünde (12,190), als Krieger hat er Mitleid mit dem Feind (10,821 ff.). Und Gesetzgeber (3,137), Priester und Seher ist er nicht qua Amt, sondern indem er faktisch deren Aufgaben übernimmt.2 Eine Aris­ tokratie, also eine Elite mächtiger Familien unterhalb des 2 Vgl. zu Aeneas, der nur zögerlich und aus Gehorsam gegenüber den Göttern gegen die Italiker in den Krieg zieht, G. Thome, Zentrale Wertvorstellungen der Römer. Texte – Bilder – Interpretationen, 2 Bde. Bamberg 2000, 1,100–102 und dies., Tanton placuit concurrere motu, Iuppiter, aeterna gentis in pace futuras? – Der Krieg in Vergils Aeneis. In: Acta Classica 36, 1993, 65–81. Vgl. zu den verschiedenen Funktionen und Aufgaben Schauer (Anm. 1), 196–228.

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Herrscherhauses, ist kaum vorhanden, womit Stütze wie Konkurrenz des Anführers wegfällt: Unter seinen Gefähr­ ten, den socii, die nahezu gleichberechtigt ihn begleiten, nimmt Aeneas wie selbstverständlich die Führungsstellung ein. Infolgedessen hat Aeneas nicht eigentlich Ämter inne, sondern übernimmt nur die entsprechenden Funktionen, die er also nicht aufgrund von potestas (Macht qua Amt), sondern von auctoritas (Einfluss qua Autorität) ausübt. Zu Anfang, in Troja, ist er Privatmann und bleibt es im Grunde, da er nie formell und öffentlich zu irgendeinem Amt oder einer Aufgabe berufen wird, sondern anschei­ nend einfach tut, was nötig ist. Als Troja gefallen ist und die überlebenden Flüchtlinge sich sammeln, um ins Exil zu ziehen, wird Aeneas weder durch die dynastische Folge – es ordnen sich ihm z. B. drei Priamus-Söhne, also Angehörige des trojanischen Königshauses, ohne weiteres unter – noch durch Wahl zu ihrem Anführer. Auch war Aeneas in Troja kein Priester, dennoch übernimmt er – ohne Einführung und ohne Zeremonie – mit den Penaten die Aufgabe, die einst der Burgpriester Panthus innehatte (2,329 ff.). Seine auctoritas beruht auf dreierlei: Er ist Sohn einer Göttin, er genießt das Vertrauen aller, und es gibt niemanden, der die Aufgabe besser erfüllen könnte. Da die Übertragung der Mission durch Traum- und Totenerscheinungen bezie­ hungsweise durch Götterzeichen im Familienkreise unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfindet, können diese omina (Vorzeichen) nicht als formelle Legitimation vor dem trojanischen Volke gewertet werden; vielmehr legitimiert allein die Tatsache, dass die Trojaner freiwillig folgen, Aene­ as als Trojanerführer (2,796 ff.). Daher ist es auch in gewis­ ser Weise folgerichtig, dass Aeneas beim Aufstand in Sizili­ en, als ein Teil der Exiltrojaner der Irrfahrten müde ist und



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nicht mehr weiter will (5,604 ff.), keine Strafmaßnahmen durchführt oder auch nur Tadel erteilt: So freiwillig, wie die Trojaner sich seiner Führung anvertraut haben, so frei­ willig können sie ihm die Gefolgschaft aufkündigen. Dass Aeneas durch diesen Aufstand in eine innere Krise gestürzt wird (5,700 ff.), lässt Rückschlüsse auf sein Gefühl der Ver­ antwortung und der Verbundenheit mit seinem Volk zu, nicht aber auf seinen Anspruch auf Herrschaft über die Trojaner. Aeneas zeigt nie Machtstreben in Bezug auf seine eigenen Leute, sondern nur auf Latium, und dies nicht für sich selbst, sondern für seinen Sohn Askanius (dessen ande­ rer Name Iulus lautet und auf Julius Caesar verweist, den Augustus beerbt). Das Verhältnis zwischen den Trojanern und Aeneas beruht auf einer freiwilligen Übereinkunft, deren Grundlage weder Tradition noch Verfassung ist und zu deren Aufrechterhaltung sich auch Ideologie und Pro­ paganda als unnötig erweisen: Einerseits stehen die Götter tatsächlich und nicht nur der Behauptung nach hinter dem Unternehmen, zum anderen funktioniert die Kommuni­ kation vom Anführer zum Volke auf direktem Wege und unproblematisch. Eine weitere Eigentümlichkeit dieser epischen Welt, die mit dem Fehlen von Aristokratie und Senat zusammen­ hängt, ist das Fehlen eines mos maiorum (Sittenkodex der Vorfahren). Würde sich Aeneas auf einen solchen berufen, dann wäre es wohl der orientalisch-alttrojanische Sittenko­ dex oder das, was sich Vergils Zeitgenossen darunter vor­ stellen. Es könnte aber auch einfach der altrömische sein. Denn nichts hinderte Vergil daran, Aeneas nach dem Typus des idealisierten Altrömers zu gestalten, schlicht, bäurisch und bodenständig. Auch die andere Möglichkeit, einen zur Aeneis passenden und angemessenen trojanischen mos maiorum zu erfinden, wird nicht genutzt. Vergil ergreift so

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die Möglichkeit, eine eigene Werteskala einzubringen, die weder trojanisch noch römisch ist: Vor allem Mitleid und Sorge sind so stark betont, dass man Aeneas gelegentlich Führungsschwäche vorgeworfen hat.3 Aber Aeneas kann sich diese Regungen und die daraus resultierenden Ent­ scheidungen aufgrund seiner großen Akzeptanz beim Volk ebenso leisten, wie er umgekehrt auf autoritäres Gebaren verzichten kann und auch keiner äußerlichen Insignien sei­ ner Macht, etwa einer Krone oder eines Throns, bedarf. An diesem Punkt zeigt sich die Brisanz der eingangs gestellten Frage, wie sich Vergils Konzeption der Füh­ rungsfigur Aeneas zur frühaugusteischen princeps-Ideologie verhält. Der Befund ist zunächst folgender: Vergil hat im Grunde keine Führungskonzeption entworfen, sondern eine vielschichtige Figur gezeichnet, die einerseits außer­ halb nahezu aller formalen, institutionellen und gesell­ schaftlichen Strukturen eine Führungsposition einnimmt, andererseits im Bereich der Herrschertugenden eigene Ak­ zente setzt. Dabei lassen die so beschriebenen Eigentüm­ lichkeiten von Stellung und Stil des Trojanerführers Aeneas ebensoviele Parallelen wie Unterschiede zu Oktavian-Au­ gustus erkennen. Was sagt dieser Befund nun über die zur Diskussion stehende Analogie zwischen Aeneas und Augustus aus? Wichtig ist in diesem Zusammenhang zunächst, dass die Konzeption des augusteischen Prinzipats nicht fix und fer­ tig ›vom Himmel fiel‹. Als Augustus nach dem Sieg von Aktium 31 v. Chr. als alleiniger Sieger der Bürgerkriege dastand, hatte er keine ausgearbeitete princeps-Ideologie, 3

Vgl. etwa T. Adamik, Die zweite Botschaft der Aeneis. In: Acta anti­qua Academiae Scientiarum Hungaricae 38, 1998, 1–9, der in den ›Fehlern‹ des Aeneas Vergils Kritik an Augustus sieht.



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die er aus der Schublade holen und umsetzen konnte. Es ist durchaus nicht einfach, heute noch festzustellen, wel­ che Ideen und Vorstellungen bereits in der Anfangsphase des augusteischen Prinzipats vorhanden und auch bekannt waren: Angesichts der spärlichen zeitgenössischen Quellen besteht hier die Gefahr, aus der rückblickenden Perspektive der Geschichtsschreibung die konzeptionell abgeschlossene princeps-Ideologie einer späteren Zeit bereits für die 20er Jahre vorauszusetzen, also für jenen Zeitraum, in dem Ver­ gil seine Aeneis schrieb. Tatsächlich stellt sich die frühaugus­ teische Zeit eher als eine Zeit des Sich-Vorantastens und als ein Prozess dar, dessen Ausgang für die damaligen Zeitge­ nossen, also auch für Vergil, ungewiss gewesen sein muss. Es ist also ein schwieriges Unterfangen, die frühauguste­ ische princeps-Ideologie soweit zu erschließen, dass sie als feste Vergleichsfolie zu einer Führungsfigur mit Namen Ae­ neas dienen kann. Auf der anderen Seite stellt sich heraus, dass es auch für Vergils Epos nicht recht möglich ist, eine strukturell fassbare Führungskonzeption, nach welcher der Trojanerführer Aeneas gestaltet wäre, zu formulieren. Die Darstellung der Führungsstrukturen in der Aeneis bietet so­ mit ihrerseits nur bedingt eine geeignete Kontrastfolie, zu der der Prinzeps in Bezug gesetzt werden könnte. Es ist also von beiden Seiten her nicht ganz einfach, die augusteischen und die vergilischen Vorstellungen vom idealen Anführer sinnvoll einander gegenüber zu stellen. Diese Erkenntnis sollte eine Warnung sein, durch Herstellung von Paralle­ len beziehungsweise durch Aufzeigen von Unterschieden zwischen Aeneas und Augustus eine panegyrische bezie­ hungsweise augustuskritische Intention abzuleiten. Die Aeneis spiegelt vielmehr in der Ausblendung schematischer und starrer Führungskonzepte die unfertige und in ihrem Ergebnis noch offene Entwicklung der princeps-Ideologie

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der frühaugusteischen Zeit wider, sie ist Bestandteil eines Prozesses. Was wir an Aeneas als Führungsfigur am besten fassen können, ist sein Führungsstil. Diesbezüglich wiederum ent­ zieht sich uns in besonderem Maße die Führungsfigur des Augustus. Mag es Historikern noch möglich sein, über die rechtliche und verfassungsmäßige Stellung des frühen Au­ gustus Aussagen zu treffen, mögen Archäologen in Bau- und Bildprogrammen Schlagworte und Symbole des politischen und gesellschaftlichen Diskurses der 20er Jahre aufspüren können, so scheint es aber, da zeitgenössische Quellen feh­ len, nahezu unmöglich, den persönlichen Führungsstil des frühen Augustus – sei es der wirkliche oder der zur Schau gestellte – zu fassen und auch noch zu ermessen, was davon Vergil und den intendierten Rezipienten der Aeneis bekannt sein konnte. Im Bewusstsein dieser Problematik möchte ich hier dennoch versuchen, die beiden Führungsgestalten und ihre Welten miteinander soweit zu vergleichen, wie es sinnvoll ist, und so zugleich die Offenheit und Vielstimmigkeit der Aeneis vor Augen zu führen.4 4 Vgl. zur Gegenüberstellung des Aeneas und Augustus z. B. B. Otis, Virgil: a Study in Civilized Poetry. Oxford 1964, 302: »prototype«; V. Pöschl, Herrscher und Dichter in Vergils Georgica, in: H. Zehn­ acker / G. Hentz (Hgg.), Hommages à Robert Schilling. Bruxelles 1983, 393–402 = ders., Lebendige Vergangenheit. Abhandlungen und Aufsätze zur Römischen Literatur und ihrem Weiterwirken. Kleine Schriften 3, hg. v. W.-L. Liebermann u.a. Heidelberg 1995, 147–158, 155: »Aeneas ist nicht nur Vorläufer, sondern auch Vorbild des Au­ gustus«; R. G. M. Nisbet, Aeneas imperator: Roman Generalship in an Epic Content. In: S. J. Harrison (Hg.), Oxford Readings in Vergil’s Aeneid. Oxford 1990, 378–389, 378: »proto-Augustus […] prefiguring the political ideology of Virgil’s own patrons«; J. Alvis, Divine Purpose and Heroic Response in Homer and Virgil: the Political Plan of Zeus.



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Die Macht des Augustus beruhte vor allem auf auctoritas, so sagt er es selbst in seinem Tatenbericht Res Gestae (R. Gest. div. Aug. 34). Die Legitimierung seiner Macht durch Ämter ist dagegen in gewisser Weise sekundär und konstru­ iert. Augustus werden Ämter und Ehren übertragen, weil er bereits Macht hat, und nicht, damit ihm Macht übertragen wird. Als Ende 33 v. Chr. das Triumvirat auslief, behielt er zunächst seine triumvirale potestas (Amtsgewalt) und berief sich auf den consensus universorum (einhellige Zustimmung aller). Diesen inszenierte er durch den ›spontanen‹ Treueid ganz Italiens, der anlässlich der Kriegserklärung an Kleopa­ tra (Antonius wurde nicht erwähnt) für ihn abgelegt wurde: iuravit in mea verba tota Italia sponte sua et me belli quo vici ad Actium ducem depoposcit – »ganz Italien leistete freiwillig auf mich einen Eid und verlangte mich als Feldherrn für jenen Krieg, in dem ich bei Aktium siegte« (R. Gest. div. Aug. 25).5 Augustus erhält den Auftrag für den Krieg, wie Lanham 1995, 203: »Augustus as Aeneas redivivus«; W. Suerbaum, Ver­ gils Aeneis. Epos zwischen Geschichte und Gegenwart. Stuttgart 1999, 110: »Spiegelung des Augustus in Gestalt des Aeneas«, 203: »Aeneas keine bloße Allegorie des Augustus«, 335 f.: »Vorläufer des Augustus« und »Augustus ein alter Aeneas«; W. Kofler, Aeneas und Vergil. Un­ tersuchungen zur poetologischen Dimension der Aeneis. Heidelberg 2003, 60: »Aeneas, hinter dem wir ja zumindest partiell Augustus vermuten dürfen«; N. Holzberg, Vergil. Der Dichter und sein Werk. München 2006, 14: »Präfiguration des Prinzeps Augustus«; »Aeneas, der mit Blick auf den Prinzeps charakterisierte König«; vgl. ferner G. Binder, Aeneas und Augustus. Interpretationen zum 8. Buch der Ae­ neis. Meisenheim/Glan 1971, und K. Galinsky, Augustan Culture: an Interpretive Introduction. Princeton, NJ 1996, 246–253. 5 Vgl. zum Treueid Italiens und zum consensus universorum D. Kienast, Augustus. Prinzeps und Monarch. Darmstadt 31999, 78–81 und die immer noch instruktive Darstellung von R. Syme, The Roman Re­ volution. Oxford 1939 = Die römische Revolution. Machtkämpfe im antiken Rom. Darmstadt 2003, 286–303.

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er sagt, dadurch, dass das Volk in ganz Italien die Initiative ergreift und ihn als dux »verlangt«; der consensus universorum ist in dieser Form, als Ersatz für staatliche Institutionen und Formen der Wahl oder Ernennung, eine völlig neue Form der Legitimierung von Herrschaft. In ähnlicher Wei­ se erwirbt Aeneas seine Funktion als Trojanerführer ledig­ lich dadurch, dass alle spontan beschließen, ihm zu folgen (2,799 f.), ohne dass eine Wahl oder irgendein förmliches, etwa nach trojanischen Traditionen durchgeführtes Ritual der Machtübertragung stattgefunden hätte. Alle weiteren Funktionen, die Aeneas übernimmt, Flottenkommandant, Feldherr, Steuermann, Priester, ergeben sich aus dieser formal nicht fassbaren Macht. Aeneas ist das Inbild eines ›charismatischen Anführers‹, der allein aufgrund seiner an­ geborenen Fähigkeiten und seiner natürlichen Beliebtheit bei den Menschen ganz selbstverständlich als solcher ak­ zeptiert wird. Er lebt insofern in einer Idealwelt, als er bei den staatenlosen Exiltrojanern nicht aufgrund seines gesell­ schaftlichen Ranges, der hier nicht erwähnt wird, sondern aufgrund seiner allgemeinen Autorität und Ausstrahlung Trojanerführer werden kann, und weil die Exiltrojaner, die keine factiones (Parteiungen) kennen und bei denen aristo­ kratische Hierarchien kaum eine Rolle spielen, von großer Eintracht sind. Aeneas hat nicht nur eine Mehrheit hin­ ter sich, sondern alle. Oktavian-Augustus hingegen muss­ te über die Inszenierung des consensus universorum hinaus versuchen, seine außerordentliche Sonderstellung durch rechtliche Fundierung und Rückgriff auf republikanische Traditionen formal abzusichern und außerdem die Inter­ essen der verschiedenen politischen Gruppen in Einklang zu bringen. Hier zählt die Verteilung von Ämtern, Funkti­ onen, Ehren, Pfründen an Parteigänger und Adelige min­ destens ebenso viel wie die Auswahl der wichtigsten Funk­



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tionen für sich selbst – eine Problematik, die in der Aeneis überhaupt keine Rolle spielt. Das Ausblenden des Adels und damit möglicher politischer Aktivitäten der mächtigen Familien, die, so wie es in Rom die Regel war, Unruhe in die Einmütigkeit der Trojaner bringen würden, könnte ein Reflex auf den Umstand sein, dass während der Triumvi­ ratszeit und in den ersten Jahren unter dem Prinzipat die alte römische Aristokratie massiv an Einfluss verloren hat.6 Dass bei den Exiltrojanern keine patres (versammelte Väter) und kein Ältestenrat vorkommen, sondern der Eindruck erweckt wird, die trojanische Führungsspitze sei jung (oft ist von iuventus – Jugend, pubes – junge Männer etc. die Rede), darf vielleicht als konkrete Referenz darauf gedeu­ tet werden, dass Augustus und seine Führungsclique eben­ falls jung waren: Als Vergil sein Epos zu schreiben begann, waren Augustus und die beiden ersten Männer nach ihm, Maecenas und Agrippa, alle erst Anfang bis Mitte Dreißig; dagegen hörte man nichts oder wenig von altehrwürdigen Konsularen. Der allgemeine consensus (Einmütigkeit) der Trojaner kommt vor allem auch dadurch zustande, dass es keine alten Clans (mehr) gibt, die ihre eigene Politik betrei­ ben: Es ist kein Zufall, dass der einzige innere Konflikt der Trojaner von einer Person ausgeht, die »früher Adel, Namen und Söhne hatte« – Beroë, die in Sizilien die übrigen Frau­ en zum Aufstand anzustiften vermag, nachdem Iris ihre Gestalt angenommen hat (5,620 f.). Der Umstand, dass die Aristokratie der Trojaner im Exil ihren Rang eingebüßt hat, ja dass außer Aeneas selbst überhaupt kein alter Name, den man aus Homer kennt, unter den Exiltrojanern begegnet, 6 Vgl. Kienast (Anm. 5), 151–153. Die neu berufenen Magistrate wur­ den dagegen im Laufe des Prinzipats des Augustus kontrolliert an der Macht beteiligt.

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erinnert an den Bruch des Augustus mit aristokratischen Traditionen und die durch ihn beziehungsweise die Um­ bruchszeit des Triumvirats bewirkte Etablierung eines neu­ en Adels.7 Auch in der Aeneis wird eine Gesellschaft gezeigt, in der alter Adel schwindet und neuer begründet wird. Eine weitere Parallele zwischen dem Trojanerführer und Augustus ergibt sich aus dem Umgang mit Titeln. An sich stellt der Königstitel innerhalb der epischen Welt, in der die Monarchie, anders als in Rom, selbstverständlich ist, kein politisches Reizwort dar. Dennoch fällt auf, dass Aeneas – im Gegensatz zum italischen König Latinus und anderen – den Königstitel für sich nicht verwendet und auch nicht als rex (König) angesprochen wird.8 Augustus wiederum hatte insofern von Caesar gelernt, als er sogar auf die de­ monstrative Ablehnung des Königstitels verzichtete; auch der Titel eines Diktators schien ihm nicht geeignet, und das Konsulat bekleidete er mehrmals, aber eben nicht per­ manent. Er wählt schließlich den Titel princeps (der erste), eine Bezeichnung, die in der Republik bereits existierte und sich dort auf den einflussreichsten Senator bezog (princeps senatus – der erste Mann im Senat), meist einen ehema­ ligen Konsul. Wichtiger als der Titel war der Name, den Augustus annahm. Die Gestalt dieses Namens war, abge­ sehen von seiner Dreiteiligkeit, der Tradition unbekannt, brachte aber gerade dadurch seine einzigartige Autorität zum Ausdruck: Der divi filius (Sohn des Gottes, gemeint ist der vergöttlichte Caesar, von dem Oktavian adoptiert wurde) hatte den eigentlich zeitlich beschränkten Titel imperator (Feldherr) als dauernden Vornamen angenommen und er erhielt 27 v. Chr. auf Senatsbeschluss den noch nie 7 Vgl. Syme (Anm. 5), bes. 372 f. und 383 f. 8 Vgl. zum Königstitel des Aeneas Schauer (Anm. 1), 181–183.



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verliehenen Beinamen Augustus: der Erhabene. Dies ähnelt durchaus der Haltung des Aeneas in der Titelfrage: Die üb­ liche Anrede durch die eigenen Leute ist nate dea (Sohn der Göttin, gemeint ist Venus), seine Stellung und Funktion aber die eines rex (König). Augustus sollte später (2 v. Chr.) zum pater patriae (Vater des Vaterlandes) ernannt werden, was der pater Aeneas in gewisser Weise vorwegnimmt. Ob dux, rex, natus dea oder pater, kein Titel wird der komple­ xen Funktion und Stellung des Aeneas ganz gerecht. Er ist wie Augustus einzigartig, weswegen die außergewöhnliche Bezeichnung natus dea als die passendste und natürlichs­ te Anrede erscheint. Gleichfalls an Augustus erinnert die Tatsache, dass durch die Götterzeichen des zweiten Buches nicht nur Aeneas aus dem trojanischen Volk herausgehoben wird, sondern seine ganze Familie. Anchises, der Vater des Aeneas, spielt als Ratgeber und Seher, solange er noch lebt, ein wichtige Rolle, die Sonderstellung des Askanius wird durch ein ominöses Flammenzeichen betont (2,679 ff.) – überhaupt geht es Jupiter, der das fatum (Vorhersehung) vertritt, vor allem darum, dass Aeneas die Herrschaft des Aeneassohnes Askanius in Italien sichert. Auch bei Augus­ tus spielt die gesamte Familie eine wichtige Rolle: Mit dem Verweis auf seine Adoption durch Caesar legitimiert er seinen Herrschaftsanspruch, sein Neffe Marcellus war wo­ möglich als Nachfolger vorgesehen. Dass der nachmalige Augustus wohl bereits in den 30er Jahren die Unverletzlich­ keit (sacrosanctitas) eines Volkstribunen, die ihm verliehen wurde, auf seine Schwester Octavia und seine Ehefrau Livia ausweiten ließ,9 weist in dieselbe Richtung. Die Aeneis bietet möglicherweise auch einen Reflex des Staatsakts der restitutio rei publicae (Wiederherstellung des 9 Vgl. W. Eck, Augustus und seine Zeit. München 1998, 29.

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Staates) im Jahre 27 v. Chr., als Augustus seine außerordent­ lichen Gewalten, die er als Triumvir innehatte, an den Se­ nat zurückgegeben hat:10 Das Ziel des Aeneas in Italien ist zwar neben der Einführung des trojanischen Penatenkults auch, dort Herrschaft zu erlangen, wie mehrfach, auch von Aeneas selbst, explizit gesagt wird. Als Aeneas aber die Frie­ densbedingungen für den Fall seines Sieges im Zweikampf gegen Turnus nennt, überlässt er ausdrücklich die regna (Herrschaft) und das imperium (Befehlsgewalt) dem Lati­ nus: nec mihi regna peto – »nicht nach Herrschaft strebe ich« (12,190). Aeneas kämpft, weil er dazu gezwungen wurde, und nur mit dem Ziel vor Augen, die friedliche Vereinigung beider Völker zu ermöglichen. Als er dies erreicht hat, gibt er die ihm zustehende Macht freiwillig wieder ab – das lässt sich durchaus als eine (freilich idealisierende) Interpretati­ on des letzten Bürgerkrieges und seines Abschlusses durch den Rücktritt Oktavians von der außerordentlichen Macht verstehen. Diesen Parallelen, die man zwischen Aeneas und Augus­ tus erkennen kann, stehen Verhaltensweisen und Eigenhei­ ten des Trojanerführers entgegen, die die augenfälligen Ge­ meinsamkeiten wieder relativieren. So wird den römischen Rezipienten immer wieder ein Aeneas zugemutet, der im pejorativen Sinne orientalisierende Züge aufweist. Zwei­ mal wird Aeneas als ein vom morgenländischen Pomp ver­ weichlichter Halbmann verspottet: von Iarbas (3,215–218) und von Numanus (9,614–620) – beide bezeichnenderwei­ se Barbaren und Feinde. Ziemlich sicher als ›Abweichung‹ vom römischen Ideal konzipiert ist auch das gesamte Aben­ teuer in Karthago: Aeneas verfällt dort nicht nur dem phö­ nizischen Luxus, sondern auch der phönizischen Königin 10 Dazu Kienast (Anm. 5), 83 ff.



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Dido und wird daher von Merkur als uxorius (seiner Gat­ tin hörig, gemeint ist Dido) bezeichnet (4,259–267). Die­ se Bezeichnung rückt ihn vorübergehend in die Nähe des Antonius, der wegen seiner Liebe zu Kleopatra verspottet worden war; man kann dies unter anderem als ein Signal an die zeitgenössischen Rezipienten verstehen, Aeneas nicht einfach mit Augustus gleichzusetzen. Was nun die eigentli­ chen Führungseigenschaften betrifft, so fällt besonders der völlig fehlende Ehrgeiz des Aeneas auf, der sogar von Jupi­ ter thematisiert wird (4,232–236): Wenn ihn die Aussicht auf Ruhm so gewaltiger Taten nicht anspornt und er nicht auf sich nimmt die Mühsal zur eigenen Ehre, gönnt er als Vater dann nicht dem Askanius römische Burgen? Was hat er vor? Was erhoffend verweilt er im feindlichen Volke, denkt an Ausoniens Nachwuchs nicht mehr und Laviniums Fluren?

Merkur gibt diesen Vorwurf Jupiters an Aeneas weiter (4,272–276): Wenn dir die Aussicht auf Ruhm so gewaltiger Taten egal ist, denk an Askanius, der heranwächst, die Hoffnung für deinen Erben Iulus, welchem die Herrschaft über Italien und Roms Erde bestimmt sind.

Jupiter und Merkur gehen – vielleicht in ihrer Empörung übertreibend – davon aus, dass Aeneas durch gloria (Ruhm) und laus (Ehre) nicht gelockt werden kann, und legen da­ her das Hauptgewicht der Argumentation auf den Erben Askanius und seine Hoffnungen – wofür und für wen Aska­ nius stehen könnte, ist dabei nicht auszumachen; vorstell­ bar wäre, dass Vergil in dem jungen Marcellus, solange er lebte, den künftigen Erben der Macht des Augustus erblick­ te, schwer vorstellbar jedoch, dass Marcellus für die Legi­ timation der Herrschaft und des Kampfes um sie jemals

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die gleiche Rolle gespielt haben sollte wie Askanius für die Motivation des Aeneas. Aeneas ist in hohem Maße vor allem eine Übergangs­ figur, da er lediglich die Herrschaft des Königs AskaniusIulus, von dessen Namen sich die Julier ableiten werden, vorbereitet. Die sogenannte typologische Deutung sieht in Aeneas einen Mann, der das begann, was Augustus vollen­ det hat.11 Diese Auffassung berücksichtigt aber zu wenig, dass in der Aeneis bei der Konstruktion der Kontinuität Troja–Rom die Person des Aeneas in verschiedener Hin­ sicht eine erstaunlich zurückgenommene Rolle spielt. Am Anfang des Werkes, an dessen Vollendung Augustus wirkt, steht vielmehr Aeneassohn Askanius, dessen Herrschaft je­ doch nicht dargestellt wird. Besteht die Analogie zwischen Aeneas und Augustus demzufolge darin, dass Vergil in Augustus eine ähnliche Interimsgestalt sieht wie in Aeneas? Beide führen ein Volk, dessen staatliche Organisationsform sich – im historischen Fall infolge der Zerstörung der Republik – in einem status nascendi befindet. Das teleologische, auf ein Ziel gerichtete Geschichtsmodell der Aeneis postuliert nur, dass Augustus an die Macht kommen und Frieden schaffen wird. Aber er steht deswegen nicht am Ende aller Zeiten. Was kommt nach Augustus? Die Aeneis gibt eine Antwort: His ego nec metas rerum nec tempora pono: / imperium sine fine dedi – »diesen setze ich weder in Raum noch Zeit eine Grenze, endlose Herrschaft habe ich ihnen verliehen« (1,278 f.). Die ewige Herrschaft ist nicht Augustus oder den Juliern bestimmt, sondern den Römern. Das Pronomen hi (diese) steht für die unmittelbar zuvor genannten Romani (1,277). 11 Als Begründer der typologischen Deutung des Verhältnisses von Aene­ as und Augustus gilt Binder (Anm. 4).



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Diese Stelle zeigt, dass Vergil im Grunde weniger an Au­ gustus als an den Römern als Volk interessiert ist: In der Aeneis geht es nicht nur um die Geschichte des Aeneas und seiner Familie, sondern letztlich um das trojanische Volk und seine Verschmelzung mit den Latinern. Aeneas be­ gründet nicht eine Dynastie, sondern ein Volk (Romanam condere gentem – »das römische Volk zu begründen«; 1,33). Er ist damit nicht nur Ahnherr des julischen Kaiserhauses, sondern aller Römer. Also kann er als Integrationsfigur nicht nur für die Trojaner, sondern auch für das neue troja­ nisch-latinische Mischvolk und damit auch für die Römer, für alle Römer, fungieren. Vergil hat durch Erzähltechnik und Themengestaltung Aeneas so gezeichnet, dass er zu ei­ ner idealen Identifikationsfigur für die unterschiedlichsten Menschen werden kann: Man findet in Aeneas, was man sucht. So kann man in ihm den guten König, den stoischen Weisen, den Feldherrn sehen – obwohl diese Rollen durch sein Verhalten, jede auf andere Weise, wieder relativiert werden; und man kann in ihn den Vorläufer des Augustus hineinlesen, wie es denn auch schon die augusteische Ae­ neis-Rezeption getan hat12 – und Augustus vermutlich auch. Aeneas hat jedoch viele Rollen: Er ist König und Krieger, aber auch Ehemann, Vater, Sohn und Liebhaber, er ist ein socius (Gefährte) und comes (Begleiter). Er ist trojanischer Aristokrat und zugleich der Stammvater aller Römer: Romanae stirpis origo – »Ursprung des römischen Stammes« 12 In der Sueton-Vita (cap. 21) wird als Hauptthema der Aeneis der Ur­ sprung Roms und der des Augustus genannt: simul Romanae urbis et Augusti origo. Vgl. zur antiken Aeneis-Deutung R. D. Williams, The Purpose of the Aeneid. In: S. J. Harrison, (Hg.), Oxford Readings in Vergil’s Aeneid. Oxford 1990, 21–36, 21: »The ancient critics were not in doubt about the purpose of the Aeneid: it was to glorify Rome and Augustus.«

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(12,166); ebenso ist Askanius die magnae spes altera Romae – »die andere Hoffnung des mächtigen Roms« (12,168), und nicht nur Ahnherr der Julier. Kehren wir noch einmal zu dem mangelnden Ehrgeiz des Aeneas und seinem möglichen Bezug zu Augustus zurück. Wie gesagt, fungiert Aeneas in der Vorgeschichte Roms als Übergangsfigur, deren Mission im Dienste ande­ rer steht, des Volkes, des Askanius, der Penaten und der Bestimmung; seine eigenen Wünsche spielen dagegen, wie er Dido gegenüber beteuert, keine Rolle: Italiam non sponte sequor – »nicht von mir aus suche ich Italien« (4,361). Hat Vergil Augustus ebenfalls als ehrgeizlosen Anführer gese­ hen, der sich, vom Schicksal zu seiner Rolle gezwungen, vor allem für andere mühte: für seinen Stiefvater Caesar, dem er in pietas (Frömmigkeit) verbunden ist, für Rom und für die Zukunft? Die Worte, mit denen Augustus – allerdings fast ein halbes Jahrhundert später – in seinem Tatenbericht über die Anfänge seiner Laufbahn spricht, klingen ganz anders: exercitum privato consilio et privata impensa comparavi – »in privater Entscheidung und aus privaten Mitteln habe ich ein Heer ausgehoben« (R. Gest. 1). Aeneas jedenfalls fehlt es durchaus an Eigeninitiative, an consilium (Planung), an Entschlossenheit und an Ehrgeiz. Anstöße zu allen Taten und Strategien geben die Götter ein, an die Stelle des feh­ lenden Ehrgeizes tritt die cura (Fürsorge) gegenüber dem Volk und die pietas gegenüber den Göttern und seinem Sohn. Aeneas ist ein Vermittler und kein Gestalter, der die Welt oder auch nur Latium neu ordnet. Sein eigentlicher Bereich ist der Kult, auch wenn seine Stellung, die er in Lavinium schließlich einnimmt, wohl kaum der des rex sacrorum (Opferkönig) beziehungsweise Pontifex maximus (Oberpriester) des späteren Rom entspricht. Vergils Aeneas ist als dux (Anführer) beständig, pflichtbewusst, beliebt und



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erfolgreich, aber auch zweifelnd, unehrgeizig, entschlussoder ratlos und letztlich unglücklich als Anführer wider Willen, zudem ein Mensch, der Tränen zeigt, in Raserei gerät, der sein privates Glück opfern muss und der weniger herrscht als von den fata, also dem Schicksal, das über alles Gewalt hat, beherrscht wird. Dieses facettenreiche Bild des Trojanerführers, das sowohl Stärken als auch Schwächen enthält, lässt sich in verschiedener, je nach Intention und Perspektive variierender Weise auf Augustus beziehen, des­ sen Person und Wirkung den Zeitgenossen ebenfalls viel­ deutiger erschienen sein muss als die uns überlieferte, zu Bild und Text geronnene Darstellung des Augustus. Ein zentrales Moment der Welt der Aeneis, das kein Ver­ gleich vernachlässigen kann, ist die unhintergehbare Herr­ schaft der fata, also die schicksalhafte Vorhersehung. Aus ihr ergeben sich mehrere Konsequenzen, unter anderem diese: Der Erfolg des Aeneas als Führungspersönlichkeit wird dadurch relativiert, dass Aeneas gar nicht scheitern kann. Sieger zu werden, ist seine Bestimmung, also eigent­ lich kein eigenes Verdienst. Die Konzeption der fata in der Aeneis lässt nicht nur die Machtstellung von Königen und Fürsten in einem anderen Licht erscheinen, sondern alle menschlichen Leistungen. Was sind die vergilischen fata anderes als die realisierte Geschichte, die in der Rückschau als schicksalhaft eintretend interpretiert wird – ein vaticinium ex eventu?13 Diese Konzeption sollte man aber gerade nicht als ein plumpes Philosophem missverstehen, das die Herrschaft des Augustus legitimieren soll, sondern als Prob­ lematisierung der condicio humana im allgemeinen und der Bedingungen menschlicher Herrschaft im speziellen. Die Aeneis betont zwar, dass das Schicksal auf Augustus zuläuft, 13 Vgl. Suerbaum (Anm. 4), 272 f.

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aber sie zeigt zugleich, dass aus der Perspektive der Men­ schen oft nicht erkennbar ist, was die fata bestimmen und nach welchen Kriterien. Die Bestimmung basiert weder auf vernünftigen noch moralischen Kriterien. Sie ist die meta­ physische Begründung einer Herrschaft, die allein deshalb legitim und zu befolgen ist, weil sie auf einer höheren Ebe­ ne festgelegt und von Jupiter vertreten wird. Wenn Men­ schen in der Aeneis also nach moralischen oder vernünfti­ gen Kriterien Entscheidungen treffen und danach handeln, kann es ihnen widerfahren, dass sie, wenn sie nicht von Götterzeichen gewarnt werden oder diese nicht erkennen, mit den fata in Konflikt geraten und ins Verderben stürzen. Es liegt nicht immer in der Hand der Menschen, richtig, also gemäß den fata, zu handeln und zu den Siegern zu ge­ hören. Das teleologische Geschichtsmodell, das auf Augus­ tus hinausläuft, wird in der Aeneis dadurch konterkariert, dass alternative Geschichtsverläufe in Betracht gezogen, be­ ziehungsweise ›falsches‹ Handeln, aus dem sich ein anderer Verlauf der Geschichte hätte ergeben können, eindringlich genug dargestellt werden, um aus menschlicher Perspekti­ ve, das heißt ohne Kenntnis des fatum, nachvollziehbar und sogar positiv zu erscheinen. Es gibt an sich keinen vernünf­ tigen oder moralischen Einwand dagegen, dass Aeneas in Karthago bleibt: Hätte nicht Aeneas, den es ohnehin nicht zur Eroberung fremder Welten drängt, einen idealen Part­ ner für Dido abgeben können? Hätten nicht die Trojaner und Tyrer, beide vertriebene Völker im Exil, vielleicht sogar besser zusammenfinden können als die Trojaner und Lati­ ner? Die politischen Überlegungen Annas, der Schwester Didos, dass die Trojaner, die kulturell auf derselben Stufe stehen wie die Karthager, eine ideale Hilfe gegen die umlie­ genden Barbarenvölker darstellen, sind durchaus vernünftig und entsprechen den Überlegungen eines ›guten Königs‹.



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Nichts spricht dagegen – außer den fata, deren tieferer Sinn den Menschen verschlossen bleibt. Dass in der Aeneis die Verbindung mit Karthago nicht gänzlich abwegig, sondern durchaus als sympathische und nachvollziehbare Mög­ lichkeit erscheint – Aeneas handelt hier ja nicht im furor (Wahnsinn) oder in Verblendung –, ist der wichtigste Beleg dafür, dass alternative Geschichtsverläufe nicht prinzipiell negativ bewertet werden. Nur haben sie keinen Erfolg. In ähnlicher Weise werden die Antagonisten, die weitgehend schuldlos gegen die fata handeln, zumindest verständnisvoll bewertet. Ob Dido, Lausus oder auch Turnus – der Dich­ ter macht ihre Argumente stark und zeichnet Figuren, die Sympathie wecken. Das vaticinium ex eventu Vergils ist also nicht nur als unreflektierte Bejahung der Geschichte und damit des Siegers von Aktium zu verstehen, sondern als Hinweis darauf, dass die Sieger in der Geschichte ihren Er­ folg nicht unbedingt größerer Vernunft, moralischer Über­ legenheit oder anderen persönlichen Vorzügen verdanken, sondern dem Umstand, dass sie – aus menschlicher Pers­ pektive – das ›Glück‹ hatten, von der Bestimmung auserko­ ren zu sein. So gelingt es Vergil auf subtile Weise, die erfolg­ reichste Legitimationsstrategie der Monarchie – der ›Fürst als Werkzeug Gottes‹ – entscheidend zu manipulieren, indem er die Abhängigkeit, also den Instrumentcharakter des Herrschers betont und so die Person des Herrschers der Aufgabe des Herrschers unterordnet. Eine so umgedeutete, oder vielmehr beim Wort genommene Interpretation der schicksalhaften Auserwähltheit des Herrschers steht einem personenbezogenen Herrscherkult eigentlich entgegen. Nach dem Ende der Bürgerkriege war dies gewiss eine angemessenere oder jedenfalls zukunftsträchtigere Ge­ schichtsauffassung, als es ein Beharren auf der überragenden Qualität des Siegers gewesen wäre: Dieser unterscheidet sich

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von den Besiegten in mancher Hinsicht, aber, wie Aeneas von Turnus, nur graduell, nicht grundsätzlich. Augustus lag nichts daran, seine besiegten Gegner zu verteufeln; viel eher musste ihm daran gelegen sein, sie zu integrieren und für den neuen Staat zu gewinnen. Die Sieger sind, wie die Be­ siegten, in einer passiven, abhängigen Rolle – und keine Fi­ gur bringt dies klarer zum Ausdruck als der Trojanerführer Aeneas, den die fata leiten, um nicht zu sagen: treiben. Die teleologische Philosophie kann also nicht nur als AugustusPanegyrik gelesen werden, sondern auch als Relativierung aller menschlichen Macht. Dies impliziert, dass zur mo­ ralischen Überlegenheit auf der einen, der Schuld auf der anderen Seite versöhnend ›Glück‹ beziehungsweise ›Pech‹ treten, um die persönliche Verantwortung für die Wahl der ›richtigen‹ oder ›falschen‹ Seite zu mindern. In Aeneas können sich nicht nur die Anhänger des Sie­ gers von Aktium, sondern auch die Verlierer finden.14 Ae­ neas und sein Volk brechen als Kriegsflüchtlinge auf und werden von ihren Feinden als besiegtes Volk verhöhnt. Auch dass Aeneas Besiegte achtet und respektiert, macht ihn für Verlierer sympathisch. So ehrt er den toten Lausus, den Sohn seines grausamen Gegners Mezentius, nachdem er ihn im Zweikampf getötet hat (10,821–832); so gewährt er der latinischen Delegation die Waffenruhe für die Bestat­ tung der Toten, nicht ohne hinzuzufügen, dass er nicht mit ihrem Volk, sondern mit Turnus Krieg führe (nec bellum cum gente gero; 11,113). Und dass er nach dem Sieg über Tur­ nus nicht die Herrschaft über die Latiner anstrebt, sondern beide Völker gleichrangig behandeln will, belässt den Ver­ lierern Würde. 14 Vgl. zum gemäßigten Auftreten des Siegers Augustus P. Zanker, Au­ gustus und die Macht der Bilder. München 1987, 90–96.



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Neben der positiven Bewertung alternativer Geschichts­ verläufe und der verständnisvollen Zeichnung der Anta­ gonisten stellt auch die Konzeption der Figur des Aeneas, seine Biographie als die eines besiegten Siegers und seine daraus resultierende Haltung, ein Integrationsangebot an die Verlierer der römischen Bürgerkriege dar, vielleicht auch eine Mahnung an Augustus. In dieser Sensibilität und im Respekt vor dem unschul­ digen, aber unvermeidlichen Leid der anderen, den Aeneas immer wieder zeigt und der auch sonst in der Aeneis mehr­ fach anklingt, hat man eine augustuskritische oder gar rom­ kritische sogenannte ›zweite Stimme‹ gesehen. Diese two voices theory krankt aber daran, dass sie die beiden Stimmen, die zweifellos neben anderen in der Aeneis anklingen, gegen­ einander ausspielt.15 Die Stimmen existieren beide, sind aber nicht als ein ›Entweder-Oder‹ zu verstehen und stellen auch keinen Widerspruch in sich dar, sondern sie entsprechen den zwei Seiten der Erfolgsgeschichte Roms. Artikuliert und vereint werden beide Stimmen in der Integrationsfigur Aeneas, der Lausus bedauert und der Turnus tötet. Würde man das Entweder-Oder der two voices theory ernst neh­ men, müsste man in Aeneas einen widersprüchlichen Cha­ rakter sehen. Dies ist er jedoch nicht: Aeneas führt aus, was er muss, und hat dabei doch Sinn für die Opfer. In Aeneas, dem besiegten Sieger, können sich Besiegte und Sieger wie­ derfinden, er repräsentiert die Vielstimmigkeit eines ganzen Volkes, auch eines Volkes, das einen Bürgerkrieg hinter sich hat. Der wohlwollende Volksteiler von Sizilien, der zuließ, dass ein Teil der Trojaner zurückblieb und ihm nicht nach 15 Begründer der two voices theory ist A. Parry, The Two Voices in Vergil’s Aeneid. In: Arion 2, 1963, 66–80; vgl. zu den ›weiteren Stimmen‹ in der Aeneis R. O. A. M. Lyne, Further Voices in Vergil’s Aeneid. Oxford 1987.

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Italien folgen musste, und der unerbittliche Volksvereiner in Latium, der beide Seiten im Konflikt zwischen Trojanern und Italikern kennt und versteht, ist der geeignete Reprä­ sentant und die passende Symbolfigur für die neue Einheit und den Neuanfang des römischen Volkes. Gerade die Fä­ higkeit des Aeneas, mit Tatkraft und Mut auch Zweifel und Sorge, mit Erfolgen und Siegen auch Mitleid und Schmerz um die Opfer, sogar die eigenen, zu verbinden, zeigt die Vereinbarkeit der beiden Stimmen in einer Person und trägt so zur Versöhnung bei. Auch Augustus musste diese Verein­ barkeit in irgendeiner Weise repräsentieren. Wie steht es nun mit der politischen Aussage Vergils? Wenn man nur die zwei Optionen zulässt, dass er entwe­ der ein versteckter Anhänger der Republik oder ein offe­ ner Sympathisant des Augustus sei, so muss man zu dem Schluss kommen, dass in der Aeneis keinerlei prorepublika­ nische Tendenzen, proaugusteische Tendenzen jedoch klar erkennbar sind. Aber bei genauerer Betrachtung drängt sich der Eindruck auf, dass Vergil als Dichter alles getan hat, um zu vermeiden, dass die Aeneis als Instrument der aktuellen Politik und Propaganda missbraucht würde. Sie vermittelt keine einfachen Wahrheiten, keine flachen Charaktere und, bei aller Idealisierung der geschichtlichen Welt, kein sim­ ples Weltbild: Jede mögliche Deutung wird für den, der genau hinsieht, durch zahlreiche Details wieder in Frage gestellt. Man könnte hier einwenden, dass Vergil zumindest in den panegyrischen Exkursen (also in der Jupiterprophezei­ ung im ersten Buch, in der sogenannten Heldenschau im sechsten Buch und in der Schildbeschreibung im achten Buch) seine politische Auffassung doch klar zum Ausdruck bringe: Jupiter prophezeit den Römern eine unbegrenzte Weltherrschaft (1,279), und sowohl in der Heldenschau,



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in der Aeneas in der Unterwelt die römischen Helden der Zukunft sieht, als auch in der Beschreibung des Schildes, den Vulkanus für Aeneas schmiedet, wird Augustus rüh­ mend genannt (6,791–805 und 8,714–728). – Dem ist aber entgegenzuhalten, dass die Exkurse von der übrigen Aeneas-Handlung deutlich abgesetzt sind.16 Sowohl die Heldenschau als auch die Schildbeschreibung haben kei­ nen Einfluss auf Aeneas. Im Falle der Schildbeschreibung kommt dies explizit zum Ausdruck: Aeneas schultert den Schild, wie der epische Erzähler kommentiert, ohne jedes Verständnis für die Abbildungen (rerumque ignarus; 8,730); auch die Heldenschau in der Unterwelt wird durch einen wenn auch nebulösen Hinweis von der Haupthandlung abgerückt: Aeneas verlässt die Unterwelt durch das hör­ nerne Tor der falschen Träume – ein Bild, das zwar nicht sicher geklärt ist, aber doch wohl bedeuten soll, dass er eine Traumwelt verlässt.17 16 Die Exkurse unterscheiden sich in ihrer Gestaltung von der übrigen Darstellung. Es sind statische Bilder, die der Dichter evoziert: Die Hel­ denschau gleicht einem Gang durch eine Ahnengalerie, die Schildbe­ schreibung besteht aus einer Sequenz von Einzelszenen. Die Exkurse evozieren ,Fakten‹, die für Vergils Zeitgenossen Elementarwissen über die römische Geschichte darstellten. Die Aeneas-Handlung hingegen berichtet von der halbmythischen Vorgeschichte – halbmythisch, da die Fakten im Einzelnen nicht feststehen. So kann Vergil in der Aeneas-Handlung das »Wie« gestalten, während er in den Exkursen das »Was« festhält: Chronologien, Daten, Namen, Ereignisse im Sinne von Ergebnissen und Herrscherlob. 17 S. Anzinger, Schweigen im römischen Epos. Zur Dramaturgie der Kommunikation bei Vergil, Lucan, Valerius Flaccus und Statius. Ber­ lin 2007, 54 f. zeigt, dass Aeneas die Heldenschau und vor allem auch die Figur des Augustus erstaunlich teilnahmslos an sich vorüberziehen lässt, so als ob er mit dem, was ihm Anchises ans Herz legen will, wenig anfangen könne. Bezeichnenderweise ist der traurige Marcellus der einzige, der Aeneas rührt.

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Jedenfalls nutzt Vergil die Heldenschau ebenso wenig wie die anderen Exkurse, um die Taten des Aeneas mit ­Augustus organisch zu verbinden. Es wäre z. B. doch denk­ bar, dass Aeneas durch die Heldenschau oder die Schildbe­ schreibung ein Wissen über die Zukunft zuteil würde, das für seine Legitimation als Anführer, für die Motivation der Trojaner beim Kampf – vielleicht auch schon in der ersten Hälfte des Epos, wenn ihm der Inhalt der Jupiterprophezei­ ung über Orakelsprüche bekannt wäre –, eine große Rolle spielen müsste. Vergil hätte Aeneas etwa Reden folgender Art in den Mund legen können: »Aus uns Trojanern wird in ferner Zukunft ein Volk hervorgehen, das die Welt be­ herrschen wird.« – oder: »Von Iulus wird ein Geschlecht abstammen, das einen Friedensfürsten hervorbringt«. Ob­ wohl es also einfach gewesen wäre, einen Zusammenhang zwischen den Exkursen und Aeneas herzustellen, lässt Vergil seinen Protagonisten nur wissen, dass er in Italien eine Stadt gründen soll, weil es die Götter eben so wollen. Aeneas, der Vorkämpfer Roms, wird damit als ein Mann gezeichnet, dem die römische Geschichte und das auguste­ ische Rom – das sind ja die Themen der Exkurse – fremd bleiben. Der vorrömische Trojanerführer wird denn auch den römischen Führungsinstitutionen und Vorstellungen von Herrschertugenden, die in den Exkursen als selbstverständ­ lich vorausgesetzt werden, nur bedingt gerecht und verkör­ pert einen dux ganz eigener Art, der von den Herrscherbil­ dern der panegyrischen Passagen abweicht. Die Aeneis ist Bestandteil und Ausdruck des vielstimmigen Diskurses der augusteischen Zeit, die gesehen hat, dass die Besten stür­ zen, dass die Gerechtesten zu weit gehen und dass die condicio humana so komplex ist, dass am Ende für die meisten Menschen nur der Zufall darüber entscheidet, wen es auf



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die ›richtige‹ Seite, die Seite der Bestimmung, verschlägt. Die Aeneis repräsentiert – teils von Vergil intendiert, teils nicht – diesen Diskurs in seiner Vielstimmigkeit als ganzen und verleiht ihm gültigen Ausdruck – nicht etwa nur der Auffassung einer einzigen Partei oder Person. Vergil maß sich an Homer und wollte, wie er, ein Epos schaffen, das in Jahrhunderten noch verstanden werden und Gültigkeit besitzen würde. Schon deshalb konnte er es nicht bei einer bloßen, mehr oder weniger panegyrischen Abbildung eines zeitgenössischen Herrschers oder seiner Ideologie bewen­ den lassen – ganz unabhängig davon, wie er persönlich zu Augustus stand. Weit mehr als eine Auseinandersetzung mit dem aktuellen Herrscher stellt das Epos deshalb einen Bei­ trag zur Identitätsstiftung des römischen Volkes dar, in dem Vergil im Übrigen immer noch den eigentlichen Herrscher sah: populus late rex – »ein Volk gar weithin herrschend« (1,21). Vorbild dafür ist der consensus der Exiltrojaner. Ob die Eintracht des Volkes, wie Cicero sie forderte, concordia ordinum (Eintracht der Stände) oder, wie Augustus sie pro­ pagierte, consensus universorum (Einmütigkeit aller) heißt und wie der Staat im Einzelnen aussehen soll, darauf hat sich Vergil nicht eingelassen. Seine Stimme will für die der Römer stehen, und zwar aller Römer, ganz gleich ob sie im schicksalhaften Bürgerkrieg auf der Seite der Sieger standen oder der Besiegten.

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